Kolonialrecht und Provenienzforschung: Untersuchung einer kamerunischen Federkrone [1 ed.] 9783737016308, 9783847116301


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Kolonialrecht und Provenienzforschung: Untersuchung einer kamerunischen Federkrone [1 ed.]
 9783737016308, 9783847116301

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Beiträge zu Grundfragen des Rechts

Band 41

Herausgegeben von Stephan Meder

Robin Leon Gogol

Kolonialrecht und Provenienzforschung Untersuchung einer kamerunischen Federkrone

Mit 3 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Studienstiftung ius vivum. © 2023 Brill | V&R unipress, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Kopfschmuck, Duala, Kamerun. Vorbesitzer: Theodor Christaller. Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5405 ISBN 978-3-7370-1630-8

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemaufriss und aktueller Bezug – Kolonialrevisionismus als Grundlage für eine neue Ethik globaler Beziehungen . . . . . . . II. Das Kolonialrecht und die Provenienzforschung als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stand der wissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Quellenproblematik zur Geschichte Afrikas . . . . . . . . . . . . VI. Koloniale Sprache und die Gefahr des »scientific colonialism« . .

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21 23 25 29 31

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33 33 35 37 38 39 43 44

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2. Kapitel: Einführung in das Kolonialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kolonialrecht und staatsphilosophische Legitimation . . . . . . . .

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1. Kapitel: Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Keimzelle der kolonialen Agitation . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kolonialbewegung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . III. Der »Eiserne Kanzler« und die Kolonien . . . . . . . . . . . . . IV. Die Schutzgewalt über Kamerun . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Annexion Kameruns im Jahr 1884 . . . . . . . . . . . . 2. Gouverneur Julius Freiherr von Soeden (1885–1890) . . . . 3. Exkurs: »das Sammeln beginnt« . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Gewalt von Gouverneur Zimmerer und Kanzler Leist (1891–1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Kolonialisierung Kameruns bis zum Versailler Vertrag (1896–1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhalt

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3. Kapitel: Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen als Indikator für die juristische Provenienzforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zivilrecht der »weißen Bevölkerung« . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz . III. Gemischtrechtliche Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Ungleichbehandlung . 1. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivilrechtliche Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Konsequenzen für die Provenienzforschung . . . . . . . . . . . . .

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4. Kapitel: Die Provenienz der Federkrone . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Federkrone aus Kamerun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erste Station: Die Federkrone des »King Bell« . . . . . . . . . . . . 1. Das eiserne Bettgestell ohne Matratze – die Duala in der Krise . 2. Unter deutscher Kolonialherrschaft – Manga Ndumbe Bell . . III. Zweite Station: Theodor Christaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Missionar Christaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Dahomey-Aufstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dritte Station: Sofie Christaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vierte Station: Dr. Ludwig Kurt Friedrich Battenberg . . . . . . . . VI. Fünfte Station: Völkerkundemuseum Frankfurt . . . . . . . . . . . VII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Kapitel: Ergebnisse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ergebnisse für das Kolonialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schenkung und niedriger Verkaufspreis . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliches sowie vertragsähnliches Handeln im Grenzbereich zur fehlenden Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . .

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II. Staatenrecht als Fundament des Kolonialrechts . . . . . . . . . III. Verwaltungsaufbau und Gerichtsbarkeit in den Kolonien . . . 1. Der Verwaltungsaufbau in den Kolonien . . . . . . . . . . 2. Die koloniale Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendbare Rechtssysteme für die Bevölkerung der Kolonien V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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179 182 183

7

Inhalt

3. Rechtliche Ungleichbehandlung der Kolonisierten . . . . . . . 4. Ausnutzung einer strukturell fehlenden Vertragsparität . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Archivquellen (unveröffentlicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts . . . . . . . . I. Teilnehmer*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Transkribiertes Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . B. Dokumente: Provenienz der Federkrone . . . . . . . . . I. Abbildung 1: Federkrone aus Kamerun . . . . . . . II. Abbildung 2: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 1 III. Abbildung 3: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 2

207 207 207 207 215 215 216 217

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Vorwort

Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2022/2023 von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis April 2022 berücksichtigt. Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Stephan Meder bedanken, der mich maßgeblich zu dieser Dissertation ermutigte, mich während der Bearbeitung förderte und unterstützte sowie mir darüber hinaus auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen PAESE-Projekt ermöglichte. Auch möchte ich mich sehr herzlich bei Prof. Dr. Volker Wiese, LL. M., für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und bei Prof. Dr. Bernd H. Oppermann – für die Vertretung von Prof. Dr. Volker Wiese, LL. M., in der Disputatio – bedanken. Des Weiteren möchte ich mich beim Team des Lehrstuhls für die gute Zusammenarbeit bedanken, das mich zu jedem Zeitpunkt in diesem Projekt unterstützt und bei guter Laune gehalten hat. Ich hätte mir keine besseren Kolleg*innen wünschen können. Ferner gilt mein Dank der Studienstiftung ius vivum für die großzügige Übernahme eines Druckkostenzuschusses. Von Herzen danke ich meinen Eltern Sandra und Manfred Gogol und meinen Geschwistern Friederike, Isabel und Marius für Ihre Unterstützung. Ich verspüre tiefe Gefühle von Liebe, Glück und Dankbarkeit für euch und weiß, dass ich durch euch auch während der größten Stürme stets fest mit dem Erdboden verwurzelt und sicher sein werde. Es ist unbeschreiblich wie stolz ich darauf bin euch als Familie zu haben. Ein besonderer Dank gilt zudem meinen geliebten Freunden, die meine Welt maßgeblich während der Erstellung der Arbeit mit Glücksgefühlen fluteten und mit mir Reisen an jeden nur erdenklichen Ort unternahmen. Jeder Wurf ins Ungewisse war durch euch nur ein wunderschönes Abenteuer. Wie sehr wir uns auch in Zukunft geografisch voneinander entfernen mögen, die

10

Vorwort

erlebte Freundschaft, Partnerschaft und Liebe wird für mich immer unvergesslich bleiben. Berlin, Mai 2023

Robin Leon Gogol

Abkürzungsverzeichnis

Soweit die Abkürzungen nicht besonders erläutert sind, wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert – Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Auflage, Berlin 2021.

Einleitung

Wer sich mit dem Kolonialrecht befasst, kommt um eine Reflexion heutiger internationaler Zusammenhänge nicht herum. Die Auswirkungen der Kolonialzeit reichen bis in die heutige globale Gesellschaft. Die Interessierten werden vielleicht zu ähnlichen Folgerungen gelangen, wie Max Frisch sie aus den Vorlesungen des Philologen Bernhard Fehr gezogen hat: »Dann geht man ihm nach durch merkwürdige Gefilde, wo er uns dantische Strophen liest und manchmal stehen bleibt, um uns einen Ausblick zu zeigen auf unsere Gegenwart, einen ganz überraschenden Ausblick, wo wir uns plötzlich selber sehen und anders sehen als sonst. Noch kaum habe ich soviel Eigenartiges, Überdenkenswertes, Anregendes, Aufrüttelndes über unsere Gegenwart vernommen wie in dieser Vorlesung.«1

Eine Betrachtung der deutschen Kolonialzeit vermag ebenfalls eine solche intertemporale Sichtweise auf unsere Gegenwart zu gewähren. Doch nur selten wird dieser Ausblick von dantischer Schönheit geprägt sein oder gar Anregendes bereithalten. Vielmehr wird die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit Eigenartiges, Überdenkenswertes und Aufrüttelndes zum Vorschein bringen und den an heutigen globalen Dynamiken Interessierten eine Sensibilität für Machtasymmetrien vermitteln. Ein Umstand, der damit zusammenhängt, dass der Geschichte des Kolonialismus stets ein nationales Überlegenheitsdenken inhärent war. In kritischer Hinterfragung beschrieb Jacob Grimm bereits viele Jahre vor Gründung der ersten deutschen Kolonie das für koloniale Expansionen benötigte »Selbstverständnis« der eigenen nationalen Überlegenheit: »[…] wir hielten unsern fürsten für den besten, den es geben könnte, unser land für das gesegnetste unter allen; es fällt mir ein, dasz mein vierter bruder, der von uns hernach am frühsten und am längsten im ausland leben musste, als kind auf der hessischen landkarte alle städte gröszer und alle flüsse dicker malte.«2 1 Vgl. Volker Weidermann, Max Frisch – Sein Leben, seine Bücher (2010), S. 23. 2 Jacob Grimm, Selbstbiografie – Justi, Grundlage zu einer hessischen Gelehrten-, Schriftstellerund Künstlergeschichte. Marburg 1831, in: Jacob Grimm, Kleinere Schriften: Reden und Abhandlungen (1864), Band 1, S. 1–24, 2.

14

Einleitung

Werden demnach rechtshistorische Fragen in Bezug auf die deutsche Kolonialzeit aufgeworfen, so bedeutet das für den »globalen Westen« ebenfalls zu hinterfragen, wie viel Prägung unser eigenes Selbstverständnis bereits erfahren hat.

I.

Problemaufriss und aktueller Bezug – Kolonialrevisionismus als Grundlage für eine neue Ethik globaler Beziehungen

Als Emmanuel Macron, der junge Staatspräsident Frankreichs, in der Universität Ouagadougou in Burkina Faso im September 2017 in einer geschichtsträchtigen Rede versprach: »Ich möchte, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanischen Erbes an Afrika geschaffen werden.«, brachen die Dämme der Zurückhaltung im Diskurs um offene Fragen bezüglich des kolonialen Erbes Europas.3 Letztlich ist für ein breites Meinungsspektrum die Restitution kolonialen Sammlungsguts ein entscheidender Faktor, damit eine kritische Aufarbeitung der Kolonialgeschichte beginnen kann.4 Auf den globalen Westen rauschte eine neue, eine emotionalere Welle der kolonialen Auseinandersetzung zu.5 Macron beauftragte im »Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain«6 die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy sowie den Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr, die Parameter für eine Rückgabe zu erarbeiten. Der wenig später veröffentliche Bericht »Zurückgeben«7 polarisiert die Restitutionsdebatte bis heute.8 Die Wirkung der Rede und des Berichts war enorm und löste in Deutschland ein mediales Erdbeben aus, zumal schon vor der »Ouagadougou-Zeit-

3 Vgl. Felwine Sarr/Bénédicte Savoy, Zurückgeben – über die Restitution afrikanischer Kulturgüter (2019), S. 13. 4 Nach Andreas Eckert, Die »Wiederentdeckung« des deutschen Kolonialismus, in: Sandkühler/ Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 245–260, 247, hat das Thema »Konjunktur«. 5 David Simo, Formen und Funktionen des Gedächtnisses der Kolonisation – das Humboldt Forum und das postkoloniale Deutschland, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 281–300, 281f., nennt die Rede des französischen Präsidenten einen wichtigen Grund für die politische und historische Debatte über die afrikanischen Artefakte. 6 Ungekürzte französische Fassung unter http://restitutionreport2018.com/ sarr_savoy_fr.pdf (abgerufen am: 1. 4. 2022). 7 Sarr/Savoy, Zurückgeben, ist die gekürzte und deutsche Fassung des Berichts. 8 Thomas Sandkühler/Angelika Eppele/Jürgen Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur im (post-)kolonialen Kontext: Facetten einer schwierigen Debatte, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 9–33, 12, sind in der Argumentation zurückhaltender, schließen sich jedoch im Ergebnis an und bezeichnen die Expertise von Sarr/Savoy als »Zäsur«.

Problemaufriss und aktueller Bezug

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rechnung«9 Kritik am Umgang Deutschlands mit der Auseinandersetzung seines kolonialen Erbes geäußert wurde. Ein weiteres mediales Leuchtfeuer stellte insofern die Diskussion um das Berliner »Humboldt Forum« dar, ein 600 Millionen Euro teures Projekt im »neuen, alten Stadtschloss«10, in welchem eine ethnologische Ausstellung in einer Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses präsentiert wird.11 Ein Projekt, aus dessen Expertenbeirat eben jene vom Staatspräsidenten Frankreichs beauftragte Bénédicte Savoy im Juli 2017 zurücktrat.12 Zwischen dem Verständnis von einem klassischen Konzept eines europäischen »Museumstempels«13 und dem Ansatz der Restitutionsdebatte besteht scheinbar Mediationsbedarf.14 Tatsächlich wird vielerorts die Debatte um die Restitution afrikanischer Objekte auch als eine Debatte über den Umgang mit dem kolonialen Erbe Europas verstanden.15 Selten wurde ein Diskurs auf gesellschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Ebene derart emotional geführt. Umso beachtlicher, wird berücksichtigt, dass die Restitutionsdebatte bereits zum zweiten Mal kontrovers ausgefochten wird. Schon in den 70er-Jahren entwickelte sich zum ersten Mal eine umstrittene Restitutionsbewegung um die Objekte Afrikas.16 Insofern hat der Diskurs um die Restitution afrikanischer Kulturgüter erneut Konjunktur.17 Doch warum wird, fast ein halbes Jahrhundert nach der erstmaligen Restitutionsdebatte,18 eine so lebhafte Diskussion um die Rückgabe von afrikanischen Objekten geführt? In Zeiten, die durch Globalisierung und digitale Konvergenz 9 »Die Post-Ouagadougou-Zeit hat begonnen«, schreibt Kwame Opoku und versteht darunter ein neues Zeitalter der Restitution, unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/ma cron-fordert-endgueltige-restitutionen-des-afrikanisches-erbes-an-afrika-15388474.html (abgerufen am: 1. 4. 2022). 10 Vgl. dazu https://www.zeit.de/kultur/kunst/2020-12/humboldt-forum-virtuelle-eroeffnungberliner-stadtschloss-museum-kulturpolitik (abgerufen am: 1. 4. 2022). 11 Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur, S. 11. 12 Savoy vergleicht das Humboldt-Forum mit Tschernobyl, unter: https://www.sueddeutsche.de /kultur/benedicte-savoy-ueber-das-humboldt-forum-das-humboldt-forum-ist-wie-tscherno byl-1.3596423?reduced=true (abgerufen am: 1. 4. 2022). 13 Vgl. Haimo Schack, Erwerb und Veräußerung von Kunstgegenständen durch Museen, in: Schack/Schmidt (Hg.), Rechtsfragen der internationalen Museumspraxis – Kunstrechtssymposium in der Bucerius Law School am 21. und 22. Oktober 2005 (2006), S. 13–28, 13; vgl. Alice Procter, The Whole Picture – The colonial story of the art in our museums & why we need to talk about it (2020), S. 255f. Sie berichtet über Versuche des International Council of Museums (ICOM), die Definition eines Museums aufzubrechen. 14 Simo, Formen und Funktionen des Gedächtnisses der Kolonisation, S. 281f., macht das Humboldtforum als wichtigen Grund für die aktuelle politische und historische Debatte aus. 15 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333. 16 Vgl. Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst – Geschichte einer postkolonialen Niederlage (2021), S. 7. 17 Vgl. Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst, S. 7f. 18 Dazu näher Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur, S. 12, die das Alter der Restitutionsdebatte und ihre Dynamik um 1972 beschreiben.

16

Einleitung

maßgeblich geprägt werden, scheint sich mehr hinter der Aufarbeitung von Kolonialismus zu verbergen, als zunächst vermutet. Es scheint, als entstünden durch die Veränderung globaler Machtverhältnisse neue Spannungen, welche sich nun zu entladen drohen.19 Dass sich da ein »globales Etwas« angestaut hat, verdeutlichen die Ausmaße der Anti-Rassismus-Bewegung, welche nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd entstand. Es ist daher kein Zufall, dass im Rahmen von globalen Anti-Rassismus-Demonstrationen eine Statue von der wohl bekanntesten Figur der weltweiten Kolonialgeschichte – Christoph Kolumbus – von ihrem Sockel gerissen und zerstört wurde.20 Politischer Ikonoklasmus, welcher sonst in der französischen Revolution oder nach dem Sturz des nationalsozialistischen Regimes ein Teil der Geschichte wurde, ist ein deutliches Anzeichen für eine besondere Emotionalisierung der Demonstrierenden. Insofern scheinen diese einen direkten Zusammenhang zwischen heutiger Diskriminierung und dem damaligen Kolonialismus zu sehen. Doch wäre es nicht nützlich, wenn Denkmäler als Zeugnisse der Geschichte nicht erst zerstört werden müssten? Im besten Fall könnte sogar durch eine neue Ethik der Kontextualisierung ein Denkmal als Mahnmal zur Aufklärung und Reflexion in Bezug auf die Geschichte respektive den Kolonialismus dienen.21 Für eine kolonialrevisionistische Denkweise könnte es daher angebrachter sein, das fragwürdige Denkmal lediglich fortzuschaffen und für nachfolgende Generationen als Forschungsobjekt bereitzuhalten.22 Gleichwohl verdeutlicht die mit den Demonstrationen einhergehende Beseitigung des Denkmals, dass sich an manchen Stellen schon zu viel Druck in der Debatte um Diskriminierung und Kolonialismus angestaut hatte.23 Ein Diskurs, der für die Demonstrierenden scheinbar selbst nach der »Ouagadougou-Zeitrechnung« nicht die ausreichende Würdigung gefunden hatte. Das Ereignis lehrt, dass ein Nichtauseinandersetzen mit dem kolonialen Erbe und der damit eng verbundenen Restitutionsdebatte für große Spannungen sorgen könnte. Dementsprechend findet im Rahmen der 19 Paule-Clisthène Dassi berichtet von einer Art »kleinen Revolution« in Kamerun, vgl. Anhang, Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts. 20 Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur, S. 20, ziehen Verbindungslinien zwischen der Restitutionsdebatte und der Black-Lives-Matter-Bewegung. 21 Mit vergleichbarer Argumentation Suzanne Nossel, Dare to speak – defending free speech for all (2020), S. 13ff. 22 Zu Möglichkeiten der Aufbewahrung von Objekten vgl. Anhang. Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts. Vorgeschlagen wurde, dass Denkmäler und Objekte weg von dem Ort einer unkritischen Ausstellung (Stadtplatz, Museum) hin zu einem deutlich kontextualisierten Bereich der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung verbracht werden sollten. Universitäten, Archive oder reflektierte Museen würden sich als Ort »einer kritischen Verwahrung« anbieten. 23 Vgl. Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur im (post-)kolonialen Kontext, S. 20, die internationale Debatte wird durch die Black-Lives-Matter-Bewegung weiter befeuert.

Problemaufriss und aktueller Bezug

17

Restitutionsdebatte der allgemeingültige Grundsatz »Verbiete wer was alle wollen, der hat ins Wespennest gestört«24 Anwendung. Dabei ist in Deutschland längst ein neuer Kolonialrevisionismus entfacht. Denn dass etwas getan werden muss, wurde in Deutschland bereits vor Macrons Rede wahrgenommen. Gerade in den Hauptstädten des Kolonialismus – Hamburg als Tor zur Welt und Berlin als damaliger Sitz der kolonialen Hauptverwaltung – findet teilweise eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit statt.25 An der Universität Hamburg wurde 2014 der Projektverband »Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe« unter der Leitung des Historikers Jürgen Zimmerer eingerichtet.26 In Berlin erfreuen sich Vereine wie »Decolonize Berlin e.V.«27 zunehmender Beliebtheit und beschäftigen sich in einer kritischen Auseinandersetzung mit Straßennamen und Denkmälern. Aber auch in Niedersachsen wurde das Verbundprojekt PAESE (Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen)28 ins Leben gerufen, in welchem niedersächsische Museen und Universitäten zusammen mit afrikanischen Wissenschaftler*innen an einer dialogischen Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit arbeiten. Erstmalig fand die notwendige Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit Erwähnung in einem Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Dort heißt es: »Ohne Erinnerung keine Zukunft – zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland geho¨ ren die Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur, der deutschen Kolonialgeschichte, aber auch positive Momente unserer Demokratiegeschichte.«29

Auch wenn dieser Satz einen wichtigen Schritt in Richtung Aufarbeitung und Anerkennung der deutschen Kolonialgeschichte bedeutet, so zementiert der 24 So spricht der Heermeister in Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten. Erster Act, Anmuthige Gegend, Vers 4823f., Goethe’s Werke, Ein und vierzigster Band (1833). 25 Vgl. Thomas Thiemeyer, Deutschland postkolonial. Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 261–280, 261, betitelt Berlin als Schlachtfeld der postkolonialen Debatte. 26 Vgl. Universität Hamburg, Hamburgs (post-)koloniales Erbe, unter: https://kolonialismus. blogs.uni-hamburg.de (abgerufen am: 1. 4. 2022). 27 Vgl. die Koordinierungsstelle für ein gesamtstädtisches Konzept zur Aufarbeitung Berlins kolonialer Vergangenheit, unter: https://decolonize-berlin.de/de/ (abgerufen am: 1. 4. 2022). 28 PAESE (Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen – Postkoloniale Provenienzforschung Niedersachsen), PAESE Homepage, unter: https://www.postcolonial-provenance-research.com/?lang=en (abgerufen am: 1. 4. 2022). 29 Koalitionsvertrag der 19. Wahlperiode des Bundestages (2018), Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 167, unter: https://archiv.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koali tionsvertrag _2018.pdf ?file=1 (abgerufen am: 1. 4. 2022).

18

Einleitung

Passus in seiner Lokution das bestehende Problem im Umgang mit dem Thema Kolonialismus. Neben »NS-Terrorherrschaft« und »SED-Diktatur« wurde für den Kolonialismus Deutschlands der Euphemismus »deutsche Kolonialgeschichte« gewählt, von dem unweigerlich eine gewisse Verharmlosung für die kolonialen Geschehnisse ausgeht. Dabei geht es bei der vorgetragenen Kritik selbstredend nicht um eine hierarchische Gegenüberstellung von Unrechtstatbeständen der deutschen Vergangenheit. Aber auf Grundlage der Formulierung der Bundesregierung lässt sich ein gewisses Überbleibsel einer romantischen Verklärung des deutschen Kolonialismus erkennen, das sich in manchen Bereichen der Gesellschaft widerzuspiegeln droht,30 denn das Thema »Kolonialismus« fand in der Vergangenheit kaum eine adäquate Stelle in Rahmenlehrplänen und Schulbüchern.31 Dies hat zur Folge, dass sich durch Unwissenheit die Gefahr eines kolonialen Mythos ergibt – nämlich, dass Deutschland in Relation zu anderen europäischen Kolonialmächten eine »gute Kolonialnation« gewesen wäre. Allerdings beweisen eindeutige Quellen, dass in Südwestafrika mit dem Völkermord an den Herero und Nama der erste Genozid des 20. Jahrhunderts verübt wurde. Eine Tat, für die Deutschland erst jüngst und nach langen Verhandlungen im Mai 2021 einzustehen beginnt.32 In Ostafrika fielen dem Genozid, der vom ehemals zum Kriegshelden hochstilisierten Paul von Lettow-Vorbeck33 verursacht wurde, nach

30 Vgl. Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur im (post-)kolonialen Kontext, S. 20, üben darüber hinaus Kritik an der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Monika Grütters, welche die Komplexität der Problematik ausblendende. 31 Näher zum Kolonialismus im Schulbuch, unter: https://www.rosalux.de/news/id/42834/kolo nialismus-im-schulbuch (abgerufen am: 1. 4. 2022); vgl. dazu auch Barbara Johanna Heuermann, Der schizophrene Schiffsschnabel: Biographie eines Kolonialen Objektes und Diskurs um seine Rückforderung im postkolonialen München, in: Studien aus dem Münchner Institut für Ethnologie, Band 17 (2015), unter: https://epub.ub.uni-muenchen.de/25106/1/Barba ra_Heuermann_Schiffsschnabel.pdf (abgerufen am: 1. 4. 2022), S. 62, nach welcher die Aufarbeitung des Kolonialismus noch nicht abgeschlossen ist und noch nicht die Mitte der Gesellschaft erreicht hat. 32 Überblick zur Anerkennung des Völkermordes, unter: https://www.zeit.de/politik/deutsch land/2021-05/kolonialismus-deutschland-namibia-voelkermord-herero-nama-anerkennung (abgerufen am: 1. 4. 2022). In der Wissenschaft wurde dies spätestens seit 2004 kaum mehr von aktuellen Wissenschaftler*innen angezweifelt, dazu näher Jörg Wassing, Auf den Spuren des deutschen Völkermordes in Südwestafrika – Der Herero-/Nama-Aufstand in der deutschen Kolonialliteratur. Eine literarhistorische Analyse (2004), S. 300ff. Dieser stellt den Streitstand um die Einstufung als »Völkermord« dar; Vgl. zum historischen Ablauf des Völkermordes Medardus Brehl, Vernichtung der Herero – Diskurse der Gewalt in der deutschen Kolonialliteratur (2007), S. 96ff. 33 Vgl. Eckard Michels, Paul von Lettow-Vorbeck – ein preußischer Kolonial- offizier (2008), S. 11: »Zugleich galt er bis in die sechziger Jahre hinein als einziger allgemein bekannter, überwiegend positiv beurteilter und hoch geehrter Kolonialheld, der größte, den Deutschland jemals besaß.«

Problemaufriss und aktueller Bezug

19

Schätzungen 700.000 Ostafrikaner zu Opfer.34 In Kamerun wurde in einer drakonischen Schreckensherrschaft des Gouvernements ein grausames Massaker an der Bevölkerungsgruppe der Dahomey verübt35 und der handelsstärksten Bevölkerungsgruppe der Duala durch Handelsverbote die Lebensgrundlage entzogen.36 In der Hunnenrede rief Kaiser Wilhelm II. die deutschen Truppen dazu auf, mit äußerster Gewalt jedem Chinesen zu begegnen, wodurch sich auch der Umgang mit den Kolonisierten in der Kolonie Kiautschou veränderte.37 Anhand dieser wenigen Exempel der deutschen Kolonialgeschichte zeigt sich, was unter Kolonialhistoriker*innen schon längst Konsens ist: Die deutsche Kolonialgeschichte ist durch und durch auch eine Geschichte menschenunwürdiger Geschehnisse. Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass in Südwestafrika das Fundament für einen nach vermeintlichen »Rassen« segregierten Staat und somit ein wichtiges Testlabor für den später praktizierten Nationalsozialismus entstand.38 Bei der Aufarbeitung des Kolonialismus bleibt dementsprechend noch viel zu tun. Dabei ist es die wichtige Aufgabe der Wissenschaft, die historischen Ereignisse in kritischer Sicht zu kontextualisieren, damit die koloniale Vergangenheit nicht in einer emotionalen Debatte nach politischem Belieben interpretiert wird. Nur wenn die historischen Ereignisse in ihrer Heterogenität dargestellt werden, kann 34 Ulrike Lindner, Plätze an der Sonne? Die Geschichtsschreibung auf dem Weg in die deutschen Kolonien, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 48 (2008), S. 487–510, 493; vgl. Michels, Paul von Lettow-Vorbeck, S. 360, spricht von hunderttausenden von Opfern in Ostafrika; Klaus Bachmann, Genocidal Empires – German Colonialism in Africa and the Third Reich, S. 163ff., wirft die Frage auf, ob sich in Ostafrika ein vergleichbarer Völkermord wie in Südwestafrika ereignete. 35 Näher zum Dahomey-Aufstand im 4. Kapitel III 2. 36 Vgl. Verordnung des Gouverneurs, betreffend den Handel der Duala-Eingeborenen vom 19. Juni 1895, abgedruckt bei: Julian Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun – Sammlung der in Kamerun zur Zeit geltenden völkerrechtlichen Verträge, Gesetze, Verordnungen und Dienstvorschriften mit Anmerkungen und Registern (1912); näher zu Handelsverboten gegenüber der afrikanischen Bevölkerung im 3. Kapitel IV 3. 37 Hunnenrede, wiedergegeben in Johannes Hohlfeld, Dokumente der deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart. Ein Quellenwerk für die politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung, Bd. 2: Das Zeitalter Wilhelms II. 1890–1918 (1951), S. 114f. 38 Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, Ungekürzte Ausgabe von 1951 (2014), S. 407f.;vgl. etwa Matthew P. Fitzpatrick, The Pre-History of the Holocaust? The Sonderweg and Historikerstreit Debates and the Abject Colonial Past, in: Central European History (CEH), JG. 41 (2008), S. 477–503; Mihran Dabag/Horst Gründer/Uwe Ketelsen, Kolonialismus – Kolonialdiskurs und Genozid (2004), S. 7, werfen die Frage auf, ob koloniale Gewalt für eine Werteverschiebung gesorgt und somit das Fundament für den ersten und zweiten Weltkrieg gelegt haben könnte; vgl. Jürgen Zimmerer, Der totale Überwachungsstaat? Recht und Verwaltung in Deutsch-Südwestafrika, in: Voigt/Sack (Hg.), Kolonialisierung des Rechts (2001), S. 183–207, 204; vgl. Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 289 zieht Verbindungslinien zwischen Nationalsozialismus und Kolonialismus.

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Einleitung

die Vergangenheit mit emanzipatorischem Gewinn aufgearbeitet werden.39 Denn es wird deutlich, dass es auch zur damaligen Zeit eine lebhafte Meinungspluralität im Umgang mit dem Thema Kolonien gab. So kritisierten prominente historische Wissenschaftler wie Alexander von Humboldt bereits vor der Kolonialisierung Afrikas auf seinen Südamerika-Reisen die »Barbarei« der Europäer im Zusammenhang mit der Kolonialisierung Amerikas.40 Zeitzeugen übten harsche Kritik an kolonialen Praktiken41 und Autoren der kolonialen Jurisprudenz wehrten sich lebhaft gegen ein zentralistisch geprägtes Bild über die »rechtlosen Naturvölker« und »unzivilisierten Eingeborenen«.42 Insofern ist eine differenzierte Darstellung ein wichtiger Bestandteil für eine kolonialrevisionistische Aufarbeitung der Vergangenheit und kann dazu beitragen, positive Narrative der Kolonialgeschichte zu entkräften, indem die Kolonialgeschichte im Kontext einer Meinungsheterogenität der Zeitzeugen verstanden wird. So könnte eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Kolonialzeit zu einer progressiven Einstellung des globalen Westens zur Kolonialgeschichte führen. Auf Grundlage des Gesagten bildet die wissenschaftliche Reflexion der Kolonialzeit das entscheidende Fundament für die mit aktuellen Problemen der Globalisierung verflochtene Restitutionsdebatte. Ein Erkenntnisgewinn über koloniale Zusammenhänge könnte somit ein wichtiger Schritt hin zu einer neuen Ethik der globalen Beziehungen darstellen, welche durch eine globale Gleichrangigkeit geprägt sein könnte.43 Doch was bildet das Fundament für eine reflektiert geführte Restitutionsdebatte? Die »Herkunftsgeschichte« der Objekte dient hierfür als Ausgangspunkt, denn für die Restitutionsdebatte ist die vorgelagerte Provenienzforschung ent-

39 So Matthias Goldmann/Beatriz von Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hg.), MPIL Research Paper Series, No. 202019 (2020), unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3600069 (abgerufen am: 1. 4. 2022), S. 4. 40 Frank Holl, Alexander von Humboldt – »Geschichtsschreiber der Kolonien«, in: Ette/Bernecker (Hg.), Ansichten Amerikas. Neuere Studien zu Alexander von Humboldt (2001), S. 51– 78, 51ff. 41 Vgl. Nathanael Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun – Ein Lebensbild (1887), S. 131. 42 Das Bild der »rechtlosen Naturvölker« und des »unzivilisierten Eingeborenen« wurde früh in einer legitimatorischen Argumentation der ersten Kolonialisten aufgegriffen. So beschrieb bereits Wenzel die Westküste Afrikas als »von keiner Civilisierten Macht in Besitz genommen«, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4204, Bd. 3, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 65, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022); näher zur pejorativen Benutzung von »unzivilisiert«, im 1. Kapitel I. 43 Zur »relationalen Ethik« Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst, S. 200: »Nur so wird es gelingen, im Sinne einer neuen Ethik der Beziehung zu Afrika mit den seit Jahrzehnten in Europa eingeübten institutionellen Mustern zu brechen.«

Das Kolonialrecht und die Provenienzforschung als Untersuchungsgegenstand

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scheidend.44 Die Provenienzforschung widmet sich der wissenschaftlichen Untersuchung der Geschichte und Herkunft von Objekten und hat schon bei Fragen über die Rückgabe von NS-Raubgut eine wichtige Rolle gespielt.45 Eine solche Untersuchung der Provenienz wird in Deutschland zum Großteil von Historiker*innen durchgeführt. Allerdings kommen bei der Provenienzforschung die Historiker*innen und Kurator*innen stetig mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der deutschen Kolonien im Kontakt. Bisher können die Forschenden bei der Bewertung von kolonialrechtlichen Fragestellungen kaum auf rechtshistorische Ausarbeitungen zum Kolonialrecht zurückgreifen.46 Dabei ist es wichtig, dass das komplexe System des Kolonialrechts in die koloniale Provenienzforschung einbezogen wird. »Juristische Provenienzforschung«, welche den rechtshistorischen Rahmen der kolonialen Erwerbsvorgänge von Objekten aufschlüsseln kann, ist somit auch für die Restitutionsdebatte erforderlich. Im Rahmen dieser Bearbeitung bietet es sich daher an, die kolonialrechtliche Implikationen auf einen konkreten Gegenstand anzuwenden. Hierfür wurde eine Federkrone aus Kamerun ausgewählt, denn eine Krone als verkörpertes Herrschaftszeichen eignet sich hierfür im besonderen Maße, denn die Kolonialgeschichte geht letztendlich stets mit Macht, Repression und Herrschaft einher.47

II.

Das Kolonialrecht und die Provenienzforschung als Untersuchungsgegenstand

Der Untersuchungsgegenstand ist der rechtliche Rahmen der deutschen Kolonialisierung – das »Kolonialrecht« – und seine Auswirkungen auf die Provenienzforschung. Unter Kolonialrecht lässt sich die Gesamtheit der mit dem Kolonialisierungsprozess zusammenhängenden Verhaltensregeln verstehen, welche die Rechtsbeziehungen der durch die Kolonialisierung betroffenen Rechtssubjekte, 44 Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 321, schließt sich dem an. 45 Vgl. in Bezug auf Provenienzforschung im nationalsozialistischen Kontext Uwe Hartmann, Provenienzforschung in Deutschland – Bilanzen und Perspektiven zehn Jahre nach der Washingtoner Konferenz, in: KUR 2009, S. 97–101, 99. 46 Rüdiger Voigt, Kolonialisierung des Rechts. Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung, in: Voigt/ Sack (Hg.), Kolonialisierung des Rechts – Zur kolonialen Rechts und Verwaltungsordnung (2001), S. 15–39, 27: »Das deutsche Kolonialrecht ist bislang nicht grundlegend historisch aufgearbeitet worden.« 47 Vgl. Thomas Thiemeyer, Deutschland postkolonial. Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 261–280, 262: »Kolonialgeschichte ist immer eine Geschichte von ungleicher Macht und Repression.«

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Einleitung

der Kolonialmächte und der Kolonialgebiete sowie die zwischen den Kategorien liegenden Kontaktpunkte regeln. Unter anderem zählen dazu Normen der afrikanischen Bevölkerung, völkerrechtliche Normen und von den Kolonisierenden aufgestellte staatliche Normen.48 Der Begriff »Kolonialrecht« entstand im deutschsprachigen Raum bereits zu Beginn der Kolonialisierung Afrikas durch Deutschland und wurde von Vertretern der damaligen »Kolonialjurisprudenz«49 geprägt.50 Teilweise setzte die Kolonialjurisprudenz auch den Ausdruck »Schutzgewalt« statt »Kolonien« als den Ausdruck für rechtliche Abhandlungen in Bezug auf die Kolonialzeit ein.51 Jedoch konnte der Terminus der »Schutzgewalt« den Oberbegriff »Kolonie« nicht verdrängen.52 Folglich werden beide Begriffe »Kolonie« und »Schutzgewalt« in dieser Abhandlung als Synonyme verwendet. In der kontemporären Wissenschaft wird nahezu ausschließlich die Bezeichnung »Kolonialrecht« gewählt, wobei aufgrund der Plastizität dieses Begriffs teilweise keine einleitende Definition dazu angegeben wird.53 »Provenienzforschung« ist ein Terminus, der am Ende des 20. Jahrhunderts für die kunst-, kultur- und historische Forschung etabliert wurde. Er beschreibt die wissenschaftliche Untersuchung der Geschichte und Herkunft eines Objekts, insbesondere wird dessen Weg zu seinem Verbleibort untersucht und dabei der Wechsel seiner Besitzer in den jeweiligen historischen Kontext eingeordnet.54 Große Bedeutung gewann die Provenienzforschung durch die 1998 unterzeich48 Vgl. sich anschließend Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 2; vgl. Voigt, Kolonialisierung des Rechts, S. 15–39, 20f. Dagegen wird der Begriff des »Kolonialrechts« schwer vertretbar lediglich auf rechtliche Normen beschränkt, welche die Regierung und Verwaltung der Kolonien betreffen, vgl. Luigi Nuzzo, Kolonialrecht (2011), in: Europäische Geschichte Online, unter: https://www.researchgate.net/publication/236964719_Kolonialrecht/ link/54a 5e68d0cf257a63608d864/download (abgerufen am: 1. 4. 2022). 49 Kolonialjurisprudenz ist im Rahmen dieser Arbeit als historische Rechtswissenschaft in Bezug auf die Kolonialisierung zu verstehen. 50 So z. B. Ferdinand Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert (1886); Conrad Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, in: Archiv für öffentliches Recht, Band II (1887), S. 3–53, 1ff.; Karl Gareis, Deutsches Kolonialrecht – eine orientierende Schilderung der aussereuropäischen Erwerbungen des Deutschen Reiches und Darstellung ihrer Rechtsordnung nebst dem Text und Erläuterungen der diese Schutzgebiete betreffenden Gesetze und kaiserlichen Verordnungen (1902). 51 Dieser Umstand wird erörtert im 2. Kapitel II. 52 Vgl. die Vielzahl im 20. Jahrhunderten Titel veröffentlichten Titel bezüglich des »Kolonialrechts«. 53 So wird der Terminus »Kolonialrecht« ohne eingehende Definition verwendet von Udo Wolter, Deutsches Kolonialrecht – ein wenig erforschtes Rechtsgebiet, dargestellt anhand des Arbeitsrechts der Eingeborenen, in: ZNR, 17. Jahrgang 1995, S. 201–244, 201ff. und von Felix Lange, Kolonialrecht und Gestapo-Haft – Wilhelm Wengler 1933–1945, in: ZaöRV, 76. Jahrgang (2016), S. 633–659, S. 633ff. 54 Vgl. Hartmann, Provenienzforschung in Deutschland – Bilanzen und Perspektiven zehn Jahre nach der Washingtoner Konferenz, S. 99.

Stand der wissenschaftlichen Diskussion

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nete Washingtoner Erklärung,55 in welcher die Grundsätze für die Restitution von Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerken festgehalten wurden. Ein wichtiger Bestandteil der Erklärung war die Selbstverpflichtung deutscher öffentlicher Einrichtungen, vorhandene Informationen bezüglich historischer Objekte offenzulegen und die Provenienzforschung zu verstärken.56 Eine Untersuchung bezüglich der (kolonialen) Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit einer Provenienzforschung lässt sich folglich als »juristische Provenienzforschung« bezeichnen.

III.

Stand der wissenschaftlichen Diskussion

Das Kolonialrecht fand in der Rechtshistorik noch kaum die ihm gebührende Beachtung.57 Gewiss entfachte die Rede Macrons in Burkina Faso, der Beginn der »Ouagadougou-Zeitrechnung« und die Veröffentlichung des »Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain«58 auch für juristische Bearbeitungen eine neue Konjunktur, gleichwohl ist die Liste an Veröffentlichungen, die sich auf das deutsche Kolonialrecht beziehen, noch gut zu überblicken. Es gibt bisher nur wenige Autoren, welche sich mit einem kritischen, postkolonialen Blick dem Thema stellten und einen systematischen Überblick über die verschiedenen Facetten des Kolonialrechts herzustellen vermochten,59 was die Einarbeitung in die Rechtsmaterie »Kolonialrecht« enorm erschwert. Allerdings bessert sich diese recht trübe Aussicht, sobald spezifischere (Teil-)Bereiche des deutschen Koloni55 Die Washingtoner Prinzipien sind aufgeführt unter: https://www.kulturgutverluste.de/Web s/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzipien/Index.html (abgerufen am: 1. 4. 2022); Vgl. Sachstand des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, unter: https://www.bundes tag.de/resource/ blob/491794/42f 7ba4d067efd53c4a62a3d8987c037/wd-10-061-16-pdf-data. pdf (abgerufen am: 1. 4. 2022). 56 Haimo Schack, Kunst und Recht (2017), S. 256 Rn. 502. 57 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 202, nach welchem es sich beim Kolonialrecht um einen »bisher von der Zunft der Rechtshistoriker weniger beachteten Stoffs handelt«; vgl. Peter J. Schröder, Gesetzgebung und »Arbeiterfrage« in den Kolonien – Das Arbeitsrecht in den Schutzgebieten des Deutschen Reiches (2006), S. VII, nach dem das Kolonialrecht erst jüngst von Rechtshistoriker*innen entdeckt wurde; vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333, nach welcher der jetzige Forschungsstand kaum differenzierte Aussagen erlaubt. 58 Dazu vorstehend unter Einleitung I. 59 Einer der Autoren, dem dies bereits vor der »Ouagadoungou-Zeitrechnung« gelang, ist Norbert Berthold Wagner, Die deutschen Schutzgebiete – Erwerb, Organisation und Verlust aus juristischer Sicht (2002), der eine sehr systematische und umfassende Abhandlung für das deutsche Kolonialrecht erarbeitet hat; wenige Jahre später sind nun erste Veröffentlichungen seit Beginn des »neuen Zeitalters« zu beobachten. Insbesondere ist hervorzuheben der interdisziplinäre Sammelband von Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021).

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Einleitung

alrechts näher betrachtet werden. Vereinzelt finden sich exakte und verdienstvolle juristische Ausarbeitungen bezüglich des Arbeitsrechts,60 der Gerichtsbarkeit,61 der Provenienz62 und des Verfassungsrechts.63 Allerdings bleibt noch großzügiger Raum für Wissenschaftler*innen, die Tagebücher der Kolonisierenden,64 die Akten des Bundesarchivs65 und die Veröffentlichungen der Kolonialjurisprudenz66 auszuwerten und somit für eine größere Wissensheterogenität im Forschungsbereich des deutschen Kolonialrechts zu sorgen. Während im soziologischen,67 historischen68 oder fächerübergreifend historisch-rechtlichen Bereich69 60 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 222ff., dem Einschätzungen zum Arbeitsrecht in den deutschen Kolonien gelingen. 61 Ulrike Schaper, Koloniale Verhandlung – Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Herrschaft in Kamerun 1884–1916 (2012), arbeitet als Historikerin viele Erkenntnisse für das koloniale Rechtssystem heraus. 62 Stephan Meder, Provenienzforschung als Disziplin der Rechtsgeschichte: Zentralismus und Pluralismus innerhalb der kolonialrechtlichen Debatten um 1900, in: Stephan Meder (Hg.), Geschichte und Zukunft des Urheberrechts III (2022), stellt präzise den Zusammenhang zwischen Kolonialrecht und Provenienzforschung dar; Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle der juristischen Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, nähern sich der »juristischen Provenienzforschung« aus einem völkerrechtlichen Kontext, sind aber Wegbereiter*innen für modernes kolonialrevisionistisches und vorurteilfreies juristisches Arbeiten. 63 Marc Grohmann, Exotische Verfassung – Die Kompetenzen des Reichstags für die deutschen Kolonien in Gesetzgebung und Staatsrechtswissenschaft des Kaiserreichs (1884–1914), 2001. 64 Vgl. die Tagebücher von einem der ersten Kolonialpioniere Kameruns: Max Buchner, Aurora colonialis: Bruchstücke eines Tagebuchs aus dem ersten Beginn unserer Kolonialpolitik 1884/ 85 (1914) und Kamerun – Skizzen und Betrachtungen (1887); sowie die Biografie über das Leben von Theodor Christaller von Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun – Ein Lebensbild (1887); sowie die Berichte von Theodor Bohner, Ae Ntonga! Hallo Freund! Unser Leben in Kamerun (1935). 65 Glücklicherweise ist ein wichtiger Teil der kolonialen Dokumente aus dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde bereits digitalisiert – folglich konnte trotz der Pandemie mit den Quellen der Bundesarchive gearbeitet werden. Die Dokumente mit kolonialem Bezug lassen sich finden unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 66 Großes Gewicht ist den bekannten Monografien des Kolonialrechts beizumessen, so von H. Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht (1911), Karl von Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (1901), Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert. Des Weiteren sind insbesondere die meinungsheterogenen Werke von Rudolf Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten – Eine Studie über die Rechtsstellung der Bewohner der deutschen Kolonien auf Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit (1913), sowie von Ewald Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, in: Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten, Band XXXI, Jahrgang 1913 (1914) unersetzlich. 67 Vgl. die Veröffentlichungen Sarr/Savoy, Zurückgeben; Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. 68 Unersetzlich sind die historischen Werke von Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien sowie von Klaus Jürgen Bade, Imperialismus und Kolonialmission – Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium (1982). 69 Erneut hervorzuheben ist Schaper, Koloniale Verhandlung, welcher eine verdienstvolle interdisziplinäre Bearbeitung gelang.

Gang der Untersuchung

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die Diskussion um die deutschen Kolonien gewiss als fortgeschritten verstanden werden darf, ist die Diskussion um das deutsche Kolonialrecht aus dem Blickwinkel der Rechtshistoriker*innen noch nicht zufriedenstellend behandelt. Über hundert Jahre später findet Preuss’ Wortwahl somit noch heute Anwendung, wenn er bezüglich des deutschen Kolonialrechts verkündet: es wäre »noch sehr viel, wenn nicht alles«70 zu tun übrig.

IV.

Gang der Untersuchung

Anspruch der Bearbeitung ist es, durch rechtshistorische Quellenauswertung einen Überblick über das Kolonialrecht zu schaffen und mittels der Untersuchung des rechtlichen Rahmens der deutschen Kolonialisierungsgeschichte die Auswirkungen des Rechts auf die Provenienzforschung feststellen zu können, um abschließend Kategorien rechtlicher Legitimität für den konkreten Einzelfall einer historischen Provenienzprüfung zu erarbeiten. Konkret soll sich die rechtshistorische Untersuchung des Kolonialrechts auf den Bereich der zivilrechtlichen Kontrahierung zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden richten. Exemplarisch für das gesamte Kolonialrecht soll hierfür ein Schwerpunkt auf den rechtlichen Regelungen bezüglich der Kolonie Kamerun liegen. So können Parameter für Erwerbsvorgänge in »konsolidierten Phasen«71 der kolonialen Okkupation afrikanischer Gebiete, in welchen Individuen verschiedener Bevölkerungsgruppen untereinander mit Objekten handelten und über diese verfügten, aufgestellt werden. Keinen Untersuchungsschwerpunkt sollen solche Fälle darstellen, bei denen eine zivilrechtliche Einigung nicht den Schwerpunkt des Erwerbsprozesses bildete. Derartige Fälle würden vorliegen, wenn ein Sachverhalt einer klaren Zuweisung zu Bereichen des öffentlichen Rechts unterläge.72 Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ein Objekt in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen geplündert oder von anderweitiger deutscher Staatsgewalt in Besitz gebracht worden wäre.73 70 Max Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 (1906). S. 381–400, 399. 71 Vgl. etwa Josef Sassen, Deutsche Kolonialgesetzgebung. Text-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, 2. Auflage 1913, S. XII, nach welchem die moderne Entwicklung des Kolonialrechts erst nach 1901 einsetzte. 72 Vgl. Judith Hackmack/Wolfgang Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 385–410, 385ff., S. 405, welche sich schwerpunktmäßig mit einer völkerrechtlichen Herangehensweise beschäftigen, insbesondere jedoch dem staatsfernen Umgang mit Kulturgütern eine wichtige Rolle zugestehen. 73 Für weitere völkerrechtliche Untersuchungen siehe Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 1ff.

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Einleitung

Unter dieser Prämisse muss sich die Bearbeitung zunächst dem recht spärlich untersuchten74 und weit gefassten Kolonialrecht annähern. Dies erfordert die Auseinandersetzung mit der historischen Untersuchung tatsächlicher Gegebenheiten der damaligen Zeit,75 damit aus dem faktischen Verständnis historischer Gegebenheiten ein Kontext für heterogene Meinungen im kolonialpolitischen Diskurs hergestellt werden kann. Denn nur durch eine exakte Bezugnahme zum historischen Kontext können Normen des Kolonialrechts adäquat interpretiert werden. Des Weiteren gilt es, auch die rechtshistorischen Quellen der kolonialen Jurisprudenz in Ihrer Heterogenität darzustellen, damit aus Meinungsstreitigkeiten eine Essenz rechtlicher Probleme der Kolonialzeit abgeleitet werden kann und somit eine exaktere Darstellung der Rechtsbeziehungen in den deutschen Kolonien ermöglicht wird. Die Ausarbeitung der Parameter der Rechtsbeziehungen können dann in einem weiteren Bearbeitungsschritt hinsichtlich ihrer juristischen Bedeutung in einer exemplarischen Provenienzprüfung genauer spezifiziert werden. Letztendlich könnten auf der Grundlage der konkreten Anwendung wiederum abstrakt anzuwendende rechtliche Kategorien für die Provenienzforschung aufgestellt werden. Durch die vorangestellten Ergebnisse könnten Historiker auf die rechtliche Kontextualisierung des Erwerbsvorgangs – daher juristische Provenienzforschung – zurückgreifen. Maßgeblich für die vorgenommene Untersuchung ist ein exaktes Verständnis der deutschen Kolonialgeschichte (1. Kapitel). Denn nur vor dem historischen Hintergrund, dass Deutschland im europäischen Vergleich erst spät zur Kolonialnation avancierte,76 lassen sich rechtliche Bezüge besser einordnen. So wird insbesondere ein Zusammenhang zwischen der späten Anerkenntnis deutscher Staatsgewalt zu den Kolonien und zu den Problempunkten der Untersuchung des zum kolonialrechtlichen Rahmen gehörenden Staats- und Völkerrecht festzustellen sein. Des Weiteren müssen ökonomische Einflussgrößen der damaligen Zeit verstanden und in Bezug zur Ratio der kolonialen Verordnungen gesetzt werden, da das gesellschaftliche Leben in den Kolonien eng mit der wirtschaftspolitischen Entwicklung Deutschlands zusammenhing. Derartige Zusammenhänge festzustellen ist entscheidend, damit eine rechtshistorische Interpretation des Kolonialrechts gelingen kann. Ferner ist für das Verständnis 74 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 24, nach welcher ein Großteil der Forschung zum deutschen Kolonialrecht in fachübergreifender Hinsicht Versäumnissen unterliege; Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 201, sieht das Kolonialrecht größtenteils von Historiker*innen untersucht; Schack, Kunst und Recht, S. 242ff., behandelt als einer der führenden Kunstrechtler Provenienz und Restitution nicht im kolonialen Kontext. 75 Vgl. die Tagebücher von Buchner, Aurora colonialis, und Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, sowie die Berichte von Bohner, Ae Ntonga!. 76 Vgl. Paul Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, in: Archiv für öffentliches Recht, Band XIX (1905), S. 32–86, 32.

Gang der Untersuchung

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der Provenienz afrikanischer Gegenstände eine Offenlegung der damaligen Machtverhältnisse von zentraler Bedeutung. Denn wie festzustellen sein wird, ist insbesondere der Beginn der deutschen Kolonialgeschichte geprägt von einer ausufernden Gewalt der Kolonisierenden gegenüber den Kolonisierten. Erst in späteren Phasen der deutschen Kolonialgeschichte wurde versucht, diese einzuschränken. Sodann ist der Fokus der Untersuchung auf das Kolonialrecht zu richten (2. Kapitel). Um den Rechtsbereich des Kolonialrechts erfassen und später spezifische Vorgänge des kolonialen Personenrechts verstehen zu können, gilt es, zunächst das rechtliche Fundament des Kolonialrechts zu untersuchen. Eine definitive Prägung für das Kolonialrecht stellte die Staatsphilosophie der damaligen Zeit dar, sodass zu untersuchen sein wird, inwieweit eine solche zentralistisch geprägt war, und ob eine deutsche Einstufung anderer Nationen mit Pejorativen wie »unzivilisiert«77 im Zusammenhang zur legitimatorischen Rhetorik der Kolonialzeit stand. Gleichwohl führten die Entwicklungen der Kolonialisierung zu einem großen Streit über das deutsche Staatsrecht. So wird die Einordnung der Kolonien in das Staatenrecht auch zu einer Weichenstellung für das Kolonialrecht avancieren. Der daraus resultierende Streit um rechtliche Kompetenzen wird sich auch in der Untersuchung der Verwaltung und Gerichtsbarkeit der Kolonien auswirken und Fragen aufwerfen, welche es zu beantworten gilt. An dieser Stelle muss ein spezifisches Verständnis für die »Infrastruktur des Kolonialrechts« – die Struktur von Verwaltung und Gerichtsbarkeit dargelegt werden – damit Unterschiede zwischen faktischen und formalen Gegebenheiten dargestellt werden können. Auf Grundlage des Erarbeiteten wird sich eine für die damalige Zeit interessante Situation, nämlich das Koexistieren verschiedener Rechtsordnungen in einem geographisch abgegrenzten Raum, feststellen lassen. Es gilt, deren besondere Auswirkungen auf das Kolonialrecht zu untersuchen. Ferner soll nach dem allgemeinen Kolonialrecht der Hauptuntersuchungsbereich der Arbeit auf den Rechtsbeziehungen für und zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden in den Schutzgebieten liegen (3. Kapitel). Es soll beleuchtet 77 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 176, unterteilt in »Angehörige zivilisierter Nationen« und »Eingeborene«, ferner gehören »Eingeborene« zu den unzivilisierten Stämmen, S. 178; Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 15: »Ortschaften in denen noch das Recht der Wildnis gilt«; Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich – Erster Band: Ostafrika und Kamerun (1909), S. 516: Europäer würden sich auf einer »höheren Kulturstufe« befinden; vgl. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage (1929), Fünfter Neudruck der Auflage von 1914, S. 407, nach welchem die Bevölkerung der Schutzgebiete nicht die subjektive Qualität des »Reichsvolkes« teilen würden; vgl. Paul Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, 7. Auflage (1919), bearbeiteter Neudruck der 7. Auflage (1969), S. 201; vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 64, nach welchem »Eingeborene« nicht Teil »päisch-civilisirter« Staaten sind.

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Einleitung

werden, inwiefern die deutsche Kolonialmacht das Rechtsverständnis in den Kolonien prägte. Sodann wird festzustellen sein, wie sich eine angestrebte Rechtstrennung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf das Kolonialrecht auswirkte. Um ein übersichtliches Verständnis der historischen Rechtsbeziehungen zu ermöglichen, wird derjenige Aufbau gewählt, der auch bei der Kolonialjurisprudenz der damaligen Zeit vorzufinden war:78 Mit der Untersuchung wird in das Recht der Kolonisierenden (»Weißenrecht«) und in das Recht der indigenen Bevölkerung (»Eingeborenenrecht«) eingeführt. Die Untersuchung soll zeigen, dass eine versuchte Dichotomie der verschiedenen Rechtskreise eine Utopie darstellte. Denn als maßgebliche ökonomische Triebfeder des kolonialen Zusammenlebens entstand der wichtige Bereich der rechtlichen Interaktion zwischen den Kolonisierenden und den Kolonisierten – das »Gemischtenrecht«. Dem Gemischtenrecht soll sich methodisch über eine intertemporale Interpretation von Fallbeispielen angenähert werden. Zuletzt können somit erste Konsequenzen des Gemischtenrechts für die Provenienzforschung aufgestellt werden. In einem nächsten Schritt wären die kolonialrechtlichen Ergebnisse in Bezug zu einer konkreten Untersuchung der Provenienz eines Objektes zu setzen (4. Kapitel). Dafür wird der Weg des Objekts bis zu seinem Verbleib im Museum untersucht. In Zusammenarbeit mit dem interkontinentalen PAESE-Projekt und dem Weltkulturen Museum Frankfurt wurde dafür eine Federkrone aus Kamerun ausgewählt. Zunächst soll die Besonderheit ausgewählter Objekte im Bezug zur Kunsthistorie dargestellt werden. Als Folgeschritt wird festzustellen sein, dass die Provenienzforschung bezüglich der Federkrone eine Verflechtung der deutschen Geschichte mit der Geschichte Kameruns aufzeigt.79 Von diesem Ausgangspunkt aus wird der Hintergrund der beiden Hauptakteure der Provenienz der Federkrone zu untersuchen sein: zum einen Theodor Christaller, dem »ersten deutschen Reichsschullehrers« und zum anderen Manga Ndumbe Bell, dem »King Bell« in Kamerun. Für diese Akteure lassen sich Schlussfolgerungen aus dem Gemischtenrecht anwenden und eine Legitimität aus der juristischen Provenienzforschung gewinnen. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung aufgeführt (5. Kapitel). Erkenntnisse werden für die Provenienzforschung als abstraktes Prüfungsschema dargestellt, da sie rechtlich und tatsächlich von großer Relevanz sein können. Zuletzt wird in einer Schlussbemerkung der rechtshistorische Bereich des Kolonialrechts resümiert und es werden Perspektiven für die Restitutionsdebatte aufgezeigt. 78 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht; vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten. 79 Vgl. etwa Sandkühler/Epple/Zimmerer, Restitution und Geschichtskultur im (post-)kolonialen Kontext, S. 18f., zur Verflechtung verschiedener Geschichtskulturen im Zuge der Restitutionsdebatte.

Quellenproblematik zur Geschichte Afrikas

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Die gesamte Bearbeitung soll unter der Methodik einer postkolonial reflektierten rechtshistorischen Arbeitsweise erfolgen.80 Dafür sind zwei Bearbeitungsschritte erforderlich. Erstens gilt es, historisches Recht kritisch zu reflektieren. Dafür müssen zum einen faktische Fehlvorstellungen des Rechtsanwendenden der historischen Zeit korrigiert werden und zum anderen muss historisches Recht in seiner Heterogenität dargestellt werden.81 Zweitens gilt es offene Fragestellungen bezüglich des Kolonialrechts mit einem heutigen Verständnis von Recht und Werten zu interpretieren. Daraus soll keine bloße Ersetzung der rechtshistorischen Maßstäbe mit modernen Vorstellungen erfolgen. Vielmehr geht es darum Fragestellungen und Widersprüche des Kolonialrechts mit einem gegenwärtigen Verständnis des Rechts in Zusammenhang zu setzen.82

V.

Quellenproblematik zur Geschichte Afrikas

Wenn sich in eine rechtshistorische Bearbeitung mit der Thematik der Kolonialisierung Afrikas befasst, so erwartet die Wissenschaft eine besondere Herausforderung bei der Sichtung der Quellen. Das liegt an einer besonderen Asymmetrie des Quellenkorpus in Bezug auf die Geschichte Afrikas: Denn mehr als 99 Prozent der heute überlieferten schriftlichen Quellen aus den Jahren vor 1900 stammen von Europäern.83 Afrikanische Quellen haben nur äußerst selten den Weg in die heutige Zeit gefunden und wenn, dann größtenteils, falls sie auf Arabisch oder in einer europäischen Sprache verfasst worden sind.84 Dabei gibt es durchaus Berichte der Kolonialjurisprudenz über afrikanische Kodifikationen,85 für welche sich jedoch die Primärquellen nicht mehr auffinden lassen. Des 80 So auch vorgeschlagen von Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 4ff. Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 213, nach dem der rechthistorische Kontext aus einer »postkolonialen Perspektive« gewürdigt werden müsste. 81 Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 4. 82 Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 6. 83 Adam Jones, Zur Quellenproblematik der Geschichte Westafrikas 1450–1900 (1990), S. 30. 84 Vgl. Jones, Quellenproblematik, S. 30; dazu näher Patrice Nganang, Writing under Colonial Rule (2017), S. 73ff., der in seinem Beitrag das fünfhundert Seiten umfassende Buch »Sang’aam« untersucht. Es handelt sich um die Biografie von Sultan Ibrahim Njoya, welcher auch von der deutschen Kolonialherrschaft kurz vor dem ersten Weltkrieg berichtet. 85 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 151, liefert leider nicht den Nachweis mittels Quellen für geschriebenes Recht der afrikanischen Bevölkerungen; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 407, spricht von verschiedenen Kodifikationen der »Eingeborenen«, unter anderem sollten die »VelandyrBastards« und die »Bondelzwarts«, »der alte Maharero« und »der grosse Häuptling der Ovaherero« für Kodifikationen bekannt sein.

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Einleitung

Weiteren wirkt sich auf etwaige Überlieferungen aus, dass die koloniale Verwaltung keineswegs zu gleichen Anteilen durch Afrikaner*innen und Europäer*innen besetzt war. Aus diesem ungleichen Durchdringen der Verwaltung entstand eine ungleichmäßige Aktenproduktion, welche sich heute ebenfalls in der historischen Quellenlandschaft Afrikas niederschlägt.86 Ferner ist anzunehmen – und gewissermaßen dem Prozess der Kolonialisierung inhärent –, dass die kolonialisierte afrikanische Bevölkerung in einer anderen gesellschaftlichen Position zur europäischen-schriftlichen Dokumentation stand als die Kolonisierenden.87 Das daraus in quantitativer Hinsicht resultierende Ungleichgewicht der Quellenlandschaft ist beachtenswert. Aber auch in qualitativer Hinsicht sind historische Quellen bezüglich der afrikanischen Geschichte exakt zu untersuchen. Denn durch die Einseitigkeit der Dokumentation entspricht die in den Quellen abgebildete Heterogenität wohl nicht der wirklichen damaligen Meinungsvielfalt. Vielmehr dürften die Berichte durch die Verfassenden mittels einer eurozentrischen Ideologie und einer zentralistischen Wertevorstellung stark verzerrt worden sein.88 Ferner ist bei kolonialen Gerichtsakten oftmals eine strategische Schilderung des Gerichtsverfahrens zu vermuten.89 So wurde häufig an entscheidender Stelle auf eine mündliche Erledigung verwiesen. Auch werden Aussagen afrikanischer Prozessbeteiligter nur rudimentär übersetzt, dafür hingegen deutsche Akten, Tagebücher und Berichte hinsichtlich ihrer antizipierten Erwartung beschönigt.90 Letztendlich hatte die Kolonialverwaltung in Deutschland kaum eine Möglichkeit, die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort nachzuvollziehen.91 Bei den zu untersuchenden Quellen handelt es sich folglich mitunter um einseitige Überlieferungen.92 Dies erfordert eine besondere Vorsicht bei der Quellenarbeit. So müssen die jeweiligen Quellen exakt von Fall zu Fall darauf geprüft werden, ob sie mit einer eurozentrischen und daher aus heutiger Per-

86 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 32. 87 Missionar Christaller lässt für Ndumbe Bell einen Stempel anfertigen, damit dieser »in Würde« und erstmalig unterschreiben kann, vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 45f.; vgl. Margitta Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse in den »Schutzgebieten« des Deutschen Reiches (1996), S. 144f. 88 Vgl. Jones, Quellenproblematik, S. 32. 89 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 31, welche einen selektierten Nachrichtenfluss vermutet. 90 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72, berichtet von Schwierigkeiten bei der Übersetzung. 91 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 31. 92 Ulrike Hamann, Prekäre Koloniale Ordnung – Rassistische Konjunkturen im Widerspruch. Deutsches Kolonialregime 1884–1914 (2016), S. 57, beschreibt die Archive und Quellen als »Archive der Macht«. Sie legt (zutreffend) dar, dass die Kolonialbeamten selbst in Ihrer Dokumentation einer ambivalenten Kategorisierung und starken Emotionalisierung unterlagen.

Koloniale Sprache und die Gefahr des »scientific colonialism«

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spektive oftmals fragwürdigen Sichtweise verfasst worden sind.93 Im Umkehrschluss folgt aus diesem Umstand jedoch, dass meinungsheterogene Quellen besonders gewichtig bewertet werden müssen. Denn, wenn es solchen Schriften gelang, sich entgegen den vielen erschwerten Bedingungen eine »diametrale Positionierung zum historischen Mainstream« einzunehmen, so ist ihnen ggf. eine ganz besondere Relevanz und Qualität zu unterstellen. Zu vermuten ist, dass hinter solchen meinungsheterogenen Quellen eine größere Zahl an Befürwortern stand, als der erste (quantitative) Blick auf die Quellenlandschaft erwarten lässt.94

VI.

Koloniale Sprache und die Gefahr des »scientific colonialism«

Gewiss ist es bis heute ein »weißes Privileg« rassistische Sprache in einer wissenschaftlichen Abhandlung aus der bequemen Position der Außenperspektive zu analysieren.95 Im Bewusstsein um dieses Privileg soll hier lediglich ein zurückhaltender Gedankenanstoß in Hinsicht auf die Problematik Rassismus und Afrikaterminologie erfolgen, damit die in der nachfolgenden Untersuchung verwendeten Begriffe besser eingeordnet werden können.96 Es ist offensichtlich, dass Menschen über Benennungen und Zuschreibungen eine Macht der Aufwertung oder der Diskriminierung innehaben, selbst wenn den Menschen dieser Prozess bei Verwendung der Sprache nicht bewusst ist.97 Zwar mag sich im Allgemeinen ein steigendes Bewusstsein bezüglich der Sprache feststellen lassen,98 jedoch ist es wichtig, mahnend festzuhalten, dass Diskriminierung sowie Rassismus kontinuierlich durch Sprache hergestellt und konserviert werden. Doch auch bei einem stetig größer werdenden Sprachbewusstsein ist es bei einer wissenschaftlichen Untersuchung, welche in Bezug zur Kolonialzeit steht, wichtig, die rassistisch wirkende Bedeutungsgeschichte hinter Begriffen wie 93 Dazu näher Jones, Quellenproblematik, S. 32. 94 Unter anderem für Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten und Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts; dagegen werden historische Quellen ohne diese Attribute – wie Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, sowie Otto Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik (1908) – bereits von Zeitgenossen harsch kritisiert. Zur Kritik vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 95 Susan Arndt/Antje Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache – ein kritisches Nachschlagewerk, 3. Auflage 2009, S. 8. 96 Dazu näher Arndt/Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache, S. 1ff. 97 Vgl. Arndt/Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache, S. 7. 98 Vgl. dazu die aktuellen Diskussionen um die Gender-Debatte, unter: https://www.deutsch landfunk.de/linguistik-und-gender-debatte-kann-sprache-wirklichkeit-100.html (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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Einleitung

»Mischling«, »Schwarzer Kontinent« oder noch stärker geprägten Begriffen wie »Eingeborene« sichtbar und wahrnehmbar zu machen.99 Der Argumentation, dass solche Begriffe im historischen Gebrauch nicht rassistisch gemeint wären, ist deutlich entgegenzuhalten, dass derartige Formulierungen durch die Hegemonie in der deutschen Kolonialgeschichte100 schon zur historischen Zeit eine Zementierung der westlichen Vorstellung einer – vermeintlichen – biologischen Überlegenheit transportierten.101 Gleichwohl soll auf Grundlage des Gesagten kein kategorisches »Canceln«102 problematischer Begriffe erfolgen. Bei der Darstellung der Untersuchung sind sprachliche Probleme immanent, wenn es um eine genaue Wiedergabe von Quellen und Forschungsergebnissen geht. Aber gerade weil historische Rechtsbegriffe gesellschaftliche Vorstellungen der damaligen Zeit transportieren, könnte kein adäquates Verständnis vom Kolonialrecht vermittelt werden, wenn eindeutig konnotierte Begriffe wie »Weißenrecht« und »Eingeborenenrecht« nicht wiedergegeben und durch nichtrassistische Begriffe ersetzt würden.103 Aus diesem Grund werden an Stellen, bei welchen es wegen der historischen Widerspiegelung einer kolonialen Rechtswirklichkeit unabdingbar ist, die konkreten historischen Begriffe verwendet. Ansonsten wird auf sie verzichtet. Ferner ist bei der Afrikaforschung auch die Gefahr von »scientific colonialism«104 ins Bewusstsein zu rufen, da Machtverhältnisse der Kolonialzeit durch eine eurozentrische Forschung reproduziert werden könnten. Um eine multilaterale Forschung zu gewährleisten, entstanden viele Diskurse in Bezug auf diese Bearbeitung im Austausch mit afrikanischen Wissenschaftler*innen, für welche die Mitarbeit im PAESE-Projekt den nötigen Rahmen schuf.105 Allerdings sei darauf hingewiesen, dass in verschiedensten Wissenschaften in Hinsicht auf die Afrikaforschung eine eurozentrische Prägung auch bei aufgeklärten Wissenschaftler*innen vorliegen kann – diese gilt es zu erkennen und so dann nicht zu reproduzieren. Gewiss kann sich auch diese Bearbeitung einer solchen Prägung nicht vollends entziehen. 99 Arndt/Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache, S. 7. 100 Vgl. Thomas Thiemeyer, Deutschland postkolonial – Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 262, »Kolonialgeschichte ist immer eine Geschichte von ungleicher Macht und Repression.« 101 Arndt/Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache, S. 25, stellen diesen Umstand gelungen dar und schlagen dazu auf S. 33 eine Aufzählung von problematischen Begriffen vor. 102 Vgl. etwa zur »Cancel Culture«, unter: https://www.ndr.de/kultur/kulturdebatte/Cancel-Cul ture-Was-ist-das-eigentlich,cancelculture108.html (abgerufen am: 1. 4. 2022). 103 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 36. 104 Sadew Hira, Scientific Colonialism: The Eurocentric Approach to Colonialism, in: Araújo/ Maeso (Hg.), Eurocentrism, Racism and Knowledge (2015), S. 136–156, 136ff. 105 Insbesondere seien hier die Wissenschaftler*innen des PAESE-Projekts Paule-Clisthène Dassi und Prof. Albert Guaffo aus Kamerun genannt.

