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German Pages [192] Year 2018
Ingrid Schoberth
Diskursräume religiösen Lernens Zu den Konturen einer Religionsdidaktik
Ingrid Schoberth
Diskursräume religiösen Lernens Zu den Konturen einer Religionsdidaktik
Vandenhoeck & Ruprecht
Für Wolfgang
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-70260-0
Vorwort
Aus dem Reichtum der eigenen Lern- und Lehrerfahrung zu schöpfen hat mich immer schon bestimmt, und so war es mir ein Anliegen, nach vielen Jahrzehnten des Lernens und Lehrens mit Studierenden, Lehrvikarinnen und Lehrvikaren, Schülerinnen und Schülern, Begegnungen in der Erwachsenenbildung, vor und nach dem Gottesdienst, im Lehrerzimmer damals, mit Kollegen an der Theologischen Fakultät und in verschiedenen Kontexten der Universität die Spur des Lernens aufzunehmen und nach den Diskursräumen zu fragen, auf die bezogen das Lernen stattfindet und die das Lernen zugleich immer neu und kritisch bestimmen und ausrichten. Daraus resultiert eine Didaktik, die Ausdruck ist für den Vorgang Evangelischen Lernens, das sich von einem allgemeinen Modus des Lernens notwendig unterscheiden muss. Was diese Differenzen ausmacht – dem wollte ich immer schon nachgehen. Ein Forschungssemester 2017 ermöglichte mir, diese Diskursräume aufzusuchen und nach der Kontur einer Religionsdidaktik zu fragen, die die Spezifik evangelischen Lernens im Blick behält. Dass dabei die katechetische Theologie in ihrer – wenn man so will – diskursiven Variante immer Bezugspunkt ist, möchte ich hier im Vorwort ebenso festhalten, wie auch die Tatsache, dass mich die Überlegungen von Eberhard Jüngel zu Kontur und Gestalt der Praktischen Theologie in ihrem Bezug auf die Aufgabe der je gegenwärtigen Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes überzeugt haben, um damit umzugehen und daraus eine schriftbezogene Didaktik als Entwurf einer Religionsdidaktik auszuarbeiten. Der Manfred-Lautenschläger-Stiftung danke ich herzlich für den Druckkostenzuschuss. Frau Gießmann-Bindewald hat die Ver öffentlichung beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen betreut, wofür ich sehr dankbar bin. Zuletzt möchte ich mich bei allen bedanken, die mit mir im Lernen und Lehren immer neu begriffen sind. Ingrid Schoberth . Heidelberg/Mistelgau 2018
Inhalt
1 Konturen einer Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Religiöse Bildungsprozesse nicht ohne Theologie . . . . 1.2 Religiöse Bildung profiliert sich als Religionsdidaktik 1.3 Religiöse Bildung und ihr didaktisches Profil . . . . . . . . 1.4 Religionsdidaktik und die Ausgestaltung von Unterricht durch Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Religionsdidaktik hat ihren Ort im Kontext der Praktischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Zusammenfassung: Diskursräume religiösen Lernens
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2 Diskursraum Bibel/Heilige Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Lesen ist mehr als nur einen Text wahrnehmen . . . . . . 2.2 Hermeneutischer Umgang mit der Heiligen Schrift . . . 2.3 Lesen lernen mithilfe von Dialogregeln im Raum der Heiligen Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Diskursraum Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.1 Erfahrung der Freiheit und die Storys der Heiligen Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.2 Erfahrung der Freiheit in der Erfahrung erzieherischer Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.3 Konturen einer Erziehung zur Freiheit . . . . . . . . . . . . . 51 3.3.1 Lernen, bedürftig zu sein/abhängig zu sein . . . . . . . . . . 53 3.3.2 Lernen, Geschöpf zu sein: Besitzen heißt immer empfangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.3.3 Lernen, ein Sünder zu sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.3.4 Lernen kommunikativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.3.5 Lernen, ortlos zu sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.4 Erziehung zur Mündigkeit als Erziehung zur Freiheit . 62
Inhalt7
4 Diskursraum Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.1 Warum eigentlich noch Luther, Reformation, Katechismen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.2 Ein erster Blick auf aktuelle Unterrichtsentwürfe . . . . 65 4.3 Mit Luther ein Gefühl für Traditionen entwickeln . . . 67 4.4 Befähigt zur Kompetenz in Sachen »Luther und die Reformation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.5 Zur Logik der Reformation in religiöser Bildung . . . . 71 4.5.1 Ich/Schülerin und Schüler und Luther . . . . . . . . . . . . . . 71 4.5.2 Ich und Luther und die komplexe reformatorische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.5.3 Der Kleine Katechismus als Ort der Einübung in die theologische Dynamik von Freiheit und Gebundenheit . 80 4.6 Gegenwart nicht ohne Luther/Reformation/ Katechismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5 Diskursraum Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Ein systematischer Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Trinitätslehre als kritisches und kreatives Korrektiv praktisch-theologischer Reflexion . . . . . . . . 5.2.1 Trinitätslehre und die religiöse Gegenwartslage . . . . . . . 5.2.2 Trinitätslehre, die die Seelsorge profiliert . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Trinitätslehre als Referenzrahmen für religiöses Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Die Trinitätslehre in ihrer Funktion für die Predigt/ Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Diskursraum Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Lesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Rhetorische Wege des Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Traditionen und Kompositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Übermalungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Biblische Texte im Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
7 Diskursraum Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Das gute Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 In der Lebenswelt der Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Klagen, erinnern und hoffen lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 ›Selig sind die Sanftmütigen …‹ (Mt 5, 5) . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Welchen ›Wert‹ hat die Sanftmütigkeit im Leben der Schüler? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Zugänge der religiösen Bildung: Friedfertigkeit lernen .
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8 Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit – religionsdidaktische Reflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Diskursive Lernprozesse als Prozesse der Vernetzung von Offenheit und Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Einübung nicht ohne Bezug auf Lebensformen . . . . . . 8.3 Lernprozesse als indirekt Mitteilung/Diskurse . . . . . . . 9 Diskursraum Seelsorge/Schulseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Zur Selbstverständigung der Seelsorge . . . . . . . . . . . . . 9.3 Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede
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10 Exkurs: Die Rede vom Himmel als Beispiel einfacher Gottesrede in der Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 10.1 Die Aufgabe des Seelsorgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10.2 Nicht ohne Orientierung am biblischen Reden . . . . . . 172 10.3 Konsequenzen für die Seelsorge, auch an der Schule . 174 11 Konturen einer Religionsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 12 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
1 Konturen einer Religionsdidaktik Religiöse Bildung und ihre theologischen Themen
1.1 Religiöse Bildungsprozesse nicht ohne Theologie Religiöse Bildung auch heute ist in ihren verschiedenen Formen an die theologische Reflexion gewiesen, wie umgekehrt die Theologie ihrer Aufgabe besonders auch in der Auseinandersetzung mit religiöser Bildung und ihren Erfahrungen in konkreten Praxisfeldern nachkommt. Diese enge Verflechtung von religiöser Bildung und der theologischen Reflexion in der Vielfalt ihrer fachbezogenen Ausrichtung ist die wesentliche Aufgabe der Religionsdidaktik, um die didaktische Kontur der Vorbereitung von Lernprozessen wie der Lernprozesse selbst genauer und differenzierter in den Blick nehmen zu können. Die vorliegenden Überlegungen sind im Gespräch mit Lehrerinnen und Lehrern, Pfarrerinnen und Pfarrern entstanden und sind von dem Interesse geleitet, die religionspädagogische und religionsdidaktische Reflexion immer wieder neu zurückzubinden an das Reden von Gott und die daraus zu gewinnende, verantwortliche Ausgestaltung dieser Rede in und für religiöse Bildungsprozesse. Dieses Vorgehen ist darum diskursiv, weil es einmal anknüpft an meine Darlegung der religionspädagogischen Aufgabe in meiner Veröffentlichung Diskursive Religionspädagogik1. Es ist eine Weiterführung dieser Aufgabe, indem nun die Bezüge abgeschritten werden, innerhalb dessen sich religiöse Bildung profiliert. Mit Hartmut Rosa kann dieses Geschehen religiöser Bildung so beschrieben werden, dass sie in einem Raum stattfindet; das ist aber nicht nur topographisch gemeint, sondern nimmt das Geschehen ›Unterricht‹ umfassend als Resonanzraum wahr. Auf diese Weise soll der Raum religiösen Lernens genauer in den Blick genommen werden, denn für ihn gilt wie für jeden Unterricht heute, dass die Bildungsprozesse 1 I. Schoberth, Diskursive Religionspädagogik.
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Konturen einer Religionsdidaktik
»die Begegnung, das wechselseitige Berührt- und Begeistertwerden, aber auch die genuine Anteilnahme voraussetzen, wenn sie erfolgreich sein sollen.«2 Und so folgert Rosa, dass es eben nicht damit getan ist, im Sinne eines Input/Output-Verfahrens die Lernenden mit Faktenwissen abzufüllen. Vielmehr sind Lernprozesse so anzulegen, dass es im Raum des Lernens knistert, dass sich Beziehungen ereignen, Relationen deutlich werden, vielleicht auch Stille spürbar wird zum Nachdenken und Nachspüren der Gegenwart, Vergangenem und Zukünftigem etc.:3 »Bildung in einem resonanztheoretisch verstandenen Sinne zielt aber weder auf Selbst- noch auf Weltbildung als solche, sondern auf Weltbeziehungsbildung: Worauf es ankommt, ist nicht die individualistisch-atomistische Selbstverfeinerung und auch nicht die desengagierte Weltbeherrschung, sondern die Eröffnung und Etablierung von Resonanzachsen. Kinder sind keine Fässer, die gefüllt werden müssen, sondern Fackeln, die es zu entzünden gilt.«4 Wesentlich wird in den Resonanzräumen das Geschehen, wenn die darin verhandelten Gegenstände zueinander in Beziehung treten und Prozesse dabei angestoßen werden, die die Lernenden in Bewegung bringen und ein Lernen evoziert wird, dass alles andere ist als Entfremdung: »Resonanz und Entfremdung beschreiben dabei insbesondere die Beziehungsweisen zwischen Stoff, Lehrenden und Lernenden, zwischen denen sich das Unterrichtsgeschehen gleichsam in einem Dreieck aufspannt.«5 Zum anderen will die Veröffentlichung versuchen, nach dem Zusammenhang von fachdidaktischer Reflexion und fachwissen2 H. Rosa, Resonanz, 29. 3 A. a. O., 408. 4 Ebd. 5 Ebd.
Religiöse Bildungsprozesse nicht ohne Theologie11
schaftlichen Bezügen zu fragen. Weil religiöse Bildung nur unzu reichend als Anwendung von Theologie beschrieben werden kann, ist auf diesem Feld genau zu differenzieren und zu klären, wie der Umgang mit Theologie sich in Bezug auf die einzelnen Disziplinen der Theologie gestaltet und wie er ausdifferenziert werden muss. Mit der Erhebung exegetischer Erkenntnisse, die ein Text freigibt ist noch lange kein Lernprozess an und mit Bezug auf diesen Text entwickelt worden. Inwiefern dann religiöse Bildungsprozesse als Resonanzräume wahrgenommen werden können und sich im Umgang mit den Themen die Prozesshaftigkeit solcher Bildungsprozesse in besonderer Weise zeigt, ist zu erkunden und bestimmt das besondere Profil religionsdidaktischer Arbeit. Darauf verweist auch Ingolf U. Dalferth, der diesem Geschehen als eine evangelische Denkform betont und also auch eine evangelische Religionsdidaktik profilieren kann: »Aber dieses Logos- und Wortgeschehen drängt sich nicht auf, sondern zeigt sich nur in der Resonanz, die es im Leben von Menschen findet: Wo Gott ins Leben einfällt, werden die Phänomene des Lebens transparent für Gottes Gegenwart, indem es Menschen möglich wird, eine neue Einstellung ihnen gegenüber einzunehmen – Gott für ihr Leben zu danken und sich selbst und ihre Mitmenschen als Nächste Gottes zu verstehen und zu behandeln.«6 Insofern gewinnt die Religionsdidaktik in ihrer Deskription als bezogen auf das Wortgeschehen ihre inhaltliche Bestimmung inmitten eines Resonanzraumes Unterricht. Damit finden dann Lernwege ihre Orientierung, die die fachspezifischen Reflexionen berücksichtigen müssen.
6 I. U. Dalferth, Bestimmte Unbestimmtheit, 26.
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Konturen einer Religionsdidaktik
1.2 Religiöse Bildung profiliert sich als Religionsdidaktik Der Begriff der Religionsdidaktik, der im Unterschied zur Religionspädagogik den Bedingungen der unterrichtlichen Realisierung von Bildungsprozessen nachgeht, hat sich erst seit einigen Jahren umfassender etabliert.7 Die Unterscheidung von Religionspädagogik und Religionsdidaktik soll hier darum auch aufgenommen werden, um das Feld abzuschreiten, das den Bedingungen von didaktischen Entwürfen und Realisierungen von Unterricht genauer nachzugehen sucht; allerdings ist eine solche Differenzierung auch immer in der Gefahr, die Unterscheidung als eine Trennung zu fassen, was oft genug geschieht und gegenwärtig auch in den Bildungsplänen an den Hochschulen zu einer missverständlichen Unterscheidung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik geführt hat. Um sich hier nicht weitere Schwierigkeiten einzuhandeln, wie es gerade durch diese unangemessene Trennung geschehen ist, soll deutlich bleiben, dass die Religionsdidaktik der Religionspädagogik untergeordnet ist und sie von ihr her ihre Grundlage gewinnt. Insofern ist in der Darstellung eine zu klare begriffliche Schärfe nicht notwendig und sie changiert. Ich bevorzuge durchgehend den Begriff religiöser Bildung als Grundaufgabe der Religionspädagogik; Religionsdidaktik soll aber wegen ihrer Konjunktur in der Diskussion um Bildungsprozesse immer wieder auch aufgegriffen werden; die Problematik, die mit dieser Trennung verbunden ist, muss immer berücksichtigt werden. Dabei ist festzuhalten, was bisher in den Blick gekommen ist, dass die Religionsdidaktik immer verwiesen ist an die theologischen Fachgebiete – wie die Religionspädagogik insgesamt, weil unterrichtlich eine thematische Bearbeitung der vielfältigen theologischen Aspekte religiöser Bildung immer von dort her ihre Inhalte und 7 Vgl. dazu auch die informative Übersicht bei Rudolf Englert, der freilich neben allen unterrichtlichen, didaktisch ausgefeilten Möglichkeiten betont: »Das Bild ist bunt, denn es gibt für den heutigen Religionsunterricht keine unter allen Umständen beste Strategie.« (R. Englert, Religionsdidaktik wohin?, 258)
Religiöse Bildung profiliert sich als Religionsdidaktik 13
Bezüge gewinnt. Darum ist die Trennung von Religionsdidaktik und Religionspädagogik von ihrer Sache her unangemessen. Religiöse Bildung und die Ausarbeitung und Vorbereitung ihrer Lernprozesse ist in besonderer Weise auf die biblischen Fächer, auf die Systematische Theologie, Religionswissenschaft und Kirchengeschichte bezogen. Ohne die Ausbildung und profunde Kompetenz im Umgang mit den unterschiedlichen Arbeitsbereichen der Theologie insgesamt ist es nicht möglich, angemessen den Unterricht in Evangelischer Religion für religiöse Bildungsprozesse vorzubereiten. Dass es dabei um eine sehr differenzierte Aufnahme und Interpretation der theologischen Perspektiven, Reflexionen und methodologischen Überlegungen geht, versteht sich freilich von selbst. Religiöse Bildung findet ihr besonderes Profil in der Ausgestaltung der Konturen, die die didaktische Arbeit in religiösen Bildungskontexten abstecken. Sie fragt nach den inhaltlichen Voraussetzungen von Lernprozessen ebenso – und sucht dabei das Gespräch mit den einzelnen theologischen Fächern – wie sie entgegen eines falschverstandenen Begriffes von Anwendung nach den Bedingungen der didaktischen Realisierungen fragt, die als Voraussetzung jeden Unterrichts und jeder religiösen Bildung reflektiert werden müssen. Dabei ist auch die Untersuchung der Berufsidentität und also die Perspektive der Professionalität der zukünftig Lehrenden in den Blick zu nehmen und ihre Aufgabe, das Lehren christlicher Religion, zu erfassen. Hier spielen grundlegende didaktische Reflexionen eine herausragende Rolle. Von hier aus wird deutlich, warum religiöse Bildung immer neu das Gespräch mit der Allgemeinen Didaktik braucht und sucht: »Die Didaktik ist grundlegend für die Professionalität und Berufsidentität der Lehrer- und Lehrerinnen. Als Unterrichtsexperten brauchen sie didaktisches Grundwissen und entsprechende Reflexions- und vor allem Handlungskompetenz: Sie sollen Unterricht professionell vorbereiten und planen, durchführen und gestalten, analysieren und auswerten können.«8 8 V. Huwendiek, Didaktische Modelle, 31.
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Konturen einer Religionsdidaktik
Ein weiterer Aspekt kommt ins Spiel: Indem religiöse Bildung deutlich machen muss, dass sie nicht allein auf der allgemeinen Didaktik aufruht, sondern ein spezifisches didaktisches Profil entwickeln muss, verleiht sie der Aufgabe religiösen Lernens genaue Konturen. Das hat mehrere Gründe: Einmal muss berücksichtigt werden, dass der Bildungsauftrag religiöser Bildung gemeinsam zwischen Staat und Kirche verantwortet wird und also religiöse Bildung grundgesetzlich ausgerichtet und begründet sein muss; mit diesem formaljuristischen Aspekt, der freilich auch inhaltlich eine Rolle spielt, bedarf es der Klärung der Ausgestaltung der Verantwortung für die Lehr- und Lernprozesse, weil religiöse Bildung nur in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt werden darf.9 Religionsdidaktik ist darum in ihrer besonderen inhaltlichen Ausarbeitung konfessionell gebunden und gewinnt aus der Konfessionalität ihre Kontur als Evangelische Fachdidaktik bzw. Religionsdidaktik. Die konfessionelle Eigenart und Kontur bestimmt darum das Profil einer Evangelischen Didaktik, die wiederum aus dem kritischen interkonfessionellen Diskurs gewonnen wird.10 Konfessionelle Kooperationen sind unumgänglich, um das Profil des Religionsunterrichts zu stärken und zu weiten. In projektorientierter Weise kann hier sehr anfänglich gearbeitet werden, um ein Gespür für den je eigenen Unterricht, aber auch das Gemeinsame und Trennende zu entwickeln. Dabei wird das Unterscheidbare ebenso wichtig werden, wie die Frage nach der gemeinsamen Suche nach einer angemessenen religiösen Bildung angesichts einer religiösen Gegenwartskultur, in der sich die Konturen immer mehr vermischen und unkenntlich zu werden drohen.11 9 GG Art. 7, 3: »Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.« 10 Vgl. dazu die neuere Debatte, »ob und wie sich ein konfessioneller Religionsunterricht gegenüber einem religionskundlichen oder ethisch akzentuierten Unterricht weiterhin legitimieren lässt« (Ch. Grethlein, Religionspädagogik, 194). 11 Vgl. bis heute gerade auch in interkonfessioneller Hinsicht weiterführend: D. Zilleßen, Identität und Pluralität.
Religiöse Bildung profiliert sich als Religionsdidaktik 15
Zum anderen muss das Lehren christlicher Religion wie etwa auch das Lehren von Geschichte oder Politik eigene hermeneutische Anstrengungen unternehmen, um für das Lernen in Bildungsprozessen ausgearbeitet werden zu können. Das macht die Darlegung einer Religionsdidaktik so anspruchsvoll: Die Inhalte des Lernens müssen sich vor der Fachwissenschaft, also der Theologie insgesamt, ebenso bewähren, wie sie in eigenständiger und verantwortlicher Weise und von den Lehrenden selbst beurteilt für die Unterrichtsprozesse aufbereitet werden. In beiden Hinsichten handelt es sich um einen hermeneutischen Prozess, der in den Umgang mit den theologischen Gehalten des Lehrens christlicher Religion führt. Dass sich christliche Religion letztlich immer auch der Operationalisierung entzieht, gerade weil sie eine hermeneutische Wissenschaft ist, die eben nicht in positivistischer Manier einfach über die Lehrinhalte verfügt, muss hier immer mit bedacht werden.12 Die Professionalität und also Berufsidentität der Lehrenden steht darum in einem engen Wechselverhältnis zu den theologischen Inhalten, an denen und mit denen christliche Religion gelernt wird. Dabei liefern die Bildungspläne eine orientierende Hilfe, die in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Evangelischen Kirche die Stoßrichtung der inhaltlichen Ausgestaltung der Bildungsprozesse bestimmt. Insofern thematisiert die Religionsdidaktik die innere Dynamik und Struktur von Lernwegen, deren thematischer Rahmen von den Bildungsplänen vorgegeben ist. Den immer neu zu entwickelnden Bildungsplänen gelingt es nicht immer ausreichend, das prozesshafte unterrichtliche Geschehen abzubilden, das insbesondere auch den religiösen Bildungsprozessen eignet. Es bleibt immer eine Spannung bestehen, zwischen dem, was gelernt werden kann und dem Unverfügbaren christlicher Religion. An dieser Stelle soll nicht die Diskussion um das Profil der Bildungspläne aufgenommen werden; das ist an anderer Stelle aus-
12 Der Umgang mit Theologie und die inhaltliche Aufbereitung kann als ein Auslegungsprozess verstanden werden, der um die angemessene Interpretation der Lehrinhalte je neu und zeitgemäß ringen muss.
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Konturen einer Religionsdidaktik
reichend durchgeführt worden.13 Dass religiöse Bildung konstitutives Moment allgemeiner Bildung ist, wird mit den Bildungsplänen festgehalten und damit auch der grundgesetzlichen Aufgabe entsprochen, religiöse Bildung und also Religionsunterricht an den Schulen anzubieten. Die spezifische Struktur dieser Bildung muss freilich auch hier berücksichtigt werden. Religiöse Bildung hat ein eigenes Profil mit einer auch dezidiert hermeneutischen Ausrichtung; darum kann sie nicht einfach mit anderen Fächern wie etwa Mathematik auf einen Nenner gebracht werden; aufgrund der unterschiedlichen Fächerkulturen bleibt das eine Schwierigkeit, wenn eben dem Profil jedes einzelnen Faches in Hinsicht von Bildungsprozessen entsprochen werden soll. Diese Eigenart religiöser Bildung ist es auch, die die Lernwege zu spezifischen Lernwegen macht, die davon bestimmt sind, dass sie nur vorläufig abgebildet werden können. Die Darstellung ihrer inneren Dynamik und Struktur muss immer auch offen und schließlich unterbestimmt bleiben. Auf Seiten der Lehrenden führen darum Lernprozesse in eine Verantwortung zur Konkretion im Blick auf die einzelne Unterrichtsstunde, die immer dem Fach und seiner Spezifik entsprechen muss: Religiöse Bildungsprozesse sind nur als Prozesse angemessen zu beschreiben. Das ist bereits bei den schuldidaktisch gerichteten Überlegungen Huwendieks im Blick, wenn er bezogen auf eine Vielfalt von Fächern diese Eigenart von Lernprozessen festhält und so auch die Eigenart religiöser Bildungsprozesse transparent werden kann: »Die Planung des Unterrichts erhält ihr Profil oftmals nicht durch lineare Abarbeitung, Punkt für Punkt, sondern durch besondere Gewichtungen, simultane Verknüpfungen, plötzliche Gestaltungsideen, intuitive Grundmuster – nicht selten ein durchaus kreativer Prozess.«14
13 Vgl. dazu vor allem die Einführungen zu den Bildungsplänen, die länderspezifisch ausgerichtet sind, wobei sich freilich ein Konsens in Hinsicht der Kompetenzorientierung zeigt. 14 V. Huwendiek, Didaktische Modelle, 37.
Religiöse Bildung profiliert sich als Religionsdidaktik 17
Auch sensibilisiert die Religionsdidaktik für die Lernwege der Schülerinnen und Schüler. Es ist nicht möglich, umfassend das empirisch zu erhellen, was Lernwege im Blick auf die Lernenden berücksichtigen müssen; freilich unterstützen die empirischen Untersuchungen die Lehrenden und sind eine gute und hilfreiche Möglichkeit, die Wirklichkeit von Schülern im Bildungsprozess genauer zu fassen. Jede empirische Erhebung ist aber von ihrem Anspruch her alles andere als die Erfassung der ganzen Lernsituation; vielmehr leiten spezifische Forschungsfragen dazu an, die Lernsituationen, die Lernausgangssituationen, die Bedingungen des Lernens, Haltungen der Schüler etc. genauer zu erfassen; was hier zusammengetragen wird, liefert aber immer nur einen Ausschnitt in Bezug auf die jeweils spezifisch formulierte Forschungsfrage. Mit einem anderen Anspruch wäre empirische Forschung nicht das, was sie von ihrem Selbstverständnis her sein kann.15 Mit den empirischen Forschungsfragen und Untersuchungen bleibt die Aufgabe der Religionsdidaktik bestehen, die von den Lehrenden zu leisten ist und die inmitten der theologischen Aufgabe religiösen Lernens religionsdidaktisch realisiert werden muss. Dabei ist der Schülerbezug konstitutiv, der in eigener Weise zu spezifizieren ist: »Es gilt den Lernenden mit seinen Vorstellungen, Ressourcen, seinem Selbstwertgefühl und ›Fehlern‹ ganz ernst zu nehmen und zwischen subjektiven Verstörungen und Visionen seine Lernprozesse und seine biografische Suchbewegung zu begleiten.«16 Die religiöse Bildungs- und Erziehung hat ihre genuine Aufgabe darin, Lernende mit Theologie und dabei insbesondere mit reli15 Im Umgang mit empirischer Forschung zur Vorbereitung religiöser Bildungsprozesse gewinnt man oft den Eindruck, als würden gerade diese Prämissen übergangen – dass mit dieser einen Forschungsfrage das ganze Feld religionspädagogischen Handelns schon bedacht sei. Das ist eben nicht der Fall. Aus den Erfahrungen mit empirischen Projekten habe ich das von Religionssoziologen gelernt, die darauf besonderen Wert legen. M.E. sollte die Religionsdidaktik hier die Grenzen eigenen Urteils und eigener Wahrnehmung der religiösen Gegenwartskultur sorgfältig beachten. 16 V. Huwendiek, Didaktische Modelle, 60.
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giösen Traditionen vertraut zu machen. In einer Vielfalt religiöser Diskurse, die die Lernenden durchlaufen, stellt sich diese Aufgabe mit großer Dringlichkeit, damit die Lernenden unterscheidungsfähig werden im Blick auf das eigene Leben und Handeln und im Blick auf Orientierungen, die sie für das eigene Leben brauchen. Mit der genauen Analyse eines Verlusts der Tugend, wie ihn Alasdair MacIntyre17 beschreibt, sind allerdings die Grundlagen undeutlich geworden, auf die man sich beziehen konnte, die auf ein gemeinsam geteiltes Leben verwiesen haben und die Orientierung eröffnet haben, wenn auch in Abgrenzung und Kritik. Die aktuelle Situation ist von Desorientierung bestimmt, die auch vor den Lebensgeschichten der Lernenden nicht Halt macht und sie lediglich mit Gefühlslagen konfrontiert, die wenig oder gar nicht dazu geeignet sind, sich im eigenen Leben zurechtzufinden. Sind also die Schülerinnen und Schüler nur noch standpunktlose Subjekte, die beliebig viele Rollen spielen können, dabei aber um sich selbst und ihren Ort in der Welt nicht mehr wissen? Die gegenwärtige Desorientierung lässt das vermuten: Hans-Joachim Werner macht in seiner Arbeit zu Moral und Erziehung darauf aufmerksam, dass diese Ortlosigkeit und Orientierungslosigkeit eigenartige Phänomene hervorbringt, die keineswegs hilfreich die Bildungs- und Erziehungsaufgabe unterstützen: »Aber es ist nicht zu übersehen, dass das Prinzip freiheitlicher Selbstbestimmung gerade in den pluralistischen Gesellschaften eine eigenartige, antagonistische Symbiose eingegangen ist mit den Triebansprüchen des Individuums, mit seiner Bequemlichkeit, seinem Unterhaltungsbedürfnis, seiner Aggressionsbereitschaft und auch mit ungeplanten Einflüssen seiner sozialen Umwelt, denen es sich teils nicht entziehen kann, teils auch nicht entziehen will.«18 Werner verweist darauf, dass Kinder und Jugendliche davon unmittelbar betroffen sind. Sie müssen um Orientierung ringen, 17 A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend. 18 H.-J. Werner, Moral und Erziehung, 25.
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weil ihnen eine Pluralität von Möglichkeiten eröffnet wird, aber sie keine Möglichkeit haben, darüber angemessen urteilen zu können: »Der Pluralität von Angeboten sind sie in besonderem Maße ausgesetzt, und schon früh werden ihnen eigene Entscheidungen abverlangt, Entscheidungen, die teilweise banalen und trotzdem bedrängenden Charakter haben.«19 Damit steht Bildung und Erziehung vor einer Unübersichtlichkeit, in der es um das Urteilen geht, das aber nur dann möglich ist, wenn es erprobt, eingeübt und also gelernt worden ist. Und das versteht sich freilich nicht von selbst. Mit einem eher romantischen Blick auf vergangene Zeiten hält Robert Spaemann das fest, was als Verlust der Tugend und Orientierung zu beklagen ist: »Der Erziehungsprozeß war ein Prozeß des Hineinwachsens in eine begrenzte, aber gemeinsame Welt, die Entwicklung bestimmter für diese Welt charakteristischer Interessen, Kenntnisse und Fähigkeiten, die Einübung bestimmter Verhaltensweisen. Die Stände waren zwar verschieden, Aristokrat und Handwerker hatten verschieden auszusehen, aber es bestand allgemein Übereinstimmung darüber, wie jeder von beiden auszusehen hatte. … Wer in unserer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft aufwächst, ist in einer sehr anderen Situation. Nun soll die Erziehung aller das gleiche Ziel haben. Aber dafür besteht gerade kein allgemeiner Konsens darüber, was das für ein Ziel sein soll, wie ein Mensch sein soll, wie er leben soll.«20 Es ist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr »in eine geschlossene Lebenswelt«21 hineinwachsen, sondern sie sind mit einer Vielzahl von Lebenswelten konfrontiert, mit ihren je eigenen Konturen, Interessen, Optionen und Perspektiven. Auch wenn freilich, so wie es Spaemann als Vergleich aufnimmt, eine Ständegesell19 Ebd. 20 R. Spaemann, Erziehung zur Wirklichkeit, 504. 21 Ebd.
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Konturen einer Religionsdidaktik
schaft nicht die Option wäre, um die es zu ringen gilt, so wird mit seinen Überlegungen doch auch deutlich, dass es auch nicht damit getan ist, sich für Erziehung bestimmte Ziele auszudenken; Bildung und mit ihr Erziehung ist nicht »eine Sache der Option, … darum können wir uns nicht für unsere Kinder Erziehungsziele ausdenken. Wir können die Kinder nur teilnehmen lassen an dem, was uns selbst erfüllt, was uns selbst wirklich ist.«22 Auch in diesem Zusammenhang hat die Berufsidentität wie die Ausbildung einer professionellen Haltung ihren besonderen Ort. Hier in besonderer Weise in Hinsicht des Phänomens der Orientierungslosigkeit, die eben nicht einfach durch einen festen Kanon an Erziehungszielen abgelöst werden kann. Die Ausarbeitung einer Theologie für Kinder und Jugendliche bzw. Kindertheologie23 leistet dazu gegenwärtig einen wichtigen Beitrag, indem sie die Lernenden in besonderer Weise in ihren Lernbemühungen würdigt. Auch wenn dabei die Konzentration auf dem einzelnen Schüler liegt – als Subjekt des Lernens –, so führt das doch eher zu einer Überlastung des Subjekts des Lernens, weil der Lernende letztlich selbst für das Lernen einstehen muss. Dass hier eine Balance möglich werden muss zwischen einem Lernen, das sich etwa auf Tradition bezieht und auch auf das ausgreift, was sich bewährt hat, und einer Gegenwart, die es den Lernenden ermöglicht kritisch konstruktiv mit solchen Optionen umzugehen, steht immer wieder aus und muss im Grunde mit jedem neuen Lernprozess erprobt und anvisiert werden.
1.3 Religiöse Bildung und ihr didaktisches Profil Als selbständige Disziplin im Ganzen der Praktischen Theologie befasst sich die Religionspädagogik mit den Voraussetzungen, den Zielsetzungen und der Praxis religiöser Bildungsprozesse. Sie ist daher gleichermaßen religionsanalytisch ausgerichtet wie auf die Vorbereitung unterrichtlicher Praxis in Schule und Gemeinde bezogen. Die zunehmende Komplexität religiöser Bildungsprozesse 22 A. a. O., 505. 23 Vgl. das Sonderheft der Zeitschrift Evangelische Theologie zur Kindertheologie EvTh 03/2011.
Religiöse Bildung und ihr didaktisches Profil21
erfordert von den Akteuren eine profunde theologische wie analytische Kompetenz; die Einbindung in die Gesamtheit der theologischen Disziplinen ist ebenso wesentlich wie die interdisziplinäre Verortung. Im Gespräch mit der Allgemeinen Didaktik erarbeitet die Fachdidaktik Evangelische Religion ihr eigenes didaktisches Profil: »Der Gegenstandsbereich der Religionsdidaktik wird ganz entscheidend durch den Begriff Religion bestimmt, hingegen kennzeichnet Didaktik die Weise, wie der Gegenstand aufgegriffen wird.«24 Dabei kann die allgemeine Didaktik nicht das Profil einer Religionsdidaktik bestimmen, sondern die Religionsdidaktik ist zu einem eigenen didaktischen Profil herausfordert, das auf seinen Gegenstand Evangelische Religion bezogen ist. Die Religionsdidaktik ist herausgefordert, Lernwege zu reflektieren und vorzubereiten, die aus der Sachbezogenheit theologischer Wissenschaft gewonnen sind. Erst damit finden Lernwege ihre eigene theologische Kontur. In der Geschichte der Religionspädagogik zeigen sich verschiedene Wege, sich dieser Sachbezogenheit zu öffnen. Seit der eigenständigen Entwicklung der schulisch-religiösen Bildung wurde dabei immer wieder, wie Michael Meyer-Blanck betont, »um die Vermittlung zwischen dem Glauben als dem Gegenstand des Unterrichts und der Schule als dem Ort, an dem alle Überzeugungen der Rationalität zu unterwerfen sind«25 gerungen. Die Absicht war dabei, religiöse Bildung an der Schule als Bildungsaufgabe erkennbar zu machen, auch erkennbar zu halten und sie trotzdem im Kanon allgemeiner Bildung zu integrieren. Dabei tritt etwa schon bei Gerhard Bohne (1895–1977) die Spannung zwischen dem Wort Gottes und dem Unterricht in den Vordergrund. Bei Martin Rang (1900–1988) erfolgte dann eine stärkere Profilierung der Schüler, die am und mit dem Evangelium Lebenszusammenhänge entdecken, die ihnen zeigen, dass die biblischen Texte das je eigene Leben unmittelbar betreffen. Dies verdichtet sich bei Martin Stallmann (1903–1980) zu einer Betonung der existentiellen Momente in der Erfahrung des Evangeliums. Vielfältige andere Beispiele wären hier aufzusuchen, denn bis heute profiliert sich aus dieser Spannung von Glaube und 24 H.-G. Ziebertz, Gegenstandsbereich, 17. 25 M. Meyer-Blanck, Religion, 45.
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Konturen einer Religionsdidaktik
Schule die Form und Gestalt eines Lernens, das an der Schule als Ort der Vermittlung individueller Religion und religiöser Tradition letztlich auf dem Spiel steht. Die Kategorie der Vermittlung erweist sich in diesem Zusammenhang als grundlegend für eine wissenschaftliche Ortsbestimmung religiöser Bildung. Und so folgert Meyer-Blanck: »Die Frage nach der Vermittlung von Religion, Schule und Bildung verbindet die genannten Religionspädagogen viel mehr, als sie sie trennt.«26 Freilich ist diese Vermittlungsbemühung noch einmal in eigener Weise zu spezifizieren. Vermittlung kann hier eben gerade nicht bloß Vermittlung von religiösem Wissen heißen; es kann freilich auch nicht eine in einem bloß negativen Sinn missionarische Form von Unterricht bedeuteten, die an den Schülern vorbei Religion oktroyiert. Positiv gewendet heißt ja missionarisch ›zeigen, was die eigene Religion, den eigenen Glauben ausmacht‹. In dieser bestimmten, aber doch notwendig offenen Hinsicht wäre und kann darum auch von Vermittlung in missionarischem Sinne gesprochen werden. Weil im genuinen Sinne Religion nicht einfach so gelernt werden kann, wie man eine Sprache oder eine mathematische Formel lernt, braucht es diese Differenzierung auf eine spezifische Vorstellung von religiösem Lernen hin. Das hat seinen Grund darin, dass die Religionsdidaktik von christlicher Religion her und auf sie hin ihr Profil gewinnt. Als selbständige akademische Disziplin steht die Religionspädagogik nicht »zwischen Pädagogik und Theologie«27, sondern gewinnt ihr eigenes didaktisches Profil aus ihrem Gegenstand, das ist christliche Religion. Der Bezug auf die Pädagogik ist als Bezug auf eine Disziplin zu verstehen, die grundsätzlich nach den Bedingungen des Lernens fragt. Diese Bedingungen müssen freilich im Rahmen der Fach-Didaktik Religion auf die Besonderheiten dieses Faches hin reflektiert werden und es muss geprüft werden, welche pädagogischen Einsichten hier fruchtbar gemacht werden kön26 A. a. O., 46. 27 Ch. Grethlein, Fachdidaktik Religion, 23: Religionspädagogik ist – systematisch betrachtet – ein Fach zwischen »Theologie und Pädagogik«. Vgl. dazu auch die aktuelle Diskussion bei Th. Schlag/J. Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung.
Religiöse Bildung und ihr didaktisches Profil23
nen. Eine unkritische Übernahme pädagogischer Einsichten wird dem Gegenstand der Religionspädagogik nicht gerecht. Freilich teilt die Religions-Didaktik viele Überlegungen mit der Allgemeinen Didaktik, der Pädagogik, Schulpädagogik usw. Festzuhalten bleibt inmitten dieser Aufgabe, dass die Religionsdidaktik von ihrem theologischen Gegenstandsfeld her ihr eigenes Profil eines theologisch verantworteten Unterrichts entwickelt. In der Reflexion auf das Lernen christlicher Religion gewinnt die Religionsdidaktik ihre Konturen, die sie wiederum mit den Gegenständen und Inhalten, die für christliche Religion konstitutiv sind, erarbeitet. Die Bibel als Quelle, aber auch Heilige Schrift des Christentums, Katechismen, Lieder der christlichen Tradition und der Gegenwart wie auch Themen, die das Engagement der Kirche in den Herausforderungen der Gegenwart bearbeiten u. a. sind die Gegenstände, die eine eigene Didaktik erfordern. Insofern können nicht fremde didaktische Prinzipien das Lernen christlicher Religion bestimmen, sondern nur solche, die aus den Gegenständen christlicher Religion selbst gewonnen sind. Jede Idee von Unterricht, jedes Bild und jede Vorstellung von Unterricht trägt in sich wesentliche Implikationen, die für die Lernwege im Religionsunterricht aus der Theologie heraus zu gewinnen sind und nicht fachfremd entwickelt werden können. Darum stellt sich die Aufgabe immer neu, nach der theologischen Kontur zu fragen, die in religiösen Bildungsprozessen mitgeteilt werden soll. Man könnte auch so formulieren: die Religionsdidaktik nimmt ihren Ausgangspunkt vom Glauben her, einer wissenschaftlich fundierten Darlegung der Zusammenhänge christlicher Theologie, die die Grundlage für das Lernen des Glaubens darstellt. Zugleich fragt sie nach Lernwegen auf Glauben hin: Die Profilierung einer Religionsdidaktik ist darum der komplexe Bezug auf die Praxis christlicher Religion, sowohl in Hinsicht auf ihre wissenschaftliche Praxis wie auch in Hinsicht auf die gelebte Praxis christlicher Religion in Kirche und Gemeinde. Beide Perspektiven bilden die Ausgangslage, christliche Religion in einen von der Kirche verantworteten Unterricht einzubringen, der freilich durch den besonderen Bezug auf Schule (besonders in didaktischer Hinsicht) Einschränkungen erfährt, indem die Wirklichkeit schulischer Bedingungen ebenso aufgegriffen werden muss wie die Wirklichkeit der Lernenden.
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Konturen einer Religionsdidaktik
Auf Glauben hin wird die Religionsdidaktik Lernwege analysieren, erarbeiten und im Religionsunterricht auf Erprobung christlicher Religion anlegen. Dies kann aber nur soweit geschehen, als die Lernenden christliche Religion im Religionsunterricht erproben und dabei testen, ob die jeweiligen Orientierungen, die sie gewinnen, für sie zu tragfähigen Orientierungen werden können. Auf Glauben hin heißt darum nicht: auf Glauben hin zu verpflichten, sondern christliche Religion an der Schule so anzubieten, dass Glaube als mögliche Lebensperspektive für die Schülerinnen und Schüler offengehalten wird, ohne im schlechten Sinn missionarisch vereinnahmend zu agieren. Die hier skizzierten Aspekte bestimmen darum das Lernen des Glaubens als Mitteilung – und nicht Vermittlung – christlicher Religion; dabei wird ein Profil des Glauben-Lernens in religiöser Bildung anvisiert, das der besonderen Gestalt des Lernens als Mitteilung entspricht. Religiöse Bildung und Erziehung muss den Aspekt der Mitteilung darum zur Profilierung des Lernens aufnehmen, damit nicht vorschnell Glaube im Modus des Lernens als etwas Handhabbares und Operationalisierbares verstanden wird, sondern damit immer auch die Dimension im Lernprozess einbezogen ist, die das Unverfügbare des Glaubens festhält. Mitteilung hält damit als Begriff die Dimension offen, die allen Unterricht in christlicher Religion bestimmt: dass Gott hier am Menschen handelt und es nicht der Mensch ist, der über Glaube selbst zu verfügen meint.28 Damit sind Lernwege der Mitteilung immer indirekte Lernwege, die auf die in Gott eröffnete Wirklichkeit des Glaubens bezogen sind. Sie sind Lernprozesse, die den Spuren dieser Wirklichkeit folgen und erprobend diese Wirklichkeit ausschreiten.29 Insofern eröffnet sich eine Art Spurensuche, die sich immer im Diskurs und aus dem Diskurs mit der Theologie heraus entwickelt.30 Darum sind die Lernwege auch als propädeutische Lernprozesse zu beschreiben, weil sie die Inhalte bzw. Gegenstände des Lernens als etwas verstehen, das 28 Vgl. ausführlich dazu I. Schoberth, Glauben-lernen, 39–49: Hier ist ausführlich der Begriff ›Mitteilung‹ entfaltet und von einer bloßen Vermittlung von Glaubens-Wissen unterschieden worden. 29 Vgl. dazu ausführlich zur Darlegung des Begriffes der Mitteilung bzw. indirekten Mitteilung: ebd. 30 G. Sauter, Welche Theologie braucht die Religionspädagogik?, 130.
Religiöse Bildung und ihr didaktisches Profil25
sich aus der immer neuen Anstrengung um die theologische Sache entwickeln muss. Die Beschreibung der Lernprozesse in ihrer Spannung von Offenheit und Bestimmtheit legt deren Funktion dar: Sie sind darin offen, dass sie eine Sache für das Lernen christlicher Religion aufbereiten, ohne über sie verfügen zu können. Sie sind darin bestimmt, dass sie im je bestimmten Zugriff auf Sache/Inhalt/Theologie die Kontur und damit die spezifischen, auch zeitgemäßen Aspekte theologischer Rede zum Ausdruck bringen. Insofern ist die Vorbereitung von Lernprozessen immer auch angemessener Umgang mit Theologie, um hermeneutisch zu zeigen, woran das Lernen sich inhaltlich festmachen und dabei auch inhaltlich bestimmt bzw. deutlich oder konkret werden kann. Zwei unterrichtliche, religionsdidaktisch ausgerichtete Konzepte stehen dafür, dass sich dieser Weg in der Unterrichtsvorbereitung wie dann auch in den Lernsituationen realisieren kann: Einmal ist es die konstruktivistische Perspektive, die den Lernenden die Möglichkeit eröffnet, sich selbst im Lernen christlicher Religion auszuprobieren; entgegen einem Abfüllen von Wissen richtet sich der Konstruktivismus31 aus auf die Durchdringung der Sache, die eben immer neue Anläufe braucht und nicht mit einem Mal gelernt werden kann; die schließlich von individuellen Konstruktionen geprägt ist, ohne darin aufzugehen. Darum erlauben Lernprozesse immer ein perspektivisches Zugehen auf die Sache, ohne sie je haben zu können; das Lernen lässt sich darum als je neue Spurensuche beschreiben. Zum andern sind es insbesondere ästhetisch ausgerichtete Lernwege, die für diese Form des Lernens stehen. Darauf wird später noch zurückzukommen sein; hier sei nur darauf verweisen, dass die besondere Struktur und Gestalt ästhetischer Lernwege dem genuin entsprechen können, weil sie die Offenheit und Bestimmtheit im Umgang mit den Lerngegenständen provozieren. 31 Vgl. dazu die gegenwärtige Entwicklung der Konstruktivistischen Religionspädagogik, die sich immer genauer ausdifferenziert und also etabliert und in besonderer Weise die Lernenden und ihre Erfassung bzw. Konstruktion religiöser Wirklichkeit in den Blick nimmt. Vgl. bes. G. Büttner, Lernwege im Religionsunterricht.
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Konturen einer Religionsdidaktik
1.4 Religionsdidaktik und die Ausgestaltung von Unterricht durch Kompetenzen Ergänzend zu den bisherigen Reflexionen religiösen Lernens und religiöser Bildung soll auf die aktuellen Entwicklungen Bezug genommen werden, die durch die neuen Bildungspläne angestoßen worden sind. Dabei möchte ich mich nicht auf einen spezifischen Bildungsplan, der ja je länderspezifisch ausgearbeitet wird, beziehen, sondern grundsätzlich nach der didaktischen Profilierung fragen, die durch den Bezug auf Kompetenzen gegeben ist. Wesentlich bleibt die Einsicht bzw. das Kriterium, ob die Formulierung von Kompetenzen das Lerngeschehen religiöser Bildung hilfreich unterstützt. Deshalb habe ich den Ausgangspunkt meiner Darlegungen zu einer Religionsdidaktik nicht bei den aktuellen Entwicklungen genommen und gleich nach der Kompetenzorientierung gefragt, sondern zunächst grundsätzlicher nach dem religiösen Lernen und seinen Konturen gesucht. Denn es ist nicht nur die Kurzlebigkeit von didaktischen Trends, die eine solches Vorgehen legitimieren, sondern auch die Verkürzung religiöser Bildung auf ein handhabbares und operationalisierbares Geschehen, das durch Korrekturen am Bildungsplan immer auf dem Spiel steht – vor allem dann, wenn das Proprium des Faches zu wenig Berücksichtigung findet und die Fächer an der Schule einander angeglichen werden, um eine einheitliche Kontur der Bildungspläne zu entwickeln. Dabei ist freilich nicht nur eine immer neu formulierte Kritik an der Kompetenzausrichtung zu entwickeln, um das Ringen um angemessene Lernprozesse zu ermöglichen, sondern auch das Profil der Fächer aufs Genaueste zu berücksichtigen. Das ist notwendig um der Freiheit willen, sich auf sie beziehen zu können, um sie für aktuelle Lernstrategien in der Schule in Anspruch nehmen zu können, ohne freilich alle Implikationen unbefragt zu übernehmen. Diese Freiheit erlaubt es, sich kritisch dazu zu positionieren.32 Trotz und mit dem Anspruch, auch das Fach Evangelische Religion als Teil öffentlicher Bildung zu etablieren und erkennbar zu halten, bleibt dennoch die Aufgabe, sich immer neu der didaktischen wie päda32 P. Kliemann/W. Kasper, Curriculum.
Religionsdidaktik hat ihren Ort im Kontext der Praktischen Theologie27
gogischen Verantwortung bewusst zu sein, die ein einfaches Schema der Übernahme der Kompetenzorientierung grundlegend in Frage stellt. Um anspruchsvollen Unterricht zu etablieren, bedarf es einer kritischen Weiterführung der mit der Kompetenzorientierung vorgelegten Lernmöglichkeiten, die vor dem Hintergrund professionellen Könnens auf ihre Tragfähigkeit für die je spezifische Unterrichtssituation ausgelotet werden müssen. Dass dabei der von Weinert und Klieme entwickelte Begriff mehr Spielräume eröffnet als das bisher favorisierte Modell der Lernzielorientierung, dem die sogenannten Lehrpläne gefolgt sind, kann als eine positive Entwicklung begriffen werden. Freilich zeigen die aktuellen Diskurse und auch Realisierungen in konkreten Lernsituationen, dass der bisher verwendete und neu eingeführte Kompetenzbegriff der Differenzierung und Weiterführung bedarf. Mit der Einigung auf den Kompetenzbegriff von Weinert und Klieme, die die Kompetenzen bestimmen als »die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können«33, ist ein neuerer Weg mit einem neuen Lernmodell beschritten, der notwendig der Weiterführung und kritischen Prüfung bedarf. Solange die Prozesshaftigkeit des Lerngeschehens, die insbesondere auch religiöser Bildung anhaftet und ihr Proprium ist, berücksichtigt wird, ist m. E. eine Spur aufgenommen, die religiöser Bildung zuarbeitet.
1.5 Religionsdidaktik hat ihren Ort im Kontext der Praktischen Theologie Die besondere Verortung der Religionsdidaktik hat mit den Strukturen der Theologischen Fakultäten im deutschen Kontext zu tun. Das ist der Hintergrund des Selbstverständnisses religiöser Bildung: 33 F. E. Weinert, Vergleichende Leistungsmessung, 27 f.
