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German Pages 312 Year 2011
Kolonialzeitliche Sprachforschung
Koloniale und Postkoloniale Linguistik Colonial and Postcolonial Linguistics Band 1 Herausgegeben von Stefan Engelberg, Peter Mühlhäusler, Doris Stolberg, Thomas Stolz und Ingo H. Warnke
Thomas Stolz, Christina Vossmann, Barbara Dewein (Hg.)
Kolonialzeitliche Sprachforschung Die Beschreibung afrikanischer und ozeanischer Sprachen zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft
Akademie Verlag
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-05-005190-1 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 www.akademie-verlag.de Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der Oldenbourg Gruppe. Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Redaktion: Cornelia Stroh Einbandgestaltung: hauser lacour, nach einer Idee von Susanne Hackmack Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706
Inhalt
THOMAS STOLZ, CHRISTINA VOSSMANN & BARBARA DEWEIN Kolonialzeitliche Sprachforschung und das Forschungsprogramm Koloniallinguistik: eine kurze Einführung .................................................................................................
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INGO H. WARNKE & DANIEL SCHMIDT-BRÜCKEN Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele – Linguistischer Sprachgebrauch als Ausdruck von Gewissheiten ......................................................................................... 31 NORBERT CYFFER Gibt es primitive Sprachen – oder ist Deutsch auch primitiv? ..................................... 55 KOKOU AZAMEDE Von der Volks- zur Kirchensprache: Anwendung und Interpretation der Ewe-Sprache auf dem Missionsgebiet der Norddeutschen Missionsgesellschaft in Westafrika ........ 75 GERMAIN NYADA Une variété dialectale des langues bëti dans le Cameroun allemand ........................... 97 BRIGITTE WEBER Deutsch-Kamerun: Einblicke in die sprachliche Situation der Kolonie und den deutschen Einfluss auf das Kameruner Pidgin-Englisch .............................................. 111 WILFRID H. G. HAACKE Nama als Sprachbenennung in der Koloniallinguistik Deutsch-Südwestafrikas: zwischen Endonym und Exonym ................................................................................. 139
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Inhalt
RÜDIGER KRÖGER Dokumentation afrikanischer Sprachen durch Herrnhuter Missionare in DeutschOstafrika ....................................................................................................................... 161 PETER MÜHLHÄUSLER Deutsch schümpfen, chinese schümpfen, plenty sabbi – Die deutsche Sprache in Kiautschou ................................................................................................................... 187 THOMAS STOLZ Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen: über Grammatik und Wörterbücher der Chamorrosprache im frühen 20. Jahrhundert .................................. 203 CHRISTINA VOSSMANN Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen im Lichte zweier Klassiker der Chamorroforschung...................................................................................................... 231 BARBARA DEWEIN Reduplikation als Thema in Hermann Costenobles Die Chamoro Sprache ................ 249 LOTHAR KÄSER “Den Buchstaben h können die Eingeborenen nicht aussprechen”. Pater Laurentius Bollig und die Sprache von Chuuk .............................................................................. 263 DORIS STOLBERG Sprachkontakt und Konfession. Lexikalische Sprachkontaktphänomene DeutschNauruisch bei den Missionaren Delaporte und Kayser ................................................ 285 Anhang 1. PERSONENVERZEICHNIS ........................................................................................... 305 2. AUTORENINDEX ....................................................................................................... 307 3. SPRACHENINDEX ...................................................................................................... 311
THOMAS STOLZ, CHRISTINA VOSSMANN & BARBARA DEWEIN (BREMEN)
Kolonialzeitliche Sprachforschung und das Forschungsprogramm Koloniallinguistik: eine kurze Einführung
1. Vorangestellt 1 Dieser Beitrag leitet in das Thema unseres Sammelbandes ein, ohne den Anspruch zu erheben, das neue sprachwissenschaftliche Forschungsgebiet Koloniallinguistik erschöpfend abzuhandeln 2. Eine regelrechte Einführung in diesen Gegenstand muss seiner internen Vielfältigkeit wegen einer späteren monographischen Darstellung vorbehalten bleiben. Im Folgenden weisen wir lediglich auf einige wichtige Aspekte hin, die unterstreichen, dass es sich bei der Koloniallinguistik um ein äußerst lohnenswertes geisteswissenschaftliches Unterfangen handelt, von dem wir uns erheblichen Erkenntnisgewinn für mehrere sprachwissenschaftliche und andere Disziplinen versprechen. Der gebotenen Kürze halber kann die Diskussion nur schlaglichtartig erfolgen. Einige unserer losen Fäden werden in den im vorliegenden Band versammelten Beiträgen wieder aufgenommen und entsprechend vertieft. Dort und in den zitierten Werken der folgenden Abschnitte sind auch weiterführende bibliographische Verweise zu finden, auf deren Bündelung wir hier aus Raumgründen verzichten. In diesem Sinne ist unsere kurze Einführung dazu gedacht, den Appetit der Leserschaft auf mehr anzuregen – und zwar auf mehr Koloniallinguistik, die es in der Zukunft geben wird. Wir gehen dabei von einer extraterritorialen Version des Kolonialismus aus, bei der die Inbesitznahme von Gebieten außerhalb des Kontinentes, auf dem der Kontrolle ausübende Staat liegt, stattfindet. D.h. dass wir uns zumindest vorläufig am Modell der europäischen Überseeexpansion vom 15./19.–20. Jahrhundert orientieren. Dabei legen wir das Augenmerk auf den Kolonialismus Deutschlands, dessen Spezifika aus sprachwissenschaftlicher Perspektive herauszuarbeiten sind. Dass von dieser Ausgangsbasis in 1 2
In diesem Beitrag verwenden wir durchgängig das generische Maskulinum, wenn auf gemischtgeschlechtliche Gruppen von Menschen verwiesen wird. Als Herausgeber dieses Bandes danken wir herzlichst unserer Kollegin Cornelia Stroh im Arbeitskreis Sprachkontakt und Sprachvergleich an der Universität Bremen, die sich mit den technischen Aufgaben der editoriellen Arbeit erfolgreich befasst hat. Dem Akademie Verlag (Berlin) gilt unser Dank, diesen Band in sein Verlagsprogramm aufgenommen zu haben. Kommentare zur Erstfassung dieses Vorworts haben uns dankenswerterweise Daniel Schmidt-Brücken und Doris Stolberg zukommen lassen.
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nicht allzu ferner Zukunft auch andere bisher weniger prominent berücksichtigte Kolonialismen europäischer und außereuropäischer Staaten linguistisch erschlossen werden können, gehört zu den Zielen der allgemeinen Koloniallinguistik. Für dieses Mal begnügen wir uns allerdings mit der Einführung in Deutschlands Koloniallinguistik 3. Wenn wir das Hauptaugenmerk auf Deutschland legen, bedeutet dies nicht, dass es sich bei unserem koloniallinguistischen Vorhaben um ein nationalromantisches, patriotisches Projekt handelt. Vielmehr geht es um die objektive Aufarbeitung von und kritische Auseinandersetzung mit den sprachlichen Aspekten der deutschen Kolonialzeit. In Abschnitt 2 skizzieren wir den historischen Hintergrund, vor dem sich die Koloniallinguistik positioniert. Dieser notwendigerweise nur recht grobkörnigen Darstellung folgt in Abschnitt 3 die inhaltliche Bestimmung der Koloniallinguistik, wobei wir zunächst auf verwandte Ansätze in der Linguistik verweisen (Unterabschnitt 3.1), bevor wir das, was wir unter dem Terminus Koloniallinguistik verstehen, präzisieren (Unterabschnitt 3.2). Anschließend sprechen wir in Abschnitt 4 kursorisch eine kleine Auswahl von Aspekten der Koloniallinguistik an, die einen speziellen Deutschlandbezug aufweisen. Der Präsentation der Beiträge zu diesem Sammelband ist zum Abschluss dieser Einführung der Abschnitt 5 gewidmet.
2. Geschichtliches Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gesellte sich Deutschland zusammen mit Belgien, Italien und den USA als Nachzügler zu den bereits seit mehreren Jahrhunderten etablierten Kolonialmächten Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Dänemark, um an der territorialen Aufteilung von Herrschaftsräumen weltweit zu partizipieren 4. Für das 2. Deutsche Kaiserreich waren dabei überwiegend Prestige3
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Es liegt in der Natur der Sache, dass unsere einführende Darstellung deutliche Parallelen zu dem gleichen Zwecken dienenden Text von Warnke (2009a) aufweist, ohne in allen Aspekten mit diesem Vorläufer übereinzustimmen. Im Detail ergeben sich durchaus auch Differenzen, die allerdings im koloniallinguistischen Gesamtzusammenhang kaum ins Gewicht fallen. Der gebotenen Kürze halber sehen wir davon ab, diese Gemeinsamkeiten und Divergenzen in jedem Einzelfall explizit zu machen. Schweden schied mit der Rückgabe der seit 1784 kontrollierten Antilleninsel St. Barthélemy an Frankreich im Jahre 1878 als europäische Kolonialmacht aus (Lindqvist 1999). Japan etablierte sich 1895 durch die Inbesitznahme von Formosa (heute: Taiwan) als territorial expansiver Staat (Zöllner 2006), dessen koloniale Erwerbungen sich jedoch von den typisch europäisch geprägten Formen des Kolonialismus dadurch unterschieden, dass sie in räumlicher Nähe bzw. geographischer Kontinuität zum Herrschaftszentrum erfolgten. In diesem Sinne ist auch die russische Landnahme in Sibirien und dem 1867 an die USA veräußerten Alaska zu werten. Lediglich Fort Ross(ija) in Kalifornien (1812– 1841) kommt dem “europäischen Modell” nahe (vgl. hierzu Littke 2003). Mit dieser Klassifizierung ist keineswegs gesagt, dass die Koloniallinguistik sich nicht auch des japanischen und russischen Falls annehmen soll. Dass dies sogar sehr sinnvoll ist, zeigen Jacobson (1984: 627–631) und Bergsland (1994: xxxvii–xliv) mit ihrem Überblick über die frühen russischen Quellen zum Yup'ik und zum Aleutischen. Im japanischen Machtbereich ist hingegen nach der Erteilung der C-Mandate in Mikro-
Das Forschungsprogramm Koloniallinguistik: eine kurze Einführung
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fragen als Faktoren für die Überseeexpansion ausschlaggebend; militärische, ökonomische, wissenschaftliche, kulturelle (einschließlich religiöse) und demographische Gesichtspunkte dürfen demgegenüber als deutlich nachrangig angesehen werden. Der kurzlebige deutsche Kolonialismus (1884–1919) ist auch nach der 1945/50 endgültig abgeschlossenen kolonialrevisionistischen Epoche mehr als einmal Gegenstand soziopolitischer, wirtschaftswissenschaftlicher und ereignisgeschichtlicher Studien gewesen und erfreut sich immer wieder auch einer populärwissenschaftlichen Präsenz auf dem deutschen Buchmarkt 5 – darunter nicht selten in Form von Neuabdrucken zeitgenössischer Werke oft landeskundlichen Charakters, aber auch als Reiseberichte, Tagebücher, (Auto-)Biographien, Bildbände und Militaria aus der Kolonialepoche selbst oder den drei Jahrzehnten nach dem Ende des 1. Weltkrieges. Ungeachtet der recht umfangreichen Bibliographie zum deutschen Kolonialismus gibt es durchaus noch Bereiche, in denen nicht davon gesprochen werden kann, dass eine gründliche Aufarbeitung stattgefunden hat. Zu diesen noch weitgehend unerforschten Aspekten des deutschen Kolonialismus gehört das weite Feld der Sprache. Mit der Koloniallinguistik eröffnen wir daher ein für Deutschland neues Forschungsprogramm, das sich der systematischen Auswertung aller derjenigen Phänomene des deutschen Kolonialismus widmet, die im weit gefassten sprach(wissenschaft)lichen Sinne relevant sind. Aus der früh abgeschlossenen Episode des kurfürstlich-brandenburgischen Kolonisierungsversuchs in Westafrika und der Karibik (1680–1720/27), das sich wirtschaftlich nicht als rentabel erwies 6, sind keine Traditionen und Wissensbestände hervorgegangen7,
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nesien durch die Vereinten Nationen (1920–1945) die japanische Sicht auf die Sprachen der Marianen, Karolinen, Yap, Palau und Marshall-Inseln koloniallinguistisch von Interesse (z.B. Izouî 1940), also ein Zeitraum, zu dem Deutschland bereits keine Kolonialmacht mehr war. Zur Zeit der Abfassung dieser Einleitung finden sich an deutschsprachigen Titeln (Monographien) über den deutschen Kolonialismus allgemein auf dem Markt: Conrad (2008), Graichen et al. (2005), Gründer (2004), Speitkamp (2005) u.v.a.m. Speziellere Titel etwa mit regionalem Bezug wie das Handbuch der Deutschen Südsee (Hiery 2001) kommen genauso dazu wie auf bestimmte Ereignisse ausgerichtete Einzeldarstellungen, von denen einige die bisweilen genozidale Ausmaße annehmenden Kolonialkriege Deutschlands thematisieren – wie z.B. Zimmerer & Zeller (2003) zum Krieg gegen Hereros und Namas in Deutsch-Südwest-Afrika, Becker & Beez (2005) zum Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika und Morlang (2010) zur Sokehs-Rebellion auf Ponape 1910/11. Wir verweisen für die Details auf die Darstellung in Van der Heyden (2001). Andere Staaten mit deutschsprachiger Bevölkerung oder Führungsschicht wie das Herzogtum Kurland und ÖsterreichUngarn haben entweder nur sehr kurze Zeit im Konzert der Kolonialmächte mitgespielt oder auf außereuropäischem Terrain niemals richtig Fuß fassen können, so dass diese ephemeren Versuche im 17. und 18. Jahrhundert als für unseren Zusammenhang irrelevant angesehen werden dürfen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass es innerhalb der missionierenden Orden und Gemeinschaften durchaus zur Kontinuität in Form von Wissensweitergabe über die in Übersee gemachten Erfahrungen gekommen sein kann. Die Herrnhuter Brüder sind hier wegen der von ihnen gewissenhaft betriebenen Kommunikation unter den einzelnen über den Erdball verstreuten Gemeinden als Sonderfall zu nennen (Arends & Perl 1995: 243–248). Wir bezweifeln jedoch stark, dass das missionarische Wissen über den Umgang mit den Sprachen der Neuen Welt von den politisch-militärischen Kolonisatoren aus Deutschland genutzt wurde.
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die dem zweiten deutschen Kolonialismus zur Vorbereitung auf das Engagement in Übersee hätten dienen können 8. Auch die im 19. Jahrhundert zunehmenden Forschungsreisen9 besonders in Afrika haben nicht dazu geführt, dass Deutschland wirklich wusste, worauf es sich einließ, als das Kaiserreich etwas über ein Jahrzehnt nach seiner Gründung sein zuvor ostentativ bekundetes Desinteresse an kolonialen Experimenten aufgab 10 und sich einige der außereuropäischen Gebiete zu sichern suchte, die eher zufälligerweise noch nicht von anderen Kolonialmächten in Besitz genommen worden waren. Vor dem Hintergrund dieser historischen Zufälligkeit verwundert es nicht, dass es in Deutschland kaum gesicherte landeskundliche Kenntnisse über die Gebiete gab, die ab 1884 durch sogenannte “Schutzverträge” unter deutsche Verwaltung kamen. Zwar waren punktuell bestimmte Abschnitte an den Küsten von späteren Flächenkolonien wegen dortiger Handelsbeziehungen besonders hanseatischer Firmen eingeweihten Interessengruppen etwas besser bekannt, aber die viel ausgedehnteren Regionen des Hinterlandes von Togo11, Kamerun, Südwest-Afrika (Namibia), Ost-Afrika (Tansania) und Kaiser-Wilhelmsland (Neuguinea) waren aus deutscher Sicht terrae incognitae. Überall stieß die deutsche Seite auf Ethnien, Gesellschaftsformen, Wirtschafts- und Rechtssysteme, kulturelle Praktiken, religiöse Vorstellungen, Technologien, klimatische und topographische Verhältnisse, Flora und Fauna, mit denen die Kolonisatoren nicht vertraut waren. Die neuen Welten, denen man begegnete, mussten “besprochen” werden, ebenso wie in den indigenen Gemeinschaften über die europäischen Eindringlinge und ihr kulturelles, ökonomisches und militärisches “Gepäck” zu reden war. Nicht nur in deutschen akademischen Kreisen wurden die neuen “Entdeckungen” zum Gegenstand eines enormen Auftrieb erhaltenden ethnologischen Fach- und Laiendiskurses. Um im Sinne des kolonialen Gedankens die neuen Gebiete beherrschbar zu machen, war eine sprachliche Annäherung und Aneignung an diese und ihre Bewohner verlangt. Sprachliche Kommunikation mit den Kolonisierten war daher unverzichtbar; in Ermangelung einer hinreichenden Basis von Deutschkenntnissen unter den Indigenen der Schutzgebiete sowie wegen der fehlenden Bereitschaft der Übernahme von Sprachformen, die eine Beziehung zu den Sprachen anderer Kolonialmächte herstellten, und der fast völligen Unkenntnis der in den Kolonien heimischen Sprachen auf deutscher Seite erwies sich die koloniale Kommunikation jedoch als zuvor sicher nicht reflektierter Problembereich von enormen Ausmaßen. Auf diesen sprachlichen Aspekt ist bislang in der einschlägigen Literatur zum deutschen Kolonialismus genauso wenig eingegangen worden wie seitens der linguistischen Fachgeschichte.
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Auch wenn nicht nur die Einführung zu Schmidt (1898, Band 1: x–xxi) einen historischen Brückenschlag zwischen altem und neuem Kolonialismus deutscher Bauart zu suggerieren scheint. Etwa durch Heinrich Barth und Gustav Nachtigal, vgl. Speitkamp (2005: 15). So der Tenor in Speitkamp (2005: 20–25). In dieser Einführung verwenden wir nebeneinander die kolonialzeitlichen und die modernen Bezeichnungen für die früheren Kolonien und heutigen selbständigen Staaten. Mit dieser terminologischen Alternanz verbinden wir keinerlei inhaltliche Absichten.
Das Forschungsprogramm Koloniallinguistik: eine kurze Einführung
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Als sich Deutschland anschickte, Schutzgebiete in Afrika, Ostasien und Ozeanien einzurichten, war das Kaiserreich auf seinem europäischen Territorium durchaus auch ein vielsprachiges Land. Neben dem Deutschen und seinen regionalen Varietäten wurde in Deutschland muttersprachlich auch Dänisch (überwiegend in der Varietät Sønderjysk), Nordfriesisch, Ostfriesisch (Wangeroogisch und Saterfriesisch), Niederdeutsch, Jiddisch, Niederländisch (in Grenznähe zu den Niederlanden), Nieder- und Obersorbisch (damals Wendisch genannt), Polnisch, Tschechisch (auch als Mährisch im südlichen Schlesien bekannt), Kaschubisch, Masurisch, Preußisch-Litauisch, Französisch (in Lothringen, als Wallonisch auch im Grenzgebiet zu Belgien) und Sinti gesprochen. 12 Dennoch war diese heimatliche Sprachenpalette nichts im Vergleich zu der sprachlichen Vielfalt, die den deutschen Kolonisatoren in Übersee gegenübertrat. Bei insgesamt nicht mehr als 28.000 deutschbürtigen Reichsbürgern, die das Deutsche am Vorabend des 1. Weltkrieges in den Kolonien muttersprachlich verwendeten, sprachen geschätzte 14 Millionen Einwohner in einem kolonialen Gesamtterritorium vom mehrfachen Umfang der Metropole zur Zeit der deutschen Herrschaft ca. 1.300 genetisch und typologisch verschiedene Sprachen 13 (anachronistisch geschätzt nach den heutigen Angaben im Ethnologue [Grimes 1992]14), von denen zu Beginn der Kolonialepoche Deutschlands bestenfalls ein halbes Dutzend aus sprachwissenschaftlicher Sicht wenigstens ansatzweise als bekannt gelten konnte. Außer mit verschiedenen Pidgins und Kreols, Afrikaans und europäischen Sprachen (wie Englisch) hatten es die deutschen Kolonisatoren mit afroasiatischen, niger-kordofanischen, nilo-saharanischen, khoisanischen, sino-tibetischen, austronesischen und papuanischen Sprachen zu tun. Am Ende der deutschen Kolonialzeit hatte sich die bescheidene Zahl der beschriebenen Sprachen dank der grammatikographischen und lexikographischen Tätigkeit besonders von Missionaren erheblich erhöht, ohne allerdings jemals Flächendeckung zu erreichen. Carl Meinhof (1920a: 387) schreibt diesbezüglich im Artikel Sprachen im Deutschen Koloniallexikon: 12
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Laut Statistik von 1900 lebten ca. 4,5 Mio. Reichsbürger mit nicht-deutscher Muttersprache d.h. 8% bei einer Gesamtbevölkerungszahl von rund 56 Mio. in den Grenzen des deutschen Reiches (ohne Kolonien) (www.verwaltungsgeschichte.de/fremdsprachen. html). Die Sprachgesetzgebung war Schwankungen unterworfen, basierte aber überwiegend auf (variierenden) demographischen Prinzipien, d.h. dass Minderheiten Rechte auf muttersprachlichen Schulunterricht in den Gebieten besaßen, in denen sie die Bevölkerungsmehrheit bildeten. Diese Regelungen waren Änderungen im Sinne einer schleichenden Germanisierungspolitik unterworfen und haben zu Problemen besonders mit den dänisch- und polnischsprachigen Gruppen, im letzteren Fall dann zum Aufsehen erregenden mehrjährigen Schulstreik in Posen geführt (Kuczycki 1981). Auf Zusammenhänge zwischen der antipolnischen Schulsprachenpolitik im Lande Preußen und der kolonialen Sprachenpolitik weist Orosz (2008) hin. Davon wurde schätzungsweise gut die Hälfte in Deutsch-Neuguinea gesprochen, ein weiteres Viertel verteilte sich über Deutsch-Kamerun und Deutsch-Ostafrika. Selbst Kiautschou und Samoa waren (u.a. wegen der Präsenz des Englischen bzw. englisch-basierter Pidgins neben dem Chinesischen bzw. Samoanischen) eigentlich nicht strikt einsprachig. Für die Kalkulation der Sprachendichte der Vergangenheit ist es nicht unbedingt erforderlich, die neuesten Zahlen aus dem Ethnologue zu verwenden, da es nur um Schätzwerte geht.
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Die Zahl der Eingeborenen-S[prachen] in den deutschen Kolonien ist sehr groß. Noch immer sind sie nicht sämtlich bekannt, obwohl Missionare, Beamte und Gelehrte eifrig an ihrer Erforschung arbeiten. Die 35 Jahre zwischen 1884 und 1919 können getrost als Phase intensivster deskriptivlinguistischer Aktivität betrachtet werden, in der praktisch jährlich in kurzer Folge Grammatiken, Lehrbücher, Wörterbücher, Anthologien und Spezialuntersuchungen in selbständiger oder unselbständiger Form veröffentlicht wurden, sodass sich eine Bibliographie von mehreren Hundert einschlägigen Titeln zur Dokumentation dieser beachtlichen Produktivität zusammenstellen ließe. Da die Beschäftigung mit den Sprachen der ehemaligen überseeischen Besitzungen auch in der kolonialrevisionistischen Zeit nach dem 1. Weltkrieg bis in die 1940er Jahre fast unvermindert anhielt, gewinnt diese vorläufig nur virtuelle Bibliographie noch erheblich an Umfang. Zusammen mit den insgesamt weniger zahlreichen einschlägigen Publikationen aus der Zeit unmittelbar vor dem Aufstieg des 2. Deutschen Kaiserreichs zur Kolonialmacht und der noch unbekannten Zahl von bislang unveröffentlicht gebliebenen Manuskripten bilden diese Arbeiten einen sprach-, geschichts- und kulturwissenschaftlichen Schatz, den es zu heben und für die interessierten Disziplinen und die Bevölkerung der ehemaligen Kolonien Deutschlands verfügbar zu machen gilt. Dies zu tun gehört zu den vorrangigen Aufgaben der Koloniallinguistik.
3. Der Gegenstand der Koloniallinguistik 3.1. Ideengeber Die Koloniallinguistik entsteht nicht ex nihilo. Vielmehr handelt es sich um ein Forschungsprogramm, das seit einiger Zeit gewissermaßen in der Luft liegt. Wir gehen hier auf vier Forschungsstränge ein, die entscheidend zur Konturierung der Koloniallinguistik beitragen. Mit dieser bevorzugten Behandlung der ausgewählten Bereiche ist keineswegs gesagt, dass die Koloniallinguistik nicht auch aus anderen Quellen ihre Inspiration bezieht. 15 So taucht der Begriff im internationalen Kontext als Titel von Errington (2001) auf. Sein Aufsatz Colonial linguistics ist insofern interessant, als er die Koloniallinguistik disziplinär nicht begründet, sondern sie selber zum Forschungsobjekt aus der Sicht der kritischen Diskursanalyse und Ideologieforschung deklariert. Indem er dies tut, definiert er als Koloniallinguistik die Gesamtheit aller sprachwissenschaftlichen Aktivitäten im Kontext des Kolonialismus, die diskursanalytisch zu evaluieren ist. Der Blickwinkel, den er wählt, erinnert stark an die eher aus dem literatur- bzw. kulturwissenschaftlichen 15
Zu den ebenfalls interessanten Ansätzen kann man u.a. die von Willy Bal konzipierte, aber unscharf verbliebene Afro-Romanistik zählen (Kremer 1988).
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Bereich bekannten Postcolonial studies. Dies gilt auch mit wenigen Abstrichen für Errington (2008), die Monographie, in der die Rolle der Linguistik als Mittel der Machtausübung (über Bedeutungszuschreibung) anhand von historischen kolonialen Konstellationen (im Zusammenhang mit der sprachwissenschaftlichen Ideengeschichte in Europa) herausgearbeitet wird. Inhaltlich verwandt, aber wesentlich stärker auf genuin linguistische Fragestellungen ausgerichtet sind die Arbeiten von Gilmour (2006) über den Umgang mit den autochthonen Sprachen Südafrikas durch Europäer in der frühen Kolonialzeit und Steadman-Jones (2007) über den europäischen Blick auf das Hindustani im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Diese beiden Arbeiten aus dem anglophonen Raum sprechen auch die Rolle der als Sprachforscher tätigen Missionare an und weisen somit Affinitäten zu einer anderen Forschungsrichtung auf, mit der die Koloniallinguistik eng verknüpft ist, nämlich die Missionarslinguistik. Deren theoretische und methodologische Grundlage ist durch Hovdhaugen (1996) und besonders Zimmermann (2004) klar dargelegt worden. Ihr Ziel ist es, die sprachwissenschaftliche Leistung der frühen Grammatiker und Lexikographen außereuropäischer Sprachen einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Werk von Klerikern (überwiegend Missionare), die vor dem 19. Jahrhundert philologisch tätig waren. Aus dieser zeitlichen Schwerpunktsetzung ergibt sich fast zwangsläufig eine starke Orientierung an Arbeiten, die im Zusammenhang mit dem spanischen und portugiesischen Kolonialismus stehen – und dies zieht nach sich, dass Lateinamerika in den relevanten Publikationen ein besonderes Gewicht zukommt. In bislang vier Sammelbänden (Zwartjes & Hovdhaugen 2004, Zwartjes & Altman 2005, Zwartjes et al. 2007 und Zwartjes et al. 2009) sind die internationalen Tagungen zur Missionarslinguistik dokumentiert 16, die systematisch einzelne Sprachebenen bzw. Themenbereiche abarbeiten und sich fragen, wie die Missionarslinguisten mit Problemen umgegangen sind, die sich auf phonologischer, orthographischer, morphologischer, syntaktischer und lexikalisch-semantischer Ebene für sie bei der Beschreibung außereuropäischer Sprachen ergaben (etwa weil die Phänomene ihnen aus der lateinisch basierten schulgrammatischen Tradition heraus unbekannt waren). Im weiten Sinne mit Erringtons (2001, 2008) weiter oben geschilderten Ansatz kompatibel ist die von Warnke (2009a: 29) entworfene Forschungsrichtung, die sich die Aufgabe stellt, die “[k]olonisatorische Identität durch Sprache” systematisch am Beispiel des deutschen Kolonialdiskurses zu durchleuchten. Hierzu ist illustrierend ein längeres wörtliches Zitat angemessen. Warnke (2009a: 33–34) geht in Anlehnung an den Luhmannschen Kommunikationsbegriff davon aus, dass 16
Neben diesen zitierten Sammelbänden gibt es noch eine beachtliche Anzahl von anderen Arbeiten, die sich explizit oder implizit der Missionarslinguistik zurechnen lassen (wie der von Pottier 1995 herausgegebene Themenband der Zeitschrift Amerindia). Wie lebendig dieser Forschungszweig ist, zeigen auch rezente Beiträge zu Online-Zeitschriften wie etwa Schmidt-Riese (2005). Aus Platzgründen müssen wir davon absehen, auf alle einschlägigen Schriften Bezug zu nehmen.
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Kommunikation […] zwei Realitäten [schafft], die einer möglichen Zustimmung und der potentiellen Ablehnung von Mitteilungen, über die jeweils wiederum im Weiteren nur kommuniziert werden kann. Eben dieses Geschehen der Kommunikation durch Sprache an sich ist Gegenstand des linguistischen Interesses an der nationalen Kommunikation zwischen 1884/85 und 1919. Dies mag sich abstrakt und theoretisch anhören, ist auf jedoch auf die konkrete Sprachlichkeit der kolonisatorischen Identitätsbildung selbst bezogen: Wer sagt was mit welchen Mitteln? Welche Sprache bildet kolonisatorische Identität im Alltag faktisch aus durch bloße Existenz von Kommunikation? Es ist die äußerliche Präsenz von Sprache als bloße Positivität eines Diskurses […], die interessiert. Wenn man in den Kulturwissenschaften dafür in den Blick nimmt, was etwa der Automatenverkauf der Schokoladenfabrik Stollwerck mit kolonialen Absatzmärkten zu tun hat oder wie im Jahr 1905 die Exotik des Wiesbadener Palast-Hotels gefeiert wird und wenn Literaturwissenschaftler Carl Einsteins Afrikanische Legenden erörtern, so interessiert man sich als Sprachwissenschaftler dafür, in welcher Sprache diese Informationen überhaupt erst zur Mitteilung werden, wie Sprache als bloßes Rauschen durch Beachtung, Selektion und Redundanz von Formen und Mustern eine diskursive Präsenz erhält und damit kolonisatorische Identität bildet. Es wird also mittels linguistischer Parameter untersucht, wie in und mit der deutschen Sprache ein Diskurs geführt wird, der mit dem Kolonialismus in einer Rückkopplungsbeziehung steht. Etwas schlichter ideen- und fachgeschichtlich orientiert ist Römers (1989) Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland, bei der besonders die Kapitel VII–IX ihrer Monographie koloniallinguistisch relevant sind, weil in ihnen zum einen die Vordenker der auf außereuropäische Sprachen ausgerichteten Forschung angesprochen und zum anderen auch punktuell der zweifelhafte fachwissenschaftliche Umgang mit der sprachlichen “Exotik” beleuchtet werden. Calvet (2002) hat bereits Anfang der 1970er Jahre mit seiner Abhandlung über die Glottophagie den Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Sprachensterben (einschließlich Sprachwechsel, Sprachwandel, Entlehnung usw.) deutlich herausgearbeitet. 17 Dabei behandelt der Autor extraterritorialen und intraterritorialen Kolonialismus (berechtigterweise) gleich, d.h. dass er über die Grenzen des von uns wenigstens für den Anfang enger gezogenen Gegenstandbereichs hinausgeht (s.u.). Sein Ansatz führt nahtlos zu Fragen der Sprachideologien, der Sprachplanung und des Sprachenrechts über. Es versteht sich von selbst, dass im großen Forschungszweig der Kontaktlinguistik immer wieder auch koloniale Konfigurationen eine wichtige Rolle spielen. Das ist bekanntermaßen der Fall bei der Kreolistik (Holm 1988; 1989). Auch die Mischsprachendebatte (Matras & Bakker 2003) nimmt sehr oft Bezug auf Sprachkontaktsituationen unter den Bedingungen des Kolonialismus. In verschiedenen einschlägigen Arbeiten hat 17
Siehe dazu mit starkem Afrikabezug Samarin (1989).
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Mühlhäusler (z.B. 2001) für deutsche Sprachkontakte im Südseeraum diese und andere Fragestellungen (darunter auch Lehnwortbeziehungen) vorbildlich für die Koloniallinguistik avant la lettre angesprochen. Diese vier Skizzen von gegenwärtig im Schwang befindlichen Forschungsfeldern identifizieren einige wichtige Ingredienzien der Kontaktlinguistik, wie wir sie konzipieren. Unsere diesbezüglichen Vorstellungen werden im folgenden Unterkapitel in knapper Form präzisiert.
3.2. Umrisse und Inhalte der Koloniallinguistik 18 Keiner der vier obigen Ansätze erschöpft für sich genommen den Gegenstandsbereich der Koloniallinguistik; alle tragen sie jedoch dazu bei, die Koloniallinguistik als facettenreiches Forschungsgebiet mit interdisziplinärem Charakter auszuweisen. Als Koloniallinguistik in unserem Sinne sehen wir die (heutige) wissenschaftliche Beschäftigung mit den sprachlichen Äußerungen im Kontext des Kolonialismus an. Dass hieran nicht nur ein akademisches Interesse in Deutschland und anderen ehemaligen Kolonialmächten besteht, sondern gerade auch in den früheren Kolonien der Wunsch besteht, diesen Teil der nolens volens geteilten Geschichte endgültig und vollständig aufzuarbeiten, beweisen diesem und verwandten Themen gewidmete Publikationen wie Ebobisse (1986). 19 Wir müssen die Koloniallinguistik zeiträumlich einordnen. Sie hat in ihrer jetzigen Form alle sprachlichen Produkte zum Gegenstand, die sich auf die überseeischen Schutz- und Pachtgebiete des 2. Deutschen Kaiserreichs beziehen und zwischen 1850 und 1950 entstanden sind. Dabei unterscheiden wir drei Perioden, nämlich die Vorbereitungsphase von 1850–1883, die der Etablierung der ersten deutschen Kolonien unmittelbar voranging, die Phase der De-Jure-Kolonisation, die den Zeitraum 1884–1919 – also bis zum Versailler Vertrag – umfasst, auf die der koloniale Revisionismus folgt, für den wir die Jahre 1920–1950 ansetzen. An den Rändern fasert der Betrachtungszeitraum etwas aus, da sowohl frühe Vorläufer als auch späte Nachzügler gelegentlich zu berücksichtigen sein werden. Die in Frage kommenden Kolonialterritorien sind Deutsch-Togo, DeutschKamerun, Deutsch-Südwest-Afrika, Deutsch-Ost-Afrika, Kiautschou, Deutsch-Neuguinea (mit Mikronesien), Marshall-Inseln und Deutsch-Samoa. Wir betrachten die auf die genannten Gebiete bezogenen oder aus diesen Gebieten stammenden Äußerungen, die das 18
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Unsere in diesem Unterabschnitt abgedruckten Vorschläge reflektieren sowohl die Diskussion im Rahmen der 1. Tagung Deutschlands Koloniallinguistik vom 27.–28.9.2009 in Bremen als auch die der 2. Tagung Deutschlands Koloniallinguistik vom 30.9.–1.10.2010 am IDS in Mannheim. Wir danken an dieser Stelle unseren Kollegen und Kolleginnen, die uns mit ihren Diskussionsbeiträgen geholfen haben, unsere eigenen Gedanken besser zu ordnen. Namentlich möchten wir Norbert Cyffer, Stefan Engelberg, Susanne Hackmack, Lothar Käser, Peter Mühlhäusler, Doris Stolberg, Ingo H. Warnke und Gisela Zifonun unseren Dank aussprechen. Zitiert nach Weber (in diesem Band).
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von Warnke (2009a: 40–52) anvisierte genre- und texttypübergreifende große Kolonialkorpus bilden können. Dieses Kolonialkorpus an sich stellt eines der Ziele der Koloniallinguistik dar, das an erster Stelle eine dokumentarische Funktion hat. Es gibt darüber hinaus jedoch auch spezifischere Forschungsfragen. Die Koloniallinguistik umfasst u.a. folgende uns besonders wichtig erscheinende Aufgabengebiete: •
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Deskriptive Linguistik: Es bedarf der vollständigen Bestandsaufnahme aller Grammatiken, Wörterbücher, Lehrbücher und Textanthologien (einschließlich anderer Textsorten wie Gebrauchsprosa, religiöse Schriften usw.), die im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus verfasst wurden. 20 Dies schließt sowohl selbständig oder unselbständig publizierte Materialien ein als auch unveröffentlichte Manuskripte. 21 Sie sind in geeigneter Form neu zu edieren, zu kommentieren und gegebenenfalls zu übersetzen, um sie als kulturgeschichtliche Dokumente den heutigen Gemeinschaften der ehedem Beforschten zugänglich zu machen. Die Neuedition muss von einer Gesamtbibliographie zur deskriptiven Seite der deutschen Koloniallinguistik begleitet werden. Musterhaft könnte hier die allein auf die Marianen ausgerichtete kommentierte Bibliographie von Spennemann (2004) sein. Eine entsprechende Vorarbeit im Bereich der kommentierten Neuedition von kolonialzeitlichen Materialien ist die von Stolz (2007) bearbeitete Ausgabe der ursprünglich 1907 auf Chamorro verfassten Kleinen Geschichte der Marianen von Georg Fritz. Fach- und Ideengeschichte: Die von den im deskriptiv-linguistischen Bereich tätigen Pionieren erbrachten analytischen Leistungen sind kritisch zu evaluieren, wobei zu beurteilen ist, inwiefern von Beschreibungsadäquatheit die Rede sein kann und ob die aufgestellten Hypothesen über die strukturellen Eigenschaften der Objektsprachen den üblichen Standards ihrer Zeit entsprachen und eventuell auch heutigen Qualitätsansprüchen genügen können. Hierzu zeigt Hennig (2009), wie stark die deutsche Sicht den deskriptiven Linguisten der Kolonialzeit das Verständnis der Strukturen der zu beschreibenden Sprachen erschwerte. Man muss sich zudem fragen, wie die Feldarbeit vorbereitet und durchgeführt wurde, um mit Informanten die Sprachdaten zu erheben. Gab es eine übliche Methode oder war die Informantenarbeit vom Zufall abhängig? Sind Elemente einer expliMeinhof (1920b: 747) hat wahrscheinlich Recht, wenn er in seinem Artikel über die Grammatiken der Eingeborenensprachen feststellt: “[d]ie sämtlichen vorliegenden G[rammatiken] d[er] E[ingeborenensprachen] sind erst von Europäern verfaßt, die die Sprachen aus dem Munde der Eingeborenen aufnahmen und daraus oder aus der schon vorhandenen Literatur die grammatischen Regeln ableiteten.” Das heißt jedoch keineswegs, dass es keine präkolonialen oralen Traditionen der muttersprachlichen Reflexion gegeben haben kann (vgl. die Beiträge in Kniffka 2001). Ohne zum jetzigen Zeitpunkt einen vollständigen Überblick über die einschlägigen Materialien zu besitzen, kalkulieren wir den möglichen Ertrag einer bibliographischen Inventarisierung auf mehrere Hundert Titel; eventuell kann sogar der vierstellige Bereich erreicht werden.
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ziten oder impliziten Ethik der Feldforschung erkennbar? 22 Die Beschäftigung mit diesen Fragen schließt auch die Herausbildung von Schulen und Disziplinen (Stichwort: Afrikanistik), die Gründung von akademischen Ausbildungsstätten (z.B. Hamburger Kolonialinstitut 23), die Schaffung von Publikationsorganen (z.B. Zeitschrift für Kolonialsprachen) u.a.m. ein. Die Agenten der frühen kolonialen Sprachforschung, ihr Werdegang, ihre wissenschaftlichen Querverbindungen und ihre Nachwirkung in den betroffenen Fächern und bei den von ihnen erforschten Sprachgemeinschaften sind ebenso unter die Lupe zu nehmen wie mögliche internationale Kontakte. 24 Sprachkontakte: Auf kontaktlinguistischem Gebiet haben wir eine Reihe von Aufgaben zu erledigen. So ist zu erheben, inwiefern das Deutsche Einfluss auf die Sprachen der deutschen Besitzungen ausgeübt hat. Stolberg (in diesem Band) geht beispielsweise dem Schicksal deutscher Lehnwörter im Nauruischen nach. Auch die Gegenrichtung ist zu berücksichtigen, d.h. die Beeinflussung des Deutschen durch die autochthonen (und andere) Sprachen der Schutzgebiete, die zur Herausbildung typischer Züge der in den Kolonien gesprochenen deutschen Varietäten beigetragen haben mögen (Stichwort: Südwester Deutsch). Die Entstehung von nicht-nativen Varietäten mit deutscher bzw. anderer europäischer Basis oder auf der Grundlage von indigenen Sprachen ist genauso Gegenstand der koloniallinguistischen Forschung wie die Genese von Kreolsprachen (Stichwort: Unserdeutsch) u.a.m. Mehrsprachigkeit bildet ein genuines Thema der Koloniallinguistik, wozu zum Beispiel die aus den schriftlichen Quellen (Reiseliteratur u.a.m.) rekonstruierte Darstellung von Phänomenen vom Schlage des Codeswitching zählt. Sprachpolitik: Praktisch alle von Deutschland beanspruchten Gebiete waren mehrsprachig, viele davon mit Hunderten von Einzelsprachen. Wie sind die deutschen Kolonialbehörden de jure und de facto mit dieser sprachlichen Vielfalt umgegangen? Die deutsche Sprachpolitik zwischen 1884 und 1919 vermittelt einen sehr uneinheitlichen Eindruck (Mehnert 1973). 25 Sie ist für Kamerun (Orosz 2008) und Tansania (Althenger-Smith 1968) relativ ausführlich diskutiert worden. In diesen und vergleichbaren Arbeiten stehen folgende Dinge im Vordergrund: zum einen die Förderung von ausgewählten indigenen Sprachen und ihre administrativ geförderte Ausbreitung über ihr ursprüngliches Sprachgebiet hinHierzu zählt auch die Frage, ab wann welcher koloniale Sprachforscher seine Informanten namentlich identifiziert oder sogar Koautorenschaft zubilligt. Die Geschichte dieses für die Koloniallinguistik immens wichtigen Instituts lässt sich anhand der Beiträge im von Ludwig Paul herausgegebenen Sammelband zum Gründungsjubiläum nachvollziehen, vgl. beispielsweise Carle et al. (2008). In vielen Fällen weiß man heute nur aus Kurzdarstellungen der Vitae in Fachlexika wie dem Lexikon der Afrikanistik von Jungraithmayr & Möhlig (1983) oder den Nachrufen in den Fachjournalen über die einzelnen Sprachforscher eher bruchstückhaft Bescheid. Für die rezentere Zeit berichtet Böhm (2003) über die Bedeutung des Deutschen als Fremdsprache im afrikanischen Kontext.
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aus, die Rolle des Deutschen als Sprache der Kolonie und die Konkurrenz, die dem Deutschen von exogenen oder indigenen Verkehrssprachen und/oder Sprachen anderer Kolonialmächte gemacht wurde. In diesem Zusammenhang ist auch zu untersuchen, welche Form und Funktion die speziell für bestimmte Kolonien – hier: Togo und Kamerun – angefertigten Lehrmaterialien für den Deutschunterricht hatten. Es schließt sich das bereits von Mühleisen (2009) und Orosz (2010) thematisierte Kolonialdeutsch als sprachplanerische Vision eines vereinfachten Deutsch zum Gebrauch durch die Kolonialisierten an. Eingeschlossen in diesen Themenkomplex sind auch alle Fragen der Verschriftlichung, Normierung, Standardisierung indigener Sprachen und ihre Berücksichtigung im schulischen Curriculum und öffentlichen Leben. Welche (aktive/passive) Rolle haben die Sprecher indigener Sprachen in der kolonialen Sprachpolitik und -planung gespielt? Welche Aufgaben haben die Missionsgesellschaften in der kolonialen Sprachpolitik übernommen? Soziolinguistik: Ein unseres Wissens bislang noch völlig unbearbeitetes Feld bildet die koloniale Soziolinguistik in Bezug auf die deutschen Überseebesitzungen. Es handelt sich um eine Form der historischen Soziolinguistik, weil erst noch rekonstruktiv zu erarbeiten wäre, wer wann was wie mit wem warum in den deutschen Kolonien gesprochen hat. Antworten auf diese und verwandte Fragen kann nur ausführliches Quellenstudium bieten, wobei damit zu rechnen ist, dass unsere Kenntnisse im soziolinguistischen Bereich der Koloniallinguistik wohl immer fragmentarisch bleiben werden. Sprachideologien: Mittelbar mit den soziolinguistischen Aspekten sind die Sprachideologien verbunden, worunter wir die soziokulturelle Bewertung von Sprachen in mehrsprachigen Kontexten verstehen. Dies schließt für uns auch Faktoren wie Identitätsstiftung durch Sprachwahl, Sprachbewusstheit, sprachbezogene Qualitätsurteile u.a.m. ein. Systematisch ist dieser in sich heterogene Bereich zumindest für Deutschlands Kolonialepoche noch nicht durchgemustert worden. Seine Anbindung an vom Zeitgeist in der nationalen Metropole und darüber hinaus im internationalen (“erstweltlichen”) Kontext gestützten Sprachideologien untersucht ansatzweise Römer (1989). Zu eruieren sind aber vor allem die bislang weitgehend unbekannt gebliebenen Spracheinstellungen der Kolonialisierten, deren Ansichten wiederum nur über historisches Quellenstudium sowie in gewissem Maße auch mittels gegenwärtig vorhandener indigener Sprachideologien bestimmbar sind. Kolonialdiskurs: Die Sprachideologien sind Teil des allgemeinen Kolonialdiskurses bzw. bilden sich in ihm ab. Er ist für seine genuin deutsche Komponente von Warnke (2009a) hinreichend umrissen worden und schließt gemäß Warnke & Schmidt-Brücken (in diesem Band) auch das “Weltbild” ein, das sich anhand der Beispielsätze in den Grammatiken und Lehrbüchern indigener Sprachen widerspiegelt. Hierzu wären als weitere Quelle die Deutschlehrbücher und -fibeln
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für den Gebrauch in den Kolonien als konstitutive Elemente des Kolonialdiskurses hinzu zu nehmen. Es darf aber nicht die Seite der Kolonialisierten vergessen werden, die ihrerseits die koloniale Situation, in der sie sich befanden, durch einen eigenen Kolonialdiskurs “besprachen”. Es ist anzunehmen, dass diese indigenen Kolonialdiskurse durch weitere Erfahrungen angereichert in die anti- und postkolonialen Diskurse der Befreiung und Unabhängigkeit eingeflossen sin. Damit haben wir einen ersten Aufriss der Koloniallinguistik gegeben, der in zukünftigen Arbeiten noch deutlich zu schärfen und zu erweitern ist. Wir erachten ihn jedoch in seiner jetzigen Form für hinreichend, um die Leserschaft auf die in den Beiträgen zu diesem Sammelband thematisierten Gegenstände vorzubereiten.
4. Fortschritt in der kolonialen Sprachforschung Der Kurzpräsentation der hier versammelten Aufsätze stellen wir diesen Abschnitt voran, in dem wir sozusagen ganz zwanglos und willkürlich nur noch Themen ansprechen, die mit dem wissenschaftlichen Fortschritt in der kolonialen Sprachforschung verbunden sind und sich für zukünftige koloniallinguistische Studien als interessant erweisen könnten. Die koloniale Sprachforschung hat relativ bald nach der Einrichtung der ersten Schutzgebiete eigene Periodika erhalten. An der mehrfachen Titeländerung in kurzer Folge einer einschlägigen Zeitschrift lässt sich die Ausweitung der deutschen Kolonialherrschaft deutlich ablesen: • • •
Zeitschrift für afrikanische Sprachen; Berlin: Asher; (1) 1887/88–(3) 1889/90; Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kolonien; Berlin: Reimer; (1) 1895–(5) 1900; Zeitschrift für afrikanische, ozeanische und ostasiatische Sprachen mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kolonien; Berlin: Süsseroth; (6) 1902–(7) 1903.
Was noch als afrikanistisches Fachblatt begann hat bald nicht nur einen expliziten koloniallinguistischen Fokus erhalten, sondern integrierte auch die Sprachen der Neuerwerbungen im Pazifik und schließlich in Ostasien. Noch stärker auf das koloniallinguistische Thema ausgerichtet war dann die langlebige Nachfolgerin des obigen Periodikums: • • •
Zeitschrift für Kolonialsprachen; Berlin, Hamburg: Reimer und Boysen; (1) 1910–(9) 1919; Zeitschrift für Eingeborenensprachen; Berlin, Hamburg: Reimer und Boysen/de Gruyter und Friedrichsen; (10) 1920–(35) 1950; Afrika und Übersee; Berlin: Reimer; ab (36) 1951 bis heute.
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Auch hier reflektieren die Veränderungen am Zeitschriftentitel die sich wandelnden politischen Gegebenheiten. Mit dem Ende der De-Jure-Kolonialherrschaft 1919 weicht der Begriff Kolonialsprachen dem allgemeiner gefassten Terminus Eingeborenensprachen, der durch die kolonialrevisionistische Zeit bis nach dem 2. Weltkrieg Bestand hat. Als der Traum vom wiedererlangten Kolonialreich ausgeträumt war, verschwand auch die aus heutiger Sicht diskriminierende Bezeichnung Eingeborenensprachen und wurde durch unverfänglich erscheinende geographische Bezüge ersetzt. Die Zeitschrift für Kolonialsprachen wurde von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung finanziert. Zwar hatte die Zeitschrift kein Monopol auf koloniallinguistische Themen im deutschen Sprachraum; ihre Herausgabe deutete jedoch die zunehmende Professionalisierung der Koloniallinguistik an. Der Gründung der Zeitschrift war die des Hamburgischen Kolonialinstituts im Jahre 1908 vorangegangen, in dem die gemeinsame Vorbildung von Beamten, die vom Reichs-Kolonialamt an das Institut überwiesen werden, und von anderen Personen, die in die deutschen Schutzgebiete zu gehen beabsichtigen [gewährleistet werden soll] (Thilenius 1920: 12). Laut Thilenius (1920: 13) gehörten Swahili, Duala, Ewe, Herero, Nama, Ndonga, Jaunde, Hausa, Ful, Arabisch, Chinesisch und Afrikaans (“Kapholländisch”) zu den regelmäßig unterrichteten Sprachen (mit jeweils bis zu 50 eingeschriebenen Hörern pro Semester). Den Fortschritt, den diese Professionalisierung mit sich brachte, liest man auch an den Formulierungen ab, die koloniale Propagandisten und Sprachforscher verwenden, um das aus deutscher Sicht sprachlich Ungewohnte dem Publikum nahezubringen. So äußern sich einige Quellen wie folgt zu den Clicks (“Schnalzen”) der Khoisansprachen: Die Sprache der Buschmänner erinnert noch am meisten an diejenige der Hottentotten, doch ist sie reicher an Schnalz- und Nasallauten. Eine Verwandtschaft zwischen der Buschmanns- und Hottentottensprache dürfte kaum vorhanden sein. (Schmidt 1898, Band II: 256) Die Sprache der Buschleute ist keiner anderen vergleichbar. Das zischt und lispelt und schnalzt; sie läßt sich nicht beschreiben. (Seidel 1913: 93) Die Sprachen sind keineswegs primitiv, sondern haben eine ausgebildete Formenlehre mit grammatischem Genus und Kasusendungen. Durch die Schnalze und die Tonhöhen erinnern sie aber an die Buschmannsprachen, von denen sie grammatisch ganz verschieden sind. (Meinhof 1920c: 81) Alle drei Autoren jonglieren mit der Einmaligkeit der San-Sprachen (“Buschmannsprachen”). Während Schmidt und Meinhof einigermaßen neutrale Beschreibungen geben, lässt der zeitlich zwischen ihnen liegende Seidel deutlich erkennen, dass ihn die lautlichen Besonderheiten überfordern und er sie daher mit einer despektierlich wirkenden Pauschalierung abtut. Dass man nicht bei solch unbeholfenen Formulierungen stehen-
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blieb beweist Meinhofs (1920d: 303) Eintrag zu den “Schnalzlauten” im Deutschen Kolonial-Lexikon, wo es heißt, dass sich Schnalzlaute […] in den Sprachen der Buschleute, Hottentotten, Kaffern (einschließlich der Zulu) und Süd-Basuto in Südafrika, ferner bei den Sendaui und den Nachbarsprachen in Ostafrika [finden]. Lepsius (Standard Alphabet 1863) nannte sie Inspiraten. Sie werden aber nicht durch Einatmung, sondern durch eine Saugbewegung der Zunge hervorgebracht, wobei allerdings Luft von außen in den Mund eindringt. Je nach Artikulationsstelle unterscheidet man labiale, dentale, alveolare, laterale Schnalze. Außerdem kann man den folgenden Vokal in verschiedener Weise beginnen, mit leisem, festem und gehauchtem Einsatz, auch mit einer Frikativa [sic!]. Gleichzeitig mit dem Schnalz kann auch ein Nasal gesprochen werden. Über die Entstehung der Schnalze lassen sich noch keine sicheren Angaben machen. Diese wirklich reichhaltige und sachliche Informationsdichte deutet an, dass das Deutsche Kolonial-Lexikon tatsächlich eine Art Summe der wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit stehenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der kolonialen Studien darstellte. 26 Die in ihm zahlreich enthaltenen Artikel zu sprachwissenschaftlich interessanten Themen geben getreulich wieder, was man zum Ende der deutschen Kolonialzeit an Wissen über die Sprachen der Überseebesitzungen akkumuliert hatte. Grundzüge von Meinhofs Beschreibung der Clicks findet man durchaus noch in Möhlig (1983), bei dem mit den palatal-reflexen Clicks eine fünfte Artikulationsstelle, die genauere Angabe über die verzögerte Lösung des (vorderen) Verschlusses, die Notwendigkeit eines velaren (hinteren) Verschlusses sowie Hinweise zur graphischen Wiedergabe der Clicks hinzukommen. Ladefoged & Maddieson (1996: 248–249) rekapitulieren minutiös, wie auch in der rezenten Geschichte der Phonetik die exakte Bestimmung der Lauteigenschaften der Clicks den Experten größte Schwierigkeiten bereitete. In diesem Sinne kann sich Meinhofs Beitrag durchaus noch sehen lassen. Überhaupt ist die koloniale Sprachforschung in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts offen für die Aufnahme von Anregungen aus der nationalen und internationalen Fachgemeinde. So listet Meinhof (1920b: 747–748) in seiner Auswahlbibliographie der wichtigsten zeitgenössischen Arbeiten (ausschließlich Monographien) zu den Sprachen der deutschen Kolonialgebiete 13 englische, sieben französische und sogar einen finnischen Titel auf. Die in der Reihe Deutsche Kolonialsprachen erschienenen praktischen Grammatiken afrikanischer Sprachen geben immer einleitend (wenn auch kurz und knapp) an, auf welche einschlägigen Werke sie sich berufen. Westermann (1911) erwähnt in seiner Darstellung des Hausa immerhin ein halbes Dutzend Vorläufer, aus deren Werken er z.T. seine Lesestücke entnommen hat. Man kann durchaus sagen, dass 26
Das Erscheinen des Deutschen Kolonial-Lexikons war ursprünglich für 1914 geplant, musste aber kriegsbedingt auf 1920 verschoben werden. In diesem Sinne kann diese dreibändige Enzyklopädie als publikatorischer Schlusspunkt unter der deutschen De-Jure-Kolonialzeit verstanden werden.
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sich hier eine zur damaligen Zeit noch längst nicht überall durchgesetzte philologische Norm etablierte, nämlich die genaue bibliographische Identifikation der verwendeten Quellen. Die kolonialen Sprachforscher gewöhnten sich also relativ früh daran, die Gedanken anderer zu rezipieren und gewinnbringend in ihre eigene Arbeit einfließen zu lassen. Ihre Rückwirkung auf die zeitgenössische Allgemeine Sprachwissenschaft ist noch zu überprüfen. Dass es eine Ausstrahlung in diese Richtung gab, lässt sich am Oeuvre von Franz Nikolaus Finck erkennen, der bis zu seinem Tode 1910 als führende Persönlichkeit in der Allgemeinen Sprachwissenschaft galt, auch wenn viele seiner damaligen Thesen nach modernem Verständnis abstrus erscheinen und glücklicherweise keine nachhaltige Wirkung auf spätere Generationen ausüben konnten (Wahrig-Burfeind 1986a–b). Zunächst ist festzuhalten, dass Finck seinerseits koloniallinguistisch tätig war, indem er zwei Aufsätze zum Samoanischen veröffentlichte (Finck 1904, 1907), die ihm eine Zeitlang an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin eine Privatdozentur für Südseesprachen sicherten. In dieser Zeit betreute er auch die Herausgabe des vom Bezirksamtmann von Saipan kompilierten Chamorro-Wörterbuch[s] (Fritz 1904). In einem bis in die 1960er Jahre immer wieder neuaufgelegten “Klassiker” aus Fincks Feder, den Haupttypen des Sprachbaus von 1909, widmet der Autor dem Samoanischen ein ganzes Kapitel (Finck 1961: 84–95). Anders als seine in der kolonialen Sprachforschung stärker involvierten Berufsgenossen kümmerte sich Finck gewöhnlich nicht darum, seine Ausführungen durch genaue Quellenangaben abzusichern. Dennoch kann gezeigt werden, dass Finck die neuen Veröffentlichungen zu den Sprachen der deutschen Kolonien gewissenhaft las und für seine Zwecke auswertete. So schrieb Finck (1906) eine 25 Seiten umfassende Rezension von Wolffs Kinga-Grammatik von 1905. Finck (1908) ist eine immerhin noch siebenseitige Besprechung der Grammatik des Marshallesischen von Erdland (erschienen 1906). Diesem Beispiel zufolge lohnt sich eine genaue Überprüfung der üblichen Rezensionsorgane des kaiserzeitlichen (und später Weimarer) akademischen Betriebs, damit bestimmt werden kann, in welchem Maße und auf welchen Wegen Einsichten, die in der kolonialen Sprachforschung gewonnen wurden, Eingang in das sprachwissenschaftliche Allgemeingut gefunden haben. Umgekehrt bleibt zu überprüfen, welche allgemein-sprachwissenschaftlichen Ideen bei den kolonialen Sprachforschern Anklang gefunden haben und warum. Zusammenfassend können wir diesen Abschnitt mit folgender Feststellung beenden. Die Koloniallinguistik besitzt ein nicht nur wissenschaftssoziologisch hoch interessantes Forschungsfeld, das die schrittweise Profilierung, Professionalisierung, Institutionalisierung der kolonialen Sprachforschung in der akademischen Landschaft Deutschlands mit eigenen wissenschaftlichen Standards und publikatorischen Foren im Blick haben und sich der Frage widmen sollte, wie sich nationale und internationale Netzwerke herausbildeten, Anknüpfung an Traditionen gesucht und Nachwirkung auf die Zeit nach dem Ende der eigentlichen Kolonialepoche erzielt wurde. Eine umfassende Darstellung steht bisher noch aus.
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5. Zu diesem Band Im Rahmen des Festivals der Sprachen vom 17.9.–7.10.2009 wurde an der Universität Bremen die 1. Tagung Deutschlands Koloniallinguistik (27.–28.9.2009) mit Mitteln des Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) veranstaltet. Dieser Tagung ging am 30.–31.8.2008 der Workshop Philippine and Micronesian Linguistics before the Advent of Structuralism während der 11th International Conference on the History of the Language Sciences an der Universität Potsdam voraus, den die Bremer Linguisten mit großzügiger Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung organisieren durften. Da auf diesem Workshop bereits einige Vorträge die koloniallinguistischen Beiträge deutscher Autoren zum Chamorro der Marianen ansprachen (Stolz im Druck, Stolz et al. im Druck), entstand die Idee, doch einmal die koloniale Sprachforschung aus der deutschen Epoche in Übersee kritisch Revue passieren zu lassen, da es allem Anschein nach keinen Versuch in diese Richtung gegeben hatte. Zu diesem Ende wurde die Bremer Tagung ausgelobt, deren Programm uns verdeutlichte, dass hinter der Koloniallinguistik noch viel mehr wissenschaftliches Erkenntnispotential steckt, als wir selbst zunächst vermutet hatten. Die Beiträge in diesem Sammelband decken nur einen Teil des deutschen Kolonialgebietes ab. Wir bedauern u.a. die Absenz von Arbeiten zum Samoanischen oder den Sprachen von Kaiser-Wilhelmsland. Diese und andere Lücken sind darauf zurück zu führen, dass zur Zeit der Tagung entsprechende Experten an der Teilnahme verhindert waren. Kamerun und Namibia sind erst nachträglich mit aufgenommen worden – ebenso der übergreifende Beitrag von Warnke & Schmidt-Brücken (in diesem Band). Wir haben die Aufsätze in drei unterschiedlich große Gruppen aufgeteilt, deren erste zwei von ihrer Thematik her eher allgemeine Beiträge umfasst. Danach folgt eine regionale Aufteilung: die Beiträge zu den Sprachen Afrikas kommen in der geographischen Reihung Togo-Kamerun-Namibia-Tansania zum Tragen. Ostasien und Ozeanien bilden den abschließenden Block, in dem wir einer Nord-Süd-Achse folgen, d.h. dass Kiautschou den Auftakt macht, dann sind die Marianen mit dem Chamorro an der Reihe, gefolgt vom Chuuk der Zentralkarolinen und schließlich dem Nauruischen. Die einzelnen Beiträge lassen sich ganz kurz wie folgt charakterisieren: Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken (Bremen) befassen sich in ihrer Studie mit den Beispielsätzen, die in den grammatischen Beschreibungen und praktischen Lehrbüchern von indigenen Sprachen der deutschen Kolonien in Afrika typischerweise Verwendung fanden. Sie interpretieren die in bestimmten Satztypen in statistisch signifikanter Weise wiederkehrenden Muster als Reflexe kolonialer Gewissheiten im Sinne Wittgensteins. Norbert Cyffer (Wien) zeigt am Beispiel der Kanuri-Sprache, dass nicht nur von sprachwissenschaftlichen Laien heute noch wenigstens implizit häufig angenommen wird, außereuropäische Sprachen – in Sonderheit die Sprachen des subsaharischen Afrikas – seien in irgendeinem Sinne “primitiv”. Der Autor kontrastiert die
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Strukturen des Kanuri mit denen des Deutschen und kommt zu dem Schluss, dass der Primitivitätsbegriff unhaltbar ist. Kokou Azamede (Lomé/Togo) behandelt die semantischen Problemen, denen sich junge Ewesprecher ausgesetzt sahen, als sie als Missionszöglinge zur deutschen Kolonialzeit in Deutschland ein ihnen zur Last gelegtes Vergehen vor dem Missionsleiter erklären sollten. Die in der bilingualen Kommunikation entstehenden Verständnisprobleme werden mit einem zweiten Beispiel aus der Erfahrungswelt von Ewesprechern unterstrichen. Germain Nyada (Bayreuth) geht in dem einzigen nicht auf Deutsch verfassten Beitrag auf ein bislang in der sprachwissenschaftlichen Literatur übersehenes Phänomen ein. Er versucht nachzuweisen, dass die für viele deutsche Repräsentanten in Kamerun berichteten guten Kenntnisse im Ewondo (= Jaunde) vielmehr eine zunächst individuell variierende Lernervarietät dieser Bantusprache im Munde deutscher Beamter “verschleierten”. Nyada stuft diese mit der Zeit verfestigte Varietät als “Dialekt” des Bëti ein, der nach dem Ende der deutschen Zeit zusehends außer Gebrauch kam. Brigitte Weber (Klagenfurt) betrachtet das Verhältnis des Deutschen zu dem in Kamerun schon vor den Schutzverträgen mit dem Deutschen Kaiserreich in den Küstenregionen relativ weit verbreiteten englisch-basierten Pidgin (heute oft Weskos genannt). Die Autorin diskutiert die zahlreichen Stellungnahmen früher deutscher Quellen zu eben diesem Verhältnis und erwägt abschließend die Möglichkeit, dass das Deutsche Verantwortung für einige sprachliche Eigenschaften des Weskos tragen könnte. Bei W.H.G Haacke (Windhuk/Namibia) steht die Frage im Mittelpunkt, wie das Autoglossonym (oder die Eigenbezeichnung für eine Ethnosprache) des Khoekowap durch den Eingriff der in der (vor-)kolonialen Sprachforschung tätigen Missionare vorübergehend verloren gehen konnte. In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, wie durch z.T. arbiträre Entscheidungen der europäischen Sprachforscher zusammengehörige Sprachen voneinander separiert und unterschiedlich normiert werden können. Rüdiger Kröger (Herrnhut) beleuchtet die umfangreiche koloniallinguistische Tätigkeit der Herrnhuter Brüder in Deutsch-Ost-Afrika. Er führt detailliert die einzelnen Beiträge individueller Missionare auf und erhellt die Wege, auf denen sie sich mit ihren Objektsprachen vertraut machten bzw. welche alltäglichen Aufgaben die Vertiefung der Sprachstudien behinderten. Der auf diese Weise zusammengestellte Rechenschaftsbericht weist den Herrnhuter Beitrag zur ostafrikanischen Sprachforschung als gewichtig aus (einschließlich verschollener bzw. als Manuskript verbliebener Beiträge). Peter Mühlhäusler (Adelaide/Australien) untersucht die sprachliche Situation im deutschen Pachtgebiet Kiautschou in China. Es geht in erster Linie um die Frage, inwiefern die Rede von einem auf dem Deutschen basierenden Pidgin sein kann. Mühlhäusler erschließt einige Eigenschaften der für diese Sprachform in Frage kommenden Äußerungen in deutschsprachigen Quellen. Außerdem wird generell die Position des Deutschen auch im lokalen Bildungssystem thematisiert. Die drei folgenden Beiträge entstammen dem in Bremen ansässigen DFG-Projekt STO 186/13-1 Chamorrica – die kommentierte (Neu-)Edition und Übersetzung der nicht eng-
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lisch-sprachigen Quellen zum Chamorro (1668–1950); sie folgen intern einer chronologischen Ordnung. Thomas Stolz (Bremen) setzt sich mit dem koloniallinguistischen Konkurrenzkampf auf den Marianen auseinander, der nach dem Abzug der Spanier zwischen 1899 und 1918 herrschte. Er bespricht die Übereinstimmungen und Unterschiede, die sich zwischen den von verschiedenen US-amerikanischen und deutschen Autoren für das Chamorro von Guam und den Nördlichen Marianen verfassten bzw. kompilierten Grammatiken und Wörterbücher ergeben. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, inwiefern eine (z.T. uneingestandene) Abhängigkeit der Quellen untereinander besteht. Christina Vossmann (Bremen) geht philologisch-vergleichend auf einen ursprünglich von Gertrude Hornbostel nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit aufgezeichneten Chamorro-Text ein, der in drei verschiedenen Versionen in der einschlägigen Literatur kursiert. Sie versucht anhand der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei bekannten Fassungen Aussagen über die mögliche Form des gegenwärtig noch verschollenen Urtexts zu machen. Barbara Dewein (Bremen) nimmt sich eines Kapitels aus der bislang umfassendsten Grammatik des Chamorro an, nämlich der Reduplikation, wie sie in Hermann Costenobles Die Chamoro Sprache von 1940 beschrieben wird. Die Autorin überprüft durch Vergleiche mit älteren und neueren Quellen zum Chamorro, ob Costenobles Leistungen als deskriptiver Linguist hoch zu bewerten sind. Sie stellt fest, dass der in vielen Bibliographien aufgeführte, de facto aber wohl selten wirklich gelesene Costenoble – bei allen Idiosynkrasien und Fehlbarkeiten – die bis heute umfassendste Abhandlung des Themas Reduplikation für das Chamorro vorgelegt hat. Lothar Käser (Freiburg) widmet sich dem Werk von Laurentius Bollig, der als Missionar auf Chuuk tätig war und viel für die Beschreibung der Sprache der Zentralkarolinen geleistet hat. Neben biobibliographischen Informationen zu diesem deutschen Missionarslinguisten gibt Käser einen Einblick darein, wie lange die von Bollig getroffenen orthographischen Entscheidungen in der Debatte um die Normierung des Chuuk von Belang gewesen sind. Der Hauptteil des Aufsatzes besteht aus einer kommentierten Präsentation von Bolligs Sammlung von idiomatischen Ausdrücken der Chuuk-Sprache. Das IDS-Projekt zu den deutschen Sprachkontakten in der Südsee wird vom letzten Beitrag unseres Sammelbandes – last not least – vertreten: Doris Stolberg (Mannheim) betrachtet ebenfalls eine koloniallinguistische Konkurrenzsituation – diesmal auf der Insel Nauru, wo protestantische und katholische Missionare im Wettstreit miteinander unterschiedliche Normen für das Nauruische entwickelten, die sich u.a. dadurch deutlich voneinander unterscheiden, dass deutsche Lehnwörter nur bei dem protestantischen Missionar Delaporte wirklich in großer Zahl vertreten sind. Dass wenigstens einige von seinen Germanismen auch tatsächlich in den alltäglichen Sprachgebrauch übernommen worden sind, zeigen spätere sprachplanerische Beschlüsse, die Namen der Wochentage durch aus dem Englischen stammende Parallelbezeichnungen zu ersetzen. Wir müssen nicht weiter darauf eingehen, dass diese Beiträge jeweils nur bestimmte Facetten aus der reichhaltigen Phänomenologie der Koloniallinguistik ansprechen können. Vieles von dem, was die Koloniallinguistik zu sagen hat, muss notgedrungen un-
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erwähnt bleiben. Wir sind uns jedoch sicher, dass mit diesem Band ein erster wichtiger Schritt hin zur Etablierung des neuen Forschungsprogramms getan wird. Weitere Bände mit koloniallinguistischem Inhalt werden in Kürze folgen.
In memoriam Wir widmen diesen Band dem am 15.10.2010 verstorbenen afrikanistischen Kollegen Thomas Geider (Köln/Leipzig), dessen ausgereiftes Konzept einer auf Afrika ausgerichteten Koloniallinguistik auf der 1. Tagung zu Deutschlands Koloniallinguistik unschätzbare Vorarbeit für unser gemeinsames Projekt geleistet hat. Die Umstände haben es ihm nicht mehr erlaubt, seine in Bremen vorgetragenen Gedanken noch zu Papier zu bringen. Sie haben jedoch wesentlich dazu beigetragen, dass wir unsere eigenen Überlegungen auf ein gesichertes Fundament stellen konnten.
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INGO H. WARNKE & DANIEL SCHMIDT-BRÜCKEN (BREMEN)
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele – Linguistischer Sprachgebrauch als Ausdruck von Gewissheiten
Abstract Grammatical sample sentences are traditionally distinguished by their descriptive and prescriptive function. For the analysis of a corpus of sample sentences in German colonial grammar books of indigenous African languages in the period from 1884 until 1919 (Korpus Kolonialgrammatischer Beispielsätze; KoKoBei) this dyadic differentiation is shown to be insufficient. On the basis of a model of the epistemic reading of grammatical examples and in reference to Wittgenstein’s ‘On Certainty’ we therefore analyze the world views conveyed in sample sentences which must count as a historical repertoire of split certainties. In a generic analysis we concentrate on functional grammatical preferences of expression using the example of predicate classes, sentence mood and denotata of subject expressions. The paper strives to supply a contribution to the foundation of discourse grammatical analyses of colonial linguistics. Likewise it provides preparatory work for a corpus of German colonial language to be built up.
1. Koloniallinguistik im Licht von Deskription und Präskription Der Gegensatz von deskriptiver und präskriptiver Sprachwissenschaft gilt in der Linguistik als konstitutiv für das fachliche Selbstverständnis, dies auch und im Besonderen in der Germanistischen Linguistik, wie bereits Klein (2004: 376) feststellt. Dass Sprachwissenschaft mit dem Ziel der Beschreibung oder Normsetzung bzw. Kritik betrieben werden kann, zeigt nicht nur die Geschichte der Grammatik (vgl. Gardt 1999, Dürscheid 2010: 14f.), sondern manifestiert sich auch in zwei aktuellen Ausprägungen der Diskursanalyse, in der so genannten Kritischen Diskursanalyse (vgl. Jäger 2009) bzw. Critical discourse analysis (vgl. Fairclough 2010) einerseits und der aus der Historischen Semantik und deskriptiven Textlinguistik hervorgegangenen Diskurslinguistik (vgl. Warnke 2007; Warnke & Spitzmüller 2008) andererseits. Wenngleich der Gegensatz von Beschreibung und Normsetzung nicht zuletzt deswegen fraglich ist, weil jede noch so bemühte Sprachdeskription immer auch zur Normsetzung genutzt werden kann, “u.U. ganz entgegen den Intentionen ihrer Verfasser” (Eisenberg 2004: 2), hat die Unterscheidung zwischen wissenschaftlich-deskriptiv vs. ideologisch-wertend für viele Fachvertreter den Rang eines identitätsstiftenden Antagonismus erlangt (Cameron 1995). Wissenschaftliche Positionen im Feld der Linguistik lassen sich also an der Be-
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antwortung der Frage, ob man wissenschaftlich (nur) beschreiben oder (auch) bewerten sollte, festmachen: Prescriptivism [. . . ] is the disfavoured half of a binary opposition, ‘descriptive/prescriptive’; and this binarism sets the parameters of linguistics as a discipline. The very first thing any student of linguistics learns is that ‘linguistics is descriptive not prescriptive’ – concerned, in the way of all science, with objective facts and not subjective value judgements. Prescriptivism thus represents the threatening Other, the forbidden; it is a spectre that haunts linguistics and a difference that defines linguistics. (Cameron 1995: 5) Beschäftigt man sich mit diskursiven Formationen der deutschen Kolonialzeit (vgl. Warnke 2009), so liegt es nahe, das politische Potential des Gegenstandes durchaus mit historischer Kritik zu versehen. Gerade die Post-colonial studies (vgl. Ashcroft et al. 2007) zeigen in vielen Ausprägungen, wie Kritik an herrschenden kolonialen und postkolonialen Gesellschaftsformationen zum wissenschaftlichen Selbstverständnis gehören kann. Nun ergibt sich für jede diskursanalytische Haltung der Gesellschaftskritik aber ein Erkenntnisproblem, das aus der für die Kritik selbst immer wieder genutzten Aussage von der Diskursivität/Relativität/Historizität der Wahrheit zwingend folgt. Wenn etwa die Kritische Diskursanalyse erklärtermaßen zur Veränderung von “gesellschaftlichen Missständen” (Jäger 2009: 20) aufruft – und was anderes sind koloniale Machtstrukturen –, so verkennt sie dabei regelmäßig, dass die Infragestellung von historischen Wahrheiten nur vor dem Hintergrund eines eigenen, absolut gesetzten Wahrheitsmaßstabes möglich ist. Pennycook (2001: 85) und Milani & Johnson (2008: 367) sprechen vom epistemological dilemma einer so verstandenen Kritik. Das Primat der wissenschaftlichen Deskription ist also nicht nur eine Frage der Position, sondern begründet sich systematisch auch an der Unmöglichkeit von Kritik jenseits einer Relativierung des eigenen Standpunktes. Gerade dort, wo gesellschaftlich umstrittene Sachverhalte in den Blick genommen werden – und Kolonialismus gehört dazu – ist der wissenschaftliche Ruf nach bewertenden Aussagen problematisch; eine für die Bewertung vergangenen Sprechens notwendige Distanzierung von historischen Haltungen, etwa durch Dekonstruktion kolonialer Aussagen, wäre alles andere als frei von aktuellen, zeitgebundenen Auffassungen im Feld politisch korrekter Positionierungen der Kultur- und Geisteswissenschaften und würde fraglos Züge wissenschaftlicher Moden tragen. Dass die Analyse kolonialer Kommunikationspraxis andererseits aber nicht affirmativ sein kann, versteht sich aus der politischen Verantwortung vor der Geschichte ebenso. Unser Beitrag fragt vor diesem Hintergrund konzeptionell, wie sich die Diskurslinguistik, wenn sie sich mit Kolonialismus befasst, zur dichotomen Methodenhaltung von Beschreibung vs. Normsetzung/Kritik verhalten kann.
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Denn gerade für das Interesse an diskursiven Sprachkontaktphänomenen in der Kolonialzeit stellt sich die Frage, wie jenseits des epistemological dilemma zentrale Funktionen der Sprache als Werkzeug im kolonialen Projekt erkennbar gemacht werden können. Dies gilt vor allem dann, wenn als Gegenstand der Analyse die Beteiligung von kolonialer Sprachwissenschaft und Sprachvermittlung selbst gewählt wird. Ganz unabhängig davon, ob die eigene Haltung dabei deskriptiv oder präskriptiv ist, stellt sich hier nämlich die Frage nach Normsetzung und Beschreibung in den historischen Verfahren der koloniallinguistischen Spracharbeit selbst. Wir werden versuchen zu zeigen, dass eine adäquate Analyse der Quellen aber gerade jenseits der starren Dichotomie präskriptiv vs. deskriptiv möglich ist.
2. Das dyadische Modell des grammatischen Beispiels Zur Verdeutlichung unseres Vorhabens geben wir zunächst drei Beispiele aus Grammatiken indigener afrikanischer Sprachen bzw. aus Sprachführern der deutschen Kolonialzeit: (1a) (1b) (1c)
Höre rasch auf zu fluchen, sonst werde ich dich schlagen. (Handbuch der NamaSprache, Planert 1905: 40) Du musst jedoch wissen, dass die Europäer selbst überhaupt große Gelehrte sind. (Jaunde-Texte, Heepe 1919, Bd. 1: 74) Du wirst 25 Schläge bekommen. (Suahili Konversations-Grammatik, Seidel 1900: 94)
Wir werden auf diese und andere Beispielsätze ausführlich eingehen. Zunächst stellt sich für uns aber die Frage, wie man in der Grammatikographie gewöhnlich die Funktion solcher Sätze einordnet; dazu verweisen wir auf die Etymologie und Bedeutung des Beispielbegriffs. Bei den Sätzen (1a–c) handelt es sich nicht um ein ahd. bīspil bzw. ein mhd. bīspel, also um etwas Hinzuerzähltes, das den Grammatiken einfach beigegeben wäre, z.B. zwecks Illustration. Die Beispielsätze (1a–c) entsprechen vielmehr der Semantik der späteren Lehnbedeutung zu lat. exemplum, es geht in ihnen also um ein Muster für erläuterte grammatische Phänomene bzw. Konstruktionen, vielleicht auch um ein Vorbild. Die grammatischen Beispiele entsprechen mithin dem, was das DudenUniversalwörterbuch (Duden 2001: 254) als Bedeutung von nhd. Beispiel paraphrasiert: a) b)
“beliebig herausgegriffener, typischer Einzelfall (als Erklärung für eine bestimmte Erscheinung od. einen bestimmten Vorgang)” “Vorbild, [einmaliges] Muster”
Fast wortgleich heißt es in der Brockhaus-Enzyklopädie (Brockhaus URL s. Literaturverzeichnis): “ein beliebig herausgegriffener, typischer Einzelfall als Erklärung für eine bestimmte Erscheinung oder einen bestimmten Vorgang; Vorbild.”
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Die Polysemie des Wortes Beispiel entspricht den bereits eingeführten Konzepten der Deskription (typische Einzelfälle nennen) und Präskription (ein Vorbild/Muster geben). Für den Status von Beispielsätzen können wir von deskriptiver vs. präskriptiver Exemplifikation sprechen. Eine deskriptive Exemplifikation ist demnach eine beschreibende Erläuterung durch einen beliebigen Einzelfall, eine präskriptive Exemplifikation eine normative Erläuterung durch ein vorschreibendes Muster. Daraus folgt, dass das Beispiel der deskriptiven Exemplifikation fakultativ ist, es kann dieser oder auch ein anderer Einzelfall einer Kategorie herangezogen werden, während das Beispiel der präskriptiven Exemplifikation obligatorisch genau den gewählten Einzelfall motiviert und von diesem aus eine Klasse vorschreibend hierarchisiert. Die beiden Bedeutungen von Beispiel entsprechen also der herkömmlichen grammatikographischen Einordnung des Sprachbeispiels, die auf Deskription und Präskription bezogen ist. Während sich Grammatiken noch der 1950er Jahre neben der Sprachbeschreibung auch und vor allem vor die Aufgabe der Sprachpflege gestellt sahen und dabei große Leitbilder einer logischen Ordnung der Sprache anführen, verfolgen neuere Grammatiken nach allgemeiner Auffassung das Primat der Deskription: “Man versteht sich als deskriptiv (beschreibend) und will damit zugleich eine präskriptive (vorschreibende, ‘gesetzgebende’) Ausrichtung vermeiden” (Klein 2004: 378). Der Übergang ist deutlich an den Vorworten der Duden-Grammatik abzulesen, wofür drei Beispiele gegeben seien: Der Sprachpflege galt deshalb neben der Sprachbeschreibung unsere besondere Aufmerksamkeit. (...) Der Benutzer unserer Grammatik wird also nicht nur erfahren, daß es in der Sprache große Leitbilder gibt, die weithin gelten, sondern auch, daß daneben Zonen des Übergangs und sogar des Behelfes bestehen, die außerhalb der ‘logischen’ Ordnung liegen. (Duden 1959: Vorwort) (...) strebt an, einer offenen Norm gerecht zu werden, indem sie die Breite des Üblichen, somit auch konkurrierende Wortformen und Verwendungsweisen, beschreibt. Dies bedeutet allerdings keinen Verzicht auf eine gewisse normative Geltung. (Duden 1998: Vorwort) Besonderes Gewicht haben Autoren und Redaktion außerdem auf die Analyse aktueller Sprachbelege und die entsprechende Auswahl an Beispielen gelegt. (Duden 2005: Vorwort) Während Paul Grebe im Jahr 1959 noch die großen Leitbilder preist und Abweichungen von diesen als Übergänge und Behelfsformen ansieht, bleibt die Duden-Grammatik mit dem unklaren Konzept der offenen Norm im Jahr 1998 indifferent zwischen Beschreibung und Vorschrift. Die Duden-Redaktion beruft sich im Jahr 2005 – wortgleich in der 8. Auflage von 2009 übernommen – schließlich nur noch auf das Beispiel, ohne das problematische Verhältnis von Präskription und Deskription überhaupt noch zu erwähnen.
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Dies entspricht einer grundsätzlichen und wachsenden Ablehnung der Präskription in der westlichen Linguistik. Lyons (1984: 44) bringt dies auf den Punkt: “Die erste Aufgabe des Linguisten ist jedenfalls, zu beschreiben, wie die Leute tatsächlich ihre Sprache sprechen (und schreiben), nicht vorzuschreiben, wie sie sprechen oder schreiben sollten.” Im Weiteren schränkt Lyons (1984: 44) diese Aussage aber auch ein: “Es soll mit Nachdruck darauf verwiesen werden, dass der Linguist, wenn er zwischen Deskription und Präskription unterscheidet, damit nicht normativen Sprachstudien überhaupt ihre Daseinsberechtigung abspricht.” Der Status des grammatischen Beispiels schwankt also je nach Präferenz der Grammatiker zwischen deskriptiver und präskriptiver Exemplifikation. Wir sprechen vom dyadischen Modell der grammatikographischen Kategorisierung des Beispiels, dem, wie wir gesehen haben, auch die Bedeutungsparaphrasen des Wortes Beispiel mit der Semantik typischer Einzelfall vs. Vorbild/Muster entsprechen. Zusammenfassend halten wir fest: Beim typischen Einzelfall steht das Element für die Klasse mit deskriptiver Funktion fakultativ. Bezugsgröße sind dabei mögliche Formen des Sprachsystems oder Sprachgebrauchs. Beim Muster steht das Element für die Klasse mit präskriptiver Funktion obligatorisch. Bezugsgröße sind dabei als gültig angesehene Normen. Status typischer Einzelfall Muster
Relationstyp Element steht für die Klasse fakultativ Element steht für die Klasse obligatorisch
Funktion deskriptiv
Bezug System/ Gebrauch
Markierung Möglichkeit
präskriptiv
Normen
Gültigkeit
Tabelle 1: Grammatikographische Kategorisierung des Beispiels im dyadischen Modell
3. Koloniales Beispiel und Gewissheit – epistemische Lesarten Nun stellt sich für die Analyse koloniallinguistischer Grammatiken die Frage, ob Sätze des Typs (1a) tatsächlich nur als Deskription einer negativ-konditionalen Konstruktion mit dem Konnektor sonst lesbar sind oder eventuell die Imperativbildung mit Schwa als Norm setzen: (1a)
Höre rasch auf zu fluchen, sonst werde ich dich schlagen. (Planert 1905: 40)
Denn neben der denkbaren grammatischen Funktion von Deskription und Normsetzung drängt sich dem heutigen Leser fraglos die Fremdheit des Beispielsatzes auf, die sich bereits daran ablesen lässt, dass er für heutige Grammatiken ungeeignet scheint. Damit ist ein Problem angesprochen, dass keinesfalls nur für die Koloniallinguistik besteht. So können wir fragen, ob Satz (2) aus der Einführung in die Grammatik der deutschen
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Gegenwartssprache tatsächlich nur deskriptives Beispiel einer parataktischen Verbindung im Gegenwartsdeutschen ist: (2)
Wir haben die Bürger des Wohnbezirks aufgerufen, die Gebäude zu schmücken und sich an der Demonstration zu beteiligen. (Sommerfeldt & Starke 1988: 175)
Um heute eine Demonstration als Aufforderung zum Schmücken von Gebäuden zu verstehen, fehlt dem Leser sicherlich Weltwissen, dass bei Sommerfeld & Starke vorausgesetzt wird. Ähnlich verhält es sich bei der Nennung eines Beispiels für Präsuppositionen in Levinsons Pragmatics: (3)
If the Vice-Chancellor invites the U.S. President to dinner, he’ll regret having invited a feminist to his table. (Levinson 1983: 188)
Es handelt sich bei den Sätzen (1), (2) und (3) um jeweils objektsprachliche Belege mit dem Status eines Beispiels für linguistische Phänomene. Jedoch lassen sich die Sätze grammatikographisch nicht hinreichend im dyadischen Modell (s. Tab. 1) kategorisieren. Die Lesarten der Beispielsätze gehen möglicherweise darüber hinaus. Der Satz Höre rasch auf zu fluchen, sonst werde ich dich schlagen ist für den heutigen Leser vermutlich ebenso fremd, wie die Vorstellung, ein Gebäude im Zusammenhang einer Demonstrationsbeteiligung zu schmücken. Auch im Beispiel von Levinson erfahren wir nicht nur, dass der US-Präsident vermutlich keine Feministen/Feministinnen mag, sondern das Beispiel legt zudem eine Spur in die Zeit seines Gebrauchs. Linguistische Beispiele geben in einer über Deskription und Präskription hinausgehenden Lesart immer auch Hinweise auf den Beispielgebrauch. Sie sind damit nicht nur objektsprachliche Daten, sondern verweisen auch auf verstehensrelevantes Wissen (vgl. Busse 2008), sie sind diskursiv markiert. In einer Grammatik der Suaheli-Sprache aus dem Jahr 1903 lesen wir zwei Sätze, die explizit nur Beispiele des Imperativs geben: (4a) (4b)
Tötet den Sklaven. (Seidel ca. 1903: 16) Wenn Europäer kommen, behandle sie gut! (Seidel ca. 1903: 72)
Es ist davon auszugehen, dass man sich von diesen Sätzen heute intuitiv distanziert. Diese Distanzierung funktioniert unter der Voraussetzung der Annahme, dass die Sätze Zeugnis geben oder besser ein Beispiel dafür sind, was koloniale Gewissheiten waren; diese Gewissheiten werden heute nicht mehr geteilt. Wir beziehen uns mit dem Gewissheitsbegriff auf Wittgensteins Abhandlung Über Gewissheit/On Certainty von 1950/51. Die Beispiele der Kolonialgrammatiken werfen nicht nur die Frage nach dem Status von Deskription und Präskription auf, sondern sie markieren eine heute befremdliche Gewissheit über die Richtigkeit der kolonialen Machtverhältnisse. So verweist (4a) auf den einfachen Erfahrungssatz Sklaven werden bei Ungehorsam getötet, was uns heute fraglos als inakzeptabel erscheint und damit zur Ablehnung eines solchen Satzes als grammatischer Beispielsatz führt. Weil die in (4a) integrierte koloniale Gewissheit nicht mehr geteilt wird, wäre der Beispielgebrauch für
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Gegenwartsgrammatiken inakzeptabel. Dies ist die Folge einer Veränderung des verstehensrelevanten Wissens. Wittgenstein schreibt über solche Veränderungen in Gewissheiten: Man könnte sich vorstellen, daß gewisse Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dieses Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden. (Wittgenstein 1984: §96) In einem Projekt zur Analyse koloniallinguistischer Grammatiken kommt man folglich mit der grammatikographische Kategorisierung des Beispiels im dyadischen Modell nicht wirklich weit. Sätze des Typs (1), (2), (3) und (4) sind für uns weniger als Deskription oder Präskription interessant, sondern deshalb, weil sie als Beispiele Weltbilder und Gewissheiten vermitteln. Wir schlagen daher vor, die gängige Kategorisierung des grammatischen Beispiels um die Kategorie der epistemischen Lesart zu erweitern. 1 Dabei entgeht uns nicht, dass wir nun von Lesarten sprechen. Es geht uns nicht um substantielle Eigenschaften von Beispielen, sondern um die Frage, wie grammatische Beispiel lesbar sind. Man kann Tötet den Sklaven auch als normatives Beispiel des deutschen Imperativsatzes lesen. Doch das ist mehr als unwahrscheinlich, um in den Worten von Wittgenstein zu sprechen: die flüssige Kolonialerfahrung ist erstarrt, der Satz befremdet, seine Gewissheit ist fossiliert. Analytisch ist der Satz deshalb Beispiel kolonialer Weltbilder und Gewissheiten; wir sprechen vom epistemischen Beispiel: Status typischer Einzelfall Muster Präferenz
Relationstyp Element steht für die Klasse fakultativ Element steht für die Klasse obligatorisch Element steht für die Klasse historisch
Funktion deskriptiv
Bezug System/ Gebrauch
Markierung Möglichkeit
präskriptiv
Normen
Gültigkeit
epistemisch
Repertoire
Gewissheit
Tabelle 2: Lesarten des grammatischen Beispiels im triadischen Modell Betrachtet man Präferenzen für bestimmte Sprachformen, so stehen diese mit epistemischer Funktion für die Klasse historisch, also in jeweils zeitlich üblichen Gebrauchskontexten. Bezugsgröße sind dabei Repertoires kommunikativ vermittelter Gewisshei1
Wenn wir hier und im Folgenden von epistemisch sprechen, so beziehen wir uns nicht auf die im engeren erkenntnistheoretischen Sinne übliche Semantik von epistemologisch – wie sie auch im bereits behandelten epistemological dilemma vorliegt–, wir beziehen uns mit der Bezeichnung vielmehr auf den an Foucault orientierten und aus altgr. πιστήμη abgeleiteten Begriff Episteme im Sinne einer wissensstrukturierenden, historischen Konstellation. Für die germanistische Linguistik hat Busse (vgl. 2003) diese Bedeutung von epistemisch nutzbar gemacht.
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ten. Die Herleitung dieser Triadik ist keinesfalls willkürlich, denn sie bezieht sich auf die morphologische Verbkategorie der Person (Ich/Wir, Du/Ihr, Er,Sie,Es/Sie). Bühler (1934: 24ff.) hat diese Dimensionen bekanntlich funktional umgedeutet (‘Ausdruck’, ‘Appell’, ‘Darstellung’); wir leiten aus den drei Kommunikationsdimensionen die drei Lesarten des Beispiels ab: Die epistemische Lesart markiert meine jeweils zeitgebundenen Gewissheiten als Ich, die präskriptive Lesart appelliert an ein Du, Normen als richtig anzuerkennen, die deskriptive Lesart stellt Möglichkeiten in sachdistanzierter Beschreibung dar. Von Interesse sind die Beispielsätze kolonialer Grammatiken für uns also deshalb, weil wir sie als Teil zeitgebundener kommunikativer Repertoires verstehen und in ihnen Spuren von Gewissheit im Wittgenstein’schen Verständnis sehen. Wir nennen den damit gewählten Fokus auf die Beispielsätze eine epistemische Lesart. Mit Wittgenstein gilt dabei: Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide. (Wittgenstein 1984: §93) Es stellt sich die Frage, welche Hintergründe grammatische Beispiele zu erkennen geben und welche epistemischen Lesarten rekonstruierbar sind. Die Historizität auch dieser Lesarten ist dabei stets zu bedenken. Damit weisen wir auf grammatikographische Probleme hin, die bisher weder für Kolonialgrammatiken noch überhaupt für das grammatische Beispiel näher untersucht wurden. Für die Rekonstruktion eines zeitgebundenen Common-Sense im Sinne von Gewissheiten sind Grammatiken aber besonders interessante Quellen, weil ihr beispielhaftes Sprechen implizit ist; explizit geht es ja um Präskription oder Deskription. Die epistemische Lesart relativiert die Beispielsätze also grundsätzlich. Sie erscheinen aus der historischen Distanz als problematisch, dies jedoch nicht, weil wir uns mit ihren grammatischen Vorannahmen oder Intentionen nicht einverstanden erklären können, sondern weil das in ihnen geteilte und vorausgesetzte Wissen in einer historischen Distanz steht. Ein Satz wie (1b)
Du musst jedoch wissen, dass die Europäer selbst überhaupt große Gelehrte sind. (Heepe 1919, Bd. 1: 74)
überzeugt heute als grammatisches Beispiel nicht mehr, weil die Akzeptabilitätsbedingungen des heutigen Lesers oder Nutzers der Grammatik distinkt zum Jahr 1919 sind. Habermas (1981) hat in der Theorie des kommunikativen Handelns Wittgensteins Gewissheits-Text auf die damit angesprochene Dimension der Akzeptabilität bezogen. Er beschreibt recht genau, was in uns vorgeht, wenn wir Sätze des Typs (1), (2), (3) und (4) lesen oder hören: Die Relativität der wörtlichen Bedeutung eines Ausdrucks entdecken wir vielmehr erst durch eine Art der Problematisierung, die wir nicht ohne weiteres in
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele
39
der Hand haben. Sie ergibt sich infolge objektiv auftretender Probleme, die unser natürliches Weltbild erschüttern. Dieses fundamentale Hintergrundwissen, welches die Kenntnis der Akzeptabilitätsbedingungen sprachlich standardisierter Äußerungen stillschweigend ergänzen muß, damit ein Hörer deren wörtliche Bedeutung verstehen kann, hat merkwürdige Eigenschaften: es ist ein implizites Wissen, das nicht in endlich vielen Propositionen dargestellt werden kann; es ist ein holistisch strukturiertes Wissen, dessen Elemente aufeinander verweisen; und es ist ein Wissen, das uns insofern nicht zur Disposition steht, als wir es nicht nach Wunsch bewußt machen und in Zweifel ziehen können. (Habermas 1981, Bd. 1: 450) Die Holistik impliziten Wissens ist aber durchaus analytisch fassbar. Wir leisten das durch systematische Untersuchungen der epistemischen Lesart des Beispiels in Kolonialgrammatiken. Zwecks Darstellung der Empirie wenden wir unsere deduktiven Überlegungen zur Grammatikographie in eine induktive Perspektive und argumentieren im Weiteren datengestützt.
4. Vorüberlegungen zur Empirie epistemischer Lesarten des kolonialen Beispiels Eine Empirie des epistemischen Beispiels versucht eine Antwort auf die Frage, wie erstarrte Gewissheiten an konkretem Sprachgebrauch fassbar gemacht werden können. Untersuchungsgegenstand ist dabei ein Korpus von Beispielsätzen in kolonialen Grammatiken: Korpus Kolonialgrammatischer Beispielsätze (KoKoBei). Zugrunde liegen Grammatiken und Sprachführer zu indigenen afrikanischen Sprachen, die in den ehemaligen Kolonien des Deutschen Reiches von 1884 bis 1919 gesprochen wurden. In diesem Zeitraum, von der Berliner Konferenz 1884/85 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, fand koloniale Machtausübung des Deutschen Reiches auf dem afrikanischen Kontinent statt. In diskurslinguistisch-methodologischer Hinsicht setzen die Erhebungen gemäß DIMEAN (vgl. Warnke & Spitzmüller 2008) auf der intratextuellen Ebene im Bereich der propositionsorientierten Analyse an. Hinsichtlich der forschungspraktischen Bearbeitung der Fragestellung verfolgt unser Beitrag einen korpuslinguistischen Zugang, wie ihn Bubenhofer (2009) mit dem Konzept der Sprachgebrauchsmuster umreißt. Laut Bubenhofer sind Muster der Sprachverwendung in einem überzufällig häufigen Auftreten von Wörtern und Konstruktionen im Korpus realisiert. Exemplarisch dafür kann der Befund gelten, den eine Wortfrequenzanalyse mit WordSmith Tools erbringt. Nach Stopwörtern (Funktionswörter, wie Artikeln und Konjunktionen, die auch in einem rezenten Korpus die häufigsten Vorkommen aufweisen), sind die häufigsten Inhaltswörter in KoKoBei die Substantive Leute (45 Vorkommen, 0,41% aller Token), Sklaven (41
40
Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken
Vorkommen, 0,38% aller Token) und Europäer (38 Vorkommen, 0,35% aller Token) sind. Daraus lässt sich für einen lexik-orientierten Ansatz eine erste Arbeitshypothese formulieren, nach der im Gebrauch der kolonialgrammatischen Beispielsätze offensichtlich nicht nur der sprachliche Verweis auf Menschen im Allgemeinen, also Leute, wichtig war, sondern auch die dichotome Kategorisierung in Sklaven auf der einen und Europäer auf der anderen Seite. Jedoch drücken sich Sprachgebrauchsmuster – und das ist der zentrale analytische Ansatz unseres Beitrags – nicht nur in der Wortsemantik, in lexikalisch transportierten Bedeutungen aus, sondern erstrecken sich auch und gerade auf grammatische Konstruktionen. Wir interessieren uns folglich für grammatische Bedeutungen und ihre diskurslinguistische Relevanz. Warum sollten aber gerade grammatische Konstruktionen in Beispielsätzen einen Aufschluss über Gewissheiten innerhalb eines Diskurses geben? Wodurch wird die grammatische, das heißt insbesondere die syntaktische Gestalt eines Beispielsatzes, zu einem epistemischen Beispiel? Man kann davon ausgehen, dass die Grammatik einer Sprache starrer und nachhaltiger ist als ihr Wortschatz. Sprachwandel findet auf der syntaktischen Ebene langsamer statt als auf der lexikalischen Ebene. Das alltäglich genutzte Lexikon erfährt Änderungen mitunter im Laufe einer Generation, dasselbe lässt sich aber nicht vom Gros der grammatischen Ausdrucksmöglichkeiten einer Sprache sagen (vgl. Nübling et al. 2008: 131). Gleichzeitig tritt die Bedeutung einer grammatischen Konstruktion nicht in demselben Maße offensiv in den Vordergrund, wie die eines lexikalischen Elementes. Und dennoch haftet die grammatische Bedeutung einem Satz stets auch neben der lexikalischen Bedeutung an. Wir können bei der syntaktischen Form eines Satzes bereits mit Erben (1984: 30) von einer “semantischen Trägerstruktur” sprechen. Die Wahl bestimmter grammatischer Mittel realisiert also gleichzeitig auch die Wahl bestimmter Bedeutungen, die diesen grammatischen Mitteln inhärent sind. Auch diese grammatischen Bedeutungen sind es, die Gewissheiten ausdrücken; sie sind dem Korpus von Beispielsätzen kolonialer Grammatiken eingeschrieben, und dies nicht nur an der Oberfläche des Wortschatzes, sondern in den Tiefen ihrer syntaktischen Strukturen. In systemischer Hinsicht ändern sich diese Strukturen weniger schnell und sind als bedeutungstragende Sprachelemente der Untersuchung von Diskurssemantik und Sprachgeschichte ebenso nutzbar zu machen, wie die schnelleren Wandlungen unterworfene Lexik. Ungeachtet dessen wurden grammatische Bedeutungen in bisherigen diskursanalytischen Untersuchungen vernachlässigt. Diesem Umstand, der aus einer funktionalgrammatischen Perspektive als Desiderat gewertet werden muss, will der vorliegende Beitrag begegnen. Wir gehen also unter anderem mit Polenz (2008: 49) und Zifonun et al. (1997: 597) davon aus, dass grammatische Strukturen Bedeutungen haben.
