Konservatismus - Konturen einer Ordnungsvorstellung [1 ed.] 9783428523368, 9783428123360

Diese Abhandlung, in der vorwiegend amerikanische, deutsche, englische und französische Autoren zu Wort kommen, geht dav

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Konservatismus - Konturen einer Ordnungsvorstellung [1 ed.]
 9783428523368, 9783428123360

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 146

Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung Von

Johann Baptist Müller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JOHANN BAPTIST MÜLLER

Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 146

Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung

Von

Johann Baptist Müller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-12336-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Die Genesis des Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2. Der Konservatismus als homogene oder widersprüchliche Ordnungskonzeption?

4

3. Die Theoriefähigkeit des Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

4. Der Konservatismus als Denunziationsobjekt seiner ideologischen Feinde . . . . . .

13

II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2. Der radikale Antiprogressismus Joseph de Maistres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

3. Charles Maurras als reaktionärer Modernist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

4. Die Konservative Revolution im Spannungsfeld von Traditionalismus und Umsturz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

5. Die gemäßigte Fortschrittskonzeption Edmund Burkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

6. Des Einfluss Edmund Burkes auf das geschichtsphilosophische Denken des deutschen Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

7. Die liberal-konservative Geschichtsauffassung der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

III. Christentum, Atheismus und Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Der Konservatismus als christlicher Ideenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Die Denkschule des atheistischen Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

3. Charles Maurras als Repräsentant des atheistischen Katholizismus . . . . . . . . . . . . .

84

4. Die christlich-konservative Kritik am paganistischen Konservatismus . . . . . . . . . .

89

IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse . . . . . . . . .

95

1. Die ganzheitlich-gemeinschaftliche Sozialdoktrin des Konservatismus . . . . . . . . .

95

2. Die konservative Kritik am kapitalistischen Industrialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Die Ökonomisierung der Gesellschaft in konservativer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Der Konservatismus als Anwalt der Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

VI

Inhaltsverzeichnis 5. Marktkonservatismus und Sozialkonservatismus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6. Die interessentranszendierende Gesellschaftskonzeption des Konservatismus . . 140

V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Die Geburt des konservativen Staatsbildes aus dem Geiste des Antiliberalismus 146 2. Die illiberal-konservative Staatslehre Joseph de Maistres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Das antifreiheitliche Staatsverständnis von Charles Maurras und Edgar Julius Jung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Edmund Burkes liberal-konservative Machtlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5. Die Herrschaftskonzeption Friedrich Julius Stahls zwischen Staatsautorität und Bürgerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 6. Der Autoritätsverfall des Staates in konservativer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 7. Die konservative Verteidigung des liberalen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 VI. Die Zukunftsaussichten des Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex A liberal is only a bundle of prejudice until he has mastered, has understood, experienced the philosophy of conservatism. Lord Acton Conservative, A Statesman who is enamored of existing evils, as distinguished from the Liberal, who wishes to replace them with others. Ambrose Bierce Konservatismus hält sich dadurch, dass der Mensch nicht aus seiner Haut heraus kann, und es ist gut für ihn, dass er das nicht kann; denn seine Haut ist die Welt, und die Sterne am Himmel halten ihn daran fest. Ralph Waldo Emerson

1. Die Genesis des Konservatismus In der Konservatismusforschung ist man sich über die Frage, wie alt der in Rede stehende soziale und politische Ideenkreis ist1, ausgesprochen uneinig. Die einzelnen Gelehrten geben höchst unterschiedliche Daten über seinen Ursprung an. Dabei begibt sich F. J. C. Hearnshaw in eine höchst pointierte Argumentationsposition, wenn er behauptet, dass der Gegensatz zwischen dem Konservatismus und dem Liberalismus schon im Paradies auszumachen ist. „Conservatism, in the sense of a spirit opposed to radicalism . . . can be traced right back to the Garden of Eden itself“2. Seiner Auffassung zufolge war „Adam . . . the person who repre1 Dabei muss zwischen einem unbefragten, natürlichen und einem evozierten Konservatismus unterschieden werden. So schreibt Rudolf Vierhaus „A conservative mentality is somewhat a ,natural‘ phenomenon, above all in established social groups“ (Conservatism, in: Dictionary of the History of Ideas, Vol. I, ed. by Philip W. Wiener, New York 1973), S. 478.) Man finde ihn „among the representatives and officials in traditional institutions as well as among the locally and professionally portions of society (farmers, craftsmen)“ (ebd.) Diese Ausprägung des Konservatismus verschwinde allerdings, wenn die Gesellschaft und der Staat durch soziale und politische Neuerungen einem grundlegenden Wandel unterworfen werden. „When placed on the defensive, conservative social action can easily turn into ideology and thereby achieve a stylized veneration of past order in opposition to the present-day ,fragmentation‘ and ,destruction‘ of society“ (ebd.). Vgl. dazu auch Karl Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, Frankfurt am Main, 1984, S. 97 und passim. 2 F. J. C. Hearnshaw: Conservatism in England (1933), New York 1967, S. 20.

2

I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex

sented the conservative qualities of contentment and stability“3. Im Gegensatz zu ihm gab sich Eva als Anwältin des innovationsfreudigen Fortschrittsprinzips zu erkennen. Ihr war die Rolle der Aufmüpfigen, der Gegnerin aller stabilitätsgarantierenden Institutionen auf den Leib geschnitten. F. J. C. Hearnshaw bezeichnet sie als „innovator, eager for novelty, ready for reckless experiment, liable to lead away by any . . . seductive slogan“4. Eine weniger radikale Denkposition nehmen diejenigen ein, die den Ursprung des Konservatismus auf die griechische und römische Antike und die Scholastik zurückführen. Zu den engagiertesten Anwälten dieser Ursprungsinterpretation gehört ohne Zweifel Raymond English. Für ihn haben die griechischen und römischen Klassiker des politischen Denkens deswegen einen so hohen Stellenwert für die konservative Denktradition, weil in ihren Überlegungen alle Topoi versammelt sind, die das Weltbild des Konservatismus bis heute bestimmen. „The core of political thought is old and complex; formed of strands which lead back unbroken through . . . St. Thomas Aquinas, Cicero, and Aristotle“5. Bei diesen Denkern werden in exemplarischer Weise Probleme analysiert, die auch den politischen Prozess späterer Epochen bestimmen. „Conservatism is able to turn to these classic sources because it rejects the notion that the central elements of the human predicament change with political and economic revolutions“6. In einer ähnlichen Weise rechnet Kenneth Minogue Plato, Aristoteles und Thomas zu den ersten bedeutenden Denkern des konservativen Ideenkreises7. Eine andere Interpretationsgruppe hält im Kontrapunkt zu den bisherigen Versuchen, das Ursprungsalter des Konservatismus zu bestimmen, dafür, dass es der Geist der Neuzeit ist, der die konservative Interpretation des politischen und sozialen Geschehens evozierte. Nicht wenige unter ihnen sehen im Reformationsgeschehen den Ursprung des konservativen Ideenkreises. Für Lord Hugh Cecil gab es vor der englischen Reformation keinerlei spezielle konservative Strömungen, die von andersgearteten unterschieden werden konnten. „Before the Reformation . . . it is impossible to distinguish conservatism in politics, not because there was none, but because there was nothing else“8. Das änderte sich mit der Reformation grundlegend. „We begin to see conservatism as a distinct force when we approach the Reformation“9. Angesichte der sozialen und politischen Veränderungen, die Ebd. Ebd. 5 Raymond English: Conservatism and the State, in: Virginia Quarterly Review 32 (1956), S. 55. 6 Ebd., S. 56 7 Kenneth Minogue: Conservatism, in: The Encyclopedia of Philosophy, Vol. II, ed. by Paul Edwards, New York and London 1967, S. 165. 8 Lord Hugh Cecil: Conservatism, London 1912, S. 25. 9 Ebd. 3 4

1. Die Genesis des Konservatismus

3

der Abfall von der Katholischen Kirche bewirkten, brachen sich konservative Parteiungen Bahn, die uns heute noch vertraut sind. „As soon as the minds of men began to be affected by the movement they fell into categories which are familiar“10. Dabei haben sich bedeutende katholische Persönlichkeiten hervorgetan. „The conservatives like Sir Thomas More and the Duke of Norfolk were . . . afraid of separation from the ancient fabric of the faith“11. Eine andere Interpretationsgruppe hält dafür, dass es die Genesis des modernen Zentralstaates ist, der die konservative Interpretation von Staat und Gesellschaft evozierte.12 Nicht wenige seiner Kritiker wiesen darauf hin, dass dieser den überkommenen Freiheitsspielraum des Menschen in unzulässiger Weise einenge. Dabei war es nicht zuletzt Novalis, der die Bürokratie des Absolutismus heftig attackierte. Er wirft ihm vor, einer „maschinistischen Administration“13 das Wort geredet zu haben. Seiner Auffassung zufolge ist „kein Staat . . . mehr als Fabrik verwaltet worden als Preußen, seit Friedrich Wilhelm des Ersten Tode“14. Auch die französische Revolution und ihre Ideenwelt wird als ein Grund für die Entstehung des konservativen Ideenkreises angesehen. Die ostentative Verachtung und Ablehnung ihrer progressiven Geschichts- und Politikkonzeption evozierte eine Widerstandshaltung, die zu der kompromisslosen Zurückweisung durch diejenigen Bürger führte, die den alten Zuständen nachtrauerten. So bildet für Ernst Müsebeck „der Konservatismus . . . die Reaktion gegen die Ideen von 1789“15. Dabei gibt sich der Liberalismus als „die Aktion für die Ideen von 1789“16 zu erkennen.

Ebd. Ebd., S. 25 f. Vgl. dazu auch Rudolf Vierhaus: Conservatism (wie Anm. 1), S. 480. Er spricht von den konservativen „attitudes toward the ecclesiastical reformation“ (ebd., S. 479). 12 Andreas Rödder: Die Bibel, Goethe und ein Sparbuch. Vieles was sich konservativ nennt, ist nicht konservativ, in: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe, 16. / 17. August 2003, Nr. 188. 13 Novalis: Fragmente I, in: Novalis’ Werke. Erster Teil, hrsg. von Hermann Friedemann, Berlin, Leipzig, Wien und Stuttgart o. J. S. 173. 14 Ebd. 15 Ernst Müsebeck: Die ursprünglichen Grundlagen des Liberalismus und Konservatismus in Deutschland, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 63 (1915), S. 4. 16 Ebd. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis von Panajotis Kondylis vonnöten, dass bei der Formulierung der konservativen Abwehrhaltung gegenüber den Tendenzen der Neuzeit die politologischen Klassiker der Antike und des Mittelalters eine entscheidende Rolle spielten. Ihm zufolge haben sich „die Konservativen des 18. und 19. Jahrhunderts des längst vorgegebenen Gedankengutes . . . bedient und dasselbe unter Berücksichtigung der polemischen Bedürfnisse der damaligen konkreten Lage reformiert“ (Konservatismus, Stuttgart 1986, S. 17). Dabei verweist Kondylis zu Recht auch darauf, dass das Gedankenkonglomerat der Moderne ebenso reaktiv sei wie dasjenige des antiprogressistischen Konservatismus. Die „Ideen des revolutionären Rationalismus“ (ebd.) seien eindeutig als eine „Reaktion gegen die Herrschaftsideologie“ (ebd.) früherer Zeiten zu verstehen. Sie seien „viel tiefer reaktiv in ihrem Charakter als die so modernisierte Version des Konservatismus“ (ebd.). 10 11

4

I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex

2. Der Konservatismus als homogene oder widersprüchliche Ordnungskonzeption? Bei der Analyse des Konservatismus muss auch die Frage in den Blick gerückt werden, ob es sich bei diesem Ideenkreis um ein in sich stimmiges oder aber um ein widerspruchsvolles Ideenkonglomerat handelt, dessen einzelne Topoi in kein einheitliches Ganzes eingefügt werden können. Was diejenigen anlangt, die die unaufhebbaren Gegensätze innerhalb dieser Ordnungsidee betonen, so hat Clinton Rossiter darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Begriff des Konservatismus um „one of the most confusing words in the glossary of the political thought and oratory“ handelt17. Golo Mann zufolge sollte die Begeisterung für die systematische Geschlossenheit dieser Ideologie keineswegs alle Bedenken gegenüber ihrer angeblichen Widerspruchsfreiheit niederwälzen. In dem vermeintlich einheitlichen Konservatismus tummelten sich die widersprüchlichsten Topoi. „Man muss die Befehlsgewalt des Staates stärken; man muss die Sphäre seiner Aktivität reduzieren. Man muss das freie Kontraktverhältnis verteidigen gegenüber dem jetzt wieder auflebenden Prinzip ständischer Gebundenheit; man muss eben dies Prinzip, wie es in der Entwicklung der Gewerkschaften erscheint, begrüßen als Schutz vor sozialer Atomisierung und Vereinsamung“18. Auch in außenpolitischer Hinsicht geben sich die Anwälte dieser Doktrin als Repräsentanten höchst unterschiedlicher Denkpositionen zu erkennen. „Man muss zu realistischer Machtpolitik zurückkehren, praktisch sein, auf die Tatsache schauen; man muss Prinzipien treu sein, sich hüten vor Machiavellismus“19. Dabei sei es auch ein höchst sinnloses Unterfangen, die einzelnen Theoretiker und Politiker der in Rede stehenden Doktrin einem widerspruchsfreien Begriffssystem einfügen zu wollen. Nur wenn man die engen Grenzen der logischen Stringenz übersteigt, könne man Persönlichkeiten wie „de Maistre und Burke, Metternich und Canning, Bismarck und Disraeli“20 unter das Rubrum einer einheitlichen Konservatismusdefinition zwingen. Wenn man die Fülle der Variationen dessen, was man landläufig als konservativ bezeichnet, auffächert, stellen sich auch für Panajotis Kondylis erhebliche Zweifel darüber ein, ob man von einem einheitlichen Ideologiekonstrukt sprechen kann. Als zum konservativen Ideenkreis gehörend werden ihm zufolge „bald die Verfechter der Planwirtschaft und der Diktatur im Osten, bald die Befürworter der Marktwirtschaft und des Parlamentarismus im Westen, manchmal auch die ökologisch motivierten Freunde der unversehrten Natur oder religiös gesinnte Feinde des Minirocks angeführt“21. Im 19. Jahrhundert dagegen sei dieser Begriff mit Clinton Rossiter: Conservatism in America, New York 1962, S. 5. Golo Mann: Was ist konservativ?, in: Der Monat Nr. 62, (1953), S. 184. 19 Ebd., S. 184. 20 Ebd., S. 187. 21 Panajotis Kondylis. Die Antiquiertheit der politischen Begriffe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 231. 5. Oktober 1991. 17 18

2. Der Konservatismus als homogene oder widersprüchliche Ordnungskonzeption?

5

einem eindeutigen Bedeutungshof versehen gewesen. Wer in dieser Zeit „,konservativ‘ sagte, meinte primär die sozialpolitisches Anliegen des antiliberalen Adels und großen patriarchalischen Grundbesitzes, der sich durch die Fortschritte des industriellen Kapitalismus bedroht fühlte“22. In gleicher Weise beklagt sich auch Robert Hepp darüber, dass unter dem Rubrum Konservatismus die unterschiedlichsten politischen Positionen Heimatrecht beanspruchen. Politische Verbände, die sich gegenseitig das Existenzrecht absprechen, wollen als Konservative gelten. Dies treffe eindeutig auf „Neonazis, Habsburger, Wasserträger des status quo, Ordo-liberale und Faschisten“23 zu. Angesichts der Tatsache, dass sich die unterschiedlichsten politischen und ideologischen Gruppierungen als Protagonisten des Konservatismus ausgeben, gebe es keine „breitspurigere und ausrangiertere Kategorie als dieses Wörtchen ,konservativ‘“24. Was die angeblich zentralen Leitbegriffe des Konservatismus anlangt, so warnt auch Peter Dürrenmatt davor, diese als Bausteine einer einheitlichen Familienstruktur zu verwenden. Jeglicher Versuch, aus den Begriffen „Religion, Nation, Autorität, Eigentum und Tradition“25 Topoi eines einheitlichen konservativen Denkkonstrukt zu zimmern, sei notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Für nicht wenige Konservative ist ihre Denkfamilie so heterogen geraten, dass sie sich bemüßigt fühlen, bestimmten Mitgliedern ihrer ideologischen Gemeinschaft ihr Konservativsein rundweg abzustreiten. Die dem Anwalt des Konservatismus angemessene Perspektive sei der notwendige Versuch, die Schafe von den Böcken zu trennen, sich auf die Suche nach Möchtegern- und Pseudokonservativen zu begeben. Für Ernst Topitsch weist vor allem der deutsche Konservatismus eine Unzahl von Parteigängern auf, denen das Epitheton konservativ strikt abzusprechen sei. Von der Heiligen Allianz und den Karlsbader Beschlüssen, von der Kreuzzeitung bis zum Stahlhelm und der Hugenberg-Presse in der Weimarer Republik ziehe sich ein roter Faden, der viele ideologische Positionen des deutschen Konservatismus als illegitim ausweist.26 Ebd. Robert Hepp: Was ist eigentlich konservativ?, in: Der Monat 14 (1962), Heft 168, S. 86 24 Ebd. 25 Peter Dürrenmatt: Europa wird konservativ sein – oder es wird nicht sein, in: Der Monat 14 (1962), S. 33, Heft 166. Vgl. dazu auch Walter Bußmann: Ein Beitrag zum europäischen Konservatismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Festschrift Klaus Lankheit zum 20. Mai 1973, Köln 1973, S. 38. 26 Ernst Topitsch: Aufklärung als konservative Aufgabe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 167, 21. Juli 1973. Um die Unterscheidung zwischen einem legitimen und einem illegitimen Konservatismus ist es auch Hans Mühlenfeld zu tun. Ohne viel Federlesens trennt er zwischen einer echten und einer unechten Form des Konservatismus. Die illegitime Ausprägung des konservativen Gedankens entstand, als es dem Nationalismus gelang, „seinen konservativen Widersacher zu durchdringen“ (Politik ohne Wunschbilder, München 1952, S. 271). Mühlenfeld spricht in diesem Zusammenhang von einer „Pseudoform des Konservatismus“ (ebd.). 22 23

6

I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex

Dass sich im Familienverband des Konservatismus ausgesprochen heterogene, miteinander kaum zu vereinbarende Unterströme befinden, ist auch die Auffassung von Armin Mohler. Dabei unterteilt er den Konservatismus in einer ausgesprochen dichotomischen Weise in eine Periode vor der sogenannten Achsenzeit und eine nach ihr. Der eine zeichnet sich dadurch aus, dass er historisch überholte Zustände zu restaurieren sucht, der andere blickt hoffnungsfroh in die Zukunft, richtet seinen Blick nach vorne. Dabei lehnt er es mit pointierter Bestimmtheit ab, „das Überlieferte zu bewahren oder gar einen verflossenen Zustand wiederherzustellen“ 27. Wenn beispielsweise Carl Schmitt und Arnold Gehlen plötzlich vor einem Konservativen des 19. Jahrhunderts stünden, „so hätten sich die beiden nichts zu sagen“28. Derjenigen Denkschule, die auf die Heterogenität und Widersprüchlichkeit des Konservatismus verweist, steht diejenige gegenüber, die ihm einen einheitlichen Charakter attestiert, auf seine unwandelbaren Prinzipien verweist. So geht Rudolf Vierhaus davon aus, dass diesem Ideenkreis durchaus ein epochenunabhängiges und unveränderliches Grundsatzreservoir zur Verfügung steht. Wer hier die schiere Unübersichtlichkeit und Prinzipienwillkür am Werke sieht, dem sei ein tiefenscharfer Blick auf seine Literatur empfohlen. Er komme dann zu der unabwendbaren Erkenntnis, dass der Konservatismus wie seine gegnerischen Ideologien auf einen ideologischen Fundus rekurrieren kann, der in allen Epochen eine erstaunliche Homogenität aufweist. Vierhaus zufolge kann man getrost davon ausgehen, dass es eine „deutliche Kontinuität im konservativen politischen Credo“29 gibt. Dieses rekurrierte von Anfang an auf einen „Grundtatbestand von wertbestimmten Überzeugungen und Ablehnungen“30. In gleicher Weise geht auch Gerd-Klaus Kaltenbrunner davon aus, dass es „in der Geschichte des konservativen Denkens . . . durchhaltende Konstanten“31 gibt, 27 Armin Mohler: Deutscher Konservatismus vor 1945, in: Die Herausforderung der Konservativen, hrsg. von G.-K. Kaltenbrunner, München 1974, S. 35 f. 28 Ebd., S. 35. Dass die in Rede stehende Unterteilung des Konservatismus zu idealtypisch ausgefallen ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Der angeblich so moderne Carl Schmitt wurde entscheidend von Joseph de Maistre und Donoso Cortés beeinflusst. 29 Rudolf Vierhaus: Konservativ, Konservatismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 3, Stuttgart 1982, S. 565. 30 Ebd. Auch Jerry Z. Muller hält dafür, dass es trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen konservativen Denkfamilien eine allen gemeinsame Wertebasis gibt. „There is an identifiable constellation of shared assumptions, predispositions, arguments, metaphors, and substantive commitments, which taken together form a distinctable conservative pattern of social and political analysis (Conservatism, Princeton N. J. 1997, S. XIII). 31 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Gibt es eine konservative Theorie?, in: aus politik und zeitgeschichte, B 42 / 74, 19. Oktober 1974, S. 8. Russell Kirk zufolge umfasst das konservative Credo die folgenden Grundpositionen. „1. Der Glaube, dass eine göttliche Absicht sowohl die Gesellschaft wie das menschliche Gewissen lenkt und eine ewige Kette von Rechten und Pflichten schmiedet . . . 2. Liebe zum unerschöpflichen Reichtum und zum Geheimnis des Lebens, im Unterschied zur beengenden Einförmigkeit und Gleichmacherei und zum Utilita-

3. Die Theoriefähigkeit des Konservatismus

7

die den historischen Wandel überdauern. Dieser Auffassung stimmt auch F. J. C. Hearnshaw ohne jede Einschränkung zu. „Conservatives always stand on the same ground; they always defend the same position; their principles remains essentially unchanged“32. Wenn in diesem Zusammenhang behauptet wird, dass sich die konservative Theorie durch ein höheres Maß an Widersprüchen und Ungereimtheiten auszeichnet als die gegnerischen Ordnungsvorstellungen Sozialismus und Liberalismus, dann ist der Hinweis angebracht, in wie starkem Maße auch ihre Topoi einander widersprechen. Der Sozialismus zeichnet sich durch eine nationale und eine internationale, eine reformistische und eine revolutionäre Variante aus. Kurt Schumacher wird wie Stalin als Sozialist bezeichnet. Was den Liberalismus anlangt, so gibt es in ihm sowohl eine marktdeifizierende als auch eine soziale Richtung. So gelten Ludwig von Mises und Friedrich Naumann in gleicher Weise als Anwälte dieser Sozialideologie.

3. Die Theoriefähigkeit des Konservatismus Neben der Erörterung, ob es einen einheitlichen, in sich stimmigen konservativen Wertekosmos gibt, muss auch der Frage nachgegangen werden, ob diese Ordnungsvorstellung mindestens so theoriefähig ist wie der Sozialismus und der Liberalismus. Auch an diesem Punkte existieren zwei sich radikal widersprechende Denkschulen. Die eine gibt bei der Beurteilung sozialer und politischer Sachverhalte eindeutig dem Gefühl und der Intuition den Vorzug und weist jeglichen Versuch, eine konservative Theorie zu konstruieren, als wirklichkeitsfremd und realitätsverzerrend zurück. Für diese Denkrichtung bleibt es den Sozialisten und Liberalismus überlassen, realitätsnegierenden Theorien das Wort zu reden, einem lebensarmen Konstrukt Sukkurs zu erweisen. Dagegen wenden sich diejenigen, die sich für eine konservative Theorie aussprechen und darauf pochen, eine derartige intellektuelle Anstrengung nicht den politischen Gegnern zu überlassen. Was diejenigen anlangt, die sich weigern, den Konservatismus auf den theoretischen Begriff zu bringen, so bleibt R. H. White der Erde treu und plädiert dafür, jede Anstrengung zu unterlassen, die in Rede stehende Ordnungsvorstellung einem rigide konstruierten Prinzipienkonstrukt einzufügen. Für ihn ist der Konservatisrismus der meisten radikalen Systeme . . . 3. Die Überzeugung, dass eine zivilisierte Gesellschaft der Rangordnung und der Klassen bedarf . . . 4. Die Gewissheit, dass Eigentum und Freiheit untrennbar zusammengehören . . . 5. Vertrauen in das überlieferte Recht und Misstrauen gegen ,Sophister und Kalkulatoren‘ . . . 6. Die Einsicht, dass Veränderung und Reform nicht das gleiche sind, und dass Neuerungen weit häufiger einer alles verzehrenden Feuersbrunst gleichen als einer Fackel des Fortschritts“ (Lebendiges politisches Erbe. Aus dem Amerikanischen, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1959, S. 13). 32 F. J. C. Hearnshaw: Conservatism in England (wie Anm. 2), S. 22.

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I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex

mus „less a political doctrine than a habit of mind, a mode of feeling, a way of living“33. Was die konservative Denk- und Handlungsfamilie zusammenhält, ist weniger ein theoretisches Konstrukt, als eine Kollektion von Gefühlskernen. Die konservative Weltanschauung ist „not so much a body of intellectually formulated principles as a number of instincts“34. Auf derselben Argumentationslinie bewegt sich Fritz Valjavec, wenn er behauptet, dass sich die konservative Grundhaltung gegen jegliche Theoretisierung sträubt. „Dem Konservativen widerstrebt die rationale Reflexion und Analyse. Er respektiert nicht nur die Kräfte des Unterbewussten, sondern lässt sich von ihnen auch stärker beeinflussen. Seine Anschauungsweise ist stärker ,naiv‘“35. Was Wunder, wenn er „einen geringeren Sinn für das ,Systematische‘“36 aufweist. Aus diesem Grunde kann das „konservative Bewusstsein“37 kaum mit Hilfe einer „systematischen Theorie“38, sondern nur im „Vergleich verschiedener Typen“39 auf den Begriff gebracht werden. Auch Hans-Joachim von Merkatz zufolge erschließt sich das konservative Credo nur dem antirationalen Denken. Wer ihm ablehnend und feindselig gegenüber steht, gibt diejenige Methode preis, die auf „Erfahrung, Instinkt und Charakter“40 basiert. Eine Politikhaltung, die auf einen konservativen Ton gestimmt ist, gründet auf „Anschauung und Erfahrung statt auf Spekulation und Reflektion“41. Sie bringe die „ursprüngliche Lebendigkeit des menschlichen Daseins voll und frei zum Ausdruck“42. Sobald sich der konservative Gedanke allzu sehr der in der rationalen Zivilisation angelegten Systematisierung der Realität nähere, verstößt er gegen den ihm „wesens- und auftragsgemäß vorgeschriebenen Weg“43. In diesem 33 R. J. White: Introduction to: The Conservative Tradition, ed. by E. J. White, London 1950, S. 1. 34 Ebd. Dabei weist Arnold Künzli zurecht darauf hin, dass diese Position die Gefahr in sich enthält, aller konservativen Wertmaßstäbe verlustig zu gehen. „Wenn der Konservatismus, wie viele behaupten, nur eine Haltung ist, dann kann schlechthin alles zum gestifteten und dafür Autorität beanspruchenden und Tradition begründenden Ursprung . . . erklärt werden“ (Ursprung und Tradition. Zur Geschichtsphilosophie des Konservatismus. In: Tradition und Revolution, Basel und Stuttgart 1975, S. 181). Darüber hinaus gibt Künzli auch zu bedenken, dass eine bestimmte „Haltung gegenüber der Geschichte“ (ebd., S. 172) notwendigerweise „zu einer Geschichtsphilosophie“ (ebd.) wird. 35 Fritz Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland. Mit einem Nachwort von Jörn Garber, Kronberg / Ts. und Düsseldorf 1978, S. 257. 36 Ebd., S. 257. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Hans-Joachim von Merkatz: Die konservative Funktion, München 1957, S. 10. 41 Ebd., S. 77. 42 Ebd. 43 Ebd., S. 33.

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Zusammenhang lastet er dem politischen Traditionalismus des 19. Jahrhunderts an, „ohne Zweifel mehr Pseudokonservatismus als echten Konservatismus im Sinne seines wahren Auftrags“44 zum Ausdruck gebracht zu haben. In einer ähnlichen Weise behauptet Friedrich Heer, dass sich der Konservatismus vor allem im 19. Jahrhundert dem ihm an der Wurzel fremden rationalistischen Denken ausgeliefert habe. Dagegen hat der wahre Konservative „keine Pläne“45. Was ihn in einem entscheidenden Maße auszeichne, sei sein „originäres Misstrauen . . . gegen Programme und Ideologien“46. Aus diesem Grunde wende er sich gegen jeglichen Versuch, „Gott und die bunte Wirklichkeit des gelebten Lebens . . . im Käfig und Kerker eines Systems“47 einzubinden. Denjenigen, die im Sinne von Ludwig Freund dafür halten, dass der Konservatismus nicht über „a clearly definable concept“48 verfügt, stehen diejenigen gegenüber, die diese Auffassung rundweg ablehnen. Ihnen zufolge kann sich diese Ordnungsvorstellung schon deshalb nicht auf seine Gefühlskerne verlassen, weil er seine theoretisch argumentierenden ideologischen Feinde Liberalismus und Sozialismus zu bekämpfen hat. Allein mit einer konservativen Gegentheorie sei es möglich, ihnen erfolgreich Paroli bieten zu können. Eine hieb- und stichfeste Argumentation kann nur aus einer theoretischen Kontraposition formuliert und konzipiert werden. Für Karl Mannheim ist es „der liberale Gegner“49, der dem Konservativen die theoretische Auseinandersetzung, „diese Ebene des Kämpfens“50 aufzwingt, Darauf hat schon Friedrich Gentz aufmerksam gemacht. Seiner Auffassung nach kann man sich im Kampfe gegen den Progressismus nicht auf das Gefühl, sondern 44 Ebd., S. 69. Dabei habe sich schon Justus Möser gegen den „Rationalismus ,von oben‘“ (ebd., S. 24) gewandt. 45 Friedrich Heer: Der Konservative und die Reaktion, in: Die neue Rundschau 69 (1958), S. 513. 46 Ebd. 47 Ebd. Dass der Konservatismus dem rationalen Geiste abhold ist, diese Position vertreten auch eine Vielzahl anderer Autoren. So schreibt Rudolf Borchardt: „Programme hat er nicht und kann er nicht haben. Theorien hat er nicht, und wendet sie nicht vor, sondern er setzt sie voraus. Weltanschauung hat er nicht, sodass er im Notfalle nach ihr greifen könnte, sondern ist er“ (Konservatismus und Humanismus, in: Gesammelte Werke in Einzelbänden, Prosa V, Stuttgart 1979, S. 435). Alfred von Martin behauptet schnurstracks, dass „alles konservative Denken . . . irrational“ sei. (Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken, in: Deutscher Staat und deutsche Parteien. Friedriche Meinecke zum 60. Geburtstag dargebracht, hrsg. v. Paul Wentzcke, München 1922, S. 342) Dass der Konservatismus keine Theorie hat, sondern recht eigentlich ein Lebensgefühl repräsentiert, ist auch die Auffassung von Francis Graham Wilson: „One cannot say that conservatism in politics is a clearcut and fixed program of action or inaction. Conservatism is primarily a spirit animating political behavior, it is a way of life, and it is a manner of judging life. (The Case for Conservatism. New York 1951, S. 2). 48 Ludwig Freund: The New American Conservatism and European Conservatism, in: Ethics LXVI (1955), S. 10. 49 Karl Mannheim: Ideologie und Utopie, Vierte Auflage, Frankfurt am Main 1965, S. 200. 50 Ebd.

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allein auf den Verstand verlassen. „Der welcher der vereinten Macht so vieler ungestümen Neigungen entgegen gehen will, hat nichts auf seiner Seite als die kalte Vernunft“51. Auf sie muss er rekurrieren, an sie „muss er seine Worte richten, wenn er dem unzufriedenen Bürger begreiflich machen will, dass nicht das Elend des Lebens gehoben ist, wenn man eine Staatsverfassung umgeworfen hat“52. Auch Hans Barth zufolge ist der Konservatismus nur vordergründig gefühlsorientiert ausgerichtet. In Wahrheit sei er Ausdruck einer Denkanstrengung, die durch und durch auf einen theoretischen Ton gestimmt ist. Es könne keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass sich „das konservative Denken . . . in einer begrifflich einwandfreien Lehre von Staat und Gesellschaft zu verdichten strebt“53. Das Bedürfnis nach einer konservativen Theorie sei allerdings mit der Aufgabe des ursprünglichen antikonstruktivistischen Denkansatzes erkauft. Schließlich habe sich der Konservatismus in seinen Anfängen als „Widersacher des abstrakten sozialphilosophischen Rationalismus der Aufklärung“54 geriert. Als leuchtendes Beispiel für den theoretisch orientierten Denkaufwand konservativer Autoren können sich vor allem diejenigen unter ihnen rühmen, die der Französischen Revolution entgegengetreten sind. Darauf hat vor allem Clinton Rossiter hingewiesen. „The conservative successes of the tough 1790’s have taught us what to expect of men whose program is grounded in a tough, coherent theory“55. Dass dabei nicht zuletzt das Denksystem Joseph de Maistres auf einen ausgesprochen konstruktivistisch-theoretischen Ton gestimmt ist, darauf hat vor allem S. Rocheblave aufmerksam gemacht. Er spricht von einem „système rigide et complet“56. Dabei sei seine theoretische Denkstruktur in allen seinen Werken aufzuspüren. „A y regarder de près, on s’aperçoit bientôt que tous les ouvrages de Maistre sortent des Considérations par voie de déduction logique et de développement théorique“57. Dabei geht das konservative Credo von Michael Oakeshott in der Überzeugung auf, dass sich die theoretischen Anstrengungen seiner weltanschaulichen Freunde auf gar keinen Fall von denjenigen der Liberalen und Konservativen zu verstecken brauchen. Aus diesem Grunde sei es höchst unangebracht, wenn die Konservativen 51 Friedrich Gentz: Über den Einfluss politischer Schriften und den Charakter der Burkischen, in: Edmund Burke und Friedrich Gentz: Über die Französische Revolution, Aus dem Englischen, Berlin 1991, S. 25. 52 Ebd. 53 Hans Barth: Einleitung zu: Der konservative Gedanke. In ausgewählten Texten dargestellt von Hans Barth, Stuttgart 1958, S. 7. 54 Ebd. 55 Clinton Rossiter: Toward an American Conservatism, in: The Yale Review XLIV (1955), S. 356. 56 S. Rocheblave: Étude sur Joseph de Maistre, in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 9 (1922), S. 304. 57 Ebd.

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der Versuchung erliegen, ihre Denkakte aus der theoretischen Verpflichtung zu lösen. Sie seien „by no means so intellectually incompetent in the management of their own beliefs as their opponents supposed“58. Bar aller Minderwertigkeitskomplexe fordert Clinton Rossiter seine ideologischen Freunde dazu auf, sich der theoretischen Anstrengung zu unterziehen. Es verrate ein höchst borniertes Konservatismusverständnis, wenn man der Auffassung huldigt, in diesem Ideenkreis genüge der Rekurs auf die antirationalen Kräfte des menschlichen Denkens. „Conservative men of learning must hammer out a political theory for the use of conservative men of affairs and for the inspiration of conservative men of routine“59. In der Konservatismusforschung wird auch darüber diskutiert, ob die theoretischen Werke der in Rede stehenden Ordnungsvorstellung es mit den theoretischen Werken des Liberalismus und Sozialismus aufnehmen können. Zunächst geht eine Vielzahl von Autoren darauf aus, dass die theoretischen Bücher des Konservatismus von minderem Rang gegenüber denen seiner ideologischen Kontrahenten sind. Da George Watson zufolge die „moderne konservative Theorie“60 „jede Wendung des politischen Gegners mitmachen“61 muß, gebe es in dieser Ordnungsvorstellung keine Werke von „biblischem Rang“62. Im Kontrapunkt zum Liberalismus und Sozialismus, die „,heilige Schriften‘ wie Mill oder Marx“63 aufzuweisen haben, stellten die Bücher des Konservatismus immer schon ihren Pragmatismus und ihre Mediokrität unter schlagenden Beweis. In diesem Kontext ist auch die Behauptung Samuel P. Huntingtons höchst fragwürdig, der zufolge der Konservatismus keine Ideologie ist, die sich auf bestimmte maßgebende Werke zu stützen vermag. Ein Blick auf die Werke des Konservatismus stelle augenfällig unter Beweis, dass sie ihre Existenz den „outworn creeds“64 von „third-rate thinkers“65 verdanken. Dass die konservative Literatur in dieser denunziatorischen Beleuchtung gesehen wird, dagegen haben sich eine Vielzahl von Autoren gewandt. Sie verweisen darauf, dass es sehr viele konservative Werke gibt, die sich durch ideologische Geschlossenheit und ein Höchstmaß an logischer Stringenz ausweisen. Abseits der liberal-progressiven Durchgangsstraßen des politischen Denkens ist es dem Konservatismus gelungen, einen Denkkosmos zu konstruieren, dessen 58 Michael Oakeshott: Conservative Political Thought, in: The Spectator, October 15, 1954, S. 472. 59 Clinton Rossiter: Toward an American Conservatism (wie Anm. 55), S. 356. 60 George Watson: Wer sind die Konservativen?, in: Was heißt konservativ heute?, Weinheim 1984, S. 95. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Samuel P. Huntington: Conservatism as an Ideology, in: The American Political Science Review 51 (1957), S. 473. 65 Ebd.

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überzeugender Rang nur von denjenigen geleugnet werden kann, denen jeglicher Sinn für theoretische Virtuosität abgeht. Dass er ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Effektivität aufweist, darauf hat Jan Romein hingewiesen. Für ihn sind beispielsweise Burkes Reflections on the Revolution in France „für den Konservatismus dasselbe, was das ,Kommunistische Manifest‘ für den Sozialismus ist“66. Dabei steht Burke in seiner Bedeutung für die Konzeption eines theoretischen Konservatismus keineswegs allein. „Was Burke für den Konservatismus im allgemeinen war, wurden Adam Müller, Haller und Stahl für den deutschen, de Bonald und de Maistre, Chateaubriand und de Lamennais für den französischen“67. In gleicher Weise ist es Gerd-Klaus Kaltenbrunner darum zu tun, auf den hohen denkerischen Rang der konservativen Literatur hinzuweisen. Dabei nötige die Virtuosität ihres Denkens gestern wie heute tiefen Respekt ab. So fragt er: „Haben nicht Julius Stahl, Donoso Cortés und Bonald, vor allem aber Franz von Baader und in unserem Jahrhundert Leopold von Ziegler gewaltige Beiträge zu einer konservativen Theorie geliefert?“68. Diese Klassiker des konservativen Denkens hätten sich keineswegs darauf beschränkt, die „verflossenen Gesellschaftszustände sentimental zu beschwören“69, sondern seien darauf aus gewesen, äußerst erfolgreich und beispielhaft „alle Register der Argumentation, der Logik und Dialektik“70 zu ziehen. Dabei stehen im Zentrum dessen, was den Klassikern des Konservatismus die Feder führte, Erkenntnisse, die nicht nur antiquarisches Interesse beanspruchen können. Sie sind auf einen Ton gestimmt, die keineswegs der Aktualität entraten. Für Panajotis Kondylis haben diese sich „als bleibender Gewinn für die soeben entstehende Wissenschaft von der Gesellschaft erwiesen“71. Ihnen gebühre das fraglose Verdienst „alle zur Debatte stehenden Fragen eingehend erörtert“72 zu haben. Derjenige, der leugnet, dass „die theoretische Veranlagung der Konservativen . . . geringer als die ihrer Feinde war“73, müsse sich den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, einem krassen Vorurteil zum Opfer gefallen zu sein. 66 Jan Romein: Über den Konservatismus als historische Kategorie, in: Wesen und Wirklichkeit des Menschen. Festschrift für Helmuth Plessner, hrsg. von Klaus Ziegler, Göttingen 1957, S. 234. 67 Ebd. 68 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Der schwierige Konservatismus, in: Die Welt Nr. 145, 26. Juni 1971. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Panajotis Kondylis: Konservatismus. (wie Anm. 16), S. 17. 72 Ebd. 73 Ebd. Dabei stößt die Theoriebegeisterung des Konservativen an Grenzen, die Liberale und Sozialisten kaum kennen. In seinen Augen wird es der theoretischen Anstrengung des Menschen nie gelingen, eine universell gültige Welt- und Geschichtserklärungsformel zu entwickeln. Darauf hat vor allem Nikolaus Lobkowicz aufmerksam gemacht. „Eine der metaphysischen Grundannahmen des Konservatismus lautet, dass Erfahrung sich immer nur zum

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4. Der Konservatismus als Denunziationsobjekt seiner ideologischen Feinde In dem Maße, in dem den enragierten Fortschrittskräften im Konservatismus ein ernstzunehmender Gegner erwuchs, dieser zum Kampf gegen diejenigen aufrief, die schnurstracks für die neue Zeit plädierten, kam es zu der bis heute andauernden Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Beharrens und denjenigen des Fortschritts. Dabei ging es beiden Parteiungen darum, den weltanschaulichen Gegner nicht nur argumentativ zu bekämpfen, sondern ihn auch in ein schiefes moralisches Lieht zu rücken. Vor allem dem Begriff des Konservatismus eignet aus diesem Grunde ein fragwürdiger Bedeutungshof. In diesem Zusammenhang hat Ernst Jünger darauf aufmerksam gemacht, dass viele Bürger deswegen „vor der Verwendung des Wortes ,konservativ‘. . . starke Hemmungen empfinden“74. Wenn man nach den Argumenten fragt, mit deren Hilfe man den Konservatismus ins illegitime Licht zu rücken versuchte, so kommt immer wieder Hinweis ins Spiel, dass es sich bei den Anwälten der Partei der Beharrung um geistig minderbemittelte Personen handelt. Von der Warte einer angeblich unfehlbaren ideologischen Position aus wird dem Konservatismus angelastet, in seiner mentalen Beschränktheit unfähig zu sein, die neue Zeit überhaupt begreifen zu können und hinterwäldlerischen Träumen anzuhängen. Zu denjenigen, die sich dieser höchst fragwürdigen Argumentation bedient haben, gehört nicht zuletzt John Stuart Mill. Für diesen bedeutenden Denker sind die Tories „the stupidest party“75, 76. Teil durch Theorie einholen lässt“ (Wortmeldung. Graz, Wien und Köln 1980, S. 23). Seiner Auffassung nach vermag die wissenschaftliche Tätigkeit des Menschen nur Teilerkenntnisse hervorzubringen. „Die Vorstellung, alle Bereiche der Lebenswirklichkeit ließen sich wissenschaftlich so durchdringen, dass am Ende die Wissenschaft in der Lage wäre, dem Menschen das Risiko der Entscheidung abzunehmen, erscheint ihm nicht bloß als ein Alptraum, sondern auch als ein Unding“ (ebd.). 74 Ernst Jünger: Rivarol. Frankfurt am Main 1962, S. 28. Ob die Angriffe der Konservativen auf die Liberalen weniger fragwürdig sind als diejenigen der Progressisten auf die Konservativen, ist schwer auszumachen. Auf jeden Fall sollte man, wenn man die Schmähungen der Konservativen durch die Liberalen und Sozialisten in den Blick nimmt, die Invektiven der Beharrungspartei gegenüber den Anwälten des Fortschritts nicht aus dem Blick verlieren. So bezeichnet Samuel Johnson den Whiggismus als eine „negation of all principle“ (The Life of Samuel Johnson by James Boswell. Volume I, London und New York 1906, S. 267. Der konservativ gesinnte Leopold von Ranke warnt nachhaltig davor, den Liberalismus „zum Herrn in Deutschland“ werden zu lassen (Brief an Edwin Freiherr von Manteuffel, in: Neue Briefe, hrsg. von Hans Herzfeld, Hamburg 1949, S. 445). Dabei steht Ranke dem Gedanken fern, „dass der Liberalismus beseitigt werden sollte“ (ebd., S. 444). 75 John Stuart Mill: Representative Government, in: On Liberty, Representative Government, The Subjection of Women. With an Introduction of M. G. Fawcett, London 1971, S. 253; vgl. dazu auch: John Stuart Mill: Autobiography, Introduction by Harold J. Laski, London 1969, S. 245. Adolf Merkel hat darauf hingewiesen, dass diese Sottise den Liberalen im politischen Kampfe überaus von Nutzen ist. „Wie angenehm für unsere liberalen Philister, unter Berufung auf einen der scharfsichtigsten Denker des Jahrhunderts behaupten zu dürfen, dass sie als Mitglieder der Partei des Fortschritts die Vermutung für sich hätten, gescheiter

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Den Kübel seines Spottes über die angeblich geistfeindlichen und ungebildeten Konservativen hat auch Walter Bagehot77 ausgeschüttet. In der Kategorie Widerwärtigkeit bezieht er eine besonders uneinholbare Position. „It does not seem difficult to be a conservative. The status quo is a plain creed – you have to discover nothing, und to invent nothing“78. Für Bagehot geben sich die Konservativen als eine Denkgruppe zu erkennen, die sich in einem bornierten Sinne weigert, die politische und soziale Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. „Their simple temperament seems opposed, to so elaborate an investigation“79. Bei Lichte besehen, erweisen sie sich als gänzlich unfähig, einen gescheiten Gedanken fassen zu können. „It yet can hardly be said that we possess a Conservatism of reflection“ 80. Dabei stellt dieser eine ernsthafte Gefahr für das politische Gemeinwesen dar. „Every unthinking Conservative endangers what he defends – he is a vexation to the Liberal, and a misfortune to his country“81. Dass sich die intellektuelle Minderausstattung des Konservativen in seiner Charakterstruktur niederschlägt, dieser Ansicht ist auch Thomas Jefferson. Für ihn gibt sich seine Psyche als äußerst ich-schwach und antriebsarm zu erkennen. „The sickly, weakly, timid man, fears the people, and is a Tory by nature“82. Die ostentative Verachtung des Konservativen schlägt bei diesem Amerikaner in rückhaltlose Bewunderung und panegyrische Verherrlichung des Liberalen um. Im Kontrapunkt zum Anwalt des Vergangenen denkt dieser niemals daran, durch eine hasenfüßige Attitüde der Schwerkraft der Verhältnisse zu entfliehen. Mutig und entschlossen stellt er sich den Forderungen seiner Zeit. Schließlich sei er „healthy, strong and bold“83. Da er äußerst siegessicher in die Zukunft blickt, wird er beim ungleichen Kampf mit dem historischen Nachzüglicher als strahlender Sieger hervorgehen84. Der in Rede stehende fragwürdige Versuch, dem Konservativen ein gerütteltes Maß an Denkfaulheit und einen defizienten Charakter zu imputieren, findet sich auch im Liberalismus unserer Zeit. und überdies fleißiger und rechtschaffener zu sein als ihre Gegner“, (Fragmente der Sozialwissenschaft, Straßburg 1898, S. 174). 76 Mill hat allerdings die Sozialphilosophie des Konservativen Samuel Taylor Coleridge akzeptiert. Er bestätigt ihr „moral goodness and true insight“ (Essays on Ethics, Religion and Society. Edited by J. M. Robson, Toronto and London 1969, S. 163). 77 Walter Bagehot gab von 1861 – 1877 die liberale Zeitschrift „Economist“ heraus. 78 Walter Bagehot: Intellectual Conservatism, in: The Saturday Review April 21, 1856, S. 513. 79 Ebd. 80 Ebd., S. 514. 81 Ebd. 82 Thomas Jefferson to the Marquis of Lafayette. Monticello, 4. November 1823, in: The Works of Thomas Jefferson, ed. by P. L. Ford, Vol. 12, New York and London 1905, S. 323. 83 Ebd. 84 Ebd.

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Da sich der Konservative F. A. von Hayek zufolge als zukunftsscheu und traditionsvernarrt zu erkennen gibt, ist dieser Anwalt des Gestrigen kaum in der Lage, eine Sozialphilosophie zu konzipieren, deren „leitende Grundsätze“85 imstande sind, „langfristige Entwicklungen beeinflussen“86 zu können. Dabei geht der Konservative immer und überall der Wahrheitsfrage aus dem Wege. Der wahre Grund für dieses fragwürdige Verhalten liege darin, dass er keinerlei Prinzipien hat87. Bei Lichte besehen besitzt er einen defizienten Charakter, sei nicht mehr und nicht weniger als ein grundsatzloser „Opportunist“88. Besonders augenfällig komme dieses äußerst fragwürdige Verhalten bei seiner Bewertung der Autoritätsfrage zum Vorschein. Die Tatsache, dass er ein drakonisch regiertes Gemeinwesen ablehnt, heißt keineswegs, an diese Maxime immer und überall gebunden zu sein. Der Konservative habe nämlich dann nichts „gegen Zwang oder Willkür einzuwenden“89 solange „diese für Zwecke ausgeübt werden, die ihm die richtigen erscheinen“90. Die konservative „Vorliebe für Autorität“91 führe auch dazu, dass der „bekehrte Sozialist“92 eher im „konservativen Lager eine neue Heimat findet als im liberalen“93. In einer ähnlichen Weise bescheinigt Hayeks ideologischer Freund Ludwig von Mises dem Anwalt der Tradition und der Autorität ein Verhalten, das einen durch und durch defizienten und deswegen devianten Charakter aufweist. Da der Mensch als fortschrittsfreudiges und widerstandsüberwindendes Wesen geschaffen wurde, falle derjenige, der sich dem Herkommen verpflichtet fühlt, aus dem anthropologischen Rahmen. Aus diesem Grunde widerspreche jeglicher „Konservatismus . . . der wahren Art des menschlichen Handelns“94. Den Gefahren gegenüber, den jeder Fortschritt im Gefolge habe, ziehe der Konservative die Stallwärme der Tradition vor. Auf diese Weise lehnten er und seine Gesinnungsfreunde die „Verbesserung ihrer eigenen Lebensbedingungen“95 strikt ab. Fächere man dieses Attitüden-Kon85 Friedrich August von Hayek: Die Verfassung der Freiheit. Aus dem Amerikanischen. Dritte Auflage, Tübingen 1991, S. 497. 86 Ebd., S. 486. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd., S. 485. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 487. 92 Ebd. 93 Ludwig von Mises: Die Wurzeln des Antikapitalismus. Aus dem Amerikanischen, Frankfurt am Main 1958, S. 119. 94 Ebd. 95 Ebd. Ähnliche Vorwürfe werden auch von einem faschistischen Standpunkt aus gegenüber dem Konservatismus formuliert. Roberto Michels zufolge fehlt beim Anhänger dieses Ordnungssystems eine systematische Klärung des Geflechts der politischen Grunddeterminanten. Bei der Fixierung seiner Leitgedanken verlasse er sich lieber auf sein Gefühl als auf seinen Verstand. „He develops a general prejudice against thought, regarding habit rather than reason as the best guide to conduct“ (Conservatism, in: Encyclopedia of the Social Sciences, ed. by Edwin R. A. Seligman, Volume III, New York 1930, S. 232. Auf dem höchst labilen

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glomerat auf, zeige sich augenfällig, dass dieses der Mehrheitsmeinung entspricht. Dagegen werde das, was die „Minorität der Wachsamen“96 auf ihre Fahnen geschrieben hat, aus Bequemlichkeitsgründen verdammt97. Dem Konservatismus wurde auch immer wieder der Vorwurf gemacht, die sozialen und politischen Zustände zementieren zu wollen, um sich auf diese Weise gegen jeglichen Fortschritt zu wenden. Alexander Herzen zufolge hat „der Conservatismus . . . kein anderes Ziel als die Erhaltung eines abgenutzten status quo“98. Er sei darauf aus, die „bestehende Ordnung zu stützen, deren Hinfälligkeit und Verwesung“99 offenkundig ist. Dabei riefen seine Anwälte „nach dem Terror, nicht um vorwärts, sondern um rückwärts zu schreiten“100. Auf diese Weise werde die alte Ordnung „nicht durch ein helles loderndes Feuer der Begeisterung, sondern durch die langsam zehrende Glut des Marasmus“101 zerstört. Bei dem liberal-progressistischen Soziologen Thorstein Veblen, tritt der Versuch ins Blickfeld, seine pointierte Konservatismus-Denunzierung in ein betont fortschrittsorientiertes Mäntelchen zu hüllen. Dieser Ideenkreis sei nicht mehr als der Versuch der Gegner der Modernisierung und ihrer Verlierer, ihre antimoderne Position ideologisch zu verklären. Dabei geht Veblen davon aus, dass „ein technischer Fortschritt, ein Bevölkerungszuwachs oder ein Wandel der industriellen Organisation“102 von den Mitgliedern einer Industriegesellschaft verlangt, „dass sie ihre Lebensgewohnheiten ändern, wenn sie die neuen Arbeitsmethoden ändern wollen“103. Geschieht dies, „so werden sie nicht mehr in der Lage sein, dem überkommenen Vorstellungen vom Richtigen und Schönen zu genügen und ihnen gemäß zu leben“104. Im Kontrapunkt zu der von der technologischen Entwicklung geforderten Denk- und Handlungsanpassung an die Moderne ziehen es jedoch viele Bürger vor, den alten Werten treu zu bleiben und sich dem zivilisatorischen Fundament einer derartigen Einstellung entstehe kaum das, was man seit altersher als intellektuelle Redlichkeit bezeichnet. Was Wunder, wenn man dem Konservatismus zu Recht „laziness, idleness, failure to think, an incapacity to question traditional concepts“ (ebd.) vorwirft. 96 Ebd., S. 119 f. 97 Ebd. In ähnlicher Weise behauptet auch Klaus Epstein, dass sich der Konservative durch die Charaktermängel „Selbstzufriedenheit, Unempfindlichkeit, Kurzsichtigkeit“ auszeichne. (Die Ursprünge des Konservatismus in Deutschland. Aus dem Amerikanischen. Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1973, S. 35.) 98 Alexander Herzen: Rußlands soziale Zustände. Aus dem Russischen, Hamburg 1854, S. 232. 99 Alexander Herzen: Vom anderen Ufer. Aus dem Russischen, hrsg. von Axel Matthes, München 1969, S. 196. 100 Ebd. 101 Alexander Herzen: Rußlands soziale Zustände (wie Anm. 98), S. 232. 102 Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Aus dem Amerikanischen, München 1971, S. 147. 103 Ebd. 104 Ebd.

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Fortschritt zu verweigern. Sie geben sich als Konservative zu erkennen und sind bereit, zu dem „Verhältnis von Herrschaft und persönlicher Unterwerfung“105 zurückzukehren. Sie sondern sich als Ewiggestrige von der industriellen Hochkultur ab, setzen sich „dem Einfluss einer kulturell niedrigeren Umwelt oder einer wirtschaftlich primitiveren Situation“106 aus. Die „aus der Vergangenheit übernommenen . . . Denkgewohnheiten stellen selbst konservative Faktoren dar, und zwar handelt es sich um Faktoren der sogenannten gesellschaftlichen und psychologischen Trägheit, um den Konservatismus“107. Dabei sei auch die sogenannte „müßige Klasse . . . konservativ, da sie von den allgemeinen wirtschaftlichen Forderungen nur mittelbar betroffen ist“108. Was die Konservatismuskritik von Simone de Beauvoir anlangt, so bezieht diese ihrem Antrieb aus einer betont linken, d. h. klassenkämpferischen Position. Ihrer Auffassung zufolge verbindet der gesellschaftsstabilisierende Charakter des Konservatismus „die Interessen der Bourgeoisie mit der Bewahrung der geistigen Werte, deren Hüterin zu sein sie behauptet“109. Dass sich hinter „den exzessiven Reichtümern der Großkapitalisten“110 ausgesprochen handfeste, wenig altruistische Interessen verbergen, kommt ihnen und ihren konservativen Helfershelfern kaum in den Sinn. Ihr ausgesprochen „bornierter Verstand“111 verhindere eine derartige Einsicht. Zu denjenigen, die dem Konservatismus ein rigide klassen- und schichtengebundenes Denken anlasten, hat sich auch Arnold Künzli gesellt. Er stehe für das krasse Skandalon einer Haltung, die die Idee des sozialen Ausgleichs derjenigen der notwendigen gesellschaftlichen Distanz und der aus ihr folgenden Repressionshaltung vorzieht. In der konservativen Ordnungsvorstellung wird demgemäß „eindeutig das Modell einer paternalistisch-elitären Klassengesellschaft ontologisch und transzendentalsoziologisch zum zeit- und raumunabhängigen Modell einer stabilen Gesellschaft schlechthin geweiht“112. Auf diese Weise erhalte „die Klassengesellschaft die Würde einer geschichtlichen Notwendigkeit“113. Ebd., S. 140. Ebd., S. 149. 107 Ebd., S. 145. 108 Ebd., S. 149. Vgl. dazu auch: „Die konservative Einstellung der reichen Klasse liegt so offen zutage, dass sie sich mit der Zeit zu einem Merkmal der Ehrbarkeit entwickelte und einen gewissen ehrenhaften, dekorativen Wert erwarb“ (ebd. S. 150). Heute gehören „konservative Ansichten in unserer Vorstellung ganz selbstverständlich zum Begriff des Achtbaren und Ehrbaren (ebd.). 109 Simone de Beauvoir: Auge um Auge. Artikel zu Politik, Moral und Literatur 1945 – 1955, Aus dem Französischen, Reinbeck bei Hamburg 1987, S. 19. 110 Ebd. 111 Ebd., S. 21. Hermann Lübbe zufolge hat die Neue Linke den Konservativen angelastet, „illegitime Privilegien“ zu verteidigen (Neo-Konservative in der Kritik, in: Merkur 37 (1983), S. 623). Auf diese Weise habe sie ihnen Auffassungen imputiert, „die geeignet waren, diese politisch, moralisch und intellektuell zu disqualifizieren“ (ebd.). 112 Arnold Künzli: Ursprung und Tradition. (wie Anm. 34), S. 182. 105 106

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I. Die Konservatismusforschung als Problemkomplex

Auch Bernard Crick zufolge sollte die bisweilen sozialpolitisch fortschrittliche Haltung des Konservatismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser sich immer zu einer Verteidigung der kapitalistischen Klassengesellschaft hergibt. Die Sicherheit, mit der dieser zu allen Gegenentwürfen Distanz hält, weist die Anwälte des Konservatismus als eine der verlässlichsten Stützen des bürgerlichen Besitzindividualismus aus. Dementsprechend reden sie einer „Mystik des Eigentums“114 das Wort. Dabei seien diese nur vordergründig tolerant. „Gedanken aller Art können seinetwegen ruhig verbreitet werden, solange sie die Massen nicht noch unruhiger machen, als sie es ohnehin schon sind“115. Auch der Parteimarxismus der DDR suchte den Konservatismus mit dem Hinweis in ein schiefes Licht zu rücken, er habe von Anfang die Interessen der Reichen und Mächtigen verteidigt. Dabei wirft er ihm besonders vor, eine ausgesprochen reaktionäre Haltung gegenüber denjenigen sozialen Kräften einzunehmen, die den Kapitalismus überwinden wollen und sozialistische Eigentumsstrukturen anstreben. Was Wunder, wenn diesen Anwälten des Vergangenen und Todgeweihten angelastet wird, eine „fortschrittsfeindliche, auf die Erhaltung des überlebten Alten gerichtete Verhaltensweise“116 zu praktizieren. Stets seien die Konservativen bestrebt, die „Kontinuität der antagonistischen Klassengesellschaft zu bewahren“117. Aus diesem Grunde erschöpfe sich deshalb ihr Denken in der „Anbetung reaktionärer Machtpolitik“118. Dabei avanciert das Webmuster des reaktionären Konservatismus notwendigerweise zur Blaupause repressiver politischer Ordnungen. Sie nehmen billigend in Kauf, als „Wegbereiter des Faschismus zu gelten“119. In der Disziplin der Konservatismusdenunzierung bringen es nicht nur seine Gegner zur anerkannten Meisterschaft. Auch Mitglieder der konservativen Denkfamilie selber lassen es sich bisweilen nicht nehmen, ihren ideologischen Verwandten den Vorwurf einer reaktionären Haltung zu machen. So fühlte sich Armin Mohler bemüßigt, als Vertreter eines modern-technokratischen Konservatismus weniger progressiv denkenden Anhängern dieses Ideenkreises eine quasi vorsintflutliche Existenz zu bescheinigen. Für ihn wirke es „peinlich, wenn man auf ,Konservative‘ stößt, die heute noch mit Mösers Vokabular oder dem des Herrenklubs, dem von Rerum novarum um sich werfen“120. Der Blick für die Notwendigkeit eines modern ausgerichteten Konservatismus wird Mohler zufolge vor allem dann Ebd. Bernard Crick: Eine Lanze für die Politik. Mit einem Vorwort von Kurt Sontheimer. Aus dem Englischen, München 1966, S. 139. 115 Ebd., S. 138. Der Konservative sei kein tyrannischer Mensch“ (ebd.). Das gelte vor allem für sein Verhalten „seinesgleichen gegenüber“ (ebd.). 116 Kleines politisches Wörterbuch, Berlin 1973, S. 450. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Ebd. 120 Armin Mohler: Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, S. 35. 113 114

4. Der Konservatismus als Denunziationsobjekt seiner ideologischen Feinde

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verstellt, wenn man sich in die Gefolgschaft Edmund Burkes einreiht. Sich auf seine rückwärtsgewandten Vertracktheiten einzulassen, kann einem vernünftigen Konservativen unserer Zeit nicht mehr in den Sinn kommen. Für Mohler werden die Worte eines „Edmund Burke, so richtig sie damals waren, in der heutigen, so veränderten Situation zu Geschwätz“121.

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Ebd.

II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive Lief überdies alles politische Leben auf ein sinnloses Fortschreiten hinaus, so ließ sich bei der Rücksicht auf den bisherigen Weg nichts weiter empfinden, als die Freude, dass diese Zeiten wirklich überstanden sind. Adam Müller Wie groß sind die Fortschritte der Menschheit, wenn wir auf den Punkt sehen, von dem sie ausging; und wie klein, betrachten wir den Punkt, wo sie hin will. Franz Grillparzer Gewisse Leute glauben . . . einen automatischen und unpersönlichen Fortschritt, der im Laufe der Dinge beruht. Allein es erhellt deutlich genug, dass sich mit diesem Prinzip eines unvermeidlichen Fortschrittes keine politische Tätigkeit betreiben lässt; denn es bietet keinen Grund, um tätig zu sein, sondern eher einen Grund, um träge zu sein. Gilbert Keith Chesterton Ich habe nie und nirgendwo versucht, den Fortschritt aufzuhalten. Ich habe aber auch nichts vom Fortschritt bemerkt. Kardinal Mindszenty im Verhör.

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation Man verzichtete auf einen wichtigen Zugang zur Geschichte der Neuzeit, wenn der mit aller Härte ausgefochtene Kampf zwischen der Partei des Fortschritts und derjenigen der Beharrung außer acht gelassen würde. Er erscheint als der Schnittpunkt zweier Weltanschauungsgruppen, deren Gegensatz immer schon ein Höchstmaß an Spannungsintensität aufgewiesen hat. Es war nicht zuletzt Ernst Troeltsch, der sein wissenschaftliches Augenmerk auf diesen Problemkomplex gerichtet hat. Dem bedeutenden Gelehrten zufolge müssen diese ideologischen Rivalitäten „über das politische Gebiet hinaus als innerste Lebensgegensätze erkannt“1 werden. Da1 Ernst Troeltsch: Konservativ und liberal, in: Die christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände 30 (1916), S. 647.

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation 21

bei ließen sich die miteinander streitenden Anwälte der Zukunft und der Herkunft auch vom zivilisatorischen Fortschritt nicht davon abhalten, ihre pointierten Fehden auszutragen. Für Troeltsch hat „der wirkliche und eigentliche Spannungszustand trotz der Triumphe der Wissenschaft praktisch überall“2 fortgewirkt. Schon Condorcet hat sich in äußerst aggressiver Weise gegen diejenigen gewandt, die es wagten, seine Fortschrittskonzeption in Zweifel zu ziehen und den überkommenen Denkweisen und Institutionen nicht jegliche Legitimität abzustreiten. So wendet er sich scharf gegen diejenigen, die sich erkühnen, „am Hergebrachten festzuhalten und infolgedessen die ungebrochene Fortdauer der Meinungen zu begünstigen“3 Sie verhindern durch ihr höchst kritikwürdiges Verhalten, dass die „Menschen vom Joch allen Aberglaubens wie vom Gift falscher Doktrinen“4 befreit werden. Er fordert die Menschen deshalb auf, die fortschrittswidrigen „Listen der Scharlatane“5 zurückzuweisen um den Menschen zu einem glücklicheren Leben zu verhelfen. Auch die fortschrittlichen Energien von Emmanuel Joseph Sièyes fließen in Bahnen, in denen er sich gegen jeglichen reaktionären Versuch wehrt, hinter die Französische Revolution zurückzukehren. Diese Auffassung schließt vor allem die Vorstellung mit ein, dass man in der nachrevolutionären Zeit kaum die „Vorfahren zu Rate“6 ziehen kann. Aus diesem Grunde sollte sich der fortschrittlich eingestellte Bürger hüten, „Leute zu Führern zu nehmen, die nur rückwärts blicken können“7 2 Ebd., S. 648. Dabei interpretiert Troeltsch den Sozialismus eher als konservative Denkfamilie und Bewegung. Er erscheine „in den verschiedensten Beleuchtungen . . . als das konservative, antiindividualistische, organische Prinzip (ebd.). Vor allem die „merkantilistischstaatssozialistischen Ideen“ (ebd.) rechtfertigen diese ideologische Rubrizierung. 3 Condorcet: Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens, mit einer Einleitung vom Heinz-Hermann Schepp. Aus dem Französischen, Weinheim / Bergstraße 1966, S. 79. 4 Ebd., S. 83. Die Denunzierung der konservativen Gedankenwelt findet sich schon bei Francis Bacon. Dem Vergangenen wird bei ihm ein negatives Vorzeichen verliehen; ihm eignet gegenüber der Moderne eine inferiore Qualität. „These times are ancient times, when the world is ancient, and not those which we account ordine retrogrado, by a computation backward from ourselves“ (Advancement of Learning, Chicago 1952, S. 15). Der Rekurs auf die Vergangenheit verhindert den Fortschritt: „Antiquity envieth there should be new additions“ (ebd.). 5 Ebd. Ein besonders utopischer Zukunftsoptimismus findet sich bei H. G. Wells. „Unsere Träume zeigen uns das Ziel, und eine heute noch ungebändigte, aber stetig wachsende Macht ist uns geschenkt. Können wir bezweifeln, dass unsere Nachkommen unsere kühnsten Phantasien überflügeln, dass sie Einigkeit und Frieden schaffen, dass sie . . . in einer Welt leben werden, die prächtiger und lieblicher sein wird, als irgend ein Palast oder Garten, den wir kennen? . . . Was der Mensch bisher geschafft hat, die geringen Errungenschaften seines jetzigen Zustandes, und all die Geschehnisse, von denen wir berichtet haben, bilden nur das Vorspiel zu dem, was ihm zu vollbringen noch übrig bleibt“ (Die Geschichte unserer Welt. Aus dem Englischen, Berlin, Wien und Leipzig 1932, S. 364). 6 Emmanuel Joseph Sièyes: Politische Schriften 1788 – 1790, Aus dem Französischen, hrsg. von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt, Darmstadt und Neuwied 1975, S. 37. 7 Ebd.

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

Der Respekt, den er dem historischen Progressismus zollt, gründet in einer äußerst kritischen Einstellung gegenüber den Ordnungsvorstellungen früherer Zeiten8. Eine besonders distanzierte Haltung demonstriert er gegenüber dem Mittelalter. „Was könnten wir von den Verehrern der alten Jahrbücher oder vielmehr der Mären des finsteren Mittelalters, diesem sinnlosen Wust zeitgenössischer Sinnlosigkeiten, denn auch erhoffen?“9. Heute, in der modernen Zeit gelte es, „vorwärts zu gehen“10 und jeden nostalgischen Blick auf frühere Zeiten zu meiden11. Mit dieser Haltung sorge man am Effizientesten dafür, dass „die mittelalterlichen Absonderlichkeiten sich auflösen, die Überreste der alten Grausamkeit in sich zusammenfallen und verschwinden“12 Dadurch sei auch die Gewähr gegeben, nicht mehr „der unsinnigen Feudalität“13 anheim zu fallen. In gleicher Weise bündelt Benjamin Constant die sozialen und politischen Umwälzungen der Französischen Revolution im Brennpunkt seiner rigiden Kritik an allen Versuchen, einer reaktionären Sichtweise das Wort zu reden. Die Sicherheit, mit der er zu ihnen Distanz hält, erweist ihn als einen Denker, der in besonders pointierter Weise dem politischen und sozialen Fortschritt das Wort redet. Von einer Politik, die rückwärtsgewandte Ziele verfolgt, erwartet er nur katastrophale Zustände. „Die Reaktion gegen die Ideen verläuft weniger blutig aber nicht minder verhängnisvoll. Durch ihr Wirken erwächst nichts Gutes aus den Leiden der einzelnen, und die der Gesamtheit werden dadurch in keiner Weise wettgemacht“ 14. Sie gebe „den Menschen ihre Fesseln zurück“15. Indem sie „ein paar Verbrecher unschädlich macht“16, verleihe sie gleichzeitig und unabwendbar „der Herrschaft des Verbrechens ewige Dauer“17. Dabei sei die in Rede stehende reaktionäre Bewegung ein zu äußerster Evidenz gebrachtes Symbol für die Sinnlosigkeit einer Doktrin, die die Französische Revolution ungeschehen machen will. Der reaktionäre Widerstand sei nur in der Lage, „noch verheerende Erschütterungen“18 zu erzeugen. Aus diesem Grunde sei er zum Scheitern verurteilt. „Seitdem der menschliche Geist voranschreitet . . . kann kein Einfall der Barbaren, kein Bündnis der Unterdrücker, kein Heraufbeschwören alter Vorurteile ihn wieder zum Rückschritt bewegen“19. Ebd. Ebd. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Ebd., S. 150 13 Ebd., S. 38. 14 Benjamin Constant: Über politische Reaktion, Aus dem Französischen, hrsg. von Lothar Gall, Berlin 1972, S. 127. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Ebd., S. 202 19 Ebd. 8 9

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation 23

Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA wandten sich dem historischen Progressismus verpflichtete Autoren gegen alle Versuche, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Nicht zuletzt für Morris R. Cohen avanciert der Konservatismus zum Prinzip einer illegitimen Vergangenheitsverklärung, zum Inbegriff einer durch und durch freiheitsfeindlichen Doktrin. In dieser Ordnungsvorstellung gerät diese zu einem Produkt aus dem schalldicht abgepolsterten Elfenbeinturm, der jeglicher Sinn für die Freiheitsbedürfnisse des modernen Menschen abhanden gekommen ist. Cohen zufolge hängt der Konservative an den überkommenen Institutionen und Denkweisen, da ihre Zerstörung die Menschheit angeblich in ein irreversibles, urheilbares Chaos stürze. Das Schlüsselwort für die richtige Haltung des Liberalen gegenüber den Ordnungsvorstellungen der Konservativen sei deshalb strikteste Distanz. „Conservatism clings to what has been established, fearing that, once we begin to question the beliefs we have inherited, all the values of life will be destroyed“20. Dagegen fehle die Hochachtung und Anerkennung, die der Konservative überkommenen Institutionen und Werthaltungen entgegenbringe im liberal-fortschrittlichen Ideenkreis ganz und gar. „Liberalism disregards rules and dogmas that hinder the freedom of scientific inquiry and the questioning of all accepted truths. Prophets, priestly hierarchies, sacred books and sanctified traditions must submit their claims to the court of human reason and experience“21. Auf diese Weise emanzipiere sich der freiheitsdurstige Bürger „from superstitious fears, as that of magic or witchcraft, and from arbitrary and cruel restraints of human happiness“22. Das unsterbliche Verdienst, diese wichtige Aufklärungsarbeit begonnen zu haben, gebühre nicht zuletzt den Nominalisten, die sich im mittelalterlichen Universalienstreit zu ihren individualistischen Prinzipien bekannten. Dem „modern nominalism“23 kann es nicht hoch genug angerechnet werden, „to break violently with the scholastic doctrine of substantial forms“24. Cohen zufolge war „that revolt against scholasticism . . . humanly necessary and brought much good to mankind“25. Dass dieser Aufstand auch eine weniger positiv zu Buche schlagende Kehrseite hat, wird vom amerikanischen Philosophen verdrängt. 20 Morris R. Cohen: The Faith of a Liberal, New York 1946, S. 438. Einem unbegrenzten Geschichtsoptimismus ist auch Russell W. Davenport verfallen. Für ihn ist der heutige Mensch immer noch „von Finsternis“ umgeben (USA – Die permanente Revolution, Aus dem Amerikanischen, Frankfurt am Main 1952, S. 43). Dabei komme einer „permanenten Revolution“ (ebd.), die Aufgabe zu, den Emanzipationsprozess des Menschen zu vollenden, indem sie „die Finsternis vertreibt“ (ebd.) 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 312. 24 Ebd. 25 Ebd. Vgl. dazu: Johann Baptist Müller; Werteverfassung und Werteverfall, Berlin 2000, S. 53 ff.

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

Kritik an der konservativen Skepsis gegenüber den Versprechen des historischen Progressismus kommt auch aus dem linken Denklager der USA. James Harvey Robinson zufolge richtet der Konservative sein Hauptaugenmerk fälschlicherweise auf die angeblich so segensreiche Vergangenheit und übersieht dabei, in wie starkem Maße die Chancen eines besseren, erfüllteren Lebens in der Zukunft liegen. Seine Topoi können aus diesem Grunde nur als überholt und kontraproduktiv bezeichnet werden. „The conservative is a perfectly explicable and inevitable product of that long, long period before man woke up to the possibility of conscious betterment“26. Auch die heutige Ausprägung des konservativen Ideenkreises leide an einer dogmatisch vorgetragenen Verehrung des Vergangenen. „He still justifies existing conditions and ideas by the standards of the past rather than by those of the present or future“27. Dabei redet er den Sinn-Wünschen der konservativ-antiquarischen Geschichtsbetrachtung so vehement nach dem Munde, dass er die Möglichkeiten und Chancen der Zukunft glatt übersieht und verdrängt. „He neither vividly realizes how mightily things have advanced in times gone by, nor has the imagination to see how easily they could be indefinitely bettered, if the temperament which he represents could cease to be artificially fostered“28. Was die konservative Geschichtsauffassung von der progressiv-liberalen in einem entscheidenden Maße unterscheidet, ist, dass jene im Gegensatz zu dieser nicht einen historischen Endzustand anstrebt, sondern dem Gedanken des Ursprungs29 verpflichtet ist. Ihre Anwälte glauben nicht an die kontinuierliche Höherentwicklung der Menschheit und haben das große und das kleine Einmaleins der Traditionsfeindlichkeit nicht gelernt. Aus diesem Grunde orientieren sie sich an den Wertvorstellungen der Vergangenheit. Da für sie die fortschrittlichen Muster einer zukunftsorientierten Geschichtsauffassung längst kassiert sind, liegen die kulturellen Primärfakten nicht vor, sondern hinter uns. Im Horizonte eines der26 James Harvey Robinson: The Spirit of Conservatism in the Light of History, in: The New History, New York 1927, S. 258. 27 Ebd. 28 Ebd. Dagegen findet man in der linken Denkfamilie auch prokonservative Auffassungen. So weist Robert Paul Wolff darauf hin, dass die „Beseitigung des Aberglaubens . . . und die Befreiung von den sozialen Zwängen, auf die Mill seine Hoffnungen setzte, . . . bestenfalls zweideutige Errungenschaften“ sind (Das Elend des Liberalismus. Aus dem Amerikanischen, Frankfurt am Main 1969, S. 197). Das hätten die „konservativen Soziologen klar gesehen“ (ebd.). Nach Richard Hofstadter ist „of most value in conservatism . . . its feeling for the past“ (The Age of Reform. New York 1955, S. 15). 29 Vgl. dazu Rudolf Schottländer: „Auch der Ursprung ist nicht unverursacht, auch er ist als Wirkung begreifbar, aber mit ihm tritt diskontinuierlich etwas Neuartiges zutage, das von da an kontinuierlich wirksam sein wird. Darum werden „Ursprünge“ gern als Denkziele gewählt, besonders in geschichtlichen Betrachtungen. Der leidige kausale ,regressus in infinitum‘ kommt am Ursprung zum Stehen, nicht im Sinne einer absoluten Ausschließung möglichen kausalen Hinterfragens, wohl aber zum Zweck der Erklärung dessen, was vom Ursprung an als ein Gleiches fortbesteht und sich als gleichgeblieben wiedererkennen lässt“ (Geschichtsphilosophische Aspekte konservativer Fortschrittsbejahung, in: Konservatismus international, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Stuttgart 1973, S. 213).