1. Kapitel: Historischer Abriss

Nur vor dem historischen Hintergrund der Kolonialzeit lassen sich rechtliche Bezüge des Kolonialrechts adäquat einordnen. Im Folgenden werden die historischen Ereignisse der deutschen Kolonialgeschichte dargestellt.

I.

Die Keimzelle der kolonialen Agitation

Als die Idee für deutsche Kolonien in der gebildeten bürgerlichen Oberschicht zu keimen begann, herrschte in Deutschland eine Stimmung des Um- und Aufbruchs.106 In den 1840er-Jahren waren erstmals ernstzunehmende Tendenzen für eine Expansion in den Nahen Osten zu spüren. Nur durch Kolonien könne eine weltpolitisch bedeutsame Stellung Deutschland gewährleistet und industrialisierungsbedingte Probleme, wie Massenarbeitslosigkeit und Bevölkerungsüberschuss, gelöst werden. Dieser Ansicht waren große Teile der bürgerlichliberalen Oberschicht. Es entwickelte sich eine kollektive Welle kolonialer Begeisterung. Die Idee eines deutschen Anspruches auf Seegeltung und die Notwendigkeit großer deutscher Kolonien wurde durch allgemeine Handelsinteressen sowie die Furcht, die eigene Nation komme bei der Aufteilung der Welt zu kurz, bekräftigt.107

106 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 27, nach welchem die Veränderungen der industriellen Revolution zu einem Umbruchsprozess führte. Als direkte Folge daraus ergaben sich »Antinomien von Rationalismus und starken irrationalen Elementen, die die geistige Kultur der Zeit beherrschten.« 107 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 19; vgl. Winfried Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte (2006), S. 16ff.; Max Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. V: »Die Kolonialpolitik ist eine harte Notwendigkeit, nicht etwa ein Vergnügen, sie ist kein Spielzeug für Enthusiasten, sondern einzig ein Gegenstand ruhiger, kalter, hartherziger Überlegung.«

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Historischer Abriss

Die Industrialisierung sorgte für eine rapide Weiterentwicklung von Technik und Handel. Zu dieser Zeit war einer der namhaftesten Verfechter der deutschen Auswanderung der Nationalökonom und Publizist Friedrich List, der eine Vision von einem Deutschland propagierte, das nicht nur als bedeutsamer mitteleuropäischer Staat, sondern vielmehr als überseeische Weltmacht agieren sollte. Durch Tropenkolonien sollten zum einen neue Rohstoffe und Absatzmärkte erschlossen und zum anderen eine Lösung für den Bevölkerungs- und Kapitalüberschuss gefunden werden.108 Zunächst wurde jedoch der keimenden kolonialen Euphorie die nötige Kraft durch das Scheitern der Märzrevolution entzogen. Angestoßen von der Februarrevolution 1848 in Frankreich, bäumte sich die Unabhängigkeitsbewegung in vielen Orten Deutschlands gegen die Mächte der Restauration auf. Ein Teil der Revolutionäre war kongruent mit eben jenem bürgerlich-liberalen Flügel, welcher auch das Fundament der Befürworter der kolonialen Expansion bildete.109 Infolge des Scheiterns der Märzrevolution – Friedrich Wilhelm IV. nahm die von der Paulskirchenversammlung angebotene Kaiserkrone nicht an, und die Kräfte der Restauration gewannen letztendlich die Oberhand – wurden großen Teile der Koloniebefürworter durch Konservative und Adel übervorteilt. Zunächst konnten die Pläne der deutschen Kolonialagitation daher nicht in die Tat umgesetzt werden.110 Auch bis zur Reichsgründung des kleindeutschen Kaiserreichs (1871) versuchte der konservative Flügel, den Liberalismus weiterhin in Schach zu halten, doch der seit den 1830er-Jahren begonnene Prozess der Industrialisierung führte zu immer spürbarer werdenden Veränderungen, die den innenpolitischen Druck in Deutschland enorm erhöhten. Dadurch angestoßen ließ sich der schon einmal geweckte Kolonialgeist nicht mehr viel länger unterdrücken.111

108 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 22; vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 17, nach welchem sich Friedrich List insbesondere Anfang der 1840er-Jahre für eine Siedlungs- und Handelsexpansion stark machte. 109 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 22ff. 110 Vgl. Ernst Gerhard Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten – Gedanken und Gestalten aus den letzten fünfzig Jahren (1938), S. 13, nach welchem die kolonialpolitischen Ideen bereits die Paulskirchenversammlung durchdrangen. 111 Vgl. Bade, Imperialismus und Kolonialmission – Kaiserliches Deutschland und koloniales Imperium (1982), S. 2.

Die Kolonialbewegung in Deutschland

II.

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Die Kolonialbewegung in Deutschland

Im europäischen Vergleich sollte Deutschland erst spät dem Kreis der Kolonialmächte angehören.112 Daran änderte 1871 auch die Reichsgründung wenig. Wie dargestellt lässt sich dies zum Teil mit dem seit dem Scheitern der Märzrevolution geringbleibenden politischen Einfluss der bürgerlich-liberalen Oberschicht erklären. Allerdings lässt sich ein weiteres Hemmnis möglicherweise in der anfänglichen Einstellung Otto von Bismarcks gegenüber der Kolonialagitation ausfindig machen. Wie konnte sich also Ende der 1870er-Jahre die Einstellung Deutschlands bezüglich der Kolonien von »zaghafter Zurückhaltung« hin zu einem »Kolonialrausch der Nation«113 entwickeln? Zunächst war einer der Hauptgründe dafür die wirtschaftspolitische Entwicklung. Durch die industrielle Revolution verbesserte sich die Lebensqualität für die Bevölkerung dergestalt, dass es zu einem Auseinanderdriften von Geburten- und Sterbekurve kam. So brachte die industrielle Revolution, bedingt durch die agrarisch-frühindustrielle Lebensweise eine hohe und stark schwankende Sterbe- sowie Geburtenkurve. Als diese zunehmend von der industriellen Lebensweise abgelöst wurde sank die Sterblichkeitsrate, was eine regelrechte Bevölkerungsexplosion auslöste.114 Gleichzeitig war jedoch »der alte malthusianische Alptraum vom tendenziellen Anwachsen der Bevölkerung in geometrischer Progression und der nur in arithmetischer Progression sich ausweitenden Ernährungsbasis«115 unter den Bürgern allgegenwärtig. Deutschland entwickelte sich von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat auf agrarischer Basis. Während die Landwirtschaft dadurch schwächer wurde, ging mit der ansteigenden Bevölkerungszahl ein stetig größer werdender Bedarf an Nahrungsmitteln einher.116 Die Vertreter der Kolonialexpansion versprachen der Bevölkerung eine Lösung für das schier unlösbare Problem des malthusianischen Alptraums.117 Acker- sowie Siedlungsbau im Nahen Osten sollten eine Alternative für den Überfluss an Menschen darstellen, denn so würde sich die 112 So auch Voigt, Kolonialisierung des Rechts, S. 15–39, 19. 113 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 54f.; Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 3: »Kolonialrausch«. 114 Klaus Jürgen Bade, Die deutsche Kolonialexpansion in Afrika: Ausgangssituation und Ergebnis, in: Fürnrohr (Hg.), Afrika im Geschichtsunterricht europäischer Länder (1982), S. 13–47, 13. 115 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 28; Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 1ff., welcher die »beträchtliche Zunahme der Bevölkerung« aus der historischen Perspektive darlegt. 116 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 30, bezieht sich auf Bade, Imperialismus und Kolonialmission. 117 Vgl. etwa Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 1ff. Dies wird auch ausgeführt von Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. Vf.

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Historischer Abriss

größer werdende Population besser verteilen und für diese mehr Nahrung zu Verfügung stehen. Gewiss verstand sich die Kolonialagitation geschickt darauf, die Ängste der Bevölkerung in propagandistischer Art und Weise zu nutzen: So gelang es der merkantilistisch-imperialistischen Wirtschaft, die oben genannten Befürchtungen der Bevölkerung als Vorwand für Propaganda gebrauchen, um ihre wirtschaftlichen Ziele in Afrika in die Tat umsetzen zu können.118 Neben der eigenen Emanzipationsbewegung des Bildungsbürgertums entwickelte die allmählich wirtschaftlich besser gestellte Arbeiterklasse zunehmendes Interesse an der politischen Teilhabe. Die Arbeiterschicht war zu diesem Zeitpunkt zwar politisch schlecht integriert, meldete aber immer selbstbewusster Anspruch auf politische Mitbestimmung an. Die Zurückdrängung des Proletariats gelang kaum, denn sowohl das Sozialistengesetz als auch die Sozialgesetzgebung erwiesen sich als faktisch unwirksam.119 Auch für die Bedrohung des Bildungsbürgertums durch die Arbeiterklasse sollten deutsche Kolonien eine Lösung bereithalten. Die »soziale Frage« wurde teilweise als die Hauptfrage des späten 19. Jahrhunderts ausgemacht.120 So waren es unter anderem Friedrich Fabri als Berater Bismarcks121 und der SPD-Politiker Wilhelm Liebknecht,122 die die Lösung der »sozialen Frage« mittels Kolonialexpansion lebhaft diskutierten. Ferner wurde der Traum der Kolonialagitation mit nationalpolitischem Gedankengut weiter befeuert. Das junge deutsche Kaiserreich sollte von einem Staat von europäischer Bedeutung zu einer Nation mit Weltgeltung heranwachsen. Die Teilhabe am Kolonialismus wurde als letzte Chance eines sozialdarwinistischen Denkens, dem »survival of the fittest«, propagiert, damit Deutschland bei »der Aufteilung der Welt« nicht zu kurz komme. Mithin war Sozialdarwinismus vor 118 Vgl. für eine schwarzmalerische Kolonialpropaganda Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. V: »Wenigen gelingt es, sich zu überzeugen, daß auch draußen weit über dem Meere das Paradies nicht zu finden ist, und diese wenigen kommen schließlich zu jener geduldigen, ruhigen Resignation, daß unser Planet überhaupt viel zu wünschen läßt, von wo aus man ihn auch betrachten möge. Ich gehe noch weiter und behaupte: Europa ist der schönste und beste Teil unserer Erde. Aber leider können wir nicht alle in diesem bevorzugten Erdteile bleiben, denn er ist uns zu eng geworden. Wir müssen hinaus, auch die weniger guten Länder zur Fristung des Lebens auszunutzen.« 119 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 31f.; Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 2. 120 Vgl. Francesca Schinzinger, Die Kolonien und das Deutsche Reich – Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Besitzungen in Übersee (1984), S. 17, nach welcher die Diskussionen um die deutschen Kolonien auch im Wahlkampf eine evidente Rolle spielten. 121 Vgl. Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 2, 104, nach welchem sich Fabri zu einem der wichtigsten »Exponenten« der deutschen Kolonialagitation entwickelte. Fabris Aktivitäten gipfelten in seinem 1879 vorgelegten propagandistischen Werk »Bedarf Deutschland der Kolonien?«; Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 17, schließt sich Bade an und bezeichnet Fabri als einen der wichtigen Kolonialagitatoren. 122 Dazu näher Wilhelm Liebknecht, Kolonialpolitik als Sozialreform, abgedruckt bei Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 32f.

Der »Eiserne Kanzler« und die Kolonien

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allem auch Rechtfertigungsideologie für ein rassisches Überlegenheitsgefühl, nämlich die Legitimierung der bevorzugten Stellung des eigenen Volkes.123 Im Ergebnis staute sich Ende der 1870er-Jahre ein Konglomerat aus wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und nationalpolitischen Gründen für die koloniale Expansion an. Doch auch dieses aus verschiedenen Faktoren bestehende starke Moment sollte zunächst vom »Eisernen Kanzler« gebremst werden.

III.

Der »Eiserne Kanzler« und die Kolonien

Neben dem Scheitern der Märzrevolution gab es noch einen zweiten Faktor für die, in Relation zu anderen europäischen Staaten, verhältnismäßig späten Kolonialerfolge Deutschlands. Dieser lag in der Person des »Eisernen Kanzlers« Otto von Bismarck. Der Reichskanzler des jungen, vereinten Kaiserreichs war zunächst entschiedener Gegner jeglicher Kolonialagitation.124 Berühmt sind viele seiner Zitate zur deutschen Kolonialpolitik: Aussagen wie »Kolonialgeschäfte sind für Deutschland genauso wie der seidene Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die keine Hemden haben.«125 zeigten seine Aversion gegen die Kolonialagitatoren. Anfangs ging Bismarck davon aus, dass sich Deutschland keine Kolonien erlauben könne, da weder der Reichsschatz noch die Flotte dafür ausreichend ausgestattet seien. Noch 1883 erklärte er ausdrücklich, dass es für Deutschland keine Kolonien geben werde, solange er Reichskanzler sei.126 Doch die »Außenpolitische Schönwetterlage« und die innenpolitische Kolonialbegeisterung veranlassten Bismarck, schlussendlich zu einer Richtungskorrektur.127 Gewiss kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein grundlegender Kurswechsel Bismarcks stattgefunden hätte.128 Denn die 1884 im Reichstag vorgetragene Strategie pragmatischer Kolonialpolitik sah eine locker gefasste Ko123 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 35, Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte (2019), S. 11. 124 Arthur Knoll/Hermann Hiery, The German Colonial Experience – Select Documents on German Rule in Africa, China, and the Pacific 1884–1914 (2010), S. 2: vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 24. 125 Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 25. 126 Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 22; Vgl. Knoll/Hiery, The German Colonial Experience, S. 1, nach welchen sich das junge deutsche Kaiserreich zu diesem Zeitpunkt keine Konflikte mit Großbritannien erlauben konnte; Vgl. Alan J. P. Taylor, Germany’s First Bid for Colonies 1884–1885: A Move in Bismark’s European Policy (1970), S. 17: »Bismarck’s policy from 1871 to 1890 had one object only – to keep Europe quiet.« 127 Vgl. Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 23ff.; Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 60. 128 Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 3, nach welchem Bismarck keineswegs vom »vom Saulus der Freihandelsexpansion zum Paulus der staatlichen Kolonialpolitik« avancierte.

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Historischer Abriss

lonialpolitik vor, nach welcher lediglich der Freihandel in Afrika geschützt werden sollte.129 In einer Rede vor dem Reichstag betonte Bismarck, dass die Verantwortlichkeit für Unternehmungen und die materielle Entwicklung der Kolonien den seefahrenden und handeltreibenden Mitbürgern zukäme.130 Bismarck wollte private Initiativen lediglich staatlich absichern und sprach daher auch nicht von »Kolonien«, sondern von »Schutzgebieten«, welche sich nach dem Vorbild der British East India Company eigenverantwortlich um überseeische Interessen kümmern sollten.131 Gleichwohl hofften einflussreiche Vertreter der Kolonialagitation von Anfang an auf eine enorme Unterstützung Bismarcks. So wurden erste Expeditionspläne, für die aus Sicht der Kolonialvereine ein staatlicher militärischer Beistand unabdingbar war, vor dem »Eisernen Kanzler« geheim gehalten. Daher instruierten die Geheimräte der Kolonialvereine Max Buchner, den Begleiter von Dr. Nachtigall auf der ersten Kamerunexpedition, wie folgt: »Aber was ich vor allem anderen dringend Ihnen ans Herz legen möchte: Hegen Sie niemals einen Gedanken, der sich auf Kolonien zuspitzt. Unser leitender Staatsmann will davon nichts wissen.«132

IV.

Die Schutzgewalt über Kamerun

Die von deutschen Unternehmern vorangetriebenen Kolonialbestrebungen sollten zu den ersten kolonialen Besitzungen Deutschlands führen. Zu Beginn des »deutschen Kolonialzeitalters« sollte der Schwerpunkt der kolonialen Expansion auf Afrika liegen. Viele Jahre war die Walfischbucht, eine von deutschen Walfängern und Guanosammlern genutzte Region, eine der wenigen Expansionsstationen und Außenposten deutscher Wirtschaft auf afrikanischem Boden. Die von Friedrich Fabri geleitete Mission hatte seit 1868 wiederholt erfolglose Schutzgesuche an die britische und preußisch-deutsche Regierung gestellt, da es im Nama- und Hereroland wiederholt zu Unruhen kam.133 Erstmalig reagierte das junge deutsche Kaiserreich auf das Gesuch des Bremer Tabakwarenhändlers Adolf Lüderitz und stellte dessen nördlich vom Oranje-

129 Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 41: Zu Beginn der deutschen Kolonialgeschichte strebte Bismarck ein Schutzbriefsystem nach dem Vorbild der englischen und holländischen »Handelskompagnien« an. 130 Die Strategie pragmatischer Kolonialpolitik – Otto von Bismarcks Rede am 26. Juni 1884 im Reichstag, abgedruckt bei Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 61ff. 131 Dazu näher in 2. Kapitel II. 132 Max Buchner, Aurora colonialis, S. 2. 133 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 85.

Die Schutzgewalt über Kamerun

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Fluss in Südwestafrika gemachten Besitzungen unter deutschen Schutz.134 Das große, aber dünn besiedelte Gebiet eignete sich kaum zum Anbau für Kulturpflanzen, nur mittels Viehzucht konnten deutsche Siedler erfolgreich Gewerbe treiben. Das Interesse an Deutsch-Südwestafrika lässt sich jedoch mit illegalen Waffengeschäften Lüderitz’ entlang der Küste sowie einer erstmaligen Etablierung einer deutschen Herrschaft erklären.135 Im April 1884 übte Deutschland somit erstmalig Schutzherrschaft über ein afrikanisches Gebiet aus.

1.

Die Annexion Kameruns im Jahr 1884

Auch in Kamerun sollte dem Gesuch mächtiger Kaufleute nun bald entsprochen und der Reichschutz institutionalisiert werden. Bereits ab 1870 waren hanseatische Handelshäuser entlang der Ambasbucht und der weiteren kamerunischen Küste in einer führenden und bestimmenden Position. Allen voran das Handelshaus C. Woermann, seit 1880 geführt von Adolph Woermann, besaß allein im Kamerungebiet fünf Faktoreien.136 Diese herausragende Stellung der deutschen Wirtschaft in Westafrika wurde zudem stetig von der deutschen Kolonialpropaganda aufgegriffen und als Argument für eine deutsche Festsetzung in Westafrika angeführt.137 Dabei sollte Kamerun von Anfang an keine Siedlungskolonie werden – zu dieser Zeit galt Westafrika als ungesündeste Region der Erde – trotzdem mahlten sich Kolonialbefürworter das Gebiet als ertragreiche Plantagenkolonie aus.138 Die Kaufleute konnten dank ihrer guten Beziehungen Alliierte für Ihre Interessen im Auswärtigen Amt gewinnen, um Handelsinteressen militärisch absichern zu könnten.139 Denn zum einen wurden die Händler Anfang 1880 durch

134 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 203. 135 Vgl. Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 29. 136 Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 2, beschreibt bezüglich der deutschen Kolonialgeschichte nationalistisch-bewegt die Rolle Woermanns wie folgt: »Undenkbar ist der glanzvolle Aufstieg der deutschen Afrikaschifffahrt ohne die Persönlichkeit Adolph Woermanns, undenkbar ist die Errichtung der afrikanischen Kolonien.« 137 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 89. 138 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 154; Vgl. Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 3, nach welchem A. Woermann Bismarck in Kamerun keine andere Möglichkeit gab, als zu kolonialpolitischen Aktionen zu greifen. 139 Über große Probleme beim Handel, verursacht durch die afrikanische Bevölkerung, berichtet Wenzel. Des Weiteren beschreibt er die Handelsverhältnisse in »von keiner Civilisierten Macht in Besitz genommen« Gebieten. Wenzel lässt sich weiter über die Einmischung der »Häuptlinge« in den deutschen Handel aus und klagt über den geringen Respekt der »Häuptlinge« vor der deutschen Nation. Er wünscht sich ein Eingreifen der Deutschen mit einer »Art Vertragsverhältnis«, damit der Handel nicht weiter gestört würde, vgl. Bundes-

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Historischer Abriss

französische Aktivitäten in Äquatorialafrika, durch englisch-französische Aktivitäten von Dahomey aus und von einem englisch-portugiesischen Zusammenwirken im Gebiet der Kongomündung bedroht. Zum anderen war primäres Interesse der Kaufleute, das Zwischenhandelsmonopol der Duala an der Westküste Kameruns aufzubrechen.140 Die Duala waren die mächtigste Bevölkerungsgruppe an der kamerunischen Küste, die eine Monopolstellung bezüglich des Handels mit dem kamerunischen Inland innehatte.141 Ohne Hilfe des deutschen Staates und der schützenden Hand des Reichskanzlers Otto von Bismarck waren deutsche Wirtschaftsinteressen der hanseatischen Kaufleute an der westafrikanischen Küste durch die Bedrohungen nicht mehr länger gewahrt und durch das Zwischenhandelsmonopol der Duala nicht lukrativ genug. Der von deutschen Kolonialpionieren ausgemalten Gefahr für den Handel in Übersee konnte sich Bismarck nicht mehr länger entziehen. Letztlich kam das Deutsche Reich dem Gesuch der Kaufleute nach und leitete Schritte für die die Absicherung der deutschen Handelsinteressen ein. Gesandt wurde Gustav Nachtigal, ein Generalkonsul des Deutschen Reiches, mit dem Auftrag, die Schutzherrschaft über das Gebiet Kamerun zu ergreifen.142 Durch trickreiche Verhandlungen der deutschen Händler – allen voran der Firma Woermann – wurde die Annexion des Küstenstreifens vorbereitet. Dies erwies sich als heikles Unterfangen, da auch England ein Kriegsschiff zur potenziellen Inbesitznahme entsandt hatte.143 Als das Kriegsschiff »Möwe« mit Dr. Gustav Nachtigal und Dr. Max Buchner an Bord wenige Stunden nach der Sichtung des englischen Kriegsschiffs die Küste erreichte, waren die deutschen Kolonialbestrebungen in Kamerun noch nicht verloren.144 Nachtigal schloss einen Vertrag mit den Anführern der Duala ab, welcher später von den Kolonialagitatoren als Vertrag zur Begründung der Schutzherrschaft verstanden wurde, und hisste die deutsche Flagge in Kamerun.145

140 141 142 143 144 145

archiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4204, Bd. 3, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 65, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/ main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 90f. Für die Rolle der Duala in Kamerun siehe 4. Kapitel II. Bohner, Ae Ntonga!, S. 12f.: »Die Welt kannte Nachtigal als den kühnen Reisenden, der die Sahara durchquert hatte und nach Jahren der Verschollenheit im ägyptischen Sudan wieder ans Licht gekommen war.« Vgl. etwa Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 76, nach dem die deutschen Handelsleute zu dem Zeitpunkt als sie das englische Kriegsschiff sahen glaubten, dass: »Cameroons für immer verloren« sei. Der Kolonialpionier Max Buchner hinterlässt aufschlussreiche Werke wie: Kamerun – Skizzen und Betrachtungen; Aurora colonialis: Bruchstücke eines Tagebuchs aus dem ersten Beginn unserer Kolonialpolitik 1884/85. Bohner, Ae Ntonga, S. 12: »Am 14. Juli 1884 hißte Dr. Gustav Nachtigal in drei Dörfern der heutigen Stadt Duala die Flagge unseres Reiches und begründete damit das deutsche Schutzgebiet Kamerun.«

Die Schutzgewalt über Kamerun

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Gemäß der in der deutschen Kolonialpolitik verbreiteten Interpretation des Vertragstexts traten die Vertreter der bedeutendsten Duala-Familien die Souveränität über ihr Land am 12. Juli 1884 an das Deutsche Reich ab. Die Einigung über den Vertrag fand zwischen Vertretern der in Kamerun tätigen Handelshäuser, darunter das einflussreiche Handelshaus C. Woermann, und den kamerunischen Chiefs statt. Am 14. Juli 1884 bestätigte der Sonderbeauftragte Reichskommissar Nachtigal den Vertrag.146 Das Deutsche Reich interpretierte den Vertragsschluss als Verzicht auf die Souveränität der Duala über das Küstengebiet Kameruns, wodurch alle Hoheitsrechte den Deutschen übertragen wurden. Teilweise entstand daraus in der deutschen Kolonialliteratur ein Narrativ, dass die Annexion Kameruns als großes Fest von den Duala und den deutschen Kolonialpionieren ohne Dissens gefeiert wurde.147 Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Duala-Familien mit dem Vertrag lediglich eine Neustrukturierung und Besserstellung ihrer eigenen Handelsbeziehungen zu den deutschen Handelshäusern erreichen wollten und keineswegs gedachten, ihre Souveränität abzugeben.148 Ein zweites Dokument, geschlossen und unterschrieben von Woermann und den Duala-Familien, in welchen sich die Duala wichtige Rechte und Monopole vorbehielten, nahmen die Deutschen vorsätzlich nicht in den primären Vertragstext auf. Die Positionen der Kameruner nicht in den Vertragstext mit aufzunehmen, wird in der Wissenschaft dahingehend interpretiert, dass die Deutschen von Anfang an nicht planten, die Bedingungen der Duala-Familien einzuhalten.149 146 Max Buchner, Aurora colonialis, S. 68ff.; vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 12, 17ff. 147 1938 findet sich eine derart unkritische Darstellung bei Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 79ff.; vgl. dagegen zu bewaffneten Widerständen der Duala den Eintrag von Woermann, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4205, Bd. 4, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 9, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 148 So lässt sich der geäußerte Wille der Duala-Vertreter bezüglich eines eigenen Souveränitätsbereichs deutlich in einer englischen Abschrift des Vertragstexts zwischen Vertretern der Firma Woermann und den Duala-Chiefs feststellen: »3) That the land cultivated by us now and the places, the towns are built on shall be the property of the present owners and their successors.«, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4202, Bd. 1, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 12, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 149 Zutreffend Schaper, Koloniale Verhandlungen, S. 41f., und Andreas Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte – Eine Untersuchung zu Widerstand, Protest und Protonationalismus in Kamerun vor dem zweiten Weltkrieg (1991), S. 93; dessen waren sich auch schon Zeitzeugen bewusst, so Buchner, Aurora colonialis, S. 70. Er gibt den nicht aufgenommenen Vertragstext an, in welchem die Duala erklären: »We need no protection, we should like our country to annex with the Government of any European Power. We need no alteration about our marriages, we shall marry as we are doing now. Our cultivated ground must not be taken. […] We are the chiefs of Cameroons.«; vgl. etwa Bohner, Ae Ntonga!, S. 24f., zum »zweiten Vertrag«.

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Historischer Abriss

Für eine kurze Zeit schien es, als würde Bismarcks erstrebte Schutzbriefpolitik beispielhaft in Kamerun funktionieren: Dr. Nachtigal sorgte für den Schutz der deutschen Handelsleute. Doch sollte das Schutzbriefsystem bereits kurze Zeit später scheitern und die Anwesenheit von Reichsbeamten und einer Verwaltung erforderlich machen. Dies lag zum einen daran, dass im Norden und Nordwesten Kameruns deutsche und britische Interessen direkt aufeinandertrafen. Zwar gaben die Engländer ihre Rechte in den Gebieten Kameruns nach und nach auf,150 jedoch verzögerte sich der Prozess in der Ambasbucht, weil sich englische Händler und Missionare in den Städten Victoria und Duala weigerten, die deutsche Herrschaft hinzunehmen. Zum anderen »widerstrebte« einigen DualaHäuptlingen der Herrschaftsanspruch der Deutschen.151 Im Dezember 1884 wurde mittels eines von Admiral von Knorr geführten Kommandounternehmens »überzeugende Kanonenbootpolitik« in der Gestalt einer Bombardierung der Stadt Bonaberi betrieben, um die aufständischen Duala zu unterdrücken und einzuschüchtern. Des Weiteren weigerten sich die hanseatischen Kaufleute früh, darunter das Handelshaus Woermann, die nötige Verantwortung für den Aufbau der Verwaltung zu übernehmen, sodass auf Reichsbeamte nicht ohne Weiteres verzichtet werden konnte. Diese Beispiele zeigen die frühe Zielverfehlung der von Bismarck angestrebten Schutzbriefpolitik.152 Durch die Schutzherrschaft kamen die hanseatischen Kaufleute ihrem Hauptziel in Kamerun, nämlich der Brechung des Handelsmonopols der Duala, einen großen Schritt näher. So beschreibt Buchner: Deutschland kann nur dadurch, »daß wir dem Monopol-Unfug der Dualla ein Ende machen, wieder einen weiteren Spielraum zu unseren Gunsten erringen. Ebenso wie unsere Kaufleute sind auch die Produzenten des Inneren lange darauf gespannt, endlich einmal in eine direkte Verbindung mit einander zu gelangen. Dieser Wunsch ist zu berechtigt, als daß er nicht in Erfüllung ginge, und unsere Kaufleute werden sich mit den Produzenten in den wucherhaften Gewinn teilen, den bisher die Dualla aus ihrer gewaltsamen Mittlerrolle gezogen haben«.153

150 Teilweise wurde ein Groll der Engländer gegenüber den Deutschen vermutet. So sollen Engländer für das Anstacheln zu Aufständen verantwortlich gewesen sein, vgl. etwa Heinrich Norden, Der Fall von Duala und ein viertel Jahr in englischer Gefangenschaft in Afrika und England (1915), S. 6. 151 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 92f. 152 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 93. Vom konfliktreichen Umgang mit den Kamerunern berichtet Woermann: So waren die widerspenstigen Truppen von »König Aqua« mit »Rifle bewaffnet«. Erst »im letzten Moment« erschien Buchner mit Verstärkung und eilte zur Hilfe um die deutschen Interessen durchzusetzen, vgl. Eintrag von Woermann, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4205, Bd. 4, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 9, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 153 Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 44.

Die Schutzgewalt über Kamerun

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Derweilen kam die am 15. November 1884 begonnene Kongokonferenz am 26. Februar 1885 zu einem erfolgreichen Abschluss. Dem König Belgiens, Leopold II., gelang es im »Wettlauf um Afrika«, eine diplomatische Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Großmächten zu initiieren.154 Das Ergebnis war die von den Teilnehmern der Konferenz unterzeichnete Kongoakte. In dieser wurde festgehalten, dass der tatsächliche Besitz eines Staates über ein Gebiet an der Küste des afrikanischen Festlandes oder die Schutzherrschaft einer Signaturmacht über ein solches Gebiet zum Recht auf den Erwerb der Kolonie führt.155 Dadurch war die deutsche Schutzherrschaft an der Küste Kameruns durch den internationalen Konsens gefestigter und auch die Territorialkonflikte mit England beruhigten sich stetig.

2.

Gouverneur Julius Freiherr von Soeden (1885–1890)

Anfangs blieb die deutsche Schutzherrschaft überwiegend auf das Küstengebiet Kameruns begrenzt und dehnte sich kaum in das kamerunische Inland aus. Der erste in dem Schutzgebiet eingesetzte Gouverneur, Julius Freiherr von Soeden (1885–1890), hatte die Weisung, vornehmlich die Handelsinteressen der hanseatischen Kaufleute zu wahren. Seit der Kongokonferenz hatte die Bedrohung durch andere Kolonialmächte abgenommen. Dies bedeutete freilich, dass von Soeden die Priorität auf die Beseitigung von Handelshemmnissen durch küstennahe Einheimische legen konnte, allen voran die Zerschlagung des Zwischenhandelsmonopols der Duala mit militärischer Gewalt.156 Aber auch nach dem Erhalt der staatlichen Unterstützung waren die Handelshäuser kaum bereit, Erschließungskosten zu tragen und sich an dem Aufbau einer Verwaltung zu beteiligen. Vielmehr forderten sie vom Staat den teuren Ausbau der Infrastruktur und weiteren Schutz gegen ausländische Handelskonkurrenz und die Bedrohung durch Einheimische.157 Als das Deutsche Kaiserreich feststellen musste, dass eine Herrschaftsausübung durch die privaten Kolonialund Handelsgesellschaften nicht durchführbar war, errichtete das Reich nach und nach eine Kolonialverwaltung. Anfangs wurde diese durch das Auswärtige Amt geleitet, die zentrale Behörde für die überseeischen Interessen von 1884 bis 1890.158 154 Vgl. Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 135ff. 155 Zur Kongokonferenz auch »Berliner Konferenz« genannt, vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 97ff.; vgl. Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 136f., mit einem Auszug des Vertragstextes der Konferenz. 156 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 153f., mit Verweis auf Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte. 157 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 203; Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 31. 158 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 204.

44 3.

Historischer Abriss

Exkurs: »das Sammeln beginnt« »Einer meiner gegenwärtigen Hörer, Leutnant von Armin, [wird] sich einer großen Strafexpedition gegen die Ngolo (streng secret!!) anschließen. […] Wir können uns also auf ganz brillante Dinge gefasst machen. Herr von Armin ist genau informiert, was wir brauchen und wird bemüht sein, etwas ganz Ordentliches zu leisten. Die Kosten werden dabei vermutlich gleich Null sein.«159

Mit dem Beginn der Annexion afrikanischer Gebiete begannen die Deutschen auch mit »dem Sammeln« von afrikanischen Objekten.160 Beutezüge im Rahmen von Okkupationen oder kriegerischen Auseinandersetzungen und eine damit einhergehende Plünderung von Objekten, Bibliotheken oder vermeintlichen Kuriositäten sind seit jeher ein Bestandteil verschiedenster Epochen. Im Laufe der Geschichte wurden solche Beutezüge sowohl kritisch bewertet als auch bewusst initiiert: Während sich bereits für Cicero keine Einwilligung der Opfer von Beutezügen herleiten ließe,161 wurde 1648 bei der Eroberung Prags General Königsmarck von Königin Kristina von Schweden zweckgerichtet beauftragt, möglichst viel Kriegsbeute aus den Bereichen Kunst, Kultur und Wissenschaft zu plündern und diese nach Schweden zu bringen.162 Die Annexion des afrikanischen Kontinents stellt insofern keine Ausnahme dar. Von 1884–1914 wechselte ein Großteil des in heutigen Beständen ethnologischer Museen archivierten Kulturguts den Besitzer. Bedingt durch die Hegemonie der Kolonialmächte konnte eine Vielzahl von Objekten durch Soldaten, Missionare oder Privatpersonen in Besitz gebracht werden. Daher instruierten die verschiedenen Institutionen in Deutschland die Kolonialpioniere gezielt, vermeintliche Schätze in Besitz zu nehmen.163

159 Brief Felix von Luschans 1897, in: Archiv des Ethnographischen Museums Berlin, abgedruckt bei: Sarr/Savoy, Zurückgeben – über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, S. 28. 160 Rebekka Habermas, Rettungsparadigma und Bewahrungsfetischismus: Oder was die Restitutionsdebatte mit der europäischen Moderne zu tun hat, in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 79– 100, 79, bezeichnet das Vorgehen um 1900 in Afrika als »regelrechten Sammelhype«. 161 Vgl. Marcus Tullius Cicero, Die Reden gegen Verres, in: Manfred Fuhrmann, Die Reden gegen Verres – lateinisch-deutsch, Teil 1 (1995), S. 273. 162 Vgl. etwa Susanne Tauss: »… Daß die Räuberei das alleradeligste Exercitium ist …«. Kunstschätze als Beute im Dreißigjährigen Krieg, in: Bußmann/Schilling [Hg.], 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Band 2 (1998), S. 281–288, 286, unter: https://www.lwl.org/westfaeli sche-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=484&url_tabelle=tab_texte (abgerufen am: 1. 4. 2022). 163 Vgl. Sarr/Savoy, Zurückgeben, S. 27ff.

Die Schutzgewalt über Kamerun

4.

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Die Gewalt von Gouverneur Zimmerer und Kanzler Leist (1891–1895)

Auch die Führung der Kolonie durch den zweiten Gouverneur, Eugen von Zimmerer (1891–1895), war zunächst auf die Festigung des bereits erschlossenen Schutzgebietes im Küstenbereich ausgerichtet. Nach Weisungen aus Berlin sollte Zimmerer zusammen mit dem stellvertretenden Gouverneur Kanzler Heinrich von Leist und dem Gerichtsassessor Wehlan für den Ausbau der finanziellen Situation des Schutzgebietes sorgen sowie den Aufbau von Verwaltung und Infrastruktur weiter vorantreiben. Entgegen den Weisungen wurde jedoch immer wieder Subimperialismus einzelner Kolonialpioniere betrieben. So unterwarf Gerichtsassessor Wehlan 1892/93 mit äußerster Härte die Bakoko und Mabea im Südwestens Kameruns, wodurch Deutschland erstmalig Einfluss auf das Kameruner Hinterland erlangte.164 Ebenfalls auf eigene Faust und unter Überschreitung seiner Befugnisse unterwarf 1895 der deutsche Forscher Eugen Zintgraff das Gebiet der Bali nördlich vom Manengouba-Vulkan und brachte dieses »raffiniert« unter deutsches Protektorat.165 Der stellvertretende Gouverneur Leist und Gerichtsassessor Wehlan sind zudem für einen der aufsehenerregendsten Kolonialskandale,166 dem DahomeyAufstand,167 welcher einen exemplarischen Einblick in die Herrschaftspraxis des deutschen »Schutzbeamtentums« gewährt, verantwortlich. Kanzler Leist ließ die ethnische Gruppe der Dahomey als Zwangsarbeiter in der Polizeitruppe Sklavenarbeit verrichten und versuchte mit drakonischen und menschenverachtenden Methoden, die »Arbeitsmoral« in die Höhe zu treiben. Als bisherige drakonische Maßnahmen nicht den vom Kanzler gewünschten Erfolg zeigten, ließ dieser im Dezember 1893 die Frauen der Dahomey öffentlich entblößt bis aufs Blut auspeitschen.168 Die Dahomey-Polizisten waren gezwungen, der Vollziehung beizuwohnen. Der schon lange bei Händlern, Beamten und Einheimischen unbeliebte Leist brachte mit dieser Aktion die Situation zur Eskalation. Den Dahomey gelang es, in einem Aufstand eine Munitionskammer in einem Re164 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 154; Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 45, nach welcher in den 1890er-Jahren in Kamerun expandiert wurde und einige neue Militärstationen errichtet wurden. 165 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 154; vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 45; vgl. Jacob, Deutsche Kolonialpolitik in Dokumenten, S. 240ff. 166 Fritz Ferdinand Müller, Kolonien unter der Peitsche (1962), S. 27, bezeichnet die Fälle Leist und Wehlan als »große Kolonialskandale«. 167 Zur Vertiefung: Florian Hoffmann, Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun – Etablierung und Institutionalisierung des kolonialen Gewaltmonopols, Teil I (2007), S. 78ff.; Christian Bommarius, Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914 (2015), S. 32ff.; Ralph Austen/Jonathan Derrick, Middlemen of The Cameroons Rivers – the Duala and their Hinterland (1999), S. 98. 168 Adolf Rüger, Der Aufstand der Polizeisoldaten (Dezember 1893), in: Helmuth Stoecker (Hg.), Kamerun unter Deutscher Kolonialherrschaft – Studien, Band 1 (1960), S. 97ff.

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Historischer Abriss

gierungsgebäude zu besetzen und einige Verwaltungsbeamte zu töten. Der Aufstand konnte erst nach Tagen und durch Einsatz der Marine durch deutsche Truppen niedergeschlagen werden.169 Ein weiterer Vorfall des despotischen Duos Leist und Wehlan lässt zudem bereits die Verhältnisse der ausgeübten Gerichtsbarkeit erahnen. Im Mai 1893 hielt Gerichtsassessor Wehlan einen Gerichtstag ab. Bei einer Streitigkeit zwischen Kolonisierten beschuldigte eine Frau zunächst ihren Mann, dass er sie schlecht behandle. Ohne Zeugenanhörung wurden 50 Peitschenhiebe verhängt und direkt gegen den Mann vollzogen. Im Anschluss wurde ein anderer Afrikaner beschuldigt, die Uhr eines Deutschen gestohlen zu haben. Bereits vor der Anhörung legte Wehlan dem Beschuldigten die Alternativen dar: Die Wahl bestand zwischen dem Schuldgeständnis oder 50 Peitschenhieben. Nachdem der Beschuldigte auf seine Unschuld plädiert hatte, wurde dieser bis zum Geständnis ausgepeitscht. Während der Verhandlung soll der Beschuldigte 80 Peitschenhiebe ausgehalten haben, ehe er die Tat »gestanden« hat und zu 6 Jahren Gefängnis und 15 Peitschenhieben jeden Sonntag verurteilt wurde.170

5.

Die Kolonialisierung Kameruns bis zum Versailler Vertrag (1896–1919)

Zwar empörte sich die deutsche Öffentlichkeit über das brutale Vorgehen von Leist und Wehlan – diese erhielten die vergleichsweise milde Strafe einer Zwangsversetzung –, allerdings verbesserte sich die Situation für die einheimischen Bevölkerungsgruppen mit dem nachfolgenden Gouverneur Jesco von Puttkamer (1895–1907) kaum. Vor allem im Süden Kameruns wurden durch den Einsatz militärischer Gewalt und durch Vernichtungsexpeditionen Dörfer und Stämme in Südostkamerun für die deutsche Schutzherrschaft »gefügig« gemacht.171 Als schließlich 1901 das bedeutende Gebiet der Tibati in Zentralkamerun unterworfen und dem deutschen Protektorat angehörig gemacht wurde, war der Großteil Kameruns durch die deutsche Schutzherrschaft erschlossen. Für die unterjochten Staaten und Gebiete wurden neben den deutschen Reichsbeamten einheimische kollaborationsbereite Herrscher eingesetzt, welche den

169 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 156ff. mit Nachweis auf Anonym, Tagebuchblätter eines in Kamerun lebenden Deutschen. 170 Vgl. Anonym, Tagebuchblätter eines in Kamerun lebenden Deutschen, in: Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 156ff.; vgl. Bommarius, Der gute Deutsche, S. 35, zur Grausamkeit des despotischen Duos; vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 62, vergleicht Strafrechtsprozesse gegen die Kolonisierten mit mittelalterlichen Inquisitionsprozessen. 171 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 158.

Die Schutzgewalt über Kamerun

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Schutztruppenoffizieren unmittelbar unterstanden. Sie hatten Tribut in Naturalien und Geld zu entrichten.172 Die letzte Epoche der Kolonialgeschichte Deutschlands sollte die »Ära Dernburg« (1907–1910)173 bilden. Der von der Kolonialpropaganda dem deutschen Reich eingeflüsterte Traum einer grandiosen wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonien sollte sich nicht erfüllen. Stattdessen blieb die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien weit hinter den anfänglichen Erwartungen zurück. Sowohl die Lenkung der Auswandererströme und damit eine Lösung für die Überbevölkerung als auch ein reger Handel, der Deutschland mit Rohstoffen versorgen und für die sichere Abnahme von Industrieprodukten führen sollten, blieben nur eine enthusiastische Utopie.174 Das Dilemma der Kolonien galt auch für das – im Verhältnis zu anderen Kolonien – ertragreiche Kamerun, obwohl dieses Schutzgebiet durch den Export von Kautschuk noch einen wichtigen Faktor für die deutsche Industrie darstellte. Erst 1906 setzte langsam ein Aufschwung der deutschen Kolonialwirtschaft ein.175 In dieser schwierigen Ausgangslage übernahm Bernhard Dernburg 1907 das Amt des Kolonialdirektors im Reichskolonialamt,176 welches das Auswärtige Amt und die Kolonialabteilung als zuständige Regierungseinrichtung für Kolonialsachen 1907 abgelöst hatte.177 Ähnlich wie zu Beginn der Kolonialagitation wurde der Umgang mit den deutschen Schutzgebieten und der »Kolonialkrise« ein entscheidendes Thema für die Wahlen in Deutschland. Die Wahlen 1907 wurden von der Presse gar als »Hottentottenwahl« bezeichnet.178 Dabei gelang es Dernburg, eine positive ökonomische Prognose für die Kolonialpolitik in Deutschland zu verbreiten. Dernburg selbst erkannte die Schaffung von humaneren Zuständen für die afrikanische Bevölkerung als eine der wichtigsten Aufgaben für die koloniale Zukunft an und klärte darüber auf, dass »der Eingeborene der wichtigste Gegenstand der Kolonisation, ganz besonders in allen unseren Plantagenkolonien«179 sei.180

172 173 174 175

176 177 178 179

Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 159. So bezeichnet von Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 204ff. Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 205. Vgl. dazu das Vorwort von Johannes Gerstmeyer/Otto Köbner (Hg.), Die deutsche KolonialGesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Elfter Band, Jahrgang 1907 (1908). Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 207. Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 204. Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 208 m.w.N. Rede von Dernburg, in: Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 208; vgl. Buchner, Aurora colonialis, S. 332: »Werden wir aus unserem Besitz nun auch den richtigen Nutzen ziehen? Im Mittelpunkt dieser grossen Frage steht als Wichtigstes der Neger. Nur er ist das lebende Kapital.«

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Historischer Abriss

Durch das Umdenken in der »Ära Dernburg« und als eine Reaktion auf die Skandale von Leist und Wehlan unternahm Gouverner Seitz (1907–1910) erstmalig Versuche, statt einer reinen Gewalt- und Exzessherrschaft die einheimische Bevölkerung vor der brutalen und lebensverachtenden Ausbeutung durch deutsche Unternehmungen zu schützen.181 Allerdings waren erste Besserstellungen der afrikanischen Bevölkerung im System von Kolonialismus und Repression zu sporadisch. Menschenunwürdiges ereignete sich nach wie vor in den deutschen Kolonien. Es blieb beispielsweise bei der Arbeitskräftebeschaffung in Kamerun weiterhin bei einem System, welches der Sklaverei ähnelte.182 Außerdem wurde auch in der »Ära Dernburg« eine rassistische Segregation vorangetrieben. In Kamerun wurde die Rassentrennung aus rassistischen und wirtschaftspolitischen Gründen durchgeführt. So konnten die Duala durch systematische Enteignung aus verkehrsgünstigen Vierteln in Hafennähe vertrieben werden. Die Duala – angeführt von Rudolf Duala Manga Bell – wehrten sich mit einer nationalen Widerstandsbewegung, passivem Widerstand, Hilfegesuchen an Missionen und sogar mittels juristischen Beistands in Deutschland.183 Zunächst schien es, als würde dieser Widerstand dank einer Petition an den Reichstag Wirkung entfalten. Doch nur kurze Zeit nach Einreichung der Petition wurde Widerstandsführer und Duala Chief Rudolf Duala Manga Bell des Hochverrats beschuldigt und gehängt. Daraufhin musste sich der linke Flügel des Reichstags von der Widerstandsbewegung distanzieren, sodass diese im Keim erstickt wurde.184 In der Folgezeit schlossen sich die Nachfolger Dernburgs zwar der in die Wege geleiteten Kolonialpolitik an, hatten aber für nennenswerte Neuerungen kaum noch Zeit. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs ging eine Kolonie nach der anderen durch alliierte Eroberungen verloren. Schließlich musste Deutschland 1919 im Versailler Vertrag auf seine Rechte im Ausland und auf seine Kolonien verzichten.185

180 Vgl. etwa auch Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 208, der die Arbeitskraft der afrikanischen Bevölkerung als wichtig für die Deutschen darstellt. 181 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 169. 182 Vgl. Müller, Kolonien unter der Peitsche, S. 9, nach welchem die Kolonisatoren zwar das Konzept der Sklaverei mit dem Konzept der Zwangsarbeit ablösten, bei welchem aber eine vergleichbare Gewaltanwendung vorherrschte. 183 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 171. 184 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 171f.; vgl. dazu näher Bommarius, Der gute Deutsche. 185 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 211.

Resümee

V.

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Resümee

Deutschland avancierte erst spät (1884) zu einer echten Kolonialnation. Die schwache Stellung des bürgerlich-liberalen Flügels sowie die ablehnende Einstellung von Otto von Bismarck verhinderten zunächst einen deutschen Kolonialrausch.186 Doch die einflussreichen hanseatischen Kaufleute wurden die Pioniere in der Kolonialisierung Afrikas. Sie waren der Grund für den enormem ökonomischen Druck, der zu einer Etablierung eines Schutzbriefsystems führen sollte.187 Doch das angestrebte Schutzbriefsystem nach englischem und niederländischem Vorbild188 sollte bereits kurze Zeit später scheitern. Wirtschaftliche Interessen und der Wunsch nach nationaler Bedeutung ließen Bismarck kaum eine andere Wahl, als die Herrschaft über afrikanische Gebiete zu übernehmen und vor Ort eine Verwaltung zu etablieren. Die »sozialökonomische und nationalideologische, sozialdarwinistische und sendungsideologische« Stimmung verstärkte den Drang Deutschlands zu den Kolonien ungemein.189 Vor diesem Hintergrund lässt sich die politische Kursveränderung in Bezug auf die koloniale Agitation als überraschend beschreiben190 und führte insofern verständlicherweise zu lebhafter Diskussion in politischen und rechtlichen Bereichen. Bei genauer Betrachtung der deutschen Kolonialgeschichte zeigt sich, dass es sich bei den afrikanischen Kolonien kaum um Siedlungskolonien, sondern in erster Linie um wirtschaftliche Kolonien handelte.191 Zur Durchsetzung einer deutschen Herrschaft und wirtschaftlicher Erfolge wurde sich extremer Gewalt bedient.192 186 Buchner, Aurora Colonialis, S. 2, beschreibt die ablehnende Haltung Bismarcks. 187 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 1. 188 Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 41: »In Bezug auf die rechtliche Stellung und Verwaltung der Schutzgebiete verfolgte die Reichsregierung anfänglich den Plan, dieselben durch grosse mit kaiserlichen Schutzbriefen ausgestattete Kolonialgesellschaften nach Analogie der holländisch-ostindischen und englisch-ostindischen Handelskompagnien unter Oberaufsicht des Reiches regieren und verwalten zu lassen.« 189 Vgl. Bade, Imperialismus und Kolonialmission, S. 2 nach welchem die verschiedenen Triebkräfte den seit 1880 einsetzenden »Scramble for Africa« noch verstärkten. 190 Sollte jedoch nicht als »Kurswechsel« Bismarcks aufgefasst werden, siehe dazu vorstehend in 1. Kapitel III. 191 Vgl. etwa Carl von Stengel, Die Eingeborenenfrage und die Regelung der Rechtsverhältnisse der Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 12 (1910), S. 183–205, 186: »Begreiflich erscheint es ferner, wenigstens auf den ersten Blick, daß für Leute, die die Kolonialpolitik nur vom wirtschaftlichen Standpunkte aus, oder richtiger gesagt, unter dem Gesichtswinkel des Handelsmanns betrachten, nationale Gesichtspunkte und der Rassestandpunkt nicht oder doch erst in zweiter Linie ins Gewicht fallen«; dazu näher Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 73ff. 192 Vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 6: »[…] die brutale Gewalt der Eindringlinge und Abenteurer machten die Colonialexpeditionen derart verwildern und die Colonialverwaltung so willkürlich und grausam.«

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Historischer Abriss

Eine – relative – Besserung der menschenunwürdigen Behandlung der Kolonisierten war erst ab der »Ära Dernburg« festzustellen.193

193 Dazu siehe vorstehend in 2. Kapitel IV 5.

2. Kapitel: Einführung in das Kolonialrecht

Bei der Auseinandersetzung mit dem Kolonialrecht geht es um die Gesamtheit der mit dem Kolonialisierungsprozess zusammenhängenden Verhaltensregeln. Folglich umfasst das Kolonialrecht alle Regelungen und Rechtsbeziehungen der Kolonialmächte, der Kolonialgebiete, der durch die Kolonialisierung betroffenen Rechtssubjekte sowie die zwischen den Kategorien liegenden Kontaktpunkte.194 Bereits in der Frühphase der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents durch das Deutsche Reich entstand in Deutschland eine Kolonialjurisprudenz. Mit dem englischen und französischen Kolonialrecht als Vorbild, erkannten auch die ersten Vertreter der deutschen Kolonialrechtswissenschaft die Wichtigkeit, sich in begrifflicher und rechtssystematischer Hinsicht den Herausforderungen des Kolonialisierungsprozesses zu stellen.195 Gleichwohl war 1884–1890 die Anzahl der Veröffentlichungen zum Kolonialrecht äußert überschaubar.196 Diese anfängliche quantitative Zurückhaltung wird teilweise mit der besonderen Dynamik der heiklen Kolonialpolitik begründet.197 Ferner wurde die Zurückhaltung der Rechtswissenschaften in Bezug auf die deutschen Kolonien auch mit 194 Zum Versuch einer Begriffsbestimmung des Kolonialrechts Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 2; vgl. Voigt, Kolonialisierung des Rechts, S. 20f. Dagegen wird der Begriff des »Kolonialrechts« schwer vertretbar lediglich auf rechtliche Normen beschränkt, welche die Regierung und Verwaltung der Kolonien betreffen, vgl. Luigi Nuzzo, Kolonialrecht (2011), in: Europäische Geschichte Online, unter: https://www.researchgate.net/publication/23696 4719Kolonialrecht/link/54a5e68d0cf257a63608d864/download (abgerufen am: 1. 4. 2022). 195 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 213. 196 Hervorzuheben sind nach Grohmann, Exotische Verfassung, S. 89: Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert (1887); Arnold Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit – Eine Staats- und völkerrechtliche Studie (1887); Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete (1888); und diverse Veröffentlichungen von Carl von Stengel; Grohmann unterlässt den Verweis auf das wichtige Werk von Max Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete von 17. April 1886 nebst den bisherigen ergänzenden Verordnungen, in: Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik, Band 20 (1887), S. 191–231. 197 Grohmann, Exotische Verfassung, S. 91.

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Einführung in das Kolonialrecht

»kreativeren Argumenten« belegt: Die »Exotik« des Kolonialrechts verwässere juristische Erkenntnisse und verleite dazu »die juristische Methode« nicht korrekt anzuwenden, was das Rechtsgebiet für den Rechtsanwender unattraktiv erscheinen lasse.198 Als weiteres Argument wird von der kontemporären Wissenschaft angeführt, dass auf die anfängliche koloniale Euphorie eine gewisse koloniale Ernüchterung folgte, die mit den ausbleibenden ökonomischen Erträgen der Kolonien zusammenhing. Diese Ernüchterung spiegelte sich auch in einem Desinteresse der Wissenschaft wider.199 Die genannten Argumente übergehen jedoch den wichtigsten Grund für die anfänglich geringe Anzahl an Veröffentlichungen der Kolonialjurisprudenz: Denn die Tagebucheinträge der ersten Kolonisierenden zeigen die große Diskrepanz zwischen dem monolithischen Rechtsverständnis und der rechtlichen Wirklichkeit in den Kolonien auf.200 Verwaltung und Informationsfluss waren 1884–1890 in den Schutzgebieten noch desolat, eine erste Infrastruktur wurde gerade aufgebaut und eine »klassische Gerichtsbarkeit« gab es noch nicht.201 Die aus Sicht der Kolonisierenden schwierigen Anfangsbedingungen führten auch dazu, dass juristische Abhandlungen zunächst auf das Eintreffen von Verwaltungsberichten und Fragebögen zum Recht aus Afrika warten mussten.202 Bedingt durch diese zeitliche und räumliche Informationsverzögerung entstand eine Vielzahl juristischer Veröffentlichungen erst nach 1890. Daher wird besonders in frühen Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz eine Diskrepanz zwischen formaler juristischer Diskussion und kolonialer Praxis wahrzunehmen sein.203 198 In Bezug auf Lentner, Pann und Stengel vgl. M. de Jonge, Zur Literatur des Colonialrechts, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Band 10 (1887), S. 278–293, 280f. 199 Dies wird vertreten von Grohmann, Exotische Verfassung, S. 90f. 200 Vgl. zum Alltag in der Anfangszeit der deutschen Kolonien: Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun. 201 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72. Wegen des schwierigen Personalsituation mussten die Missionare bei rechtlichen Angelegenheiten unterstützen; 1899 lebten 348 Deutsche in Kamerun. Die kamerunische Bevölkerung wurde auf 3,5 Millionen geschätzt. Durch den quantitativen Unterschied war eine umfassende Verwaltung und Gerichtsbarkeit der Kolonie unmöglich, vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 512. 202 Felix Meyer, Die Bedeutung des Eingeborenenrechts, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 (1903), S. 377–389, 377, dessen Studien zum Großteil auf der Auswertung von Fragebögen beruhen; vgl. Sebald Rudolf Steinmetz, Rechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern in Afrika und Ozeanien: Beantwortungen des Fragebogens der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin (1903). Zur Vertiefung siehe Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse in den »Schutzgebieten« des Deutschen Reiches, S. 57ff., mit einer Auswertung verschiedener Fragebögen. 203 Felix Stoerk, Rezension zu Karl Gareis, in: Archiv für öffentliches Recht, Band 17 (1902), S. 402, kritisierte bereits Staatsrechtler und vertrat das Dogma, dass es in Bezug auf die

Kolonialrecht und staatsphilosophische Legitimation

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Aus den genannten Gründen konnte sich die Kolonialjurisprudenz zu Beginn des deutschen Kolonialismus in Hinsicht auf die deutsche Kolonialisierung lediglich mit Grundsatzfragen, wie staatsphilosophischer oder staatenrechtlicher Einordnung der Kolonien, befassen. Daher nähert sich diese Untersuchung zunächst dem Fundament des Kolonialrechts an, d. h. der dem Kolonialrecht zu Grunde liegenden Staatsphilosophie und dem Völker- und Staatsrecht. Sodann werden für ein adäquates Verständnis des Kolonialrechts die Gegebenheiten von Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Rechtspluralität in den Schutzgebieten am Beispiel Kameruns dargestellt.

I.

Kolonialrecht und staatsphilosophische Legitimation

Inwieweit ist das Kolonialrecht und die Kolonialjurisprudenz von »moderner« Staatsphilosophie beeinflusst worden? Welche Rolle nahm das Kolonialrecht ein? Dem Recht können mannigfaltige Funktionen zukommen. Im kolonialen Kontext erfüllte das Recht immer wieder die Funktion eines legitimatorischen Instruments für ein politisches Herrschaftsmodell.204 Das – oftmals einseitige – Aufstellen von Verhaltensregeln, welche von der kolonisierten Bevölkerung befolgt werden sollten, diente häufig als Instrument einer rassistischen Unterdrückung in den deutschen Kolonien.205 Nicht selten war es das Ziel der Verhaltensregeln, eine konkrete Herrschaftsstruktur zu verfestigen und für »Ordnung« in den deutschen Schutzgebieten zu sorgen, um deren Wirtschaftlichkeit zu wahren. Dies galt sowohl in der Anfangsphase des deutschen Kolonialismus als auch in einer späteren »geordneten«206 Phase deutscher Kolonialherrschaft.207 In der Frühphase des deutschen Kolonialismus versuchten die Kolonialagitatoren mit allen Mitteln, eine möglichst ertragreiche wirtschaftliche Aus-

204

205 206 207

Kolonien weniger auf formales juristisches Arbeiten als auf praktische Wirksamkeit ankäme. Trutz von Trotha, Liszt in Toto? Von den Ansprüchen des kolonialrechtlichen Diskurses und der Wirklichkeit der kolonialen Herrschaft – die »Besserungssiedlungen« im »Schutzgebiet Togo«, 1902–1913, in: Trutz von Trotha (Hg.), Politischer Wandel, Gesellschaft und Kriminalitätsdiskurse (1996), S. 237–260, attestiert der Kolonialjurisprudenz eine Praxisfremdheit. Vgl. die Ausführungen von Gerd Hardach, Kolonialherrschaft im Spannungsfeld von Repression und legitimer Ordnung in Mikronesien 1885–1914, in: Voigt/ Sack (Hg.), Kolonialisierung des Rechts – Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung (2001), S. 95– 124, 97. Vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 60ff. Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 5. Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 6, stellt bei den Kolonisierenden den Hang zu Habgier, Ausbeutung, Übervorteilung und brutaler Gewalt fest. Die koloniale Verwaltung war »willkürlich und grausam«.

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Einführung in das Kolonialrecht

gangslage durch die deutschen Schutzgebiete zu etablieren.208 Sie verbreiteten den Standpunkt, dass vor der »Schutzherrschaft« in Afrika wilde, ungezügelte Zustände herrschten.209 Dieser anarchistische Zustand sollte durch das Deutsche Reich beseitigt werden. Schließlich würde die deutsche Kolonialherrschaft für geordnete, sachliche und unparteiische (Rechts-)zustände nach dem Vorbild der »erstrebenswerten« europäischen Verhältnisse sorgen.210 Die anfänglichen Geschichten über Afrika suggerierten demnach, dass auf dem afrikanischen Kontinent wilde und ungezügelte – faktisch rechtlose – Verhältnisse vorherrschten.211 Diese Annahme korrespondierte mit staatsphilosophischen Grundlagen, welche Ende des 19. Jahrhunderts das Stimmungsbild maßgeblich formten und somit das Völkerrecht, wie auch die koloniale Jurisprudenz, prägten. Naturrechtslehrer Thomas Hobbes legte in seinem Werk »Leviathan« dar, dass der Mensch ursprünglich in einem Zustand von Gewalt, Armut und Anarchie lebte.212 Meder erklärt den von Hobbes dargestellten Zustand als eine Art Kriegszustand, in welchem homo homini lupus galt.213 Nach den Naturrechtslehrern bestand vor dem Gesellschaftsvertrag – also der gemeinschaftlichen Übertragung der Souveränität auf einen starken politischen Anführer – stets ein Naturzustand, in welchem die Menschen in rationaler Antizipation durch animalische Wesensprinzipien bestimmt wurden. Ein solcher Gesellschaftsvertrag sei demnach auf dem afrikanischen Kontinent nicht ergangen, vielmehr lebten die vereinzelten »Stämme« in einem Naturzustand. Aber auch andere führende Naturrechtslehrer wie Samuel Pufendorf, Christian Thomasius, Jean-Jacques Rousseau oder Immanuel Kant nahmen auf dieses Narrativ Bezug und folgerten daraus, dass es in Afrika keine »Staaten, kein Recht, keine Religion und keine Geschichte« gebe.214 Aus diesem Narrativ folgte, dass ein Gemeinwesen oder Verhaltensregeln erst durch einen Gesellschaftsvertrag plastisch entstünden und es keine Normbildung außerhalb des Staates geben könne.215

208 So wird die wirtschaftliche Ertragskraft als Ziel der Kolonien und als Argument der Legitimation für Maßnahmen der Kolonialverwaltung herangezogen von Voigt, Kolonialisierung des Rechts, S. 28. 209 Vgl. Grohmann, Exotische Verfassung, S. 3. 210 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 128. 211 So werden Reiseberichte, die von der Wildheit der afrikanischen Bevölkerung zeugen sollen, in der Vorlesung von G. W. Hegel paraphrasiert, welche ihm ein »englischer Reisender erzählt« hatte, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 3. Auflage (1848), Einleitung, Afrika, S. 121. 212 Vgl. etwa Thomas Hobbes, Leviathan or the Matter, Forme, and Power of Commonwealth Ecclesiasticall and Civile (1651), hrsg. von Michael Oakeshott (1957). 213 Meder, Provenienzforschung, S. 215, unter Bezugnahme auf Plautus, Asinaria II, 4, 88. 214 Dazu näher Meder, Provenienzforschung, S. 215ff. 215 Dazu vertiefend Stephan Meder, Doppelte Körper im Recht – Traditionen des Pluralismus zwischen staatlicher Einheit und transnationaler Vielheit (2015), S. 86–94, 119–120, 127–128.

Kolonialrecht und staatsphilosophische Legitimation

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Auf dieses staatsphilosophische Gerüst rekurrierten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wichtige Vertreter des Völkerrechts. Ihnen zufolge fehlte den Schutzgebieten die nötige Souveränität, um sie als Staat im völkerrechtlichen Sinne anerkennen zu können. Die Bevölkerung des Kontinents Afrika war »unzivilisiert«,216 das afrikanische Gebiet folglich »herrenlos«.217 Solche Ansichten wurden bestärkt durch prominente, mit pejorativen Angaben über die afrikanische Bevölkerung angereicherte Reiseberichte. So schilderte Georg Friedrich Hegel: »[…] daß es die Unbändigkeit ist, welche den Charakter der Neger bezeichnet. Dieser Zustand ist keiner Entwicklung und Bildung fähig, und wie wir sie heut sehen, so sind sie immer gewesen.«218 Die hier aufgezeigten Denkmuster passten selbstredend ausgezeichnet in die Propaganda der Kolonialagitation, schließlich wurde dadurch die Okkupation des afrikanischen Gebiets durch die deutschen Kolonisatoren nicht als Unrecht qualifiziert. Diverse Vertreter der kolonialen Jurisprudenz stellten sich jedoch mit Entschiedenheit gegen eine solche naturrechtlich konnotierte Staatsphilosophie.219 Mallmann nimmt auf zeitgenössische soziologische Entwicklungen Bezug und erklärt das Naturrecht als einen »verhängnisvollen metaphysischen Irrtum«,220 denn nach Auswertung des ethnographischen Forschungsmaterials sei es un216 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 176, unterteilt in »Angehörige zivilisierter Nationen« und »Eingeborene«, ferner gehören »Eingeborene« zu den unzivilisierten Stämmen, S. 178; Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 15: »Ortschaften in denen noch das Recht der Wildnis gilt«; Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 516, Europäer würden sich auf einer »höheren Kulturstufe« befinden; vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 407, nach welchem die Bevölkerung der Schutzgebiete nicht die subjektive Qualität des »Reichsvolkes« teilen würden; vgl. Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 201; Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 64, nach welchem »Eingeborene« nicht Teil »päisch-civilisirter« Staaten wären. 217 Vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht, S. 15, in Bezug auf Afrika: »Als ›herrenlos‹ betrachten die europäischen Staaten nunmehr solche Gebiete, welche von barbarischen, der internationalen Rechtsgemeinschaft fremd oder feindselig gegenüberstehenden Völkerschaften bewohnt sind; Gebiete, hinsichtlich deren von einem organischen Staatsgefüge, von einem zur politischen Einheit verschmolzenen Volksthum noch nicht die Rede sein kann; Ortschaften in denen noch das Recht der Wildnis gilt, deren Angehörige in der Folge des gänzlichen Mangels an Erziehung und Unterweisung nur durch die gröbsten Zuchtmittel oder das klügste Eingehen in ihre religiößen Vorstellungen in Ordnung erhalten werden können.«; vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 8; vgl. in Bezug auf Neu-Guinea Botho Jordan, Die Staatsgewalt des Deutschen Reiches in den Schutzgebieten (1895), S. 8. 218 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 120f. 219 In fast allen Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz, welche nach der »Ära Dernburg« (vgl. vorstehend 1. Kapitel IV 5) erschienen, wird auf das Recht der »Eingeborenen« eingegangen und ferner festgestellt, dass lang etablierte Sitten, Bräuche und Rechte in Afrika vorhanden waren, vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 146ff.; So auch der grundsätzlich zentralistisch geprägte Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht (1911), S. 173. 220 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 146.