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele
41
5. Zum Korpus Kolonialgrammatischer Beispielsätze (KoKoBei) Unser Korpus Kolonialgrammatischer Beispielsätze (KoKoBei), das als Pilotkorpus für weitergehende Analysen zu verstehen ist, umfasst 1.078 deutschsprachige Beispielsätze aus 14 Kolonialgrammatiken von 11 Autoren mit insgesamt 10.881 Token. Es handelt sich, in chronologischer Reihenfolge, um folgende Texte: – Saint Paul-Illaire (1896): Swahili-Sprachführer
– – – – – – – – – – – – –
Viehe (1897): Grammatik des Otjiherero Seidel (1900): Suahili Konversations-Grammatik Seidel [ca. 1903]: Praktische Grammatik der Suaheli-Sprache Planert (1905): Handbuch der Nama-Sprache Meinhof (1909): Die Sprache der Herero Meinhof (1910[41941]): Die Sprache der Suaheli Westermann (1911): Die Sprache der Haussa Meinhof (1912): Die Sprache der Duala Schürle (1912): Die Sprache der Basa Duisburg (1913): Grundriss der Kanuri-Sprache Nekes (1913): Die Sprache der Jaunde Dempwolff (1916): Die Sandawe Heepe (1919): Jaunde-Texte
Hinsichtlich der Textsortenzuordnung handelt es sich bei den Quellen um Grammatiken, Lehrbücher und Sprachführer. Unter “Grammatik” wird hier ein linguistischethnographisch orientiertes, metasprachliches Werk mit überwiegend deskriptiver Funktion verstanden. Als “Lehrbuch” werden grammatische Darstellungen mit primär didaktisch-praktischer Funktion im Sprachenunterricht bezeichnet. “Sprachführer” schließlich sind Texte, die vorwiegend Hilfestellungen bei praktisch-situativer Sprachverwendung geben wollen. Die Textsortenkategorisierung kann aus der Titelgebung sowie aus den konzeptionellen Hinweisen der Verfasser in den Vorwörtern der Texte abgeleitet werden. Alle Quellen sind primär metasprachliche, nicht-fiktionale Texte. Im Folgenden wird deshalb verallgemeinernd und der Einfachheit halber von “Grammatiken” im weiteren Sinne gesprochen, wobei die Binnendifferenzierung mitzudenken ist. Innerhalb eines noch zu erstellenden größeren deutschen Kolonialkorpus, dessen mögliche Konturen in Warnke (2009: 40ff.) skizziert sind, wären die im vorliegenden Beitrag behandelten Grammatiken den Textsorten der Deskription zuzurechnen. Das Korpus der Beispielsätze aus den 14 Grammatiken wurde vor Beginn der syntaktischen Analyse semantisch vorstrukturiert. Jeder der 1.078 Beispielsätze ist heuristisch einem semantischen Feld zugeordnet, das wir im Sinne eines Lebens- und Weltausschnittes als Zuordnungsgröße der jeweiligen Sätze nutzen. Dabei ergeben sich zwölf
42
Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken
Felder im Sinne einer induktiven Ontologie des Kolonialen, die als heuristisches Kategorienraster am Datenmaterial erneut überprüft und systematisiert sind: – – – – – – – – – – – –
Mission, Schule, Bildung Natur Wirtschaft, Handel Hauswirtschaft, Ernährung Koloniale Machtbeziehungen Körper, Medizin Kulturelle Praxis Nutzung der Natur Perspektive auf Europa Recht Reisen Sozialbeziehungen
Wir verdeutlichen das Vorgehen exemplarisch durch die folgende Tabelle, die Beispiele für die jeweiligen Kategorien gibt: Lebens- und Weltausschnitt Koloniale Machtbeziehungen
Kulturelle Praxis
Mission, Schule, Bildung
Beispielsatz Wenn deine Mutter eine Sklavin ist, dann gehörst auch zu den Sklaven. (Duisburg 1913: 146) Viele Haussa sind Soldaten der Europäer. (Westermann 1911: 19) Bevor man ein Haus betritt, ruft man stets zunächst ein oder mehrere Male hodi. (Saint Paul-Illaire 1896: 334) Mit dem Rotschminken prunken auch die Weibsleute. (Planert 1905: 72) Der Mann hat seine Kinder nach Otjimbingue gebracht, um sie in die Schule zu thun. (Viehe 1897: 57)
Tabelle 3: Beispiele semantischer Vorstrukturierung in KoKoBei Diese Ontologie dient als Ordnungsstruktur, um bestimmen zu können, mit welchen Ausschnitten kolonialen Denkens die Bedeutungen grammatischer Phänomene korrelieren. Die eigentlichen Analysen grammatischer Konstruktionen sind daher stets auf ein bestimmtes semantisches Feld bezogen. Quantitativ ergibt sich folgender Befund: Lebens- und Weltausschnitt Koloniale Machtbeziehungen Reisen Mission, Schule, Bildung Sozialbeziehungen Hauswirtschaft, Ernährung
absolute Häufigkeit 260 126 115 107 97
relative Häufigkeit (N = 1.078) 24,1% 11,6% 10,6% 9,9% 8,9%
43
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele Lebens- und Weltausschnitt Natur Kulturelle Praxis Nutzung der Natur Körper, Medizin Perspektive auf Europa Wirtschaft, Handel Recht
absolute Häufigkeit 86 82 72 45 39 25 24
relative Häufigkeit (N = 1.078) 7,7% 7,6% 6,6% 4,1% 3,6% 2,3% 2,2%
Tabelle 4: Induktiv gewonnene semantische Ontologie in KoKoBei Die Explikation des zentralen linguistischen Gedankens – die sprachliche Wirkungsmacht der Bedeutung grammatischer Konstruktionen im Diskurs – wollen wir im Weiteren anhand von drei Phänomenen verdeutlichen, denen in satzsemantischer Hinsicht eine anerkannte Funktion bei der Konstitution von Aussageinhalten zukommt; wir untersuchen (1) die Prädikatsklasse des im jeweiligen Satz realisierten Prädikatsausdruckes, (2) den Satzmodus und (3) das Denotat des Subjektausdruckes als thematisch relevantes Satzgliedes.
6. Exemplarische Analyse kolonialer Grammatikbeispiele in KoKoBei 6.1. Prädikatsklassen Prädikatsklassen, die in funktionaler Hinsicht den Aussagegehalt einer Prädikation entscheidend bestimmen, lassen Rückschlüsse auf die Art und Weise des Prädizierens im kolonialen Diskurs zu. Man unterscheidet Handlungs-, Vorgangs-, Zustands-, Eigenschafts- und Gattungsprädikate (Polenz 2008: 159f.). Bei der Ermittlung der Prädikatsklasse in KoKoBei wurde von der unmodalisierten Form des jeweiligen Prädikatsausdruckes ausgegangen, da durch Modalverben oder Verbmodi geleistete Modalisierungen eine zusätzliche grammatisch-semantische Ebene und damit ablenkende Komplexität beisteuern. Die analytische Eliminierung dieses Faktors wird damit begründet, dass der Fokus auf den rein satzsemantischen Aspekten der Prädikatsklasse den epistemisch-pragmatischen Aspekt der Modalität vernachlässigen kann. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass eine weitergehende Analyse von Modalität im Diskurszusammenhang eine lohnende Ergänzung der hier angeregten ersten Perspektiven auf eine Grammatik des Kolonialdiskurses darstellen würde. In Korrelation mit den Feldern der beschriebenen semantischen Ontologie zeigt sich für die Prädikatsklassen in KoKoBei folgende Verteilung:
44 Lebensund Weltausschnitt Koloniale Machtbeziehungen (N = 260) Reisen (N = 126) Mission, Schule, Bildung (N = 115) Sozialbeziehungen (N = 107) Hauswirtschaft, Ernährung (N = 97) Natur (N = 86) Kulturelle Praxis (N = 82) Nutzung der Natur (N = 72) Körper, Medizin (N = 45) Perspektive auf Europa (N = 39) Wirtschaft, Handel (N = 25) Recht (N = 24)
Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken Eigenschaftsprädikate abs. % 21 8,0
Gattungsprädikate
Handlungsprädikate
Vorgangsprädikate
Zustandsprädikate
abs. 8
% 3,0
abs. 176
% 67,6
abs. 16
% 6,1
abs. 39
% 15
12
9,5
6
4,7
86
68,2
8
6,3
14
11,1
10
8,7
8
6,9
73
63,4
9
7,3
15
13,0
19
17,7
12
11,2
57
53,2
5
4,6
14
13,0
14
14,4
3
3,0
61
62,8
3
3,0
16
16,4
22
25,5
2
2,3
33
38,3
19
22,0
10
11,6
25
30,4
5
6,1
42
51,2
6
7,3
4
4,8
15
20,8
7
9,7
39
54,1
5
6,9
6
8,3
10
22,2
5
11,1
17
37,7
8
17,7
5
11,1
13
33,3
3
7,6
21
53,8
1
2,5
1
2,5
4
16,0
1
4,0
16
64
4
16,0
0
0,0
2
8,3
3
12,5
9
37,5
7
29,1
3
12,5
Tabelle 5: Häufigkeitsverteilung (absolut und relativ) der Prädikatsklassen auf die semantischen Felder in KoKoBei Aus Tabelle 5 geht hervor, dass Handlungsprädikate in allen semantischen Feldern die bei weitem häufigste Prädikatsklasse im Korpus darstellen. Wir gehen davon aus, dass die satzsemantische Kategorie der Handlungsprädikate typischerweise in Handlungs- oder Tätigkeitsverben ihre formale Realisierung findet. Insofern deckt sich der korpusanalytische Befund mit der Feststellung der Duden-Grammatik (Duden 1984: 92), dass “Tätigkeitsverben [...] den Hauptteil der Verben [bilden]”, und entspricht der Bemerkung von Hentschel &
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele
45
Weydt (2003: 36): “Handlungsverben gelten aus der Sicht der kognitiven Linguistik wie der Universalienforschung als prototypische Verben.” Beispielsätze im Korpus kolonialer Grammatiken mit Handlungsprädikaten sind etwa die Sätze (5) bis (7): (5)
Der Wäscher hat viele Anzüge verbummelt. (Saint Paul-Illaire 1896: 542)
(6)
Die Knechte suchen die Rinder und Ziegen. (Meinhof 1909: 9)
(7)
Er hat mir eine Ohrfeige gegeben. (Seidel 1900: 32)
Neben den quantitativ auffälligen Prädikatsklassen sind im Diskurszusammenhang vor allem die semantischen Felder interessant, die in nennenswertem Maße markierte Prädikatsklassen aufweisen. Zu diesen können die Eigenschafts- und Gattungsprädikate gerechnet werden, die in Bezug auf Gewissheiten und Wissensbestände im Diskurs deshalb aussagekräftig sind, weil sie prädikative Relationen vom Typ X ist Y realisieren. Mit Polenz (2008: 163) können Eigenschaftsprädikate als “Aussagen über Zustände von Lebewesen, Sachen oder Abstraktbegriffen” definiert werden, “die grundsätzlich unveränderlich sind, also zu ihren dauerhaften Merkmalen gehören”. Im Feld Perspektive auf Europa machen solche generischen Aussagen, d.h. alle Aussagen mit Eigenschafts- und Gattungsprädikaten, 41,0% aller analysierten Sätze aus. Im Feld Kulturelle Praxis sind es 36,5% der Sätze; vgl. hierzu die Beispiele (8) und (9): (8)
An jenem Tage habe ich erkannt, daß die Europäerinnen stark und kräftig sind. (Heepe 1919, Bd. 1: 107)
(9)
Er trug haussanische Kleider, aber er war ein Heide. (Westermann 1911: 42)
Die selbstreflexive Gewissheit, etwas, das laut Beispiel erkannt werden kann, nämlich daß Europäerinnen stark und kräftig sind, drückt sich in der Verwendung der prädikativen Konstruktion in (8) aus. In Satz (9) wirken die generische Zuschreibung der Religionsunzugehörigkeit er war ein Heide und die adversative Aussagenrelation aber bei der Reproduktion einer ethnographischen Gewissheit zusammen, indem der Religionszugehörigkeit, die durch das Tragen bestimmter Kleider präsupponiert wird, eine diese Präsupposition aufgreifende und negierende Gattungszuschreibung entgegengesetzt wird.
6.2. Satzmodus Der Satzmodus als grammatische Kategorie, die etwas über die Wissensqualität einer Äußerung vermittelt, korrespondiert eng mit dem, was am epistemischen Beispiel als epistemisch zu bezeichnen ist (vgl. Fn. 1). Die Diskurslinguistik, die in ihrem Erkenntnisinteresse auf sprachlich reproduzierte Gewissheiten und Wissensbestände in größeren Textzusammenhängen fokussiert ist, erhält einen Zugriff auf Wissensstatus und Verbindlichkeitsqualität von diskursiv geäußerten Propositionen (Zifonun et al. 1997: 618ff.) auch über den genuin grammatischen Aspekt der Satzmodalität. Gemäß der
46
Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken
basalen, in Zifonun et al. (1997: 618) genannten “Funktionstypen ‘Aussage’, ‘Entscheidungsfrage’, ‘Ergänzungsfrage’ (zusammengefaßt auch: ‘Frage’), ‘Aufforderung’” untersuchen wir die Satzmodi Deklarativ, Imperativ und Interrogativ. Dabei sind vorrangig die als Aussagesätze geäußerten Propositionen von Interesse, da diese den Status des “repräsentativen Wissens” mit der Verbindlichkeitsqualität “ich sage das/ich sage das nicht” koppeln (vgl. Zifonun et al. 1997: 625). Bezogen auf die kolonialgrammatischen Beispielsätze in ihrer Lesart als epistemische Beispiele ergibt sich daraus, dass ein formal unmarkierter Aussagesatz – relativ zu den anderen Satzmodi – den höchsten Grad an Gewissheit über das So-und-nicht-anders-Sein des durch ihn ausgedrückten Sachverhalts transportiert. Auf die semantischen Felder der kolonialen Ontologie übertragen, ergibt sich für die Analyse der Beispielsätze nach Satzmodi folgende Häufigkeitsverteilung: Lebens- und Weltausschnitt Koloniale Machtbeziehungen (N = 260) Reisen (N = 126) Mission, Schule, Bildung (N = 115) Sozialbeziehungen (N = 107) Hauswirtschaft, Ernährung (N = 97) Natur (N = 86) Kulturelle Praxis (N = 82) Nutzung der Natur (N = 72) Körper, Medizin (N = 45) Perspektive auf Europa (N = 39) Wirtschaft, Handel (N = 25) Recht (N = 24)
Deklarativsätze
Imperativsätze
Interrogativsätze
abs. 182
% 70,0
abs. 48
% 18,4
abs. 30
% 11,5
85
67,4
30
23,8
11
8,7
80
69,5
25
21,7
10
8,7
87
81,3
7
6,5
13
12,1
58
59,7
35
36,0
4
4,1
79
97,8
4
4,6
3
3,4
67
81,7
12
14,6
3
3,6
57
79,1
10
13,8
5
6,9
39
86,6
2
4,4
4
8,8
36
92,3
3
7,6
0
0,0
21
84
2
8
2
8
22
91,6
2
8,3
0
0,0
Tabelle 6: Häufigkeitsverteilung (absolut und relativ) der Satzmodi auf die semantischen Felder in KoKoBei
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele
47
Im semantischen Feld Natur liegt mit 97,8% eine hohe Konzentration von Deklarativsätzen relativ zu anderen Satzmodi vor. Bezüglich des kolonialen Blicks auf Afrika können die Aussagen über Flora und Fauna einerseits in wertneutrale, deskriptive Beobachtungen und in evaluierende Feststellungen mit einem deutlichen Akzent auf der “Gefährlichkeit des schwarzen Kontinents” unterschieden werden. Sätze vom ersten Typus sind etwa die folgenden: (10)
Das Holz ist nicht dürr, es ist noch grün. (Duisburg 1913: 129)
(11)
Jetzt ist die Zeit der vielen Winde. (Seidel 1900: 76)
(12)
Wenn es Tag wird, so erblassen die Sterne. (Viehe 1897: 73)
Über das repräsentative Wissen der Naturbeschreibung in den Sätzen (10) bis (12) hinausgehend, kommt den Beispielen (13) bis (15) in epistemischer Lesart eine Art warnende Funktion zu: ein permanenter impliziter Vergleich mit vertrauten Verhältnissen, europäischen Gewissheiten: (13)
Das Klima dieses Landes ist schlecht. (Saint Paul-Illaire 1896: 270)
(14)
Ein Löwe hat zwei von meinen Sklaven getötet. (Seidel ca. 1903: 29)
(15)
Wir wollen das Nilpferd sehen, das die Europäer getötet hat. (Meinhof 1910[1941]: 25)
Die Modalität der Deklaration in diesen Sätzen evoziert in Verbindung mit den Aussagegehalten – die vergleichsweise abwertend (13) oder eine natürliche Bedrohung markierend (14, 15) wirken – eine Vorstellung des “wilden/gefährlichen/öden Afrika”, die im Diskurs in besonderem Maße als Hintergrundfolie für weitere Vorstellungsbildung wirken kann, da Handlungen und Prozesse als räumlich gebunden wahrgenommen und in eine wie immer geartete Natur verankert gedacht werden. Diese funktionalgrammatische Perspektive auf die Konstitution von Raum als Gewissheit im Diskurs wäre idealerweise durch eine lexikalisch orientierte Toponymanalyse zu überprüfen, die im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht geleistet werden kann; wir verweisen hier auf Lauer (2009).
6.3. Denotat des Subjektausdrucks Ausgehend von traditionellen Satzgliedbestimmungen, die die syntaktische Kategorie des Subjekts als den Satz- oder Redegegenstand auffasst, als dasjenige, worüber gesprochen wird, nutzen wir für die Analyse von KoKoBei das Konzept der Funktionalen Satzperspektive. Bekanntlich fällt dem Subjektausdruck häufig der thematische Satzteil zu, dem der rhematische Informationsgehalt gegenübersteht (vgl. Duden 2009: 1119). Seinem Denotat, dem außersprachlichen Referenten bzw. konzeptuellen Äquivalent, fällt insofern eine zentrale Rolle in der Konstitution der Satzaussage zu.
48
Ingo H. Warnke & Daniel Schmidt-Brücken
Aus korpuslinguistischer Perspektive ist davon auszugehen, dass den Entitäten, auf die häufig durch den Subjektausdruck referiert wird, qua thematischem Primat der syntaktischen Funktion eine prominente Position im Diskurs zukommt. Wie im Fall der analytisch vernachlässigten Modalisierung von Satzprädikaten klammern wir hier den Faktor der perspektivischen Umkehrung, also Passivierung, aus. Eine Analyse, deren zentrales Anliegen die Thema-Rhema-Gliederung deutscher Sätze ist, müsste die mögliche perspektivische Verschiebung selbstredend berücksichtigen (vgl. Eroms 1986, Duden 2009: 1120). Wir beschränken uns aber auf die Analyse der Denotate von Subjektausdrücken ohne Unterscheidung von Aktiv- und Passivsätzen. Weiterhin kann für Satzarten ohne realisiertes Subjekt – insbesondere Imperativsätze – keine Analyse des Subjektdenotats vorgenommen werden, sofern es nicht in Ausnahmefällen explizit genannt wird. Kontextuell lässt sich zwar in vielen Fällen eine Aussage über den Adressaten, beispielsweise einer Aufforderung, machen, aber die Segmentierung des Korpus von Beispielsätzen ohne ihre jeweiligen Kontexte lässt solche Folgerungen nur bedingt zu, weshalb sich die Gesamtanzahl der Beispielsätze hier auf N = 907 verringert. Hinsichtlich der Vielfalt möglicher Denotate von Subjektausdrücken in einem Korpus kolonialer Grammatiken wird primär die Opposition Afrika vs. Europa in den Blick genommen. Die Analyse erfolgt daher nach den Hyperonymen “Afrikaner”, “Europäer”, “Afrikaner und Europäer”, “Andere”, worunter neben Personen auch “Entitäten der Natur” fallen, sowie einer Kategorie “unklar”, wenn – etwa im Falle von Proformen – auf das Denotat des Subjektausdrucks nicht mit Sicherheit geschlossen werden kann. Die Verteilung der Denotatkategorien auf die semantischen Felder stellt sich wie folgt dar: Lebensund Weltausschnitt Koloniale Machtbeziehungen (N = 216) Sozialbeziehungen (N = 101) Reisen (N = 97) Mission, Schule, Bildung (N = 90) Natur (N = 82) Kulturelle Praxis (N = 71)
Afrikaner
Europäer
Afrikaner und Europäer abs. % 2 0,9
abs. 75
% 34,7
abs. 58
% 26,8
51
50,5
14
13,8
1
40
41,2
19
19,5
21
23,3
11
9
10,9
29
40,8
Andere
unklar
abs. 23
% 10,6
abs. 58
% 26,8
0,9
15
14,8
20
19,8
2
2,0
10
10,3
26
26,8
12,2
8
8,9
20
22,2
30
33,3
2
2,4
0
0,0
51
62,2
20
24,3
2
2,8
2
2,8
14
19,7
24
33,8
49
Koloniale Grammatiken und ihre Beispiele Lebensund Weltausschnitt Nutzung der Natur (N = 61) Körper, Medizin (N = 43) Perspektive auf Europa (N = 36) Recht (N = 24) Wirtschaft, Handel (N = 23)
Afrikaner
Europäer
Afrikaner und Europäer abs. % 0 0,0
abs. 15
% 24,5
abs. 4
% 6,5
9
20,9
8
18,6
0
14
38,3
17
47,2
16
66,6
0
5
21,7
5
Andere
unklar
abs. 27
% 44,2
abs. 15
% 24,5
0,0
7
16,2
19
44,1
0
0,0
1
2,7
4
11,1
0,0
0
0,0
4
16,6
3
12,5
21,7
0
0,0
4
17,3
9
39,1
Tabelle 7: Häufigkeitsverteilung (absolut und relativ) der Denotate der Subjektausdrücke auf die semantischen Felder in KoKoBei Die größte relative Häufigkeit von Subjektausdrücken mit dem Denotat “Afrikaner” weisen die semantischen Felder Recht mit 66,6% und Sozialbeziehungen mit 50,5% auf. Die satzthematische Fokussierung auf Afrikaner, d.h. unter kolonialem Machteinfluss stehende Menschen, belegt, dass hier in besonderem Maße eine Form der sozialen Deskription vorgenommen wird. Als exemplarisch dafür können die folgenden Sätze gelten. (16)
Wenn der Häuptling gestorben ist, so wird sein Erstgeborener Nachfolger. (Heepe 1919, Bd. 1: 60)
(17)
Sie pflegen mit ihren Kebsweibern zu wohnen, damit sie ihnen das Essen kochen. (Saint Paul-Illaire 1896: 130)
(18)
Die Kinder betragen sich, wie die Eltern sich betragen haben. (Viehe 1897: 73)
(19)
Wenn ein Mann ein noch nicht beschnittenes Mädchen beschläft und das Kind vergewaltigt, wenn das Gerede herauskommt, so daß es ihr Vater erfährt, so muß er einen Ochsen herausholen. (Dempwolff 1916: 122)
Außer der Tatsache, dass die Subjektausdrücke in so gut wie allen Sätzen der Felder Recht und Sozialbeziehungen generische, unpersönliche Denotate haben (der Häuptling, ein Mann, die Kinder etc.), wird die zu kolonialer Gewissheit erstarrte ethnographische Perspektive in diesen Bereichen in kausalen/finalen Aussagenverknüpfungen (wenn ... so, damit) und Abstraktverben (pflegen) ausgedrückt, die die generalisierende Thematisierung durch syntaktisch-lexikalische Mittel mit einem absoluten Geltungsanspruch ausstatten.
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Eine Art sprachliche Brücke innerhalb der Afrika-Europa-Opposition wird im semantischen Feld Mission, Schule, Bildung geschlagen, wo mit immerhin 8,89% der höchste Anteil des Denotats “Afrikaner und Europäer” verzeichnet wird. Die Sätze sind im Duktus von theologischer Dogmatik und Religionsdidaktik formuliert, wie der folgende Satz zeigt: (20)
Denn die Menschen, welche das Wort Gottes verwerfen, werden verloren gehen. (Viehe 1897: 64)
Doch auch hier macht sich im Kontext die Gewissheit kolonialer bzw. christlicher Überlegenheit bemerkbar: (21)
Nach dem Tode werden wir auferweckt werden. Am letzten Tage werden alle Menschen aus den Gräbern auferstehen. Ihr wißt das nicht. (Saint Paul-Illaire 1896: 463)
Im Attestat eines (Noch-)Nicht-Wissens wird die scheinbare religiöse Egalisierung in zivilisatorische Hierarchisierung umgelenkt.
7. Fazit Die Analyse von Quellen kolonialer Textsorten lässt eine kritische Haltung im Sinne distanzierter Einordnungen erwarten. Für die Untersuchung des Beispielgebrauchs kolonialer Grammatiken läge es daher nahe, den normativen Gehalt von Beispielsätzen herauszuarbeiten. Jedoch zeigt sich bei näherer Beschäftigung, dass die dyadische Unterscheidung von deskriptiver und präskriptiver Exemplifizierung für das grammatikographische Interesse nicht hinreichend ist. Vielmehr gibt es neben Beschreibung und Normsetzung noch eine Lesart, die auf zeitgebundene Wissenskonstellationen verweist und damit historische Gewissheiten markiert. Diese epistemische Lesart deckt die in Beispielsätzen impliziten Weltbilder auf, die sich stets auf ein Repertoire historischer Annahmen beziehen. Wir haben mit exemplarischen Analysen eines Korpus Kolonialgrammatischer Beispielsätze (KoKoBei) zu zeigen versucht, dass historisch erstarrte Gewissheiten gerade an grammatischer Bedeutung fassbar werden. Eine Reihe weiterer Analysen wäre geeignet zu zeigen, dass Diskurslinguistik sich nicht allein auf Lexik und Topoi konzentrieren sollte. Eine funktionale Grammatik in Sinne der hier skizzierten diskursgrammatischen Interessen wäre dabei ein sicherer Orientierungspunkt für zukünftige koloniallinguistische Forschungsperspektiven.
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NORBERT CYFFER (WIEN)
Gibt es primitive Sprachen – oder ist Deutsch auch primitiv?
Abstract Mehrere Faktoren führten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zur diskriminierenden Beschreibung afrikanischer Sprachen. Da gab es die “weiterentwickelten” flektierenden Sprachen, auch “Herrensprachen” genannt, und die primitiven “isolierenden” Sprachen. Wenn Sprachen primitiv sind, müssen ihre Sprecher zwangsläufig auch primitiv sein. Diese Begründung untermauerte auch den kolonialen Anspruch auf die afrikanischen “Schutzbefohlenen”. Die neuen linguistischen, objektiven Methoden des 20. Jahrhunderts wurden zunächst ignoriert. Wenn man dann noch nicht-europäische Sprachen mit den Kategorien der lateinischen oder deutschen Grammatik beschreiben will, mussten die afrikanischen Sprachen zwangsläufig weniger entwickelt sein, ein Vorurteil, dem wir immer noch begegnen. Übrigens, Deutsch wäre dann auch primitiv, wenn wir es mit den grammatikalischen Kategorien des Swahili beschreiben.
1. Prolog Der folgende Satz klingt für einen Europäer in vieler Hinsicht befremdlich: “Die acht Millionen Menschen in Belgien parlieren in drei Idiomen”. Irgendwie passt dieser Satz nicht. Grammatikalisch ist er sicher korrekt, die einzelnen Wörter akzeptieren wir auch. Aber mit dem Inhalt haben wir ein Problem. Wenn Sie diesen Satz gegenüber Menschen in Belgien äußern, werden sie sicher verständnislos reagieren. Wahrscheinlich fühlen sie sich auch diskriminiert. Aber wenn wir einen ähnlich lautenden Satz auf ein afrikanisches Land beziehen, akzeptieren wir ihn leichter. Und tatsächlich finden wir solche oder ähnliche Zitate in unseren Medien, auch den seriösen. 1997 fand in Leipzig der 2nd World Congress of African Linguistics statt. Das war für die Afrika-Linguistik ein wichtiges Ereignis. Auch die Presse war vertreten. In einem durchaus informativen Artikel in der Leipziger Volkszeitung fand sich im Zusammenhang mit der multilingualen Situation in Afrika folgendes Zitat: “Allein die zwölf Millionen Menschen in Kamerun parlieren in 275 Idiomen”.
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2. Geerbtes Wissen Wo der Journalist oder die Journalistin diese Formulierungen aufgegriffen hat, wissen wir nicht, aber ganz bestimmt nicht auf dem erwähnten Kongress. Eines wissen wir aber ganz bestimmt. Dieses Wissen – wohl besser Unwissen – über die Sprachen in Afrika hat sich in vielen nichtwissenschaftlichen, aber auch wissenschaftlichen Organen vor langer Zeit etabliert und wurde bis in die Gegenwart perpetuiert. Vorurteile halten sich sehr lange, auch wenn sie seit langem widerlegt sind. Was kann man nun aus diesem kurzen Zitat schließen? Afrikanische Sprachen verdienen den Begriff Sprache gar nicht. In ihnen kann man allenfalls über belanglose Angelegenheiten parlieren. Neben der Bezeichnung Idiom kursieren Begriffe wie Dialekte, manchmal hört man auch von Stammessprachen! Die eigentlichen Sprachen in Afrika sind daher nur Französisch, Englisch oder Portugiesisch. Das Fazit wäre dann, dass Afrika heute nicht seinen Platz in der Welt gefunden hätte, gäbe es dort die europäischen Sprachen nicht.
3. Sprachwissenschaftliche Basis Bevor wir zum Thema zurückkommen, müssen wir noch etwas zur Entwicklung der Linguistik sagen. Die Sprachwissenschaft an sich besitzt eine lange Tradition, wenn wir die 2500 Jahre alten Beschreibungen des Sanskrit einbeziehen. Auch die Grammatiken des Lateinischen von Donatus aus dem vierten, und Priscianus aus dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert waren bemerkenswerte Leistungen. Aber irgendwie kam die Entwicklung der Sprachwissenschaft danach zum Stillstand, wenn wir von den eher sprachphilosophischen Betrachtungen, z.B. von Wilhelm von Humboldt, absehen. Bis vor einigen Jahrzehnten wurden die früheren Sprachkategorien und -terminologien unkritisch weiter geführt und auf andere europäische und außereuropäische Sprachen übertragen. Denn die klassischen Sprachen bildeten einen Idealtyp, und die jeweiligen gesprochenen Sprachen, auch die europäischen, waren mehr oder weniger bastardisiert. Je weiter Sprachen von den klassischen entfernt waren, um so mehr mussten sie als minderwertig betrachtet werden. Die vermeintliche Unterentwicklung von Sprachen wurde auch wissenschaftlich “begründet”. So muss man, wenn man etwas über die semitischen Sprachen in Frederick Bodmers populärwissenschaftlichem Werk Die Sprachen der Welt (1955) erfahren will, das Kapitel Sprach- und Schriftkrankheiten (sic!) heranziehen (die englische Originalausgabe ist zwar schon 1944 erschienen, die letzte deutsche Fassung erschien immerhin 1997). Vorurteile gegenüber fremden Sprachen haben in Europa eine lange Tradition. Selbst europäische Sprache waren davon betroffen, weil man davon ausging, dass an sich nur die klassischen Sprachen, wie Latein und Griechisch, den Idealtyp ausmachten. Deshalb
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lohnte es sich vor allem, die eigenen Sprachen zu studieren, um ihre Beziehungen zu klassischen Sprachen zu untermauern. Umbrüche in den linguistischen Methoden fanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Die Indogermanistik bildete in Deutschland für lange Zeit den wichtigsten Beitrag zu Sprachwissenschaft. Es handelt sich um eine historisch-vergleichende Methode mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen verwandten Sprachen zu untersuchen. Auch auf die Afrika-Linguistik sollte sie bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einen dominanten Einfluss ausüben.
4. Die Beschreibung afrikanischer Sprachen im 19. Jahrhundert Die grammatikalische Analyse afrikanischer Sprachen geht zwar punktuell auf einen längeren Zeitraum zurück, eine umfangreiche Beschreibung begann aber erst im 19. Jahrhundert. Wegbereiter der sich später etablierenden Afrika-Linguistik waren christliche Missionare. Frühere sprachliche Dokumentationen wurden auch von den Reisenden des 19. Jahrhunderts geliefert (z.B. Barth 1862–1866). Ansonsten interessierte sich in Europa kaum jemand für außereuropäische Sprachen (ausgenommen waren allerdings wiederum klassische Sprachen wie Sanskrit oder Arabisch). Wir müssen dabei auch berücksichtigen, dass sich auch das wissenschaftliche Interesse an lebenden europäischen Sprachen in Grenzen hielt. In einer Zeit, als man sich kaum mit der Grammatik der eigenen Sprache beschäftigt hatte, welches akademische Interesse konnte man an den afrikanischen haben? Viele unserer linguistischen Vorfahren, die sich bereits im 19. Jahrhundert mit der grammatikalischen Beschreibung afrikanischer Sprachen beschäftigt hatten, haben damit begonnen, mit Vorurteilen afrikanische Sprachen zu beschreiben, oft, vielleicht mangels geeigneter Grammatikmethoden, unbewusst. Aber wir wollen noch einen zeitlichen Schritt zurückgehen. Der deutsche Missionar Sigismund Wilhelm Koelle kam Mitte des 19. Jahrhunderts ins heutige Sierra Leone, um in Freetown die auf dem Atlantik befreiten und nach Afrika zurückgeführten Sklaven wieder anzusiedeln und bei ihnen Missionsarbeit durchzuführen. Koelles wichtigste Aufgabe war es dabei, sich mit der Untersuchung einiger afrikanischer Sprachen zu beschäftigen. Koelle war für diese Aufgaben gut vorbereitet und produzierte u.a. ein Textbuch und eine Grammatik der Kanuri-Sprache. Das Kanuri ist um den Tschadsee mit heute etwa fünf Millionen Sprechern verbreitet. Koelles Missionsgesellschaft, die britische Church Missionary Society (CMS), hatte mit diesen Sprachstudien die Absicht, die Sprachen für spätere Missionierungen im westafrikanischen Hinterland zu verwenden. Neben dem Kanuri wurden auch die Sprache der Hausa und Yoruba dokumentiert. Bemerkenswert ist es, dass die CMS auch früh afrikanische Mitarbeiter in führenden Positionen integrierte. Dazu gehörte Samuel Ajayi Crowther (1806–1891). Er wurde zunächst Missionar, verfasste dann mehrere Arbeiten über seine Muttersprache Yoruba,
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z.B. eine Grammatik und Textbücher. Ebenso war er aktiv an der Schaffung einer Yoruba-Orthographie beteiligt. Das gleichzeitig mit der Kanuri-Grammatik erschienene Textbuch ist die erste umfangreiche Anthologie einer afrikanischen Sprache (Koelle 1854a, 1854b). Die Grammatik ist – auch aus heutiger Sicht – eine ausgezeichnete Dokumentation. Ich möchte aus Koelles Arbeiten ein Zitat von 1854 liefern, das seine objektive Haltung zur KanuriSprache wiedergibt: Im Verlauf meiner Studien wurde es immer offensichtlicher, daß das Kanuri (...) im Augenblick (...) nicht für unmittelbare missionarische Zwecke benutzt werden kann (...) Aber mit der Zeit machte ich solche Fortschritte in der Sprache, daß es ratsam erschien, weiter fortzufahren und die Ergebnisse zum Nutzen der Philologie zu veröffentlichen. (...) Afrika ist für uns immer noch ein unbekannter Kontinent in vielfacher Hinsicht. Seine zahlreichen Sprachen sind ein weites Feld, ihr Studium würde den professionellen Philologen mit vielen interessanten Entdeckungen belohnen. Bis jetzt haben die christlichen Missionare den weitaus größten Teil der Arbeit vollbracht: sollten wir nicht erwarten, daß die Linguisten uns bei diesem Unternehmen folgen werden?‘ (Koelle 1854a) Was können wir aus diesem Zitat schließen? Wir müssen uns ins Gedächtnis zurückrufen, dass es bereits 1854 verfasst wurde, also zu einer Zeit, als in Deutschland das Interesse an afrikanischen Kolonien noch nicht ausgeprägt war. Beeindruckend ist die Form, in der Koelle über eine afrikanische Sprache schreibt. Er erkennt in der Grammatik zwar große Unterschiede zu europäischen Sprachen, bewertet sie aber nicht. Er behandelt das Kanuri so objektiv wie irgendeine andere Sprache. Von einer Primitivität des Kanuri erfahren wir bei Koelle nichts. An einer anderen Stelle dankt er seiner Missionsgesellschaft, dass sie die Publikation der Grammatik und des Textbuchs zum Nutzen der Philologie ermöglicht hat, obwohl der Nutzen für aktive Missionsarbeiten eher gering war. Wir können also feststellen, dass Koelle das Kanuri vorurteilsfrei beschrieben hat. 1 Den Respekt vor der Sprache und seinen Sprechern brachte er auch dadurch zum Ausdruck, dass eine seiner wichtigsten Sprachassistenten, Ali Eisami, in der Grammatik als Lithographie abgebildet ist und im Textbuch die Lebensgeschichte abgedruckt ist. Die andere Sprache, die Koelle beschäftigt hatte, war das Vai (Sierra Leone), eine Mande-Sprache, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine eigene Schrift erhielt. Koelles allgemeines Interesse an afrikanischen Sprachen wird besonders sichtbar durch seine Polyglotta Africana (Koelle 1854c). In diesem umfangreichen Werk werden Lexeme und kurze Sätze von mehr als 100 Sprachen dokumentiert. Die Arbeit ist bis in die Gegenwart eine wichtige Quelle für die frühe Dokumentation west- und zentralafrikanischer Sprachen geblieben. 1
Es gibt inzwischen ein Neues Testament im Kanuri, die Übersetzung des Alten Testaments ist in Arbeit. Die Zahl der Kanuri-Christen ist wahrscheinlich unter 50! Auch eine Übertragung des Korans – praktisch alle Kanuri sind Moslems – ist im Gange.
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5. Wie ging es weiter? Der später in Deutschland einsetzende Kolonialismus und die intensive christliche Missionierung verstärkten viele gemeinsame Interessen im Hinblick auf das Studium der in den Kolonien gesprochenen Sprachen. Die Verknüpfung der Sprachwissenschaft mit christlicher Mission war von Anfang an sehr eng. Carl Meinhof (1857–1944) und Diedrich Westermann (1875–1956) waren eng mit Mission und Kolonialismus verbunden. Gleichzeitig schafften sie die wissenschaftlichen und institutionellen Grundlagen für die die Etablierung der Afrikanistik in Deutschland. Ich möchte behaupten, dass viele ihrer wissenschaftlichen Ansätze bis in die 1960er Jahre sichtbar waren. Ihre zweifelsohne großen wissenschaftlichen Leistungen werden bis heute aus der wissenschaftlichen Sicht geachtet. Andere Aspekte, wie die enge Anbindung an den Kolonialismus, wurden dagegen lange Zeit in den Hintergrund gestellt. Bevor ich auf die beiden, für die frühe deutsche Afrika-Linguistik zentralen, Wissenschaftler zurückkomme, sollten noch ein paar Worte zur Linguistik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwähnt werden. Wie erwähnt, hat im deutschsprachigen Raum die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, die aus der die Indogermanistik hervorgegangen ist, eine dominierende Stellung eingenommen. Die Dokumentation von Einzelsprachen spielte eher eine nebengeordnete Rolle. Das trifft auch für die Beschäftigung mit afrikanischen Sprachen zu. Allerdings waren, im Gegensatz zur Indogermanistik, sprachliche Dokumentationen afrikanischer Sprachen auf eine kurze zeitliche Tiefe begrenzt. Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alte Sprachdokumente waren nicht vorhanden. Trotzdem spielte die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft auch hier eine hervorgehobene Rolle. Bis in die 1970er Jahre waren wissenschaftliche Publikationen und Vorträge über Sprachklassifizierungen und rekonstruktionen dominant. Wir müssen auch betonen, dass hier die Afrikanistik wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet hat, da, wie erwähnt, frühe Sprachdokumente in den meisten Fällen nicht vorhanden waren. Daher musste man von den Gegenwartssprachen ausgehen, um dann deduktiv zu sogenannten “Ursprachen” zu gelangen. Eine besondere Vorreiterrolle spielte Carl Meinhof, der die Bantusprachen des östlichen und südlichen Afrikas gliederte und als Urbantu rekonstruierte. Während dieser methodische Zugang im Bereich der Bantusprachen wegen ihrer sprachlichen Nähe recht gut funktionierte, erwies sich dieses in anderen Bereichen als wesentlich komplizierter. Im Gegensatz zur historisch-vergleichenden Methode ist man dagegen in der deskriptiven synchronen Linguistik methodisch kaum weiter gekommen. Viele Analysen orientierten sich nach den grammatischen Vorgaben europäischer Sprachen und kamen deshalb zu unpräzisen Beschreibungen. Auch die Kanuri-Grammatik von Sigismund Koelle folgt diesem Prinzip, doch sollten wir hier hervorheben, dass er gute orientalistische Kenntnisse besaß. Diese verliehen ihm eine objektivere Sicht über grammatikalische Strukturen außerhalb der klassischen europäischen Sprachen.
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Als Ende des 19. Jahrhunderts ein Wandel der Beschreibungsmethoden in der allgemeinen Linguistik einsetzte, blieb die Afrikanistik davon noch weitgehend unberührt. Der Strukturalismus des beginnenden 20. Jahrhunderts hatte zunächst nur wenig Einfluss auf die deskriptive Afrika-Linguistik. In einer Grammatik aus dem Jahr 1937 lesen wir immer noch, dass das Kanuri die Kasus Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Ablativ verwendet, was zumindest bei einer engeren Auslegung des Begriffs nicht zutrifft (Lukas 1937). Es brauchte noch viele Jahre, bis wir hier einen Wandel feststellen konnten, wobei allerdings auch positive Gegenbeispiele erkennbar waren, z.B. bei August Klingenheben (s.u.). Ich möchte mich nun auf drei Afrikanisten konzentrieren, die in der deutschen Afrika-Linguistik eine Pionierrolle innegehabt haben. Sie spiegeln auch die theoretischen Ansätze der frühen Afrika-Linguistik wider. Neben dem erwähnten Carl Meinhof sind dies Diedrich Westermann und August Klingenheben.
6. Carl Meinhof und die Hamiten Carl Meinhof wurde 1857 in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Er studierte zunächst Theologie. Schon zu dieser Zeit entwickelte er sein starkes Interesse für die Afrikanistik. Nach einem längeren Aufenthalt in Ostafrika (1902–1903) wurde er Lehrer und später Professor am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin. Ab 1909 war Meinhof Leiter des Seminars für Kolonialsprachen am Kolonialinstitut in Hamburg. Sein Institut ging dann in die 1919 gegründete Universität Hamburg über. Er wurde 1936 emeritiert, sein Nachfolger wurde August Klingenheben. Somit gehört das Seminar für Afrikanische Sprachen zu den Gründungsinstitutionen der Universität Hamburg. Die großen wissenschaftlichen Verdienste Carl Meinhofs sind in der historischvergleichenden Bantuistik zu finden. Auch Meinhofs methodologische Ansätze gingen in eine ähnliche Richtung wie zuvor die Indogermanistik. Auch wenn er synchrone Sprachbeschreibungen vornahm, widmete er sich hauptsächlich der historischen Sprachwissenschaft. Die Bantu-Sprachen, zu denen die meisten Sprachen des östlichen und südlichen Afrika gehören, darunter das Swahili, bildeten seinen Schwerpunkt. Eine andere linguistische Betrachtungsweise ist ebenfalls eng mit Meinhof verbunden. Es handelt sich um die “Hamitentheorie”. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts glaubten einige Sprachwissenschaftler zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass es bei den vielen afrikanischen Sprachen unterschiedliche typologische und bei ihren Sprechern anthropologische Merkmale gibt, die auch etwas über die Wertigkeit der Sprachen und ihrer Gesellschaften aussagen sollten (Rohrbacher 2002). Zunächst gibt es die isolierenden Sprachen, die die grammatikalischen Elemente in einzelnen Wortformen ausdrücken. Isolierend wäre beispielsweise die Bildung des Futurs im Deutschen: ich werde gehen. In Afrika rechnete man die Kwa-Sprachen an der westafrikanischen Küste (Yoruba, Igbo, Ewe) dazu.
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Beim zweiten Typ handelt es sich um die agglutinierenden Sprachen. Hier werden die grammatikalischen Bildungselemente an die Grundformen angefügt, z.B. Deutsch kaufen – verkaufen – ankaufen. Die Bantu-Sprachen im östlichen, zentralen und südlichen Afrika folgen, der damaligen Auffassung entsprechend, diesem Prinzip. Beim dritten Typ geht es um die flektierenden Sprachen. z.B. Deutsch der Mann – dem Manne – des Mannes. In Afrika besitzen viele afroasiatische, oder in einer früheren Bezeichnung, hamitosemitische, Sprachen dieses typologische Merkmal. Dazu gehören zum Beispiel das Hausa in Westafrika, Amharisch in Nordostafrika. Da einige Sprachen außerhalb des Afroasiatischen, z.B. einige nilotische Sprachen des nilosaharanischen Phylums, ein grammatisches Geschlecht bei Klassifizierung des Nomens vermuten ließen, und dieses Merkmal eng mit den flektierenden Sprachen in Verbindung gebracht wurde, wurden auch diese Sprachen bei der Typisierung einbezogen. Diese zunächst neutralen Bezeichnungen wurden bald gebraucht, besser missbraucht, um sprachliche Entwicklungen und vor allem Wertungen daran festzumachen. Danach wären die isolierenden Sprachen primitiv und die flektierenden Sprachen, besonders wenn ihr nominales System zusätzlich ein grammatisches Geschlecht aufwies, auf dem höchsten Entwicklungsstand. Die logische Konsequenz ist, dass die flektierenden Sprachen “Herrensprachen” sind, die folglich von “Herrenmenschen” gesprochen werden. Wozu gehört dann das Deutsche? Natürlich zur höchsten Stufe, obwohl die Sprache auch isolierende und agglutinierende Elemente besitzt. Wenn wir dann noch bedenken, dass diese Bewertung in einer Zeit als wissenschaftliche Tatsache galt, als der Kolonialismus zu seinen Höhen schritt, können wir gut nachvollziehen, dass Sprachwissenschaft ein nützliches Instrument für die Begründung der “kolonialen Aufgabe” sein konnte. Die sogenannten “Hamitensprachen” in Afrika waren im Wesentlichen die nichtsemitischen Sprachen des afroasiatischen oder damals “hamitosemitischen” Phylums 2, nach heutiger Klassifikation die Berbersprachen im nördlichen, die tschadischen Sprachen im zentralen und westlichen Afrika, die kuschitischen und omotischen Sprachen im nordöstlichen Afrika sowie das Altägyptische. Darüber hinaus wurden – aus damaliger Sicht – dazu u.a. einige Sprachen Ostafrikas gerechnet (s.o.), die zu den nilotischen, in der alten Diktion “nilohamitischen”, Sprachen gerechnet wurden. Carl Meinhof war ein Verfechter dieser Theorie, die er u.a. in seinem Buch Die Sprache der Hamiten (1912) untermauerte. Auch äußerlich ließen sich ihre Sprecher, also “Herrenmenschen”, von den übrigen unterscheiden: ihre Hautfarbe ist heller, die Lippen sind schmaler, und die Haare weniger kraus. Das wird durch zahlreiche Fotos der so genannten “Hamiten” im Anhang seines Buchs ausführlich dokumentiert. Wir können diese Behauptungen gut durch einige Zitate Meinhofs untermauern. Als es 1905 auf einem Kolonialkongress darum ging, ob in den Kolonien Deutsch oder ein indi-
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Greenberg (1963) wählt in seinen Klassifikationen bewusst geographische Bezeichnungen, da die alten Namen oft nicht aussagekräftig waren und die neue Terminologie als neutral gelten sollte.
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genes Medium Verwendung finden sollte, setzt sich Meinhof zunächst vehement gegen Deutsch als Kolonialsprache ein. Als abschreckendes Beispiel führt er die USA an: Man hat erreicht, daß diese Millionen von Farbigen englisch sprechen, also den Zustand hervorgerufen. den man mutatis mutandis vielfach für unsere Kolonien als wünschenswert ansieht – aber man hat nicht erreicht, und wird es nicht erreichen, daß diese Farbigen sich der Masse des amerikanischen Volkes assimilieren – die Rassenfeindschaft der Weißen und der Schwarzen ist da eine unübersteigliche Scheidewand – und damit hat man in dieser englisch sprechenden farbigen Bevölkerung einen Staat im Staate, ein Element voll tötlichen Hasses gegen die Weißen, dessen Gefährlichkeit bei der großen Zunahme dieser Bevölkerung im Wachsen ist. (...) Diese Erfahrungen sollten uns bedenklich machen. (Meinhof 1906) Meinhof liefert dann noch weitere Gründe zu Ungunsten des Deutschen als allgemeines Kommunikationsmittel in Deutsch-Ostafrika. Dann kommt er zur Frage, welche der indigenen afrikanischen Sprachen in Frage kommen könnten. Swahili hatte bereits eine weite Verbreitung in Ostafrika als Verkehrssprache gefunden, nicht zuletzt durch bereits eingesetzte christliche Missionierung. Doch hier äußert Meinhof Bedenken. Denn im Zentrum seiner Überlegungen stand die von ihm forcierte Hamitentheorie, demnach das Swahili keine Hamitensprache war. Ob das Suaheli so viel werbende Kraft haben wird, daß es auch die mehr oder weniger hamitischen Sprachen Ostafrikas zu Volksdialekten herabrückt, vermag heute ja noch niemand zu sagen. Einstweilen dürfte es sich empfehlen, daß wir (...) der Masaisprache unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Bei dem großen Ansehen, das die Masai unter den umwohnenden Stämmen genießen, würde ihre Sprache voraussichtlich zur Herrensprache geeignet sein. (Meinhof 1906) Als positives Beispiel wird dann noch das Hausa und Fulfulde in Westafrika, i.e. die Sprache der Fulbe, erwähnt. Außer diesen beiden Sprachgruppen finden sich im Hinterland auch Sprachen, deren hamitischer Charakter zum Teil sicher, zum Teil wahrscheinlich ist. Ich meine Haussa und Fulbe. Beide Völker zeigen die hamitische Herrenart gegenüber den Negern, obwohl sie selbst ja viel Negerblut und ihre Sprachen auch mancherlei Fremdes aufgenommen haben. (Meinhof 1906) Die damalige Geisteshaltung, die körperliche Merkmale mit einer linguistischen “Typologie” vermischt, können wir nur als rassistisch bezeichnen. Meinhofs Fazit ist also: je dunkler die Hautfarbe, desto primitiver die Menschen und ihre Sprache. 3 Ein Vortragstitel Meinhofs lautet: Warum studiert man primitive Sprachen? 3
Carl Meinhof wird bis heute wegen dieser unhaltbaren Hamitentheorie kritisiert. Aus Gesprächen mit Zeitzeugen ist jedoch bekannt geworden, dass er selbst davon in späten Jahren Abstand genommen hat. Allerdings hat er es versäumt, diese späte Abkehr öffentlich zu machen.
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Die engen Beziehungen zwischen Mission, Afrika-Linguistik und Kolonialismus fasst Meinhof treffend in den beiden folgenden Zitaten zusammen: Wenn auch selbstverständlich das, was den Zwecken der Mission dient, nicht ohne weiteres für die Zwecke der Regierung brauchbar ist, so laufen doch die Dinge in vielen Fällen praktisch auf eins heraus ... Ich schließe mit dem Wunsch, daß die gute sprachliche Ausrüstung, die jeder gebildete Deutsche besitzt, und die grammatisch-philologische Begabung, die unserm Volk vor andern eigen ist, und die zu dem Weltruf der deutschen Gelehrsamkeit beigetragen hat, noch mehr als bisher in ihrer Bedeutung für unsere Kolonien erkannt wird, und daß die hierauf verwandte Arbeit Segen bringen möge für unser deutsches Volk und für unsere farbigen Schutzgenossen in den Kolonien. (Meinhof 1906) Wir kommen nun zu einem weiteren Afrikanisten, der für die spätere institutionalisierte Afrikanistik in Deutschland eine ganz wichtige Rolle spielte.
7. Diedrich Westermann und die Primitivität der afrikanischen Sprachen Diedrich Westermann wurde 1875 in der Nähe von Bremen geboren und sollte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für die Afrikanistik spielen. Bevor er seine akademische Karriere beginnen konnte, wurde Westermann von der Norddeutschen Missionsgesellschaft nach Togo entsandt. In nur zwei oder drei Jahren eignete er sich dort ein enormes Wissen über die Ethnographie, Geschichte, vor allem aber die Sprache der Ewe an. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland setzte er seine linguistischen Arbeiten fort, und es folgten zahlreiche Arbeiten zu afrikanischen Sprachen. Ab 1908 war er zunächst Lehrer, ab 1910 dann Professor in Berlin. 1950, fünf Jahre vor seinem Tod, wurde Westermann emeritiert. Zum einen hat er die Gründungsphase der deutschen Afrikanistik ebenso stark wie Carl Meinhof geprägt. Ebenso wurden in dieser Zeit sehr wichtige theoretische Grundlagen zur Analyse und Beschreibung von Sprachen geschaffen. Westermann hatte einen ausgezeichneten internationalen Ruf, der zum Beispiel durch sein aktive Mitarbeit im International African Institute in Großbritannien dokumentiert wurde. Auch in seinem Tätigkeitsbereich in Togo und Ghana genoss er höchstes Ansehen. Die Vielseitigkeit seiner wissenschaftlichen Beschäftigung ist enorm. Er verfasste Grammatiken von Sprachen in verschieden Regionen Afrikas. Ebenso nahm er an praktischer Sprachplanung teil, indem er im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten am International African Institute bei Schaffung von Orthographien beteiligt war (Westermann & Ward 1933). Im Bereich der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ist besonders seine
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Arbeit Die westlichen Sudansprachen und ihre Beziehungen zum Bantu (Westermann 1927) zu erwähnen. Diese Arbeit bildete später eine wichtige Grundlage für die heute noch weitgehend akzeptierte Klassifikation afrikanischer Sprachen von Joseph Greenberg aus dem Jahr 1963 (Greenberg 1963). Es gibt somit keine Zweifel, dass Diedrich Westermann zu den Pionieren der afrikanischen Sprachwissenschaft gezählt werden muss. Allerdings entdecken wir auch andere Beiträge Westermanns, die uns ein wenig erstaunen lassen. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialismus, 1941, hielt Westermann einen Vortrag zum Thema Sprachforschung und Völkerkunde als koloniale Aufgabe. Ich möchte aus diesem Vortrag zitieren (Westermann 1941a). Wir nennen die Sprachen der afrikanischen Neger primitiv. Das bedeutet aber nicht, daß sie regellos, daß sie arm an Ausdrucksmöglichkeiten, daß sie überhaupt von Sprachen anderer Rassen grundsätzlich unterschieden wären. Sie haben ein klar ausgebildetes Lautsystem, einen durch strenge Gesetze beherrschten Lautwandel, eine durchaus gebundene Beziehung zwischen Sprachelementen und den durch sie ausgedrückten Begriffen, und sie besitzen in vollem Maße die Mittel, um die Redeteile miteinander in Verbindung zu setzen; dies alles findet sich in gleich vollendeter Weise wie in europäischen Sprachen. (Westermann 1941a: 10) Auf den ersten Blick vermittelt das Zitat den Eindruck, dass Westermann durchaus bemüht war, ein mögliches Vorurteil gegenüber afrikanischen Sprachen aus dem Wege zu räumen, denn er bestätigt, dass es in Afrika tatsächlich Sprachen gibt. Aber erkennen wir nicht bereits hier schon ein Vorurteil, wenn man behaupten muss, dass es in Afrika tatsächlich Sprachen gibt, die auch eine Grammatik haben? Dann, im weiteren Verlauf seines Vortrags wird Westermann konkreter, wenn er sagt: Daneben gibt es tiefgreifende Unterschiede, die eben aus der primitiven geistigen Haltung der Menschen stammen, denen diese Sprachen als Ausdrucksmittel ihres Fühlens, Denkens und Wollens dienen. Einer gewissen Armut und Unbeholfenheit in Begriffen des geistigen Lebens steht eine oft überraschende Fülle in allem, was sich auf das tägliche Dasein bezieht, gegenüber. Hier herrscht oft ein für den Europäer verwirrender Reichtum an Ausdrücken wie an grammatischen Formen, die aber großenteils nichts anderes als Primitivität ist. Das Hottentotische gebraucht zehn bedeutungsunterschiedene Ausdrücke für unser persönliches Fürwort wir, das Ewe vier Wörter für essen (Hartes, Breiartiges, Suppe und Früchte essen). In der gleichen Sprache wird der Begriff bringen wiedergegeben durch gehen, nehmen, kommen, geben: durchaus logisch aber umständlich. Es zeigt sich darin eine Armut im Bedeutungsinhalt des Wortes, ein Mangel an straffer Zusammenfassung des Begriffs, ein Bedürfnis nach genauer Beschreibung jeder Einzelheit, die eine Über und Unterordnung fast unmöglich macht, kurz eine Schwerfälligkeit im Ausdruck, wie sie eben für primitive Sprachen kennzeichnend ist.
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Dem entspricht auf der anderen Seite eine eigenartige Komplexheit der Begriffe, indem das Adjektiv mit seinem Substantiv eine Einheit bildet. Es gibt in einigen westafrikanischen Sprachen bis weit über hundert Ausdrücke, die wir mit groß übersetzen, die sich aber jeder nur mit einem einzigen Hauptwort verbinden, d.h. es gibt keine Eigenschaft groß an sich, sondern nur bezogen auf einen bestimmten Gegenstand ... . (Westermann 1941a: 10) Diedrich Westermann glaubt Unterschiede zwischen afrikanischen und europäischen Sprachen zu erkennen. Das hat auch der eingangs erwähnte Sigismund Wilhelm Koelle getan, aber mit einem großen Unterschied. Beide unterscheiden sich vor allem darin, wie die sprachlichen Unterschiede interpretiert werden. Koelle nimmt keinerlei Bewertung vor. Westermann verwendet den Begriff primitiv. Westermann als Wissenschaftler und Missionar hegte lange die Hoffnung, dass die deutschen Kolonien bald wieder ins Reich zurückkehren können. In seiner bereits erwähnten Arbeit von 1941, also 23 Jahre nach dem Verlust der Kolonien, sagt er: Die kommende koloniale Aufgabe Deutschlands bedeutet eine Herausforderung an die deutsche Wissenschaft. Es gibt wenige Zweige der Wissenschaft und Forschung, die hier nicht zur Mitarbeit aufgerufen sind, und wir sehen schon heute in den Jahren der Vorbereitung, wie die neue Aufgabe der wissenschaftlichen Tätigkeit einen starken Auftrieb gibt, neue Probleme in den Vordergrund rückt und neue Kräfte weckt. (Westermann 1941a: 3) Westermann hätte seine Einstellung, seine missionarische und sprachwissenschaftliche Motivation nicht besser als durch folgendes Zitat aus dem Jahr 1941 ausdrücken können: Die Beherrschung einer niederen Menschenrasse durch eine höhere schließt eine Reihe von Problemen in sich, die nur dann eine gesunde Lösung finden, wenn der Beherrscher seine Stellung nicht als ein Privileg sondern als Aufgabe auffaßt. (Westermann 1941b: 59)
8. August Klingenheben August Klingenheben (1886–1967) ist der jüngste der hier behandelten AfrikaLinguisten. Da aber der Kreis der Afrikanisten zu der Zeit äußerst klein war, waren sie alle institutionell und persönlich miteinander vernetzt. Interessant ist auch, dass alle drei irgendwie mit Theologie oder Mission verbunden waren, wenn auch Klingenheben nie eine kirchliche oder missionarische Funktion wahrgenommen hatte. Seine wissenschaftliche Karriere verlief auf der einen Seite ähnlich wie bei den anderen. Auf der anderen Seite hat er sich in seinen linguistischen Methoden nie auf koloniale oder rassistische Gedankenspiele eingelassen. Dagegen hat sich Klingenheben auf etwas anderes konzentriert, was manchem Afrikanisten der Zeit eher fremd war, nämlich der damaligen mo-
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dernen Sprachwissenschaft. So verfasste er 1927 einen Artikel mit dem Thema Die Silbenauslautgesetze des Hausa (Klingenheben 1927–1928). Dieser Artikel ist deswegen so bemerkenswert, da in ihm die strukturalistischen Ansätze der in den 1920er Jahren begründeten Prager Schule sichtbar sind. Bis heute ist vielen Sprachwissenschaftlern Klingenheben‘s law ein Begriff. Unter dem Konzept versteht man die Regelhaftigkeit von Konsantenveränderungen im Silbenauslaut, z.B. Hausa t > r: hat > har ‘bis’, oder m > u: zámna > záuna ‘sich setzen’.
9. Ist Deutsch nicht auch primitiv? Welche wissenschaftlichen Kriterien gab es für Meinhof oder Westermann, eine Sprache als primitiv zu bezeichnen? Ich glaube, dass ihre Argumentationen nicht schwierig nachzuvollziehen sind. Sie haben einen Sprachtyp, nämlich ihre eigene Sprache Deutsch, als ideal bezeichnet, und Abweichungen davon waren dann primitiv. Es muss wohl nicht besonders hervorgehoben werden, dass es sich hier nicht um eine objektive wissenschaftliche Argumentation handeln kann. Wir wollen uns nun kurz in einen Kanuri-Sprecher versetzen und das Deutsche mit den Kriterien der Grammatik der Kanuri-Sprache beschreiben. Das werden wir anhand von ganz wenigen Beispielen tun. Im Gegensatz zum Kanuri erweist sich der Ausdruck von Zeit im Deutschen als recht umständlich. Nehmen wir einmal den Kanuri-Nebensatz bəlaro leyâmnnyâ ‘als du in die Stadt gegangen warst’ bəla+ro bezieht sich auf die Stadt (bəla) und die Richtung (ro). Die Form leyâmnyâ enthält alle Elemente, die das Verb gehen, die Zeit (Vergangenheit), die Person (2. Singular) und den Hinweis auf die zeitlich Abhängigkeit geben. Während im Deutschen für die verbale, zeitlich abhängige Handlung eine umständliche Konstruktion mit vier Wörtern erforderlich ist, kommt das Kanuri mit einem einzigen Wort aus, um alle Informationen präzise auszudrücken. Das Kanuri verzichtet auf umständliche Hilfsverben und integriert alle Elemente, die zum verbalen Ausdruck gehören, in einer Verbform. Die folgenden Beispiele dokumentieren dies anschaulich. ladəkin ladəko ladəkəna
ich werde verkaufen ich verkaufte ich habe verkauft
təladîn es wird verkauft təladô es wurde verkauft təladəna es ist verkauft worden
Hier nun ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Bildung von Nomina. Im Kanuri gibt es verschiedene Präfixe und Suffixe, die dem Nomen eine neue Bedeutung verleihen. Zum Beispiel bezeichnet das Suffix -rí den Ort einer Person, z.B.: mâi Yusúfu
König Josef
mairí Yusufurí
Königspalast Josefstadt
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Ein anderes Suffix, -ram, -rám bezeichnet ebenfalls einen Ort, es bezieht sich aber auf eine Stelle, wo sich etwas befindet, oder wo etwas ausgeführt wird: cída gawo kasála sharâ
Arbeit eintreten Bad Gesetz
cidarám gaworam kasalarám shararám
Arbeitsplatz Eingang Badezimmer Gericht
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass das Kanuri hier viel regelmäßiger aufgebaut ist als das Deutsche. Während Kanuri sich mit einer Grundkonzeption begnügt, und die neue abgeleitete Bedeutung trotzdem präzise ist, sind die Bildungsweisen im Deutschen vielfältiger und komplizierter, ohne irgendwie exakter zu sein. In dem einen Fall füge ich das Nomen Zimmer oder Platz hinzu: Arbeitsplatz, Badezimmer. Im anderen Fall verwendet man eine von einem Verb abgeleitete Form: Eingang. Schließlich wird gar ein neues Wort verwendet: Gericht gegenüber Gesetz. Um es in Westermanns Worten auszudrücken, aber dieses Mal aufs Deutsche bezogen: durchaus logisch, aber umständlich. 4 Ich möchte jetzt noch ein Beispiel aus der Syntax liefern, also dem Bereich aus der Grammatik, der Worte sinnvoll miteinander verbindet und schließlich zu Sätzen vereinigt. Ohne Zweifel ist das Kanuri auch hier logischer, und wir können erkennen, dass die Sprache sich dem Latein nähert, also einer Sprache, die viele in Europa als Ideal betrachten. Es handelt sich um die Nominalphrase, eine Konstruktion, in deren Zentrum ein Nomen steht, das durch andere Wortkategorien ergänzt werden kann, um dieses näher zu präzisieren: fáto bəlîn kúra Haus neu groß ‘diese zwei großen neuen Häuser’
indí zwei
ányi diese
Warum die Kanuri-Konstruktion logischer und das Deutsche weniger logisch ist, ist schnell ersichtlich. Im Deutschen muss ich bis zum Ende des Ausdrucks warten, um zu erfahren, worum es sich überhaupt handelt. Ich muss erst ein Demonstrativ, ein Zahlwort, und zwei Adjektive abwarten, bevor zum eigentlichen Zentrum des Ausdrucks, nämlich Häuser, gelange. Dagegen komme ich im Kanuri gleich zur Sache: ich stelle das Zentrum des Ausdrucks, das Nomen, an den Anfang und lasse alle beschreibenden Elemente folgen. Noch eins: ich kann hier sogar auf den Plural beim Nomen verzichten, denn die Pluralität ist schon durch das Zahlwort zwei vorgegeben. Kanuri hat noch ein wichtiges Merkmal, das die Ausdrucksfähigkeit der Sprache vergrößert. Es handelt sich um eine Tonsprache. Dieses Merkmal wird übrigens von den meisten afrikanischen Sprachen geteilt. Da Deutsch und die anderen europäischen Sprachen keine Tonsprachen sind, ist es schwierig, in wenigen Sätzen die Charakteristi4
Diese Bildungsstrategien waren zum Beispiel von großem Vorteil bei der Schaffung neuer Terminologien für die Unterrichtsfächer in den Grundschulen.
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ka einer Tonsprache zu erklären. Aber vielleicht gibt es doch eine – wenn auch nur ähnliche – Parallele. Jedes Wort hat im Deutschen, wie in anderen Sprachen, einen Druckakzent, d.h. die Betonung liegt auf einer bestimmten Silbe des Worts, z.B. Lĕhrer, verkăufen, ănfangen, Universitä̆t. Es gibt auch vereinzelte Beispiele, wo durch Verlagerung des Druckakzents die Bedeutung sich verändert, z.B. umfăhren oder ŭmfahren. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Verwechslung des Druckakzents in der Praxis folgenschwer sein kann. In einer Tonsprache trägt jede Silbe eine Tonhöhe. Das heißt auch, dass sich die Bedeutung durch eine unterschiedliche Tonalität eines ansonsten identischen Worts ändern kann. Folgende Beispiele aus dem Kanuri belegen dies. a) b) c) d) e)
letə létə liwúla líwula liwulá
‘gehen’ ‘berühren’ ‘Silber’ ‘Nadel’ ‘blau’
tief-hoch hoch-hoch tief-hoch-tief hoch-tief-tief tief-tief-hoch
Die Tonalität spielt eine wichtige Rolle in der Wortbildung des Kanuri. In a) und b) handelt es sich um so genannte Minimalpaare, also nahezu gleiche Lexeme, die nur durch ihre Tonalität unterschieden werden. Dagegen ist in d) und e) von einem anderem strukturellen Muster auszugehen. Hier wird eine semantische Veränderung durch ein neues tonales Muster erzeugt. So kann ich eine Eigenschaft durch eine veränderte Tonalität hervorheben, wie auch das nächste Beispiel zeigt: bərbərra bərbərrá
‘staubig’ ‘typisch staubig’
hoch-tief-tief tief-tief-hoch
Das gleiche Mittel wende ich auch an, um einen Sprachennamen aus einer Volksbezeichnung abzuleiten, z.B. nasárá nasará
tief-hoch-hoch tief-tief-hoch
‘Europäer, Brite’ ‘englisch’
faránsa faransá
tief-hoch-tief tief-tief-hoch
‘Frankreich’ ‘französisch’
kanúri kanurí
tief-hoch-tief tief-tief-hoch
‘Kanuri’ (Person) ‘Kanuri’ (Sprache)
Es wurde an wenigen Beispielen verdeutlicht, dass die Tonhöhen im Kanuri weit mehr sind als eine den Wörtern oder Sätzen aufgelegte mehr oder weniger wohl klingende Melodie. Sie sind ein wichtiges Ausdrucksmittel im Lexikon und in der Grammatik der
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Sprache. Wer die Töne und das tonale System nicht versteht, kann auch nicht die Sprache beherrschen. Wir kommen nun zur eingangs gestellten Behauptung, afrikanische Sprachen seien primitiv. Zunächst einmal, ohne im Detail darauf eingehen zu müssen, sind wir fest davon überzeugt, dass es primitive Sprachen überhaupt nicht gibt, wenn diese von Menschen gesprochen werden. Was wir feststellen ist, dass die meisten Sprachen der Welt anders sind als Deutsch, Englisch oder Latein. Aber reicht das aus, um diese anderen Sprachen mit dem Attribut ‘primitiv’ zu versehen? Jede Sprache besitzt die Mittel, die erforderlich sind, um in jeder Situation ausdrucksfähig zu sein. Zugegeben, nicht jeder Mensch ist fähig, in seiner Sprache in allen Situationen präzise zu kommunizieren. Wenn ich mich auf Deutsch über Atomphysik unterhalten will, habe ich Probleme, aber nicht weil ich Deutsch nicht beherrsche, sondern weil ich mich in der einen oder anderen Domäne nicht auskenne. Andere Menschen derselben Sprachgemeinschaft kennen sich in der Atomphysik besser aus und besitzen die entsprechende Ausdrucksfähigkeit. In Afrika und anderswo gibt es sicher Sprachen, in den man sich nur schwer über Atomphysik unterhalten kann. Da kommt gleich wieder die Frage auf, ob diese Sprachen doch weniger entwickelt sind. Auch hier ist die klare Antwort: Nein! Afrika südlich der Sahara ist nach dem pazifischen Raum die Region mit der größten Sprachendichte. Das erschwert auf dem ersten Blick die Kommunikation zwischen den Menschen einer bestimmten Region oder eines Staates. Das mag so aus einer europäischen Perspektive sein. Tatsächlich ist das Problem weniger präsent. Menschen, die in einer Region mit einer großen Sprachendichte leben, verwenden meistens mehrere Sprachen, um in verschiedenen Domänen zu kommunizieren. Die Mehrsprachigkeit war und ist also ein natürlicher Bestandteil ihrer Kommunikation. Das kann auch dazu führen, dass gewisse Domänen der Kommunikation in einer anderen als der ‘Muttersprache’ oder Erstsprache 5 ausgedrückt werden. Dabei handelt es sich auf keinen Fall um die mangelnde Ausdrucksfähigkeit der einen oder anderen Sprache, vielmehr geht es um pragmatische Lösungen sich in allen Situation unterhalten zu können. Es ist eine Tatsache, dass sich die meisten Staaten in Afrika in einer mehrsprachigen Situation befinden. Durch den Kolonialismus haben sich in den meisten Ländern die Kolonialsprachen etabliert, v.a. Englisch, Französisch, Portugiesisch, in Südafrika, allerdings mit einer anderen Entwicklungsgeschichte, auch das auf dem Niederländischen basierende Afrikaans. Durch die Forcierung dieser kolonialen Sprachen, wurden in den meisten Fällen die autochthonen Sprachen einfach ignoriert oder zumindest vernachlässigt. Wer etwas über Physik, Wirtschaft oder Biologie erfahren wollte, musste die Kolonialsprache kennen.
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Der Begriff “Muttersprache” erweist sich in vielen Fällen als ungeeignet, da dieser nicht identisch mit der Erstsprache sein muss.
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Daher wurde den in den Ländern gesprochenen Sprachen meistens keine Chance gegeben, ihre Fähigkeit zu beweisen, sich an jede Veränderung der Lebensbedingung anzupassen. Wir haben durchaus Beispiele, dass das möglich ist. Das Hebräische, zwar außerhalb Afrikas gelegen, ist ein gutes Beispiel, wie eine Sprache nach der Gründung des modernen Staates Israel in kurzer Zeit für die modernen Bedürfnisse wiederbelebt wurde. Auf allen privaten und nationalen Ebenen wird auf Hebräisch kommuniziert. Ähnlich verhält es sich mit vergleichbaren sprachplanerischen Aktivitäten in einigen Regionen Afrikas. So ist das Swahili in Ostafrika mit einer langen Tradition als Language of wider communication (Verkehrssprache) durchaus in der Lage, auch in nichttraditionellen Domänen Verwendung zu finden. Dasselbe können wir für das Hausa in Westafrika bestätigen. Andere Sprachen folgen diesen Beispielen. Vor mehr als 30 Jahren konnte ich in Nigeria mehrere Jahre an der Planung der Kanuri-Sprache für das Bildungswesen aktiv teilnehmen. Ich kann nur bestätigen, wie einfach es letztlich ist, Sprachen in kurzer Zeit für neue Bedürfnisse, z.B. Schulbildung, vorzubereiten. Was hier mit den Beispielen aus dem Kanuri ausgedrückt werden sollte, ist die Tatsache, dass das Kanuri anders aufgebaut ist als die europäischen Sprachen. Aber ich habe auch gezeigt, dass das Kanuri alle erforderlichen Mittel besitzt, um alle Bereiche des menschlichen Umfeldes auszudrücken und fähig ist, sich durch den Ausbau des Lexikons, aber auch der Grammatik, an die sich ändernden Bedingungen anzupassen. Dasselbe kann natürlich auf die anderen Sprachen in Afrika angewandt werden. Fazit: Unterentwickelte Sprachen oder gar primitive Sprachen gibt es nicht. Eine Sprache wäre erst dann “primitiv”, wenn sie nicht die Fähigkeit besitzt, neue wirtschaftliche, technologische oder gesellschaftliche Umbrüche, in der Grammatik und dem Lexikon zu adaptieren. Aber solche Sprachen, wenn sie von Menschen gesprochen werden, wird es nicht geben. Kommen wir nochmals zur Frage, warum Diedrich Westermann als anerkannter Sprachwissenschaftler, Historiker und Ethnologe und als Missionar noch zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu solchen irritierenden und falschen Aussagen gelangte. Die Antwort können wir kurz fassen. Die damalige enge Verbindung zwischen Kolonialismus und Mission war oft darin begründet, dass man den “armen Eingeborenen” zur Seite stehen müsse, um sie von allem Übel zu befreien. Und wenn man davon ausgeht, dass die Sprachen dieser “bedauernswerten” Menschen nicht an das Niveau europäischer Sprachen heranreichen können, dann müssen afrikanische Sprachen zwangsweise primitiv sein. Wenn man dann noch die Grammatik europäischer Sprachen als modellhaft erachtet, und eine nicht-europäische Sprache nach den grammatikalischen Regeln einer europäischen Sprache beschreibt, dann kommt es zwangsläufig zu solchen Fehleinschätzungen. Anhand von einigen Beispielen wollten wir aufzeigen, dass Deutsch auch primitiv ist, wenn wir es aus der Sicht einer anderen Sprache beschreiben.
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Resumé: Natürlich ist Deutsch nicht primitiv, genauso wenig wie Chinesisch, Arabisch, Amharisch, Swahili, Hausa, Kanuri, Bura, Lamang und die übrigen 6000 Sprachen in unserer Welt.
10. Zusammenfassung Die Afrika-Linguistik in Deutschland war in ihren Anfängen geprägt von kolonialen Interessen. Viele Missionsaktivitäten waren durchaus im Sinne des Kolonialismus zu sehen. So konnten Missionare neben ihren unmittelbaren missionarischen Aufgaben auch Bildungsaufgaben wahrnehmen, die dann wieder der Kolonialverwaltung nützlich sein konnte. Der koloniale Auftrag war nach außen auch damit begründet, dass den “armen Eingeborenen” geholfen werden müsse, hier ging er mit den Missionen teilweise gleiche Wege. Koloniale und missionarische Begründungen überlagern sich. Wir konnten darstellen, dass die Afrika-Linguistik in ihren Anfängen stark mit dem Kolonialismus vernetzt war. Damit wollen wir keineswegs feststellen, dass die heutige Afrika-Linguistk eine Fortsetzung der kolonialen Sprachwissenschaft ist. Im Gegenteil, die Afrika-Linguistik hat sich nicht nur vom kolonialen Ballast gelöst, sondern dazu beigetragen, einen objektiven wissenschaftlichen Zugang zur Beschreibung afrikanischer Sprachen zu vermitteln. Darüber hinaus geschieht die Beschäftigung mit afrikanischen Sprachen im Einklang mit ähnlichen Wissenschaftsdisziplinen in einem globalen Kontext. Wir müssen auch erkennen, dass die synchrone Sprachwissenschaft, die sich von den Klammern der europäischen Sprachen befreit hat, erst im 20. Jahrhundert entstand. Es hat zunächst lange gedauert, bis sie auch in die Beschreibungen außereuropäischer Sprachen eingedrungen ist. Also, die Bemühungen um eine objektive Sprachdarstellung waren nicht vorhanden. Man hat weiter nach den Kategorien des Deutschen oder Lateinischen afrikanische Sprachen beschrieben und ist – beinahe zwangsläufig – zu dem Schluss gekommen, dass afrikanische Sprachen primitiv sein müssen, wenn es sich nicht um die “hamitischen Herrensprachen” handelte, die ja auch gemeinsame Merkmale mit europäischen Sprachen teilen (grammatisches Geschlecht, etc.). Wir besitzen auch Kenntnis über ältere objektivere Sprachbeschreibungen und erwähnten eingangs Sigismund Koelle. Vielleicht war sein großes Glück, dass seine aktive Zeit vor dem deutschen Kolonialismus lag. Er konnte unbelasteter an seine Aufgaben herangehen. Wie später August Klingenheben, hat sich auch Koelle in seiner Arbeit nicht von außerlinguistischen Abwegen leiten lassen. Klingenheben hatte den Vorteil, die damals moderne strukturalistische Sprachwissenschaft für seine Analysen heranziehen zu können. Dabei ist es in diesem Zusammenhang unwichtig, ob Klingenheben dem kolonialen Gedanken nahe stand oder nicht. Auf alle Fälle hat er erkannt, dass eine Sprache nur mit den Methoden der Sprachwissenschaft beschrieben werden kann. Koelle konnte den Mangel an objektiven Methoden durch seine guten orientalistischen Grundkenntnisse kompensieren.
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Wahrscheinlich spielt im Europa des späteren 19. Jahrhunderts auch eine sich wandelnde Grundeinstellung gegenüber dem Fremden bei der Bewertung anderer Sprachen und Kulturen eine Rolle. Zum Beispiel erkennen wir, dass Reisebeschreibungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts objektiver waren als solche, die gegen Ende desselben Jahrhunderts geschrieben wurden und schon eurozentrische und von Vorurteilen geprägte Bewertungen beinhalteten. Wir fragen uns auch, ob es auch andere Afrika-Linguisten in der Zeit gab, die sich nicht mit dem kolonialen Gedanken anfreunden konnten. Ein Beispiel dazu liefert uns Gottlob Adolf Krause (1850–1938), der – für seine Zeit erstaunlich – geradezu antikolonialistisch eingestellt war. Trotz großer finanzieller Probleme forschte er mehrere Jahre in Nord- und Westafrika. Für diese Forschungsreisen erhielt er nur bescheidene private Finanzmittel. Das brachte ihm ohne Zweifel gute Kontakte zu Afrikanern ein. Dagegen hatte ein deutscher Kolonialbeamter dafür nur den Satz übrig: Jetzt ist der Krause gänzlich verniggert. Übrigens wurden einige der wissenschaftlichen Erkenntnisse Krauses durchaus von den etablierten Zeitgenossen aufgegriffen, ohne seinen Namen besonders hervorzuheben. Krause selbst wurde der Zugang zu den Publikationsorganen verwehrt. Einige seiner Hypothesen über sprachliche Beziehungen in Westafrika sind in die Wissenschaftswelt eingedrungen. Auch Carl Meinhof entwickelte Krauses Theorie über Aspekte der hamitischen Sprachen, das noch nicht mit den rassischen Vorurteilen belastet war, weiter, allerdings ohne ihn zu zitieren (Sebald 1972). Die institutionalisierte Afrika-Linguistik konnte sich in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auf verschiedenen Pfeilern aufbauen: – Missionierung Afrikas unter deutscher Beteiligung: Missionare hatten ein besonderes Interesse an der umfassenden Kenntnis der Sprachen der Gesellschaften, die zum Christentum bekehrt werden sollten. Ein Konsequenz daraus war, dass viele Missionare gleichzeitig beachtliche sprachwissenschaftliche Leistungen erbracht hatten. – Kolonialisierung Afrikas unter deutscher Beteiligung: Obwohl die deutsche koloniale Verwaltung in der Handhabung der Sprachen zumindest in Ost- und Westafrika, unentschieden war, glaubten viele der sich etablierenden Afrika-Linguisten durch die Forcierung des Studiums afrikanischer Sprachen eine Garantie für die zukünftig Entwicklung der Disziplin zu erlangen. – Vorhandene Stärke der orientalistischen Disziplinen in Deutschland: Die Beschäftigung mit dem Orient war in Mitteleuropa stark ausgeprägt. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Sprachen und Kulturen neuer Regionen in die Orientalistik einbezogen wurde. Selbst bis in die Gegenwart werden auf den “Orientalistentagen” Themen aus den Regionen von Marokko, bzw. Westafrika ostwärts bis nach Hawaii behandelt. – Entwicklung der Indogermanistik innerhalb der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft: Die Afrika-Linguistik bekam ihre wissenschaftstheoretischen Grundlagen durch die Methoden der Indogermanistik vermittelt, wobei die Methoden angepasst werden mussten, da eine Dokumentation älterer Quellen nicht vorlag.
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Ohne das starke kolonialpolitische Engagement wäre es kaum denkbar, dass sich die Afrika-Linguistik in Deutschland relativ stark entwickeln konnte. Aber auch nach dem endgültigen Ende der kolonialen Hoffnungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind neue afrikanistische Institutionen in Deutschland und anderen europäischen Ländern entstanden. Hier müssen wir aber hervorheben, dass sich die Ziele und Inhalte der AfrikaLinguistik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegend gewandelt haben. Sie ist an den verschiedenen Standorten inhaltlich differenziert. Sie hat sich stärker an die theoretischen Grundlagen der allgemeinen Linguistik orientiert, wobei wir auch anmerken sollten, dass die allgemeine Linguistik in derselben Zeit Schwerpunkte entwickelte, in denen sich die verschiedenen linguistischen Disziplinen annäherten, ich denke an Typologie, Sprachkontakt, Grammatikalisierung, usw. Wir können beobachten, dass die historisch-vergleichenden Themen immer mehr in den Hintergrund traten. Die Grammatikbeschreibungen wurden objektiver, d.h. dass die sie sich mehr an den Sprachen selbst orientierten und nicht nach vorgegebenen Kriterien des Latein oder einer anderen Sprache vollzogen wurde. Die Erkenntnis, dass sprachliche Beziehungen nicht nur genealogische Ursachen haben, hat in die AfrikaLinguistik seit mehreren Jahrzehnten Einzug gehalten. Daher finden Themen der Areallinguistik und des Sprachkontakts verstärkte Beachtung. Fragen der angewandten Sprachwissenschaft spielen ebenso eine Rolle, finden aber naturgemäß an afrikanischen Hochschulen stärkere Beachtung. Es gibt wohl heute kaum einen Sprachwissenschaftler, der noch mit Begriffen wie primitiv die Strukturen afrikanischer Sprachen beschreiben würde. Auch herabwürdigende Bezeichnungen wie Hottentotten oder Buschmann haben im Fachvokabular keinen Platz mehr. Vor allem dürfen wir nicht übersehen, dass sich seit etwa 50 Jahren die AfrikaLinguistik global weiter ausgedehnt hat. Zu erwähnen sind vor allem die wissenschaftlichen Einrichtungen in Afrika, aber auch die Linguistik in Nordamerika und in gewissem Maße Japan. Heute wird afrikanistische Forschung auf der ganzen Welt durchgeführt. Das wiederum trägt zur vermehrten Kenntnis über Sprache in Afrika bei.
Literatur Barth, Heinrich (1862–1866): Sammlung und Bearbeitung Central-Afrikanischer Vokabularien. 3 Vols. Gotha: J. Peters. Bodmer, Frederick (1955): Die Sprachen der Welt. Köln: Kiepenheuer & Witsch. [die ursprüngliche englische Ausgabe erschien zuerst 1943, die deutsche Übersetzung seit 1955]. Greenberg, Joseph H. (1963): The languages of Africa. The Hague: Mouton. Klingenheben, August (1927–1928): Die Silbenauslautgesetze des Hausa, in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 18, 272–297. Koelle, Sigismund Wilhelm (1854a): Grammar of the Bornu or Kanuri language. London: Church Missionary Society.
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Koelle, Sigismund Wilhelm (1854b): African native literature or proverbs, tales, fables, and historical fragments in the Kanuri or Bornu language. London: Church Missionary Society. Koelle, Sigismund Wilhelm (1854c): Polyglotta Africana. London: Church Missionary Society. Lukas, Johannes (1937): A study of the Kanuri language. Grammar and vocabulary. London: Oxford University Press. Meinhof, Carl (1906): Die Bedeutung des Studiums der Eingeborenensprachen für die Kolonialverwaltung. Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905. Berlin: Dietrich Reimer. Meinhof, Carl (1912): Die Sprachen der Hamiten. Hamburg: Friederichsen. Rohrbacher, Peter (2002): Die Geschichte des Hamiten-Mythos. Wien: Afro-Pub. Sebald, Peter (1972): Malam Musa – G. A. Krause 1850–1938. Forscher, Wissenschaftler, Humanist. Berlin: Akademie Verlag. Westermann, Diedrich (1927): Die Westlichen Sudansprachen und ihre Beziehungen zum Bantu. Berlin: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen. Westermann, Diedrich (1941a): Sprachforschung und Völkerkunde als Koloniale Aufgabe. Festrede am Leibniztag der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 3. Juli 1941. Berlin: Akademie der Wissenschaften. Westermann, Diedrich (1941b): Wir und die Eingeborenen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 1/2, 59–73. Westermann, Diedrich & Ward, Ida C. (1933): Practical phonetics for students of African languages. London: Oxford University Press.
KOKOU AZAMEDE (LOMÉ/TOGO)
Von der Volks- zur Kirchensprache: Anwendung und Interpretation der Ewe-Sprache auf dem Missionsgebiet der Norddeutschen Missionsgesellschaft in Westafrika Abstract Im Missionsgebiet war “Ewe” die Muttersprache der Einheimischen und die amtliche Sprache für die meisten afrikanischen Missionsmitarbeiter. Bei Bedarf wurden Texte ins Deutsche übersetzt. Die deutsche Fassung verdeckte lokale kulturelle Aspekte des originalen Textinhalts. Anhand von zwei “Buß-Briefen” der Ewe-Missionsschüler Hermann Yy und Reinhold Kwu, 1885 übersetzt vom deutschen Missionar Binder, und der 1929 in Ewe abgefassten Autobiographie des Ewe-Pastors Ayikutu, die ich ins Deutsche übersetzt habe, zeigt der Aufsatz, wie sich die Textinhalte aufgrund unterschiedlicher kultureller Perspektiven bei der Übersetzung verändern.
1. Einführung Missionar Lorenz Wolz, der Bote der Norddeutschen Missionsgesellschaft kam 1847 nach Peki, einer westafrikanischen Stadt, um das Evangelium zu verkünden. Ihm schlossen sich neue Missionare an, die dabei halfen, das Missionsgebiet bis an die westafrikanische Küste auszuweiten. In diesem Gebiet lebten verschiedene Volksgruppen, die verschiedene Mundarten sprachen. Es wurde festgestellt, dass die Mundarten der dort lebenden Volksgruppen dieselbe Wurzel hatten, weil die meisten Volksgruppen denselben Ursprung hatten. Sie nannten sich Ewe und sprachen verschiedene Ewe-Sprachen. Das war für die Norddeutsche Missionsgesellschaft (im folgenden NMG) Anlass, dieses EweGebiet zu einem homogenen Missionsgebiet zu machen. So wurde eine der Varianten der Ewe-Sprache, nämlich das Al, bearbeitet und zur Schriftsprache gemacht. Missionar Schlegel veröffentlichte 1856 die erste Ewe-Fibel, anschließend 1858 den Schlüssel zur Ewe-Sprache. An der Küste des Ewe-Gebiets wurde “Al-Ewe” allmählich neben Englisch zur Schul- und Bildungssprache für die Eingeborenen und galt bis zur Jahrhundertwende neben Englisch als die Missionssprache auf dem Ewe-Gebiet. Im Laufe der Zeit wurde die standardisierte Ewe-Sprache zu der Sprache, die allen Volksgruppen auf dem Missionsgebiet das Gefühl der Zusammengehörigkeit gab. Ihren Höhepunkt erreichte die Bedeutung der Ewe-Sprache, als 1867 das erste EweGesangbuch und 1876 die erste Übersetzung der Bibel in die Ewe-Sprache erschien. (Hornberger an den Inspektor Keta, 19.10.1876 Konvolut 15/1). In der Folge passte sich die An-
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wendung der Ewe-Sprache an die christlichen Realitäten an, so dass lokale Begriffe oder Bezeichnungen Schritt für Schritt in den christlichen Gemeinden auf dem Missionsgebiet neue Deutungen erhielten. Der Begriff Mawu zum Beispiel, damals eine abstrakte Bezeichnung eines allmächtigen Gottes, wurde zur Bezeichnung des christlichen Gottes (Spieth 1911), Osofo bzw. Obosomfo, damals Bezeichnung des traditionellen Priesters, wurde zur Bezeichnung des christlichen Ewe-Pastors, Obomsam, die ehemalige Bezeichnung eines traditionellen Gottes trug dann die Bedeutung Teufel oder Satan (Azamede 2010), usw. Dennoch verlor die Ewe-Sprache ihren kulturellen Hintergrund im Alltag der Eingeborenen nicht. Ewe blieb also der Schlüssel zum Zugang zu den unterschiedlichen kulturellen und religiösen Lebensweisen der Ewe. Die Anwendung der Sprache trug unterschiedliche Bedeutungen je nach kulturell-religiösem Kontext einerseits, und je nach Gesprächspartner andererseits. Den Missionaren, die die Ewe-Sprache lernten und sie meistens in christlich europäischem Sinn anwendeten, fehlten oft lokale kulturelle Aspekte. Die Ewe-Sprache befand sich also zwischen mehreren kulturellen Räumen und ließ sich, je nach dem Raum, dem sie näher stand, verstehen. Diese Zwischenraum-Anwendung und -Interpretation der Ewe-Sprache finden wir zum Beispiel in Brieftexten der Ewe-Württemberger Hermann Yy und Reinhold Kwu und in der Autobiografie des Ewe-Pastors Edmond Ayikutu, mit denen ich mich befasse.
2. Missionsausbildung in Württemberg: Sündenfall von Hermann Yy und Reinhold Kwu In der Blütezeit der NMG in Westafrika – 1884 bis 1914 – nahm sich der Missionsinspektor Franz Michael Zahn auf Anregung des Missionars Johann Conrad Binder vor, Ewe-Studenten, die eine gewissen Bildungsstufe auf dem afrikanischen Missionsgebiet erreicht hatten, zur Missionsausbildung nach Württemberg zu schicken. Unter der Leitung des Missionars Binder erhielten zwanzig Ewe-Studenten zwischen 1884 und 1900 in Ochsenbach, anschließend in Westheim eine Weiterbildung. Zu der ersten Gruppe der Ewe-Studenten gehörten Andreas Aku aus Waya im Binnenland, Reinhold Kwu aus Atoko bei Keta an der Küste und William Hermann Yy aus Dzeluke bei Keta. Am 16. Juni 1884 fuhren die drei jungen Ewe mit dem Schiff nach Deutschland. Im Pfarrhaus des Missionars Binder in Ochsenbach/Württemberg erhielten sie drei Jahre Missionsausbildung. Die Ausbildung bestand im Erwerb der christlichen Lebensweise und in der Weiterbildung zum künftigen Missionsdienst in Westafrika. In Ochsenbach lernten Reinhold Kwu und Hermann Yy 1885 Maria, ein Hausmädchen in der Nachbarschaft kennen. Maria bediente sie, brachte ihnen zum Beispiel Wärmflaschen. Sie nutzte diese Gelegenheit, sich mit ihnen in deren Zimmer zu unterhalten und voneinander zu erzählen. Einmal lud Maria Kwu und Yy bei Nacht in ihr Zimmer ein, wo beide Männer ertappt wurden. Dieser ungewöhnliche Besuch bescherte den beiden
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jungen Ewe großen Ärger. Ihnen wurde angedroht, in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden, weil sie nach der christlichen Ordnung in ihrem Alter und aufgrund ihrer Ausbildungsposition nicht nachts bei Maria hätten sein dürfen. Dem Missionsvorstand in Bremen wurde die Sache mitgeteilt. Die Handlung wurde für eine “Missetat” bzw. Sünde gehalten und musste dementsprechend bestraft werden. Deswegen mussten Kwu und Yy an den Inspektor der NMG Franz M. Zahn einen Bußbrief schreiben, in dem sie ihre Fehler bekannten und um Vergebung baten. Sie schrieben am 8. Juli 1885 ihre Briefe in Ewe, ihrer Muttersprache. Ihr Betreuer, Pfarrer Johann Conrad Binder, übersetzte sie ins Deutsche, damit der Missionsinspektor, Franz Michael Zahn, sie lesen konnte. Hierzu der Inhalt der Brieftexte: (29/5: Brief von H. Yy an Inspektor. Ochsenbach, 8th. July 1885)
Übersetzung von Pfarrer J. Binder. Ochsenbach, 8. Juli 1885)
Aet llt
Werter Herr!
Evem utɔ bena me w nuv ga sia e Mawu kple amewo ʄe kume eye wòanye dmedzoe ga ut na wò ha le miae nuww siawo uti; anye ŋukpe ga ut nami be míats numanyamanya sia ayi Afrika;
Es schmerzt mich sehr, dass ich diese große Sünde gegen Gott und Menschen begangen habe, und die zuerst ganz mit Recht über dieses unser Betragen und es würde eine sehr große Schande für uns sein, wenn wir solche Thorheit nach Afrika nehmen würden,
wònye Ablotsi míeva bena mía srnu nyuie ale afia míadetwo gbaegbe eye azla míets nenem nuv ga sia he w le nu manyamanya me.
sind wir doch nach Europa gekommen, um Gutes zu lernen, deshalb nicht unseren Landsleuten zu sagen und nun haben wir diese gr. Sünde und Ihrrheit begangen.
Fetuv eye míedze na le Mawu kple amegbetwo e kume. Nuv ga ut wònye míew.
Strafe haben wir von Gott und Menschen verdient. Eine große Sünde haben wir gethan.
Eyata míle kukuem nawò vevie bena nats míae nuvwo akemí, bena miawo ha ne miatr zu ameyeye, eye nado gbea be Mawu nusekatat nats wo ake mi.
Deshalb bitten wir Dich sehr, Dass Du uns diese Sünde vergibst, damit wir neue Menschen werden. Und wir wollen auch Gott bitten, dass er uns vergebe.
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Míele asiwò me, nusi ke enyo eye wòdze la wmí. Nusike womewna gbeegbee wò la míew.
Wir sind in Deiner Hand, was Dir gut dünkt und gut ist, thue uns, denn wir haben gethan, was wir nie und niemals [?] mehr hätten thun sollen.
Medzesi nye nuvwo, eye nye la menye la ut elabena medze Ernst yome, heyie gbegblme; ne onyemeawo woase nyasia la aw nublanyui ut,
Ich erkenne meine Sünde und ich habe sehr thöricht gethan, denn ich folgte Ernst auch ins Verderben. Wenn das meine Verwandte hören, ist es für mich eine sehr große Schande,
eye nyela anyo nam bena nye maga yi Afrika la wò.
und ich kann fast nicht mehr nach Afrika zurückkehren.
Vodada ga ut míeda e aet, Binder amesi gb míele la uti,
Diesen großen Fehler haben wir H. Binder bekannt, bei welchem wir sind und gegen ihn begangen,
eye edze be wòatu míae nuvwo uti fetu na mi, gake egb dzi blewu na mí;
und es hätte uns gebührt, dass er uns eine Strafe für unsere Sünde gegeben hätte, aber er hat uns sehr schonungsvoll behandelt,
eyata edze na míawo ha be mia bb mía okui e ete.
deshalb gebührt es uns, dass wir uns auch unter ihn beugen.
Meu mi a. Nye wò Hermann Yyvi.
Grüße sehr und Ihr Hermann Yoyovi.
Aet llt Nye vibubu la sike bu tso Mawu gb eye wòvem bena mebu le egbla, eye mew nuv ga sike wò dese nam la bena maga we wò la eye me se tode ee sedede la nu. Eye mel nya si Joseph gblna nynu ma ha be. Medekuku na wò bena nats nenem nuv ga sia akem, kp ye nublanyui le mawu nublanui t la e k dzi. Ne egbe tooom eye nenyam tso afisia yi Africa le nusia uti la ekema mazu fewu dunu kple kokonu na miatwo. Eya uti medekuku na wò vevie ut le nenem nuv ga sia uti bena natse akem he. Nusi uti mele kuku dem nawò la enyesi gb na. Gbedeka la esi míele míae anyi ml xme la, nynuviae si woyna be Marie la vats letter e fiamí esike dzi wota asrafoaeo eye wògbl namí bena nenem mesia ye n nuv wm kpakpli ye le Stuttgart. Le esiawo megbe la esime wòn ganudzedzo tsm
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vena Hermann la wòn anyi mlm e miae abadzi eye won nuha um na ame eye wògbl ha bena yean míagb dm; esime wo kpakple Ernst wole dzre wm la, wò gbl bena Ernst va yegb le za ga wuieve me eye wògbl na nye ha bena mava eye nye ha mewe gake nye la menye egb mede le dzíwo wò kebo la anyigbae. Nye Reinhold Kwu (29/5: Brief v. R. Kwu an Inspektor. Ochsenbach, den 8. Juli 1885) Lieber Herr! Ich bin wie der verlorene Sohn, der sich von Gott verloren hat und es schmerzt mich sehr, dass ich mich verloren habe. Ich habe jene große Sünde gethan, von welcher ein Gesetz geboten ist, ich sollte es nicht thun und ich bin ungehorsam gewesen gegen das Gebot Gottes. Ich habe vergessen das Wort, welches Josef gesprochen hat zu jenem: bösen Weibe. Ich bitte Dich, vergib mir diese große Sünde, erbarme dich über mich um des barmherzigen Gottes willen. Wenn Du mich nicht erhörst und jagst mich wegen dieser Sünde nach Afrika, dann werde ich zum Gespött und Gelächter vor Meinigen. Deshalb bitte ich Dich, vergib mir diese große Sünde. Das worum ich Dich bitte folgt hier: Eines Tages als wir im unteren Zimmer waren, kam das Mädchen, welche Maria heißt und hatte einen Brief. Auf diesem war ein Soldat gemalt, und sagte der habe allemal mit ihr Böses gethan in Stuttgart. Nach dieser Zeit brachte sie einmal die Bettflasche und stellte sie in Hermanns Bett und legte sich auf unser Bett und fing an uns zu küssen und sagte sie wolle auch bei uns schlafen. Eines Tages als sie Streit hatte mit Ernst, sagte sie, der sei bei Nacht um 12 Uhr einmal zu ihr gekommen. Sie sagte zu mir, ich solle auch kommen und es mit ihr machen. Ich bin eher nicht zu ihr in die Kammer hinauf gegangen, es war unten. Ich bin Reinhold Kwu. (29/5: Brief von R. Kwu an Inspektor, in Ewe, übersetzt von Pfarrer J. Binder ins Deutsche. Ochsenbach, 8. Juni 1885) Angesichts der religiösen Umgebung, in der sich die Sache abspielte, ist es bemerkenswert, dass die beiden Brieftexte eine christliche Prägung tragen. Die Stellung der beiden jungen Ewe ließ ihnen außerdem keine andere Wahl, als das zu erfüllen, was von ihnen erwartet wurde. Da sie die deutsche Sprache noch nicht beherrschten und ihnen christlich kulturelle Hintergründe immer noch fehlten, versuchten sie, sich in Ewe möglichst verständlich zu machen. Tatsache ist aber, dass die Ewe-Sprache auch einen anderen kulturellen Hintergrund verdeckte; darum tauchen einige inhaltliche Zweideutigkeiten in den beiden Texten auf, die den Leser der deutschen Version in Verwirrung bringen könnten.
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2.1. Beispielfälle der Zweideutigkeiten in den Texten von Yy und Kwu Schon die Anrede in den beiden Brieftexten Aet llt übersetzt mit werter Herr oder lieber Herr lässt einige Details, Unterschiede o.ä. erkennen: In der Tat war diese Anrede im Missionsumkreis ungewöhnlich, zumal Missionsvorgesetzte und besonders der Missionsvorstand nach der christlichen Hierarchie in den Korrespondenzen mit Missionaren und afrikanischen Mitarbeitern mit der Anrede sehr geehrter oder sehr verehrter Herr Inspektor angesprochen wurden. Darüber hinaus passt die Anrede Aet llt d.h. lieber Herr nicht zu der gespannten Stimmung. Obwohl die Anrede lieber Herr dann und wann verwendet wurde, scheint sie in dieser Situation unangebracht. Reinhold Kwu und Hermann Yy würden selbstverständlich den Herrn Inspektor mit sehr verehrter bzw. sehr geehrter Herr Inspektor anreden. Dies bedeutet in Ewe: Aet bubut und bezeichnet außerdem die Hochachtung, die Missionare in Afrika damals genossen. Die jungen Ewe haben aber den Inspektor in den Brieftexten geduzt. Nun lässt sich fragen, wie ernst die inhaltliche Bedeutung der Brieftexte von den Missionaren genommen wurde. Diente dieser Zwischenfall nur zur Prüfung der jungen Afrikaner, um sie auf ihre Missionsaufgabe aufmerksam zu machen? Es fällt auch besonders auf, dass Hermann Yy nicht nur Ewe und Deutsch konnte, sondern auch Englisch. Darum schrieb er das Datum in Englisch statt in Ewe: Ochsenbach, the 8th July 1885. Perspektivische Deutung: …anye ŋukpe ga ut nami be míats numanyamanya sia ayi Afrika;
es würde eine sehr große Schande für uns sein, wenn wir solche Thorheit nach Afrika nehmen würden,
wònye Ablotsi míeva bena mía srnu nyuie ale afia míadetwo gbaegbe eye azla míets nenem nuv ga sia he w le numanyamanya me
sind wir doch nach Europa gekommen, um Gutes zu lernen, deshalb nicht unseren Landsleuten zu sagen und nun haben wir diese gr. Sünde und Thorheit begangen
afia míadetwo gbaegbe bedeutet nicht gleich deshalb nicht unseren Landsleuten zu sagen, sondern unsere Landsleute zu unterrichten. Diese Äußerung entsprach den verbindlichen Erklärungen der Ewe-Studenten dem Missionsvorstand gegenüber anlässlich der Ausbildung in Deutschland. Sie sollten nach ihrer Rückkehr nach Afrika als Vorbild des Christentums vor ihren Landsleuten gelten, und sie das christlich europäische Wissen lehren, um sie zum Christentum zu bekehren (Azamede 2010). Nun war Ihre Befürchtung bezüglich der Missetat, dass der Missionsvorstand sie nach Hause zurückschickte und ihrem Traum, das europäische Wissen durch das Christentum zu erlangen, ein Ende setzte. Dennoch hat Hermann Yy nicht deutlich darum gebeten, dass der Inspektor seinen Landsleuten die Sache nicht mitteilte, wie der Pfarrer Binder es über-
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setzte. Die schlimmen Folgen seiner Fehler, die er befürchtete, drückte er offenbar aus mit den Worten le numanyamanya me übersetzt durch Thorheit. Der Begriff numanyamanya bedeutet nach dem Ewe-Wörterbuch von Westermann ‘Unwissenheit’ (Westermann 1905: 375) und lässt sich in diesem Fall damit erklären, dass die Jungen diese Missetat nicht prinzipiell für eine Sünde gegen den christlichen Gott hielten, sondern für eine übliche strafbare Handlung. Eigentlich würde aber das Wort Irrtum der Sicht von Yy und Kwu entsprechen. Es bedeutet nach dem EweWörterbuch: tatra oder bubú oder noch vodada. Aber Pfarrer Binder nahm einerseits das Wort numanyamanya aus der pietistisch-christlichen Perspektive und machte ihnen ihre Sünde bewusst. Andererseits nahm er das Betragen kurzerhand wie ein Sündenbeispiel, nämlich eine Thorheit, um sich in dem religiösen Kontext zurechtzufinden. So reagierte er unmittelbar nach christlichen Vorschriften. Eigentlich besteht diese sogenannte “große Sünde” in üblichem Benehmen, das mit dem Jugendalter verbunden ist. Die Jungen waren damals 15 Jahre alt; und konnten ihre Fehler eigentlich nicht anders wahrnehmen. Diese Thorheit hätte daher zwischen dem Pfarrer und den Jungen geklärt werden können, ohne dass der Missionsvorstand in Bremen davon unterrichtet wurde. Die Reaktion von Pfarrer Binder zeigt deutlich, dass die Missionsausbildung der jungen Afrikaner in Deutschland auf pietistischer Lehre fußte. Worin besteht eine pietistische Lehre? Im 17. Jahrhundert entstanden in Deutschland protestantische Gemeinden, die sich in abgeschlossene “Brüderische Gemeine” organisierten. Sie wurden zu Erweckungsbewegungen, die eine besondere christliche Lebenspraxis einhielten. Sie gründeten ihr Christentum auf die Frömmigkeit (in Lateinisch pietas). Diese Lebenspraxis wurde als Pietismus bezeichnet und die Gemeindemitglieder wurden Pietisten genannt (Scharfe 1980: 48). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschien eine weitere Generation von Pietisten, die die Missionsarbeit in den Mittelpunkt ihres Glaubens stellten. Sie bezogen ihre Haltungen auf das Evangelium, und wollten leben wie Jesus und die Apostel. Pietisten lebten in engeren Kreisen und praktisch nach strengeren Regeln als andere Christen. Der Pietismus herrschte besonders in Württemberg und wurde von einer christlichen orthodoxen bzw. strenggläubigen Haltung beeinflusst (Beyreuther 1978: 342). Diese protestantische Glaubensrichtung prägte dann später die Missionstätigkeit der NMG an der westafrikanischen Küste. Pietismus umfasste nicht nur den christlichen Glauben, sondern er vermittelte auch eine christlich-europäische Gedankenwelt, die als Maßstab für jeden afrikanischen Missionierten galt. Pietismus strebte danach, Christen zu frommen und züchtigen Menschen zu machen. Pietisten hielten viel mehr auf die Lebenspraxis als auf theologische Kenntnisse. Der Text von Kwu erklärte deutlich, was genau den beiden Jungen vorgeworfen wurde. Kwu erzählte den Vorgang mit großer Genauigkeit, die der Pfarrer Binder versuchte, ins Deutsch zu übersetzen. In Binders Übersetzungstext werden Sprüche oder Ausdrücke angewendet, die Tatsachen imaginieren lassen.