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Konturen einer Religionsdidaktik
Für religiöse Bildung wie für alle Bereiche der Praktischen Theologie gilt, dass sie den Bezug auf Kirche und ihre Arbeitsfelder zum Ausdruck bringen. Ihre Aufgabenbeschreibung bestimmt sich nicht unabhängig davon, sondern aus ihrem Bezug auf die gelebte Tradition christlichen Glaubens: In allen Bereichen der Praktischen Theologie (Bereiche Homiletik/Liturgik, Seelsorge, Pastoraltheologie/ Praktische Ekklesiologie, Religionspädagogik, Diakoniewissenschaft) geht es um die wissenschaftliche Durchdringung dieser Arbeitsfelder. Die Praktische Theologie bleibt also in ihren Arbeitsfeldern auf Kirche und kirchliche Vollzüge ausgerichtet; zugleich ist sie aber bemüht um die gesellschaftliche Wirklichkeit von Religion – und dazu zählen auch Bildungseinrichtungen wie insbesondere auch die schulischen Kontexte religiöser Bildung. In allen Arbeitsfeldern muss sie diesen Bezug festhalten, weil er ihre Kontur bestimmt, und zugleich diesen Bezug immer neu reflektieren. Praktische Theologie und die ihr zugehörigen Handlungsfelder leben in einer Spannung: Zum einen ist der Bezug auf die der Kirche zugehörigen Handlungsfelder wesentlich; zum anderen kann die Praktische Theologe nicht vom Bezug auf die religiöse Gegenwart und ihre gesellschaftliche Wirklichkeit absehen. Darum ist sie als Fach weit über die ihr oft unterstellte Reduktion auf kirchliche Handlungswissenschaft hinaus nicht als eine Anwendungswissenschaft zu verstehen, sondern als eine auf die Gesellschaft und die soziale Wirklichkeit bezogene Wissenschaft, die sich darin profiliert, dass sie in Kritik und Konstruktion auf ein Verstehen gegenwärtigen menschlichen Lebens in seinen gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen ausgreift und dazu einen spezifisch theologischen Beitrag leistet. Die verschiedenen Bereichsfelder der Praktischen Theologie lassen sich daher folgendermaßen beschreiben: Sie unternehmen die Analyse der religiösen Gegenwartskultur, um einen spezifisch wissenschaftlichen Beitrag zu leisten, die Verkündigungsund Lernprozesse in Kirche, Gemeinde und Schule daraufhin zu reflektieren. Dabei bezieht sich die Praktische Theologie auf die Erforschung des Christentums als kulturelle und religiöse Praxis in gesamtgesellschaftlicher, interkultureller und interreligiöser Perspektive.
Religionsdidaktik hat ihren Ort im Kontext der Praktischen Theologie29
Im Kontext dieser Aufgabe werden die aktuellen Sprachformen, Bekenntnisse und Lebensformen kritisch geprüft und es wird in spezifischer Perspektive der Dialog um die Wahrheit des Glaubens in der aktuellen Gegenwartslage reflektiert und diskutiert. In diesem Zusammenhang suchen die Bereiche der Praktischen Theologie immer neu nach den vorfindlichen Realisierungen christlicher Religion in der Gemeinde, als an dem Ort, der wiederum auch die Praktische Theologie beauftragt zu einer kritischen Prüfung ihrer Vollzüge. So erschließen sich Praktische Theologie und Gemeinde wechselseitig, Praktische Theologie und religiöse Gegenwartskultur sind also wechselseitig aufeinander bezogen. Zugleich trägt die Praktische Theologie zur Klärung der Wahrnehmungs- und Handlungsformen der Akteure im Bereich religiöser und religiös vermittelter Wirklichkeit bei; die Erarbeitung grundlegender konzeptioneller Perspektiven praktisch-theologischen Arbeitens schließt diese Reflexion Praktischer Theologie ebenso ein, wie sich Praktische Theologie auf die Gemeinde und ihre Lebensvollzüge bezieht und die sie bestimmenden Struktur- und Handlungstheorien bearbeitet. Zur Erfüllung der religiösen Bildungs- und Erziehungsaufgabe in Schule und Gemeinde würdigt sie die religiöse Gegenwart der Lernenden und zeigt Wege und Lernprozesse auf, die in das Lernen christlicher Religion führen. Die Erstellung und Erprobung konkreter Praxishilfen gehört grundlegend zum Gegenstandsbereich Praktischer Theologie. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Praktische Theologie insgesamt ihren wissenschaftlichen Charakter als hermeneutische Wissenschaft gewinnt. Sie ist auf die Tradition christlichen Glaubens ausgerichtet und bezieht sich dabei zugleich kritisch auf seine Gegenwartsbedingungen und die gegenwärtige Wirklichkeit des Glaubens. Sie leistet damit einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis von Gesellschaft und Kultur, die wesentlich von dieser Tradition geprägt und auf diese Tradition bezogen sind. Für ihren Bezug auf die unterschiedlichen theologischen Reflexionsformen führt die Praktische Theologie das Gespräch mit der exegetischen Wissenschaft, um der genauen Wahrnehmung der christlichen Tradition Ausdruck zu verleihen; sie bezieht sich kritisch und produktiv auf die Sprach- und Lehrformen des Glau-
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Konturen einer Religionsdidaktik
bens, indem sie das Gespräch mit der Systematischen Theologie/ Ethik sucht. Als Wahrnehmungswissenschaft ist sie auf eine analytisch-wissenschaftliche Durchdringung der sozialen und kulturellen Realität von Religion bezogen und ist hier eng mit der Religionswissenschaft verbunden. Die Praktische Theologie forscht und lehrt (Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht, Kirche) in beständiger Interaktion mit den jeweiligen Human- und Sozialwissenschaften; diese Diskurse müssen freilich theologisch verantwortet sein. Eine genaue Wahrnehmung der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von Religion und religiöser Organisation und die Wahrnehmung der Transformation von Religion in einer Vielzahl religiöser und oft unterbestimmter Optionen, ist eine der wesentlichen Aufgaben, die die Praktische Theologie in den verschiedenen Kontexten bewerkstelligen muss – nicht zuletzt im Kontext religiöser Bildung, die dazu in besonderer Weise herausfordert. Mit dieser Verortung auch der Religionspädagogik und Religionsdidaktik im Kontext des Arbeitsfeldes der Praktischen Theologie gewinnen beide ihr besonderes Profil. Es ist freilich nicht Konsens, dass die Religionspädagogik und Religionsdidaktik auf diese Weise ihre Kontur gewinnt. Andere konzeptionelle Entfaltungen nehmen religiöse Bildung unter anderen Perspektiven wahr, indem unmittelbarer aus der Pädagogik und den Bildungswissenschaften heraus religiöse Bildung zu profilieren versucht wird.34 Die vorliegende Veröffentlichung fühlt sich der Position verpflichtet, eine enge und unmittelbare Anbindung religiöser Bildung an den praktisch-theologischen Zusammenhang zu zeigen und die Verortung im theologischen Zusammenhang insgesamt festzuhalten. Das hat seinen Grund in der sachbezogenen Ausrichtung der Religionspädagogik und Religionsdidaktik insgesamt. Diese Grundlage wird durch die folgenden Kapitel erhärtet und genauer gezeigt, wie die Diskursräume eben diese Verortung in der theologischen Sache noch deutlicher zu machen vermögen. Diese einleitenden Überlegungen bereiten insofern die vertiefende Argumentation vor, die in den fol34 Vgl. dazu die Diskussion um das Verhältnis von Theologie, Bildung und Religion insbesondere bei B. Dressler, Warum und auf welche Weise.
Zusammenfassung: Diskursräume religiösen Lernens 31
genden Kapiteln nun die argumentative Entfaltung der Diskursräume religiöser Bildung darzustellen sucht. Die Verpflichtung zur sachbezogenen, an der Theologie gewonnenen Profilierung der religiösen Bildungsaufgabe soll dabei besonders gewürdigt wie auch die schroffe Differenzierung in Religionspädagogik und Religionsdidaktik eher zurückgenommen werden soll. Wie bereits formuliert, soll der Begriff der Religionsdidaktik weiterhin aufgenommen werden, wenn es um die Spezifik von Lernprozessen geht, allerdings muss dabei das religiöse Lernen selbst und seine grundlegende Ausrichtung immer im Blick bleiben. Die Beschreibung religiöser Bildung als Lernprozess mag daher eher geeignet sein, die religiöse Bildungsaufgabe genauer in den Blick zu nehmen als eine Beschreibung aus der Differenzierung in Religionspädagogik und Religionsdidaktik heraus:
1.6 Zusammenfassung: Diskursräume religiösen Lernens Religiöse Bildungsprozesse stehen nie für sich, sondern sie sind konstituiert aus einem komplexen Bezug zu anderen Reflexionen, Diskursen und Perspektiven; damit kommt insbesondere auch die Theologie in den Blick, auf die bezogen Lernprozesse immer ausgerichtet sein müssen. Es macht das Proprium der Vorbereitung religiöser Bildung aus, dass immer neu überlegt und deutlich erarbeitet werden muss, in welcher Weise die theologische Reflexion das Bildungsvorhaben bestimmt. So gewinnt diese Veröffentlichung ihr Profil durch diesen besonderen Bezug auf die theologische Reflexion, wie sie auch auf weitere Bezüge auszugreifen sucht: Damit ist auch das methodische Vorgehen beschrieben, dem sie folgt und also die Diskursräume aufzusuchen versucht, die das Profil der religiösen Bildungsaufgabe in allen ihren Differenzierungen zu zeigen vermag. Sie dienen dazu, ein immer genaueres Bild von dem zu ermitteln, was ins Lernen christlicher Religion einführt. Sie helfen dabei, die hermeneutische Aufgabe zu bewältigen, die jede Vorbereitung von Unterricht in christlicher Religion leisten muss. Um angemessen mit Theologie umgehen zu können, bedarf es immer neu der Reflexion der Räume und also Orte, auf die dieses Lernen bezogen ist. Folgende Räume sollen ausgeschritten werden:
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Konturen einer Religionsdidaktik
Die Heilige Schrift wird als Diskursraum aufgesucht: Die von Eberhard Jüngel formulierten Überlegungen zur Praktischen Theologie, die sich bezogen auf die Heilige Schrift als Wissenschaft bestimmt, die vom Wort Gottes her ihre Kontur im Auslegen und Freilegen des Wortes Gottes gewinnt, sind Ausgangspunkt, mit dem Diskursraum der Heiligen Schrift zu beginnen; es ist der erste Schritt, der unternommen werden soll. Dass sich daraus auch eine didaktische Perspektive eröffnet, liegt in der Sache selbst begründet: Die Lernenden werden zum Bibellesen befähigt. Dabei soll es nicht um ein richtiges oder falsches Lesen gehen, sondern um das Kennenlernen der reformatorisch bestimmten Einsicht, dass die Bibel um jedes Einzelnen willen geschrieben ist und daher auch Lernprozesse notwendig sind, die helfen, darauf zuzugehen und fähig zu werden, die Bibel zu lesen; das beginnt ja schon im Kleinen, indem die Lernenden überhaupt dazu angeleitet werden, die Schrift zu öffnen, ein oft dunkles Lederbuch mit Goldschnitt, das wegen seiner Heiligkeit oder aber auch Fremdheit nicht unbedingt zum Öffnen einlädt. Bildung als Diskursraum der anfänglichen Erfahrung der F reiheit christlicher Religion/christlichen Glaubens wird aufgesucht, um einen genuin christlichen Bildungsbegriff herauszuarbeiten. Wie schon die einleitenden Überlegungen zur Kontur religiöser Bildung gezeigt haben, sollen die didaktischen Prämissen nun genauer erläutert werden, die inzwischen unter dem Begriff der Religionsdidaktik formuliert werden. Dazu dient dieser weitere Diskursraum; einmal soll dargelegt werden, woraus ein christliches Verständnis von Bildung seine Kontur gewinnt; zum anderen soll bestimmt werden, warum sich ein christlicher Begriff von Bildung von einem allgemein bestimmten Bildungsbegriff unterscheidet. Freilich bleibt ein christlich bestimmtes Bildungsverständnis immer bezogen auf den Diskurs mit anderen Entfaltungen und Reflexionen von Bildung und gewinnt auch aus diesem Diskurs seine Differenzierungen, die ihn anschlussfähig machen im Bildungsdiskurs überhaupt. Diese Reflexion ist daher geboten, weil so deutlich gemacht werden kann, warum religiöse Bildung ein Moment allgemeiner Bil-
Zusammenfassung: Diskursräume religiösen Lernens 33
dung ist – was auch schon demokratietheoretisch und grundgesetzlich gegeben ist. Die Reformation wird als Diskursraum aufgesucht, in dem und mit dem die Lernenden wahrzunehmen lernen, woraus sich religiöse Identität bestimmt, wie sie sich insbesondere aus dem Lesen der Heiligen Schrift formt und wie dabei die Figuren der Reformation auch als Vorbilder fungieren können: Das eröffnet sich in der reformatorisch angelegten Spannung von Freiheit und Gebundenheit, indem das anthropologische Selbstverständnis der Reformation zum Ausgangspunkt der Reflexion genommen wird. Die Trinitätslehre als Referenzrahmen religiöser Bildung wird aufgesucht, und es wird dargelegt, warum die Profilierung religiöser Bildung nicht ohne den klaren Bezug auf das Reden von Gott in seinen Differenzierungen auskommt. Welcher Vorteil der differenzierten Rede dabei zukommt, soll reflektiert werden, indem die kritische wie die kreative Funktion dieser Sprachform untersucht wird. Die Trinitätslehre dient dabei als Bezugsrahmen sowohl der praktisch-theologischen Reflexion wie auch der Religionspädagogik und Religionsdidaktik; dabei wird versucht, die Tragfähigkeit einer solchen systematischen Reflexion auf den Referenzrahmen religiöser Bildung darzulegen. Das Lernen selbst wird als Ort des Diskurses erkennbar, indem gezeigt und erarbeitet wird, wie eine Vielfalt methodischer Zugänge es ermöglicht, dass christliche Religion gelernt werden kann. Dieses Kapitel steht in engem Zusammenhang zum Kapitel über den Diskursraum Bildung: Dass sich methodische Überlegungen von der Sache her entwickeln lassen, soll hier an exemplarischen Beispielen gezeigt werden. Es zählt nicht die Menge der methodischen Möglichkeiten, sondern ihre Spezifik, um einen Lernbegriff als Voraussetzung für religiöse Bildung zu entwickeln, der dann auch methodisch didaktisch ausdifferenziert werden kann. Die angeführten Beispiele sind aufgenommen, um den Zusammenhang von Inhalt bzw. Sache und Methodologie erkennbar zu machen.
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Konturen einer Religionsdidaktik
Schließlich gilt es auch den Diskursort der Ethik aufzusuchen und zu zeigen, inwiefern religionsdidaktisch auch das Leben und Handeln in politischen Zusammenhängen zur Sprache gebracht werden kann und religiöse Bildungsprozesse von dieser Perspektive entscheidend bestimmt sind; daraus soll ein Profil ethischen Lernens entwickelt werden und in theologischer Hinsicht die Option bzw. der Möglichkeitsraum wahrgenommen werden, der den Lernenden eine Ahnung vom guten Leben zuspielt, das als grundlegend für die Ausrichtung einer biblisch begründeten Ethik bestimmt werden kann. Von der aktuellen Lage eingeholt, bedarf es abschließend eines Blicks auf die Lebenswelt der Lernenden, die immer neu auch signalisieren, dass sie um Hoffnungsperspektiven ringen. Darum werden systematische Reflexionen zum Verständnis der Seelsorge aufgenommen und Perspektiven der Schulseelsorge thematisiert. Die Dringlichkeit dieser Perspektive soll aufgesucht und es soll beschrieben werden, was heute religiöse Bildungskontexte dabei zu leisten in der Lage sind. Diese Veröffentlichung will nicht umfassend die Konturen einer Religionsdidaktik abbilden, sondern nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Erfahrung mit den Studierenden an der Universität und in der Ausbildung der Lehrvikarinnen und Lehrvikare; in vielen Seminaren und Übungen wurden erste Schritte gewagt, Unterricht in religiösen Bildungsprozessen vorzubereiten; dabei haben sich immer neu verschiedene Fragestellungen und Perspektiven auf religiöse Bildung ergeben, die grundlegend erfasst und nun dargelegt werden sollen. Ausgangspunkt für dieses Vorhaben bleibt die Einsicht, dass ein Profil der Religionsdidaktik und ihrer Konturen nur dadurch zu gewinnen ist, dass sie begründet basiert auf einer sorgfältigen theologischen Reflexion, die die Tragfähigkeit und also Stärke evangelischer Bildungsprozesse bestimmt.
2 Diskursraum Bibel/Heilige Schrift
These: Religiöse Bildung zielt darauf ab, dass die Lernenden befähigt werden, in der Bibel zu lesen. Es ist die unterrichtlich angemessene Form, mit den Lernenden das Auslegen und Freilegen des Wortes Gottes varianten- und methodenreich, wenn auch vorläufig und erprobend, einzuüben.
2.1 Lesen ist mehr als nur einen Text wahrnehmen Religiöse Bildungsprozesse sind genuine Prozesse, die auf das Lesen der Heiligen Schrift ausgerichtet sind; das versteht sich freilich nicht mehr von selbst und im religionspädagogischen wie im religionsdidaktischen Kontext steht die Bewertung der Heiligen Schrift als grundlegender und notwendiger Lerngegenstand inzwischen zur Disposition. Daran scheiden sich gegenwärtig die Geister, und darum soll in diesem Zusammenhang auf der Grundlage einer diskursiven Religionspädagogik auch deutlich gemacht werden, warum diesem Trend nicht Rechnung getragen werden soll.1 Vielmehr soll die Infragestellung der Schrift als wesentlichem Unterrichtsgegenstand, der das Profil religiöser Bildung insgesamt bestimmt, kritisiert werden und genauer entfaltet werden, warum es für religiöse Bildung unabdingbar ist, an dem Bezug zur Heiligen Schrift und ihrer Wirksamkeit auch gerade in religiösen Bildungsprozessen festzuhalten.2 1 Vgl. dazu einmal die grundlegende Kritik am Konzept der Evangelischen Unterweisung und auch die Reflexionen zur Zielsetzung religiöser Bildung mit der starken Bewertung der Lernenden als Subjekt der Bildung. Vgl. auch zusammenfassend die konzeptionellen Darlegungen zur biblischen Didaktik, die Bernhard Dressler zusammengestellt hat: B. Dressler, Was ist ›schwierig‹. 2 Vgl. neuerdings die Überlegungen zur Heiligkeit der Heiligen Schrift: N. Hamilton, Sola Scriptura. Darin auch: I. Schoberth, Heilige Schrift als heiligende Schrift.
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Diskursraum Bibel/Heilige Schrift
Trotz und auch wegen der Fremdheit, die die Lernenden in Bezug auf die Heilige Schrift spüren, geht es um ein Ringen um das grundlegende Profil religiöser Bildung, das sich an und mit der Schrift bewähren muss. Ohne diesen Bezug verlöre religiöse Bildung ihre Kontur wie auch ihre Verwobenheit und Verbundenheit zu gelebtem Glauben; sie würde ein abstraktes Unternehmen ohne Bezug auf eine gelebte Lebensform – die Kirche. Insofern gibt es gerade auch für diesen konstitutiven Bezug ein starkes ekklesiologisches Argument, das nicht übergangen werden kann; dazu gehört die Einsicht zu einem Verständnis von Kirche als ecclesia semper reformanda, um nicht einem falschen Verständnis von Kirche aufzusitzen.3 Prozesse religiöser Bildung sind immer auch Prozesse, die aus einem Bezug auf gelebte Kirche gewonnen sind, die sich immer neu konstituiert und gerade so selbst ein Raum des Diskurses ist, der sich im immer neuen Lesen der Heiligen Schrift in zeitgemäßer Hinsicht und auf je neue Bewährung hin vollzieht. Damit wird ein Verständnis von Kirche deutlich, die aus Gottes Wort lebt und von ihm her ihre Kontur gewinnt; im Blick auf religiöse Bildung bleibt das Wort Gottes Bezugspunkt; im Auslegen und Freilegen des Wortes Gottes gewinnen auch religiöse Bildungsprozesse ihre Gestalt und Form. Mit und in diesen theologisch-hermeneutischen Bezügen kann sich dann auch eine bibeldidaktische Kontur zeigen, die religiöse Bildung qualifiziert. Lesen lernen in der Heiligen Schrift ist darum mehr als nur einen Text wahrnehmen.
2.2 Hermeneutischer Umgang mit der Heiligen Schrift Als grundlegende Voraussetzung religiöser Bildungsprozesse, die an der Heiligen Schrift orientiert sind – sowohl in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht – gilt es die Einsicht zu berücksichtigen, dass es nicht um bloßes Wahrnehmen von biblischen Texten oder irgendein Auswendiglernen geht, sondern darum, dass die Lernenden zu einem Umgang mit der Heiligen Schrift befähigt werden. Der Unterricht in 3 Vgl. dazu ausführlich Ch. Bizer, Kirchgänge im Unterricht. Auf die kritische Gestalt von Kirche hat Christoph Bizer unermüdlich hingewiesen bzw. sie immer wieder neu eingefordert.
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christlicher Religion geht auf verschiedenen Lernwegen darauf zu und sucht auch nach angemessenen methodischen – auch variantenreichen – Wegen, die Lernenden in der Entwicklung dieser Kompetenz zu unterstützen. In der Bibel lesen zu lernen beinhaltet dabei auch, dass die Schülerinnen und Schüler entdecken, dass das Lesen in der Schrift zugleich auf eine Lebensform hinführt und diese ansichtig macht; dieser enge Verweisungszusammenhang von Lesen und Leben ist durch das Zeugnis der Schrift als Evangelium bedingt. Wie es für die Gemeinschaft der Heiligen/Kirche konstitutiv ist, aus dem Lesen der Schrift sich formen zu lassen, so ist das auch der Hintergrund anfänglicher Lernprozesse, die sich auf die Heilige Schrift beziehen; unter der Voraussetzung, dass das Lesen der Schrift eben mehr ist als nur das Wahrnehmen eines Textes, wird aus dem engen Verweisungszusammenhang von Lesen und Lebensform für die Lernenden ersichtlich, dass ohne eine lebendige Partizipation an der Schrift das Lesen leer bliebe.4 Lesen ist darum immer auch schon ein Interpretieren und Auslegen, das im gemeindlichen Kontext etwa durch die Lesungen, die Predigt, das Sprechen des Credo und andere Formen der Verkündigung geschieht. Im Bildungskontext ereignet sich davon unterschieden das Lesen im unmittelbaren Wahrnehmen von biblischen Texten (durch lautes oder leises Lesen etc.) aber auch dadurch, dass die Lernenden beginnen, Texte auszulegen und freizulegen und auf verschiedenen, auch kritischen und methodisch vorbereiteten Wegen lernen, die Schrift in Gebrauch zu nehmen.5 Dabei wird die reformatorische Einsicht 4 Vgl. dazu auch bes.: U. Luz, Theologische Hermeneutik, 556–558, der auf die ökumenische wie interreligiöse Weite dieser Perspektive zum Abschluss seiner Überlegungen hinweist. 5 Die Vielfalt und Vielzahl an Möglichkeiten sind religionsdidaktisch kaum zu übersehen. Aber dennoch beeindruckend sind Möglichkeiten einer Entfaltung der unterrichtlichen Arbeit an der Heiligen Schrift. M.E. bleibt es freilich wesentlich, immer deutlich zu halten, dass es nicht um eine methodische Arbeit allein geht, sondern dass es der Bezug auf die Lesenden ist, die methodisch angeleitet werden, das Lesen in der Schrift zu lernen, freilich immer auch anfänglich und ohne Voraussetzung. Der hermeneutische Umgang mit den biblischen Texten ist dabei immer neu zu reflektieren; grundlegend bleibt, dass eine Vielfalt an Lektüren immer in den Unterricht eingehen: Sei es, dass rezeptionsästhetisch gearbeitet wird, konstruktivistisch,
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ausschlaggebend bleiben, dass man nie ›ausgelernt‹ hat, dass die Heilige Schrift nie so in Besitz genommen werden kann, dass der Leser meinen könnte, sie zu besitzen. Das Lesen in der Bibel ist daher vielfältig und eröffnet die Wahrnehmung von Perspektiven, die in ein lebenslanges Lesenlernen an der Schrift führen.6 Damit gilt das, was Martin Luther für das Lernen des Glaubens insgesamt herausgestellt hat, wenn er vom Kleinen Katechismus ausgehend festhält: »und muss ein Kind und Schüler des Katechismus (Der Heiligen Schrift) bleiben und bleib’s auch gerne.«7 Im Lesen lernen der Heiligen Schrift wird schließlich eingeübt, was insgesamt für den Glauben gilt, dass er nicht in Besitz genommen und nicht über ihn verfügt werden kann, sondern dass er immer Gabe des Geistes Gottes ist und bleibt.
2.3 Lesen lernen mithilfe von Dialogregeln im Raum der Heiligen Schrift Religiöse Bildungsprozesse sind, wenn sie auf die Heilige Schrift ausgerichtet sind, Prozesse, die implizit den Regeln folgen, die das Interpretieren der Heiligen Schrift bedingen: Es gibt drei Dialogregeln, die den Zugang zur Schrift eröffnen, die freilich überwiegend indirekt das Lernen steuern können und selten explizit im Unterricht kennengelernt werden; für den, der die Bildungsprozesse vorbereitet, sind sie unabdingbar und können das Lesen der Schrift bereichern und vertiefen helfen; die Lernenden stoßen freilich implizit auf diese Unterscheidungen, ohne sie explizit zu kennen. Damit gewinnt das Lesen eine spezifische, am Evangelium ausgerichtete Qualität und
genderorientiert oder aber historisch-kritisch; vgl. dazu auch weiterführend wie grundlegend A. Schüle, Erinnerung, Erfahrung, Erwartung; bes. der einleitende Teil dieser Überlegungen macht die Schwierigkeiten hermeneutischer Wahrnehmung biblischer Texte deutlich. Das bildet sich dann auch unterrichtlich ab; in Hinblick auf Unterrichtsprozesse wäre es darum geboten, zu einer kritischen Wahrnehmung verschiedener Lektüren biblischer Texte anzuleiten. 6 Vgl. dazu die Überlegungen von P. Lampe, Das Neue Testament. In ethischer Perspektive weiterführend: J. Fischer, Vier Ebenen der Narrativität. 7 Großer Katechismus BSLK 547, 33–548, 6.
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erhält eine hermeneutische Leserichtung, die für die Wahrnehmung und Erfassung der Heiligen Schrift notwendig und grundlegend ist. Freilich kann an den Regeln auch unterrichtlich insbesondere in der Sekundarstufe II gearbeitet werden, um ein hermeneutisches Verstehen des Auslegungsvorganges und des Interpretierens der Heiligen Schrift zu eröffnen. Diese propädeutische Ausrichtung von Unterricht zielt darum ab auf die Entwicklung einer kritischen Kompetenz im Umgang mit Heiligen Schriften schlechthin. Für die Ausgestaltung interreligiösen Lernens hat das weitreichende Bedeutung – etwa für den Umgang mit dem Koran oder aber die Wahrnehmung des Alten Testaments als Heilige Schrift des Judentums. Die erste Dialogregel im Umgang mit der Heiligen Schrift bestimmt sich aus der Unterscheidung von Geist und Buchstabe: Es ist die Unterscheidung, die deutlich macht, dass beim Lesen der Schrift nicht allein der Buchstabe gelesen wird, sondern dass im Lesen sich durch den Text hindurch eine Beziehung mit dem Text eröffnet, die eben mehr ist als nur einen Text nachsprechen. Bekommt man es mit der Schrift zu tun und begibt man sich hinein in die durch die Schrift eröffnete Wahrnehmung der Relationalität Gottes und des Menschen; dann lässt sich im Lesen diese Wirklichkeit als Wirklichkeit des Geistes Gottes verstehen (2. Korinther 3, 3–6). Der Lesevorgang an und in der Heiligen Schrift ist so als ein passiver Vorgang zu beschreiben, der den Leser, das Subjekt des Lesens, nicht mit sich selbst allein lässt. Im Lesen teilt sich mit, was diese Relationalität Gottes und des Menschen bestimmt. Zugleich wird im Lesen diese Relationalität Wirklichkeit. Insofern ist das Lesen als ein performativer Vorgang8 zu verstehen, der sich aus der Spannung 8 Der Bezug auf die gelebte Lebensform des Glaubens, konkret in der Kirche, bleibt damit m. E. steter Bezugspunkt allen religionspädagogischen wie religionsdidaktischen Handelns. Vgl. dazu Th. Klie, Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten. Darin bes. B. Dressler, Performative Religionsdidaktik, 8: »Ohne gewisse Teilnahmeerfahrung lassen sich kulturelle Praxen gar nicht verstehen.« Dressler verweist auf die bleibende Spannung von Teilnahme und Distanzierungsfähigkeit, die in die genaue Re-
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nährt von aktiver Bemühung um das Lesen und passiver Entlastung in der Erwartung, dass dem Lesenden das das Leben Eröffnende und Hoffnungsvolle des Evangeliums zukommt. Auf dieses Leben aus dem Glauben geht das Lesen zu, indem es eben nicht am Buchstaben haftet, sondern der in Gottes Geist eröffneten Wirklichkeit vertrauen lernt, die lebendig macht, wie das im 2. Korintherbrief für das Lesen der Schrift festgehalten ist. »Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.« (2. Kor 3, 5–6). Unterrichtlich heißt das freilich zunächst, dass das Lesen der Schrift auf unterschiedlichen Wegen ein Unterwegssein mit den Lernenden auf das Evangelium hin eröffnet. Die dafür möglichen Lernwege sind vorläufig, erprobend und dienen dazu, hineinzufinden in das, wie von Eberhard Jüngel formuliert, gegenwärtige Auslegen und Freilegen des Wortes Gottes und zwar immer genauer und immer vertiefter. Damit gewinnt der Unterricht einen Charakter der Einübung. Die Richtung des Bibellesens in religiöser Bildung ist dabei mehr als nur Texte kennenlernen. Das Lesen der Schrift geschieht vielmehr in der Hoffnung, dass den Lernenden etwas aufgeht und dass sie dichte Erfahrungen machen können, die ihnen zu Herzen gehen. Die aus der Religionswissenschaft stammende Beschreibung der Wahrnehmung der Erfahrungen von Religion als disclosure situations trifft das genau, was im Lesen im Prozess religiösen Lernens geschieht und die Leseprozesse zu lebendigen, pneumatisch ausgerichteten Prozessen macht.9 Dabei wäre Lesen missverstanden, wenn es nur das Ablesen eines Textes meinen würde; vielmehr ist das Lesen sehr variantenreich: so kann schon eine Lesung an einem mitgebrachten Stehpult (evtl. aus einem Andachtsraum) Leseeindrücke generieren, die über die bloße Texterfassung hinausgehen. An einer biblischen Illustration oder aber mithilfe eines Kunstwerkes kann versucht werden, der Sprache der Schrift auf die Spur zu kommen. Auch die Wahrnehmung der Lebensform Kirche in ihren vielfältigen flexion führt. Beide Aspekte sind daher grundlegend für ein performativ ausgerichtetes Lernen. 9 I. T. Ramsey, Religious Language.
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Ausprägungen macht es möglich, biblischen Texten nachzugehen, weil es vom Selbstverständnis der Kirche her immer Texte sind, die ihre Lebensform bedingen. Die Sprache der Schrift und die Lebensform Kirche stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang. Dazu treten Erfahrungen im Kirchenraum, die atmosphärisch wirken und biblische Eindrücke hinterlassen können; vielleicht eine Person, eine Figur, ein Bild oder eine Skulptur, die mich an eine Erzählung aus der Heiligen Schrift erinnert. Das Kreuz Jesu Christi, das meine Gedanken zurücklenkt auf die Passionsgeschichte etc. Diese Möglichkeiten wären weiter zu differenzieren; sie alle stehen dafür ein, dass im Zugehen auf das Wort Gottes dieser Prozess des Auslegens und Freilegens eröffnet wird. Bildungsprozesse haben dafür Zeit, dieses Andringen der Texte im Lesen und auch das Herausfordernde im Lesen wahrzunehmen und bearbeiten zu lernen. Darum ist das Lesen eine Kompetenz, die über die bloß buchstäbliche wie zugleich auch über die inhaltliche Erfassung eines Textes hinausgeht.10 In und mit der Schriftlichkeit religiöser Texte werden Prozesse des Unterrichts darum in eigener Weise qualifiziert. Die gelesenen und bearbeiteten Texte sind insofern nicht den Quellentexten des Geschichtsunterrichts vergleichbar; vielmehr kommt ihnen etwas zu, über das nicht verfügt werden kann und das auch nicht handhabbar ist; das macht religiöse Bildungsprozesse eben nicht immer planbar! Darin hat dann religiöse Bildung ihr besonderes Proprium, das nicht mit anderen Fächern und ihrem Umgang mit Quellentexten gleichgesetzt werden kann. Die zweite Dialogregel gibt der Zeitdimension religiöser Lernprozesse ihre besondere Signatur: Sie bestimmt sich aus der Spannung von Verheißung und Erfüllung. Diese Spannung bildet sich ab an der Geschichte Abrahams und seiner Erfahrungen; Abraham fungiert als ein Vorbild einer Hoffnung, die daraus lebt, sich Gott ganz 10 Darin zeigt sich auch das Besondere religiöser Bildung, die Texte und ihren Gebrauch in systematischer Hinsicht beleuchten muss und daraus auch den Vorgang des Interpretierens reflektieren kann, der grundlegend religiöse Bildung bestimmt und ihre Spezifik ausmacht.
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anzuvertrauen. Die Segensverheißung an Abraham (Gn 12, 1–2) kann die Leseprozesse dahingehend steuern, dass sie zeigt, dass die biblischen Texte als Verheißungstexte gelesen werden, d. h. als ein Treueversprechen Gottes. Mit Sarahs Lachen etwa erschließt sich diese Leserichtung als Verheißung; sie leitet dazu an, inmitten scheinbar unbezweifelbarer Realität zu lernen, dem Handeln Gottes zu vertrauen. Diesem Treueversprechen Gottes ist das Lesen immer neu auf der Spur. Die dritte Dialogregel begibt sich theologisch in sehr unwegsames Gelände. In diesem Zusammenhang soll jetzt freilich nicht die umfangreiche Diskussion um Gesetz und Evangelium aufgenommen werden, was ja an anderer Stelle ausreichend reflektiert worden ist;11 für den Zusammenhang dieser Darstellung soll allein elementar nach der Leserichtung gefragt werden, die die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium eröffnet: Diese Unterscheidung besagt ja zunächst, dass jedes biblische Wort dem Leser und Hörer der Schrift als Gesetz oder als Evangelium begegnen kann; d. h. nun auch, dass der Leser der Heiligen Schrift jeweils zu seiner Zeit und an seinem Ort das eine oder das andere hören und wahrnehmen wird; insofern kommt durch diese Unterscheidung die Leserichtung in den Blick und eröffnet für den Umgang mit der Schrift eine spezifische Sensibilität; weil die biblischen Texte den Leser unterschiedlich erreichen, eben hilfreich, »tröstend und ermutigend« aber auch »anklagend und fordernd«12, herausfordernd, in Frage stellend etc., hilft diese Unterscheidung für die Lesevorgänge selbst sensibel zu sein und verhindert es, Texte über einen Kamm zu scheren. Weil die Lektüre gleichsam polyphon ist und den Leser in ganz eigener Weise als Hörer erreicht, ist diese Dialogregel für den Umgang mit der Heiligen Schrift gerade auch für Bildungsprozesse besonders hilfreich; sie ermöglicht es den Lesenden zu entdecken, was je für mich jetzt an der Zeit ist, was je für mich hörbar wird in der Begegnung mit dem Text; zugleich entzieht gerade diese Dialogregel den Lehrenden ein
11 Vgl. weiterführend zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium W. Joest/J. v. Lüpke, Dogmatik 2, 105–107. 12 G. Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik, 74; im Original kursiv.
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Urteil darüber, was sich im Lesen eröffnet. Insofern unterbricht diese Unterscheidung eine Bewertung von richtiger oder falscher Lektüre. Im unterrichtlichen Zusammenhang fordert diese Unterscheidung heraus. Was für das Hören des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium im Rahmen der Verkündigung gilt, muss in Hinsicht unterrichtlicher Prozesse eigens reflektiert werden: Lernprozesse greifen immer wieder auch in das Lesen ein – und das ist auch ihre Aufgabe. Als Bildungsprozess verbindet sich mit dem Lesen darum eine spezifische religionspädagogische Aufgabe, die nicht unterlassen werden kann: Im Sinne einer Leserichtung geht es im Lesen der Heiligen Schrift ja auch um ein Lernen, das eben nicht alles so lässt, wie es wahrgenommen ist, sondern auch Einfluss nimmt auf die Leseprozesse: Vor und mit dieser Unterscheidung geht es um die Unterscheidungen im Lesen selbst. Dafür sind Kriterien unabdingbar, die die Leseprozesse nicht manipulieren und über richtiges und falsches Lesen entscheiden; in bildenden Prozessen wird es immer auch um Einflüsse durch die Lehrenden geht, und die haben hier ihren besonderen Grund. Das wird immer dann wichtig, um einmal (1) ein Lernen zu verhindern, das die tröstenden Perspektiven zugunsten der fordernden vergisst; das wäre dann ein Lernen, das den Lesenden über Gebühr etwas zumutet und die Wahrnehmung des Evangeliums verhindert. Das wäre dann auch ein Lernen, das (2) defizitär und einseitig in die Lesewahrnehmung führt und bewusst und direktiv andere Aspekte abblendet; auf diese Weise verlöre sich auch die Erfahrung von Freiheit, die durch die Lektüre eröffnet werden soll und die das grundlegende Kriterium jeden Umgangs mit dem Evangelium ist. Zum anderen wäre auch ein Lernen zu fördern, das (3) durch die Lektüre eine immer genauere und also vertiefte Wahrnehmung des Evangeliums ermöglicht; auch dazu braucht es bildende Prozesse, die den Lernenden nicht allein lassen bei seiner Lektüre, sondern ihn darin unterstützen, ganz so, wie das in der lernenden Begegnung von Philippus und dem Kämmerer (Apg 8) möglich wird.13 Ich möchte das zusammenfassend die korrigierende Aufgabe religionspädagogischer Arbeit in religiöser Bildung nennen, die 13 Vgl. dazu auch die gegenwärtig an meinem Lehrstuhl entstehende Studie von Stephan Ahrnke, die dieser bibeldidaktischen Aufgabe genauer nachgeht.
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freilich direktive, aber immer wieder auch andere Lernrichtungen braucht. Man könnte es auch so formulieren, dass immer dann, wenn das Lesen in die Wahrnehmung und Erfahrung der Freiheit führt,14 es angemessene Lernwege sind; das können dann solche sein, die sehr bestimmend und herausfordernd angelegt sind, es können aber auch sehr kritische und in Frage stellende Wahrnehmungen der Schrift sein. Die kreative Kraft, die in diesem Vorgehen steckt, bildet sich im Lesen der Heiligen Schrift immer neu ab. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hält dazu an, auf der Grundlage einer reflektierten protestantischen Theologie die Leserichtung als Richtung zur Freiheit bzw. auf Freiheit hin anzulegen. Das wäre das innere und wesentliche Moment von Bildungsprozessen in der Begegnung mit der Heiligen Schrift. Woraus sich die Freiheit bestimmt und was es mit dieser Freiheit des Glaubens auf sich hat, die die Lektüre der Schrift eröffnet, ist das, was zu lernen aufgegeben ist; dem soll nun weiter nachgegangen werden, indem die Bildungsbemühungen genauer erfasst werden (Kapitel 3), die religiöses Lernen eröffnen und auf dem Hintergrund des Diskursraums Heilige Schrift erfasst werden. Ein weiterer Schritt führt dann (Kapitel 4) hinein in den Diskursraum Reformation; dort wurde die Freiheit, die der Glaube schenkt, zum Ausgangspunkt auch der herben, bisweilen bitteren und doch immer wieder auch hoffnungsvollen Auseinandersetzungen, die in der Reformationszeit intensiv geführt wurden und bis heute eine Herausforderung von Theologie, aber auch Religionspädagogik darstellen. Im Ringen um diese Freiheit zeigt sich das Erbe der Reformation, das als ein Diskursraum religiöser Bildung gelten kann und muss.15
14 Vgl. dazu auch Diskursraum Bildung (Kapitel 3) in dieser Veröffentlichung. 15 Vgl. weiterführend I. Schoberth, Pädagogischer Aufbruch.
3 Diskursraum Bildung Erziehung zur Mündigkeit als Erziehung zur Freiheit
These: Bildung wird als Diskursraum der anfänglichen Erfahrung der Freiheit christlicher Religion/Glaubens reflektiert und dargestellt. Dieser Raum der Freiheit muss in unterrichtlichen Prozessen immer spürbar sein, sonst wäre es kein Unterricht in christlicher Religion. Darum ist es angemessen, von den Atmosphären und Resonanzen zu sprechen, die sich hier ausdrücken: Atmosphären sind Ausdruck eines spezifischen Umgangs der Lehrenden und Lernenden miteinander, der eingeübt wird und der aus der Freiheit des Glaubens bestimmt ist. Resonanz meint hier insbesondere das Antworten auf die Begegnung mit den inhaltlichen Entfaltungen christlicher Religion im Unterricht.
3.1 Erfahrung der Freiheit und die Storys der Heiligen Schrift Die narrative Tradition, in der sich christlicher Glaube bewegt und ausdrückt, verweist auf einen Modus des Lernens, der christlichen Glauben für die Lernenden eröffnet: Sie sollen teilhaben an den Erzählungen und Geschichten, die aus einer Praxis der Erinnerung leben. Erinnerung heißt dabei so viel wie ›In-Geltung-Bleiben‹ dessen, was erfahren worden ist: Die Storys der Bibel sind nicht vergangene Geschichten, sondern werden erzählt, weil der Erfahrungsgehalt, der in diesen Geschichten aufscheint, auch die erreichen soll, die sie neu kennenlernen und neu von ihnen hören – und das zu allen Zeiten. In und mit solchem Erzählen scheint nicht nur die Freiheit auf, die christlichem Glauben eignet, sondern mit dem Modus des Erzählens wird das Geschehen des Erzählens selbst als eine Form der Erfahrung von Freiheit erkennbar und bestätigt die
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Verheißung, die dem Lesen der Schrift zugehört. Das hat dann wiederum je eigene Varianten: dem Erzählen folgen, sich im Erzählten zu bewegen und aus dem Hören selbst zum Erzähler werden – diese Perspektiven sind in den biblischen Erzählungen angelegt.1 Damit stellen sich die Geschichten in eine Tradition des Erzählens hinein – auch wenn der Lebenszusammenhang, in dem diese Geschichten gestanden haben, verlorengegangen ist – und fordern zu neuem Erzählen heraus. Religiöse Bildung greift auf dieses Geschehen zu und begibt sich auf einen Weg, das Erzählte im je bestimmten Heute zu erzählen; damit bringt sie sich auch selbst in das Erzählen ein. Im Vertrauen auf die Geschichten wagen die Erzähler je neu eine Interpretation2, die in eine neue Wahrnehmung des Erzählten im Heute führt. Paradigmatisch wird das Erzählen in Dtn 6 als Form der Begegnung mit der in Gott eröffneten Wirklichkeit festgehalten: »Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.« (Dtn 6, 7). »Wenn dich nun dein Sohn morgen fragen wird: Was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der Herr, unser Gott, geboten hat? So sollst du deinem Sohn sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand.« (Dtn 6, 20–21). Mit dieser Erfahrung der Gegenwart Gottes zugleich wird die erfahrene Freiheit weitergegeben, weitergesprochen und gleich1 Grundlegend wurden die Zusammenhänge von Erzählen und der Rede von der Story Gottes mit den Menschen entfaltet im Sammelband: M. Hofheinz/ F. Mathwig/M. Zeindler (Hg.), Ethik und Erzählung. Die hier vorgetragenen Überlegungen basieren auf dem von Dietrich Ritschl entfalteten Story-Konzept, der es aus dem angelsächsischen Raum der Theologie in Deutschland vermittelt hat; vgl. D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. 2 Vgl. zum Umgang mit und zur Auslegung von Texten vertiefend P. Ricoeur, Die Interpretation.
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sam mit den Geschichten proklamiert: Die Mitteilung der Freiheit ist darum unabdingbar verbunden mit einem Kennenlernen der Geschichten, die in diese Freiheit führen. Unterricht in christlicher Religion erhofft diese Resonanz im Lesen der Heiligen Schrift, dass nicht nur die Inhalte wahrgenommen werden, sondern zugleich die Freiheit spürbar und zur Ahnung wird, die diese Erzählungen als Verheißungsgeschichten mitteilen. Hilfreich ist für diesen Zusammenhang der Begriff der Resonanz, der ja bereits thematisiert worden ist.3 Resonanz meint hier insbesondere das Antworten auf die Begegnung mit den inhaltlichen Entfaltungen christlicher Religion im Resonanzraum des Unterrichts. Religiöse Bildung umfasst mehr als nur Vermittlung und Transfer, sie hofft darauf, dass sich in Bildungsprozessen auch die pneumatische Dimension religiöser Bildung durchsetzt; Texte werden nicht nur als Texte wahrgenommen, sondern die Erzählungen ziehen in die Freiheit hinein, die christlicher Glaube je neu erhofft. Je neu sind wir im Lesen dieser Zusage herausfordert zu lernen, uns ihr anzuvertrauen: »Und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand.« Die Erzählungen vom Exodus eröffnen paradigmatisch ein Verständnis des Erzählens: Die Wirklichkeit der Gegenwart Gottes in seinem Wort steht ein für die Freiheit, die mit seinem Wort verheißen ist und im Erzählen je neu zur Wirklichkeit wird: Das wäre als ein Paradigma zu verstehen, das vor allem auch das pädagogische Handeln zu bestimmen vermag. Wer also in der Bibel liest, wer biblische Geschichten hört und wer selbst zum Erzähler wird, lernt sich auf eine Freiheit zu beziehen, die als Verheißung dem Erzählen anhaftet. Auf die Spur dieser Freiheit begibt sich dann auch der Erzähler, der Interpret der Erzählungen und letztlich mit ihm jeder, der in der Bibel zu lesen beginnt. Zu Recht beschreibt Walter Benjamin den Erzähler als Interpreten: »So haftet an der Erzählung die Spur des Erzählenden wie die Spur der Töpferhand an der Tonschale.«4 Mit der inhaltlichen Ausrichtung der Lernprozesse kommen zugleich auch die erzieherischen Verhältnisse und Situationen in 3 Vgl. die einleitenden Überlegungen zu den Konturen einer Religionsdidaktik in Kapitel 1. 4 W. Benjamin, Der Erzähler, 447.
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den Blick, die es in religiösen Bildungsprozessen unternehmen, von dieser in Gott eröffneten Freiheit zu erzählen. Auch diese Beziehungen leben davon, dass sie Ausdruck dieser Freiheit sind, auch wenn Freiheit nicht deckungsgleich mit dem ist, was Lernen ausmacht. Was also heißt darum Freiheit bzw. Erfahrung von Freiheit im erzieherischen Prozess religiöser Bildung?
3.2 Erfahrung der Freiheit in der Erfahrung erzieherischer Begegnung Erzählen dieser aus Gott eröffneten Freiheit führt den Hörer/Schüler ins Vernehmen dieser Freiheit. Damit ist das Lernen christlichen Glaubens qualifiziert und verweist zugleich auf die erzieherische Begegnung, die das Lernen des Glaubens bestimmt: Es ist eine Begegnung, in der das Erzählte selbst wirkt; unter dieser Voraussetzung gewinnt die erzieherische Situation eine eigene Form. Sie muss aus der Freiheit bestimmt sein, die Erzähler und Hörer, Meister und Schüler zueinander führt. Wie nahe oder wie fern diese Freiheit den Lernenden und Lehrenden bleibt, ist freilich letztlich jeder Evaluation entzogen; was ich allerdings als Lehrer im Erzählen einbringen und zeigen will, lebt von der Authentizität des Lehrerseins5, das in je spezifischer Weise aus dieser Freiheit lebt: »Lehrer sein heißt: zeigen, was man liebt. … Ein Lehrer muß auch die Fähigkeit haben, vom Kind abzusehen und es in eine Welt einzuführen, die ihm fremd ist.«6 Die Bedingungen des Lernens sind dabei genau wahrzunehmen und daraus Lernformen zu reflektieren und zu entwickeln, die der Mitteilung dieser Freiheit dienen. Dabei bestimmt der Umgang der Lehrenden und Lernenden das Lerngeschehen und schafft so eine Atmosphäre, die auch für das einsteht, was gelernt wird. Insofern kann man davon sprechen, dass es hier um einen Umgang miteinander 5 Weiterführende Aspekte zum Thema Authentizität finden sich in der Arbeit von Christoph Wiesinger, die bald veröffentlicht werden wird. 6 F. Steffensky, Der alltägliche Charme.
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zu tun ist, der sich atmosphärisch niederschlägt; das ist freilich nicht einfach zu haben, sondern braucht die Bemühungen und die Reflexion auf die Freiheit hin, die der Glaube schenkt. Weil solche Bemühungen immer auch gefährdet sind, bedarf es umso mehr der eindringlichen Reflexion dieser religionspädagogischen Aufgabe. George Steiner hat solche Szenarien des Lernens ausgeschritten. In seinen Wahrnehmungen zeigen sich die Gefährdungen von Lernprozessen ebenso wie die Chancen, wenn ein Lernen anvisiert wird, das von einer Interaktion lebt, die Meister und Schüler gleichermaßen als Beteiligte im Lernen erkennt und beide als im Lernen gemeinsam unterwegs zeigt. »Meister haben ihre Jünger sowohl psychisch als auch, seltener, physisch zerstört. Sie haben ihren Geist gebrochen, ihre Hoffnungen vernichtet, ihre Abhängigkeit und Individualität ausgebeutet. Die Sphäre der Seele hat ihre Vampire. Umgekehrt haben Jünger, Schüler, Lehrlinge ihre Meister gestürzt, verraten und zugrunde gerichtet. Auch dieses Drama hat sowohl psychische als auch physische Aspekte. … Die dritte Kategorie ist der Austausch, ein Eros von wechselseitigem Vertrauen und sogar Liebe … Auf dem Weg einer Interaktion, einer Osmose lernt der Meister von seinem Jünger, während er ihn unterrichtet.«7 Die Anstrengungen wie auch die Schwierigkeiten, die ein gemein sames Lernen auf Freiheit hin ausmachen, liegen auf der Hand. Mit Beschreibungen wie »Schwierige Freiheit«8, so Emmanuel Lévinas in seinem Versuch, die freiheitliche Gestalt des Judentums zu reflektieren und »Negative Freiheit«9, mit der Charles Taylor seine Kritik am neuzeitlichen Individualismus durchführt, um nur einige Aspekte zu nennen, ist Freiheit nach wie vor auch für den theologischen Diskurs eine Herausforderung und in gleicher Weise auch für das Nachdenken über religiöse Bildung. Mit der Erziehung zur Freiheit ist nicht nur der Einzelne im Blick, sondern immer auch ein 7 G. Steiner, Der Meister und seine Schüler, 10. 8 E. Lévinas, Schwierige Freiheit. 9 Ch. Taylor, Negative Freiheit?.