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Einführung in das Kolonialrecht

bestreitbar, dass auch die afrikanische Bevölkerung vor der kolonialen Unterwerfung Normen und Anschauungen auf verschiedenen Organisationsstufen vorweise. Dabei bestritt Mallmann nicht, dass sich die Anschauungen von Recht unterscheiden könnten. So legte er dar, dass Rechtsanschauungen auf einer bestimmten Organisationsstufe aus dem Blickwinkel der einen Gesellschaft mit höchster Anerkennung gewürdigt werden, während aus dem Blickwinkel einer anderen dieselben Anschauungen als »Verbrechen« gewertet würden. Auch wenn die Betrachtung des exakten Gehalts der konkreten Rechtsnorm stets von den kulturgeschichtlichen Bedingungen abhängig sei, somit je nach Lage »mal Recht mal Unrecht« sein könne, könne es keinen Zweifel darüber geben, dass die ethnologischen Rechtsquellen beweisen würden, dass Recht bereits vor der Kolonisierung des afrikanischen Kontinents existiert habe. Letztendlich hänge die jeweilige Rechtsanschauung, ob die Norm als Recht oder als Unrecht zu qualifizieren wäre, stets von einem individuellen Rechtsverständnis ab. Die apriorische Unterscheidung würde aber nichts an der Gesamtqualifikation des afrikanischen Rechts in seinem vorkolonialen Zustand zum Recht im eigentlichen Sinne ändern und beweisen, dass das Naturrecht lediglich eine »spekulative Erfindung erfahrungsfeindlicher Philosophen« sei.221 Die Frage, ob also vor der kolonialen Herrschaft bei den »Eingeborenen« die »Rechtsanschauungen« als Rechtsnormen im eigentlichen Sinne die Rede sein kann, beantwortet Mallmann in seinem Resümee wie folgt: »Die fraglichen Anschauungen der Eingeborenen sind Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alt; sollten sie erst mit der Anerkennung durch die deutsche Regierung rechtsverbindliche Kraft erhalten haben, so würden vor der deutschen Herrschaft überhaupt keinerlei Rechtsakte der Eingeborenen untereinander oder mit anderen Personen möglich und verbindlich gewesen sein. Und doch hatten manche Eingeborenenstämme bereits vor der deutschen Herrschaft nicht nur ein entwickeltes Rechtssystem, sondern sogar ein geschriebenes Recht.«222

Wie weit Mallmann den übrigen Kolonialrechtlern voraus war, lässt sich aus heutiger Sicht leicht belegen. Bereits im 19. Jahrhundert konnten Vertreter der historischen Rechtsschule die von Naturrechtslehrern propagierte Staatsphilosophie mit guten Argumenten in Frage stellen. Allen voran die epochalen Ausarbeitungen Savignys. Sie legen dar, dass das Recht immer schon in einer Ge-

221 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 146, mit Bezug auf Thomas Achelis, Soziologie, 2. Auflage 1908, S. 37; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 407, spricht von verschiedenen Kodifikationen der »Eingeborenen«, die »Velandyr-Bastards« und die »Bondelzwarts«, »auch der alte Maharero« und »der grosse Häuptling der Ovaherero«. 222 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 151.

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sellschaft existiert habe, daher organisch in einer Gesellschaft wächst.223 Für die Gesetzgebung in Afrika – sowie an jedem anderen geographischen Ort – bestehe somit zu keinem Zeitpunkt eine rechtliche tabula rasa. Dass sich alles Recht von einer staatlichen Legitimation ableitet, ergo ohne Gesellschaftsvertrag mangels bestehender Legitimationskette ein Naturzustand ohne Recht bestehen würde, wäre eine reine Fiktion. Mithin würde es für die Entstehung von Recht nicht eines gesonderten Willensaktes bedürfen.224 Diese von Savigny und weiteren Vertretern der historischen Rechtsschule proklamierte Ansicht bezweifelt die moderne Forschung kaum noch und wird auch von zeitgenössischen Werken der interdisziplinären kolonialen Forschung aufgegriffen.225 Gleichwohl waren führende Vertreter des Staats- und Völkerrechts in der deutschen Kolonialzeit durch die zentralistische Staatsphilosophie voreingenommen. Der Umgang mit den Schutzgebieten musste von den Vordenkern dieser Rechtsbereiche sorgsam in ihre Abhandlungen zum Staats- oder Völkerrecht eingewebt werden. Eine Trennung zwischen völkerrechtlich anerkannten, daher »zivilisierten« Staaten, und den Staaten, welche keinen Teil des völkerrechtlichen Bundes darstellen sollten, also den »unzivilisierten« Staaten, korrespondierte mit dem aufgezeigten Narrativ der Staatsphilosophie des 19. Jahrhunderts. Zwar war Ende des 19. Jahrhunderts das Bestehen eines Völkerrechts nicht gänzlich unumstritten, doch legte Jellinek dar, dass das Bewusstsein für ein Völkerrecht in seinen Grundzügen bereits in der antiken und altorientalischen Welt existierte.226 So waren gewisse Wörter und Begriffe des Völkerrechts bereits den alten Römern geläufig. Allerdings entstand erst zur Zeit der Verbindung der christlichen Staatenwelt im Mittelalter ein Völkerrecht, welches die Staaten in ihren internationalen Beziehungen verpflichten konnte – das Bestehen eines Völkerrechts wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts kaum noch angezweifelt.227 Aus der Anerkennung des Völkerrechts wurde geschlussfolgert, dass Staaten auch eine völkerrechtliche Persönlichkeit vorweisen würden, aus der sich ein Anspruch auf Unterlassung auf alle rechtswidrig schädigenden Handlungen

223 Vgl. die Ausführungen von Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814), S. 13f.: »Die Summe dieser Ansicht also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche der herrschende, nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht bezeichnet, d. h. daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers«; dazu näher Stephan Meder, Ius non scriptum – Traditionen privater Rechtsetzung, 2. Auflage 2009, S. 76f., fasst den Standpunkt Savignys im Kodifikationsstreit zusammen; vgl. ferner Meder, Provenienzforschung, S. 224f. 224 Meder, Provenienzforschung, S. 225, m. w. N. 225 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 87. 226 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 375f. 227 Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 375f.

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gegenüber einem fremden Staat ableiten lässt.228 Jeder Gewaltakt eines »Imperiums« kann daher zunächst nur auf eigenem Gebiet rechtmäßig vollzogen werden, es sei denn, dass das fremde Gebiet kraft völkerrechtlich zulässiger Ausdehnung des eigenen Reiches unterliegt.229 Doch wie konnte für die Kolonisation Afrikas ein Völkerrecht konformes Ergebnis erreicht werden? Die Antwort auf diese Problematik korrelierte mit den Strömungen einer zentralistischen Staatsphilosophie: Wenn die kolonisierten Gebiete Afrikas gar nicht erst als Staaten im engeren Sinn kategorisiert würden, gäbe es auch keine rechtswidrige Handlung im Sinne des Völkerrechts. Die afrikanischen Gebiete dürften daher kein Teil der »zivilisierten Staatengemeinschaft« sein. Afrika musste also allein schon für eine rechtmäßige Kolonialpolitik als »unzivilisiert« kategorisiert werden. Eine solche Kategorisierung fiel dem globalen Westen nicht sonderlich schwer und verschiedenste Argumente für eine Einstufung der afrikanischen Völkergemeinschaft als »unzivilisiert« wurden hervorgebracht. So würden sich die afrikanischen Völker angeblich auf einer Kulturstufe und Anschauungsweise befinden, auf welche es für das Deutsche Reich unmöglich wäre, herabzusteigen.230 Des Weiteren hätte das unzivilisierte, afrikanische Volk in den Schutzgebieten nicht die gleiche subjektive Qualität wie das Reichsvolk.231 Auch würden die afrikanischen Gebiete regelmäßig nur zwei wesentliche Staatselemente der Drei-Elemente-Lehre vorweisen – schließlich verfügten sie lediglich über Gebiet und eine gewisse Form der Bevölkerung (»Angehörige«) – jedoch nicht über eine »Staatsgewalt«, sodass sie weit davon entfernt gewesen seien Staaten zu sein.232 Aus den großen Unterschieden in Bezug auf die »Kulturstufen« wurde geschlussfolgert, dass die protegierten Staaten gar nicht innerhalb der abendländischen Völkerrechtsgemeinschaft stehen könnten.233 Das Dargelegte stellten besonders frühere Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz oftmals nicht in Frage. So wird in manchen Werken der Kolonialjurisprudenz nur spärlich festgestellt, dass durch eine Besitzergreifung völker228 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 397. 229 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 401. 230 Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 201; im Umkehrschluss war es eine der wesentlichen Aufgaben der Kolonialregierung die Eingeborenen auf eine »höhere Kulturstufe« zu heben, vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 516; Karl von Stengel, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten, in: Deutsche Juristen-Zeitung, III. Jahrgang (1898), S. 85–87, 85: »die durchweg auf sehr niedriger Kulturstufe stehenden Eingeborenen«. 231 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 407. 232 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 652. 233 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 746; vgl. Lentner, Das internationale Kolonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 15; Martin Hasenjaeger, Der völkerrechtliche Begriff der »Interessensphäre« und des »Hinterlandes« im System der aussereuropäischen Gebietserwerbungen (1907), S. 8.

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rechtlich herrenloser Gebiete der deutsche Staat die Souveränität über das betreffende Gebiet erwerbe.234 Es war also auf keiner Ebene fraglich, wenn ein »Kulturstaat« ein »noch staatenloses Gebiet« durch Okkupation in Besitz nahm.235 Dieser Legitimationskette folgend sei das Deutsche Reich zu jedem Zeitpunkt befugt, die afrikanischen Kolonien zu erwerben, solange der einzelne Erwerb nicht gegen völkerrechtlich geschützte Interessen irgendeines anderen (»zivilisierten«) Staates verstoße. Auch könne aus der Entstehungsgeschichte oder aus der Verfassung des deutschen Reiches kein Grund gegen die Zulässigkeit des Kolonialerwerbs abgeleitet werden, denn »das souveräne Gemeinwesen, wie es ein Staat und es das Reich ist, ist an die ihm etwa bei seinem Ursprunge gezogenen Grenzen nicht gebunden«.236 Im Laufe der deutschen Kolonialzeit stieg jedoch das Problembewusstsein in Hinsicht auf die zentralistischen Darstellungen und aufgestellte »zentralistische Glaubenssätze« wurden zunehmend angezweifelt. Dargelegt wurde, dass bereits vor der deutschen Kolonisation eine große Anzahl verschieden entwickelter Dorf- oder Stammesgemeinschaften in Afrika existiert hatten, welche sich wiederum auf ganz unterschiedlichen Kultur- und Entwicklungsstufen befanden. Ein Staatsbegriff, welcher die Grenze einer gewissen »Kulturstufe« nach »unten« beinhalten sollte, wäre demnach nicht nur schwierig zu praktizieren, sondern würde auch dazu führen, dass diverse afrikanische Gebiete den Anforderungen eines »Staatsbegriffs« genügen würden. Daraus folgt, dass – zumindest gewisse – abgeschlossene Schutzverträge zum Erwerb der afrikanischen Territorien völkerrechtlich zu würdigen gewesen wären.237 Verschiedene Vertreter des Staatsund Völkerrechts änderten in späteren Auflagen Ihre Ansicht über Teile der afrikanischen Gemeinschaft und attestierten fortgeschrittenen afrikanischen Stämmen die Kategorie »halbzivilisiert«238 oder änderten Ihre Meinung dahingehend, dass auch Gebiete, die von nicht völkerrechtlich anerkannten Gemeinschaften beherrscht wurden, nicht ohne Weiteres als »herrenlos« angesehen

234 Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 19; vgl. Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 195; vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 15, vertiefend zu »Herrenlose Territorien«. 235 Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, vertiefend zur »Colonialerwerb durch Occupation«; Josef Sassen, Die staatsrechtliche Natur der deutschen Schutzgebiete, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, in Band 8 (1906), S. 594–620, 598, sieht die Grundlage für einen völkerrechtlichen Erwerb in der »Occupation«. 236 Gareis, Deutsches Kolonialrecht, S. 6. 237 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 152. 238 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 5. Auflage 1911, Neudruck der 5. Auflage (1964), S. 282.

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werden könnten.239 Folglich ließ sich mit fortschreitender Zeit der kolonialen Geschichte eine gewisse mea culpa in der Wissenschaft beobachten. Auf Grundlage des Gesagten ist festzuhalten, dass sich die zentralistische Staatsphilosophie sehr wohl auf eine junge, aufkeimende Kolonialrechtswissenschaft240 auswirkte. Das Kolonialrecht wurde stärker als andere Rechtsgebiete durch die Wichtigkeit eines praktischen Ziels gelenkt, nämlich die wirtschaftliche Erfolgsmaximierung unter rassistischer Ausbeutung der afrikanischen Bevölkerung.241 Das Kolonialrecht war also eine wissenschaftliche Disziplin, die das neue Phänomen »Kolonialismus« begleitete und somit aber auch das traurige Kind einer rassistischen, nationalistischen Epoche war, in welcher die Staatsphilosophie stark von naturrechtlichen Ansätzen geprägt war. Gleichwohl sind solche Teile des Kolonialrechts hervorzuheben, die sich mit Entschiedenheit gegen eine zentralistische Abwertung Afrikas stellten und somit zu Vorreitern pluralistischer Einstellungen wurden.242 Als ein Überbleibsel der die Kolonialisierung Afrikas prägenden Staatsphilosophie besteht die rassistisch konnotierte Unterscheidung zwischen »zivilisiert« und »unzivilisiert« bis heute. So findet der Begriff der »Zivilisiertheit« in Artikel 38 im Statut des Internationalen Gerichtshofs Anwendung. Demnach soll der Gerichtshof »the general principles of law recognized by civilized nations«243 anwenden. Hier zeigt sich ein Rudiment aus der kolonialen Vergangenheit des globalen Westens, welches es gilt, kritisch zu hinterfragen, um nicht in neokoloniale Muster zu verfallen. Denn auch heutzutage wird das Wort »unzivilisiert« als Pejorativ im alltäglichen Sprachgebrauch benutzt,244 es erinnert somit an die Kolonialepoche und lässt eine Abgrenzung von Über- oder Unterordnungsverhältnissen vermuten. 239 Karl von Stengel, Die rechtliche Stellung und die Verfassung der deutschen Schutzgebiete, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft (1912), S. 81–93, 89, welcher verschiedene Kategorien der »Herrenlosigkeit« aufstellt. So wären immerhin Staaten nicht als »herrenlos« anzusehen, die der Herrschaft irgendeines Gemeinwesens unterstünden, sogar wenn diese nicht als Mitglied der völkerrechtlichen Gemeinschaft betrachtet werden könnten. 240 Vgl. Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit, S. 16: »[…] in Deutschland, wo das Colonialrecht ganz neu sich entwickelt, und für die territoriale Nebenstellung solcher überseeischer Erwerbungen deutscher Unterthanen oder Gesellschaften zum Reiche in der Verfassung noch gar nichts vorgesehen ist.«; vgl. Robert Adam, Völkerrechtliche Okkupation und deutsches Kolonialstaatsrecht, in: Archiv für öffentliches Recht, Band VI (1891), S. 193–310, 193, spricht von der bisher fremden »Disciplin des deutschen Kolonialrechtes«. 241 Vgl. Max Buchner, Aurora colonialis, S. 332: »Werden wir aus unserem Besitz nun auch den richtigen Nutzen ziehen? Im Mittelpunkt dieser grossen Frage steht als Wichtigstes der Neger. Nur er ist das lebende Kapital.« 242 Allen voran Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten. 243 Article 38, Statute of the International Court of Justice, unter: https://www.icj-cij.org/en/sta tute#CHAPTER_III (abgerufen am 1. 4. 2022). 244 Arndt/Hornscheidt, Afrika und die deutsche Sprache, S. 219ff.

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II.

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Staatenrecht als Fundament des Kolonialrechts

Zu Beginn der deutschen Kolonialgeschichte strebte Bismarck ein Schutzbriefsystem nach dem Vorbild der englischen und holländischen »Handelskompagnien« an.245 Die »Kolonien« sollten unabhängig von Reichsbeamten und einem deutschen Verwaltungsapparat funktionieren.246 Daraus folgte, dass bei der frühen Kolonialgesetzgebung angestrebt wurde, den Begriff »der Kolonie« zu vermeiden, um den Anspruch auf Unabhängigkeit der »Handelskompagnien« zu verdeutlichen. So wurde mit dem Erlass des Schutzgebietsgesetz (SchGG) für die deutschen Annexionen der Begriff »Schutzgebiet« geprägt, der sich jedoch größtenteils in staatenrechtlichen Abhandlungen durchsetzte247 und dabei scharf kritisiert wurde.248 Letztendlich fand in der deutschen Kolonialzeit sowohl der Begriff »Kolonie« als auch der Begriff »Schutzgebiet« Verwendung. Unter »Schutzgebiet« war laut Definition ein Gebiet zu verstehen, in welchem eine Schutzgewalt ausgeübt wird, die ihrer Substanz nach dem deutschen Reich unterstellt war.249 Doch wie war die Begrifflichkeit des Schutzgebiets in das Staatsrecht der damaligen Zeit einzuordnen?250 Schließlich hatten die deutschen Handelshäuser und Reichskommissar Nachtigal zu einem Zeitpunkt die Schutzherrschaft über Kamerun übernommen, in dem die deutsche Rechtswissenschaft verfassungsrechtliche Probleme, welche aus der Inbesitznahme des afrikanischen Kontinents resultierten, noch kaum zufriedenstellend bearbeitet haben konnte.251 Daraus ergaben sich viele Fragestellungen für den Bereich des 245 Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 41. 246 Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 41; vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 92f. 247 So im Titel: Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 192ff.; Hellmuth Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete (1913); Jordan Bortho, Die Staatsgewalt des Deutschen Reiches in den Schutzgebieten (1895). 248 Philipp Zorn, Die Grundlage des deutschen Kolonialrechts, in Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902, S. 318–330, 321, nennt die Bezeichnung als »Schutzgebiet« einen »verhängnisvollen Irrtum«; auch der deutsche Staatsapparat hielt eine formale Trennung der Begriffe nicht lange durch. So wurde die oberste für Kolonialangelegenheiten zuständige Behörde »Reichskolonialamt« getauft, vgl. dazu in 2. Kapitel III.e 249 Vgl. Hans-Jörg Fischer, Die deutschen Kolonien – Die koloniale Rechtsordnung und ihre Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg (2001), S. 66; vgl. Paul von Hampeln, Die Staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (1908), S. 14, Dagegen setzt Sassen, Die staatsrechtliche Natur der deutschen Schutzgebiete, S. 604, den Begriff Schutzgewalt mit Staatsgewalt gleich. 250 Dazu vertiefend Sassen, Die staatsrechtliche Natur der deutschen Schutzgebiete, S. 602ff. 251 Vgl. Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, S. 3: »So lange die überseeischen Besitzungen Deutschlands sich noch auf den allerersten Stufen ihrer Entwicklung, ohne geordnete Verwaltung und Rechtsprechung, bestenfalls unter dem Schutze deutscher Kriegsschiffe befanden«; vgl. etwa Hubert Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts (1907): »Die Wurzel für die gesamte Entwicklung des Kolonialrechts liegt im Kolonialstaatsrecht.«

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Einführung in das Kolonialrecht

Staatenrechts.252 Im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion stand die Problematik, ob es sich bei den von Deutschland erworbenen Schutzgebieten um Inland oder Ausland handele. Außerdem entfachte sich eine große Kontroverse über das Ausmaß der kaiserlichen Befugnisse in Bezug auf die deutschen Schutzgebiete.253 Ob deutsche Kolonien staatsrechtlich Inland oder Ausland darstellten, war eine Frage von zentraler politischer Wichtigkeit, denn sie war ausschlaggebend für die Staatszugehörigkeit der Untertanen in den Schutzgebieten, deren bürgerlichen Rechte und Pflichten sowie die Beteiligung von Bundesrat und Reichstag an der kolonialen Gesetzgebung.254 Nicht nur von begeisterten Teilen der Kolonialagitation,255 sondern auch von namhaften Vertretern des Reichsstaatsrechts wurde zunächst die sogenannte »Inland-Ansicht« vertreten. So war Paul Laband überzeugt davon, dass die Schutzgebiete als »Inland« des Deutschen Reiches anzusehen waren. Doch obwohl Laband die afrikanischen Gebiete als Teil des deutschen Inlands proklamierte, war er sich des Problems der räumlichen Entfernung zum Mutterland durchaus bewusst und erkannte folglich einen verfassungsrechtlichen Sonderstatus der Kolonien an: Nach ihm sollte die Reichsverfassung in den Kolonien nicht gelten.256 Labands Spreizschritt lässt sich wohl mit nationalistischem Geltungsbewusstsein – dem Traum eines jungen deutschen (Welt-)Reiches – erklären und auf den Wunsch zurückführen, dass die Kolonien einen noch deutlicheren Zuweisungsgehalt zu Deutschland und zu deutschen Unternehmungen erhielten.257 Dabei wurde der »Inlands-Ansicht« schon von Zeitgenossen spitze Kommentare entgegengebracht: »[…] daß Deutschland außereuropäische Gebiete förmlich in Besitz nehme und durch öffentliche Erklärung für Deutsches Eigenthum erkläre, ist wohl in kaufmännischen Kreisen rege geworden.«258 Dagegen wurde der Standpunkt vertreten, dass die deutschen Kolonien lediglich völkerrechtlich als »Inland«, dafür verfassungsrechtlich ausschließlich als »Ausland« zu betrachten seien:259 Denn seit dem Erlass des SchGG vom 17. April 1886 ließen sich deutlichere Argumente gegen die inlandsnahen Ansichten fin252 Vgl. Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 192ff.; vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 1ff.; dazu vertiefend aus kontemporärer Sicht Grohmann, Exotische Verfassung, S. 1. 253 Vgl. Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 118ff. 254 Fritz Seelbach, Grundzüge der Rechtspflege in den Deutschen Kolonien (1904), S. 12ff.; Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 43; dazu vertiefend Grohmann, Exotische Verfassung, S. 4ff., 16ff. 255 Max Vosberg-Rekow, Staats- und völkerrechtliche Stellung der Kolonien, in Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 (1903), S. 409–421, 410; Zorn, Die Grundlage des deutschen Kolonialrechts, S. 320. 256 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen, S. 286. 257 Vgl. etwa Laband, Das Staatsrecht des Deutschen, S. 286f. 258 Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 193. 259 Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 7.

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den. Der Titel sowie § 1 des Gesetzes führte den Begriff »Schutzgewalt« in das deutsche Staatsrecht neu ein und verwendete ausdrücklich nicht den Begriff der »Staatsgewalt«. Joël erklärt den Begriff des Schutzgebietes aus verfassungsrechtlicher Sicht als ein Minus zur Staatsgewalt. Entweder könne eine Staatsgewalt diese Beschränkung von Anfang an in sich selbst tragen oder auch »von außen empfangen, durch die sie einschränkenden Hoheitsrechte dritter Personen«. Bei der Schutzgewalt über Kolonien wie Kamerun liege folglich nur eine solche Beschränkung von außen vor, also beispielsweise durch die Hoheitsrechte Einheimischer.260 Demnach wäre die Schutzgewalt »eine dem Deutschen Reich über ein ausländisches Gebiet zustehende Staatsgewalt, welche durch bestimmte vertragsmäßige Hoheitsrechte anderer dies Gebiet beherrschender Rechtsubjekte beschränkt, im Uebrigen aber uneingeschränkt ist«.261 Unter der Prämisse, dass die Reichsverfassung in deutschen Schutzgebieten keine direkte Anwendung fand, und bedingt durch den Unterschied zwischen Schutzgewalt und Staatsgewalt ließen sich im Ergebnis die besseren Argumente dafür finden, dass deutsche Kolonien – darunter Kamerun – staatsrechtliches »Ausland« darstellten.262 Schließlich vermochte Labands Inlands-Argumentation durch den inhärenten Widerspruch – Inland ohne geltende Reichsverfassung – nicht zu überzeugen und wurde daher von Zeitgenossen zu Recht kritisiert. Im direkten Bezug zum Streit um die verfassungsrechtliche Stellung der Schutzgebiete stand eine zweite Frage, mit der sich das Staatenrecht zu jener Zeit befassen musste. Zu diskutieren war, welche Befugnisse das Organ des Kaisers über die Schutzgebiete ausüben durfte. Vor Erlass des SchGG vom 17. 4. 1886 war diesbezüglich das Meinungsspektrum bereits weit gefächert.263 Zunächst wurde vertreten, dass dem Kaiser die alleinige Schutzgewalt zustehe. Begründet wurde dies mit der Rücksichtnahme auf die Eigenschaft der Schutzgebiete als Ausland und die im Art. 11 der Reichsverfassung dem Kaiser gegebene Befugnis, das Reich völkerrechtlich zu vertreten.264 Eine zweite Meinung wies 260 So vertreten von Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 193; dagegen von Hampeln, Die Staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, S. 14, mit Gleichsetzung von Staatsgewalt und Schutzgewalt. 261 Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 194f.; dazu kritisch Florian Schack, Das deutsche Kolonialrecht in seiner Entwicklung bis zum Weltkriege: die allgemeinen Lehren; eine berichtende Darstellung der Theorie und Praxis nebst kritischen Bemerkungen (1923), S. 221ff. 262 Dem schließt sich auch die zum Ende der deutschen Kolonialzeit veröffentlichte spezifische Literatur an. So stellt Lüders im Jahre 1914 fest, dass auch im § 12 PatG unter »Inland« nicht die Schutzgebiete zu subsumieren seien, vgl. Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts, S. 7. 263 Streitstand bei Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 208. 264 Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 38, nach welchem dem Kaiser alle Befugnisse in Bezug auf die Schutzgebiete unabhängig vom SchGG zukämen:

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Einführung in das Kolonialrecht

darauf hin, dass die verbündeten Regierungen die Träger der Souveränitätsrechte des Reiches seien und somit prinzipiell der Bundesrat als das Kollektivorgan der Regierungen berufen sei, auch für die Schutzgebiete die Hoheitsrechte des Reiches wahrzunehmen.265 Ferner stützte sich eine dritte Anschauung auf Art. 4 I Reichsverfassung, wonach der Gesetzgebung des Reiches auch die Bestimmungen über die Kolonisation unterliegen würden und daher verlangte, dass zumindest für die wesentliche Regelung der Rechtsverhältnisse in den Schutzgebieten die Mitwirkung sämtlicher gesetzgebender Faktoren des Reichs, also auch die Zustimmung des Reichstags, ausschlaggebend sei.266 Mehr Rechtssicherheit entstand mit Erlass des SchGG. So regelte bereits § 1 SchGG »Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reichs aus« und machte somit einige bis dahin vertretene Ansichten um die Organisation der Schutzgebiete redundant. Nach § 1 SchGG war der Kaiser der selbstständige Verordnungsgeber für alle kolonialen Angelegenheiten.267 Jedoch führte § 1 SchGG zu der Folgedebatte, welche die Ausmaße der dem Kaiser übertragenen Kompetenzen in den Mittelpunkt rückte.268 Vor allem inwieweit der Kaiser befugt war, die Gesetzgebung auszuüben und welche Rolle dem Parlament zukam, war ein politisch konnotierter Streit, der durchaus die Fundamente des Kaiserreichs berührte.269 Zum einen wurde § 1 SchGG als Bestätigung der kaiserlichen Macht angesehen und dergestalt verstanden, dass dem Kaiser, in Analogie zu bereits in Elsaß-Lothringen maßgeblich angewandten Prinzipien, eine allumfassende Gewalt bezüglich der Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten im Namen des Reiches zustehe.270 Dem Kaiser käme daher ein umfassendes Verordnungsrecht zu, welches er auch an andere Organe delegieren könne.271 Dagegen wurden verschiedene Ansichten vertreten, welche die

265 266 267 268 269 270 271

»[…] welche er als Bundesoberhaupt bereits auf Grund der Reichsverfassung und sonstiger Reichsgesetze hat, wie die völkerrechtliche Vertretung des Reichs über alle seine Theile«. So etwa Edler von Hoffmann, Kolonialregierung und Kolonialgesetzgebung, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 7 (1905), S. 362–373, 362. Zum Streitstand siehe Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 209. Vgl. etwa Emanuel Backhaus, Das Verordnungsrecht in den deutschen Kolonien (1908), S. 19. Dazu näher Josef Sassen, Kolonialverfassung und koloniales Verordnungsrecht, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 12 (1910), S. 252– 268, 253ff. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 214. Vgl. Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 119f.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen, S. 294; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 209. König, Das Verordnungsrecht des Kaisers und des Reichskanzlers nach dem Schutzgebietsgesetz, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 14 (1912), S. 289–298, 289.

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Kompetenzen des Kaisers einschränkten und für Partizipation des Bundesrats oder Parlaments plädierten.272 Auch wenn es keine ausdrückliche Regelung in Bezug auf den Umfang der Kompetenzen des Kaisers gab, lässt sich festhalten, dass das SchGG im Wege der ordnungsgemäßen Gesetzgebung, folglich mit Beteiligung des Parlaments, ergangen ist. Daher war auch der Kaiser für die Akte der Kolonialgesetzgebung an die Gegenzeichnungsklausel des Art. 17 II Reichsverfassung gebunden.273 Die Streitigkeiten um die politischen Kompetenzen bezüglich der Schutzgebiete setzten sich über die gesamte Kolonialzeit fort. Wenige Jahre nach dem Erlass des SchGG delegierte der Kaiser einen Teil seiner Befugnisse an den Kanzler. Durch die allerhöchste Verordnung betreffend die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen in den afrikanischen Schutzgebieten vom 25. Februar 1896274 wurde geregelt, dass auch der Reichskanzler ermächtigt war, die erforderlichen Anordnungen für die Regelung der Gerichtsbarkeit über die »Eingeborenen« der afrikanischen Schutzgebiete zu treffen. Reichskanzler Hohenlohe erließ bereits zwei Tage nach Erhalt der Kompetenzen die erste Verfügung in Bezug auf die Gerichtsbarkeit der Eingeborenen.275 Als ein politischer Kompromiss war demnach eine gewisse Teilhabe des Reichskanzlers an diversen Bereichen der Rechtspflege der Schutzgebiete durchaus vorgesehen.276 Auf Grundlage des Dargelegten lässt sich die staatsrechtlich und politisch umstrittene Situation etwas eingrenzen. Die staatsrechtliche Ungewissheit im Umgang mit den Kolonien zeigt auf, dass Erörterungen der Jurisprudenz und politische Aufklärung oftmals der tatsächlichen Erschließung des afrikanischen Kontinents zeitlich hinterherhinkten277 – eine Dynamik, welche verstärkt wurde durch die fehlende Bekennung Bismarcks zu einer eindeutigen Schutzgebietspolitik. Letztendlich erfolgte die Annexion der Schutzgebiete freilich ohne die 272 Mit ausführlicher Darstellung des Streitstands Georg Lüttich, Die Mitwirkung von Bundesrat und Reichstag bei der Kolonialgesetzgebung (1914), S. 77ff.; vgl. Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 25, der betont, dass der Kaiser das Verordnungsrecht nur wegen der Mitwirkung von Parlament und Bundestag innehabe. 273 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 215. 274 Abgedruckt bei: Otto Kolisch, Die Kolonialgesetzgebung des deutschen Reichs mit dem Gesetze über die Konsulargerichtsbarkeit (1896), S. 77. 275 Vgl. Verfügung des Reichskanzlers, betreffend die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen in den afrikanischen Schutzgebieten, abgedruckt bei: Alfred Zimmermann, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Zweiter Theil, 1893 bis 1897 (1898), S. 213f. 276 Vgl. Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik S. 121: »Auch ihm sind wichtige Verordnungsbefugnisse übertragen.« 277 So wurde das SchGG mit zeitlicher Verzögerung in Bezug auf die Annexion der afrikanischen Gebiete erlassen; vgl. vertiefend zur Diskrepanz von Kolonialjurisprudenz und kolonialer Praxis die Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels.

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Einführung in das Kolonialrecht

Utopie eines allumfassend funktionierenden staatsrechtlichen Plans. Vielmehr mussten die durch die Inbesitznahme der Schutzgebiete organisch mitwachsenden rechtlichen Probleme noch von der Jurisprudenz erörtert und daraus die Konsequenzen für etwaige rechtspolitische Lösungen gezogen werden. Dabei wäre mehr staatsrechtliche Sicherheit von den Akteuren der Kolonialagitation sicherlich befürwortet worden.278 Denn Streitigkeiten um politische Kompetenzen in der Kolonialfrage sorgten auch für rechtsunsichere Zustände in den deutschen Kolonien. Die Untersuchung zeigt auf, dass die verfassungsrechtliche Stellung der Schutzgebiete als eine Art Weichenstellung für das Kolonialrecht betrachtet werden kann. Das Staatenrecht der Schutzgebiete befand sich in einem umstrittenen Durchgangsstadium. Gleichwohl ist dem Staatenrecht in Hinblick auf die deutschen Schutzgebiete eine schrittweise Wandlung hin zur Konstitutionalisierung seit dem Erlass des SchGG zu attestieren.279 Denn durch eine eindeutigere Ablehnung der »Inlands-Ansichten« und aus der gem. § 1 SchGG folgenden weitreichenden Kompetenz des Kaisers etablierte sich ein zunehmend stabiler werdendes rechtliches Fundament für das gesamte Kolonialrecht. In Bezug auf den Umfang der Macht des Kaisers ist sich Grohmann anzuschließen, welcher in Bezug auf die koloniale Gesetzgebung nur geringe Kontrollmöglichkeiten von Parlament und Bundesrat feststellte und daher eine kaum eingeschränkte Gesetzgebungskompetenz des Kaisers annimmt.280

III.

Verwaltungsaufbau und Gerichtsbarkeit in den Kolonien

Damit die Rolle des Kolonialrechts für die Kolonien verstanden werden kann, gilt es zunächst ein Verständnis für den Aufbau der Gerichtsbarkeit und Verwaltung der Schutzgebiete zu schaffen, denn zwischen formalem Recht und faktischer Rechtsausübung bestanden in den Schutzgebieten zum Teil evidente Unterschiede.

278 Dies zeigt sich auch nach den vielfachen Forderungen für den Erlass von Kodifikationen im Kolonialrecht, vgl. etwa Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 400; vgl. etwa Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 145; ferner auch Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, S. 33, welcher sich Ordnung durch eine vereinheitlichte Rechtspflege erhofft. 279 Vgl. etwa Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs 2. Auflage 1982, S. 630. 280 Vgl. Grohmann, Exotische Verfassung, S. 4ff.

Verwaltungsaufbau und Gerichtsbarkeit in den Kolonien

1.

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Der Verwaltungsaufbau in den Kolonien

Werden die frühen Zustände in den deutschen Schutzgebieten betrachtet, so wird deutlich, dass im kolonialen Rechtssystem keineswegs vergleichbare Zustände bei Gerichtsbarkeit und Durchsetzung des Rechts herrschten wie bei anderen – insbesondere europäischen – Staaten zu dieser Zeit. Der koloniale Staat ließ sich kaum mit der zentralistisch geprägten Idee einer monolithischen Einheit vergleichen.281 Besonders in der kolonialen Anfangszeit gab es viele Unsicherheiten bei der Handhabung rechtlicher Sachverhalte, einen allgemeinen rechtlichen Konsens allerdings selten. Zudem war der Machtanteil innerhalb der Verwaltungsstrukturen zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden nicht ausgeglichen verteilt.282 Einzelne Deutsche hatten in ihrer Position als Kolonialbeamte eine enorm machtvolle Stellung inne. Einzelne Verwaltungsentscheidungen konnten weitreichende Konsequenzen für Individuen und Bevölkerungsgruppen haben. Oftmals waren die Beamten in der Lage, auf Gerichtsverhandlungen durch willkürliches Handeln einzuwirken. So gelang es ihnen, durch die willkürliche Abänderung eines rechtlichen Vorgangs eine Gefängnisstrafe zu einer Geldstrafe umzuwandeln – freilich, um sich selbst an der Geldbuße bereichern zu können.283 Ein in Deutschland aufkeimendes Verständnis der Gewaltenteilung galt zudem keineswegs für die Rechtswirklichkeit in den deutschen Kolonien.284 Stationsposten konnten durchaus judikative, exekutive und legislative Funktionen innehaben.285 Insbesondere durch die Vermischung der Gewalten lässt sich die Betrachtung der Gerichtsbarkeit nicht ohne die Rolle der Kolonialverwaltung darstellen. Kolonialverwaltung und Kolonialgerichtsbarkeit waren also in besonderem Maße verflochten.

281 Meder, Ius non scriptum, S. 13, nennt als Ziel der jungen positivistischen Staatsrechtslehre von Paul Laband die Verwirklichung eines »monolithischen Anstaltsstaats« in Deutschland. 282 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 56. 283 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 56; vgl. Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 62. 284 Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, S. 70; vgl. Otto Köbner, Die Organisation der Rechtspflege in den Kolonien, in Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 (1903), S. 331–376, 334, der die Trennung von Justiz und Verwaltung als legitimes Ziel anerkennt, aber behauptet, dass deren Umsetzung oft nicht durchzuführen wäre. 285 Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht (1907), S. 97f.; Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 389, erkennt zwar grundsätzlich Montesquieus Lehre der Gewaltenteilung an, spricht sich jedoch zunächst gegen die Einführung einer solchen aus. Dies wurde im Allgemeinen durch den »unkultivierten« und »naturbelassen« Zustand der Schutzgebiete begründet und im Speziellen mit »Unverständnis« der Kolonisierten; vgl. Naendrup, Entwicklung und Ziele des Kolonialrechts, S. 18.

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Einführung in das Kolonialrecht

Die Verwaltung der deutschen Schutzgebiete war bis 1890 Sache des Auswärtigen Amtes. Erst 1890 wurde dort eine Kolonialabteilung mit verschiedenen Referaten eingerichtet. Aus der Kolonialabteilung ging 1907 das Reichskolonialamt hervor. Das Reichskolonialamt war direkt dem Kaiser unterstellt. Diese exponierte Stellung lässt sich mit quantitativen Zunahmen sowie der besonderen Wichtigkeit der kolonialen Geschäfte erklären.286 Das Reichskolonialamt hatte verschiedene Abteilungen, darunter die Abteilung für politische und allgemeine Verwaltungsund Rechtsangelegenheiten sowie ein Referat für Justizverwaltung und Verwaltungspflege. Dem Reichskolonialamt in Berlin unterlag die alleinige Personalhoheit für die Beamten deutscher Schutzgebiete. Trotzdem war die Einwirkung des Reichskolonialamtes auf die Kolonien eher gering. Zwar gab das Reichskolonialamt den groben Rahmen der Kolonialpolitik vor und besetzte die Posten der Kolonialbeamten, doch wegen der großen räumlichen Entfernung konnte die Behörde in Berlin die Reichsbeamten nur schwer kontrollieren und entsprechend wenig auf die lokalen Vorgänge in Afrika einwirken. Insbesondere in Kamerun kam den lokalen Postenführern somit eine immens wichtige Rolle zu.287 Die Verwaltung der deutschen Schutzgebiete lässt sich in folgende drei Ebenen einteilen: Zunächst die obersten Verwaltungsorgane, an deren Spitze der Reichskanzler als Inhaber der Schutzgewalt der Kolonien und als Leiter des Reichskolonialamtes stand. Obwohl weiter keine Einigkeit über den Umfang der Befugnisse des Kaisers herrschte,288 war die Position des Kaisers aus Sicht des Deutschen Reiches an der Spitze der Kolonialverwaltung juristisch wie faktisch kaum ernsthaft zu bezweifeln.289 Auf der obersten Verwaltungsebene wirkte zudem das Auswärtige Amt und die Kolonialabteilung mit, welche jedoch später in das Reichskolonialamt übergingen. Reichskaiser und Reichskolonialamt stellten in der fortlaufenden deutschen Kolonialzeit die oberste Ebene der kolonialen Verwaltung dar. Die obersten lokalen Verwaltungsorgane waren das Fundament für die mittlere Verwaltungsebene. Allen voran war es die Rolle des Gouverneurs in den afrikanischen Gebieten für Planung und Steuerung zu sorgen. Das Gouverneursamt war der höchste Posten der kolonialen Verwaltung in Kamerun.290 Dem Gouverneur kamen somit die weitreichendsten exekutiven, legislativen und ju286 287 288 289

Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht (1911), S. 44. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 57. Dazu vorstehend in 2. Kapitel II. Vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 38; vgl. etwa Ostermann, Die verfassungsrechtliche Stellung des Deutschen Kaisers nach der Reichsverfassung von 1871 (2009), S. 217, der resümiert, dass unter Missachtung des Grundsatzes der Gewaltenteilung der Kaiser »diktatorisch« über die Schutzgebiete verfügte. 290 Vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 512; vgl. Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete, S. 160f.

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dikativen Befugnisse zu. Der Kaiser oder das Reichskolonialamt konnten sich in die lokalen Herrschaftsprozesse kaum einmischen. Lokale Runderlässe des Gouvernements hatten somit für die lokale Bevölkerung weitreichende Wirkung.291 Anfangs lag der kamerunische Gouverneurssitz in Duala, wurde jedoch 1901 ins klimatisch günstigere Buea verlegt.292 Die lokalen Beamten und Gehilfen bildeten die untersten Verwaltungsorgane. Allen voran bestand diese unterste Verwaltungseinheit aus Bezirksamtmännern, lokalen Stationsaufsehern und Postenführern.293 Formal waren sie in der Verwaltungshierarchie dem Gouverneur direkt unterstellt und hatten sich in vielen Bereichen an dessen Vorgaben zu halten. Faktisch kamen ihnen jedoch große Macht und weite Spielräume zu, sie hatten weitreichende Kompetenzen im Umgang mit der lokalen Bevölkerung und waren die Verantwortlichen für die einseitige koloniale Herrschaft im alltäglichen Zusammenleben.294 Von den lokalen Beamten wurde die Rechtspflege als Herrschaftsinstrument genutzt, mit welchem die Verwaltung Erkenntnisse über den Zustand Ihrer Verwaltungsbereiche erhalten konnte und auf deren Grundlage sodann neue rechtliche Mittel zur »Steuerung und Erziehung« der »Eingeborenen« entwickelt wurden. Solche Stationsvorsteher und Bezirksamtsleute waren im Einzelfall sehr unterschiedlich qualifiziert, oftmals war eine militärische Vergangenheit zu vermuten. Rechtsetzung unter subjektivem Ermessen der Verwaltungsbeamten war nicht selten mit Willkür, Selektivität, Zufälligkeit und drakonischen Strafen verbunden.295 Ob eine rein militärische oder etwaige berufliche Laufbahn immer dazu geeignet war, zum Amt eines verantwortungsbewussten Bezirksverwalters mit richterlichen Befugnissen zu befähigen, darf zu Recht bezweifelt werden.296 In Kamerun gab es auf der untersten Ebene der Verwaltung daneben noch Gehilfen der lokalen Beamten. Hilfskräfte der lokalen Beamten konnten beispielsweise Schreiber oder Übersetzer sein. Diese Posten wurden auch von Ka291 Dazu näher im 3. Kapitel. 292 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 57; vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 513f. 293 Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 514; vgl. Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete, S. 176. 294 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58; Vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 514: »In erster Linie muß man durch die Anlage von Stationen für die Besitzergreifung und Beherrschung des Landes sorgen.« 295 Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 62; Andreas Eckert, Verwaltung, Recht und koloniale Praxis in Kamerun, 1884–1914, in: Voigt/Sack (Hg.), Kolonialisierung des Rechts (2001), S. 167–182, 173. 296 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 128f., mit Nachweis auf das Kolonialbeamtengesetz: Anforderungen an eine objektive Rechtsprechung in den Kolonien entstanden erst kurz vor dem ersten Weltkrieg. Seit diesem Zeitpunkt konnten als etatmäßige Richter in Schutzgebieten nur Richter angestellt werden, welche die Befähigung zum Richteramt auch in einem Bundesstaat innehatten; vgl. etwa Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 385.

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merunern besetzt, was für die damaligen Verhältnisse »ein Kuriosum«297 darstellte. Der damals oftmals zentralistisch geprägten Rechtswissenschaft blieb als Reaktion darauf nur verblüfft festzustellen, dass somit »Eingeborene« formal die Rolle von Reichsbeamten einnahmen.298 Auf Grundlage des Dargelegten ergibt sich, dass die Kolonialverwaltung hierarchisch-bürokratisch vom deutschen Reich bis hin zum kolonisierten Schutzgebiet organisiert war. Dabei hatte in dieser Organisationsstruktur der Kaiser eine exponierte Stellung inne. Trotz dessen sehr weitem Entscheidungsspielraum, war der Unterschied zwischen bürokratisch-formaler Organisation und faktisch ausgeübter Verwaltungsmacht groß. Dieser bestand zum einen zwischen der oberen und der mittleren Verwaltungsstufe. Bedingt durch die räumliche Entfernung war für die Verwaltungspraxis der Schutzgebiete daher nicht der Reichskaiser, sondern vielmehr der Gouverneur die faktische »monolithische« staatliche Gewalt für die Kolonisierten. Zum anderen bestand wiederum zwischen dem Gouverneur und der untersten Verwaltungsebene ein Legitimationsdefizit. Durch den weiten Entscheidungsspielraum der lokalen Beamten kam diesen eine erhebliche faktische Macht zu.299 Mangels gerichtlicher Kontrolle der relevanten Verwaltungseinheiten blieb eigenmächtiges Handeln der lokalen Beamten auch nahezu unüberprüfbar. Das Gouvernement konnte schon wegen mangelnder Kenntnis – die zumeist aus fehlenden Ressourcen und einer ausbaufähigen Organisationsstruktur resultierte – Handlungen und Maßnahmen der lokalen Beamten nicht immer kontrollieren oder rügen300 und es ist leider zu vermuten, dass ein willkürlicher Umgang mit den Kolonisierten auch in Teilen gebilligt worden wäre. Erst 1903 versuchte Gouverneur Puttkammer, die Macht von den Bezirksamtmännern und Stationschefs zu beschränken. Er verfügte in dem Runderlass vom 26. Juni 1903, welcher sich nahezu wie eine Rüge liest: »In letzter Zeit sind mehrfache Fälle zu meiner Kenntnis gekommen, in denen Bezirksamtmänner und Stationschefs gerichtliche Strafen, welche von ihnen oder ihren Amtsvorgängern bereits rechtskräftig verhängt waren, im Gnadenwege nachträglich wieder aufgehoben, ganz oder teilweise erlassen, Freiheitsstrafen in Geldstrafen um297 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 107. 298 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 148ff. 299 Lässt sich herleiten aus dem Umkehrschluss der Versuche der Gouverneure durch Verordnungen die Befugnisse der Beamten zu beschränken, vgl. dafür Runderlaß des Gouverneurs, betreffend Ausübung des Begnadigungsrechtes gegenüber den Eingeborenen, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 824, Nr. 407 und vgl. Runderlaß des Gourverneurs, betreffend Verhängung der Todesstrafe gegen Eingeborene, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 831, Nr. 412. 300 Zudem konnten die Verwaltungsbeamten durch die Kontrolle des Informationsflusses und durch eine einseitige Berichtserstattungen ihre Handlungen und Maßnahmen legitimieren, dazu näher unter Einleitung V.

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gewandelt haben, und ähnliches. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Ausübung des Begnadigungsrechtes den Farbigen gegenüber ausschließlich mir vorbehalten ist. Erscheint ein Verurteilter der Begnadigung würdig oder lassen politische Erwägungen eine nachträgliche Milderung der erkannten Strafe angezeigt erscheinen, so ist unter eingehender Darlegung der Gründe an mich zu berichten.«301

Sein Nachfolger, der Gouverneur Ebermaier, versuchte, den eingeschlagenen Kurs fortzuführen und rügte die von lokalen Beamten sofort vollstreckten Todesstrafen gegenüber Kolonisierten im Runderlass vom 27. Juni 1904: »Es ist neuerer Zeit wiederholt vorgekommen, daß von Stationsleitern gegen Eingeborene auf Todesstrafe erkannt und die Strafe sofort vollstreckt worden ist. Ich verweise auf § 11 der Verfügung des Reichskanzlers wegen Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt gegenüber den Eingeborenen vom 22. April 1896. Danach steht die Verhängung der Todesstrafe ausschließlich dem Gouverneur zu. Im Gegensatz zu den in § 10 der Verfügung aufgezählten Fällen, wo sie auf Todesstrafe erkannt haben, grundsätzlich nicht die Befugnis eingeräumt, das Urteil aus besonderen Gründen schon vor der Bestätigung durch Gouverneur zu vollstrecken. […] wenn die Bestätigung versagt wird, gewärtigen, daß nicht bloß auf disziplinarischem Wege gegen sie [die Beamten] eingeschritten, sondern unter Umständen selbst ein strafgerichtles Verfahren gegen sie eingeleitet wird.«302

Die ersten Versuche der Gouverneure die faktische Macht der Stationsleiter und Bezirksamtsmänner zu beschränken, verdeutlichen wie groß der Handlungsspielraum dieser gewesen sein muss. Somit bestand für die Kolonien in formaler Hinsicht eine exakte Verwaltungshierarchie. Die verschiedenen Verwaltungsstufen waren formal durch eine vertikale Legitimationskette miteinander verbunden. Gleichwohl wird deutlich, dass die angestrebten Hierarchien durch die wenigen Kontrollmöglichkeiten faktisch oftmals nicht eingehalten wurden. Dies ergab sich allein schon aus der problematischen Infrastruktur und dem personellen Mangel, mit welchem die Kolonisierenden zu kämpfen hatten.303 Da Hilfsposten und Schreibertätigkeiten oftmals nicht adäquat besetzt werden konnten, ergab es sich, dass Kolonisierten auch eine Teilhabe in der Verwaltung zukam. Für die Kolonialzeit ist dies ein positives Beispiel interkultureller Zusammenarbeit und unterstreicht die Dis301 Runderlaß des Gouverneurs, betreffend Ausübung des Begnadigungsrechtes gegenüber den Eingeborenen, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 824, Nr. 407. 302 Runderlaß des Gourverneurs, betreffend Verhängung der Todesstrafe gegen Eingeborene, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 831, Nr. 412. 303 Vgl. etwa Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72, wegen des schwierigen Personalsituation mussten die Missionare bei rechtlichen Angelegenheiten unterstützen; vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 512, nach dessen Angaben 348 Deutsche im Jahr 1899 und 971 Deutsche im Jahr 1908 in Kamerun lebten. Die kamerunische Bevölkerung wurde auf 3,5 Millionen geschätzt.

72

Einführung in das Kolonialrecht

krepanz zwischen der von diversen Vertretern der Kolonialjurisprudenz theoretisch gedachten Organisationsstruktur innerhalb der Schutzgebiete und tatsächlich gelebter Struktur von Kolonisierenden und Kolonisierten vor Ort.

2.

Die koloniale Gerichtsbarkeit

Durch die nicht eindeutige Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit werden aufgezeigte Konsequenzen für die Verwaltung auch auf Teile der Gerichtsbarkeit übertragbar sein. Allerdings wurde der Ablauf eines Gerichtsverfahrens in den deutschen Schutzgebieten von der Kolonialjurisprudenz kaum ausreichend und nur mit relativer zeitlicher Verzögerung304 behandelt.305 Das bereits für die Untersuchung der kolonialen Verwaltung festgestellte Defizit zwischen formal-wissenschaftlichen Vorstellungen der historischen Kolonialrechtswissenschaft auf der einen Seite und tatsächlicher Ausübung rechtlicher Praxis vor Ort auf der anderen Seite gilt daher auch für viele Bereiche der kolonialen Gerichtsbarkeit. Für große Teile der Kolonialjurisprudenz gab es für die Regelungen der Gerichtsbarkeiten in den deutschen Kolonien eine klare Dichotomie zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden. Eine Trennung der Gerichtsbarkeit nach Hautfarbe, also eine Einteilung in die Gruppierungen »Eingeborene« und »Weiße« wurde kaum angezweifelt.306 Gleichwohl hatte insbesondere zu Beginn der deutschen Kolonialzeit die Kolonialrechtswissenschaft kein vollständiges Wissen über die koloniale Gerichtsbarkeit und die damit einhergehenden lokalen Gegebenheiten und Abläufe. Die kolonialrechtlichen Monographien befassten sich deshalb eher mit der Gerichtsbarkeit für die »weiße Bevölkerung«, da für die Gerichtsbarkeit der »Eingeborenen« oftmals das nötige Wissen fehlte.307 304 Vgl. zur Problematik des eingeschränkten Informationsflusses vorstehend unter Einleitung V und die Ausführungen zu Beginn des 2. Kapitels. 305 Das geringe Wissen zu konkreten Abläufen der Gerichtsverhandlung in den Schutzgebieten vor Ort wird durch den auffällig geringen Umfang der diesem Thema gewidmeten Kapitel deutlich. So Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 144–146; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 68–76; Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 105–108; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 220f. 306 So Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 144ff.; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 68ff.; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 220f.; dagegen: Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256ff., mit einer umfassenden Betrachtung des gemischten Rechts; vgl. in Bezug auf das Gemischtenrecht auch Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheberund Erfinderrecht, S. 38. 307 Dieser Umstand lässt sich aus dem relativ geringen Umfang der behandelten Thematik in der Kolonialjurisprudenz schließen, vgl. die knappen Ausführungen von Stengel, Die Rechts-

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Für die Gerichtsbarkeit der »weißen Bevölkerung« wurde ein äußerst formalistisches Bild einer kolonialen Gerichtsbarkeit gezeichnet. Ausgangspunkt der Betrachtung war die Annahme, dass das rechtliche Verfahren in den Kolonien mit dem der Konsulargerichtsbezirke übereinstimmen würde.308 Dieser Standpunkt wurde mit dem Inkrafttreten des SchGG zementiert: Seit dem Erlass des SchGG war die Verweistechnik des § 2 SchGG auf § 1 II KGG geltendes Recht. Als Folge sollten für die Gerichtsbarkeit der Schutzgebiete die Regelungen der Konsularbezirke gelten. Lediglich in wenigen Bereichen sollten kleinere funktionale Unterschiede bestehen. So sei der Anwendungsbereich der Gerichtsbarkeit von nur »in den Konsulargerichtsbezirken wohnenden oder sich aufhaltenden Reichsangehörigen und Schutzgenossen« auch auf »die weißen Fremden« der Schutzgebiete erweitert worden.309 Des Weiteren war in Bezug auf die gerichtliche Zuständigkeit das jeweilige Konsulargericht mit dem entsprechenden Gericht der jeweiligen Kolonie auszutauschen.310 Ferner war die Position des Konsuls im Rahmen der kolonialen Gerichtsbarkeit mit dem Gouverneur des jeweiligen Schutzgebietes zu ersetzen.311 Nachdem also die verschiedenen Organe der Konsulargerichtsbarkeit durch die jeweiligen Entsprechungen der deutschen Schutzgebiete ersetzt worden wären, würde nach der Vorstellung der Kolonialrechtswissenschaft die Verweistechnik des SchGG auf das KGG dafür Sorge tragen, dass die Reichszivilprozessordnung ohne größere Veränderungen in die deutschen Kolonien übertragen werden könnte. Zumindest für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten waren die gleichen Verfahrensabläufe für Verfahren in den Schutzgebieten wie für die Verfahren eines amtsgerichtlichen Prozesses im deutschen Reich vorgesehen und sollte in sämtlichen Gerichtsständen gegen sämtliche Personen – wiederum ausgenommen waren die »Eingeborenen« – dergestalt durchgeführt werden.312 Erst gegen Ende der deutschen Kolonialzeit konnten die Kolonialrechtswissenschaftler feststellen, dass das idealisierende Bild einer sich dem Gerichtsverfahren des deutschen Reiches annähernden Gerichtsbarkeit der Schutzgebiete

308 309 310 311 312

verhältnisse der deutschen Schutzgebiete, IV. Kapitel, § 27; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, Vierter Abschnitt; Gareis, Deutsches Kolonialrecht, A. Allgemeiner Teil, S. 13ff.; Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete, 4. Kapitel, § 38. Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 144; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 172, ausführlicher zur materiellen Übereinstimmung von Schutzgebieten und Konsulargerichtsbezirken. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 107. Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 220; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 69. Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 220; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 69. Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 145; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 221.

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nicht der Realität entsprach.313 Insbesondere in Kamerun wurden die formalen Vorgaben früh durchbrochen und aufgrund von praktischer Wirksamkeit etablierte das Gouvernement nach eigenem Ermessen eine funktionierende Gerichtsbarkeit für das Schutzgebiet.314 Eine Legitimierung des Gouverneurs konnte dabei kaum von der Kolonialjurisprudenz mit formalistischer und juristischer Argumentation begründet werden.315 Zudem wurde von der späten Kolonialjurisprudenz auch auf infrastrukturelle Unterschiede zur deutschen Gerichtsbarkeit aufmerksam gemacht, denn im Gegensatz zur Rechtsprechung im deutschen Reich funktionierte die Gerichtsorganisation in den Schutzgebieten nur durch eine weitgehende Heranziehung des »Laienelements zur Rechtsprechung«.316 Dieser Umstand wurde damit begründet, dass die lokalen Rechtsgewohnheiten und Stammesbräuchen nur von den »im praktischen Leben stehenden Laienbeisitzern naturgemäß eher bekannt« seien. Allerdings spielte wohl auch die Furcht vor horrenden Kosten eine wichtige Rolle, welche entstünden, würde die heimische Gerichtsorganisation auf die besonders zum anfänglichen Zeitpunkt noch dünn besiedelten und finanziell wenig leistungsfähigen Kolonien übertragen werden.317 Eine der Kolonialverwaltung ähnliche Diskrepanz zwischen Formalität und Realität sollte sich daher auch für die Gerichtsbarkeit der Kolonisierten ergeben. Das wird deutlich, sobald die formalistischen Regelungen des SchGG in Bezug auf das KGG näher betrachtet werden. Als Ausgangspunkt und Credo bestanden die Regelungen für die Gerichtsbarkeit der »weißen Bevölkerung«, denn diese fanden auf die »Eingeborenen« keine Anwendung. Aus diesem Grund bestimmte die Verweistechnik des § 3 Nr. 1 SchGG auf § 1 II KGG ausdrücklich nur, dass die Regelungen zur Gerichtsbarkeit nur auf »in den Konsulargerichtsbezirken [entsprechend: in den Schutzgebieten] wohnenden oder sich aufhaltenden 313 Vgl. etwa Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 48, stellt in Bezug auf die Schiedsgerichte in Kamerun fest, dass sich eine vom Mutterland losgelöste Gerichtsbarkeit etabliert hat; vgl. zu den Schiedsgerichten in Kamerun die Verordnung des Gouverneurs, betreffend Einführung eines Eingeborenen-Schiedsgerichts für den Dualastamm vom 16. Mai 1892, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 853f. Nr. 434. 314 Zur eigenständigen Etablierung einer Schiedsgerichtsbarkeit nachstehend in diesem Kapitel; vgl. zur Widerlegung einer Dichotomie von Kolonisierten und Kolonisierenden Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256ff. mit einer umfassenden Betrachtung des gemischten Rechts; vgl. Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrecht, S. 38; Ferner Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 50. 315 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 68. 316 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 105f. 317 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 105 f; vgl. Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 129, der die Wichtigkeit der Laienbeisitzer mit praktischen Gründen der Sparsamkeit und deren Kenntnis der lokalen Rechtsgewohnheiten begründet.

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Reichsangehörigen und Schutzgenossen«318 anzuwenden seien. Nach allgemeiner Ansicht waren »Farbige«, »fremde Farbige« und »Eingeborene« von § 1 Abs. 2 KGG ausgeschlossen.319 Von Kolonialrechtswissenschaftlern der damaligen Zeit wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass man sich in die »unzivilisierten« Streitigkeiten der Eingeborenen ohnehin nicht zu sehr einmischen und diese im Landesinneren am besten völlig den lokalen Chiefs überlassen sollte.320 Im Ergebnis gelte für »Eingeborene« also eine gänzlich andere gerichtliche Zuständigkeit. Sie richte sich in ihrer Gestaltung ganz nach den »gegebenen politischen Verhältnissen«.321 Grundsätzlich sei zunächst in bürgerlichen wie auch in strafrechtlichen Auseinandersetzungen in erster Instanz die untere Verwaltungsbehörde das entscheidende Organ der Rechtspflege.322 Nach Einschätzung der Kolonialjurisprudenz waren die deutschen Beamten damit maßgebende Instanz für die »Eingeborenengerichtsbarkeit«. Nur in Ausnahmefällen, d. h. bei besonders schweren Vergehen, sei der Gouverneur zuständig.323 Im Landesinneren sollten sich die lokalen Beamten auf »schiedsrichterliche Tätigkeiten«324 beschränken. Nach zentralistischer Ansicht leitete sich jegliche Legitimation zur Rechtsprechung der afrikanischen Chiefs im afrikanischen Inland ohnehin stets von der deutschen Staatsgewalt ab, mit dem »kuriosen« Ergebnis, dass die Chiefs zu »farbigen Beamten« der deutschen Rechtsprechung avancierten.325 In Kamerun wurde aus Gründen der praktischen Wirksamkeit ein System, in welchem den Chiefs eine Befugnis zur Gerichtsbarkeit zukam, nicht nur im afrikanischen Inland praktiziert. So wurden in den Küstenbereichen Kameruns die lokalen Beamten in erster Instanz vom Gouverneur durch »Häuptlingsgerichte« ersetzt. Eine solche »Häuptlingsgerichtsbarkeit« gelte nur für den jeweiligen »Stamm« oder einen Zusammenschluss von »Stämmen«.326 Die »Häuptlingsgerichtsbarkeit« umfasste Streitigkeiten zwischen Angehörigen und Verfahren gegen die Angehörigen der betroffenen Stammesgemeinschaft. Bei 318 Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit (KGG), Reichsgesetzblatt, Band 1879, Nr. 26, S. 197– 206, Fassung vom 10. Juli 1879. 319 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21, »Farbige dagegen […] von der Teilnahme an der Rechtsordnung der Weißen ausgeschlossen, und zwar sowohl die Eingeborenen der Schutzgebiete wie auch fremde Farbige«. 320 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 73ff. 321 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 74. 322 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75. 323 Vgl. etwa Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75. 324 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75. 325 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 73, »und auch wo weiße Beamte regelmäßig die Gerichtsbarkeit ausüben, übertragen sie oft farbigen Beamten eine gewisse Rechtsprechung«; Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 74, forderte die Beteiligung »Farbiger« an Verwaltung und Rechtsprechung. 326 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75.

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geringen zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vergehen war der Richter der ersten Instanz der »Häuptling« des jeweiligen »Stammes«. Bei hohem Streitwert, schwerwiegenden Delikten oder gar Mord und Totschlag waren jedoch das Gouvernement und die diesem unterstellten Beamten zuständig.327 Die »Eingeborenengerichtsbarkeit« in Kamerun wurde somit den politischen Bedürfnissen flexibel angepasst, damit sie effizient zur Kontrolle der Kolonisierten und zur Gewährleistung eines Rechtsfriedens beitrug. Das sich überhaupt erst eine solche »Eingeborenengerichtsbarkeit« etablieren konnte, wurde durch die mangelhafte Infrastruktur und Truppenstärke der Kolonisierenden begründet.328 Kontemporäre Untersuchungen der Dokumente der Kolonialverwaltung und Schapers genaue Darstellung der Kolonialgerichtsbarkeit in Kamerun lassen vermuten, dass der tatsächliche Ablauf der Gerichtsbarkeit vor Ort noch deutlicher von den Vorstellungen der Kolonialrechtswissenschaft der damaligen Zeit abwich.329 Vermutlich wurde die Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten nur in groben Zügen durch rechtliche Regelungen bestimmt. Die vielen Versuche, die Rechtslage für alle deutschen Kolonien zu vereinheitlichen, demnach eine Rechtsordnung des deutschen Reiches von überkontinentaler Bedeutung zu schaffen, schlugen bereits zum Anfang der deutschen Kolonialzeit fehl. Zwar probierten Teile der Regierung, Kolonialbefürworter und der Kolonialrechtswissenschaft das nationalistische Vorhaben einer Kolonialrechtskodifikation voranzutreiben,330 mussten jedoch im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen den Kolonien aufgeben. Solche Fehlschläge hatten auch Auswirkungen auf die koloniale Gerichtsbarkeit, sodass die Verantwortung der inhaltlichen Ausgestaltung der Regelung vor allem beim Gouverneur lag. Vorschläge für Verordnungen und Aufbau der Gerichtsbarkeit kamen daher aus den Kolonien selbst, schließlich könnten die »Kenner des Landes« das Recht und die Gesetzgebung viel geschickter an die lokalen Gegebenheiten anpassen. In den Schutzgebieten müsse das Recht »organisch aus dem Boden des Landes heraus wachsen«.331 Formal sollte der Gouverneur eine strukturelle Gerichtsbarkeit aufbauen und somit die gesamte Rechtsetzungskompetenz zentralisiert im Gouvernement 327 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 73ff. 328 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58ff., vgl. dagegen etwa Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75, »Häuptlingsgerichte« zur Entlastung der deutschen Beamten. 329 Erst zeitlich spät und unpräzise wurde dies von einigen Kolonialrechter erkannt, so Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 73ff.; Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 105f. 330 So Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 29; vgl. vorstehend in diesem Kapitel zur Kodifikation des »Eingeborenenrechts«. 331 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58, mit Hinweis auf Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5489, Bd. 2, Unbetitelt, Stellungnahme des Referats A6, S. 205, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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sein.332 Diese Ansicht rekurriert auf die von der historischen Rechtsschule entwickelten Grundsätze.333 Bei genauer Betrachtung ergibt sich also eine deutliche Abweichung von der in der frühen Kolonialjurisprudenz angenommenen Allgemeingültigkeit des SchGG und KGG in den deutschen Kolonien. Das formalistisch geprägte Bild starrer Gerichtszuständigkeit nach der damaligen de lege lata muss ergänzt werden durch die wichtige Rolle der lokalen Beamten beim Aufbau der Gerichtsbarkeit und in Ausübung der Rechtsetzung. Sie konnten das Verfahren nahezu frei entscheiden, somit Regeln und Normen für verschiedene, sich in der Kolonie Kamerun wiederholende und ähnliche Fälle festsetzen.334 Sogar Expeditionsleiter waren während ihrer Expedition faktisches Organ der Rechtsprechung, obwohl sie nicht im engeren Sinne zur Kolonialregierung zählten, demnach auch keine »lokalen Beamten« waren. Sie konnten gegen auf Expeditionen angetroffene Personen oder Angehörige der Expedition Urteile sprechen sowie Verordnungen erlassen. Eine diesbezügliche Legitimierung war aus Sicht der kamerunischen Bevölkerung kaum zu erkennen.335 Sowohl der oberen wie der mittleren Verwaltungsebene kam hierbei nur eine geringe Teilhabe zu. Zwar ist die Rolle der mittleren Verwaltungsebene, also des Gouverneurs, in schweren Einzelfällen wie Skandalen und Aufständen oder in Rechtssachen in der Nähe des Gouvernementsitzes durchaus als nicht gering einzuschätzen, jedoch war das Schutzgebiet zu weitläufig und räumlich zu schwer zu kontrollieren, als dass der Gouverneur stets die monolithische Staatsgewalt hätte darstellen können. Gleichwohl hatte in der Gesetzgebung in den Kolonien weder die zuständige Behörde in Berlin noch die Rechtswissenschaft der damaligen Zeit eine für den Einzelfall evidente Teilhabe.336 Auf dieser Grundlage lässt sich auch der Unterschied bezüglich der Organisation der Gerichtsbarkeit in Kamerun von der Rechtspflege in anderen Schutzgebieten erklären. Durch die großen Entscheidungsspielräume der lokalen Beamten – sowohl in der mittleren als auch in der unteren Verwaltungsebene – wurden in Kamerun ohne vorherige Absprache mit den Behörden in Berlin neue Institutionen eingerichtet oder bestehende Gerichtsbarkeit nahezu

332 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58. 333 Dazu vorstehend unter Kapitel 2 I. 334 Das lässt sich herleiten aus dem Umkehrschluss der Versuche der Gouverneure, durch Verordnungen die Befugnisse der lokalen Beamten zu beschränken, vgl. etwa Runderlaß des Gouverneurs, betreffend Ausübung des Begnadigungsrechtes gegenüber den Eingeborenen, in: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 831, Nr. 412. 335 So vertreten von Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58. 336 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 58, mit Nachweis auf Dokumente der Kolonialverwaltung; vgl. etwa Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 62.