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation 25

artigen Blickwinkels wird nicht das, was die Zukunft an kulturellen und politischen Errungenschaften bringen wird, zur Richtschnur und Generalthema ihrer Denkanstrengung, sondern das, was bereits gesehen ist. Aus diesem Grunde muss sich jegliche Geschichtsreflexion an ihrem Verhältnis zur Tradition messen lassen. Ihr wächst nur dann Legitimität zu, wenn sie jeglicher Form der innerweltlichen Eschatologie abschwört und allein den Wertvorstellungen der Vergangenheit verpflichtet ist. Auf diese Weise wird die Kulturleistung früherer Generationen dem Rekurs auf die Gegenwart und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft vorgezogen. Dabei ist es Adalbert Stifter in vorbildlicher Weise gelungen, die in Rede stehende historische Sichtweise auf den Begriff zu bringen. „Nur die Geschichte der vergangenen Zeiten ist die einzige, die größte, die weiseste, aber leider oft unbeachtete Lehrmeisterin in menschlichen Dingen“30. In diesem Zusammenhang hält Friedrich Gentz dafür, dass das Studium der Geschichte keineswegs die optimistischen Prognosen der Aufklärung und des Liberalismus verifiziert. Für den Anwalt des Konservatismus sei „das Äußerte, was menschliche Weisheit bei der Bildung und Regierung der Staaten vermag, dass sie das Übel mindre“31. In einer ähnlichen Weise weist heute Gerd-Klaus Kaltenbrunner darauf hin, in wie starkem Maße die Hoffnung auf die Verbesserung der menschlichen Lebensumstände trügt. „Der Konservative glaubt, dass in Staat und Gesellschaft keine Vollkommenheit, keine letzte Harmonie und absolute Gerechtigkeit möglich sind“32. Dabei wird auch das Argument vorgebracht, die progressistische Geschichtsauffassung widerspreche gänzlich der anthropologischen Grundstruktur des Menschen. So hat Gerd-Klaus Kaltenbrunner zu Recht darauf hingewiesen, dass der Mensch vom historischen Fortschrittsdenken in einem zu vorteilshaften Licht betrachtet wird. In seinem Rationalitätswahn übersehe er geflissentlich, in wie starkem Maße er auch ein „homo demens“33 ist. 30 Adalbert Stifter: Was ist Freiheit? Über unsere gegenwärtige Lage und unsere sittliche Verbesserung, Hamburg 1961, S. 19. 31 Friedrich Gentz: Einleitung. Über den Einfluss politischer Schriften und den Charakter der Burkischen, in: Edmund Burke und Friedrich Gentz: Über die Französische Revolution. Aus dem Englischen, Berlin 1991, S. 23. 32 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Der Konservative im nachliberalen Zeitalter, in: Die neue Rundschau 85 (1974), S. 19. Für Arthur Schopenhauer ist der Optimismus „nicht bloß . . . eine absurde, sondern auch . . . eine wahrhaft ruchlose Denkungsart“ (Die Welt als Wille und Vorstellung, in: Sämtliche Werke, Band II, Wiesbaden 1972, S. 385). Die optimistische Weltsicht gebe sich als „ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit“ (ebd.) zu erkennen. Nicht zuletzt in den Evangelien seien „Welt und Übel . . . beinahe synonyme Ausdrücke“ (ebd.). 33 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Vom Schatten eines Schattens, in: Zeitbühne 5 (1976), S. 34. Dabei wird nach Kaltenbrunner alles, „was diesem euphorischen Humanismus nicht entspricht . . . verdrängt, als infantiler Rest oder bedauerlicher Rückfall, als bemitleidenswerte Abweichung von der Norm abgetan“ (ebd.). Aus diesem Grunde sei im Kategoriengerüst des

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

In diesem Zusammenhang verweist Gerhard Krüger darauf, dass der fehlerhafte Mensch sehr schnell an seine natürlichen Grenzen stößt, wenn er seine natürliche Lebenswelt in einem radikalen Sinne zu verändern beabsichtigt. Ein derartiges Unterfangen sei notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. „Schließlich ist es doch immer noch der empirisch gegebene Mensch, der . . . immer noch innerhalb einer schon bestehenden, schon irgendwie geordneten Welt“34 lebt. Sein Veränderungswille stößt an Grenzen, die in seiner naturgegebenen Verfassung liegen. Er gehört keineswegs zu denjenigen Fabelwesen, die alle Widerstände zu überwinden in der Lage sind. „So groß ist die menschliche Freiheit offenbar doch nicht, dass wir sie wirklich weltschöpferisch oder weltgestaltend sich selbst und alles Gegebene verändern und von Grund auf neu definieren könnte“35. Den Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen wachsen aus diesem Grunde keine Flügel. Sie bleiben „immer an die eine, identische, an sich bestehende Welt gebunden“36. Dabei geht die Einsicht in die begrenzte Veränderungsmöglichkeit der menschlichen Lebenswelt mit der Auffassung einher, dass das alte, das man kennt, immer dem neuen, dem Unbekannten vorzuziehen ist. So schreibt Lord Hugh Cecil: „That what is familiar merely because of its familiarity becomes more acceptable or more tolerable than what is unfamiliar“37. Der unbegrenzten Neuerungssucht des historischen Progressismus stellt der Konservative den „distrust of the unknown“38 und die mit ihr korrespondierende „reliance on experience“39 gegenüber. Um nicht auf die entlegensten Holzwege einer ungebremsten Fortschrittsraserei zu geraten, setzt der Konservative auch nach Michael Oakeshott das Gewohnte dem Neuen vor. „Konservativ sein heißt somit, das Vertraute dem Unbekannten vorziehen, das Erprobte dem Unerprobten, des faktisch gegebene dem Verborgenen, das Nächstliegende dem Entfernten, das Reale dem Möglichen, das Begrenzte dem Unbegrenzten, . . . das Brauchbare dem Vollkommenen und die Fröhlichkeit einem utopischen Glück“40. Im Gegensatz zum zelotischen Anwalt des FortschritProgressisten kein Platz für die Schreckensgestalten der angeblich so vorbildlichen Neuzeit. „Ein Marquis de Sade, ein Hitler, ein Stalin sind in seinem Weltbild . . . nicht vorgesehen“ (ebd.). 34 Gerhard Krüger: Freiheit und Weltverantwortung, Freiburg und München 1958, In diesem Zusammenhang wirft Gerd-Klaus Kaltenbrunner dem Liberalismus vor, neben der Hochschätzung des Apollinischen keinen Sinn für das Dionysische aufzuweisen. „Er vergisst und verdrängt, was am Menschen fundamental ist: das Erdbebenhafte, Maßlose und Abgründige seiner Existenz, seine eigentümliche Bereitschaft einerseits zu Lust, Rausch, Ekstase, andererseits zu Zorn, zur Wut, zur Zerstörung“ (Vom Schatten eines Schattens (wie Anm. 35), S. 34). 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Lord Hugh Cecil: Conservatism, London 1912, S. 9. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Michael Oakeshott: Rationalismus in der Politik, Aus dem Englischen, Neuwied und Berlin 1966, S. 180.

1. Der Fortschritt im Spannungsfeld von progressiver und konservativer Interpretation 27

tes sei „der Mensch konservativer Prägung . . . fähig, sich mit dem Mangel an Vollkommenheit abzufinden, der zu uns selbst und unseren Lebensumständen gehört“41. Der unbegrenzte Fortschritt widerspricht konservativer Auffassung zufolge nicht nur der anthropologischen Grundsubstanz des Menschen, er gefährdet sie auch. Das Exerzitium einer permanenten Fortschrittsanstrengung geht letzten zu Lasten der natürlichen Determinanten des menschlichen Handlungsradius. Zum Sprecher dieser wichtigen Einsicht hat sich vor allem Hans Freyer gemacht. Für ihn geht jeglicher Fortschritt mit seiner unausweichlichen Erschöpfung einher. Der „Begriff des Zehrens . . . legt die Vorstellung nahe, dass der Vorrat, aus dem gezehrt wird, aufgebraucht wird und eine Tages zu Ende gehen muss“42. Dabei habe „der Fortschritt der modernen Zivilisation bestimmte menschliche Reserven, die sehr reich waren, bereits weggefressen“43. Freyer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „die Technik, die sich märchenhaft vervollkommnet . . . in steigendem Maße sinnlosen Tand“44 produziert. Zu den Kritikern dieser unheilvollen Entwicklung gehören nicht nur „Romantiker und die Interessenten der Reaktion“45. Auch dieser Denkfamilie eher ablehnend gegenüberstehende Bürger stellten in immer steigendem Maße die Frage, „was geben wir auf, in dem wir fortschreiten?“46. Dabei weist das historische Denken des Konservativen nicht nur einen pessimistischen47 Bedeutungshof aus, ihm eignet auch eine Hoffnungsperspektive. Wenn er im Kontrapunkt zur Aufklärung und zum Liberalismus seinen Fokus nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit richtet, geht er letzten Endes doch davon aus, dass alle Versuche, alle Traditionsbestände zur Gänze auszulöschen, letzten Endes ins Leere greifen werden. Was sich in seiner Perspektive widerspiegelt, ist Ebd. Hans Freyer: Der Fortschritt und die haltenden Mächte, in: Zeitwende 24 (Juli 1052 – Juni 1953), S. 295. 43 Gegen den Freyerschen Kulturpessimismus wendet Hermann Lübbe ein, dass dank des Fortschritts der modernen Gesellschaft „alle Menschen, die ihr angehören, des Lesens und Schreibers kundig sind“ (Die resignierte Konservative Revolution, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 115 (1959), S. 137 f.). 44 Ebd. 45 Ebd., S. 295. 46 Ebd. Vgl. dazu auch George Santayana: „The old house, just because it is still inhabited, must be continually patched and modernised, until little remains of it but the name and the invisible foundations“ (Dominations and Powers. Reflections on Liberty, London 1952, S. 436). In der Sicht des Progressiven erscheine das Überkommene in einem illegitimen Licht. „The true past . . . appears strangely foreign, disquieting and disagreeable“ (ebd.). 47 Georg Quabbe behauptet, dass der Pessimismus „mit dem Konservatismus als solchem nichts zu tun hat“ (Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema, Berlin 1927, S. 116). Wenn ihm zufolge „extreme Vertreter die Vergangenheit über die Gegenwart stellen, so gilt ihnen diese doch nicht als schlecht, im Gegenteil neigen sie anders wie der Liberalismus dazu, in ihr die beste der Welten zu erkennen“ (ebd.). Für den Liberalismus sei „das Ziel des Optimismus in eine so unendliche Ferne gerückt, dass es wohl dem Weltende gleichgesetzt werden kann“ (ebd.) 41 42

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

die Hoffnung, in wie starkem Maße sich die Menschen immer weigern werden, ihrem kulturellen Herkommen in toto abzuschwören. Zum Anwalt dieser Auffassung hat sich nicht zuletzt Nicolai Berdiajew gemacht. Dem bedeutenden Geschichtsphilosophen zufolge ist es noch niemandem gelungen das „Ewig-Wertvolle, Echte in der Vergangenheit zu vernichten“48 Für ihn ist die Zerstörung „der Vergangenheit . . . gerade Vergangenheit und nicht Zukunft“49. In diesem Zusammenhang weist er auch darauf hin, dass man „nur das . . . verlogene und üble Vergangene vernichten“50 kann. Dabei sorgen die wertvollen Bestimmungsmomente der Tradition für die Verdrängung der illegitimen und sichern sich auf diese Weise ihre Lebenskraft und Legitimität51. Auf diese Weise ist sich der vergangenheitsorientierte Konservative sehr wohl darüber bewusst, dass seine Anstrengung um die Erhaltung der Traditionsbestände kein Kampf gegen Windmühlenflügel ist. Die Sicherheit, mit der er Distanz zu den Zukunftsoptimisten hält, setzt ihn imstande, ihrer Fortschrittsformel ein genuin konservatives Vorzeichen zu verleihen. Wenn man sich dessen bewusst ist, wie viel Unzeitgemäßes es im Zeitgemäßen gibt, kann man getrost der Zukunft entgegenschreiten. Schließlich werden die Vorkämpfer der aufklärerisch-liberalen Fortschrittspartei niemals die Vergangenheitsbastionen schleifen können. Aus einer Haltung, die man als rückwärtsgewandte Utopie bezeichnet hat, erwächst die Gewissheit, dass das Herkommen durchaus ein Fortkommen besitzt. Diese in Rede stehende ambivalente Haltung des Konservativen zum radikalen historischen Pessimismus weist auch eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen des Christen auf. Dieser bündelt die negativen Bestimmungsmerkmale des weltlichen Geschichtsverlaufs im Brennpunkt seiner Überzeugung, dass er an der Erlösungstat seines Gottes teil hat. Diese ist ein zu äußerster Evidenz gebrachter Beweis für eine Geschichtsinterpretation, die dem prinzipiellen historischen Negativismus an der Wurzel fremd ist. Joseph Kardinal Ratzinger zufolge weiß der gläubige Christ, „dass die Geschichte schon gerettet ist, dass also der Ausgang letztlich positiv sein wird“52. 48 Nikolai Berdiajew: Das Reich des Geistes und das Reich des Cäsar. Aus dem Russischen, Darmstadt und Genf 1952, S. 187 f. 49 Ebd., S. 188. 50 Ebd. 51 Ebd. Vgl. dazu G. R. Elton: „We shall give the future a past . . . Then that past will become memorable and influential and important, and will be the foundation of things that matter, because out of it will grow a positive, active, burgeoning reason which will do much to destroy the unreasons and the horrors of the mind which infest the world“ (The Future of the Past, Cambridge 1968, S. 29). 52 Joseph Kardinal Ratzinger: Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio Messori. München, Zürich und Wien 1985, S. 11. Dem Kirchenfürsten zufolge wissen wir, dass die „,Mächte der Unterwelt‘ nicht über die Kirche siegen werden“ (ebd.). Jedoch wissen „wir nicht, unter welchen Bedingungen das geschehen wird“ (ebd.). Die christliche Auffassung von der Geschichte hat nicht zuletzt Gustave Thibon auf den Begriff gebracht, wenn er schreibt: „Ich fasse die menschliche Geschichte als eine doppelte Bewegung des Abstiegs

2. Der radikale Antiprogressismus Joseph de Maistres

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In den weiteren Kapiteln dieser Abhandlung wird zwischen konservativen Autoren unterschieden, die einerseits eine ausgesprochen rigide Fortschrittsfeindschaft an den Tag legen und solchen, denen es um eine Synthese zwischen dem Beharrungs- und dem Fortschrittsprinzip geht. Dabei wird die erste Denkgruppe vor allem von Joseph de Maistre repräsentiert. Es hieße die Ernsthaftigkeit dieses bedeutenden Denkers zu diffamieren, wollte man seine dogmatische Zurückweisung aller Fortschrittstopoi in Zweifel ziehen. Darüber hinaus entfaltet sich die konservative Synthese aus Tradition und Progressus am augenfälligsten bei Edmund Burke. Er hält am Alten fest und ist dennoch bereit, einem moderierten Fortschreiten das Wort zu reden.

2. Der radikale Antiprogressismus Joseph de Maistres In demjenigen konservativen Denklager, das auch nur den minimalsten Fortschritt in Bausch und Bogen verdammt, gibt sich Joseph de Maistre eindeutig als herausragende Symbolfigur zu erkennen.53 Nichts kennzeichnet seine geschichtsphilosophische Grundhaltung so sehr als seine rigide Ablehnung des historischen Optimismus der Aufklärung. Für ihn stellt diese Epoche ein Zeitalter der ideologischen Verirrung dar, in der die überkommenen vernünftigen Seinsprinzipien dem utopischen Denken und der millenaristischen Zukunftshoffnung geopfert wurden54. Zu den destruktivsten Wirkungen des Aufklärungszeitalters zählt es nach de Maistre, dass dessen deplorabler Geist die Menschen voneinander isolierte, die Gesellschaft dem Individualismus und dem Atomismus überantwortete. Nach ihm hat die Philosophie der Aufklärung „den Mörtel zerfressen . . . der die Menschen zusammenhielt“ 55. Nachdem das egoistische Prinzip dominant wurde, der Sinn für und des Aufstiegs auf. Durch jenen gewaltigen Erdrutsch, durch jenen nicht wieder gutzumachenden, von Adam begonnenen und von jedem Jahrhundert neu geförderten Abfall hindurch vollzieht sich ein geheimer, tragischer und mit Kreuzesmartern verbundener Anstieg: mit der gänzlichen Niederlage vermengt, völlig eins mit ihr, erscheint ein beschwingter und von Blut getränkter Sieg; im tödlichen Absturz der Zerstörung erhebt sich ein göttlich schwanker (sic!) Bau, zu dem jedes Jahrhundert seinen Stein heranträgt, den jedoch allein die Ewigkeit vollenden wird . . .“ (Bestimmung des Menschen, Aus dem Französischen, Düsseldorf 1949, 71). 53 Peter Richard Rohden weist darauf hin, dass de Maistre dem Landadel entstammte, „dessen Leben sich fern von dem Zentrum der geistigen Mode, fern von den Einflüssen des königlichen Hofes abspielte“ (Deutscher und französischer Konservatismus, in: Die Dioskuren, Band III, hrsg. v. Walter Strich, München 1924, S. 106). In der Provinz „hatten sich die aristokratischen Traditionen weit lebendiger erhalten“ (ebd.) Der Landadel habe, für die „feudale Theorie den günstigsten intellektuellen Nährboden“ (ebd.) geboten. 54 Joseph de Maistre macht darauf aufmerksam, dass „in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . der Unglaube eine wirkliche Macht“ wurde (Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen, in: Politische Betrachtungen, hrsg. von Peter Richard Rohden, Berlin 1924, S. 171). Die Aufklärungsphilosophie vergaß, dass „Europa seine Gesittung dem Christentum verdankt“ (ebd., S. 172). 55 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich, in: Politische Betrachtungen, Aus dem Französischen, hrsg. von Peter Richard Rohden, Berlin 1924, S. 67.

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die gemeinschaftlichen Werte entschwunden ist, gibt es „keine geistige Zusammengehörigkeit“56 mehr. In das kritische Fadenkreuz de Maistres geraten nicht zuletzt Rousseau und Voltaire57. Das Schlüsselwort für ihre kritikwürdige ethische Grundhaltung sei moralische Grenzüberschreitung. In ihrem Œuvre sei die Trennung zwischen Gut und Böse aufgehoben, dem Handeln des Menschen keinerlei Schranken auferlegt. „Seitdem sie Maximen aufgestellt haben, die fähig sind, alle möglichen Verbrechen hervorzubringen, sind diese Verbrechen ihr Werk, da die Verbrecher ihre Schüler sind“58. Nach de Maistre hätten Marat und Robespierre „kein Unheil angerichtet“59, wenn sie durch einen von Voltaire und Rousseau zerstörten ethischen Kodex „zurückgehalten worden wären“60. Wenn ein Tiger „seine Beute reißt“61, sei nicht er schuld, sondern derjenige, der das Gefährdungspotential dieses Tieres unterschätzt habe. „Der wahre Schuldige ist der, welcher ihm den Maulkorb abnimmt und ihn auf die Gesellschaft loslässt“62. Dabei fühlt sich de Maistre außerstande, die Gelehrten, die unter „Robespierres Fallbeil fielen“63, in irgendeiner Weise zu bemitleiden. Schließlich sei vor allem ihnen und ihresgleichen anzulasten, der Revolution das Wort geredet, diesem Negativereignis der französischen Geschichte entgegengefiebert zu haben. „Zu viele französische Gelehrte gehören zu den Hauptförderern der Revolution; zu viele französische Gelehrte liebten und begünstigten sie“64. Ganz im Gegensatz zu ihrer Behauptung, dem historischen Fortschritt tatkräftig in die Speichen gegriffen zu haben, ist es den Aufklärern und ihren revolutionären Helfershelfern anzulasten, ein grauenhaftes, menschenverachtendes Geschehen zu inszenieren. Das „furchtbare Blutvergießen“65, das sie anrichteten, sei ein Gottesurteil, die „Züchtigung Frankreichs“66, die Rache Gottes für die Sünden der Menschen. Ebd. Vgl. dazu Werner Kaegi: Voltaire und der Zerfall des christlichen Geschichtsbildes, in: Historische Meditationen, Zürich 1942, S. 223 ff. 58 Joseph de Maistre: Von der Souveränität. Aus dem Französischen, Berlin 2000, S. 70. 59 Ebd., S. 71. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd. Dagegen hätten sich die führenden Denker des 17. Jahrhunderts durch „einen allgemeinen Charakterzug von Respekt und Gehorsam gegenüber allen bürgerlichen und religiösen Gesetzen ihrer Länder“ (ebd., S. 69) ausgezeichnet. In ihren Schriften sei „nichts Vermessenes, nichts Widersprüchliches, nichts den nationalen Dogmen Entgegengesetztes“ (ebd.) zu finden gewesen. Sie respektierten die überlieferten „heiligen Axiome“ (ebd.) 63 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich (wie Anm. 55), S. 33. 64 Ebd. Ernest Barker wirft Burke vor, den ethischen Idealen der Revolutionäre keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. „He was blind to the ideals of the Revolution – its passion for liberty, and its still deeper passion for equality“ (Essays on Government, Oxford 1956, S. 215). 65 Ebd., S. 37. 66 Ebd. 56 57

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Wenn de Maistre einer Totalveränderung von Staat und Gesellschaft eine rigorose Absage erteilt, so ergibt sich notwendigerweise auch die Frage, wie er eine gradualistische, d. h. reformistische Politik beurteilt. Dabei ist für ihn schon die kleinste Umgestaltung des politischen Gemeinwesens des Teufels. „Das Wort Reform wird dem Verständigen schon an sich und ohne jede Prüfung stets verdächtig sein, und die Erfahrung aller Zeiten rechtfertigt diese Art Instinkt“67. Für de Maistre sind „die Früchte der schönsten Unternehmungen dieser Art nur zu bekannt“68. Da er „die Gefahr aller Neuerungen“69 kennt, verfällt nicht nur die revolutionäre Umwälzung, sondern auch die gradualistische Veränderung seinem Bannstrahl. In einem fragwürdigen Lichte sieht de Maistre nicht zuletzt auch deshalb jede Form von Veränderung, weil das Gute und das Böse nicht immer fein säuberlich voneinander zu trennen sind. In immer neuen Varianten gehen beide Prinzipien Verbindungen ein, denen positive oder negative Bestimmungsmerkmale zu imputieren, eine kaum zu lösende Aufgabe ist. „Es gibt nichts Gutes, das nicht durch das Böse besudelt und verfälscht würde; es gibt aber auch nichts Böses, das vom Guten nicht bedrängt und angegriffen würde, indem das Gute alles Bestehende unaufhörlich zur Vervollkommnung antreibt“70. Bevor man den überkommenen Institutionen legitimitätsnegierende Defizienzen anlastet, sollte auch erkannt sein, dass diese im Laufe der Zeit ganz einfach verschwinden können. Niemand sollte ihre Selbstheilungskräfte gering veranschlagen und schnurstracks reformistischen oder revolutionären Maßnahmen das Wort reden. „Es ist eins der allgemeinsten und offenkundigsten Gesetze jener zugleich verborgenen und doch offenkundigen Macht . . . dass gerade aus dem Missbrauch das Gegenteil hervorgeht und dass ein Übel, das bis zu einem gewissen Grade gediehen ist, sich selbst aufhebt“71. In dem Maße, in dem das Übel einer Institution als „Krebsschaden, den Körper verzehrt“72, richtet es seinen Todesstoß gegen sich selber. „Dann aber erhebt sich an Stelle des Verschwundenen notwendig etwas Neues, denn die Natur hat einen Abscheu vor allem Leeren“ 73. 67 Joseph de Maistre: Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen (wie Anm. 54), S. 156. E. M. Cioran zufolge lehnt de Maistre jede Neuerung ab, „weil er Bewegung als solche hasst“ (Über das reaktionäre Denken, Aus dem Französischen, Frankfurt am Main 1980, S. 39). Für ihn enträt der Rekurs auf angeblich bessere Zeiten, denen die Menschheit entgegenschreitet, jeglicher Legitimation. „Er will die Menschen an die Tradition schmieden, sie ablenken vom Bedürfnis, sich über die Welt und die Rechtmäßigkeit der Dogmen und der Institutionen Europas Fragen zu stellen“ (ebd., S. 39 f. Werde die „Unantastbarkeit des Geheimnisses“ (ebd., S. 40) in Frage gestellt, drohe die soziale und politische Anomie. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Ebd., S. 158. 72 Ebd. 73 Ebd.

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Aus diesem Grunde verwirft de Maistre auch den Gedanken, jegliche Fehlentwicklung im Keime abzuwürgen. Niemand könne sich zu der Behauptung versteigen, dass bei der Berücksichtigung aller Umstände diese nicht in einem affirmativen Licht erscheint74. Der skeptische und behutsame Politikanalytiker werde niemals zu dem Schluss kommen, sie sei „nicht notwendig“75. Um diese, auf den moralischen Relativismus rekurrierende Ethikauffassung legitimieren zu können, bezieht sich de Maistre auf die Theorie der Musik. Wie in ihr, so sei auch im Bereiche der Politik, „die Dissonanz unvermeidlich“76. Dabei sei diese „in der politischen wie in der musikalischen Welt ein Element der möglichen Vollkommenheit“77. Aus diesem Grunde habe es ein vernünftiger Politikanalytiker zu unterlassen, die staatlichen und sozialen Einrichtungen eines Landes „nach ihren . . . Mängeln“78 zu beurteilen. Sie seien letzten Endes als „eine unvermeidliche Dissonanz in der allgemeinen Tonleiter“79 aufzufassen. Dabei findet sich bei de Maistre auch der urkonservative Gedanke, dass derjenige, der sich für Revolutionen und Reformen ausspricht, den Nachweis zu führen hat, die neuen Institutionen seien besser als die alten. Wenn die Fortschrittsjünger den Praxistest der von ihnen kreierten neuen Ordnungen zu liefern versuchen, gehe dieser immer gegen ihre Innovationssucht aus. Aus diesem Grunde würde er „einer Nation nie raten, ihre alten Einrichtungen zu ändern, die allemal auf guten Gründen beruhen und fast nie durch etwas ebenso Gutes ersetzt werden“80 können. Der veränderungswütige Progressist kämpfe letzten Endes gegen die Windmühlenflügel der Beharrung. Aus diesem Grunde sei er nicht mehr als ein „wildes Kind“81, das bei genauerem Hinsehen „Mitleiden erregt“82. Letzten Endes könne „Gewalt . . . nur mit Gewalt vertrieben werden“83. Zu den Problemen, die sich bei der Analyse der de Maistreschen Geschichtsphilosophie ergeben, gehört auch die Frage, ob er die Absicht hegte, in die Zeit vor 1789 zurückzukehren. Dabei gehen die Antworten der Fachleute ziemlich weit auseinander. Denjenigen, die diese mit einem uneingeschränkten Ja beantworten, stehen diejenigen gegenüber, die sie glattweg verneinen. Was diejenigen anlangt, die de Maistre unterstellen, vorrevolutionäre Zustände anzustreben, gehört Crane Ebd., S. 156. Ebd., S. 157. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Ebd. 79 Ebd. Vgl. dazu Elio Gianturco: Joseph de Maistre and Giambattista Vico. (Italian Roots of de Maistre’s Political Culture, New York 1937, S. 21 ff). 80 Joseph de Maistre: Die spanische Inquisition. Aus dem Französischen, Wien und Leipzig 1992, S. 85. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Ebd. 74 75

2. Der radikale Antiprogressismus Joseph de Maistres

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Brinton. Ihm zufolge ging der Savoyarde davon aus, dass „die katholische Synthese des Mittelalters für alle Zeiten“84 Vorbildcharakter besitze. Carl Joachim Friedrich stimmt Brinton zu, wenn er behauptet, dass es de Maistre darum geht, „die alte Verfassung des mittelalterlichen Frankreich wiederzubeleben“85. Wie immer de Maistres vorrevolutionäre Ordnung konturiert gewesen sein mag, fest steht nach Max Huber, dass er der „Neuzeit den Rücken“86 kehrte, und sich auf „politische Formen ferner und fernster Zeiten“87 versteifte. So „verständnis- und pietätlos“88 die Aufklärer über die Vergangenheit geurteilt haben, so „verständnis- und ehrfurchtslos“89 stehe de Maistre der Gegenwart gegenüber. Gegen die in Rede stehende Argumentation wendet Isaiah Berlin ein, dass de Maistre keineswegs das Eldorado einer vorrevolutionär-ständischen Ordnung anstrebte. Er habe auf gar keinen Fall die Flucht aus der Moderne angetreten und im Korporatismus früherer Zeiten das politische Heil gesucht. Zwischen denjenigen, „who really did believe in the possibility of some kind of returns“90 und de Maistre gab es keinerlei Übereinstimmung. Im Kontrapunkt zu Wackenroder, Görres und G. K. Chesterton träumte der mit einem starken Realitätssinn ausgestattete Savoyer niemals von einem neuen Mittelalter. Wer das Gegenteil behaupte, sei einem „childish nonsense“91 aufgesessen. In diesem Zusammenhang gibt es auch Äußerungen von de Maistre, die diese Auffassung bestätigen. In einem Brief von 1791 schreibt er: „Longtemps nous n’avons point compris la révolution dont nous sommes les témoins; longtemps nous l’avons prise pour un événement. Nous étions dans l’erreur: c’est une époque“ 92. In einem ähnlichen Sinne schreibt er in einem anderen Brief: „Dans ma manière de penser, le projet de mettre le lac de Genève en bouteilles est beaucoup moins fou que celui de rétablir les choses précisément sur le même pied où elles étaient avant la révolution“93. Crane Brinton: Ideen und Menschen. Aus dem Amerikanischen. Stuttgart 1950, S. 397. Carl Joachim Friedrich: Tradition und Autorität. Aus dem Amerikanischen, München 1974, S. 32. 86 Max Huber: Die Staatsphilosophie von Joseph de Maistre im Lichte des Thomismus, Basel und Stuttgart 1958, S. 150. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Isaiah Berlin: The Hedgehog and the Fox. London 1999, S. 76. 91 Ebd. 92 Joseph de Maistre à Madame la Marquise de Costa, Œuvres complètes. Tome septième, Lyon 1884, S. 273. Das dem Ancien Régime kein neues Leben eingehaucht werden kann, war für den Liberalen Guillaume Guizot selbstverständlich. „L’ancien régime a régné, régné longtemps; il a péri, parce qu’il était vieux et usé“ (De la démocratie, Paris 1849, S. 175). Aus diesem Grunde stehen die Konter-Revolutionäre auf verlorenem Posten. Ihre Waffen reichen nicht aus, um den Gang der Geschichte umzukehren. „La contre-révolution entreprend plus qu’elle ne peut exécuter“ (ebd.). 84 85

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Dabei gibt de Maistre zu bedenken, dass sein historisches Urteil von intelligenten Zeitgenossen geteilt wird. „Je puis me tromper, mais c’est en bonne compagnie“94. So unausgemacht es in den Augen vieler Experten bleibt, ob de Maistre in die Zeit hinter 1789 zurück wollte, so ausgemacht ist es, dass er die RestaurationsMonarchie mit allen Fasern seines Herzens ablehnte. Für ihn war die Monarchie, die aus der Charte constitutionnelle von 1814 deszendierte, die Karikatur einer monarchischen Verfassung. Peter Stadtler ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Mit tiefer Abneigung verfolgte Joseph de Maistre von Sankt Petersburg aus . . . den Gang der Dinge in Frankreich“95. Er habe die Charte „als Fortsetzung der Revolution, die ursprünglich demokratisch, dann tyrannisch gewesen und jetzt monarchisch geworden sei“96 beurteilt. Auf diese Weise habe Ludwig XVIII. „nicht den Thron seiner Vorfahren, lediglich denjenigen Napoleons bestiegen“97. Die Restaurationsperiode brachte wohl die Restauration einer Dynastie“98, nicht aber die Wiederherstellung „der alten Zustände“99. Letzten Endes wird man davon ausgehen können, dass de Maistre seine historischen Denktendenzen ins Irreale treibt. So erweisen sich Peter Richard Rohden zufolge die Gerüste, an denen er seine geschichtsphilosophischen Girlanden aufhängt, als wenig tragfähig. „Der französische Traditionalist . . . focht von Anfang an für eine verlorene Sache . . . Deshalb haftet seiner Doktrin . . . ein Hauch von Donquichoterie an“100. Denker wie de Maistre „kämpften einen erbitterten Kampf gegen die Flügel der Windmühle ,Zeit‘ und verdammten damit ihr ganzes Denken zur Sterilität“101. 93 Joseph de Maistre: Brief an Baron Vignet des Étoles, 9. Dezember 1793, in: Œuvres complètes IX – X, Genève 1979, S. 58. 94 Ebd. 95 Peter Stadtler: Politik und Geschichtsschreibung in der französischen Restauration, in: Historische Zeitschrift 180 (1955), S. 270. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Peter Richard Rohden: Deutscher und französischer Konservatismus, (wie Anm. 53), S. 135. Dabei fehlt es keineswegs an wohlgemeinten Ratschlägen, wie sich ein rigider Traditionalist in der modernen Gesellschaft zu verhalten hat. Rudolf Rocker zufolge wird „der verbissenste Tory . . . sich unter normalen Verhältnissen nicht für die Wiedereinführung des fürstlichen Absolutismus einsetzen“ (Absolutistische Gedankengänge im Sozialismus, Darmstadt 1951, S. 18). Viel sinnvoller sei es „seine Bestrebungen dem allgemeinen Rechtszustande“ (ebd.) anzupassen. Dabei bleibe ihm nichts anderes übrig, als „die bürgerlichen Rechte und Freiheiten“ (ebd.) zu akzeptieren. Er wird sich mit ihnen „notgedrungen abfinden . . . , da sie einen wesentlichen Teil der bestehenden sozialen Ordnung bilden“ (ebd.). Das schließt keineswegs aus, dass er sie dann und wann „zu begrenzen“ (ebd.) versucht. 101 Ebd. Bei der Lektüre des Werkes de Maistres beschleicht einen der Verdacht, dass ihm das Schicksal des historischen Scheiterns widerfahren ist. Da er sich dezidiert weigert, sich mit den Ergebnissen der Revolution auszusöhnen, muss er sich damit begnügen, die Rolle

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So sehr der Begriff des Pessimismus zur aufschließenden Metapher im Werke de Maistres wird, so sehr treiben im Humus seines Denkens auch ausgesprochen optimistische Topoi. Während er dem verlockenden Wunsch, nicht mehr in die Vergangenheit zurückkehren zu können, absagt, atmet seine Gedankenwelt auch eine Grundhaltung, die der Zukunft in hoffnungsvoller Haltung entgegenblickt. Virtuos in seiner Treue gegenüber seinen geplatzten Träumen, lässt er es sich keineswegs nehmen, ein gutes Ende des historischen Verlaufs zu beschwören. „Alles verkündet, dass wir einer großen Einheit entgegen gehen, die wir, um mich eines geistlichen Ausdrucks zu bedienen, von weitem begrüßen müssen“102

3. Charles Maurras als reaktionärer Modernist Das tragische Schicksal, das dem durch und durch fortschrittsfeindlichen Konterrevolutionär Joseph de Maistre widerfuhr, evoziert auch die Frage, in welcher Weise der als sein Schüler angesehene Charles Maurras in seine geschichtsphilosophische Nähe gerückt werden kann. Dabei kann zunächst davon ausgegangen werden, dass beide politischen Denker in ihrer kompromisslosen Ablehnung der liberalen und demokratischen Ordnungsvorstellung weitgehend einig sind. Was dieser über das demokratische Prinzip formulierte, könnte auch von jenem stammen. „La démocratie, on l’a bien dit, n’est que un mensonge. Ce qui existe en France, depuis la funeste Déclaration des droits de l’homme, c’est un état d’esprit démocratique; véritable nid d’erreurs grossières“103. Auch Charles Maurras zufolge schwächt die Volksherrschaft jedes politische Gemeinwesen. „La démocratie c’est le mal. La démocratie, c’est la mort“104. Während kaum ein Experte der Geschichte politischer Ideen abstreitet, dass die beiden Denker demselben Hass gegenüber den politischen Prinzipien der Moderne eines unzeitgemäßen Kritikers zu spielen. Dabei wird der erklärte Freund der Geschichte zu ihrem intransigenten Feind. Schließlich wollte und konnte er nicht die Frage beantworten, mit welcher sozialen und politischen Kampfgruppe er die von ihm bedauerte historische Entwicklung umzukehren gedachte. Zu geschwächt ging beispielsweise der Adel aus den revolutionären Wirren hervor. Da er die Mehrheit der französischen Nation gegen sich hatte, mussten er und seine Gesinnungsfreunde sich mit der Rolle einer frondierenden Minderheit zufrieden geben. 102 Joseph de Maistre: Abendstunden zu St. Petersburg, Band I. Aus dem Französischen, Frankfurt am Main 1824, S. 151. E. M. Cioran zufolge ist de Maistre der Ansicht, dass die „Geschichte – über den Umweg des Bösen und der Sünde – zur Einheit der paradiesischen Zeit“ (Über das reaktionäre Denken (wie Anm. 66), S. 34 f.). Er erblickte in der „Zeitenabfolge das Prinzip der Bereicherung . . . und so etwas wie eine immerwährende, stets sich unterwegs befindende Vervollkommnungsfähigkeit“ (ebd S. 38). In einer ähnlich optimistischen Weise schreibt de Maistres Gesinnungsfreund Donoso Cortés, dass sich dereinst „die gesamte Schöpfung . . . in vollendeter Ordnung“ präsentieren werde (Der Staat Gottes, Aus dem Spanischen, Karlsruhe 1933, S. 401). 103 Charles Maurras: Enquête sur la monarchie. Paris 1909, S. 118. 104 Ebd., S. 119.

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verfallen sind, sind diese sich keineswegs darüber einig, dass ihre übrigen Denktopoi denselben Geist der Gemeinsamkeit atmen. Was diejenigen anlangt, die das gesamte Denken von Charles Maurras in die Nähe von de Maistre rücken, so geht Thomas Molnar davon aus, dass der Gründer der Action française einer Ordnungsvorstellung das Wort redete, die „alle Elemente einer Kritik“105 enthielt, „die mehr als ein Jahrhundert alt war“106. Was Maurras „theoretisch und doktrinär“107 hinzufügte, sei kaum der Rede wert. Auf dieser Denklinie argumentiert auch Peter Richard Rohden. Ihm zufolge „brauchte Charles Maurras . . . die Gedankengänge de Maistres . . . nur zu Ende zu führen“108 um zu seiner Doktrin zu gelangen. Dagegen hält Philippe Beneton dafür, dass Maurras die politische Theorie de Maistres in einem entscheidenden Maße modernisiert habe. „Mais si le maurrasisme s’insère dans la tradition conservatrice française, il la renouvelle d’un autre côté“109. Man würde in der Tat dem Œuvre von Maurras kaum gerecht, wenn man seine antiliberale und demokratienegierende Modernität außer acht ließe und ihn allzu vorschnell mit dem Denkgebäude des Traditionalisten de Maistre ohne Abstriche in Verbindung brächte. In seinem Werk gewinnen die modernen Leitmotive eine Dynamik, die bei de Maistre kaum aufzuspüren sind. Zu den ins Auge springenden Unterschieden zwischen den beiden Denkern gehört zunächst, dass sie das Christentum in höchst unterschiedlicher Weise bewerten. De Maistre und seine Freunde verwarfen die Prinzipien von 1789 aus einem Geist heraus, bei dem vor allem die katholische Religion Pate stand. „C’était au nom de l’ordre chrétien qu’elle rejetait les principes de 1789“110. Im Denkgebäude des französischen Traditionalisten de Maistre waren die göttliche und die weltliche Ordnung deckungsgleich; jene teilte dieser ihre Gesetze mit. „Ordre naturel et ordre voulu par Dieu s’harmonisaient“111. Dagegen enträt die politische Theorie von Charles Maurras jeglichen metaphysischen Bezuges. Er gibt sich einer innerweltlichen Interpretation des politischen Kosmos hin. In ihr herrscht der Geist des Positivismus. Ihr antichristlicher Impetus schießt in die wissenschaftliche Interpretation der Welt. „L’action française se définissait . . . comme positiviste“112. 105 Thomas Molnar: Kampf und Untergang der Intellektuellen. Aus dem Amerikanischen, München 1966, S. 235. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 Peter Richard Rohden: Deutscher und französischer Konservatismus (wie Anm. 53), S. 125. 109 Philippe Beneton: Le conservatisme, Paris 1988, S. 59 f. 110 René Rémond: „Nouvelle droite“ ou droite de toujours?, in: Le Monde, 20 juillet 1979. 111 Ebd. 112 Ebd. Der dezidierte Positivismus von Maurras führte im Dunstkreis der Action Française sogar zu einer Geschichtsauffassung, die dem Traditionalismus den Kampf ansagte und

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Auf diese Weise wird dem religiös eingefärbten Denken de Maistres jegliche Legitimationsbasis entzogen. Dabei war es Waldemar Gurian, der mit besonderem Nachdruck auf diesen Tatbestand aufmerksam gemacht hat. Ihm zufolge wurde „die Action française . . . durch ihren Mitbegründer Charles Maurras das Zentrum des gegenrevolutionären monarchistischen Positivismus“113. Dabei basierte diese Denkgruppe im Gegensatz zu de Maistre die Monarchie „nur auf natürliche Gesetze“114. Sie ist jeder metaphysischen Begründung an der Wurzel fremd. Der an Comte geschulte Maurras unterscheidet sich in diesem Punkte grundlegend von den Legitimisten. „Il en résulte que le royalisme de Maurras . . . est très différent dans son esprit du royalisme des légitimistes“115. Maurras sei im Gegensatz zu de Maistre einem Denken verpflichtet, das er als „purement positive et rationnelle“ 116 bezeichnet. Mit seinem uneingeschränkten Positivismus hat Maurras endgültig der traditionalistischen Denkstruktur von Joseph de Maistre den Fehdehandschuh hingeworfen. René Rémond zufolge war „Maurras plus proche . . . de l’empirisme de Taine que de l’inspiration de l’auteur du Pape“117. Die Denkweise von Charles Maurras ist auch deswegen auf einen modernen, d. h. antitraditionalistischen Ton gestimmt, weil er sich als Anwalt der biologischen Wissenschaft geriert. In diesem Sinne schreibt Jean Touchard: „Ce qui distingue Maurras de Maistre et des théocrates, c’est le recours à la biologie“118. Dabei preist er die Ergebnisse dieser Wissenschaft vor allem, weil sie mit dem sozialen Märchen von der Gleichheit der Menschen aufgeräumt habe. „Une société peut tendre à l’égalité, mais en biologie, l’égalité n’est qu’au cimetière“ 119. Auf der Suche nach den Unterschieden zwischen de Maistre und Charles Maurras muss auch die Tatsache in den Blick gerückt werden, dass die beiden Denker auf höchst unterschiedliche soziale Schichten rekurrierten. Ihre Protagonisten emanierten keineswegs aus dem gleichen gesellschaftlichen Milieu. Während de Maistre den Adel hinter sich scharte, kamen die Anhänger von Maurras weitgehend aus dem Bürgertum. Während nach Peter Richard Rohden der „Hörerkreis ein durchaus progressistisches Vorzeichen aufwies. In diesem Sinne behauptet Lt. Colonel La Rocque, dass die „sturen Traditionalisten“ (Staatsdienst am Volk, aus dem Französischen, Berlin 1936, S. 151), an der Vergangenheit festhalten. Diese Haltung stelle augenfällig unter Beweis, in wie starkem Maße „dem Fortschritt in Richtung auf die Zukunft (ebd.) der Weg geebnet werden müsse. Dabei sei die Pflege der Überlieferung“ (ebd.) völlig fehl am Platze. Letzten Endes sei die Tradition als eine breite Straße zu erkennen, „auf der man nicht halt machen kann, ohne in einen todähnlichen Schlaf zu verfallenen“ (ebd.). 113 Waldemar Gurian: Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789 / 1914, Mönchengladbach 1929, S. 304. 114 Ebd. 115 Philippe Beneton: Conservatisme, (wie Anm. 107), S. 60. 116 Ebd. 117 René Rémond: Les droites en France, Paris 1982, S. 178. 118 Jean Touchard: Histoire des idées politiques, Tome II, Paris 1970, S. 696. 119 Charles Maurras: Mes idées politiques, Paris 1957, S. 97.

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de Maistres“120 aus der Aristokratie stammte, wurde der Konservatismus bei „Charles Maurras und der Action française . . . zu einer literarischen Angelegenheit“121, die von Autoren bürgerlicher Abstammung bestimmt wurde. Die höchst unterschiedliche soziale Komposition der Anhänger von de Maistre und Maurras erklärt auch, warum diese im Gegensatz zu jenen dem Geist des Bonapartismus Reverenz erwies. So behauptet Michael Freund, dass „der bonapartistische Geist . . . die Action Française im Innersten bewegt“122. Dieser aber ist in dem Maße auf einen modern-demokratischen Ton gestimmt, als er zu seiner Herrschaftsausübung der permanenten Unterstützung der Massen bedarf. Nach Freund ist die „Action française . . . selbst von dem demokratischen Geist erfasst, den sie zu bekämpfen vorgibt“123. Dass es der Kampforganisation von Maurras keineswegs an Massenunterstützung fehlte, darauf verweist R. E. Balfour. „The Action française enjoyed great popularity, even among these who were not Royalists, owing to its loudly professed defence of French interests and honour“124. Darüber hinaus macht Zeev Sternhell darauf aufmerksam, dass die in Rede stehende Organisation auch einen linken Flügel aufwies. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „Maurrassisme de gauche“125. Joseph de Maistre und seine Freunde unterschieden sich auch von Maurras und seiner Action française in den Kampfmethoden, die sie zur Anwendung brachten. Im Gegensatz zu den Legitimisten waren den Parteigängern von Maurras die tätlichen Auseinandersetzungen keineswegs an der Wurzel fremd. Während Samuel Huntington zufolge de Maistre ein Loblied auf „order and stability“126 gesungen habe, seien Maurras und seine Freunde als Anwälte der „violence and the coup de Force“127 hervorgetreten. In diesem Zusammenhang weist Hermann Platz darauf hin, dass vor allem die sogenannten „Camelots du Roi“ darauf aus gewesen seien, 120 Peter Richard Rohden: Deutscher und französischer Konservatismus (wie Anm. 53), S. 129. 121 Ebd. Peter Richard Rohden zufolge ist „trotz der Vorliebe, der sich die Action Française noch heute in adligen und kirchlichen Kreisen erfreut . . . die Grundlage dieses modernisierten Traditionalismus ausgesprochen bürgerlich“ (Joseph de Maistre als politischer Theoretiker, München 1919, S. 2). 122 Michael Freund: Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Frankfurt am Main 1932, S. 229. 123 Ebd. 124 R. A. Balfour: The Action française movement, in: The Cambridge Historical Journal 3 (1930), S. 199. 125 Zeev Sternhell: La droite révolutionnaire. Paris 1978, S. 364. 126 Samuel P. Huntington: Conservatism as an Ideology, in: The American Political Science Review 51(1957), S. 446. 127 Ebd. Vgl. dazu Charles Maurras: „Ce que nous sommes, c’est une conspiration. Nous conspirons à déterminer un état d’esprit. Cet état d’esprit, nous le destinons essentiellement à suggérer, à susciter, à seconder UN COUP, un coup de force, – ce coup de force dirigé contre le régime qui tue la France“ (Appendices de „Si le coup de force est possible“, in: Enquête sur la monarchie, Paris o. J., S. 596).

4. Die Konservative Revolution im Spannungsfeld von Traditionalismus und Umsturz 39

„die Straßen zu erobern, missliebige Erscheinungen unmöglich zu machen und der Republik Ungelegenheiten zu bereiten“128. Letzten Endes ahmten die Anhänger von Charles Maurras die Kampfformen linker politischer Gruppen nach und stellten sie in den Dienst antidemokratischer und illiberaler Ziele. Diese Inanspruchnahme demokratischer, also moderner politischer Mittel der politischen Auseinandersetzungen, wäre bei Joseph de Maistre auf rigide Ablehnung gestoßen. Sich auf diese Weise in die Nähe der kampfbereiten Linken zu begeben, haben Maurras und seinen Kampfgefährten den Vorwurf eines illegitimen Modernismus eingetragen. Während sich de Maistre für ein totales Modernisierungsverbot aller Lebensbereiche ausspricht und Condorcet die gesamte Umwelt des Menschen dem Geiste des Progressismus anheim geben will, nimmt Maurras eine die beiden Extrempositionen versöhnende Haltung ein. Mit de Maistre und seinen legitimistischen Freunden plädiert er für die kompromisslose Ablehnung des Liberalismus und der modernen Demokratie. Die Entscheidungsfindung des politischen Prozesses darf nach ihm unter keinen Umständen dem parlamentarischen Prinzip überantwortet werden. Darüber hinaus ist er mit der Enttraditionalisierung anderer Wirkbereiche des Menschen durchaus einverstanden. Gegen eine derartige Partialmodernisierung hat er nichts einzuwenden. Dieser Tatbestand verbietet es, ihn zu den radikalen Gegnern der Moderne zu rechnen.

4. Die Konservative Revolution im Spannungsfeld von Traditionalismus und Umsturz Mit vollem Akkord präsentierte sich in der Zeit der Weimarer Republik eine politische Ordnungsvorstellung, die zwei, sich normalerweise gänzlich ausschließende Topoi zu verbinden versuchte, den des Konservatismus und den der Revolution. Die sogenannte Konservative Revolution129 lehnte vor allem jeden Reformgedanken rigoros ab, weil ihrer Ansicht nach nur ein radikaler Umsturz eine Ordnung zu schaffen vermag, die konservativen Geist atmet130. Der ange128 Hermann Platz: Geistige Kämpfe im modernen Frankreich, München 1922, S. 98 f. Dagegen hat nach Christopher Olaf Blum de Maistre „violent movements“ ostentativ abgelehnt (Critics of the Enlightenment, Wilmington Del. 2000, S. XXXIV). 129 Der Begriff „Konservative Revolution“ findet sich bereits bei Hugo von Hofmannsthal. Er schreibt: „Der Prozess, von dem ich rede, ist nichts anderes als eine Konservative Revolution, von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt“ (Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, München 1927, S. 31). Nach Ernst Troeltsch handelt es sich beim Marxismus um einen „eigentümlich konservativen Revolutionär“ (Konservativ und liberal, in: Die christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände 30 (1916), S. 648). In Frankreich sprach Charles Maurras von einer „révolution conservatrice“ (Enquête sur la monarchie, Paris 1909, S. 509). Für den Engländer F. J. C. Hearnshaw war schon die Whig Revolution von 1688 eine „conservative revolution“ (Conservatism in England“ (1933), New York 1967, S. 119).

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strebte revolutionäre Akt verfolgte das Ziel, zu sozialen und politischen Zuständen zurückzukehren, die der historische Progressismus als überwunden betrachtete131. Der Respekt, der der vorrevolutionären Zeit gezeugt wird, gründet in einem außerordentlich kritischen Abstand, den die Protagonisten der Konservativen Revolution gegenüber den sozialen und politischen Strukturen der Moderne einnehmen. Wer in ihnen die historische Vernunft am Werke sieht, übersieht die grundlegenden Defizienzen, die sie bei auch nur oberflächlicher Betrachtung abzeichnen. So wendet sich Edgar Julius Jung scharf gegen den drohenden „Zerfall der ewigen Werte“132, dessen Ursache „die zersetzende Wirkung der liberalen Ideen- und Formenwelt“133 ist. Weil die heutigen liberalen Gemeinwesen, die auf dem Egoismus basieren, kaum imstande sind, den Weg in eine bessere Zukunft zu weisen, bedarf es einer gewaltorientierten, revolutionären Tat. „Da diese versandende und ablaufende liberal-individualistische Epoche in sich selber keine Erneuerungskraft birgt, so muss sie revolutionär abgelöst werden durch ein Zeitalter der Erhaltung“134. Jung zufolge entstammt „die blöde Vorstellung, dass konservativ sei, wer sich an den augenblicklichen Besitzstand klammere und das Rad der Zeit gewaltsam aufhalten wolle . . . einer Epoche, in der es keinen echten Konservatismus mehr gab und niemand ein richtiges Bild von ihm hatte“135. Eine Wiederbesinnung auf die ewigen Wahrheiten des Konservatismus sei gleichbedeutend mit einer „Rückkehr zur Lebendigkeit“136. 130 Klaus Epstein zufolge konnten die „revolutionären Konservativen“ (Die Ursprünge des Konservatismus im Deutschland, Aus dem Amerikanischen, Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1973, S. 24) ihre Rolle „nur in einer Gesellschaft spielen, in der es Konservativen nicht mehr möglich war, von einer Position etablierter, wirtschaftlicher, politischer und kirchlicher Macht aus defensiv zu agieren“ (ebd., S. 24 f.). 131 Die Gegenwarts- und Zukunftsdefinitionen der Konservativen Revolution wurden vom Golo Mann ausgesprochen skeptisch beurteilt. Einerseits hätten sie die „hypermoderne Ansicht“ (Deutsche Geschichte des 19. und. 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1972, S. 692) vertreten, „einen dicken Strich gegen alle Vergangenheit“ (ebd.) zu ziehen, indem sie sich „dem Gemütlosen, Stählernen, Gläsernen“ (ebd., S. 692 f.) zuwandten. Andererseits aber „waren unsere konservativen Revolutionäre doch auch Romantiker und schwärmerische Liebhaber von Vergangenem“ (ebd., S. 693). Was Wunder, wenn sie „der modernen Welt, ihrem Geschäftsgeist, ihrer Atomisierung, ihren vulgären Vergnügungen“ (ebd.) den Fehdehandschuh hinwarfen. Zur Ablehnung der Moderne hätten auch „ihr hoher Sinn für Brüderlichkeit“ (ebd.) geführt. 132 Edgar Julius Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution, Oldenburg i. O. 1933, S. 20. Vgl. dazu Karlheinz Weißmann: Edgar J. Jung, in: Criticón 104, November / Dezember 1987; Das Faszinosum der „konservativen Revolution“, in: Civis Juni 1983, S. 16 ff. 133 Ebd. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd. Jungs Gesinnungsfreund Moeller van den Bruck schreibt in einem ähnlichen Sinne: „Wir wollen diese revolutionären Ideen mit den konservativen verbinden, die sich immer wieder herstellen, und wollen sie konservativ-revolutionär dahin treiben, wo wir Zustände

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Dabei bündelt Jung den revolutionären Umsturzakt der Konservativen137 im Brennpunkt seiner rigiden Kritik an der Umwälzung von 1789. Er möchte der Schwerkraft der von ihr geschaffenen revolutionär-demokratischen Verhältnisse durch eine neue Werteordnung entfliehen. „An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle des bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung“138. Die Werteordnung der französischen Revolution wird abgelöst durch die „Wiederinachtsetzung all jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welcher der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann“139. Obgleich Jung sich als Gegner des Liberalismus zu erkennen gibt, weigert er sich, diese Ordnungsvorstellung in Bausch und Bogen zu verdammen. „Unsere Zeit sieht das Sterben des modernen Individualismus. Sie kehrt aber nicht mehr zu den überindividualistischen Formen des Mittelalters zurück, sondern trägt gewissermaßen die Errungenschaften des Individualismus hinüber in die neue Zukunft“140. Dabei lässt Jung keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er keineswegs einem unbegrenzten Liberalismus das Wort redet. Das individualistische Prinzip werde in der nachrevolutionären Ordnung in die „Grundfesten eines neuen Gemeinschaftsbaus“141 eingefügt. Während Jung das individualistische Handlungsprinzip keineswegs in toto verwirft, legt Moeller van den Bruck ihm gegenüber nur ostentative Verachtung an den Tag. Für diesen Mitstreiter Jungs ist es ein zu äußerster Evidenz gebrachtes Symbol für eine zum Sterben verurteilte Politikgestaltung. Jeder Konservatismus, der leichtfertig übersehe, dass dieser „keinen Kompromiss“142 verträgt, gehe dem Liberalismus auf den Leim. In diesem Zusammenhang legt Moeller van den Bruck erreichen, bei denen wir wieder leben können“ (Das Dritte Reich, hrsg. von Hans Schwarz, Dritte Auflage, Hamburg 1934, S. 33). 137 Edgar Julius Jung wurde am 30. 6. 1934 von den Nationalsozialisten in der Nähe von Oranienburg erschossen. Vgl. dazu Leopold Ziegler: Edgar Julius Jung, Salzburg 1935, S. 61. 138 Edgar Julius Jung: Deutschland und die konservative Revolution, in: Deutsche über Deutschland, München 1932, S. 380. 139 Ebd. 140 Edgar Julius Jung: Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung, Berlin 1927, S. 123. 141 Ebd. 142 Arthur Moeller van den Bruck: Das dritte Reich (wie Anm. 136), S. 95. Dass jeglicher liberale Konservatismus in die Irre führt, dafür sei das Œuvre von Friedrich Julius Stahl ein beredtes Beispiel. Aus diesem Grunde könne dieser auf gar keinen Fall als „Begründer . . . des Konservatismus in Deutschland“ (ebd.) gelten, er sei vielmehr als dessen „Zerstörer“ (ebd.) anzusehen. Bei Lichte besehen gehöre er viel mehr „dem Liberalismus an, gegen den er kämpfte, als dem Konservatismus, für den er kämpfte“ (ebd). Dabei habe sich dieser „rabulistisch-zelotische Geist“ (ebd.) mit Haut und Haaren dem „englischen Konstitutionalismus“ (ebd.) verschrieben.

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auch größten Wert auf seine Behauptung, dass sein Revolutionsbegriff kein westliches, d. h. kein liberales Vorzeichen aufweist. Für ihn sind die westlichen Verfassungsvorstellungen dem deutschen Volke an der Wurzel fremd. Wenn dieses sich ihrem exzessiven Liberalismus verweigert, bringe es eine Einstellung zum Ausdruck, die einem anderen Politikverständnis das Wort redet. Es habe endgültig begriffen, dass „die Zeit . . . seit 1689 und 1789 um Jahrhunderte vorgerückt“143 ist. Hätten die Revolutionäre von 1918 eine andere Umsturzauffassung vertreten, wären sie erfolgreich gewesen. Ihm zufolge haben sie „den Krieg von 1914 verloren, weil ihre Revolution keine deutsche Revolution war“144. In ihrer ideologischen Verblendung übersahen sie, „dass die Revolution eines Volkes nur eine nationale Revolution sein kann“145. Moeller van den Brucks Revolutionsauffassung unterscheidet sich auch von derjenigen Jungs, wenn das Problem des konservativen Traditionsverständnisses in den Blick genommen wird. Im Vergleich der beiden Anwälte der Konservativen Revolution fällt auf, dass der Verfasser der Abhandlung „Das Dritte Reich“ im ungleich stärkeren Maße die sogenannten „Reaktionäre“ kritisiert, als dies bei Jung der Fall ist. Die kaum verhohlene Feier traditionalistischer Wünsche, die man bei seinem Gesinnungsfreund Jung konstatieren kann, findet bei Moeller van den Bruck nicht statt. Jeder nostalgische Blick zurück ist völlig fehl am Platze. Aus diesem Grunde verwirft er kategorisch den Gedanken, ein vergangenes Zeitalter zum Vorbild für das kommende zu nehmen. Nach ihm versucht der Reaktionär, der „blind, stur und vergessen auf den alten Bindungen besteht“146, der sich nicht mit den „veränderten Formen abfindet“147, Verhältnisse wiederherzustellen, die schon längst im historischen Orkus der Illegitimität gelandet sind. Im Kontrapunkt zum Reaktionär, der „das Leben, das wir vor 1914 führten, noch immer für schön und groß, ja überaus großartig hält“148, ist Moeller dezidiert der Ansicht, dass sich dieses bei Lichte betrachtet als „abscheulich“149 herausstellt. Schließlich sei Wilhelm II. „kein konservativer, sondern ein liberaler Monarch“150 gewesen. Moeller van den Bruck und Edgar Julius Jung unterscheiden sich auch in der Beurteilung der deutschen Revolution von 1918 voneinander. Im Gegensatz zu diesem bringt jener für diesen politischen Aufstand ein erstaunliches Maß an Verständnis auf. Bei ihm wächst ihr eine Legitimität zu, die im konservativen Ideenkreis eher wie eine ideologische Verirrung anmutet. Er lässt sich sogar zu der Be143 144 145 146 147 148 149 150

Ebd., S. 32. Ebd. Ebd. Ebd., S. 166. Ebd. Ebd., S. 169. Ebd. Ebd., S. 201.

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hauptung hinreißen, dass wir unsere eigene Revolution151 haben mussten. Seiner Auffassung zufolge seien sowohl der erste Weltkrieg als auch die darauffolgende Revolution notwendig gewesen, um die „Probleme unserer Geschichte zu einer politischen Lösung“152 zu bringen. Moeller van den Brucks Verständnis und Wohlwollen für die Aktivität der in Rede stehenden Umstürzler umfasst jedoch nicht ihre ideologische Einstellung. Sie vertraten in völlig illegitimer Weise eine durch und durch antideutsche, an westlichen Idealen ausgerichtete Ordnungsvorstellung. „Die deutschen Revolutionäre machten . . . aus der deutschen Revolution eine westliche, eine parlamentarische, eine nach englisch-französischen Vorbildern verfassungspolitische Revolution“153. Mit seinem Gesinnungsfreund Jung hält Moeller van den Bruck dafür, dass den Ariadnefaden durch das Labyrinth des aus der konservativen Revolution hervorgegangenen Staates nur die antiwestliche, die deutsche Politikkonzeption zu liefern imstande ist. An die Stelle des westlichen Denkens wird eine politische Position gesetzt, die deutschen Geist atmet. Dabei wälzt die Begeisterung für ihren konservativen Zukunftsstaat alle Einwände nieder, die seinen Kritikern in den Sinn kommen. Beide entwerfen sie das Szenarium einer Sezession aus dem Reich des Realen, überschreiten mit ihrer Revolutionskonzeption eindeutig den Punkt, am dem man sie getrost des politischen Abenteurertums bezichtigen kann. So bleiben beide die Antwort auf die Frage nach dem revolutionären Subjekt schuldig. Sie weigern sich beharrlich, anzugeben, welche soziale Schicht die Revolution in die Wege leiten soll. Sind es die klassenbewussten Arbeiter, die poujadistischen Bauern oder die aufmüpfigen Soldaten, auf die sie sich zu stützen gedenken? Wenn Moeller der Auffassung ist, dass allein die „ganze Nation“154 als Revolutionssubjekt im Frage kommt, dann weicht er der Frage nach dem konkreten aufständischen Akteur aus. Wie die englische Revolution von 1688, die französische von 1789 und die russische von 1917 beweisen, kennt jedes Revolutionsgeschehen Klassen und Schichten, die prorevolutionär und antirevolutionär eingestellt sind. Die Analyse des Problemkomplexes der Konservativen Revolution führt notwendigerweise auch zu der Frage, ob ein System, das aus einer Revolution hervorEbd. Ebd., S. 35. 153 Ebd., S. 32. Vgl. dazu auch: „Wir bildeten nicht den Ständestaat aus, sondern machten den Parlamentsstaat nach, der eine Idee des Westens war. Das Vorbild war England“ (ebd. S. 113). 154 Moeller van den Bruck: Der Wanderer ins Nichts, in: Schlageter. Eine Auseinandersetzung, Berlin 1923, S. 11. Dabei merkt Moeller van den Bruck an, dass „das Proletariat als die ziffernmäßige Mehrheit einer modernen Nation selbstverständlich“ (ebd.) zum Volksganzen gehört. Moeller hat den Kommunisten sogar das Angebot gemacht, ihnen konservativ-nationales Führungspersonal zur Verfügung zu stellen. Dem Proletariat sei es kaum möglich, geeignete Persönlichkeiten zu finden, die Führungsqualitäten besitzen. Vgl. dazu Edward Hallett Carr: The Interregnum 1923 – 1924, London 1954, S. 181. 151 152

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gegangen ist, in dem Maße die Bezeichnung konservativ für sich beanspruchen kann, in dem ihm Legitimität zuwächst und auf diese Weise eine ihm eigene Tradition begründet. So behauptet Robert A. Kann, dass sich vor allem im der Sowjetunion „eine Traditionspflege linker Art“155 entwickelt hat. Letzten Endes müsse sich der „Konservatismus, der unaufhaltsamen schrittweisen Veränderung“156 des kommunistischen Systems „mit der Revolution als abgeschlossenem Vorgang abfinden“157. Aus diesem Grunde habe der Analytiker des Konservatismus mit einer politisch links ausgerichteten Traditionsform zu rechnen158. Es verrate eine eindimensionale und dogmatische Denkweise, wenn man die Traditionspflege nur in rechten Systemen aufspüre159. Dieser Auffassung wurde allerdings auch heftig widersprochen. Sie habe keinerlei Chance, sich vor dem Richterstuhl der Vernunft zu bewähren. So weigert sich Clinton Rossiter, in „Stalin . . . an authentic conservative“160 zu erblicken. Eine derartige Sichtweise abstrahiere im leichtfertiger Weise von denjenigen Bestimmungsmerkmalen der UdSSR, die auf gar keine Weise unter dem Rubrum Konservatismus subsumiert werden können. Sie komme einer gefährlichen Rehabilitierung der negativen Merkmale des Sowjetkommunismus gleich. „This, however, is to ignore both the history and logic of this phenomenon, which comes fully to life . . . in the civilized political and cultural struggles of the open, ordered, constitutional society“161. In einer ähnlichen Weise wendet auch Ludwig Freund ein, dass die angeblich so konservative Sowjetunion in keiner Weise ihre weltrevolutionären Ziele aufgegeben hat. Wen der äußerst fragliche Versuch anfechten sollte, von der sowjetischen Tradition auf ihre Normalität zu schließen, dem sei ein Blick auf die in der ganzen Welt aufzuspürenden revolutionären Aktivitäten dieses kommunistischen Regimes zu werfen. „Not only does the question arise as to whether the member of a movement which still is bent on world revolution and which plans to subvert most, if not all, of the established orders and values can be termed ,conservative‘ without the most violent stretch of the imagination“162. Andrew Vincent zufolge gibt es Traditionen, die der Konservative nur mit einem außerordentlichen Aufwand am Selbstverleugnung akzeptieren kann. Er habe des155 Robert A. Kann: Konservatismus, Reaktion und Restauration, in: Konservatismus in Europa, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Freiburg 1972, S. 61. 156 Ebd., S. 62. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd. 160 Clinton Rossiter: Conservatism in America, Second Edition, New York 1962, S. 15. 161 Clinton Rossiter: Conservatism, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, hrsg. von David L. Sills, Vol. III, New York and London 1968, S. 291. 162 Ludwig Freund: The new American Conservatism and European Conservatism, in: Ethics IXVI (1955), S. 10.

5. Die gemäßigte Fortschrittskonzeption Edmund Burkes

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halb das gute Recht, die Frage zu stellen, ob „the long-standing character of a practice“163 diese ohne Einsschränkung legitimieren? Keinem Konservativen könne zugemutet werden, eine sogenannte „revolutionary tradition“164 zu akzeptieren .Schließlich existierten auch Traditionen, zu deren entscheidenden Bestimmungsmerkmalen „cannibalism, slavery or infanticide“ 165 gehören.

5. Die gemäßigte Fortschrittskonzeption Edmund Burkes Gegen diejenigen Konservativen, die sich wie Joseph de Maistre und seine Schule gegen jeden sozialen und politischen Fortschritt wenden, positionieren sich Parteigänger eines Ideenkreises, dem weder revolutionäre noch reaktionäre Züge ins Gesicht geschrieben sind. Sie verwahren sich sowohl gegen den Fortschrittsoptimismus als auch gegen die panegyrischen Anwälte vergangener Zeiten. In dieser Denkgruppe wird einerseits wie bei Samuel Taylor Coleridge darauf hingewiesen, in wie starkem Maße der historische Prozess mit der „worthlessness that has been swept away“166 aufgeräumt hat. In gleichem Atemzug folgt der Hinweis, dass der „belief in the perpetual progress of the species toward a point of unattainable perfection“167 zu den utopischen Wunschträumen der Menschheit gehört. In unserer Zeit hat Alfred North Whitehead dieser in Rede stehenden Geschichtsinterpretation aus dem Herzen gesprochen, als er schrieb: „There are two principles inherent in the very nature of things . . . the spirit of change, and the spirit of conservation. There can be nothing real without both. Mere change without conservation is a passage from nothing to nothing. Its final integration yields mere transient nonentity. Mere conservation without change cannot conserve“168. In einer ähnlichen Weise geht Quintin Hogg davon aus, dass die progressistische und traditionsorientierte Sichtweise einander bedingen. „The conservative regards process and continuity as two complementary conceptions“169. Dabei sei die historische Kontinuität „a condition of progress“170. Diese historische Denkfamilie in ihrer Signatur und Dimension in einem klassischen Sinne ansichtig gemacht zu haben, diese Ehre gebührt fraglos Edmund Burke. Er liefert bis heute die Schlüsselworte für die richtige Distanz zwischen 163 Andrew Vincent: Conservatives and the Problem of Ideology, in: Political Studies XLII (1994), S. 224. 164 Ebd. 165 Ebd. 166 Samuel Taylor Coleridge: The Friend (1809), in: S. T. Coleridge: A Selection of his Poems and Prose, ed. by Kathleen Raine, Harmondsworth, Middlesex 1957, S. 146. 167 Ebd., S. 147. Vgl. dazu Jörn Garber: Drei Theoriemodelle frühkonservativer Revolutionsabwehr, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte (Tel Aviv) 8 (1979), S. 90 f. 168 Alfred North Whitehead: Science and the Modern World, New York 1959, S. 179. 169 Quintin Hogg: The Case for Conservatism, West Drayton Middlesex 1947, S. 86. 170 Ebd., S. 87.

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reaktionärer Vergangenheitsverehrung und blindem Fortschrittsglauben. Sein Votum für den gradualistischen Fortschrittsgedanken, seine antirevolutionär-reformistische Einstellung, sind weit davon entfernt, die überkommene soziale und politische Struktur über Bord zu werfen. Ihre Anpassung an moderne Veränderungswünsche geht durchaus mit der Forderung einher, der alten Ordnung Reverenz zu erweisen. „Reform is, not a change in the substance, or in the primary modification of the subject, but a direct application of a remedy to the grievance complained of“171. Auch wenn Edmund Burke die Auffassung vertritt, „that a state without the means of some change is without the means of its conservation“172, so fordert er dennoch, dass die Reform „in the style of the building“173 vonstatten geht. Verursachte es keine besondere Anstrengung, Burkes Haltung zur Reform zu bestimmen, so ist es weitaus schwieriger, seine Beurteilung der Revolution auf den Begriff zu bringen. Dabei ist sein politisches Denken weit davon entfernt, jede Revolution zu verdammen. So erweist er gegenüber der englischen Revolution von 1688 seine Reverenz und lehnt die französische von 1789 rigoros ab. Die sogenannte Glorious Revolution habe im Gegensatz zur französischen keineswegs mit der Verfassungstradition des Inselstaates gebrochen. In diesem Zusammenhang bezeichnet er die „Declaration of Rights“ als ein „most wise, sober, and considerate“174 Dokument. Nirgends würden in ihr die überkommenen englischen Institutionen in den illegitimen Orkus geworfen175. In diesem Zusammenhang verweist Anthony Quinton darauf, dass man Burke kaum den Vorwurf machen kann, ein Reaktionär gewesen zu sein. „Burke did not want the Stuarts back, nor Hooker some direct continuator of the work of Mary Tudor“176. Burkes affirmativer Rekurs auf die englische Revolution von 1688 beweist augenfällig, dass er nicht zu denjenigen Konservativen gehört, die ihr politisches Heil im mittelalterlichen Ständestaat suchen. Richmond Lennox zufolge hielt Burke „den Blick auf die Gegenwart gerichtet“177. Auch wenn er zur Lösung der 171 Edmund Burke: A Letter to a Noble Lord., in: Works. New Edition. Vol. VII, London 1801, S. 390. Zu den schärfsten Kritikern Burkes gehörte Thomas Paine. Er schrieb über ihn: „In der Überschwänglichkeit seiner Einbildungskraft hat er eine Welt von Windmühlen entdeckt, und sein Kummer ist. dass es keine Don Quixotes gibt, sie anzugreifen“. (Die Rechte des Menschen. Aus dem Englischen, hrsg. von Wolfgang Mönke, Berlin 1962, S. 139). Für Karl Marx steht Burke im „Sold der englischen Oligarchie den Romantiker gegenüber der französischen Revolution“ (Das Kapital. Band I, Berlin 1957, S. 880, Fußnote 248). 172 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, in: Works. New Edition, Vol. V, London 1801, S. 109. 173 Ebd., S. 486. 174 Ebd., S. 100. 175 Ebd. 176 Anthony Quinton: The Politics of Imperfection, London and Boston 1978, S. 19. 177 Richmond Lennox: Edmund Burke und sein politisches Arbeitsfeld in den Jahren 1760 bis 1790, München und Berlin 1923, S. 4.

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Gegenwartsprobleme „als einer der Ersten seiner Zeit Hilfe und Vorbild auch bei der Vergangenheit“178 suchte, so heißt das noch lange nicht, dass er den Strukturen überwundener Epochen nachtrauert. Ein untrüglicher Beweis seiner vergleichsweise modernen Haltung ist auch seine Bejahung des Parteiwesens. So schreibt Annie Marion Osborn: „It seemed to Burke that the great principles of government which had inspired British politics from the time of the ,glorious‘ revolution of 1688 onwards found their most natural means of expression in the party system“179. Dabei lastete Burke der Französischen Revolution vor allem an, den organisatorischen Pluralismus der Politik mit Stumpf und Stil ausgerottet zu haben180. Burke, der rückhaltlos das moderne Parteiwesen akzeptiert und dem mittelalterlichen Feudalismus eine pointierte Absage erteilt, wurde von einigen kontinentalen Konservativen in den Dienst ihrer korporatistischen Ordnungsvorstellungen gestellt. So weist Hans Barth darauf hin, dass Burkes Werk „von romantischen Geistern wie . . . Adam Müller oder Friedrich Schlegel181 als eine „Rechtfertigung der bestehenden Verhältnisse“182 aufgefasst wurde. Vor allem in Deutschland183 habe sich der „Burkesche Konservatismus . . . bei den romantischen Staatsphilosophen in den Willen zur Bewahrung und Wiederherstellung der ständisch-feudalen Ordnung des Mittelalters und in der Verherrlichung der Idee eines universalen christlichen Reiches mit ausgeprägt theokratischer Organisation verwandelt“184. Auf diese Weise wurden Burkes „staatsphilosophische Grundsätze und Einsichten . . . für die ideelle Rechtfertigung einer Staats- und Gesellschaftsverfassung“185 missbraucht, die hoffnungslos der Vergangenheit angehört186. Hans Barth verweist auch darauf, dass die rückwärtsgewandten Romantiker Deutschlands neben Edmund Burke auch Joseph de Maistre als einen ihrer ideologischen Fixsterne ansahen. Dabei wird ihre „Begeisterung für Burke ergänzt und ersetzt . . . durch die Verehrung für die katholische Staatsphilosophie“187. Auf diese Weise distanzieren sie sich von Burke, denn ihm sind alle theokratischen Visionen an der Wurzel fremd188.

178 179

Ebd. Annie Marion Osborn: Rousseau and Burke, London, New York and Toronto 1940,

S. 51. 180 181 182 183 184 185 186 187 188

Edmund Burke: A Letter to a Noble Lord (wie Anm. 171), S. 390). Hans Barth: Die Idee der Ordnung, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1958, S. 52. Ebd. Vgl. dazu Frieda Braune: Edmund Burke in Deutschland. Heidelberg 1917. Hans Barth: Die Idee der Ordnung (wie Anm. 181), S. 52 f. Ebd., S. 53. Ebd. Ebd. Ebd.

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

6. Der Einfluss Edmund Burkes auf das geschichtsphilosophische Denken des deutschen Konservatismus Wenn man bedeutende Autoren des deutschen Konservatismus des 19. Jahrhundert Revue passieren lässt, so fällt einem auf, in wie starkem Maße sich ihr Geschichtsdenken den Prämissen Edmund Burkes verdankt. Von einigen Ausnahmen abgesehen sind sie alle darauf aus, die Prinzipien der Beharrung und des Fortschritts zur Versöhnung zu bringen, die Extrempositionen von Joseph de Maistre einerseits und Condorcet andererseits zu vermeiden. Als einer der gelehrigsten Schüler der Burkeschen Geschichtskonzeption erweist sich zunächst Joseph Maria von Radowitz. Sein historisches Denken wird von der Überlegung bestimmt, dass das gradualistische Fortschreiten sowohl dem rigiden Beharren als auch dem radikalen Umsturz vorzuziehen ist. Nach ihm ist das Schlüsselwort für die richtige Haltung gegenüber diesem Problemkomplex die Versöhnung der Extreme, die Überwindung sowohl des dogmatisch-reaktionären als auch des intransigent-revolutionären Standpunktes. Seiner Auffassung zufolge sei weder das reine „Konservieren, Beharren . . . an sich gut, noch das Aufgeben, Fortbewegen an sich schlecht“189. Es kommt auf den Modus der rückwärts gewandten und der vorwärts ausgerichteten Handlung an. Was die konservativen Entscheidungen anlangt, so ist „Beharren im Guten . . . Pflicht; Beharren in dem, was eben nur da ist, Unrecht oder Unweisheit“190. Dasselbe gilt auch für die Absicht, dem Prinzip des Progresses Sukkurs zu erweisen. „Fortschreiten zum Besseren auf berechtigtem Wege ist löblich; Fortschreiten zum Schlechteren oder selbst zum Guten mit rechtswidrigen Mitteln ist verwerflich“191. Obgleich Radowitz dafür plädiert, dem fortschrittlichen Prinzip nur in einer gradualistischen, reformistischen Form das Wort zu reden, ist er keinesfalls gewillt, jegliche revolutionäre Aktivität in Bausch und Bogen zu verdammen. Zunächst findet er es allerdings angebracht, den Revolutionären seinen Fehdehandschuh hinzuwerfen. Für ihn ist die Konzentration auf die Idee der Revolution erkauft mit den fragwürdigen Attributen einer Abkehr von der natur- und gottgegebenen Ordnung. Ihre Übersteigerungen drängen ins Wirklichkeitsfremde und vernebeln die Grenzlinie zwischen dem, was den Bürgern frommt und dem, was ihnen irreparablen Schaden zufügt. „Revolution ist, was mir im politischen Leben missfällt . . . Revolution ist jede Veränderung des Verfassungszustandes außerhalb der gesetzlichen Mittel und Wege“192. Dabei sind es sowohl die revolutionären Werthaltun189 Joseph Maria von Radowitz: Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche, in: Radowitz’ ausgewählte Schriften, hrsg. von Wilhelm Corvinus, 1. Band, Regensburg o. J., S. 360 f. 190 Ebd., S. 361. 191 Ebd.

