Ausgänge des Konservatismus 9783534273072, 9783534273188, 9783534273195

Eine Neubestimmung des Konservatismus Als Ende des Konservatismus gelten die sozialen und politischen Umbrüche in der M

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German Pages [432] Year 2021

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Impressum
Inhalt
Zur Einführung
1. Den Konservatismus denken: Karl Mannheim und Panajotis Kondylis
2. Liberaler Konservatismus: Friedrich Julius Stahl
3. Einstürzende Neubauten: Hermann Wageners Revision des Konservatismus
4. Irrungen, Wirrungen: Rudolf Meyers Weg von der Berliner Revue zur Neuen Zeit
5. Vom »Staatssozialismus« zum »christlichen Sozialismus«: Adolph Wagner, Rudolf Todt, Adolf Stoecker
6. Träume vom »wahren Conservatismus«: Constantin Frantz und Paul de Lagarde
7. Ironischer Konservatismus I: Julius Langbehn
8. Ironischer Konservatismus II: Heinrich Mann und Thomas Mann
9. »Scheinkonservatismus« in der Weimarer Republik
Exkurse
I. Der Schatten Bonapartes
II. Konservativer Sozialismus?
Abkürzungen
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
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Ausgänge des Konservatismus
 9783534273072, 9783534273188, 9783534273195

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STEFAN BREUER

Stefan Breuer unternimmt eine Neuvermessung dieser Umbauten und verfolgt ihre Entwicklung bis ins frühe 20. Jahrhundert. Was sich dort noch als Konservatismus präsentiert, gehört bereits zu einer anderen Formation: der modernen Rechten.

Ausgänge des Konservatismus in Deutschland

Die um 1848 einsetzende Auflösung der großen politischen Ideologien hat den Konservatismus nicht verschont. Wie in anderen Fällen hat man es aber auch hier nicht mit einem abrupten Einschnitt zu tun, sondern mit vielfältigen Ver­suchen, der Auflösung durch die Fusionierung mit Konzepten des politischen Gegners entgegenzusteuern.

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27307-2

S T E FA N B R E U E R

Ausgänge des

Konservatismus in Deutschland

Stefan Breuer Ausgänge des Konservatismus in Deutschland

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Stefan Breuer

Ausgänge des Konservatismus in Deutschland

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Kristine Althöhn, Darmstadt Satz: Arnold & Domnick GbR, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27307-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-27318-8 eBook (epub): ISBN 978-3-534-27319-5

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Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Den Konservatismus denken: Karl Mannheim und Panajotis Kondylis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Liberaler Konservatismus: Friedrich Julius Stahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Einstürzende Neubauten: Hermann Wageners Revision des Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4. Irrungen, Wirrungen: Rudolf Meyers Weg von der Berliner Revue zur Neuen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Vom »Staatssozialismus« zum »christlichen Sozialismus«: Adolph Wagner, Rudolf Todt, Adolf Stoecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6. Träume vom »wahren Conservatismus«: Constantin Frantz und Paul de Lagarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7. Ironischer Konservatismus I: Julius Langbehn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 8. Ironischer Konservatismus II: Heinrich Mann und Thomas Mann . . . . . 190 9. »Scheinkonservatismus« in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Exkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Der Schatten Bonapartes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Konservativer Sozialismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

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Zur Einführung Als Thomas Mann am Ende des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil einen Vortrag über das Schicksal seines Landes hielt, das soviel Tod und Elend über die Welt gebracht hatte, kam er auch auf die Rolle des Konservatismus zu sprechen, zu dem er sich selbst einmal bekannt hatte. Deutschland, so sein Gedankengang, habe sich mit der Reformation, genauer gesagt: mit der Reformation lutherischen Gepräges, auf einen Sonderweg begeben, in dessen Verlauf das Streben nach Freiheit aus der politischen Sphäre in die Innerlichkeit verbannt worden sei. Dort habe es in Magie und Mystik, aber auch in Musik und Literatur, reichen Ausdruck gefunden, während zur gleichen Zeit das politische Feld den powers that be überlassen wurde. Im 19. Jahrhundert sei daraus jenes fatale Amalgam von politischer Romantik und Konservatismus entstanden, das im 20.  Jahrhundert den Nationalsozialismus hervorgebracht habe. Damit habe sich auf politischer Bühne wiederholt, was der Autor des Doktor Faustus zur gleichen Zeit am Schicksal seines Helden, Adrian Leverkühn, exemplifizierte: »Wo der Hochmut des Intellektes sich mit seelischer Altertümlichkeit und Gebundenheit gattet, da ist der Teufel.«1 Historiker und Politikwissenschaftler pflegen diese Geschichte etwas anders zu erzählen, doch nicht so, daß dieses Grundmuster nicht noch erkennbar wäre. Ganz gleich, wann man den Konservatismus beginnen läßt: ob schon im 17. Jahrhundert mit der Kritik am Rationalismus2, im 18. mit dem Kampf gegen den bürokratischen Staat und / oder die Französische Revolution3 oder erst im 19. mit der Reaktion auf den Liberalismus4: stets sind es spezifisch moderne Erscheinungen, die ihn erst erzeugt haben sollen. Als »der Geist, der stets verneint«, sei der Konservatismus die reine Negativität, allerdings nicht im Goetheschen Sinne »jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft«. Vielmehr sei er für die »Zerstörung der Vernunft« (Georg Lukács) verantwortlich, die Abdrift in den Irrationalismus, die politische Romantik oder auch den »Nihilismus« (Fritz Stern), Erscheinungen, die es bewirkt hätten, daß Deutschlands »Weg in den Westen« sich so ungebührlich in die Länge zog und überhaupt nur mit fremder Hilfe abgeschlossen werden konnte.5 Lange Zeit eine elitäre Angelegenheit ländlicher Honoratioren, habe

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sich der Konservatismus mit dem Aufkommen der modernen Massenpolitik auf ein Bündnis mit nationalistischen und rassistischen Verbänden wie dem Bund der Landwirte eingelassen und dabei offensichtlich nichts von seinem Wesen eingebüßt, vielmehr dieses sogar noch zu einem »Radikal«- oder »Ultrakonservatismus« gesteigert, der in einer letzten Stufe sich selbst aufgehoben habe und im völkischen deutschen Nationalismus aufgegangen sei6 – eine Entwicklungskonstruktion, die bis heute für Darstellungen das Schema abgibt, die unter dem Obertitel Konservatismus »Theorien des Konservatismus und Rechtsextremismus« abhandeln.7 Wie lange die Metaphorik Thomas Manns auf diesem Feld nachgewirkt hat, konnte man noch 1982 in einem Text von Jürgen Habermas lesen, in dem er anläßlich der »innenpolitischen Wende zum Neokonservativismus« – gemeint ist der Regierungswechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl – vor einem »Teufelskreis« warnen zu müssen glaubte, der dazu führen könne, daß »die intellektuelle Jugend […] zu Nietzsche zurückkehrt und in den bedeutungsschwangeren Stimmungen eines kultisch erneuerten, eines authentischen, noch nicht von Kompromissen entstellten Jungkonservatismus ihr Heil sucht.«8 Diese bis heute gepflegte große Erzählung hat freilich nicht überall Zustimmung gefunden. Vor allem amerikanische und britische Forscher haben den Akzent auf die zunehmende Fragmentierung gelegt, die das konservative Lager schon in wilhelminischer Zeit zersplittert und besonders die moderateren Kräfte geschwächt habe.9 Spätestens die Führungskrise in der Deutschnationalen Volkspartei, aus der 1928 Alfred Hugenberg als Sieger hervorgegangen sei, habe dann einen Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Konservatismus markiert, an dem sich Konservatismus und radikaler Nationalismus getrennt hätten.10 Einen wesentlichen Beitrag dazu habe der radikalnationalistische Alldeutsche Verband geleistet, durch dessen Interventionen »the development of a moderate, state-supporting, mass-based conservative party« unterbunden worden sei.11 Der Aufstieg des Nationalsozialismus müsse deshalb gerade nicht als Ergebnis einer Transformation des deutschen Konservatismus verstanden werden, sondern als Folge seiner »Marginalisierung« und ›Veralldeutschung‹, die schon vor dem Ersten Weltkrieg eingesetzt und seine Fähigkeit beeinträchtigt habe, die radikale Rechte einzubinden und auf eine »konservative« Plattform zu verpflichten.12

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Noch einen Schritt weiter ist Panajotis Kondylis gegangen. Für ihn handelt es sich beim Konservatismus nicht um eine konstante, auf Sicherung des jeweiligen Status quo ausgerichtete Einstellung, die daher unter wechselnden Umständen in stets neuen Formen auftreten kann, vielmehr um eine konkrete geschichtliche, an eine bestimmte Sozialformation – die vormoderne societas civilis – und eine bestimmte Trägerschicht – den Adel – gebundene Erscheinung, welche in dem Augenblick zu ihrem Ende kam, »als sich die Trennung von Staat und Gesellschaft (d. h. vom modernen zentralisierten und einheitlich verwalteten Staat und der vom Bürgertum beherrschten, sich rasch industrialisierenden Gesellschaft) auf der ganzen Linie durchsetzte« – ein Prozeß, der in England und Frankreich seit 1830 zu beobachten sei, in Deutschland bzw. Preußen zwischen 1848 und der Nationalstaatsgründung.13 Im Zuge dieser Entwicklung habe sich eine Art von doppelter Mimikry vollzogen. Während diejenigen, die »den Ideen des herkömmlichen adligen Konservativismus treu geblieben waren, sich bei etwaiger Beibehaltung des konservativen Schildes (alt-)liberale Grundpositionen« aneigneten, »vornehmlich in bezug auf die Unverletzlichkeit des Eigentums und der Wirtschaftsfreiheit«, hätten umgekehrt die Liberalen angesichts der wachsenden sozialistischen Gefahr immer stärkere Neigung gezeigt, »sich das ›konservative‹ Schild anzuhängen«.14 Es entspricht dieser Sachlage, wenn neuere Untersuchungen zum Konservatismus nach 1945 zu dem Ergebnis kommen, man habe es entweder mit einem Hybrid aus liberalen und konservativen Denkfiguren (mit deutlichem Vorrang der ersteren) zu tun oder mit Rückgriffen auf das Ideengut der radikalen Rechten.15 Von solchen Diagnosen unterscheidet sich Kondylis nur in der Rigorosität, mit der er den Konservatismusbegriff bereits für das Kaiserreich und die nachfolgenden Regime verabschiedet. Über die einzelnen Schritte seiner Argumentation wird noch ausführlicher zu sprechen sein. Hier sei nur vorausgeschickt, daß dieses Buch ihr zwar in der großen Linie folgen, im historischen Detail aber einige Nuancierungen vornehmen wird. Denn auch wenn man zugibt, daß sich in Deutschland nach 1848 der soziale Träger des Konservatismus in den Rahmen einer »ökonomisch orientierten Gesellschaft« fügte und in »eine der antagonistischen Gruppen oder Klassen der neuen [scil. bürgerlichkapitalistischen] Gesellschaft« verwandelte16, so muß doch für eine längere Übergangsphase mit der Kopräsenz von Formen der Vergemeinschaftung

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im Sinne Max Webers gerechnet werden, die mit den Formen der Vergesellschaftung nicht durchweg harmonierten. So hat insbesondere die neuere, wesentlich von Heinz Reif angestoßene Adelsforschung nachweisen können, daß Adlige und Bürgerliche auf dem Lande bis zum Ende des Kaiserreiches, weit davon entfernt, zu einer einzigen composite elite zu verschmelzen, zwei deutlich voneinander unterscheidbare Gruppen bildeten17: zum einen durch die unterschiedliche Besitzverteilung, blieben doch die ersteren mehrheitlich im Besitz der größeren Güter und vermochten diese auch zu bewahren, wohingegen die Bürgerlichen »weitgehend den schon lange vor 1800 existierenden Markt kleinerer Güter [übernahmen], die immer wieder zwischen oft wechselnden Besitzern fluktuierten« und demgemäß nicht die Stabilität aufwiesen, die für den adligen Besitz charakteristisch blieb18; zum andern durch die nach 1848 massiv einsetzende Tendenz zur Besitzsicherung im Wege der Fideikommißbildung, die über ein Viertel der Rittergüter dem Markt entzog und zumal dem Kleinadel eine seigneuriale Lebenshaltung ermöglichte, mit dem Effekt, auf diese Weise die Verbürgerlichung der grundbesitzenden Klassen, wenn nicht zu blockieren, so doch erheblich in die Länge zu ziehen19; last, but not least sozial und kulturell durch den Ausbau exklusiver Heirats- und Geselligkeitskreise, vermöge deren der Bürger auch als Großgrundbesitzer Bürger blieb und »nicht (neo-)feudalisiert oder aristokratisiert« wurde.20 Ungeachtet aller Tendenzen zur Herausbildung einer »Elitensynthese aus Großbürgertum und den reichsten, kultiviertesten Teilen des alten Adels« blieben deshalb in Deutschland »Adel und Bürgertum […] bis in das 20. Jahrhundert hinein zwei im europäischen Vergleich ungewöhnlich deutlich voneinander getrennte Gruppen«.21 Die dadurch entstehende Spannung zwischen Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung war groß genug, um Raum für Versuche zu bieten, die membra disiecta des historischen Konservatismus zu Ordnungen zusammenzufügen, in denen sich Neues mit allerlei Altem verbinden sollte, von der christlichen Religion über die Monarchie bis hin zum Ständewesen. Das geschah, eine Folge der Bildungsrevolution des 19. Jahrhunderts, durch ideologische Unternehmer, durch Intellektuelle in jenem Sinne, den Gangolf Hübinger im Anschluß an Max Weber dieser Kategorie verliehen hat.22 Allerdings betraten diese die Bühne zu einem Zeitpunkt, als sich in Deutschland ein ›literarisches Feld‹ eben erst zu bilden

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begann – einer Lage mithin, die ihnen nur begrenzte Möglichkeiten bot, ihre Existenz über den Verkauf geistiger Erzeugnisse auf preisregulierten Märkten zu sichern.23 Typisch für sie war deshalb die gesuchte und zeitweise auch erreichte Nähe zur politischen Herrschaft, die in zentralen Bereichen wie den Spitzen von Armee und Verwaltung noch lange vom Adel geprägt blieb. Das gilt schon für Friedrich Julius Stahl, der als Staatsrechtslehrer an der Berliner Universität und zugleich als Mitglied der Ersten Kammer bzw. des Herrenhauses wirkte; für Hermann Wagener, der jahrelang zu den engsten Beratern Bismarcks gehörte; für seinen Mitarbeiter Rudolf Meyer, der mit der Berliner Revue das wichtigste Theorieorgan des preußischen Konservatismus leitete und später im Exil adlige Sozialpolitiker der Donaumonarchie beriet; für Adolf Stoecker in seiner Doppelfunktion als Hofprediger und Vorsitzender der Christlich-sozialen Partei, in der auch der Nationalökonom Adolph Wagner eine wichtige Rolle spielte; und es gilt selbst noch für Constantin Frantz, der vor seiner Entscheidung für eine Privatgelehrtenexistenz zur Entourage des preußischen Ministerpräsidenten Manteuffel zählte und einige Jahre im diplomatischen Dienst verbrachte. Erst mit Lagarde, Langbehn, den Brüdern Mann und anderen meldeten sich Autoren zu Wort, die sich bewußt außerhalb dessen plazierten, was im weitesten Sinne des Wortes noch als »konservatives Milieu« gelten mag. Gemeinsam war ihnen die Absicht, den historischen Konservatismus auf verschiedenen Wegen – mittels Memoranden, Gesetzgebungsinitiativen oder publizistischen Interventionen – theoretisch der Zeitlage anzupassen und praktisch zu festigen, indem sie ihm über seine bisherige Verankerung im Adel hinaus neue Trägerschichten erschlossen, sei es im Bürgertum, im Handwerk, im Bauerntum oder der städtischen und ländlichen Arbeiterschaft. Manche, wie Stahl, zögerten nicht, »jenen großen Gewinn unseres öffentlichen Zustandes« anzuerkennen, »der sich von der Epoche 1789 an datirt«, und rückten den Konservatismus an den Liberalismus.24 Sie ebneten damit den Weg für konservativ-liberale Hybridbildungen, denen auf liberaler Seite ähnliche Bestrebungen in Richtung einer Assimilierung konservativer Elemente entsprachen.25 Andere, wie Hermann Wagener, warben um das von den Fortschritten der Industrie gefährdete Handwerkertum und setzten sich frühzeitig für das allgemeine Wahlrecht ein, während wieder andere sich der Kleinbauern und Landarbeiter annahmen oder das neue

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Feld der Sozialpolitik entdeckten, von dem die Liberalen nichts wissen wollten. Gewiß waren die Motive, in diesen Richtungen tätig zu werden, nicht primär philanthropischer Natur. In diesem Punkt ist Kondylis recht zu geben, auch wenn die von ihm angegebenen ökonomischen Motive durch die Notwendigkeit zu ergänzen sind, sich auf einem neu entstehenden politischen Massenmarkt zu behaupten, der, je länger, je mehr, zu Ungunsten der konservativen Parteien wirkte.26 Darüber hinaus war die angestrebte Inklusion von Anfang an mit massiven Exklusionen verbunden, die sich gegen religiöse und ethnische Minderheiten richteten, nicht nur, aber in besonders aggressiver Weise, gegen Juden. Eine Darstellung indessen, die nur hiervon handelt und dafür einen generellen ›Antimodernismus‹ verantwortlich macht, wird den Widersprüchen nicht gerecht, die für alle großen politischen Ideologien charakteristisch sind. Der ausgehende Konservatismus mag alle Vorwürfe verdienen, die an seine Adresse gerichtet wurden. Ihn darauf zu reduzieren, hieße die Bedeutung zu ignorieren, die einige seiner Verfechter im Vorfeld der im Fin de siècle einsetzenden »Umverteilungsrevolution« gehabt haben, formulierten sie doch schon den den 60er und 70er  Jahren des 19. Jahrhunderts Vorschläge, wie durch Steuerreformen, den Aufbau von Institutionen der sozialen Sicherung sowie die Einrichtung von Formen der kollektiven Interessenvertretung der Lohnabhängigen die sozialen Spannungen, wenn nicht beseitigt, so doch verringert werden konnten.27 Das alles mag als Mittel für gänzlich andere Zwecke gedacht worden sein. Daß es geschehen ist und diese Resultate hinterlassen hat, gehört zu jenen eigentümlichen ›Paradoxien der Wirkung gegenüber dem Wollen‹, für die Max Weber den Blick geschärft hat.28 Zur Zitierweise: Um das Literaturverzeichnis zu entlasten, werden dort nur die häufig zitierten Hauptwerke der Primär- und Sekundärliteratur ausgewiesen. Das übrige Schrifttum wird mit vollen bibliographischen Angaben im Anmerkungsapparat nachgewiesen, bei wiederholter Bezugnahme innerhalb eines Kapitels nur in Kurzzitation. Hervorhebungen im Original wurden nur in Ausnahmefällen übernommen, eigene als solche markiert.

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1. Den Konservatismus denken: Karl Mannheim und Panajotis Kondylis

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it Blick auf die breite Literatur, die sich um eine Klärung der Begriffe »konservativ« bzw. »Konservatismus« bemüht, hat man mit Recht von einer babylonischen Sprachverwirrung gesprochen.1 Den Gang der Diskussion nachzuvollziehen, würde ein eigenes Buch erfordern. Für die hier verfolgten Zwecke muß es genügen, sich auf die beiden Deutungen zu konzentrieren, die Höchstrelevanz beanspruchen können: die Bücher von Karl Mannheim (1893–1947) und Panajotis Kondylis (1943–1998). Mannheim hat sein Werk 1925 in Heidelberg als Habilitationsschrift eingereicht, konnte aber zu Lebzeiten nur einen etwa die Hälfte des Textes umfassenden Auszug im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik veröffentlichen. Die vollständige Fassung erschien erst 1984 in einer von David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr besorgten Edition.2 Zu dieser Zeit arbeitete Kondylis bereits an seinem Artikel über »Reaktion, Restauration« für die Enzyklopädie Geschichtliche Grundbegriffe sowie an seinem eigenen Buch Konservativismus, so daß er auf Mannheims Arbeit nur in der gekürzten Fassung Bezug nehmen konnte.3 Was er zu ihr zu bemerken hatte, ist indessen so knapp gehalten4, daß die Gemeinsamkeiten und Differenzen nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Eine weiter ausholende Präsentation der beiden Argumentationsstränge ist daher unumgänglich.

I. Von dem, was landläufig unter »Konservatismus« verstanden wird5, setzt sich Mannheim durch drei Entscheidungen ab. Konservatismus erschöpft sich für ihn, erstens, nicht in der allgemein menschlichen Neigung zum Festhalten am Gewohnten und zur Reserve gegenüber Neuerungen – eine Neigung, die Mannheim als »vegetativ« und »reaktiv« qualifiziert und in Anlehnung an Max Weber als »Traditionalismus« bezeichnet.6 Während bei Weber dieser Terminus eine erhebliche Schwingungsweite aufweist und dadurch andere Perspektiven eröffnet  – traditional bestimmtes

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Verhalten steht einerseits »ganz und gar an der Grenze und oft jenseits dessen, was man ein ›sinnhaft‹ orientiertes Handeln überhaupt nennen kann«, andererseits diesseits dieser Grenze, etwa wenn es um »traditionale Herrschaft« geht7  – wird er von Mannheim eindeutig auf der Seite des nicht sinnhaften Handelns plaziert und vom Konservatismus abgegrenzt. »›Konservatives‹ Handeln ist sinnorientiertes Handeln und zwar orientiert an einem Sinnzusammenhange, der von Epoche zu Epoche, von einer historischen Phase zur anderen verschiedene objektive Gehalte enthält und sich stets abwandelt.«8 Die zweite Entscheidung folgt gleich anschließend an diese Festlegung. Der mit Konservatismus bezeichnete Sinnzusammenhang ist nicht nur als politische Theorie oder Doktrin im engeren Sinne zu verstehen, sondern als ein »objektiv-geistiger Strukturzusammenhang«, in den »auch Zusammengehörigkeiten allgemein weltanschaulicher, gefühlsmäßiger Art« eingeschlossen sind, bis hin zur »Konstituierung einer bestimmten Denkweise«.9 Es sei eine Tatsache, heißt es an anderer Stelle, daß »mit dem interessenmäßigen politischen Konservatismus zugleich ein weltanschaulicher verbunden ist«, daß der Konservative »eben nicht nur sein Interesse« wolle, »sondern zugleich seine Welt, in der sein Interesse heimisch ist«.10 Es ist diese »konservative Weltanschauung«, auf die sich Mannheims eigentliches Interesse richtet.11 Die dritte Entscheidung besteht in einer strikten Historisierung des Forschungsobjekts. Unter Konservatismus ist nach Mannheim keine allgemein menschliche Abneigung gegen Veränderungen zu verstehen, sondern eine Weltanschauung, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt herausbildete (Ende des 18., anfangs des 19.  Jahrhunderts), in Reaktion auf eine vorgängige Weltanschauung entstand (das Weltbild der exakten Naturwissenschaften) und von bestimmten sozialen Schichten getragen wurde (dem Adel und der mit ihm verbundenen ›freischwebenden‹ Intelligenz). Mannheims Buch beschränkt sich auf die Startphase dieses Prozesses, dem auch von anderen so bezeichneten »Altkonservatismus«.12 Sinnzusammenhang, Strukturzusammenhang, Weltanschauung: das sind Konzepte, die auf die Weltanschauungslehre Wilhelm Diltheys verweisen.13 Tatsächlich hat sich Mannheim in seinen Arbeiten der frühen und mittleren 20er Jahre, in die auch die Konservatismus-Studie fällt, entschieden in die Nachfolge Diltheys gestellt und dessen Werk bescheinigt,

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auf »eine soziogenetische Kulturerklärung im weitesten Sinn des Wortes« angelegt zu sein.14 Diltheys Verdienst sei es, »in großartigster Weise sowohl in historischen Forschungen wie in methodischen Essays die Verwirklichung einer Durchforschung der geschichtlichen Ideenwelt wie auch der Bewußtseinsstrukturen in Angriff genommen« zu haben.15 Sein Programm, »aus einem Gemeinschaftsbewußtsein, aus einer Weltanschauung heraus die einzelnen Gebilde zu verstehen«, überschreite den Rahmen der Geschichte, sowohl im Sinne der Ereignis- wie der Ideengeschichte, es ziele auf »soziologisch-genetische Sinndeutung« und sei darin, ungeachtet aller Polemik gegen die zeitgenössische Soziologie, Ausgangspunkt für jede nachfolgende, ähnlich ausgerichtete Bestrebung.16 Von diesem demonstrativen Schulterschluß sollte man sich freilich nicht zu der Annahme verleiten lassen, Mannheim sei ein bloßer Epigone Diltheys.17 Gewiß ist in diesen frühen Texten, bedingt auch durch den Einfluß von Lukács, zu dessen Budapester Sonntagskreis Mannheim während des Ersten Weltkriegs gehörte18, sehr viel vom Leben, von Erlebniszusammenhängen und von der Tatsache die Rede, »daß das Subjekt der kulturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht bloß das erkenntnistheoretische Subjekt, sondern der ›ganze Mensch‹ ist«19  – Topoi, die unzweifelhaft im Denken Diltheys ihre Wurzel haben. Die Konservatismus-Studie kann nachgerade als Entwurf einer Genealogie der Lebensphilosophie gelesen werden, zeigt sich Mannheim doch überzeugt, daß der moderne Lebensbegriff konservativen Ursprungs ist und einen »Erlebniskeim lebendig [hält]«, welcher erstmals in der Romantik auftaucht und alle folgenden Lebensphilosophien bis hin zu Bergson grundiert.20 Auch das diese Studie tragende Konzept des »Weltwollens« steht in deutlicher Kontinuität zu Diltheys (seinerseits auf Schopenhauer rekurrierendem) voluntaristischem Bewußtseinsmodell, demzufolge die Ausbildung der Weltanschauungen bestimmt ist »von dem Willen zur Festigkeit des Weltbildes, der Lebenswürdigung, der Willensleitung, der aus dem […] Grundzug der Stufenfolge in der psychischen Entwicklung sich ergibt«.21 Gleichwohl: zu jenem extremen »Perspektivismus«, dem sich Mannheim, womöglich unter dem Einfluß Nietzsches, verschreibt, hat Dilthey stets Distanz gehalten, beharrte er doch darauf, den »Quellpunkt des Lebens und der Wirklichkeit zu erweitern, für objektive Erkenntnis tauglich zu machen«.22 Dazu bedurfte es der Überschau, bedurfte es der Synthese und

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1. Den Konservatismus denken | 17

als Mittel dazu: der Allgemeinbegriffe und Idealisierungen, wie sie, wie immer auch psychologisch verkürzt, in Diltheys »Typologie der Weltanschauungen« vorliegen. Mannheim hat diese zwar nicht schlechterdings abgelehnt, ihr aber vorgeworfen, bloß flächenhaft, schematisch und unhistorisch zu sein und letztlich in eine »Auflösung der einmaligen Weltanschauungskomplexe« zu münden.23 Mit der Ablehnung der generalisierenden Abstraktion geht Mannheim auch zu jenen Strömungen in der Soziologie auf Distanz, die er dem »neuzeitliche[n] Rationalismus« zuordnet24: der »reinen Soziologie« Georg Simmels und der »generalisierenden Soziologie« Max Webers.25 Einen Terminus Alfred Webers aufgreifend und diesen gegen dessen Bruder Max wendend, spricht Mannheim von einem ›zivilisatorischen Denken‹, das auf ein »Hineinprojizieren des Zweckrationalen in alle vergangenen Zustände« hinauslaufe und die Soziologie in ein »Pendant zu den rationalen überkonjunktiven Naturwissenschaften« verwandle.26 Ihr setzt er seinen Entwurf einer ›dynamischen Kultursoziologie‹ entgegen, die um den Leitbegriff der »Situation« im Sinne einer singulären, nie identisch wiederkehrenden Ganzheit aufgebaut ist.27 In dem in Rede stehenden Zeitraum ist sie bestimmt durch den Aufstieg des neuzeitlichen Rationalismus, der durch die experimentelle Wissenschaft, den bürokratischen Absolutismus, den modernen Kapitalismus und dessen Träger, das Bürgertum, vorangetrieben wird und zu einer »Entpersönlichung und Entgemeinschaftung« führt, in deren Gefolge »das ›Irrationale‹ (die ursprünglichere Beziehung von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Ding)« marginalisiert wird28: durch eine Zurückdrängung des »Lebendigen« auf die Intimbeziehungen sowie auf jene Schichten und Gruppen, die eher Opfer als Träger des Rationalisierungsprozesses sind: den Adel, die Bauern, die mit dem Handwerk in Kontinuität stehenden kleinbürgerlichen Schichten, endlich auch die religiösen Sekten, soweit sie (wie etwa der Pietismus) Traditionen bewahren, die im Lebensstil der modernen Gesellschaftsklassen keinen Platz mehr haben.29 Im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution verdichtet und beschleunigt sich dieser Vorgang derart, daß sich erstmals eine Abwehrfront bildet: nicht nur, aber besonders ausgeprägt in Deutschland. Die Abwehr manifestiert sich auf zwei Ebenen: einer vortheoretischerlebnismäßigen, auf der sich eine konservative »Grundintention« oder

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auch, wie Mannheim mit Schopenhauer und Dilthey sagt, »Grundstimmung« herausbildet, und einer bewußt-reflexiven, die sich durch die Entwicklung eines eigenen »theoretischen Zentrums« auszeichnet.30 Zur Grundintention rechnet Mannheim jene Dispositionen, die nicht bloß traditionaler Art sind, sondern aus der bestimmten Negation zentraler Aspekte des Rationalisierungsprozesses entspringen. Dazu gehört das emphatische Erleben des »Konkreten«, das dem durch die Aufklärung gesteigerten Abstraktionsvermögen und der Erweiterung des Möglichkeitsspielraums entgegengesetzt wird, gehört die Verklärung des Eigentums, der Vergangenheit und der Geschichte sowie das Ausspielen des ›raumhaften Erlebens‹ gegen das lineare Fortschrittsbewußtsein der bürgerlichen Schichten. Unübersehbar ist hier allerdings der Widerspruch, daß alle diese Formen konservativen Erlebens bestimmte Negationen und damit Ergebnisse von Reflexion sind31, zugleich aber das Gegenteil davon sein sollen: definiert Mannheim doch die Grundintention als eine »Strebensrichtung der Seele«, welche »im unbewußten Denkwollen« verankert sei.32 Dieser Widerspruch ist um so fataler, als er das Fundament der idealtypischen Entwicklungskonstruktion betrifft, die Mannheim für das altkonservative Bewußtsein entwirft. Dieses entfaltet sich in drei Stufen. Am Anfang steht eine Aktivierung des altständischen Bewußtseins in Form des »Urkonservatismus« (repräsentiert durch Justus Möser), der seine politische Spitze gegen den aufklärerisch-bürokratischen Zentralismus richtet.33 Ihm folgt der »romantisierte[n] Konservatismus«, der seine Impulse nicht mehr allein aus der Gegenstellung gegen den bürokratischen Rationalismus bezieht, sondern zugleich aus der Reaktion gegen Aufklärung und Revolution.34 Sozialer Träger dieser romantischen Reaktion ist eine Schicht, die Mannheim in Anlehnung an Alfred Weber als ›sozial freischwebende Intellektuelle‹ bezeichnet.35 Eine dritte Stufe im »konservativ-dynamischen Denken« soll schließlich in der von Hegel entwickelten »Dialektik« vorliegen.36 Ausgeführt hat Mannheim nur die beiden ersten Stufen und auch hier nur deshalb eine gewisse Evidenz erzielt, weil er sich ausschließlich auf das gemeinsame Moment – die Negation des neuzeitlichen Naturrechts – beschränkt und die fundamentalen Differenzen ausblendet, die das altständische Denken von jenem ›subjektivierten Occasionalismus‹ trennen,

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den Carl Schmitt nur wenige Jahre zuvor als das zentrale Merkmal der politischen Romantik und zugleich als den Grund für deren nahezu beliebige politische Anschlußfähigkeit herausgearbeitet hatte.37 Ob das zutrifft, sei hier dahingestellt, doch fällt auf, daß Mannheim aus heutiger Sicht den Beitrag der Romantik stark überzeichnet und demgegenüber Vertreter des gegenrevolutionären Konservatismus wie die Brüder Gerlach vernachlässigt, die weit mehr von Theoretikern der Restauration wie Haller beeinflußt waren, auch wenn sie sich in ihrer Jugend romantischen Impulsen nicht verschlossen.38 Daß das geplante Kapitel über Hegel nicht zur Ausführung gelangte, dürfte schließlich nicht nur äußere Gründe gehabt haben. Denn obschon Hegel in seinen jungen Jahren Ansichten vertrat, die in mancher Hinsicht »eine Übernahme, Modifizierung oder Weiterentwicklung von Gemeinplätzen adliger-konservativer Kritik am frühen Kapitalismus« waren39, brach er mit diesen doch bald und stellte sich, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, auf den Boden der Moderne. In seiner Phänomenologie des Geistes lehrte er den »Glauben an die Allmacht des Wissens«, in seiner Rechtsphilosophie die Trennung von Staat und Gesellschaft, in seiner Geschichtsphilosophie die Durchsetzung des Prinzips der Freiheit des Willens gegen das vorhandene Recht, die mit der Französischen Revolution vollzogen worden sei.40 Kaum überbietbar war endlich die wechselseitige Abneigung, die Hegel und die Romantiker einander entgegenbrachten. War für Hegel die Romantik, zumal die romantische Ironie, ein Exzeß der »leeren Subjektivität« Fichtes41, so meinte Friedrich Schlegel vom System Hegels, es verwechsele in seiner atheistischen Spitzfindigkeit und im Unwesen seines allumfassenden Rationalismus den Satan mit dem lieben Gott.42 Es mag sein, daß Hegels klassizistisch verengter Blick ihn blind machte für die Ansätze zur Autonomisierung des Ästhetischen in der Romantik43, doch wird er damit noch nicht zu einem Vertreter der Anti- oder Gegenmoderne. Seine Dialektik in eine Entwicklungsreihe zu stellen, die mit Justus Möser einsetzt und über Friedrich Schlegel und Adam Müller bis zu Nietzsche und Bergson führt44, ist so abwegig wie nur irgendetwas. Mannheims Entscheidung, seine Entwicklungskonstruktion auf Hegel zulaufen zu lassen, ist freilich nicht so zu verstehen, als habe er damit die Geschichte des Konservatismus als abgeschlossen betrachtet. Zwar stellt er es für ›historisch-dynamische Strukturzusammenhänge‹, zu denen

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er auch den Konservatismus zählt, als wesentlich heraus, daß sie in der Zeit einmal beginnen, in der Zeit ihr Schicksal haben und in ihr enden.45 Doch relativiert er diesen Gedanken für den Konservatismus gleich wieder. Auch wenn die alten Lebensformen unter dem Druck der kapitalistischen Rationalisierung dahinschwänden, rette sich das konservative Erleben doch, indem es »immer mehr auf die Ebene der Reflexivität und der methodischen Beherrschbarkeit jene Einstellungen zur Welt erhebt, die für das originäre Erleben sonst verlorengegangen wären.«46 Die konservative Grundintention, eine vortheoretische Willensdisposition, winde sich gewissermaßen aus der Zeit heraus, indem sie zur Theorie werde, zu einer Vergangenheit, die nicht vergehe, die vielmehr imstande sei, »sich stets, den neuen Stufen des Bewußtseins und der Sozialentwicklung entsprechend, [zu] transformieren und hierdurch sozusagen eine Linie im geschichtlichen Geschehen [zu] erhalten, die sonst absterben würde.«47 Zu dieser Auffassung ist Mannheim später auf Distanz gegangen. In einem vier Jahre später erschienenen Essay zu Ehren Alfred Webers kam er wohl noch einmal auf den Konservatismus zurück, rückte ihn nun aber in eine Phänomenologie des »utopischen Bewußtseins«, in der er als Zwischenstufe zwischen dem orgiastischen Chiliasmus der Wiedertäufer und der liberal-humanitären Idee einerseits, der sozialistisch-kommunistischen Utopie andererseits plaziert war. Läßt man den Widersinn einer Konstruktion beiseite, die »die konservative, in die Wirklichkeit eingesenkte Idee« einem Oberbegriff subordinierte, dessen wichtigstes Bestimmungsmerkmal gerade die Inkongruenz des Bewußtseins »mit dem es umgebenden ›Sein‹« sein sollte48, so fällt vor allem die Relativierung auf, die das utopische Bewußtsein in allen seinen Gestalten erfuhr. Die Gegenwart, heißt es dort, stehe im Zeichen einer »allmähliche[n] Senkung der utopischen Intensität«, eines »Verschwinden[s] des Utopischen in jedweder Gestalt« zugunsten einer fortschreitenden »Spannungslosigkeit«, wenn nicht auf der sozialen, so doch auf der ideellen Ebene.49 Zwar begegne man immer noch Utopikern, Romantikern und Ekstatikern, doch handele es sich dabei um Intellektuelle, Angehörige einer »Dünnschicht«, die gegen eine ubiquitär sich ausbreitende »Sachlichkeit« anzukämpfen hätten.50 Mannheim glaubte es nicht länger ausschließen zu dürfen, daß dieser Prozeß zu einer »völligen Destruktion aller spirituellen Elemente, des Utopischen und des Ideologischen zugleich« führen könnte51, wie

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Herbert Marcuse dies dreieinhalb Jahrzehnte später für die one-dimensional society behauptete, ließ allerdings auch nicht im Zweifel, welche Folgen dies aus seiner Sicht haben würde: »Das Verschwinden der Utopie bringt eine statische Sachlichkeit zustande, in der der Mensch selbst zur Sache wird.«52 Es lag in der Konsequenz dieser Gedankenführung, wenn in Mannheims letztem großen Buch von Konservatismus nicht mehr die Rede war.53

II. Was die zuletzt angedeutete Perspektive betrifft, so berührt sie sich in vielem mit Kondylis’ These einer zunehmenden »Antiquiertheit der politischen Begriffe«.54 Aber auch in der Auffassung des Konservatismus finden sich manche Übereinstimmungen. Hier wie dort ein historisch-typisierender Ansatz, darauf ausgerichtet, die »für eine ›Periode‹ relativ stabilen Typenbegriffe […] für die Erklärung und Deutung der Kulturgebilde« herauszuarbeiten und entsprechend den Konservatismus zeitlich und räumlich zu lokalisieren; hier wie dort eine Zurechnung von Denkweisen zu bestimmten Weltanschauungen und Ideologien sozialer Klassen, auch wenn dies im Fall des Konservatismus bei Mannheim zu einem deutlich breiteren Spektrum führt als bei Kondylis; hier wie dort eine ausgesprochen agonale Sicht der zwischen den Klassen waltenden Beziehungen, sowohl auf der Ebene der Interessen wie auf derjenigen der Ideen, die als »geistige Waffen« präsentiert werden.55 Und wenn Mannheim darauf beharrt, den Konservatismus nicht isoliert zu behandeln, sondern als Teil einer »Gesamtsituation«, dann ist es nicht weit zu Kondylis, der ebenfalls großes Gewicht auf die Spannungen und Wechselwirkungen legt, die zwischen dem Konservatismus und seinen jeweiligen Gegenspielern – dem Absolutismus, dem Liberalismus oder der Demokratie – bestehen. Gewiß: Mannheim sieht in dieser Lagerung die Kräfte von Aktion und Reaktion eindeutiger verteilt als Kondylis, der immer wieder davor warnt, den Konservatismus auf bloße Reaktion zu reduzieren. Aber lokalisiert letztlich nicht auch Kondylis die eigentliche Triebkraft der Veränderung im neuzeitlichen Rationalismus, der die Positivierung des Rechts und damit die Trennung von Staat und

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Gesellschaft vorantreibt? Was schließlich trennt eine Sichtweise, die in diesem Rationalismus die Manifestation einer »weltanschauliche[n] Grundhaltung« erkennt56, von einem Ansatz, der darauf zielt, ›Grundintentionen‹, Stilprinzipien sichtbar zu machen, die im Aufbau der Weltanschauungen und Ideologien wirksam sind?57 Eine erste Abweichung findet sich in der Bestimmung des Verhältnisses von Traditionalismus und Konservatismus. Anders als Mannheim, der dieses Verhältnis als eines zwischen präreflexiven und reflexiven Einstellungen deutet und dies zugleich mit einem zeitlichen Index versieht, weist Kondylis die Annahme zurück, es habe einen »stummen unreflektierten Traditionalismus der vorrevolutionären Zeit« gegeben, von dem sich dann der Konservatismus abgehoben habe.58 Die Behauptung einer solchen »teils unreflektierten teils passiven Billigung herrschender Verhältnisse [sei] historisch unhaltbar bzw. eine rein hermeneutische Fiktion«, die allenfalls insofern ein begrenztes Recht habe, als im 17. und 18.  Jahrhundert zeitweise eine gewisse »Müdigkeit des Adels nach seinen Niederlagen im Kampfe gegen den Absolutismus« zu verzeichnen sei.59 Zuvor jedoch, und dann wieder verstärkt zur Zeit der französischen Fronde und der prérévolution, habe es eine höchst bewußte, z. T. dezidiert an Aristoteles und Thomas von Aquin anknüpfende Verteidigung der überlieferten Strukturen der alteuropäischen Herrschaftswelt gegeben, und zwar sowohl von Seiten einzelner Autoren wie der Spätscholastiker oder der Monarchomachen, als auch von Seiten der dazu legitimierten Institutionen wie der Ständeversammlungen und vormodernen Parlamente.60 Diese Verteidigung aber, so der zweite Punkt, mit dem Kondylis andere Akzente setzt, reagierte auf eine Herausforderung, die nicht erst auf das späte 18. Jahrhundert datiert. Sie ergab sich durch das Aufkommen der modernen Souveränitätsidee und einer entsprechenden Praxis, in deren Gefolge sich die Politik aus ihrer Bindung an Religion und Ethik sowie an die herkömmlichen leges fundamentales löste und das Recht sich aus einer mit Sitte und Brauch identischen, ontologisch verbürgten Größe in eine zweckrational konzipierte und jederzeit in ihrem Bestand revidierbare Ordnung verwandelte. Auf diese Weise wurde die alteuropäische societas civilis, die in politischer Hinsicht polyzentrisch war (»wegen des Aufbaus des sozialen Ganzen auf der Grundlage von autonomen Oikoi und

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Korporationen«), in weltanschaulich-religiöser Hinsicht dagegen »monistisch«, auf den Kopf gestellt, war doch der vom entstehenden Absolutismus durchgesetzte Gesetzgebungsstaat politisch einheitlich und religiösethisch polyzentrisch, nämlich »tolerant«.61 Aus dem Widerstand gegen diese Umkehrung ist nach Kondylis der Konservatismus hervorgegangen, gestützt auf die politisch aktionsfähigen Schichten: den ländlichen, städtischen und höfischen Adel. Sein Ziel war, wenn nicht de jure, so doch de facto, die Adelsrepublik, die Sicherstellung der Naturwüchsigkeit und strukturellen Unabänderbarkeit der societas civilis62, in der Terminologie Louis Dumonts: des »homo hierarchicus« gegenüber dem »homo aequalis«. Daraus entstand die erste Stufe des Konservatismus, der »antiabsolutistische Konservatismus«, dessen Leitpräferenzen Kondylis folgendermaßen zusammenfaßt: »Priorität der Gruppe gegenüber dem in ihr geborenen und ihr lebenslänglich angehörenden Individuum«; Ausschluß der rechtlichen und politischen Unmittelbarkeit des Einzelnen; Ablehnung des Gleichheitsgedankens und »Verteidigung der Hierarchie sowohl unter den Ständen als auch innerhalb derselben.«63 Die letzte Abweichung ergibt sich unmittelbar aus den beiden anderen. So wie die Revolution des 18. Jahrhunderts in vielem nur eine Radikalisierung des absolutistischen Souveränitätsanspruchs war, war auch der gegenrevolutionäre Konservatismus  – die zweite Stufe des Konservatismus  – keine parthenogenetische Erscheinung, setzte er doch die Bemühungen des antiabsolutistischen Konservatismus um eine Bewahrung der societas civilis fort. Das geschah freilich unter Bedingungen, die es erforderlich machten, die Strategie neu zu justieren. Um die von der Revolution noch weit grundsätzlicher als vom Absolutismus negierte societas civilis zu verteidigen, entschloß sich der Adel, die vom modernen Staat bereitgestellten Zwangsmittel zunächst zu übernehmen und gegen den radikaleren Gegner zu wenden.64 Unter Umständen konnte dies die Errichtung oder auch nur die Tolerierung einer Diktatur bedeuten, welche man allerdings (wenn auch nicht immer erfolgreich) auf eine »kommissarische« (im Unterschied zu einer »souveränen«) Diktatur festzulegen bemüht war.65 Auf der gleichen Linie lag die Strategie, das Lager der Gegner zu spalten und den gemäßigten Flügel auf die eigene Seite zu ziehen – ein Vorhaben, das nicht nur auf der politischen Bühne spielte, sondern ein

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Pendant auf ideeller Ebene hatte: in zahlreichen Versuchen, »aufklärerische Sprache und gelegentlich auch (uminterpretiertes) aufklärerisches Gedankengut gegen die liberalen und demokratischen Auswüchse der Aufklärung zu verwenden«.66 Daß diese wie immer auch partielle Anpassung an den Gegner zu keiner stabilen Position führte, vielmehr in einen offenen Selbstwiderspruch mündete, der den Niedergang des Konservatismus beschleunigte, stand für Kondylis jedoch außer Zweifel.67 Eine Bedingung der Möglichkeit dafür war nach Kondylis, daß die Aufklärung als Denkweise des aufstrebenden Bürgertums mitnichten auf eine extreme Form des »Intellektualismus« reduziert werden kann, wie das bei Mannheim geschieht.68 Auch wenn es in ihr eine dahingehende Tendenz gab, war diese doch keineswegs vorherrschend. Die Hauptströmung der Aufklärung wandte sich vielmehr »gegen das, was sie als theologischscholastischen und cartesianischen Intellektualismus betrachtete, und dabei entwickelte sie eine umfassende antiintellektualistische Position, die nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch anthropologisch und geschichtsphilosophisch fundiert war.«69 Das wiederum ermöglichte es konservativen Ideologen, hieran anzuschließen und den aufklärerischen Antiintellektualismus gegen zentrale Normen und Absichten der Aufklärung selbst zu wenden. Das geschah z. T. im Ausgang von Positionen der literarischen Romantik, jedoch weder so ausschließlich noch so eindeutig, wie von Mannheim dargestellt. Weit davon entfernt, eine bloße Gegenbewegung gegen den neuzeitlichen Rationalismus zu sein, legte die Romantik nach Kondylis vielmehr den Akzent ganz auf die konstitutive Tätigkeit des ästhetischen Subjekts, das die Welt im Sinne Carl Schmitts »als Anlaß und Material seines unablässigen geistigen Experimentierens« behandelte.70 Staat und Gesellschaft gerieten von hier aus nicht in der geschichtlich konkreten Gestalt der societas civilis in den Blick, sondern als fiktive Gemeinschaft, »welche die vom romantischen Subjekt vertretenen (ästhetischen) Werte verkörpert«, also utopischer Qualität sei.71 Das habe zeitweilige Bündnisse zwischen dem Konservatismus und den romantischen Intellektuellen nicht ausgeschlossen, wie die Karriere von Adam Müller oder Friedrich Schlegel zeigt. Insgesamt aber sei die Romantik eine viel zu ambivalente Erscheinung gewesen, als daß sie in so exklusiver Weise für die Grundlegung des Konservatismus herangezogen werden könne, wie dies bei Mannheim der Fall sei:

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»Denn Konservativismus bedeutet Glaube an eine feste, überindividuelle und von keinem menschlichen Subjekt gemachte (geschweige denn aufgrund ästhetischer Kriterien improvisierte) Ordnung, also radikale Absage an jeden Subjektivismus und Individualismus. An der Notwendigkeit einer Wahl zwischen Romantik und Konservativismus konnte offenbar kein Weg vorbeiführen.«72

Daß der hier angesprochene Glaube das 19.  Jahrhundert nicht überlebt hat, ja schon um die Jahrhundertmitte deutliche Erosionserscheinungen aufwies, ist die nächste und im Ergebnis wichtigste Abweichung von Mannheim. Die Epoche zwischen 1789 und 1848 war für Kondylis wohl noch einmal eine Hochblüte konservativer Ideologiebildung, jedoch zugleich Schauplatz einer Doppelrevolution, die neben einer weiteren Ausgestaltung des souveränen Staates vor allem durch die Etablierung einer bürgerlich-kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung bestimmt war. Vor die Wahl gestellt, sich ihr anzupassen oder unterzugehen, entschied sich der Adel für das erstere. Er verwandelte sich in eine nach kapitalistischen Maximen wirtschaftende Grundrentnerschicht, akzeptierte die Trennung von Staat und Gesellschaft und öffnete sich sozial gegenüber dem bürgerlichen Reichtum und dessen Besitzern. Was zunächst als Modernisierung konservativer Politik gedacht war, wurde zu deren Transformation: »konservative Politik wird zur Interessenpolitik, angesichts der offensichtlichen Unwiederbringlichkeit des Alten läßt sie sich also nicht mehr von der Idealvorstellung der societas civilis, sondern von konkreten und beschränkten Zielen leiten, wobei stillschweigend vorausgesetzt wird, daß der Realisierungsrahmen dieser Ziele nur die neue bürgerlichkapitalistische Gesellschaft sein könnte.«73 Neuere Untersuchungen zu den sich konservativ nennenden Parteien des ausgehenden Kaiserreichs bestätigen diesen Trend.74 Mag es von Mannheims Standpunkt aus noch diskutabel sein, die Geschichte des Konservatismus bis in die Verfassungskonflikte des 16. Jahrhunderts zu verlängern, so ist in dieser Frage kein Kompromiß möglich, ist doch für Mannheim der Konservatismus Ausdruck einer Grundintention, die durch Vorgänge geschichtlich-sozialer Art wohl in Schwingung versetzt und in Richtung auf neue, von einer historischen Phase zur anderen sich wandelnde »objektive Gehalte« geöffnet wird, aber letztlich

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unberührt durch diese Wandlungen hindurchgeht75 – zumindest solange, wie die Kräfte in Geltung sind, die sie an ihrer Entfaltung hindern. Aus diesem Grund kann Mannheim seinen Untersuchungsgegenstand – »das konservative Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland« – als »Altkonservatismus« bezeichnen und damit grundsätzlich die Möglichkeit einer Erneuerung dieses Denkens in Gestalt eines »Jung-«, »Neu-« oder »Neokonservatismus« signalisieren, um von der vielzitierten »konservativen Revolution« zu schweigen.76 Eingelöst hat Mannheim diesen Scheck freilich nicht. Wie ein Konservatismus nach dem Altkonservatismus aussehen könnte, hat er nicht ausgeführt, aber immerhin in die die richtige Richtung gewiesen, indem er schon bei Friedrich Julius Stahl »die ersten Spuren des Einflusses liberaler Art auf den Konservatismus« ausmachte.77 So hat es auch Kondylis gesehen, allerdings sehr viel schärfer gefaßt. Aus seiner Sicht setzte in den 1830er Jahren in England und Frankreich sowie bald darauf auch in Deutschland eine Entwicklung ein, die mit dem »Aufgehen des Konservativismus im (Alt)Liberalismus« endete.78 Zwar veränderte sich dabei auch der Liberalismus, der sich beim Aufkommen der modernen Massendemokratie spaltete: in einen linken, sozialliberalen Flügel, der die ursprünglich rein formal verstandenen Grund- und Menschenrechte im Sinne universaler materieller Teilhaberechte deutete, und einen rechten, oligarchischen Flügel, der sich zunächst als alt-, dann als neoliberal bezeichnete und den Schulterschluß mit dem Konservatismus suchte.79 Dem letzteren aber kam dies nicht zugute, weil dabei mehr vom Liberalismus auf ihn abfärbte als umgekehrt. Die Umwandlung seiner Trägerschicht im kapitalistischen Sinne zog unvermeidlich die Loslösung von der Leitvorstellung der societas civilis nach sich und war Mitte des 19. Jahrhunderts so weit fortgeschritten, daß von Konservatismus nur mehr in uneigentlichem, metaphorischem oder polemischem Sinne die Rede sein konnte: einem Konservatismus in Anführungszeichen. »Die Geschichte des Konservativismus fällt weitgehend mit der Geschichte des Adels zusammen, was offensichtlich bedeutet, daß das Ende des Adels als traditionell (im Weberschen Sinne) herrschender Schicht auch das Ende des sozial relevanten und begrifflich prägnanten Konservativismus nach sich ziehen mußte.«80 Wenn Kondylis sich hier auf Max Weber beruft, dann deckt sich das mit dessen Urteil aus dem Jahr 1917, das den Konservativen bescheinigte,

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seit Stahl, Gerlach und den »alten Christlich-Sozialen« »politischen Charakter im Dienst großer staatspolitischer oder idealer Ziele […] niemals gezeigt« zu haben, vielmehr immer nur dann in Aktion getreten zu sein, wenn es um die Verteidigung von Geldinteressen, Ämterpatronage oder Wahlrechtsprivilegien ging.81 Diese Sichtweise wird durch das Urteil vieler zeitgenössischer Beobachter und moderner Forscher gestützt, die die konservative Partei auf dem Weg sahen, »mehr und mehr sozusagen eine rein agrarische Organisation« zu werden.82 Sie blendet jedoch aus, daß es sich dabei um das Resultat eines Prozesses handelt, von dem um die Jahrhundertmitte noch keineswegs absehbar war, wie er ausgehen werde. Von der Sezession der Wochenblattpartei über die Auseinandersetzungen zwischen Frei- und Deutschkonservativen, Alt- und Neukonservativen bis hin zur Stoecker-Krise in den 90er  Jahren war der Konservatismus kein erratischer Block, sondern eine Arena, in der sich zwar immer schärfer das Profil einer Interessentenorganisation und Interessentenideologie des agrarischen Sektors herausschälte, jedoch nur um den Preis einer beständigen Abstoßung damit nicht kompatibler Orientierungen. Mochte es den konservativen Parteien auch am Vorabend des Ersten Weltkriegs gelungen sein, die Reihen fest zu schließen, so hatten sich diese doch dafür merklich gelichtet. Hatten sie noch in den 80er  Jahren bei den Reichstagswahlen gut ein Viertel der Wähler gewonnen, so war dieser Anteil 1912 trotz einer absoluten Zunahme relativ gesehen auf etwas über 12 % gesunken, davon drei Viertel für die Deutschkonservativen, ein Viertel für die Freikonservativen.83 Kondylis hat das an einigen Stellen durchaus registriert, es allerdings nicht für erforderlich gehalten, seine These vom Untergang des Konservatismus um 1848 damit in Einklang zu bringen. Immerhin schließt sein Buch mit einigen Bemerkungen über »Das verstreute Erbe des Konservativismus« und enthält darüber hinaus Andeutungen, die erkennen lassen, daß der postulierte Schnitt so scharf nicht war. Das bezieht sich einerseits auf die Existenz einer »nationalkonservativen« Strömung in Gestalt der sog. Wochenblattpartei, die weniger eine Partei als vielmehr ein lockeres Bündnis einiger Abgeordneter und Beamter aus den westlichen Landesteilen Preußens war, das sich um das von Ende 1851 bis 1861 erscheinende Preußische Wochenblatt gruppierte.84 Den Anstoß zur organisatorischen Verselbständigung gaben allerdings nicht so sehr

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nationalpolitische als vielmehr spezifisch preußische Themen wie die Ablehnung der Verquickung von Religion und Politik durch den GerlachKreis oder der von der Regierung Manteuffel betriebenen Revitalisierung der Kreis- und Provinzialordnung.85 Das schloß ein starkes Engagement für die nationale Einigung Deutschlands nicht aus, legte dieses aber auf die kleindeutsche Lösung unter preußischer Hegemonie fest und vertrat verfassungs- und wirtschaftspolitisch einen so entschiedenen Legalismus, daß prominente Liberale wie Droysen oder Treitschke den Eintritt in die Redaktion des Wochenblatts erwogen.86 Insgesamt erscheint es deshalb angemessener, statt von einer eigenen »nationalkonservativen« Richtung von einer Variante des Liberalkonservatismus auszugehen87, wofür nicht zuletzt auch die Aufnahme und Fortführung vieler Ziele dieser Gruppe durch die 1867 gegründete Freikonservative Partei spricht, die im Kaiserreich als ›oberste Mehrheitsbeschafferin der Regierung‹ wirkte, indem sie von Fall zu Fall zwischen Deutschkonservativen und Nationalliberalen vermittelte.88 Deutlich eigenständiger erscheint dagegen die zweite von Kondylis angeführte Strömung, der sogenannte Sozialkonservatismus89, der dem Bestreben entsprang, die Erosion des Ancien Régime durch einen »kollektiven Patriarchalismus« zu kompensieren, wenn nicht auf dem Land, wo die Herrschaftsbasis des allem Kollektivismus abgeneigten Adels lag, so doch in Handwerk und Industrie. Durch eine korporative Organisation der dort Beschäftigten und eine Politik, die deren Interessen etwa in der Lohnfrage entgegenkam, hoffte man dem Konservatismus breitere Volksschichten zu erschließen, womit sich zugleich die Nebenabsicht einer Steigerung der Grundrente verband, sollte doch die Erhöhung der Arbeitslöhne zu einer Senkung der industriellen Profite führen und das Kapital in die Landwirtschaft umlenken. Eine derartige Förderung bestimmter gesellschaftlicher Interessen war indes nicht zu haben ohne gleichzeitige Aktivierung des bürokratischen Staates auf sozialpolitischem Gebiet, wodurch die Trennung von Staat und Gesellschaft weiter forciert wurde, gegen die der historische Konservatismus doch gerade angetreten war. Und dies mußte um so mehr der Fall sein, je mehr der Staat den Vorschlägen folgte, die aus den Reihen der Sozialkonservativen kamen – Vorschläge, die bald weit über das von Kondylis für möglich gehaltene Maß hinausgingen, indem sie etwa den Ausbau des Steuerstaates, die Schaffung eines Systems der sozia-

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len Sicherung oder umfassende Eingriffe in die Produktionsverhältnisse der Landwirtschaft auf die Agenda setzten. Was als Sozialkonservatismus begann, wurde auf diese Weise schließlich zum »Staatssozialismus«.90 Kombiniert man die hier nur grob angedeuteten Ansätze zu einer Transformation des Konservatismus mit dem Befund der neueren Sozialgeschichte, wonach sich der Adel keineswegs schon 1848 aus der Rolle eines historischen Akteurs verabschiedet hat, dann eröffnet sich die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit, den von Kondylis gesteckten Rahmen für eine Nachgeschichte des Konservatismus zu erweitern. Diese Nachgeschichte würde nicht an der These rütteln, daß der Konservatismus »keine historische oder anthropologische Konstante, sondern eine konkrete geschichtliche, also an eine bestimmte Epoche und an einen bestimmten Ort gebundene Erscheinung ist, die mit dieser Epoche oder selbst noch vor deren Ende dahinschwindet«.91 Sie würde aber im speziellen Fall Deutschlands mit einer Reihe von Hybridbildungen rechnen, bei denen sich genuin konservative Traditionsbestände mit Motiven und Topoi aus dem Ideenvorrat der modernen bürgerlichen Gesellschaft zu wie immer auch labilen Aggregaten verbänden und so die Geschichte des Konservatismus um einige Jahrzehnte über das von Kondylis angegebene Verfallsdatum verlängerten.

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2. Liberaler Konservatismus: Friedrich Julius Stahl

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ei allen Unterschieden stimmen Mannheim und Kondylis doch darin überein, daß der Konservatismus in Deutschland erst nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu voller Entfaltung gelangte. Legte Mannheim dabei den Akzent mehr auf den Beitrag der Romantik und der Historischen Schule1, so Kondylis auf die Mobilisierung des Gedankenguts der societas civilis, die zu einer »theoretische[n] und politische[n] Steigerung des Konservativismus« um 1800 geführt habe, und das, obwohl dessen sozialer Träger, der Adel, zur gleichen Zeit von einer Krise betroffen war. Immerhin seien die Kräfte der neuen Gesellschaft noch nicht stark genug gewesen, um diese Krise voll auszunutzen, im Gegenteil: »die Krise regte die noch immer beträchtliche Stärke (von Teilen) des Adels zu neuer Aktivität an, die neben ihren handfesten sozialen und wirtschaftlichen Resultaten eine emphatische Reformulierung der Rechtsauffassung der societas civilis, eine Idealisierung des Adels und überhaupt eine ideologische Revitalisierung des Konservativismus zeitigte.«2 Es bedarf keiner weit ausholenden Beweisführung, um sich von der Stichhaltigkeit dieser Ausführungen zu überzeugen. Bedingt durch den 30jährigen Krieg und seine lang anhaltenden Folgen, die Fürsten und Adel enger zusammenrücken ließen als in England oder Frankreich, blieb in Deutschland der antiabsolutistische Konservatismus wenig entwickelt und artikulierte sich erst zu einem Zeitpunkt, als bereits die Revolution ihren Schatten warf. Umso stärker profilierte sich seit Ende des 18. Jahrhunderts der gegenrevolutionäre Konservatismus. Dafür stand etwa das Werk des Burke-Übersetzers Friedrich Gentz (1764–1832) oder das Opus magnum des Schweizer Staatsrechtslehrers Karl Ludwig von Haller (1768– 1854), der mit seiner Restauration der Staats-Wissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesezt (6 Bde., 1816–1834) einer ganzen Epoche den Namen gab.3 Haller war es auch, der ab 1831 dem Kreis um das Berliner politische Wochenblatt wichtige Impulse für dessen Kampf gegen den Absolutismus wie gegen die Revolution vermittelte.4 Initiator des Blattes war der Offizier

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und hochrangige Diplomat Joseph Maria von Radowitz (1797–1853)5, faktischer Leiter in den ersten beiden Jahren der Berliner Professor der Rechte Carl Ernst Jarcke (1801–1852), der im Herbst 1832 als Nachfolger von Gentz an die Wiener Staatskanzlei berufen wurde.6 Wichtige Beiträge lieferten unter anderen der in Halle lehrende Historiker Heinrich Leo (1799–1878) sowie der zeitweise ebenfalls dort tätige Landgerichtsdirektor Ernst Ludwig von Gerlach (1795–1877).7 Sie alle verteidigten, mal der katholischen Soziallehre bis zurück auf Thomas von Aquin zuneigend (Jarcke), mal geprägt von der protestantisch-pietistischen Erweckungsbewegung mit ihrer Reich-Gottes-Perspektive (Leo, Gerlach)8, im übrigen auch nicht durchweg borussozentrisch argumentierend9, die societas civilis gegen den Absolutismus in all seinen realen oder vermuteten Gestalten: der Diktatur der Beamtenschaft, dem liberalen Konstitutionalismus oder der Volkssouveränität. Als sich dieser Kreis in den 40er  Jahren um eine theoretische Kapazität wie Friedrich Julius Stahl (1802–1861) erweiterte, schien alles dafür zu sprechen, daß es den Konservativen gelingen könnte, die durch Revolution und Reform entbundenen Kräfte aufzufangen und einer Restabilisierung der societas civilis auf höherem Niveau zuzuführen. Die nähere Betrachtung zeigt freilich, daß dieser Höhepunkt des Konservatismus bereits sein Zenit war.

I. Bevor davon ausführlicher die Rede sein kann, muß jedoch zunächst die allzu pauschale und vereinfachende Rede von der »Krise des Adels« etwas zurechtgerückt werden. Hält man sich, dem gegebenen Rahmen entsprechend, an Preußen, so fällt vor allem ins Auge, wie ungleichmäßig die Entwicklung dort verlief, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit im ökonomischen, rechtlichen, sozialen und politischen Feld. Ökonomisch war schon die ältere Gutsherrschaft in Preußen lange vor den Stein-Hardenbergschen Reformen kommerzialisiert10, gehörten die ostelbischen Güter doch zu jenem »Ring von Agrarlieferanten mit minderem sozioökonomischen Entwicklungsniveau […], der sich um die neuen Metropolen, zuerst um England, mit ihren industriellen Ballungszentren herumlegte.«11 Auf den schon 1717 ausgesprochenen Verzicht des königlichen Lehns-

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herren auf sein Obereigentum, der die Allodifikation der Lehensgüter einleitete, folgten 1807 und 1811 die Reformedikte, die die noch bestehenden ständischen Restriktionen des Bodenmarktes beseitigten und Güter wie Bauernhöfe zu frei handelbaren Waren machten. Fortan durften Bürger und Bauern adlige Güter erwerben, Adlige ihrerseits Güter mit bürgerlichen oder bäuerlichen Gerechtsamen.12 In den folgenden Jahrzehnten konnte der überwiegende Teil der Voll- und Kleinbauern seine guts- und grundherrlichen Verpflichtungen ablösen oder regulieren und auf diese Weise eine allmähliche Verschiebung der Besitzverhältnisse einleiten. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs befanden sich zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Ostelbiens im Besitz von Bauern, nur mehr ein Drittel gehörte Gutsherren.13 Und diese wiederum waren immer weniger mit jener traditionalen Aristokratie identisch, die von den Adelsideologen verklärt wurde. Stellte der Adel noch um 1800 neun Zehntel aller Rittergutsbesitzer, so waren es 1885 nur noch knapp die Hälfte, auch wenn es bei den großen Gütern über 1 000 ha noch mehr als zwei Drittel sein mochten.14 Mit rapidem Tempo verwandelte sich »die Ritterschaft in den Jahrzehnten vor 1848 erfolgreich vom herrschenden Stand zur herrschenden Klasse«.15 Von Max Weber her weiß man jedoch, daß es sich bei Vorgängen dieser Art nicht, wie im Kommunistischen Manifest avisiert, um ein Entweder-Oder handelt, daß, anders gesagt, Vergesellschaftung Vergemeinschaftung nicht ausschließt, jene Art von sozialer Beziehung, bei der die Einstellung des Handelns »auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht.«16 Vergemeinschaftend in diesem Sinne wirkte insbesondere die für Preußen seit Friedrich Wilhelm I. charakteristische Einbeziehung des Adels in die oberen Ränge des von ihm geschaffenen Militärsystems, das sich zwar im Kern einer zweckrational motivierten Interessenverbindung verdankte (und ipso facto Vergesellschaftung war), zugleich aber das damit einhergehende Ethos des »Dienstes« mit einem ständischen Charisma der Ehre verband.17 Auf der gleichen Linie lag die Zuweisung neuer, wie immer auch ›funktionsständischer‹ Muster durch einen Staat, der auf diese Weise die Verwaltungskosten zu senken bestrebt war.18 So sprach die 1823 eingeführte Provinzialständeordnung die seit 1807 gleichberechtigten adligen und bürgerlichen Rittergutsbesitzer als ersten Stand an und begründete damit

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eine »neuständische, grundbesitzbasierte Reprivilegierungspolitik«.19 Zugleich band sie die Wahlfähigkeit an einen seit zehn Jahren bestehenden, ununterbrochenen Grundbesitz und begünstigte damit den alten Adel, der einen von Jahr zu Jahr wachsenden Anteil an der Provinzialverwaltung stellte; die Landräte eingerechnet, besetzte er Mitte der 40er Jahre fast die Hälfte der Stellen.20 Die 1828 abgeschlossene Kreisreform, die den Rittergutsbesitzern auf den Kreistagen eine mindestens vierfache, maximal zehnfache Überlegenheit über die Vertreter der beiden anderen Stände bescherte, wurde 1846 von Carl Wilhelm von Lancizolle (1796–1871), einem Mitglied des Gerlach-Kreises, als »das interessanteste und bedeutungsvollste Glied in der ständischen Verfassung unseres Vaterlandes« gefeiert.21 Derselbe Staat, der mit seiner wirtschaftlichen Gesetzgebung die (alt)ständischen Gewalten auflöste, befestigte sie auf sozialer und politischer Ebene neu, indem er sie von den am Grundbesitz haftenden Pflichten befreite, sie durch Steuerexemtionen und Vergünstigungen bei der Kreditvergabe förderte und ihre Herrschaftsrechte auf kirchlichem, jurisdiktionellem und polizeilichem Gebiet bekräftigte.22 Der Ritterstand, so das Resümee Kosellecks, war damit »gesamtstaatlich eine Klasse, die jedermann zugänglich blieb, führende Schicht der Gesellschaft und ihres wirtschaftlichen Betätigungsfeldes. Auf der Kreis- und Provinzialebene wurde diese Klasse mit politischen Standesrechten neu privilegiert, kraft derer sie nicht zuletzt ihre ökonomischen Interessen zu wahren wußte. Auf der Kommunalebene schließlich behielten die Ritter eine lange und erkleckliche Reihe überkommener Herrschaftsrechte. Hier bildeten sie weiterhin – nicht in allen Provinzen – einen Stand im Wortsinn, freilich ohne die Pflichten der Fürsorge oder Armenhilfe tragen zu müssen, die seinen Rechten früher zugeordnet waren.«23

Dieser eigentümliche Prozeß, der gleichzeitig die Klassenbildung und die ständische Vergemeinschaftung vorantrieb, eben damit aber auch die Bildung einer composite elite nach englischem Vorbild erschwerte24, erfuhr weder durch die Revolution von 1848 noch durch die alsbald einsetzende Gegenrevolution eine grundsätzliche Änderung. Die Revolution fand ihren Niederschlag in der Verfassung vom 5. 12. 1848, die, auch wenn sie oktroyiert war und anschließend mehrfach geändert wurde, doch die Verwandlung

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Preußens in einen Verfassungsstaat ermöglichte und in wirtschaftlicher wie sozialer Hinsicht den Weg für die Industrielle Revolution freimachte. Die Gegenrevolution erzwang nicht nur die Wiederherstellung der gutsherrlichen Polizeigewalt in den ostelbischen Landgemeinden, sondern auch eine Reihe von Teilrevisionen der Verfassung im ständischen Sinne wie die durch Verwaltungserlaß im Mai 1851 verfügte Reaktivierung der alten Kreistage und Provinzialstände oder die Umwandlung der 1848 gebildeten Ersten Kammer aus einer reinen Besitzkörperschaft in das ab 1855 so genannte Herrenhaus, das seiner überwiegenden Mehrheit nach eine Adelskörperschaft war.25 In der Regierung, der Verwaltung und nicht zuletzt im Militär machte der Adel alle Einbußen wett, die er im Gefolge der Reformzeit erlitten hatte. Zehn Jahre nach der Revolution gehörten rund vier Fünftel der Oberpräsidenten und Landräte dem Adel an, in den oberen Rängen der Ministerial- und Provinzialverwaltung immer noch ein Viertel bis ein Drittel, im Offizierskorps gar zwei Drittel.26 Die so gewonnenen Positionen konnte er während des Kaiserreichs wiederum ökonomisch nutzen, indem er sich als »Broker« zwischen der Lokalgesellschaft und dem Gesamtstaat etablierte und eine Politik gezielter Regionalförderung initiierte, die insbesondere über den Straßen- und Eisenbahnbau »alljährlich Millionenbeträge aus den Steuereinnahmen der Boomzonen« in den Osten transferierte.27 »Der Stand der Rittergutsbesitzer«, so das Resümee Patrick Wagners, »behauptete hier nicht einfach tradierte Privilegien, sondern erhielt völlig neuartige Machtressourcen ohne jede Tradition.«28 Der Ausdruck »Gegenrevolution« erscheint insofern berechtigt, als man es keineswegs nur mit den »kleinen Staatsstreiche[n]« zu tun hat, von denen Huber spricht.29 Schon wenige Wochen nach den Märzereignissen von 1848 formierte sich ein ausgedehntes Netzwerk von konservativen Vereinen, dessen Organisation außerhalb Berlins maßgeblich von Landräten und hohen Beamten getragen wurde. Neben den Patriotischen Vereinen, den Preußenvereinen und dem Verein für König und Vaterland gehörte dazu auch der »Verein zum Schutz des Eigentums und der Förderung des Wohlstandes aller Volksklassen«, dessen Zielsetzung in dem ursprünglich geplanten Titel »Verein zur Wahrung der Interessen des Grundbesitzes und zur Aufrechterhaltung des Wohlstandes aller Klassen des Volkes« deutlicher zum Ausdruck kommt.30 Hier lagen die Keimzellen, aus denen nach dem Verfassungsoctroi vom Dezember

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1848 die Bildung einer konservativen Partei erfolgte, die über einen direkten Zugang zum König, Schlüsselstellungen in der Verwaltung und nicht zuletzt mit der schon im Sommer 1848 gegründeten Neuen Preußischen Zeitung, der sogenannten Kreuzzeitung, auch über ein eigenes Medium verfügte.31 Gerlachs vielzitiertes Wort von der ›kleinen, aber mächtigen Partei‹ sollte man freilich gleich aus zwei Gründen nicht zum Nennwert nehmen. Zum einen, weil diese Partei so klein nicht war, zählte sie doch in ihren rund 300  Vereinen etwa 60 000  Mitglieder, deren Repräsentanten zumindest in den 50er Jahren das preußische Abgeordnetenhaus beherrschten32; sodann, weil es weder um ihre Macht noch um ihre Kohärenz gut bestellt war. Die Macht mußte sie mit einem unberechenbaren König teilen, der sich zu keinem Zeitpunkt bereit fand, verfassungsstaatliche Gepflogenheiten zu akzeptieren.33 Die Kohärenz war schon aus rein organisatorischen Gründen prekär, bestanden doch zwischen den örtlichen Honoratiorenklubs und den Parteizentralen kaum Kontakte, um von einer Kontrolle der ersteren durch die letzteren zu schweigen.34 Hinzu kamen politisch-ideologische Gründe. Desintegrierend wirkte etwa die Haltung zur deutschen Frage, hing doch der lange Zeit tonangebende Kreis um Ernst Ludwig von Gerlach und die ›Kreuzzeitung‹ dem Ideal »einer gemeinsam ausgeübten, gleichberechtigten Führung Deutschlands durch Österreich und Preußen« an (»bei gleichzeitiger politischer Mediatisierung der kleineren und mittleren deutschen Länder«)35, während sich um das oben erwähnte Preußische Wochenblatt eine Gruppe bildete, die für den kleindeutschen Nationalstaatsgedanken eintrat und in Österreich nicht nur eine antipreußische, sondern schlechterdings antinationale Macht sah.36 Mit Beginn der »Neuen Ära« wurde die Wochenblattpartei sogar für einige Jahre zur Regierungspartei, konnte diese Stellung aber nicht halten, da infolge zunehmender Spannungen auf den Feldern der Wehr- und der Sozialpolitik die Konservativen ihre Mehrheit in der zweiten Kammer einbüßten. Hatte die Regierung sich noch 1855 auf 205 von 352 Sitzen stützen können, so kehrte sich das Verhältnis 1858 zugunsten der Liberalen um: diese erzielten 150 Mandate, während es die Mehrheitskonservativen nur noch auf 47 brachten.37 Es bedurfte indessen nicht erst dieser Rückschläge, um bei weiter blickenden Repräsentanten des konservativen Lagers das Bewußtsein zu

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schärfen, daß man 1848/49 nur erst eine Schlacht gewonnen hatte, jedoch noch lange nicht den Krieg. Zu ihnen gehörte an vorderster Stelle mit Friedrich Julius Stahl ein Autor, der entscheidende Prägungen durch den süddeutschen Konstitutionalismus erfahren hatte, bevor er an die Berliner Universität berufen wurde. Man hat von ihm und Ernst Ludwig von Gerlach als den »Dioscuren des preußischen Conservatismus« gesprochen38, und dies insofern zu Recht, als es sich zeitweilig um eine enge Waffenbrüderschaft handelte. Zwillinge im konservativen Geist waren beide jedoch nicht, im Gegenteil.39 Stahl sah 1848 in den Interventionen Gerlachs in der ›Kreuzzeitung‹ den »ächten Constitutionalismus entweder nicht beachtet oder nicht gehörig bezeichnet«.40 Von Gerlach wiederum ist überliefert, daß in seinen Augen Stahl »dem constitutionalismus vulgaris« verfallen war, den er nur durch christliche-sittliche Gefühle »conservativ zu temperiren« versucht habe. »Seine Wissenschaft war schwach und seine Füße hatten keinen Felsengrund unter sich; seine Gegner und seine tiefer sehenden Freunde sahen dies auch und hielten seine conservative Stellung für etwas relativ Zufälliges; er hätte allenfalls 1850 radowitzisch und 1851 bethmannisch sein können. Vielleicht (ich weiß es nicht) wäre er heute bismarckisch oder doch hengstenbergisch.«41 Auch Heinrich Leo, mit den Gerlachs während der 48er  Revolution eng verbunden, bekannte privatim, er habe Stahls »Art von Konservatismus […] nie von Herzen teilen können«. Rückblickend bemerkte er 1867: »Nur bei Aristoteles ist richtiger Konservatismus; und Stahl, den alle Welt für einen Konservativen preist, war richtig in platonischer Atmosphäre ertrunken. Für eine Zeit, wo der Weltgeist noch auf abstrakteren Pferden ritt als Plato, mag Stahl das Ansehen eines konservativen Stallmeisters zugestanden werden – das war aber damals und die Toten reiten schnell.«42 Für die Gründung einer Partei waren das keine guten Auspizien.

II. Sein Hauptwerk, Die Philosophie des Rechts43, hatte Stahl bereits abgeschlossen, als er 1840 auf ausdrücklichen Wunsch des neuen preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1840–1861) auf den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie, Staatsrecht und Kirchenrecht an der Berliner Universität be-

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rufen wurde. Die akademische Karriere des gebürtigen Bayern war bis dahin nicht sonderlich glücklich verlaufen. Schon während seines Studiums war er in Erlangen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Burschenschaft 1824 für zwei Jahre relegiert worden.44 Nach seiner Wiederzulassung hatte er 1826/27 zwar rasch Promotion und Habilitation absolviert und nach einigen Zwischenstationen den Sprung auf eine ordentliche Professur für Kirchenrecht, Staatsrecht und Rechtsphilosophie in Erlangen geschafft, doch geriet er als Vertreter der Universität in der bayerischen Ständeversammlung mit dem Ministerium über Fragen der Finanzverwaltung in Konflikt und mußte deshalb die Umwandlung seiner Professur in eine solche für Zivilrecht hinnehmen.45 Der Berliner Ruf befreite ihn aus dieser Lage und eröffnete ihm über die Universität hinaus zahlreiche neue Wirkungsmöglichkeiten: in der Preußischen Generalsynode, dem Evangelischen Oberkirchenrat, dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der von Ernst Wilhelm Hengstenberg gegründeten und geleiteten Evangelischen Kirchenzeitung und, ab 1848, der vom Gerlach-Kreis initiierten und getragenen Neuen Preußischen Zeitung, der ›Kreuzzeitung‹, zu deren Aktionären er zählte.46 Zu den Aktivitäten auf kirchlichem und publizistischem Gebiet kam im Gefolge der Revolution bald auch ein politisches Engagement. Nach den Märzereignissen trat er dem neu gegründeten Verein für König und Vaterland bei und ließ sich zusammen mit Savigny, Bismarck, Hermann Wagener u. a. in den Vorstand wählen.47 Im Februar / März 1849 skizzierte er einen »Entwurf für eine conservative Partei«, der heute als »das erste Parteiprogramm des preußischen Konservatismus« gilt.48 Im gleichen Jahr wurde er in die Erste Kammer gewählt, in der er einen im Vergleich zu Ernst Ludwig von Gerlach gemäßigteren Kurs einschlug.49 Vier Jahre später begegnet er als preußischer Kronsyndikus, Mitglied des Staatsrates und vom König auf Lebenszeit ernanntes Mitglied des Herrenhauses. Dessen Gestaltung ging ebenso auf seine Vorschläge und Initiativen zurück wie »die Beseitigung der Gemeinde-, Kreis- und Provinzialordnungen von 1850; der Entwurf eines Ehescheidungsgesetzes von 1855; die Aufhebung des Art. 40 der Verfassung, welcher die Errichtung von Fideicommissen untersagte« sowie die »Einführung der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie vom 30. Mai 1853«.50 Die Nachwelt hat deshalb nicht gezögert, Stahl zu den »maßgebenden konservativen Theo-

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retiker[n]« zu zählen, ja seine Lehre zu der »bedeutendste[n] des deutschen Konservatismus überhaupt« zu erklären.51 Dafür spricht zunächst auch einiges. Mit Jarcke oder den Gerlachs wußte sich Stahl einig in der Überzeugung, daß die Revolution von 1848 eine »Katastrophe« war52, ein schweres, wiewohl vorhersehbares Unglück, das dennoch, dem griechischen Wortsinn entsprechend, die Möglichkeit einer Umkehr, einer Wendung zum Besseren in sich barg. Vorhersehbar war dieses Unglück, weil die neuere Menschheit sich von der durch Christus geoffenbarten göttlichen Ordnung abgewandt und einer Weltanschauung verschrieben hatte, die die Macht des »reinen Denkens« und dessen Freiheit von allen vorgegebenen, »naturwüchsigen« Ordnungen behauptete.53 Ihr Wesensmerkmal war der doppelte Anspruch, sich von allem Vorgegebenen distanzieren und zugleich radikal neu ansetzen zu können. Sie begann im 17.  Jahrhundert mit Grotius als »subjektiver Rationalismus«, der in »freie[r] Thätigkeit des Gedankens« die »Uebereinstimmung des Menschen mit der Welt« aufhob und sich »selbst eine eigene Welt« schuf54, formte sich aus in den Systemen des »abstrakten Naturrechts« von Pufendorf über Thomasius und Wolff bis zu Kant und Fichte55 und entfaltete ihr destruktives Potential in der ersten französischen Revolution, die sich von allen früheren Erhebungen unterschied; war sie doch nicht bloß Empörung, sondern Umkehrung des überlieferten Herrschaftsverhältnisses selbst, insofern »Obrigkeit und Gesetz grundsätzlich und permanent unter den Menschen stehen [sollten], statt über ihnen«.56 Seinen politischen Ausdruck fand der subjektive Rationalismus in den »Parteien der Revolution«, die seit 1789 das Geschehen bestimmten: der liberalen, der demokratischen und der sozialistischen Partei.57 Der Liberalismus als Klassenpartei des Mittelstands legte alles Gewicht auf das Prinzip der individuellen Freiheit und wurde damit zum »Zugführer der ganzen Revolution«, in mancher Hinsicht verwerflicher als alles, was folgte.58 Er propagierte die »Ablösung der Menschlichkeit von der Gottesfurcht«59, die Trennung von Staat und Kirche, die »Entgliederung der Gesellschaft« und die Freiheit der Konkurrenz, und grub sich doch sein eigenes Grab, indem er sich in den Widerspruch verstrickte, einerseits »menschlich willkürlich den ganzen öffentlichen Rechtszustand neu zu machen«, andererseits aber »überall das Vermögen zur Bedingung des politischen Vollrechts« zu erklären«, womit er unvermeidlich die Kritik aller davon Ausgeschlossenen

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heraufbeschwor.60 »Denn, wenn der Wille des Menschen die einzige berechtigte Macht in der gesellschaftlichen Ordnung ist, warum blos der Wille der Begüterten und Gebildeten?«61 Mit dieser »Halbdurchführung der Principien der Revolution«62 wollten sich die Demokraten und Sozialisten nicht abfinden. Die ersteren, gestützt auf die »Volksmasse (peuple)«, setzten anstelle der liberalen Apotheose des Individuums die Apotheose der Gattung, die Vergötterung des Volkes, den Fanatismus der Brüderlichkeit63, brachten aber lediglich in Nordamerika eine halbwegs lebensfähige Ordnung zustande, die jedoch aufgrund der Sonderbedingungen ihrer Existenz nicht auf andere Länder übertragbar war und im übrigen auch erst noch die Probe auf ihre Dauerhaftigkeit zu bestehen hatte.64 Wahrscheinlicher (und durch die Entwicklung in Frankreich bestätigt) sei, daß der einmal in Fahrt gekommene Radikalismus der Gleichheit von der politischen auf die soziale und wirtschaftliche Ebene übergreife und zur Forderung nach Vermögensgleichheit, dem Schibboleth der sozialistischen Partei, führe.65 Deren Novum sei, daß sie nicht den Staat, sondern die Gesellschaft umgestalten wolle. Der Staat überhaupt sollte ihr zufolge aufhören, es sollte nur noch Gesellschaft geben, die statt auf Konkurrenz auf »Association« zu gründen sei, auf »Gemeinsorge und Wechselbürgschaft der Ernährung«, auf Beseitigung der »Naturwüchsigkeit der Volkswirtschaft«.66 Das Ergebnis sei indessen wie schon im Fall der Demokratie eine nicht enden wollende Nivellierung aller Unterschiede, eine Dynamik der Zerstörung, die Stahl nicht anders zu deuten wußte als den »Ausbruch einer dämonischen Macht der Vernichtung, die unter den gottgegründeten Fundamenten der gesellschaftlichen Ordnung vulkanisch lauert«.67 Angesichts der Katastrophe des subjektiven Rationalismus war es in gewissem Sinne ein Fortschritt, wenn die zeitgenössische spekulative Philosophie sich um einen neuen, ›objektiven Rationalismus‹ bemühte. Namentlich in der Philosophie Hegels erkannte Stahl »ein sicheres Bewußtseyn, daß die Losreißung des Menschen von der Welt nicht zum Wahren führe«68, sondern geradewegs zu Chaos und Anarchie. Hegel habe sich »ungemeine Verdienste« in der Bekämpfung aller Irrlehren des subjektiven Rationalismus erworben, die entweder, wie Kant, die Freiheit der Individuen und die bloße Rücksicht auf deren Koexistenz zum ausschließlichen Prinzip gemacht oder gar wie Rousseau die »Souveränetät der Masse« propagiert

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hätten.69 Er habe den vom Naturrecht untergrabenen Institutionen von der Familie bis zum Staat ihr Ansehen zurückgegeben und sie aus bloßen Mitteln für das Individuum wieder in Einrichtungen verwandelt, welche »ihre Nothwendigkeit, den Grund ihrer Geltung«, in sich selbst tragen, anstatt sich auf Willen und Vertrag der Individuen zu gründen.70 Schließlich habe er »die Einsicht in die Grundgestalt der sittlichen und bürgerlichen Ordnung dadurch in hohem Grade gereinigt und gefördert, daß er eine höhere (substantielle) ethische Ordnung und die Freiheit und Berechtigung des Menschen in untheilbarer Einheit als ihr Wesen erkannte.«71 Der schon bald nach seinem Tod einsetzende Rückfall seiner jüngeren Schüler auf den subjektiven Rationalismus habe indessen gezeigt, daß die von Hegel gewonnene Objektivität »eine bloß scheinbare« war.72 Wirkliche Objektivität, so Stahl, hätte darin bestanden, eine »reale Macht außer und über dem Menschen« und insonderheit außerhalb seiner Denkbestimmungen anzuerkennen.73 Tatsächlich aber habe Hegel alle Realität in diese Denkbestimmungen aufgelöst und sich einer »pantheistischen Weltanschauung« verschrieben, die nach allen Seiten bestreitbare Ergebnisse zeitige.74 Indem Gott nicht mehr wie in der christlichen Tradition als ein überweltlicher persönlicher Schöpfer gefaßt werde, sondern als unpersönliches, in sich inhaltsloses Absolutes, welches sich zu dem Gegensatz von bürgerlicher Gesellschaft und Staat dirimiere, würden beide zu sakrosankten Größen, die je unterschiedliche Objektivationen des Absoluten begründeten. Mit der ersteren habe Hegel der modernen, von Adam Smith begründeten Wissenschaft der Nationalökonomie Rechnung getragen, der wohl das Verdienst zukomme, »die große, der früheren Zeit ganz fremde Einsicht in die Naturgesetze der Gütererzeugung zu Tage gefördert« zu haben, die jedoch zugleich die Produktion »isolirt als absoluten Zweck und in abstracto als das von der Gesellschaft für die Gesellschaft erzeugte Vermögen« betrachtet und auf diese Weise vom »sittlichen und darum auch vom ächt politischen Princip« abgelöst habe.75 Andererseits habe Hegel mit seiner Bestimmung des Staates als des sich in der Geschichte verwirklichenden Gottes den von Hobbes und Rousseau auf den Weg gebrachten »Staatsabsolutismus« erneuert und zu einer »ultragouvernemental[en]« »Apotheose des Staates« gesteigert, die ebenso inakzeptabel sei wie die der Gesellschaft. Gewiß bildeten beide je für sich ein System, hier den wirtschaftlichen, dort den herrschaftlichen Verband

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der Nation, die durchaus einem je eigenen »Bildungsprincip« folgten. Falsch sei jedoch, sie auseinander zu reißen: »Gesellschaft und Staat, das sociale und das politische Gebiet, sind nun aber nur unterscheidbar, nicht trennbar. Sie sind nur die verschiedenen Seiten einer und derselben nationalen Existenz und Aufgabe. Sie durchdringen sich deßhalb überall ohne scharfe Gränzlinie und stehen überall in Wechselwirkung. […] Trennung des Socialen und des Politischen ist also überall ein Irrthum.«76 War dies eine Absage an die Bauprinzipien der Moderne und eine Rückkehr zum Modell der societas civilis mit ihrer Einheit von Staat und Gesellschaft, Öffentlichem und Privatem, mithin eine Bekräftigung der Positionen des klassischen Konservatismus?

III. Auf der Gegenseite, der »Partei der Revolution«, wie Stahl sie nannte, war man davon überzeugt. Altliberale wie Rudolf Gneist und Johann Caspar Bluntschli sahen Stahl »an der Spitze der Partei, welche sich als Träger ritterlicher Lebenssitte, als preußische Aristokratie, als geschaffen für die unproduktive Arbeit des Vornehmseins« dargestellt und den Anspruch erhoben habe, »Vertreter des göttlichen Rechts und des christlichen Prinzips im Staat« zu sein.77 Liberale im Kaiserreich charakterisierten ihn als den »Staatsrechtslehrer der Reaktion« und als »Schutzredner des Junkertums« (Theobald Ziegler ) oder warfen ihm vor, »den uralten theokratischen Gedanken im Interesse der preußischen Konservativen zu modernisieren« (Georg Jellinek).78 Noch Marxisten folgten dieser Linie, wenn sie, wie Georg Lukács, in Stahl nur den Apologeten des »feudal-absolutistischen Konservativismus« zu fassen vermochten, oder, wie Herbert Marcuse, seine Philosophie als Verrat an den progressiven Inhalten von Hegels System präsentierten.79 Was den »Feudalismus« angeht, so sprach sich Stahl zwar deutlich für eine Aristokratie aus80, doch erkannte er damit lediglich eine notwendige Prämisse desselben an, nicht aber die von Haller und anderen daraus abgeleiteten Konklusionen. Aus seiner Sicht war die neuere Entwicklung dadurch gekennzeichnet, daß der historische Adel nach und nach die von ihm ursprünglich monopolisierten Rechte und Funktio-

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nen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu teilen genötigt worden sei: die Herrschaftsausübung mit der Krone und der von ihr installierten Bürokratie; die Bildung mit der Geistlichkeit und der städtischen Intelligenz; die Reichtumserzeugung mit dem Wirtschaftsbürgertum.81 Stahl beschrieb diese sukzessive Depotenzierung des Feudalismus, die in mancher Hinsicht das später von Otto Hintze entworfene Schema vorwegnimmt82, nüchtern und ohne jeglichen Anflug von Nostalgie. Wohl galten ihm die Reste des alten, »romantischen« Adels, worunter er den Geblütsadel verstand, als eine Erbschaft, die auszuschlagen nicht ratsam war, verbürgte sie doch das unersetzliche Maß an Kontinuität und ›conservativer Gesinnung‹.83 Im Unterschied jedoch zu Gerlach, der die Stein-Hardenbergschen Reformen ablehnte, weil sie nur die negative Freiheit an die Stelle der positiven gesetzt hätten84, akzeptierte er, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, die daraus hervorgegangene Befreiung »von Feudalität und Patrimonialität und Hintersässigkeit und den kastenartigen Ständen«.85 Wenn es weiterhin Aristokratie geben sollte (wovon Stahl überzeugt war), so nur in einem neuen Sinne, der einem Ausgleich der gesellschaftlichen Stellung der Stände nicht entgegenstand, ja das allgemeine Staatsbürgertum voraussetzte und damit näher an »Elite« lag.86 Anstatt lediglich die »alte Familienaristokratie, diese angeborene Superiorität«, zu konservieren oder wiederherzustellen, wie dies die Schriftsteller der Restauration erstrebten, empfahl Stahl vielmehr, dem »Streben der Zeit zur Hülfe zu kommen, […] den socialen Verband, der in älterer Zeit auf dem Lande rein monarchisch-patrimonial, in den Städten geburtsaristokratisch war, in gewissem Sinne zu republikanisiren (zu gemeindlichen), aber doch dort an den großen Grundbesitzern, hier sowohl an den städtischen Magistraten als an den Begüterten und den Hervorragenden in jedem Gewerbe, einen Schwerpunkt zu erhalten«, kurzum eben jene composite elite zu schaffen, wie Stahl sie an England bewunderte.87 Namentlich die Entwicklung der »Ritterschaft«, die sich in Preußen bereits zu mehr als zwei Fünfteln aus nichtadligen Gutsbesitzern rekrutierte, schien ihm die Gewähr dafür zu bieten, daß der Adel bereits auf dem besten Weg sei, sich in eine Gentry zu verwandeln.88 Hierzu paßt die Kritik, die Stahl an den »feudalistischen Legitimisten«, den »Anhänger[n] der altständischen Monarchie« übte.89 Da er in ihnen eine Fraktion der »konservativen Partei«, der »Partei der Legitimität« sah90,

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vermied er es, diese Kritik zu scharf zu formulieren. Die von Haller, Gentz oder Jarcke befürwortete Politik galt ihm insofern als Bündnispartner, als sie »einen energischen Widerstand gegen die liberalbüreaukratische Entgliederung der Gesellschaft« bildete und damit Positionen hielt, die auch in der künftigen Ordnung unverzichtbar seien. Es gelte deshalb, »die Lehren und Forderungen derselben nicht geradezu abzuweisen, sondern sie zu läutern, sie in eine bessere, der gegenwärtigen Stufe entsprechendere Auffassung aufzunehmen.«91 Was nach dieser Läuterung übrig blieb, war freilich nicht allzuviel. Hallers Lehre, wonach das ganze Staatsgefüge »eine Stufenfolge eigenberechtigter Obrigkeiten zwischen dem obersten Herrn und der Bevölkerung« sei und alle gesetzlichen Einrichtungen privatrechtlichen Charakter hätten, sei anachronistisch, ein Relikt mittelalterlichen Denkens, das den Errungenschaften der neueren Zeit nicht gerecht werde.92 Es fehle der Gedanke des allgemeinen Staatsbürgertums, da die große Masse der Untertanen mediatisiert, selbständigen Hoheitsträgern untergeordnet sei; wie es auch an einer repraesentatio in toto fehle, da die Landesvertretung aus gesonderten Ständen in Kurien bestehe, von denen jede ihre jeweiligen Rechte gegenüber dem Fürsten vertrete, ohne eine »Mitwirkung für den Staatshaushalt im Ganzen« zu besitzen.93 Die Überwindung dieses ›ständisch-patrimonialen‹ Systems, wie Stahl es nannte94, durch den Gang der geschichtlichen Entwicklung sei »kein Verlust, sondern ein Fortschritt«: »Das Zusammenschließen der Nation zur Einheit, die wesentliche Gleichheit des Staatsbürgerthums, die innere Gesetzmäßigkeit des Staats, die Herausbildung der öffentlichen Rücksichten über den blos persönlichen Banden, der Gedanke der Berufung für eine höhere Ordnung – alles das sind wirkliche Vorzüge des neuen Staats, Merkmale eines höheren Typus, sind unstreitige Züge der Weltentwicklung. Eine Rückbildung in jenen früheren Zustand wäre daher nicht heilsam, auch wenn sie möglich wäre. So wäre es namentlich wunderlich, wenn man zur Stütze unserer Monarchie die alten Stände vor dem großen Kurfürsten wiederherstellen wollte, auf deren Ueberwindung gerade diese Macht gegründet ist.«95

Daß Stahl es für ein vergebliches Unternehmen hielt, sich auf den Boden des älteren Ständewesens zu stellen96, bedeutete allerdings keine prinzi-

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pielle Absage an ständische Vergemeinschaftung. Neben den sogenannten Privatständen, die sich der »Befriedigung des Lebensbedürfnisses, daher insbesondere der Vermögenserzeugung« widmeten97 (und deshalb im Weberschen Sinne eher als Klassen zu bezeichnen wären), kannte Stahl ›öffentliche Stände‹ (Beamte, Geistliche und Militär) sowie ›politische Stände‹, bei denen »grundsätzlich das Bewußtseyn der nationalen Gemeinschaft über das des Standes und die Principien über die Interessen überwiegen« sollten.98 Die dafür angemessene Form sei die »reichsständische Verfassung«, das berufene Organ der Vertretung die »Versammlung der Auserlesenen (die Elite) aus allen Ständen«, »die wahre und reine Darstellung (Repräsentation) des Volkes«.99 Basierend auf dem freien Mandat, ausgestattet mit dem Recht auf Zustimmung zu allen Gesetzen, insbesondere zum Staatshaushalt100, sollte diese Vertretung ihrer Natur nach »vorherrschend konservativ« sein, sich zu der eigentlichen »konservativen Macht im Staate« entwickeln und sich nötigenfalls auch gegen die Regierung stellen, wo es galt, »das Bestehende zu schirmen«.101 Mit der Behauptung, eine reichsständische Verfassung im geschilderten Sinne gewähre »eine bedeutende Ermäßigung und Berichtigung gegen büreaukratische Richtung der Regierung«102, konnte Stahl sich auf den antiabsolutistischen Konservatismus berufen. Zwar setzte er insofern einen anderen Akzent, als er die absolute Monarchie für die im Vergleich mit der altständischen Verfassung höhere Form hielt, sei doch der »Fortgang in der Geschichte von der früheren Autonomie zur echten Centralisation […] ein Fortgang vom niederen Organismus zum höheren Organismus«.103 Da sie sich jedoch im Unterschied zum Despotismus, wie er außerhalb des christlichen Europa verbreitet sei, stets durch »strenge Beobachtung der erlassenen Gesetze, Unabhängigkeit der Gerichte und gesicherte Rechte der Unterthanen« auszeichne, sei ihr ein hohes Maß an historischer Bewährung nicht abzusprechen, wie ihr auch eine sachliche Angemessenheit für besonders heterogen strukturierte Staaten (Österreich) zuzubilligen sei.104 Als optimale Lösung aber könne sie weder aus historischen noch aus sachlichen Gründen gelten. Aus den ersteren nicht, weil die absoluten Könige auf dem Kontinent eben jene »naturwüchsige Ordnung und die stetige Entwicklung« zerstört hätten, die in England aufgrund der »Eingeschränktheit des Königthums« lange bewahrt geblieben sei.105 Aus den letzteren nicht, weil sich inzwischen gut begründete »Forderungen nach

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Schutz der individuellen Freiheit, nach verbürgten staatsbürgerlichen Rechten, nach politischen und socialen Vollrechten des höheren Bürgerthums, nach unverbrüchlicher Verfassung und Rechtsordnung« erhoben hätten, über die hinwegzugehen arbiträr wäre, »falsche Reaktion«.106 Die richtige, »gesunde und nothwendige Reaktion«107 konnte nach Stahl nur darin bestehen, die Defizite beider Seiten zu korrigieren, ihre Errungenschaften auf eine neue Stufe zu heben und mit den Anforderungen der Gegenwart zu vermitteln. Die dafür angemessene Regierungsform sei die »ständisch konstitutionelle Monarchie«, die an die alten Stände anknüpfen, sie jedoch in einen »höheren Typus« überführen sollte, »nämlich aus dem bloß privatrechtlichen in den öffentlich-rechtlichen staatlichen Charakter, aus dem blos ständischen in den nationaleinheitlichen Charakter«108; die hierzu passende Verfassungsform die »institutionelle Monarchie«, die durch zwei Merkmale bestimmt sei: die Berücksichtigung ständisch- aristokratischer Elemente bei der Gestaltung der Landesvertretung und die Prävalenz des ›monarchischen Princips‹ gegenüber dem parlamentarischen. Beides zusammen begründe eine im Vergleich zur rein konstitutionellen Monarchie, wie sie von den Liberalen angestrebt werde, höhere Form: »eine wirkliche Monarchie im alten Begriff, selbständig, in voller starker königlicher Gewalt, aber das Königthum umgeben von Institutionen, die es beschränken und ihm ihre eigene Gesetzmäßigkeit und höhere Nothwendigkeit zum Gebote machen.«109 Was das monarchische Prinzip für Stahl alles implizierte, sei hier noch einen Augenblick zurückgestellt. Zuvor sind die beiden Begriffe in den Blick zu nehmen, die den institutionellen Charakter der anvisierten Verfassung illustrieren: das Verständnis des Staates als einer »Anstalt der Beherrschung« und als »Rechtsstaat«.110 Obwohl in »Beherrschung« bzw. »Herrschaft« ein schwer zu leugnendes voluntaristisches Element steckt, tritt es doch in der Verbindung mit »Anstalt« stark zurück hinter Bedeutungen, die zeitlich auf ununterbrochene Kontinuität zielen, sachlich-strukturell auf Einheit, Ordnung und Gesetzmäßigkeit.111 Dabei ist die postulierte Kontinuität das allgemeinere, der Ordnungscharakter das spezifischere Merkmal, das in den frühen (patriarchalischen, patrimonialen, polizeistaatlichen) Formen des Staates nur schwach entwickelt zu sein pflegt, um erst in den Republiken des Altertums und der frühen Neuzeit (z. B. von den Puritanern) institutionalisiert zu werden, von wo aus es dann, Stahl zufolge, auf die großen

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monarchischen Flächenstaaten übertragen wurde – und zwar nicht bloß auf die konstitutionell verfaßten, sondern auch auf die absolutistischen. Durch die Republik, so der für einen vermeintlichen Apologeten des Absolutismus immerhin überraschende Befund, sei »eine allgemeine Wahrheit weltgeschichtlich zu Bewußtseyn und Existenz gekommen: der anstaltliche (institutionelle) Charakter des Staates, daß der Staat seinen eigenen Bedingungen und Anforderungen, seinen innewohnenden Gesetzen und nicht der bloßen Persönlichkeit der Obrigkeit, sey es monarchische oder republikanische, zu folgen habe, ja daß diese Persönlichkeit der Obrigkeit selbst nur ein Glied der Institution ist. […] Ja der Gedanke des Staates selbst ist republikanisch in diesem Sinne, und ihn kann die Bildungsstufe Europa’s sich nicht wieder rauben lassen.«112

Die hier angesprochene Errungenschaft zeigte sich empirisch auf doppelte Weise. Zum einen in der Funktionalisierung des Fürsten, dessen Zwangsgewalt nicht länger als »in seiner Person, sondern als im Wesen der Anstalt« begründet zu denken sei (man könnte auch sagen: in seiner Rolle als ›Anstaltsleiter‹)113; zum andern in einer entsprechenden Versachlichung seines Regiments. Der Staat, so Stahls bis zum Aufkommen des staatsrechtlichen Positivismus wirkungsmächtige Definition, solle Rechtsstaat sein, d. h. »die Bahnen und Gränzen seiner Wirksamkeit wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts genau bestimmen und unverbrüchlich sichern«, jedoch die darüber hinausweisenden materialen Postulate »nicht weiter verwirklichen (erzwingen), als es der Rechtssphäre angehört, d. i. nur bis zur nothwendigsten Umzäunung.«114 Das hat Stahl den Vorwurf eingebracht, den ursprünglich sehr viel weiter gehenden, auf das »menschlich erreichbare Maß an Vernünftigkeit des Gesetzes« zielenden Sinn des Rechtsstaates, wie er vom Frühkonstitutionalismus entwickelt worden sei, auf ein rein formelles Verständnis reduziert zu haben, das als »Ersatz für die demokratische Partizipation der Bürger« fungiert habe.115 Soweit damit gemeint ist, daß Stahl kein Demokrat war, ist dem nicht zu widersprechen. Im Verständnis des Rechtsstaates jedoch als einer Ordnung, die sich durch die Bindung der Staatsgewalt an das Gesetz und die Einräumung einer freien Individualsphäre auszeichnet, war die Differenz seiner Vorstellungen zu altliberalen Konzeptionen, wie sie

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etwa Robert von Mohl vertrat, nicht allzu groß.116 Für einen Liberalismus »im ächten Sinn«, der dem Untertan Sicherungen gebot gegen die Obrigkeit, »selbst gegen die Gesetze des Staates, daß sie nicht in die Sphäre, die nur seiner Freiheit gebührt, eingreifen«, hatte Stahl offensichtlich einiges übrig.117 Und so überrascht es denn auch nicht, bei diesem Bannerträger des Konservatismus auf Elogen zu stoßen, die dem Liberalismus ausdrücklich bescheinigen, »den überkommenen Zustand geläutert, ihn in Einrichtungen und Sitten menschlich gemacht« und sich damit eine eine »unleugbare Berechtigung« erworben zu haben: »Ihm verdankt man die Abschaffung der Tortur, der grausamen Strafen und der Leibeigenschaft, die religiöse Toleranz, die Erhebung und das Selbstgefühl der mittlern und selbst der geringern Klassen, die ungehemmte Entfaltung aller geistigen Kräfte, die volle Würdigung, die den menschlichen Werth unabhängig von Stand und Geburt zu schätzen weiß. Dieser weltgeschichtliche Beruf und dieses Verdienst des Liberalismus soll nicht verkannt werden, und es hat deswegen auch nicht an ausgezeichneten Trägern desselben gefehlt in der Epoche, in welcher solches Geltendmachen des Menschlichen die Hauptaufgabe war.«118

Von hier aus gesehen kann man Stahl zu den Autoren rechnen, die sich für eine Verschmelzung von Konservatismus und Liberalismus in dem von Kondylis bezeichneten Sinn stark gemacht haben.119

IV. Der Rechtsstaat wie auch der ihm korrespondierende nationalökonomische Zustand, das sah Stahl allerdings genauer als die Liberalen, waren instabile Systeme, die leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnten. Der nationalökonomische Zustand gestaltete sich weniger nach den Vorgaben von Adam Smith, denen zufolge sich die interessegeleiteten Handlungen der Einzelnen durch die unsichtbare Hand des Marktes zu einer harmonischen Einheit fügen sollten, als vielmehr nach denjenigen von Simonde de Sismondi, für den aus der Konkurrenz eine Anhäufung des Reichtums bei Wenigen und eine »Verarmung der großen Masse« resultierten – Folgen,

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die Eingriffe in den Wirtschaftsprozeß unabdingbar machten, wenn anders die bestehende Ordnung nicht gesprengt werden sollte.120 Insbesondere sei es geboten, der unbedingten Gewerbe- und Handelsfreiheit entgegenzutreten und Maßnahmen zu ergreifen, die »nicht bloß die Möglichkeit künftigen Vermögens in abstracto eröffnen, sondern vor Allem das bestehende Auskommen den Inhabern zu erhalten suchen.«121 Ebenso instabil erschien Stahl der Rechtsstaat, sei er doch der permanenten Gefahr eines ›arbitrary government‹ ausgesetzt122, die ihm gleich von mehreren Seiten drohe: von denjenigen Fraktionen der Partei der Legitimität, die sich entweder dem bürokratischen Absolutismus verschrieben hatten oder theokratischen Ordnungsmodellen anhingen, welche die Eigengesetzlichkeiten von Staat und Recht leugneten und den religiösen Imperativen unmittelbare Geltung verschaffen wollten; aber auch von den Parteien der Revolution, für die Staat und Recht bloße Mittel waren, sei es zur Absicherung der wirtschaftlichen Freiheit (wie die Liberalen), sei es zur Umverteilung des Reichtums (wie die Sozialisten). Stahl lag nicht falsch, wenn er im Unterschied zu späteren Kritikern der konstitutionellen Monarchie wie Carl Schmitt oder Ernst-Wolfgang Böckenförde eine Ausbalancierung der auseinanderstrebenden Kräfte für möglich hielt, wie sie auch von der neueren Verfassungsgeschichtsschreibung anvisiert wird.123 Worin er sich allerdings irrte, war sein Glaube, sich damit noch in der Kontinuität des historischen Konservatismus zu befinden. Sollte der Rechtsstaat funktionieren, so sein Gedankengang, bedurfte es einer Instanz, die die »Erzwingbarkeit« des Rechts gewährleistete.124 Das aber setzte einen Status derselben voraus, in dem diese »alles Ansehen in sich vereinigt und keinen Richter auf Erden hat« – eine Bedingung, die Stahl in dem modernen, erstmals von Bodin ins Spiel gebrachten Konzept der »Souveränetät« erfüllt sah.125 Zur vollen Entfaltung habe Hobbes dieses Konzept gebracht und sich »ein wahres wissenschaftliches Verdienst« erworben, indem er »den Gedanken der Einheit des Staats im Gegensatze einer bloßen Gesellschaft und, damit zusammenhängend, den Gedanken der Souveränetät […] zuerst in seiner ganzen Tiefe ausgesprochen« habe.126 Seither wisse man, daß der Staat als die »Anstalt zur Beherrschung des gesammten menschlichen Gemeinzustandes […] die Eine, oberste, die souveräne Macht auf Erden« sei, deren Gesetzgebungsmacht keine Grenze

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gesetzt sei, auch nicht in Form einer richterlichen Kontrolle der verfassungsmäßigen Statthaftigkeit der Verordnungen.127 In dieser Eigenschaft, die sich nach Stahl letztlich ›göttlicher Fügung‹ verdankte, lag jedoch zugleich das Risiko einer Überziehung dieser Macht in Richtung einer »Omnipotenz« bzw. eines »Absolutismus des Staates«.128 Das hatte schon der historische Konservatismus so gesehen und deshalb dafür plädiert, die Abkoppelung des Staates von der Gesellschaft rückgängig zu machen. Stahl hingegen reagierte anders. Er trennte zwischen der souveränen und der absoluten Macht auf Erden, indem er dem Staat unumschränkte Gewalt nur in formeller, nicht in materieller Gewalt zuschrieb. Danach könne der Staat sämtliche Gewohnheiten und Traditionen, »Freiheit, Vortheil, Rechte der Individuen, der Gemeinschaften, der Kirche in der Sphäre, welche überhaupt seiner Anordnung unterliegt«, beliebig ändern, Sachen enteignen oder Rechte abschaffen, und doch mit Grund Verbindlichkeit und Gehorsam für seine Anordnungen erwarten.129 Eine Schranke sollten seine Eingriffe dagegen in jenen Sphären finden, die einer »höheren Ordnung« zugehörten, worunter Stahl keineswegs nur die religiösen Überzeugungen verstand, sondern auch die »politische Gesinnung«, die Freiheit der Berufswahl oder die Erziehung. Zwar schlug der formelle Anspruch auf Gehorsam auch hier insofern durch, als die staatlichen Anordnungen nicht aktiv durchkreuzt werden durften, doch stehe den Betroffenen »die Protestation und der passive Widerstand« zu.130 Optimal verwirklicht war diese temperierte Form der Souveränität in Staaten, die sich dem »monarchischen Prinzip« unterworfen hatten. War die Souveränität »ein reiner und unmittelbarer Rechtsbegriff«, so bezeichnete das monarchische Prinzip »eine thatsächliche Stellung«131, die, mit Max Weber zu reden, in der Sphäre des realen Geschehens anstatt in derjenigen des ›ideellen Geltensollens‹ lag, daher auch lediglich »empirische Geltung« beanspruchen konnte.132 Es gewährte dem Herrscher die Kompetenz zur Abfassung der Gesetze, zur alleinigen Durchführung der Administration und zur Verfügung über die dafür erforderlichen Mittel, räumte aber zugleich den hiervon Betroffenen bzw. ihren Vertretern, den »Reichsständen«, Rechte ein, die sowohl Schutzmittel zur Einhaltung der Verfassung betrafen als auch eine Mitwirkung an der Gesetzgebung ermöglichten.133 Unter den fortgeschrittenen Bedingungen der Gegenwart

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seien die Stände nicht mehr auf die Geltendmachung isolierter Befugnisse beschränkt, vielmehr komme ihnen »die große mächtige Bedeutung [zu], den gesammten öffentlichen Rechtszustand zu schützen, sie sind die Wächter und Garanten für Erhaltung und Beobachtung der Gesetze, für Ordnung und gesetzmäßige Verwendung im Staatshaushalte und üben eine moralische Macht der Anregung und Fortbildung.«134 Die Gefahr, daß die Balance nach der einen oder anderen Seite kippte, wollte Stahl nicht grundsätzlich in Abrede stellen. Es erschien ihm jedoch möglich, dagegen ein hinreichendes Maß an Sicherungen zu mobilisieren. Die herausgehobene Stellung des Fürsten legitimierte er nicht allein mit dessen Funktionen, sondern auch mit religiösen und nicht zuletzt ästhetischen Argumenten, die die Kategorie des »Erhabenen« bemühten, um den Anstalten »eine höhere Bedeutung« zuzuschreiben, seien diese doch nicht allein durch menschliche Zwecke bestimmt, sondern auch durch das »Urbild«, das sie darstellen sollten. Stahl zögerte deshalb nicht, sich die von Schelling erhobene Forderung zu eigen zu machen, »daß der Staat ein Kunstwerk sey, daß Schönheit des öffentlichen Lebens, große, erhabene Einrichtungen bestehen, um ihretwillen, nicht um irgend ein Individuum als letzten Zweck zu befriedigen.«135 Vor allen anderen Staatsformen habe die Monarchie den »Vorzug der Ursprünglichkeit und Erhabenheit der Herrschaft«, der darin liege, daß ihre Gewalt »nicht von den Unterthanen kommt, sondern von sich selbst besteht« und daraus ihren Anspruch auf Pietät, Ehrfurcht und Gehorsam bezieht.136 Im Konfliktfall sollte deshalb der Krone, und nur ihr, »die letzte Entscheidung« zustehen.137 Als Gegengewichte hierzu dachte sich Stahl Institutionen wie die Hausherrschaft und die durch Ausbau der Fideikommisse zu festigende, zugleich aber nicht mehr kastenartig abgeschlossene Grundherrschaft138, die ständische Gliederung sowie nicht zuletzt die christlichen Kirchen139, beruhten doch auf dem Christentum das Ansehen des Königtums, das Bildungs- und Erziehungswesen, die »Harmonie nationaler Einheit und ständischer Gestaltung, staatsbürgerlicher Gleichheit und verschiedener Berufsstellung mit besonderer Berechtigung und Ehre«.140 Um ganz sicher zu gehen, verlangte allerdings auch Stahl eine förmliche Garantie dieser stabilisierenden Faktoren durch ein Staatsgrundgesetz (Konstitution), das nicht einseitig, sondern nur durch den Fürsten und die Landesvertretung zusammen zu ändern sei.141

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Für die Vertretung der Stände war ein Zweikammersystem vorzusehen, das den »Gegensatz herrschaftlicher und gemeiner (d. i. nicht-herrschaftlicher Stellung)« repräsentieren sollte.142 Für die Erste Kammer, das Oberhaus, kam Stahl den Ideologen der Restauration insoweit entgegen, als er der erblichen Pairie einen Anteil einräumte, den er jedoch an anderer Stelle gleich wieder zurücknahm.143 Wichtiger erschien ihm eine Repräsentation der »mächtigsten Elemente des Landes«, die sich aus der Ritterschaft und den Städten rekrutierten: eine Gruppe, die in der Gegenwart allein noch repräsentierte, was in früheren Zeiten die Geburtsaristokratie gewährte, »aber jetzt nicht mehr vermag: eine starke konservative Macht und eine starke Stütze der Krone.«144 Auch die Zweite Kammer sollte überwiegend aristokratischen Zuschnitts sein, jedoch so, daß im Unterschied zur Ersten Kammer die Prinzipien Vorrang vor den Interessen haben würden. Das implizierte nach der negativen Seite die Ausscheidung des Geburtsadels, der Stahl allzusehr auf sein ständisches Interesse fixiert und auf Abgeschlossenheit bedacht zu sein schien; nach der positiven Seite eine Abbildung des wirklichen Machtverhältnisses der Stände, die freilich je nach Land unterschiedlich ausfallen konnte.145 Für Preußen sah Stahl eine »Führerschaft der Aristokratie« als gegeben an, von der allerdings zu verlangen sei, daß sie sich nicht exklusiv gegenüber den übrigen Ständen, namentlich der nichtadeligen Ritterschaft und den höheren bürgerlichen Ständen verhalte, im übrigen auch berücksichtige, daß »ihre Abordnung durch die ganze ländliche Bevölkerung, mit der sie zusammenschließt, mit bedingt ist«. Halte sie sich an diese Maximen, sei ihre Führerschaft gerechtfertigt, sei diese doch mitnichten ein traditional überkommenes Privileg, sondern funktional begründet.146 Von einer nach diesen Bauprinzipien gestalteten Landesvertretung zeigte sich Stahl überzeugt, daß sie sich von »einer Macht der Zersetzung in eine Macht der Erhaltung« verwandeln werde, »daß sie wie sonst den revolutionären Fortschritt so den geschichtlichen Zustand vertrete und eine Bürgschaft der Stetigkeit gewähre, daß sie wie sonst der Nebenbuhler der Krone so der treue Wächter der Krone sey, und daß sie hierdurch auch im Lande eine konservative Partei hervorrufe und ihr als Mittelpunkt und Wegweiser diene.«147 Der hier anvisierte Konservatismus hatte freilich mit dessen historisch überlieferten Gestalten nur noch wenig gemein. Er rechnete bereits mit der Trennung von Staat und Gesellschaft und damit der Dekomposition

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der societas civilis, unterstellte eine nach den Regeln des Marktes und der Konkurrenz operierende Eigendynamik der Gesellschaft einschließlich der Aristokratie und trug auch sonst dem Prozeß der funktionalen Differenzierung Rechnung, etwa im Verhältnis von Recht und Moral, von Staat und Kirche148, auch wenn Stahl, erschrocken vor der eigenen Kühnheit, wieder zurückruderte und verlangte, die bürgerliche Gesetzgebung mit der kirchlichen in größeren Einklang zu bringen oder die Wechselwirkung des Sozialen und des Politischen zu beachten.149 Stahl mochte sich noch so stark dafür machen, die Elemente, »die auf dem Bande zu der Vergangenheit ruhen« gegen alle diejenigen zu verteidigen, »welche nach einer neuen Zukunft drängen«, er mochte noch so sehr darauf insistieren, den Vorrang des ›hervorragenden Reichtums‹ vor den mittleren und ärmeren Ständen zu sichern.150 Am Ende war, was er als »das konservative Princip« offerierte, nicht sehr viel mehr als »eine gewisse Vorliebe für das Bestehende und ein Streben nach langsamerem Gange der Veränderung.«151 Und da dieses Bestehende seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch die moderne bürgerliche Gesellschaft und ihren Staat bestimmt war, spricht dies für Deutungen, die in Stahl eher den »Totengräber« des Konservatismus sehen als dessen »Chefideologen«.152 Aber das war eine Einsicht, der sich nicht bloß zu Stahls Zeiten die Akteure gern verschlossen, so daß dieses Buch hier noch nicht zu Ende sein kann.

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3. Einstürzende Neubauten: Hermann Wageners Revision des Konservatismus

I

n einem noch heute lesenswerten Überblick über Geschichte und Programmatik der konservativen Partei in Deutschland aus dem Jahr 1908 konstatiert der Verfasser, Oscar Stillich: »Das geistige Heldenzeitalter der Konservativen, in der Stahl, Gerlach und Wagener die Parteiforderungen wissenschaftlich vertieften, ist vorüber, und die neue Zeit findet ein kleines Geschlecht.«1 Ersetzt man das sicher zu hoch gegriffene Wort »wissenschaftlich« durch »intellektuell«, wird man dieser Einschätzung beipflichten müssen. Was um 1900 noch unter Konservatismus lief, zeichnet sich gerade durch einen ausgeprägten Antiintellektualismus aus2, mit der Folge, daß es schwer fällt, für diese Periode auch nur einen einzigen Namen zu nennen, der es mit den oben Genannten an geistiger Spannweite und Prägnanz aufnehmen könnte. Gleichzeitig läßt sich aber auch nicht übersehen, daß schon für das »Heldenzeitalter« erhebliche Brüche und Inkompatibilitäten zu verzeichnen sind. Arbeitete Ernst Ludwig von Gerlach auf die Wiederherstellung der societas civilis hin, um damit zunehmend ins Abseits zu geraten, setzte Friedrich Julius Stahl auf einen Reformkonservatismus, der den politischen und sozialen Veränderungen nicht bloß negativ gegenüberstand, jedoch mehr Gepäck über Bord warf, als man im Kreis der Doktrinäre hinzunehmen bereit war. Mit Hermann Wagener ist sogar noch eine dritte Strömung benannt, durch die der Konservatismus vollends zu einem heterogenen Phänomen wurde. Anfangs ein Protégé Gerlachs, trat Wagener zunehmend aus dessen Schatten, um sich bald darauf zum »bedeutendsten Protagonisten einer konservativen Sozialpolitik im 19. Jahrhundert« zu entwickeln.3 Dem Konservatismus ist das zwar nicht zugutegekommen. Wohl aber der Erschließung eines neuen Politikfeldes: der Sozialpolitik.

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I. Hermann Wagener, geboren am 8. 3. 1815 in einer kleinen Gemeinde der Ostprignitz, war eine Gestalt, die sich durch ihren sozialen Status, durch ihre religiöse Orientierung sowie durch eine Reihe ungewöhnlicher persönlicher Eigenschaften von den meisten übrigen Repräsentanten des preußischen Konservatismus unterschied.4 Als Sohn eines Pfarrers war Wagener bürgerlicher Herkunft. Erst nach seinem Ausscheiden aus der ›Kreuzzeitung‹ erhielt er von seiner Partei als Abschiedsgeschenk das Gut Dummerfitz im Kreis Neustettin und rückte damit, wenn auch nicht in den Adel, so doch in den Kreis der ländlichen Elite auf. Daß er von Landwirtschaft nicht viel verstand und auf diesem Feld daher wenig reüssierte, unterschied ihn nicht von vielen anderen Gutsbesitzern, wohl aber sein Engagement in der Sekte der Irvingianer, in der er die Stelle eines Diakons einnahm und sogar Predigten hielt.5 Die Weltanschauung dieser von Edward Irving (1792–1834), einem Mitglied der SchottischPresbyterianischen Kirche, geprägten Richtung war, nach dem Urteil von Schoeps, »dualistisch-pessimistisch und einem schroffen Chiliasmus verschrieben«, demzufolge die Gegenwart seit der Französischen Revolution als von gottesleugnerischer Verwirrung bestimmte Endzeit galt.6 Denkbar, obschon nicht beweisbar, daß in dieser apokalyptischen Weltsicht die von Theodor Fontane bemerkte Bereitschaft zum Hasardieren, aber auch eine gewisse Bedenkenlosigkeit hinsichtlich der zu verwendenden Mittel wurzelte, die für Wagener typisch wurde.7 Nach dem Studium der Rechtswissenschaften war Wagener einige Jahre in Westpreußen tätig, bis ihn Ernst Ludwig von Gerlach als Assessor nach Magdeburg und bald darauf an die ›Kreuzzeitung‹ holte. Seine durch zahlreiche Beleidigungsprozesse und Verurteilungen geprägte Karriere als Chefredakteur endete 1854, doch blieb er dem Blatt noch bis 1872 als Autor verbunden. 1857 begann er mit den Arbeiten zu einem bis 1867 auf 23 Bände anwachsenden Staats- und Gesellschafts-Lexikon, einer wahren »Enzyklopädie des Konservatismus« (Stillich), die explizit als Pendant zu dem seit 1834 erscheinenden Staatslexikon von Rotteck und Welcker gedacht war.8 1861 erwarb er die seit 1855 bestehende Berliner Revue, eine »social-politische Wochenschrift«, die es bis zu ihrer Einstellung Ende 1873 auf 75 starke Quartalsbände brachte.9 Schon zwei Jahre zuvor hatte sie sich

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für »die Emanzipation und Befreiung der Hintersassen des Industrialismus und der Plutokratie« ausgesprochen und »das Protektorat über die zahlreichen Vereinigungen und Korporationen« verlangt, in denen »die wirklich arbeitenden Klassen, unter denen die Aristokratie obenan steht, ihre soziale Selbständigkeit und politische Bedeutung suchen.«10 Im gleichen Jahr erschien mit der Preußischen Volkszeitung ein weiteres Blatt, das sich für Wageners Programm einer »Verteidigung des Handwerker- und Bauernstandes« stark machte.11 Der volle Umfang von Wageners Einfluß wird jedoch erst deutlich, wenn man sich neben diesen Aktivitäten im Feld der Publizistik auch seine politische Karriere vergegenwärtigt. 1853 wurde er mit Hilfe seines Freundes Kleist-Retzow vom Wahlkreis Belgard-Neustettin ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt, wo er, mit zeitweiliger Unterbrechung, bis 1870 tätig war. In den ersten Jahren trat er dort nicht nur mit verschiedenen Interventionen zur Änderung der in wesentlichen Zügen durchaus liberalen Verfassung hervor, auf die im nächsten Abschnitt näher einzugehen sein wird. Er unternahm zugleich verschiedene Anläufe, um »die große Schwäche der conservativen Partei«, den »Mangel eines positiven Programms«, zu kompensieren.12 1856 verfaßte er gemeinsam mit dem Gründer der Berliner Revue, Freiherrn von Hertefeld, sowie dem Rittergutsbesitzer, westpreußischen Landrat und Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, Moritz von Lavergne-Peguilhen13, die Grundzüge der conservativen Politik, die sich im ersten, von Wagener verfaßten Teil mit beträchtlichem rhetorischen Aufwand gegen den »Constitutionalismus« wandten, hinter dessen Schleier sich »die gewaltigen geistigen Mächte des Bösen« befänden, um es dann aber bei einer Verschiebung der Balance in Richtung des Königtums belassen, ohne an der Grundentscheidung für das System des monarchischen Konstitutionalismus zu rütteln.14 Die Forderung nach »Hebung der bis dahin gesellschaftlich und staatlich unterworfenen Klassen« wurde nur pauschal erhoben und nicht weiter konkretisiert, plädierte man doch dafür, »alle socialen Fragen in die Special-Legislatur« zu verweisen und »die Initiative der Details der besseren Einsicht und Information der Staatsregierung« zu überlassen.15 So blieb es im wesentlichen bei Maßnahmen für die beati possidentes, deren Besitz vor den Gefahren der Verschuldung und der Bodenzersplitterung geschützt und durch eine »zweckmäßige Darlehnsgesetzgebung sowie durch Herstellung gesunder

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Creditanstalten« gefördert werden sollte, flankiert von der Einrichtung korporativer Genossenschaften auf dem Gebiet des Handwerks und einer »Feudalisirung der Stellung des Fabrikherrn zu seinen Arbeitern«.16 Drei Jahre später, in einem Vortrag vor konservativen Parteigenossen, bekräftigte Wagener diese Forderungen noch einmal, ohne viel Neues hinzuzufügen. Immerhin ließ die scharfe Akzentuierung des »militärischen Charakters der preußischen Monarchie« bereits etwas von den Konflikten erahnen, die Preußen in den kommenden Jahren erschüttern sollten.17 1861 gehörte Wagener zu den Gründern des Preußischen Volksvereins, der als Gegenorganisation zur Fortschrittspartei konzipiert war und auf seinem Höhepunkt nach dem Krieg gegen Dänemark mehr als 50 000 Mitglieder zu mobilisieren vermochte.18 Im März 1866 wurde er auf Betreiben Bismarcks, mit dem er seit den 40er Jahren befreundet war, zum Zweiten Vortragenden Rat im Staatsministerium ernannt, sechs Jahre später, als Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat, zum Ersten Vortragenden Rat und damit zum wichtigsten Berater Bismarcks.19 Ob er in dieser Rolle, wie man gemeint hat, zum größten Politiker neben Bismarck avancierte, den die Konservative Partei hervorgebracht hat20, sei dahingestellt, doch zählte er bis zu seinem Sturz 1873 sicherlich zu den einfluß- und einfallsreichsten Köpfen dieser Partei, die er von 1867 bis 1871 auch im Norddeutschen Reichstag und danach bis 1873 im Reichstag vertrat. Auch nach seinem Abschied von der politischen Bühne, der durch die Verwicklung in einen der vielen Gründerskandale verursacht war, beriet Wagener Bismarck weiter, wie verschiedene von ihm verfaßte Denkschriften zu sozialpolitischen Fragen zeigen.21 Zum Bruch kam es erst 1877, als Wagener durch die Veröffentlichung von Interna Druck auf Bismarck auszuüben versuchte.22 Hermann Wagener war, wie zu Recht festgestellt worden ist, als Theoretiker »unbedeutend und unselbständig«.23 Er war jedoch nichtsdestoweniger »einer der klügsten Sozialdiagnostiker seiner Generation«24, wenn man darunter die Fähigkeit versteht, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich für Deutungsangebote zu öffnen, die mit althergebrachten Mustern brachen. Dazu gehörte eine kritische Haltung gegenüber den »herrschenden Stände[n]«, denen Wagener vorwarf, »die Schleusen der Speculation, der Agiotage, des persönlichen Reichwerdens« zu öffnen, »anstatt das Volk in der Beschäftigung mit den Problemen der socialen und staatlichen Organisation zu erziehen«25; gehörte die Bereitschaft zum Dissens

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mit dem eigenen politischen Lager, wo dieses sich allzu kompromißbereit zeigte; gehörte endlich auch die von keinen Skrupeln getrübte Übernahme von Essentials des gegnerischen Lagers, wenn sich damit die eigene Macht vergrößern ließ. Schon in den frühen 50er Jahren mußten sich die Häupter der konservativen Fraktion im Abgeordneten- wie im Herrenhaus Angriffe der »jeune droite« um Wagener und Bindewald gefallen lassen, die auf eine entschiedenere Haltung sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber den Liberalen drängten.26 Zur Zeit des Heereskonflikts wurde daraus gar ein förmlicher Bruch, als Ernst Ludwig von Gerlach und die ihm nahestehenden Kreise nolens volens an der preußischen Verfassung von 1848 und erst recht an deren revidierter Version von 1850 festhielten und Veränderungen allein auf legalem Wege angehen wollten27, Wagener hingegen Bismarck empfahl, den Verfassungskonflikt im Wege der »königliche[n] Diktatur« zu lösen. Diese sei zwar nur als ein »Notrechtsmittel«, gedacht »nicht zur Beseitigung, sondern zur Bewahrung der Verfassung«28, mithin eine kommissarische und keine souveräne Diktatur im Sinne der Terminologie Carl Schmitts.29 Doch schloß dies ein Vorgehen nicht aus, das an die radikale Phase der Französischen Revolution erinnert. So sprach Wagener dem »Terrorismus« »ein gewisses Recht« zu, »da die Völker vor allen Dingen erst wieder Gehorsam lernen müssen«, verlangte »die rücksichtsloseste Anwendung der verfassungsmäßigen Machtbefugnisse der Krone« gegen die Feinde der Monarchie – »die Oligarchen des Geldkapitals, sowie an deren Leine laufenden ›katilinarischen Existenzen‹ der Literatur und der wechselverbundenen freisinnigen Größen des Bürokratismus« – und steigerte sich bis zu der Forderung, die Fortschrittspartei, diesen Repräsentanten der Börse und der Bourgeoisie, nicht nur zu besiegen, sondern zu vernichten.30 Wie eine andere Denkschrift zeigt, wollte Wagener die königliche Diktatur zugleich im Sinne Lorenz von Steins verstanden wissen, der dem Königtum 1850 ins Stammbuch geschrieben hatte, es werde »fortan entweder ein leerer Schatten, oder eine Despotie werden, oder untergehen in Republik, wenn es nicht den hohen sittlichen Mut hat, ein Königtum der sozialen Reform zu werden.«31 Was bei Stein jedoch im Sinn einer Förderung der sozialen Aufstiegsmobilität im Rahmen einer auf Konkurrenz gegründeten Wirtschafts- und Sozialordnung gedacht war, reduzierte sich bei Wagener zu diesem Zeitpunkt auf das gezielte Bemühen, einen

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Keil in das oppositionelle Lager zu treiben, das sich seit der Wahlniederlage der Konservativen von 1858 im Aufwind befand.32 Um ein politisches Gegengewicht zu den Liberalen zu schaffen, empfahl Wagener der Regierung, den Interessen des kleinen Gewerbestandes und der Arbeiterschaft, »deren politische Bedürfnisse stets nach der monarchischen Gewalt gravitieren«, ein Stück weit entgegenzukommen.33 Dazu böten sich mit Blick auf das Handwerk eine schärfere Abgrenzung der Gewerbe an, eine Reorganisation der Gewerberäte sowie die Einrichtung von Gewerbegerichten und Handwerkerdarlehenskassen, bezogen auf die Arbeiter staatlich festgelegte Mindestlöhne, eine Freigebung der Stück- und Akkordarbeit, die gesetzliche Feststellung der Zusammengehörigkeit des Arbeiters und der betreffenden Fabrikzweige und die »Anerkennung des Satzes, daß andauernde Mitarbeit auch Miteigentum verschaffen muß.«34 Ein halbes Jahr später fügte Wagener hinzu: »Die wesentliche Aufgabe bleibt hier die Sicherung eines angemessenen Arbeitslohnes durch korporative Gestaltungen, ähnlich den zünftigen, welche solange innerhalb des Handwerks alle diesfallsigen Ansprüche befriedigt haben. Zugleich würde in solchen korporativen Gestaltungen auch die rechtliche Unterlage für die politische Vertretung jener Volksklassen gefunden, und dürfte es sich für die Regierung empfehlen, zur Koupierung der beginnenden politischen Agitation das nach Ständen geordnete allgemeine Wahlrecht, modifiziert vielleicht durch die Bedingung der Wehrfähigkeit, als ihr politisches Programm zu proklamieren.«35

Drei Jahre später, nach dem Sieg über Österreich, ließ Wagener die Einschränkung auf Stände fallen und legte darüber hinaus Verwahrung gegen den Vorwurf ein, er habe sich »jemals zu dem Census-System als zu einem echten politisch-konservativen Princip bekannt.« Mit dem Census-System habe der Konstitutionalismus sein eigenes Prinzip verfälscht, es sei deshalb konsequent, dem männlichen Teil der Bevölkerung das allgemeine und direkte Wahlrecht zu gewähren, als »das nothwendige politische Korrelat der allgemeinen Wehrpflicht«.36 Dieser Vorschlag blieb bekanntlich für Preußen unrealisiert, wo bis 1918 das Dreiklassenwahlrecht weiterbestand, wurde aber für die Verfassung des Norddeutschen Bundes übernommen, dessen konstituierender Reichstag im Februar 1867 gewählt wurde.37

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In der Wahl seiner theoretischen und praktischen Allianzen legte Wagener eine Haltung an den Tag, die je nach Standpunkt mehr als Unbedenklichkeit oder als Flexibilität erscheint. So erklärte er 1869, für die radikale Gewerbefreiheit und die Beseitigung der Zwangskassen zu stimmen, weil er aus der Geschichte so viel gelernt habe, »daß man ein Princip und jedes Princip sich erst muß vollenden lassen in seinen äußersten Konsequenzen, dann beginnt die Reaktion – und die wünsche ich.«38 Zur Vorbereitung eines Gesetzentwurfs über die Bildung von Gewerkvereinen, den er Bismarck vorlegen wollte39, setzte er sich im April 1866 mit Eugen Dühring (1831–1921) in Verbindung, einem Berliner Privatdozenten, auf dessen Kritische Grundlegung der Volkswirtschaftslehre (Berlin 1866) er aufmerksam geworden war. Dühring, der vor seiner scharfen Verurteilung durch Friedrich Engels (1878) erhebliche Resonanz in sozialistischen Kreisen fand40, obwohl er selbst dem Sozialismus in seinen damaligen Ausprägungen kritisch gegenüberstand, hatte das Prinzip, aus dem heraus Friedrich List seine Lehre vom Schutzzoll entwickelt hatte, »auf die verschiedenen Wirtschafts- und Gesellschaftsgruppen innerhalb der Nationen« übertragen und dies so gefaßt, »daß die Wirtschafts- und Sozialkämpfe nicht Kämpfe der Einzelnen untereinander, sondern Gruppenkämpfe sind«.41 Wie in der Weltmarktkonkurrenz die benachteiligten Nationen sich mithilfe des Schutzzolls zu behaupten vermochten, sollten in den Gruppenkämpfen innerhalb der Nationen die schwächeren Gruppen sich abschließen und organisieren, was in diesem Fall vor allem für die Arbeiter galt. In Kenntnis dieser Prämissen beauftragte Wagener Dühring mit der Abfassung einer Denkschrift über die wirthschaftlichen Associationen und socialen Coalitionen, die für die Arbeiterschaft ein freies Koalitions- und Arbeitsrecht forderte, den Staat zur Regulierung der Arbeitskämpfe in die Pflicht nahm und Ansätze zur Schaffung eines »Arbeiterrechts« entwickelte, »durch das der Staat Einfluß auf die Gestaltung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse« gewinnen sollte.42 Die Denkschrift erschien noch im gleichen Jahr im Druck, zunächst anonym, in der zweiten Auflage jedoch, zum Erstaunen und zur Erbitterung des Verfassers, unter dem Namen – Hermann Wageners. Der daraufhin ausbrechende Rechtsstreit ist von Dühring ausführlich geschildert worden und kann hier außer Betracht bleiben.43 Interessant ist der Fall vor allem deshalb, weil er zum einen die Bereitschaft Wageners zeigt, sich öffentlich

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mit der Forderung der Arbeiterschaft nach höheren Löhnen, gewerkschaftlicher Organisation und einer Legalisierung der »wirthschaftlichen Kriegführung gegen die Kapital-Herrschaft« zu identifizieren44, zum andern aber eine Übereinstimmung in der Strategie signalisiert, »auf die allseitige combinatorische Vereinigung antagonistischer Regungen« hinzuarbeiten.45 Denn genau darin waren sich Wagener und Dühring einig: »Die alten Parteien mussten, wenn nicht eine innere Wandlung, dann jedenfalls eine äussere Kreuzung erfahren.«46 Wenn man dennoch nicht zusammenkam, so dürfte dies von Wageners Seite her daran gelegen haben, daß er damals noch mit dem Gedanken liebäugelte, in den zu gründenden Gewerkvereinen »die beiden Klassen des gewerblichen Betriebes, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, gleichmäßig« zu vereinigen.47 Von Dührings Seite her erwies sich als Hindernis dessen Forderung, den oppressiven Staat zugunsten der aus Wirtschaftsgemeinschaften bestehenden ›freien Gesellschaft‹ zurückzudrängen48, was für Wagener entschieden zu weit ging. Denn so groß seine Vorbehalte gegen eine bürokratisch-absolutistische Gestaltung des Staates und seine Sympathie für eine Selbstregierung und -verwaltung intermediärer Gruppen auch sein mochten: daß ein moderner Staat ohne starke Zentralgewalt nicht vorstellbar war, stand für ihn fest.49 Eine Regierung, hieß es denn auch kategorisch, kann auf die Dauer nicht bestehen, »wenn es nicht eine Körperschaft giebt, wo die Souveränität voll, unbedingt und ungetheilt vertreten ist«.50 Und das war ein Postulat, das Wagener nicht nur von Dühring und vom Korporatismus trennte, sondern ebensosehr vom historischen Konservatismus.