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Geschehen, das mich und den anderen angeht: Diese Beziehung zum Nächsten, so betont Matthias Zeindler, führt in eine Radikalität der Beziehung: Denn »Die Forderung der Nächstenliebe erhält … eine kaum mehr zu überbietende Fundamentalität und Verbindlichkeit …«.10 Diese Verbindlichkeit gestaltet die Freiheit zum Nächsten wie sie aber auch das Verhältnis des Menschen zu Gott betrifft und herausfordert. Die Nähe Gottes und des Menschen wird aus dem Lesezusammen hang auch der Erzählungen der Schrift zu einer Beziehung und, wie es Lévinas formuliert, einer Beziehung »zu Demjenigen, den die Seele nicht enthalten kann und ohne Den sie sich in gewisser Weise selbst nicht halten kann.«11 Daraus erwächst ein ethischer Imperativ, in der die Barmherzigkeit Gottes zur Verbindlichkeit für das Leben mit anderen wird: »Seid barmherzig wie er.«12 Mit Lévinas kommt darum die Radikalität dieser Nächstenschaft als Liebe zum Nächsten in den Blick, die aus einem befriedeten Gottesverhältnis des Menschen resultiert. Eberhard Jüngel hat das eindrücklich festgehalten und theologisch interpretiert: »Doch die sich mit der ganzen Intensität des Gottesverhältnisses auf den Anderen richtende Liebe nimmt den Andern … in seinem Anderssein wahr und bejaht ihn in seinem Anderssein. Sie identifiziert sich mit ihm, indem sie ihn gerade nicht vereinnahmt, nicht nostrifiziert, nicht um sein Anderssein betrügt. Sie konstituiert vielmehr – in strenger Analogie zum Sein des dreieinigen Gottes – eine nun freilich menschliche Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins.«13 Freiheit im erzieherischen Prozess ist damit keine Freiheit, die das einsame Subjekt für sich beansprucht – wie es Summerhill und andere 10 11 12 13
M. Zeindler, ›Wer ist mein Nächster?‹, 568. E. Lévinas, Eine Religion für Erwachsene, 28. A. a. O., 29. E. Jüngel, Die Wahrnehmung des Anderen, 223. Jüngel bezieht sich dabei auf Lévinas’ Überlegungen in: E. Lévinas, Die Spur des Anderen, 235.
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moderne Bildungsversuche zu bewerkstelligen versucht haben –, sondern ist eine Freiheit der Barmherzigkeit, die immer in der Beziehung zum Nächsten wie auch aus der Relationalität des Menschen und Gottes erwächst und so ihre spezifische Kontur gewinnt. Die Radikalität der Nächstenliebe führt darum in die Verantwortung, die auch jedem im erzieherischen Prozess Beteiligten zukommt; Freiheit wird dabei, wie es überzeugend Christof Gestrich formuliert hat, in der Spannung von Gefährdung und Verantwortlichkeit des Menschen konkret und findet so ihre Form der Mündigkeit: »Mündigkeit ist der ›Austritt‹ aus einer infantilen Gläubigkeit an die langfristige Unbedenklichkeit unserer Schadenshandlungen und unserer Versäumnisse. Mündigkeit ist der Beginn des verantwortlichen Lebens.«14 Die Strenge im Umgang mit Mündigkeit und Verantwortlichkeit im erzieherischen Prozess ist alles andere als von ungefähr; die Übertretungen von Grenzen und der Missbrauch der erzieherischen Verantwortung ist vor allem auch in den letzten Jahren so deutlich geworden, dass das Ethos, das jeder erzieherischen Begegnung innewohnen und sie auszeichnen muss, nicht radikal genug formuliert werden kann. Insofern ist in alle Erziehungsbemühungen ein Realismus einzutragen, der sich von Illusionen befreit und zugleich und immer neu einen nüchternen Blick auf Möglichkeiten wirft für eine Erziehung auf eine in Gott eröffnete Freiheit hin, als Bedingung für eine Welt und ein Leben, das ein menschliches Antlitz behalten soll.15
3.3 Konturen einer Erziehung zur Freiheit Auf dem Hintergrund dieser Bestimmungen einer Bildung, die die Einübung in das Reden von Freiheit als Grundanliegen religiöser Bildungsbemühungen festhält und sich der uneingeschränkten Forderung aussetzt, den erzieherischen Prozess aus dieser Freiheit heraus und bezogen auf sie zu gestalten, sind nun die Konturen aufzu14 Ch. Gestrich, Christentum und Stellvertretung, 143. 15 Vgl. bes. P. L. Lehmann, Sollen wir die Gebote ›halten‹?.
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suchen, die ein Lernen dieses theologisch ausgerichteten Redens von Freiheit bedingen. Dabei ist das Reden selbst nicht nur als ein Sprechen von Freiheit verstanden im Sinne ihrer emanzipatorischen Erfahrung, sondern das Reden selbst ist Ausdruck der Mitteilung der in Gott zugesagten Freiheit, die aus der Hoffnung auf Freiheit lebt und so auch zur Ahnung werden kann in religiösen Bildungsprozessen – wenn auch oft nur ganz anfänglich. Im Folgenden möchte ich Elemente einer solchen religiösen Bildung aufsuchen, die die Sensibilität für die Wahrnehmung eines guten Lebens zu eröffnen vermag, das sich aus der Freiheit bestimmt, die Gott den Menschen zusagt und das immer wieder neu. Dieser Entwurf von Bildung folgt gerade nicht einem allgemeinen Bildungsanliegen, sondern es werden die Konturen aufgesucht, die ein aus der theologischen Reflexion gewonnenes Bildungsverständnis eröffnen. Diese Aspekte werden im Folgenden entfaltet, wobei auf die systematische Verankerung dieser Bildungsbemühung in besonderer Weise abgehoben werden soll.16 Das eher schwierige Terrain einer systematischen Grundlegung religiöser Bildung kann die Komplexität des theologischen Redens nicht verringern, soll es um die Darlegung einer Bildung zu tun sein, die erst an und mit der theologischen Reflexion und ihrer inhaltlichen Bezüge ihre genuinen Konturen als religiöse Bildung gewinnt. Die Überlegungen von Martin Hailer seien hier aufgenommen, weil sie auf die damit verbundene Notwendigkeit der Ausbildung der zukünftig Lehrenden in religiösen Bildungsprozessen hinweisen. Sie verweisen in gleicher Weise wie das Verständnis von Bildung selbst auf die systematische Durchdringung des religiösen Lernens. Als Aufgabe der genauen Wahrnehmung sowohl der impliziten Theologie der Lernenden wie aber auch der Theologie, die die Lehrenden verantworten, bedarf es darum der genauen systematischen Reflexion: »Hinter dem Reden und Erzählen, hinter der Praxis sind Regeln am Werk. Diese gilt es aufzufinden. Auch und gerade für die 16 Vgl. dazu auch weiterführend: M. Hailer, Die Funktion der systematischen Theologie.
Konturen einer Erziehung zur Freiheit53
Schule ist diese Wahrnehmung wichtig. Lehrer/innen müssen fähig werden, die implizite Theologie ihrer Schüler kennen zu lernen und ihr begegnen zu können, weil sie mit ihr arbeiten und sie ggf. auch verändern wollen. Auch müssen sie fähig sein, die Regeln ihrer eigenen Theologie zu kennen und auf sie kritisch und kreativ reflektieren zu können.«17 Insofern lassen sich die Kriterien des Redenslernens von Freiheit nur aus dem systematischen Zusammenhang erfassen. Die folgenden fünf Aspekte sollen das zeigen und die Kontur einer Erziehung zur Freiheit deutlich werden lassen. 3.3.1 Lernen, bedürftig zu sein/abhängig zu sein Mithilfe der Einsichten der pathischen Anthropologie18 kann das Lernen, um das es hier gehen soll, differenzierter in den Blick genommen werden; sie hilft, einen Prozess genauer wahrzunehmen und zu beschreiben, der sich im Lernen vollzieht. Dabei ist grundsätzlich festzuhalten, dass der Mensch als ein Lernender wahrgenommen wird; er wird nicht wahrgenommen als ein jemand, »den, oder das ›es gibt‹, sondern als einer oder etwas, das wird oder ›werden‹ will, darf, kann, soll oder muß.«19 So wird das Prozesshafte, das dem Lernen anhaftet, auch in die anthropologische Wahrnehmung eingetragen, die es dann erlaubt, den Lernenden lebendig und auf dem Weg zu beschreiben, wie es für den Vorgang von Bildung grundlegend ist. Religiöse Bildung geht darauf zu, dieses Unterwegssein zum immer genaueren und vertieften Wahrnehmen der Freiheit auszuloten und unterrichtlich, soweit es möglich ist, zu arrangieren. Dabei steht eine Freiheit vor Augen, die als die von Gott eröffnete Freiheit benannt werden kann, die für christliche Religion schlechthin steht und nicht mit einem allgemeinen und unbestimmten Begriff von Freiheit bzw. Vorstellungen von subjektiver Freiheit verwechselt werden darf. Sie ist als eine Freiheit zu bestimmen, die den Menschen in 17 A. a. O., 83. 18 Vgl. dazu V. von Weizsäcker, Pathosophie. 19 A. a. O., 71.
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eine Abhängigkeit führt und die er anzuerkennen lernt. In anthropologischer Perspektive formuliert Eberhard Jüngel diese Grundausrichtung des Menschseins vor Gott zutreffend: »Als Vertrauen auf Gott nimmt der Glaube ja Gott als Helfer und Retter, also als den Anderen, der für mich da ist, wahr. Im Glauben erfahre ich das Anderssein Gottes als ein mir zugute kommendes Anderssein. In der Perspektive des christlichen Glaubens heißt Menschsein deshalb zuerst und vor allem: einen Anderen für mich dasein lassen, um sich selbst von diesem Anderen her allererst zu empfangen.«20 Damit kommen Perspektiven in den Blick, die das Leben im Vertrauen auf Gott in der Anerkennung der Abhängigkeit meiner Geschichte/Freiheit beschreiben lassen: Das eigene Leben bestimmt sich also nicht aus dem, was ich schaffe und was mir gelingt, sondern es bestimmt sich aus einem Verwiesensein auf Gott; ›einen Anderen für mich dasein lassen‹ zeigt den Menschen in seiner Geschöpflichkeit, führt ihn in eine Wahrnehmung und in ein Verstehen seiner selbst, das über das hinausreicht, was ich als Mensch von mir halte und wie ich mich selbst beurteile. Von Gottes Urteil über den Menschen her gewinnen Menschen eine ›Identität der Abhängigkeit‹ als Bestimmung seiner Geschöpflichkeit. Im Lassen aller Anstrengungen, im Lassen aller zweifelnden Versuche selbst sein zu wollen, im Lassen aller krampfhaften Versuche, Beziehungen verantwortlich gestalten zu wollen oder aber auch zu können, kommt den Menschen eine Freiheit zu, aus der er neue Orientierungen gewinnt: Solche Betrachtung eröffnet einen realistischen Blick auf die eigenen Möglichkeiten, wie sie auch eigenes Scheitern und Versagen an der Welt und sich selbst neu qualifiziert; sie zeigt den Menschen in seiner Bedürftigkeit und nimmt ihn darin ernst, ohne ihn eben bloß als einen Starken oder aber als einen Leidensfreien zu zeichnen.
20 E. Jüngel, Die Wahrnehmung des Anderen, 218.
Konturen einer Erziehung zur Freiheit55
3.3.2 Lernen, Geschöpf zu sein: Besitzen heißt immer empfangen Geschöpflichkeit ist zu verstehen als etwas, das immer neu empfangen wird. Das drückt etwa die Rede von der Würde des Geschöpfes aus; die Würde kommt den Menschen von Gott her zu und kann nicht verloren gehen. Es ist eine Würde, die nicht mit menschlichen Kategorien zu messen ist, sondern die sich dem Menschen als Gabe eröffnet und ihn damit in seinem besonderen Verhältnis zum Schöpfer bestimmt. Die Seligpreisungen unterstreichen diese Würde vor allem für die, deren Würde sich gerade nicht aus einer Stärke heraus bestimmt, sondern deren Würde auch in der Schwachheit und in der Sanftmut mächtig ist: »Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.« (Mt 5, 5). Dietrich Ritschls Rede vom Jerusalemer Menschen als dem biblischen Menschen, als die angemessene Rede vom Menschen verweist hier auf eine anthropologische Perspektive, die aus der biblischen Rede vom Menschsein gewonnen ist und ihn damit in seiner Gottebenbildlichkeit/Geschöpflichkeit erfasst. Diese Rede führt zu einer heilsamen Unterscheidung, die Herrschaftsverhältnisse unterbricht und neu ausrichtet. Nicht die Starken werden das Erdreich besitzen, sondern diejenigen, die Sanftmütigkeit lernen. Auch die mit dem dominium terrae implizierte Herrschaft des Menschen lebt nicht aus einer vom Menschen selbst geschaffenen Herrschaft, sondern führt in eine Wahrnehmung von Natur und Schöpfung, die dem Menschen aus seiner Geschöpflichkeit zukommt:
»Verantwortung weist uns vielmehr aus uns selbst und aus unserer Subjektivität hinaus und zwar in jener zweifachen Richtung, die wir durch die Pronomina: verantwortlich ›für‹ und verantwortlich ›vor‹ auszusprechen pflegen.«21 Das Tun und Handeln des Menschen an der Schöpfung lebt und gestaltet sich nicht aus dem, was das Subjekt für richtig erachtet, sondern aus der dem Geschöpf zukommenden Freiheit zur Ver21 Ch. Link, Der Mensch als Geschöpf, 44.
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antwortung an dieser Welt.22 Damit ist zugleich festgehalten, dass diese Verantwortlichkeit aus dem Gegenüber lebt, der Verantwortung vor Gott. Das dominium terrae spielt damit dem Menschen eine Freiheit zur Verantwortung an der und für die Schöpfung zu, die ihn darin aber zugleich der Grenzen bewusstwerden lässt, die dem Menschen in seiner Geschöpflichkeit gegeben sind. Lévinas erkennt in dieser Geschöpflichkeit den Grund dafür, dass der Mensch in der Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Schöpfung keinerlei Recht zukommt. Wie das gelobte Land niemals zum Besitz werden kann, so wird der Mensch in seiner Geschöpflichkeit das, was ihm zukommt, niemals als Besitz verstehen, sondern als etwas begreifen lernen, das er wie seine ganze Existenz Tag für Tag neu empfängt: »Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du die Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.« (Psalm 104, 27.28) Diese Erfahrung der Geschöpflichkeit interpretiert Lévinas auch als eine Freiheit, die dem Geschöpf zukommt und die ihn immer darauf verweist, dass Besitzen empfangen heißt: »Das Bewußtsein meines Ich offenbart mir keinerlei Recht. Meine Freiheit erweist sich als willkürlich. Sie bedarf eines Auftrags. Die ›normale‹ Ausübung meines Ich, das alles, was es erreichen und berühren kann, in ›meines‹ verwandelt, wird in Frage gestellt. Besitzen heißt immer empfangen. Das gelobte Land wird in der Bibel niemals ›Besitz‹ im römischen Sinn des Wortes sein, und der Bauer wird zur Zeit der Erstlingsfrüchte nicht an die ewigen Bande denken, die ihn an die Scholle fesseln, sondern an das Kind des Aram, seines Vorfahren, der ein Umherirrender war.«23
22 Vgl. G. Picht, Der Begriff der Verantwortung, 322 f. 23 E. Lévinas, Eine Religion für Erwachsene, 28 f.
Konturen einer Erziehung zur Freiheit57
3.3.3 Lernen, ein Sünder zu sein Mit der Freiheit, die Menschen von Gott empfangen und die Paulus als Freiheit von der Sünde (Röm 6, 18–23), vom Gesetz (Röm 7, 3 ff.), vom Tode (Röm 6, 21 ff.) bestimmt und in die »Freiheit von der Ich-Sucht, vom Selbst-Sein-Wollen, von der Sorge«24 führt, wird zugleich die Unfreiheit, die Erfahrung der Sünde, das Tun des von Gott Trennenden vor Augen geführt. Das ist das in Christus eröffnete Geschehen, das nur an ihm und in ihm wirksam wird. Erst in Christus erkennen Menschen, dass sie Sünder sind und der in Gott eröffneten Freiheit bedürfen. Lernen, ein Sünder zu sein, geschieht bei den Menschen, die zu Christus dem Gekreuzigten gehören. Dass Menschen in Christus die Sünde erkennen, die sie von Gott trennt, wird in den Überlegungen von Stanley Hauerwas betont. Dabei ist Sünde eben keine allgemeine Tendenz der Menschheit, unmenschlich oder unmoralisch zu sein; wir sind, so Hauerwas, nicht sündhaft, weil wir alle an irgendeiner allgemeinen conditio humana teilhaben, sondern wir sind sündhaft, »weil wir uns etwas über das Wesen der Wirklichkeit vormachen und dadurch den kreuzigen, der uns in die Gottesherrschaft ruft«.25 Erst an und mit Christus wird für die Menschen erkennbar, warum sie Sünder sind. Und das ist mehr als nur die rationale Reflexion eigenen Lebens und Handelns.
»Die Geschichte, die Christen von Gott erzählen, deckt die unangenehme Tatsche auf, daß ich ein Sünder bin. … Nur eine erzählte Geschichte, die mir hilft, mich als Geschöpf eines gnädigen Gottes zu verstehen, kann mir ermöglichen, meine Sünde in grundsätzlicher Untreue und Rebellion aufzufinden.«26
24 E. Wolf, Christliche Freiheit, 201. 25 S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen, 78; vgl. dazu I. Schoberth, Lernen, ein Sünder zu sein. 26 S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen, 78.
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Hauerwas sieht das Ziel allen ethischen Bemühens darin, dass das Ich verwandelt werden muss, um die Welt und darin sich selbst der Wahrheit entsprechend zu sehen.27 »Für Christen entwickelt sich ein solches Sehen durch die Einübung in eine erzählte Geschichte, die uns lehrt, wie wir die Sprache der Sünde nicht nur in bezug auf andere, sondern auch in bezug auf uns verwenden sollen.«28 Die Geschichte, die den Menschen hilft, sich als Geschöpf eines gnädigen Gottes zu verstehen, stellt den Menschen nicht nur in seiner Existenz in Frage, sondern eröffnet sich ihm als eine Geschichte von der her er sich selbst verstehen lernt. Das beginnt damit, dass Menschen Gottes Urteil über die Menschen anzuerkennen lernen, ein Urteil aus Liebe: Es eröffnet sich in der Zusage, »Teil von Gottes Herrschaft zu werden, eine Herrschaft, durch die wir den Charakter annehmen, der einem Menschen entspricht, der Gottes Ruf gehört hat.«29 3.3.4 Lernen kommunikativer Freiheit30 Freiheit verwirklicht sich in Gemeinschaft und wechselseitiger Verständigung. Damit wird diesem Verständnis von Freiheit ein spezifischer Ort in der Praxis gemeinsamen Lebens zugewiesen. Heinrich Bedford-Strohm hat diesen Aspekt herausgearbeitet und erkennt diese Interpretation der Freiheit im Einklang mit Grundaussagen reformatorischer Theologie: »Die Reformation versteht Freiheit als kommunikative Freiheit.«31 Insofern sind Individualität und Sozialität immer aufeinander bezogen; Freiheit qualifiziert gleichsam die Beziehungen von Menschen zueinander, auch dann, wenn diese Beziehungen Asymmetrien aufweisen. Mit Heinz-Eduard Tödt betont Bedford-Strohm die Überwindung der Asymmetrien in Kreuz 27 Vgl. a. a. O., 80: »Ethik, wie wir gesagt haben, handelt nicht in erster Linie von Regeln und Prinzipien, sondern handelt davon, wie das Ich verwandelt werden muß, um die Welt der Wahrheit entsprechend zu sehen.« 28 Ebd. 29 Ebd. 30 H. Bedford-Strohm, Gemeinschaft, 364–369. 31 A. a. O., 365.
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und Auferstehung Jesu Christi, die die Dynamik der Reziprozität von Beziehungen in die Verheißung des Reiches Gottes hineinnimmt: »Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Mt 5, 44 f.) Freiheit ist in diesem Zusammenhang nicht Wahlfreiheit oder Willkürfreiheit, sondern ein Beziehungsbegriff. Freiheit ist aber auch nicht Aufhebung individueller Freiheit in Bindungen. Ausgehend vom Liebesgebot Lev 19, 18 wird die individuelle Freiheit eingebunden und damit gleichzeitig in der Beziehung zum Nächsten verankert. »Freiheit … ist nichts anderes als eine vom Geruch des Moralismus befreite Interpretation des biblischen Liebesgebotes: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«32 Diese Freiheit begründet sich aus der Kraft der Liebe Gottes: »Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit ist die zwischenmenschliche Dimension der Bundesbeziehung, die auf der lebensschaffenden, vergebenden und in beidem transformativen Kraft der Liebe Gottes gründet.«33 Diese kommunikative Freiheit lässt sich in folgenden Dimensionen wahrnehmen, in denen sich kommunikative Freiheit verwirklicht und die sich aus der transformativen Kraft der Liebe Gottes speist: Gottesdienstliche Gemeinschaft, Vergebung, Dankbarkeit für das erfahrene Gute, Sensibilität für das Leiden des Anderen, Reziprozität, Barmherzigkeit, Leidenschaft für Gerechtigkeit, Offenheit für Pluralismus und Differenz.34 32 A. a. O., 368. 33 A. a. O., 368. 34 A. a. O., bes. 370–479.
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Diese Zusammenstellung eröffnet auch die Dimension, die mit der Perspektive interreligiösen Lernens in den Blick kommt: Es findet seine Kontur in der Begegnung mit Anderen und Fremden, mit seinen je eigenen, spezifischen Orientierungen, die sich auch von je meinen unterscheiden. Kommunikative Freiheit muss darum Kennzeichen dieses Diskurses und dieser Begegnung sein. Im Angesicht von Migration wird sie zum Prüfstein gemeinsamen Lebens. Damit steht die Sozialität auf dem Spiel, die trotz und angesichts offensichtlicher Asymmetrien der Lebensformen und religiöser Orientierungen/Identitäten nach dem guten Leben eben auch gemeinsam fragen lässt.35 3.3.5 Lernen, ortlos zu sein Freiheit als Form der Treue und Verantwortung, die heilsam und lebensfördernd ist, ist nicht in seßhaften Formen der Existenz verwurzelt:
»Die Freiheit gegenüber den seßhaften Formen der Existenz ist vielleicht die menschliche Art und Weise, auf der Welt zu sein.«36 »Freiheit gegenüber der Geschichte im Namen der Moral, Gerech tigkeit vor Kultur (Land der Vorfahren, Architektur, Künste) – dies sind letztlich die Termini, die ausdrücken, auf welche Weise der Jude Gott begegnet ist.«37 Diese Ortlosigkeit steht paradigmatisch für die Freiheit, die den biblisch begründeten Glauben bestimmt und verweigert, diesen mit einer Weltanschauung zu identifizieren. Martin Hailer spricht pointiert von der Weltfremdheit des Christen, die auf spannungsvolle Weise Glauben und Welt beieinander hält und doch unterscheidet:
35 Vgl. dazu das Themenheft Flucht und Migration der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie Band 69, Heft 1, 2017, das die Ergebnisse der Tagung der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik 2017 festhält. 36 E. Lévinas, Eine Religion für Erwachsene, 36. 37 A. a. O., 36 f.
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»Welt ist nicht so Heimat, wie sie uns vor Augen liegt, weil ihre Zukunft und Vollendung noch aussteht. Gleichwohl ist die Weltfremdheit eines Christenmenschen nicht gleichzusetzen mit der Flucht aus ihr. Vielmehr ist die Welt als die, der die Zuneigung Gottes gilt, Ort der illusionslosen Zuwendung und so Ort des Menschen, ja Ort Gottes selbst in der Sendung des Sohnes und der Gegenwart des Heiligen Geistes.«38 In der Wahrnehmung der Wirklichkeit, auf die sich christlicher Glaube bezieht, in der er sich bewegt, sich öffentlich macht und doch heimatlos ist, zeigt sich die eigentümliche Spannung christlicher Religion. Sie mischt sich im Streit um die Wirklichkeit ein und wird dabei »der Überhöhung des Faktischen als aus sich heraus gut genauso widersprechen wie dem Wahn, das Heil in der Abwendung zu suchen.«39 Dies geschieht in der eschatologischen Wahrnehmung der Freiheit von der Welt, wie sie Paulus beschreibt: »Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus.« (Phil 3, 20) Der Mensch findet seinen Ort in der Welt, weil die »Gottzugehörigkeit des Menschen«40 und sein Leben als ein Dasein ›in Christus‹ ihn an diesen Ort stellt und ihn darin der Freiheit innewerden lässt, die Gott schenkt. Ernst Wolf betont dazu weiter, dass als geschenkte Freiheit die kommunikative Freiheit über sich hinausweist und darin die Freiheit des Menschen immer auch als eine eschatologische Realität verstanden werden muss: »Seine Freiheit ist von Gott geschenkte Freiheit und insofern eine eschatologische Wirklichkeit.«41
38 39 40 41
M. Hailer, Wie viel Weltfremdheit, 135. A. a. O., 148. E. Wolf, Christliche Freiheit, 212. A. a. O., 201.
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3.4 Erziehung zur Mündigkeit als Erziehung zur Freiheit Diese fünf Aspekte zeigen die Perspektiven auf, die didaktisch fruchtbar zu machen sind, sollen Lernende teilhaben an den Orientierungen und Wegen christlichen Glaubens. Sie thematisieren christliche Freiheit als dem Menschen zukommende Freiheit, die aus der Anerkennung der Abhängigkeit lebt, in die die geschöpfliche Grundbestimmung des Menschen führt. Für die Lernenden religiöser Bildung, insbesondere des Religionsunterrichts, sind das wenig vertraute und fremde Perspektiven: Aber in dem Fremden und wenig Vertrauten liegt eine Chance des Unterrichts christlicher Religion. Schüler sind längst nicht nur selbstbestimmte Subjekte, die darüber entscheiden können, was für sie gelten soll und was nicht; vielmehr haben Studien zur Lebenswelt der Schüler wie auch Erzählungen der Lehrenden besonders in der Schule/Religionsunterricht gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler nach wie vor einfühlsame, zuverlässige und dauerhafte Unterstützung brauchen, um sich im Leben zurechtzufinden. Christliche Religion bietet mit ihrem Unterricht in religiösen Bildungsprozessen, besonders auch an der Schule, ein Angebot, die Tiefendimensionen des Lebens auszuschreiten und der Freiheit inne zu werden, die christlicher Glaube schenkt. Das braucht Lernwege, die die Lernenden zu ersten Ahnungen und Perspektiven führen, die sie im Unterricht christlicher Religion ausschreiten können. Mündigkeit tut sich dort auf, wo der Lernende nicht nur von der Vielfalt (auch) der religiösen Optionen überfordert wird, sondern wo er beginnt, den humanen Dimensionen christlicher Religion vertrauen zu lernen. Insofern bietet der christliche Glaube in seiner Rede von der Freiheit eine Option an, die Schülerinnen durchspielen und nach deren Geltung für ihr Leben sie suchen können. Religiöse Bildung – insbesondere im Religionsunterricht – bietet so einen Raum an, in dem die Lernenden nicht sich selbst und den Forderungen der Individualisierung überlassen bleiben. Sie sind nicht irgendwelchen personalen Autoritäten überlassen, die sich anmaßen, genau und besser zu wissen, was gut ist. Weil die bisherigen Erziehungsinstitutionen ausgedient ha-
Erziehung zur Mündigkeit als Erziehung zur Freiheit 63
ben42 und Kinder von noch ungenauen neuen Erziehungsinstitutionen (Medien, Konsumwelt) erzogen werden, muss religiöse Erziehung um der Freiheit des Glaubens willen aufmerksam in Bildungsprozessen korrigieren – deutlich und von der Freiheit zur Mündigkeit bestimmt, die christlicher Glaube schenkt.
42 J. Oelkers, Kinder sind anders, 243.
4 Diskursraum Reformation Die Reformation, Martin Luther, der Kleine Katechismus und mehr …
These: Reflexionen zur Reformation bilden einen Diskursraum, in dem und mit dem die Lernenden religiöse Identität entdecken lernen und die sich auszeichnet durch die Spannung von Freiheit und Gebundenheit.
4.1 Warum eigentlich noch Luther, Reformation, Katechismen? Mit dem Reformationsjubiläum wird der Diskursraum Reformation zum unumgänglichen Gegenstand religiöser Bildung; darum sind auch eine Vielzahl von Veröffentlichungen herausgegeben worden, die die damit verbundenen Themen für den Unterricht vorbereiten. Und doch bleibt die Frage: Haben wir gegenwärtig nicht andere Probleme und Herausforderungen zu bewältigen als uns mit Luther, der Zeit der Reformation und dem Kleinen Katechismus zu beschäftigen? Vor allem auch im Kontext von Bildung scheinen viel drängendere Fragen zu warten. Und muss man »eher Angst um Luther«1 haben, wie es Hans Martin Barth formuliert, weil er wegen seiner Sperrigkeit und seiner Komplexität pädagogisch mehr hinderlich als hilfreich ist? Dazu kommt, dass wir meist ganz beschäftigt sind mit den jetzt dringlichen Fragen: interreligiösen Themen ebenso wie Fragen nach angemessener Bildung, denen gegenüber Fragen zur Reformation und Luther oder nach seinen Katechismen seltsam antiquiert wirken? Das ist freilich nicht neu. Schon Thomas Manns Buddenbrooks beginnen mit der bekannten Szene, in denen das Katechetische lächerlich wird, weil es nur als Leerlauf erscheint. Denn, so die kleine 1 H.-M. Barth, Die Theologie Martin Luthers, 24.
Ein erster Blick auf aktuelle Unterrichtsentwürfe65
Antonie, achtjährig und zart gebaut: »Was ist das?« Und als die Mutter der ins Stocken Geratenen weiterhilft, kommt sie, »während ihr Gesicht sich aufklärte … auf glatte Bahn … und schnurrte nun, glückstrahlend und unaufhaltsam, den ganzen Artikel daher, getreu nach dem Katechismus, wie er soeben, Anno 1835, unter Genehmigung eines hohen und wohlweisen Senates, neu revidiert herausgegeben war.« 2
4.2 Ein erster Blick auf aktuelle Unterrichtsentwürfe Zahlreiche Unterrichtsentwürfe fordern explizit dazu auf, sich mit Luther zu beschäftigen. Aber was leitet das Interesse? Ist es nur die Aktualität der Reformationsdekade und alle beschäftigen sich mit Luther? Oder ist es die Notwendigkeit, »das Bewusstsein für die besondere Bedeutung Martin Luthers und der Reformation für die abendländische Geschichte zu wecken bzw. zu stärken«3, wie eines der neuesten Unterrichtswerke zur Reformation die didaktische Absicht formuliert. Damit verbunden wird das Interesse an den Lernenden betont, die eine Sache nur dann erlernen, wenn dafür gesorgt ist, dass die Schülerinnen und Schüler an den inhaltlichen Aspekten »mit ihren Erfahrungen anknüpfen können. … Nur im Anschluss an diesen Erfahrungshorizont wird ein Zugang zu Glaubenserfahrungen ermöglicht, die in der Geschichte gemacht wurden und mit heutigem Fragen, Denken und Fühlen zu tun haben.«4 Wie alle diese Absichten verfolgt werden können und daraus guter Unterricht entwickelt werden kann, wird wiederum oft nur am Rande deutlich. In der Studie von Petri und Thierfelder etwa wird 2 Anfangsszene in Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Frankfurt/Main 1981, 7. 3 So das Anliegen, das Petri und Thierfelder formulieren: Vgl. dazu D. Petri/ J. Thierfelder, Grundkurs Martin Luther, 6 (Vorwort). 4 A. a. O., 8.
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die fachwissenschaftliche Aufarbeitung dazu sehr ausführlich dargelegt und die verschiedenen Themen der Reformation und einer Beschäftigung mit Luther werden breit entfaltet.5 Leider werden zum Erfahrungsbezug der Schülerinnen und Schüler und ihrer Begegnung mit den Glaubenserfahrungen der Reformation keine weiteren Angaben gemacht. Der Bezug auf die Lernenden scheint als unproblematisch vorausgesetzt. Freilich muss genauer gefragt werden: Warum noch Luther? Einmal ist die didaktische Seite im Blick zu behalten, dann aber auch die der Lernenden, ohne ihnen vorschnell einen Erfahrungsbezug zu den Glaubenserfahrungen reformatorischer Zeit unterstellen zu wollen, wie das hier der Fall ist. Die Kompetenzorientierung, die dazu formuliert wurde, stellt heraus: »Schülerinnen und Schüler können Verlauf, Anliegen und Ergebnis der Reformation darstellen; die Person Luthers und die Ereignisse der Reformation in den politischen, sozialen und kirchlich theologischen Kontext einordnen; mögliche Perspektiven des Themas für die heutige Kirche und das persönliche Christsein heute aufzeigen, begründen und beurteilen; die äußeren und inneren Spuren, die die Reformation in unserer Gesellschaft hinterlassen hat, aufzeigen und ihre Bedeutung erläutern.«6 Da wird eine sehr komplexe Absicht deutlich, mit der an das Thema Martin Luther und die Reformation herangegangen wird. Freilich ist dabei nicht ausgearbeitet, wie dieser Zusammenhang von Erfahrungsbezug der Schüler und Glaubenserfahrungen der Reformationszeit zu verstehen ist. M.E. ist das auch gar nicht so ohne Weiteres möglich. Denn weder lässt sich der Erfahrungsbezug der Schülerinnen und Schüler einfach feststellen, noch können wir einfach die Glaubenserfahrungen der Reformationszeit eins zu eins im Unterricht präsentieren, vielmehr braucht das ausdifferenzierte und mühevolle Reflexion – auch Quellenarbeit etc. 5 Vgl. F. Schweitzer, Bildungserbe, der freilich den Akzent sehr viel stärker auf die pädagogisch-bildungstheoretischen Aspekte der Reformation legt, als es hier der Fall ist. 6 D. Petri/J. Thierfelder, Grundkurs Martin Luther, 8.
Mit Luther ein Gefühl für Traditionen entwickeln67
Um den Erfahrungsbezug der Schülerinnen und Schüler im Blick zu behalten und um ihn genauer zu erfassen, möchte ich eine notwendige Reflexion aufnehmen, die für diesen Zusammenhang grundlegend ist:
4.3 Mit Luther ein Gefühl für Traditionen entwickeln Dass auch die Gegenwart an die Vergangenheit verwiesen ist und sich nicht nur aus den Ereignissen der Gegenwart speist, macht die Bedeutung von Traditionen so wesentlich. Das muss freilich im pädagogischen Kontext erst zur Geltung gebracht werden. Woher kommen die Kriterien zur Beurteilung des Jetzt-Dringlichen? Es gehört zu den elementaren Aufgaben der Bildung, das wahrnehmen und reflektieren zu lernen. Dietrich Ritschl, von dem ich den Begriff des »Jetzt-Dringlichen« übernommen habe, nennt das, was unsere Urteile und Entscheidungen leitet, das »Bleibend-Wichtige«.7 Die Herausforderung, die sich auch in religiöser Bildung immer neu stellt, ist ein Lernen, das eben nicht nur der Unmittelbarkeit der Gegenwart verhaftet bleibt. Gerade die Innovation und Kompetenz für die gegenwärtigen Herausforderungen erfordern die Verwurzelung in der Tradition, wie das auch Thomas Kaufmann an der Biographie Luthers herausgestellt hat. »Die Verwurzelung ›seiner‹ Theologie in der Tradition des unum stritten ehrwürdigsten Kirchenvaters des Abendlandes, die Luther später auch ostentativ herauszustreichen wußte, bildete eine unverzichtbare sachlich-theologische und argumentativ-strategische Voraussetzung der Reformation.«8 Insofern war es Luthers selbst darum zu tun, die eigenen Reflexionen nicht unabhängig von den ihn prägenden und formenden Einflüssen deutlich zu machen. Auch für ihn würde gelten, die eigene Theologie zu entwickeln, heißt sie unter der Voraussetzung zu entwickeln, dass die bleibend wichtigen Bezüge in der eigenen theo7 Vgl. dazu insgesamt D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. 8 Th. Kaufmann, Geschichte der Reformation, 137.
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logischen Lebensgeschichte gewürdigt werden. Das heißt aber immer auch, dass es nicht um irgendwelche und fraglos vorausgesetzte Tradition geht, sondern um kritisch angeeignete und bewährte Tradition, die lebendig bleibt. Darum ist es für den Umgang mit der Reformation/Luther in unterrichtlichen Prozessen wesentlich, die Reformation nicht nur als ein historisches Ereignis herauszustellen, sondern auch die hier Beteiligten in ihren Traditionsbezügen aufzusuchen; es muss deutlich werden, welche Zusammenhänge, Widerstände und Hoffnungen sie bestimmt haben. Das wird freilich immer vorläufig bleiben; auch eine theologische Lebensgeschichte bzw. Existenz wird nie aufgehen in dem, was sich zeigt, sondern wird immer auch unentdeckte Aspekte miteinbeziehen müssen, die sich dem Zugriff entziehen. Ein Gefühl für Traditionen zu entwickeln, heißt also das Unverfügbare andere, das sich nicht umfassend aufzuschließen vermag – eben die andere fremde Story – anzuerkennen und zugleich nach den prägenden Bezügen, etwa in einer Lebensgeschichte zu suchen, die helfen, Traditionen wahrzunehmen und die bestimmenden Momente verstehen und interpretieren zu lernen. Daraus ergeben sich auch die Lernformen, die einen Zugang zu Luther und der Reformation eröffnen. Insofern bedarf es eines Lernens, das dem Verfügbaren wie dem Unverfügbaren einer Lebensgeschichte Raum gibt.
4.4 Befähigt zur Kompetenz in Sachen »Luther und die Reformation« Die neuesten Veröffentlichungen im didaktischen Kontext suchen danach, welche Themen sich als unabdingbar für eine Beschäftigung mit Luther zeigen: Vor allem stehen biographische Zugänge im Vordergrund. Die Biographie Luthers, die Wahrnehmung ihres Kontextes und vor allem seine lebensgeschichtlich einschneidenden Erfahrungen werden zumeist in Unterrichtswerken zum Inhalt der Beschäftigung mit der Reformation. Auf diese Weise geht auch David Käbisch in dem von ihm herausgegebenen Unterrichtswerk vor. Dass dabei vor allem Luthers Bezug zur Heiligen Schrift zur Sprache kommt und sich der biographische Zusammenhang mit
Befähigt zur Kompetenz in Sachen »Luther und die Reformation« 69
Luthers Erfahrungen an und mit der Schrift verbindet, prägt dieses neue Unterrichtswerk von 2015.9 Dazu treten zeitgeschichtliche Bezüge und eine Betonung der hermeneutischen Leistungen vor allem durch Luthers Übersetzung der Heiligen Schrift, die die Reformation auch als Medienereignis erfassen lassen. Hier wird die Tatsache gewürdigt, dass Luther durch seinen auch seelsorglichen Beistand Staupitz darin bestärkt wird, »der Bibel einen Vorrang vor jeder anderen Wahrheitsinstanz einzuräumen. … In seiner fortschreitenden Konzentration auf die Bibel als maßgeblicher Quell- und Orientierungsmaßstab der Theologie empfand sich Luther auch als Schüler und Erbe Staupitz’.«10 Unterrichtlich sind diese Zugänge zu Luther auch in ihrer Bedeutung für die Eröffnung eines Verständnisses von Reformation ertragreich: Die Bibel bleibt dann nicht ein fremdes Buch, sondern wird biographisch mit Bezug auf Luthers Lebensgeschichte wahrgenommen und ermöglicht dadurch einen, wenn auch möglicherweise distanzierten Zugang zu ihr. Es steht außer Frage, dass damit einer der zentralen Aspekte der Reformation bearbeitet wird11 und so Schülerinnen und Schülern über die Biographie Luthers in die Wahrnehmung der Reformation eingeführt werden. Freilich ist dieser Zugang einer, der das genuine Verstehen in religiösen Bildungsprozessen noch nicht ausreichend zum Tragen bringt. Denn religiöse Bildung an der Schule und in anderen Kontexten von Kirche braucht ein Lernen, das nicht nur auf
9 D. Käbisch u. a., Luthers Meisterwerk. 10 Th. Kaufmann, Geschichte der Reformation, 136. 11 Vgl. bes. das Unterrichtswerk: Wermke, Michael und Volker Leppin, Lutherisch – Was ist das?; bes. etwa: Baustein 7: 55–62, der das Verhältnis von Glaube und Bildung für den Unterricht aufbereitet mit folgender Absicht: Schülerinnen und Schüler »verstehen den Zusammenhang von Glaube und Bildung bei Luther und Erasmus. Sie erkennen die Bedeutung von Bildung für die eigenständige Durchdringung der Schrift als Prediger sowie Predigthörer und für eine christliche Lebensführung.« (a. a. O., 55)
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die hermeneutische Kompetenz bezogen ist, zu der vor allem an der Arbeit an Quellen bzw. der Bibel12 befähigt wird.13 So wäre für ein Kennenlernen und Wahrnehmen der Reformation auch die Ausrichtung der Lernprozesse auf eine Befähigung zu ästhetischer Kompetenz geeignet.14 Die ästhetische Ausrichtung kann unterrichtlich Räume eröffnen, um auch das Unsichtbare15 religiöser Bildung einbeziehen zu können. Denn um Luther und damit auch den Katechismen auf die Spur zu kommen, bedarf es der Wahrnehmungen, die ihn als einen zeigen, der aus der Relationalität Gottes und des Menschen lebt bzw. daraus sein eigenes Leben immer neu verstehen lernt. Dieses dynamische Verhältnis Gottes und des Menschen ist nicht einfach in hermeneutischen Bildungsprozessen durch Bezug auf biblische Quellen oder Katechismustexte abzubilden, weil es eben nicht abbildbar ist. Das ermöglichen freilich ästhetische Bildungsprozesse, die die Relationalität Gottes und des Menschen als bestimmendes Moment festzuhalten ermöglichen. So kann eine Beschäftigung mit der Predella des Cranachaltars in der Stadtkirche in Wittenberg eine Wahrnehmung Luthers eröffnen, die eben nicht allein aus einer historischen Re-Konstruktion oder Interpretation gewonnen werden kann. Leider finden sich solche weiterführenden und in die Logik der Reformation einführenden Unterrichtswege in Materialien und Unterrichtsentwürfen relativ selten.16 Vorherrschend scheint nach 12 Vgl. dazu auch: J. Krasselt-Maier, Luther: Gottes Wort; hier vgl. bes. zur Frage nach der Bewertung der Heiligen Schrift: Baustein 4: Wort Gottes und Aufklärung – Vom rechten Umgang mit der Bibel, 38–47. 13 Um umfassend in die Zusammenhänge einzuführen, die auf religiöse Bildung gerade Evangelischer Religion ausgerichtet sind, müssen auch solche Kompetenzen in den Blick kommen, die das genuin religiöse Lernen ermöglichen und ausmachen. Damit wäre also die Frage nach solchen Lernwegen gegeben, die das Unverwechselbare religiösen Lernens deutlich und möglich machen, das von einer hermeneutisch ausgerichteten Befähigung der Schülerinnen und Schüler im Sinne eines bloß subjektiven Lernens unterschieden ist. 14 Vgl. dazu grundlegend Th. Erne/P. Schüz (Hg.), Der religiöse Charme. 15 W. Schoberth, Bilder des Unsichtbaren. 16 Die biographisch und zeitgeschichtlich ausgerichteten Entwürfe unterminieren die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit der reformatorischen Einsicht bzw. ihrer inneren Inhalte, die eigens zu thematisieren sind und
Zur Logik der Reformation in religiöser Bildung71
wie vor die Absicht der Befähigung zu hermeneutischer Kompetenz. Dabei bleibt man auch zumeist dem informierenden und analysierenden Gestus der Bearbeitung verhaftet. Religiöse Bildung kann nicht einfach nur Luther in die Gegenwart hereinholen, sondern muss auch Akzente setzen, die zeigen, was mit Luther passiert, wenn seine Überlegungen und Reflexionen Anspruch erheben, die Gegenwart kritisch in Frage zu stellen.17 Dazu sollen nun einige Aspekte aufgezeigt werden, die didaktische Ideen liefern, um gerade auch diesen Aspekt deutlich in den Vordergrund zu heben und über eine einseitig auf die hermeneutische Kompetenz bezogene Ausrichtung der Beschäftigung mit der Reformation hinausführen. Zum Thema wird die innere Logik der reformatorischen Ereignisse und Perspektiven in ihrer Relevanz für das Heute.
4.5 Zur Logik der Reformation in religiöser Bildung 4.5.1 Ich/Schülerin und Schüler und Luther In einem eindrücklichen von Kindern illustrierten Buch zum Thema »Evangelisch. Was ist das?« werden Einblicke in die Reformation durch Kinderbilder eröffnet. Ganz unabhängig vom akademischen durch eine bloß historisch ausgerichtete Aufbereitung Luthers verlorengehen. Vgl. W. Schoberth, Identität und Relevanz. 17 Freilich gibt die Reformationsdekade Anlass zu didaktisch weiterführenden Überlegungen; vgl. dazu auch den Sammelband: Th. Breuer/V.-J. Dieterich (Hg.), Luther unterrichten. Hintergrund dieser Veröffentlichung ist eine Ringvorlesung in Ludwigsburg, die einen multiperspektivischen Zugang (a. a. O., 11) verfolgt mit der Absicht, Luther historisch, gegenwartsbezogen zu unterrichten und zugleich den »Heranwachsenden eine eigenständige, differenzierte und kritische Einstellung gegenüber dem Reformator und dem protestantischen Glauben zu ermöglichen.« (a. a. O., 14). Leider bleiben die Artikel doch eher dem Paradigma der historischen Orientierung der Beschäftigung mit Luther und der Reformation verhaftet. Das Material, das dabei herangezogen wird, ist allerdings beeindruckend. Vgl. dazu auch F. Schumann, Luther to go: eine den Reclamheften nachempfundene Zusammenfassung von wichtigen Lutherzitaten, die ästhetisch aufwendig gestaltet ist. Das Büchlein kommt komplett ohne Anleitung und Interpretation aus, sondern konfrontiert mit leichten, wie auch schwer verständlichen Luthertexten; es ist eine Fundgrube für religiöse Bildungsprozesse, freilich können die meisten Texte nicht ohne gute Anleitung gelesen und verstanden werden.
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Befund, ob nun der Thesenanschlag so wirklich stattgefunden haben mag oder nicht,18 leistet ein Kind mit seinem Bild etwas Eindrückliches: Aus der Story Luthers, die es offensichtlich kennengelernt hat, ist es dieser Thesenanschlag an die Wittenberger Schlosskirche, der dem Kind etwas deutlich gemacht hat und es veranlasst, es so und nicht anders ins Bild zu fassen.19 Die Wittenberger Schlosskirchentür wird vom Kind gemalt; sie hat zum Öffnen auf jeder Seite der Türe, in der Mitte angebracht, einen Türknauf. Es handelt sich um eine zweigliedrige braune Kirchentüre, die voller Thesenzettel ist; die Nägel, die den jeweiligen Zettel halten, sind deutlich zu sehen; auf der einen Seite sind neun Zettel angebracht; auf der anderen elf. Die Zettel sind noch nicht beschriftet; der Hintergrund der Türe ist nicht die Kirchenmauer, sondern eine rosa eingefärbte Wand. Davor, ein Drittel der Größe der Türe einnehmend, ein kleiner Mensch, schwarz gekleidet, der nur von hinten zu sehen ist und der wohl gerade dabei ist, die Zettel an die Türe zu schlagen. Gerade weil die Zettel an der Türe nicht beschriftet sind, sind sie geeignet, sie konkret zu beschreiben. Wäre das die Logik, der man unterrichtlich folgen könnte? Wäre das ein Weg, elementar den Gedanken nachzugehen versuchen, die Luther bestimmt haben könnten, und das wiederum so, dass es für meine Gedanken – einer Schülerin oder eines Schülers – dazu Raum gibt? 18 Vgl. Th. Kaufmann, Geschichte der Reformation, 207 f. u. ö. Ob der Thesenanschlag so stattgefunden hat, ist umstritten. Für die Auseinandersetzung mit Luther im schulischen Kontext ist die historische Beurteilung nicht wesentlich. Vielmehr wäre dieser Zusammenhang so zu bearbeiten, dass die Thesen und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Reformation narrativ entfaltet werden sollten. An und mit den Thesen wird deutlich, wie sehr Luther damit die Auseinandersetzung um den Ablass geführt hat (vgl. dazu a. a. O., 222). 19 Ch. Butt, Evangelisch – was ist das?, 6–7. Die in großer Stückzahl verkaufte Lutherfigur von Playmobil sollte, so wird erzählt, eigentlich einen Hammer in der Hand halten; und nicht eine Heilige Schrift. Solche Storys sind wirklich zum Weitererzählen geeignet: Was wäre, wenn Luther einen Hammer in der Hand hätte? Käme damit sein reformatorisches Vermächtnis bei den Schülern und Kindern an? Oder ist die Werbestrategie die bessere, zu der sich der Hersteller entschieden hat, Luther die Heilige Schrift in die eine Hand zu geben; in der anderen hat er einen Federkiel zum Schreiben/Übersetzen der Schrift.
Zur Logik der Reformation in religiöser Bildung73
Ohne, wie es in der Oberstufe sicher sinnvoll ist, die Thesen in den Blick zu nehmen, eröffnet dieser ästhetische Blick auf die Reformation die eigene Anstrengung, zu formulieren zu suchen, was denn Luther bewegt haben könnte. Das wäre ein Anfang mit Luther, der anregt, sich zu ihm ins Verhältnis zu setzen und seinem reformatorischen Anliegen nachzugehen. Damit beginnt ein Lernweg der Sprachfindung, der mehr und anderes ist als bloß die Biographie Luthers kennenzulernen: Die unbeschriebenen Zettel werden zu beschriften versucht. Ein Lern-Weg, der dem ästhetischen Ausdruck eines Kindes folgt. Vielfältige Lernmöglichkeiten könnten hier noch aufgenommen werden, denn über die unterrichtliche Arbeit und über die hermeneutische Kompetenz hinaus können noch weitere Kompetenzen ausgelotet werden. Einen Grundimpuls für dieses Lernen benennt Michael Meyer-Blanck, wenn er auf das Herz als einen Resonanzraum20 hinweist, als den »Ort, an dem das Wort Resonanz findet.« Darum, so Meyer-Blanck, sollten Lernprozesse in Schule und Gemeinde »die emotionale Dimension«21 genau im Blick haben. In dieser auf die Sinne abgestellten Kompetenz liegen für religiöse Bildung Lernmöglichkeiten, die die Lernenden oft elementarer an die reformatorischen Momente heranführen als eine aufwendige Textlektüre. Hier kommt es inhaltlich darauf an, dass es eben ich als Schülerin und Schüler bin, der etwa diesem Bild folgt, der sich auf die Zettel, noch unbeschriftet, einlässt. Das Bild lässt etwas erahnen und also spüren, was mich auf eine Fährte lockt, hin zu Luther vielleicht. Christlicher Glaube als pro me, als Herausforderung ganz für mich, sucht unterrichtlich solche Lernwege zu entfalten. Nicht jemand anderes, auch nicht der Lehrer, weiß besser dazu Bescheid, sondern ich beginne mit meiner religiösen Geschichte Luther nachzugehen, seinen Ideen Raum zu geben, indem ich beginne, sie zu beurteilen. Meine Geschichte und Luthers Geschichte berühren sich, treffen vielleicht aufeinander, manchmal auch sehr radikal und scharf, fremd oder vertraut vielleicht. Mehr kann es freilich oft nicht sein. Die auf ein Gespür und auf emotionale Eindrücke hin ausgelegten Lernwege finden ihre Begründung in dem pro me der Rechtfertigung; 20 Vgl. dazu B. Stolt, Martin Luthers Rhetorik. 21 M. Meyer-Blanck, Untauglichkeit, 150.