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gen als auch die Mittel, denen sich die Revolutionäre bedienen, um ihre umstürzlerischen Absichten in die Tat umsetzen zu können. Jeder an der Aufrechterhaltung der politischen Ordnung Interessierte muss deshalb die Revolution „wegen der angewendeten Mittel und wegen der stets eingemischten unlauteren Motive und verwerflichen Handlungen“193 in Bausch und Bogen verdammen. In diesem Zusammenhang darf allerdings keineswegs übersehen werden, dass sich in das Radowitzsche Urteil über die Revolutionen auch affirmative Momente eingeschlichen haben. Dabei geht er davon aus, dass in jedem Aufstand honorige und ethisch bedenkliche Motive und Werthaltungen miteinander ringen. Unter den „zwei Elementen“194 die einer Revolution ihre Physiognomie verleihen, hat sich die eine „den Vorsatz der Zerstörung“195 zum Leitmotiv gemacht, während die andere sich um „wirkliche und aufrichtige Beschwerden“196 der Bürger kümmert. Kein Analytiker einer Volkserhebung komme um die Frage herum, ob diese „berechtigt oder unvermeidlich“197 ist. Ist diese nur auf Destruktion und Anarchie aus, muss „der Revolution die nackte Gewalt entgegengestellt werden, schonungslos, unbeugsam bis zum äußersten hin“198. Dabei findet sich bei Radowitz auch der durch und durch antireaktionäre Gedanke, dass den Ergebnissen einer Revolution in dem Maße Legitimität zuwächst, in dem diese zur Normalität eines politischen Gemeinwesens avancieren. In diesem Falle muss der früher abgelehnte und kritisierte Aufstand „als fait accompli in die politische Geschichte eingereiht werden“199. Radowitz weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass in diesem Falle jegliche gegenrevolutionäre Aktion unvernünftig und illegitim ist. Wenn die „Handlungen der Revolutionäre . . . rechtsbeständig werden“200 ist „die Konterrevolution . . . dann ganz ebenso tadelnswert“201. In dem Bemühen, eine ausgleichende Position zwischen den Extremen einzunehmen, ruft er den Reaktionären zu, dass „das bloße Abwehren . . . unrecht und unvernünftig ist“202. Im gleichen Atemzug spricht er aber auch den Progressiven ins Gewissen, wenn er darauf verweist, dass das „bloße Geschehenlassen“203 ebenso defiziente Merkmale aufweist. 192 Joseph Maria von Radowitz: Fragmente I, in: Radowitz’ ausgewählte Schriften, hrsg. von Wilhelm Corvinus, 2. Band, Regensburg o. J., S. 386. 193 Ebd., S. 387. 194 Ebd., S. 388 195 Ebd. 196 Ebd. 197 Ebd. 198 Ebd. 199 Ebd., S. 290. 200 Ebd., S. 388. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Ebd.

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Was Wunder, wenn Radowitz gegenüber den Konterrevolutionären seiner Zeit ein abgrundtiefes Misstrauen hegt. Sie seien ganz und gar unfähig, eine Hoffnungsperspektive zu entwickeln, da es ihnen einzig und allein um die Steigerung der Herrschaftsintensität gehe. „Reaktion, Konterrevolution . . . bedeuten daher auch nicht bloß eine relative Rückkehr zu einem früheren Zustande, sondern eine absolute nach der ,Rechten‘, nach der fürstlichen Machtvollkommenheit hin“204. Wie Radowitz, so spricht auch Franz von Baader, der sich ebenso wie jener dem moderierten Fortschrittsprinzip verschrieben hat, sowohl dem radikalen Progressismus als auch der Reaktion jegliche Legitimität ab. Das was er als „Geschichtsbigotterie“ 205 bezeichnet, kennzeichnet die beiden im Rede stehenden Extrempositionen. Sowohl „unsere illiberalen als liberalen Ultras“206 üben sich in einer Geschichtsbetrachtung, deren Unvernunft offen zutage tritt. Die eine irrt sich mit ihren Annahmen „für die vergangene“207, diese „für die zukünftige Zeit“208. Beide gefallen sich in der Rolle eines Reisenden, der entweder wie die Reaktionäre, „um ja Wagen und Gepäck zu behalten, lieber die Pferde“209 ausspannt, oder aber wie die Fortschrittssüchtigen, die „um ja nicht zurückzubleiben, jenen die Stränge abschneiden und mit ihnen, den Wagen zurücklassend, davonjagen“210. Dabei fordert von Baader seine Regierung dazu auf, sich weder einer extrem traditionalistischen Interpretation des politischen Prozesses noch einer radikal progressistischen zu verschreiben. Wenn sie sich der ersten Haltung verpflichtete, wenn sie sich „ausschließlich der Vergangenheit zuwendete“211, dann redete sie der „Versteinerung“212 der Gesellschaft das Wort. Wenn sie sich aber „von der Geschichte sich losreißend der Zukunft sich zuwendete“213, votierte sie für die „Verwesung oder Verflüchtigung“214 des sozialen Beziehungsgespinstes. Sich ausschließlich dem „Zeitgeist“ 215 zu verschreiben, führt zum sozialen Chaos. Ebd., S. 387. Franz von Baader: Über den Evolutionismus und Revolutionismus oder über die positive und negative Evolution des Lebens überhaupt und des sozialen Lebens insbesondere, in: Gesellschaftslehre, hrsg. von Hans Grassl, München 1957, S. 217. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd. Vgl. dazu Arno Baruzzi: Franz von Baaders Verhältnis zur Idee der Revolution, in: Deutscher Katholizismus und Revolution im frühen 19. Jahrhundert, hrsg. von A. Rauscher, München, Paderborn und Wien 1975, S. 33 ff. 211 Franz von Baader: Gedanken über Staat und Gesellschaft, Revolution und Reform, Darmstadt 1968, S. 66. 212 Ebd. 213 Ebd. 214 Ebd. 215 Ebd., S. 67. 204 205

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Dabei ist für Franz von Baader eine Revolution keineswegs das Produkt einer vernünftigen, für das politische Gemeinwesen segensreichen Tat, sondern bezeichnet im Gegenteil einen sozialen und politischen Irrweg. Sie verfestigt sich in seinen Augen zum objektiven Befund einer politischen Aktivität, die nur Elend und Desorientierung zeitigt. Für Baader ist eine derartige „Usurpierung der gesellschaftlichen Gewalt“216 das augenfällige Symbol einer „abnormen, verzerrten Evolution“217, das Zeichen „einer schlecht unterstützten oder zurückgedrängten Evolution“218. Jeder, der den Versuch unternehme, die Revolution, die er als „negative Evolution“219 bezeichnet, „durch polizeiliche Mittel zurückzudrängen oder niederzuhalten“220 ohne gleichzeitig die „unfrei gewordene positive Evolution“221 zu fördern, handele gemeinschaftswidrig und staatsfeindlich. Der Topos der sozialen und politischen Evolution wird also bei Baader keineswegs zum Kristallisationspunkt einer Auffassung, der es um die Verteidigung und Bewahrung alter Besitzstände geht. Er weigert sich standhaft, dem unwiederbringlich Alten nachzutrauern; sein Reformkonzept ist der „Konservierung einer bloßen Mumie oder Zeitreliquie und historischen Antiquität“222 an der Wurzel fremd. Diese fortschrittsfreundliche Haltung geht bei ihm allerdings nicht mit der Bejahung eines unbegrenzten Progressus einher. Sein Evolutionismus ist nicht zuletzt deswegen auf einen genuin konservativen Ton gestimmt, weil dieser die „Gewinnung und Erhaltung eines Ewigen“223 zum Ziel hat. Für ihn ist es eine schiere Selbstverständlichkeit, „der bleibenden Frucht des vergänglichen Zeitgewächses“224 Reverenz zu erweisen. Diese Wortwahl schließt sich nur dann auf, wenn man sich der genuin konservativen Ausrichtung seines historischen Denkens versichert. Nur dieses kann sich dem „Recht des Gewordenen“225 verschreiben. Wie Radowitz und Baader, so gibt sich auch Heinrich Leo als Anwalt eines gemäßigten Fortschrittes zu erkennen. Aus einer Position heraus, die den historischen Radikalismus ablehnt, um sich zu einer moderierten Progressusversion bekennen zu können, geht er davon aus, dass das gesunde und vernünftige Leben der Völker ihrer bedarf. Für ihn, dem das Herkommen keineswegs eine bloße Floskel ist, hat „das Conservieren . . . mit Lebendigem und mit Leben zu tun, und schließt Veränderungen, wie sie jede Entwickelung notwendig begleiten, nicht nur ein, sondern 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 67. Ebd. Ebd., S. 66. Ebd.

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verlangt sie“226. Wenn Leo den Begriff des Fortschritts von den Condorcetschen Bestimmungsmerkmalen befreit, gibt er zu erkennen, dass dieser mit dem Ideal der Beharrung in einem fruchtbaren Wechselverhältnis steht. Sein konservativ eingefärbtes Geschichtsbild wird sowohl von dem Prinzip der Erhaltung, als auch demjenigen des gemäßigten Fortschrittes inhaltlich und formal bestimmt. Derjenige, der sich dem sozialen und politischen Gradualismus verschrieben hat, muss darauf aus sein, „Einrichtungen, Sitten, Rechte, kurz, den ganzen Inhalt eines politischen Lebens in continuirlichem, gedeihlichem, in wachsendem und werdendem Zustande – im Fortschritte, aber im wirklich gedeihlichen Fortschritte“227 zu erhalten. Neben dem positiv zu Buche schlagenden und deshalb notwendigen Progressus gibt es allerdings auch einen Fortschritt, dem äußerst negativ zu bewertende Bestimmungsmerkmale eignen. In ihm schnurren alle Mechanismen, die auf Zerstörung und Zersetzung aus sind. Leo spricht in diesem Zusammenhang von einer politischen Zielvorstellung, die „zur Auflösung, zum Zerfall“228 führen. Bei Lichte besehen, handelt es sich um einen Rückschritt229. Dass Leo keineswegs die Position der radikalen Rückschrittspartei vertritt, beweist seine Kritik an den sozialen und politischen Zuständen, die vor 1789 herrschten. Er liquidiert die ideologische Haltung der Reaktionäre in dem Maße, in dem er deren grundlegende Defizienzen aufspürt. Indem er es ablehnt, sich in den Käfig einer prinzipiell antirevolutionären Selbstreferenz zu begeben, weist er auf die historische Notwendigkeit hin, dem Absolutismus ein wohlverdientes Ende zu bereiten. „Darüber nämlich, ist kein Streit, dass die Auflösung der heillosen Zustände vor der französischen Revolution eine Notwendigkeit war“230. Dabei nimmt er vor allem die Fehlentwicklungen in sein kritisches Revier, die das Leben um den absolutistischen Thron herum bestimmten. „Das Hofwesen war so, dass es wirklich sich als tägliche Sünde fortschleppte“231. Vor allem „das Adelswesen war wirklich eine drückende Caricatur, eine unerträgliche Last des ganzen Volkslebens geworden“232. Darüber hinaus sei „die Regierung . . . wirklich in einer vielfach unsittlichen Stellung zum Volke“233 gewesen. In den Augen des skeptischen Konservativen Leo erschienen aber auch die nachrevolutionären Zustände in einem fraglichen Lichte. Für ihn hat „die französische Auflösung eine vollständige sittliche Desorganisation hervorgebracht“234. Sie sei noch immer „im Fortschreiten begrif226 227 228 229 230 231 232 233 234

Heinrich Leo: Was ist conservativ? Zweite Auflage, Berlin 1864, S. 3. Ebd. Ebd. Ebd. Heinrich Leo: Geschichte der französischen Revolution, Halle 1842, S. VIII. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. IX.

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fen“235. Die einzige Rettung für die französische Nation bestehe darin, „eine sittliche Rekonstruktion der Gesellschaft von unten herauf“236 in die Wege zu leiten. Diese sei nur dann von Erfolg gekrönt, wenn man sich in die „Hand der Kirche“237 begebe. Für Heinrich Leo wird durch ein hohes Maß an konservativer Wachsamkeit gegenüber den Gefahren, denen die Gesellschaft immer ausgesetzt sein wird, das notwendige Fortschrittsprinzip dem Althergebrachten und Vernünftigen verpflichtet. Der Blickverengung des radikalen Progressisten entsprach immer schon eine höchst illegitime Geringschätzung gegenüber den Traditionsbeständen, deren Legitimität es zu verteidigen gilt. Leo akzentuiert diesen Problemkomplex mit aller Schärfe und Konturenfreudigkeit, wenn er darauf verweist, dass insbesondere der konservative Politiker allen Entwicklungen entgegentreten muss, die das Gemeinwesen „angreifen, schwächen, vernichten“238. Vor allem diejenigen historischen Tendenzen, die dieser der „eingeborenen Kraft und Eigentümlichkeit berauben“239, habe er eine unmissverständliche Absage zu erteilen. Derjenige, der „Lebendiges conservieren will“240, muss sowohl den Staat vor „Abwegen“241 schützen als auch dafür sorgen, ihn „zu den rechten Wegen, die rechte Nahrung und Gelegenheit zuführen“242. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dem Fortschritt ein konservatives Vorzeichen zu geben243. Eine besonders beeindruckende Geschichtsphilosophie formulierte der preußische Staatsphilosoph Friedrich Julius Stahl244. Als Repräsentant der liberal-konservativen Denkschule ging es ihm vor allem darum, die Legitimität der politischen Neuzeit unter augenfälligen Beweis zu stellen. Nachhaltig warnt er seine konservativen Gesinnungsfreunde davor, in die Zeit vor 1789 zurückkehren zu wollen. „Trotz aller . . . Schwierigkeiten kann unsere Lösung nicht sein: ,Zurück‘, sondern ,Durch‘245. Dezidiert wendet er sich gegen alle diejenigen, die einer altständischen Politik- und Gesellschaftsverfassung das Wort reden. Für den einem modernen Konservatismus verpflichteten Stahl wird aus der rückwärts gewandten Haltung Ebd. Ebd., S. XI. 237 Ebd. 238 Heinrich Leo: Was ist konservativ (wie Anm. 226), S. 4. 239 Ebd. 240 Ebd., S. 5. 241 Ebd. 242 Ebd. 243 Ebd. 244 Vgl. dazu Johann Baptist Müller. Der politische Professor der Konservativen – Friedrich Julius Stahl (1797 – 1853), in: Hans-Christoph Kraus (Hrsg.): Konservative Politiker in Deutschland, Berlin 1995, S. 69 ff; derselbe: Friedrich Julius Stahl, in: Jürgen Bellers (Hrsg.): Klassische Staatsentwürfe, Darmstadt 1996, S. 160 ff.; derselbe: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls, in: IfS-Nachrichten 13, München 1999, (Hrsg. Rüdiger Voigt), S. 7 ff. 245 Friedrich Julius Stahl: Der Protestantismus als politisches Prinzip, Berlin 1853, S. 37. 235 236

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der patrimonialistisch Gesinnten eine Ordnungskonzeption, die das Kainsmal des Restaurativen auf der Stirn trägt. Ihm zufolge können es die „früheren bloß ,Ständischen‘. . . kaum mehr ablehnen, in das constitionelle System einzugehen“246. In diesem Zusammenhang weist er vor allem die Staatslehre Hallers247 nachhaltig zurück. Sein „Gedanke . . . von dem privatrechtlichen Charakter der fürstlichen Gewalt ist gänzlich falsch. Er ist eine Verzerrung und Zerreißung des öffentlichen Zustandes, ist eine Entweihung der fürstlichen Gewalt selbst und eine Entwürdigung der Untertanen, die so zu bloßen Mitteln für die Fürsten werden248. In wie starkem Maße sich Stahl dem antiständischen Geist der Neuzeit öffnet, geht auch aus seiner Kritik an Adam Müllers249 Korporatismusdoktrin hervor. Diese zähle wohl zu den „edelsten Apologien des Mittelalters“ 250. Seine Doktrin sei jedoch kaum hilfreich, „um jetzt einen Staat einzurichten und zu regieren“251. Was Stahls Haltung zur französischen Revolution anlangt, so hebt er sowohl ihre Licht- als auch ihre Schattenseiten hervor. Ihr sei zunächst anzulasten, einer ausgesprochen drakonischen Herrschaft das Wort geredet zu haben. „Es ist die äußerte Unterdrückung des Menschen, dem Belieben der jeweiligen Majorität oder siegenden Partei unbedingt unterworfen zu sein“252. Ein Anwalt des modernen Konservatismus müsse allerdings zu der Feststellung gelangen, dass diesem Aufstand auch positiv zu Buche schlagende Bestimmungsmomente eignen. Dieser habe „mit der Erschütterung der alten Ordnung natürlich auch viel Abgestorbenes und Faules der alten Ordnung beseitigt“253. Stahl zufolge kann eine die Anforderungen der neuen Zeit berücksichtigende konservative Theorie ihre Gedankengebäude nur auf dem Boden errichten, den die Französische Revolution geschaffen hat. „Das ist nicht eine Versöhnung mit der Revolution, sondern eine Versöhnung mit der Zeit, ein Eingehen auf die wirklichen Aufgaben der Gegenwart“254. Dabei sei der Umstand, dass Menschen und Bürgerrechte von den progressiven Bewegungen gefordert werden, für den modernen Konservativen noch lange kein Grund, sie in Bausch und Bogen zu verdammen. „Die gegründeten Forderungen, 246 Friedrich Julius Stahl: Die Revolution und die constitutionelle Monarchie, Zweite Auflage, Berlin 1849, S. V. 247 Haller, Carl Ludwig von: Restauration der Staatswissenschaft, Band I, Winterthur 1816. 248 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, Berlin 1863, S. 295. 249 Adam Heinrich Müller: Die Elemente der Staatskunst, 2 Bände, hrsg. von J. Baxa, Jena 1922. 250 Friedrich Julius Stahl: Die Philosophie des Rechts, Band I, Darmstadt 1863, S. 569. 251 Ebd. 252 Friedrich Julius Stahl: Die Revolution und die constitutionelle Monarchie (wie Anm. 246), S. 18. 253 Ebd. S. V. 254 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche (wie Anm. 248), S. 336.

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nach der individuellen Freiheit, nach verbürgten staatsbürgerlichen Rechten, nach politischen und sozialen Vollrechten des höheren Bürgertums, nach unverbrüchlicher Verfassung und Rechtsordnung abweisen, ihnen entgegentreten . . . das ist falsche Reaktion“255. Wie wenig Stahl mit den rückwärtsgewandten Konterrevolutionären zu tun hat, beweist auch sein uneingeschränktes Loblied auf die USA. Während es Joseph de Maistre weit von sich wies, an „die Dauerhaftigkeit der amerikanischen Regierung“256 zu glauben, während er dafür hielt, dass die Stadt Washington „nicht gebaut wird“257, preist Stahl dieses Land258. Die amerikanische Synthese aus dem Bekenntnis zum Christentum und zum demokratischen Prinzip biete die Gewähr, dass die Demokratie in Amerika „Bestehen und Gedeihen hat“259. Dass Stahl keineswegs den reaktionären Ordnungsvorstellungen der Restauration verpflichtet war, wird nicht zuletzt von Georg Quabbe betont. Die politischen Prinzipien, die er zwischen den Polen Ordnung und Freiheit konzipiere, ließen Wertungsgrundsätze erkennen, die sowohl dem reaktionären Konservatismus als auch dem progressistischen Liberalismus widersprechen. Anders als die „französischen Konservativen“260 habe sich Stahl Ordnungsvorstellungen verpflichtet, die „30 Jahre zuvor noch als satanisch“261 galten. „Wir hören das ungewohnte Wort Freiheit und wundern uns nicht, dass die clasa discutidora der liberalen Bürger zwar theoretisch arg verhöhnt wird, dass aber praktisch die Wohlmeinenden beider Parteien sich nahe stehen, dass es also offenbar Übelmeinende auf der Seite der Legitimen und Wohlmeinende auf der Revolutionsseite gibt“262. Alles in allem wird man dem Urteil Friedrich Meineckes zustimmen können, Stahls Verfassungsprogramm sei „ein wesentlicher Schritt vorwärts zum modernen Konstitutionalismus“263 gewesen. Weniger wohlwollend fällt die Bewertung Stahls durch Alexander Rüstow aus. Eindeutig dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung verpflichtet, behauptet er, dass sich Stahl all diejenigen Argumente zu eigen mache, die sich „für den konservatives Standpunkt und gegen die Linksparteien anführen ließen“264. Von einer entgegengesetzten Position aus kreidet Carl Schmitt ihm an, dem Liberalismus Tür und Tor geöffnet zu haben. Für Schmitt war Stahl Ebd., S. 334. Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich, (wie Anm. 55), S. 80. 257 Ebd. 258 Ebd. 259 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche (wie Anm. 248), S. 204. 260 Georg Quabbe: Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema (wie Anm. 47), S. 96. 261 Ebd., S. 97. 262 Ebd. 263 Friedrich Meinecke: Weltbürgertum und Nationalstaat. Sechste Auflage, München und Berlin 1922, S. 266. 264 Alexander Rüstow: Zur Ortsbestimmung der Gegenwart. Dritter Band, ErlenbachZürich und Stuttgart 1957, S. 206. 255 256

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

„Wegbereiter der im Namen des ,Rechtsstaates‘ vordringenden Kräfte und Mächte der Liberaldemokratie“ 265. Auf diese Weise habe er auch dem Marxismus Vorschub geleistet266.

7. Die liberal-konservative Geschichtsauffassung der Gegenwart Auch das historische Denken des liberalen Konservatismus der Gegenwart argumentiert in einem Horizonte, der inhaltlich und formal von der Argumentationsweise Edmund Burkes bestimmt ist. Wie diesem geht es auch ihm um eine sinnvolle Verbindung des traditionalistischen mit dem progressiven Prinzip. Ganz im Sinne des großen Iren formuliert Clinton Rossiter: „The conservative knows that change is the rule of life among man and societies, but he insists that it be surefooted and respectful of the past“267. Von einer ähnlichen Warte aus begründet Hermann Lübbe seine Auffassung, dass die Überlebenschance der modernen Industriegesellschaft davon abhängt, welches Ausmaß an Konservatismus sie zu tolerieren bereit ist. Nur wenn man die Kategorien des Alten und des Modernen zusammendenkt, hat diese eine Zukunft. Dabei scheut sich Lübbe keineswegs, am Kleid der alten Kulturkritik zu weben und einige ihrer Grundpositionen in Erinnerung zu bringen. Er geht zunächst davon aus, dass die sinnvolle Implementierung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts nur dann begründete Aussicht auf Erfolg hat, wenn es konservative Gegenkräfte gibt, die seine Auswüchse in Grenzen halten. Wenn der Topos des entwurzelten Daseins nicht zum Kristallisationspunkt des allgemeinen Bewusstsein werden soll, bedarf es der überkommenen Institutionen, die dem Menschen Halt im Fortschrittsstrudel verschaffen. „In einer dynamischen, fortschrittsgeprägten Zivilisation wird die Konservierung zukunftsfähiger Herkunft ein zwingendes Erfordernis unserer Modernisierungsfähigkeit“268. In der Technikgesellschaft von heute muss ständig darüber gewacht werden, dass sich keine Katastrophen ereignen. Bevor man sich einer Modernisierungsmaßnahme mit Haut und Haaren verschreibt, muss erkannt sein, ob diese eine Gesamtgefährdung der technischen Zivilisation in sich enthält. „In einer Zivilisation, in der nicht die Folgen des aufgehaltenen Fortschritts, vielmehr die Nebenfolgen des längst stattfindenden Fortschritts uns zu schaffen machen, gewinnt die Katastrophenvorbeugung vor der Verwirklichung konkreter Utopien, das heißt vor der Verpflichtung aufs unerprobte, vermeintlich Bessere“269. Last but not least besteht in der modernen Industriegesell265 266 267 268 269

Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, Hamburg 1933, S. 30. Ebd. Clinton Rossiter: Conservatism in America (wie Anm. 160), S. 12. Hermann Lübbe: Freiheitsstaat statt Emanzipationszwang, Osnabrück 1991, S. 65. Ebd.

7. Die liberal-konservative Geschichtsauffassung der Gegenwart

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schaft die Gefahr, dass ihr technischer Fortschritt die „Überforderung unserer Kapazitäten individueller wie institutioneller Informationsverarbeitung“270 im Gefolge hat. Aus diesem Grunde sei der „Weltverbesserungswille vor dem Welterhaltungswillen beweislastpflichtig“ 271. Bei Lübbe wird an die Stelle kontingenter Fakten und Einstellungen als Kriterium für die Wirklichkeitsbewältigung die Erkenntnis gesetzt, dass auf keinen Fall auf die Ordnungstopoi des Konservatismus verzichtet werden kann. Allein die von ihm erschlossene historische Dimension gewährt unser Fortkommen. Für ihn gehört die „Erinnerung an unaufgebbare Funktionen des Konservatismus . . . zu den wichtigsten zeitgenössischen Konservierungsaufgaben in bezug auf unsere intellektuelle und politische Kultur“272. Dabei kann „die Praxis der Bewahrung des Unverzichtbaren“273 auch Maßnahmen nötig machen, die den genuin konservativen Idealen von Maß und Mitte nicht mehr entsprechen. Seiner Auffassung zufolge kann sogar die „konservative Änderung der Verhältnisse . . . revolutionäre Dimensionen annehmen“274. Zu denjenigen, die sich über die Situation der Konservativen in der heutigen liberalen Gesellschaft besonders pointiert beklagen, gehört Frank S. Meyer. Was seine Attacke auf den Kulturliberalismus anlangt, so denkt er im Horizonte der Freund-Feind-Beziehung. Für diesen Amerikaner sind die okzidentalen Traditionstatbestände endgültig aufgebraucht. Stattdessen trat eine ideologische Gesinnungsgruppe ihren Siegeszug an, die allen genuin konservativen Normvorstellungen Hohn spricht. Meyer zufolge befinden wir uns in einer Situation, in der sich die großen griechischen Denker befanden. „Like Socrates, Plato, Aristotle, confronting the chaos in the body politic and in the minds of men created by the overweening pride of the Athenian demos, we do not live in the happy age of a natural conservatism“275. Niemand könne deshalb von dem Anwalt des konservativen Ordnungsgedankens verlangen, seinen weltanschaulichen Feinden die Versöhnungshand zu reichen. „We cannot simply revere; we cannot uncritically follow tradition, for the tradition presented to us is rapidly becoming thanks to the prevailing intellectual climate, thanks to the schools, thanks to the outpourings of all the agencies that mold opinion and belief the tradition of a positivism scornful of truth and virtue, the tradition of the collective, the tradition of the untrammeled Ebd. Ebd. 272 Hermann Lübbe: Fortschritt als Erinnerungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart, Freiburg 1975, S. 171. 273 Ebd., S. 62. 274 Ebd. Dass Lübbe mit dieser Behauptung in Gefahr ist, ein konservativer Revolutionär im Sinne von Edgar Julius Jung und Moeller van den Bruck zu werden, ist nicht sehr groß. Dazu ist seine Loyalität gegenüber dem westlichen Verfassungsstaat zu groß. 275 Frank S. Meyer: Freedom, Tradition, Conservatism, in: What is Conservatism?, ed. by Frank S. Meyer, New York 1964, S. 13. 270 271

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state“276. Angesichts dieses deplorablen Kulturzustandes bleibt dem Konservativen nur noch der Versuch, dem vor seinen Augen sich vollziehenden Kulturverfall den bedingungslosen Kampf anzusagen. „The conservative . . . has to separate the true from the false, applying basic principle to the task of cutting through the tangled mass of confusion and falsehood; he has the responsibility of establishing in new circumstances forms of thoughts and institutional arrangements which will express the truth of the great tradition of the West“277. Wenn sich der Konservative Frank S. Meyer gegen den kulturliberalen Traditionsstrom ausspricht, so wird augenfällig, dass die Anwälte seines Ideenkreises nicht jedes Herkommen gutheißen. Einhellig vertreten sie die Auffassung, dass zwischen den einzelnen Traditionen scharf zu unterscheiden ist. Nicht alles, was von der Patina der Vergangenheit überzogen ist, kann als wertvoll und erhaltenswert bezeichnet werden. Hans-Christof Kraus zufolge komme dabei dem Konservativen die Aufgabe zu, zwischen den einzelnen Traditionstatbeständen zu unterscheiden. Er hat sozusagen als Lotse in einer erstaunlichen Traditionsvielfalt zu wirken. Dabei muss er sich dessen bewusst sein, dass nicht „jede Tradition, jede Überlieferung, jede Institution, jede Lebensform, jeder Ritus bewahrenswert ist“278. Die in Rede stehende Unterscheidungsarbeit sei gerade dann dringend geboten, wenn es darum geht „Traditionsverlusten zu begegnen“279. Dabei diene die „Traditionskritik“280 nicht zuletzt dazu, die kritische Aneignung und Vergegenwärtigung positiver Traditionen“281 zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang verweist Hans Barth auf das Problem, dass bei der Bewertung historischer Traditionstatbestände ethische Erörterungen nicht außer acht gelassen werden können. Eine moralische Sichtweise habe die Brille des pragmatischen Kalküls zu meiden und danach zu fragen, ob eine bestimmte Institution der Vergangenheit sich vor dem Tribunal bewähren könne, das über Gut und Böse urteilt. So verweist Hans Barth darauf, dass der Konservative immer in Gefahr sei, „Vergangenes . . . mit dem Werthaften überhaupt gleichzusetzen“ 282. Diesem gefährlichen und illegitimen „Abgleiten in den Positivismus“283 müsse Ebd. Ebd. 278 Hans-Christof Kraus: Verlust der Tradition, in: Abschied vom Abendland? Die Moderne in der Krise, hrsg. von Klaus Motschmann, Graz und Stuttgart 1997, S. 37. Kraus weist darauf hin, dass es auch eine sozialistische Tradition gibt. „Die französischen Jakobiner und die russischen Bolschewisten haben sich . . . auf bestimmte, bewusst glorifizierte und verklärte Epochen, Ereignisse und Persönlichkeiten der Geschichte berufen – von der Sklavenrevolte des Spartakus bis zur Pariser Kommune“ (ebd. S. 29). 279 Ebd. 280 Ebd. 281 Ebd. 282 Hans Barth: Einleitung zu „Der konservative Gedanke“, hrsg. von Hans Barth, Stuttgart 1958, S. 12. 283 Ebd. 276 277

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dezidiert Einhalt geboten werden. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn der Versuchung nachgegeben wird, die Vergangenheit des eigenen Volkes ohne ethische Maßstäbe zu beurteilen. „Unter keinen Umständen wird man die Behauptung aufstellen können, dass alles, was in einem Volke wirkt, den Anspruch, bewahrenswert zu sein, erheben dürfe“284. Der Gedanke, dass „Eigenheiten, einfach weil sie ein Element des Volkes bilden, schon allein darum des Schutzes würdig sind“, sei auf das Strikteste abzulehnen. Auf diese Weise öffnete man dem moralischen Relativismus Tür und Tor. Dem Topos des „Bewahrens der je eigenen geistigen und seelischen Kräfte“285 müsse eine Sichtweise entgegengestellt werden, die die Vergangenheit eines Volkes in den Horizont einer ethischen Beurteilung stellt. Wenn man den durchaus notwendigen und legitimen Versuch unternimmt, zwischen negativ und positiv zu bewertenden Traditionsströmen zu unterscheiden, so sollte man sich dessen sehr wohl bewusst sein, dass sich auch bei den Denkfamilien der Linken Geschichtsinterpretationen finden, die in einem erstaunlichen Maße den Geist der konservativen Historie atmen. So setzt der dem Gedanken des Sozialismus verpflichtete Arnold Künzli dem unbegrenzten Progressismus von Condorcet eine Sichtweise entgegen, in der der Tradition Reverenz erwiesen wird. „Wer das Bestehende verändern will, und er mag es noch so radikal verändern wollen, muss, ganz besonders wenn er sich in Übereinstimmung mit einem geschichtlichen Entwicklungsprozess zu befinden glaubt, damit beginnen, dieses Bestehende auf Erhaltenswertes und nicht Erhaltenswertes abzuklopfen“286. In wie starkem Maße historische Traditionsbestände geschichtswirksam werden, beweise die Russische und die Französische Revolution. „Ein Blick auf die Entwicklung der Französischen und der Russischen Revolution beweist, welch ungeheure nachwirkende Kraft Traditionen selbst und gerade dann haben können, wenn man glaubt, revolutionär mit der Vergangenheit radikal brechen, einen neuen Ursprung stiften und die Gesellschaft von Grund auf neu aufbauen zu können“287. Auch wenn der radikalste Revolutionär sich noch so sehr weigere, allen traditionalistischen Versuchen zu widerstehen, so hole ihn ganz gegen seinen erklärten Willen die historische Vergangenheit ein. „Der Revolutionär, der glaubt, die Macht der Tradition, die ja auch eine Macht in ihm selbst ist, die Tradition als solche verleugnen und den Strom der geschichtlichen Kontinuität aufhalten zu können, wird mitsamt seiner revolutionären Schöpfung gleichsam hinterrücks von diesem Strom überspielt . . . Die Revolution wird dann über weite Strecken zu einer FortEbd., S. 9. Ebd., S. 8. Vgl. dazu auch E. V. Walter: Conservatism recrudescent: A Critique; in: Partisan Review 21 (1954), S. 520. 286 Arnold Künzli: Ursprung und Tradition. Zur Geschichtsphilosophie des Konservatismus, in: Tradition und Revolution, Basel und Stuttgart 1975, S. 185. 287 Ebd. 284 285

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II. Die Geschichte der Moderne in konservativer Perspektive

setzung der Tradition mit anderen Mitteln“288. Dabei sei die in Rede stehende Argumentation keineswegs erkauft mit den fragwürdigen Attributen einer fortschrittsskeptischen Haltung. Sie sei einfach darauf aus, das Historisch-Alltägliche in seinen Dimensionen und seiner Signatur ansichtig zu machen. Auf diese Weise gebe sich die Geschichtsbetrachtung des Konservatismus als äußerst legitim zu erkennen289. Künzli zufolge muss also jeder „Fortschritt, der ein Fort-Schreiten von Gegebenem zu Neuem sein . . . ein konservatives Element enthalten“290. Auf diese Weise kommt den Konservativen „als Hütern der Tradition in der Dialektik der gesellschaftlichen Entwicklung ein legitime Funktion zu“291. In einer ähnlichen Weise begrüßt auch der amerikanische Sozialist Irving Howe, dass der Neokonservatismus dem Gedanken der Traditionsbewahrung einen so hohen Stellenwert einräumt. In diesem Zusammenhang macht er darauf aufmerksam, in wie starkem Maße er und seine weltanschaulichen Freunde bei dieser Denkfamilie fruchtbare Anregungen erhalten haben. „People like myself, democratic socialists or socialist liberals, have learned something from traditional conservative thoughts“292. Auf diese Weise sei es durchaus legitim, von einem „similar cultural response among conservatives and socialists“293 zu sprechen. Howe verweist darauf, dass auch er und seine sozialistischen Freunde sich vehement dagegen verwahren, den überkommenen Kulturtatbeständen den Garaus zu machen. „Like the conservatives, we socialists have looked which dismay at tendencies in American academic life to dismiss the heritage of Western culture as irrelevant“294. Ihm zufolge ist der „denial of the cultural heritage“295 eine „major injustice of modern society“296. Dabei vergisst Howe keineswegs den Hinweis, dass der Rekurs von Konservativen und Sozialisten auf den Reichtum der Tradition keineswegs die Tatsache aus der Welt schafft, dass beide sich unterschiedlichen Herkunftstopoi verpflichtet fühlen. „Unlike American know-nothings and ,swingers‘, we share with some conservatives a deep affection for the past, but we insist that it isn’t all

Ebd. Ebd. 290 Ebd. 291 Ebd. 292 Irving Howe: The Right Menace. Why people are turning conservative, in: Gus Tyler, Peter Steinfels und Irving Howe: The Threat of Conservatism, New York 1980, S. 33. 293 Ebd. Howe dankt den Neokonservativen nicht zuletzt auch dafür, die Autonomie der Politik gegenüber der Ökonomie in den Blick gerückt zu haben. „We have learned to recognize the autonomy of politics as a realm of human activity worthy of practical and theoretical attention in its own right, and not simply as an epiphenomenon of the class struggle“ (ebd.). 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 288 289

7. Die liberal-konservative Geschichtsauffassung der Gegenwart

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theirs“297. Die linke kulturelle Tradition weist auch „voices of insurgency, radicalism, egalitarianism, and protest“298 auf. Dabei wird diesen kaum zu negierenden Tatbestand kein vernünftiger Konservativer in den Wind zu schlagen versuchen.

297 298

Ebd. Ebd.

III. Christentum, Atheismus und Konservatismus Der Konservatismus ohne das Christentum läuft Gefahr, zu einer Variante des aufgeklärten Absolutismus zu entarten oder zur Oligarchie, in der einzelne Schichten oder Geschlechter wahllos herrschen. Adam Röder In der Meinung, Vorurteile auszujäten, reißen manche Leute Tugend, Ehrlichkeit und Religion mit aus. Jonathan Swift

1. Der Konservatismus als christlicher Ideenkreis Bevor das Verhältnis zwischen dem Konservatismus und dem Christentum in den Blick genommen wird, ist der Hinweis vonnöten, dass es auch liberale und sozialistische Anhänger dieser Religion gibt. Robert Nisbet zufolge ist es unsinnig, „to credit conservatives . . . with greater personal religious devotion“1 als diejenigen Parteigänger des Sozialismus und des Liberalismus, die sich ebenfalls zum Christentum bekennen. Dieser Auffassung stimmt auch Jerry Z. Muller zu. Nach ihm haben „devout Christians or Jews . . . a variety of political viewpoints, including liberalism, socialism and nationalism“2 aufgewiesen. Ähnlich argumentiert auch Anthony Quinton, wenn er schreibt: „Devout Christians, without discernible inconsistency, have embraced theocracy, the divine right of kings, liberalism and socialism“3. Die Tatsache, dass es auch religiös motivierte Liberale und Sozialisten gibt und im konservativen Denklager auch Atheisten aufgespürt werden können, lässt von Klemperers Auffassung eher fragwürdig erscheinen, der zufolge der Unterschied zwischen Liberalismus und Konservatismus in der Differenz zwischen „Freidenkertum und einer im Grunde religiösen Einstellung“4 besteht. Auch die Auffassung 1 Robert Nisbet: Conservatism. Dream and Reality, Milton Keynes 1986, S. 68. Vgl. dazu auch Willmoore Kendall: „Leading spokesmen of contemporary American Conservatism happen to be unbelievers, and . . . many anti-Conservatives, that is Liberals, are deeply convinced Christians“ (The Conservative Affirmation. Chicago 1963, S. 6). 2 Jerry Z. Muller: Preface to: Conservatism. An Anthology of Social and Political Thought from David Hume to the Present, edited by Jerry Z. Muller, Princeton N. J. 1977, S. 13. 3 Anthony Quinton: The Politics of Imperfection, London and Boston 1978, S. 22. 4 Klemens von Klemperer: Konservative Bewegungen. Zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München und Wien o. J., S. 37.

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R. J. Whites, der zufolge der Konservative in der Lage ist, aus seinem christlichen Glaubensbekenntnis Schlüsse zu ziehen, die auf einen seiner politischen Doktrin entsprechenden Ton gestimmt sind, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Wenn er schreibt, dass „the political skepticism of the Conservative . . . from his sense of religion“5 emaniert, ist anzumerken, dass diese Behauptung auch auf den Liberalen William Gladstone6 und den religiösen Sozialisten Paul Tillich7 zutrifft. Nimmt man trotz dieser in Rede stehenden Einwände die Frage in den Blick, in welcher Weise und in welchem Umfange sich repräsentative Vertreter des Konservatismus zur christlichen Religion bekannten und Gemeinsamkeiten zwischen ihrem politischen Credo und dem Christentum feststellten, dann erkennt man, dass sich dieser Problemkomplex wie ein cantus firmus durch die Geschichte dieser Ordnungsvorstellung zieht. Schon bei Justus Möser findet sich die Auffassung, dass für ihn und seine Mitbürger weder der Atheismus noch eine außerchristliche Religion in Frage kommt. Aus diesem Tatbestand zieht er den Schluss, „dass die christliche Religion zu allen Absichten, welche eine Gottheit mit den Menschen haben kann, auf das vollkommenste genüge“8. Aus diesem Grunde wäre es ein ausgesprochen törichtes Unterfangen, „ein so vollkommenes Band zu schwächen oder wohl gar zu zerreißen“9. Ein ebenso unzweideutiges Bekenntnis zum Christentum finden wir bei Edmund Burke. Die Sicherheit, mit der er Distanz zum Agnostizismus und Atheismus hält, erweist ihn als einen glaubensstarken Anwalt der englischen Hochkirche. Für ihn ist die Verehrung des christlichen Gottes tief in der Natur des Menschen angelegt. „The man is by his constitution a religious animal“10. Die Sicht auf die Welt werde mit erheblichen perspektivischen Verkürzungen erkauft, wenn man sich der Irrlehre der Gottlosigkeit anheim gebe. „Atheism is against, not only our reason, but our instincts; and that it cannot prevail long“11. Welch desaströse Folgen eine antichristliche Einstellung zeitigen kann, dafür ist für Burke die Französische Revolution ein besonders abschreckendes Beispiel. Ihre Anwälte hätten einen Gedankenkosmos kreiert, der sich aus den Prinzipien des 5 R. J. White: Introduction to: The Conservative Tradition, ed. by R. J. White; London 1950, S. 5. 6 Vgl. dazu Johann Baptist Müller: Religion und Politik, Berlin 1997, S. 76 und passim. 7 Vgl. dazu Gerhard Wehr: Paul Tillich zur Einführung, Hamburg 1989. 8 Justus Möser: Staat und Religion. Schreiben an den Herrn Vikar in Savoyen abzugeben bei Herrn Johann Jacob Rousseau, in: Deutsche Staatskunst und Nationalerziehung. Hrsg. Peter Klasen. Leipzig o. J., S. 104. 9 Ebd. 10 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, in: Works, Vol. V, London 1801, S. 224. 11 Ebd.

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

Atheismus und der forcierten Menschenbeglückung zusammensetze. Da ihnen die Religion im Wege stehe, plädierten sie für eine Welt, in der ihr jegliches Heimatrecht versagt werde. „The new school of murder and barbarism, set up in Paris, having destroyed . . . all the other manners and principles which hitherto civilized Europe, will destroy . . . the Christian world“12. In einer ähnlichen Weise ist es für Disraeli13 das Menschenbild der abendländischen Religion, das die gottgegebene Würde des Menschen betont und aus diesem Grunde dem konservativen Credo entspricht. André Maurois zufolge wird Disraelis Sicht auf den Menschen „durch die christlich-semitische Offenbarung, die Bibel, ergänzt durch die Evangelien“14 bestimmt. Dabei verwarf der große Jude alle neuzeitlichen Ideologien, die auf die Zerstörung des Glaubens aus waren. Er widersprach vor allem den „biologischen Wissenschaften, denen Darwin und Huxley damals so hohen Glanz verliehen und die das Wunder in eine Gleichung zu verwandeln suchten“15. Will man den ganzen Abstand ermessen, den Disraeli von den Naturwissenschaften seiner Zeit trennte, so muss sein durch und durch antimaterialistischer Standpunkt in den Blick genommen werden. Maurois zufolge glaubte Disraeli, „dass der Mensch mehr sei als eine Maschine, und dass jenseits der physischen und chemischen Reaktionen unterworfenen Materie eine anders geartete Wesenheit existiere“16. Diese könne und müsse als „das Göttliche“17 bezeichnet werden. Zu dem uneingeschränkten Bekenntnis bedeutender konservativer Autoren zur christlichen Religion gesellt sich bei vielen Parteigängern des Konservatismus auch die These, dass dieses religiöse Bekenntnis und ihr politisches Credo letzten Endes kongruent sind. Beide stehen in einer fruchtbaren Wechselbeziehung. Die Wesensverwandtschaft zwischen Konservatismus und Christentum wird zunächst von Quintin Hogg betont. Die Einheit beider präsentiert sich als gerundete 12 Edmund Burke: A letter to a Member of the National Assembly, in: Works, Vol. VI, London 1801, S. 43. Vgl. dazu Ernest Barker: „Such is Burke’s conception of the Christian State. Nerved by that conception, he could not but attack the Revolution in France, which, in his view, had departed so widely from it. In France he saw a combination – hostile to the established Church, and therefore hostile to the Christian State – between a new monied interest, anxious to enrich itself by ecclesiastical property, and the cabal of the Encyclopédistes, anxious to proselytize recruits for their own atheistical tenets“ (Essays on Government, Oxford 1956, S. 227). 13 Russell Kirk zufolge ist nicht Karl Marx, sondern Benjamin Disraeli „der wahre Typus des Juden in der Politik – die Verkörperung des Kontinuitätssinnes eines alten und konservativen Volkes“ (zitiert in: Thomas Chaimowicz: Konservative und Juden, in: Zeitbühne 5 (1976), S. 37). 14 André Maurois: Benjamin Disraeli. Lord Beaconsfield. Aus dem Französischen, Berlin 1928, S. 261. 15 Ebd. 16 Ebd., S. 262. 17 Ebd. Dabei habe Disraeli „seit seiner Jugend . . . die Unbeweglichkeit der römischen Kirche bewundert“ (ebd.).

1. Der Konservatismus als christlicher Ideenkreis

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Systematik, die weitgehend widerspruchsfrei ist. „I do not pretend that this creed is exclusively accepted by Conservatives, or accepted by all conservatives. But it is an essential part of Conservatism as I see it“18. In einer ähnlichen Weise lässt auch Ernst Mühlenfeld keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die „konservative Theorie. . . mit Notwendigkeit zur religiösen Fundierung“19 führt. Das politische Handeln des Konservativen habe sich an den Gesetzen Gottes zu orientieren. Er sei immer und überall bereit, „als oberste Instanz einzig und allein Gott anzusehen und anzuerkennen“20. Wenn der Mensch nicht „an sich selbst zugrunde gehen will“21, habe er sich den „ewigen Ansprüchen“22 Gottes zu beugen. Die Wesensverwandtschaft von christlicher Religion und Konservatismus hat nicht zuletzt auch dazu geführt, dass das Christentum vor allem von konservativen, d. h. nichtprogressistischen Regimen Protektion und Unterstützung erhielt. Nikolaus Lobkowicz zufolge haben „in der langen Geschichte des Ringens zwischen Progressismus und Konservatismus die Kirche und die gläubigen Christen . . . fast immer auf der Seite der letzteren“ 23 gestanden. Umgekehrt sah der Progressismus „in der integralen christlichen Gläubigkeit wie auch in der Kirche . . . seinen wichtigsten Gegner“24. Dieser sei schon immer darauf aus gewesen, der „Auflösung oder gar Zerstörung der vom Christentum zumindest mitaufgebauten Kulturwelt“25 das Wort zu reden. Durch eine Folge immer „radikalerer Infragestellungen“ 26 christlicher Grundüberzeugungen habe dieser unablässig das Ziel verfolgt, dieser Religion endgültig den Garaus zu machen. Was Wunder, wenn es dem Christen kaum möglich ist, mit einem derart antireligiös motivierten Progressismus Kompromisse zu schließen. Schließlich könne er sich kaum „zu einem Fortschritt bekennen, der sein Credo zu einer historischen Vorstufe von etwas Höherem degradieren . . . würde“27. Weil Christentum und Konservatismus so augenfällig mitQuintin Hogg: The Case for Conservatism, West Drayton, Middlesex 1947, S. 23. Ernst Mühlenfeld: Politik ohne Wunschbilder. Die konservative Aufgabe unserer Zeit, München 1952, S. 376 f. 20 Ebd., S. 376. 21 Ebd., S. 377. 22 Ebd. 23 Nikolaus Lobkowicz: Ist der Christ verpflichtet, konservativ zu sein?, in: Die Krise des Westens und der geistige Auftrag Europas, hrsg. vom Studienzentrum Weikersheim, Dokumentation VI, Stuttgart o. J., S. 84. 24 Ebd., S. 85. 25 Ebd., S. 86. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 84. Nach Lobkowicz habe sich der überzeugte Christ allerdings auch zu fragen, „ob er nicht an Überzeugungen und Traditionen festhält, die seinem unwesentlich sind und möglicherweise sogar widersprechen“ (ebd. S. 90). So sei es kaum zu leugnen, dass ihm „aus dem Progressismus sogar genuin christliche Anliegen entgegentreten können, die er selbst und vielleicht auch seine Kirche übersehen, vergessen und verdrängt haben“ (ebd. S. 91). Dabei 18 19

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

einander verschränkt sind, ist es auch die Pflicht des Anwaltes dieser Ordnungsvorstellung, den religiösen Institutionen seines Landes Reverenz zu erweisen. Die Kirchenfeindschaft muss er Clinton Rossiter zufolge seinen ideologischen Feinden überlassen. „Who is radical about the place of institutionalized religion in our society“28, könne unter gar keinen Umständen als „genuine conservative“29 angesehen werden. Dabei habe gerade der Konservative die Verpflichtung, dass die amerikanische Kulturtradition „religious in essence“30 bleibe. Ein Freund der konservativen Denkfamilie, der die christliche Einfärbung der amerikanischen Kultur in den Wind schlage, verliere sein Recht, weiterhin als ihr anerkanntes Mitglied zu gelten. „No conservative can play fast and loose with his country’s tradition“31. In der Diskussion über die weltanschauliche Interdependenz zwischen Konservatismus und Christentum wird auch das Argument, vorgetragen, dass es insbesondere das katholische Glaubensbekenntnis ist, das in besonderem Maße konservativen Geist atmet. So schreibt Heinrich Schroers: „Dem Katholizismus liegt das Konservative im Blute“32. Schließlich bleibe die katholische „Glaubens- und Sittenlehre . . . ewig dieselbe“33. Was die katholische Kirche an Reformen aufweise, sei „nichts anderes als die mit Bedacht vor sich gehende Entfaltung ihres überreichen Wesens“34. Bei Lichte betrachtet habe selbst das „bloß Menschliche und rein geschichtlich Gewordene im Katholizismus . . . einen entschiedenen Zug des Überlieferungsmäßigen“35. Aus diesem Grunde würde „ein schroffer Bruch mit allem, was bisher bestand und noch lebendig war, ein Bruch in die ganze Breite und Tiefe hinein . . . Revolution“36 bedeuten. In gleicher Weise geht auch Gustav Gundlach davon aus, dass der Katholischen Kirche ein genuin konservativer Charakter eignet. Aus diesem Grunde missverstehe man sie gründlich, wenn man von ihr eine kontinuierliche, d. h. prinzipienlose Anpassung an die jeweiligen Entwicklungsstadien einer bestimmten Gesellschaft fordere. Ihr unverrückbarer Standpunkt sei ihr durch die Quellen der göttlichen Offenbarung und der natürlichen Erkenntnis erschlossen. „Für das Gesellschaftsleben bedeutet dies die Summe jener Normen, die in der Heiligen Schrift, in seien „die meisten Elemente des Progressismus . . . in ihrem letzten Kern . . . Produkte der Christenheit“ (ebd. S. 93). Das gelte nicht zuletzt für die Idee der Menschenrechte (ebd. S. 91). 28 Clinton Rossiter: Toward an American Conservatism, in: Yale Review XLIV (1955), S. 371. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Heinrich Schroers: Überlieferung und Fortschritt, in. Deutschland und der Katholizismus, hrsg. von Max Meinertz und Hermann Sacher, Freiburg im Breisgau 1918, S. 31. 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Ebd., S. 32. 36 Ebd., S. 33.

1. Der Konservatismus als christlicher Ideenkreis

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der Tradition und in den Erkenntnissen der auf christlichem Boden entwickelten Sozialphilosophie, besonders im Naturrecht enthalten sind. Diese Normen sind zeitlos gültig und allgemeiner Natur . . . Von diesem festen Standpunkt aus sieht und wertet der Katholizismus das, was in Raum und Zeit vor sich geht“37. Gundlach zufolge ergibt sich von dieser festen Warte aus, „was es für den Katholizismus eigentlich bedeutet, konservativ zu sein. Dieses Konservative im katholischen Sinne liegt in der Erkenntnis und im Willen, jene oben umschriebenen Normen festzuhalten und als dauernde Lebenskräfte in die Gesellschaft einfließen zu lassen“38. Auch für Erik von Kuehnelt-Leddihn gibt es einen kaum zu übersehenden Zusammenhang zwischen dem katholischen und dem konservativen Denken. „Je ,katholischer‘ (römisch-katholischer, anglo-katholischer, hochkirchlicher) der politische Denker, desto konservativer war seine Position“39. In gleicher Weise ist auch Walter Hoeres der Auffassung, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen Konservatismus und Katholizismus gibt. Ihm zufolge „können wir von katholischem Konservatismus sprechen, weil die Überzeugung von der Geschöpflichkeit der Welt zwangsläufig konservative Haltung und Gesinnung nahe legt“40. Schließlich gehöre es zum Wesen des Geschöpfes, „dass es seine Natur und sein Dasein nur als Leihgabe erhalten hat und aus sich selbst nichts ist. Es wird von Gott über dem Abgrund des Nichts gehalten“41. Aus diesem Grunde „kann es für den gläubigen Christen . . . nicht jene grenzenlose Perfektibilität des Menschen und der Gesellschaft geben, die alle evolutionärem Visionen . . . und alle sozialistischen und progressiv christlichen Heilslehren verkünden“42. 37 Gustav Gundlach S. J.: Konservatismus und antiliberale Konjunktur, in: Stimmen der Zeit 123 (1932), S. 292. 38 Ebd. Dieses in Rede stehende Wertegerüst des Katholizismus schließt es jedoch aus, dass dieser einer strikt fixierten Haltung zu politischen Tagesfragen das Wort redet. „Es wäre jene falsche konservative Haltung, die eben objektivistisch konservativ genannt wurde, wenn man die ewigen Normen mit jenen zeit- und raumbedingten Kategorien ineinssetzte und den dadurch gebildeten soziologischen Kategorien den Absolutheitscharakter zuspräche, der doch nur den ewigen Formen an sich zukommt“ (ebd. S. 294 f.). In diesem Zusammenhang wirft Pater Gundlach Othmar Spann vor, „rein historische Gestaltungen des ,Führertums‘, der Autorität, des Staates oder auch des Ständewesens als absolut gültige Kategorien“ (ebd. S. 295) zu postulieren. Gundlach spricht in diesem Zusammenhang von einem „pseudokonservativen ,Entweder-Oder‘“ (ebd.) und wirft Spann vor, „der Ablehnung der Demokratie“ (ebd.) das Wort zu reden. 39 Erik von Kuehnelt-Leddihn: Konservative Intellektuelle in der englisch sprechenden Welt, in: Konservatismus international, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, StuttgartDegerloch 1973, S. 138. Dabei gelte auch das Umgekehrte. Je mehr ein Denker „in die Richtung der Low Church oder des Dissentertums tendierte, desto antikonservativer und linksdralliger“ (ebd.) gab er sich. 40 Walter Hoeres: Wir, die Konservativen, in: Kirchliche Umschau 5 (2002), S. 24 f. 41 Ebd., S. 25. 42 Ebd.

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

Darüber hinaus ist es auch der Personalismus des Katholizismus, der es rechtfertigt, von einer Wesensverwandtschaft mit dem Konservatismus zu sprechen. Dieser weist nicht zuletzt auch deswegen eine genuin konservative Einfärbung auf, weil es ihm auf gar keinen Fall auf die stetige Verbesserung der gesellschaftlichen Strukturen ankommt, sondern allein um den ethischen Fortschritt des selbständigen Individuums. Dadurch, dass der katholische Personalismus „den Einzelnen und seine Vervollkommnung“43 im Auge habe, nähere er sich in einem entscheidenden Maße dem konservativen Denken. Gegen die in Rede stehende Behauptung von der Wesensverwandtschaft zwischen Katholizismus und Konservatismus wurde auch Widerspruch angemeldet. So fühlte sich Friedrich Gentz außerstande, in der katholischen Kirche eine ideologische Verwandte zu erblicken. Sein antikatholischer Gestus lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die römische Kirche im Konservatismus keinerlei Heimatrecht beanspruchen kann. Sie habe immer schon jede Freiheitsregung im Keime erstickt und den Menschen das unabhängige Denken verwehrt. Dabei sei die „Geistessklaverei“44 der Französischen Revolution um keinen Deut schlimmer als die kirchlich geprägte „Barbarei der finstersten Jahrhunderte“45. Letzten Endes erwiesen sich die Jakobiner und deren progressistischer Anhang als gelehrige Schüler des Katholizismus. Von dieser pointierten Interpretationswarte aus gesehen stellt Gentz die überaus polemische Frage: „Soll denn die Grille einer alleinseligmachenden Kirche, nachdem man sie in der Religion von der Erde vertrieben hat, in der Politik wiederauferstehen und alle Kraft eines freien Ideengangs lähmen?“46. In diesem Zusammenhang muss auch vor der irrigen Annahme gewarnt werden, dass jeder positive Rekurs auf die Religion aus einer gläubigen Seele stammt. Man trägt Eulen nach Athen, wenn man darauf verweist, in wie starkem Maße der Bejahung des Christentums ausschließlich utilitaristische Gründe zugrunde liegen können47. 43 Ebd. Darüber hinaus rückt auch der katholische Gedanke, „dass die Dinge . . . ein unverrückbares Wesen besitzen“ (ebd. S. 24), diesen in die Nähe des Konservatismus. Wenn die „wesentlichen Bestimmungen einer Sache diejenigen“ (ebd.) sind, „die ihr innerlich zukommen“ (ebd.), dann ist die „Autorität . . . wesensnotwendig mit der Natur des Staates gegeben“ (ebd.). Für Hoeres resultiert „aus dem Wesen der Dinge . . . jene Ordnung, die als solche auch immer schon Rangordnung ist und nicht von außen aufoktroyiert wird, sondern sich aus ihrer Natur ergibt“ (ebd.). 44 Gentz, Friedrich: Über den Einfluss politischer Schriften und den Charakter der Burkischen, in: Edmund Burke und Friedrich Gentz: Über die Französische Revolution. Aus dem Englischen. Berlin 1991, S. 31. 45 Ebd., S. 30. 46 Ebd., S. 33. 47 Für John Stuart Mill musste „die Nützlichkeit der Religion . . . erst dann behauptet werden, als die Argumente für ihre Wahrheit, ihre Überzeugungskraft weitgehend verloren hatten“ (Die Nützlichkeit der Religion, in: Drei Essays über Religion. Aus dem Englischen, Stuttgart 1984, S. 63). Dabei sei die „Argumentation für die Nützlichkeit der Religion . . . ein Appell an Ungläubige, eine wohlgemeinte Heuchelei zu praktizieren“ (ebd.).

1. Der Konservatismus als christlicher Ideenkreis

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Schon Rivarol hat sich zu einer pragmatischen Einstellung gegenüber den Religionen bekannt, wenn er einem Herrscher das Bekenntnis in den Mund legt, dass es vor allem darauf ankommt, ob eine „Religion gut oder schlecht ist, und nicht, ob sie wahr oder falsch ist“48. Dabei trägt Rivarol Eulen nach Athen, wenn er darauf verweist, in wie starken Maße die Religion zur Stabilisierung von besitzbürgerlichen Strukturen beitragen könne. Er begrüßt es ohne Einschränkung, wenn Eigentum und Christentum sich auf das Intensivste gegenseitig durchdringen und steigern. Aus diesem Grunde kritisiert er die Weigerung der Nationalversammlung, das „Wort GOTT in den Mund zu nehmen“49. Auf diese Weise haben sich ihre Abgeordneten als „Lehrlinge in der Politik“50 erwiesen. Schließlich könne bei vernünftigen Bürgern kein Zweifel darüber bestehen, dass „der Richter über alle Gewissen“51 letzten Endes auch als „Garant alles Eigentums“52 fungiere. Nicht wenige christentumsbejahende Konservative verweisen darüber hinaus auch darauf, dass ihre Religion nicht nur die Besitzordnung stabilisiert, sondern auch dem politischen Gemeinwesen jene Stabilität verleiht, die dieses auf Dauer stellt und nachhaltig vor revolutionären Erschütterungen schützt. Allein derjenige, der darauf verzichtet, das kleine Einmaleins des Ordnungsgedankens zu erlernen, kann nach Joseph de Maistre darauf verzichten, das Christentum als eine politische Wirkkraft anzusehen, die sowohl der Gesellschaft als auch dem Staate jene existenzsichernde Kraft verleiht, ohne die diese dem Anarchismus anheim fielen. Für ihn hat vor allem die Aufklärung die uralte Weisheit in den Wind geschlagen, „dass keine menschliche Einrichtung ohne religiöse Grundlage von Dauer ist“53. In dem Maße, in dem „das religiöse Prinzip alles geschaffen hat . . . hat auch das Fehlen dieses Prinzips alles zerstört“54. Der Auffassung de Maistres zufolge „geht alles unter, wo es fehlt“55. Nachhaltig wendet er sich gegen die Auffassung, dass der Mensch Dauerhaftes und Sinnvolles zu schaffen in der Lage ist, „wenn er sich nicht auf Gott stützt“56. 48 Antoine Rivarol: Zwiegespräch zwischen einem König und einem Religionsstifter. Aus dem Französischen, in: Der französische Geist, hrsg. von Gustav R. Hocke, Zürich 1988, S. 113. Vgl. dazu auch: „Mit den Religionen verhält es sich anders: die Völker, die schon eine haben, verlangen keine zwei; und die, die zwei haben, wollen keine drei. Im übrigen kann jeder einzelne meiner Untertanen glauben, was ihm gefällt, und Gott so oder so verehren! Aber öffentlich predigen, Tempel erbauen, das Volk besteuern, das sind Souveränitätsakte, die ich nicht dulden werde“ (ebd. S. 115). 49 Antoine de Rivarol: Politisches Journal eines Royalisten. 5. Mai bis 5. Oktober 1789. Aus dem Französischen, hrsg. von Johannes Willms, Frankfurt am Main 1989, S. 85. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Joseph de Maistre: Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen, in: Politische Betrachtungen. Aus dem Französischen, hrsg. von Peter Richard Rohden, Berlin 1924, S. 162. 54 Ebd., S. 170. 55 Ebd., S. 173. 56 Ebd., S. 149.

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

In gleicher Weise war es auch Chateaubriand darum zu tun, die ordnungsstiftende Kraft des Christentums unter Beweis zu stellen. Für ihn ist es ein aussichtsloses Unterfangen, die Autorität des Staates und die dafür notwendige Gesetzestreue ohne den Rekurs auf die göttliche Macht zu garantieren. Ohne die Anerkennung der Souveränität Gottes sind die Menschen in Gefahr, ihre politische Ordnung an den Anarchismus zu verlieren, ihre notwendige Existenzsicherheit fragwürdigen politischen Experimenten und noch fragwürdigeren Institutionen zu opfern. „Quand les hommes perdent l’idée de Dieu, ils se précipitent dans tous les crimes en dépit des lois et des bourreaux“57. Allein die Bibel schütze uns davor, dem sozialen und politischen Chaos anheim zu fallen. „L’Écriture nous apprend notre origine, nous instruit de notre nature“58. Es mache die Größe und die Würde des Christentums aus, das Wort Gottes mit den notwendigen Voraussetzungen für eine vernünftige Staatsordnung amalgieren zu können. „Dans le christianisme . . . la religion et la morale sont une seule et même chose“59. Auch in Deutschland haben bedeutende Vertreter der konservativen Ordnungsidee auf den gemeinschaftsstabilisierenden und autoritätsunterstützenden Charakter des Christentums hingewiesen. Für Carl Ludwig von Haller schützt allein die Anerkennung der göttlichen Machtfülle vor dem Abgleiten in die Unregierbarkeit. Da die christliche Religion darauf aus sei, allen Menschen „ein göttliches, auch für Könige verbindliches Recht“60 vorzuschreiben, stabilisiere sie die politischen Gemeinwesen, garantiere Gesetz und Ordnung. Schließlich könne ohne die „Befolgung eines höheren, göttlichen Gesetzes der Gerechtigkeit und wechselseitigen Liebe“61 „keine menschliche Gesellschaft bestehen“62. Wer Haller zufolge „von dem Reiche Gottes, von den Verkündigern der Wahrheit und Gerechtigkeit abfällt“63, dem könne der Vorwurf kaum erspart werden, in den Dienst des Teufels getreten zu sein. Er gebe sich zweifellos „dem Reich des Satans, dem Geist der Lüge, d. h. dem Zeitgeist und seinen Propheten“64 hin. In gleicher Weise ist auch für Franz von Baader das göttliche Machtwort die unverzichtbare Basis für eine stabile Gesellschafts- und Staatsordnung. Ihm zufolge ist das „sursum corda ad dominum“65 das grundlegende „Gesetz für alle René de Chateaubriand: Génie du Christianisme. Paris 1966, S. 203. Ebd., S. 245. 59 Ebd. 60 Carl Ludwig von Haller: Die wahren Ursachen und die einzig wirksamen Abhülfsmittel der allgemeinen Verarmung und Verdienstlosigkeit, Schaffhausen 1850, S. 109. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Carl Ludwig von Haller: Satan und die Revolution und andere Schriften, hrsg. von JeanJacques Langendorf, Wien 1991, S. 117. 64 Ebd. 65 Franz von Baader: Liberale und Ungläubige aus Missverstand und Unverstand, in: Gesellschaftslehre, hrsg. v. Hans Grassl, München 1957, S. 272. 57 58

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freien Verbindungen, Konstitutionen oder Sozialverfassungen“66. Er lässt keinerlei Zweifel darüber aufkommen, dass „der Begriff des Rechten oder des Rechts religiösen Ursprungs als Aufrichtung zu Gott ist“67. In diesem Zusammenhang weist Baader darauf hin, dass sich die Rechtswissenschaft auf einen höchst illegitimen Weg begibt, wenn sie sich gegen jeden religiösen Einfluss auf ihre Lehre wehrt. „Die von Gott und der Religion abstrahierende oder gottlose Jurisprudenz“68 falle notwendigerweise zeitgeistorientierten „Faseleien“69 anheim. Dabei gehorche nicht zuletzt auch die atheistische Morallehre einer Dynamik, die höchst fragwürdige Ergebnisse zeitige. Aus diesem Grunde sei eine „gottlos gewordene Moral“70 auf das Schärfste abzulehnen. Wenn sich der Mensch auf dem Felde der Ethik dem Anruf Gottes verweigere, dann „wird oder bleibt er niederträchtig, das ist nach Niedrigem trachtend“71. Auch führende Vertreter des zeitgenössischen Konservatismus plädieren um der Stabilität des politischen Gemeinwesens willen für eine religiös ausgerichtete Staatslehre. Vehement ruft Prinz Rohan, um der staatszerstörenden Kräfte Einhalt gebieten zu können, die Religion zu Hilfe. Seiner Auffassung nach haben Staat und Kirche „zusammenzuwirken, um die Fundamente der Gesellschaft zu festigen und Mensch und Volk in Ordnung zu halten“72. Schon die Alltagserfahrung lehre, dass ein dem Christentum verpflichteter Bürger sich gesetzestreuer verhalte als einer, der der Religion neutral oder feindselig gegenüberstehe. „Jeder Beamte, jeder Richter und Polizist kann bestätigen , dass der gläubige, seiner Religion und ihrer Moral verpflichtete Mensch in seinem christlichen Lebenswandel mit Gesetz und staatlicher Ordnung ungleich seltener in Konflikt gerät als der Glaubens- und Religionslose“73. Was Wunder, wenn ein vernünftiger Staat daran interessiert ist, in seinem Erziehungswesen den christlichen Wertvorstellungen Sukkurs zu erweisen. „Der Staat hat, unabhängig von der Einstellung seiner regierenden Männer zu Religion und Christentum, ganz nüchtern und sachlich ein Interesse an christlicher Erziehung der Kinder zu ordentlichen, d. h. in sich geordneten Menschen und Staatsbürgern“74. Auch Lord Hugh Cecil verweist darauf, welch hervorragende Bedeutung der Religion bei der Stabilisierung politischer Gemeinwesen zukommt. Für ihn kann derjenige, dem an einem auf Dauer gestellten Staat gelegen ist, kaum auf die genuin religiöse Einfärbung des sozialen und politischen Beziehungszusammen66 67 68 69 70 71 72 73 74

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Karl Anton Prinz Rohan: Heiße Eisen, Nürnberg 1963, S. 204 f. Ebd., S. 202. Ebd., S. 202 f.

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hanges verzichten. „The championship of religion is therefore the most important of the functions of Conservatism“75. Ohne Umschweife bezeichnet er das christliche Glaubensbekenntnis als „the keystone of the arch upon which the whole fabric rests“76. In gleicher Weise ist für den Amerikaner Clinton Rossiter die Religion der unabdingbare Garant für die soziale und politische Ordnung. „The conservative . . . cherishes religious feeling, and thus institutionalized religion, as foundation of stability, cement of unity . . . check upon power, and spur to compassion“77. Aus diesem Grunde sei „the Conservative . . . probably happiest when he has an established church to serve and defend“78. Allerdings vermögen nicht alle konservativen Autoren im Christentum eine unter allen Umständen gesellschafts- und staatsstabilisierende Religion zu erkennen. Sie habe sich im Verlauf der Geschichte sowohl als staatserhaltende Kraft als auch als eine Wirkentität zu erkennen gegeben, die die politischen Gemeinwesen erschütterte und schwächte. So behauptet Elie Kedurie, dass das Christentum sowohl als „a force for political instability as well as stability“79 zu fungieren in der Lage ist. Aus diesem Grunde müsse nachhaltig vor dem weit verbreiteten Vorurteil gewarnt werden, dass diese Religion „naturally or necessarily . . . to any particular political order“80 in Verbindung gebracht werden kann. Konservative Autoren haben nicht nur darauf aufmerksam gemacht, dass der christlichen Religion ordnungs- und autoritätsstiftende Potenzen innewohnen. Sie weisen im gleichen Atemzug auch darauf hin, in wie starkem Maße sie einem vernünftigen und humanen Freiheitsbegriff das Wort redet. Mit vollem Akkord rufen die Anwälte der in Rede stehenden Ordnungsvorstellung die Menschen dazu auf, von der Warte der falschen Freiheitsdefinition der Aufklärung in diejenige der konservativ-christlichen überzuwechseln. Wer Radowitz zufolge seinen Blick ausschließlich auf die Erde richte und alle metaphysischen Bezüge des menschlichen Handlungsuniversums ablehne, riskiere, seiner persönlichen Freiheit verlustig zu gehen. Eine ausschließlich im Irdischen verankerte Weltanschauung gerate ständig in Gefahr, einem falschen Freiheitsbegriff das Wort zu reden und dadurch die Grundlagen einer humanen Lebenswelt zu zerstören. Da ein gottloser Mensch an einem „Mangel an aller Erhebung der Sinne über den Standpunkt der Sinne“81 leide, sei er unfähig, zwischen der wahren Lord Hugh Cecil: Conservatism, London 1912, S. 116. Ebd. 77 Clinton Rossiter: Conservatism in America, New York 1962, S. 44. 78 Ebd., S. 43. 79 Elie Kedurie: Diversity in freedom. Conservatism from Burkean origins to the challenge of equality, in: Times Literary Supplement, January 10, 1992, S. 7. 80 Ebd. 81 Joseph Maria von Radowitz: Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche, in: Radowitz’ ausgewählte Schriften, hrsg. von Wilhelm Corvinus, Band I, Regensburg o. J., S. 282. 75 76

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Freiheit und einer in die Irre führenden unterscheiden zu können. „Wer das Gesetz Gottes zurückweist, wird immer dem Gesetze des Menschen, wird statt der wahren Freiheit stets der falschen Freiheit verfallen“82. Zu den entscheidenden Bestimmungsmomenten dieser Pseudofreiheit gehöre auch, dass sie die wahre Freiheit auszutilgen in der Lage ist. Ohne die Bindung des Freiheitsspielraumes des Menschen an die Gebote Gottes, bestehe immer die Gefahr, dass die Mächtigen einer individuumsunterdrückenden Politik das Wort reden, eine „individuelle Sklaverei“83 praktizieren. Vor allem die von den Kommunisten propagierte „Ausbildung der absoluten Diesseitigkeit“84 gefährde die freie Gestaltung der menschlichen Lebenswelt. Auch nach Franz von Baader bewahrt die Anerkennung der göttlichen Gebote die Menschen sowohl vor der Szylla einer anarchistischen Pseudofreiheit als auch vor der Charybdis der despotischen Unterdrückung. Im Spannungsfeld der beiden extremen Pole bietet allein die christliche Religion die Gewähr einer vernünftig definierten Freiheit. Schließlich will der gläubige „Christ . . . weder ein Sklave sein, noch will er sich zum Herrn über andere aufwerfen“85. Allein dem Christentum gebühre das Verdienst, „das Herrschen zum Dienen, das Beherrschtwerden zum Bedientwerden“86 umgestaltet zu haben. Sowohl das Volk als auch seine Obrigkeit haben in Übereinstimmung mit dem Gesetze Gottes zu handeln, sich nach seinen Normen zu richten. „Das Volk hat im Regenten, dieser im Volke denselben Gott zu achten und anzuerkennen, dem beide sich wechselseitig in freier Dienstpflichtigkeit zu einer Nation verbunden oder konstituiert finden“87. Dass allein ein christlich definierter Freiheitsbegriff in der Lage ist, eine vernünftig konstruierte Lebenswelt zu gestalten, ergibt sich vor allem dann, wenn man ihn mit dem liberalen vergleicht. Dieser basiere auf einem falsch verstandenen Naturrecht, das einer egoistischen Grundhaltung das Wort rede88. Dabei behaupte der Liberalismus, „dass die christliche Religion als solche der geistigen wie der bürgerlichen Freiheit des Menschen als eine Hemmanstalt“89 gegenüber stehe. Bei Lichte besehen gebe sich die Freiheitslehre des antireligiösen Liberalismus als eine Doktrin zu erkennen, die ausgesprochen antifreiheitlichen Geist atmet. „Der moderne Liberalismus erweist sich in seiner Indifferenz gegen das Christentum als Gesellschaftsprinzip wahrhaft antiliberal, d. h. zum alten Despotismus und Servilismus zurückführend“90. Ebd., S. 366. Ebd. 84 Ebd. 85 Franz von Baader: Gedanken über Staat und Gesellschaft. Revolution und Reform. Darmstadt 1968, S. 16. 86 Ebd., S. 13. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd., S. 48. 90 Ebd., S. 31. 82 83

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Wenn die Anwälte des konservativen Ideenkreises davon überzeugt sind, dass es eine sehr enge Verbindung zwischen dem christlichen Credo und ihrer Ordnungsvorstellung gibt, dann verwundert es kaum, wenn sie die schleichende Entchristlichung ihrer Kultur lauthals beklagen. Da die menschliche Existenz nicht in den Prämissen des Liberalismus aufgeht, da die Religionsfeindschaft in zunehmenden Maße das europäische Kulturterrain erobert, ist es die Pflicht eines jeden Konservativen, dieser unheilvollen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Zu den bedeutendsten Anwälten dieser Auffassung gehört ohne Zweifel Joseph von Eichendorff. Dabei nimmt er zunächst seine adeligen Standesgenossen in sein kritisches Visier. Vor allem dem kleinen Landadel91 wirft er vor, „die Religion nur noch wie ein löbliches Handwerk“92 praktiziert zu haben. Auf diese Weise blamierte er sich „nicht wenig vor den weitausgreifenden Fortschrittsmännern“93. Im Kontrapunkt dazu haben die „gebildeteren Adelsklassen“94 die „neue Aufklärung als notwendige Mode- und Anstandssache, gleichsam als moderne Gasbeleuchtung ihrer Salons“95 akzeptiert. Zu einer intensiven Fraternisation sei es besonders mit den „freigeisterischen französischen Autoren“96 gekommen. Auch im Bürgertum sei der kulturelle Prozess der Neuzeit nicht mehr im Zeichen des Christentums und seiner Werteordnung gestanden. Ohne Gewissensbisse habe diese Schicht die Sinnerwartungen dieser Religion radikal herabgestimmt, rigoros sich dagegen gewandt, ihre Weltanschauung aus den angeblich antiquierten Fäden der christlichen Tradition zu spinnen. Für sie galt Christus „fortan für einen ganz guten, nur leider etwas überspannten Mann, dem sich jeder Gebildete wenigstens vollkommen ebenbürtig dünkte“97. Im Verlaufe dieses kulturellen Verfallsprozesses sei es zu einer „allgemeinen Seligsprechung der Menschheit“98 gekommen, die „durch ihre eigene Kraft und Geistreichigkeit kurzweg sich selbst zu erlösen unternahm“99. Dabei sei es vor allem dem Rationalismus, der sich als „Religion des Egoismus“100 entpuppte, gelungen, einen tiefgreifenden antichristlichen Wertewandel zu inaugurieren101. Zu den konservativen Autoren, die in unserer Zeit eine kritische Beschreibung der christentumsfeindlichen Gesellschaft liefern und dazu aufrufen, zu den reli91 Joseph von Eichendorff: Der Adel und die Revolution, in: Christoph Meckel: Joseph von Eichendorff. Stuttgart und Berlin 1997, S. 90. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd. 97 Ebd., S. 91. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. 101 Ebd.