II. Wageners Version des sozialen Königtums, von seinem Adlatus Rudolf Meyer nach 1871 rasch zum »hohenzollernsche[n] Kaiserthum der socialen Reform« aufgewertet51, scheint gleich in doppelter Hinsicht genuin moderner Natur zu sein: zum einen durch seine Neubegründung der Legitimität von bestimmten Funktionen her anstatt vom Gottesgnadentum52; zum andern durch die spezifische Auslegung dieser Funktionen auf materiale Postulate hin, wie sie für den modernen Sozialstaat typisch

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sind.53 Eine derart eindeutige Positionsbestimmung ist jedoch im Hinblick auf Wagener nicht durchzuhalten. In seinen Äußerungen und Aktivitäten durchkreuzen sich moderne und vormoderne Bestrebungen und gehen bisweilen intrikate Verbindungen ein, die eine genauere Einordnung erschweren. So ist zwar Funktionalität zweifellos ein in der Moderne besonders scharf ausgeprägtes Prinzip, doch läßt sich schwerlich bestreiten, daß sich das Königtum in allen geschichtlichen Erscheinungsformen auch durch die Erfüllung bestimmter Funktionen legitimiert hat, und daß unter diesen Wohlfahrtszwecke jedweder Art eine erhebliche Rolle spielten. Das gilt für das charismatische Königtum der Frühzeit, zu dessen Verpflichtungen es gehörte, das ›Wohlergehen der Beherrschten‹ sicherzustellen.54 Es gilt für das patrimoniale Königtum mit bürokratischer Verwaltung, die in ihrem »Interesse an der Zufriedenheit der Beherrschten« zu einer an utilitarischen oder materialen Idealen orientierten Regulierung der Wirtschaft tendiert, womit stets eine »Durchbrechung ihrer formalen, an Juristenrecht orientierten, Rationalität« verbunden ist.55 Und es gilt schließlich auch noch für das demokratisch legitimierte Königtum, die auf der Volkssouveränität beruhende plebiszitäre Herrschaft, die infolge ihrer »Legitimitätsabhängigkeit von dem Glauben und der Hingabe der Massen« genötigt ist, »materiale Gerechtigkeitspostulate auch wirtschaftlich zu vertreten, also: den formalen Charakter der Justiz und Verwaltung durch eine materiale (›Kadi‹-) Justiz (Revolutionstribunale, Bezugscheinsysteme, alle Arten von rationierter und kontrollierter Produktion und Konsumtion) zu durchbrechen.«56 Wie sehr bei Wagener moderne und vormoderne Motive ineinander verschlungen waren, zeigen die Initiativen, die er 1856 zur Revision der preußischen Verfassung von 1850 entfaltete. Nach dem Erfolg der Konservativen bei den Wahlen vom Herbst 1855 konstituierte sich im Abgeordnetenhaus eine »Commission für Verfassungs-Angelegenheiten« unter dem Vorsitz Ernst Ludwig von Gerlachs, die einen weiteren Umbau der bereits mehrfach revidierten Verfassung in die Wege leiten sollte. Der radikalste Vorstoß wurde im Januar 1856 von Wagener vorgetragen und noch im März Gegenstand einer erregten Debatte im Abgeordnetenhaus, an der sich auch die Öffentlichkeit beteiligte.57 Er zielte mit Artikel 4 auf eine zentrale Hinterlassenschaft der Revolution, die die Gleichheit aller Preußen vor dem Gesetz statuierte und dies mit zwei weiteren Bestimmungen

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verknüpfte: der Aufhebung der Standesvorrechte und dem gleichen Zugang aller dazu Befähigten zu den öffentlichen Ämtern. Wageners Antrag lautete auf ersatzlose Streichung dieses Artikels. Die Menschen seien zwar, wie es in Anspielung auf 1. Korinther 15,45 ff. hieß, »geboren in der Gleichheit des ersten, und berufen zur Gleichheit des zweiten Adam«, doch sei in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung die Gleichheit ersetzt durch die Ungleichheit der Gnadengaben und Ämter. Eine Gleichheit der politischen Rechte sei damit ebenso ausgeschlossen wie eine gesellschaftliche Gleichheit. Vielmehr sei Ungleichheit »authentisch, selbstverständlich und von göttlichem Ursprung, ja mit Blick auf das Entstehen und Funktionieren von Staat und Gesellschaft gar organisch.«58 Niemand, folgerte Wagener, einmal mehr unter ausführlicher Bezugnahme auf Lorenz von Stein, stehe im Staate isoliert da, vielmehr sei »die Person Theil und Glied organischer Anstalten und Verbindungen«, von denen keine aus gleichen Teilen bestehe. Die politischen Rechte, die aus der Zugehörigkeit zu diesen Anstalten erwüchsen, seien nicht minder als Eigentum zu betrachten »als das erworbene Privat-Eigenthum«.59 Es bedarf keiner weit ausholenden Erläuterungen, um klar zu machen, was hier gemeint ist: die Rückkehr zur stratifikatorischen Differenzierung und damit zu einer Ordnung, in der die Schichtzugehörigkeit multifunktional wirkt und einer Eigengesetzlichkeit verschiedener Handlungssphären schwer zu überwindende Schranken zieht. Das entspricht ganz der oben referierten programmatischen Kundgebung zur konservativen Politik, in der dem »sociale[n] Liberalismus« vorgeworfen wird, »zur Lösung der gesellschaftlichen Bande, zur Atomisirung der Gesellschaft« geführt zu haben, ein Ergebnis, dem das »Recht der Gesellschaft« gegenübergestellt werden müsse, namentlich das »Grundgesetz des organischen Lebens«, wonach »jedes Glied und jedes System des Organismus möglichst vollkommen, d. h. zu selbständiger Lebens- und Bildungsfähigkeit entwickelt sein müsse, um den Gesammt-Organismus zur höchsten Vollkommenheit und Machtfülle zu erheben.«60 Das hieß positiv gewendet: Befestigung der Familie, Befestigung des Grundbesitzes und der darauf basierenden Gemeindeordnungen, »Decentralisation des staatlichen und wirthschaftlichen Lebens, Herstellung örtlicher und provinzieller Selbständigkeit« und nicht zuletzt: Schaffung einer »auf produktiver Arbeit gegründete[n] und sich ausbildende[n] politische[n] Aristokratie«.61 Moch-

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ten die alten Stände auch an Kraft und Legitimität eingebüßt haben, so schien es dem Irvingianer Wagener doch im Bereich des Möglichen, eine »ständische Wiedergeburt (!) mit neuen Ständen« anzustreben, die über umfassende Rechte der Selbstverwaltung verfügen würden.62 Zu ihnen sollten neben Adel, Bürgertum und Bauerntum auch der Handwerkerstand sowie der zu Korporationen zusammenzufassende Arbeiterstand gehören, welch letzterer nach dem Vorbild der Stein-Hardenbergschen Reformen zu ›emanzipieren‹ sei.63 »Kein Bruch mit der Vergangenheit im Innern unseres Staates«, hieß es im Programm des von Wagener gegründeten Preußischen Volksvereins, »keine Beseitigung des christlichen Fundaments und der geschichtlich bewährten Elemente unserer Verfassung; […] kein Preisgeben des Handwerkes und des Grundbesitzes an die Irrlehren und Wucherkünste der Zeit.«64 Schon die Liste der von Wagener angesprochenen Stände sollte allerdings davor warnen, seine Ausführungen zum Nominalwert zu nehmen. Das Allgemeine Preußische Landrecht kannte lediglich drei Stände (Adel, Bürgertum und Bauern), auch wenn es daneben bereits die Existenz neuer Klassen und Gruppen einräumen mußte, die das dreigliedrige Modell aufweichten.65 Als eigentlicher Herrschaftsstand galt dabei der Adel, während das Bürgertum unterprivilegiert war, um von den Bauern zu schweigen.66 Gar keinen Platz in der herkömmlichen Standesordnung hatte dagegen die städtische und die ländliche Arbeiterschaft, weshalb Ernst Ludwig von Gerlach noch 1865 behaupten konnte, ein vierter Stand existiere nicht.67 Einen solchen ins Leben zu rufen, lag aber letztlich auch in Wageners Absicht nicht, erklärte er doch ausdrücklich die Arbeiterfrage zu einer »ganz neue[n] Frage«, deren Behandlung durch »die alten Organe […] nichts weiter sein [würde] als ein komischer Versuch. Man kann leichter mit einem schweren Frachtwagen im Sande Galopp fahren als die Arbeiterfrage lösen mit Männern und Organen, die derselben fremd oder feindlich gegenüberstehen. Man füllt eben nicht ›neuen Most in alte Schläuche‹, und wenn man ein fehlerhaftes System aus den Angeln heben will, so kann dies nur dadurch geschehen, daß man einen festen Punkt außerhalb desselben zu finden weiß.«68 Der Punkt außerhalb, von dem hier die Rede ist, war indes nicht nur ein Punkt. Er war die Keimzelle eines gänzlich anderen Systems. War in der ständischen Ordnung, in den Worten Max Webers, die soziale Lage

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der verschiedenen Schichten »durch eine spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der ›Ehre‹ bedingt«, so wich die Lage der Arbeiterschaft hiervon insofern ab, als sie primär ökonomisch bestimmt war, durch die für die Wirtschaftsordnung typische unterschiedliche »Verfügung über sachlichen Besitz«.69 Das Verhältnis von Besitz und Besitzlosigkeit aber ist, wiederum nach Weber, die Basis aller »Klassenlagen«, die dazu tendieren, zugleich »Marktlagen« zu sein – im Fall der Arbeiter wie der Unternehmer: Arbeits- und Gütermarktlagen.70 Das scheint auch Wagener gegen Ende der 60er Jahre deutlich geworden zu sein, sprach er doch seit dieser Zeit von einer »Entwicklung des Staates aus feudalistischen und bürokratischen Elementen zu einer modernen Erwerbsgesellschaft«, deren Teilnehmer sich nach materiellen Interessen gruppierten.71 Entsprechend stünden sich nicht mehr verschiedene Stände gegenüber, sondern »die Interessen der handelstreibenden und industriellen Klassen« auf der einen Seite und die »Interessen des Grundbesitzes und der arbeitenden Klasse« auf der anderen. Deren Beziehungen aber würden anstatt durch Herrschaft durch Markt und Geld bestimmt. Schon das oben zitierte Grundsatzprogramm von 1856 trug dem Rechnung, indem es der konservativen Agrarpolitik die paradoxe Aufgabe zuwies, eine »Feudalisirung des ländlichen Grundvermögens im modernen, der Macht der Geldwirthschaft entsprechenden Sinne« anzustreben.72 Mit den Ansichten Ernst Ludwig von Gerlachs, der die soziale Frage mit den Mitteln des »Lehnsrechts« lösen und die Grundherrschaft wie die Fabrik als »kleine Fürstentümer« nach dem Modell des herkömmlichen Patriarchalismus organisieren wollte73, war unter solchen Voraussetzungen eine Verständigung nicht mehr möglich, und so war es denn auch nur konsequent, wenn beide 1865 ihren Gegensatz in der sozialen Frage endlich auch in der Öffentlichkeit austrugen.74 Wie unorganisch die von Wagener anvisierte Neubegründung des Konservatismus ungeachtet aller Beschwörungen des ›Organischen‹ war, läßt sich auch am Verhältnis von Politik und Religion demonstrieren. Nachdem Wagener Anfang 1856 im Abgeordnetenhaus mit seinem Antrag auf Abschaffung des Artikels 4 der revidierten preußischen Verfassung von 1850 gescheitert war, suchte er wenigstens die für stratifizierte Ordnungen charakteristische Einheit von Herrschaftsausübung und Religion zu sichern, indem er bei der Beratung der Gemeindeordnung unter Verweis

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auf die in Artikel 14 festgelegte besondere Bedeutung des Christentums für diejenigen Einrichtungen des Staates, »welche mit der Religionsausübung in Zusammenhang stehen«, eine Modifizierung des Artikels 12 verlangte. Aus diesem Artikel, der die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung gewährleistete, wollte Wagener, in Wiederaufnahme eines bereits 1852 von einem Posener Abgeordneten gestellten, jedoch abgelehnten Antrags, die Bestimmung gestrichen haben, wonach der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte unabhängig vom religiösen Bekenntnis sei75, mit der Folge, daß damit automatisch alle Nichtchristen – und das hieß rebus sic stantibus vor allem: die Juden – von diesen Rechten ausgeschlossen sein würden: eine Wiederaufnahme und Verschärfung der von Friedrich Julius Stahl vertretenen Lehre vom »christlichen Staat«, die sich in den Beratungen über die Verfassung nicht hatte durchsetzen können, obwohl sie sich im Unterschied zu Wageners Antrag nur auf die staatsbürgerlichen Rechte bezogen hatte.76 Daß der preußische Staat ein christlicher Staat sei, so Wageners Begründung, sei eine Bestimmung, deren Auswirkung bis tief in die bürgerlichen Verhältnisse, etwa in die Begriffe von Person und Eigentum, hineinreiche und nicht weniger bedeute, als daß allen Zielen und Endzwecken des Staates »der christliche Glaube und die christlichen Verheißungen und dessen Gesetzen und Institutionen die christliche Moral zu Grunde liegt«, woraus wiederum zwingend folge, daß er »um deswillen seine Gesetze nur durch Christen machen, auslegen und anwenden lassen darf.«77 Die Kommission, die im Vorfeld dieses Antrags unter der Leitung Ernst Ludwig von Gerlachs darüber beraten hatte, war vielen der von Wagener vorgebrachten Argumenten gefolgt, hatte sich dann aber aus pragmatischen Gründen für eine abgeschwächte Lösung entschieden, die den Genuß der bürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis unabhängig machte, die »Regulierung der staatsbürgerlichen Rechte der nicht-christlichen Staats-Angehörigen« hingegen der »Spezial-Gesetzgebung« überantwortete, welche man sich entlang der Vorgaben des Gesetzes vom 23. 7. 1847 dachte, das die Juden von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen hatte.78 Selbst diese Version, die recht genau zusammenfaßte, was die Juden zu dieser Zeit und noch auf längere Sicht von der konservativen Partei zu gewärtigen hatten79, kam jedoch aufgrund einer Intervention des

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mit Wagener seit 1848 verfeindeten Grafen von Schwerin nicht zum Zuge, der den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung stellte.80 Obwohl die Konservativen über eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügten, kam die Kammer dem Antrag nach, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die Regierung deutlich signalisierte, an der konkurrierenden Gültigkeit der Gesetze neben der Verfassungsurkunde festhalten und »eine zu weit greifende, den christlichen Charakter des Staates verletzende Anwendung des fraglichen Satzes des Artikels 12 nicht Platz greifen lassen« zu wollen.81 Das Thema war damit freilich für Wagener und seinen Anhang nicht vom Tisch. Ein Jahr später gab er die Schrift eines ungenannt bleibenden Verfassers über Das Judentum und der Staat heraus, die den Juden zwar »die Bürgerschaft mit ihren civilen Rechten« zugestand, ihnen »das auf die religiös-nationale Einheit gegründete Staatsbürgerthum mit seinen politischen Rechten« indessen kategorisch absprach.82 Im März 1859 unternahm sein Parteifreund Moritz von Blanckenburg einen neuerlichen Vorstoß im Abgeordnetenhaus, um den Bestrebungen entgegenzuwirken, die auf eine Anwendung der Artikel 4 und 12 der Verfassung gegen die im Gesetz vom 23. 7. 1847 festgelegten Restriktionen zielten, unter dem Beifall der Brüder Gerlach, die Blanckenburg bescheinigten, er habe »in der Judensache als trefflicher Feldherr gekämpft, den Feind vorgelockt und gezwungen, die Waffen zu strecken.«83 Noch Jahre später erklärte Wagener, er wolle nicht, daß ihm in einem christlichen Staate ein Eid abgenommen werde von Jemandem, »der das Kruzifix als einen Spott und als einen Hohn ansehen muß.« Sehr wohl aber sei das Umgekehrte möglich, »weil die christliche Religion die höhere Form des Judenthums ist«.84 Seine Interventionen haben Wagener den Vorwurf eingetragen, nicht nur Antisemit, sondern auch Rassist gewesen zu sein und eine Entwicklung eingeleitet zu haben, an deren Ende der Holocaust stand.85 Richtig ist, erstens: Wagener hat als Herausgeber des Staats- und Gesellschafts-Lexikons einen krassen Antisemiten wie Bruno Bauer zum leitenden Redakteur berufen und ihn einen Artikel schreiben lassen, in dem die Juden als auf der Stufe des »Thiergeistes« stehengebliebene »Naturwesen« charakterisiert werden, als »eine fremde und geistlich-feindliche Race«, als »Parasit[en]« und »bodenlose[n] Zigeuner-Aristokratie«, die in Preußen seit Anfang des 19. Jahrhunderts »fast zu einer herrschenden Klasse« geworden sei.86 Richtig ist, zweitens: Wagener hat als Eigentümer der Berliner Revue zahl-

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lose Artikel gegen das Judentum zu verantworten, die weit über einen rein religiös begründeten Antijudaismus hinausgehen.87 Ob diese Artikel alle, wie man vermutet hat88, aus der Feder Bruno Bauers stammen, ist nicht gesichert, allerdings zumindest für einen Teil derselben auch nicht auszuschließen. Und richtig ist, drittens: er hat die Redaktion des vom Preußischen Volksverein herausgegebenen Kalenders ausgerechnet Hermann Goedsche anvertraut, der unter dem Pseudonym »Sir John Retcliffe« seit Mitte der 50er  Jahre mit höchst erfolgreichen zeitgeschichtlichen Sensationsromanen hervortrat  – Werken, die nicht nur antisemitische Ressentiments und (nach den Maßstäben der Zeit) pornographische Interessen bedienten, sondern darüber hinaus die Blaupause für die »Protokolle der Weisen von Zion« lieferten, bis heute ein zentraler Referenztext für das Phantasma einer jüdischen Weltverschwörung.89 Das alles war zweifellos Wasser auf die Mühlen des sich seit den 60er  Jahren immer aufdringlicher artikulierenden Antisemitismus, und dies nicht nur tropfen-, sondern kübelweise. Nicht leicht zu beantworten ist hingegen die Frage, ob Wagener sich all dies auch subjektiv zu eigen gemacht oder nicht vielmehr nur strategisch eingesetzt hat. Spezifisch rassistische Begründungen seiner Judenfeindschaft lassen sich in dem von ihm als Herausgeber gezeichneten Text von 1857 nicht ausmachen90, es sei denn, man dehnt den Rassismusbegriff in der heute beliebten Weise so weit aus, daß er ein Synonym für ›gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‹ ist, was dem Begriff jede Unterscheidungskraft nimmt. Selbst dort jedoch, wo das Judentum expressis verbis »nicht allein als Religion und Kirche, sondern ganz vorzüglich als der Ausdruck einer Raceneigenthümlichkeit« thematisiert wird91, ist Rasse deckungsgleich mit »Nationalität«, die wiederum ihren Hauptinhalt durch die Religion erhält. Die Vorstellung, daß zu einem »Volksgeist« auch eine »Volksseele« und ein »Volkskörper« gehören, bleibt im Rahmen der idealistischen Begrifflichkeit des frühen 19. Jahrhunderts und ist deshalb nicht mit dem biologisch begründeten Rassismus zu verwechseln, der erst in der Endphase des Jahrhunderts aufkommt.92 Mehr scheint dagegen für die Vermutung zu sprechen, Wagener habe im Judentum eine Fusion von Religion und Politik, eine Art Staatskirchentum gesehen, das in Konkurrenz zu dem analog konzipierten christlichen Staat stand. Tatsächlich schreibt der Emanzipationsartikel im Staats- und

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Gesellschafts-Lexikon dem Judentum den »Charakter einer Staatskirche« zu und lehnt die Emanzipation vor allem deshalb ab, weil ihr kein Staatsvertrag vorausgegangen sei.93 Die Verweigerung gleicher staatsbürgerlicher Rechte für die Juden wäre von hier aus gesehen eine Folgerung aus der Eigenart ständischer Differenzierung, für die Herrschaftsausübung und Religion nicht zu trennen sind.94 Das kommt der Wahrheit zwar näher als moralisierende Anklagen im Stil Sartres, für die der Antisemitismus »von keinem äußeren Faktor herstammen kann«, vielmehr »eine selbstgewählte Haltung der ganzen Persönlichkeit« ausdrückt.95 Doch geht auch diese Deutung noch an einem wichtigen Punkt vorbei. Mit seinem Änderungsvorschlag für Artikel 12 wollte Wagener gewiß die Christlichkeit des preußischen Staates festschreiben, doch zeigen die näheren Ausführungen in Das Judenthum und der Staat, daß ihm dabei eine sehr spezifische Ausprägung dieser Christlichkeit vorschwebte. Denn der christliche Staat sollte zwar wie die jüdische ›Staatskirche‹ auf einer religiösen Grundlage beruhen und deshalb auch »nur Christen als wahrhaft befähigt zur Theilnahme an seinem öffentlichen Leben anerkennen dürfen.«96 Er sollte sich jedoch zugleich von ihr unterscheiden, indem er eine religiös-politisch indifferente Sphäre des bürgerlichen Verkehrs freigab und damit eine Differenzierung »zwischen Bürgern und Staatsbürgern, zwischen civilen und politischen Rechten« ermöglichte.97 In dieser Sphäre seien Juden zu gleichen Rechten zuzulassen wie alle anderen. »Sie sollen leben und wohnen, erwerben und besitzen, handeln und wandeln wie irgend Jemand. Keine Einschränkung soll ihnen mehr das Leben verbittern, ihren Verkehr und ihre Ehre beschädigen.«98 Vom Staatsbürgertum dagegen, in dem sich »die sittlich religiöse und die sittlich nationale Voraussetzung des Staates« erfülle99, seien sie fernzuhalten – ein fernes Echo jener Lutherschen Lehre von den zwei Reichen, deren eines – das »Reich Christi« – eine allein aus der Offenbarung zu verstehende Ordnung der göttlichen Liebe sei, deren anderes – das der Sünde preisgegebene »Reich der Welt« – seine eigenen Gesetze habe, denen sich Christen wie Nichtchristen gleichermaßen zu unterwerfen hätten.100 Wageners Version der Lehre vom christlichen Staat setzte zwar insofern einen anderen Akzent, als sie Staatlich-Politisches auch in das Reich Christi hinüberzog, doch steht die Herauslösung einer religiös indifferenten Sphäre unverkennbar in jener mit dem Protestantismus einsetzenden Reihe fortschreitender Neutralisierungen, in der Carl

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Schmitt ein zentrales Merkmal des neuzeitlichen Rationalisierungsprozesses ausgemacht hat.101 In bezug auf die Juden dagegen steht sie am Anfang einer Reihe von Strategien der Exklusion, für die die Bezeichnung »radikaler Antisemitismus« angemessen ist.102

III. Um die oft beschworene Meinungsführerschaft Wageners im konservativen Lager war es nach 1866 nicht mehr gut bestellt. Als Mitarbeiter Bismarcks war er den Altkonservativen suspekt, nicht nur dem Kreis um Gerlach, für den die gegen Österreich gerichtete Politik ein Sakrileg war, sondern auch jenem Teil der Partei, der sich am Umgang mit den annektierten Gebieten stieß.103 Seine Parteinahme für die Regierung andererseits war nicht unerheblichen Belastungsproben ausgesetzt, schwenkte deren Leiter doch nach der Beilegung des Verfassungskonflikts im September 1866 auf ein Bündnis mit dem nationalen Flügel des Liberalismus um und desavouierte damit de facto seinen Berater, für den der Liberalismus in all seinen Schattierungen nach wie vor der Hauptfeind war. Ob Bismarck sich für diese Strategie schon im Frühjahr 1866 entschieden hatte, ist nicht klar, doch ist weder auszuschließen, daß er Wagener in der Absicht ins Ministerium berief, mit ihm den einflußreichsten Vertreter einer antiliberalen Politik auf diese Weise kaltzustellen104, noch daß er sich für den Fall des Scheiterns seiner Strategie einen Kurs im Sinne Wageners offenhalten wollte. Wagener seinerseits hielt auch nach dem Eintritt in die Regierung keineswegs mit seinen Überzeugungen hinter dem Berg. Das zeigt sich in den Denkschriften, die er als Vortragender Rat im Staatsministerium und auch noch nach seiner Entlassung für Bismarck verfaßte105; seinen Interventionen im Reichstag des Norddeutschen Bundes; seiner (freilich anonym publizierten) Schrift über Die Zukunfts-Partei von 1870; und seinem zwei Jahre später unternommenen Versuch, die konservative Partei im Sinne der dort entwickelten Maximen umzubauen. Auf die Denkschriften und die damit im Zusammenhang stehenden Initiativen Wageners wird noch zurückzukommen sein. Hier hat das Augenmerk seinem erstmals 1869 angekündigten Vorhaben zu gelten, »eine neue konservative Partei […] zu bilden«, stand doch für ihn inzwischen fest,

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daß sich die alte konservative Partei »in Folge der Ereignisse des Jahres 66 zersetzen mußte« und in der alten Form nicht wiederherstellbar war. Für eine solche Neubildung habe die Regierung bislang zu wenig getan. Sie habe vielmehr durch ihre Handels- und Industriepolitik »den hierin wurzelnden liberalen Parteien einen neuen Aufschwung verliehen, ohne doch dieselben für sich zu gewinnen«. Da sich dies auch in absehbarer Zukunft nicht ändern werde, sei die »Neubildung einer konservativen und Regierungspartei« unerläßlich, die sich der vernachlässigten Interessen des Grundbesitzes und der arbeitenden Klassen anzunehmen habe.106 Die bestehenden konservativen Verbände seien dazu nicht in der Lage. Die Altkonservativen nicht, weil sie nur mehr an Rückzug dächten und politisch abgedankt hätten; die vor kurzem gegründete, in vielem an das Preußische Wochenblatt anknüpfende Freikonservative Partei nicht, weil sie mit ihrer Mutterpartei »nur noch mechanisch durch den Gebrauch von einigen Stichworten verbunden« sei und insbesondere »die sociale Arbeit, welche sonst die Partei auszeichnete, vollständig liegen« lasse.107 Näher besehen habe man es bei ihr mit nichts anderem zu tun als mit »in der Verpuppung zum Geldsack begriffenen grösseren Aristokraten-Raupen«, deren konservatives Wesen sich »auf einen gewissen Instinkt für Ordnung und Autorität« und deren Freiheit sich auf einen »romantischen Wunsch« beschränke.108 Die Abneigung war gegenseitig, wie ein Brief des freikonservativen Reichstagsabgeordneten Carl von Stumm-Halberg belegt: »Übrigens wäre es mir ganz lieb, wenn Wagener bei dieser Gelegenheit beseitigt würde. Denn der Mann spielt auf sozialem Gebiet eine ganz gefährliche Rolle und ist durch seine jetzige Stellung doch sehr einflußreich.«109 Der Brief stammt aus dem turbulenten Jahr 1872, das in Preußen vom Kulturkampf und von den Auseinandersetzungen um die Kreisordnung und die Schulaufsicht erfüllt war.110 In diesem Jahr unternahm Wagener noch einmal einen Vorstoß, das im Widerstreit zwischen gouvernementalen und antigouvernementalen Tendenzen auseinanderdriftende konservative Lager zu einen. Ausgehend von dem Befund, wonach die Regierung sich nicht länger auf die Konservativen in beiden Häusern des Landtags stützen könne, sprach er sich dafür aus, »die Partei auf anderen Grundlagen und mit einem neuen Programm zu rekonstruiren.« Die dafür angebotene Programmatik, für die Wageners Famulus Rudolf Meyer das Etikett »social-conservativ« erfunden zu haben beanspruchte111, enthielt

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in sozialer Hinsicht nicht mehr als die Forderung nach Durchführung einer Enquete zur Lage der arbeitenden Klassen112, doch war selbst dies der konservativen Reichstagsfraktion noch zu viel. In einer Kundgebung am 14. 5. 1872 strich man aus dem von Wagener intonierten Dreiklang ›monarchisch, national, sozial‹ die dritte Note aus der Überschrift und erklärte sich lediglich zur »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags«. Nur in einem Unterpunkt war von staatlicher Fürsorge für jene Einrichtungen und korporativen Bildungen die Rede, welche geeignet seien, »die materielle und geistige Lage des Arbeiterstandes zu sichern und zu fördern«.113 Wie stark gesunken Wageners Einfluß inzwischen in diesem Kreis war, belegt ein nur zehn Tage nach der Kundgebung geschriebener Brief von Rodbertus an Rudolf Meyer: »Aber täuschen Sie sich nicht! Ich höre hier oft von den conservativsten Gutsbesitzern auf W. schimpfen und hörte das auch noch in Berlin. Auch hier glaube ich, sind nur Risse verkleistert. Es mischt sich in die Abneigung gegen W. ein widriger Zug ein. Man ist ihm nicht blos gram wegen seines Schulaufsichtsgesetzes, das Zwerggeschlecht wird missgünstig auf seinen Ruhm. Man hört! ›er ist zu groß geworden!‹ – und würde schadenfroh sein wenn er stürzte. Ein ehrlicher Hass ist lange nicht so gefährlich.«114

Die hier angedeuteten Spannungen verschärften sich schon im folgenden Sommer und Herbst in den Auseinandersetzungen über die Kreisordnungsvorlage der Regierung, die die Aufhebung der patrimonialen Polizei- und Erbschulzengewalt vorsah.115 Während das preußische Abgeordnetenhaus mit seiner Mehrheit aus Freikonservativen, Nationalliberalen und Fortschrittspartei die Vorlage annahm, scheiterte sie im Oktober 1872 im Herrenhaus. Das Gesetz konnte zwar einen Monat später mithilfe eines Pairsschubes verabschiedet werden, doch spaltete sich die konservative Fraktion darüber in eine antigouvernementale ›altkonservative‹ Gruppe, die sich über den Verlust der ständischen Privilegien nicht zu beruhigen vermochte, und eine ›neukonservative‹ Richtung, die den Kurs Bismarcks unterstützte.116 In einem Memorandum an R.  Meyer machte Wagener wohl heftig Front gegen die Altkonservativen, doch mußte er schon bald darauf erfahren, daß ihm diese Haltung bei den Neukonservativen kein Entgegenkommen in sozialpolitischen Fragen einbrachte.117

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An den Vorgängen, die bald darauf tatsächlich zu seinem Sturz führten, hatte er dann gleich doppelten Anteil: zum einen, weil er sich allzu leichtsinnig auf ein Gründergeschäft im Zusammenhang mit der Pommerschen Zentralbahn eingelassen hatte; und zum andern, weil er während der Debatte über die Kreisordnung im Herrenhaus »ein längeres, sehr wenig schmeichelhaftes Schreiben über die politische Thätigkeit des Ministers des Inneren, Grafen Eulenburg I., an Bismarck gerichtet« hatte. Möglicherweise in der Absicht, sich damit eines allmählich unbequem werdenden Mitarbeiters zu entledigen, brachte Bismarck dieses Schreiben Eulenburg zur Kenntnis, der im Gegenzug über Mittelsmänner dem liberalen Abgeordneten Eduard Lasker belastendes Material über Wagener zuspielte.118 Der machte es Anfang 1873 öffentlich und nötigte Wagener damit zum Rückzug von seinen Ämtern. In seinen 1884 veröffentlichten Erinnerungen verschwieg er die Rolle Bismarcks, auf dessen Unterstützung er wohl weiterhin hoffte, und schob statt dessen den schwarzen Peter seinen »früheren [!] Parteigenossen« zu, die ihm schon seit längerem hinter seinem Rücken vorgeworfen hätten, nicht mehr mit Entschiedenheit die konservativen Prinzipien zu vertreten. Während des Gründerskandals habe man ihn als Bauernopfer vorgeschoben, um ihm danach aus dem Wege zu gehen, als ob er an einer ansteckenden Krankheit litte.119 Seiner Loyalitätsverpflichtungen ledig, machte Wagener sich daran, die programmatischen Andeutungen von 1872 zu konkretisieren, galt es doch, zu verhindern, daß »der vielgerühmte Conservativismus zu einem Ausdrucke der Rath- und Hilflosigkeit den Bewegungen der Neuzeit gegenüber zusammenschrumpft«.120 Schon bald nach seinem Rücktritt vom Amt des Vortragenden Rats (Juni 1873) überreichte er Bismarck eine sozialpolitische Denkschrift, die gegenüber seinen früheren Interventionen einen neuen Akzent setzte. War es ihm in den 60er Jahren noch vor allem darum gegangen, einen Keil in die liberale Opposition zu treiben und ihr ihren Anhang im Handwerk und in der Arbeiterschaft abspenstig zu machen, so war der nunmehr leitende Gesichtspunkt: »Um jeden Preis zu verhindern, dass die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer grossen, compacten, oppositionellen Masse sich zusammenschliesst«.121 Mit dieser, durch die doppelte Negation allerdings leicht mißverständlichen Parole rückte erstmals neben der städtischen auch die ländliche

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Arbeiterschaft in den Blickpunkt, eine Schicht, deren Zahl noch 1882 bei rund 2,7 Millionen lag, immerhin mehr als ein Zehntel der Bevölkerung Preußens.122 Da gerade diese Schicht seit den 40er Jahren den größten Anteil sowohl an der Binnenmigration als auch an der Auswanderung nach Übersee stellte und dadurch die Funktionsfähigkeit der Landwirtschaft bedrohte, sah Wagener unmittelbaren Handlungsbedarf. Gefordert sei, aus ökonomischen wie aus wehrpolitischen Gründen, eine »Vermehrung der kleinen ländlichen Besitzungen«, um der Staatsgewalt »gegenüber der fluctuirenden industriellen Arbeitsbevölkerung in einem sesshaften ländlichen Grundbesitze und Arbeiterstande einen materiellen Rückhalt zu schaffen«.123 Dies könne, wie es in einem weiteren Text heißt, am ehesten durch Maßnahmen geschehen, welche »den ländlichen Arbeitern die Erwerbung eines kleinen Grundeigenthums ermöglichen und thunlichst erleichtern«. Als Mittel dafür komme eine Neuordnung des Hypothekenwesens ebenso in Frage wie die Schaffung gesetzlicher Regeln, die es erlauben würden, »Parcellen von Grundbesitz abzuzweigen vom Zweck der Ansiedelung von ländlichen Arbeitern, ohne dass der agnatische oder creditorische Consens eingeholt werden muss«.124 Auf diese Weise, hieß es bald darauf, könne nicht nur der Arbeitskräftemangel in der ostelbischen Landwirtschaft behoben, sondern zugleich der sozialistischen Agitation der Wind aus den Segeln genommen werden. »Das durchschlagendste und nachhaltigste Mittel gegen die socialistischen Bestrebungen der Nichtbesitzenden ist nach allgemeinem Anerkenntniß, letztere durch angemessene Einrichtungen zu Besitzenden zu machen, ein Satz, der in hervorragender Weise auf die ländlichen Arbeiter seine Anwendung findet.« Werde dabei den Reservisten und Landwehrleuten ein Vorzugsrecht eingeräumt, ergäben sich im Nebeneffekt »grössere Militär-Colonisationen«, die hervorragend geeignet seien, in den östlichen Provinzen den Außenschutz zu übernehmen.125 Wesentliche Anregungen hierzu dürfte Wagener von Rudolf Meyer erhalten haben, der seinerseits seit 1870 mit Rodbertus in Verbindung stand, einem ehemaligen Wortführer der Linken in der preußischen Nationalversammlung von 1848 und der Zweiten Kammer von 1849, der 1871 die Grundbesitzer zu bewegen versuchte, auf ihren Gütern »freieigenthümliche Hofstellen« einzurichten, »deren Käufer die Verpflichtung übernehmen, davon eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen an ein bestimmtes

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Gut durch beliebige Dienstboten zu leisten.«126 Darauf wird im nächsten Kapitel näher einzugehen sein. Ebenfalls im Austausch mit Meyer (wenn auch in diesem Punkt nicht mehr in Übereinstimmung mit Rodbertus) mag die Idee Konturen gewonnen haben, den neuen Nationalstaat durch ein umfassendes System der sozialen Sicherung zu fundieren, das die formellen Freiheitsrechte durch eine materiale Gerechtigkeit des Schadensausgleichs einschließlich präventiver und prophylaktischer Maßnahmen ergänzen würde. Anknüpfend an bereits 1870 ventilierte Gedanken empfahl Wagener in seiner Denkschrift vom 17. 1. 1874 die Einrichtung von obligatorischen Kranken- und Versicherungskassen, die »auf kleine, nach Gewerken abgegrenzte Bezirke zu beschränken und nur für gewisse Aushilfszwecke zu centralisiren« seien. Darüber hinaus seien Invaliden- und Altersversorgungskassen einzurichten, welche allerdings »nur in größeren Bezirken lebensfähig und jedenfalls in der Hand der Staatsgewalt zusammenzufassen« seien.127 Über die Finanzierung dieser Einrichtungen ließ sich der Text nicht näher aus, möglicherweise aus taktischen Gründen, um Bismarck den Leitgedanken in homöopathischen Dosen näherzubringen. Rudolf Meyer dagegen wurde noch im gleichen Jahr deutlicher, wenn er in einem in vielen Formulierungen gleichlautenden Text darauf drang, »daß Arbeiter und Arbeitgeber gleich viel Beitrag zu leisten haben, also ein Arbeitgeber wöchentlich eben so viel, wie alle von ihm in der Woche beschäftigten Arbeiter zusammengenommen.«128 Bismarck dagegen setzte später eher auf ein steuerfinanziertes System, bei dem das Reich »als Hauptkostenträger und als Wohlfahrtsgarant« auftrat129, so daß schon aus diesem Grund nur ein indirekter Einfluß von Wagener und Meyer auf die in den 80er Jahren schleppend in Gang kommende Sozialgesetzgebung wahrscheinlich ist.130 Mit detaillierter Kritik hielt sich Wagener, schon aus Gründen der Loyalität gegenüber seinem früheren Dienstherren, zwar zurück, doch ließ er keinen Zweifel an seiner Überzeugung, »dass die bisherige Socialreform, selbst wenn es, mehr als ich glaube, gelingt, dieselbe in das Leben einzuführen, auch nicht entfernt das leisten wird, was man sich in conservativen und Regierungs-Kreisen davon zu versprechen scheint.«131 Dagegen sprach aus seiner Sicht nicht zuletzt ihre Verquickung mit dem Sozialistengesetz, sei es doch »eine vergebliche Hoffnung und ein aussichtsloses Bemühen, die Sympathien der Masse für die Regierung und eine conservative Soci-

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alpolitik zu gewinnen, so lange man dabei beharrt, dieselbe als Deutsche zweiter Klasse zu behandeln und unter Ausnahmegesetze zu stellen.«132 Nach seinem Bruch mit Bismarck zog sich Wagener aus dem politischen Feld zurück, wenn man von seiner Beteiligung an der Gründung einer Social-Conservativen Vereinigung Ende 1880 absieht, die über erste Anfänge jedoch nicht hinausgelangte.133 Publizistisch blieb er immerhin präsent. Neben den eben zitierten Erinnerungen, einer eher als Pflichtübung anmutenden Reminiszenz an Die Politik Friedrich Wilhelm IV . (1883) und einer im Zusammenhang mit der konservativen Bonapartismusdeutung zu besprechenden Arbeit über Napoleon III . sind vor allem zwei 1878 anonym publizierte Schriften erwähnenswert: eine kritische Auseinandersetzung mit Schäffles Quintessenz des Sozialismus und ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage. Widmete sich die erstere der Aufgabe, Schäffles insgesamt zu positive, weil zu eng auf die rein volkswirtschaftlichen Aspekte bezogene Auffassung des Sozialismus um die negativen, auf die Zerstörung von Ehe und Familie, Staat und Religion zielenden Seiten desselben zu ergänzen134, unternahm die letztere den Versuch, dasjenige am Sozialismus zu retten, was sich mit dem Konservatismus vereinbaren ließ. Und das war nach Wageners Darstellung durchaus nicht wenig, ging es doch beiden um eine »Beseitigung des Individualismus durch den Kollektivismus; Ersetzung des PrivatKapitals durch das Kollektiv-Kapital; Beseitigung der gegenwärtigen anarchischen, nur durch die ›freie Konkurrenz‹ geregelten Produktion durch eine soziale Organisation der National-Arbeit; […] Erhaltung und Wiederherstellung der Verbindung von Kapital und Arbeit und gerechte Vertheilung des gemeinsamen (gesellschaftlichen) Produktes an alle nach dem Maße und dem Werthe ihrer Leistung«. Wie sich dieses Votum für Kollektivismus mit der gleichzeitig vorgetragenen Forderung nach »Erhaltung und resp. Wiederherstellung eines Mittelstandes auf möglichst breiter Basis« vereinbaren ließ135, verriet Wagener allerdings nicht; wie ihm auch der Widerspruch nicht bewußt geworden zu sein scheint, einerseits das Parteiwesen abzulehnen und andererseits die Bildung einer »große[n] und sichere[n] Mittel-Partei« zu fordern, »in welcher die erhaltenden und bewegenden Kräfte wiederum ihre Ausgleichung finden.«136 In die Schlußbetrachtungen dieser Schrift mischt sich ein nicht zu überhörender resignativer Unterton:

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»Das geringe Maß von Hoffnung, welches wir uns noch bewahrt haben, steht deshalb auch allein darauf, den Rath, welcher kürzlich seitens des Reichskanzlers dem Grafen Andrassy für den Kaiser von Oesterreich ertheilt sein soll, auf unsere eigenen Verhältnisse angewandt zu sehen, sodaß man sich auch im deutschen Reiche endlich dazu entschließt, über die alten verbrauchten Fraktionen und Parteien zur Tagesordnung überzugehen und von dem ›Parlamente‹ an ›das Volk‹ zu appeliren.«137

Im Rückblick wird man sagen müssen, daß Wageners Zeit seit 1866 vorbei war. Seine politische Sozialisation war entscheidend geprägt durch die Konfliktlage von 1848/49, als sich die Konservativen einer an wirtschaftlicher und sozialer Macht stetig zunehmenden liberalen Partei konfrontiert sahen, der gegenüber nur eine Doppelstrategie von Exklusion und Spaltung erfolgversprechend schien. Für diese Strategie fand Wagener 1862 in Bismarck einen Partner, allerdings einen solchen von ungleich größerer taktischer Flexibilität, der in der Lage war, im entscheidenden Moment die Schlachtordnung umzustellen. In dieser neuen Konstellation hatte Wagener keinen Platz mehr, und dies auch nicht nach den Kurskorrekturen, die Bismarck seit den späten 70er Jahren vornahm: der wirtschafts- und zollpolitischen Wende von 1878 und der sozialpolitischen Wende ab 1881. Daß ein wie immer auch bescheidenes System der sozialen Sicherung ausgerechnet von einem Kartell auf den Weg gebracht werden konnte, an dem neben seinen alten Parteigenossen in der Deutschkonservativen Partei auch die Nationalliberalen und die zwischen beiden schwankenden Freikonservativen beteiligt waren, lag zu jeder Zeit jenseits von Wageners Vorstellungskraft. Unter diesem Gesichtspunkt widerfuhr ihm kein allzu großes Unrecht, wenn die nach seinem Tod 1889 unternommenen Versuche, ihn zum Ahnherrn der von der Kaiserlichen Botschaft von 1881 inaugurierten Sozialreform zu erheben, weitgehend ohne Resonanz blieben.138 Daß dieser Gesichtspunkt freilich nicht der einzige sein kann, sollte ebenfalls deutlich geworden sein.

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4. Irrungen, Wirrungen: Rudolf Meyers Weg von der Berliner Revue zur Neuen Zeit

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ür den Konservatismus in Deutschland ist das Jahr 1866 gleich in zweierlei Hinsicht von einschneidender Bedeutung geworden. Am 18. Mai, sechs Wochen vor Königgrätz, kam es zwischen dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und seinem einstigen Ziehvater Ernst Ludwig von Gerlach, dem bis 1858 unumstrittenen Führer der Konservativen Partei und nach wie vor einflußreichen ›Rundschauer‹ der ›Kreuzzeitung‹, zum endgültigen Bruch, war doch für den großdeutsch orientierten Gerlach »ein von Preußen provozierter Krieg gegen den deutschen Bruderstaat Österreich ein absolutes Horrendum«, sehr im Gegensatz nicht allein zu Bismarck, sondern auch zu vielen anderen Repräsentanten der Konservativen Partei, die Gerlach deshalb nur wenige Tage später für »gesprengt« erklärte.1 Bismarck selbst galt ihm fortan als »Verbrecher«.2 Knapp vier Monate danach beendete das preußische Abgeordnetenhaus mit der Verabschiedung des Indemnitätsgesetzes den Verfassungskonflikt und ebnete so den Weg für die Verständigung zwischen der Regierung und der liberalen Opposition. 1869 bestätigte Gerlachs langjähriger Briefpartner Heinrich Leo, was Gerlach schon drei Jahre zuvor festgestellt hatte: »daß es mit der conservativen Partei bei uns zu Ende sei«.3 Die ›Kreuzzeitung‹ erklärte es gar für einen Irrtum, »wenn man meint, dass es in Preussen überhaupt eine conservative Partei gebe. In der Wirklichkeit steht vielmehr die Sache so, dass die conservative Partei zersetzt, daher machtlos ist […] die Principien sind verwischt, die Haltung und die Organisation fehlen.«4 Auch wenn sich diese Einschätzung als voreilig erwies, indiziert sie doch eine tiefe Verunsicherung über Wesen, Gehalt und Zukunft des Konservatismus, wie sie kurz zuvor auch das neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigste Organ der preußischen Konservativen, das von Philipp von Nathusius herausgegebene Volksblatt für Stadt und Land, zum Ausdruck gebracht hatte: »Welches sind die positiven Principien, die wir dem Liberalismus entgegenzuwerfen haben? Wo ist der practisch mögliche,

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lebensfähige und lebenerzeugende Boden, auf den wir kraft der Wahrheit unsere Gegner, unser Volk herüberzuzwingen haben? Wisst ihr Conservativen das?«5 Zu den wenigen, die eine Antwort auf diese Fragen parat hatten, zählte zu diesem Zeitpunkt einer der engeren Mitarbeiter Wageners, der bereits mehrfach erwähnte Rudolf Meyer. Dieser stilisierte sich später zwar gern als »letzten konservativen Schriftsteller«6, als Endglied einer Kette, die mit Rodbertus begonnen und über Hermann Wagener, Schumacher-Zarchlin und Adolph Wagner bis zum ihm, Rudolf Meyer, geführt habe.7 Zugleich rechnete er sich jedoch zu den »Socialconservativen« und verstand sich als ›Prediger‹ eines »conservativen Socialismus«, bisweilen auch »des Socialismus von Gottes Gnaden«, dem die Zukunft gehören werde.8 Die Wertschätzung, die ihm dabei nicht nur von den genannten Autoren, sondern auch von so ganz anders gearteten Köpfen wie Friedrich Engels und Karl Kautsky entgegengebracht wurde, sollte Grund genug sein, ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als ihm bislang zuteil geworden ist.

I. Rudolf Meyer wurde 1839 in der Neumark als Sohn eines Rittergutspächters geboren.9 Er besuchte verschiedene Schulen in Pommern, zuletzt eine Art Handelsschule in Stettin, deren Abschlußzeugnis die Aufnahme eines Universitätsstudiums ermöglichte.10 An der Berliner Universität belegte er zunächst naturwissenschaftliche Fächer, wandte sich dann aber der Geschichte, der Philosophie und schließlich auch der Nationalökonomie zu, der Disziplin, in der er nach einigen Unterbrechungen 1874 in Jena bei Bruno Hildebrand promovierte, mit einer Doktorarbeit über den Sozialismus in Dänemark, die ein Jahr später als Buch erschien.11 Für die Unterbrechung seiner Studien war vor allem der Umstand verantwortlich, daß Meyer seit 1867 an der Berliner Revue mitarbeitete, des seit 1855 neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigsten konservativen Organs in Preußen.12 Die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschte er nicht. Er erwies sich nicht nur als ein ungemein produktiver Journalist – die von ihm redigierten letzten vier Jahrgänge der Revue, immerhin sechzehn voluminöse Quartalsbände, stammten zu einem erheblichen Teil von ihm

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selbst – , er nahm vor allem den Ende der 60er Jahre aufkommenden Ruf nach einer energischeren Interessenvertretung des Grundbesitzes auf, der sich durch die Steuerreform von 1861 benachteiligt sah, außerdem unter wachsender Verschuldung und Abwanderung der ländlichen Arbeitskräfte litt.13 Als sich Anfang 1870 die verschiedenen Anläufe zur Organisierung verdichteten und zur Verabschiedung des »Breslauer Programms« durch eine Versammlung von Land- und Forstwirten führten14, begrüßte Meyer dies, kritisierte aber zugleich die liberalen Einschläge, die sich dort fanden, insbesondere die Ablehnung staatlicher Bevormundung im Kredit- und Versicherungswesen, die sich zum Nachteil der ländlichen Bevölkerung auswirke.15 Alternativ dazu empfahl Meyer, das landwirtschaftliche Kreditwesen zu verbessern, die Einkommen aus Kapital stärker zu besteuern und den Staat auf verkehrspolitischem Gebiet zu aktivieren  – Punkte, die wörtlich aus einer Vorlage von Rodbertus übernommen waren, mit dem Meyer seit 1870 im brieflichen und persönlichen Austausch stand.16 Das alles zielte auf die Bildung einer »Grundbesitzerpartei«, die den bereits bestehenden Vertretungen der »Capitalisten« und der »Proletarier« Paroli bieten sollte, und zwar expressis verbis »in den Parlamenten«.17 »Ein leistungsfähiger, selbstbewußter Grundbesitzerstand«, hieß es im Sommer 1871 in der Berliner Revue, »ist der feste Wall, welchen die nach Privilegien ringenden Bestrebungen der Capitalisten und der Ansturm der Proletarierbataillone nicht stürzen dürfen, soll nicht Reich und Staat zu Grunde gehen – wie in Frankreich im grauenhaften Würgerkrieg [sic] der rothen und der blauen Republikaner.«18 In einer Epoche, die durch die Tendenz zur Demokratisierung des Wahlrechts und zur Herrschaft des Majoritätsprinzips gekennzeichnet war, mußte eine Grundbesitzerpartei allerdings in der Lage sein, die Zustimmung größerer Wählergruppen zu gewinnen, als sie allein der Besitz gewähren konnte. Die Chancen dafür erschienen Meyer auf dem Land gegeben zu sein, wo in Preußen 1870 noch zwei Drittel der Bevölkerung lebten. Um zu verhindern, daß diese den sozialistischen oder klerikalen Agitatoren in die Hände fielen, riet Meyer den Grundbesitzern, »sich ihrer und der ländlichen Arbeiter gemeinschaftlichen Interessen bewußt zu werden« und insbesondere Sorge zu tragen, »daß sich der Klassengegensatz zwischen Grundbesitzern und ländlichen Arbeitern, wo er schon besteht, verwischt, wo er nicht besteht, auch nicht zur Geltung gelangt«.19

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Auch hierfür griff Meyer auf Anregungen von Rodbertus zurück. So empfahl er den Grundbesitzern »die Einführung der Rodbertus’schen Rentenidee in die Gesetzgebung«20, wonach »eine Hypothek nur auf den bodenbedingten landwirtschaftlichen Ertrag aufgenommen werden können sollte, jedoch nicht auf den Boden als nach Kapitalmarktvorgaben und veränderlichem Zins bewertetes Gut«.21 Einige Monate später folgte, nach eingehenden Beratungen mit Rodbertus und Hermann Wagener, eine weitere Intervention zu der Frage, wie sich auf dem Land eine »Solidarität der Interessen zwischen Grundbesitzer und Arbeiter« herstellen lasse, welche »beide zu gemeinschaftlicher Arbeit in Bezug auf Betheiligung am staatlichen Leben« ermuntern würde.22 Hatte Rodbertus das »Haupthinderniss des landwirthschaftlichen Fortschritts« in der massenhaften Abwanderung der ländlichen Arbeiterklassen gesehen und diese wiederum auf deren »Eigenthumslosigkeit« zurückgeführt, der allein durch die Schaffung »freieigenthümlicher Hofstellen« zu begegnen sei23, so griff Meyer diesen Vorschlag auf und präzisierte ihn mit Blick auf die sogenannten »herrschaftlichen Tagelöhner«. Diese sollten durch die Einrichtung kleiner Büdnerstellen zu »Grundbesitzern zweiter Klasse« werden, die als Gegenleistung für das ihnen überlassene Land zu bestimmten, zeitlich begrenzten Dienstleistungen für den Grundbesitzer verpflichtet sein sollten. Damit sei den Interessen beider Klassen gedient. Die Grundherren würden Land, das sie ohnehin nicht bestellen könnten, gegen die dringend benötigten Arbeitskräfte eintauschen, die Arbeiter umgekehrt ihre Arbeitskraft gegen die Möglichkeit des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs. Der Arbeiter, so Meyer, höre »zwar nicht auf, Arbeiter zu sein, – ja nicht einmal ganz, für Lohn zu arbeiten, – aber er ist doch auch in die Reihe der Eigenthümer, Grundbesitzer getreten, und mit jedem Jahre wird er weniger (Lohn-)Arbeiter und mehr Grundbesitzer.« Hiermit sei nicht nur »die glücklichste Vermittelung zwischen diesen beiden Ständen geschaffen«, sondern mehr: ein Ausgleich zwischen Herren und Arbeitern in Richtung eines einzigen »Grundbesitzerstandes«, dessen politisches Gewicht erheblich sein werde.24 Das liest sich auf den ersten Blick so, wie es Adalbert Hahn in seiner bis heute unentbehrlichen Studie über die Berliner Revue aufgefaßt hat: als Absage an den Großgrundbesitz und als Votum für eine Förderung des Mittel- und Kleinbesitzes, bis das ganze Land von einem dichten Netz

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kleiner Eigentumsstellen überzogen sei.25 Diese Deutung ist jedoch von einem Bias geprägt, der sich dem Bemühen verdanken mag, es bestimmten Strömungen in der NSDAP recht zu machen, die entweder direkt feindlich gegen den Großgrundbesitz eingestellt waren oder doch wenigstens auf eine Nivellierung der ständischen Differenzen drängten.26 Meyer indessen hatte zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs die Absicht, das agrarische Milieu in eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft zu verwandeln. Zwar brachte er zusammen mit Schumacher-Zarchlin auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872 einen Antrag durch, mit dem die Regierungen von Preußen und den beiden mecklenburgischen Großherzogtümern aufgefordert wurden, »die geeigneten Schritte [zu] thun, welche den ländlichen Arbeitern die Erwerbung eines kleinen Grundeigenthums ermöglichen und thunlichst erleichtern« sollten, und wiederholte diese Forderung auch in der Folgezeit mehrmals27, 1874 sogar bis zur Zuspitzung eines »Bauern-socialistischen Reform-Conservatismus«, der auf eine »Umwandlung der besitzlosen ländlichen Arbeiter in kleine Grundbesitzer« nach dem Beispiel Frankreichs ziele.28 Diese Aussagen dürfen jedoch nicht zum Nominalwert genommen werden. Schon ein Jahr nach der erwähnten Konferenz forderte er die ländlichen Arbeitgeber zu einer Adresse an die Regierung auf, sich nicht mit der ländlichen oder städtischen Arbeiterfrage allein zu befassen, sondern an die »ganze wirthschaftliche Gesetzgebung die bessernde Hand an[zu]legen«.29 Wie er sich dies vorstellte, führte er in einer kurz danach erschienenen Broschüre aus. Gewiß sei es kurz- und mittelfristig eine sinnvolle Strategie, nach Abhilfen für den Arbeitskräftemangel auf dem Land zu suchen; und gewiß auch gehörten dazu Mittel wie »eine neue staatliche Fixirung des Lohnes für das Normalwerk«, strenge Wuchergesetze und Schutzmaßregeln für die Arbeit sowie vor allem: die Eröffnung der Möglichkeit, »ein kleines Eigentum für Arbeiterfamilien« zu schaffen.30 Das alles aber seien Notbehelfe, die die schon jetzt zu registrierende Entwicklungstendenz in der Landwirtschaft nicht aufzuheben vermöchten. Diese sei bestimmt durch die rasch fortschreitende Mechanisierung in Gestalt von Mäh-, Dresch- und Säemaschinen und bald auch des Dampfpfluges, deren Einsatz nur auf großen Gütern sinnvoll sei, dort aber auch zu einer Steigerung der Produktivität führe, mit der kleine und mittlere Betriebe nicht mithalten könnten. Die »Tage des kleinen Betriebes der

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Landwirthschaft«, so Meyer, achtzehn Jahre vor dem Erfurter Programm der SPD, seien gezählt; »der kleine Grundbesitz wird verschwinden, wie das Handwerk es thut. Ein Fehler also wäre es, ihn künstlich schaffen zu wollen.«31 Dem Ansinnen mancher seiner Freunde im konservativen Lager, »im Osten wieder einen Mittelstand, einen Bauernstand [zu] schaffen«, widersprach Meyer deshalb entschieden. »Dies ist meiner Ansicht nach unmöglich. Der Großbetrieb ist auch in der Landwirthschaft das einzig Mögliche für die Zukunft.«32 Diese Ansicht vertrat Meyer auch noch neun Jahre später, in der zweiten Auflage des Emanzipationskampfes. In expliziter Abgrenzung von der ›Kreuzzeitung‹ und der von ihr favorisierten »Zunftreaction« und unter ebenso expliziter Berufung auf Lassalle, demzufolge die große Industrie durch nichts anderes besiegt werden könne »als durch die  – noch grössere, durch die grösseste Industrie«, wies Meyer alle Bestrebungen zurück, sich dem Gang der Entwicklung entgegenzustellen.33 Wie im städtischindustriellen Gewerbe werde auch in der Landwirtschaft »der Grossbetrieb zweifellos in nicht allzulanger Zeit mehr und mehr Platz greifen« und »eine mit ›Actiencapital‹ betriebene Latifundienwirthschaft« hervorbringen, welche allein noch rentabel zu produzieren imstande sein werde. Da jedoch auch eine hochmechanisierte Landwirtschaft noch der Arbeitskräfte bedürfe, wenn auch nicht mehr im gleichen Umfang; da ferner der Staat aus wehrwirtschaftlichen Gründen ein Interesse an einer hinreichend großen Landbevölkerung habe, sei es wünschenswert, »neben diesem Grossbetriebe grundbesitzende Landarbeiter« zu haben, »die doch in ihren Gärten nur für den Bedarf des eigenen Heerdes produciren.«34 Eine solche »Sesshaftmachung der Arbeiter« habe »ohne Beraubung der Grundbesitzer« zu geschehen und in einer Weise zu erfolgen, die sicherstelle, daß nicht aus unzufriedenen Arbeitern noch unzufriedenere Grundbesitzer würden  – ein Ziel, das sich am besten mit dem von einigen Liberalen (!) vorgeschlagenen Verfahren erreichen lasse, den Abschluß von Pachtverträgen zu erleichtern.35 Auf diese Weise würden den erfolgreich wirtschaftenden Arbeitern Aufstiegschancen in den Stand der Rentengutsbesitzer eröffnet und die Irrwege abgeschnitten, die sie sonst veranlassen könnten, Landarbeitergewerkschaften zu gründen oder gar für eine »Revolutionirung unserer ländlichen Verhältnisse« einzutreten.36 Auch werde eine Entwicklung in Richtung des Parzellensystems

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abgeschnitten, das sich in Frankreich als überaus verderblich, weil nur zur Überschuldung führend, erwiesen habe. »Wir paar deutschen Social-Conservativen wussten wohl, weshalb wir grundbesitzende Arbeiter schaffen wollten. Arbeiter, nicht kleine Ackerbauer, wie v.  d.  Goltz will, weil wir den Grossbetrieb als volkswirthschaftlich allein richtig anerkennen und erhalten wollen. Grundbesitzende Arbeiter, weil wir principielle Vertheidiger des Grundbesitzes schaffen wollen.«37 Meyer beließ es indes nicht bei publizistischen Interventionen. Vielmehr warb er, in Abstimmung mit Wagener und Rodbertus (wenn auch mit beiden nicht immer d’accord)38, auf verschiedenen Foren um politische Unterstützung für seine Forderungen. So besuchte er im Februar 1872 den Kongreß deutscher Landwirte in Berlin und setzte sich gemeinsam mit Rodbertus und Schumacher für eine Enquête zur Lage der ländlichen Arbeiter ein, die insbesondere die Reallohnentwicklung über einen längeren Zeitraum ermitteln sollte.39 Es folgte der bereits erwähnte Auftritt auf der Konferenz ländlicher Arbeitgeber im Mai 1872, bei der er neben der Möglichkeit des Eigentumserwerbs auch für den gesetzlichen Normalarbeitstag und Maßnahmen der sozialen Sicherung warb.40 Ein Artikel von 1873 verlangte »Maßregeln, die den Landarbeitern steigenden Lohn mit steigender Productivität sichern« sollte.41 Ein gemeinsam mit Rodbertus und Adolph Wagner 1875 auf dem Kongreß der Landwirte eingebrachter Antrag auf Einrichtung einer staatlichen Untersuchungskommission über die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen auf dem Lande wurde zwar angenommen, blieb aber folgenlos.42 Ebenso leer liefen seine Bemühungen, den 1872 gegründeten Verein für Sozialpolitik für seine Ideen zu gewinnen.43 Es half auch nichts, daß Hermann Wagener sie sich zu eigen machte und bei Bismarck für eine »Vermehrung der kleinen ländlichen Besitzungen« eintrat, um dadurch »der Staatsgewalt gegenüber der fluctuirenden industriellen Arbeiterbevölkerung in einem sesshaften ländlichen Grundbesitze und Arbeiterstande einen materiellen Rückhalt zu schaffen und zugleich […] dieser Bevölkerung die Fundamental-Institutionen des Staates als auch für ihr Privatinteresse wirksam und wohlthätig erscheinen zu lassen«.44 Die Chancen für eine Umsetzung dieser Programmatik verringerten sich vollends ab 1873, als Wagener in den Strudel des oben erwähnten Gründerskandals geriet und dadurch nicht nur sein Amt als Erster Vortragender

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Rat verlor, sondern wegen einer Verurteilung zu hohen Schadensersatzzahlungen auch die Berliner Revue nicht mehr halten konnte.45 Nach neuzehn Jahren mußte sie sich im Januar 1874 von ihren Lesern verabschieden.46 Während Wagener sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhielt, versuchte Meyer, ihn durch Gegenangriffe zu entlasten, die insbesondere darauf zielten, einen Keil zwischen Bismarck und die Nationalliberalen zu treiben. In einer Serie von Social-politischen Flugblättern und verschiedenen Artikeln in der Deutschen Eisenbahn-Zeitung forderte er 1874 den Reichskanzler auf, den Liberalen nicht länger freie Hand zu lassen und sozialpolitisch aktiv zu werden.47 Das Kaisertum solle die »Emancipation des vierten Standes vom Joche des Capitalismus« zu seiner Sache machen, indem es den Normalarbeitstag durchsetze, Kinder- und Sonntagsarbeit verbiete und von Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie absehe.48 Noch im selben Jahr publizierte Meyer den ersten Band seines opus magnum über den Emanzipationskampf des vierten Standes, der gleichzeitig in einer stark gekürzten Volksausgabe erschien. Darin trat er für ein umfassendes Reformprogramm ein, das eine gleichmäßigere Verteilung des Reichtums durch Steuerreformen, Mindestlöhne und ein Maximum für Zinsen vorsah und dem Staat neue Felder zur sozial- und wirtschaftspolitischen Aktivität zuwies.49 Neben dem Wohnungsbau für seine Beamten solle der Staat auch »das Eisenbahnwesen, Versicherungsund zum Theil das Bankwesen vorläufig« der Privatindustrie entziehen. Um der sozialen Polarisierung entgegenzuwirken und die »aufsteigende Klassenbewegung« zu fördern, seien darüber hinaus durch gesetzlichen Zwang Arbeitgeber und Arbeiter zu sich selbst verwaltenden »Gewerkvereinen« mit eigenen, aus gleichen Beiträgen zu finanzierenden »Gewerkskassen« zusammenzufassen, denen obligatorisch die Sorge in allen Fällen von Krankheit, Invalidität und Armut zu übertragen sei.50 Das waren Vorschläge, die zwar nicht mehr ganz neu waren, bei Liberalen wie »Altkonservativen« jedoch gleichermaßen Protest hervorriefen und selbst bei den Arbeitern wenig Anklang fanden. Als Bismarck knapp zehn Jahre später einiges davon in freilich stark abgewandelter Form in seine Sozialgesetzgebung aufnahm, stieß er damit ausgerechnet bei der Sozialdemokratie auf vehemente Ablehnung, teils, weil man die vorgesehenen sachlichen Leistungen für unzureichend hielt, teils weil man die dahinter stehende Gesinnung verdächtigte.51

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Im gleichen Maße, in dem Meyer einsehen mußte, daß seine Vorschläge in den Wind gesprochen waren, vergrößerte sich seine Distanz zu dem Milieu, dem er sich bis dahin zugehörig gefühlt hatte. Glaubte er noch im Frühjahr 1872, die ›altconservative Schule‹ in eine ›neuconservative‹ überführen zu können, die sich dadurch auszeichnen sollte, daß sie sich nicht mit der Befestigung des Großgrundbesitzes begnügte, sondern den Grundbesitz möglichst verallgemeinerte52, so war davon gut ein Jahr später nicht mehr die Rede. In einem dezidiert als »Grabschrift« ausgewiesenen Artikel konstatierte er den »Verfall der conservativen Partei«, der ihm nicht zuletzt durch das Versagen der konservativen Presse, allen voran die ›Kreuzzeitung‹, verursacht zu sein schien, aber auch durch die mangelnde Bereitschaft der Partei, auf die von Wagener und Rodbertus entwickelten Ideen einzugehen.53 Eine weitere Artikelfolge zum Thema »Was ist conservativ?« kam zu dem betrübenden Ergebnis, »daß ein großer Theil der Conservativen bei uns ein ebenso verhängnißvolles Bündniß mit der liberalen Bourgeoisie eingehen will, wie es sich in Frankreich vollzogen hat.«54 Wie tief der Graben inzwischen war, der den Kreis um Wagener und Meyer von den sich konservativ nennenden Parteien trennte, zeigen die Worte, mit denen der Redakteur der Berliner Revue im Januar 1874 von seinen Lesern Abschied nahm.55 Keine dieser Parteien, so sein Fazit, habe die neuen Aufgaben begriffen, die sich ihr gestellt hätten – die nationale so wenig wie die kirchlich-religiöse, um von der sozialen zu schweigen, für die man nur die Antwort der Repression gefunden habe. Man habe sich deshalb von ihnen trennen müssen, um die »Gründung einer deutschen conservativen Reformpartei« in die Wege zu leiten, einer, wie es in anderem Zusammenhang hieß, »neuen Regierungspartei«, die daran gehen werde, die gegensätzlichen Interessen durch »Erweiterung des Kreises der Besitzenden« zu versöhnen.56 Die Regierung freilich, auf deren Unterstützung man zunächst noch hoffte, hielt sich zurück. So begann Meyer, der sie bis dahin in allen Belangen verteidigt hatte, in der Frage der Schulaufsicht sogar gegen die Konservativen57, auch diesen potentiellen Alliierten mit Kritik zu überziehen. Der Kanzler habe sich, so der Vorwurf, in immer stärkere Abhängigkeit vom großen Bankkapital, insbesondere des »Disconto-Bleichröder-Ringes« begeben, dessen Ziel es sei, »die Bankiers und ihre Helfershelfer auf

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Kosten der Grundbesitzer zu bereichern und diese unter deren Herrschaft zu bringen, den Grundbesitz schliesslich zu Gunsten einer Finanzclique zu expropriiren, wie die Juden des Foncier dies beabsichtigten«58 – eine Anspielung auf die Wirtschaftspolitik Napoleons III. und das von ihr geschaffene System des Crédit Foncier bzw. Mobilier, über das Meyers Urteil eigentümlich zwiespältig ausfiel. In seinem ursprünglichen Zuschnitt eine durchaus großartige, die Keime eines »cäsaristische[n] Socialismus auf St. Simonistischer Grundlage« enthaltende Konzeption, mit deren Hilfe Napoleon Frankreichs Aufstieg enorm gefördert habe, sei dieses System doch schon in Frankreich selbst gescheitert, weil es sich zu eng mit dem Finanzkapital eingelassen habe.59 Das gleiche Schicksal erlebten gegenwärtig Napoleons Nachahmer, zu denen auch Bismarck zu rechnen sei, der »den Bankiers zu einer Macht in Deutschland« verholfen habe, »der sich jetzt fast Alles und Alle beugen müssen, wenn sie nicht vernichtet werden wollen«60: »Anstatt die Erhaltung der Familien im Besitz und die Ansiedelung der Landarbeiter durch das Rentensystem zu fördern und den Grundbesitz von der Finanzherrschaft frei zu machen«, wie Wagener und Rodbertus ihm geraten hätten, habe Bismarck »das Entstehen von Capitalistenbanken begünstigt, die den Grundbesitzern den Hals abschneiden und – die schliesslich selbst zum grossen Teil pleite gehen werden.«61 Das berührte sich, auch und gerade in der Identifikation von Bankkapital und Judentum, mit der in Frankreich schon vor 1848 einsetzenden antisemitischen Agitation, die in Deutschland seit den 1860er  Jahren ein Echo fand und im Zuge des Gründerkrachs eskalierte.62 Schon in seiner Kritik der »Central-Boden-Credit-Actien-Gesellschaft« scheute sich Meyer nicht, diese als »kosmopolitisch-jüdisch« zu denunzieren und sie damit gleichsam zu expatriieren.63 Die Macht der liberalen Parteien schien ihm dadurch erklärbar zu sein, »daß die Leiter der Presse, die Redacteure, im intimsten Verkehr mit den Führern im Parlament und mit den Capitalisten und Börsenkönigen lebten«, einem Verkehr, der »vornehmlich durch die gemeinsame, canaanitische Abstammung vieler der Vorzüglichsten« jener Parteien erleichtert werde.64 Im zweiten Band des Emanzipationskampfes referierte er über zehn Seiten kommentarlos die Invektiven des Fourieristen Alphonse Toussenel und verkündete im Kapitel über Österreich seine feste Überzeugung, »dass die Juden, beschnittene und unbeschnittene, welche heute thatsächlich in Wien

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herrschen, hier wie überall die Zersetzung eminent fördern«.65 In Belgien sei ein großer Teil der Industrie in jüdischen Händen, in Frankreich habe nach der Niederlage im Krieg gegen Deutschland eine liberale Clique die Macht ergriffen und eine »Judenwirthschaft« installiert. Selbst beim Sieger müßten Parlament und Regierung längst sich den Juden beugen. Deutschland stehe unter der »Herrschaft einer capitalistischen, semitischen Clique«, der Westen insgesamt sei »durch die goldene Internationale, das Geldjudenthum in den oberen Kreisen, entsittlicht«.66 Ähnliche Vorwürfe wurden zur gleichen Zeit in der Gartenlaube, in der Deutschen Landeszeitung oder der Staatsbürgerzeitung erhoben, unter anderem von Otto Glagau und Ottomar Beta, welch letzterem Meyer auch die Berliner Revue geöffnet hatte.67 Mit Bruno Bauer, der nach Meyers Auskunft während seiner Redaktionsführung die politische Wochenschau des Blattes betreute, war darüber hinaus ein weiterer »Klassiker« des Antisemitismus an Bord.68 Bismarck, so der Tenor, führe Deutschland in den Staatsbankrott, er liefere das Volk einem »System der Aussaugung und Ausraubung […] durch Blutsauger« aus und sei auf dem besten Wege, »das Ende der christlichen Civilisation« einzuleiten.69 Hinsichtlich der Juden gab es deshalb nur eine Lösung: die Rücknahme der Emanzipation.70 Aber damit war es nicht getan: »Wir wissen, dass, wenn die Regierung des Landes anderen Händen seit 1871 anvertraut gewesen wäre, wenn einfache schlichte Männer in des Königs Rath gesessen hätten, keine Einzige der entsetzlichen Gründungen, welche den Courszettel der Berliner Börse schänden, existiren würde. Wir wissen, dass der ›Culturkampf‹ die deutsche Nation nicht zerklüften, die Noth nicht in Palästen und Hütten wohnen würde. Solange der Fürst Bismarck das allein mächtige Idol bleibt, wird die deutsche Nation dem Reich, das Reich dem Kanzler geopfert werden, und der Kanzler  – gehört den Juden und Gründern. Daher giebt es für unsere Politik nur eine gebundene Marschroute: Beseitigung des jetzigen Systems und seines Trägers.«71

Den Vorwurf, »plötzlich zum jüdischen St. Simonismus gekommen« zu sein72, wollte Bismarck nicht auf sich sitzen lassen. Er ließ Meyer durch seine Anwälte wegen Beleidigung anklagen und erwirkte im Februar 1877 seine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe, der sich Meyer durch Flucht

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in das benachbarte Ausland entzog.73 Ein Versuch Wageners, Bismarck zum Einlenken gegenüber Meyer zu bewegen, scheiterte, und bald darauf brach Bismarck auch die Beziehungen zu Wagener ab.74

II. Mit seiner Flucht vollendete Meyer auch räumlich, was sich in der Sache schon länger angekündigt hatte: eine Distanzierung, wenn nicht vom Konservatismus schlechthin, so doch von dem, wozu dieser in Preußen seit der Neuen Ära geworden war: von den Neukonservativen, die im Kielwasser der Liberalen segelten, und von den Altkonservativen, die der Donquijoterie anhingen, ein patriarchalisches Königtum restaurieren zu wollen, das so unzeitgemäß sei wie das patriarchalische Arbeitgebertum oder das patriarchalische »Consistorialtum«.75 Das nahm, zumindest was die Arbeitsbeziehungen betraf, den Befund vorweg, zu dem zwei Jahrzehnte später auch Max Weber auf empirischem Wege kam.76 Wenn Meyer dennoch nicht resignierte, so deshalb, weil er bald nach seiner Flucht ein neues Forum fand. Im Frühjahr 1877 bot ihm Karl Freiherr von Vogelsang (1818–1890), spiritus rector der in Wien erscheinenden kleinen »Zeitung für die österreichische Monarchie« mit dem Obertitel Das Vaterland, eine Stellung als fester Mitarbeiter an77, eine Position, die ihm endlich wieder ein festes Einkommen bot und ihn überdies in unmittelbare Nähe zu Lorenz von Stein brachte, dessen Lehre vom sozialen Königtum im Kreis um Wagener höchste Wertschätzung genoß.78 Eine weitere Attraktion bestand darin, daß die Redaktion ihm die Möglichkeit eröffnete, zeitweise als Auslandskorrespondent zu agieren. Für die nächsten Jahre wurde Wien zu einer Art Heimathafen, von dem aus er auf lange Fahrten ging: 1878 für sieben Monate nach Paris, 1879 für neun Monate nach England, 1881 auf ein ganzes Jahr in die Vereinigten Staaten, danach wieder nach England und Frankreich, außerdem nach Italien und Ungarn.79 Das Vaterland war 1860 von Adelskreisen in Böhmen, Mähren und Österreich in der Absicht gegründet worden, den konservativen Standpunkt auch auf publizistischem Feld zur Geltung zu bringen und dabei »die Besprechung der socialen Frage im großen Styl an erster Stelle auf unsere Tagesordnung

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zu setzen.«80 Aus lokalen Versammlungen in Prag, Brünn und Wien mit insgesamt rund vierhundert Teilnehmern hatte sich ein Gründungsausschuß konstituiert, der wiederum einen Verwaltungsrat einsetzte, aus dessen Mitte ein Direktorium und ein fünfköpfiger Redaktionsausschuß gewählt wurden. Die Oberleitung lag bis zu seinem Rückzug aus Altersgründen bei Leo Graf Thun (1811–1888), von 1849 bis 1860 Minister für Kultus und Unterricht, außerdem erbliches Mitglied des Herrenhauses und Abgeordneter des böhmischen Landtags81; ab 1887 bei Egbert Graf Belcredi (1816–1894), von 1879 bis 1891 Reichsratsabgeordneter für den mährischen Großgrundbesitz.82 Für die politische Linie des Blattes, das mit seinen höchstens 3000 Abonnenten »immer zwischen Leben und Sterben« lag83, zeichnete seit 1875, in ständiger und nicht selten spannungsreicher Abstimmung mit den Gründern und Geldgebern, der erwähnte Karl Freiherr von Vogelsang verantwortlich, wie Meyer ein Norddeutscher, der 1850 zum Katholizismus konvertiert war.84 Alle drei brachten bis 1882 Meyers Arbeit ein hohes Maß an Wertschätzung entgegen, Belcredi, der als Vorsitzender der Kommission zur Revision der Gewerbeordnung ab 1879 häufig auf Meyers Expertise zurückgriff, auch darüber hinaus.85 Welch großen Einfluß Meyer auf die in Entstehung begriffene christlich-soziale Bewegung in Österreich ausübte, war den Zeitgenossen durchaus geläufig.86 Sein spezieller Anteil an der Profilbildung des Vaterlands dagegen ist bis heute unerforscht. Beachtung gefunden hat lediglich die Tätigkeit Vogelsangs, dessen wichtigster Biograph Meyer jedoch auf parteiliche Weise beurteilt und überdies unterschätzt, wenn er ihm vorwirft, die Dinge »zu einseitig von der wirtschaftlichen Seite« aufzufassen.87 Zur Unterschätzung mag beigetragen haben, daß die Artikel überwiegend nicht namentlich, sondern allenfalls mit Siglen gekennzeichnet sind. Man muß sehr viel gelesen haben, bis man in der Nr. 92 vom 3. 4. 1881 auf einen redaktionellen Vermerk stößt, wonach die sich durch das ganze Jahr hindurch ziehende, mit der Sigle √ gekennzeichnete Artikelserie »Amerikanische Briefe« ›unserem Mitarbeiter‹ Dr. Rudolf Meyer zukommt. Auch Meyer selbst bestätigt diese Sigle, unter der bis dahin bereits mehrere hundert, oft mehrteilige Artikel erschienen waren.88 Das Themenspektrum, das Meyer in diesen Jahren bearbeitete, war von beeindruckender Breite. Es umfaßte in allgemein-politischer Hinsicht, um nur einige herausragende Titel zu nennen: die liberale und

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konservative Parteibildung in Deutschland, die Christlich-Sozialen, das Œuvre des cercles catholiques d’ouvriers, den Beginn des Klassenkampfes in Deutschland im 18. Jahrhundert, die Sozialdemokratie in Deutschland und Frankreich, den Anarchismus in Italien und den Agrarkommunismus in Rußland; in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht: die Gestaltung des Kreditwesens und des Schutzzolls, die Tätigkeit der Nationalbanken, die Geldpolitik, das Aktienprinzip und die Pfandbriefemission, die Arbeitsgesetzgebung in Frankreich, den Handel mit Indien, die Agrarverhältnisse in Ostindien, die englischen Gewerkschaften, das Steuersystem in England, die Wuchergesetze in den USA, die Auswanderung nach Amerika, das Budget in Ungarn, den Übergang zur Goldwährung, die Wirtschaftspolitik Bismarcks und vieles mehr. Lag der Akzent in den ersten drei Jahren mehr auf einzelnen Problemen, die mit der Industrialisierung in Zusammenhang standen, so schoben sich ab 1880 die Folgen in den Vordergrund, welche die zunehmende überseeische Konkurrenz sowohl für die Industrie als auch vor allem für die Landwirtschaft des europäischen Kontinents hatte. Im März 1880 schrieb Meyer erstmals über »Das Sinken der Grundrente und seine Folgen«, das sich teils aus der höheren Produktivität des Getreideanbaus wie der Viehzucht in Nord- und Südamerika ergebe, teils aus der sinkenden Produktions- und Konsumtionskraft Europas, die wiederum ein Effekt verschiedener Faktoren von der Gesetzgebung über das Steuersystem bis zu den höheren Militärbudgets sei.89 Habe man im Agrarrecht bis 1848 Wert darauf gelegt, »das Eigenthumsrecht an Land unabhängig von der Rentabilität der Landwirthschaft« zu machen, also Sicherheit vor Freiheit zu setzen, so habe sich seitdem das kontradiktorische Prinzip einer maximalen »Freiheit des Grundbesitzes« durchgesetzt. Dieses habe einen sich stetig verschärfenden Wettbewerb entfesselt, mit der Folge, »daß die Reste der noch existierenden Grundbesitzerfamilien in größter Gefahr stehen, durch die sich über Europa ergießende Flut von überseeischen Nahrungsmitteln von ihrem Besitze weggeschwemmt zu werden, so daß der Ueberfluß von Nahrungsmitteln, an sich ein Gottessegen, diesem Grundstocke unserer socialen Organisation zum Verderben zu werden droht.«90 Da von der generellen Verminderung des Reinertrags weniger der Staat und die Hypothekenbanken betroffen seien, als vor allem die Grundbesitzer, sei zu erwarten, daß der größte Teil derselben, »nämlich alle solchen, die bis

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zur Hälfte jenes Capitalwerthes, den ihre Besitzungen in den letzten 10 bis 20 Jahren hatten, verschuldet sind, aus dem Grundbesitze vertrieben und darin von Capitalisten, meist Juden, oft auch von dem selbstständig gewordenen Capital einer Hypothekenbank, ersetzt werden.« Das vorhersehbare Ergebnis werde entweder eine »elende Plänklerwirthschaft« wie in Ungarn oder Italien sein oder eine von Großkapitalisten und Banken »nach neuamerikanischem Factoreimuster […] mit für Wochen oder Monate aus aller Welt zusammengerafften Arbeitern« betriebene Großlandwirtschaft.91 Mit derartigen Prognosen handelte sich Meyer bei seinen Mitstreitern im Vaterland bald den Vorwurf des unangebrachten Pessimismus ein.92 Zu diesem Zeitpunkt war er sich indes noch nicht sicher, ob die Zukunft allein dem amerikanischen Modell gehören werde, oder ob nicht vielmehr auch Kleinbetriebe nach französischem Muster eine Chance besäßen, da sie elastischer und weniger abhängig vom Weltmarkt seien.93 In jedem Fall vertrat er die Ansicht, »daß es zum hoffnungslosen Pessimismus immer noch zu früh ist«.94 Der Staat könne jederzeit die Steuern herabsetzen, die Schuldgesetze ändern und eine Politik des »sozialen Schutzzoll[s]« betreiben, die nicht nur den Reichtum der Fabrikanten und der Banken vermehre, sondern auch den Wohlstand der Allgemeinheit: durch Eindämmung der Unternehmergewinne oder durch Erhöhung der Löhne.95 Speziell in der Landwirtschaft sei an Moratorien und eine Gesetzgebung zu denken, welche »die Schuldentlastung durch Landesanstalten ordnete und für das dann noch existirende Capitalbedürfniß durch LandesculturRentenbanken und damit, sowie mit den Landschaften, für bestehende Hypothekenschulden Personal-Creditanstalten aus Landesmitteln in Verbindung brächte.«96 Forderungen wie diese fügten sich einerseits in einen Kreis, der darauf aus war, »mit modernen Mitteln, mit Hilfe relativ radikaler Sozialgesetzgebung die gesellschaftliche Herrschaftsstruktur der vorindustriellen Vergangenheit in abgewandelten Formen zu neuer Blüte bringen zu können.«97 Andererseits hatte Meyer sich erst drei Jahre vor seiner Flucht selbst ausdrücklich der Wagener-Fraktion der preußischen Konservativen zugeordnet, die sich im Unterschied zur ›Kreuzzeitung‹ »nicht mehr bloß abwehrend und defensiv gegen die Großindustrie« verhalte, vielmehr »die letztere selber in den Kreis ihrer Berechnung« ziehe.98 Wie unver-

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einbar diese erst um die Jahrhundertwende von den Christlich-Sozialen Luegers eingenommene Position mit den Prinzipien Vogelsangs war, der im Vaterland den Ton angab, blieb in den ersten Jahren von Meyers Exil noch verdeckt. Es trat jedoch deutlicher hervor nach der Rückkehr von seiner Amerikareise, die ihn 1881 ein Jahr lang von Washington über die Südstaaten nach Kalifornien und dann über Chicago ins östliche Kanada geführt hatte. Von dort brachte er einen großen Respekt für eine Landwirtschaft mit, die im Gegensatz zur europäischen »auf der möglichst umfangreichen Anwendung der Maschinerie beruht«, außerdem die Hoffnung auf eine mögliche Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Wege einer Humanisierung der Arbeit: »Der Traum des Aristoteles, dass die Maschine, das sich selbst bewegende Weberschifflein, dem Weber die Arbeit erleichtern solle, ist in der amerikanischen Maschinenlandwirthschaft annähernd Wahrheit geworden und wenn sich dies auch in Europa verbreitet, so wird die Maschine auch hier ein Segen für die Arbeiter werden, während sie bis jetzt meist ein Fluch für sie ist. Darum haben niemals amerikanische Landarbeiter landwirthschaftliche Maschinen zerstört, Industriearbeiter oft solche Maschinen, die sie ausser Brod setzten. Der Reitpflug versöhnt den Arbeiter mit den Fortschritten der Mechanik, der mechanische Webstuhl thut das nicht, er unterjocht den Arbeiter und macht ihn zum Stück an sich selbst. Er raubt ihm alle Individualität, die an der Industriemaschine stattfindende Theilung der Arbeit lässt den Arbeiter kein Ganzes, an dem er seine Freude hätte, mehr schaffen. Die amerikanische Maschinenlandwirthschaft ist sehr productiv, aber sie ist auch menschlich. Sie schont die Kraft des Arbeiters, gewährt ihm bei der Arbeit Musse. Sie rein capitalistisch, nur vom Standpunkt des ›Reingewinnes‹ auffassen, verräth den rohen, europäischen, unmenschlichen Standpunkt, auf dem wir uns leider meist schon befinden.«99

Unter der langen Liste von Errungenschaften, die ihn in Amerika begeisterten100, war nicht die kleinste eine Gesetzgebung, die »die Macht des Geldcapitals über den Grundbesitz« einschränkte. Der Sieg der Nordstaaten im Sezessionskrieg habe zur »Vernichtung des im Süden geltenden Principes des Grossgrundbesitzes durch jenes des freien Kleinbesitzes« geführt, zur Zerschlagung der Plantagen in Parzellen, die in den meisten Staaten

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durch Homestead-Gesetze vor Überschuldung und Depossedierung geschützt seien.101 Der im industriellen Sektor wirksame Konzentrationsprozeß sei in der Landwirtschaft außer Kraft gesetzt, mache doch hier die Mechanisierung die kleineren und mittleren Betriebe konkurrenzfähig und halte die Latifundienbildung hintan.102 Nehme man hinzu, daß in Amerika ein mittelloser Landarbeiter in zehn bis zwölf Jahren zum wohlhabenden Bauern werden könne, so habe man es mit einer Konstellation zu tun, der die alte Welt nichts Vergleichbares entgegenzusetzen habe. Die Zeit für den Bauernstand, dies jedenfalls zeigten die nordwestlichen Staaten der Union, sei noch nicht verloren. Vielmehr lehrten sie, wie hier aus den Trümmern des europäischen Bauern- und Landarbeiterstandes ein neuer Bauernstand entstehe, »während ihn in Europa Staatsmänner ruiniren, deren Politik das grosse Capital und das Börsenspiel begünstigten.«103 Das war eine deutlich andere Perspektive, als sie Meyer noch kurz zuvor, in der zweiten Auflage seines Werkes über den Emanzipationskampf, bekräftigt hatte. Im Vaterland konnten solche Ideen zunächst mit der Zustimmung Vogelsangs rechnen, der ebenfalls für eine Befreiung des Bauernstandes von der »Herrschaft der Plutokratie« eintrat.104 Allerdings wollte Vogelsang diese Befreiung auf alle Grundbesitzer ausgedehnt wissen, also auch eben jenen Großgrundbesitz, dem nach Meyer schon nicht mehr die Zukunft gehörte. Darüber hinaus erschien ihm die Einschätzung der amerikanischen Landwirtschaft und der von ihr ausgehenden Bedrohung für Europa übertrieben. Nach einer ersten noch zurückhaltenden Distanzierung von Meyers Reiseberichten, die seit April 1881 im Vaterland erschienen105, schlug er sich auf die Seite der Skeptiker, die die Überlegenheit der amerikanischen Konkurrenz für ein temporäres, auf Raubbau beruhendes Phänomen erklärten, das sich ähnlich rasch auflösen werde wie der Gründungsschwindel der 70er Jahre.106 Besonderes Mißfallen erregten Meyers »Schwärmerei für den nächtlichen Dampfpflug« und sein »forcierter Amerikanismus«, der ihm die hiesigen Verhältnisse in allzu ungünstigem Licht erscheinen lasse.107 Durch seine Berichte nehme das Vaterland mehr und mehr den Charakter eines »Auswanderungsorgan[s] für die nordamerikanische Republik« an. Die Leserschaft werde deshalb allmählich »amerikamüde«: »Von allen Seiten beschwert man sich über die Anpreisungen des Wirtschaftslebens jener in Wahrheit bis auf die

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Knochen verfaulten Republik. Die ganze Literatur ist angefüllt mit den Skandalen der dortigen Wirtschaft – nur Dr. Meyer will nichts davon wissen und anerkennt nur das, was man ihm von der korrumpierten Verwaltung in die Hand gesteckt hat. Das ›Vaterland‹ fing schon an lächerlich zu werden.«108 Zum Dissens in der Sache kamen bald persönliche Animositäten hinzu. Anstatt die Probleme zu lösen, steigerten mehrere Gespräche nur das wechselseitige Unverständnis und die Erbitterung, bis Vogelsang schließlich gegenüber den Geldgebern seine Tätigkeit für das Vaterland zur Disposition stellte. Da er seine »sozialdemokratisch tangierten Ansichten« nicht habe durchsetzen können, habe Meyer sich »immer mehr zu einem bösen Element in der Redaktion ausgebildet«, er habe die Mitarbeiter gegen ihn, Vogelsang, aufgewiegelt und verfolge ihn geradezu mit »unauslöschlichem tödlichen Haß«.109 Graf Thun versuchte eine Zeitlang, in diesem Konflikt zu vermitteln, wußte er Meyers Expertise doch durchaus zu schätzen. Schließlich stellte er sich jedoch auf die Seite Vogelsangs, so daß Meyer keine Wahl sah, als das Vaterland Ende 1882 zu verlassen. Das folgende Jahr verbrachte er damit, die Erfahrungen seiner Amerikareise zu zwei umfangreichen Büchern auszuarbeiten.110 1884 lieh er sich Geld von Freunden und erwarb in Kanada einen Bauernhof von 64  ha, den er durch weitere Ankäufe nach und nach zu einem Latifundium von 2000 ha erweiterte. 1889 mußte er aus gesundheitlichen Gründen das Anwesen verkaufen und nach Europa zurückkehren.111

III. Rudolf Meyers letztes Lebensjahrzehnt war von einer Diabeteserkrankung überschattet, die häufige Kuraufenthalte, meist in Karlsbad, nötig machte. Obwohl durch den Erlös aus dem Verkauf seiner Farm finanziell einigermaßen gesichert, war seine Einkommenslage doch nicht gut genug, um nicht hin und wieder der Aufbesserung zu bedürfen. So nahm er nach seiner Rückkehr für längere Zeit die Gastfreundschaft des Grafen SilvaTarouca in Anspruch und beriet anschließend den Fürsten zu SalmReifferscheidt-Raitz in landwirtschaftlichen Fragen.112 Der Tod seines alten Widersachers Vogelsang am 8. 11. 1890 öffnete ihm auch wieder das

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Vaterland, dessen Oberleitung seit dem Rückzug Graf Thuns bei Egbert Graf Belcredi lag, zu dem Meyer seit den Tagen ihrer Zusammenarbeit an der Gewerbereform ein gutes Verhältnis besaß.113 Ab wann sein erneutes Engagement beim Vaterland begann und wie lange es dauerte, ist allerdings nicht zweifelsfrei festzustellen, da Meyer seine alte Sigle nicht wieder aufnahm und sich nur unklar über seine neue äußerte. Gegenüber Kautsky gab er sich als Verfasser der mit einem Vollmond gezeichneten Artikel zu erkennen und ordnete sich außerdem die Sigle »-y« zu, unter der er im Volkswirtschaftlichen Teil publiziert habe. In diesem Teil finden sich jedoch meist nur kurze, überwiegend unmarkierte Meldungen und nur selten Texte mit der erwähnten Sigle.114 Dagegen enthält der Hauptteil seit Januar 1891 zahlreiche Artikel, die mit »-y-« gezeichnet sind und sich hauptsächlich auf Frankreich und Belgien beziehen – ein Gegenstand, den Meyer zwar in den späten 70er Jahren bearbeitet hat, der nun aber außerhalb seines Itinerars lag. Mit einem Vollmond markierte Texte finden sich erst zwei Jahre später.115 Angesichts dieser Unsicherheiten hält man sich am besten an solche Texte, die Meyer mit vollem Namen andernorts publiziert hat. Das betrifft neben den Historisch-politischen Blättern, der Gegenwart und Maximilian Hardens Zukunft vor allem ein Medium, wie es mit Blick auf Meyers politische Biographie überraschender nicht sein könnte: Die Neue Zeit, das Theorieorgan der deutschen Sozialdemokratie. Zwischen Dezember 1892 und Juni 1895, also zwischen den Parteitagen von Berlin (November 1892) und Breslau (Oktober 1895), veröffentlichte Meyer dort sechzehn (!) Aufsätze, darunter zwei, die aufgrund ihrer Länge in zwei bzw. vier Folgen erschienen, ein Volumen, das sonst nur wenigen Autoren zugebilligt wurde.116 Wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Verbindung gekommen? Was Rudolf Meyer angeht, so hatte er dafür bereits Mitte der 70er Jahre eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, nicht nur durch die Aufmerksamkeit, die er dem Emanzipationsstreben des vierten Standes widmete, sondern auch durch den Respekt, den er der wissenschaftlichen Leistung wie den politischen Analysen von Marx zollte.117 Persönliche Treffen mit Marx und Engels in London, ein jahrelanger brieflicher Austausch mit dem Letzteren sowie insbesondere Meyers Kritik am Sozialistengesetz bei gleichzeitiger Einforderung umfassender sozialpolitischer Reformen

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dürften ein Übriges dazu beigetragen haben, den Hiatus zu überwinden, der normalerweise zwischen Konservativen und Sozialisten bestand. Für den Herausgeber der Neuen Zeit, Karl Kautsky, mag ein fachliches Interesse an Meyers agrarpolitischer Expertise hinzugekommen sein, bezog er sich doch in seinem Buch über Die Agrarfrage mehrfach auf sie, selbst wenn er, wie zu zeigen sein wird, zu anderen Einschätzungen kam.118 Für Meyer war die Neue Zeit das gegebene Forum, um auf die der europäischen Landwirtschaft drohenden Gefahren durch die wachsende überseeische Konkurrenz aufmerksam zu machen und für eine Agrarreform großen Stils zu werben. Die Verschärfung der Konkurrenz, so der cantus firmus aller seiner Beiträge, treibe auch im Agrarsektor die Konzentration und Zentralisation voran, wie dies nach Marx und Engels in der geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation lag.119 Sei dies zur Zeit der preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vor allem auf Kosten der Bauern gegangen, so habe sich daran eine »Latifundienbildung« durch Aufkauf der Rittergüter durch Großgrundbesitzer angeschlossen.120 Jetzt zeichne sich ein weiteres Stadium ab: die »Entindividualisierung der Unternehmungen« durch den Übergang der Eigentumstitel auf Hypothekenbanken oder durch Umwandlung in Aktiengesellschaften.121 Die Folgen seien verheerend. Der ländliche Mittelstand werde vernichtet122, Kleineigentümer und Landarbeiter würden zur Auswanderung getrieben und die noch Verbliebenen infolge der niedrigen Löhne und der miserablen Ernährung außerstande gesetzt, die von der technischen Entwicklung bereitgestellten komplizierten Feldmaschinen zu bedienen.123 Mit einer derart heruntergebrachten ländlichen Bevölkerung, so Meyer, sei Preußen und damit Deutschland international gesehen nicht mehr wettbewerbsfähig, darüber hinaus auch nicht einmal mehr kriegsfähig, was angesichts der zunehmenden Gefahr eines militärischen Konfliktes mit Rußland, wenn nicht gar eines Weltkriegs, in höchstem Grade bedrohlich sei.124 Da die Großagrarier aufgrund kurzfristiger Profitinteressen künstlich das Getreide verknappten, entweder durch Zwischenlagerung oder durch die Umstellung der Produktion auf »Zucker, Spiritus und Stärke für das Ausland«, sei schon im Frieden mit einer Verteuerung der Lebenshaltungskosten in der Stadt wie auf dem Land zu rechnen, im Kriegsfall mit einem totalen Kollaps der Nahrungsmittelversorgung125 – eine Prognose, die sich einige zwanzig Jahre später auf dras-

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tische Weise erfüllte. Einige Tausend Großgrundbesitzer im deutschen Osten, so Meyers Fazit, belasteten das ganze deutsche Volk mit einer indirekten Steuer, weil sie nicht mehr genügend Grundrente erzielten. Hohe Grundrente aber sei »kein Staatsinteresse, noch weniger eine Anhäufung von Latifundienbesitz, der das Land entvölkert. Und zudem ist der Staat ohnmächtig, die meisten der jetzigen Großgrundbesitzer zu schützen, er schützt hauptsächlich die Hypotheken-Aktien-Banken und hilft ihnen, die subhastirten Großgrundbesitzer auszukaufen, ohne daß sie selbst dabei zu Grunde gehen. Das hat Rodbertus mit Trauer geahnt und zu vermeiden gesucht. Aber die Regierung hat seine Rathschläge nicht befolgt. Und so wird es bald kommen, daß die Söhne und Enkel der Expropriateurs der Bauern und Büdner ihrerseits exproprirt werden durch die Hypotheken-Aktien-Banken, durch das anonyme, souveräne Kapital!«126

Hoffnung schöpfte Meyer immerhin aus der Beobachtung, daß in neuen Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Kanada zwar nicht der Latifundienbesitz, wohl aber der Latifundienbetrieb bereits im Absterben begriffen sei und in zunehmendem Maße großbäuerlichen Betrieben weiche.127 Der preußische Staat sei deshalb gut beraten, sich auf diese Tendenz einzustellen. Anstatt Rentengüter unter Bedingungen einzurichten, die à la longue zu einer »moderne[n] ländliche[n] Leibeigenschaft« führen würden128, solle er lieber all jene Großgrundbesitzer aufkaufen, welche ohne Kornzölle nicht bestehen könnten, und alsdann sukzessive alle Schutzzölle, auch die industriellen, aufheben.129 Wenn nötig, könne man zum Mittel der Expropriation greifen, wie dies in Irland geschehe, wo die Regierung einen großen Teil der Grundbesitzer enteigne und sie zwinge, »ihre Gründe an die bisherigen Pächter zu veräußern.« 130 Denkbar sei auch, sie in Domänen zu verwandeln, auf denen der Staat Lebensmittel für das eigene Volk produzieren könne.131 In jedem Fall aber sei es geboten, alle landwirtschaftlichen Großbetriebe mit mehr als 100  ha, unter Umständen auch Kleingüter von 20 bis 100 ha, unter Staatsaufsicht zu stellen; auf diese Weise werde es möglich, Anbaupläne zu entwerfen, die eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung mit Getreide sicherstellten.132 Ergänzend sollten alle Zölle auf notwendige Lebensmittel aufgehoben wer-

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den, desgleichen die Exportprämien auf Zucker und Spiritus; sollte dies nicht genügen, könnten auch Ausfuhrzölle auf diese Produkte sowie auf Stärke festgelegt werden.133 Weitere Empfehlungen betrafen die Bildung von Zwangsgenossenschaften bezüglich Drainage, Bewässerung und den Einsatz von Dampfpflügen, außerdem die Einführung eines obligatorischen Heimstättenrechts.134 Zur Lösung der ländlichen Arbeiterfrage empfahl Meyer eine höhere Entlohnung nach englischem Vorbild, bessere Ausbildung und Schutz vor der Konkurrenz durch ausländische Saisonarbeiter, die zumal in Ostelbien die Löhne drückten und à la longue ganz Norddeutschland zu ›polonisieren‹ drohten.135 Wichtig seien außerdem Chancen zum sozialen Aufstieg, insbesondere, indem man Wege eröffne, »den Landlohnarbeiter in einen selbständigen Bauer zu verwandeln, der Herr seiner Productionsmittel und Besitzer seiner Producte ist.«136 Zielten die Anfang der 70er Jahre gemachten Vorschläge noch in erster Linie darauf ab, den Großgrundbesitz zu stärken, indem man ihm seßhaft gemachte, aber nach wie vor auf Lohneinnahmen angewiesene Landarbeiter zur Verfügung stellte, so rückten sie jetzt in eine Perspektive, die vom Gedanken beherrscht war, daß der kapitalistische Großbetrieb seine transitorische Aufgabe erfüllt habe. Wie Max Sering, der zwei Jahre nach ihm Nordamerika bereist und darüber ein umfangreiches Buch publiziert hatte137, sprach auch Meyer von der sinkenden Rentabilität der Riesenfarmen und einer Schwerpunktverlagerung der landwirtschaftlichen Produktion auf die kleinen und mittleren Güter.138 Seine früher geäußerten Bedenken hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit des Kleinbetriebs nahm er explizit zurück. Als er dies geschrieben habe, ließ er Kautsky wissen, habe niemand ahnen können, »dass die ›verflixten‹ Amerikaner solche Feldmaschinen erfinden würden, welche plötzlich den ›intelligenten Kleinmaschinenbauer‹ alle seine Concurrenten schlagen lassen!«139 »Die ›handwerksmäßige‹ Bauernlandwirthschaft«, hieß es an anderer Stelle, erschlage »vor unseren Augen die landwirthschaftliche Fabrik, den landwirthschaftlichen Großbetrieb« und eröffne so die Hoffnung auf eine Wiederkehr der traditionalen Ordnung, mit »schmucken Häuschen für je eine Familie« nebst einigen Knechten, »mit Garten und Feld dabei«. Das klingt wie eine Vorwegnahme des Auenlands der Hobbits bei Tolkien. Auf »große Kraftmaschinen und gewaltige Arbeitsobjekte, wie Schiffskörper und Lokomotiven« wollte Meyer indes nicht verzichten.140

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Im Briefwechsel mit Meyer ließen weder Engels noch Kautsky im Zweifel, daß sie solche Szenarien nicht teilten. Für beide war ausgemacht, was gleich zu Beginn des Erfurter Programms von 1891 als Dogma formuliert wurde: daß die ökonomische Entwicklung sowohl im Handwerk als auch in der Landwirtschaft vom unvermeidlichen Untergang des Kleinbetriebes bestimmt sei.141 Der forcierte Ton, in dem diese Überzeugung vorgetragen wurde, vermochte jedoch kaum die Unsicherheit zu überdecken, die sich in den näheren Ausführungen immer wieder zeigte. Sah sich schon Engels gegenüber Meyer zu dem Zugeständnis genötigt, die Entwicklung des Kapitalismus vollziehe sich im agrarischen wie im industriellen Sektor nicht in klar voneinander getrennten Stadien, weil »der Latifundienbetrieb auf die Dauer den Kleinbetrieb und dieser wieder ebenso sehr und ebenso notwendig jenen erzeugt«142, so kam auch Kautsky, obschon erst einige Zeit nach Schluß der Debatte, zu dem Ergebnis, »daß der Kleinbetrieb in der Landwirthschaft keineswegs in raschem Verschwinden ist, daß die großen landwirthschaftlichen Betriebe nur langsam an Boden gewinnen, stellenweise sogar an Boden verlieren«.143 Der an die Adresse Meyers gerichtete Vorwurf, von der früheren Einsicht in die Unhaltbarkeit des Kleinbetriebes abgerückt zu sein, wurde an anderer Stelle durch das Eingeständnis relativiert, es sei nicht daran zu denken, daß der kleine Grundbesitz in der heutigen Gesellschaft verschwinden und völlig von dem Großbesitz verdrängt werde.144 Eine Zeitlang sah es so aus, als sei in dieser Frage mit dem Erfurter Programm das letzte Wort in der SPD noch nicht gesprochen, war die Partei doch ein heterogenes Gebilde, in dem sich nicht nur die Anhänger einer an rein proletarischen Klasseninteressen ausgerichteten, der bestehenden Staats- und Rechtsordnung opponierenden Politik sammelten. Vertreten wurde die Gegenposition auf pragmatisch-praktische Weise durch den Führer der bayerischen Sozialdemokratie, Georg von Vollmar, der 1893 in einer Rede über »Die Bauern und die Sozialdemokratie« die Bauern aufforderte, sich zu organisieren und zusammen mit der Arbeiterschaft »den Staat zu zwingen, daß er die Ausbeutungsfähigkeit des Kapitalismus in wachsendem Maße einschränke«, anders ausgedrückt: die bestehenden Kleinbetriebe vor der Konkurrenz schütze.145 Sukkurs kam aus Hessen von Eduard David, der seinen Parteigenossen vor Augen hielt, daß in der Landwirtschaft andere Gesetze gälten als in der Indus-

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trie, sei doch »ein Auffressen der kleinen Betriebe durch die mittleren, der mittleren durch die großen und der großen durch die Riesenbetriebe […] als Massenerscheinung in der Landwirthschaft nirgends zu konstatiren.«146 Im Gegenteil sei zu erwarten, »daß die Kleinbauern, da sie in hohem Maße keine Waarenproduktion, sondern Produktion zum Selbstgebrauch treiben, […] wenn nicht konkurrenzfähig, so doch in viel höherem Maße existenzfähig bleiben, als der inländische Großbetrieb, der mit der vollen Breitseite dem Angriff der überseeischen Konkurrenz ausgesetzt ist«. Nehme man die Zwergbesitzer hinzu, so sei deutlich, daß die Zukunft der Landwirtschaft statt durch die Konzentration des Eigentums durch dessen »Pulverisirung« bestimmt sein werde, worauf sich die sozialdemokratische Programmatik einzustellen habe.147 Auch wenn der Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, Bruno Schoenlank, so weit nicht gehen wollte, mahnte er doch seine Partei: »Wir müssen verhüten, daß die nägelbeschlagenen Schuhe der Bauern und der Bauernsöhne sich gegen uns wenden, wir müssen sie neutralisieren, pazifizifieren.«148 Zwei Jahre später gehörte er zu den ersten, die Werner Sombarts Sozialismus und soziale Bewegung einen hymnischen Empfang bereiteten, einem Werk, das die Unanwendbarkeit des Marxschen Systems auf die agrarische Produktion behauptete und für eine »Aufnahme jener kleinwirthschaftlichen Elemente in den Rahmen der Bewegung« eintrat.149 Aus parteitaktischen Gründen hüteten sich die Genannten, sich direkt auf die Arbeiten eines erklärten Konservativen wie Rudolf Meyer zu berufen. Daß diese gleichwohl bekannt waren und z. T. geschätzt wurden, zeigen indes die Interventionen von Paul Ernst, der Ende der 80er Jahre über die Friedrichshagener Bohème zu den »Jungen« in der SPD gestoßen (und darüber mit Engels in Streit geraten) war, an verschiedenen sozialdemokratischen Blättern als Redakteur gearbeitet hatte und trotz wachsender Distanz zur Partei bis 1898 in der Neuen Zeit publizierte.150 Seit 1891 in brieflichem und persönlichem Kontakt mit Meyer, bekräftigte er dessen These, »daß heute der Kleinbesitz konkurrenzfähiger ist, wie der große«, womit er allerdings allein den kleinbäuerlichen Besitz meinte, nicht den bäuerlichen. Während die Bauern im allgemeinen »Arbeiterschinder« seien und daher als »unsere erbittertsten Feinde« zu gelten hätten, stünden die Kleinbauern in keinem Interessengegensatz zu den Arbeitern. Aufgrund ihrer großen Zahl müsse es unbedingt vermieden werden,

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sie – etwa durch die Drohung mit Expropriation – zu Gegnern zu machen. »Ihnen müssen wir vielmehr ihren Besitz garantiren, sie durch gewisse Reformen uns geneigt machen – Schuldentlastung etc. – und im Uebrigen hoffen, daß sie im Laufe der Zeit, wenn sie erst der große Produktionsaufschwung auf den rationell betriebenen, im Eigenthum des Staates befindlichen Gütern überzeugt, daß sie bei ihrer überkommenen Weise schlechter fahren, von selbst dem Staat ihren Besitz übergeben werden, um eine bessere Nährstelle einzutauschen.«151 Das liest sich wie eine Paraphrase zu Meyers Texten, und tatsächlich berichtet dieser im Anhang zu seinem Buch über den Capitalismus fin de siècle, daß Ernst ihm während einer längeren Krankheit bei der Abfassung des Werkes assistiert habe.152 Die reformistischen Dissidenten erarbeiteten 1895 eine Reihe von Vorschlägen, die das Erfurter Programm ergänzen sollten. Diese Vorschläge – neben steuerlichen Erleichterungen und einer Verstaatlichung der Hypotheken- und Grundschulden eine Erweiterung des öffentlichen Grundeigentums und dessen Verpachtung entweder an Genossenschaften von Landarbeitern und von Kleinbauern oder an sog. Selbstbewirtschafter153 – riefen indes an der Parteibasis einen Sturm der Entrüstung hervor, schienen sie doch den besitzlosen Proletariern zuzumuten, besitzende Bauern zu unterstützen und eine Zusammenarbeit mit eben dem Staat anzustreben, der von 1878 bis 1890 die Sozialdemokratie aufgrund ihrer angeblich »gemeingefährlichen Bestrebungen« kriminalisiert hatte.154 Kautsky und seine Gefolgschaft hatten auf dem Breslauer Parteitag von 1895 daher wenig Mühe, eine vollständige Verwerfung der Reformvorschläge durchzusetzen.155 Die Reinheit der Lehre konnte auf diese Weise gesichert werden, jedoch um den Preis einer Politik, die de facto nicht nur den Großbetrieb, sondern auch den Großgrundbesitz stabilisierte, da sie ihn den politisch nicht zu beeinflussenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten überließ.156 Erst lange nach dem Krieg gestand Kautsky, er sei zu der Einsicht gekommen, daß David (und damit auch: Rudolf Meyer) »in einem Punkte recht hatte: Die Entwicklung geht in der Landwirtschaft nicht in der Richtung des Zurückdrängens des Kleinbetriebs durch den Großbetrieb vor sich.«157 Ob diese Einschätzung zutreffender war als die Prognose des Erfurter Programms, kann hier nicht diskutiert werden.158 Für Rudolf Meyer jedenfalls, der der SPD noch 1894 attestierte, die letzte Partei zu sein, »wel-

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che noch bedingungsweise einer nationalen Politik fähig ist«159, war mit dem Breslauer Parteitag der Augenblick gekommen, auch dieser Hoffnung Valet zu sagen. Seine Mitarbeit an der Neuen Zeit hörte Anfang 1896 auf, und obschon er mit Kautsky weiterhin im Briefwechsel blieb, war sein Elan doch gebrochen. Am 16. Januar 1899 ist er in Dessau im Haus eines Sohnes von Hermann Wagener gestorben.160 Die Neue Zeit widmete ihm einen Nachruf, der ihm einen »ehrenvollen Platz in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie« zuerkannte.161

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5. Vom »Staatssozialismus« zum »christlichen Sozialismus«: Adolph Wagner, Rudolf Todt, Adolf Stoecker

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ls sich im Mai 1872 die »Monarchisch-nationale Partei des Reichstags« konstituierte, aus der vier Jahre später die Deutschkonservative Partei (DkP) hervorging, war dies eine Entscheidung, die gleich in doppelter Hinsicht die bis dahin übliche polemische Gegenstellung gegen den Liberalismus untergrub. Hatte noch zu Beginn der 60er Jahre der Preußische Volksverein vor jeder »Verleugnung unseres preußischen Vaterlandes« gewarnt und den liberalen Nationalstaatsgedanken als »Nationalitätenschwindel« abgekanzelt1, so zeigte sich der Gründungsaufruf der DkP vom 7. 6. 1876 nunmehr bereit, »die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne stärken und ausbauen« zu wollen.2 Und wenn Hermann Wagener es 1864 im Preußischen Volksverein zu einer der wichtigsten Aufgaben einer jeden konservativen Regierung erklärte, sich mit der Lage der großen Masse der Bevölkerung zu beschäftigen, da dies der einzige Weg sei, »dem Streben der sogenannten Bourgeoisie nach politischer und sozialer Alleinherrschaft die Spitze abzubrechen«3, so war im Programm der Monarchisch-nationalen Partei nur in dürren Worten von sozialer Fürsorge die Rede, während sich ein ganzer Abschnitt der »nachdrückliche[n] Bekämpfung aller sozialen Bestrebungen« widmete, »welche sich nicht auf der Basis der gegenwärtigen Staats- und Gesellschaftsordnung oder im Gegensatz gegen die Nationalität vollziehen wollen.«4 Mit Wageners Sturz 1873, der Einstellung der Berliner Revue noch im gleichen Jahr und der Flucht Rudolf Meyers schien das Ende des Versuchs gekommen, die konservative Partei durch ein soziales Programm für das Zeitalter der Massenpolitik tauglich zu machen. Ein solches Urteil ist jedoch richtig und falsch zugleich. Es ist richtig, insofern sich die DkP auf einen Weg begab, der sie schon in den Augen der Zeitgenossen immer weiter vom ›eigentlichen‹ Konservatismus entfernte und immer näher an den Liberalismus heranrückte5, wie dies im Reichstag in der ab 1887 einsetzenden Kartellpolitik sowie der ab 1907 von

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Bülow inaugurierten Blockpolitik auch praktisch zum Ausdruck kam.6 Es ist falsch, da es die Fortexistenz sozialkonservativer Tendenzen ausblendet, die in den 80er und frühen 90er Jahren noch auf beachtlichen Zuspruch aus dem akademischen Feld und der entstehenden evangelisch-sozialen Bewegung zählen konnten. Informierte Zeitgenossen erkannten durchaus, in welchem Maße das gegen Ende der 70er Jahre aufkommende Konzept des »Staatssozialismus« bei Wagener, Meyer und anderen vorgebildet war, wie sie auch die Linien nicht übersahen, die von dort zu Adolph Wagner, Rudolf Todt und Adolf Stoecker führten.7 Wagener und Meyer wiesen diese Filiation zwar bisweilen zurück, weil sie ihre Vorläuferschaft nicht genügend gewürdigt fanden8, sahen es aber letztlich nicht anders. So ließ etwa Meyer keinen Zweifel an seinem Anspruch, in seinem Buch über den Emanzipationskampf des vierten Standes das erste staatssozialistische Programm formuliert zu haben, das jemals in Deutschland aufgestellt worden sei, und bezeichnete sich darüber hinaus als den alleinigen Urheber der evangelischen Bewegung bis 1885.9 Daß Adolph Wagner in Berlin an »der Heranziehung jenes Geschlechts arbeitet, dem die Verwirklichung unserer Reformideen zufallen wird«, erschien ihm noch 1882 als Glücksfall.10 Todt galt ihm als sein wie immer auch undankbarer Schüler und Stoecker trotz mancher Einschränkungen als derjenige, welcher »doch immer unser letzter Nachfolger bleibt«.11 Bleibt zu fragen, worauf sich diese Einschätzung stützt.

I. Im Oktober 1874 nahm Hermann Wagener auf Wunsch Bismarcks am Kongreß des Vereins für Sozialpolitik (VfS) in Eisenach teil.12 In seiner Begleitung befand sich Rudolf Meyer, dem die Aufgabe zufiel, einen Bericht über die Tagung zu verfassen, der dann unter dem Namen Wageners an Bismarck ging. Nach diesem Bericht, den Meyer zwanzig Jahre später in Hardens Zukunft publik machte, war der Kongreß seit seiner Gründung 1872 in zwei Lager gespalten, deren eines »die volle Staatshoheit auch auf wirthschaftlichem Gebiet durchgeführt wissen« wollte, während das andere »dem alten Manchesterprinzip anhing, sich nur aus taktischen Gründen in die Versammlung eindrängte, um auf ihre Beschlüsse einen illegiti-

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men Einfluß zu üben, und schon damals auf eine Verschmelzung mit dem rein manchesterlichen Volkswirthschaftlichen Kongreß hinarbeitete.« Der entschiedenste Vertreter des Prinzips der unbedingten Staatshoheit auf sozialem Gebiet sei schon auf dem ersten Kongreß Rudolf Meyer gewesen, ohne damals Gehör zu finden. Auf der Tagung von 1874 aber habe sich eine ganze Reihe von Professoren zu dieser Auffassung bekannt, darunter »die bisher als charakterfeste Männer bewährten Adolph Wagner (Berlin), von Scheel (Bern), Jannasch (Dresden), Hildebrand (Jena). […] Alle diese Herren gehören zur Schule Lorenzens von Stein in Wien, haben von Rodbertus-Jagetzow gelernt und stehen politisch ungefähr auf dem Standpunkt, den Herr von Blanckenburg und ich [scil. Wagener] in den Jahren 1865 bis 1869 vertreten haben.«13 Auf den hier an erster Stelle genannten Adolph Wagner (1835–1917) war Meyer bereits 1871 aufmerksam geworden, im Rahmen einer freien kirchlichen Versammlung evangelischer Männer in der Berliner Garnisonkirche, als dieser dort über die soziale Frage sprach.14 Die Rede des erst seit einem Jahr an der Berliner Universität lehrenden Professors für Nationalökonomie hatte ihn so beeindruckt, daß er im Wintersemester 1872/73 an Wagners Kolleg teilnahm und im Mai 1874 auf der Berliner Pastoralkonferenz noch einmal auf dessen Intervention zurückkam.15 Ein Jahr später kannte man sich bereits gut genug, um zusammen mit Rodbertus auf dem Kongreß der Landwirte einen Antrag einzubringen, der eine Untersuchung der landwirtschaftlichen Verhältnisse bezweckte, »mit der ausgesprochenen Absicht, eine Reform der Agrargesetzgebung anzustreben«.16 Obwohl der Kaiser den Reichskanzler mit der Einrichtung einer entsprechenden Kommission beauftragte, verlief die Angelegenheit indes im Sande, und auch das Einvernehmen zwischen Meyer und Wagner hatte bald ein Ende. Im Oktober 1875 verweigerte Wagner die Unterschrift unter einen weiteren, auch von Rodbertus unterzeichneten Antrag auf dem Eisenacher Kongreß des VfS, wozu weniger dessen Inhalt den Ausschlag gegeben haben dürfte (es ging um den Übergang zu einer neuen Handelspolitik), als vielmehr die exponierte Stellung, in die Meyer sich unterdessen mit seinen Angriffen auf Bismarck manövriert hatte.17 In seinen späteren Arbeiten erwähnte Meyer Wagner nur noch sporadisch und meistens in absprechendem Sinne.18 Wagner seinerseits, der Meyer noch 1873 zu den »bedeutenderen radicalen und conservativen Anhängern« der

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»grossen deutschen Socialisten« Marx, Lassalle und Rodbertus gezählt hatte, hatte ein gutes Jahrzehnt später nur noch ätzende und persönlich herabsetzende Polemik für den einstigen Mitstreiter übrig.19 Daß Wagner schon so kurze Zeit nach seiner Berufung im Umfeld von Meyer, Wagener und Rodbertus auftauchte, war von seiner bisherigen Laufbahn her nicht unbedingt zu erwarten.20 Wie Erich Thier gezeigt hat, kam Wagner als Schüler von Karl Heinrich Rau vom ökonomischen Liberalismus her, und obwohl sich dies schon früh mit einer kritischen Haltung gegenüber dessen innenpolitischer Agenda verband21, war doch die Übereinstimmung in nationalpolitischer Hinsicht eine Barriere, die ihn vorerst von den Konservativen trennte.22 Noch 1864 bezeichnete Hermann Wagener in der ›Kreuzzeitung‹ das Nationalitätsprinzip als ein »gesetzloses, widerrechtliches und widerchristliches, das davon ausgeht, die christliche Gemeinschaft der Völker aufzulösen und zu zersetzen und die Völker einfach auf die natürliche, heidnische Basis des Bluts und der Abstammung zurückzuführen.«23 Adolph Wagner dagegen war, trotz oder wegen der Jahre, die er von 1858 bis 1863 an der Wiener Handelsakademie lehrte, ein glühender Befürworter eines kleindeutschen Nationalstaates und Anhänger einer deutschen Mission Preußens.24 Den Sieg bei Königgrätz feierte er als Auftakt zur Beseitigung der deutschen Kleinstaaterei und zur Begründung eines nationalen Machtstaates, von dem zu erwarten sei, daß sich binnen weniger Jahrzehnte »die abgelösten Theile organisch seinem gesundeten Staatskörper wieder ein[zu]fügen« würden, womit neben Deutsch-Österreich, der Schweiz, Flandern, Holland und Luxemburg auch das Elsaß und Lothringen gemeint waren.25 Als sich 1870 die militärische Niederlage Frankreichs abzeichnete, war Wagner denn auch sogleich mit der Forderung zur Stelle, dem in chauvinistischen Tönen herabgewürdigten »Erbfeind« Elsaß-Lothringen abzuverlangen. Das zur Rechtfertigung angeführte Nationalitätsprinzip war zwar, ungeachtet modischer Beschwörungen des Darwinschen Kampfes ums Dasein und Anleihen beim Vokabular der Rassenlehren, im Kern sprachlich konzipiert, eignete sich aber kaum zur Begründung der Forderung, Elsaß und Lothringen zu Preußen zu schlagen oder in preußische Provinzen zu verwandeln.26 Immerhin hatte Wagner damit noch vor seinem Wechsel nach Berlin sein Entréebillet für einen der einflußreichsten Lehrstühle Preußens abgeliefert.