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willkürlich modifiziert.337 Dies lässt sich insbesondere mit der Entstehung der Schiedsgerichte in Kamerun darlegen, welche es in keinem anderen deutschen Schutzgebiet gab. Gouverneur von Soden griff 1885 die Idee der Schiedsgerichte nach englischem Vorbild auf und schlug den Duala vor, an wichtigen Stellen für entscheidende Fragen Schiedsgerichte mit deutschen Schiedsrichtern einzurichten.338 Schiedsgerichte bestanden aus bis zu fünf Mitgliedern und jeweiligen Stellvertretern, welche durch die Chiefs eines Gebiets gewählt wurden und sodann von dem Gouvernement ernannt wurden. Die Schiedsgerichte waren für höhere Freiheitsstrafen im Strafrecht zuständig – ausgenommen Mord und Totschlag – und durften die Strafe selbst vollziehen. Zudem waren Sie für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten erstinstanzlich zuständig, welche nicht in die Zuständigkeit der Häuptlingsgerichte fielen.339 Weder waren die Schiedsgerichte von deutschen Behörden geplant, noch von der Kolonialrechtswissenschaft antizipiert worden. Erst einige Zeit später wurde das Phänomen des Schiedsgerichts in Kamerun von Rechtswissenschaftlern vage besprochen.340 Das erste Schiedsgericht wurde bereits zu Beginn der deutschen Kolonialzeit von Gouverneur von Soden in Duala eingerichtet.341 Nach 1890 wurden zehn weitere dieser Gerichte in den küstennahen Gebieten geschaffen. Das eigenmächtige Handeln des Gouverneurs wurde später damit begründet, dass die lokalen Bevölkerungsgruppen selbst mit dem Wunsch, ähnliche Schiedsgerichte zu errichten, an die deutschen Beamten herangetreten seien.342 Doch die deutsche koloniale Rechts- und Gerichtsordnung entstand zum Großteil aus nicht abgestimmten Entscheidungsprozessen zwischen der oberen, der mittleren und unteren Verwaltungsebene. Nur selten und nach Skandalen mischte sich die obere Verwaltungsebene, das Reichskolonialamt in Berlin und der Reichskaiser, im Wege der Verordnung in die Gerichtsbarkeit in den Kolonien ein. Ein Beispiel für ein solches Einmischen der oberen Verwaltungsebene stellt der Erlass der zentralen Verfügung von 1896 zur kolonialen Strafrechtspflege dar, welcher auf Kritik des menschenunwürdigen Umgangs mit der afrikanischen Bevölkerung reagierte.343 In Kamerun entstand durch die vor Ort geschaffene »Gerichtsbarkeit der praktischen Wirksamkeit« somit eine Art Instanzenzug, welcher vor allem für die 337 Vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 48, mit kritischer Auffassung, ob Instanzen der kolonialen Gebiete stets rechtlich legitimiert entstanden sind. 338 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 59. 339 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 50. 340 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75; Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 390; vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 48. 341 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 59. 342 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 60. 343 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 60.

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Kolonisierten, aber auch für gemischten Angelegenheiten oder Handelssachen galt. Auf der untersten Stufe standen die Häuptlingsgerichte, welche für Bagatellstrafsachen innerhalb einer Gemeinschaft oder eines Dorfes sowie für kleine zivilrechtliche Streitigkeiten zuständig waren. Sie wurden von den Kolonisierenden als Rechtsprechungsorgan benutzt, damit die afrikanische Bevölkerung Recht auf der Grundlage ihrer traditionellen Sitten und Gebräuche weiter vollziehen konnten, zugleich aber durch die Kolonialregierung Kontrolle ausgeübt wurde. Über den Häuptlingsgerichten standen die verschiedenen Schiedsgerichte auf der zweiten Stufe. 1897 wurden insgesamt elf solcher Gerichte durch Verordnung des Gouverneurs eingerichtet. Die Schiedsgerichte waren die Berufungsinstanzen für die Entscheidungen der Häuptlingsgerichte.344 Auf der obersten Stufe stand der Gouverneur. Er allein hatte über Mord und Totschlag und die Verhängung der Todesstrafe zu entscheiden. Zudem war er die Revisionsinstanz für Urteile der Schiedsgerichte.345 Dieser Instanzenzug vermittelt allerdings nur eine ungefähre Vorstellung von dem Verhältnis der Gerichtsinstitutionen zueinander, wobei die Zuständigkeiten aber nicht immer präzise voneinander getrennt, sondern vielmehr oftmals nur grob festgelegt waren.346 In der Konsequenz ist somit der Unterschied zwischen formal gedachten Legitimations- und Organisationsstrukturen und tatsächlich ausgeübter gerichtlicher Gewalt vor Ort in den Schutzgebieten auffällig.347 Nach den formalen Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz befanden sich Schutzgebiete wie Kamerun schon in einem recht weit entwickelten Durchgangsstadium hin zur Konsolidierung und Institutionalisierung, jedoch war die tatsächliche gelebte Rechts- und Verwaltungspraxis vor Ort vielmehr eine »Gerichtsbarkeit der praktischen Wirksamkeit«, welche von einem evidenten strukturellen Ungleichgewicht zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten geprägt war. Die Lücken in der Legitimationskette zwischen den unterschiedlichen staatlichen Einheiten und die weite räumliche Entfernung vom Deutschen Reich führten dazu, dass die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit von einer Einzelfallgerechtigkeit abhängig waren. Praktischer Erfindergeist der Kolonisierenden sorgte für den Aufbau einer Art Instanzenzug in Kamerun, an welcher als unterste Verwaltungsorgane auch die einheimische Bevölkerung und ihre Vertreter teilhaben »durften« und zur ef344 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 75; Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 50. 345 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 50. 346 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 307. 347 Vgl. etwa mit offenen Fragen zur Gerichtsverfassung Ludwig Bendix, Die Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und die Verfassung der Schutzgebiets- und Konsulargerichte, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 8 (1906), S. 885–889, 887.

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Einführung in das Kolonialrecht

fektiveren Abwicklung von Streitigkeiten beisteuerten. Auch wenn diese Teilhabe eines der positiven Beispiele der interkulturellen Zusammenarbeit für die damalige Zeit bleibt, darf dieses auf keinen Fall als humanistische Geste der Kolonialregierung verstanden werden. Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten soll dadurch nicht relativiert werden. Dies würde zu einer nicht annehmbaren Relativierung der deutschen Gewalt- und Willkürherrschaft über die Schutzgebiete führen. Des Weiteren war ein solcher »Rechtspluralismus in den Gerichtsbarkeiten« nicht durch ein humanistisches Menschenbild angetrieben, sondern vielmehr durch ökonomisches und planvolles Kontrollieren einer Bevölkerungsschicht und das Vorhandensein von Sprachbarrieren und Sittenunverständnis auf Seiten der Weißen; schließlich würde eine aufständische afrikanische Bevölkerung der wirtschaftlichen Zielsetzung der Kolonien zuwiderlaufen.348

IV.

Anwendbare Rechtssysteme für die Bevölkerung der Kolonien

Verschiedene Rechtssysteme und Rechtstraditionen können in einem räumlich wie sozial abgegrenzten Raum koexistieren.349 Doch wie wirkten sich die verschiedenen Rechtsanschauungen, die im Rahmen der Kolonialisierung zusammenprallten, auf die deutschen Schutzgebiete aus? Wie festgestellt, war das geltende Recht der Gerichtsbarkeit nach der formalen Ansicht der Kolonialjurisprudenz für Kolonisierende und Kolonisierte strikt in zwei verschiedene Rechtskreise aufgeteilt.350 Eine vergleichbare formale Trennung sollte nun auch für das materielle Recht gelten. Es ist daher zu untersuchen, in welchem Maß die formale Trennung in zwei dichotome Rechtssysteme sich auf das Gesamtbild der rechtlichen Auseinandersetzungen auswirkte. Zu überprüfen ist, ob sich das Recht der Schutzgebiete als duales Rechtssystem bezeichnen lässt. Zunächst strebte die deutsche Kolonialmacht nicht an, in den bestehenden Rechtskreis der Kolonisierten einzugreifen.351 Es war kein vorrangiges Ziel der Kolonialverwaltung, den »Eingeborenen« das »zivilisierte, deutsche Recht« aufzuzwängen. Dies lässt sich unter anderem aus dem Annexionsvertrag zwischen 348 Vgl. Max Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 200: »Die Hebung der allgemeinen Sicherheit und damit die unumgängliche Vorbedingung für produktive Unternehmungen […] und damit vielleicht auch die Förderung des großen Problems der Erziehung des Negers zur Arbeit: Das sind die Ziele, deren Erreichung für so manches Opfer entschädigen wird.« 349 Dazu näher Meder, Doppelte Körper im Recht, S. 2ff. 350 Vgl. schon in Bezug auf die Gerichtsbarkeit vorstehend in 2. Kapitel III; vgl. etwa Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts. S. 15: »So treten uns in den Kolonien zwei Rechtssphären entgegen.« 351 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 73.

Anwendbare Rechtssysteme für die Bevölkerung der Kolonien

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Kolonialregierung und den Duala herleiten.352 Eine derartige »erhaltende Rechtspolitik« lässt sich gewiss nicht allein mit der Rechtstreue der Deutschen gegenüber den Schutzverträgen begründen. Vielmehr zeigte die Kolonialverwaltung wenig Skrupel, die Verträge bedenkenlos zu brechen, um wirtschaftspolitische Ziele, wie die Verdrängung der Duala aus Ihrer Rolle als »Kameruns Zwischenhändler«, zu verwirklichen.353 Mithin verfolgten die Deutschen mit der Beibehaltung des afrikanischen Rechts im Rechtskreis der »Eingeborenen« andere Pläne. Durch die Beibehaltung an Kontinuität sollte die gesellschaftliche Organisation und Lebensweise der kamerunischen Bevölkerung sowie der lokale Frieden und die Akzeptanz für eine deutsche Herrschaft gesichert werden.354 Schließlich war das primäre Ziel der Kolonisation Afrikas ökonomischer Erfolg, welchen es durch möglichst friedliche, geordnete und widerstandslose Verhältnisse vor Ort zu maximieren galt. Diese Prämisse wurde spätestens mit der von Dernburg eingeführten »erhaltenden Politik« Konsens.355 Durch das zurückhaltende Eingreifen der Kolonisierenden in die rechtlichen Angelegenheiten der Afrikaner*innen entstand eine Besonderheit für das Recht der Schutzgebiete. Für das Kolonialrecht ergab sich formal eine Anwendung verschiedener Rechtsordnungen auf bestimmte Personenkreise.356 Das (rassistische) Trennen der Menschen sollte zu zwei gesonderten Rechtskreisen führen. Demnach sollte für »Weiße« und »Farbige« jeweils ein gesondertes materielles und formelles Recht gelten.357 Die Bevölkerung des Schutzgebiets Kamerun wurde in ihrer Rechtsstellung nach verschieden Klassen eingeteilt. Die Unterteilung wurde nach »Hautfarben« vorgenommen, demnach wurde in »Weiße« und »Farbige« eingeteilt.358 Während 352 Max Buchner, Aurora Colonialis, S. 69: »Nr. 5 Für die erste Zeit nach Einrichtung der neuen Verwaltung sollen unsere Landessitten respektiert werden.« 353 Max Buchner, Skizzen und Betrachtungen, S. 70f., in Antizipation der Nichteinhaltung des zweiten Vertragstextes, jedoch mit der Auffassung »Die Schwierigkeiten, die da drohten, waren Sache der Handelshäuser.« 354 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 86f., nennt die Politik der deutschen Kolonialmacht »konservatorische Rechtspolitik«; deutlicher Voigt, Kolonialisierung des Rechts, S. 28. 355 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 5. 356 Dazu näher in 4. Kapitel I, II und III. 357 Zu dem Ergebnis kommt Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 218 mit weiteren Nachweisen; Speitkamp, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 61. 358 Vgl. etwa Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21 und S. 178; Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 57ff.: hat sogar in vier Klassen unterschieden: 1. Reichsangehörige, 2. Auf Grund des § 9 SchGG naturalisierte Ausländer und Eingeborene, 3. Nicht naturalisierte Ausländer, d. h. Angehörige anderer völkerrechtlichen Gemeinschaft gehörigen Staaten, 4. Nicht naturalisierte Eingeborene; Ludwig Sieglin, Die koloniale Rechtspflege und ihre Emanzipation vom Konsularrecht (1908), S. 94, spricht sich für ein Bedürfnis aus unter den »Farbigen wieder gewisse Abstufungen zu machen, da sie unter sich auf ganz verschiedenen Kulturstufen stehen«; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 203, bestätigt

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für die »Weißen« die Vorschriften der Reichsgesetze gelten sollten,359 sollte für die »Farbigen« im Wesentlichen ihr angestammtes Recht weiter gelten.360 Eine Teilnahme der Kolonisierten an der Rechtsordnung der Kolonisierenden war nach Vertretern der damaligen Wissenschaft nur möglich, wenn die »Farbigen« die Reichsstaatsangehörigkeit eines anderen »zivilisierten« Staates vorweisen konnten. Das galt in erster Linie für Personen, welche das »Christenthum angenommen haben«, also eine über der eigenen Kultur liegende Kulturstufe erklommen hätten.361 Das sollte jedoch die Ausnahme zum Grundsatz der Segregation darstellen.362 Aus dem Vorangestellten würde sich ergeben, dass für die weiße Bevölkerungsschicht nahezu ausschließlich die Gesetze des Reiches wirksam gewesen wären. Auch die maßgeblichen Regelungen des Kolonialrechts zementierten diesen Kanon. So regelte § 3 Nr. 1 SchGG die Anwendung des KGG in den deutschen Kolonien. Deshalb sei es »[…] für die Weißen charakteristisch, daß die Ordnung des bürgerlichen, des Straf- und Prozeßrechts, sowie die Gerichtsverfassung unter welcher sie leben, grundsätzlich durch Gesetz festgelegt ist und daß die Regelung dieser Angelegenheiten den Ansprüchen genügen muß, welche das europäische Rechtsbewußtsein an die Rechtsordnung stellt«.363

Hingegen wurde der kolonisierten Bevölkerung ein anderer Rechtskreis zugeordnet. Teilweise wurden Einteilungen in Rechtskreise daran festgemacht, ab welchem »Bruchteil an farbigem Blut« ein menschliches Individuum noch der Kategorie der »Weißen« zugehörig sein könnte.364 Jedenfalls seien »Farbige dagegen […] von der Teilnahme an der Rechtsordnung der Weißen ausgeschlossen, und zwar sowohl die Eingeborenen der Schutzgebiete wie auch fremde Farbige«.365 Die schematische Aufteilung in die aufgezeigten Rechtskreise lässt sich als rassistisches »Trennungsprinzip« beschreiben. Fraglich ist, ob diese von Teilen der Kolonialjurisprudenz vorgenommene Trennung der kolonialen Realität entsprach. Damit das Rechtssystem in den Schutzgebieten als duales Rechtssystem bezeichnet werden kann, müsste sich nicht nur in der formalistischen Einteilung

359 360 361 362 363 364 365

lediglich, dass den Häuptlingen Ihr eigener Rechtskreis zugesichert wurde; vgl. dagegen Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 112. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 178. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 187. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 65. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 174,178. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21.

Anwendbare Rechtssysteme für die Bevölkerung der Kolonien

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der Kolonialjurisprudenz, sondern auch auf tatsächlicher Ebene das Recht in nur zwei unterschiedliche Bereiche aufgeteilt haben. Gelebter Rechtspluralismus, aufgeteilt in zwei dichotome Strukturen, würde bedeuten, dass Gesetze und Verordnungen, die wiederum Rechte, Bedingungen und Beschränkungen enthielten, sich für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Kolonien auch als ein solches duales Rechtssystem in der Lebenswirklichkeit als dual auswirkte. Ferner wäre eine Einteilung in Rechtskreise »dual«, wenn sie keine oder nur eine geringe Überschneidung aufweisen würden. Für die Bevölkerungsgruppen des Schutzgebiets Kamerun war eine derart strikt-formale Dichotomie des Rechts nur schwierig anzuwenden. Bereits festgestellt wurde, wie unübersichtlich und willkürlich die Gerichtsbarkeit durch lokale Beamte wie Bezirksleiter ausgeübt wurde.366 Kamerun war ein besonderes Beispiel für einen rechtspluralistischen Lebensraum. Das weite Gebiet wurde mit verhältnismäßig geringer Kapazität deutscher Schutzbeamten kontrolliert. Die Lebenswirklichkeiten der vielen Rechtssachverhalte mit kolonialem Bezug waren sehr verflochten – kaum ließen sich verschiedene Rechtsgeschehen isolieren und klar einem Rechtskreis zuordnen.367 Dies erschwerte der deutschen Kolonialmacht die Durchführung einer rassistischen Herrschaftsutopie durch strikte Segregation.368 Das Gebiet Kamerun war für die Kolonisierenden zu weitläufig, als dass es durch die Kolonialherren stets zu kontrollieren gewesen wäre.369 Auf Grundlage dessen waren insbesondere Bereiche ohne evidente wirtschaftliche Bedeutung nur selten einem eindeutigen Rechtssystem zugeordnet. Mithin lässt sich eine heterogene Rechtspraxis außerhalb der Kontrolle der deutschen Kolonialmacht und somit auch außerhalb eines strikten »dualen Rechtssystems« vermuten, da dem hegemonialen Rechtssystem nie alle Kolonisierten unterworfen waren. So waren beispielsweise im Norden Kameruns islamische Teile der Bevölkerung dem islamischen Recht lokaler Obrigkeiten unterstellt.370 Die Kapazität der deutschen Kolonialmacht reichte nicht aus, um die formal getrennten Rechtskreise auf diejenigen Bezirke Kameruns zu übertragen, welche sich räumlich weiter entfernt von den zentralen Stationsposten und Gerichtsbezirken befanden. Der nationalistische Anspruch des jungen Kaiserreichs, nämlich das rechtliche System nach preußischem Verwaltungsvorbild auf die Kolonie Kamerun übertragen und somit ein deutsches Reich mit überseeischer Geltung zu erschaffen, wurde nur 366 Dazu vorstehend in 2. Kapitel IV. 367 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 305; vgl. Buchner, Skizzen und Betrachtungen, S. 190 zur Rechtsprechung zwischen »Weißen und Schwarzen«. 368 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 304. 369 Vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 512, zum quantitativen Verhältnis von Deutschen und Afrikaner*innen in Kamerun. 370 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 306.

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Einführung in das Kolonialrecht

bedingt eine koloniale Wirklichkeit. Der koloniale Herrschaftsanspruch blieb in Bezug auf die Durchsetzung des deutschen Rechts in Teilen ein theoretischer.371 Dieser Mangel im Herrschaftsanspruch und damit die teilweise fehlende Durchsetzbarkeit des von der deutschen Kolonialmacht gewünschten Rechtssystems verfälscht die eindeutigen Grenzen der dualen Rechtskreise. In dem rechtlichen Vakuum, welches durch die Nichtanwendung der formal vorgesehenen Vorschriften in den Schutzgebieten entstand, gab es reichlich Raum für die Bildung anderer Rechtssysteme. Das galt insbesondere für die rechtlichen Interaktionen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten.372 Neben dem verzweigten Recht der Kolonisierten waren es unter anderem die Missionen, die durch großen Wirkungsbereich eigene Rechtssysteme für lokale Gruppierungen aufstellten. So setzten die Missionen eigenes Recht, wenn sie für Gemeinden Verwaltungsordnungen erließen oder maßregelnd das Gemeindeleben durch Verhaltensmaßnahmen regelten.373 Dort, wo die Fühler der Kolonialverwaltung nicht hinreichten, wurden Rechtssysteme auch von privaten Gesellschaften und Unternehmungen etabliert, die mit drakonischen Disziplinar- und Strafmaßnahmen ihr eigenes Arbeitsrecht zur Maximierung wirtschaftlicher Erfolge schufen.374 Auch Kaufleute setzten in Verträgen eigene rechtliche Grundsätze und verlangten »überraschende« Gebühren und Zölle bei Handelsgeschäften mit den Afrikaner*innen.375 Anders als von der Kolonialrechtswissenschaft dargestellt und von der Kolonialregierung erwünscht, griffen also verschiedene andere Rechtskreise in die Rechtswirklichkeit der »Weißen« und der »Farbigen« ein.

371 Vgl. Buchner, Skizzen und Betrachtungen, S. 191: »Außerdem kommt als rein praktischer Gesichtspunkt in Betracht, daß an der westafrikanischen Küste der Weiße im Kampf ums Dasein einer tausendfachen Majorität von Schwarzen gegenüber steht.« So im Ergebnis auch Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 309. 372 Vgl. vorstehend 2. Kapitel I, wie rechtliche Lücken auf Grund von praktischer Funktionalität gestalterisch mit Rechtsinstituten durch in der Gesellschaft wirkende Kräfte gefüllt worden sind. Als plakatives Beispiel werden hierfür die Bildung der Schiedsgerichte in Kamerun angeführt, vgl. dazu vorstehend in 2. Kapitel III 2. 373 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 311 mit weiteren Nachweisen; Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts, S. 52f., spricht von einem unklaren Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Kirche. 374 Vgl. Buchner, Skizzen und Betrachtungen, S. 191: »Dem entsprechend dürfte jeder Europäer, zum Mindesten jeder Faktoreivorsteher, gewissermaßen als Organ der Regierung betrachtet und mit gewissen Befugnissen der Selbsthülfe ausgestattet werden.« 375 Vgl. die Akteneinträge zu dem Einfluss von Woermann auf die Vertragsverhandlungen in Bezug auf die Annexion Kameruns, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4202, Bd. 1, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 12, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/in venio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

Anwendbare Rechtssysteme für die Bevölkerung der Kolonien

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Auf Grundlage dessen entsprach das Bild von zwei gesonderten »dualen Rechtskreisen« nicht zweifelsfrei der Rechtswirklichkeit.376 Vielmehr führten die unklaren Grenze der Rechtswirklichkeit in Bezug auf die verflochtene Lebenswirklichkeit zu einer großen Schnittmenge, den sogenannten »gemischten Angelegenheiten«, in welcher Kolonisierende und Kolonisierten miteinander in rechtlichen Beziehungen interagierten.377 Die »gemischten Angelegenheiten« konnten bereits bei ganz alltäglichen Angelegenheiten zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten eine Rolle spielen.378 Das koloniale Rechtssystem war demnach durchaus ein pluralistisches System, gleichwohl keines, welches sich erschöpfend mit einem »dualen Rechtssystem« beschreiben lässt. Die Dualität spiegelte sich vielmehr in dem Fundament der kolonialen Rechtsordnung wider. Dieses Fundament bestand aus einer »dualen Struktur«, nämlich der rassistischen Unterscheidung nach den Hauptfarben »weiß« und »farbig«. Eckert beschreibt daher das geltende Kolonialrecht zutreffend als ein Amalgam mehrerer neuer Formen des Rechts, welches aber als ein System interpretiert werden müsse. Geltendes Kolonialrecht sei keineswegs ein unvoreingenommener Gebieter gewesen, geleitet durch feste Regeln und Prozeduren sowie durch klar abgegrenzte Rechtskreise, sondern vielmehr eine Ressource in Auseinandersetzungen um Besitz, Arbeit und Macht.379 Schaper begreift das geltende Kolonialrecht als ein äußert heterogenes Gebilde mit zum Teil wenig definierten und kaum abgegrenzten Rechtskreisen und Rechtstatbeständen.380 Dem ist zuzustimmen. Als Konsequenz daraus lässt sich die Einteilung der Kolonialrechtswissenschaft der damaligen Zeit in ein »duales Rechtssystem« zwar verständlich erscheinen, was aber an der »dualen Machtstruktur« lag, welche sich auch auf das geltende Recht in Kamerun niederschlug. Nicht nur verzerrten andere Rechtskreise die von der Kolonialjurisprudenz häufig angenommene duale Einteilung,381 sondern vielmehr zeigte die Lebenswirklichkeit 376 Vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 515: »[…] so spricht jeder Bezirksrichter, von einem Beirat unterstützt, über die Weißen ebenso wie über die Schwarzen Recht.« 377 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 367, Autenrieth sieht in den gemischten Angelegenheiten die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien, unter: https://in venio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 378 Dazu näher in 3. Kapitel IV. Gemischtrechtliche Angelegenheiten konnten dabei auch simpler Natur sein, vgl. dazu Bohner, Ae Ntonga!, S. 10, erzählt von gemischtrechtlicher Interaktion auf einem Fischmarkt; vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 96f., für den Einkauf von Backzutaten im gemischtrechtlichen Kontext. 379 Eckert, Verwaltung, Recht und koloniale Praxis in Kamerun, S. 174. 380 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 306. 381 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 178ff.; vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 174ff.; vgl. Bundesarchiv BerlinLichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des

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Einführung in das Kolonialrecht

der damaligen Zeit auch die enorme Wichtigkeit des Bereichs »Gemischtenrecht«. Die gemischten Angelegenheiten waren demnach ein entscheidender Faktor für das koloniale Recht. Folglich kann von einer tatsächlichen Dichotomie zweier Rechtskreise kaum die Rede sein. Gewiss muss das geltende Recht im Schutzgebiet Kamerun als ein Rechtssystem begriffen werden, welches durch nicht klar abzugrenzende Rechtstraditionen pluralistisch geprägt, jedoch stets von einer »dualen Struktur« als Fundament, also der rassistischen Einteilung nach »Hautfarben«, maßgeblich bestimmt wurde.

V.

Resümee

Inwieweit das Kolonialrecht den kolonialpolitischen Diskurs und die tatsächliche Annexion des afrikanischen Kontinents in Kontext zu setzen ist, lässt sich wie folgt resümieren. Das im 19. Jahrhundert bestehende Streben nach Erkenntnis wirkte sich auf das Verständnis der Staatslehre aus. Durch die Inbesitznahme der afrikanischen Kolonien veränderte sich das Zusammenwirken und Zusammenleben von Menschen innerhalb und außerhalb des Mutterlandes. Das bisherige rechtspolitische Verständnis von Staatenrecht wurde durch die rapide territoriale Erweiterung des Staatsgebiets Deutschlands vor schwierige Fragen gestellt. Die Gesamtheit der Verhaltensregeln wirkte sich auf die politischen Fragen der jungen Kolonialnation sehr wohl aus. Das Recht prägte von Anfang an die Politik eines ökonomischen und machtpolitischen Ausbaus des eigenen Staatsgebiets durch die Okkupation des afrikanischen Kontinents.382 Auf dieser Grundlage entstand in Deutschland als junge Wissenschaft das Kolonialrecht,383 welches auf rechtliche Schaffensprozesse einer kolonialen Jurisprudenz angewiesen war. Das Kolonialrecht war ein immanenter Bestandteil der Kolonialisierung der afrikanischen Gebiete. So veränderte das Recht mit seinen Funktionen zur Ordnung, Steuerung, Gestaltung, Integration und Legitimation das Fundament des okkupierten Gebiets und die Lebensweise der afrikanischen Bevölkerung. Gleichwohl wurde das Recht des Mutterlandes keiOberrichters Autenrieth vom 21.9. 1911, S. 367, nach Autenrieth ergibt sich bei einem formalen Verständnis des § 4 SchGG ein duales Rechtssystem. Er korrigiert diese formalistische Annahme jedoch wenig später, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/m ain.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 382 Vgl. Köbner, Die Reform des Kolonialrechts, in: In Verhandlungen des Kolonialkongresses 1910, S. 386–424, 388. 383 Vgl. Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit, S. 16; vgl. Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 133, der eine Ebenbürtigkeit des »jungen Kolonialrechts« mit den »älteren rechtswissenschaftlichen Fächern« fordert.

Resümee

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neswegs unverändert in die Schutzgebiete »exportiert«; daher entstand das koloniale Recht nicht dadurch, dass die deutschen Kolonialpioniere Ihre Rechtsanschauungen unverändert auf die Schutzgebiete übertrugen.384 Vielmehr erwuchs das Kolonialrecht als homogener Teil des Kolonialprozesses durch die Vermischung von Verhaltensnormen, Handelsbräuchen und verschiedenen Ansichten, welche durch das Aufeinandertreffen zweier kontinentaler Nationen verursacht wurde.385 Folglich entstand das deutsche Kolonialrecht als eigene und völlig neue Disziplin.386 Für Deutschland begann demgemäß die Epoche eines völlig neuen globalen Umgangs mit dem »fremden« Kontinent Afrika, welcher die Geschichte Deutschlands mit der Afrikas dauerhaft verbunden hat. Allerdings verdrängten Willkür und Gewalt oftmals die von kolonialer Jurisprudenz und Kolonialpolitik gedachten Verhaltensnormen des Kolonialrechts. Zu mächtig war der ökonomische Druck, welcher sich auf die Kolonien auswirkte und somit ein Einhalten von formalen Verhaltensregeln sowie humanitären Grundregeln konterkarierte.387 Auch drängte ein weiterer Faktor die Geltung des kolonialen Rechts zurück, denn die koloniale Wissenschaft konnte sich nur mit einem zeitlich verzögerten Erkenntnisgewinn den faktischen Ereignissen stellen.388 Bedingt war dies durch die enorme räumliche Distanz, welche zwischen dem Deutschen Reich und seinen Schutzgebieten lag. Daraus resultierend gab es für die Kolonialjurisprudenz im Vergleich mit anderen juristischen Disziplinen in der kolonialen Anfangszeit nur einen spärlichen Informationsfluss. Der zeitlich verzögerte Austausch von Nachrichten und Informationen zwischen dem Mutterland und den Kolonien sorgte dafür, dass die Wissenschaften auf Erzählungen der Kolonialpioniere oder auf eine Exkursion angewiesen waren. Daraus resultierte für die Bewohner der Kolonien eine Kluft zwischen praktischer Anwendung des Kolonialrechts und wissenschaftlicher Hermeneutik der kolonialrechtlichen Probleme durch die Kolonialjurisprudenz.389 384 Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 385 Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 225, m. w. N. 386 Pann, Das Recht der deutschen Schutzherrlichkeit, S. 16: »[…] in Deutschland, wo das Colonialrecht ganz neu sich entwickelt«. 387 Köbner, Die Organisation der Rechtspflege in den Kolonien, S. 331, schreibt dem Kolonialrecht lediglich ein »sekundäres Moment« hinter der Kolonialpolitik zu. 388 Dazu vorstehend in Einleitung V und die Ausführungen zu Beginn des 2. Kapitels. 389 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher sich gegen die Auslegung des SchGG in einer gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidung wehrt und der Kolonialjurisprudenz eine Praxisfremdheit und einen fehlenden Willen zur praktischen Problemlösung vorwirft: »Die Zitirung zweier Juristen, die beide eine sehr summarische Darstellung des komplimirten Kolonialrechts gegeben haben, vermag zur Sachklärung nicht das geringste Beizutragen. Weder Köbner noch Stengel haben das hier gestellte Problem in einem bestimmten Sinn lösen wollen oder gelöst.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml

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Einführung in das Kolonialrecht

Daher wurden zum Anfang der deutschen Kolonialzeit keineswegs »geordnete europäische Verhältnisse« auf ein – vermeintlich bestehendes – »primitives Rechtsvakuum in Afrika«390 übertragen. Unter dieser Prämisse wurde das Kolonialrecht in der frühen Kolonialzeit auch als Werkzeug der Annexion des afrikanischen Kontinents genutzt. Es wurde eingesetzt als Instrument zur Herrschaftslegitimierung und ausgelegt unter der Prämisse eines »deutschen Herrenmenschendenkens«.391 Dies geschah, bevor sich eine nach Erkenntnisgewinn strebende koloniale Jurisprudenz mit der Vertiefung der neu entstandenen Aufgaben auseinandersetzen konnte. Allerdings waren die ersten kolonialrechtlichen Abhandlungen ohnehin von einer zentralistischen Staatsphilosophie und einer allgemeinen pejorativen Konnotation gegenüber dem Unbekannten geprägt392 und hätten somit kaum zur Maßregelung des Kolonialexzesses herangezogen werden können. So wurden in den frühen Abhandlungen des Kolonialrechts oftmals ausdifferenzierte juristische Fragestellungen mit der Wunderwaffe der »Unzivilisiertheit«393 oder der »Hautfarbe«394 zu Gunsten der Deutschen beantwortet. Erst um die Jahrhundertwende herum entwickelten sich feinere Kapillaren des Kolonialrechts. Diese wurden von der späteren Kolonialjurisprudenz aufgegriffen, diskutiert und weiterentwickelt. Die wissenschaftliche Diskussion der späteren Kolonialjurisprudenz erfolgte sodann oftmals pluralistischer und mit dem Ziel eines möglichst großen unbefangenen Erkenntnisgewinns.395 Im Rahmen dieser Entwicklung lässt sich feststellen, wie manche Verfasser den neuen fak-

390 391 392 393 394

395

(abgerufen am: 1. 4. 2021); vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/ 5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160f., Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher sich gegen die Auslegung des SchGG in einer gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidung wehrt und der Kolonialjurisprudenz eine Praxisfremdheit und einen fehlenden Willen zur praktischen Problemlösung vorwirft: »Bei der schulmässigen, lediglich der Orientierung über das Koloniale Recht dienenden Darstellung lag es beiden [gemeint sind Vertreter der Kolonialjurisprudenz] durchaus fern, Probleme, die sich innerhalb des Rechtes zeigen, und die erst bei eingehendem Studium oder in der Praxis erkannt werden, aufzurollen oder abzuhandeln.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). Vgl. Lentner S. 15: »Ortschaften, in denen noch das Recht der Wildnis gilt.« Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 324, nach welcher die Kolonialherrschaft durch Regelungen gegenüber den Kolonisierten durchgesetzt wurde. Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. Vgl. zur ausführlichen Darstellung von dem Pejorativ »unzivilisiert« in Bezug auf die afrikanische Bevölkerung die vorstehenden Ausführungen in 2. Kapitel I. Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 21: »Farbige dagegen […] von der Teilnahme an der Rechtsordnung der Weißen ausgeschlossen, und zwar sowohl die Eingeborenen der Schutzgebiete wie auch fremde Farbige«; vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 65: »Bruchteil an farbigen Blut«. Das galt insbesondere für die Werke von Mallmann und Lüders.

Resümee

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tischen Erkenntnisgewinn lobenswert verarbeiteten und die Unkenntnis erster Veröffentlichungen in späteren Werken selbst verbesserten.396 Gewonnene pluralistische Erkenntnisse flossen in die politischen Debatten ein und wirkten sich auch auf die koloniale Verwaltung aus. Gleichwohl bestehen bis heute Rudimente eines rechtspolitischen Diskurses, welcher den pluralistischen Erkenntnisgewinn nicht verwertete und vielmehr auf tatsächlichen Fehlvorstellungen beruhte. Solche Überbleibsel sind nach heutigem Verständnis eindeutig als rassistisch einzustufen.397 Gewiss stand schon zu jener Zeit außer Frage, dass das erstarkende Kolonialrecht selbstverständlich nicht jegliche Probleme zu lösen vermochte, welche durch die Entwicklung Deutschlands hin zur Kolonialnation aufkeimten. Politische Streitigkeiten um koloniale Kompetenzen verzögerten die Ausarbeitung eines eindeutigen Staatenrechts in Bezug auf die deutschen Schutzgebiete. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit wirkte sich auch auf die Bevölkerungsgruppen der Kolonien aus.398 In dieser unsicheren Lage entwickelte sich eine koloniale Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten. Das Deutsche Reich versuchte, eine Verwaltung und Gerichtsbarkeit mit einer funktionierenden Organisationsstruktur auf dem fremden Kontinent aufzubauen – mit durchwachsenem Erfolg. Zwar entstand in Kamerun eine Art Instanzenzug, jedoch kam der Organisationsstruktur der einzelnen Verwaltungseinheiten und Gerichte große Mängel in der Legitimationskette zu.399 Diese Mängel wurden verstärkt durch eine enorme faktische Macht und Willkür einzelner Beamter der untersten Verwaltungseinheit, welche immer wieder durch ihren nahezu unbegrenzten Entscheidungsspielraum die formale Organisationsstruktur auszuhebeln vermochten.400 Auch wurde die faktische Macht der einzelnen Kolonialbeamten nicht selten für selbstsüchtige Zwecke ausgenutzt. Das neu entstandene Zusammenleben von Deutschen und Kamerunern führte jedoch auch zu pluralistischen Beispielen eines rechtlichen Miteinanders. So entstand aus kolonialem Erfindergeist die Schaffung von Schiedsgerichten in Kamerun, in welchen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen rechtlich miteinander interagierten.401 Allerdings war auch in diesen Schiedsgerichten die Überlegenheit der deutschen Kolonialisten allgegenwärtig. Trotz der asymmetrischen Machtstruktur 396 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen, S. 286; Stengel, Die rechtliche Stellung und die Verfassung der deutschen Schutzgebiete, S. 89. 397 Vgl. dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 398 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 145; vgl. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 400. 399 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 1 und 2. 400 Vgl. zur faktischen Macht von Stationsvorstehern, Bohner, Ae Ntonga!, S. 61ff.; vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 514. 401 Vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 48.

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Einführung in das Kolonialrecht

können die Schiedsgerichte als Beleg dafür angeführt werden, dass die Kolonisierten mit den Kolonisierenden auf mannigfaltige Weise interagierten. Schließlich gelang es auch vielen Teilen der kolonisierten Bevölkerungsgruppen, erfolgreich Handel mit der Kolonialnation zu treiben und ihren eigenen Vorteil aus dem Kolonialzeitalter zu ziehen.402 Mit den rechtlichen Interaktionen in dieser Schnittstelle zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten entstand der evident wichtige Bereich des »Gemischtenrechts«. Die Wichtigkeit des Gemischtenrechts steht insofern der Annahme einer formalen Trennung des Kolonialrechts in zwei »duale Rechtskreise« entschieden entgegen. Aufgrund dessen waren die Rechtsbereiche in den Schutzgebieten vielmehr plural als dual. Das Kolonialrecht wirkte sich also in mannigfaltigen Bereichen des kolonialen Zusammenlebens in tatsächlicher wie in normativer Hinsicht stark aus und durchdrang mit dem Gemischtenrecht auch den so wichtigen Bereich der Interaktion zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden.

402 Dazu näher in 4. Kapitel II.

3. Kapitel: Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen als Indikator für die juristische Provenienzforschung

Schwerpunkt der vorgenommenen Untersuchung soll die rechtliche Bewertung von Provenienzfällen darstellen, welche sich innerhalb der etablierten deutschen Kolonialherrschaft über Kamerun403 ereigneten. Dafür sind (quasi-)konsensuale und oftmals zivilrechtsnahe rechtliche Interaktionen der kolonialen Rechtssubjekte maßgeblich.404 Unter dieser Prämisse gilt es, für – vermeintlich – einvernehmliche Besitzwechsel den rechtlichen Kontext herzustellen. Im Wesentlichen sollte zwar das zivilrechtsnahe Kolonialrecht näher betrachtet werden, jedoch waren die Grenzen zwischen konsensualer und unfreiwilliger Weggabe nicht immer klar umrissen. Infolgedessen bietet es sich ebenfalls an, andere Rechtsbereiche – wie das Strafrecht – an gegebener Stelle zur Kontextualisierung heranzuziehen. Keinen Untersuchungsschwerpunkt hingegen sollen solche Fälle darstellen, bei denen ein konsensuale Interaktion von vornherein nicht in Betracht kommt. Derartige Fälle liegen vor, wenn ein Sachverhalt eine eindeutige Zuweisung zu Bereichen der kriegerischen Auseinandersetzung enthält.405 Die Untersuchung der kolonialen Rechtsbeziehungen lässt sich schematisch in die Bereiche der Kolonisierenden, der Kolonisierten und der gemischten Angelegenheiten gliedern. Maßgeblich für die Betrachtung der Provenienz von Gegenständen ist die Interaktion der Rechtssubjekte in den Kolonien, insbesondere diejenige zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Diese Rechtsbeziehung zwischen den Bevölkerungsgruppen in den Schutzgebieten wird als »gemischte Interaktion« oder im rechtlichen Kontext »Gemischtenrecht«406 genannt.

403 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV. 404 Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 405. 405 Für eine Völkerrechtliche Untersuchung siehe Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 1ff. 406 Dazu vorstehend 2. Kapitel IV und V; sich anschließend Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 219; sich anschließend Wagner, Die deutschen Schutzgebiete – Erwerb, Organisation und Verlust aus juristischer Sicht, S. 358.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

Obwohl die Kolonialrechtswissenschaft größtenteils von zwei formal getrennten Rechtsbereichen ausging, wurde festgestellt, dass eine Unterteilung in dichotome Rechtsbereiche nicht die Lebenswirklichkeit der rechtlichen Verhältnisse in den Schutzgebieten widerspiegelt.407 Gleichwohl lässt sich nur anhand eines nach Gesellschaftsgruppierungen aufgeteilten Untersuchungshergangs das Fundament für eine Untersuchung des Gemischtenrechts herstellen, sodass zunächst eine gesonderte Betrachtung zum Recht der Kolonisierenden und dem der Kolonisierten erfolgt. In einem Folgeschritt wird wegen der Relevanz des Gemischtenrechts auf dieses ein besonderes Gewicht bei der Untersuchung gelegt. Mithin werden exemplarische Gesetze und Verordnungen der damaligen Zeit im Kontext zum Gemischtenrecht untersucht. Auf diese Weise soll eine detaillierte Betrachtung der Rechtsbeziehungen in den Schutzgebieten, allen voran Kamerun, gewährleistet werden.

I.

Zivilrecht der »weißen Bevölkerung«

Maßgebend für das Kolonialrecht war das Bedürfnis, in den weit entfernten Schutzgebieten »geordnete« Verhältnisse herzustellen. Dabei sollten sich auch Rechtssubjekte untereinander nicht in einem Rechtsvakuum befinden. Nachdem die Anfangszeit der kolonialen Expansion überstanden war und sich die okkupierten Gebiete – mehr oder weniger – in einem Durchgangsstadium zur Konstitutionalisierung befanden,408 bedurfte auch die Interaktion der Kolonisierenden eines ausdifferenzierten Rechtssystems. Maßgeblich für die Etablierung einer durch Recht legitimierten Herrschaft in den Kolonien409 war der Erlass des Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (SchGG).410 Mit dem SchGG in der Fassung von 1886 entstanden erstmals formale Regelungen für die Gesamtheit der Schutzgebiete. Die entsprechende kaiserliche Verordnung wurde am 17. April 1886 im Reichs-Gesetzblatt veröffentlicht und sorgte mit ihren vier Paragraphen für die ersten Regelungen in den deutschen

407 Dazu vorstehend in 2. Kapitel IV. 408 Vgl. in Bezug auf zunehmende Konstitutionalisierung im Staatenrecht vorstehend 2. Kapitel I. 409 Vgl. etwa Hardach, Kolonialherrschaft im Spannungsfeld von Repression und legitimer Ordnung in Mikronesien 1885–1914, S. 97. 410 Johannes Gerstmeyer, Das Schutzgebietsgesetz – nebst der Verordnung betr. die Rechtsverhältnisse in den Schutzgebieten und dem Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit in Anwendung auf die Schutzgebiete sowie den Ausführungsbestimmungen und ergänzenden Vorschriften (1910), S. V: »Das Grundgesetz für die deutschen Kolonien ist das Schutzgebietsgesetz. Es bildet den Schlüssel zum Verständnis der zahlreichen übrigen für die Kolonien in Gesetzen und Verordnungen ergangenen Rechtsvorschriften.«

Zivilrecht der »weißen Bevölkerung«

93

Kolonien. Als Kern der Verordnung wurde in § 2 SchGG normiert, welches materielle Recht in den Schutzgebieten Anwendung finden sollte: »[…] das bürgerliche Recht, das Strafrecht, das gerichtliche Verfahren einschließlich der Gerichtsverfassung bestimmen sich für die Schutzgebiete nach den Vorschriften des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 – Reichs-Gesetzbl. S. 197 –, welches, soweit nicht nachstehend ein Anderes vorgeschrieben ist, mit der Maßgabe Anwendung findet, daß an Stelle des Konsuls der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte und, an Stelle des Konsulargerichts das nach Maßgabe der Bestimmungen über das letztere zusammengesetzte Gericht des Schutzgebietes tritt. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens wird durch Kaiserliche Verordnung festgesetzt«.411

Auf Grundlage des Vorangestellten sollte § 2 SchGG mit weiterem Verweis auf das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit (KGG) für deutsches Recht in den Kolonien sorgen. Naheliegend war es eine derartige Rechtslage mithilfe des KGG in die Kolonien zu implementieren. Bekanntlich sollte bereits für die Angehörigen der Konsulargerichtsbezirks durch das KGG eine mit dem im deutschen Reich vergleichbare Rechtslage hergestellt werden. Die Reichsangehörigen sollten in den weit entfernten Konsularbezirken auf die heimischen Rechtsnormen vertrauen dürfen. So regelte § 19 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit in der Fassung von 1900,412 dass für Personen, die dem KGG unterworfen waren, Folgendes gelten sollten: »1. Die dem bürgerlichen Rechte angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze und der daneben innerhalb Preussens im bisherigen Geltungsbereiche des preussischen Allgemeinen Landrechts in Kraft stehenden allgemeinen Gesetze sowie die Vorschriften der bezeichneten Gesetze über das Verfahren und die Kosten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; 2. Die dem Strafrecht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze sowie die Vorschriften dieser Gesetze über das Verfahren und die Kosten in Strafsachen.«

Über die Verweistechnik sollte also die entsprechende Rechtslage der Konsulargerichtsbezirke, modifiziert durch die personellen Besonderheiten der Schutzgebiete gemäß § 2 SchGG, übernommen werden.413

411 Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1886, Nr. 10, Seite 75–76, ausgegeben am 17. 4. 1886, in Kraft seit 20. 4. 1886. 412 Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit, Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1900, Nr. 15, Seite 213–228, ausgegeben am 7. 4. 1900, in Kraft seit 23. 4. 1900; im KGG in der Fassung von 1879 war dies in § 3 für das bürgerliche Recht und in § 4 für das Strafrecht geregelt. 413 Vgl. etwa Sieglin, Die koloniale Rechtspflege und ihre Emanzipation vom Konsularrecht, S. 8.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

Edler von Hoffmann brachte die wohl herrschende Meinung und das erhoffte Ergebnis der damaligen Zeit414 daher wie folgt zum Ausdruck: »Für die Rechtspflegeordnung der Weißen bilden Mutterland und Schutzgebiete ein einheitliches Rechtsgebiet.«415 Durch den Rechtsverweis auf das ausführliche KGG konnte der Gesetzgeber das SchGG von 1886 mit nur vier Paragraphen erlassen. Diese Technik war zwar keineswegs ein Novum im deutschen Rechtsraum – so bediente sich das 1900 eingeführte Bürgerliche Gesetzbuch an vielen Stellen einer vergleichbaren Verweistechnik –, gleichwohl blieb das »komplizierte« Vorgehen in Bezug auf das SchGG nicht ohne Kritik. Für Teile der Kolonialjurisprudenz stimmte das Verhältnis zwischen den knapp gefassten SchGG und dem umfangreichen KGG nicht. Der Rechtsverweis des § 2 SchGG wurde als zu umfangreich empfunden. Auf dieser Grundlage könnten sich Regelungen bezüglich der Schutzgebiete nicht flexibel genug an die tatsächlichen Anforderungen eines kolonialen Lebens anpassen.416 Mithin seien die häufigen Verweisungen der Grund für die Unübersichtlichkeit des kolonialen Rechtszustandes. Derartige Verweise würden sodann zu enormen Schwierigkeiten sowohl bei der praktischen Anwendung als auch beim Studium des Kolonialrechts führen.417 Noch deutlicher war der Unmut bei Preuss auf dem Kolonialkongress im Jahre 1905: »Dass durch eine derartige Aufzählung einzelner Paragraphen eines anderen Gesetzes die Verständlichkeit des anzuwendenden Gesetzes recht erschwert wird, bedarf keiner Ausführung. Allerdings kann nicht unerwähnt bleiben, dass das Schutzgebietsgesetz mit dieser Art der Gesetztechnik nicht alleine dasteht. Dieselbe findet sich auch in andern Gesetzen, beispielsweise werden in dem Gesetz über Kaufmannsgerichte die Bestimmungen über das Verfahren durch Aufzählung einzelner Paragraphen des Gewerbegerichtgesetzes getroffen. Ist nun schon beispielsweise in unserm vortrefflichen Bürgerlichen Gesetzbuche die Zitatenjagd recht unbequem und schwierig, so handelt sich dabei doch immer nur um dasselbe Gesetz, dessen Paragraphen zu vergleichen sind, handelt es sich aber wie in unsern Fällen gar um die Paragraphen anderer Gesetze, 414 Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts, S. 22f. bezeichnet diese Ansicht als »herrschende Meinung«. 415 Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht (1911), S. 170; vgl. etwa Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 183; dagegen kritisch: Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 22f., stellt einen Widerspruch Hoffmanns in der Argumentation fest. 416 Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik (1908), S. 126ff. 417 Köbner, Das neue deutsche Kolonialrecht – Ein Ueberblick seines Standes 1901, in: Deutsche Juristen-Zeitung, VI. Jahrgang (1901), S. 221–225, 224, fordert ein vom KGG unabhängiges Kolonialrecht. Mit deutlicherer Kritik, Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 127: »Es liegt auf der Hand, daß die doppelte Verweisung des Schutzgebietgesetzes auf das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz und des letzten wiederum auf die heimatlichen Gesetze die Übersichtlichkeit die in der Kolonien geltenden gesetzlichen Bestimmungen erheblich beeinträchtigt.«

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so steigen in der Tat die Schwierigkeiten ins Ausserordentliche. Der erste Kommentator, der auf den Plan zu treten hat, würde Kommentator Schere sein.«418

Doch für die kurzgefassten Regelungen des SchGG und die nüchterne Einführung der den Konsulargerichtsbezirken vergleichbaren Rechtslage gab es auch Zuspruch. Letztendlich waren die Schutzgebiete 1886 noch in einem sehr rechtsunsicheren Durchgangsstadium. Die Kolonien waren weit davon entfernt, einen Verwaltungsstaat nach preußischem Vorbild darzustellen. Für die Kodifizierung eines wertvollen und dauerhaften Kolonialgesetzes war es nach der Auffassung mancher Kolonialjuristen einfach noch zu früh.419 Ohnehin sei das Verstehen der Verweistechnik des SchGG auf das KGG mit geschickter, wissenschaftlicher Bearbeitung auch für Rechtswissenschaftler der damaligen Zeit ohne Schwierigkeiten möglich gewesen.420 In erster Linie spreche aber für die Verweistechnik, dass zwischen den konsularen und kolonialen Zuständen vielfach eine überwiegende materielle Übereinstimmung bestehe. Mithin ähnelten sich die mit der Verwaltung verbundenen Probleme in der geographischen Fremde. Auch die Planung eines gemeinsamen höchsten Rechtsorgans, den Kolonial- und Konsulargerichtshof, zu schaffen, bestärkte durchaus die Verflechtung von konsularer und kolonialer Rechtsordnung.421 Doch losgelöst von der Kritik an dem 1886 erlassenen SchGG stand für nationalpolitisch bewegte Anhänger der Kolonialagitation, Kolonialpolitiker und Kolonialrechtswissenschaftler außer Frage, dass sich die Gesetze des Reichs auch auf die Schutzgebiete erstrecken müssten.422 Für die Schutzgebiete galten die dem bürgerlichen Recht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze. Was zu dieser Zeit bürgerlich-rechtliche Vorschrift des Mutterlandes war, war dies gleichzeitig auch im jeweiligen Schutzgebiet, mit der Konsequenz, dass Deutschland und die Schutzgebiete für die Rechtspflegeordnung der Weißen ein einheitliches Rechtsgebiet darstellen sollten. Als formaler Grundsatz stand fest, dass die Deutschen in den Kolonien heimatliches Recht und heimischen Rechtsschutz vorfinden sollten.423 Allerdings war in vielen Bereichen das deutsche Recht des Mutterlandes für die völlig veränderten Lebensverhältnisse in den tropischen

418 419 420 421 422

Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 384. Dazu näher Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 171ff. Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 171. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 172. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 170; Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 106f.; Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 170; Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 131; Gareis, Deutsches Kolonialrecht, S. 30; Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete S. 221; dagegen: etwa Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 1ff. 423 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 388.

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und subtropischen Kolonien nicht immer passend. Doch dieser Umstand wurde teilweise in wissenschaftlichen Beiträgen übersehen.424 Als Folge des 1886 erlassenen SchGG sei das deutsch-preußische bürgerliche Recht somit in vollem Umfang in die Kolonien eingeführt worden. Zudem sei es für zivilrechtliche Normen gleichgültig, in welchem Rechtskorpus sich die in Betracht kommende bürgerliche Bestimmung befinde, ob sie etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch, in der Reichsgewerbeordnung oder in einem anderen zivilrechtlichen Reichs- oder preußischen Gesetz normiert wäre. Für eine zivilrechtliche Anwendung käme es nur darauf an, ob die entsprechende Norm auch wirklich zivilrechtlicher Natur sei. Mithin wäre es auch denkbar, dass einzelne Vorschriften eines überwiegenden öffentlich-rechtlichen Gesetzes zivilrechtliche Anwendung in den Kolonien fänden.425 Allerdings folgte aus diesem Grundsatz eine neue Problematik: Denn ob die für das Kolonialrecht in Betracht kommenden Normen zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur seien, wäre notwendiger Weise stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Mithin liege eine Anzahl an Vorschriften vor, bei welchen ein gewisser Grad an Ungewissheit in der kolonialrechtlichen Anwendung vorhanden sei. Fehlende Rechtsklarheit und Anwendungsschwierigkeiten entstanden dadurch ebenso für das geltende Kolonialrecht.426 Überwiegende Einigkeit bestand jedenfalls über die Anwendung der privatrechtlichen Grundsätze des Allgemeinen Preußischen Landrechts, soweit die privatrechtlichen Normen nicht durch das – selbstverständlich ebenfalls Anwendung findende – BGB abgelöst worden waren. Hingegen wurde kontrovers diskutiert, ob und in welchem Umfang Regelungen mit einem eindeutigen Mischcharakter von zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Natur – so beispielsweise Normen aus dem Urheberrechtsgesetz – Anwendung in den Schutzgebieten finden könnten.427 Freilich blieb die Wunschvorstellung, dass die kolonialen Pioniere des deutschen Reichs in Afrika exakt das heimische Recht vorfinden würden, eine Utopie. Selbstredend ist das bürgerliche Recht nicht ohne Abwandlung in die Schutzgebiete eingeführt worden. Denn in verschiedenen Rechtsbereichen war eine Modifikation der zivilrechtlichen Ausgangslage für die Schutzgebiete notwendig, damit das Recht in den okkupierten Gebieten überhaupt praktikabel anwendbar 424 Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 405. 425 Vgl. Edler von Hoffmann, deutsches Kolonialrecht, S. 106f.: Der Grundsatz der vollkommenden Einführungen der bürgerlichen Rechte sollte dem Kolonisten das Leben in seiner neuen Heimat erleichtern. Jedoch folge aus der Notwendigkeit der Übertragung der Rechtsnormen eine aufwendige Einzelfallprüfung und dadurch eine Erschwerung der Rechtspflege. 426 Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 107. 427 Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 107; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 179; kritisch in Bezugnahme auf Hoffmann ist Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 22.

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war. Das war zum Beispiel bei Vereinen notwendig, da das Befolgen der Verfahrensgrundsätze nach § 44 BGB wegen der geografischen Distanz der Kolonien zum Deutschen Reich nur mit großen Schwierigkeiten möglich gewesen wäre.428 Teilweise waren es jedoch auch rein wirtschaftliche Erwägungen, um den kolonialen Handelsinteressen entsprechen zu können. In seiner 1911 veröffentlichten Monografie erarbeite Edler von Hoffmann eine sehr systematische Darstellung der aus wirtschaftlichen oder institutionellen Gründen modifizierten Rechtsbereiche.429 Neben den schon erwähnten Vereinen gab es Abweichungen im Bereich der Zinsen. Der in den §§ 246, 247, 288 BGB430 aufgestellte Zinssatz konnte durch Kaiserliche Verordnung beliebig erhöht werden.431 Von besonders großer Relevanz waren ferner die Besonderheiten im Gesellschaftsrecht. Mit Beginn der kolonialen Expansion entwickelten sich die Kolonialgesellschaften.432 Eine besondere Gesellschaftsform, welche sich auf der einen Seite durch besondere Flexibilität für überseeische Verhältnisse auszeichnen sollte, auf der anderen Seite aber einer strengeren staatlichen Beaufsichtigung unterworfen wurde. Neben weiteren kleineren Besonderheiten bei Fund, Hinterlegung und Anlegung von Mündelgeldern bestand noch eine interessante Abweichung bei Schuldverschreibungen auf den Inhaber. In Kolonien durften nur Schuldverschreibungen auf den Inhaber, bei welchen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wurde, mit Genehmigung des Reichskanzlers in Verkehr gebracht werden. Größere Abweichungen bestanden auch im Bereich des Eherechts, denn hier stellte die »Gemischtenehe« – nach der damaligen Definition eine Ehe zwischen einem Weißen und einem Farbigen – die Konsequenz des rassistischen Trennungsprinzips vor Schwierigkeiten.433

428 Vgl. Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 180ff.; § 44 BGB. Bürgerliches Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 195 Nr. 21, ausgegeben am 24. 8. 1896, in Kraft seit 1. 1. 1900; Ferner zu Abweichungen des Privatrechts: Fritz Seelbach, Grundzüge der Rechtspflege in den Deutschen Kolonien (1904), S. 26ff. 429 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 180–188. 430 Bürgerliches Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 195 Nr. 21, ausgegeben am 24. 08. 1896, in Kraft seit 1. 1. 1900. 431 Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 182. 432 Vgl. etwa Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 209ff., jedoch wurde der Begriff der »Kolonialgesellschaft« nicht ausschließlich als feststehender Begriff für die hier genannte spezifische Rechtsform verwendet; näher zur Kolonialgesellschaft: Seelbach, Grundzüge der Rechtspflege in den Deutschen Kolonien, S. 26f. 433 Vgl. etwa Carl Schreiber, Zur Frage der Mischehen zwischen Weißen und Eingeborenen im deutschen Schutzgebiete Südwestafrika, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, in Band 11 (1909), S. 88–96, 88ff.; dazu vertiefend Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 218, nach welchem das Eherecht der afrikanischen Bevölkerung mittels Fragebögen von der historischen Wissenschaft erforscht wurde; vgl. dazu den Fragebogen über die Rechte der Eingeborenen in den deutschen Kolonien, abgedruckt bei Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse in den »Schutzgebieten« des Deutschen Reiches, S.166ff.

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Auch für den Bereich des Handelsrechts gab es evidente Besonderheiten.434 Das Handelsgesetzbuch regelte das Verhältnis zwischen positiven Regelungen des HGB und Handelsbräuchen. Nämlich käme es nach Art. 1 HGB in der Fassung von 1869435 in Handelssachen auf Handelsbräuche nur an, soweit das HGB zu dem Bereich keine Bestimmung enthielt. Zwar fand das HGB wie bereits dargestellt gem. § 2 SchGG i. V. m. § 3 KGG in den Schutzgebieten Anwendung, jedoch ging in allen Handelssachen der Kolonien in erster Linie das Handelsgewohnheitsrecht, daher die lokalen Handelsbräuche der Schutzgebiete, dem geschriebenen Recht der Kaufleute vor. Demnach drehte § 3 II KGG das Verhältnis für die Schutzgebiete um.436 Die Außerkraftsetzung von Art. 1 HGB war beachtlich, denn ein Vorgehen von Gewohnheitsrechten und Rechtsbräuchen vor positiv geregeltem Recht stellte für die damalige Epoche keineswegs eine Selbstverständlichkeit dar.437 Gleichwohl wurde im Bereich des Handelsrechts eine Umkehr der Machtverhältnisse durchgeführt. Begründen ließ sich diese mit der Wichtigkeit des überseeischen Handels. Allerdings gab es nicht nur die von der Kolonialpolitik und Kolonialjurisprudenz antizipierten Abwandlungen im Bereich der kolonialen Rechtspflege. Es bestanden auch ungeplante Abweichungen zwischen dem deutschen Festland und den Kolonien. So wurde teilweise von großen Diskrepanzen in Bezug auf das Personenrecht der Kolonien gegenüber dem des Mutterlandes berichtet.438 Dieser Umstand war vor allem den großen Unterschieden zwischen Verwaltungsstrukturen und Gerichtsaufbau der Schutzgebiete gegenüber denen des Mutterlandes439 geschuldet.440 Im besonderen Maße galt das für koloniale Verwaltungsvorgänge mit größerem Verwaltungsaufwand. So gab es Umsetzungsprobleme bei Eintragungen ins Handelsregister und der dazugehörigen, vorgeschriebene Art der Veröffentlichung im Reichsanzeiger.441 Auch Sachverhalte des Immobiliarsachenrechts, bei welchen die Mitwirkung des Grundbuchamts erforderlich gewesen wäre,442 bereitete in kolonialen Kontexten Schwierigkeiten. Es fehlte selbstverständlich an den Infrastrukturen, die wie selbstverständlich im 434 Vgl. etwa Sieglin, Die koloniale Rechtspflege, S. 9. 435 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1869, Nr. 32, S. 404, ausgegeben am 5. 6. 1869, in Kraft seit 12. 8. 1869. 436 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 187; Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 179. 437 Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 438 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 108, zunächst im direkten Bezug auf Grundrechte und S. 115ff., auf verschiedene zivilrechtliche Tätigkeit wie das Handelsrecht. Er spricht von grundsätzlichen Verschiedenheiten. 439 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III. 440 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 171: Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 180. 441 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 171. 442 Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 180f.

Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz

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deutschen Reich vorhanden waren.443 Wird der lückenhafte Verwaltungsaufbau der deutschen Schutzgebiete bedacht,444 darf davon ausgegangen werden, dass die Kolonisierenden bei der Abwicklung ihres Rechtsverkehrs ein ergebnisorientiertes Handeln einer formalen Genauigkeit vorgezogen haben. Zusammenfassend betrachtet sollte die Rechtslage für die »weiße Bevölkerungsgruppe« formal derjenigen des Mutterlands entsprechen. Unterschiede zum bürgerlichen Recht des deutschen Festlands waren jedoch nicht zu leugnen. Zum einen diejenigen, welche von Gesetzgebung und Kolonialrechtswissenschaft antizipiert wurden, aber zum anderen auch solche Unterschiede, die durch die fehlende Verwaltungsstruktur oder durch die nur lückenhafte Abdeckung durch die lokale Rechtsordnung entstanden. In welchem Maß eine formal geordnete Rechtslage für die Rechtsgeschäfte »der Weißen« vorhanden war, gilt es, intertemporal auszulegen. Wahrscheinlich bestand in den zentralen Kontrollgebieten der deutschen Kolonialmacht zumindest eine Mischform zwischen »rechtlicher Ordnung par excellence« und einem »Wilden Westen des Rechts«. Trotz Abweichungen in der rechtlichen Anwendung der bürgerlichen Regelungen des Mutterlandes ist der Einfluss des in Deutschland geltenden Zivilrechts auf dasjenige der Kolonien nicht gering. Als Konsequenz daraus ist für die Rechtsgeschäfte der Schutzgebiete auch die rechtliche Richtschnur des deutschen Zivilrechts anzulegen, insbesondere ab 1900 diejenige des neu eingeführten BGB.

II.

Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz »Die Rechtsverhältnisse sind im allgemeinen wenig bekannt, aber oft sehr kompliziert.«445

Auf besondere Schwierigkeiten stieß die Kolonialjurisprudenz, sobald sie sich mit dem Recht der Kolonisierten befasste. Die Quellenlage war auch für die zeitgenössische Wissenschaft äußert schwierig.446 Die Rechtstraditionen der afrikanischen Bevölkerung – sofern überhaupt in Ablehnung zentralistischer Maximen von der Kolonialjurisprudenz anerkannt – ist sowohl vor der Annexion 443 Vgl. etwa Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72. 444 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 1. 445 Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 500, in Bezug auf die afrikanischen Rechtsverhältnisse. 446 Vgl. zu Schwierigkeiten in Bezug auf die Quellensituation vorstehend unter Einleitung V; Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 14: »Doch sind uns die Eingeborenenrechte noch viel zu wenig bekannt. Ihre Erforschung ist eine besonders wichtige Aufgabe des Kolonialrechts.«

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der afrikanischen Gebiete als auch nach der Etablierung einer Schutzgewalt nur wenig untersucht worden. Zwar versuchte die historische Forschung voller Wissensdrang, mittels Fragebögen das lückenhafte Wissen zu komplementieren, gleichwohl blieb die Kenntnis der Kolonialjurisprudenz insgesamt gering.447 Freilich wird im Rahmen dieser Abhandlung versucht, »scientific colonialism« nicht zu reproduzieren,448 doch kann dies in der Untersuchung des bürgerlichen Rechts der Kolonisierten nur durch die Auswertung einer schwierigen Quellensituation erfolgen. Um nicht in ein neokoloniales wissenschaftliches Muster zu verfallen, ist es geboten, an dieser Stelle zu verdeutlichen, dass es bei der Darstellung des Rechtskomplexes der Kolonisierten keine vollständige oder gar objektive Darstellung der rechtlichen Verhältnisse der Afrikaner*innen abgebildet werden kann. Vielmehr kann nur ein relativierter Blick durch die Brille der deutschen Kolonialjurisprudenz angeboten werden, welcher auf faktische Fehlvorstellungen zu untersuchen und dadurch entstehenden Interpretationsspielraum sinnvoll zu füllen ist. Die Kolonialrechtswissenschaft der damaligen Zeit stand vor Problemen, wenn es um die Frage ging, wie die rechtlichen Verhältnisse der »Eingeborenen« zu behandeln seien.449 In den Rechtsgebieten des Völker- und Staatenrecht sowie des bürgerlichen Rechts der »weißen Bevölkerung« fiel dies noch verhältnismäßig leicht, schließlich konnte in diesen Rechtsgebieten auf bereits bestehende Grundsätze zurückgegriffen werden. Schwieriger gestaltete sich dies in der Behandlung der Rechtskreise der Kolonisierten. Zu groß war die räumliche Entfernung und zu unerforscht die örtlichen (rechtlichen) Gegebenheiten. Zunächst bestand Konsens dahingehend, dass die afrikanische Bevölkerung grundsätzlich 447 Frühe Untersuchungen der Rechtsverhältnisse der Bewohner von Papua-Neuguinea wurden sogar schon früher erstellt, vgl. etwa Albert Hahl, Rechtsverhältnisse und Rechtsanschauungen der Eingeborenen, in: Nachrichten über Kaiserwilhelms-Land und den BismarckArchipel, 13. Jahrgang (1897), S. 68–102. An die Bevölkerung der afrikanischen Schutzgebiete wurde sich im wissenschaftlichen Kontext erst Anfang des 20. Jahrhunderts angenähert. Erste wissenschaftliche Untersuchungen waren jedoch rudimentär und von faktischen Fehlvorstellungen durchzogen, vgl. etwa Sebald Steinmetz, Rechtsverhältnisse von eingeborenen Völkern in: Afrika und Ozeanien: Beantwortungen des Fragebogens der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin (1901), S. 1ff. Zu Steinmetz und zur Vertiefung in Bezug auf die Fragebögen vgl. Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse, S. 57ff.; vgl. für eine der ersten Monografien über das afrikanische Recht, Eduard Dannert, Zum Rechte der Herero, insbesondere über ihr Familien- und Erbrecht (1906), S. 1ff. 448 Verwiesen wird auf die Zusammenarbeit mit dem Projektverbund PAESE in Niedersachsen mit Beteiligung afrikanischer Wissenschaftler*innen, vgl. vorstehend unter Einleitung I sowie den Anhang. Zum Versuch der Herstellung einer multilateralen, gleichberechtigten wissenschaftlichen Zusammenarbeit vgl. vorstehend Einleitung VI. 449 Oftmals wurde die in Bezug auf die Afrikaner*innen diskutierte Rechtspflege »Eingeborenenrechtspflege« oder »Farbigenrechtspflege« genannt, vgl. etwa Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 187.

Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz

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untereinander nach den eigenen rechtlichen Maßstäben weiter verfahren sollte.450 Es waren vor allem ökonomische Gesichtspunkte, die für eine solche »erhaltende Rechtspolitik« als herrschende Meinung ausschlaggebend waren.451 In Anlehnung daran normierte das 1886 erlassene SchGG in § 2 SchGG i. V. m. § 1 KGG ausdrücklich, dass nur die in den Schutzgebieten wohnenden Reichsangehörigen und Schutzgenossen den Gesetzen unterworfen und die »Eingeborenen« explizit ausgeschlossen waren.452 Allerdings bestand schon nach § 3 SchGG in der ersten Fassung die Möglichkeit, durch kaiserliche Verordnung den personellen Anwendungsbereich des Gesetzes auch auf »Eingeborene« zu erweitern. Zwar war der Umfang der Erweiterung des § 3 SchGG nicht klar umrissen, doch theoretisch hätte durch ihn mehr Rechtssicherheit entstehen können. Die eingeräumte Möglichkeit für die »Eingeborenenrechtspflege« verschiedene Bereiche zu regeln, stand dem Kaiser zu und verhielt sich kohärent zu der allumfassend faktischen Macht des Kaisers in Bezug auf die Regelungen der Schutzgebiete.453 Zunächst gab es jedoch keine solche kaiserliche Verordnung mit der weitreichenden Folge, dass zu Beginn des deutschen Kolonialzeitalters der Rechtsbereich der »Eingeborenen« nicht durch formales Kolonialrecht abstrakt-generell für alle Kolonien geregelt war. Auch in der darauffolgenden Fassung des SchGG, welche 1900 in Kraft getreten ist,454 war nicht ausdrücklich geklärt, ob der Reichskaiser im Wege der kaiserlichen Verordnung das Recht der Eingeborenen direkt hätte neu regeln können. Die §§ 4 und 7 der zweiten Fassung des SchGG regelten 1900 zunächst nur, dass die bereits bezeichneten materiellen Vorschriften und die Vorschriften des Reichsgesetzes vom 4. Mai 1870, welches in Bezug auf die Eheschließung erlassen wurde, auch auf die »Eingeborenen« Anwendung finden könnten, sofern der Kaiser dies durch Verordnung bestimmen würde. Wie schon in der ersten Fassung des SchGG regelte der Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit einer Ausweitung des deutschen Rechts auf das Recht der Kolonisierten, jedoch nicht, inwieweit durch kaiserliche Verordnung direkt in die »Farbigenrechtspflege« eingegriffen werden könnte oder ob der Kaiser eine eigene neue Rechtsmaterie des »Farbigenrechts« erschaffen könnte.455

450 Aus dem Umstand, dass die Reichsgesetze nur auf »Weiße« anzuwenden waren, folgt eine Nichtanwendung der Reichsgesetze für Afrikaner*innen, so proklamiert von Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 173, welcher die Grenze bei »Vernunft und Sitten« zieht. Dazu näher in 3. Kapitel I. 451 Vgl. Max Buchner, Skizzen und Betrachtungen (1887), S. 200. 452 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 195. 453 Vgl. Tim Ostermann, Die verfassungsrechtliche Stellung des Deutschen Kaisers nach der Reichsverfassung von 1871 (2009), S. 217ff. 454 Abgedruckt bei Gareis, Deutsches Kolonialrecht, S. 58ff. 455 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 144.

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Gleichwohl wurde argumentiert, dass dem Kaiser unzweifelhaft auch solche Befugnisse zustehen müssten, denn eine Gesetzgebungsgewalt würde originär als wesentlicher Bestandteil aus der dem Kaiser aus § 1 SchGG übertragenen Schutzgewalt erwachsen.456 Auch ließen sich gedankliche Tendenzen zu einem argumentum a maiore ad minus erkennen: Könnte das »hochentwickelte« Recht des Reichs durch kaiserliche Verordnung erweitert und modifiziert werden, so könnte erst recht dasjenige der afrikanischen Bevölkerung verändert und neugeregelt werden.457 Letztendlich wurde die Befugnis des Kaisers in die »Farbigenrechtspflege« materiell-lenkend einzugreifen, zumindest mittelbar von den Verwaltungseinheiten vor Ort ausgeführt. Die mittlere und untere Verwaltungsebene der Kolonien griffen die – nicht unumstrittenen – Befugnisse des Kaisers innerhalb der Legitimationskette auf und regelten hegemonial manche Rechtsbereiche der Afrikaner*innen.458 Letztendlich erließ der Kaiser nach den ersten zwölf Jahren des deutschen Kolonialreiches die allerhöchste Verordnung, betreffend die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen in den afrikanischen Schutzgebieten vom 25. Februar 1896,459 in welcher er die Kompetenz zur Regelung der »Farbigenrechtspflege« in den Schutzgebieten auch dem Reichskanzler verlieh. Der Kaiser übertrug demgemäß die faktische Gesetzgebungsgewalt für den Bereich des Zivilrechts der Afrikaner*innen an das Organ des Reichskanzlers und darüber hinaus faktisch an die mittlere und untere Verwaltungsebene. Entgegen dem anfänglichen Diktum, in die Rechtspflege der Kolonisierten nicht oder nur wenig einzugreifen, wurde in der konsolidierten Kolonialzeit vermehrt gefordert, dass sich der Materie der »Eingeborenenrechtspflege« angenommen werden sollte.460 Schließlich gehöre zu einer vollständigen Behandlung des Kolonialrechts auch eine funktionierende »Eingeborenenrechtspflege«.461 456 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 173f.; vgl. etwa Paul Bauer, Das Verordnungsrecht des Kaisers über die Eingeborenen, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 6 (1904), S. 513–516, 513. 457 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 144, und im Kontext des gemischten Rechts mit gleicher Argumentation S. 257; vgl. dagegen zur vermeintlichen »Primitivität« Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 15. 458 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 1. 459 Abgedruckt bei Kolisch, Die Kolonialgesetzgebung des deutschen Reichs mit dem Gesetze über die Konsulargerichtsbarkeit, S. 77. 460 Vgl. etwa Carl Meinhof, Zur Kodifikation des Eingeborenenrechts, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, in Band 9 (1907), S. 670–673, 670. 461 Behandelt wird die Eingeborenenrechtspflege bei: Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 112ff.; Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 173ff.; Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 142ff.; Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 381.

Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz

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Indes war für eine flächendeckende Einwirkung in die rechtlichen Verhältnisse der Kolonisierten die undurchsichtige Gesetzeslage des SchGG und die daraus folgende, nicht abschließend geklärte Kompetenzsituation nicht förderlich. Schließlich folgte aus dem SchGG, dass die Afrikaner*innen innerhalb der deutschen Schutzgebiete grundsätzlich nicht an die in die Kolonien eingeführten Regelungen des mutterländischen Zivilrechts gebunden waren. Folglich war für die Kolonisierten ein anderes Recht maßgebend.462 Doch dieser Grundsatz hatte die weitreichende Folge, dass auch § 1 BGB463 für die Eingeborenen nicht per se Anwendung fand. Somit waren im Zivilrecht bei den »Eingeborenen« auch »Unfreie« oder »Hörige« vorhanden, welche nicht ohne Weiteres als Rechtssubjekt tätig werden konnten. Dies hätte zu Rechtsunsicherheit im Bereich des bürgerlichen Rechts der Schutzgebiete führen können.464 Solche und andere Problematiken warfen die Frage auf, inwiefern in das afrikanische Recht formal legitimiert eingriffen werden könnte, um ein praktisch wirksames bürgerliches Recht für die Kolonisierten unter der Federführung der deutschen Kolonialmacht zu normieren – schließlich müsste sich die faktische Rechtslage in den Kolonien kohärent zu den formalen Rechtsgrundsätzen verhalten. Auf Grundlage des Gesagten standen gewisse Eingriffe in die Rechtsstreitigkeiten der Kolonisierten durch die deutsche Kolonialmacht außer Frage. Doch wie konnten diese Eingriffe im Rahmen einer formalen Legitimation durchgesetzt werden? Zunächst wurde weiter von der Maxime ausgegangen, dass die Kompetenzen, in das Recht der »Eingeborenen« innerhalb der Schutzgebiete einzugreifen, grundsätzlich dem Kaiser zukam. Als allumfassende Machtquelle könnte dieser den bestehenden Zustand jederzeit ändern, entweder unmittelbar durch kaiserliche Verordnung oder mittelbar über den Umweg der mittleren Verwaltungsebene oder über die Legitimierung eines afrikanischen Herrschers.465 Beide Alternativen würden eine formelle Rechtssetzung für die Eingeborenen bedeuten. Als eine weitere Variante, um die örtlichen Rechtstraditionen zu verändern, könne die Rechtsänderung auch durch »Gerichtsgebrauch«, ergo Gewohnheitsrecht der örtlichen Gerichtsbarkeit vollzogen werden.466 Daneben wurde in deutschen Schutzgebieten für rechtliche Angelegenheiten oftmals die Möglichkeit einer Bekanntmachung vor einer öffentlichen Verwaltungsstelle genutzt, in welcher der Verwaltungsbeamte die jeweiligen Anführer 462 Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 111. 463 Bürgerliches Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 195 Nr. 21, ausgegeben am 24. 8. 1896, in Kraft seit 1. 1. 1900. 464 Vgl. Gareis, Deutsches Kolonialrecht, S. 30. 465 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der Deutschen Schutzgebiete, S. 166f. 466 Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173; Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 382, spricht davon, dass in Kiautschou in Zivilsachen das örtliche Gewohnheitsrecht zu Grunde gelegt werden soll.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

der afrikanischen Bevölkerung instruierte.467 So wurde in verschiedenen Runderlässen zu den offenen Rechtsfragen der »Farbigen« Stellung genommen. Die Stellungnahmen wurden anschließend übersetzt und verkündet, damit die afrikanischen Bevölkerungsgruppen die Änderungen verstehen konnten.468 Dabei wird es aus damaliger Sicht als beachtlich empfunden, in welchem Umfang Gerichte und Verwaltung rechtsschöpferisch tätig wurden.469 Ob es sich dabei um eine Abänderung des bestehenden Rechts oder eher um eine Neuschaffung erstmaligen Rechts handelte, war dabei erneut Gegenstand lebhafter Diskussion. Wiederum stand die völkerrechtlich konnotierte Meinung, dass es Recht nur in völkerrechtlich anerkannten Staaten geben könne, derjenigen von etwaig liberaleren Kolonialrechtswissenschaftlern entgegen, die davon überzeugt waren, dass jedes Gemeinwesen eine gewisse Form innerer Rechtsordnung entfalten würde.470 Neben der Art und Weise des Eingreifens in die Rechtspflege der Kolonisierten war es für die deutschen Kolonien maßgeblich, welche grundlegenden Änderungen an dem Recht der »Eingeborenen« vorgenommen werden sollten. Tonangebend für die damalige Zeit war das 1911 veröffentlichte und äußert umfangreiche Werk »Einführung in das Deutsche Kolonialrecht« von Edler von Hoffmann. In seinem zweiten Werk korrigierte er Verschiedenes aus seiner 1907 erschienenen ersten Abhandlung »Deutsches Kolonialrecht«: Er stellte fest, dass in den deutschen Kolonien bereits vor der Annexion für die ansässige Bevölkerung eine gewisse Rechtsordnung existierte.471 Diese könnten sich zwar auf einem stark variierenden Entwicklungsniveau befinden, jedoch sei maßgeblich, ob der in Betracht kommende »Stamm« niedrig oder hoch entwickelt war.472 Dabei wurde zwischen hoch entwickelten – wie solchen der Inder und Chinesen – und in minder entwickelten – darunter afrikanischen – Rechtsordnungen unterschieden.473

467 Ferner zu den Bekanntmachungen in einer Verwaltungsstation, vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 68ff. 468 Vgl. zu Schwierigkeiten bei der Übersetzung Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72. 469 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 173. 470 Kurt Romberg, Die rechtliche Natur der Konzessionen und Schutzbriefe in den deutschen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 10 (1908), S. 369–412, 383; Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 471 Vgl. etwa Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173f.; differenzierter dazu Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 14f. 472 Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173. 473 Dazu näher Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173. Insgesamt geht Hoffmann jedoch von niedriger entwickelten Rechtsordnungen aus; dagegen Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts: »Das Recht der Farbigen ist zum Teil bereits ein hochentwickeltes, so [auch] das Recht der Chinesen im Kiautschougebiet, der

Zivilrecht der »Eingeborenen« aus Sicht der Kolonialjurisprudenz

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Doch die formale Anerkennung der Existenz afrikanischer Rechtsordnungen war notwendig, damit über die Änderungen afrikanischer Rechtstraditionen durch die Deutschen diskutiert werden konnte. Nach Edler von Hoffmann sei es selbst bei den höher entwickelten Rechtsordnungen zweckmäßig, dass der koloniale Gesetzgeber in einigen Punkten in das bürgerliche Recht der »Farbigen« eingreife. Derartige Eingriffe seien zum Beispiel im Arbeitsrecht oder im Landund Bergrecht sinnvoll,474 aber auch Abänderungen in Bezug auf das Recht der Schuldverhältnisse und hinsichtlich des Handelsrechts seien zu empfehlen.475 Dabei waren die Gründe für einen Eingriff in das Recht der Afrikaner*innen verschieden. Teilweise wurde sogar »zum Schutz« der Kolonisierten in das Zivilrecht der afrikanischen Bevölkerung eingegriffen. Dies war beispielsweise bei Kredit- und Immobiliengeschäften der Fall.476 Ferner sei eine Abänderung insbesondere dann notwendig, wenn »örtliche Bedürfnisse« dies erforderten.477 Gemeint waren an dieser Stelle vermutlich Bedürfnisse zur Lenkung und Unterwerfung der kolonisierten Bevölkerung oder auch Änderungen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten.478 Des Weiteren sei eine Abänderung immer dann unerlässlich, wenn das »Recht der Stämme« – »vom Standpunkt einer europäischen Nation aus beurteilt« – gegen die Vernunft und die guten Sitten verstoßen würde. Das war insbesondere dann der Fall, wenn es um Sklavenhandel, Kannibalismus oder Menschenopfer ging. Aus dem Standpunkt der unerlässlichen Abänderungen der afrikanischen Rechtstraditionen wird deutlich, dass große Teile der Kolonialjurisprudenz das afrikanische Recht nur als ein »rechtliches Zwischenwesen« anerkannten. So wurde ein afrikanisches Recht zwar in gewisser Weise vorausgesetzt, aber erst durch eine Abänderung könne die deutsche Behörde vor Ort die afrikanische Rechtsordnung anerkennen. Somit würden erstmals mit der Legitimation durch die Deutschen die »Gewohnheiten des Stammes« zum »Recht im eigentlichen Sinne«.479 Dieser wohl herrschenden Ansicht stellt sich Mallmann entgegen, denn schließlich seien

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Inder in Ostafrika, und der Mohammedaner in Ostafrika und im Hinterlande vom Kamerun.« Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 111f. Edler von Hoffmann, Deutsches Kolonialrecht, S. 113. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 188, 191; Dazu vorstehend in 3. Kapitel III und IV. Vgl. etwa Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 514f. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 173. Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173f.; Felix Meyer, Die Bedeutung des Eingeborenenrechts, S. 386, nach welchem die Eingeborenenrechte »von allen Unmenschlichkeiten gereinigt werden müssen«; vgl. Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406, spricht von »Billigkeit und Gerechtigkeit«.

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»die fraglichen Anschauungen der Eingeborenen […] Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alt; sollten sie erst mit der Anerkennung durch die deutsche Regierung rechtsverbindliche Kraft erhalten haben, so würden vor der deutschen Herrschaft überhaupt keinerlei Rechtsakte der Eingeborenen untereinander oder mit anderen Personen möglich und verbindlich gewesen sein. Und doch hatten manche Eingeborenenstämme bereits vor der deutschen Herrschaft nicht nur ein entwickeltes Rechtssystem, sondern sogar ein geschriebenes Recht!«480

Mallmann kritisiert daher zutreffend den zentralistischen Grundsatz, dass die Anschauungen der Kolonisierten erst durch die Legitimation der deutschen Staatsgewalt rechtsverbindliche Kraft erhalten.481 Gleichwohl gab es auch eine Vielzahl an Rechtsbereichen, in welchen Verordnungen der deutschen Kolonialregierung kaum oder keine Auswirkungen auf die materiellen Regelungen der afrikanischen Bevölkerung entfalten konnten. Das daraus aus Sicht der Kolonisierenden entstehende Rechtsvakuum hinderte deutsche Verwaltungsbeamte und Richter nicht, in den deutschen Schutzgebieten regelmäßig in die Auseinandersetzung der »Farbigenrechtspflege« einzugreifen. So entstanden die Schiedsgerichte in Kamerun auch aus dem Grund, dass mit einer größeren Legitimität Recht über die Kolonisierten gesprochen werden konnte.482 Allerdings wurde auch in kleineren Gerichten und Verwaltungsstationen in den Verwaltungsbezirken Kameruns die deutsche Kolonialbesatzung immer wieder mit Rechtsfragen der lokalen Bevölkerung konfrontiert. Stetig wurden auch Deutsche zu Palavern und Konflikten der afrikanischen Bevölkerung als Dolmetscher, Ratgeber oder Richter hinzugezogen.483 Der jeweilige Richter musste sodann nach Ansicht der Kolonialjurisprudenz die Rechtsanschauungen der »Kulturvölker« mit den Rechtsangewohnheiten der konkreten »Eingeborenengruppe« verbinden, d. h. das in Betracht kommende Stammesrecht anwenden und Interpretationsspielräume mit einer »Analogie des Weißenrechts« füllen.484 Die Grenzen der Anwendung des »Stammesrechts« wären in diesen Fällen jedoch wiederum »Vernunft und gute Sitten«.485 480 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 151, unterlässt bedauerlichweise den Nachweis mit Quellen für geschriebenes Recht afrikanischer Bevölkerungen; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 407, spricht von verschiedenen Kodifikationen der »Eingeborenen«, so die »Velandyr-Bastards« und die »Bondelzwarts«, »auch der alte Maharero« und »der grosse Häuptling der Ovaherero«; vgl. Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts, S. 14. 481 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 151f. 482 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 2. 483 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72; vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 68 f; vgl. ferner § 22 der Strafverordnung für die Eingeborenen, vom 26. Februar 1890, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister (1893), S. 627. 484 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 146f.

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Sicherlich ist zu hinterfragen, inwieweit im Einzelfall die Verwaltungsbeamten, welche der Aufgabe der Judikatur nachkamen, sich dieser schwierigen, einfühlsamen Rechtsanwendung hingaben oder überhaupt hingeben konnten, da bei den Entscheidungsträgern oftmals keine Qualifikation zum Richteramt vorlag.486 Auch um der durch die Rechtsprechung entstehenden Belastung der »Richter« entgegenzuwirken, forderten Stimmen der Kolonialagitation, dass im Wege einer Verordnung eine umfassende Regelung des Eingeborenenrechts erfolgen sollte.487 Denn ohne eine solche würde auch weiterhin an vielen Orten eine große Diskrepanz in der Rechtspflege der Eingeborenen fortbestehen. In Ermangelung einer solchen umfassenden Kodifikation stelle sich der jeweilige Richter stets die Frage: »Welches Recht sollen in Ermangelung solcher Vorschriften die deutschen Beamten anwenden, die über Delikte und über zivilrechtliche Streitigkeiten der Eingeborenen zu Gericht zu sitzen haben?«488 Da zu keinem Zeitpunkt der deutschen Kolonialgeschichte eine allumfassende Verordnung des Kaisers zu Regelungen der »Eingeborenenrechtspflege« erlassen wurde, wurde von den kolonialen Praktikern das – aus Sicht der Kolonisierenden – bestehende Regelungsvakuum durch ein praxisorientiertes Recht der faktischen Wirksamkeit ergänzt. Bei diesen, aus dem Zusammenleben der Gesellschaften wachsenden Rechtsausprägungen, griff die hegemoniale Kolonialmacht vermehrt auf die bereits bestehenden Rechtstraditionen der afrikanischen Gesellschaften zurück. In den Schutzgebieten des deutschen Reichs war es die mittlere Verwaltungsebene – also das Gouvernement – der Kolonien, welche sich mit den Rechtsverordnungen für die »Eingeborenen« auseinandersetzte. Es wurde normiert, in welcher Art und Weise Beamte und Richter das »Eingeborenenrecht« in die »Eingeborenenrechtspflege« einbeziehen sollten. Nach der Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika betreffend die Gerichtsbarkeit und die Polizeibefugnisse der Bezirkshauptleute vom 14. Mai 1891 waren »die unter gebildeten Völkern geltenden Rechtsgrundsätze, der gesunde Menschenverstand und die landesüblichen Gewohnheiten und Überlieferungen«489 485 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 147, gleicht mit dieser Argumentation Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 173f.; vgl. Gerstmeyer, Das Schutzgebietsgesetz, S. 165; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406, spricht von »allgemein anerkannten Grundsätzen der Billigkeit und Gerechtigkeit«. 486 Vgl. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 385. 487 Vgl. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 400; vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 33. 488 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 145. 489 Auszug aus der Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, betreffend die Gerichtsbarkeit und die Polizeibefugnisse der Bezirkshauptleute, vom 14. Mai 1891, abgedruckt bei: unbekannter Autor, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen

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entscheidende Kriterien. Auch die erlassenen Strafverordnungen für Neu-Guinea und die Marschallinseln vom 27. Februar 1890490 nimmt die »Anschauungen und Gewohnheiten der Eingeborenen« positiv geregelt in die Verordnungen auf. Für Kamerun lässt sich dieses Beispiel in der Schiedsgerichtsverordnung finden. Insofern regelte § 3 der Schiedsgerichtsverordnung: »Für die Rechtsprechung des Schiedsgerichts sind die an Ort und Stelle in Übung stehenden Gebräuche und Gewohnheiten maßgebend«.491 Auch Vertreter der damaligen Kolonialrechtswissenschaft befürworteten die Rücksichtnahme auf das Recht der »Eingeborenen«. Zwar wurde teilweise weiterhin der nationalpolitische Traum vertreten, unmittelbar und ausnahmslos die preußischen Rechtsordnungen auf die kolonisierte Bevölkerung zu übertragen,492 doch dagegen sahen wichtige Vertreter der Kolonialjurisprudenz in der Befähigung der Deutschen, die verschiedenen Rechtsbereiche in Einklang zu bringen, d. h. wie eine Kolonialnation auf der einen Seite die Rechtspflege für die »Weißen« und auf der anderen Seite die Schonung der »einheimischen« Rechtsanschauungen zu vereinen versteht, den alles entscheidenden Schlüssel für eine erfolgreiche Kolonisation. Denn daraus könnte maßgeblich abgeleitet werden, ob eine Nation überhaupt die Befähigung zur Kolonialnation habe.493 Auf Grundlage des Gesagten lässt sich für die »Eingeborenenrechtspflege« sowohl viel koloniale Machtausübung aus dem Lager der Kolonialpolitik als auch eine gewisse Rücksichtnahme auf afrikanische Rechtstraditionen feststellen. Bei dieser vielschichtigen Gemengelage des bürgerlichen Rechts für die Kolonisierten darf jedoch die mit der Hegemonie der deutschen Kolonialmacht einhergehende faktische Regelungshoheit über die Afrikaner*innen nicht außer Acht gelassen werden. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass, unabhängig von der Prägung der deutschen Kolonialmacht, bei der »Eingeborenenrechtspflege« die afrikanischen Rechtstraditionen im Verhältnis untereinander nicht unmaßgeblich waren und auch von deutschen Verordnungen anerkannt wurden.494

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Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Sechster Teil, 1901 bis 1902 nebst Nachträgen zu den bisher erschienenen Bänden (1903), S. 33. Vgl. § 17 der Strafverordnung für die Eingeborenen, vom 26. Februar 1890, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 627. Verordnung des Gouverneurs, betreffend Einführung eines Eingeborenen-Schiedsgerichts für den Dualastamm vom 16. Mai 1892, abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet, S. 853f. Nr. 434. Abwegig in Bezug auf die afrikanische Bevölkerung Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, S. 179f.: »auf welche die Consulargerichtsbarkeit Anwendung« findet. Vgl. etwa Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik, S. 8; sich dem anschließend Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 147f. So vertreten von Wagner, Die deutschen Schutzgebiete – Erwerb, Organisation und Verlust aus juristischer Sicht, S. 344ff.; widersprüchlich dazu Sören Utermark, »Schwarzer Untertan versus schwarzer Bruder« – Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ost-

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III.

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Die genaue Untersuchung der rechtlichen Interaktion zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten stellt einen spannenden, in der Wissenschaft noch wenig aufgearbeiteten Forschungsbereich dar. Die bisherigen Ausarbeitungen zeigen auf, dass von einer strengen Dichotomie zweier Rechtskreise nicht die Rede sein kann.495 Zu verflochten war die Lebenswirklichkeit in den deutschen Schutzgebieten, allen voran in Kamerun, wo rechtliche Interaktionen zwischen Personen der Kolonialmacht und der afrikanischen Bevölkerung zum Tagesgeschäft gehörten. Es gab demnach in verschiedensten kolonialen Komplexen einen (quasi-) konsensualen Bereich einer rechtlichen Interaktion, in welchem die »Bevölkerungsgruppen«496 durch tatsächliche Vorgänge wie Arbeit oder Handel in Gemischtenangelegenheiten tätig wurden.497 Diese Vermischung der Angelegenheiten machte eine rechtliche Würdigung notwendig.498 Der Bereich des Gemischtenrechts ist auch für die Fragestellung dieser Bearbeitung von außerordentlicher Wichtigkeit, denn schließlich werden in den meisten Fragestellungen der juristischen Provenienzforschung zu Objekten in deutschen Museen und Sammlungen Sachverhalte zu untersuchen sein,

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afrika, Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun (2011), S. 85ff., unter: https://kobra.uni -kassel.de/handle/123456789/2012082441677 (abgerufen am: 1. 4. 2022). Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256ff., zu den »Mischprozessen«; vgl. in Bezug auf das Gemischtenrecht ferner Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38; Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 46, erkennt zumindest das Problem, erarbeitet aber keinen Lösungsansatz; vgl. zur Betrachtung der Kolonialpraktiker, Bundesarchiv BerlinLichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21.9. 1911, S. 367. Für Autenrieth ergibt sich nach einer formalen Auslegung, dass aus § 4 SchGG nur ein duales Verständnis zweier nebeneinander liegender Rechtsordnungen für die Schutzgebiete resultieren könnte. Dies sei aber nicht der gewollte oder tatsächliche Fall in der Praxis. Er beschreibt weiter: »Diese Trennung der Rechtsordnung durch das Gesetz hindert natürlich nicht (und soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht hindern), daß insbesondere Geschäfte aller Art zwischen Weißen und Schwarzen abgeschlossen werden. Es ist nicht so, daß rechtlich das commercium verboten wäre, auf ihm ruht im Gegenteil der Handel und die Wohlfart des Schutzgebietes.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). So impliziert die Formulierung wiederum eine künstliche Trennung der Bevölkerungsgruppen der Schutzgebiete. Gemischtrechtliche Beziehungen wurden auch in spezielleren Rechtsbereichen – wie in Bezug auf das Urheber- und Erfinderrecht – diskutiert. Vgl. etwa Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38. So vertreten von Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 219; Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 320; dagegen schwer vertretbar Cornelia Essner, »Border-line« im Menschenblut und Struktur rassistischer Rechtsspaltung – Koloniales Kaiserreich und »Drittes Reich«, in: Brumlik/Meinl/Renz (Hg.), Gesetzliches Unrecht – Rassistisches Recht im 20. Jahrhundert (2005), S. 27–64. 29.

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in welchen das afrikanische Kulturobjekt von der Sphäre des afrikanischen Ursprungs in die Sphäre des globalen Westens übergegangen ist. Denkbar ist hier eine nicht abschließende Zahl an möglichen Sachverhalten, welche jeweils eine rechtliche Würdigung verdient. Allerdings wird es in einer Vielzahl solcher Fälle mit Sicherheit einen Zeitpunkt gegeben haben, in welchem die Eigentümer*in des jeweiligen afrikanischen Kulturobjekts ein Mitglied der kolonisierten Bevölkerung war und (quasi)-konsensuale, oftmals zivilrechtsnahe rechtliche Interaktionen über das Kulturobjekt mit einem abgrenzbaren Individuum der deutschen Kolonialmacht vollzogen hat. Gerade diese Interaktion des Gemischtenrechts wird regelmäßig für die zivilrechtliche Provenienzforschung von großer Wichtigkeit sein. Auf Grundlage des Gesagten kommt der Untersuchung des Gemischtenrechts eine besondere Relevanz zu. Als Gemischtenrecht bezeichnete die Kolonialjurisprudenz alle diejenigen gemischten Angelegenheiten, welche sich »zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen und den diesen Gruppen gleichgestellten Kategorien«499 ereigneten. Zwar war bereits zur damaligen Zeit ein internationales Privat- und Strafrecht etabliert, jedoch waren die entwickelten Grundsätze nicht ohne Weiteres auf die Situation in den Schutzgebieten zu übertragen. Schließlich wurde die Rechtsanwendung nicht an verschiedenen Orten ausgeübt, an welchen verschiedene Rechtsnormen galten, sondern für die Kolonien war es charakteristisch, dass am selben Ort verschiedene Rechtsordnungen für verschiedene Personenkreise galten.500 Das Kolonialrecht wurde durch die Gemischtenangelegenheiten vor ein gehöriges Problem gestellt, denn die Rechtsordnung in den Schutzgebieten sah formal eine Trennung der Rechtskreise für »Weiße« und »Schwarze« vor.501 Die Politik der rassistischen Segregation und des schon damals wachsenden nationalen Überlegenheitsgefühls stand einer wirtschaftlichen und sozialen Verflechtung der kolonialen Prozesse gegenüber. Gleichwohl war die Segregationspolitik eine wichtige Triebfeder dafür, dass nach Möglichkeit versucht wurde, die juristisch konstruierten Grenzen zur Trennung der Bevölkerungsgruppen formal aufrechtzuerhalten.502 Für das Gemischtenrecht entstand folglich eine Art Rechtsvakuum, in welchem es in den meisten Bereichen kaum Normierungen und Anhaltspunkte für die Rechtsanwender gab. Obwohl das Gemischtenrecht einen interessanten Bereich lebhafter Diskussionen für Kolonialpolitik und Kolonialrechtswissenschaft

499 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 381; Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38, spricht von »Mischbeziehungen«. 500 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256. 501 Dazu vorstehend 2. Kapitel IV, 3. Kapitel I und II. 502 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 319.

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darstellte,503 blieb der Umfang der wissenschaftlichen Diskurse hinter der praktischen Bedeutung und der rechtlichen Relevanz der Problematik zurück.504 Begründet ist dies zum einen in dem bestehenden Widerspruch zum Idealbild der rassistischen Segregation und zum anderen in dem schieren Unwissen der Kolonialrechtswissenschaft von tatsächlichen Sachverhalten in den deutschen Schutzgebieten.505 Auch die Kolonialverwaltung verdrängte zunächst die mit dem Gemischtenrecht einhergehenden Problematiken. Doch dadurch sollte der Druck auf die koloniale Verwaltung nur weiter ansteigen, denn nicht nur im Bereich des Arbeits- und Strafrechts sollte das Fehlen gemischtrechtlicher Regelungen der Sicherung wirtschaftlicher Interessen schaden, sondern auch im Bereich des Handels- und Zivilrechts fehlte es für die wirtschaftlichen Interessen europäischer Kaufleute an einer rechtssicheren Gesetzeslage.506 Zunächst musste sich die Kolonialjurisprudenz mit der Frage befassen, in welchen Rechtsbereich das Gemischtenrecht der Schutzgebiete einzuordnen war, um daraus die entsprechenden Kompetenzen für rechtliche Interaktionen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten ableiten zu können.507 Freilich lag für die Kolonialrechtswissenschaft der Vergleich der gemischtrechtlichen Situation mit der des internationalen Privatrechts auf der Hand. Das internationale Privatrecht hatte bereits zu jener Zeit mit Rechtsgeschäften zwischen Personen verschiedener Rechtskreise und verschiedener nationaler Herkunft umzugehen. Mithin schien der Regelungszweck des internationalen Privatrechts nicht direkt auf die Situation in den deutschen Schutzgebieten zu passen. Insbesondere der 503 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256ff.; Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 381ff.; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 401ff. 504 Relevante Monografien der Kolonialjurisprudenz widmeten dem »Gemischtenrecht« kein eigenes Kapitel oder übersahen weitgehend das Problem. So Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht; Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete; Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete; Köbner, Einführung in die Kolonialpolitik. 505 Vgl. vorstehend unter Einleitung V und die Ausführungen zu Beginn des 2. Kapitel; vgl. dazu Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher sich gegen die Auslegung des SchGG in einer gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidung wehrt und der Kolonialjurisprudenz Praxisfremdheit und fehlenden Willen zur praktischen Problemlösung vorwirft: »Die Zitirung zweier Juristen, die beide eine sehr summarische Darstellung des komplimirten Kolonialrechts gegeben haben, vermag zur Sachklärung nicht das geringste Beizutragen. Weder Köbner noch Stengel haben das hier gestellte Problem in einem bestimmten Sinn lösen wollen oder gelöst.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 506 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 219; vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 321. 507 Parallel wurde das Problem von der kolonialen Gerichtsbarkeit behandelt, vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21.9. 1911, S. 368, unter: https://invenio.bundesarchiv.de /invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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im Art. 11 EGBGB508 festgehaltene Grundsatz locus regit actum für die Beurteilung der Form eines Rechtsgeschäfts führte zur keiner Lösung bezüglich der Handhabung gemischtrechtlicher Situationen, denn aus ihm folgte kein Rückschluss für den Fall, dass am selben Ort verschiedene Personenrechtssysteme galten.509 Die rechtliche Lücke im Bereich des Gemischtenrechts ließ also nur einen Rückgriff auf das »Universalheilmittel des Kolonialrechts«, also den Weg über die kaiserliche Verordnung, zu. Argumentiert wurde wiederum mit der nahezu allumfassenden Kompetenz des Kaisers.510 Hätte dieser die Kompetenz, aus den §§ 4 und 7 des 1900 erlassenen SchGG das »Weißenrecht« auch auf die »Eingeborenen« auszudehnen, so müsste dem Kaiser ebenfalls die Kompetenz zukommen, das »Weißenrecht« auf die vergleichbare Situation des Gemischtenrechts über den Verordnungsweg ausweiten können.511 Argumentiert wurde daher wieder einmal unter Zugrundelegung eines zentralistischen Überlegenheitsgefühls der eigenen Nation. Folglich wäre aus einem argumentum e contrario zu schlussfolgern, dass, wenn schon eine gesonderte Normierung in § 2 SchGG für die »hochentwickelten« Rechtsbeziehungen der »Weißen« positiv geregelt waren, im Umkehrschluss für alle übrigen Rechtsnormen das Kaiserliche Verordnungsrecht aus § 1 SchGG völlig ausreichen sein müsse. Für das Gemischtenrecht könne nach dieser Begründung nicht nur eine bloße Übertragung des Weißenrechts festgelegt werden, vielmehr könne es auch abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch oder von den geltenden Prozessordnungen in einem eigenständigen Rechtsgebiet geregelt werden.512 Dieses Rechtsverständnis in Bezug auf das Gemischtenrecht wurde zur gängigen Praxis. Insbesondere in Rechtsbereichen wie dem Eherecht, Arbeitsrecht und Strafrecht erfolgten Regelungen für gemischtrechtliche Interaktionen im Wege der Kaiserlichen Verordnung.513 Erst kurz vor Ende der deutschen Kolonialgeschichte wurden Entwürfe diskutiert, in welchen geplant war, dass in verschiedenen Rechtsgebieten die »Eingeborenen« Zugang zu der in § 2 SchGG geregelten ordentlichen Gerichtsbarkeit der »Weißen« erhalten sollten.514 Zwar sollten die 508 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 604–650, Nr. 21, ausgegeben am 24. 8. 1896, in Kraft seit 1. 1. 1900. 509 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 257. 510 Vgl. Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, S. 173ff. 511 Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, S. 176: »Der Kaiser ist zur Ausdehnung des Consulargerichtsbarkeitsgesetzes auf andere Personen als Deutsche und Schutzgenossen berechtigt«. 512 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 257. 513 Dazu vertiefend in 3. Kapitel IV 1–3. 514 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Kaiserliche Verordnung, betreffend Ausdehnung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei Eingeborenen, S. 349f., unter: https://invenio.bundesarchiv.de/in venio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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Entwürfe nicht mehr umgesetzt werden, doch allein die Erwägung, über den beachtlichen Weg einer Kaiserlichen Verordnung eine allgemeingültige Regelung für »afrikanische und Südsee-Schutzgebiete« in Hinblick auf eine gemischte Gerichtsbarkeit zu erreichen, wäre ein Meilenstein für das Gemischtenrecht gewesen. Es lag jedoch auf der Hand, dass, sofern das Gemischtenrecht nicht durch Vorschriften im Verordnungswege geregelt wurde, die rechtlichen Verkehrsbeziehungen zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden nicht außerhalb jeglicher Rechtsordnung liegen konnten. Abwegig sei insbesondere, aus dem 1900 erlassenen § 4 SchGG ein allgemeines Verbot für das Vollziehen von Rechtsbeziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten herzuleiten.515 So wurde zutreffend argumentiert, dass falls sich das Gemischtenrecht in einem rechtlichen Vakuum befinden würde oder gar unzulässig sei, eine Vielzahl an wirtschaftlicher Betätigung in den Kolonien in Ermangelung von Arbeits-, Dienstund Kaufverträgen kaum möglich gewesen wäre.516 Für die Ausübung der rechtlichen Befugnisse bezüglich des Gemischtenrechts kam abermals den lokalen Verwaltungsbeamten eine sehr wichtige Rolle zu.517 Zuständig waren demnach die Verwaltungsposten und kleineren Bezirksgerichte.518 Unter der Prämisse, dass auf der einen Seite das Gemischtenrecht äußerst wichtig für den Wohlstand der deutschen Kolonien war, jedoch auf der anderen Seite die Regelungen dieser Rechtsbeziehungen nicht im Verordnungswege oder auf sonstige Weise erfolgte, mussten die Rechtsanwender selbst kreativ schaffend tätig werden.519 515 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 258. 516 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 258; Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 367. Autenrieth sieht in den gemischten Angelegenheiten die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien, unter: https://invenio.bundes archiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 517 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III. 518 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 157, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher sich bezüglich der Auslegung des SchGG in gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidungen über die Vorinstanz empört: »Nach den Gründen des angefochtenen Urteils haben die beiden §§ etwa folgenden Wortlaut: 1. Für Nichteingeborene sind die Bezirksgerichte zuständig, es sei denn, dass ein Nichteingeborener einen Eingeborenen verklagt. Oder auf die Eingeborenen bezogen: 2. Für die Eingeborenen sind nicht die Bezirksgerichte und die Obergerichte zuständig, es sei denn, dass ein Eingeborener einen Nichteingeborenen verklagt.« Prange korrigiert die Vorinstanz weiter im Schriftsatz (S. 171) mit der allgemein gültigen Regel: »Nachdem bewiesen ist, dass den Bezirksgerichten die Gerichtsbarkeit in gemischten Prozessen innewohnt.«, unter: https://in venio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 519 Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38: »Die Mischbeziehungen haben eine allgemeine gesetzliche Regelung bisher nicht

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Zweifellos waren Verwaltungs- und Gerichtsposten keineswegs repräsentativ durch die in den Schutzgebieten vertretenen Bevölkerungsgruppen besetzt, weshalb zu vermuten ist, dass hier eine Rechtspraxis für das Gemischtenrecht entstand, welche durch die strukturelle Überlegenheit der deutschen Kolonialmacht geprägt war. Die Behörden modifizierten durch Gerichtsgebrauch und Regelungen der Verwaltung nicht nur materielles Recht, sondern auch Formund Prozessvorschriften. So übertrugen die zuständigen Institutionen der Kolonisierenden die ihnen bekannten Rechtsinstitute – wie die schriftliche Form oder die Prozessvertretung – schon aus rein praktischen Gründen auf das Gemischtenrecht. Dies ereignete sich allerdings, ohne dass dafür gesetzliche Regelungen bestanden. Vielmehr wurden Rechtsinstitute durch bloße faktische Rechtsübung aus den Bereichen des »Weißen- oder Eingeborenenrechts« auf die gemischtrechtlichen Beziehungen übertragen.520 Wie schon bei der »Eingeborenenrechtspflege«521 entstand für das Gemischtenrecht eine Art »praxisorientiertes Recht der faktischen Wirksamkeit«. Andernfalls wäre eine Durchführung der Gerichtsbarkeit in den gemischtrechtlichen Angelegenheiten kaum möglich gewesen. Einleuchtend ist, dass eine solche modifizierte Rechtsausübung kaum in allen Fällen die nötige Bestimmtheit und Klarheit für die Beteiligten haben konnte. Es entstand somit eine immer größere Diskrepanz zu einem formalen Kolonialrecht. Die fehlende Rechtssicherheit führte zu evidenten Unterschieden hinsichtlich der Bewertung von Sachverhalten bei ähnlich liegenden Einzelfällen. Es wurden stark variierende Diskrepanzen verursacht, stets abhängig vom Ort der Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit des in Betracht kommenden Kolonialbeamten. Insbesondere bei Institutionen, Rechtsgütern oder Rechtsbräuchen aus der afrikanischen Rechtsphäre, war die Gefahr einer evidenten Abweichung durch das Unverständnis der zuständigen Kolonialbeamten besonders hoch.522 Verstärkt wurden diese Rechtsunsicherheiten durch die verhältnismäßig kurze zeitliche Phase der deutschen Kolonialepoche, sodass eine nötige langjährige Übung für ein wirksames, flächendeckendes Gewohnheitsrecht fehlte. Da einerseits die Erfahrung im Umgang mit dem Gemischtenrecht gering war und andererseits keine allgemeingültige Verordnungslösung für den Bereich des erfahren«; Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 368, Autenrieth erkennt das Problem zwischen formaler Anwendung des § 4 SchGG und der fehlenden Lösung für das materielle Recht der Gemischtenangelegenheiten. Solange der Gesetzgeber untätig bleibt, sieht er die Hauptverantwortung der Gemischtenangelegenheiten beim zuständigen Richter, welcher für einen »Ausgleich der Differenzen« sorgen soll, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 520 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 259. 521 Dazu vorstehend 4. Kapitel II. 522 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 259.

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Gemischtenrechts erlassen wurde, ließ die Frage, wie mit dem Gemischtenrecht zu verfahren sei, kaum einheitliche oder schematische Lösungen zu.523 Die Rechtsunsicherheit in Bezug auf das Gemischtenrecht schlug sich auch in den Bevölkerungsgruppen Kameruns nieder. Deutsche Kaufleute versuchten, gegenüber afrikanischen Händlern hohe Geldforderungen durchzusetzen, doch erschwerte die gemischtrechtliche Situation die Durchsetzung des Anspruchs.524 Sowohl für das Prozessrecht, aber auch für das materielle Recht, gab es starke Stimmen dahingehend, dass in gemischten Rechtssachen ein klares Regelsystem von Vorteil sei. Es wurde gefordert, sich an den »älteren Kolonialvölkern« wie den Engländern oder Niederländern zu orientieren, welche mit dem Native Territories Penal Code oder den Gesetzbüchern für Niederländisch-Indien erste Kodifizierungen für die Fragen des Gemischtenrechts erlassen hatten.525 Denn eine allgemein gültige Kodifizierung für das Gemischtenrecht habe verschiedene Vorteile. Durch eine eigene Kodifizierung der gemischten Angelegenheiten würde mehr wirtschaftliche Sicherheit in den Kolonien entstehen und die »Eingeborenen« würden sich Stück für Stück an das deutsche Recht gewöhnen. Letztendlich könne sogar bei stetig fortschreitender kultureller Entwicklung und Gewöhnung der »Eingeborenen« die europäischen Rechtsanschauungen dergestalt von den afrikanischen Bevölkerungsgruppen übernommen werden, dass sich das deutsche Recht mit der Zeit auch auf interne Streitigkeiten der Kolonisierten übertragen würde.526 Des Weiteren würde durch die Kodifikation des Gemischtenrechts die Möglichkeit eröffnet, besondere materielle Schutzvorschriften zu erlassen, welche die eingeborene Bevölkerung »vor Ausbeutung und eigenem Leichtsinn« bewahren sollten.527 Vorschläge, die eine Kodifizierung des gemischten Rechts forderten, wurden jedoch nicht überall ohne Bedenken aufgenommen. Zumindest in Kamerun entstand die Befürchtung, dass durch die Rechtsangleichung von »Eingeborenenrecht« an das »Weißenrecht«, d. h. durch ein gemeinsames Gemischtenrecht, die angestrebte Segregationspolitik der Kolonialverwaltung konterkariert und damit eine »rassepolitisch […] bedenkliche Gleichstellung initiiert« würde.528 Kiautschou an der Ostküste Chinas war der wichtigste Stützpunkt für die deutsche Kolonialagitation im ostasiatischen Raum. In Bezug auf die gemischt523 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 259f. 524 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 29ff., Rechtsanwalt Kurt Prange mit einem Schreiben an den Reichskanzler, vom 6. Januar 1908, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 525 Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 405. 526 Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 407. 527 Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406. 528 Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 324.

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rechtlichen Angelegenheiten sollte Kiautschou eine Ausnahme zur sonst relativ unsicheren Rechtslage in den Schutzgebieten bilden. In dem asiatischen Schutzgebiet regelte die Verordnung des Gouverneurs von Kiautschou vom 15. April 1899,529 dass bei gemischtrechtlichen Handlungen zwischen Chinesen und Nichtchinesen zum einen die deutsche Gerichtsbarkeit zuständig wäre und zum anderen in solchen Fällen für Chinesen das deutsche materielle Recht anzuwenden wäre.530 Die Folge der Verordnung war beachtlich: Bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Chinesen und Nichtchinesen wären also die deutschen Reichsgesetze anzuwenden, allen voran das Bürgerliche Gesetzbuch531 und das Handelsgesetzbuch532 mit der Maßgabe des § 40 KGG, welcher den Vorrang der lokalen Handelsbräuche vor dem Recht des Mutterlandes regelte.533 Zwar war die Regelungsmacht der deutschen Kolonialnation groß, doch wurde bei Streitigkeiten das angestammte Recht herangezogen. So sollten zur Erforschung chinesischer Rechtsanschauungen in wichtigen Fällen angesehene Personen wie der Dorfälteste angehört werden.534 In Anbetracht der nicht rechtssicheren Situation versuchten Vertreter der Kolonialrechtswissenschaft und Befürworter der Kolonialagitation bezüglich des Gemischtenrechts lösungsorientiert zu handeln. Die auf Kolonialkongressen entwickelten Stellungnahmen waren eine Kombination aus rechtswissenschaftlicher Überlegung, Verarbeitung von Berichten aus den verschiedenen Kolonialverwaltungen und nationalpolitisch motiviertem Gedankengut. So wurden in Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz, welche dem Lager der Kolonialagitation nahestanden, teilweise nüchterne juristische Argumentationen mit ergebnisorientierten Darlegungen vermischt. Dementsprechend stellte Preuss auf der Kolonialrechtstagung von 1905 zunächst verschiedene »Umgangsweisen« mit den gemischtrechtlichen Situationen in den Schutzgebieten dar. In seinem Beitrag nahm er stets Bezug auf bestehende Rechtsunsicherheiten im Bereich des Gemischtenrechts und kritisiert diese scharf. Lediglich in Kiautschou sei die Gesetzeslage eine verständlichere.535 Daher sei es »zweckmäßig« in jeglichen 529 Abgedruckt und mit Darstellung der gemischtrechtlichen Situation in Kiautschou bei Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38f.; Wagner, Die deutschen Schutzgebiete, S. 364. 530 Dazu näher aus kontemporärer Sicht Wagner, Die deutschen Schutzgebiete, S. 364. Dieser Umstand wurde auch zur historischen Zeit festgestellt, vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 257. 531 Bürgerliches Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 195 Nr. 21, ausgegeben am 24. 8. 1896, in Kraft seit 1. 1. 1900. 532 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1869, Nr. 32, S. 404, ausgegeben am 5. 6. 1869, in Kraft seit 12. 8. 1869. 533 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 395. 534 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 392. 535 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 383f.

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Fällen von Mischprozessen, unabhängig davon, ob Eingeborene Kläger oder Verklagte seien, zu jedem Zeitpunkt die ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu bejahen. Ferner wäre es wichtig wegen der engen Verknüpfung von prozessualem und materiellem Recht in gemischten Fällen deutsches Zivil- und Strafrecht anzuwenden.536 In anderen Beiträgen gab es noch radikalere Ansätze: Es sollte davon ausgegangen werden, dass »der Deutsche« generell von einem privilegierten Rechtsschutz umgeben sei, dem das Recht des »Farbigen« in allen Fällen zu weichen habe.537 Zwar variierte die Intensität der Meinungen, doch bei Diskussion um das Gemischtenrecht wird deutlich, wie viel Gewicht auf das Recht der »Weißen« gelegt wurde. In der exponierten Stellung des »Weißenrechts« sah sich die deutsche Kolonialnation bestätigt, sobald sich das deutsche Kolonialreich mit anderen europäischen Kolonialnationen verglich.538 Es wurde mit der niederländischen Kolonialnation als Vorbild argumentiert, welche bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Gemischtenrechts gemäß dem Grundsatz actor sequitur forum rei handelte. Wäre folglich in einem Fall des Gemischtenrechts der Eingeborene der Kläger, so wäre demnach ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Das sollte jedoch auch dann gelten, falls der Eingeborene Beklagter wäre. Dergestalt finde das deutsche Recht in den meisten Fällen Anwendung, jedoch mit der Maßgabe, dass der Richter hier die Bräuche und Gewohnheiten der Kolonisierten nach Möglichkeit mit in Betracht ziehen sollte.539 Die Auffassung, dass dem deutschen Recht in gemischtrechtlichen Angelegenheiten das entscheidende Gewicht zukäme, ließe sich nach der Auffassung von Preuss und Meyer auch durch genaue Lektüre des SchGG begründen. Schließlich könnten im Wege der Kaiserlichen Verordnung die »Eingeborenen« der deutschen Gerichtsbarkeit, nicht aber die Deutschen der »Eingeborenengerichtsbarkeit« unterstellt werden. Für die Deutschen sei gem. § 2 SchGG i. V. m. § 3 KGG die Zuständigkeit der Reichsgesetze normiert – eine Zuständigkeit, die sich auch auf die Fälle des Gemischtenrechts übertragen ließe.540 Allerdings könnten mit der Übertragung der deutschen Rechtsordnung auf die Fälle des Gemischtenrechts auch komplizierte Folgeprobleme entstehen. Zwar könne das deutsche Prozessrecht ohne weitreichende Abänderungen in die 536 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 394. 537 Karl Ebermaier, Die Organisation der Rechtspflege in den Kolonien, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902 (1903), S. 370–373, 372. 538 Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406. 539 Vgl. etwa Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406. 540 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 394; so Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 402, nach welchem bei gemischtrechtlichen Angelegenheiten »ohne Zweifel auf die Interessen der beteiligten Europäer das entscheidende Gewicht gelegt werden muss«.

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afrikanischen Kolonien übernommen werden, doch für das materielle Recht würde eine Übertragung nicht ohne Weiteres funktionieren. Das materielle deutsche Recht solle schließlich stets das Fundament in der Anwendung des Gemischtenrechts bilden, aber durch ein Fehlverständnis der Kolonisierten gegenüber den deutschen Rechtsbegriffen würden durch die unveränderte Rechtsanwendung Probleme entstehen.541 Besonders deutlich sei das in zivilrechtlichen Bereichen wie dem dinglichen Recht oder dem Obligationsrecht. Generalklauselartige Bestimmungen wie »Treu und Glaube« würden die Rechtsauffassung der »Eingeborenen« überfordern, aber auch bei spezifischen schuldrechtlichen Verträgen wie dem Wechselrecht, sei an eine gesetzestreue Rechtsanwendung nicht zu denken.542 Trotz der deutlichen Gewichtung des Gemischtenrechts in Richtung des deutschen Rechts543 war also nach Ansicht der Kolonialrechtswissenschaft auf dem Gebiet des Gemischtenrechts »noch sehr viel, wenn nicht alles« zu tun übrig.544 Es sei folglich von noch größerer Wichtigkeit als im Bereich des Eingeborenenrechts, für die Besonderheiten des Gemischtenrechts eine Kodifikation zu schaffen, welche eine klare und unzweifelhafte Gesetzgebung für gemischte Angelegenheiten bereithalte. Preuss argumentierte, dass dies nicht nur in juristischer Hinsicht Sinn ergebe und die Rechtsanwendung in den Schutzgebieten erleichtern, sondern auch allgemein für ruhigere Verhältnisse in den Kolonien sorgen sollte.545 Der überwiegende Konsens der Kolonialrechtswissenschaft, die gemischtrechtlichen Vorgänge maßgeblich nach dem Recht der Deutschen zu bewerten, blieb jedoch keinesfalls ohne Kritik. Zwar sei die grundsätzliche Privilegierung und allgemeine Geltung des »Weißenrechts« für alle gemischtrechtlichen Fälle des prozessualen und materiellen Mischrechts politisch wünschenswert, jedoch wäre eine solche kaum mit dem geltenden Recht in den Schutzgebieten zu begründen.546 Nach geltendem Kolonialrecht sei es demnach nicht richtig, würde davon ausgegangen werden, dass in dem Fall, wenn ein »Eingeborener« einen

541 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 399; Felix Meyer, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten – Korreferat, S. 406f. 542 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 399f. 543 Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 46, nach welchem im Falle einer gemischtrechtlichen Strafsache ziehe die Praxis »in diesem Falle den Farbigen vor das Gericht des Europäers«. 544 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 399; vgl. auch Hermann Autenrieth, bacin den Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Jahrgang 1912, S. 158–179, 158. Auch der renommierte Kolonialpraktiker Autenrieth berichtet unter Bezugnahme auf diverse Reformvorschläge von der Reformbedürftigkeit des Kolonialrechts. 545 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 400. 546 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 260.

Gemischtrechtliche Angelegenheiten

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»Weißen« vor einem »Weißengericht« verklagen würde, dieser auch automatisch dem »materiellen Weißenrecht« unterliege. Folglich sei das materielle Recht grundsätzlich unabhängig von dem Gerichtsstand zu bewerten, denn das materielle Recht entstehe bereits zum Zeitpunkt der Abwicklung des Rechtsgeschäfts, also bevor der Rechtsstreit anhängig werden würde. Die Wahl der materiellen Rechtsordnung sei somit strikt von der prozessualen Zuständigkeit zu trennen, mit der Folge, dass durch die Zuständigkeit von Verwaltungsposten und kleineren Bezirksgerichten in gemischten Angelegenheiten nicht per se deutsches Recht gelten würde.547 Obwohl die Situationen des internationalen Privatrechts nur in groben Zügen mit denen in den Schutzgebieten zu vergleichen seien, könne zumindest von sehr allgemein gefassten Rechtsgrundsätzen, welche durch Wissenschaft und Praxis des internationalen Privatrechts entwickelt worden sind, gelernt werden. Demnach sei in manchen Fällen des internationalen Privatrechts das Personalstatut beider Parteien von gewisser Bedeutung, eine Option, die auch für das koloniale Gemischtenrecht in Betracht käme. Auch die Möglichkeit den Parteiwillen darüber entscheiden zu lassen, welches materielle Recht bei einem Vertragsschluss zugrunde gelegt werde, sei für die Bevölkerungsgruppen in den deutschen Schutzgebieten eine lohnenswerte Erwägung.548 Ferner könnte auch die Anwendung eines nahezu unveränderten Prozessrechts auf die Mischangelegenheiten zu Folgeproblemen im Bereich des Gemischtenrechts führen. Daher wäre es besser, wenn der jeweilige Richter in jedem Einzelfall prüfen würde, inwieweit die Vorschriften über die Prozessordnung für gemischtrechtliche Prozesse einer Einschränkung oder Abänderung bedürften.549 Auf Grundlage des Gesagten bleibt festzuhalten, dass die Fälle des Gemischtenrechts durchaus einen kritischen Bereich für die deutschen Schutzgebiete darstellten.550 Die Diskrepanz zwischen kolonialer Lebenswirklichkeit und rechtlich-formalistischer Utopie wird bei diesem Themenkomplex besonders deutlich.551 Letztendlich bestätigt sich durch die Relevanz gemischtrechtlicher 547 Vgl. Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 259. 548 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 260f.; Vgl. Wilhelm Pfläging, Zum kolonialrechtlichen Problem der Mischbeziehungen zwischen deutschen Reichsangehörigen und Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, unter besonderer Berücksichtigung des Unterhaltsanspruches der unehelichen Mischlinge (1913), S. 36ff. 549 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 263. 550 Vgl. zu Problematiken eines gemischtrechtlichen Prozesses, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 125ff., unter: https://in venio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 551 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 367, nach Autenrieth ergibt sich nach einer formalen Auslegung, dass aus § 4 SchGG nur ein duales Verständnis zweier nebeneinanderliegender Rechtsordnungen für die Schutzgebiete resultieren

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Interaktion, dass es sich bei der strikten rassistischen Segregation in erster Linie um eine Wunschvorstellung handelte, die zwar politisch antizipiert, aber faktisch nicht durchgesetzt wurde. Gewiss waren die Situationen des Gemischtenrechts ein politisch wie juristisch schwieriger Bereich – insofern ist verständlich, dass in der verhältnismäßig kurzen deutschen Kolonialzeit keine umfassenden Verordnungen und Kodifikationen für diesen Rechtsbereich von der Regierung erlassen wurden. Gleichwohl könnte argumentiert werden, dass der Kolonialrechtswissenschaft der damaligen Zeit eine besondere Verantwortung zukam,552 die rechtlichen Problemfelder des Gemischtenrechts zu erkennen und aufzuarbeiten. Allerdings war die Rechtswissenschaft der damaligen Zeit im Bereich des Gemischtenrechts zurückhaltend. In dem Gebiet der gemischtrechtlichen Interaktionen konnten sich schwierige juristische Fragestellungen nicht der gewohnten juristischen Meinungsheterogenität erfreuen, die für lösungsorientierte Ansätze erforderlich gewesen wäre.553 Oftmals war ein juristischer Diskurs zudem stark von faktischen Fehlvorstellungen verzerrt, die unter anderem aus einem rassistischen Herrenmenschendenken sowie aus schierer Unkenntnis des Rechts und den Gewohnheiten der Kolonisierten bestand. In diesen rassistischen Denkmustern befanden sich Teile der Kolonialjurisprudenz zudem in einem Widerspruch: Zwar müssten sich die Kolonisierten maßgeblich dem Recht der Kolonisierenden beugen, doch entstand gleichzeitig mit der Übertragung des »Weißenrechts« auf die »Eingeborenen« die Gefahr einer Gleichberechtigung in gemischtrechtlichen Fällen.554 Das Gemischtenrecht wurde somit für die Politik der rassistischen Segregation zu einem zweischneidigen Schwert. Kongruent zu den bisherigen Ausarbeitungen wird deutlich, wie wichtig das Gouvernement, die untersten Verwaltungseinheiten – also Bezirksamtmänner, Stationsleiter, Postenführer und die lokalen Gerichte – für die Angelegenheiten des Gemischtenrechts waren.555 Immer wenn diese Bestandteile der deutschen Hegemonie über Fälle des Gemischtenrechts zu entscheiden hatten, wurde maßgeblich nach dem Ermessen des jeweiligen Kolonialbeamten die Einbeziehung der afrikanischen Rechtsgewohnheiten im

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könnte. Dies sei aber nicht der gewollte oder tatsächliche Fall in der Praxis, unter: https://in venio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). Schließlich bediente sich das Auswärtige Amt durchaus auch der Verweisungen auf die Kolonialjurisprudenz. Damit wird die Wechselwirkung zwischen Kolonialjurisprudenz und Kolonialregierung deutlich, vgl. Erlass des Auswärtigen Amtes, Kolonial-Abteilung, betreffend die Eingeborenen-Zivilrechtspflege vom 15. Januar 1907, mit Verweis auf Stengel, Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete 1901, abgedruckt bei Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 849, Nr. 426. Als lobenswerte Ausnahme ist hier ausdrücklich die weichenstellende Abhandlung von Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 256 ff zu erwähnen. Mit vergleichbarem Ergebnis Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 323. Dazu vorstehend in 2. Kapitel III.

Konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Ungleichbehandlung

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konkreten Einzelfall verantwortet.556 In der durch hegemoniales Überlegenheitsgefühl geprägten Kolonialzeit ist dabei eine systematische Ungleichbehandlung557 im Bereich des Zivilrechts genauso wie in anderen Rechtsbereichen558 zu vermuten. Dabei litten unter den Rechtsunsicherheiten und Ungleichbehandlungen zwar in erster Linie die Kolonisierten, aber auch Teile der deutschen Kolonialverwaltung nahmen die Rechtsunsicherheiten im Gemischtenrecht als großes Problem wahr. Es war daher exemplarisch, wie sich in den Niederschriften der Kolonialverwaltung in Kamerun über das Gemischtenrecht beklagt wurde: »In der Zivilrechtspflege macht sich hier bei Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen der Mangel der in § 4 Schutzgebietsgesetzes verheißenen Kaiserlichen Verordnung äußert fühlbar. Die Praxis ist hier verschieden, da einesteils die Streitigkeiten sämtlich vor das Bezirksgericht gebracht werden, in anderen Bezirken aber die Klage Nichteingeborener gegen Eingeborene von der Verwaltungsbehörde, die Klagen Eingeborener gegen nicht Eingeborene aber vom Gericht entschieden werden.«559

IV.

Konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Ungleichbehandlung

Um eine Kontextualisierung dafür zu erzeugen, wie die gemischtrechtlichen Situationen im Schutzgebiet Kamerun zu bewerten waren, werden konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Interaktion dargestellt und untersucht. Nur die wenigsten Fälle der konsensualen rechtlichen Interaktionen waren im Bereich des Gemischtenrechts positiv geregelt und machen daher eine Nachvollziehung und Interpretation aus heutiger Sicht zu einer schwierigen Aufgabe. Jedoch gibt es auch in den Bereichen der gemischtrechtlichen Interaktion zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden überlieferte Rechtsverordnungen und 556 Vgl. zur Willkür von Verwaltung und Gerichtsbarkeit in den Kolonien: Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 6. 557 Vgl. Buchner, Skizzen und Betrachtungen, S. 190: »Bei der Rechtsprechung zwischen Weißen und Schwarzen, die der europäischen Autorität vorbehalten bleiben muß, ist dringend zu warnen vor der in den englischen Kolonien versuchten Gleichstellung beider Rassen.«; vgl. zur brutalen Gewalt und Grausamkeit wiederum Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 6; vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 321–346, nach welcher die Kolonialherrschaft zweifelsohne enormen Druck auf die afrikanische Bevölkerung ausübte und gewalttätige Übergriffe zur Tagesordnung gehörten. 558 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV. 559 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 27, Abschrift zur Akte B.I.4728. von 1907, unter: https://invenio.bundesarchiv.de /invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

andere Quellen, welche Rückschlüsse auf die historischen Ereignisse ermöglichen. Insbesondere in den für die deutsche Kolonialmacht wirtschaftlich wichtigen Bereichen des Arbeits- und Strafrechts können allgemeingültige Regelungen in Bezug auf das Gemischtenrecht ausgelegt werden. Darüber hinaus lassen sich glücklicherweise – wenn auch quantitativ weniger – abstrakt-generelle Regelungen auffinden, die durchaus dem Spektrum eines gemischtrechtlichen bürgerlichen Rechts zuzuordnen sind. Aus diesen Beispielen des positiv geregelten Gemischtenrechts kann folglich ein Kontext für jegliche gemischtrechtliche Interaktion hergeleitet und Interpretationsansätze für das restliche Gemischtenrecht gewonnen werden.

1.

Strafrecht

Nach der Definition bestand eine Situation des Gemischtenrechts »zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen und den diesen Gruppen gleichgestellten Kategorien«.560 Insbesondere für das Strafrecht war nicht klar abgegrenzt, ob für die Frage nach dem Vorliegen einer gemischtrechtlichen Interaktion eine gemischte Angelegenheit ausschließlich nach der materiellen Rechtslage zu bewerten wäre oder ob auch das prozessuale Recht zu Grunde zu legen sei.561 Zweifellos würde in Bezug auf das Strafrecht ein Fall des Gemischtenrechts vorliegen, wenn auf Täter- und Opferseite verschiedene Bevölkerungsgruppen beteiligt wären oder wenn eine Tat durch Teilnehmer der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gemeinschaftlich begangen worden wäre.562 Allerdings könnte die Definition des Gemischtenrechts in den strafrechtlichen Angelegenheiten in den deutschen Schutzgebieten wegen der besonderen Rolle des Strafrechts auch weiter gefasst werden. Denn die prozessuale Beteiligung und die rechtliche Durchsetzung des Strafrechts durch Verwaltung und Gerichtsbarkeit der deutschen Kolonialmacht spielte eine evidente Rolle in den Schutzgebieten. Es wäre 560 Vgl. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 381; Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten, S. 38, spricht von »Mischbeziehungen«. 561 Ferner wurde diskutiert ob verwaltungsrechtliche Vorschriften mit strafrechtsähnlichem Charakter in den Schutzgebieten Anwendung finden würden, dazu näher Otto Mathies, Das in den Schutzgebieten geltende Reichsstrafrecht im Verhältnis zum Verwaltungsrecht, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Band 14 (1912), S. 318–327, 318ff.; mit weniger Problembewusstsein Sieglin, Die koloniale Rechtspflege und ihre Emanzipation vom Konsularrecht, S. 53; Seelbach, Grundzüge der Rechtspflege in den Deutschen Kolonien, S. 39ff. 562 Näher zu der Fragestellung vgl. etwa Holländer, Nach welchem Recht haften in den Schutzgebieten die Weißen aus Delikten gegen Farbige?, in: Koloniale Rundschau – Monatsschrift für die Interessen unserer Schutzgebiete und ihrer Bewohner. Jahrgang 1910, S. 698–708, 698ff.

Konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Ungleichbehandlung

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gut vertretbar auch diejenigen Situationen in die Bewertung der gemischten Angelegenheiten einzubeziehen, in welchen eine Bevölkerungsgruppe Recht über eine andere Bevölkerungsgruppe ausübte: also immer, wenn die Kolonisierenden über die Kolonisierten Recht sprachen.563 Die Beantwortung der Frage, ob nach der Definition der Kolonialjurisprudenz eine bloße prozessuale Beteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen für das Vorliegen einer gemischtrechtlichen Interaktion ausreicht, bedarf an dieser Stelle keiner finalen Entscheidung – schließlich soll das Strafrecht im Rahmen dieser Abhandlung nur am Rand und zur Kontextualisierung für die konsensualen Rechtsbereiche der zivilrechtsnahen Interaktion herangezogen werden.564 Ferner kann auf die vertiefende Aufarbeitung der strafrechtlichen Situation in den Kolonien verwiesen werden.565 Die Strafrechtspflege stellte eine besonders heikle Situation in den deutschen Schutzgebieten dar. Für die deutsche Kolonialmacht handelte es sich hierbei um ein besonders wichtiges Rechtsgebiet. Das Strafrecht diente als drakonisches Disziplinarinstrumentarium zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Belange der deutschen Kolonialmacht. Die Arbeitskraft der Kolonisierten war eine unverzichtbare Ressource in den Schutzgebieten und sollte durch genügend Furcht und Respekt vor Disziplinarmaßnahmen gewährleistet bleiben.566 So kritisiert Wolter völlig zutreffend das Strafrecht in den deutschen Kolonien aus einem rechtsstaatlichen Blickwinkel. Für »Eingeborenenangelegenheiten« und für das Gemischtenrecht gab es kaum ein Strafrecht, welches sich als »rechtsstaatliches materielles Strafrecht« bezeichnen ließe. Die Strafjustiz war vor allem Instrumentarium der Verwaltung, um die Herrschaft und Dominanz über die Bevölkerungsgruppe der Kolonisierten zu sichern. Zum Zweck der Herrschaftssicherung musste das Strafrecht die nötige Flexibilität ohne rechtsstaatliche Grundsätze vorweisen, schließlich würde eine Bindung an fest gere-

563 Prange vergleicht die gemischtrechtlichen Handelssituationen mit strafrechtlichen Situationen, in welchen die deutsche Kolonialmacht den öffentlich-rechtlichen Strafanspruch gegen die Kolonisierten durchsetzt, Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 158f., Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 564 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333f., welche ebenfalls Parameter der Gewaltherrschaft auf handelsrechtliche Beziehungen überträgt. 565 Dazu vertiefend: Thomas Kopp, Theorie und Praxis des deutschen Kolonialstrafrechts, in: Voigt/Sack (Hg.), Kolonialisierung des Rechts – Zur kolonialen Rechts- und Verwaltungsordnung, 2001, S. 71–94. 566 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 219; vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 34f., spricht von einem Strafrecht als Instrument zur »Erziehung«.