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Diskursraum Reformation
die Reformation wird nicht nur objektiv verhandelt und von außen wahrgenommen, sondern sie wird zu einer Auseinandersetzung, die mit mir, dem Lernenden, zu tun hat bzw. auch zu tun haben will. Der Logik der Reformation auf diese Weise inhaltlich auf die Spur zu kommen, wird hier eröffnet, indem meine Ideen als Lernender in die Ideen Luthers eingezeichnet werden und vice versa Luthers Erfahrungen und Orientierungen in meine Lebensgeschichte hineinkommen. Das setzt eine komplexe theologische Reflexion voraus, die darin begründet ist, dass Luther mit diesen Ideen nicht bei sich und mit sich selbst allein bleiben wollte. Der aufgezeigte ästhetische Lernweg am Kinderbild gibt zu erkennen, dass Luther auf das Gemeinsame des Glaubens hindrängte, als er die Thesen formuliert hat; das sollte auch die unterrichtliche Entfaltung bestimmen; in gleicher Weise will das der Unterrichtsweg, der dem zu folgen versucht, ermöglichen; so knüpft der Unterrichtsweg an die hermeneutischen Zusammenhänge an, die die Begegnung mit Luther eröffnen. Für die Sekundarstufe will ich dem noch genauer nachgehen: Aus den vielfältigen Themen der Reformation will ich einen Aspekt exemplarisch entfalten. 4.5.2 Ich und Luther und die komplexe reformatorische Theologie22 An verschiedenen theologischen Themen kann unterrichtlich mit Schülerinnen und Schülern in die Auseinandersetzung um Luther und die Reformation eingetreten werden. Dies geschieht vor allem in der Auseinandersetzung mit Texten von Luther oder aber auch mit Interpretationen seiner Theologie, anhand ausgewählter Textauszüge.23 Am Thema ›Rechtfertigung‹ habe ich bereits versucht, der Theologie Luthers nachzugehen und gezeigt, wie dieses Thema in den Diskurs mit Schülerinnen und Schüler einzuführen vermag. Hier ist nicht der Ort, alle Themen abzugehen und zu reflektieren. Ich möchte darum versuchen, an einem ausgewählten Bei22 Auf diesem Hintergrund entstand vor vielen Jahren mein Text zur Erfahrung der Rechtfertigung, um zu prüfen, was über die historisch biographische Arbeit hinaus unterrichtlich/didaktisch möglich wäre. Vgl. dazu I. Schoberth, Rechtfertigung als Strukturprinzip. 23 Unterrichtlich eignen sich etwa Textauszüge aus O. Bayer, Martin Luthers Theologie; R. Schwarz, Luther.
Zur Logik der Reformation in religiöser Bildung75
spiel zu zeigen, wie in religiösen Bildungsprozessen der Oberstufe der Auseinandersetzung um die Freiheit eines Christenmenschen didaktisch entsprochen werden kann. Dabei möchte ich im Diskurs von postmodernem Freiheitspathos24 versus Freiheit eines Christenmenschen25 nach der Spur suchen, die Luthers Theologie für religiöse Bildungsprozesse in der Oberstufe legt. Die Frage nach Freiheit, wie sie Luthers Freiheitstraktat und auch seine Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam bestimmt, bedarf unterrichtlich einer Annäherung, die nicht zu schnell damaliges und heutiges Freiheitsverständnis in eins setzen sollte. Sonst scheren wir alles über einen Kamm und Luthers Freiheit eines Christenmenschen wird in seiner Bedeutsamkeit für ein Reden von Freiheit nicht deutlich.26 Das heißt, dass es auch unterrichtlich um eine genaue Differenzierung des Redens von Freiheit geht und nicht vorschnell den Schülern eine bestimmte Vorstellung von Freiheit unterstellt werden darf. Weil wir ja gar nicht genau wissen, wie Schülerinnen und Schüler von Freiheit reden, und empirisch erhobene Daten nicht vorliegen bzw. sie allenfalls geeignet sind – etwa auch aus Erzählungen von Lehrerinnen und Lehrern – ein wenig von der Schülerwirklichkeit zu präsentieren, aber eben nie das Ganze, ist anders anzusetzen: Wie also können wir mit Schülerinnen und Schülern so arbeiten, dass sie zu allererst der Freiheit selbst ansichtig werden? Wie kann Freiheit, nach der wir sie nicht unmittelbar befragen können, so für sie zum Ausdruck kommen, dass sich darin ihr Gebrauch und ihr Umgang mit Freiheit zu erkennen geben kann – wenn auch nur in Spuren und ganz vorläufig – so wie im Unterricht immer wieder? Wir suchen nach Lernwegen, die nicht einfach nur abfragen: Wie hältst du es mit Freiheit? Wir brauchen Lernwege, die es in sensiblen Anläufen den Lernenden ermöglichen, in Sachen Freiheit selbst sprachfähig zu werden. Ich möchte das als eine Art Sprachkompetenz bezeichnen, zu der wir Schülerinnen und Schüler zu befähigen suchen. Dazu eignen sich die reformatorischen Herausforderungen: 24 H.-M. Barth, Die Theologie Martin Luthers. 25 Vgl. I. Schoberth, Diskursive Religionspädagogik, 147 ff. 26 Vgl. dazu O. Bayer, Martin Luthers Theologie.
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Mit Luther lernen die Lernenden einen Theologen kennen, der über Freiheit intensiv nachgedacht hat und in herausfordernden und langwierigen Reflexionen, öffentlichen Disputen und Auseinandersetzungen seine Sprache der Freiheit gefunden hat. Daran können Schülerinnen und Schüler partizipieren, so dass sie mit Luther einsteigen in eine Wahrnehmung von Freiheit, die sich erst mit der genauen Reflexion ihrer Bedingungen zu erkennen gibt. Das heißt nun wiederum, dass es nicht darum geht, unterrichtlich Freiheit abzufragen, sondern Unterricht so anzulegen, dass mit und an Luther sein Reden von Freiheit erarbeitet wird und daran die Lernenden in die Auseinandersetzung um ein eigenes Reden von Freiheit hineingezogen werden. Weil die Postmoderne oder aber auch die Flüchtige Moderne27 Schülerinnen und Schüler penetrant im Stich lässt, sich über Freiheit zu verständigen und zwar so, dass sie daran teilzuhaben lernen, eignet sich m. E. Luthers Traktat in besonderer Weise, die Spur aufzunehmen, an Luther die Bedingungen von Freiheit entdecken und thematisieren zu lernen. Mit einer solchen Sprachfähigkeit werden die Lernenden offen dafür, ein eigenes Reden von Freiheit durchzuspielen und zu beginnen, die eigene Freiheit buchstabieren zu lernen (Was macht mich frei? Woran bin ich gebunden? Welche Unfreiheit tut mir sogar gut? Halte ich eine überbordende Freiheit überhaupt aus? Etc.) Folgt man der Diagnose des Sozialwissenschaftlers und Philosophen Charles Taylor, dann wird deutlich, welche Vorstellungen »in der liberalen Gesellschaft weitverbreitet sind, die Freiheit ausschließlich im Sinne der Unabhängigkeit des Individuums von der Einmischung anderer definieren wollen«.28 Hinzu tritt eine andere Perspektive, die mit Taylor dazu in Konkurrenz steht, nämlich eine solche, die von denjenigen favorisiert wird, »die überzeugt sind, daß Freiheit zumindest zum Teil auf der kol-
27 Vgl. S. Altmeyer/G. Bitter/R. Boschki (Hg.), Christliche Katechese. 28 Ch. Taylor, Negative Freiheit?, 118.
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lektiven Kontrolle über das gemeinsame Leben beruht.«29 Neben diesen auch öffentlich geführten Diskursen treten gegenwärtig postmoderne Statements vom Selbstdesign und von Authentizität. Diese fungieren freilich eher als Feststellung denn als etwas, das der postmodernen Selbstwahrnehmung dient, weil sie das Individuum in der Suche nach dem Selbstsein enorm belasten und unter Druck setzen. Dass der Zwang zum Selbstdesign in hohem Maße anstrengend ist, zeigt Richard Sennett, der diesen Strategien der Postmoderne gar Tyrannei unterstellt.30 Insofern wird die Suche nach dem, was Freiheit bedingt und Freiheit ausmacht, an den Diskursen der Gegenwart erkennbar und es wird zugleich deutlich, dass Freiheit undurchsichtig und schwer zu erfassen ist. Wie also kann dann gelernt werden, so von Freiheit zu sprechen, dass daran aufgeht, was die Bedingungen von Freiheit sind? Eröffnen diese Wahrnehmungen ein Reden von Freiheit, das meinem Leben dient?31 Was ist dazu theologisch unabdingbar festzuhalten? Luther zeichnet sein Reden von Freiheit in ein Spannungsfeld von Freiheit und Gebundenheit ein. Ein erstes wesentliches Moment darin ist es, dass der Mensch, der nach Freiheit fragt, an Christus gewiesen ist. Die Bedingungen der Freiheit hängen an der zukommenden Freiheit durch Christus. An und mit Christus wird der Gott identifiziert, der um des Menschen willen alles für des Menschen Freiheit aufbietet. Zugleich bleiben Menschen aus dieser ihnen geschenkten Freiheit nicht allein in sich selbst verhaftet, sondern die Erfahrung von Freiheit eröffnet ihnen die Freiheit für den Dienst am Nächsten. Das wäre ein vorläufiges, kurzgefasstes Summarium der Freiheitsschrift Luthers, das die theologische Dichte zu erkennen gibt, mit der sorgfältig umzugehen ist, um Schülerinnen und Schüler in die Reflexionszusammenhänge theologischer Rede von Freiheit einzuführen. Damit bleibt zunächst offensichtlich, dass diese Zusammenfassung den Lernenden nicht einfach vorgelegt werden kann. Sie brauchen zunächst Lernwege, die ihnen helfen, die Logik der Freiheitskonzeption Luthers zu durchschauen. 29 Ebd. 30 Vgl. R. Sennett, Verfall und Ende. 31 Vgl. dazu auch D. Petri/J. Thierfelder, Grundkurs Martin Luther, 93.
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Zwei Aspekte erweisen sich als grundlegend für eine Wahrnehmung und Durchdringung des Freiheitstraktates Luthers: Was also heißt es (1) aus Christus leben und von ihm her die Freiheit zum Leben zu empfangen und (2) welche lebensgestaltende Konsequenz resultiert daraus? Die beiden Punkte möchte ich im Folgenden kurz entfalten: 4.5.2.1 Aus Christus leben
Luthers Schrift selbst gibt einen didaktischen Zugang, den ich hier aufgreifen möchte: Es ist nicht selbstverständlich, um das Geheimnis christlicher Freiheit zu wissen, sondern es muss immer neu gepredigt werden. Und wie man in der Predigt in die Schule des Glaubens geht, so auch im Unterricht in christlicher Religion. Darum macht es didaktisch Sinn, den Schülern den Christus zu zeigen, der eben als der gepredigt wird, der die Freiheit uns (Christen-)Menschen zukommen lässt. Insofern dient die Verkündigung des Christus als Ausgangspunkt der Wahrnehmung des Christus. Warum also wird gerade dieser Christus verkündigt? Ist er nicht einfach austauschbar mit anderen Propheten und Wanderpredigern seiner Zeit? Was haftet ihm an, dass er Menschen in seinen Bann zieht? Was meint es, dass Christus gepredigt wird? Das folgende Zitat zeigt diesen Zusammenhang auf: »Aber er (Christus, I. Sch.) soll und muß so gepredigt sein, daß mir und dir der Glaube draus erwachse und erhalten werde. Dieser Glaube erwächst dadurch und wird erhalten, wenn mir gesagt wird, warum Christus gekommen sei, wie man seiner gebrauchen und genießen soll, was er mir gebracht und gegeben hat. Das geschieht, wo man die christliche Freiheit recht auslegt, die wir von ihm haben, und wie wir Könige und Priester sind, aller Dinge mächtig, und daß alles, was wir tun, vor Gottes Augen angenehm und erhöret sei, wie ich bisher gesagt habe.«32
32 Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520); in: Luther Deutsch, hg. von Kurt Aland Bd. 2, zweite durchgesehene Aufl. 1981, 262 = WA 7, 29.
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Zusammenfassend könnte das für Schülerinnen und Schüler die Lebensform der Christenmenschen erklärbar machen; sie leben nicht allein auf sich selbst bezogen, sondern gewinnen in Auseinandersetzung mit dem Evangelium eine Perspektive für ihr Leben und Handeln. D. h. Christus formt die Vorstellungen von Freiheit, indem er sie an das rückbindet, was er verkündigt. Zugleich eröffnet sich daraus eine Lebensform, die nicht nur von Christus her kommt, d. h. von allen anderen Abhängigkeiten befreit und zu Christus hin befreit, sondern zugleich eröffnet diese Gebundenheit an Christus eine Freiheit für den Nächsten und den Dienst an ihm. 4.5.2.2 Leben als Dienst für den Nächsten
Offensichtlich – und so hält es Luther fest – sind die Konturen christlicher Freiheit und tätiger Nächstenliebe auch zu Luthers Zeiten verschwommen und diffus. Es wird dies weder gepredigt noch scheint das edle hohe christliche Leben in seiner Kontur erkennbar zu sein. »Siehe, so fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen. Denn gleichwie unser Nächster Not leidet und dessen, was wir übrig haben, bedarf, so haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum, wie uns Gott durch Christus umsonst geholfen hat, so sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun, als dem Nächsten zu helfen. So sehen wir, ein wie hohes, edles Leben es um ein christliches Leben sei, das leider jetzt in aller Welt nicht allein daniederliegt, sondern auch nicht mehr bekannt ist noch gepredigt wird.«33 Luthers Freiheitstraktat verfolgt diese beiden Richtungen der Orientierung, die auch die Gegenwart herausfordern: Was also wäre das für eine Lebensorientierung, die an dem gewonnen ist, was für das Leben aus dem christlichen Glauben relevant ist? Womöglich entstehen hierbei im Unterricht mehr Fragen als Antworten, aber auch
33 A. a. O. 270 f. = WA 7, 36.
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das wäre didaktisch eine Möglichkeit, den Fragen auf die Spur kommen, die mich mit der Suche nach Freiheit konfrontieren.34 4.5.3 Der Kleine Katechismus als Ort der Einübung in die theologische Dynamik von Freiheit und Gebundenheit Auch wenn das Katechetische in Verruf geraten ist, so zeigt sich auf dem Hintergrund dieser Überlegungen, dass es religiöse Bildung nicht ohne Luther und auch nicht ohne den Kleinen Katechismus geben kann. Denn um in die Logik des Freiheitstraktates Luthers hineinzufinden, braucht es immer neue Spuren, die die Bildungsbemühungen legen und die schließlich in einem Verstehen der Betonung von Freiheit und Gebundenheit münden. Ohne den immer neuen Bezug auf den im Kleinen Katechismus grundgelegten 34 Ein Unterrichtsweg könnte folgendermaßen aussehen und Luthers Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« inmitten der postmodernen Diskurse dazu verhelfen, die Dialektik von Freiheit den Schülern mit der Lektüre aufzuzeigen: (1) Ausgangspunkt wäre etwa die Ganzlektüre des Traktats, damit Schülerinnen und Schüler die Tiefe der Reflexionen Luthers auszuloten vermögen, ohne gleich auch alles verstehen zu müssen. Es sollen bei der Lektüre Eindrücke wahrgenommen werden; die Lernenden sollen Luther in seinem Ringen um eine angemessene Darstellung des Redens von Freiheit zu erfassen suchen. Damit wäre schon viel von dem wahrgenommen und verstanden, was erste Zugänge zu diesem Text ermöglicht. Schwierig erscheint mir, damit gleich auch die Überlegungen von Erasmus von Rotterdam ins Spiel zu bringen. Die Fremdheit der Arbeit an Luthers Traktat mutet m. E. den Schülerinnen und Schülern zunächst genug zu. (2) In einem zweiten Zugang würde ich dann das Zitat aufnehmen, dass am Anfang seiner Schrift eine Art Summarium seiner Gedanken darstellt. Hier sollen Wahrnehmungen mitgeteilt und ausgetauscht werden, die die Schüler bei der Lektüre machen und zunächst das Gespräch von zu viel Textanalyse entlastet werden: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.«(Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520); in: Luther Deutsch, 251 = WA 7, 21) (3) Sodann sollen einzelne Aspekte aus der Erstbegegnung mit Luthers Traktat genauer reflektiert werden, um die Dialektik deutlich werden zu lassen, auf die Luther rekurriert. Was heißt etwa ›jedermann untertan‹? Heißt das, nur unfrei zu sein, oder liegt darin nicht eine Freiheit, die mich erst recht frei macht? Dazu wäre weiterzuführen: Wie hängen meine Freiheit und die Freiheit des anderen zusammen? … (4) Abschließend wäre zu probieren, inwiefern Luther den Lernenden eine Sprache zuspielt, die hilft, ein eigenes Verständnis von Freiheit auszuloten.
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Glauben und dessen Durchdringung in Lernprozessen kann Schülerinnen und Schülern nicht aufgehen, was das Leben aus dem christlichen Glauben bedeutet. Indem der Kleine Katechismus eine Lebensform vorführt, die die Schüler immer neu mit der Frage nach der Möglichkeit des Lebens aus dem Glauben konfrontiert, finden sie zumindest fragend und erprobend hinein in ein Verstehen dieser Lebensform selbst. Was also könnte es für mein Leben bedeuten, mich darauf einzulassen? Zugleich lernen sie Zugänge zu einem Verstehen von Kirche kennen, indem ihnen in performativer Hinsicht durch Vaterunser, Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote ein gelebter Lebenszusammenhang vorgeführt wird, der ohne diese Grundtexte des Glaubens und seine Interpretation nicht existieren würde. Wie also eine Sprachform und eine spezifische Grammatik Kirche formt und eine spezifische Lebensform hervorbringt, kann so an und mit dem Bezug auf den Kleinen Katechismus gelernt werden. Schließlich ist es aber auch der Kleine Katechismus, der ob seiner Sperrigkeit und auch der Fremdheit seiner Texte/Auslegungen vielen Lernenden sicher fremd bleiben wird. Dass davon Lernen bestimmt sein kann, dass zu dem Gelernten eine Distanz bleibt wie aber dennoch ein Auswendiglernen zeigen kann, was es heißt, sich auf eine Sprachform beziehen zu lernen, das kann unterrichtlich ermöglicht werden. Bestimmend für die Lernprozesse bleibt die immer gegebene Distanz zum Katechismus wie zugleich auch die Möglichkeit zur Erprobung der Lebensform, die sich am Katechismus orientiert. Nicht zuletzt ist es die von Luther immer wieder eingeschärfte Ermahnung, dass es eben seine von ihm verantwortete Auslegung ist, die gelten solle, und dass insofern das kritische Weiterdenken gefordert ist, das zu einer Auslegung der Inhalte christlichen Glaubens drängt, die ich als Leser bzw. Lernender auf dem Hintergrund eigener Auseinandersetzung verantworte. Dieses kritische und immer neu geforderte Weiterdenken macht die Lehr- und Lernpraxis Luthers aus, wie sie von seinen Katechismen her eröffnet ist. Der Kleine Katechismus bindet an die Reformation zurück und liefert doch für die religionspädagogische Reflexion bis heute wichtige Orientierungen und Maßstäbe. Nicht zuletzt auch für den je
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einzelnen Lernenden, der in und mit dem Katechismus seine eigenen Urteile zum Glauben ausbilden kann, weil er hier auf eine kritisch wiederständige Tradition trifft.35 Insofern ist der Kleine Katechismus bis heute ein Lernort, an dem und mit dem ein Prozess des Lernens des Glaubens eröffnet wird, weil er eine Zusammenschau der inneren Logik christlichen Glaubens vorzugeben ermöglicht, die geeignet ist, in ein vertieftes Lernen einzuführen.36 Dabei bleibt die Grundlage die Dialektik von Freiheit aus einer Gebundenheit, die aus dem Verstehen der Freiheit eines Christenmenschen entspringt. Für das Lernen des Glaubens erweist sich Luthers Lehr- und Lernpraxis als Ausgangspunkt, um zeitgemäße Formen religiöser Bildungsprozesse zu entwickeln, die zugleich rückgebunden sein müssen an eine freiheitlich ausgerichtete Kontur des Glaubens. Vor allem sind es die ausführlichen theologischen Darlegungen in den Auslegungen zu den einzelnen Stücken des Glaubens, die den Kleinen Katechismus zu einem Lehrstück theologischer Systematik machen, das in dieser kurzen Form unvergleichlich und einmalig ist. Es ist der Aufbruch der Reformation als pädagogische Bewegung besonders in Hinsicht des Glauben-Lernens, die sich hier manifestiert und zu eigener genauer und verantwortlicher Wahrnehmung von und im Umgang mit der christlichen Tradition anleitet. Es geht um eine »Lehre, über die nicht einzelne Gebildete verfügen, sondern in die man gemeinsam hineinkommt und in der man ein Leben lang Schüler bleibt …«37
35 Diese Würdigung erfährt der Kleine Katechismus auch in den Reflexionen zur Bedeutsamkeit der Katechese bei M. Meyer-Blanck, Untauglichkeit, 145: »Der Katechismus ist damit eine Art reflexiv gebrochener Tradition, ein Spielmaterial für die glaubende Subjektivität – nicht mehr und nicht weniger. Ohne dieses Material kommt das Spiel des religiösen Deutens, Lernens und Lebens nicht in Gang.« 36 Vgl. auch die Bewertung des Katechetischen bei Meyer-Blanck a. a. O., 151. 37 A. a. O., 146.
Gegenwart nicht ohne Luther/Reformation/Katechismus83
4.6 Gegenwart nicht ohne Luther/Reformation/ Katechismus Der Modus des Nachfragens, Nachspürens und kritischen Weiterdenkens der biblischen Botschaft verlangt danach, Martin Luther und mit ihm die reformatorische Idee den Lernenden in religiösen Bildungsprozessen nicht nur historisch zu vergegenwärtigen, was ja oft genug geschieht und als ein elementarer und bisweilen als allein gangbarer didaktischer Weg wahrgenommen wird. Vielmehr wäre an der Wahrnehmung und kritischen Reflexion des Lernens von Luther selbst anzuknüpfen: Indem er Lernen als einen Prozess darlegt und auch frühe »Dokumente seiner akademischen Lehrtätigkeit« zu verstehen sind »als literarische Zeugnisse eines fortschreitenden theologischen Klärungsprozesses, als Meilensteine auf einem Weg, in dessen Verlauf Luther zum Reformator wurde«,38 nimmt die didaktische Beschäftigung mit ihm hinein in eine prozesshafte Auseinandersetzung, die dem Glauben eigen ist. Weil Glaube eben nicht über die Wahrheit verfügt, sondern sich immer neu zu ihr hin auf den Weg macht – wie auch die Kirche selbst in actu und nie abgeschlossen verstanden werden kann – kommt den reformatorischen Orientierungen, die eine Beschäftigung mit Luther in religiöser Bildung freisetzt, immer ein prozesshafter Charakter zu, der an und mit Luther wahrzunehmen und zu lernen ist und geeignet ist, sich kritisch dazu ins Verhältnis zu setzen. Das betont auch Michael Meyer-Blanck, indem er herausstellt, dass es Luther beim Glauben »um etwas persönlich immer erst zu Erschließendes« ging. Das stellt die Prozesshaftigkeit des Glauben-Lernens auch als Grundprinzip des reformatorischen Aufbruchs in den Vordergrund.39 Diese prozesshafte Struktur des Lernens fügt sich in die Lebensform ein, die der Glaube eröffnet und deren Gestalt an dem und mit dem Lesen der Heiligen Schrift geformt wird.40 So hält Thomas Kaufmann zurecht fest: 38 Th. Kaufmann, Geschichte der Reformation, 127. 39 M. Meyer-Blanck, Untauglichkeit, 147. 40 Vgl. dazu: Ch. Zeile-Elsner, Luther; Vgl. hier bes. die 13. Stunde zum Thema »Reformation im Kirchenraum«, die das Thema ›Luther und die Reformation‹ eindrücklich ästhetisch für die Schülerinnen und Schüler vorbereitet. Bisher erworbene Erkenntnisse zur Reformation sollen in einem neuen Zu-
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Diskursraum Reformation
»Luthers Theologie war von den frühesten noch erkennbaren Anfängen an eine eminent biblische und zugleich ›praktische‹, das heißt auf die Lebensvollzüge, das persönliche Gottesverhältnis des Menschen, des Mönchs, aber auch des Laien bezogene Glaubenslehre.«41 Aus diesem Grund bleiben Luther und mit ihm die reformatorischen Aufbrüche eine Herausforderung, die die Gegenwart immer neu mit den für Luther grundlegenden Themen konfrontiert. Darum bleibt auch die immer neue Lektüre seiner Schriften, die in die Auseinandersetzung um den Glauben bzw. um das Evangelium führt, für die Gegenwart und die Durchdringung der reformatorischen Botschaft auf die Gegenwart hin relevant. Ohne deren Herausforderung würde dem theologischen Fragen und Suchen ein Gesprächspartner wie eben Luther oder auch Melanchthon fehlen. Für die religionspädagogische Aufgabe bedeutet das, ein Lernen unter Gottes Geist zu ermöglichen und im Lichte seiner Gegenwart Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen Zugang zum Glauben zu eröffnen, der nicht nur die eigene subjektiv religiöse Befindlichkeit für den Einzelnen zu erreichen sucht, sondern evangelische Religion als gemeinsam geteilte bzw. gelebte Lebensform des Glaubens in der Gemeinschaft der Heiligen im Diskurs deutlich und reflektierbar macht. Die Lehr- und Lernpraxis Luthers dient darum als Richtschnur für ein Lehren und Lernen, ist vorbildhaft in der Präsentation und darin kritisch-produktiv, um religiöse Bildungsprozesse zu ermöglichen, die diskursiv ausgerichtete, didaktische Wege für Schülerinnen und Schülern mitten in der Postmoderne vorbereiten und entwickeln lassen. Darin bleibt auch die Reformation und mit ihr die Gegenwart ein Ausdruck der bleibenden Aufgabe, der Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes in den je anstehenden Situationen der Gegenwart zuzuarbeiten.
sammenhang angewendet werden, »so dass plastisch gestaltete Innenräume entstehen können.« (a. a. O., 21). 41 Th. Kaufmann, Geschichte der Reformation, 146, 172 u. ö.
5 Diskursraum Trinitätslehre Anmerkungen zum Referenzrahmen religiöser Bildung
These: Die Trinitätslehre als Referenzrahmen religiöser Bildung wird aufgesucht, und es wird dargelegt, warum die Profilierung religiöser Bildung nicht ohne den klaren Bezug auf das Reden von Gott in seinen Differenzierungen auskommt. Welcher Vorteil der differenzierten Rede dabei zukommt, soll reflektiert werden, indem die kritische wie die kreative Funktion dieser Sprachform untersucht wird.
5.1 Ein systematischer Bezug Im Lernen christlicher Religion gilt grundlegend, dass in das Reden von Gott eingeübt wird. Die Trinitätslehre dient dabei als Referenzrahmen religiöser Bildung, weil sie das differenzierte Reden von Gott festhält und damit einen theologischen Bezugspunkt des Lernens aufweist, der sich auch wissenschaftlich bewähren muss. Das soll im Folgenden genauer ausgelotet werden; gerade weil religiöse Bildung nicht ohne den klaren Bezug auf das Reden von Gott in seinen Differenzierungen auskommt, braucht sie einen systematischen Bezugspunkt, den die Trinitätslehre liefert. Welcher Vorteil dieser Rede zukommt, soll reflektiert werden, indem die kritische wie die kreative Funktion dieser Sprachform untersucht wird. Die Trinitätslehre wird dabei als Bezugsrahmen sowohl der praktisch-theologischen Reflexion wie auch der Religionspädagogik und Religionsdidaktik ausgewiesen und die Tragfähigkeit eines solchen Referenzrahmens dargelegt. Dass es im Reden von Gott notwendiger Differenzierungen bedarf, liegt auf der Hand. Um Lernenden den Zugang zum Lesen der Heiligen Schrift unterrichtlich zu eröffnen (vgl. Diskursraum Bibel/Heilige Schrift) bedarf es dieser Differenzierungen, weil sich sonst das vielfältige und facettenreiche Reden von Gott in der Heiligen Schrift nicht erschließt.
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Diskursraum Trinitätslehre
Drei Äußerungen zu Beginn geben Auskunft darüber, dass es offensichtlich diese Differenzierungen gibt und sie den Lernenden helfen, dieses Reden genauer zu erfassen; ob es freilich über das eingeübte eher formale Wahrnehmen der Rede von Gott hinausgeht, bleibt gerade angesichts der drei folgenden Äußerungen eine Frage: »Ich glaube, dass Gott über unser Leben bestimmt. Er hört uns, und wenn er es für richtig hält, antwortet er auf die oder die andere Weise. Er tritt in ganz verschiedenen Gestalten auf. Außerdem glaube ich, dass Christus uns erlöst hat.«/»Ich glaube nicht nur an Gott, Jesus und den heiligen Geist, sondern auch an die wahre Liebe. Ich glaube, dass Gott für jeden Menschen einen Partner bestimmt hat.«/«Ich glaube an den lieben Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist und an meine Katze.«1 So hilfreich das trinitarische Reden für die Differenzierung des Redens von Gott ist, so schwierig ist es, sie in einem Verkündigungs-, und Lehrkontext weiterzugeben, von dem die Lernenden auch tatsächlich profitieren. Denn bei allen drei Antworten scheint das Reden von Gott eher formal angewendet. Vielleicht liegt es daran, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Trinitätslehre nicht stattgefunden hat. Als Ausdruck der differenzierten Rede von Gott ist die Trinitätslehre das Ergebnis einer kritischen Lektüre der Heiligen Schrift, ohne die das Reden von Gott ihre Differenzierung verlieren würde. Das ist unterrichtlich zu bedenken und daraufhin auch das Lernen zu entfalten: In verschiedenen Zugängen soll dem nachgegangen und der Bezug auf die Trinitätslehre gezeigt werden; sie soll aber nicht nur in Hinsicht religiöser Bildung, sondern für das gesamte Feld der Praktischen Theologie in ihrer Tragfähigkeit untersucht und geprüft werden. Daraus ergibt sich ein Profil der Praktischen Theologie, das sich aus dem trinitarischen Reden von Gott heraus begründet und den Zusammenhang zu erkennen gibt, der den praktisch-theologischen
1 Die drei Äußerungen entstammen Gesprächserfahrungen und können nicht literarisch dokumentiert werden.
Ein systematischer Bezug87
Fächern eignet.2 Unter diesen Bedingungen soll die von Eberhard Jüngel herausgestellte Aufgabe des Auslegens und Freilegens des Wortes Gottes aufgenommen werden und untersucht werden, wie sich dieses Wort in vielfältiger Gestalt in den verschiedenen Disziplinen Raum verschafft. Dabei geht es um das Redenlernen des Wortes, das sich vielfältig kundtut; insofern wird in Bezug auf die Weite des biblischen Redens von Gott auf das gegenwärtige Auslegen und Freilegen des Wortes Gottes abgehoben und so der Leitbegriff der Praktischen-Theologie »Kommunikation des Evangeliums3« durch diesen Bezug auf das Wortgeschehen zu konkretisieren versucht. Dabei sollen die Überlegungen von Wolf Krötke zu einer Neufassung der Trinitätslehre aufgenommen werden und vor allem die kritische wie kreative Funktion der Trinitätslehre für das Heute eingehend beschrieben werden: Wolf Krötke geht dem in seinen systematischen Überlegungen zu Gottes Klarheiten nach, indem er das Anliegen eines konkreten und situationsbezogenen Redens von Gott verfolgt und insofern eine aktuelle Darlegung der Trinitätslehre vorlegt: »Gottes Klarheit ist Ereignis in Klarheiten, die mitgeteilt werden, wenn Gott sich auf eine Wirklichkeit außerhalb seiner selbst bezieht. Diese Klarheiten ermöglichen sowohl die Gotteserfahrung wie das Reden von Gott. Durch sie erhellt sich Gott.«4 Krötke gibt hier auch für die Praktische Theologie, die den Bezug auf die religiöse Gegenwartslage ernst nimmt, weiterführende Aspekte vor: Denn, so ist zu fragen, wie kann es gelingen, dass inmitten solcher Gegenwarten es überhaupt zu einem Vertrautwerden mit dem trinitarischen Gott kommen kann, wenn doch das triviale Reden attraktiver erscheint als eine allzu reflexive Anstrengung, die mit dem trinitarischen Reden verbunden ist. Krötke betont darum ein 2 Andere Ansatzpunkte sind immer wieder auch gewählt worden, um die Grundaufgabe der Praktischen Theologie zu bestimmen wie etwa die Kommunikation des Evangeliums; vgl. dazu P. C. Bloth, Praktische Theologie. 3 M. Domsgen/B. Schröder (Hg.), Kommunikation des Evangeliums. 4 W. Krötke, Gottes Klarheiten, 103.
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Diskursraum Trinitätslehre
Vertrautwerden mit dem trinitarischen Gott als zeitliches Nacheinander: »Indem ihnen (den Menschen, I. Sch.) Gott im Gleichnis des Menschseins Jesu so begegnet, daß sie durch den Heiligen Geist selber in die Perspektive seiner Wahrheit hineingenommen werden, kommt er zu ihnen in der Wahrheit der Beziehung des ›Sohnes‹ auf den ›Vater‹ und des ›Vaters‹ auf den ›Sohn‹.« – »Dieser Perspektivenwechsel kann sich bei Menschen, denen Gott fremd ist, in zeitlichem Nacheinander vollziehen. Sie lernen den Menschen Jesus kennen und erst durch ein längeres Vertrautwerden mit ihm erschließt sich die Perspektive Gottes auf ihn. Weil sich in Jesu Verkündigung jedoch immer schon die sachliche Einheit beider Perspektiven vollzieht, kann das Vertrautwerden mit dem Menschen Jesus auch gleichursprünglich ein Bewegtwerden von beiden Perspektiven sein.«5 Diese außerordentlich hilfreichen systematischen Erwägungen werden inmitten der religiösen Gegenwartslage eminent wichtig, denn sie wehren einer problematischen Addition von Gottesvorstellungen wie auch einer Reduktion der Rede von Gott etwa als Energie, Kraft u. a. Zugleich thematisiert Krötke damit einen Zugang zum trinitarischen Reden, um auch denjenigen daran Anteil zu geben, denen solches Reden (noch) fremd ist. Dass solches Kennenlernen immer auch der Verfügung entzogen ist und insofern auch hier Gottes Handeln erhofft werden muss, ist freilich theologisch mitzubedenken. Als Ausgangspunkt hält Wolf Krötke die Situation fest, die die Option für eine Begegnung mit Gottes Wahrheit erschließen hilft: »Denn Menschen bringen in die Begegnung mit Gottes Wahrheit ja immer ihr schon vollzogenes Leben mit. Dazu gehören ihre Erfolge und ihr Versagen, ihre Einstellungen zu anderen Menschen und zur Wirklichkeit überhaupt, ihre Urteile über Wahr-
5 A. a. O., 143.
Ein systematischer Bezug89
heit und Unwahrheit, ihre ›Religion‹ oder ihr Atheismus, kurz alles, was ihr besonderes Dasein ausmacht.«6 Inmitten der Gegenwartslage stellt sich die Aufgabe, die Begegnung mit »Gottes Wahrheit« zu eröffnen; Krötke spricht hier von der Möglichkeit einer »bewegenden Wendung«; damit ist m. E. auch die praktisch-theologische Aufgabe genauestens benannt. Eine kritische Wahrnehmung und ein Raum, der einen kritischen Bezug auf Kirche, Theologie, Religion ermöglicht, können die Voraussetzungen schaffen, dieser Wahrheit Gottes entgegenzugehen; diese bewegende Wendung hat freilich auch Konsequenzen für das je eigene Leben: »Bringt Gottes Wahrheit in diese Verfassung von Menschen jene bewegende Wendung, dann werden Menschen fähig, sich selbst kritisch gegenüber zu treten und wahrzunehmen, was es bedeutet, im Ausweichen vor dem Licht der Wahrheit Gottes zu existieren.«7 Solche Wendung geschieht freilich nicht mit einem Mal; um immer genauer den biblischen Gott erfassen zu lernen, bedarf es eines Vertrautwerden im Nacheinander. Das ist dann keine Erleuchtung oder aber ein momentanes Strohfeuer, sondern ein achtsames Wahrnehmen des Redens von Gott, das Klarheiten eröffnet und einen kritischen wie auch konstruktiven Blick im Lichte der Wahrheit Gottes auf das je eigene Leben eröffnet. Diese kritische wie konstruktive Funktion kann die Trinitätslehre im Kontext der praktisch-theologischen Reflexion wie auch der Aufgabenfelder der Praktischen Theologie übernehmen, um zu ihrer theologisch verantworteten Ausrichtung beizutragen. Das soll weiterführend an verschiedenen Aufgabenbereichen der Praktischen Theologie durchbuchstabiert werden und damit der Bezug auf das trinitarische Reden von Gott deutlich gemacht werden.
6 Ebd. 7 A. a. O., 144.
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Diskursraum Trinitätslehre
5.2 Die Trinitätslehre als kritisches und kreatives Korrektiv praktisch-theologischer Reflexion 5.2.1 Trinitätslehre und die religiöse Gegenwartslage Inmitten der religiösen Gegenwartslage, die die Praktische Theologie aufs Genaueste wahrnehmen muss, zeigen sich Gottesvorstellungen, die zu denken geben.
»Viele Menschen, die sich unter einem persönlichen Gott nichts vorstellen können, aber doch die religiöse Dimension zur Sprache bringen wollen, reden lieber von Energie oder Energien, gerade auch göttlichen Energien.«8 Gott als Energie, Kraft, Leben – das sind Sprachformen, die sich im religiösen Alltag finden lassen. Die Praktische Theologie muss sich dazu verhalten und mit der Trinitätslehre findet sie ein kritisches Korrektiv. Mit ihren Differenzierungen ist einem trivialen Reden von Gott ebenso zu wehren, wie damit die Aufgabe der Praktischen Theologie vor der Trinitätslehre genau in den Blick kommt: Wie kann sie Menschen mit ihrem religiösen Reden von Gott erreichen, damit sie auch des biblischen Redens von Gott in seiner Vielfalt ansichtig werden können. Auf dem Hintergrund solcher Alltagsrede wird die Notwendigkeit deutlich, in ein differenziertes Reden hineinzuführen; andernfalls bliebe der biblische Gott undeutlich und es bliebe unkenntlich, von welchem Gott Kirche und Theologie überhaupt sprechen. Insofern leistet die Trinitätslehre inmitten der religiösen Gegenwartslage einen wesentlichen kritischen Beitrag dazu, zum genauen Reden von Gott anzuleiten, damit sich auch neue Perspektiven auf ein festgefahrenes oder ungenaues Gottesbild eröffnen können. Mit der Trinitätslehre als Bezugspunkt können auch Fehlformen entlarvt werden, die zwar von Gott reden, aber freilich nicht an den Gott und Vater Jesu Christi heranreichen, von dem die Bibel erzählt; solche Fehlformen sind darum eher hinderlich als förderlich für die Wahrnehmung und Ausbildung christlicher Identität, wenn es gilt, dass 8 W. Schoberth, Geist, Energie, Person, 247.
Die Trinitätslehre als kritisches und kreatives Korrektiv91
das trinitarische Reden von Gott »für die Christen ein … am Glauben an Gottes Wirken in Israel, in Jesus Christus, und im heiligen Geist orientiertes Reden«9 ist bzw. auch in bildenden Prozessen erst werden kann oder anfänglich werden soll. 5.2.2 Trinitätslehre, die die Seelsorge profiliert Wenn grundlegend gilt, dass das trinitarische Reden von Gott auch die Seelsorge bestimmt, dann muss sich das am seelsorglichen Handeln reflektieren lassen. Ich möchte das am Beispiel der energetischen Seelsorge kurz darstellen, die leider wenig rezipiert worden ist, aber doch für deren theologisches Selbstverständnis wesentlich ist.10 Das pastoralpsychologische Paradigma wollte Josuttis damit keineswegs negieren, hat aber m. E. darin Recht, dass mit ihm allein das Spezifische von Seelsorge noch nicht ausreichend wahrgenommen ist. Seelsorge kommt für ihn erst dann zustande, wenn nicht nur die beiden Gesprächsteilnehmer im Blick sind, sondern auch die Wirklichkeit Gottes, wenn also »wirksam wird … eine transempirische Macht, die zwei spürbare Bewegungen auslöst.«11 Diese erste Bewegung führt etwa in Krisengesprächen dazu, dass negative Lebensskripte entziffert werden und das Niederdrückende in einer Lebensgeschichte verbalisiert werden kann. Seelsorge hört aber hier nicht auf, sondern, und das ist für Josuttis die zweite Bewegung, das Gespräch zielt darauf, dass die Macht Christi präsent wird. Inmitten dieser ›machtvolle Realität‹12, die die Seelsorge auszeichnet, sind also nicht nur psychointerne Abläufe zu verspüren, sondern es geht um die energetische Dimension, die sich auf dem Hintergrund der Überlegungen von Josuttis als trinitarische erfassen lässt.13 Michael Welker stellt das in pneumatologischer Hinsicht heraus; es ist die Fülle der Kraft des Geistes, auf die sich Menschen »in endlichen Lebens- und Erfahrungszusammenhängen« beziehen und D. Ritschl/M. Hailer, Diesseits und Jenseits der Worte, 101. M. Josuttis, Die Einführung in das Leben, 119. A. a. O., 133. M. Josuttis, Energetische Seelsorge, 79: »Gefühle sind überpersönliche, räumlich ergossene Atmosphäre, die als ergreifende Mächte Subjekte durch affektives, leibliches Betroffensein heimsuchen.« 13 A. a. O., 78. 9 10 11 12
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»deren reale Gegenwart und Wirken« sie bezeugen können.14 Seelsorge, die mit dieser machtvollen Wirklichkeit rechnet, kann sich dann den elementaren Lebensfragen annähern; das geschieht dann in der Hoffnung, dass sich dieses machtvolle Handeln Gottes in der je bestimmten Lebensgeschichte eines Menschen erweisen wird. Die Sensibilität für solche Momente im seelsorglichen Geschehen lässt sich einüben, es gibt Signale für sie, die auch leiblich wirken: ›da kommen die Tränen‹ oder ›mir kommt plötzlich ein Name‹15. Indem der Seelsorger mit dieser machtvollen Realität rechnet, setzt er sich und den anderen der »Gegenwart des Göttlichen«16 aus. Auch wenn die energetische Seelsorge zu einer Provokation wurde, was auch durch die eher verunklarende und auch eher irritierende Einbeziehung ethnologischer Studien bedingt war und durch die Absage an die reduktionistischen Modelle der psychotherapeutisch orientierten Seelsorge17 angestoßen wurde, so liegt doch eine Weite der trinitarischen Reflexion vor, die zeigt, dass das Ereignen des Wortes Gottes hier insgesamt in den Blick kommt und nicht einseitig auf die pneumatische Dimension abgehoben ist. Das hat auch Josuttis an anderer Stelle nochmals unterstrichen: »Die Trinitätslehre kann dabei helfen, die Balance zwischen Traditionalismus und Enthusiasmus zu finden. Spirituelle Traditionen zur Kontaktpflege mit den Energien des dreieinigen Gottes sind neu zu entdecken.«18 Was aus dem seelsorglichen Zusammenhang deutlich erhoben werden konnte, soll nun auch in Hinsicht religiöser Bildung aufgenommen und reflektiert werden: Taugt die Trinitätslehre als grundlegender Bezugspunkt auch für Lernprozesse? 14 Vgl. dazu M. Welker, Gottes Geist. 15 Vgl. H. J. Schneider, Leibbezogenheit, 91. Dass in der Seelsorge besonders auch biblische Texte Entscheidendes beitragen, betont P. Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen, 13. 16 M. Josuttis, Energetische Seelsorge, 80. 17 »Psychotherapeutische Verfahren sind säkularisierte Formen religiöser Modelle. Die Konflikte, die dabei bearbeitet werden, vollziehen sich psychointern und interaktional. Und die Methoden, die zur Bearbeitung dieser Konflikte eingesetzt werden, sind dementsprechend auf diese Wirklichkeitsbereiche beschränkt.« (a. a. O., 78). 18 M. Josuttis, Trinität und Triaden, 29.
Die Trinitätslehre als kritisches und kreatives Korrektiv93
5.2.3 Trinitätslehre als Referenzrahmen für religiöses Lernens Schülerin F., 15 Jahre: »Religion – ein Wort, viele Gebiete. Ich glaube an ein höheres Wesen. Nicht unbedingt als eine Person, sondern an irgendetwas – vielleicht eine Wolke, Luft? Ich glaube, daß dieses Wesen – ich nenne es ›Gott‹ – versucht, die Welt, so gut es geht, zu erhalten. Aber diesen Gott darf man nicht für alles verantwortlich machen. Wo finde ich dieses Wesen? Sicher nicht in unserer katholischen Kirche, wo einem genau vorgeschrieben wird, wie man sich zu benehmen hat, wo man seine Gefühle nicht ausdrücken kann. Die ganze Kirche finde ich total unrealistisch …«19
Mit diesem Zitat einer Schülerin ist auf die Trinitätslehre zu verweisen, die als kritisches Korrektiv auch für religiöse Bildungsprozesse eine notwendige Funktion hat. Religiöse Lernprozesse nehmen die religiösen Sprachformen der Schüler auf und fragen dabei zunächst nicht nach den vor der Dogmatik zu verantwortenden richtigen oder falschen Sätzen; vielmehr setzen sie sich diesen Sprachformen aus, in der Absicht, sie zu würdigen, aber auch zu einer Erweiterung, Vertiefung und Korrektur dieser Rede beizutragen. Die Trinitätslehre verhilft vor allem den Lehrenden zu einer Beurteilung dieser Sprachformen und verweist sie auf die Aufgabe, diese zu ordnen und zu orientieren auf die biblische Gottesrede hin. Religiöse Lernprozesse bieten so Entwicklungsschritte an für die Wahrnehmung des Redens von Gott; solche Entwicklung und auch – wenn man so will – Identitätsfindung ist eben nicht mit einem Mal gelernt und erledigt, sondern es bedarf dafür zahlreicher Lernwege, um dieses Reden immer genauer einzuüben, ein Verstehen dafür zu entwickeln und es reflexiv und urteilend auch in Gebrauch zu nehmen. Insofern leisten die Lernwege eine gewichtige Aufgabe für das Redenlernen von Gott: Sie ermöglichen es gleichsam Schritt für Schritt, das Reden immer differenzierter kennenzulernen und dabei eigene Sprachformen einzubringen auf Bewährung hin. In Hinblick der biblischen Rede von Gott gewinnt darum auch das je eigene 19 A. A. Bucher, Nicht einmal Gott, 38.