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Für seine nationalpolitischen Beiträge wählte Wagner nicht zufällig die Preußischen Jahrbücher als Forum27, ein Organ, das insbesondere seit dem Eintritt Treitschkes in die Redaktion für eine Strömung des Liberalismus stand, die wohl nach wie vor an der parlamentarischen Bewilligung des Budgets festhielt, jedoch entschieden den Freiheitsgedanken dem Einheitsgedanken nachordnete und in der Umsetzung des letzteren dem Prinzip der ›schöpferischen Zerstörung‹ huldigte: der wie immer auch taktisch zu verwirklichenden Beseitigung der Klein- und Mittelstaaten und ihrer Einfügung in einen unitarischen Nationalstaat unter preußischer Führung.28 Die Gemeinsamkeit in der nationalistischen Grundorientierung trug freilich nicht weit. 1874 eröffnete Treitschke, ein scharfer Verfechter besitz- und bildungsbürgerlicher Privilegien, eine Kampagne unter dem Titel »Der Socialismus und seine Gönner«, die sich sowohl gegen die Sozialdemokratie als auch gegen die Unterstützung richtete, die manche ihrer Forderungen im akademischen Feld erhielten.29 Seine Kritik an der – wie Treitschke meinte – überzogenen Darstellung der bestehenden sozialen Ungleichheit und der Überspannung wohlfahrtsstaatlicher Forderungen war expressis verbis nur an seinen Fakultätskollegen Gustav Schmoller adressiert, weitete sich aber gegen Ende auf den gesamten »sogenannten Kathedersocialismus« aus30, mit besonderer Hervorhebung jener ›wärmeren Gemüter‹, die dem Einfluß Lorenz von Steins erlegen und dadurch in das Gravitationsfeld des Sozialismus geraten seien.31 Treitschke nannte an dieser Stelle keine Namen, doch deutet die beiläufige Erwähnung von Rodbertus und Rudolf Meyer darauf hin, daß auch Adolph Wagner mit gemeint war.32 Äußerungen, die auf eine Relativierung seiner »liberalisirenden Neigungen« schließen lassen, finden sich bei Wagner seit 1869.33 Auf einer Versammlung des Freiburger Gewerbevereins setzte er sich nicht nur für das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht ein, das nach Treitschke dem Vorrang der gebildeten Stände widersprach. Er verlangte vielmehr auch »die Mitwirkung des Staats zur Hebung der Arbeiter« und zur »Beseitigung ungerecht vertheilter Staatslasten«.34 In der oben erwähnten »Rede über die sociale Frage« griff er die nationalökonomischen Auffassungen des sogenannten Manchestertums scharf an und verlangte eine »unbefangene Prüfung der socialistischen Kritik«. Eine »Anerkennung des in den socialistischen Forderungen enthaltenen richtigen Kerns« sei

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die »unumgängliche Aufgabe und Pflicht der höheren Classen und des Staats selbst«, nicht zuletzt auch der von diesem unterhaltenen Nationalökonomie, die wieder mehr »den Charakter und die Bedeutung einer ethischen Wissenschaft erhalten müsse, um die sociale Frage richtig behandeln zu können.«35 Die seiner Ansicht nach zutreffenden Hauptpunkte der sozialistischen Gegenwartsanalyse faßte Wagner wie folgt zusammen: »Das heutige Wirthschaftssystem auf der Grundlage der freien Concurrenz und des geltenden Privatvermögensrechts schließt neben seinen unläugbaren großartigen Vortheilen für die Steigerung der Güterproduction mindestens die Tendenz in sich, die bestehenden Vermögens- und Einkommensungleichheiten noch zu vergrößern. Die Arbeitslast und der Genuß der Producte […] vertheilt sich zu ungleich unter die bei der Production betheiligten Personen. Die Vortheile der technischen Fortschritte in der Production kommen wenigstens in höherem Maße den Capitalisten und Unternehmern als den Arbeitern zu Gute, namentlich in der Industrie im engeren Sinne. Dadurch verschlechtert sich die Classenlage der Arbeiter relativ, selbst wenn sich ihre absolute Lage, wie im Allgemeinen nicht zu läugnen ist, verbessert, und die Kluft zwischen ihnen und den höheren Classen wird größer. In Folge dessen […] gerathen die Arbeiter, vor Allem wiederum in der Industrie, in steigende Abhängigkeit von den Capitalisten, die Besitzlosen überhaupt von den Besitzenden. Daraus ergiebt sich aber eine wachsende Schwierigkeit, die sich in den meisten Fällen bis zur practischen Unmöglichkeit steigert, aus der Arbeiterclasse in eine höhere Classe emporzusteigen.«36

Die angemessene Antwort auf diese Lage konnte nach Wagner nicht in einer radikalen Verwerfung des »System[s] der wirthschaftlichen Freiheit« bestehen.37 Die Gesetzgebung der Reichsgründungsperiode, die den »liberal-individualistischen wirthschaftlichen und socialen Principien« zum Durchbruch verholfen habe38, erschien ihm stets als evolutionäre Errungenschaft, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung des Volkswohlstands als auch auf den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Noch im gleichen Jahr, anläßlich einer Polemik gegen den ›Manchester‹Ideologen H. B. Oppenheim, verortete Wagner sich politisch am rechten Flügel der Nationalliberalen oder am linken Flügel der Freikonservativen.39

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Diese Anerkennung der privatwirtschaftlichen Organisation als einer noch auf lange Sicht notwendigen Einrichtung schloß indes die Frage nicht aus, ob nicht die »leitenden Principien und Grundlagen der liberalindividualistischen Rechtsordnung« »selbst schuld oder doch mit schuld gerade an den notorischen Schäden des Wirthschaftslebens und an der Erfolglosigkeit der Reformversuche seien.«40 Wagner stand nicht an, diese Frage zu bejahen und zum Ausgangspunkt einer Selbstkorrektur zu machen, die vor allem das Feld der Sozialpolitik betraf. Worauf diese Korrektur zielte, läßt in vollem Umfang bereits die Rede über die soziale Frage erkennen. Der dort entwickelte Katalog knüpfte in vielem an die Forderungen an, die Hermann Wagener zwei Jahre zuvor im Norddeutschen Reichstag vorgetragen hatte41: eine Anerkennung der gewerkschaftlichen Organisation und der entsprechenden »Kriegsmittel der Arbeiter«42; eine Veränderung in der Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums »im Wege der besseren Bezahlung der Arbeit«, auch wenn dies auf eine Verminderung des Einkommens und der Konsumtionskraft der besitzenden Classen hinauslief43; (unter Umständen) eine Beteiligung der Arbeiter am Gewinn ihrer Unternehmen; ein »gutes Alters-, Wittwen- und Waisenversicherungswesen« und dessen Organisation durch den Staat44; eine detaillierte Fabrikgesetzgebung und deren Kontrolle durch Fabrikinspektoren; weitreichende Beschränkungen der Kinder- und Frauenarbeit in den Fabriken; eine Reform der Wohnverhältnisse, Ausbau des Volksschulwesens sowie, last, but not least, eine Steuerreform gemäß den Vorschlägen der Sozialdemokratie, die auf eine Progressivbesteuerung der höheren Einkommen zielten.45 Man muß sich vor Augen halten, daß zur gleichen Zeit in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten die Progressivsteuer von führenden Liberalen als Schritt zum Kommunismus perhorresziert wurde, um die Kühnheit dieser Vorschläge zu ermessen.46 Im Streit mit Oppenheim ging Wagner sogar so weit, »tiefstgreifende« Reformen des Eigentums bis hin zu einem »Uebergang des Grundeigenthums der Großstädte an die Gemeinde oder den Staat« zu empfehlen.47 Pierre Rosanvallon rechnet ihn daher nicht zu Unrecht zu den frühen Theoretikern jener »Umverteilungsrevolution«, die anstelle der bis dahin gültigen Auffassung der Steuer als Tauschgeschäft die Vorstellung einer redistributiven Steuer setzte.48 Wenn in diesem Forderungskatalog auch der »Normalarbeitstag« auftaucht49, so ist dies ein Indiz dafür, daß Wagner sich inzwischen mit den

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Reformideen der Berliner Revue näher vertraut gemacht hatte, war dort doch eben erst ein großer Aufsatz von Rodbertus unter diesem Titel erschienen.50 Auf dessen Buch über die Creditnoth des heutigen Grundbesitzes bereits 1870 aufmerksam geworden51, schickte er dem Verfasser im folgenden Jahr seine Berliner Rede und vertiefte sich anschließend weiter in die Lektüre des Werks, dessen Leitgedanken er bald darauf in seinem Kolleg »mit wahrer Begeisterung« vertrat. Wie weit er sich Rodbertus’ Anschauungen inzwischen genähert hatte, zeigen die folgenden Sätze im Brief vom 16. 6. 1872: »Ebenso wie Ihrer Creditlehre stimme ich den prächtigen, großartigen historischen Retrospectiven und Zukunfts-Prospectiven bei, die Sie in den Anmerkungen geben, in Betreff der Gesamtbeurtheilung der Wirthschaftsverhältnisse, der wirthschaftlichen Rechtsordnung und Wirthschaftspolitik.«52 Ein Jahr später kam es in Berlin zu einer ersten persönlichen Begegnung und im Sommer 1875 zu einem längeren Besuch Wagners auf Jagetzow.53 Rodbertus attestierte Wagners Darlegungen eine »immense Bedeutung« und Wagner seinerseits erklärte Rodbertus zum originellsten und bedeutendsten Theoretiker der rein ökonomischen Seite des wissenschaftlichen Sozialismus.54 In seiner Grundlegung der Volkswirtschaftslehre, die 1876 in erster Auflage erschien, gehörte Rodbertus zu den am meisten zitierten Autoren. Nach dessen Tod im Dezember 1875 machte Wagner es sich zur Aufgabe, das Gedächtnis des Verstorbenen zu pflegen, und profilierte sich als Sachwalter seines Erbes. 1878 gab er in Schäffles Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft einen Überblick über Rodbertus’ Werk und publizierte erste Texte und Briefe aus dem Nachlaß.55 Noch im gleichen Jahr begann er mit der Sammlung und Herausgabe seiner verstreuten Schriften56 und lenkte die Aufmerksamkeit seiner Schüler auf sie.57 Die demonstrativ hervorgekehrte Nähe sollte freilich nicht über die Differenzen hinwegtäuschen, die Wagner von Rodbertus trennten.58 Teilte der letztere mit Ricardo und den Linksricardianern die Auffassung, wonach sich der Warentausch trotz mancher Oszillationen und Alterationen letztlich nach dem Arbeitswert reguliere59, so war für Wagner die Verteilung stets und immer zugleich »ein Product der für das Eigenthum geltenden Rechtsordnung«, und also auch deren Änderungen unterworfen.60 Wich Rodbertus in der Grundrententheorie von Ricardo ab und hielt es statt dessen mit Sismondis Lehre vom Monopolpreis, so verweigerte

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Wagner ihm die Gefolgschaft und schloß sich Ricardo an.61 Nicht minder weit lag man in der Bevölkerungslehre auseinander, begrüßte Rodbertus hier doch noch ganz im Stil der absolutistischen Peuplierungspolitik jede Geburt, wohingegen es Wagner in diesem Punkt durchaus mit Malthus hielt.62 Von einer gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter, gar einer Durchsetzung von Lohnforderungen mittels Streiks, wollte Rodbertus nichts wissen, galt ihm doch die Lohnregulierung ausschließlich als Sache des Staates63, während Wagner zwar im Gewerkvereinswesen eine Manifestation des ökonomischen Individualismus sah, diesen aber nicht prinzipiell ablehnte.64 Von umfassenden Verstaatlichungen, wie Wagner sie beispielsweise für Aktiengesellschaften ins Auge faßte, aber auch, ganz auf der Linie der klassischen politischen Ökonomie, für die Gestaltung des Grundeigentums oder die Verfügung über wichtige Bodenschätze wie Kohle nicht ausschloß65, hielt Rodbertus ebenfalls nichts; Ausnahmen räumte er lediglich in bezug auf Eisenbahn und Post ein.66 Und wenn er mit ätzender Schärfe die Vorbereitungen zur Gründung des VfS kommentierte, so stand er auch damit in Gegensatz zu Wagner, war dieser es doch, der sie angestoßen hatte, auch wenn er dann von Brentano, Knapp und Schmoller wegen seiner »staatssozialistischen« Tendenzen aus dem Gründungskomitee ausgeschaltet worden war.67 Zur Eisenacher Versammlung vom Oktober 1872 ließ sich Rodbertus in einem Brief an Hermann Schumacher wie folgt vernehmen: »Ich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß die geheimen Leiter dieser ganzen von der Regierung in Scene gesetzten socialen Bewegung – die Presse ist mehr in den Händen der Regierung wie je – nichts im Sinne haben wie Reaction, und zwar die schlimmste Sorte der Reaction, sociale Reaction, gegen die jede politische Reaction nur ein Kinderspiel ist. Wie die Frommen im Lande nichts als Seelenfängerei in der socialen Frage treiben wollen, so will die in der Politik schiffbrüchig gewordene Reaction auf eine neue Form von Wuchergesetzen, Zunftverbänden und Freizügigkeitsbeschränkungen hinaus.«68

Daß Rodbertus in den Bestrebungen, die zur Gründung des VfS führten, nur die pure Reaktion zu sehen vermochte, wird erst vor dem Hintergrund seiner politischen Selbstverortung verständlich, die sich deutlich

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von derjenigen Wagners unterschied. Nachdem Staat und Gesellschaft einmal auseinandergetreten waren, wie Rodbertus dies für die Gegenwart annahm, erschienen ihm alle Versuche, sie wieder zusammenzuführen, als Anachronismus, der letztlich das Manchestertum stärken würde. Das Fortschreiten auf der einmal eingeschlagenen Bahn der Differenzierung aber brachte vorerst auch keine Lösung, hatte sie doch zur Folge, daß anstelle einer, wie man mit Durkheim sagen könnte, organischen Solidarität eine rein mechanische trat, bei der Staat und Gesellschaft nur mehr »durch den Steuerfiscus, den Executor und die Rekrutenaushebung« zusammenhingen. Eine Änderung war erst für die fernere Zukunft zu erhoffen, und auch dies nur durch die Extreme hindurch, wie Rodbertus in einer an Fichtes Lehre vom Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit erinnernden Denkfigur meinte: »Aber so ist eben das Gesetz des Staatenuntergangs. Auch unsere Staatsform ist heute schon bas-empire (monarchische Form ist dabei irrelevant) und dem Untergang geweiht, um dem socialen Staat Platz zu machen. Also immerhin vorwärts in dem kranken Gegensatz von ›Staat‹ und ›Gesellschaft‹.«69 Aus der Feder eines erklärten Anhängers des »Staatssocialismus«, wie Rodbertus einer war70, war dies eine eigentümliche Wendung, legitimierte sie doch auf längere Sicht eine nachgerade altliberale Konstellation71, und dies um so mehr, als sich damit zugleich eine Delegitimierung der dazu antagonistisch stehenden Leitvorstellungen des Konservatismus wie der Demokratie verband, die Staat und Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen nicht als getrennte Größen faßten. Für beide, so Rodbertus’ Überzeugung, war die geschichtliche Stunde abgelaufen. Wenn man heute noch von Demokratie und Conservatismus spreche, belehrte er seinen Briefpartner, könne es sich nur um den historischen und politischen Parteigegensatz handeln, der sich 1848 gebildet habe. Dieser aber sei von Bismarck gesprengt worden, was diesem durchaus als Verdienst anzurechnen sei: »Sie haben ganz Recht: Demokratisch ward ›bankerott‹. Aber Conservativ doch nicht minder. Der Bankerott beider gestaltete sich nur etwas verschieden. Demokratisch machte in den Personen bankerott, Conservativ in den Grundsätzen, – denn dass die Grundsätze, die unsre heutige Reichsgestaltung ins Leben gerufen, nichts mit unserm historischen Conservativ zu thun haben, wird man doch nicht in Abrede stellen.«72

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Für Wagner dagegen konnte von einem derartigen ›Bankerott‹ weder in der einen noch in der anderen Hinsicht die Rede sein. Von den Konservativen trennte ihn zwar manches, angefangen von deren Neigung, die Interessen Preußens denjenigen der Nation überzuordnen, bis hin zur mangelnden Bereitschaft, sich auf Sozialpolitik einzulassen.73 Die Gründung der Deutschkonservativen Partei 1876 und Bismarcks innenpolitischer Kurswechsel von 1878/79 veranlaßten ihn jedoch, seine nach wie vor bestehenden Vorbehalte hintan zu stellen und öffentlich für den »Standpunkt der Konservativen« zu werben. Das geschah zunächst nur publizistisch, in der von Rudolf Todt gegründeten Wochenschrift Der Staats-Socialist74, führte aber bald darauf auch zu einem parteipolitischen Engagement. Im März 1881 schloß er sich dem Berliner Conservativen Central-Comité an und verfaßte den sozial-, finanz- und wirtschaftspolitischen Teil von dessen Programm.75 Bei den Reichstagswahlen im folgenden Herbst vermochte er sich zwar nicht durchzusetzen, konnte aber im Jahr darauf im Osthavelland für die Deutschkonservativen ein Mandat im Preußischen Abgeordnetenhaus erobern, das er bis 1885 wahrnahm. Welch starke Bindungen damit einhergingen, ließ er noch 1896 durchblicken, als er sich bereits weitgehend von aller Parteipolitik zurückgezogen hatte. Er habe, hieß es in einem Brief an Friedrich Naumann, noch heute seine Sympathien für die konservative Partei: »Ich glaube, daß sie mehr als jede andere unserer politischen Parteien – mit Ausnahme des Zentrums, wie ich leider als Evangelischer, aber mit Ueberzeugung und mit Achtung sagen muß, – vollends mehr als so rein kapitalistische Parteien wie die nationalliberale oder gar die freikonservative, auch als so doktrinär manchesterliche wie die freisinnige, befähigt wäre, auf gewisse Teile eines christlich-sozialen wirtschaftlichen Reformprogramms einzugehen.«76

Dieser Einstellung entsprach das entschiedene Engagement auf der Seite der Agrarier, die in den 90er Jahren den Befürwortern einer einseitigen Ausrichtung der deutschen Volkswirtschaft auf Industrialismus und Export entgegentraten, sei es mit dem Hinweis auf eine »Schwächung unserer Wehrkraft« oder der Warnung vor einer zu großen Abhängigkeit von einer Weltwirtschaft, die auf Dauer weder die Abnahme der industriellen

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Produkte Deutschlands noch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln garantieren könne.77 Obschon Wagner mit seiner Neigung zu weitreichenden verteilungspolitischen Eingriffen »zu Gunsten der (hand-) arbeitenden Classen« alles andere als ein idealer Repräsentant des agrarischen Milieus war78, sah er hier noch am ehesten seine politische Heimat. Gegenüber dem beweglichen, zur Zusammenballung in Riesenvermögen tendierenden Kapital erschien ihm das Gegengewicht »einer althistorischen, aristokratisch-bäuerlichen Agrarverfassung« schlechterdings unentbehrlich.79 Deren Schutz sei deshalb »im nationalen Gesamtinteresse zu vertreten, auch wenn dadurch die Industriestaatsentwickelung – nicht völlig gehemmt, wohl aber zu allseitigem Vorteil der Arbeiter und der deutschen Volkswirtschaft und – vielleicht auch die Volksvermehrung verlangsamt wird.«80 Den dafür zu zahlenden Preis – eine beträchtliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten der städtischen Bevölkerung – hielt Wagner für nicht zu hoch.81 Was Wagner gleichwohl von den Agrariern trennte, bezeichnete er gern, nicht zuletzt aus Lust an der Provokation, mit Vokabeln wie »socialistisch« oder gar »communistisch«.82 Damit war keine Aufhebung des Privateigentums und der freien Konkurrenz gemeint, waren beide doch für Wagner Garanten des technischen Fortschritts und einer Ökonomisierung der Produktion.83 Wohl aber eine Einschränkung bestimmter negativer Effekte wie Kartell- und Monopolbildungen, Verschlechterung der geschäftlichen Moral und zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.84 Da bei einer derartigen Gestaltung der Volkswirtschaft »schlimme, allen Betheiligten schädliche sociale Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse« zu gewärtigen seien, müsse das privatwirtschaftliche System durch ein gemeinwirtschaftliches, ja sogar ›zwangsgemeinwirtschaftliches‹ System korrigiert werden, das unvermeidlich »einen gewissen communistischen Characterzug« tragen werde.85 Zwar werde nach aller geschichtlichen Erfahrung »noch für unabsehbare Zeit eine Organisation der Volkswirthschaft« unverzichtbar sein, »in welcher das privatwirthschaftliche System einen breiten und im Ganzen wenigstens auf dem Gebiete der materiellen Production noch den grössten Raum einnimmt«.86 Doch schließe dies Veränderungen in der Verteilung schon heute keineswegs aus. Dem unrealistischen, auf sofortige Aufhebung des Privateigentums drängenden Sozialismus hielt Wagner deshalb seinen eigenen, wie er meinte: realis-

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tischen Sozialismus entgegen: »Die socialistische Forderung heisst nicht: Weg mit dem Kapital (d. h. mit dem ökonomischen Kapital, dem Productionsmittelvorrath) sondern: Her mit dem Kapital (d. h. mit dem Kapitalbesitz), verlangt also nicht eine Vernichtung des Kapitals an sich, sondern eine andre Vertheilung des Kapitalbesitzes.«87 Diese wiederum sollte Sache des Staates sein, der Wagner zwar nicht mehr im Hegelschen Sinne als Erscheinung des absoluten Geistes galt, wohl aber als »unumgängliche Bedingung und zugleich die höchste Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens«.88 Der wissenschaftliche Sozialismus, wie ihn Marx und Engels für sich in Anspruch nahmen, hatte für eine derartige Auffassung nur die Kategorie des »konservativen oder Bourgeoissozialismus« parat.89 Das war indes nicht nur an eine Naherwartung der Revolution gebunden, die sich schon bald als unbegründet erwies, es beruhte auch auf der Fehleinschätzung, daß unter kapitalistischen Produktionsbedingungen für die große Masse der Bevölkerung so etwas wie soziale Sicherung nicht zu erreichen war, weshalb es zu einer revolutionären Strategie nur die Alternative der Resignation oder der Reaktion gab. Wagner sah hier zweifellos weiter, wenn er einen erheblichen Spielraum für Reformen zu erkennen meinte; doch überzog er in anderer Richtung, wenn er, gemeinsam mit Schäffle und v. Scheel, diesen Spielraum für weit genug hielt, um »immer weiteren Volkskreisen die Sicherheit und Selbständigkeit der wirthschaftlichen Existenz zu verschaffen«, einen »immer größere[n] Theil des Volks sei es in Form des Privateigenthums, sei es in Form des Staats-, Gemeinde- usw. –Eigenthums am Besitz des Bodens und des beweglichen Produktionskapitals zu betheiligen«.90 Bei näherer Überlegung korrigierte er sich denn auch gleich selbst mit der Einschränkung, Eigentum, Freiheit und Gleichheit seien nicht in einem absoluten Sinne zu verwirklichen, sondern allenfalls in einem relativen, dessen jeweiliger Inhalt historisch zu bestimmen sei: aus ihrer Funktionalität für die »Bildung und Verwendung des Nationalkapitals«.91 Zu denjenigen, die diese Schranke nicht beachten und damit nur Unheil herbeiführen würden, zählte Wagner nicht allein die revolutionären Sozialisten, die »eine plötzliche allgemeine Umgestaltung durch Staats- und Rechtszwang« herbeiführen wollten und damit nur Unheil stiften konnten.92 Auf eine andere Weise gehörten für ihn auch die Juden dazu, die sich dem Absolutismus des Geldes verschrieben hätten. Als Repräsentan-

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ten des »Mammonismus«, als »Speculanten und Wucherer Shylockschen Schlages«, stünden sie im Begriff, das städtische Grundeigentum in Beschlag zu nehmen, darüber hinaus aber auch noch die Wissenschaft zu ›judaisieren‹.93 Wagner ging nicht so weit, den Schwerpunkt der sozialen Frage in der Judenfrage zu lokalisieren, wie dies der Radikalantisemitismus seit den 60er Jahren zu tun pflegte. Auch beharrte er darauf, daß die Juden ein Faktor des Volkslebens seien, den man nicht einfach ausschalten könne.94 Sein Antisemitismus, gab er gegenüber Hermann Bahr zu Protokoll, sei deshalb lediglich ästhetischer Natur.95 Immerhin vertrug er sich auch in dieser Form mühelos mit der Überzeugung, das Judentum sei mehr eine Rasse als ein Ethnos, und überdies eine solche, die im Durchschnitt weit mehr als die ›germanische‹ oder ›romanische Rasse‹ zum Kapitalismus und zum Parasitismus neige und diese Neigung auf dem Erbwege weitergebe.96 Es überrascht deshalb nicht, ihn in den Wahlkämpfen der 80er Jahre an der Seite von dezidierten Antisemiten wie Adolf Stoecker und Liebermann von Sonnenberg zu sehen.97

II. Als Rudolf Meyer 1882 eine Neuauflage des ersten Bandes seines Emanzipationskampfs herausbrachte, fügte er eine Seite über »Staatssocialisten« wie Todt und Stoecker ein, wählte dafür aber ein Kapitel, das einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung des Sozialismus bot.98 Dagegen ließ er das Kapitel über »Die christlich-sociale Partei« im wesentlichen unverändert, obwohl es sich fast ausschließlich mit einer Erscheinung befaßte, die weit mehr »Bewegung« als »Partei« war und sich überdies auf das katholische Lager beschränkte.99 Die Botschaft war deutlich. Der Protestant Meyer, der sich seit seiner Flucht nach Österreich mehr und mehr dem Katholizismus annäherte und seinen Sohn katholisch taufen ließ100, wollte das Attribut des Christlich-sozialen nunmehr den entsprechenden Bestrebungen im protestantischen Milieu vorenthalten, und dies in offenkundiger Ausblendung der Tatsache, daß sich auch dort 1878 eine Christlich-soziale Arbeiterpartei konstituiert hatte.101 Das ist um so überraschender, als Meyer vor seiner Flucht intensiv unter protestantischen Geistlichen für eine Politik der sozialen Reform

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geworben hatte. Wie er später berichtete, wurde er Anfang der 70er Jahre auf die entsprechenden Bestrebungen im katholischen Milieu aufmerksam und reiste 1872 eigens ins Rheinland, um sich vor Ort zu informieren.102 In seiner Doktorarbeit über den Sozialismus in Dänemark würdigte er die katholische Kirche als Speerspitze in Sachen Sozialreform und forderte die Protestanten auf, es ihr gleichzutun – offenbar mit einigem Erfolg, wurde er doch 1875 eingeladen, seine Gedanken auf einer Pastoralkonferenz in Berlin vorzutragen.103 Die Versammlung, auf der auch Adolf Stoecker und Rudolf Todt referierten, beschloß, ein Aktionskomitee aus Geistlichen und Laien zur Vorbereitung einer »christlich-sozialen Partei« zu gründen, dem auch Meyer angehören sollte. Todt nahm daraufhin persönlichen Kontakt zu Meyer auf und nutzte in den folgenden Monaten ausgiebig dessen Bibliothek für sein Buch über den radikalen christlichen Sozialismus, das 1877 in erster Auflage erschien. Als Meyer im Februar 1877 verhaftet wurde, war Todt gerade bei ihm zu Besuch und begleitete ihn ins Gefängnis.104 Dieses Datum und die bald darauf folgende Flucht Meyers aus Preußen machen es wenig wahrscheinlich, daß er an den Schritten beteiligt war, die zu einer stärkeren organisatorischen Verfestigung der christlich-sozialen Bestrebungen im protestantischen Milieu führten.105 Die Initiative lag zunächst bei Rudolf Todt (1839–1887), seit 1867 Pfarrer in einer Prignitzer Bauerngemeinde, der sich gleichwohl intensiv mit den zeitgenössischen Manifestationen des Sozialismus beschäftigte und regelmäßig den sozialdemokratischen Volksstaat las.106 In seinem Buch wies er eindringlich auf die rege Vereinstätigkeit der Katholiken hin und klagte wortreich darüber, welch geringe Erfolge die Evangelische Kirche in ihrem Kampf gegen die Sozialdemokratie bisher aufzuweisen habe.107 Solle dies anders werden, müsse die Kirche »aus ihrer bisherigen Feindschaft und ihrem Indifferentismus dem radikalen Socialismus gegenüber heraustreten« und dessen eigentliches Wesen studieren, um ihm besser begegnen zu können.108 Dabei werde sie erkennen, daß das Christentum nur in partes, nicht in toto zu den Zielen in Widerspruch stehe, die der Sozialismus verfolge. In einer für den historischen Konservatismus undenkbaren Weise identifizierte Todt diese Ziele mit den Ideen der Französischen Revolution, die, »losgelöst von ihrem atheistischen, blutigrevolutionären Inhalt«, mit den »ewigen, göttlichen Ideen« zusammenfielen, welche »von Gott selbst dem

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in die tiefste Selbstsucht, Knechtschaft und das schrecklichste Elend versunkenen Menschengeschlecht geoffenbart« worden seien.109 Durch den Siegeszug des Kapitalismus sei eine Wirtschaftsverfassung entstanden, die in schreiendem Widerspruch zu diesen Ideen stehe.110 Die zunehmende Industrialisierung zerstöre die Grundlage Preußens, den »Ackerbaustand« und seine damit zusammenhängende Qualität als »Ackerbaustaat«.111 Die schrankenlose Gewerbefreiheit ende »in der Ausbeutung und schliesslichen Vernichtung« des selbständigen Handwerks, dieses Kerns des Mittelstandes, »ohne den der sociale Aufbau ruinirt ist.«112 Auf diese Weise würden immer mehr Menschen in das Proletariat gestürzt, das durch das ›eherne Lohngesetz‹ im Elend gehalten werde. Von den bestehenden Parteien erhoffte sich Todt nichts. Von den Liberalen nicht, weil sie, dem Manchestertum verhaftet, eher Teil des Problems waren als Teil der Lösung. Von den radikalen Sozialisten nichts, weil sie »mit dem Geist von unten« die Welt zu kurieren gedachten, die Glückseligkeit über eine Verbesserung der äußeren Ordnungen zu erreichen strebten, außerdem atheistisch waren und auf Zwangsmaßregeln setzten.113 Von den Konservativen nichts, weil ihre Programme »sich mehr mit den Parteiinteressen als mit dem Gesamtwohl« beschäftigten und die Interessen des vierten Standes ignorierten.114 Ihre weitsichtigeren Ratgeber, »die conserviren wollten nicht durch Reaction, sondern durch Reform«, hätten sie »in den Bann gethan« und die soziale Frage ignoriert. »Die Conservativen von heute müssen also ihre Befähigung zur Staatsrettung erst noch beweisen. Sie sind bis jetzt eine unfruchtbare Partei, deren geringer Stimmenzuwachs nur die Bedeutung zu haben scheint, dass die Unzufriedenheit im Lande mit dem liberalen Regime im Wachsen ist.«115 Einen Silberstreifen am Horizont machte Todt immerhin im Programm der ›Social-Conservativen‹ aus, denen anzugehören er sich selbst als Ehre anrechnete.116 So erklärte er nicht nur Meyers Buch über den Emanzipationskampf als »zum social-politischen Verständniss unserer Zeit […] ganz unentbehrlich«.117 Er übernahm auch Punkt für Punkt die dort aufgelisteten Forderungen: vom allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht über die Wiedereinführung der Wuchergesetze, die Verstaatlichung des Eisenbahn-, Bank- und Versicherungswesens, staatliche Maßregeln zur Sicherung eines Anteils der Arbeiter am wachsenden

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Nationalprodukt, Assoziationsfreiheit, Erweiterung des Standes der kleinen Grundbesitzer bis zur Seßhaftmachung der ländlichen Tagelöhner.118 Aufgabe der Evangelischen Kirche sei es, diese bislang allein vom radikalen Sozialismus erhobenen Forderungen aus der Verquickung mit revolutionär-atheistischen Akzidentien zu befreien und in einen neuen Kontext zu rücken, der auf eine umfassende Christianisierung von Staat, Wirtschaft und Sozialordnung angelegt war: »Das Christenthum! Darunter verstehen wir aber nicht bloss die Kirche mit ihrer Arbeit an den Seelen durch Predigt, Sacramentsverwaltung, specielle Seelsorge und die verschiedenen Werke der christlichen Liebe, sondern das Eindringen der christlichen Lebenskräfte und -Säfte in den Staat und seine verschiedenen Rechts- und Verwaltungsgebiete, in die Wissenschaft, vor Allem die der Nationalökonomie […] in die verschiedenen Productionsfactoren der Gesellschaft, in das Verhältniss der Arbeitgeber und Arbeiter, in die Familie.«119

Reflexionen darüber, wie sich diese Verklärung der christlichen Liebe mit den überaus absprechenden Urteilen über die Anhänger anderer Religionen, allen voran: des Judentums und des Islams, vertrug, finden sich in diesem Buch allerdings nicht120; ebensowenig über die Gründe, warum die Emanzipation des vierten Standes ein hohes Gut sein sollte, die der Frauen dagegen ein Sakrileg.121 Unklar war weiterhin, wie sich die ausdrückliche Zustimmung zu den Veränderungen, »welche die Entwickelung der Grossindustrie mit sich gebracht hat«, zu der Kritik verhielt, die Todt daran übte. Sein Vorschlag, die Gewerbefreiheit und Freizügigkeit beizubehalten und zugleich neue Institutionen zu schaffen, »wodurch diese Freiheiten ihre grossen Bedenken für die Gesellschaft und den Staat verlieren«122, verblieb im Ungefähren, und so war es denn auch naheliegend, wenn Todt am Ende den ›Social-Conservativen‹ empfahl, »ihre Blicke hoffend […] zu dem erlauchten Geschlecht der Hohenzollern [empor zu werfen], welche bisher stets zur rechten Stunde sich der Bedrückten annahmen und die Gerechtigkeit handhabten. Auf der hohenzollern’schen Interventionspolitik ruhte der Segen Gottes von jeher, und dadurch wurden sie das für unser deutsches Vaterland, was sie jetzt sind. Wir meinen: Das Heil kommt von Oben!«123

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Aber wenn das Heil auch von oben kam, so mußte ihm doch der richtige Landeplatz und das erforderliche Bodenpersonal geboten werden. Zu diesem Zweck gründete Todt im Dezember 1877 gemeinsam mit Adolf Stoecker und einigen Gesinnungsfreunden den »Centralverein für Socialreform auf religiös und constitutionell-monarchischer Grundlage«, der die Arbeiter vor dem Kapital und die Monarchie vor der Sozialdemokratie retten sollte. Das allgemeine Stimmrecht, hieß es in der Gründungserklärung, fordere »eine Politik durchgreifender socialer Reformen und zur Verwirklichung derselben ein Vertrauensverhältniß zwischen Monarchie und Arbeiterstand, sowie eine starke arbeiterfreundliche Initiative der Regierung.«124 Das Programm des neuen Vereins, das ein halbes Jahr später nachgereicht wurde, umriß die Aufgaben dieser Initiative mit dem Begriff des »Staatssozialismus«, worunter die Schaffung einer volkswirtschaftlichen Zentralbehörde, die Durchführung einer Enquête über das Verhältnis von Arbeit und Kapital, die Etablierung von Regalien und Monopolen (»Staatseisenbahnen, Forstwirtschaft, Ausdehnung des Staatsund Kommunaleigentums, Tabaksmonopol, Versicherungswesen usw.«) sowie ein Ausbau des Steuersystems verstanden wurden.125 Die weitere Klärung dieser Reformagenda wurde einer Wochenschrift unter dem Titel Der Staats-Socialist anvertraut, die von Ende 1877 bis März 1882 erschien. Die Federführung für das Blatt übernahm Rudolf Todt. Als Mitarbeiter stellten sich unter anderen Adolph Wagner, Albert Schäffle und Hans von Scheel zur Verfügung.126 Großer Erfolg war freilich weder dem Verein noch seinem Organ beschieden. Die Zahl der Mitglieder erreichte maximal 900, davon mehr als die Hälfte Geistliche, und allein 160 in Brandenburg. Schon im Oktober 1880 waren es nur noch 400, und auch der Staats-Socialist hatte von seinen anfangs 1500 Abonnenten nur mehr ein Drittel.127 Todt schied bereits im November 1879 aus der Leitung aus und widmete sich wieder ganz seinem geistlichen Amt, auch wenn er weiterhin noch Artikel beisteuerte, u. a. über die Schaffung von Reichsgewerken und eine mögliche Unterstützung der Mittelschichten.128 Für diesen raschen Niedergang lassen sich verschiedene Gründe ausmachen. Den einen mag es zu weit gegangen sein, daß im Gründungsaufruf auch für die »tiefer blickenden Geister des Liberalismus« die Türen geöffnet wurden, sowie für solche, welche nur ein »bloß philosophisches Verständniß für die Unausrottbarkeit des religiösen

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Bedürfnisses« besitzen.129 Andere dagegen dürfte die Forderung Wagners erschreckt haben, es bei der sozialen Reform nicht bei »kleinen Mitteln« zu belassen, sondern vielmehr »eine principielle Umgestaltung einiger Hauptpunkte unseres Privatrechts, besonders des Privateigenthums an Grund und Boden und an Capital« anzustreben130, zumal der Evangelische Oberkirchenrat in einem Erlaß vom 20. 2. 1879 die Diener der Kirche nachdrücklich ermahnte, sich »von öffentlichen Parteibildungen, wie von der einseitigen Vertretung der Interessen eines einzelnen Standes fern[zu] halten.«131 Im gleichen Maße aber, in dem der Verein dem entsprach und sich darauf festlegte, für seine Ziele speziell unter den Besitzenden und Gebildeten zu werben und sie für eine Politik der Klassenversöhnung zu gewinnen, verprellte er all jene, denen gerade an einer stärkeren Berücksichtigung spezifischer Klasseninteressen gelegen war.132 Nicht zu Unrecht urteilte die Stoecker nahestehende Neue Evangelische Kirchenzeitung: »Den Liberalen zu eng, den Conservativen zu weit; in nationalökonomischer Beziehung den Einen zu radikal, den Anderen zu unbestimmt; unter religiösem Gesichtspunkt für die Rechten unannehmbar, weil ohne positives Bekenntnis, für die Linken schon wegen der Betheiligung zweier positiven Geistlichen verdächtig; den Socialisten ein Product der Reaction, den Reactionären ein Kind des Socialismus: so muß es sich der arme Verein gefallen lassen, wacker kritisirt und getadelt zu werden.«133

Stoecker selbst hatte zu diesem Zeitpunkt den Centralverein bereits wieder verlassen, erschien ihm doch der von Todt anvisierte Adressatenkreis als zu eng. Nach Stationen als Hauslehrer in der Neumark und Kurland hatte der 1835 in Halberstadt geborene Theologe verschiedene Pfarrstellen innegehabt, bevor er 1874, nicht zuletzt aufgrund seiner zahlreichen patriotischen Artikel zum Deutsch-Französischen Krieg, als vierter Hof- und Domprediger nach Berlin berufen wurde. Als Autor und Rezensent der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung seit Anfang der 70er Jahre mit den Theorien der Sozialkonservativen und »Staatssozialisten« vertraut, erhielt er bald durch sein Engagement in der Berliner Stadtmission auch praktischen Anschauungsunterricht zur Lage der arbeitenden Klassen, verband er diese Tätigkeit doch mit Hausbesuchen und Bibelstunden, wie sie für die in England entstandene Sozialtechnik des »Visiting« typisch

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waren.134 Die dabei gemachten Erfahrungen überzeugten ihn davon, daß die großstädtisch-industriellen Lebensbedingungen die Massen unweigerlich der Sozialdemokratie in die Arme trieben, sofern es nicht einer staats- und kirchenloyalen Bewegung gelänge, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ein erster Anlauf scheiterte im Debakel der berühmten Eiskeller-Versammlung vom 3. 1. 1878, die von sozialistischen Agitatoren umfunktioniert wurde, doch ließ sich Stoecker davon nicht entmutigen. Schon zwei Tage später konnte er im kleineren Kreis die »Christlichsoziale Arbeiterpartei« (CSAP) gründen, die in Gemeinschaft mit »der Regierung und den übrige[n] anderen Faktoren im Staatsleben« die notwendigen praktischen Reformen anbahnen wollte, mit dem Ziel einer »Herbeiführung einer größeren ökonomischen Sicherheit und Gleichheit, damit die Kluft zwischen reich und arm verringert werde«.135 Erreicht werden sollte dies unter anderem durch Bildung obligatorischer Fachgenossenschaften zur Vertretung der Interessen und Rechte der Arbeiter gegenüber ihren Arbeitgebern; durch die »Errichtung von obligatorischen Witwen- und Waisen- sowie Invaliden- und AltersversorgungsRentenkassen«; das Verbot der Sonntagsarbeit und der Arbeit von Kindern und verheirateten Frauen in Fabriken; die Einführung des Normalarbeitstages; eine »tunlichste Erhöhung der Löhne und Abkürzung der Arbeitszeit«; die Wiederherstellung der Wuchergesetze; eine Ausdehnung des Staats- und Kommunaleigentums sowie eine progressive Einkommensund Erbschaftssteuer, Börsensteuer und hohe Luxussteuern.136 Spätere Äußerungen stellten sogar eine Versicherung gegen unverschuldete Arbeitslosigkeit in Aussicht und gaben so nachträglich der Vermutung Johann Mosts recht, die ›Staatssozialisten‹ wollten hier einen Fühler ausstrecken:137 »Wenn eine Kommune die Wasseranlagen, die Gasanlagen u. s. w. in ihre Hand nimmt und dadurch ein allgemeines Bedürfnis befriedigt, so ist das eine sozialistische Einrichtung. Daß die Post, der Telegraph und neuerdings auch die Eisenbahnen nicht mehr Sache von Privaten sind, sondern in die Hände des Staates übergehen, ist ein Stück gesunder Sozialismus.«138 Für dieses Programm, das sich gewiß nicht in allem, gleichwohl in etlichen Einzelpunkten mit den im sozialistischen Lager kursierenden Vorstellungen deckte, beanspruchte Stoecker ausdrücklich keine Originalität. Er habe, kommentierte er sich selbst, auf Forderungen der Sozialdemokratie zurückgegriffen, auf Gedanken der »katholisch-sozialen Partei«

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und des »Vereins für Sozial-Reform«, womit der Centralverein gemeint sein dürfte.139 Im Rückblick hob er besonders die maßgeblichen Impulse hervor, die von Rudolf Todt und Adolph Wagner ausgegangen seien.140 Todt allerdings beteiligte sich nur in der Anfangsphase an der CSAP und ließ schon bald zusammen mit den übrigen Häuptern des Central-Vereins deutliche Distanz gegenüber einer einseitigen Vertretung von Klasseninteressen durchblicken.141 Wagner seinerseits wollte sich mit dem Centralverein und dem Staats-Socialisten zunächst nicht näher einlassen, weil er »kaum mehr an die Möglichkeit conservativer Socialpolitik« glaubte.142 Er tat es dann dennoch, formulierte aber am 1. 12. 1879 den (von der Generalversammlung angenommenen) Antrag auf Zusammenschluß des Centralvereins mit der CSAP.143 An deren Programm war er, entgegen anderslautenden Behauptungen, nicht beteiligt. Auf eine Anfrage Stoeckers ließ er diesen am 20. 2. 1878 wissen, er sei nicht Mitglied und könne es nach seinem religiösen, kirchlichen und politischen Standpunkt auch nicht werden.144 Immerhin ließ er sich von Stoecker für einen Vortrag am 8. März 1878 gewinnen, dem bald weitere folgten.145 Drei Jahre später hatte sich das Verhältnis und zumal die persönliche Freundschaft mit Stoecker so weit vertieft, daß Wagner sich zum Beitritt entschloß. Hermann Bahr, im Sommer 1884 Mitglied seines Seminars, beschreibt seinen Lehrer damals als vielgeschäftigen, »zwischen wissenschaftlicher, politischer und agitatorischer Arbeit wechselnde[n] Mann«, der nach der Vorlesung »abends in irgendeinem Keller weit draußen in Volksversammlungen mit Stöcker um die Wette« rede, ja sich heiser schreie.146 Zum Lohn für diesen Einsatz wurde Wagner am 24. 12. 1881 sogar zum Vizepräsidenten der Christlich-Sozialen gewählt, ein Amt, das er bis 1896 innehatte.147 Gefördert wurde dieser Entschluß sicherlich auch durch die Tatsache, daß Stoecker sich wie Wagner der Deutschkonservativen Partei (DkP) angeschlossen hatte, deren Fraktion im Preußischen Abgeordnetenhaus er seit 1879 angehörte.148 Die schwere Niederlage bei der Reichstagswahl im Juli 1878, bei der die CSAP in Berlin lediglich 1422 Stimmen erhielt, nicht einmal so viel, wie sie an Mitgliedern besaß, die Erfahrung auch, daß das Programm gerade bei denjenigen, an die es adressiert war, die geringste Resonanz fand, bewogen Stoecker 1881, das Wort Arbeiter fallen zu lassen und seine Gefolgschaft unter dem Namen Christlich-soziale

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Partei (CSP) als selbständige Gruppe den Deutschkonservativen anzuschließen.149 Zusammen mit Wagner und anderen kandidierte er 1881 bei den Reichstagswahlen für das Berliner Conservative Central-Comitee und errang immerhin 35 % der Stimmen, während Wagner in einem anderen Wahlkreis 19,9 % erhielt.150 Da dieses Ergebnis gleichwohl nicht für einen Sitz reichte, nahm Stoecker 1881 ein konservatives Mandat für den durch die pietistische Erweckungsbewegung geprägten Wahlkreis SiegenWittgenstein-Biedenkopf an, den er bis 1893, dann wieder von 1898 bis 1908 vertrat.151 Von 1879 bis 1898 saß er darüber hinaus für den Wahlkreis Minden-Ravensberg im Preußischen Abgeordnetenhaus, als förmliches Mitglied der Deutschkonservativen Partei allerdings nur bis 1896.152 Dank seiner Wahlerfolge und seiner rhetorischen Qualitäten, die er auf Parteiversammlungen demonstrierte, machte er auch innerparteilich Karriere und stieg bis in den Geschäftsführenden Ausschuß auf.153 Zu seinen Bewunderern zählten so bekannte Wortführer der Partei wie Hans von Kleist-Retzow (1814–1896), der die Konservativen im Preußischen Herrenhaus und ab 1877 im Reichstag vertrat.154 Gemeinsam mit seinem Freund Wilhelm von Hammerstein (1838–1904), der seit 1884 die ›Kreuzzeitung‹ leitete, setzte Stoecker sich für einen zunehmend antigouvernementalen, gegen Bismarcks Kartellpolitik gerichteten Kurs ein, für dessen Träger sich die Bezeichnung »Kreuzzeitungspartei« einbürgerte.155 Nimmt man die Unterstützung hinzu, die dieser Kurs durch den von Heinrich Engel geleiteten, vor allem unter Geistlichen und Lehrern viel gelesenen Reichsboten erfuhr, der die ›Kreuzzeitung‹ bald an Auflagenstärke übertraf156, führt man sich weiterhin die große Resonanz vor Augen, die Stoecker in studentischen Kreisen fand157, so wird deutlich, daß die von ihm inaugurierte Bewegung im Begriff war, sich eine Klientel aufzubauen, die über den bisherigen Rahmen konservativer Politik hinausdrängte. Den Höhepunkt seines politischen Einflusses erreichte Stoecker 1892, als es seiner westfälischen Gefolgschaft im Verein mit der ›Kreuzzeitung‹ gelang, der DkP eine Debatte zur Erneuerung des Parteiprogramms aufzunötigen. Nach einem ersten Vorstoß der Westfalen im April nahm die ›Kreuzzeitung‹ im Juli den Ball auf und verlangte die Einberufung eines Parteitages; zugleich entwickelte sie detaillierte Vorschläge zur Revision des Parteiprogramms von 1876, die weitgehend den Forderungen der Christlich-Sozialen entsprachen.158 Im Oktober legten die Westfalen einen

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eigenen Entwurf vor, der bei den Konservativen Pommerns, Schlesiens und Sachsens so viel Zustimmung fand, daß die Parteileitung sich genötigt sah, dem Drängen auf Einberufung eines Parteitags nachzugeben. Dieser fand am 8. Dezember im großen Saal der Tivoli-Brauerei in Berlin statt und endete mit dem vollen Sieg der von Stoecker und Hammerstein vertretenen Richtung.159 Das noch am gleichen Tag verabschiedete Programm bekannte sich zur Kaiserlichen Botschaft vom 17. 11. 1881 und zu den seitdem verabschiedeten Sozialgesetzen, versprach eine Besserung der Lage der Arbeiter, auch unter erheblicher Belastung der Arbeitgeber, eine »Stärkung des Mittelstandes in Stadt und Land und die Beseitigung der Bevorzugungen des großen Geldkapitals«, eine wirksame staatliche Kontrolle der Börsengeschäfte, eine Heimstättengesetzgebung für die »Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes«, eine »Überführung der auf dem Grundbesitz lastenden Hypothekenschuld in zu amortisierende Rentenschuld«, ausreichenden Zollschutz für Landwirtschaft und Industrie, Sicherung des Handwerks durch Einführung des Befähigungsnachweises sowie Stärkung der Innungen und genossenschaftlichen Vereinigungen und anderes mehr.160 Das Tivoli-Programm trug zweifellos die Handschrift Stoeckers. Aber war es in einem strengen Sinne noch konservativ, gar eine Fortführung des Vermächtnisses der Brüder Gerlach, wie mitunter zu lesen ist?161 Gewiß bestand Kontinuität in manchem: im Bekenntnis zur Monarchie, in der Forderung, Staat und Gesellschaft nach christlichen Prinzipien auszurichten und den Adel in seinen Rechten zu halten. Doch wenn Stoecker das Wesen des Konservatismus in der Bewahrung der »Grundpfeiler der heutigen Gesellschaftsordnung« sah, dann lag die Betonung eindeutig auf dem Adjektiv und damit auf einem Zustand, der sich vom traditionellen Modell der societas civilis sehr unterschied.162 Wie Wagner oder Todt hatte Stoecker nichts gegen die Prinzipien der Französischen Revolution, die ihm als mögliche Auslegung des Evangeliums erschienen.163 Er hatte auch nichts gegen »jenen edlen Liberalismus, der für das Wohl des Volkes opferfreudig einsteht, der unsrer Zeit die großen Gedanken der Gewissens- und Religionsfreiheit, der Rechtsgleichheit und freie Bewegungen gebracht hat und der verständig genug ist die Freiheit nicht brauchen zu wollen ohne die Mittel der Zucht und Ordnung; diesen wahren Liberalismus meine ich nicht, den haben wir alle, der ist konservativ.«164 Seine Kritik richtete

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sich gegen den »moderne[n], falsche[n] Liberalismus«, »der nur den Wert der Freiheit kennt, aber nicht den Wert der Ordnung«.165 Dieser Liberalismus schien ihm für einen »übertriebenen Individualismus« zu stehen, der sich im ökonomischen Feld als absolute Gewerbefreiheit geltend machte, als Freizügigkeit, Wucherfreiheit und Aktienfreiheit166, der darüber hinaus auch noch weitreichende weltanschauliche Prätentionen entfaltete, welche sowohl kirchenfeindlichen Mächten wie der Fortschrittspartei als auch gottfeindlichen Mächten wie der Sozialdemokratie den Weg ebneten.167 Anders gesagt: ein Liberalismus, der sich von alledem fernhielt, also: ein Altliberalismus im Stil des Vormärz, war für Stoecker durchaus akzeptabel, und dies um so mehr, als er ihm jenen großindustriell-technischen Fortschritt zuschrieb, dessen Errungenschaften er nicht missen wollte.168 Hinzuzufügen ist allerdings sogleich: Es handelt sich um einen Altliberalismus vis à vis einer Lage durchaus nachmärzlichen Zuschnitts. Stoecker verkannte nicht, daß diese Lage ein Resultat der liberalen Prinzipien, ihrer Übertragung ins ökonomische und soziale Feld war.169 Ausführlichere Ursachenforschung war jedoch seine Sache nicht, stattdessen präsentierte er sogleich seine Rezepte zur Folgenbewältigung. Dazu gehörte nach der positiven Seite die Empfehlung, die von der CSP wie der Kreuzzeitungspartei anvisierte Politik der sozialen Hilfe ausdrücklich »auf dem Boden der bestehenden Wirtschaftsordnung« anzugehen170, gehörte, ganz auf der Linie Adolph Wagners, eine Ergänzung des Privateigentums durch neue Formen des Kollektiveigentums, namentlich im Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesen171; gehörte endlich auch, nach der negativen Seite, eine rigorose Eindämmung von Auswüchsen des »falschen« Liberalismus, wie Stoecker sie unter anderem im »falschen Sozialismus« der Sozialdemokratie ausmachte.172 Sei mit dieser zur Zeit von Lassalle und Schweitzer immerhin noch eine gewisse Zusammenarbeit denkbar gewesen, so habe sie seither eine Wendung ins »Satanische« genommen, bedingt nicht zuletzt durch den Einfluß, den eine andere dämonische Macht in ihr gewonnen habe: das moderne Judentum.173 Anknüpfend an die antisemitische Polemik, wie sie schon die Berliner Revue durchzog, um seitdem weite Kreise bis in die Gartenlaube, die ›Kreuzzeitung‹ und nicht zuletzt die Neue Evangelische Kirchenzeitung zu ziehen174, denunzierte Stoecker die Juden als »Parasiten« und »Blutegel« und warf ihnen vor, für alle Entartungserscheinungen der Gegenwart verantwortlich zu

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sein: für den »zügellosen Kapitalismus«, für die »frivole Hetzjagd gegen alle christlichen Elemente unseres Volkslebens«, für die politische Radikalisierung, für die Hemmung der nationalen Kulturentwicklung und den Verfall der Bildung.175 Es sei dahingestellt, ob Stoecker das von ihm aufgerufene antisemitische Ressentiment auch subjektiv teilte. Die objektive Wirkung seiner Demagogie war jedenfalls zumindest vorübergehend eine Stärkung der konservativen Partei in der Reichshauptstadt, die bis dahin eine Hochburg der liberalen Fortschrittspartei war.176 Aus dieser Funktionalität folgt jedoch nicht, daß das Ressentiment bzw. die zu seiner Legitimierung aufgebotene Argumentation eine Extrapolation der Weltanschauung des historischen Konservatismus gewesen wäre. Denn wenn in der alteuropäischen societas civilis der Status der Juden teils durch positive, teils durch negative Privilegierung bestimmt war, in jedem Fall aber, wie bei anderen Gruppen auch, durch Privilegierung, so knüpfte Stoecker hieran zwar an, machte daraus aber ein Skandalon, in derselben Manier, wie es der frühneuzeitliche Egalitarismus gegenüber anderen Privilegierten  – in diesem Fall: dem Adel  – getan hatte. Obwohl die Juden lediglich die durch das System der Freiheit und Gleichheit eröffneten Möglichkeiten wahrnahmen, unterstellte Stoecker ihnen, Rechtliches und Faktisches miteinander vermischend, einen bewußten Verstoß gegen eben dieses System und warf ihnen vor, »der Herr Deutschlands werden zu wollen«.177 In gespielter Demut bat er die Juden um etwas mehr Bescheidenheit, etwas mehr Toleranz und etwas mehr Gleichheit, teilte ihnen aber zugleich mit, daß Gleichheit im vollen Sinne für sie ohnehin nicht in Frage käme, solange sie darauf beharrten, als Volk im Volke, Staat im Staate zu leben. Letzteres war eine Insinuation, in deren Logik es gelegen hätte, die Judenemanzipation von 1869/71 rückgängig zu machen. Da Stoecker dieses Ziel jedoch angesichts der bestehenden Mehrheitsverhältnisse in der Legislative derzeit auf gesetzlichem Wege nicht erreichbar zu sein schien, plädierte er vorläufig für die kleinere Lösung im Sinne der ohnehin gängigen Praxis der Exklusion der Juden aus ›autoritativen Stellungen‹ ›auf dem Verwaltungswege‹178, darüber hinaus für eine Politik der sozialen Reform, die das vermeintliche soziale und ökonomische Übergewicht des Judentums beseitigen sollte.179 Auf diese Weise schien es ihm möglich, beides zugleich zu haben: in rechtlicher Hinsicht eine »Gesellschaft der Gleichen«

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(Pierre Rosanvallon) im modern-bürgerlichen Sinne, in faktischer Hinsicht auf demselben Territorium eine Gesellschaft der Ungleichen. Da die erstere auf einem der societas civilis strikt entgegengesetzten Strukturprinzip beruhte und die große Mehrheit der Bevölkerung umschloß, wird man kaum mehr von Konservatismus sprechen können, es sei denn, man reduzierte diesen auf Christlichkeit, (konstitutionelle) Monarchie und Grundrentnertum – Merkmale, die auch auf den Altliberalismus zutreffen. Mit seinem Projekt, altliberale Positionen christlich-sozial zu unterfüttern, setzte sich Stoecker zwischen sämtliche Stühle. Bei den meist adligen Honoratioren war der Hofprediger, wie zu Recht bemerkt worden ist, wohl als Wahlhelfer willkommen, nicht aber als Unruhestifter180, und Unruhe stiftete er allemal, als zugkräftiger Redner, der es verstand, ein Massenpublikum in Bann zu schlagen und Kreise zu erreichen, die den Konservativen suspekt waren181; aber auch als einflußreicher Publizist, der sich über zahlreiche Medien Gehör zu verschaffen verstand: bis 1885 in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, die er seit 1864 mit hunderten von Artikeln beglückte; ab 1886 in der von ihm geleiteten Deutschen Evangelischen Kirchenzeitung, die sich als Kampfblatt gegen den Liberalismus und die Sozialdemokratie sowie das moderne Judentum als deren gemeinsames Drittes präsentierte.182 Seit November 1880 verfügte er sogar über eine eigene Tageszeitung unter dem Titel Das Volk, die anfangs aus der Spende eines süddeutschen Kaufmanns, später aus Zuwendungen des mehrfachen Millionärs Conrad Bresges finanziert wurde, aufgrund ihrer geringen Auflagenhöhe aber stets ein Zuschußunternehmen blieb.183 Unter Redakteuren wie Hans Leuß, Heinrich Oberwinder, Hellmuth von Gerlach u. a.184 vertiefte das »Stoeckerblatt« den Antisemitismus seines Patrons und schlug zugleich einen zunehmend antigouvernementalen Kurs ein, der sich gegen die Kartellpolitik Bismarcks wie die Wünsche der Deutschkonservativen Partei richtete185, freilich bald auch Stoecker überbot, indem man Forderungen auf die Agenda setzte, die insbesondere in der konservativen Partei die Alarmglocken schrillen lassen mußten: so z. B. staatliche Maßnahmen zur »Beschränkung eines übergroßen Grundbesitzes« sowie zur »Ansässigmachung der ländlichen Arbeiter«, des weiteren die Einrichtung von staatlich anerkannten Berufsvereinen als Übergang zu obligatorischen Genossenschaften, die auch eine gewerkschaftliche Vertretung der Landarbeiter ermöglicht hätten.186

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Daß Stoecker Positionen dieser Art, wenn auch nicht billigte, so doch mit seinem Namen deckte, entfremdete ihn zusehends von dem Milieu, zu dessen Verteidigung er eigentlich angetreten war. Hatte er sich bereits 1889/90 die Gunst des jungen Kaisers verscherzt, weil dieser, obwohl Stoecker ideologisch in vielem nahe stehend, auf eine Zusammenarbeit mit den Liberalen setzte187, so mehrten sich bald auch im konservativen Lager die kritischen Stimmen, besonders seit dem Bekanntwerden krimineller Verstrickungen Hammersteins und eines diskreditierenden Briefs aus dem Jahr 1888, in dem Stoecker Hammerstein empfohlen hatte, einen Keil zwischen Bismarck und den Kaiser zu treiben.188 Das war eine Steilvorlage für seine Kritiker im 1893 gegründeten Bund der Landwirte, zu dessen erklärten Zielen die Revision der von den Christlichsozialen verteidigten Arbeiterschutzgesetzgebung gehörte.189 Im Oktober 1895 griff die Conservative Correspondenz scharf jene Strömung im Evangelisch-Sozialen Kongreß an, die den Klassenhaß schüre. Das bezog sich zwar in erster Linie auf Naumann und Göhre, ging aber auch gegen Stoecker, hieß es doch, daß Politiker, welche den Kampf gegen diese Richtung nicht aufnähmen, zur konservativen Partei nicht gerechnet werden könnten.190 Wenige Tage später legte die wieder auf Parteilinie gebrachte ›Kreuzzeitung‹ nach. Es sei nötig, hieß es unter der Überschrift »Hofprediger Stoecker und die Jungen«, daß »der verehrte Parteigenosse Stoecker die Grenzlinie zwischen sich und jenen schärfer ziehe als es bisher geschehen sei.« An ihm sei es endlich, »die Geister, die er rief, in die richtigen Grenzen zu bannen oder sich von ihnen loszusagen, wie er sich von Ahlwardt losgesagt hat.«191 Stoecker zeigte sich zwar bereit, die Haltung der Jungen gegenüber der konservativen Partei zu mißbilligen, bestand aber darauf, ein Mindestmaß von Forderungen festzuhalten, das Konservativen und ChristlichSozialen gemeinsam sei, darunter die Anerkennung der Berechtigung der Arbeiterbewegung und der Notwendigkeit sozialer Reformen.192 Als ein Antrag seiner Anhänger aus der Rheinprovinz, die Parteiführung zu einer Solidaritätskundgebung für ihn zu veranlassen, bei dieser keine Mehrheit fand193, gab Stoecker am 1. 2. 1896 seinen Sitz im Geschäftsführenden Ausschuß auf und trat zugleich aus der DkP aus.194 Zwei Wochen später führte Ernst von Heydebrand und der Lasa (1851–1924), der spätere Fraktionsführer der Deutschkonservativen im Preußischen Abgeordnetenhaus, in

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einer Rede aus, worin der eigentliche Grund für die Trennung liege: in den sozialpolitischen Ideen, welche Stoecker vertrete. Diese seien »praktisch undurchführbar und unvereinbar mit dem konservativen Programm«.195 Nicht zu Unrecht resümierte die Karlsruher Fabrikinspektorin Else von Richthofen bald darauf in ihrer Dissertation, die Konservativen seien »sozialpolitisch steril geworden und alle Versuche, von evangelisch-sozialer Seite besonders, neues Leben in ihnen zu erwecken, sind resultatlos verlaufen. Die Konservativen haben in der Sozialpolitik auf jegliche Initiative verzichtet und sich auf den Standpunkt einer rein agrarischen Interessenvertretung zurückgezogen.«196

III. Mehr als anderthalb Jahrzehnte waren Stoecker und Wagner politische Weggefährten, verbunden in der gemeinsamen Leitung der CSP und durch ihre Zugehörigkeit zur konservativen Partei. 1890 kam noch der auf Anregung Stoeckers gegründete Evangelisch-Soziale Kongreß (ESK) hinzu, der Wagner zum Ehrenpräsidenten wählte.197 Gewisser Nuancen, insbesondere in der Stellung zur Religion, waren sich beide bewußt, doch war Wagner stets zur Stelle, wenn es galt, den umstrittenen Hofprediger gegen die wachsende Schar seiner Feinde zu verteidigen.198 1885 bezeichnete er sich explizit als »Stoeckerianer«.199 Erst 1896, nachdem er schon länger seinem Wunsch nach einer Reduktion seines politischen Engagements Ausdruck verliehen hatte, zog sich Wagner vom Amt des Stellvertretenden Vorsitzenden der CSP auf dasjenige eines bloßen Ehrenvorsitzenden zurück. Das geschah im Februar, auf dem Frankfurter Parteitag der CSP.200 Als Stoecker allerdings ein halbes Jahr später den ESK verließ und dies mit einer heftigen Kritik an den »Jungen« verband, versagte Wagner ihm erstmals die Gefolgschaft. Er, der schon Stoeckers Trennung von den Konservativen als längst überfälligen Schritt begrüßt und eine Vereinigung mit den »Jungen« befürwortet hatte, blieb nicht bloß im ESK, sondern signalisierte seine Distanz zu Stoecker, indem er den Ehrenvorsitz der CSP niederlegte.201 Es muß hier offen bleiben, inwieweit Wagner und Stoecker sich über die tieferen sachlichen Differenzen im Klaren waren, die seit jeher zwischen

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ihnen bestanden. Daß es solche gab, und zwar in nicht geringem Maße, steht jedoch außer Zweifel. Wagners Denken kreiste in fast schon obsessiver Intensität um das, was er das »Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatsthätigkeiten« nannte.202 Auch wenn er weit davon entfernt war, diese Ausdehnung zu verabsolutieren, da ihm die privatwirtschaftliche Organisation für zahlreiche Aufgaben noch immer als die beste galt, schien ihm der Staat doch als Korrektiv gegen die schädlichen Seiten des modernen Systems der entfesselten Konkurrenz unentbehrlich zu sein; und da diese Schäden exponentiell zunahmen, war auch die Ausdehnung der Staatstätigkeiten unvermeidlich. Mehr Kapitalismus verlangte deshalb nach Wagner zwangsläufig auch mehr Staat, anders ausgedrückt: die Steigerung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ungleichheit bedurfte der Kompensation durch eine Steigerung der iustitia distributiva, wenn sie nicht zur Selbstzerstörung der freien Konkurrenz führen sollte. Für diese Reparaturen an der Wirtschaft der Gesellschaft nahm Wagner den Begriff des Sozialismus in Beschlag und gab ihm damit einen neuen Sinn, freilich einen sachlich durchaus bestreitbaren, war der moderne Sozialismus doch im Gefolge der Trennung von Staat und Gesellschaft entstanden und von St.-Simon bis zu Marx als ein Prozeß zunehmender Vergesellschaftung gedeutet worden.203 Auch Stoecker sprach bisweilen vom ›gesunden Sozialismus‹, wenn er für eine Vermehrung der Staatsbetriebe und sozialpolitische Hilfsmaßnahmen eintrat.204 Was ihn von Wagner gleichwohl trennte und eher mit Treitschke verband, war seine Ablehnung des allgemeinen Wahlrechts sowie eine ausgeprägte Bereitschaft, den Acheron in Bewegung zu setzen, wenn die Götter sich verweigerten.205 Anders als der Nationalökonom, der sich 1885 weitgehend aus der politischen Arena zurückzog und nicht mehr für die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus kandidierte, suchte Stoecker stets den Kontakt zum großen Publikum und legte zudem eine bemerkenswerte Bedenkenlosigkeit in der Wahl seiner Foren und politischen Bündnispartner an den Tag. Schon 1876 rezensierte er zustimmend die antisemitischen Publikationen von Wilmanns und Glagau und empfahl den letzteren drei Jahre später für die Nachfolge von Todt in der Redaktion des Staats-Socialisten.206 Seit 1878 korrespondierte er mit Wilhelm Marr, dem Verfasser des radikalantisemitischen Judenspiegels von 1861, der zu diesem Zeitpunkt gerade an seinem Pamphlet Der Sieg des Judenthums

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über das Germanenthum arbeitete.207 Er sei seit langem der Überzeugung, ließ er Marr wissen, »daß unser Volk an der Juden- und Judengenossenpresse sittlich und intellektuell zugrunde geht, wenn nicht bald Abhilfe kommt.«208 1881 unterschrieb er die Antisemitenpetition und beteiligte sich im Herbst des folgenden Jahres auch am Ersten Internationalen antijüdischen Kongreß in Dresden. Obwohl er in diesem Kreis auf eine starke Strömung stieß, die die Judenfrage als Rassenfrage behandelt wissen wollte  – eine Ansicht, die Stoecker ausdrücklich ablehnte und zum Anlaß nahm, dem zweiten Kongreß 1883 in Chemnitz fernzubleiben209 –, hielt er doch weiterhin Verbindung zur antisemitischen Bewegung, insbesondere zu demjenigen ihrer Flügel, der sich 1889 als Deutschsoziale Partei konstituierte.210 Stoecker trat vor lokalen Gliederungen dieser Partei, die sich für die Aufhebung der Judenemanzipation einsetzte, als Gastredner auf – so z. B. im November 1891 im sächsischen Freiberg –, ließ sich vom Deutschsozialen Verein in Bielefeld zum Ehrenmitglied ernennen und setzte sich im Wahlkampf für einen Kandidaten dieser Partei, Paul Förster, ein – übrigens unter ausdrücklicher Mißbilligung des Conservativen Wahlvereins in Sachsen, der den nationalliberalen Gegenkandidaten unterstützte.211 In einer Rede in der Berliner Tonhalle rühmte er sich, bei der Gründung deutschsozialer Vereine mitgeholfen und mit den Führern dieser Partei immer im besten Einvernehmen gestanden zu haben. Sein Wunsch sei, »daß die deutschsozialen Ideen ebenso schnell Gemeingut der Nation werden«, wie seinerzeit die christlich-sozialen Ideen.212 Für Stoeckers damaligen Anhänger Helmut von Gerlach war es ausgemacht, daß die Deutschsozialen den Konservativen persönlich und sachlich so nahe stünden, »daß man innere Gründe für ihre Absonderung von der konservativen Partei eigentlich überhaupt nicht finden kann.«213 Anlaß der Tonhallenrede war freilich, daß die äußere Gemeinsamkeit zwischen Konservativen, Christlich-Sozialen und Deutschsozialen schon nicht mehr selbstverständlich war. Der Grund dafür lag im Auftreten einer neuen Richtung in der antisemitischen Szene, die unter der Führung von Otto Boeckel und Hermann Ahlwardt einen aggressiven Kurs gegen ›Juden, Junker und Pfaffen‹ einschlug, darüber hinaus auch deutlich stärker an kleinbäuerliche und kleinbürgerliche Interessen appellierte und auf die Forderung nach einem Ausbau der sozialen Sicherung verzichtete, wie er gleichermaßen für die Christlich-Sozialen und Deutsch-

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sozialen zentral war.214 Unter der Bezeichnung Deutsche Reformpartei erzielte diese Richtung bei den Reichstagswahlen von 1893 fast sechsmal so viele Stimmen wie die Deutschsozialen und brachte auch Stoecker erstmals eine empfindliche Niederlage bei. Sein Mandat in Siegen verlor er, weil Boeckel für den nationalliberalen Kandidaten eintrat.215 Als ein Jahr später die Deutschsozialen beschlossen, mit der Deutschen Reformpartei zur Deutschsozialen Reformpartei zu fusionieren216, muß Stoecker vollends den Eindruck gewonnen haben, nicht länger Herr der maßgeblich mit von ihm in Gang gesetzten Bewegung zu sein. Auch wenn dieses Bündnis schon sechs Jahre später wieder zerbrach: die in den 80er Jahren in Gang gekommene Ausdifferenzierung einer neuen radikalen Rechten, die sich im Zeichen des völkischen Nationalismus sammelte, war nicht mehr rückgängig zu machen.

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o abweisend wie gegenüber den ›sozialkonservativen‹ und ›staatssozialistischen‹ Bestrebungen zeigte sich der Parteikonservatismus der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts auch gegenüber der Kritik, die von Künstlern und Intellektuellen an seiner Programmatik geübt wurde; und das selbst dann, wenn diese nicht in toto ablehnend ausfiel. Der prominenteste Name, der hier fallen muß, ist natürlich Richard Wagner, der in seiner Münchner Zeit dem deutschen Volk bescheinigte, es habe »seine Wiedergeburt, die Entwickelung seiner höchsten Fähigkeiten, durch seinen konservativen Sinn« erreicht, und der auch für sich selbst in Anspruch nahm, nicht auf dem »nutzzwecklich radikalen, sondern auf de[m] ideal konservativen Standpunkt« zu stehen.1 Als ehemaliger 48er Revolutionär mag Wagner freilich gespürt haben, daß es ihm für solche Bekenntnisse an Glaubwürdigkeit mangelte, weshalb er für das Bayreuther Unternehmen 1878 öffentlich nach respektableren Partnern Ausschau hielt. Sein Blick fiel dabei auf zwei andere Solitäre, die in der Revolution auf der Gegenseite gestanden hatten. In einem Nachtrag zu seinem unvollendeten, mit dreizehnjähriger Verspätung veröffentlichten Aufsatz »Was ist deutsch?« sprach er von seinen Irritationen über das neue Reich, die ihm eine Fortsetzung seines Textes schwer machten und knüpfte daran die Frage: »Sollte uns da nicht z. B. Herr Constantin Frantz vortrefflich helfen können? Gewiß wohl auch Herr Paul de Lagarde?« 2 Damit waren zwei Namen aufgerufen, die in dieser Zeit häufig genannt wurden, wenn es um die Erneuerung des Konservatismus ging. Constantin Frantz (1817–1891) hatte das, was in Preußen unter dieser Flagge segelte, als »Wechselbalg eines revolutionären Conservatismus« bezeichnet und die Notwendigkeit einer »innere[n] Wiedergeburt« betont, »wie sie für den weiland preußischen Conservatismus, wenn wieder ein wahrer Conservatismus daraus entstehen sollte, unerläßlich ist«.3 Paul de Lagarde (1827–1891) leugnete sogar entschieden, »daß in Preußen schon eine konservative Partei existiert«, und machte sich anheischig, der künftig zu gründenden das Programm vorzuzeichnen.4 Da Wagner keinen Ehrgeiz zeigte, seinen ›idealen

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Konservatismus‹ über die mit dem Festspielprojekt verbundenen Belange hinaus zu entwickeln, ihn im übrigen schon bald wieder zugunsten einer Rückkehr zu früheren, au fond fundamentalistischen Positionen oder gar des Gedankens an Auswanderung aufgab, wird er im folgenden nur punktuell und zu vergleichenden Zwecken herangezogen.5 Der Schwerpunkt der Darstellung wird auf Frantz und Lagarde liegen.

I. Wagners Enthusiasmus für Constantin Frantz war schon im Spätherbst 1865 aufgeflammt, um zwei Jahre später in einem öffentlichen Bekenntnis zu ihm als einem »der umfassendsten und originellsten politischen Denker und Schriftsteller« zu kulminieren, »auf welchen die deutsche Nation stolz zu sein hätte, wenn sie nur erst ihn zu beachten verstünde«.6 Die Würdigung galt einem Autor, der zu diesem Zeitpunkt kaum mehr hoffen durfte, einen anderen als literarischen Einfluß auf den Gang der deutschen Dinge zu nehmen. Geboren 1817 als Sohn eines Pfarrers im ehemaligen Fürstbistum Halberstadt, das seit 1648 zu Brandenburg-Preußen gehörte, hatte Frantz in Halle und Berlin Physik, Mathematik, Philosophie, Staatswissenschaften und Geschichte studiert und 1841 in Jena den Doktortitel erworben. Nach ersten Publikationen, mit denen er sich wohl für eine akademische Laufbahn zu qualifizieren hoffte7, arbeitete er dreieinhalb Jahre als ›referierender Literat‹ in dem damals von Eichhorn geleiteten preußischen Kultusministerium. Danach wurde er, allerdings ohne feste Anstellung, auch vom preußischen Ministerpräsidenten Manteuffel zur Mitarbeit herangezogen, die ihren Niederschlag in verschiedenen Schriften fand, in denen Frantz die Unionspolitik und die Verfassung von 1850 aufs Korn nahm, die Politik der »Constitutionellen« kritisierte und Ideen zur »Wiedergeburt der Gesellschaft« entwickelte, die sich stark am Sozialmodell der ›Pädagogischen Provinz‹ in Wilhelm Meisters Wanderjahren orientierten8, darüber hinaus auch bereits das Konzept des Föderalismus stark machten, das in der Folgezeit zu einem Markenzeichen seines politischen Denkens werden sollte.9 1852 zum ›geheimen expedierenden Sekretär‹ im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten ernannt, wurde Frantz kurz darauf Kanzler des

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preußischen Generalkonsulats für Spanien und Portugal. Da diese Tätigkeit indes nur geringe Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten bot, kehrte er 1856 von einem Heimaturlaub nicht mehr nach Spanien zurück, bezog aber weiterhin Gehalt, da man seine publizistischen Dienste offenbar schätzte. Ende der 50er Jahre wurde er Hauptmitarbeiter bei der zu dieser Zeit regierungskritischen Berliner Revue, als Nachfolger von Moritz v. Lavergne-Peguilhen, der das Profil des Blattes bis dahin geprägt hatte.10 Als die Konservativen im preußischen Landtag dagegen protestierten, daß ein von der Regierung bezahlter Schriftsteller wie Frantz regierungskritische Schriften veröffentlichte, wurde er Ende 1862 entlassen.11 Fortan lebte er als freier Schriftsteller, bis 1873 in Berlin, zuletzt bis zu seinem Tod 1891 in Blasewitz bei Dresden.12 Im Rückblick erschien ihm das Ministerium Manteuffel als die Bankrotterklärung des preußischen Konservatismus und als Präludium zu dem von Bismarck eingeschlagenen Kurs, der für Preußen nicht weniger bedeutete als den »Weg zum Untergang«.13 Warum Richard Wagner sich für Frantz interessierte, erhellt aus der Formel, mit der er 1868 die Widmung der Neuauflage von Oper und Drama versah: dem Frantz zugeschriebenen, vermutlich mündlich während ihrer Begegnung im August 1866 geäußerten Satz: »Ihr Untergang des Staates ist die Gründung meines deutschen Reiches!«14 Diese Formel bot dem Wagner der mittleren Jahre die Möglichkeit, von der in der Erstauflage forciert vorgetragenen Idee einer »Vernichtung des Staates« abzurücken15, ohne zugleich die Distanz zu den empirischen Erscheinungsformen desselben aufzugeben, war doch das »Reich« für Wagner wie für Frantz eine allererst herzustellende, weder mit Bayern noch mit Preußen noch mit irgendeinem anderen der existierenden deutschen Staaten identische Größe. Dieser Gedanke trat zwar bei Wagner vorübergehend zurück, als er, zum Entsetzen von Frantz16, das »Reich« mit dem von Bismarck geschaffenen kleindeutschen Gebilde gleichsetzte, doch kam man sich ab 1878 wieder näher. Auf die im zweiten Heft der Bayreuther Blätter an ihn und Lagarde ergangene Einladung zur Mitarbeit hin verfaßte Frantz noch im gleichen Jahr einen »Offenen Brief an Richard Wagner«, dem bis 1890 rund ein Dutzend weiterer Artikel in diesem Organ folgten, nicht zu reden von den ausführlichen Zusammenfassungen seiner Schriften, die Hans von Wolzogen dort veröffentlichte.17 Gegenüber Cosima sprach Wagner von der Beschämung, die er Frantz gegenüber empfinde; habe dieser doch gewußt,

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»was aus dem deutschen Reich unter Preußens Leitung [würde]«.18 Frantz’ Buch über den Föderalismus begrüßte er in einem längeren Brief mit großer Zustimmung, ließ freilich auch durchblicken, wie sehr er eine kritische Behandlung der Kirche darin vermißte.19 Daß die mit einigem Pathos erneuerte Bundesgenossenschaft in Wahrheit eher eine strategische Partnerschaft unter beibehaltener Reserve war, zeigen spätere Äußerungen, in denen Wagner abfällig vom »Kryptokatholizismus« und »Schellingianismus« des Freundes sprach und darüber hinaus eine zu positive Haltung gegenüber der Welt monierte.20 Am 1. 10. 1882 notierte Cosima Wagner die Bemerkung: »dieses ewige Anknüpfen an den Zuständen, wie z. B. C. Frantz, welcher auch meine, es sei gut, daß ein Teil Deutschlands katholisch geblieben sei; es höre sich zuerst gut an, aber man empfände bald, es sei keine Tiefe; nie sei dem Menschen, der so etwas ausspricht, ein Seufzer des Schreckens über die Welt angekommen«.21 ›Was sich zuerst gut anhörte‹: damit dürften jene Topoi gemeint sein, in denen Wagner seine beiden bevorzugten Ressentiments wiedererkannte, den Antiromanismus und den Antisemitismus. War für den Komponisten des Tannhäuser seit dem Skandal um die Pariser Aufführung 1861 Frankreich das Land einer falschen Renaissance, weil dort nach dem Mittelalter »statt einer Wiedergeburt eine unerhört und unvergleichlich willkürliche bloße Umformung auf rein mechanischem Wege von oben« erfolgt sei22 – eine Umformung nämlich des »romanischen Staatsgedankens«23  –, so konnte er sich in dieser Überzeugung durch Frantz bestätigt finden, der in der Renaissance eine Wiederkehr jenes »Romanismus« sah, der nicht nur für die »altrömische Staatsvergottung« verantwortlich sei, sondern auch für deren Neuauflage durch den französischen Absolutismus.24 Schon dieser habe sich vom Christentum abgewendet und auf antik-heidnische Ideen zurückgegriffen; der daraus entspringende »Staatsabsolutismus« aber sei später durch die Revolution und den napoleonischen »Cäsarismus« zu einem unerhörten »Zwangssystem« gesteigert worden.25 Mit der Rezeption des römischen Rechts, dem Ausbau der Militärapparate und dem Aufstieg des »Berlinismus« sei auch Preußen bzw. Deutschland auf diese Bahn eingeschwenkt, die geradewegs zu einem Zustand führe, »der wirklich sein Vorbild in dem altrömischen Imperium findet«.26 Glich der Staat dem Saturn, der seine Kinder verschlingt, so mußte die Welt, ihn zu versorgen, »in eine Industrie-Anstalt verwandelt werden«.27

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Dagegen hatte auch der junge Wagner in beredten Worten Anklage erhoben, diese allerdings in der Manier mancher Frühsozialisten mit einer Wendung gegen das Christentum verbunden, dessen Geist sich in den modernen Fabriken objektiviert habe.28 Für Frantz verbot sich dies aufgrund eines dezidiert christlichen Selbstverständnisses29, weshalb er für die auch von ihm registrierten ökonomischen und sozialen Gegenwartsprobleme andere Ursachen ins Auge faßte. Er fand sie im »finanziellen Feudalismus«, den er in Anknüpfung an eine andere frühsozialistische Denkfigur als Werk des Judentums deutete.30 Hatte er noch in den 40er Jahren im Judentum lediglich eine mit dem Christentum konkurrierende Religion gesehen, deren Prätention auf staatsbürgerliche Gleichstellung aufgrund des christlichen Monopolanspruchs zurückzuweisen sei31, so verstand er nun mit Toussenel unter Juden alle diejenigen, »welche anstatt selbst irgend welche Güter zu produciren, vielmehr durch ihre Speculationen die Production nur ausbeuten, und so statt productiver blos lucrative Geschäfte betreiben.«32 Das daraus entstehende System bezeichnete Frantz als »Capitalismus«, als Resultat einer Verkehrung, in der das, was ursprünglich in der Form des Handels nur ein Mittel zur Förderung der primären Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung war  – das sekundäre, an und für sich tote »Capital« –, die lebendigen Kräfte der Produktion unterwarf und ausbeutete, wozu ihm namentlich die Einrichtung der Börse verhalf.33 Unstreitig, so Frantz, »steht unsere ganze heutige Volkswirthschaft unter der Herrschaft des Handels, und ist schon im vollen Zuge sich überhaupt in Schacher aufzulösen. Wohl an und für sich selbst das handgreiflichste Zeugniß für die Herrschaft des jüdischen Geistes.«34 Behauptungen wie diese stimmten nahtlos mit Wagners Judenfeindschaft überein, die sich zunächst an sprachlich-kulturellen Idiosynkrasien entzündet hatte, um seit Mitte der 60er  Jahre in ähnliche Zwangsvorstellungen von einer umfassenden Judenherrschaft in Politik, Öffentlichkeit und Wirtschaft zu münden.35 Während Wagner darin jedoch im Gefolge Schopenhauers ein Motiv sah, sich von der Welt abzuwenden, galt dies für Frantz keineswegs. Seine intellektuellen Stichwortgeber waren die von Schopenhauer durchweg nur mit herabsetzenden Äußerungen bedachten Koryphäen des Deutschen Idealismus, zunächst Hegel, zu dessen Philosophie er allerdings schon bald auf Distanz ging, sodann Fichte und schließlich vor allem der späte Schelling, der seine Lehre als

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›metaphysischen Empirismus‹ bezeichnet und als ›positive Philosophie‹ vom neuzeitlichen Rationalismus als einer vorwiegend ›negativen Philosophie‹ abgegrenzt hatte.36 Geschichte erschien in dieser Perspektive als »ewige Selbstgebärung Gottes«, bei der »Gott aus dunklem, vernunftlosem Urwesen sich durch Selbstoffenbarung und Selbsterkenntnis zur absoluten Vernunft entfaltet« und eben damit der Geschichte einen Sinn gibt, der auch die Manifestationen äußerster Gottferne noch als Theophanie, als Entwicklung vom ›deus implicitus‹ zum ›deus explicitus‹ erscheinen läßt.37 Nicht zu Unrecht trug Ernst Ludwig von Gerlach aus Schellings Berliner Vorlesungen vom Winter 1841/42 den Eindruck davon, daß bei ihm »christliche Geistesbedürfnisse im Streit liegen mit pantheistischen Grundanschauungen«.38 Eben dies galt auch für Frantz, der sich explizit dafür stark machte, das Christentum durch ein pantheistisches Moment anzureichern.39 Von dieser Grundstellung her mußte Frantz zu einer deutlich weniger radikalen Zeitablehnung gelangen als Wagner (um von Weltablehnung ganz zu schweigen). Wenn der Verfasser von Oper und Drama nicht weniger verlangte, als den Staat zu vernichten, um ihn in seinen letzten Lebensjahren als ›assyrisch-semitische Idee‹ erneut zu verwerfen, so war dies Frantz’ Sache zu keinem Zeitpunkt. Der Staat war für ihn »nach seiner physischen Seite ein Produkt zu nennen« – genauer gesagt: ein »Naturprodukt« –, »nach seiner rechtlichen Seite eine Anstalt, nach seiner moralischen Seite eine Aufgabe, weil das Moralische immer ein Sollen bleibt«.40 Zwar wies die Aufgabe im Falle Deutschlands über den Staat hinaus, doch implizierte diese Transzendenz nur insofern eine Negation, als die anzustrebende höhere Einheit die natürliche Schließungstendenz des Staates bzw. der deutschen Teilstaaten konterkarieren sollte. Die höhere Einheit – das »Reich« – war jedoch ausdrücklich als »Synthesis« konzipiert, die im Sinne der idealistischen Dialektik auch das conservare und elevare einschloß.41 Als ein Gemeinwesen eigener Art sollte es die Prinzipien des Staates und der Gesellschaft in sich vereinigen, darüber hinaus auch die des Staats- und Völkerrechts.42 Es sollte einen dreifach gestuften Bund bilden, mit einem »westdeutschen Staatenkörper« als Kern, »dem sich dann in zweiter Linie das östliche Preußen und Deutschösterreich anschlössen, und durch diese wieder mittelbar auch Polen und Ungarn«, im weiteren auch Belgien, die Niederlande und die Schweiz.43 War für den Kern eine umfassende Homogenisierung des Mili-

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tär-, Gerichts- und Unterrichtswesens sowie der Zollpolitik vorgesehen, so trat der Gewaltcharakter des Staates insbesondere in den beiden »Marken« des Reiches hervor, der (preußischen) Nordmark und der (österreichischen) Ostmark, deren Aufgabe sich keineswegs in einer bloßen Sicherung der Grenzen erschöpfen sollte, vielmehr darin bestand, diese so weit wie möglich vorzurücken: im Nordosten »wenigstens hinter die Düna«, im Südosten mindestens bis zur Dniestergrenze, und dies wohl kaum nur im Wege der Überzeugungsarbeit.44 Auch für einige der nicht dem Reich angehörenden Staaten Europas wie Spanien oder England waren entsprechende Aufgaben vorgesehen wie »die Occupation und Regeneration des Orients« oder die ›Civilisirung‹ Indiens und der mongolischen Welt.45 Das war ein Programm der Welteroberung, nicht der Weltabwendung, und Frantz zögerte nicht, die dafür erforderlichen Mittel zu legitimieren. Er begrüßte den Fortschritt der Wissenschaften, die Beschleunigung und Erweiterung der Kommunikation, die Verkehrsrevolution, wie sie insbesondere durch die Eisenbahn vorangetrieben wurde46, und nicht zuletzt die »Wunder der Industrie«, auch wenn er bisweilen wünschte, »die industriellen Entdeckungen und Erfindungen erfolgten weniger schnell, weil dadurch auch die materiellen Existenzbedingungen der Gesellschaft sich so schnell verschieben, daß es kaum möglich ist, die andererseits dadurch geforderten neuen Social-Ordnungen in demselben Tempo herzustellen.«47 Den industriellen Fortschritt deswegen hemmen zu wollen, fiel ihm jedoch nicht ein48, wie ihm auch die Auflösung der Standesschranken, die Durchsetzung der Rechtsgleichheit und die Institutionalisierung des allgemeinen Staatsbürgertums schlechthin unvermeidbar erschienen, mehr noch: als Einlösung einer Forderung des Christentums, »welches nichts von Hintersässigkeit noch von privilegierten Ständen weiß.«49 Es sei unleugbar, daß sich das aus dem Mittelalter überkommene Ancien Régime im Laufe der Zeit in ein »unerträgliches Drucksystem« verwandelt habe, dessen Beseitigung durchaus ein Akt der Befreiung gewesen sei; und wenn sich die Dinge dann auch anders entwickelt hätten als gedacht, so könne doch nicht bestritten werden, daß die moderne Wirtschaftsweise weitaus produktiver sei, »als die feudale und zünftige, und die materielle Civilisation außerordentlich befördert« habe.50 Den politischen Kräften, die in neuerer Zeit diese Veränderung maßgeblich vorantrieben, versagte Frantz deshalb keineswegs die Anerkennung.

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Das betraf den Liberalismus, dem das Verdienst zugeschrieben wurde, die allgemeine Freiheit durchgesetzt, den Regierungsabsolutismus gebrochen und den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt vorangetrieben zu haben.51 Es betraf die Demokratie, die Frantz in »inniger Verbindung« mit dem liberalen System sah und trotz ihrer veralteten naturrechtlichen Begründungen insofern für »lebenskräftig und zukunftsträchtig« erklärte, als sie das Vereinswesen und die nationalen und sozialen Bestrebungen unterstützte.52 Und es betraf endlich sogar den Sozialismus, insofern dieser generell darauf hinwirke, die Bevölkerung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gruppieren und dabei speziell die Arbeiterschaft in Form von Gewerkschaften ›standesmäßig‹ zu organisieren.53 Zwar ging Frantz später nicht mehr so weit wie in der Revolution von 1848/49, als er seine Zeitgenossen davon zu überzeugen versuchte, »daß der einzig wahre Konservatismus im Sozialismus liegt«.54 Doch fand er noch dreißig Jahre später anerkennende Worte für das Projekt einer planmäßigen wirtschaftlichen Organisation, »welche für unsere dicht bevölkerten Länder, wo die Leute um ihre Existenz ringen, allmälig zum unabweißbaren Bedürfniß geworden ist«.55 Diese Idee wie Bismarck mit einem Sozialistengesetz bekämpfen zu wollen, erschien Frantz nachgerade lächerlich, eine »Veränderung der gegenwärtigen Eigenthums- und Einkommensvertheilung« dagegen unabweisbar, wie sie am besten durch den Einsatz fiskalpolitischer Instrumente zu erreichen sei.56 Neben einer Erbschaftssteuer sei vor allem die progressive Einkommenssteuer als »sociales Repressivmittel« einzusetzen, und dies solange, »bis die Classe der Hochreichen, wie andererseits die große Masse der Besitzlosen« sich so weit vermindert, der Mittelstand hingegen sich so verbreitert habe, daß »die ganze Gesellschaft sich innerlich wieder zu beruhigen begönne.«57 Auch das Kassenwesen in Gestalt von Krankenkassen, Altersversorgungskassen, Witwenund Sterbekassen hielt Frantz noch für »einer großen Entwicklung fähig, die man möglichst befördern muß.«58 Ein Sozialist war Frantz deswegen mitnichten, ebenso wenig wie ein Demokrat oder Liberaler. Der Liberalismus oder auch Konstitutionalismus, der ihm als logischer wie historischer Ausgangspunkt dieser Reihe galt, bot schon deshalb keine Anknüpfungsmöglichkeit, weil er lediglich ›analytisch‹ war und die gesellschaftlichen Bindekräfte »leichtfertig und oberflächlich« behandelte.59 Nur in der Negation stark, vermochte

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er wohl vorgefundene Institutionen aufzulösen, nicht aber neue hervorzubringen.60 In der Revolution von 1848, erst recht während des preußischen Heereskonflikts, zeigte er sich als der »wahre Todfeind der Monarchie«, darauf aus, alles zu beseitigen, was »die Continuität und die Tradition repräsentirt«.61 Nach seinem Willen sollte der Staat seines militärischen Charakters entkleidet werden und nur mehr ein bloßer Beamten- und Intelligenzstaat sein62, darüber hinaus allenfalls noch »Rechtsstaat« oder »Kulturstaat«, von denen indes weder der eine noch der andere der Religion bedürfe, ihr vielmehr feindlich entgegengesetzt sei, wie sich zumal während des von den Liberalen vom Zaun gebrochenen Kulturkampfs gezeigt habe.63 Abstraktes Recht aber und abstrakte Kultur seien nichts anderes als »Beförderungsmittel[n] der Judenherrschaft«.64 Zusätzlich vorangetrieben werde diese durch die ökonomischen Folgen des liberalen Systems, dessen realen Kern Frantz in der »Ausbeutungsfreiheit« ausmachte, in der »Entfesselung der Capitalmacht« und der daran gekoppelten Tendenz zur »Plutokratie«.65 Mochte der Liberalismus in seiner besten Zeit auch einmal Begeisterung hervorgerufen haben, mochte er »durch Nutzbarmachung so vieler bis dahin todt liegender Schätze« zunächst auch den allgemeinen Wohlstand gesteigert haben, so sei er »heute fast nur der Repräsentant der capitalistischen Interessen« und damit der »goldenen Internationale«, die längst dabei sei, »alle Staaten mit ihren Netzen [zu] umspinnen«.66 Als eine rein negative Kraft mußte der Liberalismus bald erfahren, was es hieß, ein bloßer Zauberlehrling zu sein. Einmal Freiheit und Eigentum zu unveräußerlichen Rechten erhoben, ließ sich nur schwer begründen, weshalb diese nur den besitzenden und gebildeten Schichten zukommen sollten. Der Liberalismus setzte sich damit selbst unter Druck, seine oligarchischen Präferenzen zu lockern und insbesondere der Forderung nach Erweiterung des politischen Stimmrechts nachzugeben. Die Verallgemeinerung des Wahlrechts aber zog unweigerlich den Gedanken einer Verallgemeinerung des Eigentums nach sich, einer Generalermächtigung für den Gesetzgeber, die Besitzlosen mit Besitz, die weniger Besitzenden mit mehr Besitz auszustatten – eine Dynamik, die Frantz mit Blick auf den nach wie vor wichtigsten Wirtschaftszweig, die Landwirtschaft, mit Entschiedenheit ablehnte, tauge sie doch nur dazu, »einen starken Antrieb zur Volksvermehrung [zu] geben«, mit der voraussehbaren Folge, daß es

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nach einem Menschenalter »wieder mehr Proletarier als vorher« geben würde.67 Statte man diese mit dem Recht aus, Verfügungen über den politischen Verband zu treffen, seien Chaos und Anarchie zu erwarten, was wiederum die Neigung befördern mußte, sich der Diktatur eines Einzelnen oder des Militärs zu unterwerfen – beides exemplarisch verkörpert im »Cäsarismus« oder »Napoleonismus«.68 Durch seine Affinität zur Plutokratie lockte der Liberalismus außerdem den Sozialismus hervor. Auch wenn Frantz diesem attestierte, sich für die »natürlichen Rechte« der »arbeitenden Klassen« einzusetzen69, lehnte er doch den »sozialistischen Grundgedanken« – den Staat ganz in die Gesellschaft aufzulösen und dadurch als solchen zu beseitigen – kategorisch ab, da es sich um zwei verschiedene Lebensgebiete handele, von denen keines zu entbehren sei.70 Gänzlich abwegig erschien ihm insbesondere die Forderung von Lassalle und anderen, die industrielle Produktion als »Kollektivwirthschaft«, und gar in Form von »Produktivgenossenschaften« zu organisieren, werde dadurch doch den Individuen jener »angemessene[n] Spielraum freier Bethätigung« genommen, der als »Stimulus zur Produktion« unerläßlich sei.71 Infolgedessen werde »die Produktion zurückgehen und der industrielle Fortschritt aufhören, weil mit Unterdrückung der Individualität der Stachel zur Thätigkeit verschwände, der Erfindungsgeist und Entdeckungsgeist erlahmte.«72 Schließlich habe die Fokussierung der sozialistischen Kritik auf die Sphäre der industriellen Produktion auch noch den doppelten Effekt, den volkswirtschaftlich nach wie vor grundlegend wichtigen Agrarsektor zu vernachlässigen und zugleich den Handel und das Börsenwesen auszublenden, womit letzteres de facto der »Judenherrschaft« überantwortet werde.73 Etwas anderes war allerdings nach Frantz von Demagogen wie Lassalle und Marx nicht zu erwarten, zielte deren »Judengeist« doch darauf, den Sozialismus »von vornherein in eine dem Christenthum abgewandte und noch mehr der Kirche feindliche Richtung zu drängen«, sehr im Unterschied zu St. Simon, Fourier oder Toussenel, von denen Frantz mit höchstem Respekt sprach.74 Die Vehemenz, mit der sich Frantz von den Kräften der »Bewegung« absetzte, scheint auf eine Präferenz für die gegenstrebigen Kräfte der Beharrung hinzuweisen und Deutungen zu bestätigen, wonach Frantz als Konservativer anzusehen sei.75 Dem steht allerdings die Schroffheit entgegen, mit der dieser Autor beide Kräfte abkanzelte, und noch dazu die

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letzteren mit deutlich größerer Antipathie als die ersteren, galten sie ihm doch als »der Ausdruck der Verwesung selbst«.76 Mochte die Bewegungspartei auch auf falschen Prinzipien beruhen, so waren es doch wenigstens Prinzipien, wie die individuelle Freiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz, wohingegen »der Conservatismus, wenn man den Begriff eines Principes ernst nimmt, überhaupt kein Princip hat, sondern nur ein verworrenes und widerspruchsvolles Gemisch darstellt von Reminiscenzen aus der Vergangenheit und modernen Velleitäten.«77 Bis 1789 in jenem »Winterschlaf«, für den Karl Mannheim später den Terminus »Traditionalismus« prägte, sei er überhaupt erst durch den »Völkerfrühling« der Revolution geweckt worden, ohne freilich eine andere als repressive Antwort auf die Ereignisse gefunden zu haben.78 Die gegenwärtige »Staatskrankheit«, hieß es schon 1852, sei »das Resultat des Conservatismus und der Restauration«.79 Weder könne der Konservatismus angeben, was denn in diesem »Zeitalter allgemeinen Umschwunges« das wirklich Erhaltenswerte sei, noch wisse er, welche Mittel sich dazu eigneten. Die übliche Auskunft, »daß es vor allem Kampf gegen die Revolution gelte«, sei angesichts der Tatsache, daß die zentralen Ideen dieser Revolution sich unaufhaltsam weiter verbreiteten, pures Gerede. »Immer kann der Conservatismus nicht umhin, hinterher selbst zu acceptiren, was er vordem mit Abscheu von sich gewiesen, wie heute namentlich das allgemeine Stimmrecht, dem er nun sogar einen conservativen Charakter zuschreiben will, so zur Ironie auf sich selbst werdend.«80 Der Vorwurf mangelnder Systematik und Stringenz richtete sich gleichermaßen gegen den ›theokratischen‹ Konservatismus in der Manier von de Maistre wie gegen den Konservatismus der historischen Schule, die »sich eine Rechtsbildung ausgedacht oder imaginirt [habe], wie sie in Wirklichkeit nicht stattgefunden, noch weniger heute stattfinden könnte«.81 Besonders ätzend aber fiel die Kritik des »speculativen Conservatismus« aus, den Frantz in Preußen vor allem durch Stahl repräsentiert sah.82 Hielt er diesem noch kurz nach dessen Tod zugute, als einziger über »die Kraft einer umfassenden Conception und systematischen Gedankenentwicklung« verfügt zu haben83, so war von diesem Respekt schon bald darauf nichts mehr zu spüren. Dreifach fremd durch seine Herkunft aus dem Ausland und dem Judentum sowie durch seine romanistische Ausbildung, habe Stahl die Staatslehre in »ein Gemisch von Cäsarismus und jüdischer Theokratie« verwandelt, eine einzige »Sophisterei«, die um so

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»widerwärtige[r]« sei, als sie sich als christlich ausgebe.84 Stahl wie auch die ihm nahestehenden Propagandisten des Legitimismus seien moderne Don Quixotes, Verfechter einer »geistreiche[n] und gelehrte[n] Tollheit«, die sich in einem »Wust von schiefen und verkehrten, oder gradezu sinnlosen Ansichten« verloren habe.85 Wie substanzlos ihre Konzeption eines christlichen Staates sei, habe sich 1866 und 1870/71 gezeigt, als sie einer Politik applaudierten, die den alten Bund zerstörte und ein Reich begründete, »welches vom Christenthum so rundweg abstrahirt, daß es selbst die Existenz desselben ignorirt, und damit eine Verfassung entstand, welche ganz eben so gut für Türken und Heiden als für ein christliches Volk gelten könnte!«86 Eine Partei, die diese Politik mittrug, konnte von vornherein nur eine Mißgeburt sein, Ergebnis einer »widerlichen Vermischung« kontradiktorischer Bestrebungen, die in der Außenpolitik revolutionär waren, in der Innenpolitik retardierend.87 So wenig Frantz Bismarck schätzte, so sehr rechnete er es ihm als Verdienst an, diesen Widerspruch liquidiert zu haben. In seiner Politik, die sich allein an den Maximen der preußischen Staatsräson ausrichte, trete zutage, daß Preußentum und Konservatismus von jeher inkompatibel waren. Als ein »von Eroberung zu Eroberung, oder immer wenigstens durch ein mehr oder weniger gewaltsames Durchbrechen der vorgefundenen Ordnung fortschreitender Staat«, stehe Preußen für die »Herrschaft der Bewegungsprincipien«88; und wenn Bismarck etwas auszeichne, dann die Entschiedenheit, mit der er diese Prinzipien auch in der Innenpolitik geltend mache: durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Reich, durch seine antikirchlichen Maßnahmen, durch die Begünstigung der Geldherrschaft, der ökonomischen und sittlichen Desorganisation und nicht zuletzt des Sozialismus. Damit habe er eine Entwicklung in Gang gesetzt, die sich unweigerlich gegen Preußen selbst richten mußte. Denn je mehr es sich nach Westen ausgedehnt habe, desto größer sei das Gewicht der Industrie gegenüber der Agrikultur geworden und die relative Bedeutung des ostpreußischen Landadels gesunken, was über kurz oder lang auf den »Untergang des Preußenthums selbst« hinauslaufen müsse.89 Man erkennt hier unschwer eine Denkfigur, die für viele der im Vormärz sozialisierten, von der idealistischen Dialektik geprägten Autoren typisch ist: die Überzeugung, daß die die Gegenwart bestimmenden

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negativen Kräfte letztlich gegen sich selbst arbeiteten und so die Negation der Negation, den Übergang zu einer höheren Stufe vorbereiteten. Während diese Überzeugung jedoch bei einem Zeitgenossen wie Marx nach 1848 in den Hintergrund tritt und valide Einsichten in die Architektonik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht verhindert, schiebt sie sich bei Frantz so sehr in den Vordergrund, daß ihre Haltlosigkeit unmittelbar einsichtig wird. Daß ein eben noch dem Untergang entgegentreibender Staat wie Preußen einen neuen »Beruf« und damit die Chance einer Regeneration erhalten sollte, wenn es Rußland nach Asien zurückdrängte, mochte vielleicht manchem Hardliner in der Regierung oder im Generalstab einleuchten. Reichlich weltfremd war indes die Zumutung, ein derart gestärktes und vergrößertes Preußen werde darauf verzichten, die neu gewonnene Macht auch gegenüber seinen deutschen Konkurrenten, allen voran: Österreich, geltend zu machen, selbst wenn an Österreich die gleiche Zumutung erging. Vollends zerebral war die Idee, Preußen werde bereit sein, sich hinter die Elbe zurückzuziehen und ausgerechnet seinen wirtschaftlich ertragreichsten Regionen das Recht zur Bildung eines eigenständigen ›westdeutschen Staatskörpers‹ einzuräumen, war es doch dies, worauf das Konzept eines dreifach gestuften Bundes hinauslief.90 Gewiß: das in diesem Sinne zu erneuernde Reich sollte seiner Wesensbestimmung nach »nicht auf die Staatsentwickelung, sondern auf die sociale wie auf die internationale Entwickelung« ausgerichtet sein.91 Das machte es jedoch nicht einfach zum Gegenteil eines Staates. Sein Kern, der engere Bund, sollte aus einer Vereinbarung der Fürsten hervorgehen, die »ihre partikulare Souverainität so zu sagen zu einem gemeinsamen Fonds vereinigen, den sie dann kollegialisch verwalten und geltend machen«; das so geschaffene Ganze werde »einen vollständig organisirten Körper« bilden, mit einer Zentralgewalt, einem Reichstag und entsprechendem administrativen Unterbau.92 Zu erwarten, daß ausgerechnet Preußen und Österreich in einem »Akt der Entsagung« einen so erheblichen Teil ihrer Kompetenzen an Institutionen übertragen würden, die sie nur noch sehr begrenzt kontrollieren könnten, spricht nicht für den ›gesunden Realismus‹, den Frantz für sich in Anspruch nahm.93 Widersprüchlich wie das »Reich« war endlich auch der »wahre Conservatismus«, den Frantz gegen dessen aktuelle defiziente Erscheinungsform in der »sogenannten conservativen Partei« ausspielte.94 Dieser sollte, einer

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ersten Auskunft zufolge, aus einem »erhaltende[n] Trieb« entspringen, der »in der Oekonomie der menschlichen Gesellschaft […] ganz unentbehrlich« sei, einer »vis inertiae, […] welche für sich selbst kein Streben zur Action« habe, ganz »passive Kraft« sei.95 Wie Karl Mannheim zu Recht bemerkt, greift diese Definition hinter alle Inhalte auf einen vorrationalen Drang oder Willen zurück und charakterisiert diesen zugleich durch seine Funktion, auf den gesellschaftlichen Prozeß retardierend zu wirken: eine »Formaldefinition des Konservatismus«, welche nur besagt, »daß es in einem jeweiligen Prozeß stets Elemente gibt, die die vis inertiae repräsentieren, und andere, die den Prozeß tragen«.96 Der Problematik eines solchen Verständnisses, das den Konservatismus in eben jene Prozessualität hineinzieht, gegen die er zugleich als Bollwerk dienen soll, scheint Frantz sich später bewußt geworden zu sein, denn obschon er an der Vorstellung eines Tradition und Kontinuität stiftenden Trägheitsprinzips festhielt97, sah er sich doch genötigt, die formale Definition durch eine substantielle zu ergänzen und damit de facto zu korrigieren. In der Naturlehre des Staates erklärte er die patriarchalisch verfaßte Familie zur göttlichen Stiftung, die bis auf die Schöpfung zurückreiche und die Wurzel aller Sittlichkeit sei.98 Ihre Ergänzung finde sie in der Kirche bzw. der Religion, und zwar nicht in irgendeiner der auf der Welt existierenden Religionen, sondern allein dem auf Offenbarung beruhenden Christentum.99 Der wahre Konservatismus, den Frantz in Deutschland durch den Föderalismus repräsentiert sah, könne nichts anderes sein »als eben die weltliche Seite der christlichen Entwicklung.«100 Das liest sich auf den ersten Blick wie die Wiederaufnahme eines zentralen Topos des historischen Konservatismus, der von den Spätscholastikern bis zu de Bonald die societas civilis als erweiterte Replikation der Familie und des Oikos als ›societates in parvo‹ verstanden und zugleich durch die Religion sanktioniert hatte.101 Von einer solchen Stufenfolge findet sich indes bei Frantz nichts mehr, hieß es doch ausdrücklich: »Nur die Familie und die Kirche können sich auf göttliche Stiftung berufen«, alle anderen Einrichtungen reichten nicht bis auf die Schöpfung zurück, sondern seien kontingent, Ergebnis der »geschichtliche[n] Entwicklung der Menschheit.«102 Das galt für die Ordnungen des Besitzes, der Arbeit und der Verteilung des Arbeitsprodukts, für das Recht überhaupt sowie die Formen des Staates und der Regierung103, allen voran das Gottesgnadentum und den darauf fußen-

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den Legitimismus, allerdings auch für die Behauptung eines »allgemeinen und angeborenen Recht[s], durch Stimmgebung eine Theilnahme an der Regierung und Gesetzgebung auszuüben«.104 Darüber hinaus galt es für die gesellschaftliche Gliederung, in der sich nicht das göttliche, sondern das menschliche Wesen offenbare, das keine dauerhaft gültige Verteilung von Ehre und Macht kenne. Gott, so die pointierte Auskunft, »hat keine verschiedenen Stände geschaffen«, erst recht keine solchen, die sich durch Beschränkung des matrimonialen Austauschs kastenförmig gegeneinander abschlössen.105 ›Wahrhaft conservativ‹: das war keine Politik, die sich darauf versteifte, den Status quo einzufrieren, sondern eine solche, die »das Princip ununterbrochener Reform in sich trägt«.106 Frantz mag die Geschichte Europas seit dem Mittelalter nach den Vorgaben der idealistischen Dialektik in eine ›thetische‹ und eine ›antithetische‹ Periode eingeteilt haben, gegen die in der neuesten Zeit sich zunehmend »das Bedürfniß der Synthesis« geltend mache.107 Daß diese Synthesis jedoch weit mehr durch die Strukturmerkmale der antithetischen Periode bestimmt sein würde als durch diejenigen der thetischen, steht außer Zweifel, hatte doch eine Ordnung, in der lediglich Familie und Religion Fixpunkte bildeten, die bürgerliche Gesellschaft und der Staat aber getrennte und einer je eigenen Dynamik gehorchende Größen waren108, die Auflösung der alteuropäischen societas civilis zur Vorbedingung. Daran ändert auch die so offensichtlich nach mittelalterlichem Vorbild geschneiderte Reichsidee nichts.

II. Etwas später als Frantz rückte Paul de Lagarde in das Blickfeld Richard Wagners. Am 8. 4. 1873 notierte Cosima Wagner in ihrem Tagebuch, Nietzsche, an diesem Tag zu Besuch in Tribschen, habe ihr von einem Professor Lagarde erzählt, der durch eine Schrift über Kirche und Staat völlig verfemt worden sei.109 Das bezog sich auf dessen Broschüre »Ueber das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion«, die Nietzsche bereits einige Wochen zuvor seinem Freund Erwin Rohde als eine »kleine, höchst auffallende Schrift« empfohlen hatte, »die 50 Dinge falsch, aber 50 Dinge wahr und richtig sagt, also eine sehr gute Schrift«.110

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Lagarde blieb seither im Hause Wagner im Blick111, doch kristallisierte sich die Idee einer möglichen Zusammenarbeit erst Anfang 1876 heraus. Am 16. 4. schickte Lagarde auf den Rat Franz Overbecks ein Exemplar seiner Abhandlung »Ueber die gegenwärtige Lage des deutschen Reiches« an Cosima Wagner mit der Bitte um weitere Verbreitung.112 Cosima las die Schrift gemeinsam mit ihrem Mann und fand »Vortreffliches« darin wie die »Aufgabe Österreichs, Kritik der jetzigen Schulen«, aber auch »viel konfuse theologische Beimischung«.113 Immerhin erschien die Konfusion nicht so groß, als daß man nicht den »Gedanken der Errichtung einer Musterschule« ins Auge gefaßt hätte, für die auch gleich das passende Personal benannt wurde: »Nietzsche, Rohde, Overbeck, Lagarde. Ob der Schutz des Königs dafür zu erlangen? …«114 Zwei Wochen später schrieb Cosima Wagner einen Dankesbrief an Lagarde und lud ihn gemeinsam mit Overbeck nach Bayreuth ein.115 Mit den beiden genannten Arbeiten, zu denen noch die 1874 erschienenen Politischen Aufsätze mit dem aufschlußreichen Essay »Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik« hinzu kommen116, hatte sich Lagarde in der Tat für ein Vorhaben empfohlen, das sich einer politischen Erneuerung »im ideal konservativen Sinne« verschrieben hatte.117 Der 1827 in Berlin als Paul Anton Boetticher Geborene, der 1854 den Namen seiner Großtante und Adoptivmutter annahm, hatte sich bis dahin vor allem durch orientalistische Arbeiten einen Namen gemacht und sich damit 1851 in Halle habilitiert. Ein Stipendium des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. hatte ihm in den beiden folgenden Jahren Forschungsaufenthalte in London und Paris ermöglicht, doch stagnierte die akademische Karriere danach, weshalb Lagarde gezwungen war, seinen Lebensunterhalt als Lehrer an Berliner Gymnasien und Realschulen zu verdienen. Erst durch die Erträge eines weiteren mehrjährigen Forschungsurlaubs festigte sich sein wissenschaftlicher Ruf so weit, daß Ostern 1869 die Rückkehr an die Universität gelang, in diesem Fall auf den Lehrstuhl für orientalische Sprachen in Göttingen. In wissenschaftlicher Hinsicht verband sich mit seinem Namen fortan vor allem das Versprechen, eine kritische Septuaginta-Ausgabe auf den Weg zu bringen, womit allerdings erst etliche Jahre nach seinem Tod (1891) begonnen werden konnte.118 Obwohl man in Tribschen bzw. ab 1872 in Bayreuth vermutlich nur den kleineren Teil von Lagardes seit 1873 rasch anschwellender politischer

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Publizistik kannte, liegt doch auf der Hand, warum man in ihm einen verwandten Geist witterte. Hatte er im März 1848 noch für die Gegenrevolution Partei ergriffen, so war er schon im Dezember des folgenden Jahres zur Kreuzzeitungspartei auf Distanz gegangen, weil er mit deren Vorgehen in der causa Waldeck nicht einverstanden war.119 Sechs Jahre später ließ er einen Briefpartner wissen: »Ich bin reaktionärer als irgendein Reaktionär und kann mit den Lügnern, Verleumdern und Hochverrätern der Kreuzzugspartei doch gar nichts gemein haben.«120 In seinen politischen Schriften ließ er keinen Zweifel daran, daß es ihm um einen Konservatismus ging, der sich von allem, was diesen Namen trug, unterscheiden sollte: vom Konservatismus der Kamarilla, vom Konservatismus der ›Kreuzzeitung‹ und nicht zuletzt vom parteiförmig organisierten Konservatismus, könne sich doch dem, »was jetzt und seit lange konservative Partei heißt, […] kein über die Bedürfnisse der Nation und die Lage der Dinge unterrichteter Mann anschließen«.121 Noch 1884 zeigte sich Lagarde davon überzeugt, »daß eine konservative Partei in Preußen noch nicht vorhanden ist«, »daß die jetzt konservativ genannten Fraktionen« – die Deutschkonservativen und die Freikonservativen – »nicht einmal Regierungs-, sondern schlechtweg Kanzler-Parteien sind, und daß sie, weil tatsächlich bedingungslos einem einzelnen Manne ergeben, ein Programm, welches Prinzipien enthalten muß, gar nicht besitzen.«122 Das war ein Jahr nach Richard Wagners Tod, doch hatte Lagarde bereits lange zuvor klar gemacht, wie ein Programm für einen wahren Konservatismus auszusehen habe. Konservative Politik hatte sich gegen einen Staat zu richten, der sich zum Selbstzweck aufspreizte und seine Mitglieder verführte, einen Götzendienst mit ihm zu betreiben, obwohl er doch »kein lebendiges Wesen« war, vielmehr »eine Maschine, welche freilich mitunter so aussieht, als lebe sie, welche aber trotz dieses Aussehens dem Rosten unterworfen bleibt.«123 Sie hatte den Ambitionen entgegenzutreten, die sich an das Konzept des christlichen Staates knüpften, mehr noch: den Kirchen, die die Abwesenheit jeder lebendigen Religion verwalteten, die öffentliche Anerkennung zu entziehen und ihre Umwandlung in bloße Sekten einzuleiten.124 Sie hatte die Wirtschaft umzustrukturieren, die sich immer mehr auf die Schaffung künstlicher Bedürfnisse kaprizierte und durch eine übertriebene Teilung der Arbeit, durch deren Mechanisierung und Maschinisierung eine »alle Fundamente ethischen Lebens

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zerfressende« Richtung zu nehmen drohte, an deren Ende nichts stehen werde als eine »ekelhafte Plutokratie«.125 Und sie hatte schließlich nichts Geringeres anzustreben als einen Rückbau der »Zivilisation« schlechthin mitsamt ihrer spezifisch deutschen Ausformung, der allgemeinen Bildung, die »wesentlich Schein und Lüge und darum der grimmigste Feind aller Religion« sei.126 Denn darum ging es im Kern: »diesem Zeitalter des hastigen, freudelosen, narkotisierenden Genießens« eine »Weltentsagung« entgegenzusetzen, die sich allerdings nicht wie bei Schopenhauer in Weltflucht manifestieren sollte, sondern im Gegenteil in »Weltbesiegung«, »Arbeit in der Welt gegen die Welt«, was da hieß: Beseitigung alles dessen, was in der Welt nicht dem göttlichen Willen entsprach.127 Mit Martin Riesebrodt kann man ein Programm, das eine so verstandene Weltablehnung mit Erlösungsversprechen verbindet, als »fundamentalistisch« bezeichnen.128 Während sich all dies mit dem deckte, was in der Reichsgründungsära auch von Wagner und seinen damaligen Jüngern wie Nietzsche, Rohde und Overbeck vorgebracht wurde, setzte Lagarde doch insofern einen eigenen Akzent, als er seine Kritik auf die ästhetische Sphäre ausdehnte, von der man sich in diesem Kreis Großes erwartete. Zwar galt diese Sphäre dort nicht als schlechterdings sakrosankt, hatte sich doch nach Wagner die Macht der »Zivilisation« über den deutschen Geist derart gesteigert, daß insbesondere die Poesie und die Musik mit »Impotenz« geschlagen waren.129 Immerhin gab es Ausnahmen, Beethoven etwa und natürlich Wagner, in deren Werken sich ›das innere Wesen der Dinge‹ kundgeben sollte. Ausgestattet mit der »Kraft der Erlösung von der Schuld der Erscheinung«, sollte diese Kunst das »Chaos der modernen Zivilisation« durchbrechen und deren »Wiedergeburt«, »nur aus dem Geiste unserer Musik«, einleiten, eine Formel, die von Nietzsche aufgegriffen und zum Leitgedanken einer seiner Frühschriften erhoben wurde.130 Das aber war für Lagarde, für den es außerhalb der Religion kein Heil gab, pure Blasphemie. Kultur, dekretierte er, habe gar keine Beziehung auf Gott. Kultur im höheren wie niederen Sinne des Wortes sei »nur Mittel, und nicht Zweck«. »Die Kultur als Selbstzweck ansehen, heißt Götzendienst treiben, heißt Sklave sein.«131 Die von Goethe und Schiller inaugurierte »Culturperiode« wünschte er deshalb »wenigstens als beendigt ansehen zu dürfen«, mehr noch: den »ganzen Litteraturkrempel« lieber

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heute als morgen los zu sein.132 Das galt a fortiori auch für Wagner, dessen Musik er als schlechterdings unausstehlich empfand. Nach dem Besuch einer Aufführung des Fliegenden Holländers schrieb Lagarde seiner Frau: »Ich bin völlig von Wagner geheilt, freiwillig setze ich mich einer derartigen Qual nicht ein anderes Mal aus. Auch Wagner ist Welt, zwischen mir u. all dem hohlen großthuerigen Treiben eine gähnende Kluft.«133 Bei dieser Einstellung wundert es nicht, daß das Angebot zur Mitarbeit an den Bayreuther Blättern unbeantwortet blieb. In seiner Weltablehnung wie auch seiner Erlösungshoffnung mochte Lagarde dem Fundamentalismus Wagnerscher Provenienz in nichts nachstehen; für einen ästhetischen Fundamentalismus war er deshalb noch lange nicht zu haben.134 Ludwig Schemann (1852–1938), der damals in Göttingen als Bibliothekar arbeitete und ebenso verzweifelt wie vergeblich bemüht war, den von ihm bewunderten Orientalisten der Bayreuther Sache näherzubringen, notierte später, Lagarde habe Wagner vorgeworfen, ein reiner Genußmensch zu sein und durch ›ästhetische Emotionen‹ erziehen zu wollen: »Weil Lagarde Wagner nicht kannte, hatte er auch keine Ahnung davon, wie vielen dieser die heldische, die deutsche Ader gestärkt hat; und so mußte sich ihm die vielberufene Überschätzung der Kunst durch Wagner, sein künstlerischer ›Imperialismus‹, als ein Gespenst darstellen, das sich ihm in dem Maße vergrößerte, als er seine Deutschen, die er in erster Linie politisch-religiös, dann erst künstlerisch-wissenschaftlich gebrauchen konnte, dadurch in tatenlose Ästheten gewandelt zu sehen fürchtete.«135

So hoch indessen Lagarde die religiöse Sphäre über die ästhetische stellte, ein religiöser Fundamentalist war er nur in einem sehr vermittelten, durchaus modernen Sinne. Wohl scheint er auf den ersten Blick zur großen Schar derer zu gehören, die alle Gebrechen der Moderne auf die Depotenzierung der Religion zurückführen und dafür nicht zuletzt die Verfälschungen verantwortlich machen, die die ursprüngliche Botschaft im Lauf der Geschichte durch ihre Interpreten erfahren habe. Glaubte er von Jesus zu wissen, dieser habe exemplarisch das »Streben nach Gottähnlichkeit, nach Vollkommenheit« vorgelebt, und vom Evangelium, es sei die »durch religiöse Genialität gefundene Darlegung der Gesetze des geistigen Lebens«, die um die »Idee vom Reiche Gottes« kreisten, so hielt er doch

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bereits das Frühchristentum für einen einzigen Abfall von dieser Idee.136 Aus der ursprünglich-evangelischen Religion des Lebens, so sein Vorwurf, habe Paulus, der Jude, eine Religion des Todes und des Opfers gemacht und dadurch den einzelnen aus seiner unmittelbaren Beziehung zu Gott gelöst.137 Wolle man die ursprüngliche Beziehung wiederherstellen, müsse jeder Gläubige das Evangelium in sich Person werden lassen »und, so gut es geht, eine Gemeinschaft mit allen Gleichgesinnten her[zu]stellen«. Dazu sei es nötig, der Welt als dem Inbegriff des nicht auf Gott Bezogenen radikal zu entsagen und das gesamte Alltagsleben auf die Vereinigung mit Gott auszurichten. »Kein Genuß, keine Gewohnheit, kein Verlangen ist für die Kinder des Reiches da, nichts als der Dienst ihres Gottes: alles, was zu diesem nicht indirekt, als Mittel physische und geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten, oder direkt, als Arbeit zur Realisierung jener Zwecke am eigenen Herzen und an andern, in Beziehung steht, ist Sünde.«138 »Arbeit am Reiche Gottes«, wie dies an gleicher Stelle genannt wird, ist die Formel einer Methodik der Selbstvervollkommnung, die ganz auf das Heilsgut der Gotteinigung gerichtet ist. Alles Treiben auf Erden, so Lagarde, habe nur den Zweck, »die einzelnen Menschenseelen für ein höheres Leben auszureifen«, d. h. Gott nahezukommen.139 Es gehe um »das Streben nach Gottähnlichkeit, nach Vollkommenheit«, nach Verwirklichung des einzigen Sakraments, welches das Evangelium kenne: dasjenige der Gotteskindschaft oder des Gottmenschentums.140 Die Menschwerdung Gottes oder die Gottwerdung des Menschen sei kein einmaliges, an die Person Christi gebundenes Faktum, sondern ein jederzeit für alle, die reinen Willens sind, wiederholbares Ereignis.141 Nicht christlich habe man zu sein, »sondern evangelisch: das Göttliche in jedem von uns leibhaftig lebend«.142 Diese zunächst ganz individualistische und unpolitische, eo ipso durchaus mit dem Evangelium vereinbare Lehre erhielt nun freilich eine genuin moderne Ausrichtung, indem die Forderung nach Vergöttlichung der Seele auch für die Nation geltend gemacht wurde, die Lagarde in Fortführung einer von Herder begründeten holistischen Denkfigur als Persönlichkeit mit einer von Gott gegebenen Seele deutete.143 Damit war keine Sakralisierung der existierenden deutschen Nation gemeint, so wenig wie die Aussage vom Gottmenschentum für den einzelnen Alltagsmenschen galt. »Das Deutschland, welches wir lieben und zu sehen begehren, hat

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nie existiert, und wird vielleicht nie existieren«.144 Ganz wie der einzelne seine Gottähnlichkeit nur in einem mehrstufigen Prozeß zu realisieren vermochte, der im ersten Stadium eine grundlegende purgatio verlangte, sollte auch die Nation ihr von Gott gewolltes Wesen nur schrittweise entfalten. Die deutsche Art habe zu begreifen, »daß sie Herrin im deutschen Hause sein, und das deutsch redende Gezücht zertreten muß, das in diesem Hause umherkeift und -giftet und fremden Göttern dient«145, womit neben den Mammonsdienern und Fabrikherren vor allem die Literaten, die Liberalen und Sozialisten gemeint waren, nicht zu reden von den Götzenanbetern des Staates, der Kirchen oder der Kunst. Sodann stelle sich die Aufgabe, »eine Deutschland eigentümliche Gestaltung der Religion zustande zu bringen«, indem man eine größere Anzahl Deutscher dazu bewege, »in stetem Aufblicke zu Gott« die Tugenden zu pflegen und die Sünden abzutun, welche aus der empirischen Gestalt der Nation folgten: »Diese Menschen werden dann nicht allein über die Tugenden und Untugenden der Nation, sondern auch über die Mittel, welche jene fördern, diese töten, aus eigener Erfahrung von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr klarer werden und das Evangelium, welches bei seinem ersten Auftreten ganz allgemein menschlich erscheint, wird so allmählich und durch die Arbeit der deutschen Nation selbst, so zu sagen zu einer deutschen Ausgabe kommen, die kein Buch ist, zu einer Wiederholung, die das Deutschland vorzugsweise Nötige hervorhebt und entwickelt und zwar, weil sie nur in Menschen vorhanden ist, mit der persönlichen Wärme, der herzlichen, zutulichen Eindringlichkeit hervorhebt und entwickelt, welche das Hauptgeheimnis der ersten Erfolge der Kirche gewesen ist. Jeder Deutsche, der es will, kann mehr und mehr dahin kommen, das Evangelium in sich fleischgeworden erblicken zu lassen«.146

Dies war zweifellos Nationalmystik. Aber es war zugleich Pseudomystik, wenn unter genuiner Mystik der Versuch zu verstehen ist, die durch kategoriale Bestimmtheit charakterisierte Welt zu transzendieren.147 Lagarde erwartete nämlich die Überwindung des defizienten Zustands ausgerechnet von einer durchaus innerweltlichen Erscheinung wie der Theologie, die er als »Pfadfinderin der deutschen Religion« bezeichnete.148 Die

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Theologie als Wissenschaft von Gott könne zwar Religion ebensowenig stiften wie der Staat. Indem sie aber klar erkennen lehre, »was an den Religionen ewig, was zeitlich ist«, könne sie die Menschen empfänglich machen und sie dergestalt durch Bildung ihrem Heil entgegenbringen.149 Franz Overbeck hat in dieser Auffassung einen »Excess, eine Art Besessenheit des wissenschaftlichen Rationalismus« gesehen und damit schon früh einen Zug benannt, der in den geläufigen Klagen über Lagardes romantischen Irrationalismus übergangen wird.150 Der ›heimlich offene Bund‹151, der später so oft beschworen wird, bei Lagarde ist er noch deutlich als Professorenkollegium erkennbar, wie auch der Spiritualismus, der alle Vermittlung zu sprengen prätendiert, sich bei näherem Hinsehen als typische »Religion der Gebildeten« entpuppt, für die der Weg zur Gotteskindschaft über die ›komparative Religionswissenschaft‹ führt.152 Dies im Verein mit der Hypostasierung der idealisierten Nation rechtfertigt es, Lagardes Fundamentalismus als modernen, genauer: als nationalreligiösen Fundamentalismus zu klassifizieren.153 Exzessiv aber, und damit weit über diese »Religion der Gebildeten« hinausschießend, war die Destruktivität, mit der Lagarde sein Anliegen vorbrachte. Sie richtete sich neben den bereits erwähnten christlichen Kirchen mit besonderer Wucht gegen das Judentum154, das ihm gleich aus zwei Gründen ein Dorn im Auge war: zum einen, weil es »eine Nation in der Nation« sei und damit die Homogenität des anzustrebenden deutschen Nationalstaates in Frage stelle155; zum andern, weil der Kern seiner Lehre – das Dogma vom »Werte des einmaligen Faktums«, von der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Inkarnation – über Paulus auch in das Christentum gelangt sei und dieses dadurch mit »jüdische[m] Gift« infiziert habe.156 Auf diese Weise sei die Menschheit gegen die permanente Wiedergeburt des Göttlichen in der Welt verhärtet und vom alleinseligmachenden Weg abgeführt worden, welcher da hieß: »Leben mit Gott«.157 Waren die Christen für Lagarde noch nicht ganz verloren, weil sie im Evangelium über ein Antidot verfügten (weshalb es auch genügte, ihre Institutionen zu bloßen Sekten herabzustufen), so waren im Fall des Judentums schärfere Maßnahmen angesagt. Es sei die Aufgabe der konservativen Partei Preußens, »das Judentum zu zerstören«, »diese Nation wegzuschmelzen, mit uns zusammenzuschmelzen«.158 Wollten die Juden in Deutschland, in Mitteleuropa als Menschen und Bürger bleiben, so nur

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unter der Bedingung, daß sie »ihr Judentum (auch ihre Religion) so aufgeben, daß sie als Juden gar nicht mehr erkennbar sind.«159 Noch dezidierter heißt es an anderer Stelle, »daß Juden in dem so viele fremde Elemente enthaltenden Deutschland sehr wohl aufgenommen werden können, und auch vielfach, und zwar zur herzlichen Freude ihrer Freunde, bereits aufgenommen worden sind, daß sie aber nur um den Preis aufgenommen werden können und dürfen, dem asiatischen oder ägyptischen Kastenwesen der Kohns und Levis, das seine Proselyten nur als Juden zweiter Klasse ansehen muß, ihrem Pochen auf vorzugsweises Begnadigtsein, ihren Ansprüchen auf Weltherrschaft, der Verbindung mit ihren außerhalb Deutschlands wohnenden Blutsverwandten, ihrer aus einer wertlosen statistischen Notiz und den groteskesten Riten bestehenden Religion rückhaltslos zu entsagen«.160

Lagardes Assimilationsforderung, das sollte nicht übergangen werden, bezog sich nicht auf das bestehende Christentum, sondern auf eine erst noch zu schaffende bzw. vorzubereitende Nationalreligion, die allerdings gewisse (ur)christliche Elemente enthalten würde; insofern traf die Veränderungszumutung auch die Mehrheitsgesellschaft. Er erklärte auch ausdrücklich, das Judentum »nicht durch irgend welche Verfolgung« überwinden zu wollen, vielmehr durch Revitalisierung des religiösen Lebens, durch Bildung und durch Mischehen, was ihm später den Tadel der Nationalsozialisten einbrachte.161 Gleichwohl hielt er diese Einstellung nicht durch, sondern steigerte sich gegen Ende seines Lebens in eine stetig radikaler werdende Rhetorik. Weil das Judentum nicht nur, aber auch eine »Rassenreligion« sei162, die sich seit unvordenklicher Zeit nicht wesentlich verändert habe, sei nicht so sehr Judenfeindschaft angesagt als Antisemitismus, die systematische Zurückdrängung der Bekenner einer atavistischen, asiatischen, »semitischen« Religion, die nur durch Zurücknahme der Emanzipation zu erreichen sei.163 Juden, die den Anspruch erhoben, in Deutschland als Juden existieren zu dürfen, sollten ›fortgeschafft‹ werden, vielleicht in die Großghettos, die Lagarde auf dem Wege des Staatsvertrages in der Donaumonarchie einrichten wollte164, vielleicht aber auch nach Palästina oder Madagaskar, das als Deportationsort für die Juden Polens und Rumäniens geeignet erschien.165 Wie auch immer: für die Juden als solche war in

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Deutschland, war in ganz Europa kein Platz, konnte kein Platz sein, waren sie doch näher betrachtet gar keine Menschen, sondern »wuchernde[s] Ungeziefer«, das es zu zertreten galt.166 Das war gewiß Wasser auf die Mühlen derer, die vom Judaeozid träumten, wurde aber schon wenige Zeilen später durch ein »Wehe dem Volke, in dem solche Gesinnungen vorkommen« konterkariert.167 Und auch dies stand der Morddrohung entgegen: »Möge Israel als eigenes Volk existieren und einen eigenen Staat gründen: Deutschland und Österreich werden mit diesem Volke und Staate in freundlichem Einvernehmen leben, und dieses israelitischen Staates Angehörige werden bei uns so wohlwollend und artig behandelt werden, wie die Angehörigen jedes andern Staates es werden – als Ausländer.«168 Lagarde mochte derartige Ansichten für ›radikal-konservativ‹ halten.169 Radikal waren sie zweifellos. Aber auch radikal im Sinne einer Weiterführung und Zuspitzung des Konservatismus, wie all jene meinen, die ihn auf dem Weg zur »konservativen Revolution« des frühen 20.  Jahrhunderts sehen?170 Was die Judenfeindschaft betrifft, mochte Lagarde vielen Mitgliedern der sich konservativ nennenden Parteien aus dem Herzen sprechen, doch hütete man sich in diesen Kreisen, aus dem Ressentiment praktisch-politische Folgerungen zu ziehen. Selbst das berüchtigte TivoliProgramm der DkP von 1892 ging nicht über die Forderung nach einer Bekämpfung des jüdischen Einflusses sowie nach einer christlichen Obrigkeit und einer christlichen Schule hinaus. Anstatt die Tür zu einer weiteren Radikalisierung des konservativen Antisemitismus zu öffnen, löste es eher den gegenteiligen Effekt eines Rückzugs vieler Konservativer von einer allzu offensichtlichen Demagogie aus.171 Zum historischen Konservatismus dagegen bestand kaum mehr Kontinuität. Mit einem Federstrich wurde nicht nur die Geschichte des Christentums zwischen Jesus und Lagarde zum Irrweg erklärt, auch die Geschichte des postexilischen Judentums wurde abqualifiziert; die »historischen Religionen« seien »verbraucht«.172 Der deutschen Geschichte erging es nicht besser. »Mein Konservativismus«, hieß es in kategorischem Ton, »ist auf diesem Felde so reaktionär, daß er bis in die Tage der salischen und sächsischen Kaiser zurückgreift und alles zwischen diesen und uns Liegende gestrichen wissen will.«173 Das zielte freilich gerade nicht auf eine Wiederherstellung des für jene Zeit typischen cäsaropapistischen Regiments, bei dem der Herrscher kraft Eigencharisma auch die höchste

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Macht in kirchlichen Dingen besitzt174, sondern auf eine genuin moderne Konstellation, galt doch als charismatisch, d. h. durch göttliche Stiftung legitimiert, die Nation, nicht der Herrscher. »Nationen entstehn nicht durch physische Zeugung, sondern durch historische Ereignisse: historische Ereignisse aber unterliegen dem Walten der Vorsehung, welche ihnen ihre Wege und Ziele weist. Darum sind Nationen göttlicher Einsetzung: sie werden geschaffen.«175 Erst als »Vertreter« bzw. als »Vertrauensmann der Nation«, also indirekt, kam der Kaiser oder König ins Spiel, der die ihm verliehene Autorität an die Fürsten weitergab, sie ihnen allerdings auch wieder entziehen konnte und weder durch sie noch durch das Volk beschränkt war.176 Lagarde mußte jedoch zugeben, daß es sich bei dieser Sicht der Dinge um eine reine Konstruktion ohne fundamentum in re handelte. Das Deutschland des Jahres 1881 erschien ihm als ein Land, in welchem es weder eine Nation noch einen Staat gab.177 Um seine Herrscher war es nicht besser bestellt. Von den 189 Jahren, in denen Preußen von Königen regiert wurde, seien die meisten »Königsjahre nicht gewesen, und über den Rest weint der Patriot mehr, als daß er sich freut.«178 Näher besehen war auch das 1871 gegründete Reich keine Monarchie, es war eine Republik, deren Präsident zu Unrecht den Kaisertitel führte. Souveränität besaß nicht dieser Pseudokaiser, vielmehr der »höchste Gerichtshof«, der im Namen des Reiches urteilte und Urteile verkündete.179 Soweit es in dieser »Republik noch nicht dagewesener Art« noch Fürsten gab, handelte es sich um dieselbe Spezies, über die Lagarde schon 1853 seine Verachtung ausgegossen hatte: »kleine[n] Menschen«, »Maulwurfshaufen«, die seit den Tagen der Französischen Revolution nichts anderes gezeigt hätten, »als eine Flut von Egoismus und Gemeinheit, als bei fast allen Beteiligten die vollständige Abwesenheit jedes fürstlichen Gefühls«. 180 Auch der nicht in landesherrlicher Stellung befindliche »sogenannte Adel« bestehe inzwischen überwiegend aus »gründlich armen und verschuldeten Männern, die weit entfernt ihre Ehre in der Unabhängigkeit zu suchen, Schranzendienste bei den kleinen und großen Fürsten tun, und sich für eine Gesinnung bezahlen lassen, die Loyalität heißen könnte, wenn sie nicht so vorteilhaft wäre« – bloße Parasiten, die sich daran gewöhnt hätten, ihre Nahrung aus den Stämmen zu saugen, an denen sie sich emporranken.181

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Um den Rest der Gesellschaft stand es nicht besser. Die unteren und mittleren Klassen fand Lagarde »in grauenhafte[r] Überhebung« begriffen, die Geistlichen aller Konfessionen bloße »Maden, welche die Farbe der sie fütternden Frucht annahmen«, die Jugend dem Zeitgemäßen zu- und dem Ewigen abgewandt.182 Insgesamt erschien ihm »das 1870 vorhandene Kapital unsres geistigen Lebens […] durch die letzte Periode unsrer Geschichte nahezu aufgebraucht, und wir stehn vor dem Bankerotte.«183 Mehr noch: das Land sei »in der vollsten Desorganisation«, ja eigentlich schon »mitten im Bürgerkriege«.184 Aus dieser Lage konnte letztlich nur der Zufall retten – der historische Glücksfall, daß die Regierungsmacht an eine Person gelangte, die entschlossen nach der Souveränität griff. Das mußte nicht unbedingt ein legitimer Herrscher sein, wie die Reverenz gegenüber Cromwell bezeugt.185 Es konnte aber auch eine legitime Regierung sein, erwog Lagarde doch die Möglichkeit, im Falle einer derart tiefen Krise der Institutionen, wie sie seit 1848 in Deutschland und Mitteleuropa endemisch war, die Regierung zu ermächtigen, »gegen die Stände in Urwahlen Mann für Mann zu befragen«. Das allgemeine Stimmrecht sei zwar durchaus ungeeignet für die parlamentarische Führerauslese, doch könne man darauf zurückgreifen, »sowie es sich darum handelt, in aufgeregten Zeiten eine Regierung, der man Zutrauen schenkt, gegen die zur Würdigung großer Ideen unfähige Fachgelehrsamkeit zu unterstützen.«186 Mit Max Weber kann man darin einen Schritt in Richtung der »plebiszitären Herrschaft« sehen, eines »Übergangstypus«, welcher seinem »genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft [ist], die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt.«187 Unter den »durchgreifende[n] Maßregeln«, die sich Lagarde von einer derartigen Ermächtigung erhoffte188, verdienen drei eine genauere Betrachtung: die Trennung von Staat und Gesellschaft, die »Reorganisation des Adels« und, in enger Verbindung damit, die Reorganisation der staatlichen Verhältnisse Mittel- und Osteuropas. In einem wenig beachteten Text, der im Februar 1890 abgeschlossen wurde189, ging Lagarde auf die damalige Debatte über den »Staatssozialismus« ein, die sich an der Verstaatlichung der Eisenbahnen, der Post und des Telegraphenwesens festmachte. Er bejahte diese Maßnahmen nicht nur, ging vielmehr noch einen

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Schritt weiter, indem er ihre Ausdehnung auch auf das Bank- und Kreditwesen verlangte. Das aber zielte gerade nicht auf eine Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft, wie sie der als »Königskerzentee« abqualifizierte »Staatssozialismus« forderte190, sondern genau umgekehrt auf deren Vertiefung. Sobald nämlich »der Verkehr mit dem Gelde verstaatlicht« sei, höre »die Notwendigkeit Staatssteuern zu erheben mit Einem Schlage auf. Denn die Gesamtheit genießt dann die Prozente, welche jetzt die Banken und Bänkchen genießen. Sowie es geschehen ist, hört Israel auf zu schaden. Denn Israel existiert überhaupt nur noch durch das Geld. Sowie es geschehen ist, hört das Luxusleben und der Philosemitismus der fälschlich sogenannten höheren Stände auf. Denn jenes wie dieser rührt nur davon her, daß sich die höheren Stände an dem Geldverkehre als Verdienende beteiligen.«191 Der Staat könne sich auf diese Weise selbst finanzieren und sich aus Wirtschaft und Gesellschaft zurückziehen, die damit ihren eigenen Gesetzen überlassen würden. Sei dies erreicht, käme auch der Liberalismus zu seinem Recht, den Lagarde, trotz aller Kritik, keineswegs gänzlich ausgeschaltet sehen wollte.192 Der folgende Satz jedenfalls dürfte jedem neoliberalen Verfechter des Minimalstaates aus dem Herzen gesprochen sein: »Wir wollen so wenig wie möglich Staat, weil der Mann selbst sein soll, sich selbst helfen, und nicht nach dem Polizisten und dem großen Beutel der Steuerzahler schreien wird, dafür aber auch die Ellenbogen frei zu bekommen verlangen darf.«193 Was den Adel angeht, so verstand Lagarde ihn, im graden Gegensatz zum historischen Konservatismus, nicht als gegeben, schienen ihm seine traurigen Rudimente doch weder über ein hinreichendes Besitztum noch über ein Erbcharisma zu verfügen. Aufgabe des Königs war es deshalb, ihn herzustellen, nicht mehr im herkömmlichen Sinne »als die Gemeinschaft der vornehm Geborenen, sondern als die Gemeinschaft aller Familien, welche die Familie und deren Leben als die Grundlage des Lebens der Nation ansehen und erhalten wollen«; nicht mehr als Stand, in dem sich, in den Worten Max Webers, »die eigenberechtigten Besitzer militärischer oder für die Verwaltung wichtiger sachlicher Betriebsmittel oder persönlicher Herrengewalten« zusammenfanden194, vielmehr als »Korporation, welche Rechte nur insoweit besitzt, als sie Rechte zur Ausübung ihrer Pflichten bedarf.«195 Wie die englische Gentry, die dafür das Vorbild abgab196, sollte diese Korporation in sozialer Hinsicht

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partiell offen sein, d. h. neben den bisher zum Adel gehörenden Personen auch alle »in unmittelbarem oder mittelbarem Dienste eines deutschen Staates oder des Deutschen Reiches« Stehenden aufnehmen. 197 In wirtschaftlicher Beziehung seien ihre Mitglieder soweit selbständig zu stellen, daß sie ohne königliche Patronage existieren konnten, in politischer Beziehung sollten sie lokale Ehrenämter verwalten und über verschiedene intermediäre Instanzen (Provinzialstände, Landtag) an der gesetzgebenden Gewalt partizipieren und über die »Finanzierung der Staatsmaschinerie« mit entscheiden.198 Mit diesen Vorschlägen knüpfte Lagarde zwar insofern an Bestehendes an, als er den gesamten bisherigen Adel in die zu schaffende Gentry inkorporieren wollte. Zugleich aber nahm er ihm gegenüber eine Haltung ein, die an die Praktiken Napoleons I. erinnerte, der nach Opportunitätsgesichtspunkten Herrschaftsrechte kassiert und neu verteilt hatte. Irgendwelche hochfürstlichen Erbrechte erkannte Lagarde nicht an.199 Angestammte Dynastien, deren es in den deutschen Staaten nach seiner Ansicht ohnehin viel zu viele gab, sollten ›verpflanzt‹ werden, vorzugsweise nach Südosten, außerhalb des aktuellen Reichsgebietes.200 Eines der ältesten Geschlechter, das Haus Wettin, sollte gar veranlaßt werden, seine deutschen Besitzungen an Preußen abzutreten und die Herrschaft über ein – allerdings erst durch einen Krieg gegen Rußland herzustellendes – Polen übernehmen.201 Mochte durch solche Umtopfungsmaßnahmen auch »die Sentimentalität einen harten Stoß« erleiden202, so waren sie doch nicht zu vermeiden, wenn anders der Adel nicht seine Stellung einbüßen sollte. Und warum sollten nicht auch seine Mitglieder die Wohnung wechseln, wie es bei den Bürgerlichen ohnehin Standard war? »Legitim ist der Besitz dieser Familien so gut wie nirgends: sie haben nach Kräften an sich gerafft, was nicht ihr Eigen war. Die mediatisierten Fürsten sind völlig so legitim, wie die durch allerhand Künste und Verbindungen auf ihren Thrönchen gebliebenen, und mit fremdem Eigentume weniger belastet als diese: die verschluckten Bistümer und Reichsabteien völlig so legitim, wie die Herzogtümer und Königreiche, durch welche jene verschluckt sind. […] Haben die Hohenzollern ihre fränkischen Erblande aufgeben müssen, so können auch Familien, die an Wert nicht im entferntesten an die Familie des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm des

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Ersten und Friedrich des Zweiten reichen, um des allgemeinen Besten willen ausziehen.«203

Der Adel hatte sich in dieses Schicksal zu fügen, weil er sich nur so als herrschender Stand halten ließ. Er hatte es aber auch deshalb, weil ihm die nationale Aufgabe oblag, als »Führer des ver sacrum« zu fungieren, für Mitteleuropa das zu sein, »was die Pilgerväter für Nordamerika waren«.204 Denn Mitteleuropa hatte nicht nur zu viele Adlige, die zu versorgen waren, es hatte auch zu viele Bauern, zu viele Arme und Waisen, die von öffentlicher Unterstützung lebten oder in Massen auswanderten. Anstatt weiterhin tatenlos zuzusehen, wie Deutschland substantielle »Säfteverluste« erlitt, sollten die Einzelstaaten die Auswanderung organisieren und dorthin lenken, wo sie der Nation am meisten nutzen würden: »nach Istrien, nach den slowakischen und magyarischen Teilen Ungarns, nach Böhmen und Galizien, nach den polnischen Strichen Schlesiens und nach Posen«.205 Auf diese Weise ließen sich nicht nur das Bevölkerungsproblem und die damit zusammenhängende soziale Frage lösen, auch der Fehler der kleindeutschen Staatsgründung von 1866/1871 – in Lagardes Augen: ein »Unding«, »der größte politische Fehler unseres Jahrhunderts«206  – könne dadurch korrigiert werden, obschon erst auf längere Sicht. Das aus dem Deutschen Bund gedrängte und dadurch geschwächte Österreich erhielte durch die Einwanderung eine Auffrischung seiner »herrschenden Rasse« und werde im Maße seiner »Germanisierung« ein wertvoller Bundesgenosse im bevorstehenden Kampf mit Rußland.207 Mit seiner Hilfe werde es möglich sein, die Grenze des Deutschtums, des »großen Germanien«, nicht nur zu verteidigen, sondern »um einige fünfzig Meilen nach Mittelasien« zu verschieben; darüber hinaus könne man die Abtretung genügend großer Gebiete am Schwarzen Meer erzwingen, um »von da aus unsere Bettler und Bauern in Kleinasien« anzusiedeln.208 Lagardes nationalreligiöser Fundamentalismus mochte sich in vielem von Constantin Frantz unterscheiden. In der Überzeugung, daß »das jetzige Deutsche Reich nur eine Episode« sei209, die von anderen staatlichen Ordnungen abgelöst werden müsse, bestand Einigkeit, auch wenn Lagarde nach 1871 von seiner noch 1853 vertretenen Trias-Lösung auf eine Erbverbrüderung von Deutschland und Österreich umschaltete, deren letztes Ergebnis nur »ein einziges Reich« sein könne, das »Reich des doppelköpfigen Adlers«,

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»dessen Grenzen im Westen von Luxemburg bis Belfort, im Osten von Memel bis zum alten Gotenlande am Schwarzen Meer zu gehn, im Süden jedenfalls Triest einzuschließen haben, und das Kleinasien für künftiges Bedürfnis gegen männiglich freihält.«210 Für Lagarde, soviel sollte deutlich geworden sein, stand die alteuropäische societas civilis in nahezu jeder ihrer tragenden Säulen zur Disposition. Der König: ein Vertrauensmann der Nation, dem eben dieses Vertrauen aber auch wieder entzogen werden konnte; die Nation eine Größe, die »nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft« lebte, mithin utopischer Qualität war211; der Adel eine virtuelle Gentry, die aber nicht, wie das englische Vorbild, auf eigener Grundlage ruhen, sondern fungibel sein sollte wie die Mandarine im alten China; der Rest der Bevölkerung, wenn nicht in toto disponibel, so doch in einzelnen Gruppen wie den Juden verschiebbar  – Objekt einer Politik, von der Lagarde signalisiert, sie könne durchaus »etwas assyrisch« ausfallen.212 Dies alles entsprach einem Weltbild, dessen Zentrum der moderne Souveränitätsgedanke war, wie ihn Calvin in die Theologie, Bodin in die Staatsrechtslehre eingeführt hatte.213 Fehlte nur: ein wirklicher Souverän. »Wir haben zurzeit«, mußte Lagarde einräumen, »in Preußen eine Regierung nicht: wir haben Beamte eines unpersönlichen, durch die Not zustande gebrachten Staats. Wir haben eine Volksvertretung nicht: wir haben eine zum Reden und Stimmen veranlaßte, nicht regierungsfähige Sammlung von liberalen Velleitäten und von Versteinerungen einer verschämten oder unverschämten Reaktion.«214 Und da auch die Krone versagte, war es mit der Souveränität nicht weit her. War es schon ein Ritt über den Bodensee, den Konservatismus ausgerechnet unter Berufung auf ein Prinzip neu begründen zu wollen, das diesem antagonistisch war wie kein anderes, so fehlte selbst dazu – das Pferd. Der »Gründungsschwindel«, über den Lagarde sich wie so viele seiner Zeitgenossen erregte, er lag letztlich auch diesem »radikalen Konservativismus« zugrunde.