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giösen Wurzeln zurückzukehren, gehört Quintin Hogg. Allein „the religious view of life“102 könne verhindern, dass sich der gegenwärtige kulturelle Verfall fortsetzt. Dabei könne kein Zweifel daran bestehen, dass die „conscious abandonment of religion“103 zur derzeitigen „retrogression from humanity“104 geführt habe. Auch wenn sich der moderne, gottferne Geist als Spiegel einer humanen Normenwelt begreife, so ist es kaum zu leugnen, dass es ohne das Bekenntnis zur göttlichen Autorität notwendigerweise zu einem höchst bedenklichen Werteverfall kommen müsse. In der Sorge um eine humane Ordnung gewinnt die Kritik an der religionsfeindlichen Gegenwart für Hogg Gestalt. „The denial of the fatherhood of God is the root from which spring quite naturally the various heresies which have afflicted the species in our time, the doctrine of race and of class, the worship of the state, the philosophy of dialectical materialism, or the more pragmatic and not less popular creeds of Get-rich-quick“105. Dabei gibt es für Lord Hailsham106 einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen der „bewussten Aufgabe von Religion und Gottesidee und der Rückentwicklung und dem zivilisierten Verhalten des 19. Jahrhunderts“107. In dieser runden sich die einzelnen Topoi zu einem höchst abschreckenden Gesamtpanorama. Dieses umfasse die Gräuel „von Belsen und Buchenwald, den Schrecken von Hiroshima und Nagasaki“108 und die „Untat von Budapest“109. Dabei lässt Lord Hailsham keinen Zweifel darüber aufkommen, „dass allein die geheiligten Traditionen, die in Griechenland, Rom und Jerusalem ihre Nahrung und Pflege erhalten haben, den rastlosen und zerstörerischen Geist unserer Zeit . . . zivilisieren können“110. Zu den Institutionen, die einem Rechristianisierungsprozess im Wege stehen, gehören nach William F. Buckley vor allem die Universitäten. Dabei wirft er besonders seiner Alma mater, der Yale University, vor, ihre Fahnen in den antireligiösen Zeitgeistwind gehängt zu haben. Er lastet ihr an, einem Werterelativismus zu frönen, der ihrem Ursprungsgeist diametral widerspreche. Summa summarum werde an der Yale University einer „substantial contribution to secularism“111 das Wort geredet. Dieser werterelativierende, dem Geist der Neuzeit verpflichtete Denkansatz sei letzten Endes in allen Fakultäten aufzuspüren. „There is surely not Quintin Hogg: The Case for Conservatism (wie Anm. 18), S. 22. Ebd. 104 Ebd. 105 Ebd., S. 23. 106 d. i. Quintin Hogg. 107 Lord Hailsham: Wissenschaft und Politik. Aus dem Englischen, Düsseldorf und Wien 1964, S. 131. 108 Ebd., S. 130. 109 Ebd. 110 Ebd., S. 150. 111 William F. Buckley: God and Man at Yale. The Superstition of Academic Freedom. Chicago 1951, S. 25. 102 103

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a department at Yale that is uncontaminated with the absolute that there are no absolutes, no intrinsic rights, no ultimate truths“112. Die gesamte Universität habe sich einer Denkweise verpflichtet, die keinerlei Raum für die Annahme einer göttlichen Wirkkraft gewähre. „The acceptance of these notions, which emerge in courses in history and economics, in sociology and political science, in psychology and literature, makes impossible any intelligible conception of an omnipotent, purposeful and benign Supreme Being who has laid down immutable laws, endowed creatures with inalienable rights and posited unchangeable rules of human conduct“113. Christliche Konservative beklagen sich auch darüber, dass die Kirchen als Allianzpartner deshalb nicht mehr in Frage kommen, weil sie sich mit Haut und Haaren dem Zeitgeist ausgeliefert haben. Bei ihnen wird das progressistische Zentrum ihres Denkens zum Programm. Auf diese Weise eröffnen sie für den konservativ gesinnten Zeitgenossen keine Hoffnungsperspektive mehr. Will man die heutigen Kirchen in ihrer Signatur und Dimension ansichtig machen, so ergibt sich Walter Hoeres zufolge das Skandalon eines religiösen Verbandes, der durch und durch vom Modernismus befallen ist. Da der Gemeinplatz der notwendigen Anpassung an ihn durch alle kirchlichen Diskussionen und Verlautbarungen geistere, werde die Gedankenwelt der konservativ eingestellten Christen verworfen. Der in Rede stehende traditionsfeindliche Ungeist habe sich nicht zuletzt in die Gottesdienste eingeschlichen. „Rhythmisch beschwingte Gesänge untermalen den Frohsinn des Ganzen“114. Dabei seien nicht wenige Geistliche darauf aus, das überkommene Kirchengefüge zu demokratisieren. Ihnen gehe es darum, „neue Strukturen des kirchlichen ,Gemeinschaftslebens‘ und der ,Mitbestimmung‘ in der Kirche zu erproben“115. Als krasses Exempel für die Revolutionierung der kirchlichen Organisation könne die Forderung angesehen werden, „in den Kirchen eine Rätedemokratie“ 116 zu etablieren. Nach Walter Hoeres lehrt nicht zuletzt ein Blick auf die Ausbildung der modernen Theologen, in wie starkem Maße deren Denken auf einen modernistischen Ton gestimmt ist. Zu seinen fragwürdigen Bestimmungsmerkmalen gehört das kaum zu leugnende Faktum, dass die heutigen Seelsorger „mit dem Öl der Soziologie und Psychologie“117 gesalbt sind, die sie „von ihren aufgeklärten Fakultäten“118 mitbringen. Der wahre Grund für die Auslieferung der christlichen Religion an den relativierenden Zeitgeist liege vor allem in der Aufgabe des religiösen Soterio112 113 114 115 116 117 118

Ebd. Ebd., S. 25 f. Walter Hoeres: Die Unfähigkeit zu trösten, in: Zeitbühne 4 (1975), S. 30. Ebd., S. 31. Ebd. Ebd., S. 32. Ebd.

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logieaspektes. Der antikonservative Christ von heute sei immer in der Gefahr, durch seine „Harlekinaden“119 unter Beweis zu stellen, „wie überflüssig doch die Erlösung geworden ist“120. Zu denjenigen konservativen Autoren, die der Auffassung sind, dass die durch und durch modernisierten Kirchen als politische Partner kaum mehr in Frage kommen, gehört auch Roger Scruton. Diese hätten sich so sehr in die Netze des Zeitgeistes verstrickt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, dem heillos verstimmten Kulturkonzert von heute einen zukunftsweisenden Grundton zu imputieren. „It is a religion typified by Christianity and Judaism in their latter days, tempered by the necessary toleration of urban life and nourished by the ordinary decencies of a law-abiding community“121. Was Wunder, wenn sie ihrer „vital force“122 vollständig verlustig gegangen ist. In einer ähnlich kritischen Weise weist Arnold Gehlen darauf hin, dass heute viele verwirrte Christen „die humanitäre, masseneudaimonistische Ethik mit dem gesellschaftsreformerischen Idealismus aus der Aufklärungszeit und mit sozialistischen Kategorien“123 verbinden. Um dieser weltanschaulichen Zielsetzung Raum zu verschaffen, ist weder eine Kirche, „nicht einmal das Christentum“124 vonnöten. Letzten Endes handele es sich um eine „Feier der Menschheit durch sich selbst im Namen Gottes“125. Dass dabei viele konservative Autoren den Kirchen ihre Abkehr von einem konservativ geprägten Christentum verübeln, verwundert kaum. Was sie in ihrer Aktionsaktivität auf den Begriff bringen, ist Armin Mohler zufolge bar aller konservativen Bezüge. „Dass niemand mehr die Christen mit den Konservativen verwechselt – dafür sorgt der muntere Auflösungsprozess, in dem sich beide Kirchen befinden“126. Letzten Endes seien heute „die Kirchen zum wichtigsten Reservoir linker Impulse geworden“127. Wollen die christlichen Kirchen nach Oswald Spengler ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden, haben sie sich davor zu hüten, sich dem modernistischen Zeitgeist anzupassen. Wenn sich in ihrer Lehre Tradition und Modernismus in vielEbd. Ebd. 121 Roger Scruton: Godless Conservatism, in: The Wall Street Journal, April 5, 1996. 122 Ebd. Die heutige Religion sei „less all-embracing in its demands than is typical of a newfound faith“ (ebd.). 123 Arnold Gehlen: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Frankfurt am Main 1973, S. 132. 124 Ebd., S. 139. 125 Arnold Gehlen: Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat, in: Der Staat 18 (1964), S. 407. 126 Armin Mohler: Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, S. 55. 127 Ebd. Vgl. dazu: „Mit dem Establishment sind die Konservativen auch nicht mehr zu verwechseln, seit die Bourgeoise entdeckt hat, wie gut linke Phrasen für die Verdauung sind“ (ebd.). Vgl. dazu auch Günter Rohrmoser: Zur Lage der Christenheit in der „Postmoderne“, in: Criticón Nr. 122. November / Dezember 1990, S. 275 ff. 119 120

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fältiger Weise überblenden, verlieren sie nicht zuletzt auch an konservativer Substanz. Was die Katholische Kirche anlangt, so sei sich diese in der Zeit Leos XIII. bewusst gewesen, „eine konservative Macht zu sein, und wusste sehr genau, dass ihr Schicksal mit dem der übrigen konservativen Mächte, der staatlichen Autorität, der Monarchie, der gesellschaftlichen Ordnung und des Eigentums verbunden war“128. Heute dagegen gäbe es im Universum der Katholischen Kirche nur noch wenige konservative Fixsterne, an denen sich zu orientieren sie bereit ist. Sie gefalle sich darin, das Schreckbild einer überwundenen Vergangenheit zu zeichnen und dem Modernismus Reverenz zu erweisen. Während sie sich früher gegen den Liberalismus und den Sozialismus wandte, habe sie heute ihren Frieden mit diesen zersetzenden Doktrinen geschlossen. „Die Politik altgewordener Kirchen, so konservativ sie in bezug auf sich selbst sind, ist immer in Versuchung in bezug auf den Staat und die Gesellschaft liberal, demokratisch, sozialistisch, also einebnend und zerstörend zu werden, sobald der Kampf zwischen Tradition und Mob beginnt“129. Wenn es das Schicksal der Kirchen sein sollte, im aktuellen Modernisierungsprozess ihrer althergebrachten Konturen verlustig zu gehen, dann sind nach der Auffassung vieler konservativer Kulturkritiker die abendländischen Werte in Gefahr. Mit erheblichen perspektivischen Verkürzungen wird deshalb eine Sichtweise erkauft, die sich einen Kontinent ohne den prägenden Einfluss der christlichen Religion vorstellen kann. Aus diesem Grunde warnt Edgar Julius Jung seine Kombattanten von der Konservativen Revolution nachdrücklich davor, sich am Christentum zu vergreifen. Diese Religion, die bislang die verbindliche weltanschauliche Richtschnur der abendländischen Kultur lieferte, könne nur mit sehr hohen Verlusten beseitigt werden. Dabei wirft Jung den konservativen Gegnern des Christentums vor, die überkommenen religiös eingefärbten Sinnstiftungswerte kassieren zu wollen, ohne jedoch einen vernünftigen Ersatz anbieten zu können. „Die geistige Form eines transzendentalen Glaubens ist . . . für das Abendland im Christentum gegeben. Sein Salz mag lau geworden sein, seine Kirchen mögen an Lebendigkeit verloren haben. So lange sich aber Gott nicht neu offenbart, so lange kein neuer Glaubensinhalt gültig wird, so lange wird niemand den christlichen Kirchen ihren Auftrag nehmen können“130. 128 Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. Erster Teil: Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, München 1933, S. 91. 129 Ebd. S. 90. Dabei spart Spengler bei seiner eher oberflächlichen Analyse keineswegs mit unflätigen Ausdrücken. So versteigt er sich zu der Behauptung, dass die „pöbelhaften Elemente im Priestertum. . . durch ihre Tätigkeit die Kirche bis in die höchsten Stellen hinauf“ (ebd. S. 91) tyrannisieren. Die Entwicklung sei sogar schon so weit gediehen, dass „ein Priesterpöbel . . . die Würde und den Glauben der Kirche durch den Schmutz parteipolitischer Interessen schleift“ (ebd. S. 90). 130 Edgar Julius Jung. Die Sinndeutung der Deutschen Revolution, Oldenburg i. O. 1934, S. 46 f. Dabei weist Jung darauf hin, dass derjenige, der „als Religionsphilosoph am Christentume mäkelt. . . die religiösen Grundlagen des deutschen Volkes“ (ebd. S. 47) gefährde. Wer „keinen neuen Jenseitsglauben zu stiften vermag, wird zum Zerstörer, wenn er den alten angreift“ (ebd.). In diesem Zusammenhang weist T. S. Eliot darauf hin, dass die „europäische

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2. Die Denkschule des atheistischen Konservatismus Die Analyse des christlichen Konservatismus sollte allerdings nicht vergessen machen, dass es auch eine atheistische Variante dieser Ordnungsvorstellung gibt. Wenn Klemens von Klemperer behauptet, jeder Konservative zeichne sich durch eine religiöse Geistesverfassung aus, wenn er den Unterschied zwischen dem Liberalismus und dem Konservatismus auf die Differenz „zwischen Freidenkertum und einer . . . religiösen Einstellung“131 zurückführt, enträt seine klassifikatorische Anstrengung jeglicher Wirklichkeitsadäquanz. Immer schon haben bedeutende Repräsentanten des konservativen Ideenkreises zum Ausdruck gebracht, dass ihnen vor allem die christliche Religion reichlich suspekt ist. Klaus-Gerd Kaltenbrunner zufolge begegnen wir „schon früh . . . der Gestalt des auf sich gestellten Konservativen, den mit dem Christentum wenig verbindet, wenn er es nicht ganz und gar ablehnt“132. In gleicher Weise weist auch Kenneth Minogue darauf hin, dass sich der konservative Ordnungsgedanke nicht nur in einer christentumsorientierten Ausprägung präsentiert; er könne sich auch als areligiös und antireligiös zu erkennen geben. „Conservatism need have no connection at all with religious belief“133. Dezidiert hat auch Norbert Bobbio auf die Existenz des atheistischen Konservatismus aufmerksam gemacht. Die Tatsache, dass es in „Europa eine alte Tradition der reaktionären Rechten, die religiös ist, gibt“134 sollte keineswegs vergessen machen, in wie starkem Maße immer schon eine „heidnische Rechte“135 existierte. Zu dieser Denkfamilie, die weit in die Geschichte des konservativen Ideenkreises zurückweist, gehört ohne Zweifel Lord Bolingbroke. Gegenüber dem Christentum gibt er sich mit kaum gezügeltem Hass und ostentativer Verachtung als intransigenter Feind zu erkennen. Sein antireligiöses Credo geht in der Überzeugung auf, dass die Geschichte dieser Religion immer schon ein Sammelsurium von negativ Kultur das völlige Erlöschen christlicher Religiosität“ nicht überlebte (Zum Begriff der Kultur. Aus dem Englischen, Reinbek bei Hamburg 1961, S. 138). 131 Klemens von Klemperer: Konservative Bewegungen. Zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München und Wien o. J., S. 37. 132 Klaus-Geld Kaltenbrunner: Vorwort zu: Antichristliche Konservative. Religionskritik von rechts, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, München 1982, S. 33. 133 Kenneth Minogue: Conservatism, in: The Encyclopedia of Philosophy, Vol. II, ed. by Paul Edwards, London and New York 1967, S. 196. 134 Norbert Bobbio: Rechts und links. Aus dem Italienischen. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung, Berlin 1994, S. 59. 135 Ebd. Gegen die Religionskritik der Aufklärung hat schon Claude-Henri de Saint-Simon Einspruch erhoben. Dabei übte er vor allem an Condorcet heftige Kritik. Sein Hauptirrtum bestehe darin, die „Religionen als ein Hindernis für das Glück der Menschheit dargestellt zu haben“ (Zweiter Brief an Herrn von Redern. Aus dem Französischen, in: Ausgewählte Schriften, hrsg. von Lora Zahn, Berlin 1977, S. 67). Vor allem seine Kritik an der Katholischen Kirche sei in höchstem Maße ungerecht. „Condorcet verlor, betroffen über die Nachteile der dem Niedergang verfallenen katholischen Religion, den Blick dafür, dass diese Religion jene Einrichtung war, der die Europäer die Wiederherstellung der römischen Sitten und Gebräuche, die Zivilisation der im Norden wohnenden Barbaren . . . verdankten“ (ebd. S. 68).

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zu Buche schlagenden Ereignissen gewesen sei. „Ecclesiastical tradition has been, from the first and purest ages, founded, for the most part, in ignorance, superstition, enthusiasm, and fraud“136. Derjenige, der sich erkühnt, die Geschichte der Kirche in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht im Vollbesitz seiner mentalen Kräfte zu sein. „He who pretends to clear the reverend fathers, by whom tradition was principally conveyed down from age to age, and to deny this charge, must be very ignorant himself, or very impudent“137. Was Wunder, wenn Bolingbroke seine Zeitgenossen dazu auffordert, dem Ungeist der Bibel eine eindeutige Absage zu erteilen. „The kingdom of theology is the kingdom of darkness: and to enjoy the true light of the gospel, we must fly from it“138. Dass Bolingbrokes Religionsfeindschaft und seine Ablehnung der christlichen Kirchen nicht immer auf das Wohlwollen christlich orientierter Konservativer stieß, verwundert kaum. Zu denjenigen, die ihn besonders unnachsichtig kritisierten und ablehnten, gehört ohne Zweifel Samuel Johnson. Seiner Auffassung nach war Bolingbroke „a scoundrel, and a coward: a scoundrel for charching a blunderbuss against religion and morality; a coward because he had not resolution to fire it off himself, but left half a crown to a beggarly Scotchman, to draw the trigger after his death“139. Wie Bolingbroke, so gibt sich auch David Hume als intransigenter Gegner des Christentums zu erkennen. Sein Bild von dieser Religion ist von der Auffassung bestimmt, dass diese sich bei näherem Hinsehen als eine durch und durch illegitime Irrlehre entpuppt. Dabei wurden die Dogmen „der Priester . . . zur Bändigung und Unterjochung der aufsässigen Vernunft der Menschen“140 erfunden. Dass sich der gesunde Menschenverstand niemals mit einer derartigen, die Intelligenz des Menschen beleidigenden Lehre abfinden wird, steht für Hume außer Zweifel. „Da jede Eigenschaft, die uns oder anderen nützlich oder angenehm ist, im täglichen Leben als Teil des persönlichen Wertes Anerkennung findet, wird keine andere jemals akzeptiert werden, wenn Menschen mit ihrem natürlichen, unvoreingenommenen Verstand urteilen, ohne die trügerischen Auslegungen des Aberglaubens und der falschen Religion“141. Aus diesem Grunde müssen alle Anstrengungen 136 Bolingbroke: Essays concerning authority in matters of religion, in: The philosophical works of the late Right Honourable Henry St. John, Lord Viscount of Bolingbroke, Volume III, London 1754, Neudruck Genf 1968, S. 39. 137 Ebd. 138 Ebd., S. 44. 139 James Boswell: The Life of Samuel Johnson, Vol. I, London and New York 1906, S. 160. 140 David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Aus dem Englischen, hrsg. von Raoul Richter, Leipzig o. J., S. 183. 141 David Hume: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Aus dem Englischen, hrsg. von Gerhard Streminger, Stuttgart 1984, S. 198. Für Hume sind „Zölibat, Fasten, Buße,

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unternommen werden, der gesamten christlichen Religion den Garaus zu machen. Da sie ein Höchstmaß an geistiger Verwirrung repräsentiert, habe sie in einer vernünftigen Welt keinerlei Daseinsberechtigung. Jeder, dem die Pflege der menschlichen Vernunft ein Herzensanliegen ist, müsse daran arbeiten, „die große Anmaßung der Frömmelei und des Aberglaubens zum Schweigen zu bringen“142. Nur eine irregeleitete Toleranz kann der Auffassung sein, sich dieser Aufgabe entziehen zu können. Da ihr Signum die Verdummung des Menschengeschlechtes ist, ist jede Nachsicht fehl am Platze. Hume fordert seine Mitbürger auf, „alle Werke über Gotteslehre oder Schulmetaphysik . . . ins Feuer“143 zu werfen. Wenn man die deutschen konservativen Autoren Revue passieren lässt, die sich im 20. Jahrhundert zu einem atheistischen Konservatismus bekannten, so gehört Friedrich Hielscher ohne Zweifel zu ihnen. Die einzelnen Topoi seiner Weltanschauung runden sich zu einem Gesamtbild, das aller christlichen Bestimmungsmomente enträt. Als begeisterter Schüler von Nietzsche bleibt er der Erde treu und weist alle metaphysischen Überlegungen weit von sich. „Wer die Welt liebt, ist kein Christ. Denn der Christ liebt Gott von ganzem Herzen, und Gott ist nicht die Welt: so ist sein Glaube. Man kann nicht zwei Herren dienen“144. Dabei obliegt vor allem dem Deutschen die Aufgabe, „die Werte der heidnischen Vergangenheit als die Werte der Zukunft“145 zu verkünden. Mit Friedrich Nietzsche spricht sich Hielscher dafür aus, der Wertewelt von Herbert Spencer und John Stuart Mill eine Absage zu erteilen und für eine Welt zu kämpfen, die sich einem heroischen Heidentum verpflichtet fühlt146. Dass sich der christliche Glaube und das Credo des Konservatismus gegenseitig ausschließen, steht auch für Armin Mohler ohne jeden Zweifel fest. Für ihn erscheint das Christentum als die reinste Verkörperung des historischen Progressismus. Wie im Liberalismus so strebe die Welt auch nach dieser Religion einem Kasteiungen, Selbstverleugnung, Erniedrigung, Schweigen, Einsamkeit und die ganze Reihe mönchischer Tugenden“ (ebd.) dazu angetan, die Menschen ins Unglück zu stürzen. 142 Ebd., S. 129. 143 Ebd., S. 193. Ob David Hume als Repräsentant des konservativen Ideenkreises gelten kann, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Für Michael Pinto-Duschinsky ist „Hume . . . easily identifiable as a Conservative“ (The Political Thought of Lord Salisbury, London 1967, S. 58). Ganz anderer Auffassung dagegen ist Ian Gilmour, wenn er schreibt: „How could a man whose scepticism demolished God, the soul, the miracles . . . be a good conservative?“ (Inside Right, London 1977, S. 53). 144 Friedrich Hielscher: Das Reich, Berlin 1931, S. 216. Vgl. dazu: „Am 20. 2. 1924 trat ich mit dem Einverständnisse meiner Eltern aus der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union aus“ (Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954, S. 67). 145 Ebd., S. 217. 146 Ebd. Ulrich Fröschle und Michael Neumann weisen darauf hin, dass Hielscher schon vor dem Dritten Reich begonnen hatte, eine „nichtchristliche Glaubensgemeinschaft aufzubauen“ (in: Ernst Jünger-Gerhard Nebel: Briefe 1938 – 1974, Stuttgart 2003, S. 697). Dabei habe er Beziehungen „sowohl zur Stiftung ,Ahnenerbe der SS‘ als auch zu nationalkonservativen Widerstandskräften unterhalten“ (ebd.).

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heilsgarantierenden Endpunkt zu. Der „,lineare‘ Charakter des Christentums“147 ergebe sich aus dem „Eingespanntsein zwischen die beiden entscheidenden Ereignissen des Kreuzestodes Christi und des Jüngsten Gerichts“148. Im Kontrapunkt zu dieser Fortschrittskonzeption akzeptiere der Konservative die „Welt, wie sie jetzt ist, ohne jede Hoffnung auf eine Besserung in einem Jenseits oder in ferner Zukunft“149. Im Gegensatz zum Christentum, das den Menschen „sittlich absolut“150 setzt, betrachte der Konservative diesen eher als ethisch neutrales Wesen. Seine Einstellung ist auf keinen „sittlich richtenden“151 Ton gestimmt. In seiner Optik ist die „hinnehmende Haltung“152 angebracht. Aus diesem Grunde spricht sich Mohler nachdrücklich dafür aus, die christlichen Restbestände des konservativen Ideenkreises möglichst schnell über Bord zu werfen. „Aufgabe der konservativen Publizistik. . . ist also nunmehr, den Konservatismus unter Verzicht auf . . . christliche Krücken, sozusagen aus der Natur des Menschen zu begründen“153. Auf diese Weise werde am effizientesten verhindert, die Welt durch „die moralisierende Brille zu sehen“154. Für Ernst Topitsch sind die Wege zu einem christlich eingefärbten Konservatismus besonders dann unpassierbar geworden, wenn man die Welt durch die Brille des Positivismus betrachtet. Von der Warte dieses Standpunktes aus ergibt sich die stetig zunehmende Bedeutungslosigkeit der überkommenen christlichen Topoi. „Es ist zweifellos ein Vorgang von großer geistesgeschichtlicher Bedeutung, dass diese Denkformen im Zuge der wissenschaftlich-industriellen Revolution ihre Glaubwürdigkeit und psychologische Wirksamkeit immer mehr einbüßen“155. Dazu gehören notwendigerweise auch Denkformen und Moralsysteme, von denen sich die Menschen höchst ungern trennen. Wir sind jedoch verpflichtet, uns zu ihrer Aufgabe auch dann aufzuraffen, „wenn sie die Preisgabe altehrwürdiger, gefühlsmäßig ansprechender und politisch vielseitig brauchbarer Überlieferungen bedeuten“156. In diesem Zuseammenhang lobt Topitsch ausdrücklich die Entzauberungs- und Destruktionsarbeit von David Hume, Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Max Weber und Vilfredo Pareto157. Von der heilsamen Skepsis dieser Autoren ließen sich jedoch 147 Armin Mohler: Die konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Ein Handbuch. Fünfte Auflage, Graz-Stuttgart 1999, S. 118. 148 Ebd. 149 Ebd., S. 125. 150 Ebd., S. 123. 151 Ebd., S. 124. 152 Ebd. 153 Armin Mohler: Von rechts gesehen (wie Anm. 126), S. 50. 154 Ebd., S. 11. 155 Ernst Topitsch: Mythos, Philosophie, Politik. Zur Naturgeschichte der Illusion, Freiburg im Breisgau 1969, S. 11. 156 Ebd. 157 Ebd., S. 122.

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die Kirchen kaum beeinflussen. Er versteigt sich sogar zu der Aussage, dass „die Kirche . . . die erste Lehrmeisterin des totalen Staates“158 gewesen ist. Dabei sei das stalinistische Regime keineswegs zu Unrecht als „Theokratie ohne Gott“159 bezeichnet worden. Schließlich seien an dessen „Vorbereitung und Aufbau abgefallene Priester und Priesterschüler“160 in einem entscheidenden Maße beteiligt gewesen. Bis heute trage „seit der Annäherung an die Ideologie des spätrömischen Kaisertums . . . das kirchliche Welt- und Gesellschaftsbild einen stark ausgeprägten herrschaftlichen Charakter“161. Auch die kirchliche Aussöhnung mit der Demokratie habe daran nichts geändert162. Wenig Sympathie für das Christentum lässt auch die Behauptung Topitschs erkennen, dass der Monotheismus ungleich freiheitsfeindlicher ausgerichtet sei als der Vielgötterglaube. Ein Blick auf die Religionsgeschichte stelle augenfällig unter Beweis, in wie starkem Maße schon im alten Mesopotamien „auf religiösem Gebiet . . . eine erstaunliche Toleranz herrschte“163. Auf diese Weise sei unwiderlegbar der Beweis erbracht, dass „der Vielgötterglaube . . . von vornherein wesentlich elastischer war als der Monotheismus mit seinem Ausschließlichkeitsanspruch des einen Gottes“164. Die jeweils dominierenden Völker hätten sich darauf beschränkt, „ihren eigenen Göttern den Vorrang vor denjenigen der Unterworfenen oder in Abhängigkeit gebrachten, zuzuschreiben, und sahen sich daher kaum veranlasst, fremde Religionen in ihrem Machtbereich auszurotten“165. Dagegen hätten wir im monotheistischen Abendland die grauenvollsten Religionsverfolgungen aufzuweisen. Vor allem die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts seien keineswegs späte Entartungserscheinungen des Christentums, „sondern im Grunde bereits durch den christlichen Anspruch auf Ausschließlichkeit und Universalität von Anfang an vorgegeben“166. Auch französische Autoren haben sich vehement für eine antichristliche Wertewelt eingesetzt. So fließen vor allem die antireligiösen Energien des Franzosen Alain de Benoist in Bahnen, die auf einen durch und durch neuheidnischen Ton gestimmt sind. Von dieser weltanschaulichen Warte aus fordert er ein Wertesystem, das dem christlichen diametral widerspricht. Da die „biblische Moral die schrecklichste Krankheit ist, die je unter den Menschen wütete“167, ist es die Ebd. Ebd. 160 Ebd. 161 Ebd., S. 128 f. 162 Ebd., S. 129. 163 Ernst Topitsch: Pluralismus und Toleranz, in: Walter Raymond-Stiftung. Kleine Reihe Heft 31, Köln 1983, S. 13. 164 Ebd. 165 Ebd. 166 Ebd., S. 15. 167 Alain de Benoist: Heide sein. Aus dem Französischen. Tübingen 1982, S. 100. 158 159

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Aufgabe der heutigen Zeit, „ein neues Heidentum zu schaffen, das die echte Lebensart verwirklicht“168. Dabei seien in der neuen Weltanschauung die traditionellen Fluchtmöglichkeiten in die Abhängigkeit eines alle Lebensbereiche dominierenden Gottes verbaut. Im Lichte des neuheidnischen Credo verblassten die Deutungsmuster aus dem Fundus der christlichen Sklavenreligion zugunsten einer Weltanschauung, die dem bisher von der christlichen Religion versklavten Menschen bislang unbekannte Freiheitsmöglichkeiten bietet. Statt der „Erhöhung von Hörigkeit und Demut“169 setze die neue Weltanschauung „die Berechtigung des machtstrebenden Willens“170, die „reine Vernunft des Wollens“171. Während die „biblische Religion“172 darauf aus sei, den Menschen daran zu hindern, sein „Vermögen an Freiheit und schöpferischer Autonomie . . . zu verwirklichen“173, gehe es dem neuen Heidentum darum, dem Herrn der Schöpfung die „Möglichkeit zur Selbstüberwindung und zu ununterbrochener Selbstgestaltung zu verschaffen“174. Es verfolge auf diese Weise das Ziel, „aus dem Menschen eine Art Gott zu machen“175.

3. Charles Maurras als Repräsentant des atheistischen Katholizismus Neben denjenigen Konservativen, die sich als überzeugte Christen gerieren und denjenigen, die sich zum Atheismus bekennen, gibt es in ihrem Ideenkreis auch eine Denkgruppe, die als überzeugte Atheisten ihre Hochachtung gegenüber der hierarchischen Struktur der Katholischen Kirche zum Ausdruck bringen. Ihr dominierender Repräsentant ist Charles Maurras176. Den Fluchtpunkt seiner Denkanstrengungen bildet seine Auffassung, dass die Kultur ständig von der formwidrigen Natur bedroht ist. Er spricht einer dichotomischen Grenzziehung zwischen den beiden Sphären das Wort, um die menschlichen Institutionen vor dem chaotischen Eroberungsdrang der Naturgewalten zu schützen. Für Michael Freund haben bei Maurras „Anstrengung, Disziplin, Dienstbarkeit in den Formen der Kultur“177 eindeutigen Vorrang vor der „Einsicht der Ebd., S. 304. Ebd., S. 306. 170 Ebd. 171 Ebd. 172 Ebd., S. 74. 173 Ebd., S. 75. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Zu dieser Denkfamilie gehört auch Georges Sorel. Armin Mohler zufolge war dieser „in keiner Phase seines Lebens Christ“ (Georges Sorel. Bad Vilbel 2000, S. 27). Dabei gibt sich das Christentum „als ein Korsett für Staat und Gesellschaft“ zu erkennen (ebd. S. 28). Er billigt ihm „gesellschaftsbewahrende Tugend“ zu (ebd. S. 27). 168 169

3. Charles Maurras als Repräsentant des atheistischen Katholizismus

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Stunde, dem leidenschaftlichen Willen und dem Enthusiasmus“178. Sein römisch geprägtes Bewusstsein sei darauf aus, „ein providentielles Reich als den inneren lichten Kern der Welt gegen eine unermessliche dunkle barbarische Umklammerung“179 zu verteidigen. Zu den stürmenden Horden, die die Festung der Vernunft und der Ordnung bedrohen, gehören nicht zuletzt auch die demokratisch gesinnten Massen. Statt den Menschen zu befreien, führen ihre egalitären Ideale zu seiner Versklavung. „L’idéal du progrès démocratique fait du citoyen pauvre, non à proprement parler un rentier de l’Etat, mais un pupille et serf de l’Etat“180. Was Wunder, wenn die Staatsform der Demokratie für Maurras die reinste Verkörperung des politischen Verfalls symbolisiert, als höchst illegitimer Versuch zu werten ist, die ordnungswidrigen Schleusen zu öffnen. Nach Waldemar Gurian verteidigt er die überkommene Ordnung gegen die „stehenden Barbarenmassen“181. Seine Demokratiekritik impliziert eine radikale Absage „an das liberal-demokratische, optimistisch-wissenschaftsgläubige Jahrhundert“182. Völlig zurecht charakterisiert Michael Curtis sein Werk als „the most sustained counter-revolutionary attack on the Third Republic“183. Unter den zahlreichen Demokratiegegnern fungiere er als „standard-bearer“184. Dabei würde für den antireligiösen Maurras die Suche nach den Institutionen, die dem kulturzerstörenden Demokratismus Einhalt gebieten können, mit erheblichen Verkürzungen erkauft, wenn man die Katholische Kirche unerwähnt ließe. Mit vollem Akkord präsentiert er sich als ein begeisterter Anwalt der kirchlichen Hierarchie. „Sa prédication, comme sa morale des hiérarchies, soutient des rapports très étroits avec cette tranquillité de l’ordre qui s’appelle la Paix et qui est le souverain bien politique“185. Das katholische Organisationsbollwerk weist jeden ordnungswidrigen Versuch ab, die Grundlagen einer autoritätsbestimmten Politik zu zerstören186. Indem sich die Kirche dem anarchistisch-demokratischen Organi177 Michael Freund: Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Frankfurt am Main 1952, S. 226. 178 Ebd. 179 Ebd., S. 227. 180 Charles Maurras: Mes idées politiques, Paris 1937, S. 160. 181 Waldemar Gurian: Der integrale Nationalismus in Frankreich. Charles Maurras und die Action Française, Frankfurt am Main 1931, S. 23. 182 Ebd. 183 Michael Curtis: Three Against the Third Republic. Sorel, Barrès, and Maurras, Princeton N. J. 1959, S. 59. 184 Ebd. 185 Charles Maurras: Pour un jeune Français, Paris 1949, S. 81. Ohne Abstriche begrüßt Maurras den Syllabus von Papst Pius X. vom 3. Juli 1907. Er bezeichnet ihn als „un chefd’œuvre de la sagesse et de la providence du génie humain“ (La démocratie religieuse, Paris 1978, S. 268). Dabei weist er darauf hin, dass ihm die Zurückweisung des Liberalismus besonders imponiert. „Notre vieille ennemie la liberté-principe va passer un mauvais moment“ (ebd. S. 263). In diesem Zusammenhang erwähnt Maurras auch die päpstliche Verurteilung des Naturalismus und des historischen Materialismus (ebd.).

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sationsmuster verweigerte, avancierte sie zur entscheidenden Festung gegen alle Versuche, den Geist des Okzidents zu zerstören. „Toutes nos idées favorites, ordre, tradition, discipline, hiérarchie, autorité, continuité, unité, travail, famille, corporation, décentralisation, autonomie, organisation ouvrière, ont été, conservées et perfectionnées par le catholicisme“ 187. Dabei gehört es auch zu den beindruckendsten Leistungen des Katholizismus, den ordnungswidrigen Ideen des Judentums und des Protestantismus keinerlei Heimatrecht gewährt zu haben. Der Ordnungsgeist der Antike, der sich im Katholizismus ausdrückt, besiegte den zur Anarchie und der Destruktion aller wahren politischen Ordnungen neigenden aufrührerischen jüdischen Geist. „La vieille France professait ce catholicisme traditionnel qui, soumettant les visions juives et le sentiment chrétien à la discipline reçue du monde hellénique et romain, porte avec soi l’ordre naturel de l’humanité“188. Darüber hinaus gab sich die Kirche auch ablehnend gegenüber dem ebenso revolutionären Impetus des Protestantismus zu erkennen. Standhaft hat sich die Katholische Kirche geweigert, dem revolutionären Geist der „Bible de la Réforme, les statuts de la République de Genève, les théologiens calvinistes“189 Reverenz zu erweisen. Obgleich Charles Maurras die Katholische Kirche in den höchsten Tönen pries, gab er sich trotzdem als geschworener Feind ihres christlichen Bekenntnisses zu erkennen. In immer neuen Anläufen und Variationen wies er auf den genuin antifranzösischen Geist dieser Religion hin. Mit besonderem Nachdruck hat Michael Curtis auf diesen wichtigen Aspekt aufmerksam gemacht. „Maurras . . . had little sympathy for religious dogma or feeling. For him the Christianity of the Evangelists was odious, a philosophy of pure and barbarous sensibility . . . In an epoch when the Church was making many converts among intellectuals, Maurras remained agnostic“190. 186 Hermann Platz weist darauf hin, dass es am „Institut d’Action Française auch einen „Chaire du Syllabus“ gegeben hat (Geistige Kämpfe im modernen Frankreich, München 1922, S. 98). 187 Charles Maurras: La démocratie religieuse (wie Anm. 185), S. 33. 188 Charles Maurras: Trois idées politiques, Paris 1912, S. 10. 189 Ebd., S. 54 f. Alexander Dru hat die Haltung von Maurras gegenüber der Kirche augenfällig auf den Begriff gebracht, wenn er schreibt: „Gott und der Einzelne wurden . . . abgespalten und in das Dunkel des Beichtstuhls verwiesen. Es genügte, wenn man sich darin verstand, dass der Katholizismus das großartigste Vehikel der abendländischen Tradition war: seine Theologie war griechisch, seine Ordnung römisch, seine Kunst klassisch oder klassizistisch; vor allem aber war es eine lateinische Tradition, klar, einsichtig und vernünftig . . . Die römisch-katholische Kirche war es, die der Reformation, der Revolution und der Romantik Einhalt geboten hatte. Sie hatte das Christentum in einer der Kultur angepassten Form bewahrt und es von allen östlichen. jüdischen und mystischen Elementen gereinigt (Erneuerung und Reaktion. Die Restauration in Frankreich 1800 – 1830. Aus dem Französischen, München 1967. S. 274. 190 Michael Curtis: Three against the Third Republic. Sorel, Barrès, and Maurras, Princeton (wie Anm. 183), S. 225. Jacques Julliard zufolge sah „Maurras . . . en Jésus-Christ le Juif,

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Im Gegensatz zu den theokratischen Konterrevolutionären de Maistre und de Bonald finden wir bei Charles Maurras eine pointierte Kampfansage gegen jedwede metaphysische Interpretation der Politik. „Nous ne sommes pas métaphysiciens“191. Der moderne Politikanalytiker habe sich der wissenschaftlich aufweisbaren Lebenswelt zu versichern und allen metaphysischen Spekulationen eine Absage zu erteilen. „L’examen des faits sociaux naturels et l’analyse de l’histoire politique conduisent à un certain nombre de vérités certaines“192. Zu den erkenntnisfördernden Schlüsselwissenschaften zählt Maurras besonders die Psychologie193. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass Charles Maurras im Horizonte der theokratischen Konterrevolutionäre de Bonald und de Maistre argumentiert, jedoch ihre religiöse Grundorientierung in den Wind schlägt. Nie kommt ihm in den Sinn, ihrem religiösen Credo Sukkurs zu erweisen. So schreibt Michael Curtis: „If he accepted Bonald’s idea of unity and continuity, he rejected the theory of divine right“194. Was den Rekurs auf de Maistre anlangt, so negiert er den religiösen Hintergrund des Savoyers. „If he shared de Maistre’s belief in a ,political science‘ and in the need for a leader, he rejected his religious emphasis“195. In diesem Zusammenhang macht Peter Richard Rohden darauf aufmerksam, dass der Atheist Maurras deswegen so mühelos das de Maistresche Gedankenuniversum für sich c’est à dire l’anarchiste“ (La politique religieuse de Charles Maurras, in: Esprit 26 (1958), S. 371). In gleicher Weise weist Jacques Maritain darauf hin, dass sich das Denken von Maurras „contre le Christ“ gerichtet habe (Une opinion sur Charles Maurras et le devoir des catholiques, Paris 1926, S. 51). Harold J. Laski zufolge stieß der Atheismus von Maurras viele gläubige Parteigänger der französischen Rechten ab. „The pagan eclecticism of M. Maurras can hardly live in permanent comfort with the strict religious orthodoxy of M. Bourget“ (Authority in the modern State, New Haven 1919, S. 170 f.). 191 Charles Maurras: Mes idées politiques (wie Anm. 180), S. 109. Dass Maurras als Schüler von Auguste Comte seinem Ordnungsgedanken keinerlei metaphysische Züge verlieh, darauf hat auch Alphonse V. Roche hingewiesen. „Les idées vraies correspondent aux faits. Elles y sont conformes. Elles nous permettent de pénétrer les réalités, de les interpréter“ (Les idées traditionalistes en France, Urbana III. 1937, S. 187 f.) 192 Ebd., S. 108. Obgleich Maurras vorgab, die Politik auf eine empirisch ausgerichtete Stufe zu stellen, war es mit seiner Wissenschaftlichkeit nicht weit her. Das zeigt sich besonders in seiner eher ungenauen Verwendung der Begriffe Liberalismus und Demokratie. So schreibt William R. Tucker: „His persistent and continued refusal to distinguish between the various historical forms of liberal and democratic thought in France was a serious deficiency of his analysis. The equation of romanticism with revolution, revolution with liberalism of whatever inspiration . . . was highly questionable“ (The Legacy of Charles Maurras, in: The Journal of Politics 17 (1955), S. 573). Tucker zufolge sind „self-conscious political prophets . . . not usually prone to question seriously the adequacy of their own claims to clairvoyance“ (ebd. S. 574). 193 Ebd. Dabei weist Maurice Barrès darauf hin, dass der angebliche Szientismus von Maurras in seinen irrationalen psychologischen Antrieben wurzelt. „Il s’est fait une théorie en accord avec ses instincts“ (Mes cahiers, Tome II. Février 1898 – Mai 1902, Paris 1930, S. 177). 194 Michael Curtis: Three Against the Third Republic (wie Anm. 183), S. 62. 195 Ebd.

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aneignen konnte, weil es mit der religiösen Ausrichtung ihres Autors keineswegs zum Besten bestellt war. „Es bleibt in gewisser Weise doch bezeichnend, dass Maurras die Doktrin de Maistres so leicht von ihrem weltanschaulichen Hintergrund ablösen und auf den Acker seines glaubenslosen Katholizismus verpflanzen konnte“196. Dieser Tatbestand sei ein untrüglicher Beweis dafür, dass dem religiösen Denken de Maistres ein „dubioser Zug“197 eignet. Auf eine überzeugende Weise ist T. S. Eliot der Nachweis gelungen, dass es sich bei Charles Maurras keineswegs um einen radikalen Atheisten handelt. Sein Denken präsentiert sich weder als gerundete Systematik eines Ungläubigen noch als Denksystem eines überzeugten Christen. „His attitude is that of an unbeliever who cannot believe, and who is too honest to pretend to himself or to others that he does believe“198. Gleichzeitig hütet er sich, die gläubigen Christen in ein denunziatorisches Licht zu rücken. Ihm ist keineswegs daran gelegen, ihre Glaubensakte ins Lächerliche und Illegitime zu ziehen. „If others can believe, so much the better not only for them but for the world at large“199. Seine überaus tolerante Haltung gegenüber den gläubigen Zeitgenossen geht einher mit dem keineswegs überraschenden Geständnis, dass er sich eher den Katholiken als den Protestanten und Atheisten verwandt fühlt. „The peculiarity of Maurras’s agnosticism (or atheism if you like) is that he recognizes that he has much more in common, in the temporal sphere, with Catholics than with Protestants or Atheists“200. Höchst ambivalent und letzten Endes auch ungeklärt war die politische Zusammenarbeit zwischen den Anhängern der Action Française und der Katholischen Kirche. Waldemar Gurian hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Vertreter eines „agnostischen, antiliberal-konservativen Nihilismus“201 für „Kirche und Christentum, Ordnung und Tradition“202 eintreten. Die Anhänger von Charles Maurras sehen in der Katholischen Kirche einen ideologischen Partner, weil diese genau so wie sie der laizistischen Dritten Republik äußerst kritisch 196 Peter Richard Rohden: Deutscher und französischer Konservatismus, in.: Die Dioskuren 3 (1924), S. 134. 197 Ebd. Papst Pius XI. verurteilte die Lehre der Action française und diejenige von Charles Maurras. Vgl. dazu: Waldemar Gurian: Ein Papstbrief gegen die Action Française, in: Abendland 2 (Oktober 1926-September 1927), S. 48 f. 198 T. S. Eliot: The Action Française, M. Maurras and Mr. Ward, in: The Criterion 1922 – 1939, ed. by T. S. Eliot, Vol. VII (January 1928-June 1928), London 1939, S. 197. 199 Ebd. 200 Ebd. Dabei weist T. S. Eliot ausdrücklich darauf hin, dass es Charles Maurras keineswegs darum gegangen sei, „to pervert his disciples and students away from Christianity“ (ebd. S. 202). Vgl. dazu auch Henry de Montherlant: „Vor dem Jahre 1925 zimmerte ich mir ein grobes Amalgam von Heidentum und dekorativem und phantasievollem Katholizismus zurecht, in dem jedes Christentum fehlte“ (Nutzloses Dienen, Aus dem Französischen, Leipzig 1939, S. 33). Dabei hielt ich „mich abseits von seiner Religion, aber ich achtete sie“ (ebd.). 201 Waldemar Gurian: Der integrale Nationalismus in Frankreich (wie Anm. 181), S. 15. 202 Ebd.

4. Die christlich-konservative Kritik am paganistischen Konservatismus

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gegenüberstehen. Aus diesem Grunde gibt sich die Kirche für sie als ein „entscheidender Verbündeter“203 zu erkennen. In diesem Zusammenhang begrüßen es nicht wenige Franzosen, „wenn Katholiken und Ungläubige . . . an der Wiederherstellung der nationalen Monarchie arbeiten“204. Um diese Zusammenarbeit zwischen eher „strange bedfellows“ auf Dauer stellen zu können, vermeidet die Action Française jede kirchenkritische Äußerung. Waldemar Gurian zufolge blieb alles ungesagt und unerörtert, was „die Gefühle der Katholiken verletzen könnte“205. Die Agnostiker der Action Française kennen die Zielsetzungen der Katholischen Kirche so gut, dass „der Ungläubige katholischer zu sein scheint als manche Katholiken“206.

4. Die christlich-konservative Kritik am paganistischen Konservatismus Zu den auffälligsten Neuorientierungen des modernen Konservatismus zählt das Phänomen, dass insbesondere im deutschen Sprachbereich seine heidnisch-antichristliche Ausprägung die Oberhand über die religiöse gewinnt. In wie starkem Maße diese zu einem Schattendasein verdammt ist, darauf hat in verdienstvoller Weise Klaus Hornung aufmerksam gemacht. Ihm zufolge begannen sich „seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts . . . viele Konservative zunehmend von der christlichen Basis zu lösen“207. Mit vollem Akkord präsentierte sich nun eine Denkrichtung, die der christlichen Lehre ausgesprochen ablehnend, wenn nicht feindselig gegenüber steht. Hornung führt in diesem Zusammenhang vor allem die konservativen Kulturkritiker Friedrich Nietzsche, Paul de Lagarde und Julius Langbehn208 an. Auch viele Teile der Jugendbewegung und der Konservativen Revolution der Weimarer Republik209 hätten sich von der christlich-konservativen Denktradition abgekoppelt. Während im frühen 20. Jahrhundert noch bedeutende Autoren dieser politischen Familie wie Hermann Ullmann, Wilhelm Stapel und August Winnig210 ihre bedeutenden Stimmen zu Gehör bringen konnten, herrsche bei den meisten Konservativen der Bundesrepublik ein antichristlicher Ton vor. Ebd., S. 95. Ebd., S. 97. 205 Ebd., S. 98. 206 Ebd., S. 101. Charles Maurras trat kurz vor seinem Tode im Jahre 1952 in die Kirche seiner Jugendtage ein. Vgl. dazu: Chanoine Aristide Cormier: Mes entretiens de prêtre avec Charles Maurras (Mars-Novembre1952), Paris 1952. 207 Klaus Hornung: Christen und Konservative. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, in: Die Herausforderung der Konservativen, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, München 1974, S. 85. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd. 203 204

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

Heute gäben christentumsfeindliche konservative Denker wie Armin Mohler, Arnold Gehlen, Konrad Lorenz und Günther Zehm den Ton an211. In einer ähnlichen Weise vermisst auch Carl Amery im Konservatismus der Bundesrepublik den Geist des Christentums. Heute sei an die Stelle der „radikalen christlichen Zivilisationskritik aus dem Geist der alten Metaphysik“212 die affirmative Analyse der modernen Leistungsgesellschaft getreten. Für Arnold Gehlen, einem führenden Repräsentanten dieser Denkrichtung, bestünden die „letzten Bastionen einer funktionierenden Wertordnung in Form des Arbeitsethos und der Sachzwänge“213. Letzten Endes betriebe dieser antichristliche Konservatismus die Verherrlichung „der ,schönen neuen Welt‘“214. Der Geist von Franz von Baader, Charles Péguy und G. K. Chesterton sei den in Rede stehenden technokratischen Konservativen an der Wurzel fremd215. Amery zögert nicht, vom „konservativen Selbstverrat“216 zu sprechen. Dabei haben viele christlich gesinnte Konservative immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass sie mit einem Konservatismus, der ohne Skrupel Deutungsmuster aus dem Fundus des Atheismus akzeptiert und vertritt, wenig anzufangen wissen. Sie geben mit Stirnrunzeln zu Protokoll, dass sie ein derartiges Ideenkonglomerat rundweg ablehnen. So kann sich beispielsweise Emil Franzel kaum mit denjenigen Konservativen aussöhnen, „die Nietzsche und Spengler so unbeschwert zitieren, als handle es sich um Kirchenväter“217. Ihm sei eine Ideenrichtung an der Wurzel fremd, bei dem „sogar Gottlose ins Netz schwimmen“218. Das Unbehagen von Walter Hoeres entzündet sich vor allem an den Schriften von Ernst Topitsch. Er habe sich in die Netze eines Denksystems verstrickt, das bar aller christlichen Bestimmungsmomente sei. Jeder Gedanke werde bei ihm durch das Nadelöhr einer atheistischen Einstellung gezwängt. Er gehöre ohne jeglichen Zweifel zu den „gefährlichsten Gegnern“219 der „abendländischen Grundüberzeugungen“220. Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Gelehrsamkeit wende er sich gegen die Auffassung, es gebe „so etwas wie eine ewige Idee des Menschen“221. Ebd., S. 84. Carl Amery: Deutscher Konservatismus und der faschistische Graben. Versuch einer zeitgeschichtlichen Bilanz, in: Neue soziale Bewegungen, hrsg. von Wolf Schäfer, Frankfurt am Main 1983, S. 15. 213 Ebd., S. 18. 214 Ebd., S. 12. 215 Carl Amery: Der konservative Selbstverrat, in: Fluchtpunkt der Jahrhundertwende, hrsg. von Hermann Glaser, Hohwacht Verlag 1979, S. 86. 216 Ebd. 217 Emil Franzel: Fortinbras. Ansichten eines Konservativen. Würzburg 1971, S. 18. 218 Ebd. 219 Walter Hoeres: Tod eines „Bundesgenossen“, in: Kirchliche Umschau 6 (2003), S. 15. 220 Ebd. 221 Ebd. 211 212

4. Die christlich-konservative Kritik am paganistischen Konservatismus

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Darüber hinaus huldige er einem radikal pessimistischen Erkenntnisbegriff, der ihn zu dem irrigen Schluss kommen ließ, dass es keine „Einheit des Seienden und des Guten“222 gibt. Letzten Endes müssten sich die kritischen Rationalisten vom Schlage Ernst Topitschs fragen lassen, ob sie „keine andere Idee und kein anderes Ziel“223 haben, als „einfach die bestehende gesellschaftliche Wirklichkeit zu konservieren?“224. Auch Christoph von Thienen gibt in seiner geharnischten Kritik an Alain de Benoist zu erkennen, dass er an keiner religionsfeindlich-konservativen Feier teilzunehmen gedenkt. Enragiert wirft er dem Chefdenker der Nouvelle Droite vor, sich einer Moral verschrieben zu haben, „die sich grundsätzlich keinem höheren Gesetz unterwirft als dem Gesetz des Kampfes der Arten und der Zuchtwahl“225. Bei ihm trete „an Stelle der alten Kardinaltugenden die ,virtú‘ Machiavellis, in welcher nicht einmal mehr eine aus Klugheit geübte Barmherzigkeit Platz hätte“226. Letzten Endes sollen „allen Ernstes 1500 Jahre christlicher Tradition aus dem ,bewahrenswerten Erbe‘ der europäischen Zivilisation ausgeschieden und die rechtsstaatlichen Schranken niedergerissen werden, die das Christentum wie der Humanismus zum Schutze der unantastbaren Würde der Person aufgerichtet haben“227. Aus diesem Grunde ist es für Christoph von Thienen mehr als verständlich, dass die Nouvelle Droite mit den christlichen „Traditionen des vorrevolutionären Frankreich“228 bricht. Sie lehne notwendigerweise auch das Bündnis ab, das Charles Maurras „mit dem traditionellen Katholizismus Frankreichs stiftete“229. Auch Armin Mohlers Bemühen, jeden konservativen Topos in einer antichristlichen Einfärbung sichtbar zu machen, geriet in das Fadenkreuz christlich-konservativer Kritik. Vor allem Hans Zehrer warf ihm vor, sich heillos in das Fangnetz des Atheismus verstrickt zu haben. Wenn Mohler behaupte, dass sich das Bekenntnis zum Christentum und der Konservatismus gegenseitig ausschlössen, dann habe er die Bedeutung dieser Religion für die Ausbildung des konservativen Ordnungsgedanken in fataler Weise verdrängt. Letzten Endes habe Mohler in sträflicher Weise übersehen, dass „sich der konservative Mensch . . . auf den christlichen Glauben“230 stützen müsse. Seine „Überschätzung Nietzsches“231 und seine „UnEbd., S. 16. Ebd. 224 Ebd. 225 Christoph von Thienen: Tradition ohne Christentum? Die Ideologie der Nouvelle École, in: Zeitbühne 8 (1979), S. 6. 226 Ebd. 227 Ebd., S. 9. 228 Ebd., S. 5. 229 Ebd. 230 Hans Zehrer: Ein geschichtlicher Untergrund taucht auf, in: Sonntagsblatt Nr. 40, 1. Oktober 1950. 231 Ebd. 222 223

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

terschätzung des Christentums“232 geben sich eindeutig als das Produkt einer wirklichkeitsverzerrenden Sichtweise zu erkennen. Was Mohler geflissentlich verdränge, sei der kaum zu bestreitende Umstand, dass „das Konservative ohne Christentum der Dame ohne Unterleib ähnelt“233. Diejenigen Autoren, die einem betont christlich eingefärbten Konservatismus das Wort reden, sind felsenfest davon überzeugt, allein ihre Denkversion könne Legitimität beanspruchen. Scharf wendet sich Adam Röder dagegen, dass ein sogenannter „naturalistischer“ 234 Konservatismus den christlichen verdrängt. „Der Konservatismus ohne das Christentum läuft Gefahr, zu einer Variante des aufgeklärten Absolutismus zu entarten, oder zur Oligarchie, in der einzelne Schichten oder Geschlechter wahllos herrschen“235. Allein der christlichen Variante dieser Ordnungsvorstellung erschließt sich, was einer atheistischen verschlossen bleibt. Dazu gehört nicht zuletzt die fundamentale Einsicht, dass „die höchste Autorität des Staates nicht aus ihm selbst fließen“236 kann. Nur wenn man „aus dem Reich des Diesseits ins Jenseits“237 baut, ist die Gewähr für eine humane Politik gegeben. Mit Nachdruck hat auch Edgar Julius Jung seine konservativen Freunde davor gewarnt, sich am Christentum zu vergreifen. Diese Religion, die bislang die verbindliche weltanschauliche Richtschnur des Abendlandes bildete, könne nur von denjenigen beseitigt werden, die die desaströsen Folgen eines derartigen Schritts zu verantworten in der Lage sind. „Die geistige Form eines transzendentalen Glaubens ist. . . für das Abendland im Christentum gegeben. Sein Salz mag lau geworden sein, seine Kirchen mögen an Lebendigkeit verloren haben. So lange sich aber Gott nicht neu offenbart, so lange kein neuer Glaubensinhalt gültig wird, so lange wird niemand den christlichen Kirchen ihren Auftrag nehmen können“238. Jung zufolge gefährdet derjenige, der als „Religionsphilosoph am Christentum mäkelt“239, die „religiösen Grundlagen des deutschen Volkes“240. Derjenige, der das Netz seiner atheistischen Vorurteile über das Beziehungsgespinst auswirft, gibt sich als destruktive Wirkkraft zu erkennen. Wer „keinen neuen Jenseitsglauben zu stiften vermag, wird zum Zerstörer, wenn er den alten angreift“241.

Ebd. Ebd. Auch Nikolaus Lobkowicz weigert sich, sich mit dem atheistischen Konservatismus Mohlers anzufreunden. „Was ich . . . wiedererkenne, ist ein Rückgriff auf Nietzsche und eine Faszination durch die französische „nouvelle droite„“ (Wortmeldung. Graz, Wien und Köln 1980, S. 8). Dabei sei ihm „das eine wie das andere gleich unbehaglich“ (ebd.). 234 Adam Röder: Konservative Zukunftspolitik. Ein Mahnwort an die Konservativen Deutschlands, Karlsruhe 1918, S. 142. 235 Ebd., S. 142 f. 236 Ebd., S. 143. 237 Ebd. 238 Edgar J. Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution, Oldenburg i. O. 1933, S. 46 f. 239 Ebd., S. 47. 240 Ebd. 232 233

4. Die christlich-konservative Kritik am paganistischen Konservatismus

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Auch im Zentrum dessen, was Heinrich Dietz die Feder führt, steht die Sorge um die Kontinuität der abendländischen Kulturtradition. Mit Stirnrunzeln gibt dieser christliche Konservative zu Protokoll, dass nicht wenige seiner Zeitgenossen darauf aus sind, sich von der überkommenen okzidentalen Wertewelt zu verabschieden. Besorgt und entsetzt stellt er die überaus berechtigte Frage, was das für ein Europa wäre, „dem man das amputierte, was seine unverwechselbare Eigenart ausmacht“242. Schließlich sind es bedeutende Persönlichkeiten, die das Gesicht des christlichen Abendlandes entscheidend geprägt haben. Sie räumen mit der Illusion auf, die abendländische Kultur könnte der christlichen Bestimmungsmomente entraten. „Ein Europa ohne Augustinus, ohne Thomas von Aquin, ohne Benedikt, Franziskus und Bernhard“243 ist für Heinrich Dietz einfach nicht vorstellbar. Wie der antichristliche Atheismus, so geriet auch der religionsfeindliche Katholizismus von Charles Maurras in das kritische Fadenkreuz konservativ gesinnter Christen. Dabei lehnt Jacques Maritain vor allem dessen Souveränitätslehre rigoros ab. In der Vehemenz, in der dieser der staatlichen Gewalt pantokratische Züge verleihe, komme seine durch und durch antikatholische Einstellung zum Vorschein. Der große Neo-Thomist räumt gründlich mit der Illusion auf, im politischen Denken von Maurras sei auch nur eine Spur der Staatslehre der Katholischen Kirche ausfindig zu machen. „C’est une souveraineté politique qui non pas par accident, mais essentiellement, en droit et en principe, serait tournée contre le Christ“244. Michael Curtis zufolge verzichtet man auf einen wichtigen Zugang zur Souveränitätslehre von Maurras, wenn man seinen durch und durch antikatholischen Impetus außer Acht lässt. „Catholic thinkers were right to fear the threat that Maurras represented to the Church both because the state would make use of religion for its own political advantage, and because the Church could be only a prop of the state, not an independent check to it“245. Vielen Katholiken erschien es auch als äußerst fraglich, dass sich Charles Maurras und seine Anhänger als Befestigungsklotz in der kirchlichen Bastion zu erken241 Ebd. Für Edgar J. Jung atmet die nationalsozialistische Revolution zu sehr den Geist der antichristlichen Aufklärung und zu wenig denjenigen der Religion. „Manche Symptome deuten . . . darauf hin, dass die Gläubigkeit der deutschen Revolution vorläufig und teilweise in der Linie der Säkularisation liegt. Die Überschätzung der Dinge dieser Welt, von Volk und Staat, von Wirtschafts- und Rechtsfragen, von menschlicher Schöpferkraft und Organisation grenzt an Wunderglauben“ (ebd. S. 47). Für Jung wird im Hitlerstaat „die irdische Macht . . . zu hoch gewertet“ (ebd.). In der nationalsozialistischen Ideologie wird die religiöse Perspektive durch die irdische ersetzt. „Man glaubt zu sehr an den Willen und zu wenig an die Gnade“ (ebd.). 242 Heinrich Dietz: Rechts am Christentum vorbei?, in: Antichristliche Konservative (Anm. 132), S. 169. 243 Ebd. 244 Jacques Maritain: Une opinion sur Charles Maurras et le devoir des catholiques (wie Anm. 190), S. 51. 245 Michael Curtis: Three Against the Third Republic (wie Anm. 183), S. 266 f.

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III. Christentum, Atheismus und Konservatismus

nen gaben. Dass sich diese Denkgruppe als Fixstern an ihrem ideologisch-politischen Himmel zu etablieren versuchte, bereitete ihnen Unbehagen. Für Hermann Bahr ist es deshalb mehr als verständlich, dass „so viel Anerkennung eines Atheisten bei manchen Katholiken auf Widerspruch stieß“246. Sie fanden es ausgesprochen fragwürdig und irritierend, „einen unverhohlenen Widerchristen allmählich die Führung französischer Katholiken ergreifen zu sehen“247. Bei vielen von ihnen regte sich der durchaus begründete Verdacht, dass Maurras „den Katholizismus als Mittel zu ganz unkatholischen Zwecken missbrauchen wird“248. Sie befürchteten auch, die Führung der Katholiken durch die Action Française stelle ihre „Ratlosigkeit und Unfähigkeit“249 unter augenfälligen Beweis. Schließlich erwies ein Ungläubiger „dem katholischen Glauben nicht bloß Anerkennung, sondern Ehrfurcht“250. Ein überzeugter Atheist bewirkte, dass die „bisher heimlichen Katholiken neuen Mut“251 schöpften, „sich auch öffentlich wieder zum alten Glauben Frankreichs zu bekennen“252.

246 247 248 249 250 251 252

Hermann Bahr: Charles Maurras, in: Hochland 24 (Oktober 1926 – März 1927), S. 453. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 264. Ebd. Ebd.

IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse What solemn humbug this modern political economy is! What is there true of the little that is true in their dogmatic books, which is not a simple deduction from the moral and religious credenda and agenda of any good man, and with which we are not all previously acquainted, and upon which every man of common sense instinctively acted? I know none. S. T. Coleridge Der Staat beginnt zu kränkeln, wenn sich die Könige wie Händler und die Händler sich wie Könige benehmen. Antoine Rivarol Die überschwängliche Verherrlichung des allgemeinen Kampfes . . . ist auf dem Boden der konservativen Denkweise unmöglich. Alfred Vierkandt Im Spätkapitalismus brüllt das Geld. Es verpackt Zeit und Raum. Die Zensur, die der Markt über das ausübt, was schwierig und innovativ, was intellektuell und ästhetisch anspruchsvoll ist . . . hat oft größere Wirkung als politische Zensur und Unterdrückung. George Steiner

1. Die ganzheitlich-gemeinschaftliche Sozialdoktrin des Konservatismus Die konservative Bewertung des Systems der Bedürfnisse hängt wie die des Liberalismus entscheidend von der jeweiligen Sozialphilosophie ab. Dabei lehnt der Anwalt des Konservatismus die liberal-individualistische Interpretation des ökonomischen Kosmos ab. Er zieht die gemeinschaftlich-ganzheitliche Denkweise1 1 Ebenso hält auch der Sozialist Hermann Heller dafür, dass von den „subjektiven Zwecken . . . kein Weg zur objektiven „Wirkungseinheit des Staates“ führt (Staatslehre, Zweite Auflage, Leiden 1961, S. 200). Kein vernünftiger Mensch könne die liberale Ansicht teilen, dass die „staatliche Organisation . . . durch einen Vertrag“ (ebd.) zustande gekommen ist. Was Wunder, wenn der ganzheitlich denkende konservative Sozialphilosoph Jakob Baxa Ferdinand Lassalle als einen Geistesbruder betrachtet. Seine Gesellschafts- und Staatskonzeption

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

derjenigen vor, die ganz und gar dem unabhängigen Individuum verpflichtet ist. Dabei steht vor allem der Nominalismus2 für ihn als das Skandalon einer Interpretationssicht, die ohne den Gemeinschaftsaspekt3 auszukommen glaubt. Schon in der Romantik wird der Staat als eine Ganzheit angesehen, die sich keineswegs auf die Vertragsintentionen der einzelnen Bürger reduzieren lässt. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Mensch von Anfang an einen Drang zur Gemeinschaftsbildung verspürt. So ist für Novalis das „Bedürfnis eines Staats das dringendste Bedürfnis eines Menschen“4. Im gleichen Sinne spricht Adam Müller vom „ewigen Bedürfnis des Staates“5, der das „Bedürfnis aller Bedürfnisse des Herzens, des Geistes und des Leibes“6 ist. Aus diesem Grunde wendet er sich dezidiert dagegen, den Staat als seine „bloße Manufaktur, Meierei, Assecuranz-Anstalt oder mercantilistische Sozietät“7 zu betrachten. Bei Lichte besehen füge er sich „zu einem großen, energischen, unendlich bewegten und lebendigen Ganzen“8. In gleicher Weise ist auch für Franz von Baader das Schlüsselwort für die richtige Haltung zum individualistischen Liberalismus Distanz. Diese stellt ihre Legitimität vor allem dann unter Beweis, wenn man die menschlichen Verbände als Organismen betrachtet. „Im gesunden, einträchtigen, einmütigen Organismus, leben alle einzelnen Glieder von allen und für alle, und alle wieder für jedes und von allen übrigen, tuend und wirkend, leidend und genießend“9. Aus diesem Grunde geht jeder, der auf die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Individuums rekurriert, in die Irre. „Wer nicht für die Gesamtheit lebt, der lebt gegen sie“10. In diesem Zusammenhang versei „durchwegs universalistischer Prägung“ (Gesellschaftslehre von Platon bis Friedrich Nietzsche, Leipzig 1927, S. 119). Sie erinnere „an jene von Platon und Aristoteles, Fichte, Adam Müller und Hegel“ (ebd.). 2 Vgl. dazu: Karl Pribram: Die Entstehung der individualistischen Sozialphilosophie, Leipzig 1912, S. 1 ff. 3 Der Gemeinschaftsgeist ist nicht nur in der konservativen Ordnungsvorstellung aufzuspüren. So schreibt Gordon K. Lewis: „The sense of community after all, is no less a part of Robert Owen’s associonist collectivism or of L. T. Hobhouse’s social liberalism than it is of conservatism“ (The Metaphysics of Conservatism, in: The Western Political Quarterly 6 (1953), S. 732. 4 Novalis: Anthropologische Fragmente, in: Novalis’ Werke, Dritter Teil, Fragmente I, hrsg. v. Hermann Friedemann, Leipzig o. J., S. 161. 5 Adam Müller: Versuche einer neuen Theorie des Geldes, Leipzig und Altenburg 1816, S. 150. 6 Ebd. 7 Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst. Erster Halbband, hrsg. von Jakob Baxa, Jena 1922, S. 37. 8 Ebd. 9 Franz von Baader: Gedanken über Staat und Gesellschaft, Revolution und Reform, Darmstadt 1968, S. 39. 10 Ebd., S. 56.

1. Die ganzheitlich-gemeinschaftliche Sozialdoktrin des Konservatismus

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weist Baader mit allem Nachdruck darauf, dass sich vor allem der Christ der Gemeinschaftsbindung des Menschen bewusst zu sein hat. Es hieße die moralische Autorität seiner Religion zu desavouieren, wollte man ihr eine liberale Gesellschaftsphilosophie imputieren. „Der Christ kann nicht sagen: Dieses Vermögen, dieses Recht, dieses Amt usw. sind mein, und ich kann mit dem Meinen machen, was ich will“11. Gott habe es den Menschen untersagt, ein Leben in „Eigenheit und Selbstsucht“12 zu führen. Ihm zufolge habe jeder danach zu trachten, „dem anderen als seinem Nächsten“13 nicht zu schaden, sondern „ihm zu dienen“14. Dass der Konservatismus dem Gemeinschaftsdenken Reverenz erweist, dafür ist auch das sozialphilosophische Denken von Benjamin Disraeli ein beredtes Beispiel. Im sicheren Bewusstsein seines antiindividualistischen Denkens scheint ein Bekenntnis zur ganzheitlichen Idee auf, das dezidierter kaum sein könnte. Für den englischen Staatsmann und Gesellschaftstheoretiker hat sich die moderne Sozietät in einen entscheidenden und illegitimen Gegensatz zur „welfare of the community“15 begeben. Die Entsolidarisierung, die sich sowohl in der Gesellschaft als auch im Staat Bahn bricht, habe heute ein Höchstmaß erreicht. „There is no community in England, there is aggregation, but aggregation under circumstances which make it rather a dissociating than a uniting principle“16. Weit davon entfernt, von einem schlechten Gewissen geplagt zu werden, hätten sich die Wirtschaftsbürger dem materialistischen „desire of gain“17 ergeben. Dass diese beklagenswerte Haltung kaum mit dem ethischen Anspruch des Christentum im Über-einstimmung gebracht werden, daran lässt Disraeli auch nicht den geringsten Zweifel aufkommen. „Christianity teaches us to love our neighbour as ourself, modern society acknowledges no neighbour“18. Auch den Konservatismus unserer Zeit charakterisiert sein unzweideutiger Rekurs auf den Gemeinschaftsaspekt der menschlichen Existenz. In wie starkem Maße der überkommene Antinominalismus die konservativen Denker der Gegenwart bestimmen, dafür gibt es eine Fülle von augenfälligen Beispielen. So sucht Ian Gilmour seine sozialphilosophischen Evidenzen vor allem in der Auseinandersetzung mit Friedrich August von Hayek. Dessen uneinholbare Position in der Kategorie eines übersteigerten Liberalismus stelle augenfällig unter Beweis, dass Ebd., S. 57. Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Benjamin Disraeli: Sybil or the two Nations. With an introduction by W. Sichel, London and New York 1970, S. 65. Vgl. dazu auch Morris Edmund Spears: The Political Novel. Its Development in England and in America, New York 1966, S. 50 ff.; Louis Cazamin: Le roman social en Angleterre, Paris 1934, S. 47 ff. 16 Ebd. 17 Ebd., S. 66. 18 Ebd. 11 12

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

ihm jegliches Gefühl für die sozialen Werte der Gemeinschaft abgeht. Für Gilmour ist der „economic liberalism à la Hayek because of its starkness and its failure to create a sense of community . . . not a safeguard of political freedom but a threat to it“19. Im Horizonte der romantischen Sozialphilosophie war es auch Othmar Spann darum zu tun, einer antiindividualistischen Gesellschafts- und Staatslehre das Wort zu reden. Für diesen durchgängig antiliberal denkenden Konservativen ist sein Verhältnis zur liberalen Denkposition durch seine rigide Ablehnung bestimmt. Mit vollem Akkord setzt sich Spann für eine „organisch-universalistische Gesellschafts- und Wirtschaftslehre“20 ein, die nicht auf dem „Begriff des Einzelnen, sondern des Ganzen“21 beruht. Dabei wird das liberal motivierte „Zusammentreten der Bürger zum Staat“22 durch die „logisch vorgegebene Gesamtganzheit des Gemeinschaftslebens“23 ersetzt. Einer holistisch-gemeinschaftlichen Gesellschafts- und Staatsauffassung redet nicht nur der europäische Konservatismus das Wort. Eine rigide Zurückweisung der rein individualistischen Sichtweise findet sich auch im amerikanischen Konservatismus. Ihr heuristischer Hauptfehler besteht für Clinton Rossiter in der Negation des Faktums, „that man as we know him is largely the creation of the community“24. Aus diesem Grunde gehöre es zu den Hauptaufgaben der konservativen Denkgemeinde, der nominalistischen und individualistischen Sozialdoktrin den prinzipiellen Kampf anzusagen. Der Konservative „must never forget, that the terms of his mission require him to be the special guardian of social unity“25. Ihm muss daran gelegen sein, nicht nur die durchaus legitimen Ansprüche des Individuums zu beherzigen, sondern auch die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu respektieren. Dabei wird der Freiheitsspielraum der einzelnen Bürger notwendigerweise 19 Ian Gilmour: Britain can Work, Oxford. 1983, S. 225. Friedrich August von Hayek hat sich expressis verbis zum sozialen Nominalismus bekannt. Für ihn ist der „,nominalistische‘ Weg für den echten Individualismus charakteristisch“ (Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Aus dem Englischen, Erlenbach-Zürich 1952, S. 16). Hayek zufolge gibt es „keinen anderen Weg zum Verständnis der sozialen Erscheinungen . . . als über das Verständnis des Einzelnen“ (ebd. S. 15). Vgl. dazu auch Johann Baptist Müller: Die soziale Frage – der blinde Fleck der ,Chicago School‘ in: Berliner Debatte INITIAL 9 (1998), S. 57 f.). 20 Othmar Spann: Die politisch-wirtschaftliche Schicksalsstunde der deutschen Katholiken, in: Schönere Zukunft 7 (20. März 1932), S. 565. 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd. In diesem Zusammenhang wirft Spann dem Solidarismus-Konzept des Jesuiten Heinrich Pesch vor, ausgesprochen antiholistischen Geist zu atmen. Er lastet ihm an, „in allen systemtragenden Begriffen“ (ebd. S. 560) der individualistischen Sichtweise das Wort zu reden. Pesch verfalle besonders dann einer „Klitterung der Systembegriffe“ (ebd.), wenn er „sozialpolitische, staatsozialistische und vom Christentum geforderte Milderungen und Änderungen des individualistischen Systems“ (ebd.) ins Gespräch zu bringen versucht. 24 Clinton Rossiter: Conservatism in America, London 1962, S. 266. 25 Ebd., S. 276.