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Reden von Gott durch die Lernenden seine spezifische Geltung in der Begegnung mit der Heiligen Schrift. Dann kann auch Unterscheidendes gelernt werden und geprüft werden, welche Sprachform das biblische Reden zum Ausdruck bringt bzw. welche Sprachform defizitär ist oder aber an der biblischen Rede vorbeigeht. Das eröffnet ein Vertrautwerden, wie es Krötke vorschwebt, und macht es möglich, dass ein immer genaueres auch biblisches Reden möglich werden kann. In didaktischer Perspektive ist hier vor allem zu bedenken, dass die Trinitätslehre nicht direkter Gegenstand des Unterrichts in christlicher Religion sein kann, sondern dass sie vielmehr den Referenzrahmen bilden kann für religiöses Lernen im Religionsunterricht. Auf vielen Lernwegen ergibt sich so die Möglichkeit, in die Vielfalt der Gottesrede hineinzugehen, ohne freilich unmittelbar die Trinitätslehre ›lernen zu müssen‹. Für die Lehrenden wird die Trinitätslehre zu einer Hilfe, indem sie um die Vielfalt der Rede von Gott wissen und neben der biblischen Rede darum auch kreative Formen von Schülerinnen und Schülern anerkennen und würdigen können. Manche Lernwege gehen auch auf eine direkte Thematisierung der Trinitätslehre zu, wie etwa in der Oberstufe gern mit vielfältigen Darstellungen vom Gnadenstuhl die Trinitätslehre direkt thematisiert wird. Dabei stellt sich allerdings das Problem, dass hier eher Gott der Vater, Sohn und Heiliger Geist nebeneinander wahrgenommen werden, in einem Blick von außen oder aber einer Darstellung, die sofort – wenn vielleicht auch ohne Absicht – Zuordnungen schon durch die Größe der einzelnen Beteiligten vollzieht – etwa, wenn Gott der Vater die ganze Szene bestimmt und Gottes Geist als kleine Taube über ihm schwebt. Damit kann der innertrinitarischen Beziehung kaum auf die Spur zu kommen sein und das trinitarische Reden von Gott zerfällt eher in ein Nebeneinander oder in eine hierarchische Zuordnung; die trinitarische Einheit in Gott bildet sich damit allerdings nicht ab. Die genauen Reflexionen zum sorgfältigen Reden von Gott veranlassen auch im Kontext religiöser Bildung dazu, die Einübung in das Reden von Gott differenziert und an der biblischen Überlieferung orientiert durchzuführen. Angesichts einer überbordenden Vielzahl an religiösen Sprachformen in der aktuellen Gegenwart, ist
Die Trinitätslehre als kritisches und kreatives Korrektiv95
darum das genaue und auch unterscheidende Reden von Gott mit den Lernenden einzuüben. Die Notwendigkeit solcher Differenzierungen in den Sprachformen des Redens von Gott ist durch die Heiligen Schriften selbst gegeben; darum ist es angemessen von einer hermeneutischen Aufgabe zu sprechen, die unterrichtlich geleistet werden muss. Dass sich aus dem biblischen Befund auch andere und je neue Sprachformen entwickeln lassen, macht diese Aufgabe auch unterrichtlich sehr ertragreich und sichert eine Attraktivität, die dann ins Spiel kommt, wenn die Lernenden entdecken, dass sie selbst befähigt sind, im Lesen der Heiligen Schrift der Vielfalt der Gottesrede auch in eigenen Sprachformen entsprechen zu können. Darum kann ein kreativer Versuch von Schülerinnen und Schülern immer als Möglichkeit gewertet werden, neue Sprachformen zu generieren; dann ist auch ein Reden von Gott als Energie, Kraft oder Geborgenheit ein Ausdruck für das Reden von Gott, das von den Lernenden in ihrer Sprache entdeckt wird. 5.2.4 Die Trinitätslehre in ihrer Funktion für die Predigt/ Verkündigung Trinitätslehre führt in die Aufmerksamkeit des genauen Redens von Gott, in eine Vielfalt der Gottesrede, die gerade auch für die Predigt eine Vielzahl von Metaphern und Sätzen zur Verfügung stellt, und so zur genauen Wahrnehmung/Verkündigung der trinitarischen Beziehungen anleiten kann. Für die Aufgabe, die der Verkündigung zukommt, hält Dietrich Ritschl fest, dass es darum gehen muss, das Reden von Gott nicht zur leblosen Formel werden zu lassen, die niemand mehr zu verstehen weiß. Stattdessen votiert er für eine lebendige trinitarische Sprachform, die an und mit den Menschen ihre Formulierungen findet, indem sie sie in Anspruch zu nehmen versuchen:
»Optimal wäre eine Sprachregelung in der Kirche, die auf jede Fixierung der lebendigen Aktivität Gottes durch kurze Termini oder Formeln verzichtet. Mindestens sollten Serien von auswechselbaren und sich gegenseitig durchdringenden und ergänzenden Substantiven verwendet werden, um anzuzeigen, daß der trinitarisch angebetete Gott als Erwähler, als Mitleidender
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und als Heilender (oder als Rufender, als Sterbender und als Geist; oder als Schöpfer, als die alte Schöpfung Beendender und die neue Schöpfung Beginnender) begriffen und gefeiert werden kann.«20 Damit das trinitarische Reden in der Predigt und im Gottesdienst nicht verstummt, muss die Predigt im Gebrauch der Rede von Gott sehr genau differenzieren, um der Hörer willen, die im Vorgang der Mitteilung des auszulegenden und freizulegenden Wort in der Predigt das trinitarische Reden kennenlernen und damit vertraut werden; mit Kröttke findet hier Entscheidendes statt; denn es geht »um eine unverzichtbare Wahrheit, ohne die der Gott des christlichen Glaubens gar nicht verstanden werden kann.«21 Auch wenn Folgendes gilt, so noch einmal Wolf Krötke: »Denn der ›unerläßlich schwierige Ausdruck‹, den die ›einfache … Wahrheit, daß Gott lebt‹, hier gewinnt, gilt nach wie vor in der kirchlichen Verkündigung als schwer vermittelbar.«22 Eberhard Jüngel thematisiert darum auch die Aufgabe, die sich in einer Predigt mit Bezug auf die Trinitätslehre stellt, ausdrücklich. In einer Karfreitagspredigt hält er fest: »Aber das nötige erst recht dazu, das christliche Verständnis des Todes Gottes vom Gebrauch dieses Wortes im neuzeitlichen Atheismus so streng wie möglich zu unterscheiden, um jenseits von Theismus und Atheismus einen Horizont für verantwortliches Reden von Gott zurückzugewinnen.«23 »Weil im Tode Jesu Gottes ewiges Leben am Werk war und Leben und Tod in ein neues Verhältnis zueinander gebracht hat, deshalb wird der Mensch Jesus zugleich Christus oder Gottes Sohn genannt. Oder auch einfach: der Herr. Jesus als der Christus, ein Mensch als Gottes Sohn, dieser Knecht als Herr – das 20 D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, 180. 21 W. Krötke, Gottes Klarheiten, 92. 22 Ebd. 23 E. Jüngel, Von Zeit zu Zeit, 52.
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ist das Geheimnis des Gekreuzigten, das am Ostertage offenbar geworden ist. Wer sich von der christlichen Kirche zum Karfreitag und zum Osterfest etwas sagen lassen will, wird mit ihr diesem Geheimnis nachdenken müssen.«24 Das trinitarische Reden bewährt sich besonders auch in der alttestamentlichen Predigt in ihrer kritischen und kreativen Funktion; die trinitarische Reflexion verhilft dazu, dass in homiletischer Perspektive in der Predigt mit und an den alttestamentlichen Text auch das christologische Reden seinen Ort finden kann.25 Damit setzt sie einen kritisch kreativen Umgang mit dem AT frei und schärft ihn ein. Als ein Beispiel dazu soll ein Auszug aus einer Predigt von Eberhard Jüngel zu Jesaja 5, 1–7 herangezogen werden, der zeigt, wie sensibel das trinitarische Reden die Aufgabe der Predigt zu entfalten lehrt, indem das Alte Testament aufgenommen wird und die Formulierung der Predigt dem trinitarischen Reden Raum gibt: »Und dennoch muß diesem naheliegenden Gedanken widersprochen werden, Weinberglied hin, Weinberglied her. Denn das hat der prophetische Sänger auf jenem alten Weinlesefest nicht gesagt: daß auch der schuldige Mensch sich auf Gott verlassen kann. Ich aber habe Euch dies zu sagen: der Schatz, der uns als Menschen auszeichnet, das ist ein Gott, bei dem sich auch und gerade der schuldig Gewordene sehen lassen kann. Ich habe von einem Gott zu reden, der niemanden, auch nicht einen einzigen Menschen, sich selber überlassen will. Deshalb, liebe Brüder und Schwestern, empört Euch, wenn Ihr es könnt, empört Euch, wenn’s Euch gelingt, über Euch selbst. Aber verurteilt Euch nicht selbst dazu, von Gott verlassen zu sein! Der Prophet Jesaja mußte wohl seine Hörer dazu bringen, sich selber zu verurteilen. Ich habe ein anderes Amt. Ich habe Euch in Gottes Namen davon abzubringen. Denn es ist ein neuer Weinstock da – den wird Gott nicht mehr eingehen und verkümmern lassen. Jesus Chris24 A. a. O., 64. 25 F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 386: »Wir reden von ihm (Gott, I. Sch.) so, wie er sich selbst in seinem Weltverhältnis bestimmt hat.«
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tus sagt von sich selbst: Ich bin der rechte Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Das ist ein Weinstock, der seine Fruchtbarkeit nicht aus dieser Welt bezieht. Seine Wurzeln reichen in ein anderes Reich. Doch seine Wirkungen, die tut er hier. Wer von diesem Wein trinkt, will heißen: wer sich auf Jesus Christus einläßt, sich ihm überläßt, dem werden Zunge und Herz in ganz anderer Weise gelöst, als das auf einem Winzerfest wohl auch geschieht.«26
26 E. Jüngel, Predigt zu Jesaja, 53.
6 Diskursraum Lernen Formen des Lernens in religiöser Bildung
These: Das Lernen selbst wird zum Ort des Diskurses, indem aufgezeigt wird, wie mit der Vielfalt methodischer Zugänge gelernt werden kann, sich auf christliche Religion zuzubewegen und sich darin aufzuhalten. An exemplarischen Möglichkeiten für den Unterricht wird entfaltet, wie sich Lernwege auch methodologisch klar und zugleich inhaltlich bestimmt ausgestalten lassen.
Wie vollzieht sich religiöses Lernen? Welche spezifischen Lernformen eignen sich für welche Inhalte? Dem soll in religionsdidaktischer Perspektive nachgegangen werden und gezeigt werden, wie sich religiöses Lernen an vielfältigen Inhalten des Lernens vollzieht. Es ist dabei nicht die Absicht, umfassend das ganze Spektrum religiöser Lernformen aufzuzeigen. Dazu gibt es ausreichend didaktische Lehrbücher, die das leisten. Vielmehr sollen Lernformen aufgesucht werden, die in besonderer Weise zeigen, wie sie mit dem Inhalt religiöser Bildung in einem konstitutiven Zusammenhang stehen. Weil religiöses Lernen nicht allein in Vermittlung von Inhalten aufgeht, sondern eine eigene Spezifik hat, stellt sich in der Vorbereitung die Frage nach den spezifischen Lernformen immer wieder neu. Um die Formen religiösen Lernens genauer wahrzunehmen, sollen insbesondere die Sprachformen untersucht werden, die für religiöses Lernen eine wesentliche Rolle spielen: Mit der Lebensform christlicher Religion als bestimmendem Bezugspunkt religiöser Bildung sind die Sprachformen einzuüben, die im Lernen aufgesucht werden. Sie tragen dazu bei, die Spezifik christlicher Lebensformen zu erfassen und an den Lebensformen probeweise teilzunehmen. Dieser konstitutive Zusammenhang von Sprachform und Lebensform muss berücksichtigt werden.
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Dabei kommen auch rhetorische Figuren in den Blick, die auf ihre Tragfähigkeit für religiöses Lernen in der Gegenwart untersucht werden sollen. Insbesondere ist auch die ästhetische Kontur von Lernformen aufzusuchen. Es sollen auch Aspekte aus künstlerischen Prozessen aufgenommen und reflektiert werden, die religiöses Lernen ausmachen und dabei helfen, die Praxis religiösen Lernens genauer zu beleuchten und in ihrer Eigenart zu durchdringen. Die Formenvielfalt religiösen Lernens bringt es mit sich, auch nach solchen Kontexten zu fragen, in denen das Moment des Lernens eine eigene Rolle spielt und gespielt hat; darum kann auf eine erstaunliche Vielfalt an Lernformen ausgegriffen werden, immer aber mit dem Ziel, nicht bloß eine Vielzahl darzustellen, sondern der Spezifik Raum zu geben, die religiöse Bildung auszeichnet. Im Diskurs mit vielfältigen Formen des Lernens zeigen sich Möglichkeiten, das Reden von Gott zu lernen, das als grundlegende Aufgabe religiöser Lernprozesse verstanden werden muss.1 Lernen in diesem Zusammenhang hat freilich immer die Dialektik des Redens von Gott in ihrer bleibenden und unaufgebbaren Spannung zu berücksichtigen. Religiöses Lernen bleibt also eine Spurensuche, weil sich der Gegenstand immer wieder der Operationalisierung entzieht. Dieses wesentlich dialektische Moment bestimmt religiöses Lernen; darum bedarf es auch der Reflexion eigener Lernformen, die die Spezifik religiösen Lernens zum Klingen bringen.2
6.1 Lesung3 Religiöse Bildungsprozesse haben es vornehmlich mit Texten zu tun. Darum ist der Bezug auf die Heilige Schrift für das Lernen christlicher Religion konstitutiv und das Lesen biblischer Texte eine signi1 Vgl. dazu grundlegend I. Schoberth, Diskursive Religionspädagogik, 9 ff. 2 Ganz im Sinne der Übersetzung von Katecheo und also im Anschluss an die katechetische Tradition, die in dieser Reflexion in ihrer Tragfähigkeit für ein Verstehen religiöser Bildungsprozesse wiedergewonnen werden soll. 3 Christoph Bizer hat mit Vehemenz diese Form des Lesens als Lesung immer wieder für die Wahrnehmung des Geschehens von religiöser Bildung für grundlegend erachtet: vgl. dazu umfassend: Ch. Bizer, Kirchgänge im Unterricht.
Lesung101
fikante Lernform, die Zugänge zu christlicher Religion eröffnet. Dieses Lesen hat eine eigene Kontur, die durch den Bezug auf die gelebte Form des Glaubens bestimmt ist. Wird in der Praxis der Christen die Heilige Schrift gelesen, dann ist dieses Lesen auch Lesung, die im gottesdienstlichen Raum geschieht. Die Lesung ist dabei mehr als nur das Vorlesen oder Wiedergeben eines Textes. In der Lesung bringt sich das Wort Gottes an die Menschen zum Ausdruck und eröffnet damit zugleich eine Wahrnehmung der Beziehung Gottes und des Menschen. In der Lesung wird auf dieses Beziehungsgeschehen rekurriert, das sich im Vernehmen und also Hören des Wortes Gottes eröffnet. In der Lesung wird diese Beziehung Gottes und des Menschen ausgerichtet auf eine Erfahrung am und mit dem Text: Der Text wird nicht nur gehört, sondern mit dem Text wird die Relationalität Gottes und des Menschen zum Ereignis. Am Prozess der Lesung nehmen darum verschiedene Akteure teil: Es ist zunächst der Leser selbst, der durch den Klang, durch Betonungen, durch Pausen, durch Verstärkungen, durch lautes oder verhaltenes Lesen etc. seine Wahrnehmung des Textes zum Ausdruck bringt, dem Text begegnet und insofern als Ausleger/Interpret des Textes wirkt. Der Klang verändert den Bedeutungsgehalt eines Textes/eines Buchstabens: Von Fall zu Fall sagt sich dasselbe Wort als harmloses – ironisches – feindseliges – hoffnungsloses – hoffnungsvolles – freudiges Wort. Wolfgang Rihm spricht sogar davon, dass »durch den Klang ein zweiter Text in den buchstäblichen Text sich einschreibt, der den betreffenden Sinn an Ort und Stelle erst herstellt.«4 Diese rezeptionsästhetische Wahrnehmung macht deutlich, dass sich in der Lesung der Leser zum Text äußert; er gibt ihm Nuancen und eröffnet damit eine atmosphärische Wahrnehmung, die die Unmittelbarkeit des Lesers zum Text aufzeigt.5 Lesen als Lesung verstanden ist lautes Lesen, keine stumme Lektüre. Im lauten Lesen wird der Text 4 W. Rihm, Offene Enden, 176. 5 Eine rezeptionsorientierte Bibeldidaktik kann hier von den Überlegungen Wolfgang Rihms lernen; vgl. dazu die Darlegungen bei Michael Fricke, der überzeugend diese Ausrichtung einer Bibeldidaktik darstellt: M. Fricke, Rezeptionsästhetisch orientierte Bibeldidaktik.
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Diskursraum Lernen
als eigener Bedeutungsträger erlebt und wird als Gegenüber des Lesers erkennbar. Insofern ist der zweite Akteur im Lesen der Text selbst. Der Text ist freilich nicht nur eine Ansammlung von Buchstaben, sondern als Wort der Heiligen Schrift wird mit ihm und in ihm der Gott vernehmbar, der sich den Menschen nicht anders als durch das Wort zuwendet und bekannt macht. Darum begreift die christliche Tradition dieses Wort als Evangelium, als gute Botschaft an die Menschen. Der Lesung haftet insofern Dialogisches an; sie wird zu einem Gespräch, in dem sich immer wieder neu Spuren der Begegnung Gottes und der Menschen lesen lassen. Im Sinne einer Spurensuche verstanden finden biblische Texte Eingang in religiöse Bildungsprozesse: Freilich ist die Situation im Unterricht in christlicher Religion an der Schule zu unterscheiden vom gottesdienstlichen Handeln und der darin bestimmenden Lesung; Religionsunterricht ist Raum des Unterrichts an der öffentlichen Schule: Das ist zu berücksichtigen, wenn eine Lesung vollzogen wird, auch wenn gleichwohl ein Arrangement möglich wird, das an die Situation im Gottesdienst erinnert. Ein Lesepult im Unterrichtsraum erlaubt es, eine Atmosphäre herzustellen, die das Lesen eines Textes als bloße Kopie – wie es die Lernenden an der Schule gewohnt sind – verändert und auf die Lesungen im Gottesdienst verweist. Das wäre auch im Unterricht zu thematisieren, dass die besondere Situation der Lesung sich auf die gottesdienstliche Lesung bezieht, in die die Schülerinnen und Schüler mit der Lesung hineingehen; freilich probeweise, weil sich Klassenzimmer und gottesdienstlicher Raum unterscheiden. In der Lesung vollzieht sich ein Erproben der Lebensform christlicher Religion. Es ist die Situation des ›als ob‹, in der Schülerinnen und Schüler an einer Lebensform teilnehmen, die in der Lesung eines biblischen Textes erfahren wird. Dabei vollzieht sich eine Spurensuche; im Hören des biblischen Textes stellen sich Wahrnehmungen ein, die der Unterricht aufgreifen kann, indem etwa im Unterrichtsgespräch den Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler nachgegangen wird. Die Lesung, im Unterricht vorgetragen, eröffnet ein Hören; es ist eine Form der Wahrnehmung, die freilich erst wieder geübt werden muss, denn die laute Lebenswelt verhindert wirkliches Hören. Die konzentrierte Lesung ermöglicht aber das Einüben ins Hören; und
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das braucht Geduld von Seiten der Lehrenden; oft gelingt es durch das Arrangement der Lesung, das ein Hör-Raum geschaffen wird, auf den sich Schülerinnen und Schüler auch immer wieder gerne einlassen.
6.2 Rhetorische Wege des Lernens Die Heilige Schrift ist konstitutiver Bezugspunkt religiöser Lernprozesse; sie eröffnet eine Vielzahl von Lernformen, die sich aus ihrem Verständnis als Wort Gottes, als Evangelium, ergeben. Als lebendiges Wort der Geschichte Gottes und des Menschen führt der Umgang mit der Heiligen Schrift in einen Umgang mit Sprache, der sich etwa auch in den eindrücklichen Auseinandersetzungen in der alten Kirche widerspiegelt. Denn an und mit ihnen zeigen sich rhetorische Figuren, die von der lebendigen und bleibenden Herausforderung im Umgang mit der Heiligen Schrift zeugen. Wenn man die umfangreichen Diskurse und Reflexionen etwa der alten Kirche bis in die Reformationszeit und weiter bis heute betrachtet, so zeigen sich neben den inhaltlich spannenden Bezügen auch die methodischen Möglichkeiten, die als Zeugnis der bleibenden und immer neuen Herausforderung im Umgang mit der Heiligen Schrift verstanden werden können. Darin drückt sich das stetige Bemühen aus, der Heiligen Schrift auf die Spur zu kommen. Die rhetorischen Figuren und Formen der Diskurse in der alten Kirche sind hilfreiche Hinweise und eröffnen einen Bezug zur Heiligen Schrift, der auch in den Lernprozessen der Gegenwart dazu anleiten kann, dem Wort Gottes auf die Spur zu kommen. Genauer gefragt: Dienen die rhetorischen Formen, wie sie sich etwa in den Erinnerungen und Quellen finden, dazu, auch aktuelle religiöse Lernprozesse auszugestalten und ihnen ein spezifisches Profil zu geben? Der Reichtum an Sprachspielen, die hier nicht umfassend aufgearbeitet werden sollen noch können, dient als Hinweis darauf, wie differenziert in einer spezifisch argumentativen und doch auch kritischen Weise auf das Wort Gottes Bezug genommen wurde. Das ist ein Hinweis darauf, dass es eben nicht nur die historisch-kritische Reflexion an und mit den Texten ist, die ein Verstehen und Ausloten der Texte eröffnet, sondern dass es andere methodische For-
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men gibt, die dazu veranlassen, Bildungsprozesse neu und anders als bisher zu gestalten. Dieser Rückgriff auf die rhetorischen Figuren und Formen ist veranlasst durch die Schwierigkeiten, in der sich die biblische Didaktik in der Gegenwart befindet. Die allzu schnellen operationalisierbaren Formen des Umgangs mit der Heiligen Schrift, die in religiösen Lern- und Bildungsprozessen derzeit vorherrschen, haben zu einer Reduzierung biblischer Didaktik geführt, die nur noch undeutlich die Herausforderungen erkennbar macht, die im Umgang mit der Heiligen Schrift gegeben sind und zu denen sie letztlich immer neu herausfordert. So leitet insbesondere die Rhetorik der Kirchenväter dazu an, dieser Sprachgestalt nachzugehen und sich in der Gegenwart davon bereichern zu lassen.6 Neben einem historisch-kritischen Umgang mit der Heiligen Schrift, wie er heute sehr dominant das theologische Arbeiten bestimmt und auch in Bildungsprozessen aufgenommen worden ist – auch die Lernenden brauchen den Einblick in den historisch kritischen Umgang mit der Schrift – sind mit der alten Kirche und darüber hinaus vielfältig andere methodische Formen einer kritischen Lektüre der Schrift zu finden, wozu die Heilige Schrift im Grunde mit jeder neuen Bildungsbemühung jede Generation herausfordert. Exemplarisch für die alte Kirche steht eine methodische Form, der Väterbeweis, der das eindrücklich zeigt: Es ist eine theologische Denk- und Argumentationsform, die sich als eine Form der Berufung auf Tradition ausweist; bestimmte Personen werden namentlich als Autoritäten (›Väter‹) benannt und deren Denken wird durch Aufnahme expliziter Zitate begründet.7 Thomas Graumann zeigt an den Auseinandersetzungen und ihrem Rekurs auf die Väter, dass damit zugleich hermeneutische Fragen im Raum stehen: Wie ist das Verhältnis von theologischer Tradition und Heiliger Schrift zu bestimmen? Wie wesentlich wird die theologische Tradition für die jeweilig eigene Position und das je eigene Urteil? Zugleich geht 6 Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang meinem Kollegen Winrich Löhr, der mir kirchengeschichtliche Einblicke dazu in seiner Antrittsvorlesung in Heidelberg eröffnet hat. 7 Vgl. Th. Graumann, Kirche der Väter.
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es dabei auch um Abgrenzungen (Häretiker etc.) und die Entlarvung auch eigener häretischer Vorprägungen. Wie groß ist der Einfluss auf die Selbstwahrnehmung bestimmter Gemeinden, etwa Alexandria etc.?8 Mit diesen vier Fragerichtungen, wird an einen Umgang mit Tradition angeknüpft und die Tradition in ihrer Tiefe erarbeitet. Dabei kommen die theologische Haltung und ihre Prägungen ebenso zu Wort wie der immer neue Bezug auf die Heilige Schrift, die in ihrer Normativität erkennbar bleibt. Ohne diesen Bezug auf die Heilige Schrift ist also Tradition und mit ihr der Bezug auf die Väter nicht denkbar. Zugleich werden auch identitätsstiftende Aspekte ebenso erkennbar wie notwendige Abgrenzungen zu Orientierungen und Haltungen, die die Lehre bzw. die theologische Ausrichtung in Frage stellen. Dieses Ringen um die Angemessenheit der je eigenen theologischen Haltung und der Abgrenzung – besonders auch von den der Schrift widersprechenden häretischen Haltungen – bestimmt die alte Kirche und mit ihr das je neue Ringen um eine angemessene theologische Positionierung bis heute. Das wird auch erkennbar im Gebrauch dialektischer Argumentation9, aber auch in anderen Formen theologischer Argumentation und theologischer wie philosophischer Auseinandersetzungen. Im Philosophieren bildet sich ab, was auch religiöser Bildung ihre besondere Form gibt. Auch in religiösen Bildungsprozessen haben sich Lernwege etabliert, die einem immer genaueren Erfassen von Texten zuarbeiten: Insbesondere haben die Arbeiten von Rainer Oberthür Kinder fragen nach Leid und Gott10 diesen Weg der philosophischen Reflexion auch im Rahmen einer Theologie für Kinder stark gemacht und in ihrer didaktischen Tragfähigkeit erläutert. Das Gedankenexperiment, an dem Oberthür einen unterrichtlichen Weg aufzeigt, bezieht sich auf den griechischen Philosophen Epikur; den Schülerinnen und Schülern wird zugemutet, sich seinen Gedanken anzuvertrauen und Lösungswege zu probieren; das führt in eine ethische Kompetenz, die ihresgleichen sucht und die von einer bestechenden 8 A. a. O., 87. 9 H.-U. Wöhler, Dialektik. 10 R. Oberthür, Kinder fragen nach Leid.
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Komplexität bestimmt ist. Darum wohl auch, so berichtet Oberthür, meinten die meisten Kinder, »der Religionsunterricht sei das schwerste Fach an der Schule, denn man müsse selbst viel nachdenken.«11 Im Gegenüber und angeleitet durch die Reflexion der Gestalt des Hiob und seiner Leid-Erfahrungen gewinnt diese Reflexion der philosophischen Ideen des Epikur eine eigene Ausrichtung, die das Menschsein inmitten von Leid an ein Gegenüber zu adressieren eröffnet. Grundlegend gilt das auch für das Philosophieren in religiöser Bildung in anderen Jahrgangsstufen; man kann sagen, dass es keine Jahrgangsstufe gibt, in der solche Lernformen nicht möglich wären. Für die Sekundarstufe, bes. Sekundarstufe II, hält das Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik die Notwendigkeit solcher Unterrichtswege fest und macht dieses Jahrbuch zu einer Fundgrube auch für religiöse Bildungsprozesse: »… die phänomenologische Methode: von brüchig gewordenen Alltagserfahrungen ausgehen sowie empirische Daten berücksichtigen; oder: differenziert und umfassend beschreiben, was ich beobachte, erfahre, wahrnehme oder bei mir denke, ferner die Ergebnisse der Einzelwissenschaften einbeziehen; die hermeneutische Methode: Lehrmeinungen bzw. Interpretationen oder ideengeschichtliches Wissen sowie die eigenen, alltäglichen Ansichten oder Deutungsmuster heranziehen; oder: (nicht nur philosophische) Texte lesen, um unsere Beobachtungen etc. umfassender verstehen zu können; die analytische Methode: zentrale Begriffe und Argumente hervorheben und prüfen; oder: Prämissen, Widersprüche oder verengte und zu weite Definitionen aufdecken und prüfen; die dialektische Methode: unterschiedliche Positionen zuspitzen und gegeneinander abwägen; oder: ein Dialogangebot wahrnehmen (Gespräche und Texte) sowie dessen Pro und Contra diskutieren und mögliche Aporien aushalten; die spekulative Methode: ungeschützte Einfälle und Phantasien zulassen und spielerisch erproben; oder: Ideen und Hypothese (Gedankenexperimente; ›Spinnereien‹) kreativ nutzen.«12 11 A. a. O., 129. 12 U. Gebhard/E. Martens/R. Mielke, Ist Tugend lehrbar, 137.
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Diese fünf Wege der sokratischen Reflexion sind elementare Methoden, die eingeübt werden können und die sich durch Übung »graduell lernen und verbessern«13 lassen. Alle Formen sind in gewisser Weise aufeinander bezogen und stehen nicht nur allein für sich. Zu dieser Reihe lassen sich auch öffentliche Disputationen zählen, die ja insbesondere auch in der Reformationszeit eine wesentliche Rolle spielten, wie etwa die Heidelberger Disputation; ein spielerischer Mut und auch ein intellektuelles Spiel, um die theologischen Urteile und Profile in Entscheidungssituationen genauer herausstellen zu können, findet sich ebenso wie auch Bestrebungen der Regulierung von Dissens und der Versuch von Annäherungen; es zeigen sich aber auch polemische Widerlegungen; methodisch gehören dazu auch Einwände und hypothetische Anmerkungen wie auch ironische Erörterungen. Die Vielfalt macht das Ringen deutlich, das der theologischen Arbeit und der hermeneutischen Anstrengung bis heute anhaftet, um die es aber auch Bildungsprozessen zu tun sein muss. Insofern bereichert ein solcher Blick in die Geschichte den Umgang mit der Heiligen Schrift14 wie auch die Profilierung von theologischen Positionen, was ja für die Befähigung zu spezifischen religiösen Kompetenzen eine wesentliche Rolle spielt.
6.3 Traditionen und Kompositionen Der Blick in die alte Kirche und in dessen Fortsetzung der Blick in die theologischen Entwicklungen durch die Jahrhunderte hindurch bereichert die Wahrnehmung des Umgangs mit der Heiligen Schrift; es eröffnen sich Lernformen, die sich als tragfähig für die aktuellen Bemühungen um die Heilige Schrift in religiösen Bildungsprozessen erweisen können und differenziertere Wahrnehmungswege ermöglichen. Dieser Zugang zu Lernformen, der im ganz klassischen 13 Ebd. 14 Damit ist ein Thema genannt, das hier nicht weiter intensiv verfolgt werden kann; es würde sich freilich lohnen, auch das Erbe der alten Kirche in dieser Perspektive genauer wahrzunehmen und ihm für die Wahrnehmung von Lernprozessen und möglichen Strukturen, die religiösem Lernen eigen sind, nachzugehen.
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Sinn als theologische Reflexion in ihren vielfältigen Ausprägungen bezeichnet werden kann, ist zu ergänzen durch rezeptionstheoretische Überlegungen, die zur Frage nach ästhetischen Lehr-Formen im Umgang mit der Heiligen Schrift anleiten. Dabei sind es besonders die kompositorischen Überlegungen Wolfgang Rihms, die mich zu dieser Reflexion veranlasst haben und die hier aufgenommen werden sollen, da seine Reflexion zur Kunst und zur Komposition an das heranreicht, was Theologie immer wieder selbst als ihre Aufgabe der Reflexion erkennt. Ich möchte auf ihn auch darum Bezug nehmen, weil er die Wahrnehmung etwas entfremdet und gerade so noch einmal einen ganz neuen Zugang zum Verstehen von Tradition und den Umgang damit möglich macht. Rihm zeigt diesen Umgang, den er selbst reflektiert, womit er die Kontur seiner Kompositionen festmachen kann, überlegt und eindrücklich auf. Sein künstlerisches Schaffen ist bestimmt von der Suche nach Freiheit; er verweigert sich vehement, sich in festgelegten Bahnen einzuordnen und einzurichten. Dieses Suchen in freiheitlicher Manier verdichtet sich in seinen Überlegungen – in seinem Text zur »Musikalischen Freiheit«: »Wenn es eine Tradition gibt, der ich mich angehörig fühle, so ist es diese: Kunst als Freiheit zu verstehen, aus der Freiheit entstanden und zu Freiheit verpflichtend.«15 Rihm hat ein feines Gespür für den Umgang mit Traditionen, auf die nicht nur der Komponist bezogen ist, sondern an und mit der ihm mehr gelingt als nur ein vergegenwärtigender Rückblick auf Vergangenes. Wolfgang Rihm findet Parallelen für sein kompositorisches Arbeiten in der Bildhauerei: »Aus dem Material in diesem sehr konkreten Sinne wird durch das künstlerische Tun die Musik hervorgetrieben, wie der Bildhauer die Gestalt aus dem ungeformten Stein meißelt. Letztlich ist der Komponist wie der Bildhauer ganz allein, nur mit sich und den eigenen Kräften und Fähigkeiten, konfrontiert mit dem 15 W. Rihm, Offene Enden, 51.
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Widerstand, den das Material dem gestaltenden Tun entgegensetzt, beziehungsweise den Möglichkeiten, die es eröffnet.«16 Im Komponieren erkennt Rihm Möglichkeiten, Musik Ausdruck zu verschaffen. Sie gewinnt aus seiner Freiheit zum Komponieren ihre besondere Gestalt: Dafür bietet er in seinen Reflexionen zahlreiche Konkretionen an; davon erzählt er in seinem Buch, immer wieder auch skizzenhaft, und dabei zeigt er auch eine Entwicklung auf: »Jahr um Jahr wurde der Wortschatz reicher, … Nicht etwas, das bereitsteht und über das ich verfüge, sondern etwas, dem ich ausgeliefert bin, das mir auch seinen Zustand aufzwingt und mich in die Lage versetzt, diesen Zustand dinghaft darstellen zu müssen. … Nichts, aber auch gar nichts nimmt es uns ab, eine eigene Sprache finden zu müssen. Der Nostalgierummel in all seiner Larmoyanz hat gezeigt, wie schnell der Versuch scheitert, sich der Geschichte zu versichern, wenn man an sie anknüpft mit einem Faden, den sie schon einmal gesponnen hatte.«17 Was dabei ein Mensch als Komponist erfährt, wird von Rihm eindrücklich dargestellt: Das beginnt mit der Wahrnehmung der Schreibsituation, »das Geräusch der Feder, des Stiftes auf dem Papier, der fast magische Vorgang, ein leeres Blatt mit Zeichen zu füllen, die plötzliche Begegnung mit dem eben Niedergeschriebenen, in dem einem jenes schriftlich verfestigt gegenübertritt, was eben noch nur gedacht war, das Atmosphärische des im wörtlichen Sinne hand-werklichen Schreibens usw. als Potenz produktiv.«18 An Rihms Reflexionen zeigt sich eine Auseinandersetzung mit Tradition und zugleich ein Entstehen von Neuem; es zeigt sich eine Freiheit des künstlerischen Schaffens, das auch unmittelbar erlebt 16 U. Mosch, Nachwort des Herausgebers, 277. 17 W. Rihm, Offene Enden, 16. 18 U. Mosch, Nachwort des Herausgebers, 274 f.
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wird und eindrückliche Kompositionen hervorbringt: Ausdruck für einen ästhetischen Weg, der den Einzelnen fordert und der sich fordern lässt. Kann das auch Ausdruck sein für ein Komponieren an und mit der Schrift, Komposition, die sich fordert und sich fordern lässt? Ich möchte es wagen, diesen Weg der freiheitlich gestalteten Komposition als Weg ästhetischen Lernen zu verstehen, der nicht nur Musik hervorbringt, sondern auch die Wahrnehmung der Heiligen Schrift, wie er auch die Wahrnehmung der theologischen Tradition begleitet. Es vollzieht sich in ästhetischer Hinsicht ein Lesen der Wirklichkeit im Lichte der Heiligen Schrift wie auch all der Biographien und Erinnerungen, die christlicher Glaube hervorgebracht hat. Im theologischen Urteilen und in der theologischen Reflektion entstehen, wenn man so will, immer auch und immer wieder neu Kompositionen; Wirklichkeit eröffnet sich in dem konkreten Augenblick des Lesens und Wahrnehmens von Texten, Quellen und Erinnerungen; dabei sagt sich das Wort Gottes je neu hinein in die Gegenwart, in Spuren und ganz eigen – als Evangelium. Angestoßen durch die Überlegungen zu Rihm möchte ich weitere Lernformen aufsuchen, die dem folgen, was sich im Sinne einer Komposition verstehen lässt und als Effekt künstlerischer Freiheit verstanden werden kann:
6.4 Übermalungen Andy Warhols Umgang mit der Darstellung des Abendmahls von Leonardo da Vinci19 zeigt einen eigenen Umgang mit Tradition; Warhol würdigt das Bild von Leonardo, indem er es nur an der Oberfläche verändert, indem er Farbfelder auf die Abendmahls-Szene setzt. Albrecht Genins Bilder sind auch ein Versuch, durch Übermalung aus dem ursprünglichen Kunstwerk bzw. der ursprünglichen Vorlage heraus ein Moment der Tradition festzuhalten und in der Übermalung diesem Aspekt eine ›eigenwillige‹ und eigene Kontur zu geben. Diese beiden Künstler stehen für eine Bemühung um Tradi19 Vgl. I. Schoberth, Leonardo da Warhol.
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tion, die gewürdigt wird und die in der Würdigung eine bloß ›oberflächige‹ Veränderung erfährt;20 in der Übermalung, indem spezifische Aspekte der vorgegebenen Tradition entweder stärker in den Vordergrund gehoben werden oder transformiert werden, gehen die Lernwege solchen Motiven nach, die sich unmittelbar dem Betrachter zeigen. Insofern werden in der Begegnung mit dem Kunstwerk offene Zugänge initiiert. Dabei ist die Wahrnehmung des Bildes/Kunstwerks zunächst nicht festgelegt, sondern folgt der freien Assoziation, dem, was den Lernenden im Bild sich eröffnet, ohne je fertig zu sein.
6.5 Biblische Texte im Kunstwerk Ein Kunstwerk in der Kapelle des Moratahauses in Heidelberg provoziert zu ästhetischen Lernformen, die an den biblischen Texten selbst entwickelt worden sind; d. h. der ästhetische Weg ist nicht einfach nur eine Idee oder aus einem subjektiven Eindruck dieses Raums durch den Künstler entworfen worden, sondern der Raum, das lebendige Leben an diesem Ort der Begegnung in Heidelberg und die Ich-bin-Worte aus dem Johannesevangelium eröffnen ein komplexes Zusammenspiel, das ein Lernen an und mit dem Wort Gottes zum Ausdruck bringt. Erst in der Begegnung mit den Jalousien aus Glasstäben, die durch eine dünne Kunststoffschnur zusammengehalten werden, entsteht ein Dialog-Raum: die biblischen Worte, die auf den Stäben aufgetragen sind – pro Jalousie ein Vers aus den Ich-bin-Worten – leiten den Betrachter zum Lesen an: In einer Andacht zu den Fenstern der Kapelle des Moratahauses wurde folgendermaßen zu dieser Begegnung motiviert: »Gehen Sie zu den Fenstern und machen Sie Beobachtungen – ganz kurz nur folgen Sie den Lettern des Wortes aus dem Johannesevangelium und spüren Sie diesen Texten nach – und setzen Sie sich dann wieder auf ihren Platz.« 20 Vgl. auch das Unterrichtswerk, D. Zilleßen/U. Gerber, Und der König, das in vielerlei Hinsicht diese ästhetische Wahrnehmung eröffnet. Ergänzend sind Dias beigelegt, die Genins Bilder präsentieren und so für den Unterricht in Gebrauch nehmen lassen. Leider ist das Schulbuch vergriffen.
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Von der Ästhetik belehrt, wird an diesem Vorgehen erkennbar, dass das Kunstwerk noch nicht fertig ist, sondern dass es erst durch den Betrachter fertig wird; es ist ausgeliefert an den Kirchenraum, wo es dem Betrachter begegnet; erst mit der Begegnung findet moderne Kunst ihre Durchsetzungskraft. Bei jedem Betrachter vielleicht ein bisschen anders; aber das ist die besondere ästhetische Arbeit am Kunstwerk – hier Jalousie –, dass die Szenerie in der Kapelle einen dichten Lernzusammenhang zu erkennen gibt, der religiöse Bildung auszeichnet. Was vor den Fenstern geschieht, ist eine prozesshafte Erfahrung an den Kunstwerken, die die Fenster der Kapelle verändern und zu einem Kunstwerk machen. Indem die Jalousien das Licht in die Stäbe senden und dort die Worte lesbar werden lassen, stellen sie die Worte dem Leser zur Verfügung, eröffnet sich ästhetische Erfahrung, die mit dem Raum, dem Material, den Worten der Heiligen Schrift im komplexen Zusammenspiel ein hermeneutisches Geschehen evoziert: Das Wort der Heiligen Schrift – hier die Verse aus dem Johannesevangelium – wird durch den Betrachter als bewegtes Wort erfahren: Steht man vor den Fenstern und beginnt zu lesen, dann ist das nur möglich durch Bewegung; im Hin- und Herbewegen kann die Schrift erst entziffert werden. Um die Schrift zu entschlüsseln, braucht es diese Bewegung des Betrachters: Das Wort kommt als ein in Bewegung gebrachtes Wort zum Betrachter. Eine Spannung zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen tut sich auf – der ästhetische Ausdruck der Fenster verweist auf das Verstehen des Wortes, das sich nicht immer gleich aufschließt, sondern seine Zeit zum Verstehen braucht – eben durch die leibliche Bewegung vor der Jalousie. Damit beginnt eine Begegnung am und mit dem Kunstwerk, die, wie es Martin Luther für die Lektüre der Schrift betont hat, auch je eigene Schritte braucht. Oratio – meditatio – tentatio, das sind die Wege hin zum Wort Gottes, das sich im Hören, hier im bewegten Wahrnehmen vor dem Kunstwerk, im Verweilen am Text, erschließt. Freilich kann das ein verstehendes Annähern an das Kunstwerk sein wie auch eine Annäherung, die in die Infragestellung führt. Beides kann vor dem Kunstwerk geschehen: In der Andacht wird diese Bewegung thematisiert: »Das bewegte Wort bewegt mich – Führt mich in Räume, lässt mich nicht unbewegt
Zusammenfassung113
sein, sondern bringt mich in Bewegung – und das ganz leibhaftig.« Zum Abschluss der Begegnung mit dem Wort wird herausgestellt: »Gut, dass wir solche Fenster haben, die uns an das Wort erinnern, das Menschen bewegt und damit uns: Lassen Sie uns ein Lied singen, das dieses Bewegtsein vom Wort eindrücklich besingt und in den Dank und in das Lob Gottes für sein Wort an uns führt.« Wie eng Verkündigung und Unterricht aufeinander bezogen sein können, wird an diesem Beispiel deutlich, das exemplarisch für Lernwege insgesamt steht, die auf die Lebensform der Kirche erprobend zugehen. Es wurde versucht zu zeigen, wie eine Andacht mit dem Kunstwerk aussehen kann; das kann unterrichtlich nicht einfach abgebildet werden; das Beispiel dient aber nun wiederum dazu, zu zeigen, wie der Betrachter und das Kunstwerk gemeinsam ins Spiel kommen. Von der Bewegung her, in die das Kunstwerk führt, tut sich etwas von der Schrift auf; in einem Kirchenraum kann es eine Abbildung sein, ein Blick, der sich auf mich richtet, das Angesicht des Gekreuzigten, dessen Blick in sich gekehrt ist und meinen Blick nicht erwidert etc. Das leibliche Einbezogensein eröffnet eine ästhetische Wahrnehmung am Kunstwerk; ein hermeneutisches Spiel, das nur leiblich möglich ist. Dem können Unterrichtswege folgen. Der Akzent, der hier betont ist, richtet sich auf die ästhetische Durchdringung, die nicht ohne die leibliche Bewegung zu haben ist. Insofern ist in Hinsicht einer Religionsdidaktik zu fragen: Wie gelingt es, diese leibliche Bewegung auch unterrichtlich zu arrangieren? Ein Kirchenraumbesuch etwa oder aber auch das Spiel an einem Vexierbild macht solche Übungen und solche Wahrnehmungen möglich. Schließlich führt das Beispiel darauf hin, zu entdecken und wahrnehmen zu lernen, wie sich Wirklichkeit auch an und mit der Heiligen Schrift eröffnet. Und das geschieht nicht nur im bloßen Lesen.
6.6 Zusammenfassung Eine Vielzahl von methodischen Beispielen könnte man anfügen, und sicher würden sie immer neu auf die Spur der Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes für die Gegenwart führen; sie zeugen
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von den Möglichkeiten der immer neuen Annäherung an das Verstehen des Wortes Gottes, das sich immer neu, aber eben nie ganz erschließt, so dass man darüber verfügen könnte. Die Wege, die durch methodische Möglichkeiten geebnet werden, dem Wort Gottes auf die Spur zu kommen – freilich immer anfänglich und letztlich unverfügbar – brauchen insofern eine sorgfältige Reflexion, um auch die Angemessenheit der jeweiligen Methodologie zu untermauern. Darum ist zu fragen: Bringt meine methodische Möglichkeit das zum Ausdruck, was sachlich theologisch erarbeitet worden ist, oder muss ganz neu nach einer ›passenden‹ Methode gesucht werden? Und umgekehrt: Wie kann ein Lernen theologischer Zusammenhänge und Perspektiven methodisch eröffnet werden? Beide Fragen durchdringen sich und bestimmen die Vorbereitung religiöser Bildungsprozesse. Die Grundaufgabe der Religionsdidaktik ist dabei immer im Blick zu behalten, weil eben im Gegenüber von unterrichtlicher Realisierung und theologischer Durchdringung der Sache der Theologie des je bestimmten Unterrichtsthemas auch didaktisch methodische Entscheidungen möglich werden. Anspruchsvoll, aber auch aussichtsreich sind diese Voraussetzungen religiöser Bildung; sie ermöglichen ein Lernen, das in aller Unverfügbarkeit von der Hoffnung lebt, dass sich heilsame Spuren christlicher Religion eröffnen und die Lernenden in christliche Religion hineinfinden. Der Diskursraum Lernen erschließt darum diesen engen und letztlich unauflöslichen Zusammenhang von Unterricht und Theologie, von Lernen und Sache, von Reflexion und Vermittlung.21 Diese Wege der Anbahnung religiöser Bildungsprozesse sind mit jeder neuen Lernaufgabe theologisch inhaltlich wie methodisch gefordert und müssen insofern immer wieder neu am spezifischen Thema des Lernens erarbeitet werden.
21 Th. Schlag/J. Suhner (Hg.), Theologie als Herausforderung. Vgl. dazu weiterführend M. Hailer, Die Funktion der systematischen Theologie. Vgl. auch W. Bukowski/M. Forysch, Theologie im Unterricht.
7 Diskursraum Ethik Ein selbstbewusster Citoyen werden
These: Mit dem Diskursraum Ethik soll aufgesucht und gezeigt werden, inwiefern religionsdidaktisch auch das Leben und Handeln in politischen Zusammenhängen zur Sprache gebracht werden kann und religiöse Bildungsprozesse davon bestimmt sein müssen. Aspekte eines Profils ethischen Lernens werden entwickelt. Das gute Leben vom Evangelium her wird als Option/Möglichkeitsraum wahrgenommen, das mit den Lernenden in Spuren und probeweise aufgesucht werden kann.
Mailied der Kinder: Am ersten Mai / Gehen Vater und Mutter in einer Reih / Kämpfen für ein beßres Leben / Fron und Armut darf ’s nicht geben. / Da sind wir auch dabei. / Grün sind die Zweige / Die Fahne ist rot. / Nur der Feige / Duldet Not. / ’s ist Monat Mai. / Im Acker die Hälmchen stehn Reih an Reih. / Gute Ernte – gutes Leben! / Lasset uns die Hand drauf geben / Daß es die unsre sei. / Grün sind die Fluren / Die Fahne ist rot. / Unser die Arbeit / Unser das Brot!1 Eine eindrückliche Wahrnehmung der Kinder in diesem Gedicht von Bertolt Brecht: Sie sind mittendrin im Geschehen der Maifeier im Frühling und die rote Fahne ist nicht zu übersehen. Brecht versucht mit seinen Kinderliedern einen Blick auf den Alltag der Menschen seiner Zeit und dabei besonders der Kinder. In diesem Mai1 Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe; hg. von Werner Hecht u. a. Band 12: Gedichte und Sammlungen 1938–1956; Frankfurt/M. 1988, 292 f. vgl. auch das entzückend gestaltete Kinderbuch mit Kindergedichten: Bertolt Brecht: Ein Kinderbuch, hg. von Rosemarie Hill und Herta Ramthun, 1. Aufl. Berlin 2006, 71.
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lied verbindet sich beides, das Erleben der Kinder mit der Mühsal des Lebens der Erwachsenen, die von der Sehnsucht nach dem guten Leben und dem Wunsch nach Veränderung der politischen Verhältnisse bestimmt sind. Dem versucht Brecht mit literarischen Mitteln zu begegnen, um verändernd in Politik und Gesellschaft einzugreifen. Besonders seine Vorstellung vom Theater zeichnet den Weg vor. Er richtet seine Aufmerksamkeit darauf, dass das Theater »zur revolutionären Befreiung und Selbstverwirklichung des Proletariats führen müsse, und im Hinblick auf diesen Revolutionierungsprozeß, den Brecht … nicht als naturwüchsig, sondern als handlungsabhängig betrachtete, entwickelte er die Vorstellungen für sein Theater (einschließlich der zugrundeliegenden Dramenformen) als ›geistige Aktion‹ …«.2 Die »Fortdauer der Ausbeutung und Verelendung, der Unfreiheit und Entfremdung des weitaus größten Teils der Menschen und damit auch die Fortdauer des Klassenkampfes«3 waren ihm Grund und Anlass, literarische und dramaturgische Möglichkeiten zu suchen. Darum ist sein Interesse vor allem am epischen Theater ein »eminent praktisches. Das menschliche Verhalten wird als veränderlich gezeigt, der Mensch als abhängig von gewissen ökonomisch-politischen Verhältnissen und zugleich als fähig, sie zu verändern.«4 In seinen Liedern für Kinder zeichnet Brecht Kinder – viele Kinderlieder waren aber auch für Erwachsene gedacht – als noch unverstellt und offen mit ihrer besonderen Intuition für das Leben. Er würdigt sie in ihrem Eigenerleben und in dem, wie sie selbst ihre Lebenswelt wahrnehmen. Kinder sind es, die zur Erwachsenenwelt eine kontrapunktische Ergänzung schaffen; sie haben eine eigene Stimme inmitten der sie umgebenden Lebenswelt; die Haltung der Kinder 2 H. Kiesel, Geschichte der literarischen Moderne, 359. 3 A. a. O., 361. 4 A. a. O., 378.
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wird zum Ausdruck für eine Hoffnung auf eine neue Gesellschaft und für die Überwindung bestehender Verhältnisse. Die Kinder hier im Mailied sind mit dabei und sind aufmerksame Beobachter: Der Dichter und die Kinder – sie sind Verbündete, nehmen wahr und spüren dem Geschehen nach. Ihre Wahrnehmung hat einen eigenen Ernst und darf nicht geringgeschätzt werden. So wie im Gedicht sind die Kinder immer mittendrin im Geschehen und lernen auf diese Weise politisches Handeln. Dabei geht es auch rau zu, nicht sanftmütig ist die Situation geschildert. Denn offensichtlich geht es um alles, das ganze Leben, von der Sehnsucht beherrscht, die Kinder wohl in ihrer Intuition spüren und erahnen. Freilich ist die politische Situation, auf die Brecht anspielt, nicht mehr die Situation heute, aber dennoch zeigen sich Spuren im politisch-öffentlichen Bereich, die in gleicher Weise zu Veränderung und Neuorientierung auffordern. Das postbrechtsche Theater nimmt das auf, wenn es die »Kritik an dem gesellschaftlichen Machbarkeitswahn der rationalistischen und bürokratischen Moderne«5 aufgreift und darin die Notwendigkeit der Kritik um des gemeinsamen guten Lebens willen formuliert, das auf andere Dimensionen bezogen sein muss als auf das Bewältigbare, Machbare und Effiziente. Wie viele Kinder stehen so unmittelbar im politischen Geschehen – heute? Gibt es noch diese Erfahrung mit öffentlicher Politik, wie sie das Gedicht widerspiegelt? Gibt es die Räume und Orte der Auseinandersetzung um das gemeinsame gute Leben, für das es sich einzusetzen lohnt? Man muss nicht lange danach suchen, denn der elementare Lebensalltag ist selbst das politische Leben. Mittendrin im Schulalltag ist es zu erfahren; in der Familie schon, wo es um erste eigene ›politische‹ Schritte geht, und dann auch im Kindergarten, wo es um ein Abstimmen von immer wieder auch differierenden Interessen geht. In diesen ersten Lebenskontexten beginnt politisches Leben, nicht erst mit einem Parteibuch. Umso wichtiger ist es, dass diese Kontexte aufmerksam wahrgenommen werden. Sie zeigen, wie es gelingen kann, politisches Leben miteinander einzuüben, um ein selbstbewusster Citoyen zu werden; der den Mut zum Guten6 wagt. 5 A. a. O., 449. 6 F. Steffensky, Schwarzbrot-Spiritualität.