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7. Ironischer Konservatismus I: Julius Langbehn

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uf Lagarde pflegt in den großen Erzählungen vom Verfall des deutschen Konservatismus unweigerlich Langbehn zu folgen, dessen Werk Rembrandt als Erzieher bis heute als »eine Art Repräsentationsschrift für die sich ausbildende kulturkritische Mentalität an der Schwelle zum 20. Jahrhundert« gelesen wird, von der eine gerade Linie zu den »Ideen von 1914« und den Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 führe.1 Aber schon Lagardes nationalreligiöser Fundamentalismus fällt aus der Tradition des Konservatismus heraus, und dies gilt, wenngleich auf andere Weise, auch für Langbehn und Thomas Mann. Beide mögen sich zwar explizit dem Konservatismus zugeordnet haben, doch sollte man dabei nicht das Attribut »ironisch« überlesen, mit dem Thomas Mann dieses Substantiv versehen hat.2 In ihm manifestiert sich das vermehrt im Fin de siècle auftretende Bestreben, den Konservatismus von der ästhetischen Sphäre her neu zu begründen3, ein Unternehmen, welches freilich insofern paradox war, als es ausgerechnet das dem Konservatismus strikt entgegengesetzte Prinzip der modernen Souveränität in Anspruch nahm und mit Geltungsansprüchen gegenüber der Politik ausstattete, unter deutlicher Abschwächung der bei Lagarde so ausgeprägten, religiös bedingten Weltablehnung. Hegel hat eine derartige Tendenz schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der ›romantischen Kunstform‹ ausgemacht, in der sich die »Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität« gefaßt habe, »für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann«; und er hat damit zugleich auf die doppelte Form verwiesen, in der sich diese ›ironische‹ Virtuosität auch über die Romantik hinaus manifestiert hat: als die Fähigkeit, »von allem, was es sei, abstrahieren zu können, und ebenso sich selbst bestimmen, jeden Inhalt durch sich in sich setzen zu können«.4 Hermann Schmitz und, an ihn anknüpfend, Michael Großheim, haben diese Bestimmung aufgenommen und zwei Modi der Ironie unterschieden, je nachdem, auf welchen der beiden von Hegel beschriebenen

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Fähigkeiten der Akzent liegt. Dominiert die Abstraktion, der Rückzug, das Sich-Distanzieren-von, hat man es mit »rezessiver Ironie« zu tun. Schiebt sich das Setzen von Inhalten, das Sich-Entwerfen, das Spiel mit verschiedenen Standpunkten in den Vordergrund, liegt »produktive Ironie« vor.5 Thomas Mann und sein Bruder Heinrich haben, wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird, auf die letztere gesetzt. Für die erstere ist der »Rembrandtdeutsche« ein gutes Beispiel.6

I. Rembrandt als Erzieher erschien 1890 und erzielte sogleich große Aufmerksamkeit.7 Da es anstelle des Verfassernamens nur die Angabe »Von einem Deutschen« enthielt, vermuteten viele, es handele sich um ein Werk Friedrich Nietzsches.8 Aber das war ein oberflächliches Urteil, das weder von einer Kenntnis Nietzsches noch von einer näheren Bekanntschaft mit dem neuen Buch zeugte, als dessen Verfasser sich bald der Name August Julius Langbehn (1851–1907) herumsprach. Denn was immer es mit dem viel beschworenen Verhältnis Nietzsches zur »konservativen Revolution« auf sich haben mag9, seine Einstellung zum Konservatismus war unzweideutig. Die »Conservativen aller Zeiten«, die sich auf Tradition, Sitte oder das Recht der Gewohnheit beriefen, waren für ihn unehrlich, bloße »Hinzu-Lügner«, die sich darin gefielen, »die Gründe und die Absichten hinter der Gewohnheit« hinzuzufügen, was immer erst dann geschehe, »wenn Einige anfangen, die Gewohnheit zu bestreiten und nach Gründen und Absichten zu fragen.«10 Langbehn dagegen plazierte seinen Helden von Anfang an »in dem konservativsten Theile Deutschlands, in Niederdeutschland«, und ließ nicht im Zweifel, worum es ihm ging: um »konservative Politik«.11 Genau so wird das Buch seither verstanden: als »Bibel des deutschen Konservatismus«12, als »eigenwillig ›konservative‹ Reaktion« auf die Durchsetzung der Marktvergesellschaftung13 oder doch wenigstens als Auftakt zur »fällige[n] Neuorientierung des Konservatismus«.14 Aus der Sicht von Karl Mannheim lassen sich dafür durchaus Argumente mobilisieren. Typisch konservativ wäre danach Langbehns häufige Rede von der »Wiedergeburt« (S. 159), die für ein Zeiterleben steht, das die Gegenwart wie die Zukunft

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als Wiederkehr einer Vergangenheit auffaßt.15 Ebenso typisch erscheint, daß Langbehn einerseits Wahrung der Kontinuität anmahnt, andererseits aber davor warnt, Traditionen ungeprüft weiterzuführen. Das entspricht der Bestimmung Mannheims, wonach Konservatismus nicht einfach als Traditionalismus , als Festhalten am Gewohnten und Althergebrachten zu verstehen ist, sondern ein »Reflexivwerden des Traditionalismus« beinhaltet, ein sinnhaftes Handeln, das sich an einem objektiv vorhandenen geistigen und sozialen Strukturzusammenhang orientiert und von ihm ausgehend Elemente der Tradition auswählt und zu einem bewußt konstruierten Weltbild synthetisiert.16 Vielleicht das markanteste Indiz für Konservatismus ist das Eintreten für das »aristokratische und individualistische Prinzip der Abstufung« (S. 124). Das schließt Ungleichheit der Stände, Korporationen und Individuen ebenso ein (S. 150) wie die Tradierung dieser Ungleichheit über Abstammung und Geburt: »Daß das Angeborne höher steht, wichtiger und in jedem Betracht bedeutender und bedeutsamer ist als das Erworbene, darf als eine geistige und künstlerische, zugleich aber auch als eine in hohem Sinn politische konservative aristokratische Wahrheit bezeichnet werden« (S. 39 f.). Sozial ist damit die Vorherrschaft des Geburtsadels postuliert, politisch die Präferenz für »Aristokratismus« anstelle von »Demokratismus«. »Ein von oben bis unten aristokratisch gegliedertes d. h. individuell in sich abgestuftes Staatswesen, mit starker monarchischer Spitze, erscheint als die einzige Lebensform, welche dem deutschen Volke nach seinem Charakter wie geschichtlichem Beruf dauernd angemessen ist« (S. 154 f.). Auch das liegt ganz auf der Linie dessen, was nach Mannheims klassischer Studie für den Altkonservatismus typisch ist, wie er sich in paradigmatischer Form in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat.17 Einer Deutung im Sinne Mannheims, wonach sich das konservative Denken in der Gegenstellung gegen das liberal-naturrechtliche Denken formiert und dabei die Konturen des »Historismus« annimmt18, steht freilich entgegen, daß Rembrandt als Erzieher sich mit ähnlicher Verve wie Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen vom Historismus abstößt.19 In der Polemik gegen einen greisenhaften Objektivismus, der sich in einer Inventarisierung der Bestände erschöpfe, klingt schon vieles von dem an, was einige Jahrzehnte später der Futurismus oder ein Ernst Jünger auf die

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Tagesordnung setzen werden.20 Geschichte und Tradition werden damit in einer Weise ausgehebelt, daß auch ein reflektierter Traditionalismus nicht mehr möglich ist. Dem entspricht der Kultus der Kindheit und der Jugend, also gerade der Lebensstadien, die der kulturellen Formung und Bildung vorausliegen. Ein weniger konservativer Gedanke als der, daß die Wiedergeburt Deutschlands Sache der Jugend, »und zwar der unverdorbenen unverbildeten unbefangenen deutschen Jugend« sei, welche alles Recht habe (S. 309), ist schwer vorstellbar. Die Feier der »deutschen Kindernatur« (S. 240) steht für rezessive Ironie, nichts sonst. Dem Rückzug aus der Geschichte entspricht eine Wendung zur Natur, wenn auch nicht derjenigen Newtons oder Darwins. Das deutsche Volk, heißt es bereits auf den ersten Seiten, sei in seiner jetzigen Bildung überreif, es leide an »Ueberkultur« und bedürfe deshalb einer Radikalkur: »das Volk muß nicht von der Natur weg-, sondern zu ihr zurückerzogen werden. Durch wen? Durch sich selbst? Und wie? Indem es auf seine eigenen Urkräfte zurückgreift« (S. 3). Zu diesen Urkräften rechnete das Buch im Gefolge panpsychistischer Konzepte die Erde und die mit ihr verbundenen, also: bäuerlichen Tätigkeiten, aus denen sich eine Affinität von »Erdgeist« und »Volksgeist« ergebe (S. 219).21 In nicht geklärtem Verhältnis dazu stand die von Auflage zu Auflage stärker werdende Betonung der »Macht des Blutes« (S. 40), der Abstammung und der Vererbung, von der gesagt wird, sie, »und nicht der Wohnsitz oder Geburtsort eines Menschen entscheidet über seine Individualität« (S. 162). Langbehn berief sich für diese Ansicht ausgerechnet auf einen Wortführer des Liberalismus wie Rudolf Virchow (S. 291), der in seinen zwischen 1874 und 1886 durchgeführten anthropometrischen Reihenuntersuchungen nachgewiesen zu haben glaubte, daß sich die deutsche Bevölkerung in zwei Urrassen – eine vor allem im Norden dominierende »blonde« und eine im Süden des Reiches vertretene »brünette« – gliedere22, im weiteren auf Alexander [von] Peez, der den blonden, hellhäutigen und blauäugigen Typus als Germanen identifizierte, als einen Adelsstamm, welcher allen Nachbarn überlegen gewesen sei und daher überall, wo er hingekommen sei, die Rolle der Aristokratie übernommen habe.23 Es sei höchste Zeit, so Langbehns Credo, »daß man neben und sogar vor den papiernen die gewachsenen Dokumente: die Haar- und Schädelformationen, den Wuchs und die Farbe, kurz die äußere sinnliche Erscheinung der Völker wie ihrer Angehörigen zur

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maßgebenden Grundlage der gesammten Geschichtsforschung macht. Eine blonde Locke kann unter Umständen ganze Folianten umwerfen« (S. 291 f.). Mit seiner These, das germanische bzw. deutsche Blut liege »ganz überwiegend der vergangenen geistigen Blüthe Südeuropa’s zu Grunde« (S. 290), nahm Langbehn die späteren Arbeiten Ludwig Woltmanns vorweg, die dies in extenso ausführten.24 Zugleich bereitete er den Boden für eine rassenideologische Aufladung ständischer bzw. schichtspezifischer Differenzen, indem er für Preußen eine ›undeutsche‹, genauer »slavische Blutbeimischung« postulierte, die im Kleinbürgertum (und hier besonders bei den »Fortschrittlern«) ihren Niederschlag gefunden habe und im Gegensatz zu den offensichtlich edleren Rassequalitäten der Junker stehe (S. 127) – eine für die letzteren nur vordergründig schmeichelhafte Aussage, da Langbehn an anderer Stelle die »kompakte Masse der reindeutschen Bevölkerung Deutschlands […] zwischen Elbe und Rhein« lokalisiert (S. 132)25 und im gleichen Atemzug eine Neukonstruktion des Adels »aus bäuerlicher Wurzel« empfiehlt, weil die vorhandene Aristokratie gewissen Mindestansprüchen an Durchbildung und Feinsinnigkeit nicht gerecht werde (S. 279, 269); wobei freilich nicht verraten wird, wie diese Eigenschaften ausgerechnet auf dem Wege einer Verbauerung zu erreichen wären. Ganz im Stil der zeitgenössischen Lehren vom psychophysischen Parallelismus wird eine Entsprechung von körperlichen und geistigen Verbindungen behauptet und eine Nähe zum Darwinismus angedeutet (S. 290, 40), freilich nicht ohne dies einige Seiten später durch den Vorwurf einzuschränken, Darwin habe das »künstlerische Element in der Natur so gut wie ganz ignorirt«, weshalb die Lehren eines Naturforschers wie Karl v. Baer höher zu schätzen seien (S. 61).26 Dieses Motiv trennt Langbehn vom Darwinismus wie vom Sozialdarwinismus, zugleich aber von einem Konservatismus, dem zumindest in Deutschland während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Rekurs auf die Geschichte wichtiger war als der auf die Natur.27 Von diesem historischen Konservatismus setzte sich Langbehn jedoch nicht nur implizit, sondern auch explizit ab. Das geschah in Ansätzen bereits im ersten Abschnitt des Buches, der Rembrandt als bürgerlichen Künstler feierte und in ihm ein Symbol nicht nur der künstlerischen, sondern auch der politischen Freiheit sah (S. 20 f.), ähnlich übrigens wie Spinoza,

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der ausdrücklich als Repräsentant des »freien weiten selbstdenkenden und selbsthandelnden Geist(es) der Niederlande« vorgestellt wurde (S. 50). Ausgearbeitet wurde dieser Gedanke im dritten Abschnitt, der »Deutsche Politik« überschrieben ist. Er enthielt eine, wie immer auch behutsame Kritik an Preußen und am preußischen Konservatismus, dem Engherzigkeit und fehlender Kontakt zur deutschen Volksseele bescheinigt wurden (S. 128, 132). Was auf den ersten Blick als Plädoyer für einen moderneren, volkstümlichen Konservatismus aussehen mag, erscheint auf den zweiten Blick jedoch in einem anderen Licht. Verlangt wurde nämlich nicht weniger als eine »Verschiebung und Vertiefung des Preußenthums nach der deutschen wie niederdeutschen Seite hin« (S. 134), wobei niederdeutsch in diesem Fall als Synonym für niederländisch und niederländisch als Synonym für Liberalismus zu lesen ist. Holland, so Langbehn, sei der Sitz eines ›gesunden Liberalismus‹, der jahrhundertelang und mit Fortune die politische wie die religiöse Freiheit Europas verteidigt habe. Auf ihn gestützt habe es »in Staat, Kunst und Handel mehr geleistet als irgend ein anderer besonderer deutscher Stamm.« Es könne daher dem künftigen Deutschland als nützlicher Wegweiser dienen. »Es zeigt den Punkt an, wo und wie sich je nach den Umständen der Konservativismus in Liberalismus oder auch dieser in jenen verwandeln kann und soll; es lehrt den Politiker von heute, diese beiden Gewichte in der Wagschale des Staates zweckmäßig zu handhaben; es führt zur wahren Freiheit – in der Politik und anderswo« (S. 141). Dies schien Langbehn um so leichter erreichbar zu sein, als ihm der liberale Geist Hollands nur als eine Ausformung des niederdeutschen Geistes galt, der seine direkte Analogie in »jene(r) echt deutsche(n) Art von Liberalismus« habe, wie sie mutatis mutandis auch Uhland oder Dahlmann vertraten28, Repräsentanten des Rechtsliberalismus in der Revolution von 1848. Langbehn ließ sich zwar nicht herbei, diesen nachträglich historisch recht zu geben, da er die Gründung des Deutschen Reiches durch »Konservative« wie Bismarck und Moltke für eine Notwendigkeit und eine Errungenschaft hielt, an der festzuhalten sei. Gleichwohl dürfe Deutschland nicht bei Bismarck stehenbleiben, es müsse weiter fortschreiten und das bisher Erreichte »mit einem weiteren Ringe der Entwickelung, mit dem liberal angelegten Holländerthum, umschließen«. Die staatsordnende und volksbildende Tätigkeit, welche einst der aufgeklärte

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Despotismus ausgeübt habe, falle jetzt dem »abgeklärten Liberalismus« zu, denn: »Konservativ angelegte Völker sollten liberal regiert werden und liberal angelegte Völker sollten konservativ regiert werden«. Dies gelte in der Außenpolitik, für die Langbehn eine Orientierung an Ländern wie Holland, England und der Schweiz empfahl, bis hin zu dem vermutlich scherzhaft gemeinten, aber nichtsdestoweniger aufschlußreichen Vorschlag, Deutschland möge der Annexionsfurcht der Holländer ein Ende machen, indem es sich von ihnen annektieren ließe. Es gelte aber auch in der Innenpolitik, die in einem konservativ-liberalen Sinne auszurichten sei. Das eingangs angeführte Votum für eine Verfassungsrevision in Richtung Aristokratismus erweist sich von hier aus als alles andere denn Restauration. »Die schönen Künste wurden bei den Alten als artes liberales bezeichnet; eine künstlerische Politik kann nur eine aristokratische Politik sein; und diese wird also in doppeltem Sinn eine liberale Politik sein. Die angenehmste, die schönste, die beste politische Perspektive, welche sich dem Deutschen eröffnen kann, ist die auf einen liberalen Aristokratismus« (S. 151). Die von Rembrandt als Erzieher aufgewiesene politische Perspektive ließe sich damit in einer ersten Annäherung als die einer konservativ-liberalen charakterisieren, die mehr sein wollte als ein bloß taktisches Bündnis, wie es etwa im Kartell von 1887 vorlag. Anvisiert war vielmehr eine echte Verschmelzung durch wechselseitige Korrektur: »Aristokratismus und Liberalismus, in der rechten Form, heben gegenseitig ihre Fehler auf« (S. 141).

II. Eine derartige Verschmelzung ist nun allerdings mit den begrifflichen Mitteln der Wissenssoziologie Mannheims nicht angemessen zu erfassen. Denn Mannheim zieht die politische Freiheit, in der Langbehn mit Recht ein essentielles Merkmal des Liberalismus sieht, in den Konservatismusbegriff hinein, mit der Folge, daß das, was in Wirklichkeit eine Permutation ist, lediglich als Schwerpunktverlagerung innerhalb des Konservatismus erscheint. Auf der anderen Seite verengt er den Liberalismus auf dessen »revolutionär-egalitäre« Erscheinungsform und coupiert ihn damit um genau jene nicht-egalitären Manifestationen, wie sie zumal für den früh-

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bürgerlichen Liberalismus – von der ›niederländischen Freiheit‹ über den possessive individualism des 17. Jahrhunderts bis zur Casino-Fraktion der Paulskirche – charakteristisch sind.29 Der Sache näher kommt man mit Kondylis, in dessen Darstellung der Konservatismus wohl sein Profil im Kampf zunächst gegen den Absolutismus, später gegen die liberale bzw. demokratische Revolution ausbildet, jedoch in dieser Auseinandersetzung so viele Elemente seines Widerparts in sich aufnimmt, daß er schließlich seines spezifischen historischen Gehalts verlustig geht und mit jenen Manifestationen des Liberalismus zusammenfällt, die ihm wegen ihres nichtegalitären Charakters noch am nächsten stehen.30 Zumal die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, mithin auch die Zeit des Rembrandtdeutschen, ist nach Kondylis durch vielfältige Austausch- und Angleichungsprozesse zwischen Konservatismus und Liberalismus geprägt, in deren Gefolge der erstere liberaler und der letztere konservativer wird, so daß es immer schwieriger wird, eindeutige Zuordnungen vorzunehmen. Schwieriger, aber nicht unmöglich. Denn innerhalb dieser eigentümlichen Gemengelage von konservativen und liberalen Motiven setzt sich nach Kondylis doch eine gewisser Trend durch, der seine Dynamik aus dem unaufhaltsamen Niedergang der vormodernen societas civilis einerseits, der immer klareren Konturierung der modernen, durch den Dualismus von Staat und Gesellschaft gekennzeichneten Ordnung andererseits bezieht. Die für diese Ordnung charakteristische umfassende Mobilisierung zeigt sich auf ideologisch-weltanschaulicher Ebene im Nachlassen des typisch konservativen Widerstands »gegen den sich revolutionär auswirkenden Voluntarismus und den Glauben an die Machbarkeit der Dinge«31 und einem allmählichen Einschwenken auf eben diesen Voluntarismus, wie er sich sozial und wirtschaftlich im Leistungs- und Elitedenken, staatsrechtlich in der Souveränitätsdoktrin, politisch im Kult der großen Persönlichkeit in einzelmenschlicher wie kollektiver Gestalt und kulturell im Ästhetizismus manifestiert.32 Je ausgeprägter diese Züge, desto größer die Distanz zum historischen Konservatismus, der sich gerade in der Abwehr gegen sie konstituiert hat; desto größer andererseits die Nähe zum spezifisch modernen »Könnensbewußtsein« (Christian Meier), wie es dem Liberalismus, der sozialen Demokratie und dem Sozialismus zugrunde liegt, bald aber auch von deren Negation übernommen wird, die

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die politische Nachfolge des Konservatismus antritt: der modernen Rechten. Sieht man vom Ästhetizismus ab, über den gleich noch zu reden sein wird, so ist damit der Ort bezeichnet, an dem auch Rembrandt als Erzieher zu plazieren ist. Mit der vormodernen Rechten teilt die moderne, mit Norberto Bobbio zu reden, die Verdammung der gesellschaftlichen Gleichheit und die Präferenz für Ungleichheit.33 »Gleichheit«, heißt es bei Langbehn, »ist Tod, Gliederung ist Leben« (S. 150). Die angestrebte Gliederung ist jedoch nicht mehr die alteuropäische societas civilis, sondern ein Effekt der modernen bürgerlichen Markt- und Leistungsgesellschaft. In Langbehns Buch stehen hierfür die kolonisatorischen und handelspolitischen Leistungen Hollands und Englands, denen auf preußisch-deutscher Seite die militärischen Erfolge der Einigungskriege entsprechen. Ein anderer in diese Richtung weisender Gedanke ist die Vorstellung, es gebe neben der Geburtsaristokratie auch eine Aristokratie im weiteren Sinne, die aus dem künstlerischen Schöpfertum erwachse (S. 40) – eine Auffassung, die darauf hinausläuft, die geburtsständische Hierarchie zu unterminieren. Schöpfertum mag Gnade sein, aber auch die Gnade muß sich in Produktion erweisen, so daß es letztlich Arbeit und Leistung sind, durch die sich die Herrschaft der Besten legitimiert. Den Staat deutet Langbehn als das »modernste[n] aller Kunstwerke« (S. 146), womit er nicht nur eine bekannte These aus Burckhardts Renaissancebuch wiederholt, sondern zugleich der modernen Souveränitätstheorie Tribut zollt, denn das Kunstwerk setzt auch in politicis Autonomie, Selbstherrschaft voraus, wie dies der Souveränitätsbegriff impliziert. Langbehn geht einmal sogar so weit, die politisch-staatliche Souveränität zur Conditio sine qua non aller großen Kunst zu erklären. Ein Werk wie dasjenige Rembrandts habe nur da gedeihen können, »wo politische und menschliche Selbständigkeit zu ihrer vollen und freien Entfaltung gelangt sind«. Man könne daher durchaus sagen, »daß Wilhelm von Oranien die Bilder Rembrandt’s gemalt habe« (S. 117). Wenn eine ähnliche Entwicklung trotz gleicher Voraussetzungen in Deutschland nach 1870 ausgeblieben sei, so liege dies vor allem an der »übertriebene[n] Anwendung des preußischen Reglementir- und Kommandogeistes im bürgerlichen Leben« (S. 118). Mit Wilhelm von Oranien ist auch bereits der Kult der großen Persönlichkeit berührt, der den gesamten Text durchzieht – wie denn auch an-

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ders bei einem Buch, das Rembrandt als Erzieher überschrieben ist. Was Langbehn behauptet, ist die Machbarkeit politischer wie künstlerischer Blüteperioden  – durch erfolgreiche Kriegführung einerseits, durch eine Erziehung und Hebung des Volkstums andererseits, »welche ein Volk sich selbst durch seine großen Männer angedeihen läßt« (S. 286). Goethe, Bismarck, Moltke werden als deutsche Helden gepriesen, die »durch ihre aristokratische Erscheinung dem Massendasein der Deutschen einen inneren Halt gegeben« (S. 267 f.) und eine institutionelle Grundlage geschaffen haben, auf der sich weiter bauen läßt. Am Horizont taucht auch bereits Wilhelm II. als künftiger Hoffnungsträger auf, der verspreche, »eine Figur von Shakespeare’scher Pracht und Größe der Erscheinung zu werden« (S. 269), womit vermutlich nicht Falstaff gemeint ist. Daß damit ein dynastischer Herrscher auf gleicher Höhe mit Künstlern, Staatsmännern und Militärs erscheint, macht deutlich, wie weit dieses Denken sich von allem konservativen Legitimismus entfernt und bonapartistischen Mustern angenähert hat. Der Kult gilt der Persönlichkeit als solcher, unabhängig von dem Inhalt, für den sie steht34 – womit sich Langbehn ironischerweise als Mitglied eben jener Philologenzunft erweist, die zu geißeln er in seinem Buch nicht müde wird. Denn »Persönlichkeit« ist eine Schlüsselvokabel vor allem der Goethebiographik des 19. Jahrhunderts und gehört zum festen Bildungsgut des bürgerlichen Kulturprotestantismus.35 Ebenfalls dazu gehört die Vorstellung, daß Persönlichkeit zu sein nicht nur einzelnen Menschen zukomme, sondern auch ganzen Kollektiven: Stämmen und Völkern (S. 88). Dies ist zwar bei Langbehn nicht nur eine Sache des Willens, sondern auch gewisser Vorgaben wie der Landesnatur, der Sprache und der Geschichte. Andererseits können die entsprechenden Anlagen auch unentwickelt bleiben oder gar verdeckt werden, wie es gerade in der Gegenwart mit ihrem Spezialismus der Fall ist. Sobald dieser überwunden sei, woran Langbehn nicht zweifelt, würden die Deutschen, dieses »künstlerisch bedeutendste aller Völker« (S. 3 f.), den Adel der Welt darstellen, die nationale Verkörperung jenes »Prinzip(s) des Individualismus«, welches das Prinzip der modernen Welt sei. »Die Deutschen haben schon jetzt die politische masterhip of the world; ihre sonstigen Anlagen befähigen sie, sich dieselbe auch geistig zu erringen; jene werden sie sich durch starke Kriegsbereitschaft erhalten und diese durch echte Kunstgesinnung erwerben« (S. 223). Das war eine Botschaft, die ebenso dem

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politischen wie dem kulturellen Nationalismus der beginnenden wilhelminischen Ära schmeichelte, was denn auch wohl den phänomenalen Erfolg des Rembrandtbuches zu einem erheblichen Teil erklären mag. Eine genauere Bestimmung dieses Nationalismus ergibt sich aus dem Rang, welcher der Kunst im Gefüge der gesellschaftlichen Handlungsfelder zugewiesen wird. Langbehn lehnte andere Handlungsfelder wie die Sphäre der Arbeit, der Technik oder der Wissenschaft nicht schlechterdings ab, wie ihm mitunter vorgehalten wird.36 Er wollte sie nicht vernichten, sondern als ›tragende Kräfte‹ nutzen, was freilich die Abwehr vermeintlich unbegründeter Ambitionen nicht ausschloß (S. 57, 75, 83, 101, 304). Angesichts des Totalitätsanspruchs zumal der mechanistischen Naturwissenschaft seiner Zeit sah sich Langbehn vor die Aufgabe gestellt, die dadurch entstandene Schieflage ausgleichen zu müssen, gewissermaßen eine Wiederherstellung des Gleichgewichts durch Verstärkung der Gegengewichte zu erreichen, ohne damit die Errungenschaften der bisherigen Entwicklung zu negieren. Das erhoffte er sich von einer größeren Anerkennung subjektiver Faktoren wie der Intuition und der Werturteile innerhalb der Sphäre der wissenschaftlichen Erkenntnis (S. 69, 76), des weiteren von der Ergänzung der sogenannten »objektiven Wissenschaft« durch eine »subjektive Wissenschaft«, die sich auf Anschauung gründen sollte, wie bspw. Goethes Farbenlehre oder die allerdings erst noch anzustrebende ›Lehre vom Kunstschaffen‹ (S. 84); endlich von einer Einbindung der Wissenschaft insgesamt in eine Art Variablenhierarchie, die von ferne an Talcott Parsons erinnert, nur daß an ihrer Spitze nicht die Kultur, sondern die Kunst steht, diese »vornehmste Institution im Reich des deutschen Geistes« (S. 41, 93). In ihrer höchsten Steigerung werde sie zur Religion und ihre Priester, die Künstler, zu den Spendern des höchsten Sakraments – der Bildung (S. 63, 199, 181). Alle Probleme, an denen Deutschland seit der Reichsgründung laboriere, ließen sich lösen, sobald »man den Begriff der Kunst, der logisch an die Spitze des menschlichen Daseins gehört, auch real an die Spitze desselben« stelle und dies auch institutionell absichere: durch »einen hohen Rath in geistigen Dingen Deutschlands, ein »Kunstorakel«, wie es im Weimar Goethes und Schillers schon einmal bestanden habe (S. 52, 249). Als Prokuratoren und wohl auch Mäzene für dieses Orakel könnten die deutschen Fürsten fungieren und auf diese Weise an kunstpolitischen Rechten gewinnen, was sie mit

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der Reichsgründung an politischen Rechten verloren hätten.37 Über den Sitz dieses Orakels ließe sich verhandeln, nur Berlin sollte es auf keinen Fall sein, da es gerade zu diesem Ort unbedingt eines Gegengewichts bedürfe (S. 251). Man könnte in all dem einen Beleg für die Neigung zum Ästhetizismus sehen, die nach Kondylis in der Niedergangsphase des Konservatismus virulent wird. Aber Ästhetizismus erschöpft sich nicht in der »Verabsolutierung der Kunst zum letzten Wert endlichen Lebens«38, er impliziert vielmehr stets auch die Zurückweisung jeder sozialen Funktion und jeder »Bestimmung durch einen gegenständlichen Vorwurf«.39 Diese schon früh von Walter Benjamin ins Spiel gebrachte Eigenschaft wird heute auch von systemtheoretischen Deutungen der ästhetischen Kommunikation hervorgehoben, die den Ästhetizismus durch die Entschiedenheit bestimmt sehen, mit der er die traditionellen Mimesispostulate beiseite schiebt und die systemexterne durch eine systemeigene Realitätskonstruktion ersetzt. Der Ästhetizismus, so definiert Gerhard Plumpe, »nutzt für Formgewinn nicht die Umwelt als Medium, d. h. Realitätskonstruktionen der Umwelt in der Umwelt, er verwendet vielmehr das Literatur- und Kunstsystem selbst als Medium für Formen und sieht daher von außersystemischen Weltkonstrukten ab.«40 Davon ist Rembrandt als Erzieher denkbar weit entfernt. Die Kunst, so die unzweideutige Botschaft des Buches, habe überall den »Schattirungen der Natur« zu folgen (S. 15), besser gesagt: sie könne gar nicht anders, sei doch jedes Kunstschaffen »eine mehr oder minder direkte, eine mehr oder minder umfangreiche, eine mehr oder minder eingehende Spiegelung der Außenwelt« (S. 100). Je schärfer ein Kunstwerk seinen Gegenstand widerspiegele, desto besser sei es; und zu diesen Gegenständen gehörten auch »die geistigen Vorstellungen der Menschheit, des Volkes, des Einzelnen« (ebd.). Von daher die Forderung an die Kunst, dem heimatlichen Boden die Reverenz zu erweisen, sich mit dem »Ewigen des Volkscharakters« zu verbinden (S. 19), sich an seine lokalen und provinzialen Erscheinungsformen zu halten und eine entsprechende Aufmerksamkeit für Regionalsprache und Dialekt zu entwickeln, kurzum: volkstümlich zu werden; wobei volkstümlich bei Langbehn sozial gesehen identisch ist mit dem Erwartungshorizont des Bauern- und Bürgertums. »Auf Bauernthum d. h. auf Volksthum im besten und einfachsten Sinne wird

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sich das neue deutsche Kunstleben zu gründen haben« (S. 195), heißt es einmal, und ein andermal, bezogen auf Rembrandt: »Von ihm kann die Kunst den Zusammenhang mit dem Volk, mit dem Mittelstande wieder lernen, den sie jetzt in Folge ihrer Kostümliebhabereien und ihres sonstigen Archaisirens verloren hat« (S. 21). Mit deutlicher Spitze gegen den zeitgenössischen Ästhetizismus, wie er jenseits des Rheins von Huysmans und Mallarmé gepflegt wurde, dekretierte Langbehn: »Je weniger der Künstler sich äußerlich von seinen Mitbürgern unterscheidet, desto besser ist es für ihn, desto echter wird er sein; ihn als eine Art von interessantem Vagabunden, Bohème anzusehen, ist französische, nicht deutsche Auffassung. Nicht aufzufallen, ist das erste Gesetz des guten Tones; es gilt auch in Bezug auf das persönliche Verhältniß des Künstlers zur bürgerlichen Gesellschaft: je mehr er mit ihr verschmilzt, desto besser ist es für ihn und für sie« (ebd.). Vorbildlich verwirklicht erschien Langbehn dies in der Gegenwart bei Schriftstellern wie Storm und Keller, Malern wie Böcklin und Uhde (S. 19 f., 34). Daß Langbehn nicht dem Ästhetizismus zugerechnet werden kann, legt zugleich nahe, ihn auch vom ästhetischen Fundamentalismus abzugrenzen, ergibt sich dieser doch erst aus der Aufladung der im ästhetizistischen Sinne als eigengesetzlich verstandenen Kunst mit erlösungsreligiösen Motiven und deren Mobilmachung gegen die Zeitmächte der Rationalisierung und funktionalen Differenzierung.41 Gewiß hatte Langbehn manches gegen seine Zeit einzuwenden, sie war ihm zu spezialistisch und zu materialistisch, zu alexandrinisch und zu synkretistisch. Eine derart massive Absage an die Gegenwart, wie sie schon bei Richard Wagner oder bald darauf bei Hofmannsthal, Borchardt oder im George-Kreis zu lesen ist, findet sich bei Langbehn indes nirgends. Der Rembrandtdeutsche präsentierte sich als Apologet »des deutschen, des modernen, des zukunftsbeherrschenden Individualismus« (S. 54), er betonte die Fortschritte der Moderne gegenüber Antike und Mittelalter (S. 23) und argumentierte auf der Folie einer Stufenlehre, wie sie in verschiedenen Versionen das bürgerliche Geschichtsdenken vom deutschen Idealismus bis zu Comte grundiert.42 Er erklärte sich gegen jede Form des Pessimismus, der als Altersschwäche abgetan und verworfen wurde (S. 191), und erging sich statt dessen in nicht enden wollenden Elogen auf den expansiven und unternehmerischen Geist des Niederdeutschtums, dem er neben den

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Niederlanden wie selbstverständlich auch England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika zuschlug, also die großen kolonisatorischen Mächte der Neuzeit (S. 138, 271 u. ö.). Auf der gleichen Linie lag die Bejahung der Staatsgründung von 1870/71, das Plädoyer für eine Großmachtpolitik im Herzen Europas, ja für »planetarische Politik«, in der man mit Fug die Antizipation der deutschen Weltpolitik wilhelminischen Stils sehen kann (S. 116, 284, 222). Es erscheint von hier aus konsequent, daß Langbehn zu Wagner auch eine gewisse Distanz gehalten hat. Ein ästhetischer Fundamentalist war er ebenso wenig wie ein Ästhetizist.

III. Kein genuin Konservativer und kein wirklicher Liberaler, kein Fundamentalist und kein Ästhetizist – Langbehn entzieht sich diesen Zuordnungen. Um die Eigenart seines Projekts zu verstehen, muß man auf andere Begriffe Bezug nehmen. Unter ideengeschichtlichen Gesichtspunkten dürfte am augenfälligsten und unstrittigsten, wie schon angedeutet, die Emphase sein, mit der sich dieses Projekt in den Nationalismus der wilhelminischen Ära einschrieb, und zwar nicht so sehr in den Nationalismus der gebildeten und besitzenden Oberschichten, wie er etwa in der borussozentrischen Geschichtsschreibung à la Droysen und Treitschke oder in der Programmatik der Alldeutschen zum Ausdruck kam43, als vielmehr in den von Geoff Eley und anderen beschriebenen populistischen Rechtsnationalismus44, der sich mit einer mittelstandsideologischen Kritik der reflexiven Modernisierung verband. Dafür steht eine Einstellung gegenüber der Moderne, die diese im Kern bejaht, sich jedoch bestimmten Konsequenzen derselben verweigert und darauf beharrt, die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik einzubetten in die »harmonischsynthetische Denkfigur«, wie sie für die erste »liberale« Moderne charakteristisch war45; steht das konstante Bemühen, die »goldene Mittellinie« zu finden, aus Disharmonie Harmonie zu erzeugen, die verselbständigten Einzelheiten wieder in ein Ganzes zu binden, das in der mit einem Dignitätsübergewicht ausgestatteten Nation lokalisiert wird (S. 243, 23). Ich habe für dieses Syndrom den Begriff des »völkischen Nationalismus« vorgeschlagen46 und sehe diese Einschätzung durch das Faktum bestätigt,

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daß das Rembrandtbuch nirgendwo mit größerem Enthusiasmus begrüßt wurde als in diesem Teil des politischen Spektrums. Am größten war die Begeisterung in Sachsen, das neben Berlin und Hessen seit Ende der 70er Jahre zu den Zentren der aufkommenden völkischantisemitischen Bewegung zählte.47 In Dresden, wo Langbehn von 1885 bis 1892 lebte, gehörten Heinrich Pudor (1865–1943) und Max Bewer (1861– 1921) zu seinen ersten Proselyten, die sich auch durch sein abweisendes Verhalten nicht davon abschrecken ließen, seine Fama zu verbreiten.48 Bruno Tanzmann (1878–1939), der spätere Gründer der Dresdner Bauernhochschule, war zwar erst zwölf Jahre alt, als Rembrandt als Erzieher erschien, bekannte aber später, durch dieses Buch sowie durch Schopenhauers Philosophie und Bartels’ Deutsche Literaturgeschichte zum Antisemiten geworden zu sein.49 Bei dem Leipziger Theodor Fritsch (1852–1933) bedurfte es solcher Anstöße nicht, da er bereits seit Anfang der 80er Jahre zu den bekanntesten judenfeindlichen Publizisten zählte, doch war ihm Langbehns Buch ebenfalls aus der Seele gesprochen.50 Die Deutsch-Sozialen Blätter, die Fritsch für die völkisch-antisemitische Deutsch-Soziale Partei herausgab, brachten 1890 unter der Überschrift »Neue SensationsSchriften« über fünf Folgen hinweg eine Blütenlese aus Langbehns Buch, an dem Fritsch lediglich die aus seiner Sicht unbefriedigende Behandlung der »Juden-Frage« monierte.51 In der letzten Folge vom 15. 6. 1890 kam Fritsch zu dem Ergebnis, es handele sich trotz dieser kleinen Schwäche um einen hervorragenden Geistesschatz, »ein Stück Offenbarung echt deutschen Sinnes«, das gleichsam das Arbeitsprogramm des deutschen Volkes für die nächsten fünfzig Jahre enthalte. »Unserer jungen Partei kommt die Schrift wie gerufen. Sie ist in allem Hauptsächlichen in unserem Geiste geschrieben und sie wird uns ein mächtiger Hebel zu unseren Zielen sein: zur Erweckung und Läuterung unseres Volkstums. Denn – so sehr es den oberflächlichen Blick hie und da täuschen mag: das Buch ist erz-antisemitisch und kern-deutschsozial.« Tatsächlich enthielt sich Langbehn in der ersten Fassung seines Buches noch weitgehend judenfeindlicher Ressentiments, ja er würdigte sogar das orthodoxe Judentum als den »ältesten Adel der Welt«, der »unverkennbar etwas Vornehmes an sich« habe (S. 41). Unter dem Einfluß seiner Dresdner Entourage und wohl auch, um Fritschs Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, schlug er von Auflage zu Auflage zu-

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nehmend antisemitische Töne an.52 Auch hielt er es nicht für nötig, sich von dem 1892 erschienenen Buch Der Rembrandtdeutsche zu distanzieren, das sich als Verteidigungsschrift für Rembrandt als Erzieher präsentierte und deshalb dessen Verfasser zugeschrieben wurde, obwohl mit einiger Sicherheit Max Bewer der Autor war.53 Während Fritsch noch offen ließ, ob die ›Ausscheidung der jüdischen Rasse aus dem Völkerleben‹ im Wege der Re-Ghettoisierung oder der Vertreibung zu bewerkstelligen sei54, faßte Der Rembrandtdeutsche neben diesen Möglichkeiten noch eine weitere ins Auge: sich ihrer durch ein »Blutbad« zu entledigen, sie wie im Mittelalter zu verbrennen. »Gegen ein derartiges moralisches Ungeziefer giebt es allerdings kein anderes Mittel als Verbrennen. Dieses Verfahren ist streng aber gerecht.«55 Das kam offenbar auch in der völkischen Szene Berlins gut an, die seit dem Berliner Antisemitismusstreit von 1879/80 in rascher Entfaltung begriffen war. In der Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert wurde Der Rembrandtdeutsche zwar nur in der Rubrik »Vom Büchertisch« vorgestellt, jedoch eher in Form eines Referats als einer Besprechung. Die Passagen über die Verbrennung der Juden wurden zitiert, der Text endete mit dem Wunsch: »Hoffentlich fühlt der oder jener Leser des ›20.  Jahrhunderts‹ aus den mitgetheilten Proben Geistesverwandtschaft mit dem schneidigen Verfasser heraus und greift selber zu dem spottbilligen Buche.«56 Gezeichnet war die Rezension nur mit dem Buchstaben »L.«, ebenso wie eine im selben Heft abgedruckte Glosse gegen die Gründung des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, in der der Erfolg von Rembrandt als Erzieher als Beleg für die »Sehnsucht nach einer deutschen Cultur« interpretiert und mit der Erläuterung versehen wurde, »daß wir nicht bloß politisch Deutsche sind, sein müssen und sein wollen, sondern auch nach unserer Blutbeschaffenheit, nach unserem Körper, nach unserem Geiste und Gemüthe, nach unserer Moral, nach unseren Manieren, nach unserer Weltanschauung. Und bei diesem frischen Streben, das heute durch die deutsche Cultur geht, auf allen Gebieten ein fröhliches 1870 herbeizuführen, d. h., deutsch zu werden:  – rennen wir ganz selbstverständlich an wem an?  – an eben jenem fremden Nomadenvolke, das auf allen diesen Gebieten selbstverständlich undeutsch ist. Und dieses Anrennen nennt man – Antisemitismus.«57

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Verfasser beider Texte war Friedrich Lienhard (1865–1929), der im Frühjahr 1893 den bisherigen Herausgeber und Schriftleiter Erwin Bauer ablöste und später als Mitbegründer der »Heimatkunst« und als Herausgeber der einflußreichen Zeitschrift Der Türmer bekannt wurde.58 Was er dem »gedankentiefen ›Rembrandtdeutschen‹« an Impulsen verdankte, vermerkte er noch Jahre später, als er die Leitung des Blattes bereits an Heinrich Mann abgegeben hatte: »Ich muß bei dieser Gelegenheit bekennen, daß ich dies Buch für eines der tiefsten halte, das seit Jahrzehnten in Deutschland erschien. Von der Gedankenfülle dieses Mannes, der uns fast durchweg aus der Seele spricht, werden wir noch lange zehren. Ob ihn die Gegenwart auch nicht würdigt, die Zukunft wird ihn unter die Bahnbrecher einer neuen Zeitstimmung stellen.«59 In einem späteren Rückblick auf seine »Berliner Anfänge« stilisierte er die Lektüre nachgerade zum Erweckungserlebnis: »Ich las mit leidenschaftlichem Eifer das damals stark wirkende Buch ›Rembrandt als Erzieher‹ und suchte fortan mit ganzer Kraft, im Gegensatz zum internationalen Naturalismus, ein deutsches Ideal in meinem Dichten und Denken herauszugestalten.«60 In den 90er Jahren zählte Lienhard zum engeren Kreis um Friedrich Lange (1852–1918), der von 1890 bis 1895 die Tägliche Rundschau, dann von 1896 bis 1912 die dem Alldeutschen Verband nahestehende Deutsche Zeitung herausgab, beide in Berlin erscheinend.61 Auch Lange gehörte zu den Bewunderern des Rembrandtdeutschen, den er als Verfasser »von starker Empfindung, von außergewöhnlicher Tiefe und Weite des Geistes« würdigte und es für höchst erfreulich erklärte, daß sein Buch so oft gekauft, wenngleich bedauerlicherweise nicht immer gelesen werde.62 Daß sich dies keineswegs nur auf die von Langbehn betonte Rolle der Persönlichkeit im Nationalen beschränkte, sondern auch das antisemitische Programm einschloß, machte Lange an anderer Stelle mit der Bemerkung klar, es gelte »mit dem Genius unseres Volkes möglichst allein zu sein und zu bleiben, das asiatische Judentum also auszuscheiden oder sonst in sicherer Form unschädlich zu machen.«63 1894 gründete Lange den Deutschbund, der sich rasch zu einer Art Think Tank der völkischen Bewegung entwickelte. Auch sein Nachfolger in der Leitung dieses Bundes, Max Robert Gerstenhauer (1873–1940), bekannte später, als Gymnasiast Rembrandt als Erzieher »mit großer Freude« gelesen zu haben.64 Ein zeitgenössischer Beobachter traf den Nagel auf den Kopf, als er mit Blick auf die Reichstagswahlen von

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1893 meinte, der Inhalt des Rembrandtbuches habe seine ›Übersetzung in die parlamentarische Volkswillenssprache‹ erfahren: waren dies doch die Wahlen, bei denen die völkisch-antisemitischen Parteien aus dem Stand sechzehn Mandate eroberten.65 Das alles waren freilich Wirkungen in einem Feld, welches selbst zu betreten Langbehn sich weigerte. Man geht nicht fehl, die Ursachen dafür in jener Grundhaltung zu suchen, die eingangs als »rezessive Ironie« bestimmt wurde, als permanente Distanzierung des Subjekts von seiner Umgebung und nicht zuletzt auch von sich selbst bis hin zur Selbstvernichtung. Langbehn, der dem Künstler fortwährend das Sicheinfügen in die bürgerliche Ordnung predigte, tat selbst das genaue Gegenteil. Er wies alle Zumutungen von beruflicher, familialer, ja wohl auch sexueller Festlegung entschlossen zurück und führte das Leben eines ›ewigen Studenten‹ (Momme Nissen), in äußerster Bescheidenheit und Armut, manchmal am Rande des Hungertodes. Sein Biograph berichtet von Phasen, in denen er sich zum Stiefelknecht einfacher Handwerksburschen erniedrigte, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben. Aus der evangelischen Kirche trat er 1875 aus, seine Burschenschaft exmittierte ihn. Freundschaften brach er in der Regel nach kurzer Zeit ab und wechselte auch den Wohnsitz abrupt. Mit seinem Doktorvater überwarf er sich, die Zunft verhöhnte er, sein Doktordiplom in Kunstarchäologie schickte er in Fetzen zerrissen an die Münchner Universität zurück. Unmittelbar nach dem großen Erfolg seines Rembrandt-Buches entschloß er sich, »der Welt die Dichterseele zu zeigen, aus der das Werk sich entladen hatte«, und war tief gekränkt, als seine poetischen Leistungen auf wenig Gegenliebe stießen.66 Obwohl gierig nach Anerkennung und berstend vor Selbstgefühl67, floh er das Publikum und flüchtete gern in die Anonymität. Rembrandt als Erzieher trug ebensowenig seinen Namen wie einige spätere, gemeinsam mit Nissen verfaßte und im Kunstwart veröffentlichte Texte, die nur mit Nissen gezeichnet waren. Für die Öffentlichkeit galt er in seinen letzten Lebensjahren als verschollen, fast wie sein Generationsgenosse Rimbaud oder, eine Generation später, T. E. Lawrence. Langbehn selbst mag sich als gänzlich unironisch im landläufigen Sinne verstanden haben, bescheinigt ihm doch sein Biograph, er habe »jeden unreinen Witz, jede niedrige Lache und jede Ironie – die ihm ganz unkindlich erschien«  –, abgelehnt.68 Im hier verwendeten Sinne war er jedoch

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ein Meister der rezessiven Ironie, und dies nicht nur im Sinne der radikalen Distanzierung vom eigenen So-sein, sondern auch hinsichtlich des eng damit zusammenhängenden Bedürfnisses nach Kompensation, nach Substantialität, nach Wiederverwurzelung, das sich nicht nur, aber vor allem in der Sehnsucht nach Geborgenheit in einem stabilen, der Reflexion entzogenen Gehäuse zeigt. Langbehn widerstand diesem Bedürfnis lange und floh panikartig vor allem, was nach Festlegung aussah. Am Ende aber ereilte auch ihn das Schicksal jener Romantiker, die in reiferen Jahren in den Schoß der katholischen Kirche ein- oder zurückgekehrt waren. 1898 wandte er sich an Bischof Keppler mit der Bitte, ihm den Weg zum Glauben zu zeigen, und lieferte dazu eine Begründung, wie sie nur ein rezessiver Ironiker finden konnte: »Kind war ich immer; und gerade als solches fühle ich mich zu dem mütterlichen Charakter der katholischen Kirche hingezogen. Einst war ich ein blindes Kind, jetzt möchte ich gern ein sehendes werden. Es heißt geistig in den Mutterleib zurückkehren.«69 Im März 1900 empfing er, der einstige Lutheraner, in Rotterdam die heilige Kommunion.70

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ie für Langbehn charakteristische, aber auch bei Autoren anderer politischer Couleur zu beobachtende rezessive Ironie ist, wie oben dargelegt, nicht der einzig mögliche Modus ironischen Verhaltens. Der andere ist die produktive Ironie, in der sich, mit Dilthey zu reden, »eine schrankenlose Freiheit der Annahmen, das Spiel mit grenzenlosen Möglichkeiten« artikuliert, welche »den Geist seine Souveränität genießen [lassen] und […] ihm zugleich den Schmerz seiner Inhaltslosigkeit [geben]«.1 Das kann in einer extremen Weise geschehen, die meist nicht zu stabilen Positionen führt. In einer moderateren Ausprägung findet sich die produktive Ironie indes auch bei Autoren, die sich wohl »mit mehreren Gehirnen zu bekleiden« vermochten (Hermann Bahr), es jedoch schafften, sich durch konstante Selbststilisierung einen festen Halt zu geben.2 Im deutschen Sprachraum war Heinrich Mann einer der ersten, der die extreme Variante zeitweilig mit einer dem Anspruch nach konservativen Einstellung verbunden hat. Der moderaten Version hat sein Bruder Thomas Mann ein Denkmal gesetzt, am prägnantesten in den Betrachtungen eines Unpolitischen, die zu Recht als »ein Werk produktiver Ironie« bezeichnet worden sind.3

I. Auf die Brüder Mann im Rahmen einer Verfallsgeschichte des Konservatismus zu stoßen, mag für manche überraschend, wenn nicht gar anstößig sein. Ins Gedächtnis der Nachwelt ist Heinrich Mann als Bewunderer Émile Zolas und Anatole Frances eingegangen, als entschiedener Parteigänger der Republik und der Menschenrechte, den an der Sozialdemokratie nur störte, daß bei ihr »von Gleichheit so bedauerlich wenig die Rede wie von Freiheit« sei.4 In der Weimarer Republik und während der Emigration engagierte er sich so entschieden gegen rechts, daß ihm selbst wie auch seiner Leserschaft sein frühes Engagement auf eben dieser Seite des politischen Spektrums aus dem Gedächtnis geriet. Bei Thomas Mann

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war dies etwas schwieriger, stand er doch schon im fünften Lebensjahrzehnt, als er die Betrachtungen eines Unpolitischen schrieb, um ihnen kurz darauf sein Bekenntnis zur »konservativen Revolution« folgen zu lassen. Doch legte auch hier die wütende Polemik von rechts, deren Opfer er seit der Rede »Von deutscher Republik« (1922) war, einen mildernden Schleier, wenn nicht gar einen solchen des Vergessens, über seine Anfänge. Ihnen nachzugehen, geschieht im folgenden nicht, um einer nachträglichen und wohlfeilen Empörungsrhetorik Nahrung zu geben, sondern allein in der Absicht, die Widersprüche deutlich zu machen, in die sich jeder Versuch verstricken muß, vom Standpunkt der produktiven Ironie aus zu so etwas wie Konservatismus zu gelangen. Heinrich Mann, um mit ihm zu beginnen, war gerade 24 geworden, als ihm der Berliner Verleger Hans Lüstenöder im Frühjahr 1895 die Herausgeberschaft für Das Zwanzigste Jahrhundert anbot, einer seit Oktober 1890 bestehenden Zeitschrift, die bis September 1894 mit dem Untertitel »Deutsch-nationale Monatshefte für sociales Leben, Politik, Wissenschaft, Kunst und Literatur« erschien, seitdem als »Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt«.5 Der Wechsel im Untertitel signalisiert den Versuch, einen gewissen Abstand, zwar nicht zur Politik schlechthin, so doch zu einer allzu eindeutigen parteipolitischen Identifizierung zu gewinnen, die in den ersten Jahren des Blattes prävalierte. Der Gründer und erste Herausgeber, Dr. Erwin Bauer (1857–1901), hatte enge Bindungen zu der im Juni 1889 gegründeten »Antisemitischen deutsch-sozialen Partei«, unterstützte jedoch gleichzeitig die Konservative Partei bei der Eroberung mehrerer Wahlkreise in Sachsen.6 Sein Nachfolger im Zwanzigsten Jahrhundert, Friedrich Lienhard, ging zwar auf deutlichere Distanz zum Parteiantisemitismus und nicht zuletzt auch zur Konservativen Partei7, jedoch eher deshalb, weil ihm dies alles nicht radikal genug war. Seine Kritik an Bismarck deckte sich in vielem mit den Argumenten, die Rudolf Meyer in den 70er Jahren vorgetragen hatte8, und was den Antisemitismus betraf, so beeilte er sich, sämtliche Verschärfungen nachzuvollziehen, wie sie schon von Langbehn und mehr noch dessen Nachschreiber Max Bewer vorgenommen wurden.9 Welches immer die genauen Gründe waren – der drastische Rückgang der Abonnentenzahl von anfangs 2000 auf die Hälfte im September 1894 10 oder Lienhards wachsendes »Unbehagen wider Berlin«, das ihn immer

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wieder zum Rückzug in seine elsässische Heimat veranlaßte11: im April 1895 hielt der Verleger nicht nur einen Wechsel in der Leitung des Blattes für angebracht, sondern auch eine neue inhaltliche Ausrichtung. Wohl solle Das Zwanzigste Jahrhundert wie bisher dem »nationalen Arbeitsgebiet« Aufmerksamkeit widmen, doch wolle man »von nun ab der sozialen Frage« größere Beachtung widmen, um deren hoher Bedeutung in der Gegenwart zu entsprechen.12 Das entsprach sowohl dem von Wilhelm II . ab 1890 verkündeten, aber seither nur halbherzig verfolgten »Neuen Kurs«, als auch den Bestrebungen zur Schaffung einer »sozialmonarchischen Partei«, wie sie von verschiedenen Seiten auf die Tagesordnung gesetzt wurden, schon damals unter deutlicher Zustimmung von Heinrich Mann.13 Den sozialen Zielen entsprach das Blatt mit zahlreichen Beiträgen zu Themen wie Arbeiterschutz, Sozialreform, Handwerkerbewegung oder Erhaltung des Mittelstands. Keiner dieser Texte stammte indessen aus der Feder Heinrich Manns, und auch ihre Acquisition wird eher Sache des Verlegers gewesen sein, hielt Mann sich doch häufiger in Italien als in der Berliner Schriftleitung auf.14 Sein Hauptinteresse galt literarischen oder kulturellen Gegenständen, wie schon die Überschriften seiner insgesamt mehr als fünfzig Beiträge signalisieren: es ging um »Das Elend der Kritik«, »Bauerndichtung«, den »weiblichen Umsturz«, »Zwei Gedichtbücher«, »Ethische Kultur« oder »Weltstadt und Großstädte«.15 Und wie seine Vorgänger nahm auch Mann diese Gegenstände zum Anlaß, das »nationale Arbeitsgebiet« zu beackern. Die »Menschheit« erschien ihm als Abstraktum, als »eine Vielheit von Begriffen und Widerstreit und Verwirrung«, der man auf der Linie der neueren Völkerpsychologie die »enge Gemeinschaft« entgegenzusetzen habe, »von der Natur und den Verhältnissen gleichmäßig umschrieben«.16 Entsprechend zählte er »das Nationalprinzip […] zu jenen größten Dingen dieser Welt, gegen die man sich nicht neutral verhält«, und schrieb der eigenen Nation gemütvolle und schöpferische Qualitäten zu, die sie vor allen anderen auszeichnen sollten.17 Kaum zu unterscheiden von den Verlautbarungen eines anderen Autors aus dem Hause Lüstenöder, des Deutschbundgründers Friedrich Lange (1852–1917), war die Beschwörung der »Mission des jüngsten, und verhältnismäßig frisch und stark gebliebenen Kulturvolkes«, die Deutschland auf »Weltpolitik«, insbesondere die »Einnahme gesunder und frucht-

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barer Kolonien« verwies und schon aus diesem Grund einen kräftigen Ausbau des Militärapparates unabweisbar machte.18 Mit Lange teilte Heinrich Mann auch die Forderung nach Ausschluß all derer aus der Nation, die aus dem einen oder anderen Grund nicht zu ihr passen sollten. Das betraf jene Mitbürger, die »durch die Entartung seelisch, geistig oder körperlich dauernd leistungsunfähig geworden sind«, wie es in einer von Mann zustimmend rezensierten Schrift Alfred Damms über Die Entartung der Menschen und die Beseitigung der Entartung (1895) hieß, in der sich das Gedankengut der in den 90er Jahren aufkommenden Rassenhygienischen Bewegung niederschlug.19 Es betraf aber auch jene, die einer fremden »Rasse«, insbesondere dem als solche perzipierten Judentum zugehören sollten, war Mann doch von der »Unmöglichkeit einer Assimilierung« überzeugt.20 Das richtete sich, wie seinerzeit bei Treitschke, gegen das »hausirende und bettelnde Kleinjudenthum« in den östlichen Grenzprovinzen, mehr noch aber gegen die jüdische Bildungsschicht, weil sie dem »moralischen und wirthschaftlichen Anarchismus«, dem Materialismus und Internationalismus den Weg ebne und »mit unendlicher Betriebsamkeit« daran arbeite, »die Wurzeln unseres Volkes auszureißen, damit es für ein luftiges ›Menschenthum‹ tauglich werde«.21 Die Juden, darin folgte Heinrich Mann Conrad Alberti22, würden nicht wegen ihrer Religion verfolgt und auch nicht wegen ihres Volkstums, sie würden verfolgt, »weil sie die verkörperte Verneinung von Beidem sind«, der »sichtbare(r) Begriff alles Dessen, was zerstört und niedrig macht«: »Sie sind in mancher Beziehung unser böses Gewissen. Sie erinnern uns täglich an den Preis, der für eine mißverstandene und künstliche ›Freiheit‹, für das gewaltsame Verleugnen unseres natürlichen Ständebewußtseins, für das muthwillige Aufgeben der sozialen Zucht bezahlt werden mußte. Denn diese widernatürlichen Zustände mußten nothwendig Denen zum Vortheil ausschlagen, die in unserem Volkskörper selbst die Unnatur sind. Es handelt sich also für uns darum, die Bedingungen unserer gesunden Natur wieder voll herzustellen; die jetzt noch beunruhigenden Symptome werden alsdann von selbst verschwinden. Jeder vom nationalen und sozialen Gewissen Geleitete wird daher Antisemit sein; aber die Unterdrückung der Judenschaft bezeichnet für ihn nicht Ziel und Zweck seiner Bestrebungen, sondern nur ihre einfachste Folgeerscheinung!«23

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Über die daraus zu ziehenden praktischen Schlußfolgerungen äußerte sich Heinrich Mann unklar und widersprüchlich. Einerseits sah er jede Kultur bedroht, welche »die wilden Thiere im ›freien Spiel der Kräfte‹ duldet, anstatt sie auszurotten oder in Käfige zu sperren!«24 Der Forderung nach Ausrottung stand aber das gleichzeitig vorgebrachte Verlangen nach Unterdrückung entgegen, da man nur lebende Wesen unterdrücken kann.25 Eine Externalisierung des Problems, wie sie der Zionismus versprach, hielt Mann wiederum nicht für zweckdienlich, weil, wie es in anderem Zusammenhang hieß, am Ende nur die armen Juden auswandern würden, nicht aber die reichen, an deren »Entfernung […] doch wohl Alles gelegen [wäre]!«26 Diese Andeutungen wie auch der Schulterschluß mit prominenten Autoren der völkischen Szene legen es nahe, daß Heinrich Mann auch deren Radikalantisemitismus geteilt hat, als dessen Definitionsmerkmal die Revision der Judenemanzipation gelten kann, sei es im schwächeren Sinn einer Exklusion aus dem politischen System unter Weitergewährung der bürgerlichen Rechte, sei es im stärkeren Sinn einer Exklusion aus der Nation durch die Errichtung einer Art von Apartheid, durch Ghettoisierung oder durch Vertreibung.27 Während Heinrich Mann damit unverkennbar die von seinen Vorgängern eingeschlagene Linie fortsetzte, gelang es ihm immerhin, auf außen- und kulturpolitischem Gebiet neue Akzente zu setzen. Hatte Bauer die »Krankheit […], an welcher der deutsche Volksgeist dahingesiecht ist«, auf das Maß zurückgeführt, in welchem dieser »das Gift der Ideen der französischen Revolution eingesogen hatte«28, und war Lienhard ihm darin mit heftigen Ausfällen gegen »Franzosenthum« und »Judenthum« gefolgt29, schlug Heinrich Mann einen anderen Ton an. Zwar sparte auch er nicht mit Kritik am Nachbarstaat, doch machte er einen deutlichen Unterschied zwischen der Regierung, die seit zehn Jahren in den Händen der »internationalen Finanz«, also des Judentums, sei, und den »wahren und ehrlichen Patrioten Frankreichs«, welche national, aber nicht chauvinistisch gesonnen seien.30 Um dies zu unterstreichen, brachte er breite Auszüge aus den durchaus wohlwollend gehaltenen »Beobachtungen eines französischen Studenten in Deutschland« mit der Zielsetzung, ungeachtet der »strengen Wahrung nationaler Eigenhümlichkeiten […], die verjährten Vorurtheile hinwegzuräumen, um eine gemeinsame friedliche Kulturentwicklung zu ermöglichen«, mehr noch: »die beiden Volksseelen mit ein-

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ander auszusöhnen«.31 In einem weiteren Artikel lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Veränderungen, die das Bild von Bismarck in Frankreich erfahren habe, und wertete sie als Ausdruck eines neuen, entspannteren Verhältnisses.32 Den Jakobinern bekundete er herzliche Abneigung, lobte aber in einer Rezension zu Paul Deschanels Buch La Décentralisation die aktuell in Frankreich stattfindenden Diskussionen über einen Abbau der Verwaltungszentralisation.33 In einer weiteren Besprechung entdeckte er ebenfalls »Symptome für eine Besserung der Gesinnung, die uns von unsern westlichen Nachbarn entgegengebracht wird.«34 Sogar ein politischer Zusammenschluß mit Frankreich im Rahmen der »Vereinigten Staaten von Europa« erschien ihm denkbar, ja nötig: zunächst, um die Abwehrbereitschaft der »westlichen Kulturmächte« gegen die »namenlose[n] Masse der Barbaren« zu stärken, sodann aber auch, um angesichts der wachsenden Bevölkerung die irgendwann unumgängliche »Ausbreitung nach Osten« einzuleiten.35 Es ist richtig, Heinrich Mann kam auch in dieser Hinsicht nicht ohne den Rekurs auf die Kategorie »Blut« aus.36 Doch dementiert dies nicht den nach Westen bezeugten Verständigungswillen, der sich in diesem Punkt deutlich vom Breitbandchauvinismus Bauers und Lienhards unterscheidet.37 Diese Abweichung steht, wie bei einem Intellektuellen vom Format Heinrich Manns nicht anders zu erwarten, in engem Zusammenhang mit literarischen Präferenzen, die sich stark von denen seiner Vorgänger unterschieden. Zwar ging er mit ihnen in der Ablehnung des Naturalismus konform, doch setzte er für dessen Überwindung auf eine »neue Romantik«, die nicht mehr weltflüchtig sein sollte wie die alte Romantik. Sie sollte welt-, zeit- und naturzugewandt sein und die Kunst vor die Aufgabe stellen, »aus der bestehenden Abhängigkeit des Menschenlebens von unberechenbaren Factoren eine Tragik von möglichst intensiver Nervenwirkung herauszuziehen«.38 Das aber war nichts anderes als eine Paraphrase der Überlegungen von Lienhards Lieblingsfeind Hermann Bahr, der die Überwindung des Naturalismus durch eine »nervöse Romantik«, eine »Mystik der Nerven« propagiert und sich dabei auf Vorbilder wie Maurice Maeterlinck und vor allem Paul Bourget berufen hatte – Autoren, die zu dieser Zeit auch Heinrich Manns höchste Wertschätzung genossen.39 Bourget (1852–1935), ein »literarisches Chamäleon« (Isaac B. Singer), das in nahezu allen Gattungen brillierte, hatte als Parnassien begonnen, sich

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dann unter dem Einfluß von Taine dem Naturalismus zugewandt und sich von diesem wiederum 1889 mit Le Disciple verabschiedet, einem Roman, dessen Schlüsselfigur Adrien Sixte unverkennbar Züge Taines trug.40 Dessen Lehre von der »multiplicité du moi«, nach der das Ich nur scheinbar stabil und dauerhaft, tatsächlich aber unstet, oszillierend, ›nervös‹ ist41, blieb allerdings auch noch für den in Bourgets postnaturalistischen Romanen wie Cosmopolis (1892) entwickelten Typus des »Dilettanten« verbindlich, mit dem er vieles von dem vorwegnahm, was hundert Jahre später in der deutschen Soziologie unter dem Stichwort »Individualisierung« verhandelt wurde.42 Im Gegensatz zum üblichen, meist abwertenden Sprachgebrauch, der unter dem Dilettanten den ohne fachliche Schulung in Kunst oder Wissenschaft sich betätigenden Laien versteht, erhob Bourget den virtuosen Umgang mit gesellschaftlicher Komplexität zum zentralen Kriterium, die Fähigkeit, »die unterschiedlichen Lebensformen immer präsent zu haben, ohne sich einer speziellen hinzugeben«. Seine überentwickelte analytische Kompetenz versetze den Dilettanten in die Lage, alles zu verstehen und spielerisch die unterschiedlichsten Rollen einzunehmen, schwäche dadurch allerdings zugleich die Fähigkeit zur Entscheidung und zum Engagement, was sich negativ in der Neigung zu Skeptizismus und Zynismus äußere und im Extremfall zu Dissoziation und Selbstverlust führen könne. In der Summe überwogen die negativen Charakteristika, machte Bourget doch den Dilettantismus dafür verantwortlich, daß seine Zeitgenossen außerstande seien zu glauben und zu kämpfen, wie sich im Kriegsdebakel von 1870/71 gezeigt habe.43 Mit Michael Großheim kann man im so verstandenen Dilettantismus eine Ausdrucksform der produktiven Ironie sehen.44 Wie bei zahlreichen anderen deutschsprachigen Autoren des Fin de siècle hat die Bourget-Lektüre auch bei den Brüdern Mann einen tiefen Eindruck hinterlassen.45 Heinrich Mann schrieb schon am 23. Januar 1891 an Ludwig Ewers, er sei fast erschrocken über die Ähnlichkeit seiner »Geistes- und Gemütsverfassung mit der des ›Disciple‹ in Bourgets neuestem Werk«.46 Als er im Herbst 1893 an seinem ersten Roman In einer Familie arbeitete, lehnte er sich so eng an Bourgets Vorbild an, »daß sich das Werk fast wie eine deutsche Übersetzung eines Bourgetschen Buches liest.«47 In der Gestalt des ›Emporkömmlings‹ Erich von Wellkamp zeichnete er den Typus des Dilettanten nach, der »mit einer gleichsam halsbrecherischen

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Behendigkeit von einem seelischen Standpunkt zum genau entgegengesetzten überzuspringen gewohnt ist« und durch ein Übermaß des Verstehens einer »Krankheit des Willens« verfällt, die »zu einem vollständigen Aufgeben der Initiative« führt: »die Selbstkritik nimmt eine so virtuose Vielseitigkeit an, daß: die einfachste Entscheidung nach einer bestimmten Seite hin dem Betroffenen unmöglich wird und sein Leben sich in einer ewig schwankenden Ratlosigkeit verliert.«48 Es war folgerichtig, wenn er dem verehrten Vorbild nicht nur den Roman widmete, sondern gleich mehrere Essays darüber verfaßte. »Bourget als Kosmopolit« definierte den Dilettantismus als »die Fähigkeit zu analysiren, welche immer neue Gelegenheiten sich zu üben aufsucht, sich in die verschiedenartigsten, einander widerstreitenden Erfahrungen stürzt, um so allmählich zu der endgiltigen Gewandtheit im Sichhineinleben in fremde Seelenzustände und Bekleiden mehrerer, scheinbar einander ausschließender Naturen zu gelangen«, was in einer gestrichenen Passage anschaulich als Vereinigung des Skeptizismus mit dem naiven Glauben an astrologische Prophezeiungen vorgestellt wurde.49Auch im Zwanzigsten Jahrhundert würdigte er explizit einen »schöne[n] Aufsatz«, den Bourget über Taine geschrieben habe, und fand selbst für Taine anerkennende Worte.50 Heinrich Mann hat den Schritt, mit dem sein Romanheld Wellkamp die für den Dilettantismus typische »Krankheit des Willens« überwand, als Entschluß gedeutet, »›aufs neue‹ konservativ« zu sein, als Entscheidung für »das echte, stetig geordnete, einträchtige und in seinem unscheinbaren Frieden so inhaltsreiche Leben in einer Familie.«51 Das deckte sich mit seiner Verehrung für Barbey d’Aurevilly und dessen Verklärung der vorrevolutionären »Tradition« und unterstrich einmal mehr seine Nähe zu Bourget, an dem er »die Aufrichtigkeit seines Konservativismus« bewunderte.52 In einer Ansprache zum 60.  Geburtstag seines Bruders hat Thomas Mann dies auch für Heinrich Mann geltend gemacht und von der »konservativen Periode« in dessen Jugend gesprochen, worin ihm zahlreiche Interpreten gefolgt sind.53 Zuletzt hat der Herausgeber der frühen Essays dieses Urteil bekräftigt und den »konservativ-reaktionäre[n] Grundansatz von Heinrich Manns Publizistik in Das Zwanzigste Jahrhundert« an den dort dominierenden Ordnungsvorstellungen des Bellizismus, des Antisemitismus und der Rassenhygiene festgemacht, von denen eine direkte Linie zur »faschistische[n] Ideologie« führe.54

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Dem liegt freilich ein anderes Verständnis von Konservatismus zugrunde als in diesem Buch. Auch wenn der historische Konservatismus den Krieg als Mittel der Politik nicht ausschloß, so bewertete er ihn doch keineswegs so hoch, wie der Terminus »Bellizismus« nahelegt. Noch die Deutschkonservativen des ausgehenden Kaiserreichs bezogen gegenüber der aufkommenden »Weltpolitik« eine eher zurückhaltende und von taktischen Gesichtspunkten geprägte Position.55 Wichtiger als äußere Erfolge waren ihnen innenpolitische Ziele wie z. B. die Bewahrung der sozialen Exklusivität des Offizierskorps oder der Begrenzung des Steuerstaates, weshalb sie sich ebenso der vollen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht wie der für die weitere Aufrüstung unentbehrlichen Reichsfinanzreform widersetzten.56 In der historischen Forschung wird denn auch der die Kriegsbereitschaft einschließende Imperialismus eher mit dem Liberalismus und der bürgerlichen Nationalbewegung verbunden, ja als deren »Fortsetzung« verstanden, die »Ausdruck der von der Nationalstaatsgründung nicht befriedigten nationalbürgerlichen Bildungsschichten« und der sie unterstützenden Wirtschaftskreise gewesen sei.57 Dasselbe gilt für die Rassenhygiene, die das auf Leistung und Konkurrenz beruhende Schichtungsgefüge der modernen bürgerlichen Gesellschaft legitimierte, mithin alles andere als »konservativ« war.58 Der Antisemitismus wurde zwar von den Deutschkonservativen in die politische Agenda aufgenommen, doch muß man nur einen Blick auf die von Radikalantisemiten wie Boeckel und Ahlwardt erhobenen Parolen werfen (»Gegen Junker und Juden«), um zu erkennen, daß es sich um eine höchst ambivalente Beziehung handelte, die ebensogut gegen den Konservatismus ausschlagen konnte.59 Gewiß: wenn Heinrich Mann sich für Adel und Monarchie stark macht, weil im Volk das »Gefühl der Hierarchie«, der Glaube an eine von der Geschichte selbst gebildete und keineswegs künstliche Rangordnung noch so gut wie ungebrochen sei, dann klingt dies zunächst nach einer eindeutigen Parteinahme für »Reaction!«, wie der Titel seines ersten Beitrags zum Zwanzigsten Jahrhundert lautete.60 Hervorgehoben sein sollte dieser Adel aber lediglich »durch einige unschädliche Vorrechte«, und überdies beschränkt durch eine »Vertretung nach Berufsständen«, die auf der vollen politischen Gleichberechtigung der Individuen beruhen müsse.61 Mit ihrer Hilfe sollte es möglich sein, die schädlichen Wirkungen der Kon-

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kurrenz einzudämmen, eine soziale Gesetzgebung einzuleiten und mittels einer kräftigen progressiven Einkommenssteuer dafür zu sorgen, daß »das heute zu wenigen großen Geschwulsten angestaute Blut des Nationalvermögens seinen natürlichen Fluß durch den gesundeten Volkskörper zurückerhalten wird.«62 Das erinnert an Forderungen Adolph Wagners, desgleichen die Zielsetzung, auf diese Weise »die breite und mächtige Schicht des Mittelstandes« zu stabilisieren, jene »fruchtbare und gesunde Kernmasse des Volkes […], aus dessen Fülle sich die Volkskraft bisher fortwährend erneuert hat und mit dem zugleich auch sie absterben müßte«.63 Adel, Monarchie, selbst Kirche ja  – aber im Rahmen einer soziopolitischen Ordnung, die wenig mit der alteuropäischen societas civilis gemein hatte und mehr an die idealisierte Version einer sozial homogenen und zugleich politisch stratifizierten Stadtbürgergesellschaft denken läßt. Eine solche Wendung hatte sich, wenn nicht im Detail, so doch im Prinzip bereits bei seinem französischen Vorbild abgezeichnet. Schon für Bourget war das Aufkommen des Dilettantismus Zeichen von Dekadenz, einer hochgetriebenen Individualisierung, unter deren Druck sich die Institutionen der alteuropäischen societas civilis aufgelöst hatten.64 Anstatt Bastionen zu verteidigen, die längst unterminiert waren, setzte Bourget auf ein willentliches und bewußtes Sich-wieder-verwurzeln, eine Entscheidung für »enracinement« (Barrès), die auf nichts anderes hinauslief als auf einen artifiziellen Traditionalismus, »un traditionalisme par positivisme«.65 Dazu gehörte die Rückkehr in den Schoß der katholischen Kirche, gehörte aber auch das damit nicht ohne weiteres zu vereinbarende Bekenntnis zu Rasse und Nation, wie es Bourget mit seinem Beitritt zur Gobineau-Gesellschaft und zur Action Française augenfällig demonstrierte66 – Gruppierungen, die im geraden Gegensatz zum prätendierten Katholizismus durchaus pagane Orientierungen »mit einer Auffassung von der Naturgesetzlichkeit und -ordnung [verbanden], die erst durch den positivistischen Szientismus des 19. Jh.s in die Welt kam«67, die darüber hinaus für eine ständige Erneuerung der Zusammensetzung der Oberschicht und eine weitgehende Trennung von Staat und Gesellschaft eintraten, wie dies mit dem historischen Konservatismus unvereinbar war.68 In dieser mutatis mutandis auch von Heinrich Mann geteilten Wendung manifestiert sich die gleiche Dialektik, wie sie schon bei Langbehn anzutreffen war. Die gleiche, aber nicht dieselbe. Denn während Langbehn sich

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in Richtung der rezessiven Ironie bewegte, darüber hinaus sein Heil auch nicht in der Politik, sondern in der Kunst suchte, machte Mann sich Bourgets Diagnose und Therapie des Dilettantismus zu eigen und entpuppte sich damit als produktiver Ironiker, dem die Politik eine Bühne war, auf der er besonders effektiv Selbstdarstellung betreiben konnte.69 Wie bei allen Typisierungen gilt auch diese Aussage nicht absolut. Manches, wie etwa die unstete Lebensweise, das nachgerade zwanghafte Reisen, das ihn ab 1892 von einem Ort zum andern trieb, paßt eher zur rezessiven Ironie, und was das für die produktive Ironie typische vermittelte Verhältnis zur Politik betrifft, das Inhalte und Standpunkte als austauschbar erscheinen läßt, so ist dies ebenfalls nicht sensu stricto zu nehmen: das Engagement für einen radikalen Antisemitismus war alles andere als spielerisch, sondern folgte aus tief verwurzelten Affekten, die mit der christlichen Sozialisation ebenso zusammenhingen wie mit verbreiteten stadtbürgerlichen Ressentiments. Die intellektuelle Systematisierung dieser Affekte erfolgte indes erst im Rahmen von Manns Beteiligung am Zwanzigsten Jahrhundert, die an seinen früheren Äußerungen gemessen als durchaus kontingent angesehen werden muß. Noch 1891 hatte er sich in einem Brief an Ludwig Ewers als geistigen Anarchisten bekannt und von seiner Fähigkeit gesprochen, entgegengesetzte Positionen simultan zu vertreten. Von einer Figur in Bourgets Le Disciple bemerkte er, sie kenne nicht den Unterschied, »den wir geistigen Anarchisten, z. B. M.  Adrien Sixte und ich, machen zwischen Theorie und Praxis«. Praktisch sei er, Heinrich Mann, »für fast absolute Monarchie, katholische Kirche, aus Interessenpolitik  – theoretisch dagegen vollkommen Anarchist.«70 Das Angebot, ins Zwanzigste Jahrhundert einzutreten, bot ihm die Chance, diese Verdoppelung aufzulösen und die eigene Existenz zu Lasten des theoretischen Anarchismus zu entparadoxieren. Ebenso denkbar wäre es freilich gewesen, daß ihn entsprechende Angebote von Seiten liberaler Organe wie Die Gegenwart und die Berliner National-Zeitung, für die er zwischen 1892 und 1895 eine Reihe von Texten verfaßt hat, schon damals in eine Richtung geführt hätten, wie sie zur gleichen Zeit von Maximilian Harden eingeschlagen wurde, in dessen Zukunft ab 1905 Heinrich Mann dann auch häufiger vertreten war.71 Diese Erwägung entlastet ihn nicht von der Verantwortung für seine radikalnationalistische Phase, wohl aber kann sie zur Erklärung beitragen, weshalb sie eine Episode blieb. Ob freilich die Abkehr von den Positionen

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des Zwanzigsten Jahrhunderts und der Anschluß an das linksliberale, später sogar an das kommunistische Lager das Ergebnis eines Lernprozesses war oder nicht doch nur eine weitere Manifestation der produktiven Ironie, des »Dilettantismus«, wie der jüngere Bruder noch lange Zeit argwöhnte72, ist eine Frage, die über das Thema dieses Buches hinausführt. Auf jeden Fall läßt sich festhalten, daß Thomas Manns Anspruch, im Spektrum der »brüderliche[n] Möglichkeiten« die Ironie für sich gepachtet zu haben, mindestens für die 90er Jahre unbegründet ist.73

II. Als Herausgeber des Zwanzigsten Jahrhunderts hatte Heinrich Mann die Möglichkeit, auch seinen damals erst zwanzigjährigen Bruder zur Mitarbeit heranzuziehen, was um so näher lag, als beide den Sommer und Herbst 1895 gemeinsam in Italien verbrachten. Die Beiträge von Thomas Mann blieben freilich rein quantitativ deutlich hinter denjenigen von Heinrich Mann zurück – lediglich acht gegenüber den insgesamt 53 signierten und unsignierten Artikeln des Bruders. Auch qualitativ bestanden Unterschiede, beschränkte sich Thomas Mann doch überwiegend auf Rezensionen und vermied es meist, sich zu politischen Fragen zu äußern. In einer autobiographischen Skizze von Ende Mai 1895 beschrieb er Heinrich als einen Schriftsteller, »mit starker intellectueller Begabung, bewandert in Kritik, Philosophie, Politik«, wohingegen er selbst nur Künstler sei, »nur Dichter, nur Stimmungsmensch, intellectuell schwach, ein sozialer Nichtsnutz«.74 Immerhin teilte er die Vorliebe seines Bruders für Paul Bourget und damit den Hang zur produktiven Ironie.75 So exzerpierte er Le Disciple und La Terre promise und hatte sich bald so weit eingelesen, daß er im Dezember 1895 auf die Frage nach seinen Lieblingsschriftstellern neben Goethe, Heine und Nietzsche Bourget und Renan nennen konnte.76 Ein halbes Jahr später leitete er die Besprechung eines Reisebuches von Karl Weiß mit einer Referenz auf Cosmopolis ein und machte sich die für dieses Werk zentrale Abwertung des skeptisch-ästhetisierenden Dilettanten Dorsenne gegenüber dem Katholiken und Legitimisten Montfaucon zu eigen.77 Nicht ohne weiteres im Einklang damit stand die im Oktober 1896 veröffentlichte Miszel-

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le über »Kritik und Schaffen«, die den Kritiker als Verwandlungskünstler würdigte, als »vollendetste[n] Typus des ›Dilettanten‹«, zu dessen starken Seiten die Fähigkeit zum »tägliche[n] Rollenwechsel« gehöre, die »Kunst, fremde Persönlichkeiten in sich aufzunehmen, in fremden Persönlichkeiten zu verschwinden, durch sie die Welt zu sehen und aus ihnen heraus ihre Worte, ja das Entstehen ihrer Werke zu erklären«.78 Darin erschien Thomas Mann der Kritiker als Verwandter des Künstlers, welch letzterer zwar aktiver und produktiver sei, sich bei seiner Produktion aber ebenfalls der Rollen und Masken bediene, die er »mit Anderem, Eigenem« beseele und zur Darstellung eines Problems benutze, das ihnen vielleicht ganz fremd sei.79 Kritiker und Künstler: beide verkörperten sie Varianten der produktiven Ironie, der Fähigkeit, sich auf alles hin entwerfen zu können und doch mit keinem identisch zu sein – eine Lebensform, der Thomas Mann teils zustimmend, teils skeptisch gegenüberstand: »Die Kunst selbst ist suspekt«.80 Im gleichen Maße, in dem sich dieser Gedanke bei ihm festigte, wuchs die Distanz zu seinem Bruder Heinrich. Das beschränkte sich zunächst auf dessen von Nietzsche inspirierte Verklärung einer »dionysisch« gedeuteten Renaissance, die Thomas Mann nachgerade abstoßend fand und ihn im Dezember 1903 zu einer vernichtenden Kritik veranlaßte81, dehnte sich bald aber auch auf die Neujustierung von Heinrichs politischem Koordinatensystem aus. Schon 1904 meinte er im Schrifttum des Bruders eine Wendung zum Liberalismus zu erkennen, die ihm merkwürdig, »seltsam interessant« und »immer noch ein bischen unwahrscheinlich« vorkam. Mit kaum verhohlener Ironie fragte er: »Ob ich’s auch so weit bringen werde?« Um sogleich hinzuzufügen: »Fürs Erste verstehe ich wenig von ›Freiheit‹. Sie ist für mich ein rein moralisch-geistiger Begriff, gleichbedeutend mit ›Ehrlichkeit‹. (Einige Kritiker nennen es bei mir ›Herzenskälte‹). Aber für politische Freiheit habe ich gar kein Interesse. Die gewaltige russische Litteratur ist doch unter einem ungeheuren Druck entstanden? Wäre vielleicht ohne diesen Druck garnicht entstanden? Was mindestens bewiese, daß der Kampf für die ›Freiheit‹ besser ist, als die Freiheit selbst. Was ist überhaupt Freiheit? Schon weil für den Begriff so viel Blut geflossen ist, hat er für mich etwas unheimlich Unfreies, etwas direkt Mittelalterliches … Aber ich kann da wohl garnicht mitreden.« 82

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Auf Heinrich Manns Antikritik, die dem Bruder vorwarf, sich mit dem chauvinistischen und reaktionären Deutschland Wilhelms II. zu identifizieren83, ging Thomas Mann nicht ein. Offenbar fühlte er sich davon nicht getroffen, sprach er doch noch Jahre später von seiner »Unfähigkeit, mich geistig und politisch eigentlich zu orientieren«, wie Heinrich dies gekonnt habe. Sein ganzes Interesse habe immer dem Verfall gegolten, »und das ist es wohl eigentlich, was mich hindert, mich für Fortschritt zu interessieren. Aber was ist das für ein Geschwätz. Es ist schlimm, wenn die ganze Misere der Zeit und des Vaterlandes auf einem liegt, ohne daß man die Kräfte hat, sie zu gestalten. Aber das gehört wohl eben zur Misere der Zeit und des Vaterlandes.«84 Daß ihm diese Misere sonderlich auf der Seele gelastet hätte, wäre indessen zu viel gesagt. Im Oktober 1901 waren die Buddenbrooks erschienen, die sich ab 1903 zum Longseller entwickelten und ihm auf Jahre ein sicheres Einkommen bescherten. Damit war der Weg in eine bürgerliche Existenzform offen, die 1905 durch Heirat und Familiengründung besiegelt wurde. Während Heinrich zwischen München, Berlin, Italien und der Côte d’Azur nomadisierte und in rascher Folge einen Roman nach dem anderen publizierte (um vom Strom der Novellen, Schauspiele und Essays zu schweigen), installierte sich Thomas für die kommenden Jahrzehnte bis 1933 in der bayerischen Residenzstadt, die ihm ungeachtet mancher Vorbehalte als der Ort erschien, an dem »die alte deutsche Mischung von Kunst und Bürgerlichkeit […] noch ganz lebendig und gegenwärtig« war.85 Dem von ihm antizipierten Vorwurf des Bruders, ein feiger Bürger geworden zu sein, hielt er entgegen: »Aber Du hast leicht reden. Du bist absolut. Ich dagegen habe geruht, mir eine Verfassung zu geben.«86 Erst im Weltkrieg hielt auch Thomas Mann es für angebracht, aus seiner Reserve herauszutreten und jenem Faible für »Vaterlandsliebe, Religion und Familiensinn« breiteren Ausdruck zu verleihen87, zu dem er sich schon 1896 bekannt hatte, ohne es damals freilich deutlicher zu entwickeln. Das geschah in Schriften wie »Gedanken im Kriege«, dem Friedrich-Essay und vor allem den Betrachtungen eines Unpolitischen, die von der Rechten so begeistert begrüßt wie von der Linken verdammt wurden und seither im Zentrum der Debatte über die Weltkriegspublizistik stehen.88 Auf den in diesem Text aufgegriffenen und zur Antithese zugespitzten Gegensatz von Kultur und Zivilisation bin ich an anderer Stelle ausführlicher

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eingegangen, so daß dieser Aspekt hier beiseitegelassen werden kann.89 Statt dessen soll im folgenden das Augenmerk darauf gerichtet werden, wie Mann sich den Begriff des »ironischen Konservativismus« zurechtlegt und gegen die dem Bruder und anderen unterstellte »ästhetizistische Politik« profiliert90; wobei dahingestellt bleiben muß, ob und inwieweit seine Polemik den Gegenstand trifft. Was genau mit »ästhetizistischer Politik« gemeint war, erschließt sich nicht leicht dem Verständnis, da gleich bei beiden Gliedern des Syntagmas die Bedeutung changiert. Für sich genommen, in seiner ›reinen und frechen‹ Gestalt bei Baudelaire und Oskar Wilde, erschien der Ästhetizismus Thomas Mann als »etwas vollkommen Achtbares«, dem die »Wahrheit des bösen und schönen Lebens« eigne. Diese Wahrheit, der Wert von »Schönheit, Form, Glanz, Eleganz«, sei gegen die Ansprüche der Tugend, der Moral zu verteidigen, zumal diese leicht in puritanische Kunstfeindschaft und »Gesinnungsstümperei« ausarteten.91 Frühere Reserven relativierend, fand sich Thomas Mann deshalb seit Kriegsbeginn durchaus in Übereinstimmung mit Stefan George und Hugo von Hofmannsthal, die im Fin de siècle unstrittig zu den bedeutendsten Repräsentanten des europäischen Ästhetizismus gehört hatten. Und wenn er gar das »Wesen der ästhetizistischen Weltanschauung« in der Verbindung von »Ehrfurcht und Zweifel, letzte[r] Gewissenhaftigkeit und letzte[r] Ungebundenheit« sah, so war dies alles andere als eine Verwerfung.92 Problematisch wurde der Ästhetizismus erst durch seine Fusionierung mit der Sphäre der Moral, genauer gesagt, da beide nie ganz zu trennen waren, durch seine Fusionierung mit einer Moral, die für Thomas Mann inakzeptabel war. Als akzeptabel galt ihm »die eigentlich deutsche Abwandlung des europäischen Ästhetentums, das deutsche l’art pour l’art«, in dem »Ästhetizismus und Bürgerlichkeit« eine Synthese eingegangen waren und eine »geschlossene und legitime Lebensform« hervorgebracht hatten. Gestützt auf den Essay über Theodor Storm in Georg Lukács’ Buch Die Seele und die Formen (1911) lokalisierte Thomas Mann das »Kriterium des deutsch-bürgerlichen l’art pour l’art« in einem »Übergewicht des Ethischen über das Ästhetische«, in der Übertragung der »ethischen Charakteristika der bürgerlichen Lebensform: Ordnung, Folge, Ruhe, ›Fleiß‹ […] auf die Kunstübung«.93 Unter diesen Prämissen (die es streng genommen unmöglich machten, noch von Ästhetizismus zu sprechen) sei sogar ein

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»stilistische[r] Dilettantismus« möglich, bei dem aber stets gegenwärtig zu halten sei, daß es sich um Anpassung, Mimikry, »ja Parodie« handele – sehr im Unterschied zu jenem anderen, außerhalb Deutschlands grassierenden Ästhetizismus, der seine moralischen Ansprüche kaschiere und nur »ein falsches, halbes, intellektuelles, gewolltes und künstliches Künstlertum« sei.94 Deutscher Ästhetizismus: das war ein Künstlertum, das sich dem Häßlichen, der Krankheit, dem Verfall stellte, ohne darüber zu verzweifeln; das über der Analyse der décadence nicht »den emanzipatorischen Willen zur Absage an sie« vergaß – oder doch zumindest, wie Thomas Mann pessimistisch einschränkte: die »Velleität dieser Absage im Herzen [trug] und mit der Überwindung von Dekadenz und Nihilismus wenigstens [experimentierte]«.95 Wogegen der westliche Ästhetizismus das Leben verdrängte und sich in bloße »Schönseligkeit« verlor, diese »undeutscheste Sache von der Welt und die unbürgerlichste zugleich«.96 Nicht weniger groß war die Schwingungsweite dessen, was Thomas Mann unter Politik verstand.97 Eine Signalwirkung kam wohl dem Titel der Betrachtungen zu, der eine überwiegend negative, abwertende Bedeutung nahelegte: Politik als eitle Rhetorik und Selbstinszenierung des Politikers, als auf Massenwirkung ausgehendes Blendwerk von Phrasen, Gesten und Meinungen, als Unfähigkeit zu »Sachlichkeit, Ordnung und Anstand«, irgendwie ›erotisch animiert‹, mit ›femininem Einschlag‹, zur »Verflachung und Entmännlichung des Menschlichkeitsbegriffes« gravitierend.98 Politik in diesem Sinne war radikal, absolutistisch, totalisierend. Sie zielte auf Politisierung alles Menschlichen und aller Lebensbereiche, auf die »Apotheosierung des Gesellschaftlichen«, auf die Erhebung des sozialen Lebens zur Religion, die Inthronisierung des ›Gesellschaftsmenschen‹ und damit auf Depotenzierung aller Sphären, die bislang den Vorrang innegehabt hatten: der Religion, der ›tieferen Sittlichkeit‹, aber auch (namentlich in Deutschland) der Musik.99 Die im Zuge des weltweiten Demokratisierungsprozesses sich abzeichnende »Herrschaft der Politik«, in Manns Augen bedeutete sie: »Es darf, es wird nichts geben, kein Denken, Schaffen und Leben, woran die Politik nicht Anteil hätte, wobei nicht Fühlung mit ihr, Beziehung zu ihr unterhalten würde. Die Politik als Atmosphäre, durchsäuernd alle Lebensluft, so daß sie, mit jedem Atemzug eingesogen, das Hauptelement alles see-

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lischen Aufbaus bildet; die Politik als Verdrängerin der Musik, welche bis dahin den höchsten Rang im gesellschaftlich-künstlerischen Interesse der Nation usurpierte, […] die Politik also zusammen mit der Literatur, sofern diese gesellig, das heißt Rhetorik, Psychologie und Erotik ist […]: Das ist die Demokratie, der amüsante Staat, der Staat für Romanschriftsteller, und wir werden ihn haben!«100

Allerdings: die reichlich forciert vorgetragene Wesensbestimmung der Politik als »Philanthropie und Schreibkunst«101 entpuppte sich bei genauerem Hinsehen weniger als Wesensbestimmung denn als Manifestation eines höchst spezifischen Verständnisses, wie es vom antiken Rom der Renaissance und von dieser der civilisation im romanischen Sinne vererbt worden sei. Die daraus resultierende »Ästhetenpolitik«, gegenwärtig von Literaten im Stil D’Annunzios und Barrès’ propagiert, sei »kein deutsches Gewächs, sondern ein romanisches«102, auch wenn sich nicht wenige Deutsche fänden, die es sich zu eigen machten (allen voran: Bruder Heinrich). Was aber war dann Politik im deutschen Sinne? Zunächst, wie implizit schon gesagt: »Sachlichkeit, Ordnung und Anstand«. Sodann: Differenzierung des Auseinanderzuhaltenden: Gesellschaft und Staat, Innen- und Außenpolitik, Politik und Ästhetizismus (verstanden im engeren, ›deutschen‹ Sinn), mit einem Wort: der modus operandi der konstitutionellen Monarchie, für die sich auch und gerade der frühe Liberalismus ausgesprochen hatte. Endlich: »Reform, Kompromiß, Anpassung, Verständigung zwischen der Wirklichkeit und dem Geist«, mit einem Wort: »Anti-Radikalismus«.103 Das gegenwärtige deutsche Reich mochte dem nicht in allen Zügen entsprechen. Als ein »Werk der praktischen Vernunft, ein Zugeständnis des Gedankens an die Materie«, war es nichtsdestoweniger »eine in einem äußerst deutschen, d. h. antiradikalen Sinn ›politische‹ Schöpfung«, für deren Fortbestand einzutreten nach Mann das Gebot der Stunde war.104 Von diesen Voraussetzungen her ist nachvollziehbar, weshalb Thomas Mann entgegen dem nach einigen Zweifeln schließlich gewählten Titel doch zu unzweideutig politischen Aussagen gelangte.105 Dazu gehörte, nach der negativen Seite, die Absage an den Geist des »Westens« mit seinem im demokratischen Sinne (um)gedeuteten Liberalismus, die als cantus firmus das gesamte Buch durchzieht, nach der positiven Seite das Bekenntnis zum

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Konservatismus als »erhaltendem, aufhaltendem, sozialem Instinkt, aus Willen zur Bindung, zum Kultus und zur Kultur«.106 Dieser erhaltende Instinkt, an anderer Stelle auch als »Stimmung« charakterisiert und jedem Denken nach Prinzipien kontrastiert107, sollte sich innenpolitisch materialisieren im herkömmlichen »Obrigkeitsstaat«, der die »dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform« sei.108 Geleitet werden sollte er von einer »starken monarchischen Regierung«, welche von den »Geldinteressen« wie von den schwankenden Meinungen des Demos losgelöst sein sollte, gesichert gegen jede »Parlaments- und Parteiwirtschaft«, zugleich aber geerdet im Großgrundbesitz als dem »notwendige[n] Gegenstück zur Großstadt«.109 Wurzele doch jeglicher Konservatismus, »jede Widersetzlichkeit gegen fortschrittliche Entartung und Zersetzung, […] im Grund und Boden«, womit er der »natürliche Gegner« des demokratischen Prinzips sei, des Prinzips der Menschenrechte wie des allgemeinen Wahlrechts, die Thomas Mann beide als »sehr wenig stichhaltig« erschienen.110 Außenpolitisch entsprach dem nach der einen Seite die scharfe Gegenstellung gegen Frankreich und mehr noch gegen England, nach der anderen Seite der Liebesblick nach Rußland, ungeachtet der bestehenden Bündniskonstellation und der sich abzeichnenden »Erklärung Rußlands zur république démocratique et sociale«. Diese sei dem Land so wenig gemäß wie Deutschland, und »wenn Seelisches, Geistiges überhaupt als Grundlage und Rechtfertigung machtpolitischer Bündnisse dienen soll und kann, so gehören Rußland und Deutschland zusammen: ihre Verständigung für jetzt, ihre Verbindung für die Zukunft ist seit den Anfängen des Krieges der Wunsch und Traum meines Herzens, und mehr als eine Wünschbarkeit: eine weltpolitisch-geistige Notwendigkeit wird diese Verständigung und Verbindung sein, falls, was wahrscheinlich ist, der Zusammenschluß des Angelsachsentums sich als dauerhaft erweisen sollte. Wer könnte gleichgültig bleiben gegen eine Bedrohung, die vor dem Kriege bereits die Form einer unverschämt gelassenen Feststellung angenommen hatte: ›The world is rapidly becoming english‹.«111

Bevor man nun freilich in den breiten Chor derjenigen einstimmt, die in den Betrachtungen ein »Bekenntnisbuch des konservativen Protestes« sehen

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möchten, das vom »Ideal eines kulturellen Konservativismus« bestimmt sei112, sollte man jedoch die Warnschilder beachten, die Thomas Mann seiner Kriegspublizistik beigestellt hat. In einer Lektüreempfehlung für Carlyles monumentale Friedrich-Biographie ließ er durchblicken, er sei bei seinem eigenen Essay zu diesem Gegenstand »mit einer ziemlich gebrochenen und hinterhältigen Begeisterung« zu Werke gegangen, so daß »die Arbeit patriotischen Freunden im ersten Augenblick für unpublizierbar galt«.113 Gebrochen und hinterhältig aber waren auch seine übrigen Beiträge aus dieser Zeit. Sie bescheinigten den Konservativen, in diesem Krieg »die Idee und also de[n] Idealismus« auf ihrer Seite zu haben, und nahmen dies zugleich zurück, indem sie sie zu »unbedingten Anhänger[n] des zweiten, des Machtreiches« erklärten, eines Gebildes also, das noch der Idee entbehrte, die sich erst im kommenden »Dritten Reich« mit der Macht verbinden werde.114 Sie riefen die Konservativen mit großer Emphase zum »Kampf gegen die völlige Liberalisierung der Welt« auf, nur um im nächsten Atemzug zu erklären, dies richte sich bloß an die ›gemäßigten Konservativen‹; ein gemäßigter Konservativer aber sei ungefähr dasselbe wie ein ›gemäßigter Liberaler‹.115 Sie feierten den »erhaltende[n] Gegenwillen« der »konservative[n] Opposition«, räumten aber ein, dieser befinde sich in einer aussichtslosen Verteidigung.116 Sie erhoben den Konservatismus zur antiliberalen, antiradikalen und antinihilistischen Macht par excellence und attestierten doch dem deutschen Wesen, welches diese gegenwärtig repräsentiere, ein Mittelding zu sein »zwischen einem Protestler und Westler, einem Konservativen und einem Nihilisten«.117 Sie führten den Konservatismus, der sich in seiner Vollstufe zum nationalen Gedanken durchaus reserviert verhalten hatte118, so dicht an diesen heran, daß er mit ihm deckungsgleich wurde – nur um wiederum einzuschränken, die »konservativ-nationale Idee« sei »vielleicht eine abgelebte«.119 Und was endlich sollte man von einer Auffassung halten, die das Wesen des Konservatismus im Widerstand gegen den »Fortschritt Deutschlands von der Musik zur Politik«, in der »Sympathie mit dem Tode« sah?120 Es macht die Sache nicht besser, wenn Thomas Mann, seiner üblichen Strategie gemäß, zwischen Konservatismus und Konservatismus unterschied. Konservatismus konnte sich danach als »eine einfache und starke Gefühlstendenz« manifestieren, »ohne Witz und Melancholie, robust wie die frisch-fromm-fröhliche Fortschrittlichkeit« und in der politischen

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Realität wohl gleichzusetzen mit den konservativen Parteien, von denen Mann sich so fern hielt wie von den liberalen. Trete jedoch »zur nationalen Gefühlsbetontheit internationale Intellektbetontheit« hinzu, vielleicht sogar »ein Einschlag von Demokratie, von Literatur«, dann habe man es mit einer höheren Erscheinungsform zu tun, einem »intellektualistische[n] Konservativismus«, dessen auszeichnendes Merkmal die »Ironie« sei, eine »Stimme des Geistes, welcher nicht sich will, sondern das Leben«.121 Wo allerdings ein solcher Konservatismus anzutreffen sei außer bei ihm selbst, bei Goethe und dem richtig verstandenen Nietzsche, teilt Thomas Mann an dieser Stelle nicht mit. Man mag diese Ausführungen noch so sehr pressen: irgendwelche eindeutigen Informationen über die präferierte politische Organisationsform Deutschlands lassen sich ihnen nicht entnehmen122 – ein Mangel, der nach M. Rainer Lepsius auf alle Bestrebungen zutrifft, die sich vom Konzept der Kulturnation leiten lassen.123 Es überrascht daher nicht, neben den vollmundigen Bekenntnissen zum traditionellen Obrigkeitsstaat und den Attacken auf die Demokratie immer wieder auf Bekundungen der Distanz zu stoßen: zum »Geist des Preußentums«, der seine deutsche Aufgabe erfüllt habe und heute bestimmt sei, überwunden zu werden; zur ›Unwirtlichkeit‹ im Reich, die ihn manchmal den Entente-Sieg wünschen lasse; ja zur Kriegspublizistik in seinem »Leibblatte«, der Neuen Rundschau, das den Eindruck vermittle, »als habe es durch den Krieg ernsten Schaden an seiner Seele genommen.«124 Realistisch sei es, die Gegenwart und nahe Zukunft im Zeichen einer »Verwirklichung von Volkssouveränität und Demokratie« zu sehen, die auch in Deutschland unvermeidlich sei.125 Unmöglich könne man sich verhehlen, »daß die Entwicklung der deutschen Dinge sich in diesem Augenblick und vorderhand unter den scharfen Peitschenschlägen des Zivilisationsliteraten in der bezeichneten Richtung bewegt«126; und obwohl man diesen Fortschritt nicht begrüßen könne, sei es doch unausweichlich, ihn als »notwendig und unabwendbar« anzuerkennen, allein schon deshalb, weil man selbst an ihm Anteil habe und von Natur nicht umhin könne, ihn zu fördern.127 Die eben noch abgelehnte Volkssouveränität wird als Tatsache hingenommen, die als »seelisch und geistig nicht ungefährlich« erklärte Demokratie als »staatstechnische Wünschbarkeit« akzeptiert, die einer »gelassenen Vernunftanerkennung« bedürfe.128 Die soziale, wirtschaftliche und weltpolitische Entwicklung der

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letzten Zeit habe Veränderungen mit sich gebracht, die es als unabweisbar erscheinen ließen, der allgemeinen Schul- und Wehrpflicht auch Rechte folgen zu lassen, »Selbst- und Mitbestimmungsrechte des Volkes, die einer politisch-ordnungsmäßigen Ausprägung« bedürfen und eine »volkstümlichere Gestaltung unserer öffentlichen Einrichtungen« in die Wege leiten sollten.129 Die Ordnung von Staat und Recht sei heute »zum guten oder großen Teil eine Angelegenheit der internationalen Zivilisation und nicht der nationalen Kultur«, weshalb etwa »die Gewährung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts in Preußen« als »Postulat der praktischen Vernunft« anzusehen sei (auch wenn – wie man hinzufügen muß – die theoretische Vernunft etwas anderes sage).130 Äußerungen wie diese scheinen eine Deutung zu begünstigen, wonach Thomas Mann schon in den Betrachtungen die »rhetorisch-polemisch und konsequent konservativ sich kundgebende Empörung« hinter sich gelassen und das Fundament für sein späteres Eintreten für die Weimarer Demokratie gelegt habe.131 Daran ist zumindest die Voraussetzung falsch, denn »konsequent konservativ« ist in diesem Werk nichts. Weder liegen Bekenntnisse zum historischen Konservatismus vor, dessen Literatur Thomas Mann, wenn man von einem Gentz-Zitat absieht, weitgehend unbekannt geblieben zu sein scheint132, noch ist eine Neigung zu sozialkonservativen Positionen erkennbar: dem Lippenbekenntnis zum »Staatssozialismus« folgt sogleich die Mahnung, den kleinen und mittleren Besitz zu schonen und eher auf eine »Demokratisierung der Bildungsmittel« zu setzen als auf eine sozialdemokratische Steuergesetzgebung.133 Die Feier des Obrigkeitsstaates und der Monarchie könnten ebenso gut von einem Nationalliberalen stammen, und wenn Thomas Mann die Verwirklichung der Volkssouveränität durchaus mißtrauisch beäugt, so hat dies mehr mit einer Fixierung auf die altliberale Trennung von Staat und Gesellschaft zu tun als mit konservativen Überzeugungen. »Konservativ? Natürlich bin ich es nicht; denn wollte ich es meinungsweise sein, so wäre ich es immer noch nicht meiner Natur nach, die schließlich das ist, was wirkt.«134 Was aber ist diese Natur, dieses »Sein«, das nach Ansicht des Herausgebers der Betrachtungen von den wechselnden »Meinungen« des Buches unterschieden werden kann?135 Es ist sicher nicht, wie der Kritik von links entgegengehalten werden muß, eine konservative Grundhaltung, die mit zwingender Notwendigkeit auf die »Hitlerbarbarei« (Kurella) zuliefe.136

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Es ist aber ebenso wenig die internationalistisch-intellektualistisch verstandene liberale Demokratie, für die Thomas Mann nach 1922 eingetreten ist.137 Treffender als solche Zuordnungen, die durch den demonstrativen Eklektizismus dieses Autors widerlegt werden, ist der Verweis auf die produktive Ironie als »virtuos gehandhabte Lebensmaxime«.138 Diese manifestiert sich zwar im Unterschied zu Heinrich Mann in einer durch die fortwährende Selbstverpflichtung auf Bürgerlichkeit, Ordnung und Regelhaftigkeit deutlich temperierten Form, ist aber gut an der kontinuierlichen Bereitschaft erkennbar, über die jeweils eingenommene Position schon im Moment ihrer Festlegung wieder hinauszugehen. Noch während Thomas Mann an den Betrachtungen schrieb, ging er zu ihnen auf Abstand. Das Buch, das ursprünglich »Gedanken im Kriege« heißen sollte, erschien ihm als eines jener »einäugig-einseitigen Geistesprodukte«, wie alles bloß Gesagte bedingt und angreifbar, ja schon im Augenblick der Niederschrift überholt. Als jemand, der Kunst zu machen gewohnt sei, nehme er »das Geistige, das Intellektuelle niemals ganz ernst«, behandele es vielmehr »als Material und Spielzeug«, in derselben Manier wie Turgenjew, der zu seinen Hervorbringungen gesagt habe, es komme ihm immer so vor, ›als ob man jedesmal mit gleichem Recht das Entgegengesetzte behaupten könnte von alledem, was ich sage‹.139 Niemals, so Thomas Mann über sich selbst, werde er der Sklave seiner Gedanken sein, wisse er doch, »daß nichts nur Gedachtes und Gesagtes wahr ist, und unangreifbar nur die Gestalt.« Seine Schriften seien nicht als geistige Festlegung gedacht, vielmehr als »das einzige und sichere Mittel […], sie loszuwerden, über sie hinaus zu anderen, neuen, besseren und womöglich ganz gegenteiligen zu gelangen  – sans remords!« Wenn er an den Betrachtungen, die ihn entsetzlich anödeten, noch weiter schreibe, so »nur aus Ordnungssinn und bürgerlicher Abneigung, ›etwas umkommen zu lassen‹«.140 Sucht man nach einer Konstante in der Entwicklung Thomas Manns, so ist sie hier zu finden, nicht in den wechselnden ›Ligaturen und Optionen‹ (Dahrendorf), die er im Lauf seines langen Lebens gewählt hat. Noch in dem 1925 entstandenen ›letzten Fragment‹ seiner Studien über Goethe und Tolstoi heißt es: »Schön ist Entschlossenheit. Aber das eigentlich fruchtbare, das produktive und also das künstlerische Prinzip nennen wir den Vorbehalt. […] Wir lie-

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ben ihn im Geistigen als Ironie – jene nach beiden Seiten gerichtete Ironie, welche verschlagen und unverbindlich, wenn auch nicht ohne Herzlichkeit, zwischen den Gegensätzen spielt und es mit Parteinahme und Entscheidung nicht sonderlich eilig hat: voll der Vermutung, daß in großen Dingen, in Dingen des Menschen, jede Entscheidung als vorschnell und vorgültig sich erweisen möchte, daß nicht Entscheidung das Ziel ist, sondern der Einklang, – welcher, wenn es sich um ewige Gegensätze handelt, im Unendlichen liegen mag, den aber jener spielende Vorbehalt, Ironie genannt, in sich selber trägt, wie der Vorhalt die Auflösung.«141

Wie sich auf dieser Grundlage ein Konservatismus begründen ließ, der doch mehr sein müßte als nur die Hinauszögerung der Entscheidung: dieser Frage hat sich Thomas Mann nicht gestellt, weder vor den Betrachtungen noch in ihnen noch danach. Aber daß von Konservatismus nur mehr im Modus der Ironie geredet werden konnte, zeugt von mehr Realitätssinn als sämtliche konservativen Manifeste, die seither verfaßt wurden.

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ie Betrachtungen eines Unpolitischen erschienen im Oktober 1918, nur wenige Tage vor dem Beginn eines revolutionären Prozesses, der das Land zwar nicht neu erschuf, wohl aber den seit längerem in Richtung einer modernen Massendemokratie wirkenden Tendenzen zu verfassungsmäßigem Rang verhalf. Die zehn Monate später verabschiedete Weimarer Verfassung bündelte und konzentrierte die bisher auf verschiedene Instanzen verteilte Souveränität (Art. 1: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus), statuierte die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz und hob alle öffentlich-rechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes auf. Mit dem bis dahin privilegierten Adel verschwanden die sich konservativ nennenden Parteien von der politischen Bühne. Die Freikonservativen, längst zur Splitterpartei geworden, lösten sich ohne Rest auf, die Deutschkonservativen nicht ganz ohne Rest, jedoch so weitgehend, daß die Geschichte des Konservatismus in Deutschland definitiv zu einem Abschluß gekommen zu sein schien. Über der Frage, ob dies tatsächlich der Fall war, scheiden sich bis heute die Geister. Die historische Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg neigt überwiegend zu der Ansicht, der Konservatismus sei durch den Zusammenbruch des Kaiserreichs zwar modifiziert, aber nicht in seinem Wesensgehalt tangiert worden. Vielmehr habe er eine Metamorphose erlebt, in deren Verlauf aus dem »conservatisme historique d’origine féodale« ein »conservatisme des classes moyennes« geworden sei1, als dessen parteipolitischer Repräsentant nach verbreiteter Überzeugung die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) gilt.2 Aus dem Lager der damaligen Rechten dagegen waren nicht selten Stimmen zu vernehmen, für die ein Formwandel des Konservatismus erst noch bevorstand und gegen alles durchzukämpfen war, was zu Unrecht diesen Titel schon jetzt in Anspruch nahm. Stellvertretend für viele mag hier die Streitschrift Die Rechte stirbt – Es lebe die Rechte! angeführt sein, mit der Hermann Ullmann, in der Endphase der Weimarer Republik ein Wortführer und Mitbegründer der »Volkskonservativen Vereinigung«, gegen

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das zu Felde zog, was ihm nur mehr das Etikett »Scheinkonservativismus« zu verdienen schien: Alldeutschtum und Deutschnationalismus.3 Das 19. Jahrhundert habe wohl auch in Deutschland eine »geistige konservative Bewegung« von einiger Höhe gekannt, doch sei es nicht gelungen, deren Ideen auf die politische Ebene zu transferieren.4 Anders als in England, wo sich diese Ideen schon bei ihrer Entstehung »mit ausgesprochen politischen und gesamtnationalen Wunschzielen« verbunden hätten, sei in Deutschland eine derart »organische Entwicklung« nicht möglich gewesen: »der deutsche Konservativismus blieb geistig ja oft nur literarisch, und was als politischer Konservativismus sich betätigte, hing nur wenig mit jener geistigen Gesamteinstellung zusammen.«5 Das Ergebnis sei schon in wilhelminischer Zeit »Reaktion« gewesen, eine Position, »die sich konservativ nennt oder für konservativ hält«, in Wahrheit aber eine Fälschung sei, »ein greuliches Gemisch von liberalen und konservativen Gedanken«.6 Über die Möglichkeit, dieses Gemisch wieder auseinanderzudividieren, konservative und liberale Ideen »sauber und ehrlich voneinander« zu scheiden7, mag Ullmann sich getäuscht haben. Seine Diagnose deckt sich jedoch in vielem mit dem Befund, zu dem später auch Kondylis gelangt ist.