1. Die ganzheitlich-gemeinschaftliche Sozialdoktrin des Konservatismus

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eingeschränkt. „The conservative acknowledges limits on the individual’s freedom“26. Von der Warte seines konservativen Gemeinwohlverständnisses aus kommt Rossiter sowohl zu einer Verurteilung des rigiden Individualismus als auch des sozialistischen Kollektivismus. „Doctrinaire individualism, like doctrinaire collectivism, is a vast heresy that defies history, corrupts human relations and distorts man’s needs and nature“27. Jenseits dieser Extreme votiert Rossiter für einen „co-operative individualism“28. Der geschärfte Blick für die Grenze zwischen dem schönen Schein der individualistischen Sozialphilosophie und der naturgegebenen Gemeinschaftsbindung des Menschen hat auch Robert Nisbet dazu geführt, einer konservativen Gesellschaftssicht das Wort zu reden. Vor dem Richterstuhl ihrer Vernunft bewähre sich nur die diejenige Sozialdoktrin, die dem sozialen Nominalismus an der Wurzel fremd ist. „The family, religious associations and local community – these the conservatives insisted, cannot be regarded as the external products of man’s thought and behavior; they are essentially prior to the individual and are the indispensable supports of believe and conduct“29. In diesem Zusammenhang verweist Nisbet darauf, dass die individualistische Denkposition in den Anfangszeiten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft keineswegs jeglicher Legitimität entriet. In einer Zeit, in der die überkommenen und rigiden Sozialbindungen des Menschen vorherrschten, sei es durchaus am Platze gewesen, neben den Gemeinschaftsbindungen des Menschen auch seine persönlichen Rechte zu betonen. „As an abstract philosophy, individualism was tolerable in an age when the basic elements of social organization were still strong and psychologically meaningful“30. Auf diese Weise sei dieser Denkposition eine vernünftige Legitimität zugewachsen. „In fact, whatever its theoretical inadequacy, the philosophy of individualism may be said to have a kind of pragmatic value in an age when the traditional primary relationships were, if anything, too strong, too confining“31. Heute dagegen befänden wir uns in einer Situation, in der das individualistische Denken und Handeln das gemeinschaftsorientierte überwuchere und verdränge. „Today, however, the philosophy of individualism lacks even a pragmatic justification“32. Schließlich bestünden die „psychological problems of our age“33 nicht in der Befreiung des Bürgers, sondern in seiner „reintegration“34. 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Ebd. Ebd., S. 267. Ebd. Robert A. Nisbet: The Quest for Community, Oxford 1953, S. 25. Ebd., S. 229. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

Auch für Russell Kirk ist der ins Extrem getriebene Egoismus des modernen Menschen kaum mit den sozialen Tugenden zu vereinbaren, die dem Konservativen lieb und teuer sind. „Enlightened self-interest, the slogan of nineteenth-century liberalism, leaves love and faith out of its calculations“ 35. Derjenige, der sich heute diesem Ideal verschrieben hat, trägt zur Zerstörung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung bei. Was Wunder, wenn „the civil order . . . dissolves into its constituent atoms“36. Das dem Altruismus verpflichtete Gemeinschaftsdenken des Konservatismus hat in der jüngsten Zeit vor allem die geharnischte Kritik der ultraliberalen „Libertarians“ herausgefordert. Sie, die in besonders rigider Weise einem prinzipiellen Individualismus verpflichtet sind, werfen der konservativen Sozialphilosophie vor, dem Egoismus des Menschen eine dogmatische Absage erteilt zu haben. Ayn Rand37 zufolge ist der Konservatismus der irrigen Auffassung erlegen, „that man has no right to exist for its own sake, that service to others is the only justification of his existence, and that self-sacrifice is the highest moral duty, virtue, and value“38. Aus diesem Grunde spreche sich nur derjenige für die menschliche Freiheit aus, der die „morality of altruism“39 radikal zurückweist. Ayn Rand votiert in diesem Zusammenhang für einen rigiden Kapitalismus, der auf einen durch und durch egoistischen Ton gestimmt ist und jeglicher Form der Nächstenliebe enträt. „Capitalism is based on individual rights – not on the sacrifice of the individual to the public good of the collective“40. Dabei wirft sie der konservativen Denkfamilie vor, sich zu keiner prinzipiellen Verteidigung des Kapitalismus aufraffen zu können. „Capitalism is what the ,conservatives‘ dare not to advocate or defend“41. Dem Konservativen klingen die antigemeinschaftlichen Töne Ayn Rands ausgesprochen fremdartig und schrill in den Ohren. Sie erinnern ihn daran, dass einem derartigen Extremindividualismus immer schon natürliche Grenzen gesetzt waren. So schreibt Elie Kedurie: „In reality, the individual can only know and define himself when he is acting and reacting within social networks which are made, kept in repair and modified by him and his fellow-individuals“42. Die dogmatisch ausRussell Kirk: Wyndham Lewis’ first principles, in: Yale Review XLIV (1955) S. 534. Vgl. dazu Nigel Ashford: Russell Kirk as a Conservative Thinker, in: The Salisbury Review, July 1984, S. 37 ff. 37 Ayn Rand: Capitalism: The Unknown Ideal, New York 1966. 38 Ebd., S. 195. 39 Ebd., S. 201. 40 Ebd., S. 200. 41 Ebd., S. 105. Scharf wendet sich Russell Kirk gegen den Vorschlag von Ayn Rand, das christliche Symbol des Kreuzes durch das Dollar-Zeichen zu ersetzen. „The Cross is the symbol of sacrifice, suffering, heroism. The Dollar sign is the symbol of profit, which is all right with me, so long as its is honest“ (Confessions of a Bohemian Tory. New York 1963, S. 182). Kirk weigert sich zu glauben, dass der „material profit . . . happiness“ (ebd.) bedeute. „We really can’t live by bread alone“ (ebd.). 35 36

2. Die konservative Kritik am kapitalistischen Industrialismus

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gerichtete Suche nach einem Leben, das vom alleinigen Ziel bestimmt ist, dem Individuum einen möglichst großen Freiheitsspielraum zu verschaffen, führt in die Irre. „The search for authenticity is anarchic, antinomian and nihilistic, since it involves the rejection and destruction of all institutions, customs and traditions without which human life becomes impossible“43.

2. Die konservative Kritik am kapitalistischen Industrialismus Wenn es ein Leitmotiv gibt, das die Mehrzahl der konservativen Kapitalismuskritiker miteinander verbindet, dann ist es die pointierte Ablehnung des antigemeinschaftlichen Geistes, der diese Wirtschaftsform bestimmt. Für sie schließen sich ihre einzelnen Momente zu einer Einheit zusammen, in der kein sozialer bzw. gemeinschaftlicher Sinn mehr waltet. In ihr sind die gesamten Beziehungen zwischen den Menschen zu do ut des-Relationen geschrumpft. Es zählt allein die Rechenhaftigkeit einer Sozialrelation. So schreibt Harvey Glickman: „The whole feudal aristocratic ethos cries out against the ,cash nexus‘ and rampant individualism“44. Nun avanciert der Egoismus zu einer Tugend, der in vorhergehenden Wertewelten ein eher geduldetes Schattendasein führte. Dagegen bevorzugen die Konservativen einen Tugendkosmos, der sich gegen die „elevation of selfishness to a virtue“45 richtet. Was wunder, wenn diese sich gegen „commercialism“ 46 und „bourgeois domination“47 richtet. Schon Samuel Taylor Coleridge48 unternahm den wohlbegründeten Versuch, die frühindustrielle Gesellschaft auf ihre sozialen Defizienzen hin zu durchleuchten. Dabei förderte er eine beeindruckende Fülle von kritikwürdigen Gravamina zutage. Lauthals beklagt er die „injustice of the present rate of wages“49 und „the 42

Elie Kedurie: Diversity in Freedom, in: Times Literary Supplement, January 19, 1992,

S. 6. Ebd. Harvey Glickman: The Toryness of English Conservatism, in: The Journal of British Studies 1 (1961), S. 128. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 John Stuart Mill lobt die „moral goodness“ und die „true insight“, die in den Schriften von Coleridge zu finden seien (Coleridge, in: Essays on Ethics, Religion and Society, ed. by J. M. Robson, Toronto and London 19, S. 163). Dabei steht es für Mill völlig außer Zweifel, zu welcher ideologischen Denkfamilie Coleridge gehört. „Bentham was a Progressive philosopher, Coleridge a Conservative one“ (Mill on Bentham and Coleridge, ed. by F. R. Leavis, London. 1959, S. 40). Mill bescheinigt Bentham „a deficiency of imagination“ (ebd. S. 61). 49 Samuel Taylor Coleridge: On the Constitution of the Church and State, ed. by John Colmer, London and Princeton, N. J. 1976, S. 16. 43 44

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

iniquity of their being paid in part out of the parish poor-rates“50. Dabei kommen auch die höchst defizienten Arbeitsbedingungen zur Sprache. Die industrielle Gesellschaft habe sich in die Netze eines Maschinensystems verstrickt, das der Menschenwürde des Arbeiter keineswegs gerecht werde. Ihr Schicksal sei es, zum mechanisierten Anhängsel der „engines for the manufactory of the new rich men“51 zu werden. Der „wealth of the nations“52 basiere auf der „wretchedness“53 und dem „disease“54 der Proletarier. In diesem Zusammenhang stellt Coleridge auch die Frage, ob der rasant zunehmende Reichtum der Unternehmerschaft mit dem Gemeinwohl konveniert. Für ihn ist die „increasing number of wealthy individuals“55 kaum mit der „happiness of the people“56 zu vereinbaren. Coleridge lastet den Unternehmern auch an, den Arbeiter im Status der Unbildung gefangen zu halten. Auf diese Weise schaffen sie es, dass dieser der Fähigkeit entrate, gesellschaftliche Missstände zu erkennen. „The powers of intellect are given him in vain. To make him work like a brute beast he is kept as ignorant as a brute beast. It is not possible that this despised and oppressed man should behold the rich and idle without malignant envy“57. Wenn sich der ausgebeutete Arbeiter in seiner Not gegen die Strafgesetze vergeht, erwarten ihn die drakonischsten staatlichen Vergeltungsmaßnahmen. „And if in the bitter moment of hunger and the dark tide of fierce passions should swell, and the poor wretch rush from despair info guilt, then Government indeed assumes the right of punishment though it has neglected the Duty of instruction, and hangs the victim for crimes to which it had itself supplied the temptations“58. In diesem Zusammenhang setzt sich Coleridge dafür ein, die Sozialbindung des Eigentums stärker zu betonen. Für ihn steht es völlig außer Frage, dass dieses in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen ist. Nur auf diese Weise lasse sich die „progressiveness of the moral world“59 auf Dauer stellen. Wie in England, so stießen auch in Frankreich die sozialen Verwerfungen des Frühkapitalismus auf die geharnischte Kritik konservativer Autoren. Dabei war es nicht zuletzt Louis de Bonald, der sich zum Anwalt einer menschenwürdigen Lebensweise des Proletariats machte. Mit ihr werde vor allem in den Fabriken Schindluder getrieben. „Les fabriques et les manufactures qui entassent dans les lieux chauds et humides des enfants des deux sexes, altèrent les formes du corps et Ebd. Ebd., S. 63. 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Ebd., S. 64. 56 Ebd. 57 Samuel Taylor Coleridge: Lectures 1795 on Politics and Religion, ed. by L. Patton and P. Mann, London and Princeton N. J. 1971, S. 222. 58 Ebd. 59 Ebd., S. 227. 50 51

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dépravent les âmes“60. Zu den Leid tragenden dieser bedauernswerten Zustände gehöre nicht zuletzt die Familie. „La famille y gagne de l’argent, des infirmités et des vices“61. Ebenso ist es dem Spanier Donoso Cortés darum zu tun, auf die Defizienzen des Frühindustrialismus aufmerksam zu machen. Seiner Auffassung zufolge wird Europa „von einer einzigen epidemischen und ansteckenden Krankheit“62 heimgesucht. Es handelt sich dabei um den „Aufstand der Hungrigen gegen die Gesättigten“63. Der soziale Gegensatz zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten habe ein Höchstmaß angenommen. „Zwar hat es ja auf dieser Welt immer arme und reiche Leute gegeben. Aber früher hat man doch niemals so wie heute die Beobachtung machen müssen, dass der Gegensatz zwischen arm und reich eine brennende, ja, die alles beherrschende Frage geworden ist“64. Dieser deplorable soziale Übelstand habe seine eigentliche Ursache darin, „dass im Bereich der begüterten Klassen die Flamme der wohltätigen Liebe erloschen ist“65. Aus diesem Grunde müssen die Reichen dazu aufgefordert werden, „das Gebot der Barmherzigkeit wieder zur Richtschnur ihres Handelns und ihres täglichen Lebens“66 zu machen. Allein auf diese Weise sei die „wohlhabende Klasse von dem schlechten Wege abzubringen, auf den sie geraten ist“67. Dabei belässt es Cortés keineswegs bei einem Aufruf zur christlich motivierten Mildtätigkeit. Will man eine gerechtere Gesellschaft etablieren, so muss neben die tätige Unterstützung der Armen auch eine egalitärere Besitzverteilung treten. „Heute gilt es andere Forderungen zu erfüllen, vor allem die gebieterische Forderung, den schlecht verteilten Reichtum angemessen zu verteilen“68. Da die Besitzfrage zu den gravierendsten Problemen der Gesellschaft gehört, müsse sie „in erster Linie und so bald wie möglich beantwortet werden“69. Es gehöre zu dem wichtigsten Aufgaben des Staates, „den ins Riesenhafte gewachsenen Egoismus einzuschränken und den von gierigen Händen angehäuften Reichtum zu Almosen größten Stils zu verwenden“70. 60 Louis de Bonald: Pensées, in: Bonald, ed. par le Comte Léon de Montesquiou. Paris 1907, S. 267. 61 Ebd. 62 Donoso Cortés: An die Königin-Mutter Maria Christine von Bourbon, 16. November 1851, in: D. Cortés. Briefe, parlamentarische Reden und diplomatische Berichte aus den letzten Jahren seines Lebens (1849 – 53), aus dem Spanischen, hrsg. von A. Maier, Köln MCML, S. 131. 63 Ebd., S. 132. 64 Ebd. Der Katholik Cortés wirft dem Bürgertum vor, sich „auf die Güter der (aufgehobenen) Klöster gestürzt und diese in der schamlosesten Weise unter sich verteilt“ (ebd. S. 138) zu haben. 65 Ebd. 66 Ebd., S. 134. 67 Ebd. 68 Ebd., S. 135. 69 Ebd.

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Was die Kapitalismuskritik des deutschen Konservatismus anlangt, so war es nicht zuletzt Franz von Baader, der sich als intransigenter Gegner des besitzbürgerlichen Industrialismus gerierte. Für ihn verdrängten vor allem die Topoi der liberalen Wirtschaftslehre mit ihrer rigiden Betonung des Marktprinzips alle negativ zu Buche schlagenden gesellschaftszerstörenden Auswirkungen aus dem Blick. In einem äußerst aggressiven Ton lastet Baader ihr an, einen „Abgrund des physischen und moralischen Elends und Verwahrlosigkeit“71 geschaffen zu haben. Dabei wirft er den Industriellen vor, dem sozialen Elend der Arbeiterschaft auch nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. „Wie oft habe ich zum Beispiel den meetings und associations der Fabrikherren in England beigewohnt, welche alle mit Festsetzung eines Maximums für die Arbeitslöhne und eines Minimums für die Verkaufspreise endeten“72. Letzten Endes gebe sich der Kapitalismus als eine Wirtschaftsform zu erkennen, die die „Vogelfreiheit, Schutz- und Hilflosigkeit“73 des Proletariats im Gefolge hat. Ihre Unmenschlichkeit fördere vor allem ein historischer Vergleich zutage. Für Baader war die mittelalterliche „Hörigkeit selbst in der härtesten Gestalt als Leibeigenschaft . . . minder grausam und unmenschlich“74, als das Repressionssystem des aus den Fugen geratenen Kapitalismus. Die dem Geiste des Sozialdarwinismus frönende Gesellschaft des Kapitalismus bedarf Franz von Baader zufolge einer der Ethik des Christentums verpflichteten Metanoia. Statt der „wilden Kämpfe um Leben und Tod“75 redet er einer Sozietät das Wort, in der alle Bürger ein sicheres Auskommen haben76. In gleicher Weise nimmt auch Radowitz die sozialen Missstände des Kapitalismus in seinen kritischen Blick. Von der Warte seines katholischen Christentums aus wirft er der ökonomisch dominierenden Klasse vor, für eine stetig ansteigende 70 Ebd. Cortés kritisiert auch, dass die Reichen darauf aus sind, „die politische Macht und damit die Gesetzgebung des Staates in ihre Hand zu bekommen“ (ebd. S. 138). Über den Umweg des Wahlzensus würden darüber hinaus „die Armen ihrer politischen Rechte beraubt“ (ebd.). 71 Franz von Baader: Über das derzeitige Missverhältnis der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Klassen der Sozietät in betreff ihres Auskommens, sowohl in materieller als in intellektueller Hinsicht, aus dem Standpunkte des Rechts betrachtet, in: Gesellschaftslehre, hrsg. von H. Grassl, München 1957, S. 237. 72 Ebd., S. 239. 73 Ebd., S. 238. 74 Ebd. 75 Franz von Baader: Gedanken über Staat und Gesellschaft. Revolution und Reform (wie Anm. 9), S. 41. 76 Ebd., S. 44. Für Franz von Baader ist der christlichen Religion der Gedanke völlig fremd, dass „der Mensch, sei es durch das Land, sei es durch den unmenschlichen Geldbesitz in den Besitz des Menschen gelange“ (ebd.). Dabei habe vor allem die liberale Hoffnung getrogen, dass die Geldwirtschaft den Freiheitsspielraum des Menschen entscheidend zu erweitern imstande ist. „Der bloße Geldverkehr . . . macht die Menschen zwar mehr voneinander los als der Naturalverkehr, aber er macht sie nicht frei voneinander“ (ebd.).

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„Massenarmut“77 verantwortlich zu sein. Begriffen und akzeptiert werde von ihr nur das, was auf ein rein individualistisches, radikal gewinnorientiertes Sozialmodell zu bringen ist. Auf diese Weise erweise sie sich als völlig unfähig, die Kategorie des wirtschaftlichen Erfolges mit derjenigen der gesellschaftlichen Verantwortung zusammen zu denken. „Die Wirkungen des größeren Reichtums sind daher auch lediglich größerer Genuss ohne soziale und politische Gegenleistung“78. Aus diesem Grunde müsse sich die kapitalbesitzende Klasse den Vorwurf gefallen lassen, einem höchst defizienten Eliteideal nachzueifern. „Das ist nicht die Aristokratie, wie sie zu anderen Zeiten bestanden, sondern die unterste Stufe des zersplitterten Egoismus, die Plutokratie“79. Dabei seien in einer Gesellschaft, in der als einziger „Regulator . . . die nackte Selbstsucht80 herrsche, der Aufstieg gesellschaftszerstörender Parteien und Bewegungen vorprogrammiert. Für Radowitz bezieht der revolutionäre Sozialismus seinen Antriebselan aus den gesellschaftlichen Verwerfungen des Kapitalismus81. Dabei sei im Kontrapunkt zu diesem allein das Christentum in der Lage, zu einer „ausgleichenden, regelnden Tätigkeit“82 zu kommen. Was die Bewertung des Sozialismus durch den Konservatismus anlangt, so gibt Friedrich Julius Stahl zu bedenken, dass „er für uns Lehren von mächtiger Wahrheit“83 enthält. Vor allem seine kapitalismuskritische Wirtschaftslehre enthalte „sehr beachtenswerte Fingerzeige“84. Nicht zuletzt der Anwalt des konservativen Ideenkreises könne von ihr „die Unhaltbarkeit des Systems der unumschränkten Konkurrenz, des laissez aller“85 lernen. Aus diesem Grunde sei es höchst verwerflich, das Konzept des Sozialismus in Bausch und Bogen zu verdammen. „Irrig zwar in seinem Prinzip und seinen Resultaten, ist es demnach geeignet, durch seine Gründe und Prämissen zur Erkenntnis sowohl der Gebrechen, als eines gewissen Bildungstriebes unseres wirtschaftlichen Zustandes beizutragen“86. Stahl zufolge lehrt uns der revolutionäre Sozialismus vor allem, dass das kapitalistische Eigentum „mit dem Charakter der äußersten, rücksichtslosesten Selbstsucht behaftet“ ist87. Konservative Kritiker des kapitalistisch verfassten Systems der Bedürfnisse beklagen auch, dass sich dieses durch eine höchst irrationale Konsum- und Produk77 Joseph Maria von Radowitz: Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche. Band I, Regensburg o. J., S. 391. 78 Ebd., S. 370. 79 Ebd. 80 Ebd., S. 389. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Partein in Staat und Kirche, Berlin 1863, S. 275. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd. 87 Ebd., S. 276.

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tionsstruktur auszeichnet. Vor allem für Carl Schmitt werden die Tendenzen der modernen Wirtschaftswelt ins äußerste Extrem der Vernunftwidrigkeit getrieben, wenn man versäumt, zwischen legitimen und nichtlegitimen Bedürfnissen zu unterscheiden. Mit dieser Defizienz ist für ihn der Anschluss an eine Denkweise gefunden, die eine radikal wertfreie Haltung gegenüber der modernen Wirtschaftswelt propagiert. Dabei könne nur ein irregeleiteter Ökonomismus meinen, dass damit etwas für eine vernünftige Daseinsgestaltung gewonnen sei. „Ein wunderbarer rationeller Mechanismus dient irgend einer Nachfrage, immer mit demselben Ernst und derselben Präzision, mag die Nachfrage seidene Blusen oder giftige Gase oder irgend etwas anderes betreffen“88. Auf diese Weise macht sich der heutige Wirtschaftsprozess „zum Diener irgendwelcher Bedürfnisse“89. Dabei entspreche „einer aufs äußerste rationalisierte Produktion ein völlig irrationaler Konsum“90. Wenn es eine primäre Ursache für diesen gibt, dann liegt sie für Carl Schmitt darin beschlossen, dass nicht mehr „nach der allein wesentlichen Rationalität des Zweckes gefragt wird, dem der höchst rationale Mechanismus zur Verfügung“91 steht. In diesem Zusammenhang geht Friedrich Romig mit den Ordnungsvorstellungen der kapitalistischen Konkurrenzökonomie unnachsichtig ins Gericht. Sie gebe sich als das probateste Mittel zu erkennen, um auch noch die disparatesten Bestimmungsmerkmale dieser Wirtschaftsform in einen angeblich widerspruchsfreien Zusammenhang zu bringen. Dabei wälzt die Begeisterung über dieses Ökonomiemodell alle Einwände nieder, die von ihren Gegnern formuliert werden. „Sie soll das Nachdenken darüber ausschließen oder ablenken, wie die moderne Industriegesellschaft tatsächlich funktioniert, wie, durch wen und zu wessen Gunsten sie motiviert und kontrolliert wird“92. Für Romig ist die „Berufung auf die sich selbst regulierenden ,Marktgesetze‘ . . . Ausdruck der Resignation der classe politique vor einer Entwicklung in Gesellschaft und Wirtschaft, die sie selbst in Szene gesetzt hat“93. Diese zeichne sich vor allem durch den „Erwerb von äußerem Reichtum und Macht“ 94 aus. Ihr Wirtschaftsbürger richte „sein ganzes Dichten und Trachten . . . auf Lustgewinn“95 aus. Im Kontrapunkt zu dieser Fehlentwicklung sei der Anwalt des konservativen Gesellschaftsideals darauf aus, das System der Be88 Carl Schmitt: Römischer Katholizismus und politische Form, München 1925, S. 20. Ironisch fügt Carl Schmitt hinzu: „Wenn einmal die ewigen Lampen vor allen katholischen Altären von demselben Elektrizitätswerk gespeist werden, das die Theater und Tanzlokale der Stadt beliefert, dann wird der Katholizismus dem ökonomischen Denken euch gefühlsmäßig eine begreifliche, selbstverständliche Sache geworden sein“ (ebd.). 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 22. 92 Friedrich Romig: Die Rechte der Nation, Graz-Stuttgart 2002, S. 124 f. 93 Ebd., S. 125. 94 Ebd., S. 118. 95 Ebd.

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dürfnisse von der rigiden Herrschaft des Ökonomismus zu befreien. In seiner Wirtschaftsverfassung werde die „ganz bewusste Unterordnung unter die geistig-kulturell-sittlichen Dimensionen der Gesellschaft“96 angestrebt. Auf diese Weise sei es endlich möglich, „konservativ-ganzheitliche Denkweisen und Methoden“97 zu implementieren. Seiner ausgeprägten Skepsis gegenüber dem liberal-kapitalistischen Wirtschaftsmodell gibt auch Gerd-Klaus Kaltenbrunner beredten Ausdruck. Da in seinem Mittelpunkt die äußerst fragwürdige Konstruktion des homo oeconomicus stehe, spielten „in diesem vom Liberalismus entworfenen Modell . . . soziale Regelkräfte, Überlieferung, Normen und systembezogene gesellschaftliche Planung keine belangvolle Rolle“98. Ihm könne der Vorwurf nicht erspart werden, das falsche Ideal einer Gesellschaft konzipiert zu haben, „in der einzelne Selbständige ihres Glückes Schmied sind und das Gesamtwohl fördern, indem sie sich, befreit von staatlichen, kirchlichen und sonstigen Schranken, selbst helfen“99. Wenn sich der europäische Konservatismus gegenüber dem Kapitalismus als ausgesprochen kritikfreudig zu erkennen gibt, dann stellt sich notwendigerweise auch die Frage, wie sich die amerikanischen Repräsentanten dieser Ordnungsvorstellung gegenüber dieser Wirtschaftsform verhalten und verhielten. Zunächst zeigt ein auch nur oberflächlicher Blick auf das amerikanische Wirtschaftsgespinst des 19. Jahrhunderts, dass seine Anwälte ihm ausgesprochen wohlwollend gegenüberstanden. Das marktwirtschaftliche System dieser Zeit fand ihre ungeteilte Zustimmung. Ihnen ging es dabei nicht mehr und nicht weniger als um „the limitation of governmental power in the interest of private profit“100. Nach Anthony Giddens ist „der amerikanische Konservatismus . . . zumindest in einigen seiner hervorstechenden Formen beinahe von Anfang an in einer den europäischen Pendants fremden Form aggressiv kapitalismusfreundlich gewesen“101. Ebd., S. 134. Ebd., S. 136. Vgl. dazu auch Friedrich Romig: Marktwirtschaftliche und konservative Wirtschaftsauffassung, in: Criticón 121, September / Oktober 1990, S. 241 ff. 98 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Der Konservative im neoliberalen Zeitalter, in: Die neue Rundschau 85 (1974), S. 9. 99 Ebd. 100 W. Hardy Wickwar: Foundations of American Conservatism, in: The American Political Science Review XLI (1947), S. 1114. 101 Anthony Giddens: Jenseits von Links und Rechts. Aus dem Englischen, Frankfurt am Main 1947, S. 46. Vgl. auch dazu Daniel Aaron: „From the middle of the nineteenth century until the New Deal, conservatism became progressively less reflective and preoccupied almost entirely in fending off the assaults of a property-hungry majority“ (Conservatism, Old and New, in: American Quarterly 6 (1954), S. 101). Die Perspektive dieses Konservatismus sei auf eine Doktrin ausgerichtet gewesen, in der die „ignorance of social progress“ (ebd. S. 102), das „ignoring of the community“ (ebd.) an erster Stelle gestanden hätten. Tür Aaron handelt es sich bei der in Rede stehenden Ordnungsvorstellung um einen „perverted conservatism“ (ebd.). 96 97

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Einen entscheidenden Anteil an der Ausbildung der kapitalistischen Ideologie der USA hatte nicht zuletzt die sozialdarwinistische Ordnungsvorstellung. Es war vor allem der Yale-Soziologie William Graham Sumner102, der sich zum Anwalt dieser Gesellschaftsdoktrin machte. Richard Hofstaedter zufolge identifizierte sich nahezu die gesamte Geschäftswelt der USA mit ihr. „The most popular catchwords of Darwinism, ,struggle for existence‘ and ,survival of the fittest‘ when applied to the life of man in society, suggested that nature would provide that the best competitors in a competitive situation would win“103. Darüber hinaus lehnten die Sozialdarwinisten jegliche sozialpolitische Aktivität des Staates ab. „The idea of development . . . brought new force to another familiar idea in conservative political theory, the conception that all sound development must be slow and unhurried“104. Zu den einflussreichsten und bedeutendsten konservativen Anwälten des in Rede stehenden Sozialdarwinismus gehörte John C. Calhoun. Dieser überzeugte Interventionsgegner, dem es um „the limitation of governmental power in the interest of private profit“105 ging, war der Auffassung, dass die Hauptquelle des gesellschaftlichen Fortschritts „the desire of individuals to better their condition“106 sei. Der wirtschaftliche und soziale Fortschritt bedarf dabei eines Höchstmaßes an sozialer Ungleichheit. „Inequality of condition, while it is a necessary consequence of liberty, is at the same time indispensable to progress“107. Aus diesem Grunde sollte sich die staatliche Exekutive nicht um die Entscheidungen der Wirtschaftsbürger kümmern, ihrem ökonomischen Freiheitsbereich keinerlei Beschränkungen auferlegen. „The strongest impulse which can be given . . . is to leave individuals free to exert themselves in the manner they deem best for that purpose“108. Auf diese Weise sei es möglich, „to secure to all the fruits of their exertions“109. Die in Rede stehende sozialdarwinistisch-marktwirtschaftliche Ausrichtung des amerikanischen Konservatismus stieß allerdings auch auf geharnischte Kritik. In einem ausgesprochen scharfen Ton geißelt Orestes Brownson die Arbeits- und Lebensbedingungen der amerikanischen Arbeiterschaft. In diesem Zusammenhang nimmt er vor allem ihr niedriges Lohnniveau in sein kritisches Visier und moniert 102 William Graham Sumner: Soziale Pflichten. Was die Klassen der Gesellschaft einander schuldig sind. Aus dem Amerikanischen, Berlin 1887. 103 Richard Hofstaedter: Social Darwinism in American Thought, Boston 1955, S. 6. 104 Ebd., S. 6 f. 105 W. Hardy Wickwar: Foundations of American Conservatism (wie Anm. 100), S. 1114. 106 John C. Calhoun: A Disquisition on Government, in: A Disquisition on Government and Selections from the Discourse, ed. by C. G. Post. New York 1953, S. 43. Vgl. dazu Charles M. Wiltse: Calhoun’s Democracy, in: The Journal of Politics, 3 (1941), S. 210 ff. 107 Ebd. 108 Ebd. Merle Curti zufolge brach Calhoun „im Interesse der grundbesitzenden Aristokratie des Südens . . . den ganzen Bau der Ideen Jeffersons über Menschlichkeit, Naturrecht und über eine Demokratie des aufgeklärten kleinen Grundbesitzes nieder“ (Das amerikanische Geistesleben, Aus dem Amerikanischen, Stuttgart 1947, S. 587). 109 Ebd., S. 43 f.

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den stetig zunehmenden Reichtum der Oberschicht. „There is less equality than there was in my boyhood, and the extremes are greater. The rich are richer, and the poor are poorer“110. Dabei lastet er seinen Zeitgenossen an, dem christlichen Glauben untreu geworden zu sein und der unbegrenzten Besitzanhäufung das Wort zu reden. „We have left behind us the living faith of the earlier ages; we have abandoned our old notions of heaven and hell; and have come, as Carlyle well has it, to place our heaven in success in money matters, and to find the infinite terror which men call hell, only in not succeeding in making money“111. Die Anbetung des Geldes sei an die Stelle der überkommenen Gottesverehrung getreten. Der „religious faith of the middle ages“112 wurde durch „the worship of Mammon“113 ersetzt. Dabei ruft Brownson vor allem seine christlichen Glaubensgenossen auf, an der Überwindung der Defizienzen der kapitalistischen Gesellschaft zu arbeiten. „No man can be a Christian who does not begin his career by making war on the mischievous social arrangements from which his brethren suffer“114. Für Brownson gewinnen seine sozialkritischen Argumente in dem Maße an Legitimität, in dem sie auf einen genuin konservativen Ton gestimmt sind. Unmissverständlich ruft er dazu auf, dem radikalen Fortschritt den Kampf anzusagen. „The law is right as it is; we must study to keep it so; and if we do so, we shall always throw our influence on the conservative side, never on the radical side“115. Zu den amerikanischen konservativen Autoren, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts dem Kapitalismus ihres Landes äußerst kritisch gegenüberstanden, gehört auch Herbert Agar. Dieser bedeutende Sozialkritiker, der entscheidend von Hilaire Belloc und Gilbert Keith Chesterton beeinflusst wurde, gehört sicherlich zu den interessantesten konservativen Intellektuellen der USA116. Sein Unbehagen galt vor allem der stetig zunehmenden Macht des Finanzkapitals seines Landes. Diese unheilvolle Entwicklung sei dem konservativen Eigentumsgedanken an der Wurzel fremd. „Believing as we do that there are moral and economic virtues in the institution of widespread property, and that monopoly-capitalism is morally ugly as well as economically unsound, our practical proposals look toward a genuine propOrestes Brownson: Selected Essays, ed. by R. Kirk, Chicago 1955, S. 216. Ebd., S. 36. 112 Ebd., S. 54. 113 Ebd. Schon Brooks Adams hat darauf hingewiesen, dass die künftige Entwicklung der USA durch die „Macht des Kapitals“ geprägt sein wird. (Das Gesetz der Zivilisation und des Zerfalles, Aus dem Amerikanischen, Wien und Leipzig 1907, S. XXIX). Dabei wird der „ökonomische . . . Intellekt“ (ebd. S. XXX) dominieren und der „,künstlerische Typus aus der Menschheit schwinden“ (ebd.). Das soziale Feld gehört dann dem „Wucherer in seiner abschreckendsten Gestalt“ (ebd.). 114 Orestes Brownson: The Laboring Classes with Brownson’s Defense of the Article on the Laboring Classes, ed. by M. K. Doudna, Delmar N.Y. 1978, S. 15. 115 Orestes Brownson: Essays and Reviews chiefly on Theology, Politics, and Socialism, New York 1852, S. 320. 116 M. Morton Auerbach zufolge kam mit Agar „an unmistakably marked change in the tone of Conservative ideology“ (The Conservative Illusion, New York 1959, S. 168). 110 111

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erty State“117. Dieser zeichne sich vor allem dadurch aus, dass „a considerable majority of the families participate in real ownership“118. In diesem Zusammenhang warnt Agar nachdrücklich vor dem Fehlschluss, dass sein Angriff auf die derzeitige ungleiche Eigentumsverteilung auf die Beseitigung des persönlichen Eigentums abziele. Wer die derzeitige Besitzstruktur angreife, sei keineswegs immer ein Feind des Privateigentums. „The average American thinks he is defending property when he is defending unrestricted private enterprise“119. Dem Monopolkapitalismus der USA wohnt Agar zufolge auch die Gefahr inne, dass Amerika in den Sozialismus abgleitet. „If the American people cannot have genuine competition, they will prefer a State planned by communists for the good of the whole rather than a State planned by robber barons for the good of one another“120. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, dass die Amerikaner dem Faschismus das Wort reden. „If monopoly goes its way, it will drift into fascism“121. Die Problematik einer vernünftigen Eigentumsverteilung hat sich auch ins Bewusstsein des sog. Neokonservatismus geschoben. Dabei führt vor allem die Besinnung darauf, wie viel politische Macht dem Reichtum zukommen darf, die Feder von Clinton Rossiter. Für ihn haben sich seine ideologischen Freunde der Einsicht zu beugen, dass die in der Besitzanhäufung liegende ökonomische und politische Macht die Freiheit des Menschen in einem entscheidenden Maße gefährden könne. „When property is power, it should be subject to the controls that society places on power“122. Gerade der konservativ gesinnte Bürger habe der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die ungezügelte Wirtschaftsmacht eine gefährliche Beeinträchtigung der Lebenswelt des Menschen darstelle. „Many forms of property bring power over the lives and liberties of men to owners and managers“123, Dabei sei das Privateigentum keineswegs „synonymous with vested interests, capitalism, nor corporate power“124. In diesem Kontext verweist Rossiter auch darauf, dass es der Wirtschaftselite der USA gelungen sei, einen geradezu spektakulären Einfluss auf das politische Gemeinwesen dieses Landes zu erringen. „Nowhere, did the businessman take over so completely as the key man of the Right from the landowner, the gentlemen, the soldier, and the statesman“125. Dabei seien die weniger Erfolgreichen, die Mühseligen und Beladenen aus dem Blick des Be117 Herbert Agar: „But can it be Done?“, in: Who owns America?, ed. by H. Agar and A. Tate, Cambridge Mass. 1936, S. 103. 118 Ebd. 119 Ebd., S. 108. 120 Ebd., S. 106. 121 Ebd., S. 107. 122 Clinton Rossiter: Toward an American Conservatism, in: The Yale Review XLIV (1955), S. 360. 123 Ebd. 124 Ebd. 125 Clinton Rossiter: Conservatism in America, New York 1962, S. 202.

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sitzbürgertums geraten. „Distressing, and destructive of the sense of community has been the easy unconcern with which the Right has ignored evidence of widespread poverty, suffering, and dislocation, especially in hard times“126. Dieses offensichtliche ethische Scheitern folge aus der mangelnden Bereitschaft, sich für die Opfer des kapitalistischen Marktprozesses einzusetzen. „There has been missing from America’s ruggedly individualistic conservatism a strain of compassion for those who have failed and suffered“127.

3. Die Ökonomisierung der Gesellschaft in konservativer Sicht Die Anwälte der konservativen Ordnungsidee übten nicht nur Kritik an der Unfähigkeit des Marktes, für sozial ausgewogene Zustande zu sorgen. Sie nahmen auch die zunehmende Ökonomisierung der Lebenswelt in ihr analytisches Visier. Vielen Repräsentanten des konservativen Ideenkreises erschien diese als besonders gravierendes Verfallsmerkmal des Kapitalismus. Gegen die utilitaristisch-gewinnorientierte Denkweise des homo oeconomicus setzen sie ihre Forderung, dem kapitalistischen Wirtschaftsdenken eine Wertewelt gegenüberzustellen, die dem Geist der überkommenen abendländischen Kulturtradition verpflichtet ist und nicht nur dem Ideal des Habens Sukkurs erweist. Dabei hat sich schon Edmund Burke zum Anwalt einer antiökonomistischen Gesellschaftsdoktrin gemacht. Dass in seinen Augen diese als eine ideologische Verirrung zu gelten hat, beweist seine Redewendung von der „unbought grace of life“128. Eine Sozietät, in der die Wirtschaftsakteure allein den sozialen und kulturellen Ton angeben, lehnte er dezidiert ab. Wenn er darüber klagt, in wie starkem Maße das „age of chivalry“129 endgültig an sein Ende gekommen ist und dasjenige der „sophisters, economists, and calculators“130 fröhliche Urstände feiert, dann wird er kaum dafür eintreten, aus jeder menschlichen Beziehung eine do ut desRelation zu machen. Auch wenn er „commerce, and trade, and manufacture“131 kritisch als „the gods of our economical politicians“132 bezeichnet, redet er kaum einer Auffassung das Wort, die alle gesellschaftlichen Beziehungen auf eine wirtschaftliche Basis gestellt wissen will. Statt einer Ökonomisierung von Staat und Gesellschaft das Wort zu reden, fordert er seine Mitbürger dazu auf, den sozialen Ebd., S. 243. Ebd. 128 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, in: Works, Vol. V, London 1801, S. 199. 129 Ebd. 130 Ebd. 131 Ebd., S. 205. 132 Ebd. 126 127

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Reichtum der Regelungskompetenz des Staates zu unterstellen. Ihm komme keine herrschende Rolle in der Gesellschaft zu, sondern eine dienende. „If wealth is the obedient and laborious flave of virtue and of public honour, then wealth is in its place, and has its use“133. Um eines guten Lebens willen muss das Gewinnstreben der Bürger in seine vernünftigen Schranken verwiesen werden. „If we command our wealth, we shall be rich and free; if our wealth commands us, we are poor indeed“134. Dabei sind besonders die Bankdirektoren in Gefahr, den ökonomischen Aspekt ihrer Tätigkeit zu sehr zu betonen. „Too many of the financiers by profession are apt to see nothing in revenue but banks, and circulations, and annuities on lives, and tontines, and perpetual rents and all of the final small wares of the shop“135. Eine derart verkürzte Sichtweise bezeichnet Burke als „short-sighted, narrow-minded wisdom“136. Gegen die Ökonomisierung aller Lebensbezüge haben sich auch viele Landsleute Edmund Burkes gewandt. Zunächst war es vor allem John Ruskin, der die ökonomistischen Pathos-Chiffren vieler Progressisten als Zeugnisse eines blinden und ungerechtfertigten Fortschrittsglaubens entlarvte. Wenn das Wirtschaftswachstum die gesamte Lebenswelt des Menschen bestimme, seien Staat und Gesellschaft einer kulturzerstörenden Verarmung ausgeliefert. „But at all events if we have thus lost in men, we have gained in riches; instead of happy human souls, we have at least got pictures, china, horses, and are ourselves better oft than we were before“137. Letzten Endes habe das „Law of demand and supply“138 einen „vulgar faith in magnitude and multitude“139 hervorgebracht, der die „total ignorance of the finer and higher arts“140 zeitige. Die alle Menschen erfassende Gier nach materielles Gütern lasse auch den christlichen Mitleidssinn verkümmern. Die Marktteilnehmer seien „too selfish and too thoughtless to take pains for any creature“141. Auch in den Augen von Matthew Arnold gibt sich die kapitalistische Tauschgesellschaft durch ein gravierendes Missverhältnis zwischen den überkommenen Werten und dem auf einen ökonomistischen Ton gestimmten Verhalten ihrer Markteilnehmer zu erkennen. Die meisten von ihnen sähen den materiellen Wohlstand als alleinigen Gradmesser der Kulturhöhe eines Landes an. „Never did people believe 133 Edmund Burke: Three Letters addressed to a Member of the Present Parliament on the Proposals of Peace, in: Works, Vol. VIII, London 1801, S. 14. 134 Ebd., S. 15. 135 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France (wie Anm. 128), S. 482 f. 136 Ebd., S. 483. Vgl. dazu den scharfsinnigen Artikel von Ulrich E. Zellenberg: Spannungen im Denken Edmund Burkes, in: Zeitschrift für Ganzheitsforschung NF 47 (2005), S. 72 ff. 137 John Ruskin: The Crown of Wild Olive, Sunnyside 1866, S. 200. 138 John Ruskin: Unto this Last and other Essays, London and New York 1948, S. 279. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 John Ruskin: The Crown of Wild Olive, (wie Anm. 137), S. 169; vgl. dazu auch: „The bible tells you to have pity on the poor“ (ebd. S. 170).

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anything more firmly, than nine Englishmen out of ten at the present day believe, that our greatness and welfare are proved by our being so very rich“142. In einer Kultur, in der alles am Maßstab des Ökonomischen gemessen wird, erfährt der Mensch seine Wertschätzung nicht durch das, was er ist, sondern durch das, was er hat. Nur wer das Netz seiner materialistischen Vorurteile über die pervertierte Werteausrichtung der kapitalistischen Gesellschaft wirft, kann übersehen, dass diese das Ideal der menschlichen Vervollkommnung in sein schieres Gegenteil verkehrt. „Perfection . . . consists in becoming something rather than in have something, in an inward condition of the mind and spirit, not in an outward set of circumstances“143. Auch im Mittelpunkt der von Thomas Carlyle144 formulierten Kritik an der bedürfnisentgrenzenden Konkurrenzgesellschaft145 steht der Vorwurf, dass ihr Ziel der rigide verfolgten Gewinnmaximierung die Beziehungen der Menschen untereinander denaturiert. Dabei könne kaum geleugnet werden, in wie starkem Maße die Ökonomisierung aller Sozialrelationen die Umwertung aller Werte in sich schließe. „Cash payment the sole nexus; and there are so many things which cash will not pay! Cash is a great miracle; yet it has not all power in Heaven, nor even on Earth“146. Für Carlyle gebührt den ökonomischen Werten in der überkommenen, christlich geprägten Tugendskala kein Spitzenplatz. „Soul is not synonymous with stomach“147. Darüber hinaus wendet Carlyle die Überzeugung aller Konservativen, dass der Bereich des Politischen kaum auf das Prokustesbett des ökonomischen Kalküls gelegt werden kann, in die Mahnung an seine Zeitgenossen, dem Staate seine mora142 Matthew Arnold: Culture and Anarchy, ed. by John Dover Wilson, Cambridge 1960, S. 51; vgl. dazu auch Gertrude Himmelfarb: On Liberty and Liberalist. The Case of John Stuart Mill. San Francisco Cal. 1990, S. 291 ff. 143 Ebd., S. 48. In Spanien war es Donoso Cortés, der in ähnlicher Weise behauptete, dass die „materiellen Interessen nicht die höchsten Interessen der menschlichen Gesellschaft“ sind (Rede über die Lage Spaniens, in: Drei Reden. Aus dem Spanischen, Zürich 1948, S. 85). Es gelte, ein „Gleichgewicht zwischen der materiellen Ordnung und der moralischen Ordnung“ (ebd.) herzustellen. 144 Carlyle gab sich keineswegs als Freund der liberalen Demokratie zu erkennen. In einem Brief an Alexander Herzen vom 13. April 1855 schreibt er: „Wenn man nicht bei manchen tödlichen Krankheiten am Körper der Politik eine brennende Krisis als wohltätig ansehen könnte, würde ich selbst sehr viel lieber Zarismus oder das Großtürkentum sehen als die bloße Anarchie . . . zu der ,parlamentarische Diskussion‘, freie Presse und Zählung der Stimmen führen wird“, in: Europa und Russland, hrsg. von Dimitrij Tschizewskij und Dieter Groh, Darmstadt 1959, S. 433. 145 Vgl. dazu auch Peter Allan Dale: The Victorian Critic and the Idea of History, Carlyle, Arnold, Pater, Cambridge Mass. and London 1977, S. 15 ff. 146 Thomas Carlyle: Chartism, in: Historical and Political Essays, Leipzig 1916, S. 173. Friedrich Engels lobt Carlyle dafür, dass er „das Evangelium des Mammon“ kritisiert (Die Lage Englands. ,Past and Present‘ London 1843, in: Deutsch-französische Jahrbücher, Paris 1844, neu hrsg. Frankfurt 1973, S. 269). 147 Thomas Carlyle: Sartor Resartus, Introduction by W. H. Hudson. London and New York 1956, S. 122.

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lische Würde zu belassen. Mit Nachdruck warnt er davor, diesen zu einem „mere weaving-shop and cattle-pen“148 dazu denaturieren. Was die Kritik des deutschen Konservatismus an der Ökonomisierung unserer Lebenswelt anlangt, so wendet sich schon die Romantik dagegen, das wirtschaftliche Kalkül zur allgemeinen Richtschnur des Verhaltens zu machen. Für Novalis deszendiert aus einem derartigen Versuch die seelische Verarmung der Bürger. Im „Drucke des Geschäftslebens“149 bleibe „keine Zeit zum stillen Sammeln des Gemüts, zur aufmerksamen Betrachtung der inneren Welt“150. Der „habsüchtige Mensch“151 wende sein „ganzes Richten und Trachten den Mitteln des Wohlbefindens“152 zu. Auf diese Weise siege die Ichsucht über alle gemeinschaftsorientierten Überlegungen. Statt über das bonum commune zu reflektieren, machen die Menschen den rigiden „Eigennutz zur Leidenschaft“153 und zur „Maxime . . . des höchsten Verstandes“154. Auch nach Adam Müller krankt die frühe Industriegesellschaft an dem kategorialen Fehler, sich mit Haut und Haaren dem Marktprinzip verschrieben zu haben. Seiner Auffassung zufolge sieht insbesondere das „hellere Auge die Strudelgewalt des Marktes wachsen und wachsen“155. In dieser defizienten Gesellschaft werden alle überkommenen Wertemuster zugunsten eines primitiven Ökonomismus kassiert. Was Wunder, wenn nun „die Persönlichkeit über die Sachen, das Sein über das Haben“156 gesetzt wird, die Menschen den Geist der Freiheit dem „tierischen Drang zur Notdurft“157 opfern. Dabei hält Adam Müller auch dafür, dass das moderne System der Bedürfnisse mit seinem ökonomistischen Ungeist die Sphäre des Politischen infiziert. Nun hätten auch „der Staatsdienst, der Kriegsdienst, das Lehramt . . . den Charakter der Gewerbe und der Lohnarbeit angenommen“158. Vor allem der Liberalismus lege eine ostentative Verachtung für alle nichtökonomischen Staatsdefinitionen an den Tag. Die Gelehrten dieser Zeit haben, „wenn sie über den Staat reden, beständig das Gefühl und die ewig wechselnden Erscheinungen des Marktes vor der Seele“159. Thomas Carlyle: Latter-Day Pamphlets, London 1899, S. 18. Novalis: Die Christenheit oder Europa, in: Novalis’ Werke. Vierter Teil, hrsg. von Hermann Friedemann, Berlin o. J., S. 133. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Novalis: Anthropologische Fragmente, in: Novalis’ Werke. Dritter Teil (wie Anm. 188), S. 173. 154 Ebd. 155 Adam Müller: Agronomische Briefe (1812), in: Ausgewählte Abhandlungen. Zweite Auflage, hrsg. von Jakob Baxa, Jena 1931, S. 163. 156 Ebd., S. 171. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 168. 148 149

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Die negativen Auswirkungen der Marktwirtschaft auf die gesellschaftliche Gesamtkultur werden auch im deutschen, bzw. deutschsprachlichen Konservatismus des 20. Jahrhunderts in den Blick genommen. Othmar Spann zufolge schaut einen das Antlitz der konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft mit ausgesprochen erschreckenden Zügen an. Für ihn, der sich Adam Müller zutiefst verpflichtet fühlt160, stellt sich der moderne Kapitalismus als die „Sintflut der Äußerlichkeit“161 dar. Seine Physiognomie erhalte ihre unverwechselbaren und abschreckenden Konturen durch einen gravierenden „Mangel am Geistig-Sittlichen“ 162. Auf diese Weise gleiche die kapitalistische Sozietät dem „Jxion, der statt der Göttin eine Wolke umarmt“163. Wie Othmar Spann, so stimmt auch Moeller van den Bruck die von den Anwälten des kapitalistischen Wirtschaftssystems gehegten Hoffnungen auf die segensreichen Wirkungen des Marktprinzips radikal herunter. Seine gesamte Wertewelt sei einem primitiven Nützlichkeitsdenken ausgeliefert worden, leide an einer „Entartung durch Materialismus“164. Wolle man den ganzen Abstand ermessen, der die kapitalistische Lebensweise von einer natürlichen, vernünftigen trennt, müsse erkannt werden, dass in der modernen Wirtschaftsgesellschaft dem Feuerbachschen Prinzip gefrönt werde, demzufolge „der Mensch ist, was er isst“165. Die liberale, d. h. moderne Ökonomietheorie sage dem Menschen nur, „wie er wirtschaften, aber nicht, wie er leben soll“166. Auch für den deutschen Konservatismus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist mit der Beschreibung der modernen Wirtschaftsgesellschaft ein konkreter Bezugspunkt gewonnen, um diese in eine negative Perspektive rücken zu können. So hat für Arnold Gehlen die stetige Entgrenzung der Bedürfnisse keineswegs zu einer kulturellen Höherentwicklung geführt. Für ihn besteht die „konstitutive Änderung“167, die von der Industrie- und Konsumkultur bewirkt wird, in „unbegrenzbaren Ansprüchen, in geistiger Eintrocknung und in einer unfrohen, melancholischen Antriebslage“168. Zur Physiognomie dieses eindeutigen Kulturverfalls gehört auch, dass diejenigen Werte, die auf der überkommenem Ethikskala eine eindeutig negative Bewertung erfuhren, heute kein pejoratives Vorzeichen mehr aufweisen. „So vollzieht sich eine noch nicht ausgelotete Änderung der Konstitution 160 Othmar Spann: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre. 25. Auflage, Leipzig 1933, S. 95 ff. 161 Othmar Spann: Der wahre Staat. Dritte Auflage, Jena 1931, S. 67. 162 Ebd., S. 97. 163 Ebd., S. 67. 164 Moeller van den Bruck: Der politische Mensch, hrsg. v. Hans Schwarz, Breslau 1933, S. 140. 165 Ebd., S. 144. 166 Ebd., S. 141. 167 Arnold Gehlen: Lebensqualität oder die Herrschaft der Umgestülpten, in: Die Welt Nr. 192, 18. August 1973. 168 Ebd.

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des westlichen Menschen, eine Änderung in der Richtung hochquellender Natürlichkeit und Entkultivierung mit Einschüssen der Perfidie und Tücke, die auch zur Natur gehören“169. Dabei gehört auch die Sicherheit, mit der früher gegenüber den Gesetzesbrechern Distanz gehalten wurde, der Vergangenheit an. „Eine auf Glücksvermehrung und Lebensqualität hinwirkende Maschinenwelt . . . muss ja wohl aus ihrer Rückseite unerwartete Gegnerschaften und kriminelle Aktivitäten längst vergangener Dynamik, ja sogar deren Halb-Legitimierung entstehen lassen“170. Aufgrund ihrer seelischen Orientierung ist in der modernen Wirtschaftsgesellschaft jegliches Sensorium dafür abhanden gekommen, „was gut und böse ist und ob der Baum der Erkenntnis noch der Baum des Lebens ist?“171. In ziemlich ablehnender Weise hat auch Gerd-Klaus Kaltenbrunner die stetig zunehmende Entgrenzung der Bedürfnisse in der kapitalistischen Gesellschaft ausbuchstabiert. Diese habe sich in den Netzen einer Wohlstandsgesellschaft verfangen, die das überkommene Bild des abendländischen Menschen trübt. Nach ihm ist „das Rennen nach dem Wohlleben . . . in immer schnellerem Tempo vor sich gegangen, auf einer Rennbahn, zu der sich immer dichtere Massen hindrängten“172. Heute gebe sich diese Fehlentwicklung als eine „wilde Jagd“173 nach irdischen Glücksgütern zu erkennen. Da das exzessive Verlangen nach weltlichem Komfort, nach dem größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl allen kapitalistischen Staat ihr bestimmendes Gepräge verleiht, ist es an der Zeit, sich die sozialen Folgekosten einer derartigen „Pleonexie“174 ins Bewusstsein zu heben. Dazu gehöre vor allem die Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Es seien vor allen „die Erfolge des bürgerlichen Wirtschaftens“175, die in zunehmendem Maße „jenes ursprüngliche Ethos zerstören, aus dem heraus das Bürgertum seine gewaltigen Leistungen erbracht hat“176. Was Alexander Gauland an der modernen Wohlstandsgesellschaft stört, ist, dass ihre Bürger auf den Ratschlag und den Einfluss konservativer Kräfte verzichten zu können glauben. Sie verweisen darauf, in wie starkem Maße ihr angeblich unverzichtbares Recht auf Gewinnmaximierung und Einzelgängertum auf diese Weise in Gefahr geraten könnte. „Da die privatwirtschaftlich organisierte Freiheit sich von niemandem mehr bedroht fühlt, werden die konservativen Mächte nicht mehr gebraucht“177. Bei Lichte besehen agieren sie als Hemmnis auf dem Wege zu unEbd. Ebd. 171 Ebd. 172 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Vom Schatten eines Schaffens, in: Zeitbühne 5 (1976), S. 35. 173 Ebd. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Alexander Gauland: Anleitung zum Konservativsein. Zur Geschichte eines Wortes, Stuttgart und München 2002, S. 53. 169 170

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gehindertem Konsum und ökonomischem Erfolg“178. Was die Bundesrepublik Deutschland anlangt, so ist die „Wirtschaft seit der Wende 1989 keine konservative Macht mehr, sondern eine egalisierende, aufklärerische linke“179. Ihre politisch Verantwortlichen, die sich den modischen Leerbegriffen „Modernisierung, Flexibilisierung, Innovation und Deregulierung“180 verpflichtet fühlen, seien auf die „Zerstörung von allem, was an Überkommenem die Effizienz des Wirtschaftssubjekts hindert“181, aus. Auf ihrem politischen Altar würden auf eine höchst fragwürdige Weise „Glaubensüberzeugungen, ethische Bedenklichkeiten und kulturelle Traditionen geopfert“182. Dabei verfalle „eine Gesellschaft, die sich nicht erinnert . . . und eine Gesellschaft ohne Utopie und exemplarisch vorgetragener Abweichung“183 der eigenen Destruktion. Sie ersticke an sich selber184. Eine ausgeprägte Skepsis gegenüber der auf die Steigerung des Konsums fixierten kapitalistischen Gesellschaft findet sich nicht nur im europäischen, sondern auch im amerikanischen Konservatismus. Schon im 19. Jahrhundert gab Orestes Brownson seiner Abscheu vor der materialistischen Entartung der amerikanischen Gesellschaft herzhaften Ausdruck. „We have lost or been loosing our faith in God, in heaven, in love, in justice, in eternity, and been acquiring faith only in . . . mere theories of supply and demand, wealth of nations, self-supporting, labor-saving governments“185. Diese verkehrte Wertewelt entlarve sich am krassesten, wenn man den Bedeutungswandel der Begriffe Himmel und Hölle in den Blick nimmt. „We have abandoned our old notions of heaven and hell; and have come . . . to place our heaven in success of money matters, and to find infinite terror which man call hell, only in not succeeding in making money“186. Dieser Wertewandel habe dazu geführt, dass „the love of Gold . . . the love of God“187 ersetzte. Auf diesen Wertewandel hingewiesen zu haben, dieses Verdienst gebühre vor allem Thomas Carlyle188. In den kulturkritischen Bahnen Brownsons bewegt sich auch Irving Babbitt. Auch er zeichnet ein ausgesprochen abschreckendes Bild der dem Geiste des KomEbd. Ebd. 180 Ebd. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Ebd., S. 64. 184 Ebd. 185 Orestes Brownson: Selected Essays. (wie Anm. 110), S. 35 f. 186 Ebd., S. 36. 187 Ebd., S. 54. Paul Elmer More lastet in diesem Zusammenhang der liberalen Nationalökonomie an, zu diesem Werteverfall beigetragen zu haben. „It is no matter of change that utilitarianism and liberalism and Manchester economics were coincident with the rise of materialistic and pseudo-scientific philosophy; they are, in fact, branches from the same root“ (Aristocracy and Justice, New York 1967, S. 169). 188 Ebd. 178 179

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merzes ergebenen amerikanischen Gesellschaft. Sie gebe sich eindeutig als „standardized and commercialized melodrama“189 zu erkennen. Vor allem ihre Oberschicht habe sich einem primitiven Besitzindividualismus verpflichtet. Letzten Endes sei sie zu einer „raw plutocracy“190 verkommen. Babbitt zufolge besteht ihr Verhaltensirrtum darin, den ökonomischen Fortschritt mit dem kulturell-moralischen zu verwechseln. Er spricht in diesem Zusammenhang von der „confusion between moral and material progress“191. In nahtloser Übereinstimmung mit Thomas Carlyle beklagt Babbitt, dass der Geist der wirtschaftlichen Kalkulation alle Gesellschaftsbeziehungen bestimme und auf diese Weise denaturiere. „Cash payment . . . cannot serve as a nexus between men“192. Der heutige Kapitalismus steht trotz seiner imponierenden ökonomischen Leistungskraft auch für Irving Kristol in einem ausgesprochen fragwürdigen Licht. Statt dem human-christlichen Ethos seiner Anfangszeit Sukkurs zu erweisen, gebe sich seine heutige Erscheinungsform als ein System zu erkennen, das durch und durch von einem radikal hedonistischen Geist bestimmt werde. „The trouble is that capitalism outgrew its bourgeois origins and became a system for the impersonal liberation and satisfaction of appetites – an engine for the creation of affluence“193. Dabei sei dieser defiziente Wirtschaftskosmos, der sich durch ein „purely acquisitive ethos“194 auszeichne und „purely materialistic conceptions“195 huldige, den Angriffen seiner ideologischen Gegner schutzlos ausgeliefert. Denjenigen, die bei der Verteidigung des Kapitalismus allein auf seine ökonomische Leistungsfähigkeit pochen, ruft Kristol in Erinnerung, dass der Mensch auch seine nichtwirtschaftlichen Wünsche zu befriedigen bestrebt ist. Derjenige, der nur auf die Konsumbedürfnisse des Menschen rekurriert, „knows little of the human heart and soul“196. Auch für Peter Viereck kann die Kritik am Kapitalismus nur sinnvoll sein, wenn sie von einem klaren Bewusstsein seiner falschen Wertewelt bestimmt sei. Es gelte seine Verwurzelung im materialistischen Credo im Auge zu behalten, wolle man 189 Irving Babbitt: Democracy and Leadership (1924), Indianapolis 1979, S. 269. Henry Adams stellte in kulturkritischer Absicht das mittelalterliche Ideal der Jungfrau Maria dem modernen Dynamo gegenüber. Vgl. dazu: The Dynamo and the Virgin, in: The Education of Henry Adams, Boston and New York 1927, S. 378. 190 Ebd., S. 229. 191 Ebd., S. 240. 192 Ebd., S. 234. 193 Irving Kristol: Two Cheers for Capitalism, New York 1978, S. 88. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd. Wenn die Neokonservativen Iring Fetscher zufolge die autodestruktiven Tendenzen des Kapitalismus beklagen, sind sie keineswegs gewillt, ihn gänzlich zu delegitimieren. „Die Neokonservativen beobachten diesen Zerstörungsprozess zwar genau, sind aber nicht bereit, seine Ursachen zu untersuchen“ (Widersprüche im Neokonservatismus, in: Merkur 34 (1980), S. 108). Sie seien „außerstande, das Wirtschaftssystem, an dessen Verteidigung sie offenbar affektiv gebunden sind, kritisch in Frage zu stellen“ (ebd.).

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eine Begriffsbestimmung von zureichender Schärfe gewinnen. Dabei werde im kapitalistischen Amerika geflissentlich übersehen, dass die materialistische Wertewelt im Vergleich mit der christlichen in höchstem Maße defizient sei. Aus diesem Grunde müsse die „Christian ethic . . . above profit-materialism“ 197 gestellt werden. Durch sein ethisches Idealbild einer humanen Gesellschaft scheint Vierecks Auffassung durch, dass es besonders die Aufgabe der Universität ist, dem Christentum und seiner Ethik Sukkurs zu verschaffen. Was der heutigen Alma mater ihr Signum gebe, sei der Geist eines höchst eindimensionalen Ökonomismus. Ihr Lehrangebot ist ausschließlich darauf gerichtet, die Studenten zu vernünftig handelnden Wirtschaftsbürgern zu erziehen. „A crassly modern education, overweighted with economics, may educate us to be good clerks“198. Um aber die Menschen zu „good human beings“199 erziehen zu können, sei ein „curriculum in the broad humanities“200 vonnöten. Will man sich nicht zum ökonomistischen Utilitarismus in seiner schlichtesten Observanz bekennen, müssen die Lehrpläne der Universität einer radikalen Revision unterzogen werden. „In the universities, humanism inspires the return to literature and the classics, away from the shortsighted cult of utilitarian studies“201. Eine derartige universitäre Metanoia sei allerdings „incompatible with a purely economic view of history“202. Den amerikanischen Neo-Konservativen, die die kapitalistische Wirtschaftsverfassung der USA zugleich anerkennen und kritisieren203, wird der Vorwurf gemacht, sich in den Fangnetzen unlösbarer Widersprüche verstrickt zu haben. So lastet ihnen George Gilder an, ein ausgesprochen zwiespältiges Verhältnis zu dem in Rede stehenden Wirtschaftssystem aufzuweisen. „Perhaps the deepest misconception of the Neo-Conservatives is their attitude toward capitalism. Many Neo-Conservatives believe that capitalism is desirable for its freedom and democratic possibilities, but ultimately flawed and self-contradictory. Capitalism is said to be based on self-interest and consumerism, which finally erode the moral preconditions of the system itself“204. Dabei übersähen diese in wirklichkeitsnegierenden Kategorien denkenden Neokonservativen, dass allein der ungezügelte Wettbewerb den Menschen zu besseren Lebensbedingungen zu verhelfen imstande ist. Aus diesem Grunde trage jegliche Kapitalismuskritik das Stigma des Illegitimen 197 Peter Viereck: Liberals and Conservatives 1789 – 1951, in: The Antioch Review 11 (1951), S. 395. 198 Peter Viereck: Conservatism revisited. New York and London 1949, S. 7. 199 Ebd. 200 Ebd. 201 Ebd. 202 Ebd., S. 6. 203 So beklagt sich John Kenneth Galbraith darüber, dass Irving Kristol ihm vorwirft, „die gesamte logische Grundlage des Kapitalismus“ zu unterminieren. (Leben in entscheidender Zeit. Memoiren. Aus dem Amerikanischen. München 1981, S. 515). 204 George Gilder: Why I am not a Neo-Conservative, in: National Review, March 5, 1982, S. 220.

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auf der Stirn. „To defend capitalism . . . you have to celebrate and defend business“205. Stattdessen gefielen sich die Anwälte des Neo-Konservatismus in der moralischen Verurteilung der Geschäftswelt. „Most Conservatives . . . tend to look down on the ,money-grubbing‘ bourgeoisie“206. Seine Einwände gegen den amerikanischen Neo-Konservatismus summieren sich zu einer Bilanz, die eine dezidierte Distanzierung von ihm erfordert. „That is why I am no longer a Neo-Conservative“207. Nicht nur überzeugte marktorientierte Publizisten haben dem amerikanischen Neo-Konservatismus vorgeworfen, sich in unauflösliche Widersprüche zu verwickeln. Auch eindeutig links von der Mitte angesiedelte Autoren werfen diesem Ideenkreis vor, den Kapitalismus der Gegenwart sowohl zu verteidigen als auch anzugreifen. Für Michael Walzer leidet ihr Denken an dem Grundwiderspruch, dass sie sowohl der Marktbejahung als auch der Konkurrenzverneinung das Wort reden. Sie seien „committed to the arrangements. . . that cause the transformations they bewail“208. Obgleich sie sich bisweilen darin gefielen, in „the gothic mode“209 zu formulieren, gehören sie, um mit Edmund Burke zu sprechen, eindeutig dem Lager der „economists and calculators“210 an. Zu den Autoren, die sich besonders widersprüchlich äußern, gehört Walzer zufolge Irving Kristol. Seine Haltung gegenüber dem Kapitalismus oszilliere in besonders spektakulärer Weise zwischen prinzipieller Loyalität und tief empfundenem Ekel. „Irving Kristol stands with one foot firmly planted in the market, while with the other he salutes the fading values of an organic society“211. Was insbesondere seine Haltung zum Interventionismus anlangt, so sei diese äußerst ambivalent ausgefallen. „Though Kristol has urged the censorship of pornography – one more product of the free market – he has not, so far as know, urged the censorship of advertising“212.

4. Der Konservatismus als Anwalt der Sozialpolitik Wenn es ein Leitmotiv gibt, das das Urteil des Liberalismus über die Intervention des Staates in das System der Bedürfnisse bestimmt, dann ist es die rigide formulierte Auffassung, dass jede vorsorgliche und fürsorgliche Tätigkeit des Staates grundsätzlich von Übel ist. Für Herbert Spencer atmet der Sozialstaat den Geist Ebd. Ebd. 207 Ebd. 208 Michael Walzer: Nervous Liberals, in: The New York Review of Books, October 11, 1979, S. 5. 209 Ebd. 210 Ebd. 211 Ebd., S. 6. 212 Ebd. 205 206

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des Despotismus213. Er exekutiere „the policy of dictating the actions of citizens“214. Darüber hinaus hat schon Kant zum Ausdruck gebracht, dass sowohl die private als auch die staatliche karitative Tätigkeit der Menschenwürde des Unterstützten widerspreche. Dem Sozialstaat einen positiv zu Buche schlagenden Aspekt abzugewinnen, lehnt er rigoros ab. „Wohlfahrt . . . hat kein Prinzip, weder für den, der sie empfängt, noch der sie austeilt“215. Dabei sei es allein die „liberale Denkungsart216, die den von der Fürsorgetätigkeit des Staates gezüchteten „Sklavensinn“217 zu verhindern weiß. Sie allein ist imstande, den Menschen von den karitativen Zwängen des staatlichen Fürsorgedranges und Zwanges zu schützen, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu verteidigen. „Die Liebe, wodurch eine liberale Denkart an einen Wohltäter gefesselt wird, richtet sich nicht nach dem Guten, was der Bedürftige empfängt, sondern bloß nach der Gültigkeit des Willens dessen, der geneigt ist, es zu erteilen“218. Im Gegensatz zu den warnenden Unkenrufen liberaler Autoren ließen es sich die Konservativen nicht nehmen, der sozialinterventionistischen Aktivität des Staates das Wort zu reden. Als am bonum commune orientierte Denker imputierten sie dem Eingriff der Politik in das System der Bedürfnisse die Aufgabe, dem Wohl des einzelnen Bürgers zu dienen und damit den staatlichen Gesamtzusammenhang zu stabilisieren. Dabei waren sie sich immer schon dessen bewusst gewesen, dass den Armen geholfen werden muss. Schließlich besteht die Gefahr, dass diese ihre Loyalität gegenüber dem sie benachteiligenden Staatswesen aufkündigen und zu denjenigen stoßen, die einer revolutionären Umgestaltung des politischen Gemeinwesens das Wort reden219. Dabei dürfen die altrustisch-humanen Motive derjenigen Konservativen, die sich für eine aktive Sozialpolitik des Staates einsetzten, auf gar keinen Fall übersehen werden. Dass bei der Parteinahme konservativer Autoren für eine aktive und dauerhafte Sozialpolitik des Staates nicht nur utilitaristische, sondern auch christliche eine entscheidende Rolle spielen, dies beweist das Beispiel von Alexis de Tocqueville auf eine besondere augenfällige Weise. Mitleid mit den Armen und der Aufruf an den Staat, ihnen zu helfen, sind die Pole zwischen denen er seine sozialpolitische 213 Herbert Spencer: The Man versus the State, in: The Man versus the State, ed. by Donald Macrae, Harmondsworth 1969, S. 80. 214 Ebd., S. 67. 215 Immanuel Kant: Das Ende aller Dinge, in: Populäre Schriften, hrsg. von E. von Aster, Berlin o. J., S. 223 FN. 216 Ebd., S. 138. 217 Ebd. 218 Ebd., S. 139. 219 Heute ist es vor allem Ian Gilmour, der mit aller Deutlichkeit darauf hinweist, dass es das Ziel jeglicher Sozialpolitik sei, „to avoid socialism and to believe the predictions of Marx“ (Britain can work, Oxford 1983, S. 53). Um zu diesem Ziele zu gelangen, seien alle sozialpolitischen Anstrengungen darauf zu richten, den „capitalism more or less tolerable to the mass of the people“ (ebd.) zu machen.

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Konzeption formuliert. Für Tocqueville gehört es zu den dringendsten Aufgaben des politischen Gemeinwesens, „la prévoyance et la sagesse de l’État“220 in den Dienst „de tous ce qui souffrent“221 zu stellen. Allein die helfende Hand des Staates könne verhindern, dass bestimmte Gruppen der Gesellschaft „à la misère“222 leben zu müssen. Dabei interpretiert er den aktiven sozial-politischen Eingriff des Staates in das System der Bedürfnisse in einem ausgesprochen christlichen Horizont. Es handele sich bei dieser Aktivität um die Realisierung des urchristlichen Prinzips der „charité dans la politique“223. Der in Rede stehenden Humanität des sozialinterventionistischen Staates gehört auch das Interesse von Franz von Baader. Statt seine bedeutende Stimme zum Sprachrohr eines eingriffsabstinenten Gemeinwesens zu machen, fordert er den Gesetzgeber auf, das Verhältnis zwischen den Besitzenden und den Vermögenslosen in einem den Geboten des Christentums entsprechenden Sinne umzugestalten. „Wenn nämlich der Staat hinsichtlich des Eigentums jeden Bürger nur insofern schützt, als er ihm das bereits Erworbene zwar gegen andere in und außer diesem Staate sichert, aber in dem, was ihm nicht minder nahe geht, nämlich im Erwerbe desselben vogelfrei lässt gegen alle anderen Menschen, so hat offenbar der Staat seine Pflicht nur halb getan, und seine Bürger leben noch zur Hälfte im wilden sog. Stande der Natur“224. Wenn es also darum geht, dem Gemeinwohl zu seinem Recht zu verhelfen, muss die politische Exekutive dafür sorgen, dass den Notleidenden unter die Arme gegriffen wird. Baader zufolge „muss der Zwang der Regierung, sich . . . einmengen“225, wenn es um den „größtmöglichen Wohlstand“226 geht. Zur Zuständereform, die bedeutende Repräsentanten des deutschen Konservatismus auf ihre Fahnen schrieben, gehörte vor allem eine gerechtere Eigentumsverteilung. In diesem Zusammenhang behauptete Carl Rodbertus-Jagetzow, dass der absolute Anteil der Arbeiter am Volkseinkommen gleich bleibe, während derjenige der Grundbesitzer und Kapitalisten sich ständig erhöhe. „Statt bei steigender nationaler Produktivität wenigstens im gleichen Verhältnis, wie der Besitz mit seiner Rente, teilzunehmen und also mit jenem Steigen des Nationaleinkommens und der Rente auch im Lohn einen steigenden Betrag zu erhalten, erhält vielmehr die nationale Arbeit immer nur denselben Lohnbetrag und damit verhältnismäßig einen immer kleineren Teil des Nationaleinkommens“227. Aus diesem Grunde fordert 220 Alexis de Tocqueville: Discours sur la question du Droit au Travail prononcé à l’Assemblée Constituante 12. 9. 1848, in: Alexis de Tocqueville, ed. par G. Gibert, Paris 1977, S. 207. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Franz von Baader: Gedanken über Staat und Gesellschaft (wie Anm. 9), S. 36. 225 Ebd., S. 37. 226 Ebd., S. 36. 227 Carl Rodbertus-Jagetzow: Zur Beleuchtung der sozialen Frage. II. Teil. 1. Heft. Hrsg. Adolph Wagner, Berlin 1885, S. 20.

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Rodbertus einen staatlich festgesetzten Lohn, der sich an der steigenden Produktivität der Arbeit orientiert und dadurch die gerechte Entlohnung der Arbeiterschaft sichert228. Auf einen ähnlichen Ton sind die Eigentums- und Einkommensreformvorschläge von Rudolf Todt bestimmt. Er fordert, die nichtproletarischen Einkommensarten, also den Zins und die Rente, zugunsten des Lohnes zu reduzieren. „Eine Reform, . . . welche den Abzug etwa nur am Zins vornehmen und den gemachten Profit in die Taschen der Grundbesitzer fließen lassen wollte, oder welche die Bodenrente zugunsten der Capitalisten verringern wollte, wäre von vornherein verderblich“229. In diesem Falle handelte es sich um „eine Wirtschaftsreform, welche dem Besitzlosen nichts einbrächte“230. Dabei lässt Todt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass eine derartige „Staatsintervention“231 der „Gerechtigkeit auf Erden“232 dient. Der Staat kommt dabei einer „sittlichen Aufgabe“233 nach, „welche das Neue Testament der Obrigkeit stellt“234. Eine gerechtere Entlohnung der Arbeiterschaft und die Bildung von Eigentum in Arbeiterhand könnte nach Ansicht vieler sozial eingestellter Konservativer auch durch die Errichtung von Produktivgenossenschaften erreicht werden. So gewährt V. A. Huber zufolge eine derartige Einrichtung „dem bisher nur auf den Arbeitslohn angewiesenen Arbeiter seinen Anteil an dem Eigentum des Produkts und an dem Gewinn des Verkaufs“235. Neben der Eigentumsbildung in Arbeiterhand und der Gründung von Genossenschaften fordern einzelne Konservative auch die Verstaatlichung bestimmter Industriezweige. Zu den Gründen, die für eine derartige Maßnahme sprechen, zählt für Adolph Wagner die Tatsache, „dass der Staat und die Gemeinde es vielfach besser machen als die Privatindustrie, für die der Gewinn vor allem maßgebend sein muss“236. Darüber hinaus würden Staatsbetriebe die „gemeinnützigen und sozialen Interessen“237 eher berücksichtigen. Last but not least könne durch die Verstaatlichung von Betrieben „die privatkapitalistische Macht unter den Staat“238 gebeugt werden. Ebd. Rudolf Todt: Der radikale deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft, Zweite Auflage, Wittenberg 1878, S. 456. 230 Ebd. 231 Ebd. 232 Ebd., S. 457. 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Victor Aimé Huber: Allgemeine Charakteristik des Genossenschaftswesens, in: Ausgewählte Schriften über Socialreform und Genossenschaftswesen, hrsg. von Karl Munding, Berlin 1894, S. 731. 236 Adolph Wagner: Die Strömungen in der Sozialpolitik und der Katheder- und Staatssozialismus, Berlin 1912, S. 19. 237 Ebd. 228 229

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Otmar Spann zufolge dient die sozialpolitische Intervention in das System der Bedürfnisse vor allem auch dazu, das System der Marktwirtschaft zu kontrollieren. „Die Sozialpolitik will nicht bloß helfen, sie will Bindungen einbauen in die freie, ungezügelte Wirtschaft des Kapitalismus“239. Zu den bedeutendsten und wirkungsmächtigsten englischen Anwälten des Sozialstaates gehört ohne Zweifel Benjamin Disraeli. Will der Konservatismus seinen eigenen gemeinschaftlichen Ansprüchen gerecht werden, so muss er sich ihm zufolge jeglicher Verherrlichung des interventionsabstinenten Staates enthalten und seiner aktiven Sozialpolitik das Wort reden. Nigel Birch macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass sich Disraeli schon in seinen Romanen „with the interests and sufferings of the poor“240 beschäftigte. Dezidiert in seiner Parteinahme für das Los der benachteiligten Volksschichten, vertrat er den keineswegs unberechtigten Standpunkt, dass sich die Tories immer schon intensiver mit dem Schicksal der sozial und ökonomisch Schwachen beschäftigt haben als die Whigs. „The Monarchy of the Tories is more democratic than the Republic of the Whigs. It appeals with a keener sympathy to the passions of the millions; it studies their interests with a more comprehensive solicitude“241. Mit allen Fasern seines Herzens hatte sich Disraeli der Hebung des Lebensstandards der notleidenden Schichten des englischen Volkes verschrieben. Als 238 Ebd. Vgl. dazu Klaus Hornung: Der Sozialkonservatismus im deutschen Staats- und Gesellschaftsdenken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 23. Februar 1990, S. 3 ff.; Johann Baptist Müller: Der deutsche Sozialkonservatismus, in: Hans-Gerd Schumann (Hrsg.): Konservatismus, Zweite Auflage, Königstein / Ts. 1984, S. 199 ff. 239 Othmar Spann: Der wahre Staat (wie Anm. 161), S. 71. Dabei könne der Konservative sich kaum mit einer Politik abfinden, die nur „almosenartige Geschenke für die unteren Klassen“ (ebd.) verteilt (ebd.). Aus diesem Grunde sei eine effiziente Sozialpolitik kaum „mit der altklassischen individualistischen Schule“ zu vereinbaren (Fluch und Segen der Wirtschaft im Urteile der verschiedenen Lehrbegriffe, Jena 1931, S. 5). 240 Nigel Birch: The Conservative Party, London 1949, S. 19. Dabei verweist Paul Smith darauf, dass Disraeli keineswegs als geschworener Feind des Besitzbürgertums gelten kann. Er sei „far from despising the uses of bankers and brewers as auxiliaries of the aristocracy and gentry“ gewesen. (Disraelian Conservatism and Social Reform, London and Toronto 1967, S. 23). In Disraelis Roman „Coningsby“ findet sich der erstaunliche Satz: „Manchester is as great a human exploit as Athens“ (Coningsby or, the new Generation, New York 1961, S. 185. 241 Benjamin Disraeli: Whigs and Whiggism, Washington, New York and London 1971, S. 340. Nach Alexander Gauland hielt Disraeli „allein die im Lande fest verankerte und sich ihrer Verpflichtung bewusste Aristokratie . . . für fähig, den Bruch zwischen den zwei Nationen, den Armen und den Reichen, zu heilen“ (Gemeine und Lords. Porträt einer politischen Klasse, Frankfurt am Main 1989, S. 148). Dabei habe Disraeli den Whigs vorgeworfen, „durch ihr Bündnis mit der Mittelklasse zu einer echten Sozialgesetzgebung unfähig zu sein“ (ebd.). Gauland weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass Disraelis Geschichtsanalyse „nicht als das Ergebnis ernsthafter historischer Forschung“ (ebd. S. 149) zu betrachten sei, sondern „als eine ideologisch fundierte Warnung an die Liberalen und die halbherzigen Konservativen der eigenen Partei zu verstehen, nicht an der aristokratischen Vorherrschaft im Lande zu rühren“ (ebd.).