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gelte Straftatbestände die Durchsetzung der Ziele erschweren.567 Die wichtigste Strafe in den Kolonien stellte die Prügelstrafe dar. Mit Nilpferdpeitschen und anderen Instrumentarien wurden »Beschuldigte« zu Geständnissen gezwungen oder verurteilten »Straftäter« auch fernab der Todesstrafe einem Vollzug unterzogen, den sie nicht überleben sollten. Menschenverachtendes war Bestandteil einer Gewaltherrschaft des Disziplinarstrafrechts, welches in Kamerun am schlimmsten durch das Duo Zimmerer und Leist durchgesetzt wurde.568 Doch auch in der »Ära Dernburg«569 sollte sich die Situation für die afrikanische Bevölkerung nur geringfügig verbessern.570 Die strafrechtlichen Vorgänge der damaligen Zeit wurden auch durch prägende Vertreter der Kolonialjurisprudenz legitimiert. Kurz angebunden stellt Edler von Hoffmann in seiner sonst sehr umfangreichen Monografie klar, dass der Rahmen und Umfang der Strafverfolgung von »Farbigen« vom zuständigen Beamten und daher stets im Einzelfall zu entscheiden sei, denn Verfahren ohne formale Regelungen würden meistens ausreichen und auch die Rolle der Staatsanwaltschaft sei nicht erforderlich, um die Rechtsgüter der Kolonisierten zu schützen.571 Kuhn erachtet den Runderlass des ostafrikanischen Gouverneurs als sehr beachtlich und ist nahezu verwundert, weil sich dieser 1909 eine »mildere Strafvollziehung« zum Ziel mache.572 Dabei war »mildere Strafvollziehung« durchaus relativ zu verstehen – der Runderlass vom 15. Dezember 1909 in Ostafrika mahnte zwar zu milderen Freiheitsstrafen, doch gemeint waren damit nicht die tödlichen Freiheitsstrafen. Denn der Strafvollzug, ausgeübt durch die deutsche Kolonialmacht, sollte von den »Eingeborenen in so seltenen Fällen überstanden werden«.573 Zur strafrechtlichen Situation in den Schutzgebieten lassen sich in gemischtrechtlichen Situationen viele verschiedene Fallbeispiele bezüglich Ungerechtigkeit und Inhumanität vorweisen, die zum Teil von der kontemporären Wissenschaft bearbeitet worden sind. So untersuchte Wagner Tötungsdelikte an der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe:574 Diesbezüglich ist das Strafmaß für 567 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 220; so bereits schon zur Kolonialzeit Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 50ff. 568 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 4. 569 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 5. 570 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 220: »Letztlich brachten auch die Reformen Dernburgs wenig Verbesserungen.« 571 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 226. 572 Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete, S. 328. 573 Runderlaß des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, betreffend Bemessung der gegen Eingeborene erkannten Freiheitsstrafen. Vom 15. Dezember 1909, abgedruckt bei: Gerstmeyer/ Köbner, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Dreizehnter Band, Jahrgang 1909 (1910), S. 653. 574 Wagner, Die deutschen Schutzgebiete, S. 361.

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Kolonisierende und Kolonisierte bei Straftaten an der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe stark voneinander abgewichen. Für die Tötung von »Weißen« sind regelmäßig Todesstrafen für »Eingeborene« verhängt worden, während »Weiße« für die Tötung von »Eingeborenen« teilweise nur eine Gefängnisstrafe zwischen drei Monaten und drei Jahren erhielten. Letztendlich gab es sogar Fälle in Kamerun, die jegliches Verständnis von »Strafrechtspflege« entbehrten. Gerichtsassessor Wehlan sorgte in Gerichtsverhandlungen mit Verdachtsstrafen oder mit Prügel- und Todesstrafe gegen säumige Schuldner in gemischten Angelegenheiten für Aufsehen.575 Der stellvertretende Gouverneur Leist bediente sich einer noch drastischeren Strafpraxis, indem er 1893 mehrere Frauen afrikanischer Polizeisoldaten vor deren Augen auspeitschen und vergewaltigen ließ.576 Der Situation in Kamerun wird hier ein besonderes Augenmerk geschenkt, denn die verschiedenen positiv-normierten Regelungen in Bezug auf die Strafrechtspflege lassen eine Interpretation für die tatsächliche Rechtspflege des Gemischtenrechts zu, was anhand einer Auswahl an konkreten Verordnungen und Erlässen im Folgenden dargestellt werden soll. Eine erstmalige Regelung in Bezug auf die gemischtrechtliche Strafrechtspflege erging durch die Verfügung des Reichskanzlers betreffend die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt gegenüber den Eingeborenen in deutschen Schutzgebieten von Ostafrika, Kamerun und Togo vom 22. April 1896.577 Die Verordnung enthielt nur sehr weit gefasste Regelungen bezüglich Zuständigkeit und Strafverhängung durch die Gerichte. Gleichwohl wurde der Vollstreckung der Prügelstrafe erstmalig eine rechtliche Beschränkung auferlegt. So durfte nach § 3 die körperliche Züchtigung nicht gegen »Araber und Inder« angewendet werden.578 Ferner durfte nach § 6 die Prügelstrafe nur mit einem vom Gouverneur genehmigten Züchtigungsinstrument vollzogen und die maximale Anzahl von 25 Schlägen nicht überschreiten. Auf Grundlage des Vorangestellten ist kaum vorstellbar, welcher Zustand im Strafvollzug in den deutschen Schutzgebieten in dem ersten Jahrzehnt der kolonialen Besatzung geherrscht haben muss, sodass derart viel politischer Druck entstehen konnte und der

575 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 4. 576 Dazu näher Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 60; dazu näher in 4. Kapitel III 2. 577 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 814ff., Nr. 401. 578 Im Bereich des Arbeitsrechts wurden ferner chinesische Arbeiter von der Prügelstrafe ausgeschlossen, vgl. Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Neu-Guinea, wegen Ergänzung der Verordnung vom 20. Juni 1900, betreffend die Erhaltung der Disziplin unter den farbigen Arbeitern. Vom 16. Januar 1903, abgedruckt bei: Schmidt-Dargitz/Köbner, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Siebenter Teil (1904), S. 2.

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Reichskanzler sich genötigt sah, die maximale Anzahl von Peitschenhieben numerisch exakt zu reglementieren.579 Einige Jahre später adressierte Gouverneur von Plehn die Dienstvorschrift des Gouverneurs, betreffend die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegenüber den Eingeborenen vom Mai 1902 an die Verwaltungsbeamten und Stationspostenführer.580 Gouverneur von Plehn sah sich gezwungen, die Disziplinargewalt genauer zu normieren. Insbesondere »erinnerte« er die Kolonialbeamten in § 7 daran, dass die Verhängung einer Strafe für eine strafbare Handlung nur durch Urteil erfolgen dürfe, welches auf Grund einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung verhängt worden sei. In § 8 normierte er einen Katalog zur Anwendung zulässiger Beweismittel und ermahnt die koloniale Gerichtsbarkeit dahingehend, dass die Anwendung von Zwangsmitteln zur Herbeiführung von Geständnissen zu »jedem Zeitpunkt des Verfahrens« verboten ist. Der Erlass einer solch restriktiven Verordnungen lässt tief blicken, wenn bedacht wird, dass eine solche Dienstanweisung viele Jahre nach den Kolonialverbrechen des despotischen Duos Leist und Wehlan581 dem Gouverneur in Kamerun notwendig erschien, um die Willkür der Kolonialbeamten einzudämmen. Doch damit nicht genug, denn am 12. Juli 1907 wurde ein Erlass des Staatssekretärs des Reichskolonialamts an die Gouverneure der afrikanischen Schutzgebiete in Bezug auf die Anwendung körperlicher Züchtigung als Strafmittel582 in Kraft gesetzt. Ein schon daher auffälliger Erlass, da sich hier die obere Verwaltungsebene durch das Reichskolonialamt ausnahmsweise direkt und maßregelnd an die mittlere Verwaltungsebene, die Gouverneure wandte.583 Die Prügelstrafe in den Schutzgebieten wurde daher auch im Deutschen Reich zu einem politischen Thema. Der Erlass vom 12. Juli 1907 erlaubte wiederum Rückschlüsse bezüglich der Strafverfahren. So erklärte Dernburg selbst: »In letzter Zeit hat sich die Öffentlichkeit wieder mehrfach mit der Handhabung der Prügelstrafe in den Schutzgebieten beschäftigt. Ich weise namentlich auch auf die Reichstagsverhandlungen des letzten Winters hin. Der Kritik, welche dabei geübt worden ist, wird die Berechtigung zum Teil nicht abgesprochen werden können. Die hierher eingereichten Auszüge aus den Strafbüchern lassen erkennen, daß die Strafe der 579 Vgl. zum öffentlichen Druck die Ausführungen von Dernburg in einem späteren Erlass vom 12. Juli 1907, abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 835ff., Nr. 414; vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 208, m. w. N. zum politischen Druck bei der »Hottentottenwahl«. 580 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 817ff., Nr. 403. 581 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 4. 582 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 835ff., Nr. 414. 583 Der mittleren Verwaltungsebene wurde ansonsten meist ein äußerst weiter Spielraum zugesprochen, dazu vorstehend in 2. Kapitel III 1.

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körperlichen Züchtigung noch immer auffallend häufig und vielfach in einem augenscheinlich zu hohen Maße verhängt wird. Bei einer Reihe von Dienststellen scheint die Zahl von 25 Schlägen – die höchste, welche auf einmal vollstreckt werden darf – die Regel zu bilden. Auch sind, wenn schon nur in vereinzelten Fällen Ausschreitungen vorgekommen, welche hauptsächlich darauf zurückzuführen sind, daß die betreffenden Beamten übereilt und unter der Wirkung einer augenblicklichen Erregung gehandelt haben.«584

Auch nach Beginn der »Ära Dernburg« war die Disziplinarstrafgewalt uferlos.585 Im Runderlass des Gouverneurs, betreffend die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen vom 28. Oktober 1909,586 ermahnt Gouverneur Seitz abermals die Behörden zur Einhaltung bereits ergangener Erlasse. Er erinnerte die Kolonialbeamten an die Verfügung des Reichskanzlers von 22. April 1886 und an die für die Disziplinarstrafgewalt gezogene Grenze durch den Erlass vom Mai 1902: »so muß ich doch im Interesse nicht nur der Eingeborenen, sondern vor allem der Beamten selbst verlangen, daß künftig Bestrafung von Eingeboren nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen«, da ansonsten »unter Umständen die Aufrechterhaltung der Autorität der Behörden erschwert wird«. Die strafrechtliche Behandlung der kolonisierten Bevölkerungsgruppe hätte kaum willkürlicher, ungerechter und drakonischer sein können. In der kurzen Kolonialgeschichte Deutschlands waren erst am Ende erste Tendenzen zu anfänglichen Regulierungen erkennbar. Dass die Verwaltungsbeamten sogar nach fast 30 Jahren der kolonialen Besetzung Kameruns durch die Gouverneure zur Mäßigung aufgerufen wurden, lässt für die gesamte Periode der Schutzherrschaft über Kamerun missbräuchliche Gewaltausübung vermuten. Zwar ist das Strafrecht nicht zweifelsfrei der Definition der gemischtrechtlichen Interaktion zuzuordnen, doch lässt sich anhand der strafrechtlichen Rechtsvorgänge zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden ein Kontext für das Gemischtenrecht herstellen. So wurden durchaus in Rechtsbeziehungen, in welchen Kolonisierte und Kolonisierende interagierten – sei es auf formaler oder auf materiell gemischter Ebene – durch Macht im Bereich des Gemischtenrechts repressive Verhältnisse begründet.587

584 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 835ff., Nr. 414. 585 Insofern wird Wolters Annahme belegt, dass sich durch die »Ära Dernburg« die Situation kaum besserte, vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 220. 586 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 821ff., Nr. 405. 587 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333, nach welcher die Kolonialherrschaft zweifelsohne enormen Druck auf die afrikanische Bevölkerung ausübte, gewalttätige Übergriffe zur Tagesordnung gehörten und eine Verbindung zum freien Handel in den deutschen Kolonien zieht.

128 2.

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Arbeitsrecht

Aus Sicht der Kolonialherren war das Arbeitsrecht neben dem Strafrecht der wichtigste Rechtsbereich zur Gewährleistung des wirtschaftlichen Erfolgs der deutschen Kolonien.588 Die deutsche Schutzherrschaft etablierte in vielen Schutzgebieten ein Plantagensystem, welches auf die Arbeitskraft der kolonisierten Bevölkerung angewiesen war, um für die deutsche Wirtschaft wertvolle Waren wie Kautschuk exportieren zu können. Die Nachfrage nach Arbeitnehmern für die Plantagen war derart hoch, dass die Rekrutierung von »arbeitswilligem« Personal oftmals nicht die Pflanzer, sondern private Anwerber übernahmen. Dabei bedienten sich die privaten Anwerber häufig Methoden, die sonst nur von Sklavenhändlern bekannt waren.589 Der wichtigste Bereich des Arbeitsrechts war also ein gemischtrechtlicher Bereich, in welchem typischerweise die deutschen Plantagenbesitzer die Rolle des Arbeitgebers einnahmen und die Arbeitskräfte aus den Reihen der kolonisierten Bevölkerung rekrutiert werden sollten. Das Arbeitsrecht war somit ein Kernbereich des Gemischtenrechts, für welches es zunächst – wie in den übrigen gemischtrechtlichen Interaktionen – kaum oder keine rechtssicheren Gesetzesregelungen gab. Allerdings stellte das Arbeitsrecht eines der wenigen zivilrechtlichen Gebiete der Schutzgebiete dar, in welchem es letztendlich gelang, das Gemischtenrecht durch den Erlass von Verordnungen und Regelungen formal präzise zu normieren. So wurden zum Ende der deutschen Schutzherrschaft über Kamerun am 17. April 1907590 und am 4. März 1908591 Verordnungen des Gouverneurs Gleim erlassen, welche erste kleinere Arbeitsschutzmaßnahmen für das Trägerwesen enthielten. Zwar waren die erlassenen Verordnungen für das Trägerwesen nicht sehr umfangreich und genau, doch sollten wenige Zeit später in Kamerun evidente Arbeiterschutzmaßnahmen eingeführt werden. Mithin war die ausführliche Arbeiterverordnung für das Schutzgebiet Kamerun vom 24. Mai 1909 von außerordentlicher Wichtigkeit.592 Durch sie avancierte Kamerun zu einem Schutzgebiet mit weitreichenden Arbeiterschutzvorschriften. So wurde direkt an 588 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 222f. 589 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 224; vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 328ff.; vgl. Müller, Kolonien unter der Peitsche, S. 9, nach welchem die Kolonisatoren zwar das Konzept der Sklaverei mit dem der Zwangsarbeit ablösten, aber eine vergleichbare Gewaltanwendung vorherrschte. 590 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 965, Nr. 510. 591 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 965ff., Nr. 511. 592 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 972ff., Nr. 513.

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erster Stelle in § 1 die auch aus deutscher Sicht problematische Arbeitsweise der privaten Anwerber geregelt. § 1 normierte nicht nur Restriktionen in Bezug auf die Art und Weise des Anwerbens, sondern setzte zur Inbetriebnahme von Anwerbeunternehmungen einen Anwerbeschein, also die schriftliche Erlaubnis des Gouverneurs, voraus. Durch die engeren formalen Voraussetzungen konnten die Anwerber besser kontrolliert werden. Ferner regelten §§ 12 und 13 der Verordnung verschiedene Erfordernisse an den Abschluss des Arbeitsvertrags zwischen Plantagenbesitzer und Arbeiter. Die Verträge erforderten gem. § 12 zum einen die Schriftform und zum anderen musste den Arbeitern durch zuverlässige Dolmetscher der exakte Inhalt des Vertrags verständlich gemacht werden. § 13 enthielt einen Numerus clausus für die Arbeitsverträge, wonach die Arbeitsverträge stets über acht wesentlichen Arbeitsbedingungen – unter anderem Art und Ort der Arbeit sowie Höhe und Zahlungsweise des Lohns – Auskunft erteilen mussten. Darüber hinaus normierte § 15 der Verordnung, dass für jeweils 25 Arbeiter ein Koch bereitgestellt werden musste und § 16 legte sogar ein »modern anmutendes betriebsärztliches System«593 fest, welches die Anstellung von Heilgehilfen und die Bereithaltung von Krankenräumen voraussetzte. Die ausführliche Arbeiterverordnung für das Schutzgebiet Kamerun vom 24. Mai 1909 war demnach für die damalige Zeit nicht nur für das Arbeitsrecht, sondern auch für das Gemischtenrecht der Kolonien eine wegweisende Verordnung. Obwohl Kamerun durch die Verordnung zum Vorreiter auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes avancierte, darf nicht der späte Zeitpunkt des Inkrafttretens der Arbeiterschutzverordnung außer Acht gelassen werden – schließlich erfolgte der Erlass der Verordnung erst gegen Ende der deutschen Schutzherrschaft über Kamerun. Ein Zeitpunkt, zu welchem sich die Schutzgebiete in einem Durchgangsstadium zur Konstitutionalisierung befanden und sich ein erster wirtschaftlicher Aufschwung in allen Bevölkerungsschichten bemerkbar machte.594 Dagegen herrschte am Anfang der deutschen Kolonialzeit noch ein anderes Klima: So beschreibt Wolter zutreffend in seiner Untersuchung des Arbeitsrechts in den Schutzgebieten: »Die Peitsche war von Anfang an eines der wichtigen Mittel, mit dem die deutschen Kolonisatoren ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen suchten. Sie spielte nicht nur im Strafrecht eine maßgebliche Rolle, sondern in ganz großem Ausmaß auch im Arbeitsrecht. Denn sie wurde von den Kolonialherren in jedem Fall eines widersetzlichen Verhaltens eines Eingeborenen zum Einsatz gebracht.«595

Der Erlass der Arbeiterverordnung kann zwar als wichtiger Reformschritt gegen sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen verstanden werden, doch im Umkehr593 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 229. 594 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 5. 595 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 231.

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schluss ist das damalige Bedürfnis nach derart exakten Arbeitnehmerschutzmaßen auch ein Indiz für die desaströsen Verhältnisse, welche vor dem Erlass der Arbeiterschutzmaßnahmen in den Schutzgebieten vorkamen. Aber auch nach Erlass der Arbeiterverordnung von 1909 zeigen die Strafbücher, dass die Arbeitgeber in den allermeisten Fällen auf die unter Umständen lebensbedrohliche Prügelstrafe zurückgriffen und das aus völlig unverhältnismäßigen Gründen wie »Ungehorsam, Faulheit, fortgesetzte Faulheit, Zuspätkommen, Trägheit oder Nachlässigkeit im Dienst«.596 Folglich waren die gesetzlichen Regelungen zum gemischtrechtlichen Bereich des Arbeitsrechts zwar rechtlich gesehen moderne Reformen, aber die neueren Untersuchungen zur Kolonialgeschichte legen dar, dass die gemischtrechtlichen Arbeitsverhältnisse in der Realität eher mit faktischer Sklaverei als mit gleichrangigen Arbeitsverträgen zu vergleichen waren.597 Seit Beginn der deutschen Kolonisation Afrikas wird demnach in den gemischtrechtlichen Beziehungen des Arbeitsrechts eine systemisch etablierte Unterdrückung und Ungleichbehandlung durch die Kolonisierenden gegenüber den Kolonisierten besonders deutlich. Gerade die Rückschlüsse aus der in Kamerun notwendigen Verordnung vom 24. Mai 1909 lassen vermuten, dass Anwerber und Plantagenbesitzer das Arbeitsrecht instrumentalisierten, um die Arbeiter in sklavereiähnliche Zustände zu locken und mit brutalen Prügelstrafen diejenigen maßregelten, die versuchten »Vertragsbruch« – die Flucht von den Plantagen – zu begehen. Von einer Vertragsparität im gemischtrechtlichen Bereich des Arbeitsrechts kann daher keinesfalls ausgegangen werden.

3.

Zivilrechtliche Bereiche

Die für das alltägliche Leben wichtigen gemischten Angelegenheiten wie Kauf, Handel oder Kreditsicherheiten waren in den deutschen Schutzgebieten ebenfalls kaum rechtsicher und somit für die die Bevölkerung der Kolonien nicht zufriedenstellend geregelt. Es lassen sich nur wenige Quellen in Bezug auf Verordnungen und andere Regelungen für die Rekonstruktion der Rechtslage zwischen den Bevölkerungsgruppen finden. Obwohl durchaus auch für die deutschen Kaufleute wegen der unsicheren Rechtslage des Gemischtenrechts Nachteile entstehen konnten – beispielsweise weil Forderungen gegen die Kolonisierten nicht vor einem zuständigen Gericht durchgesetzt werden konn596 Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 233. 597 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 244, welcher sich im Ergebnis anschließt, jedoch in der konsolidierten Kolonialphase die gröbsten Missstände als beseitigt ansieht; vgl. Müller, Kolonien unter der Peitsche, S. 9.

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ten598 – legen die bisher dargelegten Rechtsgebiete der gemischtrechtlichen Interaktion nahe, dass die kolonisierte Bevölkerung häufiger Nachteile aus den gemischtrechtlichen Beziehungen erlitt. Das strukturelle und faktische Ungleichgewicht zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten war bereits in den Bereichen des Straf- und Arbeitsrechts evident. Zu überprüfen wäre, ob sich für die zivilrechtsnahen Interaktionen etwas Ähnliches ergibt. Wie groß war der Wissensvorsprung und die bessere Übung mit den westlichen Rechtsinstituten gegenüber den Kolonisierten und wie umfassend war die Rückendeckung der deutschen Kaufleute durch die Kolonialregierung? In den Bereichen, in welchen Afrikaner*innen geschickt und auf Augenhöhe mit den deutschen Kolonialherren Handel betrieben, griff die deutsche Kolonialmacht durch Gesetze und Verordnungen in die Machtverhältnisse ein und stellte sich somit der wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonisierten in den Weg. Das wird besonders deutlich, wenn der Umgang mit den Duala in Kamerun betrachtet wird. In der kolonialen Anfangszeit betrieben die Duala erfolgreiche Handelsstrategien und konkurrierten mit deutschen Kaufleuten in Kamerun.599 Der Bevölkerungsgruppe der Duala kam große Bedeutung in Bezug auf den Handel in der Küstenregion Kameruns zu. Zur Zeit der deutschen Annexion hatten die Duala eine herausragende Handelsposition als Zwischenhändler im Flussgebiet nahe des Sannaga. Die gute Ausgangslage der Duala-Händler ließ sich die deutsche Kolonialmacht jedoch nicht lange gefallen. Die Handelsparität zwischen der Handelskraft der deutschen Kaufleute und derjenigen der Duala nahm sich der Stellvertretende Gouverneur Puttkamer bereits zum Anfang der deutschen Herrschaft über das Schutzgebiet vor. Unter dem vorgeschobenen Verweis auf die Überschreitung verschiedener Regelungen aus der »Verordnung, betreffend die Einfuhr von Schußwaffen und Munition in Kamerun«600 erließ Puttkamer die »Verordnung des Gouverneurs, betreffend den Handel der DualaEingeborenen vom 19. Juni 1895.«601 So hieß es in § 1: »Angehörigen des DuallaStammes wird die Niederlassung zu Zwecken des Handels sowie überhaupt das Handeltreiben im Gebiete des Sannaga bis zur Kwakwa-Mündung abwärts ein und für allemal untersagt.« Dieser Schritt sei verhältnismäßig, denn Puttkamer begründet in der Verordnung selbst sein drastisches Vorgehen mit »einer Reihe unverdächtiger Zeugen, deren Glaubwürdigkeit keinem Zweifel unterliegen

598 Dazu vorstehend in 3. Kapitel III. 599 Dazu näher in 4. Kapitel II. 600 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 892, Nr. 459. 601 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555.

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kann«.602 Die »unverdächtigen« Zeugen hätten berichtet, dass die Duala Zündhütchen an andere Bevölkerungsgruppen verkauft hätten. Zwar hat Puttkamer das Handelsverbot in der Verordnung oder zugehörigen Erwägungsgründen nicht dargelegt, doch das Gouvernement verbot von nun an den Duala die für sie so wichtige Handelsbetätigung am Sannaga. Auch die gemischtrechtlichen Handelsbeziehungen wurden durch die Verordnung verboten und die Durchsetzung der Verordnung wurde entsprechend drakonisch mit Geld-, Haft- und Prügelstrafen gesichert.603 Die genannte Verordnung galt einseitig für Angehörige der Duala-Volksgruppe. Es ist davon auszugehen, dass die Duala auch nach dem Erlass der Verordnung Handel mit deutschen Kaufleuten unterhielten, gleichwohl waren die Duala in den gemischten Handelsangelegenheiten von nun an einem komplett anderen Risiko ausgesetzt als die Handeltreibenden der deutschen Bevölkerung. Neben den abstrakt-generellen Handelsverboten gegenüber den Kolonisierten wurden gewisse Bereiche der zivilrechtlichen Interaktion in gemischten Angelegenheiten differenzierter diskutiert und teilweise sogar positiv normiert. So war in vielen anderen deutschen Schutzgebieten die Kreditgewährung oder auch Kreditsicherheiten wie das Pfandrecht in gemischtrechtlichen Angelegenheiten ein für die Praxis wichtiger Bereich, der immer wieder von der Kolonialjurisprudenz behandelt wurde.604 Bezüglich der Kreditvergabe und des Kreditnehmens seien die »Eingeborenen« besonders leichtsinnig. In solchen Geschäften bestand für die Kolonisierten regelmäßig das Risiko des kompletten wirtschaftlichen Ruins. Das hing mit dem Umstand zusammen, dass in den gemischtrechtlichen Kreditgeschäften Teile der deutschen Bevölkerung die Unerfahrenheit der Kolonisierten besonders drastisch ausnutzten. Die Kolonisierten hatten Schwierigkeiten, das gesamte Ausmaß der aus der Sphäre der deutschen Kolonialnation stammenden Kreditgeschäfte zu überblicken. Die Ausnutzung und die damit einhergehende Gefahr für die afrikanische Bevölkerung war derart groß, dass in Ostafrika der Gouverneur in einem Runderlass vom 6. November 1900 ausdrücklich auf diese Gefahr verwies und Gutachten bezüglich der Kreditgeschäfte von Stationsamtsleuten einforderte.605 In Südwestafrika wurden die Kreditgeschäfte gegenüber der afrikanischen Bevölkerung sogar durch Verordnung von 1899 zunächst gänzlich verboten – die Deutschen durften den »Eingeborenen« keine Ware auf Kredit geben.606 In 602 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555. 603 Siehe Strafen abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555. 604 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 395. 605 Vgl. etwa Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 395. 606 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 395f.

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Südwestafrika konnten später »Eingeborene« Kreditgeschäfte rechtswirksam nur mit der ausnahmsweise zu erteilenden Genehmigung des Bezirks- oder Distriktsamtmanns oder eines von ihm ermächtigten Amtsorgans machen.607 Das galt insbesondere für Darlehensgeschäfte, aber auch Kauf- und Tauschgeschäfte, bei denen der Kolonisierte nicht Zug um Zug zu leisten hatte, zählten zu solchen Kreditgeschäften. Des Weiteren wurde auch in anderen deutschen Schutzgebieten wie den Karolinen, Palau, Marianen oder Deutsch-Guinea zeitweise verboten, den Eingeborenen Kredit zu gewähren, und bei Handelsverträgen, die einen besonders hohen Wert überstiegen, waren schriftliche Form und gerichtliche Genehmigung vorgeschrieben.608 In Kamerun hingegen erfolgten keine Regelungen der Kreditvergabe an die afrikanische Bevölkerung. Des Weiteren wurde in verschiedenen deutschen Kolonien die Praxis der deutschen Kaufleute verboten, sich bei verschiedenen Forderungen an andere Personen als die des Schuldners zu wenden. Denn wenn Waren- oder Kreditforderungen nicht eingetrieben werden konnten, wurde oftmals versucht, sich an den Chief, den Stamm oder die Familie des »Eingeborenen« unter der Ausübung eines gewaltigen Drucks zu wenden.609 Die hier dargelegten, in das bürgerliche Recht eingreifenden Vorschriften sollten der wirtschaftlichen Ausbeutung der »Eingeborenen« durch »Weiße« vorbeugen, erklärte die Kolonialjurisprudenz.610 Dabei waren es vermutlich letztendlich die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Kolonialmacht, die für den Erlass solcher Schutzvorschriften im Bereich der gemischtrechtlichen Zivilrechtsinteraktion verantwortlich waren. Die wirtschaftliche Ausgangslage gehörte zu den wichtigsten Parametern für den Erfolg der deutschen Kolonialnation.611 Daher gehörte auch der Handel mit den Kolonisierten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen der deutschen Kolonien. Folglich war in Anlehnung an das Straf- und Arbeitsrecht auch in zivilrechtlichen Bereichen wie der Kreditvergabe oder der Pfandleihe eine Ausübungspraxis notwendig, welche das langfristige Bestehen der wirtschaftlichen Einflussgröße der Kolonisierten sicherte.612 Auch die Kolonialverwaltung erkannte, dass eine uneingeschränkte wirtschaftliche Ausbeutung der afrikanischen Bevölkerung langfristig den Nährboden für wirtschaftlich ertragreiche Kolonien entziehen und daher die deutschen Kolonialinteressen konterkarieren würde.613 607 608 609 610 611 612 613

Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 188. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 396. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 396. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 188. Dazu vorstehend in 1. Kapitel. Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 1. und 2. Vgl. zur Wichtigkeit der gemischtrechtlichen Interaktion, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters

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Wer von hier aus schlussfolgert, dass das Kolonialrecht im Bereich der gemischtrechtlichen Interaktion des bürgerlichen Rechts nur die Geschäftspraxis der deutschen Kaufleute beschränken und somit eine für die Kolonisierten erträgliche Vertragsparität gewährleisten würde, liegt falsch. Es gab zur Genüge Verordnungen im Bereich der gemischtrechtlichen Interaktion, welche offensichtlich lediglich den – kurzfristigen – wirtschaftlichen Interessen der deutschen Kolonialherren dienen sollten. Besonders deutlich wird dies in Kamerun bei der Verordnung, betreffend die Verpfändung von Elfenbein und sonstigen Handelsgegenständen, sowie die Einlösung bereits verfallender Pfandstücke vom 18 April 1886.614 So regelt Art. 1 der Verordnung: »Elfenbein und sonstige von den Eingeborenen an die fremden Kaufleute in Pfand gegebene Gegenstände sind in Zukunft, sofern nicht eine anderweitige schriftliche Abmachung getroffen ist, binnen Jahresfrist vom Tage der Verpfändung an einzulösen, widrigenfalls dieselben verfallen und Eigenthum des Pfandnehmers werden.«

Außerdem war in der Verordnung geregelt, dass ein schriftlicher Pfandschein nur auf Bitte des »Eingeborenen« auszustellen sei und bei Verlust oder anderweitige Nichtvorzeigbarkeit desselbigen alleine die Bücher des deutschen Pfandinhabers maßgeblich seien. Es ist nicht besonders viel Vorstellungskraft nötig, um sich hier eine wirtschaftliche Ausnutzung der kamerunischen Bevölkerung vorzustellen. Gaben die Kameruner*innen übereilt Kulturgüter, Elfenbein oder Ähnliches zu einem möglicherweise unverhältnismäßig niedrigen Pfandbetrag dem deutschen Kaufmann, so genügte es bereits, auf das Ausstellen eines Pfandscheins zu verzichten, damit der Deutsche durch bloße Falscheintragung im Pfandbuch neuer Inhaber des Gegenstandes werden konnte. Noch weiter gefasste Regelungen wurden in Südwestafrika erlassen. Hier wurde festgelegt, dass Verbindlichkeiten von »Eingeborenen« gegenüber »Nichteingeborenen« bezüglich einer beweglichen Sache innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Vertrags erlöschen sollten, sofern nicht wirksam Klage vom »Eingeborenen« erhoben wurde.615 Auch hier ist zu vermuten, dass mit den besonders kurzen Verjährungsfristen Missbrauch getrieben wurde, ansonsten wäre die kurze Verjährungsfrist gewiss für beide Parteien der gemischtrechtlichen Angelegenheit bestimmt worden.

Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 367, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xh tml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 614 Abgedruckt bei Riebow, Kolonial-Gesetzgebung, S. 248f. 615 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 188, belegt dies jedoch fehlerhaft. Mutmaßlich wollte Edler von Hoffmann verweisen auf: die Verfügung des Reichskanzlers, betreffend Rechtsgeschäft und Rechtsstreitigkeiten Nichteingeborener mit Eingeborenen im südwest-afrikanischen Schutzgebiet. Vom 23. Juli 1902, abgedruckt bei: Schmidt-Dargitz/Köbner, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 163.

Konkrete Beispiele von gemischtrechtlicher Ungleichbehandlung

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Einen weiteren wichtigen Bereich der zivilrechtlichen Gemischtenangelegenheiten stellte die obligatorische Seite des Grundstücksrechts dar, d. h. der Verkauf von Land seitens der Kolonisierten an die Kolonisierenden. So betonte bereits Edler von Hoffmann: »Die Regelung der Landfrage ist eine der wichtigsten Aufgaben, welche dem Kolonialgesetzgeber gestellt ist.«616 Die wirtschaftliche Ausnutzung des Koloniallandes war einer der Hauptzwecke der kolonialen Agitation. Nun müsse jedoch der Kolonialgesetzgeber die Aufgabe der zweckmäßigen Verteilung von Grund und Boden auf die Bevölkerung lösen. Beim Grundstücksrecht zwischen Kolonisierten und Kolonisierende seien verschiedene Dinge zu beachten, denn zum einen sei es von höchster Wichtigkeit bei dem Erwerb einer Kolonie, das neue Land auf die Angehörigen der Kolonialmacht zu verteilen, um ihnen die nötigen wirtschaftlichen Möglichkeiten wie Ackerbau oder das Erschaffen von Ansiedlungskolonien zu ermöglichen.617 Zum anderen dürfe aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die »Eingeborenen« durch die Kolonisierenden nicht in der Weise ihres Grundbesitzes enteignet werden sollten, dass sie einer »existenzbedrohenden Verarmung anheimfallen«. Den »Eingeborenen« müsse das zum eigenen Unterhalt notwendige Land erhalten bleiben. Diese Forderung würde nicht nur für langfristige wirtschaftliche Belange der Kolonien Sinn ergeben, sondern wäre auch für die »Gerechtigkeit und die Menschlichkeit« elementar.618 Dabei stellte das Grundstücksrecht der Kolonien vor allem in kolonialpolitischer Hinsicht eine Quelle von Differenzen dar; schließlich handelte es sich um ein Thema, welches nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch rassepolitisch die Gemüter der damaligen Zeit bewegte.619 Als Folge dessen wurde durch die Kaiserliche Verordnung vom 29. November 1902 für die deutschen Schutzgebiete in Afrika erstmalig bestimmt, dass die Gouverneure mit Genehmigung des Kaisers befugt sind, den Grunderwerb und die Belastung von Grundeigentum »Nichtfarbiger« von »Farbigen« und »Eingeborenen« an besondere Bedingungen knüpfen, ja diesen sogar ganz untersagen zu können. Es wurde vertreten, dass gemischtrechtliche Verträge, die trotz bestehender und erlassener Verfügungen geschlossen wurden, nicht zu einem dinglichen Rechtserwerb führen können.620

616 Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 191. 617 Vgl. Christian von Bornhaupt, Das Grundeigentum in den Kolonien, in: Verhandlungen des Kolonialkongresses 1902 (1903), S. 390–409, 392ff. zur Frage welche gesetzlichen Vorschriften bei der Okkupation Anwendung finden. 618 Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 191f. 619 Dazu vorstehend in 2. Kapitel IV. 620 Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, die Kaiserliche Verordnung vom 21. November 1902 wurde am 29. November 1902 bekanntgemacht, vgl. Verordnung abgedruckt unter: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 673ff. Nr. 348.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

In nichtafrikanischen Schutzgebieten der Deutschen wurde die Wichtigkeit der Frage des gemischtrechtlichen Grunderwerbs schon früher erkannt und geregelt. Auf den Marschall-, Brown- und Providence-Inseln war der Erwerb von Grundeigentum oder dinglichen Rechten und der dazugehörige obligatorische Vertrag von den »Eingeborenen« für die deutschen Kolonisten seit 1887 verboten und sogar unter Strafe gestellt.621 In Kiautschou wurde der Erwerb von Grundstücken durch jegliche »Nichtchinesen« von den »Kiautschou-Chinesen« durch die Verordnung des Gouverneurs bereits ab dem 2. September 1898 formal für rechtswidrig und somit für ausgeschlossen erklärt worden.622 Für die Karolinen, Palau und Marianen verbot die Verordnung des Reichskanzlers vom 20. Januar 1900, betreffend den Erwerb von Grundstücken »Eingeborener« bis auf Weiteres jeden Erwerb von Grundeigentum von »Eingeborenen«. Bezogen auf den Grunderwerb waren jegliche gemischtrechtlichen Rechtsgeschäfte nichtig.623 Das Anknüpfen besonderer Bedingungen an den Erwerb von Grundstücken in gemischtrechtlichen Angelegenheiten sollte allerdings noch nicht ausreichen. Soweit es aus wirtschaftlichen Erwägungsgründen notwendig war, sollte auch der bereits abgewickelte Grunderwerb eines Grundstücks eines »Nichteingeborenen« von einem »Eingeborenen« rückabgewickelt werden können. So regelte wenig später die Kaiserliche Verordnung über die Enteignung von Grundeigentum in den Schutzgebieten Afrikas und der Südsee624 diese Problematik. In § 32 heißt es: »Der Reichskanzler ist ermächtigt, auch außer den Fällen des § 1 die Enteignung von Grundstücken, die aus der Herrschaft oder dem Besitz Eingeborener an Nichteingeborene übergegangen sind, zum Zwecke der Wiedereinsetzung der Eingeborenen in den Besitz insoweit zuzulassen, als die Enteignung nach dem Ermessen der Behörde notwendig ist, um den Eingeborenen die Möglichkeit ihres wirtschaftlichen Bestehens, insbesondere das Recht einer Heimstätte, zu sichern. Die Entschädigung der gegenwärtigen Eigentümer oder Besitzer dieser Ländereien wird von dem Fiskus des 621 Verordnung, betreffend den Erwerb von Grundeigenthum und die Anmeldung der bestehenden Ansprüche Fremder auf Grundeigenthum innerhalb des Schutzgebietes der Marschall-, Brown- und Providence-Inseln, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche KolonialGesetzgebung, S. 624. 622 Verordnung, betreffend den Landerwerb in dem deutschen Kiautschou-Gebiete, abgedruckt bei: Alfred Zimmermann, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung – Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen mit Anmerkungen und Sachregister, Fünfter Theil, 1899 bis 1900 (1901), S. 198. 623 Verordnung, betreffend den Erwerb von Grundeigenthum Eingeborener im Inselgebiete der Karolinen, Palau und Marianen, abgedruckt bei: Zimmermann, Die deutsche KolonialGesetzgebung, Fünfter Theil, S. 19. 624 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 727, Nr. 369.

Resümee

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Schutzgebiets geleistet. Die Entschädigung kann auf die Erstattung der Unkosten für den ersten Erwerb der Ländereien von den Eingeborenen beschränkt werden. Die enteigneten Ländereien fallen als Kronland in das Eigentum des Fiskus des Schutzgebiets, welcher sie den Eingeborenen zur Nutzung überläßt. Die Einzelheiten des Verfahrens hat für jeden Fall auf den Bericht des Gouverneurs der Reichskanzler anzuordnen. Der Gouverneur ist befugt, den Besitzstand bis zum Erlasse dieser Anordnung zu regeln oder die Regelung einer anderen Behörde zu übertragen.«

Der Enteignung konnte schriftlich widersprochen werden. Das war beispielsweise dann der Fall, wenn dem Gouverneur bekannt war, dass es begründete Rechts- oder Billigkeitsansprüche von »Eingeborenen« hinsichtlich des Grundstücks nicht gab oder ein Gericht in der Angelegenheit des Gemischtenrechts dem »Nichteingeborenen« bereits Recht zugesprochen hatte625. Dennoch sind die Vorschriften zum Schutze des Grundeigentums von Kolonisierten bemerkenswert und ein deutliches Beispiel insofern, als sich das Kolonialrecht durchaus auch zum Schutz der kolonisierten Bevölkerung in die gemischtrechtlichen Interaktionen einzumischen versuchte, damit friedlichere Verhältnisse in den Kolonien gewährleistet werden konnte.

V.

Resümee

Das Rechtssystem der deutschen Schutzgebiete war stark geprägt durch das Rechtsverständnis der deutschen Kolonialmacht. Dabei wurde das Recht der afrikanischen Bevölkerung von den Kolonialisten in verschiedenen Situationen anerkannt, teilweise sogar modifiziert angewandt oder mit dem Recht der Kolonisierenden in Einklang gebracht. Dennoch bestimmte die faktische Macht der Deutschen Kolonialherren maßgeblich das Recht in den Kolonien.626 Das Recht für die »weiße Bevölkerung« sollte so gut wie möglich dem Recht im preußischen Verwaltungsstaat ähneln, konnte aber in der Realität diesem Anspruch nur mit Anpassungen und Abstrichen gerecht werden. Zu unterschiedlich waren die Lebensverhältnisse und zu groß die Diskrepanz zwischen der Infrastruktur von Mutterland und Schutzgebiet.627 Hingegen wurde das Recht der afrikanischen Bevölkerung von den Deutschen nach Möglichkeit wenig verändert. In die 625 Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 127 m.w.N. 626 Naendrup, Entwicklungen und Ziele des Kolonialrechts: »In der Hautpsache vollzieht sich so der Ausgleich zwischen den beiden Rechtswelten durch europäische Beeinflussung«; vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333, nach welcher die Kolonialherrschaft zweifelsohne enormen Druck auf die afrikanische Bevölkerung ausübte und gewalttätige Übergriffe zur Tagesordnung gehörten. 627 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72: Wegen der schwierigen Personalsituation mussten die Missionare die Gerichtsbarkeit bei rechtlichen Angelegenheiten unterstützen.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

Rechtsbräuche der lokalen Stämme sollte selten eingegriffen werden. Das ist jedoch kaum mit humanistisch-pluralistischen Rechtsverständnis der Kolonialmacht zu erklären, sondern hauptsächlich damit, dass nicht genügend Ressourcen bestanden, um den »Eingeborenen« das »Weißenrecht« aufzuzwingen. Griffen die Kolonisierenden doch in das Recht der Kolonisierten ein, so erfolgte das unter Ausnutzung bestehender Machtasymmetrien.628 Aufschlussreiche Rückschlüsse für das Kolonialrecht liefert der Bereich des Gemischtenrechts. Wie schon auf der Ebene der kolonialen Gerichtsbarkeit629 zeigt sich auch im Bereich des Gemischtenrechts, dass die von nationalpolitisch motivierten Befürwortern der Kolonialagitation angestrebte rassistische Segregation in der juristischen Interaktion nur eine Utopie blieb.630 Es bestand auch im materiellen Recht keine Dichotomie des »Weißenrechts« und des »Eingeborenenrechts«. Zu sehr überschnitten sich die Lebensbereiche im täglichen Zusammenleben in den Schutzgebieten. Für die wirtschaftlichen Ansprüche der Schutzgebiete war der Austausch mit der afrikanischen Bevölkerung zu wichtig, schließlich waren Arbeitskraft, Handel und Grunderwerb zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten die wichtigste Antriebskraft wirtschaftlich erfolgreicher Kolonien. Die Vielzahl an gemischtrechtlichen Interaktionen war die logische Konsequenz aus den alltäglichen Geschäften zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden. Daher war es auch ein Verdienst des Gemischtenrechts, in vielen Teilen eine Durchbrechung der rassistischen Segregation zu gewährleisten. Trotzdem kann von einer Parität der Machtverhältnisse in gemischtrechtlichen Angelegenheiten keine Rede sein.631 Der Macht- und Wissensvorsprung der Kolonisten war gewaltig. Drakonische Unterdrückung auch mit (Gemischten-) Recht als Legitimation war keine Ausnahme, sondern der Regelfall in den Schutzgebieten. Insbesondere das Strafrecht und das Arbeitsrecht dienten als wichtige Herrschaftsinstrumente für die deutschen Kolonialherren. Die Grausamkeiten waren so beachtlich, dass in verschiedenen Bereichen erste Regelungen zur Zügelung einer grenzenlosen Ausnutzung der afrikanischen Bevölkerung im Gemischtenrecht vonseiten der Kolonialverwaltung erlassen werden mussten,632 um die »Ressource« der Arbeitskraft der Kolonisierten »zu erhalten«.633

628 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 3 1.; des Weiteren vgl. Hans Meyer, Das deutsche Kolonialreich, S. 512, nach dessen Angaben nur 348 Deutsche im Jahr 1899 und 971 Deutsche im Jahr 1908 in Kamerun waren. 629 Dazu vorstehend in 2. Kapitel III 2. 630 Dazu vorstehend in 2. Kapitel IV. 631 Mit vergleichbarem Ergebnis Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333. 632 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 1 und 2. 633 Vgl. Kuhn, Die deutschen Schutzgebiete, S. 328, zeigt, dass die Freiheitsstrafen nur in wenigen Fällen überstanden wurden, sodass der Verordnungsgeber handeln musste.

Resümee

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Gewiss wurden in der fortgeschrittenen deutschen Kolonialzeit mit Arbeiterschutzvorschriften, Regelungen zum Schutz des Grundeigentums oder Schutzgesetzen bei Kreditgeschäften bemerkenswerte Neuerungen zum Schutz der Kolonisierten eingeführt. Das gilt insbesondere, wenn dieser Umstand in Relation zu den in der Kolonialzeit vorherrschenden Verhaltensmustern wie Rassismus und Zentralismus betrachtet wird. Dennoch dürfte die Motivation für den Erlass solcher Schutzvorschriften für die Kolonisierten nur im seltensten Fall »Menschlichkeit und Gerechtigkeit«634 gewesen sein. Vielmehr ging es um die langfristige Gewährleistung der wirtschaftlichen Ertragsfähigkeit der deutschen Schutzgebiete. Die deutsche Kolonialmacht handelte beim »Schutz« ihrer kolonialen Untertanen vielmehr rational, um eine Maximierung des Gewinns der Kolonien zu gewährleisten. Dieser Meinung war auch Buchner, nach welchem die wichtigste »Ressource« in den Kolonien nicht Grund und Boden, sondern die Kolonisierten waren – degradiert vom menschlichen Subjekt hin zu einem Objekt der Wirtschaft.635 Ein gerechtes Gemischtenrecht war im Zivilrecht daher ähnlich wichtig wie im Strafrecht oder Arbeitsrecht. Zum einen war ein funktionierendes Gemischtenrecht unabdingbar, um die wirtschaftliche Kraft der afrikanischen Bevölkerung zu schonen und zum anderen sollte es das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft in den Kolonien gewährleisten, indem es dafür sorgte, dass der Unmut hinsichtlich der gemischten Interaktionen nicht letztendlich zu Aufständen und Unstimmigkeiten in der Bevölkerung führen könnte. Die Arbeit der Kolonialjurisprudenz hat in Hinsicht auf das Gemischtenrecht kaum ein Prädikat verdient. Zwar muss ihr zugutegehalten werden, dass durch die große räumliche Entfernung636 die Beschaffung von Quellen aus den Kolonien schwierig und somit der Informationsfluss insgesamt gering war.637 Gleichwohl werden die teilweise guten juristischen Diskussionen im Bereich der Interaktion zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten mit faktischem Fehlverständnis und ideologischen Argumenten vermischt.638 Auch für eine historische Epoche, in der rassistisches Gedankengut gewiss salonfähig war, ist eine solche Verzerrung der Wahrnehmung und der damit einhergehende Verlust der Objektivität zu kritisieren. Wird ein nur geringfügig kritischerer Maßstab an das damalige Verständnis von Rassismus, Globalisierung und Kolonialismus ange634 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 3. 635 Vgl. Buchner, Aurora colonialis, S. 332: »Werden wir aus unserem Besitz nun auch den richtigen Nutzen ziehen? Im Mittelpunkt dieser grossen Frage steht als Wichtigstes der Neger. Nur er ist das lebende Kapital.« 636 Vgl. Kopp, Theorie und Praxis des deutschen Kolonialstrafrechts, S. 86f., der einen Zusammenhang zwischen der räumlichen Entfernung des Mutterlandes von den Kolonien und der Vernachlässigung rechtlich verbindlicher Kriterien feststellt. 637 Dazu vorstehend in Einleitung V und die Ausführungen zu Beginn des 2. Kapitels. 638 Vgl. dergestalt Edler von Hoffman in 3. Kapitel III.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

legt, sind manche Diskussionen in Bezug auf das Gemischtenrecht – auch aus damaliger Sicht – zu beanstanden. In Abgrenzung dazu beweisen die pluralistischen Abhandlungen eines modernen Flügels der Kolonialjurisprudenz, dass ausdifferenzierte juristisches Arbeiten in Bezug auf das Gemischtenrecht schon damals möglich war.639

VI.

Konsequenzen für die Provenienzforschung

Um aus der Rechtspraxis der Kolonien logische Folgerungen und Erkenntnisse für die Provenienzforschung herzuleiten, muss die neuere Kolonialwissenschaft einen genauen Blick auf rechtliche Interaktionen der Kolonisierten und Kolonisierenden in den Schutzgebieten werfen. Mittels einer adäquaten Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Problemstellungen des Kolonialrechts und der daraus resultierenden systematischen Gewinnung von Erkenntnissen kann eine Annäherung an ein besseres Verständnis der Provenienzforschung erfolgen. Denn Provenienzforschung – also der Frage, woher ein Objekt stammt und auf welche Weise sich dessen Herkunftsgeschichte ereignete – ist immanent mit der Geschichte der tatsächlichen Besitzverhältnisse des Objekts verbunden. Die damalige tatsächliche Besitzlage ist wiederum untrennbar mit dem Kolonialrecht verbunden, da die gemischtrechtlichen Interaktionen das Verhältnis zwischen den kolonialen Akteur*innen maßgeblich bestimmte.640 Es gilt daher, die Weitergabe des für den Provenienzfall in Betracht kommenden Objekts unter Berücksichtigung der damaligen Eigentümerverhältnisse zu untersuchen. Das kann erreicht werden, indem die normativen Grundsätze des Kolonialrechts auf die jeweilige Provenienzsituation angewendet werden. Daher ist für die Kulturobjekte afrikanischer Provenienz – sofern es sich nicht um einen seltenen Fund oder eine andere durch Zufall geprägte Erlangung des Gegenstands handelte – regelmäßig das zwischen Personen geltende zivilrechtliche Schuld- und Sachenrecht maßgeblich.641 Diese Maßgabe findet jedenfalls immer dann Anwendung, wenn sich der Erwerb des Provenienzobjekts innerhalb des konsolidierten Zusammenlebens einer bereits formal funktionierenden 639 Hervorzuheben sind die Werke von Mallmann und Lüders. Werke ohne ausdifferenzierte Sichtweisen – wie von Stengel und Köbner – werden bereits von Zeitgenossen harsch kritisiert, vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio /main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 640 Dazu vorstehend in 3. Kapitel III, IV und V. 641 Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 232ff., knüpft an das Sachen- und Kreditsicherungsrecht an, um die Rechtsqualität konkreter Erwerbsvorgänge zu bewerten.

Konsequenzen für die Provenienzforschung

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deutschen Kolonie vollzogen hat. Unter dieser Prämisse müsse die Wichtigkeit des zivilrechtlichen Bewertungsmaßstabs immer nur dann eingeschränkt werden, wenn sich die Provenienzforschung schwerpunktmäßig mit Fällen zu befassen hat, in welchen völker- und kriegsrechtliche Sachverhalte schwerpunktmäßig zu Grunde zu legen sind. Solche der gemischtrechtlichen Interaktion fernen Erwerbungen waren insbesondere dann denkbar, wenn sich die Erbeutung afrikanischer Kulturgüter im Rahmen einer kriegerischen Expedition vollzog.642 Für alldiejenigen Fälle der Provenienzforschung, welche sich während der – mehr oder weniger – etablierten und geordneten deutschen Kolonialherrschaft über die afrikanischen Gebiete in einem zivilen Rahmen ereigneten, ist der wichtigste Bezugspunkt für die Forschung eine adäquate Bewertung des erstmaligen Besitzwechsels zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Für diesen Wechsel des Objekts – weg von der Sphäre der afrikanischen Herkunft und hin zu derjenigen des europäischen Verbleibens – ist die rechtliche Bewertung als Konnotation für die Bewertung der Provenienz heranzuziehen. Dieses wichtige und oftmals erste Glied der Eigentümerkette ist also regelmäßig ein Bestandteil des Gemischtenrechts. Auf Grundlage einer fehlenden allgemein gültigen Kodifikation des Gemischtenrechts in den Schutzgebieten,643 der schwierigen Quellenlage und der zu vermutenden Diskrepanz zwischen formaler Darstellung der Kolonialjurisprudenz und faktischer Auswirkung von allgemeinen Verhaltensregeln644 kann das Gemischtenrecht selbstverständlich keinen allumfassend gültigen oder gar absolut wahren Maßstab für die Provenienzforschung und der damit einhergehenden Restitutionsdebatte darstellen. Jedoch können Erkenntnisse zum Gemischtenrecht als Wegweiser und Anhaltspunkt dienen, wenn es darum geht, welche rechtliche Richtschnur an Fälle der Provenienzforschung anzulegen ist. Dabei ist die wissenschaftliche Untersuchung des Gemischtenrechts als einer der Kernbereiche des interkulturellen Zusammenlebens in den Kolonien keine einfache, denn der Auseinandersetzung mit den gemischten Angelegenheiten wurde weder in Quantität noch in Qualität die ihr gebührende Aufmerksamkeit durch die Kolonialjurisprudenz gewidmet.645 Das Gemischtenrecht war ein 642 Vgl. Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 9, bei der Ausgrabung des Pergamon-Altars verhandelte der deutsche Konsul mehrere Monate mit dem osmanischen Generalgouverneur. Der Vertreter des osmanischen Reichs erteilte die Ausgrabungserlaubnis und sprach Deutschland zwei Drittel des Fundes zu. 643 Dazu vorstehend in 3. Kapitel III. 644 Dazu vorstehend in Einleitung V und 3. Kapitel III und IV. 645 Dazu vorstehend in 3. Kapitel V; vgl. auch Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160f., Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

rechtsunsicherer Bereich. Das Fehlen einer eindeutigen Gesetzgebungskompetenz und einer Kodifikation führte dazu, dass sich ein dynamischer Rechtsbereich entwickelte, welcher vor allem durch die Akteure selbst maßgeblich geprägt wurde.646 Dabei wendeten natürliche Personen innerhalb der Gerichte die Ihnen bekannten Rechtsordnungen – die Kolonisierenden das deutsche Recht und die Kolonisierten die afrikanischen Verhaltensregeln – als Füllmasse für diejenigen Angelegenheiten des Gemischtenrechts an, für die es keine eindeutigen Regelungen gab. Die Annahme, dass allein das »Recht der Weißen« auf das Gemischtenrecht Anwendung finden sollte, wurde schon in der damaligen Zeit von der Kolonialjurisprudenz als wenig apriorische, nationalpolitische Propaganda eingestuft.647 Gleichwohl bleibt als Minus dieser propagierenden Ansicht eine gewisse Wahrheit bestehen, denn die Prägung der Kolonisierenden in Bezug auf die gemischtrechtlichen Interaktionen war enorm. Schließlich kam der deutschen Kolonialmacht die viel größere faktische Macht in diesem System struktureller Ungleichgewichtung zu.648 Am einseitigsten wurde im Bereich des Strafrechts das asymmetrische Machtverhältnis von den deutschen Kolonialisten ausgenutzt und gemischtrechtliche Fälle zu Gunsten der Weißen entschieden.649 Mithin wirkten sich die

646

647 648 649

sich gegen die Auslegung des SchGG in einer gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidung wehrt und der Kolonialjurisprudenz eine Praxisfremdheit und einen fehlenden Willen zur praktischen Problemlösung in Bezug auf gemischtrechtliche Probleme vorwirft: »Bei der schulmässigen, lediglich der Orientierung über das Koloniale Recht dienenden Darstellung lag es beiden [gemeint sind Vertreter der Kolonialjurisprudenz] durchaus fern, Probleme, die sich innerhalb des Rechtes zeigen, und die erst bei eingehendem Studium oder in der Praxis erkannt werden, aufzurollen oder abzuhandeln.«, unter: https://invenio.bundesarchi v.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). In erster Linie durch die Verwaltungsposten und Bezirksrichter, vgl. Bundesarchiv BerlinLichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 368. Autenrieth erkennt das Problem zwischen formaler Anwendung des § 4 SchGG und der fehlenden Lösung für das materielle Recht der Gemischtenangelegenheiten. Solange der Gesetzgeber untätig bleibt, sieht er die Hauptverantwortung der Gemischtenangelegenheiten beim zuständigen Richter, welcher für einen »Ausgleich der Differenzen« sorgen soll, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/m ain.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). Vgl. Edler von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, S. 180–188, der von Abwandlungen des Rechts in den Kolonien berichtet. Zutreffend Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333. Prange vergleicht die gemischtrechtlichen Handelssituationen mit strafrechtlichen Situationen, in welchen die deutsche Kolonialmacht sehr deutlich den öffentlich-rechtlichen Strafanspruch gegen die Kolonisierten durchsetzt, vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 158f., Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022).

Konsequenzen für die Provenienzforschung

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ungleich verteilten Machtverhältnisse auch auf die zivilrechtliche Vertragsparität des Gemischtenrechts aus. So lässt sich anhand von Verordnungen die strukturelle Benachteiligung der afrikanischen Bevölkerung gut nachzeichnen. Gemischtrechtliche Handelsverbote für afrikanische Bevölkerungsgruppen und systematische Übervorteilung im Bereich der Pfandleihe zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zeugen von einer strukturellen Benachteiligung der Kameruner.650 Selbstverständlich muss eine strukturelle Benachteiligung im Gemischtenrecht auch relativiert werden. So gab es in gemischtrechtlichen Interaktionen auch immer wieder Sachverhalte einer pluralen und offenen Rechtsbeziehung zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden. Das Gemischtenrecht enthielt gleichzeitig einen immanenten Widerspruch zur Utopie der rassistischen Segregation. Die Vielzahl an Verordnungen651 zeugte ja gerade davon, dass die interkulturellen Interaktionen zum Tagesgeschäft in den deutschen Schutzgebieten gehörten und folglich ein wichtiger Bestandteil ihrer wirtschaftlichen Grundlage war.652 Weiter wird die pluralistische Annahme eines Gemischtenrechts bestärkt, wenn die verschiedenen Regelungen zum Schutz der afrikanischen Bevölkerungsgruppen betrachtet werden. Auch wenn die Motivation für den Erlass solcher Regelungen nicht zwingendermaßen wichtigster Natur gewesen sein muss – ist doch die Besserstellung der afrikanischen Bevölkerung, beispielsweise durch eine Reglementierung von Kreditgeschäften und der Schutzvorschriften in Bezug auf Grundeigentumsregelungen, als positive Bestrebungen in Richtung einer Vertragsparität zu honorieren. Dementsprechend kann auch in Hinblick auf provenienzrechtliche Fragestellungen das Fazit zum Gemischtenrecht nur geteilt ausfallen,653 denn es lässt sich keineswegs als ausschließliches, von den Kolonisierenden geprägtes und drakonisches Recht beschreiben. Indes muss das faktische Ungleichgewicht in kolonialen Gerichtsverhandlungen auch in Fällen des Gemischtenrechts berücksichtigt und Bereiche der drakonischen Rechtsausübung dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Das faktische Ungleichgewicht im Gemischtenrecht lässt sich deutlich mit Quellen aus Kamerun nachzeichnen. Schon für die mächtigsten Vertreter der afrikanischen Bevölkerungsgruppe in Kamerun galt, dass die An-

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Näher zum Strafrecht als Instrumentarium der Herrschaft der Kolonisierenden über die Kolonisierten Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 220, und Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 50ff. Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 3. Dazu vorstehend in 3. Kapitel III und IV. Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21.9. 1911, S. 367, unter: https://in venio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? S. 347–384, 381, benennen Ambivalenz als Charakteristik des deutschen Kolonialrechts.

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Rechtsbeziehungen innerhalb der kolonialen Bevölkerungsgruppen

klage in einem Gemischtenprozess regelmäßig auch mit »Todesangst« einherging.654 Erst recht ist daraus zu schlussfolgern, dass die »einfache« Bevölkerung häufig keine gute Verhandlungsposition gegenüber den deutschen Kolonialherren in den rechtlichen Prozessen innehatte. Demnach bestand zwischen dem im Widerspruch zur Segregation stehenden und durchaus auch pluralistischen Gemischtenrecht und dem deutschen Kolonialismus, welcher auf einem rassistischen und zentralistischen Verständnis aufbaute, ein ständiger Zusammenhang. Für die Bewertung einer Provenienz ist die erste (gemischt-)rechtliche Beziehung zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu untersuchen. Diese gemischten Rechtsbeziehungen wurden im Zweifelsfall hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit von den Verwaltungsbeamten und Bezirksrichtern untersucht, welche zumindest in der späteren deutschen Kolonialzeit dazu angehalten waren, die Interessen zwischen dem Recht der »Weißen« und dem der »Eingeborenen« in Ausgleich zu bringen.655 Aus diesem Umstand folgt, dass die juristische Provenienzforschung durch das Gemischtenrecht auch mit der Aufarbeitung des Kolonialismus verbunden ist. Doch welche Interpretationsvoraussetzungen sind an das Gemischtenrecht der Kolonialepoche zu knüpfen, wenn erhofft wird, aus dem Gemischtenrecht Rückschlüsse auf die Provenienzforschung ziehen zu können? Zunächst ist die intertemporale Sichtweise656 auf die gemischten Angelegenheiten anzuwenden, d. h. es müsste ein damaliger Sachverhalt, welcher dem zivilrechtlichen Rechtsgebiet zuzuweisen wäre, unter Bewertung des damaligen Gemischtenrechts untersucht werden. Allerdings müssten zum einen die Wissenslücken in Bezug auf das Gemischtenrecht – welche zwangsläufig durch das Vorhandensein weniger Quellen und den immanenten Auslegungsspielraum bei jeglicher Normanwendung entstehen – durch moderne wissenschaftliche Interpretation gefüllt werden. Zum anderen müssten Ansichten des Kolonialrechts strikt von tatsächlichen Fehlvorstellungen getrennt werden. Unter dieser Prämisse müssten tatsächliche Fehlvorstellungen – insbesondere die Schlechterstellung aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft – ausnahmslos in einem Rechtssachverhalt korrigiert werden. Auch wenn die Rechtsgeschichte noch nicht alle Kapillaren des Gemischtenrechts in den Schutzgebieten Deutschlands erforscht hat, lässt sich feststellen, dass das Gemischtenrecht aus einer Vermischung und Neuauslegung der be654 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64f. und 70. 655 Autenrieth spricht von einem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde »Ausgleich der Differenzen«, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 368, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio /main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 656 Vorgeschlagen von Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 3ff.

Konsequenzen für die Provenienzforschung

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kannten kolonialen Rechtsordnungen bestand. Dabei ist den lokalen Rechtsangewohnheiten – vor allem im Bereich des Handelsrechts – die maßgebliche Gewichtung als Ausgangspunkt zuzuschreiben. Demgegenüber wurde wegen der faktischen Macht der deutschen Kolonialpioniere und wegen der zentralistischen Dogmatik der Kolonialjurisprudenz das deutsche Zivilrecht als Grundstein des Gemischtenrechts angesehen. Aus der evidenten Gewichtung der deutschen Rechtsgewohnheiten folgt, dass in den deutschen Kolonien als Minimum für die gemischtrechtlichen Interaktionen des Zivilrechts der gleiche Rechtsmaßstab wie für zivilrechtliche Angelegenheiten im deutschen Reich anzuwenden ist, nämlich die in Deutschland damals jüngst durch das BGB kodifizierten Normen. Aus dieser Anwendung folgt, dass sowohl dem obligatorischen wie dem Verfügungsgeschäft zunächst eine willensmängelfreie Einigung zugrunde liegen müsste. Insbesondere die Vorschriften §§ 134, 138 BGB,657 sind als Indikator bei der Bewertung des Gemischtenrecht heranzuziehen.658 Als wichtigste Grundlage für die Bewertung der Provenienz eines Objekts müsste der Eigentumsübergang von afrikanischer in deutsche Sphäre ihre Legitimation durch eine willensmängelfreie Einigung ableiten.659 Doch wie ist die Legitimation durch eine willensmängelfreie Einigung aus Sicht der Provenienzforschung konkret zu bewerten? Wie fließt der Umstand der strukturellen Asymmetrie zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten in die Bewertung der gemischtrechtlichen Einigung ein? Wann ist der Zweifel an die Legitimation, die aus einer gemischtrechtlichen Einigung erwächst, derart groß, dass von einer willensmängelfreien Einigung keine Rede mehr sein kann? Um sich den Antworten dieser Fragestellungen anzunähern, werden die erarbeiteten Parameter des Kolonialrechts an einem Fallbeispiel der juristischen Provenienzforschung angewendet.

657 Bürgerliches Gesetzbuch, 1. Fassung – Reichsgesetzblatt 1896, S. 195, Nr. 21, ausgegeben am 24. 08. 1896, in Kraft seit 01. 01. 1900. 658 Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 387, schlagen mit anderer Begründung eine ähnliche Methodik vor. 659 Vgl. Heuermann, Der schizophrene Schiffsschnabel, S. 64, fordert eine wissenschaftliche Prüfung der Legitimation als Grundlage für Rückgabeforderungen.

4. Kapitel: Die Provenienz der Federkrone

Um die juristische Provenienz von afrikanischen Kulturgütern besser verstehen zu können, sind die abstrakten Darstellungen des Kolonialrechts auf einen konkreten Fall anzuwenden. Für die Ausstellung »Gekauft Gesammelt Geraubt?«660 hatten sich vier Frankfurter Museen zur Aufgabe gemacht, den »Weg der Dinge ins Museum« darzustellen. Obwohl die Historiker*innen eine gute Aufarbeitung der Geschichte der Dinge im Rahmen der Ausstellung durchführten, spielte sich eine begründete Bewertung der »juristischen Provenienz« eher im Bereich der Mutmaßungen ab. Dieser Umstand zeugt nicht von mangelndem Einsatz oder Scharfsinn der zuständigen Historiker*innen, vielmehr fehlte es an der allgemeinen juristischen Grundlagenarbeit im Bereich der juristischen Provenienzforschung,661 auf welche die Historiker*innen hätten zurückgreifen können. Allerdings zeigte die Ausstellung bereits durch ihre Namensgebung – durch die vollzogene Zuschreibung von Provenienz zu juristischen Kategorien – die Wichtigkeit einer »juristischen Provenienzforschung«. Es gilt demnach, die historische Vorarbeit um eine ausdifferenzierte juristische Bewertung des Einzelfalls zu erweitern. Abhandlungen auf dem Gebiet des Kolonialrechts könnten so in Zukunft von der historischen Forschung herangezogen werden, damit die Herkunft eines Gegenstandes hinsichtlich der Legitimität der Erwerbung treffender bewertet werden kann. Bei der Frankfurter Ausstellung »Gekauft Gesammelt Geraubt?« fand sich ein aufsehenerregendes Objekt zur Erprobung der Anwendbarkeit kolonialrechtlicher Parameter. Der für die juristische Provenienzforschung bedeutende Gegenstand wurde von Dr. Ludwig Battenberg, in seiner Verkaufsofferte vom 7. 7. 1949 an das damalige Museum für Völkerkunde in Frankfurt, beschrieben:

660 Dazu näher die Dokumentation »Gekauft Gesammelt Geraubt?«, unter: https://www.muse umangewandtekunst.de/de/museum/provenienzforschung/gekauft-gesammelt-geraubt/ (abgerufen am: 1. 4. 2022). 661 Dazu vorstehend in Einleitung III.