I. Entgegen verbreiteten Überzeugungen war die Ende November 1918 gegründete DNVP keine Fortsetzung der Deutschkonservativen Partei des Kaiserreichs unter neuem Namen. Dagegen spricht allein schon die Tatsache, daß deren Führungspersonal, allen voran der Parteivorsitzende Ernst von Heydebrand und der Lasa und der Fraktionsführer Kuno Graf Westarp, seine Ämter aufgab und sich aufs Land zurückzog, der eine auf sein Schloß in Schlesien, der andere auf das Gut eines Parteifreundes.8 Keiner von ihnen unterzeichnete den Gründungsaufruf der DNVP9, abgestoßen nicht zuletzt von der »leidenschaftlichen Entschiedenheit, mit der jede Erinnerung an das Wort konservativ abgelehnt wurde«.10 Die lokalen und regionalen Körperschaften der neuen Partei, so Westarp im Januar 1919 brieflich mit Blick auf die Wahlen zur Nationalversammlung, hätten »in geradezu suggestiver Panik alles abgelehnt«, was nach »adelig,

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Großgrundbesitz, alldeutsch und dergleichen« roch und »die neue Partei in Verdacht bringen konnte, eine Fortsetzung der Konservativen« zu sein.11 Im Gegensatz zu den Freikonservativen, die im Dezember 1918 ihre Anhänger zum Eintritt in die DNVP aufforderten12, entschieden sich die Deutschkonservativen, in Kreisen und Gemeinden, Landes- und Provinzialverbänden das Feld zugunsten der DNVP zu räumen, daneben aber mit dem sog. »Hauptverein« einen eigenen organisatorischen Kern beizubehalten.13 Dieser Zusammenschluß der »Unentwegten«, geleitet zunächst von Heydebrand, dann bis 1925 von Westarp, kam jedoch zu keinem Zeitpunkt über den Status einer »Taschenausgabe der konservativen Vorkriegspartei« hinaus.14 Er bestand lediglich aus einigen regionalen Organisationssplittern mit wenigen hundert Mitgliedern, war von notorischen Finanzproblemen geplagt und verfügte nicht einmal über ein eigenes Medium, wenn man von der allerdings nur zeitweise linientreuen ›Kreuzzeitung‹ absieht.15 Von einer einheitlichen programmatischen Ausrichtung konnte schon gar keine Rede sein. Westarp, der sich nach anfänglichem Zögern der DNVP anschloß und dort ab Mitte der 20er Jahre für einen kompromißbereiten Kurs eintrat, sah sich im Hauptverein bald zunehmend isoliert und dem Verdacht ausgesetzt, »unkonservativ« zu sein, weshalb er im April 1928 seinen Austritt erklärte.16 Im Engeren Vorstand dominierten seither Alldeutsche und Völkische, mit deren Verbänden zusammenzuarbeiten selbst der ehemalige Präsident des preußischen Herrenhauses, Dietlof Arnim von Boitzenburg, keine Scheu hatte.17 Bindungen an die monarchische Tradition, wie sie für die Vorkriegspartei essentiell gewesen waren, bestanden nur mehr in einem höchst diffusen Sinne. Ewald von Kleist-Schmenzin, der als Alldeutscher im April 1929 die Leitung des Hauptvereins übernahm, soll gar den geflüchteten Kaiser mit »Haß«, den Kronprinzen mit »Widerwillen« und dessen Söhne mit »Verachtung« betrachtet haben.18 Wie sehr im Fluß hier alles war, bewies KleistSchmenzin im Frühjahr 1933, als er sich von Hugenberg und der DNVP mit dem Vorwurf lossagte, sie hätten, in »liberalen« Mentalitäten befangen, »konservativen Kampfnaturen« nicht den ihnen gebührenden Raum gewährt und damit den Nationalsozialisten zu ihrem Erfolg verholfen.19 Die Marginalisierung der Deutschkonservativen machte den Weg frei für ein Bündnis heterogener Interessen und Richtungen, von ehemaligen Freikonservativen und Nationalliberalen über die Christlich-Sozialen, die

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christlichen Gewerkschaften, den deutschnationalen HandlungsgehilfenVerband sowie verschiedene Landbünde bis hin zu den Alldeutschen und Völkischen.20 Auf programmatischer Ebene äußerte sich dies in einer Relativierung der Agrarinteressen, die nicht länger einen besonderen Platz in der Agenda einnehmen, sondern gleichrangig neben den Interessen der Industrie figurieren sollten  – »etwas, wozu die alte Konservative Partei nie wirklich bereit gewesen wäre«.21 Weitere Forderungen zielten auf den »beschleunigten, restlosen Abbau der Zwangswirtschaft«, auf »Erhaltung und Vermehrung des selbständigen Mittelstandes in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe«, eine ›soziale Schutzgesetzgebung‹ sowie eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter und Angestellten an »gesellschaftlich betriebenen Unternehmungen«.22 Mit dem Vorschlag, eine »umfassende Siedlung auf dem Lande« in die Wege zu leiten, »die neues Bauernland und Möglichkeiten eigener Wirtschaft für die Arbeiter schafft und für die auch Großgrundbesitz des Staates, der Gemeinden und Privater in angemessenem Umfange gegen Entschädigung« heranzuziehen sei, griff man auf Ideen zurück, die schon im Kaiserreich von Liberalen wie Johannes von Miquel, von ›Sozialkonservativen‹ wie Wagener und Meyer oder vom Verein für Sozialpolitik ventiliert worden waren.23 Sieht man vom manifesten Antisemitismus ab, der in den Grundsätzen von 1920 seinen Ausdruck fand24, so hätte vieles davon auch von den Parteien der Mitte bis weit in die politische Linke unterschrieben werden können. Von einer generell »antiparlamentarischen Grundhaltung« kann ebenso wenig die Rede sein wie von einem reaktionären Beharren auf »Formen zumindest autoritärer Herrschaft«25, setzte doch die von den Deutschnationalen favorisierte schärfere Trennung zwischen Staat und Gesellschaft eine liberale Tradition fort. An der Monarchie, ob im konstitutionellen oder parlamentarischen Sinne, hätten wohl auch die meisten Liberalen gern festgehalten. Die von den Deutschnationalen in nahezu allen Konstituanten begrüßte Verankerung plebiszitärer Elemente26 ist auf dem Konto demokratischer Praktiken zu verbuchen, nicht auf demjenigen des Konservatismus. Der programmatischen Neuorientierung entsprach eine tiefgreifende Veränderung des sozialen Profils sowohl auf der Ebene der Repräsentanten wie derjenigen der Mitglieder.27 Der Adel, der noch 1912 37,7 % der Deutschkonservativen Fraktion im Reichstag gestellt hatte, machte sieben

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Jahre später weniger als ein Zehntel der Abgeordneten aus, und auch die Zahl der Vertreter der Landwirtschaft reduzierte sich um mehr als die Hälfte, der Anteil an Großgrundbesitzern gar um vier Fünftel. Die Mehrzahl der Mandate fiel an Vertreter des Beamtentums, der Industrie, des Handels und des Verbandswesens. Auch das Verhältnis zum protestantisch-agrarischen Milieu Ostelbiens gestaltete sich neu. Einerseits erschloß die DNVP Schichten dieses Milieus, in die die DkP aufgrund ihres honoratiorenparteilichen Zuschnitts nie wirklich vorgedrungen war, seien es die Klein- und Mittelbauern, die etwa in Schleswig-Holstein noch 1912 größtenteils liberal votiert hatten, bei der Reichstagswahl von 1924 aber der DNVP zu 33 % der Stimmen verhalfen28, seien es die Landarbeiter Ostelbiens, die maßgeblich dazu beitrugen, daß sie in der gleichen Wahl ebenfalls Spitzenwerte erzielte: von 32,2 % in Potsdam I bis zu 49,5 % in Pommern.29 Andererseits schwächte sich ihr agrarisches Profil in den ersten Jahren der Weimarer Republik ab, da bedeutende Wählergruppen außerhalb desselben gewonnen werden konnten. So verzeichnete die DNVP beträchtliche Zuwächse in protestantischen Regionen, die durch Industrie und Handel geprägt waren, und verdreifachte namentlich in Großstädten ihre Ergebnisse, gestützt sowohl durch die aus der Stoecker-Bewegung hervorgegangenen Christlich-Sozialen als auch durch den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband. Zugleich zog sie so erhebliche Teile der nationalliberalen und linksliberalen Wählerschaft an sich, daß sie kaum mehr als reine Milieupartei klassifiziert werden kann.30 Selbst die Einstufung als »›Volkspartei‹ des evangelisch-ländlichen Deutschland«31 erscheint mit Blick auf diese Entwicklung noch als zu eng, zumindest mit Blick auf die Phase der Stabilisierung der Weimarer Republik. In dieser Zeit sah es so aus, als könne aus der DNVP eine deutsche Version des Tory-Konservatismus werden32 – vorausgesetzt, man versteht darunter nicht dessen klassische, am Modell der societas civilis orientierte Gestalt, sondern dessen Umdeutung im liberalen Sinne, die sich aus dem Übertritt signifikanter Teile des liberalen Bürgertums zur konservativen Partei im Gefolge der beiden Reformbills von 1832 und 1867 sowie der Wahlrechts- und Wahlkreisgesetzgebung von 1883–1885 ergab.33 Eine Deutung in diesem Sinne ist keine Charakterisierung ex post, hatte doch schon Anfang November 1918, also noch vor der Parteigründung, Otto Hoetzsch (1876–1946), ein führender Kopf der Deutschkonservativen und

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aktives Mitglied des Alldeutschen Verbandes, des Bundes der Landwirte sowie des Deutschen Ostmarkenvereins34, in einer Denkschrift für eine »Neueinrichtung und Neusammlung der Rechtsstehenden« plädiert, die sich am Vorbild der englischen Aristokratie orientieren solle, da diese, im Unterschied zu ihrem französischen Gegenstück, gezeigt habe, wie sich eine adlige Schicht unter den Bedingungen der modernen Massendemokratie an der Herrschaft erhalten könne.35 Den Ausgangspunkt müsse eine Erweiterung der »Grundlage der Partei durch eine Verbindung mit den Freikonservativen und dem rechten Flügel der Nationalliberalen« bilden, um die herum sich rechtsstehende Elemente aus dem Bauerntum, der Beamtenschaft und dem selbständigen Mittelstand gruppieren könnten. Was die Arbeiter angehe, so seien zwar gewisse »Zugeständnisse an den Staatssozialismus« unumgänglich, doch biete eine »Neubegründung der konservativen Partei auf christlich-sozialer Grundlage […] heute noch viel weniger Aussicht für eine Massenpartei als vorher.« Die Partei habe deshalb allen Anlaß, »an der privatkapitalistischen Grundlage unseres Wirtschaftslebens, am Privateigentum an den Produktionsmitteln und an der Privatbetätigung der einzelnen wirtschaftlichen Kräfte fest[zu]halten«.36 Weitere Empfehlungen zielten auf die Kassierung des antisemitischen Passus im TivoliProgramm von 1892 und auf eine umfassende kulturpolitische Initiative: »Indem die konservative Partei sich energisch mit den neuen Ideen auseinandersetzt, statt diese zu ignorieren, und damit einen Staatsbegriff durchsetzt wie die englischen Konservativen, wird sie eine ungeheure Mission in der politischen Erziehung der Gebildeten erfüllen. Dazu muß sie freilich sich von Richtungen frei machen, die in reinem Patriotismus schließlich mehr geschadet als genützt und die politische Erziehung geradezu verdorben haben, wie die sog. alldeutsche Richtung in ihren Übertreibungen.«37

Zu einem derart klaren Profil, wie Hoetzsch es hier skizzierte, sollte es die DNVP aber zu keinem Zeitpunkt bringen. Wohl gelang die Verbreiterung der sozialen Basis, doch schloß dies zunächst auch Strömungen ein, die Hoetzsch lieber außen vor gelassen hätte, darunter die Völkischen und den Gewerkschaftsflügel. Von den ersteren trennte man sich nach dem Mord an Rathenau, wohingegen der letztere sich vorerst behaupten und

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im Rahmen der Bürgerblockkabinette sogar verschiedene sozialpolitische Reformprojekte mit auf den Weg bringen konnte, darunter die Arbeitslosenversicherung von 1927.38 Das zerstrittene Erscheinungsbild, das die Fraktion bei den Beratungen über den Dawes-Plan bot und die wachsenden Spannungen zwischen den Berufspolitikern in den Parlamenten und der Basis der Partei kosteten die DNVP jedoch bis 1928 rund ein Drittel ihrer Wähler, mit der Folge, daß sich der »Konflikt zwischen Tory-Konservativen und Rechtsradikalen« verschärfte.39 Die Entscheidung in diesem Konflikt fiel noch 1928, als sich der ostelbische Großgrundbesitz unter dem doppelten Druck zunehmender Steuerbelastung und einsetzender Weltagrarkrise veranlaßt sah, seine seit 1918 gewahrte politische Zurückhaltung aufzugeben und sein erhebliches, durch die Modalitäten der Parteifinanzierung verstärktes Gewicht zugunsten der Rechtsradikalen in die Waagschale zu werfen.40 Vermittelt und vorangetrieben wurde dies durch den Alldeutschen Verband, speziell den Kreis um Alfred Hugenberg (1865–1951), der bis dahin eher im Hintergrund gewirkt, jedoch durch finanzielle Zuwendungen und eine geschickte Personalpolitik eine Reihe von Landesverbänden auf seine Seite gebracht hatte.41 Im Oktober 1928 zum Parteivorsitzenden gewählt, gelang es Hugenberg in kürzester Frist, die DNVP in eine rechtsradikale Partei zu verwandeln, deren oligarchischer Zug in der von Freytagh-Loringhoven ausgegebenen Parole »Nicht große, sondern starke Rechte« unmißverständlich zum Ausdruck kam.42 Gestützt auf die Landesverbände, säuberte Hugenberg den Parteiapparat von den Angehörigen des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes und strich die Sozialpolitik von der Agenda43, wobei er in reichlichem Umfang auf die von vielen Industriellen geschätzten Thesen von Gustav Hartz zurückgriff, der unter anderem die Überführung der Sozialversicherung in eine privatrechtlich organisierte Sozialsparkasse gefordert hatte, in die jeder Arbeiter in eigener Verantwortung einzahlen sollte.44 Im Dezember 1929 kam es daraufhin zu einer Sezession der Arbeitnehmervertreter und der Christlich-Sozialen, der sich kurz darauf auch andere prominente Parteimitglieder wie Otto Hoetzsch anschlossen.45 Die Dissidenten gründeten eigene Organisationen wie den Christlich-Sozialen Volksdienst und die Volkskonservative Vereinigung, die jedoch über den Status von Splitterparteien nicht hinausgelangten.46 Im Juli 1930 verließen auch die »Tories« um den ehemaligen

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Parteivorsitzenden Kuno Graf Westarp die DNVP und schlossen sich mit den Volkskonservativen zur Konservativen Volkspartei zusammen47 – auch sie eine Totgeburt, brachte sie es doch bei den Reichstagswahlen im September 1930 nur auf 0,8 % der Stimmen. Die eindeutige Parteinahme im Sozialkonflikt machte die DNVP freilich noch nicht zu einer Unternehmerpartei, da weite Teile der Exportindustrie, des Handels und selbst der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie den agrarprotektionistischen Kurs Hugenbergs zunächst mit Argwohn betrachteten und Brüning unterstützten. Im Wahlkampf von 1930 standen keine Spitzenfunktionäre der rheinisch-westfälischen und mitteldeutschen Schwerindustrie mehr in Hugenbergs Lager.48 Weil sich zuvor auch die Verfechter einer an den Interessen der Bauern orientierten berufsständisch-gouvernementalen Politik abgespalten und die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei gebildet hatten49, verlor die DNVP sämtliche seit 1918 neu erschlossenen Wählerschichten und rutschte in den Gebieten westlich der Elbe auf den Rang einer Splitterpartei ab. Insgesamt vermochte sie bei den Reichstagswahlen zwischen 1930 und 1933 nur noch etwa 6 bis 9 % der Wähler zu mobilisieren. War die Partei bis 1928 auf dem Weg gewesen, sich in eine Volkspartei der gemäßigten Rechten zu verwandeln, so handelte es sich seit der Machtübernahme Hugenbergs um einen »rein alldeutschen Ausschuß«50, der alle Anstrengungen darein setzte, sich in eine »Weltanschauungspartei« des oligarchischen Nationalismus zu verwandeln51, dabei freilich die Bahnen der alten wilhelminischen Honoratiorenpolitik verließ und auf plebiszitäre, die direkte Verbindung von Parteiführung und Basis akzentuierende Politikmuster rekurrierte.52 Im Bemühen, den erfolgreicheren Konkurrenten im rechtsradikalen Lager zu kopieren, beschloß man darüber hinaus auf dem Stettiner Parteitag im September 1931, die DNVP in eine »Hugenberg-Bewegung« umzuwandeln, das Führerprinzip einzuführen und »Kampfstaffeln« zu gründen, die ein Pendant zu SA und SS bilden sollten.53 Auch wenn dieses Ziel nicht annähernd erreicht wurde54, waren damit doch Voraussetzungen geschaffen, die es Hugenberg im Januar 1933 ermöglichten, die Partei in ein Bündnis mit Hitler zu führen, ohne dafür bei Fraktion und Basis wirklichen Rückhalt zu besitzen.55 Zeitgenössische Beobachter wie der bereits zitierte Georg Decker haben die Machtergreifung Hugenbergs in der DNVP unter die Überschrift

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»Der Tod einer Partei« gestellt und dies vor allem auf die Ausschaltung der deutschkonservativen Bestandteile bezogen. Noch einen Schritt weiter ging der Kommentator der Tat, für den dieser Vorgang nur der Schlußstein einer Entwicklung war, die schon im 19. Jahrhundert zu einer sukzessiven Liberalisierung des Konservatismus geführt habe. Das »schauerliche Ende dieses liberalistischen Konservatismus« habe man in der wilhelminischen Ära erlebt. Was danach gekommen sei, sei »nur noch eine Farce. Der industrielle Rechtsliberalismus Hugenbergscher Prägung, der sich die liberalen Methoden und Ziele in jeder Form zu eigen gemacht hat und sich nur durch eine schärfere Betonung des Nationalen auszeichnet, ohne sich sowohl staatlich wie wirtschaftlich scharf vom System abzugrenzen, hat wenig konservative Elemente mehr aufzuweisen. Er ist im Liberalismus aufgegangen.«56 So richtig hier der Abstand bezeichnet ist, der die DNVP Hugenbergschen Zuschnitts vom historischen Konservatismus trennt, die Zuordnung zum Liberalismus führt in die Irre. Gewiß bietet die Biographie Hugenbergs dafür mancherlei Anlaß. Seine Aktivitäten im Direktorium des Centralverbandes Deutscher Industrieller, in das er 1911 gewählt worden war, seine Rolle im Bergbauverein, im Langnam-Verein, in verschiedenen Handelskammern und nicht zuletzt im 1912 gegründeten Altnationalliberalen Reichsverband hätten ihn eigentlich eher in die Deutsche Volkspartei als Nachfolgepartei der Nationalliberalen führen müssen als in die DNVP, so daß es auch nicht überraschend ist, ihn nach Kriegsende in den Reihen derjenigen zu finden, die sich vehement für eine Fusion beider Parteien einsetzten.57 Was Hugenberg jedoch vom Liberalismus trennte, war ein Politikverständnis, das anstatt auf Interessenausgleich und Kompromißfähigkeit – »Vergesellschaftung« in der Terminologie Max Webers – auf »Kampf« setzte, auf einen Beziehungsmodus, bei dem »das Handeln an der Absicht der Durchsetzung des eignen Willens gegen Widerstand des oder der Partner orientiert ist.«58 Unter seiner Führung verfolgte die DNVP wohl das Ziel, das Privateigentum zu erhalten, doch bezog sich dies vor allem auf das ökonomische Kapital der agrarischen Besitzklassen, keineswegs auf dasjenige ihrer Gläubiger, das durch Moratorien und Entschuldungen weitgehend entrechtet werden sollte.59 Die von Hugenberg unterstützten Forderungen des Reichs-Landbundes nach einer sofortigen Abkoppelung der deutschen

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Landwirtschaft vom Weltmarkt, nach größtmöglicher Autarkie und maximalem Protektionismus lassen sich auch bei weitester Auslegung des Begriffs nicht unter »Wirtschaftsliberalismus« verbuchen. Auf der Agenda der industriellen Interessenverbände fand sich zwar sehr viel mehr, was in diese Richtung wies, doch galt dies nur für die Exportindustrien des ›Brüning-Lagers‹, nicht für die »Fronde der faulen Debitoren« im Lager der »Harzburger Front«, gab es doch vor allem in der Schwerindustrie nicht wenige Unternehmen, die nach marktwirtschaftlichen Gesetzen vor dem Ruin standen und diesen einzig abzuwenden vermochten, wenn mit staatlichen Mitteln eine künstliche Nachfrage nach ihren Gütern geschaffen wurde.60 Wie die Unterstützung zeigt, die dem gemäßigten Lutherbund durch die rheinisch-westfälische Schwerindustrie zuteil wurde, war damit nicht notwendigerweise ein Einschwenken auf die kompromißlose Linie Hugenbergs und der ostelbischen Großagrarier verbunden, doch hielt man auch in diesem Kreis eine Reform der parlamentarisch-demokratischen und der föderativen Verfassungselemente für überfällig.61 Erst seit Anfang 1931 ging man zu Brüning auf Distanz und begann offen, das Harzburger Lager zu unterstützen.62 Die Tycoons von Rhein und Ruhr mochten den braunen Schlägerhorden wenig politische Gestaltungskraft zutrauen, aber mit ihrer Hilfe schien es möglich, die Linke auszuschalten und damit die Bahn zur Reduktion des Sozialstaates und zur Senkung der Arbeitskosten freizumachen. Für alles andere würden die Fachleute sorgen, und mit Hugenberg, dem ehemaligen Krupp-Manager als Minister für Industrie und Landwirtschaft, schien dies garantiert zu sein. So kam am 30. Januar 1933 jenes ›Kabinett der nationalen Konzentration‹ zustande, das in kürzester Frist die Schleusen für einen Mahlstrom öffnete, der nach den Resten des Konservatismus bald auch die Reste des Liberalismus verschlang – und zwar keineswegs nur des politischen, sondern auch des ökonomischen Liberalismus, der einer »Ökonomie der Zerstörung« weichen mußte.63

II. Während es im politischen Feld der Weimarer Republik mehr als ein Jahrzehnt brauchte, bis sich wieder eine Partei aus der Deckung wagte, die sich wenigstens dem Namen nach in die Tradition des Konservatismus stellte,

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war man im intellektuellen Feld risikofreudiger. Als einer der ersten betrat noch im Krieg der Chronist des Wandervogels, Hans Blüher, die Bühne, indem er in einem skandalträchtigen Buch über Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft die Forderung nach einem »Neukonservativismus« erhob, »dessen rechte Hand (also die stärkere) wirkungsvoll die dauernde Änderung der Gesellschaftsverhältnisse besorgt, dessen linke (!) aber das Bestehende schützt«.64 Als dieses Bestehende, worunter Blüher vor allem Adel, Reich und Monarchie verstand, 1918/19 der republikanischbürgerlichen Ordnung weichen mußte, forderte er die Konservativen auf, revolutionär zu werden, und die Revolutionäre (aus seiner Sicht: die Jugend) konservativ. In einem Vortrag über ›Deutsches Reich, Judentum und Sozialismus‹, den er 1919 in mehreren Städten, darunter auch München hielt, erklärte er, Geist sei immer zugleich konservativ und revolutionär. Das Vorwort zur späteren Buchausgabe fügte erläuternd hinzu, man wolle »im Wort und im Gedanken zugleich das Revolutionäre und das Konservative rechtfertigen«.65 Unter den Zuhörern dieses Vortrags befand sich Thomas Mann, der in seinem Tagebuch vom 11. 2. 1919 festhielt: Ausgezeichnet, »mir fast Wort für Wort aus der Seele geredet«. Dasselbe Prädikat, nämlich ›ausgezeichnet‹, tauchte am 11. 9. des gleichen Jahres auf, als er die schriftliche Fassung des Vortrags las.66 Von ›konservativer Revolution‹ sprach Thomas Mann dann selbst 1921 in der Einleitung zu einem Themenheft der Süddeutschen Monatshefte über russische Literatur, die er auf Wunsch des Übersetzers und Herausgebers Alexander Eliasberg verfaßt hatte. Die Bedeutung dieser Literatur sah Mann in den Verjüngungs- und Regenerationseffekten, die für den »Sohn des 19. Jahrhunderts« mit ihr verbunden seien; das Erlebnis russischen Wesens sei religiöser Natur, gerade so wie das Erlebnis Nietzsches. Wenn Mereschkowski die russische Kritik als Anfang der Religion bezeichne, so wiederhole er damit den Kampf Nietzsches um eine neue Religiosität aus höchstem, schöpferischem Bewußtsein heraus, erneuere er den Kampf um eine Synthese »von Aufklärung und Glauben, von Freiheit und Gebundenheit, von Geist und Fleisch, ›Gott‹ und ›Welt‹.« Was aber in der Kunst die Synthese von Sinnlichkeit und Kritizismus sei, sei politisch ausgedrückt diejenige von Konservativismus und Revolution: »Denn Konservatismus braucht nur Geist zu haben, um revolutionärer zu sein als irgendwelche positivistisch-liberalistische Aufklärung, und

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Nietzsche selbst war von Anbeginn, schon in den ›Unzeitgemäßen Betrachtungen‹, nichts anderes als konservative Revolution«.67 Etwa um die gleiche Zeit taucht das Syntagma auch in anderen Texten auf. Noch 1920 erging aus dem Kreis um Hugo von Hofmannsthal durch Rudolf Pannwitz die Aufforderung an die deutsche Jugend, »revolutionärer als die revolutionäre konservativer als die konservativen zu sein«.68 Von seiner im gleichen Jahr erschienenen Deutschen Lehre ließ Thomas Mann sich »mit größter Sympathie […] züchtigen«.69 Mit jeweils anderer Akzentuierung machten sich auch Repräsentanten des renouveau catholique wie Paul Ludwig Landsberg oder liberale Demokraten wie Ernst Troeltsch das Syntagma zu eigen.70 1924 sprach mit Rudolf Borchardt ein weiterer Autor aus dem Umfeld Hugo von Hofmannsthals von der Notwendigkeit einer »restaurierende[n] Revolution« bzw. einer »revoltierende[n] Restauration«71, deren Vorbild zwei Jahre später Blühers Schulfreund Hans Schwarz im italienischen Faschismus zu erkennen glaubte.72 Mit einiger Verspätung, dafür um so größerer Publizität, griff Hofmannsthal selbst in seiner Münchner Rede vom Januar 1927 die Formel auf, in der er die konservative Revolution als Gegenbewegung gegen Renaissance und Reformation anpries.73 Äußerungen wie diese hat man als »metapolitisch« eingestuft, als Manifestationen einer »Politisierung des Unpolitischen«74, und dies insofern zu Recht, als sie in politischer Hinsicht ausgesprochen strukturarm, eben deshalb aber auch in unterschiedliche Richtung entwicklungsfähig waren. Blühers »Neukonservativismus« führte ihn bald in die Nähe des neoaristokratischen Deutschen Herrenklubs, während Troeltsch in der Deutschen Demokratischen Partei seine Heimat fand. Deutlich politischer konturiert im Sinne einer Parteinahme für die sich neu formierende radikale Rechte war die angestrebte »konservative Revolution« dagegen in einem Kreis, der sich 1922 als »Neue Front« präsentierte75, sich aber schon vorher in Zeitschriften wie dem von Thomas Mann sehr geschätzten Gewissen (Berlin) und dem Deutschen Volkstum (Hamburg) zu Wort gemeldet hatte.76 Hier fand man es durchaus in der Ordnung, daß sich die beiden konservativen Parteien des Kaiserreichs in einer neuen Partei zusammengeschlossen hatten, »die den nationalen Gedanken in den Vordergrund schob«, wohingegen die Entscheidung der Deutschkonservativen, sich eine Reservestellung zu bewahren, mit Befremden registriert wurde, als Hindernis auf

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dem Weg zur »Blockpartei der größeren Rechten, die nicht nur die beiden konservativen Fraktionen, sondern auch die nationalliberale und die klerikale Rechte mit umfaßt.«77 Diese Absage an den Namen war allerdings keine Absage an die Sache, war man sich doch sicher, daß »der echte deutsche Konservativismus, mit dem Preußen und Deutschland groß geworden sind, nur dann Zukunft hat, wenn er sich als das erkennt, was er im verwestlichten Europa ist: als treibenden Faktor der Weltrevolution.«78 Die genauere Bestimmung der Sache, für die dieser »echte deutsche Konservativismus« stehen sollte, kam indessen über eine Ansammlung von Phrasen nicht hinaus. In einer im Herbst 1921 unter dem Titel »Konservativ« veröffentlichten Artikelserie leitete Boehms Freund Moeller van den Bruck, unbekümmert um die schon damals bekannten Einsichten der Thermodynamik in das Phänomen der Entropie, den Konservatismus zunächst aus der Natur ab, die »auf einer nicht zu erschütternden Konstanz der Erscheinungen« beruhe79, wechselte dann aber unvermittelt zu der Behauptung über, auch der Konservativismus müsse immer wieder errungen werden. Konservatives Denken sehe wohl »in allen menschlichen Verhältnissen ein Ewiges wiederkehren«, doch müsse auch dieses Ewige »aus dem Zeitlichen immer wieder geistig geschöpft werden. Nur dieser schöpferische Konservativismus läßt sich einem Volke mitteilen. Nur ihm glaubt ein Volk als Nation. Und diesen Konservativismus gab es in dem Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr.«80 Versagt aber hatte der ältere Konservatismus in Moellers Augen vor allem deshalb, weil er sich allein an den Staat hielt und darüber die Nation vergaß – oder genauer gesagt: weil er die letztere nur in dynastisch und ständisch verkürzter Form zu denken vermochte.81 Wolle der Konservatismus wieder schöpferisch werden, so habe er genau hier anzusetzen und die Nation neu zu fassen, in einem nicht mehr exklusiven, sondern inklusiven Sinne. Der konservative Mensch, so die Botschaft, »hat die Menschheit noch niemals einig und versammelt gesehen, es sei denn eben in der eingebildeten Welt des revolutionären Menschen, der ihr in Deutschland mit einer ganz besonderen Inbrunst anhängt – wobei ihm zum Schaden des eigenen Volkes die anderen Völker nicht folgen. Der konservative Mensch erkennt vielmehr, daß das Leben der Menschen sich in Nationen erhält. Also sucht er das Leben derjenigen Nation zu erhalten, der er angehört.«82 Hält man dies mit der in einem früheren Beitrag getroffenen Bestimmung zusammen, wo-

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nach konservativ sei, »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt«83, des weiteren mit der Auskunft, konservatives Denken sei »demiurgisches Denken, das den schöpferischen Menschen das Werk des Schöpfers auf Erden fortsetzen läßt«84, so wird der gewaltige Abstand deutlich, der Moeller vom historischen Konservatismus trennt. Denn wenn schon der nationale Gedanke sich keineswegs notwendig aus dem Archetyp konservativer Ideologie ergab, so erst recht nicht eine Fassung desselben, die ohne jeden Bezug zu etwas Bestehendem, mithin rein utopischer Natur war.85 Moellers Ausführungen waren unkonkret genug, um einen Kreis zusammenzuführen, der sich 1922 als Neue Front der Öffentlichkeit präsentierte, obwohl er durchaus heterogene Geister umschloß: christliche Gewerkschaftler wie Franz Röhr und Walther Lambach, prospektive Hugenbergianer wie Reinhold Georg Quaatz, Nationalisten kat’exochen wie Moeller van den Bruck, »antinationalistische Nationalisten« wie Max Hildebert Boehm, völkische Wirrköpfe wie Willy Schlüter und ehemalige Sozialdemokraten wie August Winnig.86 Schon zwei Jahre später waren indes die Differenzen zwischen den verschiedenen Strömungen derart ausgeprägt, daß sie zu organisatorischer Ausgestaltung drängten. Den ersten Schritt tat der Mitherausgeber der Neuen Front, Heinrich von Gleichen, in dessen Wohnung 1919 der Juni-Klub, eine der Keimzellen der intellektuellen Rechten der Weimarer Republik, seine ersten Zusammenkünfte gehabt hatte.87 Um der immer deutlicher werdenden Krise dieses Klubs zu begegnen, schlug er Anfang Mai 1924 eine Neugründung vor, die nicht mehr auf dem Prinzip der Arbeitsgemeinschaft beruhen, vielmehr »Gelegenheit zu gesellschaftlicher Verbindung bei getrennter sachlicher Arbeit« bieten sollte.88 Als im folgenden Herbst der Hauptgegner eines solchen Projekts, Moeller van den Bruck, an einer Depression erkrankte, die im Mai 1925 im Suizid endete, sah Gleichen den Weg frei und rief am 12. 12. 1924 den Deutschen Herrenklub ins Leben, dessen Mitglieder – bis 1932 etwa fünftausend Personen – etwa zur Hälfte aus dem Adel, im übrigen aus Bank-, Industrie- und Regierungskreisen stammten, unter ihnen viele Reichstagsabgeordnete der Deutschnationalen Volkspartei.89 Als publizistisches Forum diente zunächst das Gewissen, ab dem 1. 1. 1928 Der Ring, eine ebenfalls von Heinrich von Gleichen herausgegebene Wochenzeitung, die ab dem 14. 9. den Untertitel Konservative Wochenschrift trug und 1934 in den Wirtschafts-Ring umgewandelt wurde.90

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Entgegen Deutungen, die darin die »zweite Phase des Jungkonservatismus« sehen wollen91, ist festzuhalten, daß die Selbstbezeichnung »jungkonservativ« in einem programmatischen Sinne erst jetzt auftaucht und im übrigen nicht zum Nominalwert genommen werden kann.92 Der Artikel, den Gleichen am 17. 11. 1924 unter dieser Überschrift veröffentlichte, war lediglich im Negativen eindeutig, wenn er, gegen den politischen Liberalismus und dessen Bündnispartner in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie gewandt, betonte, »daß, so absurd es auch klingt, konservatives Wollen beim heutigen Staate zum revolutionären Wollen werden mußte und daß es ein Paktieren mit diesem Staate der Demokratie vom konservativen Standpunkte nicht gibt.« Für seine Forderung nach einer »Rückkehr der Herrschaft der Persönlichkeit« bot er zwar klangvolle Namen wie Lagarde oder Nietzsche als Kronzeugen auf93, setzte sich aber darüber hinweg, daß beide Positionen eingenommen hatten, die sich jeder Einordnung in die Tradition des Konservatismus sperren. Hatte doch Nietzsche, um nur von ihm zu reden, den Konservativen entgegengehalten: »eine Rückbildung, eine Umkehr in irgend welchem Sinn und Grade ist gar nicht möglich.« Es stehe »Niemandem frei, Krebs zu sein. Es hilft nichts: man muss vorwärts, will sagen Schritt für Schritt weiter in der décadence (– dies meine Definition des modernen ›Fortschritts‹ …). Man kann diese Entwicklung hemmen und, durch Hemmung, die Entartung selber stauen, aufsammeln, vehementer und plötzlicher machen: mehr kann man nicht. – «94 Die Herrschaft der »Persönlichkeit«, zu der von Gleichen zurückkehren wollte, hatte im übrigen ihren Bezugspunkt nicht in der societas civilis, sondern in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, wie jeder Blick in die Protestantismus-Studie Max Webers oder die kantianisch-neukantianische Verwendung dieses Begriffs lehrt.95 In die gleiche Richtung deutet die Klage, in der Wirtschaft seien nicht mehr Unternehmer bestimmend und führend, »sondern Massenkonzentrationen, zeitweilig die Gewerkschaften, und jetzt, so scheint es, die Kapitalkonzerne, hinter denen eine anonyme internationale Großfinanz, wenn auch in der Spitze persönlich geleitet, steht«  – ein Ausdruck bürgerlicher Nostalgie, wie er vor allem in Werner Sombarts Diagnosen zum Schicksal des Kapitalismus beredten Ausdruck fand.96 Mit kaum verhohlenem Neid würdigte von Gleichen die Abneigung, die man in England und vor allem den Vereinigten

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Staaten dem Staatssozialismus entgegenbrachte, zeigten doch die Zahlen des Staatshaushaltes dort »eine bewundernswerte Reserve«97, während in Deutschland nachgerade alle Regierungen der »Bolschewisierung der Privatwirtschaft durch den geltenden Staatssozialismus, durch die Maßnahmen der öffentlichen Hand« Vorschub leisteten und die schleichende Umwandlung des ›Hoheitsstaates‹ in den ›Geschäftsstaat‹ betrieben.98 Seine fortlaufende Polemik gegen die seit den Tagen des Kathedersozialismus vorhandene und sich ständig steigernde »wirtschaftsfeindliche Haltung der Intellektuellen«99 war ein Echo dessen, was auf den Tagungen der Industrieverbände zu hören war, wo man zweifellos auch den Empfehlungen zugestimmt hätte, die von Gleichen zur Lösung der Krise ins Feld führte: »Einschränkung der Omnipotenz des Staates, seiner direkten Einflußnahme auf Wirtschaft, Wohlfahrt und Kultur«, »Abbau des geltenden Staatssozialismus« sowie eine »grundsätzliche Reform der gesamten Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik«, die insbesondere die letztere aus der staatlichen Zuständigkeit herausnehmen und »in die Hand der vereinigten Produktionsbeteiligten, insbesondere der Gewerkschaften«, legen sollte100, mit dem zu erwartenden Effekt, daß man auch auf dieser Seite lernen würde, seine Erwartungen an die Konjunkturlage anzupassen. Und wenn von Gleichen 1930 die acht Jahre zuvor gemeinsam mit Moeller van den Bruck und Boehm beschworene »Neue Front« umdefinierte in ein wie immer auch unpopuläres »Bündnis der Konservativen mit den Liberalen«, dann irrte er sich nur in der Bestimmung des konservativen Partners, hatte dieser doch in seiner Darstellung weit mehr Gemeinsamkeit mit dem, was man »autoritären Liberalismus« genannt hat, als mit dem historischen Konservatismus.101 Unterstützung erhielt dieses Konzept durch eine Reihe von Publizisten, die weit über den Ring hinaus Gehör fanden. Heinz Oskar Ziegler, seinerseits an gewisse Vorgaben Carl Schmitts anknüpfend, sprach dem Staat zwar das Recht und die Pflicht zu, planmäßig die Kräfte der Volkswirtschaft zusammenzufassen, nannte aber als Voraussetzung dafür »gerade eine Loslösung des politischen Bereichs aus der engen Verflechtung mit diesen ganzen Interessen«.102 Analog hierzu machte Walther Schotte, 1916/17 Sekretär Friedrich Naumanns, von 1919 bis 1927 Herausgeber der Preußischen Jahrbücher, in der Politisierung der Wirtschaft den »Urgrund der strukturellen Krise« aus, der nur durch den »Abbau des Staatssozialis-

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mus« begegnet werden könne.103 Es sei höchste Zeit, »den totalen Staat auf den essentiellen Staat zu reduzieren«, indem man alles beseitige, was die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft unterdrücke: »die Versicherungsorbitanz«, die Tarifherrschaft, die staatliche Preiskontrolle und den »Steuerwahnsinn«.104 Wollte Schotte dabei an der gesetzlichen Zwangsversicherung vorerst nicht rütteln und lediglich die – eben erst eingeführte – Arbeitslosenversicherung wieder abschaffen105, so propagierte Edgar Julius Jung, der sich noch 1924 vergeblich um ein Reichstagsmandat auf der Liste der DVP beworben hatte106, eine »konservative Revolution«, die die natürliche ›Doppelung von Volk und Staat‹ wiederherstellen müsse.107 Arbeits- und Versicherungsrecht, soziale Fürsorge und alle übrigen Zweige der modernen Sozialpolitik seien aus der staatlichen Zuständigkeit herauszunehmen und auf Selbstverwaltungsorgane zu übertragen. Der zum Almosengeber für alle Schwachen und Minderwertigen entartete Staat sollte auf die klassischen Funktionen wie Außenpolitik, Justiz, Polizei sowie allenfalls noch Bevölkerungspolitik reduziert werden. Der ›Steuerbolschewismus‹ habe zu verschwinden, desgleichen die Nivellierung der Leistungen durch staatliche Lohnpolitik, die übertriebene Zentralisierung und Bürokratisierung. Der Staat sollte auf Interventionen in die Wirtschaft verzichten und die »Autonomie der Gesellschaft« respektieren. Den derart geschützten Raum wollte Jung zwar durch allerlei »natürliche Verbände« organisch gegliedert wissen und nicht einfach dem Laissez-faire überlassen. Seine Forderung nach einer »reinliche(n) Scheidung von Wirtschaft und Staat« entsprach indes so weitgehend den Prinzipien des ökonomischen Liberalismus, daß das organizistische Vokabular als durchaus überflüssige Beigabe erscheint.108 Im Sommer 1932 wurde dieser »rein autoritäre Weg«, wie ihn der Ring nannte, offizielle Regierungspolitik, als mit Franz von Papen ein prominentes Mitglied des Herrenklubs die Regierung übernahm und sowohl Schotte als auch Jung als Propagandisten und Redenschreiber heranzog.109 Wandte sich schon die Regierungserklärung scharf gegen den Staatssozialismus, so ließen die auf dem Fuße folgenden Notverordnungen nicht im Unklaren, was man darunter verstand: die drastische Kürzung aller Sozialleistungen, von den Invaliden- über die Angestellten- bis zu den Knappschaftsrenten. Die Unterstützungssätze der Arbeitslosenversicherung wurden um fast ein Viertel gesenkt, die der anschließenden

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Krisenfürsorge um 17 % und die gemeindlichen Wohlfahrtssätze um 15 %; die Bedürftigkeitsprüfung sollte nunmehr bereits nach sechs Wochen erfolgen, danach erlosch praktisch jeder versorgungsähnliche Anspruch. Zugleich verkündete die Regierung die Absicht, die Lohnkosten zu senken, die Unternehmer von öffentlichen Abgaben zu entlasten und das Tarifrecht zu ihren Gunsten zu reformieren. Auch das im Sommer 1932 entwickelte Wirtschaftsprogramm, mit dem die Krise überwunden werden sollte, lief auf eine indirekte Subventionierung der Großindustrie durch Steuernachlässe hinaus. Daß die vorgesehenen Steuergutscheine tatsächlich für Investitionen und Neueinstellungen von Arbeitskräften genutzt, und nicht, wie vielfach befürchtet, zur Entschuldung verwendet würden, war nach dem ganzen Zuschnitt des Programms schlechterdings nicht kontrollierbar.110 Die »konservative Revolution«, deren Realisierung Papen für sich in Anspruch nahm111, war nach alledem nichts dergleichen, sondern wenig anderes als der Versuch, »ein altmodisches liberal-konstitutionelles Bürgerkönigtum ohne König aufzurichten«.112

III. In das Spektrum der Weimarer Schein- oder Pseudokonservatismen gehört indessen noch eine weitere Erscheinung, die zwar politisch ohne Relevanz blieb, jedoch erwähnt werden muß, weil sie sich selbst als Radikalisierung des Konservatismus verstand und auch so wahrgenommen wurde. Mit Blick auf sie hat man von ›ästhetischem Konservatismus‹ (Kai Kauffmann) bzw. einem ›kulturkonservativ-revolutionären Lager‹ (Alexander Mionskowski) gesprochen, womit sicherlich eine wesentliche Komponente des Selbstverständnisses ihres wichtigsten Trägers getroffen ist: Rudolf Borchardts (1877–1945).113 Bei näherer Betrachtung entdeckt man freilich eine Mischung von destruktiven und neoreligiösen Impulsen, die eher auf eine Variante des modernen Fundamentalismus hindeutet114, in jedem Fall aber die Zuordnung zum »Scheinkonservatismus« rechtfertigt. Seit 1903 in der Toskana lebend und nur intermittierend in Deutschland auftauchend, hatte Borchardt schon vor dem Ersten Weltkrieg durch seine Verteidigung Kaiser Wilhelms in der Daily Telegraph-Affäre Aufsehen erregt, sich im Krieg als hyperpatriotischer Redner profiliert und

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ab 1924 einen »Kulturkampf gegen die Republik« entfesselt, der auf nichts Geringeres zielte als eine kulturelle Neuformierung der Nation im Wege einer Wiederentdeckung des Mittelalters.115 Seine Beiträge verstand er als Teilstücke einer »Theorie des Conservatismus«116, einer »in Weltsprachen sich ausdrückenden consequenten conservativen Schriftstellerei […] Sie wird, was seit Burke nicht mehr geschehen ist, den europäischen Conservatismus so pamphletär und angreifend vertreten, wie in den letzten Generationen nur der Radikalismus vertreten worden ist, und in sich ein conservatives Manifest darzustellen versuchen.«117 Das Ergebnis sollte ein ›immer unerbittlicherer Konservatismus‹, ja ein ›totalitärer Konservatismus‹ sein, für den Borchardt ab 1928 im Ring und in den Münchner Neuesten Nachrichten warb.118 Erläutert wurde dies zunächst mit Begriffen wie »Art« und »Tradition«. »Art« bezog sich auf Naturkonstanten, wie sie in bestimmten Aufgaben und Eigenschaften der Geschlechter, im Institut der Elternschaft, im Verhältnis der Generationen sowie ›Urkräften‹ und ›Urmächten‹ wie Erde, Stamm, Volkstum etc. gegeben zu sein schienen.119 »Tradition« hingegen auf ein Geistiges, geschichtlich Entstandenes, durch religiöse Offenbarung, dichterisches Sehertum, staatsmännisches Handeln etc. Bedingtes. Das Verhältnis zwischen beiden Faktoren konzipierte Borchardt als Spannungsverhältnis, bei dem sich die Gewichte mal nach der einen, mal nach der anderen Richtung verschieben können und dadurch »die Gegensätzlichkeit zweier Konservatismen, eines geschichtstiefen und eines geschichtslos mechanischen«, begründen.120 Im 19. Jahrhundert habe die Überlieferung das Übergewicht gehabt; der Konservatismus der Gegenwart dagegen verlagere den Akzent auf die Art im biologischen Sinne und sei »antigeschichtlich, naturwissenschaftlich«, indem er »den bäuerlichen Menschen so zum ausschließlichen Träger der nationalen Art, das heißt des nationalen Mythus erhebt wie jener den ritterlichen, und ihn ebenso gegen den proletarischen Arbeiter absetzt, wie jener seinen Wunschtypus gegen den radikalen Bürger«121 – eine Tendenz, gegen die Borchardt schon während des Krieges mit dem Argument protestierte, es sei unmöglich, »indefinible Kategorien der Naturgeschichte in die sittliche Welt zu überpflanzen«.122 So sehr die auf die Realemanzipation gefolgte »Idealemanzipation des Bauern« als ein »kraftvoller Zuwachs zum nationalen Guthaben« zu begrüßen sei, so klar sei doch, daß der Konservatismus auf keinen speziellen Stand zu gründen

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sei: »wir sind nicht alle Bauern, so wenig wir um 1850 alle Ritter waren. […] Die Geschichte und der Gehalt gewaltiger Nationen läßt sich nicht so unbekümmert auf halbe Nüsse spalten.«123 Deutlicher als diese insgesamt sehr im Vagen bleibenden Ausführungen waren die Angaben darüber, was Konservatismus nicht war: die Weltanschauung einer Partei. In einem Rechenschaftsbericht über seine politischen Interventionen, der um 1932 entstanden sein dürfte, bezeichnete sich Borchardt als einen Mann, »der von keiner Partei sein konnte, der von Beginn an alles, was um ihn her Partei zu machen oder zu werden versucht hatte, sich ferngehalten hatte«.124 Schon während des Ersten Weltkriegs äußerte er sich angewidert über »die unverschämte Komödie des heut alldeutsch nationalliberal-conservativ phrasierten Patriotismus«125, um sich bald darauf über den »völlig verödeten und obsoleten Blähleib der alten konservativen, nun anders genannten Partei« zu echauffieren. Gemeint war die Deutschnationale Volkspartei, die in Borchardts Augen ein Gebilde darstellte, das nur noch aus zum Tode verurteilten bornierten Landwirten und banausischen Arbeitgebern bestand und von geistigen Tieffliegern und Phrasenhelden wie Hugenberg geleitet wurde.126 Dieselbe Abneigung äußerte er gegenüber den Volkskonservativen sowie den parteipolitischen Ambitionen des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes.127 Eine Ausnahme machten lediglich die Kreise um den Ring und um Edgar Julius Jung, zu denen Borchardt seit Ende 1929 auch engere persönliche Beziehungen unterhielt – wie unter Intellektuellen allerdings unvermeidbar: nicht ohne erhebliche Spannungen, die sich gegenüber Jung gleich nach dessen Veröffentlichung der Herrschaft der Minderwertigen entluden und gegenüber dem Ring gar zu einem Abbruch der Beziehungen führten, als das Blatt aus Geldnot in Abhängigkeit von der Großindustrie geriet.128 Borchardts Konservatismus war also nicht der einer Partei oder eines Verbandes. Er war auch nicht identisch mit einer der unter diesem Titel angebotenen Weltanschauungen, die vielmehr unter dem Verdacht standen, »sehr erhebliche Einfuhren liberaler Gedankenverwirrung« in sich aufgenommen zu haben.129 Die Politik an Weltanschauungen und Programmen zu orientieren war für Borchardt ein Kennzeichen des Liberalismus; die Behauptung einer konservativen Weltanschauung deshalb nicht Konservatismus, sondern bestenfalls »Gegenliberalismus«, so wie die

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Reformation neben dem Protestantismus auch eine Gegenreformation hervorgebracht habe. Echter Konservatismus dagegen »hat keine Weltanschauung, sondern er ist entweder eine, oder er hat nichts und ist nichts.«130 Einige Abschnitte weiter wird präzisiert: »Der Konservatismus hat nicht individuelle Triebe zu kollektivieren auf dem Wege der Theorie anstreben müssen, der ›Weltanschauung‹, sondern umgekehrt von der höchsten Kollektivität her, die ihm mitgeboren war, Volkstum, Nation, Menschheit, das Individuum zugleich bezielt und bedingt, durch Maßnahmen; denn Maßnahmen sind bei ihm, was beim Liberalismus ›Programme‹ und der ›demokratische Gedanke‹ sind«.131 In dieser Feier der Maßnahme enthüllt sich der Kern von Borchardts Verständnis des Konservatismus. Etwa zur gleichen Zeit wie Carl Schmitt, der die Maßnahme als charakteristische Äußerungsform des erstmals in der Epoche des Absolutismus auftretenden Verwaltungsstaates und seines Anspruchs auf »Souveränität« deutete132, präsentierte auch Borchardt den »Fürsten« als eine Instanz, deren Aktionsmodus die »Unterwerfung«, deren Sozialform die »Souveränetät« [sic] sei.133 Das Handeln des Fürsten bzw. seiner interimistischen, mehr oder weniger selbsternannten Stellvertreter sollte alle vorgefundenen Schranken wie z. B. »Adelsaufsicht, Ratsbevormundung, Konstitution« durchbrechen und sich ohne Ankündigung, ohne Beachtung irgendwelcher Regeln und Verfahren geltend machen, als »Schlag aus der Verschlossenheit«, als »Stoß aus dem Dunkeln«, weshalb Borchardt denn auch nicht zögerte, von ›Dämonie‹ zu reden – eine Vokabel, die weit eher als auf den als Kronzeugen bemühten Goethe auf die ›magischen Begriffskreaturen‹ Macchiavellis verweist, der den Fürsten als »eine Art von künstlichem Dämon« verstanden hat.134 Vorstellungen dieser Art stehen nicht für einen »neuen, staatlichdezisionistisch orientierten Konservatismus«.135 Sie bezeichnen vielmehr exakt das, wovon der Konservatismus von Anfang an sich abstieß. Seit sich im 16. Jahrhundert das fürstliche Handeln aus allen checks and balances der alteuropäischen societas civilis herauslöste und sich als reiner Voluntarismus manifestierte, war Konservatismus der Versuch der Hüter der Tradition, präziser gesprochen: des Adels, diese Entwicklung aufzuhalten und sich der Transformation des Rechts in jederzeit änderbare Satzung, »Legalität«, im Namen der Unmachbarkeit des Rechts und der Naturwüchsigkeit der soziopolitischen Ordnung entgegenzustemmen.

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Borchardt mochte noch so sehr darauf drängen, dem modernen Staat in der Idee des Reiches eine als »Sakrament« verstandene Grenze zu setzen, er mochte noch so viele Lippenbekenntnisse zu einer Restauration abgeben, die »dem Adel sein heroisches Grundbuch« geben und »vom Adel und nur von ihm aus die politische wie die geistige Umstimmung und Gestaltung« vornehmen würde136, es ändert nichts daran, daß diese Grenze ein reichlich zerebrales Konstrukt war und der anvisierte Zustand deutliche Züge der Diktatur trug – um 1923 zunächst noch der kommissarischen Diktatur im Sinne von Carl Schmitt, Anfang der 30er Jahre mehr und mehr der souveränen Diktatur.137 Wie wenig Borchardts Verständnis selbst der formalsten Definition von Konservatismus, der puren Erhaltung des Status quo, entsprach, zeigten seine Gegenwartsdiagnosen, die erhaltenswerte Bestände nur noch bei den romanischen Völkern auszumachen vermochten, welche ihre nationale Tradition, ihre politisch-sozialen Institutionen und ihren auf Hausund Grundbesitz basierenden Familialismus »durch alle Stürme der Zeit fast unversehrt gerettet« hätten.138 Für Deutschland dagegen fiel die Bilanz verheerend aus. Wo Art sein sollte, fand Borchardt nur mehr Entartung: »Entartung der Physis wie der Psyche«, »Verkehrung der natürlichen Gegensätze der Geschlechter, der Lebensalter, der Stände«.139 Die »Lebensformen des Kapitalismus« hätten zur »Entseelung der Familie« und zur »Verderbnis der Frau« geführt, zur »Übertragung von Dämonie und Problematik des männlichen Schicksals auf das weibliche« und dadurch zur »Zerstörung des einzigen Ruhenden und Bewahrenden, das dem Menschengeschlechte zusteht«.140 Verstärkt werde dies durch eine spezifisch deutsche Entartung, wie Borchardt sie in Zeugungs- und Kinderfeindlichkeit gegeben glaubte. Verhöhnung der Elternschaft, Entweihung der Ehe, Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung, Freigabe der Abtreibung – das waren nur einige Aspekte jener Dekadenz, die aus dem Volk ohne Raum einen »Raum ohne Volk« zu machen im Begriff war. Das Ende der »deutschen Entvölkerungstragödie« war bereits in Sicht: »Mit Perversen und Inversen stirbt die Menschheit an einem ihrer Zweige ab«.141 Das Volk, jenes Kollektiv, dessen Bewahrung sich der Konservatismus verschrieben hatte, war also auf dem besten Wege zu verschwinden. Und das, was von ihm noch übrig war, lohnte im Grunde die Mühe nicht. Anstelle

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des Volkes schienen längst die neuen Massen getreten zu sein, ein großstädtisches Proletariat »ohne Nationalität, ohne Erinnerung an eine Vorzeit, ja fast ohne Väter«, ein »Halbmenschen- und Viertelsmenschenwesen«, mehr noch, »eine Abfallsmenschheit und ein Menschheitsabfall«, nahezu »bestialisiert« und derart degeneriert, daß man es eines Tages »halbnackt nach der Trommel des Niggers« tanzen sehen werde.142 Borchardt zögerte denn auch nicht, diesen Auswurf »wieder bei seinem alten echten Namen Pöbel zu nennen« und ihm in lutherischer Drastik den Marsch zu blasen: »Ein Volk, das seine Ahnen nicht heilig hält, sondern seine ›Volksgenossen‹ einschließlich seines gesamten gut- und schlechtgekleideten Pöbels, das nicht sein ewiges Volkstum als Richte vor sich sieht, sondern die gesamte bar käufliche Vulgarität seines letzten Tages, ist kein Volk, sondern ein Dunghaufen, und wenn es noch so lustig und geschäftig in ihm schwärmt«.143

Um die Institutionen, insbesondere Wirtschaft und Staat, war es nicht viel besser bestellt. Der Wirtschaft warf Borchardt vor, zu einem fast unübersehbaren Teil »auf fortgesetzter Vernichtung und fortschreitender Depravation unseres Volkes und der Gesellschaft aufgebaut« zu sein und es aus reiner Geldgier nachgerade in den »Kulturtod« zu treiben.144 Den Staat hielt er für eine bloße Fassade, hinter der sich die blanke Anarchie verberge – und dies übrigens nicht erst seit der Revolution von 1918, sondern bereits seit der Reichsgründung, die als »Bismarcks tragische[r] Staatsschöpfung« apostrophiert wird.145 Im Kern von Anfang an hohl, sei dieses Gebilde zum eigentlichen Kriegsanlaß geworden und nach dem Krieg nur wegen seiner Unverzichtbarkeit als »die faßbare Form des Gemeinschuldners für das Jahrhundert der Zinsknechtschaft« gleichsam von Gnaden des Versailler Vertrages am Leben erhalten worden.146 Nicht einmal vor der gegebenen Form des Reiches machte Borchardts Kritik mehr halt, sollte sie doch von Anfang an auf der Fehlentscheidung für ein »ghibellinisches« Kaisertum anstelle des historisch möglichen »welfischen Kaisertums« beruhen.147 Mit der Hohenzollernmonarchie als einer Fortsetzung dieser Fehlentscheidung gab Borchardt schließlich auch Preußen preis, gelte doch: »Deutschland wird immer sein, Preussen nie mehr.«148 Kein Volk, kein Reich, kein Führer: nicht eben ein ermutigender Befund für einen, der angetreten war, das Erhaltbare zu erhalten.

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Da in der physischen Welt nichts war, an das man sich halten konnte, retirierte Borchardt ins Metaphysische. Angesichts der unaufhaltsam sich barbarisierenden Massen entschied er sich dafür, den aus der Romantik überlieferten Volksbegriff zu suspendieren, »ihn von dort, wo er nicht mehr hingehört zurückzunehmen und zu verengen, ihn wie das Vaterland dem Raume zu entziehen, der Zeit zuzuteilen, ihn der Mehrheit zu versagen und seine Verwahrlosung und Entehrung in der strengen Minderheit wieder zu ordnen und ehrlich zu machen«.149 Der Volksbegriff sei durch den Nationsbegriff zu ersetzen und dieser vor jeglicher Kontamination mit der empirischen Wirklichkeit zu schützen, indem man seine Ausfüllung und Entwicklung vollständig jener Instanz überlasse, die von jeher als »oberste sakramentale Instanz über der Nation« wache: der Dichtung.150 In einem Brief aus dem Jahre 1925 hat Borchardt ausgesprochen, worin er die letzte Bastion, sozusagen die Alpenfestung des Konservatismus, sah: »Wo Dynastien nicht mehr, wie in meinem armen Lande, die historische Continuität des Volkes darstellen und enthalten, wo die Gesellschaft zu zertrümmert ist, um sie zu bewahren, bleibt die Poesie die einzige Zuflucht und die einzige Vertreterin des nationalen Genius und seiner, wenn es sein muss, hoffnungslosen Intransigenz«.151 Mit Borchardt erkannte der Konservatismus seine Lage. Es war die eines Offiziers, der mitten im Angriff feststellen muß, daß seine Truppe auf einen kaum noch nennenswerten Rest zusammengeschmolzen ist, so daß jeder weitere Schritt vorwärts Gefangenschaft oder Tod bedeutet. Aber anstatt diese Lage zu akzeptieren und sich dreinzuschicken, entschied sich Borchardt für Fortsetzung des Kampfes. Seine Strategie läßt sich in drei Punkten zusammenfassen: Rückzug – Auffrischung der Kräfte – Gegenoffensive. Die Notwendigkeit des Rückzugs hatte schon der »Eranos-Brief« von 1924 ausgesprochen, nachdem sich die zuvor gehegten Hoffnungen auf »Fehme und Lynchjustiz«, auf einen Belagerungszustand »mit Standrecht und Pranger und Spiessruten und Prügelstrafe« zerschlagen hatten152  – Hoffnungen, zu denen sich nur berechtigt fühlen konnte, wer den Mord an Erzberger für die Vollstreckung eines »Volksgerichts«urteils hielt.153 In einer Lage, in der Politik »absolut und vollständig aussichtslos« erschien154, blieb nur mehr der »erstürmte[n] Rückzug bergan in die unausgelebte Geschichte des Menschengeschlechtes«, die rücksichtslose »Verwerfung der

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Zeit und Heimkehr in die Ewigkeit«, welche als einzige noch sicheres Terrain biete.155 Drei Jahre später, in der Rede über »Die geistesgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts« hieß es: Gegenwart und Zukunft seien uns verbannt, nichts bleibe als der »Durchbruch […] rückwärts« in die Vergangenheit, »um die Toten zu holen, oder wie Theseus den Freund«.156 Wie weit dieser Rückzug führen sollte, blieb allerdings unklar. An manchen Stellen scheint es, als habe Borchardt damit vor allem die klassische Kunstperiode um 1800 gemeint, andere Passagen rekurrieren auf die Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in der ein nie wieder gehörter Strom des Gesanges durch Deutschland gegangen sei.157 Dann wieder sah er bereits die Zeit seit Mitte des 18. Jahrhunderts »mit dem Stempel des Verfalles« geprägt.158 Frei von Ambivalenzen war nur seine Beschwörung des sich organisch aus der germanischen Antike entfaltenden »deutschen Mittelalters«, jener drei großen Jahrhunderte von 1100 bis 1400, in denen der »naive deutsche Drang sich seine Weltmission dramatisch und reizvoll zu gestalten« seinen adäquaten Ausdruck gefunden und die »Seelengestalt ganz Europas« bestimmt habe.159 Der Aufgabe, den Anschluß an diese Überlieferung wiederherzustellen, widmete Borchardt einen großen Teil seiner Tätigkeit als Übersetzer und Herausgeber, wie seine Übertragungen der »großen Trobadors«, des Armen Heinrich oder der Comedia divina belegen, an der er von 1904 bis 1923 gearbeitet hat.160 Auch sein »Gedicht aus dem männlichen Zeitalter«, Der Durant, gehört hierher.161 Die Auffrischung der Kräfte sollte durch verschiedene Maßnahmen geschehen. Zum einen mittels rigoroser Ausmusterung aller Fußkranken, Lahmen, Verbrauchten, die den Anforderungen des Kampfes nicht gewachsen seien – Stichwort ›Verengung des Volksbegriffs‹. Sodann durch die Schaffung eines Stabes, einer Elite, die, wie nach Jena und Auerstedt, die Reformation an Haupt und Gliedern ins Werk setzen sollte. »Verwandeln Sie«, heißt es in »Die Aufgaben der Zeit gegenüber der Literatur«, »die ecclesia pressa des deutschen Geistes in eine ecclesia militans, die es erträgt Blut zu sehen, Scheiterhaufen zu türmen, Kriege zu erklären«.162 Schließlich sei eine breitere Basis zu gewinnen durch Ausgießung des erneuerten Geistes und »Hineinholung des natur- und geschichtslosen und -unbewußten Volksaufwuchses in die natürlich und geschichtlich gewordene Nation hinein«163, womit sich Borchardt in die nationalpädagogische Tradition des 18. und frühen 19. Jahrhunderts stellte. Auch mit seinem Ziel

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einer »restitutio in integrum des ideellen deutschen Volksganzen« knüpfte er expressis verbis an Herder und die Romantik an.164 Für die Gegenoffensive empfahl Borchardt zunächst: Abwarten. Der Weimarer Staat müsse abgewirtschaftet haben, bevor man die eigenen Kräfte ins Feld werfe. 1926, mitten in der Stabilisierungsphase, gab Borchardt dem politischen Legitimismus den Wink, es müsse erst »das republikanisch demokratisch liberal sozial parlamentäre Experiment restlos zu Ende gemacht« werden, bevor man an einen Neuanfang denken könne.165 Noch schärfer heißt es vier Jahre später an Wilhelm Schäfer, das Experiment der ›Freiheit‹, dem die Überlieferungen der Geschichte und der Gehalt des Volkstumes verkauft worden seien, müsse bis auf die grimmigste Neige ausgekostet werden, und jeder mache sich des Verbrechens mitschuldig, der die Waage vor dem Gerichtstage einzuhalten versuche.166 In einem anderen, wohl zur selben Zeit (1930) entstandenen Text mahnte er Konservative und Monarchisten zur Geduld. Ehe nicht auf den Blättern der Geschichte die dem deutschen Volk eigenen Ordnungen wieder auftauchten  – »Regiment, Befehl, Gehorsam, Zucht, Amt, Ehre, peinliches Gesetz, blindes Recht für Alle, Lohn und Strafe« –, sei es abwegig, auf Restauration der Monarchie zu setzen: »Der Monarchismus ist weder Partei noch Opposition, noch der Intrigant auf der Bühne der demokratischen Tragödie, der auf die Peripetie wartet, um die Katastrophe herbeizuführen. Die Republik hat keinen peinlicher treuen und observanten Bürger als ihn, keinen, der sie gegen vorlaute Störung eifersüchtiger schützen wird, und sie hat keinen Zuschauer, der mit dem erworbenen Rechte auf den gezahlten Eintrittspreis sie erbarmungsloser bei der Aufgabe festhalten wird, zu der sie sich seit einem Jahrhundert drängt und in der sie, wie Gott gewollt hat, heute steht«.167

Schon ein Jahr später indes war diese ambivalente Loyalitätserklärung gegenüber der Republik und ihrer Verfassung nur noch Makulatur. In seiner bereits zitierten Rede über »Führung« erklärte Borchardt den Augenblick für den Gegenangriff, die Konterrevolution, für gekommen. Deutschland sei nicht mehr zu führen, »sondern nur zu erobern«, und zwar im buchstäblichen, militärischen Sinne. Die »Bezwingung eines aus dem Rahmen gegangenen, durcheinanderratenden, durcheinander-

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rasenden Volksganzen« sei heute nicht mehr anders möglich als »durch ein Heer, durch eine Ordnung ohne andere Rechte als Kriegsrechte und ohne anderen Aufbau als den von Unterordnung und Überordnung«, mit anderen Worten: durch die Ausrufung des Ausnahmezustands und die Errichtung der Militärdiktatur. Was not tue, sei die »Wiederumstürzung des Umsturzes«, eine »Revolution gegen die Revolution«168, wie sie nicht umfassend genug gedacht werden könne: als Bruch mit der »Irrlehre vom industriellen Zeitalter und dem der Technik«; als Unterwerfung der Wirtschaft unter die Kontrolle des Staates; »Demetropolitanisierung« Deutschlands durch »Absiedlung der Unterstützungsempfänger« und Zuzugssperre für Städte über hunderttausend Einwohner; »drakontische Zensur des Miets- und Vergnügungs-Lizenzen-Wesens«. Anzustreben sei eine Begrenzung, wenn nicht gar Abschaffung des Arbeitsmarktes durch Schaffung eines Staatsarbeiterstandes auf Verpflegungs- anstatt auf Lohnbasis; die Zerschlagung des bürokratischen Unternehmerstaates, wie er insbesondere in Preußen verkörpert sei; die Umwandlung der Gewerkschaften in Zwangskorporationen; die Reduktion des Reiches auf die Vertretung nach außen; schließlich der vollständige Verzicht auf eine Orientierung der Politik an den Interessen der modernen Massen: »Die großstädtische Masse als Sklavenproletariat und entwurzelte Eleganz, die Spekulation und das Kartell, das Unternehmertum und der Zwischenhandel, die charakterlose Staatskrippen Bureaukratie die Regime nach Regime überlebt, der Personal- und Sozialwucher, kann von der Monarchie nicht gewonnen werden, sondern nur gebrochen und unter dem Fusse gehalten«.169 Erhoffte sich Borchardt die Einlösung dieses Programms anfangs noch von den Resten der auctoritas, den Trägern der staatlichen Autorität170, so verlagerte er diese Erwartung nach den Reichspräsidentenwahlen vom Frühjahr 1932 auf »die größte politische Bewegung, die Deutschland seit der Reformation gesehen hat«: den Nationalsozialismus.171 Er selbst, ließ er Max Brod wissen, stehe dieser Bewegung zwar fern und halte Hitler nicht für den Diktator, den es brauche, doch könne nur ein Tor die »völlig incommensurable Elementargewalt« leugnen, die sich hier zeige. Immerhin werde die Bewegung »durch viele Phasen laufen müssen, die Partei durch weitgehende Ideenreception aus dem Bürgertume heraus ihr rohes proletarisches Wesen entgiften und aufreichern müssen«, bis sie wirklich

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regierungsfähig sei.172 Gerade darin liege die Chance einer »konservative[n] Revolution«, wie auch Borchardt sein Projekt, wenngleich in Anführungszeichen, nennt173, verfüge doch nur sie über die erforderlichen Ideen. »Der N.-Sozialismus ist programmverhungert bis zur Gier. Er hat keine Wahl als sich aus den denkmässigen Beständen des von ihm resorbierten aufzufüllen.«174 Es spricht nicht für sein politisches Urteilsvermögen, wenn Borchardt sich im November 1930 zutraute, die NSDAP zur »kirchlichen und christlichen Tradition« herüberziehen und der »allgemein conservativen MachtStruktur« hinzufügen zu können175, wie es auch nicht eben von Klarsicht zeugt, noch im Mai 1933 die Präsidialregierung Papens rückblickend für »das beste Kabinett« zu erklären, »das wir seit Bismarck gehabt hatten«.176 Gewiß häuften sich seit dem Sommer 1933 in seinen Briefen und Gedichten die Signale einer zunehmenden Distanz, um sich bald nach der Röhm-Aktion, bei der mehrere von Borchardts politischen Freunden, darunter auch Edgar Julius Jung, ermordet wurden, in wütenden Invektiven gegen das Regime zu entladen.177 Zu einer eindringlichen, auch den eigenen Anteil an der ›deutschen Katastrophe‹ reflektierenden Analyse ist Borchardt jedoch zu keinem Zeitpunkt gelangt. Im Gegenteil: wenn er in der wohl 1936 entstandenen, erst posthum lange nach dem Krieg veröffentlichten Aufzeichnung Stefan George betreffend den einst auch von ihm selbst bewunderten Dichter in die Nachfolge der drei großen »Abenteurer« Liszt, Wagner und Nietzsche und damit in eine Traditionslinie stellte, die via sexueller Inversion und orgiastisch-ekstatischer Selbstauflösung zunächst zur Jugendbewegung und anschließend in den Nationalsozialismus geführt habe178, dann lieferte er damit, bei mancher Hellsichtigkeit im einzelnen, nur das letzte Beispiel für die heillose Myopie, mit der man im Lager einer längst nicht mehr konservativen Rechten dem eigenen Henker begegnete.

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Exkurse I. Der Schatten Bonapartes Das Auftreten autoritärer Regime im Gefolge der Französischen Revolution und deren Verbindungen zu Personen und Gruppen, die sich selbst als »konservativ« beschrieben und / oder von ihrer Umgebung auch so eingestuft wurden, hat zu kontroversen Deutungen geführt. Sieht Panajotis Kondylis darin ein Indiz für die irreversible Auflösung des Konservatismus als einer an die alteuropäische societas civilis gebundenen Erscheinung und deren Ablösung durch die moderne Rechte, die sich auf das Ziel verlegt habe, »das bürgerliche Eigentum und den Wirtschaftsliberalismus im allgemeinen zu verteidigen«1 – und dies, wenn nötig, auch und gerade mit autoritären Mitteln –, so ist es für Ernst Nolte »evident, daß die Identität des überlieferten Konservativismus […] voll gewahrt blieb«  – und dies über sämtliche Stufen: von den (wie Nolte sie nennt) »Jungkonservativen« des Kreises um Hermann Wagener über deren »mißratene Söhne« in der antisemitischen Bewegung der 80er und 90er  Jahre bis hin zum Nationalsozialismus, der bei allen in ihn eingegangenen »linken« Elementen doch »ein echtes, durch die Kontinuität der Gedanken und Einstellungen klar identifizierbares Phänomen des Konservativismus« gewesen sein soll.2 Man kann der zuerst genannten Deutung mit guten Gründen vorhalten, daß sie das Gewicht ökonomischer Strukturen und Interessen zu hoch veranschlagt und die Eigenständigkeit und Eigendynamik des Politischen unterschätzt. Die daraus entspringenden Einseitigkeiten wiegen indes weniger schwer als diejenigen der Gegenseite, die nur Kontinuitäten sehen will, wo in Wahrheit Spannungen, Widersprüche, Ambivalenzen dominieren. Das läßt sich exemplarisch an den Haltungen studieren, die einige der in diesem Buch herangezogenen Autoren gegenüber jener neuartigen, mit einer Mischung von Staatsstreich und Plebiszit operierenden Herrschaftsform eingenommen haben, für die sich schon bei den Zeitgenossen die Bezeichnung »Bonapartismus« eingebürgert hat.

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I. Hält man sich an den einleuchtenden Vorschlag von Kondylis, wonach in der Geschichte des Konservatismus zwei Phasen erkennbar seien, in deren erster sich die Frontstellung gegen den Absolutismus richtete, um anschließend gegen die Revolution gewendet zu werden, so fällt der preußische Konservatismus zum überwiegenden Teil in die zweite Phase. Diese hatte mit der ersten die in der Rechtsauffassung der societas civilis begründete »unumwundene Ablehnung neuzeitlicher Staatlichkeit und Souveränität« gemeinsam, unterschied sich von ihr aber darin, »daß der Erzfeind, d. h. die neuzeitliche Souveränität und Staatlichkeit nicht mehr in erster Linie als Absolutismus, sondern als liberale oder demokratische Revolution auf den Plan tritt.«3 Das schloß, je deutlicher die demokratische Tendenz der Revolution in den Vordergrund rückte und zusätzliche Verstärkung durch die Forderungen des vierten Standes erfuhr, zeitweilige Bündnisse mit dem gemäßigten, seinerseits stärker nach rechts rückenden Liberalismus nicht aus, wie sie sich zumal im Gerlachkreis beobachten lassen4, hob indes den prinzipiellen Gegensatz nicht auf, welcher solange Bestand hatte, wie sich die moderne Ordnung mit ihrer Trennung von Staat und Gesellschaft und kapitalistischer Durchbildung der letzteren noch nicht durchgesetzt hatte. Was die Konservativen an der Revolution störte, war neben dem Parlamentarismus und der Deklaration von Menschenrechten vor allem die Ersetzung der traditionalen monarchischen Legitimität durch die demokratische, die sich auf das Prinzip der Volkssouveränität berief. Und dieses schien am konsequentesten im Regime der beiden Napoleon verwirklicht zu sein: unter Napoleon I. nur erst ansatzweise, da dieser noch im Wege eines Militärputschs an die Macht gelangt war, reiner und vollständiger unter Napoleon III., der es zunächst ebenfalls auf diese Weise versuchte, sich dann aber einer regulären Volkswahl stellte und zum Präsidenten gewählt wurde, um das so gewonnene Amt später durch einen Staatsstreich in eine Diktatur und anschließend in ein plebiszitär legimitiertes Kaisertum umzuwandeln. Für Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach war dieser Repräsentant des Hauses Bonaparte subjektiv gesehen ein Abenteurer und Verbrecher, objektiv betrachtet aber die Inkarnation der Revolution, »ein Kind aus der Ehe der Volkssouveränität mit dem Absolutismus«, das da-

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nach strebe, »die Freiheit [zu] töten und sich zuletzt als Antichrist auf den Stuhl Gottes [zu] setzen«.5 Auch Friedrich Julius Stahl hielt den »Bonapartismus« oder »Imperialismus« anstatt für die »Schließung der Revolution« für deren »Konsolidierung«.6 Als »Rettung der Gesellschaft aus der Anarchie und aus der Zerstörung des demokratischen Fanatismus« gebühre ihm zwar Dankbarkeit, doch sei er weder im Grundsatz noch als allgemeine bleibende Ordnung haltbar.7 Ohne Deckung durch das legitime Herrschaftsrecht ›von Gottes Gnaden‹, gestützt allein auf den jederzeit wandelbaren Volkswillen, müsse dessen Erwählter seine Herrschaft – Max Weber würde sagen: sein antiautoritär umgedeutetes Charisma  – immer wieder durch Erfolge rechtfertigen, und dies sowohl auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet als auch im Feld der Außenpolitik, wo Erfolge schneller zu erzielen waren.8 Daraus leite sich der Zwang zur permanenten Expansion ab, der die Napoleoniden zu einer »große[n] Gefahr für Europa« mache.9 Bedrohlich war der Bonapartismus jedoch nicht allein deshalb, weil er mit Frankreich über die größte Militärmacht in West- und Mitteleuropa verfügte. Er war es weit mehr noch als politisches Prinzip, das auch in anderen Ländern wirksam zu sein schien, beispielsweise in Italien im Rahmen der von Mazzini, Garibaldi und Cavour geführten Einigungs- und Unabhängigkeitsbewegung10, aber auch in Preußen, dessen Ministerpräsident Otto Frhr. von Manteuffel mittels eines ›milden Absolutismus‹ das konstitutionelle System »gleichsam bürokratisch zu verwalten« bestrebt war und dabei »KryptoBonapartisten« wie den Berliner Polizeichef Carl Ludwig von Hinckeldey oder Sympathisanten Louis Napoleons wie Rhyno Quehl und Constantin Frantz deckte, während er gleichzeitig das 1848 gegründete Organ der Konservativen, die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) mehrfach beschlagnahmen ließ.11 Die ersten Jahre des Blattes, das von Ernst Ludwig von Gerlachs ehemaligem Referendar Hermann Wagener auf höchst kämpferische Weise geleitet wurde, waren denn auch von ständigen Konflikten mit der Regierung geprägt, die zeitweise den Entzug der Konzession und die Ausweisung Wageners erwog und nur durch die Intervention des Königs davon abgehalten werden konnte. Als Wagener im Juni 1853 wegen einiger rußlandfreundlicher Kommentare zum wiederholten Male eine offizielle Verwarnung erhielt, trat er von seinem Posten zurück12 – allerdings nicht aus Protest gegen die bonapartistischen Methoden der Regierung, sondern weil

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er sich selbst an der Praktizierung dieser Methoden gehindert sah. Einige Jahre später bekannte er im Preußischen Abgeordnetenhaus in der Debatte über die Standesvorrechte freimütig, seine Partei wolle es in puncto öffentlicher Meinung durchaus mit der bonapartistischen Politik halten und sich nur nach der öffentlichen Meinung richten, »die wir selbst machen«. Das sei »die Aufgabe einer jeden Landes-Vertretung. Die Meinung, nach der sie sich richten will, muß sie sich selbst machen.«13 Daß Äußerungen wie diese sich nur auf die Methode und nicht auch auf das Wesen des Bonapartismus bezogen, zeigen indessen die Artikel, die in Wageners Lexikon dem Thema gewidmet waren. Ein fast fünfzig Seiten starker Artikel befaßte sich mit Napoleon I. und war darüber hinaus durch Querverweise mit den ebenfalls umfangreichen Artikeln über »Frankreich« und »Revolution« so eng vernetzt, daß sie vermutlich von einem und demselben Verfasser stammen – in diesem Fall von Bruno Bauer, der sich in einer späteren Arbeit als Autor des Napoleonartikels bekannt hat.14 Bauer, dem Wagener die Redaktion des Lexikons anvertraut hatte, deutete den »Napoleonismus« als letzten Träger und Repräsentanten der alten Ordnung, meinte mit dieser allerdings nicht die alteuropäische societas civilis, sondern die mit dem Absolutismus ins Leben getretene und von der Revolution fortgeführte »Dictatur des Willens und Gedankens«15, welche ihrerseits auf noch ältere Wurzeln verwies: »Die Revolution von 1789 und ihre Entwickelung bis 1799 ist nur die siegreiche Durchführung jener antiken Idee, die sich im römischen Gallien am lebendigsten erhalten hatte. N.’s Kaiserthum war weiter nichts als die Losschälung dieses römischen Kerns von den germanischen Hüllen, die ihn im Mittelalter eingeschlossen hatten. Es war französisch und einheimisch, weil es die antike Natur des Landes befriedigte, und wenn Dupin von dem gegenwärtigen Kaiser sagte, daß jede Fiber desselben der Textur des französischen Volkes entspreche, so kann man von des älteren N. Kaiserthum sagen, daß es Frankreich ergötzte, weil es die römischen Elemente des Landes zu plastischer Geschlossenheit zusammenpreßte. Der Anblick war neu, das Wesen nicht.«16

Die moderne Renaissance des »Cäsarismus«17, das zeigt diese Passage, war möglich, weil sich im »französischen Nationalcharakter« eine roma-

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nische Substruktion erhalten hatte, die von der germanischen Invasion der Völkerwanderungszeit nur oberflächlich überformt worden war.18 Das französische Volk, so Bauers Behauptung, könne wohl zu den »geistigen Völkern« gerechnet werden, »welche durch den christlichen Gegensatz von Geist und Fleisch oder Gnade und Welt hindurchgegangen sind«, repräsentiere aber innerhalb dieser Gruppe noch »den Standpunkt des Naturvolks«, das »im Instinct und in den Eingebungen seines natürlichen Herzens […] die Normen zu besitzen [glaubt], nach denen das Glück der Welt geschaffen werden kann«.19 Letztlich seien auch die modernen Franzosen, diese »künstlich und gewaltsam wiederhergestellten alten Naturgallier«, nichts als große Kinder, und das größte unter ihnen jener unaufhörlich deklamierende und schwadronierende, sich im »Rausch des Willens und […] der gewaltsamen Aussteifung des Charakters« gegen den Rest der Welt gefallende »Abenteurer des Willens«, Napoleon I., den für seine »Selbstüberhebung gezüchtigt und gebrochen« zu haben Bauer für »die größte That unsereres Jahrhunderts« erklärte.20 Ein ähnlicher Tenor bestimmt den nicht gezeichneten Artikel über »Bonapartismus«, den Wagener aber auch separat unter eigenem Namen veröffentlicht hat.21 In formaler Hinsicht fällt die geringe geistige Eigenleistung auf. Über weite Strecken besteht der Artikel aus Auszügen fremder Werke, darunter auch solcher, deren Verfasser zum liberalen Lager gehörten, wie Theodor Mommsen und Alexis de Toqueville. Auf Mommsens Römische Geschichte (1854–1856) berief sich die Behauptung, wonach der Bonapartismus »die den heutigen socialen und politischen Zuständen und Vordersätzen entsprechende Gestaltung des Cäsarismus« sei (S. 259)22; auf Tocquevilles L’Ancien Régime et la révolution (1856) die Deutung, man habe es mit dem Resultat eines schon im Mittelalter einsetzenden Zentralisierungs- und Nivellierungsprozesses zu tun, das mit dem äußersten Despotismus identisch sei (S. 263 ff.). Am umfänglichsten herangezogen werden Constantin Frantz’ Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht von 1859, in denen verglichen mit den früheren Einlassungen des Autors zum Bonapartismus bzw. »Napoleonismus« die kritischen Töne überwogen.23 Aus diesen Werken, ergänzt um einige Selbstdarstellungen aus der Feder Napoleons III., destillierte der Artikel ein politisches System, das sich durch drei Hauptmerkmale auszeichnete. Das »Reich des Bonapartis-

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mus« sollte, erstens, mit dem Einflußgebiet der französischen »Civilisation« zusammenfallen, und dies so weitgehend, daß beide nicht voneinander zu trennen seien (S. 269 f.). Die nähere Beschreibung dieser civilisation stellte vor allem auf die von ihr ausgehenden hohen sinnlichen Reize ab und griff dabei nicht von ungefähr auf die in den drei synoptischen Evangelien geschilderte Versuchung Jesu durch den Teufel zurück – eine doppelte Anspielung auf das berühmte Wort de Maistres über den satanischen Charakter der Französischen Revolution und Constantin Frantz’ Variationen über dieses Thema.24 Zweitens repräsentierte der Bonapartismus die Demokratie, war doch der Kaiser als das oberste Haupt des Staates »›der von dem Volke Erwählte, der Vertreter des Volkes‹« (S. 268), genauer gesagt: eines Volkes, das es vorzog, sich regieren zu lassen anstatt selbst zu regieren (S. 270). Aus der »Wurzel der Volkssouveränität« erwuchs schließlich das dritte Merkmal, das »Nationalitätsprincip«, »welches an die Stelle des geschichtlichen Rechtes den bloßen Volkswillen setzt, welches keine Staaten, keinen Rechtszustand, sondern nur Völker kennt, und auch diese nur als Stoff, als eine Masse gleichartiger, rechtloser Individuen, die der Bonapartismus mit eiserner Faust zusammenknetet, um daraus seine eigene Zwingburg zu bauen« (S. 270). An diese Wesensbestimmung schloß eine Auflistung von fünf Hauptwerkzeugen an, deren sich der Bonapartismus bediente. Zwei davon, die Börse und die Presse, sah der Verfasser in enger Verbindung mit dem Judentum, dem im Anschluß an die von Antisemiten aller Couleur immer wieder gern zitierte Formel Mommsens bescheinigt wurde, »ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Decomposition« zu sein (S. 262), unbeschadet der vorangegangenen Bestimmung, die einen Wesenszug des Bonapartismus gerade in der Förderung des Nationalitätsprinzips ausgemacht hatte.25 Die drei anderen Werkzeug seien: die Konspiration, die seit der Revolution permanent geworden sei (S. 272); die Armee als der »Mikrokosmus der neuen französischen aus der Revolution hervorgegangenen Gesellschaft«, »wie das Piedestal, so auch der Schwerpunkt des Bonapartismus« (S. 274 f.), sowie last, but not least, die Papstkirche als Nachfolgerin des alten heidnischen Imperiums, deren Erbe zunächst der Gallicanismus Ludwigs XIV., später Napoleon angetreten habe. »Allgemeine Einheit und Gleichheit, Unterwerfung aller Individualitäten unter ein Gesetz und aller Nationalitäten unter eine Satzung, Vereinigung

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aller Geister unter eine Formel: diesen geistlichen Traum des mittelalterlichen Papstthums will das französische Kaiserthum mit fleischlichen, der kriegerischen Rüstung Roms nachgebildeten oder entlehnten Waffen erfüllen« (S. 274) – ein Projekt, vor dem die Welt zu retten die germanischen Völker berufen und letztlich auch allein fähig seien. »Also Erneuerung und Zusammenfassung der germanischen Nationalität, Entscheidungskampf des Germanismus gegen den Romanismus, die rechte Nationalitäts-Theorie gegen die falsche« (S. 276).

II. Vieles davon hätten die anderen Mitglieder des Gerlach-Kreises unterschreiben können, auch wenn sich Ende der 50er Jahre in der Beziehung zu ihrem Protégé Hermann Wagener erste Risse auftaten. Waren diese zunächst mehr persönlich als sachlich begründet26, so erhielten sie im Lauf des nächsten Jahrzehnts eine prinzipielle Dimension. Zwar hielt sich das Programm des Preußischen Volksvereins durchaus noch im Rahmen gemeinsam geteilter Prämissen, wenn es unter anderem statuierte: »Kein Bruch mit der Vergangenheit im Innern unseres Staates; keine Beseitigung des christlichen Fundaments und der geschichtlich bewährten Elemente unserer Verfassung; […] kein parlamentarisches Regiment und keine konstitutionelle Ministerverantwortlichkeit; persönliches Königtum von Gottes und nicht von Verfassungs Gnaden; […] kein Preisgeben des Handwerkes und Grundbesitzes an die Irrlehren und Wucherkünste der Zeit.«27 Während aber die Gerlachs und ihr Kreis an der preußischen Verfassung von 1848 und erst recht an deren revidierter Version von 1850 festhielten und Veränderungen allein auf legalem Wege angehen wollten28, empfahl Wagener Bismarck 1863, den über das Militärbudget ausgebrochenen Verfassungskonflikt im Wege der »königliche[n] Diktatur« zu lösen und diese durch soziale Reformen und politische Mitbestimmungsrechte abzustützen. Nach der Reichsgründung erweiterte Wagener seine Reformagenda sukzessive und geriet dabei in immer größeren Gegensatz zu Ernst Ludwig von Gerlach, der schon 1865 in der ›Kreuzzeitung‹ gegen Wageners Ideen Front gemacht hatte. In mehreren, an anderer Stelle bereits geschilderten

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Denkschriften an Bismarck regte er umfassende staatliche Eingriffe in die Wirtschafts- und Sozialordnung an und richtete dabei sein besonderes Augenmerk auf die Bereiche, denen schon Louis Bonaparte seine Wahlerfolge verdankte. So sei insbesondere eine »Umwandlung der besitzlosen ländlichen Arbeiter in kleine Grundbesitzer« anzustreben, eine Förderung ländlicher Industrien, um überschüssige Arbeitskräfte im Land zu halten, ein Ausbau der Infrastruktur sowie der staatlichen Kolonisationstätigkeit. Die neu erschlossenen Areale könnten bevorzugt an Angehörige des Militärs vergeben werden, wodurch zugleich die Armee eine wesentliche Stärkung erführe. Ein Blick auf Frankreich lehre, »daß nichts den Wohlstand der französischen Landbevölkerung in dem Maße gehoben und gleichzeitig die Sympathien für das Kaiserthum gesteigert hat, als das wohldurchdachte System von Vicinalwegen, welches das zweite Kaiserreich in Frankreich durchgeführt hat.«29 Dies alles zielte darauf, die herkömmliche monarchische Ordnung zu befestigen und unterschied sich darin vom Bonapartismus, bei dem die Anerkennung durch die Beherrschten »statt als Folge der Legitimität, als Legitimitätsgrund angesehen wird«.30 Es bediente sich dabei jedoch, wie die Heranziehung des französischen Vorbilds zeigt, durchaus bonapartistischer Methoden, um das Vertrauen der Beherrschten in die Funktionsfähigkeit der Ordnung zu steigern.31 Insofern handelte es sich um eine Etappe in jener Umdeutung des Charisma, in deren Verlauf der »kraft Eigencharisma legitimierte Herr« tendenziell zu einem »Herren von Gnaden der Beherrschten [wird], den diese (formal) frei nach Belieben wählen und setzen, eventuell auch: absetzen«, wie dies 1871 in Frankreich geschah.32 Bismarck, wie Wagener ursprünglich ein Mitglied des Gerlach-Kreises und seit 1862 preußischer Regierungschef, hat einige dieser Vorschläge angenommen. So griff er für die Verfassung des Norddeutschen Bundes und für die Reichsverfassung von 1871 den Gedanken auf, die liberale Hegemonie mithilfe des allgemeinen Wahlrechts aufzubrechen, und folgte, obgleich nicht in jedem Detail, der Strategie, der Regierung neue Legitimitätsressourcen durch den Ausbau der staatlichen Sozialpolitik zu erschließen. Daraus erwuchs indessen kein bonapartistisches Regime, wie Hans-Ulrich Wehler in einer älteren, später korrigierten Arbeit gemeint hat.33 Bismarck schwankte wohl eine Zeitlang, ob nicht eine »Periode der Dictatur« angemessen sei, und selbst von Staatsstreich war mit-

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unter die Rede, wenn auch nicht von einer Militärdiktatur, wie sie Edwin von Manteuffel, der Chef des Militärkabinetts, befürwortete.34 Nach sorgfältiger Abwägung des Für und Wider entschied sich Bismarck jedoch, in den Bahnen des monarchischen Konstitutionalismus zu bleiben, der auf einer verfassungsmäßigen Aufteilung der Herrschaft zwischen erb- und amtscharismatisch legitimierten Institutionen einerseits und einer durch freie Repräsentation zustande gekommenen Körperschaft andererseits  – einem Parlament – beruhte.35 Daß politische Herrschaft primär im Wege einer plebiszitär abgestützten Selbstherrschaft ausgeübt werden sollte, dieses zentrale Merkmal bonapartistischer Regime, hat Bismarck nicht übernommen und sich deshalb mit Recht gegen den Vorwurf Leopold von Gerlachs verwahrt, ein Bonapartist zu sein.36 Das gilt letztlich auch für Hermann Wagener, der früher und entschiedener als sein Chef auf die bonapartistische Methode setzte, »den politischen Repräsentanten bestimmter sozialer Gruppen und Interessen sozusagen von Staats wegen das Wasser abzugraben, sie mit dem Zangengriff direkter politischer Repression und staatlicher Begünstigung ihrer Anhänger auszuschalten.«37 Genauer besehen gilt es für ihn sogar noch mehr als für Bismarck, ließ sich dieser doch in seinem Denken und Handeln primär von der ›sachlichen Pragmatik der Staatsräson‹ (Max Weber) leiten, die um die »Selbstbehauptung des Staates nach außen, die Sicherung und, wenn es sich machen ließ, Erweiterung seiner äußeren Machtstellung« kreiste.38 Dieses im Kern absolutistische Staatsverständnis erlaubte es Bismarck nicht nur, gegenüber der Verselbständigung der Exekutivgewalt im bonapartistischen Regime eine durchaus unideologische, ›realpolitische‹ Haltung einzunehmen.39 Es gestattete ihm vielmehr zugleich, der Eigendynamik der modernen »Gesellschaft« erheblichen Spielraum zu lassen, solange ihm daraus Bündnispartner für seine außenpolitischen Zielsetzungen erwuchsen. Wagener dagegen war ganz von dem Bestreben erfüllt, den aufgebrochenen »unwahren Gegensatz von Staat und Gesellschaft« wieder zum Verschwinden zu bringen.40 Um dies zu erreichen, wollte er einerseits die Tendenz der Gesellschaft zur sozialen und politischen Anarchie unterbinden41, was nicht ohne einen Ausbau und eine Kompetenzerweiterung von Bürokratie, Armee und Polizei geschehen konnte. Gleichzeitig sollte indes der dadurch entstehende Willkürspielraum wieder beschnitten wer-

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den, um »die echte Gemeinfreiheit und den aristokratischen Charakter des gesamten Volkes zu restaurieren«, genauer gesagt: um ›neue Stände‹ zu schaffen, die über umfassende Rechte der Selbstverwaltung verfügen würden.42 Spätere Autoren mögen in dieser paradoxen Strategie einen Formwandel des Konservatismus, einen ›Konservatismus nach der Achsenzeit‹ (Armin Mohler) gesehen haben. Zeitgenossen wie Ernst Ludwig von Gerlach dagegen, die noch wußten, was Konservatismus war, täuschten sich keinen Augenblick über die Widersprüche, in die Wagener sich verwickelte. »Wagener will in seinem Programm Bureaukratie (und Bourgoisie [sic]) bekämpfen und fordert von der Regierung, deren einziges Organ eben diese Bureaukratie ist, große konservative Ideen und Schöpfungen; […] Ich bitte den Herrn in diesem wirren Treiben seine Schöpferhand mich erkennen und küssen zu lehren …«.43

III. Zur Bereitschaft, dem Bonapartismus hinsichtlich seiner Methoden eine gewisse Angemessenheit an die Erfordernisse der aktuellen Lage zu attestieren, gesellte sich bald auch der Gedanke einer geschichtlichen Funktion desselben. Eine Andeutung in dieser Richtung findet sich im Spätwerk Bruno Bauers, das sich zwar nach wie vor vehement gegen die Tendenzen zur »volkswirthschaftlichen Diktatur« und der ihr korrespondierenden »cäsaristischen Nivellierung« ausspricht44, beide jedoch durch die hegelianische Denkfigur relativiert, wonach die äußerste Zuspitzung des Gegensatzes zugleich den Umschlag einleiten soll. Was in diesem Fall hieß, daß die »Angriffe der Dictatoren und ihrer radicalen oder liberalen Mitarbeiter auf Gewissen und Ueberzeugung […] die Nationen wieder in ihr Inneres zurück[pressen] und […] ihnen in der eigenen Tiefe den Born der Erneuerung [öffnen]«.45 Das war zwar reichlich abstrakt ausgedrückt, aber von derselben geschichtsphilosophischen Konstruktion getragen, die Linkshegelianer wie Moses Heß oder Ferdinand Lassalle veranlaßte, dem Cäsarismus bzw. Bonapartismus eine Mission zu bescheinigen, welche in ihrem Fall freilich darin bestand, »die soziale Frage zu entwickeln und zur Reife zu bringen«.46 Im Briefwechsel mit Lassalle sah auch der in Langzeitperspektiven denkende Rodbertus die »Signatur der Zeit« dem

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Cäsarismus »günstiger als irgendeiner andern Form«.47 »Die revolutionären Kräfte Europas«, hieß es kurz darauf, »sind heute schwächer und zersplitterter als vor zehn Jahren und paralysieren sich deshalb gegenseitig. Und dies ist noch immer die Spalte gewesen, durch welche der Cäsarismus auf die Welt gekommen.« Zu einem »Anhänger des Cäsarismus« (Dietzel) machte Rodbertus dies allerdings nicht in einem wertrationalen, sondern nur in einem funktionalen Sinne, wollte er darin doch ganz in der Manier Hegels eine List von »Monsieur Weltgeist« sehen, um das Gegenprinzip, den »deutschen Föderativstaat«, zu stärken.48 Genauer ausgearbeitet ist diese funktionale Deutung bei Constantin Frantz. Dieser hatte den Bonapartismus sozusagen »live« erlebt, als er im Herbst 1851, wenige Wochen vor dem Staatsstreich, durch Frankreich reiste und darüber brieflich dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel berichtete, bei dem er wegen einer Anstellung im Staatsdienst antichambrierte.49 Schon Anfang 1852 erschien das Ergebnis seiner dort gewonnenen Eindrücke unter dem Titel Louis Napoleon in einem Berliner Verlag und erlebte sogleich mehrere Auflagen. Die erste Botschaft war: der Staatsstreich war unvermeidlich, da Frankreich seit 1789 über keine ›haltenden Mächte‹ (Hans Freyer) mehr verfügte und infolge des Widerstreits zwischen Exekutive und Legislative in Anarchie zu versinken drohte.50 Weil aber, zweitens, bislang nur Frankreich eine radikale, die ›aristokratisch-hierarchische Organisation der Gesellschaft‹ exstirpierende und die ganze Nation in eine unterschiedslose Masse verwandelnde Revolution erlebt hatte51, war der Bonapartismus bzw., wie Frantz ihn zu nennen vorzog, der »Napoleonismus« vorerst ein singuläres Phänomen52, dem das übrige Europa solange widerstehen könne, wie die geschichtliche Kontinuität dort nicht ebenfalls durch eine Revolution und ihre Folgeerscheinungen wie Liberalismus und Massendemokratie gebrochen werde. Drittens glaubte Frantz insofern Entwarnung geben zu können, als der aktuelle Napoleonismus keine einfache Replik des Originals sein werde. Anders als der Onkel sei der Neffe kein Feldherr und schon aus Klugheitsgründen gehalten, keine Eroberungspolitik mehr zu treiben. Basis seiner Herrschaft seien die Massen der Bauern und Handwerker, die auf materielle Verbesserungen hofften und darauf seit langem durch die sozialistische Propaganda gestimmt seien. Nur durch administrative und soziale Reformen könne das neue Regime sich an der Macht halten, wie

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gerade dem Verfasser der Idées napoléoniennes von 1839 bewußt sei. Die Wendung nach innen sei diesem Präsidenten vorgezeichnet, »und wenn er in diese Bahn eintritt, so ist das ein Glück für Frankreich, ein Glück für Europa, welches in der Beruhigung Frankreichs eine neue Bürgschaft des inneren Friedens gewinnt und für welches die neuen sozialen Einrichtungen Frankreichs eine lehrreiche Schule sein werden.«53 Nimmt man die noch im gleichen Jahr vorgetragene Würdigung hinzu, die Louis Bonaparte als einen echten »Chef« feierte, wie ihn das Volk verlange54, des weiteren seine Nähe zum Leiter der »Zentralstelle für Preßangelegenheiten«, Rhyno Quehl, der 1852 der preussischen Regierung empfahl, »dem Oberhaupte des französischen Staates einen Staatsstreich nachzumachen«, so verwundert es nicht, daß Frantz Anfang der 50er Jahre im Ruf stand, ein Bonapartist zu sein.55 Zeugnisse dieser bedingten Anerkennung finden sich auch noch im späteren Schrifttum, so etwa 1858, als er die Verdienste Louis Napoleons zur Zähmung der Anarchie in seinem Land würdigte und dem von ihm geschaffenen Staatswesen bescheinigte, für Frankreich völlig angemessen und selbst für Europa heilsam zu sein56, oder 1870, als er den »Napoleonismus oder Cäsarismus« als ein »System eigner Art« präsentierte, das »nach unten hin demokratisch, nach oben hin monarchisch« sei und einem Land entspreche, »in welchem die organischen Bindekräfte erloschen sind, ohne welche doch weder eine wahre Republik noch eine Monarchie bestehen kann, und wo sich nur das allgemeine Bedürfniß einer äußeren Ordnung geltend macht.«57 Frantz zögerte auch jetzt nicht, diesem System ein gewisses Maß an Legitimität zu bescheinigen, relativierte dies aber nun deutlicher in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht. Die Koppelung des Monarchismus mit dem suffrage universel sei eine »sich selbst widersprechende Mißgeburt«, die allenfalls eine »zeitweilige Nothwendigkeit« für sich in Anspruch nehmen könne.58 Geradezu verbrecherisch erschien ihm der von Bismarck seit 1866 unternommene Versuch, dieses System in die Länder des Deutschen Bundes zu importieren, die weder einen Absolutismus im französischen Sinne noch eine Revolution gekannt hätten.59 Frantz war nun freilich viel zu sehr von der Lektüre der deutschen Klassiker und der idealistischen Philosophie durchdrungen, um dem Napoleonismus in allen seinen Varianten nicht einen höheren Sinn abzugewinnen. Seine Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht von 1859 ende-

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ten bezeichnenderweise mit einem Kapitel über »Die Mission des Napoleonismus«. Denn wie monströs auch immer diese Erscheinung war, sie war, wie Mephistopheles im Faust, ›ein negatives Prinzip, das den Menschen aus seiner Ruhe aufscheuchte und zum Handeln brachte‹.60 Als teuflisches Prinzip mochte der Napoleonismus die »personificirte Lüge« sein, doch sei in ihm genügend Wahrheit, um alle anderen, im Vergleich zu ihm deutlich flacheren Lügen zu entlarven und zu zerstören: die Lüge des Liberalismus, die Lüge des Konservatismus, die Lüge der ›materiellen Civilisation‹ und nicht zuletzt die Lüge der Heiligen Allianz.61 Louis Napoleon, dem ein beträchtliches Maß an Klugheit, an ›gouvernementaler Tugend‹ zugeschrieben wurde, habe sich mit dem von ihm inszenierten Krimkrieg das ›unsterbliche Verdienst‹ erworben, die längst überlebte europäische Pentarchie zu sprengen.62 Ohne es zu wollen, habe er damit Österreich und Preußen aus der für sie unheilvollen Verbindung mit Rußland herausgelöst und gewissermaßen sich selbst zurückgegeben. Beiden Mächten müsse nunmehr klar sein, was sie zu tun hätten, wollten sie nicht unter die Hegemonie Frankreichs geraten. Sie müßten ihre Großmachtambitionen aufgeben, eine föderative Einheit mit den übrigen deutschen Staaten errichten und darüber hinaus eine möglichst enge Verbindung mit England anstreben, »um an die Stelle der heiligen Allianz eine germanische Allianz zu errichten, welche sich zwar selbst nicht heilig nennt (denn man soll den Namen Gottes nicht unnützlich führen!) in der That aber wohl heiliger sein würde als jene sogenannte heilige Allianz, wenn sie anders ihre Aufgabe begriffe und zu erfüllen strebte.«63 Eine solche Allianz, glaubte Frantz, werde der Garant einer neuen europäischen Friedensordnung, wenn nicht gar einer Weltfriedensordnung sein. Der Weg dorthin aber sollte zunächst über eine Verschärfung der Konflikte führen, galt es doch nicht einfach nur Interessengegensätze zu überwinden, über die sich verhandeln ließe, sondern einen Antagonismus, den »unauflösbaren Gegensatz« zwischen allem, »was der deutschen Nation eigenthümlich ist«, und dem Napoleonismus, welcher »von alle dem, was die deutsche Nation erstrebt und erstreben soll, grade das Gegentheil erstrebt und erstreben muß.« Oder anders ausgedrückt, da der Napoleonismus nichts anderes sei als »die prägnanteste Darstellung des Franzosenthums« und dieses wiederum eine Form des »Romanismus«: den Gegensatz zwischen »Romanismus und Germanismus«.64 »Wie daher einst die

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germanischen Völker erst nach der Zerstörung der römischen Weltherrschaft zur Geltung kommen konnten, so können sie ihre seit dem Emporkommen der französischen Civilisation wieder verlorene Geltung nur durch die Bewältigung dieser Civilisation wieder gewinnen, d. h. durch die Bewältigung des Napoleonismus.«65 So gehe es um nicht weniger als um einen Kampf zwischen »Lebensprincipien«, von denen das eine (erst römische, dann päpstliche, dann absolutistische, dann revolutionäre) auf die Schaffung eines zentralistischen, bis an die Grenzen der Erde reichenden »Gravitationssystems« ziele, eine um Paris als Sonne zentrierte, allein durch physische Kraft zusammengehaltene civitas maxima, während das andere, germanische, wohl auch auf einen allgemeinen Zusammenhang der Völker gerichtet sei, diesen aber in einem wesentlich moralischen Sinne verstehe und im Wege der Föderation verwirklichen wolle.66 Obgleich Frantz nicht im Zweifel ließ, welcher Seite seine Sympathien gehörten, erwies er doch dem Napoleonismus die größtmögliche Ehre, die einem Feind zu erweisen war. Deutschland müsse der Vorsehung danken, daß sie ihm einen solchen Gegner mit einer solchen Mission beschert habe.67 Erst durch die napoleonische »Aktion« sei eine »Reaktion« möglich geworden, erst durch die Konfrontation mit einer Idee und einem darauf gegründeten »System« sei Deutschland herausgefordert, seine »Schlaffheit« abzuschütteln und zu erkennen, daß die Vorsehung ihm ebenfalls einen »Weltberuf« zugewiesen habe: nämlich »die zerrissene Gemeinschaft der abendländischen Völker wieder herzustellen«, sie, anstatt wie der Napoleonismus in eine »Familie«, in eine »Gemeinde« zu verwandeln, die allen Gliedern ihre Eigentümlichkeit lasse und sie doch zu einer Einheit verbinde.68 Dies wie immer auch malgré lui herbeizuführen, sei die »providentielle Mission« des Napoleonismus, der dadurch, mit Fichte zu reden, zum wahren »Zwingherrn zur Deutschheit« avancierte.69 »Der Napoleonismus hat die Mission, seine Kraft an dem alten Europa zu versuchen, Deutschland hat die Mission, diese Kraft zu brechen und zu vernichten. Also ein Kampf auf Tod und Leben steht zwischen beiden in Aussicht. Und gleichwohl danken wir der Vorsehung für diese Aussicht, und möchten in Paris Niemand lieber herrschen sehen als Napoleon III.«70 Als »bonapartistisch« wird man diese Konstruktion nicht bezeichnen können, stuft sie ihren Gegenstand doch gleich doppelt herab: als ein rein negatives Phänomen und überdies als ein solches, dessen einziger Wert in

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seiner Funktion liegt, die Negation der Negation vorzubereiten. Deutungen, die darin ein Plädoyer für plebiszitäre Demokratie bzw. des plebiszitären Führerstaates oder gar Faschismus avant la lettre sehen wollen, verbieten sich damit von selbst.71

IV. Gegen Ende seines Lebens, 1889, ist Hermann Wagener noch einmal auf den Bonapartismus zurückgekommen, in einem fast 200 Seiten starken Werk, das eine Genremischung aus historischer Narration und fiktionalen Dialogen darstellt – nach den Kategorien heutiger Fernsehzeitschriften eine Art »Dokusoap«.72 In dieser Schrift traten die von Gerlach monierten Widersprüche noch greller hervor, weil Wagener, ohne seine frühere negative Einschätzung des Phänomens aufzugeben, nun deutlich stärker die Leistungen seines Helden herausstellte. Zwar wird diesem auch jetzt noch attestiert, mit der sozialen Frage mehr gespielt zu haben, als der Lösung derselben ernsthaft nahegetreten zu sein. »Seine zahmen Neronischen Versuche, ein neues Paris zu schaffen, liefen schließlich doch wieder auf eine Bereicherung Einzelner hinaus, wie denn seine Abhängigkeit von der Pariser haute finance und der goldenen Internationale zu groß war, um ihm eine freie Bewegung zu gestatten, so daß selbst die vielgerühmte Demokratisirung des Kredits sich zu einer Demokratisirung der Korruption gestaltete. Es fehlte ihm nicht nur die feste und sichere sittliche Basis im Volke, sondern auch das tiefere Verständniß der sozialen Fragen überhaupt« (S. 185). Im Widerspruch dazu steht jedoch die Aussage, das »kraftvolle cäsaristische Regiment des Kaisers in seiner Blüthezeit« sei »eine »Wohlthat für Frankreich und eine Zuchtruthe für die Revolution gewesen, und, wenigstens soweit es sich um die soziale Revolution handelte, von der großen Mehrzahl der Franzosen auch als solche anerkannt« (S. 188 f.). Wagener löste diesen Widerspruch durch eine zeitliche Gliederung des Regimes nach dem Schema von Aufstieg und Niedergang und erklärte den letzteren durch eine Einwirkung externer Faktoren wie den »Einfluß der Krinolinen und einer um die Kaiserin sich bildenden Hofkamarilla« (S. 189). Napoleon, läßt Wagener Bismarck sagen, sei stark gewesen, solange er als Selbstherrscher regiert habe. Erst später sei er vor der Kurie und bald

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auch noch vor dem Parlamentarismus zurückgewichen und habe so jene »Lahmlegung der Kaiserlichen Gewalt« bewirkt, die dazu führte, »daß die soziale Thätigkeit des Kaisers in der Pariser Bevölkerung wenig oder gar keine Resonanz hinterlassen, und die Kaisertragödie in dem Kommunenkampf ihren Abschluß gefunden hat« (ebd., S. 188 f.). Eine andere Gemahlin und ein konsequenteres Beharren auf der Autokratie, so die Botschaft zwischen den Zeilen, und die Bilanz des Bonapartismus wäre so übel nicht ausgefallen, zumindest für ein Volk wie das französische, das so sehr und so beständig auf der Suche »nach einem ›Retter‹, oder, was dasselbe ist, nach einem neuen Cäsar« sei (S. 198). Diese im Vergleich zu früheren Äußerungen deutlich positivere Sichtweise dürfte in nicht geringem Maße von der wohlwollenden Behandlung beeinflußt sein, die dem Bonapartismus im konservativ orientierten Segment des literarischen Feldes zuteil wurde. Schon Wageners Kollege bei der ›Kreuzzeitung‹ und später auch bei der Berliner Revue, George Hesekiel (1819–1874), glaubte der konservativen Sache mit dem konservativen Roman »eine neue mächtige Waffe« schaffen zu können und leistete dazu auch gleich selbst ausufernde Beiträge, etwa mit dem 1855 in der Berliner Revue erscheinenden Fortsetzungsroman Von Turgot bis Babeuf.73 Erst Hermann Goedsche (1815–1878) jedoch, der ebenfalls an beiden Medien beteiligt war – in der ›Kreuzzeitung‹ als Verfasser der Klatschspalte (»Der Berliner Zuschauer«), in der Berliner Revue mit der »Zeit-Novelle« »Die Commune« (1872)  –, gelang es, dem Tendenzroman ein Massenpublikum zu erschließen und zugleich den Blick auf den Bonapartismus zu verändern. Goedsche, ursprünglich Postsekretär, gab 1848 seinen Beruf auf und unterstützte Hermann Wagener bei der Vorbereitung der ›Kreuzzeitung‹. Politisch engagierte er sich als Geschäftsführer des Vereins für König und Vaterland, später auch als Redakteur des Vereinskalenders des Preußischen Volksvereins, der es zu beachtlichen Auflagen brachte.74 Ab 1855 veröffentlichte er unter dem Pseudonym »Sir John Retcliffe« seine »Historisch-politischen Romane aus der Gegenwart«, einen Zyklus von insgesamt 35 Bänden, dem mit einigem Recht bescheinigt worden ist, die trivialisierte und massentaugliche Parallelaktion zu dem von Wagener herausgegebenen Staats- und Gesellschaftslexikon darzustellen.75 Zentrale Gestalt dieses durchweg an französische Vorbilder wie Alexandre Dumas oder Eugène Sue anknüpfenden Zyklus ist niemand anders

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als Louis Napoleon.76 Gleich die erste Serie, die der Vorbereitung und dem Verlauf des Krimkrieges gewidmet ist, setzt bedeutungsschwer mit einem nächtlichen Treffen im Dôme des Invalides ein, »zu Häupten des Katafalks Napoleon’s I.«, das dessen Neffen mit einem Vertreter des geheimnisvollen Bundes der Unsichtbaren zusammenführt.77 Dieser Bund, in späteren Serien durch Mazzinis Internationale Liga der Völker ersetzt, verfolgt einen weitausgreifenden Plan zur Befreiung Polens, Ungarns und Italiens und zur Schwächung Englands und Rußlands, der für eine gewisse Zeit die Hegemonie Frankreichs in Europa begründen soll.78 Eine gleich hieran anschließende Szene führt in eine Sitzung des Zentralkomitees dieses Bundes, in der Louis Napoleon als das geeignete Instrument zur Durchführung dieses Plans benannt wird, habe dieser scharfsichtige Kopf doch schon längst »von der Vernichtung Englands und der Weltherrschaft der Napoleoniden geträumt«. Allerdings sei ein Bündnis mit ihm nicht ohne Risiko. Er sei schlau und tatkräftig genug, um eines Tages »die Bande, die ihn geheimnißvoll umschlingen, mit eigener Hand zu zerreißen. Möge der Augenblick nicht versäumt werden, wo sein Fall uns nöthig ist, ehe er uns zuvorkommt.«79 Breit ausgeführt hat Retcliffe dieses Bündnis der nationalrevolutionären Demokratie mit dem Bonapartismus im ersten Band von Villafranca. Louis Napoleon, schon in jungen Jahren ein Mitglied der Carbonari, wird nach seinem gescheiterten Putschversuch von Boulogne (1840) in der Festung Ham eingekerkert. Dort erhält er den Besuch Mazzinis, der ihm die Hilfe seiner Liga zusichert, zunächst bei der Flucht aus dem Gefängnis, später bei der Bewerbung um die Präsidentschaft in Frankreich, das zur Zeit der Unterredung (1846) noch eine Monarchie ist.80 Für die Gegenleistung – »Präsident bleiben, ohne Kaiser werden zu wollen, und die italienische Revolution unterstützen« – verpflichtet sich Louis Napoleon mit einem Eid.81 Die Flucht gelingt, doch spielt Napoleon von Anfang an ein doppeltes Spiel, indem er sich vor der Präsidentschaftswahl im Dezember 1848 die Unterstützung der Kurie sichert.82 Mazzini, »der furchtbare stille Lenker und Leiter der italienischen Bewegung«, muß deshalb schon bald erkennen, daß er seinen Meister gefunden hat. Die französische Armee, die Louis Napoleon 1849 nach Rom entsendet, dient nicht der Revolutionierung des Kirchenstaates, sondern seiner Erhaltung83, und auch das zweite Versprechen wird gebrochen. Im Dezember 1851 löst Louis Napo-

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leon die Kammer auf und erläßt eine neue Verfassung, die ihm für zehn Jahre die Präsidentschaft sichert. Ein Jahr später erklärt er sich zum Kaiser und zieht den ebenfalls zum Bund gehörenden Baron Riepéra – ein durchsichtiges Anagramm für die Brüder Péreire, die Begründer des Crédit mobilier – auf seine Seite; aus der von ihm auf den Weg gebrachten Nationalanleihe wird ein Börsengeschäft, das in Retcliffes Perspektive die Auslieferung der Staatsfinanzen an das Judentum einleitet.84 Schließlich durchkreuzt er noch die Absicht einer Schwächung Rußlands, indem er während des Krimkrieges in Geheimverhandlungen mit dem Zaren den russischen Truppen Gelegenheit zum Abzug gibt und sich dafür sowohl die Anerkennung seiner Dynastie einhandelt als auch die Zusage eines Bündnisses, das Rußland die Herrschaft über Asien, Frankreich diejenige über das Mittelmeer sichert.85 Gemeinsam mit England gegen Rußland gezogen zu sein, wird er später zum großen Fehler seines Lebens erklären, sei er damit doch von der »allein richtigen Tradition« seines Onkels abgewichen, der Englands Streben nach der Weltherrschaft nie verkannt und stets bekämpft habe.86 Schon zuvor indessen war er von seinen einstigen Verbündeten – hier: dem »Todtenbund der Brüder des Dolches« – in einer Art Femegerichtsverfahren zum Tod verurteilt worden.87 Die Anklage wird von Mazzinis ›bestem Werkzeug‹ vertreten, eben jenem Orsini, der 1858 in Paris den Anschlag auf Napoleon III. verüben wird – wie Retcliffe durchblicken läßt: im Auftrag des englischen Kabinetts.88 Daß Retcliffes Darstellung trotz mancher kritischer Distanzierung überwiegend von Sympathie getragen ist, erklärt sich zum einen aus der Überzeugung, »daß die Herrschaft, selbst die strengste, des Einen leichter ist als der Ehrgeiz von tausend Tyrannen«, zum andern aus der Einsicht, daß »die Kaiser von heute […] nicht mehr durch die Prätorianer, sondern durch das Volk gemacht werden [müssen]«.89 Im Zeitalter der Revolution sei nur deren Sohn, eben der Bonapartismus, imstande, sie zu zähmen; und nur er sei es auch, der der Mutter dieser Revolution, England, Paroli bieten könne, jedenfalls so lange, wie noch kein anderer, stärkerer, für diese Aufgabe bereit stehe. Denn all jene Mächte, die heute die »Ruhe der Völker« bedrohten – der Liberalismus, die Demokratie und insbesondere der Sozialismus als die »gefährlichste aller revolutionairen Ideen« –, würden von England gefördert und »auf den Continent geworfen, um den alten Einfluß zu behalten, der stark in’s Wanken gekommen war.«90 Ein

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halbes Jahrhundert später wird Spengler es nicht anders ausdrücken. Wie eine »Fügung Gottes« erscheint es deshalb, wenn sich am Vorabend des großen Sepoy-Aufstandes in Indien zwei auf dem Weg dorthin befindliche Agenten Louis Napoleons mit zwei in der Gegenrichtung reisenden indischen Adligen treffen und sich gemeinsam mit einem Führer der Buren zum »Kampf gegen England« verschwören – und daß sie dies ausgerechnet am Grab seines »erhabensten Feindes« tun, Napoleons I. auf St. Helena.91 Hinter diesen außenpolitischen Aspekten treten die innen- und sozialpolitischen zurück, ohne aber ganz zu fehlen. Wie Wagener vertritt auch Retcliffe die Ansicht, daß bei sozialer Zufriedenheit »das ganze Land […] treu dem Throne [ist] und ehrlich conservativ«, und wie Wagener erkennt auch er Napoleon III. erhebliche Verdienste um die Umgestaltung von Paris im sozialhygienischen Sinne zu.92 In die gleiche Richtung gehen die Werke des mit Retcliffe / Goedsche befreundeten Oskar Meding (1828– 1903). Unter dem Pseudonym Gregor Samarow veröffentlichte er zwischen 1874 und 1876 einen zwanzigbändigen Zyklus, der dort begann, wo Retcliffe aufgehört hatte und mit dem Tod Napoleons III. 1873 schloß.93 Von bleibender Bedeutung erscheinen hier die sozialen Leistungen des Kaisers, »vor allem die von ihm großzügig betriebene Entwicklung des ländlichen Wegenetzes, das die Absatzmöglichkeiten und somit die soziale Lage der Bauern dauerhaft verbesserte.« Ganz im Sinne seines Vorgängers bescheinigt auch Meding / Samarow seinem Helden politischen Weitblick und Klugheit, sieht beides aber auf der Linie von Wageners Spätschrift durch seinen physischen Verfall und vor allem durch den Einfluß der Kaiserin konterkariert.94 Wie nahe er politisch und konzeptionell seinem Meister war, zeigt der Umstand, daß Retcliffe einen von Medings Texten zu Ende schrieb, als dieser wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr dazu kam.95

V. Aus dem Umkreis der Berliner Revue sind schließlich auch die Arbeiten Rudolf Meyers hervorgegangen, die sich darum bemühten, die Würdigung des Bonapartismus auf eine stärker diskursiv ausgerichtete Ebene zu heben. Nicht daß Meyer ein Bonapartist sensu stricto gewesen wäre.

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Sein Werk über den Emanzipationskampf des vierten Standes attestierte dem »centralistischen System« des ersten Napoleon einen »despotischen Charakter« und wies seine Übertragung auf andere Länder zurück.96 Der zweite Band klang aus mit einem Appell an das »hohenzollersche Kaiserthum«, sich der sozialen Reform anzunehmen, hielt sich also an die traditionale Monarchie. War es schon nicht ganz leicht, aber aus der Perspektive einer antiabsolutistischen Einstellung immerhin möglich, dies mit einer Wertschätzung der Französischen Revolution zu vereinbaren, wie sie einem genuin Konservativen nie in die Feder geflossen wäre97, so ging Meyer bald einen Schritt weiter. 1877 publizierte er seine bereits oben angeführte Enthüllungsschrift über die »Verbindungen korrupter Geschäftsleute mit korrupten Politikern«, die selbst ein Kritiker wie Fritz Stern als »eine ernsthafte, gewichtige Arbeit« bezeichnet, »reich an Einzelheiten, deutlich und bitter im Ton und voll Gift gegen Bismarck, der seine Einwände abgetan hatte«.98 Darin stilisierte Meyer den erst vor wenigen Jahren unrühmlich von der politischen Bühne abgetretenen französischen Kaiser zu einer charismatischen Gestalt, deren Politik den Beginn einer neuen Ära, der »Aera des cäsaristischen Socialismus«, markiere.99 Cäsarismus war bis dahin auch in Meyers Vokabular keine eindeutig positiv konnotierte Bezeichnung. Mal würdigte er Cäsar als politischen Führer, der die Schuldverhältnisse geordnet und so die Massen des Volkes gewonnen habe100, mal ordnete er ihn der »capital-liberalen Partei« zu, »welche die Auflösung auf ihre Fahne geschrieben hat, eine Auflösung, die zu starrer Centralisation führt, d. h. zum Cäsarismus in irgend einer Form.«101 Die Lektüre Tocquevilles bestärkte ihn in seinen Vorbehalten gegen diese Erscheinungsform einer »neuen centralisirten Staatsmacht in und über einer demokratischen Gesellschaft«102, gegen die es nur ein Mittel zu geben schien: die »Wiederherstellung der Freiheit in einer neuständisch gegliederten Monarchie, deren Stände sich aus den productiven Gruppen der Gegenwart zu organisiren, sich selbst zu verwalten und ihren ständischen Einfluss auf die Staatsadministration zu nehmen haben.«103 Das war freilich Zukunftsmusik. In der Gegenwart galt es deshalb, zwischen Cäsarismus und Cäsarismus zu unterscheiden, bzw. zwischen einem cäsaristischen Sozialismus, der bewußt ins Werk gesetzt wurde und sich darin der Idee des »socialen Königthums« näherte104, und einem solchen, der sich plan- und bewußtlos durchsetzte. Letzteres war der Fall in Bis-

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marcks Wirtschafts- und Sozialpolitik, an der Meyer kein gutes Haar ließ, ersteres bei Napoleon III., der im Vergleich mit seinen deutschen Nachahmern nachgerade zur Lichtgestalt avancierte. Seine Überlegenheit über alle anderen Monarchen der Zeit begründete sich nicht allein aus seinen menschlichen Eigenschaften, sondern auch aus seinem geistigen Rang und seiner Lernfähigkeit. Schon in seiner Jugend habe er sich den Ideen St. Simons geöffnet, dieser vielleicht »edelste[n] Gestalt unter allen Socialisten«, und damit einer Lehre, die dem Königtum die Aufgabe zuwies, die Revolution zu beenden, den wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern und das Los der ärmeren Klassen zu verbessern.105 Das habe sich im Ausbau des Kreditwesens gezeigt, in der auf Handelsfreiheit setzenden Handelspolitik, in der die höheren Einkommensgruppen progressiv belastenden Steuerpolitik, in dem von Haussmann energisch betriebenen Umbau von Paris sowie einer Infrastrukturpolitik, die Frankreich mit einem Netz von Eisenbahnen, Kanälen und Vicinalwegen überzog.106 Grandios auch der Zuschnitt der Außenwirtschaftspolitik, die den Bau des Suezkanals und des Mont-Cenis-Tunnels vorantrieb und ipso facto Frankreich zur »Weltstrasse zwischen England und Indien« machte.107 Einige Jahre später, Meyer hatte längst Deutschland verlassen und durch ausgedehnte Reisen seinen Horizont erweitert, erschien ihm Napoleon III. mehr denn je als Visionär, als »eine[r] der grössten Regenten«, wenn nicht gar, »nach seinem Onkel, einer der genialsten Monarchen« des Jahrhunderts.108 Zwar sei auch er noch dem Irrtum der liberalen Ökonomie aufgesessen, wonach der Nationalreichtum »durchschnittlichen Wohlstand, und nicht Millionäre und Proletarier erzeuge«, doch sei ihm nicht abzusprechen, daß er den Nationalreichtum Frankreichs auf Staunen erregende Weise vermehrt habe.109 Neben den bereits in den Politischen Gründern hervorgehobenen Aktivitäten würdigte Meyer nun auch den »napoleonischen Weltmachttraum«, den der Neffe freilich vorwiegend »durch Arbeit, Capital, Intelligenz« zu verwirklichen versucht habe, nicht, wie der Onkel, allein mit militärischen Mitteln, auch wenn er die letzteren nicht gänzlich ausschloß.110 In der französischen Invasion in Mexico, zeitgleich mit dem Sezessionskrieg in Nordamerika, sah Meyer eine letzte große Chance für Europa, den Aufstieg einer neuen Wirtschaftsgroßmacht und damit eines gefährlichen Konkurrenten im Keim zu ersticken. Wäre es gelungen, so seine Spekulation, in Mexico eine Monarchie unter

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französischem Schutz zu etablieren, »und hätten die aristokratischen Südstaaten, in denen die Grossgrundbesitzer zum guten Theile französischer Abkunft waren, sich befreit, so wäre auch hier wahrscheinlich eine Monarchie entstanden«, die gemeinsam mit Mexico den Nordstaaten hätte Paroli bieten können. Mit weitreichenden Folgen: »Ein Sieg der Südstaaten, die Etablirung dreier Monarchien in Nordamerika, würde das System grosser stehender Heere, die allgemeine Wehrpflicht, zum unmittelbaren Gefolge gehabt haben. Wenn aber dieses System in Amerika auch Platz greift und dazu eine grosse Kriegsschuld kommt, wie sie Süd- und Nordstaaten und Mexico damals hatten, so ist Amerika plötzlich kein gefährlicher Concurrent mehr für Europa in der Arbeit auf den Gebieten von Ackerbau und Industrie, da es heute nur deshalb weniger Productionscosten in vielen Productionsbranchen hat als Europa und also nur deshalb billiger verkaufen und europäische Concurrenten niederconcurriren kann, weil seine ganze männliche Bevölkerung, frei vom Militärdienst, sich der Arbeit widmet und die Staatsausgaben sich vermindern aus Mangel eines Militär-Budgets.«111

Das Scheitern von Napoleons Strategie, das »europäische System nach Amerika zu verpflanzen«, war für Europa ein Unglück. Für Amerika hingegen, speziell die Vereinigten Staaten, war es ein Glück, blieb ihm auf diese Weise doch der Aufbau eines kostspieligen militärisch-bürokratischen Apparates erspart. Und je länger Meyer darüber nachdachte, je mehr er sich mit den Besonderheiten der Wirtschafts- und Sozialverfassung der USA vertraut machte, desto faszinierender und hoffnungsträchtiger erschienen sie ihm. Nicht zufällig schloß die Einleitung seines Amerikabuches mit dem Bekenntnis der Verehrung »für das friedfertige, grosse, intelligente und freie Volk von Amerika« und dem Wunsch: »Mögen die Völker Europas ihm in allem Guten, das es vor uns voraus hat, ähnlich werden.«112 Für Meyer folgte dieser Wunsch nicht allein aus den Erfahrungen, die er 1881 auf seiner einjährigen Reise quer durch die USA gemacht hatte. In ihm schlug sich auch ein Vorbehalt gegen das bonapartistische System nieder, schien es ihm auf Dauer gesehen doch zu wenig Widerstandskraft gegen die korrumpierenden Tendenzen zu bieten, die schon im Rom Cäsars mit dem Kapitalismus verbunden waren. Bei aller Großartigkeit der

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Konzeption rechnete dieses System doch zu wenig mit den Schwächen der Menschen, die es ausführen sollten: nicht mit der physischen und (was den Einfluß der Kaiserin betraf) psychischen Anfälligkeit seines Schöpfers, und schon gar nicht mit dem Egoismus und der Gier seiner Gefolgschaft, die die ihnen zugefallene politische Macht zur persönlichen Bereicherung und zur systematischen Ausplünderung der Bevölkerung nutzte. Gewiß fanden sich unter den neuen Finanzoligarchen auch christliche Bankiers. Gleichwohl hielt es Meyer nicht für einen Zufall, daß es vor allem saintsimonistisch orientierte Juden wie die Brüder Pereire waren, die die ursprünglichen Intentionen des Saintsimonismus verfälschten: »Die Pereires sammelten um sich einen Anhang politisch bedeutender Männer, trugen die Corruption in das Parlament, in die Ministerien, in das Volk durch den Agiotageschwindel. Sie bereicherten sich und ihre Creaturen und politischen Agenten ungeheuer auf Kosten der Actionäre ihrer Banken und brachten diese schliesslich an den Rand des Bankrotts. Da wendeten sie sich um Hülfe an den Kaiser und der war schwach genug, sie gewähren zu wollen. Allein selbst die Finanzmacht des Staats wäre, wenn man sie auch ganz hätte einsetzen können, nicht im Stande gewesen, den Zusammenbruch des Systems zu verhindern.«113

Den hier zu Tage tretenden Antisemitismus hat Meyer bisweilen nuanciert, indem er zwischen den »ehrlichen, thätigen Juden der Mittelklassen« und den »›politischen Gründerjuden‹ und deren parlamentarischen Klopffechtern« unterschied.114 Auch verwahrte er sich später gegen eine Judenhetze, wie sie von Stoecker, Ahlwardt und anderen betrieben wurde.115 Sein generelles Ressentiment gegen das Judentum – und hier namentlich gegen das deutsch-polnische als das »vielleicht […] abscheulichste Volkselement dieser gewiss nicht anziehenden Racen- und Standesmischungen«116 – hat er indes eisern festgehalten, und nicht nur festgehalten, sondern auch intellektuell systematisiert, vermochte er doch nur mit antisemitischen Behauptungen zu erklären, weshalb ein vermeintlich so sehr auf die Entfaltung des Nationalreichtums angelegtes Wirtschaftssystem wie das napoleonische auf die schiefe Bahn geriet, und weshalb sich die schlechte Kopie dieses Systems im neugeeinten Deutschland der »Herrschaft einer capitalistischen, semitischen Clique« unterwarf.117 Der Bonapartismus, so

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die Botschaft zwischen den Zeilen, war schon gut. Aber er wäre noch besser gewesen, wenn er sich nicht auf die Allianz mit dem Finanzjudentum eingelassen und statt dessen das Judentum wieder in den Status versetzt hätte, den es vor der Emanzipation besaß; sei doch eben diese Emanzipation die Ursache, weshalb »unsere ökonomische Gesetzgebung und unser wirthschaftliches Leben […] nicht mehr christlich, sondern jüdisch-heidnisch« sei.118 Und darin war er sich mit den von ihm immer wieder zitierten Gesinnungsgenossen wie Toussenel, Otto Glagau und Ottomar Beta wie auch seinem Förderer und Freund Hermann Wagener ganz einig.

VI. Ernst Nolte hat in seiner eingangs zitierten Studie die Erneuerung des Konservatismus nach 1848 mit dessen Fähigkeit begründet, sich durch einen doppelten Lernprozeß à jour zu bringen: durch die Überwindung des Mißtrauens gegen den Cäsarismus und das allgemeine Wahlrecht; und durch die Rezeption »linker« Momente wie der theoretischen Neigung zum Sozialismus und einer neuartigen Verschärfung des Antisemitismus.119 Ignoriert man den sachlich unhaltbaren Versuch, die Radikalisierung des Antisemitismus einseitig der »Linken« anzulasten (womit die Existenz eines »linken« Antisemitismus nicht bestritten werden soll), läßt man zudem die Frage unerörtert, ob die Bereitschaft zu sozialen Reformen schon eine Neigung zum Sozialismus indiziert, so sind doch mit den beiden ersten Punkten historische Tatsachen angesprochen. Es war ein Politiker des konservativen Milieus, Bismarck, der das allgemeine Wahlrecht für den Norddeutschen Bund und das Kaiserreich durchsetzte, und es waren Theoretiker aus eben diesem Milieu wie Wagener und Meyer, die ihm darin vorangingen und ihm später akklamierten. Dieselben waren es auch, die die schroffe Gegenstellung des Konservatismus gegen den Bonapartismus / Cäsarismus abmilderten: Bismarck eher auf einer »realpolitisch«-pragmatischen Ebene, der spätere Wagener und seine Gefolgschaft durchaus auch auf einer prinzipiellen Ebene. Selbst auf dieser letzteren aber kann allenfalls von einer selektiven Aneignung gesprochen werden, die nur einzelnen bonapartistischen Methoden galt, nicht dem System als solchem. Wenn Wagener von Dikta-

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tur sprach, so stets von der königlichen, mithin von einer Form legitimer Herrschaft im Rahmen des »Doppelreichs« traditionaler Herrschaft, die im Erb- und Amtscharisma des Monarchen eine zusätzliche Stütze besaß. Auch Rudolf Meyer rüttelte an dieser Voraussetzung nicht. Die scharfen Attacken, die er gegen Bismarck ritt, zielten auf eine Änderung der Politik und einen Wechsel der Akteure, nicht auf die Institutionen der konstitutionellen Monarchie, wie sich nicht zuletzt an der Erleichterung ablesen läßt, mit der er die Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II. begrüßte.120 Bismarck war eben nicht Napoleon III., sondern allenfalls ein »Majordomus«121; und wenn er auch zeitweilig ähnliche Funktionen als »Ordnungsmann« erfüllte122, so doch nur aufgrund der Legitimität seines königlichkaiserlichen Herren, der ihm die Ermächtigung auch wieder entziehen konnte. Erst der Zusammenbruch dieser Herrschaft am Ende des Ersten Weltkriegs ermöglichte neue, aus der antiautoritären Umdeutung des Charisma hervorgehende Formen, die dann auch von entsprechenden Reflexionstheorien begleitet wurden, etwa von Spenglers Lehre von der »Heraufkunft formloser Gewalten« oder von Carl Schmitts Vorschlag, das Amt des Reichspräsidenten in eine plebiszitäre Führerdiktatur umzudeuten.123 Das Maß ihrer Annäherung an den Bonapartismus bezeichnet zugleich das Maß ihrer Entfernung vom Konservatismus.

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II. Konservativer Sozialismus? Daß der 1789 in Gang gekommene revolutionäre Prozeß über eine Dynamik verfügte, die weit über die Ziele des Liberalismus und der Demokratie hinaus drängte, war ein Gedanke, der in Deutschland vor 1848 nur von wenigen Konservativen erwogen wurde. Wohl gab es auch unter ihnen aufmerksame Beobachter wie Victor Aimé Huber, die schon früh über den aufkommenden Sozialismus und Kommunismus berichteten.124 Sie bezogen jedoch das Material für ihre Analysen aus Zuständen und Vorgängen außerhalb Deutschlands und konnten deshalb leicht als exotisch abgetan werden. Selbst der Anschauungsunterricht vor Ort verhalf nicht zu tieferen Einsichten. Als Ernst Ludwig von Gerlach im Sommer 1844 einige Monate in England verbrachte, registrierte er zwar Streiks und Streikversammlungen, ordnete diese aber nicht in ein umfassenderes Bild von sozialer Bewegung ein, wie es zur gleichen Zeit etwa von Lorenz von Stein entworfen wurde.125 In seinem Weltbild gewann der Sozialismus keine klaren Konturen. Er erschien vielmehr als Seitentrieb einer Entwicklung, die weitaus bedrohlichere Erscheinungen aufwies wie z. B. den Bonapartismus – ein Reflex der gegenüber England deutlich retardierten Industrialisierung, machten doch die Fabrik- und Manufakturarbeiter in Preußen noch 1861 weniger als sieben Prozent der Erwerbstätigen aus.126 Selbst die – freilich bescheidenen – Agitationserfolge, die Ferdinand Lassalles 1863 gegründeter Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein erzielte127, vermochten an dieser Sichtweise nichts zu ändern. Lassalle kommt in den veröffentlichten Passagen von Gerlachs Tagebüchern nur einmal vor, in einer Notiz vom 3. 3. 1865, in der von den »schwächlichen, unreifen Gedanken« Wageners die Rede ist, der, »liebäugelnd mit Lassalle«, aus den Arbeitern Kapital zu schlagen versuche.128 Etwa zur gleichen Zeit erklärte Friedrich Julius Stahl es für ein vergebliches Unterfangen, »das Proletariat organisiren zu wollen«, sei es doch nur »ein Auswuchs ungesunder wirthschaftlicher Verhältnisse, eine Art Exanthem, das man deshalb nicht als solches pflegen, sondern vielmehr resorbiren muß.«129 Nach einem Bewußtsein darüber, daß der aufziehende industrielle Kapitalismus die überlieferte Ordnung von Grund auf umzustülpen im Begriffe stand, sucht man hier vergebens, ebenso nach einer Aufgeschlossen-

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heit für bereits vorliegende Antworten auf die damit aufgeworfene »soziale Frage« – Antworten, die mit der raschen Zuspitzung der Probleme unvermeidlich immer radikaler ausfielen. Erst bei den Grenzgestalten des Konservatismus, von denen dieses Buch handelt, wird dies anders. Manche sind so weit gegangen, sich explizit für einen »conservativen Socialismus« (Rudolf Meyer) oder für »Staatssozialismus« (Adolph Wagner) auszusprechen.130 Andere blieben gegenüber solchen Etiketten zurückhaltender, schlugen aber Lösungen vor, die ihnen nichtsdestoweniger den Ruf einbrachten, »konservative Sozialisten« zu sein. Unter dieser Bezeichnung versammelte schon Friedrich Naumann die vermeintlichen Schüler von Lorenz von Stein und Rodbertus: »Adolf Wagner, von Scheel, Jannasch, Hildebrand«, des weiteren Rudolf Meyer, Geheimrat Wagener und Adolf Stoecker.131 Spätere Autoren haben Rodbertus, aber auch Hermann Wagener zu »konservativen Sozialisten« erklärt.132 Weder die Selbst- noch die Fremdbezeichnung gibt jedoch angemessen wieder, worum es hier eigentlich ging: um eine Sozialreform, die die neue bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung an ihrer vorzeitigen Selbstzerstörung hindern sollte, ohne jedoch ihre Fundamente anzutasten. Sozialismus war das sicher nicht. Aber es war auch konservativ nur noch in einem sehr reduzierten Sinne. Wie zu zeigen sein wird.

I. Die Revolution von 1848/49 war bekanntlich alles andere als eine soziale Revolution. Aber in ihr meldete sich erstmals in Deutschland eine Bewegung, die sich nicht mehr mit der Forderung nach politischer Partizipation begnügte, vielmehr nach Lösungen für die immer drängender werdenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme verlangte, die aus der fortschreitenden Dekomposition der societas civilis erwuchsen. Und sie meldeten sich auf eine Weise, die von den Herrschenden angesichts der gleichzeitigen Vorgänge in Frankreich als Beginn eines kumulativen Radikalisierungsprozesses gedeutet wurde, der mit der Abkehr von Gott begann und über den Liberalismus und die Demokratie zu einem ›gesellschaftlichen Krieg‹ führte, an dessen Ende der ›Massendespotismus‹ und der ›sozialistische Industriestaat‹ stehen würde.133 Es sei evident, so

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Hermann Wagener, »daß bis jetzt noch jedes sozialdemokratische System angekommen ist und gegipfelt hat in einem Despoten, der nicht allein socialistischer Pabst [sic] und Kaiser zugleich ist, sondern der auch mit unumschränkter Machtvollkommenheit über alle irdischen Güter und deren Vertheilung muß disponieren können«.134 Es lag ganz auf dieser Linie, wenn das von Wagener herausgegebene Staats- und Gesellschafts-Lexikon zu einer scharfen Absage an alles ausholte, was auch nur entfernt nach Sozialismus oder Kommunismus aussah. Der entsprechend überschriebene Artikel, als dessen Verfasser man Bruno Bauer vermuten darf, setzte ein mit dem Buddhismus als der ersten großen sozialistisch-kommunistischen Revolution, die die Korporationen vernichtet und die Stände nivelliert habe und seitdem »auf die Vertheilung des Capitals nach dem Grundsatze der Gleichheit« ausgehe.135 Es folgen: Plato, die Cyniker und Stoiker, die christlichen Mönchsorden, die Ritterorden, die Wiedertäufer, die Jesuiten, die Utopisten des 16. und 17. Jahrhunderts und endlich der »moderne Socialismus«, wie er von Rousseau, Mably und Morelly begründet worden sei, um bei Babeuf, St. Simon und Fourier zur Vollendung zu gelangen.136 In vorwegnehmender Variation ähnlicher Gedankenfiguren bei Nietzsche und Max Weber wurde der moderne Sozialismus als Fortführung und Steigerung der von den Jesuiten erfundenen methodischen Lebensführung und Disziplinierung gedeutet. Habe sich die Gesellschaft Jesu noch mit der »Ueberpflanzung der Klosterdisciplin« in die »gemischte Gesellschaft« der Höfe und Schlösser des Adels sowie die Gelehrten- und Bürgerschulen begnügt, so sei Fourier einen Schritt weiter gegangen, wollte er doch »die ganze Welt zu einer Klosterverbrüderung machen und die Menschennatur überhaupt discipliniren.«137 Die Darstellung des deutschen Sozialismus hielt sich an Wilhelm Weitling, Karl Grün und Moses Heß und goß ihren Spott über die von diesen angestrebte »Familiarisirung der bürgerlichen Gesellschaft« aus, die sich auf die »Umwandlung des Verkehrs in das Familienverhältniß der Sympathie, Hingebung und Liebe« kapriziere.138 Auch für den Staat sei in dieser liebesseligen »neuen Welt der Socialisten« kein Platz. In ihr werde »das Recht der Persönlichkeit überhaupt geläugnet und diese so zerquetscht, daß sie nichts als die Gattung und das Menschliche« ausdrückt.139 Daß der Fluchtpunkt all dieser Bestrebungen nur der totale Bankrott sein könne,

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zeige der gegenwärtige »imperialistische Socialismus« Louis Bonapartes, der die Städte und Gemeinden in die Verschuldung und die »producirende Gesellschaftsklasse des mittleren Bürgerthums« in den Ruin treibe.140 Immerhin: unabwendbar sei dies nicht, bestehe doch noch die Alternative einer Politik der sozialen Sicherung, die all dem einen Riegel vorschieben würde: durch eine »solidarische Verknüpfung der Industrieherren und ihrer Arbeiter zu genossenschaftlichen Unterstützungs- und Assecuranz-Kassen und die Heranziehung der Arbeitgeber und Arbeiter an die Sorgen und Verpflichtungen der Gemeinden, denen die Invaliden und Opfer der Fabriken bisher zur Last fielen«.141 Wie die Diagnose, deckte sich auch die Therapie mit den Vorstellungen Wageners, der bei aller Ablehnung der sozialistischen Doktrinen doch Realist genug war, um im Aufkommen derselben ein Problem zu sehen, das der Lösung bedurfte. Für ihn war der Kommunismus selbst in seiner schlimmsten Gestalt »doch ein berechtigter Nothschrei der in Anarchie verkommenden Arbeit«142, weshalb er es nicht für unter seiner Würde hielt, sich mit den Ideen und Programmen dieses Lagers vertraut zu machen, und sei es nur in der Brechung der magistralen Darstellung Lorenz von Steins. So zögerte er nicht, im Reichstag des Norddeutschen Bundes einen Abgeordneten abzukanzeln, der sich kritisch über Proudhon geäußert hatte, habe doch er (Wagener) dessen Schriften »nicht ohne die tiefste Beschämung« gelesen, weil er darin »einen sittlichen Ernst und ein Streben nach Gerechtigkeit« gefunden habe, das »nur fehlgreift in der Basis, auf der er sein System erbaut.«143 Noch weiter ging er in der Würdigung Lassalles, den er vor dem mehrheitlich liberalen Abgeordnetenhaus als ›genialen, schöpferischen Mann‹ feierte, der, wenn er geirrt habe, wenigstens groß geirrt habe, dem man aber zumindest eine Einsicht nicht abstreiten könne: daß die »National-Oekonomie der Masse der Bevölkerung […] in der Kürze den Sieg […] über die National-Oekonomie der Bourgeoisie« gewinnen werde.144 In Wageners Blickfeld dürfte Lassalle spätestens seit dessen berühmtem »Offenen Antwortschreiben« an das Leipziger Central-Comité zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Congresses vom 1. März 1863 geraten sein, das die Konstituierung des Arbeiterstands als selbständige politische Partei forderte und dieser den Kampf um das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht ins Stammbuch schrieb.145 Kein

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Charismatiker sensu stricto, aber doch in gewissem Grad mit dem ›Charisma der Rede‹ (Max Weber) begabt146, erreichte Lassalle damit sowie der Forderung nach Produktivassoziationen binnen kurzem eine wie immer auch zunächst begrenzte Mobilisierung der Arbeiterschaft, so daß bereits Ende Mai 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet werden konnte. Sechs Wochen zuvor hatte Wagener bereits Bismarck neben Schulze-Delitzsch auch auf Lassalle aufmerksam gemacht, beide allerdings auf wenig schmeichelhafte Weise charakterisiert: »Der erstere ist ein Bourgeois, der den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen versucht, der andere ein gefährlicher Egoist mit dem Anstriche eines verstandesmäßigen Sozialisten, der, wie die ›Reaktion‹ ihn, so seinerseits die Reaktion für seine Zwecke und als Übergangsstadium auszunützen versucht.«147 Ob es dann Wagener war, der zwischen Mai 1863 und Februar 1864 den teils mündlichen, teils brieflichen Austausch zwischen Bismarck und Lassalle vermittelte, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt, ist aber in diesem Zusammenhang nicht von Belang, da über ihren Inhalt nichts bekannt ist.148 Ebenfalls ungeklärt ist, welche Rolle Wagener bei der Veröffentlichung der gegen Schulze-Delitzsch gerichteten Streitschrift Lassalles spielte, die auf Anweisung Bismarcks vor der Beschlagnahme bewahrt wurde149, und ob er der Verfasser jener ebenso umfangreichen wie kritischen Besprechung war, die die ›Kreuzzeitung‹ im Mai 1864 der Schrift angedeihen ließ.150 Wenn es in dem kurzen Zeitraum zwischen dem »Offenen Antwortschreiben« und Lassalles Duelltod am 31. 8. 1864 zu einer begrenzten Annäherung kam, so ging diese allerdings mehr von Lassalle als von Wagener und Bismarck aus. In einem Brief an Bismarck vom 8. 6. 1863 versicherte er diesem, der Arbeiterstand werde »trotz aller republikanischen Gesinnungen – oder vielmehr gerade auf Grund derselben – in der Krone den natürlichen Träger der sozialen Diktatur, im Gegensatz zu dem Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft […] sehen, wenn die Krone ihrerseits sich jemals zu dem – freilich sehr unwahrscheinlichen – Schritt entschließen könnte, eine wahrhaft revolutionäre und nationale Richtung einzuschlagen und sich aus einem Königtum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres Volkskönigtum umzuwandeln!«151 Zwar zeigte sich Bismarck unbeeindruckt und erklärte Lassalle im vertrauten Kreis für einen Phantasten152, doch ist denkbar, daß Wagener von dem Brief Kenntnis er-

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hielt und nun seinerseits, in dem schon an anderer Stelle zitierten Memorandum vom 1. 3. 1864, einmal mehr die Parole vom ›sozialen Königtum‹ aufgriff, auch wenn er diese (mit Recht) auf Lorenz von Stein und nicht auf Lassalle zurückführte.153 Daß dieses vom allgemeinen Wahlrecht flankiert werden sollte, war ein Gedanke, in dem er ebenfalls mit Lassalle übereinstimmte, und auch in der Zielsetzung, dem Mittelstand eine zentrale Rolle in der Gesellschaft zuzuweisen, zeigen sich gewisse Parallelen, wenngleich Wagener dabei eher an den bestehenden, Lassalle hingegen an einen noch herzustellenden Mittelstand dachte.154 Sogar hinsichtlich der Forderung nach staatlicher Unterstützung für die zu bildenden Produktivassoziationen signalisierte Wagener Entgegenkommen.155 Nach dem Tod Lassalles dauerte es freilich nicht lange, bis sich auch im Kreis um Wagener eine Sichtweise durchsetzte, die dem Begründer der Sozialdemokratie zwar noch soviel ›preußisches Blut‹ zugestand, daß er sich positiv von Marx abhob, ihn gleichwohl als ›Sybariten‹ mit nachgerade mephistophelischen Zügen schilderte, der die Arbeiter nur für seine persönlichen Zwecke benutzt habe.156 Im Romanwerk von »Sir John Retcliffe« figuriert die von ihm initiierte soziale Revolution als dritte Kraft neben den Jesuiten und der Börse, die sämtlich auf dem Weg seien, die traditionellen Aspiranten auf die Weltherrschaft – England und Frankreich – zu überflügeln.157 Wagener selbst pflegte ein ähnliches Feindbild, kam aber auf Lassalle nur noch selten zu sprechen. An dessen Stelle trat für ihn in den 70er Jahren Rodbertus, der Anfang der 60er Jahre in enger, keineswegs nur rein wissenschaftlicher Verbindung mit Lassalle gestanden hatte, sah er sich selbst doch auf dem »rechten Flügel« von dessen »Armee«.158 Rodbertus wird zwar häufig dem Sozialkonservatismus zugeordnet159, doch wird das der für diesen Autor typischen Spannung zwischen langfristiger Perspektive und kurz- und mittelfristigen Stellungnahmen nicht gerecht. Den geschichtlichen Verlauf sah Rodbertus durch eine »Verallgemeinerung des Kommunismus« bestimmt, die allerdings erst in sehr ferner Zukunft – in ›vielleicht fünfhundert‹ Jahren – in der »Aufhebung des Grund- und Kapitaleigenthums« ihren Kulminationspunkt erreichen werde.160 Bis dahin galt es, alles zu vermeiden, was der Sache des Kommunismus bzw. Sozialismus schadete (z. B. die Einrichtung von Produktivassoziationen oder die Fixierung auf das allgemeine Stimmrecht, beides Forderungen Lassalles und Wageners161), und alles zu tun, was sie förderte, worunter Rodbertus

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vor allem die Anpassung der Arbeitslöhne an die steigende Produktivität, aber auch die Herstellung der deutschen Einheit verstand.162 Mit einem derart dem Realitätsprinzip unterworfenen, aus revolutionärer Sicht natürlich in verwerflicher Weise überangepaßten Sozialismus konnte auch Wagener kooperieren, und so überrascht es nicht, daß er es in diesem Fall nicht bei bloßen Sondierungen beließ. Vermutlich durch Rudolf Meyer auf die Spur gebracht, berief er sich 1870 in der Debatte über die Reform der Kreisordnung auf die Vorschläge des Herrn auf Jagetzow zur »Emancipation des Grundbesitzes von der Alleinherrschaft des Kapitals« im Wege einer »Umwandlung aller Hypothekenbriefe in Rentenbriefe«, durch die sich eine »gründliche Decentralisation« herbeiführen und die »Selbstverwaltung der Grundbesitzer« institutionalisieren ließe.163 Als er dann im Frühjahr 1872 nach den Auseinandersetzungen über das Schulaufsichtsgesetz Vorbereitungen zur Gründung einer neuen, gouvernemental ausgerichteten konservativen Partei traf, die über die Grenzen Preußens hinausgreifen sollte, bezog er in die Diskussion über das Programm nicht nur führende Personen des preußischen Konservatismus ein, sondern auch Rodbertus, der im Briefwechsel mit Rudolf Meyer seine Bereitschaft zur Mitarbeit an einer »socialconservativen Partei« signalisiert hatte.164 Wageners Entwurf, der sich negativ gegen »die schwarze, die rothe und die goldene (Kapitalisten-)Internationale« profilierte, im positiven Teil dagegen es bei der Forderung nach einer »allgemeine[n] Enquete« beließ165, fand im wesentlichen die Zustimmung von Rodbertus, sowohl hinsichtlich der Motivierung der neuen Parteibildung als auch der drei Schlagworte, die das Programm charakterisieren sollten (»monarchisch, national, sozial«). Allerdings bemängelte er, daß die Notwendigkeit einer Stärkung der Staatsgewalt nicht genügend herausgearbeitet sei, sehe diese sich doch heute in zunehmendem Maße einer »Koalition unserer Bank- und Eisenbahnfürsten« gegenüber, die bereits über »ungeheure Machtmittel« verfüge und überdies mit Teilen der staatlichen Bürokratie verschmolzen sei: »Eine noch weiter zunehmende Versippung beider muß mit der Zeit jede Staatsverwaltung korrumpiren und zuletzt auch den monarchischen Willen lähmen. Ja, es mehren sich schon die Anzeichen, daß auch unsere konstitutionelle Form und damit die Gesetzgebung selbst dieser Vereinigung

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bureaukratischer und Standes- und merkantilischer Geldinteressen dienstbar wird. Alsdann ist aber dieser Riesenpolyp überhaupt nicht mehr auszurotten und unser neues deutsches Reich ist dann auch bereits gleich bei seiner Wiedererstehung in die Periode des bas-empire eingetreten.«166

Mit seiner Kritik, die darauf hinauslief, das Bank- und Eisenbahnwesen zu verstaatlichen, drang Rodbertus nicht durch. Selbst die schwache Version Wageners war den Konservativen zu viel, erklärten sie sich doch in einer Kundgebung am 14. 5. 1872 lediglich zur »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags«167, ohne sich in sozialer Hinsicht festzulegen. Rodbertus hatte sich schon vorher zurückgezogen und auch die Korrespondenz mit Rudolf Meyer reduziert, der zwischen ihm und Wagener als Mittelsmann fungierte. In einem Brief an Hermann Schumacher gab er seiner Enttäuschung deutlichen Ausdruck. Es sei ihm, als ob von dem Vielen, was die Berliner Revue anstrebe, »erst jetzt der Schleier gefallen«. Meyer habe er wissen lassen, »daß ich für meine Person die sociale Frage weniger fürchtete als die sociale Reaction. Der dunkle und doch so einflußreiche Mann, der hinter ihm steht, flößt doch immer Bedenklichkeiten ein.«168 Nach Lage der Dinge konnte damit nur Wagener gemeint sein. Dieser teilte freilich die Bedenklichkeiten keineswegs und bewahrte Rodbertus weit über dessen Tod am 6. 12. 1875 hinaus ein ehrendes Angedenken. Als er gut ein Jahrzehnt später zu einer Kritik der christlichsozialen Bewegung wie auch des von ihr vertretenen Konzepts des »Staatssozialismus« ausholte, begründete er dies nicht nur mit der in seinen Augen unzulässigen Verquickung von Religion und Parteipolitik, sondern auch mit der mangelnden Berücksichtigung der Lohnfrage, deren einzig adäquate Behandlung er bei Rodbertus gegeben sah.169 Der breiten Paraphrase von dessen Argumentation ließ er ein Jahr später einen kleinen Band mit nachgelassenen Schriften des Verstorbenen folgen170, zum nicht geringen Verdruß von Adolph Wagner, der seit 1878 daran arbeitete, mit einer eigenen Ausgabe des Nachlasses Rodbertus für den »Staatssozialismus« in Beschlag zu nehmen. So stieß er am Ende ausgerechnet diejenigen vor den Kopf, die Grund für die Annahme gehabt hätten, die eigentlichen Erben seiner sozialpolitischen Agenda zu sein.