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Zweideutigkeiten: Za ga wuieve me vs. bei Nacht um 12 Uhr Wenn Missionar Binder den Ausdruck za ga wuieve me zum Beispiel durch bei Nacht um 12 Uhr übersetzt, lässt seine Übersetzung den Zeitpunkt deutlich erkennen. Aber za ga wuieve me heißt nicht, dass das Ereignis genau zu dem Zeitpunkt um 12 Uhr nachts stattfand. Es bezeichnet eher die tiefe Nacht, wo alles still ist und alle eingeschlafen sind. Die tiefe Nacht erzeugte in der traditionellen Religion eine gewisse Furcht bei den Ewe und bezeichnet außerdem den Zeitpunkt, wo die bösen Geister wandern und Menschen sich kaum trauen hinauszugehen. Jeder, der das trotzdem tut, wird schnell verdächtigt, überirdische Kraft zu besitzen, ein Hexer oder Zauberer zu sein. Missionar Jakob Spieth übersetzte zum Beispiel einen Bericht aus dem Ewe über die Hexen bei Nacht wie folgt: Die Hexe ist etwas, was im Körper des Menschen seinen Sitz hat. Bei Nacht, während der Mensch schläft, kommt die Hexe aus ihm heraus und sucht die Speise. Dieselbe leuchtet wie eine Fackel und geht auf den Kehrichthaufen. Wenn sie einem Menschen das Blut aussagen will, so lässt sie auf ihn einen tiefen Schlaf fallen, dann saugt sie ihm das Blut aus. Hat sie ihm das Blut ausgesaugt, so stirbt der Mensch. (Spieth 1906: 906) Die tiefe Nacht war bei den Ewe auch der Zeitpunkt, wo viele furchtbare blutige Rituale stattfanden (Spieth 1906: 818). Dachten sich Yy und Kwu, vielleicht verdächtigt zu sein, dass sie versucht hätten, die junge Maria in der Nacht zu verhexen, wobei ihr Betragen dem christlichen Leben widersprach? Kwu hat nach aller Wahrscheinlichkeit den Ausdruck za ga wuive gewählt, um seine volle Schuld als nicht Christlicher zu bekennen, um mehr das Phänomen zu betonen, das mit der tiefen Nacht verbunden ist, denn er hätte auch einfach sagen können: za me d.h. ‘in der Nacht’. Das lässt sich so erklären, dass er den Zusammenhang zwischen seinen lokalen religiösen Realitäten und dem Christentum herstellte. In seinem Bericht steht darüber hinaus bisher nicht eindeutig, was er und sein Kamerad Yy genau mit dem Mädchen gemacht hatten, wenn er sagte: ye wògbl na nye ha bena mava eye nye ha mewe gake nye la menye egb mede le dzío wo kebo la anyigbae.
Sie sagte zu mir, ich solle auch kommen und es mit ihr machen. Ich bin eher nicht zu ihr in die Kammer hinauf gegangen, es war unten.
Binder hat bei der Übersetzung fast nichts unterschlagen. Nur heißt eye nye ha mewe nicht ‘und es mit ihr machen’, sondern ‘und ich mache das auch’. Kwu bekannte also, dass er in Marias Zimmer gegangen ist. Dennoch lässt Kwus Fassung nicht deutlich verstehen, was Yy und er dort getan haben. War einer von ihnen mit Maria ins Bett gegangen? Hatten sie Maria nur geküsst? Oder hatten sie nur neben Maria gelegen?
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Dieser Teil der Erzählung ist einer der wichtigeren, der uns klar machen soll, was für eine Sünde die beiden Jungen mit dem Mädchen Maria genau begangen hatten. Aber er bleibt noch ambivalent und verwirrend. Kwu meinte, sie wurden nachts tatsächlich von Maria in die Kammer eingeladen. Er bekannte, dass er es tat, nur ging er nicht zu Maria hinauf, sondern er blieb unten. Was soll man darunter verstehen? Lag Maria im Zimmer auf dem Bett, während Kwu in demselben Zimmer war, aber auf dem Boden schlief? Der Brief erwähnte auch, dass er zusammen mit Yy eingeladen wurde. Also kann man vermuten, dass Yy neben Maria oben war, während Kwu unten lag. Jedenfalls wird ihnen nicht nur vorgeworfen, sie hätten mit Maria etwas Unerlaubtes getan, sondern auch, sie hätten in der Nacht ihr Zimmer verlassen, ohne Erlaubnis vom Pfarrer Binder. Warum ist aber diese Tat nicht eindeutig erwähnt? Fakt ist, dass das Böse sowohl bei Christen als auch bei Anhängern der traditionellen Glaubensformen nicht deutlich bezeichnet wird. So hieß “Missetat” oder Sünde jede Haltung, die den christlichen Richtlinien nicht entsprach. Darum war schon Sünde, wenn junge Leute unterschiedlichen Geschlechts sich an einem Ort einfanden, wo sie nicht unter der Aufsicht eines Erwachsenen waren. Das durften sie nicht tun, besonders nach pietistisch christlichen Regeln, solange sie noch nicht verheiratet waren. Genau diese Regeln sollten sie in Ochsenbach lernen.
2.2. Kulturelle Interpretation der Brieftexte Binder erklärt das Bekenntnis und die Bitte um Vergebung als eine Buße, während Yy und Kwu um Verzeihung für einen Fehler bitten, der ihren Ambitionen ein Ende setzen könnte. Sie fühlten sich nicht vor Gott verantwortlich, sondern vor denjenigen Personen, die sie nach Deutschland gebracht hatten, um ihnen eine gute Zukunft zu verschaffen. Ihre Befürchtung bestand nicht in erster Linie darin, für die Missachtung christlicher Sittlichkeit bestraft zu werden, sondern eher darin, vorzeitig nach Afrika zurückgeschickt zu werden, ohne ihr ersehntes Ziel erreicht zu haben. Hierzu Yys Bitte: Eyata míle kukuem nawò vevie bena nats míae nuvwo akemí bena miawo ha ne miatr zu ameyeye, eye nado gbea be Mawu nusekatat 1 nats wo ake mi.
Deshalb bitten wir Dich sehr, Du uns diese Sünde vergibst“ damit wir [auch] neue Menschen werden. Und wir wollen auch Gott bitten, dass er uns vergebe.
Die Missionsausbildung verschaffte Yy und Kwu die Möglichkeit, sich europäisches Wissen anzueignen. Während Missionsinspektor Zahn zufolge die Schule eine Brücke zu den Seelen bzw. das Mittel zur Christianisierung war (Ustorf 1989: 120), war 1
Und bete für uns, dass der große Gott…
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das Christentum für Kwu und Yy ein Mittel, in der traditionellen Ewe-Gesellschaft aufzusteigen. Binders Bemühung, Kwu und Yy als junge bereuende Christen zu zeigen, hat sich später in ihrer Erwachsenenzeit als eitel entpuppt. Nach einigen Jahren Missionsdienst bei der NMG gerieten beide in Konflikt mit dem Missionsvorstand. Sie wurden aus der Mission entlassen, weil ihre kulturellen Vorstellungen den christlichen Ordnungen nicht entsprachen. Kwu und Yy verteidigten in mehrfacher Hinsicht traditionelle kulturelle Lebensweisen, die die christlich-europäische Kultur durch die vorgeschriebene Kirchenordnung verbot. Die christliche Interpretation ihrer Brieftexte ließ den Missionsvorstand Hoffnung auf ihre wahre und dauernde Bekehrung machen. Der Ewe-Text zeigt jedoch eher, dass sie noch keine Christen waren, sondern durch das Christentum ihre kulturelle Gedankenwelt bewusst oder unbewusst ausdrückten. Binder seinerseits übersetzte die Brieftexte aus der christlich-pietistischen Perspektive, die den Tatsachen einen alarmierenden Ton gab.
3. Lebensgeschichten: Text von Edmond Ayikutu Der zweite Text gehört zur Gattung der Autobiographie, wie die NMG es ihren westafrikanischen Mitarbeitern vorschrieb. Die NMG verlor infolge des Ersten Weltkriegs ihr Missionsgebiet in Westafrika. Dennoch blieb der Vorstand in engem Kontakt zu dem Ewe-Gebiet in der Hoffnung, dorthin zurückzukommen. Fakt war, dass der Missionsvorstand zwischen 1925 bis 1935 nach der Gründung der Ewe-Kirche in Deutsch-Togo im Jahre 1921 seine afrikanischen Mitarbeiter aufforderte, ihre Lebensgeschichten niederzuschreiben. Die Lebensgeschichte sollte die Zeit von der Kindheit bis zur Zeit des Missionsdienstes umfassen. Viele Ewe-Mitarbeiter schrieben ihre Lebensgeschichten in Ewe, wie Pastor Edmond Livingstone Keleve Ayikutu in seiner Autobiografie. Seine Lebensgeschichte zählt 17 handschriftliche Seiten und enthält die Geschichte seines Ursprungs und seiner Heimat verbunden mit seiner Kindheit einerseits, und seine Bekehrung zum Christentum und seine Zeit im Missionsdienst andererseits. Hier ist zu betonen, dass Ayikutus Lebensgeschichte auf das Bekenntnis des christlichen Glaubens zielte. Seine Lebensdaten vermitteln jedoch Verschiedenes aus seiner lokalen kulturellen Umgebung, das dem christlichen Glauben öfters widersprach. Edmond Ayikutu wurde am 5 August 1876 in Anyako geboren. Seine Eltern waren Anhänger der traditionellen Religion und sein Vater war angesehener Krieger und traditioneller Heiler in der Stadt. Nach dem frühen Tod des Vaters blieb Edmond Ayikutu bei seinem Bruder, dem er beim Fischfang half. Er wurde dann seiner Familiengottheit geweiht. Mit zehn Jahren trat er in die Schule ein, wo er in Kontakt mit dem Christentum kam. Er besuchte den Bibelunterricht und wurde auf den Namen Edmond Livingstone getauft. Er trat nach seinem Schulabschluss in den Dienst der Mission, 1897 zuerst als Lehrerassistent, 1912 dann als Katechist. Am 31. Oktober 1915 wurde er zum
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Pastor ordiniert. Er stand sein ganzes Leben lang im Dienst der Mission, auf mehreren Missionsstationen, wo er unterschiedliche Erfahrungen machte. Sein Leben erweist sich als transkulturell, zumal er sich mit vielen verschiedenen kulturellen Realitäten auseinandersetzen mußte. Wie verläuft sein Lebensprozess anhand seiner Lebensgeschichte? Ich werde mich hierbei im Wesentlichen auf folgende Punkte seiner Lebensgeschichte beziehen, nämlich auf 1. seine Namensgebung, die mit der Geschichte seiner Kindheit und seiner Vorfahren verbunden ist, 2. die Stellung seiner Familie in der traditionellen Gesellschaft, 3. sein christliches Leben und seinen Umgang mit lokalen sozialen Wirklichkeiten
3.1. Namensgebung Der Name weist in der Ewe-Gesellschaft nicht nur die kulturelle Identität seines Trägers aus, sondern er bestimmte auch vielfach seine Geschichte, die mit der Zeit vor der Geburt des Kindes, mit den Umständen seiner Geburt und der Zeit nach seiner Geburt verbunden waren. Der Name vermittelte insofern den kulturellen und sozialen Hintergrund seines Trägers. Derjenige, der seinen Namen aufgab, gab auch gleichzeitig seine Identität auf. Ayikutu lebte in dieser Überzeugung, obwohl er Christ war. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, gab er sich neben den traditionellen auch christliche Namen. Was bedeutet eigentlich Keleve Ayikutu? Ayikutu ist sein Vatername bzw. sein Familienname. Dieser Name stammt aus der Adangbe-Volksgruppe im Binnenland des Ewe-Gebiets und bedeutet: ‘ich füge mich Euch’, oder ‘ich ordne mich Euch unter’. Wie kam es denn zum Namen Ayikutu? Hierzu die Erklärung des Trägers selbst: In der Tat stammte die Großmutter meines Vaters aus Agtime und war die Tochter des Agtime-Kpete Häuptlings Keteku. Sie heiratete den Großvater meines Vaters Agamatsu aus Anyako. Weil die Urgroßmutter aus einem anderen Stamm kam, erlebte sie sehr viel Ärger unter den anderen Frauen ihres Mannes. Deswegen gab sie ihrem Enkel den Namen Ayikutu, der ihr Schicksal andeutete. Dieses Schicksal verfolgte tatsächlich Edmond Ayikutu, so dass er sich nicht dagegen wehrte, sich der Mission zu unterordnen. Er lebte sein Leben lang unter der Ordnung der NMG, ohne sich über die übermäßige Arbeitsbelastung im Missionsdienst zu beschweren. Die Entstehung seines Namens Keleve erklärte er wie folgt: Mein Vater war gerade bei einer Sitzung mit seinen Genossen, als er von meiner Geburt erfuhr. Mit Freude rief er: Wole Keleve! Dieser Spruch diente dazu, eine Kriegserklärung im Aŋl -Land heimlich mitzuteilen, damit die Frauen und die Kinder das nicht mitbekamen, um davon alarmiert zu sein. Da ich ein Junge war, sprach er das aus, um anzudeuten, dass er noch einen Kämpfer bekam.
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Keleve heißt ‘der Herbstbusch’. Diese Art von Sprüchen wurde in schwierigen Situationen wie dem Krieg von traditionellen Geistlichen benutzt, um die Geister der traditionellen Götter zum Schutz der Bevölkerung anzurufen. Weil Edmond Ayikutu öfters von seinen Landsleuten mit diesem Namen gerufen wurde, zögerte er nicht, 1901, als er in Anyako bei der Mission tätig war, Keleve zu seinen anderen Namen zu setzen, obwohl er schon Christ geworden war. Nach dem frühen Tod seines Vaters lebte er bei Missionar Knüsli in Anyako, wo er auf die Namen Edmond Livingstone getauft wurde. Er hieß also Edmond Livingstone Keleve Ayikutu. Edmond Livingstone waren nicht nur seine Taufnamen, sondern sie bezeichneten auch das britische Kolonialgebiet, in dem er lebte und wo Englisch als Amtssprache gesprochen wurde. In der Zeit, nachdem Edmond Ayikutu Christ geworden war, hatte er leidenschaftliche Erlebnisse, die ihn auf seine traditionellen Lebensweisen zurückverwiesen. In seiner Ehe konnten er und seiner Frau Angelica Amev anfangs keine Kinder haben. Das führte ihn dazu, traditionelle Heilmittel bei den traditionellen Heilern zu suchen. Eigentlich war der Heiler zugleich Anhänger der traditionellen Religionsformen. Darum wurde Ewe-Christen durch die Missionsleitung öfters untersagt, mit solchen Personen umzugehen. Aber Edmond Ayikutus Vater war selber Heiler, über den er mit Stolz redete: Mein Vater war ein großer tapferer Krieger, der dafür unter den Genossen bekannt war. Sänger widmeten ihm Lieder für seine Tapferkeit. Er war auch ein großer Heiler wegen seiner reichen, großen Kenntnisse von Heilkräutern. Mit diesen Heilmitteln half er vielen Leuten gerne. (Lebensgeschichte von Edmond L. K. Ayikutu: 2). Ein traditioneller Heiler behandelte Patienten nicht nur mit Heilkräutern, sondern er betete auch Geister der traditionellen Götter an, um Segen in seinem Beruf zu erhalten. Der Missionsmitarbeiter Ayikutu bedachte aber nicht das Risiko, das er einging. Seine erste Reaktion in schwierigen Situationen war: er ging zu einem traditionellen Geistlichen, anstatt einen christlichen Geistlichen für sich beten zu lassen. Um seine Handlung aus der christlichen Perspektive zu rechtfertigen, schloss er diese Erzählung mit einem Dank an den christlichen Gott dafür ab, dass er und seine Frau den Spott der unfreundlichen Anyako-Einwohner aushalten konnten: Unsere größte Versuchung in meiner Ehe war die Tatsache, dass wir kinderlos waren. Mehrere traditionelle Heiler versuchten uns vergeblich zu helfen. Die Redereien und der Spott der Leute ärgerten uns sehr, denn eine kinderlose Ehe in Afrika erzeugte sehr viele Unstimmigkeiten und manchmal die Scheidung des Ehepaars. Durch die Hilfe Gottes konnten wir diese Schwierigkeiten mit Gelassenheit überwinden. (30/1: Lebensgeschichte von E. L. K. Ayikutu: 7f.). Diese Handlung war in den Augen von Ayikutu selbstverständlich, denn sie wurde als eine übliche soziale Tatsache betrachtet. Ayikutu selber gestand, dass er vor seiner Schulzeit einer Familiengottheit übergeben wurde:
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Ein Monat vor dem Schulanfang brachten mich meine Verwandten väterlicherseits nach Kliko, wo ein Götze der Familie väterlicherseits stand. Dort wuschen sie mich mit Wasser des Götzen, banden eine Schnur um meinen Hals als Zeichen meiner Zugehörigkeit zum Götzen. (30/1: Lebensgeschichte von E. L. K. Ayikutu: 3). Er stellte das Erlebnis so dar, als ob es weder zu seinem jetzigen Leben gehörte, noch auf ihn wirken könnten. Er verdeckte seine Bedeutung (in der traditionellen Gesellschaft) durch die Darstellung seiner neuen Identität als Schüler und Christ: Diese Schnur hatte ich um meinen Hals, als ich in die Schulklasse trat. Da sagte mir der Lehrer, dass kein Schüler diese Schnur um den Hals tragen dürfe. Da ich unbedingt die Schule besuchen wollte, ließ ich die Schnur von meinem Hals lösen. (30/1: Lebensgeschichte von E. L. K. Ayikutu: 3). Diese Schnur war eigentlich kein Schmuck, auch kein Spielzeug, sondern sie wurde vielmehr bei religiösen Ritualen besprochen, so dass sie auf den Träger wirkte. Deswegen ist es nicht selbstverständlich, dass der junge Edmond Keleve Ayikutu sich selbst entschied, sie so einfach lösen zu lassen. Die Lösung einer besprochenen Schnur bedurfte in der Tat weiterer Rituale und der Zustimmung desjenigen, der sie ihm um den Hals gebunden hatten. Aber darüber erzählte Ayikutu nicht mehr in seiner Lebensgeschichte. Er umging diese Vorgänge durch biblische Sprüche wie “Gott sei gedankt”, “ich danke Gott”. Fast jeder Abschnitt seiner Erzählung endet mit einem Dank oder einer Lobpreisung des christlichen Gottes, der ihn aus der Finsternis zum Licht geführt habe. Diese Darstellung verdeckt seinen wirklichen Alltag, über den die europäischen Missionare nichts erfuhren. Der Missionsvorstand, der die Lebensgeschichte eingefordert hatte, las zufrieden den Lebensprozess eines Ewe-Mitarbeiters, der sich zum christlichen Glauben bekannte. Der Vorstand hörte es gerne, wenn Ayikutu und seine anderen Ewe-Kollegen sich am Ende des Berichts mit folgendem Wort zu Christus und zum christlichen Gott bekannten: Zum Schluss möchte ich hiermit Gott dem Allmächtigen dafür danken, dass er in der Bremer Mission das Feuer der Liebe zu dem ‘armen’ Ewe-Volk entzündete. Gedankt sei dem Bremer Missionsvorstand, dass er die wertvolle Botschaft des Herrn hörte, und Missionare in das Ewe-Land schickte. [...] Gedankt sei auch allen Deutschen, die durch ihre unterschiedlichen Beiträge dem Ewe-Land zur Hilfe kamen, und die bis heute daran weiter wirken, dass es den Herrn Jesus auch erkennt. Möge Gott es bewirken, dass all unser Ungehorsam, unter denen Missionare und Diakonisse gelitten haben, für sie zum Segen werde und ihnen einen guten Platz bei unserem Herrn Jesus gebe. Möge der Herr mit uns allen Erbarmen zu unserem Seelenheil haben (30/1: Lebensgeschichte von E. L. K. Ayikutu: 3).
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Die Anwendung der Ewe-Sprache als Kirchensprache in der Missionsarbeit ermöglichte vielfältige Interpretationen der Handlungen und Realitäten der Ewe-Christen am Beispiel der jungen Studenten Hermann Yy und Reinhold Kwu einerseits und der EweMissionsdiener wie im Falle von Ayikutu andererseits. Die NMG beförderte die Anwendung von Ewe als Kirchensprache, um die Eingeborenen für das Christentum zu gewinnen. Darüber hinaus diente Ewe zugleich als Mittel für die Ewe-Christen, ihre kulturellen und religiösen Lebensweisen darzustellen. Sie stellten in ihrer Muttersprache Realitäten dar, die bei Christen anders klangen oder gar nichts sagten. Diese Realitäten wurden entweder im christlichen Kontext interpretiert oder blieben bei ihrer Übersetzung verdeckt. So kamen die Ewe-Christen dazu, sich in der europäischen kulturellen Modernität zurechtzufinden. Die Untersuchung solcher Texte in der originalen Muttersprache ermöglicht, die Sprache als Schlüssel zur Entdeckung einer Kultur zu nutzen, trotz des Versuchs, sie in eine fremde kulturelle Richtung zu führen.
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Brief von Reinhold Kwu an Inspektor Franz Michael Zahn:
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Übersetzungen von Missionar Johann Conrad Binder:
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Literatur Archiv der Norddeutschen Mission, in: Staatsarchiv Bremen. Signatur: 7,1025. 7,1025-29/5: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Ausbildung in Deutschland. Bd. 1. 1885–1900 7,1025-29/6: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Ausbildung in Deutschland. Bd. 2. 1885–-1900 7,1025-30/1: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Lebensläufe. Bd. 1 1917–1934 7,1025-30/2: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Lebensläufe. Bd. 2 1922–1923. ca. 1935 Alsheimer, Rainer (2007): Zwischen Sklaverei und christlicher Ethnogenese. Die vorkoloniale Missionierung der Ewe in Westafrika (1847–ca. 1890). Münster: Waxmann. Azamede, Kokou (2006): Von Komla-Kuma zu Albert Wilhelm Binder. Die Geschichte eines afrikanischen Pastors in Deutsch-Togo. 1858-1934 in: Jahrbuch für europäische Ethnologie, 81–98. Azamede, Kokou (2010): Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939. Stuttgart: Steiner. Beyreuther, Erich (1978): Geschichte des Pietismus. Stuttgart: Steinkopf. Scharfe, Martin (1980): Die Religion des Volkes. Kleine Kultur- und Sozialgeschichte des Pietismus. Gütersloh. Spieth, Jakob (1906): Die Ewestämme. Material zur Kunde des Ewe-Volkes in Deutsch-Togo. Berlin: Reimer. Spieth, Jakob (1911): Die Religion der Eweer in Süd-Togo. Leipzig: Dietrich. Ustorf, Werner (1989): Die Missionsmethode Franz Michael Zahns und der Aufbau kirchlicher Strukturen in Westafrika: (1862–1900); eine missionsgeschichtliche Untersuchung. Erlangen : Verlag der Ev.-Luth. Mission. Westermann, Diedrich (1905): Wörterbuch der Ewe-Sprachen. Berlin: Reimer.
GERMAIN NYADA (BAYREUTH)
Une variété dialectale des langues bëti dans le Cameroun allemand∗
Résumé Lorsque nous parlons des réactions des peuples d’Afrique face au colonialisme allemand, il est un aspect qui, très souvent, n’est presque jamais abordé. En effet, les différentes études menées dans ce domaine de recherche se focalisent essentiellement sur deux attitudes des colonisés face aux colonisateurs. Ainsi s’arrête-on soit à l’analyse et à la description des guerres et toutes les formes de résistance armée entre les peuples africains et les colons allemands, soit alors à la présentation de la soumission parfois inconditionnelle des peuples locaux. Abstraction est alors faite d’une série d’autres formes de réactions face à la colonisation telles celles survenues sur le plan culturel. Or, un examen approfondi de ces facettes négligées de la “résistance” pourraient non seulement permettre de jeter un regard nouveau sur les relations germano-africaines de cette époque, mais aussi et surtout, d’élargir les perspectives de recherche en études africaines. C’est dans cette optique que la présente étude s’efforce de sortir de ce cadre analytique. Elle s’appuie sur les textes de certains colons en vue d’évaluer une réaction linguistique face au colonialisme allemand. En d’autres termes, l’étude se propose de reconstruire certaines situations de contact et de communication entre les colons allemands et certains peuples de l’arrière-pays camerounais que les Allemands appelaient Hinterland. En clair, il s’agit de décrire une réaction linguistique observée entre les peuples bëti et les locuteurs qui n’étaient pas originaires de la région du Centre du Cameroun où sont parlées les langues bëti. Notre hypothèse est qu’un idiome autonome à l’époque mais aujourd’hui déliquescent s’est développé suite à la pénétration allemande dans cette partie de l’Afrique centrale.
1. Introduction Suite au Schutzvertrag, traité signé le 12 juillet 1884 entre les chefs locaux de la côte camerounaise et l’Allemagne représentée par le consul général à Tunis Gustav Nachtigal, le territoire connu aujourd’hui sous le nom Cameroun fut placé sous protectorat allemand. Le traité couvrait uniquement Douala-town encore appelé “Kamerunstadt”, c’est-à-dire la région côtière qui se trouvait alors sous l’autorité des signataires locaux. Cette région s’étendait de l’estuaire du fleuve Wouri, le Gabon, le Cap St John, le Delta du Niger et l’Ile de Fernando Pô. Deux des chefs signataires envisageaient cependant de garder le monopole du commerce avec l’arrière-pays, malgré la signature du traité. ∗
Cet article est la version traduite et révisée d’un texte paru ailleurs. Cf. Nyada (2009).
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Quant à celui-ci, il n’avait pour ces chefs d’autre visée que celle de les soustraire à un éventuel assaut des puissances étrangères. Seulement, en dépit des clauses du traité et des aspirations individuelles des Chefs King Bell et King Akwa, signataires du traité, les explorateurs Richard Kund et Hans Tappenbeck atteignirent le centre du territoire dans le Hinterland (Quinn 1989: 88) après une première tentative infructueuse due à de violents combats avec des populations longeant leur parcours. La région de Yaoundé fut atteinte trois ans seulement après l’occupation de la zone côtière. Au cours de cette deuxième expédition du Sud-Cameroun de 22 jours commanditée par le Auswärtiges Amt qui, comme la première, se fit en violation des termes du protectorat, se déroulèrent de multiples affrontements armés entre les expéditionnaires et certains peuples de l’arrière-pays camerounais tels les Bassa et les Bakoko. Ongola, la petite bourgade de l’époque regroupant plusieurs villages en son sein, qui jusqu’alors n’avait pas de contact direct avec le monde occidental, constitua la première escale de cette expédition ardue. A l’arrivée, les expéditionnaires allemands l’appelèrent Jaunde-Land (‘le pays du peuple yaoundé’), 1 d’après l’une des quatre communautés qui l’occupaient. La localité devint la première station de l’arrière-pays. Sous la forme écrite, le mot “Jaunde” apparaît pour la première fois en tant que titre de la monographie que le jardinier et collectionneur Georg Zenker (1855–1922) rédigea au cours de ses fonctions comme chef de station sur les us et coutumes, les rituels, l’architecture, les règles et les usages de la région dont il avait la charge. L’anthropologue Philippe Laburthe-Tolra explique à ce propos que l’appellation “Jaunde” résume et symbolise une suite d’erreurs et d’imprécisions (Laburthe-Tolra 1970: 14). Selon lui en effet, de telles ambiguïtés sont propres et communes aux premiers Allemands qui gouvernèrent la région qui est aujourd’hui le siège des institutions de la République du Cameroun. Pour Laburthe-Tolra, le nom “Jaunde” serait la reprise par Zenker et ses prédécesseurs d’une faute dans la prononciation d’une mauvaise transcription du nom ewondo, terme par lequel la population locale (les Ewondo entre autres) était désignée. Il est évident que de tels incidents au niveau linguistique s’expliquent par l’absence de certains supports de communication tels la langue écrite au niveau local. Autrement dit, une culture de l’écrit dans la région bëti 2 eût probablement réduit le nombre de ces fautes de prononciation et de transcription au minimum. Cette prononciation et forme orthographique erronées du nom de l’une des communautés locales qui désigne actuellement la capitale politique du Cameroun n’a jamais été modifiée depuis la période coloniale allemande. Elle est d’ailleurs passée de sa forme germanique à celle plus actuelle française qu’utilisent les institutions camerounaises de nos jours. Cela laisse penser que de telles erreurs et malentendus orthographiques et/ou phonétiques peuvent avoir influé considérablement sur plusieurs mots des 1 2
Les traductions de l’allemand vers le français sont de l’auteur de l’article. Les habitants ici font partie de la communauté bëti. Le nom Bëti est la forme plurielle du terme nti qui lui-même signifie ‘seigneur’. Les Bëti se considèrent comme des seigneurs. D’où l’appellation Mô-nti (‘petit seigneur’, ‘fils de seigneur’) employée pour dire “Monsieur”.
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langues bënë, eton, ewondo et mvelle, les langues des “seigneurs” (cf. Ombolo 2000: 87). De là la nécessité d’une tentative de reconstruction des situations de communication entre populations locales et colonisateurs allemands pour rendre visibles et intelligibles certaines marques de la colonisation allemande sur les langues bëti. Il est tout à fait évident que l’idiome mongo-ewondo auquel nous avons déjà fait allusion plus haut fut utilisé aussi bien par des non-Camerounais qui apprenaient les langues bëti regroupées par les Allemands sous le vocable Jaunde-Sprache (‘la langue yaoundé’) que par les populations locales. Il est important de faire ressortir les influences étrangères sur les langues bëti car, contrairement aux autres langues bëti du Cameroun, la langue ewondo fait partie des trois langues locales les plus parlées. Elle fut d’ailleurs proposée par les colons allemands qui en avaient déjà marre de l’opposition des populations douala contre les abus du régime colonial comme langue nationale. Aux yeux des colons, le choix de la langue douala eût ajouté l’insoumission organisée des Douala qui, dans les faits, n’avaient fait que revendiquer l’observance du traité germano-douala. Cependant, la raison du choix de la langue ewondo était aussi que cette dernière était déjà en usage au sein des pères pallottins (une communauté apostolique de l’Eglise catholique), au sein des troupes coloniales et des porteurs. Compte tenu de la vastitude de ce domaine de recherche, cette étude limite son corpus d’une part à la période de fonction de Georg Zenker et à celle trois fois plus longue de Hans Dominik (soit respectivement 1890–1895 et 1895–1910), d’autre part aux communautés bënë, eton, ewondo et mvelle qui peuplent la région. De la même manière que leurs langues, il est à noter que ces communautés furent regroupées à tort par les Allemands sous le vocable Jaunde-Volk (‘peuple yaoundé’). Notre étude s’appuie amplement sur des phrases tirées de l’ouvrage Kamerun de Hans Dominik (1911). Nous tenons également compte des témoignages de deux personnes qui eurent l’occasion de s’entretenir avec des témoins oculaires de cette époque. L’analyse s’articule autour des formes de communication verbales et non-verbales qui se dégagent du corpus.
2. La communication verbale En 1895, le Major Dominik (1870–1910) remplaça Georg Zenker dans ses fonctions de chef de station. Il convient de retenir au passage que Zenker fut accusé par ses compatriotes et collaborateurs d’avoir des accointances avec des femmes africaines et d’ainsi enfreindre à la loi qui le leur interdisait formellement. Mais, comme le montre si bien Laburthe-Tolra, le reproche réel à l’endroit de Zenker était son manque d’intérêt à régner en Maître sur les populations locales dont il se sentait plutôt très proche. Dominik qui lui succéda après avoir participé activement à la machination qui déboucha sur la déposition de Zenker ne résista pourtant pas mieux au charme de ces femmes. De l’une de ses liaisons avec ces dernières naquit même une fille nommée Manga Dominik dont
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la tombe aujourd’hui est encore visible dans la localité de Ntui à environ 75 km au Nord de Yaoundé. Durant ses quinze années de fonction comme chef de station, Dominik rédigea des ouvrages sur ses expériences en terre camerounaise. Son livre Kamerun se caractérise surtout par des formes de communication verbale et non-verbale. Dans ce même ouvrage apparaissent aussi des formes de communication entre les différents protagonistes. Ce qui nous permet d’inventorier l’éventail de langues en usages entre les acteurs. Entre autres langues on peut citer l’anglais et sa variété hybride (PidginEnglish), 3 l’allemand, l’arabe et le mongo-ewondo 4 alors appelé Jaunde-Sprache par les Allemands. Comme nous l’avons déjà mentionné plus haut, le mongo-ewondo est une variété dialectale de la forme standardisée des langues bëti, lesquelles sont encore parlées de nos jours au sein des populations locales de la région concernée et celles environnantes. Dans des situations de communication sans médiateur ou interprète, telles que les entretiens et accords directs entre Dominik et les souverains locaux, c’est cette variété hybride des langues bëti qui fut généralement la langue de communication. Comme son prédécesseur Zenker, Dominik s’était donné la peine d’apprendre la Jaunde-Sprache afin de pouvoir communiquer sans intermédiaire avec les chefs locaux. La raison fondamentale de cet effort de s’exprimer en langue locale fut l’absence de connaissances linguistiques constatée auprès des chefs locaux. En raison de leurs faibles contacts avec les régions côtières et, partant, avec le monde européen à l’époque, ces souverains n’avaient de connaissance ni de l’allemand, langue du colonisateur d’alors, ni de l’anglais longtemps en usage à la côte avant l’occupation allemande. L’objectif premier des utilisateurs du mongo-ewondo fut certainement de faciliter la compréhension à ceux-là qui n’étaient pas des locuteurs natifs des langues bëti. Dans cet exercice d’appropriation de la “langue locale”, les colons ainsi que les porteurs et autres soldats togolais et dahoméens ou égyptiens commettaient des fautes qui étaient consciemment et volontairement reprises par des locuteurs natifs lors de leurs entretiens avec ces autres catégories d’individus. Ainsi se développa dans ces interactions et processus de véhicularisation des langues bëti le parler mongo-ewondo que Patrick Renaud traduit à la suite de ses enquêtes de terrain par “petit ewondo” (Renaud 2000: 64). Les langues standard ne furent pourtant pas bannies pour autant entre les locuteurs natifs des communautés concernées. Quant à la langue ewondo proprement dite, elle fit d’ailleurs l’objet de plusieurs études scientifiques après avoir été consignée par écrit. De nombreux types de modifications ressortent de l’ouvrage Kamerun de Dominik. A titre d’exemple, les chefs locaux rapportent à Dominik au cours d’une rencontre organisée au retour des congés de celui-ci qu’ils ont subi des traitements violents et humiliants de la part du commandeur qui assurait l’intérim pendant la période que durèrent 3 4
Une variété non-native de l’anglais. ‘Petit ewondo’ en traduction littérale.
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les congés du chef de station. Dans son livre, Dominik qui ne manifeste aucune tendance à décrire systématiquement la langue véhiculaire, essaie de reprendre les plaintes des chefs aussi bien dans la langue d’origine qu’au style direct. Dans cette reprise des propos des autres protagonistes transparaît cependant la mise en scène d’une situation de communication au niveau individuel. Il y a d’un côté la structure des phrases des langues en usage, de l’autre le niveau de maîtrise de ces langues par l’auteur. Dominik se plaît à transcrire les propos de ses interlocuteurs et à les accompagner de traductions en allemand. Or, ses transcriptions et traductions ne sont pas sans bavures. A ce titre, la structure phrastique de ce que le linguiste Jean Tabi-Manga (1992) en reprenant un terme cher aux locuteurs natifs appellerait ndjobi-ewondo 5 et les traductions proposées par l’auteur nous semblent dignes d’intérêt. Les phrases suivantes illustrent à merveille la manière dont le mongo-ewondo était utilisé. Elles montrent également le niveau de compréhension que l’auteur avait de cette langue pour le reste hybride. (1)
‘Ah, Dominik, commander [a ne] ab ĕ’ (Ja, ja, Dominik, der Kommandeur ist [Jean Tabi-Manga 1992: 173] ein böser Mann). ‘Dominik, le commandeur est un homme méchant.’
(2)
‘Jaunde adinge [a ding] fianga, adinge abok, beta [bita bi nә] abĕ abĕ abui.’ (Wir Jaundes lieben Spiel und Tanz, Krieg ist sehr schlecht). [Jean Tabi-Manga 1992: 173] ‘Nous les Yaoundé aimons bien les jeux et la danse, la guerre est terrible.’
(3)
‘Kata kata, madinge [ma ding] wa abui’ (Ich habe dich lieb). [Jean Tabi-Manga 1992: 176] ‘Kata kata, je suis fier de toi.’
(4)
‘Kata kata asú [a sù]’ (Dominik kommt) ‘Kata kata arrive.’
[Jean Tabi-Manga 1992: 180]
(5)
‘Bissimbi asú [Bәsimbi ba sù]’ (Die Soldaten kommen) [Jean Tabi-Manga 1992: 180] ‘Les soldats arrivent.’
(6)
‘Mawuo, mawuo [mә wuo]’ (Ich bin gestorben [Hilfe! Hilfe!]). [Jean Tabi-Manga 1992: 200] ‘Je suis mort (Au secours! Au secours!)’
(7)
Der Mann [Zumbeganti (Essomba-Ngonti)] “reichte mir unter ‘Awou maha’ ([sehr trocken, mein Herr!]) die mit Palmwein gefüllte Kalebasse.” [Jean Tabi-Manga 1992: 242]
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Traduit littéralement, ce mot péjoratif que l’on entend encore aujourd’hui en référence à l’ewondo de ceux qui font leurs premiers pas dans la langue signifierait “l’ewondo en guenilles”.
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‘L’homme [Essomba-Ngoti] « me tendit une calebasse pleine de vin de palme en disant ‘Awou maha’ (très sec)’» (8)
‘Dominik, wasu [u dug’ni iya]’ (bist du wieder da) [Jean Tabi-Manga 1992: 239] ‘Dominik, es-tu de retour?’
(9)
Amba stand still, drehte sich halb und zeigte mit der Hand [nach Elefanten] vorwärts: ‘Massa, wajene? [u jεni?]’ (Herr, siehst du?) [Jean Tabi-Manga 1992: 265] ‘Amba s’arrêta soudain, se retourna et tendit la main vers des éléphants devant nous: ‘Maître, vois-tu?’’ 6
L’une des caractéristiques de cette forme linguistique réduite qui est encore usuelle surtout dans la région de l’Est au Cameroun face aux interlocuteurs allogènes est par exemple l’omission des verbes dans certaines phrases. La phrase (1) en est une parfaite illustration. Et lorsque le verbe apparaît dans une phrase comme c’est le cas dans les exemples (2), (4) et (5), il ne s’accorde pas avec le sujet si celui-ci est au pluriel. Le verbe reste à la troisième personne du singulier. Comme de nombreux autres colons allemands et simples locuteurs de cette langue, Dominik ne s’aperçoit nullement du caractère hybride du mongo-ewondo. De ses transcriptions, il ressort qu’aucune distinction n’est faite entre le pronom personnel et le verbe conjugué. Les deux sont toujours jumelés. Il est aussi remarquable que Dominik ne traduit pas toutes les phrases ou tous les éléments de la phrase. Selon toute vraisemblance, ceci survient lorsque leur sens lui échappe. La phrase (7) nous sert d’exemple. Dans ce cas, le lecteur est face à deux phénomènes : d’une part, il y a un problème phonétique et une transcription erronée, de l’autre une phrase non traduite. La phrase qui se réclamerait de la langue ewondo renferme pourtant le mot Maha qui provient de la langue eton. On assiste alors à l’enchevêtrement de deux langues différentes puisque le terme Maha (‘Maître’, ‘patron’, ‘chef’) se dirait plutôt Massa 7 en langue ewondo. Dans le même ordre d’idées, Dominik ne fournit pas d’explication au surnom Kata kata (‘l’indomptable’). Ceci laisse penser que tous les contours de ce surnom ne sont pas évidents au concerné. Mais, de manière générale, la communication entre les colons allemands et les populations avait lieu grâce aux services d’un intermédiaire. On peut alors comprendre pourquoi la fonction d’interprète faite par des personnes originaires des régions administrées fut à la fois prestigieuse et déterminante pour la colonisation. Lorsque Kund et Tappenbeck atteignirent pour la première fois la région de Yaoundé, ils constatèrent avec beaucoup de satisfaction que la langue parlée dans cette zone était accessible aux porteurs et soldats originaires de la partie méridionale de la côte camerounaise, notamment Kribi et Campo, d’où avait été lancé l’expédition pour éviter les foudres des populations douala 6 7
Mise en relief du texte original. Maha et massa seraient des déformations du terme anglais “Master”.
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qui s’y seraient opposées énergiquement. C’est ainsi que le rôle de ces natifs de Kribi et Campo fut essentiel dans les premières négociations avec le Chef Essono Ela, premier souverain de la région de Yaoundé à entrer en contact avec l’expédition allemande. 8 Parmi les personnes qui jouèrent les facilitateurs dans les premières discussions avec les chefs bëti, l’on compte aussi toutes les personnes arrêtées au cours de l’expédition dans les villages traversés par les expéditionnaires et qui s’exprimaient dans l’une ou l’autre langue bëti. Au nombre de ces personnes se trouvait un certain Martin Paul Samba 9 qui, comme quelques autres porteurs, n’était ni Togolais ni Dahoméen, mais originaire de la partie méridionale du Cameroun actuel. Samba est le premier Camerounais, dont les fonctions d’interprète apparaissent clairement dans les transactions entre les colonisateurs allemands et les peuples bëti de Yaoundé et de ses environs. Faisant allusion à lui, Dominik mentionne par exemple dans son ouvrage que Samba ging mit dem Kommandeur nach der Küste, weil er die Jaunde-Sprache beherrschte und bei den Verhandlungen mit den Eingeborenen als Dolmetscher dienen sollte [se rendit avec le Kommandeur vers la côte, parce qu’il [Samba] avait la maîtrise de la langue yaounde et devait de ce fait servir d’interprète dans les pourparlers avec les autochtones]” (Dominik 1911: 175) Meta, l’épouse de Samba, qui était originaire de la rive droite du fleuve Sanaga, 10 assuma également les fonctions d’interprète sous l’administration de Dominik au cours de certains pourparlers. Dans une autre phrase, nous retrouvons le rôle capital que Samba et sa compagne jouèrent dans les expéditions de Dominik: Ich wollte […] das ganze Wute-Gebiet besuchen und hatte deshalb Meta, die bereits sehr gut Jaunde sprach und auf die ich mich vollkommen verlassen konnte zum Dolmetschen mitgenommen. Zampa verstand die Wute-Sprache nicht. [J’envisageais de visiter toute la région wute. Pour ce faire, je me fis accompagner de Meta qui s’exprimait déjà parfaitement en yaounde et sur qui je pouvais compter comme interprète. Samba ne comprenait pas la langue vouté.]” (Dominik 1911: 189) Il est à penser que Meta traduisait de la langue wute en mongo-ewondo et inversement, puisque Dominik ne dit nulle part que ce personnage parlait allemand. Lorsque Samba dont Dominik vante aussi les mérites comme vaillant soldat fut gratifié d’une formation militaire à Berlin pour ses services rendus aux colonisateurs dans le processus 8
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Dominik mentionne quelques-unes de ces autorités locales dans son ouvrage. En dehors de Essono qui apparaît chez lui sous le nom Zonu, il y a Mbasamsoko (c’est-à-dire Omgba Bissogo), Noa, Ngute, Ngilla, Belinga, Kunimanga (entendre Kuna-Manga). Mebenga M’Ebono à la naissance, il fut baptisé par les missionnaires allemands et reçut le prénom Martin-Paul. Chez Dominik, on le retrouve sous le nom Zampa, déformation involontaire de Samba. La Sanaga est le plus long fleuve du Cameroun avec ses 918 km. Pendant un temps, il fut un obstacle à la poursuite de l’expédition allemande vers le Lac Tchad au Nord du territoire.
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d’occupation respectivement sous Curt von Morgen 11 et Hans Dominik, un jeune homme du nom de Karl Atangana, originaire de la station de Yaoundé, prix sa relève comme interprète. Grâce à ce dernier et aux travaux de linguistes comme Martin Heepe, la langue ewondo gagna en popularité en Allemagne où Atangana fut employé à l’enseigner. En raison de ses fonctions comme informateur au Kolonialinstitut de Hamburg de 1911 à 1913 et de l’ouvrage publié en collaboration avec son neveu Paul Messi qui lui succéda à ce poste, Atangana pourrait être considéré à côté des missionnaires pallottins comme l’un des principaux vulgarisateurs de la langue ewondo (Tabi-Manga 2000: 29). Ainsi parvint-il à imposer la langue ewondo comme lingua franca dans sa région natale, lui donnant de l’ascendant sur les langues des trois autres communautés de la région. Sous l’impulsion des missionnaires, la langue ewondo se développa et se propagea considérablement jusqu’à l’Est du territoire où le mongo-ewondo est encore plus présent que dans le Centre où il naquit. Sa fidélité inconditionnelle et presque légendaire vis-à-vis de la puissance militaire allemande l’empêcha même d’interroger l’appellation Jaunde-Sprache employée pour désigner la langue ewondo qu’il acquit à la naissance de part ses origines. Le mot Jaunde est d’ailleurs reproduit fidèlement comme titre de l’ouvrage commun mentionné plus haut. Or, comme nous l’avons déjà souligné, ce terme employé par les Allemands et leurs employés togolais et dahoméens englobait tout autant les Ewondo que les Bënë, les Eton et les Mvelle, sans oublier la langue hybride née dans ce contexte que nous essayons d’aborder dans ce cadre. Alors que les locuteurs natifs des langues bëti savaient faire la différence entre les langues locales et leur variété dialectale, les autres utilisateurs du mongo-ewondo n’avaient visiblement pas conscience de ces différences. Le fait que les locuteurs natifs n’avaient pas cédé à la tentation de corriger leurs interlocuteurs dans le maniement des langues bëti au point de laisser émerger une forme hybride nous fait croire aujourd’hui que cette attitude des natifs avait une dimension pour le moins maligne à défaut d’être subversive. Au vu des difficultés relevées dans les phrases transcrites par Dominik, il est clair que la communication directe entre les Allemands et les populations ne fut pas des plus aisées. Pas étonnant que la communication non verbale vînt toujours renforcer la première forme de communication.
3. La communication non verbale La communication non verbale se déroule souvent sans paroles mais, sans pour autant être absolument liée à l’usage formel des langues, elle apparaît parallèlement à la communication verbale. Chez Dominik, elle est présentée sous trois formes: gestuelle, mi11
Curt Ernst von Morgen (1858–1928) était officier allemand et expéditionnaire. En tant que successeur du lieutenant Hans Tappenbeck en fonction dans l’arrière-pays camerounais, il finit par prendre la tête de l’expédition suite à une maladie de Richard Kund, chef de l‘expédition.
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mique et symbolique. Ces trois formes sont utilisées dans des situations de communication directe. Ces composantes comprennent par ailleurs les formes de communication propres au corps. Dans des situations de communication indirecte, les colons avaient recours à un assistant et/ou à certains moyens de communication préexistants au niveau local. Il s’agissait surtout du tam-tam, des messagers et des partenaires indigènes. Le tam-tam que les colons baptisèrent la “télégraphie africaine” (cf. Haase 1922: 2) était battu par des populations locales et servait à la transmission rapide des nouvelles et informations sur des distances relativement longues. Les habitants d’un certain âge du quartier Mvolyé 12 à Yaoundé où les missionnaires pallottins s’installèrent et bâtirent leur première chapelle sur le sol bëti affirment que, par personne interposée, Zenker et Dominik firent abondamment usage de moyen de communication pour émettre des informations indirectes des chefs locaux. Les personnes interrogées 13 sont unanimes sur le fait que des messagers furent également employés chaque fois qu’un colon demandait une information confidentielle d’un chef local, ou lorsqu’il s’agissait de donner des ordres à caractère non-officiel. La transmission de telles informations par le biais du tam-tam dont les sons n’échappaient nullement à la majeure partie de la population locale en eût sans doute fait des secrets de Polichinelle. Certaines personnes interrogées affirment que des messagers furent particulièrement utiles aux colonisateurs pour des affaires privées telles que des aventures. Parlant justement des partenaires camerounaises des administrateurs allemands de la région de Yaoundé, il est de mise de souligner le rôle ambivalent joué par celles-ci à cette époque. Mise à part leur statut officiel de partenaire, Laburthe-Tolra nous apprend qu’elles servirent aussi d’espionnes à la puissance coloniale. L’anthropologue les présente en effet comme des “antennes de la colonisation” en ce sens qu’elles livrèrent plusieurs secrets relatifs à leur communauté aux colonisateurs. Ces derniers eurent plusieurs avantages politiques grâce à ce service d’espionnage gratuit. Ainsi démasquèrent-ils certains complots ourdis contre eux, les contrecarrèrent et purent poursuivre l’occupation et l’administration du hinterland avec succès. Ces partenaires camerounaises furent aussi utiles dans le décodage des messages véhiculés par le tam-tam. Certains de nos informateurs affirment que le son du tam-tam, sans toutefois être à l’origine de ces unions entre Camerounaises et Allemands, y aurait tout de même contribué de façon considérable. A ce point, apprenonsnous, les colons ne firent pas confiance aux interprètes de sexe masculin. Or, leur sécurité et dans une large mesure le progrès de l’entreprise coloniale reposaient au moins en partie sur la maîtrise des informations courantes et partant, du son du tam-tam alors quasi vital. Pour éviter les traquenards éventuels des populations locales, les colons auraient ainsi impliqué leurs partenaires camerounaises dans leur besogne. Cependant, toute tendance à réduire ces femmes à de simples sujets sans volonté propre, faisant tout 12 13
C’est ici que fut fondée la première mission par Mgr. Heinrich Vieter, premier évêque de Yaoundé. Ce travail repose aussi sur les témoignages de deux informateurs que l’auteur a rencontrés le 1er septembre 2008 à Yaoundé: J.-J. Atangana (46), petit-fils du chef supérieur Karl Atangana et J.E. Mbarga (51), administrateur de la bibliothèque Charles Atangana au quartier Efoulan.
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selon le bon vouloir du colonisateur allemand serait faire montre d’une étroitesse de vue coupable. Nonobstant cette proximité de la source de l’instruction à l’occidentale qui venait de prendre corps dans la région, les femmes des colons ne purent accéder aux écoles allemandes, ce qui les réduisit dans leur interaction avec le monde colonial à l’usage du mongo-ewondo. Quoi qu’il en soit, les liaisons avec les femmes bëti souvent mal appréciées du point de vue de la métropole s’avérèrent être un phénomène inhérent à l’occupation du territoire. Les colons qui y étaient engagés furent donc accusés de “tropicalisation” ou d’“indigénisation”. D’un certain point de vue, il était admis que les relations amoureuses entre colons et femmes locales conduisaient fatalement à une appropriation des coutumes et usages de terroir. Sans toutefois tenter de confirmer cette thèse qui cachait mal d’autres idées, il convient de présenter un tant soit peu la vision de ces informateurs qui affirment que Zenker dont le nom fut déformé en “Sanguila” pour des raisons d’adaptation, put ainsi élargir à la fois ses collections et ses connaissances sur les communautés bëti. Cela n’eût jamais été possible sans le concours d’une fille ewondo du nom de Embolo qu’il épousa en deuxième noce alors qu’il était marié à une femme originaire du Togo qui, au départ, accompagnait les soldats. Grâce aux services de sa femme ewondo, Zenker serait parvenu au décodage du son du tam-tam après avoir appris la langue et les mœurs bëti auprès d’elle (cf. Laburthe-Tolra 1970: 7). La soi-disant “tropicalisation” qui n’excluait guère les habitudes alimentaires comme on peut l’observer à la phrase (7), pourrait également être entendue comme forme de communication non verbale. Les administrateurs coloniaux l’utilisèrent de manière stratégique pour s’attirer la sympathie des populations locales et ipso facto pour contourner d’éventuels conflits et antagonismes à l’avance. Du reste, le gouverneur Jesko von Puttkamer prescrivit expressément des liaisons avec des Camerounaises. Et, comme pour joindre l’acte à la parole, il en épousa lui-même une pour montrer l’exemple. Des actes de communication furent par ailleurs posés dans des situations de communication directe. De tels actes eurent pour fonction soit de compléter la communication verbale, soit de la renforcer. Les multiples objets que les Allemands et les Bëti échangèrent pour se faire plaisir peuvent être cités à titre d’exemple. Plus on était content de la rencontre, plus généreux et plus grande était la valeur des objets offerts. L’échange des cadeaux est une marque de confiance très significative. Pas étonnant alors que les chefs locaux face aux Allemands aient eu recours à une vieille pratique qui reste en usage jusqu’à ce jour au sein des communautés bëti. Celle-ci consistait à confier un enfant aux personnes de confiance. Cette coutume de l’espace linguistique bëti fut étendue aux colons. C’est ainsi que Kund et son compagnon Tappenbeck eurent la charge de Samba. Quant à Dominik, il accueillit également de nombreux enfants dont Karl Atangana. Il arrivait donc que plusieurs enfants fassent l’objet de cette marque d’une amitié indéfectible comme on peut le lire chez Atangana & Messi : Im Jahre 1896 nahm mich der jüngere Bruder meines Vaters, Häuptling Esombangonti, samt zweien meiner Brüder und übergab uns Dominik (…). [En 1896,
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le frère cadet de mon père, le chef Essombangonti, me prit avec deux de mes frères et nous confía à Dominik (…)] (Atangana & Messi 1919: 89). Dans son ouvrage déjà cité, Dominik relate la scène de sa rencontre avec le redoutable chef Ngute, qui lui rendit ses civilités de cette même manière. Dominik écrit: Als Zeichen aufrichtiger Freundschaft hatte Ngute mir einen seiner Söhne, einen ungefähr achtjährigen munteren kleinen Burschen, mitgegeben [En signe d’amitié sincère, Ngute me confia un ses fils, un aimable jeune garçon d’environ huit ans.] (Dominik 1911: 189). Dans le cadre de cette étude, de tels actes à coloration diplomatique sont très significatifs parce qu’ils sont aussi l’expression latente d’un pacte de non-agression. Ceci est d’autant plus vrai que les colons étaient des étrangers et des ennemis potentiels avec lesquels de grands chefs de guerre tels Ngute entendaient bien signer des accords de paix durables pour renforcer leur autorité. Que les colons scellèrent ces pactes pour des raisons stratégiques dont la finalité était de mieux poursuivre leur mission colonisatrice puisqu’il leur arriva de les violer plus tard sans remords, ne fait l’ombre d’aucun doute. Mis à part ces traités symboliques au travers de cadeaux, les lacunes dans la communication verbale furent aussi comblées par des signes du quotidien lorsqu’un échec dans la communication était prévisible pour des raisons spécifiques à l’une ou l’autre des cultures impliquées. Pour ce cas nous trouvons aussi une bonne illustration chez Dominik. Lors d’une rencontre au cours de laquelle les détails sur les dimensions d’une route publique en voie de construction devaient être données aux chefs locaux chargés de la supervision des travaux dans leurs circonscriptions respectives, Dominik dit s’être servi d’une palme longue de 4 mètres comme unité de mesure. L’auteur laisse ainsi entendre que le mètre comme unité de mesure fut inconnu à ses interlocuteurs parce qu’ils utilisaient d’autres unités de mesure dont Dominik avaient visiblement connaissance à cette phase de ses fonctions. L’inclination à la “tropicalisation” qui n’était parfois qu’un penchant manifeste à s’intégrer dans la culture bëti pour mieux la connaître et l’intraduisibilité de quelques-unes des facettes de la vie propres aux cultures contraignirent les différents protagonistes à beaucoup de créativité. C’est le cas de Dominik qui, dans cet exemple, recourt aux matériaux locaux de la région pour atteindre le résultat escompté. On voit aussi que les colonisateurs étaient astreints à l’usage de modes de communication locaux lorsqu’ils se servent d’entailles faites sur des arbres pendant leurs expéditions dans la forêt dense équatoriale. Qu’à cela ne tienne, les multiples difficultés dans la communication entre Allemands et chefs locaux rendirent les entremetteurs comme des interprètes indispensables dans ce processus. On pourrait ici évoquer la communication chez Hans Dominik. De manière schématique, elle se présente comme suit: 14 14
Schéma de l’auteur.
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Chef local
Messager Tam-tam Interprète Partenaire
Message
Message
Hans Dominik
Message
Messager Tam-tam message Interprète Partenaire
Schéma de la communication avec entremetteur
En définitive, nous avons essayé de montrer dans cette étude que le contact entre les colons allemands et les populations de l’actuelle capitale politique du Cameroun et ses environs contribua à l’émergence d’idiome autonome au sein de l’espace linguistique bëti. C’est dans cette optique que nous nous sommes appuyé sur les périodes de fonction respectives de Georg Zenker et Hans Domink pour analyser la communication et ses différentes formes. Les colons allemands et leurs porteurs et autres soldats d’origine étrangère utilisèrent plusieurs formes de communication dans leurs multiples contacts avec les Bëti. Il y eut principalement la communication verbale et celle non verbale. Sur un plan purement linguistique, les colons et leurs employés étrangers ne surent pas saisir et internaliser les nuances et subtilités des langues locales. Aussi les colons prirent-ils des langues certes proches mais différentes pour une seule. Dans des situations de communication avec entremetteur, ils eurent recours à des interprètes, à des messagers, à des femmes bëti et au tam-tam. Vu les nombreuses difficultés et la complexité qui compromettaient parfois la compréhension, la combinaison des formes de communication verbale et non-verbale fut très usuelle. Il est fort probable que la variété dialectale des langues bëti qui de nos jours est encore perceptible dans la partie orientale du Cameroun vit le jour et se développa dans ce contexte. A l’époque de sa naissance, elle fut utilisée aussi bien par les étrangers de l’espace linguistique bëti que par les populations locales dans leurs contacts avec ces hôtes souvent mal appréciés. Les natifs de cet espace l’utilisèrent d’une part pour faciliter la compréhension à ceux qui s’exerçaient dans les langues bëti, d’autre part pour exprimer une forme de résistance subtile face aux colons. A travers cet usage ambivalent du mongo-ewondo par les natifs transparaît l’attitude générale des populations bëti face au colonialisme allemand. A
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l’exception d’un redoutable résistant comme Omgba Bissogo 15 dont l’opposition à la colonisation est aujourd’hui légendaire, le colonialisme allemand ne rencontra pas d’obstacle majeur dans la région bëti. Inutile de mentionner l’inefficience de cette forme de résistance limitée au langage. Il convient de retenir que le mongo-ewondo est aujourd’hui menacé d’extinction face à la grande puissance des deux langues officielles du Cameroun que sont l’anglais et le français. Comme on peut le voir, deux conditions principales sont requises afin qu’une conversation puisse se tenir dans cette langue hybride. Premièrement, la langue locale doit être étrangère à l’un des interlocuteurs. Deuxièmement, le français qui a pris le pas sur toutes les autres langues de la zone doit échapper à l’autre interlocuteur. La régression de ce parler s’explique donc par le fait que peu d’individus remplissent ces conditions de nos jours dans la région bëti. La conséquence en est que le mongo-ewondo est plus enclin à une disparition prochaine que les langues camerounaises qui, elles, sont encore transmises oralement de génération en génération.
Bibliographie Atangana, Karl & Messi, Paul (1919): Jaunde-Texte. Experimentalphonetische Untersuchungen über die Tonhöhen im Jaunde und einer Einführung in die Jaunde-Sprache. Hamburg: Friederichsen. Dominik, Hans (1911): Kamerun. Sechs Kriegs- und Friedensjahre in deutschen Tropen. Berlin: Stilke. Haase, Lene (1922): Die Helden und andere afrikanische Geschichten. Berlin: Flemming & Wiskott. Laburthe-Tolra, Philippe (ed.) (1970): Yaoundé d’après Zenker (1895). Le plan de 1892. L’article de 1895. Reproduction du texte allemand et des 6 planches originales, avec un portrait de l’auteur, in: Annales de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Yaoundé 2. Dijon: Presses Universitaires. 15
Ombga Bissogo fut l’une des rares autorités locales de sa région à s’opposer farouchement au colonialisme allemand. En 1895, il livra une bataille sans merci aux colons. Il gagna la bataille mais, trahi par l’une de ses épouses comme le rapporte une anecdote, il fut capturé lors d’une attaque surprise des troupes coloniales contre son village Mvog-Betsi (aujourd’hui un quartier de Yaoundé). Ombga Bissogo fut déporté à la station où on le jeta d’abord en prison, puis l‘exécuta. Mevengué Symphorien (1928–1996), fils de Ayissi Etah (1890–1969), un porteur camerounais de Dominik, nous a appris avant sa mort une chanson dont se servirent les camarades de son père pendant leur formation militaire pour se moquer de l’instructeur allemand, lequel leur ordonnait en mongo-ewondo de chanter. Les paroles traduites par nous sont les suivantes: Zá kán’ y mô bezimi nâ Drôle de soldat que tu sois ! Téh ngál, téh ikpa ! Sans fusil ni casquette ! Á má nung medjòk á tóm’li Pour cuver ton vin du déjeuner Á ze wéh bôt l’ibòp y ! Tu viens nous flageller ! Zá kán’ y mô bezimi nâ Drôle de soldat que tu sois ! Téh ngál, téh ikpa ! Sans fusil ni casquette ! Á mádi mbòk esómló Les termites par toi ingurgités Á ze wéh bôt é minsuli ! Lâchent des vents putrides !
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Laburthe-Tolra, Philippe (ed.) (1975): A travers le Cameroun du Sud au Nord. Voyages et explorations dans l’arrière-pays de 1889 à 1891. Curt von Morgen. Commentaires, Bibliographie, Index. Yaoundé: Université Fédérale du Cameroun. Morgen, Curt von (1893): Durch Kamerun von Süd nach Nord. Reisen und Forschungen im Hinterland 1889 bis 1891. Leipzig: Brockhaus. Mveng, Engelbert (1985): Histoire du Cameroun, Tome II. Yaoundé: CEPER. Nyada, Germain (2009): Deutsch-kamerunische Kommunikationssituationen. Unterhaltungen mit den “Jaunde” im Regenwald (1890–1910), in: Denzel, Markus A. et al. (eds.), Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte, Band 9. Wiesbaden: Harrassowitz, 225–234. Ombolo, Jean-Pierre (2000): Être Bëti. Un art africain d'être un homme et de vivre en société? Essai d’analyse de l’esprit d’une population, une étude ethno-historique. Yaoundé: Presses universitaires de Yaoundé. Quinn, Frederic E. (1989): Rain forest encounters: The Bëti meet the Germans 1887–1916, in: Njeuma, Martin (ed.), Introduction to the history of Cameroon in the nineteenth and twentieth centuries, Hong Kong et al.: Macmillan, 88–105. Renaud, Patrick (1979): Le français au Cameroun, in: Valdmann, Albert (ed.), Le français hors de la France, Paris: Les Belles Lettres, 419–439. Renaud, Patrick (2000): De la véhicularité, in: Boucher, Karine (ed.), Le français et ses usages à l’écrit et à l’oral: dans le sillage de Suzanne Lafage. Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle, 49– 72. Tabi-Manga, Jean (1992): De la grammaire de l’ewondo à une théorie du mot (Essai de linguistique guillaumienne dans le domaine bantu). Paris: Didier Erudition. Tabi-Manga, Jean (2000): Les politiques linguistiques du Cameroun. Essai d’aménagement linguistique. Paris: Editions Karthala. Tessmann, Günter (1913): Die Pangwe. Völkerkundliche Monographie eines westafrikanischen Negerstammes. Ergebnisse der Lübecker Pangwe-Expedition 1907–1909 und früherer Forschungen 1904–1907. Berlin: Wasmuth.
BRIGITTE WEBER (KLAGENFURT)
Deutsch-Kamerun: Einblicke in die sprachliche Situation der Kolonie und den deutschen Einfluss auf das Kameruner Pidgin-Englisch
Abstract Die Sprachpolitik in der deutschen Kolonie Kamerun ist zunächst gekennzeichnet durch Unsicherheit auf Grund von Meinungsverschiedenheiten zwischen der Regierung und den Missionaren, aber auch zwischen den Kolonialherren in Deutschland und den Deutschen, die in Kamerun leben. Diese Diskussionen finden Ausdruck in verschiedenen Dokumenten, die in dieser Arbeit herangezogen werden. In den 90er Jahren lebten noch viele Deutsch sprechende Kameruner. Hat die deutsche Kolonialzeit eine nachhaltige Auswirkung auf die Sprachen Kameruns? Wo lassen sich deutsche Einflüsse feststellen? Anhand von Beispielen aus dem Kameruner Pidgin-Englisch (KPE), der Sprache, mit der sich die Deutschen bei ihrer Ankunft in der Kolonie Kamerun als Erstes auseinandersetzen mussten und die – zumindest seit dem fünfzehnten Jahrhundert – die Geschichte dieses Abschnittes der Westafrikanischen Küste widerspiegelt, werden deutsche Einflüsse verdeutlicht.
1. Einleitung Die ersten deutschen Kolonialversuche an der westafrikanischen Küste wurden im 18. Jahrhundert unter dem “großen Kurfürsten von Brandenburg“ im Golf von Guinea durchgeführt. Es wurde die Festung Großfriedrichsburg errichtet. Kurfürst Friedrich gründete die Brandenburg-Africanische Compagnie (van der Heyden 2002: 14ff.). Da aber der Überseehandel nicht den erhofften Ertrag erbrachte und die klimatischen Verhältnisse im tropischen Urwald für deutsche Bergleute unerträglich waren, wurde sie an die Niederländisch-Westindische Kompanie verkauft. Der Große Kurfürst mit seinen merkantilistischen Vorstellungen wird noch heute als der “geistige Vater der deutschen Kolonialpolitik” gesehen. Im Juli 1884 entsandte der deutsche Reichskanzler Bismarck den Arzt und Afrikaforscher Dr. Gustav Nachtigal als Sonderbeauftragten des Deutschen Reiches nach Westafrika, wo er ”Freundschafts-, Handels- und Protectoratsverträge” an der Küste gegenüber der Insel Fernando-Poo, in der Bai von Biafra, abschließen sollte (Tunis 2002: 98ff.). Nachdem Nachtigal Anfang Juli Gebiete im nahe gelegenen Togo unter “kaiserlichen Schutz” gestellt hatte, erreichte er am 11. Juli die Kamerunbucht, wo er mit dem “Duala-Häuptling King Bell” einen “Schutzvertrag” abschloss. Sein Begleiter,
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der Arzt Dr. Max Buchner, wurde als “interimistischer Vertreter des Deutschen Reichs” für Kamerun und Bimbia 1 eingesetzt, da Nachtigal weiterreiste, um Schutzverträge im südwestlichen Afrika zu unterzeichnen (Karte von Deutsch Kamerun im Appendix ). Bei der Erforschung und Eroberung weiterer Gebiete in Kamerun kam es immer wieder zu Kämpfen mit “aufständischen” Ethnien. Noch im Jahre 1884 erfolgte der erste große Aufstand der Bewohner von Hickory Town – früher Nigger Town genannt – gegen die deutsche Amtsgewalt. “Sie protestierten gegen das Hissen der deutschen Flagge über ihrer Ortschaft. Dieses Hissen sei geschehen, ohne dass sie gefragt worden wären […]” (Buchner 1914: 121). Eine größere Erhebung im Dezember veranlasste Buchner, Admiral Knorr der Kriegsmarine zu rufen, um die Rebellion niederzuschlagen. Dieser zerstörte dann Hickory Town. 2 Der Anführer war Lock Priso, der mit seinen Leuten gegen den Willen von King Bell und den von ihm unterzeichneten Bestimmungen des Schutzvertrages die englische der deutschen Schutzherrschaft vorzog (kopierte Briefe von Lock Priso hat mir Magnus Huber zukommen lassen). Auf weitere Forschungsliteratur wird im Abschnitt 4.2. eingegangen. Im folgenden werden vor allem drei Aspekte beleuchtet: in Kapitel 2 wird die allgemeine Sprachsituation, wie die Deutschen sie vorfanden und wie sie damit umgingen, dargestellt. Eine nähere Beschreibung des Pidgin mit allen seinen Einflüssen wird in Kapitel 3 gegeben. In Kapitel 4 werden Beispiele aus der Kolonialliteratur angeführt, die über die Sprachsituation Einblick geben. Die offiziellen Berichte sind aus deutschen oder Kameruner Zeitungen oder Zeitschriften; Forschungsberichte beinhalten mehr oder weniger detaillierte Sprachbeobachtungen und Analysen. Die Missionsliteratur gliedert sich in allgemeine Beobachtungen, Erziehungsliteratur und Studien einheimischer Sprachen. Deutsche Dokumente befassen sich eingehend mit dem KPE beziehungsweise mit dem Krio. Die Verwendung dieser Lingua Franca zwischen den Einheimischen, wie auch zwischen Einheimischen und Deutschen, wird anhand von Beispielen beleuchtet. Die negative Einstellung zu dieser Sprache von offizieller Seite findet in fast allen Dokumenten Ausdruck. Ein Vergleich von KPE und Krio, der Kreolsprache von Sierra Leone, zeigt erstaunliche Gemeinsamkeiten, mehr als mit jeder anderen Varietät des westafrikanischen Pidgin, was wohl auf den Einfluss von Krio sprechenden Missionaren von Fernando Poo (Bioko) zurückzuführen ist. Der Vergleich zeigt aber auch spezielle Verschiedenheiten im Vokabular auf, die auf deutschen Einfluss zurückzuführen sein könnten.
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Ein Königreich nahe der Siedlung Duala und eine bedeutende, frühe Baptistenmission. Buchner (1886: 4684) schreibt dazu: “Am nördlichen Ufer des Kamerun-Flusses hatten die Vorfahren unseres jetzigen King Bell ihre Nigger Town, ein größeres Dorf, in dem man die Sklaven aufbewahrte, bis sie verschifft werden konnten. Als später der feindliche Onkel Lock Priso dort sich ansiedelte, wurde der anstößige Name von den englischen Missionären zartsinnig in Hickory Town umgetauft.”
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2. Die Sprachsituation Kameruns charakteristischer Beiname, Afrique en miniature, bezieht sich auf die hohe Sprachenvielfalt, wie auch auf geographische Gegebenheiten. Die Mannigfaltigkeit der Landschaftsformen bringt auch eine reiche Differenziertheit von Flora und Fauna mit sich, und wie auch in anderen Gebieten in Äquatornähe, ist eine hohe Biodiversität mit einer hohen Sprachenvielfalt gekoppelt (Nettle & Romaine 2000: 44). In einer Rangliste von 218 Ländern der Welt von der höchsten zur niedrigsten Sprachenvielfalt liegt Kamerun an neunter Stelle, nach Papua Neuguinea, das an der Spitze liegt, aber vor Nigeria, das Platz zwanzig einnimmt. Die Zahl der afrikanischen Sprachen variiert je nach Quellen. Ethnologue (2005: 30) zum Beispiel führt 286 Sprachen an, davon 279 lebende Sprachen, drei Zweitsprachen ohne Muttersprachler und vier ausgestorbene Sprachen. Wolf (2001: 149) weist darauf hin, dass die Schwierigkeiten für die Klassifizierung zwischen Sprachen und Dialekten noch dadurch vergrößert werden, dass es in den einheimischen Sprachen keinen Begriff für “Dialekt” gibt. Die Bevölkerung der Republik Cameroon/Cameroun 3 ist heute, wie auch während der deutschen Kolonialzeit, aus zahlreichen, zum Teil sehr verschiedenartigen Ethnien zusammengesetzt (Anchimbe 2006: 44). Die mehr als 200 Ethnien können in drei Obergruppen zusammengefasst werden: Die des Nordens, die des Südens und die der westlichen Hochlandregionen (Levinson 1998; Mveng 1984; Debel 1977). In den nördlichen Provinzen herrschen die Gruppen der “Sudanneger” und Fulbe vor, im Westen sind hauptsächlich die “Semi-Bantu” zu finden, aber auch Bantu, die sich ursprünglich nur im Zentrum und in den südöstlichen Provinzen niedergelassen hatten. Die Sprachen der Einheimischen gehören drei der vier afrikanischen Hauptsprachgruppen an: Niger-Congo, Nilo-Saharan, Afro-Asiatic. Die vierte Gruppe, die der Khoisan Sprachen ist nicht vertreten. Es gibt einige Verkehrssprachen für die interethnische Verständigung. Ihre Zahl variiert in verschiedenen Quellen. Die anerkanntesten unter ihnen sind: Fulfulde, das von drei Millionen Menschen im Norden gesprochen wird, Bulu im Süden, Ewondo4 in und um Yaounde, Duala 5 an der Küste und Mungaka im Zentrum. Bulu und Ewondo wurden von den Deutschen bevorzugt und aufgewertet. Bates-Mims schreibt in ihrer Dissertation: […] the Germans designated Ewondo and Bulu as the languages of administration and religious missionary work. Among the Protestants, Bulu became the 3
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Orthographie und Name des Landes änderten sich mit den Eroberern: Die Portugiesen nannten das Gebiet Camarões, für die Deutschen war es die Kolonie Kamerun, von den Franzosen wurde das Land Cameroun genannt, von den Engländern Cameroon. Diese beiden letztgenannten Bezeichnungen werden auch heute im Schriftverkehr – je nach Sprache – verwendet. Heine (1973: 58) beschreibt ein Pidgin namens Bulu bediliva (‘Bulu der Autofahrer’), oder pidgin Ewondo oder Ewondo populaire, dessen Entwicklung im Zusammenhang steht mit Verkehr, Verstädterung und Handel. Douala mit französischer Orthographie.
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language of prestige, as did Ewondo among the Catholics. Politically, Yaounde was established as the capital city in Ewondo territory, while economic and educational development were emphasized in Bulu territory (Bates-Mims 1986: 11). Wolf (2001: 153) und Echu (2002) zählen noch Basa, Hausa, Wandala, Kanuri und Choa Arabisch als weitere Verkehrssprachen auf. Aus der deutschen Kolonialzeit gibt es zahlreiche Beschreibungen und Tagebuchaufzeichnungen der Kolonie Kamerun 6 (siehe Abschnitt Forschungsliteratur; Buchner 1914; Seidel 1906 sowie Zeitschriftenartikel), in denen jeweils ein längerer oder kürzerer Abschnitt der Sprachenfrage gewidmet ist. Aus diesen Beschreibungen geht hervor, dass diese “Sprachenzersplitterung” schwierig zu meistern war. Die Abhängigkeit von Dolmetschern war unangenehm und ihre Verfügbarkeit auch nicht immer möglich. Durch die gelegentliche Verständigung mit Hilfe des Englischen, das zuweilen von Einheimischen verstanden und dann für andere in deren Muttersprachen übersetzt wurde, ergaben sich manchmal folgenschwere Missverständnisse (Seidel 1906: 194). Am besten konnten sich die deutschen Regierungsbeamten und Geschäftsleute in der hauptsächlich an der Küste gesprochenen Handelssprache, dem “scheußlichen Küstenenglisch”, verständigen. Diese Sprache erfreute sich eines starken Gebrauchs, was aber seitens der Regierung, von offizieller Seite, sehr bemängelt wurde. Schließlich sollte in einer deutschen Kolonie einmal Deutsch gesprochen werden! In ihrer umfassenden Arbeit über die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun bringt Karin Hausen (1970) zum Ausdruck, dass die deutsche Kolonialverwaltung es als ihre Aufgabe sah, aus wirtschaftspolitischen wie auch aus verwaltungstechnischen Gründen, eine Vereinheitlichung der traditionellen Gesellschaften anzustreben. Eine generalisierende Behandlung der Kolonialbevölkerung schien schwierig durchsetzbar bei mehr als 130 autonomen Völkern in Kamerun. Allein das Sprachproblem zeigte sich als äußerst kompliziert. Hausen (1970: 160) fasst zusammen: […] während im Norden der Kolonie Hausa als Verkehrssprache weit verbreitet war, gab es im Grasland keinen in größeren Regionen allgemein verständlichen Dialekt. Da die deutschen Kolonisatoren unter diesen Bedingungen keine afrikanische Umgangssprache erlernen konnten, blieben sie angewiesen auf einen – in einem Kommunikationsvorgang häufig mehrere – Dolmetscher. Zur großen Entrüstung deutsch-bewußter Kolonialpolitiker zeigte noch am ehesten das PidginEnglish, eine in vorkolonialer Zeit an der Küste entwickelte Handelssprache, die Tendenz, sich zur Lingua-Franca zu entwickeln – und zwar mit kräftiger Unterstützung der “sprachlosen” Deutschen. Die Frage, ob stattdessen die deutsche oder eine afrikanische, politisch weniger suspekte als die Duala-Sprache zur offiziellen Verkehrssprache erklärt werden sollte, wurde bis 1914 lebhaft diskutiert (Amtsblatt 1913, S. 66) […] 6
Im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialzeit verwende ich die deutsche Orthographie.
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Während der Erforschung und Eroberung des Landes wurden auch sprachliche Beobachtungen niedergeschrieben, die meist Beschreibungen von einheimischen Sprachen aus den Gebieten beinhalten, die gerade unterworfen und durchforscht wurden. Die Handelssprache an der Küste war Gegenstand ausführlicher Studien. Während der deutschen Kolonialzeit wurde diese Sprache zum ersten Mal niedergeschrieben.
3. Das Kameruner Pidgin-Englisch (KPE) Das KPE ist die Varietät des Westafrikanischen Pidgin-Englisch (WAPE), das in der vielsprachigen Republik Kamerun gesprochen wird, wo es die Rolle einer Lingua Franca spielt. Andere Bezeichnungen für diese Sprache sind: Bush English, Broken English (Echu 2002) und in der Literatur erscheint es als Cameroon Creole, Wes-Cos (Schneider 1965), Cameroonian (Todd 1979) und Kamtok (Ngome 1986; Todd & Jumbam 1992). In Dokumenten der deutschen Kolonialzeit wird diese Sprache Neger-Englisch (von Hagen 1908; Grade 1892; Emonts 1922), Küstenenglisch (Hutter 1902; Seidel 1906) oder Küstendeutsch (Zintgraff 1895), Pigeon Englisch (Kamerun-Post 1913) und Kamerun-Englisch, Kameruner Englisch (Buchner 1886) genannt. Sprachkontakt hat in vielfältiger Weise zur Entwicklung dieser Lingua Franca beigetragen. Auf drei Faktoren im Besonderen wird im Folgenden eingegangen: Erstens die Entwicklung des Westafrikanischen Pidgin-Englisch, von dem das Kameruner Pidgin ein Zweig ist, zweitens die Entwicklung des Krio, der Kreolsprache von Sierra Leone, von der auch sprachliche Merkmale im KPE zu finden sind, und drittens der mögliche Einfluss des Deutschen auf das KPE. Auch wenn die Etymologie eines Begriffes nicht immer klar dem Deutschen allein zugeordnet werden kann – Englische Ausdrücke gehen manchmal auf denselben Ursprung (wie das Deutsche) zurück – so ist ein deutscher Einfluss dennoch offensichtlich. 7 Mühlhäusler (1997: 2) führt an, dass Begriffe mit mehrfachen Etymologien eine höhere Überlebenschance haben, und er zitiert dazu viele Beispiele aus Tok Pisin, der Kreolsprache von Papua-Neuguinea: […] Because they [pidgin languages] emerge as vehicles of intercommunication between speakers of many different languages, coincidence of form and similarity of meaning across languages will give a word a high survival rate. I have found, for instance, that in the early formative years of Tok Pisin (New Guinea PE), up to 50% of the lexicon could be traced back to more than one language […] Er fand dieses Phänomen schon bei Schuchardt (1909) erwähnt, bezogen auf die Lingua Franca des Mittelalters. “Many [Arabic loans] give the impression that they were introduced due to similarity with corresponding Romance forms” (Mühlhäusler 1997: 2). 7
Siehe ia/oa (ear, ‘Ohr’), blot (blood, ‘Blut’), broda (brother, ‘Bruder’), darekto (director, ‘Direktor’) usw.
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3.1. Das Westafrikanische Pidgin-Englisch und Krio, die Kreolsprache von Sierra Leone: zwei Grundlagen für das KPE? Kontakte mit Europäern an der Westafrikanischen Küste gab es seit dem 15. Jahrhundert, es gibt allerdings auch schon Berichte von Umseglungen des afrikanischen Kontinents in der Antike durch die Phönizier und Karthager (Mveng 1985: 57; Hutter 1902: 4). Als die Portugiesen mehr als tausend Jahre später Entdeckungsreisen an der Küste Afrikas unternahmen, ließen sie sich von Afrikanern begleiten, die sich als Dolmetscher betätigten, jedoch wegen der großen Sprachenvielfalt nur für kurze Küstenabschnitte von Nutzen waren. Die Portugiesen ihrerseits errichteten eine Schule, um die Afrikaner ein vereinfachtes Portugiesisch zu lehren. Dies könnte wegweisend für die Entwicklung der Europäischen Pidgin- und Kreolsprachen gewesen sein (Naro 1978: 314–347). Kamerun verdankt auch seinen Namen den portugiesischen Forschern. Diese sahen tausende von Garnelen und Krabben auf ihrer Wanderung vom Flussdelta zum Meer und nannten deshalb den Fluss Rio dos Camarões. Von den Deutschen wurde er danach Kamerunfluss genannt und die Siedlung der Duala Kamerunstadt. Bald dehnte sich dieser Begriff auf das ganze Land aus. Das Westafrikanische Pidgin-Englisch entstand aus einer vereinfachten Handelssprache, die sich zwischen Afrikanern und Europäern entwickelte. Die mündliche Kommunikation war zweckgebunden und keine Gruppe lernte die Muttersprache einer anderen Gruppe. Wie Holm (2010: 254) über Pidgins ausführt, lernen die Sprecher der weniger mächtigen Gruppe (= Sprecher der Substratsprache/n) das Vokabular der mächtigeren Gruppe (= Sprecher der Superstratsprache/n). Diese wiederum nehmen viele Veränderungen der Substratsprecher an bezüglich Aussprache, Grammatik und Wortbedeutung, integrieren diese in ihre eigene Sprache und sprechen sie nicht mehr so, wie sie es in ihrer eigenen Gruppe tun würden. Sie konstruieren eine “Notsprache” für bestimmte Bedürfnisse. Holm legt weiters dar, dass die beteiligten Sprachen typologisch verschieden sein müssen und dass die verschiedenen Gruppen eine soziale Distanz bewahren müssen. Dies alles traf auf die westafrikanische Küste zu. Die ersten Europäer waren Portugiesen, was im Vokabular noch deutlich zu erkennen ist. Obwohl die Anzahl von Wörtern portugiesischen Ursprungs sehr niedrig ist, ist die Häufigkeit ihrer Verwendung sehr hoch (Weber 2008: 262). Engländer und Holländer folgten und hinterließen ihre sprachlichen Spuren. Einzelne Küstenstreifen sind nach den jeweiligen Handelsgütern benannt: Pfefferküste, Elfenbeinküste, Goldküste und Sklavenküste. Die Kommunikation zwischen Europäern und Afrikanern erfolgte in einer vereinfachten Sprache zum Zwecke des Handels. Die portugiesische Basis des Lexikons wurde allmählich von einer englischen ersetzt. Huber (1999: 57) nennt diese Handelssprache “medium of inter-ethnic communication” (MIC) im Unterschied zu einem “medium of community solidarity” (MCS), das eine Weiterentwicklung und Ausweitung einer MIC, einer auf eine bestimmte Funktion beschränkten Sprache, bedeutet. Eine solche Sprachentwicklung vollzieht sich durch das Herausgerissenwerden aus einer Sprachge-
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meinschaft, wie es zum Beispiel während des Sklavenhandels oft passierte. Wenn sich auf Zuckerplantagen der “Neuen Welt” Afrikaner mit ganz verschiedenem ethnolinguistischen Hintergrund nur in einer vereinfachten europäischen Sprache verständigen konnten, wurde diese von ihren ursprünglichen Muttersprachen beeinflusst und so ergab sich auch in der rudimentären Sprache eine große Varietät. Die nächste Generation verwendete diese vereinfachte Sprache für alle ihre Lebensbereiche und trug auf diese Weise zur Bildung einer Kreolsprache bei. Holm (2010: 256) nennt diesen Prozess “ein Pidgin erwirbt Muttersprachler”. Huber findet für eine solche Sprachentwicklung wenige Belege in Westafrika. Kinder, die aus einer Verbindung eines Europäers mit einer Afrikanerin hervorgingen, wurden meist ihrer afrikanischen ethnologischen Herkunft folgend erzogen und lernten eine afrikanische Muttersprache (Huber 1999: 56). Auf dem Weg zur Entwicklung der verschiedenen Varietäten des Westafrikanischen Pidgin-Englisch, die zum Teil Kreol-, also Muttersprachen, erste, zweite, oder dritte Sprachen sind, scheint noch ein wesentlicher Faktor beigetragen zu haben. Dies ist der Einfluss des Krio, der Kreolsprache von Sierra Leone, dessen Entwicklungsgeschichte wesentlich durch das Schicksal seiner Sprecher in der Neuen Welt geprägt wurde. Ein Einblick in dessen Entstehung zeigt, wie vielfältig seine Wurzeln sind. Krio scheint sich nach der Gründung der britischen Kronkolonie Freetown im Jahr 1808 aus einer Vermischung des an der Küste gesprochenen Pidgin mit den Sprachvarietäten neu angekommener Siedler entwickelt zu haben. Es waren mehrere Gruppen, die in diese “Province of Freedom”, einer kleinen Halbinsel von Sierra Leone, gebracht wurden (Wyse 1989:1ff.). Es waren ehemalige Sklaven aus London; weiters eine Gruppe Schwarzer, die im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf britischer Seite gekämpft hatten, befreit, und nach Neuschottland gebracht worden waren, sowie flüchtige Sklaven aus Jamaica, genannt maroons, und tausende befreiter Sklaven verschiedener Herkunft. 8 Den Namen Krio für diese Sprache und ihre Sprecher (krio man) leitet Wyse (1989: 6) von dem aus dem Yoruba stammenden Begriff kiriyo ‘zufrieden herumspazieren’ ab. Die erste höhere Bildungsinstitution, die noch heute als Universität existiert, ist das Fourah Bay College, gegründet von der Church Missionary Society, London. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden an der einzigen, der theologischen Fakultät, Priester ausgebildet. Allmählich wurde die Universität auf mehrere Fakultäten erweitert und deren Abgänger genossen auch in Großbritannien hohes Prestige. Aus keiner anderen britischen Kolonie gingen so viele berühmte Ärzte und Juristen hervor. (Todd, persönliche Mitteilung; Wyse 1989: 32). Missionare entfalteten eine rege Missionstätigkeit an der Westafrikanischen Küste, ausgehend von Sierra Leone bis Fernando Poo, wo auch heute noch eine Varietät des Krio – mit spanischem Einfluß – gesprochen wird. Der Einfluß des Krio auf das KPE Ende des 19. Jahrhunderts war so stark, dass auch noch heute am Festland gegenüber der Insel Bioko (ehemals Fernando Poo), eine Varietät des 8
Briten hatten sie nach der Abschaffung des Sklavenhandels im Britischen Königreich (Abolition Act of 1807) an der westafrikanischen Küste von Sklavenhändlern befreit.
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Krio, das Limbe Creole (Hancock 1983: 297) gesprochen wird. Es gibt auch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit dem KPE ganz allgemein. Todd (1979: 286ff.) untersuchte Lexikon und Syntax beider Sprachen in Bezug auf Superstrat- und Substrateinflüsse und fand eine gemeinsame kulturelle Basis: 3.1.1. Gemeinsamkeiten des KPE mit Krio • Beide Sprachen teilen Ausdrücke, deren Bedeutungen von denen des englischen Stammwortes abweichen, wie zum Beispiel: KPE swit Krio swit ‘give pleasure to’ English sweet • Lehnübersetzungen aus den westafrikanischen Substratsprachen, wie zum Beispiel: KPE big ai Krio big-jai ‘greed, greedy’ English: big eye • Beide Sprachen gehen auf afrikanische Begriffe aus dem Yoruba zurück, das zwar im engen Kontakt mit Krio steht und stand, aber auf KPE nie direkten Einfluss ausübte. Zum Beispiel: KPE buba Krio buba ‘blouse’ Yoruba bùbá • Syntaktische Konstruktionen, die beide Sprachen teilen (Todd 1979: 288). Zum Beispiel: KPE na mboma bin kilam Krio na boman bin kilam ‘he/she/it was killed by a boa-constrictor’ • Gemeinsame Sprichwörter. Todd nimmt an, dass Ende des 19. Jahrhunderts beide Kreolsprachen, das KPE wie auch das Krio, “eng verwandte” Varietäten (Todd 1979: 289) des in Kamerun gesprochenen Krio waren. Trotz auffallend vieler sprachlicher Ähnlichkeiten, die vielfach auf einer über die westafrikanischen Gemeinsamkeiten hinausgehenden kulturellen Thematik beruhen, gibt es mitunter Verschiedenheiten zwischen KPE und Krio, die auf deutschen Einfluss zurückgeführt werden können. Dies wird anhand von zehn Ausdrücken dargelegt. 3.1.2. Verschiedenheiten des KPE und des Krio (1)
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KPE chop ‘essen’ (Subst.; V): Während in Krio in erster Linie it~yit verwendet wird (Berry 1966; Peace Corps project, 1964), allerdings auch chop als Synonym existiert, wird in KPE nur chop verwendet. In anderen WAPE Varietäten wurde nyam bezeugt (Huber 1999: 85). Der deutsche Ausdruck schoppen (V), bei Kluge (1989) als ‘voll stopfen’ erklärt, könnte durch die Verwendung seitens der deutschen Kolonialbevölkerung einen Verstärkungseffekt des KPE Begriffes chop verursacht haben. Möglicherweise haben die Substantive Frühschoppen und Dämmerschoppen auch einen Einfluss ausgeübt. KPE fit (‘können’) scheint sich, auf der holländisch-flämischen Wurzel vitten (‘sich anpassen’, 16.–17. Jahrhundert) 9 basierend, weiterentwickelt zu haben. In
Oxford Dictionary of Word Histories 2004; Dutch.
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Krio wird das Modalverb ‘können’ durch ebul ausgedrückt, dem auf romanischer Basis beruhenden englischen able (von Lat. habere > adj. habilis ‘passend’). KPE kasingo/kasanggu (Koloniale Rundschau 1909: 11; Kouega 2008: 102) mit der Bedeutung ‘Peitsche’, ‘Stock’ aus der Zusammensetzung Kaiza i ngu (‘Kaiser his whip’ Kaiser’s Peitsche). Auf den langen Wegen zu den deutschen Plantagen wurden die Einheimischen manchmal geschlagen. Im Krio wird wip für den englischen Begriff whip beziehungsweise ken für englisch cane beibehalten (Fyle & Jones 1980). KPE kini (‘Knie’,‘knien’, ‘Knicks’) ist ein klarer Germanismus, da im englischen knee das k seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr gesprochen wurde (Pinsker 1974: 92). Die holländischen Priester verwendeten in ihren Übersetzungen die Orthographie kini, was ebenfalls einen Einfluss ausübte. Daneben existiert allerdings auch die anglisierte Form ni (Kouega 2008: 103). Krio verwendet nur diese Form: ni (‘Knie’) und nildong (‘knien’). KPE kombi (Todd 1991: 85) oder compy (Spreekwoorden in Pidgin, West Cameroon: 2;9) 10 in der Bedeutung ‘Freund’. Basierend auf Lat. Kumpane, gibt es im Deutschen die Form ‘Kumpel’ für einen Kameraden oder Freund allgemein. Obwohl die englische Sprachentwicklung auch companion aufzuweisen hat, wird dieser Ausdruck kaum im Sinne von ‘Freund’ verwendet. Im Krio erscheint oft padi/paddy, wohl eine Ableitung aus dem Amerikanischen Englisch buddy, eine mögliche Abänderung von brother (Online Etymology Dictionary). Doch es gibt auch fren. KPE lanboi (Gud Nyus fo ol Pipul 2000) steht für ‘Jünger’ im NT, eine Lehnübersetzung von deutsch ‘Lehrbub’ als learnboy > lanboi. Im Krio erscheint disaypul, übernommen von englisch disciple (Fyle & Jones 1980). KPE okrikra (Kouega 2008: 118), in der Kolonialzeit aus dem Deutschen ‘alter Krimskrams’ entstanden, hat auch einen eindeutigen Bezug zu der Hafenstadt Okrikra in Südnigeria, wo Schiffe mit allen möglichen Artikeln (Kram) landeten (Encyclopedia Britannica online). Die Bezeichnung nach dem Ort weist auf die Herkunft des ‘alten Zeugs’ hin. Heute kann man in Kamerun auch noch den französischen Begriff la friperie (‘die Altkleider’) hören. Im Krio existiert nur ol klos (engl. old-used clothes). KPE swine (Grimm 1933: 154), schwein (von Hagen 1908: 48), shwain, auch shwain fiva, eine Epidemie (Kouega 2008: 127). Die Verwendung dieses Begriffes bis zum heutigen Tag lässt deutschen Einfluss erkennen. Im Krio bezieht sich swain nur auf eine widerwärtige Person, im Allgemeinen wird pig verwendet und eine häufige Redewendung ist doti lek pig (‘dreckig wie ein Schwein’). Es gibt auch noch og im Krio (von Engl. hedgehog ‘Igel’), ebenfalls mit der Bedeutung ‘Schwein’
Eine holländische Sammlung von Übungssätzen in Pidgin, Yaounde.
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KPE suka (‘Zucker’) existiert neben shuga, das, wie seine Entsprechung im Krio, auf Englisch sugar beruht. KPE toslam (Ngome 1982: 260), tosilam (Kouega 2008: 133), beruht offenbar auf dem deutschen Begriff Taschenlampe, da Englisch torch nie als Kompositum mit der zweiten Komponente lamp existierte. Der Krio Ausdruck /toch/ beruht auf Englisch torch.
4. Die Sprachenfrage in der Kolonialliteratur 4.1. Offizielle Berichte “Zur Sprachenfrage in Kamerun” lautet ein Artikel in der Kamerun-Post, Unabhängiges und einziges Organ für die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Schutzgebiete Kamerun und Togo. Duala, Mittwoch, 12. März 1913. Der Artikel beinhaltet zwei Fragen:“1. ist die Beseitigung des Negerenglisch an sich erwünscht? Und 2. Kann es entbehrt werden?” Es wird eine starke Kritik an der Art und Weise geübt, wie mit der Sprachsituation in der Kolonie umgegangen wird und vor allem das Bedauern ausgedrückt, dass die deutsche Kultur und die deutsche Sprache den Eingeborenen in Kamerun so nicht näher gebracht werden können. Die ständige Anwendung des “Negerenglisch” in einer deutschen Kolonie führt offensichtlich dazu, dass Deutsche als “minderwertiges Anhängsel” der Engländer angesehen werden. Auf einzelne PidginAusdrücke wird dann weiter im Artikel speziell eingegangen. “Kamerun und die deutsche Sprache” (Deutsches Kolonialblatt 1910) ist einer von vielen Beiträgen über das Thema: Kann für Kamerun, dieses vielsprachige Land, eine Einheitssprache gefunden werden und könnte die deutsche Sprache als eine Möglichkeiten dafür in Betracht gezogen werden? Das Ideal einer “deutschen Muttersprache” wird als Wunsch deutlich zum Ausdruck gebracht, aber die Nützlichkeit des “Pigeon-Englisch als bittere Notwendigkeit” wird von der Schutztruppe vorgebracht und seine Verwendung auch befürwortet. Dieser “Dialekt […], ein Gemisch von schlechtestem Portugiesisch und Englisch, das den Vorzug leichten Erlernens hat” ist vor allem bei der Erschließung des Landes unerlässlich. Der folgende Artikel der Kolonialen Rundschau (1913: 492) zeigt die in Deutschland verbreitete Einstellung zur Sprachenfrage in Kamerun: Gegen das Neger-Englische in Kamerun hat der stellvertretende Gouverneur Dr. Meyer in einer Verordnung des Amtsblattes für Kamerun in erfreulicher Weise Stellung genommen. In den Anfangsjahren war der Gebrauch dieser Bastardsprache als des einzigen Verkehrsmittels verständlich, heute aber sollte ihre Ausrottung für jeden Deutschen in Kamerun eine ebenso selbstverständliche Pflicht sein. […] Jeder Eingeborene, den man
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nicht kennt, wird grundsätzlich mit Negerenglisch angeredet (das ist übrigens in Deutschland genau so!); man fragt ihn überhaupt nicht, ob er Deutsch spricht oder versteht. So kommen Fälle vor, dass mit Angestellten des Gouvernements, die die Regierungsschule durchlaufen haben, die Deutsch verstehen und zum Teil fließend sprechen, neun Zehntel der Beamten Neger-Englisch spricht […] Wenn der weiße Unteroffizier vor der Front steht und die Gewehrhaltung eines Soldaten verbessert, so sagt er: “gun more for right side”. In diesen Fällen handelt es sich also gar nicht darum, dass man das NegerEnglische als eines unentbehrlichen Verkehrsmittels nicht entraten kann, sondern vielmehr darum, dass der Deutsche mit Eingeborenen, die Deutsch verstehen, nicht deutsch, sondern Englisch spricht! Hierin sind wir Deutsche gewiß einzigartig! Wie sollen unsere Sprache und damit unsere Art bei den Afrikanern Achtung gewinnen, wenn wir selber sie verleugnen? Es wäre doch wunderbar, wenn die deutsche Sprache sich nicht ebenso gut durchsetzen sollte, wie die Englische es getan hat. Und das braucht durchaus kein “Pidgin-Deutsch” zu werden, der Eingeborene ist vollkommen im Stande, unsere Sprache richtig zu sprechen, dafür gibt es in den Kolonien doch Zehntausende von Beispielen. In der Deutschen Kolonialzeitung (1886: 220) schreibt Max Buchner einen Artikel Über den Umgang mit Negern, in dem er vor allem die “Krujungen” beschreibt, wie sie ihre englischen Namen mit Stolz tragen und verteidigen, wie zum Beispiel bloody fool (‘Erzesel’), bottle beer (‘Bierflasche’), sixpence. Im allgemeinen ist eine eher geringschätzige Haltung den Afrikanern gegenüber erkennbar. Immer wieder wurden deutsche Beamte von Einheimischen gebeten, einen Streit zu schlichten (settle a palaver). Palaver wird von Max Buchner in einer Abhandlung über “Kamerun-Englisch” (Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 318, 1886) folgendermaßen charakterisiert: Der fatalsten afrikanischen Dinge eines ist das “Palaver”, portugiesisch palabra, Wort, dessen Bedeutung formell und praktisch über eine Menge unangenehmer Geschehnisse und Situationen, wie Berathung, Warnung, Drohung, Beleidigung, Verbrechen, Rechtsstreit, Klage, Proceß, Gerichtssitzung, Erpressung, Kriegszustand und ins Unendliche mehr, sich ausdehnt. Solche Streitfälle wurden in eigenen Palaverhäusern meist vor großem Publikum und mit Zeugen – ähnlich einer Gerichtsverhandlung – abgehalten. Es wurde auch eine Art Protokoll geführt und in der Deutschen Kolonialzeitung von 1885 zum Beispiel ist eine von einem deutschen Beamten in KPE verfasste Niederschrift von vier Sitzungen eines Streitfalles zu lesen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Germanismen in den Pidgin Bericht des Palavers einflossen (they look Green Hawkin him girl pass). 11 11
‘Sie sehen, wie das Mädchen (Green Hawkin sein Mädchen) ihm wegläuft’. Diese Konstruktion wird als Pertinenzdativ beschrieben (König & Gast 2007: 114).