148

Die Provenienz der Federkrone

»Halbkugeliges Geflecht aus einer nicht sehr dicken, aber äußert starken Art Kordel, darin eingeknüpft eine große Anzahl – wohl über 100 – leuchtend hellroter Federn, so zwar, daß bei aufgesetzter Kopfbedeckung die Federn igelartig nach allen Seiten vom Kopf des Trägers abstehen. Es handelt sich um Schwanzfedern eines – auch in Kamerun selbst seltenen – grauen Papageis, der, sonst einförmig grau, nur 2 solcher roten Schwanzfedern besitzt. In der Mitte der weiße Bart eines Antilopenbocks. Die Krone, die zusammengefaltet das Volumen einer starken Männerfaust kaum überschreitet, ist verwahrt in einer Kokosnußhülle und diese wieder in einem sehr soliden Körbchen, auch Negerarbeit, 3–4 cm dick auswattiert, das zwar ursprünglich mit anderer Zweckbestimmung (nämlich als tragbarer Theekannenwärmer) gearbeitet worden sein dürfte, aber schon zu King Bells Zeiten zur Aufbewahrung der Krone diente. Der Erhaltungszustand des Stücks ist dementsprechend trotz des Alters von rund 60 Jahren sehr gut.«662

I.

Die Federkrone aus Kamerun

Bei dem beschriebenen Objekt handelt es sich um eine Krone aus Kamerun.663 Die Federkrone ist auch heute noch ein imposanter Gegenstand, welcher bei der Begutachtung eine gewisse Bewunderung oder zumindest ein »Verwundertsein« auslöst. Unter einer Krone ist gemeinhin ein verkörpertes Herrschaftszeichen zu verstehen, welches auf dem Kopf getragen wird.664 Die Bedeutung einer Krone ist – auch wenn die praktische Bedeutung solcher »Machtinsignien« im 21. Jahrhundert wohl ihren bisherigen historischen Tiefpunkt erreicht haben dürfte – jedem ein Begriff. In Literatur, Theater und Film ist die Krone eine gern benutzte Requisite, die eingesetzt wird, um Kontexte zur Macht, Herrschaft und Zeit herzustellen.665 Die Autorität und die Ehrfurcht, welche eine solch prunkvollen Kopfbedeckung im Laufe der Geschichte verkörperte, ist – zum Beispiel durch den Konsum moderner Medien – auch heutzutage noch vorstellbar. Ob die Kaiserkrone Napoleons,666 das Diadem des Tut-ench-Amun,667 die imposante Krone Montezumas,668 kaum ein Herrscher kam ohne ein verkörpertes Herrschaftszeichen auf dem Kopf aus.669 Ähnlich verhielt es sich mit dem Chief der Duala – Manga Ndumbe Bell, auch »King Bell« genannt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird die Federkrone einmal dem jeweiligen Oberhaupt der Familie Bell als Zeichen der 662 Siehe Anhang B., Abb. 2. Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949. 663 Vgl. Anhang B., Abb. 1. 664 Vgl. Jürgen Abeler, Kronen – Herrschaftszeichen der Welt (1990), S. 10f. 665 So im berühmten Monumentalfilm »Cleopatra«, vgl. Abeler, Kronen, S. 42. 666 Abeler, Kronen, S. 144. 667 Abeler, Kronen, S. 15, 38. 668 Abeler, Kronen, S. 230. 669 Vgl. Abeler, Kronen, S. 10ff.

Die Federkrone aus Kamerun

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Macht gedient haben. Nun findet sich die Federkrone als Teil einer Sammlung in den Ausstellungen oder Magazinen eines Museums wieder. Qualifiziert die Teilhabe in der Museumssphäre das Objekt somit zur »Kunst« und sollte die Federkrone daher bei der Untersuchung der Provenienz als »Kunst« bezeichnet werden? Stetig wird zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Presse bei der Provenienz- und Restitutionsdebatte von »Raubkunst« gesprochen670 – eine doppelte Verwendung von juristischen Oberbegriffen. Ist es korrekt, im Rahmen der Provenienz- und Restitutionsdebatte die afrikanischen Gegenstände als Kunstobjekte zu betiteln?671 Letztlich ist die Frage nach einer Definition des Kunstbegriffs so alt wie ungelöst. Die Kunst ist frei, sie folgt ihren eigenen Gesetzen und entzieht sich jeglichen Versuchen, sie durch objektive Definitionen einzugrenzen.672 Es wäre durchaus denkbar, dass eine »relative Definition« des Kunstbegriffes673 auch einen Gegenstand, der ursprünglich nicht der Kunst gewidmet wurde, beinhalten könnte. Die spätere Widmung eines Objekts als Kunstobjekt könnte durch die Aufnahme in den Bestand eines Museums geschehen oder sich dann ereignen, sobald sich für ein Objekt ein künstlerischer Zusammenhang zu einer Ausstellung ergeben sollte – das Objekt also wegen seiner Platzierung durch den entstehenden Ausstellungszusammenhang eine künstlerische Wirkung entfaltet. Gewiss lassen sich afrikanische Objekte wegen ihrer feinen und im globalen Westen wenig bekannten handwerklichen Herstellung wohl gemeinhin als »künstlerisch« beschreiben. Schließlich wurden auch die größten und prägendsten Künstler des globalen Westens wie zum Beispiel Pablo Picasso durch die afrikanische »Kunst« inspiriert. Allerdings hatten viele Gegenstände in ihrer ursprünglichen afrikanischen Umgebung eine bestimmte Funktion und waren in erster Linie nicht der »Kunst« gewidmet. Zu Museumsgegenständen der »NegerAnschauung«674 avancierten die Objekte auf dem europäischen Festland oftmals erst völlig entfremdet von ihrem ursprünglichen Ort des Wirkens, ausgestellt in dem westlichen Konzept eines Museums, erbeutet durch den Sammelwahn der 670 So wird der Begriff der »Raubkunst« häufig von Journalist*innen verwendet, siehe: Lucia Weiß, Kolonialismus – Wo die Raubkunst zu Hause ist, unter: https://www.zdf.de/nachrich ten/panorama/afrika-raubkunst-kolonialzeit-100.html (abgerufen am: 1. 4. 2022); Ulrike Knöfel, Debatte über koloniale Raubkunst – Schluss mit der Verharmlosung, unter: https:// www.spiegel.de/kultur/koloniale-raubkunst-schluss-mit-der-verharmlosung-kommentara-338f 7afd-8f91-4da2-98e6-272cec7cf2e1 (abgerufen am: 1. 4. 2022). 671 Näher zur Macht, welche der Sprache innewohnen kann, in Einleitung VI. 672 Vgl. Haimo Schack, Kunst und Recht, S. 6ff. 673 Schack, Kunst und Recht S. 4, mit Hinweis auf BverfGE 67, 213, 225 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug. 674 Vgl. Leo Frobenius, Der Kameruner Schiffsschnabel und seine Motive, in: Nova Acta, Abhandlung der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher, Band LXX Nr. 1 (1897), S. 1–96, 10.

150

Die Provenienz der Federkrone

Kolonialmächte.675 Außerdem konnotieren die Begriffe »Raub« und »Kunst« und die dazugehörige Nomenkomposition »Raubkunst« bereits eine juristische Zuschreibung in Bezug zur Provenienz des jeweiligen Objekts und könnte somit einer ergebnisoffenen Untersuchung der historischen Vorgänge sogar entgegenstehen.676 Demgemäß ist der richtige Oberbegriff »Objekt« oder »Gegenstand« für die Provenienzforschung am Beispiel der Federkrone. Doch sollte sich vergegenwärtigt werden, dass auch die allgemeingültigen Oberbegriffe »Objekt« und »Gegenstand« bereits die Gefahr einer erfolgten Zuschreibung beinhalten können. Selbstredend sind Objekte oder Gegenstände für die Geschichte des Menschen seit jeher unersetzlich. Dabei darf aber nicht ein »universal gültiges Kategoriesystem«, welches die Rangfolge der Wichtigkeit von Objekten beschreiben würde, als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Dieser Fehler wurde in der Epoche des deutschen Kolonialismus häufig begangen, mit der Folge, dass aus historisch europäischer Sicht die afrikanische Bevölkerung den scheinbar belanglosesten Gegenständen übernatürliche Wirkungen zuschrieb. Schon früh wurden die »Fetischkulte« und der »Totemismus« der Bevölkerung an der Küste Westafrikas kritisch beäugt.677 Dabei ändert sich die Kategorisierung eines Gegenstands in »gewöhnlich« oder »besonders«, abhängig von dem Blickwinkel der jeweils begutachtenden Kultur. Während Schneckengehäuse, Vogelkadaver, Federn oder andere Körperteile von Tieren im westlichen Denken eher in eine wertlosere Kategorie eingeordnet wurden,678 konnten diese Objekte damals für die kolonisierte Bevölkerung einen hohen Stellenwert haben. Doch das Bewusstsein um eine solche Flexibilität der Bewertungskategorien war den Kolonialnationen fremd. Voller Verwunderung wurde in ersten Reisebe-

675 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 3. 676 Die Problematik der Zuschreibung durch juristische Begriffe zeigte sich bereits in den 70erJahren, als erstmals über Provenienz und Restitution debattiert wurde. Damals wehrten sich die Interessenvertreter der Museen auf fragwürdige Art und Weise gegen die Benutzung des Begriffs »Restitution«, dazu näher Benedict Savoy in dem Podcast-Beitrag »Auf den Spuren kolonialer Raubkunst«, unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/provenienzfor schung-identitaetsstiftende-kunst, (abgerufen am: 1. 4. 2022); vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 385, warnen vor der Gefahr, dass Recht und Bürokratie auch als Mittel gegen die Restitution ins Feld geführt werden können; gleichwohl muss es die Aufgabe der juristischen Provenienzforschung sein, sich gegen eine terminologische Verallgemeinerung hin zur »Raubkunst« zu behaupten, um gerade durch diese Abgrenzungen einen positiven Beitrag für die Restitutionsdebatte leisten zu können. 677 Vgl. Fragebogen über die Rechte der Eingeborenen in den deutschen Kolonien, abgedruckt bei Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse in den »Schutzgebieten« des Deutschen Reiches, S. 164. 678 Vgl. Frobenius, Der Kameruner Schiffsschnabel, S. 17, der verwundert über die »Verehrung der Thiere, Bäume, Gegenstände jeder Art« berichtet.

Die Federkrone aus Kamerun

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richten die Gewöhnlichkeit der Dinge beschrieben, welchen von der afrikanischen Bevölkerung übernatürliche Wirkung zugeschrieben wurde.679 Allerdings war eine pejorative Verwunderung der Kolonialmächte über den Umgang der Afrikaner*innen mit ihren Objekten bigott, denn auch in der europäischen Geschichte waren körperliche Gegenstände keineswegs immer lediglich rationale (Rechts-)Objekte. Während heilige Reliquien des Christentums für die verschiedenen Konfessionen eine wichtige Bedeutung einnehmen und daher als bedeutsam in dem in unserem Kulturkreis gültigen »Kategoriesystem der Objekte« angesehen werden,680 muss diese Bewertung keineswegs von anderen Kulturen und Religionen geteilt werden. Darüber hinaus kennt auch die (Rechts-)Geschichte des globalen Westens Präzedenzfälle, welchen aus heutiger Sicht eine gewisse Kuriosität innewohnen dürfte. Lange Zeit war in England und Wales der aus dem Common Law folgende Rechtsbrauch Deodand geläufig, nach welchem sich ein Urteil zumindest in seiner Rechtsfolge auch gegen einen Gegenstand richten konnte:681 Verursachte ein Objekt einen Vorfall, bei welchem ein Mensch getötet worden ist, dann war es möglich, den verursachenden Gegenstand selbst zu zerstören, den Angehörigen zu übergeben oder allgemein für caritative Zwecke einzusetzen, beispielsweise dadurch, dass der Gegenstand verwertet wurde und der Erlös geistlichen Institutionen zukam. Der Gegenstand selbst war »schuldig« und sollte »bestraft« werden. Ein noch kurioseres Beispiel einer Eigenschaftszuschreibung zu einem Objekt ereignete sich in Florenz. Dort wurde am 8. April 1498 die Kirchenglocke von San Marco angeklagt. Sie hatte bei der Belagerung des Klosters unerlaubterweise zur Warnung geläutet. Der Gegenstand selbst wurde schuldig gesprochen, weswegen die Kirchenglocke zur Bestrafung vom Henker auf der Piazza dei Priori ausgepeitscht und für mehrere Jahre aus der Stadt verbannt wurde.682 Diese Exempel sollen darstellen, dass die Bewertung eines Umgangs mit einem Objekt aus Sicht des »globalen Westens« stets nur ein relativ und nicht keinesfalls immer rational sein kann. Ferner werden die Begriffe des »Objekts« oder des »Gegenstands« für gewöhnlich mit solcher Selbstverständlichkeit gebraucht, dass die aus den Begriffen folgende Verhältnisbestimmung zwischen Person und Sache kaum richtig zum Ausdruck kommt. Bei einem Gegenstand handelt es sich um eine Beziehung des Widerstandes zu einer Person. Dieser Gegenstand kann sich also durch äußerliche Abgrenzung, also durch eine Eigenständigkeit vom Subjekt zum Gegen679 Karl-Heinz Kohl, Die Macht der Dinge, S. 118. 680 Vgl. Walter Kasper, Lexikon für Theologie und Kirche, Achter Band, Pearson bis Samuel, S. 1092. 681 Edward Coke, The Third Part of the Institutes of the Laws of England – Concerning High Treason, and Other Pleas of the Crown and Criminal Causes, London 1797, S. 57. 682 Dazu näher Daniel Zolli/Christopher Brown, Bell on Trial: The Struggle for Sound after Savonarola, in: Renaissance Quarterly, Volume 72, Issue 1, Spring 2019, S. 54–96.

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Die Provenienz der Federkrone

stand definieren. Im Begriff des »Objekts« hingegen wird der widerständige Charakter dieser Beziehung etymologisch weniger stark betont. Wird der Etymologie gefolgt, so ließe sich aus dem Objekt eher etwas Zufälliges schlussfolgern, das Objekt stellt sich somit einer Person nicht entgegen.683 Doch warum kommt den in der Kolonialzeit erworbenen »Objekten« statt einer solchen »Zufälligkeit« nun eine »wichtige Bedeutung« zu? Warum ist die Wichtigkeit eines afrikanischen Kulturobjekts eine ganz andere als beispielsweise die eines beliebigen Objekts? Warum werden Gegenstände oftmals bedeutsamer, je älter und seltener sie sind? Das kann beantwortet werden mit der »Aura«, dem »Nimbus seiner Einzigartigkeit«684 oder der »Seele«685 eines Gegenstandes. So wird in der Kunstwissenschaft die »Aura« als einmalige Erscheinung beschrieben, welcher Ferne und Distanz als Unnahbarkeit innewohnt, Seltenheit und Bedeutung des Objekts als Besonderheit anhaften bleibt, während hingegen Reproduktion und Vervielfältigung zur Verflüchtigung derselben führen.686 An eine solche Bedeutung eines Objekts knüpft auch das aus der afrikanischen Sphäre stammende Verständnis einer »Seele« in Bezug auf einen Gegenstand an.687 Die Wichtigkeit und Zuschreibung von Eigenschaften zu Objekten ist demnach als dynamischer Prozess zu verstehen, die »Aura« von Gegenständen verändert sich, abhängig von der Zeit, ihrem Ort oder dem kulturellen Verständnisses des Beobachters.688 Sicherlich ist es nicht verwunderlich, dass also den afrikanischen Kulturgütern in der Zeit von Globalisierung und digitaler Konvergenz, also in einer Zeit, in der für internationale Gleichberechtigung und gegen Neokolonialismus gekämpft wird, erneut eine derart wichtige Bedeutung zukommt, da sie schließlich für eine historische Zeit stehen, in welcher es keine Gleichrangigkeit der Kulturen gab.689 Insbesondere gilt dies für die Krone der Bell, einem konkreten Objekt der Herrschaftsverkörperung, dem somit keine Zufälligkeit, sondern eine besondere kulturelle Bedeutung innewohnt. Es gilt, den juristischen Weg des Objekts in der 683 Kohl, Die Macht der Dinge, S. 119f. 684 Vgl. Schack, Kunst und Recht, S. 16. 685 Zur Seele und Subjektivierung von Objekten vgl. Anhang A., Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts. 686 Vgl. Heuermann, Der schizophrene Schiffsschnabel, S. 39 m.w.N. 687 Dassi umschreibt den Begriff der »Seele«. Nach ihrer Ansicht haben die afrikanischen Objekte durch eine rituelle oder sakrale Widmung eine besondere Bedeutung inne, die durch eine deplatzierte Ausstellungsweise auch verloren gehen könnte, vgl. Anhang A., Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts. 688 Vgl. Schack, Kunst und Recht, S. 16ff. 689 Vgl. zur fehlenden Gleichrangigkeit die Einteilung in »zivilisiert« und »unzivilisiert« vorstehend in 2. Kapitel, I; auch in der jetzigen Zeit wird eine solche »Gleichrangigkeit« in Frage gestellt, vgl. Anhang A., Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts.

Erste Station: Die Federkrone des »King Bell«

153

juristischen Provenienzforschung einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Die Ausarbeitungen zum Gemischtenrecht verdeutlichen, dass zur Bewertung der Rechtsmaßstab aus der Rechtssphäre der Kolonisierten maßgeblich miteinzubeziehen ist. Nach diesem handelt es sich bei der Federkrone um einen körperlichen Gegenstand i. S. d. Bürgerlichen Rechts, auf welchen sich Ansprüche des obligatorischen Rechts beziehen konnten und die Grundsätze des Mobiliarsachenrechts Anwendung fanden.690

II.

Erste Station: Die Federkrone des »King Bell« »Südlich vom Kamerun-Berge ergießt sich der Kamerun-Fluß ins Meer. Es ist der alte Rio dos Camarões der portugisischen Entdecker. Camarão Plural Camarões bedeutet einen Krebs, der periodisch, man sagt jedes dritte Jahr auf einige Tage, in großer Menge den Fluß zu beleben pflegt. Rio dos Camarões heißt also »Fluß der Krebse« Die praktischen Engländer haben daraus Cameroons und wir Deutsche, auch einmal praktisch, noch kürzer Kamerun gemacht. Die Eingeborenen nennen sich Dualla aber batu ba (Leute von) Dualla. Der Name Dualla soll einen sagenhaften Häuptling bedeuten.«691

Lediglich aus dem vorliegenden Brief von Ludwig von Battenberg an das Museum für Völkerkunde geht hervor, wem die Federkrone ursprünglich gehört haben soll.692 Zuerst soll sich der Kopfschmuck im Besitz von Manga Ndumbe Bell (1851–1908) befunden haben. Er war als »King Bell« der mächtigste Chief der Bevölkerungsgruppe der Duala. Um die erste Besitzstation der Federkrone in Bezug setzen zu können, werden die Lebensverhältnisse der Duala und die Rolle von Manga Ndumbe Bell im Gesellschaftssystem vor und während der deutschen Kolonialherrschaft dargestellt.693

690 Dazu ausführlich in 3. Kapitel VI. 691 Max Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 4; vgl. für die Namensgebung auch Bohner, Ae Ntonga!, S. 18. 692 Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949, vgl. Anhang B., Abb. 2. 693 Gewiss ist die Einteilung in eine gesonderte afrikanische Gesellschaft »der Duala« lediglich eine wissenschaftliche Annäherung. Die Identität von Menschengruppen gründet sich stets auf einen dynamischen Prozess, welcher abhängig von sich verändernden Kriterien ist, vgl. Andreas Eckert, Grundbesitz, Landkonflikte und kolonialer Wandel: Douala 1880 bis 1960 (1999), S. 19.

154 1.

Die Provenienz der Federkrone

Das eiserne Bettgestell ohne Matratze – die Duala in der Krise

Aufgrund einer komplizierten Quellenlage kann der Ursprung der Duala nicht vollumfänglich rekonstruiert werden.694 Auch in der afrikanischen Wissenschaft ist man auf mündliche Überlieferungen, die auch Geschichten und Mythen enthalten, angewiesen. Nach der Auswertung dieser Quellen waren die Duala eine familiäre Einheit, die als sozialer Zusammenschluss eine abgegrenzte Bevölkerungsgruppe bildeten. Zurückverfolgen lassen sich die Erzählungen über die Herkunft der Duala ausnahmslos nur bis zur Besiedelung des Sanagabeckens.695 Eine effiziente Expansionsstrategie war der Ausgangspunkt dafür, dass sich die Duala als erfolgreiches Fischervolk an der Westküste Kameruns als die wichtigste Bevölkerungsgruppe durchsetzen konnten. Nach Schätzungen verdrängten die Duala die vorher dort ansässigen Bassa und Bakoko, sodass die Flussdeltas um das Jahr 1630 vornehmlich von den Duala bewohnt war. In der Folgezeit betrieben die »Fisherkings« Handel mit dem Kameruner Hinterland.696 So verfestigte sich die Position der Duala zur bestimmenden Handelsmacht an der Mündung des Sanagabeckens. Folglich waren auch die ersten Kolonialisten auf die Duala angewiesen, um mit den Bewohnern des Hinterlandes Handel treiben zu können. Auf dieser Grundlage entstand bereits vor der Annexion Kameruns ein echtes Handelsmonopol der Duala, weshalb diese oft »middlemen« genannt wurden.697 Allerdings sollte das lange so gut funktionierende System der Duala Anfang des 19. Jahrhunderts in eine Krise geraten. Die Duala waren durch interne Spannungen, blutige Konflikte und innerpolitische Unruhen gespalten. Die Konflikte spitzten sich weiter zu und gipfelten 1879 in einem Schreiben von fünf Duala-Chiefs an die englische Krone mit der Bitte, ob die Engländer nicht Bereiche der Kamerunküste regieren könnten.698 Der Grund für die internen Spannungen lag in der gesellschaftlichen Struktur der Duala-Bevölkerung. Der »tumba« (»Clan der Duala«) gliederte sich in ver-

694 Dazu vorstehend in Einleitung V. 695 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 49; Ralph Austen/Jonathan Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers – the Duala and their Hinterland (1999), S. 20. 696 Austen/Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers, S. 6, 20, 22; vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 50, 63, 68; nach historischer Schätzung war der Großteil der Bevölkerung Kameruns am Flussdelta ansässig, vgl. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 508. 697 Austen/Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers, S. 22; die Befähigung der Duala zum Handel wird in vielen historischen Quellen erwähnt, vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 14; vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 145. 698 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 88; Michael Kißkalt, Das Tagebuch des Richard Edube Mbene und sein missionshistorischer Kontext (2015), S. 35.

Erste Station: Die Federkrone des »King Bell«

155

schiedene »diyo« (»Sublineage«).699 Diese bestanden aus einzelnen Dörfern (»mboa«).700 Chief eines »mboa« war stets der erstgeborene Sohn und somit der legitime Erbe des vorherigen Oberhauptes. Der Chief allein steuerte das gesellschaftliche Leben eines »mboa«, er vertrat dieses repräsentativ und rechtlich nach außen und hatte auch die alleinige Verfügungsgewalt über Personen und Güter inne.701 An der Küste Kameruns expandierten die Duala stetig weiter und bildeten viele neue »mamboa«. Zwischen den einzelnen Dörfern blieb jedoch ein enger sozialer Verbund bestehen.702 Eckert resümiert, dass eine bemerkenswerte territoriale Solidarität im gesellschaftlichen System der Duala zu bestehen schien, welche sich mit einem föderalistischen System vergleichen ließe. An der Spitze der Macht solcher Vereinigungen standen besonders mächtige Chiefs, die oftmals auch eine besondere verwandtschaftliche Nähe zu den Ahnenmitgliedern der Duala vorweisen konnten.703 Innerhalb der Duala-Dörfer gab es ein zweigliedriges Klassensystem, das aus den »Freien« und den »Sklaven« bestand.704 Allerdings handelte es sich dabei weniger um ein System der drakonischen Unterdrückung, sondern eher um die Zuordnung eines Über- und Unterordnungsverhältnisses, vergleichbar mit der Leibeigenschaft. Die Sklaven und deren Nachkommen waren den Freien zahlenmäßig überlegen, und es gab für sie eine Reihe von sozialen Aufstiegsmöglichkeiten.705 Da das etablierte System aber nicht an die wachsende Bevölkerung angepasst wurde, entstand zunehmend Unmut unter den Duala. Unzufrieden waren vor allem die Duala, für die es entweder nicht die Möglichkeit gab, ein eigenes »mboa« zu gründen oder für Chiefs geografisch schlecht gelegener »mamboa«. Sie fanden in der Gemeinschaft der Duala keine akzeptable Stellung.706 Zunächst traten die Duala trotz der internen Konflikte in Bezug auf den Außenhandel weiterhin geeint auf und waren eine dominierende Handelsmacht an der Küste Kameruns. Zu dem Zeitpunkt, als die ersten europäischen Händler Kontakt mit den Duala aufnahmen, bildete sich in den föderalen Duala-Segmenten eine neue Verwaltungshierachie. Der besonders mächtige und eng mit dem Gründungsahn verwandte Chief eines »mboa« etablierte sich als Führer der 699 700 701 702 703 704

Vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 54. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 54. Vertiefend zur Gesellschaft der Duala, vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 54ff. Vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 55, »mamboa« ist der Plural von »mboa«. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 55. Kißkalt, Das Tagebuch des Richard Edube Mbene, S. 35, geht von drei Gruppierungen aus: »die Freien, die Nachkommen von Sklaven und die Sklaven«; vgl. dagegen Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 56. 705 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 56. 706 Vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 57.

156

Die Provenienz der Federkrone

Duala und ließ sich mit dem von den Europäern übernommenen Titel »King Bell« ansprechen. Kurz darauf gelang es noch einem weiteren Chief der Duala, sich als »King Akwa« zu etablieren.707 Von nun an durften nur noch die »Kings« und ihre direkten Erben mit europäischen Kolonialisten Handel treiben.708 Die Geschäfte mit den Kolonialmächten brachte den Duala einen bis dahin ungeahnten Reichtum. Doch der Außenhandel mit den Europäern und der damit verbundene ungleich verteilte Reichtum führten auch zu starken innenpolitischen Spannungen.709 Immer mehr Chiefs verschiedener »mamboa« wollten in der gleichen Weise von dem Handel mit den Kolonialmächten profitieren wie »King Bell« und »King Akwa«. Doch gelang es keinem weiteren Chief, sich derart gegen die etablierten »Kings« durchzusetzen, dass auch ihm der Titel des »Kings« und das damit verbundene Handelsprivileg gegenüber den Europäern zugesprochen wurde. Die »Kings« grenzten sich in ihrem Reichtum und ihrer Macht immer stärker von den restlichen Chiefs ab und erbauten im fortschreitenden 19. Jahrhundert in Kamerun die ersten »Prachthäuser mit europäischem Inventar«.710 Der durch den Kontakt mit den europäischen Händlern entstehende ökonomische Außendruck zerstörte Stück für Stück das Grundmodell der sozialen Verantwortung zwischen einzelnen »mboa« im föderalistischen System der Duala. Die ursprüngliche Idee der Verantwortlichkeit der besonders mächtigen Chiefs gegenüber den kleineren »mamboa« scheiterte zunehmend.711 Im 19. Jahrhundert führten die Konflikte zu blutigen Auseinandersetzungen.712 Zu dem Zeitpunkt, als das Deutsche Reich die Schutzherrschaft über das Kamerun-Gebiet übernahm, befanden sich die Duala demnach in einer Krise. Werden die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen der Reiseberichte von Max Buchner713 über die »Dualla« ausgewertet, kann die Ambivalenz der Duala-Bevölkerung besonders deutlich wahrgenommen werden. Völlig überrascht berichtet dieser über ein erstaunlich reiches »Negervolk«. Ein eindrucksvoller Wohlstand, der durch »wucherähnliche«714 Handelsgeschäfte bei der Bevölkerung eingetreten ist, sei vor allem bei der »Klasse der Freien« wahrzunehmen. 707 Vgl. Eckert, die Duala und die Kolonialmächte, S. 74; Von diesem Zeitpunkt an wurden die Titel »King Bell« und »King Akwa« vererbt. 708 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 74; Florian Hoffmann, Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun – Etablierung und Institutionalisierung des kolonialen Gewaltmonopols, Teil I, S. 40; Kißkalt, Das Tagebuch des Richard Edube Mbene, S. 35. 709 Vgl. Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 76ff. 710 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 77. 711 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 77; Kißkalt, Das Tagebuch des Richard Edube Mbene, S. 35; Austen/Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers, S. 35. 712 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 84. 713 Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 18ff. 714 Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 44.

Erste Station: Die Federkrone des »King Bell«

157

Aber sogar die Bevölkerungsschicht der Sklaven profitiere durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung. Zu den anfangs vermutlich überwiegend positiven Auswirkungen des Handels kamen jedoch stetig auch negative Nebeneffekte. Bisherige Traditionen und Lebensinhalte wurden verdrängt und wurden teilweise ganz überflüssig. Das Fischen der einstigen »Fisherkings« würde nur noch von Frauen, Kindern und von einigen Sklaven betrieben.715 Die durch den ökonomischen Außendruck ausgelöste rasante Entwicklung sorgte in der von Familie und Tradition geprägten Bevölkerungsgruppe für ein Vakuum, das durch immer mehr Alkoholsucht, Aggressionen und Kriminalität gefüllt wurde.716 Die raue Stimmung scheint in einem Widerspruch zu dem wirtschaftlichen Wohlstand zu stehen, denn die »geziegelten Hütten und Häuser«, die sogar für »europäische Verhältnisse erstaunlich geräumig« waren, vermochten Buchner zu beindrucken. Als Buchner erstmals bei einem Duala als Gast eingeladen ist, beschreibt er sein Erlebnis in seinem Reisebericht:717 Ihm werden Bier und Wein in einem Zimmer gereicht, das durch »Petroleumlampen« beleuchtet wird und mit »geschmackvollen Lithografien« geschmückt ist, in dem gemütliche europäische Stühle als Sitzgelegenheiten vorhanden sind und eine prächtige Kommode zur Aufbewahrung des »Prunkgeschirrs« steht. Doch voller Verwunderung stellt Buchner die Ambivalenz des neuen Reichtums der Duala fest, denn im Schlafzimmer ist zwar ein eisernes Bettgestell vorhanden, ein in Afrika zu diesem Zeitpunkt seltenes Phänomen, doch überraschenderweise fehlt eine Matratze. Im Glauben, die europäische Lebensart einwandfrei zu imitieren, schläft das »Familienoberhaupt« seither jede Nacht nur auf den eisernen Querstreben – ein Sinnbild für die Lebensweise der Duala in jener Zeit.

2.

Unter deutscher Kolonialherrschaft – Manga Ndumbe Bell

Als die »Chiefs and Kings« am 12. Juli 1884 einen Vertrag mit den deutschen Handelshäusern eingingen,718 begann die Zeit der deutschen Schutzherrschaft an der Küste Kameruns. Daraufhin verschlechterte sich die wirtschaftliche und soziale Stellung der Duala nach und nach. Aufstände aus der Mitte der Volksgruppe der Duala gegen die Kolonialherrschaft wurden umgehend von den

715 716 717 718

Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 39. Dazu näher Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 20ff. Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 21. Vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 12ff., 17ff., 24ff.; vgl. Max Buchner, Aurora colonialis, S. 69 ff; dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 1.

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Die Provenienz der Federkrone

militärisch überlegenden Deutschen niedergekämpft719 – die Deutschen etablierten später die »kaiserliche Schutztruppe« zur militärischen Unterdrückung der Kolonisierten.720 Das Zwischenhandelsmonopol der Duala wurde teilweise aufgebrochen und am Ende beseitigt, als am 19. Juni 1895 Gouverneur Puttkamer den »Duala-Eingeborenen« jegliches Handelstreiben im Gebiet des Sannaga bis zur Kwakwa-Mündung verbot.721 Die rechtlich legitimierte Gewalt gegen die afrikanische Bevölkerung war eines der wichtigsten Instrumente zur Durchsetzung einer rassistischen Herrschaft der Deutschen über die Kameruner.722 In der Anfangszeit der deutschen Herrschaft war die deutsche Kolonialmacht jedoch noch stärker auf die Legitimation der afrikanischen Führer angewiesen, um die kolonisierte Bevölkerung besser kontrollieren zu können. Folglich unterstützten Sie zunächst »King Bell« und »King Akwa« sowie die dazugehörigen Familien und Nachkommen.723 Obwohl vor allem die Familie Bell vom europäischen Reichtum profitierte, war King Bell in erster Linie eine politische Marionette der mächtigen Handelshäuser und des Gouvernements, welche die Duala kontrollieren sollte. Ab 1891 begann die drakonische Herrschaft von Gouverneur von Zimmerer und seinem Stellvertreter Kanzler von Leist,724 unter der die Position der Kings und Chiefs zunehmend verkümmerte. Stetig nahm die Gefahr für Freiheit, Leib und Leben für die Duala-Chiefs zu.725 In dieser Situation wurde Manga Ndumbe Bell, der Sohn des Ndumbe Bell – welcher von 1858–1897 der vorherige King Bell war – nach dessen Tod im Jahr 1897 der neue »King Bell«.726 Als ältester Sohn war er nach den Duala-Traditionen der alleinige Erbe des »mboa« von Ndumbe Bell und wurde zum neuen »King 719 Vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 15; auch spätere Aufstände, wie der Aufstand der Polizeisoldaten, wurden mit äußerster Brutalität niedergeschlagen, vgl. Christian Brommarius, Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914 (2015), S. 32ff. 720 Vgl. Florian Hoffmann, Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun – Etablierung und Institutionalisierung des kolonialen Gewaltmonopols, Teil II: Die kaiserliche Schutztruppe und ihr Offizierskorps (2007), S. 5. 721 Vgl. Verordnung des Gouverneurs, betreffend den Handel der Duala-Eingeborenen vom 19. Juni 1895, abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555. 722 Dazu näher Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 220, beschreibt das Strafrecht als Instrumentarium der Herrschaft der Kolonisierenden über die Kolonisierten; vgl. Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen, S. 50ff. 723 Dabei war bei den Deutschen die Familie Bell beliebter als die Familie Akwa, vgl. »König Aqua« mit »Rifle bewaffnet«, Eintrag von Woermann, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/4205, Bd. 4, KA IV Gr. 24 Vermischtes, S. 9, unter: https://invenio.bun desarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 724 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 4. 725 King Bell und King Akwa fürchteten bei Gerichtsprozessen um ihr Leben, vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 70f. 726 Eckert, Die Duala und die Kolonialmächte, S. 51; Austen/Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers, S. 7.

Zweite Station: Theodor Christaller

159

Bell«. Zu dieser politisch umkämpften Zeit versuchte Manga Ndumbe Bell, zwischen Interessen der Bevölkerungsgruppen zu vermitteln. War jedoch zum Anfang der deutschen Kolonialzeit die Position der »Kings« für die deutsche Kolonialmacht noch wichtig, damit die afrikanische Bevölkerung erfolgreich kontrolliert werden konnte, wurde die Stellung des »King Bell« mit dem Aufbau eines funktionierenden Verwaltungsapparats in Kamerun zunehmend bedeutungsloser.727 Dagegen war aus Sicht der Duala-Bevölkerung die Position des »King Bell« nach wie vor die mächtigste und wohlhabendste nicht-europäische Autorität.728 Die Quellenlage gibt keinen Aufschluss darüber, ob sich Manga Ndumbe Bell als neuer »King Bell« die hier untersuchte Federkrone von seinen Gefolgsleuten anfertigen ließ oder ob er diese von seinem Vater Ndumbe Bell erbte. Allerdings ist es plausibel, dass als erster für die heutige Provenienzforschung nachzuvollziehender Schritt Manga Ndumbe Bell – entweder im Rahmen der Erbfolge oder durch eine nach der Herstellung ergangenen Verfügung – rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer der Federkrone wurde.

III.

Zweite Station: Theodor Christaller

Battenberg schreibt in seiner Schilderung in Bezug auf die Provenienzgeschichte der Federkrone, dass Manga Ndume Bell kurz nach dem Dahomey-Aufstand – auch Dahomey-Krieg genannt – dem Missionar Theodor Christaller (1863– 1896) die Federkrone als Zeichen seines Dankes schenkte und übereignete. Folglich ist der nächste Schritt in der Besitzerkette der Federkrone zum einen eng mit der Anfangsgeschichte der Missionierung in Kamerun und zum anderen mit den Widerständen der afrikanischen Bevölkerungsgruppen gegen die deutsche Kolonialherrschaft verbunden. Der Missionar Theodor Christaller war eine interessante Persönlichkeit, die ihren Aufenthalt in Kamerun durch Briefwechsel und Tagebücher ausführlich dokumentiert hat. Aus diesem Nachlass729 lässt sich Aufschlussreiches für die Provenienz der Federkrone ableiten und eine Hypo-

727 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 159, spricht in Zentralkamerun von direkter Verwaltung und in äußeren Gebieten von »indirect rule« durch die deutschen Kolonisatoren. 728 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64ff., so musste Bell immer wieder in Gerichtsverhandlungen mit dem deutschen Gouverneur interagieren. 729 Böckheler verfasste 1897 eine Biografie auf Grundlage der Briefe und Tagebucheinträge von Theodor Christaller, vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 1ff.

160

Die Provenienz der Federkrone

these aufstellen, ob Christaller die Federkrone tatsächlich von »King Bell« geschenkt bekommen haben könnte.

1.

Der Missionar Christaller

Theodor Christaller wurde 1863 in eine evangelische Missionarsfamilie geboren. Im September 1886 wurde ihm mitgeteilt, dass er benötigt werde, um die Missionierung auf dem Kontinent Afrika zu fördern.730 Der Reichskanzler ernannte Christaller zum Reichsschullehrer Kameruns.731 Der junge Missionar zweifelte zunächst an der ihm übertragenen Aufgabe, denn zum damaligen Zeitpunkt galt Afrika als »Todesland«732 – »Wer es in Afrika für längere Zeit aushalten will, muß alle paar Jahre nach Europa zurück, damit sich der geschwächte Körper wieder erholen kann«733 – besonders die europäischen Kolonisierenden hatten in Kamerun mit Krankheiten und Klima zu kämpfen. Darüber hinaus war Kamerun zu dem Zeitpunkt, als Christaller sein Amt als Reichsschullehrer an der Küste Kameruns antreten sollte, noch verhältnismäßig wenig erschlossen.734 In Briefen beschreibt Christaller, dass er als Einziger mit »weißer Hautfarbe« inmitten der kamerunischen Dörfer wohnte. Dabei kannte er zunächst weder die Sprache der Duala noch die lokalen Gepflogenheiten.735 »King Bell« und »King Akwa« – verhandelten mit dem Gouverneur die Lage für das geplante Schulhaus, in dem der Reichschullehrer die Duala unterrichten sollte. Schließlich konnte »King Bell« sein »mboa« – das Dorf Bonamandone – als Standort für die Bildungsstätte durchsetzen.736 Zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft war das Interesse der Duala am Lernen europäischer Kulturen enorm. Anfangs forderten die Duala, dass 730 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 1. 731 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 3; vgl. Bundesarchiv – R 1001 / 4070, Bl. 9–16. Adolph Woermann bittet Reichskanzler Bismarck um Errichtung einer Schule, abgedruckt bei: Christel Adick/Wolfgang Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten – Eine kommentierte Quellensammlung aus den Afrikabeständen deutschsprachiger Archive 1884–1914 (2001), S. 65ff. 732 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, vgl. auch Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 512, »ein sehr ungesundes Gebiet«. 733 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 86. 734 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 86ff. 735 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 29. 736 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 32; Vgl. Bundesarchiv- R 1001 / 4072, Bl. 95, Abkommen zwischen dem Ortsvorsteher von Bonabela, Epea Kwala, und dem Gouverneur von Kamerun, Julius von Soden, über die Abtretung von Land nebst Gebäuden zur Errichtung einer Schule (1889), abgedruckt bei: Adick/Mehnert, Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten, S: 71ff.

Zweite Station: Theodor Christaller

161

Christaller bis zu 800 Jungen unterrichten sollte. Christaller und der Gouverneur überzeugten die Chiefs jedoch davon, dass zunächst nur 25–30 Schüler in einer notdürftigen Unterbringung unterrichtet werden könnten. Die ausgewählten Schüler waren zum Großteil die Söhne von »King Bell« und »King Akwa«.737 Gleichwohl war der Durst nach Wissen in der Bevölkerung der Duala – insbesondere bei den Duala-Frauen – groß.738 Um den Schulunterricht zu vereinfachen und größeren Teilen der Duala zugänglich zu machen, verfasste Christaller eine Fibel für die Schulen in Kamerun.739 Nach seinem ersten Jahr Aufenthalt in Kamerun, verteidigte er den Ruf der Duala-Bevölkerung gegenüber deutschen Händlern,740 – ein Indiz dafür, dass sich der Missionar im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Kaufleuten und Beamten unbefangener gegenüber den Duala positionierte. Christaller entwickelte sich zu einem wichtigen Vermittler zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden. Als erster Deutscher erforschte er umfassend die gesprochene DualaSprache und die einzigartige Trommelsprache der Duala,741 welche in den »mamboa« benutzt wurde, damit über weite Entfernungen Nachrichten und Warnungen von einem »mboa« in ein anderes übertragen werden konnten. Zudem übersetzte er weite Teile des Neuen Testaments in die Sprache der DualaBevölkerung und legte somit den Grundstein für die Missionierung Kameruns.742 Zunächst genoss Christaller unter der Duala-Bevölkerung ein hohes Ansehen: oftmals wurde der universalgelehrte Reichsschullehrer von der afrikanischen Bevölkerung um Rat gefragt oder gebeten, medizinische Eingriffe vorzunehmen. Da der Missionar ein Experte auf dem Gebiet der Duala-Sprache war, wurde Christaller zum wichtigsten Dolmetscher zwischen den Kolonisierten und Kolonisierenden. Dementsprechend war er bei vielen größeren Gerichtsverhandlungen der entscheidende Übersetzer:743 So wird in der Biografie angegeben, dass Christaller in der Anfangszeit der deutschen Schutzherrschaft über Kamerun alle »Gesetze und Verordnungen der Landesbehörde« in die Duala-Sprache übersetzt hat, damit diese auch für die Duala öffentlich verkündet werden konnten. Daher wird Christaller zunächst auch von Ndumbe Bell, dem derzeitigen »King Bell«, respektiert. Als Dank für die Wertschätzung ließ der Reichsschullehrer für »King Bell« einen eigenen Stempel anfertigen, damit dieser würdevoller seine Doku-

737 738 739 740 741 742

Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 29, 33. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 29, 34. Theodor Christaller, Fibel für die Volkschulen in Kamerun (1892), S. 3. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 41. Vgl. zur Trommelsprache, Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, S. 506. Vgl. Theodor Christaller, Mian˙go ma bwam ka ponda Mateo na Yohane – Das Evangelium nach Matthäus und Johannes in der Duala-Sprache (Kamerun) (1886). 743 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 72.

162

Die Provenienz der Federkrone

mente zeichnen konnte.744 Als Höhepunkt seines Wirkens beschreibt der Missionar den Bau des modernen Schulhauses im Dorf »Bonamandone«, in dem er fortan unterrichtete und lebte745 Gewiss ist die Biografie von Christaller darauf bedacht, den Missionar in ein gutes Licht zu rücken. Allerdings sind die verwerteten Briefe vom Reichsschullehrer keineswegs lediglich beschönigend. In den Belegen wird ebenfalls von Schwierigkeiten der Kolonisierung und von Selbstzweifeln gegenüber der eigenen Person berichtet, was für eine glaubhaftere Lebensbeschreibung spricht.746 Das scheinbar gut funktionierende Zusammenleben des Reichschullehrers mit der Duala-Bevölkerung war jedoch wechselhaft. Die Beziehung zwischen der Duala-Bevölkerung und der deutschen Besatzungsmacht verschlechterten sich zeitweise rapide.747 Mit der Schreckensherrschaft von Gouverneur von Zimmerer und seinem Stellvertreter Kanzler von Leist wuchs der Widerstand gegen die deutsche Schutzgewalt. Die Duala sowie andere kamerunische Bevölkerungsgruppen litten zunehmend unter drakonischen, menschenunwürdigen Behandlungen durch die Kolonialbesatzung. Hofften die Duala anfangs noch durch die Schutzherrschaft der Deutschen auf eine Verbesserung ihrer Situation, wurde durch das Betreiben eines rücksichtslosen Subimperialismus das Leben für die Bevölkerungsgruppe der Duala zunehmend schwieriger. Eine ernstzunehmende Bedrohung entstand für die Duala-Bevölkerungsgruppe. Schließlich entstand ein Großteil des Duala-Reichtums aus dem Umstand, dass sie Elfenbein, Palmöl und andere Güter im Hinterland günstig einkauften, um diese Waren mit Gewinn an die Europäer zu verkaufen.748 Durch die voranschreitende Kolonisierung des Gebiets der Duala wurde ihnen dieses Zwischenhandelsmonopol anfangs streitig gemacht und am Ende faktisch entzogen. Ihre wirtschaftliche Existenz als »middlemen« wurde stark bedroht bis sogar der Zwischenhandel rechtlich verboten und unter Strafe gestellt wurde.749 Immer mehr »mamboa« versuchten, sich der deutschen Herrschaft zu widersetzen. Auch die führenden Chiefs »King Bell« und »King Akwa« reagierten mit Unmut gegen die Deutschen und zogen den

744 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 45f. 745 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 58. 746 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64ff. 747 Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 4. 748 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64; vgl. Bohner, Ae Ntonga!, S. 14, nach welchem die Duala gerissene Händler waren; vgl. Buchner, Aurora colonialis, S. 71, nach welchem es ein erklärtes Ziel der Kolonisierenden war, das Zwischenhandelsmonopol der Duala aufzubrechen. 749 Verordnung des Gouverneurs, betreffend den Handel der Duala-Eingeborenen vom 19. Juni 1895, abgedruckt unter: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555.

Zweite Station: Theodor Christaller

163

Großteil der Schüler aus der Schule des Reichsschullehrers ab.750 Als »King Akwa« wegen eines Streits »King Bell« vor Gericht verklagte, übersetzte Christaller ein dem Angeklagten zur Last gelegtes Schriftstück. Der Gouverneur ließ im Rahmen der Gerichtsverhandlung den gefesselten »King Bell« zur weiteren Vernehmung auf ein deutsches Kriegsschiff bringen. Das Ansehen und Selbstverständnis der Duala-Bevölkerung wurde durch diesen Umgang mit »King Bell« erschüttert.751 In der Folge warf die afrikanische Bevölkerung Christaller vor, die internen Kenntnisse über die Duala-Sprache und weitere Volksgeheimnisse der Duala in feindseliger Absicht offengelegt zu haben. Der ehemals hochangesehene Christaller verließ nunmehr das Schulhaus kaum noch und führte zu jedem Zeitpunkt eine geladene Waffe mit sich, aus Angst, Opfer der Wut der Duala zu werden.752 In der Folgezeit wurde dem Missionar offen mitgeteilt, dass er im Falle eines Kriegs das erste deutsche Opfer werden würde, schließlich lebe er ja mitten unter den Duala und sei einfach zu erreichen.753 Die Biografie des Reichsschullehrers zeigt das komplizierte Verhältnis zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden auf. Zwar lässt sich Christaller als ein grundsätzlich unvoreingenommener und unter der Duala-Bevölkerung angesehener Deutscher resümieren, allerdings war die Beziehung des Missionars zu dem »mboa« von King Bell wechselhaft. Erst als Christaller »King Bell« und »King Akwa« in einem späteren Prozess vor Gericht verteidigte und einen Freispruch für die Duala-Chiefs erwirkte, war das Ansehen des Reichsschullehrers wiederhergestellt.754 Zu resümieren ist, dass sich das Verhältnis zwischen Christaller und den Duala verbesserte, je Länger der Reichsschullehrer in Kamerun lebte. Davon zeugt auch die Namensgebung seines Sohns. Christallers Sohn wurde auf den Namen »Otto Rudolf Ndumbe« getauft. Aus dem deutsch-afrikanischen Namen lässt sich eine Wertschätzung des Missionars gegenüber den Duala ableiten. Als in der Folgezeit erstmalig eine »weiße« Frau755 und ein »weißes« Baby innerhalb den »mamboa« lebten, war das Aufsehen unter der afrikanischen Bevölkerung groß und die Familie Christaller beliebt.756

750 751 752 753 754 755

Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 65. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64f. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 69ff. Anfangs wanderten nur wenige Frauen als Siedlerehefrauen, Missionarinnen oder als Krankenpflegerin in die deutschen Kolonien aus, vgl. Anette Dietrich, Weiße Weiblichkeiten – Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus (2007), S. 253f., vgl. Knoll/Hiery, The German Colonial Experience, S. 389, nach welchen evident weniger deutsche Frauen als Männer in Kamerun lebten. 756 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 107f.

164 2.

Die Provenienz der Federkrone

Der Dahomey-Aufstand

Battenberg schildert in der Provenienzgeschichte der Federkrone, dass Christaller im Rahmen des Dahomey-Aufstands den jungen Manga Ndumbe Bell – den zu diesem Zeitpunkt herrschenden »King Bell« – vor dem Gouverneur verteidigte und als Dank von diesem die Federkrone geschenkt bekam. Der Dahomey-Aufstand757 ereignete sich als Reaktion auf eines der schwerwiegendsten Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht während der deutschen Kolonialzeit. Die als Sklaven gekauften Dahomey mussten in der Polizeitruppe des Gouverneurs Zwangsarbeit verrichten. Als Zwangsarbeiter erhielten die Dahomey keinen Lohn vom Gouvernement, da von dem einbehaltenen Lohn die »Schulden« ihres Kaufpreises abgetragen wurden.758 Kanzler Leist sorgte bereits vor dem Dahomey-Aufstand für menschenverachtende Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter, allerdings eskalierte die Lage im Dezember 1893, als der despotische Kanzler die Frauen der Dahomey-Polizeisoldaten auf den Stadtplatz versammeln, entkleiden und vor den Augen Ihrer Männer auspeitschen ließ.759. Als Reaktion darauf rebellierten die Dahomey gegen die deutsche Kolonialmacht. Es gelang ihnen, verschiedene Regierungsgebäude und Teile des Gouvernements zu erobern, jedoch konnte das Hauptziel der Revolte – Kanzler von Leist – flüchten. Letztendlich wurde der Aufstand von der deutschen Marine niedergeschlagen und fast alle Aufständischen gehängt.760 Auch Theodor Christaller war von den Auswirkungen des Dahomey-Aufstands betroffen.761 Der Missionar lebte zum Zeitpunkt des Aufstands mit seiner Frau Sofie Christaller und seinem etwa einjährigen Sohn im Dachgeschoss des Schulhauses in Bonamandone. In der Nacht des Aufstands wurde Christaller und dessen Familie vom Lärm der Gefechte geweckt.762 Während sich die Familie im Schulhaus verschanzte, eilte Manga Ndumbe Bell, der junge »King Bell«, zum Schulhaus, um den Reichsschullehrer vor den Aufständischen zu warnen.763 757 Zur Vertiefung: Florian Hoffmann, Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun – Etablierung und Institutionalisierung des kolonialen Gewaltmonopols, Teil I, S. 78ff.; Brommarius, Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, S. 32ff.; Austen/ Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers, S. 98. 758 Vgl. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 154. 759 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, S. 156ff., mit Hinweis auf eine anonyme Quelle. 760 Rüger, Der Aufstand der Polizeisoldaten (Dezember 1893), S. 97ff. 761 Dazu näher Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128ff. 762 Vgl. Brommarius, Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, S. 32f. 763 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128: »Da kommt Manga Bell, – der seit kurzem, nachdem sein Vater abgedankt, die Häuptlingswürde übernommen hat – ohne Waffen, was die friedliche Absicht verkündet, aber in höchster Eile die Treppe herauf.«

Zweite Station: Theodor Christaller

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Manga Ndumbe Bell erklärte der Familie Christaller, dass es sich um einen kriegsartige Revolte der Dahomey-Bevölkerung gegen die Kolonialherren handeln würde und versicherte dem Reichsschullehrer, dass die Duala nicht am Aufstand beteiligt seien. Durch die Warnung Bells gelang es dem Reichsschullehrer, zu einem angrenzenden Flussbett zu fliehen, wo die Familie schließlich von einem deutschen Boot an Bord genommen wurde.764 In den angrenzenden Flüssen patrouillierten die deutschen Schiffe, die »Nachtigal« und die »Soeden«, welche die Rettungsaktion für deutsche Personen durchführten.765 Der ganz überwiegende Teil der deutschen Zivilisten wurde in der Nacht des Aufstands von deutschen Marinesoldaten auf die »Nachtigal« gebracht, auf welcher auch Kanzler von Leist und sein Gefolge auf die Ankunft der Marine warteten. Doch Christaller und seine Familie wurden unter Protest auf die »Soeden« verbracht, welche für die Erstbekämpfung des Aufstandes das Ufer bombardierte. Christaller vermutete dahinter ein beabsichtigtes Manöver des »verhassten«766 Kanzlers. Der Reichsschullehrer vermutete ein Komplott des Kanzlers, um die Familie Christaller und der von ihm verkörperten »in den Tod verhaßten evangelischen Mission« der Möglichkeit auszusetzen, von einer Kugel der Aufständischen getroffen zu werden oder zumindest den Missionar als »Mitkämpfer gegen die Revolution« zu diffamieren.767 Im Laufe der Nacht traf das deutsche Kriegsschiff »Hyäne« am Ort des Geschehens ein und schlug mit überlegender Waffengewalt den Aufstand der Dahomey nieder. Die wenigen Überleben und Geflüchteten wurden einige Tage später zum Tode verurteilt.768 Nach Battenbergs Darstellungen769 wurde auch Manga Ndumbe Bell der Prozess gemacht, da er der Komplizenschaft beim Dahomey-Aufstand verdächtigt wurde. Bei diesem soll sich Christaller abermals als fähiger Dolmetscher und Verteidiger für den neuen »King Bell« eingesetzt haben. Als Reaktion darauf soll der zum Dank verpflichtete Manga Ndumbe Bell dem Reichsschullehrer die Federkrone geschenkt haben. In der Tat lässt sich durch die Quellenlage770 die Rolle Christallers als Missionar und Verteidiger im Geflecht der Duala-Gesellschaft gut rekonstruieren. 764 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128. 765 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 131ff. 766 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 131 die Ausführungen lassen die Verachtung von Christaller gegenüber Kanzler Leist besonders deutlich werden. 767 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 131 in Bezug auf die mündlichen Aussagen von Kanzler Leist. 768 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 133. 769 Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949, vgl. Anhang B., Abb. 2. 770 Dazu näher die umfassende Biografie von Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 1ff.

166

Die Provenienz der Federkrone

In der Biografie über Christaller wird berichtet, wie der Reichsschullehrer an Prozessen gegen King Bell und King Akwa als Übersetzer und als Vermittler tätig war. Außerdem dokumentierte Christaller durchaus seine Abneigung gegenüber Kanzler von Leist und es wurde festgehalten, dass es kein geringer als Manga Ndumbe Bell gewesen sein soll, der die Familie des Missionars vor dem Dahomey-Aufstand warnte.771 In Bezug auf die Quellenauswertung ist es jedoch gerade die sehr ausführliche Dokumentation über Christallers Erlebnisse rund um den Dahomey-Aufstand, die Zweifel zur Provenienz der Federkrone aufwirft:772 Weder die rechtliche Verteidigung des Manga Ndumbe Bell, noch die große Ehre, die Federkrone von »King Bell« als Dankesgeschenk überreicht zu bekommen, finden in der biografischen Auswertung von Christallers Briefen und Tagebüchern Erwähnung. Warum sollte der Missionar Theodor Christaller gerade dieses besondere Ereignis nicht dokumentiert haben?

IV.

Dritte Station: Sofie Christaller

Battenberg schreibt in der Verkaufsofferte der Federkrone an das Völkerkunde Museum in Frankfurt, dass Sofie Christaller – die Frau von Theodor Christaller – die Federkrone der Bell nach Deutschland verbracht haben soll. Sofie Christaller und Theodor Christaller lernten sich 1891 in Deutschland kennen. Sie war bereit mit dem Missionar im Kamerun zu leben, woraufhin das Paar bereits kurze Zeit später heiratete.773 Als Sofie Christaller in Kamerun ankam, sahen viele Kolonisierte zum ersten Mal eine europäische Frau.774 Die wenigen Frauen unter den Kolonisierenden waren meistens im Bereich der Krankenpflege tätig oder waren mitausgewanderte Ehefrauen deutscher Kolonialisten.775 Sofie Christaller lebte von nun an mit im Schulgebäude in Bonamandone.776 Es wird berichtet, dass sich die Ehefrau des Reichsschullehrers schnell an die Le771 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128. 772 Vgl. etwa Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 128ff. 773 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 88. 774 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 93; vgl. Dietrich, Weiße Weiblichkeiten, S: 253f. 775 Anfangs wanderten nur wenige Frauen als Siedlerehefrauen, Missionarinnen oder als Krankenpflegerin in die deutschen Kolonien aus, vgl. Dietrich, Weiße Weiblichkeiten, S: 253f.; vgl. Knoll/Hiery, The German Colonial Experience, S. 389: »In many German colonies the biggest group of expatriate women were catholic missionaries, nuns, of whom we know next to nothing.«; vgl. Lora Wildenthal, German Women for Empire, 1884–1945 (2001), S. 13. 776 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 96; vgl. Knoll/Hiery, The German Colonia Experience, S. 389, nach welchen in Kamerun die Dis-

Vierte Station: Dr. Ludwig Kurt Friedrich Battenberg

167

bensbedingungen in Kamerun gewöhnte.777 Sofie Christaller eröffnete eine Nähschule für Duala-Frauen und gab somit erstmalig Frauen die Möglichkeit, die Reichsschule zu nutzen.778 Nachdem Sofie Christaller Mutter wurde, litt sie häufiger unter einem schlechten Gesundheitszustand. Schließlich trat sie mehrere Erholungsaufenthalte in Ihrer Heimat im Schwarzwald an. Im Jahr 1906 starb während eines solchen Theodor Christaller in Kamerun am Schwarzwasserfieber.779 Welche Objekte Sofie Christaller von Ihren Aufenthalten in Kamerun nach Deutschland brachte, lässt sich nicht rekonstruieren. Ferner ist weder bekannt, wie mit dem Nachlass von Theodor Christaller umgegangen wurde, noch welche Besitztümer nach Deutschland zu den Erben verbracht wurden. Ob das Ehepaar Christaller die Federkrone bereits früher nach Deutschland mitnahm oder ob sie als Teil des Nachlasses des Missionars nach Deutschland verschifft wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Es kann nur auf der Grundlage der Verkaufsofferte davon ausgegangen werden, dass die Federkrone im Besitz von Sofie Christaller nach Deutschland überführt wurde.

V.

Vierte Station: Dr. Ludwig Kurt Friedrich Battenberg

Battenberg selbst dokumentierte, dass er die Federkrone von Sofie Christaller geschenkt bekam. Dr. Ludwig Battenberg (1890–1964) kam als Sohn eines Pfarrers am 26. Januar 1890 in Hessen zur Welt.780 Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte zum Doktor der Rechtswissenschaft mit einer Abhandlung über »Das auf Befehl begangene Verbrechen«781. Von 1924 bis 1928 war der Pfarrerssohn ein aktives Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Mit dem voranschreitenden Strukturwechsel in Deutschland entwickelte sich Battenberg zum »innerlich hundertprozentigen Nationalsozialisten« und etablierte sich rasch in der Verwaltung der Stadt Herrenberg.782 Seine politische Positio-

777 778 779 780 781 782

krepanz zwischen den Geschlechtern größer war als in allen anderen deutschen Kolonien. Auf eine deutsche Frau in Kamerun kamen 6,8 deutsche Männer. Vgl. Böckheler – Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 101. Vertiefend zur Bildung für Mädchen und Frauen in Kamerun Adick/Mehnert, S. 305ff. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 148ff. Michael Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein – Beamte im deutschen Südwesten 1928 bis 1972 (1996), S. 109. Vgl. Ludwig Battenberg, Das auf Befehl begangene Verbrechen (1916). Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 109, nach welchem sich Battenberg frühzeitig in »denunziatorischer Manier« gegenüber nationalsozialistisch-kritischen Politikern positionierte.

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Die Provenienz der Federkrone

nierung erklärte Battenbergs insbesondere mit seinem Herzenswunsch, die »Zertrümmerung des Parlamentarismus« voranzutreiben, eine Angelegenheit, welche »aber nur von den Nationalsozialisten zu erhoffen« war.783 Der literarisch begabte Battenberg verfasste im weiteren Verlauf seiner Karriere unter dem Pseudonym »Kurt Eckhard« eine Kampfschrift für den Nationalsozialismus. Hinter dem kritischen Titel des Werks (Fieberkurve oder Zeitenwende? Nachdenkliches über den Nationalsozialismus) versteckte sich eine nationalsozialistische Propagandaschrift,784 welche ihrem Kern nach an der Schnittstelle zwischen Bildungsbürgertum und Nationalsozialismus ansetzen sollte.785 In dieser Kampfschrift forderte er von dem bürgerlichen Flügel Unterstützung für die NSDAP, da sich diese als einzige stringente politische Einheit für »Antiparlamentarismus, Antisemitismus und Antibolschewismus« starkmachen würde.786 Doch trotz der vom Pfarrerssohn gelebten Euphorie für den Nationalsozialismus und der propagierten Dysphorie gegenüber dem Judentum ist Battenberg nur schwerlich als gradliniger Nationalsozialist einzuordnen. Denn nach seinem Positionierung innerhalb der hessischen Verwaltung als Herrenberger Landrat,787 war Battenberg am 29. März 1933 als Staatskommissar für die Bezirks- und Körperschaften mit der personellen »Gleichschaltung« amtlich betraut.788 Diese Beförderung war durchaus überraschend, denn Battenberg war innerhalb der Verwaltung bereits bekannt für sein Temperament, seine Ambivalenz und eine damit verbundene Gefahr für seine Kollegen.789 Der »unberechenbare« Battenberg verteidigte auf diesem Posten von den Nationalsozialisten bedrängte Beamte und Bürgermeister bis ihm deswegen wenig später das Amt als Staatskommissar für die Bezirks- und Körperschaften mit der personellen »Gleichschaltung« aberkannt wurde.790 Kollegen schilderten Battenberg als »Stänkerer«, welcher vor allem aus krankhaftem und überambitioniertem Karrierestreben die NSDAP als Trittbrett benutzte.791 783 Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 53. 784 Vgl. Ludwig Battenberg, Fieberkurve oder Zeitenwende? Nachdenkliches über den Nationalsozialismus, 4. Auflage 1933, Vorwort zur ersten Auflage: »Die hier vorliegende Schrift steht dem Nationalsozialismus bejahend gegenüber.« 785 Vgl. Battenberg, Fieberkurve, Vorwort zur ersten Auflage: »Als Hilfe für diese Volksgenossen, die im Grunde ihres Herzens politisch heimatlos geworden sind, die den Glauben an ihre angestammte »bürgerliche« Partei eigentlich längst verloren haben.« 786 Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 109; vgl. ferner antisemitischen Abhandlungen bei Battenberg, Fieberkurve, S. 45ff. 787 Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 109. 788 So wurde Battenberg eine »eigenartige Persönlichkeit« attestiert, vgl. Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 110, m. w. N. 789 Vgl. Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 109f. 790 Vgl. Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 110. Jedenfalls wurde Battenberg vorgehalten, er lasse es an dem notwendigen Einsatz vor Ort mangeln. 791 Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 110.

Fünfte Station: Völkerkundemuseum Frankfurt

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Battenberg heiratete Mathilde, geborene Kolb, die Nichte von Sofie Christaller. Nach eigenen Angaben nahm das Ehepaar Battenberg die verarmte Witwe in den Haushalt auf. Allerdings bezeichnete er weder die genauen Umstände noch das Datum für die Zeit, in der Sofie Christaller im Haushalt Battenberg gewohnt haben soll. Battenberg gab an, dass ihm die Witwe Christaller kurz vor ihrem Tod die Federkrone geschenkt habe, wobei der juristisch gebildete Battenberg den Nachweis auf einen formalen Schenkungsvertrag unterlässt. Allerdings führte er aus, dass Sofie Christaller über einen einwandfreien geistigen Zustand verfügt habe.792

VI.

Fünfte Station: Völkerkundemuseum Frankfurt

Zuletzt verkaufte und übereignete Battenberg 1949 die Federkrone an das Völkerkundemuseum Frankfurt am Main – dem heutigen Weltkulturen Museum. Der akademisch gebildete Battenberg verfasste eine außergewöhnlich ausführliche Verkaufsofferte am 7. 7. 1949 an den damaligen Präsidenten des Völkerkundemuseums. Die sich erst langsam erholende deutsche Wirtschaft und die noch anhaltende Inflation zwangen Battenberg zum Verfassen einer derart ausführlichen Verkaufsofferte sowie zum Verkauf der Federkrone. Aus dem Brief an den Museumsdirektor lässt sich schlussfolgern, dass bei dem Ehepaar Battenberg zu dieser Zeit finanzielle Knappheit vorherrschte. Bereits mehrere erfolglose Verkaufsangebote – »München und Stuttgart haben zwar starkes Interesse, bieten aber keinen diskutablen Preis«793 – bewirkten, dass Battenberg versuchte, durch eine ausführliche Beschreibung des Objekts und seiner Provenienz die Verkaufsofferte vielversprechend erscheinen zu lassen – mit Erfolg. 1949 kaufte das Völkerkundemuseum für 200 DM die Federkrone von Battenberg. Die Federkrone wurde daraufhin dem Museum übereignet, in welchem sie bis zum heutigen Tag verblieben ist.794 Das Völkerkundemuseum Frankfurt wurde 2001 in »Weltkulturen Museum« umbenannt.795 Heute versteht es sich als »ein ethnologisches Museum, das sich der interdisziplinären Zusammenarbeit verpflichtet hat. Es arbeitet an der Schnittstelle von Ethnologie und Kunst«.796 792 Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949, vgl. Anhang B., Abb. 2. 793 Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949, vgl. Anhang B., Abb. 2. 794 Stand: Juli 2021. 795 Dazu näher unter: https://www.weltkulturenmuseum.de/de/museum/geschichte/ (abgerufen am: 1. 4. 2022). 796 Dazu näher unter: https://www.weltkulturenmuseum.de/de/museum/ueber-uns/ (abgerufen am: 1. 4. 2022).

170

VII.