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II. Von den hier herangezogenen Autoren haben sich nur zwei selbst als Sozialisten bezeichnet, und dies auch nicht durchgängig und nicht ohne Spezifizierung: Rudolf Meyer und Adolph Wagner. Meyer, um mit ihm zu beginnen, konzentrierte sich in der ersten Zeit seiner Tätigkeit bei der Berliner Revue ganz auf die Schaffung einer Grundbesitzerpartei, die den Vertretungen der »Capitalisten« und »Proletarier« im Parlament Paroli bieten sollte.171 Das schloß Aufmerksamkeit auf die soziale Frage nicht aus, wie sich an zahlreichen Artikeln zu diesem Thema ab 1871 ablesen läßt, begünstigte aber zunächst einen gewissen Tunnelblick, der zu dem Schluß verleitete, »nur bei vollständiger, befriedigender Ordnung der Verhältnisse des Grundbesitzerstandes [sei] eine ebenso befriedigende Ordnung der Verhältnisse des Arbeiterstandes in Stadt und Land möglich.«172 Die Partei sollte sich, wie an anderer Stelle dargelegt, für eine Stabilisierung des Grundbesitzes mittels einer »Einführung der Rodbertus’schen Rentenidee in die Gesetzgebung« einsetzen und wurde dafür in der Berliner Revue durch Beiträge des Urhebers dieser Idee sowie durch ausführliche Referate derselben durch Meyer unterstützt.173 Das war einerseits antikapitalistisch (und antisemitisch) motiviert, richtete es sich doch offen gegen das »Wüstengesetz der freien Concurrenz« und dessen ruinöse Auswirkungen auf den Grundbesitzerstand174, andererseits aber auch antisozialistisch, war es doch zugleich mit einer deutlichen Warnung vor den Gefahren verbunden, die dem Grundbesitz von einer Ausdehnung der sozialistischen Agitation auf die Landarbeiter drohten – Gefahren, bei deren Ausmalung Meyer nicht vor der Beschwörung eines neuen Barbarensturms zurückschreckte.175 Wollten die Grundbesitzer dies verhindern, müßten sie »sich ihrer und der ländlichen Arbeiter gemeinschaftlichen Interessen bewußt […] werden« und sowohl durch eine Erhöhung der Löhne als auch durch die Eröffnung der Chance auf eigenen Landbesitz dafür sorgen, »daß sich der Klassengegensatz zwischen Grundbesitzern und ländlichen Arbeitern, wo er schon besteht, verwischt, wo er nicht besteht, auch nicht zur Geltung gelangt.«176 Daß er sich darin nur kurz- und mittelfristig in Übereinstimmung mit Rodbertus befand, wurde von diesem sehr deutlich in einem Brief herausgestellt, in dem er Meyer vorhielt, »den Socialismus zur Renovation des Conservatismus gebrauchen« zu wollen, wohingegen

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er, Rodbertus, den Sozialismus um »seiner selbst Willen« anstrebe, und dies »bis zu Ende«.177 Meyer seinerseits bekräftigte diese Differenz, indem er in einer Fußnote hinzufügte: »Ich wollte garnicht mit dem Socialismus experimentiren, sondern das Bestehende durch Reformen verbessern. R[odbertus]. konnte mir nicht verzeihen, dass mein Grundzug Abscheu vor jeder radikalen Neuerung, mit Ignorirung wohlerworbener, nicht erschwindelter Rechte, dabei aber Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen war und blieb.«178 Experimentiert hat Meyer dann trotzdem und sich im Unterschied zu Wagener einen eigenen, »conservativen Socialismus« zurechtgelegt.179 Dazu gelangte er, indem er ganz im Geiste des neuzeitlichen Rationalismus und seiner Methode der Resolution und Komposition den Sozialismus auf das »Streben nach Reform der wirthschaftlichen Zusammensetzung der Gesellschaft« reduzierte, eine Operation, die die explizite Anerkennung von Staat, Gesellschaft und Familie einschloß und eine Absicht auf deren »Vernichtung« allein dem »Communismus« zuschob.180 Der auf diese Weise rekonstruierte Sozialismus konnte nun Kombinationen mit diversen politischen, religiösen oder weltanschaulichen Superaddita eingehen und sich entsprechend als »conservativer«, »katholischer«, »cäsaristischer« und »nationaler« Sozialismus präsentieren, aber auch als »demokratischer«, »internationaler« und »kosmopolitischer« Sozialismus181, auch wenn die letzten drei Varianten insofern auf einen Selbstwiderspruch hinausliefen, als ihnen zugeschrieben wurde, im Unterschied zu den reformorientierten Varianten »auch vor einer gewaltsamen Revolution nicht zurück[zu]schrecken«.182 Von dieser Umdeutung des Sozialismusbegriffs, die nach der einen Seite auf eine Verengung, nach der anderen Seite auf eine Ausweitung hinauslief, erhoffte sich Meyer, die im Entstehen begriffene Arbeiterbewegung gegen das bürgerlich-liberale Lager mobilisieren und so dem Konservatismus neue Hilfstruppen zuführen zu können. Seine Sympathien gehörten dabei anfangs nicht zufällig den Lassalleanern, an denen ihm zweierlei gefiel: »Erstens das Streben nach einer nationalen Lösung in gesetzlich allmählicher Entwickelung, zweitens die centralistisch-dictatorische Organisation der Partei«.183 Mit sichtlicher Zustimmung referierte er breit die Bismarck-Artikel, die der spätere Präsident des ADAV, Johann Baptist von Schweitzer, Anfang 1865 publizierte184 – Artikel, die zwar keinen Zwei-

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fel am absolutistischen Charakter des preußischen Staates und der Notwendigkeit einer proletarischen Revolution ließen, gleichwohl die Kühnheit feierten, mit der Bismarck sich anschickte, die nationale Frage gegen Österreich und die Großdeutschen zu lösen, zu denen damals auch Bebel und Liebknecht gehörten. Und wenn Schweitzer auf dem Höhepunkt des preußischen Verfassungskonflikts den Parlamentarismus als ›Regiment der Mittelmäßigkeit‹ abqualifizierte, dem ›Cäsarismus‹ dagegen ›doch wenigstens kühne Initiative, doch wenigstens bewältigende Tat‹ bescheinigte185, dann waren das Töne, die Meyer aufhorchen ließen. Auch die »cäsaristische Grundlage«, auf die Schweitzer, dieser »Bonaparte der deutschen Arbeiterbewegung«, den ADAV stellte, muß dem Bewunderer Louis Napoleons gefallen haben.186 In seiner Handlungsfreiheit weniger eingeengt als Wagener, knüpfte er bald persönliche Kontakte zu führenden Lassalleanern wie Hasenclever und Hasselmann, nahm an deren Veranstaltungen teil, studierte ausgiebig deren Presse und ließ sich persönlich von »dem gelehrten und staatsklugen von Schweitzer« über die Interna des ADAV informieren, was sich in mehreren umfangreichen Artikeln niederschlug.187 Zur Harmonie mag dabei neben dem Glauben an die deutsche Mission Preußens auch das gemeinsam geteilte Ressentiment gegen das Judentum beigetragen haben, das bei den Lassalleanern deutlich ausgeprägter war als bei der ›Bebel-Liebknecht’schen Partei‹, die nicht nur in Meyers Augen »an einer Ueberfülle sogenannter ›Intelligenzen‹« krankte, »d. h. studirter Leute ohne ersichtlichen reellen Beruf und Erwerb besonders jüdischer Rasse, weshalb denn auch die ›Eisenacher‹ oder ›Ehrlichen‹, von den Lassalleanern oft im Stil von ›Hepp! Hepp!‹ haranguirt werden – obschon«, wie Meyer zu bemerken nicht unterlassen konnte, »Lassalle so gut wie Marx Semiten sind oder waren.«188 Der 1875 in Gotha vollzogene Zusammenschluß beider Richtungen wurde von Meyer mit Mißtrauen registriert, waren ihm doch die Eisenacher gleich aus mehreren Gründen suspekt. Sie waren ihm zu revolutionär, zu kosmopolitisch, zu irreligiös, zu föderalistisch und standen überdies in einer ideologisch wie praktisch-politisch zu starken Nähe zur »äussersten Linken der Liberalen«, die sie früher oder später zum Anarchismus gravitieren lassen mußte.189 Durch die schon bald einsetzende polizeiliche Verfolgung wurden diese Züge in Meyers Augen noch verstärkt. In seinem Buch über Politische Gründer, das den endgültigen

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Bruch mit Bismarck vollzog, rief er v. Schweitzer zum Zeugen auf, der ihm kurz vor seinem Tode gestanden habe, seit Sommer 1871 davon überzeugt gewesen zu sein, »dass Bismarck eine antisociale Politik verfolgen werde, und dass in Folge dessen der Lassalleanismus in Deutschland einem radikalen Communismus, der auf den geeigneten Moment zur Revolution nur lauert, Platz machen werde. Deshalb vornehmlich habe er damals sich von der Agitation zurückgezogen. Seine Prophezeiung ist eingetroffen. Wir haben eine durch und durch revolutionäre und fortwährend wachsende, einige, socialdemokratische Partei in Deutschland, deren Ausbreitung durch die ewigen, nur Oel in’s Feuer giessenden, polizeilichen und gerichtlichen Verfolgungen nur beschleunigt wird.«190

Je umfassender freilich das Bild wurde, das sich Meyer vom Stand der sozialen Bewegung erarbeitete, desto mehr erschien es ihm, als ob die marxistische Sozialdemokratie bei weitem noch nicht das größte Übel sei. Der zweite Band des Emanzipationskampfes befaßte sich besonders ausführlich mit den südeuropäischen Ländern und Rußland und konzentrierte sich dabei auf das Wirken Bakunins, der seit dem Basler Kongreß von 1869 als führender Exponent des »Kollektivismus« in der Ersten Internationale agierte.191 Während Meyer von Marx und Engels zunehmend mit Respekt vor ihren intellektuellen Leistungen sprach, verfiel er bei der Darstellung ihres Gegenspielers in eine dämonisierende Präsentation. Bakunin sei der »böse Geist« der Internationale, ein »Höllenhund«, ja der »Teufel« selbst, der nichts anderes im Sinn habe, als die Welt außerhalb Rußlands ins Chaos zu stürzen.192 Wenn er auch nicht gerade für einen Agenten der russischen Regierung zu halten sei, so diene er doch objektiv deren Interessen. Der von ihm propagierte Kollektivismus sei »nur ein Abklatsch des in Russland herrschenden Agrarcommunismus«, dessen Export nach Westeuropa zur Zerrüttung der abendländischen Staatenwelt führe und damit indirekt die Weltherrschaftsambitionen Rußlands fördere.193 Diese Darstellung setzte sich über den 1863 vollzogenen Bruch Bakunins mit dem Panslawismus und der agrarromantischen Auffassung der russischen Dorfgemeinde hinweg, deckte sich aber in vielem mit den Ansichten über Rußland, die seit 1848 unter deutschen Intellektuellen ver-

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breitet waren, von den Brüdern Bauer über Moses Heß bis zu Wilhelm Liebknecht.194 Noch 1867, in seiner Rede auf dem Londoner Polenmeeting, sprach Marx wie selbstverständlich von den »russischen Absichten auf die Weltherrschaft« und sah Europa vor der Alternative: »Entweder wird die asiatische Barbarei unter Führung der Moskowiter wie eine Lawine über Europa hereinbrechen, oder Europa muß Polen wiederherstellen und schützt sich so durch einen Wall von zwanzig Millionen Helden vor Asien, um Zeit zu gewinnen für die Vollendung seiner sozialen Umgestaltung.«195 Gemeinsam mit Engels rückte er bald darauf Bakunin in den Kontext des Panslawismus und goß damit Wasser auf die Mühlen Meyers, der dankbar auf das von den beiden Londoner Exilanten ausgebreitete Material gegen den russischen Anarchisten zurückgriff.196 In Meyers Augen war der Erfolg des Bakunismus nur zum kleineren Teil aus dessen Programmatik zu erklären. Er verdankte sich weit mehr einer kurzsichtigen Politik, die sich nicht nur den überfälligen sozialen Reformen verschloß, sondern auch diejenigen mit Verfolgung überzog, die die Notwendigkeit solcher Reformen artikulierten.197 Dadurch sei die Internationale von der öffentlichen Vertretung der Arbeiterinteressen in den Untergrund gedrängt worden, mit der Folge, daß die ihr angeschlossenen Verbände sich ausschließlich auf revolutionäre Ziele verständigt hätten, die sie mittels geheimer Organisationsformen und terroristischer Methoden anstrebten. Daß ein einstiger Lassalleaner und Mitautor des Gothaer Programms wie Wilhelm Hasselmann im deutschen Reichstag »sich und seinen Anhang für identisch mit der Anarchistenpartei, für einverstanden mit Most, dem offenen Verbündeten französischer Communards und russischer Nihilisten« erklärte, war für Meyer deshalb kein Einzelfall, vielmehr das Pronunciamento einer neuen »anarchischen Partei«, die »von Tag zu Tag wachsen [werde], bis es zu dem kommt, was auch die Gemäßigten durch Bebel und Liebknecht als nothwendige Folge bezeichnen ließen: zum Kampfe.«198 Der Erfolg des Bakunismus in Südeuropa, der Schweiz und Rußland schien dies hinreichend zu belegen.199 Um dem entgegenzuwirken, hielt Meyer es für unumgänglich, die Gemäßigteren zu stärken, wofür nach Lage der Dinge seit Mitte der 70er Jahre vor allem die »Marxianer« in Frage kamen. Schon der zweite Band des »Emanzipationskampfes« brachte einen elfseitigen Auszug aus Marx’ Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte und druckte gar die Adresse

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des Generalrats der Ersten Internationale über den »Bürgerkrieg in Frankreich« vollständig ab200; dies übrigens im Rahmen einer Darstellung, die ein bemerkenswert differenziertes und unaufgeregtes Bild der Pariser Commune zeichnete. Obschon er die Mittel und Wege der Sozialdemokraten nicht billige, denke er, Meyer, nicht daran, »sie anzugreifen und zu bekämpfen, bis ich nicht die Gewissheit habe, dass ein grosser Theil der conservativen Partei oder der Regierung den meiner Ansicht nach gerechten Wünschen der Arbeiter voll und aufrichtig Rechnung tragen will«. Die Sozialdemokraten hätten »von Gott die Mission erhalten, die in Hartherzigkeit und Genusssucht versunkenen besitzenden Klassen wieder an die Grundwahrheiten, an den socialen Gehalt des Christenthums zu erinnern, wonach der Reiche nur ein Verwalter des Reichthums, nicht sein lüsterner Nutzniesser ist.«201 Seine an die Fürsten gerichtete Empfehlung, den Sozialismus zu studieren202, machte Meyer sich selbst zu eigen und nahm 1879 während eines längeren Englandaufenthaltes Kontakt mit den ebenfalls im Exil lebenden Häuptern des wissenschaftlichen Sozialismus auf. Vermochte er Marx nur wenig zu beeindrucken203, so zeigte sich Engels durchaus angetan. In einem Brief an Bebel riet er diesem, sich unter allen Umständen Meyers Politische Gründer zu besorgen, das aufgrund seiner Detailkenntnisse über den Schwindel, den Krach und die politische Korruption unentbehrlich für die Beurteilung der deutschen Zustände der letzten Jahre sei.204 Die Begeisterung trübte sich später etwas, aber nicht wegen Meyers penetrantem Antisemitismus, den Engels auf schon befremdlich zu nennende Weise ausblendete205, sondern wegen dessen Verklärung von Rodbertus, die das Licht von Marx zu sehr unter dessen Scheffel stellte und daher Engels zu einer kritischen Stellungnahme zu dessen Leistungen auf dem Gebiet der politischen Ökonomie herausforderte, um eine mögliche Häresie schon im Keim zu ersticken. 206 Der persönliche Kontakt blieb jedoch bis in Engels’ letzte Lebensjahre erhalten, wovon die 45, z. T. sehr umfangreichen Briefe in seinem Nachlaß zeugen, die Meyer ihm geschrieben hat.207 Ein letztes Mal sah man sich im September 1893 in Prag.208 Als Engels im August 1895 starb, würdigte Meyer ihn in einem Nachruf als den »letzte[n] große[n] Nationalökonom des Jahrhunderts«.209 Engels seinerseits bezeichnete zwar in Briefen an Dritte Meyer bisweilen als »arme[n] konservative[n] Sozialkonfusiona-

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rius«210, doch finden sich daneben auch Äußerungen des persönlichen Respekts. Rudolf Meyer, hieß es am 19. 2. 1892 in einem Brief an Victor Adler, tue ihm leid, seit er an Diabetes erkrankt sei: »Bei all seinem wunderbaren, oft komischen Größenwahn ist er der einzige Konservative, der für seine sozialdemagogischen Pläne und sozialistischen Sympathien etwas riskiert hat und ins Exil gegangen ist; wo er dann gefunden hat, daß die österreichischen und französischen Aristokraten zwar bedeutend mehr gentlemen im gesellschaftlichen Umgang sind als die preußischen Lausejunker, aber sonst für ihre Bodenrenten und Strebereien usw. mit gleicher Hartnäckigkeit schwärmen. Er ist dahin gekommen, daß er, als einzig übriggebliebener wirklicher Konservativer, jetzt vergebens nach Leuten sucht, mit denen er eine wirklich konservative Partei gründen kann.«211

Engels’ Faible für Meyer übertrug sich auf Karl Kautsky, den Gründer und Herausgeber der Neuen Zeit.212 Dazu mag neben der Empfehlung des Altmeisters das gemeinsame Interesse an Agrarfragen beigetragen haben, das Kautsky seit Beginn seiner Parteitätigkeit in den späten 70er Jahren demonstriert hat213, vielleicht aber auch die Genugtuung, die es bereiten mußte, mit Meyer einen erklärten Konservativen als Kronzeugen für das unaufhaltsame Heranrücken des Zusammenbruchs der kapitalistischen Gesellschaft aufbieten zu können, wurde Meyer doch nicht müde, eben diesen zu beschwören.214 Schließlich zeigte Kautsky, bei aller dogmatischen Starre, auch bemerkenswerte Unsicherheiten in agrarpolitischen Dingen, wenn er 1894 in einer Kontroverse mit Ledebour einräumte, der Kleinbetrieb könne sich zwar nicht im Kommunismus behaupten, wohl aber während der Übergangsperiode des Sozialismus.215 Die Besprechung von Meyers Buch über den Capitalismus fin de siècle fiel mit drei Teilen jedenfalls ungewöhnlich umfangreich und trotz sachlicher Differenzen auch ungewöhnlich anerkennend aus, erschien Meyer darin doch nicht nur als »der letzte Ritter des Staatssozialismus«, sondern sogar als »Sturmvogel der Revolution«.216 Man tut gut daran, diese Würdigung weniger mit den Beiträgen zu verbinden, die Meyer in den frühen 90er Jahren zum Theorieorgan der Sozialdemokratie, der Neuen Zeit, beisteuerte, wiesen diese doch eher

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in Richtung der von Kautsky kritisierten »revisionistischen« Auffassung. Wichtiger dürfte die positive Einschätzung gewesen sein, die der Rolle der Sozialdemokratie durch einen Vertreter der Gegenseite zuteil wurde. Hatte Meyer noch 1875 keinen Hehl daraus gemacht, daß er sich von der sozialen Reform auch eine »Vernichtung der Socialdemokratie« erhoffte217, so war in den 90er Jahren davon nicht mehr die Rede, im Gegenteil: die Sozialdemokratie erschien ihm nunmehr nachgerade als ›Kulturmacht‹, ja als die neben dem Katholizismus einzig noch verbliebene, die imstande sei, »der Herrschaft der Materie über die Persönlichkeit, das heisst dem System des Capitalismus ein Ende [zu] machen und eine neue Gesellschaftsordnung [zu] schaffen«, deren Differenzierung durch »die verschiedene Entwicklung der den Persönlichkeiten immanenten menschlichen Eigenschaften, ihrer natürlichen Begabung, nicht ihrer Vermögensausstattung« bestimmt würde.218 Während die bürgerlichen Klassen »in voller Zersetzung begriffen« seien, befinde sich die Arbeiterklasse »im Aufsteigen«, mit der Gewalt einer »Ur- und Naturkraft«, dank derer sie »früher oder später regierungsfähig« sein und die nötigen Reformen durchführen werde.219 Durch die Aufhebung der Sozialistengesetze, für die bei Wilhelm II. eingetreten zu sein Meyer sich gegenüber Engels anheischig machte220, sei die Umwandlung der Sozialdemokratie in eine »anarchistisch-nihilistische Partei« gerade noch rechtzeitig aufgehalten worden.221 An ihre Stelle sei eine Arbeiterpartei getreten, »die zwar radicaler ist, als es die Lassalle’sche war, aber noch durchaus nicht unter allen Umständen unversöhnlich, noch auch ökonomisch radical«.222 Sie in dieser Form zu erhalten und zu fördern, sei das Gebot der Stunde: »Die einzige Partei, welche bis jetzt der Tendenz des allgemeinen Niederganges bewusst entgegenarbeitet, und welche stark genug ist, das erfolgreich zu thun, ist die Socialdemokratie. Wenn der gegenwärtige Staat einem wirklichen Selbsterhaltungstrieb gehorchen will, so darf er diese Partei nicht mit Gewalt unterdrücken und sich so als ›Classenstaat‹ mit der den Rückbildungsprocess führenden Classe solidarisch erklären. Die Aufhebung des Socialistengesetzes war deshalb eine sehr weise Massregel des Kaisers Wilhelm II., nur schade, dass sie nicht von den dazu gehörigen übrigen Massregeln begleitet wurde.«223

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Daß Meyer so vehement für den inneren Friedensschluß mit der Sozialdemokratie eintrat, hatte allerdings noch einen anderen Grund: die Erwartung äußeren Unfriedens, sei doch zu befürchten, »dass wir möglicherweise nicht am Ende der materialistischen oder Handelskriegsperiode stehen, sondern dass uns vielleicht der furchtbarste und letzte Krieg dieser Periode in Europa bevorsteht«.224 Dieser Krieg werde in Europa ausgefochten, aber zugleich ein »Weltkrieg« sein, ein Machtkampf mit den aufstrebenden Flügelmächten Amerika und Rußland, die schon jetzt ernsthafte ökonomische Konkurrenten Europas seien und diesem durch den Ausbau mächtiger Handelsund Kriegsflotten sowie des bis nach Sibirien reichenden Eisenbahnnetzes bedrohlich näher rückten.225 Mit Rußland liege man darüber hinaus nicht nur auf ökonomischem Gebiet in Streit. Vielmehr handele es sich um die »Fortsetzung der uralten Kämpfe des Ostens mit dem Westen«, um den »Kampf der Cultur gegen die Uncultur, des Fortschrittes und der Freiheit […] gegen die Knechtschaft asiatischen Despotismus und die Stagnation«, ja um einen »Rassenkampf, in welchem es sich darum handelt, ob in Europa, wie bisher, Germanen und Romanen herrschen sollen, oder Slaven.« Diese Sichtweise, die einen Bogen von der Russophobie der 48er Generation zu den neu aufkommenden Rassenlehren im Stil Eugen Dührings schlug, wurde für Meyer zu einem weiteren Anlaß, den Burgfrieden zu predigen, könne doch der bevorstehende ›Kampf auf Leben und Tod‹ nur erfolgreich bestanden werden, wenn katholische und demokratische Sozialisten sich als Brüder erkennen und den Schulterschluß vollziehen würden.226 Sieht man von den wahnhaften Zügen ab, die sich in dieses Szenario mischten, so nahm es immerhin um zwanzig Jahre die Konstellation vorweg, die im 20. Jahrhundert Wirklichkeit wurde.

III. Obwohl Rudolf Meyer und Adolph Wagner sich seit der Flucht des ersteren wechselseitig mit Invektiven überschütteten, stimmten sie doch in der Vorstellung überein, daß der Sozialismus keineswegs notwendig revolutionär und deshalb mit dem bestehenden Staat durchaus kompatibel sei. Wagner hatte dazu allerdings einen längeren Weg als Meyer zurückzulegen, begann er doch seine akademische Laufbahn, wie oben dargelegt, mit deutlichen

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Präferenzen für den ökonomischen Liberalismus. In einer Versammlung des Freiburger Gewerbevereins im Februar 1869 verteidigte er gegen die dort anwesenden Lassalleaner das Privateigentum und brachte einen Antrag durch, der sich gegen das volkswirtschaftliche Programm Lassalles wandte: dessen Lehre vom ehernen Lohngesetz, die für ungerecht und undurchführbar erklärte Forderung nach Errichtung steuerfinanzierter Produktivgenossenschaften und die angebliche Agitation für kommunistische Ziele, die eine »Gefahr für die ganze Gesellschaft, zu allermeist aber für die Arbeiter selbst« sei. Vom Konservatismus grenzte sich Wagner ab, indem er das Verlangen nach freier Vereinsbildung und Gewährung des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts unterstützte.227 Schon wenige Monate nach dem Wechsel von der Provinz in die Metropole Berlin hatte sich diese kategorische Einstellung jedoch gelockert. In einem Brief an seinen Bruder Hermann hieß es Ende 1870, er (Adolph) stehe trotz seiner »überzeugungsmäßigen Polemik gegen die Tollheiten der Socialdemocraten« innerlich den Sozialisten näher als den »Volkswirthen«, womit der seit 1858 bestehende freihändlerisch orientierte Volkswirtschaftliche Kongreß gemeint sein dürfte.228 Was dies bedeutete, führte er ein knappes Jahr später in seiner Rede in der Berliner Garnisonskirche näher aus. Die von sozialistischer Seite an den Schäden der modernen Gesellschaft geübte Kritik erschien ihm auch jetzt noch einseitig, übertrieben, oft bösartig und gehässig, jedoch in wesentlichen Punkten nicht unzutreffend.229 Daß »die Vermögensungleichheiten und die Classengegensätze in unserem heutigen Wirthschaftssystem die Tendenz haben, sich zu vergrößern«, sei schlechterdings unbestreitbar und werde auch von der Nationalökonomie bestätigt.230 Die Forderung nach einer gerechteren Einkommensverteilung sei deshalb ebenso unabweisbar wie die nach einem Ausbau der sozialen Sicherung. Inakzeptabel seien nur die »radicalen Projecte der weitgehenden Socialisten«, die auf gewaltsamen Umsturz setzten, utopischen Zielen folgten und im Ergebnis nur darauf hinausliefen, »an Stelle der jetzigen Motive und der für unerträglich gehaltenen Gewalt des Capitalisten und Unternehmers […] die ungleich despotischere Macht der unentbehrlichen Vorsteher der socialistischen Gemeinde« zu setzen.231 Indem Wagner sich ausdrücklich von den »weitgehenden Socialisten« abgrenzte, eröffnete er sich die Möglichkeit, für einen weniger weit-

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gehenden Sozialismus zu optieren. In diesem Sinn ist die Annäherung an Rodbertus zu verstehen, dem er im Dezember 1871 seine Kirchenrede in der Hoffnung schickte, »daß wir in manchen darin vertretenen Anschauungen, vielleicht in der Grundanschauung selbst, übereinstimmen«232, sind auch die sich häufenden Bekenntnisse gegenüber dem Bruder gehalten, die den Sozialdemokraten bescheinigen, »im Meisten theoretisch recht« zu haben, ja »mehr tief Religiöses« aufzuweisen als irgendeine Lehre, »trotz des atheistischen Anstrichs. Und wissenschaftlich sind die Marx und Lassalle den Kathedersocialisten und Manchesterleuten um einen Chimborazo und Dhaulagiri überlegen.« Sogar den »letzten Schritt« zu tun – nämlich sich dieser Bewegung anzuschließen  –, wurde erwogen, dann aber vorerst zurückgestellt, denn: »Maaß halten ist gerade für mich die Aufgabe.«233 Nach einem Gespräch mit einem Mitglied des ADAV bekannte er, in drei Stunden mehr gelernt zu haben als von den Professoren: »Und aus innerster Überzeugung gehts bei mir so: vor 5 bis 6 Jahren hielt ich 95 % der socialdemokratischen Theorie für falsch, vor drei Jahren noch 80, zur Zeit der Octoberversammlung noch 50, zur Zeit des offenen Briefs an Oppenheim noch 35; seit diesem Winter noch 10, jetzt kaum mehr 5, oder mit anderen Worten: 95 % für richtig.«234

In der Grundlegung von 1876 kam diese Auffassung allerdings noch nicht zur vollen Geltung, war dieses Werk doch Teil der Neufassung des aus dem Vormärz stammenden Lehrbuchs der politischen Ökonomie seines akademischen Lehrers Karl Heinrich Rau. Ein Vertreter der »älteren Smith’schen Schule«, hatte Rau selbst noch seinem Schüler die Neubearbeitung anvertraut, und obwohl dieser in der Vorrede freimütig bekannte, keinerlei Pietätsrücksichten gegenüber dem Werk seines Vorgängers geübt zu haben, schreckte er doch davor zurück, sich vollständig von dessen Leitideen zu verabschieden.235 Zwar sah er die signatura temporis ganz auf der Linie von Rodbertus in einer »Steigerung des communistischen Characters der ganzen Volkswirthschaft«, die sich als »Zunahme der gesammten zwangsgemeinwirthschaftlichen, besonders der staatlichen und communalen, auf Kosten der übrigen gemein- und privatwirthschaftlichen Thätigkeit« ausdrücke.236 Zugleich beharrte er jedoch aus normativen wie sachlichen Gründen darauf, diese Tendenz durch »das Princip der möglichsten Selb-

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ständigkeit des Individuums« zu konterkarieren, welches ebenso tief in der menschlichen Natur angelegt sei wie sein Gegensatz, das Prinzip der »Beschränkung dieser Selbständigkeit nach Interessen und Zielen menschlicher Gemeinschaften«.237 Bei allem Respekt vor Rodbertus, dessen Lehre »das Bedeutendste in der gesammten nationalökonomischen Literatur (die wissenschaftlich socialistische inbegriffen)« sei, glaubte Wagner doch, ihm in diesem Punkt die Gefolgschaft versagen zu müssen.238 Eine völlige Aufhebung des ›Individualprinzips‹ durch das ›Sozialprinzip‹ sei weder denkbar noch wünschenswert: »Der hier eingenommene Standpunct steht in grundsätzlichem Widerspruch mit den Forderungen des Communismus und gewisser Formen des Socialismus, d. h. mit den Forderungen absoluter oder nahezu völliger Gleichheit des Einkommens und Vermögens der Einzelnen und mit der ungleich vernünftigeren Forderung blossen Arbeitseinkommens, d. h. einer unbedingten Beseitigung alles Privatkapitals und Privatgrundbesitzes, damit also auch alles Renteneinkommens. Diese Forderungen widerstreben Allem, was wir von der wirthschaftlichen Natur des Menschen wissen, sind vollständig ungeschichtlich und ihre Verwirklichung würde alle individuelle Thatkraft ausserordentlich lähmen und die Entwicklung der Culturbedürfnisse und freier humaner Bildung hemmen, wenn nicht unmöglich machen.«239

Das zu erstrebende Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung, so Wagner weiter, könne deshalb weder der Kommunismus sein, noch das von der Freihandelslehre gepriesene System der freien Konkurrenz, sondern allein der Kompromiß zwischen Individualprinzip und Sozialprinzip, allerdings ein solcher, welcher aufgrund der bisherigen, einseitig zugunsten des Individualprinzips ausgefallenen Entwicklung, die Gewichte »wieder mehr zu Gunsten des Gemeinschaftsinteresses« zu verschieben habe. Diese Verschiebung könne wohl zu stark in der Gegenrichtung ausschlagen und zu einer »unerträglichen Beschränkung der persönlichen Freiheit« führen, »wie sie bei der Verwirklichung gewisser socialistisch-communistischer Ideen erfolgen müsste. Aber vernünftig mit steetem Anhalt an die concreten Verhältnisse durchgeführt hat sie ihre vollständige Berechtigung«.240

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Nach Abschluß der Grundlegung sah Wagner sich in der Pflicht, seine wissenschaftliche Autorität zugunsten dieser Strategie in die Waagschale zu werfen. Dazu schien es ihm allerdings erforderlich, dem so verstandenen Sozialismus bzw. Kommunismus (eine klare Abgrenzung nahm Wagner nicht vor) eine möglichst enge Fassung zu verleihen. Der eigentliche Sozialismus sei rein ökonomischer Natur und deshalb frei zu halten von jeglicher Verquickung »mit politischem, religiösem und philosophischem Radicalismus, speciell mit Materialismus«. Sozialismus in diesem Sinne ziele auf ein »System der wirthschaftlichen Rechtsordnung, wo die sachlichen Productionsmittel, d. h. Grund und Boden und Capital, nicht im Privateigenthum einzelner privater Mitglieder der Gesellschaft, sondern im öffentlichen oder Gesammteigenthum der Gesellschaft selbst sich befinden«, wo nicht Lohnarbeit und Kapital sich gegenüberstehen, »die Production planmäßig nach dem Bedarf der Consumenten von Oben aus geregelt, in genossenschaftlicher Weise ausgeführt und ihr Ertrag in gerechterer Art, als gegenwärtig […] vertheilt wird.« Ein solches System sei indifferent gegenüber den übrigen Teilordnungen der Gesellschaft, weshalb ein Sozialist ebenso gut ein orthodoxer Christ wie ein philosophischer Atheist sein könne, »ein Monarchist so gut wie ein Republikaner.«241 Den derart auf ein ›ökonomisches Theorem‹ reduzierten Sozialismus machte sich Wagner in den folgenden Jahren zu eigen und gelangte darüber auch zu einer Kritik an seinem einstigen Wiener Kollegen Lorenz von Stein, der sich in der 5. Auflage seiner Finanzwissenschaft polemisch gegen den »Staatssocialismus« ausgesprochen hatte.242 Stein sei zwar zuzugeben, daß man sich gegenwärtig in der »Epoche der ›staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung‹« befinde, doch sei es eine »wahre Ironie des Schicksals«, daß ausgerechnet in einer solchen Epoche, die so sehr den Individualismus prämiiere, der »›kommunistische‹ Charakter unserer wichtigsten öffentlichen Körper so ungemeine Fortschritte macht.«243 Besonders prägnant zeige sich dies im Schulwesen, in der Unentgeltlichkeit des Unterrichts, aber auch in den zahlreichen anderen öffentlichen Anstalten wie den Bibliotheken, Museen, Galerien, naturwissenschaftlichen Einrichtungen und Stadtparks, um von der Straßenreinigung und dem Impfwesen zu schweigen.244 Wohl werde es auf absehbare Zeit noch zahlreiche Felder geben, die dem Individualismus überlassen bleiben müßten, doch sei schon heute die Verstaatlichung solcher Unternehmen zu

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fordern, die gut öffentlich zu verwalten seien, im Privatbesitz aber zur Monopolbildung tendierten – namentlich »im großen Kommunikationsund Transportwesen, im Bankwesen, Versicherungswesen, bei den städtischen Lokalanstalten der Wasser-, Lichtversorgung, des Marktwesens und vieles andere mehr«.245 Und da schon jetzt wie jede Dorf- und Stadtgemeinde, so auch der Staat »in wirtschaftlicher Hinsicht eine ›Gemeinwirtschaft‹ oder in dem Sinne, wie dieses Wort überhaupt allein eine wissenschaftliche Bezeichnung sein kann, ein ›Kommunismus‹«246 sei, bedeute die gesetzmäßig fortschreitende Ausdehnung der Staatstätigkeit immer auch eine Erweiterung der ›kommunistischen‹ Organisation. Auch wenn auf absehbare Zeit nicht auf die Unternehmerleistung und damit auf die privatwirtschaftliche Organisation und eine gewisse »Ungleichheit der Einkommensverteilung« verzichtet werden könne, der Staatssozialismus deshalb nur als ›partieller Socialismus‹ möglich sei, deutlich unterschieden vom ›extremen Socialismus‹247, war damit doch eine Tendenz beschrieben, die à la longue auf eine deutliche Einschränkung des Individualprinzips zugunsten des Sozialprinzips hinauslief. Läßt man den allzu lockeren Umgang beiseite, den Wagner gegenüber Begriffen wie Sozialismus und Kommunismus demonstriert, und hält sich an den Kern seiner Überlegungen – das berühmte »Gesetz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen, bez. der Staatsthätigkeiten«248  –, dann wird man seiner Diagnose einen Erfahrungsgehalt bescheinigen müssen, der bis heute nicht aufgehört hat, die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu beschäftigen.249 Hatte Meyer Anfang der 70er Jahre mit ähnlichen Überlegungen die Aufmerksamkeit des ADAV-Vorsitzenden gefunden, so gelang Wagner gegen Ende des Jahrzehnts Gleiches mit den Wortführern der neuen sozialdemokratischen Partei.250 Mit sichtlichem Erstaunen registrierte der Vorwärts Ende 1877 das Erscheinen einer Zeitschrift unter dem Titel Der Staats-Socialist und verwunderte sich darüber, unter »Muckern« wie Stoecker und Todt auch auf Wagner zu stoßen. Nach einem langen Zitat aus dessen Offenem Brief, der dort unter der Überschrift »Was ist Socialismus?« erschienen war, prophezeite der Verfasser, Wagner werde es in dieser Gesellschaft nicht länger aushalten als bei den Kathedersozialisten, stehe er dafür doch, ähnlich wie Schäffle, dem Sozialismus im entscheidenden Punkt längst viel zu nahe. Und weiter hieß es:

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»Stellen sich Schäffle und Wagner auf den Standpunkt, daß die Produktionsmittel aus dem Privatbesitz in den Gesammtbesitz übergehen müssen, um eine vernünftige und gerechte Vertheilung des Volkseinkommens zu ermöglichen, so stehen die Herren uns nahe trotz ihrer monarchischen und religiösen Schrullen, sie stehen uns in vieler Beziehung näher als der Bourgeois-Republikaner, der alle politischen Freiheiten mit uns anstrebt, aber vom Privatbesitz an den Produktionsmitteln nicht ablassen will. […] Mögen Schäffle und Wagner also monarchisch und religiös bleiben – wenn sie nur für die Ueberführung des Privatbesitzes in den Gesammtbesitz eintreten, sie sind uns willkommene Mitkämpfer – für das Uebrige wird dann schon das zum Sozialismus nach und nach erzogene, in ihn hineingewachsene Volk selbst sorgen.«251

Die vierzehn Tage später im Staats-Socialist erschienene »Collektiv-Erklärung der Herren Dr. H. v. Scheel und Dr. A. Wagner«, in der diese sich für eine Erörterung der Mittel und Wege aussprachen, wie »immer weiteren Volkskreisen die Sicherheit und Selbständigkeit der wirthschaftlichen Existenz zu verschaffen« sei, druckte der Vorwärts kommentarlos und in voller Länge ab.252 Immerhin sah man sich einige Wochen später zu einer Abgrenzung veranlaßt, die indessen überraschend schwach ausfiel. Unter der Überschrift »Staatssozialismus« erklärte ein namentlich nicht genannter Verfasser, vermutlich jedoch kein Geringerer als Wilhelm Liebknecht, man stehe Wagner prinzipiell »nur auf politisch-praktischem, nicht auf ökonomischem Gebiet antagonistisch gegenüber.« Wagner, das lasse sich unmöglich mehr in Abrede stellen, stimme im Großen und Ganzen mit den wirtschaftlichen Anschauungen der Sozialdemokratie hinsichtlich der Verallgemeinerung des Eigentums überein und unterscheide sich von ihnen nur darin, daß er der Kirche und dem Staat der Hohenzollern eine Lösung der sozialen Frage zutraue. Wenn der sonst so scharfe und präzise Denker Wagner auf diesen Weg setze, so sei dies nur »durch mächtige, äußere Einflüsse« zu erklären, die in diesem Fall auf Bismarck zurückzuverfolgen seien, der wie zur Zeit des preußischen Verfassungskonflikts den Acheron in Bewegung setzen wolle, »um die kopfscheue, bockbeinige Bourgeoisie zur Raison zu bringen, ihr das liberale Teufelchen auszutreiben und nebenbei ein klein Bischen ›Nothstand zu beseitigen‹.« Was in den 60er  Jahren Hermann Wagener ver-

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sucht habe, »dessen übeler Leumund von vornherein schon das Fiasko gewährleistete«, solle nun »ein Mann von makellosem Ruf und bestem Namen« tun. Das aber könne nicht gelingen, weil Zweck und Mittel hier in Widerspruch stünden »und die Voraussetzungen der Verwirklichung des Sozialismus die Voraussetzungen des Untergangs der christlichen Kirche und des reaktionären Staats sind.«253 Eine Sozialdemokratie, die daran festhalte, könne sich indes den von Wagner und anderen in die Debatte geworfenen Begriff durchaus zu eigen machen. »Darum rufen wir nicht schlechtweg: Nieder mit dem Staatssozialismus!, sondern: Nieder mit dem falschen, utopistisch-reaktionären, pfäffischen Staatssozialismus! Es lebe der Staatssozialismus der Sozialdemokratie!«254 Friedrich Engels scheint gesehen zu haben, auf welch gefährliches Gleis sich eine Deutung begab, die die Differenz zwischen dem von ihm und Marx vertretenen Sozialismus und dem »Staatssozialismus« Adolph Wagners auf einige »Schrullen« reduzierte. Seine Abwehr fiel jedoch eigentümlich ambivalent aus. In einem Brief, den er nur kurze Zeit nach Liebknechts Vorwärts-Artikeln schrieb, ging er zunächst insofern auf Distanz, als ihm die »Übertragung industrieller und kommerzieller Funktionen an den Staat« in Deutschland unter den gegebenen Umständen nur einen reaktionären Sinn zu haben schien: den einer weiteren Machtsteigerung des Preußentums und des mit ihm verbundenen militärischen Despotismus. Deutschland sei »erst eben aus dem Mittelalter herausgetreten« und gerade im Begriff, »in die moderne bürgerliche Gesellschaft einzutreten.« Was in diesem Land der höchstmöglichen Entwicklung bedürfe, sei »grade das bürgerliche wirtschaftliche Regime, das die Kapitale konzentriert und die Gegensätze auf die Spitze treibt, namentlich im Nordosten.« Die ökonomische Auflösung der dort bestehenden feudalen Zustände sei »der notwendigste Fortschritt, daneben die Auflösung des Kleinbetriebs in der Industrie und dem Handwerk im ganzen Deutschland und ihre Ersetzung durch große Industrie.«255 Zwei Jahre später, in einer zunächst nur auf Französisch erschienenen Schrift, legte er nach und warnte vor dem ›falschen Sozialismus‹, der jede Verstaatlichung à la Bismarck ohne weiteres für sozialistisch erkläre. »Allerdings, wäre die Verstaatlichung des Tabaks sozialistisch, so zählten Napoleon und Metternich mit unter den Gründern des Sozialismus.«256

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Zugleich deutete Engels jedoch an, daß die Verstaatlichung unter anderen historischen Umständen auch einen »progressiven« Sinn haben könne: den eines »Fortschritt[s] zum Kommunismus«.257 Im dritten Teil des »Anti-Dühring«, der zwischen Mai und Juli 1878 im Vorwärts erschien, sah er den Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise »sozusagen mit Händen zu greifen« nah.258 Die »Unverträglichkeit von gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung« trete heute derart grell zu Tage, daß »der offizielle Repräsentant der kapitalistischen Gesellschaft, der Staat«, gar nicht anders könne als ihre Leitung zu übernehmen, wie dies die Verstaatlichung der großen Verkehrsbetriebe (Post, Telegraph und Eisenbahnen) allerseits ad oculos demonstriere. Wohl hebe die Verwandlung in Staatseigentum die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte nicht auf: der moderne Staat, in welcher Form auch immer, sei »eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.« Aber: »Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung.«259 Gewiß, das war für Engels noch nicht das Ende der Geschichte. Das sollte erst erreicht sein, sobald »die Gesellschaft« respektive das Proletariat offen und ohne Umwege Besitz ergriffen haben würde »von den jeder andern Leitung außer der ihrigen entwachsenen Produktivkräften«260, was zugleich mit dem Absterben des Staates zusammenfallen sollte. Aber das war ein Ziel, das in weiter Ferne lag und sich der Vorstellungskraft entzog. Deutlich erkennbar und als die Gegenwart beherrschend erschien dagegen die Tendenz zum fortschreitenden Ausbau des staatlichen Sektors, die trotz unterschiedlicher politischer Einstellungen links wie rechts ein beachtliches Maß an Zustimmung fand. Während sich bei den Theoretikern der Zweiten und Dritten Internationale eine Sichtweise durchsetzte, die nicht nur Lenin zu der Überzeugung brachte, die Großbanken oder die Post seien bereits »zu neun Zehnteln ein sozialistischer Apparat«261, wurden auch am entgegengesetzten Pol des politischen Spektrums Stimmen

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laut, die zunächst Bismarcks Sozialgesetzgebung als Schritt in den Staatssozialismus feierten und bald darauf bereit waren, die Kriegsverwaltungswirtschaft des Ersten Weltkriegs als »Kriegssozialismus« zu legitimieren.262 Von dem Schatten, der durch diese Umdeutung auf ihn fiel, hat sich der Sozialismus nie wieder befreien können.

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Abkürzungen ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

BDA

Adolph Wagner: Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte 1851–1917, ausgew. u. hrsg. von Heinrich Rubner, Berlin 1978.

CS

Adolf Stoecker: Christlich-Sozial. Reden und Aufsätze, Bielefeld und Leipzig 1885.

CT

Cosima Wagner: Die Tagebücher 1869–1883, hrsg. von Martin GregorDellin und Dietrich Mack, 2 Bde., München 1977.

DS

Richard Wagner: Dichtungen und Schriften. Jubiläumsausgabe in 10 Bdn., hrsg. von Dieter Borchmeyer, Frankfurt am Main 1983.

GG

Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, 7 Bde., Stuttgart 1972–1997.

GKFA

Thomas Mann: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher, hrsg. von Heinrich Detering u. a., Frankfurt am Main 2001 ff.

HMEP

Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 1: Mai 1889 bis August 1904, hrsg. von Peter Stein unter Mitarbeit von Manfred Hahn und Anne Flierl, Bielefeld 1913.

KSA

Friedrich Nietzsche: Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, 15 Bde., München 1988.

LPA

Constantin Frantz: Literarisch-politische Aufsätze, München 1876.

MEW

Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, 40 Bde., Berlin 1953 ff.

MWG

Max Weber Gesamtausgabe, hrsg. von Horst Baier u. a., Abt. I: Schriften und Reden, Tübingen 1984 ff.

NDB

Neue Deutsche Biographie

RB

Briefe und socialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow, hrsg. von Dr. R. Meyer, Berlin 1882.

RGWB

Johann Karl Rodbertus: Gesammelte Werke und Briefe, hrsg. von Thilo Ramm, 6 Bde., Osnabrück 1972.

RS

Adolf Stoecker: Reden und Aufsätze, hrsg. von Reinhold Seeberg, Leipzig 1913.

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Abkürzungen | 295 Sten.Ber.Abg. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, Berlin. Sten.Ber.Norddt.RT Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Norddeutschen Reichstages, Berlin. StGL

Unbenannt-2 295

Neues Conversationslexikon. Staats- und Gesellschafts-Lexikon, 23 Bde. und Nachträge, hrsg. von Hermann Wagener, Berlin 1858/59– 1867.

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Anmerkungen Zur Einführung 1

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Thomas Mann: Deutschland und die Deutschen [1945], in ders.: Deutschland und die Deutschen. Essays 1938–1945, hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt am Main 1996, S. 264. Vgl. Martin Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus, in: Schumann (Hrsg.), Konservativismus, S. 156–198, 162 f. sowie das Buch gleichen Titels (München 1971). Für die erste Variante vgl. Alfred von Martin, Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken [1922], in: Kaltenbrunner (Hrsg.): Rekonstruktion des Konservatismus, S. 139–180; Fritz Valjavec: Die Entstehung des preußischen Konservativismus [1954], in: Schumann (Hrsg.), Konservativismus, S. 138–155. Für die zweite Ludwig Elm: Konservatives Denken 1789–1848/49. Darstellungen und Texte, Berlin 1989, S. 15 ff., 125; Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3.3: Die politischen Strömungen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2008, S. 1–57; v. Beyme, Konservatismus, S. 7. Die »Zweifrontenstellung des Konservatismus gegen Despotie und Revolution« steht im Mittelpunkt der Überlegungen von Peter Richard Rohden: Deutscher und französischer Konservatismus, in: Die Dioskuren, Jb. f. Geisteswissenschaften, Bd. 3, hrsg. von Walter Strich, München 1924, S. 90–138, 106 ff. Vgl. Stillich, Die Konservativen, S. 209. Vgl. Lukács, Die Zerstörung der Vernunft; Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, Vorwort, S. 318 ff.; Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., München 2000. Vgl. statt vieler: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 917, 1062; Bd. 4, S. 358, 490; Hans-Jürgen Puhle: Radikalisierung und Wandel des deutschen Konservatismus vor dem ersten Weltkrieg, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 164–186, 175. Vgl. v. Beyme, Konservatismus. Auf dieser Linie liegt auch der von Michael Grunewald und Uwe Puschner i. Z. m. Hans Manfred Bock hrsg. Sammelband: Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890–1960), der ein von der ›Kreuzzeitung‹ über die völkische Bewegung bis hin zum Nationalsozialismus reichendes Spektrum abdeckt. Gewiß ist der Konservatismus »rechts« im Sinne der bekannten Verortung Norberto Bobbios (Rechts und Links, S. 76 ff.). Aber nicht alles, was rechts ist, ist deswegen auch konservativ.

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Jürgen Habermas: Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und der Bundesrepublik [1982], in ders.: Die Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt am Main 1985, S. 30–56, 54. Larry Eugene Jones: German Conservatism at the Crossroads: Count Kuno von Westarp and the Struggle for Control of the DNVP, 1928–1930, in: Journal of Contemporary European History 18, 2009, S. 147–177, 170. Vgl. ebd., S. 149. Jackisch, The Pan-German League, S. 187. Vgl. Eley, Wilhelminismus, S. 238, 235, 222 ff. Kondylis, Konservativismus, S. 11, 23; vgl. S. 387, 395, 405, 416. Ebd., S. 35 f. Vgl. Jens Hacke: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2008; ders.: Auf der Strecke geblieben? Über das Verschwinden des Konservatismus als politische Ideologie, in: INDES 2015 (3), S. 21–28; Martina Steber: Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980, Berlin und Boston 2017. Die jüngste Stufe der Verwässerung konnte man in der Botschaft der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Leipziger Parteitag sehen, nicht nur konservativ und liberal sein zu wollen, sondern auch noch sozial. Zit. n. d. Bonner Generalanzeiger, 22. 11. 2019. Kondylis, Konservativismus, S. 411 f. Vgl. Reif, Adel, Aristokratie, Elite. Schiller, Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz, S. 502. Dagegen richteten sich bekanntlich Max Webers agrarpolitische Interventionen seit 1892. Vgl. insbesondere: Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen [1904], in: MWG I/8, S. 92–188. Näher dazu Fusao Kato: Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Fideikommißfrage in Preußen 1871–1918, in: Heinz Reif (Hrsg.): Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise – junkerliche Interessenpolitik – Modernisierungsstrategien, Berlin 1994, S. 73–94, 76 ff., 87. Schiller, Vom Rittergut zum Grossgrundbesitz, S. 509. Vgl. auch Spenkuch, Herrenhaus, S. 179 f. Malinowski, Vom König zum Führer, S. 140, 119. Vgl. Gangolf Hübinger: Die Intellektuellen im wilhelminischen Deutschland, in ders. und Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.): Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt am Main 1993, S. 198–210, 202: »Intellektuelle stellen sich in den Dienst eines Ideals, weltdeutend und sinnvermittelnd. Sie leiten aus diesem Ideal Kulturwerte ab und kämpfen um deren Verbindlichkeit bei der rationalen Gestaltung der sozialen Ordnung und bei der Systematisierung persönlicher Lebensführung.«

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Vgl. Christoph Charle: Vordenker der Moderne. Die Intellektuellen im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1997, S. 163 ff., 16; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 3, S. 1232 ff. Friedrich Julius Stahl: Aufhebung der Fideikommisse [1849], in ders.: Reden, S. 52. Auf solche Hybridbildungen die Aufmerksamkeit gelenkt zu haben, ist das Verdienst von Johann Baptist Müller. Vgl. ders.: Liberaler und autoritärer Konservatismus, in: Archiv für Begriffsgeschichte 29, 1985, S. 125–137; Konservativer Liberalismus und liberaler Konservatismus im deutschen politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Bernd Rill (Hrsg.): 1848: Epochenjahr für Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland, München 1998, S. 45–69. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 49; Axel Grießmer: Massenverbände und Massenparteien im Wilhelminischen Reich. Zum Wandel der Wahlkultur 1903–1912, Düsseldorf 2000. Vgl. Rosanvallon, Die Gesellschaft der Gleichen, S. 197. Max Weber: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 1915–1920, hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer i. Z. m. Petra Kolonko, MWG Bd. I/19, Tübingen 1989, S. 464.

1. Den Konservatismus denken: Karl Mannheim und Panajotis Kondylis 1 2 3

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Schildt, Konservatismus in Deutschland, S. 9. Vgl. Karl Mannheim: Das konservative Denken, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57, 1927, S. 68–142, 470–495; Konservatismus. Vgl. Panajotis Kondylis: Art. Reaktion, Restauration, in: GG Bd. 5, S. 179–230. Wieviel allerdings auch Kondylis spezifisch Heidelbergerischen Anregungen verdankt, zeigt die umfassende Darstellung von Gisela Horst: Leben und Werk – eine Übersicht, Würzburg 2019, S. 59 ff.; speziell zum Konservativismus S. 361 ff. Vgl. auch Hans-Christof Kraus: Panajotis Kondylis und sein »Konservativismus«-Werk – Zu einem Klassiker neuerer Ideengeschichtsschreibung, in: Falk Horst (Hrsg.): Panajotis Kondylis und die Metamorphosen der Gesellschaft. Ohne Macht läßt sich nichts machen, Berlin 2019, S. 25–46. In diesem Band auch eine frühere Fassung des vorliegenden Kapitels, die für die hier verfolgten Zwecke teils gekürzt, teils erweitert wurde. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 14, 500. Daß dies nicht mit Mißachtung gleichzusetzen ist, zeigen spätere Bemerkungen, etwa in Die neuzeitliche Metaphysikkritik (Stuttgart 1990, S. 556 f.), wo Mannheim als »ein Soziologe mit beachtlicher philosophischer Bildung« vorgestellt und für die eigene Position in Sachen Metaphysik in Anspruch genommen wird; ferner ders.: Das Politische und der Mensch. Grundzüge der Sozialontologie, Bd. 1, Berlin 1999, S. 268, 569, 594.

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Mannheim verwendet die Schreibweise »Konservatismus«, Kondylis dagegen zieht »Konservativismus« vor. Um keine Verwirrung zu stiften, halte ich mich im folgenden (wie auch sonst) an den Sprachgebrauch Mannheims. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 232, 93, 97. Die Vokabel »vegetativ« verweist auf Tönnies (»Theorie der Gemeinschaft«), dem Mannheim in seinen frühen Texten übrigens weitaus stärker verpflichtet ist als etwa der Soziologie Max Webers. Vgl. Karl Mannheim: Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis [ca. 1922], in ders.: Strukturen des Denkens, S. 33–154, 121; Eine soziologische Theorie der Kultur und ihrer Erkennbarkeit [ca. 1924/25], ebd., S. 155–322, 178 ff., 226; Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Neudruck der 8. Aufl. 1935, Darmstadt 1991³, S. 7. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 175, 468. Mannheim, Konservatismus, S. 97. Ebd., S. 95, 97. Ebd., S. 73. Karl Mannheim: Das Problem einer Soziologie des Wissens [1925], in ders.: Wissenssoziologie, S. 308–387, 382. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 47. Der ursprüngliche Titel, unter dem Mannheim sein Werk 1925 als Habilitationsschrift einreichte, lautete »Altkonservatismus: Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens«. Die Unterscheidung von altem und neuem Konservatismus begegnet schon 1852 als Titel einer Flugschrift Wilhelm von Merckels (Alter und neuer Konservatismus, Berlin 1852). Sie liegt den Bemühungen Hermann Wageners zugrunde, die seit 1866 sich zunehmend zersetzende »alte conservative Partei« durch eine »neue conservative Partei« zu ersetzen (Denkschrift vom 10. 6. 1869, in: Saile, Hermann Wagener, S. 144 ff.) und kehrt wenig später wieder in der Spaltung zwischen Bismarckoppositionellen Altkonservativen und Bismarckloyalen Neukonservativen: vgl. die Angaben bei Ruetz, Der preussische Konservatismus, S. 84, 90, 101 ff.; Bussiek, Kreuzzeitung, S. 221. Unter den Zeitgenossen Mannheims haben vor allem Alfred von Martin und Ernst Troeltsch die Unterscheidung verwendet. Vgl. Alfred von Martin, Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken [1922], in: Kaltenbrunner (Hrsg.): Rekonstruktion des Konservatismus, S. 139–180; Ernst Troeltsch: Gesammelte Schriften Bd. IV: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hrsg. von Hans Baron, ND Darmstadt 2016, S. 690 (als »neukonservativ« wird dort Spengler eingestuft). Entsprechende Hinweise gibt Mannheim selbst: vgl. Beiträge zur Theorie der Weltanschauungs-Interpretation [1921–1922], in ders.: Wissenssoziologie, S. 91–154, 97 f., 125, 143, 149; Ideologische und soziologische Interpretation der geistigen Gebilde [1926], ebd., S. 388–407, 402. Mannheim, Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 107. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 191.

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Ebd.; Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 105. Vgl. in diesem Sinne Max Horkheimer: Ein neuer Ideologiebegriff? [1930], in ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr, Bd. 2, Frankfurt am Main 1987, S. 271–294, 277; Kurt Lenk: Marx in der Wissenssoziologie, Neuwied und Berlin 1972, S. 44, 53 ff. Vgl. Éva Karádi und Erzsébet Vezér (Hrsg.): Georg Lukács, Karl Mannheim und der Sonntagskreis, Frankfurt am Main 1985. Mannheim, Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 54. Mannheim, Konservatismus, S. 181 ff. Wilhelm Dilthey: Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen [1911], in ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 8, S. 75–118, 86. Zu Diltheys Abhängigkeit von Schopenhauer vgl. Ferdinand Fellmann: Lebensphilosophie. Elemente einer Theorie der Selbsterfahrung, Reinbek 1993, S. 121. Vgl. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 196; Wilhelm Dilthey, zit. n. Michael Großheim: Auf der Suche nach der volleren Realität: Wilhelm Dilthey und Ludwig Klages. Zwei Wege der Lebensphilosophie, in: Dilthey-Jahrbuch 10, 1996, S. 161–189, 166. Mannheim, Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 139. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 178. Mannheim, Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 114 ff., 125 ff. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 293. Ähnlich S. 226, 289, 292 f. Mannheim, Über die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, S. 140. Vgl. Michael Großheim: Erkennen oder Entscheiden. Der Begriff der »Situation« zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, hrsg. von Günter Figal, 1, 2002, S. 279–300. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 170, 181. Die Zuordnung des bürokratischen Absolutismus fällt freilich ambivalent aus. Gilt er zunächst als eine der »beiden Spielarten des neuzeitlichen Rationalismus«, gegen die sich die konservative Denkweise gewendet habe (Mannheim, Konservatismus, S. 166; vgl. auch S. 141) – die zweite, radikalere Version ist das revolutionäre bürgerliche Naturrecht (vgl. ebd., S. 130, 169) –, so verschmilzt er an späterer Stelle mit dem Konservatismus, etwa in der Deutung Gustav Hugos als eines Vertreters des ›obrigkeitlichen‹ bzw. ›bureaukratischen Konservatismus‹ (ebd., S. 216). Auch von Savigny heißt es, bei ihm sei »das in Bewegung geratene romantisch-ständische Element […] in das Bureaukratisch-Staatliche eingekapselt« (ebd., S. 222). In Ideologie und Utopie bildet Mannheim daraus den Typus des »bureaukratischen Konservatismus«, der sich im Tandem mit dem »historistischen Konservatismus« entwickelt habe (vgl. dort S. 102 ff.). Aus der Sicht von Kondylis ist ein solcher Typus eine contradictio in adiecto,

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auch wenn er selbst an einer Stelle von ›gouvernementalem Konservativismus‹ spricht (Konservativismus, S. 243). Vgl. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 180. Mannheim, Konservatismus, S. 110 ff., 159, 127 ff. Wie Mannheim selbst einräumt: vgl. ebd., S. 125. Ebd., S. 110 (Hervorhebung von mir, S. B.). Vgl. ebd., S. 158, 166. Vgl. ebd., S. 158, 167. Hieran anknüpfend Neumann, Die Stufen des preussischen Konservatismus, S. 68 ff. Mannheim, Konservatismus, S. 144. Ebd., S. 175. Vgl. Carl Schmitt: Politische Romantik, Berlin 19824, S. 160. Vgl. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 1, S. 107 ff., 120 ff. Kondylis, Die Entstehung der Dialektik, S. 15. Vgl. ebd., S. 643; ders., Konservativismus, S. 502; Hegel, Philosophie der Geschichte, Werke, Bd. 12, S. 528. Zur Kritik der romantischen Ironie vgl. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke, Bd. 13, S. 93 ff.; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Werke, Bd. 20, S. 417 ff. Friedrich Schlegel, Fragmente 1821. Zit. n. Kondylis, Konservativismus, S. 324 f. Vgl. Karl Heinz Bohrer: Die Kritik der Romantik, Frankfurt am Main 1989, S. 145. Vgl. Mannheim, Eine soziologische Theorie der Kultur, S. 182; Konservatismus, S. 183. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 95. Ebd., S. 126. Ebd. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 206, 169. Ebd., S. 214, 220. Ebd., S. 222 f., 220. Ebd., S. 220. Ebd., S. 225. Vgl. Karl Mannheim: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus [1935], Darmstadt 1958. Vgl. Kondylis, Planetarische Politik, S. 91 ff. Vgl. z. B. Mannheim, Konservatismus, S. 50, 54, 61, 76 u. ö.; Kondylis, Konservativismus, S. 342, 374. Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 44 f. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 96, 110 ff. Kondylis, Konservativismus, S. 125. Ebd., S. 108, 110.

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Vgl. ebd., S. 94, 127 u. ö. Vgl. ebd., S. 77, 283 f. Vgl. ebd. sowie S. 131. Ebd., S. 161. Ebd., S. 208 f. Vgl. ebd., S. 254. Die Unterscheidung geht bekanntlich zurück auf Carl Schmitt, mit dem sich Kondylis ebenso produktiv wie kritisch auseinandergesetzt hat. Vgl. Schmitt, Die Diktatur; Panajotis Kondylis: Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung. Grundsätzliche Bemerkungen zu Carl Schmitts »Politischer Theologie«, in: Der Staat 34, 1995, S. 325–357 sowie bereits: Konservativismus, S. 383 f. Kondylis, Konservativismus, S. 210. Insofern sind Versuche nicht glücklich, für diese Entwicklung einen eigenen Typus des Konservatismus unter Bezeichnungen wie »Beamten-« oder »Staatskonservatismus« zu bilden. Von Kondylis her gesehen läuft die Übernahme des Souveränitätsprinzips auf eine Selbstzerstörung des Konservatismus hinaus, nicht auf einen neuen Typus. Vgl. dagegen Barbara Vogel: Beamtenkonservatismus. Sozial- und verfassungsgeschichtliche Voraussetzungen der Parteien in Preußen im frühen 19. Jahrhundert, in: Stegmann u. a. (Hrsg.), Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 1–31; Lothar Dittmer: Beamtenkonservativismus und Modernisierung. Untersuchungen zur Vorgeschichte der konservativen Partei in Preußen 1810–1848/49, Stuttgart 1992. Ad vocem »Staatskonservatismus« zuletzt m. w. N.: Wolf Nitschke: Adolf Heinrich Graf v. Arnim-Boitzenburg (1803–1868), Berlin 2004, S. 26 f. Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 106. Kondylis, Konservativismus, S. 374. Vgl. auch ders., Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 42 ff., 287 ff. Kondylis, Konservativismus, S. 385, 383. Ebd., S. 386. Diese Wendung ins Utopische hat auch Mannheim registriert, dabei aber zu wenig auf die Spannungen geachtet, die dadurch in den Konservatismus hineingeraten. Vgl. Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 199 ff. Kondylis, Konservativismus, S. 384. Ebd., S. 391. Vgl. Ruetz, Der preussische Konservatismus; Wagner, Bauern, Junker und Beamte; Bohlmann, Die Deutschkonservative Partei; Ziblatt, Conservative Parties, S. 172 ff. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 97. Ebd., S. 91, 47 u. ö. Ebd., S. 63. Kondylis, Konservativismus, S. 395. Vgl. ebd., S. 30 ff. Ebd., S. 27.

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Max Weber: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland [1917], in ders.: Zur Politik im Weltkrieg, S. 432–596, 439 f. Karl Lamprecht: Ueber die Umbildung der Parteizustände, in: Neue Freie Presse Nr. 13868 vom 5. 4. 1903. Vgl. Stillich, Die Konservativen, S. 184, 203 f.; Emil Lederer: Die wirtschaftlichen Organisationen, Leipzig und Berlin 1913, S. 116; ders.: Klasseninteressen, Interessenverbände und Parlamentarismus [1912], in ders.: Kapitalismus, Klassenstruktur und Probleme der Demokratie in Deutschland, hrsg. von Jürgen Kocka, Göttingen 1979, S. 33–50, 49 f.; Ritter, Die preußischen Konservativen, S. 375 f. Aus der neueren Forschung vgl. Puhle, Agrarische Interessenpolitik; Hans-Joachim Schoeps: Die preußischen Konservativen, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Hrsg.: Konservatismus in Europa, Freiburg 1972, S. 181–188, 185; Bohlmann, Die Deutschkonservative Partei, S. 53, 59, 63 u. ö.; Ziblatt, Conservative Parties, S. 189 ff. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 923, 920; Alexander, Die Freikonservative Partei 1890–1918, S. 81. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 295 f.; Behnen, Das Preußische Wochenblatt. Vgl. Walter Schmidt: Die Partei Bethmann Hollweg und die Reaktion in Preußen 1850–1858, Berlin 1910, S. 98 ff., 135, 52, 60, 120 ff., aber auch Behnen, Das Preußische Wochenblatt, S. 185, 192. Vgl. Behnen, Das Preußische Wochenblatt, S. 82 ff. Vgl. Gerd Fesser: Wochenblattpartei (WB) 1851–1858, in: Fricke, Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 4, 1986, S. 496–498, 496. Anders Barbara Vogel: ›Option gegen den Westen‹. Anfänge eines politischen Schlüsselworts zwischen Revolution und ›Neuer Ära‹ in Preußen, in: Dagmar Bussiek und Simona Göbel (Hrsg.): Kultur, Politik und Öffentlichkeit. Festschrift für Jens Flemming, Kassel 2009, S. 134–155, die das Preußische Wochenblatt für »eindeutig konservativ« und nicht liberal-konservativ hält (S. 140), ohne dafür jedoch zwingende Gründe anzugeben. Vgl. Volker Stalmann: Die Partei Bismarcks. Die Deutsche Reichs- und Freikonservative Partei 1866–1890, Düsseldorf 2000, S. 31, 35 f.; Alexander, Die Freikonservative Partei, S. 15. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 439 ff. Genauer behandelt ist diese Richtung bei Johann Baptist Müller: Der deutsche Sozialkonservatismus, in: Schumann, Konservativismus, S. 199–221; Klaus Hornung: Die sozialkonservative Tradition im deutschen Staats- und Gesellschaftsdenken, in: Jörg-Dieter Gauger und Klaus Weigelt (Hrsg.): Soziales Denken in Deutschland zwischen Tradition und Innovation, Bonn 1990, S. 30–68. Beide Autoren operieren allerdings mit einem deutlich umfassenderen Verständnis, das bspw. auch Hegel oder Lorenz von Stein einschließt. Die von Hegel als Antidot gegen die Spaltungstendenzen der bürgerlichen Gesellschaft aufgebotene »Polizei« blieb aber auf Sicherung der äußeren Ordnung beschränkt, und die »Korporation«

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sparte nicht nur den größten Teil der ländlichen Bevölkerung aus, sondern auch die Tagelöhner und alle diejenigen, die »zu einem einzelnen zufälligen Dienst bereit« seien; daß sie »keine geschlossene Zunft« bilden solle, wird ausdrücklich festgehalten (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Bd. 7, § 230 ff.; Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, S. 529 ff.). Stein dagegen nahm wohl, anders als Hegel, die Verwaltung und deren Spitze, das Königtum, in Pflicht, »mit allen Mitteln der Staatsgewalt die arbeitende Klasse in ihrem wesentlichsten Interesse, dem Erwerb des Kapitals für jeden einzelnen Arbeiter zu fördern« (Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde., Nachdruck Hildesheim 1959, Bd. 3, S. 206), doch war dies eine Programmatik, die auf singuläre Weise Prinzipien des Altliberalismus mit einer darüber hinausweisenden Forderung nach materieller Untermauerung der formellen Freiheitsrechte, ja sogar nach einer »sozialen Demokratie« verband und daher eher in die von Kondylis angedeutete Umdeutung des Liberalismus gehört als in die Traditionslinie des Konservatismus. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 446. Vgl. dazu ausführlicher weiter unten, Kapitel 4. Kondylis, Konservativismus, S. 11.

2. Liberaler Konservatismus: Friedrich Julius Stahl 1 2 3

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Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 195, 213. Kondylis, Konservativismus, S. 401. Vgl. Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik, Paderborn etc. 2012; Ulrich Schrettenseger: Der Einfluß Karl Ludwig von Haller’s auf die preußische konservative Staatstheorie und -praxis, Diss. jur. München 1949; Raphael Rohner: Rechtsphilosophische Aspekte der Staatstheorie Carl Ludwig von Hallers (1768–1854) unter besonderer Berücksichtigung des Patrimonialstaates, Diss. Zürich 1996; Burchard Graf von Westerholt: Patrimonialismus und Konstitutionalismus in der Rechts- und Staatstheorie Karl Ludwig von Hallers. Begründung, Legitimation und Kritik des modernen Staates, Berlin 1999. Vgl. statt vieler die ungezeichneten Artikelreihen: Revolution und Absolutismus, in: Berliner politisches Wochenblatt 3, 1833, Nrn. 7, 12–14; Worauf kommt es an, in dem Kampfe gegen die Revolution? Ebd., Nrn. 39–40, 42, 51; Das revolutionaire Princip, in: ebd. 8, 1840, Nr. 27–28. Das Wochenblatt (nicht zu verwechseln mit dem o. g. Preußischen Wochenblatt) erschien bis Ende 1841. Nähere Informationen bieten Adolf Bischlager: Die Staatslehre des Berliner Politischen Wochenblattes, Phil. Diss. Jena 1929; Wolfgang Scheel: Das »Berliner politische Wochenblatt« und die politische und soziale Revolution in

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Frankreich und England. Ein Beitrag zur konservativen Zeitkritik in Deutschland, Göttingen etc. 1964; Beck, The Origins of the Authoritarian Welfare State in Prussia, S. 40 ff. Zu ihm noch immer: Friedrich Meinecke: Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 1913; aus neuerer Zeit: Beck, The Origins of the Authoritarian Welfare State in Prussia, S. 63 ff. Hans-Christof Kraus: Carl Ernst Jarcke und der katholische Konservatismus im Vormärz, in: Historisches Jahrbuch 110, 1990, S. 409–445. Vgl. Carolyn R. Henderson: Heinrich Leo. A Study in German Conservatism, Diss. Madison 1977; Maltzahn, Heinrich Leo; Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, S. 120 ff. Sowohl Maltzahn (S. 154 ff.) als auch Kraus (S. 124 ff.) machen allerdings auch auf die z. T. erheblichen Differenzen aufmerksam, die ihre Protagonisten von Haller trennen. Das kann hier nicht erörtert werden. Zum Einfluß der Erweckungsbewegung und ihrer Beziehungen zum Pietismus vgl. Jan Carsten Schnurr: Weltreiche und Wahrheitszeugen. Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815–1848, Göttingen 2011. Das Berliner politische Wochenblatt fand seinen Musterstaat zeitweise in Mecklenburg, weil sich in diesem stark ständisch geprägten Gebilde »die ursprünglichen Grundsätze des germanischen Staatsrechts in seiner Reinheit erhalten« hätten, »die selbst in England durch fremdartige, dem Repräsentativsystem angehörende Beimischungen schon bedeutend getrübt ist«, in Nr. 13, 31. 3. 1832. Zit. n. C. Varrentrapp: Rankes Historisch-politische Zeitschrift und das Berliner Politsche Wochenblatt, in: Historische Zeitschrift 99, 1907, S. 35–119, 82 f. Vgl. Robert M. Berdahl: The Stände and the Origins of Conservatism in Prussia, in: Eighteenth Century Studies 6, 1973, S. 298–321, 315 ff. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 73. Vgl. Heinickel, Adelsreformideen in Preußen, S. 114. Vgl. Wagner, Bauern, Junker und Beamte, S. 39, 15. Vgl. ebd., S. 41, 44. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 486. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 195. Vgl. Thomas Vesting: Absolutismus und materiale Rationalisierung. Zur Entstehung des preußischen Patrimonialstaates, in: Archiv des öffentlichen Rechts 119, 1994, S. 369–399, 379; Otto Büsch: Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußischdeutschen Gesellschaft, Frankfurt am Main etc. 1981, S. 92. Adel und Offizierskorps, schreibt Büsch, waren im preußischen Staat des 18. Jahrhunderts nicht nur weitgehend identisch, vielmehr galt in mancher Hinsicht der Offizierstand als »Steigerungsform des Adels«. Vgl. ebd., S. 89, 94. Noch um 1860 betrug der Adelsanteil im preußischen Offizierskorps etwa zwei Drittel, eine Quote,

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die für die oberen Kommandoränge noch bis zum Ersten Weltkrieg galt: vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 819. Vgl. Hans-Christof Kraus: Vom Traditionsstand zum Funktionsstand. Bemerkungen über ›Stände‹ und ›Ständetum‹ im deutschen politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Roland Gehrke (Hrsg.): Aufbrüche in die Moderne, Köln etc. 2005, S. 13–44; Heinickel, Adelsreformideen in Preußen, S. 131 ff., 289 ff. Heinickel, Adelsreformideen in Preußen, S. 59. Vgl. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 347, 436. Vgl. ebd., S. 448, 464. Näher zu Lancizolle: NDB 13, Berlin 1982, S. 474 f. (Hartwig Brandt). Vgl. ebd., S. 463, 526, 531, 542 ff. Näher zu diesen Herrschaftsrechten, zu denen insbesondere die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Polizeigewalt gehörten: Monika Wienfort: Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770–1848/49, Göttingen 2001; Wolfgang Knöbl: Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß. Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700–1914, Frankfurt am Main und New York 1998, S. 205 ff. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 555 f.; vgl. auch S. 488. Der Vorschlag Ewald Fries, in Anlehnung an Luhmann schon für die Zeit um 1800 von einer Umstellung der Gesellschaft von stratifikatorischer auf funktionale Differenzierung auszugehen, woraus sich für den Adel »das Ende der Existenz als Herrenschicht« ergeben habe, nimmt dagegen einen viel zu scharfen und eindeutigen Epochenschnitt vor (Ewald Fries: Adel um 1800. Oben bleiben? In: zeitenblicke 4, 2005, Nr. 3, (www.zeitenblicke. de/archiv). Die Alternative, von einem »Übergang altständischer zu nachständischer ›Adligkeit‹« zu sprechen, berücksichtigt wohl die Verquickung von Stratifikation und Funktionalisierung, unterschätzt aber den Grad, in dem ständische Muster weiterhin wirksam blieben: Heinickel, Adelsreformideen in Preußen, S. 658 (Herv. geändert, S. B.); vgl. ebd., S. 29. Vgl. Spenkuch, Herrenhaus, S. 441 ff.; Reif, Adel, Aristokratie, Elite, S. 7, 138, 180 f. Genau genommen läßt sich noch nicht einmal von einem einheitlichen Adel in Preußen reden, existierten doch in den östlichen und westlichen Landesteilen zwei sowohl der Konfession als auch der sozialen Zusammensetzung nach deutlich unterschiedene Adelsformationen, die sich bis zum Ausgang des Kaiserreichs nicht anglichen: vgl. Reif, ebd., S. 58. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 165 f., 81 ff.; Reif, Adel, Aristokratie, Elite, S. 300 f.; Spenkuch, Herrenhaus, S. 153 ff.; Heinickel, Adelsreformideen, S. 249 ff., 613 ff. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 177 f. Vgl. Patrick Wagner: Gutsherren – Bauer – Broker. Die ostelbische Agrargesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Journal of Modern

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European History 2, 2004, S. 254–279, 269 f.; ders., Bauern, Junker und Beamte, S. 391 ff. Wagner, Bauern, Junker und Beamte, S. 571. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 166. Vgl. Schildt, Konservatismus in Deutschland, S. 72 f.; Schwentker, Konservative Vereine, S. 62, 84, 95 f., 107 ff. Vgl. Erich Jordan: Die Entstehung der konservativen Partei und die preußischen Agrarverhältnisse von 1848, München und Leipzig 1914, S. 185 ff.; Marjorie E. Lamberti: The Rise of the Prussian Conservative Party, Diss. Yale 1966; William J. Orr: The Foundation of the Kreuzzeitung Party in Prussia 1848–1850, Diss. University of Wisconsin 1971. Zur ›Kreuzzeitung‹ vgl. Kurt Danneberg: Die Anfänge der ›Neuen Preussischen (Kreuz)-Zeitung‹ unter Hermann Wagener 1848–1852, Berlin 1943; Bussiek, Kreuzzeitung. Vgl. Schwentker, Konservative Vereine, S. 321; Grünthal, Parlamentarismus in Preußen, S. 340, 445. Vgl. Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik, Berlin 1990, S. 101 ff.; Monarchie und Gottesgnadentum in Preußen 1840–1861, in: Hartwig Schultz (Hrsg.): »Die echte Politik muß Erfinderin sein«. Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquium zu Bettina von Arnim, Berlin 1999, S. 131–162, 149 ff. Das blieb auch in den folgenden Jahrzehnten und bis weit in die wilhelminische Ära so. Vgl. Bohlmann, Deutschkonservative Partei, S. 181; Ziblatt, Conservative Parties, S. 172 ff. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 773. Vgl. Behnen, Das Preußische Wochenblatt, S. 223, 226. Hinzu kamen unterschiedliche außenpolitische Orientierungen: hielt der Gerlach-Kreis an der Heiligen Allianz und damit am Bündnis mit Rußland fest, so wollte die Wochenblattpartei während des Krimkriegs die Westmächte unterstützen und ventilierte Pläne, die auf eine Zerstückelung Rußlands und eine Verteilung seines Gebietes an die Nachbarn hinausliefen: vgl. Reinhold Müller: Die Partei Bethmann Hollweg und die orientalische Krise 1853–1856, Halle 1926. Vgl. Grünthal, Parlamentarismus in Preußen, S. 445; Börner, Die Krise der preussischen Monarchie, S. 50. Constantin Frantz: Die Weltpolitik unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland, 3 Bde., Chemnitz 1983, Bd. 3, S. 37. Entsprechend bürgerte sich für ihre Gefolgschaft unter den Konservativen in beiden Häusern des Preußischen Landtags die Bezeichnung »Partei Stahl-Gerlach« oder »Partei Gerlach-Stahl« ein: vgl. Hans von Kleist-Retzow an Ludwig von Gerlach, Brief vom 11. 9. 1861, in: [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Bd. 2, S. 1086; Friedrich Engels: Die Krisis in Preußen [1873], in: MEW Bd. 18, S. 293 (»Partei Stahl-Gerlach«); Karl Buchheim: Die Partei Gerlach Stahl, in:

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Alfred Hermann (Hrsg.): Aus Geschichte und Politik. FS Ludwig Bergsträsser, Düsseldorf 1954, S. 41–56. Vgl. Neumann, Die Stufen des preussischen Konservatismus, S. 104 f. Stahl, Die Revolution und die constitutionelle Monarchie. Eine Reihe ineinandergreifender Abhandlungen, S. 15. Ernst Ludwig von Gerlach an Heinrich Leo, Brief vom 29. 12. 1867, zit. n. [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Bd. 1, S. 31. Vgl. auch Wiegand, Über Friedrich Julius Stahl, S. 24. Auch von anderen Exponenten des konservativen Lagers sind ähnlich distanzierende Äußerungen belegt, so von Ernst Ludwigs Bruder Leopold von Gerlach, von Victor Aimé Huber und von Jarcke: vgl. die Hinweise bei Füßl, Professor in der Politik, S. 111, 132 ff. Zit. n. Maltzahn, Heinrich Leo, S. 41, 212. Eine nicht unwesentliche Rolle dürften hierbei auch Leos Antipathien gegen »das feine Jüdchen Stahl« gespielt haben (ebd., S. 41). 2 Bde., 1830–1837; 3. Aufl. in 3 Bdn., 1854–1856. Im folgenden zit. n. dem Nachdruck der 5. unv. Aufl. Tübingen 1878, Darmstadt 1963. Gute knappe Überblicke zu Leben und Werk bieten Robert A. Kann: Friedrich Julius Stahl. A Re-examination of his Conservatism, in: The Leo Baeck Institute Yearbook 12, 1967, S. 55–74; Johann Baptist Müller: Der politische Professor der Konservativen – Friedrich Julius Stahl (1802–1861), in: Kraus (Hrsg.), Konservative Politiker in Deutschland, S. 69–88; Jens Kersten: Friedrich Julius Stahl (1802– 1861), in: Stefan Grundmann u. a. (Hrsg.): FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin, Berlin und New York 2010, S. 205–228; v. Beyme, Konservatismus, S. 147–156. Vgl. dazu sowie überhaupt zu Stahls Lebensweg und Werk bis 1840 die unentbehrliche Arbeit von Masur, Friedrich Julius Stahl, S. 42 ff. Seine Deutung, Stahl sei »der Systematiker des Irrationalismus« gewesen, der jene große Linie vollendet habe, die von Leibniz über Hamann und Herder bis zur Romantik reiche, möchte ich mir allerdings nicht zu eigen machen. Sie überschätzt den romantischen Zug bei Stahl ebenso sehr, wie sie den rationalen unterschätzt. Vgl. ebd., S. 292. Vgl. Wiegand, Über Friedrich Julius Stahl, S. 32; Füßl, Professor in der Politik, S. 128; Bussiek, Kreuzzeitung. Vgl. Füßl, Professor in der Politik, S. 164. Ebd., S. 183. Dort auch der vollständige Wortlaut des Programms. Vgl. ebd., S. 313. Ernst Landsberg: Art. Stahl, Friedrich Julius, in: ADB Bd. 35, 1893, S. 392–400, 396. Alfred von Martin, Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken, S. 157; Neumann, Die Stufen des preussischen Konservatismus, S. 106. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. XI und 424.

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Ebd., Bd. I, S. 105, 139. Von ›naturwüchsigen‹ im Gegensatz zu mechanischgemachten Ordnungen hat wohl erstmals Heinrich Leo gesprochen, in ders.: Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates. Erste Abt., Halle 1833, S. 1; vgl. Maltzahn, Heinrich Leo, S. 54. In einer älteren Arbeit (Sozialgeschichte des Naturrechts) habe ich, ohne eine Zeile von Stahl oder Leo zu kennen, mit einem ähnlichen, aus der Lektüre der Marxschen »Grundrisse« gewonnenen Dual gearbeitet, das der für den Kapitalismus charakteristischen »reinen Vergesellschaftung« die »naturwüchsige Vergesellschaftung« entgegenstellt. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. I, S. 101, 94 f. Vgl. ebd., S. 175 ff. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, S. 2. Ebd., S. 3. Ebd., S. 71, 83. Vgl. ders.: Die En-bloc-Annahme der deutschen BundesstaatsVerfassung und der Liberalismus [1849], in ders.: Reden, S. 160 f. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, S. 109. Ebd., S. 140, 78. Ebd., S. 80. Ebd., S. 73. Vgl. ebd., S. 177 f., 203. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 484 ff.; Grosser, Grundlagen und Struktur der Staatslehre Friedrich Julius Stahls, S. 110 f. Vgl. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 209; Aufhebung der Fideikommisse [1849], in: Reden, S. 50. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 238, 280, 276 f., 246. Ebd., S. 195 f. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. I, S. 101 f. Ebd., S. 470 f. Ebd., S. 471; vgl. Bd. II/1, S. 426. Ebd., Bd. I, S. 476. Ebd., S. 488. Ebd., S. 489. Ebd., S. 490. Ebd., Bd. II/2, S. 58. Vgl. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 281 f. Ebd., Bd. II/2, S. 52 f. Zit. n. Wiegand, Das Vermächtnis Friedrich Julius Stahls, S. 47, 51. Ebd., S. 10, 57. Diese Sichtweise hat sich bis in die Bundesrepublik erhalten, etwa bei Hans Boldt, der sein Stahl-Kapitel überschreibt: »Die reaktionäre Zuspitzung des deutschen Konstitutionalismus« (Die deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975, S. 196). Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, S. 152; Herbert Marcuse: Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie, Neuwied und Berlin 1970³, S. 327.

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Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. XIX ff. Vgl. ebd., S. 105. Vgl. auch Friedrich Julius Stahl: Die Bildung der ersten Kammer [1852], in ders.: Reden, S. 80 f. Vgl. Otto Hintze: Wesen und Verbreitung des Feudalismus [1929], in ders.: Staat und Verfassung. Gesammelte Aufsätze zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Gerhard Oestreich, Göttingen 1962², S. 84–119. Vgl. Stahl, Die Bildung der ersten Kammer [1849], S. 56 f. Vgl. Alfred von Martin: Autorität und Freiheit in der Gedankenwelt Ludwig von Gerlachs. Ein Beitrag zur Geschichte der religiös-kirchlichen und politischen Ansichten des Altkonservatismus, in: Archiv für Kulturgeschichte 20, 1930, S. 155–182, 177. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 10; vgl. Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 110 ff.; vgl. Aufhebung der Fideikommisse, S. 51. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 113, 121, 318. Ebd., S. 130. Über England als »Träger eines weltgeschichtlichen Fortschrittes« und Vorbild einer »reichsständischen Verfassung« vgl. ebd., S. 344. »Die Verfassung Englands«, heißt es in anderem Zusammenhang, sei »der großartigste, vollendetste, befriedigendste öffentliche Zustand, den die neuere Zeit bietet« (Die gegenwärtigen Parteien, S. 143). Diese Bewunderung hinderte Stahl allerdings nicht, die in neuerer Zeit dort vollzogene Wendung zum parlamentarischen Prinzip für nicht übertragbar und auch für England als nicht von Vorteil zu erklären: vgl. Das Monarchische Princip, S. 6 ff. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/1, S. 334. Vgl. Masur, Friedrich Julius Stahl, S. 215; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 175. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 325. Vgl. Masur, Friedrich Julius Stahl, S. 210 f. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 319. Ebd., S. 328. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 338; Die gegenwärtigen Parteien, S. 294 ff. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 326; vgl. Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 333, 366. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 335. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 327 f. Mit Blick auf diese klaren Aussagen wird man kaum sagen können, Stahl habe zusammen mit Ludwig von Gerlach und Hermann Wagener den Restaurationsdiskurs fortgesetzt und die Ideen und Erwartungshaltungen von Haller und de Maistre ›revitalisiert‹: so aber Caruso, Nationalstaat als Telos? S. 168. Das stimmt auch für die beiden anderen Genannten nicht. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 335. Ebd., S. 50.

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Anmerkungen | 311 98

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Ebd., S. 442 sowie 322. Vgl. Grosser, Grundlagen und Struktur der Staatslehre Friedrich Julius Stahls, S. 88 ff.; Wiegand, Über Friedrich Julius Stahl, S. 260 f.; Avraham, In der Krise der Moderne, S. 140 ff. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 318. Vgl. ebd., S. 358; Das Monarchische Princip, S. 14 f. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 354. Ebd., S. 469. Ebd., S. 40. Das sah übrigens, zumindest mit Blick auf Preußen, auch Heinrich Leo so und zog sich damit die Kritik Gerlachs zu: vgl. Maltzahn, Heinrich Leo, S. 70. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 454, 466; Die gegenwärtigen Parteien, S. 323. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 321. Ebd., S. 334. Ebd. Ebd., S. 330. In der Betonung nationaler Faktoren liegt eine weitere Differenz zum historischen Konservatismus, wie er im Gerlach-Kreis vertreten war (vgl. Neumann, Die Stufen des preussischen Konservatismus, S. 104). Galt dort die Nation als ›etwas nebelhaft Verschwimmendes‹, bloß Natürliches, das erst durch den Staat seine Form erhalte (vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 1, S. 235), so stehen bei Stahl Staat und Nation in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit. »Das Volk ist schon die natürliche Macht und Gemeinschaft, die der Staat zur rechtlich geordneten erheben soll« (Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 161). Die Einheit der Abstammung bildet dabei nur die Basis, die durch geschichtliche Veränderungen erweitert werden kann, auch durch Mischung mit anderen Populationen. Entscheidender sind jedoch Sprache, Sitte und ›Lebenswürdigung‹ (ebd., S. 165). Weil diese Eigenschaften letztlich von Gott seien, hat Stahl das Recht der Nationalitäten bejaht und jede Negation desselben durch ›despotische Centralisation‹ verurteilt (vgl. Die Holstein-Lauenburger Angelegenheit [1857], in ders.: Reden, S. 198). Daraus werden jedoch keine zwingenden Forderungen für die staatliche Organisation abgeleitet, im Gegenteil: die 1848 erhobene Parole einer »neue[n] Konstituirung des europäischen Staatenbestandes nach den Nationalitäten […] und Aufhebung aller entgegenstehenden Verträge und Herrscherrechte« wird ausdrücklich für »rechtswidrig« erklärt und als »Parallele zum Kommunismus« abgelehnt (Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 165 f.). Ein Nationalist war Stahl also nicht, weder im Sinne der Gellner-Formel, wonach darunter das Verlangen nach Deckungsgleichheit politischer und nationaler Einheiten zu verstehen sei, noch im Sinne jener Definitionen, die darunter eine Einstellung fassen, die der Nation ein Dignitätsübergewicht über alle anderen sozialen Gebilde zuschreibt. Vgl. dazu m. w. N. meine Studie: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005, S. 21 ff.

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312 | Anmerkungen

109 Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 330. Neumann (Die Stufen des preussischen Konservatismus, S. 110) bezeichnet Stahl deshalb als »institutionellen Legitimisten«. 110 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 131, 137. 111 Vgl. ebd., S. 537 f., 133; ders.: Die Revolution und die constitutionelle Monarchie, S. 163; Die gegenwärtigen Parteien, S. 326. Daß Stahl mit Rotteck oder Zachariae zu den Autoren gehöre, die den Anstaltsbegriff gänzlich undefiniert verwendeten, wird man angesichts dieser klaren Aussagen nicht behaupten können (so aber Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, Berlin 1914³, S. 165). Die Merkmale Dauerhaftigkeit, rationale Ordnung und Erzwingbarkeit sind so prägnant formuliert, daß auch der soziologische Anstaltsbegriff Max Webers davon profitieren konnte. Vgl. Siegfried Hermes: Der Staat als »Anstalt«. Max Webers soziologische Begriffsbildung im Kontext der Rechts- und Staatswissenschaften, in: Klaus Lichtblau (Hrsg.): Max Webers ›Grundbegriffe‹. Kategorien der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung, Wiesbaden 2006, S. 185–217, 212 u. ö.; Hubert Treiber: Zum Staatsverständnis Max Webers, in: Sociologia internationalis 52, 2014, S. 1–40, 12 ff. 112 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 479. Vgl. Grosser, Grundlagen und Struktur der Staatslehre Friedrich Julius Stahls, S. 110. 113 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 141. 114 Ebd., S. 137. 115 So die Kritik von Ernst-Wolfgang Böckenförde: Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in ders.: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 65–92, 70; Wolfgang Reinhard: Rechtsstaat und Staatsgewalt. Historische Reflexionen, in: Rolf Kappel u. a. (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung, Freiburg 2005, S. 33–48, 35. 116 Vgl. Peter von Oertzen: Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, Frankfurt am Main 1974, S. 101; Ingeborg Maus: Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats, in: Mehidi Tohidipur (Hrsg.): Der bürgerliche Rechtsstaat, 2 Bde., Frankfurt am Main 1978, Bd. 1, S. 13–81, 30. 117 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. I, S. 316; Die gegenwärtigen Parteien, S. 103. 118 Stahl, Die gegenwärtigen Parteien, S. 108. Vgl. Hans-Christof Kraus: Liberalismusdeutung und Liberalismuskritik bei Stahl und Gerlach, in: Ewald Grothe und Ulrich Sieg (Hrsg.): Liberalismus als Feindbild, Göttingen 2014, S. 53–72, 64. 119 Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 420, 423. Vgl. auch Masur, Friedrich Julius Stahl, S. 161, 163, 170, 177, 220, 236 u. ö. Das soll hier freilich nicht im Sinne der denunziatorischen Angriffe Carl Schmitts verstanden werden, der Stahl vorgeworfen hat, ein »Wegbereiter der im Namen des ›Rechtsstaates‹ vordringenden politischen Kräfte und Mächte der Liberaldemokratie und des unmittelbar nachrückenden Marxismus« gewesen zu sein: Carl Schmitt: Staat,

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Bewegung, Volk, Hamburg 1933, S. 30. Diese Deutung unterschlägt nicht nur die Differenz zwischen frühem und spätem Liberalismus (vgl. dazu weiter unten, Anm. 121), sie ist darüber hinaus wie in anderen Texten der NS-Zeit durch massive antisemitische Ausfälle gegen Stahl diskreditiert. Vgl. etwa ders.: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes [1938], Nachdruck Köln 1982, S. 86 f.; Johannes Heckel: Der Einbruch des jüdischen Geistes in das deutsche Staats- und Kirchenrecht durch Friedrich Julius Stahl, in: Historische Zeitschrift 155, 1937, S. 506–541. Von antisemitischen Akzenten war allerdings schon die altliberale Stahl-Kritik nicht frei. Vgl. die Zusammenstellung einschlägiger Äußerungen Bluntschlis, Dahlmanns oder Gneists bei Wiegand, Das Vermächtnis Friedrich Julius Stahls, S. 3 ff. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 58 ff.; Aufhebung der Fideikommisse, S. 46. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 63. Vgl. auch die Ausführungen unter »Polizey«, ebd., S. 591 ff. Die hier anklingende Tendenz, den Staat auf eine Politik der Bestandserhaltung zu verpflichten, ohne das Konkurrenzprinzip prinzipiell aufzuheben, scheint vorwegzunehmen, was in der Weimarer Republik als »autoritärer Liberalismus« bezeichnet wurde: vgl. Hermann Heller: Autoritärer Liberalismus [1933], in ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2, Tübingen 1992, S. 643–653. Heller und mehr noch die an ihn anschließenden Autoren haben dabei jedoch die jüngere Form des »Ordoliberalismus« vor Augen, die sich auf den Rückzug aus der Sozialpolitik, eine Entstaatlichung der Wirtschaft und diktatorische Verstaatlichung der politisch-geistigen Funktionen kaprizierte (ebd., S. 652 f.; vgl. Dieter Haselbach: Autoritärer Liberalismus und soziale Marktwirtschaft. Gesellschaft und Politik im Ordoliberalismus, Baden-Baden 1991, S. 54). Stahls Empfehlungen müssen dagegen vor der Folie frühliberaler Vorstellungen gelesen werden, die noch stark vom Wunschbild »einer klassenlosen Bürgergesellschaft ›mittlerer‹ Existenzen, einer, rückblickend formuliert, vorindustriellen, berufsständisch organisierten Mittelstandsgesellschaft auf patriarchalischer Grundlage« geprägt waren: Lothar Gall: Liberalismus und ›bürgerliche Gesellschaft‹. Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in ders. (Hrsg.): Liberalismus, Königstein 1980², S. 163–186, 176. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. X. Vgl. Hans Boldt: Deutsche Verfassungsgeschichte, 2 Bde., Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, München 1990, S. 200 f. Zur klassischen, zwischen Carl Schmitt und Ernst-Wolfgang Böckenförde einerseits, Ernst Rudolf Huber andererseits ausgetragenen Kontroverse über dieses Thema vgl. m. w. N. Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 57 ff.; dort auch zu Stahl, S. 70 ff. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. I, S. 185. Ebd., S. 86 ff. Ebd., Bd. II/2, S. 180.

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314 | Anmerkungen

127 Ebd., S. 154, 629, 675. 128 Ebd., S. 250, 155, 157. Vgl. auch S. 629. Konservative Autoren wie der unbekannte Rezensent der Philosophie des Rechts im Berliner politischen Wochenblatt haben dafür ein scharfes Auge gehabt. »Die unmittelbarste Folge solcher Principien muß unvermeidlich nothwendig, der scheußlichste Staatsabsolutismus seyn. Denn wie auch der Verfasser die ›drei Mächte‹, aus denen die Staatsgewalt besteht, gegen einander abwägen und sie in einander verschränken mag, sein ›Staat‹ im Ganzen ist und bleibt immer, ohne Zweifel wider seinen Willen und gegen seine Absicht, der alte hobbessche Leviathan, der nichts als ein neumodischeres Gewand und etwas höflichere Manieren hat.« Interessanterweise sieht derselbe Kritiker Stahl auch »dem allergewöhnlichsten und plattesten, nur etwas anders verbrämten, und mit einigen hochtrabenden Phrasen aufgestutzten Liberalismus« verfallen, auch dies übrigens ein geläufiger Topos der Hobbes-Kritik. Vgl. [o. V.]: Alter Irrthum in neuem Gewande, in: Berliner politisches Wochenblatt 5, 1837, Nr. 30, 29. 7.; Nr. 31, 5. 8. und 33, 19. 8. 129 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 155. 130 Vgl. ebd., S. 156; Bd. II/1, S. 278. 131 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 384. 132 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Recht, S. 191 ff. 133 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 358; Masur, Friedrich Julius Stahl, S. 206. 134 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 402. 135 Ebd., Bd. I, S. 407. 136 Ebd., Bd. II/2, S. 236; vgl. auch S. 2 ff., 141, 319, 478, 529 u. ö. Stahl wäre von hier aus gesehen durchaus ein Vertreter dessen, was mit Blick auf eine spätere Zeit als »ästhetischer Konservatismus« bezeichnet worden ist: vgl. Andres u. a. (Hrsg.), ›Nichts als die Schönheit‹. Ästhetischer Konservatismus um 1900. Zur Rolle des Erhabenen im ästhetischen Diskurs der Moderne, vgl. Carsten Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, Stuttgart und Weimar 1995. 137 Stahl, Das monarchische Princip, S. 31. Vgl. Kraus, Liberalismusdeutung und Liberalismuskritik bei Stahl und Gerlach, S. 59. Damit ist, wie hier nur am Rande bemerkt werden kann, nicht nur das ›parlamentarische Prinzip‹ ausgeschaltet, sondern auch der Gedanke einer Verfassungsgerichtsbarkeit. Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 670 ff. 138 Vgl. Friedrich Julius Stahl: Aufhebung der Fideikommisse [1849]; Fideikommisse und Familienstiftungen [1858], in ders.: Reden, S. 44 ff., 85 ff. 139 Und zwar in einem durchaus paritätischen Sinne: der protestantischen und der katholischen Kirche. Das unterschied Stahl von Gerlach, der den Nichtprotestanten im preußischen Staat nur Toleranz, nicht Parität gewähren wollte. Vgl. Alfred von Martin, Autorität und Freiheit in der Gedankenwelt Ludwig von Gerlachs, S. 169.

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Anmerkungen | 315 140 Friedrich Julius Stahl: Der christliche Staat und sein Verhältnis zu Deismus und Judentum. Eine durch die Verhandlungen des Vereinigten Landtags hervorgerufene Abhandlung, Berlin 1847, S. 20 f. Für Stahl folgte aus dieser Bestimmung die Notwendigkeit, die öffentlichen Ämter und legislativen Versammlungen von Nichtchristen freizuhalten (ebd., S. 31). Er begründete dies ausführlicher mit Blick auf Deisten und Juden, ließ aber nicht im Zweifel, daß die Nichtgewährung politischer Rechte im Prinzip auch für die Angehörigen aller anderen nichtchristlichen Religionen galt, die nur deswegen nicht erwähnt wurden, weil ihre Zahl damals in Preußen nicht ins Gewicht fiel. Eine spezifisch antijüdische oder gar antisemitische Spitze liegt in dieser Begründung nicht, in deutlichem Gegensatz etwa zu Heinrich Leo, der in Wolfgang Altgelds Untersuchung zu Recht unter der Überschrift »Nationalreligiöser Antijudaismus« abgehandelt wird. Vgl. Wolfgang Altgeld: Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus, Mainz 1992, S. 188, 190 f. 141 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 273. 142 Ebd., S. 430. 143 Vgl. ebd., S. 435. Auf S. 115 dagegen heißt es in kategorischem Ton, irgend ein politisches Recht solle dem Geburtsadel nicht zustehen. 144 Ebd., S. 438. Vgl. Stahl, Die Bildung der ersten Kammer [1849], S. 55 ff. 145 Vgl. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 442. 146 Vgl. ebd., Bd. II/1, S. 333. 147 Ebd., Bd. II/2, S. 452. 148 Vgl. ebd., Bd. II/1, S. 73, 83, 206, 225. 149 Vgl. ebd., S. 447; Bd. II/2, S. 52 f. 150 Stahl, Die Bildung der ersten Kammer [1849], S. 62 f. 151 Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 227 f. Mit Recht spricht Kondylis mit Bezug auf diese Bestimmung von einer »neuen Definition des Konservativismus vom Fortschrittsgedanken her«: Konservativismus, S. 410. Sie deckt sich im übrigen fast nahtlos mit der Ansicht des nationalliberalen Publizisten und späteren Reichstagsabgeordneten Ludwig August von Rochau (1810–1873), derzufolge es im damaligen preußischen Staatswesen nur noch Raum gebe »für einen Konservatismus, der seine Aufgabe darin sucht, das Tempo des Fortschritts zu mässigen, welcher der preussischen Politik hinfort vom Schicksal selbst aufgezwungen wird«: Ludwig August von Rochau: Grundsätze der Realpolitik: Angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands [1853], hrsg. u. eingel. von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt am Main 1972, S. 325 f. 152 Als »Chefideologe des preußischen Konservativismus« figuriert Stahl bei Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 167; als sein »Totengräber« bei Ernst Forsthoff, der in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts an einer größeren, nicht fertig gestellten Studie über Geschichte und Wesen des konservativen

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Denkens arbeitete. Vgl. dazu Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, Brief vom 18. 9. 1949, in: Ernst Forsthoff und Carl Schmitt. Briefwechsel 1926–1974, hrsg. von Dorothee Mußgnug u. a., Berlin 2007, S. 54: »Der preußische Konservativismus gab sich in dem Augenblick auf, in dem er die Legitimationsfrage ernst nahm. Deshalb ist er nur bis 1840 interessant und der viel gepriesene Stahl war seinTotengräber.« Über Forsthoffs Konservatismusprojekt vgl. Florian Meinel: Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011, S. 272 ff.

3. Einstürzende Neubauten: Hermann Wageners Revision des Konservatismus 1 2 3

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Stillich, Die Konservativen, S. 205. Vgl. ebd., S. 99, 192 u. ö. Dirk Blasius: Konservative Sozialpolitik und Sozialreform im 19. Jahrhundert, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Hrsg.: Konservatismus in Europa, Freiburg 1972, S. 469–488, 483. Vgl. auch Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 380; Klaus Hornung: Preußischer Konservatismus und Soziale Frage – Hermann Wagener (1815–1889), in: Kraus (Hrsg.), Konservative Politiker in Deutschland, S. 157–183. Eine Biographie fehlt. Vgl. einstweilen Hans-Christof Kraus: Hermann Wagener (1815–1889), in: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Berlin 2002², S. 537–586. Vgl. Hermann von Petersdorff: Hermann Wagener, in: Arnim und Below (Hrsg.), Deutscher Aufstieg, S. 169–179, 171, 169; Florian Tennstedt: Politikfähige Anstöße zu Sozialreform und Sozialstaat. Der Irvingianer Hermann Wagener und der Lutheraner Theodor Lohmann als Ratgeber und Gegenspieler Bismarcks, in: Jochen-Christoph Kaiser und Wilfried Loth (Hrsg.): Soziale Reform im Kaiserreich. Protestantismus, Katholizismus und Sozialpolitik, Stuttgart etc. 1997, S. 19–31, 22 ff. Hans Joachim Schoeps: Hermann Wagener. Ein konservativer Sozialist, in ders.: Das andere Preußen, S. 203–228, 206. Vgl. Mario Krammer: Theodor Fontanes Erinnerungen an Hermann Wagener, in: Deutsche Rundschau 192, 1922, S. 50–53, 51. Stillich, Die Konservativen, S. 223. Zu diesem Werk Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds. Die Artikel waren nicht namentlich gekennzeichnet, doch hat die neuere Forschung aufgrund von Hinweisen in verschiedenen Nachlässen ein Minimum von 65 Autoren identifizieren können: vgl. ebd., S. 30 ff. Für die ältere These, Wagener sei »Hauptmitarbeiter« gewesen und

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habe vermutlich den größten Teil der sozialpolitischen Artikel selbst verfaßt (Petersdorff, Hermann Wagener, S. 173), gibt es keinen Beleg. Neben dem Vorwort lassen sich nur die Artikel »ABC, politisches« und »Bonapartismus« zweifelsfrei zuordnen (Cnyrim, Aspekte, S. 41). Immerhin deckt sich der Artikel »Emancipation der Juden« nicht nur inhaltlich mit Wageners unten anzuführender Schrift von 1857, sondern nimmt auch explizit Bezug auf denselben. Zu diesem Blatt vgl. Hahn, Die Berliner Revue; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 294 ff. Zit. n. Börner, Die Krise der preussischen Monarchie, S. 143. Ebd., S. 107. [o. V.]: Die Macht der Doctrin, in: Berliner Revue 1, 1855, S. 728–738, 738. Verfasser dieses Aufsatzes wie auch des mittleren Abschnittes der Grundzüge war wohl Lavergne-Peguilhen. Vgl. Stender, Lavergne-Peguilhen, S. 283. Lavergne-Peguilhen (1801–1870) gehörte in den ersten drei Jahren der Berliner Revue zu ihren produktivsten Autoren, der sich vor allem für die Beschränkung der Verkäuflichkeit landwirtschaftlicher Grundstücke, kommunale landwirtschaftliche Kreditinstitute, die Einschränkung der Gewerbefreiheit, aber auch die Stärkung des ›Selfgovernment‹ einsetzte: vgl. Stender, LavergnePeguilhen, S. 286 f. Aus Enttäuschung über die Steuerpolitik der Regierung Manteuffel stellte er sich jedoch 1858 nicht mehr zur Wahl und beendete seine Mitarbeit an der Berliner Revue (ebd., S. 300, 313). Aufgrund von finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Verwaltungsführung verlor er 1861 sein Landratsamt und damit auch die Möglichkeit zur aktiven politischen Betätigung (ebd., S. 264 ff.). 1870 trat er noch einmal als Verfasser einer ›conservativen Sociallehre‹ hervor, die freilich nicht über den Widerspruch hinauskam, einerseits »die Lösung der Arbeiterfrage dem freien Walten der Gesetze des wirthschaftlichen und des socialen Lebens anheimzugeben, nicht direct in dieselbe einzugreifen«, andererseits aber eine neue Weise der Gütererzeugung zu verlangen, »bei welcher auch die nichtbesitzenden Klassen den vollen Ertrag ihrer Arbeit genießen und aus dem Nichtbesitz zum Besitz gelangen können, so daß durch die allmälige Verwischung des Gegensatzes zwischen Bourgeoisie und viertem Stande wieder ein neuer Mittelstand entstände«: Moritz v. Lavergne-Perguilhen: Die conservative Sociallehre. Mittelst Erörterungen von Tagesfragen erläutert. Zwei Hefte, Heft 2: Die organische Staatslehre, Berlin 1870, S. 133, 130. [o. V.]: Grundzüge der conservativen Politik, S. 4 sowie den dritten Teil S. 26 ff. Dieser Teil geht vermutlich auf v. Hertefeld zurück. Vgl. Stender, LavergnePeguilhen, S. 283; Wagener, Erlebtes I, S. 61. Ähnliche Gedanken begegnen zeitgleich in Wageners Interventionen im preußischen Abgeordnetenhaus: vgl. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 1, S. 283, 398; Bd. 2, S. 530; Bd. 3, S. 1115. Das lag natürlich ganz auf der Linie von Stahl, der auf allgemeiner Ebene den Konstitutionalismus verwarf, im Detail aber deutlich machte, daß damit nur dessen liberale und demokratische Variante gemeint war, nicht hingegen die monarchische.

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Zum Begriff des monarchischen Konstitutionalismus und seinen verschiedenen Varianten vgl. Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45, 66 ff. [o. V.]: Grundzüge der conservativen Politik, S. 12, 14. Ebd., S. 17 f. Die zuletzt zitierte Passage stammt aus dem von Lavergne formulierten Teil. Vor dem Abgeordnetenhaus forderte jedoch auch Wagener am 31. 1. 1856, »die Fabrikbesitzer mit denselben Rechten und Pflichten auszustatten, wie früher die Feudalbesitzer hatten«, was in concreto etwa hieß: ihnen die Patrimonialgerichtsbarkeit und Polizeigewalt über die Lehrlinge einzuräumen. Vgl. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 1, S. 248. Vgl. H[ermann] Wagener: Was wir wollen, S. 6. Gleich im Anschluß daran hieß es: »Der durch die künstliche Zusammensetzung des Preußischen Staates geforderte monarchische Charakter der Königlichen Gewalt muß durch den militärischen Charakter des Staates noch gesteigert werden« (S. 7). Es blieb Wageners Geheimnis, wie dies mit der gleichzeitig erhobenen Forderung nach Ausweitung der »Selbstregierung« zu vereinbaren war, verlangte Wagener doch nicht weniger als »Landsraths-Amt, Kreistage und ständische Gerichtsbarkeit auch in den höheren Instanzen in entsprechender Form herzustellen« (S. 12). Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 332, 339. Wagener war Mitglied des Vorstandes und des Verwaltungsausschusses. Darüber hinaus fungierte er als Geschäftsführer: vgl. ebd., S. 334 f. Vgl. ausführlicher Hugo Müller: Der Preußische Volks-Verein, Berlin 1914. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 63. Fritz Eberhardt, zit. nach Petersdorff, Hermann Wagener, S. 179. Die entsprechenden Denkschriften aus dem Zeitraum von 1872 bis 1875 sind in gekürzter Form zugänglich in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik, B. I.1, S. 276–281, 296–301, 457–459, 465–470. Sie sind zu ergänzen durch: Zwei Denkschriften des Geheimen Oberregierungsraths H. Wagener, in: Bismarck-Jahrbuch 6, Leipzig 1899, S. 209–226. Weitere Promemorien der 60er Jahre enthält der Anhang zu Saile, Hermann Wagener, S. 133 ff. Vgl. Kraus, Hermann Wagener, S. 577. Schoeps, Hermann Wagener, S. 221. Ebd., S. 203. [Hermann Wagener]: Einleitung, in: StGL, Bd. 1, Berlin 1859 S. 14. Vgl. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 689. Vgl. ebd., Bd. 1, S. 258; Bd. 2, S. 465, 549. Ähnlich sahen dies etwa Heinrich Leo und Joseph Maria von Radowitz: vgl. ebd., S. 602. Hermann Wagener, Denkschrift vom 18. 4. 1863, in: Saile, Hermann Wagener, S. 138–144, 139. Vgl. in diesem Sinn auch Wageners Rede im Preußischen Abgeordnetenhaus vom 26. 11. 1863, in der die königliche Diktatur damit begründet wird, »daß, wenn das Abgeordnetenhaus seine verfassungsmäßigen Rechte

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in die Extreme ausbildet und ausbeutet, diesem durch nichts Anderes begegnet werden kann, als daß die Krone in gleicher Weise die eigenen Rechte soweit ausübt und handhabt, als wie es die äußersten Grenzen der Verfassung irgend gestatten« (Sten.Ber.Abg. 1863, Bd. 1, S. 161). Wagener wie auch Bismarck nahmen damit übrigens nur eine Deutung der Verfassungslage auf, die sich bereits bei Stahl findet. Die ganze Einrichtung des Heeres, heißt es in der Philosophie des Rechts, »der thatsächliche Gebrauch, den jedesmal die Regierung von der feststehenden Unterthanenpflicht macht, gehört, als Ausfluß der Regierungsund nicht der Gesetzgebungsgewalt, bloß dem Souverän an« (Bd. II/2, S. 572). Vgl. Schmitt, Die Diktatur. Wagener, Denkschrift vom 18. 4. 1863, S. 141, 140, 142, 138; Rede vom 22. 2. 1866, Sten.Ber.Abg. Bd. 1, 1866, S. 274. Wagener war zu dieser Zeit mitnichten der einzige, der sich mit solchen Absichten trug. Pläne für eine Verhängung des Ausnahmezustands und womöglich zur Errichtung einer zeitweiligen Militärdiktatur wurden auch vom Generaladjutanten des Königs und Chefs des Militärkabinetts, Edwin von Manteuffel, vorbereitet: vgl. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 770; ders.: Militärreform oder Verfassungswandel? Kronprinz Friedrich von Preußen und die ›deutschen Whigs‹ in der Krise von 1862/63, in: Heinz Reif (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 207–232, 219. Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde., Nachdruck Hildesheim 1959, Bd. 3, S. 41 (im Original hervorgehoben). Auf diese Lehre beruft sich Wagener bereits in den Grundzügen der conservativen Politik, S. 12. Einen instruktiven Überblick über die Formulierung, Rezeption und Umsetzung dieses Konzepts gibt Frank Lothar Kroll: Die Idee eines sozialen Königtums im 19. Jahrhundert, in ders. und Dieter J. Weiß (Hrsg.): Institution oder Legitimation? Monarchy and the Art of Representation. Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich, Berlin 2015, S. 111–140. Bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus hatten die Liberalen die Zahl ihrer Sitze von 36 auf etwa 150 steigern können, während die Konservativen statt 181 Abgeordneten nur noch 47 stellten. Bei den folgenden Wahlen, mitten im Verfassungskonflikt, sank die Zahl ihrer Sitze auf zwölf: vgl. Schildt, Konservatismus in Deutschland, S. 84; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 51 f. Vgl. auch Börner, Die Krise der preussischen Monarchie. Hermann Wagener, Denkschrift vom 1. 3. 1864, zit. n. Schoeps, Hermann Wagener, S. 208. Vgl. Hermann Wagener: Promemoria vom 18. 10. 1862, in: Saile, Hermann Wagener, S. 135–137, 137. Interventionen zugunsten einer korporativen Gliederung, ja einer zeitgemäßen Erneuerung der Zünfte und Innungen gehören zum Standardrepertoir von Wageners parlamentarischen Auftritten seit Mitte

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der 50er Jahre: vgl. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 718, 723; 1861, Bd. 2, S. 1064, 1067, 1108; Sten.Ber.Norddt.RT 1869, Bd. 1, S. 487 f. Hermann Wagener: Denkschrift vom 18. 4. 1863, ebd., S. 138–144, 143. Erste Vorschläge zur Reformierung des als plutokratisch eingestuften Dreiklassenwahlrechts finden sich schon im Mai 1861 in Redebeiträgen Wageners. Vgl. Sten.Ber.Abg. 1861, Bd. 2, S. 1024 f., 1048, 1063. Insofern zu korrigieren: Ritter, Die preußischen Konservativen, S. 143. Hermann Wagener, Rede vom 12. 9. 1866, in: Sten.Ber.Abg. 1866, Bd. 1, S. 333. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 646 ff. Hermann Wagener, Rede vom 18. 3. 1869, in: Sten.Ber.Norddt.RT 1869, Bd. 1, S. 137. Zu dieser Denkfigur lassen sich auch beim jungen Marx Parallelen finden. Vgl. die Denkschrift vom 10. 6. 1869, in: Saile, Hermann Wagener, S. 144–149, 147. Symptomatisch etwa die Ode »An Dr. Eugen Dühring«, die der Vorwärts am 6. 7. 1877 abdruckte (Nr. 78). Vgl. auch Dieter Dowe und Klaus Tenfelde: Zur Rezeption Eugen Dührings in der deutschen Arbeiterbewegung in den 1870er Jahren, in: Hans Pelger u. a. (Hrsg.): Wissenschaftlicher Sozialismus und Arbeiterbewegung. Begriffsgeschichte und Dühring-Rezeption, Trier 1980, S. 25–58. Gerhard Albrecht: Eugen Dühring. Ein Beitrag zur Geschichte der Sozialwissenschaften, Jena 1927, S. 112. Ebd., S. 129. Vgl. Eugen Dühring: Die Schicksale meiner Denkschrift für das Preussische Staatsministerium, Berlin 1868. Nur am Rande sei vermerkt, daß Dühring auf das Plagiat erst durch Rodbertus aufmerksam gemacht wurde, der ihn 1867 bei einem Besuch auf die erstaunlichen Übereinstimmungen des Textes mit seinen, Dührings Positionen hinwies. Vgl. Gay, The Blind Prometheus, S. 41, 155 ff. [o. V.]: Denkschrift über die wirthschaftlichen Associationen und socialen Coalitionen, Berlin o. J., S. 42 ff., 45. Dühring, Die Schicksale meiner Denkschrift, S. 56. Ebd., S. 51. Hermann Wagener, Rede vom 18. 3. 1869, in: Sten.Ber.Norddt.RT 1869, Bd. 1, S. 139; vgl. auch Wageners Rede vom 23. 4. 1869, ebd., S. 530. Wagener hat dieses Konzept zwar bald darauf wieder aufgegeben, doch sollte es in der Folgezeit unter dem Titel »Korporatismus« noch Karriere machen, etwa in Frankreich bei Durkheim oder Duguit. Vgl. Émile Durkheim: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Vorwort zur zweiten Auflage [1902], Frankfurt am Main 1988, S. 67; Alain Supiot: Aktualität Durkheims. Notizen zum Neokorporatismus in Frankreich, in: Trivium [Online], 21, 2016 http://journals.openedition.org/trivium/5251 [Stand: 02. 09. 2020];

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Steven L. Kaplan und Philippe Minard: Der Korporatismus, Ideen und Praktiken: Die Streitpunkte einer Dauerdebatte, in: ebd., http://journals.openedition. org/trivium/5306 [Stand: 02. 09. 2020]; Cécile Laborde: Pluralism, Syndicalism and Corporatism: Léon Duiguit and the Crisis of the State, in: History of European Ideas 22, 1996, S. 227–244. Vgl. Gay, The Blind Prometheus, S. 203 Vgl. Hermann Wagener, Rede vom 14. 3. 1865, in: Sten.Ber.Abg. 1865, Bd. 1, S. 492. Hermann Wagener, Rede vom 22. 4. 1868, in: Sten.Ber.Norddt.RT 1868, Bd. 1, S. 145. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 789. Vgl. Kirsch, Monarch und Parlament, S. 47. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat, in ders.: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 146–184, 147, 162; Kraus, Hermann Wagener, S. 537. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft, S. 469 ff.; Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 492. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 488 f. Ebd., S. 538 f. Daß diese Tendenz auch mit dem »Erwachen moderner Klassenprobleme« zusammenhängt, hat Max Weber in seiner Rechtssoziologie gezeigt: vgl. Wirtschaft und Gesellschaft. Recht, S. 624. Vgl. zum folgenden: Avraham, In der Krise der Moderne, S. 118 ff., 123 ff.; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 171 ff. Avraham, In der Krise der Moderne, S. 126. Hermann Wagener, Rede vom 5. 3. 1856, in: Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 609 f. [o. V.]: Grundzüge der conservativen Politik, S. 18, 15 (Verfasser dieses Abschnitts: Lavergne-Peguilhen). Ebd., S. 19, 24; Wagener 1859, zit. n. Saile, Hermann Wagener, S. 50. Neue Preußische Zeitung Nr. 38, 1852. Zit. n. Saile, Hermann Wagener, S. 41 f. Die hier angedeutete Mischung von geburts- und berufsständischen Organisationsprinzipien liegt auch dem entsprechenden Artikel im Staats- und Gesellschafts-Lexikon zugrunde. Danach sollte der Adel als »einziger noch bestehender Geburtsstand« seine »Stelle an der Spitze der übrigen Stände« behaupten, welche sich in materielle und geistige Berufsstände gliederten. Zu den ersteren sollten der Bauernstand, der Gewerbe- und der Handelsstand gehören, zu den letzteren verschiedene Berufsgruppen wie Theologen, Ärzte, Juristen etc. Von einem wie immer gearteten »Mitregierungsrechte der Stände« wollte der Artikel nichts wissen. Vgl. Art. Stände, ständisches Repräsentativsystem, in: StGL, Bd. 19, Berlin 1865, S. 669–675. Vgl. auch Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 210 f. Vgl. Wagener, Promemoria vom 18. 10. 1862, in: Saile, Hermann Wagener, S. 135; [Denkschrift] 18. 4. 1863, ebd., S. 141.

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Das Programm des Preußischen Volksvereins, 1861, in: Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 45. Vgl. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 71. Vgl. ebd., S. 73, 114. Ernst Ludwig von Gerlach: Der Landtag von 1865, zit. n. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 789. [Denkschrift] 18. 4. 1863, in: Saile, Hermann Wagener, S. 142. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Gemeinschaften, S. 259, 253. Vgl. ebd., S. 254, 257. [Bericht Wageners vom 10. 6. 1869], in: Saile, Hermann Wagener, S. 147. Ebd., S. 147. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 659 f. Die Debatte in der ›Kreuzzeitung‹ hat Kraus ausführlich dargestellt. Vgl. ebd., S. 788 ff. Vgl. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 622. Vgl. Avraham, In der Krise der Moderne, S. 334 ff. Ausführlicher dazu Christian Hillgruber: Staat und Religion. Überlegungen zur Säkularität, zur Neutralität und zum religiös-weltanschaulichen Fundament des modernen Staates, Paderborn etc. 2007, S. 32 ff.; Rochus Leonhardt: Religion und Politik im Christentum. Vergangenheit und Gegenwart eines spannungsreichen Verhältnisses, Baden-Baden 2017, S. 274 f.; Horst Dreier: Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018², S. 86 ff. Hermann Wagener, Rede vom 10. 4. 1856, in: Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 3, S. 977 f. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 4, Anlagen I, S. 178. Vgl. dazu, unter Bezugnahme auf das Berliner Politische Wochenblatt, Heinrich Leo, Radowitz u. a. die Arbeit von Margarete Dierks: Die preußischen Altkonservativen und die Judenfrage 1810/1847, Phil. Diss. Rostock 1939. Im beigefügten Lebenslauf bekennt sich die Verfasserin zur antisemitisch ausgerichteten »Deutschen Gotterkenntnis (Ludendorff)« und gibt dieser Disposition auch in ihrer Arbeit breiten Raum. Graf Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt von Schwerin (1804–1872) war in der Märzrevolution für einige Monate Kultusminister im Kabinett Camphausen und Hansemann und stellte damals sämtliche Vertreter der ›orthodoxen Richtung‹ im Magdeburger Konsistorium zur Disposition, unter ihnen auch Hermann Waegner, der überdies der gleichen Regierung, wenn auch in diesem Fall dem Justizminister, seine Entlassung aus dem Staatsdienst zu verdanken hatte: vgl. Wagener, Erlebtes, Bd. I, S. 4; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 174. In der Neuen Ära war Graf Schwerin von 1859 bis 1862 Innenminister. Wageners Rache bestand in einem Eintrag in das Staats- und Gesellschafts-Lexikon, der die Politik des Grafen als »Terrorismus des guten Herzens« disqualifizierte. Vgl. StGL Bd. 18, 1865, S. 675–679, 679.

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Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 629. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 175 ff. [o. V.]: Das Judenthum und der Staat. Eine historisch-politische Skizze zur Orientierung über die Judenfrage. Herausgegeben und mit einem Vorworte versehen von Hermann Wagener, Berlin 1857, S. 65. Vgl. Leopold von Gerlach an seinen Bruder Ludwig, Brief vom 30. 3. 1859, in: [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, S. 999. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 186. Leopold v. Gerlach war übrigens von 1853 bis 1861 Präsident der Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden in Berlin: vgl. Heinrichs, Das Judenbild im Protestantismus des Deutschen Kaiserreichs, S. 485. Hermann Wagener, Rede vom 12. 1. 1867, in: Sten.Ber.Abg. 1866/67, Bd. 3, S. 1456. Noch nach der Reichsgründung erklärte Wagener, seine Fraktion werde sich nie dazu verstehen, »den ›modernen‹ Staat herzustellen, sondern wir werden festhalten an dem christlichen Staat, wie er uns von der Geschichte überliefert wird«: Rede vom 24. 5. 1871, in: Stenographische Berichte der Verhandlungen des Deutschen Reichstages 1871, Bd. 2, S. 908. Vgl. Julius H. Schoeps: Christlicher Staat und jüdische Gleichberechtigung, in: Eike Hennig und Richard Saage (Hrsg.): Konservatismus – eine Gefahr für die Freiheit, München und Zürich 1983, S. 38–54; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 179, 182, 262 ff. Art. Judenthum, das, in der Fremde, in: StGL, Bd. 10, S. 663, 644, 622, 666, 655. Zur Verfasserschaft Bauers vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 275 ff. Zu Bauers Antisemitismus vgl. Julia Schulze-Wessel: Vom gemässigten zum radikalen Antisemiten. Bruno Bauer und die ›Judenfrage‹, in: Kodalle und Reitz (Hrsg.), Bruno Bauer, S. 263–276. Das hat Albrecht in einer dichten Lektüre nachgewiesen: vgl. Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 294 ff. Ob Wagener auch an einem weiteren radikalantisemitischen Werk aus dem Jahr 1861 beteiligt war, das denselben Titel wie die weiter o. g. Schrift trug (Das Judentum und der Staat), ist unklar. Vermutungen in diese Richtung, die auf eine Behauptung Theodor Fritschs zurückgehen, steht das spätere outing des Verfassers, H. Naudh (d. i. Johannes Nordmann) entgegen. Vgl. das in Fritschs eigenem Blatt abgedruckte Statement Naudhs, das Fritsch offenbar vergessen hatte: Antisemitische Correspondenz Nr. 54 vom 7. 7. 1889, S. 14. Vgl. Barnikol, Bruno Bauer, S. 351; Eberlein, Bruno Bauer, S. 189. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 409 ff., 496 ff. Zu Hermann Goedsche (1815–1878) vgl. Neuhaus, Sensationsroman, S. 180 ff. Die Vorlage für die Protokolle ist die Szene auf dem Judenkirchhof in Prag im Roman Biarritz (ab 1868): vgl. Jeffrey L. Sammons (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion: die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung. Text und Kommentar, Göttingen 1998, S. 8 ff.; Eva Horn und Michael

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Hagemeister: Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung. Zu Text und Kontext der »Protokolle der Weisen von Zion«, Göttingen 2012. So zu Recht: Avraham, In der Krise der Moderne, S. 384. [o. V.]: Art. Emancipation der Juden, in: StGL, Bd. 7, 1861, S. 7–16, 12. Die idealistische Begrifflichkeit findet sich übrigens, wenngleich mit stärkerer Relativierung des Kriteriums der Abstammung, auch bei jüdischen Autoren. Vgl. das Nachwort des Herausgebers zu Moritz Lazarus: Grundzüge der Völkerpsychologie und Kulturwissenschaft, hrsg. von Klaus Christian Köhnke, Hamburg 2003, S. XXXV. [o. V.]: Art. Emancipation der Juden, S. 11, 8. Von hier aus war Wagener immerhin fähig, dem orthodoxen Judentum als dem »Adelsvolk der Erde« höchsten Respekt zu bekunden und ihm die Zusammenarbeit im Kampf gegen den atheistischen Sozialismus anzutragen: vgl. Hermann Wagener, Rede vom 10. 4. 1856, in: Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 3, S. 978; [Hermann Wagener], Die Lösung der sozialen Frage, S. 139, 115. Vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde., Frankfurt am Main 1997, Bd. 2, S. 675. Jean-Paul Sartre: Betrachtungen zur Judenfrage, in ders.: Drei Essays, Frankfurt am Main etc. 1971, S. 113. Das Judentum und der Staat, S. 63. Ebd., S. 64. Ebd. Ebd. Vgl. Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, S. 119 f. Vgl. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1979, S. 79 ff. Reinhard Rürup: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur ›Judenfrage‹ der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1987, S. 114. Die beiden eingangs vorgestellten »Klassiker« der Konservatismusforschung haben diesem Aspekt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bei dem Wissenssoziologen war dies noch erklärlich, befaßte er sich doch mit einem Zeitraum, in dem man sich damit begnügte, den Anspruch der Juden auf Emanzipation schroff zurückzuweisen, etwa in der Art, wie man einem Bettler die Haustür vor der Nase zuschlägt. Selbst in der ›Kreuzzeitung‹, die 1875 ihre Spalten für die antisemitischen Ära-Artikel Franz Perrots öffnete, waren in den ersten Jahrgängen antijüdische Ausfälle nur ein »Nebenton in der Berichterstattung« (Bussiek, Kreuzzeitung, S. 393). Über Wagener läßt sich jedoch nicht handeln, ohne den Antisemitismus zu thematisieren, um von den weiteren in diesem Buch dargestellten Autoren zu schweigen. Daß Kondylis dies alles ausblendet, ist ein ernster Einwand. Vgl. Ritter, Die preußischen Konservativen, S. 368. Beim Streit um den hannöverschen Provinzialfond 1868, bei dem sich erstmals ein signifikanter Teil der

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Konservativen gegen Bismarck stellte, soll Wagener zeitweilig aus der konservativen Landtagsfraktion ausgetreten sein: vgl. ebd., S. 293. Vgl. in diesem Sinne Heinz Reif: Bismarck und die Konservativen, in ders.: Adel, Aristokratie, Elite, S. 125, 148, 134. Zu nennen sind hier vor allem die Denkschriften vom 10. 6. 1869 (vgl. Saile, Hermann Wagener, S. 144 ff.), vom 29. 1. 1872 und 18. 1. 1874 (vgl. BismarckJahrbuch 6, 1899, S. 209–226) sowie vom 24. 4. 1872, 31. 7. 1873 und 1. 11. 1875 (vgl. Quellensammlung, Bd. I.1, S. 296 ff., 457 ff., 465 ff.) Denkschrift vom 10. 6. 1869, S. 146 f. Vgl. [Hermann Wagener], Die Zukunfts-Partei, S. 23. Ebd., S. 22. Carl von Stumm-Halberg an Heinrich von Achenbach, Brief vom 11. 11. 1872. Zit. n. Kraus, Hermann Wagener, S. 570. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 352 ff., 876 ff.; Robert M. Berdahl: Conservative Politics and Aristocratic Landholders in Bismarckian Germany, in: The Journal of Modern History 44, 1972, S. 1–20, 6 ff. Vgl. die Fußnote Meyers zum Brief von Rodbertus an ihn vom Februar 1872, in: RGWB Bd. 6, S. 332. Vgl. Entwurf von Hermann Wagener zu einem sozial-konservativen Programm, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 352–354. Ausführlicher dazu weiter unten, S. 86, 274. Vgl. Programm der »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags« [14. 5.] 1872, in: Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 62–64. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 24. 5. 1872, in: RGWB Bd. 6, S. 375. Auch in: [o. V.]: Aus den Aufzeichnungen eines alten preußischen Staatsmannes, in: Deutsche Revue 13.2, 1888, S. 318–328, 325. Verfasser dieser Aufzeichnungen ist laut Petersdorff, Hermann Wagener, S. 178, kein anderer als – Hermann Wagener. Vgl. Kurt G. A. Jeserich: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, Stuttgart 1984, S. 692 ff.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 352 ff.; Ruetz, Der preussische Konservatismus, S. 168 ff. Vgl. Berdahl, Conservative Politics, S. 6 f.; Bussiek, Kreuzzeitung, S. 220 f. Vgl. H. Wagener’s Memorandum von 1873 an R. Meyer, in: Meyer, Hundert Jahre conservativer Politik, S. 237–240, 239; Hahn, Die Berliner Revue, S. 242. So berichtet es Wagener selbst im Rückblick. Vgl. ebd. sowie Petersdorff, Hermann Wagener, S. 176. Zu den Vorgängen vgl. Anna Rothfuss: Korruption im Kaiserreich. Debatten und Skandale zwischen 1871 und 1914, Göttingen 2019, S. 60 ff. Vgl. Wagener, Erlebtes (II), S. 56 ff. Wageners Empörung erklärt sich daraus, daß die ›Kreuzzeitung‹ unmittelbar nach Laskers Attacke statuierte, er sei nicht mehr Mitglied der konservativen Partei und der konservativen Reichstagsfrak-

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tion. Vgl. [o. V.]: Ein national-liberales Manöver, in: Neue Preußische Zeitung vom 15. 2. 1873. H. Wagener’s Memorandum von 1873 an R. Meyer, S. 239. Wageners Promemoria an Fürst Bismarck von 1873, ebd., S. 249–256, 251. Dieser auf »Juli 1873« datierte Text ist, allerdings gekürzt um die Ausführungen über Landarbeiter und innere Kolonisation, auch zugänglich in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik, Bd. I.1, S. 457 ff. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 184. Wageners Promemoria an Fürst Bismarck von 1873, S. 254. Hermann Wageners Promemoria (wahrscheinlich an den Fürsten Bismarck) über innere Colonisation, in: Meyer, Hundert Jahre conservativer Politik, S. 240–243, 241. Der Text ist nicht datiert, bezieht sich aber auf eine Konferenz im Mai 1872. Denkschrift vom 17. 1. 1874, in: Zwei Denkschriften, Bismarck-Jahrbuch, S. 221. Karl Rodbertus: Denkschrift zur Begründung eines allgemeinen Blattes für die Interessen der deutschen Landwirtschaft und des deutschen Grundbesitzes, in: RGWB Bd. 4, S. 615–623, 617. Wagener, Denkschrift vom 17. 1. 1874, S. 226. Vgl. [Hermann Wagener], Die Zukunfts-Partei, S. 37. Vorschläge dieser Art waren übrigens in Frankreich spätestens seit Simonde de Sismondis Nouveaux principies d’économie politique (1819) präsent: vgl. Ludwig Elster: J. Ch. L. Simonde de Sismondi, in: Jbb. für Nationalökonomie und Statistik N. F. 14, 1887, S. 321–382, 353 u. ö. Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 144. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 913. Als eigentlicher Inspirator dieser Gesetzgebung hat denn auch weniger Wagener zu gelten als Theodor Lohmann, ein bis 1866 im hannoverschen Kirchen- und Staatsdienst tätiger Beamter. Vgl. Tennstedt, Politikfähige Anstöße zu Sozialreform und Sozialstaat, S. 26 ff. Wagener, Erlebtes (II), S. 66. Ebd., S. 82. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 522 ff. Vgl. [o. V.]: Kritik der »Quintessenz des Sozialismus« von Schäffle. Von einem praktischen Staatsmann, Bielefeld und Leipzig, 1878, S. 32 ff. Wagener bezieht sich darin auf: Die Quintessenz des Socialismus. Von einem Volkswirth [d. i. Albert Schäffle], Gotha 1875. Zu Schäffle vgl. weiter unten, S. 349, Anm. 126. [o. V.]: Die Lösung der sozialen Frage vom Standpunkte der Wirklichkeit und Praxis. Von einem praktischen Staatsmanne, Bielefeld und Leipzig 1878, S. 52. Ebd., S. 154, 112. In diese Kritik schloß Wagener ausdrücklich die gerade erst gegründete Christlich-soziale Arbeiter-Partei Stoeckers ein, deren Programm ihm »als ein, hier und da mißverstandener und mißverständlicher, Extrakt aus Forderungen und Vorschlägen« erschien, »welche von anderer Seite bereits vor

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Anmerkungen | 327 nahezu fünf Jahren gemacht und damals fast spöttisch aufgenommen worden sind« (ebd., S. 154; vgl. S. 143). Zu dieser Partei vgl. weiter unten. 137 Ebd., S. 146. 138 Vgl. [o. V.]: Ein Mitarbeiter Bismarcks, in: Deutsche Revue 15.1, 1890, S. 173– 183.