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Hauptaufgabe seiner Partei betrachtete er die „elevation of the condition of the people“242. Dabei habe sich das Augenmerk des sozialinterventionistischen Staates auch auf die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu richten. „It must be obvious to all who consider the condition of the multitude with a desire to improve and elevate it, that no important step can be gained unless you effect some reduction of their hours of labour and humanise their toil“243. In diesem Zusammenhang wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Disraelis sozialpolitische Anstrengungen in der „housing, sanitary and Trades Union legislation of his government of 1874 – 80“244 Früchte getragen hat. Zu den Konservativen, die nach 1945 dem Wohlfahrtsstaat nicht nur negativ zu bewertende Bestimmungsmerkmale abzuringen vermögen, gehört vor allem auch R. A. Butler. Als Mitverfasser der berühmten und bedeutenden „Industrial Charter“ aus dem Jahre 1947 macht er darauf aufmerksam, dass sich die Konservative Partei Englands immer schon als Anwalt des Sozialstaates und seiner von ihm inaugurierten sozialen Reformen zu erkennen gegeben hat. Im Horizonte der sozialen Ordnungsvorstellungen von Benjamin Disraeli sei es seit jeher ihr Anliegen gewesen, den Armen zu helfen. Zu ihren Hilfsmaßnahmen zählten beispielsweise „the great task of regulating conditions in the factories, the improvement of working-class housing and public health, the shortening of hours of work, and the creation of a system of national education“245. Für Butler zersetzt die stolze Bilanz der bisherigen sozialpolitischen Leistungen keineswegs den Wunsch, auch in der Zukunft einem wirkmächtigen Sozialstaat das Wort zu reden. So bezeichnet er die Industrial Charter als „the ,blueprint‘ of the new era of social reform“246. Dabei komme es heute vor allem darauf an, „to make a new approach to the adjustment of human relationships within industry“247. 242 Benjamin Disraeli: Speech at the Banquet of National Union of Conservative and Constitutional Associations June 24, 1872, in: Disraeli, Wiesbaden 1968, S. 6. 243 Ebd. Disraelis Blick sind die oberschichtenorientierten Metaphern entglitten, die immer wieder die Konservative Partei Englands zu bestimmen suchten. Vom Gedanken der Integration der Arbeiter in den Staatsverband geleitet, lehnt er die Auffassung rundweg ab, dass diese zu den prinzipiellen Gegnern des englischen politischen Gemeinwesen gehören. „I say with confidence that the great body of the working class of England utterly repudiates such sentiments“ (ebd. S. 4). Ganz im Kontrapunkt zur Haltung des englischen Jakobinismus bekenne sich das englische Proletariat zum Ordnungsgedanken des Konservatismus. „When I say ,Conservative‘ . . . I mean that the people of England, and especially the working classes of England, are proud of belonging to a great country“, (ebd.). 244 James Cornford: The Transformation of Conservatism in the late Nineteenth Century, in: Victorian Studies, September 1963, S. 42. 245 R. A. Butler: A Conservative Presents his Manifesto, in: The New York Times Magazine, December 14, 1947, S. 57. 246 Ebd., S. 59. 247 Ebd. Ein besonderes Herzensanliegen Anthony Edens war es, die Stellung des Arbeiters im Betrieb zu verbessern. „There must be a steady and ever-increasing development of schemes of co-partnership in industry. If the Conservative ideal is to be attained, the workers in industry must have an increasing personal share in its progress“ (The Eden Memoirs. Fa-

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In dem Maße allerdings, in dem sich die englischen Konservativen unter Margaret Thatcher dem sozialinterventionismusfeindlichen Liberalismus öffneten, gerieten die Anhänger der Disraelischen Denktradition ins Hintertreffen. Zu denjenigen, die ihre Fahne hoch hielten, gehört vor allem Ian Gilmour. Ohne Umschweife wirft er Frau Thatcher248 vor, einer Sozialstaatsphobie zum Opfer gefallen zu sein. Diejenigen, die der Sozialpolitik einen kollektivistischen Stammbaum imputieren, erinnert er daran, dass dieser nicht zuletzt auch konservative Wurzeln aufweist. Aus diesem Grunde sei „State provision for welfare . . . fully in accordance with Conservative principles“249. Kein vernünftiger Kenner der englischen Sozialgeschichte könne leugnen, dass „the welfare state . . . a thoroughly Conservative institution“250 sei. Im Kontrapunkt zu den liberalen Gegnern des Wohlfahrtsstaates, die diesen als freiheitsnegierendes Monstrum porträtieren251, verweist Gilmour darauf, dass dieser auch imstande ist, die Freiheit seiner Bürger entscheidend auszuweiten. „The justification of state help and welfare is that it should enlarge freedom by diminishing poverty and by increasing security“252. Im gleichen Atemzuge wendet er sich auch dagegen, den Sozialstaat als ein Hindernis für das wirtschaftliche Wachstum zu betrachten, „The welfare state, when properly decided and administrated is not a dead-weight on the economy“253. Ihm wohnt die Fähigkeit inne, die Expansion des ökonomischen Universums zu beflügeln und auf Dauer zu stellen. „By providing a measure of security it helps society to adapt to change, and it therefore promotes economic efficiency“254. cing the Dictators, London 1962, S. 13). Darüber hinaus müsse für die Eigentumsbildung in Arbeiterhand gesorgt werden. „The Conservative objective . . . must be to spread the private ownership of property as widely as possible, to enable every worker to become a capitalist“ (ebd. S. 12). 248 S. R. Letwin behauptet, dass der Thatcherismus einer in sich stimmigen Wirtschaftstheorie entriet. „Mrs. Thatcher herself never had the time, aptitude or inclination to act as her own theorist“ (The Anatomy of Thatcherism, London 1992, S. 27). Aus diesem Grunde sei es auch unangebracht, ihren Wirtschaftsentwurf auf das Prokustesbett der libertären Wirtschaftstheorie zu legen. „Although many genuine theoreticians (especially F. A. Hayek and Milton Friedman) and their theories influenced Mrs. Thatcher . . . none of them has ever seen himself or been seen by Thatcherites as a theorist of Thatcherism (ebd.). 249 Ian Gilmour: Inside right, London 1977, S. 152. 250 Ebd. 251 Vgl. dazu Roland Huntford: Wohlfahrtsdiktatur. Aus dem Englischen, Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1973. 252 Ian Gilmour: Dancing with Dogma, London 1972, S. 279. Auf die freiheitserweiternde Wirkung der staatlichen Sozialpolitik hat besonders Hermann Finer hingewiesen. „It is amazing what an enormous sphere of private freedom has been added to men by the increase of economic goods, especially in the leisure made available by shorter working hours and the inventions which make available to all the opportunities of pleasure, recreation, travel, the seven arts, reading, speculation, conversation, and electronic listening and seeing“ (Road to Reaction, Boston 1945, S. 223). 253 Ebd. 254 Ebd.

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Ian Gilmour, der Margaret Thatcher vorwirft, einem „millenarian revivalism“255 das Wort zu reden und dem „Manchester Liberalism“256 zu huldigen, habe eine höchst antiegalitäre Politik zu verantworten. Das Ergebnis ihrer Sozialstaatsphobie sei letzten Endes „a large redistribution of wealth from the poor to the rich“257. Der Sozialstaat erweitert nicht nur den Freiheitsspielraum des einzelnen Bürgers, er stabilisiert auch die politische und soziale Ordnung. Das Konstruktionsmuster, das seiner Logik zugrunde liegt, verdankt sich also genuin konservativen Grundsätzen. Wem an der Stabilität des Gesamtsystems gelegen ist, sollte sich nicht als prinzipieller Gegner der Staatsfürsorge gerieren. Darauf hat nicht zuletzt Peregrine Worsthorne aufmerksam gemacht. Für ihn kalmiert der Sozialstaat die Klassenspannungen und fördert das Bewusstsein der Arbeiterschaft, ebenfalls Teil der politischen Gemeinschaft zu sein. „Those Conservatives who would dismantle the Welfare State overlook the fact that a secure working class, far from being a challenge to the middle class, is its indispensable condition“258. Alles in allem wird man sagen können, dass die Topoi des sozialinterventionistisch abstinenten Staates und des unter allen Umständen segensreichen Wirkens der Marktkräfte nie das Programm und die Praxis der Konservativen Englands auf die Dauer bestimmten. Ihr an Disraeli geschärfter Blick für die natürliche Grenze zwischen dem rigiden Marktliberalismus und ihren unzweideutigen Bekenntnis zum Sozialstaat bewirkte, dass das Disraelische Erbe nie in Vergessenheit geriet259. Auch wenn zu Recht darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sich die konservative Bewegung in England dem Bürgertum und Liberalismus tastend annäherte, so bedeutet dies keineswegs, dass man der Idee des Sozialstaates eine prinzipielle Absage erteilte. Auch der amerikanische Neokonservatismus bleibt einer Blickrichtung verpflichtet, in der die kontinuierliche Fürsorge des Staates für die Armem und Schwachen mit einem zustimmenden Vorzeichen versehen wird. Für Irving Kristol kann die Analyse des Wohlfahrtsstaates nur sinnvoll sein, wenn dies in einem affirmativen Lichte geschieht. Was ihm sein Signum gibt, sei keineswegs mit pejoraIan Gilmour: Dancing wich Dogma, London 1992, S. 8. Ebd., S. 269. 257 Ebd., S. 278. Dagegen hat Lord Hailsham die wirtschaftsliberalen Thesen von Margaret Thatcher verteidigt. „By 1979 the Welfare State inadequate both in scope and in sources of finance. Quite apart from this was the need to accept that the philosophy of equality is quite incompatible with liberty“ (A sparrow flight. The memoirs of Lord Hailsham of St. Marylebone, London 1990, S. 411). 258 Peregrine Worsthorne: Conservative Thoughts Out of Seasons, in: Encounter 11 (1958), S. 30. 259 Robert E. Riggs weist zu Recht darauf hin, dass „Disraeli’s policies . . . a profound effect upon the Conservative party“ hatte (Peel and Disraeli: Architects of a new Conservative party, in: The Western Humanities: Review 6 (1957), S. 186). Dabei konnte eine Partei, „led for decades by such a man . . . no longer be unresponsive to the need for social change“ (ebd.). 255 256

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tiven Begriffswerkzeugen aufzuschließen. „The idea of a welfare state is in itself perfectly consistent with a conservative political philosophy“260. Die Idee, in einem komplexen Gesellschaftsgebäude die Lebensrisiken des Einzelnen durch den Staat abzusichern, sei für den Anwalt des konservativen Ordnungsgedankens eine Selbstverständlichkeit. Schon Otto von Bismarck habe gewusst, dass in der „urbanized, industrialized, highly mobile society, people need governmental action of some kind if they are to cope with many of their problems“261. Da sich nach Irving Kristol die gesellschaftliche Realität nicht durch ein ultraliberales Nadelöhr fädeln lasse, sei die Legitimität des Sozialstaates unmittelbar gegeben. Aus diesem Grunde weigere sich auch der amerikanische Neokonservatismus die „Ausweitung der Staatsfunktionen im vergangene Jahrhundert“262 mit dem Makel des Illegitimen zu beschmutzen. Ganz im Kontrapunkt zu den „liberalistischen ,Wirtschaftskonservativen‘“263 gehe dieser davon aus, dass „die Zunahme staatlicher Funktionen“264 auf dem Gebiet der staatliche Fürsorge mehr als gerechtfertigt sei. In diesem Zusammenhang wendet sich Peter Viereck gegen all diejenigen, die den New Deal Roosevelts als illegitimes und antikonservatives Sozialexperiment denunzieren. Was sich in den Gesellschaftsreformen dieses Präsidenten ausdrücke, verweise keineswegs auf einen sinistren Sozialismus, sondern bringe eine genuin konservative Grundhaltung ans Licht. „The Burkean conservative today cherishes New Deal reforms in economics“265. Zu den großen Errungenschaften der in Rede stehenden Sozialreform gehöre es auch, dass sie ohne polizeistaatlich-totalitäre Zwangsmaßnahmen implementiert wurden. „One of the finest, achievements of the New Deal era . . . in that it achieved many humanitarian ideals of the so-called left without the murderous police-state, practices of the far left“266. Vierecks These von der auf einen konservativen Ton gestimmten Sozialpolitik des New Deal gewinnt ihre Beweiskraft auch aus dem Umstand heraus, dass sie sich nahtlos in die sozialkonservative Ordnungsvorstellung Benjamin Disraelis einfügt. „These New 260 261 262

Irving Kristol: Two Cheers for Capitalism (wie Anm. 193), S. 126. Ebd. Irving Kristol: Was sind die Neokonservativen? in: Die Welt, Nr. 200, 28. August

2003. Ebd. Ebd. Charles Beard hat in überzeugender Weise darauf aufmerksam gemacht, dass der antiinterventionistische Kapitalismus der USA höchst widersprüchlich ausgerichtet war. Während der Staatseingriff zugunsten der Mühseligen und Beladenen als politische Todsünde gebrandmarkt wurde, war derjenige zugunsten der Reichen höchst willkommen. Ihm zufolge „wanted their kind of government intervention in the ,natural course of industry‘“ (The Myth of Rugged American Individualism, in: Harper’s Magazine 164 (1931), S. 19). Als augenfälliges Beispiel für den in Rede stehenden industriefreundlichen Interventionismus führt Beard u. a. die Eisenbahngesetze, den Bau der Wasserstraßen, die Unterstützung der Schiffsindustrie und die staatlichen Kanalbauten an (ebd. S. 15 ff.) 265 Peter Viereck: Conservatism revisited, New York and London 1962, S. 142. 266 Peter Viereck: „Shame and Glory of the Intellectuals, Boston 1953, S. 251. 263 264

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Deal reforms . . . recall Disraeli’s philosophy“267. Diejenigen, die den Sozialstaat von ihrer ultraliberalen Warte aus als das Produkt einer bedauernswerten Fehlentwicklung klassifizieren, erinnert Peter Viereck daran, dass der sich um die Armen und Schwachen kümmernde Staat dem liberalen Nachtwächterstaat moralisch haushoch überlegen ist. „Why is any merely material and economic system more sacred than the moral duty of compassion for want?“268. Dabei befindet sich derjenige, der das System der Bedürfnisse völlig den Marktkräften überlassen will, in einer höchst anfechtbaren ethischen Position. „If humane social reforms . . . are against the fetish of laissez faire economics, that is not a substantial moral objection“269. Clinton Rossiter weist die liberalen Feinde des Sozialstaates darauf hin, dass dieser das soziale und staatliche Gefüge in einem erstaunlichen Maße zu stabilisieren in der Lage ist. Die Besinnung darauf, wie ein zukunftsfestes politisches Gemeinwesen zu gestalten ist, muss sich der Einsicht fügen, dass es des sozialstaatlichen Eingriffs bedarf. In diesem Sinne ist für ihn der „social progress in itself a key element of social stability“270. Im Gegensatz zu den Anwälten des sozialinterventionsabstinenten Staates verweisen die amerikanischen Befürworter des modernen Wohlfahrtsstaates auch darauf, dass dieser eines wirkmächtigen und unabhängigen Gewerkschaftswesens bedarf. In diesem Zusammenhang beklagt sich Robert Nisbet darüber, in wie starkem Maße sich angeblich konservativ denkende Wirtschaftsfachleute dieses in ein denunziatorisches Licht stellten. „By too many partisans of management the labour union is regarded as a major obstacle to economic autonomy and as partial paralysis of capitalism“271. Im Gegensatz zu dieser durch und durch fragwürdigen Auffassung dementierten die Gewerkschaften das kapitalistische System in keiner Weise, sondern vergrößerten seine Erfolgsaussichten. Bei Lichte besehen hätten sich die Arbeiterorganisationen als eine gesellschaftliche Macht zu erkennen gegeben, die den „economic freedom“272, statt diesen zu gefährden, eher vergrößerten. Für einen konservativ denkenden Gesellschaftsanalytiker tragen die Gewerkschaften auch dazu bei, die Loyalität der Arbeiterschaft gegenüber dem Gesamtsystem zu vergrößern und zu stärken. Damit ist der Tenor fixiert, der die Gewerkschaftssicht Russell Kirks bestimmt. Ihm zufolge hat „the Union . . . some resemblance of community, which any true human being loves a great deal more than an abstract standing of living“273 aufzuweisen. 267 268 269 270 271 272 273

Ebd., S. 270. Peter Viereck: Conservatism. Revised and enlarged edition. New York 1962, S. 39. Ebd. Clinton Rossiter: Conservatism in America (wie Anm. 125), S. 242. Robert Nisbet: The Quest for Community, Oxford 1953, S. 240 f. Ebd., S. 240. Russell Kirk: A Program for Conservatives, Chicago 1954, S. 184.

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Der Versuch des amerikanischen Neokonservatismus, dem früheren Marktkonservatismus eine an Benjamin Disraeli orientierte sozialpolitische Konzeption entgegen zu setzen, stieß auf geharnischte Kritik. Von der Warte eines am klassischen Liberalismus orientierten Konservativen wehrt sich Harold W. Stokes gegen alle Anstrengungen, den englischen Sozialkonservatismus in das liberale Amerika zu transferieren. Dieses Vorhaben scheitere hauptsächlich daran, dass England im Gegensatz zu den USA eine feudalere, konservativere Sozialgeschichte aufweise. „In the United States no established church casts its shadows over the thoughts of men; no feudal castles look down to remind us of former servile relationships; no titles survive from discarded regimes to bind our memories and mold our attitudes“274. Die USA seien bar aller ökonomischen und politischen Institutionen, „which can claim the Tradition and Authority which are the essence of genuine Conservatism“275. Auch für Arthur M. Schlesinger, Jr. unterscheidet sich das, was in den USA seit alters her als Konservatismus bezeichnet wird, radikal von der europäischen Variante dieser Ideologie. „European conservatism . . . has been essentially aristocratic and feudal in its impulses; American conservatism, on the other hand, has been more like European liberalism; it is plutocratic, rather than aristocratic, bourgeois rather than feudal, based on trade rather than on land, concerned with contract, not with status, dedicated to class rather than to commonwealth“276. Aus diesem Grunde muss Schlesinger zufolge dringend davon abgeraten werden, in den USA eine „tradition of paternal responsibility“277 zu implementieren. In diesem Lande könne keine „conservative philosophy“278 in die Realität umgesetzt werden, in der die „human values would rule over cash value“279. Der konservativen Kritik am amerikanischen Kapitalismus wurde nicht nur vorgeworfen, einem amerikafremden Denken zu frönen. Diese wurde auch mit der Anschuldigung konfrontiert, den marxistischen Kräften in die Hände zu arbeiten. In diesem Sinne schreibt William G. Carleton: „The New Conservatism . . . is playing into the hands of the Marxists. It is giving verity to the Marxist theory of history that a bourgeois society, when confronted with the Marxist challenge, must necessarily commit suicide by going reactionary“280. Darüber hinaus schwäche die in Rede stehende Kapitalismuskritik auch die außenpolitische Position der USA. 274 Harold W. Stoke: The Outlook for American Conservatism, in: South Atlantic Quarterly 1942, S. 266. 275 Ebd. Vgl. dazu auch Louis Hartz: The Liberal Tradition in America, New York 1955. 276 Arthur M. Schlesinger, Jr.: The New Conservatism in America, in: Confluence 2 (1953), S. 67. 277 Ebd., S. 66. 278 Ebd. 279 Ebd. 280 William G. Carleton: American Intellectuals and American Democracy. In: The Antioch Review 19 (1959), S. 204.

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„It is damaging America’s appeal to the revolutionary, but democratic, forces abroad, and weakening the democratic attitudes in America necessary for a sustained and successful democratic appeal abroad“281. Die eher fragwürdige Behauptung, dass die Kapitalismuskritik der amerikanischen Konservativen den Marxisten in die Hände arbeitet, evoziert notwendigerweise auch die Frage, worin die Unterschiede zwischen der konservativen und der sozialistisch-marxistischen gesellschaftspolitischen Doktrin bestehen. Abgesehen davon, dass jene intrasystemisch und diese systemtranszendierend konzipiert ist, gründet eine entscheidende Differenz zwischen den beiden darin, dass Konservative sich im Gegensatz zu den radikalen Sozialisten darüber bewusst sind, in wie starkem Maße es ein utopisches Unterfangen ist, jemals eine durch und durch gerechte Sozietät zu erreichen. Ihrer Auffassung zufolge werden auch in der fernen Zukunft keine Zustände herrschen, die jeglicher sozialen Not entraten. Darauf hat nicht zuletzt Quintin Hogg aufmerksam gemacht. Auch wenn sich seiner Auffassung zufolge jedes Gemeinwesen an dem Kriterium messen lassen muss, wie es die Mühseligen und Beladenen behandelt, so wird sich der Konservative nie der Illusion anheim geben, die bedürftigen Menschen könnten eines Tages der Vergangenheit angehören. Einerseits sieht „the conservative . . . the injustices of our time, the poverty, the crime, lust, squalor, ignorance and disease, the human misery“282. Andererseits ist er sich auch darüber bewusst, in wie starkem Maße diese Übelstände unserer „imperfect culture“283 zuzuschreiben sind. Ihre vollständige Beseitigung gleiche gewissermaßen dem Werk des Sisyphus. Auch der Stein des konservativen Sozialpolitikers rollt immer wieder zurück. Zu dem Argument von Quintin Hogg, dass es dem Konservativen nie gelingen wird, alle sozialpolitisches Übelstände auszurotten, seine gesellschaftlichen Reformvorstellungen in toto verwirklichen zu können, gesellt sich die Behauptung aus dem Lager seiner linken ideologischen Gegner, der Konservatismus entrate in der modernen Sozietät jeglicher Wirkmacht. Ihre Strukturen seien der antisozialistischen Reformanstrengung an der Wurzel fremd. Da M. Morton Auerbach zufolge der heutige Industrialismus „even more anti-conservative than liberalism“284 sei, könne dem konservativen Sozialreformer nur geraten werden, seine sozialpolitische Flinte ins Korn zu werfen. Da sich das reformistische Programm der Konservativen sowieso aus einer höchst überzeugungsarmen Mischung aus „moral exhortation“285 und „standpattism“286 zu erkennen gebe, sei es endlich an Ebd. Quintin Hogg: The Case for Conservatism, West Drayton Middlesex 1947, S. 85. 283 Ebd. 284 M. Morton Auerbach: The Conservative Illusion (wie Anm. 116), S. 84. 285 Ebd., S. 149. 286 Ebd. Dabei wird man kaum in Abrede stellen können, dass Auerbachs Kritik an den sozialpolitischen Vorstellungen der Konservativen ins Schwarze trifft, wenn man diejenige Russell Kirks in den Blick nimmt. Seiner Auffassung zufolge drohe durch ihn die Gefahr 281 282

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der Zeit, jeglichen Versuch aufzugeben, dem heutigen System der Bedürfnisse eine konservative Reformqualität zu verleihen. In diesem Zusammenhang muss Auerbach auch die Frage gestellt werden, woher er denn so genau weiß, dass die sozialpolitischen Vorstellungen der Konservativen niemals Früchte tragen werden. Schließlich kennt auch die Geschichte der Sozialpolitik kein Libretto. Mögen vielen linken Gegnern des Konservatismus die sozialkritischen Wortmeldungen ihres ideologischen Feindes heute noch utopisch erscheinen, so können ihnen in absehbarer Zeit durchaus eine Wirkkraft zuwachsen, mit der in der Gegenwart niemand gerechnet hat. Dabei sollten sie, statt die Ordnungsvorstellungen der Konservativen mit Hohn und Spott zu überziehen, diese eher begrüßen. Was kann denn falsch daran sein, auf die Defizienzen des gegenwärtigen Kapitalismus aufmerksam zu machen und auf Abhilfe zu sinnen? Warum sollten ausgerechnet die Reformvorstellungen der Konservativen a priori den Makel des Illegitimen auf der Stirn tragen? Die Beschäftigung mit den linken Kritikern des Neokonservatismus sollte allerdings nicht vergessen machen, dass die sozialistische und die konservative Denkschule nicht nur miteinander verfeindet sind, sondern auch tiefgreifende, mitunter sogar verblüffende Gemeinsamkeiten aufweisen. Auch wenn beide weit davon entfernt sind, sich durch ein Verhältnis vollständiger Identifikation auszuzeichnen, gehen viele Konservatismusanalytiker davon aus, dass zwischen ihnen eine erstaunliche Wesensverwandtschaft besteht. Dabei fällt zunächst auf, dass viele unter ihnen den Sozialismus ausgesprochen vorurteilsfrei in den Blick nehmen. So ist es für Emil Franzel höchst unangebracht, wenn die Konservativen die angeblich kollektivistische Gefahr an die Wand malen und ihre theoretischen Überlegungen mit den Versatzstücken einer hyperliberalen, durch und durch antisozialistischen Ideologie garnieren. Franzels weltanschauliches Credo geht dem gemäß in der festen Überzeugung auf, dass „der wirklich Konservative . . . das Wort Sozialismus nicht zu fürchten“287 braucht. Aus diesem Grunde plädiert er dafür, allen Überlegungen über eine zukünftige Gesellschaftsgestaltung „einen durch Vernunft und soziales Bewusstsein bestimmten Inhalt“288 zu geben. einer „stetig anschwellenden staatlichen Überwachung“ (Konservative in Aktion, in: Wort und Wahrheit 11 (1956), S. 209). Der „Leviathan-Staat“ (ebd.) sei darauf aus, das gesamte Leben zu reglementieren, „alles für alle“ (ebd.) in den Griff seiner Macht-ambitionen zu nehmen. Als Antidoton „sollten eher freiwillige und örtlich gebundene Sicherungssysteme . . . unter Heranziehung von Standesorganisationen, Industriefirmen und Kirchengemeinden“ (ebd.) implementiert werden. Nur auf diese Weise können sich die freiheitsliebenden Bürger von den „üblen Folgen des Wohlfahrtsstaates“ (ebd.) retten. 287 Emil Franzel: Fortinbras. Ansichten eines Konservativen. Würzburg 1971, S. 85. Im Jahre 1936 bekannte sich Emil Franzel zur sozialistisch eingefärbten abendländischen Ordnungsidee. „Im sozialistischen Abendland wird ein freies Deutschland aufgehen. Ein freies Deutschland wird dem Abendland das Brot des Lebens reichen: den ordnenden Geist des Sozialismus“ (Abendländische Revolution. Geist und Schicksal Europas, Bratislava 1936, S. 261). 288 Ebd. Im illiberalen Konservatismus Frankreichs wurde von Lt. Colonel de La Rocque sogar die „Verschmelzung der Klassen“ gefordert (Staatsdienst am Volk (Service publi-

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In gleicher Weise warnte auch Georg Quabbe davor, das weltanschauliche Garn des Konservatismus aus antiquierten antisozialistischen Fäden zu spinnen. Da sich Sozialismus und Konservatismus vor allem in gesellschaftsphilosophischer Hinsicht in vielfältiger Weise überblenden, sei es nur schwer „einzusehen, wieso ein Konservativer . . . notwendig . . . ein Antisozialist sein muss“289. Seine ideologische Largesse gegenüber dem Sozialismus verbindet Quabbe mit einer ausgesprochen antikapitalistischen Einstellung. In seinen Augen ist die liberale Marktwirtschaft dazu verurteilt, einer vernünftigeren, d. h. sozialistischen Wirtschaftsordnung Platz zu machen. Es sei seine feste Überzeugung, dass „der Kapitalismus und sein Regime“290 einem gemeinwirtschaftlichen Ökonomiesystem weichen müsse. Dass sozialistische Ordnungsvorstellungen nicht zuletzt im deutschen Konservatismus ihre historische Dynamik entfalteten, darauf verweist mit allem Nachdruck Hans-Joachim Schoeps. Seiner Auffassung zufolge hat vor allem „die Konservative Partei Preußens . . . von ihrer Entstehung her ausgesprochen sozialistisch orientierte Elemente in ihren Reihen gehabt“291. So gehörten „Rodbertus-Jagetzow, Victor Aimé Huber und besonders . . . Hermann Wagener“292 zur „sozialistischen Gruppe innerhalb der Konservativen Partei“293. Dabei habe „Rodbertus . . . das Auftreten Lassalles in Preußen begrüßt“294. Hermann Wagener bezeichnete sogar „das Sozialistengesetz . . . für Bismarcks schwersten Fehler“295. Darüber hinaus habe sich Otto von Bismarck zum sogenannten Kathedersozialismus“296 bekannt. Was die englische ideologische Entwicklung anlangt, so verweist Harvey Glickman darauf, dass insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg die bislang bestehende Kluft zwischen Konservatismus und Sozialismus überbrückt werden konnte. Nun votierten beide ideologischen Lager ohne Abstriche für die sozialpolitische Intervention in das System der Bedürfnisse. Dabei machte sie ihre antiliberale Haltung zu Bundesgenossen. „The collectivist implications of both Toryism and Socialism can help account for the convergence of politics in Britain after World War II.“297. que). Aus dem Französischen. Berlin 1936, S. 267). In seiner Bewegung spielen „Reichtum oder Armut . . . keine Rolle“ (ebd.). 289 Georg Quabbe: Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema, Berlin 1927, S. 133. 290 Ebd. 291 Hans-Joachim Schoeps: Konservativer Sozialismus, in: Konservative Erneuerung, Stuttgart 1958, S. 45. 292 Ebd., S. 46. 293 Ebd. 294 Ebd., S. 49. 295 Ebd., S. 52. 296 Ebd. 297 Harvey Glickman: The Toryness of English Conservatism. (Wie Anm. 44), S. 143. Vgl. dazu auch Lord Hugh Cecil: „It is often assumed that Conservatism and Socialism are directly opposed. But this is not completely true. Modern Conservatism inherits the traditions

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

Die gemeinschaftsorientierte Ausrichtung sowohl des sozialistischen als auch des konservativen Ideekreises hat auch Samuel H. Beer zufolge das Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen den beiden politischen Familien ermöglicht. So ist vor allem auch für den Konservatismus der Eingriff des Staates in das System der Bedürfnisse kein politischer Sündenfall. „Modern Conservatives . . . accept a broad and continuous, indeed a Collectivist intervention by government in society and especially in economic affairs“298. Beide Ideenkreise streben deshalb im Gegensatz zu den Liberalen auch keinen Minimalstaat an. Die Existenz einer starken Exekutive ist für sie eine politische Notwendigkeit. „Like Socialist Democracy, Tory Democracy legitimizes a massive concentration of political power“299 . Konservative Autoren bringen sogar Verständnis dafür auf, dass sich die Arbeiter den sozialdemokratischen Parteien anschlossen. Sie entziffern diese politische Liaison als Zeugnis einer durch und durch ehrenwerten Haltung. Weit davon entfernt, sich durch die in Rede stehende Parteibindung allein materielle Vorteile zu verschaffen, unterstützte die deutsche Arbeiterschaft die Sozialdemokratie, weil sie die subalterne soziale und politische Rolle der Werktätigen bekämpfte. Herbert Blank zufolge ging „gerade der deutsche Arbeiter . . . nicht zum Sozialismus der Lohntüte halber“300, er habe diesen politischen Schritt „aus Gründen der Ehre“301 unternommen.

5. Marktkonservatismus und Sozialkonservatismus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede In dieser Arbeit wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es in der konservativen Denkfamilie zwei höchst unterschiedliche Argumentationspositionen über die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt. Während die sogenannten Sozialkonservativen für den Eingriff des Staates in das System der Bedürfnisse plädieren, sind die Marktkonservativen der Meinung, allein der Konkurrenzmechanismus sei imstande, den Wirtschaftsprozess zu steuern. Aus diesem Grunde fordern sie den Staat auf, sich auf seine Minimalfunktion302 zu beschränken. Nach Lincoln Allison setzt der Marktkonservatismus auf „self-help, self-development, self-awareness, self-realisation“303. Dem Staat wächst nur dann Legitimität zu, of Toryism which are favourable to the activity and authority of the State“ (Conservatism, London 1912, S. 169). Allerdings verweist Lord Cecil auch darauf, dass es im „socialist movement . . . an element of Jacobinism“ (ebd. S. 248) gibt. 298 Samuel H. Beer: British Politics in the Collectivist Age, New York 1969, S. 91. 299 Ebd. Zum Begriff des „red tory“ vgl. Gad Horowitz: Canadian Labour in Politics, Toronto 1968, S. 23. 300 Herbert Blank: Konservativ, Hamburg 1953, S. 38. 301 Ebd. 302 Vgl. dazu Johann Baptist Müller: Staat und Minimalstaat, in: Zeitschrift für Politik 50 (2003), S. 144 ff.

5. Markt- und Sozialkonservatismus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

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wenn er in den Dienst der Bürger gestellt wird. „Governments can only be justified insofar as they benefit individuals; their performance must be measured by their aggregate efficacy in doing so“304. Dieser Markkonservatismus habe vor allem in F. A. von Hayek einen besonders beredten Vertreter gefunden305. In diesem Zusammenhang verweisen Kenneth Hoover und Raymond Plant darauf, dass es dem in Rede stehenden „individualist conservatism“306 ausschließlich um die „maximization of personal freedom . . . in the market place“307 geht. Dabei sei dieser weit individualistischer und dogmatischer ausgerichtet als die herkömmliche Schule der liberalen Nationalökonomie. „Classical liberals such as Locke and Mill, however, at least acknowledged human need as a principle in distribution – a concern that is missing in Hayek and Friedman“308. Im Gegensatz zu den Marktkonservativen, seien die Repräsentanten des klassischen Konservatismus als Parteigänger einer „unified, but flexible, ideological canopy“309 zu erkennen. Beide konservativen Denkrichtungen verbindet nach Frank S. Meyer der Umstand, dass sie wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Die Topoi der einen avancieren zur Legitimationsbeschaffung der anderen. Wenn man sich nur auf eine Konservatismustradition stütze, wird geflissentlich übersehen, dass es eine „complementary interdependence of freedom und virtue, of the individual person and political order“310 gibt. Wenn diese wechselseitige Abhängigkeit negiert wird, laufe man Gefahr, sich einem extremen Konservatismusideal zu verschreiben. So münde die Überbetonung des Ordnungsaspekts notwendigerweise in eine Geringschätzung der Freiheit. „The raising of order to the rank of an end overshadowing and subordinating the individual person would make of order not what the traditionalist conservative means by it, but the rule of totalitarian authority, inhuman and subhuman“311. Andererseits wohnen auch der gegenteiligen Position, dem 303

Lincoln Allison: Right Principles. A Conservative Philosophy of Politics, Oxford 1984,

S. 12. Ebd. Ebd., S. 14. Dass das Bekenntnis zum sozialinterventionsfreien Wirtschaftssystem als konservativ bezeichnet wird, ist nach August Heckscher mehr als verständlich. „A whole generation has been brought up to suppose that conservatism is essentially negative and sterile, and that it is represented by the kind of groups which fought to the death against the New Deal and the Fair Deal“ (Where are the American Conservatives?, in: Confluence 1953, S. 5). 306 Kenneth Hoover and Raymond Plant: Conservative Capitalism in Britain and the United States, London and New York 1989, S. 9. 307 Ebd., S. 10. 308 Ebd., S. 9. 309 Ebd. 310 Ebd. 311 Frank S. Meyer: Freedom, Tradition, Conservatism, in: What is Conservatism?, ed. by Frank S. Meyer, New York 1964, S. 9. 304 305

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Bekenntnis zum libertären Standpunkt312, Gefahren inne. „Without the implicit acceptance of an absolute ground of value, the pre-eminence of the person as criterion of political and social thought and action has no philosophical foundation, and freedom would be only a meaningless excitation and could never become the serious goal of a serious politics“313. In diesem Zusammenhang wird auch heftig über die Frage diskutiert, ob man dem Marktkonservatismus überhaupt ein Heimatrecht im konservativen Familienverband gewähren soll. Nicht wenige Autoren sind der Auffassung, dass dieser in zu starkem Maße dem klassischen Liberalismus verpflichtet ist, um ihn nicht als ideologischen Fremdkörper ansehen zu müssen. Da er sich nach Raymond English als „materialistic simplification of nineteenth-century economic liberalism“314 zu erkennen gibt, müsse er in der konservativen Denk- und Aktionsgruppe als weltanschaulicher Störenfried angesehen werden. Darüber hinaus weise der in Rede stehende Marktkonservatismus sogar Ähnlichkeiten mit dem Marxismus auf. Beide Doktrinen vertreten eine Anthropologie, die sich durch ein pointiert materealistisches Menschenbild auszeichnet. Für beide sei der Mensch nichts anderes als ein „economic animal, motivated by selfish, materialistic desires“315. In beiden Ideenkreisen gebe sich das Beziehungsgespinst der Gesellschaft als ein „struggle for advantage and even for survival“316 zu erkennen. Andrew Carnegie und Herbert Spencer beziehen die Kategorien ihres Denkens aus dem Fundus eines unverhüllten Sozialdarwinismus317. Auch für Rod Preece könnten die ideologischen Unterschiede zwischen dem herkömmlichen und dem Marktkonservatismus kaum größer sein. Dieser ist für ihn auf einen zu liberalen Ton gestimmt, um als konservativ gelten zu können. „If we appropriate to think of conservatism as essentially collectivist then we would have to expect the ,New Conservatives‘ to come to approximate the liberal individualistic viewpoint as they come closer to the liberals“318. Bei diesem Liberalismus handele es sich allerdings nicht um den modernen Sozialliberalismus, sondern um seine klassische Version. Dieser „transcends the position of modern liberals in the direction of the classical liberal doctrines of self-reliance and the minimal state“319. Aus diesem Grunde könne mit Fug und Recht behauptet werden, dass es sich bei den sogenannten Marktkonservativen um Liberale handelt. Sie hätten im Ebd. Ebd. 314 Raymond English: Conservatism. The Forbidden Faith, in: The American Scholar 21 (1952), S. 400. 315 Ebd. 316 Ebd. 317 Ebd. 318 Rod Preece: The Anglo-Saxon Conservative Tradition, in: Canadian Journal of Political science 13 (1980), S. 5. 319 Ebd. 312 313

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konservativen Ideenkreis als „strange bedfellows“ zu gelten. „Why, we most wonder, do we not call the ,new Conservatives‘ the ,Old Liberals‘?“320. Dabei gibt es auch nichtkonservative Autoren, die sich weigern, den Anwälten der Marktdeifizierung ein konservatives Vorzeichen zu verleihen. Zu ihnen gehört Arthur M. Schlesinger. Er geht zunächst davon aus, dass die am europäischen Konservatismus orientierten Neokonservativen der USA herzlich wenig mit denjenigen gemeinsam haben, die der rigiden Konkurrenzwirtschaft Reverenz erweisen. Zu ihnen rechnet er vor allem Herbert Hoover. „Where the New Conservatives would trace their antecedents to the British Tories, Hoover would trace his to the British Liberals – to Cobden, Bright, Gladstone, above Herbert Spencer“321. Von der Warte des herkömmlichen Konservatismus aus gesehen handelt es sich Schlesinger zufolge bei diesen liberalen Persönlichkeiten eher um ideologische Feinde als Freunde. Ihr „uncritical faith in human nature, in progress, and in the automatic harmonies of self-interest“322 weist sie eindeutig als Liberale aus. Ihr Denken atme keineswegs den Geist des Konservatismus, sondern stelle einem „rather . . . decadent and ossified liberalism“323 unter augenfälligen Beweis. In gleicher Weise gibt auch Anthony Giddens zu Protokoll, dass der Marktkonservatismus kaum dem herkömmlichen Konservatismus zu subsumieren ist. Für ihn gehören die dogmatischen Anwälte einer uneingeschränkten Marktwirtschaft eher dem liberalen als dem konservativen Ideenkreis an. „Wenn von den Konservativen die Rede ist, die die uneingeschränkte Ausbreitung der Marktkräfte befürworten, gebrauche ich den allgemeinen Ausdruck „Neue Rechte“ bzw. häufiger noch das Wort Neoliberalismus“324. In diesem Kontext wird auch führenden Vertretern der sog. Chicago School das Recht abgestritten, sich zur konservativen Denkfamilie rechnen zu dürfen. Ihre Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeption sei keineswegs auf den Geist des traditionellen Konservatismus, sondern auf einen durch und durch liberalen Ton gestimmt. Was Ludwig von Mises anlangt, so hat er im Konservativen Russell Kirk einen besonders intransigenten Gegner gefunden. Alle Gedankenkomplexe, die sich seiner ökonomistischen Logik verweigern, würden von ihm in den Orkus der Illegitimität geworfen. Er stehe Denksystemen mit äußerster Ablehnung gegenüber, „that do not recognize the primacy of ecoEbd. Arthur M. Schlesinger, Jr.: The New Conservatism in America. A liberal Comment, in: Confluence 2 (1955), S. 63. 322 Ebd. Erik von Kuehnelt-Ledddihn verweist darauf, dass „uns Europäern . . . ein kommerziell-kapitalistisch ausgerichteter Konservatismus etwas Fremdes“ ist (Konservative Intellektuelle in der englischsprechenden Welt, in: Konservatismus international, hrsg. von GerdKlaus Kaltenbrunner, Stuttgart-Degerloch 1973, S. 146). 323 Ebd. 324 Anthony Giddens: Jenseits von Links und Rechts. Aus dem Englischen, Frankfurt am Main 1997, S. 46. 320 321

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nomic logic“325. Hand in Hand mit seinem ausgesprochen ökonomistischen Denken gehe seine ostentative Verachtung aller traditionalistisch ausgerichteten Ordnungsvorstellungen. „He endeavors to demolish ,traditionalism’ which he considers inimical to scientific praxeology“326. Dabei handele es sich bei Ludwig von Mises um einen Sozialtheoretiker, der einerseits dem Liberalismus uneingeschränkte Reverenz erweist und andererseits den zum Scheitern verurteilten Versuch unternimmt, als konservativer Denker zu gelten. „In Professor von Mises . . . we seek a thinker steeped in liberal dogmas who is trying to maintain a conservative position“327. Dabei besitze er nur höchst rudimentäre Kenntnisse über den konservativen Ideenkreis. „His knowledge of the conservative mind, I am afraid, is in inverse proportion to his acquaintance with liberal theories“328. Die Ignoranz und Leichtfertigkeit, mit denen er sich mit den großen Werken des Konservatismus auseinandersetze, zeige sich besonders in seiner Analyse der Schriften Edmund Burkes. „He fails, for instance, to understand Burke in the slightest degree“329. In diesem Zusammenhang wirft Kirk von Mises auch vor, einer völlig unangebrachten und illegitimen Verachtung der christlichen Denktradition anheim gefallen zu sein. Auf diese Weise werde sein wissenschaftliches Œuvre mit erheblichen perspektivischen Verkrürungen erkauft. Indem er die „far older and stronger arguments which Christian political thinkers advance“330, grundsätzlich ignoriere, trügen seine Schriften das Kainsmal der Ignoranz auf der Stirn. In gleicher Weise geriet auch Friedrich August von Hayek in das kritische Fadenkreuz konservativer Gesellschaftstheoretiker. Vor allem für Irving Kristol ist es ein aussichtsloses Unterfangen, sein Werk durch das Nadelöhr des Konservatismus zu zwängen. Was Kristol an Hayek besonders irritiert, ist seine ins äußerste Extrem getriebene Verherrlichung der Marktwirtschaft. Er übersehe dabei geflissentlich die moralischen Defizienzen seiner Konkurrenzverherrlichung. „The inner spiritual chaos of the times, so powerfully created by the dynamics of capitalism itself, is such as to make nihilism an easy temptation“331. Nicht zuletzt Hayeks pointierter Freiheitsbegriff entbehre aller notwendigen ethischen Schranken. „A ,free society’ in Hayek’s sense gives birth in massive numbers to ,free spirits‘, emptied of moral substance“332. Dabei übersehe Hayek auch die Dialektik zwischen der unbegrenzten Ausweitung der Freiheitssphäre und ihrer zerstörerischen Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft. Es komme ihm nicht in den Sinn, dass die Energien des radikal be325 326 327 328 329 330 331 332

Russell Kirk: A Program for Conservatives (wie Anm. 273), S. 145. Ebd., S. 146. Ebd., S. 149. Ebd. Ebd. Ebd., S. 146. Irving Kristol: Two Cheers for Capitalism (wie Anm. 193), S. 268. Ebd.

5. Markt- und Sozialkonservatismus: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

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freiten Individuums in gesellschaftsauflösende Bahnen fließen. „And what if the ,self‘ that is ,realized‘ . . . and uses its liberty to subvert and abolish a free society?“333. Ein derartig radikales Freiheitsverständnis stehe den zerstörerischen Einflüssen destruktiver Denker widerstandsunfähig gegenüber. Dabei sei es vor allem außerstande, „to refute the Marquis de Sade and Nietzsche“334. Um den Nachweis zu führen, dass Hayek entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch kaum als konservativer Autor bezeichnet werden kann, kann auch darauf verwiesen werden, dass dieser selber dem konservativen Ideenkreis den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Die Leitmotive seiner ideologischen Ortsbestimmung gewinnen eine Dynamik, die dem konservativen Credo an der Wurzel fremd ist. Von ihm wird ein Bild des Konservatismus gezeichnet, das feindseliger und abstoßender kaum sein könnte. Sein Antikonservatismus gewinnt seine Stoßkraft zunächst durch seinen Versuch, die in Rede stehende Ordnungsvorstellung in ein amoralisches Licht zu rücken. Für Hayek ist der Konservative „im wesentlichen ein Opportunist“335, der „keine Prinzipien“336 kennt. Zu den äußerst negativ zu bewertenden Bestimmungsmomenten des konservativen Charakters gehört auch, dass er „eine Vorliebe für Autorität“337 aufweist. Eine drakonisch agierende Obrigkeit werde vor allem dann begeistert begrüßt, wenn sie dem Konservativen in die utilitaristische und egoistische Rechnung passt. „Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass der Konservative nichts gegen Zwang und Willkür einzuwenden hat, solange diese für Zwecke ausgeübt werden, die ihm die richtigen erscheinen“338. Darüber hinaus bemängelt Hayek am Konservatismus seinen mangelnden Progressismus. Er hänge ängstlich am Alten und hege gegenüber dem Neuen alle Vorurteile, denen er habhaft werden kann. „Wie von konservativen Schriftstellern oft bestätigt wurde, ist einer der Grundzüge der konservativen Einstellung eine Furcht vor Veränderungen, ein ängstliches Misstrauen gegen das Neue als solches“339. Wenn man die Kritik konservativer Autoren am Wirtschaftsliberalismus von F. A. von Hayek und von L. von Mises Revue passieren lässt, dann stellt sich notwendigerweise die kaum zu verdrängende Einsicht ein, dass diese beiden berühmten Vertreter der Chicago School kaum als Anwälte des Konservatismus gelten können. Ihr ideologisches Webmuster kann nicht als Blaupause einer Ordnungsvorstellung dienen, in der ein durch und durch antiindividualistischer und traditionsausgerichteter Geist waltet. Aus diesem Grunde ist Peter Viereck zuzustimmen, wenn er im Gegensatz zu vielen Journalisten und Gelehrten es rundweg ablehnt, Ebd., S. 68. Ebd. 335 F. A. von Hayek: Die Verfassung der Freiheit. Aus dem Amerikanischen, Dritte Auflage, Tübingen 1991, S. 486. 336 Ebd. 337 Ebd., S. 485. 338 Ebd. 339 Ebd., S. 484. 333 334

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diese als Konservative zu bezeichnen. Für ihn ist eindeutig die Grenze der Begriffsverwirrung erreicht, wenn „the term ,conservative‘ to the laissez-faire economics“340 in Verbindung gebracht wird. Da diese Doktrin eindeutig dem „European liberalism“341 entstamme, gebe sie sich als dysfunktionales Bestimmungsmoment des konservativen Ideenkonglomerats zu erkennen.

6. Die interessentranszendierende Gesellschaftskonzeption des Konservatismus Wenn von der Soziallehre des Konservatismus die Rede ist, muss auch die Frage in den analytischen Blick gerückt werden, ob diese soziale und politische Ordnungsvorstellung als transsoziales Denkprodukt interpretiert werden kann oder aber als Ideologie zu gelten hat, die im Interesse bestimmter sozialer Schichten formuliert wurde und wird. Die bei dieser Diskussion formulierten Antworten gehen dabei weit auseinander. In dieser Abhandlung wurde schon des öfteren darauf hingewiesen, in wie starkem Maße viele Gegner des Konservatismus der Auffassung sind, dieser habe seit alters her den ökonomisch und politisch Führenden nach dem Munde geredet, sich als Anwalt ihrer unverblümten Interessen geriert. Für Arnold Künzli ist er letzten Endes eine „in die Vergangenheit zurückprojizierte Gegenwart“342, deren „Mächtige und faktisch Herrschende ihre Positionen als Privilegierte“343 den Konservatismus in Anspruch nahmen, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Auch Robert Eccleshall hält dafür, dass sich der Konservatismus immer schon als eine Ideologie zur Legitimierung von Herrschaftsverhältnissen zu erkennen gegeben hat. Von Anfang an sei es sein Ziel gewesen, den Fehdehandschuh all denjenigen hinzuwerfen, die sich reformerischen oder revolutionären Ideen verschrieben haben. In diesem Interpretationshorizont gibt sich nicht zuletzt der englische Konservatismus als „the ideology of dominant social and political groups“344 zu erkennen. Dieser Tatbestand unterscheide ihn in einem entscheidenden Maße von seinen ideologischen Feinden. „Unlike either liberalism or socialism, conservatism Peter Viereck: Liberals and Conservatives, in: The Antioch Review 11 (1951), S. 393. Ebd. 342 Arnold Künzli: Ursprung und Tradition. Zur Geschichtsphilosophie des Konservatismus, in: Tradition und Revolution, Basel und Stuttgart 1975, S. 181. Vgl. dazu auch: Der Konservatismus . . . war . . . von Anfang an dazu verurteilt, mit der Weisheit der früheren Generationen auch die institutionalisierten Interessen der bis dahin Herrschenden“ (ebd. S. 177) zu verteidigen. Dabei würden „partikulare Interessen, damit sie sich als legitime legitimieren können, gerne im Transzendenten verankert und damit gegen immanente Kritik immunisiert (ebd. S. 177 f.) 343 Ebd. 344 Robert Eccleshall: English Conservatism as Ideology, in: Political Studies 25 (1977), S. 62. 340 341

6. Die interessentranszendierende Gesellschaftskonzeption des Konservatismus

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is riveted in a continuing effort by established élites to generate confidence in the prevailing structure of power“345. In einem ähnlichen Sinne vertritt auch Lincoln Allison die Ansieht, dass der Konservatismus als „defence of established interests“346 zu gelten hat. Gegen diese höchst einseitige Konservatismus-Interpretation haben sich nicht wenige Autoren gewandt. Sie ziehen alle Register ihres historischen und ideengeschichtlichen Verstandes und verweisen darauf, dass sich ein recht verstandener Konservatismus durchaus auch als schichtentranszendierende Ordnungsvorstellung interpretieren lässt. So macht A. B. Wolfe darauf aufmerksam, dass es neben einem „interested conservatism“347 auch einen „disinterested conservatism“348 gibt. Peter Viereck zufolge hat eine Denkweise, die sich ausschließlich an den Interessen der Mächtigen und Wohlhabenden orientiert, als Verrat an der konservativen Ordnungsidee zu gelten. „Conservatism is betrayed when it becomes the exclusive property of a single social or economic majority“349. Von einer ähnlichen Denkwarte aus warnt Hans-Christof Kraus davor, „den Konservatismus als ausschließlich machtorientiert zu interpretieren und in ihm bloß eine Ideologie zur Aufrechterhaltung und Rechtfertigung bestehender Machtund Besitzverhältnisse zu sehen“350. Aus diesem Grunde kann sich Gerd-Klaus 345 Ebd. Eccleshall vergisst dabei allerdings, dass es auch die Legitimierung von Herrschaftsstrukturen durch liberale Autoren gibt. Gegen die sogenannte „Whig Supremacy“ hatte Locke wenig einzuwenden. Vgl. dazu Basil Williams: The Whig Supremacy 1714 – 1760, Oxford 1962. 346 Lincoln Allison: Right Principles. A Conservative Philosophy of Politics (wie Anm. 303), S. 7. Zu denjenigen Autoren, denen man beim allerbesten Willen keinen klassentranszendierenden Standpunkt imputieren kann, gehört ohne Zweifel Edmund Burke. Für ihm verflüchtigt sich die Behauptung, dass allen Berufen dieselbe Ehre gebührt, ins Wirklichkeitsfremde. „The occupation of an hairdresser, or of a working tallow-chandler, cannot be a matter of honour to any person – to say nothing of a number of other more servile employments“ (Reflection on the Revolution in France (wie Anm. 127), S. 155). Da bestimmte Berufe den Makel der Unehrenhaftigkeit auf der Stirn tragen, muss es ihren Angehörigen verwehrt sein, entscheidende politische Machtpositionen zu erringen. „Such descriptions of men ought not to suffer oppression from the state; but the state suffers oppression, if such as they, either individually or collectively, are permitted to rule“ (ebd.). Dagegen gebührt Burke zufolge dem Adel die natürliche Vorherrschaft im Staate. „Nobility is a graceful ornament to the civil order. It is the Corinthian capital of polished society“ (ebd. S. 302 f.). In diesem Zusammenhang wirft Burke den egalitär denkenden Levellern vor, „at war with nature“ (ebd. S. 155) zu sein. 347 A. B. Wolfe: Conservatism, Radicalism, and Scientific Method, New York 1923, S. 61 und passim. 348 Ebd., S. 21. Dabei lasse sich der interessengeleitete Konservatismus vom „desire for security in possession“ (ebd. S. 61) leiten. So sei besonders das „big business“ (ebd. S. 70) konservativ gesinnt. Was den „disinterested Conservatism“ anlangt, so sei dieser „less . . . associated with specific interests“ (ebd. S. 21). 349 Peter Viereck: Conservatism revisited. (wie Anm. 265), S. 36. Für ihn gehört „Conservatism . . . to society as a whole“ (ebd.). 350 Hans-Christoph Kraus: Wer sich aus dem Vertrag schummelt. Zu Edmund Burkes Plädoyer für den Konservatismus, in: Die Welt Nr. 182, 8. August 1987.

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Kaltenbrunner zufolge der Konservatismus „nicht in der bloßen Fixierung und Sicherung von Privilegien, Besitz und Klassendifferenzen“351 erschöpfen. Richtig verstanden, habe dieser das Gemeinwohl im Auge, das schichtenübergreifend dem Ganzen verpflichtet ist und in gar keiner Weise den Partikularinteressen das Wort redet. Dieser Auffassung stimmt auch Günther Rohrmoser ohne Abstriche zu. Ihm zufolge liquidiere der Konservatismus die Voraussetzungen seiner Legitimität in dem Maße, in dem er sich in den Dienst einer bestimmten sozialen Interessenlage stelle. Er gehe seiner gesamtgesellschaftlichen Aufgabe verlustig, wenn er sich in den Dienst gesellschaftlicher Partikularinteressen stelle. „Wenn konservativ die Wahrung des Besitzstandes, die Verteidigung von Privilegien bedeuten sollte, dann hat der Konservatismus keine Chance . . . Mit einem wirklichen Konservatismus hat das nichts zu tun“352. Für den konservativen Parteiführer Kuno von Westarp geht das Credo seiner politischen Organisation keineswegs in der Überzeugung auf, im Dienst selbstsüchtiger Standesinteressen zu stehen. „Die Vorstellung, dass gerade die Konservative Partei allein egoistischen Trieben maßgebenden oder auch nur vorwiegenden Einfluss eingeräumt hatte, ist eine Folge der demokratischen Hetze und Verleumdung, die dem Bedürfnis, die Macht des konservativen Gedankens zu brechen, nicht aber dem geschichtlichen Tatbestand entspricht“353. 351 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Der Konservative im nachliberalen Zeitalter, in: Neue Rundschau (85), 1974, S. 14. 352 Günter Rohrmoser: Der Ruf nach den Konservativen, in: Die Herausforderung der Radikalen, Köln 1973, S. 41. Für Rohrmoser kann es niemals die Aufgabe des Konservatismus sein, einem „feudalistisch-kapitalistischen Eigentumsbegriff“ (ebd.) das Wort zu reden. Für einen Konservatismus, der allen klassenspezifischen Bestimmungsmerkmalen enträt, spricht sich auch Malcolm Macdonald aus. Er plädierte dafür, diesen Ideenkreis von allen Interessenverbrämungen zu befreien und ihm eine Kontur zu verleihen, die auf das Gemeinwohl zielt. „Conservatism is the possession of no economic class“ (The Revival of Conservative Thought, in: The Journal of Politics 19 (1957), S. 79). Dieser sozialen und politischen Leitvorstellung können all diejenigen das Wort reden, „who have a stake in the community“ (ebd.). Dabei könne davon ausgegangen werden, dass dies auf „all men of whatever class“ (ebd.) zutrifft. Was die soziale Struktur der Tories anlangt, so ist für Ernest Barker die „Conservative party . . . an all-class party“ (Reflections on the Party System, in: Parliamentary Affairs 5 (1950 / 51), S. 201). 353 Kuno von Westarp: Konservative Politik im letzten Jahrzehnt des Kaiserreichs, Band II, Berlin 1935, S. 671. Vehement hat sich auch Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode dagegen verwahrt, dass die Konservative Partei eine „rein ökonomische Interessengemeinschaft“ sei (Die unentschiedene Generation, München und Wien 1968, S. 213). Wenn sich der Adel für eine soziale Schicht einsetzen will, dann sollte er Fritz Reck-Malleczewen zufolge die Arbeiterschaft nicht vergessen. „Und wenn du, deutscher Adel, allzu lange geschlafen hast mit der Bourgeoisie und wenn du zu müde und zu fett geworden bist, um mir diesen Hass und diese Liebe nachzuempfinden: dann erinnere dich daran, dass aus deinen Reihen einst Florian Geyer kam und dass es deine letzte Bestimmung ist, immer zu frondieren und mit den schwä-

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Wenn darüber diskutiert wird, ob, beziehungsweise wie, sich der Konservatismus vor den Karren gesellschaftlicher Interessen spannen ließ, muss notwendigerweise auch auf das Problem eingegangen werden, in welcher Weise aristokratische Interessen und konservative Zielvorstellungen einander bedingten und überlagerten. Dabei hält vor allem Panajotis Kondylis dafür, dass beide durch ein inniges Verhältnis miteinander verbunden sind. In dem Maße allerdings, in dem der Adel seine soziale Machtstellung verliert, sei es auch mit der Lebenskraft des Konservatismus nicht mehr zum besten bestellt. Aus diesem Tatbestand hat Kondylis den Schluss gezogen, dass „der Konservatismus als konkrete geschichtliche Erscheinung . . . längst tot und begraben“354 ist, weil sein historischer Träger, die Aristokratie, keine gestaltende historische Kraft mehr besitzt. Ihm zufolge hat der „innere Zerfall des Adels“355 die konservative Ideologie zum Verschwinden gebracht. Der demokratische Geist des sozialen Wandels entlegitimierte die konservative Interessendoktrin. Im Gegensatz zu Panajotis Kondylis hält Samuel P. Huntington dafür, dass konservative Denkstrukturen keineswegs ausschließlich aus dem aristokratischen Milieu deszendieren. Diejenige Ordnungsvorstellung, die den Idealen der Skepsis, der Tradition und der Autorität verpflichtet ist, findet sich auch in anderen sozialen Schichten. „Conservatism is not, as the aristocratic interpretation argues, the monopoly of one particular class“356. Die Legitimität dieser Behauptung schließt sich besonders dann auf, wenn die soziale Herkunft vieler konservativer Theoretiker in Betracht gezogen wird. In diesem Zusammenhang sieht sich David Y. Allen zu der Frage veranlasst, warum es so viele Konservative mit einer bürgerlichen sozialen Herkunft gibt, wenn der konservative Ordnungsentwurf allein aristokratischen Ursprungs ist. „If conservatives were essentially spokesmen for aristocracy, why is it that so many of the leading conservative theoreticians . . . came from middle- or lower-middle-class backgrounds?“357.

cheren Eskadrons zu reiten und schlafend und wachend . . . das zu hassen, was aller Staaten und aller Stände Totengräber und Leichenwurm ist: Die Plutokratie“ (Acht Kapitel für die Deutschen, Großschönau Sa. 1934, S. 129). 354 Panajotis Kondylis: Konservatismus, Stuttgart 1986, S. 507. 355 Ebd., S. 408. Wenig nachsichtig urteilte Eleonore Fürstin Reuß über die Aristokratie. „Über das inhaltsleere Junkertum, das Jahn noch sehr gnädig als die ,Herrn von Sonst, Bleibe und Rückwärts‘ passieren lässt, über die Conservativen, die sich bloß selbst conservieren wollen – lacht man mit Recht und sucht statt dessen das Vollblut allein unter den vierbeinigen Creaturen“ (Adolf von Thadden-Trieglaff, Ein Lebensbild, Zweite Auflage, Berlin 1894, S. 254). 356 Samuel P. Huntington: Conservatism as an Ideology in: The American Political Science Review 51 (1957), S. 473. 357 David Y. Allen: Modern Conservatism: The Problem in: The Review of Politics XLIII (1981), S. 583. Adolf Grabowksky geht davon aus, dass der „Konservatismus der unteren Schichten“ (Politik im Grundriss, Freiburg im Breisgau und Frankfurt am Main, 1952, S. 169) eindeutig konservativer ausgefallen ist als derjenige der Intellektuellen. „In dem nun die große Menge mit allen Fasern am Herkommen festhält, ist sie viel konservativer als der Intellektuelle, der sich gern in beziehungslosen Gedankenspielen ergeht“ (ebd.). Vgl. dazu auch:

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IV. Die konservative Sicht auf das kapitalistische System der Bedürfnisse

Einen wichtigen Beitrag zur konservativen Theorie hat nicht zuletzt auch der amerikanische Hafenarbeiter Eric Hoffer358 geliefert359. Ihm war es nie in den Sinn gekommen, Berührungsängste gegenüber diesem Ideenkreis zu entwickeln. Sein Beispiel ist ein augenfälliger Beweis für die Behauptung von Roberto Michels, in wie starkem Maße auch „poor people . . . conservative“360 sein können. In diesem Zusammenhang weist Peter Viereck darauf hin, dass die Verhaltensregel des Noblesse oblige nicht nur den. Adel charakterisiert, sondern auch die Lebensäußerungen anderer sozialen Schichten auszeichnet. „In an effective democracy, this spirit permeates the whole community“361. Aus diesem Grunde spricht er von der „classless diffusion of the aristocratic heritage“362. So lange der Gemeinplatz vom schichtengebundenen konservativen Denken in der Diskussion herumgeistert, wird die Tatsache übersehen und verdrängt, dass jeder Bürger, welche soziale Lage er auch immer aufweisen mag, sich zum Konservatismus zu bekennen in der Lage ist. Diese Erkenntnis kann nur dann Bahn greifen, wenn der Topos von der freien Entscheidung zu einer bestimmten sozialen und politischen Ordnungsvorstellung ins Bewusstsein gehoben wird. In diesem Zusammenhang verdanken wir Caspar von Schrenck-Notzing den Hinweis, dass die „konservative Einstellung . . . Ausdruck einer bewussten Entscheidung, die auch gegen den eigenen Typus, die eigene Umwelt, ja sogar . . . gegen das eigene VorFrank Parkin: Working-class conservatives: a theory of political deviance, in: British Journal of Sociology 18 (1967), S. 278 ff.; Mark Abrams: Social class and British politics, in: Public Opinion Quarterly 25 (1961), S. 342 ff. Der Soziologe William Graham Sumner warnt davor, den interessegeleiteten Konservatismus der Oberschicht mit demjenigen der breiten Masse zu verwechseln. Während jener einen Konservatismus vertritt, der dazu dient, ihr Prestige und ihre soziale Autorität auf Dauer zu stellen und die „acquisition of wealth“ zu gewährleisten. (Folkways, Boston 1940, S. 45), vertritt die Unterschicht einen gänzlich anderen Konservatismus. „The conservatism of the masses is of a different kind. It is not produced by interests, but it is instinctive. It is due to inertia“ (ebd). Diese Bevölkerungsschicht führe „a life just like animals“ (ebd). 358 Eric Hoffer: Der Fanatiker. Aus dem Amerikanischen. Reinbek bei Hamburg 1965; Die Angst vor dem Neuen. Freiheit als Herausforderung und Aufgabe. Aus dem Amerikanischen, Reinbek bei Hamburg 1968. Russell Kirk weist darauf hin, dass die antirevolutionäre Einstellung des amerikanischen Arbeiters in seinem tief eingewurzelten Konservatismus begründet ist. Ihm zufolge hat „the conservatism of the American laboring man“ (A Program for Conservatives (wie Anm. 273), S. 148) seine Wurzeln „in religion and political prescription and in an old dislike of the doctrinaire“ (ebd.). 359 Vgl. dazu Johann Baptist Müller: Eric Hoffer in: Lexikon des Konservatismus, hrsg. von Caspar v. Schrenck-Notzing, Graz und Stuttgart 1996, S. 253 f. In diesem Zusammenhang ist auch der deutsche Gewerkschaftsführer August Winnig zu erwähnen. Sein Buch „Vom Proletariat zum Arbeitertum (Hamburg 1930) atmet zuliefst konservativen Geist. Vgl. dazu Johann Baptist Müller: August Winnigs Konversionen, in: Evangelische Kommentare 11 (1978), S. 169 f. 360 Roberto Michels: Conservatism, in: Encyclopedia of the Social Sciences, ed. by Edwin R. A. Seligman, Volume three. New York 1930, S. 230. 361 Peter Viereck: Conservatism revisited (wie Anm. 265), S. 15. 362 Ebd.

6. Die interessentranszendierende Gesellschaftskonzeption des Konservatismus

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leben fallen kann“363. Aus diesem Grunde liegt für ihn „der Schwerpunkt der konservativen Position nicht im soziologischen und charakterologischen Bereich . . . sondern im Bereiche der freien Entscheidung des Geistes, des Gegenglücks, wie Gottfried Benn es nannte“364.

363 Caspar Frhr. von Schrenck-Notzing: Ein Wort – zwei Deutungen, in: Konservativ heute Nr. 5, November / Dezember 1970, S. 14. 364 Ebd.

V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses The people have no interest in disorder. Edmund Burke Wären wir alle gut, vernünftig, gerecht und billig gegen den Nebenmenschen, und begingen wir keinen Eingriff in die Rechte des anderen, so wäre kein Staat, kein Richter, kein Amt, kein Militär notwendig. Adalbert Stifter Vergesst nicht den Grundsatz, dass die Könige untergehen, sobald sie zu sehr herrschen wollen. Rivarol Die Notwendigkeit einer Autorität, und zwar einer gebieterisches Autorität, tritt am anschaulichsten bei einem Schiff auf hoher See zutage. Friedrich Engels

1. Die Geburt des konservativen Staatsbildes aus dem Geiste des Antiliberalismus Die liberale und die konservative Haltung gegenüber den gesellschaftlichen und staatlichen Autoritäten könnten unterschiedlicher kaum sein. Es ist Kenneth Minogue zu verdanken, die beiden kontradiktorischen Positionen besonders anschaulich auf den Punkt gebracht zu haben. Über die liberale Einstellung zur Autorität schreibt er: „The liberal contemplating authority demands that it should justify itself, preferably by gaining the consent of its subjects“1. 1 Kenneth Minogue: Conservatism, in: The Encyclopedia of Philosophy. Vol. II, ed. by Paul Edwards, New York and London 1967, S. 197 Die liberale Skepsis gegenüber dem Staat findet sich nicht zuletzt bei John Stuart Mill. Seiner Auffassung zufolge ist „der Wert des Staates . . . auf lange Sieht der Wert der Individuen, die ihn bilden“ (Über Freiheit. Aus dem Englischen, Frankfurt am Main und Wien 1969, S. 138). Wenn die Regierung sich erkühnen sollte, „statt die Aktivität und die Kräfte des Individuums zu erwirken, ihre eigene Aktivität an deren Stelle setzt“ (ebd.), beschreite sie einen Weg, der das Kainsmal der Illegitimität auf der Stirn trägt. Als staatsphobischer Denker gibt sich auch Herbert Spencer zu erkennen. Ihm zufolge ist es dem Staate verboten, gegenüber der Gesellschaft eigene Rechte anzumelden. „The State is to be maintained solely for the benefit of citizens“ (The Man versus the State. With Four Essays on Politics and Society. Ed. by Donald Macrae, Harmondsworth, Middlesex 1969, S. 205). In diesem Zusammenhang lehnt Spencer die konservative Organismus-

1. Die Geburt des konservativen Staatsbildes aus dem Geiste des Antiliberalismus

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Im Kontrapunkt dazu betrachtet der Konservative „the consent of the subject as being one among a number of valuable guides to a wise government“2. Er lehnt jedoch „the elevation of the principle of consent into an unqualified political criterion“3 strikt ab. In diesem Zusammenhang beurteile er die Autoritäten als „the fallible (because human) custodians of long-established traditions“4. Zu ihren vorrangigsten Aufgaben gehöre es, die zivilisatorischen Errungenschaften der Vergangenheit auf Dauer zu stellen, der Reduktion ihrer Legitimation mit allen Mitteln entgegenzutreten. „All human achievements have been made (and sustained) in the face of great difficulties: authorities exist to guard such achievements and traditions against the continual threat of human folly, laziness, blindness, and stupidity“5. In gleicher Weise sind auch für Alfred Vierkandt die liberalen Ordnungsgedanken von einer individuumszentrierten Sichtweise bestimmt, die leichtfertig einem Unordnung kreierenden Ideal huldigt. Ihr Hauptfehler bestehe darin, den „Wert der Freiheit“6 zu überschätzen und den „Mangel an Zwang und Beeinflussung“7 über Gebühr zu feiern. Dabei ließen sich die realitätsfremden Vorstellungen des Liberalismus ohne große Mühe mit dem Argument abweisen, dass ohne die ordnungsstiftende Aktivität des Staates der „zügellosen Selbstsucht“8 Tür und Tor geöffnet, der „Willkürfreiheit“ 9 das Wort geredet wird. Im Gegensatz zum liberalen Glaubenslehre ab „The community as a whole has no corporate consciousness (ebd.). Um nicht in die Fangnetze des konservativen Staatsdenkens zu geraten, formuliert auch Ludwig von Mises eine radikal staatsfeindliche Politiklehre. Ihm zufolge ist „Staat . . . Gewaltanwendung und Bereitschaft, Gewalt anzuwenden. Der Staatsapparat ist ein Zwangs- und Unterdrückungsapparat“ (Im Namen des Staates. Aus dem Amerikanischen, Stuttgart 1978, S. 68). Der Staat zwinge die Menschen, „sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden“ (ebd.). Dass der Staat auch bei den sog. Libertären einen äußerst negativen Bedeutungshof aufweist, versteht sich von selber. So schreibt Ayn Rand: „Instead of being a protector of man’s rights, the government is becoming their most dangerous violator; instead of guarding freedom, the government is establishing slavery“ (Capitalism. The Unknown Ideal. New York 1962, S. 336). Der Staat habe sich immer schon als eine Institution begriffen, die „rule by Force“ (ebd.) der kameradschaftlichen Zusammenarbeit der Individuen vorziehe. 2 Ebd. Dabei weist Kenneth Minogue darauf hin, dass der Konservative davor warnt, sich absoluten Sicherheiten zu verschreiben. „The moment he begins to regard any particular institution as absolutely good, he moves outside the tradition of conservative thought“. Conservatism, in: The Encyclopedia of Philosophy, Vol. II. Ed. by P. Edwards, New York und London 1967, S. 198. 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Ebd. Dem linken Historiker James Harvey Robinson zufolge, gebührt schon Francis Bacon das Verdienst, „the strength of authority and tradition“ in einem entscheidenden Maße geschwächt zu haben. (The New History. New York 1927, S. 249). Er „undermines reverence for the past“ (ebd., S. 26). 6 Alfred Vierkandt: Staat und Gesellschaft in der Gegenwart, Leipzig 1917, S. 135. 7 Ebd. 8 Ebd., S. 136. 9 Ebd.