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Damit steht das gute Leben als Kontext der Reflexion an, um diese Perspektivität im Diskursraum Ethik aufzusuchen.
7.1 Das gute Leben In seinem Aufsatz ›Mut zum Guten‹ legt Fulbert Steffensky Geschichten vor, Menschen in ihren Geschichten, die den Mut zum Guten wagen. Diese Geschichten sind Ausgangspunkt für sein Nachdenken über das Gute, das in vielfältigen Geschichten des Lebens immer wieder zur Erscheinung kommt. Er findet darin die Schönheit des Guten, inmitten extremer und bedrängender, das Leben radikal gefährdender Lebenssituationen wie der des Konzentrationslagers. Es gibt sie, diese vielen Geschichten vom guten Leben7; sie sind bestimmt von Gewaltfreiheit und der liebevollen Zuwendung, die Menschen erfahren haben. Es braucht solche Geschichten, sie ermöglichen es, Vorbilder für ein gutes Leben aufzusuchen, in deren Geschichten verstrickt sich das gute Leben zeigt. Diese Lebensgeschichten sind für Steffensky Anlass, die Schönheit des Guten zu reflektieren: »Die Schönheit dieser sich selber verschwendenden Menschen wird zu unserer eigenen Verführung zur Güte. Es wächst der Wunsch: so möchte man sein und leben. Mag Güte auch immer etwas Unerklärliches haben, so hat sie doch eine Herkunft. Sie wächst aus den wahrgenommenen Geschichten der Güte. Unsere Herzen brauchen die großen Erzählungen von der Schönheit und der List des Guten, um gut zu werden. Es kommt darauf an, dass wir die Geschichten von der Güte aufregend erzählen, nicht nur moralisch. Die pure Moral verlockt zu nichts, es fehlt ihr die Schönheit. Die Schönheit des Guten macht uns gut. Das Staunen über die Güte macht uns gütig. … Die Güte eines Menschen hat also eine Herkunft, es ist die Gewaltfreiheit und die liebevolle Zuwendung, die ein Mensch im eigenen Leben erfahren hat; es ist das Beispiel der Eltern, die liebevoll und gewaltlos miteinander
7 Steffensky bezieht sich besonders auf die Erzählung von R. Klüger, Weiter leben.
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umgegangen sind, und es ist der kulturelle Raum, in dem Güte und die Hochachtung der Guten selbstverständlich war.«8 Der Mut zum Guten beginnt mit den kleinsten Situationen, damit gemeinsames Leben zum Gemeinsamen wird. Die Geschichten provozieren zum Nachdenken und Erinnern der eigenen Geschichten, die von diesem Mut erzählen lassen: »Der Lehrer, der ein Kind tröstet, das nicht seines ist, schaut vielleicht heimlich auf die Uhr und überlegt, wie viel Zeit ihn das kostet. Die Frau, die in der S-Bahn einschreitet, wenn ein Bettler bedroht wird, tut es gegen ihre Angst, die ihr nahelegt: halt dich da raus! Zu unserem Trost aber macht nicht nur das reine Herz eine Tat gut, sondern sie ist gut, weil sie einem Menschen leben hilft.«9 Diesen Gedanken spürt auch die biblische Erzählung nach, die zeigt, dass die Präsenz Jesu unter den Menschen auf die Botschaft vom guten Leben gerichtet ist. Jesus geht dem nach, wenn er in einem Gespräch mit den Schriftgelehrten seiner Zeit vom guten Leben erzählt: Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.« Er aber sprach zu ihm: »Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.« Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: »Wer ist denn mein Nächster?« Da antwortete Jesus und sprach: »Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb8 F. Steffensky, Schwarzbrot-Spiritualität, 116 ff. 9 A. a. O., 115.
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tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war« »Der die Barmherzigkeit an ihm tat.« Da sprach Jesus zu ihm: »So geh hin und tu desgleichen!« (Lk 10, 25–37) Im Gleichnis tritt die Tugend der Barmherzigkeit vor Augen, ein Leben ausgerichtet auf den Nächsten, der in seiner Not gesehen und nicht übersehen wird; der in seiner Not wahrgenommen und tatkräftig unterstützt wird. Andere Aufgaben sind überflüssig, nehmen nicht mehr die Zeit des Samariters gefangen, sondern sein Tun gilt dem Nächsten in seiner Not. Das jetzt Gute ist situativ, auf die konkrete Not des Nächsten bezogen. Das macht den Samariter zum Vorbild des Guten. Diese Geschichte ist mehr als nur ein ethischer Appell. Indem Jesus diese Geschichte erzählt, greift diese Geschichte auf die Gegenwart zu und bleibt nicht im historischen Kontext der Jesusgeschichte. Viele andere auch noch zu schreibende Geschichten stehen in dieser Geschichte, zwischen den Zeilen; Geschichten vom Mut zum Guten, das nur in Geschichten seine Kraft entfalten kann. Denn Appelle lassen sich abschmettern, weil sie bloß Forderungen sind, die mich überfordern, mir vielleicht zu viel zumuten. In der Konkretheit des Erlebens und Erfahrens, wie es das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zum Ausdruck bringt, steckt darum eine Verführung zum Guten, die über jeglichen Appell hinaus auf jetzt dringliche Situationen ausrichtet ist, auf Geschichten und Ereignisse, die, weil darin verstrickt, eigenes Tun ermöglichen. Indem Menschen sich als immer schon in Geschichten verstrickt erfahren, sind die Geschichten der konkrete Ort des Erlebens miteinander und füreinander, an denen
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und in denen es um ein angemessenes Handeln geht, das je neu auszuloten ist. ›So geh hin und tu desgleichen‹ ist gerade darum nicht nur ein Appell, sondern vielmehr eine Herausforderung in den Geschichten, in denen ich lebe und handle, nach dem Guten zu suchen, das heilsam die Situation verändert und neu ausrichtet. Insofern ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ein Gleichnis der Bewährung. Es orientiert auf das Gute hin, das im je eigenen Lebenskontext zu je bestimmter Zeit zur Aufgabe wird. Im öffentlichen Kontext wird das Gleichnis ebenfalls konkret, wenn das gemeinsame Sozialwort der Kirchen von einer »Kultur des Erbarmens« spricht, die es auszugestalten gilt. Was hier von der wirtschaftlichen Situation gesagt ist, kann auch darüber hinaus gelten. In unserer aktuellen Gegenwartslage ist eine solche Kultur des Erbarmens gefordert. Sie ist auch nicht bloß eine politische Option, sondern die genaue Entsprechung zu dem, was Christen immer neu erzählen; sie verstehen sich selbst aus der Erfahrung des Erbarmens Gottes, von der Befreiung Israels aus Ägypten her: »Die Kirchen haben in der biblischen und christlichen Tradition einen reichen Schatz, der wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft kulturprägend wirksam gemacht werden kann. Sie stehen für eine Kultur des Erbarmens. Die Erfahrung des Erbarmens Gottes, von der Befreiung Israels aus Ägypten an, ist in der Bibel die Grundlage für das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Den Blick für das fremde Leid zu bewahren ist Bedingung aller Kultur. Erbarmen im Sinne der Bibel stellt dabei kein zufälliges, flüchtig-befristetes Gefühl dar. Die Armen sollen mit Verläßlichkeit Erbarmen erfahren. Dieses Erbarmen drängt auf Gerechtigkeit.«10 Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter hält eine bestimmende Form des Lebens fest: Man könnte ›Barmherzigkeit‹ darum als eine
10 Rat der EKD/Deutsche Bischofskonferenz, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, 10; vgl. dazu H. Clinebell, Ökotherapie – ein Paradigma.
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der Fähigkeiten beschreiben, die menschliches Leben gut machen, weil die Not des anderen nicht übergangen wird. Weitere Fähigkeiten lassen sich in diesem Zusammenhang wahrnehmen; Martha Nussbaum hat eine solche Beschreibung menschlicher Fähigkeiten in Auseinandersetzung mit dem Tugendbegriff bei Aristoteles formuliert und mit der Frage nach den gemeinsam geteilten Perspektiven, die das Leben tragen, verbunden. Hier ein Auszug aus dem Text von Martha Nussbaum, der vor allem auf die Darstellung der Fähigkeiten für ein gutes und gemeinsames Leben miteinander und füreinander orientiert ist: »5. Die Fähigkeit, Beziehungen zu Dingen und Menschen außerhalb unser selbst einzugehen, diejenigen zu lieben, die uns lieben und für uns sorgen, traurig über ihre Abwesenheit zu sein, allgemein Liebe, Kummer, Sehnsucht und Dankbarkeit zu empfinden. Diese Fähigkeit zu unterstützen bedeutet, Formen des menschlichen Miteinanders zu unterstützen, die nachweisbar eine große Bedeutung für die menschliche Entwicklung haben. 6. Die Fähigkeit, eine Vorstellung des Guten zu entwickeln und kritische Überlegungen zur eigenen Lebensplanung anzustellen. Dies schließt heutzutage die Fähigkeit ein, einer beruflichen Tätigkeit außer Haus nachzugehen und am politischen Leben teilzunehmen. 7. Die Fähigkeit, mit anderen und für andere zu leben, andere Menschen zu verstehen und Anteil an ihrem Leben zu nehmen, verschiedene soziale Kontakte zu pflegen; die Fähigkeit, sich die Situation eines anderen Menschen vorzustellen und Mitleid zu empfinden; die Fähigkeit, Gerechtigkeit zu üben und Freundschaften zu pflegen. Diese Fähigkeit zu schützen bedeutet abermals, Institutionen zu schützen, die solche Formen des Miteinanders darstellen, und die Versammlungs- und politische Redefreiheit zu schützen.«11
11 M. C. Nussbaum, Gerechtigkeit, 201.
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Martha Nussbaum hält in ihren Überlegungen zusammenfassend fest, dass diese Fähigkeiten »die Fokussierung auf Nützlichkeit oder Ressourcen«12, das Paradigma gegenwärtiger Lebensorientierung, in Frage stellen und dazu herausfordern, den Tiefendimensionen des Lebens nachzuspüren. Die damit verbundene Aufgabe, die an jeden Einzelnen gerichtet ist, muss noch genauer erfasst werden, da es sich nicht von selbst versteht, dass Menschen aus sich heraus wissen, »wie man in der Welt menschlich sein und bleiben kann«13; in der Perspektive christlicher Religion ist hier noch genauer nach dem guten Leben zu fragen. Christlicher Glaube jedenfalls stellt in Frage, dass Menschen aus sich heraus das zu leisten vermögen und setzt gegen die Selbstgewissheit das Wissen um die Fragilität der Humanität sowohl in Hinsicht auf das eigene Leben wie auch in Hinsicht auf gemeinsames Leben und Handeln. Er trägt zu einer, wie Micha Brumlik betont, »geregelten Auseinandersetzung über unterschiedliche Lebensentwürfe«14 bei, indem er zugleich eigene Perspektiven in diese Auseinandersetzung einbringt und so teilnimmt wie teilhaben lässt an der notwendigen und grundlegenden Frage nach dem guten Leben. Diese Haltung und Orientierung wird aus dem Bezug zur Heiligen Schrift gewonnen, die bleibender Bezugspunkt allen ethischen Handelns darstellt: Die Seligpreisungen der Bergpredigt führen pointiert die Möglichkeitsbedingungen des guten Lebens vor Augen: Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 12 A. a. O. 202. 13 P. L. Lehmann, Sollen wir die Gebote ›halten‹?, 332. 14 M. Brumlik, Mut zur wissenschaftlichen Redlichkeit, 22.
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Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind. (Matthäus 5, 1–12) Schon in formaler Hinsicht zeigt sich in der indikativischen Formulierung: ›selig sind‹ der Zuspruch, den das Evangelium an die richtet, die im Vertrauen auf Gottes Zuwendung zum Menschen den Mut zum guten Leben wagen: Nicht eine Bedingung ist es, die die Seligpreisung festhält; in einem Lied zu den Seligpreisungen wird dieser Indikativ übersehen, wenn es heißt: ›selig seid ihr, wenn …‹; vielmehr geht es um die Einstimmung in eine von Gott eröffnete Wirklichkeit, die in einem anderen Lied zu den Seligpreisungen treffend erfasst wird: ›Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.‹ Im Vergleich der beiden Lieder des Evangelischen Gesangbuchs kann herausgearbeitet werden, was mit dem Indikativ ›selig sind‹ benannt ist. Das ›denn‹ macht deutlich, dass es nicht um das geht, was Menschen vermögen, sondern um den hoffnungsvollen Mut zum Tun des Guten. Was heißt es nun für das politische Ethos christlichen Glaubens, wenn der Mut zum Guten nicht an die Fähigkeiten des Menschseins geknüpft wird, sondern Gabe Gottes ist, auf die Menschen mit ihrem Handeln antworten? Die indikativische Formulierung der Seligpreisungen verdeutlicht ein wesentliches Moment, auf das politische Ethik im Kontext christlichen Glaubens aufmerksam macht; das je eigene Tun und Handeln wird nicht als im Menschen selbst begründet erkannt, sondern als etwas wahrgenommen, zu dem Menschen aus der Relationalität Gottes und des Menschen befähigt werden. In ihrem Tun bezeugen und teilen Menschen mit, was sie von Gott empfangen haben und je neu von ihm erhoffen.
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Das setzt freilich ein Lernen voraus, in dem Menschen sich als Geschöpf Gottes verstehen lernen, um »in jedem Schritt den Anderen einzubeziehen, auf ihn zu hören und auf seine Mitteilung hin zu erproben, was gelten kann.«15 Darum gehört es zur Rationalität und also Orientierung christlicher Ethik, Konzepte des guten gemeinsamen Lebens aus der Lebenspraxis selbst zu gewinnen; sie bewähren sich darin, »ob Witwen und Waisen … in ihrer Not erkannt werden.«16 Darum betont Hans Günther Ulrich die christliche Lebensform, die Menschen in solches Lernen hineinnimmt: »Die Ausbildung von ›Tradition‹ hat hier ihren Ausgangspunkt, sofern eine Tradition dort entsteht, wo das, was sich Menschen nicht selbst beschaffen können, im Vollzug des Lernens eine Form gewinnt, auch eine gänzlich neue Form. Es ist die Tradition einer Lebensform, die die vita passiva einschließt und die nicht aus Gewohnheiten besteht. Es ist aber auch die Tradition, die das Auseinanderfallen und den Widerspruch zur vita activa in den Blick rückt.«17 Im biblischen Zusammenhang wird das ethische Lernen im je konkreten Lebenskontext mit ›Gemeinschaftstreue‹ bezeichnet, als die Gestalt der Gerechtigkeit, die die Not des Anderen erkennt. Indem Menschen lernen, ihr Tun daran auszurichten, was dem anderen dient, folgen sie der Lebensform, in der Menschen aus dem leben, was ihnen von Gott her zukommt. Für christliche Ethik in ihrer politischen Dimension ist dieser Zusammenhang der Gabe Gottes und der Befähigung zum gerechten Tun konstitutiv, weil er das gerechte Tun des Menschen aus der Relationalität Gottes und des Menschen fasst und gerade darin Menschen in ihrem Tun nicht überfordert. Von Gott her kommen die Möglichkeiten in den Blick, die das gemeinsame Leben zu einem guten Leben formen. Die Gemeinschaftstreue führt darum in jeder wirklichen Begeg nung von Menschen, die sich aufeinander einlassen, die das Antlitz 15 H. G. Ulrich, Rationalität und kirchliche Lebenspraxis, 201. 16 A. a. O., 210. 17 A. a. O., 202.
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des anderen nicht übergehen, zur Aufrichtung einer neuen Ordnung, in der Menschen sich aufeinander bezogen erfahren. Emmanuel Lévinas erkennt in der bloßen Tatsache eines Gesprächs eine Durchbrechung der »Ordnung der Gewalt«18. Gewalt ist dabei für ihn letztlich jede Handlung, »bei der man handelt, als wäre man allein: als wäre der Rest des Universums nur dazu da, die Handlung in Empfang zu nehmen.«19 Gewalt ist es, über Dinge und Menschen zu verfügen, sie für sich zu gebrauchen, alles sich anzueignen. Das Gespräch dagegen eröffnet den humanen Umgang von Menschen; Lévinas schreibt: »Sprechen heißt den Anderen erkennen und sich ihm gleichzeitig zu erkennen geben.«20 Das Gespräch ist so ein Prüfstein der Menschlichkeit und damit zugleich der Vorschein einer Welt, in der Gott gegenwärtig ist. Im Gespräch und allein schon in der Begegnung mit dem anderen ist ein moralischer Imperativ immer neu zu vernehmen und gleichsam zu sehen, denn: »Ein Gesicht sehen heißt bereits hören: ›Du sollst nicht töten‹. Und wer ›Du sollst nicht töten‹ hört, der hört: ›Soziale Gerechtigkeit‹. Und alles, was ich von Gott, der unsichtbar ist, hören und verstehen kann, muss mir von der gleichen, einzigen Stimme gekommen sein.«21 Diese neue Ordnung, auf die sich die Lebensform christlichen Glaubens ausrichtet und die auf die Not des Nächsten gerichtet ist, durchbricht die Ordnung der Gewalt, die theologisch mit Sünde bezeichnet ist: Darum wird im Blick in das Antlitz des Nächsten alle Gewalt entlarvt, die Hass und Unrecht hervorbringt. Jürgen Habermas hält angesichts von Versagen und Schuld von Menschen an Menschen fest: »Als sich Sünde in Schuld, das Vergehen gegen göttliche Gebote in den Verstoß gegen menschliche Gesetze verwandelte, ging etwas verloren. Denn mit dem Wunsch nach Verzeihung verbindet sich immer noch der unsentimentale Wunsch, das anderen zugefügte Leid ungeschehen zu machen. Erst recht beunruhigt 18 19 20 21
E. Lévinas, Schwierige Freiheit, 17. A. a. O., 15. A. a. O., 17. A. a. O., 18.
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uns die Irreversibilität vergangenen Leidens – jenes Unrecht an den unschuldig Misshandelten, Entwürdigten und Ermordeten, das über jedes Maß menschlicher Wiedergutmachung hinausgeht. Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Leere.«22 Diese von Habermas betonte ›spürbare Leere‹ entlarvt die Gewalt wie sie auch in der Erinnerung an die Opfer unmenschlicher Gewalt herausfordert, leben zu lernen, dass das, was geschehen ist, sich nicht wiederhole. Dieser humane Imperativ zielt darum auf ein gemeinsames Leben miteinander und füreinander und macht die Dringlichkeit politischen Lernens deutlich: Im Antlitz des Nächsten tut sich auf, was die Ordnung der Gewalt durchbricht; der Nächste wird zum wirklich Nächsten. Christlicher Glaube hält darum fest: Es gilt sich zu üben in der Wahrnehmung der Not des Nächsten und nicht an ihr vorbei zu leben. In Gottes Frieden findet diese Ausrichtung des eigenen Lebens ihren Grund, dem Schalom Gottes, der verheißungsvoll das Leben trägt. Diese Reflexion des guten Lebens stößt unweigerlich auf die Frage nach dem Menschsein. Wie ist es wahrzunehmen? Eine Differenzierung, die Dietrich Ritschl vorgelegt hat, ist dazu hilfreich. Sie ermöglicht es, die biblische Frage ›Was ist der Mensch‹ genauer zu fassen und Menschsein in der Relationalität Gottes und des Menschen genauer auf die Spur zu kommen. Die folgende Zusammenfassung von Wolfgang Schoberth folgt diesem Anliegen Ritschls, das anthropologisch reflektiert ist: »Die theologische Wahrnehmung des Menschseins muß darum dem Leitbild des Menschen widersprechen, das Dietrich Ritschl in einer prägnanten Gegenüberstellung als das ›Athener Modell‹ bezeichnet: ›Das alte griechische Ideal, das im ›normalen‹ Menschen einen gleichermaßen in der Akademie und auf dem Sportplatz kräftigen, jungen, balancierten und glücklichen Menschen sah, hat auch seinen Einfluß auf die christliche Kirche ausgeübt … Was immer man als Verallgemeinerung der verschiedenen bibli22 J. Habermas, Glaube und Wissen, 24.
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schen Bilder vom Menschen verantworten kann: dies ist nicht das Verständnis der biblischen Schriften.‹ In diesem Bild des Menschen haben Schwache, Kranke, Bedürftige keinen eigenen Platz; sie erscheinen allenfalls in defizitärer Weise als Menschen. Offensichtlich folgt das gegenwärtige Ideal des Menschen dem ›Athener Modell‹: Er ist ›wettbewerbsfähig, kann sich maximal selbst verwirklichen und optimal an die Situation, in der er sich vorfindet, adaptieren‹. Im Jerusalemer Modell dagegen ›ist der kranke und kaputte Mensch, der Leidende und Unverwirklichte, der Geliebte, der wahre Mensch, der Träger der Menschenwürde‹. Diese Spannung zieht sich durch die ganze Bibel: von der Erwählung Israels, die eben dem unbedeutenden und kleinen Volk und nicht den großen Nationen gilt, über die Propheten bis hin zum Gottesknecht, der weder Ansehen noch Schönheit hat, sind es unscheinbare Menschen, in denen Gottes Macht gegenwärtig wird, bis sie sich im Gekreuzigten vollendet. [ …] Das ›Jerusalemer Modell‹ des Menschen eignet sich offensichtlich nicht als Leitbild, um das Menschsein zu gestalten; erst recht kann es nicht zur Legitimation von Mittelmaß und Trägheit dienen. Niemand will ›seinen Kindern nicht die vollste und selbsterrungene Entfaltung und seinen neurotischen und unfreien Bekannten nicht eine maximale Selbstverwirklichung wünschen.‹ Vielleicht ist diese Wahrnehmung des Menschseins darum besser auch nicht als ›Modell‹ zu bezeichnen, weil niemand das leidende und beschädigte Leben will und wollen kann. Eben darin liegt aber auch seine Bedeutung, weil es die Ausrichtung des Lebens an einer Norm selbst zurückweist. Es korrigiert das ›Athener Modell‹ in doppelter Weise: Zum einen wird die religiöse Überhöhung des sozialen und ökonomischen Erfolgs vehement zurückgewiesen, als sei Gott der Bündnispartner der Starken und der Sieger. Gerade bei denen, die nach den herrschenden Maßstäben die Schwachen sind, ist Gott gegenwärtig als der Tröstende und Rettende auch über die Grenzen des Menschlichen hinaus. Zum anderen wird das ›Athener Modell‹ in seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit erschüttert: Repräsentiert es wirklich die erstrebenswerte Gestalt des Menschseins, wenn es die andere Seite des Lebens verdrängt? Auch der Athener Mensch wird alt, auch er erfährt Leiden und Krank-
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heit. Erst recht wird dieses Modell brüchig, wenn es auf Kosten der weniger Glücklichen geht und der Erfolg von den vielen im Schatten bezahlt wird. Auch hier ist es nicht die ausschließliche Alternative, sondern die Revision der gängigen Kategorien, die in den biblischen Perspektiven erfahren wird. Selbstentfaltung und Barmherzigkeit gehören ebenso zusammen wie Aktivität, Geduld und Empfänglichkeit. Das ›Jerusalemer Modell‹ erinnert daran, daß Freiheit verfehlt wird, wenn sie nicht den Schwachen und Bedürftigen zugute kommt.«23 Neben diesem spezifischen Blick auf das Menschsein, das den einzelnen Menschen aufsucht und ihn in seiner Würde und Geschöpflichkeit wahrnimmt, sind in diesem Zusammenhang auch die Grundbedingungen des Menschseins aufzusuchen, wie sie etwa im öffentlich-rechtlichen Kontext mit den Menschenrechten formuliert sind (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948). Neben dem Blick auf das je eigene Menschsein erweitert die Reflexion auf die Menschenrechte und ihre konstitutive Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen die Wahrnehmung des guten Lebens.24 Dabei ist dem engen Zusammenhang von Menschenwürde und der Würde des Menschen, wie sie die Menschenrechtserklärungen formulieren, nachzugehen wie auch Unterscheidungen zu formulieren sind, die aus der theologischen Wahrnehmung des Menschseins folgen.25 Aus den bisherigen Reflexionen lassen sich die didaktischen Möglichkeiten anvisieren, die unterrichtlich erarbeitet werden können. Es soll lediglich angedeutet werden, was unterrichtlich aus der theologischen Reflexion zum guten Leben möglich und auch
23 W. Schoberth, Einführung in die theologische Anthropologie, 145 f. 24 Vgl. dazu Projekt Leben. Ethik für die Oberstufe; hg. von Eva Jelden u. a. Leipzig, Stuttgart, Düsseldorf 2001, 168–169. 25 Vgl. dazu besonders: Bausteine für ein christliches Reden von Gott und Mensch, erarbeitet und zusammengestellt von Karl Friedrich Haag; Gymnasialpädagogische Materialstelle der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, ›RU Werkstatt Oberstufe 5‹, 2007, 236–237.
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notwendig wird. Folgende Lernwege sind jahrgangspezifisch zu bearbeiten:26 Grundschule: Erinnerung an den Kindergarten als Ort der moralischen Orientierung: einen Text erzählen oder vorlesen und der Erinnerung an den Kindergarten auf die Spur kommen27/Eigene Erinnerungen austauschen; die Kindergartenzeit ist noch nicht lange vorbei/Konzentration inmitten vielfältiger Erinnerungen auf eine Erinnerung: evtl. ein Bild dazu malen/Biblische Geschichte: Der barmherzige Samariter: Was macht das gute Leben aus? Die Not des Anderen sehen/Miteinander besprechen: Wohin wollen wir gemeinsam gehen? Option für eine gemeinsame Zukunft erspielen. Sekundarstufe I: Erinnerung an den Kindergarten: vorlesen und hören (siehe Grundschule)/Eigene Erinnerungen austauschen/Konzentration inmitten vielfältiger Erinnerungen auf eine Erinnerung: Bild dazu malen/Information: Der Philosoph Aristoteles und das gute Leben: Begriffsklärung ›gutes Leben‹/Biblische Geschichte: Der barmherzige Samariter: Was macht das gute Leben aus? Die Not des Anderen sehen./Die Menschenrechte. Sekundarstufe II: Erinnerung an den Kindergarten: vorlesen und hören (siehe Grundschule und Sekundarstufe I)/Eigene Erinnerun gen austauschen/Konzentration inmitten vielfältiger Erinnerungen auf eine Erinnerung: Bild dazu malen/Information: Der Philosoph Aristoteles und das gute Leben: Begriffsklärung ›gutes Leben‹/ Gedicht von B. Brecht: Mailied der Kinder: Tradition der Kinderlieder: Kinder als Metapher bzw. Symbol für die Hoffnung auf eine bessere Welt. Wie sieht diese Welt aus? Welche Rolle spielt die Aufmerksamkeit auf die Kinder?/Biblische Geschichte: Der barmherzige Samariter: Was macht das gute Leben aus? Die Not des Anderen sehen/Zusammenhang von Anthropologie und Ethik: Der Jerusalemer und der Athener Mensch (D. Ritschl). 26 Dabei wäre auf die Inhalte zu achten, die in jedem Jahrgang neu aufgenommen und vertieft werden. Lediglich die Komplexität der Thematisierung wird jahrgangsbezogen erhöht. 27 Vgl. dazu den Text von Robert L. Fulghum: All I Ever Really need to know I Learned in Kindergarten; in: Kansas City Times, 17. September 1976; zitiert nach B. C. Birch/L. L. Rasmussen, Bibel und Ethik, 90 f.
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Die aktuelle Diskussion um die »Zukunft der Werte«28, wie sie von Jérôme Bindé in einem Sammelband vorgelegt wird, gibt Anlass, den ethischen Perspektiven, die christlicher Glaube diskursiv entfaltet, nachzugehen. Die hier aufgenommene Diskussion gibt zu erkennen, dass Begründungen noch ausstehen, die hilfreich die aktuelle Gegenwart neu auszurichten und zu orientieren in der Lage sind. Der bestimmende Grundton des aktuellen Dialogs bleibt bestimmt von Herausforderungen wie etwa einer ›Kultur der Bescheidenheit‹, wie sie angesichts der »Auflösung der gemeinsamen Traditionen und des Glaubens an gemeinsame Werte«29 und wie sie angesichts eines »Pluralismus der Kulturen«30 von Gianni Vattimo eingefordert wird. In den Blick kommt dabei der Wert der Barmherzigkeit, der Veränderungen und Neuorientierungen möglich macht. Inmitten einer auch religiös diffusen Gegenwart wird um die Öffnung zur Barmherzigkeit gerungen, »den vernünftigen Kriterien des Respekts gegenüber den anderen, anstatt auf einem Wert zu beharren und diesen um jeden Preis zu verteidigen«31, um auf einen Weg zu finden »einer offenen Auseinandersetzung, die die verschiedenen Traditionen respektiert, ohne dabei die unsrige zu verraten«32. Vattimo erkennt darin einen dritten Weg zwischen Eurozentrismus und Universalismus, der gleichwohl im Blick auf Erziehung und Bildung dazu anspornt, eine Kultur der Bescheidenheit zu pflegen, die »in der Art und Weise liegt, wie wir die Werte leben.«33 Darin erkennt er die Chance der Entwicklung einer Kultur, die in der Lage ist, »zu verhindern, daß die Bedingungen entstehen, aus denen der Massenterrorismus 28 J. Bindé/F. Sievers/A. Jandl (Hg.) Die Zukunft der Werte. Jérôme Bindé betont dazu in seiner Einleitung: Es geht »in der Debatte um die Vielfalt der Kulturen nicht länger nur um Werte und das Problem des Relativismus. Im Zeitalter der Globalisierung und der neuen Technologien stehen wir vor einer ganz anderen Herausforderung: Wie können wir die kulturelle Vielfalt bewahren?« (J. Bindé, Einleitung, 19.) 29 G. Vattimo, Der Untergang der Werte, 27. 30 A. a. O., 31. 31 A. a. O., 32. 32 A. a. O., 33. 33 A. a. O., 34.
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hervorgeht.«34 Damit verbunden stellt sich zwingend die Frage nach neuen Theorien und politischen Modellen, auf die Edgar Grande aufmerksam macht: »Durch die Globalisierung der Wirtschaft wird zugleich die territoriale Organisation politischer Herrschaft grundsätzlich in Frage gestellt.«35 Erste Konturen ethischer Perspektiven lassen sich aufsuchen, indem die Geschichte Gottes und der Menschen wahrgenommen wird. Sie ist gekennzeichnet davon, dass sich Menschen in ihrer Abhängigkeit von Gott und Gottes Gebot und Verheißung verstehen lernen. Menschen nehmen teil an dieser Geschichte, lernen sich aus dieser Beziehung heraus verstehen und lassen sich immer neu darin formen. Die Geschöpflichkeit des Menschen ist die Bestimmung, die dem Menschen in dieser Beziehung zu Gott zukommt, die ihn neu werden lässt im Angesicht Gottes. Mit Hans Günther Ulrich kann darum von einem Einstimmen in diese Geschöpflichkeit gesprochen werden, die in einem lebendigen Prozess des Tradierens immer neu aufgesucht wird. Mit Tradition ist damit das benannt, was das Leben der Christen formt und konturiert:36 »So von Tradition zu reden heißt, ihre kritische und widerständige Bedeutung zu wahren gegenüber dem Versuch, ein Gemeinsames zu pflegen oder zu produzieren, das nicht auf die Lebensbedingungen bezogen ist, die zu bestehen sind.«37 In dieser Hinsicht ist das gute Leben nicht nur die Pflege einer abständigen Tradition, sondern es ist das Leben in dieser Geschichte Gottes und des Menschen, in der immer neu um die angemessene Lebensform gerungen wird, die Menschen unter Gottes Verheißung und Gebot suchen. Dieser lebendige Bezug auf die Tradition des 34 35 36 37
A. a. O., 35. E. Grande, Globalisierung, 263. H. G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. A. a. O., 204.
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Glaubens führt in eine explorative Ethik, die weder nur beschreibend noch nur fordernd ist, sondern sich als eine Ethik formiert, die dem geschöpflichen Weg folgt, einem Weg, der in der Praxis ethischen Lebens erkundet wird (Ps. 1). Solche Erkundungen bestimmen die Konturen einer Friedensethik, die weder bloß eine neue Welt in Frieden und Gerechtigkeit beschreibt, noch nur fordernd die Veränderung der Welt postuliert. Explorativ heißt inmitten der Welt von Gottes Verheißung und Gebot so leben zu lernen, dass darin schon jetzt etwas von dem Frieden sichtbar werden kann, der immer Gabe Gottes bleibt. Das gute gemeinsame Leben ist kein Zustand der Welt oder der Seele, sondern es geht darum, im Angesicht Gottes, mitten in der Beziehung Gottes und des Menschen, nach dem guten gemeinsamen Leben zu suchen: »Das Gute ist zu finden in dem Leben mit Gott, der einzig ›gut‹ zu nennen ist (Mt 19).«38 Insofern sind Christen immer unterwegs; das ist ihre Existenzform, das ist der Weg, den Christen gehen, um aus dem Frieden Gottes leben zu lernen. Ethik ist in dieser Hinsicht zugleich kontradiktorische Ethik, die alle Erfahrungen des Lebens kritisch aufnimmt, reflektiert und von Gottes Geschichte mit den Menschen her neu verstehen lernt. Darum wird die Ethik auch Einsprüche formulieren müssen angesichts von Erfahrungen, die dem Frieden und der Gerechtigkeit nicht genügen oder gar widersprechen. In dieser kontradiktorischen Funktion sucht die Ethik nach der »Erkenntnis dessen, was in der Perspektive des Glaubens, den Gott schenkt, in dieser Welt und für diese Welt geschieht, sie fragt … zuerst, was wir, die Geschöpfe und Kinder Gottes, Gutes wahrnehmen und erfahren können. Sie blickt nicht von außen auf ›die Menschen‹ und auf das von uns Menschen anvisierte, erstrebte Gute, sondern sucht die Güte Gottes, wie sie Menschen begegnet. Sie sucht das Gute in der Güte Gottes, in seiner Zuwendung.«39
38 A. a. O., 71. 39 A. a. O., 85.
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Ethik betont darum nicht das Bestreben des Menschen, wie er das Gute erreichen kann, sondern fragt zuerst und wesentlich danach, »wie Gottes Erbarmen zu uns kommt, wie es uns begegnet, wie es uns ergreift.«40 Dieser Zuwendung Gottes zu den Menschen gilt die ganze Aufmerksamkeit, sie konturiert theologische Ethik als adventliche Ethik, in der Menschen lernen als Geschöpfe Gottes zu leben, in der Menschen lernen Gott für sich da sein zu lassen. Die ethische Praxis der Christen richtet sich darum auf das geschöpfliche Leben aus. Hier wird geklärt »was sie sein dürfen und wozu sie berufen sind.« Zugleich geht es dabei um den Bezug auf den Nächsten, darum, »… was wir mit anderen sein dürfen, mit anderen zusammen erproben, statt sich in seiner Existenz zu behaupten.«41 Die Existenzform ist als ein Lernen zu bestimmen, das insofern radikal und anfänglich ist, als es in das Leben aus der Geschöpflichkeit führt, die in der Geschichte Gottes und des Menschen ihren Grund hat. Diese Geschöpflichkeit ist Grundlage einer Praxis des Friedens und der Gerechtigkeit, die darin besteht, dass Menschen ihr Tun und Lassen darauf konzentrieren, was dem Anderen gerecht wird. Sie schließt ein, dass Menschen mit Menschen so zusammenleben, dass immer wieder neu die Wahrnehmung des Anderen in seiner Not möglich bleibt, dass sie lernen aufmerksam zu sein und dass dieser Blick und die Wahrnehmung des Anderen das je eigene Handeln leitet. Asymmetrische Verhältnisse, die das gemeinsame gute Leben immer gefährden, bedürfen dabei der besonderen Aufmerksamkeit wie etwa die ethische Praxis der Migration.42
7.2 In der Lebenswelt der Schüler Unterrichtsprozesse religiöser Bildung, die politische Kompetenz eröffnen und den Schülerinnen und Schülern Raum geben, erprobend in die Lebensform der Christen hineinzugehen, provozieren die Erfahrung der Differenz: Sie führen in die kritische Unterscheidung, indem sie sowohl den Frieden und die Gerechtigkeit Got40 A. a. O., 87. 41 A. a. O., 69. 42 Vgl. H. G. Ulrich, Rationalität und kirchliche Lebenspraxis, 217.
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tes in den Blick rücken wie auch die Realität einer friedlosen Welt gerade nicht außer Acht lassen. In diesem Zusammenhang findet die Einübung der Tugend der Friedfertigkeit ihren Ort, der sowohl auf die Alltagserfahrungen der Schüler bezogen bleibt (Offenheit der Lernprozesse), als in das theologische Reden vom Frieden Gottes einführt (Bestimmtheit der Lernprozesse). Dies ist didaktisch zu berücksichtigen, zumal Friedfertigkeit für die meisten Schüler fremd ist oder sich bei ihnen eher diffuse und theologisch noch unterbestimmte Vorstellungen vom gemeinsamen guten Leben finden lassen. Der Beitrag der religiösen Bildungsprozesse zur Werteerziehung greift hier unmittelbar, indem die Bestimmtheit christlichen Redens von Gottes Frieden und Gerechtigkeit thematisch werden und zugleich der unabdingbare Bezug zu den Erfahrungen der Schüler Raum gewinnen muss. Gerade die Erfahrung der friedlosen Welt in ihrer nicht zu leugnenden Realität stellt darum hohe Anforderungen an die religiösen Lernprozesse, die Formen brauchen, mit dieser friedlosen Realität des Lebens umgehen zu lernen. 7.2.1 Klagen, erinnern und hoffen lernen Die theologische Ethik hält daran fest, diese bedrängenden Realitäten nicht zu leugnen, sondern gewinnt aus der Zusage von Gottes Frieden eine eigene Gestalt, die sich in der Klage ausdrückt. Im Klagen lernen werden die Realitäten weder übergangen noch wird ein billiger Trost formuliert; vielmehr ist die Klage die angemessene Weise, auf die Realität einer friedlosen Welt zu reagieren. In der Klage findet sich ein Raum, in der die eigene Ohnmacht aufgehoben ist, in der die eigene Ohnmacht nicht sprachlos bleibt, sondern Sprache findet. Realitäten des Alltags werden damit nicht vertröstend übersprungen, sondern aufgesucht; darin manifestieren sich Erfahrungen, die Sprache eröffnen und die Ohnmacht erträglicher werden lassen: In der Klage richten Menschen ihre Erfahrungen mit der friedlosen Welt an den Gott des Friedens und der Gerechtigkeit, den Menschen als den erfahren haben, der auch angesichts der Friedlosigkeit seine Welt nicht allein lässt. In der Erinnerung daran, dass Gott diese Klage hört, finden Menschen in den Realitäten des Lebens Sprache – in den Räumen der Klage – wider alle Ohnmacht, die sprachlos macht. Damit zielt das Erlernen der Friedfertigkeit zugleich auf ein Erinnern
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lernen, in dem erhofft wird, dass Gott so handeln wird, wie er einst zur ›Befreiung aus der Knechtschaft‹ an seinem Volk gehandelt hat. Im Klagen und Erinnern bleibt aber die Hoffnung auf Überwindung bestimmend, so dass der Krieg eines Tages nicht mehr sein wird und es nicht mehr gelernt wird, Kriege zu führen (Micha 4, 3). Insofern übt die Friedfertigkeit ein in ein Hoffen lernen auch angesichts von Gewalt und Friedlosigkeit. Dieses Einüben der Tugend der Friedfertigkeit beginnt im je eigenen Leben, indem Wege des Friedens und der Gerechtigkeit aufgesucht und realisiert werden. 7.2.2 ›Selig sind die Sanftmütigen …‹ (Mt 5, 5) Die Bergpredigt des NT stellt solche Wege ethischen Lernens in eindrücklicher Weise vor Augen: Ihr besonderes Kennzeichen ist die Radikalität dieser Ethik, die in der Herrschaft Christi begründet ist und die
»neue Verhaltensmöglichkeiten eröffnet. Dem entspricht die Radikalisierung der Forderungen, denen die Vision von einem neuen Menschen zugrunde liegt, der ganz und gar von der Liebe zu Gott und seinem Nächsten durchdrungen ist, der seinen Mitmenschen weder zum Objekt seiner sexuellen Begierde noch zum Gegenstand ungehemmter Aggression macht, der im Kampf um Lebenschancen Frieden verbreitet und auf Lüge und Täuschung verzichtet, der von der Seligpreisung bewegt wird: ›Selig sind, die reines Herzens sind. Denn sie werden Gott schauen‹ (Mt 5, 8).«43 Von der Bergpredigt ausgehend, in der sich Jesus als der Lehrer seiner Jünger zeigt, sind Spuren für die Einübung in Friedfertigkeit zu finden. Verdichtet ist es gerade die Seligpreisung ›Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen‹ (Mt 5, 5), in der sich die Radikalität der Ethik des NT ebenso ausdrückt, wie sie auch zum Fragen verleitet: Was heißt es, aus dem Frieden Gottes zu leben angesichts einer friedlosen Welt? Ist die Sanftmut nicht eher kontraproduktiv angesichts des vielfältigen Leidens? Mit dieser Seligpreisung kommen Perspektiven ins Spiel, die die ganze Berg43 G. Theißen, Die Religion der ersten Christen, 167.
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predigt durchziehen und Konturen des christlichen Ethos erkennbar machen: den Verzicht auf Herrschaft, die Aufforderung, nicht die Aggressivität des anderen nur zu überwinden, sondern darüber hinaus die Aggressivität des anderen zu ertragen (Mt 5, 39), die Kontrolle des Zorns, die in der ersten Antithese der Bergpredigt als ein Bruderschaftsethos formuliert wird (Mt 5, 21–22)44. Dieser Seligpreisung eignet ein kontradiktorisches Moment; es formuliert einen Einspruch, indem es als indikativische Formulierung vor Augen führt, worauf sich das Leben aus Gottes Frieden und Gerechtigkeit ausrichtet: es widerspricht jeglichem Versuch, aus eigener vielleicht auch moralischer Kraft und aus eigenem Versuch heraus sanftmütig sein zu wollen; vielmehr ist die Sanftmut das, was Menschen nach Gottes Willen leben dürfen. Das begründet ihre Existenz, dass Menschen als Gottes Geschöpfe zu solcher Sanftmut befähigt sind. Diese dritte Seligpreisung bezieht sich auf alttestamentliche Verheißungen (Ps 37, 11), die der Evangelist Matthäus in der Komposition der Seligpreisungen aufnimmt. Im NT ist ›sanftmütig/freundlich‹ nur zweimal zu finden, dabei jeweils auf Christus bezogen, »und charakterisiert sein Verhältnis zu den Mitmenschen und seine Art des Königtums: Seine Herrschaft trumpft nicht auf und schüchtert nicht ein, sondern gibt Raum zum Atmen. Der Zuspruch gilt also denen, die sich eben dieses Verhalten Jesu zu den anderen Menschen zum Vorbild nehmen.«45 Übersetzt werden kann Sanftmut mit Demut, die sich in Freundlichkeit äußert, als gottergeben sein, als passiver Widerstand oder sie kann als ein eher sperriges Wort auch beibehalten werden. Ulrich Luz fasst diese Seligpreisung zusammen, indem er den besonderen Bezug auf das ›Himmelreich‹ betont, das seine konkrete Form im Diesseits des Lebens erhält: »Den Freundlichen wird die Erde gehören, nicht nur das Land Israel, denn die traditionelle Landverheißung ist längst ins Kos44 A. a. O., 133. 45 R. Feldmeier, Verpflichtende Gnade, 26.
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mische transponiert worden, aber auch nicht das Jenseits, denn die Verheißung der Erde macht klar, daß das Himmelreich ein neues Diesseits mit umfaßt.«46 Mit dieser Betonung der Realität der Sanftmut im gegenwärtigen Leben, zu der Menschen in ihrer Geschöpflichkeit befähigt sind, zeigt sich wiederum die Radikalität der Friedensethik des NT, die von Christus gelebt wird und die diejenigen, die Christus nachfolgen, in das Üben der Sanftmut hineinstellt. Sanftmut üben ist darum eine Herausforderung, die vom Ganzen der Bergpredigt her nicht nur auf Ohnmacht und Nachgiebigkeit konzentriert ist, sondern sie provoziert zu einer Ausformung eigenen Lebens, das aus einer aufmerksamen Wahrnehmung der Herausforderungen der je bestimmten Gegenwart lebt. Sie drängt auf die Ausgestaltung der Praxis des Glaubens, an der diejenigen beteiligt sind, die lernen, sich in Freundlichkeit zu üben. 7.2.3 Welchen ›Wert‹ hat die Sanftmütigkeit im Leben der Schüler? Die Notwendigkeit über Gewaltpräventionen an der Schule nachzudenken, Streitschlichter im Schulkontext zu bestimmen, die mediatorisch auf Konflikte einwirken, und andere Präventionen lassen die Aufgabe ›Sanftmütigkeit einzuüben‹ und damit teilzuhaben an einem ethischen Lernen, umso dringlicher erscheinen. Mit der besonderen Konzentration auf die Sanftmut wird es didaktisch möglich, erste und anfängliche Lernwege zu initiieren, die die Tiefendimensionen eigenen Lebens ausschreiten lassen. In der Aufmerksamkeit für die Gegenwart, im Blick auf den Nächsten und Fremden, werden Schülerinnen und Schüler sensibilisiert für ihre Lebenswelt, für die Notwendigkeit des Blicks auf den Anderen und für die Einübung des Respekts dem Fremden gegenüber. Damit führen religiöse Bildungsprozesse zunächst zur Frage nach dem eigenen Umgang mit dem Anderen. Religiöse Bildungsprozesse führen aber auch weiter, denn mit dem Blick auf den Anderen und Fremden stellt sich auch die Frage nach dem gemeinsamen guten Leben, das mehr umfasst 46 U. Luz, EKK I/1, 209.
In der Lebenswelt der Schüler139
als nur die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit im eigenen kleinen Lebenskontext. Darin sind religiöse Bildungsprozesse provokativ, dass sie nicht Genüge haben mit der Vorfindlichkeit und den Tatsachen des Lebens, sondern weiterfragen, nach der Gestalt gemeinsamen Lebens, in dem Gottes Frieden und Gerechtigkeit Realität ist. Insofern führen diese Provokationen die Schülerinnen und Schüler in neue Wahrnehmungen gemeinsamen Lebens, die es auszuschreiten und aufzuspüren gilt. Die Macht der eigenen Ohnmacht – ›Man kann ohnehin nichts tun!‹ – oder die Macht der eigenen Gleichgültigkeit – ›Warum sollte ich mich hier engagieren?‹– ist darin ebenso aufzusuchen, wie die Hoffnung auf ein gutes gemeinsames Leben, das sich etwa in den Seligpreisungen der Bergpredigt ausspricht. Eine Schülerin etwa formuliert: »Jeder hat eine andere Definition vom Frieden und es wird immer Krieg geben, da man seine Meinung durchsetzen will.« Mit solchen Schüleräußerungen wird die Aufgabe deutlich, die in religiösen Bildungsprozessen ansteht. Im gemeinsamen Diskurs muss um die Angemessenheit solcher Aussagen gerungen werden. Kann die Ohnmacht, die sich hier ausspricht, alles sein? Wie ist das mit den Meinungen anderer? Sind die sakrosankt oder was passiert, wenn Menschen mit verschiedenen Meinungen lernen, sich aufeinander zuzubewegen? Stimmt das mit der ›Definition vom Frieden‹? Gibt es Perspektiven, auf die man sich gemeinsam beziehen kann? 7.2.4 Zugänge der religiösen Bildung: Friedfertigkeit lernen Folgende methodische Zugänge sollen das Spektrum zeigen, das eine Einübung an spezifischen Gegenständen ermöglicht, um an einem Lernen der Friedfertigkeit zu partizipieren: ȤȤ Einen ersten Zugang eröffnet das Lesen in der Bibel: Sie führt in verschiedenen Texten dazu, das je eigene Friedenshandeln genauer und differenzierter wahrnehmen zu lernen. ȤȤ Im Aufsuchen der Friedenswege im eigenen Alltag wird entdeckt, wo Friede schon Realität geworden ist. ȤȤ Dazu ist es notwendig auch an Widerständen zu arbeiten, die sich angesichts der Erfahrungen einer friedlosen Welt auftun. ȤȤ Diese Erfahrung ist verbunden mit der Frage nach dem ›Warum‹: Warum scheitern Menschen am Frieden?
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Diskursraum Ethik
ȤȤ Zugleich gilt es, Bilder einer friedvollen Welt zu entdecken und ihnen nachzugehen. Die auf Hoffnung auf eine friedvolle Welt ausgerichtete Lebensform der Christen gibt Perspektiven dafür vor, sich nicht mit den Tatsachen einer friedlosen Welt abzufinden. ȤȤ Damit zeigt sich die Friedenspraxis der Christen als eine Lebensform, der etwa mit der Bergpredigt auf die Spur zu kommen ist. ȤȤ Mit Biographien kann diese Praxis der Friedfertigkeit weiter ausgeschritten werden: Sie dienen vor allem dem Aufdecken der eigenen Ohnmacht: »Ich kann sowieso nichts tun« – Kann das gelten? Oder macht das mutlos? Dabei ist auch zu fragen: Was geht doch! Im Erspüren der Friedenssuche im Alltag wider alle Ohnmacht und in der Eröffnung von Ahnungen neuer Möglichkeiten zum Frieden wird die Praxis der Friedfertigkeit konkret. ȤȤ Das Gebet um Frieden gestaltet die Lebensform der Christen in besonderer Weise; im Nachgehen dieser Form christlichen Glaubens zeigt sich die Relationalität Gottes und des Menschen, die lernen, sich im Gebet von Gottes Frieden gestalten zu lassen. Welche biblischen Texte, Biographien und anderes didaktische Material hier aufgenommen werden, ist freilich vor allem im Blick auf jahrgangsspezifische Zugänge und im Kontext der je konkreten Lerngruppe zu entscheiden.