4. Irrungen, Wirrungen: Rudolf Meyers Weg von der Berliner Revue zur Neuen Zeit 1 2 3

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Vgl. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 809, 812. [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, S. 483 (Eintrag vom 28. 8. 1866). Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 836. Leo selbst hatte dazu freilich das Seine beigetragen, denn was er einige Jahre zuvor zur Beantwortung der Frage »Was ist conservativ?« zu sagen hatte, war derart ausgedünnt, daß es aus der Feder Friedrichs II. oder besser noch Friedrich Wilhelms I. hätte stammen können: persönliche Monarchie, Armee, Beamtentum und die preußischen Kerntugenden Zucht und Ordnung. Vgl. Heinrich Leo: Was ist conservativ [1864], in ders.: Nominalistische Gedankenspäne, Reden und Aufsätze, Halle 1864, S. 43–61, 57 ff. Neue Preussische Zeitung vom 8. 3. 1870. Zit. n. Ruetz, Der preussische Konservatismus, S. 102. Volksblatt für Stadt und Land vom 9. 10. 1869, S. 1281. Zit. n. ebd. Vgl. Meyer, Zwei Briefe von Dr. Rodbertus, in: Die Neue Zeit 13.1, 1894–95, Nr. 8, S. 244–250, 245. Als »der letzte Sozialkonservative« erscheint er auch in einem der wenigen Texte, die ihm die Nachwelt gewidmet hat: Hans-Joachim Schoeps: Rudolf Meyer und der Ausgang der Sozialkonservativen. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus, in ders.: Studien zur unbekannten Religions- und Geistesgeschichte, Göttingen etc. 1963, S. 335–344, 338. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 480. Auf Rodbertus und Adolph Wagner wird ausführlicher im nächsten Kapitel eingegangen. Von einer »socialconservativen Partei« ist im Februar 1872 im Briefwechsel zwischen Rodbertus und Meyer die Rede (RGWB Bd. 6, S. 332). Ein Jahr später heißt es im Vorwort zu Meyers Pamphlet »Die ländliche Arbeiterfrage in Deutschland«: »wir, die ›Social-Conservativen‹«. Vgl. außerdem Rudolf Meyer: Gegen die Vorlage über den Contraktbruch. Social-politische Flugblätter Nr. 2, 1874, S. 6; Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 269; Die drohende Entwickelung des Socialismus in Deutschland, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 72, 1873, S. 347–368, 368. So jedenfalls die Auskunft von Paul Ernst, der einige Zeit mit Meyer zusammengearbeitet hat: Ein konservativer Sozialpolitiker, in: Die Zukunft 26.1,

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1899, S. 216–221, 217. Die Schreibweise des Vornamens schwankt zwischen »Rudolf« und »Rudolph«, auch beim Inhaber selbst. Im folgenden wird aus Gründen der Einheitlichkeit der ersten Variante der Vorzug gegeben. Vgl. den Nachruf in: Das Vaterland 40, 1899, Nr. 17, 17. 1. Vgl. Lothar Machtan: Meyer, Rudolf, in: NDB, Bd. 17, Berlin 1994, S. 371–372; Rudolf Meyer: Der Socialismus in Dänemark, Berlin 1875. Vgl. Hahn, Die Berliner Revue. Die Bände 1–25 (1855–1861) und 42–50 (1865–1867) sind als Digitalisate im Internet verfügbar. Die Bde. 67 (1871) bis 75 (1873) erschienen unter dem Obertitel »Auf Wacht an der Mosel«. Für großzügige Unterstützung meiner Recherchen danke ich Frau Sigrid Droßel von der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin. Zur Steuerreform von 1861 vgl. Ruetz, Der preussische Konservatismus, S. 156 ff.; zu Verschuldung und Abwanderung vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1993³, S. 199 ff. Der Text dieses Programms ist abgedruckt in der Berliner Revue 64, 1871, S. 186. Vgl. [o. V.]: Entstehung und Debüt der Grundbesitzerpartei, in: Berliner Revue 64, 1871, S. 172–186, 245–252, 246. Vgl. ebd., S. 247 ff. Der umfangreiche Briefwechsel ist abgedruckt in: RGWB Bd. 6, S. 169–651. Auf das komplexe Werk des Nationalökonomen Karl Rodbertus (1805–1875) kann an dieser Stelle nur punktuell Bezug genommen werden. Ausführlichere Erörterungen finden sich im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit Adolph Wagner sowie im Exkurs II »Konservativer Sozialismus?«. Einen knappen Überblick zu Leben und Werk bietet Frank Fehlberg: Sozialdemokratie von oben? Erinnerung an den Ökonomen Karl Rodbertus (1805–1875), in: AEON – Forum für junge Geschichtswissenschaft 4, 2013, S. 1–19 (https://d-nb.info/1043763600/34). [o. V.]: Interessen-Vertretung – ständische Vertretung, in: Berliner Revue 64, 1871, S. 111–121, 120; Entstehung und Debüt der Grundbesitzerpartei, S. 178. Zum Konzept einer »Grundbesitzerpartei« vgl. s. v. »Agrarpartei«, in: Thiel’s Landwirthschaftliches Konversations-Lexikon, hrsg. von Karl Birnbaum und E. Werner, Bd. 1, Straßburg 1877, S. 264–266. Erklärung des Redacteurs der Berliner Revue und des politischen Theils der Deutschen Landes-Zeitung über seine Stellung zu dieser Zeitung, in: Berliner Revue 66, 1871, S. 145–151, 146. [o. V.]: Vom Liberalismus zum Socialismus, in: Berliner Revue, 66, 1871, S. 369–378, 377. [o. V.], Entstehung und Debüt der Grundbesitzerpartei, S. 178. Fehlberg, Arbeitswert und Nachfrage, S. 136. Näher zum Rentenprinzip aus der Sicht der nachklassischen mathematischen Ökonomie Ladislaus v. Bortkiewicz: Die Rodbertus’sche Grundrententheorie und die Marx’sche Lehre

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von der absoluten Grundrente, in: Archiv für die Geschichte des Socialismus und der Arbeiterbewegung 1, 1911, S. 1–40; aus marxistischer Perspektive Rudolph, Karl Rodbertus, S. 86 ff. – Meyer wollte allerdings, über Rodbertus hinausgehend, das Rentenprinzip mit der Möglichkeit der Zwangsamortisation verbinden, wozu sich auch Rodbertus schließlich bereitfand. Vgl. [o. V.]: Die Centralisationsbestrebungen der Landschaften in ihrem gegenwärtigen Stadium (V), in: Berliner Revue 65, 1871, S. 111–119, 112 (unter eigenem Namen auch in: RB, S. 502–507) sowie Meyers Vorrede in Rodbertus, Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen Creditnoth, S. X ff. [o. V.]: Vom Liberalismus zum Socialismus, S. 377. Rodbertus, Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen Creditnoth, S. 186. [o. V.]: Der Interessen-Zusammenhang zwischen Grundbesitzern und Arbeitern, in: Berliner Revue 66, 1871, S. 339–342; 401–409, 404, 408; vgl. auch die Vorrede zu Rodbertus, Creditnoth, S. XXII. Hahn, Die Berliner Revue, S. 183 f. Ähnlich bereits Feibelmann, Rudolf Hermann Meyer, S. 85 ff. Vgl. Pyta, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik, S. 375, 357. Zum agrarpolitischen Extremismus im linken Flügel der NSDAP vgl. Stefan Breuer und Ina Schmidt: Die Kommenden. Eine Zeitschrift der Bündischen Jugend (1926– 1933), Schwalbach / Ts., S. 158 ff. – Verbeugungen gegenüber dem Nationalsozialismus finden sich bei Hahn etwa auf den Seiten 163, 203 und 259. Vgl. den von Th. von der Goltz und H. Schumacher-Zarchlin gezeichneten »Bericht über die Verhandlungen der Berliner Maiconferenz ländlicher Arbeitgeber vom 29. April bis 1. Mai 1872«, in: RB, S. 672–680, 679; [o. V.]: Zur Auswanderungsfrage, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 72, 1873, S. 379–388, 384, 387; Ländliche Ansiedelungen, ebd. 74, 1873, S. 367–369, 368. Vgl. auch den Rückblick in Rudolf Meyer: Vor der Getreidemonopoldebatte, in: Die Zukunft 10, 1895, S. 68–77, 74. Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 142 f. Rede des Redacteur der Berliner Revue auf der General-Versammlung ländlicher Arbeitgeber am 16. Mai 1873, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 73, 1873, S. 305–317, 316. Rudolf Meyer: Die ländliche Arbeiterfrage in Deutschland. Socialismus. Auswanderung. Mittel gegen beide, Berlin 1873, S. 61, 52. Eine gekürzte Fassung dieses Textes auch in ders.: Hundert Jahre conservativer Politik, S. 201–209. Meyer, Die ländliche Arbeiterfrage, S. 52. Ebd., S. 51. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 370 f. Ebd., S. 417. Vgl. Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 565. Ebd., Bd.1, S. 418 f. Im Lichte dieses Vorbehalts muß auch der 1873 entwickelte Vorschlag verstanden werden, Landarbeiter nach Ableistung der Wehrpflicht

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mit einer »Dotirung mit Grundbesitz« zu belohnen und so zu »Staatscolonen« zu machen: Meyer, Die ländliche Arbeiterfrage, S. 55. Meyer, Emanzipationskampf Bd. 1, S. 420. Vgl. S. 396. Ebd., Bd. 2, S. 565. Dissens gab es vor allem in der Stellung zur Religion, die Meyer stärker berücksichtigt sehen wollte, aber auch bei ökonomischen Fragen wie dem ›Zeitarbeitstag‹. Vgl. Meyer, Politische Gründer, S. 83 ff., ferner die Anmerkungen in den von ihm herausgegebenen Briefen an Rodbertus: RB, S. 343, 352 sowie die Andeutungen in seiner Vorrede zu Rodbertus, Creditnoth, S. XXIV. Vgl. [o. V.]: Unser Antrag auf dem Congreß deutscher Landwirthe, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 68, 1872, S. 296–299. Einen ausführlichen Bericht über den Tagungsverlauf gibt: Der erste Congreß deutsche Landwirthe, ebd., S. 328–330, 359–363, 397–403; Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 481; Bd. 2, S. 351. Die geforderte Untersuchung wurde von dem in Königsberg lehrenden Agrarwissenschaftler Theodor von der Goltz (1836–1905) durchgeführt und 1872 unter dem Titel Die ländliche Arbeiterfrage und ihre Lösung veröffentlicht. Seine darauf basierenden Artikel in der Concordia (1873) wurden von Meyer breit und durchweg zustimmend zitiert: vgl. Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 357. In Kontrast dazu steht seine Auskunft, wonach er 1875 auf dem Kongreß der Landwirte scharfe Kritik an Goltz’ Buch geübt habe. Vgl. seine Anmerkung zu Rodbertus’ Brief vom 11. 2. 1875, in: RB, S. 385 f. Vgl. Bericht über die Verhandlungen der Berliner Maiconferenz, S. 676 f.; Vorrede XXIV. [o. V.], Ländliche Ansiedelungen, S. 369. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 779 f. (mit Text des Antrags). Vgl. [o. V.]: Versammlung des Vereins für Socialpolitik, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 75, 1873, S. 107–114, 174–182. Auch zwei weitere Besuche auf den Tagungen von 1874 und 1875 vermochten an der Außenseiterrolle nichts zu ändern, in die Meyer vor allem durch die entschiedene Gegnerschaft Schmollers geriet: vgl. Hahn, Berliner Revue, S. 247 ff. Ferner Rudolf Meyer: Bericht über den Kongreß des Vereins für Sozialpolitik im Jahre 1874, in: Die Zukunft 12, 1895, S. 395–406. Wageners Promemoria an Fürst Bismarck von 1873, in: Meyer, Hundert Jahre conservativer Politik, S. 249–256, 254. Vgl. bereits Wageners Promemoria (wahrscheinlich an den Fürsten Bismarck) über innere Colonisation, ebd., S. 240–243, 241. Wagener hat seine Bemühungen in den beiden folgenden Jahren fortgesetzt, mit dem gleichen Ergebnis. Vgl. Zwei Denkschriften des Geh. Oberregierungsraths H. Wagener, in: Bismarck-Jahrbuch 6, 1899, S. 209–226. Hier: Denkschrift vom 17. 1. 1874, S. 222; Geheimrath Wagener’s Programm im Jahre 1875, in: Meyer, Hundert Jahre conservativer Politik, S. 258–268, 266. Vgl. Hans-Christof Kraus: Hermann Wagener (1815–1889), in: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus,

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Liberalismus, Sozialismus, Berlin 2002², S. 537–586, 570 ff.; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 63, 489. Vgl. Rudolph Meyer: Abschiedsworte an die Leser der Berliner Revue, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 75, 1873, S. 381–383. Vgl. Rudolf Meyer: Die Wahlerfolge der Arbeiterparteien. Social-politische Flugblätter Nr. 1, 1874, S. 11 f. Zu den Artikeln in der Deutschen EisenbahnZeitung vgl. Meyer, Politische Gründer, S. 147. Vgl. Meyer, Social-politische Flugblätter Nr. 2, 1874, S. 2, 16 f. Vgl. die Kurzfassung in der Volksausgabe: Der Emancipationskampf des vierten Standes in Deutschland, S. 131 ff.; zur Langfassung vgl. in der 2. Aufl. von Bd. 1 (1882): S. 390 ff. Dieses Kapitel ist textidentisch mit der 1. Aufl. von 1874. Vgl. [o. V.]: Gewerkvereine, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 74, 1873, S. 21 ff., 52 ff.; Gewerbliche Unterstützungskassen, ebd., S. 338 ff. Vgl. Lothar Machtan: Prolegomena für eine neue wissenschaftliche Diskussion über die (Be-)Gründung des deutschen Sozialstaats im 19. Jahrhundert, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 7, 1992, S. 54–98, 72 ff.; Wolfgang Ayaß: Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Sozialversicherung bis zur Jahrhundertwende, in Ulrich Becker u. a. (Hrsg.): Sozialstaat Deutschland. Geschichte und Gegenwart, Bonn 2010, S. 17–43. R. M.: Was ist conservativ?, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 68, 1872, S. 326–327, 393–397, 326. [o. V.]: Der Verfall der conservativen Partei, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 73, 1873, S. 7–13, 44–51. R. M.: Was ist conservativ?, ebd., S. 345–348; 74, 1873, S. 16–20, 111–121, 116. Rudolf Meyer: Abschiedsworte an die Leser der Berliner Revue, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 75, 1873, S. 381–383. Vgl. Rudolf Meyer: Zerfall der politischen Parteien in Deutschland. Socialpolitische Flugblätter Nr. 3, 1874, S. 7. Vgl. R. M.: Die socialen Reformbestrebungen der Regierung, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 68, 1872, S. 320–324, 324; [o. V.]: Wer ist conservativ?, ebd., S. 324–326, 363–368, 393–397, 326. Meyer, Politische Gründer, S. 55. Ebd., S. 9. Näheres zu Meyers Auffassung des Second Empire unter Exkurs I. Meyer, Politische Gründer, S. 17. Ebd., S. 67. Zum Antisemitismus der 60er Jahre vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 155 ff. Speziell für das von Wagener herausgegebene und stark von dem dezidierten Antisemiten Bruno Bauer geprägte Staats- und Gesellschaftslexikon: Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 130 ff. Vgl. [o. V.]: Entstehung und Debüt der Grundbesitzerpartei, S. 246; Die Centralisationsbestrebungen der Landschaften in ihrem gegenwärtigen Stadium, in: Berliner Revue 64, 1871, S. 336.

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[o. V.]: Der Verfall der conservativen Partei, S. 9. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 488 ff.; 40. Vgl. Alphonse Toussenel: Les Juifs, rois de l’époque: histoire de la féodalité financière, Paris 1845; Zvi Jonathan Kaplan: A Socialist Drumont? Alphonse Toussenel and the Jews, in: Jewish History 29, 2015, S. 39–55. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 255, 633, 410, 786, 373. Vgl. auch [o. V.]: Die goldene Internationale, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 74, 1873, S. 397–399. Das ist bekanntlich ein Kampfbegriff der antisemitischen Bewegung, der üblicherweise auf Schriften von Ottomar Beta (1875), Carl Wilmanns (1876) und Wilhelm Marr (1879) zurückgeführt wird: vgl. Matthew Lange: Goldene Internationale, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 3, Berlin und New York 2010, S. 111–113. Wie Henning Albrecht gezeigt hat, wurde er jedoch schon 1871 von Rudolf Meyer gebraucht und tauchte seitdem häufiger in der Berliner Revue auf: vgl. Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 482 f. Vgl. etwa Betas mehrteiligen Beitrag über die Beseitigung der Fäkalien in Berlin unter dem Titel: Die Canalisation nach ihren Vorzügen und Mängeln, in: Berliner Revue 66, 1871. – Auf Glagau wie auf Beta hat sich Meyer explizit zustimmend bezogen: vgl. Politische Gründer, S. 36, 52, 97, 148, 151 ff. Otto Glagau (1834–1892) machte in seiner ab 1874 erscheinenden Artikelserie die Juden für den »Börsen- und Gründerschwindel« verantwortlich: vgl. Daniela Weiland: Otto Glagau und »Der Kulturkämpfer«. Zur Entstehung des modernen Antisemitismus im frühen Kaiserreich, Berlin 2004. Ottomar Beta (1845– 1916) gehörte in den 80er und 90er Jahren zu den Stammautoren der Antisemitischen Correspondenz und der Deutschsozialen Blätter, die von Theodor Fritsch herausgegeben wurden. Vgl. meine Studie: Die Völkischen in Deutschland, S. 59 ff. Vgl. auch Betas Erinnerungen an Meyer, in ders.: Deutschlands Verjüngung. Zur Theorie und Geschichte der Reform des Boden- und Creditrechts, Berlin 1901, S. 301, 310 ff., 326 ff. Von seinen antisemitischen Ausfällen hat Meyer später nichts mehr wissen wollen. Als Eugen Richter ihn öffentlich in die Nähe von Ahlwardt rückte, war seine Entrüstung groß, »da ich nie Antisemit war noch bin«: Rudolf Meyer an Karl Kautsky, Brief vom 25. 3. 1893, in: Karl Kautsky Papers. Das kann man nur mit Nietzsche kommentieren: »›Das habe ich gethan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht gethan haben‹ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtniss nach« (Jenseits von Gut und Böse, in: KSA Bd. 5, S. 86). Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 710. Meyer, Politische Gründer, S. 184, 196, 201. Vgl. [Meyer]: Heimstätten- und andere Wirthschaftsgesetze, S. 612 f. Meyer, Politische Gründer, S. 204. Die letzten Worte sind im Original durch Fettdruck hervorgehoben. Ebd., S. 50.

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Auch die Minister Campenhausen und Falk reichten Klage ein. Vgl. die Berichte in: Das Vaterland 18, 1877, Nr. 32, 3. 2.; Nr. 45, 16. 2. (Beiblatt); Nr. 334, 5. 12.; Stern, Gold und Eisen, S. 698 ff. Vgl. Rudolf Meyer an Friedrich Engels, Brief vom 25. 1. 1889, in: Karl Marx / Friedrich Engels, Papers; Saile, Hermann Wagener, S. 122 ff.; Kraus, Hermann Wagener, S. 576 f; Schoeps, Rudolf Meyer und der Ausgang der Sozialkonservativen, S. 337. Vgl. [o. V.]: Was heißt conservativ sein? (III), in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 74, 1873, S. 111–121, S. 121. Vgl. Weber, Die Lage der Landarbeiter, S. 903 u. ö. Vgl. Klopp, Vogelsang, S. 212. Nach eigener Auskunft besuchte Meyer ab 1879 in mehreren aufeinanderfolgenden Semestern Vorlesungen Steins an der Wiener Universität: vgl. [Meyer], Heimstättengesetze, S. XVI, doch nimmt schon seine Artikelserie »Zur Steuerreform« in breitem Umfang Bezug auf Steins Finanzwissenschaft (in: Das Vaterland 19, 1878, Nrn. 119–121, 2.–4. 5.) In seinem Werk über die Heimstättengesetze erklärt Meyer Steins ›Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich‹ zu seinem Vorbild und gibt darüber hinaus einen langen Auszug aus einem Vortrag, den Stein im November 1882 über die Agrarfrage des Kontinents gehalten hat (ebd., S. 590). Auch in späteren Arbeiten rekurriert er immer wieder auf Stein, am häufigsten in seinem Buch über den Capitalismus fin de siècle (S. 136, 138, 195, 232, 298). Umgekehrt dürfte Meyer Stein auf Rodbertus aufmerksam gemacht haben (vgl. Lorenz von Stein: Die drei Fragen des Grundbesitzes und seiner Zukunft, Stuttgart 1881, S. 180 ff.) und ihm verschiedene Quellen und Informationen zu agrarpolitischen Themen zugänglich gemacht haben (vgl. ebd., S. 241 ff., 287 ff.). Auch inhaltlich bezieht Stein sich an mehreren Stellen auf ihn, insbesondere in der Prognose eines Rückgangs der Grundrente in Europa infolge der überseeischen Konkurrenz: vgl. ebd., S. 182, 197, 222. Vgl. [Meyer], Heimstättengesetze, S. XXXII. Vgl. [o. V.]: Die sociale Frage und das österreichische Publikum, in: Das Vaterland 18, 1877, Nr. 300, 1. 11. In den ersten Jahren wurde das Blatt übrigens von Dr. Hermann Keipp geleitet, einem Vorgänger Meyers bei der Berliner Revue: vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 39; Kaspar Inthal, in: Der Gedenktag des »Vaterland«. Festschrift zum 50. Jahrestag. Beilage zu: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie 50, 1909, Nr. 1, 1. 1. Vgl. T. Kraler: Thun und Hohenstein Leo (Leopold) Gf. von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 14, Wien 2012, S. 326 f. Vgl. Klopp, Vogelsang, S. 305. Zum politischen Wirken Belcredis bis 1849 vgl. Ralph Melville: Der mährische Politiker Graf Egbert Belcredi (1816–1894) und die postfeudale Neuordnung Österreichs, in ders. (Hrsg.): Deutschland und

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Europa in der Neuzeit. FS für Karl Otmar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag, 2. Halbbd., Stuttgart 1988, S. 599–611. Vgl. Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi, Eintrag vom 28. 12. 1877, S. 503. Vgl. Klopp, Vogelsang, S. 73, 94. Vgl. John W. Boyer: Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf, Wien etc. 2010, S. 32 ff. Meyer hat im Jahr seiner Flucht aus Deutschland längere Zeit auf den Besitzungen Belcredis in Mähren zugebracht und offenbar so nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt, daß man in ihm, Meyer, den eigentlichen »geistigen Vater des neuen Gewerbegesetzes« vom 15. 3. 1883 mit seinen Schwerpunkten auf dem Befähigungsnachweis und der Reorganisation von Zwangsgenossenschaften gesehen hat: Heinrich Waentig: Gewerbliche Mittelstandspolitik. Eine rechtshistorisch-wirtschaftspolitische Studie auf Grund österreichischer Quellen, Leipzig 1898, S. 123. Meyer seinerseits hat die Palme an Belcredi weitergereicht und ihn als den ersten Mann in Europa gewürdigt, dem es gelungen sei, mit der Neuschaffung der Zünfte »ein conservatives Fundamentalgesetz wieder herzustellen« (Heimstättengesetze, S. 495, 608). In dem von Meyer herausgegebenen Band Hundert Jahre conservativer Politik und Literatur sind einige Briefe Belcredis an ihn abgedruckt. Im Tagebuch Belcredis begegnet Meyer vor allem in den Jahren 1877–1882. Die entsprechenden Eintragungen sind über das Register leicht zu erschließen. So heißt es beispielsweise in einem Nachruf auf Belcredi, Meyer sei »der Johannes der feudalen Partei und des Grafen Egbert Belcredi« gewesen. »Im Schloße des Grafen Belcredi zu Lösch wurden an traulichen Winterabenden social-politische Seancen veranstaltet. Die Cavaliere versammelten sich im Salon, und Rudolph Meyer hielt Vorträge oder, wie er bescheiden erzählt, er ließ sich in Privat-Unterhaltungen mit jenen Conservativen ein, welche solche wünschten. Die Idee dieses Schößlings vom Baum der preußischen Pietisten schlug sofort ein und ist, wie wir nicht ohne Scham gestehen, die Triebkraft der wirthschaftlichen Politik in Oesterreich geworden«: Neue Freie Presse Nr. 10825 vom 12. 10. 1894. Daß Meyer »einer der geistigen Leiter des feudalen und clericalen Adels in Oesterreich« geworden sei, ist auch der Tenor des sehr polemisch gehaltenen Nachrufs auf Meyer fünf Jahre später: ebd., Nr. 12358 vom 17. 1. 1899. Klopp, Vogelsang, S. 129. Vgl. [Meyer], Heimstättengesetze, S. 216. Vgl. √: Das Sinken der Grundrente und seine Folgen, in: Das Vaterland 21, 1880, Nr. 62 vom 3. 3. √: Verdrängung der Grundbesitzer und ihr Ersatz, ebd., Nr. 66 vom 7. 3. Ebd. Vgl. Klopp, Vogelsang, S. 204, 216.

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Vgl. √: Widerstandskraft der verschiedenen Landwirthschaftsbetriebe gegen die Wirkungen des Preisdruckes, in: Das Vaterland 21, 1880, Nr. 87 vom 28. 3. √: Zur überseeischen Concurrenz, ebd., Nr. 112 vom 23. 4. √: Der soziale Schutzzoll III, in: Das Vaterland 18, 1877, Nr. 256 vom 18. 9. √: Grundverschuldung, in: Das Vaterland 22, 1881, Nr. 12 vom 13. 1. Hans Rosenberg: Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa, Frankfurt am Main etc. 1976, S. 249. Der österreichischen Sozialgesetzgebung der 80er Jahre, die maßgeblich von Belcredi vorangetrieben wurde, bescheinigt der Verfasser übrigens, sie habe »zu dem Besten gehört, was es damals auf dem Gebiet des Industriearbeiterschutzes in der Welt gab« (ebd., S. 248). Andere Akzente setzte dagegen der Nachruf der Neuen Freien Presse: »Egbert Belcredi war der beharrlichste, tückischeste und zäheste Feind des deutschen Bürgerthums in Oesterreich« (Morgenblatt, Nr. 10825 vom 12. 10. 1894). Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 122. Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 628 f. (Einige offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.) Vgl. ebd., S. 812 f. Ebd., S. 368 f.; vgl. S. 428. Ausführlich zu den Homestead-Exemptions in den USA: [Meyer], Heimstättengesetze, S. 281 ff. Vgl. Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 429. Ebd., S. 610 f. [o. V.]: Die hypothekarische Grundbelastung, in: Das Vaterland 22, 1881, Nr. 264 vom 25. 9. (Beilage). In einer Fußnote ist dieser Text als Kurzfassung einer Broschüre Vogelsangs ausgewiesen (Die social-politische Bedeutung der hypothekarischen Grundbelastung). Vgl. [o. V.]: Zur Frage der amerikanischen Concurrenz, in: Das Vaterland 22, 1881, Nr. 315 vom 15. 11. Vgl. [o. V.]: Die amerikanische Concurrenz, in: Das Vaterland, 24, 1883, Nr. 149 vom 2. 6. Vgl. Karl Frhr. v. Vogelsang an Leo Graf Thun, Briefe vom 17. 9. und 8. 10. 1882, in: Klopp, Vogelsang, S. 211, 216. Karl Frhr. v. Vogelsang an Leo Graf Thun, Brief vom 11. 9. 1882, ebd., S. 201 f. Vgl. Karl Frhr. v. Vogelsang an Leo Graf Thun, Briefe vom 17. 9. und 8. 10. 1882, ebd., S. 210, 216 f. Vgl. [Meyer], Heimstättengesetze; Ursachen der amerikanischen Concurrenz. Vgl. Rudolf Meyer an Karl Kautsky, Briefe vom 24. 4. und 20. 5. 1892. Ferner die biographischen Angaben bei Feibelmann, Meyer, sowie bei Machtan, Meyer, S. 371 f. Vgl. Rudolf Meyer an Karl Kautsky, Briefe vom 24. 4. und 20. 5. 1892, Karl Kautsky Papers. Ernst Graf Silva-Tarouca (1860–1936), ein Mündel von Egbert Graf Belcredi, war von 1891–1907 Reichsratsabgeordneter und von 1892–1913

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Abgeordneter zum Böhmischen Landtag in der Kurie der Großgrundbesitzer. Vgl. Elisabeth Lebensaft und Ch. Mentschl: Silva-Tarouca (Sylva-Tarouca) Ernst (Arnošt) Emanuel Gf. von. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 12, Wien 2001–2005, S. 270 f. Wieviel er Meyer verdankte, insbesondere in der Frage des Heimstättenrechts, zeigt seine Rede auf dem steiermärkischen Katholikentag von 1891: Zur Erhaltung des Mittelstandes, in: Das Vaterland 32, 1891, Nr. 162 vom 14. 6. Zu ihm auch Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 194, 405, 462, 465; Handwerker und Frauen, in: Die Zukunft 16, 1896, S. 223–231, 224. Vgl. Klopp, Vogelsang, S. 305. Vgl. z. B. Das Vaterland 34, 1893, Nr. 235 vom 26. 8. (Die Hausse). Das Tagebuch Egbert Graf Belcredis vermerkt am 5. 3. 1893, Meyer sei wieder beim Vaterland und publiziere dort unter dem Zeichen des Vollmonds (S. 1019). Einige Monate zuvor hatte sich Belcredi bereit erklärt, Meyers Stelle als volkswirtschaftlicher Mitarbeiter bei dem notorisch defizitären Blatt zu finanzieren (S. 1013). Vgl. Rudolf Meyer: Anbaupolitik und Nahrungsmittel, in: Die Neue Zeit 10.1, 1892, Nr. 11, S. 325–333; Nr. 12, S. 365–372; Die sozialpolitische Bedeutung der Getreide-Elevatoren, ebd. 10.2, 1892, Nr. 48, S. 46–54; Zur Frage der Verstaatlichung des Getreidehandels, ebd. 10.2, 1892, Nr. 30, S. 116–120; Der Große Generalstab und die nörgelnden Zeitungsschreiber, ebd. 10.2, 1892, Nr. 35, S. 260–268; Nr. 36, S. 293–298; Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, ebd. 11.1, 1892/93, Nr. 10, S. 304–310; Nr. 11, S. 344–348; Nr. 14, S. 428–437; Nr. 15, S. 469–477; Die Rentengütergesetze in Preußen, ebd. 11.2, 1892/93, Nr. 33, S. 172–180; Nr. 34, S. 196–201; Nr. 35, S. 237–242; Nr. 36, S. 274–279; Noch einiges über den landwirthschaftlichen Großbetrieb, ebd. 11.2, 1892–93, Nr. 53, S. 821–827; Die landwirthschaftliche Krisis und die Zollverhandlung mit Rußland, ebd. 12.1, 1893–94, Nr. 7, S. 196–204; Aufhebung des Identitäts-Nachweises (gez. »-r«), ebd. 12.1, 1893–94, Nr. 18, S. 560–562; Nr. 24, S. 741–749; Der Agrarier Noth und Glück, ebd. 12.1, 1893–94, Nr. 20, S. 613–620; Ueber Latifundien-Landwirthschaft in Nordamerika, ebd. 12.2, 1893–94, Nr. 48, S. 682–688; Zwei Briefe von Dr. Rodbertus, ebd. 13.1, 1894–95, Nr. 8, S. 244–250; Unausführbarkeit des Kanitz’schen Antrages, ebd. 13.1, 1894–95, Nr. 13, S. 411–412; Verschiedenheit der landwirthschaftlichen Produktionskosten in zwei Welttheilen, ebd. 13.2, 1895, Nr. 40, S. 438–441; Lebensmittel-Veränderungen und -Verfälschungen, ebd. 14.1, 1895–96, Nr. 17, S. 531–535; Margarine und Butter, ebd. 14.1, 1895–96, Nr. 18, S. 548–554. Vgl. dazu und zum folgenden weiter unten, S. 102 ff. Vgl. Kautsky, Die Agrarfrage, S. 131 ff., 150, 160, 225, 242, 246 f. Vgl. Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1 [1867], MEW Bd. 23, S. 789; Friedrich Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft [1880], MEW Bd. 19, S. 221 ff.

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Anmerkungen | 337 120 Vgl. Meyer, Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 476. 121 Vgl. Meyer, Getreide-Elevatoren, S. 52, 51; Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 345. 122 Vgl. Meyer, Rentengütergesetze, S. 177. 123 Vgl. Meyer, Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 308; Das Sinken der Grundrente, S. 134 ff. 124 Vgl. Meyer, Der Große Generalstab, S. 263, 295. Zur ausgeprägten Russophobie, die Meyer mit Dühring und Marx teilte, vgl. schon: Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 311, 399 sowie [Meyer], Heimstättengesetze, S. 107: »Rußland ist der Feind!« Vgl. auch Stedman Jones, Karl Marx, S. 416 ff. 125 Vgl. Meyer, Anbaupolitik, S. 327 f.; Der Große Generalstab, S. 263. 126 Meyer, Die landwirthschaftliche Krisis, S. 204. So auch der Tenor eines längeren Briefes an Engels, auf den dieser mit seinem unten angeführten Schreiben vom 1893 reagiert hat. Vgl. Rudolf Meyer an Friedrich Engels, Brief vom 28. 6. 1893, Karl Marx / Friedrich Engels, Papers. 127 Vgl. Meyer, Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 305, 344; Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 369 ff., 429 ff., 457, 610 f., 625 ff., 788; Der Capitalismus fin de siècle, S. 356. 128 Meyer, Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 347; Das Sinken der Grundrente, S. VII f. Die hier angedeutete Perspektive weist in manchem auf Max Webers ›Gehäuse der Hörigkeit der Zukunft‹ voraus. Webers Arbeiten zur römischen Agrargeschichte hat Meyer noch rezipiert. Über den Autor hat er sich abschätzig geäußert (»ein ganz kleiner Mann, der auf den Schultern des Rodbertus steht und vergisst, dass er nicht selbst so hoch ist«, ebd., S. 142), sich davon aber nicht hindern lassen, die sachlichen Befunde dankbar anzuerkennen: vgl. Der Capitalismus fin de siècle, S. 22 ff., 350. 129 Meyer, Die landwirthschaftliche Krisis, S. 202. 130 Meyer, Das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebes, S. 476. 131 Vgl. ebd., S. 470. Das berührte sich mit Ideen, die zur gleichen Zeit in der akademischen Nationalökonomie diskutiert wurden. Max Sering wollte etwa 160–170 000 neue Bauernstellen einrichten und die dafür erforderlichen zwei Millionen ha dem Großbesitz abnehmen, der dann nur noch etwa über ein Drittel der Fläche verfügen würde (vgl. Sering, Innere Kolonisation, S. 36, 93). Noch weiter ging Max Weber, der im Mai 1894 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß eine Reduzierung bis auf 20 % für möglich erklärte (Weber, Landarbeiterfrage, S. 337). Diskutiert wurde darüber hinaus über eine Förderung der Arbeiterkolonisation, sei es im Wege der Arbeiterpacht (Kaerger, Weber) oder mittels einer Aufwertung des Gutstagelöhnerverhältnisses zu einem »Durchgangsstadium zum Kleingrundbesitzerthum« (Sering), beides ganz im Sinne von Meyers Empfehlungen: vgl. Karl Kaerger, Die Arbeiterpacht, Berlin

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1893, S. 202 ff.; Weber, Landarbeiterfrage, S. 97 ff., 146 ff., 153; Sering, Innere Kolonisation, S. 148. Meyer, Anbaupolitik, S. 329 f. Vgl. Meyer, Der Große Generalstab, S. 296. Vgl. Meyer, Anbaupolitik, S. 333; [Meyer], Heimstättengesetze. Kritisch hierzu, allerdings ohne auf Meyer einzugehen, das Gutachten zum Heimstättenrecht, das Max Weber für den 24. Deutschen Juristentag von 1897 verfaßt hat, in: Weber, Landarbeiterfrage, S. 645–666. Vgl. Meyer, Der Große Generalstab, S. 298; Der Agrarier Noth und Glück, S. 619; [Meyer], Heimstättengesetze, S. 344, 583. Auch dies wurde etwa zur gleichen Zeit in der akademischen Nationalökonomie erörtert. Vgl. Sering, Innere Kolonisation, S. 142; Weber, Landarbeiterfrage, S. 153, 182, 251, 555 f., 718; Theodor Freiherr von der Goltz: Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, Jena 1893, S. 283; Kaerger, Die Arbeiterpacht, S. 37, 227. Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 439. Vgl. Max Sering: Die landwirthschaftliche Konkurrenz Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1887. Am Werk seines Vorgängers läßt dieses Buch übrigens kein gutes Haar: vgl. ebd., S. 56, 68, 126, 170 f., 706. Näher zu Sering: Robert L. Nelson: From Manitoba to the Memel: Max Sering, Inner Colonization and the German East, in: Social History 35, 2010, S. 439–457; A German on the Prairies: Max Sering and Settler Colonialism in Canada, in: Settler Colonial Studies 5, 2015, S. 1–19. Meyer, Ueber Latifundien-Landwirthschaft in Nordamerika, S. 687. Rudolf Meyer an Karl Kautsky, Brief vom 25. 10. 1892. Meyer, Handwerker und Frauen, S. 229. Auch Kautsky war dieser Zug zur Idylle nicht fremd: vgl. die Schlußpassagen in: Die Agrarfrage, S. 451. Vgl. Friedrich Engels, [Brief an die Redaktion des »Vorwärts«] vom 12. 11. 1894, in: MEW Bd. 22, S. 480 f. Der Brief kündigte eine längere Auslassung zum Thema »Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland« an, die bald darauf in der Neuen Zeit erschien. Vgl. den Abdruck in: MEW Bd. 22, S. 485–505. Zum Erfurter Programm vgl. Lehmann, Agrarfrage, S. 30 ff. Friedrich Engels an Rudolf Meyer, Brief vom 19. 7. 1893, in: MEW Bd. 39, S.103. Der Brief, der auf ein Schreiben Meyers vom 22. 6. 1893 reagiert, wurde 1897 von Meyer in der Monatsschrift für Christliche Social-Reform veröffentlicht. Kautsky, Die Agrarfrage, S. 4. Vgl. ebd., S. 131 ff., 163, 297 f. Zit. n. Andreas Dornheim: Sozialdemokratie und Bauern – Agrarpolitische Positionen und Probleme der SPD zwischen 1890 und 1948, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2003, S. 43–60, 44. Näher zu Vollmar: Lehmann, Agrarfrage, S. 65 ff.

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Anmerkungen | 339 146 Eduard David: Ökonomische Verschiedenheiten zwischen Landwirthschaft und Industrie, in: Die Neue Zeit 13.2, 1894–95, Nr. 41, S. 449–455, 449. 147 Eduard David: Zur Frage der Konkurrenzfähigkeit des landwirthschaftlichen Kleinbetriebs, in: Die Neue Zeit 13.2, 1894–95, Nr. 48, S. 678–690, 689 f. Vgl. auch die ausführlicheren Erörterungen in ders.: Socialismus und Landwirtschaft, Bd. 1. Die Betriebsfrage, Berlin 1903, S. 56 u. ö. Aus marxistischer Perspekive vgl. Eckhard Müller: Zum politischen Wirken des Revisionisten Eduard David in der deutschen Sozialdemokratie 1894–1907, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 23, 1981, S. 569–582; »Sozialismus und Landwirtschaft«. Eduard David und der Agrarrevisionismus, in: Jahrbuch für Geschichte 25, 1982, S. 181–214. 148 Zit. n. Lehmann, Agrarfrage, S. 105 (Hervorh. gestr., S. B.). 149 Werner Sombart: Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert, Jena 1896, S. 112. Der frühe Sombart war stark von Adolph Wagner und Rodbertus geprägt: vgl. Friedrich Lenger: Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 1994, S. 40 f., 44 u. ö. 150 Vgl. Friedrich Engels: Antwort an Herrn Paul Ernst, in: MEW Bd. 22, S. 80–85; Hildegard Châtellier: Verwerfung der Bürgerlichkeit. Wandlungen des Konservatismus am Beispiel Paul Ernst (1866–1933), Würzburg 2002, S. 39 ff. 151 Paul Ernst: Zur Frage der Konkurrenzfähigkeit des Kleinbetriebs in der Landwirthschaft, in: Die Neue Zeit 13.2, 1894–95, Nr. 50, S. 750–754, 754. Vgl. auch Lehmann, Agrarfrage, S. 169. 152 Vgl. Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 481. Vgl. auch Rudolf Meyer an Friedrich Engels, Brief vom 27. 8. 1892, Karl Marx / Friedrich Engels, Papers. Der daraus erwachsenen Freundschaft hat Ernst in seinem eingangs zitierten Nachruf auf Meyer ein Denkmal gesetzt. Dagegen ging Meyers Freundschaft mit Graf Belcredi über diesem Buch zu Bruch. Dessen Tagebuch vermerkt am 29. 12. 1893, er habe aus zweiter Hand erfahren, »dass M[eyer] darin alle sozialen Grundlagen, Ehe, Familie, Erbrecht usw., bestreitet, desgleichen Eigentum und Besitz; behauptet, die kat[holische] Kirche habe im Mittelalter das Zölibat eingeführt und Klostergründungen gefördert, um die Zunahme der Bevölkerung zu hindern! Kurz, der hochbegabte und gelehrte Mann, den ich immer für eine Säule der bestehenden Gesellschaft hielt, ist abgefallen und zur radikalsten Sozialdemokratie übergegangen! Eine tiefschmerzliche Erfahrung mehr« (S. 1041). Offensichtlich hatte nicht nur Belcredi das Buch nicht gelesen, sondern auch der Zuträger. 153 Der Programmvorschlag der Agrarkommission, in: Die Neue Zeit 13.2, 1894–95, Nr. 44, S. 572–574, 573. 154 Vgl. Lehmann, Agrarfrage, S. 174 ff. Von den 156 beschließenden Parteiversammlungen, die zwischen der Veröffentlichung des Entwurfs im Juli 1895 und dem Parteitag im Oktober stattfanden, lehnten 88,4 % den Entwurf in mehr oder weniger scharfer Form ab.

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155 Vgl. ebd., S. 191 ff. 156 So zu Recht: Dornheim, Sozialdemokratie und Bauern, S. 50. 157 Karl Kautsky: Mein Lebenswerk (1923), in: Ein Leben für den Sozialismus. Erinnerungen an Karl Kautsky, Hannover 1954, S. 22. Zit. n. Lehmann, Agrarfrage, S. 266. 158 Anderer Ansicht ist etwa Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 81 ff., 225 ff., der von einer Fortsetzung des Konzentrationsprozesses in der Landwirtschaft und einer Umwandlung der Bauernschaft in eine auf Transferzahlungen beruhende ›Versorgungsklasse‹ spricht (S. 87). 159 Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 480. 160 Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 474. 161 Vgl. [o. V.]: Zwei Nachrufe, in: Die Neue Zeit 17.1, 1898–99, Nr. 18, S. 546–548; ähnlich: Zwei Männer, in: Der Vorwärts 16, 1899, Nr. 14 vom 17. 1. Beide Nekrologe stammen vermutlich aus der Feder Franz Mehrings, der bereits 1878 in seiner Geschichte der deutschen Sozialdemokratie Meyers Arbeit über den Emanzipationskampf ungeachtet mancher Kritik »aufrichtigen Respekt wegen des seltenen Fleißes« gezollt hatte, »mit welchem sie ein ungeheures Material über die internationale Arbeiterbewegung« gesammelt habe (Die Deutsche Sozialdemokratie. Ihre Geschichte und ihre Lehre. Eine historisch-kritische Darstellung, Bremen 1878², S. 3 f.).

5. Vom »Staatssozialismus« zum »christlichen Sozialismus«: Adolph Wagner, Rudolf Todt, Adolf Stoecker 1 2

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Vgl. Stillich, Die Konservativen, S. 227. Zit. n. Wolfgang Treue (Hrsg.): Deutsche Parteiprogramme, Göttingen etc. 1961, S. 64. Zu der in den späten 60er Jahren einsetzenden Rezeption der nationalen Parole bei den Konservativen vgl. Ruetz, Der preussische Konservatismus, S. 96 ff. Zit. n. Stillich, Die Konservativen, S. 111. Zit. n. Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 63. Ein so hellsichtiger Beobachter wie Oscar Stillich kam schon 1908 zu dem Schluß, »daß die Konservativen eigentlich gar nicht konservativ sind« (Die Konservativen, S. 29). Anderen erschien es evident, daß sich die »eigentlichen Conservativen im Laufe der beiden Jahrzehnte nach der Reichsgründung politisch stark modernisirt: und das hieß liberalisiert« hätten. So Karl Lamprecht: Ueber die Umbildung der Parteizustände, in: Neue Freie Presse vom 5. 4. 1903, Nr. 13868. Näher zu diesen Formen der Zusammenarbeit Stillich, Die Konservativen, S. 249 f.; mit starken Sympathien für den durch dadurch marginalisierten Flügel um Hammerstein und Stoecker auch Heffter, Die Kreuzzeitungspartei.

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Vgl. Theodor Frhr. von der Goltz: Der christliche Staatssocialismus, in: Deutsche Revue 2, 1878, Bd.3, S. 322–340, 324 f. Vgl. Wagener, Die Mängel der Christlich-sozialen Bewegung; Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 469 f.; Rudolf Meyer, Schlusswort des Herausgebers, in: RB, S. 725. Vgl. Rudolf Meyer: Die Anfänge der evangelisch-sozialen Bewegung, in: Die Zukunft 18, 1897, S. 443–453; 511–520, 451. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 409. Vgl. Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 216; Die Anfänge der evangelisch-sozialen Bewegung, S. 445. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 482 ff.; Verhandlungen der zweiten Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik am 11. und 12. October 1874. Auf Grund der stenographischen Niederschrift hrsg. vom Ständigen Ausschuß. (Schriften des Vereins für Socialpolitik IX), Leipzig 1875. Rudolf Meyer: Bericht über den Kongreß des Vereins für Sozialpolitik im Jahre 1874, in: Die Zukunft 12, 1895, S. 395–406, 397 f. Vgl. Wagner, Rede über die sociale Frage. Zum Kontext vgl. Norbert Friedrich: Adolph Wagner und die Kirchliche Oktoberversammlung vom 10. bis 12. Oktober 1871 in Berlin, in: Dirk Bokermann u. a. (Hrsg.): Freiheit gestalten. Zum Demokratieverständnis des deutschen Protestantismus, Kommentierte Quellentexte 1789–1989. FS Brakelmann, Göttingen 1996, S. 151–163. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 440; Der Socialismus und die evangelische Landeskirche in Preußen, in: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie 18, 1877, Nr. 175, 28. 6. Vgl. Meyer, Politische Gründer, S. 69; vgl. Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 483; Bd. 2, S. 779. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 483; [Meyer], Heimstättengesetze, S. 493, 559. Vgl. Meyer, Ursachen der amerikanischen Konkurrenz, S. 767 ff., 805, 807; Der Capitalismus fin de siècle, S. 314 f. So bereits im Vorwort zum 2. Bd. der nachgelassenen Schriften von Rodbertus und vollends dann in der umfangreichen Einleitung zum 3. Bd., die eine über mehrere Seiten sich hinziehende Philippika gegen Meyer enthält. Vgl. Aus dem literarischen Nachlass von Dr. Carl Rodbertus-Jagetzow, hrsg. von Adolph Wagner und Theophil Kozak, III: Zur Beleuchtung der socialen Frage, Theil II, Berlin 1885, S. V-LXI, XLV ff. Ferner Adolph Wagner: Das Actiengesellschaftswesen. Referat in der Versammlung des Vereins für Socialpolitik in Eisenach, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 21, 1873, S. 271–340, 334. Vgl. Hermann Bahr: Antisemitismus. Ein internationales Interview [1894], in ders.: Kritische Schriften, Bd. 3, hrsg. von Claus Pias, Weimar 2013², S. 49–54, 52.

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Zu Wagners akademischer Karriere, deren wichtigste Stationen vor Berlin Wien, Hamburg, Dorpat und Freiburg waren, vgl. BDA, S. 428 f. Vgl. Evelyn A. Clark: Adolf Wagner: From National Economist to National Socialist, in: Political Science Quarterly 55, 1940, S. 348–411, 382. Vgl. Erich Thier: Rodbertus, Lassalle, Adolph Wagner. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des deutschen Staatssozialismus, Jena 1930, S. 69. Neue Preußische Zeitung vom 20. 5. 1864. Zit. n. Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 113. Zur konservativen Distanz gegenüber dem Nationalitätsprinzip und einem darauf basierenden Nationalstaat vgl. Retallack, Notables of the Right, S. 14; Bussiek, Kreuzzeitung, S. 212 f. Vgl. Alain Alcouffe und Maurice Baslé: Adolph Wagner: d’un engagement militant nationaliste à la co-évolution ›privé-public‹ 2017 (https://hal.archivesouvertes.fr/hal-01628920) [Stand: 04. 09. 2020]. Adolph Wagner: Die Entwickelung der europäischen Staatsterritorien und das Nationalitätsprincip I, in: Preußische Jahrbücher 19, 1867, S. 540–579; II ebd., 20, 1867, S. 1–42 (S. 541). Adolph Wagner: Elsass und Lothringen und ihre Wiedergewinnung für Deutschland, Leipzig 1870², S. 16, V. Dort erschienen von Adolph Wagner neben dem zitierten Text noch drei weitere größere Artikel: Die preußische Bankfrage, vom allgemein wirthschaftlichen und politischen Standpunkte, in: Preußische Jahrbücher 15, 1865, S. 390–412; Die auswärtige Politik Rußlands und ihre Bedeutung für Preußen [anon.], ebd. 18, 1866, S. 657–692; Die Entwickelung des deutschen Staatsgebiets und das Nationalitätsprincip I, ebd. 21, 1868, S. 290–312; II, S. 379–402. Zu Wagners nationalistischer Publizistik während dieser Jahre vgl. Heilmann, Adolph Wagner, S. 66 ff.; Hedda Gramley: Propheten des deutschen Nationalismus. Theologen, Historiker und Nationalökonomen (1848–1880), Frankfurt am Main und New York 2001, S. 322 ff. Vgl. Ulrich Langer: Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998, S. 122 ff. Vgl. ebd., S. 273 ff. Vgl. zu diesem Franz Boese: Geschichte des Vereins für Sozialpolitik, 1872–1932, Berlin 1939; Dieter Lindenlaub: Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik. Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich vornehmlich vom Beginn des ›Neuen Kurses‹ bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges (1890–1914), Stuttgart 1967. Daß Treitschkes Kritik auch auf ihn zielte, hat Wagner registriert. In einem Brief vom 14. 11. 1875 stellte er sich auf die Seite Schmollers und sprach fortan von Treitschke nur mehr als dem »Poltrer«, »dumme[n] Junker« und »Phraseur«: vgl. BDA, S. 138, 171 f., 192. In seinem Opus magnum holte er dann gleich zweimal zu einer längeren Polemik gegen die Ansichten des Berliner Historikers aus: vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 129 ff., 197 ff.

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Vgl. Heinrich von Treitschke: Der Socialismus und seine Gönner, in: Preußische Jahrbücher 34, 1874, S. 67–110; 248–301, S. 287, 265, 253. Während seiner Wiener Jahre hatte Wagner in der Tat die Arbeiten Lorenz von Steins kennen und schätzen gelernt, ohne damit freilich zu dessen Schüler zu werden: stand dem doch eine grundlegende (freilich erst spät öffentlich ausgetragene) Differenz in steuerpolitischen Fragen entgegen. Wagners »Staatssozialismus«, so Stein, tendiere »an und für sich in der direkten wie in der indirekten Besteuerung« zur Maß- und Grenzenlosigkeit und sei deshalb abzulehnen (Lorenz von Stein: Finanzwissenschaft und Staatswissenschaft [1885], in: Wagner, Finanzwissenschaft und Staatswissenschaft, S. 100–108, 106). Wagner hingegen erschien der Begriff als unentbehrlicher terminus technicus für das, was damit bezeichnet werden sollte: »eine zielbewußte, regulierend in das Wirtschaftsleben eingreifende, soweit es möglich und zweckmäßig den ›Sozialismus‹ durch die Mittel des bestehenden, historisch überkommenen ›Staat‹ – durch Gesetzgebung, Verwaltung, Finanz- und besonders Steuerwesen – zur Durchführung bringende ›positive Staatspolitik‹« (Wagner, Finanzwissenschaft und Staatswissenschaft, S. 11–99, 50). Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 21. 3. 1869, in: BDA, S. 73. Antrag Wagner zur Arbeiterfrage [1869], in: BDA, S. 72 f. Daß die Gewährung des allgemeinen Stimmrechts »eine der Bedingungen für das notwendige und heilsame Hervortreten des ›Staatssozialismus‹« sei, hat Adolph Wagner noch 1887 betont: vgl. Finanzwissenschaft und Staatswissenschaft, S. 89. Zu Treitschkes Kritik des allgemeinen Stimmrechts vgl. ders., Der Socialismus und seine Gönner, S. 108 ff. Wagner, Rede über die sociale Frage, S. 14, 4. Ebd., S. 14. Wagner, Die akademische Nationalökonomie und der Socialismus, S. 23. Ebd., S. 20. Vgl. Wagner, Offener Brief an Herrn H. B. Oppenheim, S. 13. Ebd., S. 24. Vgl. Stillich, Die Konservativen, S. 112 f. Wagner, Rede über die sociale Frage, S. 19 ff., 21. Ebd., S. 24 f. Ebd., S. 29 ff. Vgl. ebd., S. 30. Vgl. Rosanvallon, Die Gesellschaft der Gleichen, S. 200. Wagner, Offener Brief an Herrn H. B. Oppenheim, S. 27. Vgl. Rosanvallon, Die Gesellschaft der Gleichen, S. 198, 229. Wagner, Rede über die sociale Frage, S. 31. Vgl. Rodbertus: Der Normalarbeitstag, in: Berliner Revue 66, 1871, S. 342–345, 357–363, 395–401.

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Vgl. Adolph Wagner: Die Abschaffung des privaten Grundeigenthums, Leipzig 1870, S. 12, 79. Adolph Wagner an Carl Rodbertus: Briefe vom 2. 12. 1871 und 16. 6. 1872, in: BDA, S. 113. Vgl. Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 30. 6. 1872, ebd., S. 115; Adolph Wagner an Carl Rodbertus: Brief vom 30. 10. 1875, ebd., S. 135 ff. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief o. D., RGWB Bd. 6, S. 567; Adolph Wagner: Einiges von und über Rodbertus-Jagetzow, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 34, 1878, S. 199–237. Auf S. 202 heißt es über Rodbertus: »Er steht neben und über Lassalle, Marx und Engels und hat früher als einer dieser Männer gewisse Kernpunkte des wissenschaftlichen Socialismus formulirt«. Das entsprach zweifellos Rodbertus’ Selbstverständnis, hielt dieser doch nicht mit seiner Überzeugung hinter dem Berg, er »glaube an die dereinstige Aufhebung des Grund- und Kapitaleigenthums«, auch wenn er diese »nicht für so nahe bevorstehend« hielt: Das Kapital. Vierter sozialer Brief an von Kirchmann, in: RGWB Bd. 2, S. 223, 228. Diesem Urteil sind sowohl namhafte Autoren mit ähnlichen Präferenzen gefolgt (vgl. Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft. Vorrede zur 2. Aufl. Berlin 1912, S. XXVIII; Die Entwicklung der sozialen Frage bis zum Weltkriege, Berlin und Leipzig 19074, S. 108 ff.; Robert Michels: Rodbertus und sein Kreis, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 1–84, 29), als auch Liberale wie Lujo Brentano: vgl. Die Volkswirthschaft und ihre konkreten Grundbedingungen, in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte 1, 1893, S. 77–148, 92 ff. Vgl. Wagner, Einiges von und über Rodbertus-Jagetzow, S. 219 ff.; Rodbertus-Jagetzow über den Normalarbeitstag nebst einem Briefwechsel darüber zwischen Rodbertus und dem Architecten H. Peters, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 34, 1878, S. 322–367. Vgl. Aus dem literarischen Nachlass von Carl Rodbertus-Jagetzow, hrsg. von H. Schumacher-Zarchlin und Adolph Wagner, 3 Bde., Berlin 1878–1885. Auch Hermann Wagener ist 1886 mit einer Auswahl aus Rodbertus’ Nachlaß hervorgetreten (Minden). Eine Gesamtausgabe ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen: vgl. RGWB. 1886 und 1888 brachte Adolph Wagners Schüler Heinrich Dietzel (1857–1935) in zwei Bänden eine konzise und im Urteil durchaus selbständige Darstellung heraus: vgl. Dietzel, Karl Rodbertus. Vgl. Engbring-Romang, Rodbertus, S. 193, 209. Vgl. ebd., S. 127; Friedrich Engels: Vorwort zu Karl Marx, Das Elend der Philosophie [1884], in: MEW Bd. 4, S. 558–569, 564; Bortkiewicz, Rodbertus’sche Grundrententheorie und die Marx’sche Lehre von der absoluten Grundrente, wie oben, S. 328, Anm. 21. Vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 485.

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Vgl. ebd., S. 542, 558; Adolph Wagner an Carl Rodbertus: Brief vom 16. 6. 1872, in: BDA, S. 114; an Heinrich Oppenheim, 10. 4. 1872, ebd., S. 107; Rudolph, Karl Rodbertus, S. 121, 124, 137; Fehlberg, Arbeitswert und Nachfrage, S. 119 ff. Daß Rodbertus trotz mancher Übereinstimmungen nicht einfach der ›ins Kommunistische gesteigerte Sismondi‹ war, wie ein zeitgenössischer Kritiker meinte (vgl. Rudolph, a. a. O., S. 256), vielmehr in entscheidenden Punkten eigene Wege ging, zeigt Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, S. 207 ff. Vgl. Rodbertus an Hermann Schumacher, Brief vom 16. 1. 1872, in: RodbertusJagetzow, Neue Briefe, S. 200; Adolph Wagner an Wilhelm Stieda, Brief vom 28. 12. 1885, in: BDA, S. 245. Vgl. auch ders.: Grundlegung [1876], S. 123. Noch in der dritten Auflage von 1892 heißt es in gesperrtem Druck: »Robert Malthus behält somit in allem Wesentlichen Recht!« (S. 665). Vgl. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 25. 10. 1872, in: RGBW Bd. 6, S. 410. Ähnlich ders. an Hermann Schumacher, Brief vom 29. 12. 1872, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 224; Kleine Schriften, hrsg. von Moritz Wirth, Berlin 1890, S. 359. Vgl. Wagner, Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, S. 68 ff. Vgl. Wagner, Das Actiengesellschaftswesen, S. 271 ff., 326.; Grundlegung [1876], S. 638, 669, 680. Daß Rodbertus für eine »voll durchstaatlichte Planwirtschaft« eingetreten sei, wie Heilmann meint (Adolph Wagner, S. 42), trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Sein »Sozialismus« beschränkte sich auf die Lohnfrage. Vgl. Herbert Sultan: Rodbertus und der agrarische Sozialkonservativismus, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82, 1927, S. 71–113, 101. Zu den Ausnahmen für Eisenbahn und Post vgl. Rodbertus: Denkschrift zur Begründung eines Allgemeinen Blattes für die Interessen der deutschen Landwirtschaft und des deutschen Grundbesitzes [1871], in: RGWB Bd. 4, S. 615–623; Ein Riesenpolyp, in: RGWB Bd. 2, S. 749 ff.; Engbring-Romang, Rodbertus, S. 185, 209. Vgl. zu den hier angedeuteten Vorgängen Adolph Wagner an Gustav Schmoller, Brief vom 23. und 24. 7. 1872, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik, Bd. I.8, S. 325–331; Lothar Machtan: Adolph Wagner und die Gründung des Vereins für Sozialpolitik, in: Zeitschrift für Sozialreform 34, 1988, S. 510–523. Rodbertus an Hermann Schumacher, Brief vom 17. 11. 1872, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 221. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 14. 6. 1873, in: RGWB Bd. 6, S. 468. Zum fichteanischen Zug bei Rodbertus vgl. Dietzel, Rodbertus, Bd. 2, S. 19 u. ö. In einem nicht datierten Brief an Gustav Schönberg vergleicht Rodbertus den Übergang von der gegenwärtigen »Staatenperiode« zu der »Eine[n] organisirte[n] und menschliche[n] Gesellschaft« der Zukunft mit dem naturgeschichtlichen »Fortschritt von der Kerbthierordnung bis zur Wirbelthierordnung«

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und veranschlagt dafür einen Zeitraum, der nur »nach Jahrhunderten« zu bemessen sei. Zit. n. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 74 ff. Von »Staatssocialismus« spricht Rodbertus erstmals 1852 in einem Brief an Rudolf Gneist, in dem er den Staat darauf verpflichtet, mit rechtlichen Mitteln der ungerechten Verteilung der materiellen Güter entgegenzuwirken: vgl. Engbring-Romang, Rodbertus, S. 140. Daß dieser Staatssozialismus »eine theoretische wie durch und durch auf praktische Wirkung angelegte konservative Revolution innerhalb der klassisch geprägten Ökonomie« darstelle, meint Fehlberg, Arbeitswert und Nachfrage, S. 210 und überspielt damit, daß bei Rodbertus nicht mehr die alteuropäische societas civilis den Bezugspunkt der »Bewahrung« bildet. Vgl. in diesem Sinne auch, z. T. unter anderen Gesichtspunkten, die Analyse von Sultan, die zu dem paradoxen Ergebnis kommt, der »konservative Sozialismus von Rodbertus« sei »liberaler Natur«, »getragen von der liberalen Vorstellung einer harmonischen Ausbalancierung aller Kräfte und Gewichte«: Rodbertus und der agrarische Sozialkonservatismus (wie Anm. 66, S. 105 f.). Auch Engbring-Romang, Rodbertus, S. 51 f. sieht zumal das Frühwerk von Rodbertus durchaus im Zeichen des Liberalismus, obwohl dessen Verfasser »durch die Kenntnis der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, durch theoretische Studien zum Beispiel von Sismondi und der Saint-Simonisten […] weit stärker als viele seiner Zeitgenossen mögliche soziale und politische Konflikte wahrnahm«. Vgl. auch ebd., S. 73. Zum saintsimonistischen Zug bei Rodbertus vgl. Dietzel, Rodbertus, Bd. 2, S. 184 ff. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 6. 11. 1872, in: RGWB Bd. 6, S. 418. Vgl. Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 23. 12. 1877, in: BDA, S. 160. Vgl. Collectiv-Erklärung der Herren Dr. v. Scheel und Dr. A. Wagner, in: Der Staats-Socialist 1, 1878, Nr. 4. Aus der Feder Wagners erschienen dort: Zu dem national-ökonomischen Theil des Programmentwurfs für die christlich-sociale Arbeiterpartei, ebd., Nr. 6; Professor Boretius über den Centralverein für Socialreform und die christlich-sociale Arbeiterpartei, ebd., Nr. 13; Zur Abwehr der Angriffe der deutsch-evangelischen Blätter, ebd., Nr. 16; Dürfen wir die social-ökonomischen Probleme überhaupt diskutieren?, ebd., Nr. 23. Vgl. Adolph Wagner an Otto Benndorf, Brief vom 13. 3. 1881, in: BDA, S. 194 f. Adolph Wagner an Friedrich Naumann, 9. 8. 1896, ebd., S. 305. Vgl. Adolph Wagner: Industriestaat und Agrarstaat, in: Die Zukunft 8, 1894, S. 437–451, 443; Agrar- und Industriestaat. Eine Auseinandersetzung mit den Nationalsozialen und mit Prof. L. Brentano über die Kehrseite des Industriestaats und zur Rechtfertigung agrarischen Zollschutzes, Jena 1901. Näher zu dieser Debatte Kenneth D. Barkin: The Controversy over German Industrialization 1890–1902, Chicago 1970.

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Wagner, Grundlegung [1892³], S. 705. Vgl. exemplarisch seine Haltung in den Auseinandersetzungen um die Reichsfinanzreform 1908/09, die sich in den in BDA, S. 376 ff. wiedergegebenen Briefen niedergeschlagen hat. Als er vor der Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer für die Reichsnachlaßsteuer eintrat, weil er eine weitere Belastung der Bevölkerung mit indirekten Steuern ablehnte, erregte er einen solchen Unmut, daß er sein Referat abbrechen mußte. Vgl. Heilmann, Adolph Wagner, S. 58. Wagner, Grundlegung [1892³], S. 722. Adolph Wagner: Zur Frage von Industriestaat und weltwirtschaftlicher Entwicklung, in: Der Lotse 1, 1900, S. 205–212, 249–255, 255. Zu den scharfen innenpolitischen Auseinandersetzungen über diese von den Konservativen verfolgte Strategie vgl. Nonn, Verbraucherprotest, S. 281 ff. Vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 226, 236, 261 u. ö.; Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 5. Juni 1878, in: BDA, S. 181; Der Staat und das Versicherungswesen, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 37, 1881, S. 102–172, 158 f.; Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, S. 18 f., 34, 50. Vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 183. Umfassend zu Wagners Eigentumslehre: Katharina Hoppe: Eigentum, Erbrecht und Vertragsrecht – die Reformvorstellungen des Nationalökonomen Adolph Wagner (1835–1917), Berlin 2003. Vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 187, 202 f. Vgl. ebd., S. 204, 206, 226. Ebd., S. 546. Ebd., S. 33 f. Adolph Wagner: Finanzwissenschaft (Lehrbuch der politischen Oekonomie, Bd. 4.1), Leipzig 1883³, S. 46. Karl Marx und Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW Bd. 4, S. 488 f. Marx hat sich später ausführlicher mit Wagner befaßt, allerdings in nicht für die Veröffentlichung bestimmten Exzerpten zu der auch hier herangezogenen Grundlegung. Die Auseinandersetzung geht nicht über die ersten zwei Kapitel dieses Buches hinaus und ist in jenem schulmeisterlichen und rechthaberischen Ton gehalten, der die polemischen Texte von Marx zu einer unersprießlichen Lektüre macht. Vgl. Karl Marx: [Randglossen zu Adolph Wagners »Lehrbuch der politischen Ökonomie«], in: MEW Bd. 19, S. 355–383. Collectiv-Erklärung, in: BDA, S. 163. Vgl. Wagner, Grundlegung [1876], S. 362, 471, 556. Ebd., S. 555; vgl. ders., Die akademische Nationalökonomie, S. 32. Vgl. Wagner, Grundlegung [1892³], S. 126 f., 721 f., 818; Offener Brief an Herrn H. B. Oppenheim, S. 14, 17. Zu Wagners Antisemitismus vgl. Heilmann, Adolph Wagner, S. 74 ff.

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Vgl. Mittheilungen des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus 2, 1892, Nr. 19, 8. 5., S. 169 f. Vgl. Bahr, Antisemitismus, S. 53. Vgl. neben den von Heilmann (wie Anm. 93) angeführten Passagen noch Adolph Wagners Besprechung zu Samuel Neumann: Die Fabel von der jüdischen Masseneinwanderung, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaften 36, 1880, S. 777–783, 782 f. Vgl. BDA, S. 419; Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 342 f.; Frank, Adolf Stoecker, S. 136; Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 235 ff. Vgl. Meyer Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 95 f. Vgl. ebd., S. 347 ff. Vgl. die Anmerkung von Robert Michels, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 181. Vgl. Wilhelm Dockhorn: Die christlich-soziale Bewegung in Deutschland. Kritischer Beitrag zur Frage ihres religiösen und kulturell-gesellschaftlichen Untergrunds, ihrer Idee und Geschichte, ihrer Verdichtung in die Gestalt der christlichen Arbeiterbewegung und ihrer Stellung im modernen Werdeprozess, Diss. Halle 1928. Bemerkenswerterweise geschah dies zur gleichen Zeit, als die katholischen Christlich-socialen Blätter, die sich ursprünglich als Organ der Christlich-socialen Partei bezeichnet hatten, diese Zuordnung fallen ließen, weil man »nach der landläufigen Auffassung des Wortes keine Partei, d. h. keine nach Aussen durch eine Spitze, durch einen äusseren Verband bemerkbare Partei bilden« wolle. Zit. n. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 364. Vgl. Meyer, Die Anfänge der evangelisch-sozialen Bewegung, S. 448. Vgl. ebd., S. 451; Der Socialismus in Dänemark, S. 32. Zu dieser Konferenz zitiert Meyer einen Bericht der ›Kreuzzeitung‹, so daß seine frühere Datierung derselben auf 1873 oder 1874 zu korrigieren ist (Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 95.) Vgl. Meyer, Die Anfänge der evangelisch-sozialen Bewegung, S. 453. Anders Kandel, Protestantischer Sozialkonservatismus, S. 235. Vgl. ebd., S. 28 ff. Vgl. Todt, Der radikale christliche Socialismus, S. 490 ff. Ebd., S. 492. Ebd., S. 400; vgl. auch S. 115. Vgl. ebd., S. 43 f. Ebd., S. 460. Ebd., S. 284. Ebd., S. 407 f., 343. Ebd., S. 450. Ebd., S. 452. Ebd., S. 454. Ebd.

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Anmerkungen | 349 118 Vgl. ebd., S. 457 ff. und 346 ff. mit Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1 , S. 347 ff.; Bd. 2 , S. 767 ff. 119 Todt, Der radikale christliche Socialismus, S. 8 f. 120 Vgl. ebd., S. 11 ff. 121 Vgl. ebd., S. 236 ff., 249, 404. 122 Vgl. ebd., S. 457. 123 Ebd., S. 483. 124 Aufruf zur Theilnahme an dem Centralverein für Social-Reform. Hier nach: Pfälzer Zeitung vom 18. 12. 1877. 125 Programm des Zentralvereins für Sozialpolitik vom 1. 6. 1878, in: Der StaatsSocialist vom 1. 6. 1878. Hier zit. n. dem Abdruck in Brakelmann, Adolf Stoecker als Antisemit, S. 4–7. 126 Albert Schäffle (1831–1903) lehrte von 1860 bis 1868 als Professor für Nationalökonomie und Staatswissenschaften in Tübingen, anschließend als Professor für Politikwissenschaft in Wien, wo er 1871 für einige Monate auch als Minister für Handel und Ackerbau tätig war. Adolph Wagner sah sich trotz einiger Meinungsverschiedenheiten mit Schäffle in einer Front und publizierte in dessen Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft: vgl. Dirk Käsler: Albert Schäffle, in: NDB, Bd. 22, Berlin 2005, S. 521 f. Hans von Scheel (1839–1901) lehrte von 1871 bis 1877 Staatswissenschaften in Bern und war anschließend im Kaiserlichen Statistischen Amt in Berlin tätig. Seine Theorie der sozialen Frage (1871) gehörte zusammen mit Schäffles Die Quintessenz des Socialismus (1874) zu den Schlüsseltexten der sozialreformerischen Bestrebungen der 70er Jahre. Vgl. Friedrich Zahn: Hans von Scheel. In: Bulletin de l’Institut International de Statistique 12. 1. (1902), S. 167–169. 127 Vgl. Kandel, Protestantischer Sozialkonservatismus, S. 247; Dieter Fricke: Central-Verein für Social-Reform auf religiöser und constitutionell-monarchischer Grundlage, in ders. (Hrsg.): Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 1, S. 431–433, 433. 128 Vgl. die Artikelserie im März 1878; Kandel, Protestantischer Sozialkonservatismus, S. 249 ff. 129 Der Staats-Socialist 1, 1877, Nr. 1, 20.12; Der Centralverein für Socialreform. Hier nach: Pfälzer Zeitung vom 24. 12. 1877 (Beilage). 130 Adolph Wagner: Was ist Socialismus? Was haben die besitzenden Klassen ihm gegenüber zu thun? In: Der Staats-Socialist 1, 1877, Nr. 1, 20. 12. 131 Zit. n. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 188. 132 Vgl. Der Staats-Socialist 1, 1877, Nr. 16, 13. 4. 133 Neue Evangelische Kirchenzeitung, 12. 1. 1878. Zit. n. Kandel, Protestantischer Sozialkonservatismus, S. 245. 134 Vgl. Koch, Adolf Stoecker, S. 22 f., 25, 59 ff.; Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 112; Bernd Weisbrod: »Visiting« und »Social Control«. Statistische Gesellschaften und Stadtmissionen im Viktorianischen England, in: Christoph

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Sachße und Florian Tennstedt (Hrsg.): Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung, Frankfurt am Main 1986, S. 181–209. Adolf Stoecker: Über den Programmentwurf für die christlich-soziale Arbeiterpartei [1878], in: CS, S. 13–21, 17. Vgl. Siegfried A. Kaehler: Stoeckers Versuch, eine christlich-soziale Arbeiter-Partei in Berlin zu gründen, in: Paul Wentzke (Hrsg.): Deutscher Staat und deutsche Parteien. Beiträge zur deutschen Partei- und Ideengeschichte. FS Friedrich Meinecke, München 1922, S. 227–265. Programm der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei [1. 2. 1878], in: CS, S. 21–23. Vgl. Adolf Stoecker: Christlich-konservative Ziele für die Gegenwart [1881], in: CS, S. 353–368, 366; Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 144. Adolf Stoecker, Einleitung, in: CS, S. XV; Sozialdemokratisch, Sozialistisch und Christlich-Sozial [1880], in: CS, S. 319–338, 329. Vgl. Stoecker, Über den Programmentwurf für die christlich-soziale Arbeiterpartei [1878], in: CS, S. 13 f. Vgl. ebd., Einleitung, S. IX ff. Vgl. Kandel, Protestantischer Sozialkonservatismus, S. 239 ff. Adolph Wagner an Hermann Wagner, Briefe vom 18. 11. und 23. 12. 1877, in: BDA, S. 151, 160. Vgl. Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 77. Vgl. Adolph Wagner an Adolf Stoecker, Brief vom 2. 2. 1878, ebd., S. 164 f. Anders dagegen Werner Jochmann: Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer Agitator, in: Brakelmann u. a. (Hrsg.), Protestantismus und Politik, S. 123–198, 134; Koch, Adolf Stoecker, S. 70. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 163 f., 245. Hermann Bahr, Selbstbildnis. Zit. n. BDA, S. 227 f. Vgl. BDA, S. 419. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 197. Vgl. Martin Greschat: Adolf Stoecker und der deutsche Protestantismus, in: Brakelmann u. a. (Hrsg.), Protestantismus und Politik, S. 19–83, 30, 47. Eine Geschichte dieser Partei fehlt bislang. Vgl. einstweilen den Überblicksartikel von Dieter Fricke: Christlichsoziale Partei, in: Fricke (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 1, S. 440 ff. Vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 236 f. Vgl. Helmut Busch: Die Stoeckerbewegung im Siegerland. Ein Beitrag zur Siegerländer Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Siegen 1968. Bis 1893 konnte Stoecker in der Stichwahl beachtliche Ergebnisse erzielen: 1884 67 %, 1890 61 %: vgl. Imhof, »Einen besseren als Stöcker finden wir nicht«, S. 253 f. Vgl. Erich Hoener: Die Geschichte der christlich-konservativen Partei in Minden-Ravensberg von 1866 bis 1896. Ein Beitrag zur konservativen Parteigeschichte, Diss. Münster, Bielefeld 1923; Frank Nipkau: Traditionen der Er-

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weckungsbewegung in der Parteipolitik? Die Christlich-Konservativen und die Christlich-Soziale Partei in Minden-Ravensberg, 1878–1914, in: Josef Mooser (Hrsg.): Frommes Volk und Patrioten. Erweckungsbewegung und soziale Frage im östlichen Westfalen 1800–1900, Bielefeld 1989, S. 368–390. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 2, S. 118 f., 123. Vgl. Herman von Petersdorff: Kleist-Retzow. Ein Lebensbild, Stuttgart 1907, S. 493, 516 u. ö. Vgl. Heffter, Die Kreuzzeitungspartei. Aus der neueren Forschung Retallack, The German Right, S. 331 ff. Vgl. Dagmar Bussiek: »Das Gute gut und das Böse böse nennen«. Der Reichsbote 1873–1879, in: Michel Grunewald und Uwe Puschner (Hrsg.): Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), Bern 2008, S. 97–117. Vgl. Marc Zirlewagen: »Zu Eurem christlich-deutschen Kampf ein ewiges Glück auf!« Adolf Stoecker und die Vereine Deutscher Studenten, Norderstedt 2019. Vgl. Bussiek, Kreuzzeitung, S. 329 f. Vgl. ebd., S. 331 f.; Retallack, Notables of the Right, S. 91 ff. Vgl. Treue (Hrsg.): Deutsche Parteiprogramme, S. 77 ff. Vgl. Koch, Adolf Stoecker, S. 118. Ähnlich bereits Heffter, Die Kreuzzeitungspartei, S. 46: »Trotz aller Konzessionen an die neue Zeit gehören aber die Hammerstein und Stoecker doch noch zum alten Konservatismus der Gerlachs, als dessen letzte, wenn auch stark modernisierte Ausläufer«. In seinem Nachruf auf Stoecker hat auch Naumann diese Filiation behauptet: »Er war der letzte einheitliche Vertreter einer in ihre Teile sich auflösenden Bewegung, insofern als er der letzte starke Ausdruck des alten christlichen Konservativismus war. […] Mit Stoecker stirbt die letzte Truppe von den Getreuen Friedrich Wilhelms IV.« (zit. n. Koch, ebd., S. 199). Stoecker, Sozialdemokratisch, Sozialistisch und Christlich-Sozial, S. 335. Vgl. Stoecker, Christlich-konservative Ziele für die Gegenwart, S. 356. Adolf Stoecker, Zur Handwerkerfrage [1880], in: CS, S. 338–353, 340. Adolf Stoecker, Des Handwerks Not und Hilfe [o. J.], in: CS, S. 33–37, 33. Näher zu dieser Unterscheidung: Imhof, »Einen besseren als Stöcker finden wir nicht«, S. 216. Vgl. Stoecker, Sozialdemokratisch, Sozialistisch und Christlich-Sozial, S. 328. Vgl. Adolf Stoecker: Dreizehn Jahre Hofprediger und Politiker [1895], in: RS, S. 54–124, 97. Vgl. Stoecker, Zur Handwerkerfrage, S. 345. Vgl. Stoecker, Christlich-konservative Ziele für die Gegenwart, S. 363. Vgl. Adolf Stoecker: Christlich-sozial, evangelisch-sozial, kirchlich-sozial [1904], in: RS, S. 158–168, 165. Vgl. Stoecker, Sozialdemokratisch, Sozialistisch und Christlich-Sozial, S. 329.

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172 Adolf Stoecker: Die kaiserliche Botschaft [1881], in: CS, S. 121–132, 125; Die Bedeutung der neuen Sozialreform [1882], ebd., S. 384–403, 387. 173 Stoecker, Christlich-sozial, evangelisch-sozial, kirchlich-sozial, S. 161. Zu Stoeckers Antisemitismus vgl. Jochmann, Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer Agitator; Hans Engelmann: Kirche am Abgrund. Adolf Stoecker und seine antijüdische Bewegung, Berlin 1984; Jeremy D. A. Telman: Adolf Stoecker: Anti-Semite with a Christian Mission, in: Jewish History 9, 1995, S. 93–112; Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001, S. 248 ff.; Günter Brakelmann: Adolf Stoecker als Antisemit. Teil 1: Leben und Wirken Adolf Stoeckers im Kontext seiner Zeit, Waltrop 2004; Ulrich Friedrich Opfermann: »Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus«. Zur Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte 11, 2006, S. 109–146; 12, 2007, S. 81–113. 174 Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Zu Gartenlaube (Glagau) und ›Kreuzzeitung‹ (Perrot) vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 140 ff. Zur Neuen Evangelischen Kirchenzeitung, insbesondere den Beiträgen von Johannes de le Roi, vgl. Heinrichs, Das Judenbild im Protestantismus des Deutschen Kaiserreichs, S. 166 ff. 175 Adolf Stoecker: Notwehr gegen das moderne Judentum [1879], in: CS, S. 154– 168, 163; Das Judentum im öffentlichen Leben, eine Gefahr für das Deutsche Reich [1882], in: CS, S. 208–216, 214; Christlich-sozial, evangelisch-sozial, kirchlich-sozial, S. 161. 176 Die Berliner Kommunalwahlen von 1883 gingen zwar wie zuvor zugunsten des Fortschritts aus, doch erreichten die Konservativen im Bündnis mit den Antisemiten immerhin 25 162 Stimmen gegen 32 079 Stimmen. Bei den Reichstagswahlen von 1884 waren es gar 56 028 (= 28,4 %) gegen 71 000 (= 36 %). Vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 242, 244. 177 Adolf Stoecker: Unsere Forderungen an das moderne Judentum [1879], in: Brakelmann, Adolf Stoecker als Antisemit, S. 23. 178 Stoecker unterschrieb deshalb auch nach einigem Hin und Her die von Bernhard Förster und anderen initiierte sog. Antisemitenpetition von 1881, die eben dieses Ziel mit einigen weiteren wie der Verhinderung oder wenigstens Einschränkung der Einwanderung ausländischer Juden nach Deutschland verband. Seine Glaubwürdigkeit wurde erheblich erschüttert, als er diese Unterschrift am 22. 11. 1880 im Preußischen Abgeordnetenhaus zunächst leugnete. Zum Inhalt der Petition und zur Debatte vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 194 ff., 213 ff. Der Text von Stoeckers Rede ist nachzulesen bei Brakelmann, Adolf Stoecker als Antisemit. Teil 2, S. 57 ff. 179 Vgl. Adolf Stoecker: Brief vor der Reichstagswahl vom 26. Oktober 1881, in: Brakelmann, Adolf Stoecker als Antisemit. Teil 2, S. 125 f.; Die antijüdische

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Bewegung, gerechtfertigt vor dem Preußischen Landtag [1882], ebd., S. 153; Neujahrsbetrachtung 1893, ebd., S. 199. Vgl. Helmut Berding: Moderner Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988, S. 97. Die christlich-soziale Partei, kommentierte die Konservative Monatsschrift 1882, sei wohl ein stattlicher und fester Kern überzeugter Leute mit einem trefflichen Programm. »Aber um dieselbe her sind Freischärler und Freibeuter aller Art in den losen Parteigruppen, die ohne erkennbare Grenzen, ohne positives Programm, sich mit den negativen Bezeichnungen ›antifortschrittlich‹ oder noch lieber ›antisemitisch‹ durch das politische Leben winden zu können glauben.« Zit. n. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 259. Vgl. Koch, Adolf Stoecker, S. 25, 145; Heinrichs, Das Judenbild im Protestantismus des Deutschen Kaiserreichs, S. 186 ff., 213 ff. Vgl. [o. V.]: Das Stoeckerblatt, in: Die Zukunft 16, 1896, S. 160–174; [o. V.]: Zum Untergang des Stöckerschen ›Volk‹, in: Mittheilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 8, 1898, Nr. 50, S. 394 f. Hans Leuß (1861–1920) schied allerdings schon 1890 aus der Redaktion und aus der CSP aus und wechselte zur radikalantisemitischen Deutschsozialen Partei, für die er 1893 ein Reichstagsmandat gewann. Sein Nachfolger wurde Heinrich Oberwinder (1845–1914), 1863 Gründungsmitglied des lassalleanischen ADAV und anschließend in einer Vorläuferorganisation der österreichischen Sozialdemokratie engagiert, die er auf einen reformistischen Kurs festzulegen versuchte: vgl. die Hinweise bei Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 42 u. ö. Friedrich Engels verdächtigte ihn später, ein von den Liberalen bezahlter Agent zu sein: vgl. Friedrich Engels an Paul Lafargue, Brief vom 29. 12. 1887, in: MEW Bd. 36, S. 735. Vierzehn Jahre zuvor, als er in ihm noch einen Bündnispartner gegen die Bakunisten sah, war sein Urteil allerdings wesentlich wohlwollender ausgefallen: vgl. Friedrich Engels an Friedrich A. Sorge, Brief vom 3. 5. 1873, in: MEW Bd. 33, S. 581. Später schloß sich Oberwinder dem Nationalsozialen Verein Naumanns an und verfaßte wohl auch den o. g. Aufsatz über das »Stoeckerblatt«. Nach der Jahrhundertwende begegnet er vor allem als Propagandist des Deutschen Flottenvereins: vgl. Inho Na: Sozialreform oder Revolution. Gesellschaftspolitische Vorstellungen im NaumannKreis 1890–1903/4, Marburg 2003, S. 49; Eley, Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus, S. 162, 167 f. Zur antisemitischen Einstellung der Redakteure des Volks vgl. etwa Hellmut von Gerlach: Dürfen wir Antisemiten sein?, in: Das Volk, Nr. 91, 17. 4. 1889, aber auch seine spätere Distanzierung: Vom deutschen Antisemitismus, in: Patria. Jahrbuch der Hilfe, 1904, S. 141–156. Andere einschlägige Beiträge sind: Heinrich Oberwinder: Der Fall Buschoff. Die Untersuchung über den Xantener Knabenmord. Von einem Eingeweihten, Berlin 1892; Hans Leuß: »Das richtige Wanzenmittel«: ein jüdischer Staat. Ein Vorschlag zur Güte, Leipzig

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1893. 1894 erschien ein Artikel in Hardens Zukunft, in dem Leuß Stoeckers Vorarbeit für die antisemitische Bewegung würdigte, zugleich aber mißbilligend hinzufügte: »Hätte Stoecker die Hälfte der Arbeit, die er an Berlin verschwendet hat, der Provinz gewidmet und hier nach der rednerischen Arbeit auch organisirt, so würde er heute an der Spitze einer antisemitischen Fraktion von 50–80 Mann im Reichstag sitzen« (Hans Leuß: Die antisemitische Bewegung, in: Die Zukunft 7, 1894, S. 327–332, 328). Vgl. das endgültig erst am 28. 2. 1896 verabschiedete Parteiprogramm der Christlich-Sozialen Partei, in: Brakelmann, Adolf Stoecker als Antisemit, Bd. 2, S. 212 ff. Zum Verhältnis Wilhelms II. zu Stoecker vgl. John C. G. Röhl: Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859–1888, München 1993, S. 424 f., 711 ff.; Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888–1900, München 2001, S. 267 ff., 347, 454 ff.; Norbert Friedrich: Die Christlich-soziale Bewegung und Wilhelm II., in: Stefan Samerski (Hrsg.): Wilhelm II. und die Religion. Facetten einer Persönlichkeit und ihres Umfelds, Berlin 2001, S. 105–132. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 393 ff. In die Literatur ist dieser Brief als der sogenannte »Scheiterhaufenbrief« eingegangen. Vgl. noch Hans Leuß: Wilhelm Freiherr von Hammerstein 1881–1895 Chefredakteur der Kreuzzeitung. Auf Grund hinterlassener Briefe und Aufzeichnungen, Leipzig 1905. Vgl. Puhle, Agrarische Interessenpolitik, S. 314. Zit. n. [o. V.]: Stöcker und die Conservativen, in: Mittheilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 5, 1895, Nr. 44, 2. 9. Zit. n. Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 264. Mit den »Jungen« dürfte neben Oberwinder auch Hellmut von Gerlach gemeint sein, der sich seine journalistischen Sporen beim Deutschen Adelsblatt verdient hatte, während seines Studiums zum glühenden Verehrer sowohl Stoeckers als auch Adolph Wagners geworden war und 1892 zur Redaktion des Volks stieß: vgl. Franz Gerrit Schulte: Der Publizist Hellmut von Gerlach (1866–1935). Welt und Werk eines Demokraten und Pazifisten, München etc. 1988, S. 14 f., 20, 25 ff. Mit Adolf Stein (1871–1945) gehörte übrigens um 1895/96 auch einer der prominentesten rechtsradikalen Publizisten der Weimarer Republik zur Redaktion des Volks: vgl. ebd., S. 34; Gerd Stein: Adolf Stein alias Rumpelstilzchen. »Hugenbergs Landsknecht« – einer der wirkungsmächtigsten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts, Münster 2014. Vgl. Frank, Adolf Stoecker, S. 270. Vgl. [o. V.]: Stöcker und die Conservativen, in: Mittheilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 5, 1895, Nr. 50, 14. 12. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 2, S. 123. Zit. n. Frank, Adolf Stoecker, S. 271.

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Anmerkungen | 355 196 Else von Richthofen: Ueber die historischen Wandlungen in der Stellung der autoritären Parteien zur Arbeiterschutzgesetzgebung und die Motive dieser Wandlungen, Diss. Heidelberg 1901, S. 72. 197 Vgl. Manfred Schick: Kulturprotestantismus und soziale Frage, Tübingen 1970, S. 81. 198 Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 1, S. 246, 298, 317, 342. 199 Vgl. Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 136. 200 Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 2, S. 139. 201 Vgl. ebd., S. 195; Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 278, 285; BDA, S. 297, 309. 202 Wagner, Grundlegung [1876], S. 260. 203 Zu Adolph Wagners Sozialismusverständnis vgl. weiter unten unter »Konservativer Sozialismus?« 204 Vgl. Stoecker, Sozialdemokratisch, Sozialistisch und Christlich-Sozial, S. 329; Die Bedeutung der neuen Sozialreform, S. 384–403, 399; Imhof, »Einen besseren als Stöcker finden wir nicht«, S. 208 f. 205 Wie die Judenemanzipation hat Stoecker auch das allgemeine Wahlrecht lediglich aus taktischen Gründen hingenommen. Daß »die Ungebildeten über die Gebildeten herrschen, und daß die Nichtsteuerzahler aus den Taschen der Steuerzahler die Steuern bewilligen sollten«, erschien ihm widersinnig, weshalb er im Reichstag dafür warb, »gegenüber dem unorganischen Aufbau des allgemeinen gleichen Wahlrechts einen organischen Reichstag zu bilden, der sich auf Berufsinteressen aufbaut«, anders gesagt: das allgemeine Wahlrecht durch ein berufsständisches zu ersetzen, das eine überproportionale Vertretung der Interessen der agrarischen Produzenten sicherstellen sollte. Vgl. Oertzen, Adolf Stoecker, Bd. 2, S. 261. 206 Vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 162 f.; Jochmann, Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer Agitator, S. 147. 207 Vgl. Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 166. 208 Zit. n. Jochmann, Stoecker als nationalkonservativer Politiker und antisemitischer Agitator, S. 149. 209 Vgl. Kurt Wawrzinek: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien (1873–1890), Berlin 1927, S. 37, 51 ff. Gegenüber der modischen Subsumtion unter »Rassismus« (so etwa bei Imhof, »Einen besseren als Stöcker finden wir nicht«, S. 113) beharrt Jan Weyand zu Recht darauf, in bezug auf Stoecker von einem eigenständigen »christlich-nationalen Antisemitismus« zu sprechen, der von anderen (hier nicht zu erörternden) Typen der Wissensformation des modernen Antisemitismus zu unterscheiden sei. Vgl. ders.: Historische Wissenssoziologie des modernen Antisemitismus. Genese und Typologie einer Wissensformation am Beispiel des deutschsprachigen Diskurses, Göttingen 2016, S. 292 ff.

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210 Vgl. Dieter Fricke: Antisemitische Parteien 1879–1894, in ders. (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 1, S. 77–88, 83. 211 Vgl. Mittheilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus 1, 1891, Nr. 4, 15. 11., S. 5; 2, 1892, Nr. 45, 6. 11., S. 371; ebd., Nr. 11, 13. 3., S. 96; ebd., Nr. 14, 3. 4., S. 125. 212 Ebd. 2, 1892, Nr. 44, 30. 10., S. 357. 213 Zit. n. ebd. 6, 1896, Nr. 42, 17. 10., S. 332. 214 Vgl. meine Studie: Die Völkischen in Deutschland, S. 54 ff. 215 Vgl. Stefan Scheil: Die Entwicklung des politischen Antisemitismus in Deutschland zwischen 1881 und 1912. Eine wahlgeschichtliche Untersuchung, Berlin 1999, S. 132; Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 236. 216 Vgl. Richard S. Levy: The Downfall of the Antisemitic Political Parties in Imperial Germany, New Haven und London 1975, S. 106 ff.; Dieter Fricke: Deutschsoziale Reformpartei (DSRP), 1894–1900, in ders. (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 2, S. 540–546.

6. Träume vom »wahren Conservatismus«: Constantin Frantz und Paul de Lagarde 1 2 3 4 5

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Richard Wagner: Was ist deutsch? [1865–1878], in: DS Bd. 10, S. 84–103, 97; Deutsche Kunst und deutsche Politik [1867/68], in: DS Bd. 8, S. 247–352, 346. Vgl. Richard Wagner: Was ist deutsch?, S. 84–103, 103. Constantin Frantz: Preußischer Conservatismus [1873], in: LPA, S. 185–200, 185 f. Paul de Lagarde: Programm für die konservative Partei Preußens [1884], in: SDV I, S. 372–429, 372. Für eine ausführlichere Erörterung vgl. meine Studien: Richard Wagners Fundamentalismus, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 73, 1999, S. 643–664; Religion – Kunst – Politik, in: Eckehard Kiem und Ludwig Holtmeier (Hrsg.): Richard Wagner und seine Zeit, Laaber 2003, S. 145–181. Wagner, Deutsche Kunst und deutsche Politik, S. 247. Vgl. Constantin Frantz: Die Philosophie der Mathematik. Zugleich ein Beitrag zur Logik und Naturphilosophie, Leipzig 1842; Grundzüge des wahren und wirklichen absoluten Idealismus. Ferner die Kompilation: Hegels Philosophie in wörtlichen Auszügen, hrsg. u. eingel. von C. Frantz und A. Hillert, Berlin 1843. Vgl. Constantin Frantz: Unsere Politik, Berlin 1850³, S. 40, 66; Unsere Verfassung, Berlin 1851; Die Constitutionellen, Berlin 1851; Die Erneuerung der Gesellschaft und die Mission der Wissenschaft, S. 52 ff. Vgl. Frantz, Von der deutschen Föderation, S. 87 ff.

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Vgl. Stender, Lavergne-Peguilhen, S. 313 ff.; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 158 f. Da die meisten Beiträge in der Berliner Revue nicht namentlich gekennzeichnet sind, läßt sich die Mitarbeit von Frantz nur schwer spezifizieren. Mit Sicherheit, weil auch als Separatdruck mit Verfasserangabe erschienen, stammt der folgende Text aus seiner Feder: Die Politik der Zukunft, in: Berliner Revue 13, 1858, Bd. 2, S. 51–64. Lavergne war übrigens von Frantz’ Aufsätzen wenig angetan und bemühte sich, den Verfasser an das Statistische Büro wegzuloben: vgl. Stender, S. 314 f. Hermann Wagener, ab 1861 Eigentümer der Berliner Revue, gehörte später zu den bevorzugten Zielscheiben von Frantz’ Polemik. ›Thätigster Agent der Bismarckerei‹ und ›reactionärer Goliath‹ waren noch die freundlichsten Titel. Vgl. Frantz, Preußischer Conservatismus, S. 196 ff.; Gründergeschichten [1874], in: LPA, S. 236–250, 236 ff. Wagener seinerseits lehnte zwar Frantz’ Föderalismusidee ab, stimmte aber seinen Vorschlägen zur Lösung der sozialen Frage zu: vgl. [Hermann Wagener]: Die Lösung der sozialen Frage, S. 13. Vgl. Jürgen Elvert: Constantin Frantz (1817–1891), in: Heinz Duchhardt (Hrsg.): Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1, Göttingen 2006, S. 153–178, 163. Eine erste Entlassung war schon 1858 aus Anlaß einer gegen Manteuffel gerichteten Broschüre erfolgt (Quid faciamus nos), doch hat der Sturz des Ministerpräsidenten im gleichen Jahr Frantz noch einmal eine Rückkehr in den Staatsdienst ermöglicht: vgl. Stamm, Konstantin Frantz (1930), S. 62, 143. Zu den biographischen Angaben vgl. die Artikel in: ADB, Bd. 48, 1904, S. 716– 720 (Otto Schuchardt) und NDB, Bd. 5, 1961, S. 353–356 (Erich Wittenberg). Ferner Stamm, Konstantin Frantz (1907); Kurze Gesamtdarstellung des Lebens von Konstantin Frantz, in ders.: Ein berühmter Unberühmter. Neue Studien über Konstantin Frantz und den Föderalismus, Konstanz 1948, S. 143–156; Winfried Becker: Der Föderalist Constantin Frantz. Zum Stand seiner Biographie, der Edition und der Rezeption seiner Schriften, in: Historisches Jahrbuch 117, 1997, S. 188–211. Vgl. Constantin Frantz: Die Genesis der Bismarckschen Aera und ihr Ziel, München 1874, S. 9, 13 ff.; Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes vom preußischen Standpunkte betrachtet, Berlin 1870, S. 12. Richard Wagner: Zur Widmung der zweiten Auflage von Oper und Drama [28. April 1868]. An Constantin Frantz, in: DS Bd. 7, S. 371–375, 372. Zu Frantz’ Besuch in Tribschen vgl. Carl Friedrich Glasenapp: Das Leben Richard Wagners, 6 Bde., Bd. 4, Leipzig 19052, S. 192 f. Richard Wagner, Oper und Drama, in: DS Bd. 7, S. 191. In einem nicht erhaltenen Brief vom März 1871 warf Frantz Wagner vor, »den ›National-liberalen‹ anzugehören«; er selbst dagegen wolle »nicht mit dem deutschen Kaiserreich ›mitmachen‹«: CT Bd. 1, S. 370. Wagner wiederum fand das Buch, das Frantz ihm gleichwohl noch zugehen ließ – vermutlich Das neue

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Deutschland – erschreckend: »›Unbeholfenheit und Scheelsucht, das sind die Eigenschaften der Deutschen‹, sagt R. Das Kapitel über Bismarck ist wirklich empörend« (ebd., S. 457). Drei Jahre später bekräftigte Wagner seine Kritik. Frantz habe »keine Empfindung für die Großartigkeit der Persönlichkeit Bismarck’s, und das ist schlimm« (ebd., S. 866). Frantz seinerseits hielt Wagner vor, er habe sich mit seinen Ansichten so weit von ihm entfernt, daß er in ihm fast einen Gegner sehen müsse. »Ich gestehe Ihnen, Ihr Kaisermarsch war mir wie ein Stich in’s Herz«: Constantin Frantz an Richard Wagner, Brief vom 3. 11. 1874, in ders.: Briefe, S. 77. Vgl. m. w. N. Annette Hein: »Es ist viel Hitler in Wagner«. Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in den Bayreuther Blättern (1878–1938), Tübingen 1996, S. 221 f., 276. CT Bd.2, S. 193. Vgl. Richard Wagner an Constantin Frantz, Brief vom 14. 7. 1879, in: Richard Wagner: Briefe, ausgew., eingel. u. kommentiert von Hanjo Kesting, München und Zürich 1983, S. 607 ff. Vgl. CT Bd. 2, S. 625 f., 640, 803. Diese Bemerkungen beziehen sich auf Constantin Frantz: Schellings positive Philosophie, 3 Teile, Cöthen 1879–80. Daß Frantz ausgerechnet dieses Buch mit einer freundschaftlichen Widmung an Richard Wagner versah, muß von dem Anhänger Schopenhauers entweder als Malice oder als Mißachtung empfunden worden sein. CT Bd. 2, S. 1013. Richard Wagner, Deutsche Kunst und deutsche Politik, S. 250. Richard Wagner, Was ist deutsch?, S. 90. Vgl. Constantin Frantz: Der Bankrott der herrschenden Staatsweisheit, München 1874, S. 33 ff., 39 f. Vgl. Constantin Frantz: Die Agrarpartei in Preußen [1875], in: LPA, S. 304– 316, 314 f.; Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 54 f.; Die Naturlehre des Staates, S. 417, 173. Frantz, Die Agrarpartei in Preußen, S. 317. Zur Kritik des römischen Rechts vgl. auch ders.: Kritik aller Parteien, S. 270 f. Frantz, Grundzüge des wahren und wirklichen absoluten Idealismus, S. 137. Vgl. Richard Wagner, Die Kunst und die Revolution [1849], in: DS Bd. 5, S. 273–310, 292. Vgl. statt vieler einzelner Zeugnisse seine Verteidigung des Christentums gegen Eduard Hartmanns Frontalangriff Die Selbstzersetzung des Christentums und die Religion der Zukunft (Berlin 1874): Constantin Frantz: Philosophismus und Christenthum. Blätter für deutsche Politik und deutsches Recht, Nr. 12, München 1875. Die Schrift ist dem Andenken Schellings gewidmet. Vgl. Frantz, Die Erneuerung der Gesellschaft und die Mission der Wissenschaft, S. 10 f.

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Vgl. Frantz, Ahasverus oder die Judenfrage [1844], S. 52. Aus dieser Perspektive ergibt sich noch kein spezifischer Antijudaismus, geschweige denn Antisemitismus, da das Argument im Prinzip auf alle mit dem Christentum konkurrierenden Religionen zielt, soweit sie monopolistische Ansprüche erheben. Ein antijüdischer Akzent kommt erst dadurch hinein, daß das Judentum durch seine Verwerfung des Christentums als mit einem besonderen Fluch behaftet gedacht wird, der durch die Figur des Ahasver symbolisiert wird (vgl. ebd., S. 57). Zum weiteren Ausbau dieser Denkfigur zu einem antisemitischen Syndrom vgl. Michael Dreyer: Judenhaß und Antisemitismus bei Constantin Frantz, in: Historisches Jahrbuch 111, 1991, S. 155–172. Einige notwendige Korrekturen dazu, insbesondere in puncto »Rassismus«, bei Becker, Der Föderalist Constantin Frantz, S. 206 f. Frantz, Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 25. Vgl. Frantz, Der Föderalismus, S. 36, 27. Frantz, Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 26. Vgl. statt vieler Jens Malte Fischer: Richard Wagners ›Das Judentum in der Musik‹. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt 2000. Zur Verschärfung der Judenfeindschaft vgl. Wagners Tagebuchaufzeichnungen für König Ludwig II. aus dem Jahr 1865, in: König Ludwig und Richard Wagner, Briefwechsel, hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner, bearb. von Otto Strobel, 4 Bde., Karlsruhe 1936 ff., Bd. 4, S. 19, 28. Vgl. Horst Stuke: Philosophie der Tat. Studien zur Verwirklichung der Philosophie bei den Junghegelianern und den Wahren Sozialisten, Stuttgart 1963, S. 76 ff. Hegels System wird 1859 als Philosophie des »Intelligenzstaates« qualifiziert, was für den Propagandisten des ›volksthümlichen Militairstaates‹ kein Kompliment war (Der Militairstaat, S. 42). Über die Bezüge zu Fichte vgl. Stamm, Konstantin Frantz (1907), S. 39; über diejenigen zu Schelling André Schmiljun: Zwischen Modernität und Konservatismus. Eine Untersuchung zum Begriff der Antipolitik bei F. W. J. Schelling (1775–1854). Phil. Diss. Berlin 2014, S. 146 ff. – Nur am Rande sei bemerkt, daß zumindest in puncto Judenfeindschaft die Nähe zu Fichte stets größer blieb als diejenige zu Schelling. Denn Schelling reduzierte zwar das Judentum auf eine Vorläuferreligion zum Christentum, sprach sich jedoch dafür aus, den Juden »die notwendigen menschlichen Rechte« zuzugestehen, was sich nach Lage der Dinge nur auf die ihnen bis dahin verweigerten politischen Rechte beziehen konnte. Vgl. Micha Brumlik: Deutscher Geist und Judenhaß, München 2002, S. 269, 271, 273. Letzteres hat Frantz seit dem Ahasverus (S. 55) entschieden abgelehnt. Wilhelm Windelband: Geschichte der Philosophie, Tübingen und Leipzig 1900², S. 504 f. Zit. n. Kondylis, Konservativismus, S. 326.

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Vgl. Frantz, Grundzüge des wahren und wirklichen absoluten Idealismus, S. 20, 281. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 54, 15. Vgl. bereits Frantz, Vorschule zur Physiologie der Staaten, S. 125 ff. Frantz, Der Föderalismus, S. 384. Vgl. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 411. Frantz, Der Föderalismus, S. 323 f. Frantz, Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht, S. 222; Die Naturlehre des Staates, S. 442; vgl. Der Föderalismus, S. 298, 324, 327. Frantz, Der Föderalismus, S. 406 f.; Die Naturlehre des Staates, S. 447 f. Vgl. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 36, 83. Frantz, Der Föderalismus, S. 37, 206. Vgl. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 198. Ebd., S. 206. Vgl. auch S. 121, 125, 143; Die Naturlehre des Staates, S. 118 ff. Frantz, Kritik aller Parteien, S. 63 f. Vgl. ebd., S. 138; Der Föderalismus, S. 129; Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 451 f.; Vorschule, S. 301. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 172; Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 464 ff. Vgl. Vorschule, S. 309. Frantz, Der Föderalismus, S. 231; Bismarckianismus und Friedricianismus, München 1873, S. 31. Constantin Frantz: Sozialismus und Konservatismus I, in: Deutsche Reform Nr. 493 vom 13. 9. 1849. Zit. n. Stamm, Konstantin Frantz (1907), S. 145. Frantz, Der Föderalismus, S. 231. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 15, 21, 61 ff., 85 ff. Vgl. auch ders.: Zur Socialistenhetze, in: Der Staats-Socialist 1, 1878, Nr. 29 vom 13. 7. Frantz, Der Föderalismus, S. 201. Ebd., S. 164. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 174. Vgl. Vorschule, S. 214. Vgl. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 42; Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 451 f. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 201; Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 23. Vgl. Frantz, Der Militairstaat, S. 113. Der spätere Gegner Bismarcks antizipierte in diesem Text übrigens dessen Politik während des Heereskonflikts, erklärte er doch ausdrücklich Autokratie und Bürokratie nicht zu notwendigen Elementen des »Militärstaates«, der sich vielmehr durchaus mit einer Kontrolle durch eine allgemeine Landesvertretung vertrage. Entscheidend sei aber, daß das Steuerbewilligungsrecht nicht in einer Weise geübt werde, welche den militärischen Charakter des Staates untergrabe, was wiederum zwingend ein ›eisernes‹, nicht vom Landtag beeinflußbares Armeebudget erforderlich mache

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(ebd., S. 117 f.). Vgl. Johanna Philippson: Constantin Frantz, in: The Leo Baeck Institute Year Book 13, 1968, S. 102–119, 110. Vgl. Frantz, Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen, S. 36, 58, 75 ff. Vgl. Frantz, Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 53, 22. Ebd., S. 36; Gründergeschichten, S. 239. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 14, 200, 202; Gründergeschichten, S. 247. Zur Rolle der »goldenen Internationale« vgl. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 37; Der Föderalismus, S. 42. Vgl. Frantz, Der Föderalismus, S. 160 f. Der von Frantz zurückgewiesene Vorschlag, Tagelöhner zu Kleinbauern zu machen, wurde seit den 60er Jahren von Agrarreformern unterschiedlicher Couleur diskutiert, bspw. von Liberalen wie Schmoller oder Konservativen wie von der Goltz oder Rudolf Meyer. Vgl. Gustav Schmoller: Die ländliche Arbeiterfrage mit besonderer Rücksicht auf die norddeutschen Verhältnisse, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 22, 1866, H. 2./3., S. 171–233, 208, 195 ff.; Theodor Frhr. von der Goltz: Die ländliche Arbeiterfrage und ihre Lösung, Danzig 1874², S. 184 ff.; Rudolf Meyer: Die Rentengütergesetze in Preußen, in: Die Neue Zeit 11.2, 1892/93, Nr. 33, S. 172–180, 176. Daraus wurde bekanntlich nichts. Vgl. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 273, 348 ff.; Die Naturlehre des Staates, S. 172 f., 239; Der Untergang der alten Parteien, S. 32 f.; Vorschule, S. 214. Zum »Napoleonismus« vgl. auch weiter unten, Exkurs I. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 58, 76. Vgl. Frantz, Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen, S. 79, 82. Ebd., S. 106, 57, 60. Ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 82 ff.; Der Föderalismus, S. 44 f. Dies richtig erkannt zu haben, würdigte Frantz auch an der christlich-sozialen Bewegung Stoeckers. Allerdings warf er ihr zugleich vor, dies mit einer Begeisterung für eben jenen Staat und jenen Kanzler zu verbinden, die das Aufkommen der Judenherrschaft erst ermöglicht hätten. Vgl. Constantin Frantz: Die Weltpolitik, 3 Bde., Chemnitz 1882 und 1883, Bd. 3, S. 108. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 57, 90 ff., 136, 204. Mit Anerkennung erwähnt Frantz auch Proudhon, und das durchaus nicht nur unter Bezugnahme auf dessen Buch Du principe fédératif (1863). Vgl. näher Frédéric Krier: Sozialismus für Kleinbürger. Pierre Joseph Proudhon – Wegbereiter des Dritten Reiches, Köln etc. 2009, S. 325 ff. Vgl. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 9. Als konservativen Intellektuellen oder gar ›Auftragspolitiker‹ deuten Frantz bspw.: Stamm, Konstantin Frantz (1907), S. 81, 89, 139; (1930), S. 33 u. ö.; Adalbert Wahl: Konstantin Frantz, in: Arnim und von Below (Hrsg.), Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien, S. 139–146; Lauxtermann, Constantin Frantz, S. 20, 37 u. ö.; Johann Baptist Müller: Konservatis-

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mus und Außenpolitik, Berlin 1988, S. 66; Peter Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 125 ff.; v. Beyme: Geschichte der politischen Theorien, S. 287 ff.; mit Einschränkung auch Iain McDaniel: Constantin Frantz and the Intellectual History of Bonapartism and Caesarism: A Reassessment, in: Intellectual History Review 28, 2018, S. 317–338, 317, 331. Frantz, Von der deutschen Föderation, S. 99. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 117. Frantz, Kritik aller Parteien, S. 19. Vgl. auch: Die Quelle alles Uebels, S. 137. Auf die argumentative Nähe zu Mannheim macht Lauxtermann, Constantin Frantz, aufmerksam (S. 127 f.). Frantz, Die Staatskrankheit, S. 128. Frantz, Der Föderalismus, S. 206 f. Constantin Frantz: Zur Reform der politischen Wissenschaften [1874], in: LPA, S. 277–287, 278 f. Ebd. Vgl. Frantz, Der Untergang der alten Parteien, S. 167 f.; Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen, S. 20 ff. Frantz, Die Quelle alles Uebels, S. 91 f. Vgl. auch ebd., S. 129. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 410. Überhaupt erschien Frantz mit Blick auf Radowitz, Savigny, Leo, Huber und andere der preußische Konservatismus mehr oder weniger als ein Import aus dem Ausland, als ein von Anfang an nur »künstlich gemachtes Wesen […], welches in dem Preußenthum selbst keine Wurzel hatte, noch Wurzel schlagen konnte«: Der Conservatismus des Hrn. v. Diest [1874], in: LPA, S. 262–270, 269. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 46 f. Frantz, Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft, S. 7. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 129; vgl. ders.: Der Conservatismus des Hrn. v. Diest, S. 263. Frantz, Preußischer Conservatismus, S. 198 f. Frantz, Der Conservatismus des Hrn. v. Diest, S. 262. Vgl. Frantz, Der Föderalismus, S. 323. Frantz, Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht, S. 357. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 319, 225, 330. Ebd., S. 258, 13. Vgl. Lauxtermann, Romantik und Realismus, S. 60. Frantz, Preußischer Conservatismus, S. 186; Zur Beförderung der deutschen Einheit [1865], in: LPA, S. 1–27, 24. Frantz: Kritik aller Parteien, S. 16. Mannheim, Konservatismus, S. 102 f. Mannheim, der hier explizit an Frantz anschließt, sieht darin eine durchaus brauchbare Allgemeindefinition des Konservatismus, die aber der Spezifizierung bedürfe, sobald es um den »historischen Begriff des Konservatismus in einer bestimmten Epoche« gehe (ebd., S. 103).

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Vgl. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 42, 202 ff., 451 f. Vgl. ebd., S. 115 ff., 126 f. Vgl. ebd., S. 127; Der Conservatismus des Hrn. v. Diest, S. 267. Constantin Frantz: Präliminarien zu einem Programm der föderativen Partei [1875], in: LPA, S. 369–379, 376. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 127, 136, 264 f.; Gabriele Lorenz: De Bonald als Repräsentant der gegenrevolutionären Theoriebildung, Frankfurt am Main etc. 1997, S. 29, 35, 42 f. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 127 (Herv. v. mir, S. B.). Vgl. ebd., S. 121, 57, 119, 194. Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 348. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 120, 127; vgl. Der Föderalismus, S. 121 f., 125, 143. Wenn Frantz bisweilen dennoch für bestimmte ›ständische‹ Rechte votiert (vgl. Die Naturlehre des Staates, S. 152), so ist im Auge zu behalten, daß damit im Marxschen Sinne ›soziale‹ Stände gemeint sind, nicht die politischen Stände der societas civilis. Frantz, Die sociale Steuerreform, S. 143. Frantz, Der Föderalismus, S. 383 f. Vgl. ebd., S. 124; Vorschule, S. 17 ff., 264. Ferner das Differenzierungskonzept in: Der Militairstaat, wo den Sphären der Regierung, der bürgerlichen Gesellschaft und des ›Geistes‹ je spezifische Medien zugewiesen werden: Befehl, Recht, volle Freiheit (S. 91). Vgl. CT Bd. 1, S. 668. Vgl. Paul de Lagarde: Ueber das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion. Ein Versuch, Nicht-Theologen zu orientieren, Göttingen 1873 (im folgenden zit. n. dem Wiederabdruck in: SDV I, S. 45–90); Friedrich Nietzsche an Erwin Rohde, Brief vom 31. 1. 1873, in ders.: Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 4, München 1986, S. 121. Vgl. dazu sowie zur weiteren Entwicklung von Nietzsches Auffassungen über Lagarde: Lougee, Paul de Lagarde, S. 227 ff., 300 ff.; Andreas Urs Sommer: Zwischen Agitation, Religionsstiftung und »Hoher Politik«: Friedrich Nietzsche und Paul de Lagarde, in: Nietzscheforschung 4, 1997, S. 169–194. Vgl. CT Bd. 1, S. 803. Vgl. Paul de Lagarde: Über die gegenwärtige Lage des deutschen Reichs. Ein Bericht, Göttingen 1876 (im folgenden zit. n. dem Wiederabdruck in: SDV I, S. 114–194); Franz Overbeck an Paul de Lagarde, Brief vom 14. 1. 1876, in: Niklaus Peter und Andreas Urs Sommer: Franz Overbecks Briefwechsel mit Paul de Lagarde, in: Journal for the History of Modern Theology 3, 1996, S. 127–172, S. 155 f.; Sieg, Deutschlands Prophet, S. 179. CT Bd. 1, S. 966 (18. 1. 1876). Ebd. (21. 1. 1876).

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364 | Anmerkungen

115 Vgl. Lougee, Paul de Lagarde, S. 227 ff.; Sieg, Deutschlands Prophet, S. 179. 116 Vgl. Paul de Lagarde: Ueber die gegenwärtigen aufgaben der deutschen politik. Ein vortrag, gehalten im november 1853, in ders.: Politische Aufsätze, Göttingen 1874, S. 3–32 (im folgenden zit. n. dem Wiederabdruck in SDV I, S. 22–44). 117 Richard Wagner, Deutsche Kunst und deutsche Politik, S. 347. 118 Vgl. Jürgen Schriewer: Lagarde, Paul de, in: NDB 13, 1982, S. 409–412. 119 Vgl. Paul de Lagarde: Konservativ? [1853], in SDV I, S. 9–21, 10. 1849 war einem der Führer der demokratischen Fraktion der preußischen Nationalversammlung, Benedikt Franz Waldeck, der Prozeß gemacht worden aufgrund von Anschuldigungen in der ›Kreuzzeitung‹, die sich auf gefälschte Schriftstücke stützten. Der verantwortliche Redakteur, Hermann Goedsche (Sir John Retcliffe), wurde durch den Leiter des Blattes, Hermann Wagener, gedeckt. Die Fälschung flog jedoch auf und Waldeck wurde freigesprochen. Vgl. Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, S. 610. 120 Paul de Lagarde an Eduard Böhmer, Brief vom 17. 6. 1855. Zit. n. Sieg, Deutschlands Prophet, S. 79. Gemeint sein dürfte, wenn es sich nicht um einen Druckfehler handelt, die Kreuzzeitungspartei. 121 Lagarde, Drei Vorreden [1881], in: SDV I, S. 91–102, 101. 122 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 372. 123 Ebd., S. 166. 124 Vgl. Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 152, 156. 125 Ebd., S. 124, 188; vgl. S. 139, 183. 126 Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion [1873], in: SDV I, S. 45–90, 85. 127 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 161; Die Religion der Zukunft [1878], in: SDV I, S. 251–286, 272; vgl. Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 114. Zur Distanz gegenüber Schopenhauer vgl. Drei Vorreden [1881], in: SDV I, S. 99. Vgl. dazu auch die Typologie von Weltverhältnissen in Max Webers Religionssoziologie, die Wolfgang Schluchter ausgearbeitet hat: Religion und Lebensführung, 2 Bde., Frankfurt am Main 1988, Bd. 2, S. 192 ff. 128 Vgl. Martin Riesebrodt: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung, Tübingen 1990, S. 20 ff. 129 Richard Wagner, Deutsche Kunst und deutsche Politik, S. 262, 279. 130 Richard Wagner: Beethoven [1870], in: DS Bd. 9, S. 38–109, 57, 59, 103, 106. Vgl. Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik [18721], in: KSA Bd. 1, München 1988, S. 9–156. Dazu näher: Nietzsches Transformation des Fundamentalismus, in: Breuer, Moderner Fundamentalismus, S. 203–217. 131 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 147. 132 Paul de Lagarde an seinen Schwiegervater, Brief vom 15. 12. 1859. Zit. n. Sieg, Deutschlands Prophet, S. 80.

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Anmerkungen | 365 133 Paul de Lagarde an Anna de Lagarde, zit. n. Sieg, Deutschlands Prophet, S. 180. 134 Zum ästhetischen Fundamentalismus vgl. die Studien zu Richard Wagner und dem George-Kreis in meinem oben (Anm. 130) zitierten Buch. 135 Ludwig Schemann: Paul de Lagarde, München 1920, S. 375. Näher zu Schemann, einer Schlüsselfigur der völkischen Bewegung, Julian Köck: »Die Geschichte hat immer recht«. Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder, Frankfurt am Main und New York 2015, S. 184 ff. 136 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 153; Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 69. 137 Vgl. Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 68, 72. 138 Ebd., S. 87 f. 139 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 418. 140 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 153; vgl. Die nächsten Pflichten deutscher Politik [1885], in: SDV I, S. 443–481, 459; Lougee, Paul de Lagarde, S. 131 f. 141 Vgl. Lagarde, Die Religion der Zukunft, S. 270; Jean Favrat: La Pensée de Paul de Lagarde (1827–1891), Lille und Paris 1979, S. 162, 167. 142 Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 90. 143 Vgl. ebd., S. 78; Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 147; Die Reorganisation des Adels [1881], in: SDV I, S. 326–334, 333. Zu dieser holistischen Denkfigur und ihren Folgen vgl. Louis Dumont: Individualismus. Zur Ideologie der Moderne, Frankfurt am Main und New York 1991, S. 128 ff., 144 ff. 144 Lagarde, Die Religion der Zukunft, S. 279. 145 Ebd., S. 277 f. 146 Lagarde, Drei Vorreden, S. 101; Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 88 f. 147 Vgl. Reinhard Margreiter: Erfahrung und Mystik. Grenzen der Symbolisierung, Berlin 1997, S. 72 ff. Mit Elisabeth Langgässer könnte man auch von »Welt-Mystik« sprechen. Vgl. Die Welt vor den Toren der Kirche [ca. 1925], zit. n. dem Abdruck in: Anthony W. Riley: ›Alles Außen ist Innen‹, in: Wolfgang Frühwald und Heinz Hürten (Hrsg.): Christliches Exil und christlicher Widerstand, Regensburg 1987, S. 186–225, 202. 148 Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 79. 149 Ebd., S. 80. 150 Vgl. Franz Overbeck: Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie [1873], Leipzig 1903², S. 129; Wolfgang Tilgner: Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube. Ein Beitrag zur Geschichte des Kirchenkampfes, Göttingen 1966, S. 73. 151 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 145.

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366 | Anmerkungen

152 Ernst Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. Gesammelte Schriften, Bd. 1, Tübingen 1919, S. 931. Vgl. Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 179; Favrat, La Pensée de Paul de Lagarde, S. 129 ff. Man könnte in dieser Haltung einen Widerspruch zur regressiven Position sehen, die für den Fundamentalismus typisch ist. Aber Lagardes ›Positivismus‹ hat in der Nationalmystik seine Grenze und orientiert sich im übrigen auch nicht am Wissenschaftsideal der Naturwissenschaften: vgl. Favrat, La Pensée de Paul de Lagarde, S. 132. 153 Vgl. Stefan Breuer: Die radikale Rechte in Deutschland 1871–1945, Stuttgart 2010, S. 89 ff. Im Unterschied dazu wird Lagarde von vielen Autoren dem »völkischen Nationalismus« zugeordnet oder gar als Gründer der völkischen Bewegung bezeichnet (Mosse). Vgl. nur George L. Mosse: Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991 (zuerst 1964), S. 40; Doris Mendlewitsch: Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert, Rheda-Wiedenbrück 1988, S. 121 ff.; Ina Ulrike Paul: Paul Anton de Lagarde, in: Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch zur »Völkischen Bewegung«, S. 45–93; Ernst Piper: Der Orient als Dystopie. Paul de Lagarde und der Mythos der deutschen Nation, in: Irene A. Diekmann u. a. (Hrsg.): Der Orient im Okzident, Potsdam 2003, S. 161–176, 172; Gesine Palmer: The Case of Paul de Lagarde, in: Uwe Puschner und Hubert Cancik (Hrsg.): Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion, München 2004, S. 37–53; Sieg, Deutschlands Prophet, S. 174, 190, 250 (jedoch relativierend S. 300). Das hierfür meist zur Begründung angeführte ethnisch-holistische Nationsverständnis ist jedoch im 19. und frühen 20. Jahrhundert viel zu weit verbreitet, um ein Abgrenzungskriterium für »völkisches« Denken abzugeben. Von diesem unterscheidet sich Lagarde durch die erlösungsreligiöse Aufladung der Nation in Verbindung mit einer schroffen Zeitablehnung, die sich ähnlich wie bei Wagner gegen tragende Strukturen der modernen Wirtschafts- und Sozialverfassung richtet. 154 Vgl. Michael Lattke: Paul Anton de Lagarde und das Judentum. The University of Queensland 2014 (https://www.academia.edu/6851085) [Stand: 04. 09. 2020]. 155 Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 30. 156 Lagarde, Die Religion der Zukunft, S. 270. 157 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reichs, S. 152. 158 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 425; Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 31. 159 Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 42. 160 Paul de Lagarde: Die graue Internationale [1881], in: SDV I, S. 358–371, 368. 161 Paul de Lagarde: Die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate [1881], in: SDV I, S. 287–305, 296; vgl. Programm für die konservative Partei Preußens,

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S. 424. Vgl. Josef Müller: Die Entwicklung des Rassenantisemitismus in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, Berlin 1940, S. 27. Paul de Lagarde: Güßfeldt, Paul, Die Erziehung der deutschen Jugend [1890], in: SDV II, S. 92–119, 96. Das »auch« sollte hier nicht unterschlagen werden. Denn: »Gewiß ist die Judenfrage auch eine Rassenfrage, aber kein ideal gesinnter Mensch wird je leugnen, daß der Geist auch die Rasse überwinden kann und soll«: Paul de Lagarde: Lipman Zunz und seine Verehrer, ebd., S. 192–195, 193. Paul de Lagarde: Juden und Indogermanen [1887], in: SDV II, S. 195–216, 202 f. Vgl. Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 470, 473. Vgl. Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 41; Die Finanzpolitik Deutschlands [1881], in: SDV I, S. 354; Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 449. Vgl. den folgenden, oft zitierten Satz: »Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.« Paul de Lagarde: Juden und Indogermanen [1887], in: SDV II, S. 195–216, 209. Mit Blick auf solche Sätze wird man das Urteil nicht aufrechterhalten können, Lagardes Antisemitismus habe sich nicht substantiell »from most Christian anti-semitism« unterschieden. So aber Vincent Viaene: Paul de Lagarde: A Nineteenth-Century »Radical« Conservative – and Precursor of National Socialism? In: European History Quarterly 26, 1996, S. 527–555, 546. Der Aufsatz ist gleichwohl als eine in vielen Punkten treffende Kritik an der Lagarde-Deutung Fritz Sterns lesenswert. Lagarde, Juden und Indogermanen, S. 210. Ebd., S. 215 f. Vgl. seine Selbstdarstellung als eines »Radikal-Konservativen« in: Konservativ? S. 21. Vgl. Lougee, Paul de Lagarde, S. 27, 35, 108. Vgl. Retallack, The German Right, S. 336 ff. Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reiches, S. 158; vgl. Die Religion der Zukunft, S. 258 ff. Lagarde, Konservativ? S. 13. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft, S. 583. Zu den Ottonen und Saliern vgl. ebd., S. 586. Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie etc., S. 78. Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reiches, S. 141; Programm für die konservative Partei Preußens, S. 409. Lagarde, Die Finanzpolitik Preußens, S. 337. Paul de Lagarde: Über einige Berliner Theologen, und was von ihnen zu lernen ist [1890], in: SDV II, S. 27–88, 84.

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179 Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 451. Vgl. Zum letzten Male Albrecht Ritschl [1891], in: SDV II, S. 255–279, 276 f. 180 Ebd.; Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 23 f. 181 Ebd., S. 26. 182 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reiches, S. 190; Konservativ? S. 18; Zum Unterrichtsgesetze [1881], in: SDV I, S. 195–250, 202. 183 Paul de Lagarde: Noch einmal zum Unterrichtsgesetze [1881], S. 305–325, 325. 184 Lagarde, Die Reorganisation des Adels, S. 326; Zum Unterrichtsgesetze, S. 200; vgl. Güßfeldt, S. 116. 185 Vgl. Lagarde, Konservativ? S. 21. 186 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 405. 187 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 533, 535. Daß Lagarde für die Gegenwart jede Form von Plebiszit abgelehnt habe (Sieg, Deutschlands Prophet, S. 215), trifft also nicht zu. Zur Anrufung des Volkes durch die Regierung vgl. auch Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 475. 188 Vgl. Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 405; Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 453. 189 Vgl. Lagarde, Über einige Berliner Theologen, S. 85. 190 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 425; vgl. Lougee, Paul de Lagarde, S. 181. 191 Lagarde, Über einige Berliner Theologen, S. 85. 192 Vgl. Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 373. Das ist klar gesehen bei Lougee, Paul de Lagarde, S. 194 f.; Viaene, Paul de Lagarde, S. 542. 193 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 423 f. Auch in der Universitätspolitik hat Lagarde für freien Wettbewerb optiert: vgl. Sieg, Deutschlands Prophet, S. 184. 194 Max Weber: Politik als Beruf, in ders.: Wissenschaft als Beruf. Politik als Beruf, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter i. Z. m. Birgitt Morgenbrod, MWG Bd. I/17, Tübingen 1992, S. 168. 195 Lagarde, Die Reorganisation des Adels, S. 327. 196 Vgl. ebd., S. 332, aber auch bereits 1853 unter dem unmittelbaren Eindruck seiner in England gemachten Erfahrungen: Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 36. 197 Lagarde, Die Reorganisation des Adels, S. 328. Das war freilich eine Konzession an die in Deutschland wesentlich stärker ausgeprägte bürokratische Tradition. Den bürgerlich-kapitalistischen Elementen, die für die englische Gentry so bestimmend waren, wollte Lagarde Einfluß erst auf der Ebene des Landtages einräumen, in dem neben den vereinigten Provinzialständen auch die Handelskammern vertreten sein sollten: vgl. Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 404.

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Anmerkungen | 369 198 Vgl. Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 36; Programm für die konservative Partei Preußens, S. 408. 199 Vgl. Lagarde, Konservativ? S. 12. 200 Vgl. Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 40. 201 Vgl. Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 467. 202 Lagarde, Über die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik, S. 40. 203 Ebd. 204 Ebd., S. 41. 205 Ebd., S. 33. 206 Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 455; Über einige Berliner Theologen, S. 75. 207 Lagarde, Drei Vorreden, S. 97; Programm für die konservative Partei Preußens, S. 414. 208 Lagarde, Programm für die konservative Partei Preußens, S. 413; Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 449. 209 Lagarde, Über die gegenwärtige Lage des Deutschen Reiches, S. 131. 210 Ebd.; Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 457. 211 Lagarde, Die Religion der Zukunft, S. 260. Vgl. auch Sieg, Deutschlands Prophet, S. 56, 188. Warum Sieg gleichwohl von »Lagardes konservativer Utopie« sprechen zu müssen glaubt (S. 186), erschließt sich mir nicht. 212 Lagarde, Die nächsten Pflichten deutscher Politik, S. 449. 213 Vgl. Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, S. 162 u. ö. 214 Paul de Lagarde, Zum Unterrichtsgesetze, S. 250.

7. Ironischer Konservatismus I: Julius Langbehn 1

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Eva Wiegmann-Schubert: Fremdheitskonstruktionen und Kolonialdiskurs in Julius Langbehns Rembrandt als Erzieher. Ein Beitrag zur interkulturellen Dimension der Kulturkritik um 1900, in: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 4, 2013, S. 59–94, 59; Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, S. 127 ff. Zur Kontinuitätslegende in Auswahl: Peter Ulrich Hein: Transformation der Kunst. Ziele und Wirkungen der deutschen Kultur- und Kunsterziehungsbewegung, Köln und Wien 1991, S. 61; Hermann Kurzke: Thomas Mann. Epoche – Werk – Wirkung, München 1997³, S. 151; Peter J. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte, Berlin und New York 2011³, S. 229; Ernest Schofield: Buddenbrooks as Bestseller, in: Charlotte Woodford und Benedict Schofield (Hrsg.): The German Bestseller in the Late Nineteenth Century, Rochester, NY 2012, S. 95–114, 97; Michael Löwy: La cage d’acier: Max Weber et le marxisme wéberien, Paris 2013, S. 49. Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 634.

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Zu dieser Tendenz vgl. den bereits im Zusammenhang mit Stahl erwähnten Sammelband über »ästhetischen Konservatismus« (Andres u. a.). Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, S. 95; Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Bd. 7, S. 49 (§ 4). Vgl. Hermann Schmitz: Die entfremdete Subjektivität. Von Fichte zu Hegel, Bonn 1992; Großheim, Politischer Existentialismus. Subjektivität zwischen Entfremdung und Engagement, S. 34. Die folgenden Abschnitte I-III sind eine überarbeitete Fassung meiner Studie: Konservatismus oder Existentialismus? Anmerkungen zu Rembrandt als Erzieher, in: Jan Andres u. a. (Hrsg.): »Nichts als die Schönheit«, S. 127–145. Das Buch brachte es bereits im Erscheinungsjahr auf 60 000 Exemplare, brauchte allerdings insgesamt 55 Jahre, um eine Gesamtauflage von 150 000 zu erreichen. Dagegen wurden Ernst Haeckels zur gleichen Zeit erschienenen Welträtsel in nur fünfzehn Jahren in 300 000 Exemplaren verbreitet: vgl. Gerhard Kratzsch: Kunstwart und Dürerbund. Ein Beitrag zur Geschichte der Gebildeten im Zeitalter des Imperialismus, Göttingen 1969, S. 34. Ab der 13. Aufl. (1891) hat Langbehn sein Buch erheblich erweitert, ein weiteres Mal ab der 37. Aufl. (1891–1893). Zu den Veränderungen vgl. Bernd Behrendt: Zwischen Paradox und Paralogismus. Weltanschauliche Grundzüge einer Kulturkritik in den neunziger Jahren am Beispiel August Julius Langbehn, Frankfurt etc. 1984, S. 44 ff.; ders.: August Julius Langbehn, der »Rembrandtdeutsche«, in: Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch zur »Völkischen Bewegung«, S. 94–113, 95 f. Vgl. Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, S. 142. Vgl. zuletzt: Kaufmann und Sommer (Hrsg.), Nietzsche und die Konservative Revolution. Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft [1882], in: KSA Bd. 3, S. 401. Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, Leipzig 1890², S. 123, 126. Alle folgenden Seitenangaben im Text nach dieser Ausgabe. Janos Frecot u. a.: Fidus 1868–1948. Zur ästhetischen Praxis bürgerlicher Fluchtbewegungen. Erw. Neuaufl., Hamburg 1997, S. 85. Behrendt, August Julius Langbehn, der »Rembrandtdeutsche«, S. 105. Hermann Kurzke: Auf der Suche nach der verlorenen Irrationalität. Thomas Mann und der Konservatismus, Würzburg 1980, S. 26. Vgl. ähnlich Jan Andres: ›Politik‹ in der konservativen deutschen Kulturkritik. Paul de Lagarde, August Julius Langbehn, Thomas Mann, in: Willibald Steinmetz (Hrsg.): ›Politik‹. Situationen eines Wortgebrauchs im Europa der Neuzeit, Frankfurt am Main und New York 2007, S. 339–361, 345 ff.; v. Beyme, Geschichte der politischen Theorien, S. 456. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 121. Ebd., S. 93 f., 111. Vgl. ebd., S. 137 ff. Vgl. ebd., S. 50 f.