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

satz, dass der Mensch „tun und lassen kann, was er will“10, geht der Konservatismus als ideologischer Gegner des Liberalismus davon aus, dass eine „über dem Individuum stehende Macht den Einzelnen nötigen kann und muss, eine Reihe von Dingen zu unterlassen und eine Reihe von Dingen zu tun“11. So maße sich der Staat mit vollem Recht an, in die Eigentumsrechte des Menschen einzugreifen. Dabei fragt er: „Bedeuten die Steuern, die de Staat erhebt, keinen Eingriff in das Eigentum?“12 Auch der Militärdienst müsse als notwenige „Beschränkung der persönlichen Freiheit“13 angesehen werden. Wohin es führt, wenn die Exekutive eine notwendige Intervention in das System der Bedürfnisse unterlasse, sehe man an dem „furchtbaren Elend“14, in das „die Arbeitermassen in der . . . ersten Periode der Industrie geraten sind.“15. Wenn auch die in Rede stehende dichotomische Unterscheidung zwischen dem Staatsbild des Liberalismus und des Konservatismus wichtige Züge in den Physiognomien der beiden Ordnungsvorstellungen plastisch hervortreten lässt, so kann man ihr den Vorwurf kaum ersparen, zu idealtypisch ausgefallen zu sein. Kaum ein Politologe und Historiker kommt umhin, den angeblich so einheitlich sich gebenden Konservatismus weiter zu differenzieren. Nur einem getrübten Blick auf den in Rede stehenden Ideenkreis kann entgehen, dass dieser sich in einer liberalen und einer illiberalen Ausprägung zu erkennen gibt16. Was den illiberalen Konservatismus anlangt, so sind diesem zunächst all diejenigen Autoren zu imputieren, die sowohl dem Absolutismus als auch dem Liberalismus den Kampf angesagt haben. Sie lehnen die Entwicklung des Personenverbandsstaates zum absolutistischen Flächenstaat17 ab und wenden sich genauso pointiert gegen den Liberalismus, der sich als sein prinzipieller Gegner zu erkennen gibt. Dabei rekurriert ihr Freiheitsbegriff auf die ständische, nicht auf die persönliche Freiheit. Zu den entscheidenden Charakteristika des politischen Denken von Carl Ernst Jarcke gehört seine Behauptung, dass der Absolutismus und der revolutionäre Liberalismus auf denselben antifreiheitlichen Geist gestimmt sind. Der Blick für Ebd. Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. Dem Konservatismus des 19. Jahrhunderts wird von heutigen Konservativen auch vorgeworfen, den Staat und die Gesellschaft gegenüber dem Individuum überbetont zu haben. Nach Frank S. Meyer war er „far too ready to subordinate the individual person to the authority of state or society“. (Freedom, Tradition, Conservatism, in: What is Conservatism?, ed. by F. S. Meyer, New York 1964, S. 14). 16 Vgl. dazu Johann Baptist Müller: Liberaler und autoritärer Konservatismus, in: Archiv für Begriffsgeschichte XXIX (1985), S. 125 ff. 17 Vgl. dazu Heinrich Mitteis: Der Staat des hohen Mittelalters, Vierte Auflage, Weimar 1953. S. 4. 10 11

1. Die Geburt des konservativen Staatsbildes aus dem Geiste des Antiliberalismus

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die tief eingewurzelte Wesensverwandtschaft zwischen den beiden werde verstellt, wenn man die Freiheitseuphorie des Liberalismus dem Repressionsfuror des Absolutismus kontradiktorisch gegenüberstelle. „Absolutismus und Revolution sind, aus einem höheren Standpunkte betrachtet, identisch“18. Beiden gehe es darum, das Individuum seiner althergebrachten Rechte zu berauben, ihn dem Zugriff des machthungrigen Staates auszusetzen. Dabei komme dem Absolutismus eine besonders uneinholbare Position in der Kategorie der politischen Verblendung zu. Auf dem labilen Fundament ungesicherter Behauptungen sprechen seine Anwälte einer Herrschaftsordnung das Wort, die alle Züge einer vermeintlich historischen Fortschrittlichkeit auf der Stirn trägt. „Mit dem siebenzehnten Jahrhundert fing die Lehre an, allgemach die herrschende zu werden: dass in jedem Staate eine Gewalt (Imperium) bestehen müsse, der durch den Staats- oder gesellschaftlichen Vertrag die Macht und das Recht übertragen sei, mit gänzlicher Beiseitesetzung und Nichtberücksichtigung aller entgegengesetzten Privatrechte, Alles und Jedes zu tun, was der Staatszweck erheische“19. Dabei sei allen Institutionen des absolutistischen Staatswesens die Aufgabe übertragen worden, der äußersten Herrschaftsintensität Sukkurs zu erweisen. Zunächst habe man der Polizei die Aufgabe übertragen, die Bürger unter die Fittiche des Absolutismus zu nehmen. Ohne ihre Genehmigung durfte „kein Blatt vom Baume, und kein Haar vom Haupte der Staatsbürger fallen“20. Ein typisches Kennzeichen des absolutistischen Staates sei auch der von „Staatswegen getriebene Erziehungszwang“21. Dabei habe dieser auch „die Zerstörung jedes selbständigen, kirchlichen und religiösen Lebens“22 intendiert. Diese Kritik des Absolutismus schließt die Vorstellung ein, dass auch der Liberalismus zu den freiheitsinhibierenden politischen Kräften zu rechnen ist. Auch er offenbare sich als der Versuch, dem Unabhängigkeitsstreben des Menschen rigide Beschränkungen aufzuerlegen. Immer schon sei er darauf aus gewesen, dem „totalen Mangel an Achtung und Ehrfurcht vor dem Rechte“23 das Wort zu reden. Ihm könne deshalb der Vorwurf kaum erspart werden, durch „die eigentümliche AusCarl Ernst Jarcke: Vermischte Schriften, Band. I, München 1839, S. 168. Ebd., S. 170. Schon Justus Möser warf den Staatsbeamten des Absolutismus vor, sich als „einzige Triebfeder der Staatsmaschine“ zu gerieren. (Patriotische Phantasien, hrsg. von seiner Tochter J. W. J. v. Voigts, geb. Möser, Berlin 1858, S. 20). Sie scheinen alles nach ihrer lebensfremden „academischen Theorie“ (ebd.) gestalten zu wollen. Auf diese Weise ebne man „den Weg zum Despotismus“ (ebd., S. 21). 20 Ebd., S. 171. 21 Ebd., S. 172. 22 Ebd. Auf der Suche nach den Anwälten der absolutistischen Herrschaft lastet Jarcke vor allem Napoleon an, ihr Reverenz erwiesen zu haben. „Napoleons Beispiel brachte endlich System und Vollendung in die Construction des absoluten Staates“ (ebd. 171). In seinem Herrschaftssystem sei die Staatsgewalt darauf aus gewesen, „in jedem Augenblicke über den vollen Umfang aller Kräfte jedes Einzelnen im ganzen Lande“ (ebd.) zu verfügen. 23 Ebd., S. 168. 18 19

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

wahl, Composition und Contrebalancierung der Träger der absoluten Gewalt, den Individualismus . . . auszuschließen“24. Die polykratische Ordnungsvorstellung kreiere eine Herrschaftspraxis, die man getrost als absolutistisch bezeichnen könne. Dass nur die „Einherrschaft“25 den Geist der Repression atme, die „Vielherrschaft“26 jedoch nicht, sei einer der gravierendsten Denkirrtümer der demokratisch-liberalen Staatslehre. Aus diesem Grunde sei die „Revolution, als bloße Veränderung oder Vervielfältigung der Träger der absoluten Gewalt, im geringsten kein Mittel, der letzteren zu entrinnen“27. Dem „Absolutismus durch die Revolution“28 zu begegnen, dieses liberale Grundziel atme dem Geist der politischen Utopie. Wie Jarcke, so ist auch Adam Müller der Auffassung, dass der demokratische Liberalismus auf einen absolutistischen Ton gestimmt ist. Allein derjenige, der das Prinzip der selektiven Wahrnehmung verwerfe, könne diesen grundlegenden Tatbestand erkennen. Auch wenn sich „fürstliche Willkür und Volkswillkür“29 bis aufs Messer bekämpfen, „miteinander auf Tod und Leben“30 ringen, sind sie doch beide dem Prinzip des freiheitswidrigen Absolutismus verpflichtet. Für Adam Müller ist der liberale Staat um keinen Deut freiheitsbejahender als das absolutistische Fürstenregime. Auch er tritt das Freiheitsbedürfnis des Bürgers mit Füßen, lässt auch nicht den geringsten Widerstand gegen den Staatswillen zu. Wie der Absolutismus, so akzeptiere auch der liberale Bürgerstaat „keine Art von gutsherrlicher Gerichtsbarkeit, keine moralischen Personen . . . , keine Zünfte, keine Eigentümlichkeit der Provinzial- und Städteverfassungen“31 zu. Will man das Lebensgefühl des Bürgers des liberalen Staates beschreiben, so stellt sich bei ihm zuvörderst das Gefühl ein, der Volkssouveränität hilflos ausgeliefert zu sein. „Es gibt kein Privatrecht mehr, sobald selbes dem von der Mehrheit der Volksrepräsentanten berichtigten Willen der Staatsbeamten unterworfen ist“32. In gleicher Weise gerierte sich auch Carl Ludwig von Haller als Gegner des liberalen Zentralstaates. Dabei wurde er von Jarcke und Adam Müller tatkräftig unterstützt33. Haller lastete der Entwicklung zur Konzentration einer einheitlichen Ebd., S. 174. Ebd., S. 174. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 174 f. 28 Ebd. 29 Adam Müller: Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften und der Staatswissenschaft insbesondere, in: Schriften zur Staatsphilosophie, hrsg. v. R. Kohler, München 1923, S. 199. 30 Ebd. 31 Ebd., S. 193. 32 Ebd., S. 194. 33 Ewald Reinhard: Der Streit um K. L. von Hallers „Restauration der Staatswissenschaft“ in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 111(1955), S. 114. Vgl. dazu auch Hans24 25

1. Die Geburt des konservativen Staatsbildes aus dem Geiste des Antiliberalismus

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Staatsmacht an, die ständisch-patrimoniale Ordnung des Mittelalters zu schleifen und jeden Untertanen zum Erfüllungsgehilfen einer omnipotenten Obrigkeit zu degradieren. In seinen Augen stellt die Entwicklung von der mittelalterlichen Polykratie zu John Locke einen kritikwürdigen Holzweg dar, der jeder Freiheitsregung der Bürger den Garaus mache. Dagegen konzipierte er seine Vision des Patrimonialstaates, der sich als eine Verbindung von Familienverbänden und ständischen Organisationen zu erkennen gab. Dieser bestimmt sich durch die Herrschaftsausübung des pater familias und avanciert zur politischen Veranstaltung nicht des öffentlichen, sondern des privaten Rechts. In diesem Zusammenhang ergibt sich notwendigerweise die Frage, wie herrschaftsintensiv es im Patrimonialstaat Hallers zugeht. Dabei halten nicht wenige dafür, dass dessen Politikpraxis nicht weniger kratosorientiert ausgerichtet ist, als diejenige des modernen Zentralstaates. Ganz auf dieser Linie der Argumentation behauptet Georg Jellinek, dass es für den patrimonialen Herrscher keinerlei Schwierigkeiten bereitet, „durch Machtsprüche seinen politischen Neigungen gemäß34 zu regieren. Ohne Zweifel bestätigt ein tiefenscharfer Blick auf das Œuvre von Haller die in Rede stehende Auffassung. Seiner Auffassung zufolge ist eine vernünftige, auf Dauer gestellte politische Ordnung nur um den Preis der radikalen Submission unter die Staatsmacht zu haben. Um dieser Erkenntnis ein Superadditum an Legitimität zu verschaffen, setzt er die weltliche Herrschaft mit der göttlichen gleich. „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Wo aber eine Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet“35. Gegenüber dem überaus berechtigten Einwand, dass der privatrechtlich legitimierte Herrscher vor autoritären, sittenwidrigen Verfehlungen keineswegs gefeit ist, führt von Haller das Argument ins Feld, dessen Machtausübung sei durch die Gebote Gottes beschränkt. „Auch die Fürsten haben die göttlichen Gesetze über sich“36. Dass die Regenten in ihrem Machthunger diese nach eigenem Gutdünken auszulegen in der Lage sind, ficht Haller nicht an. Er weigert sich gegen die Einsicht, in wie starkem Maße die patrimoniale Obrigkeit sich ihnen zu widersetzen vermag. Christof Kraus: Haller, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), Band 4, München 1996, S. 346 ff. 34 Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1900, S. 176. Ernst Rudolf Huber behauptet sogar, dass Haller der „Omnipotenz des Staates“ das Wort redet. (Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band II, Stuttgart 1960, Vgl. dazu auch Monika Wienfort: Ländliche Rechtsverfassung und bürgerliche Gesellschaft. Patrimonialgerichtsbarkeit in den deutschen Staaten 1900 – 1855, in: Der Staat 33 (1994) S. 207 ff. 35 Carl Ludwig von Haller: Polizeiliche Religion oder biblische Lehre über die Staaten, Winterthur 1811, S. 35 Die Herrschaftsgewalt über die Untertanen gründet Haller zufolge in dem kaum zu bestreitenden Umstand, „dass die Natur . . . ohne der Menschen zuthun, Höhere und Niedere, Mächtige und Schwache schuf“ (ebd.). 36 Ebd., S. 37.

152

V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

Dabei verrät es nach Haller nur ein höchst borniertes Politikverständnis, wenn man den Untertanen ein Recht auf Widerstand gegen die obrigkeitlichen Anordnungen einräumt. Auch wenn diese diametral gegen das Sittengesetz verstoßen, nur noch als willkürlich und unmoralisch bezeichnet werden können, ist der Bürger zum Gehorsam verpflichtet. Hallers eher fragwürdiger Ratschlag gegenüber den sittenwidrigen Befehlen der Fürsten lautet: „Gebt nach, habt Geduld auch mit ihren Launen und Irrthümern, denn ihr seyd auch nicht vollkommen, so wenig als sie“37 Wenn ein Untertan von seiner Obrigkeit Unrecht widerfährt, sollte er sich deshalb nicht zur Wehr setzen, sondern durch eine quietistische Haltung zu erkennen geben, dass er ihr aus ganzem Herzen verzeiht. Schließlich besitzt auch der Fürst das Recht, auf die Vergebung seiner Sünden hoffen zu können. „Gebet nach, habt Geduld auch mit ihren Launen und Irrthümern, denn ihr seid auch nicht vollkommen“38. Gegenüber dem Argument, im Denksystem Hallers gebe es durchaus ein Recht auf Widerstand, d. h. „rechte Selbsthilfe“39, wendet Graf von Westerholt ein, dass der Verfechter des Patrimonialsystems „genauere Definitionen für die Voraussetzung der Ausübung des Widerstandsrechtes . . . schuldig bleibt“40.

2. Die illiberal-konservative Staatslehre Joseph de Maistres Die in Rede stehende Kritik Jarckes, Adam Müllers und Hallers am absolutistischen und liberalen Staat führt notwendigerweise zu der Frage, worin sich diese Denker von der Herrschaftskonzeption de Maistres unterscheiden. Dabei schiebt 37 Ebd., S. 39. Dabei können sich die unter den moralisch fragwürdigen Gesetzen der Obrigkeit leidenden Untertanen mit der Einsicht trösten, dass diese „nicht immer aus bösem Willen, sondern oft aus Irrthum, aus Übereilung oder aus Noth“ (ebd. S. 40) zustande kommen. Ihnen ist aufgegeben, „dem Mächtigen in seinem Herzen aus Gewissenspflicht“ (ebd.) zu verzeihen. 38 Ebd., S. 39. 39 Carl Ludwig von Haller: Restauration der Staats-Wissenschaft, Band I, Winterthur 1816, S. 410. 40 Burchard Graf von Westerholt: Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechtsund Staatstheorie Karl Ludwig von Hallers, Berlin 1999, S. 97. Seiner Auffassung zufolge bleiben bei Haller „die Widerstandsrechte der Untertanen absolute Ausnahmetatbestände“ (ebd., S. 98). In Hallers politischem Denkuniversum wird auch der Forderung nach der Freiheit der Presse jegliches Heimatrecht verweigert. Der unaufgeregte Blick des Konservativen widerstehe allen Versuchen, der antirevolutionären Ordnung das Wasser abzugraben. „Lasset Euch nicht von jenem Geschrei nach unbedingter Preßfreiheit irrezuführen, welche die Sophisten nur für sich verlangen, und die in ihren Augen nur ein Freybrief oder ein ImpunitätsPatent für Lüge und Verleumdung, für Aufruhr und Gottlosigkeit seyn soll“ (Ueber die Constitution der spanischen Cortes, o. O. 1820, S. 79). In diesem Zusammenhang gibt sich Haller als panegyrischer Lobredner der staatlichen Zensur zu erkennen. Dabei habe sie „kein gewissenhafter Gelehrter . . . je . . . gefürchtet, sondern . . . eher . . . gewünscht“ (ebd. S. 79). Letzten Endes sei kein „grosses, wahres, der Welt nützliches Werk . . . wegen ihr unterblieben“ (ebd.).

2. Die illiberal-konservative Staatslehre Joseph de Maistres

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sich vor allem die Einsicht in den Vordergrund, dass dieser einer rigideren Machtausübung des Staates41 das Wort geredet hat, dem Verschwinden der polykratischen Ordnung des Mittelalters weniger kritisch begegnete. Den Ausgangspunkt der Herrschaftslehre Joseph de Maistres bildet seine tief eingewurzelte Auffassung, der Mensch sei ein an sich böses, niederträchtiges Wesen. Sie gewinnt ihre intellektuelle Schärfe nicht zuletzt aus dem Umstand heraus, dass er als Katholik an diesem Punkte die Lehre seiner Kirche desavouiert. Während diese den Menschen auch positiv zu Buche schlagende Charaktermerkmale imputiert, werden diese bei de Maistre zugunsten einer an Thomas Hobbes gemahnenden Anthropologie über Bord geworfen. Auf diese Weise zerstört er mit seinem abgrundtief pessimistischen Menschenbild die letzten Reste einer Auffassung, die den homo sapiens nicht nur als verkommenes Lebewesen begreift. Aus diesem Grunde weigert er sich standhaft, das Einmaleins des liberalen Progressismus zu erlernen. Felsenfest ist er davon überzeugt, dass seine hoffnungslose Anthropologie der Realität der menschlichen Existenz eher entspricht als der von ihm rigide verworfene Aufklärungsoptimismus. Schließlich hat er Zeit seines Lebens die Auffassung vertreten, dass die Welt „übervoll von bösen und tiefverderbten Menschen“42 ist. Um seiner Auffassung von der prinzipiellen Bösartigkeit des Menschen Legitimität zu verschaffen, rekurriert de Maistre auch auf die christliche Lehre von der Erbsünde. „Endlich meine Freunde, gibt es nichts, was so bewährt, nichts was so allgemein . . . geglaubt, nichts endlich, was so innerlich einleuchtend ist, als die Theorie von der Erbsünde“43. 41 Joseph de Maistre gehört sicherlich zu denjenigen, denen die rigide Kritik Joseph von Eichendorffs galt. In seiner Abhandlung „Dichter und ihre Gesellen“ lässt er einen Verfechter des Machtprinzips zu Worte kommen. „Glaubt einem altgedienten Offizier, Prediger, die Zeit will nur Prügel haben, weiter ist’s nichts!“ (Gesammelte Werke, Band V, München und Leipzig 1913, S. 202). 42 Joseph de Maistre: Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen, in: Politische Betrachtungen. Aus dem Französischen, hrsg. von P. R. Rohden, Berlin 1924, S. 174. Crane Brinton weist darauf hin, dass de Maistre einen Zynismus unter Beweis stellt, „der auch die härteren Gemüter innerhalb der Kirche selbst verletzt hat“ (Ideen und Menschen. Aus dem Amerikanischen, Stuttgart 1950, S. 397). Sie weigerten sich, in seinem „abgrundtiefen Zynismus christlich-katholische Momente zu entdecken“ (ebd.). Wohlwollender fällt das Urteil von Christopher Dawson aus. Ihm zufolge kehrte er „die traditionelle Theologie der Aufklärung um und gründete seine Apologetik auf jene dunkle Seite der Wirklichkeit, vor der seine Vorgänger die Augen verschlossen hatten“ (Religion und Kultur. Aus dem Englischen, Düsseldorf 1951, S. 20). De Maistre „erniedrige den Menschen in den Staub seiner geschichtlichen Wirklichkeit, damit die Majestät Gottes um so mehr erhöht wurde“ (ebd.). Gelobt wurde de Maistre auch von Carl Schmitt. Ihm zufolge haben seine „Äußerungen über die Natur des Menschen . . . die Kraft, die aus illusionsloser Moral und einsamen psychologischen Erfahrungen kommt“ (Donoso Cortés, Köln 1950, S. 28). 43 Joseph de Maistre: Abendstunden zu St. Petersburg. Aus dem Französischen. Erster Teil, Frankfurt am Main 1824, S. 82. De Maistres Herrschaftskonzeption verdankt sich in einem entscheidenden Maße dem Einfluss, den das Alte Testament auf sein Denken ausübte. Max Huber zufolge war „die Lehre vom vorsehenden Gott uraltes jüdisches Glaubensgut“ (Die Staatsphilosophie von Joseph de Maistre im Lichte des Thomismus, Basel und Stuttgart

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

Einer derart verkommenen Gestalt wie dem Menschen das Recht der politischen Freiheit und der demokratischen Partizipation zuzugestehen, wäre deshalb in höchstem Maße fahrlässig. Wolle man sich nicht zu einem illegitimen Verklärungsgeschäft des ruchlosen Aufklärungsoptimismus hergeben, so sei es angebracht, den Aktionsspielraum des Menschen in entscheidendem Maße einzuschränken. Schließlich sei dieser „zu bösartig . . . , um frei sein zu können“44. Dabei unterliege der durch und durch sündige Mensch auch dem gravierenden Irrtum, sich „für den unmittelbaren Schöpfer der Souveränität“ 45 zu halten. De Maistre lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass „jede Souveränität . . . von Gott“46 ist. Aus diesem Grunde komme dem weltlichen Herrscher eine Machtfülle zu, die göttlicher Allmacht weitgehend entspricht. Deshalb bekennt sich de Maistre ohne Abstriche zu dem Grundsatz, dass die Macht der Staatsspitze „unteilbar47, absolut und von ihrer Natur her unverletzbar“48 ist. Daraus folgt auch, dass dem omnipotenten Regenten ein Höchstmaß an Ehrerbietung gebührt. „Der Herrschermacht allein kommt die höchste Ehre zu; wie aus einem ungeheuren Behältnis strömt sie von dort mit Zahl, Maß und Gewicht auf die Ordnungen und die Einzelmenschen herab“49. Der Souverän erhält seine Macht nicht nur aus der Hand Gottes, er hat auch einen verbrieften Anspruch darauf, einer gottgleichen Würde teilhaftig zu werden. Aus diesem Grunde vergeht sich jeder, der sich „zum Richter der Regierungsprinzipien macht50 an der Würde des Monarchen. Schließlich ist „jede Regierung . . . eine Religion“51, die ihre „Dogmen, ihre Geheimnisse, ihre Diener“52 1958, S. 69). Dabei beziehe sich die Vorsehung Gottes „auf alles, jedes Einzelne“ (ebd.). Sie sorge sich um „die Menschen, seine auserwählten Geschöpfe“ (ebd.). 44 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I. Aus dem Französischen, hrsg. von J. Bernhart, München 1923, S. 20. 45 Joseph de Maistre: Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen (wie Anm. 42), S. 161. 46 Joseph de Maistre: Von der Souveränität. Aus dem Französischen. Paris 2000, S. 80. 47 Hans Barth zufolge ist de Maistre ein „Fanatiker der Einheit“ (August Comte und Joseph de Maistre, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 14 (1956), S. 118). 48 Joseph de Maistre: Von der Souveränität (wie Anm. 46), S. 80. 49 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich, in: Politische Betrachtungen. Aus dem Französischen, hrsg. von P. R. Rohden, Berlin 1924, S. 77. 50 Joseph de Maistre: Von der Souveränität (wie Anm. 46), S. 46 f. De Maistre geht sogar so weit, der Sklaverei positive Aspekte abzugewinnen. Das Motiv für seine fragwürdige Haltung ist in seiner Hoffnung begründet, dass die Sklaverei zur Stabilisierung der staatlichen Herrschaft beiträgt. „Zu allen Zeiten und an allen Orten, bis zur Begründung des Christentums war die Sklaverei stets, in Republiken wie in Monarchien, als ein notwendiges Stück Verfassung und des politischen Zustandes der Nationen betrachtet worden, ohne dass es je einem Philosophen eingefallen wäre, die Sklaverei zu verdammen, oder einem Gesetzgeber, sie durch Grundgesetze oder wegen besonderer Verhältnisse anzugreifen“ (Vom Papste, Band II. Aus dem Französischen, hrsg. v. J. Bernhart, München 1923, S. 19). Dabei wird auch die Verteidigung der Sklaverei durch Aristoteles lobend erwähnt (ebd., S. 20). 51 Ebd., S. 47. 52 Ebd.

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aufweist. Ihr Lebenselixier ist der „politische Glaube“53 ihrer Untertanen. Gegen die illegitimen Aspirationen der liberalen Regierungskritiker empfiehlt sich der Gehorsam des Untertanen. So wie es ein Unding ist, wenn sich „jeder Mensch in der Gottesverehrung auf seine eigene Vernunft“54 verlässt, so sehr ist diese Haltung auch im politischen Universum fehl am Platze. Der unangebrachte Gebrauch der Ratio führt einerseits zur „Vernichtung der religiösen Herrschaft“55 und andererseits zur „bürgerlichen Anarchie“56. Diese ist mit der „Zerstörung der politischen Herrschaft“57 identisch. In diesem Zusammenhang verweist de Maistre auch darauf, dass sich nicht wenige fürstenkritische Untertanen zum Sprachrohr einer Auffassung machen, die durch und durch dem Geiste der Ignoranz verpflichtet ist. Ihre ablehnende und aufmüpfige Haltung gegenüber den Entscheidungen des Monarchen resultiert aus einer selektiven Wahrnehmung des obersten Herrn. Aus diesem Grunde sei der Regent vor kleinlichem Moralisieren zu bewahren. Schließlich sei das Volk außerstande, die königlichen Handlungen in ihrer ganzen Tragweite und Bedeutung zu erfassen. Aus diesem Grunde geziemt dem Staatsbürger eine Demutshaltung, die in folgender Haltung zum Ausdruck kommt. „Ich danke dem König für das Versprochene, und auf sein Wort vertrauend schließe ich die Augen vor dem, was ich nicht begreife“58. Jeder der es wagt, die absolutistischen Monarchen in sein kritisches Licht zu rücken, sollte sich dessen bewusst sein, dass diese sich durch „einen sicheren Instinkt“59 auszeichnen, „der sie nicht selten besser leitet“60 als ihre eindimensional denkenden Untertanen. Die gouvernementale Urteilskraft gewinnt ihre Überlegenheit auch aus dem Umstand heraus, dass die Fürsten „ihr ganzes Leben auf der Höhe einer Säule“61 verbringen, die ihrem Erkenntnishorizont gegenüber Ebd. Ebd., S. 46. 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Ebd. Für Isaiah Berlin hat de Maistre für seine liberalen Gegner nur Hohn und Spott übrig. „The pretenders are exposed and struck down one by one; the armoury of weapons against liberal and humanitarian doctrines is the most effective ever assembled (The Hedgehog and the Fox, an Essay on Tolstoy’s view of history, London 1999, S. 76). Berlin bezeichnet ihm als „Voltaire of Reaction“ (ebd.). 58 Joseph de Maistre: Die spanische Inquisition: Aus dem Französischen. Wien und Leipzig 1992, S. 89. Vgl. dazu auch Max Huber: „Am liebsten würde Maistre den Leib des Staates mit einem schwarzen Tuch verhüllen, um jegliche Kritik und jeglichen Eingriff zu unterbinden“ (Die Staatsphilosophie von Joseph de Maistre im Lichte des Thomismus (wie Anm. 43), S. 148). Für ihn entstehe da, „wo sich der Mensch mit eigenen Überlegungen in das Leben des Staates einschaltet und Neuerungen einführt . . . ein allzu menschliches Werk, das dem Untergang geweiht ist“ (ebd.). 59 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I, (wie Anm. 44), S. 99. 60 Ebd. 61 Ebd. 53 54

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demjenigen ihrer Untertanen eine überragende Superiorität verleiht. Sich eindeutig auf das Gebiet der moralischen Indifferenz wagend, spricht sich de Maistre auch dafür aus, die Entscheidungen der Staatslenker in einem ethikfreien Kontext zu beurteilen. Ihm zufolge habe jeder Fürstenkritiker zu bedenken, in wie starkem Maße jede Herrschaft durch ihre schiere Existenz legitimiert wird. Er müsse sich der kaum bestreitbaren Tatsache beugen, „dass jede Regierung gut ist, wenn sie festgestellt ist“62. De Maistre sprach sich auch für ein rigides Herrschaftssystem aus, als er Robespierre seine Verehrung und Hochachtung aussprach. Ihm gebühre das unsterbliche Verdienst, mit seinem Schreckensregime Frankreich vor dem militärischen Zusammenbruch gerettet zu haben. Schließlich sei es ihm dank seiner pointierten Machtexekution gelungen, die außenpolitischen Feinde Frankreichs zu schlagen. Durch ein „übermenschliches Mittel“63 habe er den „Ansturm des verschworenen Europa“64gebrochen. Allein sein „teuflischer Geist konnte dies Wunder bewirken“65. Dabei sei es nicht zuletzt „die Furcht vor dem Schafott“66 gewesen, die den geringsten Widerstand im Innern“67 brach. Frankreich verdankt also seine Rettung einem moralischen Scheusal, das imstande war, mit den fragwürdigsten Mitteln seine Existenz zu retten. In dieser historischen Situation war die rigideste Herrschaftsausübung legitimiert. „Alles Leben, aller Besitz, alle Macht war in Händen der Revolutionsgewalt, und dies Ungeheuer von Macht, von Blut und Erfolgen trunken, ein grauenhaftes Gebilde, das man nie gesehen hatte und auch gewiss nie wiedersehen wird, war . . . das einzige Mittel zur Heilung Frankreichs“68. In wie starkem Maße de Maistre einer drakonisches Herrschaftspraxis das Wort redet, geht auch aus seinem Lob für die Arbeit desjenigen hervor, der die Aufgabe hat, die Menschen hinzurichten. Schließlich beruhe „alle Größe, alle Macht, alle Subordination auf dem Scharfrichter“69. Seiner Auffassung zufolge muss der 62 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I. (wie Anm. 44), S. 271. Dass der Dezisionist Carl Schmitt mit einer derartigen Auffassung voll und ganz einverstanden ist, verwundert kaum. Mit vollem Zustimmungsakkord schreibt er: „De Maistre . . . erklärt . . . die Obrigkeit als solche für gut, wenn sie nur besteht“ (Politische Theologie: Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München und Leipzig 1934, S. 71). Dabei vergisst er keineswegs den Hinweis, dass „die Entscheidung . . . als solche wertvoll“ (ebd.) ist. Zu diesem Problemkomplex vgl. Owen Bradley: A Modern Maistre. The Social and Political Thought of Joseph de Maistre, Lincoln (Nebr.) and London 1999, S. 123. 63 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich in: Politische Betrachtungen (wie Anm. 49), S. 39. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Ebd. 69 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I (wie Anm. 44), S. 187. Isaiah Berlin zufolge ist dem Menschen jeder altruistische Gedanke an der Wurzel fremd. „Maistre believed in the

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Mensch „gerade so regiert werden, wie er gerichtet werden muss“70. Jeder Versuch, das in Rede stehende blutige Handwerk abzuschaffen, ende notwendigerweise in einem Staatszusammenbruch71. „Nehmen sie der Welt dieses unbegreifliche Mittel, in dem nämlichen Augenblicke weicht die Ordnung dem Chaos; die Thronen sinken, und die Gesellschaft verschwindet“72. Um die Macht der absolutistischen Exekutive entscheidend zu steigern, wird durch de Maistre auch die Religion instrumentalisiert. Im Unterschied zu seiner Religionsgemeinschaft, die Kirche und Staat als voneinander getrennte Entitäten auffasst73, plädiert er für ihre unterschiedslose Vermengung. Beide haben in einer Einheit aufzugehen, die der Exekutive ein Superadditum an Legitimität verschafft. „Es muss eine Staatsreligion genauso wie eine Staatspolitik geben; die stark miteinander vermischten und vereinigten religiösen und politischen Dogmen müssen gemeinsam eine universelle oder nationale Vernunft bilden, die stark genug ist, um die Verirrungen der menschlichen Vernunft zu unterdrücken“74. De Maistre, der die Religion in den Dienst staatlicher Interessen zwingt, versteigt sich sogar zu der Behauptung, es komme keineswegs auf den Wahrheitsgehalt einer Glaubensgemeinschaft an. Seine ausgesprochen relativistische Haltung fließt aus seiner Überzeugung, dass eine als unwahr erkannte Religion immer noch dazu dienen kann, einem absolutistischen Gemeinwesen die notwendige Akzeptanz seiner Untertanen zu verschaffen. „Ob man der religiösen Vorstellungen spottet oder sie verehrt, ist einerlei: ob wahr oder falsch, sie bilden trotzdem die einzige Grundlage aller dauerhaften Einrichtungen“75. inevitability of crime and the supreme importance of punishment“ (The Hedgehog and the Fox (wie Anm. 57), S. 60. Die Beziehungen der Menschen entraten jeglichen Mitgefühls. „Maistre’s vision of the world in one of savage creatures tearing each other limb from limb, killing for the sake of killing, with violence and blood, which he sees as the normal condition of all animate life“ (ebd., S. 61). 70 Joseph de Maistre: Abendstunden zu St. Petersburg , Band I (wie Anm. 43), S. 40. 71 Ebd. 72 Ebd. Nach dem unnachsichtigen Urteil von Félicité de Lamenais vermitteln alle Bücher de Maistres den Eindruck, auf dem Schafott geschrieben worden zu sein. „Tous ses libres semblent avoir été écrits sur un échafaud.“ (Lettre à la Comtesse de Senfft. Le 8. octobre 1834, in: Correspondance générale. Tome VI. Paris 1977, S. 307). In gleicher Weise spricht Antoine Compagnon von der de Maistreschen „métapolitique du bourreau“ (Les antimodernistes. De Joseph de Maistre à Roland Barthes. Paris 2005, S. 114). 73 Vgl. dazu Graham Maddox: Religion and the Rise of Democracy, London and New York 1996, S. 69 ff. 74 Joseph de Maistre: Von der Souveränität (wie Anm. 46), S. 46. Hans Barth verweist darauf, dass ein derartiger Missbrauch der Religion zu Herrschaftszwecken höchst problematisch ist. Auf diese Weise werde „die innere Rechtfertigung der Lehre in der Idee der Wahrheit kaum berücksichtigt“ (Auguste Comte und Joseph de Maistre (wie Anm. 47), S. 119). 75 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich (wie Anm. 49), S. 61 f. Der Jesuit Henri de Lubac wirft de Maistre vor, „die Idee der Wahrheit“ aufzugeben (Die Tragödie des Humanismus ohne Gott. Aus dem Französischen. Salzburg o. J., S. 73). An ihre Stelle sei

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Zu den entscheidenden Charakteristika des de Maistreschen Herrschaftsdenkens gehört auch, dass er rigoros alle Staatsverfassungen verwirft, die von der absolutistischen Monarchie abweichen. Ihm zufolge haben sich „alle erdenkbaren Regierungsformen erschöpft“76 die darauf aus sind, „um sich der Herren zu entschlagen oder deren Macht einzuschränken“77. Aus diesem Grunde hat er für die parlamentarische Monarchie und die Republik nur Hohn und Spott übrig. Dabei sind seine politischen Vorurteile und Idiosynkrasien zu groß, um vor allem den angelsächsischen Politiksystemen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Was die USA anlangt, so meldet er erhebliche Zweifel an der Zukunftsfähigkeit ihrer politischen Verfassung an. „Ich glaube nicht . . . an die Dauerhaftigkeit der amerikanischen Regierung“78. Die politischen Institutionen dieses Landes „flößen mir gar kein Vertrauen ein“79. Seiner Auffassung zufolge wird die geplante amerikanische Hauptstadt „nicht gebaut oder . . . Washington heißen“80 und „der Kongress in ihr nicht tagen“81. Auch an den politischen Institutionen Englands nimmt de Maistre Anstoß. Sie stellen für ihn eine Gemengelage dar, in der die politische Pseudovernunft den Sieg über die Wirklichkeit davongetragen hat, der Makel der politischen Insuffizienz den Ton angibt. In ihrem Humus treiben so viele Fehlentwicklungen, dass die Zukunftsfähigkeit des gesamten Systems in Frage gestellt wird. Da de Maistres Vorurteile seine verlässlichsten Stichwortgeber sind, behauptet er leichtfertig, die englische Verfassung habe „die Probe der Zeit noch nicht bestanden“82. Schon jetzt beginne das politische Gebäude Großbritanniens „auf seinem feuchten Fundamenten zu wanken“83. Dabei lässt er keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die Engländer an ihrem tief eingewurzelten Liberalismus zugrunde gehen. Der alte „Brand der Freiheit“84 offenbare vor allem in der Gegenwart seine ungeheure Destruktionskraft. Bevor man de Maistre anlastet, durchgehend der illimitierten Machtausübung des absolutistischen Herrschers das Wort geredet zu haben, muss darauf verwiesen „der Mythos . . . getreten“ (ebd.). In diesem Zusammenhang fragt sich Emile Faguet, ob de Maistre überhaupt als Christ bezeichnet werden kann? „Est-ce que M. de Maistre ne serait pas au fond un païen? (Politiques et moralistes du dix-neuvième siècle. Paris 1891, S. 59). Dabei fänden sich in de Maistres Denken ausgesprochen heidnische Bestimmungsmerkmale. „L’on peut comprendre que la christianisme de de Maistre ne soit qu’un paganisme un peu ,nettoyé‘“. (ebd.). 76 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I (wie Anm. 44), S. 190. 77 Ebd. 78 Joseph de Maistre: Betrachtungen über Frankreich (Anm. 49), S. 80. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Joseph de Maistre: Vom Papste, Band I (wie Anm. 44), S. 191. 83 Ebd. 84 Ebd.

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werden, dass er durchaus auch für deren Beschränkung votiert hat. So gesteht er dem Papste das Recht zu, die Handlungen der weltlichen Regenten zu überwachen. Sie können und müssen „von dem Stellvertreter Jesu Christi . . . zurechtgewiesen werden“85. Es gereiche zur Ehre des Papsttums, dass seine Repräsentanten immer wieder „die Souveräne im Zaum gehalten, die Völker beschützt, die weltlichen Händel durch weise Dazwischenkunft gütlich beigelegt, die Könige und Völker an ihre Pflichten erinnert“86 haben. Die Herrschaftsintensität des absolutistischen Monarchen erfährt auch eine Reduktion, wenn de Maistre diesen auffordert, das Eigenleben der intermediären Gewalten unangetastet zu lassen. Das gilt vor allem für die „Privilegien der Orden und der Körperschaften“87. Auch sollte er sich nicht leichtfertig über die „Religion, Gesetze, Gebräuche und die öffentliche Meinung“88 hinwegsetzen. De Maistre begrüßt, dass ein derartiges Verhalten den Herrscher „in Schranken“89 hält und ihn daran hindert, „seine Macht zu missbrauchen“90. Was sich in der alltäglichen de Maistre-Exegese zur griffigen Formel abgeschliffen hat, nämlich dass es sich bei diesem Denker um einen kompromisslosen Anwalt des autoritär-freiheitsnegierenden Staates handelt, wird deshalb auch in Frage gestellt. Bedeutende Autoren haben sich zum Parteigänger einer Auffassung gemacht, die de Maistre in ein liberales Licht zu rücken versucht. So schreibt Klaus von Klemperer: „De Maistre erhob schwere Einwände gegen den Staat, der das gesamte Leben und Denken seiner Bürger für sich in Anspruch nahm. Er trat nachdrücklich für die Autonomie der Religion und besonders für die Rechte der Kirche ein. Die geistigen Freiheiten der Bürger, sagte er, gingen über die politische Autorität des Staates hinaus“91. Auf diese Weise habe er „ein wirkliches Argument zugunsten der Freiheit“92 formuliert. In einer ähnlichen Weise tritt auch John C. Murray dafür ein, die liberalen Bestimmungselemente im Œuvre de Maistres nicht unberücksichtigt zu lassen. Er habe sich schließlich für eine Politikordnung ausgesprochen, „where once again Ebd., S. 205. Ebd., S. 275. Panajotis Kondylis zufolge will de Maistre „die Begrenzung weltlicher souveräner Macht durch die Einsetzung des Papstes in seine mittelalterlichen Rechte“ erreichen (Konservatismus, Stuttgart 1986, S. 229). Rudolf Vierhaus beurteilt de Maistres Haltung in einer weitaus kritischeren Perspektive. „By setting the Church over the State, and the Pope over kings, de Maistre made them the most powerful instruments of counterrevolution and restauration, a barrier to enlightenment and individualism“ (Conservatism, in: Dictionary of the History of ideas, ed. by Ph. P. Wiener, Volume I, New York 1973, S. 482). 87 Joseph de Maistre: Von der Souveränität (wie Anm. 46), S. 85. 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Klemens von Klemperer: Konservative Bewegungen. Zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München und Wien o. J., S. 32 f. 92 Ebd., S. 33. 85 86

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the various orders in society would enjoy their ancient liberties“93. Aus diesem Grunde könne er als „a liberal in the older sense of the Word“94 bezeichnet werden. Von einer ähnlichen Interpretationswarte aus behauptet Robert Nisbet, dass sich im autoritätsbetonten Denken de Maistres ein „vein of pluralism“95 aufspüren lässt. Diese überaus wohlwollenden Beurteilungen der Politiklehre de Maistres sehen allerdings zu großzügig über dessen Herrschaftsmanie und Autoritätsfuror hinweg. Derjenige, der den Versuch unternimmt, ihn in die ideologische Nähe von John Locke und Tocqueville zu rücken, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, „conceptional stretching“ zu begehen. Nähert man sich nämlich mit der Emphase des Wahrheitsfinders dem Werk de Maistres, so wird man kaum um die Einsicht herumkommen, dass die freiheitlichen Bestimmungsmomente in ihm nur in einer homöopathischen Dosierung aufzufinden sind. Es präsentiert sich als die reinste Verkörperung eines Denkens, das dem liberalen Gedanken an der Wurzel fremd ist. Diese keineswegs unbegründete Auffassung wird von all denjenigen geteilt, die de Maistres Forderung nach einer exzessiven Herrschaftsintensität auf das Schärfste ablehnen und ihm vorwerfen. dem Geist des Despotismus anheim gefallen zu sein96. Dass man der Herrschaftslehre de Maistres mit dem Interpretationsmuster des Despotismus gerecht wird, davon ist zunächst Hans Barth zutiefst überzeugt. Sie offenbare sich unmissverständlich als ein geglückter Versuch, die Seinsgesetze der unumschränkten Herrschaft zu enthüllen. Er habe ohne Gewissensbisse einer Politikverfassung Reverenz erwiesen, „die von einer Despotie nicht wohl zu unterscheiden ist“97. In einer ähnlichen Weise hält auch G. Lanson dafür, dass sich die Politikkonzeption de Maistres nur aufschließt, wenn man sich deren durch und durch freiheitswidrigen Bestimmungsmomenten versichere. In seinem Denkmechanismus schnurren alle Mechanismen, die einen repressiven Charakter motivieren. „Il y a unité où il y a volonté unique, et elle n’existe que dans l’absolu despotisme“98. Diese in Rede stehende Terminologie wird auch von Émile Faguet 93 John C. Murray: The Political Thought of Joseph de Maistre, in: Review of Politics 11 (1949), S. 86. 94 Ebd. 95 Robert Nisbet: Twilight of Authority, New York 1975, S. 247. 96 Dabei benutzte de Maistre den Begriff des Despotismus, um sich von außereuropäischen Herrschaftssystemen abzugrenzen. Dem abendländischen Stolze sei „nichts so unerträglich . . . als die despotische Regierungsform“ (Vom Papste, Band I (wie Anm. 44), S. 190). Aus diesem Grunde sollte niemand auf den Gedanken kommen, „Europa das so kurze und so klare Staatsrecht von Asien und Afrika anzuraten“ (ebd.). De Maistre wendet sich auch scharf dagegen, die absolutistische Regierungsform Frankreichs als despotisch zu bezeichnen. „Statt unsere Monarchie, die ein Wunder ist, wert zu halten, nennen wir sie Despotismus“ (Vom Papste, Band II (wie Anm. 50), S. 86. 97 Hans Barth: Auguste Comte und Joseph de Maistre (wie Anm. 47), S. 138. 98 G. Lanson: Histoire de la littérature française, Paris 1951, S. 909. Vgl. dazu auch: „Il veut la royauté absolue, sans limite et sans contrôle: la limite est dans la conscience du roi, le contrôle dans la justice de Dieu“ (ebd.).

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verwendet, um das Herrschaftsdenken de Maistres auf den Begriff zu bringen. Es sei keineswegs das Produkt einer wie immer gearteten Liberalität, sondern bezeichne eine Regierungskonzeption, die man getrost als despotisch bezeichnen könne. Ihm sei die Konstruktion einer politischen Ordnungsvorstellung vorbehalten geblieben, „où tout est despotisme“99. Nicht wenige Kritiker de Maistres rücken sein Herrschaftsdenken in eine ähnliche Perspektive, ohne jedoch den Begriff des Despotismus verwenden. Für Max Scheler summieren sich die Einwände gegenüber der Politikkonzeption des Savoyarden zu einer Bilanz, die auf einen durch und durch freiheitswidrigen Ton gestimmt ist. Was bei ihm aufgefächert werde, sei das gesamte Spektrum eines an der politischen Repression ausgerichteten Denkens, das „ungebundenster Willkür“100 das Wort redet. In einer ähnlichen Weise lastet Carl Joachim Friedrich de Maistre an, „brutale Gewalt“101 sanktioniert zu haben. S. Rocheblave zufolge dienen seine denkerischen Koordinaten sogar dazu, einer durch das Christentum legitimierten politischen Unterdrückung zugestimmt zu haben. Er spricht ohne Vorbehalte von einem “ christianisme de la Terreur“102. Wenn sich de Maistre für eine ins äußerste Extrem gesteigerte Herrschaftsintensität ausspricht, so ergibt sich notwendigerweise auch die Frage, ob er als Vorläufer und Ideengeber des Faschismus anzusehen ist. Dabei ist es vor allem Isaiah Berlin, der sie mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet. Nach ihm ist bei de Maistre „eine Nachbarschaft zur paranoiden Welt des modernen Faschismus“103 aufzuspüren. Er habe „die an Aristoteles orientierten symmetrischen Konstruktionen des Thomas von Aquin oder eines Suarez . . . weit hinter sich gelassen“104 und „sich in raschem Tempo . . . den Welten Nietzsches, Sorels, Paretos, D. H. Lawrences, Knut Hamsuns“105 angenähert. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass es Benito Mussolini weit von sich wies, in die ideologische Nähe de Maistres gerückt zu werden. „Die faschistische Doktrin hat nicht de Maistre zu ihrem Propheten erwählt; der monarchistische Absolutismus gehört ebenso wie die Kirchendienerei, 99 Émile Faguet: Politiques et moralistes du dix-neuvième siècle (wie Anm. 75), S. 20. Faguet bezeichnet de Maistre auch als „absolutiste féroce, théocrate enragé, légitimiste intransigeant, apôtre d’une trinité monstrueuse faite du pape, du roi et du bourreau“ (ebd., S. 19). 100 Max Scheler: Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre, Zweite Auflage, Bern und München 1963, S. 144. 101 Carl Joachim Friedrich: Tradition und Autorität. Aus dem Amerikanischen, München 1974, S. 34. 102 S. Rocheblave: Étude sur Joseph de Maistre: in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 9 (1922), S. 312. 103 Isaiah Berlin: Das krumme Holz der Humanität. Aus dem Englischen, hrsg. von H. Hardy, Frankfurt am Main 1992, S. 149. 104 Ebd., S. 164. 105 Ebd. Der Berlinschen Rubrizierung de Maistres stimmt auch Massimo Boffa zu (Joseph de Maistre: la défense de la souveraineté, in: le débat Nr. 39, mars-mai 1986, S. 93).

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wie die feudalen Vorrechte und die Trennung in unzugängliche und unüberwindliche Kasten der Vergangenheit an“106. Die Tatsache, dass namhafte Vertreter der Politikwissenschaft de Maistre Herrschaftskonzeption als zu kratologisch bezeichnen, sollte allerdings nicht vergessen machen, in wie starkem Maße er von bedeutenden Autoren als einer der größten politischen Denker charakterisiert wird. So wenig Isaiah Berlin de Maistres Machtlehre akzeptiert, so sehr er ihm anlastet, „defender of ignorance and serfdom“107 zu sein und der Unterdrückung „in its most darkly irrational and repressive forms“108 das Wort zu reden, so sehr ist es ihm auch darum zu tun, seine überragende Bedeutung für die Politikwissenschaft ins Licht zu rücken. So rechnet er seiner Machtkonzeption hoch an, die „frommen Formeln seiner liberalen Zeitgenossen in die Luft“109 gesprengt zu haben. Während de Maistres ideologische Gegner „die Macht der Vernunft“110 betont haben, ging es ihm darum, das „Fortbestehen und das Ausmaß irrationaler Instinkte, die Macht des Glaubens, die Kraft blinder Tradition“111 ins Bewusstsein seiner Zeitgenossen zu heben. Aus diesem Grunde sei er „ein besserer Wegweiser zum Verständnis des menschlichen Verhaltens“112 gewesen „als die Zuversicht der Vernunftgläubigen“113. In der Vehemenz, in der er die realistische Sicht auf den politischen Kosmos gegen die realitätsfremde Haltung der Liberalen ausspielte, artikuliere er „die Tiefe und Brillanz eines bemerkenswerten, eines erschreckenden Propheten unserer Zeit“114. In einer ähnlichen Weise lobt George Steiner de Maistre dafür, dass er immer die Faktizität der Utopie vorgezogen habe. Seine realistische Politiklehre verliere ihre Konturen keineswegs im Vagen idealistischer Topoi. Mit vollem Recht stelle er die überaus berechtigte Frage: „Wenn wir wirklich der vernunftbegabte Homo sapiens auf dem Weg nach oben sind, was tun wir dann einander an? Warum werden unsere Kriege immer mörderischer? Warum werden die Hungersnöte 106

Benito Mussolini: Der Geist des Faschismus. Aus dem Italienischen, München 1943,

S. 19. Isaiah Berlin: The Hedgehog and the Fox (wie Anm. 57), S. 62. Ebd., S. 63. 109 Isaiah Berlin: Das krumme Holz der Humanität (wie Anm. 103), S. 211. 110 Ebd. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd., S. 213. Selbst Harold Laski scheut sich nicht, de Maistre seine Reverenz zu erweisen. „The literary effectiveness of De Maistre, the skill with which he presents his pessimism, the acuteness of his reflections – all these have combined to give his work the permanence that is undoubtedly its historic due“ (Authority in the modern State. New Haven 1919, S. 127). 114 Ebd., S. 221. 107 108

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immer größer?“115. De Maistre habe vorausgesehen, dass diese sinistre Entwicklung weiter gehen wird, bis das „20. Jahrhundert in Europa in Blut ertrinken wird“116. Er habe sogar prophezeit, auf dem europäischen Kontinent würden „Lager zum Zwecke der systematischen Abschlachtung von Menschen“117 errichtet.

3. Das antifreiheitliche Staatsverständnis von Charles Maurras und Edgar Julius Jung In der Diskussion darüber, welche politischen Denker eindeutig als Schüler de Maistres bezeichnet werden können, taucht immer wieder der Name Charles Maurras auf. Wenn es ein Leitmotiv gibt, das dessen Gedanken zusammen hält, dann sei es die Herrschaftskonzeption de Maistres. Für Isaiah Berlin zieht die Frage nach den Vorläufern von Charles Maurras notwendigerweise eine Erörterung von Joseph de Maistre nach sich118. Ein vorurteilsloser Blick auf das Œuvre von Maurras zeigt, dass es sowohl Unterschiede als auch verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen ihm und dem Savoyarden gibt. Wie de Maistre, so votiert auch Charles Maurras nachhaltig für das apollinische Ordnungsprinzip und lehnt demgemäß das dionysische pointiert ab. Sowohl im Bereich der Kultur als auch in demjenigen der Politik ging es ihm darum, dem Geist der antianarchistischen Kräfte Reverenz zu erweisen. Dabei ist es vor allem „la raison classique“119, der „l’ordre et l’unité“120 garantiert. In nahtloser Übereinstimmung mit de Maistre wendet sich Maurras gegen den Geist des Liberalismus und der modernen Demokratie. Sie schließen sich für ihn zu einer Einheit zusammen, in denen ein ausgesprochen destruktiver Zug waltet. Zu ihrem Grundmerkmal gehöre ihre mit missionarischem Eifer verfolgte Absicht, dem Gedanken der überkommenen Ordnung rücksichtslos den Kampf anzusagen. So lässt Maurras keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er seine Ordnungskonzeption in einen kontradiktorischen Gegensatz zu derjenigen der Revolutionäre von 1789 stellt. Durch das politische Idealbild, das er zeichnet, scheint sein prinzipieller Ronald A. Sharp: Gespräch mit George Steiner, in: Sinn und Form 49 (1996), S. 348. Ebd. 117 Ebd. 118 Isaiah Berlin: Das krumme Holz der Humanität (wie Anm. 103), S. 164. 119 G. Lanson: Histoire de la littérature française (wie Anm. 97), S. 1198. 120 Ebd. Nach Panajotis Kondylis stellt sich im Denksystem von Maurras die „wahre Politik jederzeit streng und diszipliniert“ dar (Konservatismus, Stuttgart 1986, S. 463). Dagegen lässt eine von der Romantik bestimmte Politikpraxis „die zügellose Individualität gewähren“ (ebd.) und setzt die „Freiheit mit menschlicher Willkür gleich“ (ebd.). Diese Ordnungsvorstellung widerspreche allerdings den harten Gesetzen der Realität. Schließlich könne der „Einzelne . . . die Welt nicht ex nihilo nach dem eigenen Willen erschaffen“ (ebd.). Er ist gezwungen, sich den „vorhandenen objektiven Gegebenheiten bewusst oder unbewusst“ (ebd.) anzupassen. 115 116

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Antidemokratismus und Antiliberalismus durch. „La Révolution a voulu établir la liberté politique. Il faut rétablir l’autorité politique“121. In diesem Zusammenhang nimmt Maurras vor allem die Politiker der Demokratie in seinen kritischen Blick. Die Zweifel an ihrer fragwürdigen Haltung würden dann unabweisbar, wenn man ihren pekuniären Egoismus und die daraus folgenden Indifferenz gegenüber dem Schicksal des politischein Gemeinwesens in den Blick nimmt. „Ces hypocrites . . . n’ont aucun intérêt au bon fonctionnement de la vie publique“122. Ihr Interesse gilt einzig und allein dem „profit personnel“123, dem „enrichissement“ 124. Dabei seien sie ständig darauf aus, der „ploutocratie marchande“125 nach dem Munde zu reden. In gleicher Weise greift Maurras auch die politischen Parteien an. Sie seien ständig darauf aus, das Staatswesen zu ihrer Beute zu machen. Auf diese Weise werde seine Würde und seine Unabhängigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Um zu einer vernünftigen Politik gelangen zu können, gelte es, die Parteien ihres destruktiven Einflusses zu berauben und die Staatsmacht zu stärken. „La raison d’un Etat placé au-dessus des partis s’inspire des nécessités supérieures de l’existence de la nation“126. Eine politische Ordnung, die ihre Existenz den Parteien verdankt, leide an einem unheilbaren Legitimitätsdefizit. „Un Etat, créé par les partis, ballotté entre les partis, n’a d’autre raison que celle qu’il peut avoir: elle est courte, bornée, successive, contradictoire“ 127. In einem derartigen Gemeinwesen herrschten die Partikularinteressen über die „intérêts généraux“128. Zu den entscheidenden Negativmerkmalen der Demokratie gehört es Maurras zufolge auch, dass das Bedürfnis des Volkes nach einer starken Führung in den Wind geschlagen wird. Die Rechtfertigung dieser Haltung liege vor allem in dem Umstand begründet, dass die demokratische Ideologie diesem Gedanken an der Wurzel fremd ist. Sie verkenne auf eine höchst fragwürdige Weise, in wie starkem 121 Charles Maurras: De démos à césar. Paris 1930, S. 56. In striktem Gegensatz zu de Maistre führt bei Maurras die Projektion der politischen Fakten auf einen rein positivistischen Hintergrund auch dazu, dass seine Legitimierung der Herrschaft eines metaphysischen Bezuges enträt. Während bei de Maistre die staatliche Souveränität sich derjenigen Gottes verdankt, emaniert sie bei Maurras aus der schieren Notwendigkeit der irdischen Machtgesetze. Bei ihm ist Walter Gurian zufolge keine „metaphysische, für den gegenrevolutionären Traditionalismus de Maistres . . . typische Begründung der Legitimität vorhanden (Der integrale Nationalismus in Frankreich, Frankfurt am Main 1931, S. 92). Vgl. dazu auch Jacques Juillard: La politique religieuse de Charles Maurras, in: Esprit 29 (1958), S. 360. 122 Charles Maurras: L’Etat, in: Dictionnaire politique et critique, Tome premier, Paris 1932, S. 461. 123 Ebd. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Ebd. 127 Ebd. 128 Ebd.

3. Das antifreiheitliche Staatsverständnis von Charles Maurras und Edgar Julius Jung 165

Maße die Bürger den Wunsch verspürten, „d’être gouvernés, protégés et orientés“129. Dazu bedürfe es einer starken Hand, die für das politische Ganze Verantwortung trägt und das Wohlergehen der Bürger in ihr Kalkül einbezieht. Ihr „droit au commandement“ 130 emaniere aus der kaum zu leugnenden Tatsache, dass die Untergebenen „se réfugient auprès des chefs qui les ont convenablement défendus“131. Im Zentrum dessen, was Charles Maurras bei der Erörterung des Problems der politischen Führung die Feder führt, steht auch seine Forderung nach der monarchischen Staatsform. Dabei lässt er keinerlei Zweifel darüber aufkommen, dass er für ihre absolutistische Form votiert. Ohne Umschweife spricht er sich für die „monarchie antiparlementaire“ 132 aus. Allein sie sei in der Lage, den Gedanken der starken Führerpersönlichkeit fruchtbar zu machen. Mit seiner Monarchievorstellung grenzt sich Maurras Ernst Nolte zufolge von allen „liberalen Tendenzen des vorhergehenden Jahrhunderts“133 ab. Sie ist also auf gar keinen Fall konstitutionell. Für Michael Curtis ist sie auf einen rigide antidemokratischen Ton gestimmt. Charles Maurras „was authoritarian in his demand for an absolute political power and in his belief that there should be no opposition“134. So herrschaftsbetont das Monarchiekonzept von Charles Maurras auch ausgefallen ist, so führte es doch in die Irre, wenn man ihm die Forderung nach einer totalitären, alle Gesellschaftsbereiche beherrschenden Machtpraxis imputierte. In dem von ihm konzipierten Herrschaftsgebilde kommt der Staatsspitze keine Machtfülle zu, die die sogenannten intermediären Gewalten ihrer Selbständigkeit beraubt. Charles Maurras: De démos à césar (wie Anm. 121), S. 93. Ebd., S. 94. 131 Ebd., S. 93 f. Für de Maurras ist nach der Regierungsübernahme durch die gegenrevolutionären Kräfte ein Höchstmaß an politischer Unterdrückung vonnöten. „Le gouvernement du roi de France ne peut manquer d’être répressif et vengeur dans ses premiers actes de dictature, afin de pouvoir eêtre réparateur dans ceux qui suivront“ (Enquête sur la Monarchie, Paris 1909, S. 358 f.). 132 Ebd., S. 90 f. 133 Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche, München 1963, S. 181. 134 Michael Curtis: Three against the third Republic, Sorel, Barrès, and Maurras, Princeton N. J. 1959, S. 266. Maurras stand sowohl dem Staat Francos als auch demjenigen von Mussolini eher wohlwollend gegenüber. Im faschistischen Spanien gäbe es keine politische Unterdrückung. „Il y ai vu . . . une parfaite liberté d’esprit“ (Vers l’Espagne de Franco, Paris 1943, S. 152). Darüber hinaus sorge sich der Staat auch um das Wohlergehen der Arbeiter. Er spricht von seiner „préoccupation de paix sociale“ (ebd., S. 156). Auch das soziale Klima im Vichy-Staat sei rühmenswert. Dieser habe sich erfolgreich bemüht, „la question ouvrière“ (Mes idées politiques, Paris 1937, S. LXVII) zu lösen Dazu hätten vor allem die korporatistischen Strukturen beigetragen (ebd.). Über die Unterstützung des Faschismus durch die Action Française schreibt Dietz Bering: „Im Jahre 1935 nahm die „Action française offen Partei für dem Faschismus. Der Führer der französischen ,Bewegung‘, Charles Maurras, hatte dem entscheidenden Schriftstück seine Unterschrift nicht versagt. Sein Titel lautete: ,Manifest der französischen Intellektuellen‘“ (Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart 1978, S. 66 f.). 129 130

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

Was ihm also in dieser Beziehung die Feder führt, ist keineswegs die Forderung nach einer Entmachtung der Zwischengewalten. „Un Etat normal laisse agir, sous son sceptre, et sous son épée, la multitude des petites organisations spontanées, collectivités autonomes“135. Maurras lehnt es auch strikt ab, einem bonapartistisch strukturierten Gemeinwesen das Wort zu reden. „Donc, pas ombre de bonapartisme, ni de césarisme, . . . rien qui admette les débordements d’un État-Molch“136. Er hat niemals einer Staatskonzeption das Wort geredet, in der jegliche Freiheitsregung der Bürger und ihrer Organisationen als ordnungsgefährdend angesehen werden. Dabei verträgt sich sein machtbetonter Politikentwurf durchaus mit einer Bejahung bestimmter, wenn auch eingeschränkter Bürgerrechte. „L’autorité en haute, en bas les libertés, voilà la formule des constitutions royalistes“137. Allerdings bleibt die Verwirklichung der in Rede stehenden Rechte auf diejenigen Bereiche beschränkt, in denen sie die Staatsautorität nicht tangieren. „Ce qui importe. en effet, à la vie des administrés, c’est la liberté; ce qui importe à la vie politique d’une nation, c’est l’autorité, condition de l’esprit de suite, de la décision et de la responsabilité“138. Wie für Charles Maurras, so ist auch für Edgar Julius Jung die rigide Zurückweisung aller liberalen und demokratischen Politikprinzipien der Ausgangspunkt seines Denkens. Seine Politikvision wird zum Vehikel, auf dem eine grundsätzliche Kampfansage an die Französische Revolution und ihr soziales und politisches Credo formuliert wird. Jungs staatsphilosophischer Auffassung zufolge muss die „lächerliche Hineinrederei in die Führung . . . aufhören“139. Ihm zufolge hat „ein Volk auf staatlichem Gebiete nur ein Recht: gut regiert zu werden“140. 135 Charles Maurras: L’Etat (wie Anm. 122), S. 458 f.. Diese seien „avant lui et qui ont chance de lui survivre, véritable substance immortelle de la nation“ (ebd.). An einer anderen Stelle schreibt Maurras: „Les corps (foyers, métiers, pays provinces) étant maîtres de leur réglementation“ (Pour un jeune Français, Paris 1949, S. 151). William R. Tucker ist der Auffassung, dass die Dezentralisierungsideen von Maurras im zentralistischen Frankreich keinerlei Aussicht hatten, jemals verwirklicht zu werden. „It is doubtful that Maurrassianism would win support in any significant degree on the immediate issue of decentralization, since neither the restoration of the provinces nor even more general question of regional decentralization is a burning issue in contemporary French politics“ (The Legacy of Charles Maurras, in: Journal of Politics 17 (1955), S. 577). Was Maurras anlangt, so behauptet Armin Mohler, dass sich bei ihm die Sympathie für die französischen Regionen in Grenzen hielt. Der ,Föderalismus‘ von Maurras blieb . . . immer Theorie; diejenigen Bewegungen in Frankreich, die den Provinzen ein Eigenleben gegenüber der alles verschlingenden Hauptstadt erkämpfen wollten, fanden kaum Unterstützung bei Maurras und seiner ,Action Française‘“ (Frankreichs Literatur der Rechten, in: Literatur zwischen links und rechts, hrsg. von G. Lehner, München 1962, S. 80). 136 Charles Maurras: Pour un jeune Français (wie Anm. 135), S. 151. 137 Charles Maurras: Enquête sur la Monarchie (wie Anm. 131), S. 552. 138 Ebd. 139 Edgar Julius Jung: Die Herrschaft der Minderwertigen, Zweite Auflage, Berlin 1930, S. 344. 140 Ebd. Dabei geht er auch mit dem Wahlprinzip des demokratischen Liberalismus unnachsichtig ins Gericht. Da der Grundsatz der Stimmenmehrheit den Staat ins Chaos stürze,

3. Das antifreiheitliche Staatsverständnis von Charles Maurras und Edgar Julius Jung 167

So sehr sich Jung gegen die Prinzipien des liberal-demokratischen Staatswesens ausspricht, so sehr lehnt er auch die nationalsozialistischen Herrschaftsprinzipien ab. Aus diesem Gunde kritisiert er den exzessiven Machtmissbrauch, durch den sich das Hitlerregime von Anfang an auszeichnete. Auch wenn der „Rechtsstaat im Sinne der Gesetzesherrschaft . . . der Vergangenheit“141 angehöre, „die Zeit der französischen Menschenrechte“142 vorüber sei, müsse darauf geachtet werden, dass einer „staatlichen Neuordnung . . . die jenseits aller Willkür und Gewalt liegt“143 das Wort geredet wird. Dabei bedeute jeglicher Rekurs auf die Unterdrückung der Staatsbürger einen „geistigen Einfall Asiens in Europa“144. Jung hofft, dass die Deutschen nie eine derartige Herrschaftsentwicklung zulassen werden. „Das Volk Luthers, Kants und Goethes wird nie und nimmer fellachisieren“145. Die eigene Hoffnung desavouiert er allerdings in dem Maße, in dem er auf bedenkliche Entwicklungen im Hitlerstaat hinweist. Mit Widerwillen konstatiert er, dass der Nationalsozialismus einer rigiden Herrschaft das Wort redet. Für Jung beginnt „an dem Tage, an dem das deutsche Volk nur noch eine einzige Partei ist . . . die politische Gruppenbildung von vorne“146. Eine gravierende politische Fehlentwicklung sieht er auch in dem Versuch der nationalsozialistischen Regierung, „Deutschland nochmals zum Spielball der Massenagitation zu machen“147. Charles Maurras und Edgar Julius Jung kämpfen als Anwälte eines illiberalen Konservatismus an zwei Fronten. Als Befürworter einer autoritären Ordnung lehnen sie sowohl die freiheitliche Demokratie als auch das totalitär verfasste politische Gemeinwesen ab. Ob sie der Gang der Geschichte endgültig desavouiert hat, wird die Zukunft offenbaren. Zu hoffen bleibt, dass die liberale Demokratie weiterhin Kraft aus dem Widerspiel von anarchistischer Versuchung und repressiver Machtphantasien schöpft.

müsse alles dafür getan werden, den Glauben an „eine sozial-ethisch hochstehende Minderheit“ (ebd., S. 332) im Volke zu verankern. Allein in einer politischen Elite verkörpere sich „die seelisch-geistige Höchstform des Volkes“ (ebd.). Dabei haben Jung zufolge an die Stelle des „versinkenden Parlamentarismus“ (ebd., S. 345), „politische Körperschaften“ (ebd.) zu treten. 141 Edgar Julius Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution, Oldenburg i. O. 1934, S. 81. 142 Ebd. 143 Ebd. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 Ebd., S. 82. 147 Ebd., S. 91. Auf einen ähnlichen parteikritischen Ton gestimmt, lehnt Oswald Spengler den Mussolinistaat ab. „Der vollendete Cäsarismus ist Diktatur, aber nicht die Diktatur einer Partei, sondern die eines Mannes gegen alle Parteien, vor allem die eigene“ (Jahre der Entscheidung. Erster Teil. München 1933, S. 135). Nach Spengler werden „Heere in Zukunft die Parteien ablösen“ (ebd., S. 141). Aus diesem Grunde sei der „Faschismus . . . ein Übergang“ (ebd., S. 134).

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

4. Edmund Burkes liberal-konservative Machtlehre Denjenigen, die im konservativen Ideenkreis für ein Höchstmaß an Herrschaftsintensität plädieren, stehen diejenigen gegenüber, die im Spannungsfeld von Anarchismus und Staatsdeifizierung einem politischen Gemeinwesen das Wort reden, das sich sowohl für einen ichstarken Staat als auch für selbstbewusste und politisch aktive Bürger ausspricht. Ihr Credo ist weder die Machtversessenheit, noch die Machtvergessenheit. Sie votieren für einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen. Wenn Adolf Merkel behauptet, dass die Konservativen „überall das Prinzip der Einheit, der möglichsten Konzentration politischer Macht und politischer Funktion an einem Punkte“148 vertreten, dann ist er eindeutig einem pars pro toto-Denken anheim gefallen. Seinem selektiven Wahrnehmungsblick ist entgangen, dass ein so bedeutender Autor wie Edmund Burke149 sich kaum in sein Klassifikationsschema einfügen lässt. Wenn es ein Leitmotiv gibt, das seine politische Theorie zusammenhält, dann ist es die rigide Zurückweisung der liberalen Kontraktlehre. Für ihn stellt jedes politische Gemeinwesen ein Verflechtungsgefüge dar, das kaum auf einen Vertragsschluss seiner Ursprungsbewohner zurückgeführt werden kann. Es deszendiert Burke zufolge nicht aus einem willkürlichen Akt, sondern stellt eine Qualität unter Beweis, die der Staatslehre des Liberalismus an der Wurzel fremd ist. „The state ought not to be considered as nothing better than a partnership agreement in a trade of pepper and coffee, callico or tobacco or such low concern, to be taken up for a little temporary interest and to be dissolved by the fancy of the parties“150. Die grundlegende Differenz zwischen seinem und dem liberalen Vertragsdenken zeigt sich besonders dann, wenn Burke auch die Toten und die kommenden Generationen einbezieht. „Such a partnership cannot be obtained in many generations, it becomes a partnership not only between those who are living, but between those who are living those who are dead, and those who are to born“151. Indem Burke die Kategorien des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen zusammen denkt, erweist er sich als ein Autor, der dem Staat die Aura einer Entität verleiht, die ihre Existenz nicht den Augenblicksbedürfnissen ihrer Bürger verdankt.

Adolf Merkel: Fragmente zur Sozialwissenschaft, Straßburg 1898, S. 216. Dabei ist auch vor dem Vorurteil zu warnen, dass es im angelsächsischen Kulturbereich nur liberal-konservative Autoren und in Frankreich nur illiberal-konservative gibt. Montesquieu und Alexis de Tocqueville sind Franzosen und Thomas Hobbes ist ein Engländer. Vgl. dazu auch Richard Griffiths: British Conservatism and the Lessons of the Continental Right, in: Conservative Essays, ed. by W. Cowling, London 1978, S. 133. 150 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, in: Works, Vol. V, London 1801, S. 233 f. 151 Ebd., S. 234. 148 149

4. Edmund Burkes liberal-konservative Machtlehre

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Zum Grundmerkmal eines Staates, der sich seiner Würde und seiner Aufgaben bewusst ist, gehört auch die Verpflichtung, das politische Ganze und sein Wohl im Auge zu behalten. Er hat als oberste Regelungsinstanz die Pflicht, „the satisfaction and concord of the people“152 zu gewährleisten. Sich ihrer Fürsorge und Vorsorge zu widmen, gehört zu seinen vorrangigsten. Immer hat er sich darüber bewusst zu sein, dass er sich um deren „welfare“153 zu kümmern hat. Ein derartiger Aufgabenkatalog kann keinem Gemeinwesen aufgebürdet werden, das sich als Minimalstaat zu erkennen gibt. Burke bewegt sich eindeutig in den Dimensionen einer politischen Doktrin, die den starken Staat seiner Schwundversion bei weitem vorzieht. „Nothing turns out to be so oppressive and unjust as a feeble government“154. Allein eine ichstarke Regierung sei in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. „The office of execution is an office of exertion. It is not from impotence we are to expect the tasks of power“155. Da es dem Staate auch obliegt, die Schwachen vor den Starken zu schützen, muss er, um dieser Aufgabe in einem zufriedenstellenden Sinne gerecht zu werden, über respekteinflößende Machtmittel verfügen. Wenn es darum geht, „to secure the weak from being crushed by the strong“156, wenn „the smaller and poorer of these masses“157 vor der „tyranny of the more wealthy“158 beschützt werden müssen, dann ist ein Minimalstaat völlig fehl am Platze. Nur durch einen machtbetonten Eingriff des Staates in das soziale Beziehungsgespinst ist diese Aufgabe nachhaltig zu lösen. So wenig Burke es darum zu tun ist, einer antikratologischen Position das Wort zu reden, so wenig er für den Schwundstaat votiert, so sehr nimmt er jeglichen staatlichen Missbrauch in sein kritisches Visier. Er lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass „the punishment of real tyrants . . . a noble and awful act of justice“159 ist. Einer derartigen Handlung wohne die begrüßenswerte Fähigkeit inne, „consolatory to the human mind“160 zu sein. Das Negativbild der despotischen Herrschaft kristallisiert sich für Burke im Gegensatz zu de Maistre nicht zuletzt in der Staatsform der absoluten Monarchie heraus. Sie sei darauf aus, „to secure . . . the unlimited and uncontrolled use of its own vast influence, under the sole direction of its own private favour“161. Besonders abschreckende Beispiele für diese 152 Edmund Burke: Letter on the Affairs of Ireland, in: Works, Vol. IX, London 1812, S. 452. 153 Ebd. 154 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France (wie Anm. 150), S. 458. 155 Ebd., S. 407. 156 Ebd., S. 371. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 211. 160 Ebd. 161 Edmund Burke: Thoughts on the Cause of Present Discontents, in: Works, Vol. II, London 1801, S. 231.

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

höchst defiziente Regierungsform lieferten sowohl die französische als auch die englische Geschichte162. Burke hat nicht nur dem Absolutismus vorgeworfen, Machtmissbrauch betrieben zu haben, er nimmt auch die Herrschaftspraxis der Französischen Revolution in sein kritisches Visier. Sein anklagendes Urteil bezieht sein Maß aus der Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewaltanwendung. Von Anfang an gewinnen ihm zufolge die repressiven Handlungen der Revolutionsführer eine Dynamik, die einen durch und durch antifreiheitlichen Geist atmen. „Individuality is left out of their scheme of government. The state is all in all. Everything is referred to the production of force; afterwords, everything is trusted to the use of it. It is military in its principle, in its maxims, in its spirit, and in all its movements. The state has dominion and conquest for its sole objects, dominion over minds by proselytism, over bodies by arms“163. Die Akteure der Französischen Revolution besitzen sogar die Frechheit, den früheren Feudalstaat als repressiv zu denunzieren und in gleichem Atemzuge die Bürger aufzufordern, den auf ihnen lastenden Unterdrückungsapparat mit Wohlwollen und Geduld zu ertragen. „The leaders teach the people to abhor and reject all feodality as the barbarism of tyranny, and they tell them afterwards how much of that barbarous tyranny they are to bear with patience“164. Burke wendet die Erkenntnis vom Machtmissbrauch in der absolutistischen Monarchie und in der Französischen Revolution in die Ermahnung seiner Zeitgenossen, den Freiheitsspielraum eher auszudehnen als einzuschränken. Begriffen und akzeptiert wird von ihm allein diejenige politische Praxis, die das Unabhängigkeitsbedürfnis des Menschen bejaht und postuliert. Dass sich im Denken ein Zug Montesqieuschen Freiheitsstrebens kund tut, darauf wurde immer wieder hingewiesen165. Burkes Staatskonzeption hat ein Doppelgesicht, in der die Notion einer exekutionsfreudigen politischen Führung wirkungsvoll mit der Forderung korrespondiert, die Freiheitsrechte der Bürger zu achten. „It is not only a private blessing of the first order, but the vital spring and energy of the state itself, which Ebd. Edmund Burke: Three Letters addressed to a Member of the present Parliament, on the Proposals for Peace with the Regicide Directory of France, in: Works, Vol. 8, London 1801, S. 179 f. Unnachsichtig und scharf hat auch Friedrich Gentz die Jakobinerherrschaft verurteilt. „Die despotische Synode zu Paris, innerlich von ihren Inquisitionsgerichten, äußerlich von Tausenden freiwilliger Missionarien unterstützt, erklärt. . . jede Abweichung von diesen Maximen für Ketzerei und Gräuel“ (Über den Einfluss politischer Schriften und den Charakter der Burkischen, in: Edmund Burke und Friedrich Gentz: Über die Französische Revolution. Aus dem Englischen, Berlin 1991, S. 32). Nun wird Gentz zufolge die irrige Forderung erhoben, das alle „fortan ein Reich, ein Volk, ein Glaube und eine Sprache (ebd.) zu sein haben. In Frankreich habe sich eine „Alleinherrschaft“ (ebd., S. 33) herausgebildet, „deren Wirkungen und Folgen aller menschlichen Berechnung spotten“ (ebd.). 164 Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France (wie Anm. 150), S. 445. 165 A. J. Grieve hat Montesquieu als „Burke’s political father“ bezeichnet (Introduction to Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, London and New York 1967, S. VIII). 162 163

4. Edmund Burkes liberal-konservative Machtlehre

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has just so much life and vigour as there is liberty in it“166. In der englischen Verfassungspraxis komme vor allem dem Unterhaus die Aufgabe zu, sich des Freiheitsspielraumes der Bürger zu vergewissern. „The distinguishing part of our constitution is its liberty. To preserve that liberty inviolate, seems the particular duty and proper trust of a member of the House of Commons“167. Dabei müsse immer die Einsicht im Vordergrund stehen, dass die Freiheit ausgeweitet und nicht beschränkt werden muss. „For liberty is a good to be improved, and not an evil to be lessened“168. Komme es bisweilen zu einer notwendigen Einschränkung der Bürgerrechte, dann sei die Frage in den Vordergrund zu stellen, „with how little, not how much, of this restraint the community can subsist“169. Für Burke gehört zum Grundmerkmal einer geglückten Verfassung, dass sie die Freiheit des Einzelnen mit den Imperativen des politischen Ganzen in Übereinstimmung bringt. Ihm zufolge schließen sich besonders die einzelnen Passagen der englischen Konstitution zu einer Einheit zusammen, die diesem Postulat Gerechtigkeit widerfahren lässt. „Those who are profoundly studied, can comprehend the elaborate contrivance of a fabric fitted to unite private and public liberty with public force, with order, with peace, with justice, and above all, with the institutions formed for bestowing permanence and stability through ages, upon this invaluable whole“170. Um den Ansprüchen des Staates zu genügen und die Freiheit der Bürger zu schützen, sind alle Verfassungsinstitutionen wechselseitig ineinander verschränkt. „Our fabrick is so constituted; one part of it bears so much an the other, the parts are so made for the another, and for nothing else, that to introduce any foreign matter into it, is to destroy it“171. Die Herrschaftslehre Edmund Burkes wird auch mit erheblichen perspektivischen Verkürzungen erkauft, wenn man seine Ausführungen über das Verhältnis der staatlichen Exekutive zum Volksganzen außer acht lässt. Sie geben sich als ein Plädoyer für eine Politik zu erkennen, die sich nicht nur an den Imperativen der Staatsmacht orientiert, sondern auch den Willen der Bürger ins Kalkül zieht. „The sense of the whole people . . . never ought to be contemned by wise and beneficent rules; whatever may be abstract claims, or even rights of the supreme power“172. Dabei kranke die Debatte über das Verhältnis des Volkes zu seiner Regierung an einem Kategorienfehler, wenn man die Erfahrungen der englischen Geschichte 166 Edmund Burke: A Letter to John Farr and John Harris. . . on the Affairs of America, in: Speeches and Letters on American Affairs, London and New York 1942, S. 221. 167 Edmund Burke: Speech at the Arrival at Bristol before the election in that City, in: Speeches and Letters on American Affairs (wie Anm. 166), S. 66. 168 Edmund Burke: A Letter to John Farr and John Harris (wie Anm. 166), S. 221. 169 Ebd. 170 Edmund Burke: Appeal from the New to the Old Whigs, in: Works, Vol. 6, London 1801, S. 263. 171 Ebd., S. 260. 172 Edmund Burke: An Address to the King, in: Works, Vol. IX, London 1812, S. 178.