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4.2. Forschungsberichte Schon vor der deutschen Kolonialzeit haben deutsche Forscher, wie Eduard Vogel, Robert Flegel und Heinrich Barth, um nur einige zu nennen, Gebiete südlich der Sahara erkundet. Von ihnen hat sich Heinrich Barth als einer der ersten mit afrikanischen Sprachen auseinandergesetzt und einen Vergleich von neun Sprachen veröffentlicht (Barth 1862.) Ausführliche Beschreibungen der Kolonien Togo, Kamerun und Deutsch Papua Neuguinea stammen von Hugo Zöller. Er reiste mit Kru-Jungen als Träger durch Kamerun, organisierte sich immer wieder Übersetzer und bestand viele Abenteuer, wie die Ersteigung des Kamerungebirges. Er berichtet über eine “Trommelsprache”, die von Dorf zu Dorf Meldungen verbreitete, wie zum Beispiel Schneefall auf dem Götterberg (Zöller 1930: 168). In der Kölnischen Zeitung (Dez. 1884: 58) berichtet Zöller über das Mithören einer Konversation seiner Kru-Leute auf “Plattdeutsch”, während er vorgab, zu schlafen. “[…]hörte ich solch gräuliches, mit Pidgin-Englisch untermischtes Plattdeutsch, dass ich mich unwillkürlich erhob […]”. Dies könnte im Falle einer korrekten Wahrnehmung von einer engen Verbindung der Kru-Leute mit den Deutschen zeugen. Hutter (1902: 7) weist im ersten Abschnitt seiner Wanderungen und Forschungen im Nord-Hinterland von Kamerun darauf hin, dass “eine wahrheitsgetreue Karte Kameruns, den schmalen Küstenstreifen ausgenommen, nichts als einen großen, weißen Fleck zeigte”. Daher wurden vom Reich Aufklärungsvorstöße nach Norden und Osten angeordnet. Hutter trug in geographischer, ethnographischer, vor allem in kultureller und sprachlicher Hinsicht zur Erschließung der nordwestlichen Gebiete bei. Abschnitt fünf und sechs seiner in Tagebuchform abgefassten Forschungsergebnisse umfassen eine eingehende Beschreibung des Wald- und Graslandes einschließlich des Hochlandes von Adamaua im Nordwesten. Im Abschnitt zwei, An der Küste, widmet Hutter einige Seiten dem KPE, das er “Küstenenglisch“ nennt (Hutter 1902: 60). […] ein ganz eigentümliches Sprachgemengsel aus schlechtem Englisch und Portugiesisch; Worte verschiedener Negersprachen mischen sich darein oder richtiger mehr die den Negern eigenthümliche Auffassung und Ausdrucksform. Es ist das sogenannte Küstenenglisch; das Volapük der Westküste Afrikas […]. Ein Teil der eher humorvoll gedachten Betrachtungsweise dieser Sprache ist im Appendix dargestellt. Im Abschnitt sieben, Streifzüge in die Tierwelt (Hutter 1902: 451–477), beschreibt Hutter die Tierwelt des Dschungels und berichtet von ungewöhnlichen braunen Schlangen, von denen er nicht wusste, ob sie giftig waren. Eines Nachts ertönte in der Miymbistation aus dem Raum, in dem die Kru-Jungen schliefen, lautes Geschrei: “Massa, massa, one big snake wont chop me, he be big too much [Meister, eine große Schlange hat mich fast gebissen. Sie war riesig!]”. Die Orthographie Hutters scheint
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von seiner Kenntnis des Englischen beeinflusst, da er KPE wan – eine grammatikalisierte Form von Englisch ‘want’ 12, die den Aspekt des Beginnes einer Handlung ausdrückt – als ‘wont’ interpretierte. Dies kann möglicherweise analog zu KPE san (engl. ‘sand’) oder han (engl. ‘hand’) aufgefasst worden sein, wo der homorgane Verschlusslaut nicht gehört wird. Eine solche Analogie konnte auch Missverständnisse hervorrufen, wie bei Buchners Verwechslung der perfektiven Partikel don mit der Verneinung engl. ‘don’t’ (Buchner 1886: 5). Im Abschnitt acht, Sprachliche Beobachtungen (Hutter 1902: 478–511), schildert Hutter die “Sprech- und Denkweise des Negers” und nimmt speziell die Balisprache 13 als Beispiel für die technischen Schwierigkeiten der auszusprechenden Laute. Es folgen allgemeine Beschreibungen der “Wortsprachen im Waldland” (etwas ausführlicher der Bakundu- und Banyangsprache), der “Zeichensprache im Wald- und Grasland” und der “Wortsprachen im Grasland”, von denen Bali im Besonderen ausführlich analysiert wird. Hutter berichtet auch über Zintgraffs 14 Erfahrung mit der “Flötensprache” bei einigen Heidenstämmen, die sich mit kleinen Holzflöten auf weite Entfernungen hin verständigten (Hutter 1902: 483). Die Analyse der Balisprache gliedert Hutter in “Aussprache, Formenlehre, Wörterverzeichnis und Texte”. Die Formenlehre ist unterteilt in fünfzehn Abschnitte: 1. Vorschläge, angehängte Silben und Verdoppelungen. 2. Zusammenziehungen. 3. Verneinungsform. 4. Frageform. 5. Satzbildung. 6. Hiatus. 7. Artikel. 8. Substantiv. 9. Adjektiv. 10. Pronomen. 11. Verbum. 12. Zahlwort. 13. Präposition. 14. Konjunktion. 15. Interjektion. Es gibt auch Betonungsmuster. Alles wird mit vielen Beispielen veranschaulicht. Eine Sammlung von Eugen Zintgraffs Forschungsreisen in den Norden Kameruns erschien im Jahre 1895 unter dem Titel Nord-Kamerun. Er berichtet, dass sich die im Norden errichtete Barombistation am Elefantensee zu einem friedlichen Zentrum entwickelte, wo er mit seinen Leuten auch von Eingeborenen aus entfernteren Dörfern aufgesucht wurden. Es entstand freundschaftlicher Verkehr. Zintgraff berichtet auch von unzähligen Streitigkeiten der Eingeborenen untereinander, die er “als weiser und gerechter Richter” entscheiden sollte. Er erwähnt auch, dass er des öfteren für ein solches “Palaver” einen Dolmetscher in Anspruch nahm. Er nennt KPE “Westafrikanisches Küstendeutsch“ und kritisiert, dass dessen Verwendung in der Korrespondenz deutscher Beamter oder Kaufleute von deutschen Behörden angenommen wird (Zintgraff 1895: 59) (siehe Appendix). 12
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Nach Bernd Heine ist diese Grammatikalisierung dem Schema der Willensäußerung zuzuordnen. Anhand eines Beispiels aus dem Swahili zeigt Heine verschiedene Stufen von ‘wollen‘ (engl. want) > ‘davor stehen, etwas zu tun’ (engl. to be about to do something) > ‘fast etwas tun’. KPE scheint davon beeinflusst. Es gibt viele Beispiele für die Verwendung von wan (‘wollen’ > ‘fast etwas tun’). LOT (2006). Im Ethnologue (2005) ist Bali nur als alternate name für Mungaka eingetragen. Eugen Zintgraff war zunächst Hutters Führer. Er starb 1897.
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Ein umfangreicher Beitrag zu Sprache, Kultur und Gesundheitswesen des Landes wurde vom Bezirksamtmann und Stabsarzt Alfred Mansfeld (1908, 1924) geleistet. Seiner Initiative war es zu verdanken, dass die Errichtung von Leprakolonien nicht nur gefördert, sondern mit neuen Ideen angereichert wurde. Er hatte die “Leproserien der französischen Kolonie Madagaskar vor Augen” (Eckart 1997: 214), als er sein Vorhaben bekanntmachte, im Bezirk Ossidinge eine “mustergültige Lepraniederlassung zu gründen, in der die Leprösen durch Anlagen von Kulturen für ihren Unterhalt selbst Sorge tragen”. Bezüglich des Gebrauchs einer Lingua Franca in den Lepraheimen sind bei Eckart keine Hinweise gegeben. 15 Es ist anzunehmen, dass – ebenso wie auf den Plantagen (Todd 1975: 232) – von den Einheimischen verschiedener ethnischer Herkunft KPE gesprochen wurde. In Mansfeld (1908) ist der Anhang IV der Linguistik gewidmet. Von den sieben Stämmen des Ossidinge-Bezirkes charakterisiert Mansfeld sechs als Bantu, auch in sprachlicher Hinsicht und einen als Sudanstamm. In sprachlicher Beziehung erkannte er Ekoi, Keaka und Obang als nahe Verwandte. Die Sprachstudie wird eingeteilt in Grammatik, Vokabularien und Texte, die hauptsächlich Fabeln beinhalten. Zeile für Zeile ist die deutsche Übersetzung angefügt. Schließlich wird noch eine Geheimsprache erwähnt, die von “einer sehr bevorzugten Klasse von Weibern” (Mansfeld 1908: 269) gesprochen wird. Es ist die Bildersprache Mboandem, deren Ursprung in einer sehr alten Sage der Crossfluß-Eingeborenen zu finden ist. In seinem Werk Westafrika beklagt Mansfeld (1924: 31) im Kapitel “Sprache”, dass die meisten Europäer in Afrika “nicht über das Pidgin, eine gräuliche Mischsprache aus zerkautem Englisch und Negerbrocken” hinauskommen. Er hebt hervor, dass eine Kenntnis von einheimischen Sprachen die Kultur, das tägliche Leben, die Ortsnamen, die Märchen und religiöse Literatur der indigenen Bevölkerung den Europäern näherbringen und ein tieferes Verständnis und “wertvolle Aufschlüsse über Unverständliches im Gehaben der Eingeborenen” vermitteln würde. Er gibt Ausdrücke des täglichen Lebens und private Gespräche wieder und erkennt kaum Unterschiede zu Gesprächen in einem deutschen Haushalt – mit Ausnahme der Nahrungsmittel. Im Kapitel “Literatur” erklärt Mansfeld, dass “die Sagen der Neger meist Tierfabeln mit moralischer Nutzanwendung sind, in denen die Tiere nicht als Tiere, sondern als Menschen geschildert werden” (Mansfeld 1924: 33).
4.3. Die Missionen und ihre Bedeutung für die Sprachforschung In Westafrika hatten sich Missionszentren in Freetown (Sierra Leone) und in Fernando Po entwickelt. Die Missionare brauchten eine sprachliche Qualifikation für ihre Erziehungsaufgaben und ihre evangelikale Arbeit. Sie wurden hierzu in diesen Zentren spe15
Auch ein persönliches Gespräch mit Wolfgang U. Eckart konnte diesbezüglich keine Aufklärung bringen. Alle vorhandenen Dokumente sind auf Deutsch verfasst.
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ziell ausgebildet (Groves 1977: 467). Biblische Literatur – in erster Linie das Markusevangelium – wurde in einheimische Sprachen übersetzt, die dadurch auch schriftlich aufgezeichnet wurden. In Kamerun wetteiferten fünf Missionen um Einfluss auf die indigene Bevölkerung. Es waren dies: • • • • •
die katholischen Pallottiner die protestantische Basler Mission die deutschen Baptisten die amerikanischen Presbyterianer die Priester vom Herzen Jesu
Letztere, aus dem Missionshaus Sittard (Holland), wirkte im Bezirk Bamenda erst von 1912 bis 1915. Es war ihnen davor ein Missionsbezirk im Norden Kameruns, im Adamauagebiet, übertragen worden, der aber aus politischen Gründen für die Tätigkeit der Mission zunächst noch nicht freigegeben werden konnte (Schnee 1920: K17). Diese Mission beschäftigte sich sehr mit der Sprachenfrage (Emonts 1922: 227). Sie begannen in ihren Schulen zunächst mit der Übersetzung des Katechismus in die Bansosprache, die sie auch selbst mehr oder weniger zu beherrschen lernten, verwendeten aber auch immer wieder “Negerenglisch” als “köstlich einfaches und leichtes Verständigungsmittel”. Emonts plädierte aber in seinem Buche für ein vereinfachtes Deutsch, ein Negerdeutsch, […] das alle Kolonialbeamten, Kaufleute, Missionare, Soldaten, Faktoristen, Missionslehrer, Katechisten und Schüler ebenso leicht gelernt hätten, als sie jetzt allenthalben das ebenso seltsam klingende, aber äußerst einfache Negerenglisch lernten und mit wahrer Virtuosität beherrschten. […] Die Kolonialbehörde führte auf die einfachste, praktischste und erfolgreichste Weise diese Sprache ein, obgleich sie in Erlässen und Verboten dagegen Stellung nahm und die Einführung des Deutschen verlangte. Die Sprachmethode der deutschen Kolonialbehörde war eine völlig falsche. Erlässe und Verbote nutzen nichts. Nach wie vor sprach der ganze Beamten- und Soldatenapparat negerenglisch (Emonts 1922: 230). Die Basler Mission unterrichtete in ihren Dorfschulen im Waldland nur noch in Duala setzte mit dem Deutschunterricht erst in den gehobeneren Schulen ein. In einigen Dorfschulen des Kreuzflußgebietes wurden vier Sprachen zu Hilfe gezogen: Die Stammessprache, das weitverbreitete Kruenglisch, etwas Deutsch und Duala (Raaflaub 1948: 96). Im Grasland wurden in den Dorfschulen zunächst die Eingeborenensprachen ausschließlich verwendet, doch musste bald auch dem Deutschen ein Platz eingeräumt werden. Die Pallottiner passten sich mehr dem deutschen Schulsystem an als die Basler. In ihren Mittelschulen wurde ausschließlich die deutsche Sprache verwendet. Die Schüler wurden speziell in Garten- und Plantagenarbeit ausgebildet. An die Internatsschulen
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waren Farmen angegliedert, auf denen die Schüler durch ihre Arbeit zu ihrem Lebensunterhalt beitrugen. Die reichhaltigen Studien von einheimischen Sprachen Kameruns wurden fast ausschliesslich von Missionaren durchgeführt. Ein Großteil der Veröffentlichungen sind in der Zeitschrift für Afrikanische Sprachen zu finden, einige in den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen, wieder andere in der Zeitschrift für Afrikanische und Ozeanische Sprachen. Die Deutsche Kolonialzeitung und die Koloniale Rundschau sind auch mit Beiträgen vertreten. Es gibt auch Grammatiken, Lehr- und Handbücher. Die am häufigsten analysierten Sprachen sind: Duala (Meinhof, Christaller, Seidel, Dinkelacker, Bufe), Bakundu (Bufe), Bali (Zintgraff, Meinhof, Vielhauer), Bakweri (Lorch), Basa (Rosenhuber, Schurle, Skolaster), Batanga (Skolaster), Bulu (von Hagen), Wute (Hofmeister). Mit diesem Überblick kann nur ein Eindruck des aktiven sprachlichen Interesses der Missionen an den Sprachen Kameruns vermittelt werden und dieses Thema könnte wohl einen weiteren Aufsatz füllen (Ebobisse 1986: 236–245).
4.4. Deutsche Dokumente Von Hagen (1908) ist das erste schriftliche Dokument des KPE, das von einem Deutschen für Deutsche geschrieben wurde. Im Vorwort erläutert von Hagen, dass das Erlernen des “pigeon-Englisch” für die Verständigung der neu eingetroffenen Offiziere und Kaufleute mit den Einheimischen fast lebensnotwendig geworden sei, da sie sonst von der Willkür anderer abhängig seien. Dieses Lehrbuch soll während der Überfahrt studiert und die Sprache mit den in Monrovia an Bord kommenden Krus (“croo“) geübt werden. Von Hagen räumt allerdings ein, dass “das Neger-Englisch ein Notbehelf ist, der hoffentlich in absehbarer Zeit durch die Erlernung der deutschen Sprache seitens der Neger beseitigt wird”. Der Inhalt besteht aus den vier Teilen “Allgemeine Sprachregeln”, “Wörterverzeichnis (in zehn semantischen Einheiten)”, “Redewendungen” und “Sprachübungen für Unterkunft und Verpflegung, auf dem Kriegsmarsche, in einer Faktorei“. Für die Aussprache gibt es speziell erläuterte Zeichen, die auf der von Langenscheidt & Toussaint Ende des neunzehnten Jahrhunderts kreierten Lautschrift beruhen. Diese hatte bis nach dem zweiten Weltkrieg Gültigkeit und wurde dann von der Lautschrift der International Phonetic Association (IPA) ersetzt. Bei der dargestellten Aussprache und Orthographie lassen sich eindeutig Einflüsse der deutschen Laut- und Aussprachegesetze feststellen, es wurde ja mit deutschen Ohren gehört! Zum Vokabular: Die Terminologie des Gehorsams wird einfach in Deutsch übernommen: Soldat K. zur Stelle! jawohl! marsch! Posten halt! Stillgestanden! Ebenso das zur Verständigung dienende Instrument trommel, das auch bei den Einheimischen zur
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Verbreitung von Nachrichten dient. 16 Berufe sind etwa dolmetsch oder Waschmann. Einrichtungen des Hauses, klosett; menschlicher Körper und Krankheiten, watte; Lebensmittel, zucker, tomate und Geräte, hobel, hammer. Es gibt auch wörtliche Übersetzungen aus dem Deutschen, wie in oalteim ‘allzeit’ und holländisch altijd (von Hagen 1908: 66). Oal haf auer (von Hagen 1908: 65) von Deutsch ‘alle halbe Stunde’ (von Hagen 1908: 65), Engl. half-hourly, every half hour; won teim von Deutsch ‘(auf) einmal’ (von Hagen 1908: 44), blas von Deutsch ‘blasen’ (von Hagen 1908: 43). Charakteristische Aussprachemerkmale des Deutschen spiegeln sich in der Orthographie wieder (alle Seitenangaben aus von Hagen 1908): Engl.
Engl.
at>et (57) and>end (56) catch>ketsch (26) alligator>elligetor (29) that>set (64) then>sen (56) other>oser (64) them>dem (67, 56) there>der (57);
die deutschen Artikel der, dem haben möglicherweise bewirkt, dass nur in diesen beiden Fällen der stimmhafte dentale Verschlusslaut verwendet wird. Keine Diphthongierung wie im Engl./ei/, /ou/
pay>pe (67) ‘make a report’>mek Meldung (65) paper>peper (45) soup plate>supplet (45) alligator>elligetor (29) change>schentsch (65) shadow>schedo (32) stone>ston (32) Auslautsverhärtung ist deutlich erkennbar: Engl.
head>het (56) move>muf (56) bread>bret (5)
Gleich starke Betonung auf beiden Silben: 16
Seidel (1906: 196) berichtet: “Die Trommelsprache der Duala ist bereits genau aufgenommen und ein Vokabular derselben in den Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten (Band XI, S. 1ff.) veröffentlicht worden”.
128 Engl.
Brigitte Weber
table>tebel (68) fire>feier (55) people>pipel (41) bottle>bottel (68)
Die Affrikaten /t/, /d/ wurden in der Orthographie nicht wiedergegeben, wenn sie nicht auch in der deutschen Entsprechung erscheinen: Engl.
bandage>bandasch (64) ‘Bandage’, ein französisches Lehnwort change>schentsch (65), ‘changieren’ 17 beruhend auf Frz. changer food (chop)>schop (64), ‘schoppen’/’Schoppen’ basiert auf Altfrz. chopine ein Maß; watch>wache (64) ‘Wache’
Diphthonge müssen wie die deutschen gelesen werden: /ei/ für Engl. /ai/ wie in frei (Engl. fry), leims (Engl. lime) (5), ei (Engl. I) (62), und /eu/ für Engl. // wie in her=eul (Engl. hairoil’) (66), beus (Engl. boys) (52), speul (Engl. spoil) (49), peusen (Engl. poison) (48). In der Grammatik wird der perfektive Aspekt mit KPE don gebildet, richtig verwendet, im Gegensatz zu Buchners (1886) Abhandlung. Immer wieder gibt es Missverständnisse zwischen einer soeben eingetretenen Handlung (i don kuk = er hat gerade das Essen vorbereitet) und einer nicht ausgeführten Handlung mit engl. don’t, was manchmal eine (unverdiente) Ohrfeige zur Folge hat. Der progressive und inchoative Aspekt wird ausgedrückt mit lif for Lamina lif for kom ‘Lamina kommt’ (62) potta=potta lif bifor ‘ein Sumpf befindet sich hier vorne’ (61) elefant lif for busch? ‘Gibt es hier im Busch Elefanten’ (58) man no fit pass dem potta=potta (50) ‘man kann nicht durch den Sumpf gehen’ […] oal kago köm for dem palawerhaus inseit (51) ‘alle Lasten kommen in das Palaverhaus hinein’ Koal dem soldjer for autseit back (65) ‘rufe die Soldaten draussen zurück’ oal mei skin hot mi (44) ‘die/meine Haut brennt mir’ (siehe auch Grade 1892). 18 Diese ausführliche, detaillierte Abhandlung des Negerenglisch, ein Sonderabdruck in der Zeitschrift Anglia (XIV.2: 362–393) wird auch von Hugo Schuchardt als “eine aus wissenschaftlicher Teilnahme hervorgegangene und wissenschaftliche Zwecke verfol17 18
Ausdruck stammt aus der Jäger- und Reiterterminologie. Im 19. Jahrhundert gab es viele französische Lehnwörter in der deutschen Sprache. Paul Grade, Jurist, Sekretär und interimistischer Kaiserl. Kommissar in Togo 21.7. 1885– 22.10.1887.
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gende Darstellung […]” gewürdigt (zitiert in Viereck 1987). Aus dem geschichtlichen Teil geht hervor, dass es sich bei der Beschreibung des Negerenglischen sowohl um eine Form des Krio als auch mehrerer WAPE Varietäten handelt: Die nördlichste Grenze bildet der Senegal […] nur bis hierher gehen die Arbeiterstämme der Küstenneger, die Kru= und Weileute, die als die rechten Träger unserer Sprache anzusehen sind […] bis im Süden der Kongo die Grenze bildet. (Grade 1892: 6) Grade findet drei Sprachen, welche die Essenz des Negerenglischen ausmachen: 1. das moderne Schrift- und Vulgärenglisch; 2. das amerikanische Negerenglisch; 3. Die Sprache der Kru-, Wei- und Mandingo Neger. Grade fügt hinzu, dass die Zahl englischer Schiffe mit “Matrosenenglisch sprechenden Schiffern” neuerdings zahlenmäßig von deutschen übertroffen wird. Anschließend folgt eine Sprachanalyse. Nach eingehender Darstellung von Lautlehre, Formenlehre, Syntax, Lexikon und Redensarten, werden noch einige Gespräche wiedergegeben. Zum Beispiel von der Geburtstagsfeier Kaiser Wilhelms (Grade 1892: 44ff.): “[…] Massa, you be we father and mother, we never get other. You must look for we and do we good (an uns gut tun)”. Auch ein Palaver in Pidgin ist niedergeschrieben, in dem das Pidgin einen wesentlich älteren Standard aufweist, wie zum Beispiel r~l 19 Zuordnungen bei englischen Ausdrücken und die Verwendung von Begriffen wie blan, suppose, live (for), die wohl durch den Austausch deutscher Kolonialbeamter zwischen Papua Neuguinea und Kamerun eingeführt wurden. Das Palaver beginnt, indem der Weiße, der gebeten wurde, das Palaver zu entscheiden, den Eingeborenen auffordert, den Fall vorzubringen. Dieser beginnt: […] Me live for sleep, when me small boy come and tell me one pig, who blan for me, live for dai for outside for them French factory […] ‘ich schlief gerade, als mein kleiner Boy (Diener) kam und mir sagte, dass eines von meinen Schweinen (ein Schwein, das mir gehörte) vor der französischen Faktorei im Sterben liege (gerade dabei ist, zu sterben) [meine Übersetzung B.W.]. Der Weiße löst das Problem: […] you sabe too them country fashion, Friday must not pay, for he no chop them pig. Palaver finish ‘auch ihr kennt das überlieferte/traditionelle Gesetz. Freitag muss nicht bezahlen, denn er hat das Schwein nicht gestohlen’ [meine Übersetzung B.W.]. blan-belong, Tok Pisin bilong; ‘(zu)gehören’ live (‘leben’) wurde als Kopulaverb mit Lokativadverb ‘da sein’, ‘existieren’ in WAPEs, im Jamaican Creole und Gullah, einer Kreolsprache an der Ostküste der USA, 19
Diese beiden Laute werden in einigen Sprachen Kameruns nicht unterschieden.
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nachgewiesen (Fn. 95 in Baker & Huber 2001). Huber stellt fest, dass die Kopula live(for) auch als eine Lehnübersetzung aus den Kwa Sprachen angesehen werden kann, da einige Kwa Sprachen ein Verb live (‘leben’) als adverbiale Kopula grammatikalisiert haben (Huber 1999: 88). Live for dient als grammatisches Merkmal für die Durativform in Kamerun und Togo (Hutter 1902: 62; Buchner 1886: 4683; Grade 1892: 267), wird aber heute nur mehr von der älteren Generation im Kameruner und Kru-Pidgin verwendet. Es wurde ersetzt von dé (lokativ) und dè (progressiv) (Fn. 34 und Fn. 38 in Baker & Huber 2001). Als Germanismus kann die Entscheidung des “Weißen“ Friday must not pay, for he no chop dem pig (‘Freitag muss/braucht nicht zu bezahlen, denn er hat das Schwein nicht gegessen/gestohlen’ 20) gesehen werden. Im Englischen würde diese Ausdrucksweise als starkes Verbot gesehen werden.
5. Zusammenfassung Diese Arbeit gibt einerseits Einblick in die Rolle der deutschen Sprache in der neuen Kolonie und andrerseits in den Umgang der deutschen Kolonialherren mit der Sprachsituation und der Beschreibung von einheimischen Sprachen, zu denen auch das Kameruner Pidgin zählt. Nach der Unterzeichnung der Schutzverträge im Juli 1884 wurde das Land im Laufe von zwei Jahrzehnten allmählich – verzögert durch aufständische Ethnien – in deutschen Besitz genommen. Zunächst wurde der Süden, bald auch der Norden und Osten durch Expeditionen erforscht, wo auch eine einfache Infrastruktur entwickelt wurde: Werften und Dockanlagen in Kribi, Campo, Tiko und Victoria (heute: Limbe); Eisenbahnlinien von Duala nach Norden bis Nkongsamba, nach Westen fast bis Jaunde und eine eigene Bahnverbindung zur Plantage in Victoria; eine große Anzahl von Straßen, Brücken und Wegen wie auch hervorragend gebaute private und öffentliche Gebäude, die größtenteils auch heute noch in Verwendung sind. Die sehr produktive Plantagenwirtschaft ist auch auf deutsche Initiative zurückzuführen (Le Vine 1971: 5). Allerdings gab es Schwierigkeiten, Eingeborene für den Abschluss von Arbeitsverträgen zu gewinnen. Jaman dem sabi wΟk an dem sabi mek wΟk ‘die Deutschen konnten wirklich arbeiten und konnten auch zur Arbeit zwingen’ 21. Während in der Kolonialen Rundschau (1909: 11) von freiwilliger Arbeit die Rede ist, beschreiben Rudin (1938: 326) und Eckart (1997: 231ff.) die harten Arbeitsbedingungen vor allem auf den Plantagen. Le Vine (1971: 6) aber weist darauf hin, dass whatever can be said of some of their methods or motives, the Germans maintained a colonial administration in the Kamerun that compares favorably with 20 21
chop in der Bedeutung ‘nehmen’, ‘stehlen’ aus Buchner (1886: 4683). Interview eines alten Häuptlings, der die deutsche Kolonialzeit erlebte. (Todd 1982: 156).
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any other in Africa at the time […]. The “Kamerun” became […] a potent and evocative symbol of a half-mythical “golden age” when the Cameroon was one and undivided. (Hervorhebung B.W.) Der Eindruck einer Glorifizierung der deutschen Kolonialzeit mit nachhaltiger Auswirkung bis zum heutigen Tag, wurde mir von meinen Informanten, wie auch von einer deutschen Studentin, die in Kamerun geforscht hatte, vermittelt (Wieckhorst 2002). Vor der Kolonisierung beruhte das Identitätsbewußtsein auf dem ethnischen Hintergrund von Kultur, Religion und Sprache. Als dann Kamerun ab 1884 zu einem Staat unter deutscher Verwaltung wurde, entstand zusätzlich zum ethnischen Identitätsgefühl der Eingeborenen zum ersten Mal ein nationales Identitätsbewußtsein, das auf einem Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit unter der deutschen Kolonialregierung beruhte. Die deutsche Sprache wurde jedoch zunächst nicht aufgezwungen und nach den deutschen Richtlinien sollte auch in das Leben und die Bräuche der verschiedenen Stämme möglichst nicht eingegriffen werden (Rudin 1938: 213). Es war erst zu Beginn des Ersten Weltkrieges, dass sich die deutsche Sprache in Kamerun verbreitet hatte. Allerdings gab es, je nach Bildungsinstitution und Bildungsgrad der Einheimischen, Schulabgänger mit sehr guten Deutschkenntnissen. Diese arbeiteten als Dolmetscher oder suchten eine Stellung als Beamte. Was die Erziehung durch die Missionen betrifft, vertraten die evangelischen Missionen den Standpunkt, dass der missionarische Zugang zu den Völkern in deren eigener Sprache zu suchen sei (Raaflaub 1948: 93) und daher wurde in den Dorfschulen der Basler Mission im Waldland in Duala, im Grasland in der Balisprache unterrichtet. Mit dem Deutschunterricht wurde erst in gehobeneren Schulen begonnen. Des öfteren musste auch ‘Kruenglisch’ (KPE) zu Hilfe gezogen werden, vor allem, wenn die Stammessprachen nicht der Bantufamilie angehörten. Die katholischen Pallottiner hingegen führten die deutsche Sprache schon in den Dorfschulen ein. Trotzdem mussten die Missionare die Volkssprache ihres Wirkungskreises studieren, allein schon für das Abnehmen der Beichten (Skolaster 1924: 251ff.). In den wenigen deutschen Regierungsschulen wurde in deutscher Unterrichtssprache für die Kolonialdienste, für das Handwerk und für die Landwirtschaft und Viehzucht, ausgebildet. Es wurde auch ein Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Kultur vermittelt. Die meisten Lehrer kamen aus Württemberg, der Unterricht und die Lehrbücher beruhten auf dem Württemberger Lehrplan. In einer von Joseph Mbassi22 1986 durchgeführten Studie wurden ehemalige Schüler deutscher Schulen interviewt. Der Großteil von ihnen sprach gut verständliches Deutsch. Die Mission der Priester vom Herzen Jesu hat in ihrer Zeitschrift Das Reich des Herzens Jesu deutsche Briefe abgedruckt, die von ehemaligen Katechumenen während des Krieges an ihre Patres geschickt wurden. Die Sprache ist sehr bildhaft, grammatisch sehr vereinfacht, aber durchaus verständlich. Die Mission verwendete aller22
Joseph Mbassi, Université de Yaoundé: Les écoles au Caméroun en période allemande: témoignages vivants (1884–1914). Publikation siehe Ebobisse.
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dings auch das Pidgin-Englisch in der Missionierung, wenn die Sprache des Bansostammes nicht genügte. Auch ein Pidgin Deutsch wurde in Erwägung gezogen (Emonts 1922: 229). Die Korrespondenz deutscher Beamter untereinander enthielt auch englischen Fachjargon, was wiederum sehr kritisiert wurde (Zintgraff 1895: 59). Siehe den Text im Appendix. Deutsche Namen wie Walter, Gertrud (meine Informanten), Konrad, Franz, Thomas, Albert, Hubert, Martin (Mbassi 1986), wie auch Ortsnamen der Regierungsstationen Johann Albrehtshöhe, Lolodorf und Fontemdorf (Deutscher Kolonialkalender 1908) lassen die Zeit des deutschen Schutzgebietes Kamerun wieder aufleben. Einheimische Sprachen wurden von Deutschen mit unterschiedlichem linguistischen Niveau beschrieben. Die von Carl Ebobisse (1986) verfasste Darstellung von Arbeiten über die Erforschung der Kamerunsprachen während der deutschen Kolonialzeit enthält 23 – allerdings zum Teil oberflächlich beschriebene – Sprachen. Zum Gegenstand vertiefter Studien gehören: Duala mit seinen verwandten Zweigen wie Isubu, Bakweri, Batanga, um einige Beispiele zu nennen; weiters Basa, Ewondo, Bulu, Fulfulde und Kanuri. Vor allem die Basler Mission hat mit ihrem Grundsatz, dass die Evangelisierung in einheimischen Sprachen erfolgen sollte, zunächst zu einer intensiven Beschäftigung mit Duala und seinen verwandten Zweigen beigetragen. Ebobisse (1986: 234) stellt fest, dass 68% aller Studien über Bantusprachen von Missionaren ausgeführt, die Sprachen Nordkameruns vor allem von Gebietsforschern analysiert und beschrieben wurden. Abschließend erwähnt der Autor, dass auch alle unveröffentlichten Dokumente, die sich im Archiv der Basler Mission befinden, noch berücksichtigt werden müssten. Ebobisse zieht den Schluss, dass die einheimischen Sprachen seitens der deutschen Regierung kaum gefördert wurden. Die erste ‘einheimische’ Sprache, mit der die Deutschen Beamten in Kontakt kamen, war das Pidgin-Englisch, das es zunächst zum Überleben sich anzueignen galt. Die Verschriftung dieser Sprache (von Hagen 1908) trug zu ihrer Verbreitung – auch mit eingeflossenen Germanismen – bei. Auf der phonologischen Ebene können folgende Ähnlichkeiten zwischen KPE und Deutsch festgestellt werden: Auslautsverhärtung stimmhafter Konsonanten am Wort- oder Silbenende, häufiger Verlust der Stimmhaftigkeit bei alveolaren Frikativen und Affrikaten und eine größere Ähnlichkeit zwischen dem Vokalsystem des Kameruner Pidgin mit dem des Deutschen als zwischen KPE und Englisch. Auf der syntaktischen Ebene erinnern Wortstellungen, Konstruktionen mit man, wie auch die des Pertinenzdativs an die deutsche Sprache. Das Vokabular wird vor allem bei Werkzeugen, bei Berufen oder auch militärischen Ausdrücken einfach auf deutsch übernommen. Zusammenfassend kann Deutsch als ein Adstrat des KPE bezeichnet werden.
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Appendix Karte von Deutsch Kamerun (in: Scheuch 1993)
Ausschnitt aus dem Tagebuch von Franz Hutter Hutter (1902: 61ff.) […] Doch zum Küstenenglisch. Es kommt mir nicht in den Sinn, eine ganz außer dem Rahmen meines Buches liegende Abhandlung über dieses internationale Verständigungsmittel an der westafrikanischen Küste zu schreiben – eine solche ist ja übrigens bereits von anderer Seite ausführlich und eingehend vorhanden […] Drei Worte namentlich haben mich, solange ich noch Neuling in Afrika war, und Schüler in Erlernung der für einen Europäer so schwierigen Kunst: Geduld bis zur Unendlichkeit zu entwickeln, gar manchesmal geradezu zur Verzweiflung gebracht und mich darüber sogar Verse verbrechen lassen. Die Wut, in der sie verfasst wurden, entschuldige ihre Holprigkeit. Drei Worte nenn ich Euch inhaltsschwer, Die gehen von Munde zu Munde Der Neger allstündlich hin und her Und machen bei ihnen die Runde: Das erste ist Chop. Ein gewichtiges Wort! Du hörst es zu jeglicher Stunde, Du hörst es bei Tag und bei Nacht, und so fort Von jedem stets hungrigen Schlunde. Das zweite Dich auch zur Verzweiflung bringt. Du fragst: Kommt der oder das bald nach? He lieve for come – entgegen Dir klingt.
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Wann? Dem fragt der Neger nicht nach. Das dritte: No sabe – entsetzliches Wort! Das hörst Du auch allerwegen. Du fragst. - No sabe. – Der Kerl geht fort, Und Du bist machtlos dagegen. Und diese drei Worte in engem Verein Verschönen das Leben mit freudigem Schein Von jedem, der Afrika’s Boden betritt; Verfolgen ihn täglich auf Schritt und Tritt. (Markierung von mir) Geschrieben auf der Mi-Yimbistation im August 1891 nach meinem ersten tüchtigen Fieber; frei nach Schiller. – (Tagebuch.)
Brief in Küstendeutsch (Zintgraff 1895: 59)
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WILFRID H. G. HAACKE (WINDHOEK/NAMIBIA)
Nama als Sprachbenennung in der Koloniallinguistik Deutsch-Südwestafrikas: zwischen Endonym und Exonym
Abstract Dieser Artikel zeigt anhand einer Übersicht über die wichtigsten Publikationstitel auf, wie und warum durch die Bemühungen der Missionare, Khoekhoegowab zu einer Schriftsprache zu entwickeln, der autochthone Sprachname Khoekhoegowab durch die Bezeichnung Nama verdrängt wurde. Khoekhoegowab (kurz: Khoekhoe) gehört mit den Kalahari Khoe Sprachen zu der Familie der Khoe Sprachen (auch Zentral Khoesaan genannt) und wird heute hauptsächlich in Namibia gesprochen – abgesehen von kleinen Restgruppen in Botswana und der Nordkap-Provinz Südafrikas. Die Sprache wird von drei ethnischen Gruppen gesprochen: khoeide Nama, negroide Dama(ra) und saaide Hai@om und ǂ Ākhoe. Die Khoekhoe Sprachen formten in vorkolonialer Zeit ein Dialektkontinuum, das sich von der Südspitze Afrikas bis nach Angola erstreckte. Heute ausgestorbene Sprachen wie das KapKhoe und !Gora (Korana) gehörten dazu.
1. Wegweisende Arbeit der Missionare Die Weichen zur literarischen Entwicklung der afrikanischen Sprachen Namibias zu ihrem jeweiligen heutigen Status wurden schon durch missionarische Tätigkeit entscheidend gestellt, bevor das kaiserliche Deutschland 1884 Teile des Territoriums offiziell unter seinen Schutz stellte und damit die deutsche Landnahme einleitete. Die Kolonialherrschaft Deutschlands über Deutsch-Südwestafrika wurde nach nur 31 Jahren durch den Einmarsch südafrikanischer Truppen im Ersten Weltkrieg abrupt beendet. Da die literarische Entwicklung weitgehend von Missionaren initiiert wurde, müssen Untersuchungen der Koloniallinguistik mit den ersten Anfängen der deutschen Missionare um 1830 beginnen. Es waren letztendlich die Missionare, die durch ihre missionarische und schulische Tätigkeit indirekt die deutsche Kolonisierung Südwestafrikas vorbereiteten und förderten, denn um ihre Bemühungen Fuß fassen zu lassen, war eine gewisse Infrastruktur im europäischen Sinne für sie erforderlich. 1 Zur Zeit der Unabhängigkeitserlangung Namibias 1990 waren acht einheimische Varietäten als autonome Sprachen in der staatlichen Sprachplanung, d.h. als Fächer und Unterrichtssprachen in Schulen, wenn nicht in der tertiären Fortbildung, anerkannt und 1
Siehe auch Dedering (1990) und Maho (2000).
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Wilfrid H. G. Haacke
gefördert: Otjiherero im zentralen Namibia, Oshindonga und Oshikwanyama (eigentlich Dialekte der Oshiwambo Sprache im zentralen Norden), Rukwangali, Rumanyo und Thimbukushu (Sprachen aus dem Kavangogebiet im östlichen Norden), Silozi im Caprivi, und als einzige Khoesaan-Sprache Nama/Damara – jetzt offiziell wieder als Khoekhoegowab geführt. Setswana wurde und wird auch in einigen wenigen Schulen angeboten, aber bedient sich der Schulliteratur Südafrikas oder Botswanas. 2 Von diesen acht Varietäten wurden die vier größten vor oder während der deutschen Kolonialzeit durch missionarische Tätigkeit als Schriftsprachen entwickelt und werden derzeit an der Universität Namibia als Studienfächer angeboten: Nama, Otjiherero, Oshindonga und Oshikwanyama. Nama wird jetzt wieder bei seinem ursprünglichem Namen Khoekhoegowab genannt; Oshindonga und Oshikwanyama sind im Lehrangebot zusammengefasst als Oshiwambo. Die ersten Publikationen in einer namibischen Sprache erschienen 1830 im Khoekhoegowab für die Nama, ein Katechismus und ein Lesebüchlein von Missionar Johann Heinrich Schmelen, der im Dienst der London Mission Society stand. 3 Die nächste Sprache, die zur Schriftsprache entwickelt wurde, war das Otjiherero. Der Rheinische Missionar Carl Hugo Hahn publizierte 1857 eine erste Grammatik des Otjiherero. 4 Er hatte das Manuskript dem Ägyptologen und Philologen Richard Lepsius vorgelegt, der mit Hilfe des Philologen Franz Bopp die Publikation durch die Königliche Akademie der Wissenschaften in Berlin vermittelte. 5 Somit war eine gesunde Grundlage für das Otjiherero gelegt. Weil das Heimatgebiet der Wambo im hohen Norden zu abgelegen war, veranlasste Hugo Hahn nach einer Reise 1866 dorthin die Finnische Missionsgesellschaft, unter den Wambo zu missionieren. 6 Ab 1870 gründeten sie mit unterschiedlichem Erfolg Missionsstation im Stammesgebiet des Ndonga-Königs, was dazu führte, dass der Oshindonga-Dialekt zur Schriftsprache entwickelt wurde und heute die dominante Schriftsprache der Wambo ist. Neben Oshindonga wurde auch der Dialekt der Kwanyama, Oshikwanyama, zur Schriftsprache entwickelt, nachdem die Rheinische Mission 1884 Missionsarbeit unter den Kwanyama begann. Wie auch anderswo in Afrika, z.B. unter den Sotho und Nguni in Südafrika, hat hier konkurrierende Missionsarbeit zur Spaltung von Sprachen in verschiedene Schriftsprachen geführt. Während im Schulwesen zurzeit noch beide Sprachen als eigenständige Fächer vertreten sind, hat die Universität Namibia die Unterteilung vor wenigen Jahren aufgehoben und bietet nur “Oshiwambo” an, um die Einheit zu fördern. Während Nama (Khoekhoegowab), Otjiherero, Oshindonga und Oshikwanyama ihre literarischen Grundlagen entscheidend durch die Arbeit der Missionare erhalten haben, 2 3 4 5 6
Siehe Haacke (1994). Haacke (1989: 403). Hahn (1857). Siehe Köhler (1961: 69). Siehe Nampala & Shighwedha (2006).
Nama als Sprachbenennung in der Koloniallinguistik Deutsch-Südwestafrikas
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wurde in den Kavangosprachen bis in die frühen fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nichts Nennenswertes veröffentlicht. Die erste Missionsstation wurde erst 1910 von der Römisch-Katholischen Kirche in Nyangana eingerichtet. Ebenso erschien nichts über die Sprachen des im Nordosten weitabgelegenen Caprivi-Zipfels, wo keine missionarische Arbeit während der deutschen Kolonialzeit stattfand. Abgesehen vom sambischen Silozi, das im Caprivi als Lingua Franca gesprochen wird, wenden sich erst in den letzten 15 Jahren Sprachwissenschaftler den einheimischen Bantusprachen des Ost-Caprivis zu. Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein lag die schulische Erziehung der einheimischen Bevölkerung ausschließlich in den Händen der deutschen und finnischen Missionsgesellschaften. In der deutschen Kolonialzeit errichtete der Staat Schulen nur für europäische, also hauptsächlich deutsche Kinder. Ebenso unterhielt die südafrikanische Mandatsmacht vor dem Zweiten Weltkrieg nur Schulen für weiße Kinder. 1934 beschloss die Landesexekutive, zumindest gewisse Missionsschulen zu Staatsschulen zu machen. Diese Übernahme ging jedoch sehr langsam vonstatten: 1962 waren im zentralen Südwestafrika noch 79% der Schulen in Missionshänden, im hohen Norden noch 48%. Mit dem Entschluss der Übernahme kam die landesinterne Entwicklung von Schullektüre weitgehend zum Erliegen bis die Commission of Inquiry into Non-White Education in South West Africa – kurz van Zyl Kommission genannt – 1958 empfahl, dass Nama, Otjiherero, Oshindonga, Oshikwanyama und Setswana zumindest bis zum achten Schuljahr als Muttersprache unterrichtet werden sollten, und dass ein Büro für Eingeborenensprachen eingerichtet werden sollte, das diese Sprachen sprachplanerisch fördern sollte. Diese fünf Sprachen wurden gewählt, weil sie durch die Missionstätigkeit (bzw. durch den Staat wie in Südafrika für Tswana) zu Schriftsprachen mit einiger Schullektüre entwickelt worden waren. 7
2. Wer spricht (nicht) Nama? Da die Beschlüsse von 1958 ohne Fachpersonal kaum in die Praxis umzusetzen waren, empfahl die Commission of Enquiry into South West Africa Affairs – besser bekannt als die Odendaal-Kommission (die die berüchtigte Bantustan-Politik empfahl) – 1963 unter Anderem, dass zusätzlich zu den schon genannten Sprachen “Buschmann” (d.h. !Xun), Rukwangali, Thimbukushu und Silozi (Sikololo) eingeführt werden sollen, dass das Büro für Eingeborenensprachen zu einem funktionsfähigen Sprach- und Publikationsbüro mit genügend Personal für jede Sprache erweitert werden solle, und dass für jede Sprache ein Literaturausschuss bestehend aus Repräsentanten der jeweiligen Sprecher angestellt werden solle, der Manuskripte vorlegen bzw. gutheißen solle.
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Siehe Haacke (1987).
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Mit der Ernennung des Ausschusses für Nama trat zum ersten Mal eine breite Unzufriedenheit an die Öffentlichkeit. Die Nama sind die letzte überlebende Gruppe der Khoekhoe (früher mit dem heute verpönten Exonym “Hottentotten” bezeichnet). Die Sprache gehört zu den Khoe-Sprachen, auch als Zentral Khoesaan-Sprachen bekannt, und ist Teil eines Dialektkontinuums, das sich vor Ankunft der Europäer von der Südspitze Afrikas bis Angola erstreckte. Die anderen Sprachen, die zum Khoekhoe gehörten, waren in Südafrika beheimatet und sind ausgestorben, wie z.B. !Gora (Korana) und die Dialekte des Kap-Khoekhoe. Die Unzufriedenheit bestand darin, dass die negroiden Damara in Namibia auch diese Sprache sprechen. Sie wehren sich jedoch vehement gegen die Behauptung, dass sie Nama sprächen. Sie sprächen Damara oder ǂNūkhoegowab. Letztes heißt wörtlich ‘Sprache der Schwarzen’, wobei ǂNūkhoe (‘Schwarze’) eine Eigenbezeichnung (ein Endonym) der Damara für sich ist, besonders im Gegensatz zu den |Awakhoen, den ‘Roten Menschen’, d.h. den Nama. Bei dem Konflikt spielen auch demografische Erwägungen eine Rolle, zumal die Damara gegenüber den Nama die Mehrheit bilden. Ethnische Statistiken wurden zum letzten Mal 1981 demografisch erhoben, da ethnische Kategorisierung im unabhängigen Namibia grundsätzlich vermieden werden. Demnach stellten die Damara einen Anteil von 61% der Nama/Damara sprechenden Bevölkerung, während die Nama 39% stellten. 8 Hinzu kommt, dass außer den Damara die Hai@om und \A)khoe aus der Gegend der Etoschapfanne im hohen Norden Namibias auch Dialekte des Khoekhoegowab sprechen, wenn auch die am weitesten abweichenden. Die beiden letztgenannten Gruppen fielen in der damaligen Debatte jedoch noch nicht ins Gewicht, da sie sprachplanerisch (wie auch heute noch) nicht in Betracht gezogen wurden. Die Hai@om und \A)khoe werden üblicherweise als Buschleute (Saan) 9 angesehen, obwohl diese Frage umstritten ist, zumal die westlichen Hai@om phänotypisch stark zu den negroiden Damara tendieren. Die Frage der Sprachbenennung ist brisant, weil sie mit der – inzwischen als nicht fundiert erwiesenen – Behauptung verbunden ist, dass die negroiden Damara ihre ursprüngli8
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Seit der Unabhängigkeitserlangung Namibias werden keine ethnischen Erhebungen mehr durchgeführt, höchstens Erhebungen nach Sprachgruppen. Wenn das Verhältnis aus der Volkszählung von 1981 auf die Gesamtzahl von 175.554 “Nama/Damara” der Volkszählung von 1991 projiziert wird, so wären es etwa 107.000 Damara und 68.500 Nama gewesen. Die Gesamtziffer schließt die Bevölkerung Walvisbays aus, wie auch die Nama, die in Botswana und Südafrika leben. Ebenso besteht eine Dunkelziffer für die Hai@om und \A)khoe, da sie wahrscheinlich zusammen mit JuSprechern unter “Bushman” zusammengeworfen wurden. Es wird heute oft gefordert, statt “Buschmann” “San” zu gebrauchen, da “Buschmann” herabwürdigend sei. Es sollte beachtet werden, dass beide Bezeichnungen exonym sind und sich auf die “primitive” Lebensweise der Betroffenen beziehen. San – korrekterweise Saa oder Sān (mit “langem” a) – ist die von den Nama gebrauchte Bezeichnung und heißt ‘Sammler (von Vegetabilien)’. Ein grammatischer Nachteil dieses Wortes ist, dass das “Nominalsuffix” -n den Plural bezeichnet und das Wort somit schlecht auf eine Person anwendbar ist. Laut Befragungen sind die betroffenen Ethnien geteilter Meinung, welche Benennung sie vorziehen. Viele Hai@om lehnen diese ethnische Kategorisierung sowieso ab, unabhängig welcher Ausdruck.
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che Muttersprache verloren hätten und die Sprache der Nama angenommen hätten, von denen sie “versklavt” worden wären. Diese Behauptung tauchte zuerst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Literatur auf und wurde selbst nach der Unabhängigkeitserlangung Namibias noch ungeprüft in einem Geschichtsbuch für Oberschulen wiederholt. 10 Der folgende Titel des Missionars Carl Wandres besagt alles: Über den Ursprung der Namasprache und die Annahme derselben durch die Bergdama (Wandres 1909). Die Erziehungsbehörde lenkte ein, indem die Sprache für Schulzwecke offiziell als Nama/Damara bezeichnet wurde. Der Dualismus dieses Kompromisses ermutigte jedoch ethnozentrische Polemiken, beginnend damit, welche “Sprache” vorrangig genannt werden soll. So nennt sich der betroffene Sprachdienst des heutigen staatlichen Radiosenders noch immer Radio Damara/Nama. Ethnozentrisch denkende Nama und Damara lehnen neue Schulbücher als für die jeweilige andere Sprachgruppe geschrieben ab, indem sie auf den Wortschatz der Anderen als fremdartig hinweisen. Diese beharrliche Diskrepanz war einer der Anlässe zur Durchführung einer Dialektuntersuchung des Nama/Damara. Das Ergebnis zeigt eindeutig, dass die Nama- und Damara-Lekte Dialekte einer Sprache sind, da die zentralen Dialekte der beiden Gruppen eine lexikale Nähe von über 98% aufweisen. 11 Die Behauptung, dass Nama und Damara zwei separate Sprachen seien, ist somit lexikostatistisch widerlegt. Daraus ergibt sich die Frage, wie die gemeinsame Sprache heißt. Es konnte ferner erwiesen werden, dass die Damara diese gemeinsame Sprache nicht von den Nama übernommen haben können, sondern schon lange vor der Begegnung mit ihnen von anderen KhoeSprechern – wahrscheinlich in Botswana – übernommen haben müssen. Weiterhin ergaben die lexikostatistischen Erhebungen, dass die Hai@om Dialekte und auch das marginale \A)khoe im hohen Norden Namibias zum Khoekhoegowab Dialektkontinuum zu rechnen seien. Der unglückliche Dualismus in dem Namen Nama/Damara beschäftigte den Damara Pastor Eliphas Eiseb, prominentes Mitglied des besagten Sprachausschusses und u.a. Mitverfasser des Khoekhoegowab Dictionary. 12 Er suchte nach einem für alle akzeptablen Namen und erinnerte sich letztendlich, dass seine Großmutter in den zwanziger oder dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Khoekhoegowab gesprochen hatte. Er stellte Ende der siebziger Jahre im Nama/Damara Language Committee, dem offiziel10 11
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Siehe Haacke (2002: 12ff.) Siehe Haacke et al. (1997) für Einzelheiten; vgl. auch Haacke (2007) für die Hypothese, dass die Damara eine frühe Version der Khoe-Sprachen in Botswana annahmen und danach entlang der nördlichen Flüsse Namibias in die Gebiete nördlich und südlich des Kunene einwanderten. Somit waren sie schon Khoekhoe-Sprecher, als die Nama von Süden her einwanderten, wenn auch mit unterschiedlichen Dialekten. Sprachrelikte dieser Frühform haben sich im nördlichen Namibia, besonders unter den Sesfontein-Damara, Hai@om und \A)khoe erhalten, wo die Nama und Orlam nie dominiert haben. Haacke & Eiseb (2002).
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len Repräsentationsgremium der Nama/Damara-Sprecher, einen Antrag, diesen Namen wieder für die gemeinsame Sprache einzuführen. Nachdem der Antrag durch den Einfluss eines prominenten Namas abgelehnt worden war, wurde er bei einer wiederholten Vorlage nach der Unabhängigkeitserlangung 1990 akzeptiert, da die besagte NamaPersönlichkeit inzwischen nicht mehr in dem Gremium diente. 13 Seit 1990 wird Nama/Damara in Namibia wieder offiziell unter seinem ursprünglichen Namen Khoekhoegowab geführt, wörtlich: Khoekhoe-Sprache. Dieses Glossonym ist kein künstlich kreierter Terminus wie das von Leonard Schultze eingeführte Wort Khoesaan (veraltet Khoisan), das die Zusammengehörigkeit von “Hottentott & Buschmann” ausdrücken soll, sondern ein durch Jahrhunderte gebrauchtes Endonym. Die Nominalwurzel khoe heißt ‘Mensch’. Der Stamm khoekhoe ist nicht, wie oft behauptet, eine Verdoppelung, sondern ein Nominalkompositum, indem dem Grundwort khoe dieselbe Wurzel als Bestimmungswort vorangestellt ist, mit der wörtlichen Bedeutung ‘menschenartiger Mensch’, d.h. ‘richtiger/normaler/echter/typischer Mensch’. Anders als im Deutschen ist es im Khoekhoegowab (und Afrikaans, das diesen Gebrauch aus dem Khoekhoegowab haben mag) möglich, dass Grund- und Bestimmungswort identisch sein können. Solche Zusammenstellungen drücken aus, dass es sich nicht um Abwandlungen des Grundwortes handelt, sondern um die essenzielle Version. Diese Zusammensetzung ist nicht als chauvinistisch oder elitär zu verstehen, wie hier noch erläutert werden wird. Leonard Schultze, Zoologieprofessor and der Universität Jena, fasst in seinem unübertroffenen ethnografischen Werk über die Nama (und Orlam) 1907 seine Erläuterungen wie folgt zusammen: Wenn also die Benennung kχoï-kχoin eine Sammelbezeichnung für sämtliche Hottentottenstämme war (sie scheint als solche heute nicht mehr im Volke lebendig zu sein [Kursiv beigefügt, W. H.]), dann hat sie nicht den Sinn von “Menschen-Elite” gehabt, sondern ist nur ein Ausdruck dafür gewesen, dass sich der Hottentot inmitten der Völker, die ihn umgeben, seiner “Echtheit”, d.h. des rassenreinen Ursprungs seines Menschentums bewußt ist. (Schultze 1907: 322). Wir werden auf diese Erklärung zurückkommen. Nach Schultzes eigenen, gänzlich unabhängigen Untersuchungen nennt der Hottentot diejenigen Stämme, die seit alters her im heutigen GroßNamalande ansässig sind Nama-n. ... *Gu0!nu0n 14 ist eine Bezeichnung für diejenigen Hottentottenstämme, die von der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts ab aus dem Gebiet der heutigen Kapkolonie nach Groß-Namaland einwanderten. (Schultze 1907: 172). 13 14
Siehe auch Haacke (1999: 2). Diese Benennung ist mir unbekannt. Vedder (1934: 32) übersetzt sie frei als ‘Schafjäger’. Budack (1969: 224) überliefert !Gû-!gôun (= !Gû!gâun, d.h. ‘die den [Oranje-] Fluss kreuzten’).
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Es ist bezeichnend dafür, wie weit das Wort in Vergessenheit geraten war, dass Khoekhoe-Sprecher das wiederbelebte Wort Kho'e1kho1e'go1wa1b heute oft mit falscher Tongebung aussprechen, nämlich als Kho'e5kho1e'go1wa1b. In dieser Form ist das Wort in der Tat eine kausative Verdoppelung mit der Bedeutung ‘zum Menschen machen, vermenschlichen’. Als solches wird das Wort abgelehnt, da es impliziert, dass die Sprecher ansonsten keine Menschen wären. Im folgenden Teil soll dieser Artikel an Hand von Publikationstiteln aufzeigen, wie das Endonym Khoekhoegowab im Laufe des 19. Jahrhunderts durch den Einfluss der Missionare und der deutschen Koloniallinguistik (unbeabsichtigt?) verdrängt wurde zugunsten von Nama – unter den Nama willkommen als Endonym, den Damara aufgezwungen als Exonym.
3. Die Sprachbenennung in der kirchlichen und linguistischen Kolonialliteratur Der Grund für die Verdrängung der Sprachbenennung Khoekhoegowab ist darin zu suchen, dass die Anfänge der Missionierung der Gebiete nördlich des Oranje, dem sogenannten Groß-Namaqualand, vom Kap der Guten Hoffnung im Süden ausging. 15 Die erste Missionsstation im heutigen Namibia wurde 1806 eine Tagesreise weit per Ochsenwagen nördlich des Oranje von deutschen Missionaren (Gebrüder Albrecht und Seidenfaden) für die Londoner Mission errichtet. 1820 folgten die Wesleyanischen Methodisten und 1842 die Vereinigte Rheinische Missionsgesellschaft, die schon unter den !Goran (Korana) und Khoe Stämmen (Orlam) im Nordkap tätig war. Die Missionierung nördlich des Oranje Flusses bedeutete lediglich eine territoriale Erweiterung der Missionsarbeit aus dem Kap, vom Klein-Namaqualand ins Groß-Namaqualand. Eine Charte des Rheinischen Missionsgebietes in Südafrika 16 von 1845 erstreckt sich vom Kap bis zum 22. Breitengrad, d.h. bis zum heutigen Windhoek im zentralen Namibia. Anfänglich kamen alle Missionare per Ochsenwagen aus dem Kap, wo sie auf ihre Aufgaben vorbereitet worden waren. 17 Somit fanden die ersten Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung ausschließlich mit Nama oder Orlam (den stark hybridisierten und akkulturierten Khoe, die ab etwa 1800 aus dem Kap ins Groß-Namaqualand einwanderten) statt, nicht mit Damara oder anderen Ethnien. Schon bald, 1844, hat die Rheinische Mission Hugo Hahn beauftragt, eine Missionsstation nördlich des Groß-Namaqualandes, im sogenannten Damaraland, dem heutigen zentralen Namibia, zu gründen. Die Zielbevölkerung war jedoch nicht die der Damara, son-
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Karte des Gebietes siehe Appendix. Richter (1845): Charte des Rheinischen Missionsgebietes in Südafrika. (Fettdruck beigefügt, W.H.) Siehe Heese (1980: 75) für die näheren Umstände.
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dern die der zu den Bantu gehörenden Herero. 18 Da die Damara ohne Stammeshäuptlinge in kleinen Gruppen von bestenfalls Großfamilien im Gebiet besonders der Herero zerstreut lebten, waren sie bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit niemals eine eigenständige Zielgruppe für die Missionierung. Unter den Nama hingegen ließen die Missionare sich in der Nähe von Stammeshäuptlingen nieder, da sich hier auch die Gefolgschaft konzentrierte. Da die Nama sich materielle Gewinne von den Missionaren erhofften, führte die Errichtung von Missionsstationen wiederum oftmals zu einem weiteren Bevölkerungszulauf und es konnten Schulen eingerichtet werden. 19 Diese Umstände erklären, warum die Literatur während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eigens auf die Nama ausgerichtet wurde, wie aus der folgenden Übersicht ersichtlich ist. 20 Die Wörter Khoe und Khoekhoe sind wiederholt in Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts vom Kap belegt, wenn auch in kaum erkennbaren Schreibweisen. Schon am 9.1.1653, neun Monate nach seiner Ankunft am Kap, macht Jan van Riebeeck in seinem Daghregister die folgende Eintragung: “de Saldanhars ... Quena [= Khoena, khoe + plural “Suffix” (korrekter: Enklitikon) -n, W. H.] genaemt (...)” (in Nienaber 1989: 812). Noch 1691 erscheint in einer Wortliste von Nicolaas Witsen “Quena, de Hottentotsche nation, natio Hottentotica in genere”. 21 Doch ab dem 18. Jahrhundert ist das Wort Khoekhoe(n) statt Khoe(n) belegt. So ist 1726, etwa zwei Generationen später, bei François Valentyn zu lesen: “De oudste en eigentlyke Ingezeten van de Kaap zyn de Hottentots (…) Waar die naam vandaan komt, weet ik niet, altoos niet van hen, alzoo zy zich zelven T-hoekoe noemen (…)”. 22 1779 erscheint bei Col. R. J. Gordon neben Khoe(n) auch Khoekhoe(na): “Voor eerst hieten zig de Hottentotten (…) Quoi Queuna, in Dialect [zeggen] zommigen (…) voor Queuna Queina en Eina, dit beteekent Letterlijk Mensch, Menschen, zijnde Queuna Meervoud van Quoè, Mensch (…)”. 23 18
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Die Nama nannten alle Schwarzen (Negroiden) Dama. Sie unterschieden die viehzüchtenden Herero und Damara als Gomadama (Rinderdama), bzw. Xaudama, einem unflätigen Ausdruck für Exkremente. Maria Fisch (1986/2010) weist darauf hin, dass die Benennung Dama ursprünglich nicht von den Nama herrührt, wie Vedder es behauptet, sondern die Form Matama [Bantu Klasse 6 ma + Stamm tama?, W.H.] laut Carlos Estermann schon in portugiesischen Schriften des 16. Jahrhunderts vorkäme. Die Naro aus Botswana bezeichnen die Herero auch als Tama. In der Literatur des 19. Jahrhunderts bezieht sich Damara oft auf die Herero, während die Damara Bergdamara genannt werden. Damara ist ein unter Europäern ungewollt entstandenes Exonym, das das “Nominalsuffix” der dritten Person weiblich/sächlich Dual -ra fälschlicherweise als Teil des Wortstammes Dama behandelt. Heute akzeptieren die Damara Damara als Autonym. Siehe Dedering (1990). Aus Platzgründen können hier nur die wichtigsten Werke angeführt werden. Für Einzelheiten über die Schreibkonventionen siehe Haacke (1989). In Nienaber (1989: 812). Valentyn, François (1726). Beschrijvinge van de Kaap der Goede Hoope. Dordrecht. Quelle: Nienaber (1989: 616). Siehe auch Nienaber (1963: 310–311) für weitere Quellenangaben. Nienaber (1989: 812).
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Nienaber (1994: 182) erklärt zu van Riebeecks obiger Tagebucheintragung, dass Quena nicht der einheimische Name für den Saldanha Stamm war, sondern die endonyme Benennung der Khoe allgemein, wie es von unbekannter Hand in einer Randnotiz a.a.O. als “Natio Hottentottica in genere” übersetzt wurde. Die Bedeutung von Khoen(a) muss jedoch noch allgemeiner verstanden werden. Als die ersten Europäer sich am Kap niederließen, waren die Khoe die einzige bodenständige Bevölkerung am Kap. Die Bantu waren nur aus dem weit entlegenen heutigen Botswana als Pirin (Ziegen[menschen], d.h. Tswana) bekannt, denn die Xhosa waren noch nicht bis in die spätere Transkey vorgedrungen. Also war eine endonyme ethnische Differenzierung nicht nötig, abgesehen davon, dass man Habenichtse, die von Jagd und Sammeln lebten, Sān (wörtlich ‘Sammler’) nannte. Wenn die Khoe also auf die Lokalbevölkerung mit khoen verwiesen, so war dieses Wort nur als Gattungsname mit der Bedeutung ‘Menschen, Leute’ zu verstehen, nicht als Ethnonym. Erst als die Europäer sich zwischen ihnen ansiedelten, mussten sie zwischen den ‘Zugereisten’ und sich selbst differenzieren. So sind einige Exonyme der Khoe für die Holländer belegt: Ten Rhyne 1673: “onkey: belga” Witsen 1691: “Honquecqa: Duytsche natie” Gordon 1779: “Zij heeten ons O’ehoe of Ho’enqueina, die eerste Syllabe met een sissende slag der Tong tegens de tanden, uitgesprooken.” 24 Ob diese Bezeichnungen, die alle ein Bestimmungswort vor dem Grundwort khoe haben, auf |Ûkhoegua (‘Haarmenschen’) zurückzuführen sind, wie Nienaber es vorschlägt, oder auf das heute gebräuchliche |Honkhoegua (‘Boss-Menschen’) ist nicht klar ersichtlich. Auf jeden Fall war jetzt der Zeitpunkt gegeben, wo sich die Khoe von den Europäern, auch !Urikhoen (‘weiße Menschen’) genannt, ethnisch differenzieren mussten. So war die auf der Hand liegende ethnische Selbstbezeichnung Khoekhoe, die ‘normalen, üblichen Menschen’. Unter diesen Umständen sollte es auch einleuchten, dass diese Eigenbezeichnung nicht chauvinistisch zu verstehen ist. Wie schon oben erwähnt, erschien die erste Veröffentlichung in einer namibischen Sprache in der Sprache der Nama bzw. Orlam (wie auch immer man die Sprache nennen will): ein Katechismus und ein Lesebuch von Heinrich Schmelen, dem seine NamaFrau Zara aktiv zur Seite gestanden hatte. 25 KWII NAMATIIGNA KANNIS. NAMAKAONDIIS = |Gui Namadî!nâ\khanis Nama!haon dis (?) ‘Ein [Numeral] Nama Unterfragungsbuch der Nama Nationen’ (?) und NEESKE KWII KOEMY KANNIS TSOEIKOWAP KOEMSSAGOE GOWAAGOEIIHAS NAMAKOOWAPNA KAY KOOIN ORE KOAAN DIIS! 24 25
In Nienaber (1989: 790). Schmelen (1830a/b). Wo immer Sprach- oder Volksbenennungen in Fettdruck erscheinen, ist der Fettdruck hier eingefügt worden, um den Trend der Benennung zu veranschaulichen.
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= Ne0s ge |gui khomai\khanis Tsui@goab khomsa xu xoa@guihe hâs Namagowab !nâ kai khoen (?) |gôan dis (?) ‘Dies ist ein [Numeral] Lesebuch in der Namasprache niedergeschrieben nach dem Wort Gottes [Kulturheld] für Erwachsene und Kinder’ (?). Die Bücher waren jedoch unverständlich, da der Drucker in Kapstadt die in England gegossenen Schnalzzeichen nicht verwenden konnte, weil sie nicht in die Druckerpresse passten. Schon in den Titeln dieser allerersten Publikationen wird gezielt auf das NamaVolk und ihre besondere Sprache hingewiesen, für das die Bücher geschrieben wurden. An anderem Ort schreibt Schmelen aber “Von dem Volke bei dem ich mich befand hörte ich, dass dort Koejin Kaoin wären, das sind Völker, die Kleider hätten, ...” (in Nienaber 1989: 616). Es ist bei diesem aus dem Zusammenhang gelöstem Zitat nicht klar, ob Schmelen sich auf Nama oder Orlam bezieht. Das erste einigermaßen lesbare Schulbuch wurde 1845 in Khoekhoe-gowab von dem ersten Missionar der Rheinischen Mission, dem Norweger Hans Christian Knudsen verfasst: 26 NAMA-A.B.Z.:KANNIS, :GEI.*HU-*ZE KHOM-AI-:KANNIS = Nama A.B.C \khanis, \gai|hû- tsî khomai\khanis ‘Nama ABC-Buch, Rezitier- und Lesebuch’ Auch Knudsen wusste um ihren übergreifenden Stammesnamen: Koï-koïn oder Hottentotten (...) Sie selbst nennen sich Koï-koïn. Dies ist der eigentliche Gemein- oder Volksname. Dies ist der eigentliche Gemein- oder Volksname. (...) wozu alle ihre Stämme, Orlams, Namaquas, Korannas, Griquas, Buschmänner, Nawissen usw. (die Berg- und Viehdamaras ausgenommen) gerechnet werden. (H. C. Knudsen Manuskript 1844, in Nienaber 1989: 617). Er macht keinen Unterschied zwischen Nama und Orlam, wie Olpp es später tut (s. u.). Obwohl Henry Tindall kein Deutscher war und, wie sein Vater Joseph, im Dienst der Wesleyanischen Mission stand, verdient seine 1857 erschienene Grammatik, A grammar and vocabulary of the Namaqua-Hottentot language, hier erwähnt zu werden. Sein Titel besagt, dass die Nama eine Untergruppe der gesamt-hottentottischen Bevölkerung seien. 27 Tindalls Grammatik war der letzte ernste Versuch, die vier Schnalzlaute mit lateinischen Buchstaben wiederzugeben. Er konnte sich jedoch nicht gegen die Konventionen der Rheinischen Missionare durchsetzen, die sich auf einer Konferenz 1856 auf die sogenannten Lepsius-Symbole geeinigt hatten: dental |, alveolar !, palatal \, lateral @. 28 Diese Symbole werden heute auch in dem Internationalen Phonetischen Alphabet verwendet. 26 27
28
Titelseite siehe Appendix. Es war damals allgemein üblich, das maskuline Plural-“Suffix“ der dritten Person, -qua oder -kwa, als Teil des Volks- bzw. Sprachnamens Nama zu behandeln. Dem Person-Genus-Numerus Enklitikon -gu folgt das Suffix -a des Casus Obliquus. Siehe Haacke (1989: 409–411).
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Im gleichen Jahr, 1857, erscheint von dem Missionsinspektor Johann Christian Wallmann eine aus dem bisher recht spärlichen grammatischen Material der Missionare zusammengestellte Grammatik: Die Formenlehre der Namaquasprache: ein Beitrag zur südafrikanischen Linguistik. Wallmann ist das Ethnonym “Khoekhoe” durchaus bekannt, wie das Zitat aus einer Abhandlung zeigt (Wallmann 1858, in Nienaber 1989): “Die bisher genannten Stämme begreift man unter dem Namen der Hottentotten oder Koi-Koin, wie sie sich selber nennen”. Der südafrikanische Afrikanist Clement Doke kommentierte 1933, dass diese Grammatik nur von antiquarischem Wert sei. Wenn Wallmann auch kein Sprachwissenschaftler war, repräsentiert diese Buch doch den ersten Beleg eines Werkes, bei dem ein Autor in Deutschland sich ausschließlich missionarischer Quellen bedient. Theophilus Hahn, Sohn eines Missionars, gebildeter Händler und Kartograf, der in Halle studierte, veröffentlichte 1870 seine Dissertation mit dem folgenden Titel und Untertitel: Die Sprache der Nama; nebst einem Anhange, enthaltend Sprachproben aus dem Munde des Volkes. Redigierte Ausgabe einer Dissertation mit einem Anhang über Mythen der Khoi-khoin nebst Übersetzung und Wörterverzeichnis. 29 In dem Titel zumindest benennt Hahn die Sprache nicht (ich habe den Text nicht einsehen können); aus dem Untertitel wird es klar, dass er richtigerweise die Nama als Untergruppe der Khoekhoe einstuft. Missionar Johannes Olpp (senior) assistierte Missionar Johann Georg Krönlein von 1865–68 hauptsächlich als Lehrer in Berseba, damit Krönlein sich ganz dem Studium der Sprache widmen konnte. In Berseba lebten die |Hai|khauan, ein Orlam-Stamm. Von 1868 bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1879 aus Gesundheitsgründen war Olpp Missionar und Lehrer in Gibeon, dem Sitz der |Khopesen oder Witboois, einem weiteren Orlam-Stamm, der sich 1863 aus Südafrika kommend dort niedergelassen hatte. Er wurde hier u.a. zum Mentor für den jungen Kaptein 30 Hendrik Witbooi (senior), der später Befreiungskriege gegen die deutsche Kolonialmacht führte. Sein NamaDeutsches Wörterbuch (Olpp 1888) war das erste Wörterbuch von größerem Umfang, wurde aber schon ein Jahr später von Krönleins Standardwerk (siehe unten) überschattet. Olpps Buch war richtungweisend, da es die Lepsius-Symbole (d.h. |, @, !, \) für die Schnalze verwendet. Es ist zu beachten, dass Olpp, obwohl er immer unter Orlam gewirkt hat, die Sprache in diesem praktischen Handbuch als “Nama” bezeichnet. In einem Artikel für eine Zeitschrift spricht er jedoch von den “Nama Khoi-Khoin” (Olpp 1887). Olpp assoziierte die Benennung “Khoi-khoin” mit den zugewanderten Orlam, nicht mit den alteingesessenen Nama (die sich auch als |Awakhoen ‘Rote Menschen’ differenzier(t)en): 29 30
Hahn (1870). Die größte politische Einheit der Nama ist der Stamm (!haos), im Afrikaansen von ihnen selbst meistens als nasie (‘Nation’) übersetzt. Der/die Stammesführer(in), gao-aob/s, wird von ihnen selbst auch ‘Kaptein’ genannt. Aus diesem Grunde wird dieser Titel hier benutzt.
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(...) eine Stufe höher stehen dann die eigentlichen Namas (Namaquas), die im Unterschied von allen vorhergenannten [Buschmannstämmen, W.H.] Viehzucht treiben. Zu ihnen dürfen aber bei Leibe nicht die Khoi-khoin, sonst auch Orlam genannt, gerechnet werden. (...) Seit dem Jahr 1867 haben die Khoi-khoin politisch das Übergewicht, ... (Olpp 1876 in Nienaber 1989: 617). Implizit vertritt Olpp die übliche Haltung, dass die Damara (im Hereroland) Nama sprächen (Olpp 1910): Agende für die Nama sprechenden Gemeinden in Herero- und Namaland. Der aus Seegnitz stammende Missionar Johann Georg Krönlein, der 26 Jahre von 1851–1877 hauptsächlich in Berseba unter den |Hai|khaua-Orlam wirkte, ab 1866 als Superintendent der Mission in Groß-Namaqualand, hat mit Abstand die größten und wichtigsten Beiträge im 19. Jahrhundert zur Entwicklung des Khoekhoe als Schriftsprache gemacht. Neben seiner wiederholt verlegten Übersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen war sein wichtigstes Werk sein Wörterbuch: Wortschatz der KhoiKhoin (Namaqua-Hottentotten) (Krönlein 1889). Krönlein lässt in dem Titel keinen Zweifel daran, dass die Nama als ein Teil der Gesamt-Khoekhoe zu sehen sind. Er gebraucht Khoi-Khoi jedoch als Ethnonym, nicht alsGlossonym. Der Missionsinspektor und Sprachwissenschaftler Carl Gotthilf Büttner, der selbst Missionar im Namaqualand und Hereroland gewesen war, benutzt im Vorwort zu dem Wörterbuch das Glossonym Namaqua. Bezeichnend für den Wandel in der Sprach- und Volksbezeichnung ist, dass Missionar Friedrich Rust (junior) Krönleins Wörterbuch achtzig Jahre später in revidierter Form neu auflegt unter dem Titel Nama Wörterbuch (Rust 1969). Krönlein (1889: 209) hat in seinem Wörterbuch die Stichwörter “kho5i-kho5i, nama [sic!] sprechen” und “kho5i-kho5in, pl. comm. die Naman”; kho5i-kho5i gowab wird in einem Beispielsatz als ‘Namasprache’ übersetzt. Er macht also keinen Unterschied zwischen den eigentlichen Nama und den zugewanderten Orlam im Sinne Olpps, vollzieht aber auch den terminologischen Wandel von kho5i-kho5i zu Nama. Rust (1969: 238) bringt alle drei Wörter als Stichwörter: “khoi-khoi: die Namasprache reden”, “Khoikhoin: die Naman” und “khoi-khoi-gowab: die Namasprache”. Dass der autochthone Begriff Khoekhoegowab (im Gegensatz zu Namagowab) während der Ära Krönlein eben in jenem Ort, wo er tätig war, unter der einheimischen Bevölkerung tatsächlich benutzt wurde, ist einwandfrei aus einem Brief des späteren Bersebaner Orlam-Kapteins und Schulleiters Christian Goliath zu ersehen, den er am 29. März 1879 in seiner Muttersprache an den Kaptein der Bethanier-Orlam (!Amân) David Christiaan Frederiks über eine Missionsangelegenheit schrieb. 31 Goliath schließt seinen Brief (siehe Appendix) mit einem Postskript, das wie folgt beginnt: 31
Mein Dank gebührt Frau Anneliese Dyck, ehemalige Kuratorin des Lüderitzbuchter Museums, die mich 1976 auf den Brief im Besitz des Museums hinwies. Das Original ist inzwischen nicht mehr auffindbar.
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Huga ta ra hi Dom-@ôai ei ta go khoi-khoigowab ei @kawa xoa @na ... [Auf die
Weise wie ich es immer tue habe ich ... wieder auf Khoekhoegowab niedergeschrieben ..., W. H.]
Das authentische Endonym Khoekhoegowab für die Sprache wurde von den Missionaren aus nirgends explizit begründeten Erwägungen zurückgestellt zugunsten der ethnisch bezogenen Bezeichnung Nama. Ein sprechendes Beispiel ist, wie in der Überschrift einer Textsammlung derselbe Christian Goliath als Ethnonym im Holländischen Namaqua gebraucht, aber in der eigenen Sprache Khoikhoin: Spreekswijzen in den gewonlijken omgang in zamenleving der Namaqua menschen (Khoi-khoin !hoa-domi, tse0 -gorobe ûi|haon !na). 32 Dies scheint ein Zugeständnis an die Gepflogenheiten der Weißen zu sein. Das historisch wichtige Postskript Goliaths ist auch in anderer Hinsicht von historischer Wichtigkeit: als Orlam sucht Goliath sich scheinbar vor Frederiks zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigung erklärt sich daraus, dass Frederiks und die Bethanier-Orlam bekannt waren für ihre ausgesprochene Verachtung des Nama bzw. Khoekhoegowab. In Bethanien fand 1844 der erste Schulstreik statt, als die Eltern ihre Kinder aus Protest der Schule fernhielten, weil sie den Unterricht nicht auf Nama sondern auf KapHolländisch wollten. Es erübrigt sich, weitere Titel von Missionaren anzuführen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Sprache als Nama bezeichneten. Es war ausnahmslos üblich. Der Gebrauch wurde um die Jahrhundertwende bestätigt, indem auch Afrikanisten Nama als Glossonym benutzten. Mehrere von ihnen bezogen sich auf bestehende Veröffentlichungen oder Aufzeichnungen von Missionaren, ohne vor Ort eigene Untersuchungen angestellt zu haben, so z.B. der Afrikanist Wilhelm Planert (Berlin) mit seinem Handbuch der Nama-Sprache in Deutsch-Südwestafrika (Planert 1905). Carl Meinhof, ab 1919 Professor für afrikanische Sprachen an der Universität Hamburg und einer der Begründer der modernen afrikanischen Sprachwissenschaft 33, verlegte 1909 ein Lehrbuch der Namasprache. Dieses Sammelwerk enthält einen Beitrag u.a. von dem kaum weniger bekannten Afrikanisten Diedrich Westermann: NamaGrammatik. 34 Weiter Publikationen über Nama folgten von Meinhof, z.B. Versuch einer Lautlehre des Nama (Meinhof 1909b). Obwohl sein Werk nach der deutschen Kolonialzeit erschien, verdient die Grammatik des Afrikanisten Otto Dempwolff als Höhepunkt deutscher sprachwissenschaftlicher Werke zum Khoekhoe genannt zu werden: Einführung in die Sprache der NamaHottentotten. (Dempwolff 1934–1935). Dempwolff benutzt ausschließlich bestehende Quellen bzw. Angaben anderer. Sein Bestreben ist, “eine theoretische Erkenntnis von 32 33 34
Siehe Baumann (1915–16). Gudrun Miehe in Jungraithmayr & Möhlig (1983: 161). Hegner &Westermann (1909). Dempwolff (1934–1935: 31) stellt fest, dass die Grammatik, die Westermann nach Angaben des Missionars Hegner geschrieben hat, viele Irrtümer enthält.
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der Eigenart der Sprache” zu erlangen, indem er “vom Satzbau und nicht von dem Wortformen ausgeht” (Dempwolff 1934–1935: 30–31). Durch diesen Ansatz hat Dempwolff in der Zeit des Strukturalismus Einsichten erlangt, mit denen er allen späteren – auch “generativen” – Monografien noch immer voraus ist. Die Damara wurden also üblicherweise in der Sprachliteratur nicht berücksichtigt. Wie oben erwähnt, waren sie im 19. Jahrhundert nicht Zielgruppe irgendeiner Missionsgemeinde, da sie zahlenmäßig in keiner Gemeinde dominant waren und auch nicht um Stammesführer versammelt lebten. Vedders Darstellung reflektiert auch den Zeitgeist unter den Missionaren: Die Geschichte der Bergdama beginnt mit der Geschichte der Missionsarbeit unter ihnen. Die Mission sammelte vom Jahre 1860 an in Rehoboth, Otjimbingwe, Okombahe, Omaruru, Tsumamas, Gaub und anderen Niederlassungen die Bergdama in ihren Gemeinden, bestellte ihnen eigen Älteste, legte Fürsprache für sie bei den Hererohäuptlingen ein, und erwirkte es, dass ihnen ein freies Gebiet in Okombahe zur ausschließlichen Nutznießung ausgewiesen wurde. Das Reservat in Okombahe wurde auf das Drängen der Mission hin von dem Häuptling in Omaruru abgetreten, und die deutsche Regierung bestätigte später diese Abtretung, ernannte einen Bergdama als Häuptling über alle, die sich in diesem Reservat einfanden, und entschädigte den Häuptling der Herero in Omaruru für die Abtretung durch eine jährliche Geldsumme von 800 Mark. ... Erst die Niederlage der Nama und Herero 1904–07 brachte den Bergdama die volle Freiheit.“ (Vedder undatiert: 6–7). Bestenfalls waren die Damara in anderen Gemeinden aufgenommen. Es wird zwar berichtet, dass der englische Missionar Richard Haddy von der Wesleyanischen Mission um 1845 bei Concordiaville (dem heutigen Windhoek) neben den Afrikaner-Orlam 100–350 Bergdama in seinen Gottesdiensten hatte (in Heese 1980: 65). Haddy entwarf auch Fibeln für die Damara, aber aus Geldmangel wurden sie nie gedruckt. Der Rheinische Missionar Baumann (junior) wollte eine Bergdama-Gemeinde in Okavaka, sechs Stunden vom Waterberg entfernt, einrichten, nachdem 1876 die Idee einer BergdamaMission aufgekommen war. Doch hieraus wurde nichts, da der Herero-Häuptling Kambazembi das Vorhaben ablehnte (Lau 1979: 88). 1873 gründete Missionar Friedrich Eich eine Missionsstation hauptsächlich für Damara bei Otjiseva, zwischen dem heutigen Windhoek und Okahandja. Aber 1884 wurde sie wieder geschlossen. 35 Erst 1892, fünfzig Jahre nachdem die Rheinische Mission ihre Arbeit begonnen hatte, wurden die Damara zum ersten Mal in einem Buchtitel namentlich erwähnt: Die Sprache der Nama und Bergdamara in Deutsch-Südwest Afrika (Köhler & Krönlein 1892, das Buch konnte nicht eingesehen werden, W.H.). 1895 erschien das umfangreiche landes- und völkerkundliche Werk von Hugo von François (1895) Nama und 35
Dierks (2000–2003: 53).
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Damara, in dem die Damara zum ersten Mal vorrangig behandelt werden. Es ist zu beachten, dass er zu der Zeit, wo im europäischen Gebrauch das Wort Khoekhoe so gut wie verschwunden ist, schreibt: “Sie [die Hottentotten, W.H.] selbst nennen sich KhoiKhoib. (...) Sie gebrauchen (...) Namab selten” (François 1895: 77, Fettdruck eingefügt, W.H.). Dieser Eindruck entspricht nicht dem von Leonard Schultze, der meint, dass die Benennung nicht mehr lebendig sei (siehe oben). Erst 1923, also nach der deutschen Kolonialzeit, rückten die Damara ins Rampenlicht mit Missionar Heinrich Vedders zweibändigem Werk Die Bergdama (Vedder 1923). Dieses Werk ist die Standardquelle über die Damara-Kultur. 2003 erschien eine ebenfalls zweibändige Übersetzung ins Englische von Adi Inskeep, die von ihr mit weit ausholenden Kommentaren erweitert wurde: Heinrich Vedder’s The Bergdama (Inskeep 2003). Im ersten Band beschreibt Vedder die kulturellen und völkerkundlichen Gepflogenheiten, sowie den “Dialekt der Bergdama”; im zweiten Band bringt er Originaltexte aus der Bergdama-Oralliteratur mit deutscher Übersetzung. Carl Meinhof als eminenter Afrikanist vertritt im Vorwort die damals üblichen Ansichten über die Sprachsituation: Die Bergdama sprechen zwar die Sprache der Nama, sind aber nach Körperbau und Lebensweise völlig von diesen verschieden. Sie sind offenbar ein negrider Stamm, der von den Nama unterworfen ist und seit langem die Namasprache angenommen hat. (Vedder 1923 II: i). Vedder selbst gebraucht in seinen Veröffentlichungen durchweg Nama oder Namasprache als Sprachbenennung, z. B. Versuch einer Grammatik der Namasprache (Vedder 1909). Er teilt jedoch nicht die allgemeine Ansicht, dass die Damara die Sprache der Nama angenommen hätten, erst nachdem diese in Namibia eingewandert wären und die Damara unterjocht hätten (Vedder 1928: 41; 1934: 109). Dann könnte die ursprüngliche Sprache nicht so restlos verloren gegangen sein. Vielmehr schließt er sich der Hamitentheorie an und spekuliert, dass die “Hottentotten” schon viel früher auf ihrem Weg aus Nordafrika die Damara in einem Dienstverhältnis aufnahmen und mitbrachten. Vedder beruft sich auf einige den Damara Dialekten eigenen Wörter, die sudanesischen Ursprungs sein sollen. Mit Vedders Werk Die Bergdama bekamen die Damara etwa hundert Jahre nach dem Anfang der Missionierung unter den Khoekhoe-Sprechern zum ersten Mal die gebührende Aufmerksamkeit. Wie der Phonetiker Douglas Beach in den einleitenden Worten zu seinem Standardwerk The phonetics of the Hottentot language schreibt: There are a number of different Hottentot dialects now in existence, but until Vedder’s scholarly work Die Bergdama appeared (in 1923), the study of Hottentot had been devoted practically entirely to the Nama dialect. (Beach 1938).
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Beachens Begründung hierfür, nämlich, dass der Nama-Dialekt der einzige sei, der von einer beachtlichen Anzahl von Leuten gesprochen würde, ist falsch, wie aus dem vorliegenden Beitrag klar sein sollte. Was auch immer die Ursache ist, Nama hatte Khoekhoe als Glossonym in der Literatur endgültig verdrängt. Nur in der Völkerkunde erhielt es sich als Ethnonym. Ironischerweise nennt der amerikanische Linguist Roy Hagman seine publizierte Doktorarbeit Nama Hottentot Grammar, obwohl einer seiner beiden Informanten, Theo-Ben Gurirab (der derzeitige Speaker der namibischen Nationalversammlung) ein Damara ist (Hagman 1977).
4. Schlussbetrachtung Die obige Darlegung, wie besonders die deutschen Missionare entscheidend dazu beitrugen, dass der Name für eine bestimmte Dialektgruppe zum Sprachnamen erhoben wurde und somit auch Gruppen wie den Damara und kleineren Dialektgruppen als Exonym aufgezwungen wurde, soll nicht als selbstgefällige Kritik an der Arbeit der Missionare verstanden werden, sondern als eine Darstellung der Gründe für diese Verschiebung. Letzten Endes lenkten die Missionare, indem sie die Sprachen erforschten und schriftlich erfassten, um kirchliche Lektüre, Schulbücher für die einheimischen Sprecher, und Lehrbücher für neu hinzukommende Missionare zu erstellen, die Aufmerksamkeit der Philologen in Europa auf die Sprachen Afrikas. Namhafte Afrikanisten wie Carl Gotthilf Büttner, Carl Meinhof und Diedrich Westermann waren durch ihre eigenen Erfahrungen als Missionare zu Sprachwissenschaftlern geworden. Die Arbeit der Missionare lenkte die Aufmerksamkeit der vergleichenden Sprachwissenschaft auf die typologische Vielfalt der Sprachen in den Kolonien. Der Philologe Wilhelm Bleek (1827–1875), der als Begründer der modernen Afrikanistik angesehen wird und den Namen Bantu für die Sprachfamilie einführte, benutzte für seine sprachtypologischen Vergleiche zwischen dem “Hottentottischen” und den Bantusprachen (u.a. Bleek 1862– 1869) ausgiebig Material besonders von Krönlein für Khoekhoe und von Hugo Hahn für Otjiherero. Neben dem inzwischen ausgestorbenen !Gora (Korana) aus Südafrika, für das auch Meinhof noch eine Grammatik verfasste (Meinhof 1930), ist Khoekhoegowab die einzige Sprache der (westlichen) Khoekhoe Untergruppe der Khoe-(Zentral Khoesaan)-Sprachfamilie, die sprachwissenschaftlich weitgehend erfasst wurde. Dass Khoekhoegowab heute die Sprache Namibias ist, die am weitesten sprachwissenschaftlich erforscht ist, ist darauf zurückzuführen, dass es seit 1958 durch die staatliche Sprachplanung gefördert wird, was wiederum auf die Pionierleistungen der Koloniallinguistik zurückgeht. Die einseitige Verschiebung der Sprachbenennung und Sprachentwicklung zu Gunsten der Nama mag letzten Endes verhütet haben, dass die Dialekte der Nama und Damara in zwei separate Schriftsprachen entwickelt wurden, wie etwa das Oshindonga
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und Oshikwanyama des Oshiwambo durch die Finnische und Rheinische Mission. Es ist denkbar dass, wenn sich z.B. die Wesleyanische Mission unter den Damara bei Windhoek mit Missionaren wie Richard Haddy (siehe oben) erfolgreich behauptet hätte mit ihrer Rechtschreibung, die die Schnalze mit lateinischen Buchstaben darstellte, das Damara zur eigenständigen Schriftsprache entwickelt worden wäre. Solch eine Aufspaltung hätte die Überlebenschance der getrennten Varietäten erheblich verringert, zumal sie jetzt selbst in vereinter Form durch das beschränkte Prestige unter den Sprechern mäßig gefährdet sind. Seitdem die Sprache ab den sechziger Jahren staatlich gefördert wird, entwickelt sich in der Literatur eine Standardsprache, in der darauf geachtet wird, Spracheigenheiten sowohl von Nama als auch von Damara zu berücksichtigen. Was noch aussteht, ist, die geografisch wie linguistisch peripheren Dialekte der Hai@om, \A)khoe und Sesfonteiner im hohen Norden und Nordwesten Namibias in der Literaturentwicklung zu berücksichtigen.
Appendix Karte des Sprachgebietes
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Titelseite des Nama-Schulbuchs von Knudsen (1845)
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Brief von Kaptein Christian Goliath an Kaptein David Christiaan Frederiks, datiert 29. März 1879
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RÜDIGER KRÖGER (HERRNHUT)
Dokumentation afrikanischer Sprachen durch Herrnhuter Missionare in Deutsch-Ostafrika
Abstract Herrnhuter Missionare beteiligten sich – soweit möglich in Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Missionsgesellschaften und unterstützt durch Afrikaner aus ihrem Umfeld sowie Carl Meinhof in der Heimat - an der Erforschung und Dokumentation der Sprachen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Funktionsbereichen: Sie erlernten die jeweiligen Sprachen oder Dialekte (Sammlung des Wortschatzes und Beschreibung der Grammatik), übersetzten Gebrauchstexte (Lieder, liturgische Texte, Katechismus), verschriftlichten oral tradierte Texte (Märchen, Rätsel, Gesänge) und fertigten gelegentlich Tonaufnahmen an. Sie vermittelten Lese- und Schreibkenntnisse (Fibeln). Dies ermöglichte den Afrikanern schließlich ihre Sprache und Gedanken zunehmend selbständiger zu dokumentieren und andern zugänglich zu machen.
1. Einführung Die Herrnhuter Brüdergemeine – Evangelische Brüder-Unität oder Moravian Church ist eine evangelische Freikirche, die im 18. Jahrhundert unter Anknüpfung an pietistische Anschauungen und die Tradition der Böhmischen Brüder (Unitas Fratrum) entstanden war. 1 Herrnhuter Missionare sind seit 1732 in vielen Regionen der Welt als Missionare tätig. 2 1891 kamen sie annähernd zeitgleich mit Missionaren der lutherischen Berliner Missionsgesellschaft (Berlin I) auch in das Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika. 3 Durch Aktivitäten der Deutschen Kolonialgesellschaft gewannen Deutsche seit 1884 an Einfluss in Ostafrika. Mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag steckten Großbritannien und Deutschland die Interessenbereiche auch im Südosten des heutigen Tansania ab. Konkret bedeutete das einen Rückzug der Engländer auf eine Linie westlich des Nyassa-Sees (heute: Malawi) und südlich des Songwe. Dabei fielen die Nordspitze des Sees und die anschließende fruchtbare Ebene, in die hinein sich die Missionsarbeit der 1 2 3
Meyer (2009) ist die aktuellste Gesamtdarstellung zur Geschichte der Brüdergemeine. Zur Herrnhuter Missionsgeschichte siehe noch immer Beck (1981). An neueren Arbeiten, die sich mit der Missionsgeschichte der Herrnhuter in Deutsch-Ostafrika befassen, sei hingewiesen auf Fiedler (1983); Kriger (1987), Grudeke-Vissia (1990); Korner (1990); Wright (1993); Arnold (1994); Prein (1995); (1998); Gabbert (2004).
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Rüdiger Kröger
Livingstonia Mission der schottischen Freikirche erstreckt hatte, in den deutschen Interessenbereich. Die Schotten zogen sich auf das englische Kolonialgebiet zurück und förderten die Neuaufnahme der Missionsbestrebungen durch die beiden deutschen Missionsgesellschaften in ihrer Nachbarschaft. Die Arbeitsgebiete waren räumlich unter den Kirchen bzw. Missionsgesellschaften verabredet worden. Die Herrnhuter erhielten ein Gebiet nördlich des Nyassa an der Grenze zu British Central Africa (heute: Malawi) zugewiesen. Im Osten schloss sich das Tätigkeitsgebiet der lutherischen Berliner Mission an. Im Nordwesten gab es später Absprachen mit der katholischen Mission. Als die deutschen Missionare sich niederließen, gab es weder administrative noch militärische deutsche Stützpunkte in ihrer Nachbarschaft; sie entstanden erst ab 1893 in Langenburg (1900 verlegt nach Neu-Langenburg, heute: Tukuyu) und Masoko. In der lokalen Bevölkerung wurden meist entsprechend der jeweiligen (ethnischen) Herkunft verschiedene Bantusprachen gesprochen, v.a. das Nyakyusa oder – wie man seinerzeit meist sagte – die “Konde-Sprache”. Der Ethnologue klassifiziert sie als Niger-Congo, Atlantic-Congo, Volta-Congo, Benue-Congo, Bantoid, Southern, Narrow Bantu, Central, M, Nyakyusa (M.30) bzw. Nyika-Safwa (M.20). 4 Mit Ausweitung der Tätigkeit und Vertiefung der Kenntnisse traten weitere Räume, Ethnien und Sprachen in die Aufmerksamkeit der Missionare. 5 Die Herrnhuter bemühten sich, nicht zuletzt wegen der erforderlichen Sprachkompetenz, jeweils eigene Missionsstationen als Mittelpunkte unter den verschiedenen sprachlich-ethnischen Gruppen einzurichten. Bis zur Internierung der deutschen Missionare während des Ersten Weltkriegs (ab 1916) entstanden im Nyassa-Gebiet neun Stationen: Rungwe 1891, Ipyana 1894, Rutenganio 1894, Utengule 1895, Mbozi 1899, Isoko 1899, Kyimbila 1901, Mwaya 1904–07 und Ileya 1907. Auf das 1897 von der Church Missionary Society übernommene, weiter nördlich gelegene Gebiet, Unyamwezi, kann hier nur am Rande eingegangen werden. Der enge Kontakt mit den Afrikanern beim Aufbau der Missionsstationen und der (anfängliche 6) Grundsatz individueller und persönlicher Seelsorge durch die Missionare erforderten von ihnen eine intensive Beschäftigung mit der afrikanischen Kultur und insbesondere der Sprache, wie dies gleichermaßen auch die Möglichkeit erzeugte, beides genau zu beobachten und zu dokumentieren. Für die Aufgaben der Mission bedurfte es nicht nur einer schlichten Kommunikationsmöglichkeit, sondern auch religiöser Tex4 5
6
Lewis (2009). Online version: http://www.ethnologue.com/ Einen Forschungsüberblick zu den dort gesprochenen Sprachen unter Aufführung der publizierten linguistischen und ethnographischen Arbeiten von Herrnhutern bieten Walsh & Swilla (2001); eine Übersicht der handschriftlichen afrikanisch-sprachigen Überlieferung im Unitätsarchiv enthält Dammann (1993); beides wäre zu ergänzen; zu sonstigen Quellen siehe auch die publizierten Inventare: ULPA. Prein (1998: 328–357) unterstellt der Herrnhuter Mission in DOA von Anfang an eine in die Breite gehende “Volksmission”. Dem widersprechen nicht nur die begrenzten Ressourcen, sondern auch der in den Traditionen befangenen Beginn der Arbeit in DOA. Obwohl einige Beobachtungen durchaus zutreffend sind, und sich ein Wandel in den Vorstellungen des Weges und Zieles der Mission nicht grundsätzlich leugnen lässt, kann sein Aufsatz nicht anders als wenig begründet oder gar tendenziös und methodisch fragwürdig gelten. Zur Problematik des “Erfindungs”-Konzeptes vgl. z.B. Rottland (2003).
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te, die zum einen die biblischen Inhalte transportierten und zum andern für die gottesdienstlichen Handlungen notwendig sind. Auf den Stationen unterhielten die Missionare Schulen, in denen nicht nur Lesen, sondern auch Schreiben gelernt werden konnte. Diese neuen Kulturtechniken kennenzulernen, war häufig eine Motivation für die Häuptlinge, der Mission ihre Dörfer zu öffnen. Schule und Mission waren untrennbar miteinander verbunden, ja wurden zum Teil geradezu synonym gebraucht. Dies trifft insbesondere für die Zeit nach dem Aufbau der Stationen zu, der eine große Anzahl von Afrikanern in ein Arbeitsverhältnis gebracht hatte. Die Nachfrage nach Lehrern war erheblich größer als die personellen Ressourcen der Mission. Man sah sich daher genötigt, frühzeitig Konvertiten, bzw. Konversionswillige als Lehrer zu entsenden, die selbst erst Anfänger im Lesen oder Schreiben waren und noch ohne vertieftes Verständnis des Christentums und ungefestigt im Glauben. Für den Lese- und Schreibunterricht benötigte man zudem Lehrmittel. Darüber hinaus sollten die als Missionsgehilfen bzw. Lehrer tätigen Mitarbeiter der Mission mit den europäischen Missionaren in enger Verbindung bleiben, was durch regelmäßige Besuche sowie schriftliche Mitteilungen, ja sogar die Übersendung von Tagebüchern gewährleistet wurde. Ziel dieses Beitrages ist es, die daraus resultierenden vielfältigen sprachlichen Arbeiten in ihrem Entstehungszusammenhang zu dokumentieren. Die (fehlende) Sprachkompetenz gestattet es mir nicht, die Leistungen linguistisch zu bewerten. Es kann sich also nur um einen ersten Arbeitsschritt, eine Vorstudie handeln. Abgesehen von den regelmäßig an die Missionsdirektion einzusendenden deutschsprachigen amtlichen Berichten und Konferenzprotokollen sowie mehr oder weniger privater Korrespondenz, die aus Nachlässen in das Unitätsarchiv gelangten, liegen Drucke und Manuskripte aus den oben genannten Bereichen vor. Vorort haben sich kaum schriftliche Quellen der Herrnhuter aus der deutschen Kolonialzeit erhalten. 7 Die Archive der Missionsstationen wurden von der englischen Armee bei deren Räumung bzw. Plünderung allem Anschein nach vernichtet. Man ist also weitgehend auf die Überlieferung im Unitätsarchiv angewiesen 8, wenn man die Wirksamkeit der Herrnhuter Missionare im Kontext der Koloniallinguistik betrachten will.
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Es wird jedoch über die Teti Teti-Fibel berichtet, dass “The ocational copy can still be found around in villages in Kyela district.” (Knut Felberg: http://www.nyakyusa.com/ nyakyusa.htm); Felberg kennt nur zwei der vier Auflagen, so dass nicht sicher ist, ob die Referenzen sich auf solche Exemplare aus der deutschen Kolonialzeit beziehen. Etwaige Quellen im Archiv bzw. der Bibliothek des Berliner Missionswerkes wurden für diesen Beitrag nicht berücksichtigt.
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2. Erlernung und Dokumentation der Sprache Vier junge Angehörige der Herrnhuter Brüdergemeine im Alter von 22 bis 27 Jahren, Theodor Meyer (1864–1933)9, Georg Martin (1866–1891)10, Théophile Richard (1866– 1944)11 und Johannes Häfner (1869–1929)12, machten sich mit Begeisterung und Opferbereitschaft auf den Weg, zu dem sie sich nicht nur durch ihre Kirchenleitung, sondern von Gott berufen sahen. Sie wollten mit dazu beitragen, den christlichen Glauben zu verbreiten. Die Vorkenntnisse dessen, was sie in Afrika erwartete, reduzierten sich auf vage Darstellungen von Reisenden und die Erfahrungen der in der Nachbarschaft tätigen schottisch-freikirchlichen Livingstonia Mission. 13 Zwei der vier waren selbst als Kinder von Missionaren in Südafrika und Surinam geboren. Keiner hatte eine weitergehende theologische Qualifikation, aber alle Kenntnisse oder Ausbildung in handwerklichen Tätigkeiten, die für die bevorstehende Aufbauarbeit von großem Nutzen sein würden. Die Sprachkenntnisse waren im Allgemeinen recht unterschiedlich. Meyer hatte als Missionarskind 9
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Paul Theodor Meyer, *Engotini (RSA) 16. November 1864, 1872–1879 Missionsknabenanstalt Kleinwelka, 1879–1882 Tischlerlehre in Herrnhut, 1883–1886 Lehrerseminar in Niesky. 1886–1890 Lehrer in Neuwied; 19. Oktober 1890 Berufung zum Missionsdienst in Deutsch-Ostafrika. Medizinische Ausbildung im Lazarus Krankenhaus in Berlin. Erwirbt sich kartographische Kenntnisse. 30. März 1891 Ordination zum Diakonus. Vorsteher der Mission; 1893 in Ostafrika Heirat mit Lydia Kunick (1865– 1907), die nach ihrer Berufung im Dezember 1890 noch nach Südafrika zu ihren Eltern reist und von dort nach DOA. Tätig in Rungwe, zwischenzeitlich (1897/98) kurz in Ipyana und Rutenganio und auf Europareisen 1901/02 und 1909/10 (Synode); 1909 zweite Ehe mit Olga Lebart (1860–1945); 1916–1919 als Kriegsgefangene interniert. Nach Rückkehr als Missionsvertreter tätig. † Herrnhut 17. Februar 1933. Georg Konrad Martin, *Gnadau 21. Februar 1866, † Kararamuka 10. September 1891. William Théophile Richard, *Montmirail (Ch) 1. August 1866, Besuch des Lehrerseminars in Peseux, anschließend Lehrer in Königsfeld und London?; Oktober 1890 Berufung zum Beginn der Missionsarbeit in Deutsch-Ostafrika; kurzer Kursus in Geburtsvorbereitung, 30. März 1891 Ordination zum Diakonus, Ankunft in Dar-es-Salaam am 5. Mai 1891, 1896/97 Europareise, 28. September 1897 in Herrnhut getraut mit Anna Feldmann (1876–1963). Diese Dezember 1896 zum Missionsdienst berufen, absolviert dreimonatigen Krankenpflegekurs beim Roten Kreuz in München. Nach Rückkehr (ab 22. Dezember 1897) in Ipyana, 1903–1905 in Rungwe tätig, wegen Gesundheitszustand der Frau 1905 zurück nach Europa und aus dem Dienst der BG ausgeschieden. 1905– 1941 Diakonissenhauspastor in Bern, † auf der Reise 24. September 1944 Bernhard Johannes Häffner, *Paramaribo (Sur) 28. April 1869, 1876–1883 Erziehung in der Missionsknabenanstalt Kleinwelka; 1883–1887 Lehre als Bäcker, Sattler und Schuhmacher (starke Probleme mit Fuß). Im Dezember 1890 Berufung zum Missionsdienst in Deutsch-Ostafrika, 1895 Trauung mit Christiane Jepsen (1872–1897) in DOA, 1896 schriftliche Ordination zum Diakonus, Dienst in verschiedenen Stationen unterbrochen von zwei Europaurlauben 1900/1901 und 1905/06; zweite Ehe 1901 in DOA mit Marie Wagner geb. Schmidt (1867–1929), deren erster Mann (Rudolf Wagner) 1899 auf dem Weg ins Missionsgebiet starb, aus gesundheitlichen Gründen 1909 Rückkehr nach Europa, ab 1910 in Riehen (Ch) als Evangelist in Baselland tätig. † Riehen (Ch) 20. Oktober 1929. Vgl. Buchner (1891a). Eine umfangreichere Schrift zum Zweck der Vorbereitung der neuen Missionen erschien erst, nachdem die Herrnhuter und Berliner Missionare bereits ihre ersten Stationen errichtet hatten: vgl. Richter (1892); (1898). Zur Geschichte der Livingstonia Mission vgl. Jack (1901).