8 Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit – religionsdidaktische Reflexionen
Um es den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, anfänglich und erprobend die Innenperspektive christlicher Religion kennenzulernen und die Tugend der Friedfertigkeit einzuüben, eignen sich besonders diskursive Lernwege. Solche Lernwege haben eine spezifische Kontur:1 a. Diskursive Lernwege brauchen Räume der Interpretation. Interpretation wird hier als ein dynamischer Zugang verstanden, der sowohl in der Analyse von Texten christlicher Tradition als auch in der Reflexion im gemeinsamen Gespräch über ein Thema eine wesentliche Rolle spielt. Die Interpretation erlaubt es, Themen auf ihren Gehalt hin zu befragen, Entdeckungen zu machen, kritisch Intentionen aufzunehmen und eigene Aspekte demgegenüber deutlich abzusetzen. Der Leser oder Gesprächspartner versucht sich also selbst im Diskurs, indem er eigene Wahrnehmungen artikuliert und ins Gespräch einbringt. b. Diskursive Lernwege brauchen Räume zum Lesen der Heiligen Schrift. Um in die Texte der Bibel hineinzufinden sind Zugänge im Lesen zu eröffnen. Ein Gespür für die Vielfalt biblischer Texte ist dabei zu entwickeln. Ebenso auch, dass es spezifische Lesearten zu entdecken gilt. Lesen ist dabei nicht verstanden als Analysieren eines biblischen Textes, sondern es geht darum, sich auf einen Modus des Hörens auf den biblischen Text einzulassen, der vor aller Analytik einen eigenen Zugang zu den Texten christlicher Religion eröffnet. So ist etwa das Lesen als Lesung eines biblischen Textes der Tradition christlicher Religion vertraut. Eine der wesentlichen Grundaufgaben religiöser Bildung ist damit benannt, die Schülerinnen und Schüler in die fremde Welt biblischer Texte hineinführt und 1 Vgl. dazu auch meine Überlegungen zur unterrichtlichen Realisierung eines Lernens der Friedfertigkeit, die aufgenommen und weitergeführt werden: I. Schoberth, Moralische Bildung, 311–328.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
mit ihnen Wege der Begehung dieser Texträume erprobt. Im Aufsuchen der biblischen Texte, im Ausschreiten der Texträume im Prozess der Wahrnehmung, spüren Schülerinnen und Schüler die Tradition christlicher Religion aus, lassen sich – wenn auch nur für einen Augenblick – auf diese Textwelt ein und suchen und erahnen die Tiefendimensionen des Lebens, die sich in der Lesung und in der Wahrnehmung biblischer Texträume auftun.2 c. Diskursive Lernwege brauchen Räume zur Entdeckung des Atmosphärischen christlicher Religion:3 Religiöse Bildung eröffnet Räume christlicher Religion, indem sie die spirituellen Räume christlicher Religion erkundet und für Schülerinnen und Schüler begehbar macht: Dieser pneumatologischen Gestalt von Lernprozessen wird entsprochen, indem Unterricht selbst aufmerksam macht auf Atmosphären, die nicht bewirkt, aber initiiert werden können. Im Kontext christlicher Religion geht es nicht einfach um eine Erlebnisqualität, die hier aufzusuchen wäre. Vielmehr betont Martin Hailer, dass es mit dem Wahrnehmen von Atmosphären um die genaue Raumwahrnehmung geht, in dem sich Atmosphären erweisen: Atmosphären sind ausgerichtet auf »kräftige Bestimmungsgründe des Individuums. Und wenn denn nun gilt, dass das, was den Menschen zum Menschen macht, letztlich Gottes Werk und Wille ist, dann kann dies nicht einer falsch verstandenen innergeschöpflichen Beliebigkeit überlassen werden, übrigens auch dann nicht, wenn diese im Gewand einer neuen Verzauberung der Wirklichkeit durch Weltfrömmigkeit daherkommen sollte.«4 Diskursive Lernprozesse christlicher Religion greifen in eigener Weise auf Räume aus, indem Atmosphären erspürt werden. Dazu leiten in den Unterrichtsprozessen unterschiedliche Lerngegen2 Vgl. Ch. Bizer, Kirchgänge im Unterricht. Vgl. dazu auch I. Schoberth, ›Glauben-lernen‹ heißt eine Sprache lernen. 3 M. Hailer, Das Subjekt und die Atmosphären; W. Krötke, Räume, Szenen, Gestalten. 4 M. Hailer, Das Subjekt und die Atmosphären, 177.
Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit143
stände an: das Lesen in der Bibel, das Kennenlernen der Sprache des Glaubens (in Metaphern, Gleichnissen, Erzählungen), Kontrast-Erfahrungen im Gespräch mit von christlicher Religion unterschie denen Orientierungen und Wertungen, Raum-Erfahrungen in Kirchen, die die Heiligkeit des Raumes erfassen lassen, Begegnungen mit Abstraktionen von Lebensentwürfen und Hoffnungen in der modernen Kunst, fragmentarische Einblicke in religiöse Lebensgeschichten anhand von Biographien und vieles mehr dienen dazu, dass sich Atmosphären im Lernprozess zeigen. Sich auf neue Perspektiven einlassen, einem Text der Bibel Gehör schenken, aufmerksam werden auf Fremdes, sich unterbrechen lassen in gewohnten Haltungen und Orientierungen, leibliche Gefühle kommen lassen (Focusing), all das sind passive Lernformen, die in ein Erleben christlicher Religion führen und der Ereignishaftigkeit des Lernens christlicher Religion Raum geben. d. Diskursive Lernwege brauchen ästhetisch eröffnete Zugänge zu christlicher Religion: Auf solchen Lernwegen wird es möglich, die Offenheit des Zugangs zu christlicher Religion für Schülerinnen und Schüler deutlich zu machen. Indem dabei die eigene Wahrnehmung wichtig wird, die sie etwa an einem Kunstwerk üben, geht es im religiösen Lernen zunächst nicht um ein Lernen des Richtigen; vielmehr bringen sich die Lernenden mit ihren Perspektiven in das Unterrichtsgeschehen ein und stellen es kritisch zur Disposition. Lernprozesse können so besonders deutlich machen, dass die je eigenen Zugänge sich als entscheidend für das Lernen christlicher Religion ausweisen. Darin würdigen sie den Beitrag der Schülerinnen und Schüler, zeigen ihnen, dass ein Lernen christlicher Religion ohne ihre eigenen Wahrnehmungen nicht möglich ist. e. Diskursive Lernwege brauchen Räume zur Spurensuche des Heiligen:5 diese Spurensuche ist eng mit dem atmosphärischen wie dem ästhetischen Aspekt verknüpft, die auf ihre Weise eine diskursive Ausgestaltung des RU ermöglicht. Spurensuche meint Annäherungen an ein für die Schüler fremdes Terrain und führt in Entdeckungen und Wahrnehmungen, die für sich eine eigene Würde haben. Es 5 Vgl. die religionsdidaktische Profilierung des Redens von der Spurensuche des Heiligen bei I. Schoberth, Leonardo da Warhol.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
geht nicht um richtiges und falsches ›Sehen‹ (etwa mit einem Bild/ Kunstwerk), sondern um das Aufsuchen erster Eindrücke und auch Zusammenhänge, die sich zeigen können. Darum ist diese Spurensuche noch nicht als Spurensuche christlicher Religion qualifiziert, sondern als Spurensuche des Heiligen als der Dimension, die – auch wenn noch dogmatisch unterbestimmt – über bloß ›säkulare‹ Wahrnehmung hinausweist und (noch) unbestimmte Transzendenz erahnen lässt. f. Diskursive Lernwege brauchen Möglichkeiten zur Wiedererinnerung, um prägende Texte oder Ereignisse, die sich lebensgeschichtlich bewährt haben, im aktuellen Diskurs aufzunehmen und zu vertiefen: Diskursive Lernprozesse greifen bewusst oder unbewusst auch auf Ereignisse und Textwelten eigener Lebensgeschichten zurück. Sowohl bei Lehrenden wie Lernenden gibt es solche Bezüge, die in den unterrichtlichen Prozess hineinspielen und je nach Thema Wiedererinnerungen freisetzen. Lebensgeschichtlich Bewährtes erscheint dann in einem neuen Zusammenhang und verbindet mit Bezügen vergangener Lebensgeschichte. g. Diskursive Lernwege sind aufmerksam auf die Unterscheidung von Mystik und Dogmatik – zwei Zugänge zu christlicher Religion, die aufeinander verweisen:6 Diese aus der Religionsforschung stammende Unterscheidung differenziert die Zugänge im Prozess des Lernens. Damit ist einmal die Erfahrungsebene genannt (Mystik), die als Austauschbegriff von Spiritualität verstanden wird und Grundmuster einer Sinnsuche ist, die sich noch nicht unmittelbar in einem engen Referenzsystem (z. B. Kirche) bewegt. Dogmatik dagegen wird hier verstanden als Ausdruck für ein Verständnis von Religiosität, das auf explizite Dogmatisierungen bezogen ist und Bezüge zu einem Referenzsystem aufweist. Mit dieser Unterscheidung ist markiert, dass beide Aspekte nicht unabhängig voneinander aufzusuchen sind, denn auch mystische Orientierungen zeigen bereits implizite Dogmatisierungen (sind also nicht anti-dogmatisch) wie umgekehrt ein enger Bezug auf dogmatische Vorgaben auch mystische, erfahrungsbezogene Aspekte zeigt.
6 Ch. Bochinger/M. Engelbrecht, Mystik oder Dogmatik.
Diskursive Lernprozesse als Prozesse der Vernetzung145
8.1 Diskursive Lernprozesse als Prozesse der Vernetzung von Offenheit und Bestimmtheit Religiöse Lernprozesse sind ein Raum, in dem sich die subjektive religiöse Befindlichkeit der Schüler (Offenheit) mit der objektiven Religion (Bestimmtheit christlicher Religion in ihrer Praxis) vernetzt: Solche Vernetzungen bestimmen die Lernwege und eröffnen Sprach- und Artikulationsformen für die Schüler, um an einem Diskurs christlicher Religion teilnehmen zu lernen. Dabei sind für die Vernetzung von Offenheit und Bestimmtheit folgende Fragestellungen weiterführend: ȤȤ Wie eröffnet sich im Diskurs in religiöser Bildung die subjektive religiöse Gestimmtheit der Schüler (Offenheit des RU)? ȤȤ Wie kann es gelingen, die subjektive Befindlichkeit (subjektive Religion) der Schüler im Diskurs zu würdigen? ȤȤ Was artikuliert sich auf der Ebene der unmittelbaren Sprachformen der Lernenden? Zeigen sich Referenzrahmen/Bezugssysteme, die fragmentarisch und vorläufig die subjektiven Aspekte der eigenen, auch religiösen Urteile der Schüler zum Ausdruck bringen? Welche Funktion hat in diesem Zusammenhang die Ebene der kritischen Infragestellung durch die wissenschaftliche Reflexion auf die Artikulationen der Lernenden hin? ȤȤ Wie reagieren die Lernenden im Diskurs ›objektiver Religion‹? Führt der Diskurs zu Differenzierungen/Unterscheidungen verschiedener Optionen? Diskurs bedeutet ein Hin- und Hergehen zwischen verschiedenen religiösen Optionen und auch zwischen ›subjektiver/offener‹ und ›objektiver/durch ihre Bestimmtheit ausgezeichneter‹ Religion. Wie also trifft die religiöse Befindlichkeit der Schüler auf die christliche Religion? ȤȤ Nehmen die Schüler im Diskurs christliche Religion nur in der Außenperspektive wahr oder sind sie schon darin beheimatet, so dass sie andere als nur säkulare Artikulationsformen haben? ȤȤ Bestimmen starke Wertungen den Diskurs? Lassen Schüler starke Wertungen christlicher Religion für sich gelten? Sind sie dabei in christlicher Religion so beheimatet, dass sie darüber auskunftsfähig sind? Wie formen sie starke Wertungen aus?
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
Aus der Spannung von Offenheit und Bestimmtheit heraus wird deutlich, dass beide nicht einfach auf der Hand liegen. Sowohl die Offenheit, die eine Art Resultat aus der anfänglichen Begegnung der Lernenden mit christlicher Religion darstellt, als auch die Bestimmtheit, die aus der theologischen Reflexion erwachsen ist, sind unmittelbare Bezugspunkte jeder Vorbereitung religiöser Bildung. Das untermauern auch die Überlegungen im Kontext der Debatte um den Kommunitarismus, dass Identität und hier also religiöse Identität sich daraus formt, dass diese spannungsvollen Zusammenhänge wahrgenommen werden. Die Überlegungen des Kommunitarismus zeigen auf und sind hier einschlägig, dass es ein unabhängiges Selbst nicht geben kann, das unabhängig von Bindungen und Abhängigkeiten – als Mitglied einer Familie, einer Nation, einer Gemeinschaft – seine Werte und Orientierungen gewinnen könnte. Der Kommunitarismus fragt daher nach dem, was die Identität des Einzelnen konstituiert. Mit Charles Taylor kann betont werden, dass freiheitliche Gesellschaften nicht durch unabhängige Einzelne konstituiert sind, sondern durch Menschen, die sich im Rahmen einer Geschichte bewegen. Die eigene Identität ist darin konstituiert, dass Menschen sich im Rahmen einer bestimmten Geschichte (Gesellschaft, Kultur) vorfinden und darin zu leben lernen. Das führt den Einzelnen auch in die Aufgabe, sich für diese Gesellschaft/Kultur einzusetzen: »Da das freie Individuum seine Identität allein in einer Gesellschaft und Kultur einer bestimmten Art aufrechterhalten kann, muss es sich kümmern um die Gestalt der Gesellschaft und Kultur als Ganze.«7 Dem individuellen Einzelnen kommt in diesen Bezugssystemen seine Bedeutung zu, indem er sich auf diesen Bezugsrahmen zu beziehen lernt – und das in kritischer Reflexion. Die Frameworks können unterschiedliche Gestalt haben. Den verschiedenen Gestalten aber ist gemeinsam, dass sie jeweils das artikulieren, was dem Leben Sinn geben kann und woraus Tugenden hervorgehen, die Orientierun7 Ch. Taylor, Atomism, 207.
Einübung nicht ohne Bezug auf Lebensformen147
gen und Perspektiven für das je eigene Leben bereitstellen. Deren Aneignung kann als ein Interpretations-Prozess bestimmt werden, den das einzelne Individuum inmitten des gemeinsamen Frameworks bewerkstelligen muss.
8.2 Einübung nicht ohne Bezug auf Lebensformen Von daher kann man sagen, dass die Frameworks den Einzelnen formen (Geschichte, Tradition, die die Bezugsrahmen bestimmen), ihn aber zugleich nicht auf diese Bindungen festlegen. Für das ethisch-moralische Lernen ist darum wesentlich, dass die Frameworks eben Lebensformen ausbilden, die durch eine spezifische moralische Grammatik bestimmt sind: Diese Lebensformen sind nicht ohne Moral, sondern, wie Martin Seel formuliert: »Lebensformen sind Gebilde, die eine Moral haben. Lebensformen sind Gebilde, die eine Moral brauchen.«8 Die Angehörigen einer solchen Lebensform teilen Konventionen affektiver, kognitiver und normativer Orientierung, die aus einer gemeinsamen Geschichte hervorgegangen sind. Allerdings ist es jeweils wichtig, dass die Orientierungen je selbst angeeignet werden. Es gibt Spielräume, innerhalb derer dann Orientierungen ausgelotet werden: »Eine solche Lebensform kann sich in mannigfacher Weise niederschlagen: in eingelebten Handlungsmustern, wie der Sitte und der Tugend, aber auch in Institutionen, Traditionen, Gebräuchen und Riten ebenso wie in Regeln, Gesetzen und Normen.«9 Lutz Wingert hat im Rahmen der Debatte um den Kommunitarismus eine überzeugende Beschreibung vorgelegt, die besonders deutlich herausstellt, wie Orientierungen für das Urteilen und Handeln in je bestimmten Lebensformen vorliegen: 8 M. Seel, Ethik und Lebensformen, 244. 9 L. Honnefelder, Krise der sittlichen Lebensform, 17.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
»Eine Lebensform ist ein Ensemble von Praktiken und Orientierungen, zu denen, – nicht nur, aber auch – Praktiken des Verstehens und Interpretierens, des Sichverständlichmachens, des koordinierten Zusammenhandelns und des Rechtfertigens gehören sowie Orientierungen im Urteilen und Handeln, die etwas als wünschenswert, wertvoll, erstrebenswert, als gelungen und mißraten, als berechtigt, geboten, ungerecht, angemessen oder als wahr, plausibel, zweifelhaft oder falsch gelten lassen. Das Ensemble solcher Praktiken und Orientierungen macht in dem Sinne eine Lebensform aus, daß sie ins Leben eingreifen …«10 Lebensform ist in diesem Zusammenhang als eine gelebte Praxis zu verstehen, die sich in der fortwährenden Kommunikation um Orientierungen und Wertungen befindet. Dabei handelt es sich um Lebensformen, die durch eine gemeinsame Sprache konstituiert sind. Diese Reflexion eröffnet eine genaue Bestimmung von Lebensformen und kann so die Kontexte erfassen helfen, in denen sich Lernende vorfinden. Aus religionspädagogischer wie religionsdidaktischer Sicht kommt mit den Lebensformen der Kontext christlicher Religion in den Blick, der selbst als eine Lebensform fungiert und also auch über Orientierungen für das Urteilen und Handeln verfügt, die aus der gelebten Praxis christlicher Religion gewonnen sind. Im spezifisch theologischen Sinn sind darum auch die Orientierungen zu verstehen, die das gemeinsame Leben tragen. Sie gewinnen ihre Begründungen aus dem Lesen der Bibel wie der Praxis der Interpretation der eigenen Tradition, die in den kritischen Diskurs führt, der die Praxis christlicher Religion bestimmt. Im ethischen Lernen geht es also nicht um eine Theorie oder Absicht, sondern vielmehr um die Ausgestaltung der in der Praxis christlicher Religion gewonnenen Perspektiven und Orientierungen; dieser Diskurs bestimmt die Praxis des Glaubens und ist immer wieder neu auf Bewährung hin durchzuführen. In reformatorischer Perspektive ist dabei festzuhalten, dass die Kontur der Lebensform der Christen als eine Lebensform wahrgenommen werden kann, die 10 L. Wingert, Gemeinsinn und Moral, 174.
Einübung nicht ohne Bezug auf Lebensformen149
ihre Kontur aus dem ›Gott handeln lassen‹ gewinnt; diese vita passiva kann darum als grundlegend für die Wahrnehmung einer Lebensform angesehen werden. Konrad Stock stellt dazu heraus, dass es eine spezifische Gewissheit ist, die dieser Lebensform innewohnt: »Die Gewißheit des Glaubens läßt sich zwar mit anderen lebensbestimmenden Grundüberzeugungen weltanschaulicher Art formal und funktional vergleichen, unterscheidet sich von ihnen aber durch ihren eigentümlichen Gehalt der Gelassenheit. Sie läßt Gottes heilsames, zurechtbringendes Wirken, den durch ihn hervorgerufenen Wandlungsprozeß geschehen und vermag eben deshalb auf selbstinszenierte Wandlungsprozesse zu verzichten. Nur in derjenigen Selbsterfahrung, die Gott Gott sein lassen kann, hat die sittliche Gutheit der Person ihren Grund.«11 Mit der Kommunitarismus-Debatte kommt die gelebte Lebensform des Glaubens in den Blick, die sich gegen die Auffassung richtet, dass Werte vermittelt werden könnten; vielmehr soll betont werden, dass Perspektiven für Leben und Handeln an die Kontexte und Bezugsrahmen gebunden sind, in denen Menschen leben, in denen sie sich bewegen und die sie einüben, von Generation zu Generation. In Hinsicht religiöser Bildungsprozesse heißt das nun, dass auch hier Prozesse der Einübung und des Lernens eröffnet werden müssen, um dieser Lebensform nachgehen zu können und probeweise an ihr partizipieren zu lernen. Zugleich stoßen diese Prozesse auf die innere Dogmatik der Lernenden und auf ihr Verankertsein in spezifischen Relevanzsystemen; sie sind mit dem von Charles Taylor12 formulierten Begriff der starken Wertungen aufzunehmen. Bei den starken Wertungen geht es um die Deskription dessen, wie Menschen in verbindlichen Lebenszusammenhängen leben. Solches Zusammenleben funktioniert nicht geschichtslos, sondern es 11 K. Stock, Tugendlehre, 134–135. Konrad Stock verweist in diesem Zusammenhang auf die Hauptthese in Luthers »Von den guten Werken« (1520): »Denn in diesem Werk müssen alle Werke gehen und ihrer Gutheit Einfluß gleich wie ein Leben von ihm empfangen.« (Luther, Martin: Von den guten Werken (1529), BoA 1, 227–298; 229, 33 ff.) 12 Vgl. Ch. Taylor, Quellen des Selbst, 17 u. ö.
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ist an bestimmte Traditionen gebunden. Insofern sind mit den Überlegungen von Taylor auch die Strukturen erfasst, die Kirche als eine Lebensform auszeichnen und zeigen, dass Kirche aus starken Wertungen lebt. Dahinter steht auch die Kontinuität derer, die in ihrer Praxis gemeinsamen Lebens nach dem gemeinsamen guten Leben fragen: »Was die Angehörigen einer Lebensform teilen, sind Konven tionen der kognitiven, affektiven und normativen Orientierung, die in der Regel aus einer gemeinsamen Geschichte hervorgegangen sind. Das Verbindende liegt dabei nicht in erster Linie in gemeinsamen Interessen oder Idealen, sondern in evaluativen Standards der Bewertung von Lebensverhältnissen in ihrer ganzen Breite. Lebensformen geben keine bestimmten Orientierungen, sondern bestimmte Spielräume für Orientierungen vor.«13 Die Praxis/Lebensform der Christen, ist in dieser Perspektive als eine Lebensform zu verstehen, die aus einer Praxis des Wertens hervorgeht: Hier werden nicht objektive Werte gesetzt, sondern das Leben gewinnt in dieser spezifischen Praxis Konturen. Im Blick auf religiöse Bildungs- und Erziehungsprozesse eröffnet sich mit der Frage nach den ›starken Wertungen‹ die Frage nach den Bezugs- bzw. Relevanzrahmen, innerhalb derer sich Schüler bewegen und von dort her auch Wertungen und Perspektiven gewinnen, die sie für sich in Anspruch nehmen. Von den starken Wertungen ausgehend wäre somit religionsdidaktisch zu fragen, ob die Lebensform der Christen für Schüler ein solcher Bezugsrahmen ist und ob sich in ihren Wertungen und diskursiven Artikulationen Aspekte der Lebensform der Christen mitteilen. Da inzwischen davon auszugehen ist, dass nur noch wenige Schüler in christlicher Religion/Kirche beheimatet sind, stellt sich die Frage, ob sie gelebte Formen von Religion kennen, ob sie sich religiöser Sprachformen bedienen und woher sie Kriterien für eigenes Urteilen und Handeln gewinnen. Erfahrungen von Lehrenden weisen bisher darauf hin, dass eine hohe Sprachfähigkeit vorliegt und umfassendere 13 M. Seel, Ethik und Lebensformen, 246.
Einübung nicht ohne Bezug auf Lebensformen151
Bezüge auf christliche Religion vorliegen, als man zunächst vermuten würde. Sind die Schüler vielleicht entschiedener auf ihre Weise mehr in christlicher Religion zuhause als meist unterstellt wird? In der Perspektive auf die diskursiven Lernprozesse im RU spielen die religiösen Sprachformen eine entscheidende Rolle, die aber hier nicht in abstrakter, ›richtiger‹ dogmatischer Sprache erscheinen, sondern eine eigene Struktur und Gestalt aufweisen. Das Theoriemodell von George A. Lindbeck gibt hilfreiche Differenzierungen vor, um die Sprachformen der Schüler analytisch wahrnehmen zu können. Die Unterscheidung in first order und second order language von Lindbeck ist geeignet, das Reservoir der Sprachformen der Schüler zu beschreiben. Lindbeck begibt sich hinein in den Kontext christlicher Religion und beschreibt mit seinem ›kulturell-linguistischen‹ Modell, wie die Lebensform christlicher Religion ›funktioniert‹: Er geht dabei von der Sprache aus, die prägend und bestimmend ist für diese Lebensform. Er bestimmt die Sprache als Voraussetzung dafür, dass die Wirklichkeit einer je bestimmten Lebensform erst erfahrbar gemacht wird. D. h. nun wiederum, dass die Wirklichkeit einer Lebensform erst im Rahmen einer Sprache wahrgenommen werden kann. Um also teilzunehmen und teilzuhaben an dieser Lebensform, ist es notwendig, diese Sprache zu lernen und sich von dieser Sprache formen zu lassen. Diese Sprache und ihre Sprachform verhelfen dazu, sich selbst und die Welt in dieser Sprache erfahren und verstehen zu lernen. So gilt für die christliche Religion, dass erst in Bezug auf die Story Gottes und des Menschen Menschen sich selbst und die Welt in der Lebensform christlicher Religion verstehen lernen. Dabei betont Lindbeck, dass es einmal die Ebene des Diskurses erster Ordnung gibt, in der Sprache im gewöhnlichen religiösen Sprechen (in Gebet, Lob, Lehre und Ermahnung) eine eigene Grammatik hat, die aber nicht deckungsgleich ist mit dem, was in professioneller Fachtheologie und christlicher Lehre formuliert ist (Diskurse zweiter Ordnung). Lindbeck bezeichnet die Diskurse erster Ordnung als ›erstintentionale Gebrauchsweisen14 religiöser Sprache‹, die einer Grammatik folgt und nicht Propositionen. 14 G. A. Lindbeck, Christliche Lehre als Grammatik, 108.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
»Nur auf dieser Ebene bringen die Menschen sprachlich ihre Wahrheit oder Falschheit zum Ausdruck, ihre Entsprechung oder ihren Mangel an Korrespondenz zu dem letzthinnigen Geheimnis.«15 Freilich wird in der Reflexion der Schülerreaktionen dann auch das fachwissenschaftliche Repertoire christlicher Theologie eine Rolle spielen, das transparent macht, was in den Schülerreaktionen ansatzweise, fragmentarisch und anfänglich formuliert ist. Dabei geht es aber nicht darum, aufzuzeigen was an den Sprachformen der Schüler wahr oder falsch ist, vielmehr sollen die Sprachformen der Schüler gewürdigt werden. Würdigung heißt: Welche Bezugsrahmen, welche Sprachformen greifen Schüler auf, auf welche Grammatik lassen sie sich ein? Ist eine Tiefengrammatik zu erkennen, die sich auch auf die Diskurse zweiter Ordnung beziehen lässt, zeigen sich vielleicht von daher neue Aspekte im Diskurs erster Ordnung? Bzw. führen die Schülerantworten zu Wahrnehmungen christlicher Religion, die die Diskurse zweiter Ordnung bereichern können? Geht man von dem engen Zusammenhang von Kirche und Religionsunterricht (Verkündigung und Unterricht) aus, der das Lernen religiöser Bildung und Erziehung bedingt, so ist festzuhalten, dass im Rahmen der Werteerziehung im Religionsunterricht den Schülerinnen und Schülern ein Framework zugemutet wird, das im Lernen christliche Religion in Form der Mitteilung tradiert und interpretiert wird. In religiösen Bildungsprozessen muss also der Bezugsrahmen deutlich werden, auf den bezogen Christen leben. Dieses Framework ist eine spezifische Praxis, in der die Geltung von Orientierungen, Perspektiven, aber auch Handlungsweisen diskutiert und reflektiert werden und die so die Lebensform christlicher Religion erkennbar machen. Die Praxis ist eine diskursive Praxis, weil Traditionen nicht unbefragt übernommen werden, sondern in ihrer Geltung für die jeweilige Gegenwart (zeitgemäß) ausgelotet werden. Diese Praxis hat eine eigene Kontur, ein spezifisches Proprium durch den Bezug auf die Heilige Schrift. Im gemeinsamen Bibellesen werden die Orientierungen und tragenden Zusammenhänge des Lebens inter15 Ebd.
Lernprozesse als indirekt Mitteilung/Diskurse153
pretiert, reflektiert und überführt in eine verantwortete Gestalt christlichen Lebens auf Bewährung hin (Bekenntnis-Struktur dieser Praxis).
8.3 Lernprozesse als indirekt Mitteilung/Diskurse Mit diesem Bezugssystem des Religionsunterrichts kommt also den Lernprozessen die spezifische Aufgabe zu, dass sie auf die Mitteilungsstruktur christlicher Religion ausgerichtet sein müssen. Die Mitteilungsstruktur kann angemessen im Diskurs ausgeschritten werden. Er prägt die Gestalt religiöser Lernprozesse, wollen sie dem ›Mitteilungscharakter‹ christlicher Religion entsprechen.16 Diskursive Lernprozesse zur Werteerziehung im Religionsunterricht stellen damit eine hohe Herausforderung für den RU dar: Christliche Religion geht nicht in einem Lernen auf, das nur Inhalte vermittelt, sondern ist in seiner Struktur genauer als indirekte Mitteilung zu verstehen: Sie kann nicht so gelernt werden wie man etwa eine mathematische Formel lernt. Indirekte Mitteilung heißt vielmehr, dass sie auf das Redenlernen von Gott, Mensch, Jesus Christus usw. bezogen ist, dabei aber immer auch den Aspekt offenhalten muss, dass Glaube nicht operationalisiert und so von den Lernenden in Verfügung genommen werden kann. Weil Glauben-lernen/Lernen christlicher Religion in den Lernprozessen immer auch festhalten muss, dass dieses Lernen eine Annäherung bleibt, trägt damit das Lernen der Struktur des Lernens christlicher Religion Rechnung. Religiöse Lernprozesse können nicht in die direkte Anschauung und Verfügung christlicher Religion führen, sondern immer nur fragmentarische Zugänge zu ihr eröffnen; sie bleiben indirekte Diskurse, weil sie der Unverfügbarkeit christlicher Religion entsprechen müssen; Vermittlung würde demgegenüber die Operationalisierung von Lernprozessen suggerieren, die christliche Religion als verfügbar für religiöses Lernen ausweisen. Mit der Unverfügbarkeit christlicher Religion in religiösen Lernprozessen ist also zugleich eine spezifische Kontur der Lernprozesse gegeben, die das Lernen christlicher Religion als diskursives Lernen kennzeichnet. Indirekte Diskurse führen darum nicht in eine Verfügung über christliche Religion, son16 Vgl. dazu I. Schoberth, Glauben-lernen.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
dern eröffnen einen erprobenden Zugang, in dem Schüler austesten, ob die jeweiligen Perspektiven auch für sie Geltung beanspruchen können. Der Religionsunterricht ist damit als ein Ort markiert, an dem im ›indirekten Diskurs‹ verschiedener Moralen und religiöser Orientierungen reflektiert und zugleich die Orientierungen christlicher Religion vorgestellt werden; im erprobenden Diskurs nähern sich die Schülerinnen und Schüler diesen Orientierungen an, reflektieren und analysieren sie und lernen sie auf die je eigenen Perspektiven zu beziehen. Die erzieherische Begegnung (Lehrer und Schüler) spielt dabei eine wesentliche Rolle, die der diskursiven Gestalt des Unterrichts entsprechen muss: Schüler und Lehrende bewegen sich in einem gemeinsamen Diskurs. Von dieser Ausrichtung der Lernprozesse als diskursive Prozesse, die Prozesse zur Einübung ethischer Perspektiven bzw. zum Urteilen lernen eröffnen, wird auch eine Klärung deutlich, die den gebrauchten Begriff von Religion genauer bestimmen lässt. Denn Religion wird hier verstanden als ein »diskursiver Tatbestand«17, der das als ›Religion‹ bezeichnet, was die beteiligten Personen darunter verstehen und sich daran orientiert, wie sie diesen Begriff reflexiv gebrauchen. Darum muss kein normativer, aus einer theologisch-substantiellen Position gespeister Begriff von (christlicher oder protestantischer) Religion formuliert werden; vielmehr verweist der diskursive Tatbestand auf die Lebensform christlicher Religion, die einen Möglichkeitsraum christlichen Lebens und Handelns absteckt, der aufzusuchen ist. Erst von der Praxis der Lebensform christlicher Religion her, auf die sich der Religionsunterricht bezieht, wird erkennbar, wovon die Rede ist. Der Unterricht in christlicher Religion bindet an das Bekenntnis zu Jesus Christus, das freilich aber erst in der spezifischen Praxis christlicher Religion selbst aufgesucht werden kann und zeitgemäß zu formulieren ist. Insofern ist für die Abstimmung dessen, was Religion ist, das diskursive Zugehen auf christliche Religion grundlegend, wie es sich in der Lebensform christlicher Religion zeigt und wie es für Lernprozesse im Unterricht in christlicher Religion bestimmend ist. Mit der Lebensform des Glaubens wird dementsprechend die Religion erkennbar, auf die sich religiöse Bildungsprozesse beziehen. 17 J. Matthes, Auf der Suche, 136.
Lernprozesse als indirekt Mitteilung/Diskurse155
Mit diskursiv angelegten Prozessen des Unterrichts steht darum ein Lernen vor Augen, das mehr umfasst als nur die kognitive oder intellektuelle Durchdringung der Gegenstände ethischen Lernens. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang das Lernen mehrdimensional angelegt. Aus diesem Grund könnten solche Prozesse auch als leibliche Prozesse gefasst werden, wie das etwa auch von Elisabeth Naurath unternommen wurde und mit der Erarbeitung einer Theologie des Mitgefühls deutlich geworden ist.18 In diesen Überlegungen konkretisiert sich das, was grundlegend für das ethische Lernen gilt, dass die Relationalität Gottes und des Menschen, in der Menschen aus Gottes Barmherzigkeit leben lernen, die Ermöglichung des Lebens miteinander und füreinander schafft.19 In der theologischen Begründung des Mitgefühls/der Barmherzigkeit kommen die Dimensionen ethischen Lernens in den Blick, die auf einen erweiterten Lernbegriff hinweisen: Gefühl kann nicht verordnet oder vermittelt werden, sondern braucht Zugänge, die dieser Form gemeinsamen Lebens nachspüren und nachgehen. Mit Wegen des Nachspürens und Nachgehens sind die Formen im Blick, die es zulassen, der Barmherzigkeit auf die Spur zu kommen. Exemplarisch zeigen das die Ausführungen von Marco Hofheinz; er eröffnet mit biblischem Bezug solches Nachgehen und Nachspüren biblisch-ethischer Perspektiven, indem er mit einer Auswahl spezifischer Friedenstexte das Spektrum einer Friedensethik formuliert:20 drei Textstellen, Kol 1, 20, Mt 5, 9 und Jak 3, 18 nimmt er auf. Er verweist auf das kritische Potential, das die biblische Tra18 E. Naurath, Mit Gefühl gegen Gewalt, XVI: »Die Gabe ›Mitgefühl‹ als religiös-emotionale Mitte christlichen Glaubens, die von der Barmherzigkeit als Mitgefühl Gottes mit dem Menschen ihren Anfang nimmt, setzt ethische Impulse zur Aufgabe des Mit-Fühlens mit dem und der Nächsten frei. Gewaltprävention kann aus religionspädagogischer Sicht nicht radikaler, das heißt ›von der Wurzel her‹ nicht tiefer ansetzen!« 19 A. a. O., 286: »Dass es unabdingbar ist, sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren, um ›mit den Augen anderer sehen zu lernen‹ ist Grundbedingung ethischer Bildung nach evangelischem Verständnis. Nur so befreit der christliche Glaube an den mitfühlenden Gott zum Mitgefühl! Allerdings sind weder Glaube noch religiöses Gefühl machbar. Vielmehr korrespondiert ihre Ereignishaftigkeit der Unverfügbarkeit Gottes …«. 20 M. Hofheinz, Friedensethik.
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Exkurs: Einübung in die Friedfertigkeit
dition bereitstellt, »die die situations- und kontextbezogene Wahrnehmung ethischer Konflikte leiten und Perspektiven gelingenden friedenskirchlichen Lebens aufzeigen können«.21 Damit wird zum einen die Praktik des Bibellesens, die die Lebensform des Glaubens bestimmt, aufgenommen, wie zugleich die Bibel »als Medium der friedensethischen Verständigung und damit als Gegenstand der Ethik immer neu entdeckt«22 wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ethisches Lernen schließlich durch seine leibliche Dimension23 bestimmt ist und auch in dieser umfassenden Dimension wahrgenommen werden kann. Es ist nicht nur ein Lernen, das Inhalte vermittelt, sondern den Reichtum der Möglichkeiten ethischer Arbeit in religiöser Bildung abschreitet. Das Leibliche hat damit zu tun, weil es die umfassende Dimension mitteilt, die diesem Lernen zugehört und die leiblichen Erfahrungen im Lernen nicht ausspart. Lernen ist also nicht nur Verstehen und Reflektieren, sondern es umfasst den je einzelnen Menschen ganz. Etwa im Urteilen lernen sind es auch leibliche Gefühle, die Entscheidungen bedingen und das Urteilen begleiten. Neutestamentlich ist die Leiblichkeit darin zu entdecken, dass Jesus die Kinder ruft und sie nicht abgewehrt werden sollen durch die Jünger. Dass sie teilnehmen an der Verheißung des Reiches Gottes gilt ihnen ganz in ihrem Menschsein. Daran sei in besonderer Weise zum Abschluss dieses Diskursraumes erinnert, weil diese Leiblichkeit christologisch bestimmt ist und für die Würde steht, die den Menschen von Gott her zukommt. »Sie brachten auch kleine Kinder zu ihm, damit er sie anrühren sollte. Als das aber die Jünger sahen, fuhren sie sie an. Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.« (Lukas 18, 15–17)
21 A. a. O., 381. 22 Ebd. 23 Vgl. G. Böhme, Ethik leiblicher Existenz.
9 Diskursraum Seelsorge/Schulseelsorge Seelsorge auch in der Schule und die einfache Gottesrede
These: Im Blick auf die Lernenden geht es religionsdidaktisch darum, auch deren Lebenswelt genau wahrzunehmen; hier sollen sie nicht ohne Trost bleiben, sondern anfänglich erspüren lernen und erahnen lernen, wie die eigene Lebensgeschichte eingebettet ist in Gottes Geschichte mit den Menschen. Darum werden systematische Reflexionen zum Verständnis der Seelsorge aufgenommen und Perspektiven der Schulseelsorge thematisiert, um von dem Trost sprechen zu können, der konkret für den Alltag und jede Lebensgeschichte verheißen ist.
9.1 Vorbemerkung Die im folgenden Abschnitt aufgenommenen Überlegungen entstammen einer Reflexion der seelsorglichen Aufgabe insbesondere an der Schule; neuerdings ist die Schulseelsorge wieder in besonderer Weise durch die Geschehnisse an den Schulen, durch Amokläufe etc., herausgefordert und es bedarf einer aufmerksamen und situationsbezogenen Darlegung der Aufgaben, die der Schulseelsorge heute zukommen. Es sind nach wie vor Leerstellen zu finden in der genauen Profilierung dieser Aufgabe, weil insbesondere situationsbezogen argumentiert wird und dabei nicht immer ganz deutlich bleibt, in welcher Weise religiöser Bildung im Kontext Schule hierbei eine besondere Aufgabe zukommt. Welche Konturen religiöse Bildung in den jetzt-dringlichen Situationen besitzt, ist immer neu auszuloten – wie zugleich auch immer zu fragen ist, worin sie sich begründet. Dem will ich nachgehen im Anschluss an Friedrich Mildenbergers Überlegungen zur »einfachen Gottesrede«, die nach wie vor Aktualität für die Gegenwart und ihre Herausforderungen besitzen und einen Diskurs eröffnen, der der-
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Diskursraum Seelsorge/Schulseelsorge
zeit im aktuellen Seelsorgediskurs nur am Rande aufgenommen worden ist. Das soll freilich die aktuellen und situationsbezogenen Überlegungen nicht schmälern, aber dazu beitragen, die Seelsorge besonders auch im Kontext religiösen Lernens zu profilieren, um auch den Herausforderungen begegnen zu können.
9.2 Zur Selbstverständigung der Seelsorge In der Eulogie, die den zweiten Korintherbrief eröffnet, findet sich ein Abschnitt, der als Grundtext der Seelsorge gelesen werden kann. Hier ist in verdichteter Gestalt Voraussetzung und Eigenart der Seelsorge ausgesprochen: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in all unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden vor Gott.« (2. Kor 1, 3.4). Damit ist die gemeinschaftliche Erfahrung des Trostes ausgesprochen, der Menschen von Gott zukommt: Dass Menschen Gott als den Vater allen Trostes erfahren, ist Grund und Ziel jeder Seelsorge. Seelsorge ereignet sich in der Solidarität derer, die auf den Trost des Evangeliums angewiesen sind. Die paulinische Perspektive kann dazu helfen, den letztlich unfruchtbaren Gegensatz von beratender und verkündigender Seelsorge zu überwinden, insofern bei dem, was Paulus als Tröstung vor Augen stellt, ein Gegensatz gar nicht aufbrechen kann. Weil in der Perspektive dieses zukommenden Trostes Therapeutisches und Verkündigendes beieinander sind, kann von hier aus eine Gestalt von Seelsorge sichtbar werden, die mit dem Trost Gottes rechnet in der Vielfalt seelsorglicher Begegnungen. Mit der Suche nach der theologischen Bestimmtheit der Seelsorge, was sich nicht nur an den Versuchen einer Neubewertung des Werkes von Eduard Thurneysen manifestiert, gilt die Seelsorge und mit ihr die Schulseelsorge als eine aktuelle Herausforderung, die der Profilierung bedarf.1 Dabei sind die Herausforderungen und 1 Vgl. bes. K. Raschzok, Ein theologisches Programm. Raschzok verweist darauf, dass auch Eduard Thurneysen »eine hohe humanwissenschaftliche Kompetenz des Seelsorgers, die jedoch nicht an die Stelle der theologischen Kompetenz treten darf …« (a. a. O., 310) gefordert hat. Vgl. auch W. Gräb, Deutungsarbeit.
Zur Selbstverständigung der Seelsorge159
Einsichten der Humanwissenschaften keineswegs negiert. Vielmehr geht es um eine genuin theologische Wahrnehmung dessen, wofür die Humanwissenschaften sensibilisieren.2 Auch die hier versuchte Wahrnehmung von Seelsorge will sie theologisch in den Blick nehmen, was aber gerade das therapeutische Moment einschließt. Seelsorge geschieht, indem die je besonderen Lebenszusammenhänge wahrgenommen werden und indem sie in diesen Zusammenhängen auf den Gott allen Trostes hofft, der heilsam die Wirklichkeit von Menschen öffnet und verwandelt. Seelsorge ist darum als »Widerfahrnis des Evangeliums«3 zugleich immer therapeutisch, weil der Trost Gottes Menschen auch befähigt zur Konfliktbewältigung, Neuorientierung und Identitätsfindung. Dieser unauflösliche Zusammenhang von Zuspruch und Begleitung, von Kerygma und Lebenshilfe ist für Seelsorge konstitutiv. Ihr Telos ist es, die Wirklichkeit der Menschen von Gott her und auf Gott hin zur Sprache zu bringen. Damit kann sie dazu helfen, für die Erfahrungen des Lebens eine Sprache zu finden, die damit rechnet, ›dass Gott dabei ist und mitgeht‹.4 Wie allerdings kann es in der Seel2 Dazu gehört auch die Einsicht, dass jede Wissenschaft nicht einfach Wirklichkeit abbildet, sondern unabdingbar auf die eigene Pragmatik und die eigenen Grundannahmen bezogen bleibt. 3 S. Bobert-Stützel, Beratung oder Verkündigung. Bobert-Stützel betont ausgehend von ihrer Interpretation der Schmalkaldischen Artikel Luthers das ›mutuum colloquium et consolatio fratrum‹: »Eine Beratung, die in der Not als Trost erfahren wird, ist nach Luthers Seelsorgeverständnis nicht minder ein Widerfahrnis des Evangeliums als die verbale Verkündigung Christi oder eine rituell zugesprochene Absolution.« (A. a. O. 210). 4 Vgl. dazu P. Bukowski, ›Ich werde mit dir sein‹, 435. Bukowski zeigt, wie Seelsorge von der Selbstvorstellung Gottes an Mose in Exodus 3, 11–14 her verstanden werden kann. Gott nimmt den Menschen als den an, der er ist: »Mit dieser Antwort Gottes kann Mose den Weg in die Freiheit wagen, kann er dann wohl auch zu den Seiten seiner Person, die ihm zu schaffen machen, stehen. Das Du Gottes eröffnet ihm Bewegungsfreiheit, und darin mag integriert sein …: eine neue Beziehung zu sich selbst, ein seelisches Wachstum.« (a. a. O., 433). Bukowski sieht darum Psychotherapie nicht in Konkurrenz zu Seelsorge, besteht aber darauf, dass sie genau zu unterscheiden sind. Vor dem Hintergrund von Ex 3 erkennt er in der Verheißung von Gottes Dabeisein die Basis und den Grund aller kirchlichen Seelsorge, während Psychotherapie zum Ziel hat, »daß der Mensch zu der ganzheitlichen Erfahrung kommt: ›Ich bin ich‹, und daß er in solchem gesunden Selbstverhältnis wieder arbeits- und
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Diskursraum Seelsorge/Schulseelsorge
sorge gelingen, im Zusammenhang der jeweiligen Lebensgeschichten die Wirklichkeit Gottes zur Sprache zu bringen? Seelsorge erscheint hier als die gemeinsame Suche nach der Sprache, in der Gott in der Wirklichkeit der Menschen erfahrbar wird. In Aufnahme der Überlegungen Friedrich Mildenbergers5 will ich formulieren: Seelsorge ereignet sich als einfache Gottesrede. Mildenbergers dogmatische Überlegungen scheinen mir gerade für die Selbstverständigung der Praktischen Theologie von besonderer Bedeutung, weil hier die Praxis des Glaubens und seine inhaltliche Bestimmtheit zusammengehalten werden. Von hier aus lassen sich die Äußerungen des Glaubens in ihrer theologischen Relevanz nachzeichnen und umgekehrt in ihrer Praxis an dem beurteilen, was sie als Äußerungen des Glaubens ausmacht. Mildenberger macht selbst für diesen Zusammenhang auch die Predigt namhaft neben all jenen »Lebenszusammenhängen, in denen anstehende Wirklichkeit von Gott her auf Gott hin zur Sprache kommt.«6 Seine Überlegungen sind auch für die Seelsorge fruchtbar zu machen. Seelsorge vollzieht sich zwar nicht in derselben Ausdrücklichkeit, wie das für die Predigt gelten kann; dennoch geht es auch hier um ein Sprechen, das sich der einfachen Gottesrede annähert. Während die Predigt öffentlich, explizit und gleichsam in herausgehobener Situation das Wort Gottes zur Sprache bringt, sucht Seelsorge die Alltäglichkeit und Normalität des Lebens auf.7 Sie versucht, die Spuren aufzunehmen, die das allgemeine Sprechen auf die einfache Gottesrede hin öffnen. Dies geschieht in der Hoffnung, genußfähig, lebens-, liebes- und konfliktfähig wird.« (a. a. O., 432). Insofern schließen sich beide Bemühungen nicht aus, sondern ergänzen einander: »Es gehört zur Schöpfungsordnung, daß der Mensch sich als ein Ich, als ein denkendes, fühlendes, wollendes und tätiges Subjekt erlebt …« (ebd.). 5 Vor allem F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, Band 1–3 passim. 6 F. Mildenberger, Die halbe Wahrheit, 17. Vgl. dazu auch die Eingrenzungen für die einfache Gottesrede, die Mildenberger vollzieht: »Wie Welt durch Sprache erschlossen ist, so ist die Nähe Gottes in der Welt durch die biblischen Texte erschlossen. … Solange das ›Wort‹ nicht gefunden ist, um das zu benennen, worauf wir aufmerksam geworden sind, ist noch nicht sagbar, was hier gesagt werden muß.« F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 219 f. 7 Zu einem Verständnis des ›normalen‹ seelsorglichen Gesprächs vgl. M. Nicol, Gespräch als Seelsorge, sowie E. Hauschildt, Alltagsseelsorge.
Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede 161
zu einem Reden zu finden, in dem sich Gottes Trost mitteilt und das nicht nur in der Situation der Verkündigung, sondern auch in religiösen Bildungsprozessen selbst oder auch im Kontext Schule etc.
9.3 Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede Mildenberger führt den Ausdruck ›einfache Gottesrede‹ ein, um die Theologie von der Aufgabe zu entlasten, »ihr Reden von Gott selbst bewahrheiten zu müssen«8, und um zur Geltung zu bringen, dass Theologie sich auf ein Geschehen einzulassen hat, »über das sie nicht verfügt. Die Wahrheit, der sie verpflichtet ist, ist ihr äußerlich, verwirklicht sich in anderen Lebenszusammenhängen als denen der theologischen Reflexion.«9 Damit wird einerseits die traditionelle Zusammengehörigkeit von Glaube und Kirche zur Geltung gebracht, andererseits aber auch korrigiert, insofern Mildenberger die theologische Engführung auf die Institution des Amtes hin zurückweist. »Um nicht in eine solche Engführung zu verfallen, spreche ich von einer Mehrzahl von Orten der einfachen Gottesrede.«10 Damit ist nicht nur die (amts-)kirchliche Handlung, sondern die Kommunikation von Gläubigen als Ort der einfachen Gottesrede im Blick. Mildenberger nennt Gestalten der einfachen Gottesrede: »Bekennen, Bezeugen, Bitten, Danken, Trösten, Ermahnen, Zurechtweisen, Belehren; Loben, die Doxologie und Erzählen haben dabei dann noch einmal ihren besonderen Rang. In allen diesen Gestalten der einfachen Gottesrede sind die Redenden als Betroffene mitbeteiligt.«11
8 9 10 11
F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 15. A. a. O. A. a. O., 18. A. a. O., 20.
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Diskursraum Seelsorge/Schulseelsorge
Von hier aus lassen sich vier Kennzeichen der einfachen Gottesrede benennen: a) Einfache Gottesrede ist nicht übersetzungsbedürftig. b) Einfache Gottesrede ist nicht zerteilbar. c) Einfache Gottesrede ist gemeinschaftliche Rede. d) Einfache Gottesrede ist biblisch geprägte Rede. a) Die einfache Gottesrede ist eben einfach und das heißt zunächst: Sie ist nicht übersetzungsbedürftig.