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Zu der von Nietzsche inaugurierten antihistoristischen Strömung vgl. Kurt Nowak: Die antihistoristische Revolution. Symptome und Folgen der Krise historischer Weltorientierung nach dem Ersten Weltkrieg, in: Troeltsch-Studien 4, 1987, S. 133–171; ders.: Historismusfrage und Theologieverständnis im Zeitalter Ernst Troeltschs. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 38, 1990, S. 1047–1063. Zur Einordnung Langbehns in diese Strömung vgl. Heinßen, Historismus und Kulturkritik, S. 432 ff., 452 ff. Nähe und Differenz zu Nietzsche erörtert Christian Niemeyer: Über Julius Langbehn (1851–1907), die völkische Bewegung und das wundersame Image des ›Rembrandtdeutschen‹ in der pädagogischen Geschichtsschreibung, in: Zeitschrift für Pädagogik 60, 2014, S. 607–621. Vgl. Michael Großheim: »Die Barbaren des zwanzigsten Jahrhunderts«. Moderne Kultur zwischen Konservierungswille und Überlieferungsfeindschaft, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 2000, H. 2, S. 221–252 sowie meine Studie: Der Futurismus und die deutsche Kulturkritik, in: Gilbert Merlio und Gérard Raulet (Hrsg.): Linke und rechte Kulturkritik. Interdiskursivität und Krisenbewußtsein, Frankfurt am Main 2005, S. 205–222. Zum Panpsychismus vgl. Walter Gebhard: »Der Zusammenhang der Dinge«. Weltgleichnis und Naturverklärung im Totalitätsbewußtsein des 19. Jahrhunderts, Tübingen 1984, S. 43 ff. Vgl. Christian Geulen: Blonde bevorzugt. Virchow und Boas: Eine Fallstudie zur Verschränkung von »Rasse« und »Kultur« im ideologischen Feld der Ethnizität um 1900, in: Archiv für Sozialgeschichte 40, 2000, S. 147–170; ders.: Wahlverwandte. Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert, Hamburg 2004, S. 114. Vgl. Alexander von Peez: Ueber den deutschen Menschenschlag, in: Deutsches Museum 6, 1856, S. 569–581, 745–761, 933–944, 929–949, 753 f., 760. Zit. n. Ingo Wiwjorra: Der Germanenmythos. Konstruktion einer Weltanschauung in der Altertumsforschung des 19. Jahrhunderts, Darmstadt 2006, S. 215. Vgl. auch Uwe Puschner: Die Germanenideologie im Kontext der völkischen Weltanschauung, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 4, 2001, S. 85–97. Vgl. Ludwig Woltmann: Die Germanen und die Renaissance in Italien, Leipzig 1905; ders.: Die Germanen in Frankreich, Jena 1907. Ludwig Schemann hat Langbehn denn auch als »Vorläufer Woltmanns« gewürdigt: Die Rassenfragen im Schrifttum der Neuzeit, München 1931, S. 378. In späteren Auflagen hat Langbehn dies im Sinne der im völkischen Lager beliebten Arier-Ideologie zu der Behauptung zugespitzt, nur das arische Blut sei aristokratisches Blut, Träger des »sittlichen wie geistigen und in letzter Linie – körperlichen Aristokratismus« (Rembrandt als Erzieher, hrsg. von H. Kellermann, Weimar 1943, S. 280). Zwar hätten die Arier sich über ganz Europa, ja über die Welt verstreut, doch hätten sie ein Kerngebiet besessen, in dem ihr Blut auch heute noch in besonders dichter Konzentration zu finden sei; und

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dieses liege glücklicherweise in Deutschland. »Die Wiege des Ariertums ist der gesamte germanische Nordwesten, das heißt Niederdeutschland; hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß eine Erneuerung des Deutschtums zunächst an Niederdeutschland anknüpfen muß; von da aus, wo ein Volk geboren ist, wird es auch wiedergeboren« (ebd.). Karl Ernst von Baer (1792–1876) war der Naturphilosophie Schellings und dem für sie typischen Holismus verpflichtet. 1828 formulierte er das grundlegende Gesetz der Embryonalentwicklung, wonach diese durch fortschreitende Spezifizierung und Differenzierung bestimmt sei. In späteren Arbeiten profilierte er sich als Kritiker Darwins. Auch Moeller van den Bruck hat sich auf ihn bezogen: vgl. Michel Grunewald: Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie, 2 Bde., Bern etc. 2001, Bd. 1, S. 99 ff. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 50, 66. S. 141. Die folgenden Zitate stammen aus den Seiten 144, 143, 147, 148. Vgl. Mannheim, Konservatismus, S. 114 ff. Vgl. ebd., S. 25, 387 ff. Ebd., S. 63. Vgl. ebd., S. 447 f. Vgl. Bobbio, Rechts und Links, S. 74. Das hat vor allem Georg Simmel in seiner Besprechung hervorgehoben. Vgl. ders.: »Rembrandt als Erzieher«, in: Georg Simmel Gesamtausgabe. Hrsg. von Otthein Rammstedt, Bd. 1: Das Wesen der Materie nach Kant’s Physischer Monadologie etc., Frankfurt am Main 1999, S. 232–243, 240. Vgl. Hubert Treiber: Nach-Denken in der Auseinandersetzung mit Max Weber: Zum ›Persönlichkeitskonzept‹ bei Wolfgang Schluchter, in: Agathe Bienfait und Gerhard Wagner (Hrsg.): Verantwortliches Handeln in gesellschaftlichen Ordnungen. Beiträge zu Wolfgang Schluchters Religion und Lebensführung, Frankfurt am Main 1998, S. 69–120, 97 ff. Vgl. etwa Stern, Kulturpessimismus, S. 150; Hildegard Chatellier: Julius Langbehn: un réactionnaire à la mode en 1890, in: Louis Dupeux (Hrsg.): La »Révolution Conservatrice« dans l’Allemagne de Weimar, Paris 1992, S. 114–128, 114. Ähnliche Überlegungen hatte bereits Wagner nach der Entscheidung von 1866 angestellt. Vgl. Richard Wagner: Deutsche Kunst und Deutsche Politik (1867/68), in: DS Bd. 8, S. 247–352, 336. So aber Heide Eilert: Art. Ästhetizismus, in: Walther Killy (Hrsg.): LiteraturLexikon, Bd. 13, München 1993, S. 18–20, 19. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Dritte Fassung, in ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. I.2, Frankfurt am Main 1991, S. 471–508, 481. Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur. Ein systemtheoretischer Entwurf, Opladen 1995, S. 138. Vgl. auch Annette Simonis: Literarischer

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Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, Tübingen 2000, S. 13 ff. Vgl. meine Studien: Ästhetischer Fundamentalismus; Moderner Fundamentalismus. Vgl. Rembrandt als Erzieher, S. 304: »Wie die Giganten mit tiefer Symbolik innerhalb der griechischen Kunst und Architektur vorzugsweise als tragende Kräfte verwandt werden; so wird auch die jetzige wissenschaftliche Allgemeinbildung der Deutschen, wenn sie vor der künftigen und künstlerischen Allgemeinbildung derselben unterlegen ist, immer noch als eine ja als die tragende Kraft (!) innerhalb des Baues eines echt deutschen Geisteslebens dienen müssen. Der Ausgleich zwischen tragenden und getragenen Kräften ist das letzte Ziel einer jeden geistigen wie künstlerischen Auseinandersetzung; dieser Ausgleich ist für Deutschland erreicht, wenn seine wissenschaftliche Bildungsepoche nur als eine Vorbereitung für seine künstlerische Bildungsepoche angesehen wird; wenn auf das Piedestal die Statue zu stehen kommt.«. Hier stieß Langbehn eher auf Ablehnung: vgl. die Besprechungen in nationalliberalen Organen wie den Grenzboten oder der Gegenwart. Der Rezensent der Gegenwart, der Soziologe August Döring, deutete das Buch als Dokument für den »Dilettantismus auseinanderstrebender Gedankenkreise« (zit. n. Heinßen, Historismus und Kulturkritik, S. 460 f.) und stellte damit den Zusammenhang mit einem zu dieser Zeit auch in Deutschland diskutierten Phänomen her. Vgl. Eley, Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus, S. 162 ff., 230 f. Vgl. Panajotis Kondylis: Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne, Weinheim 1991. Vgl. meine Studie: Die Völkischen in Deutschland, S. 11 ff. Vgl. Hansjörg Pötzsch: Antisemitismus in der Region. Antisemitische Erscheinungsformen in Sachsen, Hessen, Hessen-Nassau und Braunschweig 1870–1914, Wiesbaden 2000; Matthias Piefel: Antisemitismus und völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879–1914, Göttingen 2004. Vgl. Heinrich Pudor: Ein ernstes Wort über Rembrandt als Erzieher, Göttingen 1890; ders.: Kaiser Wilhelm und Rembrandt als Erzieher, in: Antisemitische Correspondenz, Nr. 147 vom 7. 6. 1891; Max Bewer: Rembrandt und Bismarck, Dresden 1891. Näher zu beiden: Thomas Adam: Heinrich Pudor – Lebensreformer, Antisemit und Verleger, in: Mark Lehmstedt und Andreas Herzog (Hrsg.): Das bewegte Buch: Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900, Wiesbaden 1999, S. 183–196; Thomas Gräfe: Zwischen katholischem und völkischem Antisemitismus. Die Bücher, Broschüren und Bilderbogen des Schriftstellers Max Bewer (1861–1921), in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 34, 2009, S. 121–156. Vgl. Bruno Tanzmann: Aus meinem Leben als völkischer Vorkämpfer, in: Die Deutsche Bauern-Hochschule 6, 1926, F. 1.

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Näher zu Fritsch: Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 321 ff. Vgl. Theodor Fritsch: Neue Sensations-Schriften II-VI, in: Deutsch-Soziale Blätter 5, 1890, Nrn. 91, 92, 94, 95, 96 (hier Nr. 94). Vgl. Stern, Kulturpessimismus, S. 174 ff.; Behrendt, Langbehn, S. 101 f. Ausführlicher zum Thema: Anja Lobenstein-Reichmann: Julius Langbehns »Rembrandt als Erzieher«. Diskursive Traditionen und begriffliche Fäden eines nicht ungefährlichen Buches, in: Marcus Müller und Sandra Kluwe (Hrsg.): Identitätsentwürfe in der Kunstkommunikation. Studien zur Praxis der sprachlichen und multimodalen Positionierung im Interaktionsraum »Kunst«, Berlin 2012, S. 295–318; Wiegmann-Schubert, Fremdheitskonstruktionen, S. 65 ff. Vgl. Gräfe, Zwischen katholischem und völkischem Antisemitismus, S. 134. Vgl. Kurt Wawrzinek: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien (1873–1890), Berlin 1927, S. 33 f., 38 f., 48, 61 ff. Der Rembrandtdeutsche. Von einem Wahrheitsfreund, Dresden 1892, S. 177; vgl. ebd., S. 119, 136, 159. Das Zwanzigste Jahrhundert 3.1, 1892/93, S. 339–341, 341. L.: Was ist Antisemitismus, ebd., S. 329–331, 330. Die Identität des Verf. mit Lienhard wurde vom Verlag im Märzheft 1893 in einer Erklärung enthüllt, die auf eine Änderung der Schriftleitung verwies: »Dieselbe übernimmt vom nächsten Hefte ab Herr Fritz Lienhard, der unsern Lesern als »L-Mitarbeiter« wiederholt näher getreten ist (3.2, 1892/93). Zu Lienhard, seiner Rolle im Zwanzigsten Jahrhundert und seinem späteren Werk vgl. meine Studien: Das »Zwanzigste Jahrhundert« und die Brüder Mann, in: Manfred Dierks und Ruprecht Wimmer (Hrsg.): Thomas Mann und das Judentum, Frankfurt am Main 2004, S. 75–95, 81 ff.; Goethe, das Judentum und die antisemitisch-völkische Bewegung, in: Anna-Dorothea Ludewig und Steffen Höhne (Hrsg.): Goethe und die Juden – die Juden und Goethe. Beiträge zu einer Beziehungs- und Rezeptionsgeschichte, Berlin und Boston 2018, S. 215–233, 227 ff. Vgl. Fritz Lienhard: Das leidige Berlin!, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 6.1, 1896, S. 27–33, 31. Friedrich Lienhard: Berliner Anfänge, in: Bühne und Welt 17, 1915, Nr. 10, S. 441–457, 457. Vgl. auch ders.: Neue Ideale, Stuttgart 1913², S. 141; Hellmuth Langenbucher: Friedrich Lienhard und sein Anteil am Kampf um deutsche Erneuerung, Hamburg 1935, S. 30. Vgl. Ascan Gossler: Friedrich Lange und die ›völkische Bewegung‹ des Kaiserreichs, in: Archiv für Kulturgeschichte 83, 2001, S. 377–411. Friedrich Lange: Reines Deutschtum. Grundzüge einer nationalen Weltanschauung, Berlin 19043, S. 39 f. Wie Langbehn zählte auch Lange zu den verkannten Dichtern, bevorzugte allerdings das Theater. 1893 hatte sein Stück »Der Nächste« in der Berliner Neuen Freien Volksbühne Premiere, in der gleichen Saison wie Hauptmanns »Die Weber«. Vgl. Dieter Fricke: Der »Deutsch-

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bund«, in: Puschner u. a., Handbuch zur »Völkischen Bewegung«, S. 328–340, 330. Lange, Reines Deutschtum, S. 99. Vgl. Max Robert Gerstenhauer: Der völkische Gedanke in Vergangenheit und Zukunft, Leipzig 1933, S. 11. Rückblickend hielt er das Buch allerdings für zu unsystematisch und aphoristisch, um als Grundlage einer völkischen Weltanschauung zu taugen. Näher zu Gerstenhauer Alexandra Esche: »[D]amit es auch wirklich etwas Gutes wird!« Max Robert Gerstenhauers Weg in die NSDAP, in: Daniel Schmidt u. a. (Hrsg.): Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933, Essen 2015, S. 37–54. F. Greiffenrath, zit. n. Nissen, Der Rembrandtdeutsche, S. 125. Nissen, Der Rembrandtdeutsche, S. 170 ff. Dort auch über die Resonanz auf die im Herbst 1891 veröffentlichten 40 Lieder von einem Deutschen, die nach einer Strafanzeige wegen pornographischer Tendenzen beschlagnahmt wurden. »Ich will«, schrieb er 1886 einem Freund, »Dir jetzt noch diejenigen zwei Menschen nennen, mit welchen ich – unter allen Lebenden oder Toten – die meiste Ähnlichkeit habe; sie heißen: Hölderlin und Moltke. Wenn Du zwischen diesen beiden eine mittlere Diagonale ziehst, so hast Du mich – aber ganz genau!« Zitiert nach Nissen, Der Rembrandtdeutsche, S. 160. An anderen Stellen spricht der wahrlich nicht kritische Nissen, Langbehns Lebensgefährte seit 1893, von »Selbstvergottung« (S. 164). Vgl. ebd., S. 159. Langbehn an Bischof Keppler, Brief vom 3. 3. 1899. Zit. n. Stern, Kulturpessimismus, S. 145. Vgl. ebd., S. 146.

8. Ironischer Konservatismus II: Heinrich Mann und Thomas Mann 1

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Wilhelm Dilthey: Die Kultur der Gegenwart und die Philosophie, in ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 8, S. 194–203, 198. Zit. n. Großheim, Politischer Existentialismus, S. 35. Vgl. Großheim, Politischer Existentialismus, S. 35, 254, 151. Ebd., S. 413. Zit. n. Heinrich Mann 1871–1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern, hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, Berlin 1971, S. 78 f. Die folgenden Ausführungen verwenden Passagen aus meiner oben (S. 374, Anm. 58) zitierten Studie »Das Zwanzigste Jahrhundert und die Brüder Mann«. Zeitgleich dazu erschien Frithjof Trapp: Traditionen des Antisemitismus in Deutschland. Die Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert, in: Grune-

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wald und Puschner (Hrsg.), Das konservative Intellektuellenmilieu, S. 90–109. Wichtig seitdem Peter Stein: Heinrich Manns Antisemitismus und seine Artikel in der Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert, in: Heinrich-Mann-Jahrbuch 30, 2012, S. 83–127. Vgl. m. w. N. meine Studie: Die Völkischen in Deutschland, S. 71. Vgl. [o. V.]: Aus der antisemitischen Bewegung, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 4.1, 1893/94, S. 274–277. Vgl. Fritz Lienhard: Ohne Bismarck, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 4.2, 1894, S. 43–51. Vgl. auch die Laudatio auf Meyer in dem ungezeichneten Artikel: Aus der Anfangszeit der antisemitischen Bewegung, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 5.1, 1894/95, S. 410–415. Lienhard war zwar zu dieser Zeit nicht mehr Herausgeber, schrieb aber weiterhin für das Blatt, das im folgenden Jahr auch Meyer selbst das Wort erteilte: vgl. Ein Urteil Rudolph Meyer’s über den Antrag Kanitz und den Hauptzweck der Miquelschen Steuerreform, ebd., 5.2, 1895, S. 109 ff. Vgl. L.: Der Rembrandtdeutsche, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 3.1, 1892/93, S. 339 ff.; Fritz Lienhard: Die Kreuzigung, ebd., S. 508 ff. Vgl. Stein, Heinrich Manns Antisemitismus, S. 95. Vgl. Fritz Lienhard: Das Unbehagen wider Berlin, in: Tägliche Rundschau, Nrn. 195 und 196 vom 21. und 22. 8. 1895. Auch im Zwanzigsten Jahrhundert hat Lienhard seiner Abneigung noch einmal kräftigen Ausdruck verliehen: vgl. Fritz Lienhard: Das leidige Berlin, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 6.1, 1895/96, S. 27–33, verbunden mit einer neuerlichen Huldigung an Langbehn (S. 31). Vgl. Hans Lüstenöder: Zur Kenntnißnahme, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 5.1, 1894/95, H. 6 (Umschlag). Vgl. die Hinweise des Herausgebers in HMEP, S. 506. Im April 1890 veröffentlichte Heinrich Mann einen Text, in dem die Bestrebungen zur »Bildung einer neuen, social-monarchischen Partei« gewürdigt wurden, welche auch im Zentrum »unseres jüngstdeutschen kühn aufstrebenden Schriftthums« stünden. Vgl. Heinrich Mann: Sudermanns ›Ehre‹. Eine Gegenkritik [1890], in: HMEP, S. 14–19, 15. Kurz darauf nahm auch Stoecker den Ball auf und gründete zunächst den Evangelisch-sozialen Kongreß (Mai 1890) und sechs Monate später seine »Sozialmonarchische Vereinigung«, deren Programm im Zwanzigsten Jahrhundert ausführlich und zustimmend besprochen wurde (vgl. 1.1, 1890/91, S. 233–244). Im Unterschied zum Evangelisch-sozialen Kongreß blieb die Sozialmonarchische Vereinigung indes ein ›totgeborenes Kind‹: vgl. Frank, Hofprediger Adolf Stoecker, S. 216 f. Vgl. Flügge, Heinrich Mann, S. 59. Einen Überblick über Manns Beiträge zum Zwanzigsten Jahrhundert bietet Stein, Heinrich Manns Antisemitismus, S. 102 ff. Zum Frühwerk insgesamt vgl. Klaus Schröter: Anfänge Heinrich Manns. Zu den Grundlagen seines

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Gesamtwerks, Stuttgart 1965; Renate Werner: Skeptizismus, Ästhetizismus, Aktivismus. Der frühe Heinrich Mann, Düsseldorf 1972; Gerhard Loose: Der junge Heinrich Mann, Frankfurt am Main 1979. Da Manns Texte in diesem Blatt zeitlich dicht beieinander liegen, wird im folgenden auf den Nachweis des Erscheinungsjahres verzichtet. Heinrich Mann: Kriegs- und Friedensmoral, in: HMEP, S. 225–242, 234. Heinrich Mann: »Jüdischen Glaubens«, in: HMEP, S. 195–202, 201, 197. Heinrich Mann, Kriegs- und Friedensmoral, S. 227, 235. Zur Würdigung Langes, der 1893 bei Lüstenöder das Buch Reines Deutschthum. Grundzüge einer nationalen Weltanschauung veröffentlicht und damit dem zwei Jahre später gegründeten Deutschbund die ideologische Plattform geliefert hatte, vgl. ebd., S. 237, 263. Zu Person und Werk vgl. Ascan Gossler: Friedrich Lange und die ›völkische Bewegung‹ des Kaiserreichs, in: Archiv für Kulturgeschichte 83, 2001, S. 377–411. Zit. nach dem Apparat zu HMEP, S. 626. [o. V.]: Zur Psychologie des Juden [1895], in: HMEP, S. 264–270, 264; Der Judenstaat, ebd., S. 351–358, 352. Zu den Gründen für die Zuschreibung dieser ungezeichneten Texte zu Heinrich Mann vgl. die Angaben des Herausgebers, ebd., S. 701 f., 756 f. Heinrich Mann, »Jüdischen Glaubens«, S. 195 f., 198. Vgl. Conrad Alberti: Judentum und Antisemitismus, in: Die Gesellschaft 5, 1889, S. 1718 ff.; ders.: Noch einmal: Judentum und Antisemitismus, ebd. 6, 1890, S. 349 ff. Alberti hatte sich in diesen Artikeln als Mitglied der jüngeren Generation von jüdischer Abstammung vorgestellt, die in tiefster Seele »von der Überflüssigkeit, Schädlichkeit und Verfaultheit des Judentums« überzeugt sei – eines Judentums, das schon längst aufgehört habe, eine Religion, eine Rasse oder eine Nation zu sein und statt dessen nur mehr eine Clique sei: Alberti, Judentum und Antisemitismus, S. 1719, 1721. Heinrich Mann, »Jüdischen Glaubens«, S. 202. Ebd., S. 200. Anders Hilaire Mbakop: Antisemitismus in den publizistischen Schriften Heinrich Manns zwischen 1894 und 1896, in: Wirkendes Wort 2004, H. 1, S. 75–85, 82. So in dem ungezeichneten aber wohl ebenfalls von Heinrich Mann stammenden Beitrag über »Zionismus«: HMEP, S. 260–263, 263. Zur näheren Begründung vgl. Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen, 1871–1945, Darmstadt 2001, S. 327 ff. Zu einem wohlwollenderen Urteil gelangt Peter Stein, der von einer »relativen Rücknahme« des Radikalantisemitismus unter Heinrich Manns Herausgeberschaft spricht. Zu diesem Ergebnis kommt er, weil er sich nicht an den Zielen und Strategien, sondern an den Begründungen des Antisemitismus orientiert, indem er diese in eine rassistische (=biologische) und eine kulturelle

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Variante unterteilt und Heinrich Mann im Prinzip (wenn auch nicht ohne Einschränkungen) der letzteren zuordnet: vgl. Heinrich Manns Antisemitismus, S. 93, 120 f. Die für Heinrich Mann reservierte Ambivalenz – Stein spricht bisweilen von einem »Doppelcharakter« – gilt jedoch auch und gerade für den Radikalantisemitismus der von Mann stets zustimmend angeführten Lienhard, Lange, Beta etc., die nach Belieben mal das »Blut«, mal vermeintlich kulturelle Eigenschaften für die Fremdheit des Judentums heranzogen. Die conclusio aus beiden Prämissen war identisch, auch wenn sie nicht immer so drastisch ausfiel wie in Lessings Nathan der Weise: »Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!« Erwin Bauer: Die »Modernen« in Berlin und München, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 1.2, 1892, S. 778. L.: Nationale Aesthetik, in: Das Zwanzigste Jahrhundert 2.2, 1892, S. 1259 f.; ders.: Das Judenthum in der jetzigen deutschen Litteratur, ebd., 3.1, S. 33. Heinrich Mann, Zur Psychologie des Juden, S. 270. Heinrich Mann: Beobachtungen eines französischen Studenten in Deutschland, in: HMEP, S. 136–143, 142 f. Hinter dem Pseudonym des Verfassers, (»Jean Breton«) verbarg sich übrigens der später namhafte Soziologe Célestin Bouglé (1870–1940), der 1893/94 ein Studienjahr in Heidelberg und Berlin verbracht hat: vgl. die Anm. des Hrsg. in HMEP, S. 615. Vgl. Heinrich Mann: Bismarck und die Franzosen, in: HMEP, S. 150–155. Ähnlich auch: Dezentralisation, in: HMEP, S. 275–280, 279. Heinrich Mann: Decentralisation, ebd., S. 212–217. Heinrich Mann: »Bei den Deutschen«, ebd., S. 217–225, 217. Heinrich Mann, Kriegs- und Friedensmoral, S. 226 ff.; Rußland, ebd., S. 325– 327, 327. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, daß Heinrich Mann gleichwohl als Herausgeber die Veröffentlichung von Texten zu verantworten hat, die die von Bauer und Lienhard eingeschlagene, vor allem durch Ottomar Schuchardt repräsentierte Linie fortsetzten, nach der Deutschlands Zukunft in der Ostexpansion, namentlich auf Kosten Rußlands, liege. Allerdings distanzierte er sich in einer redaktionellen Nachbemerkung von den an Constantin Frantz orientierten Vorschlägen Schuchardts (in: Das Zwanzigste Jahrhundert 5.2, 1895, S. 25). Vgl. Heinrich Mann, Beobachtungen eines französischen Studenten in Deutschland, S. 142: »In den französischen Adern aber schlägt hier und da genug germanisches Blut. Einzelne Stämme, wie die Normannen und Bretonen (denen unser Reisender wahrscheinlich angehört) haben eine ernsthafte Neigung zur tiefen Verinnerlichung mit uns gemeinsam.« Das war ein Deutungsmuster, das in Frankreich zur gleichen Zeit von Rassenideologen wie Vacher de Lapouge durchdekliniert wurde. Vgl. Pierre-André Taguieff: La couleur et le sang. Doctrines racistes à la française, Paris 2002, S. 199 ff. Das ist richtig gesehen bei Stein, Heinrich Manns Antisemitismus, S. 123 f.

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Vgl. Heinrich Mann: Neue Romantik, in: Die Gegenwart 42, 1892, Nr. 29. Hier zit. n. HMEP, S. 31–35, 32. Vgl. ebd. Zu Manns Rezeption des zeitgenössischen Diskurses über Neurasthenie und »Nervenkunst« vgl. Helga Winter: Naturwissenschaft und Ästhetik. Untersuchungen zum Frühwerk Heinrich Manns, Würzburg 1994. Zum Einfluß Bahrs als des wichtigsten Vermittlers von Bourget in den deutschen Sprachraum vgl. Stoupy, Maître de l’heure; Klaus Lichtblau: Die neuromantische Bewegung um 1900, in ders.: Transformationen der Moderne, Berlin und Wien 2002, S. 85–91. Vgl. Amend-Söchting, Ichkulte, S. 223. Vgl. Ulrich Schulze-Buschhaus: Bourget oder die Gefahren der Psychologie, des Historismus und der Literatur, in: Lendemains 8, 1983, S. 36–45; ders.: Bourget und die »multiplicité du moi«, in: Manfred Pfister (Hrsg.): Die Modernisierung des Ich. Subjektkonstitution in der Vor- und Frühmoderne, Passau 1989, S. 53–63. Wohl erstmals hat Bourget diesen Typus im Rahmen einer Studie über Renan skizziert: Psychologie contemporaine. Notes et portraits. M. Ernest Renan, in: La Nouvelle Revue 15, 1882, S. 233–271. Teil II: Du dilettantisme (S. 245–254). Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Hofmannsthal Jahrbuch der europäischen Moderne 24, 2016, S. 133–151. Ferner Jean-François Hugot: Le diléttantisme dans la littérature française de Ernest Renan à Ernest Psichari, Lille und Paris 1984; Simone Leistner: Art. Dilettantismus, in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. von Karlheinz Barck u. a., Bd. 2, Stuttgart etc. 2001, S. 63–87. Vgl. Stoupy, Maître de l’heure, S. 42 ff.; Amend-Söchting, Ichkulte, S. 194 f. Vgl. Großheim, Politischer Existentialismus, S. 100 ff. Vgl. Bengt Algot Sørensen: Der »Dilettantismus« des Fin de siècle und der junge Heinrich Mann, in: Orbis litterarum 24, 1969, S. 251–270; Stoupy, Maître de l’heure, S. 203 ff., 271 ff.; Chantal Simonin: »Das europäische Gesicht«. Dilettantismus und europäisches Flair beim jungen Heinrich Mann, in: HeinrichMann-Jahrbuch 25, 2007, S. 113–131; Ingo Stöckmann: Der Wille zum Willen. Der Naturalismus und die Gründung der literarischen Moderne 1880–1900, Berlin und New York 2009, S. 375 ff. Zur Prominenz hat dem Dilettanten um die Jahrhundertwende auch Houston Stewart Chamberlain mit seinem auflagenstarken Werk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts verholfen (2 Bde., München 1899). Siehe dazu das Vorwort zur ersten Auflage sowie ders.: Wehr und Gegenwehr. Vorworte zur dritten und zu vierten Auflage der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, München 1912, S. 21 ff. Heinrich Mann, Briefe an Ludwig Ewers, S. 205. Stoupy, Maître de l’heure, S. 217. Heinrich Mann: In einer Familie [1894], Frankfurt am Main 2000, S. 119, 150 f. Vgl. Heinrich Mann: Bourget als Kosmopolit, in: Die Gegenwart 45, 1894, Nr. 4, zit. n. HMEP, S. 52–67, 52, 563. In der Kritischen Gesamtausgabe

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finden sich zwei weitere, unveröffentlicht gebliebene Texte Heinrich Manns über Bourget: Das Gelobte Land (Paul Bourget); Noch einmal Bourget, ebd., S. 404–416; 416–422. Vgl. Heinrich Mann: Das Elend der Kritik, in: HMEP, S. 131–135, 131, 133. Heinrich Mann, In einer Familie, S. 75, 298. Heinrich Mann: Barbey d’Aurevilly, in: HMEP, S. 92–113, 95, 99; Noch einmal Bourget, ebd., S. 419. Thomas Mann: Vom Beruf des deutschen Schriftstellers in unserer Zeit. Ansprache an den Bruder [1931], in ders.: Ein Appell an die Vernunft. Essays 1926–1933, hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt am Main 1994, S. 285–294, 286. Vgl. in Auswahl: Manfred Hahn: Zum frühen Schaffen Heinrich Manns, in: Weimarer Beiträge 12, 1966, S. 363–406, 368 f.; ders.: Heinrich Manns Beiträge in der Zeitschrift ›Das Zwanzigste Jahrhundert‹, ebd. 13, 1967, S. 996–1019, 997; Volker Riedel: Konservatismus im Werk des frühen Heinrich Mann, in: Andres u. a. (Hrsg.), »Nichts als die Schönheit«, S. 216–241; ders.: Konservatismus, Autorität, Diktatur. Der »geistige Adel« im Demokratieverständnis des Skeptikers Heinrich Mann, Bielefeld 2011; Stein, Heinrich Manns Antisemitismus, S. 126. Peter Stein: Zum vorliegenden Band, in: HMEP, S. 480. Vgl. Retallack, Notables of the Right, S. 148 ff. Vgl. Stig Förster: Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-Quo-Sicherung und Aggression 1890–1913, Wiesbaden und Stuttgart 1985, S. 133, 175 u. ö.; Bohlmann, Die Deutschkonservative Partei, S. 69 ff. Vgl. Theodor Schieder: Staatensystem als Vormacht der Welt 1848–1918. Propyläen-Geschichte Europas Bd. 5, Frankfurt am Main etc. 1977, S. 251. Vgl. den Abschnitt »Rassenhygienische Bewegung«, in meinem Buch: Die Völkischen in Deutschland, S. 112 ff. Vgl. ebd., S. 52 ff. Heinrich Mann, Noch einmal Bourget, S. 419; Das Reichstags-Wahlrecht, in: HMEP, S. 202–212, 204; Reaction! Ebd., S. 119–125. Heinrich Mann, Das Reichstags-Wahlrecht, S. 204 und 210. Ebd., S. 212. Heinrich Mann: Der weibliche Umsturz, in: HMEP, S. 158–166, 163. Vgl. Stoupy, Maître de l’heure, S. 40 f. Zit. n. ebd., S. 63. Vgl. Amend-Söchting, Ichkulte, S. 203; J. C. Fewster: Au service de l’ordre. Bourget and the Critical Response to Decadence in Austria and Germany, in: Comparative Literature Studies 29, 1992, S. 259–275. Kondylis, Konservativismus, S. 464. Vgl. ebd., S. 466 f. Vgl. Großheim, Politischer Existentialismus, S. 151.

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Heinrich Mann, Briefe an Ludwig Ewers, S. 251 f. Für die Gegenwart hat Heinrich Mann in diesem Zeitraum fünf größere Feuilletons verfaßt, für die National-Zeitung sieben Reiseskizzen: vgl. HMEP, S. 31 ff. Auch Harden hat dort seine journalistische Laufbahn begonnen, bevor er 1892 die Zukunft gründete: vgl. Hans Dieter Hellige: Rathenau und Harden in der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs. Eine sozialgeschichtlich-biographische Studie zur Entstehung neokonservativer Positionen bei Unternehmern und Intellektuellen, in: Walther Rathenau, Maximilian Harden. Briefwechsel 1897–1920. Walther Rathenau-Gesamtausgabe, hrsg. von Hans Dieter Hellige und Ernst Schulin, Bd. 6, München 1983, S. 15–299, 81, 99. Zu Heinrich Manns Beiträgen in der Zukunft vgl. Flügge, Heinrich Mann, S. 113 ff. Vgl. Sørensen, Der »Dilettantismus« des Fin de siècle, S. 270. Vgl. Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 28 f. Viele Jahre später, in der oben erwähnten Geburtstagsansprache, hat Thomas Mann diesen Monopolanspruch revidiert und von der gemeinsamen »Ironie der Frühzeit« gesprochen: Vom Beruf des deutschen Schriftstellers in unserer Zeit, S. 286. Thomas Mann an Otto Grautoff, Brief von Ende Mai 1895, in: Briefe I, S. 58. Vgl. Joëlle Stoupy: Thomas Mann und Paul Bourget, in: Thomas-Mann-Jahrbuch 1996, S. 91–106; Maître de l’heure, S. 271 ff.; Michael Wieler: Der französische Einfluß. Zu den frühesten Werken Thomas Manns am Beispiel des Dilettantismus, ebd., S. 173–188; ders.: Dilettantismus – Wesen und Geschichte. Am Beispiel von Heinrich und Thomas Mann, Würzburg 1996, S. 297 ff. Thomas Mann: Erkenne Dich selbst! [1895], in: Essays I, S. 33 f., 33 sowie den Kommentar, S. 44. Thomas Mann: Ein nationaler Dichter [1896], ebd., S. 40–43, 40. Thomas Mann: Kritik und Schaffen [1896], ebd., S. 47–50, 49 f., 48. Thomas Mann: Bilse und ich [1906], ebd., S. 95–111, 104. Thomas Mann an Ida Boy-Ed, Brief vom 24. 3. 1913, in: Briefe I, S. 518. Vgl. Thomas Mann an Heinrich Mann, Brief vom 5. 12. 1903, ebd., S. 239 ff. Zuvor bereits ders. an Richard Schaukal, Brief vom 26. 1. 1903, ebd., S. 223 f. Vgl. Walther Rehm: Der Renaissancekult um 1900 und seine Überwindung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 54, 1929, S. 296–328; Gerd Uekermann: Renaissancismus und Fin de siècle: die italienische Renaissance in der deutschen Dramatik der letzten Jahrhundertwende, Berlin etc. 1985, S. 138 ff.; August Buck (Hrsg.): Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burckhardt bis Thomas Mann, Tübingen 1990; Heinßen, Historismus und Kulturkritik, S. 342 ff.; Rolf Füllmann: Die Novelle der Neorenaissance zwischen Gründerzeit und Untergang (1870–1945): Reflexionen im Rückspiegel, Marburg 2016, S. 275 ff., 310 ff. Thomas Mann an Heinrich Mann, Brief vom 27. 2. 1904, in: Briefe I, S. 269 f. Vgl. den Kommentar zu Thomas Manns Brief vom 23. 12. 1903, ebd., S. 666.

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Thomas Mann an Heinrich Mann, Brief vom 8. 11. 1913, ebd., S. 535. Gute Überblicke über das Verhältnis zu Heinrich Mann vor 1914 bieten Harpprecht, Thomas Mann, S. 196 ff.; Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Eine Biographie, München 2000, S. 112 ff. 85 Thomas Mann, Betrachtungen, S. 155. Vgl. Jürgen Kolbe: Thomas Mann in München 1894–1933, München 2001. 86 Thomas Mann an Heinrich Mann, Brief vom 17. 1. 1906, in: Briefe I, S. 340. 87 Thomas Mann: Ein nationaler Dichter, S. 40. 88 Zur Rezeptionsgeschichte des Buches vgl. die Hinweise im Kommentarband, GKFA Bd. 13.2, S. 89 ff. 89 Vgl. zum Gang der Diskussion meine Überblicke: Späte Barbaren. Kultur und Zivilisation im kaiserlichen Deutschland, in: Stefan Breuer und Peter Nahamowitz (Hrsg.): Politik – Verfassung – Gesellschaft. FS Otwin Massing, Baden-Baden 1995, S. 35–50; Art. Zivilisation, in: Hans J. Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie, Hamburg 2010², Bd. 3, S. 3110–3113. 90 Mit »Ästhetizistische Politik« ist das vorletzte Kapitel in den Betrachtungen eines Unpolitischen überschrieben: vgl. ebd., S. 584 ff. 91 Ebd., S. 596. 92 Ebd., S. 252. 93 Ebd., S. 114 f. Näher zum folgenden Peter Gordon Mann: The Good European in the Great War: Thomas Mann’s Reflections of an Unpolitical and the Politics of Self, Nation and Europe, in: Journal of European Studies 47, 2017, S. 34–53, 43 f. 94 Thomas Mann, Betrachtungen, S. 115, 594. 95 Ebd., S. 220. 96 Ebd., S. 117. 97 Für eine engere Sicht plädiert dagegen Jan Andres, der bei Thomas Mann bis 1922 ein Verständnis von Politik als »Synonym von Rationalität, Demokratie, Zivilisation« ausmacht. Vgl. Jan Andres: ›Politik‹ in der konservativen deutschen Kulturkritik, in: Willibald Steinmetz (Hrsg.): ›Politik‹. Stationen eines Wortgebrauchs im Europa der Neuzeit, Frankfurt am Main und New York 2007, S. 339–361, 353 f., 360. 98 Thomas Mann, Betrachtungen, S. 285, 335, 485. 99 Ebd., S. 129, 579, 340, 270. 100 Ebd., S. 331. 101 Ebd., S. 254. 102 Ebd., S. 597. Die Polemik fiel dabei gegenüber D’Annunzio wesentlich schärfer aus als gegen Barrès. Der erstere galt Thomas Mann als Paradebeispiel des »demokratisch-republikanischen Brandrhetors und des ästhetizistisch-politischen Hanswursten« (ebd., S. 576), dem er mit »Verständnislosigkeit, Staunen, Abscheu, Verachtung« begegnete (S. 626). Gegenüber Barrès herrschte ein deutlich gemäßigterer Tonfall, erschien ihm doch dessen »Nationalismus und

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Katholizismus, sein Ergreifen und Propagieren der Revanche-Idee als eines exzitierenden Mittels« als ein zwar nur für Frankreich angemessener, gleichwohl respektabler »Versuch zur Überwindung der décadence« (S. 220). Ebd., S. 418, 92. Ebd., S. 314 f. Noch im Vorabdruck einiger Passagen teilte Thomas Mann mit, er wisse noch nicht, ob er das bald fertige Buch »›politisch‹, ›unpolitisch‹ oder ›antipolitisch‹ nennen« solle: Thomas Mann: Der Taugenichts [1916], in ders.: Essays II, S. 170. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 192. Ebd., S. 436. Ebd., S. 34. Ebd., S. 285, 472. Ebd., S. 472, 290. Ebd., S. 480 f. Harpprecht, Thomas Mann, S. 429; Rolf Zimmermann: Mit Nietzsche in die Republik: Thomas Mann als Wortgeber und Kritiker der ›konservativen Revolution‹, in: Kaufmann und Sommer (Hrsg.), Nietzsche und die Konservative Revolution, S. 245–282, 248. Vgl. ähnlich Kurt Sontheimer: Thomas Mann und die Deutschen, Frankfurt am Main 1965, S. 9, 38; Hermann Kurzke: Auf der Suche nach der verlorenen Irrationalität. Thomas Mann und der Konservatismus, Würzburg 1980; Hendrik Balonier: Schriftsteller in der konservativen Tradition. Thomas Mann 1914–1924, Frankfurt am Main etc. 1983; Christoph Möcklinghoff: Zum Verhältnis von Konservatismus und Jugend am Beispiel eines Repräsentanten. Thomas Mann und die Ursprungsmythologie jugendlich politischer Romantik, Phil. Diss., Berlin 1987; Dieter Borchmeyer: Politische Betrachtungen eines angeblich Unpolitischen. Thomas Mann, Edmund Burke und die Tradition des Konservatismus, in: Thomas-Mann-Jahrbuch 10, 1997, S. 83–104; Raimund von dem Bussche: Konservatismus in der Weimarer Republik. Die Politisierung des Unpolitischen, Heidelberg 1998, S. 24 ff.; Joe Paul Kroll: Conservative at the Crossroads. ›Ironic‹ vs. ›Revolutionary‹ Conservatism in Thomas Mann’s Reflections of a Non-Political Man, in: Journal of European Studies 34, 2004, S. 225–246, 241. Thomas Mann: [Carlyles ›Friedrich‹ in vollständiger deutscher Ausgabe], [1916], in: Essays II, S. 177–184, 177. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 274; An die Redaktion des »Svenska Dagbladet« [1915], in: Essays II, S. 123–132, 129. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 191, 281 f. Ebd., S. 75, 74. Ebd., S. 93, 122. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 286 ff. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 274.

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Ebd., S. 44. Ebd., S. 634, 617. Ich folge hier der Einschätzung im Kommentarband, GFKA Bd. 13.2, S. 15. Vgl. M. Rainer Lepsius: Nation und Nationalismus in Deutschland, in ders.: Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 232–246, 238 f. Thomas Mann an Paul Amann, Briefe vom 25. 3. und 1. 10. 1915 sowie vom 25. 2. 1916, in: Briefe II, S. 66, 101, 121. Dabei ist zu beachten, daß in diesem Blatt eher die Gemäßigteren wie Alfred Weber oder Ernst Troeltsch zu Wort kamen. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 333. Ebd., S. 336. Ebd., S. 457. Ebd., S. 285. Ebd., S. 360, 297. Ebd., S. 295. Jens Nordalm: »Die Demokratie. Wir haben sie ja schon!« Thomas Manns Bewegung zur Republik in den »Betrachtungen eines Unpolitischen«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, N. F. 47, 2006, S. 253–276. 258. Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen, Kommentar, S. 69. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 305, 282 f. Ebd., S. 635. Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen, Kommentar, S. 25 f. Vgl. die ebd., S. 113 ff. referierten Stellungnahmen von Alfred Kurella oder Kurt Hiller. Vgl. ebd., S. 26, 104. Großheim, Politischer Existentialismus, S. 410. Zum Eklektizismus vgl. die symptomatische, noch vor der republikanischen »Wende« gegebene Auskunft in einem Interview für das Neue Wiener Journal: »Ich bin nach wie vor, ohne dabei an ein parteipolitisches Schlagwort zu denken, konservativ gesinnt. Dabei denke ich allerdings an einen durchaus moderierten, staatsmännisch weisen, gleichsam liberalen Konservativismus, der den berechtigten sozialen Forderungen aller Gesellschaftsklassen Rechnung tragen müßte.« Zit. n. Thomas Mann, Betrachtungen, Kommentar, S. 112. Die zunehmende Unverbindlichkeit der politischen Begriffe, in denen sich ihre Obsoletheit ankündigt, ließe sich nicht besser formulieren. Vgl. Kondylis, Planetarische Politik nach dem Kalten Krieg, S. 91 ff. Thomas Mann, Betrachtungen, S. 250 f. Thomas Mann an Paul Amann, Brief vom 25. 2. 1916, in: Briefe II, S. 122 f. Thomas Mann: Goethe und Tolstoi. Fragmente zum Problem der Humanität [1925], in: Essays II, S. 809–936, 933 f.

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Gilbert Merlio: Y-a-t-il eu une »Révolution conservatrice« sous la République de Weimar? In: Barbara Koehn (Hrsg.): La Révolution conservatrice et les élites intellectuelles européennes, Rennes 2003, S. 15–33, 23. Vgl. dort auch aus der Feder der Herausgeberin: Die Konservatismusthesen von P. Kondylis in kritischer, rechtsphilosophischer Beleuchtung, ein Beitrag zur Konservatismusdebatte, S. 202–225. Als »Germany’s main conservative party during the Weimar Republic« bzw. als »Partei der Vertreter des alten Konservativismus« wird die DNVP bspw. eingestuft bei Beck, The Fateful Alliance, S. 1; Sabine Marquardt: Polis contra Polemos. Politik als Kampfbegriff der Weimarer Republik, Köln etc. 1997, S. 244. Vgl. auch Joachim H. Knoll: Der autoritäre Staat. Konservative Ideologie und Staatstheorie am Ende der Weimarer Republik, in: Schumann (Hrsg.), Konservativismus, S. 224–243, 224; D. P. Walker: The German Nationalist People’s Party: The Conservative Dilemma in the Weimar Republic, in: Journal of Contemporary History 14, 1979, S. 627–647; Kurt Lenk: Deutscher Konservatismus, Frankfurt am Main und New York 1989, S. 23, 108; Larry Eugene Jones: Nationalists, Nazis, and the Assault against Weimar: Revisiting the Harzburg Rally of October 1931, in: German Studies Review 29, 2006, S. 483–494, 484, 486, 490; German Conservatism at the Crossroads: Count Kuno von Westarp and the Struggle for Control of the DNVP, 1928–19330, in: Contemporary European History 18, 2009, S. 147–177; Frank Bösch: Das konservative Milieu. Vereinskultur und Sammlungspolitik, Göttingen 2002, S. 36 ff.; Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 99. Ullmann: Die Rechte stirbt – Es lebe die Rechte! S. 39. Ullmann (1884–1958) war vor dem Ersten Weltkrieg lange Jahre Mitarbeiter des Kunstwart und von 1925 bis 1931 Herausgeber der Politischen Wochenschrift. Man beachte übrigens die pejorative Verwendung von »Schein«. Ein Jahrhundert zuvor konnte Goethe noch das Unterscheidungsmerkmal des Edelmanns vom Bürger darin sehen, daß der erstere »scheinen« dürfe und solle, wohingegen es vom letzteren hieß: »dieser soll nur sein, und was er scheinen will, ist lächerlich und abgeschmackt« (Wilhelm Meisters Lehrjahre, 5. Buch, 3. Kap.). Ullmann, Die Rechte stirbt, S. 10. Ebd., S. 18. Ebd. und S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. Jens Flemming: Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹. Konservative Kritik an der Deutschnationalen Volkspartei 1918–1933, in: Stegmann u. a. (Hrsg.): Deutscher Konservatismus, S. 295–332, 300; Thimme, Flucht in den Mythos, S. 11.

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Vgl. Martin Schumacher: Land und Politik. Eine Untersuchung über politische Parteien und agrarische Interessen 1914–1923, Düsseldorf 1978, S. 471. Kuno Graf von Westarp: Konservative Politik im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Bearb. v. Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen, Düsseldorf 2001, S. 20. Zit. n. Flemming, Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹, S. 306. Vgl. Alexander, Die Freikonservative Partei, S. 374. Vgl. Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 40 ff. Georg Decker: Der Tod einer Partei, in: Die Gesellschaft 1928, Bd. 1, H. 5, S. 385–399, 396 f.; Flemming, Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹, S. 301. Vgl. Flemming, Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹, S. 300, 303 f. Gasteiger, Kuno von Westarp, S. 287. Vgl. Decker, Tod einer Partei, S. 385. Vgl. Flemming, Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹, S. 318 ff., 322 f.; Malinowski, Vom König zum Führer, S. 245, 479. Bodo Scheurig: Ewald von Kleist-Schmenzin. Ein Konservativer gegen Hitler, Oldenburg und Hamburg 1968, S. 25 ff.; Malinowski, Vom König zum Führer, S. 248. Ewald von Kleist-Schmenzin: Glaubt Ihr nicht, so bleibt Ihr nicht, in: Scheurig, Kleist-Schmenzin, S. 269–274. Flemming, Konservatismus als ›nationalrevolutionäre Bewegung‹, S. 298 f. Vgl. Holzbach, Das ›System Hugenberg‹, S. 103 ff. Eley, Wilhelminismus, S. 224. Vgl. Grundsätze der Deutschnationalen Volkspartei vom Jahre 1920, in: Liebe, Die Deutschnationale Volkspartei, S. 112–119, ebd., S. 118. Ebd.; Aufruf der Deutschnationalen Volkspartei vom 24. 11. 1918, ebd., S. 107– 108, 108. Vgl. Hans Herzfeld: Johannes von Miquel. Sein Anteil am Ausbau des Deutschen Reiches bis zur Jahrhundertwende, 2 Bde., Detmold 1938, Bd. 2, S. 64 ff., 313 ff., 492 ff., 572 ff. sowie die Hinweise in diesem Buch, Kapitel 3 und 4. Vgl. Grundsätze der Deutschnationalen Volkspartei vom Jahre 1920, Nr. 11: »Nur ein starkes deutsches Volkstum, das Art und Wesen bewußt wahrt und sich von fremdem Einfluß freihält, kann die zuverlässige Grundlage eines starken deutschen Staates sein. Deshalb kämpfen wir gegen jeden zersetzenden, undeutschen Geist, mag er von jüdischen oder anderen Kreisen ausgehen. Wir wenden uns nachdrücklich gegen die seit der Revolution immer verhängnisvoller hervortretende Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit. Der Zustrom Fremdstämmiger über unsere Grenzen ist zu unterbinden« (Liebe, Deutschnationale Volkspartei, S. 115). Vgl. hierzu Hans Dieter Bernd: Die Beseitigung der Weimarer Republik auf ›legalem‹ Weg: Die

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Funktion des Antisemitismus in der Agitation der Führungsschicht der DNVP, Diss. Hagen 2004, S. 90 ff. sowie vor allem Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 120 ff. Christian F. Trippe: Konservative Verfassungspolitik 1918–1923. Die DNVP als Opposition in Reich und Ländern, Düsseldorf 1995, S. 194 f. Vgl. ebd., S. 196. Vgl. Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 59 ff. Vgl. Rudolf Heberle: Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918 bis 1932, Stuttgart 1963, S. 30. Vgl. Pyta, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik, S. 297. Vgl. Karl Rohe: Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland, Frankfurt am Main 1992, S. 134 f. Pyta, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik, S. 297. Vgl. Thomas Mergel: Das Scheitern des deutschen Tory-Konservatismus. Die Umformung der DNVP zu einer rechtsradikalen Partei 1928–1932, in: Historische Zeitschrift 276, 2003, S. 323–368. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 400; Hans Setzer: Wahlsystem und Parteiensystem in England. Wege zur Demokratisierung der Institutionen 1832 bis 1948, Frankfurt am Main 1973, S. 113 f. Vgl. Gerd Voigt: Otto Hoetzsch 1876–1946. Wissenschaft und Politik im Leben eines deutschen Historikers, Berlin 1978, S. 34 f.; Uwe Liszkowski: Osteuropaforschung und Politik. Ein Beitrag zum historisch-politischen Denken und Wirken von Otto Hoetzsch, 2 Bde., Berlin 1987. Eine Denkschrift Otto Hoetzschs vom 5. November 1918, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 21, 1973, S. 337–353, 343. Schon vor dem ersten Weltkrieg hatte Hoetzsch sich einen deutschen Disraeli gewünscht: vgl. Voigt, Otto Hoetzsch, S. 22. Ebd., S. 343, 348. Ebd., S. 349. Vgl. Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 310, 371 ff., 459. Mergel, Tory-Konservatismus, S. 341 f. Vgl. Pyta, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik, S. 306; Merkenich, Grüne Front gegen Weimar, S. 256. Vgl. Jackisch, The Pan-German League, S. 156 ff.; Hofmeister, Between Monarchy and Dictatorship, S. 269 ff.; Uta Jungcurt: Alldeutscher Extremismus in der Weimarer Republik. Denken und Handeln einer einflussreichen bürgerlichen Minderheit. Berlin und Boston 2016, S. 329 ff. So der Titel seines Artikels in: Der Tag Nr. 177, 25. 7. 1928.

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Vgl. Mergel, Tory-Konservatismus, S. 348; Müller, »Fällt der Bauer, stürzt der Staat«, S. 149. Hugenberg erfüllte damit freilich nur eine Forderung, die in Teilen der Partei seit längerem virulent war: vgl. Ohnezeit, Zwischen »schärfster Opposition« und dem »Willen zur Macht«, S. 307, 421. Vgl. Gustav Hartz: Neue Wege in der Sozialpolitik, Langensalza 1929; Die national-soziale Revolution, München 1932. Vgl. Jones, German Conservatism, S. 160 ff. Vgl. Günther Opitz: Der Christlich-Soziale Volksdienst. Versuch einer protestantischen Partei in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1969; Erasmus Jonas: Die Volkskonservativen 1928–1933. Entwicklung, Struktur, Standort und staatspolitische Zielsetzung, Düsseldorf 1965. Der Begriff »Volkskonservatismus« stammte aus der Hamburger Fichte-Gesellschaft (Hermann Ullmann, Wilhelm Stapel) und wurde vor allem von dem DHV-Funktionär Walther Lambach publik gemacht. Vgl. Postert, Von der Kritik der Parteien zur außerparlamentarischen Opposition. Die jungkonservative Klub-Bewegung in der Weimarer Republik und ihre Auflösung im Nationalsozialismus, Baden-Baden 2014, S. 373. Schon 1930 ist Stapel jedoch wieder davon abgerückt: vgl. ebd., S. 387 f. Vgl. Gasteiger, Kuno von Westarp, S. 365 ff. Näher zu Westarp auch Stephan Malinowski: Kuno Graf von Westarp – ein missing link im preußischen Adel. Anmerkungen zur Einordnung eines untypischen Grafen, in: Larry E. Jones und Wolfram Pyta: Ich bin der letzte Preusse: der politische Lebensweg des konservativen Politikers Kuno Graf von Westarp, Köln etc. 2006, S. 9–32 sowie die übrigen Beiträge des Bandes. Vgl. Gessner, Agrardepression, S. 158; Müller, »Fällt der Bauer, stürzt der Staat«, S. 202, 222. Vgl. Markus Müller: Die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei 1928–1933, Düsseldorf 2001. Mergel, Tory-Konservatismus, S. 360. Alfred Hugenberg: Block oder Brei? In: Der Tag Nr. 207, 28. 8. 1928. Vgl. Mergel, Tory-Konservatismus, S. 346, 352, 361. Vgl. Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen: Die Deutschnationale Volkspartei, in: Erich Matthias und Rudolf Morsey (Hrsg.): Das Ende der Parteien 1933. Darstellungen und Dokumente, Düsseldorf 1984, S. 541–621, 553 ff. Vgl. Hofmeister, Between Monarchy and Dictatorship, S. 341 ff. Vgl. Larry Eugene Jones: ›The Greatest Stupidity of My Life‹: Alfred Hugenberg and the Formation of the Hitler Cabinet, January 1933, in: Journal of Contemporary History 27, 1992, S. 63–87, 79 f.; Beck, The Fateful Alliance, S. 87 f. Hans Zehrer: Rechts oder Links? In: Die Tat 23.2, 1931, S. 505–559, 515 f. Vgl. Holzbach, Das ›System Hugenberg‹, S. 53, 70 ff., 104. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 195, 192.

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Vgl. Gessner, Agrardepression, S. 126 f.; Merkenich, Grüne Front gegen Weimar, S. 275. Daß ihm das Privateigentum durchaus nicht als sakrosankte Größe galt, hatte Hugenberg schon in der Vorkriegszeit demonstriert, als er gemeinsam mit seinen Posener Gesinnungsgenossen Einfluß auf einen Gesetzentwurf nahm, der unter bestimmten Bedingungen die Enteignung von Großgrundbesitzern ermöglichte – allerdings nur von polnischen: vgl. Holzbach, Das ›System Hugenberg‹, S. 37. Das Gesetz wurde 1908 aufgrund des Widerstands von konservativer (!) Seite in einer gegenüber diesem Entwurf erheblich abgeschwächten Form verabschiedet. Vgl. Brigitte Balzer: Die preußische Polenpolitik 1894–1908 und die Haltung der deutschen konservativen und liberalen Parteien (unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Posen), Frankfurt am Main 1990, S. 146. Erhellend dazu aus zeitgenössischer Perspektive: Alfred Sohn-Rethel: Die deutsche Wirtschaftspolitik im Übergang zum Nazifaschismus. Analysen 1932 bis 1948, hrsg. von Carl Freytag und Oliver Schaudt, Freiburg 2016, S. 328 ff. Zu dieser Fronde gehörten übrigens auch einige Unternehmen aus Hugenbergs Pressekonzern, die 1932 am Rande des Bankerotts lavierten und nur durch ein großflächiges Umschuldungsverfahren gerettet wurden, an dem auch amerikanische Banken beteiligt waren: vgl. Mergel, Tory-Konservatismus, S. 365. Vgl. Holzbach, Das ›System Hugenberg‹, S. 252. Vgl. Müller, »Fällt der Bauer, stürzt der Staat«, S. 263 f., 306. Vgl. Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007. Diese destruktive Dynamik bleibt unterbelichtet in einer Argumentation, die zwar zutreffend zwischen dem Konservatismus und der modernen Rechten unterscheidet, das Wesensmerkmal der letzteren aber in der Bereitschaft sieht, »den politischen Liberalismus zu beseitigen, um das Privateigentum und den Wirtschaftsliberalismus gegen linke Angriffe intakt zu erhalten« (Kondylis, Konservativismus, S. 505). Das mag auf die Diktatur der griechischen Obristen oder die Regime Francos und Salazars zutreffen. Für den Faschismus sensu stricto gilt es nicht. Hans Blüher: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, 2 Bde., Jena 1917, Bd. I, S. 231. Zu Blühers Verständnis der konservativen Revolution vgl. meine Studie: Stefan George und die Phantome der ›Konservativen Revolution‹, in: George-Jahrbuch Bd. 2, S. 141–163, 149 ff. Die Inspirationsquelle für diese Verbindung dürfte der mit Blüher befreundete Gustav Landauer gewesen sein, der 1904 in einem Vortrag Proudhon, Krapotkin und Tolstoi als »konservative Revolutionäre« präsentiert hatte: vgl. den Hinweis der Herausgeberin in Siegfried Kracauer: Das Bekenntnis zur Mitte, Frankfurter Zeitung vom 2. 6. 1920. Werke, hrsg. von Inka Mülder-Bach, Bd. 5.1, Frankfurt am Main 2011, S. 70–74, 74. Zu seiner Bekanntschaft mit Landauer vgl. Hans Blüher: Werke und Tage. Geschichte eines Denkers, München 1953, S. 376 ff.; Hanna Delf: Als Zeichen der Getrenntheit oder Eine Fensterscheibenangelegen-

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heit. Gustav Landauer und Hans Blüher, in: Ludger Heid und Joachim Knoll (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Burg 1992, S. 323–336. Vgl. Hans Blüher: Deutsches Reich, Judentum und Sozialismus (1919), in ders.: Philosophie auf Posten. Gesammelte Schriften 1916–1921, Heidelberg 1928, S. 125–152, hier: 147, 7. Vgl. Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921, S. 148, 301. Thomas Mann: Russische Anthologie [1922], in: Essays II, GKFA Bd. 15.1, S. 341. Ausführlicher hierzu meine Studien: Ein Mann der Rechten? Thomas Mann zwischen ›konservativer Revolution‹, ästhetischem Fundamentalismus und neuem Nationalismus, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1997, S. 119–140; Wie teuflisch ist die ›konservative Revolution‹? Zur politischen Semantik Thomas Manns, in: Werner Röcke (Hrsg.): Thomas Mann, Doktor Faustus, 1947–1997, Bern etc. 2001, S. 59–72. Rudolf Pannwitz: Europa. Flugblätter 7, München 1920, S. 16. Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921, S. 381. Vgl. Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und wir [1922], Bonn 1925³, S. 112; Ernst Troeltsch: Deutscher Geist und Westeuropa, hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1925, S. 14. Vgl. Rudolf Borchardt: Eranos-Brief [1924], in ders.: Prosa I, S. 90–130, 122. Vgl. Hans Schwarz: Europa im Aufbruch, Berlin 1926, S. 271. Zur Schulfreundschaft mit Blüher vgl. Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934), Köln etc. 2008, S. 438. Vgl. Hugo von Hofmannsthal: Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation [1927], in ders.: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden, hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Reden und Aufsätze, Bd. 3, Frankfurt am Main 1980, S. 41. Siehe hierzu auch in meinem Buch: Ästhetischer Fundamentalismus, S. 145 ff., 220 f. Ferner Ute und Helmut Nicolas: Hofmannsthal, der Staat und die ›konservative Revolution‹, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1997, hrsg. K. Graf Ballestrem u. a., Stuttgart 1997, S. 141–174. Bussche, Konservatismus in der Weimarer Republik, S. 106 ff. Vgl. Moeller van den Bruck, Heinrich von Gleichen, Max Hildebert Boehm (Hrsg.): Die Neue Front, Berlin 1922. Manns Ansichten zum Gewissen und dessen Autoren wie Moeller van den Bruck oder Max Hildebert Boehm sind über das Register der Tagebücher leicht zu erschließen. – Das Gewissen erschien erstmals am 12. 4. 1919 mit dem Untertitel »Unabhängige Zeitung für Volksbildung«. Vom 2. bis zum 8. Jahrgang (1926) hieß es im Untertitel »Für den ›Ring‹ hrsg. von Ed. Stadtler.« Von 1926 bis Ende 1928 entfiel der Untertitel, als Herausgeber firmierte Heinrich von Gleichen. Die Auflage dürfte zur besten Zeit etwa bei 4000 Exemplaren gelegen haben. Vgl. dazu in Kurzfassung: Karlheinz Weißmann: Das »Gewissen« und der »Ring« – Entstehung und Entwicklung des jungkonservativen »Zentral-

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organs« der Weimarer Republik, in: Hans Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003, S. 115–154; in Langfassung (aber nur bis 1925): Claudia Kemper: Das »Gewissen« 1919–1925. Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen, München 2011. – Das Deutsche Volkstum erschien von 1917 bis 1938 in der vom Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband getragenen Hanseatischen Verlagsanstalt, ab 1918 hrsg. von Wilhelm Stapel, ab 1926 gemeinsam von Stapel und Albrecht Erich Günther. Die Auflage betrug zwischen 3000 und 5000 Exemplaren. Vgl. Alexandra Gerstner: Die Zeitschrift Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben (1917–1938), in: Grunewald und Puschner (Hrsg.), Das konservative Intellektuellenmilieu, S. 203–218. Max Hildebert Boehm: Konservativismus, Deutschnationale Volkspartei und Weltrevolution, in: Die Grenzboten 78, 1919, H. 18, S. 97–100, 97, 99. Ebd., S. 100. Moeller van den Bruck: Konservativ, in: Gewissen 3, 1921, Nr. 38–40, 19. 9., 26. 9. und 3. 10., hier Nr. 40. Ebd., Nr. 39. Ebd. Ebd., Nr. 40. Moeller van den Bruck: Die Konservative Schuld, in: Gewissen 2, 1920, Nr. 11, 17. 3. Vgl. auch ders.: Das dritte Reich, Hamburg 19314, S. 202. Die Formel war übrigens nicht neu. Schon in der Vorkriegszeit hatte Moeller der konservativen Gesinnung erst dann wieder eine Berechtigung zusprechen wollen, »wenn sie auch in einer Gegenwart wieder Werte zu schaffen sucht, die von neuem konservierungswürdig sind, weil sie dem Besitz der Nation ein neues Gut hinzufügen« (Geistige Politik, in: Der Tag, Nr. 163 vom 14. 7. 1911). Moeller van den Bruck: Die konservative Umkehr, in: Schweizerische Monatshefte für Politik und Kultur 2, 1922/23, S. 436–450, 445. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 287. Ausführlicher dazu meine Studien: Der Neue Nationalismus in Weimar und seine Wurzeln, in: Helmut Berding (Hrsg.): Mythos und Nation, Frankfurt am Main 1996, S. 257–274; Arthur Moeller van den Bruck: Politischer Publizist und Organisator des Neuen Nationalismus in Kaiserreich und Republik, in: Gangolf Hübinger und Thomas Hertfelder (Hrsg.): Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart und München 2000, S. 138–151, 327–331. Vgl. Moeller van den Bruck u. a., Die Neue Front. Die Charakterisierung Boehms nach Ulrich Prehn: Max Hildebert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik, Göttingen 2013, S. 238. Vgl. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, S. 118 ff. Juni-Klub, gez. v. Gleichen, 2. 5. 1924. Zit. n. Petzinna, ebd., S. 220. Die beste Darstellung des Deutschen Herrenklubs findet sich bei Malinowski, Vom König zum Führer, S. 422 ff.

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Die Auflage lag zunächst bei 2000, später bei 4000 Exemplaren. Vgl. Weißmann, Das »Gewissen« und der »Ring«, S. 133 ff.; Michel Grunewald: Eine konservative Stimme in der deutschen Staatskrise. Der Ring und sein Werben für den »Neuen Staat« (1928–1933), in ders. und Puschner (Hrsg.), Das konservative Intellektuellenmilieu, S. 481–508. So Volker Weiß: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus, Paderborn etc. 2012, S. 236. Zu vereinzelten Vorläufern vgl. die Hinweise bei Weißmann: Das »Gewissen«, S. 129. Bei Heinrich von Gleichen taucht der Begriffe zwar bereits 1923 auf, fällt hier aber noch mit der »jungnationalen Kampfbewegung« zusammen. »Deutscher Konservativismus verlangt heute nationalrevolutionäre Kampfbewegung« (Jungnational – Jungkonservativ, Gewissen 5, 1923, Nr. 43, 29. 10.). Heinrich von Gleichen: Jungkonservativ, in: Gewissen 6, 1924, Nr. 46 vom 17. 11. Vgl. auch [o. V.]: Vom Konservativen, in: Der Ring 2, 1929, S. 303–304, 303. Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung, in: KSA Bd. 6, S. 55–162, 144. Vgl. oben, S. 372, Anm. 35. Heinrich Frhr. von Gleichen-Rußwurm: Adel eine politische Forderung, in: Preußische Jahrbücher 197, 1924, S. 131–145, 131. Vgl. Werner Sombart: Der Bourgeois, München und Leipzig 1913, S. 441 ff. Auf Sombart bezieht sich Gleichen selbst explizit: vgl. Alfred Hugenberg. Ein Beitrag zur deutschen Führerfrage, in: Der Ring 1, 1928, S. 106–107, 107. Heinrich von Gleichen: Die Wirtschaft und die Intellektuellen, in: Gewissen 10, 1928, Nr. 3, 15. 1. Vgl. Heinrich von Gleichen: Staat, Opposition und Nation I, in: Der Ring 1, 1928, S. 873–875, 874; Staatsgesinnung, in: Gewissen 9, 1927, Nr. 17, 23. 4. von Gleichen, Die Wirtschaft und die Intellektuellen. Heinrich von Gleichen: Parteienwandel auf der Rechten, in: Der Ring 3, 1930, S. 243–244, 244; Irrwege der Sozialpolitik, in: ebd., 2, 1929, S. 327–328, 328. Vgl. Dieter Haselbach: Autoritärer Liberalismus und Soziale Marktwirtschaft. Gesellschaft und Politik im Ordoliberalismus, Baden-Baden 1991; ähnlich bereits, wenngleich mit zu starker Betonung der »totalitären« Aspekte Herbert Marcuse: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung [1934], in ders.: Schriften Bd. 3, Frankfurt am Main 1979 S. 7–44. Heinz Oskar Ziegler: Autoritärer oder totaler Staat, Tübingen 1932, S. 25. Näheres zu Ziegler in meinem Buch: Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin 2012, S. 155 ff. Walther Schotte: Staatssozialismus und Arbeitslosigkeit, in: Der Ring 3, 1930, S. 759–760, 760; Staatssozialismus oder freie Wirtschaft, in: Der Ring 1, 1928, S. 433–434, 434. Walther Schotte: ›Der totale Staat‹, in: Der Ring 4, 1931, S. 417–420, 417.

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Anmerkungen | 393 105 Vgl. Walther Schotte: Gegen die Arbeitslosenversicherung, in: Der Ring 3, 1930, S. 438–440. 106 Vgl. Friedrich Grass: Edgar Julius Jung (1894–1934), in: Pfälzer Lebensbilder, hrsg. von Kurt Baumann, Speyer, Bd. I, 1964, S. 320–348, 324. 107 Vgl. Edgar Julius Jung: Die Herrschaft der Minderwertigen, Berlin 1930³, S. 291 ff. 108 Vgl. ebd., S. 156 ff., 302 ff., 428, 454; Edgar Julius Jung: Deutschland und die konservative Revolution. In: Deutsche über Deutschland. Die Stimme des unbekannten Politikers, München 1932, S. 369–383. Vgl. Heide Gerstenberger: Der revolutionäre Konservatismus, Berlin 1969, S. 58 f.; Kondylis, Konservativismus, S. 488 f. Zu Jung zuletzt Roshan Magub: Edgar Julius Jung, Right-Wing Enemy of the Nazis. A Political Biography, Rochester, NY 2017. 109 Vgl. Yuji Ishida: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928–1933, Frankfurt etc. 1988, S. 192, 223; Walther Schotte: Der neue Staat, Berlin 1932; ders.: Das Kabinett Papen, Schleicher, Gayl, Leipzig 1932; Grass, Edgar Julius Jung, S. 339 ff.; Hörster-Philipps: Konservative Politik, S. 118. 110 Vgl. Gerhard Schulz: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933, Berlin und New York 1992, S. 879, 956 ff.; Joachim Petzold: Franz von Papen. Ein deutsches Verhängnis, München und Berlin 1995, S. 71, 105; Heinrich Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten Deutschen Demokratie, München 1993, S. 481; Hörster-Philipps, Konservative Politik, S. 255 ff., 301 ff. 111 Franz von Papen: Appell an das deutsche Gewissen, Oldenburg 1933, S. 23. 112 Wilhelm Stapel: Oberhaus? In: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 859. 113 Vgl. Kai Kauffmann: Ästhetischer Konservatismus, revisited, in: Andres u. a. (Hrsg.), »Nichts als die Schönheit«, S. 357–365; Alexander Mionskowski: ›Reformation an Haupt und Gliedern‹: Rudolf Borchardts revoltierende Kulturpoetik im Vexierspiegel seiner Äußerungen über Friedrich Nietzsche, in: Kaufmann und Sommer (Hrsg.), Nietzsche und die Konservative Revolution, S. 169–218, 172. Im folgenden verwende ich Passagen aus meiner Studie: Rudolf Borchardt und die »Konservative Revolution«, in: Osterkamp (Hrsg.), Rudolf Borchardt und seine Zeitgenossen, S. 370–385. 114 Mit Blick auf Borchardt hat Botho Strauß 1987 die Bezeichnung »poetischer Fundamentalismus« vorgeschlagen und diesen ausdrücklich vom Konservatismus abgegrenzt: vgl. Distanz ertragen, in: Rudolf Borchardt, Das Gespräch über Formen und Platons Lysis, Stuttgart 1987, S. 101–118. Ich habe einige Jahre später, hieran anknüpfend, Borchardt dem »ästhetischem Fundamentalismus« zugeordnet und mir damit harsche Kritik von Ernst A. Schmidt eingehandelt: vgl. Ästhetischer Fundamentalismus, S. 148 ff.; Ernst A. Schmidt: Rudolf Borchardts Antike als Modernismuskritik, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 2000, H. 2, S. 253–281, 261 ff. Ich sehe keinen Grund, diese Zuordnung zu revidieren. Es ist richtig, Borchardt hat sich von der ›ästheti-

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schen Bewegung‹ der Jahrhundertwende abgegrenzt, sich damit jedoch auf eine Strömung bezogen, die auf der Eigengesetzlichkeit der Kunst beharrte und dem L’art pour l’art huldigte. Ästhetischer Fundamentalismus zielt jedoch gerade auf Entdifferenzierung durch eine religiös-sakramentale Aufladung, wenn nicht der Kunst, so doch der Dichtung, bei gleichzeitiger Ästhetisierung der Religion, von der nicht weniger erwartet wird als »Erweckung«, Befreiung von den »Teufeln der Zeit« und »Transmission zu Gott«: vgl. Rudolf Borchardt, Dichten und Forschen [1925 ], in: Reden, S. 192; Drei Einleitungen [1918/19], in: Prosa V, S. 343; Erbrechte der Dichtung [1911], Reden, S. 181. Die von Schmidt vorgeschlagene Verbuchung unter ›Traditionalismus‹ wird dem Furor von Borchardts Zeitablehnung nicht gerecht. Vgl. Sprengel, Rudolf Borchardt, S. 181 ff., 201 ff., 299 ff. Rudolf Borchardt an die Feuilletonredaktion der Münchner Neuesten Nachrichten, Brief vom 17. 10. 1932, in: Briefe 1931–1935, S. 185. Rudolf Borchardt an Herbert Steiner, Brief vom (ca.) 1. 12. 1933, ebd., S. 305. Rudolf Borchardt: Aufgaben der Zeit gegenüber der Literatur [1930], in: Prosa IV, S. 274; Konservatismus und Humanismus [1931], in: Prosa V, S. 439. Die Texte aus dieser Phase sind bibliographisch erfaßt in: Rudolf Borchardt: Verzeichnis seiner Schriften, bearb. von Ingrid Grüninger i. V. m. Reinhard Tgahrt, Marbach 2002. Vgl. auch den Überblick in: Kauffmann, Borchardt und der »Untergang der deutschen Nation«, S. 192 ff., 317 ff. Vgl. Rudolf Borchardt: Der deutsche Geist als Hüter des deutschen Föderalismus [1930], in: Prosa V, S. 394 ff. Rudolf Borchardt: Revolution und Tradition in der Literatur [1931], in: Reden, S. 211. Borchardt, Konservatismus und Humanismus, S. 437. Rudolf Borchardt: Der Krieg und die deutsche Selbsteinkehr [1914], in: Prosa V, S. 252. Das schloß zuzeiten auch die Überzeugung ein, daß »es keine Rassen in der geschichtlichen Welt gibt«, wie Borchardt vor allem dem rassenideologisch begründeten Antisemitismus entgegenhielt: Rudolf Borchardt an Werner Kraft, Brief vom 13. 4. 1933, in: Briefe 1931–1935, S. 241. Allerdings ist, was Borchardt bisweilen über Germanen, Kelten und Slaven zu sagen weiß, kaum von der Rhetorik eines Rassenideologen wie Chamberlain zu unterscheiden. Vgl. etwa im Brief an Rudolf Pannwitz vom 6. 9. 1918, in: Briefe 1914–1923, S. 208; Brief an Philipp Borchardt vom 7. 11. 1926, in: Briefe 1924–1930, S. 143. Borchardt, Konservatismus und Humanismus, S. 437 f. Rudolf Borchardt: Der verlorene Posten. Rechenschaftsbericht [1932], in: Prosa VI, S. 203 f. Rudolf Borchardt an Rudolf Alexander Schröder, Brief vom 15.–24. 7. 1916, in dies.: Briefwechsel 1901–1918. In Verb. m. dem Rudolf Borchardt-Archiv bearb. von Elisabetta Abbondanza, München und Wien 2001, S. 635.

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Anmerkungen | 395 126 Borchardt, Der verlorene Posten, S. 206; vgl. Rudolf Borchardt an Heinrich von Gleichen, undatiertes Fragment. Der Text findet sich, wie der gesamte Nachlaß, im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Sachlich läßt er sich dem in der Ausgabe der Briefe 1924–1930 wiedergegebenen Brief vom 5. 1. 1930 zuordnen (S. 408 ff.). 127 Rudolf Borchardt: Deutsche Literatur im Kampfe um ihr Recht [1931], in: Prosa IV, S. 302. 128 Vgl. Rudolf Borchardt an Edgar J. Jung, Brief ca. Mitte Januar 1930, nicht abgeschickt, in: Briefe 1924–1930, S. 419 ff.; Borchardt, Der verlorene Posten, S. 207. 129 Borchardt, Konservatismus und Humanismus, S. 432. 130 Ebd. 131 Ebd., S. 435. 132 Vgl. Carl Schmitt: Legalität und Legitimität [1932], in ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1973², S. 263–345, 264 f. 133 Rudolf Borchardt: Der Fürst [1933], in: Prosa V, S. 493, 498. 134 Ebd., S. 501 f., 499. Zu Macchiavellis »Dämonologik« vgl. Dolf Sternberger: Drei Wurzeln der Politik, Frankfurt am Main 1984, S. 214, 222. 135 Gregor Streim: Evolution, Kosmogonie und Eschatologie in Rudolf Borchardts ›Theorie des Konservatismus‹, mit besonderer Berücksichtigung von ›Der Fürst‹, in: Kai Kauffmann (Hrsg.): Dichterische Politik. Studien zu Rudolf Borchardt, Bern 2001, S. 97–113, 99. 136 Rudolf Borchardt: Einleitung in das Verständnis der Pindarischen Poesie [1929/30], in: Prosa II, S. 217. 137 Handelt es sich bei der kommissarischen Diktatur um eine zeitlich und sachlich begrenzte Suspendierung einer bestehenden Verfassung, um diese vor einer Bedrohung zu retten, so bei der souveränen Diktatur um eine solche, die einen Zustand zu schaffen sucht, »um eine Verfassung zu ermöglichen, die sie als wahre Verfassung ansieht«: Carl Schmitt, Die Diktatur, S. 137. Als Plädoyer für die kommissarische Diktatur läßt sich der um den 21. 2. 1923 an Peter Voigt geschriebene Brief verstehen, in dem Borchardt die Beseitigung von Reichstag und Parteien und die Übertragung der Regierungsgewalt an ein »Collegium von fünf oder zehn Männern allerersten Rangs« verlangt, die »das verkommene Land mit Feuer und Schwert regieren« sollen (in: Briefe 1914–1923, S. 483). In Richtung der souveränen Diktatur verweist dagegen die am 2. 1. 1931 in Bremen gehaltene Rede »Führung«, die die »Macht eines einzigen individuellen Willens oder einer persönlichen staatsmännischen Phantasie« beschwört, »das gesamte Gesicht der Nation umzugestalten und in dies Gesicht mit der Schwertspitze einen neuen Umriß zu schreiben, ihre gesamten Werte mit der gleichen blutziehenden Feder um- und ihre Bilanz neuzuschreiben«: Borchardt, Führung [1931], in: Reden, S. 412 f.

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138 Rudolf Borchardt: »Konservative Sicherung bei romanischen Völkern« [1932], in: Prosa V, S. 447. 139 Rudolf Borchardt: Schöpferische Restauration [1927], in: Reden, S. 243, 234. 140 Rudolf Borchardt an Josef Hofmiller, Brief vom 31. 1. 1916, in: Briefe 1914– 1923, S. 123; Die geistesgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts [1927], in: Reden, S. 338. 141 Rudolf Borchardt: Deutsche Selbstverzehrung (Nachl.). 142 Borchardt, Schöpferische Restauration, S. 247, 243. 143 Rudolf Borchardt: Aufgaben der Zeit gegenüber der Literatur [1930], in: Prosa IV, S. 275. Noch drastischer hat Borchardt bereits 1920 die Bevölkerung Berlins als aus Läusen, Wanzen und Bazillen zusammengesetzt bezeichnet: vgl. den Brief an Marie Luise Voigt vom 23. 1. 1920, in Rudolf Borchardt: Briefe an Marie Luise Borchardt 1918–1922, bearb. von Gerhard Schuster, München und Wien 2014, S. 486. 144 Borchardt, Schöpferische Restauration, S. 241; Deutsche Selbstverzehrung (Nachl.). 145 Rudolf Borchardt: Staatenbund oder Bundesstaat? [1933], in: Prosa V, S. 471. 146 Rudolf Borchardt: Brief über die Reichsreform [1930], in: Prosa V, S. 403. 147 Vgl. Rudolf Borchardt: Welfisches Kaisertum [1931], in: Prosa V, S. 420 ff. Wie sehr es sich dabei allerdings um eine Kehrtwende in Borchardts politischem Denken handelte, das lange Zeit eher »ghibellinisch« ausgerichtet war, hat Peter Sprengel deutlich gemacht: vgl. Rudolf Borchardt, S. 22, 147. 148 Rudolf Borchardt an Rudolf Alexander Schröder, Brief vom 29. 12. 1931, in dies.: Briefwechsel 1919–1945, S. 285. Ähnlich bereits im Brief an Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schönburg vom 29. 10. 1918, in: Briefe 1914–1923, S. 213. 149 Borchardt, Schöpferische Restauration, S. 249. 150 Borchardt, Deutsche Literatur im Kampfe um ihr Recht, S. 339. 151 Rudolf Borchardt an Henri Buriot-Darsiles, Brief vom 7. 12. 1925, in: Briefe 1924–1930, S. 111. 152 Vgl. Rudolf Borchardt an Peter Voigt, Brief vom 21. 2. 1923, in: Briefe 1914– 1923, S. 483. 153 Borchardt, Staatenbund oder Bundesstaat, S. 476. 154 Borchardt an Peter Voigt, Brief vom 21. 2. 1923, in: Briefe 1914–1923, S. 482. 155 Borchardt, Eranos-Brief, S. 122. 156 Borchardt, Die geistesgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts, S. 343 f. 157 Vgl. Rudolf Borchardt: Über den Dichter und das Dichterische [1924], in: Prosa I, S. 60 f. 158 Borchardt, Schöpferische Restauration, S. 232. 159 Rudolf Borchardt: Die Antike und der deutsche Völkergeist [1927], in: Reden, S. 272–308, 277. 160 Vgl. Rudolf Borchardt: Die großen Trobadors, in ders.: Übertragungen, hrsg. von Marie Luise Borchardt unter Mitarbeit von Ernst Zinn, Stuttgart 1958,

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S. 211 ff.; Hartmann von Aue, Der Arme Heinrich, ebd., S. 338 ff.; Dantes Comedia Deutsch, hrsg. von Marie Luise Borchardt unter Mitarbeit von Ernst Zinn, Stuttgart 1967. Vgl. Rudolf Borchardt: Der Durant, in ders.: Gedichte, hrsg. von Marie Luise Borchardt und Herbert Steiner, Stuttgart 1957, S. 414 ff. Rudolf Borchardt: Die Aufgaben der Zeit gegenüber der Literatur [1929], in: Reden, S. 395. Borchardt, Deutsche Literatur im Kampfe um ihr Recht, S. 338. Borchardt, Die geistesgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts, S. 339. Rudolf Borchardt an Julie Baronin Wendelstadt, Brief vom 20. 11. 1926 [nicht abgesandt], in: Briefe 1924–1930, S. 151. Rudolf Borchardt an Wilhelm Schäfer [Entwurf, August 1930], ebd., S. 476. Rudolf Borchardt: Konservatismus und Monarchismus [1930], in: Prosa V, S. 417 f. Borchardt, Führung, S. 424, 427 f. Borchardt an die »Arbeitsstelle für konservatives Schrifttum«, Brief nach dem 24. 11. 1930, in: Briefe 1924–1930, S. 555 f. Vgl. ders.: Wiederherstellung der Welt (Nachl.); ders., Welfisches Kaisertum, S. 428; ders.: Das Reich als Sakrament [1932], in: Prosa V, S. 459. Borchardt, Führung, S. 424, 427 f. Zu der danach erfolgten Absage an die »auctoritas« vgl. seinen in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 12. 3. 1932 erschienenen Aufsatz »Wem gehört unsere Stimme?«, in dem er Hindenburg für unfähig erklärt, den in Deutschland herrschenden Bürgerkrieg zu beenden (Prosa V, S. 451). Vgl. Rudolf Borchardt: Offene Worte nach allen Seiten (Nachl.). Ausführlicher hierzu Jens Malte Fischer: »Deutschland ist Kain«. Rudolf Borchardt und der Nationalsozialismus, in: Osterkamp (Hrsg.), Rudolf Borchardt und seine Zeitgenossen, S. 386–398. Rudolf Borchardt an Max Brod, Brief vom 19. 11. 1931, in: Briefe 1931–1935, S. 90 f. Borchardt, Konservatismus und Humanismus, S. 441. Borchardt an die »Arbeitsstelle für konservatives Schrifttum«, Brief nach dem 24. 11. 1930, S. 551. Ebd., S. 553. Rudolf Borchardt an Carl J. Burckhardt, Brief vom 14. 5. 1933, in: Briefe 1931–1935, S. 247. Vgl. Ernst Osterkamp: Poetische Selbstreflexion als politische Kritik. Zur Deutung von Rudolf Borchardts Schmähgedicht ›Nomina odiosa‹, in: Jb. d. Dt. Schillergesellschaft 26, 1982, S. 357–382; Kauffmann, Borchardt und der »Untergang der deutschen Nation«, S. 210 ff.

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178 Vgl. Rudolf Borchardt: Aufzeichnung Stefan George betreffend. Aus dem Nachlaß hrsg. und erläutert von Ernst Osterkamp. Schriftenreihe der Rudolf Borchardt Gesellschaft Bd. 6/7, Tübingen 1998, S. 85, 101 ff.

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Kondylis, Konservativismus, S. 504. Ernst Nolte: Konservativismus und Nationalsozialismus, in: Schumann (Hrsg.), Konservativismus, S. 244–261, 254, 251, 258. Kondylis, Konservativismus, S. 208. Vgl. ebd., S. 306; Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach, Bd. 2, S. 745 f. Leopold von Gerlach an Manteuffel, Brief vom 18. 2. 1856, zit. n. Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 628. Friedrich Julius Stahl: Was ist die Revolution? Ein Vortrag, auf Veranstaltung des Evangelischen Vereins für kirchliche Zwecke am 8. März 1852 gehalten, in ders.: Reden, S. 233–246, 241. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 458. Vgl. S. 563 f.; Die gegenwärtigen Parteien, S. 267. Zur antiautoritären Umdeutung des Charisma und Webers Sicht des Bonapartismus vgl. meine Studie: Bürokratie und Charisma. Zur politischen Soziologie Max Webers, Darmstadt 1994, S. 183 f. Stahl, Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 459. Vgl. auch Ernst Ludwig von Gerlach: Napoleon III. im Juli 1859 (Eine bisher unpublizierte Abhandlung Ernst Ludwig von Gerlachs und Briefe Leopold von Gerlachs an seinen Bruder Ernst Ludwig), in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 2, 1949/50, S. 136–158, 140 ff.; Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 707, 715. Vgl. [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Bd. 1, S. 320, 430; Bd. 2, S. 1053, 1056. Vgl. Günther Grünthal: Manteuffel, Otto, in: NDB 16, 1990, S. 88–90; Parlamentarismus in Preußen, S. 281 ff.; Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 586 ff. Ausführlicher Bussiek, Kreuzzeitung, S. 103 ff. – Zu Hinckeldey als »Krypto-Bonapartisten« vgl. David E. Barclay: Prussian Conservatism and the Problem of Bonapartism, in: Peter Baehr und Melvin Richter (Hrsg.): Dictatorship in History and Theory. Bonapartism, Caesarism, and Totalitarianism, Cambridge etc. 2004, S. 67–81, 78 f. Vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 592, 614 ff.; ders.: Hermann Wagener (1815– 1889), in: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Berlin 2002², S. 537–586, 544 f. Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 612 (5. 3.). Vgl. Bauer, Disraelis romantischer und Bismarcks sozialistischer Imperialismus, S. 250. Das spricht gegen eine Zuordnung des Artikels zu Hermann Wa-

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gener, wie sie Hans Joachim Schoeps vorgenommen hat, in ders.: Das andere Preußen, S. 119. [o. V.]: Napoleon I, in: StGL Bd. 14, 1863, S. 115–162, 115, 144. Ebd., S. 158. Ebd., S. 161. [o. V.]: Revolution, in: StGL Bd. 17, 1864, S. 125–138, 125. Ebd., S. 127 f. Ebd., S. 137; [o. V.]: Napoleon I, S. 140 f. Vgl. Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 41 ff. m. w. N.; [o. V.]: Bonapartismus, in: StGL Bd. 4, 1860, S. 259–277. Die folgenden Zitate im Text nach dieser Ausgabe. Die Evokation des Cäsarismus nimmt explizit nur auf Mommsen Bezug, ohne aber dessen Deutung mit zu vollziehen, die in Cäsar den Vertrauensmann der Nation gesehen und seine Diktatur mit der Weihe der Legitimität ausgestattet hatte: vgl. Stefan Rebenich: Theodor Mommsen, München 2002, S. 92. Eine Verbindungslinie von Cäsar zum Bonapartismus hat schon Benjamin Constant gezogen. Nach der Wahl Louis Bonapartes zum Präsidenten erlebte sie weitere Verbreitung, unter anderem durch Auguste Romieus L’ère des Césars von 1850. Vgl. Dieter Groh: Cäsarismus, Napoleonismus, Bonapartismus, Führer, Chef, Imperialismus, in: GG Bd. 1, S. 726–771. Speziell zur deutschen Diskussion nach 1850 vgl. Heinz Gollwitzer: Der Cäsarismus Napoleons III. im Widerhall der öffentlichen Meinung Deutschlands, in: Historische Zeitschrift 173, 1952, S. 23–75. Zu diesem Wandel vgl. Iain McDaniel: Constantin Frantz and the Intellectual History of Bonapartism and Caesarism: A Reassessment, in: Intellectual History Review 28, 2018, S. 317–338, 323 ff. Vgl. Joseph de Maistre: Considérations sur la France, Lyon 1829, S. 71; Frantz, Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht, S. 128 f. Schon in der Römerzeit, heißt es an anderer Stelle, habe die Juden ein lebhaftes »Gefühl der Wahlverwandtschaft zu Cäsar« hingezogen. »Er, der den ganzen Erdkreis durchzogen, alle Widerstands-Regungen der Völker rings um das Mittelmeer niedergeschlagen und der römischen Aristokratie dieselbe Niederlage wie den Barbaren bereitet hatte, war in ihren Augen der Executor des Vernichtungs-Spruches gewesen, welchen die Propheten gegen alle Völker ausgesprochen hatten. Er hatte die Erde zu einem großen Leichenfelde der Völker gemacht – die Juden glaubten daher ihr Vorrecht allein behaupten zu können« (S. 261). Das paßt zu Wageners auch sonst an den Tag gelegter Judenfeindschaft, allerdings nicht weniger zu den in seinem Umfeld intensiv gepflegten Ressentiments: vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 95 ff., 171 ff., 262 ff. u. ö.; ders.: Preußen, ein »Judenstaat«, in: Geschichte und Gesellschaft 37, 2011, S. 455–481.

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Stein des Anstoßes war Wageners Versuch, Eigentums- und Entschädigungsrechte an der ›Kreuzzeitung‹ geltend zu machen: vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 733 ff. Das Programm des Preußischen Volksvereins, 1861, in: Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 45. Vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 1, S. 258; Bd. 2, S. 465, 549. Ähnlich sahen dies etwa Heinrich Leo und Joseph Maria von Radowitz: vgl. ebd., S. 602. Nicht zu halten dagegen die Ansicht von Huber, wonach der Gerlach-Kreis seit 1850 und verstärkt dann während des Heereskonflikts auf einen »Verfassungsumsturz« hingearbeitet habe: Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 162 ff., 348 f. Kritisch dazu: Grünthal, Parlamentarismus, S. 203 ff. Zwei Denkschriften des Geheimen Oberregierungsraths H. Wagener, in: Bismarck-Jahrbuch 6, 1899, S. 209–226. Hier: Denkschrift vom 17. 1. 1874, S. 222 f. Von einer teilweisen Kollektivierung des Grundbesitzes, wie Schoeps, Das andere Preußen (S. 215), sie sieht, ist dort allerdings nichts zu erkennen. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 533. Vgl. Elisabeth Fehrenbach: Bonapartismus und Konservatismus in Bismarcks Politik, in: Klaus Hammer und Peter Claus Hartmann (Hrsg.): Le Bonapartisme. Phénomène historique et mythe politique, München 1977, S. 39–55, 50 ff.; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 363 ff. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie, S. 533. Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 1973, S. 63. Vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 2, S. 770. Auch als Reichskanzler drohte Bismarck später mehrfach mit dem Staatsstreich, war aber klug genug, seinen Worten keine Taten folgen zu lassen: Vgl. Egmont Zechlin: Staatsstreichpläne Bismarcks und Wilhelms II. 1890–1894, Stuttgart etc. 1929; Gall, Bismarck, S. 613 f., 649, 664 u. ö. Vgl. Gall, Bismarck, S. 278. Zum monarchischen Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert vgl. Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Zit. n. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 323; Lothar Gall: Bismarck und der Bonapartismus, in: Historische Zeitschrift 223, 1976, S. 618– 637; ders., Bismarck, S. 182. Gall, Bismarck, S. 605. Ebd., S. 88. Vgl. Schoeps, Das andere Preußen, S. 125 f. Wagener, Was wir wollen, S. 19. Zu dieser Tendenz vgl. die von Hermann Wagener verfaßte Einleitung, in: StGL Bd. 1, 1859, S. 14. Wagener, zit. n. Saile, Hermann Wagener, S. 52, 41 f. Für eine Reorganisation im ständischen Sinne trat auch das Staats- und Gesellschafts-Lexikon ein: vgl. Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 210 f., desgleichen Hermann

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Keipp, der von 1857–1859 die Berliner Revue, danach die aus dieser Zeitschrift ausgegliederte Tageszeitung Preussisches Volksblatt leitete: vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 158, 200 ff. Tagebucheintrag vom 10. 8. 1864, in: [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Bd. 1, S. 458. Bauer, Disraelis romantischer und Bismarcks sozialistischer Imperialismus, S. 5, 246. Ebd., S. 246. Zu Bauers Spätwerk vgl. Jürgen Gebhardt: Der Aufstieg des modernen Imperatorentums und die neue Weltordnung. Weltgeschichtliche Betrachtungen im Spätwerk Bruno Bauers, in: Kodalle und Reitz (Hrsg.), Bruno Bauer, S. 285–306. Na’aman, Lassalle, S. 610. Vgl. Moses Heß: Rechte der Arbeit [1863], in ders.: Ausgewählte Schriften, ausgew. und eingel. von Horst Lademacher, Köln 1962, S. 354 f. Rodbertus an Lassalle, Brief vom 9. 5. 1863, in: RGWB Bd. 6, S. 71. Rodbertus an Lassalle, Brief vom 13. 5. 1863, ebd., S. 78 f. Vgl. Dietzel, Karl Rodbertus, Bd. 2, S. 86. Vgl. Stamm, Konstantin Frantz (1907), S. 221 ff.; Udo Sautter: Constantin Frantz und die zweite Republik. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1851, in: Historische Zeitschrift 210, 1970, S. 560–582. Vgl. Frantz, Louis Napoleon, S. 16; vgl. McDaniel, Constantin Frantz, S. 322. Diese Einschätzung deckt sich übrigens mit derjenigen Schellings, seines philosophischen Lehrers, der 1852 das soeben begonnene Jahr als das ›Jahr Louis Napoleons‹ begrüßte, zumindest was Frankreich angehe. Vgl. Domenico Losurdo: Von Louis Philippe bis Louis Bonaparte. Schellings späte politische Entwicklung, in: Hans-Martin Pawlowski u. a. (Hrsg.): Die praktische Philosophie Schellings und die gegenwärtige Rechtsphilosophie, Stuttgart und Bad Cannstatt 1989, S. 227–254, 245. Vgl. Frantz, Louis Napoleon, S. 18, 20, 22. Napoleonismus, so die genauere Definition, stehe für »ein Staatswesen, das weder eine eigentliche Republik noch eine eigentliche Monarchie ist: nämlich allerdings eine Einherrschaft, die als solche Aehnlichkeit mit der Monarchie hat, aber weil sie nicht auf eigenem Recht beruht, sondern aus dem Volkswillen hervorgeht, das Ganze doch wieder als Republik erscheinen läßt« (ebd., S. 27). Ebd., S. 67. Frantz, Die Staatskrankheit, S. 106 f. Zit. n. Grünthal, Parlamentarismus in Preußen, S. 290. Für diesen Ruf lieferte Frantz auch zahlreiche Gründe. Denn er kritisierte zwar die usurpatorischen Züge des napoleonischen »Cäsarismus«, attestierte diesem aber wenigstens Modernität, während er an »Restauration«, »Camarillaregierung« und »Conservatismus« kein gutes Haar ließ. Vgl. Frantz: Die Staatskrankheit, S. 106 ff.,

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124 f, 128, 133; Der Militairstaat, S. 135 ff.; Die Quelle alles Uebels, S. 23 ff.; Stamm, Konstantin Frantz (1907), S. 232 ff. Vgl. Constantin Frantz: Quid faciamus nos? Berlin 1858, S. 37. Frantz, Die Naturlehre des Staates, S. 174. Ebd., S. 300, 310. Das las sich 1851 noch anders. Wo man einmal die Majorität zum Grundprinzip des Staatswesens gemacht habe, heißt es in der o. g. Denkschrift an Manteuffel, könne nur das allgemeine Stimmrecht der Regierung einige Stabilität geben. Die Absicherung durch das Militär sowie die Bereitschaft zu administrativen und sozialen Reformen lasse es als denkbar erscheinen, daß das Regime »mit der Zeit vielleicht einen moralischen Boden gewinnen kann«; und das sei mehr, als durch eine Restauration der Monarchie oder des Parlamentarismus erreicht werden könne. Vgl. Sautter, Constantin Frantz und die zweite Republik, S. 580 ff. Vgl. Frantz, Der Conservatismus des Hrn. v. Diest, in: LPA, S. 270. Vgl. in diesem Sinne die Anspielungen in Frantz, Untersuchungen, S. 423. Vgl. ebd., S. 424, 430. Vgl. ebd., S. 427, 430; Die Wiederherstellung Deutschlands, S. 122. Frantz, Untersuchungen, S. 431. Ebd., S. 417 f., 422. Ebd., S. 422. Ebd., S. 420 f.; Frantz, Kritik aller Parteien, S. 289, 297. Vgl. Frantz, Untersuchungen, S. 423. Ebd., S. 435, 394, 397. Ebd., S. 418. Vgl. Johann Gottlieb Fichte: Aus dem Entwurfe zu einer politischen Schrift im Frühlinge 1813, in ders.: Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, ND Berlin 1971, Bd. VII, S. 546–573, 565. Bei Fichte ist dieser Titel allerdings noch dem König von Preußen (wenn auch nicht ihm allein) zugewiesen. Frantz, Untersuchungen, S. 423. Wenn Frantz hier explizit von »vernichten« spricht, mag mancher an eine frühe Form des eliminatorischen Nationalismus denken, zumal der Napoleonismus in einen engen Kontext mit dem »Franzosenthum« gerückt wird. Zu beachten bleibt dabei allerdings, daß Frantz ein scharfer Kritiker des Nationalitätsprinzips und der daraus abgeleiteten politischen Forderungen war: vgl. Naturlehre des Staates, S. 426 ff.; Der Föderalismus, S. 338 ff.; Die Religion des Nationalliberalismus, Leipzig 1872, S. 21 ff. Besser begründet dürfte der immanente Einwand sein, daß Frantz dem Napoleonismus mit napoleonischen Methoden begegnen wollte, warf er doch den Siegermächten von 1814 vor, das geschlagene Frankreich seinerzeit nicht ›parzelliert‹ und in Domänen der »großen napoleonischen Marschälle« verwandelt zu haben; anders gesagt: auf eben jenes Verfahren verzichtet zu haben, das für den napoleonischen Imperialismus typisch war. Vgl. Frantz, Untersuchungen, S. 419.

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So mit Recht McDaniel, Constantin Frantz, S. 319, 322. Anders Günter Meuter und Henrique Ricardo Otten: Constantin Frantz – ein bonapartistischer Vorläufer Carl Schmitts? In: Michael Th. Greven (Hrsg.): Politikwissenschaft als Kritische Theorie, Baden-Baden 1994, S. 151–194; Groh, Cäsarismus, Napoleonismus, Bonapartismus etc., S. 752. Vgl. Wagener, Der Niedergang Napoleons III. Alle Seitenangaben daraus im Text. Vgl. Otto Neuendorff: George Hesekiel, Berlin 1932, S. 104 f. Vgl. Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus, S. 408 ff. Vgl. Neuhaus, Sensationsroman, S. 63 f. Vgl. ebd., S. 122. Vgl. Retcliffe, Sebastopol, Bd. I (1855), S. 6. Vgl. ebd., S. 13. Ebd., S. 18. Vgl. Retcliffe, Villafranca, Bd. I/1 (1862), S. 135 ff. Vgl. ebd., S. 139, 140 f. Vgl. ebd., Bd. I/2 (1862), S. 397 ff. Vgl. ebd., Bd. II/1 (1862), S. 273 ff. Vgl. Retcliffe, Sebastopol, Bd. IV, S. 377; Villafranca, Bd. I/2, S. 7. Was hier nur angedeutet ist, hat Retcliffe später zu dem oben erwähnten Phantasma einer jüdischen Weltverschwörung ausgebaut: vgl. das Kapitel »Auf dem Judenkirchhof in Prag«, in: Biarritz, Bd. I/1 (1868), S. 141 ff. Vgl. Retcliffe, Sebastopol, Bd. IV, S. 272 ff., 380. Retcliffe, Biarritz, Bd. II/3 (1877), S. 126; Bd. II/5 (1878), S. 76 f. Vgl. Retcliffe, Villafranca, Bd. II/1, S. 419 ff. Vgl. ebd., Bd. II/3 (1863), S. 289. Das Attentat und die Hinrichtung Orsinis nehmen in der dritten Abteilung von Villafranca breiten Raum ein: vgl. Bd. III/2 (1865), S. 198 ff. Ebd., Bd. II/3, S. 155; Bd. II/2 (1862), S. 385. Retcliffe, Biarritz, Bd. I/8 (1875), S. 193 f.; vgl. auch ders., Nena Sahib (1859³), Bd. I, S. 485. Retcliffe, Nena Sahib, Bd. I, S. 505 f. Das muß man natürlich unter literarische Freiheit verbuchen, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Überreste Napoleons längst nach Paris überführt. Retcliffe, Sebastopol, Bd. III, S. 220; vgl. Biarritz, Bd. II/2, S. 61 f.; Neuhaus, Sensationsroman, S. 180 f. Vgl. Gregor Samarow: Um Szepter und Kronen. Zeitroman in fünf Abteilungen, Stuttgart 1872–1876. Neuhaus, Sensationsroman, S. 208 ff. Vgl. ebd., S. 212. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 464 f.

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Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 26; Bd. 2, S. 427 ff. Für Meyer war die Revolution weniger die Erhebung des dritten Standes, als die sie zu seiner Zeit meist dargestellt wurde, als vielmehr eine solche des vierten Standes gegen die »Classengesetze« des dritten: vgl. seine Artikel: Wer hat die französische Revolution gemacht? In: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie 19, 1878, Nr. 99, 11. 4.; Ueber die Ursachen der französischen Revolution von 1789, ebd. 20, 1879, Nr. 265, 26. 9. Stern, Gold und Eisen, S. 698. Meyer, Politische Gründer, S. 142. Vgl. Rudolf Meyer: Die drohende Entwickelung des Socialismus in Deutschland, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 72, 1873, S. 347–368, 350. Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 127. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 448. Ebd., S. 473. Vgl. Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 136 f. Meyer, Politische Gründer, S. 9 f. Vgl. auch ders.: Der sociale Schutzzoll, in: Das Vaterland 18, 1877, Nr. 251, 13. 9. Vgl. Meyer, Politische Gründer, S. 11 ff. Vgl. ebd., S. 13. Die hier aufgelisteten Merkmale werden von der historischen Forschung im einzelnen genauer herausgearbeitet, in der Summe aber nicht viel anders beurteilt: vgl. statt vieler Heinrich Euler: Napoleon III. in seiner Zeit. Teil II: Das Verhängnis, hrsg. aus dem Nachlass des Autors von Erna Euler, Hamburg 2008, S. 81 ff., 364 ff.; François Caron: Frankreich im Zeitalter des Imperialismus 1851–1918. Geschichte Frankreichs, Bd. 5, Stuttgart 1991, S. 58 ff., 96 ff., 160, 177 ff.; Kroll, Die Idee eines sozialen Königtums im 19. Jahrhundert, S. 130 ff. (wie oben, S. 319, Anm. 31). Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 254; Der Capitalismus fin de siècle, S. 424. Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 254. Ebd., S. 256. Ebd., S. 257. Ebd., S. IV. Meyer, Politische Gründer, S. 15. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 468; vgl. Der Capitalismus fin de siècle, S. 224 ff. Vgl. sein Nachwort zu Rodbertus-Jagetzow, Briefe, S. 726; Rudolf Meyer an Karl Kautsky, Brief vom 25. 3. 1893, in: Karl Kautsky Papers. In einem anderen Brief vom 12. 5. 1892 (ebd.) berichtet Meyer, August Rohling wolle ihn zum Antisemitismus bekehren, doch sei er, Meyer, der Ansicht, »dass man schlechte Institutionen u. Gesetze bekaempfen soll, nicht aber Volksklassen, Racen, oder Staende.« Konsequenz gehörte nicht zu Meyers Stärken. Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 439.

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Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 786. Meyer, Ursachen der Amerikanischen Concurrenz, S. 815. Vgl. Nolte, Konservativismus und Nationalsozialismus, S. 252. Vgl. Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 6. Ebd., S. 409. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 461. Vgl. Groh, Cäsarismus, Napoleonismus, Bonapartismus etc., S. 767, 770. Vgl. auch Meuter und Otten, Constantin Frantz. Victor Aimé Huber: Die Selbsthülfe der arbeitenden Klassen durch Wirthschaftsvereine und innere Ansiedelung, Berlin 1848. Vgl. Kraus, Gerlach, Bd. 1, S. 344 ff.; Lorenz Stein: Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Leipzig 1842. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 141. Beim Tod Lassalles 1864 zählte der ADAV gerade 3000 Mitglieder. Vgl. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 744. [Gerlach], Von der Revolution zum Norddeutschen Bund, Bd. 1, S. 466. Vgl. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, S. 283. Immerhin indizierte der Sozialismus für Stahl, im Unterschied zu den Gerlachs, einige wirkliche Probleme, insbesondere »die Verwerflichkeit der unbeschränkten Konkurrenz, die Nothwendigkeit jener die Nahrung und den Besitz schützenden Institutionen« (ebd., S. 280). Seine Lösungsvorschläge erschöpften sich freilich in Appellen an die staatliche Fürsorgepflicht und in der pastoralen Empfehlung, die »niederen Stände« zu heben, und zwar »sowohl persönlich durch Sitte und Bildung, als nach ihrem Stande selbst durch das Bewußtseyn der höheren Weihe, die in jedem menschlichen Berufe liegt«: Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. II/2, S. 45. Von sozialen Rechten wollte er nichts wissen (ebd., S. 55). Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 269; Wagner, Finanzwissenschaft und Staatswissenschaft, S. 89. Naumann, Demokratie und Kaisertum, S. 105 f. Vgl. Max Beer: Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe. Mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, Erlangen 1971, S. 544 ff. (Rodbertus als Theoretiker der »konservativen Sozialreform«); Wilhelm Andreae: Staatssozialismus und Ständestaat. Ihre grundlegenden Ideologien und die jüngste Wirklichkeit in Rußland und Italien, Jena 1931, S. 127 ff., 42 (Rodbertus als Vertreter des »konservativen Staatssozialismus«); Hans Joachim Schoeps: Hermann Wagener. Ein konservativer Sozialist, in ders.: Das andere Preußen, S. 203–228. Wolfgang Sailes Buch über Wagener trägt den Untertitel »Ein Beitrag zur Geschichte des konservativen Sozialismus«. Vgl. Hermann Wagener, Sten.Ber.Abg. 1856, Bd. 2, S. 717, 740; 1857, Bd. 2, S. 885 f.

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134 Hermann Wagener, Sten.Ber.Norddt.RT 1869, Bd. 1, S. 138. Vgl. auch ebd. 1867, Bd. 1, S. 393; Sten.Ber.Abg. 1865, Bd. 1, S. 132. 135 Art. Socialismus und Communismus, in: StGL Bd. 19, 1865, S. 297–325, 297. 136 Ebd., S. 301. Vgl. dazu auch die Spezialartikel zu Louis Blanc, Cabet, Owen, Proudhon, St. Simon und Fourier. 137 Ebd., S. 306. Dieser Denkfigur ist Hubert Treiber in mehreren Studien nachgegangen. Vgl. nur: Nietzsches ›Kloster für freiere Geister‹. Nietzsche und Weber als Erzieher, in: Peter Antes und Donate Pahnke (Hrsg.): Die Religion von Oberschichten, Marburg 1989, S. 117–161. 138 Art. Socialismus und Communismus, S. 316. 139 Ebd., S. 319. 140 Ebd., S. 323. Es ist nicht zuletzt dieses Verständnis des »imperialistischen Sozialismus«, das, neben den breiten religions- und philosophiegeschichtlichen Darlegungen, auf eine Verfasserschaft Bruno Bauers deutet. Vgl. dessen weiter oben zitiertes Werk: Disraelis romantischer und Bismarcks sozialistischer Imperialismus. 141 Art. Socialismus und Communismus, S. 325. 142 Hermann Wagener, Was wir wollen, S. 17. 143 Hermann Wagener, Rede vom 14. 10. 1867, in: Sten.Ber.Norddt.RT 1867, Bd. 1, S. 392. 144 Hermann Wagener, Rede vom 18. 10. 1866, Sten.Ber.Abg. 1866, Bd. 2, S. 1266. 145 Vgl. Ferdinand Lassalle: Offenes Antwortschreiben an das Central-Comité zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeitercongresses zu Leipzig, Zürich 1863, S. 7. 146 Vgl. Wilfried Nippel: Charisma, Organisation und Führung. Ferdinand Lassalle und die deutsche Arbeiterpartei, in: Mittelweg 36, 27, 2018, S. 16–42. 147 Hermann Wagener, Denkschrift vom 18. 4. 1863, in: Saile, Hermann Wagener, S. 138–144, 142 f. 148 Für eine Vermittlung durch Wagener spricht sich Saile aus (ebd., S. 80 ff.), dagegen Shlomo Na’aman: Lassalles Beziehungen zu Bismarck – ihr Sinn und Zweck. Zur Beleuchtung von Gustav Mayers ›Bismarck und Lassalle‹, in: Archiv für Sozialgeschichte 2, 1962, S. 55–85, 58 (»Insbesondere ist der Gedanke einer Vermittlung durch Wagener ganz abwegig«). 149 Vgl. Na’aman: Lassalles Beziehungen zu Bismarck, S. 78. 150 Vgl. Ferdinand Lassalle: Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch der ökonomische Julian, oder: Capital und Arbeit, Berlin 1864; [o. V.]: Neue Preussische Zeitung vom 1. 5., 8. 5. und 29. 5. 1864. Daß es sich beim Verfasser dieser Besprechung »unzweifelhaft« um Wagener handelt, vermutet Eduard Bernstein im 3. Bd. der von ihm herausgegebenen Schriften Lassalles, in seiner Vorbemerkung zu Lassalles am 19. 6. 1864 ebenfalls in der ›Kreuzzeitung‹ erschienenen Antikritik. Vgl. Lassalle, Reden und Schriften, S. 265 ff. (266). Ähnlich Na’aman, Lassalle, S. 693. Einen Beleg für diese Behauptung gibt es jedoch nicht.

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Anmerkungen | 407 151 Ferdinand Lassalle an Bismarck, Brief vom 8. 6. 1863, in: Gustav Mayer: Bismarck und Lassalle. Ihr Briefwechsel und ihre Gespräche, Berlin 1928, S. 60. 152 Vgl. Gall, Bismarck, S. 277. 153 Vgl. Schoeps, Hermann Wagener, S. 208. Zu Wageners Rezeption dieser Lehre schon in den 50er Jahren vgl. oben, S. 62 f. 154 Vgl. Lassalle, Reden und Schriften, Bd. 3, S. 273: »Die große Industrie und ihre den Mittelstand absorbirende Attraktionskraft kann durch nichts besiegt werden, als durch die – noch größere, durch die größeste Industrie! d. h. durch jene Verbindung des Staates mit der Industrie, welche ich in der auf den Staatskredit basirten großen Produktiv-Assoziation in meinem ›Bastiat-Schulze‹ gefordert und näher entwickelt habe. Durch diese ›Verbindung des Kapitals – und des größesten – mit der Arbeit würde ein Mittelstand erzeugt, welcher nicht weniger als das ganze Volk umfaßte.‹« 155 Vgl. Hermann Wagener, Sten.Ber.Abg. 1865, Bd. 1, S. 132. Anders Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds, S. 257. 156 Vgl. Retcliffe, Biarritz, Bd. II/I (1876), S. 329 ff. 157 Vgl. ebd., Bd. II/3 (1987), S. 128; Bd. II/4 (1878), S. 470; Bd. II/5 (1878), S. 19, 26 f. Dieser Band enthält ein ganzes Kapitel über Lassalle: vgl. S. 214 ff. 158 Rodbertus an Lassalle, Brief vom 13. 5. 1863, in: RGWB Bd. 6, S. 79. Dem ADAV allerdings ist Rodbertus, zu Lassalles großer Enttäuschung, nicht beigetreten. Vgl. die Briefe vom 29. 5. und Anfang Juni 1863, ebd., S. 87, 91. 159 Vgl. Edgar Salin: Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Berlin 1923, S. 27; Johann Baptist Müller: Der deutsche Sozialkonservatismus, in: Schumann (Hrsg.), Konservativismus, S. 199–221, 201; Beck, The Origins of the Authoritarian Welfare State in Prussia, S. 93 ff.; Stangl, Sozialismus zwischen Partizipation und Führung, S. 198 f.; Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus,, S. 15 u. ö. 160 Rodbertus: Das Kapital. Vierter sozialer Brief an von Kirchmann, in: RGWB Bd. 2, S. 96, 223, 228. Dieser 1854 abgeschlossene Text ist allerdings erst 1884 veröffentlicht worden. Zu der »vielleicht fünfhundertjährige[n] Perspektive« vgl. Rodbertus an Lassalle, Brief von Ende April 1863, ebd., Bd. 6, S. 56. Rosa Luxemburg nannte Rodbertus deshalb etwas süffisant, aber nicht unzutreffend einen Kommunisten »für die Zukunft nach 500 Jahren und für die Gegenwart Anhänger einer festen Ausbeutungsrate von 200 Prozent« (Die Akkumulation des Kapitals, S. 188). Der hochfahrende Ton ihrer Kritik kontrastiert freilich eigentümlich mit der Liste der Einsichten, die sie Rodbertus am Ende konzedieren muß: »seine stellenweise ganz klare Unterscheidung von Mehrwert und Profit, seine Behandlung des Mehrwerts als Ganzes im bewußten Unterschied von dessen Teilerscheinungen, seine teilweise vortreffliche Kritik des Smithschen Dogmas über die Wertzusammensetzung der Waren, seine scharfe Formulierung der Periodizität der Krisen und die Analyse ihrer Erscheinungsformen« (S. 223). Wäre sie nicht 1919 ermordet worden, hätte sie überdies

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erfahren können, daß die von ihr inkriminierte Ausbeutungsrate unter den Bedingungen der ›ursprünglichen sozialistischen Akkumulation‹ (Preobraženskij) noch erheblich gesteigert werden konnte. Vgl. Rodbertus an Lassalle, Briefe vom 13. 4. und 15. 5. 1863, in: RGWB Bd. 6, S. 51, 80. Durch die Schaffung von Produktivassoziationen, so Rodbertus’ Argument, werde »das ganze Nationaleigentum in lauter Korporationseigentum [aufgelöst], das schlimmste Privateigentum von allem«; auch werde dadurch »eine Assoziationsaristokratie ins Leben [ge]rufen, die nicht minder ungerecht sein würde, als daß die Arbeiter heute die ganze Sahne im Topf den Besitzern überlassen müssen.« (Brief vom 29. 5. 1863, ebd., S. 86). Vgl. auch ders.: Fragmente zu dem Verhältnis zu Lassalle, ebd., S. 114 f. Vgl. in diesem Sinne auch die Briefe von Rodbertus an Rudolf Meyer vom 8. 9., 2. 10. und 29. 11. 1871 sowie vom 21. 4. 1872 in: RGWB Bd. 6, S. 264, 284, 303, 352. Vgl. Rodbertus an Lassalle, Brief vom 9. 5. 1863, ebd., S. 70 f.; Rodbertus: Autobiographische Skizze, in: RGWB Bd. 1, S. XXII; Engbring-Romang, Rodbertus, S. 82, 123, 132, 174 ff. [Hermann Wagener]: Die Zukunfts-Partei, S. 32, 43, 42. Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 14. 2. 1872, in: RGWB Bd. 6, S. 332. Entwurf von Hermann Wagener zu einem sozial-konservativen Programm, in: Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe, S. 352–354. Rodbertus an Hermann Wagener, Brief vom 22. 3. 1872, ebd., S. 354. Vgl. Programm der »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags« [14. 5.] 1872, in: Mommsen (Hrsg.), Deutsche Parteiprogramme, S. 62–64. Rodbertus an Hermann Schumacher, Brief vom 14. 12. 1872, in: RGWB Bd. 2, S. 529. Vgl. Wagener, Die Mängel der Christlich-sozialen Bewegung, S. 4, 27 ff. Aus Rodbertus’ Nachlaß, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Hermann Wagener, Minden 1886. Vgl. [o. V.]: Interessen-Vertretung – ständische Vertretung, in: Berliner Revue 64, 1871, S. 111–121, 120. [o. V.]: Der Interessen-Zusammenhang zwischen Grundbesitzern und Arbeitern, in: Berliner Revue 66, 1871, S. 339–342; 401–409, 339. [o. V.]: Entstehung und Debüt der Grundbesitzerpartei, in: Berliner Revue 64, 1871, S. 172–186, 245–252, 178. Vgl. ausführlicher dazu weiter oben im Kapitel über Meyer. [o. V.]: Interessen-Vertretung, S. 119 f. Vgl. Erklärung des Redacteurs der Berliner Revue und des politischen Theils der Deutschen Landes-Zeitung über seine Stellung zu dieser Zeitung, in: Berliner Revue 66, 1871, S. 145–151, 147, 151; [o. V.]: Was heißt conservativ sein? (III), in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 74, 1873, S. 111–121, 115. [o. V.]: Vom Liberalismus zum Socialismus, in: Berliner Revue, 66, 1871, S. 369–378, 377; vgl. Der Interessen-Zusammenhang, S. 401, 404 f.

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Anmerkungen | 409 177 Rodbertus an Rudolf Meyer, Brief vom 2. 5. 1874, in: RGWB Bd. 6, S. 521. Schon in seinem langen Brief vom 6. 1. 1873 hatte er Meyer »der äussersten Rechten der Socialfragenlöser« zugeordnet: ebd., S. 449. 178 Ebd. 179 Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 269. 180 Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 7, 9, 29. Daß, rein begriffsgeschichtlich gesehen, »das Programm des modernen Sozialismus gerade darauf hinauslief, den Staat aus der Gesellschaft zu eliminieren und somit diese zu verabsolutieren«, wird durch diese Operation allerdings ausgeblendet. Vgl. aber Wolfgang Schieder: Sozialismus, in: GG Bd. 5, S. 923–996, 934. 181 Vgl. Meyer, Emancipationskampf (Volksausgabe), S. 7, 22, 29 u. ö. 182 Ebd., S. 8. 183 Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 226. 184 Vgl. ebd., S. 230–234 sowie bereits [o. V.]: Die socialistische Arbeiterbewegung in Deutschland seit Lassalle’s Auftreten bis zur Gegenwart, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 68, 1872, S. 299–304, 336–344, 368–374, 403–405 (337 ff.). 185 Zit. n. Heinrich Laufenberg: Die Politik J. B. v. Schweitzers und die Sozialdemokratie, in: Die Neue Zeit 30.1, 1912, S. 693–704, 731–739, 699. 186 Mayer, Johann Baptist von Schweitzer, S. 239, 257, 320. 187 Zu den Kontakten mit Hasenclever und Hasselmann vgl. Hahn, Die Berliner Revue, S. 221. Über sein Verhältnis zu v. Schweitzer, mit dem er in den Berliner Jahren »vielen Umgang« gehabt habe, berichtet Meyer an verschiedenen Stellen: vgl. Meyer, Politische Gründer, S. 79; ders.: Schlusswort des Herausgebers, in: RB, S. 721 ff. Dort auch das Eingeständnis, daß Schweitzer ihm »Notizen« zum ADAV zur Verfügung gestellt habe: vgl. S. 724 sowie Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 241. Die Berichterstattung in der Berliner Revue war ungewöhnlich umfangreich und enthielt viele Insiderinformationen: vgl. unter anderem [o. V.]: Die socialistische Arbeiterbewegung in Deutschland; Geschichte der Internationalen Arbeiter-Association, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 68, 1872, S. 47–51, 84–90, 124–127, 156–159; Die Lassalle’sche Lehre, ebd. 72, 1873, S. 224–233, 269–275, 293–300; Der Allgemeine deutsche Arbeiter-Verein, ebd. 73, 1873, S. 242–258; Die Socialisten und die Reichstagswahlen, ebd., S. 278–286. 188 Meyer, Die drohende Entwickelung des Socialismus, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 72, 1873, S. 347–368, 361. Schon der von Lassalle als Nachfolger installierte Bernhard Becker (1826–1892) trat nach seinem Sturz mit antisemitischen Artikeln im Deutschen Tagblatt hervor: vgl. Stangl, Sozialismus zwischen Partizipation und Führung, S. 206. Weitere Beispiele bei Mayer, Johann Baptist von Schweitzer, S. 348; Arno Herzig: The Role of Antisemitism in the Early Years of the German Worker’s Movement, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 26, 1981, S. 243–259 (mit Bezug auf Lassalle, Hassel-

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mann, Tölcke u. a.); Shlomo Na’aman: Social Democracy on the Ambiguous Ground between Antipathy and Antisemitism: The Example of Wilhelm Hasenclever, ebd. 36, 1991, S. 229–240. Carl Wilhelm Tölcke (1817–1893) war 1865 kurzzeitig Nachfolger Lassalles im ADAV; Wilhelm Hasselmann (1844–1916) war Chefredakteur der Parteizeitung Der neue Social-Demokrat und MdR; Wilhelm Hasenclever (1837–1889) 1871 Nachfolger Schweitzers an der Spitze des ADAV und nach der Vereinigung mit den Eisenachern im Vorstand der Sozialistischen Arbeiterpartei. All diesen Namen begegnet man auch bei Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 242, 440; Bd. 2, S. 412, 414 u. ö. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 1, S. 224, 259, 264, 272. Diese Tendenz sah Meyer nach der Auflösung der ›alten‹, d. h. marxistisch geprägten Internationalen wirksam: vgl. sein Schlusswort des Herausgebers, in: RB, S. 736, das einen wachsenden Einfluß Bakunins und Mazzinis auch für die deutsche Arbeiterbewegung behauptet. Das wird zwar nicht näher belegt, dürfte aber die zunehmend versöhnlichere Haltung gegenüber entschiedenen Antibakunisten wie Marx, Engels, Kautsky u. a. befördert haben, die für Meyers Spätwerk charakteristisch ist. Meyer, Politische Gründer, S. 80. Vgl. dazu und zum folgenden Stedman Jones, Karl Marx, S. 619 ff.; Madeleine Grawitz: Bakunin. Ein Leben für die Freiheit, Hamburg 1998, S. 286 ff. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 17, 391, 399, 401. Vgl. bereits [o. V.]: Die von Marx abgefallene Internationale, in: Auf Wacht an der Mosel [Berliner Revue] 72, 1873, S. 233–235. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 368. Vgl. auch S. 320. In einer späteren Arbeit hat Meyer den russischen Mir vom ›eigentlichen Communismus‹ abgegrenzt, der weder Familien- noch Gemeindeeigentum an Grund und Boden anerkenne, sondern allein Staatseigentum: vgl. Heimstätten- und andere Wirthschaftsgesetze, S. 273. Dadurch schien er freilich eher noch bedrohlicher zu werden: »Russland ist uns nicht durch seine 80 Millionen Einwohner, nicht durch seine Soldaten gefährlich, sondern durch seine Agrarordnung, welche diejenige ist, die dem Volk am meisten bietet, also besser ist als die irgend eines anderen Staates in Europa«: ebd., S. 108. Hintergrund ist freilich auch hier noch die romantische Sicht der russischen Umteilungsgemeinde in dem seinerzeit stark rezipierten Werk von August von Haxthausen: Studien über die innern Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Russlands. Hannover 1847–1852. Näher hierzu Peter Heßelmann: August Freiherr von Haxthausen (1792–1866), Münster 1992; Christoph Schmidt: Ein deutscher Slawophile? – August von Haxthausen und die Wiederentdeckung der russischen Bauerngemeinde 1843/44, in: Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht, S. 196–216. Vgl. Stedman Jones, Karl Marx, S. 628. Meyer zitiert breit aus Edgar Bauers Broschüre: Die Orientalische Frage und der europäische Frieden von 1874, in:

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Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 373. Zu Bruno Bauers Rußlandbild vgl. Barnikol, Bruno Bauer, S. 310 ff.; Dieter Groh: Rußland im Blick Europas, Frankfurt am Main 1988, S. 310 ff.; Hans Hecker: Die Russen, die Germanen und das Fatum Europas. Bruno Bauer und seine Ansichten über Rußland, in: Keller (Hrsg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht, S. 662–683. Karl Marx: [Rede auf dem Polenmeeting in London am 22. Januar 1867], in: MEW Bd. 16, S. 202, 204. Vgl. Karl Marx und Friedrich Engels: Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiterassoziation [frz. 1873; dt. 1874], in: MEW Bd. 18, S. 326–471, 446 ff. √: Die deutsche Socialdemokratie, in: Das Vaterland 21, 1880, Nr. 111 vom 22. 4. √: Zur Socialistendebatte in Berlin, in: Das Vaterland 21, 1880, Nr. 128 vom 9. 5. Daß Hasselmann und Most drei Monate später auf dem Wydener Parteitag aus der SAP ausgeschlossen wurden, konnte Meyer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Für Marx war Hasselmann übrigens schon 1875 »der Berliner Marat«: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, in: MEW Bd. 19, S. 15–32, 23. √: Was und wo sind die Anarchisten?, in: Das Vaterland 19, 1878, Nr. 327 vom 28. 11. Vgl. Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 509–520, 692–718. Ebd., S. 413 f. Vgl. ebd., S. 448. Das Buch über Politische Gründer, das Meyer ihm im Mai 1879 zugestellt hatte, schickte Marx im August kommentarlos und offenbar ungelesen zurück. In einem Briefentwurf an Meyer spricht er von »verschiednen vergeblichen Versuchen«, mit dem Werk bekannt zu werden: vgl. Karl Marx an Rudolf Meyer, Briefe vom 7. 8. und 28. 5. 1879, in: MEW Bd. 34, S. 387, 376. Der Nachlaß von Marx enthält vierzehn inhaltlich unergiebige Briefe von Meyer. Vgl. Karl Marx / Friedrich Engels, Papers. Friedrich Engels an August Bebel, Brief vom 24. 11. 1879, in: MEW Bd. 34, S. 424. Das gilt übrigens auch für die Besprechung der Politischen Gründer im Vorwärts (2, 1877, Nr. 27 vom 4. 3.). Vgl. Engels’ Vorwort zu dem von ihm 1885 hrsg. zweiten Band von Marx’ opus magnum, Das Kapital, in: MEW Bd. 24, S. 13 ff. Mit Carl August Schramm, Max Schippel, Max Quarck, Conrad Schmidt und Hermann Bahr meldeten sich in den 80er Jahren zahlreiche Stimmen in der SPD zu Wort, die in Rodbertus und Marx gleichberechtigte Größen des deutschen Sozialismus sahen: vgl. Fehlberg, Arbeitswert und Nachfrage, S. 298 f. Vgl. Karl Marx / Friedrich Engels, Papers. Die Gegenbriefe von Engels sind offenbar größtenteils verlorengegangen.

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208 Vgl. Friedrich Engels an Laura Lafargue, Brief vom 18. 9. 1893, in: MEW Bd. 39, S. 120. 209 Rudolph Meyer: Zu Friedrich Engels’ Tode, in: Die Gegenwart 48, 1895, Nr. 38, 21. 9., S. 182–184, 184. 210 Friedrich Engels an Karl Kautsky, Brief vom 13. 1. 1885, in: MEW Bd. 36, S. 270. 211 Friedrich Engels an Victor Adler, Brief vom 19. 2. 1892, in: MEW Bd. 38, S. 280. Vgl. ein ähnliches Urteil bereits im Brief an Eduard Bernstein vom 27. 2./1. 3. 1883, in: MEW Bd. 35, S. 444. 212 Der Nachlaß Kautskys in Amsterdam enthält ein Konvolut von 84 Briefen Rudolf Meyers: Karl Kautsky Papers. Auch hier scheinen die Gegenbriefe verlorengegangen zu sein. 213 Vgl. die Hinweise in der Vorrede zu Karl Kautsky: Die Agrarfrage. Eine Uebersicht über die Tendenzen der modernen Landwirthschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899. 214 Vgl. Karl Kautsky: Der Kapitalismus fin de siècle, in: Die Neue Zeit 12.1, 1894–95, Nr. 15, S. 457–460; Nr. 17, S. 517–526; Nr. 19, S. 589–598. Zu Meyers Untergangsszenarien vgl. nur: Das Sinken der Grundrente und dessen mögliche socialen und politischen Folgen, Wien und Leipzig 1894, S. 137; Die Zuckerkrisis, in: Die Zukunft 11, 1895, S. 224–231, 231; Till oder Kanitz?, in: Die Zukunft 14, 1896, S. 262–271, 263. 215 Zit. n. Lehmann, Agrarfrage, S. 141. 216 Kautsky, Der Kapitalismus fin de siècle, S. 458, 598. 217 Meyer, Emanzipationskampf, Bd. 2, S. 411. 218 Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 11. 219 Ebd., S. 144 f. 220 Rudolf Meyer an Friedrich Engels, Brief vom 25. 1. 1889, in: Karl Marx / Friedrich Engels, Papers. 221 Meyer, Der Capitalismus fin de siècle, S. 156. 222 Ebd., S. 172. 223 Ebd., S. 282. 224 Ebd., S. 403. 225 Vgl. ebd., S. 393. 226 Ebd., S. 430 f. Vgl. auch S. 11, 393 ff. 227 Antrag Wagner zur Arbeiterfrage, in: BDA, S. 72 f. 228 Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 3. 12. 1870, ebd., S. 91. Vgl. Volker Hentschel: Die deutschen Freihändler und der volkswirtschaftliche Kongreß 1858 bis 1885, Stuttgart 1975. 229 Vgl. Wagner, Rede über die sociale Frage, S. 4. 230 Ebd., S. 15. 231 Ebd., S. 17. 232 Adolph Wagner an Carl Rodbertus, Brief vom 2. 12. 1871, in: BDA, S. 103.

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Anmerkungen | 413 233 Adolph Wagner an Hermann Wagner, Briefe vom 24. 11. und 7. 12. 1872, ebd., S. 118 f. 234 Adolph Wagner an Hermann Wagner, Brief vom 19. 3. 1873, ebd., S. 120. 235 Wagner, Grundlegung (1876), S. VII, XXI. 236 Ebd., S. 261. 237 Ebd., S. 311. 238 Ebd., S. 511. 239 Ebd., S. 140 f. 240 Ebd., S. 312 f. 241 Adolph Wagner: An die Redaktion des »Staatssocialist« (20. 12. 1877), in: BDA, S. 157 f. 242 Vgl. Lorenz von Stein: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 2 Bde., Bd. 1.1: Die Finanzverfassung Europas, 5., neubearb. Aufl., Leipzig 1885, Neudruck Hildesheim und New York 1975, S. 148–160 (auch als Anhang zu Wagner, Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, S. 100–108). 243 Wagner, Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, S. 34. 244 Vgl. ebd., S. 35. 245 Ebd., S. 43 f. 246 Ebd., S. 18. 247 Wagner, Die akademische Nationalökonomie und der Socialismus, S. 32; Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, S. 67, 72; Lehrbuch der politischen Oekonomie (1892³), S. 756. 248 Wagner, Lehrbuch der politischen Oekonomie (1892³), S. 892. 249 Vgl. in Auswahl: Herbert Timm: Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, in: Finanzarchiv N. F. 21, 1961, S. 201–247; Kurt Schmidt, Entwicklungstendenzen der öffentlichen Ausgaben im demokratischen Gruppenstaat, ebd. 25, 1966, S. 213–241; Konrad Littmann: Ausgaben, öffentliche II: Die »Gesetze« ihrer langfristigen Entwicklung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 1, Stuttgart 1977, S. 349–363; Alan T. Peacock und Alex Scott: The Curious Attraction of Wagner’s Law, in: Public Choice 102, 2000, S. 1–17; Alan T. Peacock: Wagner’s Law of Increasing Expansion of Public Activities, in: Attiat F. Ott und Richard Cebula (Hrsg.): The Elgar Companion to Public Economics. Empirical Public Economics, Cheltenham 2006, S. 25–29; Francis G. Castles: Testing the Retrenchment Hypothesis: An Aggregate Overview, in ders. (Hrsg.): The Disappearing State? Retrenchment Realities in an Age of Globalisation, Cheltenham 2007, S. 19–43; Barbara Dluhosch und Klaus W. Zimmermann: Adolph Wagner und sein ›Gesetz‹: einige späte Anmerkungen. Diskussionspapier No. 5, 2008, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg (www.http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:705-opus-17167) [Stand: 04. 09. 2020].

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414 | Anmerkungen

250 Zur parteiinternen Diskussion aufschlußreich: Vernon K. Lidtke: German Social Democracy and German State Socialism, 1876–1884, in: International Review of Social History 9, 1964, S. 202–225. 251 [o. V.]: Staatssozialismus, in: Vorwärts. Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands 2, 1877, Nr. 152 vom 30. 12. Der Autor dieses Beitrags war möglicherweise Wilhelm Hasenclever. Vgl. Stephan, »Genossen …«, S. 250 f., 365. 252 [o. V.]: Eine Erklärung, in: Vorwärts 3, 1878, Nr. 14 vom 3. 2. 253 [o. V.]: Staatssozialismus I, ebd. 3, 1878, Nr. 42 vom 10. 4. Zur Verfasserschaft Liebknechts vgl. Stephan, »Genossen …«, S. 250. 254 [o. V.]: Staatssozialismus II, ebd. 3, 1878, Nr. 44 vom 12. 4. 255 Friedrich Engels an Wilhelm Bracke, Brief vom 30. 4. 1878, in: MEW Bd. 34, S. 328. 256 Zit. n. der deutschen Version: Friedrich Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft [1882], in: MEW Bd. 19, S. 189–228, 221. Offenbar teilten nicht wenige Parteigenossen die Ansicht Hermann Wageners, wonach man es beim Tabakmonopol »mit einer sozialen Maßregel im besten Sinne des Wortes« zu tun habe, »welche niemand freudiger begrüßen müßte als der Sozialismus« (Die Lösung der sozialen Frage, S. 153). 257 Wie Anm. 255. 258 Friedrich Engels: Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft I, in: Vorwärts 3, 1878, Nr. 52 vom 5. 5. (MEW Bd. 20, S. 248). 259 Engels, Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft II, ebd., Nr. 61 vom 26. 5. (MEW Bd. 20, S. 252, 259 f.). 260 Ebd., S. 260. 261 Wladimir Iljitsch Lenin: Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? [1917], in ders.: Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus bei Zentralkomitee der SED, 40 Bde., Berlin 1956–1972, Bd. 26, Berlin 1970, S. 89. Vgl. auch ders.: Staat und Revolution [1917], ebd., Bd. 25, S. 439. Zu ähnlichen Einschätzungen in der deutschen Sozialdemokratie vgl. Willy Huhn: Etatismus, »Kriegssozialismus«, »Nationalsozialismus« in der Literatur der deutschen Sozialdemokratie, in: Neue Kritik 55/56, 1970, S. 67–111; Robert Sigl: Die Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe. Eine Studie zum rechten Flügel der SPD im Ersten Weltkrieg, Berlin 1976; Katja Marmetschke: Die Sozialistischen Monatshefte: Gruppen- und Generationsbezüge einer unabhängigen Zeitschrift in der Weimarer Republik, in: Michel Grunewald (Hrsg.) i. Z. m. Hans Manfred Bock: Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890–1960), Bern 2002, S. 335–361; Jens Flemming: Neumarxismus, Krieg und Nonkonformismus. Streiflichter aus der Geschichte der sozialdemokratischen Zeitschrift Die Glocke, ebd., S. 303–333. 262 Bekannt ist Bismarcks Äußerung aus dem Jahr 1881: »Der Staatssozialismus paukt sich durch. Jeder, der diesen Gedanken aufnimmt, wird ans Ruder kommen.« Zit. n. Gall, Bismarck, S. 606. Zum »Kriegssozialismus« vgl. Dieter

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Anmerkungen | 415 Krüger: Kriegssozialismus. Die Auseinandersetzung der Nationalökonomen mit der Kriegswirtschaft 1914–1918, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München 1994, S. 506–529.

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STEFAN BREUER

Stefan Breuer unternimmt eine Neuvermessung dieser Umbauten und verfolgt ihre Entwicklung bis ins frühe 20. Jahrhundert. Was sich dort noch als Konservatismus präsentiert, gehört bereits zu einer anderen Formation: der modernen Rechten.

Ausgänge des Konservatismus in Deutschland

Die um 1848 einsetzende Auflösung der großen politischen Ideologien hat den Konservatismus nicht verschont. Wie in anderen Fällen hat man es aber auch hier nicht mit einem abrupten Einschnitt zu tun, sondern mit vielfältigen Ver­suchen, der Auflösung durch die Fusionierung mit Konzepten des politischen Gegners entgegenzusteuern.

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27307-2

S T E FA N B R E U E R

Ausgänge des

Konservatismus in Deutschland