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in Südafrika vermutlich Xhosa kennen gelernt, Häfner in Surinam mit Sranan eine Kreolsprache. Der aus der Schweiz gebürtige Richard beherrschte Deutsch, Französisch und Englisch und konnte vielleicht auch auf Kenntnisse von klassischen Sprachen zurückgreifen. Alle vier hatten in Herrnhuter Einrichtungen ihre Erziehung genossen und herrnhutische religiöse Prägung erhalten. Zur Reiseausstattung gehörten ein von Alexander Merensky zusammengestelltes gedrucktes Wörterverzeichnis für die Bearbeitung afrikanischer Sprachen sowie deutschsprachige Literatur zum Swahili. 14 Der Gebrauch des Buches ließ sich bisher aber nicht belegen. Théophile Richard wird wohl während der langen Reise begonnen haben, sich mit dem Swahili zu beschäftigen, denn er berichtet in seinem Reisetagebuch von einem Gespräch mit den als Trägern beschäftigten Afrikanern: Auf dem Papier sieht so eine Unterredung mit Leuten anderer Sprache sehr leicht und einfach aus, doch müssen meine lieben Leser nicht vergessen, dass die Verständigung mehr durch Zeichen geschieht, als durch den von Gott dazu bestimmten Köperteil; denn von den 50 Worten, die der Schwarze braucht, um zu sagen, dass er durstig ist, verstehe ich nur zwei. 15 Nach dem Dafürhalten einiger Schotten, speziell des Missionsarztes Robert Laws, des Leiters der Livingstonia Mission, reichte zur Verständigung in der ganzen Region vom Nyassa bis hinauf zum Tanganyika, dem sogenannten Nyasa-Tanganyika Corridor eine als Chinyanja (heute: Chechewa) bezeichnete Sprache. Chinyanja bedeutet nichts anderes als die ‘Sprache des [Nyassa-]Sees’. Sie würde sich Laws Ansicht zufolge auch im Wettstreit gegen das Swahili als Lingua franca durchsetzen. Tatsächlich handelt es sich aber nur um eine mit der im Zielgebiet der Herrnhuter gesprochenen Sprache verwandte Sprache. In Chinyanja gab es seinerzeit bereits einige Literatur 16, an deren Entstehung Laws tatkräftig mitgewirkt hatte, und als 1897 das Ehepaar Zeeb nach DeutschOstafrika reiste, berichtet Anna Zeeb von Bord: Wir lernten heut fleißig an unsrer Chinjanja-Sprache. Ich finde sie nicht leicht, im Gegenteil sehr schwer, zumal wir nur eine Grammatik haben, die in englischer Sprache geschrieben ist. 17 14 15 16
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Merensky (1891: 106; 179). Richard (1892: 37). Die Druckerei der Livingstonia Mission produzierte Schulbücher, Übersetzungen der Bibel, geographische und naturgeschichtliche Bücher in mehreren Sprachen, nämlich: Tschi-nyanja-, Tschitonga, Tschi-ngoni, Tschi-nkonda, Ikinyakiusa und Ikimwamba siehe Buchner (1891b: 12). Richard erhielt von Dr. Laws in Bandawe “allerhand Bücher, das Meiste in Chinjanja” geschenkt, Richard (1892: 31). Erschienen waren bis dahin zumindest: Wowerenga wa tshinyanja tshomodzi. (Laws 1883a); Hymns in Tshinyanja (Laws 1883b); Pang’ono Pang’ono, ku werenge Tshinyanja. (Laws 1884); Table of concords and paradigm of verb of the Chinyanja language, as spoken at Lake Nyasa. (Laws 1885); Testamente Watsopano wa Mwini watu ndi Mpulumutusi Yesu Kristu (Laws 1886); Zinyimbo za Mulungu zakuyimbedwa m’Nyumba Yachi [Hymns translated into the Chinyanja or Nyanja language.] (Henry 1891), sowie zwei Grammatiken (s. Fußnote 17). Schneider (1899: 10). Es kommen zwei Grammatiken in Frage, entweder George (1891) oder Riddle (1880).
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Obwohl die Herrnhuter nun bereits sechs Jahre im Lande waren und die Unterschiede eigentlich haben wahrnehmen müssen, waren die neuen Missionskräfte für das Sprachstudium noch auf die englischsprachigen Hilfsmittel der Nachbarsprache angewiesen. Um überhaupt fürs Erste sprachlich klarzukommen, “da wir ja von der Sprache keine Ahnung hatten” wie Meyer konstatierte 18, nahmen die Herrnhuter Pioniermissionare 1891 von Karonga aus einen englischsprachigen afrikanischen Mitarbeiter der African Lakes Company mit auf die weitere Reise. Mit diesem wurde auch die Sprache geübt. In einem Tagebucheintrag Richards heißt es: “Freitag, den 24. Juli. Treiben Sprache, denn morgen geht der Dolmetscher fort, und wir sind noch weit zurück mit der Sprache.” Es wird berichtet, dass “sie [...] seine Kenntnisse schließlich noch zur Zusammenstellung von solchen Redensarten [benutzten], die im täglichen Gebrauch am wenigsten zu entbehren waren”. 19 Sein Nachfolger wurde für ca. vier Monate ein Mann namens Simoni. Er gehörte zu einer achtköpfigen Gruppe von Leuten aus Chirenge, einer Station der African Lakes Company, die sich zwei Tage vor Lewis Abreise als Arbeitskräfte den Missionaren angeboten hatten, und war ehemals Koch bei dem schottischen Missionar David Kerr Cross gewesen; er verstand Englisch und sprach es auch leidlich.20 Simoni war es dann auch, durch den die eigentlichen Verhandlungen mit den Häuptlingen, mit denen die Missionare über ihre Niederlassung verhandeln wollten, erfolgen konnten. Symptomatisch für die Anfangszeit der Herrnhuter, in der für lange Zeit der äußere Aufbau der Station Rungwe im Vordergrund stand 21, war die von Richard aufgezeichnete Frage “Wie und wann wir die Sprache lernen werden, ist uns beiden ein großes ?”, denn “Nun ist es aber nicht so geworden, wie unsere Direktion sich gedacht hatte. Sprache treiben, während gebaut wird, geht nicht gut.” Und so blieben nur gelegentliche Abendstunden, in denen “mit Hilfe des Kochs und einiger anderer Leute Sprache getrieben” wurde. 22 Im April 1892 waren die Arbeiten so weit fortgeschritten, dass es Richard ermöglicht werden konnte, sich täglich vier bis fünf Stunden mit der Sprache zu beschäftigen und die – wohl tägliche – “allgemeine Sprachstunde” zweckentsprechend vorzubereiten. 23 Im Juli erfolgte die Konversation mit einem besuchenden benachbarten Häuptling (Mwasyoge) durch einen Vorarbeiter namens Rambasika, der zu den Chirenge-Leuten zählte und später einer der ersten getauften Christen wurde. 24 18 19 20
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Einleitung zum tagebuchartigen Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d Richard (1892: 55); Merensky (1894: 161). Richard (1892: 82; 143); UA, NRT, o.Sign.; Merensky (1894: 161). Er kündigte vor Ablauf der vereinbarten sechs Monate zwischen dem 8. und 14. November 1891, “da zu viel Regen am Rungue sei“; tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d. Ihre Zahl hatte sich durch den zeitigen Tod des Missionars Martin schon im Sommer 1891 auf drei reduziert. Richard (1892:147; 118–119; 154); UA, NRT, o.Sign. 22./23. April 1892; tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d 17.–23. Juli 1892 und 8.–14. November 1891, tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d; er unterstützte die Missionare lange Zeit beim Unterricht in der Schule; „Bittere Enttäuschung. Was die Brüder für Erfahrungen machen mit den befreiten und ihrer Fürsorge anver-
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Nach Ankunft zweier weiterer Missionare, Traugott Bachmann (1865–1948) 25 und Johannes Kretschmer (1867–1945) 26, wurde Richard im November desselben Jahres für die sprachlichen Arbeiten gänzlich von anderen Aufgaben freigestellt. Er sollte auch die neuankommenden Missionare in die Sprache einführen. Allen Missionaren “wird ganz nach Bedürfnis Zeit zum Privatlernen gegeben”. 27 Die Erlernung der Landessprache durfte nicht vernachläßigt werden, wobei einzelne grammatische Regeln entdeckt und allerlei Aufzeichnungen gemacht wurden. Es stellte sich allmählich heraus, daß diese Sprache mit dem Suaheli große Aehnlichkeit hat; eine gleiche grammatische Gliederung und eine große Anzahl fast gleich lautender Wörter herrscht in beiden Sprachen. 28 Erst im zweiten Jahre ihres Aufenthaltes im Lande fühlten sich die Missionare allerdings in der Lage mit Schule und Verkündigungstätigkeit, ihrem eigentlichen Anliegen, in der Landessprache zu beginnen. Noch sangen die Herrnhuter aber bei ihren Gottesdiensten und Andachten in deutscher Sprache. Erstmals im Dezember 1893 konnten sie ein ihnen vom Berliner Missionar Nauhaus überlassenes Lied in “hiesiger Sprache” singen.29 Unmittelbare Zeugnisse für die Sprachübungen sind verständlicherweise rar, da sie im Wesentlichen nur für den Moment eine Bedeutung hatten. Es liegt nahe, dass ein jeder sich zuerst eine Vokabel- und Phrasensammlung angelegt hat. Eine solche ist von Johannes Häfner noch überliefert, obgleich die äußere Form schon zeigt, dass es sich nicht um eine kontinuierliche Sammlung, sondern um eine “Reinschrift” handelt. 30 Anna Zeeb berichtet, dass später, als es schon sprachkundige Missionare gab, einer
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trauten Sklaven“, Burkhardt (1898: 79). Rambasika wurde am 7. März 1897 als dritter Christ auf den Namen Ncayge getauft, siehe Richard (1910: 11). Johann Traugott Bachmann, *Caana Kr. Rothenburg/Ol 25 August 1865, Landarbeiter, 1890–1892 Ausbildung an der Missionsschule Niesky, 1891 Aufnahme in die Brüdergemeine in Niesky, Mai 1892 Berufung in den Missionsdienst nach DOA, 1892 Ordination zum Diakonus, 3. November 1892 Ankunft in Makapalile, bis 1899 Dienst in Rungwe. 1895 Trauung mit Elisabeth Künzel (1872–1949) in DOA. 1899–1916 in Mbozi, unterbrochen von Europaaufenthalt 1911–1913; 1905 Ordination zum Presbyter; 1916–1919 in Kriegsgefangenschaft; anschließend Diasporaarbeiter in Wetzlar und Vortragstätigkeit. † Niesky 27. Februar 1948. Johannes Kootz, *Moholz bei Niesky 2. April 1869, Schulbesuch in Niesky, Schuhmacherlehre, 1892–1894 Missionsschule in Niesky, 20. Januar 1894 Berufung zum Missionsdienst in DOA, 4. März Ordination zum Diakonus, 2. April 1894 Trauung mit Elise Kretschmer (s.d.). 6. Juli 1894 Ankunft in Rungwe; August 1894–1895 in Iypana, 1895–1915 in Utengule unterbrochen 1903– 1906 durch Erholungsurlaub in Europa. 1916–1917 interniert als Kriegsgefangener. Beginnt nach Rückkehr nach Herrnhut seine mitgebrachten Aufzeichnungen über Geschichte und Lebensart der Safwa zu ordnen. † Herrnhut 2. Oktober 1918. 7. November 1892; tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d Meinecke (1894: 87–88). 17. Dezember 1893; tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d UA, NB VII.R.3.344.a.1–5. Weitere Vokabularien wurden nach dem Ersten Weltkrieg von Theodor Meyer (Hamburg, Universität, Seminar für Afrikanische Sprachen und Kulturen) und Elise KootzKretschmer (UA, NKK 26 und 27 sowie 38) kompiliert und harren ebenfalls noch der Edition.
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derselben ihr und ihrem Mann täglich den ganzen Nachmittag über Sprachunterricht erteilte. Die Zeit wird zum “Lernen der oft vielen Wörter und Sätze benutzt.” Und sehr bald “bekamen wir auch schon die erste kleine Übersetzung auf”, schreibt sie. 31 Im Laufe der Zeit trugen einzelne Missionare auch speziellen Fachwortschatz zusammen wie z.B. der naturkundlich sehr interessierte Missionskaufmann Adolf Stolz eine postum veröffentlichte Sammlung von Pflanzenbezeichnungen. 32 Die Berliner Missions-Expedition wurde von dem Missionsveteran Alexander Merensky (1837–1918) geleitet und bestand aus neun Personen. Er selbst sprach fließend Sesotho. Der Gruppe gehörten die Missionare Carl Nauhaus (1864–1938), Christian Schumann (1867–1943) und Christoph Bunk (1864–1939) an, sowie drei auf drei Jahre verpflichtete Handwerker, Tischler Krause, Zimmermann Rorig und Bauhandwerker Theodor Nauhaus. Mehrere hatten Lebens- und sprachliche Erfahrungen aus Südafrika. Sie wurden während des ersten Jahres von zwei Zulu begleitet. Besondere Hoffnung lag auf Carl Nauhaus, der in Südafrika geboren und von Kindesbeinen an in die Zulu-Sprache hineingewachsen war. Er konnte unmittelbar mit Angehörigen der Angoni, einer am Nyassa ansässigen Gruppe kommunizieren, die ihrerseits als Dolmetscher in die “Konde-Sprache” dienen konnten. 33 Merensky gelang es schon auf der Reise durch die Vermittlung eines Basotho, der sich wiederum in Chinyanja verständigen konnte, von einer Anzahl als Hirten in Mandala dienenden Konde “über 450 Redensarten und Sätze der Kondesprache zu sammeln, die [...] später auch von wirklichem Nutzen gewesen sind.” 34 In Karonga schloss sich den Berlinern ein Afrikaner namens Kumoga an, der von den Schotten vielfach in diplomatischen Gesandtschaften gebraucht worden war. Später holte er seine Familie nach. Er diente den Berlinern auch bei ihren sprachlichen Arbeiten als Informant. 35 Zielstrebig erfragten die Berliner Missionare dann anscheinend in alphabetischer Folge das Vokabular. 36 Die erste Berliner Station, Wangemanshöh, entstand in derselben Landschaft Ukukwe wie die Station Rungwe der Herrnhuter; die Bevölkerung sprach dieselbe Sprache. Carl Nauhaus war nach einem Jahr soweit vorangeschritten, dass er begann, in der Landessprache öffentlich zu sprechen. Im Dezember 1892 reiste er mit dem zu diesem Zweck zu ihm gekommenen Theodor Meyer zu dem Schotten David Kerr Cross nach Ngerenge 37 um eine erste Sprachkonferenz zu halten. Cross hatte zusammen mit James Alexander 31 32 33 34 35 36 37
Schneider (1899: 67). Stolz (1934: 81–99). In Unyamwezi sammelte Dahl (1907: 84–89) Termini technici der Rinderzucht treibenden Watusi in Deutsch-Ostafrika. Merensky (1894: 30–31; 38). Merensky (1894: 69). Merensky (1894: 89; 267). Merensky (1894: 206–207): “Zunächst wurden Wörter gesammelt. Als ich Wangemannshöh verließ, waren wir noch nicht bis zum Ende des Alphabets gekommen, nach dessen Ordnung wir die Worte suchten.” Cross unternahm nach seiner Rückkehr aus Europa (1891) verschiedene kurzlebige Stationsgründungen, zunächst in “Uwundale”, dann ab Juni 1892 in Ngerenge, bevor er seine Tätigkeit nach Karonga verlegte und 1896 nach Europa zurückkehrte.
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Bain (1859–1889) 1888 die ebenfalls in der Landschaft Ukukwe bei Malinda gelegene Station Kararamuka gegründet, die jedoch nur kurze Zeit besetzt blieb. Dennoch hatte Bain einige Arbeiten in der seiner Zeit auch “Muamba” genannten Sprache angefertigt, die nach seinem Tode aus dem Nachlass veröffentlicht worden waren. Zum einen handelte es sich um die Sammlung eines etwa 1000 Wörter umfassenden Vokabulars 38, zum andern um biblische Übersetzungen aus dem neuen Testament 39. Erstere wurde den Herrnhutern Ende Oktober 1891 von Karonga aus nach Rungwe zugesandt.40 Merensky übte an diesem Druck heftige Kritik wegen seiner Fehlerhaftigkeit. 41 Von den im darauf folgenden Jahr erschienenen Übersetzungen wird weder in den Berichten aus Rungwe noch von Merensky etwas erwähnt. Das vorrangige Ziel der kleinen Konferenz war es nun, da von drei Seiten an derselben Sprache gearbeitet wurde, eine gemeinsame Orthographie anzustreben, damit die entstehenden Druckschriften von allen Missionen gleichermaßen genutzt werden konnten. Man einigte sich auf eine Schreibung auf Grundlage von Lepsius, was insbesondere für Cross eine Umstellung zur Folge hatte. Ferner wurde vereinbart Übersetzungen auszutauschen und gemeinsam zu revidieren. In sprachlichen Fragen wollten sich die Herrnhuter künftig an Nauhaus wenden, wozu eine sechswöchentliche Postverbindung eingerichtet wurde. Nauhaus wollte eine Fibel für den Schulunterricht nach Vorlage der Chinyanja-Fibel der Livingstonia Mission übersetzen. Schließlich sollte in der Zukunft jährlich eine Sprachkonferenz gehalten werden. Die Einhaltung der Vereinbarungen wäre zu prüfen, denn für 1893 konnte zumindest bisher keine Sprachkonferenz nachgewiesen werden und auch die Fibel scheint vorerst nicht übersetzt worden zu sein. Jedoch fand ein Austausch, vor allem in Richtung von den Berliner Missionaren zu den Herrnhutern statt. Nach Bains von den Berliner Missionaren nicht ernst genommenen postumen Publikationen war es Merensky, der die ersten Sprachproben in der Sprache der Konde, “Iki Nyakyusa”, veröffentlichte, die hier möglicherweise erstmals so bezeichnet wurde. Im Anhang zu einer 1894 erschienenen Geschichte der Nyassa-Mission listet er die 10 unterschiedlichen Nominalklassen und die Zahlwörter auf. Den größten Teil nimmt aber ein ca. 200 Einträge umfassendes Vokabular (Deutsch-Konde) ein; zuletzt bietet er eine von Nauhaus stammende Übersetzung des Vaterunsers mit interlinearer Rückübersetzung. Der Gesamtumfang beträgt vier Druckseiten. 42 Christian Schumann fasste dann die 1891– 1896 gesammelten Sprachkenntnisse der beiden deutschen Missionen 1898 in einer 38 39 40 41
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Bain (1891). Bain (1892). 25.–31. Oktober 1891; tagebuchartiger Bericht von Rungwe, UA, R.15.M.I.b.1.d Merensky (1894: 206), Anm.: “In diesem Büchlein sind viele Wörter in der Umgebung, wie sie der Dolmetscher im Satz genannt hatte, also nicht in der einfachen Form. Selbst die von Bain gebrauchte Form des Infinitivs war eine unrichtige. Es war ein Fehler, daß man das Manuskript, wie es sich in seinem Nachlaß fand, einfach abdruckte. Bain selbst hätte es gewiß noch einmal ungearbeitet, ehe er es hätte drucken lassen.” Merensky (1894: 360–363).
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Grammatik der Kondesprache zusammen. Sie erschien im folgenden Jahr in den Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin und wurde von Carl Meinhof unterstützt. Es handelt sich dabei nicht um eine systematische Darstellung der Grammatik, sondern um eine Lerngrammatik in Form von Übungen. In ihrem Aufbau folgt sie dem Beispiel von Büttners Hülfsbüchlein 43, das seinerseits wieder auf Steeres Swahili exercises basiert, um, wie Schumann schreibt, “allen denen, die sich ausser mit dem Konde auch mit dem Suaheli beschäftigen müssen, die Benutzung beider Arbeiten neben einander möglich” zu machen. 44 Sie enthält innerhalb der Übungen Vokabellisten. Am Ende werden zwei Märchen mit wörtlicher deutscher Interlinearübersetzung abgedruckt. Nach Auffassung der schottischen und deutschen Missionare des 19. Jahrhunderts umfasste die Bezeichnung Konde drei Einheiten 45, die noch heute als Ngonde bezeichneten Bewohner am britischen Westufer des Nyassa, das Gebiet der Nyakyusa in den Niederungen nördlich des Nyassa und schließlich das daran angrenzende Bergland Kukwe oder Muamba und überall spräche man dieselbe Sprache nur mit dialektalen Varietäten. Wenn es nun im Vorwort zur Grammatik heißt: Als Schriftsprache ist die Sprache der Ebene festgehalten worden mit um so grösserem Rechte, als die Sprache der Berge mehr oder weniger zum Dialekt herabzusinken scheint. Immerhin wird eine gründliche Erforschung auch der Bergdialekte dazu helfen, Licht in so manches Dunkel zu bringen, weil dort viele Formen sich noch in ursprünglicher Gestalt erhalten haben. so scheint darin ein gewisser Kurswechsel sichtbar zu werden, der sich in der erst später durchsetzenden Sprachbezeichnung Nyakyusa manifestiert. Die Freude bei den Herrnhuter Kollegen über die Grammatik war groß, dennoch sah Anna Richard auch praktische Probleme: Das Buch ist allerdings etwas gelehrt, man muß sich ordentlich hineinarbeiten, besonders für Neulinge in der Sprache bietet es Schwierigkeiten. Mwanganya [i.e. Th. Richard] und ich [...] wollen es ordentlich durcharbeiten.(Richard 1900: 128). Um die gemeinsame Basis auf Dauer zu erhalten, kamen Berliner und Herrnhuter Missionare erneut überein Sprachkonferenzen zuhalten, an denen für die Herrnhuter der sprachbegabte Richard teilnehmen sollte. (1904 werden dann Mittel zur Bestreitung der Aufwendungen bei den Sprachkonferenzen, die für den Konde- und Nikabezirk zusammen etwa 50 rps. betragen, bewilligt, d.h. die Herrnhuter organisierten mit dem angewachsenen Mitarbeiterstab eigene Konferenzen). 47 Dort wurden auch künftige 43 44 45
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Büttner (1891). Schumann (1899: 1). Eine von Theodor Meyer entworfene Karte aus dem Jahr 1898/99 zeigt eine sehr viel komplexere Situation. Allgemein besteht das Problem, dass die Verteilung der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Gruppen und geographische Räume nicht deckungsgleich ist. Vgl. zu dieser Problematik beispielsweise die jüngst publizierte sprachwissenschaftliche Studie zu den Nyiha/Nyika: Lindfors et al.(2009). MD 16, S. 414.
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Publikationen beraten. Die schriftliche Fixierung der Sprache machte es dann möglich, schon in Deutschland, etwa am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin 48, dem Kolonialinstitut in Hamburg oder der Herrnhuter Missionsschule in Niesky, eine Grundqualifikation zu erwerben, die durch Anleitung von Urlaubern oder Rückkehrern unter den Missionaren vertieft werden konnte. In Deutschland entstand auf Grundlage der Grammatik ein modifiziertes Skript zur Anleitung eines vor der Aussendung stehenden Berliner Missionars, welches schließlich kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs veröffentlicht wurde. 49 In anderen Gebieten ergab sich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit auf sprachlichem Gebiet nicht. Hier waren die Herrnhuter auf sich selbst gestellt. Eine gewisse Vorbereitung hatten die Missionare in den neu gegründeten Stationen in der Regel schon durch die Bekanntschaft mit Sprechern, die auf den älteren Stationen lebten und gegebenenfalls die Missionare auf neue Posten begleiteten. Zur Publikation einer Grammatik oder eines Wörterbuches kam es dabei weder für die kleineren Sprechergruppen des Nyiha (um Mbozi) noch des Safwa (um Utengule). In der handschriftlichen Überlieferung finden sich allerdings einige Seiten mit grammatischen Tabellen 50 des Nyiha und jüngere Bearbeitungen eines Safwa-Wörterbuches, welche auf den Aufenthalt in DOA während der deutschen Kolonialzeit zurückgehen. 51
3. Übersetzungsarbeiten und Verschriftlichungen Der Schotte Cross betätigte sich auch nach der abermaligen Verlegung seiner Missionsaktivitäten von Ngerenge nach Karonga unter den Konde und beschäftigte sich mit Übersetzungen in deren Sprache. Bis zu seiner Rückkehr nach Europa publizierte die Livingstonia Mission das Lukas- und Johannes-Evangelium. 52 In wieweit diese Übersetzungen den deutschen Missionaren bekannt bzw. von ihnen benutzt wurden und ob sich Cross an die gemeinsam verabredete Orthographie hielt, ließ sich bisher nicht klären. Schon 1893 arbeitete Nauhaus mit seinen Berliner Kollegen Schumann und Bunk an der Übersetzung von Lukas- und Matthäus-Evangelium, sowie den Psalmen, die bald (im Manuskript) vorlagen. 53
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Dazu Wimmelbücker (2009). Endemann (1915). UA, MD 1506 Auch in Unyamwezi, dem zweiten Missionsgebiet in Tansania, arbeitete die Brüdergemeine allein; dort entstanden Stern (1906) (auch Sonderdruck, 130 S.) und Dahl (1915). Zuvor war schon Dahl (1904) erschienen. Cross (1895); (1896). Merensky (1894: 268–270). “Psalmen und Kirchenlieder sind übersetzt, ja auch die Evangelien des Lukas und des Matthäus” Ausschuß der deutschen evangelischen Mission (1896: 38).
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Nahezu gleichzeitig mit der Grammatik erschien, ebenfalls von den Berliner Missionaren bearbeitet, eine Teilübersetzung der Bibel in der Konde-Sprache (synoptische Evangelien: Matthäus, Markus, Lukas), die von der British and Foreign Bible Society finanziert wurde. 54 Ihr folgte im Jahr darauf eine Sammlung biblischer Geschichten des Alten Testaments. 55 Damit lag eine zureichende Textgrundlage für das eigentliche Missionswerk vor. Man kann davon ausgehen, dass zuvor einzelne Abschnitte in Handschriften unter den Missionaren kursierten. In den Notizbüchern von Richard und Häfner finden sich solche Beispiele. Den vollständigen Text des Neuen Testaments hatte der Berliner Missionar Carl Nauhaus noch vor seiner Rückkehr nach Deutschland übersetzt. An der Revision und Drucklegung (1908) beteiligte sich der aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls zurückgekehrte Herrnhuter Missionar Eduard Klautzsch. Er berichtet ausführlich über diese gemeinsame Arbeit. Neben den bekannten Übersetzungsproblemen in eine Sprache einer anderen Kultur galt es manche Entscheidung zu treffen. Trotz der sprachwissenschaftlich bedeutenden Arbeit war der Druck ja vor allem für die Afrikaner bestimmt und so sollte von den Notwendigkeiten der Zielsprache, nicht eines deutschen Interpreten ausgegangen werden. Er berichtet, dass 1905 eine vereinfachte Orthographie eingeführt worden sei, die Redundanzen für die afrikanischen Leser abgebaut habe, die zu berücksichtigen war. Andererseits musste peinlich darauf geachtet werden, die verschiedene Laute differenzierenden Diakritika zu setzen, um Verwechselungen vorzubeugen. In dem Bereich der biblischen Eigennamen fanden die beiden zu einer überraschend modernen Sichtweise: Maßgebend für die Sprach- und Schreibweise müssen auch hier die Lautgesetze der Volkssprache sein, in welche die Bibel übersetzt wird. Die europäische Art andern Völkern aufzudrängen, ist zwar bequem, aber entschieden abzuweisen. 56 Die Finanzierung des Druckes im Jahr 1908 übernahm die Preußische Haupt-Bibelgesellschaft. Die Auflagenhöhe soll 5.000 Exemplare betragen haben, gewünscht hatten die Bearbeiter zunächst allerdings nur 2.000. Schon vier Jahre später wird allein von den Herrnhuter Missionaren der Bedarf einer Neuauflage des Neuen Testaments mit 6.000 Exemplaren angemeldet. Ferner sollten 2.000 Exemplare der schon fertig revidierten biblischen Geschichten für die Herrnhuter gedruckt werden. Beide Ausgaben kamen jedoch vor dem ersten Weltkrieg nicht mehr zustande. In Mbozi leistete Traugott Bachmann die Übersetzungsarbeit. Teilweise hatte er dabei die Unterstützung von Johannes Kootz in Utengule. Auf beiden Stationen war das Nyiha die “Kirchensprache”. Während seines Erholungsurlaubs in Deutschland brachte Kootz Bachmanns Übersetzung des Matthäus-Evangeliums 1904 zum Druck, an dessen Anfang er noch mitgearbeitet hatte. 57 Bachmann arbeitete konsequent an der Überset54 55 56 57
Nauhaus (1908). Schumann & Nauhaus (1900). Klautzsch (1908: 4). Bachmann & Kootz (1904). Die Reinschrift (Druckvorlage) siehe NGO 41.
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zung des Neuen Testaments weiter und konnte 1912 den gesamten Text (in revidierter Orthographie) vorlegen. 58 Diesen beiden Arbeiten folgte 1913 noch die Übersetzung der biblischen Geschichten. 59 Carl Meinhof in Berlin wurde in allen Fällen um die kritische Revision gebeten, weil man gewisse Bedenken trug, das Übersetzungswerk eines weder theologisch noch philologisch vorgebildeten Mannes einfacher Herkunft ohne Supervision erscheinen zu lassen. Die Finanzierung übernahm auch hier für die Bibelteilausgaben die British and Foreign Bible Society, während die Missionsverwaltung die Geschichten selbst übernahm. Als Kootz mit seiner Frau 1906 aus Europa nach Utengule zurückkehrte, hatte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in der Umgebung nach dem erzwungenen Abzug der Sango und Rückkehr der Safwa verändert und eine sprachliche Neuorientierung sollte dem Rechnung tragen: Die Kirchen- und Unterrichtssprache [in Utengule] war [...] Kinyika gewesen. Damit war aber der Weg zu den Basafwa und namentlich zur Frauenwelt dieses Stammes fast verschlossen. In mühevoller Arbeit ist es gelungen, die fremde Sprache abzulegen und dem Volk des Landes in seinem eigenen Dialekt das Evangelium zu bringen. 60 Kootz übersetzte das Matthäus- und Johannes-Evangelien, die Sonntagsepisteln für das ganze Jahr, die alt- und neutestamentlichen Geschichten und 24 Psalmen. 61 Zu einer Drucklegung kam es allerdings nicht; auch der Verbleib der Manuskripte ist unbekannt. Seinen treuen Mitarbeiter bei der Bibelübersetzung fand er in Msatulwa Mwachitete. Dieser hatte mit einer kleinen Anzahl anderer Afrikaner an einem Ausbildungslehrgang in Rungwe teilgenommen und arbeitete ab 1906 als Lehrer der Missionsschule in Utengule. Als Grundlage der Übersetzung diente die Nyakyusa-Übersetzung, weil Msatulwa es in dieser Sprache “recht gut liest und versteht”. 62 Zum christlichen religiösen Leben gehören nun nicht nur verbindliche biblische Texte, sondern auch Gottesdienst und damit liturgische Texte und religiöse Lieder. Letztere wurden nachweislich schon früh als Träger christlichen Gedankenguts von Theodor Meyer übersetzt und nach Aussage der Missionarsberichte auch gerne gesungen. 63 Afrikanische Melodien hielt man zunächst für wenig geeignet, wie man überhaupt nur teilweise und erst nach und nach lernte, nicht von europäischen Maßstäben auszuge58 59 60 61 62
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Bachmann (1913a). Bachmann (1913b). Missions-Direktion der Evangelischen Brüder-Unität (1910: 46). Kootz (1918: 207–208). Muachitete (31936: 31; 36); Wie die Safwa zu einem Gesangbuch kamen, in: Missionsblatt der Brüdergemeine 75 (1911), 95–96. Auch der seit 1914 tätige Lehrer der Stationsschule Johanne Syavanga Sambi erhielt eine Ausbildung an der Gehilfenschule in Rungwe und half bei späteren Übersetzungsarbeiten; Kootz-Kretschmer (1924: 91). Burkhardt (1898: 74–75).
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hen. 64 Eine handschriftliche Sammlung von Liedern aus dem Besitz von Johannes Häfner 65 stammt vielleicht aus der frühen Zeit, was allerdings noch zu verifizieren wäre. Als der Herrnhuter Missionar Théophile Richard wegen gesundheitlicher Probleme seiner Frau nach Europa zurückkehren muss, hat er das Manuskript eines Gesangbuches im Reisegepäck, welches er zum Druck befördern soll. 66 Es beinhaltet als Gemeinschaftsarbeit 75 Lieder, meist Übersetzungen, die schon seit einigen Jahren in Herrnhuter und Berliner Kreisen gebräuchlich waren. Ein im Unitätsarchiv vorhandenes Exemplar enthält handschriftliche Notizen eines Visitators, u.a. Angaben zu Bearbeitern und dem Bekanntheitsgrad der einzelnen Lieder. Die Auflage von je 500 Exemplaren für Berlin und Herrnhut scheint nur mittelfristig ausreichend gewesen zu sein, denn nach wenigen Jahren wird eine größere Neuauflage eingefordert. Kontinuierlich wurde das Liedgut in Erwartung der baldigen Neuausgabe bis in den Ersten Weltkrieg hinein vermehrt. Es gelang Theodor Meyer das Manuskript des neuen Gesangbuchs durch die verschiedenen Internierungslager hindurch zu bewahren. Es diente vermutlich als Grundlage der gemeinschaftlichen Gesangbuchausgabe von 1928. 67 In Utengule verbesserte sich mit der Hinwendung zum Safwa das Verhältnis zur lokalen Bevölkerung. Johannes Kootz beschreibt die praktische Zusammenarbeit bei der Übersetzung von Liedern: Wir übersetzten zunächst einige Verse, dann wurden sie in der Christenversammlung an die Wandtafel geschrieben, und die Leser mußten sie laut ablesen. Schon beim zweiten oder dritten male stockten einige. Warum? Ihr Mund weigerte sich, einiges so, wie es geschrieben stand, auszusprechen.“ Und nun wurden die Fehler verbessert, bis alle sagten: ‘Jetzt verstehen wir.’ Daß sie dabei manchmal hitzig wurden, macht ja nichts. 68 Das Inventar der Lieder wuchs von 39 im Jahr 1910 bis auf 59 um 1916, doch blieb die Verbreitung auf die mühsame handschriftliche Vervielfältigung angewiesen. Zwölf wurden auf “Melodien der Eingeborenen” gesungen und waren “besonders beliebt”. Dieses handschriftliche Gesangbuch beinhaltete auch die „Katechismus-Litanei“ und die Taufliturgien für Kinder und Erwachsene. 69 Komplette Agenden für die liturgischen Handlungen (Gottesdienste) bzw. Amtshandlungen (Taufen, Begräbnisse) sind als Handschriften oder gar selbständige Drucke bisher kaum bekannt geworden. In seinem Notizbuch trug Richard vier Liturgien für 64 65 66 67 68 69
Hierzu siehe auch Korner (1990). UA, NB VII.R.3.344.c Richard (1905); vgl. Korner (1990: 198–199). Die erste, nur 40 Lieder umfassende handschriftliche Fassung befindet sich in UA, NTP, Karton Ostafrika, o. Sign. Die Höhere Schule in Rungwe 1910-1916. In: Missionsblatt der Brüdergemeine, 84. Jg. (1920: 15– 20, 42–45; hier 43–44). Das Manuskript selbst ist jetzt verschollen. Wie die Safwa zu einem Gesangbuch kamen, in: Missionsblatt der Brüdergemeine 75, (1911), 95–96. Kootz (1918: 207–208); s.a. Korner (1990: 69–70).
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Abendmahlsfeiern ein, die er in Ipyana 1900 bzw. 1901 hielt. 70 Des Weiteren blieb nur die liturgische Lesung während der “Osterwoche” 71, formal mehr eine biblische Geschichte denn eine Liturgie, in einer vollständigen, handschriftlichen Übersetzung erhalten. Der Antrag, diese “Geschichte des Leidens und der Auferstehung Jesu Christi” in 6.000 Exemplaren zu drucken, wurde jedoch 1907 nicht gebilligt. 72 Ein zweiter Versuch des im Jahr 1914 zur Erholung nach Deutschland reisenden Johannes Zickmantel zur Drucklegung des mitgebrachten Textes dürfte wegen des Krieges ebenso ausgeblieben sein. 73 Möglicherweise finden sich kleine liturgische Teile (Introiti) in einer als “Kirchenbuch” bezeichneten Kladde Johannes Häfners. 1904 hatten die Herrnhuter Missionare für ihre Arbeit eine Handdruckpresse erbeten und erhielten sie auch genehmigt. Damit waren sie in die Lage versetzt, einfache Einblattdrucke herzustellen. Was sie mit der eigenen Druckerpresse vervielfältigten, lässt sich nicht mit Sicherheit angeben. Bisher war nur ein einziger Druckversuch nachweisbar. Ein kleines Oktavblättchen enthält das Apostolische Glaubensbekenntnis, also ebenfalls einen liturgischen Text, in der Nyakyusa-Übersetzung. 74 Mit der wachsenden Anzahl von Taufbewerbern, die nicht mehr nur von den Missionaren selbst betreut werden konnten, benötigte man auch hierfür schriftliche Hilfsmittel. So wurde wiederum von Carl Nauhaus Luthers Katechismus übersetzt. Die Brüdergemeine bestellte 1.000 Exemplare; anscheinend lag die erste Auflage bereits bei 8.000 Stück.75 Administrative Texte sind aus dem Nyassa-Gebiet nicht überliefert. 76 Ihre Existenz wird allerdings durch die Missionsordnung verlangt, indem sie innerhalb der Stationsordnung bestimmt: Ein Auszug dieser Ordnung, in die Dialekte der verschiedenen Stationen übersetzt, wird als “Ordnung für die Eingebornen auf Missionsland” jährlich in einer öffentlichen Versammlung aller erwachsenen Bewohner des Missionslandes verlesen und erläutert. 77 Bisher war im Wesentlichen nur von Dokumentationen und Texten die Rede, die ihre Entstehung notwendigerweise der Missionstätigkeit voraus gingen bzw. in logischer Konsequenz als Übersetzungen entstehen mussten. Die Tätigkeit der Herrnhuter Missionare beschränkte sich jedoch nicht allein darauf. Mit Nachdruck forderte Meinhof vor gut 100 Jahren, die intensive Beschäftigung der Missionare mit der Sprache der nicht von der Mission beeinflussten Afrikaner: 70 71 72 73 74 75 76 77
UA, NRT, o.Sign. UA, NB VII.R.3.344.d.1–2 UA, MD 19, S. 90, 6. und 8. März 1907 UA, MD 26, S. 243, 28. Oktober 1914 UA, MD 1506 Nauhaus (1911); MD 22, S. 49–50. Aus dem benachbarten Unyamwezi-Gebiet liegt eine 16-seitige, in Herrnhut gedruckte Instruktion für Evangelisten und Lehrer aus dem Jahr 1908 vor. Missionsordnung für die Nyassa-Provinz Deutsch-Ostafrika. Druck von Fr. Lindenbein/Herrnhut. 1910, §30, 6b.
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An dritter Stelle [i.e. nach 1. den älteren Missionaren und 2. den afrikanischen Christen], und das ist besonders wichtig, muß er von Heiden lernen. In Afrika unterscheidet sich wohl überall Missionssprache und Heidensprache sehr erheblich. Die Sprache ist vielfach europäisiert. Es darf deshalb ein junger Missionar nicht zufrieden sein, wenn er den Christen verständlich ist und sie versteht – zu den Heiden ist er gesandt. Er muß also auch lernen mit den Heiden zu reden und sie zu verstehen.78 Ich denke, dass es wohl dieses Motiv in Verbindung mit einem aus gleicher Wurzel entspringenden ethnographischen Interesse war, was zu umfangreichen Aufzeichnungen von Feldstudien und Vorarbeiten zumindest einiger Herrnhuter Missionare führte. Erinnert sei hier an die unter Afrikanisten bekannten, allerdings erst mit zeitlichem Abstand und nach der literarischen Ausarbeitung z.T. publizierten historisch-ethnographischen Arbeiten von Theodor Meyer (sowie Johannes) und Elise Kootz-Kretschmer. 79 Sie enthalten bemerkenswerte linguistische Anteile. Wiederum sind es die Aufzeichnungen Johannes Häfners, die hier möglicherweise einen ursprünglicheren Bearbeitungsstand dokumentieren. Darin finden sich Wiedergaben von Gesprächen, Texte der Totenklage, Rezepte und weitere Varia aus dem (nicht christlichen) Alltagsleben. Traugott Bachmann übergab Carl Meinhof in Hamburg während seines Deutschlandurlaubs eine Sammlung von Märchen, die er in Mbozi nach den Erzählungen der Afrikaner verschriftlicht und übersetzt hatte. Meinhof ließ sie zweisprachig in der Zeitschrift für Eingeborenensprachen 1915 abdrucken. 80 Dem besonderen Engagement Bachmanns sind auch frühe Tonaufnahmen mit einem Phonographen zu verdanken. Sie entstanden 1908 und 1911. Von etwa 200 Phonogrammen für das Berliner Phonogramm-Archiv sind fast 3/4 noch vorhanden. Es handelt sich zum großen Teil um traditionelle Jagd- und Kriegsgesänge verschiedener Herkunft, die von Nyiha adaptiert als Arbeitslieder gesungen wurden. Wenige Aufzeichnungen stammen auch von Kindern und Frauen. Die Sammlung ist gut dokumentiert. 81 Der Verbleib einer bescheideneren Sammlung von 60 Aufnahmen für das Kolonialinstitut in Hamburg konnte bisher nicht ermittelt werden.
4. Lehre der Sprache (Lesen und Schreiben) in den Schulen der Mission Grundsätzlich unterhielt die Herrnhuter Mission auf allen Missionsstationen Schulen, wo das Lesen, Schreiben, Rechnen und christliche Religion unterrichtet, auch Anleitung 78 79 80 81
Meinhof (1905: 11). Meyer (1989); desgl. Meyer (1993); Kootz-Kretschmer (1926–29). Für Unyamwezi hat Blohm eine vergleichbare Arbeit vorgelegt: Blohm (1931–33). Bachmann (1915–16: 81–101). Ziegler (2006) mit Dokumentation auf CD sowie Nachweisen von Editionen.
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im häuslichen Leben vermittelt wurden, sowie hilfreiche Kenntnisse und Handfertigkeiten, die eine künftige Erwerbsmöglichkeit bieten sollten. Bestaunt wurden von den Afrikanern um die Jahrhundertwende in DOA noch diejenigen, die schon die Kunst des Schreibens gelernt hatten: Wir waren über das Wissen unsers Freundes sehr verwundert. Denn das, was wir im Geheimen gesprochen hatten, schrieb er nieder und ein anderer Eingeweihter konnte dasselbe in der Ferne dann auch sprechen, genau wie wir es gesprochen hatten. 82 In den ersten 10 Jahren fehlte aber für den Lese- und Schreibunterricht ein Leitfaden. Die Missionare waren auf individuelle, d.h. auch wohl nur wenig einheitliche Einzelfallregelungen angewiesen. Schule wurde schon ab 1893 in Rungwe gehalten; sie lief aber nur sehr schleppend an. Die Herausgabe der Grammatik mit ihren Regelungen erlaubte dann eine verbindliche, einheitliche Lösung. So erhofft sich Anna Richard jedenfalls für die Schule in Ipyana durch sie einen Aufschwung. Erst 1901 konnte dem Übelstand durch Herstellung einer speziellen Fibel wirklich abgeholfen worden. Sie wurde von Johannes Häfner bei seinem Heimaturlaub mit Unterstützung Carl Meinhofs zum Druck befördert. 83 Tatsächlich entstanden immer mehr Schulen, auch in größerer Entfernung von den Stationen. In einer Missionszeitschrift für Kinder beschreibt ein Missionar die Einrichtung einer solchen offenbar charakteristischen afrikanischen Schule vor dem Ersten Weltkrieg: Zuerst sucht man sich einen großen schattigen Baum aus, dieser gibt das Schulhaus ab. Dann wird Rohr am Fluß geschnitten für einen Zaun, der um dieses lichthelle Haus hergemacht wird. Das Rohr wird mit Bananenbast, dem afrikanischen Bindfaden, gebunden, und das Schulzimmer ist fertig. Auf den Erdboden werden einige Bananenstauden gelegt, das sind die Schulbänke, die auch in einer halben Stunde angeschafft sind. [...] An den Rohrzaun werden dann einige Lesebogen aufgehängt. Die Bogen, die einzelne Buchstaben zeigen, sind für die Anfänger, die unterste Klasse, bestimmt. Die weiteren Bogen mit Darstellung von Silben sollen der nächstfolgenden Klasse, und die Bogen auf denen Wörter zu lesen sind, der obersten Klasse dienen. In einem solchen Schulraum geht es recht laut zu, da alle Klassen zur gleichen Stunde ihre Lernzeit haben. 84 In solchen Schulen unterrichteten dann meist Gehilfen, die selbst fast noch Schüler waren, so groß war das Interesse geworden: 82 83 84
Mwaisaka, Kaisi: Lebenslauf. Ms. 1935. Übersetzung des maschinenschr. Nyakyusa-Textes; UA, MD 1173 Häfner (1901); vgl. Jahres-Bericht über das Missionswerk der Brüdergemeine für das Jahr 1900. Ausgegeben Juli 1901, S. 31 Böhme (1924: 5–6).
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Im Jahre 1907 wußte ich: Nun bin ich erwachsen. Ich konnte gut im Buch lesen und auch ein wenig schreiben. Einmal kam der Missionar wieder, uns zu sehen. Er fand, daß ich etwas konnte. Er prüfte uns und ich fand, daß er sagte [zum Lehrer]: „Er soll dir helfen, die zu lehren, die bei a, e, i, o, u sind. 85 Die im Nyassagebiet von den Missionaren durchgeführte Orthographiereform erforderte 1905 eine neue Ausgabe der Fibel, die diesmal der Berliner Missionar Nauhaus besorgte. 86 Neben 2.000 Exemplaren in Heftform wurden auch mindestens 100 Wandfibeln gedruckt, wie sie in obigem Zitat zum Aufhängen erwähnt werden. Doch der Bedarf erforderte 1910 und 1914 eine weitere Neuausgabe durch Oskar Gemuseus in zwei Auflagen von 10.000 und 15.000 Exemplaren. 87 Für das Safwa scheinen keine Fibeln hergestellt worden zu sein. Traugott Bachmann veranstaltete die erste Ausgabe einer Nyiha-Fibel 1904 und 1913 eine revidierte Ausgabe in neuer Orthographie. 88 Über die Folgen heißt es bald darauf im Jahresbericht 1903/04: Es ist rührend, mit welchem Eifer die Mbozi-Leute sich der Kunst des Lesens widmen. Br. Bachmann kann ihnen nicht genug Lesestoff – zunächst natürlich nur geschrieben – herstellen. Jeder, der schreiben kann, sucht sich eine Abschrift anzufertigen, und wochentags und sonntags sah man in jeder freien Zeit die sonst nur an die Arbeit mit Hacke und Axt gewöhnten Hände sich an den Buchstaben abmühen. 89 Je mehr sich die Lesefähigkeit entwickelte, umso größer wurde der Wunsch, sie auch anzuwenden. Doch war dazu die Möglichkeit in doppelter Hinsicht beschränkt. Zum einen verschenkten die Berliner und Herrnhuter Missionare die Bücher nicht, sondern verkauften sie, zum andern gab es ja außer Fibel erst nach und nach die biblischen Schriften und das Gesangbuch. Es wundert also die Äußerung nicht, dass jener zuvor zitierte Christ schon gut in dem Buch lesen konnte, ein größere Auswahl gab es noch nicht. 1910 arbeiteten sowohl die Berliner (Karl Jauer) wie die Herrnhuter (Oskar Gemuseus) an der Zusammenstellung eines Nyakyusa-Lesebuches für die Schulen90, getreu der Devise Meinhofs: “Wem man das Lesen beibringt, dem muß man auch etwas zu lesen geben – sonst macht man ihn unzufrieden.”91 Diesmal kam es jedoch nicht zu einem gemeinsamen Projekt und anscheinend konnte keines von beiden realisiert werden. In der Höheren Schule in Rungwe wurde der Unterricht der Stations- und Dorfschulen vertieft, besonders auch im Schreiben und in Fremdsprachen. Die Unterrichtssprache war Swahili; einige Schüler lernten auch Deutsch. Produkte des Unterrichts werden in den schriftlichen Quellen erwähnt. So sendet Emil Bachmann 1912 von Rungwe 85 86 87 88 89 90 91
Gemuseus (1936: 1–4). Nauhaus (1905). Gemuseus (1910). bzw. Gemuseus (1914). Bachmann (1904) und Bachmann (1913c). Missions-Direktion der Evangelischen Brüder-Unität (1904: 33–34). UA, MD 22, S. 49/50; Missions-Direktion der Evangelischen Brüder-Unität (1911: 41–42). Meinhof (1905: 15).
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Schulhefte und Briefe an Carl Meinhof. 92 Letztere gehören schon zum letzten Bereich, der durch Mitwirkung der Missionare entstandenen Texte.
5. Eigene Aufzeichnungen der Afrikaner Hat jemand gelernt zu schreiben, so wird er beginnen, diese Fertigkeit zu nutzen. Zunächst ist durch die Schule noch der Rahmen gegeben. Die Schüler schreiben Gruß- und Dankbriefe. Gut dokumentiert ist eine Serie von Glückwünschen zum Regierungsjubiläum des Kaisers (1913). In verschiedenen Zeitschriften wurden deutsche Übersetzungen der kurzen Briefe veröffentlicht. Sie sind individuell abgefasst, also nicht bloß Abschriften einer Vorlage. Es scheint ein gewisser inhaltlich-formaler Rahmen vorgegeben worden zu sein. Doch schon aus viel früherer Zeit, nämlich um 1900, drei Jahre nach den ersten Taufen, liegen Briefe vor. Ca. 20 Briefe sind bis 1914 im Original erhalten 93. Hinzu kommen noch einmal soviele Texte, die nur in Übersetzungen in verschiedenen Missionszeitschriften publiziert wurden: Meist sind sie sehr knapp: ein Gruß und ein Dank für die Entsendung der Missionare, wenig Variation hinsichtlich Inhalt und Aufbau. In wenigen Briefen wird der Abnabelungsprozess von den Vorgaben ersichtlich. Sie reichen bis zu ausführlichen Berichten von mehreren Seiten Länge. Um die Tätigkeit der Evangelisten, die z.T. in großer Entfernung von der Missionsstation ihren Dienst taten, begleiten (und wohl auch kontrollieren) zu können, wurden sie aufgefordert Diarien zu führen, die sie an die Missionare weiterzuleiten hatten. Leider sind aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg keine solchen Aufzeichnungen von Hand der Evangelisten auf uns gekommen. Nur ganz wenige Auszüge und vor allem wiederum ins deutsche übersetzte Abdrucke. Traugott Bachmann berichtet aber auch von einem, über diese halbwegs als amtlich zu bezeichnenden Aufzeichnungen hinausgehenden Gebrauch der Verschriftlichung durch einen Evangelisten. Er teilt in seiner z.T. auf dessen eigenen Aufzeichnungen fußenden Biographie Ambilyshiyes folgendes darüber mit: Mehr als irgend einer der Eingeborenen schrieb Ambilishiye. Er vertraute dem Papier das an, was er Menschen nicht sagen wollte, nicht sagen durfte. Als ich zum Hause Ambilishiyes kam, fand ich ihn in der Tür seines Hauses kniend. Vor ihm auf der Erde lag ein Schreibheft, in das er schrieb. Ich hockte mich neben den knienden Mann und fragte ihn: ‘Was schreibst du denn?’ ‘Ich schreibe das Meinige’, war seine etwas verlegene Antwort. ‘Würdest du mir das Buch nicht einmal geben?’, fragte ich weiter. ‘Nein, das gebe ich dir nicht’, ant-
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UA, MD 24, S. 288, 18. September 1912 Die von Dammann (1993), Nr. 629 und 630 beschriebene umfangreiche Briefsammlung von Elise Kootz ist verschollen.
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wortete er sehr bestimmt. Nach einer Weile aber sagte er: ‘Vielleicht wirst du es lesen, wenn ich gestorben sein werde’. 94 Tatsächlich übergab Amfumizye, Ambilyshiyes Witwe, Bachmann den schriftlichen Nachlass ihres Ehemannes. Neben vielen sprachlichen Arbeiten, die Ambilishiye gemacht hatte, brachte [sie] mir auch das Schreibheft, das ich nach dem Tode des Helfers bekommen und lesen sollte. In der Hauptsache enthielt es Träume. Nur die wichtigsten habe ich übersetzt. 95 Ferner existieren auch Ansätze von autobiographischen Erzählungen, die zu den frühesten dieser Art aus DOA zählen dürften: Kein Originaltext ist erhalten geblieben, sondern bis zum Kriegsende existieren ebenfalls nur etwa ein Duzend Übersetzungen bzw. Verschriftlichungen oder Nacherzählungen durch Missionare. So sind eigene sprachliche Leistung und Bearbeitungstendenzen nicht mehr von einander zu trennen. Besondere Kreativität entwickelten die Schüler der Höheren Schule ab 1910 beim Gesang. Der neue Leiter, Oskar Gemuseus, förderte die Abfassung neuer Lieder, die im Stil afrikanischer Musik, auch immer eine eigene neue Melodie hatten, deren Volkstümlichkeit eine langfristige Verwendung wahrscheinlich machte. 96 Sie waren bald im Gebrauch der Gemeinde und sollten auch in die neue Gesangbuchausgabe übernommen werden. Es ist eine eigene Aufgabe, diese Lieder zu ermitteln.
6. Ausblick Bis zum Jahre 1916 ging die Arbeit der Missionare weitgehend ungestört weiter, obwohl die Kommunikationswege nach Deutschland abgeschnitten waren. Es wurde weiterhin an der Erweiterung der Literatur gearbeitet, vor allem an der Höheren Schule, wo mehrere Swahili-Übersetzungen von deutschen Vorlagen erstellt wurden, die als Lehrbücher gebraucht werden sollten. Auch die Arbeit an den Gesangbüchern wurde fortlaufend betrieben. Dann wurden die deutschen Missionare von den Engländern interniert und bis 1919 festgehalten. Auch in dieser Zeit ruhten die Missionare nicht, sondern veranstalteten zusammen mit den Berliner Kollegen im Internierungslager Sprachkonferenzen, wo sie über orthographische Fragen diskutierten und sich auf gemeinsame Änderungen einigten. 97 94 95
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Bachmann (1936: 16–17). Bachmann (1936: 57). Ob Bachmann die originalen Aufzeichnungen aus Ostafrika nach Deutschland bringen konnte, ist sehr fraglich. Die erste Fassung der Biographie Ambilyshiyes veröffentlichte Paul Otto Hennig im Jahr 1917 nach den Vorarbeiten Bachmanns, die dieser kurz vor Kriegsbeginn noch nach Herrnhut gesendet hatte. Die Höhere Schule in Rungwe 1910–1916, in: Missionsblatt der Brüdergemeine 84 (1920), 15–20, 42–45; hier 43–44. Meyer (1919). Die Vorschläge (1–12) und ihre Begründungen (12–27) vom Mai 1919 wurden mit geringen Ausnahmen im Juni 1919 angenommen (28); Mitglieder des Sprachausschusses waren an
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Während dessen begannen die in Deutschland weilenden Rückkehrer, solche die bei Kriegsausbruch auf Heimaturlaub waren und das Ehepaar Kootz, das schon 1917 entlassen worden war, die geretteten Aufzeichnungen durchzuarbeiten. Erst ab 1925 durften deutsche Missionare nach Tanganyika zurückkehren, wo zwischenzeitlich Mitarbeiter der Livingstonia Mission eine Vertretung übernommen hatten. In der zweiten Hälfte der Zwanziger und in den dreißiger Jahren wurden die meisten Vorkriegswerke in Neuausgaben herausgebracht und ethnographische sowie sprachwissenschaftliche Arbeiten publiziert. Für die wohl meist aus dieser Zeit stammenden hand- bzw. maschinenschriftlichen Materialsammlungen und Ausarbeitungen ist es schwierig, genaue Datierungen vorzunehmen und zu entscheiden, ob sie in Deutschland zur Vorbereitung der neuberufenen Missionare verwendet wurden, ob sie neuerdings in Afrika entstanden sind oder gar aus Vorkriegszeiten stammen. Deutlich ist jedenfalls das Anwachsen der eigenständigen Aufzeichnungen durch die Afrikaner selbst feststellbar, was sich auch in einer Ausweitung der überlieferten Textsorten bis zum Zweiten Weltkrieg bemerkbar macht. Demgegenüber gehen die publizierten sprachlichen Arbeiten von Europäern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Dies entspricht auch der Entwicklung der Kirche, die sich mehr und mehr verselbständigte und ständig im Wachsen begriffen ist: Aus den zwei früheren Missionsgebieten sind inzwischen fünf Provinzen hervorgegangen mit ca. 500.000 Mitglieder (d.h. etwa 2/3 der Gesamtmitgliederzahl der Kirche). Zudem nahm die Bedeutung des Swahili für die Sprache in den Gemeinden zu. Quasi als Abschluss dieser Entwicklung wurde für alle damals vier Provinzen 1988 ein gemeinsames Swahili-Gesangbuch eingeführt.
7. Zusammenfassung Die Tätigkeit von Missionaren bei der Erforschung und Dokumentation der Sprachen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika vollzog sich auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Funktionsbereichen. (1.) Voraussetzung für die Dokumentation mehrerer ostafrikanischer (Bantu-) Sprachen war das eigene Erlernen der jeweiligen Sprachen oder Dialekte. Mit geringen Vorkenntnissen ausgestattet sammelten Herrnhuter den Wortschatz und beschrieben die grammatischen Regeln. Wo möglich arbeiteten sie mit den benachbart tätigen Berliner Missionaren zusammen oder zumindest in Abstimmung. Im weiteren Verlauf der Tätigkeit wurden (2.) die für den kirchlichen Gebrauch notwendigen Texte (Lieder, liturgische Texte, Katechismus) übersetzt. Carl Meinhof begleitete die Veröffentlichungen stets durch seinen fachkundigen Rat und regte zu anhaltender Beschäftigung mit den Sprachen an. So entstanden (3.) Verschriftlichungen alten Berliner Missionaren [Gustav] Hübner, [Karl] Jauer, [Alfred] Weltzsch, sowie die Herrnhuter Missionare [Johannes] Kretschmer, [Ferdinand] Jansa, [Theodor] Meyer und zudem neu E[mil] Bachmann und [Theodor] Tietzen.[NMTh 1; NGO 13.2
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(und Tonaufnahmen) von oral tradierten Texten (Märchen, Rätsel, Gesänge). Die Missionare vermittelten (4.) Lese- und Schreibfähigkeit (Fibeln) und versetzten die Afrikaner somit in die Lage, (5.) ihre Sprache und Gedanken – zunehmend selbständiger und nicht getrübt durch eine europäische Wahrnehmung oder Deutung – selbst zu dokumentieren und anderen zugänglich zu machen. Die mehr wissenschaftlichen Darstellungen erschienen fast ausschließlich auf Vermittlung Carl Meinhofs in den Zeitschriften bzw. Reihen des Orientalischen Seminars zu Berlin und des Hamburger Kolonialinstituts. Die Bibelübersetzungen konnten mit Hilfe der Bibelgesellschaften realisiert werden und sind in entsprechenden Verzeichnissen nachgewiesen. Trotz z.T. hoher Auflagenzahlen sind die für die Missions- und sonstige kirchliche Arbeit bestimmten Schriften (Fibel, Katechismus, Gesangbücher) schwerer nachzuweisen. Sie spiegeln in den verschiedenen Auflagen den fortschreitenden Kenntnisstand der Bearbeiter und die Weiterentwicklung der Orthographie wieder. Von mehr oder weniger Unikatcharakter sind die maschinenschriftlichen Ausarbeitungen und handschriftlichen Aufzeichnungen über und in den afrikanischen Sprachen. Die Einmaligkeit und der begrenzte Umfang – der zuletzt genannten – Quellen und Darstellungen ließen die wissenschaftliche Edition als sinnvoll und machbar erscheinen, um sie für die Kulturgeschichte Tansanias zu erschließen und zugänglich zu machen.
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Deutsch schümpfen, chinese schümpfen, plenty sabbi – Die deutsche Sprache in Kiautschou∗
Abstract Obgleich Kiautschou nur von 1897 bis 1914 eine deutsche Kolonie war, fand die deutsche Sprache, sowohl als Standardvariante als auch in der Form eines Pidgin-Deutsch, relativ große Verbreitung. Eine wichtige Funktion hatte die Benennung und Umbenennung von Orten dieser Kolonie. Die Ausbreitung der deutschen Sprache war einerseits Folge einer bewußten Sprach-und Kulturpolitik, andererseits der intensiven Interaktionen zwischen verschiedenen deutschen und chinesischen sozialen Gruppen. In diesem Aufsatz werde ich die soziohistorischen Faktoren, die bei der Veränderung der sprachlichen Landschaft von Kiautschou beteiligt waren, darstellen, um danach das Pidgin-Deutsch als eine unbeabsichtigte Folge deutscher Sprachpolitik zu beschreiben.
1. Zum Thema Koloniallinguistik Was man unter Koloniallinguistik verstehen soll, wird derzeit intensiv diskutiert, vor allem im englischen Sprachraum (Errington 2001). Der vorliegende Beitrag plädiert für ein weitumfassendes Verständnis dieses Begriffs und für eine starke Verbindung zur Missionslinguistik, der Linguistik von Nationalsprachen sowie der Ökolinguistik im Sinne Haugens (1972), der vor allem die Interaktion und den Wettbewerb zwischen verschiedenen Sprechformen innerhalb eines (typisch politisch definierten) Territoriums als zentrale Themen ansieht. Es ergeben sich somit eine Reihe von Aufgaben für die Koloniallinguistik: • •
• ∗
Die Geschichte der Beschreibung von im Kolonialraum gesprochenen Sprachen (Steadman-Jones 2007); Die Geschichte der Institutionen, die sich mit der Beschreibung und Lehre von im Kolonialraum gesprochenen Sprachen befassen, wie beispielsweise das Institute for Oriental and African Studies (SOAS) in London oder, im aktuellen Falle der Deutsch-Chinesischen Hochschule und der Übersetzerschule von Tsintau; Koloniale Sprachpolitik und Sprachideologien; Ich möchte Professor Bernd Martin von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg meinen herzlichen Dank für wertvolle Kommentare und die Verfügungstellung von relevanten Schriften aussprechen.
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Sprachunterricht an staatlichen, privaten und Missionsschulen; Beabsichtigte und unbeabsichtigte sprachliche Folgen der Präsenz von Kolonialmächten und ihrer Institutionen.
Zu den unbeabsichtigten Folgen kolonialen Wirkens gehören die Pidginsprachen, die sich einerseits in fast jeder kolonialen Sprachökologie in verschiedenen Domänen entwickeln konnten, andererseits aber auch vielfach die Wegbereiter für europäische Standardsprachen waren. Was Kiautschou betrifft, kann man nur zu dem ersten Aspekt eine sichere Aussage machen, denn in nur 17 Jahren deutscher Kolonialpräsenz konnte sich die deutsche Standardsprache unter der einheimischen Bevölkerung kaum ausbreiten. 1
2. Hintergrund Zum Thema Kiautschou gibt es eine stetig wachsende Sekundärliteratur, meist auf Deutsch oder Englisch, die sich mit Themen wie Wirtschaftspolitik, die Rolle der Marine in der deutschen Kolonialgeschichte, die bewaffneten Konflikte am Beginn und Ende der deutschen Chinaepisode und mit Missionsgeschichte befassen. In gut recherchierten Büchern haben Huang (1999), und Mühlhahn (2000) sowie die Autoren in Hiery & Hinz (1999) diese Themen auf den neusten Stand gebracht. Was bei den besagten Schriften aber fehlt, ist eine Diskussion über die Rolle der deutschen Sprache in Deutsch-China. Zwar findet man bei Huang und Mühlhahn eine detaillierte Beschreibungen der Schul- und Hochschulpolitik, aber keine linguistischen Analysen. Huang zitiert Sprachproben von zwei Artikeln in den Tsingtauer Neuesten Nachrichten (vom 19.3. und 20.3. 1909), die eine Mischung von deutschen und chinesischen Wörtern illustrieren. Direkt zum Thema Pidgin-Deutsch in Kiautschou gibt es außer zwei von mir selbst verfassten kurzen Aufsätzen (Mühlhäusler 1979, 1983), zwei soziolinguistische Analysen dieser Varietät bei Reinbothe (1992: 105–119) und Biener (2001: 183– 186) und Conradis (2009) kleinem Aufsatz keine weiteren publizierten linguistischen Analysen.
3. Kurze Geschichte von Kiautschou Nach der Ermordung von zwei deutschen Missionaren im Jahr 1897 besetzte die deutsche Kriegsmarine die Kiautschoubucht auf der Schantunghalbinsel. Im Gegensatz zu allen anderen deutschen Kolonien wurde Kiautschou bis zu seiner Eroberung durch die Japaner 1914 von der Marine verwaltet. Dies ist in sofern von Bedeutung, als die Marine, im Gegensatz zu dem vom Adel dominierten Kolonialministerium, eher mittelstän1
Im Gegensatz dazu wurde das Englische über weit längere Zeiträume zunehmend die Erstsprache in ehemaligen Kolonien wie Britisch-Indien, Neuseeland, Fiji, Canada, usw.
Die deutsche Sprache in Kiautschou
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disch war und vor allem sehr gute Beziehungen zu deutschen Handelsinteressen hatte. Kiautschou entwickelte sich zur einzigen deutschen Handelskolonie und als solche hatte sie weitere besondere Eigenschaften: •
• • •
Wirtschaftliche und ideologische Gründe begünstigten die Entwicklung von Kiautschou zur Musterkolonie, ein deutsches Hong Kong im fernen Osten und ein Schauplatz nicht nur für deutschen Handel und Industrie, sondern auch für deutsche Kultur; Kiautschou war flächenmäßig die kleinste aller deutschen Kolonien, und mit 550 qkm Festland und 44 qkm Inseln nur wenig größer als Hamburg. Umgeben war das deutsche Pachtgebiet von einer 50 km breiten neutralen Zone; Kiautschou war die teuerste Kolonie. Bis 1913 standen über 200 Millionen Reichsmark Ausgaben nur 36 Millionen RMK Einnahmen gegenüber (Schrecker 1977: 190); Von den deutschen Kolonien im fernen Osten hatte Kiautschou die meisten deutschen Bewohner (4300 gegenüber etwa 1400 in allen anderen Südseekolonien) und gleichzeitig die größte Konzentration pro qkm.
Die kurze Geschichte von Kiautschou (1897–1914) unter deutscher Herrschaft kann auf einen Nenner gebracht werden: Den Marktwert der deutschen Kultur und deutschen Sprachen in ganz China zu erhöhen. Görcke (1914: 131) kommentiert die beeindruckende Entwicklung von Kiautschou folgendermaßen: Allerdings darf nicht vergessen werden, daß für uns weniger der Glanz Tsingtaus an sich, als vielmehr der Grad seiner Wirksamkeit als Pionier deutschen Wesens und Einflusses in China und als Vermittler deutschen Handels und deutschen Warenabsatzes von Bedeutung ist. Welche Rolle die deutsche Sprache dabei spielte, soll im Folgenden klargestellt werden.
4. Sprachpolitik in Kiautschou Eine einheitliche deutsche Sprachpolitik für alle Kolonien hat es nie gegeben. Das lag teilweise daran, dass die Verwaltung einiger Kolonien anfänglich in den Händen von Handelsgesellschaften wie der Neuguineacompanie lag und das Erziehungswesen von verschiedenen Missionsgesellschaften betrieben wurde. Es lag aber auch an unterschiedlichen Meinungen im Kolonialministerium, in der Koloniallobby und bei den Kolonisten über die Ziele von Sprach- und Kulturpolitik. Reinbothe argumentiert, dass die schlagkräftigsten Argumente für die Verbreitung der deutschen Sprache, nicht nur in Kiautschou sondern in ganz China, wirtschaftliche waren: “Der Handel folgt der Sprache” (Reinbothe 1992: 95). Für die deutsche Kolonisatoren galt besonders, den wachsenden Einfluß der englischen Sprache in China einzu-
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dämmen, vor allem aber auch des Pidgin-Englisch, das in allen Küstenorten die allgemeine Verkehrssprache geworden war. Im Klartext findet sich das wirtschaftliche Argument bei einem anonymen ‘langjährigen Leser’ des Ostasiatischen Lloyds (1914, 10: 305): Wenn keine andere Sprache in China gelehrt oder gesprochen würde, könnte es den Deutschen gleichgültig sein, ob ihre Sprache in China verbreitet ist oder nicht. Eine analoge Situation besteht bereits in Niederländisch Indien, wo die Kolonialregierung mit einer kolonialen Variante des Bazar Malayisch ihre Kolonie effektiv kontrolliert. Kulturelle Argumente für die Verbreitung des Deutschen waren eher sekundär, zumindest bei den in China ansässigen Deutschen, obwohl sie bei der Koloniallobby im Mutterland beliebt waren. Gegen eine Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur sprach auch die Befürchtung, dass derartige Maßnahmen “die Distanz zwischen der eingeborenen und der weißen Bevölkerung in einer nicht immer heilsamen Weise auf Leben und den Nimbus der Überlegenheit des Europäers beseitigen helfen” (Mirbt 1910: 149). Eine weitere Sorge war, dass Eingeborene, die etwas Deutsch kannten, ins Deutsche Reich als billige Arbeitskräfte einwandern könnten, und dort den Deutschen die Arbeit wegnähmen. Die Folge solcher widersprüchlichen Zielsetzungen war, wie auch in anderen deutschen Kolonien, eine Spannung zwischen Sprachpolitik und sprachlicher Realität und vor allem eine Spannung zwischen langzeitigen Zielen und kurzfristigen Lösungen. Langfristig wollte man Deutsch als Kultursprache und vereinfachtes Deutsch als Handelssprache nicht nur für Kiautschou sondern ganz China gegen das Englische und Pidgin-Englische durchsetzen. Mit anderen Worten, es ging darum, den Wert des Deutschen auf dem Sprachenmarkt zu erhöhen und seine interkulturellen Funktionen zu stärken. Von dem Wert der deutschen Sprache war aber nur ein Teil der in Kiautschou ansässigen Händler überzeugt. Viele der deutschen Firmen mussten feststellen, dass man bessere Geschäfte in China machen konnte, wenn man einen englischen Firmennamen hatte und auf Englisch verhandelte. Auch die Chinesen mußten feststellen, dass sich die Deutschkenntnisse, die sie sich mit viel Mühe angeeignet hatten, nicht unbedingt zur Beschäftigung bei deutschen Firmen führte, vor allem nicht außerhalb von Kiautschou. Mehr zu diesem Thema liest man bei Reinbothe (1992: 105–110). Das Fehlen von instrumenteller Motivation Standarddeutsch zu lernen ist wohl ein Grund, warum ein vereinfachtes Pidgin-Deutsch sich verbreiten konnte, welches interessanterweise immer mehr unter den Einfluß des Pidgin-Englischen geriet. Ein weiterer Grund ist Mangel an Kontakt. In Kiautschou gab es eine strikte räumliche Trennung von Europäer- und Chinesenviertel, und viele Berufe waren Chinesen nicht zugänglich. Kulturaustausch und Spracherwerb waren deshalb nur bedingt möglich, und die unausbleibliche Folge war, dass sich für die unabdingliche tägliche Kommunikation zwischen den Bevölkerungsgruppen eine Pidginsprache herausbildete. Man muß wohl Voskamp
Die deutsche Sprache in Kiautschou
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(1904: 126) rechtgeben, wenn er argumentiert, dass es für die große Mehrheit der chinesischen Bevölkerung bei einem solchen Pidgin bliebe: Dennoch glaube ich nicht, daß wir im Allgemeinen über ein gewisses Pidgin Deutsch hinaus kommen werden. ‘Du Kuli k’am k’am machen, du Halungki, ich Bambu tschau tschau’ (d.h. pass auf, sonst bekommst du Hiebe), sagt der Europäer zu seinem chinesischen Aufseher und begleitet seine Rede mit einem Hieb seines Stockes durch die Luft nach dem bekannten Vers: Was man mit Worten nicht sagen kann, das deutet man durch Gebärden an. So entsteht die lingua franca, die Salzwassersprache, wie der Chinese sie nennt.
5. Hochdeutsch und Pidgin-Deutsch in Kiautschou 5.1. Dolmetschererziehung Zu Beginn der deutschen Herrschaft gab es im ganzen Pachtgebiet fünf deutsche und sechs chinesische Dolmetscher (Huang 1999: 125–126), die alle Hände voll zu tun hatten, die zahlreichen Kommunikationsprobleme zwischen Deutschen und Chinesen zu reduzieren. Der Mangel an Dolmetschern wurde anfänglich dadurch gemindert, dass junge Chinesen beim Militär als Hilfsköche und Aufseher eingestellt wurden, und die Soldaten angehalten wurden, mit diesen nur Deutsch zu reden (Huang 1999: 126). Schon im Mai 1898 wurde die erste Dolmetscherschule eingerichtet. Die Zahl der chinesischen Schüler stieg von anfänglich 16 auf über 50 im Jahr 1899 und “bis Ende September 1901 hatten fast 500 Schüler für längere oder kürzere Zeit in der Schule Unterricht erhalten” (Huang 1999: 120). Ihre Kenntnisse waren elementar, eher pidginartig, und auf mündliches Dolmetschen beschränkt. Die Vermittlung deutscher Schriftlichkeit und die Erziehung von des Standarddeutschen mächtigen Chinesen war die Aufgabe des offiziellen Schulwesens.
5.2. Deutschunterricht in Kiautschou Das Erziehungswesen war eines der Hauptmittel zur Germanisierung einer relativ kleinen Gruppe der Chinesen: “Es sollten geeignete Arbeitskräfte zur Verwendung in den deutschen Betrieben und Behörden ausgebildet werden, die der deutschen Sprache mächtig waren (Mühlhahn 2000: 241). Die dazu errichteten Schulen wurden einerseits vom Staat, andererseits von den Missionen unterhalten. Ausführliche Statistiken und Beschreibungen findet man im Koloniallexikon (Schnee 1920), und eine kritische Auseinandersetzung mit der Bildungspolitik bei Mühlhahn (2000).
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Neben einem staatlichen Reform-Realprogymnasium für Europäer gab es 1913 20 Volksschulen mit 1050 Schülern für Chinesen. In den beiden oberen Klassen wurde Deutsch gelehrt. Die Missionen beider Konfessionen hatten: Berliner Mission: 7 Volksschulen mit 159 Schülern 1 Mittelschule mit 45 Schülern 1 Mädchenschule mit 52 Schülerinnen Weimarer Mission: 30 Elementarschüler 97 Mittelschüler Letztere Mission betrieb auch ein Lehrerseminar mit 43 weiblichen und 9 männlichen Studenten. An allen diesen Institutionen stand der deutsche Sprachunterricht im Mittelpunkt. Die katholische Mission schlussendlich unterhielt 8 Volksschulen mit 124 Schülern und eine deutsch-chinesische Mittelschule mit 27 Schülern. Einmalig für deutsche Kolonien war die Hochschule, die 1909 eröffnet wurde. Sie bestand aus einer Unterstufe mit 301 Schülern, in der alle Fächer auf Deutsch unterrichtet wurden und der eigentlichen Hochschule mit 73 Studenten in 4 Fakultäten. Die Deutsche Kolonialzeitung vom 24. Mai 1913 berichtet über die Folgen dieser Bildungspolitik: In Kiautschou ist für den Deutschunterricht der Chinesen in den letzten Jahren viel geschehen. Wir wissen nicht, wieviel Platz im täglichen Verkehr das Englische behauptet; wenn aus der Haltung der ‘Tsingtauer Neuesten Nachrichten’ geschlossen werden darf, so scheint es um die deutsche Umgangssprache in Kiautschou nicht schlecht bestellt zu sein. Es ist hinzuzufügen, dass deutscher Sprachunterricht hauptsächlich im städtischen Tsingtau stattfand, und dass im Hinterland chinesische Dorfschulen das Bild prägten. 1913 gab es mithin etwa 800 Chinesen, die formell Deutsch lernten, bei einer Bevölkerungszahl von 187.000, sowie 227 weiße (meist deutsche) Schüler, bei einer Bevölkerungszahl von 2069 Zivilisten und 2400 Soldaten.
5.3. Das Pidgin-Deutsch von Kiautschou Seit meinen eigenen Vorarbeiten (Mühlhäusler 1979, 1983) hat sich relativ wenig getan. Was Quellen zu dieser Sprache angeht, ist man fast gänzlich auf Sekundärliteratur angewiesen. Sprachaufnahmen hat es offenbar nie gegeben und ich habe bisher keinen Zugang zu geschriebenen Dokumenten, wie Briefen von Zöglingen, in denen man möglicherweise weiteres Material finden kann.
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Das früheste Beispiel eines sich durch Relexifizierung aus dem Pidgin-Englisch entwickelnde Pidgin-Deutsch findet man bei dem österreichischen Reiseschriftsteller Ernst von Hesse-Wartegg 2 (1898: 10) anlässlich seines Besuchs im Hotel Kaiser: Der freundlich grinsende Inhaber hatte bereits Deutsch gelernt. Ik sabe deutsch, sprach er mich unter tiefen Verbeugungen an. ‘Gobenol at gebene pamischu open Otel, kommen Sie, luksi, no hebe pisi man, no habe dima, bei an bei!’ Da dieser spanisch-englische-deutsche-chinesische Dialekt von jedem Heimischen erheblich verschieden ist, will ich die deutsche Uebersetzung diese Deutsch gleich beifügen. ‘Ich kann deutsch, der Gouverneur hat mir Erlaubnis erteilt ein Hotel zu eröffnen, kommen Sie, besichtigen Sie es, ich habe bisher noch keinen Gast, weil mir Zimmer fehlen, aber nach und nach!’ Die Wörter pamischu, luksi, pisi, ‘bei an bei sind nicht deutsche, sondern gehören der Umgangssprache zwischen Chinesen und Europäern an, wie sie in den offenen Häfen gesprochen wird’. Von Bülow (1899–1900: 367) findet es erstaunlich, daß schon eine Anzahl chinesischer Kaufleute durch den Umgang mit unseren Soldaten die deutsche Sprache erlernt haben, während die Chinesen in Hongkong und Shanghai nur das sogenannte Pidgen English sprechen, ein Gemisch von Chinesisch, Englisch und Portugiesisch. In einem Laden wurde er in “gutem Deutsch” (von Bülow 1899–1900: 396) angeredet “Allerdings reden sie jeden mit ‘Du’ an 3, was anfänglich sehr komisch wirkt” (von Bülow 1899–1900: 396). Winterstein (1903: 16) bestätigt, dass in Kiautschou ein Pidgin-Deutsch in der Entwicklung war, und in den darauf folgenden Jahren finden sich ab und zu Sprachbeispiele in der örtlichen Presse. In der Kiautschou Post (1911: 240) findet sich eine graphische Beschreibung der Marineartillerie: Deutschland master in schipp make make bum bam fist Die Tsingtauer Neuesten Nachrichten vom 19. und 20.3.1909 geben Beispiele wie: Boy kwai kwai lä lä ‘der Boy soll schnell kommen’ Stiefel haula machen ‘Stiefel sauber machen’ Hauptmann Friederici (1911: 97), der während des Boxeraufstandes in Kiautschou diente und später eine Forscherkarriere antrat, ist besser bekannt für seine Aussagen zum 2 3
Von Hesse-Wartegg war nicht, wie Hall (1955: 35) irrigerweise in einer viel zitierten Zeile behauptet, ein deutscher Kolonialbeamter. Die Anredeform “Du” ist allgemein üblich in Pidgin und Kreolvarietäten des Deutschen sowie im Deutschen Foreigner Talk.
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Tok Pisin und zur Sprachpolitik in Deutsch-Neuguinea. Er argumentiert, dass seiner Erfahrung nach das angeblich viel zu schwierige Deutsch sich durchaus als Umgangssprache für die deutschen Kolonien eigne: Es ist noch gar nicht festgestellt, daß die Erlernung der einfachen deutschen Umgangssprache, meinetwegen auch Pidgin Deutsch, den Eingeborenen so sehr viel schwerer fällt als die Aneignung von Pidgin-Englisch. Wohlverstanden, es handelt sich um die Umgangssprache in einfacher Form, nicht um die Schriftsprache oder fehlerfreies klassisches Deutsch. Man sagt immer, daß Chinesisch so ungeheuer schwer zu erlernen sei. Aber es ist nur das Schrift-Chinesisch, daß so große Schwierigkeiten macht, während man sich die allgemeine Umgangssprache, ausreichend für Handel und Verkehr, unschwer aneignen kann. Aehnlich ist es mit dem Deutschen. Während des Feldzuges in China sprachen in meiner Berittenen Kompagnie die dort angestellten chinesischen Jungens sehr bald einige Brocken Deutsch, obwohl sich niemand Mühe gab, ihnen etwas beizubringen. Als ich im Herbst 1901 zum letzten Mal in Tsingtau war, sprachen schon nicht wenige Chinesen Deutsch; jetzt höre ich, daß dort nahezu alle Chinesen, die mit Deutschen in Berührung kommen, deren Sprache reden. Längin (2005: 294 – 295) zitiert eine Reihe weiterer Sprachproben des ‘Tsingtauisch’, gibt aber leider keine genauen Quellenangaben. Er erwähnt, u.a. die Bewerbung eines Chinesen in den Tsingtauer Neuesten Nachrichten (294): Tsingtau Bauverwaltung: ich haben gehört sagen Sie wollen bei B.V. nur zwei Chinesen beamten kein Deutschmann. Ich bitte Sie mir Baumeister Stellung geben. Viele Jahre ich schon bei B.V. arbeiten, kann Kanal machen Pumpstation Arbeiten auch sabbi. Alles machen was Baumeister machen auch gute deutsch sprechen und bisgen englisch. Früher Baumeister schon sagen Ich ganz gute Batu alles sabbi. Ich auch viel ehrlich maski nich zu viel Geld verdinen. Deutsch schümpfen chinese schümpfen plennti sabbi. Fert reiten auch sabbi! Mir bitte schreiben wieviel bezalen wenn anfangen Herr Hao tschi fu, Pekingstrasse. In seiner Autobiographie präsentiert Kapitänleutnant Plüschow, bekannt als der Flieger von Tsingtau oder “Vogelmaster” eine weiter Sprachprobe (Plüschow 1916: 70), die auch die Tendenz illustriert, chinesische Bedienten deutsche Namen zu geben: Treulos verließ mich aber, als der erste Schuß fiel, mein Chinesenkoch Moritz, und eines Abends waren auch Fritz, Max und August spurlos verschwunden. Nach einigen Tagen kam ein neuer Chinesenkoch, Wilhelm genannt, der mir mit großen Gebärden erzählte: ‘Du, Vogelmaster, ich gute Koch sein, ich nicht weglaufen wie die schlechte Kerl, die Molitz, iche nicht Angst haben, ich plenty gut chauchau mache’.
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In einem der wenigen literarischen Werke, welche Kiautschou inspirierte (Küas 1915: 134), finden wir die folgenden Worte eines Dieners: “Esselenzy nich wollen mehl Schampin, Chinaboy gehen flott” Insgesamt ist dies eine recht magere Ausbeute von Sprachproben. Dennoch lassen sich einige Folgerungen ziehen: Wir haben es hier eher mit multilingualen Idiolekten (Jargon) als einer stabilen Pidginsprache zu tun. Deutsche, die das Pidgin-Englisch nicht kannten, konstruierten ihre eigenen sprachlichen Mittel zur interkulturellen Kommunikation. Köstlich ist es, wenn sie einige chinesische Brocken, die sie gelernt, radebrechen oder das neuentstandene Deutschchinesisch sprechen. Mag’s klingen, wie es will, die ‘Scheinimen’ verstehen es. ‘Du Scheiniman, wek da!’ ‘Du Schinos, das nogutsa, fort, ich schlag dir die Bein kaputsala’. Der gemeinste chinesische Kuli versteht das und reißt aus. Das ‘wek da’ übersetzt er sich mit ‘we k’e da’, d.h. Platz machen oder ich schlage (Stenz 1902: 52). Der stabile Kern dieser Sprache scheint das relexifizierte Pidgin-Englisch zu sein, von dem auch eine Reihe von Wörtern beibehalten wurden, z.B. sabbi ‘wissen’, chauchau ‘essen, Essen’, squeeze ‘Aufgeld’, und plenty ‘viel’, joss ‘Weihrauch’, bei-an-bei ‘Futur, allmählich’, ama ‘Kinderfrau’ oder käsch ‘Geld’. Interessant ist das Wort maski, das mit dem Deutschen ‘macht nichts’ identifiziert wird. Ebenfalls zum Kern des Vokabulars gehören ein paar Wörter chinesischer Herkunft wie pau ‘Zeitung’, dudse buhau ‘Magenverstimmung’, kwei kwei ‘schnell’ und k’am k’am ‘aufpassen’. Ansonsten erwartete man von den Chinesen eine “papageienhafte Aneignung eines beschränkten Wortschatzes…von ein paar hundert deutschen Wörtern”, wie der anonyme Verfasser eines Aufsatzes zum Thema Zur Förderung der deutschen Sprache in China im Ostasiatischen Lloyd vom 27.9.1912: 285 argumentiert. Die Wortstellung ist wie im Pidgin-Englischen SVO; grammatikalische Elemente wie Präpositionen und Konjunktionen werden nur minimal verwendet, und Flexion ist so gut wie unbekannt. Wie in anderen Pidginsprachen spielt auch im Pidgin-Deutsch von Kiautschou grammatikalische Natürlichkeit eine wichtige Rolle, beispielsweise bei der Wortfolge in Konditionalsätzen. Master 20 cent geben, ich kwei kwei haula mache. ‘Wenn Sie mir 20 cent geben werde ich (die Stiefel) sehr schnell sauber machen’ (Tsingtauer Neueste Nachrichten 19. März 1909). Plenty mache mache plenty käsch. ‘Wenn Du schnell machst gibt es extra Geld’ (Weicker 1908: 22). Wie diese beiden Beispiele ebenfalls zeigen, wird bei Verbformen der Infinitiv bevorzugt. Die Aussprache scheint variabel. Chinesen verwechseln den Daten nach des öfteren [l] und [r] und simplifizieren Konsonantengruppen. Reduplikation und Wiederholung sind häufig anzutreffen.
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Die Sprache wurde gewöhnlich von Gesten begleitet, was aber dennoch Missverständnisse nicht unbedingt eliminierte: Für viele Deutsche – vor allem für die Frauen und Kinder – war der Umgang mit Koch, Boy und Amah (Kindermädchen) der fast einzige Kontakt mit Chinesen. Aufgrund der Sprachbarriere gab es Mißverständnisse, und beide Seiten hatten Schwierigkeiten, die Mentalität des anderen zu verstehen. Nicht selten wurde die Dienerschaft gewechselt, meistens lautete der Vorwurf, sie sei ‘betrügerisch’. Vor allem benötigte es der Gewöhnung an den sogenannten Squeeze, ein Aufgeld, das der Koch beim Einkaufen beanspruchen durfte. Dies erforderte von der Hausfrau Taktgefühl. Wurden die monatlichen Rechnungen zu hoch, konnte sie sagen: ‘Du mußt geschickter einkaufen, der master kann nicht jeden Monat so viel bezahlen.’ Dann wurden die Ausgaben im nächsten Monat bestimmt geringer. Sagte die Hausfrau aber: ‘Du hast zuviel Squeeze gemacht’, dann verlor der Koch sein Gesicht und verließ sehr wahrscheinlich den Haushalt, was zur Folge hatte, daß auch Boy und Kuli mitzogen, da der Koch in der Regel die Dienerschaft einstellte (Matzat 1999).
6. Deutsche Namensgebung in Kiautschou Ein bislang zu wenig berücksichtigter Aspekt der Koloniallinguistik ist die Veränderung der sprachlichen Landschaft von Kolonien. Dazu gehören Ortsnamen, Straßenund Gebäudebezeichnungen, Beschilderung und die Verbreitung von Schriftsymbolen. Zusammen mit einer typischen deutschen Architektur ließ die starke visuelle Präsenz der deutschen Sprache im öffentlichen Bereich, den Eindruck entstehen, dass Tsingtau eine deutsche Stadt sei: ‘Heinzel & Co.’ Stand an dem Rollwagen, der unser Gepäck verlud. Das war wie ein erster deutscher Gruß. (...) und dann fuhren wir auf der wohlgepflegten, gepflasterten Hafenstraße an neuzeitlichen Lagerhäusern vorbei (...) dann in die deutsche Geschäftsstadt mit reichen Kaufläden, die ihre Waren mit deutschen Aufschriften anzeigten, und schließlich in die schöne Villenstadt, wo Regierungsgebäude und Wohnhäuser in weiten Gärten stehen, eine liebliche, junge deutsche Stadt am weiten Meerbusen (Fischer 1942: 102). Politische Macht findet häufig darin ihren Ausdruck, dass die Herrschenden den Beherrschten ihren Namen geben. Die Bedeutung dieses Prozesses war den deutschen Kolonisatoren wohl bekannt. Schon im Jahre 1894 drängen die Alldeutschen Blätter (1894, 4, 3: 124) darauf, englische und einheimische Namen durch entsprechende deutsche zu ersetzen:
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Das aber, was uns endlich noch geblieben ist, das sollten wir wenigstens von Grund aus deutsch zu machen suchen. Die englische Kolonisation ueberzieht das Land mit englischer Sprache und Sitte, mit englischem Recht, und gerade durch das Aufdraengen seiner Sprache gegenueber noch ungesitteten Voelkern hat der Englaender ihr eine solche Verbreitung ueber die ganze Welt geschaffen. Er weiss genau, daß, erlernte er die Sprache des von ihm okkupierten Landes, dies nur gleichbedeutend sein wuerde mit dem kuenstlichen Grossziehen einer untergeordneten, minderwertigen Sprache. Deshalb sind die Englaender auch ueberall sofort mit neuer Namengebung bei der Hand; um nur ein Beispiel zu nennen, kaum besassen sie Neu-Amsterdam, da hiess es auch schon New York. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Die Neu-Guinea-Gesellschaft freilich ist in der Namengebung gut deutsch, allerdings aber auch recht unpraktisch vorgegangen, ihre Namen sind zu lang und zu schwerfaellig. Wie lange muss wohl der Papua buchstabieren, bis er ‘Kaiserin Augusta-Fluss’ sprechen und gar schreiben lernt, und Kaiser Wilhelmsland koennte ebenso gut einfach Wilhelmsland heissen. Warum aber behaelt man die Namen: Tanganika – und Nyassasee bei und sagt nicht Schwarzer- und Langensee, oder noch besser Peters-See und Wissmann See. Oder warten wir vielleicht, bis die Englaender oder Franzosen oder Belgier jenen Gewaessern neue Namen geben, die wir dann pflichtschuldigst nachbeten? Jede kaiserliche Station muesste einen klingenden, kurzen, deutschen Namen haben, und so gut Bagamoyo etwa ‘Sued-Koeln’ und Dar es Salaam ‘Neu-Kiel’ heissen koennte, so gut koennte man den Kilima Ndjaro auch ‘Kaiserberg’ nennen. Fort aber auch mit der Rupie mit der lateinischen Umschrift. Der anonyme Verfasser dieses Artikels schließt mit der Forderung: “Deutsch sei die Sprache, deutsch die Sitte und deutsch das Recht, und wir meinen, dies zu verlangen, sei nur ein einfaches Gebot der Selbstachtung!” Werther (1903: 361) zitiert eine im selben Jahr erlassene Verordnung über Namensgebung und Namensübersetzung, die besagt, dass: • die einheimischen Namen mit größter Sorgfalt festzustellen und beizubehalten sind; • da, wo einheimische Namen nicht existieren, die von den ersten Entdeckern gegebenen Namen anzunehmen sind; • die willkürliche Änderung historischer, in der Wissenschaft anerkannter Namen zu vermeiden ist; • eine Namensübersetzung, von einzelnen besonderen Fällen abgesehen, nicht stattfinden soll. Diese Verordnung kam allerdings sehr spät und in der Zwischenzeit war die Angelegenheit anders verlaufen. In einem Aufsatz zur Deutschen Sprache in der Südsee (Mühlhäusler 2001) habe ich Details für die pazifischen Kolonien Deutschlands gegeben und auf einen diesbezüglichen Aufsatz von Finsch (1901) hingewiesen.
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Als Deutschland Kiautschou erwarb, war das Gebiet recht dicht besiedelt und für alle wichtigen Orte gab es bereits chinesische Namen. Als Deutschland 1914 die Kolonie verlor, trugen viele Orte deutsche Namen: Bevor amtliche Verordnungen existierten waren die örtliche Verwaltung und Individuen eifrig bei der Sache, und taten genau das, was Werther (1903: 361) verhütet sehen wollte: die Sucht gewisser Reisender, jedem Erdhaufen und jedem Wassergerinnsel den Namen irgendeines persönlichen Gönners oder Freundes beizulegen, auch wenn solche Gegenstände von den daneben wohnenden Eingeborenen seit grauer Urzeit benannt sind. Von Hesse-Wartegg (1898: 24–25) berichtet aus der frühen Zeit der Kolonie: Vorderhand sind ja nicht einmal halbwegs richtige Karten vorhanden. Die einzige einigermaßen zuverlässigen Karte ist jene, die von der englischen Admiralität hergestellt wurde, aber sie behandelt nur die Küste. Alle bisher in Deutschland angefertigten Karten sind in Bezug auf Kiautschou von wenig Wert, denn nicht einmal die Lage von Tsingtau ist richtig angegeben, und von den vielen Ortschaften, welche das deutsche Gebiet enthält, fehlen die meisten. Dazu hat in den ersten Monaten des Jahres eine Umtaufung der chinesischen Bezeichnungen, wenigstens was die Inseln und Bergspitzen anbetrifft, stattgefunden. Dieselbe hat allerdings noch nicht an entscheidender Stelle die Zustimmung erhalten, immerhin ist es ziemlich gewiß, daß die Mehrheit der neuen Namen bleiben wird. So heißt beispielsweise die Insel Tschiposan heute Kaiserinsel, Potato Island ist in Cormoraninsel umgetauft worden. Zwei Berge, welche sich unmittelbar hinter Tsingtau erheben und bisher bei den Chinesen wohl namenlos waren, heißen nach den eigentlichen Gründern von Deutsch-China, Admiral Diederichs und Kapitän Truppel, der Diederichs- und Truppelberg. Weiter nach Osten wurde ein Berg der Kaiserstuhl, der ihm nächstgelegene Prinz-Heinrichberg getauft. Es herrschte eine Zeitlang eine wahre Wut, jeden Erdhügel mit irgendeinem vornehmlich dem zarten Geschlecht angehörigen Namen zu belegen: Mathilde, Anna, Klara, Marie etc. Ob die Berggipfel ihre neuen Namen auf die Dauer behalten werden, ist noch zweifelhaft; jedenfalls konnte jeder Täufer seiner herzigen Mathilde, seiner schönen Anna, seiner zarten Klara und seiner Herzensmarie die freudige Mitteilung machen, daß er ihrer im fernen China in so schmeichelhafter Weise gedacht hat. Aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, dass deutsche Namen in drei Kategorien eingeteilt werden können: • Verdeutschung chinesischer Namen; • Umbenennung; • Neubenennung.
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Unter Verdeutschung verstehe ich die Übernahme chinesischer Namen mit modifizierter Aussprache und Schreibung nach deutschem Muster. Vor 1897 war Kiautschou als Jiaojhau bekannt und Tsingtau, die Hauptstadt, die von den Deutschen aus dem Boden gestampft wurde, als Tsintan oder Tsintau. Die Hafeninsel war ehemals Man tsching tau und der Kaiserstuhl Wu Schan. Solche Umbenennungen bezogen sich hauptsächlich auf prominente Berge, Buchten und Inseln; bisher habe ich die ursprünglichen chinesischen Namen von Spitzberg, Steinhorn, Iltisberg 4, Teufelsriff, Engelsriff, Verlorenes Riff sowie Auguste-Viktoria Bai, Mövenfels and Tagesfels nicht erkunden können. Neubenennungen beziehen sich auf die von den Deutschen geschaffenen Orte und Straßen. Bei den ersteren wären das Soldatenheim, die Wolfsburg, das Barackenlager, das Mecklenburgerhaus, die Bismarckkaserne, der Bahnhof und der Exerzierplatz zu melden. Straßen in der Hauptstadt Tsingtau trugen Namen wie Prinz-Heinrich, Hohenzollern, Bismarck, Kronprinzen, Irene, Kieler, Bremer, Wilhelmshavener und Berliner Straße. In einem Bericht über das Alltagsleben in Kiautschou schreibt Matzat (1999): Begegnungsmöglichkeiten zwischen europäischen Zivilisten und Soldaten waren nicht sehr ausgeprägt, denn die Iltis-, Bismarck- und Moltkekasernen lagen östlich und räumlich weit von den Wohnquartieren entfernt. Der militärische Drill fand auf den Kasernengeländen und dem Rennplatz nahe der Auguste-ViktoriaBucht statt, die Ausmärsche östlich der Iltisberge in Richtung Prinz-HeinrichBerge und Lauschan-Gebirge. Die Soldaten hatten ihren eigenen Badeplatz an der Iltisbucht, während der Hauptstrand an der Auguste-Viktoria-Bucht Zivilisten und Offizieren vorbehalten war. Allerdings muß beachtet werden, daß Tsingtau auch Flottenstützpunkt war, mindestens lag immer ein Schiff des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders auf der Außenreede vor Anker. Wenn die Matrosen Landgang hatten, suchten sie nicht nur Bordelle in Dabaodao oder Bierstuben auf, sondern auch das Seemannshaus für Mannschaften und Unteroffiziere, das sich in der Hauptgeschäftsstraße, der Friedrichstraße, befand. Weiterhin gab es das vom Gouvernementspfarrer Winter gegründete ‘Christliche Soldatenheim’, das am Nordhang des Observatoriumhügels lag.
7. Zusammenfassung Dieser Beitrag ist zwar weniger vorläufig als meine beiden Vorarbeiten aber keineswegs eine definitive Sozialgeschichte der deutschen Sprache in und von Kiautschou. Es sollte sich zum Beispiel noch viel Material zum Pidgin-Deutsch in den Archiven von Schulen und Missionen finden, aber auch in privater Korrespondenz und Zeitungen. Sie zu finden, wird viel Arbeit mit sich bringen. 4
Der Name leitet sich vom dem deutschen Kreuzer ‘Iltis’ her und ist keine Indiz für die Häufigkeit von Iltissen im Pachtgebiet.
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Es ist bemerkenswert, dass sich im Gegensatz zu allen anderen deutschen Kolonien Pidgin-Deutsch und Deutsch durchsetzen konnten. Das lag zum einen daran, dass Pidgin-Englisch oder eine andere Verkehrssprache in dem Gebiet von Kiautschou bei der ansässigen Bevölkerung nicht existierte, zum anderen aber auch an der großen Zahl deutscher Zivilisten und Soldaten, die insgesamt der Bevölkerung einer kleinen deutschen Stadt vergleichbar war. In weniger als zwanzig Jahren ist es gelungen, die Sprachökologie Kiautschous ganz entschieden im Sinne der Deutschen Kolonisten zu beeinflussen. Leistensprung (o.J.: 11) bemerkt: In Tsingtau konzentrierten sich dagegen chinesische Handwerker, Kaufleute, Kleinhändler und Kulis sowie Hausdiener mit grossem Bildungseifer angesichts der vorzüglichen Verdienstmöglichkeiten. Die Deutschen entwickelten eine unkomplizierte Mischsprache aus Chinesisch und Deutsch zur wechselseitigen Kommunikation (ähnlich wie seinerzeit Pidgin-English in Afrika). Es funktionierte tadellos im Alltag und alle waren zufrieden. Nach der chinesischen Revolution von 1911 suchten zahlreiche hohe chinesische Beamte des alten kaiserlichen Regimes in Tsingtau Zuflucht vor den Repressalien der Aufständischen und wurden freundlich aufgenommen. Doch wie es weiter gegangen wäre, bleibt nur Spekulation. Voskamp (1904: 126) widerspricht der Erwartung, dass sich eine Art Kontinuum zwischen Pidgin-Deutsch und Hochdeutsch entwickeln könnte: Dieses Pidgin Deutsch wird sich im Lauf der Zeit mit all den Salzwassersprachen des Ostens vermischen, die aus English, Malayisch, Chinesisch, Portugiesisch und Arabisch bestehen, bis ein so unentwirrbares Sprachengemengsel entsteht, wie es nur je beim Babylonischen Thurmbau gesprochen ist. Deutsch wurde auch nach dem Ende der Kolonialphase in kleinerem Rahmen der deutschen Schule weiter unterrichtet (Matzat 2001), und eine kleine Gruppe von Deutschen blieb weiter in Kiautschou. Manche von ihnen glaubten bis zum Ende des zweiten Weltkriegs, dass Kiautschou wieder deutsch werden könnte. Semler (1939) berichtet von einer Fahrt dorthin: Wir spazieren durch die Straßen der Stadt: An der ersten Ecke hält uns einer an: ‘Hallo, wohin des Wegs?’ Also ein Deutscher. Fern der Heimat schließt man schneller Freundschaft als zu Hause. Gerne folgen wir seine Einladung und besteigen zu einer Besichtigungsfahrt seinen Wagen. Seit vielen Jahren ist er nicht mehr in der Heimat gewesen; wir müssen ihm viel vom neuen Deutschland erzählen; er liebt es und ist begeistert, aber er kennt es nur vom Hörensagen. Abends sitzen wir mit ihm und anderen Deutschen am Lautsprecher im deutschen Gasthaus von Tsingtau. Der deutsche Kurzwellensender läßt uns ein Stück Parteitag miterleben. Es war wie daheim.