›Einfache Gottesrede‹ kann gar nicht adäquat übersetzt werden; was in ihr zur Sprache kommt, kann nur so gesagt werden. Insofern muss nicht ein Sinn hinter dem, was gesprochen wird, gesucht werden. Wäre der Sinn hinter den Worten verborgen, dann wäre der Seelsorger seinem Gegenüber immer als der Interpret des Gesprochenen und Gemeinten überlegen. Zwar ist die Seelsorgesituation so angelegt, dass beide Beteiligten aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen kommen, aber es ist nie einer allein Garant für das Gelingen des Gesprächs und also auch nicht für die einfache Gottesrede, die sich in dem Gespräch ereignen kann. Vielmehr ist die einfache Gottesrede beiden sozusagen immer schon voraus und damit auch immer schon auf beide, den Seelsorger und sein Gegenüber, bezogen. Beide üben darum in der Seelsorge ein Sprechen ein, das von der Artikulation beider abhängt, aber darin nicht aufgeht. Es geht in diesem Sprechen um einen Zugewinn an Sprache, der das Sprechen zum einfachen Reden von Gott werden lässt. Fulbert Steffensky hat in anderem Zusammenhang formuliert, dass wir eine Sprache brauchen »über das in Worten schon Eingedeichte hinaus«12. Einfache Gottesrede begibt sich auf die Suche nach Worten, die nach mehr ausgreifen und mehr erwarten lassen, als was schon erreichbar ist. Die einfache Gottesrede rechnet also damit, dass ein Sprechen gelingt, in dem sich die Unmittelbarkeit von Gottes Nähe und Trost ausspricht. Solches Reden ist darum nicht mit sich allein, sondern braucht als Gegenüber auch gerade das Schwierige und Fremde. Steffensky macht zu Recht aufmerksam auf die Symbolisierungen, die Sprachhilfen darstellen, um das ausdrücken 12 F. Steffensky, Feier des Lebens, 80.
Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede 163
zu können, was für Menschen jeweils ansteht.13 Es bedarf solcher Sprachformen, weil sie Sprachträger sind für das, was anders nicht zur Sprache kommen kann. Symbolisierungen sind aber nicht bloßer Ausdruck von Gedanken, die auch anders gesagt werden könnten, sondern ganz eigentliche Rede, die nicht durch anderes ersetzt werden kann.14 Steffensky misst den Symbolisierungen eine hohe Relevanz zur Mitteilung des jeweils Anstehenden zu: »Sich in dem Sinn des eigenen Lebens zu symbolisieren, sich in Bildern zu entwerfen, das ist nicht einfach eine Verdoppelung der Sprache, so als käme – etwa der Anschaulichkeit wegen – nun zur Sprache auch noch das Bild oder die Geste, als unterstreiche die Geste nur noch das Gesagte.«15 Steffensky betont die Notwendigkeit der Spracherweiterung durch Zeichen, Bilder und Gesten, die Menschen helfen, auszugreifen und mehr zur Sprache zu bringen, als in eingefahrenen Sprachformen aussagbar ist.16 In den Symbolisierungen ist die Suche nach einer Sprache greifbar, die über das Analogisierende, Typisierende und
13 Mildenberger gebraucht den Begriff des ›Anstehenden‹ zur Bezeichnung dessen, was jetzt an der Zeit ist und mich jeweils so betrifft, dass es verstanden und bearbeitet werden muss; vgl. F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 18–21. 14 Symbolisierungen sind auch darum unabdingbar, weil sie das zur Sprache bringen können, was alles Begreifen übersteigen muss wie die unsäglichen Grauen des Holocaust. Ein Architekt des Mahnmals Yad Vashem hat eine solche Symbolisierung räumlich gestaltet. In einem Raum ist eine Lichtquelle durch besonders angeordnete Glasflächen so oft gebrochen, dass den Besucher in diesem Raum Tausende von Lichtern erreichen. Jedes dieser Lichter steht für ein jüdisches Kind, das den Holocaust nicht überlebt hat. Lichter am Himmel sind hier eine Weise der Trauernden, Verortungen vorzunehmen, und also ihren Schmerz dem Himmel und seinen Lichtern anzuvertrauen. 15 F. Steffensky, Feier des Lebens, 80. 16 A. a. O., 81: »Gerade in der Sprache der Liebenden sehen wir, wie die Sprache selber ins Bild und in die Geste drängt, weil sie mit sich selber nicht auskommt.«
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Klischeehafte hinausgeht.17 Die einfache Gottesrede bedarf des Einübens eines Redens, bei dem die Sprache eine ›kreative, inspirierende und verändernde‹18 Gestalt empfängt. Mildenberger hat das an den Psalmen gezeigt; dabei erweisen sich die Psalmen als eine Anleitung zum Sprechen, von der seelsorgliches Sprechen lernen kann. Der hier gebrauchte Symbolbegriff ist ausdrücklich zu unterscheiden von einer Kategorie subjektiver Deutung für Erfahrungen, die auch anders zur Sprache gebracht werden könnten. In der Reduktion auf die Deuteleistungen des Subjekts wäre Gottes Handeln und seine Zukunft abgeblendet und nur noch solcher Trost möglich, der menschenmöglich ist. In der einfachen Gottesrede ist dagegen festgehalten, dass das Noch-Ausstehende der Hoffnung, das Fragmentarische und Unvollständige die Gegenwart menschlichen Lebens bestimmt, dabei aber Hoffnung angesichts von Hoffnungslosigkeit festhält. Das aber setzt voraus, dass das, was Menschen als unverfügbares Handeln Gottes zukommt, nicht reduziert wird auf Zusammenhänge, derer sich Menschen bemächtigen können. Hier wird erkennbar, dass die einfache Gottesrede eine Herausforderung an das Sprechen bleibt, weil es eben immer nur so gesagt werden kann, wie es gesagt ist. Symbolisierungen sind darum nicht zu übersetzen in bekannte Zusammenhänge, sondern daraufhin zu prüfen, wie in ihnen die Wirklichkeit Gottes zur Erscheinung kommen kann. Solche Symbolisierungen sind unverzichtbar für die Entdeckung der Sprachformen des Glaubens; insofern sind sie nicht nur eine Sprachform, die den Akt einer »menschliche(n) Tendenz zur Transzendenz« ausdrückt.19 Als ein Übergang zur Sprachform des Glaubens deuten sie nicht nur hin auf ein Jenseitiges, Transzendentes, sondern nähern 17 Vgl. dazu auch den Hinweis von Bobert-Stützel auf Bonhoeffers diakonische Seelsorge, die auch die Dimension der symbolischen Realisierung von Konflikten in praktischen Übungen unterstreicht. »Die jeweils empfohlene Handlung hat nur mittelbar mit dem Konflikt zu tun.« (Bobert-Stützel: Beratung oder Verkündigung?, 206). An ihnen »soll ein Gefühl und Bewußtsein für die eigene Freiheit und eigene Fähigkeit zur Konfliktlösung« (a. a. O., 206) erprobt werden. Symbolisierungen greifen bei Bonhoeffer über eine Verbalisierung von Konflikten hinaus. 18 In Aufnahme einer Formulierung von P. Biehl, Religiöse Sprache, 103. 19 D. Stollberg, Liturgische Praxis, 17.
Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede 165
sich der Sprache des Glaubens an, die von Gottes Handeln und Wirken in seiner Geschichte mit den Menschen spricht.20 b) Die Wahrnehmung der einfachen Gottesrede kann sich als fruchtbar für die Selbstklärung der Seelsorge erweisen; das hat seinen Grund darin, dass die einfache Gottesrede nicht zerteilbar ist.
Sie verweist in jedem einzelnen Gesprächsgang auf den Strom der Glaubensrede insgesamt. Jedes Sprechen ist immer unvollständig und bruchstückhaft, so dass sich der Versuch verbietet, eine Vollständigkeit zu erreichen. Diese Perspektive würde jedes Gespräch überfordern. Das einfache Sprechen aber braucht nicht alles zur Sprache zu bringen, sondern kann sich entlasten, weil nicht alles gesagt werden muss. Das liegt darin begründet, dass jedes einfache Reden von Gott in seiner Einfachheit und Unvollständigkeit im Ganzen der Geschichte des Glaubens steht und an dieser ganzen Geschichte partizipiert. Im seelsorglichen Gespräch am Krankenbett, in einer Begegnung auf der Straße oder in einem vereinbarten Seelsorgegespräch ist immer in der einfachen Perspektive der jeweiligen Lebensgeschichte die ganze Geschichte Gottes gegenwärtig. Die ganze Geschichte Gottes steht darum in der jeweiligen Situation einer Lebensgeschichte für Hoffnung und für Kontinuität inmitten lebensgeschichtlicher Brüche und Erfahrungen. Ebenso entlastet sie von der Konstruktion der eigenen Geschichte und provoziert die Akzeptanz der eigenen Lebensgeschichte als einer fragmentarischen. c) D ie einfache Gottesrede ist nicht monologische Rede, sondern gemeinschaftliche Rede, also diskursive Rede.
Nicht nur ein je Einzelner sucht nach einer Sprache, die das Anstehende angemessen zur Sprache bringt. Diskursiv heißt eben, 20 Manfred Josuttis spricht darum davon, dass nicht nur Gedanken ausgetauscht werden, nicht nur Gefühle in Fluss geraten, sondern dass jetzt eine transempirische Macht wirksam wird; M. Josuttis, Die Einführung in das Leben, 133.
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dass nicht einer allein das argumentativ orientierte Gespräch ausrichtet, sondern es braucht die unverzichtbare Beteiligung mehrerer Sprecher, die in verschiedener Weise das Gespräch tragen, wie auch alle für das Gelingen gemeinsamen Sprechens verantwortlich sind. Einfache Gottesrede geschieht als gemeinschaftliche Rede, in der das Anstehende im gemeinsamen Fragen, Suchen und Wahrnehmen thematisiert wird. Folglich hat dieses diskursive Reden und Sprechen nicht nur eine reflexive Gestalt, sondern es ist ein Erproben der »Wirklichkeit von Gott her und auf Gott hin.«21 Insofern impliziert Diskursivität ein Hin- und Hergehen in den Perspektiven, die sich ergeben und die auf Klärung und Erneuerung sich öffnen. Dabei ist die Komplexität des gemeinsamen Gesprächs zu beachten, die nicht nur in der Verbalisierung und in den intellektuellen Gehalten des gemeinsamen Sprechens besteht; Diskursivität bedeutet also keine intellektuelle Engführung. In vielfältigen Formen, Zuneigung und Sympathie, aber auch in der Aggression, der Ablehnung und der bewusst gesuchten Distanz geschieht diese Form der diskursiven Begegnung und des einfachen Sprechens. Damit hat die diskursive Gestalt der einfachen Gottesrede auch damit zu rechnen, dass es ebenso zu konfligierenden Gesprächen kommt wie auch Übereinstimmungen möglich werden, Streit provoziert ist oder sich Klärungen auftun. Die Aufmerksamkeit auf diese diskursive Gestalt der einfachen Gottesrede hat weitreichende Bedeutung für das Selbstverständnis nicht nur der Seelsorge, sondern auch der Predigt und für das Verständnis von Gemeinde überhaupt. Mit dieser diskursiven Beschreibung wird das Grundmoment gemeinsamen Glaubens, das Priestertum aller Gläubigen, unterstrichen.22 In solcher diskursiven Gestalt wird einfaches Reden von Gott zu einem gemeinsamen Sprechen, das Gottes Handeln in der Zeit erhofft und nicht mit sich selbst allein bleibt.
21 F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 17. 22 Christian Möller zieht daraus die terminologische Konsequenz, dass er ausdrücklich nicht mehr von der ›seelsorgerlichen‹, sondern von der ›seelsorglichen‹ Dimension von Seelsorge, Predigt und Gemeinde sprechen will; vgl. Ch. Möller, Seelsorglich predigen, 73.
Seelsorgliche Dimensionen der einfachen Gottesrede 167
d) Einfache Gottesrede ist auf die Bibel bezogene Rede.
Die Heilige Schrift ist konstitutiv für die einfache Gottesrede. An diesem Proprium der einfachen Gottesrede muss sich das Sprechen üben, das in den allgemeinen Lebenszusammenhängen geschieht und doch über den jeweiligen Lebenszusammenhang im Wort hinausgreift. Es ist nicht ein scheinbar unabhängiges Sprechen, sondern ein Sprechen aus der im Wort der Bibel zugesagten Hoffnung. Solche Hoffnung trägt im unabänderlich Scheinenden und Belastenden, und bezeugt immer wieder neu, dass das, was gerade sich ereignet und geschieht, nicht alles sein kann. Es ist das Wort, das Heil will als Verheißung von Zukunft.23 Unter diesem Vorzeichen will darum die einfache Gottesrede zu einem Leben anleiten, das sich dem erneuernden und befreienden Handeln Gottes verdankt. Die einfache Gottesrede verlässt sich darauf, dass Gottes Wort als heilendes Wort die eigene Wirklichkeit zu erschließen und zu verwandeln vermag. Im einfachen Sprechen von Gott geht es nicht um das einsame Sprechen eines Menschen, sondern um ein Einstimmen in die Sprache der Bibel. Dazu ist es nötig, gleichsam in die Sprachformen hineinzugehen, die das biblische Sprechen anbietet. Hier ist, nach dem treffenden Vergleich von George A. Lindbeck, die Muttersprache24 des Glaubens zu erlernen. Sie bildet das sprachliche Grundgerüst, »das die Gesamtheit von Leben und Denken formt«25 mit dem Ziel, dass die Geschichte Israels und Jesu so eingeübt wird, dass »ich mich und meine Welt nach ihren Begriffen interpretieren kann.«26 Die einfache Gottesrede ist ein Reden von dem Wort der Schrift her auf das Wort der Schrift hin, das im Sprechen und Reden in den allgemeinen Kommunikationsverhältnissen des Lebens eingeübt wird, um ihre Tragfähigkeit im ganzen Leben zu entfalten.27 23 Dietrich Ritschl formuliert die therapeutische Dimension der Botschaft von der Rechtfertigung kurz und prägnant: »daß die Elemente der Vergangenheit nicht die Gestaltung der Zukunft verderben.« (D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, 303, im Original kursiv). 24 G. A. Lindbeck, Christliche Lehre als Grammatik, 196. 25 A. a. O., 56 u. ö. 26 A. a. O., 58. 27 Vgl. insbes. P. Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen.
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Ausgehend von den Überlegungen zur einfachen Gottesrede gehört zur Seelsorge demnach unabdingbar das Element der Verkündigung. Sie nimmt den Seelsorger und sein Gegenüber hinein in ein Geschehen, in dem im einfachen Sprechen in der Zeit das Anstehende vor Gott zur Sprache kommen kann: die eigene Sehnsucht, die eigene Not, die eigene Hoffnung oder das eigene Leiden. Indem dies von Gott her auf Gott hin geschieht, wird ein Sprechen geübt, dem es verheißen ist, heilsam die Wirklichkeit nicht nur als Aufgabe handelnder Veränderung zu präsentieren, sondern als eine verwandelte neu zu erfahren und gemeinsam zur Sprache zu bringen.28 Darin aber verweigert sich Seelsorge jeglicher Vertröstung, weil diese Erfahrung der verwandelten Welt erst wahrhaft zu einem veränderten Leben befreit. Seelsorge ist aber auch nicht identisch mit Verkündigung. Vielmehr hat sie Anteil an dem, was umfassend als Verkündigung zu bezeichnen ist und das auch gerade als beratende Seelsorge: Christliches Leben ist Leben im Angesicht Gottes, das sich von Gottes Wort her auf Gottes Wort hin versteht und darin den Trost empfängt, der im Wort zugesagt ist.
28 M. Josuttis, Die Einführung in das Leben, 126: »Menschen werden durch Seelsorge instand gesetzt, mit sich selbst und mit anderen zu kommunizieren, dadurch daß sie einen lebendigen Kontakt zur Lebenskraft Gottes gewinnen. Der Friede Gottes erfüllt dann die Menschen.«
10 Exkurs: Die Rede vom Himmel als Beispiel einfacher Gottesrede in der Seelsorge Als Beispiel für solchermaßen einfache Gottesrede, wie sie für die Seelsorge von grundlegender Bedeutung ist, kann die Rede vom Himmel stehen; Gottes Handeln am Menschen erscheint hier typischerweise in einer Gestalt, die wenig bestimmt und ausdrücklich ist, aber gerade darin offen für die einfache Gottesrede. Die Rede vom Himmel scheint schwierig geworden, obwohl sie doch offensichtlich nicht nur eine unverzichtbare biblische Redeweise ist.1 In der Scheu, vom Himmel zu reden, manifestiert sich eine Angst vor jeder Transzendenz, vor Erfahrungen, die die Machbarkeit negieren und die nicht mehr in unser selbstverständliches Weltbild passen.2 Andererseits sind die zahlreichen Trivialisierungen der Himmelssymbolik bis hin zur Werbung ein Beleg dafür, dass diese Erfahrungen keineswegs obsolet sind, sondern lediglich verdrängt wurden.3 Das wird besonders dann erkennbar, wenn Sprachlosigkeit aufbricht und als Verlust empfunden wird, wenn Menschen keine Sprache mehr haben für das Unkalkulierbare und Nichtver1 Die Stabilität der Vorstellung vom ›Himmel‹ zeigt im Anschluss an Mircea Eliade R. Luzius Fetz, Himmelssymbolik. Auch für das erwachsene religiöse Bewusstsein bleibt der Himmel als »symbolische Figuration« bestehen und lässt sich, so Fetz, vom »naturwissenschaftlichen Weltbild« nicht mehr irritieren (a. a. O., 214). 2 Diese Schwierigkeiten sind nicht erst neuzeitlich. Elie Wiesel berichtet von einem Besuch des Rabbi Hanina bei seinem kranken Freund Rabbi Josse ben Kisma. Sie beraten über die römische Besatzung im Lande, wobei sie in einen tiefen Streit geraten. Hanina vertraut darauf, dass der Himmel in dieser Situation helfen wird, während Rabbi Josse darüber sich ereifert: »Ich spreche mit dir über ganz konkrete, über praktische und brennende Fragen, und du bringst den Himmel ins Spiel! Ich frage mich, ob sie eines Tages nicht dich und deine heiligen Rollen auf den Scheiterhaufen bringen …« (E. Wiesel, Weisheit des Talmud, 201). War aber nicht die Konsequenz des ›Realismus‹ von Rabbi Josse die Anpassung an das Unrecht, und das Vertrauen auf den Himmel die Grundlage des Widerstands? 3 Vgl. auch I. Baldermann, Der Himmel ist offen.
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Exkurs: Die Rede vom Himmel
rechenbare, keinen Raum mehr haben, um in ihrem Leben auf Neues, Hoffnungsvolles und Unerwartetes setzen zu können. Das Reden von Transzendenz wird aber vollends unausweichlich angesichts der Erfahrung von Trauer und Tod. Hier hat die Rede vom Himmel ihren besonderen Ort, weil sie zu einem Reden von einer Wirklichkeit anleitet, die über den Tod hinausgeht.4 Von dieser Wirklichkeit können Christen sprechen und reden, weil in der Geschichte Jesu Christi die Möglichkeit zu solchem Sprechen eröffnet ist. Wer sich und seine Welt getragen weiß von dieser Geschichte, kann sich dem Trost öffnen, den der Gott allen Trostes bereithält. »Wie helfen wir den vielen, denen diese Grundlage des Trostes fehlt?«5 Für mich war sehr beeindruckend, wie eine Frau, die ihr Kind verloren hatte und darüber sprachlos geworden war, anfangen konnte, ihr Leid und ihre Wut zu artikulieren, als mit einem Male beiläufig vom Himmel die Rede war. Sie griff diesen Ausdruck auf und hatte damit eine Sprachform gefunden, die ihr half, ihr Durcheinander und ihren Schmerz zu ordnen. Das Reden vom Himmel half ihr. Dabei ergaben sich, angeleitet durch die Rede vom ›Himmel‹, charakteristische Gesprächsgänge. Zunächst findet ihr Sprechen im ›Himmel‹ den Ort, um überhaupt aussprechen zu können, wo ihr Kind nun ist. Im Versuch, Erfahrungen mit der Rede vom Himmel zur Sprache zu bringen und zu ordnen, geschieht aber auch der Übergang zu reflexiven Gesprächsgängen, die sich anfangs um die Theodizee-Frage zentrieren. Doch wird diese Frage signifikanterweise nicht unmittelbar auf ihre eigene Erfahrung bezogen, sondern verallgemeinert (und damit entpersonalisiert) auf das Leiden von Kindern in Krisengebieten der Welt. Solange das Gespräch sich bei der eher abstrakt gestellten Frage ›Warum Gott das zulasse‹ aufhält, 4 Vgl. dazu auch M. Welker, Auferstehung. Welker reflektiert in seiner Beschreibung der Auferstehung gerade auch auf die Rede vom Himmel: »Der Himmel übergreift alle unsere Erfahrungswelten, unsere mehr oder weniger weiten Vorstellungen von Welt und unsere Konzepte von Wirklichkeit. Er hält vergangene und zukünftige Zeiten und Kulturen fest. Er ist der Bereich der Wirklichkeit, der für uns relativ unzugänglich ist, den wir kaum manipulieren können, der aber doch das Leben auf dieser Erde ganz entscheidend bestimmt.«(a. a. O., 43). 5 E. Winkler, Auferstehungshoffnung als Trost, 28.
Die Aufgabe des Seelsorgers171
kommt es ins Stocken. Die allgemeine Frage distanziert von den eigenen Erfahrungen. Als aber wieder vom Himmel die Rede ist, öffnet sich das Gespräch erneut und ermöglicht die Artikulation der eigenen Gefühle. Es verlässt die Enge der unbeantwortbaren Theodizee-Frage.6 Indem die Frau vom Himmel zu reden beginnt, wird das Gespräch weit: Sie kann nun viele Erfahrungen artikulieren, die in der allgemeinen Frage nach dem Leiden der Welt keinen Raum finden konnten. Im Reden vom Himmel bringt sich Anderes, Eigenes und Schmerzliches zur Sprache. In solchem Redenkönnen von dem Leid entdeckt sie aber auch zögernd den Himmel als Trost. Mit dem Himmel gelingt eine Konzentration der eigenen Geschichte. Die Rede vom Himmel hilft Ungesagtes zu artikulieren, lässt alle Verbitterung zu, und lässt es sogar zu, wieder aus dem Heute zu erzählen. In diesen Gesprächseindrücken wird deutlich, dass es nicht die abstrakte Frage nach dem Warum des Leidens in der Welt ist, die zur Artikulation des Leidens verhalf, sondern der Mut, offen, tastend und ungeschützt vom Himmel zu sprechen, der hier im Sprechen als Ort des Trostes entdeckt wurde. Hier vermochte die Trauer eine angemessene Sprache zu finden. In solcher Artikulation, wie sie für die Frau unumgänglich war, wurzelt die Erfahrung des Trostes, den christlicher Glaube bezeugt: Er hat seinen Anfang und Ort im einfachen Sprechen. Und so kommt die Frau zu einem Satz, der so einfach ist und doch elementar Gottes Trost auszuschreiten beginnt: »Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Den Himmel, den gibt es wirklich, sonst wüsste ich nicht weiter.« Hier wird deutlich, dass solches Reden vom Himmel ein offenes Reden ist, ohne abgeschlossene Schemata, aber gerade darum auch ein Reden, das tendenziell bereit ist zu Neuem und also zu Tröstendem hin sich öffnet.
10.1 Die Aufgabe des Seelsorgers In solchem Reden kommt nun aber auch die Aufgabe des Seelsorgers in besonderer Weise in den Blick. Denn diese Überzeugung der Frau drückt ja nicht nur eine subjektive Gewissheit aus. Dass hier die Frau in ihrem Reden mit dem Bekenntnis der Christen verbunden ist, muss 6 Vgl. dazu W. Schoberth, Gottes Allmacht.
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der Seelsorger aufgreifen und verstärken. Himmel ist hier mehr als nur ein privatisiertes Symbol. Was die Frau zur Sprache bringt, berührt die ganze Komplexität biblischen Redens und biblischen Trostes. In dieser Perspektive ist Himmel mehr und anderes als ein unbestimmtes Symbol. Er hat seine Logik auch nicht allein in den eigenen Erfahrungen, sondern erschließt erst diese Erfahrungen. Die Rede der Frau berührt vielmehr das Evangelium, das den Himmel als den »Ort des Lebens« nennt, als den »Ort, an dem vollkommeneres, unzerstörbares Leben« ist.7 Diesem Himmel vermag sie ihr Kind anzuvertrauen. Einzelne andere Detailgeschichten aus dem Leben dieser Frau stehen in ihrem Erzählen und Erinnern noch unvermittelt nebeneinander, aber in ihrem Sprechen vom Himmel als dem Ort des Trostes hat sie einen Anfang gefunden. Langsam findet sie eine Sprache und langsam kann sie ihre Lebensgeschichte weitererzählen und formulieren. Seelsorge wird sie hier ermutigen können, gerade auch über das immer wieder erscheinende Nicht-Verstehbare hinaus. Darum dürfen die leidvollen Erfahrungen dieser Frau nicht relativiert werden, und doch kann Seelsorge dann auch vom neuen Himmel und der neuen Erde zu sprechen beginnen, – tastend und auch abwartend – damit die Hoffnung einzieht und am Horizont Anfänge zu einem guten und getrösteten Leben aufscheinen.
10.2 Nicht ohne Orientierung am biblischen Reden Damit die Rede vom Himmel tröstend erfahren werden kann, darf sie nicht abgleiten in die Beliebigkeit, sondern bedarf der Orientierung am biblischen Reden. Darum ist nach den Kriterien zu fragen, die solches Reden vom Himmel als einfache Gottesrede ermöglicht. Eberhard Jüngel hat mit biblischem Bezug davor gewarnt, den Himmel zu verwechseln mit »jener höchsten Höhe, von der aus man alles – und dazu dann auch noch sich selbst – überblicken und beherrschen zu können meint.«8 Aber Gottes Himmel bleibt entzogen und ist gerade darin heilsame Umgrenzung. Die Kommunikationsprozesse in der Seelsorge leben aus diesem Zusammenspiel von 7 M. Welker, Art. Himmel, 520. 8 E. Jüngel, Von Zeit zu Zeit, 78.
Nicht ohne Orientierung am biblischen Reden173
Himmel und Erde, von Höhe und Tiefe, von Lebensraum und seiner heilsamen Umgrenzung: »Gottes offener Himmel über uns«.9 Als der Himmel Gottes ist er den Menschen entzogen, doch er kommt den Menschen nahe. Dieser Himmel ist nicht unbestimmt, sondern offener Himmel. Viele Weihnachtslieder stehen dafür, die das Reden vom Himmel als eine die Wirklichkeit gestaltende Rede aufgreifen, wie etwa das Lied ›Lobt Gott, ihr Christen alle gleich‹, wo es heißt: »der heut schleußt auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn.«10 Die Rede vom Himmel ist damit in der Perspektive der Christusgeschichte zu formulieren, durch die der Himmel als der Ort der Hoffnung und der Erfahrung des Widerspruchs gegen die Sünde11 und den Tod erkennbar wird. Es braucht ein Reden, das die Wirklichkeit des Himmels nicht ausschließt, sondern in und durch die Christusgeschichte vielmehr den Himmel als offenen Himmel erschließt. Die einfache Gottesrede, wie sie sich im Seelsorgegespräch ereignen kann, wird an Bestimmtheit immer hinter dem biblischen Sprechen zurückbleiben und muss sich ihm doch immer wieder neu anzunähern versuchen. In der Annäherung an das biblische Sprechen geschieht eine notwendige Entprivatisierung der eigenen religiösen Erfahrung.12 Darum braucht der Vorgang des einfachen Sprechens in der Seelsorge besondere Aufmerksamkeit und das kritische theologische Gespür. Hier muss sich im gemeinsamen Sprechen bewähren, was christlichen Glauben ausmacht. Darum könnte man sagen: Glaube ist eine am eigenen Leiden erlernte Sprache, eine an der Erfahrung von Tod oder aber an der Sehnsucht nach Gerechtig 9 A. a. O. 73. 10 EG 27, 1. 11 Es ist eine dringliche Aufgabe der Seelsorgelehre, ein genuines Verständnis von Sünde zu entwickeln und weder bei der scheinbar evidenten Rede von Schuld und Scheitern stehenzubleiben noch Sünde moralisch zu verzeichnen. Auch poimenisch ausgerichtete Überlegungen finden sich bei Ch. Gestrich, Wiederkehr des Glanzes. Indem Scheitern und Schuld als Sünde ansprechbar werden, können sie sich auch allererst öffnen für Vergebung und Befreiung. Vgl. auch die Beiträge in dem Sammelband: S. Brandt/M. H. Suchocki/ M. Welker (Hg.), Sünde. 12 D. Ritschl, Gotteserkenntnis durch Wiedererkennen, 147.
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keit erlernte Sprache. Ihre Bestimmtheit gewinnt sie, indem sie nicht bei sich selber bleibt, sondern sich öffnet für den Trost Gottes.
10.3 Konsequenzen für die Seelsorge, auch an der Schule Abschließend kann der Ertrag formuliert werden, der in der Betonung der einfachen Gottesrede für die Seelsorge angelegt ist. In dieser Perspektive ist Seelsorge in allen möglichen Differenzierungen ihrer Vollzugsformen ein Kennzeichen für das helfende, dienende und sorgende Miteinander in der Gemeinde, aber auch in vielfältig anderen Kontexten – wie etwa in religiösen Bildungsprozessen in der Schule, der Konfirmandenarbeit, im Kindergottesdienst oder anderen lernenden Situationen.13 Sie kann darum nicht allein auf die Intervention in Krisensituationen beschränkt werden, sondern ist durch ihr Sprechen eine Hilfe zur Erfahrung des Trostes14, der der Gemeinde, aber auch der religiösen Bildung aufgetragen ist. Zugleich ist Seelsorge etwas, das der Einzelne in der Gemeinde je für sich selber braucht nach Luthers Wort: »… hast du Gebrechen, so gehe hin zum Pfarrherr oder zu deinem Nächsten.«15 Luther kann in so einfacher Weise Seelsorge empfehlen, weil sie von ihm als grundlegend für christliches Leben erkannt ist. Es ist nicht allein die Sorge um den Nächsten, sondern die Erfahrung, dass der Einzelne sich als auf Trost angewiesen erfährt; der Seelsorger und sein Gegenüber stehen hier gemeinsam vor Gott. Es ist die Bedürftigkeit eines Trostes, der nicht einem Ideal gelingenden Lebens nachjagt. Es geht vielmehr um solchen Trost, der – in der Kritik an einem Verständ13 Vgl. dazu O. Merk, Miteinander, 129. 14 Vgl. dazu O. Hofius, Der Gott allen. 15 Martin Luther: Predigt zu Mt 18 WA47, 299. Martin Luther reflektiert darum Seelsorge als eine Weise des Priestertums aller Gläubigen: »Und solle mir auch dar zu dienen, das, wen ich betrubt und traurig bin oder in trubsal und gebrechlichkeit stecke, das mir etwas mangelt, welche Stunde und Zeit es sein mag, und man nicht offentlich in der kirchen allezeit mag predigt finden, und mein Bruder oder Nehester zu mir kompt, so sol ichs dem, der mir der neheste ist, klagen und ihnen umb Trost bitten, was ehr mir als dan fur Trost gibt und zusaget, das soll bei Gott im Himel auch Ja sein.« (Martin Luther: Predigt zu Mt 18, WA 47, 298.)
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nis von Leben, das auf Perfektion aus ist und zur Selbstkonstitution drängt16 – Leben in der Erfahrung von Unvollkommenheit und Nichtidentität17 aushält. Darum ermöglicht es die einfache Gottesrede, nach der Formulierung von Peter Bukowski, »zu realistischen, in den heilsamen Grenzen menschlicher Lebens bedingungen verbleibenden Visionen zu gelangen; also gerade nicht den populären Illusionen leidfreien, ständig glücklichen, immer fitten und erfolgreichen Lebens … auf den Leim zu gehen.«18 Solche Hilfe und solcher Trost werden konkret an vielfältigen Orten der Seelsorge, und das kann im Gottesdienst, in der Seelsorge zuhause oder aber auch in der Schule geschehen. Wesentlich bleibt dabei die Begegnung und die Richtung von der her und auf die hin sich das Gespräch versteht. Die ›einfache Gottesrede‹ macht darauf aufmerksam, dass in der Begegnung von Menschen in der Seelsorge der Ort gegeben ist, an dem Anstehendes in der Zeit von Gott her auf Gott hin thematisch wird. Es ist der Ort, an dem Anstehendes im Leben eines Menschen im Ermahnen und Trösten, im Hören oder Schweigen, im Bestreiten oder Einwilligen einen Raum findet. Eine Vielfalt gemeinsamer Erfahrung ist in solchem Sprechen eröffnet, das an vielfältigen Orten realisiert werden kann. 16 Vgl. hierzu weiterführend D. Ritschl, Menschenrechte und medizinische Ethik. 17 H. Luther, Identität und Fragment, 173: »Erst wenn wir uns als Fragmente verstehen, erkennen wir unser Angewiesensein auf Vollendung, auf Ergänzung an. Erst und nur wenn wir aus diesem Verwiesensein unserer fragmentarischen Existenz leben, sind wir gerechtfertigt, nicht aber, wenn wir bereits versuchen, ganz zu sein.« 18 P. Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen, 21. Vgl. dazu auch U. Eibach, Heilung für den ganzen Menschen? Eibach geht hier dem Gedanken nach, »ob und inwieweit diese Ansprüche auf ganzheitliches Denken und Handeln vor den Aussagen des christlichen Glaubens zu Recht bestehen und ob sie von Menschen im praktischen Lebensvollzug, in der Seelsorge und im diakonischen Handeln überhaupt eingeholt werden können.« (a. a. O., 16). Er versucht diesen totalen Anspruch ›ganzheitlichen Lebens‹ zu relativieren, weil der Mensch »die Endlichkeit seines Lebens, Denkens, Handelns« nicht übergehen kann (a. a. O., 16 f.) und darum der heilsamen Grenzen bedarf.
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Religiöse Bildungsprozesse eignen sich dabei, dem immer genauer nachzugehen, auch wenn das Unterrichts-Setting der Unmittelbarkeit eines seelsorglichen Gesprächs, wie es klassisch verstanden wird, sicher nicht gleichzusetzen ist. Was es aber eröffnen kann, ist die Annäherung an ein tröstendes Reden von Gott, das im Unterricht Konturen gewinnt und eine Fortsetzung ermöglicht, die aber einen anderen Kontext braucht, etwa dann im Pausenhof, oder nach der Stunde oder durch die Vereinbarung zu einem gemeinsamen Gespräch. Aber auch der anfänglichen Situation, dass etwas von dem Reden von Gott schon im Unterricht aufgeht und religiöse Bildung es auch als ihre Aufgabe erkennt,19 diesem Redenlernen Raum zu geben durch vielfältige unterrichtliche Möglichkeiten, muss entsprochen werden. Unterricht ist darum ein Ort der Kommunikation, in die die Seelsorge hineingeht und sich schließlich der Alltäglichkeit der Erfahrungen stellt. Das hat immer wieder unterrichtlich seinen Platz, wird manchmal auch von den Schülern unmittelbar eingefordert – etwa wenn politisch bedrängende Nahrichten im Raum sind – Flüchtlinge/Terror etc. – und macht, wenn man so will, unmittelbar das Lernen christlicher Religion aus. Es ist wichtig, dass Seelsorge hier in den allgemeinen Kommuni kationsbedingungen möglich ist, aber zu ihrer Bestimmtheit dort gelangt, wo die »Wirklichkeit eines Menschen nun von Gott her und auf Gott hin zur Sprache kommen kann«.20 Dies geschieht in der offenen, aufmerksamen und emphatischen Wahrnehmung des Anstehenden, dem sich der Seelsorger wie sein Gegenüber aussetzen müssen. Hier liegt die besondere Herausforderung für den Seelsorger. Er ist seinem Gegenüber vielleicht nicht voraus an Lebenserfahrung; er ist in den anstehenden Fragen nicht einfach der Kompetentere. Aber seine Aufgabe ist es, dass er das zum Tragen bringt, was die jeweilige Lebensgeschichte und die jeweilige Situation öffnet für den Trost 19 Das ›Reden lernen des Redens von Gott‹ markiert eine wesentliche Grundaufgabe religiöser Bildung; vgl. dazu I. Schoberth, Diskursive Religionspädagogik, bes. Kap. 1. 20 F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 17.
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Gottes. Dies kann in der Regel nicht geschehen, indem der Seelsorger nun doch zum Prediger wird. Die der Seelsorge eigene Gestalt der Verkündigung wird auch hier nicht zur Predigt. Hier liegt wohl das Problem von Thurneysens Rede vom »Bruch«: Dieses Sich-Öffnen des Gesprächs wird sich u nauffällig und unscheinbar vollziehen. Es ist also nicht ein Bruch, der die Seelsorge zur Seelsorge macht, sondern, wie ich formulieren möchte, das leise Sich-Öffnen des Gesprächs unter den allgemeinen Kommunikationsbedingungen von Gott her auf Gott hin. Von hier aus lässt sich die Aufgabe des Seelsorgers darin bestimmen, dass er die vielleicht diffuse und unbestimmte religiöse Rede des Anderen in ihren Andeutungen und Artikulationsversuchen wahrnehmen und auf die einfache Gottesrede hin zu öffnen versuchen kann. Um die Vielfalt und Vielschichtigkeit religiöser Sprache des Anderen hören und wahrnehmen zu lernen, braucht es eine Sensibilisierung auf die biblische Sprache hin ebenso wie für die Vielfalt religiösen Sprechens.21 Auf diese Weise kommt von Seiten des Seelsorgers die Bestimmtheit von Seelsorge in ihrer Verwiesenheit auf die Schrift zum Tragen, ohne dass die Individualität des Gegenübers und seine spezifische Situation übergangen werden. Mit dem Konzept der einfachen Gottesrede lässt sich Seelsorge als eine Praxis des Sprechens wahrnehmen; zugleich wird deutlich, dass ein seelsorgliches Gespräch mehr und anderes ist als Kommunikation (die richtige Kritik am abstrakten Kommunikationsbegriff bedürfte noch der Erläuterung) und sei sie auch therapeutisch. Jürgen Ziemer nennt Seelsorge mit Recht »Spracharbeit«22, in der das ausdrücklich wird, was sonst oft unklar und nebulös bleibt. Seelsorge geht in der Benennung der Phänomene nicht auf. In der Wahrnehmung der einfachen Gottesrede findet Seelsorge ihre Konturen vielmehr darin, dass sie zu einer spezifischen Spracherweiterung 21 Werner Jentsch stellt heraus, dass Seelsorge darum die alten »Seelsorgeelemente der Väter wie das Paränetische (ermahnen und aufmerksam machen), das Parakletische (trösten und zureden) und das Hodogetische (wegweisen und beraten)« wieder in den Blick bekommen müsse; W. Jentsch, Der Seelsorger, 65. 22 J. Ziemer, Fremdheit überwinden, 191.
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beiträgt.23 Dies aber nun nicht nur formal, indem sie sich auf die Bibel bezieht, sondern inhaltlich, indem sie ein Sprechen einführt, das im biblischen Sprechen seinen Anhalt hat. Menschen erfahren in ihrer gemeinsamen Annäherung an die biblische Sprache Neues; ihnen kommen Perspektiven zu, die sie vielleicht nicht mehr erhofft hatten.24 Gerade darum ist es die besondere Aufgabe des Seelsorgers, genau darauf zu achten, was im jeweiligen Gespräch geschieht und wo es sich oft im Einfachsten und Unscheinbarsten öffnet für die Zusage des Trostes Gottes. Beide, Seelsorger und Gegenüber, sind in ihrem einfachen Reden und Sprechen auf dem Weg, mit ihrer Lebensgeschichte zu ihrer Zeit.25 Hier geschieht die Annäherung an die Verheißung Gottes, die die Hoffnung der Menschen aufrechterhält. Darum ist dieses einfache Reden ein Reden in der Zeit, in der Menschen zu ihrer Zeit ihre Wirklichkeit zur Sprache bringen. Manchmal ist es nicht 23 Ziemer erkennt die »eigentliche ›Spracharbeit‹ des Seelsorgers … darin, das Nebulose, Indirekte, Unklare, Entfremdete zu bezeichnen, es so in die konkrete Jetztsituation der seelsorgerlichen Interaktion hineinzuholen.« (Ebd.) Vgl. dazu bes. A. Heller, Das Alltagsleben, 229 f. Heller zeigt auf, dass Alltagssprache analogisierend, typisierend und klischeehaft ist und wie das Alltagshandeln pragmatisch und ökonomisch sein muss. Für die Verarbeitung besonderer Zeiterfahrung ist keine Zeit. Heller betont dies umso mehr, als sie auch herausstellt, dass Poesie im Alltag destruiert wird. Peter Biehl folgert aus Hellers Überlegungen die Notwendigkeit einer Rekonstruktion poetischer wie religiöser Sprache, um solcher Verarmung der Alltagssprache entgegenzuarbeiten: »Die Grundaufgabe besteht also darin, die im Alltagsleben destruierten Erfahrungen mit Hilfe der kreativen, inspirierenden und verändernden Kraft poetischer und religiöser Sprache in elementaren Reflexionen zu erneuern, um damit die Erfahrungsfähigkeit wieder zu fördern.« (P. Biehl, Religiöse Sprache, 102 f.). 24 Vgl. dazu P. Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen, 59. 25 Vielfältige lebensgeschichtliche Erfahrungen brauchen Sprache und müssen besprochen werden. Dazu braucht es Sprache, der sich das Seelsorgegespräch anzunähern sucht, weil solche Sprache Halt vermittelt, Erfahrungen ordnet und erzählbar werden lässt als eigene Geschichte, die die Identität eines Menschen ausmacht. Scharfenberg erkennt die Notwendigkeit solcher Sprachfindung, allerdings unter anderen Voraussetzungen: »In einer Welt, in der die technische Zweckrationalität immer stärker Besitz ergreift von der Alltagssprache, erleben Menschen in zunehmendem Maße ihre Unfähigkeit, eine angemessene Sprache für das Ausdrücken ihrer inneren Erfahrung zu finden.« (J. Scharfenberg, Einführung in die Pastoralpsychologie, 92).
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die rechte Zeit, manchmal ist Schweigen wichtiger als Reden. Seelsorge weiß auch um das Scheitern und Misslingen. Sie geschieht in der Erwartung der rechten Zeit, in der Gott am Menschen handelt. Auf diese Zeit, die durch alle methodische Bemühung nicht herbeigeführt werden kann, wird sich Seelsorge verlassen, weil diese Zeit ihr eigenes Tun heilsam umgrenzt und darin entlastet. Von hier aus wird deutlich, dass am Geschehen der Seelsorge nicht nur die Sprechenden beteiligt sind; Seelsorge ist vielmehr im Kern als Geistwirken zu verstehen. Seelsorge erhofft Gottes Handeln in seinem Geist zur rechten Zeit. Als Geistgeschehen26 qualifiziert die einfache Gottesrede das Geschehen der Seelsorge und gibt ihr die Bestimmung, als Geschehen allgemeiner Kommunikation zugleich deren Grenzen zu sprengen.27 Inmitten der alltäglichen Lebenszusammenhänge wird ein Sprechen erhofft, das das Leben in seiner ganzen Fülle zur Sprache bringt; eine Sprache, die tröstend die Wirklichkeit zu verwandeln vermag. Die Schule ist ein solcher Ort der Seelsorge, auch wenn es hier eher um einen anfänglichen Beginn solcher Kommunikation zu tun ist. Und doch lässt sich situativ diese Erfahrung aus dem Unterricht nicht heraushalten. Schule und Unterricht werden dann zum Ort des Trostes, freilich hat man das nie in der Hand. Schule und Unterricht können aber auch ein Ort des Trostes sein, indem die Lernenden hier auf diese Spur des Trostes geführt werden. Das geschieht mit jedem Thema oder jeder kompetenzorientierten Unterrichtsstrategie. Dabei sind die Möglichkeiten, die hier anvisiert werden, ebenso zu sehen wie die Grenzen, die das Reden lernen von Gottes Trost immer auch setzt. Seelsorge muss es wagen, von Gott und seinem Reich zu sprechen und muss zugleich um die Grenzen solchen Redens wissen. Dann wird sie nicht vertrösten, sondern trösten, indem sie an das Bürgerrecht der Christen erinnert, »das aber ist im Himmel« (Phil 3, 20). In dieser Gewissheit kann sich Seelsorge zugleich der Erde, der konkreten Seelsorge, der Verkündigung, dem Unterricht in der Schule und vielfältig anderen Kontexten zuwenden und so den Trost ausrichten, der verheißen ist. 26 F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 24 ff. 27 A. a. O., 24.
11 K onturen einer Religionsdidaktik
Abschließend soll nun noch kurz der Ertrag betrachtet werden, den das Betreten der verschiedenen Diskurs-Räume ermöglicht hat. Der Ausgangspunkt der Überlegungen, überhaupt der Begriff und Vorstellungskontext von Religionsdidaktik, wurde einleitend erläutert. Dabei wurde der unabdingbare Zusammenhang von theologischer Reflexion und didaktischer Durchdringung religiöser Bildung in den Blick genommen, um die Aufgabe der Religionsdidaktik zu beschreiben. Mit der hermeneutischen Grundidee, die von Eberhard Jüngel für das Aufgabenfeld der Praktischen Theologie formuliert wurde, dass sich die praktisch-theologische Arbeit heute und immer neu auf die gegenwärtige Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes bezieht und beziehen müsse, wurden weitergehend die Auslegungsfelder und Freilegungsfelder der Religionsdidaktik aufgesucht: Unmittelbar ist es der Diskursraum der Heiligen Schrift selbst, der die Kontur einer Religionsdidaktik bestimmt: Sie richtet sich auf das Lesenlernen des ›Wortes Gottes‹, eine Lese-Kompetenz, die in der Arbeit an und mit der Bibel in religiöser Bildung anvisiert wird. Dabei geht die Religionsdidaktik hermeneutische Wege ab; die Schrift ist dabei mehr als nur Text, sondern wird im hermeneutischen Horizont gleichsam zu einem kritischen Gesprächspartner der Lernenden. Mithilfe der Dialogregeln für das theologische Lesen der Heiligen Schrift gewinnen die Lehrenden einen Zugang zur Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes. Ohne solche Anwendung der Dialogregeln wäre die Lektüre der Schrift dahingehend problematisch, dass das Ganze der Schrift nicht in den Blick kommt. Die Dialogregeln eröffnen darum eine differenzierte Wahrnehmung der Schrift, die das Evangelium immer genauer zu erfassen ermöglicht. Mit diesen Prämissen kann unterrichtlich umgegangen werden: Die Dialogregeln als Leseanleitung für die Lehrenden religiöser Bildung eröffnen eine Wahrnehmung der Schrift, die den Lernenden die Vielfalt der Schrift ebenso zumuten kann, wie eine Engführung auf
Konturen einer Religionsdidaktik181
das in der Schrift verheißene Evangelium. In der Perspektive auf die Heilige Schrift gewinnt darum religiöse Bildung ihre genuine Kontur. Das wird auch im nächsten Diskurs-Raum verhandelt: Ausgehend von den hermeneutischen Aspekten, die das religiöse Lernen bedenken muss, profiliert sich daraus ein Bildungskonzept, das aufruht auf dem Reden von der Geschichte Gottes mit den Menschen. Diese Geschichte atmet eine Freiheit, die dem christlichen Glauben zugehört und ohne die er nicht durchdrungen werden kann. Es ist das Kriterium eines Lebens aus dem Glauben, dass dieser Glaube zur Freiheit befreit. Darum gewinnen auch die Lernkontexte, für die die Didaktik steht, erst dann eine evangelische Kontur, wenn sie bezogen sind auf die Freiheit, die der Glaube schenkt. Zugleich ist es um Lernprozesse zu tun, die diese Freiheit mitzuteilen in der Lage sind – wenn auch nur ganz anfänglich und in Spuren. Evangelische Bildung wird daran erkennbar, dass sie diese Freiheit immer genauer und pointierter zu erfassen sucht und dabei der Spur des Evangeliums folgt, das in diese Freiheit führt. Mit diesem theologisch aufgeladenen Bildungsbegriff geht es sodann um eine Bewährung im Diskurs-Raum der Reformation. Als genuiner Ort der Herausforderung zum Glauben um der Freiheit des Glaubens willen ist es ein Diskurs-Raum, der nicht übergangen werden kann, sondern an dem und mit dem die Lernenden in eine Tradition einzusteigen lernen, die von dieser Freiheit in vielfältigen Bezügen spricht. Insofern kann eine Religionsdidaktik nicht ohne diesen Bezug auskommen, sondern erkennt in den reformatorischen Auseinandersetzungen das kritische Profil, das einen jeden in der auch anfänglichen Begegnung mit christlicher Religion herausfordert und in die je eigene Auseinandersetzung mit christlicher Religion hineinführt. Dabei ist die spannungsvolle Dynamik von Freiheit und Gebundenheit ein reformatorisches Thema, das bis heute das Profil religiöser Bildung bestimmt. Um noch genauer das Lernen christlicher Religion zu profilieren, wird das Reden lernen von Gott als Grundmoment religiöser Bildung herausgearbeitet und im Rahmen der Trinitätslehre verankert. Sie stellt den systematischen Bezugsrahmen für religiöser Bildung her. Sie ist kritisches und kreatives Korrektiv auch der religionsdidaktischen Reflexion, die daraus das Redenlernen von Gott als
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Konturen einer Religionsdidaktik
Grundaufgabe religiöser Bildung zu bestimmen ermöglicht. Mit dem Diskurs-Raum Lernen wird sodann das methodische Vorgehen in den Blick genommen; dass es dabei eines sensiblen Umgangs mit den theologischen Inhalten bedarf, steht außer Frage: Insofern ist es ein wesentliches Gebot der Vorbereitung von Bildungsprozessen, immer neu zu beachten, ob die methodischen Überlegungen der theologischen Sache angemessen sind. Das wird exemplarisch entfaltet. Im Diskurs-Raum der Ethik wie der Schulseelsorge werden zwei weitere Kontexte benannt, die die Sozialität ausschreiten, die den Bildungsprozessen ihre Signatur gibt; in der gemeinsamen Suche nach dem guten Leben gewinnen die Lernenden Perspektive für eigene Urteile und eigenes Handeln; dass die Suche nach dem guten Leben wiederum auch tröstend das je eigene Leben der Lernenden umfasst, wird dann in den Überlegungen zur Schulseelsorge ausgeführt, die in Hinsicht der einfachen Gottesrede genauer ausgearbeitet und theologisch begründet wird. Damit sind die Räume ausgeschritten, die die Didaktik religiöser Bildung konturieren und die zusammengenommen den Raum des Lernens bestimmen lassen, inmitten aller Offenheit, die dem religiösen Lernen für die Lernenden immer zukommen muss. Diese Arbeit zu den Konturen einer Religionsdidaktik ist freilich weiterzuführen. Ich hoffe, damit ist ein Anfang gemacht, der zum Weiterarbeiten und zur vertieften Auseinandersetzung anleitet. Für mich sind dabei immer die Lernenden im Blick, um derentwillen dieser Versuch einer Religionsdidaktik gestartet wurde, in der Hoffnung, dass ihnen ein Lernen und dann auch ein Lehren ermöglicht wird, das in die Freiheit führt und von der Freiheit bestimmt ist, die dem christlichen Glauben eignet.
12 Literatur
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