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außer acht lässt. Sie stellen augenfällig unter Beweis, dass es im Inselstaat immer wieder gelungen sei, die Imperative der staatlichen Machtausübung und die Berücksichtigung des Volkswillens zusammen zu denken. „We have been too early instructed, and too long habituated to believe, that the only firm seat of all authority is in the minds, affections, and interests of the people“173. Eine kaum zu leugnende Gefahr für das Gemeinwohl sieht Burke auch in der Doktrin, das staatliche Gesetz habe keinen Richter über sich. Derlei rechtspositivistische Anmaßungen werden von ihm mit dem Hinweis verworfen, nur der Rekurs auf das göttliche Sittengesetz biete die Gewähr dafür, dass dem politischen Gemeinwesen keinerlei Schaden entsteht. „It would be had to point out any error more truly subversive of all the order and beauty, of all the peace and happiness, of human society, than the position that any body of men have a right to make what Laws they please; or that Laws can derive any authority from their institutions merely and independent of the quality of the subject matter“174. Ein weiser Gesetzgeber weiß genau, dass er sich nicht im Teufelskreis der Selbstreferenz bewegen darf, sondern jederzeit bereit sein muss, das über ihm stehende göttliche Gesetz zu akzeptieren. „Religion, to have any force on men’s understandings, indeed to exist at all, must be supposed paramount to Laws, and independent for its substance upon any human institution“175. Es ist also das „principle of a superior Law“176, das ein gutes Leben im politischen Universum garantiert. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sich die illiberal-konservative Herrschaftslehre de Maistres und die freiheitlich-konservative Edmund Burkes radikal ausschließen, so liefert diesen mit aller wünschenswertes Deutlichkeit François Furet. Er entschlüsselt die ideologischen Signaturen der beiden Denker als politische Entwürfe von höchst unterschiedlicher Ausrichtung. Nur wenn man mit den Deutungsmustern aus dem Fundus einer einheitlichen Konservatismuskonzeption das Werk der beiden Autoren analysiert, können die in Rede stehenden grundlegenden Differenzen übergangen werden. So schreibt Furet zu Recht: „Il n’y a pas grand-chose de commun entre le traditionalisme libéral du parlementaire whig et le providentialisme de Maistre“177. Auch Isaiah Berlin stimmt diesem Urteil Furets zu. Obgleich de Maistre „bis zu einem gewissen Grad von Burke beeinflusst worden ist“178, könne kaum behauptet 173 Ebd. Gegen diesen demokratischen Unterton hat Samuel Johnson Protest angemeldet. Seiner Auffassung zufolge vergeht sich Burke an den Prinzipien einer genuin konservativen Politikdoktrin. „He ridiculed the definition of a free government“ (James Boswell: The Life of Samuel Johnson, Vol. II, London and New York 1907, S. 136). 174 Edmund Burke: Tracts relative to the Laws against popery in Ireland, in: Works, Vol. IX, London 1812, S. 350. 175 Ebd., S. 369. 176 Ebd., S. 349. 177 François Furet: Burke ou la fin d’une seule histoire de l’Europe, in: Le débat numéro 39, mars-mai 1966, S. 65. 178 Isaiah Berlin: Das krumme Holz der Humanität (wie Anm. 103), S. 167.

5. Die Herrschaftskonzeption F. J. Stahls zwischen Staatsautorität und Bürgerfreiheit

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werden, dass er ein „Schüler dieses bedeutenden gegenrevolutionären Theoretikers aus Irland“179 gewesen ist. Die entscheidende Differenz zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Repräsentanten des konservativen Denkens bestehe darin, dass „Burkes behutsamer Konservatismus“180 Joseph de Maistre ebenso fremd war, wie das Loblied des Iren auf den „Act of settlement“ 181. Den politischen Prinzipien de Maistres habe auch Burkes Verteidigung „von Kompromiss und Ausgleich“182 widersprochen. Er könne deshalb kaum als „Absolutist“183 bezeichnet werden. Im Kontrapunkt zu de Maistre sei er niemals auf „Extreme versessen“184 gewesen.

5. Die Herrschaftskonzeption Friedrich Julius Stahls zwischen Staatsautorität und Bürgerfreiheit Wenn man nach einem deutschen Staatsphilosophen sucht, der seinen politischen Entwurf im Horizonte von Edmund Burke konzipierte, dann muss die Rede notwendigerweise auf Friedrich Julius Stahl kommen. Auch wenn dieser nicht gänzlich deckungsgleich mit dem großen Iren denkt, so lassen sich die tiefgehenden Gemeinsamkeiten zwischen den beiden kaum übersehen. Wie Burke, so gibt sich auch Stahl als intrasigenter Gegner jeder omnipotenten Staatsmacht zu erkennen. Dabei lehnt er wie dieser die absolutistische Monarchie rigoros ab. Diejenigen, die ihr auch nur ein Minimum an Glanz abzugewinnen imstande sind, erscheinen in seinen Augen als hoffnungslos machtdeifizierende Zeitgenossen. Stahls Widerwille gegen dieses politische System speist sich nicht zuletzt aus seiner religiösen Einstellung. Seiner Auffassung nach hat der Absolutismus „seinen Ursprung eben hauptsächlich darin, dass man sich von jener höheren (göttlichen) Ordnung über dem Staat löst . . . und den menschlichen Willen . . . zum Herrn der Erde macht“185. Aus diesem Grunde erweist sich die „Gebundenheit des öffentlichen Bewusstseins an jene höhere Ordnung“186, die „religiöse Gesinnung des Volkes“187, als der effizienteste „Damm gegen den Absolutismus des Staates“188.

Ebd. Ebd. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Ebd. 184 Ebd. Vgl. dazu auch: Robert A. Nisbet: Conservatism and Sociology, in: The American Journal of Sociology LVIII (July 1952 – May 1953), S. 170 f. 185 Friedrich Julius Stahl: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, Zweite Abteilung, Heidelberg 1856, S. 58. 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Ebd. 179 180

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Da jedem Staat das Schicksal drohe, sich im Labyrinth gottloser Ordnungsvorstellungen zu verlieren, vermittele allein der Begriff „des sittlichen Reiches . . . die tiefere philosophische Grundlage und Bürgschaft politischer Ordnung“189. Dieser ist von der Auffassung her konzipiert, dass sich nicht zuletzt auch der Staat dem göttlichen Willen unterzuordnen hat. „Es ruht aber . . . der Beruf des Staates auf dem Dienste Gottes. Es ist Gottes Gebot für das Gemeinleben – Gerechtigkeit, Zucht, Sitte – das er handhaben, es ist Gottes Herrschaft, die er aufrichten soll“190. Nur ein irregeleiteter Individualismus könne meinen, dass ihre Weisungen fahrlässig in den Wind geschlagen werden dürfen. Wie weit man in einem Staatswesen kommt, in dem allein der Wille des Einzelnen und derjenige der Massen als „Quelle und Richtschnur der Staatsgewalt“191 gilt, dafür liefert das revolutionäre Frankreich ein besonders abschreckendes Bild. Indem sich seine politischen Koordinaten ins Areligiöse verschoben haben, mache sich in diesem Land ein antichristlicher Geist breit. Man könne es deshalb kaum als politischen Fortschritt bezeichnen, dass im Frankreich des vorigen Jahrhunderts „Materialismus und Atheismus die . . . Nation völlig durchdrangen“192. Dass Stahl sich keineswegs als ein restaurativer bzw. reaktionärer Denker zu erkennen gibt, beweist auch seine rigide Zuzückweisung all derjenigen Autoren, die dem vorrevolutionären Ständesystem nachtrauern und darauf aus sind, die revolutionären Errungenschaften rückgängig zu machen. Dabei ist es ihm vor allem darum zu tun, Joseph de Maistre und Karl Ludwig von Haller in ein illegitimes Licht zu rücken. Ihre realitätsverweigernde ideologische Borniertheit sei mit erheblichen perspektivischen Verkürzungen erkauft. Was den Berner anlangt, so habe seine „ständische Verfassung. . . keine praktische Bedeutung in sich, sondern nur in der Abwehr des neueren Ständewesens“193. Seinem politischen System könne kaum der Vorwurf erspart werden, bloß „in seiner negativen Seite Realität“194 aufzuweisen. Dagegen könne seine „positive Seite . . . nie eine Wahrheit werden“195. Aus diesem Grunde atme jeder Versuch, Hallers patrimonialistisches Konzept in die Realität umzusetzen, den Geist des Geschichtswidrigen. „Ich habe . . . überall und auf das Bestimmteste jegliche Stellung des Grundherren bestritten, durch welche die ländliche Bevölkerung in ein mittelbares Verhältnis gesetzt würde, alle Patrimonialität der obrigkeitlichen Gestalt, alle andere Untertanenschaft außer der gegen den König“196. Letzten Endes laufe Hallers rückwärtsgerichtete Ebd., S. 3. Ebd., S. 179. 191 Ebd., S. 183. 192 Friedrich Julius Stahl: Der christliche Staat. Vortrag über Kirchenzucht, Zweite Auflage, Berlin 1858, S. 77. 193 Friedrich Julius Stahl: Das monarchische Prinzip. Mit einem Nachwort von M. Krammer, Berlin 1926, S. 9. 194 Ebd. 195 Ebd. 189 190

5. Die Herrschaftskonzeption F. J. Stahls zwischen Staatsautorität und Bürgerfreiheit

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Einstellung auf eine Beleidigung der Staatsbürger, auf eine gravierende Gefährdung der jetzigen Institutionen hinaus. „Der . . . Gedanke Hallers von dem privatrechtlichen Charakter der fürstlichen Gewalt ist gänzlich falsch. Er ist eine Verzerrung und Zerreißung des öffentlichen Zustandes, ist eine Entweihung der fürstlichen Gewalt selbst und eine Entwürdigung der Untertanen, die so zu bloßen Mitteln für die Fürsten werden“197. Stahl ruft die patrimonialistisch denkenden Gegner seiner Staatslehre dazu auf, sich ihrer historisch überholten Vorurteile zu entledigen und zu einem zeitgemäßen politischen Denken vorzudringen. Da die geschichtliche Entwicklung gegen sie arbeite, könnten es die „bloß Ständischen . . . kaum mehr ablehnen, in das constitutionelle System einzugehen“198. Auch Joseph de Maistre muss sich von Stahl den Vorwurf gefallen lassen, sein politisches Glaubensbekenntnis in einer unreflektierten Vergangenheitssehnsucht aufgehen zu lassen. Aus diesem Grunde sind „seine politischen Ansichten . . . im grellen Widerspruch mit den wirklichen Bedingungen des Lebens und Anforderungen der Gegenwart“199. Dabei wirft Stahl de Maistre vor allem vor, alle Bemühungen in den Wind zu schlagen, den legitimen Autoritätsanspruch des Monarchen mit den ebenso berechtigten partizipatorischen Forderungen der Untertanen in Übereinstimmung zu bringen. In diesem Zusammenhang stößt sich Stahl vor allem an der theokratischen Einfärbung des Maistreschen Staatskonzeptes. „Die einen regieren in Gottes Namen mit sichtbarer juristischer Vollmacht, die anderen müssen ihnen bloß passiv gehorchen. Was von diesen Bevollmächtigten ausgeht ist göttlich, was von den anderen, ist menschliche Auflehnung200. Stahls vehemente Zurückweisung der Ordnungsvorstellungen von Haller und de Maistre verweist auf eine Denkweise, in der der Freiheitsspielraum des Menschen eine entscheidende Rolle spielt. Dabei ist seiner Auffassung zufolge noch lange nicht jeder, der sich dem liberalen Interpretationsmuster von Staat und Gesellschaft verweigert, ein ausgewiesener Freiheitsfeind. „Es ist eine Voraussetzung politischer Beschränktheit, dass wer nicht die Grundsätze des Liberalismus annehme, keinen Sinn für Freiheit und Recht“201 habe. Nur wer das Netz seiner ideologischen Vorurteile über die Politikkonzeption Stahls wirft, kann übersehen, dass dieser neben der Betonung der staatlichen Autorität auch für die Freiheit der Bürger 196 Friedrich Julius Stahl: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung (wie Anm. 185), S. XIX. 197 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, Berlin 1865, S. 295. 198 Friedrich Julius Stahl: Die Revolution und die constitutionnelle Monarchie, Berlin 1849, S. V. 199 Friedrich Julius Stahl: Geschichte der Rechtsphilosophie, Dritte Auflage, Heidelberg 1856, S. 551. 200 Ebd. 201 Ebd., S. 559.

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

votiert. Für Stahl ist diese „ein nicht minder wesentliches Element“202 des Staates als „seine Gebote und Ordnungen“203. Der zu viel Wert auf seine Autorität legende Staat übersehe, dass zu seinem unabdingbaren „Wesen . . . völlige Freiheit, die gesicherte Sphäre selbständigen Handelns und Schaltens der Personen“204 gehört. Für Stahl steht seine Forderung nach den Freiheitsrechten des Menschen in enger Tuchfühlung mit dem Protestantismus. Man verzichte auf einen wichtigen heuristischen Zugang zum Unabhängigkeitsstreben des Menschen, wenn übersehen werde, dass mit der Reformation der „Drang nach politischer Freiheit“205 eine entscheidende Verstärkung erfahren habe. Im Protestantismus sei vor allem dessen Leitidee des allgemeinen Priestertums politisch fruchtbar gemacht worden. Sie erheische unabdingbar „ein allgemeines Staatsbürgertum auf dem politischen Gebiete“206. Den engen Zusammenhang zwischen dem christlichen Menschenbild und der Forderung nach individueller Freiheit scharfsichtig in den Blick gerückt zu haben, darin besteht Stahls Verdienst. Für ihn ist „der Mensch . . . als Person ein ursprünglicher und selbständiger, also ein absoluter Zweck der Schöpfung und des Weltplanes“207. Dabei sei Gott von dem Grundmotiv bestimmt gewesen, sein Heil jedem einzelnen Menschen zukommen zu lassen. Im Mittelpunkt seiner Ordnung stehe „der Mensch . . . nicht als Gattung, nicht der Gedanke des Menschen, sondern das Individuum, jeder einzelne Mensch“208. Seine persönliche Würde habe ihren Wurzelgrund darüber hinaus in dem Tatbestand, dass er „das Ebenbild Gottes“209 ist. Dass das unaufgebbare Persönlichkeitsrecht des Menschen als „uranfängliche göttliche Verleihung“210 begriffen werden müsse, habe nicht zuletzt auch der Staat zu respektieren. Ihm ist es deshalb verwehrt, die persönliche Gestaltungsfreiheit des Individuums mutwillig aufzuheben. Sie hat vor „aller bürgerlichen Ordnung“211 Bestand. Mit diesem religiös begründeten Rekurs auf die Freiheitsrechte des Menschen ist auch ein konkreter Bezugspunkt gewonnen, um ein Widerstandsrecht der Bürger zu fordern. Wenn der staatliche Abschied von den Geboten Gottes unüber202 Friedrich Julius Stahl: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung (wie Anm. 185), S. 146. 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Friedrich Julius Stahl: Der Protestantismus als politisches Prinzip, Zweite Auflage, Berlin 1853, S. 33. 206 Ebd., S. 32. 207 Friedrich Julius Stahl: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung (wie Anm. 185), S. 312. 208 Ebd., S. 312. 209 Ebd., S. 313. 210 Ebd., S. 314. 211 Ebd.

5. Die Herrschaftskonzeption F. J. Stahls zwischen Staatsautorität und Bürgerfreiheit

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sehbar ist, sind die Bürger nicht mehr an ihre Gehorsamspflichten gebunden. Für Stahl ist „ein Staatsbefehl, der Gottes Gebot widerstreitet . . . sittlich unverbindlich und sittlich zum Nichtgehorsam auffordernd für alle, die Gottes Gebot erkennen“212. Das ansonsten gültige Gebot, den Befehlen der Obrigkeit zu gehorchen, endet an dem Punkte, wo „sie Verletzung apodiktischer, religiöser oder sittlicher Vorschriften anordnet“213. Mit Edmund Burke plädiert Friedrich Julius Stahl gegen den politischen Quietismus und weiß sich mit ihm darin einig, dass eine politische Herrschaft kaum auf die Zustimmung ihrer Schutzbefohlenen verzichten kann. „Er weiß nichts von bloß passiver Hingebung unter die Autorität, sondern Freiheit und Recht des Untertanen, Selbsttätigkeit der Nation für ihre Zustände sind ihm so natürlich und notwendig als das Ansehen des Königtums“214. Bevor man Burke in den Orkus eines illegitimen Machtdenkens werfe, müsse erkannt sein, dass er „sogar die Empörung und Entthronung für Fälle außerordentlicher Not“215 akzeptiere. Auch wenn Stahl darauf verweist, sein Freiheitsideal mit der liberalen Partei zu teilen, so hat er doch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm die entscheidenden Topoi ihrer Weltansicht gründlich missfallen. Sie lösten sich leichtfertig aus ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und anerkennen nur „das Recht der Person“216. Der liberale Widerwille gegenüber allen ganzheitlichen Überlegungen führe jedoch zum „Untergang der Institutionen“217. Mit der Ablehnung des liberalen Freiheitsbegriffs geht bei Stahl auch eine Zurückweisung des westlichen Verfassungsdenkens einher. Diese Auffassung gewinnt bei ihm ihre Beweiskraft aus seiner Behauptung heraus, dieses sei zu sehr auf einen mechanistischen Ton gestimmt. Sein vom Maschinenzeitalter bestimmtes Denken mache den Staat „zum bloßen Mechanismus, an dem auch das Königtum nur eine ergänzende Schraube ist, und sie vertilgt selbst den Gedanken der Autorität, indem derjenige, der die Autorität ist, nicht herrscht und regiert, und die da herrschen und regieren, keine Autorität sind“218. Diesem Urteil wird man den Vorwurf kaum ersparen können, zu pointiert ausgefallen zu sein.

Ebd., S. 183. Ebd., S. 182. 214 Ebd., S. 555. 215 Ebd. 216 Friedrich Julius Stahl: Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche (wie Anm. 197), S. 104. 217 Ebd. 218 Friedrich Julius Stahl: Die deutsche Reichsverfassung nach den Beschlüssen der Nationalversammlung und nach dem Entwurf der königlichen Regierungen, Berlin 1849, S. 9. 212 213

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

6. Der Autoritätsverfall des Staates in konservativer Perspektive Wie im klassischen Konservatismus, so korrespondiert auch im heutigen die zentrale Kategorie eines ichstarken Staates mit der tief eingewurzelten Einsicht, dass die Menschen als fehlende Wesen einer Instanz bedürfen, die ihre dem Gemeinwohl widerstrebenden Handlungen korrigiert. Anthony Quinton zufolge resultiert die Forderung nach einer „strong government“219 aus dem, was er als „man’s moral imperfection“220 bezeichnet. Nur wer das Wagnis eingeht, aus der charakterlichen Defizienz des Menschen die notwendige Forderung nach einem starken Staat zu ziehen, erweist sich als genuiner Anwalt des konservativen Ideenkreises. „The conservative . . . locates the need for government in the propensity for antisocial conduct that is to be found in everyone“221. Die Bürger eines jeden Staates bedürfen aus diesem Grunde eines „restraint of customary and established laws and institutions, of an objective and impersonal barrier to the dangerous extravagances of subjective, personal impulse“222. Im Gegensatz zu den liberalen Gesellschaftsphilosophen wagen es auch die heutigen Konservativen, neben den Rechten des Menschen auch seine Pflichten zu betonen. In diesem Zusammenhang geht Ernest Barker der Frage nach, warum wir überhaupt den Weisungen des Staates Folge leisten sollen? „We want to know not only that we are now bound and tied, but also that we ought to be: we want to know not only that there has been an act of our own, but also the act has value, or is directed towards a value, so that we are bound not only by the act as an act, but also by something valuable in it or above it“223. Barker lässt dabei Auffassungen zum Vorschein kommen, die weit über das liberale Vertragsdenken hinausweisen. Als verlässlichster Stichwortgeber dient ihm dabei sein tief eingewurzelter Konservatismus. „The ultimate reason why we are obliged is not that the State is our act and deed; it is because the State represents and realizes, and in so far as it represents and realizes, that system of political values, and that general idea of justice controlling and coordinating the system, which finally claim our obedience“224. Von dieser Überlegung aus ergibt sich auch die Forderung, dem Staate nicht mit abgrundtiefem Misstrauen und kaum verhohlener Feindschaft zu begegnen, sonAnthony Quinton: The Politics of Imperfection, London and Boston 1978, S. 20. Ebd., S. 13. 221 Ebd., S. 20. 222 Ebd., S. 13. Um der moralischen Verwahrlosung Einhalt zu gebieten, ist nach Clinton Rossiter der Staat dazu verpflichtet, „to promote public and private morality (Toward an American Conservatism, in: Yale Review XLIV (1955), S. 366. Auch nach T. E. Utley hat sich der Staat als „steward of a moral system eternally and everywhere valid“ zu betätigen (Essays in Conservatism, London 1949, S. 2 f.). 223 Ernest Barker: Principles of Social and Political Theory, Oxford 1956, S. 193. 224 Ebd. Vgl. dazu: „If the State does this, and to the extent that it does this, our obligation is perfect“ (ebd.). 219 220

6. Der Autoritätsverfall des Staates in konservativer Perspektive

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dern gegenüber dieser Zentralinstanz eine Haltung an den Tag zu legen, die John Casey als „piety“225 bezeichnet. Diese in Rede stehende Pietas kreiert einen Verhaltenskodex, der das egoistische Individuum mit den Ansprüchen der staatlichen Gemeinschaft versöhnt. Sie offenbart sich als der geglückte Versuch, aus den engen Grenzen des Solipsismus zu entfliehen und den Imperativen der politischen Gemeinschaft Genüge zu tun. Auf diese Weise ermöglicht sie „a consciousness of oneself as inhabiting a world of reciprocal relations and demands“226. Im liberal-konservativen Ideenkreis der Gegenwart wird auch besonderer Wert auf die Feststellung gelegt, der Staatsautorität müsse vor allem in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen Reverenz erwiesen werden. Dabei halten es seine Anwälte dezidiert mit Alexis de Tocqueville, dessen politisches Credo in der Überzeugung aufgeht, dass „eine energische Zentralgewalt . . . sehr viel notwendiger bei einem demokratischen Volk“227 ist, „als bei einem aristokratischen“228. Sie stimmen auch Carl Joachim Friedrich zu, für den „die Autorität durch die demokratische Ordnung nicht in Frage gestellt, sondern erhöht und verstärkt“229 werden muss. Auch wenn die Zeit der „Autorität eines erblichen Monarchen“230 weit hinter uns liege, so sei es gerade in der Demokratie notwendig, um „echte Autorität“231 zu erzeugen. Wirft man einen Blick auf diejenige Literatur, die die gegenwärtige Schleifung der Staatsbastion in den Demokratien des Westens moniert, so fällt auf, dass dieser Übelstand in vielen Nationen dieses Kulturkreises beklagt wird. Was die USA anlangt, so war es nicht zuletzt Walter Lippmann, der die politischen Probleme seines Landes in dieser kritischen Perspektive analysierte. Es verrate ein höchst borniertes Politikverständnis, wenn man die heutige „Verflüchtigung der Autorität“232 aus dem Blick nehme. Die bedauernswerte Tatsache, dass die „Exekutive ihre materielle und immaterielle Macht“233 verloren habe, sollte keinem Verklärungsprozess überantwortet werden. Lippmanns Klage über die Erosion der staatlichen Macht schließt sich auch sein Landsmann Samuel P. Huntington ohne jede Einschränkung an. Ihm zufolge führt ein „substantial decrease in governmental 225 John Casey: Tradition and Authority, in: Conservative essays, ed. by M. Cowling, London 1978, S. 99. 226 Ebd. Vgl. dazu auch Klaus Hornung: Freiheit unter dem Gesetz. Das Problem der Ordnung in Politik und Erziehung, in: Criticón 62, November / Dezember 1980, S. 259 ff. 227 Alexis de Tocqueville: Das Zeitalter der Gleichheit. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Aus dem Französischen, hrsg. von S. Landshut, Stuttgart 1954, S. 272. 228 Ebd. 229 Carl Joachim Friedrich: Demokratie als Herrschafts- und Lebensform, Heidelberg 1959, S. 18. 230 Ebd. 231 Ebd. 232 Walter Lippmann: Philosophia publica, Vom Geist des guten Staatswesens. Aus dem Amerikanischen, München 1957, S. 70. 233 Ebd.

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

authority“234 zu dem wenig erfreulichen Ergebnis, dass die „governability of democracy“235 auf dem Spiele stehe. Eine ähnliche Argumentation macht sich auch der Franzose Jean Dabin zu eigen. Seiner Auffassung nach sollte das leidliche Funktionieren der gegenwärtigen Exekutive nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre „Schwäche auf lange Sicht gesehen den Staat und sein Werk in Gefahr bringen könnte“236. Zur Signatur eines vernünftigen politischen Denkens gehöre deshalb die Forderung nach einer „Stärkung der Autorität“237. Was Deutschland anlangt, so ist es vor allem Walter Hoeres, der die zunehmende Reduktion der Staatsautorität beklagte. Gegenüber dem vorherrschenden Antietatismus führe diejenige Denkschule, die sich für eine ichstarke Exekutive einsetzt, ein Schattendasein. Nach den Erfahrungen mit dem roten und dem braunen Totalitarismus sei die Bereitschaft, sich mit dem Topos einer notwendigen Staatsautorität auszusöhnen, drastisch gesunken. Dabei beschleiche den vorurteilsfrei denkenden Zeitgenossen das Gefühl, dass man von einem Extrem in das andere schlittere. Im Bewusstsein vieler Totalitarismusgegner bricht sich eine Haltung Bahn, die den Gedanken an eine rigide Absage an anarchistische und radikaldemokratische Ordnungsideen ins Wirklichkeitsfremde und Illegitime verweist. Dem Konservativen Walter Hoeres zufolge ist heutzutage „alle Autorität mit dem Siegel autoritärer Anmaßung“238 versehen. Die Schuld für diese beklagenswerte Entwicklung liege bei den sogenannten „antiautoritären ,Humanisten‘“239, die darauf aus waren und sind, in einer „paradiesisch repressionsfreien Welt“240 einen „neuen Menschen“241 zu erschaffen. Von ihrem falschen Bewusstsein der „absoluten Empörung“242 geleitete Kulturrevolutionäre arbeiteten kontinuierlich daran, auch die letzten „Überbleibsel ,paternalistischer Epochen‘“243 mit Stumpf und Stil auszurotten. Zu ihnen zählten nicht zuletzt auch die Familie und die Kirche. Was vielen konservativen Autoren 234 Samuel P. Huntington: The democratic distemper, in: The American Commonwealth 1976, hrsg. v. N. Glazer und Irving Kristol, New York 1976, S. 11. 235 Ebd. Lippmann und Huntington können sich mit ihrem Votum für einen handlungsfähigen Staat auf ihren Landsmann Alexander Hamilton berufen. In den „Federalist Papers“ forderte dieser „a vigorous executive“ (The Federalist Papers, hrsg. v. Clinton Rossiter, New York, Toronto und London 1961, S. 423). Seiner Auffassung nach ist „energy in the executive . . . a leading character in the definition of good government“ (ebd.). 236 Jean Dabin: Der Staat. Aus dem Französischen, Neuwied und Berlin 1964, S. 156. 237 Ebd. 238 Walter Hoeres: Ist Autorität schon autoritär?, in: Epoche 8 (1978), S. 43. 239 Ebd., S. 49. 240 Ebd. 241 Walter Hoeres: Aufruhr als Institution, in: Epoche 1 (1977), S. 37. 242 Ebd. 243 Walter Hoeres: Ist Autorität schon autoritär? (wie Anm. 238), S. 43.

6. Der Autoritätsverfall des Staates in konservativer Perspektive

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sich im heutigen Erscheinungsbild des Staates ausdrückt, verweist nicht auf die ihm zukommende ethisch-kulturelle Würde, sondern rückt seine schiere Technizität und Faktizität in ein besonderes Licht. Was Wunder, wenn sich Ernst Forsthoff darüber beklagt, „dass . . . der Staat . . . die Fähigkeit zu geistiger Selbstdarstellung verloren hat“244. Lasse man nicht zuletzt die Verlautbarungen der Bundesrepublik Deutschland Revue passieren, so seien diese „nicht selten in einem Ton gehalten . . . als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass es sie als Staat noch gibt“245. An der Schwächung des Staates hat nach Helmut Kuhn nicht zuletzt die Gelehrtenwelt mitgewirkt. Sie habe die meisten Brücken zum früheren staatsbejahenden Denken abgerissen und fröne einem durch und durch staatsskeptischen Denken. Vor allem in der von „wohlmeinenden Regierungen hochgepäppelten Politikwissenschaft verschwand zusehends das Wort Staat zugunsten des Wortes Gesellschaft“246. Auf diese Weise konnte sich die Meinung ausbreiten, dass „der Staat . . . zu den unwiederbringlich verlorenen Bestandteilen der untergegangenen europäischen Welt“247 gehöre. Um dieser bedauernswerten Auffassung Sukkurs zu erweisen, habe sich die Redeweise von der „Antiquiertheit des Staates“248 etabliert. Für viele Autoren verzichtet man auf einen wichtigen Zugang zum Problem der Staatsautoritätsreduktion, wenn man es versäumt, die Machtaspirationen der Parteien in den Blick zu nehmen. Für Konrad Adam stellen sich notwendigerweise Verwunderung und Enttäuschung ein, wenn man den Radius ihrer Wirkmacht ausmisst. „In freier, allzu freier Auslegung von Artikel 21 des Grundgesetzes haben sich die Parteien selbst in den Rang von Staatsorganen befördert. Von dort aus übersehen und beherrschen sie das gesamte Staatsrevier; und nicht nur das, denn Schulleiter und Rundfunkintendanten, Chefredakteure und Universitätspräsidenten stehen herkömmlicher Weise jenseits dieser Grenzen. Wo sie zusammenhalten, also meistens, kommt keiner an den Parteien vorbei“249. Eine politische Praxis, in der die Gegenwelten von staatlichem und parteilichem Interesse zur Annäherung, wenn nicht sogar zur Integration gelangen, stellt auch Hans Herbert von Arnim zufolge die Existenz eines vernünftig organisierten Gemeinwesens aufs Spiel. „Eine staatliche Ordnung, die dem parteilichen Egoismus auf Kosten des Gemeinwohls freien Lauf lässt und den Staat zur Beute freigibt, hat auf Dauer keine Zukunft“250. 244 Ernst Forsthoff: Technische Realisation und politische Ordnung, in: Oskar Schatz (Hrsg.): Auf dem Weg zur hörigen Gesellschaft? Graz, Wien und Köln 1973, S. 191. 245 Ebd. 246 Helmut Kuhn: Die Menschlichkeit des Staates, in: Der überforderte schwache Staat. Sind wir noch regierbar?, Hrsg. v. G.-K. Kaltenbrunner, München 1975, S. 21. 247 Ebd. 248 Ebd. 249 Konrad Adam: Staat machen, Berlin 1999, S. 117 f. 250 Hans Herbert von Armin: Der Staat als Beute. Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen. München 1993, S. 17.

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

Angesichts des kaum mehr zu leugnenden Verfalls der Staatsautorität ist es Winfried Martini zufolge auch völlig fehl am Platze, sich einer Begrifflichkeit zu bedienen, die das Stigma des Antietatismus auf der Stirn trägt. So berechtigt der liberalistisch eingefärbte Terminus Obrigkeitsstaat einmal gewesen sein mag, so obsolet gebe er sich heute zu erkennen. Diejenigen, die ihn immer noch in einem ablehnenden Sinne verwenden, vergäßen, dass „jeder Staat . . . per definitionem auch Obrigkeitsstaat“251 ist, der Begriff des Staates „immer Herrschaft und damit Obrigkeit“252 einschließe. Als theoretischen Gewährsmann für seine Verteidigung des Begriffes Obrigkeitsstaat führt Martini keinen Geringeren als Hans Kelsen an. Schon er habe ohne Umschweife darauf aufmerksam gemacht, dass jeder Staat ein Obrigkeitsstaat sei, wenn er schreibt: „Ob die auf demokratischem oder auf automatischem Wege erzeugten Rechtsnormen die Ausübung der Herrschaft bestimmen: stets ist der Staat Obrigkeits-Staat, stets ist Obrigkeit vorhanden“253. Um der Begrifflichkeit Einhalt zu gebieten, die die notwendige Autorität des Staates unterhöhlt, greift Gertrude Himmelfarb auch die ultraliberale, d. h. libertäre Denkschule an. Sie wirft vor allem ihrer Analyse des Sozialstaates vor, sich einer Begriffswelt verschrieben zu haben, die als ein pointierter Angriff auf jegliche Staatsautorität aufgefasst werden kann und muss. Wenn dieser Ideologieverbund in seiner durch und durch staatsabweisenden Haltung den durchaus legitimen Wohlfahrtsstaat als „nanny state“254 denunziere, so schließe dies eine Beleidigung jeglicher Staatsautorität ein. Dabei bleibe von dem nicht zuletzt auch vom liberalen Konservatismus geforderten „healthy respect for the state“255 nicht viel übrig. Letzten Endes sei den in Rede stehenden Ultraliberalen anzulasten, dem sinistren Geschäft des „delegitimizing of the state itself“256 zu obliegen.

7. Die konservative Verteidigung des liberalen Staates Wenn den Anwälten des liberalen Konservatismus zufolge heute alle Fluchtmöglichkeiten in einen prinzipiellen Antietatismus endgültig verschlossen sind und sie einem autoritätsbewussten Staat das Wort reden, so sind sie auf der anderen Seite keineswegs bereit, dessen freiheitliche Bestimmungsmerkmale in den Wind zu schlagen. Ihr Verfassungsgebäude ruht wie früher so auch heute auf einem Fundament, das Staatsautorität und Bürgerfreiheit auf einen vernünftigen Nenner zu 251 Winfried Martini: „Obrigkeitsstaat“ – eine Modefaselei, in: Criticón Sept. / Oktober 1971, S. 139. 252 Ebd. 253 Hans Kelsen: Allgemeine Staatslehre. Bad Homburg v.d.H. 1966, S. 109. Dagegen ist Hans Maier davon überzeugt, dass es auch heute noch sinnvoll ist, den Obrigkeitsstaat zu bekämpfen. Vgl. dazu: Obrigkeitsstaat, in: Denkanstöße 88, München 1987, S. 29 ff. 254 Gertrude Himmelfarb: One Nation. Two Cultures, New York 2001, S. 78. 255 Ebd. 256 Ebd.

7. Die konservative Verteidigung des liberalen Staates

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bringen versucht. Mit Reinhold Niebuhr fragen sie sich, wie man „zur Reife einer echt konservativen Haltung gelingen kann, ohne die menschlichen Vorzüge preiszugeben, welche die liberale Bewegung hervorgebracht hat“257. Diese notwendige Feststellung gehe ihres Wahrheitsgehalten auch dann nicht verlustig, wenn man sich als Konservativer bewusst bleibt, dass der „Liberalismus . . . einige Illusionen“258 über Staat und Gesellschaft aufweist. In gleicher Weise ist auch Georg Quabbe der Auffassung, dass kein vernünftig denkender Konservativer die politischen Errungenschaften des Liberalismus abzulehnen gedenkt. So ist es ihm zufolge völlig sinnlos, „hinter die parlamentarische Staatsform“259 zurückzugehen. „Im Ganzen ist aber wohl der konservative Gedanke genügend bewahrt, wenn die Spitze der Staatspyramide gegen zu häufigen Wechsel, die Legislative durch das Zweikammersystem gegen plötzliche Exzesse und die Einheit der Verwaltung gegen störende Übergriffe der Volksvertretung gesichert sind“260. Der liberale Konservatismus der Gegenwart gewährleistet durch die Ausblendung aller illiberalen Topoi die Existenz und die Stabilität der freiheitlichen Demokratie. In Deutschland ist es besonders Gerd-Klaus Kaltenbrunner, der sich zum Anwalt der in Rede stehenden ideologischen Ortsbestimmung macht. Ihm zufolge hat der gegenwärtige liberale Konservatismus diejenigen Errungenschaften zu sichern, die wir dem liberalen Denk- und Aktionskreis verdanken. Ihm kommt die Aufgabe zu, die liberal verfassten politischen Gemeinwesen auf Dauer zu stellen. „Konservatismus bedeutet heute . . . nicht mehr Kampf gegen die emanzipatorischen Konsequenzen der Aufklärung, sondern vielmehr Erhaltung und Sicherung des erreichten Maßes an Emanzipation, der Errungenschaften der großen westlichen Revolutionen“261. Aus diesem Grunde wird man von den „neuen Konservativen . . . sagen können: sie sind konservativ, weil sie liberal sind“262. 257 Reinhold Niebuhr: Christlicher Realismus und politische Probleme. Aus dem Amerikanischen, Stuttgart 1956, S. 61. 258 Ebd., S. 65. 259 Georg Quabbe: Tar a Ri. Variationen über ein konservatives Thema, Berlin 1927, S. 144. 260 Ebd. Um den Verdacht nicht aufkommen zu lassen, der liberale Konservatismus der Gegenwart stelle die notwendige Machtfülle des Staates über die Freiheitsbedürfnisse seiner Bürger, warnt Russell Kirk davor, dem Begriff des autoritären Staates ein positives Vorzeichen zu geben. Für ihn begeht man die politische Sünde der selektiven Wahrnehmung, wenn man „das autoritäre Prinzip mit dem Konservatismus“ verwechselt“ (Lebendiges politisches Erbe. Aus dem Amerikanischen, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1959, S. 11). 261 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Der schwierige Konservatismus, in: Der schwierige Konservatismus, hrsg. v. G.-K. Kaltenbrunner, Freiburg im Breisgau 1972, S. 40. 262 Ebd. Vgl. dazu auch Dolf Sternberger: „Natürlich darf man konservativ sein. In gewissen Hinsichten muss man sogar konservativ sein: sofern und soweit es um Grundsätze, Einrichtungen und Verfahrensweisen geht, die zu bewahren nötig und geboten ist“ (Darf man heute konservativ sein?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 232, 7. Oktober 1970). Aus diesem Grunde sei es angebracht, „verfassungskonservativ, freiheitskonservativ, sogar staatskonservativ zu sein (ebd.).

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V. Der Staat im Lichte des konservativen Politikverständnisses

In einer ähnlichen Weise fordert der Amerikaner Samuel P. Huntington sowohl die Liberalen als auch die Konservativen dazu auf, die freiheitlichen politischen Institutionen seines Landes gegen alle Angriffe zu verteidigen und für ihre gedeihliche Zukunft Sorge zu tragen. „The greatest need is not so much the creation of more liberal institutions as the successful defense of those which already exist“263. Was die Kooperation mit den Liberalen anlangt, so verlangt er von ihnen, ihre progressistische Ideologie über Bord zu werfen und sich in einem genuin konservativen Sinne der Verteidigung der bestehenden politischen Institutionen zu widmen. „This defense requires American liberals to lay aside their liberal ideology and to accept the values of conservatism“264. Nur um diesen ideologischen Preis sei die Weiterexistenz der freiheitlichen Verfassung zu haben. „Only by surrendering their liberal ideas for the present can liberals successfully defend their liberal institutions for the future“265. Dabei sollten sich die liberal gesinnten Bürger der USA keinerlei Sorgen darüber machen, sie könnten auf dese Weise ihrem überlieferten politischen Credo untreu werden. „Liberals should not fear this change. Is a liberal any less liberal because he adjusts his thinking so as to defend most effectively the most liberal institutions in the world?266. In einer ähnlichen Weise fordert auch Hans-Joachim Schoeps die Liberalen dazu auf, ihre in die Jahre gekommene Haltung zur staatlichen Macht einer Generalrevision zu unterziehen. Zwischen der Machtvergessenheit des Antietatismus und der Machtversessenheit der Kratologen gebe es eine Mittelposition, die die Extreme zugunsten eines vernünftigen Mittelweges meidet. Dabei sei es durchaus legitim, sich als Liberaler mit den Problemkreisen Tradition, Autorität und Legitimität267 zu beschäftigen, ohne die ideologische Herkunft aus der Aufklärung zu verleugnen. Schließlich sei diese eine „echte Errungenschaft“268, die es „gegen die Dunkelmänner aller Art zu verteidigen gilt“269. Dabei sind für den Anwalt des liberalen Konservatismus sowohl die Machtanbetung als auch die Machtnegierung fehl am Platze. Er fordert jenseits der extremen Frontlinien das Recht auf eine Mittelposition ein. Ihm geht es nach Gerd-Klaus Kaltenbrunner „jenseits von anarcho-liberalistischer Staatsfeindschaft und links- und rechtstotalitärer Staatsvergötzung270 einen Mittelweg zu finden, der Herrschaft und Freiheit in ein humanes, vernünftiges Verhältnis setzt. Dabei 263 Samuel P. Huntington: Conservatism as an Ideology, in: The American Political Science Review 51 (1957), S. 472. 264 Ebd., S. 472 f. 265 Ebd., S. 473. 266 Ebd. 267 Hans-Joachim Schoeps: Deutsche Geistesgeschichte der Neuzeit. Band III: Von der Aufklärung zur Romantik, Mainz 1978, S. 13. 268 Ebd. 269 Ebd. 270 Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Von der Notwendigkeit regiert zu werden, in: Zeitbühne 4 (1975), S. 32.

7. Die konservative Verteidigung des liberalen Staates

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wartet er weder auf das „Absterben politischer Herrschaft“271 noch verliert er sich an die ebenso utopische Forderung nach „der absoluten Souveränität des Staates“272.

271 272

Ebd. Ebd.

VI. Die Zukunftsaussichten des Konservatismus Eine Studie die sich mit dem konservativen Ideenkreis beschäftigt, muss sich auch mit der Frage auseinander setzen, wie es um seine zukünftige Lebenskraft bestellt ist. Ist diese im Gegensatz zu seinen ideologischen Konkurrenten Liberalismus und Sozialismus eher als gering einzuschätzen oder kann ihm bescheinigt werden, dass sein Elan vital ausreicht, auch fürderhin eine entscheidende Rolle im politischen Meinungsstreit spielen zu können? Was die Haltung derjenigen anlangt, die die zukünftige ideologische Wirkkraft der in Rede stehenden Ideologie äußerst schwach und einflusslos einschätzen, so gehen sie davon aus, dass der Lebenswille des Konservatismus einem stetig zunehmenden Schwundprozess zum Opfer gefallen ist. Schon Rudolf Pannwitz hat dieser wenig hoffnungsfreudigen Auffassung Tribut gezollt. Für ihn ist das, was dieser Ideenkreis „konservieren will . . . nicht mehr da“1. Aus diesem Grunde hält er dafür, dass „der Konservatismus, an den manche noch denken . . . Unsinn geworden“2 ist. In gleicher Weise meidet auch David Levy die Brille des Optimisten, wenn es um die Zukunftsaussichten des Konservatismus geht. Seiner Auffassung zufolge sorgte die Dominanz des politischen Progressismus für die Marginalisierung des konservativen Ideenkreises. Man müsse sich von der Illusion verabschieden, dass ausgerechnet dieser der Übermacht seiner wirkmächtigen ideologischen Gegner zu entkommen in der Lage ist. „Ob wir nun die verlorene Dimension ,konservativ‘ oder ,traditionalistisch‘, ,reaktionär‘ oder ,rechts‘ nennen, wir müssen uns dessen bewusst sein, dass sie sich aus dem Kampf und dem Geist des Zeitalters zurückgezogen hat“3. In einem politischen Gemeinwesen, in der das progressive Denken in einem äußerst erfolgreichen Maße gegen die Tradition ausgespielt wird, können die Anwälte der konservativen Ordnungsidee keinerlei Heimatrecht mehr für sich beanspruchen. „Der Nonkonformismus der Rechten hat die Arena verlassen, und die vitale Aufgabe der Kritik des Status quo dem überwiegend marxistischen Utopismus überlassen“4. Dass der unaufhaltsame Siegeszug des kulturellen und politischen Progressismus dem Konservatismus das Lebenslicht ausgeblasen hat, dieser Ansicht stimmt Rudolf Pannwitz: Das Weltalter und die Politik, Zürich 1948, S. 83. Ebd. 3 David Levy: Die Rechte – was ist das? Über Utopie, Realität und Tradition, in: Criticón Nr. 27, Januar / Februar 1975, S. 9. 4 Ebd. 1 2

VI. Die Zukunftsaussichten des Konservatismus

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auch Peter Dürrenmatt zu. Kein ernsthafter Zeitanalytiker könne leugnen, in wie starkem Maße die konservative Denk- und Aktionsfamilie abseits der ideologischen Hauptdurchgangsstraßen zu kampieren gezwungen ist. Aus diesem Grunde kenne er „kein Land im demokratischen Europa, in dem sich in einem . . . entschlossenen Sinn eine ,Reaktion‘ dem Fortschritt entgegenzustellen versucht“5. Kein Konservativer könne sich deshalb der Einsicht verschließen, dass er „beim Wettlauf aller mit allen nach immer mehr Fortschritt“6 ausgesprochen schlechte Karten hat. Schließlich bekenne er „sich zu Grundwerten und zu einer Haltung, die nur noch wenige tatsächlich akzeptieren und die vom Geiste dieser Zeit geleugnet werden“7. Dabei wirft Russell Kirk den Konservativen vor, in einer überhasteten und wenig ehrenvollen Weise das politische und kulturelle Kampffeld ihren Gegnern überlassen zu haben. Ausgesprochen kampfmüde und feige hätten sie sich auf den Rückzug begeben. Da die „Radikalen . . . fast auf der ganzen Linie Sieger geblieben“8 sind, haben „die Konservativen . . . in einer Art das Feld geräumt, die man als vollständige Kapitulation bezeichnen muss“9. Zu den Gründen, mit denen man die derzeitige Formschwäche des Konservatismus zu erklären versucht, gehört nicht zuletzt auch die wenig ruhmreiche Rolle, die dieser in der Zeit des Faschismus bzw. des Nationalsozialismus spielte. Nach Peter Dürrenmatt ist „die Entwertung, die das Wort konservativ erfahren hat“10, deswegen so begreiflich, „weil unter allen Kräften, die in den letzten vierzig Jahren versagt haben, kaum eine gründlicher versagte als die konservative“11. Aus diesem Grunde gebe es „heute keine konservativen Parteien mehr“12, bestünden „höchstens Möglichkeiten zu einer konservativen Haltung“13. 5 Peter Dürrenmatt: Europa wird konservativ sein – oder es wird nicht sein, in: Der Monat 14 (1962), S. 35. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Russell Kirk: Lebendiges politisches Erbe. Aus dem Amerikanischen, Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1959, S. 9. 9 Ebd. 10 Peter Dürrenmatt: Jakobinisch, reaktionär, konservativ. Über die drei Temperamente der Politik, in: Rheinischer Merkur Nr. 16, 18. April 1952. 11 Ebd. Dagegen stellt Günter Zehm die Frage, ob die deutschen Konservativen „wirklich Hitlers Wegbereiter“ (Die Welt Nr. 272, 22. November 1963) waren? Bei Lichte besehen seien sie vielmehr „durchschnittliche deutsche Vertreter des internationalen Nationalismus und Chauvinismus“ (ebd.) gewesen. Nicht zuletzt die Ideen Moeller van den Brucks hatten nicht nur „eine Komponente, die die Nationalsozialisten hinleitete, sondern ebenso eine, die von ihnen wegführte“ (ebd.). Seit 1934 zählten seine Gesinnungsfreunde „immer mehr Opfer der nationalsozialistischen Justiz in ihren Reihen“ (ebd.). Darüber hinaus gehören eher Chamberlain und Gobineau „in die Ahnenreihe Rosenbergs“ (ebd.). 12 Ebd. 13 Ebd.

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VI. Die Zukunftsaussichten des Konservatismus

In diesem Zusammenhang verweist Paul Sethe darauf, dass der Nationalsozialismus in einem entscheidenden Maße zur Delegitimierung konservativer Leitbegriffe beigetragen hat. In dieser Zeit seien vor allem Wörter wie „Ordnung, Autorität, Tradition ausgehöhlt“14 worden, „in die Nähe des Unheimlichen und Abstoßenden gekommen“15. Zu denjenigen, die entweder freudestrahlend oder bedauernd dem Konservatismus die Totenglocke läuten, gesellen sich diejenigen, die dieser Ordnungsvorstellung eine einflussreiche Zukunft prognostizieren. Sie wachse einer neuen Einflusskraft und Respektabilität entgegen, die ihren ideologischen Gegnern gravierende Verteidigungsprobleme bescheren wird. Zu den Gründen, die Rudolf Borchardt zufolge ein zukünftiges konservatives Zeitalter vorhersagen lassen, gehöre die stetig zunehmende Enttäuschung der Bürger über die utopische Qualität des Fortschrittsdenkens. Sie fliehen in immer stärkeren Maße aus den Gefilden des millenaristischen Denkens in eine Ideologielandschaft, in der die Realität über die eschatologischen Glasperlenspielereien gesetzt werde. Die unauflöslichen Widersprüche, in die sich die progressistische Politikidee in immer stärkerem Maße verstrickt, führe notwendigerweise zu einer Rehabilitierung des konservativen Ideenkreises. Aus diesem Grunde bleibe den Ein- und Weitsichtigen nichts anderes übrig, als aus „Selbstschutz, aus Erbschutz, aus der Pflicht heraus, die durcheinander geschüttelten Elemente“16 einer neuen, überzeugenderen und damit legitimeren Ordnung einzufügen. Indem dieser notwendigen Entwicklung Reverenz erwiesen wird, enthalte die konservative Denkund Aktionsfamilie unverhofften Zulauf. Aus diesem Grunde werde „die ganze Welt . . . reißend konservativ“17. Ähnlich hoffnungsfrohe Stimmen waren auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu vernehmen. So erlebe Arnold Lunn zufolge der Konservatismus deswegen eine Wiedergeburt, weil sich seine ideologischen Feinde in der Vergangenheit als zu wenig überzeugungskräftig erwiesen haben. Dieser englische Katholik hält dezidiert dafür, dass sowohl der Sozialismus als auch der Liberalismus kaum imstande sind, ein gutes Leben der Bürger zu garantieren. „Man beginnt immer mehr einzusehen, dass liberale Gesinnung nicht genügt und dass die menschlichen Werte durch bloße Menschlichkeit nicht gerettet werden können“18. Deshalb trete das „Bedürfnis nach einer geistigen Erneuerung . . . immer stärker ins Bewusstsein“19. 14 Paul Sethe: Ein neuer Wilhelminismus. Noch gibt es in Deutschland keine konservative Bewegung, in: Die Zeit Nr. 10, 10. März 1967. 15 Ebd. 16 Rudolf Borchardt: Reden. Stuttgart 1955, S. 428. 17 Ebd. 18 Arnold Lunn: Die konservative Gegenbewegung in Religion und Politik, in: Schweizer Rundschau 48 (1948 / 49), S. 279 f. 19 Ebd., S. 278.

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Parallel zu dieser Einsicht sei eine „konservative Gegenbewegung in Religion und Politik“20 vonnöten. Die Fragwürdigkeit und Insuffizienz des politischen und kulturellen Progressismus trat vielen Zeitgenossen auch ins Bewusstsein, als sie die desaströsen Folgen der Kulturrevolution von 1968 in Augenschein nahmen. Es war nicht zuletzt Ernst Topitsch, der den durch sie verursachten Werteverfall als Ursache für eine neu entstehende konservative Gegenbewegung ausmachte. „Je deutlicher . . . die Unzulänglichkeit des ,progressiv‘ aufgemachten Dunkelmänner- und Nichtskönnertums hervortritt, desto zeitgemäßer wird es, sich über die Frage eines aufgeklärten Konservatismus Gedanken zu machen“21. Indem gegen „den Mangel an geistigem Niveau“22 protestiert wird, werde die Behauptung, dass der „Geist links stehe“23, Lügen gestraft. Für viele Zeitgenossen ist der Konservatismus zum Standort einer Hoffnung geworden, der die Aufgabe hat, einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft den Weg in eine bessere Zukunft zu weisen. Seine bisweilen mit provozierender Entschiedenheit vorgetragenen Positionen dienen zur ideologischen Aufrüstung, die angesichts des vorherrschen geistigen Wirrwars dringend geboten ist. Für Günter Rohrmoser ist „der philosophische Neokonservatismus. . . kein geschichtswidriger Anschlag und keine Verschwörung, sondern ein durch die Krise der Moderne erzwungener Versuch, Theorien zu entwickeln, die es dem Menschen erlauben, sich zu der Realität faktischer Kontingenz zu verhalten“24. In diesem Zusammenhang verweist der linksliberale Historiker Arthur M. Schlesinger ausgesprochen verwundert darauf, in wie starkem Maße der konservative Gedanke nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch im universitären Milieu auf fruchtbaren Boden fiel. Mit ungläubigem Staunen konstatierte er, dass die Studenten sich von Herbert Marcuse und seinen Gesinnungsfreunden abwandten und in immer stärkerem Maße konservative Autoren in ihren Lesekanon aufnahmen. „Bright young men who once read Paine, Jefferson, and Mill are now reading Burke, Adams, and Disraeli“25. Nun planten viele Studenten ihre Sezession aus dem progressiven Denklager und näherten sich einer Ordnungsvorstellung 20 Ebd., S. 276. Matthias Walden spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wiederentdeckung des Konservativen“ (Die Wiederentdeckung des Konservativen, in: Konservativ heute, Sept. / Okt.1974, S. 274). 21 Ernst Topitsch: Aufklärung als konservative Aufgabe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 167, 21. Juli 1973. 22 Ebd. 23 Ebd. Dabei unterdrückt Topitsch auch nicht den eher fragwürdigen Hinweis, dass die Geisteshaltung der in Rede stehenden Kulturrevolutionäre an die Denkweise der Konservativen früherer Zeiten erinnere (ebd.). 24 Günter Rohrmoser: Religion und Politik in der Krise der Moderne. Graz, Wien und Köln 1989, S. 25. 25 Arthur M. Schlesinger, Jr.: Burke in America, in: Encounter 5 (1955), S. 56.

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an, in der nicht nur die Zukunft, sondern auch die Herkunft reflektiert wird. „University common rooms, instead of echoing with excited talk about the need for reform and change, now echo with excited talk about the need for tradition and continuity“26. Dabei wünschen sich nicht nur die Anwälte des Konservatismus eine ichstarke und einflussreiche Performanz ihres Ideenkreises. Auch Mitglieder der liberalen Denkfamilie haben zum Ausdruck gebracht, dass ihr ideologischer Widerpart auch in der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen möge. In einem ausgeprägten Kontrast zu vielen seiner Ideologiegefährten plädiert Harry K. Girvetz für einen vitalen Konservatismus, weil nur er in der Lage sei, die mitunter realitätsfremden Vorstellungen seiner liberalen Freunde zu konterkarieren. Auf diese Weise läuft die konservative Denkanstrengung nicht in die Leere der Illegitimität, sondern beziehe ihre Daseinsberechtigung aus der Notwendigkeit, den ideologischen Extravaganzen des Liberalismus Einhalt zu gebieten. „Conservatism is a useful and important counterpart to liberalism. We need conservatives to alert us to the continuity of history and the role of tradition in human affairs“27. Dem Konservatismus komme darüber hinaus auch die Aufgabe zu, der rationalen Ordnungsvorstellung des Liberalismus eine Denkweise gegenüberzustellen, die auch dem Irrationalen zu ihrem Recht verhilft. Die Anwälte des Konservatismus „remind us . . . that man is not a completely rational animal and that we must address ourselves to his heart as well as his head“28. Dass ein florierendes Gemeinwesen der ständigen Auseinandersetzung zwischen den Liberalen und den Konservativen bedarf, darauf hat schon Samuel Butler aufmerksam gemacht. Nur aus ihrer gemeinsamen Auseinandersetzung erwächst jene Ordnungsbasis, die stabile und gerechte Verhältnisse zu garantieren in der Lage ist. „We should treat them . . . so that they may keep watch upon another; and letting them go in and out of power with the popular vote concerning them“29. Allerdings wird über das, was als ausgewogenes Verhältnis zwischen Liberalismus und Konservatismus zu gelten hat, kaum Übereinstimmung zu erzielen sein. Keine der beiden politischen Familien kann ein Interesse daran haben, als Juniorpartner zu fungieren. Zu den Anwälten der Progressisten, die den gegenwärtig erEbd. Harry K. Girvetz: The Evolution of Liberalism, London 1969, S. 380. 28 Ebd. 29 Samuel Butler: The Note-Books, ed. by H. F. Jones, London 1918, S. 440, Auch nach Johann Caspar Bluntschli bedarf ein funktionierendes politisches Gemeinwesen sowohl der konservativen als auch der liberalen Akteure. „Wie die göttliche Leitung der Welt und das ganze Leben aller Geschöpfe auf den beiden Grundkräften der Zeugung und der Bewahrung beruht, so bedarf auch das Staatsleben der Völker der beiden entscheidenden Manneskräfte, welche wir als liberal-schaffend und als conservativ-bewahrend verstehen“ (Charakter und Geist der politischen Parteien, Nördlingen 1869, S. 1353. Neidlos konstatiert der liberale Bluntschli, dass dem Konservatismus „ein umfassenderes Wissen und eine reichere Erfahrung“ eigne (ebd., S. 134). 26 27

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starkenden Konservatismus mit abgrundtiefem Misstrauen begegnen, hat sich vor allem Panajotis Kondylis gesellt. Ihm zufolge besteht heute die kaum zu leugnende Gefahr, dass „im Rahmen der intellektuellen Narrenfreiheit“30, die „möglichen Nutznießer von antiliberalen Ideen“31 zu mächtig werden. Zu den die „Erfolge des Liberalismus“32 gefährdenden Konservativen zählen nach Kondylis offensichtlich auch diejenigen, die sich der Ordnungsvorstellung des liberalen Konservatismus verschrieben haben. Dabei wäre seine Sorge um die freiheitliche Verfassung der heutigen politischen Gemeinwesen nur dann angebracht, wenn Kondylis ausschließlich die illiberale Rechte im Auge hätte. Da dies nicht der Fall ist, enträt seine Befürchtung jeglichen Realitätsbezuges. Im Vergleich zu Panajotis Kondylis argumentiert Laurence Sears ungleich differenzierter, wenn er als Parteigänger des Liberalismus zwischen einem moderierten Konservatismus und einer reaktionären Rechten unterscheidet. Dabei kann ihm zufolge die Tatsache, dass das politische Pendel uns „away from the liberal faith“33 führt, sowohl in einem „decadent reactionism“34 als auch in einem „constructive conservatism“35 enden. So wenig der politische Radikalismus den Liberalismus bestimmen darf, so wenig sollte der reaktionäre Konservatismus über den liberalen siegen. „The radical and the reactionary should have little place in our society, but the liberal and the conservative we desperately need“36. In einer Zeit, in der sich die antikonservativen Vorurteile in der Grauzone zwischen Wissen und Halbwahrheiten tummeln, ist es die Aufgabe des Konservatismus, die Menschen durch das Labyrinth der heutigen Ideologienvielfalt zu führen. Als weltanschaulicher Lotse hat er den Menschen in eine Zukunft zu weisen, die seinen wohlbegründeten Prinzipien entspricht. So sehr es seine Aufgabe ist, dem Liberalismus und dem Sozialismus ins Gewissen zu reden, so sehr sollte er sich hüten, die weltanschaulichen Fehlhaltungen in seinen eigenen Reihen zu übersehen. So kann beispielsweise ein vernünftiger Konservativer kaum der Auffassung sein, dass das soziale und politische Heil in Zuständen liegt, die vor 1789 geherrscht haben. Er kann nur dann seine Überzeugungskraft bewahren, wenn er die Prinzipien der Moderne nicht in toto verwirft. Matthias Walden hat seine Gesinnungsfreunde dazu aufgefordert, einem „liberalen Konservatismus“37 das Wort zu Panajotis Kondylis: Konservatismus. Stuttgart 1986, S. 61. Ebd. 32 Ebd. 33 Laurence Sears: Liberals and Conservatives, in: The Antioch Review 1953, S. 370. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Ebd. Als Reaktionär bezeichnet Peter Dürrenmatt einen konservativen Theoretiker, der seine „Maßstäbe der Staatspolitik ausschließlich in der Vergangenheit“ sucht (Europa wird konservativ sein – oder es wird nicht sein“ (wie Anm. 5), S. 33). Für ihn ist die Geschichte „Bewegung im ungekehrten Sinne des Fortschritts, vom ursprünglich guten in einen ständig schlechter werdenden Zustand“ (ebd.). 37 Matthias Walden: Die Wiederentdeckung des Konservativen, (wie Anm. 20), S. 275. 30 31

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reden, und aufzupassen, „dass er Neuem aufgeschlossen ist, wenn es die Chance zum Besseren verheißt, und dass er nur Bewährtes zu bewahren trachtet“38. Der liberale Konservative, der sowohl dem schieren Fortschreiten als auch dem dogmatisch verbrämten Stillstand eine Absage erteilt, muss sich in jeder Epoche darüber entscheiden, was erhaltenswert ist und was den Weg alles Irdischen zu gehen hat. Die Projektion der historischen Fakten auf den Hintergrund dieser Problematik stellt augenfällig unter Beweis, dass beide in Rede stehenden Extrempositionen äußerst negativ zu Buche schlagen. Nach T. S. Eliot sind „both . . . equally repellent“39. Beide kreieren ein insuffizientes Gemälde, das auch noch den geringsten Lichtstrahl absorbiert. „If the former can mean chaos, the latter can mean petrification“40. Dass sich der liberal-konservative Geschichtsentwurf eher der „inspiration from the Whiggish Burke rather than from the reactionary de Maistre“41 verdankt, mit dieser Behauptung von Clinton Rossiter trägt man Eulen nach Athen. Edmund Burke hätte auch nicht gegen die Behauptung von Leszek Kolakowski protestiert, dass die progressive und die bewahrende Geschichtstendenz, statt sich gegenseitig zu dementieren, wechselseitig aufeinander angewiesen sind, in einer intimen und intrikaten Weise sich durchdringen. „Hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir heute noch in Höhlen leben . . . Würde die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell, befänden wir uns wieder in den Höhlen“42. Um dieser Vernunfthaltung gerecht zu werden, hat der Konservative aufwendige Theoriearbeit zu leisten. Diese sollte mindestens so intensiv betrieben werden, wie das im sozialistischen und im liberalen Denklager der Fall ist.

Ebd. T. S. Eliot: The Idea of a Christian Society, in: Christianity and Culture, New York 1976, S. 13. 40 Ebd. 41 Clinton Rossiter: Conservatism in America, New York 1962, S. 18. 42 Leszek Kolakowski: Vom Sinn der Tradition, in: Merkur 23 (1969), S. 1092. 38 39

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Namensverzeichnis Acton-Dalberg, John Emerich Lord 1 Adam, Konrad 181 Adams, Brooks 189 Adams, Henry 118 Adams, John 189 Agar, Herbert 109, 110 Allen, David Y. 143 Allison, Lincoln 134, 135, 141 Amery, Carl 90 Aristoteles 2, 96 Arnim, Hans Herbert von 181 Arnold, Matthew 113 Ashford, Nigel 100 Auerbach, M. Morton 109, 131 Baader, Franz von 12, 50, 51, 70, 71, 73, 96, 97, 104, 122 Babbit, Irving 118 Bacon, Francis 21, 147 Bagehot, Walter 14 Bahr, Hermann 94 Balfour, R. A. 38 Barker, Ernest 30, 64, 142, 178 Barrès, Maurice 87, 165 Barth, Hans 10, 47, 58, 154, 160 Baxa, Jakob 96 Beard, Charles 128 Beauvoir, Simone de 17 Beer, Samuel H. 134 Beneton, Philippe 36 Benoist, Alain de 84 Bentham, Jeremy 101 Berdiajew, Nicolai 28 Bering, Dieter 165 Berlin, Isaiah 33, 153, 154, 155, 157, 161, 162, 163, 172, 173 Bierre, Ambrose 1 Birch, Nigel 124 Blank, Herbert 134 Blum, Christopher Olaf 39

Bluntschli, Johann Caspar 190 Bobbio, Norbert 79 Boffa, Massimo 161 Bolingbroke, Henry St. John, Viscount 80 Bonald, Louis de 12, 103 Borchardt, Rudolf 9, 188 Boswell, James 13, 80, 172 Braune, Frieda 47 Brinton, Crane 73 Brownson, Orestes 109, 117 Buckley, William F. 75, 76 Burke, Edmund 4, 12, 19, 25, 45, 46, 47, 48, 63, 64, 68, 111, 112, 168, 169, 170, 171, 172, 189 Bußmann, Walter 5 Butler, R. A. 125 Butler, Samuel 190 Calhoun, John C. 108 Carlyle, Thomas 113, 114 Cecil, Hugh Lord 2, 26, 72, 133, 134 Chaimowicz, Thomas 64 Chateaubriand, René de 12, 70 Chesterton, Gilbert Keith 20, 90 Cicero 2 Cioran, E. M. 31, 35 Cobden, Richard 137 Cohen, Morris 12, 23 Coleridge, Samuel Taylor 14, 45, 95, 101, 102 Comte, Auguste 154, 157 Condorcet, Antoine 21, 48, 79 Constant, Benjamin 22 Cortés, Donoso 6, 12, 35, 103, 104, 113, 153 Crick, Bernard 18 Curti, Merle 108 Curtis, Michael 85, 86, 87, 93, 165 Dabin, Jean 180 Davenport, R. W. 23

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Namensverzeichnis

Dawson, Christopher 153 Dietz, Heinrich 93 Disraeli, Benjamin 4, 64, 97, 124, 125, 127, 189 Dru, Alexander 86 Dürrenmatt, Peter 5, 187, 191 Eccleshall, Robert 140, 141 Eden, Anthony 124, 125 Eichendorff, Joseph von 74, 153 Eliot, T. S. 78, 79, 88, 192 Elton, G. R. 28 Emerson, Ralph Waldo 2 Engels, Friedrich 146 English, Raymond 2, 136 Epstein, Klaus 16, 40 Ewald, Reinhard 150 Faguet, Émile 158, 161 Fetscher, Iring 118 Fichte, Johann Gottlieb 96 Finer, Hermann 126 Forsthoff, Ernst 181 Franzel, Emil 90, 132, 192 Freund, Ludwig 9 Freund, Michael 36, 85 Freyer, Hans 27 Friedman, Milton 126 Friedrich, Carl Joachim 33, 161, 179 Furet, François 172 Galbraith, John K. 119 Garber, Jörn 8, 45 Gauland, Alexander 116, 117, 124 Gehlen, Arnold 6, 77, 115, 116 Gentz, Friedrich 8, 9, 10, 25, 170 Giddens, Anthony 137, 157 Gilder, George 119, 120 Gilmour, Ian 98, 121, 126, 127 Girvetz, Harry K. 190 Gladstone, William 63, 157 Glickman, Harvey 101, 133, 134 Grabowsky, Adolf 143 Griffiths, Richard 168 Grillparzer, Franz 20 Gundlach, Gustav S. J. 33, 67 Gurian, Waldemar 37, 85, 88, 89

Hailsham, Lord 74, 127 Haller, Carl Ludwig von 54, 70, 150, 151, 152 Hamilton, Alexander 186 Hartz, Louis 130 Hayek, Friedrich August von 15, 98, 126, 135, 139 Hearnshaw, F. J. C. 1, 7, 39 Heckscher, August 135 Heer, Friedrich 9 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 96 Heller, Hermann 95,96 Hepp, Robert 5 Herzen, Alexander 9, 16 Hielscher, Friedrich 81 Himmelfarb, Gertrude 113, 182 Hobbes, Thomas 168 Hobhouse, L. T. 96 Hoeres, Walter 67, 68, 76, 77, 90, 91, 180 Hoffer, Eric 144 Hofmannsthal, Hugo von 39 Hofstadter, Richard 24, 108 Hogg, Quintin 45, 64, 65, 75, 131 Hornung, Klaus 89, 90, 124, 179 Howe, Irwin 60, 61 Huber, Max 33, 153, 154, 155 Huber, Victor Aimé 123 Hugenberg, Alfred 5 Hume, David 80, 81 Huntford, Robert 126 Huntington, Samuel P. 11, 38, 143, 180, 184 Jarcke, Carl Ernst 149, 150 Jefferson, Thomas 14, 189 Jellinek, Georg 151 Johnson, Samuel 13, 172 Jünger, Ernst 13 Juillard, Jacques 86, 87 Jung, Edgar Julius 40, 41, 57, 78, 92, 93, 166, 167 Kaegi, Werner 30 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 6, 12, 14, 25, 79, 107, 116, 142, 183, 184, 185 Kann, Robert A. 44 Kant, Immanuel 121 Kedurie, Elie 72, 101 Kelsen, Hans 182

Namensverzeichnis Kendall, Willmoore 62 Kirk, Russell 6, 7, 64, 100, 109, 131, 132, 138, 183, 187 Klemperer, Klemens von 62, 79, 159 Kolakowski, Leszek 192 Kondylis, Panajotis 3, 12, 143, 159, 163, 164 Kraus, Hans-Christoph 53, 48, 141, 150, 151 Kristol, Irving 118, 120, 128, 138, 139 Krüger, Gerhard 26 Kuehnelt-Leddihn, Erik von 67, 137 Künzli, Arnold 8, 17, 59, 60, 140, 141 Kuhn, Helmut 181 Lamennais, Félicité 12, 157 Laski, Harold J. 87, 162, 358 Lennox, Richard 46 Leo, Heinrich 52, 53 Letwin, S. H. 126 Levy, David 186 Lewis, Gordon K. 96 Lippmann, Walter 179, 180 Lobkowicz, Nikolaus 12, 13, 65, 66, 72, 82 Locke, John 141, 147, 155, 156, 160 Lubac, Henry de S. J. 157 Lübbe, Hermann 17, 27, 56, 57, 65, 66, 92 Lunn, Arnold 188, 189 Macdonald, Malcolm 143 Machiavelli, Nicolo 4, 91 Maddox, Graham 157 Maistre, Joseph de 4, 6, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 55, 69, 137, 153, 154, 155, 158, 159, 161 Mann, Golo 4, 40 Mannheim, Karl 1, 9, 19 Maritain, Jacques 87, 93 Martini, Winfried 182 Marx, Karl 46, 64, 121 Meinecke, Friedrich 9, 55 Merkatz, Hans-Joachim von 8 Merkel, Adolf 13, 14, 168 Metternich, Klemens Lothar, Fürst von 9 Meyer, Frank S. 57, 58, 135, 148 Michels, Roberto 15, 144 Mill, John Stuart 13, 14, 24, 68, 101, 130, 146, 189

215

Mindszenty, Joseph Kardinal 20 Minogue, Kenneth 2, 79, 146, 147 Mises, Ludwig von 7, 15, 147 Mitteis, Heinrich 148 Moeller van den Bruck, Artur 40, 41, 42, 43, 57, 115, 187 Möser, Justus 9, 18, 63, 149 Mohler, Armin 6, 18, 19, 77, 82, 84, 91, 166 Molnar, Thomas 36 Montesquiey Charles Baron de 168, 170 Montherlant, Henri de 88 Moore, Paul Elmer 117 Morus, Thomas 3 Mühlenfeld, Ernst 5, 65 Müller, Adam 12, 20, 54, 96, 98, 114, 150 Müller, Johann Baptist 23, 53, 62, 98, 124, 134, 144, 148 Müsebeck, Ernst 3, 31 Muller, Jerry Z. 6, 62 Naumann, Friedrich 7 Niebuhr, Reinhold 183 Nietzsche, Friedrich 96 Nisbet, Robert 62, 99, 129, 160, 173 Nolte, Ernst 165 Novalis 3, 96, 114 Oakeshott, Michael 10, 11, 26 Osborn, A. M. 47 Owen, Robert 96 Paine, Thomas 46, 189 Pannwitz, Rudolf 186 Péguy, Charles Pesch, Heinrich S. J. 98 Pinto-Duschinsky, Michael 81 Pius X, Papst 88 Platon 96 Platz, Hermann 39, 86, 96 Plessner, Helmut 12 Preece, Rod 136, 197 Pribram, Karl 96 Price, Richard 46 Quabbe, Georg 27, 55, 133, 183 Quinton, Anthony 46, 62,178

216

Namensverzeichnis

Radowitz, Joseph Maria von 48, 49, 72, 73, 105 Rand, Ayn 100, 147 Ranke, Leopold von 13 Ratzinger, Joseph Kardinal 28 Reck-Malleczewen, Friedrich Percyval 142, 143 Rémond, René 36 Rivarol, Antoine 13, 69, 95, 146 Robinson, J. H. 24, 147 Roche, Alphonse V. 87 Rocheblave, S. 10, 161 Rocker, Rudolf 34, 35 Lt. Colonel de La Rocque 37, 132, 133 Rodbertus-Jagetzow, Carl 122, 123 Röder, Adam 62, 92 Rohan, Karl Anton Prinz 71 Rohden, Peter Richard 29, 34, 36, 38, 88 Rohrmoser, Günter 77, 142, 189 Romein, Jan 12 Romig, Friedrich 106, 107 Rossiter, Clinton 4, 10, 11, 44, 56, 66, 72, 98, 99, 110, 111, 129, 192 Rousseau, Jean-Jacques 65 Rüstow, Alexander 55 Ruskin, John 112 Saint-Simon, Claude Henri Graf von 79 Santayana, George 27 Scheler, Max 161 Schlesinger, Arthur M. Jr. 130, 137, 189, 190 Schmitt, Carl 56, 153, 156 Schoeps, Hans Joachim 133, 184 Schopenhauer, Arthur 25 Schottländer, Rudolf 24 Schrenck-Notzing, Caspar von 144, 145 Schroers, Heinrich 66 Schumacher, Kurt Scruton, Roger 77 Sethe, Paul 188 Sièyes, Emmanuel Joseph 21, 22 Sorel, Georges 38, 84, 85, 86, 161, 165 Spann, Othmar 67, 115 Spencer, Herbert 98, 21, 124, 147 Spengler, Oswald 78, 167 Stadtler, Peter 34

Stahl, Friedrich Julius 12, 41, 53, 54, 55, 105, 73, 174, 175, 176, 177 Steiner, George 163 Sternberger, Dolf 183 Sternhell, Zeev 38 Stifter, Adalbert 25, 146 Stollberg-Wernigerode, Otto Graf zu 142, 143 Sumner, William Graham 108, 144 Swift, Jonathan 62 Thadden-Triglaff, Adolf von 143 Thatcher, Margaret 126 Thibon, Gustave 28, 29 Thienen, Christoph von 91 Thomas von Aquin 2 Tillich, Paul 63 Tocqueville, Alexis de 122, 160, 168, 179 Todt, Rudolf 123 Topitsch, Ernst 5, 82, 83, 189 Touchard, Jean 37 Troeltsch, Ernst 20, 21, 39 Tucker, William 166 Utley, T. E. 178 Valjavec, Fritz 8 Veblen, Thorstein 16, 17 Vico, Giovanni Battista 32 Viereck, Peter 119, 128, 140, 141, 144 Vierhaus, Rudolf 1, 3, 6 Vierkandt, Alfred 95, 147 Vincent, Andrew 45 Wagner, Adolph 123 Walden, Matthias 189, 191, 192 Walter, E. V. 59 Walzer, Michael 120 Watson, George 11 Weißmann, Karl-Heinz 40 Wells, H. G. 21 Westarp, Kuno von 142 Westerhold, Burchard Graf von 152 White, R. J. 6, 7 Whitehead, Alfred North 45 Wickwar, W. Hardy 107 Wilson, Francis Graham 9

Namensverzeichnis Winnig, August 144 Wolfe, A. B. 141 Wolff, R. P. 24 Worsthorne, Peregrine 127

Zehm, Günther 187 Zehrer, Hans 91, 92 Zellenberg, Ulrich E. 112 Ziegler, Leopold 12

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