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Nach dem Ende des Krieges und mit der Machtergreifung der Kommunisten war der Traum eines Deutsch-China aus. Mit dem Fortfall der ökologischen Bedingungen, die das Pidgin-Deutsch entstehen ließen, kam es zu seinem endgültigen Verschwinden.
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THOMAS STOLZ (BREMEN)
Koloniallinguistischer Konkurrenzkampf auf den Marianen: über Grammatik und Wörterbücher der Chamorrosprache im frühen 20. Jahrhundert
Abstract Auf dem Wege zu einer vollgültigen Koloniallinguistik mit Deutschlandschwerpunkt bedarf es der eingehenden kritischen Bestandsaufnahme aller Beiträge zur deskriptiven Grammatik und Lexikographie, die in der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft zu den Sprachen der kaiserlichen Schutzgebiete verfasst wurden. Am Beispiel der zwischen 1903 und 1918 erschienenen Arbeiten zum Chamorro (Marianen) zeigt dieser Beitrag auf, dass die Arbeiten fachgeschichtlich nicht isoliert voneinander untersucht werden dürfen, weil zwischen ihnen zum einen auffällige Ähnlichkeiten, aber auch erhebliche Diskrepanzen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Qualität, der Darstellungsweise und der Beispielgabe bestehen. Diese Ähnlichkeiten und Abweichungen werden an ausgewählten Beispielen dargelegt und erläutert. Abschließend werden Überlegungen dazu angestellt, welchen Gewinn die Chamorrosprecherschaft aus den frühen Arbeiten zu ihrer Sprachen ziehen kann.
1. Worum es geht Dieser Beitrag 1 setzt sich zum Ziel, die Hauptpublikationen der vier bekanntesten Grammatiker und Lexikographen des Chamorro aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vergleichend zu betrachten, um mögliche Bezüge unter den Texten und Idiosynkrasien der Autoren zu identifizieren. Ich verstehe meinen Beitrag als Vorbereitung für eine größer angelegte Vergleichsstudie, die u.a. der Frage möglicher koloniallinguistischer Schulenbildung nachgehen soll. Aus Zeit- und Platzgründen kann diesmal jedoch nur auf eine kleine Auswahl von interessanten Aspekten eingegangen werden, deren Besprechung zeigt, dass sich die Vertiefung des Themas aus der Sicht des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns lohnt. 1
Mein Aufsatz ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Universität Bremen geförderten Forschungsprojektes STO 186/13-1 Chamorrica – die kommentierte (Neu-)Edition und Übersetzung der frühen nicht englischsprachigen Quellen zum Chamorro (1668–1950) entstanden. Für zahlreiche hilfreiche Hinweise danke ich den Diskutanten meines inhaltlich als Vorläufer dieses Aufsatzes anzusehenden Vortrages auf der Tagung Deutschlands Koloniallinguistik, die im September 2009 während des Festivals der Sprachen in Bremen abgehalten wurde. Barbara Dewein gebührt ein Dankeschön für das Stöbern in der Familiengeschichte von Edward Ritter von Preissig.
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Thomas Stolz
Ich untergliedere dabei die Darstellung wie folgt. Zunächst stelle ich in Kapitel 2 die historischen Bedingungen dar, unter denen die noch vorzustellenden Koloniallinguisten tätig wurden. Kapitel 3 ist dann der Textgattung Grammatik gewidmet, wobei ich in lockerer chronologischer Ordnung vorgehe. Im Anschluss daran lege ich nur kurz das Augenmerk auf die verschiedenen Wörterbücher (Kapitel 4). In Kapitel 5 ziehe ich im Rahmen der Schlussfolgerungen das Fazit, indem ich die Frage beantworte, welchen Nutzen die zeitweilige “Überproduktion” im koloniallinguistischen Bereich etwa für die Objektsprache Chamorro selbst hatte. Die vier verschiedenen Systeme, die meine Hauptquellen zur graphischen Repräsentation des Chamorro verwenden, sind im Appendix synoptisch aufgeführt. Ihre detaillierte Besprechung erfordert u.a. wegen der notwendigen Miteinbeziehungen der traditionellen spanischen Kolonialorthographie eine separate Studie. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit verweise ich nur jeweils pauschal auf die Probleme der Transkription.
2. Zu den Umfeldbedingungen der Koloniallinguistik auf den Marianen Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts kam auch die 330 Jahre währende spanische Ära in Ozeanien und Südostasien ziemlich abrupt zu ihrem Abschluss. Nach der militärischen Demütigung Spaniens 1898 konnten die USA die Philippinen und Guam als Kriegsbeute in ihren Herrschaftsbereich eingliedern. Das deutsche Kaiserreich erwarb nur ein Jahr später alle restlichen spanischen Besitzungen in Mikronesien käuflich, so dass seit dem Zeitpunkt des spanischen Abschieds aus dem Pazifik die Marianen durch eine mal mehr mal weniger durchlässige politische Grenze in zwei verschiedene administrative Einheiten mit unterschiedlichem Status und z.T. wechselnder staatlicher Zugehörigkeit geteilt sind. Diese Trennung ist noch bis heute auch für das auf den Inseln gesprochene austronesische Chamorro in mehrerlei Hinsicht von großem Belang. An der Frühphase der Teilung lässt sich recht gut darlegen, wie die neuen Kolonialherren in ihren jeweiligen Gebieten bezüglich des Chamorro verfuhren und welche Folgen ihr jeweiliger Umgang mit der Sprache der Autochthonen auf den Fortbestand des Chamorro zeitigte. Die neuen Herren auf Guam und den Nördlichen Marianen wollten von Anfang an ihren Herrschaftsanspruch in den neuen Gebieten sichtbar und dauerhaft festschreiben. Das bedeutete auch die Schaffung eines ideologisch-politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Monopols, das keine Konkurrenz duldete. Guam sollte von Grund auf amerikanisch werden, genauso wie die Nördlichen Marianen als zu Deutschland gehörig erkennbar sein sollten. Zu diesem Ende war es nötig, mit den Inselbewohnern dergestalt kommunizieren zu können, dass sie im Sinne kolonialistischer Rechtfertigung und Ausbeutung indoktrinierbar wurden. Dies konnte nur auf sprachlichem Wege erreicht werden – und genau an diesem Punkt entstand ein Dilemma. Weder Englisch noch Deutsch
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hatten bei der Übertragung der Inseln auf die neuen Besitzer eine Basis in der Bevölkerung der Marianen. Die Durchsetzung der Sprachen der Kolonialherren in ihren jeweiligen Machtbereichen war zwar das (vielleicht nicht immer ganz explizit gemachte) Ziel, aber die sprachliche Unterweisung der neuen Untertanen war nicht billig zu haben, da Investitionen in das Schulwesen zu tätigen waren, die weder die amerikanische noch die kaiserliche Reichsregierung im nötigen Maße tragen wollte. Guam hatte zur Zeit der amerikanischen Inbesitznahme weniger als 10.000 Einwohner, wovon etwa 90% ethnische Chamorros waren (nach dem Zensus von 1901 kalkuliert, Rogers 1995: 125). Die Bevölkerungszahl auf den Nördlichen Marianen war im Jahre 1901 mit insgesamt 1903 Indigenen (davon zwei Drittel Chamorros und rund ein Drittel Karolinier) noch wesentlich kleiner (Seidel 1907: 197). Für die jeweiligen Regierungen der neuen Kolonialherren stellte sich mithin die Frage, wie viel das allgemeine Budget belastender Aufwand für neuerworbene Territorien betrieben werden sollte, auf denen nicht mehr Menschen als in einem großen Dorf oder einer Kleinstadt lebten. Besonders für die deutsche Kolonie galt Zeit ihres Bestehens das Arbeiten mit sehr beschränkten finanziellen Mitteln als oberstes Prinzip (Hardach 1990: 66). Die sprachliche Amerikanisierung und Germanisierung konnte mithin nur schrittweise d.h. mittel- oder langfristig ins Auge gefasst werden. Dieser Aufschub bedeutete aber gleichzeitig, dass man sich mangels hinreichender Verbreitung der Sprachen der Kolonialmächte anderer Sprachen bedienen musste, bis die Kenntnis des Englischen bzw. des Deutschen bei den Chamorros fester etabliert wäre. Da die geplante Vereinnahmung der Chamorros für die USA bzw. Deutschland den Bruch mit anderen kolonialen Traditionen der vorherigen Periode zwingend zu erfordern schien, schloss sich der Gebrauch des zumindest in der Spätphase der spanischen Kolonialzeit unter den alphabetisierten Chamorros gut bekannten Spanisch (RodríguezPonga 1999) von vornherein aus, auch wenn aus rein pragmatischen Gründen in den Anfangsjahren “zähneknirschend” immer wieder auch auf das Spanische zurückgegriffen werden musste (Rogers 1995: 119). Besonders im eher urban geprägten Umfeld der Hauptstadt Guams – damals Agaña, das heutige Hagatña – war eine kulturell und sprachlich stark hispanisierte Elite ansässig, deren Verhältnis zu den neuen Machthabern zumindest anfänglich unklar war (Rogers 1995: 118). Das Selbstverständnis dieser neuen Machthaber duldete die Kontinuität von kulturellen Traditionen nicht, die eine Bindung an den vorherigen europäischen Kolonialherren darstellten. Hier ging es auch um die Umorientierung von gewachsenen Loyalitäten. Das Schicksal des Spanischen auf den Marianen war besiegelt. Die administrativen, juristischen, militärischen, schulischen und religiösen Institutionen, die einst dem Spanischen Prestige und Funktionalität verliehen hatten, wurden sukzessive in Domänen des Englischen bzw. Deutschen umgewandelt. So mussten beispielsweise die spanischen Missionare vom RekollektenOrden 1907 den deutschen Kapuzinern Platz machen (Hardach 1990: 182–183). Da mit dem Abzug des spanischen Verwaltungs- und Militärpersonals sowie aller politisch Exilierten von den Marianen die Präsenz von Spanischmuttersprachlern außer-
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halb der Missionen auf den Inseln gegen Null tendierte, gab es für die amerikanische und deutsche Administration keinen ersichtlichen Grund, das Überleben des Spanischen in ihren Kolonien zu verlängern. Solange jedoch Englisch und Deutsch noch Fremdlinge in den neuen Besitzungen blieben, bot sich das Chamorro selber übergangsweise als Alternative zum politisch nicht gewollten Spanisch an. Über das Chamorro konnte direkter Zugang zur autochthonen Bevölkerung gesucht werden. Um das Chamorro in diesem Sinne einsetzen zu können, fanden Amerikaner und Deutsche allerdings relativ schlechte Bedingungen vor. Das koloniallinguistische Erbe aus der spanischen Ära fiel nämlich recht bescheiden aus (Albalá 2002). Sieht man von der Anfang des 20. Jahrhunderts in gedruckter Form noch nicht zugänglichen, aber bereits 1668 von Sanvitores verfassten Chamorro-Grammatik ab (Burrus 1954), gab es lediglich fünf für das Chamorro überhaupt relevante gedruckte Texte, die allesamt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts publiziert wurden, darunter ein Spanisch-ChamorroWörterbuch (Ibáñez del Carmen 1865a) und eine Grammatik des Spanischen auf Chamorro (Ibáñez del Carmen 1865b), die beide für den Spanischunterricht auf den Marianen dienen sollten. Die übrigen Texte waren spanisch-chamorrische Bilinguen religiösen Inhalts. Diese Materialien konnten eine vollgültige deskriptive Grammatik des Chamorro natürlich nicht ersetzen, sondern bestenfalls dazu dienen, bei der Abfassung einer solchen Hilfestellung zu leisten. Das galt selbstverständlich auch für die in europäischen Reiseberichten des frühen 19. Jahrhunderts verstreuten Informationen über das Chamorro. Daher sahen sich die amerikanischen und deutschen Kolonialverwaltungen genötigt, aus eigener Kraft möglichst schnell die bestehenden Lücken zu füllen, indem Grammatiken, Wörterbücher und Textsammlungen für das Chamorro erstellt wurden. Dies musste von den koloniallinguistischen Pionieren auf Guam und den Nördlichen Marianen weitgehend ohne Vorbereitung geleistet werden, da Kenntnisse über das Chamorro vor der Inbesitznahme der ehemaligen spanischen Kolonien weder in den USA noch in Deutschland vorhanden waren. In diesem Sinne haben die frühen Grammatiker und Lexikographen des Chamorro Beachtliches geleistet, was jedoch ohne den Zugriff auf verschiedene (z.T. heute verschollene) grammatikographische und lexikographische Manuskripte lokaler Experten und ohne die Arbeit mit Muttersprachlern vor Ort gar nicht denkbar gewesen wäre. In der Periode 1898–1920, die unmittelbar auf die Ablösung der spanischen Kolonialmacht durch die USA und Deutschland folgt und bis zum offiziellen Ende der Ansprüche Deutschlands auf seinen ehemaligen Kolonialbesitz durch die Mandatsbeschlüsse der Vereinten Nationen reicht, beobachten wir eine regelrechte Flut von koloniallinguistischen Publikationen zum und z.T. auch auf Chamorro. Dabei fällt besonders auf, dass nicht nur die amerikanische und die deutsche Seite ihre jeweils eigenen Sprachbeschreibungen des Chamorro lieferten, sondern auch für Guam und die Nördlichen Marianen jeweils doppelte Arbeit geleistet wurde. So gab es gleich zwei Grammatiken für den Gebrauch auf Guam (Safford 1903–1905, wieder veröffentlicht 1909 und Von Preissig 1918, darin enthalten auch ein Wörterbuch), zwei Grammatiken
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(Fritz 1903, Lopinot 1910b) und zwei Wörterbücher (Fritz 1904, wieder veröffentlicht 1908 und Lopinot 1910a) für den Gebrauch auf den Marianen. Wenigstens auf der deutschen Seite lässt sich die Koexistenz von mehreren Grammatiken und Wörterbüchern als Ausdruck des zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen auf lokalem Niveau auf den Nördlichen Marianen ausgefochtenen Kulturkampfs d.h. als koloniallinguistisches Konkurrenzgebaren verstehen. Auf die im koloniallinguistischen Kontext etwas abseits stehende auf Niederländisch verfasste vergleichende Grammatik von Kats (1917) weise ich nur an und an hin, da sie im Gegensatz zu den oben genannten Arbeiten nicht durch Feldarbeit auf den Marianen und im Kontakt mit den Muttersprachlern erstellt wurde. Wegen des relativ großen zeitlichen Abstands der Veröffentlichung spielt auch die Chamorrogrammatik von Costenoble (1940) in diesem Beitrag keine größere Rolle. Zu den Arbeiten von Fritz, Lopinot, Kats und/oder Costenoble u.a.m. geben auch Stolz (im Druck), Stolz et al. (im Druck), Vossmann (in diesem Band) und Dewein (in diesem Band) Auskunft. 2 Die im Zeitraum vor 1920 erschienen japanischen Arbeiten zum Chamorro sind gegenwärtig noch nicht hinreichend gesichtet, um in eine Vergleichsstudie eingehen zu können. Im großen Stil kann der Gesamtvergleich all dieser Texte nur in Form einer Monographie erfolgen, zu der dieser Beitrag als einer der nötigen vorbereitenden Schritte zu werten ist.
3. Grammatiken In diesem Kapitel gehe ich auf eher allgemeine Aspekte ein, die sich mit den verschiedenen Grammatiken des Chamorro verbinden. So können die verschiedenen Autoren vorgestellt und ihre Einordnung in die Zeit- und Fachgeschichte vorgenommen werden. Um ihre Bezüge untereinander wenigstens anzudeuten, muss ich jedoch immer wieder auch auf inhaltliche Details eingehen, welche die Form der Darstellung einzelner sprachlicher Phänomene betreffen.
3.1. Safford Die Bezeichnung Grammatik im Sinne einer möglichst umfassenden Beschreibung des Chamorro verdient von allen hier zu besprechenden Texten am ehesten noch Saffords Beitrag, der auch chronologisch am Anfang der uns hier interessierenden koloniallinguistischen Hausse steht. William Edwin Safford (1859–1926) ist allgemein als Botaniker bekannt geworden, nutzte aber seinen relativ kurzen Aufenthalt von 1899–1900 als 2
Eine Inventarisierung der deutschen Beiträge mit Marianen- und Chamorrobezug bietet die hilfreiche kommentierte Bibliographie von Spennemann (2004). Hier finden sich auch alle nicht als deskriptiv-linguistisch anzusehenden Schriften von Georg Fritz und Callistus Lopinot verzeichnet, die ich in meinem Literaturverzeichnis nicht explizit aufführe.
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Stellvertreter des amerikanischen Marinegouverneurs auf Guam u.a. dazu, die erste der Allgemeinheit zugängliche grammatische Beschreibung des Chamorro zu verfassen (Rogers 1995: 117–120). Diese Grammatik erschien zunächst in fünf Teilen in Aufsatzform in der Zeitschrift American Anthropologist: •
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1903a – Teil I American Anthropologist 5 (2), 289–311, [enthält neben der Einleitung die ersten vier deskriptiven Kapitel: I. Orthoepy and pronunciation – Modification of vowels; II. The article – no indefinite article – Articles before proper nouns; III. The noun – prefixes – infixes – affixes; IV. The pronoun – Pronominal prefixes to verbs – definite and Indefinite relatives], 1903b – Teil II American Anthropologist 5 (3), 25–46, [enthält die Kapitel V–VI: V. Possessives – Suffixes – Independent possessives – Possessive suffixes with verbs; VI. Adjectives – Adjectival prefix ma – Ligature na, or nga connecting attributive adjectives with nouns], 1904a – Teil III American Anthropologist 6 (1), 95–117, [enthält Kapitel VII und den Anfang von VIII: VII. Numeration – Etymology of numerals – Adjective ligatures – Modes of counting; VIII. The Verb – No copulative – Denominatives Reduplication – Sharp distinction between transitive verbs], 1904b – Teil IV American Anthropologist 6 (4), 501–534, [setzt Kapitel VIII fort: Infixes – Many forms of conjugation], 1905 – Teil V American Anthropologist 7 (2), 305–319. [schließt die Darstellung ab mit: IX. Verbal directive and locative particles; X. Adverbs – Adjectives used in place of adverbs; XI. Prepositions – Prepositional suffixes to verbs; XII. Conjunctions; XIII. Interjections].
Mit einer Liste von Errata und Corrigenda (Safford 1909: ix–x) versehen wurden diese Texte ohne weitere Änderungen oder Zusätze als Buchpublikation von Safford schon wenige Jahre später als Safford (1909) wieder herausgegeben. Sie ist mit 119 Druckseiten Umfang die ausführlichste der genuin koloniallinguistischen Grammatiken vor der Veröffentlichung von Costenoble (1940). Die der Seitenzahl nach umfänglichere vergleichende Grammatik von Kats (1917) gehört in einem gewissen Sinne einem anderen fachlichen “Genre” an und kann zudem qualitativ bei weitem nicht mit Saffords Leistung mithalten. Die Beiträge von Fritz (1903), Lopinot (1910b) und Von Preissig (1918) sind mit ihren jeweils 20–30 Seiten Länge eher als grammatische Skizzen denn als vollgültige Grammatiken zu bezeichnen. In der Buchveröffentlichung von Saffords Werk finden wir eine interessante Widmung zu Ehren des “illustrious Chamorro and Christian gentleman José Bernardo Palomo y Torres, parish priest of Agaña as a token of gratitude for his kindly assistance in the preparation [of] this little work”. 3 Der auf diese Weise Geehrte ist außerdem auf
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Safford (1903a: 290) erwähnt auch noch Don Juan de Torres, den chamorrostämmigen Zahlmeister aus spanischer Zeit, als hilfreichen Kontakt während seiner kurzen Zeit auf Guam. Über de Torres ist sonst im koloniallinguistischen Kontext nichts bekannt.
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einem fotografischen Frontispiz in priesterlichem Ornat abgebildet. 4 Safford (1903a: 289–290) erwähnt zudem noch dankend, dass Palomo ihm Einsicht in ein handschriftliches Wörterbuch, das ein namentlich ungenannter Kleriker noch zur spanischen Zeit auf Rota niedergeschrieben hatte, gewährte und ihm auch ansonsten mit Rat und Tat zu Verfügung gestanden habe. In dem unpaginierten Vorwort zu seinem Chamorro-Wörterbuch schreibt Lopinot (1910a) bezüglich des grammatischen Anhangs, dass sich dieser “auf ein Manuscript von Msgr. Jose Palomo” stützt (und zur Abfassung zusätzlich Saffords o.g. Arbeiten im American Anthropologist zu Rate gezogen wurden). Es stellt sich hier die Frage, ob Safford dieses heute als verschollen geltende Grammatikmanuskript aus der Feder seines engen persönlichen Freundes (Rogers 1995: 118) José Palomo bereits kannte und für die Abfassung seiner Chamorro-Grammatik wenigstens als Orientierungshilfe, wenn nicht gar als Vorlage nutzte. Palomo kann als Bindeglied zwischen den von spanischer Seite Ende des 19.Jahrhunderts unternommenen Bemühungen bezüglich des Chamorro und der im frühen 20. Jahrhundert einsetzenden Welle von koloniallinguistischen Arbeiten verstanden werden, zumal auch Von Preissig (1918: 1) explizit darauf hinweist, dass er im Einverständnis mit Safford dessen Werk für seine Zwecke genutzt hat. Palomo (1836–1919), der erste chamorrostämmig Priester der Marianen überhaupt, war engster Mitarbeiter von Aniceto Ibañez del Carmen (1828–1892), dem Gemeindepfarrer von Agaña, in dessen Namen sämtliche erhaltene Druckwerke auf Chamorro aus den letzten vier Jahrzehnten der spanischen Herrschaft erschienen sind. Es wird angenommen, dass ihn bei diesen Publikationen der dort jedoch stets ungenannt gebliebene Palomo tatkräftig unterstützt hat (Albalá 2002: 649). Das Spanisch-Chamorro Wörterbuch (Ibañez del Carmen 1865a) und die Devoción (Ibañez del Carmen 1887) zählt Safford ausdrücklich unter die von ihm als hilfreich empfundenen Quellen für seine Arbeit an der Chamorro-Grammatik (Safford 1903a: 289). Möglicherweise hat die fehlende Würdigung von Palomos Anteil an diesen und anderen gemeinsamen Arbeiten zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden Klerikern geführt 5, so dass Palomo in der Spätphase der spanischen Kolonialzeit unter eigenem Namen publiziert haben soll. Der ihm zugeschriebene Katechismus auf Chamorro (datiert auf 1887) ist jedoch heute unauffindbar. 6 Auf jeden Fall darf Palomo als geschulter und erfahrener Philologe betrachtet werden, der seine Muttersprache ebenso wie das Spanische sehr gut beherrschte. Da 4 5 6
Außerdem gedenkt Safford (1903a: 311) seinem Chamorrofreund noch durch den Beispielsatz: Mafanaan José Palomo i pale ni i fumânâgue yô ‘José Palomo heißt der Padre, der mich gelehrt hat.’ Auf diesen Umstand macht mich dankenswerterweise Rafael Rodríguez-Ponga (Madrid) in einer persönlichen Mitteilung aufmerksam und nennt als Quelle die spanische Enzyklopädie von 1920. Blake (1920: 52) führt den Text unter Palomo, José. Catecismo de la doctrina cristiana ... traducido al ... chamorro. Manila, 1887. pp. 69. 8 noch bei seiner Bestandsaufnahme der philippinistischen Titel in der Universitätsbibliothek von Manila auf. Eine von mehreren Experten in Spanien, auf den Marianen und in Australien unterstützte Recherche im Jahre 2009 hat erbracht, dass die Existenz des Titels in den Beständen keiner elektronisch zugänglichen Bibliothek weltweit nachgewiesen ist.
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seine Expertise auf jeden Fall in das Werk Saffords und Lopinots eingeflossen ist, dürfen wir von einer gewissermaßen verdeckten koloniallinguistischen Tradition sprechen, durch die alte und neue Kolonialzeit miteinander verbunden sind. Ob sich aus den Texten, auf die Palomo Einfluss ausgeübt haben soll, sein Beitrag vergleichend rekonstruieren lässt, ist eine Frage, die ich hier aus Platzgründen unbeantwortet lassen muss. Saffords (1903a: 289) eher en passant gegebenen Verweise auf die in den Reiseberichten von Chamisso (Kotzebue-Expedition) und Gaimard (Freycenet-Expedition) enthaltenen, aus den Jahren 1817 und 1819 stammenden kurzen Vokabularien des Chamorro interpretiere ich so, dass hier eher die Belesenheit des Autors demonstriert als eine inhaltliche Bezugnahme vorgenommen werden sollte. Ansonsten stellt der amerikanische Pionier der Chamorrolinguistik seine eigenen Ausführungen wiederholt in den weiteren Zusammenhang der zu seiner Zeit erst langsam Gestalt annehmenden Austronesistik, indem er an verschiedenen Stellen Arbeiten zu anderen Sprachen des pazifischen Raumes zitiert. Im Vorwort zur Wiederveröffentlichung (Safford 1909: v–vi) werden zudem mehrere Arbeiten zu polynesischen und philippinischen Sprachen explizit erwähnt, die seit der Erstveröffentlichung seiner Beiträge zum Chamorro erschienen waren und mögliche Anknüpfungspunkte für vergleichende Studien boten. Gelegentlich (wenn auch unsystematisch) gibt es in den Kapiteln zur deskriptiven Grammatik des Chamorro Vergleiche mit anderen austronesischen Sprachen (z.B. hinsichtlich der Numeralia für den Wert 1000 für die Pampango, Tagalog, Malaiisch, Madegassisch und Hawaiianisch herangezogen werden [Safford 1904a: 100–101]). Noch etwas sparsamer geht Safford mit Hinweisen auf Parallelen in europäischen Sprachen um, die sich geballt nur bei der Beschreibung des Lautwesens finden (Safford 1903a: 296). Für alle Phänomene die er in Bezug auf das Chamorro bespricht, legt Safford passende Beispiele vor und übersetzt diese grundsätzlich ins Englische. Während Morphemtrennstriche zur Gliederung von Beispielwörtern nur sehr selten Anwendung finden, bedient sich der Autor des Fettdrucks, um Wörter in Sätzen oder Teile von Wörtern (“Morpheme”) graphisch hervorzuheben und ihre Analyse zu erleichtern. Der Autor beschränkt sich nicht darauf, nur Formen und Paradigmen aufzuzählen, sondern gibt in den verschiedenen Unterkapiteln stets Beschreibungen und Erklärungen, die fachsprachlich auf der Höhe der Zeit waren. Sieht man vorerst bei der Beurteilung von den Einzelheiten ab, macht diese frühe Grammatik alles in allem einen vielversprechenden Eindruck – und sticht damit ebenfalls gegenüber den übrigen Werken der Epoche hervor.
3.2. Fritz Georg Fritz (1865–1944) war der erste und einzige Bezirksamtmann von Saipan, wo er ab 1899 bis zur Verwaltungsreform der mikronesischen Besitzungen des deutschen Kaiserreichs im Jahre 1907 tätig blieb und die Inseln von seinem neuen Amtssitz in Yap aus noch kurze Zeit bis zu seinem Ausscheiden aus dem Kolonialdienst 1910 administrativ weiter mit betreute. In seinem als stark paternalistisch charakterisierten Stil der
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kolonialen Herrschaftsausübung zeichnete sich der bekennende Antisemit durch eine den Chamorros, ihrer Kultur und Sprache gegenüber positive Förderungspolitik aus (Hardach 1990: 77–78), die sich auch an seinen einschlägigen Veröffentlichungen ablesen lässt. In der international noch heute bekanntesten Arbeit 7 – ein breit angelegter ethnographischer Bericht über die Marianen, die Chamorros, ihre Geschichte, Kultur usw. – ist bereits eine kurze Passage über die Chamorrosprache enthalten (Fritz 1901: 96–100). In ihr verweist Fritz (1901: 96) auf seine erst zwei Jahre später erschienene Grammatik (Fritz 1903) und das noch ein Jahr später publizierte Wörterbuch (Fritz 1904). Dabei nennt er als Zweck seiner Materialien ihren potentiellen Nutzen für die Vergleichende Sprachwissenschaft, die der Verwandtschaft des Chamorro mit den Sprachen der Philippinen und dem Malaiischen nachgehen möchte (Fritz 1901: 96). Auf nicht ganz fünf Seiten skizziert der Autor dann einige wenige ausgewählte Eigenschaften des Chamorro, die ihm wohl für seine prospektive Leserschaft besonders interessant erschienen, nämlich zunächst zusammen auf ganzen 22 Zeilen • • • • • •
die vermeintliche Absenz des rhotischen Konsonanten // bei den Liquiden, die Verwendung eines Artikels mit einer besonderen Form für Eigennamen, die unterschiedliche Pluralbildung bei Substantiven und Adjektiven, die Steigerung von Adjektiven mittels Prä- und Suffixen, die Bildung des Verbs durch Infigierung von –um-, eine Reihe von thematisch nicht weiter eingeordneten und unerklärt gelassenen Beispielen für verschiedene Wortformen und syntaktische Kontexte eines bestimmten Beispielwortes (s.u.).
Ohne auf die nicht immer gegebene Korrektheit von Fritzens Beobachtungen einzugehen, darf man sagen, dass Fritz es gänzlich seinen Lesern überlässt, in der Beispielliste anhand der deutschen Übersetzungen Belege für die Phänomene zu finden, die er zuvor im Telegrammstil benannt hat. Wahrscheinlich schätzt Fritz seine Leserschaft durchaus richtig ein, wenn er den Numeralia, Maßen und Gewichten, dem Kalender und den Himmelsrichtungen wesentlich mehr Raum zubilligt d.h. etwa vier Seiten. Als Numeralia führt er die vorspanischen austronesischen Numeralia an, die er “einer Handschrift aus dem 18. Jahrhundert” entnommen habe, während “heute … nur die spanischen Zahlen in Gebrauch [sind]” (Fritz 1901: 96). Welche Handschrift dies sein könnte, wird bedauerlicherweise an keiner Stelle präzisiert. Die alten Chamorro-Numeralia üben seit Chamisso auf alle Autoren der fraglichen Periode eine erstaunliche Anziehungskraft aus, obwohl – oder gerade weil – sie gegenüber den längst dominanten spanischen Numeralia als praktisch ausgestorben (Lopinot 1910b: 7) oder als dialektales und soziolektales Charakteristikum der Varietät älterer Bewohner von Rota (Fritz 1903: 7) angesehen wurden. Safford (1904a: 95–104) widmet ihnen mehrere Unterkapitel und auch Kats (1917: 102–107) geht ausführlich auf die austronesischen Numeralia ein, wobei er behauptet, dass die spanischen Numeralia 7
Der Text ist in Buchform 1986 in englischer Übersetzung erschienen (Fritz 1986).
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typisch für Guam, die vorspanischen hingegen ein Zug des Chamorro von Saipan seien (Kats 1917: 102). Noch Costenoble (1940: 259–265) bestätigt indirekt die Angaben von Fritz und Kats über die dialektale Verteilung; auch er behandelt die alten Numeralia viel ausführlicher als die alltäglich gebräuchlichen aus dem Spanischen entlehnten und beruft sich dabei ganz entgegen seiner sonst so kritisch-ablehnenden Haltung seinen Vorgängern gegenüber explizit auf Fritz (1903) und Lopinot (1910b). Dahingegen sieht Von Preissig (1918: 15) ganz pragmatisch von einer Besprechung der “interesting, but now obsolete, old numeral system” ab. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass mit der Praxis, ein eigentlich für die Gegenwartssprache irrelevantes Phänomen recht breit zu beschreiben, unterschwellig das Ziel verfolgt wurde, das spanische Element im Chamorro herunter zu spielen. Der sprachideologische Symbolwert der vorspanischen Numeralia ist auch für die heutigen Sprachaktivisten unter den Chamorros enorm, so dass die Wiedereinführung und der ausschließliche Gebrauch der alten Numeralia vehement propagiert werden. Chronologisch geht Fritzens kurzer Ausblick auf die Chamorrosprache der Erstpublikation von Saffords grammatischer Beschreibung zwar um zwei Jahre voraus, aber es kann kaum die Rede von einer grammatischen Skizze, geschweige denn von einer Grammatik sein. Aus dem Text von Fritz (1901) geht wie bereits angedeutet hervor, dass er eine Grammatik und ein Wörterbuch des Chamorro in Planung hatte, wobei bereits das Publikationsorgan (die Mittelungen des Seminars für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin) feststand, wo dann aber nur die Grammatik publiziert wurde. Das Wörterbuch kam – wohl seines Umfangs wegen – in Buchform im Archiv für das Studium deutscher Kolonialsprachen heraus. Die Grammatik selbst umfasst 27 Druckseiten und handelt in aller Kürze folgende Oberthemen ab: Schreibweise und Aussprache (S. 2), Artikel und Substantiv (S. 3–5), Adjectiv (S. 5–7), Zahlwort (S. 7–9), Pronomen (S. 9–11), Interjection (S. 11–12), Verb (S. 12–20), Adverb (S. 20–24), Präposition (S. 24–25), Conjunction (S. 25–27). Wie schon in dem kleinen Kapitel über Sprache in Fritz (1901) kommt der Autor über weite Strecken mit einer nur spärlich kommentierten Beispielgabe aus. Im Wesentlichen begnügt sich Fritz damit, knappe Hinweise zu geben. So heißt es beispielsweise lapidar “sein (wird nicht ausgedrückt)” (Fritz 1903: 15), als die Kopulalosigkeit der Sprache thematisiert werden sollte. Was das Fehlen der Kopula syntaktisch und für die Unterscheidung von Wortklassen im Unterscheid zum Deutschen bedeutet, verschweigt Fritz bzw. überlässt die Verdeutlichung den von ihm anscheinend für selbsterklärend gehaltenen Beispielen. Ganz anders Safford (1904a: 106), der dem Phänomen eine zwar ebenfalls knappe, aber eben sachkundige Passage widmet. Nicht nur weist er auf vergleichbare Eigenschaften des Hebräischen hin (ohne allerdings zu präzisieren, dass die hebräische Kopulalosigkeit nur im Präsens gegeben ist, während sie im Chamorro generell gilt), sondern er zieht auch die korrekte Schlussfolgerung, dass die Absenz der Kopula strukturelle Auswirkungen hat, da auf diesem Wege nämlich “the necessity of
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denominative verbs”, also die verbale Behandlung nominaler Prädikate entstehe. Dies steht logisch im Zusammenhang mit Saffords (1904a: 105) Beobachtung, derzufolge “[a]lmost any word in the Chamorro language may be used as a verb.” Lopinot (1910b: 17–18) und Von Preissig (1918: 22) machen ähnliche Beobachtungen, wobei dieser von jenem “abgeschrieben” zu haben scheint (s.u.). Die Herstellung von Zusammenhängen der genannten Art ist Fritz hingegen völlig fremd; die sprachinternen strukturellen Verbindungslinien interessieren ihn nicht. Fritz setzt darauf, dass seine Leser die deutsche Schulgrammatik kennen, die das Raster für seine Chamorrogrammatik bildet – und somit einem weit verbreiteten koloniallinguistischen Prinzip folgt (Henning 2009). Man kann somit Fritz eine gewisse analytische Hilflosigkeit gegenüber der fremden Sprachstruktur attestieren – eine Hilflosigkeit, die ihn gegenüber dem vergleichsweise souverän argumentierenden Safford als philologischen Laien kennzeichnet, der eher einen praktischen Zugang zum Chamorro hatte. Dennoch muss die Leistung von Fritz gewürdigt werden, zumal ja auch seine Publikationen (ähnlich wie die von Safford) bereits relativ kurze Zeit nach Ankunft auf den Marianen in Druck gegangen waren. Eine lange Vorbereitungs- und Produktionszeit hat es offensichtlich nicht gegeben, so dass sich ganz automatisch die Frage ergibt, woher Fritz in so kurzer Zeit seine oft wackligen, letztlich aber doch recht ansehnlichen Kenntnisse in einer ihm zuvor völlig unbekannten Sprache gezogen haben mag. Auf den ersten Seiten seiner Grammatik (Fritz 1903: 1–2) identifiziert er die ihm damals bekannten Schriften mit Chamorrobezug, nämlich Ibañez del Carmen (1863, 1865a–b) sowie einige aus dem Archiv der spanischen Kolonialverwaltung stammende “Gouvernementsverfügungen in der Eingeborenensprache” (Fritz 1903: 2), über deren heutigen Verbleib mir zur Zeit der Abfassung dieses Artikels nichts Näheres bekannt ist. Trotz der geringen Zahl von Texten, die aus spanischer Zeit überkommen waren, fällt auf, dass Fritz und Safford nur hinsichtlich der Verwendung von Ibañez del Carmens Spanisch-Chamorro-Wörterbuch übereinstimmen. Dass zwischen der Vorankündigung der Grammatik in Fritz (1901) und ihrer Umsetzung (Fritz 1903) noch einige grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Interpretation von Eigenschaften des Chamorro und ihrer angemessenen Darstellung getroffen wurden, erkennt man leicht daran, dass Fritz (1903: 2) mit einem neuen Transkriptionssystem (“Orthographie”) aufwartet, das er für die Beispielgabe, Eigennamen und Originalliedtexte in seiner vorherigen ethnographischen Schrift – von einer kleinen Zahl von Einzelfällen abgesehen – nicht verwendet hatte. Im Vergleich von Fritzens frühesten Schriften ergibt sich, dass das emphatische Pronomen der 2. Person Singular in Fritz (1901: 96) noch ohne Diakritikon als hago ‘du’ verzeichnet wird, aber als hågo in Fritz (1903: 9) erscheint, mit für die hintere Qualität des tiefen Vokals (so auch in der heutigen Schreibnorm: hågu ‘du’). Die Einführung der an deutschen Schreibkonventionen orientierten neuen Orthographie unter Verzicht auf das etablierte spanisch-basierte Kolonialalphabet wird zwar rein praktisch mit der besseren Eignung des neuen Systems begründet (Fritz 1903: 2), ist aber ganz unverkennbar ein gewollter Bruch mit der Ver-
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gangenheit. Safford (1903a: 293) weicht ebenfalls gelegentlich von der älteren spanischen Schreibpraxis ab, ist darin aber keineswegs radikal. Betrachtet man jedoch die entsprechenden Passagen, in denen beide Autoren über Fragen des Lautwesens und der Schreibung handeln, fallen einem alsbald überraschende Parallelen auf. Der Kürze halber werfe ich nur auf zwei recht auffällige Übereinstimmungen ein Schlaglicht. Zunächst ist ein Wort zu den Diakritika angemessen. Sowohl Safford (1903a: 294) als auch Fritz (1903: 2) führen für die exakte Wiedergabe der Quantitäten der Vokale des Chamorro verschiedene diakritische Zeichen ein. Aus heutiger Sicht mutet diese Entscheidung befremdlich an, da es keine phonematische Längenkorrelation im Chamorro gibt. Bei den verwendeten Sonderzeichen handelt sich in beiden Fällen um die Superskripte Breve für vokalische Kürze (= ) und Makron für die lange Quantität (= ). Safford (1903a: 294) bemerkt, dass das Makron auch weggelassen werden kann. Dennoch stutzt man, wenn auf weit über 100 Seiten mit zahllosen Beispielen weder Makron noch Breve benutzt werden. Fritz (1903) setzt die Diakritika wesentlich häufiger ein, lässt aber die letzte Konsequenz vermissen, da ab S. 16 seines Textes der schon zuvor eher sporadische Gebrauch des Breve-Zeichens praktisch zum Erliegen kommt und auch das Makron immer seltener gesetzt wird. Lopinot (1910b) enthält zwar keine Lautlehre, aber in seinem Wörterbuch sind – allerdings sehr vereinzelt – Schreibungen mit Breve bzw. Makron zu finden – und zwar hauptsächlich dort, wo vermeintliche Minimalpaare vorliegen: z.B. bŏbo ‘Quelle’ und bōbo ‘ausspucken’ (Lopinot 1910a: 99). Tatsächlich differieren die beiden Wörter in ihren Segmentketten nicht hinsichtlich der Vokallänge. Die heutigen Lexikonformen sind sogar identisch, d.h. wir haben es mit Homonymen zu tun: bo’bo’ ‘Quelle’ und bo’bo’ ‘hervorsprudeln’. Der zweimal silbenschließende Glottalverschluss (= ) wird in Lopinots Transkription nicht verzeichnet; er wäre nach Saffords (1903a: 294) Konvention durch einen Zirkumflex auf dem vorangehenden Vokal zu kennzeichnen gewesen, also *bôbô. Von Preissig (1918: 4–6) spricht nicht mehr von Längenunterschieden. Das einzige Diakritikon, das er verwendet, ist wiederum der Zirkumflex für “a peculiar pronunciation of the vowels” (Von Preissig 1918: 6), womit er allem Anschein nach auf den Glottalverschluss anspielt, der schon bei Safford (1903a: 294) nur indirekt über die “guttural vowels” erschließbar war. Fritz (1903: 2) ist nebenbei bemerkt der einzige unter den frühen Grammatikern des Chamorro, der ein eigenes Graphem für den Glottalverschluss einführt (= den “Apostroph”), um die Heterosyllabizität von vermeintlichen Vokalsequenzen (allerdings mit Absicht nur optional) anzugeben. Für ihn handelt es sich aber nicht um einen eigenständigen Konsonanten, sondern nur um den intervokalischen Hiatus. Safford und Fritz haben mit großem Aufwand graphische Differenzierungen eingeführt, die außer bei Kats (1917) – dort unkommentiert – von ihren Zeitgenossen nicht übernommen werden. Costenoble (1940: 10) arbeitet zwar ebenfalls mit Breve und Makron, stellt aber einen Zusammenhang mit der Akzentstelle und der “Länge der Silbe” her (Costenoble 1940: 5–6), womit er vermutlich das Gewicht von offenen und geschlossenen Silben meint und auf diesem Wege dem Kern des “Problems” tatsächlich nahekommt. Dass mit Safford und Fritz gleich zwei Koloniallinguisten auf Ähnliches verfallen
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ist zwar nicht auszuschließen, lässt aber doch aufhorchen, besonders wenn man an die wenig konsequente Umsetzung der doch für wichtig gehaltenen Konventionen denkt. Die zweite nicht ganz selbstverständliche Parallele zwischen den Arbeiten von Fritz und Safford führt uns zunächst zum allerersten Text des deutschen Bezirksamtsmanns zurück. Die Beispiele, die Fritz (1901: 96) gibt, kreisen um das Wort kollat ‘Zaun; einzäunen’ (< Spanisch corral ‘Garten’) und seine Morphosyntax. Sieht man von den sachlichen Fehlern in Fritzens Beispielen einmal ab 8, leuchtet der Gebrauch genau dieses Beispielwortes nicht unmittelbar ein. Da nun auch Safford (1903a: 295) dasselbe Wort (in der Form kólat) verwendet, um einige Prinzipien seines Transkriptionssystems zu erläutern, liegt die Vermutung nahe, dass dies ebenfalls nicht ganz zufällig ist. Es ist nichts darüber bekannt, dass die beiden frühen Grammatiker des Chamorro in irgendeiner Weise Gedankenaustausch betrieben hätten. Ganz gelegentliche Kontakte zwischen den beiden Kolonien hat es zwar gegeben, aber ob sie sich auch auf Fragen bezüglich der Chamorrosprache erstreckten, kann hier nicht mit Bestimmtheit entschieden werden. Wenn überhaupt einer der beiden Autoren von den Ideen des anderen Kenntnis nehmen konnte, dann eventuell Safford – und zwar auf der Basis der wenigen Seiten zur Sprache, die in Fritz (1901) enthalten sind. Ein anderes Szenario, das ich nicht ganz für unwahrscheinlich halte, gestaltet sich wie folgt. Die Übereinstimmungen zwischen Safford und Fritz sind nicht gegenseitigem “Abschreiben” geschuldet, sondern zeigen, dass beide Autoren Zugang zu ein und derselben Quelle gehabt haben müssen, in der u.a. die Bezeichnung von Kurz- und Langvokalen angesprochen sowie das Beispielwort kollat als Einstieg in die Chamorrosprachstrukturen geboten wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass diese gemeinsame Quelle das verschollene Manuskript aus der Feder von José Palomo oder eine (Teil-)Abschrift davon gewesen ist. Da Lopinot ja Zugriff auf dieses Manuskript gehabt haben will (s.o.) und er nur in den deutschen Kolonien, nicht aber auf Guam tätig war, besteht die Möglichkeit, dass von besagtem Manuskript Kopien sowohl auf Guam als auch auf Saipan (und/oder andernorts auf den Marianen) vorhanden gewesen sind, zumal Palomo noch zur spanischen Zeit mehrmals kirchliche Aufgaben auf Saipan zu erledigen hatte. Wäre dies die zutreffende historische Deutung, müsste man allerdings Georg Fritz unterstellen, dass er eine seiner Quellen willentlich ungenannt ließ. In Fritz (1903: 3) kommt kollat nur noch unter ferner liefen als eines von vielen Beispielwörtern vor. 9 Weder Lopinot (1910b) noch Von Preissig (1918) benutzen kollat, um die grammatischen Eigenschaften des Chamorro vorzuführen. 8
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So unterschlägt Fritz (1901: 96) zunächst den sog. Umlaut nach dem generellen (“definiten”) Artikel: seine Bildung i kollat ‘der Zaun’ muss korrekt i kellat lauten. Bei i dankulo ra kollat ‘der große Zaun’ ist ra sicher ein Verschreiber für die Linkerpartikel na, ebenso ist der persönliche Artikel bei zi Huan ‘Juan’ statt si Huan wohl nur ein Druckfehler. In der Grammatik von Fritz (1903) sind solche Fehler jedenfalls bereits ausgemerzt. Als Beispiel für die Bildung von Nomina Agentis (bei Fritz: Berufsbezeichnungen). Dabei gibt Fritz (1903: 3) i kíkollat ‘der Zaunmacher’ an – statt i kékollat, wie es noch – aus heutiger Sicht korrekt – in Fritz (1901: 96) hieß.
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Solange das verschollene Manuskript von José Palomo nicht gefunden bzw. seine Existenz widerlegt werden kann, steht und fällt die Plausibilität der obigen Hypothese, dass Safford und Fritz sich an eine gemeinsame Quelle anlehnen, mit der Identifikation einer möglichst großen Zahl von Übereinstimmungen in ihren Grammatiken. Solche gibt es – wie es jedoch eine Unmenge von Divergenzen gibt. Die Ähnlichkeiten können zudem wenigstens teilweise dem Zufall oder dem traditionellen Aufbau von Sprachbeschreibungen nach schulgrammatischem Modell geschuldet sein. Hier hat erst noch eine minutiöse Bestandsaufnahme stattzufinden, die unbedingt auch die Beiträge von Lopinot und Von Preissig mit einzubeziehen hat.
3.3. Lopinot Callistus Lopinot (1876–1966) hat wie Safford nur sehr kurze Zeit auf den (Nördlichen) Marianen verbracht, wohin er 1907 von den Kapuzinern beordert wurde, nachdem dieser Orden die spanischen Rekollekten offiziell ablösen sollte. Schon 1909 verließ er jedoch Saipan bereits wieder (in Richtung Yap), weil es zu Konflikten mit der Kolonialverwaltung speziell in Person von Georg Fritz gekommen war (Hardach 1990: 183– 185), die noch heftige Nachwirkungen haben sollten. 10 Noch 55 später erinnert sich Lopinot (1964: 14–15) des Bezirksamtsmannes unter der Rubrik “unsere Widersacher”. Lopinot zitiert dabei en passant die Einschätzung seiner Ordensbrüder, dass er selbst als “bester Kenner der Marianensprache” galt. Davon dass er sich trotz der knappen Zeit eingehend mit der Sprache beschäftigte, legen seine zahlreichen religiösen Publikationen auf Chamorro Zeugnis ab, die aber allesamt erst nach seiner Abberufung von Saipan gedruckt wurden. Für meinen Beitrag einzig interessant sind in diesem Zusammenhang die gemeinsam eingebunden, aber separat paginiert erschienenen Lopinot (1910a) –, das ist das Wörterbuch, und Lopinot (1910b), die Grammatik (vom Autor selbst als “Anhang I” zum Wörterbuch bezeichnet). Auf die Grammatik folgen noch als “Anhang II” so genannte Sprachübungen auf fünf Druckseiten (Lopinot 1910b: 29–33). Einen ähnlichen Plan hatte wohl auch Safford (1909: vi) gehegt, aber aus Zeitmangel musste er davon Abstand nehmen to prepare a series of colloquial phrases and a vocabulary to accompany the present paper; for an understanding of the grammatical structure of a language is 10
Hier genügt der Hinweis darauf, dass es im Zusammenhang mit dem blutig niedergeschlagenen Aufstand auf den Karolinen (Ponape 1910–1911) und Georg Fritz anschließendem verbittertem Abschied vom Kolonialdienst eine heftige publikatorische Polemik zwischen dem ehemaligen Bezirkamtmann und der katholischen Kirche hinsichtlich der Schuldfrage bezüglich der kolonialen Misere gab. Zuvor soll Fritz durch eine geheime Intervention beim amerikanischen Gouverneur von Guam verhindert haben, dass Vater Callistus, der auf Guam sein Amt antreten sollte, überhaupt an Land gehen durfte (Lopinot 1964: 15).
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aided much by examples of simple concise sentences accompanied by verbatim translations. In diesem Sinne geht Lopinot sowohl über Safford als auch über Fritz hinaus. Denn ihm geht es zunächst um den praktischen Nutzen seiner Beiträge: “Als zweiter Anhang folgen einige Sprachübungen, damit der Anfänger um so leichter und schneller in den Stand gesetzt sei, das Chamorro zu erlernen” (Lopinot 1910a: Vorwort). Noch stärker wird dieser Aspekt hinsichtlich des Wörterbuches betont (s.u.), während bezüglich der Grammatik jedoch ein akademischer Grund genannt wird: “Es ist dann in Anhang I eine Chamorro-Grammatik beigefügt, besonders deshalb, weil eine richtige Abhandlung des Chamorro-Verbums in deutscher Sprache noch nicht erschienen ist” (Lopinot 1910a: Vorwort). Für diese Grammatik beruft sich Lopinot nicht nur auf das bereits angesprochene Manuskript von Jose Palomo, sondern auch ganz pauschal auf die Arbeiten von Safford 11, wobei wohl die Erstveröffentlichungen in Aufsatzform gemeint sind. Die Arbeiten von Fritz hingegen werden mit keiner Silbe erwähnt. Dass Lopinot die Texte des Bezirksamtsmanns nicht gekannt haben soll, ist absolut unwahrscheinlich; ganz im Gegenteil lässt sich vermuten, dass ihm Fritz (1901, 1903 und 1904) zur Vorbereitung für seinen Dienst auf den Marianen gedient haben werden. Dies zu verschweigen könnte als Ausdruck des unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen dem in vielen Belangen wohl sehr selbstbewusst auftretenden Kleriker und dem seinerseits selbstherrlich regierenden Bezirksamtmann zu verstehen sein. Mit anderen Worten: Lopinot will erkennbar nichts mit Fritz zu tun gehabt haben. Auf den 28 Seiten Grammatik bespricht Lopinot die folgenden Oberthemen (zu denen jeweils mehrere Unterkapitel kommen):
§ 1. Der Artikel (S. 1), § 2. Der [sic!] Substantivum (S. 1–2), § 3. Das Adjectivum (S. 3), § 4. Das Pronomen (S. 4–6), § 5. Das Zahlwort (S. 7–10), § 6. Das Verbum (S. 10–20), § 7. Die Wortbildung (S. 21–24), § 8. Das Adverbium (S. 24– 26), § 9. Die Präpositionen (S. 26–28), § 10. Conjunctionen (S. 28), § 11. Interjectionen (S. 28). Zum Lautwesen äußert sich Lopinot (1910a: ii) nur en passant und gänzlich unsystematisch im Vorspann zu seinem Wörterbuch. Das von mir für Lopinot erstellte Inhaltsverzeichnis weicht an einigen Stellen von demjenigen ab, das oben für Fritz (1903) gegeben wurde. Bei Fritz werden die Interjektionen viel früher in der Chronologie der Kapitel behandelt, Artikel und Substantiv werden unter einem gemeinsamen Obertitel besprochen, Pronomen und Zahlwort kommen in umgekehrter Reihenfolge zum Tragen. Bei Fritz gar nicht vorhanden ist das Kapitel zur Wortbildung. Das Wortbildungskapitel unterscheidet Lopinots Grammatik auch von Saffords Grammatik, die außerdem die Pronomina vor dem Adjektiv bespricht. Eine sklavische Abhängigkeit der verschiedenen Grammatiken untereinander ist nicht zu erkennen, zumal die Reihenfolge der zu 11
Von Lopinot (1910a: Vorwort) als Saffort verschrieben.
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behandelnden Themen in lockerer Form durch die an der lateinischen Schulgrammatik orientierten Tradition der Grammatikographie vorgegeben war. Eine größere inhaltliche Nähe Lopinots zu Safford – im Unterschied zu Fritz – ist jedoch an verschiedenen Stellen recht gut zu erkennen. Wo Fritz nichts von der Existenz eines indefiniten Artikels zu wissen scheint, folgt Lopinot (1910b: 1) Safford (1903a: 297) dahingehend, dass er das aus dem Spanischen entlehnte un als eine bereits etablierte Innovation im Chamorro einstuft, die “im alten Chamorro” noch fehlte. Für den Mangel an Genauigkeit von Fritz (1903: 4) ist symptomatisch, dass in einigen seiner Beispiele der von ihm nicht besprochene indefinite Artikel auftaucht (un Hespanjól ‘ein Spanier’). Einerseits spricht Fritz (1903: 4) davon, dass es eine “an Artikel oder Substantiv kenntliche Deklination” nicht gibt, führt dann aber aus, dass “Eigennamen in folgender Weise declinirt” würden. Eine Erklärung für die verschiedenen Konstruktionen sucht man vergebens, auch hier verlässt sich Fritz darauf, dass der geneigte Leser aus den deutschen Übersetzungen auf die ausgedrückten grammatischen Relationen schließen kann. Lopinot (1910b: 1) hingegen, gibt bei insgesamt weniger Beispielen viel genauer – unter Verwendung schulgrammatischer Kasusterminologie – an, welche Funktionen die einzelnen Artikelformen, um die es hier letztlich geht, haben. Allerdings ist Safford (1903a: 298–300) auf drei Druckseiten noch wesentlich ausführlicher, so dass sich Lopinots Darstellung eher als Kondensat aus Saffords Text verstehen lässt. Lopinot und Safford verbindet zudem die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu Fritz nicht nur si und as als Artikelformen in Kombination mit Eigennamen vom generellen Artikel i (vor Appellativa) unterscheiden, sondern auch iya als definiten Artikel von Toponymen beschreiben. Keiner der Autoren führt den Non-Fokus-Artikel ni (Topping 1973: 253) unter der Rubrik Artikel auf. In Fritz (1903) fehlt jeglicher Hinweis auf seine Existenz, während interpretativ durchaus noch angemessen Safford (1905: 312– 313) die zugrundeliegende Kombination nu + i im Kapitel über Präpositionen abhandelt, worin ihm Lopinot (1910b: 27) in sehr knapper Form folgt. Es scheint sich mithin tatsächlich zu bestätigen, dass sich Lopinot bei der Abfassung seiner Grammatik möglichst von Fritzens Werk fern gehalten hat. Die Beispielgabe ist maximal unterschiedlich; es finden sich kaum gleiche Beispielwörter für dieselben zu illustrierenden Phänomene. Nimmt man noch hinzu, dass sich Lopinot bemüßigt sah, seine eigene Orthographie für das Chamorro einzuführen, die keinerlei Affinitäten zu dem Vorschlag von Fritz aufweist, dürfte klar sein, dass Lopinot absichtsvoll die Leistungen seines großen politischen “Widersachers”, wie immer man sie auch qualitativ einstufen möchte, übergangen hat.
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3.4. Von Preissig Eduard (auch: Edward) Ritter Von Preissig (geboren 1870 oder 1871, Todesdatum unbekannt12) hatte sich bereits durch gelehrte Veröffentlichungen u.a. zur europäischen Kulturgeschichte und finno-ugrische Sprachen einen Namen gemacht, als er im 1. Weltkrieg als Zahlmeister der US Navy auf Guam tätig war und während seiner Zeit dort, ein Wörterbuch mit vorgeschaltetem grammatischen Aufriss erstellte (Von Preissig 1918). Das Vorwort ist auf Ende 1916 datiert (Von Preissig 1918: 2), so dass die Arbeit an Grammatik und Wörterbuch bereits einige Zeit davor begonnen haben musste. Der Autor überschreibt den grammatischen Teil seines Buches passenderweise mit dem Titel “Concise Grammar of the Chamorro Language” (Von Preissig 1918: 7). In der beigegeben Bibliographie, die insgesamt sechs Titel umfasst, beruft er sich auf Ibáñez del Carmen (1865a–b), Safford (1903a–b, 1904a–b, 1905) und Lopinot (1910a– b). Kein Beitrag von Fritz wird genannt. Nach einigen Ausführungen zur Aussprache (“Pronunciation” S. 4–5) und zum Akzentwesen (“Accentuation” S. 6) folgen 21 Seiten grammatische Beschreibung in folgender Ordnung: The Article (S. 7), The Noun (S. 7–8), The Adjective (S. 8–15), Numerals (S. 15– 16), The Pronoun (S. 16–17), The Verb (S. 17–24), The Adverb (S. 24–26), The Preposition (S. 26–27), The Conjunction (S. 27), The Interjection (S. 28). Diese Reihenfolge entspricht weder gänzlich den Vorgaben gemäß Saffords Grammatik noch denen von Lopinot. Im Gegensatz zu letzterem verzichtet Von Preissig wiederum auf ein Kapitel zur Wortbildung. Auffällig ist der breite Raum, den Von Preissig der Besprechung der Adjektive zubilligt. Bei genauerer Betrachtung ist leicht festzustellen, dass Von Preissig (1918: 8–15) ein oftmals wortwörtliches Exzerpt aus Safford (1903b: 30–46) vorgenommen hat. Die Formulierungen und die Beispiellisten stimmen über lange Strecken zwischen beiden Texten überein; nur gelegentlich ersetzt Von Preissig einen Terminus von Safford durch ein Teilsynonym (Beispiel: syllable anstatt prefix). Sonstige Unterschiede ergeben sich lediglich dadurch, dass Von Preissig ein eigenes orthographisches System für das Chamorro verwendet, das in mehreren Aspekten dem von Safford nicht entspricht (s.u.) (Beispiel: jafot ‘begraben’ an Stelle von hafot [so auch heute]). Dahingegen sind Von Preissigs (1918: 16–17) Ausführungen zu den Pronomina eher indirekt auf Safford (1903a: 307–311 und 1903b: 25–30) zurück zu führen. Sie folgen nämlich ziemlich eng der bereits stark verkürzten Darstellung bei Lopinot (1910b: 4–6). Diese enge Anlehnung Von Preissigs an den deutschen Text von Lopinot erkennt man an der nachstehenden Gegenüberstellung der Passagen aus beiden Texten, die sich mit dem Gegensatz der “langen” und “kurzen” Pronominalformen (korrekt: emphatische Pronomen und Absolutivpronomen) befassen (Fettdruck im Original): 12
Weitere Einzelheiten über Von Preissigs Leben waren trotz intensiver Recherche nicht zu ermitteln. Selbst das sonst sehr informative Guampedia auf dem WWW bietet zu dieser Persönlichkeit der Kulturgeschichte der Marianen keine Details.
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[aus Von Preissig (1918: 16)] There are two forms of the personal pronoun, styled the long and the short. The first is used when the pronoun precedes the verb, and when the pronoun is used without a verb, as in abbreviated sentences and after prepositions. Examples: guajo fumâtinas énao (I did that). guiya jita (with us; at our house; the French, chez nous). The short form of the personal pronoun is used where the same is preceded by the verb. Example: chulie yô un manja (bring me a coconut). [Paradigmen ausgelassen] [aus Lopinot (1910b: 4)] Das Pronomen personale hat längere und kürzere Formen: [Paradigmen ausgelassen]. 1. Die längeren Formen werden gebraucht: a. wenn das Pron. dem Verbum vorangeht: guaho fumatinas ine ich habe das getan. b. wenn das Pron. ohne Verbum gebraucht wird, also nach Präpositionen und gekürzten Sätzen: giya hita bei uns. 2. Die kürzeren Formen werden gebraucht, wenn das Pronomen dem Verbum folgt: chuli yo un manha bring mir eine Kokosnuss. Safford (1903a: 308–309) stellt denselben Sachverhalt in ganz anderen Worten und hinsichtlich der Funktionen der emphatischen Pronomina viel sachgerechter dar, so dass die Formulierungen seiner beiden Nachfolger nicht direkt von ihm stammen können. Es handelt sich vielmehr um Lopinots Originaltext, der durch Von Preissig lediglich durch Umstellungen und Eingriffe im Wortlaut unwesentlich verändert wurde, als er ihn ins Englische übertrug. Auch das erste Chamorrobeispiel geht auf Lopinot zurück. Die beiden anderen Beispiele sind hingegen leicht modifiziert aus Safford (1903a: 309) kopiert, der giya hame ‘bei uns (exklusiv)’ bzw. chulie ham manha ‘bring uns eine unreife Kokosnuss’ hat. Auffällig ist, dass Von Preissig Lopinot darin folgt, statt der 1. Person Plural exklusiv (heute: hami) einmal die 1. Person Plural inklusiv (heute: hita) und einmal die 1. Person Singular (heute: yo’) sowie im dritten Beispiel statt des “Nullartikels” den indefiniten Artikel un zu verwenden. Von Safford übernimmt Von Preissig auch den Vergleichshinweis auf Französisch chez nous, den Lopinot nicht bringt. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu sehen, dass Fritz (1903: 9) bei den Pluralpersonen die Formen für Inklusion und Exklusion sogar verwechselt. Ohne Übertreibung kann man den chronologisch letzten der vier hier besprochenen Grammatiker des Chamorro als den unselbständigsten bezeichnen. In allen seinen Ausführungen ist er von seinen Vorgängern abhängig, was so weit geht, dass sein Beitrag sich darin erschöpft, ganze Passagen aus Saffords und Lopinots Grammatiken in nur mäßig angepasster Form abzuschreiben. Im Endeffekt beschränkt sich die Distinktivität Von Preissigs auf die von ihm gewählten Schreibkonventionen für das Chamorro. Diese schlagen sich natürlich besonders in dem Wörterbuch nieder, das aller Wahrscheinlichkeit nach bei Von Preissig im Mittelpunkt des Interesses stand, so dass die grammatische Skizze nur als ein “notwendiges Übel”, eine lästige Pflichtübung zur Ergänzung des Wörterbuches erscheint.
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4. Wörterbücher Neben den oben besprochenen vier Grammatiken hat die frühe koloniallinguistische Epoche im 20. Jahrhundert dem Chamorro gleich drei Wörterbücher beschert, auf die ich hier im Vergleich zur Besprechung der Grammatiken nur ganz kursorisch eingehen kann. Da diese Wörterbücher jeweils auch einen Chamorro-Deutsch-Teil bzw. Chamorro-Englisch-Teil enthalten, stellen sie gegenüber der spanischen Periode einen großen Fortschritt dar. Das erste Chamorro-Spanisch-Wörterbuch erschien erst in der 30er Jahren (Vera 1932). Für die Wörterbücher von Fritz (1904), Lopinot (1910a) und Von Preissig (1918) sind drei verschiedene Transkriptions- oder Orthographiesysteme verwendet worden (siehe Appendix). Da Safford kein eigenes Wörterbuch vorgelegt hat, befinden wir uns erstmals auf einem Gebiet, in dem der Einfluss des amerikanischen Pioniers nicht besonders stark gewesen sein kann. Im Falle des ältesten der Wörterbücher ist es sicher angemessen, eher von einem wissenschaftlich anmutenden Transkriptionssystem zu sprechen. Die von Fritz (1903) eingeführte, ob ihrer vielen Diakritika in der alltäglichen Schreibpraxis viel zu unhandliche Schreibung der Chamorrowörter ist auch in Fritz (1904) beibehalten worden. Fritz verzichtete bezeichnenderweise jedoch darauf, seine “Orthographie” in den von ihm selbst verfassten oder zumindest aufgezeichneten Chamorrotexten (Fritz 1906, 1907) zu verwenden (Stolz 2007). Das Wörterbuch wird durch ein Vorwort von knapp elf Zeilen Länge von Eduard Sachau, dem Direktor des Seminars für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin eingeleitet. Dort erfährt man auch, dass der Druck unter der Aufsicht des damaligen Privatdozenten Franz Nikolaus Finck stand, eine renommierte, aber auch äußerst schillernde Gestalt der sprachwissenschaftlichen Fachgeschichte Deutschlands, der sich mit seinen Beiträgen zum Samoanischen seinerseits in einschlägiger Form als Koloniallinguist betätigt hat (Wahrig-Burfeind 1986). Das Wörterbuch besteht aus zwei ungleich langen Teilen. Der Deutsch-ChamorroTeil umfasst gut siebzig Seiten (Fritz 1904: 1–71), während der Chamorro-Deutsch-Teil mit etwas über fünfzig Seiten auskommt (Fritz 1904: 72–124). In beiden Teilen sind die Einträge dreispaltig. Für die Richtung Deutsch-Chamorro steht links außen der deutsche Begriff (mit eventuellen Zusätzen in Klammern), die mittlere Spalte wird durch die Entsprechung im Chamorro belegt, während rechts außen Bemerkungen folgen, zu denen Hinweise auf “Ableitungen” gehören. Im Chamorro-Deutsch-Teil stehen die Chamorrolexeme in der linken Spalte, Ableitungen gehören in die mittlere Spalte und rechts folgt die deutsche Übersetzung (z.T. ergänzt von zusätzlichen Erläuterungen). Wichtig ist die Feststellung, dass es sich nicht um ein reines Glossar handelt. Vielmehr werden grammatische Informationen, Satzbeispiele, etymologische Angaben u.a.m. unter den Bemerkungen mitgeliefert, wenn auch in etwas unsystematischer Art und Weise. Die lexikographische Praxis des deutschen Bezirksamtmannes kann am Beispiel des Eintrages Alter (Fritz 1904: 3) illustriert werden.
222 Deutsch Alter (allg.) (Greisen-)
Thomas Stolz Chamorro sákan inámko binīho
Bemerkungen sákan = Jahr; kuánto sákan-ho: wie alt bin ich; kuánto sákan-mō: wie alt bist du; kuánto sokángui: wie alt ist er; kuánto sákan-hit: wie alt sind wird; kuánto sákan-hămio: wie alt seid ihr; kuánto sákan-siha: wie alt sind sie?
Für den deutschen Begriff Alter werden zwei mögliche Lesarten durch Klammerzusätze unterschieden. Diesen entsprechen dann insgesamt drei Chamorrowörter, von denen das als Übersetzung von Alter im Allgemeinen angegebene sákan ‘Jahr’ (heute: sakkan) in der idiomatischen Verwendungsweise zum Erfragen des Lebensalters unter den Bemerkungen einmal paradigmatisch durchgemustert wird. Dies ist insgesamt recht reichhaltige lexikographische Information. Die Quantität der Information entspricht aber bekanntlich nicht unbedingt auch einer hohen Qualität derselben. Zunächst ist anzumerken, dass beim Abgleich der Chamorrowörter mit der Form, in der sie im Chamorro-Deutsch-Teil aufgeführt werden, wieder die inkonsequente Verwendung des Transkriptionssystems durch Fritz selber zum Tragen kommt. So ist das durch Makron und Akut als langer betonter Vokal gekennzeichnete in binīho in der anderen Richtung nur mit betontem Kurzvokal als biního ‘Greisenalter’ (Fritz 1904: 77) verzeichnet. Hingegen schreibt Fritz (1904: 114) im Chamorro-Deutsch-Teil sắkan ‘Alter, Jahr’ mit Breve und Akut, während im Deutsch-Chamorro-Teil auf das Breve-Zeichen verzichtet wird. Daselbst gibt Fritz (1904: 114) in den Bemerkungen im Beispiel kuanto sakan-mo? ‘wie alt bist du?’ weder die Akzentstelle noch den die vermeintliche Länge des auslautenden Vokals an, die er im Deutsch-Chamorro-Teil noch akribisch verzeichnet hatte. Wesentlich schwerer als diese Schreibungenauigkeiten fallen aber die grammatischen Fehlleistungen ins Gewicht, die sich Fritz in seiner Bemerkungsspalte immer wieder erlaubt. Bezogen auf die Fragen nach dem Lebensalter, die Fritz (1903: 3) für sechs von sieben möglichen Personenkategorien angibt (die 1. Person Plural exklusiv fehlt), offenbaren sich deutliche Schwächen. Als erstes ist anzumerken, dass Fritz (mit Ausnahme der 3. Person Singular) die falsche Akzentstelle angibt; die zutreffende Position wäre in diesen Formen immer die Pänultima, während Fritz die Akzentstelle auf der Initialsilbe belässt. Morphologisch korrekt verwendet Fritz für die 1. und 2. Person Singular die possedierten Formen des Nomens sakkan: sakkan-hu ‘mein Alter’ und sakkan-mu ‘dein Alter’ in moderner Orthographie. Ab der 3. Person Singular weicht er von diesem Schema ab, indem er statt der Possessorsuffixe die an sich freien Absolutivpronomina verwendet, diese dann aber auch per Bindestrich mit dem Nomen graphisch verbindet. Die korrekten Formen sind unter Angabe der Akzentstelle: 3. Person Singular sakkán-ña, 1. Person Plural inklusiv sakkán-ta, 1. Person Plural exklusiv sakkan-mámi, 2. Person Plural sakkan-míyu, 3. Person Plural sakkan-ñíha. Hier handelt es sich um grobe grammatische Schnitzer, zumal Fritz (1903: 10) in seiner Grammatik die Possessorsuffixe in ihrer Systematik durchaus erfasst zu haben scheint.
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Lopinot baut sein zweisprachiges Wörterbuch so auf, dass der Deutsch-ChamorroTeil (Lopinot 1910a: 1–86) und der Chamorro-Deutsch-Teil (Lopinot 1910a: 87–172) mit jeweils 86 Druckseiten genau gleichlang ausfallen. Er versteht sein Wörterbuch als praktisches Hilfsmittel nicht nur für “Europäer … bei Erlernung der ChamorroSprache”, sondern es soll auch “den Eingeborenen der deutschen Inseln dazu verhelfen, sich in der deutschen Sprache auszudrücken” (Lopinot 1910a: Vorwort). Aus diesem Grund belässt er die vielen im Chamorro eingebürgerten Hispanismen im Wörterbuch, weil sie zum aktuellen Sprachgebrauch gehören, während eine “rein wissenschaftliche Abhandlung … alle spanischen Beimischungen ausschalten” müsste (Lopinot 1910a: Vorwort). Im Unterschied zu Fritz unterteilt Lopinot die Lexikoneinträge nicht in parallele Spalten, sondern setzt Bemerkungen, Beispielsätze u.a.m. zeilenweise unter den jeweiligen Haupteintrag. Zusätzlich kennzeichnet er Wörter dahingehend, ob sie obsolet oder weniger gebräuchlich sind. Bei den Verben werden durch Kürzel die verschiedenen Diathesen und Transitivitätsstufen identifiziert. Unter dem Eintrag Alter findet man bei Lopinot (1910a: 3) nur die drei Entsprechungen inamco, biniho und edád, von denen das letzte als bereits ungebräuchlich gekennzeichnet ist. Um Fritzens Ausdrücke für Altersangaben bei Lopinot wieder zu finden, muss man auf derselben Seite nur ein paar Zeilen nach oben gehen, wo unter alt folgende Angaben stehen: alt = = = = =
wie alt bist du? cuanto sacanmo? (wie viel Jahre hast du?) (Greis) amco; biho; (sehr alt) amlau; sen biho; die alten Chamorros los antiguos; tautau san mona; tautau antes; (lange her) abmam; (von alter Zeit her) antiguo; hagas;
Fritz (1904: 3) begnügt sich unter alt mit der Angabe von bĭho und ámkō. Interessant ist besonders die erste Zeile aus Lopinots Lexikoneintrag. Sie stimmt nämlich mit Fritz (1904: 114) überein, wo zu kuanto sakan-mo? ‘wie alt bist du?’ noch der geklammerte Zusatz (wörtl.: wie viel Jahre dein?) gegeben wird. Zusätze dieser Art sind naheliegend, wenn die Chamorrostrukturen einem deutschen Benutzer des Wörterbuches verdeutlicht werden sollen. Dass dafür ein Beispiel in der 2. Person Singular herangezogen wird, ist ebenfalls einleuchtend. Man muss also nicht zwingend annehmen, dass sich Lopinot hier uneingestandenermaßen von Fritz hat leiten lassen. Ganz auszuschließen ist eine fallweise Orientierung am Vorbild Fritz jedoch ebenso wenig. Zum Abschluss dieses Kapitels soll ein kurzer Blick auf den Wörterbuchteil in Von Preissig (1918) genügen. Der Englisch-Chamorro-Teil (Von Preissig 1918: 33–128) ist mit 95 Seiten Länge um elf Seiten kürzer als der Chamorro-Englisch-Teil (Von Preissig 1918: 129–235). Vom Aufbau her hat dieses Wörterbuch wesentlich mehr Ähnlichkeiten mit Lopinot (1910a) als mit Fritz (1904). Von Preissig geht allerdings über Lopinot hinaus, indem er bei jedem Lexikoneintrag die Wortklasse bestimmt, also auch für Nomen, Adjektive, Adverbien, Präpositionen usw. Dies gilt für beide Teile des Wörter-
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buchs: im Englisch-Chamorro-Teil werden die englischen Wörter grammatisch bestimmt, im Chamorro-Englisch-Teil hingegen die Chamorrowörter. In den Einträgen werden Verweise auf eventuelle Synonyme gegeben, Beispiele im syntaktischen Kontext sind dort ebenfalls zu finden sowie enzyklopädische Information über für Guam und die Chamorrokultur typische Konzepte. In gleicher Ausführlichkeit sind solche Angaben nur in den Bemerkung von Fritz (1904) zu finden, während sich Lopinot (1910a) hier eher knapp fasst. In Bezug auf die mit dem Konzept Alter verbundenen Ausdrücke macht Von Preissig u.a. die folgenden Angaben: • • • •
old, adj. aged; ancient: – de edad; amcô; bijo; antiguo. (Von Preissig 1918: 90) old man, n.: – bijo na táotao. (Von Preissig 1918: 90) year, n.: – sacan; año. (Von Preissig 1918: 128) sácan, adj.; also tôa; masa: – ripe; mature; ready for harvest. (Von Preissig 1918: 219)
Die Lexikoneinträge Von Preissigs haben nicht viel mit denen seiner deutschen Vorläufer gemein. Die idiomatische Altersabfrage lässt sich aus Von Preissigs Angaben nicht rekonstruieren (auch nicht unter Zuhilfenahme anderer Lexikoneinträge). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Chamorro-Englisch-Teil unter sácan die Bedeutung ‘Jahr’ nicht angegeben wird (Jahre wurden nach der Zahl der erfolgten Ernten berechnet). Weder Fritz (1904) noch Lopinot (1910a) verzeichnen die Bedeutung ‘Ernte’ im Zusammenhang mit sakkan ‘Jahr’. Dies scheint mir darauf hinzuweisen, dass Von Preissigs lexikographische Arbeit in viel stärkerem Maße selbständig gewesen ist als seine grammatikographische Leistung. Diese Selbständigkeit wird durch Von Preissigs (1918: 1–2) eigenes Vorwort indirekt hervorgehoben. Er beschreibt dort nicht nur seine Motivation für die Zusammenstellung des Wörterbuchs, sondern erhellt auch einige seiner Arbeitsschritte. Die aus deutscher und japanischer Produktion stammenden Wörterbücher hält Von Preissig (1918: 1) für unpraktisch, weil sie “adhere[…] to phonetic spelling”, die den Chamorros den Zugang zu den Lexika erschwert. Er orientierte sich daher an Ibáñez del Carmen (1865a), nur um feststellen zu müssen, dass ein beachtlicher Teil der von dem spanischen Kleriker in sein Spanisch-Chamorro-Wörterbuch aufgenommenen Chamorrowörtern ein halbes Jahrhundert später den Muttersprachlern nicht mehr bekannt waren. Die heftigen Negativreaktionen der Chamorrosprecher auf die phonetische Transkription bewogen Von Preissig darüber hinaus, starke Anleihen bei der alten aus der spanischen Kolonialzeiten bekannten Orthographie zu machen. Letzten Endes sieht Von Preissig (1918: 2) den Nutzen seines Wörterbuchs darin, den Chamorros das Erlernen des Englischen zu erleichtern. Von Preissig (1918: 2) nennt namentlich acht Chamorromänner aus Hagatña, die ihm bei der Kompilation des Wörterbuches als Informanten hilfreich zur Seite standen. Danksagungen dieser Art vermisse ich bei Fritz (1904) genauso wie bei Lopinot
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(1910a). Es ist anzunehmen, dass auch sie sich an muttersprachliche Informanten gewandt haben, um wenigstens einen Teil des Lexembestandes ermitteln zu können. In welchem Maße sie aber auf direkte Informantenarbeit zurückgegriffen haben, lässt sich aus ihren Haupttexten nicht mit Sicherheit bestimmen. Die Forschung ist hierzu auf die Auswertung sonstiger historischer Materialien angewiesen.
5. Fazit: Cui bono? Vier Individuen mit ungleich guter Kompetenz im Chamorro, die sich zudem bis auf Georg Fritz nur jeweils für recht kurze Zeit auf den Marianen aufgehalten haben, prägten die ersten zwei Jahrzehnte der Chamorroforschung im 20. Jahrhundert. Der deutsche Bezirksamtmann ist bei allem Respekt vor seiner Leistung ganz eindeutig als philologischer Amateur einzustufen, dem sehr viele, z.T. auch schwerwiegende Fehler unterlaufen. Von Preissig ist zwar auch kein begnadeter Grammatiker, aber er legt ein im großen Stile in Zusammenarbeit mit Muttersprachlern erstelltes Wörterbuch vor, das dank der Verwendung einer den kulturellen Interessen der Chamorros entgegenkommenden Orthographie einen hohen praktischen Nutzwert besaß. Die ersten 20 Jahre nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft haben insofern positive Effekte für das Chamorro und seine Sprecherschaft gezeitigt, als erstmalig Grammatiken und Wörterbücher der Chamorrosprache überhaupt zugänglich waren. Diese positiven Effekte werden jedoch dadurch konterkariert, dass • • •
•
keine einheitliche Referenznorm für das Chamorro entwickelt wurde, als Vermittlungssprachen Deutsch und Englisch verwendet wurden, die auf den Marianen überhaupt noch bekannt gemacht werden mussten, z.T. mehrere Orthographien/Transkriptionssysteme eingeführt wurden, die o mit den aus der spanischen Zeit ererbten kulturellen Traditionen der Chamorros brachen und o ihrer Komplexität wegen z.T. kaum handhabbar waren, die grammatischen und lexikographischen Darstellungen stellenweise in erheblichem Maße fehlerhaft waren.
Zeitweilig bestanden auf den Marianen – unter Einrechnung der durch ihren Gebrauch im religiösen Bereich gesicherten “spanischen Orthographie” – nebeneinander fünf verschiedene Systeme, mit denen das Chamorro graphisch repräsentiert werden konnte. Fritzens System erwies sich zudem als ephemer, da es nach dem Ende der Ära Fritz in der deutschen Kolonie außer Gebrauch kam. Lopinots Vorschläge haben das Ende der deutschen Kolonialherrschaft ebenfalls nicht überdauert. Von Preissigs Schreibkonventionen sind heute obsolet. Allein Saffords allererste Vorschläge zur Schreibung des Chamorro finden sich in der heute gültigen Orthographie wenigstens zum Teil reflektiert. Solange die Vermittlungssprachen Deutsch und Englisch unter den Chamorros nicht hinreichend verbreitet blieben, waren die in dieser Studie beschriebenen Arbeiten
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überwiegend an ein akademisches Publikum in der englisch- oder deutschsprachigen Welt gerichtet, auch wenn explizit der Gebrauch für Sprachlerner im Vordergrund stand (Lopinot 1910a: Vorwort). Die Herausbildung einer genuinen Chamorro-Philologie, die ob des Engagements so vieler Personen durchaus vorstellbar gewesen wäre, kam nicht zustande, da die divergierenden nationalen und individuellen Interessen der Pioniere dieses Forschungszweiges trotz erkennbarer Bezüge der Autoren untereinander keinen echten Dialog unter Experten ermöglichte. Dieser war wahrscheinlich auch gar nicht erwünscht. Wenn man bedenkt, dass auf den Nördlichen Marianen zu keiner Zeit der deutschen Herrschaft mehr als 20 Personen mit deutscher Muttersprache ansässig waren (Hardach 1990: 101), darf der Adressatenkreis von Chamorrolernwilligen für die von deutschen Autoren verfassten Arbeiten als minimal angesehen werden. Deutsch als Fremdsprache für Chamorros über die beschriebenen Materialien erfolgreich unterrichten zu wollen kommt mir durchaus gewagt vor, auch wenn der Erfolg des Deutschen auf den Marianen als erstaunlich groß dargestellt wird (s.u.). Der unmittelbare Nutzwert der deskriptiv-linguistischen Materialien für die Chamorros war bis zum Ende des 1. Weltkrieges gering – und danach war für einen Teil der Vorschläge bereits die Zeit abgelaufen. Die Übergangszeit, in der dem Chamorro seitens der amerikanischen Verwaltung auf Guam noch das Existenzrecht zugebilligt wurde, schien 1922 endgültig zu Ende gekommen zu sein. Das bis dahin im ersten Schuljahr noch als Einstiegshilfe in den ansonsten rein englischen Schulalltag zugelassene Chamorro wurde in diesem Jahr offiziell abgeschafft, wobei es gemäß Benton (1981: 122) sogar zur Vernichtung aller ChamorroWörterbücher gekommen sein soll 13. Einzelne Verfügungen, mit denen der Gebrauch des Chamorro im öffentlichen Raum – beispielsweise auf den Baseballplätzen – eingeschränkt wurde, hatte es schon vor dem 1. Weltkrieg gegeben. Die Verbreitung des Englischen unter der guamesischen Bevölkerung galt um 1914 noch als aus amerikanischer Sicht völlig unbefriedigend (Rogers 1995: 134). Im Gefolge der 1918 in der ganzen Welt grassierenden Spanischen Grippe soll allerdings ein beachtlicher Prozentsatz der noch im spanischen Schulsystem ausgebildeten alten Chamorro-Elite gestorben sein, so dass auch die Position der traditionellen Prestigesprache Spanisch den Todesstoß erhalten hatte (Rogers 1995: 143). Der Weg für die massive Durchsetzung des Englischen war nun frei. Dass der Sprachwechsel vom Chamorro zum Englischen im großen Stil jedoch erst ein halbes Jahrhundert später erfolgte, gerade als dem Chamorro offizielle Rehabilitierung widerfuhr, wird von Mühlhäusler (1996) als ein typisches Muster sprachökologischer Tragödien (nicht nur) im pazifischen Raum verstanden. Für die deutschen Marianen stellt Hiery (2001: 216–223) das von Bezirksamtmann Fritz initiierte und später in seinem Sinne fortgeführte Curriculum an der Regierungs13
Laut Guampedia (http://guampedia.com/us-naval-era-language-policy/) handelte es sich bei den verbrannten Wörterbüchern um Von Preissig (1918), dessen Werk erst vier Jahre zuvor auf Kosten der US Navy veröffentlicht worden war.
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schule von Saipan als Erfolgsgeschichte dar. Chamorro wurde – wie wohl schon zuvor zur spanischen Zeit – als Unterrichtssprache verwendet, neben die relativ bald auch das Deutsche trat, ohne die autochthone Sprache der Indigenen zu verdrängen. Teilweise wurde Lehr- und Lernmaterial verwendet, das Fritz selbst auf Chamorro verfasst hatte. Allerdings wird dem persönlichen Engagement von Fritz auch zugeschrieben, dass im Jahre 1914 “Saipan das einzige Gebiet innerhalb der deutschen Südseekolonien [war], in dem die Zivilbevölkerung nicht nur Deutsch verstand, sondern zunehmend auch die deutsche Sprache im privaten Verkehr benutzte” (Hiery 2001: 218). Deutsch wurde im amtlichen Verkehr ab 1906 verwendet; Hiery (2008: 57) sagt aber auch, dass in Mikronesien, also auch auf den Marianen, Rechtsdokumente “in einheimischen Sprachen abgefasst” wurden. Noch sind mir Dokumente dieser Art auf Chamorro nicht zur Kenntnis gekommen. Ihre Existenz würde jedoch dafür sprechen, dass es am Vorabend des Zusammenbruchs des deutschen Kolonialismus im pazifischen Raum zu einer Art friedlichen Koexistenz der Sprachen Deutsch und Chamorro (wozu man als drittes Glied noch das minoritäre Karolinisch rechnen muss) auf den Nördlichen Marianen kam. Wie stabil und zukunftsträchtig dieser aus historischem Abstand betrachtet fast idyllisch wirkende Gleichgewichtszustand unter den Bedingungen einer fortgesetzten deutschen Präsenz im Pazifik gewesen wäre, gehört in den Bereich der Spekulation und kann daher hier nicht vertieft werden. Man hat den Verdacht, dass die zwischenzeitliche Aufwertung des Chamorro – sozusagen auf Kosten des Spanischen – letztlich nur der mittelfristigen Durchsetzung der Sprachen der neuen Kolonialherren dienen sollte. Mit jeder Änderung der kolonialen Besitzverhältnisse auf den Marianen wurde die Bedeutung der Sprache der vorherigen Kolonialherren beschnitten: Spanisch fiel Englisch und Deutsch zum Opfer, Deutsch wurde von Japanisch verdrängt, das Japanische musste dem Englischen weichen, das als alleinige Prestigesprache auf der ganzen Inselkette Bestand hatte und hat. Mit diesem Verdrängungsprozess war auch der Wertverlust von Grammatiken und Wörterbüchern verbunden, die in der “falschen” Sprache abgefasst waren. In diesem Sinne konnten die zur spanischen, deutschen und japanischen Kolonialzeit oder in ihrem Gefolge entstandenen Arbeiten keine nachhaltige Wirkung erzielen – eine Wirkung in dem Sinne, dass sie zur Festigung der Chamorrosprache beitrugen. Erst heute sind wir in der Lage, die frühen Grammatiken und Wörterbücher nicht nur im Sinne der linguistischen Fachgeschichte auszuwerten, sondern sie auch im Rahmen der seit der Rehabilitierung des Chamorro als kooffizielle Sprache auf Guam und den Nördlichen Marianen in den 70er Jahren dringend notwendigen Maßnahmen für den Erhalt und den Ausbau der Chamorrosprache zum Wohle der Chamorro-Kulturgemeinschaft zu nutzen. Um diese potentielle Nutzbarkeit der älteren Quellen zu optimieren, ist es nötig, ihre Stärken und Schwächen durch eine ausführliche linguistische und historische Kommentierung herauszuarbeiten.
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Appendix Synopse der zur graphischen Repräsentation des Chamorro genutzten Systeme Heute a å e i o u p t k ’ b d g ch y f s h m n ñ ng l r
Safford ä a e i o u p t k * b d g ch y f s h m n ñ ñg l r
Fritz ȁ, ä å e, ē, ĕ i, ī, ĭ o, ō, ŏ u, ū, ŭ p t k ** b d g tch j f s h m n nj, ni ng(g) l (r)
a, ā, ă
Lopinot a â e i o u p t c, qu *** b d g ch y f s j, h m n ñ ñg l r
Von Preissig ä a e i o u p t c, qu **** b d g, gu ch ll, y f s j, h m n ñ ñg l r
*
Bei Safford (1903a) wird der Glottalverschluss als eigenes Segment nicht erkannt. Seine Präsenz in einer Silbe aber als Glottalität (“guttural sounds”) der Vokale verstanden, die durch einen Zirkumflex auf dem Vokal angegeben wird. ** Fritz (1903) bedient sich unsystematisch des Apostrophs, um den Hiat zwischen Vokalen zu bezeichnen. *** Lopinot (1910a) benennt keine graphischen Verfahren, die darauf schließen lassen, dass er dem Glottalverschluss auf der Spur war. **** Von Preissig (1918) nutzt wiederum sehr unsystematisch den bei ihm multifunktionalen Zirkumflex um den Glottalverschluss unter Reduplikation anzudeuten.
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CHRISTINA VOSSMANN (BREMEN)
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen im Lichte zweier Klassiker der Chamorroforschung
Abstract In diesem Beitrag werden zwei Texte aus den Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels untersucht, die in zwei Quellen unterschiedlich wiedergegeben werden. Quelle A ist der Text Archaeology of the Marianas Islands aus dem Bernice P. Bishop Museum Bulletin 100 von Laura Maud Thompson aus dem Jahre 1932, Quelle B ist das Werk Die Chamoro Sprache von Hermann Costenoble, das 1940 veröffentlicht wurde. Die Originaltexte Hornbostels stammen aus der Zeit zwischen 1920 und 1926. Diese und weitere unveröffentlichte Texte stellen einen wichtigen Beitrag für die Chamorroforschung dar. Ziel ist es zu zeigen, dass es nötig und wünschenswert erscheint, die gesamten Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels im Rahmen des Projektes Chamorrica näher zu betrachten und gegebenenfalls kommentiert neu zu edieren.
1. Hornbostel – Costenoble – Thompson: Hintergründe In diesem Beitrag geht es darum, zwei Aufzeichnungen von Gertrude Hornbostel, die von Laura Maud Thompson und Hermann Costenoble 1 verwendet wurden, in ihrer publizierten Form miteinander zu vergleichen. Die Texte wurden 1932 (Thompson) und 1940 (Costenoble) veröffentlicht und weichen in elementaren Punkten voneinander ab. Bevor es um diese Aufzeichnungen geht, ist es notwendig, sich einen Überblick über die Biographien der genannten Personen zu verschaffen. In der ersten Hälfte der 1920er Jahre arbeiteten Hans und Gertrude Hornbostel im Auftrag des Bernice Pauahi Bishop Museums in Honolulu auf den Nördlichen Marianen und Guam. Ihr Auftrag war zwar archäologischer Natur, dennoch stammen wertvolle Feldnotizen, Übersetzungen und Aufzeichnungen über die Chamorrosprache und -kultur aus dieser Arbeit. Gertrude Hornbostel war eine geborene Costenoble, Mitglied einer Familie, die 1903 von Jena aus in die damalige deutsche Kolonie, die Nördlichen 1
Über einen langen Zeitraum war nicht sicher, wer sich hinter der Initiale H. verbirgt. Mittels Ausschlussverfahren und durch historische Belege scheint es sicher zu sein, dass Hermann Costenoble (1893–1942) der Verfasser von Die Chamoro Sprache ist, nicht Hermann Ludwig Wilhelm Costenoble (1867–1936) oder gar Hertha Costenoble (1895–1918), wie bisher von vielen Wissenschaftlern angenommen (vgl. Stolz et al, in Druck).
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Marianen, ausgewandert war. Nach Querelen mit dem ansässigen Bezirksamtmann Georg Fritz siedelten die Costenobles allerdings schon ein Jahr später von Saipan in das amerikanische Guam über (Costenoble 1905: 4). Bereits während ihrer Kindheit kam Gertrude in Kontakt mit der Kultur der Chamorros. Auch ihre Sprache erlernte sie während dieser Zeit (Thompson 1969: 99). 1914 heiratete Gertrude Costenoble den ebenfalls aus einer deutschen Auswandererfamilie stammenden US-Offizier Hans Hornbostel. Dieser war im selben Jahr von der Marine nach Guam abkommandiert worden, um ein Auge auf die Costenobles und andere deutsche Siedler zu haben. Während des Ersten Weltkrieges lebten die beiden in verschiedenen Staaten der USA, Hans diente weiterhin der US-Marine. 2 Die Aufzeichnungen, die Gertrude Hornbostel in den 1920er Jahren machte, befinden sich heute noch im Bishop Museum in Honolulu. Einen offiziellen Überblick über den genauen Umfang der Manuskripte gibt es nicht. Lediglich die archäologischen Proben aus der Hornbostel-Sammlung sind gut katalogisiert. 3 Einige der Aufzeichnungen und Übersetzungen wurden in Archaeology of the Marianas Islands von Laura Maud Thompson abgedruckt. Hermann Costenoble, Autor von Die Chamoro Sprache und Gertrude Hornbostels Bruder, erwähnt in ebendiesem Werk, dass sich noch weitere Texte über Verlobungs- und Heiratszeremonien im Archiv des Bishop Museums befinden. Eine elektronische Anfrage bei den Archivaren des Museums konnte zunächst bestätigen, dass sich verschiedene Aufzeichnungen und Übersetzungen im Museum befinden. Der genaue Inhalt ist momentan allerdings noch unbekannt und bedarf weiterer Archivarbeit. Costenoble, der bereits 1915 mit den Aufzeichnungen zu seiner Grammatik angefangen hat, ist, wie seine Schwester ebenfalls als Kind mit der Sprache der Chamorro in Kontakt gekommen. Im Vorwort seines Werkes heißt es: Meine Kenntnisse des Chamoro erwarb ich mir auf Guam als erwachsenes Kind, im täglichen Verkehr mit den Eingeborenen, zwischen den Jahren 1905 und 1913. Ich glaube sagen zu können, dass ich die Sprache so gut sprach wie der Durchschnittseingeborene; dass ich nicht über den Wortschatz verfügte, wie z.B. ein sechzig-jähriger Chamoro, ist dabei selbstverständlich; auch dass mir vielleicht diese oder jene Eigentümlichkeit der Sprache nicht zu Wissen gekommen ist (Costenoble 1940: v). Mit dem Anfang des Ersten Weltkrieges hat die Familie Costenoble Guam nach und nach verlassen, einige Familienmitglieder, unter ihnen auch Hermann, ließen sich auf den Philippinen nieder. Er mutmaßt, dass ihm während der Zeit auf den Philippinen ein Teil des Chamorro entfallen ist, 2
3
Biographische Angaben über Hans Hornbostel und Gertrude Costenoble stammen aus der Website von Andy Airriess, einem Nachfahren der Familie. Vgl: http://www. ornbostel.com/chronology.htm, aufgerufen am 2. März 2010. Vgl: http://www.bishopmuseum.org/research/onlinedata.html, aufgerufen am 26. Februar 2010.
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
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oder während der entgiltigen Bearbeitung im Laufe der folgenden 15 Jahre, und unter dem Einflusse der seitdem erlernten philippinischen Dialekte in der Erinnerung gefälscht wurde. Ich glaube jedoch, dass Wahrscheinlichkeit hierfür nicht gross ist (Costenoble 1940: v). 4 Mit diesem ‘Geständnis’ nimmt Costenoble bereits auf den ersten Seiten seines Werkes den Kritikern den Wind aus den Segeln. Er schreibt zudem, dass er kein ausgebildeter Sprachwissenschaftler ist, was bemerkenswert erscheint, schaut man sich die Qualität von Die Chamoro Sprache genauer an. Costenoble mag keine Ausbildung an einer Universität genossen haben, dennoch verfügte er über ein umfangreiches und gut recherchiertes Wissen bezüglich des Chamorro. 5 Sein Interesse an dieser Sprache und die persönliche Erfahrung mögen ihn auch dazu bewegt haben, eigenständig Veränderungen an den Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels vorgenommen zu haben. Im Gegensatz zu Costenoble beherrschte Laura Maud Thompson das Chamorro meiner Kenntnis nach nicht – oder zumindest nicht fließend. Die 1905 auf Hawai’i geborene Wissenschaftlerin kam 1938 das erste Mal nach Guam, wo sie Daten für ihr Buch Guam and its people sammelte, das 1941 veröffentlicht wurde. Bereits zehn Jahre zuvor beschäftigte sich Thompson mit der Hornbostel-Sammlung aus dem Bishop Museum, in dem sie als Assistentin arbeitete (Rohde 2000). Hier kam sie auch mit den Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels in Kontakt, die, neben der Beschreibung der archäologischen Sammlung Hornbostels, in ihrem Beitrag im 100. Bulletin des Bishop Museums Archaeology of the Marianas Islands, veröffentlicht wurden. Die einzelnen Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels wurden bis dahin noch nicht klassifiziert, Thompson schlägt aber vor, dass zumindest “(...) tales concerning the Taotao Mana (people of beforetime) should, perhaps, be classified as myths (Thompson 1932: 59).“ Nach dem heutigen Wissensstand ist eine genaue Beschreibung, bzw. Einordnung der Aufzeichnungen Gertrude Hornbostels noch nicht geschehen, daher gilt vorerst die Einteilung Thompsons, die laut obigem Zitat Mythen (beinhaltet Geschichten über die Taotaomona), Geschichten – Texte und Übersetzungen, Geschichten – freie Versionen, Lieder, Liebeslieder und Verschiedene Lieder vorsieht. 6 Dazu kommt noch eine Auflistung häufiger Chamorro-Familiennamen aus Guam und Rota und eine Auflistung von Chamorro-Kosenamen. 7
4 5 6 7
Rechtschreibfehler wurden aus Authentizitätsgründen nicht verbessert. Costenoble hat diverse linguistische Arbeiten u.a. zum Protophilippinischen veröffentlicht, war also autodidaktischer ‘Austronesist’ (Costenoble 1979). Übersetzung CV; Klassifizierung im Original: Chamorro Texts, Tales – Texts and Translations, Tales – Free Versions, Songs, Love Songs, Miscellaneous Songs (Thompson 1932: 59–68). Die Chamorro-Kosenamen wurden von Gertrude Hornbostel alias Trudis Aleman bereits 1924 in der Zeitschrift The Guam Recorder unter dem Artikel Chamorro Names veröffentlicht. 1972 wurde The Guam Recorder ein zweites Mal verlegt, eine online-Version ist hier einsehbar: http://guampedia.com/guam recorder-volume-2-number-1/, aufgerufen am 15. Januar 2010.
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Christina Vossmann
Hermann Costenoble und Laura Thompson hatten demnach zur Zeit der jeweiligen Veröffentlichungen einen völlig unterschiedlichen Zugang zum Chamorro, der sich anscheinend auch in der Art der Wiedergabe der Texte Hornbostels widerspiegelt. Die Möglichkeit, dass Gertrude Hornbostel ihre Texte noch einmal selber überarbeitet hat und Costenoble und Thompson somit tatsächlich verschiedene Versionen der Texte vorliegen hatten, darf auch nicht außer Acht gelassen werden. Diese Überlegung könnte durch eine direkte Einsichtnahme in die Hornbostel-Sammlung im Bishop Museum eventuell bestätigt oder zurückgewiesen werden.
2. Texte Costenoble hat vier Geschichten in seinem Werk wiedergegeben, übersetzt und beschrieben, bzw. kommentiert. Zwei dieser Geschichten decken sich mit den in Thompsons Archaeology of the Marianas Islands erschienenen Geschichten. Im Folgenden werden die Texte und ihre Übersetzungen zunächst in der Form vorgestellt, die sie in den Sekundärquellen aufweisen, allerdings nicht als Faksimile: Aus typographischen Gründen wurden zum einen die Zeilenumbrüche angepasst, zum anderen wurde das von Costenoble benutzte, aus dem Arabischen entlehnte, Hamzah gegen das heute verwendete IPA-Zeichen für den Glottalverschluss ausgetauscht. Nach einer allgemeinen und sprachwissenschaftlichen Textauswertung folgt eine tabellarische Übersicht der orthographischen Unterschiede in Costenoble und Thompson mit der aktuellen Schreibweise und Übersetzung aus dem Chamorro. 8 Zum weiteren Vergleich wird ein Text aus Donald Toppings Chamorro-Lehrbuch Spoken Chamorro (Topping 1967: 334–335) betrachtet, der aus Die Chamoro Sprache stammt und von Topping aus Gründen, auf die später eingegangen wird, in einer dritten Version verändert abgedruckt wurde. Abschließend wird festgehalten, welche Erkenntnisse aus dem Vergleich gezogen werden können.
2.1. Hornbostel Text 1 bei Laura Maud Thompson Informant: Jose de Lizama of Hagat, age 109 years. Humanao si Kiroga, taotao Talofofo, ha aligao si Talage, taotao Inalahan. Humanao logue si Talage ha aliligao si Kiroga para u mumu. Legnia si Kiroga: “para mano hao?“ Legnia si Talage: “hu aliligao hao para ta mumu.“ Legnia si Kiroga: “nihi ta hanao dsa ta falag i lantso, ta fan yotso, dsa adso nai ta mumu.“ Legnia si Kiroga anai esta para u masa i nengkano: “tsulii dso nidsug.“ Dsa ha tsuli i pentan. Dsa ha fugu si 8
Für die Übersetzung wurde The Official CHAMORRO-ENGLISH Dictionary – UFISIÅT NA DIKSIONÅRION CHAMORRO-ENGLES von Sylvia M. Flores und Katherine Bordallo Aguon verwendet, das im Jahre 2009 erschienen ist und als aktuellstes Wörterbuch des Chamorro gilt.
235
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
Kiroga i pentan dsa kulang ha ma kamdso. Pues umasodso i dos das malag as Padsoa go Telae Dsuus. Mapos si Padsoa ha aligao si Padsagnia. Man dinilalag si Talage dsan Kiroga. Man inaniao. Kiroga, a man of Talofofo, went in search of Talage of Inalahan. Talage also went in search of Kiroga to fight him. Said Kiroga, “Where are you going?“ Said Talage, “I am looking for you so we can fight. “Said Kiroga, “Come let us go, and we will go to my ranch and eat and then we will fight.” Said Kiroga when the food was nearly done, “Get me a coconut.“ And he brought a ripe nut. And Kiroga squeezed the nut, and it was as though grated. Then they harassed each other and went to Padsoa at the Telae Dsuus (God’s bridge). Padsoa went in search of Padsagnia. They chased Talage and Kiroga. They were defeated.
2.2. Hornbostel Text 1 bei Costenoble Sinaŋgan Erzählung
i derer
Humanaw Ging-fort
si der
Kiroga, Kiroga,
ha aligaw er suchte
si den
Talage, tawtaw Hinalahan. Talage, (einen) Mann (von) Hinalahan.
Humanaw Ging-aus
logwe si gleichfalls der
si dem
Kiroga Kiroga
gi von
Hinalahan jan Hinalahan und
Talofofo. Talofofo.
tawtaw Talofofo, (ein) Mann (von) Talofofo,
Talage, Talage,
ha alĭligaw er suchte-nach
para u um (ihn)-zu
mumu. bekämpfen. mano wohin
Legña Sprach-er
si der
Kiroga: Para Kiroga: Nach
Legña Sprach-er
si der
Talage: Hu alĭligaw Talage: Ich suche
haw? du?
haw, dich,
para ta mumu. Legña auf-dass wir-mögen kämpfen. Sprach-er
si der
Nihi Komm,
fanmalag gehen-nach
ta lass-uns
i der
lanco Pflanzung
nay
ta wollen-wir
Legña si Sprach-er der
hanaw ta fortgehen, lass-uns ja und
ta lass-uns
fañoco, essen,
ja und
Kiroga: Kiroga:
aju dann-erst
mumu! kämpfen! Kiroga, Kiroga,
anay esta als schon
para daran
u zu
masa gar-sein
236 i das
Christina Vossmann
nĕnkaṇo: Culii jo nijug! Essen: Hole-für mich (eine) Kokusnuss!
Ja ha culii Und er holte (eine), die (war) pentan. reife Kokusnuss mit schon faseriger Schale. Ja ha fugu Und er auswrang ja und (sie war)
si der
Kiroga i Kiroga die
kalaŋ ha wie
makamju. geraspelt.
Pues umăsojo Dann beredeten-sich
i die
Pajoa Pajoa
telay Juus. Brücke-Gottes.
gi bei der
Mapus si Ging-weg der
Pajoa Pajoa
pentan, reife-Kokusnuss,
dos ja beiden und
ha er
Mandinīlalag (Von ihnen)- wurden verjagt
malag gingen-zu
alĭligaw suchte-auf si Talage der Talage
si den jan und
as dem
Pajagña. Pajagña. si der
Kiroga. Kiroga.
Mainañaw. Sie-wurden-(von-ihnen)-besiegt.
2.3. Hornbostel Text 2 bei Thompson Informant: Joaquin Perez, Land Judge of Guam, age 65 years. Un taotao gai padgon un lahe. Pago anai lumamudung esta, medgodnia dsan matadnagania ke si tatania. Anai ha lii na medgodnia ke guidsa, dinilalag asta i puntan i tano, dsa man goppi desde adso na punta asta Luta. Tantoki man rastro guihi na punta dsan Luta gi atso, dsa ma fa naan Puntan Padgon desde adso. A man had a child, a male. Now when he grew up he was stronger and braver than his father. When he (the father) saw that he (the boy) was stronger than him- self, he chased him to the end of the land, where he jumped from that point to Luta (Rota). Therefore he made a footprint on that point and in Luta in the rock, and it has been called Puntan Padgon (Child Point) since then.
237
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
2.4. Hornbostel Text 2 bei Costenoble Un Ein
tawtaw Mann
găypadgon Kind-habend
lumămuduŋ grösser-geworden ki si als der
Tanto So
esta, meḍgodña schon, (war er) stärker
Pago anay Nun als jan und
mataḍŋaña tapferer
meḍgodña ki gwija, tataña. Anay ha lii na Vater-sein. Als er sah, dass (er war) stärker als er,
dinīlalag wurde-(er)-verjagt ja und
un lahe. einen Sohn.
as tataña asta i von Vater-sein bis an-das
ha gope er übersprang
desde von
aju na jener
ke manrastro dass (er)-eine-Spur-hinterliess
Luta gi acu, Luta im Steine,
ja und (es)
puntan Ende-der
taṇo, Insel,
punta esta Luta. Spitze bis Luta. gwihi na punta jan an-jener Spitze und (auf)
mafanaan Puntan Padgon desde aju. wird-genannt Kap-des Kindes seit dem.
3. Allgemeine Textauswertung Es kann davon ausgegangen werden, dass Laura Maud Thompson beim Verfassen von Archaeology of the Mariana Islands die Originalmanuskripte von Gertrude Costenoble vorliegen hatte. Zum einen arbeitete sie 1929 als Assistentin am Bishop Museum, wo sie sich ausgiebig mit der Sammlung der Hornbostels beschäftigte. Darüber hinaus ist Laura Maud Thompson bekannt für ihr Werk Guam and its people, das zwar erst 1947 erschien, in dem sie aber mehrfach aus den unveröffentlichten Aufzeichnungen der Hornbostels zitiert, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass sie Zugang zu den Originaltexten hatte (Thompson 1969: 99, 174, 246, 248). Vermutlich lagen Costenoble keine Originaltexte vor. Eventuell arbeitete er sogar mit den Vorgaben aus Thompsons Werk, dies ist aber schwer zu belegen. Es fällt auf, dass Thompson und Costenoble nicht nur sprachwissenschaftlich geprägte Unterschiede in der jeweiligen Version der Texte aufweisen. Bereits die Rahmeninformation ist nicht völlig identisch, bzw. lässt Raum für Interpretation. Thompson vermerkt, dass Text 1 von einem 109-jährigen Mann aus Agaña (heute: Hagåtña) stammt, das an der Westküste liegt. Hermann Costenoble schreibt, dass die Geschichte (ebenfalls von einem 109-jährigen Mann) in Inarajan aufgeschrieben wurde – also in einem an der Südostküste gelegenen Ort. Falls sich die Information des Ortes nicht auf den Geburtsort Agaña bezieht, kann vermutet werden, dass der Informant entweder in Agaña oder in Inarajan ge-
238
Christina Vossmann
lebt hat. Es ist zweifelhaft, dass der Mann von einem Ort zum anderen transportiert wurde, um die Geschichte zu erzählen. 9 Belegt werden kann dies jedoch nicht. Satzzahl und Satzgrenzen sind in beiden Textversionen identisch, 10 es bestehen allerdings Unterschiede in der Anzahl der Wörter: Text 1: Thompson: 113, Costenoble: 109 Text 2: Thompson: 56, Costenoble: 54 Die abweichende Anzahl der benutzen Wörter kann mit den unterschiedlichen Übersetzungsansätzen und abweichenden Vorstellungen über Wortgrenzen erklärt werden, was im folgenden Abschnitt behandelt werden.
3.1. Übersetzung und Interpunktion Die Übersetzung der beiden Texte ist ein auffälliges Unterscheidungsmerkmal der beiden Autoren. Während Laura Thompson die Geschichten als zusammenhängende englische Übersetzungen wiedergibt, hat Costenoble eine Wort-für-Wort-Übersetzung vorgenommen und die Texte in Morphemglossen eingeteilt. Dieser Unterschied liegt in erster Linie in der Funktion der beiden Werke. Der Fokus bei Laura Thompson liegt bei der Vermittlung von ethnographischen und archäologischen Informationen über die Chamorro, dahingegen hat Hermann Costenoble eine Sprachbeschreibung vorgenommen, die ein völlig anderes Publikum anspricht. Trotz der unterschiedlichen Präsentation der Texte bleibt der Sinn der Geschichten identisch. In Text 1 findet sich lediglich eine Auffälligkeit. pentan übersetzt Laura Thompson mit ripe nut. Costenobles Übersetzung geht mehr ins Detail. Hier heißt es einmal reife Kokusnuss mit schon faseriger Schale und reife-Kokusnuss. Letzteres deckt sich teilweise mit Thompsons Übersetzung, obwohl es hier nur um eine beliebige Nuss geht. Die erste Übersetzung ist insofern interessant, als hier noch ein wichtiges Kriterium für das Reifestadium der Kokosnuss hinzugefügt wird. Im Wörterbuch von Donald Topping, sowie bei Flores & Bordallo Aguon wird das Adjektiv mit ‘Coconut – ripe, usually refers to that which has fallen from the tree’ (Topping 1975: 170), beziehungsweise ‘A ripe fallen coconut’ übersetzt (Flores & Bordallo Aguon 2009: 323). Auffällig in Text 2 ist, dass Laura Maud Thompson die Personen im 3. Satz zum besseren Verständnis in Klammern angibt. Bei Costenoble fehlen diese Angaben. Offen bleibt, ob die Information in den Klammern schon bei Gertrude Hornbostel vermerkt ist. In Text 1 besteht eine Tendenz zur Kommasetzung nach den jeweiligen Regeln der deutschen und US-amerikanischen Verwendungsweise. Hierbei fällt auf, dass die Position 9
10
In den 1920er Jahren war es auf Guam noch üblich, die Wege per Wasserbüffelkarren zu bestreiten. Für einen 109-jährigen Mann ist dies sicherlich nicht die angenehmste Art des Transportes. Vgl.: http://www.pacificworlds.com/guam/memories/memory1.cfm Satzzahl: Text 1: Thompson: 12, Costenoble: 12, Text 2: Thompson: 4, Costenoble: 4.
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
239
der Kommata bei Costenobles Übersetzung mit der Position im Text übereinstimmt. Er setzt beispielsweise Kommata nach den deutschen Kommaregeln bezüglich der Trennung zweier Hauptsätze und Konditionalsätzen. Bei Laura Thompson fällt die Kommasetzung eher uneinheitlich aus. Ihre Übersetzung hat sie teilweise den US-amerikanischen Konventionen angepasst. Damit geht unter anderem einher, vor ein und, welches zwei Hauptsätze voneinander trennt, ein Komma zu setzen, wie in folgendem Beispiel: Said Kiroga, “Come let us go, and we will go to my ranch and eat and then we will fight.” Die Kommaregel scheint aber nicht auf den kompletten Satz angewendet zu werden, denn der letzte Teil des Satzes wird nicht durch ein Komma eingeleitet. Ebenso uneinheitlich ist derselbe Satz auf Chamorro bei Thompson durch Kommata getrennt: Legnia si Kiroga: “nihi ta hanao dsa ta falag i lantso, dsa ta fan yotso, dsa adso nai ta mumu.”
3.2. Ortsbezeichnungen In beiden Texten gibt es Hinweise auf Orte, die zum Teil heute noch auf Guam zu finden sind. Die phonetischen Unterschiede in Costenoble und Thompson schlagen sich auch hier nieder. Talofofo ist ein Ort im Südosten Guams. Costenoble benutzt in seiner Orthographie das Hamzah als Glottalverschluss (Talofofo) Thompson verwendet keinen Glottalverschluss (Talofofo). Im aktuellen Wörterbuch von Flores & Bordallo Aguon findet man Talo’fo’fo wiederum mit dem Glottalverschluss in der zweiten Silbe (Flores & Bordallo Aguon 2009: 362). Inalåhan, ein Ort an der Südküste Guams, ist heute bekannt als Inarajan oder Inalåhan (Flores & Bordallo Aguon 2009: 189). Bei Costenoble findet man Hinalahan, Laura Thompson schreibt Inalahan. Beide Schreibweisen deuten die ursprüngliche Aussprache des Ortsnamens an. Während der spanischen Kolonialzeit hat sich die Schreibweise mit /r/ durchgesetzt, die heutzutage durch die Amerikanisierung der Insel als Retroflex [] in der Aussprache realisiert wird. 11 Beide Texte verweisen auf eine Brücke, die telay Juus (Costenoble) bzw. Telae Dsuus (Thompson) heißt. 12 Heutzutage existiert keine Brücke mehr mit diesem Namen, wohl aber einige Brücken aus spanischer Zeit, die man in Agaña findet. Ihre Namen lauten Taleyfac Spanish Bridge, Taelayag Spanish Bridge und die Agana Spanish Bridge/ Tollai Acho. In allen Bezeichnungen steckt zwar das Chamorro Wort für Brücke, das denen von Costenoble und Thompson benutzen Wörtern ähnelt, es ist aber nicht nachweisbar, ob eine dieser Brücken mit der Brücke in Gertrude Hornbostels Text identisch ist. Das heißt, von der ursprünglichen Bezeichnung können auch keine Rückschlüsse
11 12
Zur Herkunft der Ortsnamen auf Guam vgl: http://guampedia.com/category/villages-historicisland/guams-villages/, aufgerufen am 12. Juli 2010. Aufgrund der Vokalfrontierung, einem wichtigen Merkmal der Vokalharmonie im Chamorro, wird der mittelhohe hintere Vokal /o/ aus /tollai/ – Brücke – zu /e/, da dem Wort die Präposition /gi/ vorausgeht vgl. (Topping 1973).
240
Christina Vossmann
auf eine korrekte Wiedergabe gezogen werde. In dem Wörterbuch von Flores & Bordallo Aguon findet man Brücke unter tollai (Flores & Bordallo Aguon 2009: 372).
4. Sprachwissenschaftliche Auswertung Ich gehe im Folgenden nur auf eine kleine Anzahl von Auffälligkeiten ein. In Folgearbeiten ist eine philologisch-linguistisch vertiefte Beschäftigung auch mit den diesmal übergangenen Aspekten vorgesehen. Dort werde ich auch die Kommentare berücksichtigen, die z.B. Costenoble den Texten beigegeben hat.
4.1. Phonetik und Phonologie In beiden Texten wird von Costenoble das aus der Arabistik entlehnte Hamza als Glottalverschluss verwendet. Auffällig ist, dass Laura Maud Thompson in keinem der in ihrem Buch zitierten Texte, den Glottalverschluss verwendet, obwohl sie schreibt, Gertrude Hornbostel habe vermerkt, dass dieser Laut für das Chamorro sehr wichtig sei: “Concerning pronunciation Mrs. Hornbostel writes that the glottalstop (*) is important in Tsamoro (Chamorro) as it very nearly becomes a k or g in many words (Thompson 1932: 59).” Hier stellt sich die Frage, ob Gertrude Hornbostel lediglich erwähnt hat, dass der Laut wichtig für das Chamorro ist und ihn selber nicht schriftlich festgehalten hat. Bei der Sichtung der Hornbostel-Sammlung könnte sich diese Frage sehr wahrscheinlich klären. Falls Laura Thompson den Laut eigenständig aus den Texten ‘verbannt’ hat, ist dies völlig unverständlich, da der Glottalverschluss ein bedeutendes Merkmal des Chamorro ist. Des weiteren macht Laura Thompson folgende Angaben zur Aussprache:
is pronounced like sh except when used after t, when it becomes s as in Betsy
and tsar, and after d, when it becomes s as in heads, beds. Ng is pronounced as in singer, and ngg as ng in longer, finger. The endings u and o may be interchanged, as they are not differentiated, nor are the endings ĭ and ĕ. In many words either g or k may be used, as in tsegtseg or tsektsek (a rasping noise), and either b or p may be used, as in tsobtsob or tsoptsop (to suck) (Thompson 1932: 59). Auch hier lässt sich feststellen, dass Laura Thompson auf gewisse Hinweise zur Aussprache innerhalb der Texte verzichtet hat. Die Kennzeichnung zur verkürzten Aussprache der Vokale durch das diakritische Zeichen / ˘ / beispielsweise findet sich lediglich am Rande wieder und wird in den Texten nicht verwendet.
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
241
4.2. Orthographie Eine genaue Analyse aller Unterschiede, die Costenoble und Hornbostel aufweisen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Die diesem Abschnitt folgenden Tabellen verschaffen dennoch einen ersten Eindruck. Gegenübergestellt wurden Wörter aus beiden Versionen der Hornbosteltexte, die orthographische Unterschiede aufweisen. Zum Vergleich wird die aktuelle Orthographie aus The Official CHAMORROENGLISH Dictionary (OCED) vorgestellt. An dieser Stelle folgt nun ein allgemeiner Überblick, sowie eine kurze Analyse zweier besonders eindringlicher Abweichungen, die in Tabelle 2 bereits markiert sind. tantoki, tanto ke: Auf den ersten Blick handelt es sich bei tantoki (tanto ke) um einen Hispanismus. Die Übersetzung von tanto als so findet man auch heute noch im Spanischen. Ke oder ki lässt sich auf que zurückführen, was heute unter anderem die Bedeutung dass hat. Im heutigen Standardspanisch kommt tanto que als Konjunktion soviel, dass weiterhin vor. Es ist auffällig, dass sie in keinem der vorliegenden Wörterbücher (Topping 1975; Flores & Bordallo Aguon 2009) und auch nicht in der Dissertationsschrift von Rafael Rodríguez-Ponga y Salamanca (1995) vorkommt. Bei allen spanischen Wörtern im Chamorro in Betracht gezogen werden müssen möglicherweise auch noch die lateinamerikanischen und philippinischen Einflüsse auf das ehemals auf Guam gesprochene Spanisch. 13 ma-: Der Passivmarker ma- hat keinen Eintrag im Wörterbuch von Flores & Bordallo Aguon (2009) erhalten, wohl aber bei Donald Topping (1975: 127). Vermutlich wurde in dem aktuellen Wörterbuch vorausgesetzt, dass ma als Standard-Passivmarker bekannt, und daher kein Eintrag vonnöten ist. Leider findet sich kein Hinweis auf die Auswahlkriterien der im Buch erschienenen Ausdrücke im Vorwort oder an anderer Stelle, auf den hier verwiesen werden kann. Grundsätzlich können nach einer ersten, oberflächlichen Analyse einige generelle Feststellungen gemacht werden. Die Übersetzungen von Thompson und Costenoble entsprechen im Großen und Ganze den heutigen Bedeutungen, obschon die orthographischen Abweichungen zwischen den beiden Versionen unverkennbar und prägnant sind. Um festzustellen, warum die Orthographie dermaßen unterschiedlich ist, wären die Originaltexte von Gertrude Hornbostel bei einer ausführlicheren Analyse eine große Hilfe. Hiermit könnte belegt werden, dass Hermann Costenoble orthographische Veränderungen im Sinne seiner Grammatik gemacht hat. Darüber hinaus ließen sich Rückschlüsse über die Absichten der veränderten Orthographie ziehen, die sich wiederum auf die Forschung mit anderen Abschnitten aus Costenobles Grammatik auswirken könnten.
13
Über historische Handelsbeziehungen zwischen Spanien, Mexiko, Guam und den Philippinen vgl. (Rogers 1995)
242
Christina Vossmann
5. Tabellarische Übersicht Text 1 Thompson
Costenoble
OCED
Humanao
Humanaw
humånao (Vb. went, left, removed, disappeared)
taotao
tawtaw
taotao (N. human being, people.)
Talofofo
Talofofo
Talo’fo’fo – Eigenname
aligao
aligaw
aligao (Vb. to search, to find, to seek for something)
Inalahan
Hinalahan
Inalåhan/Inarajan – Eigenname
logue
logwe
lokkue’ (Conj. or adv. also, too, besides)
aliligao
alĭligaw
aligao (Vb. to search, to find, to seek for something)
Legnia
Legña
ilek- (Vb. say or said. ilek- is a dependent verb. It is dependent on the subject possessive pronoun, as […] ilek-ña [...])
hao
haw
hao (Pron. you (singular))
ta
ta
ta (Pron. personal, first person plural, possessive, inclusive. Ours or our own, we, us)
hanao
hanaw
hånao (Vb. to go, leave, move)
dsa
–
ya (Conj. and, so, as)
falag
fanmalag
falak (Vb. (archaic) usually used as an imperative and for an intended expression)
lantso
lanco
låncho (N. (Sp. ranch) a farm with crude dwelling, a small shelter)
dsa
ja
ya (Conj. and, so, as)
fan yotso
fañoco
fan (Vb. a polite request equivalent to the English word, please) chocho (Vb. to eat, to have a snack)
adso
aju
ayu (Pron. that, used either as demonstrative or relative)
nai
nay
nai (Conj. or adv. linking particle used with månu [...])
anai
anay
annai (Adv. or conj. a subordinative conjunction. when or where)
nengkano
nĕnkaṇo
nenkanno’ (N. food)
tsulii
Culii
chuli’i (Vb. to take to someone, to take something for somebody)
dso
jo
yu’ (Pron. first person, objective, me, I want)
nidsug
nijug
niyok (N. coconut)
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen Text 1 Thompson
Costenoble
OCED
tsuli
culi
chuli’i (Vb. to take to someone, to take something for somebody)
fugu
fugu
fugu’ (Vb. to press to extract the fluid or juice, to wring or twist to forcethe liquid out)
kulang
kalaŋ
kulan (Adj. similar, looks like, it seems as if, alike)
ha
ha
ha (Pron. third person singular, he, she, it)
ma kamdso
makamju
kåmyu (N. a coconut grater, a device with a sharp corrugated edge to grate coconut meat)
umasodso
umăsojo
uma- (Vb. reciprocal prefixes), sohyo’ Vb. to urge, encourage
Padsoa
Pajoa
Eigenname
go
gi
gi (Adv. or prep. at, or, on the)
Telae Dsuus
telay Yuus
tollai (N. bridge), Yu’os (N. God, supreme being)
Mapos
Mapus
må’pos (Vb. departed, gone)
Padsagnia
Pajagña
Eigenname
Man dinilalag
Mandinīlalag
man- (a prefix. Plural subject marker), dulalak (Vb. (orig. unknown) to run after, to drive or chase away, [...])
dsan
jan
yan (Conj. and, along, with)
Man inaniao
Maninañaw
man- (a prefix. Plural subject marker), å’ñao (Vb. or adj. to overcome, to frighten, subdue)
Tabelle 1: Text 1 – Orthographie im Vergleich Text 2 Thompson
Costenoble
OCED
taotao
tawtaw
taotao (N. human being, people.)
gai padgon
găypadgon
gai (Vb. to have), påtgon (N. child, kid, infant)
Pago
Pago
på’go (Adv. or adj. now, today)
anai
anay
annai (Adv. or conj. a subordinative conjunction. when or where)
lumamudung
lumămuduŋ
lamoddong (Adj. bigger, larger)
medgodnia
meḍgodña
metgot (Adj. strong, tough, powerful), ña (Adv. adverbial suffix. better than, more than)
dsan
jan
yan (Conj. and, along, with)
243
244
Christina Vossmann
Text 2 Thompson
Costenoble
OCED
matadnagania
mataḍŋaña
minatatnga (Adj. valor, brave)
ke
ki
ki (Conj. or adj. to denote qualities of nouns. The conjunction than, used as function word to show the comparison of)
tatania
tataña
tåta (N. father, papa, dad, daddy, male parent)
lii
lii
li’e’ (Vb. to see, to view, to learn by looking, sighted)
guidsa
gwija
guiya (Pron. emphatic pronoun, singular third person. he, she, or it)
dinilalag
dinīlalag
dulalak Vb. (orig. unknown) to run after, to drive or chase away, to fire or dismiss from a job, to force to leave
tano
taṇo
tåno’ (N. world, earth, land, soil, ground)
dsa
ja
ya (Conj. and, so, as)
goppi
gope
goppe (Vb. jump)
adso
aju
ayu (Pron. that, used either as demonstrative or relative)
asta
esta
asta (Prep. (Sp. hasta. till) to, up to, over to)
Luta
Luta
Luta (N. Rota) – Eigenname
Tantoki
Tanto ke
Tanto erscheint in dieser speziellen Übersetzung (so, dass) nicht im Wörterbuch, ke (a kind of contradictory conjunction, as, in that case, so, well)
man rastro
manrastro
man- (a prefix. Plural subject marker), råstro (N. a mark or print, the rut on the ground or a log)
guihi
Gwihi
guihi (Adv. there, over there)
atso
acu
åcho’ (N. (Sp. roca or piedra) rock, a solid mineral matter, gravel rock, stone)
ma fa naan
mafanaan
fa’na’an (Vb. to name, to give a name)
Tabelle 2: Text 2 – Orthographie im Vergleich
Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
245
6. Donald Topping und der Hornbostel-Text 1 Da die Syntax der Erzählung von Kiroga und Talage einigen Informanten Donald Toppings ungrammatisch erschien (Topping 1973: 6), soll in diesem Abschnitt ein kurzer Blick auf die von Topping in seinem Lehrbuch Spoken Chamorro von 1967 abgedruckte Version des Textes geworfen werden. 14 Topping hat den Text aus Costenobles Grammatik übernommen, seinerseits aber einige Veränderungen umgesetzt und einen Hinweis auf eventuelle, im Chamorro der 1970er Jahre eigentümlich anmutende, Ellipsen im Text gegeben, die durch das Alter des Informanten begründet werden könnten (Topping 1980: 336). I Estorian Inarajan yan Talofo’fo’. Humanao si Kiroga, taotao Talofo’fo’, ha espipiha si Talage, taotao Inarajan. Humanao lokue’ si Talage, ha espipiha si Kiroga para u mumu. Ilek-ña si Kiroga: Para manu hao? Ilek-ña si Talage: Hu espipiha hao, para ta mumu. Ilek-ña si Kiroga: Nihi ta hanao ta falak i lancho yä ta chocho, yä ayu nai ta mumu. Ilek-ña si Kiroga, anai esta para u masa i néngkano’, chule’e yo’ niyok. Si Talage humanao yä mañule’ pontan. Pues, si Kiroga ha fugo’ i pentan kulang ha’ makamyo. Pues, umasoyo’ i dos yä malak äs Payo’a gi telai Yu’us. Ma’pos si Payo’a ha espipiha si Payakña. Dinilalak si Talage yän si Kiroga. Ina’a’ñao si Talage yän si Kiroga. Eine Auffälligkeit ist, dass Topping aligao mit espipiha ausgetauscht hat. Laut dem Wörterbuch von Flores & Bordallo Aguon (2009: 16) kann dieses Wort synonym verwendet werden. Insgesamt ist es eindeutig, dass Donald Topping sich im Zitat des Costenoble Textes für eine Orthographie entschieden hat, die zum Großteil der Orthographie entspricht, die auch von Flores & Bordallo Aguon verwendet wird. Im Vergleich zu Costenoble erkennt man auf Anhieb, dass Topping beispielsweise für die Markierung des Glottalverschlusses das heute auf den Marianen gebräuchliche [’] verwendet. Der Diphthong [ao] wird auch, im Gegensatz zur Orthographie bei Costenoble durch und nicht repräsentiert. findet sich in der heutigen Schreibweise nicht wieder. Begründen lassen sich diese Veränderungen wohl durch die aktive Mitarbeit Donald Toppings an einer Standardorthographie des Chamorro (Taitano 2010). 14
Zu dem Text gibt es keine englische Übersetzung, da er lediglich als Lernhilfe dienen sollte. Des Weiteren kann vermerkt werden, dass der Text in der zweiten, überarbeiteten Ausgabe von Spoken Chamorro (Topping 1980) nicht mehr vorkommt.
246
Christina Vossmann
Neben einigen schon erwähnten orthographischen Anpassungen, für deren vollständige Analyse dieser Beitrag nicht vorgesehen ist, erscheinen in Toppings Text zwei im Vergleich zu Costenoble in ihrer Syntax abgewandelte Sätze, die an dieser Stelle kurz erwähnt werden sollen: (1)
Si
Talage h-um-anao yä mañ-ule’ pontan Talage VERBAL-geh und AP-nehm reife_Kokosnuss ‘Talage ging und nahm/pflückte/sammelte reife Kokosnüsse.’ DET
(2)
Pues, si Kiroga ha fugo‘ i pentan dann DET Kiroga 3SG.ERG quetsch DET reife_Kokosnuss kulang ha‘ makamyo. wie INTENS geraspelt ‘Und dann zerquetschte Kiroga die reife Kokosnuss als wäre sie geraspelt.’
Diese Umänderungen könnten eine Reaktion darauf sein, dass die von Topping befragten Muttersprachler die Sätze als ungrammatisch empfunden haben. Zum Vergleich hier noch einmal die Sätze aus Costenoble: (3)
Ja und
ha culii er holte (eine), die (war)
(4)
Ja ha fugu und er auswrang ja und (sie war) wie
pentan reife Kokosnuss mit schon faseriger Schale.
si Kiroga i der Kiroga die kalaŋ ha makamju. geraspelt.
pentan, reife-Kokosnuss,
7. Ergebnisse und Fazit Zu diesem Zeitpunkt ist es mangels der Kenntnis der Originalquelle noch nicht möglich, genaue Schlüsse darüber zu ziehen, welcher Autor eventuelle Abwandlungen vorgenommen hat. Laura Maud Thompson erwähnt, dass die von Gertrude Hornbostel gesammelten Texte und Lieder unverändert wiedergegeben wurden. Durch die ausführliche Arbeit im Rahmen des Chamorrica-Projektes mit dem Werk Costenobles liegt die Vermutung nahe, dass Hermann Costenoble den Text für seine Arbeit angepasst hat. Ob dies eventuell sogar mit dem Einverständnis oder unter Zusammenarbeit mit seiner Schwester Gertrude geschah, kann hier abschließend nicht geklärt werden. Costenoble hat ein sehr selbstbewußtes Werk verfasst, in dem er sich nicht immer an linguistische Konventionen gehalten hat. Dass er die von seiner Schwester gesammelten Texte dahingehend verändert haben könnte, damit sie in das Gesamtwerk mit all seinen linguistischen Beschreibungen passen, wäre nicht verwunderlich. Eine kommentierte Reedition der verschiedenen Versionen ist unter der Berücksichtigung des Originals dringend erforderlich. Die Koexistenz von drei leicht unterschiedlichen Versionen ein-
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Gertrude Hornbostels Aufzeichnungen
und desselben Textes in einer Sprache, die über eine nur moderate Schriftlichkeitstradition verfügt, ist prekär. Die Reedition ist nicht nur der Sprach- und Kulturgemeinde der Chamorro für ihr geschichtliches Selbstverständnis dienlich, sondern auch der Linguistik, die die Chamorrodaten auswertet und sich auf die Korrektheit der textlichen Basis verlassen können muss.
Abkürzungen AP DET ERG
Antipassiv Determinierer Ergativ
INTENS SG VERBAL
Intensivierer Singular Verbalisierer
Literatur Costenoble, Hermann Ludwig Wilhelm (1905): Die Marianen, in: Globus, Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, 88. Costenoble, Hermann (1940): Die Chamoro Sprache. ’s-Gravenhage: Martinus Nijhoff. Costenoble, Hermann (1979): Dictionary of Proto-Philippine. Quezon City: University of the Philippines. Flores, Sylvia M. & Bordallo Aguon, Katherine (2009): The Official CHAMORRO-ENGLISH Dictionary/UFISIÅT NA DIKSIONÅRION CHAMORRO-ENGLES. Hagåtña.. Rodríguez-Ponga Y Salamanca, Rafael (1995): El Elemento Español En La Lengua Chamorro (Islas Marianas). Unveröffentlichte Dissertation. Universidad Complutense de Madrid: Facultad de Filología. Rogers, Robert F. (1995): Destiny’s landfall – a history of Guam. Honolulu: University of Hawaii Press. Rohde, Joy Elizabeth (2000): Registers to the papers of Laura Thompson. Stolz, Thomas; Vossmann, Christina; Dewein, Barbara & Chung, Sandra (in Druck): The mysterious H. Who was the author of Die Chamoro Sprache? Taitano, Gina E. (2010): Chamorro orthography. http://guampedia.com/chamorro-orthography/ (aufgerufen am 20. August 2010). Thompson, Laura Maud (1932): Archaeology of the Marianas Islands, in: Bernice P. Bishop Bulletin. Honolulu: Bernice P. Bishop Museum Library, 100. Thompson, Laura Maud (1969): Guam and its people. Princeton: Princeton University Press. Topping, Donald M. (1967): Spoken Chamorro. Honolulu: University of Hawaii Press. Topping, Donald M. (1973): Chamorro reference grammar. Honolulu: University of Hawaii Press. Topping, Donald M. (1975): Chamorro-English dictionary. Honolulu: University of Hawaii Press. Topping, Donald M. (1980): Spoken Chamorro: with grammatical notes and glossary. Honolulu: University of Hawaii Press.
BARBARA DEWEIN (BREMEN)
Reduplikation als Thema in Hermann Costenobles Die Chamoro Sprache ∗
Abstract Bei Hermann Costenobles Die Chamoro Sprache (1940) handelt es sich trotz mancher formaler und analytischer Eigentümlichkeiten um eine wertvolle Ergänzung zu Donald Toppings Chamorro reference grammar (1973), welche heute noch Standardreferenzgrammatik des Chamorro ist. Die Errungenschaften von Costenobles Grammatik lassen sich anhand seiner Darstellung des Phänomens der Reduplikation verdeutlichen, welche sehr viel ausführlicher ausfällt, als dies in anderen Werken zum Chamorro der Fall ist. Die Chamoro Sprache sticht in Bezug auf Reduplikation vor allem durch die diachrone Herangehensweise des Autors hervor. Der Autor führt eine eingehende Untersuchung nichtoder nicht mehr produktiver reduplikativer Prozesse bzw. von Prozessen der Stammbildung durch, die bis heute Ihresgleichen sucht.
1. Einleitung In dem vorliegenden Artikel wird die Beschreibung des Phänomens der Reduplikation im Chamorro in der von Hermann Costenoble 1940 verfassten Grammatik Die Chamoro Sprache dargestellt. Mit knapp 550 Seiten handelt es sich bei Die Chamoro Sprache um eine bemerkenswert umfangreiche Arbeit, die jedoch nicht allein durch ihren Umfang die anderen zu ihrer Entstehungszeit verfügbaren Beschreibungen des Chamorro in den Schatten stellt. Costenoble liefert in Die Chamoro Sprache tiefgehende Beschreibungen einer erstaunlichen Bandbreite an sprachlichen Phänomenen, die bis zu diesem Zeitpunkt keine Beachtung in der Grammatikschreibung des Chamorro gefunden hatten. So waren reduplikative Prozesse im Zusammenhang mit dem Chamorro zwar in den meisten zuvor publizierten Texten mehr oder weniger ausführlich behandelt worden, jedoch geschah dies fast ausschließlich im Kontext anderer morphologischer oder syntaktischer Prozesse. In Die Chamoro Sprache findet zum ersten Mal eine explizite und ∗
Mein Aufsatz ist im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Universität Bremen geförderten Forschungsprojektes STO 186/13-1 Chamorrica – die kommentierte (Neu-)Edition und Übersetzung der frühen nicht englischsprachigen Quellen zum Chamorro (1668–1950) entstanden.
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umfassende Auseinandersetzung mit Reduplikation aus typologischer Perspektive statt. Auch dem Vergleich mit den späteren Arbeiten zur Reduplikation im Chamorro kann die Grammatik standhalten. 1 Costenobles autodidaktischer Zugang zur Sprachanalyse mag aus heutiger Sicht zu formalen und inhaltlichen Unklarheiten geführt haben; dennoch bietet Die Chamoro Sprache eine Reihe wertvoller Einblicke – hinsichtlich der Reduplikation insbesondere in Bezug auf diachrone Aspekte –, die weder von Costenobles Vorgängern, noch von Topping (1973) oder anderen seiner Nachfolger in vergleichbarer Manier behandelt werden. Kapitel 2 bietet einen kurzen allgemeinen Überblick über den biographischen Hintergrund des Autors sowie über die Inhalte von Die Chamoro Sprache. Kapitel 3 widmet sich schließlich dem Phänomen der Reduplikation in Die Chamoro Sprache unter Hervorhebung der positiven und negativen Besonderheiten von Costenobles Analysen.
2. Hermann Costenoble und Die Chamoro Sprache2 Hermann Costenoble (1893–1942) kam 1903 als Kind der deutschen Siedler Hermann Wilhelm Ludwig Costenoble und Gertrude Costenoble mit seiner Familie auf die Marianen, wo er, zunächst in Saipan, später in Guam, bis 1913 lebte. In dieser Zeit erwarb er, nach eigenen Angaben, beinahe muttersprachliche Kompetenzen im Chamorro (Costenoble 1940: v). Zudem machte er sich mit der gängigen austronesistischen Literatur seiner Zeit vertraut (Stolz et al. in Druck b). 3 Dennoch handelte es sich bei Costenoble nicht um einen ausgebildeten Sprachwissenschaftler (Costenoble 1940: v et seq.). Daher überrascht es nicht, dass seine Art der Sprachbeschreibung in einigen Punkten nicht den linguistischen Standards anderer deskriptiver Grammatiken genügt. Zudem verging zwischen dem Beginn der Verschriftlichung eines ersten Entwurfs der Grammatik 1915 und deren endgültiger Fertigstellung 1935 ein beachtlicher Zeitraum von etwa 15 Jahren 4 in denen Costenoble sich nicht in der Umgebung von Muttersprachlern des Chamorro aufhielt. Costenoble selbst räumt ein, dass dieser lange Zeitraum der Abwesenheit von den Marianen sowie der Kontakt mit philippinischen Sprachen zu Ungenauigkeiten oder fehlerhaften Sprachbeschreibungen geführt haben könnte 1 2
3 4
Die vorliegende Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf die heute noch verwendete Standardreferenzgrammatik (Topping 1973). Die Darstellung in Kapitel 2 stützt sich auf den von Stolz et al. (in Druck b) verfassten Artikel “The mysterious H. Who was the author of Die Chamoro Sprache?”. Dort werden auch die in Kapitel 2 angesprochenen Problembereiche von Costenobles Analysen ausführlich dargestellt. Costenoble erwähnt unter anderem Brandstetter (1915), Dempwolff (1920) und “holländische Autoren” (Costenoble 1940: 16). Der erste Entwurf der Grammatik wurde von Costenoble zwischen 1915 und 1919 verfasst; Erscheinungsjahr von Die Chamoro Sprache ist 1940, das Vorwort wurde jedoch bereits am 21. April 1935 unterzeichnet (Costenoble 1940: v et seq.).
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(Costenoble 1940: v). Tatsächlich weist die Grammatik zahlreiche formale Mängel und inhaltliche Schwächen auf. Als Beispiele können hier mangelnde Quellenangaben, idiosynkratische Wortwahl, und Costenobles Schwierigkeiten, sich vom deutschen Wortartensystem zu lösen, genannt werden. Trotz der erwähnten Schwachpunkte werden in Die Chamoro Sprache eine Fülle an Phänomenen des Chamorro ausführlich und überzeugend dargestellt. So wendet Costenoble beispielsweise in Bezug auf die Phonologie eine pan-austronesische vergleichende Herangehensweise an (Costenoble 1940: 13–134). Er ist zudem der erste, der in seiner Grammatik einen eigenen Hauptteil für Syntax vorsieht, in welchem er viele Fragen behandelt, die zuvor noch nicht besprochen worden waren (Costenoble 1940: 492–520). Ferner hat Costenoble mit seiner Behandlung des Tempus-Modus-Aspekt Systems (Costenoble 1940: 293–300) und der Transitivität im Chamorro (Costenoble 1940: 246–250 und 307–350) zum Fortschritt der Grammatikschreibung der Sprache beigetragen. Stolz et al. (in Druck b) fassen zusammen: In contrast to its predecessors [...] Die Chamoro Sprache is a veritable in-depth study of the indigenous language of the Mariana Islands. Before its publication in 1940, information about Chamorro was somewhat sketchy and not always philologically accurate. H. Costenoble’s descriptive grammar, with its 550 printed pages, provides an unprecedented wealth of data, analysis and insights.
3. Reduplikation in Die Chamoro Sprache Nach einer kurzen Beschreibung des Phänomenbereichs der Reduplikation soll im Folgenden ein Überblick über die Vorzüge und Schwierigkeiten der Darstellung von Reduplikation in Die Chamoro Sprache die obigen Ausführungen illustrieren. Reduplikation ist die systematische Wiederholung von Lauten oder Silben (partielle Reduplikation) oder von Wörtern (totale Reduplikation). In den gängigen Definitionen wird der Phänomenbereich der Reduplikation auf produktiv angewandte morphologische Prozesse beschränkt, die mit Veränderungen auf der semantischen Ebene einhergehen (siehe bspw. Stolz 2007: 57, Hurch 2005: 1, Stolz et al. in Druck a). In jüngerer Zeit werden jedoch auch wieder Ansätze vertreten, welche die nicht-(mehr-)produktiven reduplikativen Strukturen in die Phänomenologie der Reduplikation zu integrieren versuchen (so zum Beispiel Mattes 2007 oder Stolz et al. 2009). Ein bis dato in der Reduplikationsforschung wenig beachtetes Phänomen sind die sogenannten Stammreduplikationen 5 (siehe Stolz et al. 2009 und Dewein 2010). Dieser Begriff bezeichnet Lexeme, welche aus zwei Sequenzen segmental übereinstimmender Silben bestehen, wobei die Einzelsilbe nicht als bedeutungstragendes Element existiert 5
Synonym: reduplizierte Stämme.
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(vgl. Stolz 2007: 58ff.; Stolz et al. 2009: 90). Aus synchroner Perspektive liegt somit kein ursächlicher morphologischer Prozess zu Grunde. 6 Im Chamorro lässt sich heute nur produktive partielle Reduplikation nachweisen. 7 In die partielle Reduplikation geht der Silbenkörper ein, so dass immer der vokalische Nukleus sowie ein gefüllter konsonantischer Auftakt wiederholt werden (Stolz et al. 2009: 89f.), vgl. /gu/ und /gugu/ in (1a–b): (1) (1a)
(1b)
partielle Reduplikation im Chamorro unreduplizierte Form [Memmo’ 3] G-um-upu i dos esta i s-um-en flieg-VB-flieg DET zwei schon DET sehr-AF-sehr taddong na’ halomtano’. LINK Wald tief ‘Die beiden waren schon tief in den Wald hinein geflogen.’ reduplizierte Form [Memmo’ 4] K-um-a-kanta i dos mientras g-um-u-gupu RED-AF-RED-sing DET zwei während RED-AF-RED-flieg ‘Die beiden sangen, während sie flogen..’
Über nicht-produktive reduplikative Phänomene im Chamorro liegen keine umfassenden Erkenntnisse vor. Erste synchrone Untersuchungen von Stolz et al. (2009) und Dewein (2010) stellten für das Chamorro etwas mehr als 140 Stammreduplikationen fest, die überwiegend aus geschlossenen bedeckten Silben bestehen und die häufig Bewegungen oder Geräusche ausdrücken (Stolz et al. 2009: 102, 106, Dewein 2010: 43, 49), siehe (2). (2)
Stammreduplikation im Chamorro [Rai 25] Ha dakdak i petta ni’ patas mo’na, tak, tak, tak. PRON.3SG klopf DET Tür AGENS Fuß Vorderseite tak tak tak ‘Sie/er klopfte mit ihrer/seiner Fußspitze an die Tür, tak, tak, tak.’
Reduplikation bei Costenoble Über Costenobles Kenntnisstand hinsichtlich der Reduplikation kann vorerst nur spekuliert werden. Ob er mit August Friedrich Potts Doppelung (1862), der ältesten Zusammenstellung von Daten zur Reduplikation aus typologischer Perspektive (Mattes 2007: 12), vertraut war, ist unklar. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber waren ihm die austronesistischen Arbeiten Brandstetters und Dempwolffs zum Thema bekannt. 8 Zudem 6 7 8
Nicht-(mehr-)produktive Wortformen, bei denen sich die Einzelsilbe etymologisch herleiten lässt, fallen also nicht in den Phänomenbereich der Stammreduplikation. Zur Diskussion um die zwangsläufige Entstehung partieller Reduplikation aus der totalen siehe Stolz (2008) und Stolz et al. (in Druck a). Costenoble (1940: 137) bezieht sich auf Brandstetters Arbeiten zur einsilbigen Wurzel (z.B. Brandstetter 1910, 1917), sowie auf Otto Dempwolffs Vergleichende Lautlehre des austronesischen Wortschatzes (1934).
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war das Phänomen bereits in den früheren Arbeiten zur Grammatik des Chamorro behandelt worden – wenn auch unzureichend und in Umfang und Darstellungsweise nicht mit dem vergleichbar, was Costenoble vorlegen sollte. Die Darstellung der Reduplikation in Die Chamoro Sprache erfolgt in einem eigens für sie vorgesehenen zehnseitigen Unterkapitel (Verdoppelung) (Costenoble 1940: 135– 146) anhand formaler Eigenschaften im ersten Hauptteil des Werkes (Laut und Silbe). “Verdoppelung” ist für Costenoble der umfassende Begriff für reduplikative Phänomene. Er unterscheidet die Verdoppelung einsilbiger Wurzeln, die “vollständige Verdoppelung mehrsilbiger Worte – Reïtteration [sic!]” und die “Verdoppelung einzelner Silben in mehrsilbigen Worten – Reduplikation”. Im zweiten Hauptteil von Die Chamoro Sprache (Wortklassen) wird Reduplikation kurz gesondert behandelt. Entsprechend der Vorgehensweise von Costenobles Vorgängern erfolgt dies jeweils in Bezug auf einzelne Wortarten, von oder zu denen durch Reduplikation deriviert wird, bzw. die mittels Reduplikation flektiert werden und mit Fokus auf den möglichen Funktionen der Reduplikation. Es scheint zunächst überraschend, dass das Phänomen der Reduplikation, welches üblicherweise als morphologischer Prozess verstanden wird, von Costenoble in der Phonologie angesiedelt wird. Ein Grund für diese Zuordnung ist vermutlich, dass es suprasegmentale Eigenschaften sind, anhand derer die einzelnen Typen partieller Reduplikation formal unterschieden werden. Ferner könnten rein praktische Überlegungen eine Rolle bei dieser Einordnung gespielt haben. Die Anmerkungen Costenobles zu dem von ihm entwickelten Transkriptionssystem (Costenoble 1940: 3) legen nahe, dass weite Teile der Grammatik bereits fertiggestellt waren, während am Phonologieteil noch Ergänzungen vorgenommen wurden. 9 Costenoble hatte möglicherweise schlicht keine andere Wahl, als sein Kapitel über Verdoppelungen dem Phonologieteil anzuhängen. Costenoble geht diachron und sprachvergleichend vor. Seine Untersuchung des Chamorro ist die erste – und bisher einzige – die zwischen noch lebenden und bereits fossilisierten Formen von Reduplikation im Chamorro unterscheidet (Costenoble 1940: 138f.) und die auch nicht(-mehr) produktive Formen von Reduplikation in die Analysen mit einbezieht.
9
Costenoble hätte gerne noch Änderungen an seinem Transkriptionssystem vorgenommen, doch sei ihm dies nicht möglich gewesen, da er die restlichen Kapitel der Grammatik bereits verfasst habe und daran keine Änderungen mehr möglich seien (Costenoble 1940: 3). Zudem erwähnt er, dass bei Erscheinen der ersten Arbeiten Dempwolffs zum Urindonesischen (Dempwolff 1934), nur ein Jahr vor Costenobles Unterzeichnung des Vorwortes, sein Abschnitt über die Lautwandlungen bereits fertiggestellt gewesen sei (Costenoble 1940: 101). Ergänzungen an der Grammatik in Hinblick auf Dempwolffs Erkenntnisse muss Costenoble also sehr kurzfristig durchgeführt haben. Es ist vorstellbar, dass er zuletzt nur noch an seinem ersten Hauptteil gearbeitet hat, während die übrigen Kapitel bereits in Drucklegung waren.
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3.1. Formale Klassifikation 3.1.1. Partielle Reduplikation Der Abschnitt Verdoppelung einzelner Silben in mehrsilbigen Worten – Reduplikation (Costenoble 1940: 136–146) ist mit Abstand der umfangreichste in Costenobles Ausführung zur Reduplikation. Darin befasst der Autor sich mit den produktiven, sowie den nicht (mehr) oder nur noch teilweise produktiven Typen partieller Reduplikation, die er hinsichtlich ihrer formalen Eigenschaften klassifiziert: Sie [die Reduplikation, B.D.] geschieht auf verschiedene Weisen, und bedient sich zur Unterscheidung der Funktionen verschiedener begleitender Hilfsmittel. Als solche Nebenerscheinungen der Reduplikation treten auf: Länge oder Kürze der Tonsilbe, Lage des Akzentes, Verschiedenheit der zu verdoppelnden Silbe (der ersten, der Tonsilbe, der auf die Tonsilbe folgenden oder der letzten), Umlaut des Vokales, (Costenoble 1940: 138). Die Länge der Tonsilbe wird von Costenoble als distinktiv angegeben, Topping (1973) jedoch nimmt darauf keinen Bezug, und auch von heutigen Kennern der Chamorrophonologie wird diese Unterscheidung nicht akzeptiert (Sandra Chung, pers. Mitteilung). Auch die Lage des Akzentes wird von Topping nicht als distinktiv angenommen. Für alle von ihm beschriebenen Reduplikationsprozesse gilt, dass die Wortbetonung nicht, wie in den Fällen von Affigierung, auf der sonst als Akzentstelle dominierenden Paenultima verbleibt, sondern eine Silbe weiter vorne liegt (Topping 1973: 171). In Toppings Typologie der produktiven Reduplikationsformen des Chamorro wird als formales Kriterium zur Unterscheidung der Reduplikationstypen hauptsächlich die Position der reduplizierten Silbe im Wort im Zusammenhang mit der Wortbetonung aufgeführt. Hier unterscheidet er zwei Positionen: Reduplikation der betonten und der letzten Silbe eines Wortes (Topping 1973: 259, 217). Costenoble hingegen führt als weitere Positionen die erste Silbe sowie die auf die betonte Silbe folgende auf. In den von ihm gegebenen Beispielen ist jedoch in den allermeisten Fällen die erste Silbe zugleich die betonte bzw. die letzte Silbe zugleich die auf die betonte Silbe folgende (z.B. fŏge – Spur, fŏfoge – Fußsohle, Costenoble 1940: 141). Vokalharmonie tritt laut Costenoble (1940: 143f.) bei dem Typ von Reduplikation auf, welcher der Bildung von Berufsbezeichnungen dient (tītifug ‘Flechter’ > tufug ‘flechten’). Dem entspricht Toppings Darstellung, welcher ebenfalls Vokalharmonie im Falle der nominalisierenden Reduplikation der ersten Silbe eines Lexems angibt (Topping 1973: 181). Da Costenobles formale Unterscheidung anhand der oben genannten vier Parameter erfolgt, von denen aber nicht alle distinktiv sind, wird seine Darstellung unübersichtlich. Dennoch werden alle heute bekannten Typen von Reduplikation im Chamorro benannt, ausführlich dargestellt und mit zahlreichen Beispielen belegt.
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3.2. Funktionale Klassifikation Für einen Vergleich mit Toppings (1973) 10 Darstellung funktionaler Aspekte ist es zunächst sinnvoll, die von Costenoble als produktiv klassifizierten Formen von Reduplikation herauszustellen, da nur diese in den anderen verfügbaren Beschreibungen Erwähnung finden. 3.2.1. Produktive Reduplikation Die Reduplikation der Tonsilbe zur Bildung der kontinuativen Aspektform wird formal bei Costenoble (1940: 139, 299) ebenso angegeben, wie bei Topping (1973: 258f.). Sie wird durch die rechtsläufige Reduplikation des (K)V der betonten Silbe eines Wortes (üblicherweise eines Verbs) markiert, wobei die Betonung auf der Kopie 11 liegt (vgl. Bsp. 1b). Bei der nominalisierenden Reduplikation handelt es sich laut Costenoble um Reduplikation der ersten Silbe eines Wortes zur Benennung inhärenter Eigenschaften (Costenoble 1940: 143f.). Dies steht im Gegensatz zu Topping, der zur Nominalisierung die Reduplikation der betonten Silbe angibt (Topping 1973: 181). Costenoble weist – wie Topping – auf die Vokalharmonie hin, die bei diesem Typ von Reduplikation auftritt (gīgipu – Vogel; von gupu – fliegen) (Costenoble 1940: 478). Derselbe Typ von Reduplikation wird von Costenoble zudem im morphologischen Hauptteil unter den Formen von Adjektivierung beschrieben (Costenoble 1940: 438). Es handelt sich jedoch nicht um zwei distinkte Formen von Reduplikation. Costenoble selbst stellt fest, dass der Unterschied zwischen den beiden Formen eher unerheblich ist. 12 Die Trennung in zwei funktionale Typen beruht vermutlich darauf, dass Costenoble an der traditionellen indoeuropäischen Wortarteneinteilung in Nomen, Adjektiv, Verb, etc festhält (Stolz et al. in Druck a). Des Weiteren führt Costenoble die intensivierende Reduplikation auf, welche sich seinen Angaben nach entweder durch Reduplikation der auf die Tonsilbe folgenden Silbe, oder durch Reduplikation der letzten Silbe bilden lässt (dănkulo – groß; dănkukulo, dănkulolo – sehr groß) (Costenoble 1940: 144f.). Topping (1973: 215f.) hingegen gibt für die intensivierende Reduplikation nur die Möglichkeit der Reduplikation der letzten Silbe eines Verbs oder Modifikators an13 (Dánkololo i lahi. ‘The man is really big.’). 10 11 12
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Toppings Referenzgrammatik (1973) wird stellvertretend für die moderne Chamorroforschung herangezogen. Die Basis ist das Wort bzw. der Teil eines Wortes, welcher kopiert wird. Die Kopie bzw. der Reduplikant ist das reduplizierte Element (Stolz et al. in Druck a). So wird gígipu in der Behandlung der Substantive mit ‘Vogel’ übersetzt, während dasselbe Lexem bei der Behandlung der Adjektive als Prädikat des Satzes als Verb übersetzt wird. Dazu merkt Costenoble (1940: 439) an: “[i]m Deutschen geben wir Gedanken dieser Art durch ein Verbum wieder; im Chamorro ist die Tätigkeit, da sie etwas Ständig-wiederkehrendes, Permanentes, Inhärentes ist, als Eigentümlichkeit, Eigenschaft des Subjekts aufgefasst.” Die übrigen bekannten koloniallinguistischen Beschreibungen des Chamorro divergieren in ihrer Darstellung der intensivierenden Reduplikation. Während Fritz (1903) und Lopinot (1910) die Re-
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Die von Costenoble als produktiver Reduplikationstyp beschriebene Verdoppelung der Tonsilbe zur Bildung der Distributivzahlen wird auch in Toppings Grammatik behandelt. In beiden Beschreibungen geht der Reduplikation ein Prozess der Verbalisierung durch Hinzufügung bestimmter Affixe voraus. Während Topping beschreibt, dass den Kardinalzahlen der pluralische Verbalisierer man- und der Reziprok-Marker aangehängt werden (Topping 1973: 168), zeigt sich in den Beispielen Costenobles auch die Möglichkeit der Infigierung des verbalisierenden Infixes -um- (sinko ‘fünf’; sumísinko ham, 14 mañisinko ham ‘wir waren zu fünfen’) (Costenoble 1940: 140). Ein weiterer Typ von Reduplikation, den Costenoble beschreibt, der aber in anderen Darstellungen nicht erwähnt wird, mutet auf den ersten Blick wie eine Kombination von Aspektreduplikation und intensivierender Reduplikation an. Beschrieben wird die mehrfache Doppelung der ersten oder der betonten Silbe 15 eines Verbs zur Bezeichnung von langer Dauer und Intensität der Handlung (gu’ud ‘festhalten’; gúgugu’ud ‘beharrlich festhalten’) (Costenoble 1940: 144). Die Mehrfachsetzung von Silben ist heute nur aus der intensivierenden Reduplikation bekannt, die Reduplikation der ersten oder betonten Silbe hingegen tritt bei der Aspektreduplikation bzw. der nominalisierenden Reduplikation auf (siehe oben). In Costenobles Auflistung finden sich einige weitere von ihm als produktiv erachtete Typen von Reduplikation, die sich aber aus seinem teilweise fehlerhaften Umgang mit den Wortarten des Chamorro erklären lassen, und die in den späteren Darstellungen der Reduplikation keine Erwähnung finden. 16 Die meisten der festgestellten Abweichungen lassen sich vermutlich aus Costenobles fehlerhaften Analysen erklären; es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es sich bei einigen um Phänomene handelt, die zu HCs Zeit im Chamorro auftraten, die aber inzwischen aus der Sprache verschwunden sind. 17
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duplikation der letzten Silbe feststellen, benennen Safford (1903), Kats (1917) und Von Preissig (1918) die Reduplikation der auf die betonte Silbe folgenden Silbe. Es kann davon ausgegangen werden, dass Fritz’ Beschreibungen von Lopinot (1910) übernommen wurden, während sich Kats (1917) und Von Preissig (1918) unzweifelhaft auf Saffords Beschreibungen stützen – sie übernahmen diese im selben Wortlaut. Da Costenoble alle der oben aufgeführten Sprachbeschreibungen rezipiert hat, sind ihm die unterschiedlichen formalen Beschreibungen der intensivierenden Reduplikation in den Arbeiten seiner Vorgänger vermutlich ebenfalls aufgefallen. Ob dies einen Einfluss auf seine Analysen hatte, wird in einer anderen Arbeit untersucht werden. Das verbalisierende Infix -um- wird im Singular und Dual verwendet. In der in Costenobles Beispiel dargestellten Situation handelt es sich aber um fünf Personen. Ob ein singularischer/dualischer Verbalisierer von Muttersprachlern des Chamorro in dieser Konstruktion akzeptiert würde, muss überprüft werden. Costenoble geht nicht auf die Position der zu reduplizierende Silbe ein. So gibt Costenoble beispielsweise an, die Reduplikation der betonten Silbe (welche zuvor bereits als Aspektreduplikation identifiziert worden war) ersetze das deutsche “noch” (Costenoble 1940: 140). Dabei bemerkt er nicht, dass dies dem kontinuativen Aspekt gleicht. Auch dies muss in einer weiterführenden Untersuchung überprüft werden.
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3.2.2. Nicht(-mehr)-produktive Reduplikation Bei den weiteren von Costenoble besprochenen Formen von Reduplikation handelt es sich um solche, die er als einer früheren Sprachstufe zugehörig beschreibt (Costenoble 1940: 135). So stellt er beispielsweise fest, dass die heutigen irregulären Pluralformen aus der Reduplikation der ersten oder der betonten Silbe stammen (haga – Tochter, hahāga – Töchter) (Costenoble 1940: 143). Diese Pluralformen werden – wenn überhaupt – in den übrigen verfügbaren Grammatiken des Chamorro nur im Zusammenhang mit der Pluralbildung, nicht aber mit reduplikativen Prozessen, erwähnt. Costenoble gibt ferner an, dass dieser Typ von Reduplikation außerdem einmal dazu gedient habe, “[a]us den Grundworten der Zahlwörter [solche zu bilden], die nur bei lebenden Wesen benuttzt [sic!] werden: fitu – sieben; fafitu – ditto bei Lebewesen; [...],” (Costenoble 1940: 143). Costenoble nimmt auch eine kurze Beschreibung totaler reduplikativer Strukturen im Chamorro vor, wobei – anders als bei den partiellen Typen – keine formale Unterscheidung anhand suprasegmentaler Eigenschaften vorgenommen wird (Costenoble 1940: 135–138). Er führt verschiedene Typen von Lexemen mit totalen reduplikativen Strukturen auf, welche nicht mit produktiven Wortbildungsprozessen in Verbindung zu bringen sind. 3.2.2.1. Gedoppelte Wurzeln – vier Schemata Besonderes relevant sind die etymologischen bzw. diachronen Aspekte von Reduplikation im Chamorro in Hinblick auf die einsilbigen Wurzeln, in deren Zusammenhang sich Costenoble explizit auf die Arbeiten Brandstetters bezieht (Costenoble 1940: 135– 138 und 146–159). Brandstetters These der bisyllabischen Wurzel (Brandstetter 1917: 12) wird von Costenoble aufgegriffen und für das Chamorro übernommen (Costenoble 1940: 135): “Verdoppelung der Wurzel gehört einer früheren Entwicklungsperiode der Sprache an. Sie war eines der Mittel, deren sie sich bediente, um ihrem Streben nach zweisilbigen Wortgebilden zu genügen.” Bei den “vollständigen Verdoppelungen” (Costenoble 1940: 135f.) handelt es sich laut Costenoble größtenteils um Lexeme mit der Lautstruktur K1V1K2K1V1K2 (găsgas ‘sauber; vgl. fāgas ‘Wäsche’, etc.). Lexeme, die synchron als gedoppelte offene Silben erscheinen, “können aus anderen nach dem Schema KvK—KvK durch Ausfall des schliessenden Konsonanten sein [sic!], so păpa ‘Flügel’ aus UI. pakpak,” (Costenoble 1940: 136). Costenoble zeigt sich hinsichtlich dieser beiden Schemata unsicher (Costenoble 1940: 136): “[e]s ist möglich, dass es sich bei vielen unter dieser Kathegorie gezählten Worten nicht um verdoppelte einsilbige Wurzeln handelt.” Er beschreibt nicht nur vollständig gedoppelte Wurzeln, sondern rekonstruiert auch verschiedene Schemata der partiellen Doppelung von Wurzeln, die er auf den “Ausfall eines Konsonanten im Wortinnern” zurückführt (Costenoble 1940: 136ff.). Vorrangig
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werden dabei der Ausfall von K2 der ersten Silbe, bzw. von K1 der zweiten Silbe genannt (K1V1K1V1K2: titig ‘zerreißen’; K1V1K2V1K2: lasas ‘Haut’), wobei ersteres Schema sehr viel gebräuchlicher sei (Costenoble 1940: 136). Schließlich macht er einen weiteren, etwas gewagten Vorstoß hinsichtlich eines vierten Schemas: “[f]erner kann man als Verdoppelungsform ansehen Worte, die in einem früheren Kapitel [...] als durch Vokalbrechung entstanden behandelt wurden,” (Costenoble 1940: 137). Unter Vokal- bzw. Silbenbrechung versteht Costenoble (1940: 126) die Doppelung des Vokals einer KVK-Silbe unter Einfügung eines glottalen Plosivs, so dass ein bisyllabisches Wort entsteht (ja’ad ‘kehren’ < *jad). Costenoble ist sich unsicher, ob er dieses Phänomen für das Chamorro annehmen kann und relativiert seinen Vorschlag des vierten Doppelungsschemas: “[r]ichtiger ist jedoch die Zuteilung dieser Worte zu dem Schema KvK—OvK, denn man muss hier die Hamsah als Äquivalent des schliessenden Konsonanten der ersten Silbe ansehen,” (Costenoble 1940: 137). Costenobles Formulierungen sind vage und es scheint fraglich, wie angemessen seine Rekonstruktionen sind und ob sie einer genaueren Prüfung standhalten können. Costenoble illustriert seine Analysen mit Beispielen, diese sprechen jedoch selten eindeutig für seine Annahmen. 3.2.2.2. Stammreduplikationen Wenn auch die Angaben Costenobles zu den monosyllabischen Wurzeln des Chamorro nicht auf Anhieb verifiziert werden können, so bieten sie dennoch wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich der Stammreduplikationen. Diese verfügen nicht über eine Simplexform (siehe oben). Nicht-(mehr-) produktive Wortformen, bei denen sich die Einzelsilbe etymologisch herleiten lässt, sind im Phänomenbereich nicht umfasst. Costenoble hingegen merkt an, dass die von ihm in Anlehnung an Brandstetter bzw. Dempwolff rekonstruierten einsilbigen Wurzeln nur redupliziert oder affigiert auftreten (Costenoble 1940: 146). Wurzeln, die ausschließlich in gedoppelter Form vorkommen, sind in der Liste nicht aufgeführt (Costenoble 1940: 150). Costenoble liefert eine Liste von 123 rekonstruierten monosyllabischen Wurzeln, “die in dieser Sprache in mehr als einem Worte auftreten, somit all diejehnigen [sic!], die sich aus einem Vergleiche in der Sprache selbst ergeben,” (Costenoble 1940: 151). In Hinblick auf eine diachrone Untersuchung der Stammreduplikationen des Chamorro sind die Rekonstruktionen Costenobles möglicherweise sehr aufschlussreich. Aus dem Lexikon der Stammreduplikationen, das nach der synchronen Untersuchung von Stolz et al. (2009) und Dewein (2010) unter Ausschluss der Simplexformen nach oben dargestelltem Verfahren 144 reduplizierte Stämme beinhaltet, müssten unter Einbezug von Costenobles Rekonstruktionen 29 Lexeme ausgeschlossen werden, womit die Liste um immerhin 20% der Einträge ärmer wäre. Der von Stolz et al. (2009) erstellte Prototyp der Stammreduplikationen des Chamorro müsste sehr wahrscheinlich revidiert wer-
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den. Eine gründliche Überprüfung der Ergebnisse von Stolz et al. (2009) und Dewein (2010) ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht möglich. 18 Costenoble gibt an, 210 verdoppelte einsilbige Wurzeln im Chamorro gezählt zu haben, von denen drei Viertel (also etwa 155 Lexeme) vollständige Verdoppelungen seien (Costenoble 1940: 136f.). Diese Zahl kommt den in Stolz et al. (2009) bzw. Dewein (2010) gezählten 144 reduplizierten Stämmen sehr nahe. Ein Vergleich der Listen wäre aufschlussreich. Bedauerlicherweise macht Costenoble jedoch die Quellen seiner Analyse nicht transparent. Der Leser erfährt lediglich, dass die Zählung der gedoppelten Wurzeln “im Wörterbuche” vorgenommen wurde (Costenoble 1940: 136). Um wessen bzw. welches Wörterbuch es sich hierbei handelt, bleibt unklar. 19 3.2.2.3. Mehrsilbige reduplizierte Wörter Costenoble führt in seinen Beschreibungen auch Wortformen auf, die in anderen austronesischen Sprachen geläufig sind, die aber im Chamorro nicht oder nur selten auftreten. Hier kommt seine sprachvergleichende Herangehensweise zum Tragen. So merkt er an: Grundworte nach dem von Brandstetter für viele andere Sprachen festgestellten Schema W – v – W [Wurzel – Vokal – Wurzel, B.D.] sind für das Chamorro nicht belegt. Als einziges Beispiel könnte man hierzu pilapid ‘Reisfelddamm’ anführen, jedoch ist dieses möglicherweise ein Lehnwort, und andererseits kann es eine Verkürzung des z.B. im Bisaya vorkommenden Wortes apil-apil sein, (Costenoble 1940: 137). Auch mit totalen Reduplikationen mehrsilbiger Wörter (“Vollständige Verdoppelung mehrsilbiger Worte – Reïtteration”), die im Chamorro, auch in entlehnter Form, ebenfalls kaum vorkommen, befasst sich Costenoble: Vollständige Wiederholung eines mehrsilbigen Wortes, durch zweimalige Setzung beider Silben, ist dem Chamoro fremd. Wohl kommen einige wenige Worte dieses Aufbaues vor, doch scheint es sich hierbei teils um Entlehnungen, teils um Neubildungen zu handeln, (Costenoble 1940: 138). So sei zum Beispiel tuba’tuba (‘ein Strauch, die Brechnuss’) wahrscheinlich aus den Philippinen entlehnt. Das einzige Lexem, zu dem sich eine Simplexform aus dem Chamorro herleiten lässt, ist pagu’pagu’ (‘Nessel’) von pagu’ ‘auf der Haut brennen’. Costenoble zieht zudem noch weitere Möglichkeiten ehemals totaler Reduplikationen, 18
19
Jedoch lässt sich bei einer ad hoc Bestandsaufnahme feststellen, dass sich der semantische Raum der Stammreduplikationen des Chamorro insofern umgestalten würde, als eine ansehnliche Zahl derjenigen Lexeme, die repetitive Bewegungen, vor allem des Schwingens oder Kratzens, ausdrücken, wegfallen würde. Im Vorwort der Grammatik gibt Costenoble die ihm zur Verfügung stehenden Werke an. Darunter sind die Wörterbücher von Fritz (1908), Lopinot (1910) und Von Preissig (1918) angegeben.
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die heute nur noch in reduzierter Form auftreten, in Betracht: so sei zum Beispiel găhga’ ‘rote fliegende Fische’ von einer Doppelung von haga ‘Blut’ abzuleiten. Von dieser sei der schließende Konsonant abgestoßen worden, “welche teilweise Art der Reitteration in anderen indonesischen Sprachen häufig vorkommt,” (Costenoble 1940: 138). Ob diese Analyse stichhaltig ist, lässt sich, auch aufgrund mangelnder Quellenangaben, nur durch intensive Nachforschungen feststellen.
4. Schluss Die Betrachtung von Costenobles Darstellung der Reduplikation in Die Chamoro Sprache hat gezeigt, dass die Grammatik trotz erwiesener Schwächen aufgrund der gründlichen systemlinguistischen Vorgehensweise des Autors mit der Standardreferenzgrammatik von Topping (1973) mithalten kann. Sie geht in der Darstellung der produktiven Reduplikationsformen in Umfang und Tiefgang weit über das hinaus, was andere Beschreibungen der Reduplikation im Chamorro leisten. Costenoble blickt über den Tellerrand der Einzelsprache hinaus. Außerdem sind seine diachronen Untersuchungen in der Chamorro-Forschung bisher einzigartig. Der Ursprung der heutigen irregulären Pluralformen, Einblicke in das frühere Zählsystem, sowie Rekonstruktionen einsilbiger Wurzeln, etc. gelten in der Reduplikationsforschung eher als periphere Arbeitsbereiche, dennoch bieten sie zahlreiche Anknüpfungspunkte für die moderne ChamorroForschung und verdienen weit mehr Aufmerksamkeit als ihnen derzeit zuteil wird.
Abkürzungen AF AGENS DET LINK
Agensfokus Agens Determinierer Linker
PRON RED SG VB
Pronomen Reduplikation Singular Verbalisierer
Quellen [Memmo’] ESAA Project (1974). I memmo’ yan i fanihi. Agana: Department of Education. [Rai] ESAA Project (1975). Estera si Rai. Agana: Department of Education.
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Literatur Brandstetter, Renward (1910): Wurzel und Wort in den indonesischen Sprachen. Luzern: Haag. Brandstetter, Renward (1915): Die Lauterscheinungen in den indonesischen Sprachen. Luzern: Haag. Brandstetter, Renward (1917): Die Reduplikation in den indianischen, indonesischen und indogermanischen Sprachen. Beilage zum Jahresbericht der Luzerner Kantonsschule, Luzern. Costenoble, Hermann (1940): Die Chamoro Sprache. ’s-Gravenhage: Martinus Nijhoff. Dempwolff, Otto (1920): Die Lautentsprechungen der indonesischen Lippenlaute in einigen anderen austronesischen Südseesprachen. Hamburg: Boysen. Dempwolff, Otto (1934): Vergleichende Lautlehre des indonesischen Wortschatzes. Bd. 1: Induktiver Aufbau einer indonesischen Ursprache. Berlin: Reimer. Dewein, Barbara (2010): Der Stammbildungstyp K1V1(K2)K1V1(K2) in drei Austronesischen Sprachen. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Bremen. Fritz, Georg (1903): Chamorro Grammatik, in: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität 6, 1–27. Fritz, Georg (1908): Chamorro-Wörterbuch: in zwei Teilen: Deutsch-Chamorro und ChamorroDeutsch, ges. auf Saipan, Marianen. 2. Aufl. Berlin: Reimer. Hurch, Bernhard (2005): Introduction, in: Hurch, Bernhard (ed.), 1–10. Hurch, Bernhard (ed.) (2005): Studies on reduplication. Berlin: Mouton de Gruyter. Kats, J[acob] (1917): Het Tjamoro van Guam en Saipan vergeleken met eenige verwante talen (met opmerkingen van Prof. Mr. Dr. J.C.G. Jonker). ’s-Gravenhage: Martinus Nijhoff. Lopinot, P. Callistus (1910): Chamorro Wörterbuch enthaltend I. Deutsch-Chamorro, II. ChamorroDeutsch nebst einer Chamorro-Grammatik und einigen Sprachübungen. Hongkong: Typis Societatis Missionum ad Exteros. Mattes, Veronika (2007): Types of reduplication: a case study of Bikol. http://reduplication.uni-graz.at/texte/Dissertation_gesamt.pdf. Pott, August Friedrich (1862): Doppelung (Reduplikation, Gemination) als eines der wichtigsten Bildungsmittel der Sprache, beleuchtet aus Sprachen aller Welttheile. Lemgo: Meyer’sche Hofbuchhandlung. Safford, William E. (1903): The Chamorro language of Guam – I–IV, in: American Anthropologist 5, 289–311 und 508–529. Stolz, Thomas (2007): Das ist doch keine Reduplikation! Über falsche Freunde bei der Suche nach richtigen Beispielen, in: Ammann, Andreas & Urdze, Aina (eds.), Wiederholung, Parallelismus, Reduplikation. Strategien der multiplen Strukturanwendung. (Diversitas Linguarum 16). Bochum: Brockmeyer, 47–80. Stolz, Thomas (2008): GRAMMATIKALISIERUNG EX NIHILO. Totale Reduplikation – ein potentielles Universale und sein Verhältnis zur Grammatikalisierung, in: Thomas Stolz (ed.), Grammatikalisierung und grammatische Katgeorien (Diversitas Linguarum 21). Bochum: Brockmeyer, 83–110. Stolz, Thomas; Levkovych Nataliya & Dewein, Barbara (2009): Reduplicative stem formation: a comparative look at Maltese and Chamorro, in: Ilsienna – our language: working papers of the International Association of Maltese Linguistics (GHILM). Bochum: Brockmeyer, 87–133. Stolz, Thomas; Stroh, Cornelia & Urdze, Aina (in Druck a): Total reduplication: the areal linguistics of a universal. Berlin: Akademie Verlag. Stolz, Thomas; Vossmann Christina; Dewein, Barbara & Chung, Sandra (in Druck b): The mysterious H. Who was the author of Die Chamoro Sprache? Topping, Donald M. (1973): Chamorro reference grammar. Honolulu: University of Hawaii Press. Von Preissig, Edward R. (1918): Dictionary and grammar of the Chamorro language of the Island of Guam. Washington: Government Printing Office.
LOTHAR KÄSER (SCHALLSTADT)
“Den Buchstaben h können die Eingeborenen nicht aussprechen”. Pater Laurentius Bollig und die Sprache von Chuuk
Abstract At the beginning of the 20th century, Father Laurentius Bollig (1883–1961) worked as a missionary in the German colonial territory known as the “South Seas”, mostly in Chuuk, an atoll in the Eastern Carolines. From his pen comes the first extensive description of the language of this island group. The significance of his work lies in the fact that it is not only linguistically focused, but also, even overwhelmingly, ethnological in scope. Because Bollig presented cultural phenomena with the meticulously collected corresponding linguistic forms, he created a source that has strongly nurtured and facilitated later research. The following contribution presents this achievement (and occasional misinterpretations) with significant examples. Moreover it contains a collection of expressions and figures of speech taken from Bollig’s work. The author has reviewed these, phonemically transcribed, supplemented and commented on them 100 years after their recording by Father Laurentius with speakers of the Chuukese language as informants.
1. Spuren seines Lebens Über Pater Laurentius Bollig 1 ist relativ wenig bekannt. Er ist am 19.11.1883 als Nikolaus Bollig in Wittlich (Eifel) geboren. Seine Eltern waren Nikolaus Bollig und Gertrud, geb. Braun. Von seinem Vater ist nur bekannt, dass er in der örtlichen Tabakwarenfabrik beschäftigt war. Sein jüngerer Bruder, geboren am 23.6.1892, hieß Albert Wilhelm. Im Alter von 20 Jahren trat Nikolaus Bollig 1903 in den Kapuzinerorden ein und nannte sich nach seiner Priesterweihe im Jahr 1909 Pater Laurentius. Drei Jahre später, im Jahr 1912, wurde er Missionar auf der Karolineninsel Pohnpei, die damals Ponape hieß. Dort arbeitete er aber nur kurze Zeit, denn schon 1913 wurde er nach Chuuk entsandt, eine Inselgruppe westlich von Pohnpei gelegen, die damals Truk hieß. Seine Tätigkeit auf Chuuk endete abrupt im Jahr 1919, nachdem Deutschland den Ersten Weltkrieg und damit seine Kolonien verloren hatte. Mikronesien wurde damals vom Völkerbund dem japanischen Kaiserreich als Mandatsgebiet übertragen, was zur 1
Quelle der nebenstehenden Abbildung: Müller (1912: 11).
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Folge hatte, dass alle Deutschen die mikronesischen Inseln zu verlassen hatten, so auch Laurentius Bollig, der daraufhin in China tätig wurde. Danach wissen wir nichts mehr von ihm außer der Tatsache, dass er am 14.04.1961 in Mettlach/Saar verstarb. Begraben wurde er dort offenbar nicht. In seiner Geburtsstadt Wittlich erinnert nichts an ihn. Auch im Stadtarchiv finden sich keine Spuren seiner Existenz. Diese Zeichen von Bedeutungslosigkeit wirken merkwürdig, denn vom Standpunkt der Ethnologie und Linguistik ist Pater Laurentius alias Nikolaus Bollig als eine der besonderen Persönlichkeiten unter den katholischen Missionaren in Mikronesien anzusehen. Nach seinen Veröffentlichungen zu urteilen, besonders nach seiner letzten, muss er ein begabter und hoch motivierter Forscher gewesen sein. Was er in den sieben Jahren seiner Tätigkeit in den Ostkarolinen geleistet und allein in den sechs Jahren seiner Arbeit auf Chuuk an ethnografischem und sprachlichem Material zusammengetragen hat, ist erstaunlich, wenn man in Betracht zieht, dass er weder eine ethnologische noch sprachwissenschaftliche Ausbildung im eigentlichen Sinne mitbrachte. Es sind insgesamt vier Arbeiten bekannt, die er zwischen 1920 und 1927, also erst nach seiner Ausweisung aus Mikronesien durch die japanische Mandatsverwaltung, veröffentlicht hat. Die drei ersten sind Missionsberichte und verhältnismäßig unbedeutend. Die vierte dagegen, hat sich als frühe ethnografische Quelle von hohem Rang erwiesen, was die Kultur und Sprache der Insulaner von Chuuk und seinem Inselkranz betrifft. Etwas merkwürdig daran ist das sehr kurze Vorwort. Es enthält keinerlei Hinweise auf Motive und Begleitumstände der Forschungen Bolligs, und auch nichts zu den Ursachen für ihre verzögerte Veröffentlichung. Merkwürdig ist auch, dass Bollig wichtige ethnologische Beiträge, die vor seiner eigenen Untersuchung erschienen waren, weder nennt, noch sie kritisch behandelt. Mag sein, dass sie ihm während seines Aufenthaltes in Mikronesien nicht zur Kenntnis kommen konnten. Da aber sein Text, bedingt durch die weltpolitischen Ereignisse jener Zeit, ganze 10 Jahre nach Abschluss der Datenaufnahme in Druck ging, ist das Fehlen von Hinweisen auf die betreffenden Autoren und ihre Werke eigentlich unerklärlich. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse sind Bolligs Beschreibungen von einer Dichte und Gründlichkeit, die erst vierzig Jahre später durch die Feldforschungen des so genannten CIMA-Projekts unter George Peter Murdock und seinen Schülern wieder erreicht und übertroffen werden konnten. 2 Die Qualität, die Bolligs Forschungsergebnisse auszeichnet, ist unter anderem auch bedingt durch die Tatsache, dass er zu einer Zeit in Mikronesien arbeitete, als dessen Kulturen von den Ereignissen und Einflüssen der kolonialen Periode noch wenig verändert waren. Auf seinen Angaben beruhen folglich eine ganze Reihe neuerer Spezialuntersuchungen aus den letzten 60 Jahren zur Ethnologie der Inselgruppe, die anders nicht mehr möglich gewesen wären.
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CIMA=Coordinated Investigation of Micronesian Anthropology.
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2. Der Ort seines Wirkens Chuuk liegt in Mikronesien, dem kleinsten und am wenigsten bekannten Kulturareal Ozeaniens, im Inselbogen der Karolinen, der zu Bolligs Zeiten bis auf wenige Inselgruppen administrativ zur so genannten “Deutschen Südsee” oder auch “DeutschNeuguinea” gehörte.
Karte 1: (http://www.bradleys.org/family/Steve/Chuuk/719px-CIA-FSM.jpg) Der moderne Staat Chuuk ist Teil der so genannten Federated States of Micronesia, hat etwa die Größe der alten Bundesrepublik und setzt sich aus mehreren kulturellen Teilbereichen zusammen: aus dem eigentlichen Chuukatoll, den Upper und Lower Mortlocks, den Hall Islands und dem Nómwunwiité Atoll, und den Western Islands mit den Atollen Pwolowót und Pwollap. Das Chuuk Atoll selbst besteht aus zahlreichen Inseln. Das Wort Chuuk bedeutet übrigens “Berge”. Bollig hielt sich während seiner Tätigkeit auf den Inseln Tonowas und Wééné auf. Wééné ist heute Regierungssitz und Flughafen.
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Karte 2: (http://de.academic.ru/pictures/dewiki/67/Chuuk.png)
3. Die Sprache von Chuuk Die Sprache ist, wie ausnahmslos alle mikronesischen Sprachen, eine austronesische. Deren Verbreitungsgebiet liegt zwischen Madagaskar im Westen und der Osterinsel im Osten, verteilt über eine Strecke von ungefähr 25.000 km. Mikronesische Sprachen lassen sich zu Gruppen zusammenfassen. Unter diesen ist eine der größten die Gruppe der in der englischsprachigen Literatur als Chuukic languages bezeichneten, deren namensgebende und wichtigste die Sprache von Chuuk ist, die von Laurentius Bollig zum ersten Mal in Ernst zu nehmender Form untersucht wurde. Sie verfügt über 12 Konsonanten, 9 Vokale und zwei Elemente, die Goodenough & Sugita (1980) als glides, eine Art Halbvokale, bezeichnen. Unter den Konsonanten sind besonders interessant die beiden velarisierten Bilabiale /mw/ und /pw/. Alle Konsonanten und Vokale außer den glides gibt es phonologisch sowohl in kurzer als auch langer Form. Das macht insgesamt 44 Phoneme. Die Schreibung, die Bollig dafür vorschlägt, sieht insgesamt nur 18 Zeichen vor. Mit diesem offensichtlich erheblich reduzierten Zeichensatz schafft er sich eine ganze Reihe von Problemen, zumal er Buchstabe und Laut nicht unterscheidet, was sich beispielsweise in der Aussage zeigt, die ich als Haupttitel für meine Ausführungen gewählt habe.
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4. Bolligs Hauptwerk Sein Titel lautet: Die Bewohner der Truk-Inseln. Religion, Leben und kurze Grammatik eines Mikronesiervolkes. Im ersten Teil behandelt der Autor die vielfältigen Aspekte der Religion der Insulaner. Darin enthalten ist eine ausführliche Darstellung ihrer so genannten Seelenvorstellungen, erfahrungsgemäß eine Thematik von enormer Schwierigkeit für den Feldforscher. Die Vielzahl der Details, die Bollig in diesem Bereich zusammengetragen hat, wurde in den einschlägigen Ethnografien seiner Zeitgenossen zum Thema der Seelenvorstellungen anderer mikronesischer Kulturareale nirgendwo erreicht. Dass seine Interpretation der Fakten mit Hilfe der religionsethnologischen Theorien seiner Zeit auch zu falschen Schlüssen führen musste, fällt kaum ins Gewicht, weil er schon damals eine der unverzichtbaren Bedingungen erfüllte, ohne die zutreffende und überprüfbare, emisch strukturierte Aussagen über Denkformen und Denksysteme fremder Gesellschaften nicht möglich sind: Er besaß zweifellos detaillierte Sprachkenntnisse, vor allem im Bereich von Lexik und Semantik der Chuuksprache. Von unschätzbarem Wert für die Forschung ist auch der zweite Teil von Bolligs Arbeit. Dieser enthält eine reiche Sammlung von Mythen, Erzählungen, Rätseln, Liedern und Sprichwörtern, die heute vergessen wären, wenn er sie nicht systematisch zusammengetragen und teils mit Übersetzung in Interlinearversion veröffentlicht hätte. Besonders wertvoll und interessant ist seine Sammlung von fünfzig Sprichwörtern und Redewendungen auf den Seiten 249 bis 256. Diese füge ich unten in originaler und in phonemischer Schreibung an, versehen mit Ergänzungen und Erklärungen. In dieser Sammlung finden sich sprachlich-kulturelle Perlen von, wie ich finde, erlesener Schönheit, zum Beispiel die Nummer 14 auf Seite 251. Bolligs Publikation endet mit einer Grammatik der Chuuksprache. Sie stellt den allerersten Versuch dar, deren Strukturen systematisch zu beschreiben. Es ist anzunehmen, dass Bollig auf Grund seiner Ausbildung über Kenntnisse des Hebräischen, Griechischen und Lateinischen verfügte. Eine irgendwie geartete Ausbildung in allgemeiner Sprachwissenschaft aber fehlte ihm. Kategorien wie Phonologie, Phonem und Morphem waren ihm noch nicht verfügbar. Trubetzkoys einschlägiges Werk erschien erst 1939. Bolligs Beschreibung der Chuuksprache leidet daher darunter, dass er die sprachlichen Erscheinungen in die Kategorien der indogermanischen (lateinischen) Grammatik zwängt und sie dadurch gelegentlich erheblich verzerrt wiedergibt. Dennoch ist anzuerkennen, dass er die Chuuksprache zum ersten Mal umfassend und systematisch beschrieben hat. Seine Grammatik ergab den Ausgangspunkt für spätere Arbeiten, unter anderem für ein erstes Lehrbuch der Chuuksprache von Richard Neumaier, einem Missionar der Liebenzeller Mission, der von 1935 bis 1947 auf Chuuk arbeitete, und den ich hier erwähne, weil er in der koloniallinguistischen Literatur bisher zu Unrecht völlig unerwähnt geblieben ist. Er hat unter anderem das erste brauchbare Neue Testament geschaffen, und ich selber habe beim Erlernen der Chuuksprache erheblich von seinem
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Lehrbuch profitiert. Spuren von Bolligs Ausführungen in Neumaiers Lehrbuch sind offensichtlich. Eine Quelle gibt der Autor aber nicht an. Neumaier war im Übrigen auch wesentlich am Zustandekommen des ersten größeren Wörterbuchs der Chuuksprache beteiligt, das Elbert 1947 veröffentlichte. Eines der gravierendsten Probleme bei Bollig ist die Tatsache, dass er bei seinen sprachlichen und auch ethnologischen Schlussfolgerungen weder Lautqualitäten noch quantitäten angemessen berücksichtigt. So bezeichnet er mit ein und demselben Graphem vier unterschiedliche Phoneme: das geschlossene kurze und lange /o/ und /oo/, realisiert in den Morphemen rong und roong, das offene kurze und lange /ó/ (= //) und /óó/ (= //), realisiert in den Morphemen róng und róóng. Damit bekommt er recht häufig nicht akzeptable Äußerungen, aus denen er zwangsläufig falsche Schlüsse zieht. So interpretiert er die beiden Minimalpaare rong (‘hören’) und roong (‘magisches Verfahren’, ‘Zauber’) völlig falsch. Wie man unschwer erkennen kann, entsprechen den beiden Morphemen höchst unterschiedliche Bedeutungen, zwischen denen es begrifflich für die Insulaner von Chuuk auch nicht den geringsten Zusammenhang gibt. Weil für Bollig aber nur die Lautqualität zählt, nicht aber die Quantität, unterstellt er einen begrifflichen Zusammenhang als gegeben und versucht eine Erklärung, die ihm natürlich misslingen muss: “Das Wort roŋ heißt ursprünglich hören, bedeutet dann aber auch gewisse Künste und Fertigkeiten, welche die Menschen von Geistern gehört, beziehungsweise gelernt haben” (Bollig 1927: 43). Für die Insulaner von Chuuk ist das eine ähnliche Lachnummer wie die, die wir aus der Geschichte der Sprachwissenschaft kennen als missglückte und damit skurrile Versuche, Bedeutungen aus phonetischen Ähnlichkeiten heraus zu erklären. Schon Augustinus war darin ein Meister, wenn er zu “bellum”, Krieg, erklärt, er heiße so, “quod res bella non sit”, mithin “weil Krieg keine schöne Sache sei”. Solche Fehlleistungen sind allerdings nicht die Regel in Bolligs Abhandlung. Übrigens sind eine ganze Reihe von Fehlern dem Schriftsetzer anzulasten, der von der Chuuksprache keine Ahnung hatte und das vermutlich handschriftliche Manuskript Bolligs des öfteren falsch umsetzte. Bemerkenswert ist auch, dass in Bolligs Beobachtungen die Humboldtsche Formel von der eigenen Weltsicht erkennbar wird, die sich in einer Sprache manifestiert, ein Gedanke, der Mitte des letzten Jahrhunderts über die Sapir-Whorf-Hypothese zur Entwicklung der kognitiven Ethnologie geführt hat: Doch in diesen Eigentümlichkeiten liegt nicht so sehr die Schwierigkeit, die beim Lernen zu überwinden ist, als vielmehr in der eigenartigen Denkweise der Kanaken, die von der unserigen so verschieden ist, dass es schwer hält, sich hineinzuleben (Bollig 1927: 210).
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Diese Erkenntnis hat Bollig dennoch nicht daran gehindert, sich beim Hineinleben in diese eigenartige Denkweise selber Steine in den Weg zu legen, indem er den Insulanern unterstellte, ihre Naturauffassung sei naiv: Sie beobachten zwar alles, was sie umgibt, wissen manches darüber zu sagen, verwenden es in Liedern und Sagen, aber tiefer darüber nachzudenken übersteigt ihre geistigen Kräfte. Den Schmetterling nennen sie mataŋ (taŋ = ausbreiten), was auch Vogel bedeutet. Beim Vierfüßler sind die Hinterfüße die richtigen Füße, die Vorderfüße heißen Hände, desgleichen die Vogelflügel und die Seitenflossen des Fisches (Bollig 1927: 217). Bei der Überprüfung dieser Aussagen mit kognitiven Methoden stößt man auf Folgendes: Bolligs Informanten kannten keine zusammenfassende Bezeichnung für etwas, was er als “Flossen” benennen konnte. Für ihre Sprache galt, dass diese Teile des Fischkörpers schon auf einer unteren semantischen Ebene nach Funktionen unterschiedlich benannt werden, und zwar unmittelbar, ohne zusammenfassende Allgemeinbezeichnung. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert der Fisch im Rahmen ihrer Existenzsicherung für sie hat. Was Bollig mit seinem eurozentristischen Blickwinkel völlig übersieht, ist die andere begriffliche Lagerung von Arten von Flossen, die von den Insulanern unterschieden werden. Solche mit Vortriebsfunktion werden wie menschliche Arme, Flügel von Vögeln und Vorderbeine von Hunden verstanden und daher mit dem gleichen Wort bezeichnet. Diese mentale Gruppierung und damit Kategorisierung ist weder naiv, noch ein Kennzeichen für defizitäre “geistige Kräfte”, wie Bollig das nennt. Sie ist einfach nicht europäisch-westlich, nicht wissenschaftlich im strengen Sinn, aber als kognitive Strategie sehr gut geeignet für die pragmatischen Zwecke der Insulaner in ihrer ureigenen Lebenswelt. Sie ist keineswegs unsinnig, sondern einfach eine andere Lösung, zugeschnitten auf die Lebenswelt der Insulaner, passgenau für den Austausch von Informationen über diesen Bereich ihrer Wirklichkeit angelegt. Von diesem Denkrahmen aus musste ihnen Bolligs Begrifflichkeit ähnlich merkwürdig erscheinen, wie ihm selbst der Denkrahmen der Insulaner. Hätten sie sich getraut, ihm das offen zu sagen, – sie tun es dem Fremden in ihrer Gesellschaft gegenüber aus Höflichkeit auch heute noch nur mit größter Zurückhaltung –, dann hätten sie Bolligs eigene Worte nur wenig modifizieren müssen, vielleicht so: “Unser lieber Missionar beobachtet zwar alles, was ihn umgibt, weiß manches darüber zu sagen, verwendet es auch in seinen Predigten, aber tiefer darüber nachzudenken übersteigt seine geistigen Kräfte.” Eindrücklich und für einen Missionar jener Zeit eher ungewöhnlich an Bolligs Einstellung ist die Tatsache, dass er sich intensivst für die Kultur der Menschen in seinem Arbeitsgebiet interessiert, sie beschreibend und analysierend zu verstehen versucht und nicht, wie damals oft üblich, als sowieso dem Untergang geweiht und daher als bedeutungslos ansieht. Es hat den Anschein, als habe er unbewusst erfasst, dass er seinen Auftrag nur dann wirkungsvoll erfüllen kann, wenn er den Denkrahmen der Insulaner
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genau kennt, weil er sich nur auf diese Weise dem Ideal interkultureller Kommunikation annähern kann. Trotzdem strotzen seine Äußerungen über die Insulaner an manchen Stellen geradezu von ethnozentrischer Einstellung, etwa dann, wenn er von ihrem Arbeitsverhalten spricht. Dem Europäer Laurentius Bollig und seinem Arbeitsethos leuchtet nicht ein, dass ein Mensch nur so viel arbeitet, dass er und seine Familie leben können. Dass er von den hygienischen Verhältnissen, in denen die Insulaner lebten, nicht angetan war, ist nicht verwunderlich. Ständig prangert er diese an, spricht gar vom “Schmutz des Heidentums”, der “dick” auf ihren moralischen Vorstellungen lagere. Aber er verharrt nicht im Negativen. Zahllos sind die Stellen, in denen er auf “Herz und Gemüt” der Insulaner hinweist und durchblicken lässt, dass er sich von ihnen angenommen fühlt und alles tun will, um diese von ihm als gut empfundenen Eigenschaften zu fördern, wo immer er kann. Sein Fazit: “Alles in allem, berechtigt das Trukvolk und die Missionsarbeit unter demselben zu schönsten Hoffnungen …” (Bollig 1927: 223)
5. Die Sammlung Sprichwörter und Redewendungen Sie findet sich im Kapitel 20, Abschnitt D, unter der Überschrift Die Bildersprache, was etwas merkwürdig klingt. Die Sammlung ist durchnummeriert. Ich habe sie im Lauf der vergangenen Jahre auf Chuuk mit Informanten von der Insel Toon im Westteil der Lagune überprüft und nach folgenden Kriterien angeordnet: Nach der Nummer folgt der Text des Sprichworts oder der Redewendung in phonemischer Schreibung nach Goodenough & Sugita (1980). Es folgt Bolligs Originaltext unter Beibehaltung seiner deutschen Schreibweise, danach meine Ergänzungen und Richtigstellungen, soweit nötig. Eine ganze Reihe der Sprichwörter und Redewendungen konnte von Informanten nicht mehr verstanden werden. Das liegt vermutlich am massiven Kulturwandel, der sich seit Bolligs Zeiten ergeben hat, vor allem im Bereich der materiellen Kultur. Viele Techniken, Verfahren, Werkzeuge und Gerätschaften, auf die metaphorisch Bezug genommen wird, gibt es heute nicht mehr. 1. fúún neerááningngaw Bollig: “Fun le räniŋau, Stern bei trübem Himmel”. Es bedeutet das, was wir als weiße Raben oder eine Schwalbe im Frühjahr bezeichnen. Ergänzung: Es hat den Anschein, dass die Insulaner sich in dieser Weise äußern, wenn ihnen etwas als äußerst selten, ungewöhnlich oder unzeitig auffällt. 2. Choon neesening Bollig: “Ton lesäliŋ, Kokos am Ohr”. Die Eingeborenen haben die Sitte, die Kokosnuss ans Ohr zu halten und zu schütteln, um aus der Bewegung des Wassers den Reifezustand zu konstatieren. Ton lesäli ŋ ist ein Mensch, der hört, was andere nicht hören.
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Ergänzung: choo bedeutet auf den östlichen Inseln der Chuuklagune (Nómwoneyas) das, was taka in ihrem Westteil (Fááyichuk) bedeutet, nämlich den endgültigen Reifegrad der Kokosnuss, deren flüssiger Inhalt nicht mehr getrunken werden kann. Es hat den Anschein, als bezeichne man mit der Redewendung einen Menschen, “der das Gras wachsen”, “die Spinnen weben” oder “die Flöhe husten hört”. 3. Kunnun pésséék Bollig: “Gunun boisök, Drehen der leeren Kokosschale”. Die Kokosschale rollt, weil sie rund ist, überall herum, liegt bald so, bald so. Sie gleicht dem Menschen, der überall herumläuft und immer dort ist, wo er nicht sein soll. Ergänzung: Bolligs Wortform peyiseek ist die auf den östlichen Inseln (Nómwoneyas) übliche. Auf Fááyichuk lautet sie pésséék. Es hat den Anschein, als bezeichne man mit der Redewendung einen Menschen, der wegen seines unsteten, wenig berechenbaren Verhaltens störend wirkt und abgelehnt wird. 4. Wurupow átenúkún Bollig: “Urubou-ätienugun, Die langen und die kurzen Schwanzfedern des Hahnes”. Die wurupow, die sich stolz hin und her bewegen, sind ein Bild des hochfahrenden, eingebildeten Menschen, der verächtlich auf die kleineren átenúkún herabsieht. Ergänzung: Auf Fááyichuk heißen die Schwanzfedern des Hahns nisiyáánin chukó. Die Bedeutung, die Bollig angibt, ließ sich nicht mehr endgültig erhellen. 5. Ónoon semiriit wuwáán núffé(é) Bollig: “Alon semirid uan nufö, das Wort eines Kindes ist wie die Frucht einer jungen Kokos”. Eine Illustration des Wortes: “Ein guter Baum hat gute Früchte”. Das Wort eines Kindes ist echt, unverdorben, wahr. Ergänzung: Núffé oder núúfé sind junge Kokospalmen, deren Früchte eine besonders wohlschmeckende Trinkflüssigkeit enthalten. Ältere Kokospalmen heißen núttam (ttam lang). Der Vergleich von Kindern, die sich unverstellt und ungeschminkt äußern, mit den Früchten junger Kokospalmen ist Insulanern leicht einsichtig. 6. Nukiiyen Sépénúwan Bollig: “Nugien Sapöluan, Anhang des Sapöluan”. Ein junger Bursche, namens Sapöluan, ging gegen den Willen des Vaters in das Gebiet eines bösen Geistes. Als er wieder nach Hause zurückkehrte, folgte ihm der Geist nach, und aß im elterlichen Hause alles auf, sodaß die Leute Hunger litten. Wenn nun ein junger Mensch aus Eigensinn etwas tut, was nachher böse Folgen hat, so bezeichnet man diese als nugien Sapöluan, als selbstverursacht. Ergänzung: Nukiiy bedeutet ‘hinter sich herziehen’. Es hat den Anschein, als drücke man mit der Redewendung einen Vorwurf an jemand aus, der fahrlässig und wider besser Wissen handelt, was unliebsame Folgen nach sich zieht.
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7. Nussunong emén ángá, neefasen emén ángá Bollig: “Lesulon emen äŋä, lefasun emen äŋä‚ wenn ein Star aus seinem Neste fliegt, fliegt ein anderer hinein”. Verläßt ein Mensch aus Unzufriedenheit eine günstige Stellung, und setzt sich gleich ein anderer hinein, dann ist ihm der Rückweg versperrt. Eine Mahnung für unruhige Köpfe, die immer Veränderung wünschen. Ergänzung: Bolligs Form lesulon könnte als neesúúnóón gedeutet werden: súúnó bedeutet davonfliegen. Das Präfix nee- ist ein Ortsklassifikator und verbindet den Vorgang begrifflich mit der Stelle, an der er abläuft. Es hat den Anschein, als bedeute die Redewendung so etwas wie “Man wechselt die Pferde nicht mitten im Fluss”, oder “never change a winning team”, oder “es ist riskant, die Wurst nach dem Schinken zu werfen”, oder “besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach”. 8. Nóón péér Bollig: “Lon bör, in dem Wassergefäße.” Im Wassergefäße (Kokos) ist es dunkel, weil es nur ein kleines Ausflugloch hat. Eine Redewendung, die unverständlich und geheimnisvoll ist, bezeichnet man als lon bör. Ergänzung: Péér ist ein Gefäß, hergestellt aus einer Kokosnuss, aus der man durch eine eher kleine Öffnung das Fruchtfleisch entfernt hat. Es handelt sich um eine Art Kalebasse, deren Öffnung mit einem Holzstopfen verschlossen werden kann, und die nicht nur als Wasserbehälter gebraucht wird, sondern vor allem auch für flüssige Duftstoffe aller Art. Nóón ist nicht nur als Präposition für “innen” zu verstehen, sondern auch als Substantiv. Es bedeutet also auch “Inneres” und “Inhalt”. Weil man in ein solches Gefäß nicht gut hineinschauen kann und drinnen Dunkelheit herrscht, bedeutet die Redewendung, dass eine Aussage nicht sofort verstehbar, sondern kryptisch ist. 9. Owunon aa nampa eew neeyin oow Bollig: “Oulon a lambawon lein ou, von allen Geschenken ist das beste dasjenige, welches in den Magen hineingeht”. Ergänzung: Oow ist eine Art Gabe, also eine Art niffang, meist an Geistwesen, die man sich freundlich stimmen möchte, aber auch an Menschen. In diesem Fall handelt es sich um ein Geschenk, das etwas Essbares enthält. Unklar ist dabei die Form owunon. Informanten sagen, es bedeute niffangen mwéngé, also ein Geschenk in Form von Essbarem. Unklar ist vor allem, ob die Endung -non als ein Allomorph von nóón (innen) zu verstehen ist. 10. Iik me téwútéwún Bollig: “Ik me tutun, der Fisch und seine Umgebung”. Man gebraucht dieses Wort von einem Menschen, der sich in seinen Ansichten immer nach seiner Umgebung richtet. – “Mit den Wölfen muß man heulen”. Ergänzung: Informanten formulieren Bolligs Form tutun als téwútéwún, dessen Bedeutung sich nicht klären ließ. Es hat den Anschein, als ob die Redewendung auch “sein Mäntelchen nach dem Wind hängen” bedeuten kann.
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11. Kete kúúti fasen wukech Bollig: “Ke de gudi fasen uget, tritt nicht in das Nest der schwarzen Ameise”. Der Bis [sic] der schwarzen Ameise ist wie Feuer. Wer durch das Gras geht, muß sich vor ihr in acht nehmen. So muß sich auch der, welcher etwas in Angriff nimmt, hüten vor dem Feuerbiß übelgesinnter Menschen, deren Pläne er villeicht [sic] dabei zerstört. Ergänzung: Die Redewendung bedeutet auch so etwas wie “in ein Wespennest stechen”. 12. Choopi wóón, éwút faan Bollig: “Tobi uon, oudd fan, Ruhe oben, Strömung unten”. Wenn auch das Meer an der Oberfläche manchmal scheinbar ruhig ist, so hören doch die unterirdischen [sic] Strömungen nicht auf. So ist auch das Verhältnis vieler Menschen zueinander. Äußerlich besteht gutes Einvernehmen, innerlich aber Feindschaft. Ergänzung: Zu choopi gibt es die Synonyme chóórek und núwa. 13. Iken mwiich Bollig: “Iken muit, der Fisch der Schar”. So sagt man von dem Menschen, der in seiner Umgebung eine führende Rolle spielt. Ergänzung: Mwiich ist jede Art Ansammlung von Menschen und Tieren, ob Schulklasse, Mitglieder einer Sitzung, Vogel- oder Fischschwarm. Die Redewendung scheint einen Menschen zu bezeichnen, der nur innerhalb seiner Gruppe sicher auftritt, außerhalb aber nicht. 14. Kesee mwo eyiteyita ráániyó Bollig: “Ke samo eideida ränio, du hast noch nicht die Dachblätter gezahlt” [sic]. Ein Kranker, der nicht schlafen kann, zählt vor Langweile [sic] die Blätter, mit denen das Dach gedeckt ist. Die Mahnung wird an Ungeduldige, Übermütige gerichtet. Ergänzung: Diesen Satz bekommt ein junger Mann zu hören, der sich lautstark zu Wort meldet, ohne wirklich Bescheid zu wissen, weil ihm die nötige Lebenserfahrung fehlt. Man will ihm damit zu verstehen geben, dass er den Mund wohl nicht mehr so voll nehmen würde, wenn er am eigenen Leib erfahren hätte, wie es ist, wenn man alt, krank und schwach in der Hütte auf dem Rücken liegt und nichts anderes mehr tun kann, als die Blätter zu zählen, mit denen das Dach gedeckt ist. Auf Toon in Fááyichuk sagt man kesee mwo sacheey peyiniwo (rúpwúng). 15. Tiitiin mesenipan Bollig: “Titin meseipan, Schieben den Abhang hinunter”. Wenn ein unselbständiger Mensch etwas Außerordentliches tut, so bezeichnet man das als titin meseipan, weil man mit Recht vermutet, dass andere dahinter stecken, die ihn schieben. Ergänzung: Genaueres zur Bedeutung konnten meine Informanten nicht erklären. Mir erscheint folgende Erklärung sinnvoller: Etwas Überflüssiges tun, “Wasser in den Bach tragen”.
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16. Emén aa meseni mesen faaw Bollig: “A meseni mesen fau, er hat das Gesicht des Steines geerbt”. Man wendet das Wort auf solche an, die etwas Schämenswertes tun, sich aber nicht schämen. Ergänzung: Scham ist für die Insulaner eine Emotion von enormer Bedeutung. Kaum etwas wird so sehr gefürchtet als Situationen, in denen man sich beschämt fühlt. Jemand, der keine Scham erkennen lässt, sozusagen schamlos (kinimmang) ist, wird damit charakterisiert, dass er ein versteinertes Gesicht habe, keine Regung zeigt, etwas tut oder vertritt, “ohne mit der Wimper zu zucken”. 17. Kesapw fóóneni emén meyi pwúk niin Bollig: “Ke sap foloni emen mei bug nin, zieh keinen auf, dem schon die Zähne gewachsen sind”. Wie man Erwachsene nicht mehr leicht an neue Verhältnisse gewöhnen kann, so ist es auch nicht mehr leicht möglich, alte Gewohnheiten abzulegen. Ergänzung: Mit fóóneni bezeichnet man die Tätigkeit des Erziehens von Kindern, aber auch das Hüten von Tieren. Die Redewendung bedeutet offensichtlich, dass man Kinder früh an Verhaltensweisen gewöhnen muss. Spätere Veränderungen ihres Verhaltens sind schwieriger zu erzielen. Ähnlich schwierig ist es, ein älteres Tier zu dressieren. Eine mögliche Entsprechung ist auch: “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr”. 18. Túngútúngún péérémmóng Bollig: “Tuŋetuŋen böremoŋ, Schweiß eines großen Wassergefäßes”. Wenn einer, der so tut, als ob er viel wüßte, nur ein wenig zum besten gibt, das Wichtigste aber verheimlicht, so nennt man das “Schweiß eines großen Wassergefäßes”. Ergänzung: Ttúng und seine reduplizierte Form túngútúng bezeichnen das Fließen und Sickern von Schweiß oder Saft. Sickernde Flüssigkeit ist attúng. Mit péér bezeichnet man eine hohle Kokosnuss, die als Behälter dient, aber auch Behälter moderner Art, die zur Aufnahme von Flüssigkeiten dienen. Die Endung mmóng bedeutet groß, umfangreich. Die Redewendung charakterisiert offensichtlich eine Situation, in der nur zögerlich und stückweise mit der Wahrheit herausgerückt wird. 19. Féwúchón epwe emeripa (émékkú) féwún anget Bollig: “Fauton – faunaŋet, schwarzer Basalt – Korallengeröll”. Ersterer ist Sinnbild der Stärke, Unbezwingbarkeit, letzteres die Schwäche. Ein Eingeborner, der sich seiner Stärke bewußt ist, sagt zum Gegner: “fauton e bue emeripa faun a ŋet, der schwarze Stein wird das Korallengestein zerschmettern”. Ergänzung: Mit Hilfe eines schwarzen Vulkansteins lässt sich Korallenmaterial leicht zerkleinern. Es handelt sich um eine Drohformel, die offensichtlich heute nicht mehr gebraucht wird. 20. Fóós sáápwásuk Bollig: “Fos säpasug, Wort, das keine Knorren hat”. Das Bild ist von einem Stück Holz genommen, von dem die Rinde und alle Auswüchse entfernt sind. Im übertragenen Sinne ist es also eine Rede, die, geschmeidig, ohne Spitze für die Zuhörer ist.
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Ergänzung: pwásuk bedeutet sowohl das Knie als auch den Ellbogen, darüber hinaus alles, was Insulaner als ähnlich empfinden: die “Knoten” an Grashalmen, Bambusschäften, die Stellen, an denen die Wirbel der Wirbelsäule und die Glieder von Tausendfüßlern zusammentreffen usw. Die Redewendung bedeutet so etwas wie “klare Worte”, “rundheraus und ohne Umschweife geredet”. Ein synonymer Ausdruck ist fóós mwotowutow. 21. Apáchchewey me neefanang Bollig: “Abätöuei me lefala ŋ, etwas, was nicht [muss “mich” heißen, vgl. Nr. 22] schnell aus dem Kochhaus heraustreibt”. Diesen Ausdruck gebraucht ein junger Mann von einem hübschen Mädchen, das ihm gefällt, weil der Gedanke an sie die Arbeit beschleunigt. Ergänzung: Gemeint ist offenbar, dass der Betreffende schnell mit der Arbeit fertig wird, um Zeit zu haben, sich mit dem Mädchen abzugeben. Es gibt eine weitere Redewendung, in der darauf angespielt wird: Kesapw pwan ttawaat, ese wor apáchchewomw me neefanang, deutsch etwa “Du brauchst dich nicht zu beeilen. Es gibt keinen Grund (i.e. kein hübsches Mädchen), der dich aus dem Kochhaus treibt.” 22. Apáchchewey me neeset Bollig: “Abätouei [sic] me lesäd, etwas, was mich schnell aus dem Meere heraustreibt”. Diesen Ausdruck gebraucht ein Mädchen von dem Burschen, der ihr gefällt, weil der Gedanke an ihn sie bald vom Fischfang nach Hause treibt.“ Ergänzung: Mit neeset ist die Flachwasserzone gemeint, ein charakteristischer Arbeitsplatz der Frauen, wo sie mit Handnetzen fischen. 23. Néwún pwopwun émwúch Bollig: “Naun popun owut, das Kind eines Holzklotzes”. So bezeichnet man einen Menschen, um den sich die andern nicht kümmern. Er wird auf Seite [sic] geschoben wie ein Holzklotz. Auch von umherschleichenden Kindern habe ich den Ausdruck gebrauchen hören. Ergänzung: Die Version Bolligs ist offenbar verstümmelt, vor allem die Wortform owut. Sollte sie einen Zusammenhang mit der Bedeutung “Holzklotz” haben, können Informanten sie nur als émwúch identifizieren, was “Feuerholz” bedeutet. Damit ergibt sich folgender Sinn: Feuerholz ist nicht besonders wertvoll. Man wirft oder schiebt es irgendwo hin, wo gerade Platz ist. In ähnlicher Weise geht man mit einem Tunichtgut oder Taugenichts um, den alle ablehnen. Er wird abgeschoben, gemobbt. Die Redewendung charakterisiert in etwa einen Menschen, der “von schlechten Eltern” ist. 24. Kete senittam, kepwe senimwoch Bollig: “Sälitam – sänimot, langes Seil – kurzes Seil”. Die Die [sic] Bilder sind vom Angeln genommen. Eine lange Angelschnur zerreißt leicht oder bleibt leicht hängen, wenn man sie plötzlich einziehen muß. So ist es in schlechten, unsicheren Zeiten nicht geraten, etwas zu riskieren. “Ke de sänitam, ke bue tok sänimot, wirf kein langes, sondern ein kurzes Seil aus”, ist eine Mahnung zur Vorsicht.
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Ergänzung: Die Redewendung richtet sich als Ermahnung an einen Menschen, der es an Augenmaß mangeln lässt. Er soll “nicht zu hoch zu pokern” oder “die Kirche im Dorf lassen”. 25. Aa ruwuuw pwangen awan Bollig: “A ruu pna ŋen [sic] awan, er hat zwei Mundlöcher”, sagt man von Menschen die zweierlei Sprache führen. Ergänzung: Der Fehler im dritten Wort geht sicher auf den Schriftsetzer zurück, der keine einschlägigen Sprachkenntnisse hatte. Die Redewendung kennzeichnet einen Menschen, der “den Leuten nach dem Munde redet”, das heißt seine Aussagen nach den Erwartungen seiner Gesprächspartners ausrichtet, einmal so, und dann wieder anders redet. 26. Aa ááni áán kuning Bollig: “A äni en kuli ŋ, er macht es wie der Strandläufer”. Dieser Vogel stößt beim Fliegen einen hellen Ruf aus, der wie sein Name klingt. Menschen, die nur an sich denken, nur von sich reden, sind dem kuliŋ ähnlich. Ergänzung: Kuning ist der Regenpfeifer, dessen charakteristischer Ruf ihm diese Bezeichnung eingebracht hat. Die Redewendung charakterisiert das Verhalten eines “Angebers”, der mit vorgetäuschten Leistungen prahlt. Informanten erklären dieses Verhalten auch mit dem Hinweis, einer der sich ständig selbst lobe, aa sikáásini itan, deutsch etwa, “er tut so, als ob er einen Namen hätte”. Für die Insulaner bedeutet “einen Namen haben”, dass man in der Öffentlichkeit angesehen ist, und zwar wegen echter Leistungen. Der kuning ist ein Wesen, das seinen Namen ständig selbst hören lässt und auf diese Weise ein Abbild dessen ist, der ohne Unterlass Selbstlob verkündet. Dazu gibt es das transitive Verb kuningeey mit der Bedeutung “prahlen”. 27. Aa téén ruwófóch (rúwéfóch) Bollig: “A tön ruefot, er hat zwei Fackeln”. Ein pfiffiger Eingeborner nimmt bei nächtlichen Wanderungen zwei Fackeln mit, falls eine versagen sollte. In ironischer Weise wird das Wort von denen gebraucht, die nach beiden Seiten hinken, um sich, falls es auf der einen mißglückt, auf die andere retten zu können. Ergänzung: Informanten geben als weitere Version mit der gleichen Bedeutung éwúwafar ruwósópw, deutsch etwa “auf beiden Schultern tragen”. 28. Ikesow – ikenen fáán faaw Bollig: “Ikesou – iken fan fau, herumstreichender Fisch – Fisch unter dem Steine”. Ein herumstreichender Fisch ist das Sinnbild eines schlechten Menschen, während der unterm Steine einen guten Menschen bedeutet, der sich wohlfühlt in seiner Häuslichkeit, in seinem Berufe. Ergänzung: Mit ikesow, der im Gebiet von Fááyichuk auch rapaayik genannt wird, ist ein Fisch gemeint, der schwer zu fangen ist, im Gegensatz zu einem mit ikenen fáán faaw bezeichneten, der “zahm” (aa fesir neetipan) unter seinem Stein stehen bleibt und daher leicht zu fangen ist.
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Informanten erklären die Eigenschaften eines ikesow mit dem Terminus rapaan, der Herumtreiberei bedeutet. Ein Herumtreiber ist ein átárapaan, eine Herumtreiberin eine niyerapaan: Emén áát ika nengngin meyi feyin fátán. 29. Soongen fáán fanang Bollig: “Soŋen fan falaŋ, Zorn unter der Asche”. Wie das Feuer unter der Asche, so glimmt auch oft der Zorn, die Feindschaft unbemerkt fort. Es bedarf nur einer kleinen Veranlassung, und sie lodern empor. Ergänzung: Es handelt sich um eine anschauliche Formulierung für schwelende Wut oder lang gehegten Groll. Informanten nennen ähnliche Formulierungen: Soongen iimw “Wut im Haus” und soongen fáán pwpwúnúwan “Wut unter dem Ehepartner”. Letzteres ließ sich nicht endgültig klären. 30. Ese sine pwenin wa Bollig: “Pneni [sic] ua, Kanu umdrehen”. Besonders geschickte Insulaner verstehen es, das Kanu, welches beim Sturm umgeschlagen ist, wieder zu drehen. Versteht jemand es nicht, einen angerichteten Schaden gutzumachen, so sagt man: “E se sile puenin ua, er kann das Kanu nicht umdrehen”. Ergänzung: Die falsche Schreibung des ersten Worts ist einer der typischen Fehler in Bolligs Werk, der wohl dem Schriftsetzer anzulasten ist. Ein gekentertes Boot wieder aufrichten zu können gilt als besondere Fähigkeit bei den Insulanern. Schwierig ist das, wenn es bei Sturm geschieht. Ein Mann, von dem man weiß, dass er es gut kann, heißt sowupwen. Das transitive Verb pweniiy darf nicht verwechselt werden mit pwenniiy, das “umfahren” oder “umrunden” bedeutet. 31. Appachen sáwáán Bollig: “Paten sawan, Saft der sawan”. Die sawan ist eine Brotfruchtsorte, deren weißer Saft besonders klebrig und zäh ist. Einen Menschen, der ausnahmsweise egoistisch und geizig ist, nennen die Eingeborenen paten sawan. Ergänzung: Die Bezeichnung für die Brotfruchtsorte gibt es in verschiedenen Varianten, als sawaan, sewáán und sáwáán (Fááyichuk). Mit dem klebrigen Saft (appach) lassen sich Leimruten zum Vogelfang versehen. 32. Penipen Bollig: “Belibel, Seewalze”. Rührt man die Seewalze an, spuckt sie alles, selbst ihre Gedärme aus. Sie gilt darum als Sinnbild desjenigen, der auf die geringste Bitte gerne anderen mitteilt. Ergänzung: Es handelt sich um ein Tier, das gewöhnlich auch Seegurke genannt wird, und aus der früher der Trepang hergestellt wurde. Der Zählklassifikator dafür ist mwúú-, z.B. emwú penipen ‘eine Seegurke’ (iyeey ánneyaan ewe maan). 33. Kete inetaamas, esaamwo ipwét Bollig: “Iläd amas, roh verteilen”. Noch nicht fertig gemachtes Essen soll nicht verteilt werden. Freut sich jemand über einen Vorteil, der ihm in Aussicht steht, oder will er etwas
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nehmen, was ihm noch nicht gehört, so ruft man ihm zu: “Ke de iläd amas, e samo ibod, verteile es nicht roh, es ist noch nicht gar”. Ergänzung: Die Redewendung bedeutet deutsch etwa: “Verteil das Essen erst, wenn es gar ist”. Sie spielt an auf das gemeinsame Essen, das für die Insulaner von außerordentlicher Bedeutung und damit stark ritualisiert ist. Erst wenn es nicht mehr roh (amas), sondern gar (ipwét) ist, wird es an die Esser verteilt (inet). Der Satz ermahnt dazu, sich bei einem Konflikt nicht zu früh als Sieger zu fühlen, sondern seine endgültige Entwicklung abzuwarten. Er bedeutet so etwas wie “Du wirst mich noch kennenlernen”, oder “Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben”, oder auch “Die Nürnberger henken keinen, sie haben ihn denn”. 34. Máchewen feefin Bollig: “Mateun fefin, Speer der Frau”. Mit diesem Worte tröstet man gebärende Frauen. Der Mann leidet durch den Kriegsspeer, die Frau durch die Geburtswehen. Ergänzung: Es handelt sich um den Dorn des Stachelrochens máchewen sikách, der früher als Speerspitze diente. 35. Neeniyomw só, óómw ákkeen, óómw fétún, itomw mwánnifátán Bollig: “Leniom so, om äkän, om fadil, idom muän, dein Platz ist die Ruderbank, deine Stange, dein Ruder, dein Name ist Mann, das heißt Umherschweifer”. Diese Redewendung sucht eine Charakteristik des Mannes zu geben aus dem Worte muän, das Ähnlichkeit hat mit muäl, muäliäl, herumschweifen. Weil das Leben des Mannes sich großenteils auf dem Kanu abspielt, hat er eine Stange zum Schieben, ein Ruder zum Rudern, und verdient daher den Namen “Umherschweifer”. Ergänzung: Die Bedeutung der Redewendung bleibt völlig unklar. Moderne Informanten können nur noch die phonemische Form korrekt nennen. Ákkeen ist ein Synonym von ánneek, das die Stake bedeutet, eine Stange, mit der Boote im flachen Wasser vorangetrieben werden. Bolligs Versuch, den Bezug zum Begriff “Mann” herzustellen, erscheint eher volksetymologisch und daher problematisch, denn sein muäl ist in Wirklichkeit mwmwáán mit der Bedeutung “falsch”, und sein muäliäl ist in Wirklichkeit mwáániyen mit der Bedeutung “schwindlig”. Für mwánnifátán geben Informanten auch ruukefátán. 36. Énúúnap aa fééri ngaten seningach pwe epwe kusuwu soong. Bollig: Zornige Menschen sucht der soufos etwa durch folgende Worte zu beruhigen: “Önulap a efisada ŋaden säliŋat, e bue kusulo soŋ, der große Geist hat das Loch unseres Ohres gemacht, damit der Zorn herausgeht”. Ferner: “Ke sap boaduni boadun rau, eigne dir nicht die Nase des Walfisches an”. Wenn der Walfisch in seiner Wut die Nase über das Wasser erhebt und mit seinem Schwanze um sich schlägt, so werden die Menschen unglücklich. So macht auch der Zorn eines Menschen seine Umgebung unglücklich. “Ke bue soŋeni soŋen elli, nimm an den Zorn des elli”. Dieser elli (Zornfisch) bläht sich im Zorne auf; schneidet man aber den aufgeblasenen Hals auf, so findet man ihn leer. Einen solchen Zorn ohne üble Nachwirkungen für andere soll auch der Mensch haben.
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Ergänzung: sowufóós ist in der Regel ein begabter Redner. Der Terminus bezeichnet auch den Profeten. Die phonemische Form des Satzes über den Wal lautet Kesapw pwéétúni pwéétún raaw, der über den Fisch, den Bollig “Zornfisch” nennt, lautet Kepwe soongeni soongen eni. Dieser eni heißt auf Fááyichuk ikakkar, englisch bass fish, eine Art Seebarsch. Informanten sind der Ansicht, man sage für die beiden Redewendungen heute Kesapw soongen nuus, etwa “sei nicht wütend wie ein Verlierer”. 37. Kete seningeni seningen pókó, kepwe seningeni seningen nippach. Bollig: “Ke de säliŋeni säliŋen bobo, ke bue säliŋeni säliŋen nipat, eigne dir nicht das Ohr des Haies an, eigne dir an das Ohr des Tintenfisches”. Die Eingeborenen behaupten, der Haifisch habe viele Ohren, während der Tintenfisch (Polype) nur eines besitze. Der Mensch soll nicht viele Ohren haben, das heißt, nicht hören auf die Ratschläge vieler. Er muss denen folgen, die ihm Gutes raten, also sich mit einem Ohr begnügen. Ergänzung: keine 38. Wúpwe feyinnó ónnut neeyiin pétéwén. Iyeey wúwa nnenó. Bollig: Ein arbeitsamer Mann pflegte, wenn er zur Arbeit ging, zu seinen faulen Arbeitsgenossen zu sagen: “U bue feilo onud lein petewöl, ich gehe schlafen in den Busch”. Aß er später die Frucht seiner Arbeit, während die Faulenzer hungerten, so machte er die Bemerkung: “Iei ua nelo, jetzt wache ich”. Die Arbeit im Felde war sein Schlaf, sein Essen, sein Wachen. Die anderen schliefen zur Zeit der Arbeit und konnten darum zur Zeit des Essens hungern. Ergänzung: keine 39. Nneto, nowumw féwún mesomw, neyi féwún mesey, kete attapa féwún mesey. Anénnééw fáán mwárámwár Bollig: Eine Frau, welche Streit hatte mit der Nachbarin, weil diese ihr Kind geschlagen hatte, nahm eine Blattrippe, bog sie, als ob sie dieselbe der Gegnerin ins Auge schnellen wollte. Als nun diese vor Angst die Augen bedeckte, sagte sie: “Nedo, noum faun mesom, nei faun mesei, ke de adaba faun mesei, schau, dein Kind ist dein Augapfel, mein Kind mein Augapfel. Berühre also meinen Augapfel nicht”. Eine andere reichte der Gegnerin die Blattrippe, sie solle anönöu fan marmarin, messen unter dem Herzen, dann werde sie sehen, dass die Liebe aller Mütter zu ihren Kindern gleich groß sei. “Was du also nicht willst, das man deinem Kinde tut, das füg auch meinem nicht zu”. Ergänzung: anénnééw bedeutet nach Goodenough & Sugita (1980) “cause to be alike, to be the same size”, hier offenbar im Sinn von “vergleichen”, das genauer mit anénnéffengenniiy bezeichnet wird. Die Formel fáán mwáár, häufiger fáán mwárámwár bezeichnet die Magengrube und den unteren Teil der Rippenbögen, wo sich nach den Vorstellungen der Insulaner die Stelle neenuuk oder neetip befindet, an der Emotionen und intellektuelle Vorgänge angesiedelt sind. Bollig gibt sie mit der europäischen Kategorie
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“Herz” wieder. Die zweite Aussage muss vermutlich anénnééw fáán mwárámwárumw heißen: “Vergleiche das einmal mit deinen eigenen Gefühlen.” 40. Átepwise Setipwitirun pwise Niyepwise Móngosopwon Esaamwo móónó móngospwonun semiriit Bollig: Auch an groben Bildern fehlt es in der Truksprache nicht. Einen hässlichen, unangenehmen Mann bezeichnet man als ädepuisä (Sch..ßdr… mann) oder sodubuduren puisä (Letztgebornen des Sch….). Ein hässliches Frauenzimmer heißt niepuisä (Sch…mädel). Vorlaute junge Leute nennt man moŋesopun, Grindkopf, weil viele Trukleute keinen Grind haben. Von einem, der noch unbeholfen, kindisch ist, sagt man: “E samo molo moŋesopun, sein Grind ist noch nicht verschwunden”. Um einem Menschen symbolisch ihre Verachtung auszudrücken, setzen sie eine Kokos in menschliche Exkremente, was dann heißen soll: “Du bist ein Sch…kerl”. Ergänzung: pwise bedeutet Exkremente jeder Art. Das damit verbundene Worttabu ist hoch und hat etwa den Grad von “Scheiße”. Setipwitur bedeutet den oder die jüngste in einer Anzahl von Kindern. Esaamwo móónó móngospwonun semiriit bedeutet “die Fontanelle beim Kleinkind ist noch nicht verheilt, zugewachsen”. Damit charakterisiert man einen Menschen als “Kindskopf”. 41. Sóópwu sópwun pwise Sóór sóreyééch nge sóróngngaw Bollig: Auch über die Namen der eilaŋ (Sippen) machen sie ihre Glossen. Von den Sobu sagen sie: “Sobu sopun buisä, Sobu ist ein Sch…knöllchen”. Für die Sor gilt der Spruch: “Sor sorot ŋe soreŋau, Sor hat bald gute, bald schlechte Eigenschaften” das heißt, ist undefinierbar. Ergänzung: Sóópwu und Sóór sind Klannamen. Zu Sóópwu gibt es ein ähnlich klingendes sóópw mit der Bedeutung “kurzes Stück”, in Zusammensetzungen allophonisch mit kurzem /ó/, zum Beispiel in der Form sópwun pwise in der Bedeutung “Stückchen Kot”. Damit verunglimpft man Angehörige des Klans Sóópwu (Informanten sagen: Iyeey raa ámángngawaangeni ewe eyinang Sóópwu). Ähnliches gilt für Sóór. Das Morphem sór gibt es nur in Komposita wie sóreyééch, sórósóreyééch, mit der Bedeutung “von gutem Charakter, gutem Gesamteindruck”, und sóróngngaw, sórósóróngngaw, mit der Bedeutung “von schlechtem Charakter, schlechtem Gesamteindruck”. Auch damit kann man Angehörige des Klans ärgern. 42. Ngúúngú fáán cheepen Bollig: “ŋuŋu fan tebel, knurren unter dem Tisch”. Wenn jemand bei Tisch sitzt und gut gefüttert wird, sagt er zu manchen Fragen ja, was er sonst nie täte. Also äußerlich ja, innerlich nein sagen, ist der genaue Sinn des Wortes.
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Ergänzung: keine 43. Awen fénú, seningen fénú Bollig: “Awen fanu, säli ŋen fanu, Mund des Landes, Ohr des Landes”, nennen sich stolz die Häuptlinge, weil sie das Land zu regieren haben, wie Mund und Ohr den Körper. Ergänzung: Häuptlinge (samwoon), modern Titelträger genannt, sind dadurch charakterisiert, dass sie bei politischen Versammlungen das Wort ergreifen, im alltäglichen Leben aber auch darauf hören, was für Meinungen im Volk vertreten werden. 44. aa kka wóón wooch Kete meseyikeey iken neekka Bollig: “Ke de meseikei iken lega, freue dich nicht über den Fisch auf dem Trocknen”. Einen Fisch auf dem Trocknen zu sperren ist keine Kunst und keine Ehre. Ebenso auch der Triumph über einen Schwächeren, einen Hilflosen. Ergänzung: Nekka oder neekka bezeichnet Bereiche auf dem Saumriff einer Insel, die trockenfallen, oder in denen das Wasser für Fische zu flach ist. Meseyikeey und meseyikeyiti bedeuten “sich (unbändig) freuen”. 45. Péépéén mékúren aramas Bollig: “Böbön maguren aramas, leerer Menschenschädel”. Diesen Ausdruck gebraucht man gegen solche, die nicht denken können und ihre Arbeiten verkehrt machen. Ergänzung: Die Verunglimpfung eines Menschen als Hohlkopf ist ein seltenes Beispiel dafür, dass intellektuelle Vorgänge und Eigenschaften von den Insulanern mit dem Kopf in Verbindung gebracht werden. Normalerweise sind diese nach ihren Vorstellungen hinter der Magengrube angesiedelt. Die Stelle heißt neenuuk oder neetip. 46. Rukefi (?) pénék Bollig: “Rugefi bölök, ins Trübe fliehen”. Manche Fische trüben das Wasser, um sich gegen ihre Feinde zu schützen. Ihnen ist ein Mensch ähnlich, der eine ihm unangenehme Geschichte in Verwirrung bringt, um seine Haut zu retten. Ergänzung: Bolligs rugefi konnte ich nicht identifizieren. Pénék bedeutet “trüb”. Man benützt es im Wesentlichen für Wasser, aber auch für andere Flüssigkeiten. Meine Informanten brachten bei der Diskussion eine andere Redewendung ins Spiel, die das Verhalten eines Tintenfisches als Bild benützt. Er stößt sein Sekret (nuchan, nuchen nippach) aus, um das Wasser zu trüben. Die Redewendung lautet: Kaa chék kusufingeniyey nuchomw, mit der Bedeutung: “Du hast mir mit deinem Verhalten etwas eingebrockt, das ich nun ausbaden muss.” 47. Nopwuten winikkot Bollig: “Nobuten wilikot, Aal auf dem Trockenen”. Der Seeaal, der aufs Trockene gerät, ist ein hilfloses Tier. Er dreht sich hin und her, aber es nützt nichts. Ihm gleicht der Mensch, der so in die Klemme gerät, dass er sich nicht mehr zu helfen weiß. Ergänzung: kkot ist die Bezeichnung für Niedrigwasser und Ebbe. Das Präfix winikennzeichnet das Morphem kkot als Ort in einer bestimmten Richtung gelegen.
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48. Pwaraan neepweyiséék Bollig: “Poran le boisök, tapfer in der Kokosschale”. Wenn ein Mensch in Gefahr feige, dagegen tapfer ist in Gesellschaft von vielen, oder hinter verschlossenen Türen, so gebraucht man von ihm den Ausdruck. Ergänzung: pwara bedeutet Mut, aber auch Angriffslust, Verteidigungsbereitschaft, séék die leere Kokosschale, die auch mit péér bezeichnet werden kann. Die Wortform findet sich in bestimmten Dialektgebieten auch als pésséék und pweyiséék. Das Präfix nee- markiert das betreffende Element als Ort. 49. Sápwin me fáán irá Bollig: “Sabuil me fan ira, abgesetzt werden vom Holze”. Wer auf einen Baum klettert und sich nicht festhält, fällt herab. So wird der, welcher eine hohe Stellung bekleidet, aber seine Pflicht nicht tut, abgesetzt. Ergänzung: keine 50. Aa ipwétúkkáy mwéngé mwmwen fóós Bollig: “I ibodkei moŋö muan fos, das Essen ist schneller gar als das Wort”. Es soll heißen, dass das Essen schneller gar ist, als ein Plan ausgeführt. Ergänzung: Die Redewendung heißt, wörtlich wiedergegeben “schneller gekocht als gesagt” und bedeutet so etwas wie “leichter gesagt als getan”. Interessant ist die umgekehrte Reihenfolge der Elemente des Vergleichs im Deutschen.
Quellen Belege zur Biografie Bolligs finden sich im Provinzarchiv der Rheinisch-Westfälischen Kapuziner, Kapuzinerplatz 134, 56077 Koblenz. Bildquelle: Müller, Kilian (1912): Jahresbericht über die Tätigkeit der Kapuziner der rheinischwestfälischen Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen, Marianen, und Palau-Inseln in der deutschen Südsee:11. Limburg: Limburger Vereinsdruckerei.
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DORIS STOLBERG (MANNHEIM)
Sprachkontakt und Konfession. Lexikalische Sprachkontaktphänomene Deutsch-Nauruisch bei den Missionaren Delaporte und Kayser
Abstract In den zwei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg standen weite Teile des Südpazifik unter deutscher Verwaltung. Das Deutsche stand hier in einem eng umrissenen geographischen Areal über 700 anderen Sprachen gegenüber, was zu einer besonderen Situation in Bezug auf Sprachenpolitik, Sprachenverhältnisse und Sprachkontakt führte. Ein konkretes Beispiel für kontaktbedingten lexikalischen Einfluss in diesem Kontext bietet die sprachliche Situation auf der pazifischen Insel Nauru. Hier hielten sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts etwa zeitgleich zwei deutschsprachige Missionare auf, der Protestant Philip A. Delaporte und der Katholik Alois Kayser; beide trugen aktiv zur Dokumentation und schriftlichen Verwendung des Nauruischen bei. Ein Vergleich der Wörterbücher zeigt jedoch deutliche Unterschiede, v.a. in Bezug auf die Herkunft von Lehnwörtern. Während bei Delaporte in allen auf Nauruisch verfassten schriftlichen Dokumenten eine größere Zahl an deutschen Lehnwörtern auftritt, finden sich bei Kayser an deren Stelle häufig die entsprechenden englisch-basierten Lexeme, sofern die betreffenden Lemmata überhaupt erfasst sind. In der vorliegenden Untersuchung geht es um einen Vergleich der Wörterbücher von Delaporte und Kayser, wobei ergänzend eine Wortliste von Paul Hambruch (1914–15) sowie neuere nauruische Wortlisten (Nauruan Swadesh List 1954, PetitSkinner 1981) herangezogen werden. Eine zentrale Fragestellung ist, wie sich die Unterschiede zwischen Delaporte und Kayser erklären lassen und welche Schlussfolgerungen aus solchen Unterschieden in der Sprachdokumentation für die weitere Erforschung dieser und vergleichbarer Kontaktsitutationen zu ziehen sind (Zuverlässigkeit bzw. Bewertung linguistischer Dokumente). Dabei kommen auch methodologische Gesichtspunkte zur Sprache, u.a. die Schwierigkeit, eine aussagekräftige und quantitativ ausreichende Datenbasis zusammenzustellen, die eine möglichst zuverlässige Grundlage für die Evaluierung einer solchen historischen Sprachkontaktsituation bieten kann.
1. Sprachkontakt zur Zeit der deutsch-kolonialen Herrschaft im Pazifik In den zwei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg standen weite Teile des Südpazifiks (fast ganz Mikronesien, Samoa, Teile Melanesiens/Neuguineas) unter deutscher Verwaltung. Für kurze Zeit stand das Deutsche hier in einem eng umrissenen geographischen Areal mehr als 700 anderen Sprachen gegenüber und befand sich mit einer größeren Zahl von ihnen in unmittelbarem Kontakt. Diese Tatsache führte zu einer besonderen Situation in Bezug auf Sprachkontakt, Sprachenverhältnisse und Sprachen-
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politik, deren spezifische Folgen bisher nur unzureichend erforscht sind. Die variable Verwendung des Deutschen u.a. in Administration, Missionen und Schulen führte zu unterschiedlichen Ausprägungen des kolonialzeitlichen Sprachkontakts. In vielen der indigenen Sprachen in den ehemals deutsch verwalteten Gebieten finden (bzw. fanden) sich lexikalische Entlehnungen aus dem Deutschen. So hat eine Untersuchung von 16 Sprachen Mikronesiens anhand zum Teil unpublizierter Materialien in 14 dieser Sprachen deutschen Lehnworteinfluss nachweisen können (Engelberg 2006), während andere Sprachen trotz nachgewiesenem Kontakt keine lexikalischen Einflüsse zeigen und zeigten. Welche Formen und Auswirkungen des Sprachkontakts sich jeweils entwickelten, konnte sich von Region zu Region stark unterscheiden und war von den Konstellationen abhängig, die sich aus dem Zusammenspiel verschiedener historischer Faktoren ergaben. In der Regel standen wenige Deutschsprecher einer deutlich größeren Zahl von Sprechern indigener Sprachen gegenüber. Dennoch kam es zu Entlehnungen, vor allem in Bereichen, die konzeptuell neu eingeführt wurden (z.B. Schulwesen, christliche Religion, neue Verwaltungsstrukturen, verschiedene Gebrauchsobjekte). Diese sprachliche Beeinflussung lässt sich einerseits auf Prestige (Übernahme prestigeträchtiger Objekte/Wörter) und andererseits auf Machtstrukturen, die u.a. in einer von oben gelenkten kulturellen Kolonisierung des Bewusstseins zum Ausdruck kamen, zurückführen. Ein wesentlicher Faktor war in diesem Zusammenhang die Erstverschriftlichung von indigenen Sprachen, die häufig durch Missionare im Zusammenhang mit der Bibelübersetzung vorgenommen wurde. Weite Bereiche der deutschen Kolonialgebiete waren schon vor der deutschen Verwaltungszeit mit europäischen Sprachen, v.a. Englisch und Spanisch, in Berührung gekommen. Über Vorformen des sich allmählich entwickelnden Tok Pisin (vgl. Mühlhäusler 1979, Mühlhäusler et al. 2003) gelangten Lehnwörter verschiedenen Ursprungs auch in solche indigenen Sprachen, die nicht in unmittelbaren Kontakt mit europäischen Sprachen traten. Daher lässt sich nicht immer eindeutig festlegen, ob die Entlehnung tatsächlich aus der Ursprungssprache, z.B. Deutsch, stattfand oder durch andere Kontakte vermittelt war. In jedem Fall muss Tok Pisin bzw. Pidgin-Englisch zum Zeitpunkt der deutschen Kolonialverwaltung als wichtige Lehnwortquelle immer berücksichtig werden. In der folgenden Untersuchung steht die Insel Nauru und damit nur ein kleiner Ausschnitt aus dem deutschen Kolonialgebiet im Mittelpunkt des Interesses. Das Besondere an der Situation Naurus liegt darin, dass zur Zeit der deutschen Kolonialverwaltung zwei deutschsprachige Missionare verschiedener Konfession auf Nauru tätig waren, die eine jeweils unterschiedliche Sprachpraxis verfolgten, das Nauruische unabhängig voneinander verschrifteten und dadurch einen bis heute problematischen Konflikt zweier Orthographiesysteme auslösten (vgl. Lotherington 1998). Im Folgenden wird zunächst kurz auf die historische sprachliche Situation Naurus und die ersten europäischen Sprachkontakte eingegangen. Es folgt eine knappe Übersicht über die spezifische Konstellation der Missionen und Missionare, v.a. Delaporte und Kayser, auf Nauru. Anschließend wird die Sprachkontaktsituation auf Nauru und
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die Sprachverwendung durch die Missionare während der deutschen Kolonialzeit dargestellt. Im zentralen Teil dieser Untersuchung werden Sprachkontaktphänomene, die in schriftlichen Primärquellen der relevanten Zeit belegt sind, analysiert. Dabei werden auch methodologische Fragen berücksichtigt. In einem abschließende Fazit werden auch langfristige Aus- und Nachwirkungen des deutsch-nauruischen Sprachkontaktes berücksichtigt.
2. Historische Sprachkontakte und die Sprachsituation auf Nauru Nauruisch, eine austronesische Sprache (Kayser 1936[1993], Lewis 2009), wird nur auf der Insel Nauru gesprochen. Obwohl die Insel klein ist, hat es vermutlich vor dem Ende des 19. Jahrhunderts, d.h. vor der kolonialen Inbesitznahme Naurus durch Deutschland und der Verschriftlichung der Sprache, mehrere Dialekte gegeben (Robson 1939: 47; Kayser 1936[1993]: IV). Spuren dieser Varianten tauchen in der Diskussion um eine nauruische Standardorthographie auf, die seit Mitte der 30er Jahre und ab 1937 im neu etablierten Nauruan Language Committee geführt wurde (vgl. Garsia (A) 1 1936, Clouston & Groves (A) 1938). Zwar argumentiert Rensch (Kayser 1936[1993]: IV), dass die Verschriftlichung und Standardisierung des Nauruischen durch die Missionare Kayser und Delaporte zum Erhalt der Sprache beitrug und den Einfluss anderer Sprachen, u.a. des Pidgin-Englisch, einschränkte; doch zeigt die heutige Situation, dass die letztlich immer noch offene Orthographiefrage 2 dazu beitrug, dass Nauruisch sich als Schriftsprache nur bedingt etabliert hat. Das hatte und hat vor allem für die schulische Ausbildung nauruischer Kinder weitreichende Folgen (Lotherington 1998): Sie werden mangels muttersprachlichen Lehrmaterials in großem Umfang auf Englisch unterrichtet, was zu einer unzureichenden schriftsprachlichen Beherrschung des Nauruischen führt, ebenso wie zu einer unbefriedigenden Bildung auf Englisch, das die Kinder bei Schuleintritt in der Regel in nicht ausreichendem Maße beherrschen und auch während ihrer Schulzeit nicht in vollem Umfang schriftsprachlich erwerben. Eine Folge des kolonialzeitlich bedingten Prozesses der Verschriftlichung und Standardisierung des Nauruischen ist ein verhältnismäßig hoher Prozentsatz von Analphabetismus, Beschulung in einer Fremdsprache und unzureichende Bildung in den schriftsprachlichen Fähigkeiten der Muttersprache der Schülerinnen und Schüler (vgl. auch den Unesco-Bericht in Republic of Nauru 1999).
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Der Zusatz (B) verweist auf einen Brief oder Bericht (Archivmaterial). Kayser und Delaporte verwendeten unterschiedliche orthographische Systeme, und die nauruische Orthographiereform von 1937/38, die diesen Konflikt lösen sollte, hat sich bis heute nur teilweise durchgesetzt.
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Nauruisch stand vor der Kolonialzeit mit anderen pazifischen Sprachen in Kontakt. So berichtet Stephen (1937: 40), dass durch Kontakt mit Bewohnern der Gilbert-Inseln deren Sprache auf Nauru verstanden wurde. Diese Aussage kann jedoch selbst für den Beginn des 20. Jahrhunderts (als Stephen auf Nauru lebte) nur bedingt gegolten haben, denn über die protestantische Mission wird berichtet, dass die ersten Missionare, die 1887 von den Gilbert-Inseln nach Nauru gesandt wurden (Viviani 1970: 25), auf Gilbertesisch gepredigt hätten. Das habe allerdings zum Misslingen der Mission geführt, denn sie seien nur von einem kleinen Teil der nauruischen Bevölkerung verstanden worden (Delaporte et al. 1909). Der protestantische Missionar Delaporte, der 1899 nach Nauru kam, benutzte bis zu seiner Beherrschung des Nauruischen auch Gilbertesisch, nahm jedoch die Unterstützung eines Dolmetschers in Anspruch, um sich verständlich zu machen (Delaporte (A) 5/1899). Der Kontakt mit europäischen Sprachen, v.a. mit Englisch, setzte bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein, als durch die europäische Besiedlung Australiens (seit 1789) neue Seewege im Pazifik genutzt wurden. Aus diesem Zusammenhang stammt die erste europäischsprachige Erwähnung Naurus 1798 durch Kapitän John Fearn, der von einer Kontaktaufnahme mit den Bewohnern Naurus berichtet, jedoch aus ihrem Verhalten schloss, dass es vor ihm bereits Berührung mit europäischen Schiffen gegeben haben musste (Viviani 1970: 9f.). Seit ca. 1830 wurden die europäischen Kontakte häufiger, u.a. weil Walfangschiffe häufig auf Nauru Proviant aufnahmen. Verschiedene überwiegend englischsprachige beachcombers siedelten sich zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlicher Dauer auf Nauru an (Viviani 1970: 10ff.). Dadurch kam es zu einer intensiveren Form von Austausch, die sowohl kulturelle als auch sprachliche Spuren bei der nauruischen Bevölkerung hinterließ, zum Einen hinsichtlich einer gewissen Vertrautheit mit europäischen Gebräuchen und zum Anderen, indem Nauruisch in Sprachkontakt mit Englisch und Pidgin-Englisch trat. In diesem Kontext ist vermutlich auch Stephen’s (1937: 40) Verweis auf frühe englische Entlehnungen im Nauruischen zu sehen: “The Nauruans […] have no curse words so have to use English when they wish to swear.” Nauruisch weist weiterhin eine gewisse Anzahl europäischer Lehnwörter verschiedener Provenienz auf (u.a. Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Deutsch), die auch im Tok Pisin belegt sind (Mühlhäusler, persönl. Mittg 2009). Daher ist anzunehmen, dass ein Kontakt mit (Vorformen des) Tok Pisin bestand. Ein engerer Kontakt zwischen Nauruisch und Deutsch begann erst mit der deutschkolonialen Übernahme Naurus im Oktober 1888. Am 1. Oktober 1888 wurde Nauru offiziell den Marshall-Inseln als einem Teil des deutsch-kolonialen Schutzgebietes eingegliedert und damit deutschsprachiger Verwaltung unterstellt. Der Kontakt wurde verstärkt durch die Anwesenheit deutschsprachiger Missionare, von denen zumindest einer, Delaporte, deutsche lexikalische Einflüsse auf das Nauruische aktiv induziert zu haben scheint, wie der umfangreiche Gebrauch deutscher Lehnwörter in seinen Texten vermuten lässt. Diese Praxis wurde durch Vorschriften der deutschen Verwaltung gene-
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rell vorgegeben (Delaporte (A) 9/1899, (A) 1900), findet ihren Niederschlag jedoch am deutlichsten in den Schriftdaten von Delaporte. Heute wird auf Nauru Nauruisch sowie Englisch (Lewis 2009) und teilweise Chinese Pidgin English (Siegel 1990) gesprochen, daneben verschiedene Migrantensprachen (Lewis 2009). Nauruisch und Englisch sind die offiziellen Sprachen Naurus. Deutsche Lehnwörter lassen sich noch vereinzelt im christlich-religiösen Bereich finden (Nauruan Swadesh List 1954: slange ‘Schlange’; Watch Tower 2010: Gott ‘Gott’, firmament ‘Himmel, Gewölbe, Firmament’), ansonsten ist der Einfluss des Deutschen weitgehend aus der Sprache verschwunden. 3 Im Kontext des Forschungsprojektes Lexikalischer Wandel unter deutsch-kolonialer Herrschaft, in dessen Rahmen diese Untersuchung durchgeführt wurde, steht im Zentrum des Interesses, welche Lehnwörter des Deutschen in das Nauruische übertragen und übernommen wurden und wie der Nachhaltigkeitseffekt war. Die spezifische Missionssituation auf Nauru lässt aber noch weitere Einblicke zu, die in Bezug auf andere Gebiete des ehemaligen deutschen Kolonialgebietes so nicht möglich sind. Neben Delaporte, dem deutschsprachigen protestantischen Missionar, lebte und arbeitete der ebenfalls deutschsprachige katholische Missionar Kayser zeitgleich auf Nauru. Beide standen der Missionsaufgabe, dem Kulturkontakt und dem deutsch-nauruischen Sprachkontakt unterschiedlich gegenüber (Kayser 1917, (A) 1937; Delaporte (A) 1907: 5). Dass sie nicht miteinander sympathisierten, bietet eine mögliche (wenn auch sicher nicht die einzige) Erklärung dafür, dass sie ihre jeweils umfangreiche sprachliche Arbeit nicht koordinierten, mit den bereits erwähnten Folgeproblemen bis in die heutige Zeit. Diese Konstellation begründet das besondere wissenschaftliche Interesse, das Nauru bezüglich seiner kolonialzeitlich induzierten Sprachkontaktsituation hervorruft.
3. Die Missionen Nauru wurde sowohl von protestantischer als auch von katholischer Seite aus missioniert. Die Missionierung setzte im Vergleich zu anderen Bereichen Mikronesiens erst relativ spät ein (vgl. Delaporte et al. 1909, Viviani 1970, Garrett 1992). Als erste Missionare sandte das protestantische ABCFM 4 im Jahr 1887 oder 1888 5 einheimische Missionare der Gilbert-Inseln nach Nauru. Ein weiterer gilbertesischer Missionar, Tabuia, befand sich von 1888 bis 1899 auf Nauru (Viviani 1970: 25, Garrett 1982: 291). Die Missionierung der Nauruer schritt zunächst langsam voran, möglicherweise auf Grund 3
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Im Bereich der Personennamen scheint die deutsche Kolonialzeit die nachaltigsten Spuren hinterlassen zu haben: Sowohl deutsche Familiennamen als auch deutsche Vornamen waren noch lange nach dieser Zeit auf Nauru gebräuchlich (Schuhmacher 1978). American Board of Commissioners for Foreign Missions, Boston; damit assoziiert war die Central Union Church in Honolulu. Lt. Delaporte et al. (1909) 1888; Viviani (1970: 25) gibt 1887 an.
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von Sprachproblemen: Die Missionare sprachen nicht Nauruisch, sondern nur Gilbertesisch (Delaporte et al. 1909). 1892 wurden die ersten Missionare, bis auf Tabuia, von der deutschen Verwaltung ausgewiesen (Garrett 1992: 275; Delaporte et al. 1909), wobei die Hintergründe nicht eindeutig zu rekonstruieren sind; moralische Verfehlungen (Viviani 1970), sprachliche oder politische Gründe 6 können eine Rolle gespielt haben. Für eine politische Erklärung der Ausweisung der Gilbert-Missionare spricht, dass die Genehmigung der deutschen Verwaltung für Delaportes Einreise nach Nauru entscheidend von der Tatsache abhing, dass Delaporte deutscher Muttersprachler war (Studd (A) 1898; Delaporte (A) 9/1899, (A) 1907). Bei seiner Ankunft auf Nauru fand Delaporte 1899 eine kleine Gruppe protestantisch missionierter Einheimischer vor (ca. 50 Gottesdienstbesucher, Delaporte et al. 1909: 1; Garrett 1992: 275 geht sogar nur von 30 Personen aus). Die protestantische Mission begann offenbar erst mit Beginn seiner Arbeit Fuß zu fassen und wurde innerhalb kurzer Zeit sehr erfolgreich. Anfang 1903 wurde Pater Friedrich Gründl, ein Österreicher und Mitglied der französischen MSC (Missionaires du Sacré Cœur/Herz-Jesu-Missionare), als erster katholischer Missionar nach Nauru ausgesandt, nachdem er seit 1901 auf Jaluit tätig gewesen war (Hezel 2001: 564f.; lt. Viviani 1970: 27 kam Gründl bereits 1902 nach Nauru). Noch im selben Jahr erhielt er Unterstützung durch Pater Alois Kayser (ebenfalls MSC); beide waren, wie Delaporte, deutsche Muttersprachler. Gründl verließ Nauru nach wenigen Jahren wieder. Zwischen Delaporte und Kayser entwickelte sich eine Animosität, die sich nicht allein auf konfessionelle Belange bezog. Mehrfach wird berichtet, dass die beiden Missionare ein schwieriges Verhältnis zueinander hatten (Viviani 1970; Garrett 1992; Kayser [1936]1993; Kayser 1917, (A) 1937; Delaporte (A) 1907, (A) 1909). Beide waren hervorragende Kenner der nauruischen Sprache und verfassten neben religiösen auch aus linguistischer Sicht wichtige Schriften. Nach einer kurzen Beschreibung der persönlichen Hintergründe Delaportes und Kaysers widmet sich der darauffolgende Abschnitt der Untersuchung des deutschen Lehnwortanteils in einer Auswahl ihrer Texte.
3.1. Delaporte Philip(p) Adam Delaporte wurde am 19.8.1867 in Worms geboren. Anfang 1884 stellte er ein Auswanderungsgesuch an die Stadt Worms, dem noch im Januar 1884 stattgegeben wurde. Er verließ Worms im selben Monat, im Alter von 16 Jahren, um nach Amerika auszuwandern (Stadtarchiv der Stadt Worms; Kayser [1936]1993: III). Nach einem 6
I. M. Channon, Missionar und Schulleiter auf Kiribati/Gilbert-Inseln, berichtet 1892, dass die Arbeitsbedingungen der Missionare auf Nauru durch die unkooperative Haltung der deutschen Verwaltung massiv erschwert werden und die Aufrechterhaltung der Mission unter diesen Bedingungen sehr fraglich sei. Er erwähnt auch, dass Tabuia vorübergehend mit einer Gefängnisstrafe belegt worden sei (Channon (A) 1892).
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Studium und der Ausbildung zum Missionar wurde er vom American Board of Commissioners for Foreign Missions (Boston/Honolulu) über Hawaii nach Mikronesien ausgesandt, zunächst auf die Gilbert-Inseln (1895), dann nach Butaritari und Kusaie (Studd (A) 1898; Viviani 1970; Garrett 1982, 1992), bevor er 1899 mit seiner Frau, ebenfalls einer gebürtigen Deutschen, nach Nauru kam. Dort etablierte er die Missionsstation im Bezirk Yaren, im Südwesten von Nauru (Viviani 1970: 25). Bis 1915 arbeitete er, mit einer Unterbrechung von ca. einem Jahr (1907/08) auf Nauru. In dieser Zeit war er nicht nur als Missionar sehr erfolgreich, sondern auch als Übersetzer und Verfasser von christlich-religiösen Texten, einem Wörterbuch und Unterrichtsmaterial für die von ihm eingerichteten Missionsschulen außerordentlich produktiv (s. Literaturliste im Anhang) (Kayser [1936]1993). Auf Delaporte geht die erste Verschriftlichung des Nauruischen, 1900, sowie die erste Bibelübersetzung ins Nauruische zurück (Neues Testament: 1907; gesamte Bibel: 1918). Kurz nach Kriegsbeginn 1914 wurden alle deutschen Staatsbürger aus Nauru ausgewiesen, was jedoch weder die Delaportes – als amerikanische Staatsbürger – noch die deutsche Lehrerin und Missionsgehilfin Olga Meitzner – als Mitglied der Mission – betraf. Im darauffolgenden Jahr verließen diese drei Personen Nauru jedoch aus gesundheitlichen Gründen, um in die USA zu reisen; in ihrer Begleitung befand sich Timothy Detudamo, ein nauruischer Missionslehrer, der Delaporte bei seinen Übersetzungen ins Nauruische, besonders bei der Bibelübersetzung, maßgeblich unterstützt hatte. Detudamo kehrte später nach Nauru zurück, übernahm ein führendes politisches Amt und wurde zu einer wichtigen politischen Leitfigur. Die Delaportes und Frau Meitzner blieben in den USA, wo Ph. A. Delaporte 1928 verstarb.
3.2. Kayser Alois Kayser wurde am 29.3.1877 in Lupstein im Elsass geboren, das zum Zeitpunkt seiner Geburt zu Deutschland gehörte. Als katholischer Missionar der MSC (Missionaires du Sacré Cœur/Herz-Jesu-Missionar) befand er sich seit 1903 auf Nauru, zunächst zusammen mit Pater Friedrich Gründl, später mit anderen MSC-Mitgliedern (Hezel 2001). Die katholische Missionsstation befand sich im Bezirk Meneng im Süden der Insel, eine (weitere) Missionsschule wurde ca. 1903 im Bezirk Arubo von Gründl eingerichtet. 7 Da sich in Nauru bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts protestantische ABCFMMissionare etabliert hatten, verlief die katholische Missionsarbeit zunächst mühsam. Kaysers Äußerungen (Kayser (A) 1937) vermitteln eine andere Einstellung zu seiner Missionsarbeit als die Haltung, die in Delaportes Briefen und Berichten reflektiert wird 7
In den 1980er Jahren wurde diese Schule erweitert und zu einer Technischen Hochschule (College) ausgebaut. Sie erhielt zu Ehren von Alois Kayser den Namen Kayser College (Kayser & Rensch 1993: XII).
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(z.B. Delaporte et al. 1909). Kaysers Interesse galt nicht nur der missionarischen Arbeit, sondern auch der nauruischen Kultur und der Lebensweise der Einheimischen, die seiner Ansicht nach nicht radikal durch eine christlich-europäische Lebensweise hätte ersetzt werden sollen. Unter seinen Veröffentlichungen befinden sich entsprechend auch ethnologisch orientierte Abhandlungen (Kayser 1921–24, 1934, 1936). Diese andere Sichtweise könnte m.E. dazu beigetragen haben, dass seine Missionsarbeit zunächst langsamere Fortschritte zeigte als die protestantische. Kayser war deutscher Staatsbürger, was sich jedoch nach dem Ersten Weltkrieg durch die politischen Verschiebungen änderte. Er befand sich bei Kriegsausbruch in Deutschland, doch durch die Veränderung der Staatsgrenzen war es ihm möglich, nach dem Krieg nach Nauru zurückzukehren, da er nun nicht mehr deutscher, sondern französischer Staatsbürger war. Nach seiner Rückkehr 1921 nahm er die Missionsarbeit wieder auf und blieb auf Nauru, bis 1943 die meisten Bewohner Naurus im Zuge der Kriegshandlungen auf andere mikronesische Inseln, v.a. Truk, exiliert wurden. Dort starb Kayser 1944. Kayser gilt als genauer Kenner der nauruischen Sprache. Er verfasste eine Grammatik des Nauruischen (1936/hg. von K.H. Rensch 1993) und war beratend in die Arbeit des Nauruan Language Committee involviert (Kayser [1936]1993). In seiner Korrespondenz erwähnt Kayser weiterhin ein Wörterbuch des Nauruischen, für das er umfangreiches Material gesammelt hat (Kayser [1936]1993). Der Verbleib dieses Wörterbuches ist unklar. Im Katalog der Hamilton Library (Honolulu, Hawaii) ist ein EnglishNauru dictionary von 1937 verzeichnet, für das der Katalog Kayser als Autor angibt. Von diesem Wörterbuch scheinen drei weitere Exemplare zu existieren, die in den jeweiligen Bibliothekskatalogen mit geringen Unterschieden aufgeführt sind; davon befindet sich eins ebenfalls in der Hamilton Library, diesmal ohne Autorenangabe; ein weiteres erscheint im Katalog der Canberra Menzies Library (Australien) und ein drittes Exemplar befindet sich im Pacific Manuscripts Bureau (Canberra, Australien). In allen Fällen wird das Wörterbuch erfasst als English-Nauru dictionary mit einem Umfang von 43 (in einem Fall 44) Seiten. Das Exemplar des Pacific Manuscripts Bureau ist eine übereinstimmende Kopie eines der Hamilton-Library-Exemplare, jedoch mit umfangreichen handschriftlichen Ergänzungen. Es ist zu vermuten, dass diese Wortliste als der Grundlagen für die Orthographiereform und die Erstellung des nauruischen Wörterbuchs diente, das in den Berichten des Nauruan Language Committee wiederholt erwähnt wird (z.B. Clouston & Groves (A) 1938).
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4. Deutsche Lehnwörter bei Delaporte und Kayser 4.1. Die Datenlage Viele pazifische Sprachen wurden in der Kolonialzeit zum ersten Mal verschriftlicht. Dies geschah in der Regel durch Nicht-Muttersprachler, z.B. Missionare (deren vorrangiges Interesse meistens die Übersetzung der Bibel war), Verwaltungsbeamte (aus persönlichem linguistischem oder auch pragmatischem Interesse) oder Ethnologen (motiviert durch das Bedürfnis, die fremde Kultur zu beschreiben). Die Kontaktdauer der Verschriftlicher mit der jeweiligen Sprache war ganz unterschiedlich und konnte von wenigen Tagen bis zu Jahren reichen. Entsprechend sind nicht alle Quellen gleichermaßen zuverlässig. Wurde die untersuchte Sprache nicht beherrscht, verließ man sich auf Gewährsleute, deren Zuverlässigkeit nicht kontrolliert werden konnte, und behalf sich mit Dolmetschern und/oder einer Lingua Franca (z.B. Pidgin-English). Die Frage nach der Verlässlichkeit der Daten stellt ein schwer zu lösendes methodologisches Problem bei der Untersuchung von kolonialzeitlichem Sprachkontakt dar. Ein Vergleich verschiedener Quellen zur gleichen Sprache kann helfen, ein realistischeres Bild der sprachlichen Situation zu gewinnen. Diese Gelegenheit ist für das Nauruische gegeben. Nauruisch wurde seit 1900 von Delaporte verschriftlicht; von den drei hier berücksichtigten Verfassern ist er derjenige mit dem größten nauruischen Publikationsvolumen. Mit der Unterstützung einheimischer Prediger und Missionslehrer, insbesondere T. Detudamo und J. Aroi, übersetzte er die Bibel in mehreren Etappen; weiterhin sind Gesangbücher, aber auch Unterrichstmaterialien für den Primarunterricht, doch überwiegend religiöse Texte auf Nauruisch von ihm erschienen. Sein Kleines Taschenwörterbuch. Deutsch-Nauru (Delaporte 1907, mit dem Schulwörterbuch von 1904 (Delaporte 1904b) als Vorläufer) ist bis heute das einzige existierende nauruischdeutsche Wörterbuch. Etwa zur gleichen Zeit übersetzten Gründl und Kayser, die katholischen Missionare, biblische Texte und entwickelten in diesem Zusammenhang eine Orthographie, die von der protestantischen abwich. Eine Wortliste der katholischen Mission liegt aus dieser Zeit nicht vor, doch sind die deutschen Lehnwörter in den Übersetzungen gut identifizierbar. Kayser befand sich seit 1903 auf Nauru und beherrschte die Sprache sehr gut. Seine Grammatik des Nauruischen (auf Englisch; original 1936, 1993 als unveränderter Nachdruck von K.H. Rensch herausgegeben) beschreibt diese Sprache im Wesentlichen in der Form, in der sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Gebrauch war; es gibt bis heute kein vergleichbares aktuelleres Werk zum Nauruischen. Eine dritte Orthographie verwendet Hambruch in seiner Wortliste und Grammatik von 1914 (Datenerhebung auf Nauru 1910). Von diesen drei Quellen scheint Hambruch die am wenigsten verlässliche zu sein. Hambruch selbst gibt an (1914–15), nur zweimal
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kurz auf Nauru gewesen zu sein (beide Male 1910, zuerst nur wenige Tage und beim zweiten Mal sechs Wochen) und bei der Sammlung seines sprachlichen und sonstigen Materials im Wesentlichen auf einheimische Gewährsleute zurückgegriffen zu haben, die er als zuverlässig einstuft. Kayser, der als ausgezeichneter Kenner des Nauruischen galt, kommentiert Hambruchs Werk in einer umfassenden Kritik (Kayser 1917) und weist auf viele gravierende Mängel im sprachlichen Teil hin. Daneben führt er aus, welche kulturellen Gründe die Zuverlässigkeit der Gewährsleute (die ihm persönlich bekannt waren) eingeschränkt haben könnte, so dass die Verlässlichkeit von Hambruchs Daten schon auf Grund seiner fehlenden Kenntnis dieser Hintergründe zweifelhaft erscheint. Kayser zu Folge ist sowohl Hambruchs Wortliste als auch sein grammatischer Überblick des Nauruischen in vieler Hinsicht fehlerhaft. Auch im kulturellen Bereich weist er auf von Hambruch nicht erkannte Zusammenhänge und sinnverfälschende Verkürzungen und Vermischungen in Beschreibung und Deutung hin. Delaporte und Kayser hatten persönlich ein sehr schlechtes Verhältnis zueinander (vgl. u.a. Kayser[1936]1993, Viviani 1970, Garrett 1992; vgl.o.), was vermutlich überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, in der verschiedenen Konfessionszugehörigkeit begründet war. Delaporte, der bereits seit 1899 auf Nauru tätig war, empfand die Ankunft der katholischen Missionare als äußerst unerwünschte Einmischung und sah sein missionarisches Werk durch ihr Wirken bedroht (z.B. Delaporte et al. 1909). Sicher hat dieser konfessionelle Konflikt, weil er einen Austausch verhinderte, zum Entstehen der divergierenden Orthographien beigetragen. Darauf, dass eine überkonfessionelle Zusammenarbeit aber auch andernorts selbst in linguistischer Hinsicht nicht stattfand, deutet die Existenz konfessionell distribuierter lexikalischer Doubletten z.B. auf Samoa hin (Milner 1957). Im Folgenden wird das Auftreten deutscher Lehnwörter bei den drei Verfassern verglichen und der Befund anschließend kommentiert. Zentraler Ausgangspunkt des Vergleichs sind die jeweiligen Wörterbücher; zusätzlich wurden stichprobenartig nauruische Texte und Übersetzungen der Verfasser bzw. ihrer Mitarbeiter herangezogen. Auf deutsche Entlehnungen hin untersucht wurden von Delaporte die Schriftdaten 8 von 1904a und 1907a vollständig sowie Delaporte 1900, 1902, 1903a und b, 1904a, 1905, 1906, 1907b, 1913 und 1915/36 auszugsweise. Von Kayser wurde das ihm zugeschriebene Wörterbuch von 1937 analysiert, von Kayser & Gründl die Übersetzung biblischer Geschichten (1906), jeweils vollständig. Als dritte Wortschatzquelle wurde Hambruchs Wortliste (1914–15) vollständig berücksichtigt. Grundsätzlich ist zu beachten, dass nicht alle Wörterbücher bzw. Wortlisten die gleichen Konzepte enkodieren; nur für einen Teilbereich von Bedeutungen finden sich bei allen drei Autoren die entsprechenden nauruischen Lexeme. So enthalten die Listen von Kayser und Hambruch, im Gegensatz zu Delaporte, keine Bezeichnungen für Wochen8
Eine ausführliche Auflistung der Schriften von Delaporte und Kayser findet sich am Ende des Textes in Abschnitt 6.
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tage oder Monate, die bei Delaporte vollständig aus dem Deutschen entlehnt sind. Die tatsächliche Verwendung dieser Bezeichnungen ist in einem Bericht des Nauruan Language Committee vom 5. November 1938 indirekt belegt (Clouston & Groves (A) 1938). Dort heißt es: Thus, it was considered desirable to adopt the English names for the days of the week (Sunday, Wednesday, etc.), in preference to the German (Sonntag, Mittwoch, etc.) used a good deal in the past. This applies also to the months of the year. Eine komplementäre Verteilung von lexikalischen Einträgen kann auf unterschiedlichen Ursachen beruhen; besondere Interessenschwerpunkte können eine Erklärung bieten, aber auch eine unvollständige Kenntnis der Sprache ist nicht ganz auszuschließen. Da es keine vergleichbaren Wörterbücher bzw. Texte von nauruischen Muttersprachlern aus dieser Zeit gibt, lässt sich diese Divergenz nur feststellen, jedoch nicht endgültig erklären. Im Datenvergleich hat das zur Folge, dass abschließende Aussagen über das möglicherweise bewusste Auslassen oder Hinzufügen von (deutschen) Lehnwörtern bei einzelnen Autoren nicht möglich sind, auch wenn die Daten Tendenzen in diese Richtung andeuten.
4.2. Deutsche Lehnwörter bei Delaporte (1900–1915) Delaporte verwendet, vor allem im Vergleich mit Kayser und Hambruch, eine relativ große Zahl von deutschen Lehnwörtern in seinen Publikationen. Die deutschen Entlehnungen sind orthographisch nicht adaptiert und daher leicht identifizierbar. 9 Die untersuchten Wortlisten und Schriftdokumente sind unterschiedlichen Inhalts: In mehreren Fällen handelt es sich um christlich-religiöse Texttypen (z.B. Bibelübersetzung, Gesangbuch), in einem Fall um ein Schulbuch mit anhängendem Schulwörterbuch Deutsch-Nauruisch (1904) und ein Themabüchlein (1913), in dem die Vereinsstruktur des christlichen Jugendbundes auf Nauru beschrieben wird. In der Wortliste von 1904 (Delaporte 1904b) erscheinen insgesamt 150 deutsche Lexeme, gelegentlich auch als Teil eines Kompositums zusammen mit nauruischen Bestandteilen (z.B. enog in schwör ‘Eid’; ñait kuh ‘Kalb’, wörtl. etwa ‘Kuh-Kind’, offenbar analog zu ñait ân ‘Tochter, weibl. Kind’ und ñait eman ‘Sohn, männliches Kind’) oder morphologisch integriert, z.B. kussei ‘küssen’; lesenei ‘lesen’ (neben lesen als unadaptiertem Lehnwort). 33 der deutschen Lexeme werden von Delaporte in mehr als einer der analysierten Publikationen verwendet, davon besonders häufig Buch ‘Buch’ und Gott ‘Gott’ (in jeweils neun Schriftdokumenten). Inwieweit sich Delaporte von der Kolonialverwaltung gebunden 9
Delaportes Wörterbücher von 1904 und 1907 enthalten auch englische Entlehnungen, die jedoch deutlich stärker als die deutschen orthographisch integriert sind (z.B. dorum ‘Zimmer’ aus ‘the room’). Vermutlich sind diese Lehnwörter älteren Ursprungs und könnten durch Kontakte mit dem (Pidgin-) Englischen, z.B. von Schiffsbesatzungen und beachcombers, in das Nauruische gelangt sein.
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sah, diese Lehnwörter zu verwenden, ist nicht vollständig zu klären. Eine Notiz vom Oktober 1900 an einen anderen Missionar des ABCFM, O. H. Gulick, vermittelt jedoch den Eindruck, dass Delaporte nicht in jedem Fall nach seinem Wunsch entschieden hat. Er vermerkt: Sect. 3 German Regulations concerning Missions. – Whenever a foreign word will have to be introduced, such a word must be taken if possible form the German language. Because of above rule we had to use German Names and words. (Delaporte (A) 1900 [Unterstreichung im Original])
4.3. Deutsche Lehnwörter bei Kayser & Gründl 10 Gründls Übersetzung biblischer Geschichten (1906) enthält 62 aus dem Deutschen entlehnte Lexeme, von denen 33 auch von Delaporte verwendet werden (in den untersuchten Texten). D.h., wenn man die Unvollständigkeit der erhaltenen Daten berücksichtigt, ergibt sich mit ca. 50% (von Gründls Lehnwortanzahl aus berechnet) eine relativ gute Übereinstimmung, die vermuten lässt, dass sicher ein größerer Teil der schriftlich belegten Entlehnungen im christlichen Diskurs tatsächlich verwendet wurden, auch in der gesprochenen Sprache, da es keine eigenen nauruischen Entsprechungen gab. Dem gegenüber finden sich in dem Kayser zugeschriebenen englisch-nauruischen Wörterbuch von 1937 nur zwei (potentielle) deutsche Entlehnungen im Nauruischen, nämlich adieu ‘Adieu’ (vgl. Stephen 1937) und wagen ‘Wagen’, engl. ‘waggon’. Ein weiteres, potentiell aus dem Deutschen entlehntes Lexem ist ring ‘Ring’, engl. ‘ring’, doch hier ist Englisch als Entlehnungsquelle ebenso wahrscheinlich. Insgesamt findet sich eine größere Zahl an Entlehnungen aus dem Englischen, teilweise für Konzepte, bei denen Delaporte für das Nauruische deutsche Lehnwörter angibt, z.B. money engl. ‘cash’ (Delaporte 1907: geld, monni ‘Geld’); aro week engl. ‘fortnight’ (Delaporte 1907: woche ‘Woche’), paper engl. ‘paper’ (Delaporte 1907: papier ‘Papier’). Interessant ist ein handschriftlicher Zusatz in der Ausgabe des Pacific Manuscripts Bureau. Dort wurde zu amen kanom engl. ‘baker’ das Wort brot ergänzt, so dass das nauruische Kompositum amen kanom brot der Bedeutung ‘Bäcker’ entspricht. Auch wenn sich nicht rekonstruieren lässt, wer diese Ergänzung vorgenommen hat 11, reflektiert die Änderung, dass zu dieser Zeit deutsche Lehnwörter (noch) zum produktiven Bestand des nauruischen Wortschatzes gehörten. 10
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Gründl und Kayser werden hier zusammen behandelt, da beide Vertreter der katholischen Mission sind und in der Zeit, in der sich beide auf Nauru aufhielten, eng zusammenarbeiteten (Garrett 1992: 278f.). Es ist zu vermuten, dass der Urheber ein Mitglied des Nauruan Language Committee war, da das Committee diese Wortliste seiner orthographischen und lexikographischen Arbeit zu Grunde legte.
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Einzelne weitere Entlehnungen findet sich in Kaysers Publikationstiteln, so z.B. Katechismus, Katholik (beides 1904) und Buch (1908, 1915). Aufschlussreich ist die Änderung des Titels von Buch it Detaro ‘Gebetsbuch’ (1908, 1915) zu Book it Detaro (1934) sowie die Schreibung von Catechismus und Catholic (1925). Diese Veränderungen, die erst nach der deutschen Kolonialzeit auftreten, sind als Reflex einer veränderten Sprachpolitik auf Nauru zu deuten. Auch Kayser war der deutschen Gesetzgebung, die Delaporte zitiert (Delaporte (A) 1900), unterworfen. Da seine Wortliste in ihrer vorliegenden Form deutlich jünger ist als Delaportes Wörterbuch, lässt sich die Diskrepanz in der Anzahl deutscher Entlehnungen, besonders vor dem Hintergrund der veränderten Publikationstitel, auch sprachpolitisch erklären, so dass konfessionelle Differenzen möglicherweise eine geringere Rolle gespielt haben, als die Daten zunächst nahelegen. 12
4.4. Deutsche Lehnwörter bei Hambruch Hambruch hielt sich 1910 zweimal für relativ kurze Zeit (wenige Tage und sechs Wochen, s.o.) auf Nauru auf. In dieser Zeit sammelte er umfangreiches Material in Bezug auf Sprache, Kultur und Traditionen der Nauruer sowie hinsichtlich geographischer, klimatischer und biologischer Gegebenheiten der Insel. 1914 wurde diese Materialsammlung in zwei Bänden veröffentlicht. Hambruchs Wortliste enthält kein deutsches Lehnwort, weder in adaptierter noch in unadaptierter Form. Meines Erachtens bietet sein ethnologisch dominiertes Interesse eine mögliche Erklärung für diese Lücke, denn in seiner Wortsammlung finden sich viele sehr detaillierte Bezeichnungen für Körperteile, Fischfangtechniken, Flora und Fauna u.ä., die weder bei Delaporte noch bei Kayser erfasst sind und einen Schwerpunkt in semantischen Bereichen erkennen lassen, die eng an kulturelle und gesellschaftliche Traditionen geknüpft sind. Kayser (1917) äußert in seiner sehr detaillierten Kritik an Hambruchs Werk die Vermutung, dass dieser sich einerseits stark auf Delaporte gestützt habe – was jedoch gerade nicht das Fehlen deutscher Lehnwörter erklärt –, und dass die muttersprachlichen nauruischen Informanten, auf deren Hilfe Hambruch zurückgriff, weitaus weniger zuverlässig gewesen seien als Hambruch selbst angenommen hatte (vgl.o.).
12
Mit der lexikographischen Erfassung begann Kayser schon kurz nach seiner Ankunft auf Nauru (Kayser & Rensch 1993), also etwa zeitgleich mit Delaporte. Es ist jedoch nicht rekonstruierbar, ob er die ursprünglichen Daten überarbeitete und aktualisierte, bevor sie 1937 maschinenschriftlich fixiert wurden. Daher lässt sich schwer abschätzen, ob die divergierende Lehnworterfassung bei Kayser und Delaporte tatsächlich in kausalem Zusammenhang mit dem zeitlichen Abstand der schriftlichen Dokumentation steht.
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4.5. Zusammenfassung der Ergebnisse zu deutschen Lehnwörtern Auf der Basis der erhaltenen (d.h. nicht muttersprachlichen) und untersuchten Daten lassen sich folgende Punkte festhalten. Zunächst ist zu beobachten, dass persönliches Interesse (wie bei Hambruch) und politische Gegebenheiten mit entsprechenden sprachpolitischen Konsequenzen einen deutlichen Einfluss auf die Zahl der deutschen Entlehnungen im Nauruischen hat, jedenfalls soweit diese in den Schriftdaten erfasst sind. Ein Vergleich von Delaportes Lehnwortanteil in seinen Wortlisten gegenüber anderen seiner Texte zeigt, dass die Anzahl der entlehnten Lexeme ähnlich hoch ist und die Lehnworterfassung in seinen Wortlisten daher für seine Sprachverwendung als repräsentativ angenommen werden kann. Für Kayser liegen mir keine Daten in vergleichbarem Umfang vor. Interessant ist hier der Kontrast zwischen der frühen Übersetzung von Gründl (in Zusammenarbeit mit Kayser), mit einem deutlich erkennbaren deutschen Lehnwortanteil, und dem fast vollständigen Fehlen deutscher Entlehnungen rund 30 Jahre später, in Kaysers Wortliste. Gründls Übersetzungsleistung zeigt, dass er das Nauruische offenbar gut beherrschte und die Wahl von Lehnwörtern nicht auf individuelle lexikalische Lücken zurückzuführen ist, eine Annahme, die auch auf Delaporte und Kayser zutrifft. Die Unterschiede in ihrer Lehnwortverwendung sind daher sicher nicht auf unzureichende Sprachkenntnis zurückzuführen. Die politisch-historischen Veränderungen bieten eine Erklärung für den Unterschied zwischen den Wortlisten von Delaporte und Kayser. Der Unterschied zwischen Delaporte und Gründl lässt sich damit nicht erklären, da ihre Schriftsprachproduktion zeitgleich erfolgte und in der Lehnwortverwendung qualitative Übereinstimmungen zeigt. M.E. koinzidiert Delaportes Einführung einer relativ großen Zahl an deutschen Entlehnungen mit seiner Vorstellung, durch die Missionierung eine neue Gesellschaft zu schaffen, wie es in seinem Bericht von 1907 zum Ausdruck kommt: “Well, thank God, the old Nauru is passing away and the new Nauru is coming, and has come in part already.” (Delaporte (A) 1907: 5). So ist es denkbar, dass Delaporte ein größeres Interesse als Kayser hatte, neue Konzepte mit deutschen Lehnwörtern zu belegen. Resultierende Unterschiede in der Sprachverwendung wurden auf Grund der gegenseitigen Antipathie vermutlich von beiden konfessionellen Seiten gern in Kauf genommen. In wie weit die von Delaporte eingeführten Entlehnungen tatsächlich vollständig in das gesprochene Nauruisch übernommen wurden, bleibt auf Grund der Datenlage offen. Muttersprachliche Daten könnten hier ein Korrektiv bieten, stehen jedoch nicht zur Verfügung, so dass diesbezügliche Schlussfolgerungen zwangsläufig tentativ bleiben.
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5. Fazit und Ausblick Nachhaltigkeit des Sprachkontakts hat für Nauru, wie auch in anderen kolonialen Kontexten, zwei Komponenten. Zum Einen stellt sich die Frage, was sich etabliert hat. Die langfristige Verwendung einiger deutscher Entlehnungen, vorrangig im christlichreligiösen Kontext, ist in verschiedenen neueren Quellen belegt (vgl. Nauruan Swadesh List 1954, Petit-Skinner 1980, Watch Tower 2010). Aus den 1930er Jahren gibt es Hinweise darauf, dass der Bestand an deutschen Lehnwörtern möglicherweise höher war als heute und sie semantisch breiter gestreut waren, wie auf Grund der größeren zeitlichen Nähe zur ursprünglichen Kontaktsituation auch zu erwarten ist. So erwähnt Groves in einem Kommentar zur Lehnwortverwendung deutsche Wörter, die zu dieser Zeit offenbar noch gebräuchlich waren: Whenever a completely new idea or article is spoken of the foreign name for it is imported into the language usually with its correct foreign spelling, though a slight alteration sometimes takes place, e.g. Chief, German –Schuhe, (shoe), Baptizo, Stunde, (hour) are all instances of this process. (Clouston & Groves (A) 1938: 2) Da zum Teil der Schulunterricht auf Deutsch abgehalten wurde (Delaporte (A) 1907), auf jeden Fall aber Deutsch von beiden Konfessionen als Fach unterrichtet wurde bzw. auf Grund von Verwaltungsvorschriften unterrichtet werden musste, ist davon auszugehen, dass zumindest elementare Kenntnisse des Deutschen in dieser Zeit auf Nauru verbreitet waren. Das hat sicher dazu beigetragen, dass sich auch Lehnwörter wie die oben genannten (Schuhe, Stunde) etablieren konnten, obwohl sie nicht unmittelbar im christlich-missionarischen Diskurs verankert waren. Die Missionen waren zentrale Vermittler des Sprachkontakts zwischen Nauruisch und Deutsch. Auch wenn sie zahlenmäßig kaum besser gestellt waren als die Verwaltung, war ihr Kontakt mit der Bevölkerung intensiver und vor allem sprachlich dominiert (Gottesdienste, Schulunterricht). Damit fiel ihnen eine entscheidende Rolle bei der Verwendung und Etablierung deutscher Lehnwörter im nauruischen Sprachgebrauch zu. Neben dem, was sich etabliert hat, ist der Blick zum Anderen darauf zu richten, was sich verändert hat. Kolonial bedingter Sprachkontakt berührt nicht nur die Sprache der kolonisierten Bevölkerung, sondern hat in so gut wie allen Kontexten tief in das Leben und die Kultur der einheimischen Bevölkerung eingegriffen. Die Folgen werden zum Teil erst nach längerer Zeit sichtbar. Delaporte und Kayser haben durch ihre Verschriftlichung des Nauruischen einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Schriftsprache ausgeübt. Positiv ist zu vermerken, dass sie eine Form des Nauruischen fixiert haben, die sonst nicht mehr erhalten wäre. Problematisch sind jedoch die Auswirkungen der divergierenden Orthographie. Rensch (Kayser[1936]993: XI) merkt an:
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The spelling used in Kayser’s grammar is not that of Delaporte’s Bible translation and it is not yet the one which was officially adopted by the Administration in 1938. Bis heute wurde keine abschließende Einigung über eine Standardorthographie erzielt und umgesetzt. Die bereits oben erwähnten Sprach- und Bildungsprobleme (vgl. Lotherington 1998) finden auch in einem Bericht über die Bildungslage auf Nauru (Republic of Nauru 1999: Part III) ihren Niederschlag. Dort wird darauf verwiesen, dass “significant numbers of Nauruans are illiterate in English and have a poor command of Nauruan.” Zwar wird hier der Maßstab für die unzureichende Beherrschung des Nauruischen nicht definiert, und ein problematisches Bildungssystem mit einer signifikanten Analphabetismusrate kann nicht allein auf die kolonialen und konfessionellen Gegebenheiten vor 100 Jahren zurückgeführt werden. Doch das Ringen um eine Standardsprache in den 1930er Jahren und die damit verbundenen, bis heute nicht endgültig gelösten Schwierigkeiten in der Entwicklung und Verwendung der nauruischen Schriftsprache deuten darauf hin, welch schwieriges Erbe Nauru in dieser Hinsicht übertragen wurde.
6. Schriftenverzeichnis zu Delaporte und Kayser 6.1. Philip Adam Delaporte (1900) (1902) (1903a) (1903b) (1904a) (1904b) (1905) (1906) (1907a) (1907b)
Buch N Lesen N Kakairûn Nauru. [by Ph.A.Delaporte] Typewritten/Nauru. Buch in Driañ Ñea Wañara Buch Kristian N Tsitan Gott/Nauru Evangl. Gesangbuch Üebersetzt und Herausgegeben von Ph. A. Delaporte, Missionar zu Nauru, M.I./Kusaie Missions-Druckerei. Etoroñab inon ñana re mek iat testament óbwe me testament etsimeduw. Nauru: Missions-Druckerei. Etoroñab it ekalesia mũ ũrien ada itũeb n protestant. Uebersetzt und Herausgegeben von Ph. A. Dealporte. Nauru: Missions-Druckerei. WAÑARA BUCH IN KERERI RAN PROTESTANTISCHEN SCHULEN. Ã Gadauw Eow Itúrin Ph.A.Delaporte Missionar. Mission-Mimeograph Nauru. Schulwörterbuch. Deutsch-Nauru [gehört zu Delaporte 1904a]. Óat eoniñ óa Katechismus n Bibel. Á Gadaw Eow Itúrin Phil. A. Delaporte. Mission-Mimeograph Nauru. Markus, Lukas ma Aura Makur Apostel. Preliminary edition. Nauru Scriptures. Mission Mimeograph Nauru. Kleines Taschenwörterbuch. Deutsch-Nauru. Nauru: Missions-Druckerei. Neues Testament, Ñaran Aen Wora Temoniba Ma Amen Katsimor Ñea Jesu Kristo. Nauru: Mission-Druckerei. [Nauru Neues Testament.] [übersetzt von Ph.A.Delaporte].
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(1913) Themabüchlein für den Jugendbund auf Nauru. Missions-Drukkerei Nauru. [1915]1936 Iriañ In Evangelium ñana Bain At dei-Nauru Tritan Jehova. Á ganauw eow itũrin Ph. A. Delaporte & T. Detudamo. The Specialty Press Pty. Ltd. Melbourne.
6.2. Alois Kayser Kayser, Alois und Friedrich Gründl: (1904) Katechismus in Ekklesia Katholik. Freiburg: Herder. (1906) Toreñöb in Bibel in oniñ. Mission Katholik Nauru (Marshallinseln). Freiburg im Breisgau. 1906. Herdersche Verlagshandlung. [Kurze biblische Geschichte von Weihbischof Dr Friedrich Justus Knecht. In die Sprache der NauruInsel (Marshallinseln) übersetzt von P. Friedrich Gründl, Missonär vom heiligsten Herzen Jesu.]Freiburg: Herder. (1908) Buch it Detaro. Nauru: Mission Katholik. Kayser, Alois: (1915a) Buch it Detaro. Nauru: Mission Katholik (1915b) Nuwawit testament obuä me Nuwawit testament etimeduw. Biblische Geschichte von Dr. J. Schuster. In die Sprache der Insel Nauru (Marshall Inseln) übersetzt von P. Al. Kayser, Missionar vom hl. Herzen Jesu. Münster: Westfälische Vereinsdruckerei. (1925) Catechismus Nea Panän Nuwawit Kereri Nea Catholic. E gadauw eow itürin. P. Kayser, M.S.C. Sydney: William Brooks & Co. (1934) Book it Detaro. Sydney: Halstead Printing. [1936]1993 Nauru Grammar. Hg. Karl H. Rensch. Yarralumla: Embassy of the Federal Republic of Germany. [1937?] English-Nauru dictionary. Nauru Administration [Kayser?]
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Personenverzeichnis
KOKOU AZAMEDE Université de Lomé TOGO [email protected] NORBERT CYFFER Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien Spitalgasse 2, Hof 5 A-1090 Wien AUSTRIA [email protected] BARBARA DEWEIN Fachbereich Linguistik Universität Bremen Bibliothekstr. 1 D-28359 Bremen GERMANY [email protected] WILFRID HAACKE Dept. Language & Literature Studies University of Namibia P/Bag 13301 Windhoek NAMIBIA [email protected]
LOTHAR KÄSER Institut für Völkerkunde Universität Freiburg im Breisgau Werthmannstraße 10 D-79085 Freiburg GERMANY [email protected] RÜDIGER KRÖGER Unitätsarchiv der Evangelischen BrüderUnität Zittauer Str. 24 D-02747 Herrnhut GERMANY [email protected] PETER MÜHLHÄUSLER University of Adelaide Adelaide SOUTH AUSTRALIA 5005 [email protected] GERMAIN NYADA BIGSAS Universität Bayreuth Geschwister-Scholl-Platz 3 D-95445 Bayreuth GERMANY [email protected]
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Personenverzeichnis
DANIEL SCHMIDT-BRÜCKEN Arbeitsgruppe Deutsche Sprachwissenschaft Universität Bremen Postfach 330440 D-28334 Bremen GERMANY [email protected]
CHRISTINA VOSSMANN Fachbereich Linguistik Universität Bremen Bibliothekstr. 1 D-28359 Bremen GERMANY [email protected]
DORIS STOLBERG Abt. Lexik Institut für Deutsche Sprache Postfach 10 16 21 D-68016 Mannheim GERMANY [email protected]
INGO H. WARNKE Arbeitsgruppe Deutsche Sprachwissenschaft Universität Bremen Postfach 330440 D-28334 Bremen GERMANY [email protected]
THOMAS STOLZ Fachbereich 10: Linguistik Universität Bremen Postfach 330440 D-28334 Bremen GERMANY [email protected]
BRIGITTE WEBER Institut für Anglistik und Amerikanistik Alpe-Adria-Universität Klagenfurt A-9020 Klagenfurt AUSTRIA [email protected]
Autorenindex
Albalá, Paloma 208, 211 Althenger-Smith, Sherida 18 Altman, Cristina 13 Anchimbe, Eric A. 113 Arends, Jacques 10 Arnold, Bernd 161 Ashcroft, Bill 32 Atangana, Karl 104–107 Azamede, Kokou 24, 76, 80 Bachmann, Traugott 167, 173, 177–180 Bain, James Alexander 169, 170 Baker, Philip 129, 130 Bakker, Peter 15 Barth, Heinrich 10, 57, 122 Bates-Mims, Merelyn 113, 114 Baumann, Christian 151, 152 Beach, Douglas Martyn 153 Beck, Hartmut 161 Becker, Felicitas 9 Beez, Jigal 9 Benton, Richard.A. 228 Bergsland, Knut 9 Berry, Jack 118 Beyreuther, Erich 81 Biener, Annette S. 190 Blake, Frank R. 211 Bleek, Wilhelm Heinrich Immanuel 154 Blohm, Wilhelm 170 Bodmer, Frederick 56 Böhm, Michael Anton 18 Böhme, Emil 178 Bollig, Laurentius 25, 26, 265–285 Bordallo Aguon, Katherine 236, 240–243, 247 Brandstetter, Renward 252, 254, 259–261 Bubenhofer, Noah 39
Buchner, Charles 164, 165 Buchner, Max 112, 114, 115, 121, 123, 128, 130 Budack, Kuno Franz Robert Heinrich 144 Bühler, Karl 38 Burkhardt, Guido 167, 174 Burrus, E. J. 208 Busse, Dietrich 36, 37 Büttner, Carl Gotthilf 150, 154, 170 Calvet, Louis-Jean 14 Cameron, Deborah 31, 32 Carle, Rainer 17 Chung, Sandra 256 Conrad, Sebastian 9 Conradi, Dirk 190 Costenoble, Hermann 25, 209, 210, 214, 216, 233–237, 239–248, 251–262 Cross, David Kerr 166, 169, 172 Cyffer, Norbert 15, 24 Dahl, Edmund 168, 171 Dammann, Ernst 162, 179 Debel, Anne 113 Dedering, Tilman 139, 146 Delaporte, Philip A. 26, 288–303 Dempwolff, Otto 41, 49, 151, 152, 252, 254, 255, 260 Dewein, Barbara 25, 205, 209, 253–254, 261 Dierks, Klaus 152 Dominik, Hans 99–110 Duisburg, Adolf von 41, 42, 47 Echu, George 114, 115 Eckart, Wolfgang U. 124, 130 Ebobisse, Carl 15, 126, 131, 132 Eiseb, Eliphas 143 Eisenberg, Peter 31
308 Elbert, Samuel H. 270 Emonts, Johannes S.C.J. 115, 125, 131 Endemann, Carl 171 Engelberg, Stefan 15, 288 Erben, Johannes 40 Eroms, Hans-Werner 48 Errington, Joseph 13, 14, 189 Fairclough, Norman 31 Fiedler, Klaus 161 Finck, Franz Nikolaus 22, 223 Finsch, Otto 200 Fisch, Maria 146 Fischer, Frieda 198 Flores, Sylvia M. 236, 240–243, 247 François, Hugo von 152, 153 Friederici, Georg 196 Fritz, Georg 16, 22, 208–210, 212–230, 234, 258, 261 Fyle, Clifford N. 119 Gabbert, Wolfgang 161 Gardt, Andreas 31 Garrett, John 291–293, 296, 298 Gast, Volker 121 Gemuseus, Oskar 178, 179, 181 Gilmour, Rachael 13 Goodenough, Ward Hunt 268, 272, 282 Görcke, Prof. Dr 191 Grade, Paul 115, 128–130 Graichen, Gisela 9 Greenberg, Joseph H. 61, 64 Grimes, Barbara F. 11 Grimm, Hans 119 Groves, Charles Pelham 125, 289, 294, 297, 301 Grudeke-Vissia, Elsbeth 161 Gründer, Horst 9 Haacke, Wilfrid Heinrich Gerhard 24, 140, 141, 143, 144, 146, 148 Haase, Lene 105 Habermas, Jürgen 38, 39 Häfner, Johannes 164, 164, 168, 175, 176, 178 Hagman, Roy Stephen 154 Hahn, Carl Hugo 140, 145, 154 Hahn, Johannes Theophilus 149 Hall, Robert. A. 195 Hambruch, Paul 287, 295–297, 299, 300 Hancock, Ian F. 117 Hardach, Gerd 207, 213, 218, 228
Autorenindex Haugen, Einar 189 Hausen, Karin 114 Heepe, Martin 33, 38, 41, 45, 104 Heese, Carl Pieter 145, 152 Hegner, Hermann 151 Heine, Bernd 113, 123 Henning, Mathilde 215 Henry, George 165, 166 Hentschel, Elke 45 Hezel, Francis 292, 293 Hiery, Hermann 9, 190, 228, 229 Holm, John 15, 116, 117 Hovdhaugen, Even 13 Huang, Fu-the 190, 193 Huber, Magnus 112, 116–118, 129, 130 Hurch, Bernhard 253 Hutter, Franz 115, 116, 122, 123, 130, 133 Ibáñez del Cármen, P. Aniceto 208, 211, 215, 221, 226 Inskeep, Adi 153 Izouî, H. 9 Jack, James W. 164 Jäger, Siegfried 31, 32 Johnson, Sally 32 Jones, Eldred D. 119 Jungraithmayr, Hermann 17, 151 Käser, Lothar 15, 25, 26 Kats, J[acob] 209, 210, 213, 214, 216, 258 Kayser, Alois 287, 289, 291–303 Klautzsch, Eduard 172, 173 Klein, Wolf Peter 31, 34 Klingenheben, August 60, 65, 66, 71 Kniffka, Hannes 16 Knudsen, Hans Christian 148, 156 Koelle, Sigismund Wilhelm 57–59, 65, 71 Köhler, August 152 Köhler, Oswin 140 König, Ekkehard 121 Kootz, Johannes 167, 173, 174, 175, 176 Kootz-Kretschmer, Elise 168, 174, 176, 179, 181 Korner, Wolfgang 161, 174, 175 Kouega, Jean-Paul 119, 120 Kremer, Dieter 13 Krieger, Maximilian 203 Kriger, Ethel V. 161 Kröger, Rüdiger 25 Krönlein, Johann Georg 149, 150, 152, 154
309
Autorenindex Küas, Richard 197 Kuczycki, John J. 11
Müller, Kilian 265 Mveng, Engelbert 113, 116
Laburthe-Tolra, Philippe 98, 99, 105, 106 Ladefoged, Peter 22 Längin, Bernd G. 196 Lau, Brigitte 152 Lauer, Hiltrud 47 Laws, Robert 165 Le Vine, Victor T. 130 Leistensprung, Ferdinand 202 Levinson, David H. 113 Levinson, Stephen C. 36 Lewis, M. Paul 162, 166, 289, 291 Lindfors, Anna-Lena 170 Lindqvist, Herman 8 Littke, Peter 8 Lopinot, P. Callistus 208–230, 258, 261 Lotherington, Heather 288, 289, 302 Lukas, Johannes 60 Lyons, John 35
Nampala, Lovisa T. 140 Naro, Anthony J. 116 Nauhaus, Carl 167–170, 172, 175, 176, 178 Nekes, Hermann 41 Nettle, Daniel 113 Neumaier, Richard 270 Ngome, Manasseh 115, 120 Nienaber, Gabriel S. 146–150 Nübling, Damaris 40 Nyada, Germain 24, 97
Maddieson, Ian 22 Maho, Jouni Filip 139 Mansfeld, Alfred 124 Matras, Yaron 15 Mattes, Veronika 253, 254 Matzat, Wilhelm 198, 201, 202 Mehnert, Wolfgang 18 Meinecke, Gustav 167 Meinhof, Carl 12, 16, 21, 22, 41, 45, 47, 59– 63, 66, 72, 126, 151, 153, 154, 161, 170, 173, 176–179, 182 Merensky, Alexander 165, 166, 168–170, 172 Messi, Paul 104, 106, 107, 109 Meyer, Dietrich 161 Meyer, Theodor 164–166, 168–170, 174, 176, 181 Milani, Tommaso M. 2 Milner, George B. 296 Mirbt, Carl 192 Möhlig, Wilhelm J.G. 17, 21, 151 Morgen, Curt von 104 Morlang, Thomas 9 Muachitete, Wasimura Msaturwa 174 Mühleisen, Susanne 18 Mühlhahn, Klaus 190, 193, 194 Mühlhäusler, Peter 15, 25, 115, 190, 194, 200, 228, 288, 290
Olpp, Johannes 148–150 Ombolo, Jean-Pierre 99 Orosz, Kenneth J. 11, 18 Pennycook, Alastair 32 Perl, Matthias 10 Petit-Skinner, Solange 287, 301 Pinsker, Hans Ernst 119 Planert, Wilhelm 33, 35, 41, 42, 151 Plüschow, Gunther 196 Polenz, Peter von 40, 43, 45 Pott, August Friedrich 254 Pottier, Bernard 13 Prein, Philipp 161, 162 Quinn, Frederic E. 98 Raaflaub, Fritz 125, 131 Reinbothe, Roswitha 190, 192 Renaud, Patrick 100 Richard, Théophile 164–167, 171, 172, 174, 175 Richter, J. H. 145 Richter, Julius 164 Riddle, Alexander 166 Robson, W.R. 289 Rodríguez-Ponga y Salamanca, Rafael 207, 211, 243 Rohrbacher, Peter 60 Romaine, Suzanne 113 Römer, Ruth 14, 19 Rottland, Thomas 162 Rudin, Harry R.130, 131 Rust, Friedrich 150 Safford, William E. 208–223, 227, 230, 258 Saint Paul-Illaire, Walter von 41, 42, 45, 47, 49, 50
310 Samarin, William 15 Scharfe, Martin 81 Scheuch, Manfred 133 Schmelen, Johann Heinrich 140, 147, 148 Schmidt, Rochus 10, 21 Schmidt-Brücken, Daniel 7, 19, 23, 24 Schmidt-Riese, Roland 13 Schnee, Heinrich 125, 194 Schneider Hermann-Gustav 166, 168 Schrecker, John. E. 191 Schuchardt, Hugo 115, 128 Schultze, Leonard S. 144, 153 Schuhmacher, Walter Wilfried 291 Schumann, Christian 168, 170, 172 Schürle, Georg 41, 126 Sebald, Peter 72 Seidel, August 21, 33, 36, 41, 45, 47, 114, 115, 126 Seidel, Heinrich 207 Semler, Rudolf 202 Shighwedha, Vilho 140 Siegel, Jeff 291 Skolaster, Hermann P.S.M 126, 131 Sommerfeldt, Karl-Ernst 36 Speitkamp, Winfried 9, 10 Spennemann, Dirk H.R. 16, 209 Spieth, Jakob 76, 82 Spitzmüller, Jürgen 31, 39 Starke, Günther 36 Steadman-Jones, Richard 13, 189 Stenz, Pater Georg Maria 197 Stephen, Ernest 290, 298 Stern, Rudolf 171 Stolberg, Doris 7, 15, 17, 26 Stolz, Adolf 168 Stolz, Thomas 16, 23, 25, 209, 223, 233, 252–254, 257, 261 Sugita, Hiroshi 268, 272, 282 Swilla, Imani N. 162 Tabi-Manga, Jean 101, 102, 104 Taitano, Gina E. 247 Thilenius, G. 20 Thompson, Laura Maud 233–236, 238–246, 248 Tindall, Henry 148 Todd, Loreto 115, 117–119, 124, 130 Topping, Donald M. 220, 236, 240, 241, 243, 247–249, 251, 252, 256–258, 262 Tunis, Angelika 111
Autorenindex Ustorf, Werner 83 Van der Heyden, Ulrich 9, 111 Vedder, Hermann Heinrich 144, 146, 152, 153 Vera, Román María de 223 Viehe, Gottlieb 41, 42, 47, 49, 50 Viviani, Nancy 290–293, 296 von Bülow, Fritz 195 von Hagen, Gunther 115, 119, 126, 127, 132 von Hesse-Wartegg, Ernst 195, 200 von Preissig, Edward R. 205, 208, 210, 211, 214–216, 218, 221–223, 225–228, 230, 258, 261 Voskamp, C.J. 193, 202 Vossmann, Christina 25, 209 Wahrig-Burfeind, Renate 22, 223 Wallmann, Johann Christian 149 Walsh, Martin T.162 Wandres, Carl 143 Warnke, Ingo H. 8, 14–16, 19, 23, 24, 31, 32, 39, 41 Weber, Brigitte 15, 24, 116 Weicker, Hans 198 Werther, W. 199, 200 Westermann, Diedrich 22, 41, 42, 45, 59, 60, 63–67, 70, 81, 151, 154 Weydt, Harald 45 Wieckhorst, Annika 131 Wimmelbücker, Ludger 171 Winterstein, Franz 195 Wittgenstein, Ludwig 24, 31, 36–38 Wolf, Hans-Georg 113, 114 Wright, Marcia 161 Wyse, Akintola 117 Zeller, Joachim 9 Ziegler, Susanne 177 Zifonun, Gisela 15, 40, 45, 46 Zimmerer, Jürgen 9 Zimmermann, Klaus 13 Zintgraff, Eugen 115, 123, 126, 131, 134 Zöller, Hugo 122 Zöllner, Reinhard 8 Zwartjes, Otto 13
Sprachindex
Afrikaans 11, 20, 69, 144, 149 Altägyptisch 61 Amharisch 61, 71 Arabisch 20, 57, 100, 114, 202, 236 Bakundu 123, 126 Bakweri 126, 132 Bali 113, 123, 126, 131 Banso 125, 131 Basa 41, 114, 126, 132 Batanga 126, 132 Bënë 99, 104 Berber 61 Bëti 24, 97–109 Bulu 113, 114, 126, 132 Bura 71 Buschmann 21, 73, 141, 142 Cameroon Creole (siehe KPE) Cameroonian (siehe KPE) Chamorro 16, 22–25, 205–230, 233–243, 247, 249, 251–262 Chinesisch 20, 71, 189, 190, 195–197, 200–202 Chinyanja (= Chechewa) 165, 168, 169 Choa Arabisch 114 Chuuk 24, 26, 265–284 Damara 140, 142–146, 148, 150, 152–155 Deutsch 11, 14, 15, 17–20, 24–26, 36, 37, 41, 48, 55, 60–62, 66–71, 111–115, 118–123, 125–128, 130–134, 144, 189–203, 227– 229, 257, 258, 287–292, 295–301 Duala 20, 41, 99, 113, 114, 125, 126, 132 Ekoi 124 Englisch 11, 24, 26, 56, 62, 69, 75, 86, 100, 109, 111, 114–116, 118–125, 129, 130,
166, 190, 192, 195, 199, 206–208, 227– 229, 287–291, 297, 298 Eton 99, 102, 104 Ewe 20, 60, 63, 64, 75–77, 79–82, 84–88 Ewondo 24, 98–104, 106, 108, 109, 113, 114, 132 Fááyichuk 273, 275, 279, 281 Französisch 11, 56, 69, 109, 128, 165, 222 Fulfulde 62, 132 Griechisch 56, 269 Gullah 129 Haillom 139, 142, 143, 155 Hausa 20, 22, 57, 61, 62, 66, 70, 71, 114 Hawaiianisch 212 Hebräisch 70 Igbo 60 Isubu 132 Jamaican Creole 129 Japanisch 229 Jaunde (siehe Ewondo) Kamerun-Englisch (siehe KPE) Kameruner Englisch (siehe KPE) Kameruner Pidgin (siehe KPE) Kamtok (siehe KPE) Kanuri 24, 41, 57–60, 66–71, 114, 132 Kap-Khoe 139 Karolinisch 229 Keaka 124 Khoekhoe/Khoekoegowab 139, 140, 142– 151, 153, 154 Khoesaan (= Khoisan) 113, 139, 140, 142, 144, 154 Korana (siehe !Gora)
312 KPE/Kameruner Pidgin-Englisch 111, 112, 115–124, 125 126, 128, 131, 132 Krio 112, 115–120, 128 Kruenglisch (siehe KPE) Kru-Pidgin 130 Küstendeutsch (siehe KPE) Küstenenglisch (siehe KPE) Kwa 60, 129, 140, 148 Lamang 71 Latein 56, 67, 69, 73 Limbe Creole 117 Madegassisch 212 Malayisch 192, 202 Mongo-Ewondo (siehe Ewondo) Muamba 169, 170 Mungaka (siehe Bali) Mvelle 99, 104 Nama 9, 20, 33, 41, 139–155 Neger-Englisch (siehe KPE) Niederländisch 11 Nyakyusa 162, 163, 168, 170–172, 174, 175, 177, 179 Nyiha 170, 171, 173, 177, 178 Obang 124 Oshikwanyama 140, 141, 155 Oshindonga 140, 141, 154, Oshiwambo (siehe Oshindonga) Otjiherero 41, 140, 141, 154 Pampango 212 Portugiesisch 69, 116, 120–122, 195, 202, 290 Rukwangali 140, 141 Rumanyo 140
Sprachindex Safwa 162, 167, 171, 173–175, 178 Samoanisch 11, 22, 23, 223 Sanskrit 56, 57 Sesotho 168 Setswana 140, 141 Silozi 140, 141 Spanisch 117, 195, 207, 208, 211–215, 217, 220, 225–229, 243, 288, 290 Sranan 165 Swahili 20, 41, 55, 60, 62, 70, 71, 123, 165, 170, 179, 181, 182 Tagalog 212 Thimbukushu 140, 141 Tok Pisin 115, 129, 196, 288, 290 Urbantu 59 Vai 58 Wandala 114 Westafrikanisches Pidgin-Englisch (WAPE) 115, 118, 128, 129 Wute 103, 126 Xhosa 147, 165 Yoruba 57, 60, 117, 118 Zulu 21, 168 !Gora 139, 142, 145, 154 !Xun 141 \A)khoe 142, 143, 155 \Nūkhoegowab 24, 139, 140, 142–149, 150, 151, 153, 154