Die Provenienz der Federkrone

Resümee

Battenberg erkannte, wie wichtig es war, die Herkunft eines Objekts möglichst genau dazustellen. In der überlieferten Verkaufsofferte zeichnet er den Weg des Objekts in seinen Besitz nach. Jedoch sind die Ausführungen zur Provenienz der Federkrone vermutlich nicht ohne jegliche subjektive Färbung entstanden. Schließlich stellte Battenberg die Geschichte der Provenienz nicht nur als Historiker, sondern auch in der Rolle eines Kaufmanns dar. Bewegt durch finanzielle Nöte in der Nachkriegszeit versuchte er bereits bei anderen Museen, das afrikanische Kulturobjekt zu einem lohnenden Preis zu verkaufen – ohne Erfolg. Durch seinen ausführlichen Brief an den Präsidenten des Völkerkundemuseums Frankfurt versuchte er Interesse an dem Veräußerungsgegenstand zu wecken und den Verkaufspreis in die Höhe zu treiben. Honi soit qui mal y pense, gleichwohl liegt es auch nicht außer aller Wahrscheinlichkeit, dass Battenberg willentlich die Verkaufsofferte so attraktiv wie möglich gestaltete und dabei gegenüber dem potenziellen Erwerber die Möglichkeit jeglicher Vindikationsansprüche von Dritten als unbegründet darstellen wollte. Zudem lässt die charakterliche Färbung Battenbergs als Opportunist, gekonnter Selbstdarsteller und Verfasser propagandabehafteter Pamphlete797 die von ihm verfasste Provenienzgeschichte der Federkrone nicht in einem glaubhaften Licht erscheinen. Ungeachtet etwaiger Beschönigungen der Provenienzgeschichte fiel die Wahl auf die kamerunische Federkrone als Objekt für diese exemplarische Untersuchung. Das hängt damit zusammen, dass die Darstellung zur Provenienz der Federkrone zum einen durch Battenbergs Brief in Relation zu anderen afrikanischen Kulturgütern äußert umfangreich ist, zum anderen, dass über die beteiligten Akteure Quellenberichte existieren. So waren Christaller und Manga Ndumbe Bell Figuren des öffentlichen Lebens in Kamerun, über welche es einen auswertbaren Quellenkorpus gibt. Hingegen verfügen viele andere afrikanische Objekte in deutschen Museen und Magazinen über keine oder nur vereinzelte Hinweise zur Provenienz.798 Die Informationen zu den Objekten in den Archiven der Museen sind oftmals lückenhaft. Gibt es für ein Objekt Anhaltspunkte, aus welcher Sammlung der Gegenstand erworben oder in welchem Land es in Besitz genommen wurde, so können sich die Provenienzforscher*innen bereits glück-

797 Dazu vorstehend in 4. Kapitel V. 798 Larissa Förster, Problematische Provenienz, in: Problematische Provenienz, in: Deutsches Historisches Museum (Hg.), Deutscher Kolonialismus, Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart (2016), S. 159, beschreibt die Dokumentation in deutschen Museen als »oftmals spärlich«.

Resümee

171

lich schätzen, denn teilweise liegen den Museen nur rudimentäre Informationen hinsichtlich der Herkunft der Kulturgüter vor.799 Bezüglich der Federkrone sind die Ausführungen Battenbergs die Primärquelle für deren Provenienz, welche auf ihre Schlüssigkeit untersucht werden muss. Bei der Betrachtung der Provenienzgeschichte lassen sich zumindest hinsichtlich des Verkaufs an das Völkerkundemuseum durch Battenberg und der Vererbung der Federkrone keine belegbaren und daher substantiierten Zweifel anbringen. Etwas anderes gilt für die Schenkung der Krone von Sofie Christaller an Ludwig Battenberg. Hier dokumentiert Battenberg auffällig ausführlich und lebhaft, dass Sofie Christaller »geistig frisch war«800 – fast so, als wäre er sich des naheliegenden Zweifels bewusst gewesen. Verstärkt wird ein solcher Eindruck durch die opportunistische Persönlichkeit Battenbergs.801 Auf Grundlage dessen könnte vermutet werden, dass Sofie Christaller zum Zeitpunkt einer etwaigen Schenkung und der Vollziehung derselben durch die Übereignung der Krone geschäftsunfähig gewesen sein könnte. Gleichwohl wäre dieser Überlegung entgegenzuhalten, dass es sich mangels substantiierter Hinweise hierbei um eine bloße Unterstellung handeln könnte. Die wichtigsten Rückschlüsse auf die Provenienz können jedoch aus dem Besitzwechsel von »King Bell« Manga Ndumbe Bell zum »ersten deutschen Reichsschullehrer« Theodor Christaller gezogen werden. Welches Maß an Legitimation lässt sich aus dem etwaigen gemischtrechtlichen Vertrag zwischen Bell und Christaller ableiten? Maßgeblich ist, ob eine Einigung für das gemischtrechtliche Kausal- und Verfügungsgeschäft vorlag. Die Einigung müsste derart frei von Willensmängeln und struktureller Benachteiligung gewesen sein, dass sie nach einer intertemporal korrigierten Betrachtung der damaligen Rechtslage – daher revidiert durch eine lückenschließende Interpretation und berichtigt von tatsächlichen Fehlvorstellungen – wirksam gewesen wäre. Derartige Grenzen der Wirksamkeit könnten überschritten worden sein, hätten die Parteien gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) verstoßen, ein sittenwidriges Rechtsgeschäft (§ 138 BGB) abgeschlossen, oder es hätte sich ein rassistisch-strukturelles Ungleichgewicht auf den Vertrag ausgewirkt.802

799 Vgl. Christoph Zuschlag, Provenienz – Restitution – Geschichtskultur, in: Sandkühler/Epple/ Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit (2021), S. 429–447, 441f.: »Doch häufig, sehr häufig bleiben Lücken oder Unklarheiten. Wie mit unvollständigen oder unklaren Provenienzen umzugehen ist, gehört zu den schwierigsten Fragen im Zusammenhang mit der Provenienzforschung.« 800 Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an den Herrn Direktor des Museums für Völkerkunde in Frankfurt (Main), vom 7. 7. 1949, vgl. Anhang B., Abb. 2. 801 Dazu vorstehend in 4. Kapitel V. 802 Dazu vorstehend in 3. Kapitel VI.

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Die Provenienz der Federkrone

Das Rechtsgeschäft zwischen Manga Ndumbe Bell und Theodor Christaller steht in einem engen Verhältnis zu der Geschichte der Duala und zu der deutschen Kolonisation Kameruns. Wird die Lebensweise der Duala-Bevölkerung in den vielen dorfartigen »mamboa« entlang der Küste betrachtet, dann wird deutlich, dass der Kolonialismus mit seinen Auswirkungen auf Handel, Technologie und Gewalt das Gesellschaftskonzept der Duala überlastete.803 Die mächtige afrikanische Gesellschaft befand sich bereits vor der deutschen Annexion in der Krise.804 Insbesondere in der Anfangszeit des deutschen Kolonialismus war die Situation an der Küste Kameruns ein Pulverfass.805 In dieser schwierigen Lage begann Theodor Christaller als Reichsschullehrer einer Missionarsschule sein Leben in Kamerun.806 Christaller war einer der wenigen Deutschen, der nicht in der Nähe des Gouvernements, einer Beamtenstation oder einer Fabrik der Deutschen lebte. Vielmehr wohnte er in einem kleinen »mboa« mit der kamerunischen Bevölkerung zusammen. Zwar war das Verhältnis zwischen den Duala und Theodor Christaller wechselhaft, doch in der Gesamtschau kann Christaller eine Rolle als Vermittler zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden attestiert werden, dem gegenüber teilweise Sympathie, teilweise Argwohn gehegt wurde – abhängig davon, wie sich die Duala-Chiefs mit der kolonialen Besatzungsmacht verstanden.807 Gemäß der von Battenberg ausgeführten Provenienzgeschichte war es Manga Ndumbe Bell, der Theodor Christaller die Krone als Zeichen seiner Dankbarkeit schenkte. Laut Battenberg wurde die eindrucksvolle Schenkung damit begründet, dass sich der Reichsschullehrer gegenüber dem Gouvernement für die Unschuld des »King Bell« im Rahmen des Dahomey-Aufstands verbürgte. Diese Darstellung wirkt zunächst plausibel, wenn die oftmals von Gerichtsverhandlungen ausgehende (Lebens-)Gefahr für »King Bell« und »King Akwa« in Erwägung gezogen wird.808 Hätte sich innerhalb dieser Gerichtsverhandlung der Reichsschullehrer als Dolmetscher und Verteidiger tatsächlich für die Unschuld von Manga Ndumbe Bell verbürgt, so könnte in der Tat von einem ganz außergewöhnlichen Dankbarkeitsgeschenk ausgegangen werden. Würde ferner davon ausgegangen, dass sich Bell und Christaller respektierten oder sogar anfreundeten, dann könnte daraus folgen, dass sich die beiden als gleichberechtigte Rechtssubjekte in Hinsicht auf das gemischtrechtliche Rechtsgeschäft der Schenkung einigten. Dies würde bedeuten, dass sich aus dem gemischtrechtlichen Verhältnis ein großes Maß an Legitimität für die Pro803 804 805 806 807 808

Dazu vorstehend in 4. Kapitel V II 1. Dazu vorstehend in 4. Kapitel II 1. Dazu vorstehend in 4. Kapitel II 2. Dazu vorstehend in 4. Kapitel III 1. Dazu vorstehend in 4. Kapitel V III 1. Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64f., 70.

Resümee

173

venienz der Federkrone ergeben würde. Für ein solchen Gang der Dinge spricht die ausführliche Biografie Christallers, in welcher diesem glaubhaft ein gutes Verhältnis zu den Duala attestiert wurde. Letztendlich spricht dafür auch, dass Christaller seinem Sohn auf den Beinamen »Ndumbe« taufte.809 Allerdings wäre auch ein anderer Gang der Geschichte denkbar. Hätte Manga Ndumbe Bell aufgrund des Dahomey-Aufstands um seine Sicherheit gefürchtet, dann stünde der damalige »King Bell« mit dem Rücken zur Wand. Bedingt durch die akute Lebensgefahr in der rechtlichen Verhandlung gegen ihn wäre mutmaßlich sogar der mächtigsten Person der Duala-Bevölkerung jedes Mittel recht gewesen, um die drohende Gefahr von sich und seinem Volk abzuwenden. Christaller könnte auch die Krone als Bezahlung gefordert haben, damit sich der Reichsschullehrer mit seiner Einflussnahme gegenüber den deutschen Gerichten und dem Gouvernement für den »King Bell« verbürgen würde. Manga Ndumbe Bell wäre sicherlich gewillt gewesen, jeglichen Preis zu zahlen, welcher womöglich sein Leben retten würde. Freilich wäre es sogar denkbar, dass Christaller die Notsituation des damaligen King Bell noch auf drastischere Weise ausnutzte und diesen beispielsweise planmäßig erpresste, um so die seltene Federkrone zu erlangen. Für dieses Vorhaben hätte Christaller zum einen die Lebensgefahr, die von der bevorstehenden Gerichtsverhandlung ausging, aber auch das Wissen, dass Manga Ndumbe Bell höchstwahrscheinlich keinen gemischtrechtlichen Rückforderungsanspruch erfolgreich hätte geltend machen können, ausgenutzt. Eine Veräußerung der Federkrone von Manga Ndumbe Bell an Theodor Christaller in einer Notsituation wäre jedenfalls sehr plausibel. In diesem Fall würde aus der gemischtrechtlichen Einigung keine Legitimität erwachsen.810 Gewiss lassen sich für beide Kausalverläufe gute Argumente finden. So könnte man für die erste Alternative das gute Verhältnis zwischen Manga Ndumbe Bell und Theodor Christaller sowie das schlechte Verhältnis zwischen dem Reichsschullehrer und Kanzler von Leist anführen. Für die zweite Alternative könnte vorgebracht werden, dass in den sehr ausführlichen Briefen und Tagebucheinträgen von Theodor Christaller – es wird teilweise über etwas so Banales wie den Verkauf eines Bananenblatts berichtet811 – der Erwerb der Krone überraschenderweise keinerlei Erwähnung gefunden hat. Ein so außergewöhnliches Ereignis würde sicher nur dann nicht dokumentiert werden, wenn es entweder nie stattfand oder wenn das zu Grunde liegende Rechtsgeschäft mit einem Makel

809 Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 107f. 810 Keineswegs war das Verhältnis von Christaller zur Familie Bell stets harmonisch. So wird berichtet, dass abwertende Äußerungen Christallers gegenüber Chief Bell in der deutschen Zeitung abgedruckt worden sind, vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 65. 811 Vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 62.

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Die Provenienz der Federkrone

behaftet wäre. Auch ergaben Gespräche mit Paule-Clisthène Koudjou Dassi812 und mit Prof. Albert Guaffo,813 dass es äußert unwahrscheinlich wäre, dass die Federkrone jemals freiwillig aus dem Bell-Lineage veräußert worden wäre. Die beiden afrikanischen Wissenschaftler*innen waren sich schließlich laut eigener Aussage in einer Sache sicher. Nach den geläufigen Traditionen der Bell-Familie müsste die Federkrone des »King Bell« stets an den ältesten Sohn weitervererbt werden. Ihrer Meinung nach, wäre es wahrscheinlicher, dass ein anderer Gegenstand als etwaiges Dankesgeschenk ausgewählt worden wäre. Man darf annehmen, dass die Federkrone nicht das einzige Objekt des King Bell war, die seine Macht und seinen Reichtum dokumentierte. Wenn die Annahme zutreffend ist, dass die Krone eines der wichtigsten Symbole der Herrschaft – vergleichbar mit der Bedeutung einer solchen in europäischen Königshäusern – war, erscheint es wenig plausibel, dass ausgerechnet dieses Symbol und damit implizit ja auch die Herrschaftsgewalt an Christaller übergeben wurde.

812 Vgl. Anhang A., Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts. 813 Die Aussage von Prof. Albert Guaffo erfolgte in einem nicht protokollierten Workshop in einem PAESE-Meeting im Landesmuseum Hannover im Herbst 2019.

5. Kapitel: Ergebnisse und Fazit

Die vorstehenden Ausführungen zum Kolonialrecht und dessen Auswirkungen auf das koloniale Zusammenleben zeigen auf, wie wichtig es ist, das rechtliche Fundament der damaligen Kolonialisierung Afrikas zu untersuchen. Dabei wird klar, dass es sich beim Kolonialrecht um ein Rechtsgebiet handelt, welches rechtshistorisch gewiss noch nicht erschöpfend erforscht ist.814 Dabei ist die Wichtigkeit dieses Forschungsbereichs immens. Schließlich veränderten die Kolonialmächte mit ihrer kolonialen Expansion die globalen Machtstrukturen nachhaltig.

I.

Ergebnisse für das Kolonialrecht

Die Untersuchung des Kolonialrechts zeigt, dass das Kolonialrecht in stetigem Kontext zu Dynamiken der Kolonialisierung Afrikas stand. Das Recht als solches wurde von den Kolonisierenden in besonderer Weise zur Legitimation einer von Hegemonie815 geprägten Kolonialherrschaft benutzt. Für die Annexion riesiger afrikanischer Gebiete wurde sich entweder der rechtlichen Kategorie der »Herrenlosigkeit« bedient816 oder es wurden »quasi-völkerrechtliche« Annexionsverträge zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten abgeschlossen.817 Doch das Kolonialrecht sollte darüber hinaus nicht nur das Fundament der ersten Besitzungen auf einem fremden Kontinent durchdringen, sondern prägte auch maßgeblich die alltäglichen rechtlichen Interaktionen in den Schutzgebieten. Somit war das Kolonialrecht eine wichtige Begleiterscheinung einer neuen, glo814 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 202; dazu vorstehend in Einleitung III. 815 Vgl. Thiemeyer, Deutschland postkolonial – Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, S. 262: »Kolonialgeschichte ist immer eine Geschichte von ungleicher Macht und Repression.« 816 Vgl. in Bezug auf Afrika Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 15; vgl. Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, S. 8. 817 Deren Konsens es durchaus gilt, in Frage zu stellen. Dazu vorstehend in 1. Kapitel IV 1.

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Ergebnisse und Fazit

baleren Weltordnung, welche sich durch eine asymmetrische Machtstruktur auszeichnete. Wird als einer der Hauptzwecke der deutschen Kolonien ihre wirtschaftliche Ertragsfähigkeit begriffen818 und werden die historischen Verbrechen gegenüber der Menschlichkeit vergegenwärtigt, so wird in der Ableitung für das von Verordnungen und lokaler Verwaltung geprägte Kolonialrecht dem Praktiker ein Umstand sehr deutlich. Das Kolonialrecht war auch ein Werkzeug für den deutschen Kolonialapparat, um brutale Gewalt, Willkür und Grausamkeit gegenüber Afrikaner*innen legitimiert ausüben zu können.819 Glücklicherweise sind im Verlauf des deutschen Kolonialzeitalters relative Nuancen in Richtung »Humanität« zu beobachten. die neue Tendenz »Rechtsfrieden als Bedingung für ökonomisch erfolgreiche Kolonien«820 sollte in manchen Rechtsbereichen beginnen, die Situation für die afrikanische Bevölkerung leicht zu verbessern.821 Beispielhaft genannt werden kann an dieser Stelle das Arbeitsrecht in Kamerun, welches sich von einem Äquivalent der Sklaverei822 hin zu einem Recht mit fortschrittlichen Arbeitnehmerschutzmaßnahmen – zumindest in formaler Hinsicht – entwickelte.823 Einer Weiterentwicklung solcher positiven Tendenzen sollte jedoch durch das frühe Ende der deutschen Kolonialzeit alsbald ein Riegel vorgeschoben werden, sodass die neuen Tendenzen nur einen geringen Einzug in das finale Ergebnis für die Rechtspraxis der Kolonien haben kann. Für das rechtliche System in den Kolonien war in erster Linie eine asymmetrische Machtstruktur maßgeblich, in welcher den lokalen Entscheidungseinheiten der deutschen Kolonialmacht eine gewichtige Rolle zukam.824 Doch kann die Kolonialjurisprudenz in ein Verhältnis zu einem »Kolonialrecht der Praktikabilität« gesetzt werden? Ebenso wie die Ephemer des »deutschen Kolonialzeitalters« durchlief die Kolonialjurisprudenz verschiedene Sta818 Dazu vorstehend in 1. Kapitel V. 819 Vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 6: »die brutale Gewalt der Eindringlinge und Abenteurer machten die Colonialexpeditionen derart verwildern und die Colonialverwaltung so willkürlich und grausam«; vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 386, nach welcher Kolonialrecht immer abhängig von »Zielsetzung und Methoden« des Kolonialismus war. 820 Vgl. Max Buchner, Aurora colonialis, S. 332; Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 209, unter Verweis auf Dernburg. 821 Vgl. Wolter, Deutsches Kolonialrecht, S. 209, nach welchem diese Entwicklung spätestens seit Dernburgs rationaler Kolonialpolitik zu spüren war. 822 Vgl. Müller, Kolonien unter der Peitsche, S. 9, nach welchem die Kolonisatoren zwar das Konzept der Sklaverei mit dem Konzept der Zwangsarbeit ablösten, aber eine vergleichbare Gewaltanwendung vorherrschte. 823 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 2. 824 Mit ähnlichem Ergebnis Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333; vgl. Thiemeyer, Deutschland postkolonial – Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, S. 262; Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 385; vgl. schon zur Kolonialzeit Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 6.

Ergebnisse für das Kolonialrecht

177

dien. Auffällig ist zunächst die Wechselbeziehung zur kolonialen Praxis, welche sich insbesondere zum Anfang des deutschen Kolonialzeitalters zeigte. Auf der einen Seite wurde sich rechtlichen Problemen in den Kolonien aus dem Lager der Kolonialverwaltung unter Verweis auf wichtige Monografien angenähert, um Lösungen für die koloniale Realität anbieten zu können.825 Auf der anderen Seite waren eben jene Verfasser der Monografien auf den Informationsfluss aus den deutschen Schutzgebieten angewiesen.826 Ein Kreislauf, welcher durch die enorme räumliche Distanz zwischen Mutterland und Kolonie sowie durch eine selektive Informationspreisgabe827 ein präzises Arbeiten der Kolonialjurisprudenz erschwerte und eine Angriffsfläche für harsche Kritik aus dem Lager der Kolonialpraktiker ermöglichte.828 Diese im kolonialen Kontext besonders komplizierten Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Praxis und der evidenten Prägung einer rassistisch konnotierten Staatsphilosophie829 wirkten sich demnach auf die Kolonialjurisprudenz aus. So waren die frühen Veröffentlichungen der Kolonialjurisprudenz oft lediglich mit einem Schwerpunkt im Völker- und Staatenrecht830 vorzufinden, oder veröffentlichte Werke waren wenig meinungsheterogen und kamen der rechtlichen Wirklichkeit in den Ko-

825 Vgl. Erlass des Auswärtigen Amtes, Kolonial-Abteilung, betreffend die Eingeborenen-Zivilrechtspflege vom 15. Januar 1907, mit Verweis auf v. Stengel, Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete 1901, abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 849, Nr. 426. 826 Dazu vorstehend in Einleitung V. 827 Schaper, Koloniale Verhandlung S. 31, welche eine selektierten Nachrichtenfluss vermutet. 828 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907, welcher sich gegen die Auslegung des SchGG in einer gemischtrechtlichen Gerichtsentscheidung wehrt und der Kolonialjurisprudenz Praxisfremdheit und fehlenden Willen zur praktischen Problemlösung vorwirft: »Die Zitirung zweier Juristen, die beide eine sehr summarische Darstellung des komplimirten Kolonialrechts gegeben haben, vermag zur Sachklärung nicht das geringste Beizutragen. Weder Köbner noch Stengel haben das hier gestellte Problem in einem bestimmten Sinn lösen wollen oder gelöst.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022); Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160f., Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907: »Bei der schulmässigen, lediglich der Orientierung über das Koloniale Recht dienenden Darstellung lag es beiden [gemeint sind Vertreter der Kolonialjurisprudenz] durchaus fern, Probleme, die sich innerhalb des Rechtes zeigen, und die erst bei eingehendem Studium oder in der Praxis erkannt werden, aufzurollen oder abzuhandeln.«, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/in venio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 829 Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 830 Vgl. Joël, Das Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Deutschen Schutzgebiete, S. 191ff.; ferner auch Gareis, Deutsches Kolonialrecht und Stengel, Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete.

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Ergebnisse und Fazit

lonien nur selten nahe.831 Auf Grundlage dessen könnte eine gewisse Teilhabe der Kolonialjurisprudenz an der während des Kolonialisierungsprozesses vorherrschenden Ungerechtigkeit abgeleitet werden.832 Doch auch in den Rechtswissenschaften sollte es der nach Erkenntnisgewinn strebenden Wissenschaft gelingen, sich im fortlaufenden Zeitalter der deutschen Kolonien entgegen dem »staatsphilosophischen Mainstream«833 zu positionieren. Seit 1900 flossen pluralistische Erkenntnisse vermehrt in Veröffentlichungen der Kolonialjurisprudenz ein. Das wissenschaftliche Meinungsbild verhielt sich in der Folgezeit ausgeprägter zu den feinen Kapillaren des Kolonialrechts.834 Debatten der Kolonialjurisprudenz wurden zunehmend ausdifferenzierter und einigen Verfassern gelang es sogar, mit rassistischen Vorurteilen aufzuräumen und sich für die Rechte der afrikanischen Bevölkerung einzusetzen.835 Zusammenfassend resümiert fällt jedenfalls ein Ergebnis in den wissenschaftlichen Abhandlungen der Kolonialjurisprudenz auf. Keineswegs ging die Kolonialjurisprudenz davon aus, dass das Kolonialrecht ein plastisch am »Reißbrett« entworfenes oder ein vom Mutterland auf die Kolonien übertragenes Rechtssystem war.836 Vielmehr wurde vertreten, dass das Kolonialrecht eine in den Kolonien gewachsene eigene Rechtsmaterie bildete – entstanden durch die Wechselwirkungen innerhalb der in den Schutzgebieten lebenden Gesellschaft, eine Rechtsmaterie, welche in einer komplizierten Wechselbeziehung zur kolonialen Praxis stand.837 Kolonialrecht bildete demnach schon aus dem historischen Blickwinkel definitiv eine eigene Rechtsmaterie. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn der Kernbereich dieser Untersuchung, das Gemischtenrecht, betrachtet wird. Das 831 Dazu näher mit solcher Kritik bereits die historische Rechtspraxis, vgl. Bundesarchiv BerlinLichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, S. 160, Berufungsschriftsatz des Rechtsanwalts Kurt Prange an das Kaiserliche Obergericht in Beua, vom 1. November 1907. 832 Zutreffend Meder, Provenienzforschung, S. 236. 833 Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 834 Allen voran Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten, S. 151ff. 835 Insbesondere Mallmann, Rechte und Pflichten in den deutschen Schutzgebieten; Lüders, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinderrechts in den Schutzgebieten; aber auch Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete, S. 32ff. 836 Max Fleischmann, Die Entwicklung des deutschen Kolonialrechts, in: Deutsche JuristenZeitung, X. Jahrgang (1905), S. 1035–1038, 1035: »[…] was in einer Kolonie erprobt war, wird auf andere übertragen, aus gemeinsamem Rechte in den Kolonien beginnt gemeines Recht für die Kolonien zu erwachsen.«; Sieglin, Die koloniale Rechtspflege und ihre Emanzipation vom Konsularrecht, S. 8: »Das Kolonialrecht hat sie dann teils ohne Änderung aufgenommen, teils weitergebildet, teils hat es selbständig neues Recht geschaffen.« 837 Veränderte Rechtsanwendung in den Kolonien stellten auch Edler von Hoffmann und Karl von Stengel fest, vgl. die Nachweise in 3. Kapitel I; deutlicher Mallmann und Lüders in Bezug auf das Gemischtenrecht, vgl. 3. Kapitel III und IV; vgl. Meder, Ius non scriptum, S. 1, folglich könnte das Kolonialrecht in vielen Bereichen eher dem ius non scriptum zugeordnet werden.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

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Gemischtenrecht als einer der wichtigsten Rechtsbereiche des Kolonialrechts wiederlegt durch interkulturelle Interaktion die Utopie einer formal antizipierten rassistischen Segregation.838 Allerdings lassen sich die meisten Quellen, welche Informationen über das Gemischtenrecht liefern, erst in fortgeschrittener Zeit der deutschen Kolonialepoche verorten.839 Wird in der sich dem Ende zuneigenden deutschen Kolonialepoche über sinnvolle Kodifikationen des Gemischtenrechts840 oder wünschenswerte Verpflichtungen der Judikative (der Richter habe die Interessen in Einklang zu bringen)841 gesprochen, so bleibt für die fortgeschrittene deutsche Kolonialzeit ein Umstand deutlich. Die Machtasymmetrie und die damit einhergehende Hegemonie der deutschen Kolonialmacht waren auch für den Bereich des Gemischtenrechts evident.842 Dieser Umstand gilt umso mehr, je näher sich zeitlich der kolonialen Anfangszeit angenähert wird.

II.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

Wie lässt sich aus den vorangestellten Ergebnissen zum Kolonialrecht nun ein juristischer Erkenntnisgewinn für die historische Provenienzforschung erreichen? Zur Lösung soll eine Art generelles Prüfungsschema mit eigenen juristischen Kategorien erstellt werden, welches sodann schablonenartig zur Auslegung einzelner Erwerbsprozesse herangezogen werden kann. Eine vergleichbare Vorgehensweise findet sich bereits in anderen frühen juristischen Ausarbeitungen zur Provenienzforschung,843 jedoch fehlt bisher eine präzise und ausführliche 838 Dazu vorstehend in 3. Kapitel III, IV und V; vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 389, nach welcher die verschiedenen Rechtsphären die verschiedenen Lebensordnungen in den Kolonien eng miteinander verbanden. 839 Die ersten nennenswerten Diskussionen zum Gemischtenrecht fanden 1905 auf der Kolonialrechtstagung statt, vgl. die Verweise auf Felix Meyer und Max Preuss in 3. Kapitel III. 840 Vgl. Preuss, Die Rechtspflege in gemischten Angelegenheiten, S. 400. 841 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 09. 1911, S. 367, unter: https://inven io.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 842 Dazu vorstehend in 4. Kapitel V; mit vergleichbarem Ergebnis Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333; vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 232f. 843 Bernd Juraschko, Rechtliche Aspekte der Provenienzforschung in Bibliotheken, in: Das offene Bibliotheksjournal, Band 4 (2017), S. 211–219, 219 schlägt ein vereinfachtes Schema für Restitutionsansprüche vor. Goldmann/ Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 6ff., arbeiten mit im völkerrechtlichen Kontext mit Fallbeispielen und demonstrieren eine Prüfungsmethode anhand von Fallbeispielen, Meder, Provenienzforschung, S. 236f., stellt verschiedene Kri-

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Ergebnisse und Fazit

Aufstellung zivilrechtlicher Kategorien für die Bewertung des gemischtrechtlichen Erwerbvorgangs für koloniale Kontexte. Den Ausgangspunkt für das Aufstellen zivilrechtlicher Kategorien im Rahmen der Provenienzforschung bildet maßgebend das in den damaligen Schutzgebieten und für den Erwerbsvorgang gültige Sachenrecht, gleichwohl ist aber auch das mit dem Verfügungsgeschäft verbundene Kausalgeschäft in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei gilt für die juristische Einzelfallprüfung in Hinsicht auf eine Fragestellung der Provenienzforschung zunächst eine nüchterne Erkenntnis. Das Sachenrecht ist emotionslos, es kennt insofern keine Rechtfertigungsgründe, schuldmindernde Umstände oder politische Färbung, welche sich auf einen Besitzwechsel oder Eigentumswechsel auswirken würden. Vielmehr kennt es solche »Motive« nur in den aufgestellten Grenzen des Zivilrechts, nämlich durch die objektive Grenze der Nichtigkeit – beispielsweise ausgelöst durch § 134 BGB oder § 138 BGB. Ferner muss eine juristische Einzelfallprüfung mit einem vorsichtigen und genauen Blick durch die Brille einer rechtshistorischen intertemporalen Logik erfolgen844 Denn schließlich bedeutet die Legalität eines Erwerbsvorgangs aus dem Blickwinkel der damaligen Zeit – also nach dem Maßstab des jeweiligen historischen Rechtssystems – keineswegs, dass daraus für das Hier und Jetzt ein hohes Maß an Legitimität für eine Provenienzbewertung abzuleiten wäre.845 Ein solches Ergebnis lässt sich spätestens seit Beginn der Provenienzforschung von nationalsozialistischen Sachverhalten nicht anzweifeln.846 Eine »nüchterne und emotionslose« juristische Einzelfallprüfung fällt bei der Provenienzforschung im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte oftmals nicht leicht. Die Aufarbeitung vergangener Epochen voller menschenunwürdigen Verhaltens, Unrecht und Grausamkeit können zunächst das heuristische Begehren auslösen, dass möglichst schnell und einfach eine moralisch geleitete Pauschallösung gefunden werden soll. Wer also zunächst für juristische Einzelfallgerechtigkeit plädiert und sich im Rahmen der Restitutionsdebatte auf Ausschluss- und Verjährungsfristen beruft und als Schlussfolgerung dessen generelle Restitutionsansprüche verneinen möchte, hat moralisch oftmals einen schweren Stand. Schließlich widerspricht das Argument der Rechtssicherheit häufig einer intuitiven Vorstellung von (Einzelfall-)Gerechtigkeit.847 Jedoch sollte eine kriti-

844 845 846 847

terien zur Orientierung auf; Haimo Schack, Kunst und Recht, S. 257, fordert den Gesetzgeber auf kategorische Rückgabekriterien aufzustellen. Zutreffend Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 3ff. Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 387, schlagen vor, für die Legitimität heutige Rechtstandards anzuwenden. Hartmann, Provenienzforschung in Deutschland – Bilanzen und Perspektiven zehn Jahre nach der Washingtoner Konferenz, S. 98f. Schack, Kunst und Recht, S. 254.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

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sche und exakte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht auf Pauschallösungen zurückgreifen. Wird sich der pauschalen Forderung »alles zurückzugeben« mit einer juristischen Einzelfallbetrachtung angenähert, bedeutet dies keineswegs, ein Anhänger eines neokolonialen Systems zu sein, der sich der Aufarbeitung der Kolonialzeit verweigert. Vielmehr führt die diffizile Auseinandersetzung mit kolonialen (Rechts-)Vorgängen zu einer exakteren Auseinandersetzung mit historischen Vorgängen und kann möglicherweise dabei helfen, dass in der Gegenwart und in der Zukunft Miseren der Vergangenheit nicht reproduziert werden. Ferner bleibt trotz rechtshistorischer Aufarbeitung eine moralisch-politische Aufarbeitung selbstredend erforderlich und sogar geboten. Denn wer kritisieren würde, dass eine durch juristische Einzelfallbetrachtung geprägte Provenienzforschung eine effektive Aufarbeitung historischen Unrechts zu stark behindern würde,848 der verkennt, dass juristische Einzelfallbetrachtungen mitnichten moralische und politische Korrektive in der Restitutionsdebatte ausschließen möchten. Insofern wirkt die juristische Provenienzforschung lediglich auf einer vorverlagerten Ebene und kann den Akteur*innen helfen, historische Kontexte besser einzuordnen, damit in einem weiteren Schritt eine fundierte und moralische Restitutionsdebatte von anderen Akteur*innen geführt werden kann. Auf Grundlage des Gesagten wären juristische Kategorien für gemischtrechtliche Fälle der Kolonialzeit aufzustellen. Aus diesen lässt sich sodann die Wahrscheinlichkeit für eine adäquate Legitimität des Erwerbsprozesses ableiten.849 An die aus diesen Kategorien abgeleitete (ggf. fehlende) Legitimität könnte die historische Provenienzforschung anknüpfen, um für die Würdigung von Provenienzfällen über genauere Parameter zu verfügen. Dabei kann selbstredend ein juristisches Kategoriensystem bei einer Einzelfallbetrachtung keine absoluten Lösungen bieten, sondern nur bewertende Indizien zur Einzelfallbetrachtung vorschlagen.850 Nicht in die hier genannten Kategorien sollen Fälle einfließen, bei denen eine zivilrechtliche Einigung nicht den Schwerpunkt des Erwerbsprozesses ausmacht. In einer objektbezogenen Vorprüfung wäre folglich zu untersuchen, 848 Savoy berichtet von der Restitutionsdebatte der 1970er-Jahre und den dort verwendeten Narrativen. Unter anderem wurde vorgeschlagen, den Begriff »Restitution« wegen juristischer Implikationen zu verbieten, vgl. Bénédict Savoy in dem Podcast-Beitrag »Auf den Spuren kolonialer Raubkunst«, unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/prove nienzforschung-identitaetsstiftende-kunst (abgerufen am: 1. 4. 2022); vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 385, warnen vor der Gefahr, dass Recht und Bürokratie auch als Mittel gegen die Restitution ins Feld geführt werden können. 849 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 334, spricht von »Wahrscheinlichkeiten« eines Besitzwechsels. 850 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 334, schlägt vor, sich über die Kumulation verschiedener Faktoren anzunähern und Schätzungen und Wahrscheinlichkeiten einzubeziehen.

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Ergebnisse und Fazit

ob durch die deutsche Staatsgewalt das Objekt gekauft, gestohlen, in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen geplündert oder anderweitig von deutscher Staatsgewalt in Besitz gebracht wurde. In solchen Fällen, in welchen der Sachverhalt einer klaren Zuweisung zu Bereichen des öffentlichen Rechts unterliegt, sind zur Bewertung völkerrechtliche Parameter heranzuziehen.851 Für die hier untersuchten Sachverhalte des Zivilrechts wäre die gemischtrechtliche Einigung die maßgebliche Richtschnur für die Provenienzbewertung. Bei einer in Betracht kommenden gemischtrechtlichen Einigung wäre bei den folgenden Kategorien die Legitimität der Einigung in Frage zu stellen.

1.

Schenkung und niedriger Verkaufspreis

Werden die ersten gemischtrechtlichen Interaktionen zwischen deutschen Kolonialpionieren und der Küstenbevölkerung Kameruns betrachtet, so zeigt sich, dass die Duala bereits durch den Handel mit anderen Kolonialnationen reichlich Erfahrungen gesammelt hatten.852 Durchaus geschickt konnten die Duala ihre Rolle als »middlemen« nutzen, um ein gutes wirtschaftliches Gespür für den Umgang mit den Europäern zu entwickeln.853 Deutsche Kolonialisten beschrieben daher die Bevölkerung in Kamerun in pejorativer Weise als geschäftstüchtig bis unverschämt und waren verwundert darüber, dass die afrikanische Bevölkerung sich nahezu jede Leistung mit einer Gegenleistung bezahlen lassen wollte.854 Es ist also davon auszugehen, dass gemischtrechtliche Verträge im Grundsatz auf dem Verständnis von Leistung und Gegenleistung, welche in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen, beruhten. Wäre nun ein Verkaufspreis unvernünftig niedrig gewählt, so wäre es gut möglich, dass der Verkaufende wegen eines Irrtums oder einer Notlage dergestalt ungünstig für sich selbst kontrahieren musste oder zumindest eine weitere Gegenleistung er851 Dazu näher Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 1ff. 852 Max Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 20ff., ist überrascht über das bereits bestehende europäische Inventar und erschrocken über die Anzahl von »Schießwaffen«, über die die Duala verfügen. 853 Das Beseitigen der Handelsposition der Duala versuchte die koloniale Expansion von Anfang an, dazu vorstehend in 4. Kapitel II. 854 Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 22: »Sollte ich einmal in die Lage kommen, von ihm eine kleine Gefälligkeit zu verlangen, so wird er mich erst voller Unverschämtheit fragen, was ich ihm dafür bezahle«; Vgl. Nathanael Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun – Ein Lebensbild (1887), S. 33: »Das begriffen Sie schließlich, wie Sie überhaupt ganz gut begriffen, – nur nicht, wenn Sie zahlen sollten«; S. 145 »für die vom Handelsgeist hingenommenen Duala«.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

183

wartet hatte.855 Durch die ungleichen gemischtrechtlichen Machtverhältnisse in der Durchsetzung von Klagen wäre es für die Kolonisierten nur schwer möglich, das Rechtsgeschäft in einem zweiten Schritt anzupassen oder rückgängig zu machen. Für solche Fälle lassen sich auch für die Schiedsgerichte in Kamerun keinerlei Nachweise finden.856 Vergleichbares gilt für Schenkungen. Oftmals waren die gesellschaftlichen Grenzen zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden derart groß, dass rein altruistische Schenkungen wichtiger Objekte die absolute Ausnahme gewesen sein dürften. Wahrscheinlicher ist, dass Schenkungen mittels einseitiger Dokumentationen als solche getarnt wurden, aus einer Notlage heraus erfolgten oder der Schenkende fälschlicherweise von einer verbindlichen Gegenleistung ausging.857 Aus der gemischtrechtlichen Verfügung von Objekten, welchen als Causa ein Vertrag mit sehr niedrigem Verkaufspreis oder sogar keine Gegenleistung (Schenkung) zu Grunde lag, kann insofern nur eine sehr geringe Legitimität für die Bewertung der Provenienz abgeleitet werden. Dieser Umstand ist noch schwerer zu gewichten, wenn bedacht wird, dass in der Dokumentation der Provenienz fast ausschließlich auf die Dokumentationen von Kolonisierenden zurückgegriffen werden kann.858 Denn in dieser einseitigen Dokumentationslandschaft nutzten die Erwerber gewiss die Möglichkeit, die Provenienz eines Objekts in ein möglichst unzweifelhaftes Licht zu rücken.

2.

Vertragliches sowie vertragsähnliches Handeln im Grenzbereich zur fehlenden Freiwilligkeit

Wenn die gemischtrechtlichen Verhältnisse der frühen deutschen Kolonialzeit betrachtet werden, dann wird deutlich, dass das Kolonialrecht oftmals zur Legitimation einer hegemonialen Gewaltherrschaft herangezogen wurde.859 Das gilt 855 Juraschko, Rechtliche Aspekte der Provenienzforschung, S. 214, stellt den Zusammenhang zwischen niedrigem Verkaufspreis und einer möglichen Notlage für DDR-Sachverhalte auf. 856 Vgl. dazu die Akte »Rechtssachen«, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am: 1. 4. 2022). 857 Buchner, Kamerun – Skizzen und Betrachtungen, S. 21 berichtet, wie er als Gast von Duala auf Bier und Wein eingeladen wird: »freilich immer nur mit dem Hintergedanken, daß er uns morgen dafür ein viel größeres Gegengeschenk oder sonst Vorteil abringen werde«; Meder, Provenienzforschung, S. 236f., stellt klar, dass bei Schenkungen zu prüfen wäre, ob und inwieweit diese in Erwartung einer verpflichtenden Gegenschenkung getätigt worden sind. 858 Dazu vorstehend in Einleitung V. 859 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333.

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Ergebnisse und Fazit

insbesondere für das Strafrecht, welches durchaus als drakonisches Herrschaftsinstrument benutzt wurde.860 Aber auch im zivilrechtlichen Bereich des Arbeitsrechts herrschten insbesondere in der Anfangsphase der deutschen Kolonialzeit sklavereiähnliche Zustände.861 Schon beim Vertragsschluss wurde massiver Druck auf die Kolonisierten ausgeübt. Ein vermeintlich abgeschlossener Arbeitsvertrag wurde gemäß dem bekannten privatrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda zur sinnbildlichen Fessel des Arbeitenden.862 Die schriftliche Dokumentation des gemischtrechtlichen Vertrags wurde erst durch die ausführliche Arbeiterverordnung für das Schutzgebiet Kamerun vom 24. Mai 1909 vorgeschrieben.863 Bis dahin stand also das Wort des Plantagenbesitzers gegen dasjenige des Arbeitenden. Nicht selten lassen sich in den Quellen drakonische Strafen für Ungehorsam oder Fluchtversuche finden.864 Fehlende Freiwilligkeit, daher Alternativlosigkeit oder Zwang wirkten sich unzweifelhaft auch auf andere Bereiche des Zivilrechts aus. Auf Grundlage dessen ist zu vermuten, dass sich ähnliche Praktiken auch im gemischtrechtlichen Handel mit afrikanischen Objekten ereigneten.865 Finden sich in der Dokumentation der Provenienz eines Museumsobjekts Anzeichen für einen »klaren Fall von fehlender Freiwilligkeit«, dann ist es einleuchtend, dass aus dem gemischtrechtlichen Verhältnis ein besonders großer Makel für die Legitimität erwächst. Somit sind eindeutige Fälle von Zwang, Gewalt oder vergleichbaren Situation im Gemischtenrecht relativ einfach hinsichtlich ihrer Legitimität zu bewerten.866 Schwieriger ist jedoch die Frage zu beantworten, wann eine solche »Zwangssituation« gegeben war. Parallel zu Fällen der Provenienzforschung auf dem Gebiet des Nationalsozialismus oder von DDR-Kontexten sind Situationen vorstellbar, in welchen beispielsweise ein Zwang nur mittelbar wirkte, beispielsweise lediglich die Kontrahierungsfreiheit eingeschränkt war oder der Kaufpreis in einer kausalen Folgehandlung eingezogen wurde. Schließlich lassen die gemischtrechtlichen Untersuchungen auf einen enormen Druck schließen, welcher stetig auf die afrikanische Bevölkerung ausgeübt

860 Vgl. Lentner, Das Internationale Colonialrecht im neunzehnten Jahrhundert, S. 6: »die brutale Gewalt der Eindringlinge und Abenteurer machten die Colonialexpeditionen derart verwildern und die Colonialverwaltung so willkürlich und grausam«. 861 Vgl. Müller, Kolonien unter der Peitsche, S. 9. 862 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 2. 863 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 972ff., Nr. 513. 864 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 1 und 2. 865 Sich diesem Ergebnis anschließend Heidt, Koloniales Unrecht, Rückgabeforderungen und Provenienzforschung, S. 333. 866 Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 237.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

185

wurde.867 Durch die asymmetrisch verteilte Gestaltungsmacht in gemischtrechtlichen Verhältnissen ist es daher richtig, auch schon bei geringen Indizien von einer mutmaßlichen Unfreiwilligkeit, z. B. bei mittelbar wirkendem Zwang, im Zweifel wohlwollend für die Kolonisierten auszulegen. Besteht also auch nur das Verdachtsmoment einer fehlenden Freiwilligkeit innerhalb der Provenienzgeschichte in Bezug auf eine gemischtrechtliche Interaktion, so ist wohlwollend von einer Ursächlichkeit von Umständen für das Vorliegen einer Unwirksamkeit hinsichtlich des Rechtsgeschäfts – beispielsweise bei der Frage, ob einem »Verbotsgesetz« i. S. d. § 134 BGB oder einer »Sittenwidrigkeit« i. S. d. § 138 BGB vorlag – auszugehen. Durch die starke Prägung der gemischtrechtlichen Verhältnisse durch die Kolonisierenden müssten die Kolonisierenden als Minimum die gleiche Richtschnur wie für die zivilrechtlichen Angelegenheiten im Mutterland zu jener Zeit gegen sich gelten lassen. Grundsätzlich besteht bereits bei einer Andeutung einer fehlenden Freiwilligkeit ein großer Makel für die Legitimität der gemischtrechtlichen Einigung. Geht es ferner um den Bewertungsmaßstab der Intensität des Zwangs, so ist als Minimum für die Bewertung der gemischtrechtlichen Einigung, der Rechtsmaßstab des deutschen Rechts maßgebend.868

3.

Rechtliche Ungleichbehandlung der Kolonisierten

In den verschiedenen Phasen der deutschen Kolonialgeschichte wurde die afrikanische Bevölkerung immer wieder Opfer einer strukturellen Ungleichbehandlung. Das Kolonialrecht knüpfte in verschiedenen Bereichen an Merkmale wie die »Hautfarbe« oder die »Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe« an.869 Große Teile der Kolonialagitation vertraten dabei ein Narrativ der eigenen Überlegenheit gegenüber den anderen Nationen.870 Rassismus und Repression waren insofern feste Bestandteile für einen funktionierenden Kolonialismus.871 Aber gerade wegen dieser Allgegenwärtigkeit muss sich der im Kolonialismus gelebte Rassismus auch in der gegebenen juristischen Einzelfallbetrachtung genügend konkretisieren, damit sich dieser entsprechend auf das Zustandekommen der Einigung auswirkte, da sonst wiederum Pauschalbewertungen drohen. 867 So entstanden durch Gerichtsverfahren lebensbedrohliche Situationen für die afrikanischen Chiefs, vgl. Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, S. 64f., 70. 868 Dazu vorstehend in 3. Kapitel VI. 869 Vgl. Schaper, Koloniale Verhandlung, S. 69. 870 Dazu vorstehend in 2. Kapitel I. 871 Vgl. Vgl. Thiemeyer, Deutschland postkolonial – Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, S. 262f.

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Ergebnisse und Fazit

Für eine gemischtrechtliche Einigung wäre das der Fall, wenn auf Grundlage einer abstrakt-generellen rassistischen Verhaltensregel der konkrete Verkauf und die Veräußerung eines Objekts beeinflusst würde. Als lebhaftes Beispiel für eine solche strukturelle rechtliche Ungleichbehandlung auf Grundlage rassistischer Behandlung ist das Handelsverbot gegenüber den Duala anzuführen.872 Hierbei handelt es sich um eine Verordnung, die ihrem personalen Anwendungsbereich nach explizit eine bestimmte ethnische Gruppierung diskriminiert. Eine rechtliche Ungleichbehandlung auf Grundlage rassistischer Behandlung wäre nun gegeben, würde eine Kausalität zwischen mangelbehafteter Einigung und rassistischer Verordnung bestehen. Wären demnach in einem konkreten Fall Anhaltspunkte gegeben, dass ein Individuum veranlasst wäre, entgegen der bestehenden Verordnung weiter mit Objekten zu handeln und könnte als Folge der Drucksituation nur ein geringer Verkaufspreis gefordert werden oder würde der Verkaufspreis in einem Folgeschritt wegen der Verordnung beschlagnahmt, so würde sich die strukturelle Ungleichbehandlung auf die gemischtrechtliche Einigung niederschlagen. In einem solchen Fall würde sich der strukturelle Rassismus der Kolonialzeit einer abstrakt-generellen Regelung auf einen Einzelfall konkretisieren. Des Weiteren waren Verordnungen, in welchen oftmals nachteilige Regelungen ausschließlich für die »Eingeborenen« erlassen wurden, keineswegs ein Einzelfall.873 Konkretisierte sich eine solche Regelung in nachteiliger Weise und beschränkte die Freiheit von Kolonisierten in einer Provenienzgeschichte, so erwächst in solchen Fällen aus der gemischtrechtlichen Einigung ein Zweifel für die gemischtrechtliche Legitimität.

4.

Ausnutzung einer strukturell fehlenden Vertragsparität

In Korrelation zu der vorangestellten Kategorie sind daneben auch mittelbarere Formen einer »fehlenden Waffengleichheit« bei Vertragsabschluss und in der zivilrechtlichen Chancengleichheit zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu bewerten.874 Anders als bei bloßen Kauf- und Tauschgeschäften875 war ins872 Abgedruckt bei: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 1019, Nr. 555. 873 Verordnung, betreffend die Verpfändung von Elfenbein und sonstigen Handelsgegenständen, sowie die Einlösung bereits verfallender Pfandstücke vom 18. April 1886, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 248f.; Edler von Hoffmann, Einführung in das Deutsche Kolonialrecht, S. 188, berichtet über außerordentlich kurze Verjährungsfristen gegenüber »Eingeborenen« in Südwestafrika. 874 Vertiefend Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 6ff. 875 Dazu vorstehend in 5. Kapitel II 1.

Ergebnisse für die Provenienzforschung – Entwicklung juristischer Kategorien

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besondere bei Kredit-, Wechsel- und Pfandgeschäften der Wissensvorsprung der europäischen Kolonialisten immens. Zwar wurde der Kolonialgesetzgeber in diesen gemischtrechtlichen Fällen lobenswerterweise auch zum Schutz der afrikanischen Bevölkerung tätig,876 jedoch gab es zahlreiche Fälle, in welchen die Kolonisierten das wirtschaftliche Ungleichgewicht planvoll ausnutzten. Ein plakatives Beispiel bildete wiederum der Vertragsschluss im Arbeitsrecht, mit dem die Kolonisierten durch leere Versprechungen in ein Arbeitsverhältnis gelockt wurden, in welchem teilweise sklavenähnliche Zustände herrschten.877 Aber auch bei Pfandverträgen sind die Kolonisierten durch vermeintlich legale Absprachen, wie sehr kurze Verjährungsfristen oder automatischer Eigentumsübergang zugunsten des Gläubigers, ausgenutzt worden.878 Auch abseits der materiellen Vertragsparität hatte die afrikanische Bevölkerung immer wieder Probleme mit der für sie ungewohnten Schriftform zum Beweis von Sachverhalten.879 Von hier aus lassen sich Grundsätze für eine gestörte Vertragsparität aufstellen. Sofern ein Kolonisierter in Folge einer konkret fehlenden Waffengleichheit in Bezug auf den gemischtrechtlichen Vertrag über ein Objekt verfügte, konnte dieser Umstand von den Kolonisierenden ausgenutzt werden. Entstanden in der Folge aus einer solchen Waffenungleichheit Vorteile für die Kolonisierenden, wäre ein entsprechender Makel für die Legitimität abzuleiten. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn sich ein vom Vertragspartner antizipierter Nachteil für den Verfügenden realisiert hat. Denkbar sind solche Fälle insbesondere bei Pfandverträgen und anderen Kreditverträgen, in denen über einen Gegenstand verfügt worden ist. Denn hier deuten erlassene Verordnungen darauf hin, dass mit der lokalen Bevölkerungsgruppe bei Pfandgeschäften durch kurze Ersitzungsfristen des Gläubigers und positiv normierte Maßgeblichkeit der Pfandbücher des Kolonisierenden Missbrauch getrieben wurde.880 876 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 3. 877 Dazu vorstehend in 3. Kapitel IV 2. 878 Vgl. Verordnung, betreffend die Verpfändung von Elfenbein und sonstigen Handelsgegenständen, sowie die Einlösung bereits verfallender Pfandstücke vom 18. April 1886, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 248f. 879 Arbeiterverordnung für das Schutzgebiet Kamerun vom 24. Mai 1909, abgedruckt unter: Ruppel, Die Landesgesetzgebung für das Schutzgebiet Kamerun, S. 972ff., Nr. 513: So regelte die Verordnung, dass nun den »Eingeborenen« ein schriftlicher Arbeitsvertrag ausgestellt werden müsse, damit sich diese auf ihre Rechte berufen könnten; vgl. Verordnung, betreffend die Verpfändung von Elfenbein und sonstigen Handelsgegenständen, sowie die Einlösung bereits verfallender Pfandstücke vom 18. April 1886, abgedruckt bei: Riebow, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 248f., regelte, dass ein schriftlicher Pfandschein nur auf Bitte des »Eingeborenen« auszustellen ist und bei Verlust oder anderweitiger Nichtvorzeigbarkeit desselben alleine die Bücher des deutschen Pfandinhabers maßgeblich sind. 880 Derartige Ausnutzungen legen ferner die kurzen Verjährungsfristen von Forderungen der Kolonisierten gegenüber Kolonisierenden nahe, vgl. Verfügung des Reichskanzlers, be-

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Ergebnisse und Fazit

Die zuletzt vorgeschlagene Kategorie in Hinsicht auf eine Ausnutzung einer fehlenden Vertragsparität ist entsprechend offen formuliert, sodass sich eine Vielzahl von Fällen unter diese subsumieren ließen. Die Grenzen dieser Kategorie zu den vorangestellten Kategorien – niedriger Verkaufspreis, fehlende Freiwilligkeit oder strukturelle Ungleichbehandlung881 – können vorliegend nicht klar umrissen sein. Wann liegt bei der hier genannten Kategorie eine noch hinnehmbare Chancengleichheit zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten vor? Ob eine Ausnutzung der Vertragsdisparität bestand, kann nur in einer sorgfältigen Einzelfallprüfung beantwortet werden. Mithin entsteht als Folge der Offenheit dieser zuletzt formulierten Kategorie ein gewisses Einfallstor für Wertungsgesichtspunkte. Jedoch wird dadurch kaum eine nüchterne juristische Einzelfallbetrachtung konterkariert, denn die Subsumtion eines tatsächlichen Sachverhaltes unter juristische Kriterien ist ohnehin nie frei von Wertung. Des Weiteren wird von Autoren in Bezug zur juristischen Provenienzforschung zwangsläufig eine Art Auffangtatbestand im Sinn von »Wertungsgesichtspunkten« vorgeschlagen.882 Wegen der strukturellen Benachteiligung im Gemischtenrecht wird jedoch auch bei der zuletzt in Betracht kommenden Kategorie, demnach bei der Frage, ob das Vorliegen einer fehlenden Vertragsparität ausgenutzt worden ist, wohlwollend für die Kolonisierten auszulegen sein.

III.

Fazit

Eine rechtshistorische Untersuchung des Kolonialrechts bildet die Grundlage für die Bewertung juristischer Kontexte innerhalb der Provenienzforschung. Wie dargelegt ist der Kolonialismus untrennbar mit dem Kolonialrecht verbunden.883 So wird es im Rahmen der Provenienzforschung auch stets um eine »juristische Provenienzforschung« gehen müssen. Eine juristische Provenienzforschung zivilrechtsnaher Besitzwechsel erfordert eine juristische Einzelfallbewertung,884 daher muss von »Fall zu Fall« die Frage nach der Legitimation des Erwerbs-

881 882 883 884

treffend Rechtsgeschäft und Rechtsstreitigkeiten Nichteingeborener mit Eingeborenen im südwest-afrikanischen Schutzgebiet. Vom 23. Juli 1902, abgedruckt bei: Schmidt-Dargitz/ Köbner, Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung, S. 163. Dazu vorstehend in 5. Kapitel II 1–3. Juraschko, Rechtliche Aspekte der Provenienzforschung, S. 219, stellt Kategorien auf wie: »Wertungsgedanken des Internationalen Privatrechts«, »faire Gegenleistung« oder »nachvollziehbare Sanktion«. Dazu vorstehend in 2. Kapitel I und III. Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 236f.

Fazit

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prozesses gestellt werden. Der juristischen Bewertung einer gemischtrechtlichen Interaktion kommt folglich eine enorme Gewichtung zu. Gewiss kann juristische Provenienzforschung trotz ihrer Wichtigkeit nicht als »Allheilmittel« verstanden werden. Dies wird bei der Betrachtung der oben vorgeschlagenen Kategorien einer Legitimationsbewertung deutlich.885 Die Darstellung einer Provenienz kann lediglich die Annäherung an eine Wahrscheinlichkeit sein, welche die Widerspiegelung der Wahrheit des historischen Geschehens möglichst genau wiedergeben soll.886 Die Wahrscheinlichkeit, einen möglichst wahrheitsgetreuen Provenienzvorgang rekonstruieren zu können, ist wiederum von verschiedenen Faktoren abhängig. Allerdings vermag ein exakteres rechtshistorisches Verständnis des Kolonialrechts und die Einbeziehung der Rechtswissenschaft in die Provenienzforschung diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Juristische Provenienzforschung kann somit als »praktische Ausgangsbasis« für die Provenienz- und Restitutionsdebatte dienen.887 Doch auch bei einer exakten Betrachtung des juristischen Einzelfalls können sich einzelfallunabhängige Erkenntnisse ergeben. So fallen bei den in der Bearbeitung entwickelten Kategorien der Legitimationsbewertung der gemischtrechtlichen Einigung888 jeweils Interferenzen zu strukturellen Machtdefiziten auf.889 In problematischen Grenzbereichen ist wegen der einseitigen Dokumentationsführung und wegen des strukturellen Machtungleichgewichts in jeder der vier Kategorien schließlich zu Gunsten des Kolonisierten auszulegen. Die Einbeziehung der juristischen Provenienzforschung in die allgemeine Provenienzforschung wird sich daher kaum zu Lasten von Restitutionsbefürworter*innen auswirken. Vielmehr werden in einem Zweifelsfall rechtliche Parameter häufig gegen eine Legitimation des »globalen Westens« sprechen. Als Konsequenz daraus sollten Institutionen, die sich mit Provenienzforschung auseinandersetzen, rechtliche Aspekte der Erwerbsvorgänge genauer untersuchen. Für die historische Forschung bedeutet das, dass bei der Untersuchung der Geschichte der afrikanischen Objekte stets auch eine juristische Einzelfallprüfung in Bezug auf die Legitimation des Erwerbs durchzuführen ist.890 Sofern die Geschichte eines Gegenstands auf einen zivilrechtsnahen Be885 Vgl. vorstehend in 5. Kapitel II 1–4. 886 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, S. 334, spricht von »Wahrscheinlichkeiten« eines Besitzwechsels. 887 Vgl. Matthias Goldmann/Beatriz von Loebenstein, Alles nur geklaut? in: Sandkühler/Epple/ Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? S. 384. 888 Vgl. vorstehend in 5. Kapitel II 1–4. 889 Zutreffend und sich im Ergebnis anschließend Meder, Provenienzforschung, S. 232ff., spricht von einem strukturellen Machtungleichgewicht in Kreditgeschäften; Thiemeyer, Deutschland postkolonial – Genealogische und kosmopolitische Erinnerungskultur, S. 262. 890 Vgl. Goldmann/Loebenstein, Alles nur geklaut? Zur Rolle juristischer Provenienzforschung bei der Restitution kolonialer Kulturgüter, S. 3ff.

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Ergebnisse und Fazit

sitzwechsel in der konsolidierten Kolonialzeit zwischen Kolonisierten und deutschen Privatpersonen hindeutet, kann das unter Kapitel 5, II. entwickelte Kategoriesystem zur Hilfe herangezogen werden. Wird der Einzelfall unter das schablonenartige Kategoriesystem subsumiert, kann auch ohne die vorherige Anfertigung eines kostenintesiven juristischen Gutachtens eine erste rechtliche Einschätzung in Bezug der Legitimität des Erwerbsvorgangs erfolgen.891 Ist in Hinsicht auf afrikanische Objekte bei einer juristischen Einigung eine der vier Kategorien einschlägig, so ist bereits bei kleinen Anzeichen für eine zweifelhafte Druckausübung und bei niedriger Quellengewissheit eine geringe Legitimation für den jeweiligen Vorgang der Provenienzforschung abzuleiten.892 Mit diesem Vorgehen könnte für ein Großteil der afrikanischen Objekte eine exaktere Provenienzforschung vorgenommen werden. Gewiss bleibt die Notwendigkeit bestehen, dass für besonders komplexe Fälle eigene juristische Gutachten angefertigt werden sollten. Was bedeutet das für die Federkrone aus Kamerun? Für den prestigeträchtigen Gegenstand ließ sich eine verhältnismäßig ausführliche Provenienzgeschichte rekonstruieren. So sind über Akteur*innen des Erwerbsvorgangs aufschlussreiche historische Quellen vorhanden.893 Jedoch ist die konkrete Geschichte der Federkrone nur von Dr. Battenberg dokumentiert worden,894 einem literarisch begabten Vertreter des damaligen Bildungsbürgertums, welcher sich zur Zeit des Nationalsozialismus als ambivalenter Trittbrettfahrer entpuppte.895 Wird Battenbergs Verkaufsofferte als Ausgangspunkt gewählt, so ergibt sich als Causa für die Veräußerung ein Schenkungsvertrag. Nach Battenbergs Darlegung der Ereignisse spielte sich die Schenkung der Federkrone im direkten Kontext zu Vorgängen eines der schwersten Verbrechen der deutschen Kolonialzeit ab.896 Wird nun die oben (II. 1.) entwickelte Kategorie »Schenkungen und niedriger Verkaufspreis« als maßgebliche Kategorie zu Grunde gelegt, so könnte für den schwierig zu bewertenden Grenzfall in Bezug auf die Federkrone gut argumentiert werden, dass nur eine geringe Legitimation aus der etwaigen gemischt891 Vgl. Juraschko, Rechtliche Aspekte der Provenienzforschung, S. 219. 892 Dazu vorstehend in 3. Kapitel VI. 893 Neben der Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg ist eine Biografie über Theodor Christaller vorhanden. Auch über die Angehörigen der Duala existiert ein adäquat aufgearbeiteter Quellenkorpus historischer Überlieferung, dazu vorstehend in 4. Kapitel II und III. 894 Insbesondere nicht im gesamten Werk von Böckheler, Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun. 895 Dazu vorstehend in 4. Kapitel V. 896 Dazu vorstehend in Einleitung I und 4. Kapitel III 2; vgl. Florian Hoffmann, Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun – Etablierung und Institutionalisierung des kolonialen Gewaltmonopols, Teil I, S. 78 ff,; Brommarius, Der gute Deutsche – Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, S. 32ff.; Ralph Austen/Jonathan Derrick, Middlemen of the Cameroons Rivers – the Duala and their hinterland (1999), S. 98.

Fazit

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rechtlichen Einigung erwachsen könnte. Schließlich ist eine enorme Druckausübung auf Manga Ndumbe Bell im Zusammenhang mit dem Dahomey-Aufstand nicht unwahrscheinlich.897 Gleichwohl ist es lediglich das Ziel dieser Bearbeitung, ein juristisches Fundament für eine Provenienzforschung zu entwickeln. Somit soll eine allumfassende und abschließende Bewertung der (historischen) Provenienzforschung in Hinsicht auf die Federkrone aus Kamerun und eine damit korrelierende Restitutionsentscheidung an dieser Stelle ausdrücklich anderen Akteur*innen überlassen werden.898 Könnte darüber hinaus eine rechtshistorische Aufarbeitung des Kolonialrechts auch den Anstoß zur heutigen juristischen Aufarbeitung geben, daher zu Regelungen von klaren »Restitutionsgesetzen« führen?899 Schließlich sind eindeutige Fälle einer fehlenden Legitimation der gemischtrechtlichen Einigung als ein starkes Indiz für Restitution oder einen andersartigen Ausgleich zu werten.900 Doch das deutsche Recht tut sich äußerst schwer, wenn es um die Restitution von Kulturgütern geht. So ist für die Restitution zwischen Privaten bisher kaum eine Lösung in Sicht. Es ist faktisch unmöglich, die Anspruchsvoraussetzungen der Herausgabeansprüche vor Gericht darzulegen. Zudem kann sich der Rückgabeschuldner selbstverständlich unabhängig von jeglicher juristischer Provenienzbewertung auf die Verjährungsregelungen berufen.901 Hingegen gibt es für den zwischenstaatlichen Bereich der Restitution von Kulturgütern bereits verschiedene Regelungen. So folgen aus der Haager Konvention vom 14. Mai 1954 Regelungen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten und aus dem UNESCO-Übereinkommen vom 14. November 1970 Maßnahmen zum Verbot und zu Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut.902 Doch diese Regelungen helfen den afrikanischen Ländern nicht dabei, ihre in der Kolonialzeit verlorene Kultur wiederherstellen zu können.903 Für die Haager Konvention vom 14. Mai 1954 war die Kolonialzeit bereits kein »bewaffneter Konflikt« und findet daher vorliegend keine Anwendung. Auch das UNESCO-Übereinkommen vom 14. November 1970 vermag die Probleme nicht 897 Dazu vorstehend in 4. Kapitel VII. 898 Das scheint geboten, vgl. Volker Wiese, Bericht zu der Podiums- und Plenardiskussion des Symposiums »Kunstrecht – aktuelle Fragen der internationalen Museumspraxis«, denn Jurist*innen könne der nötige Einblick in das praktische Leben der Kulturbetriebe fehlen, in: Schack/Schmidt (Hg.), Rechtsfragen der internationalen Museumspraxis – Kunstrechtssymposium in der Bucerius Law School am 21. und 22. Oktober 2005 (2006), S. 155; vgl. Procter, The Whole Picture – The colonial story of the art in our museums & why we need to talk about it, S. 255f. 899 Schack, Kunst und Recht, S. 257, fordert den Gesetzgeber auf, kategorische Rückgabekriterien aufzustellen. 900 Vgl. Meder, Provenienzforschung, S. 236f. 901 Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 406. 902 Wiese/KGSG, Vor §§ 49–68, Rn. 2. 903 Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 401.

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Ergebnisse und Fazit

zu überwinden: Obwohl viele junge Nationen des »globalen Südens« – darunter auch Kamerun904 – Mitgliedstaaten des Übereinkommens sind, findet das Übereinkommen (sowie die Konvention) keine »retroaktive« Anwendung.905 Unberührt von einer solchen »retroaktiven« Anwendung, die kumulativ eine etwaige Restitution verhindert, ist entsprechend umgesetztes nationales Restitutionsrecht ohnehin eigenen Verjährungsregeln unterworfen, welche eine Bezugnahme zur deutschen Kolonialzeit ausschließen.906 Gleichwohl zeigt das 2016 in Kraft getretene Kulturschutzgesetz (KGSG),907 dass formale »Restitutionsgesetze« in Deutschland keine Utopie sein müssen. So könnten die vier verschiedenen in §§ 49ff. KGSG geregelten Rückgabeansprüche für Kulturgüter, von denen § 52 KGSG die Rückgabe für einen Vertragsstaat des oben genannten UNESCO-Übereinkommens und § 53 KGSG die Rückgabe in Bezug auf die oben genannte Haager Konvention normiert,908 Lehren für einen »Rückgabeanspruch für Kulturgüter aus kolonialen Kontexten« bereithalten. In Bezugnahme auf diese »Restitutionsgesetze« könnte es sich de lege feranda als sinnvoll erweisen, möglichst einfache Voraussetzungen an den Rückgabeschuldner zu knüpfen, damit dem aus der Kolonialzeit berechtigten Staat erspart bleibt, erst nach langwierigen Nachforschungen in Bezug auf die Besitzlage des Kulturguts den Rückgabeanspruch geltend machen zu können.909 Ferner könnten für einen »Rückgabeanspruch für Kulturgüter aus kolonialen Kontexten« auch über »Vermutungsregeln« zu Gunsten der kolonisierten Staaten nachgedacht werden, denn dass solche »Vermutungsregeln« per se möglich sind, legt die »Vermutungsregel« des § 52 KGSG nahe.910 Insofern könnten Vermutungsregeln, Beweislasterleichterungen oder eine Beweislastumkehr de lege feranda entsprechend mit den Lehren aus der Untersuchung des Kolonialrechts angereichert und angepasst werden. Folglich könnte ein umfassendes Wissen zum Kolonialrecht dem Gesetzgeber hilfreich sein, um interessengerechte »Restitutionsgesetze« in Deutschland zu erlassen. Allerdings sollte beachtet werden, dass juristische Regelungen den Prozess der Restitution auch unnötig »verbürokratisieren« könnten,911 insofern droht die Gefahr, durch eine einseitige Gesetzeslage 904 Liste der Mitgliedsstaaten der Unesco, unter: https://www.unesco.de/ueber-uns/ueber-die -unesco/organe/mitgliedstaaten-der-unesco (abgerufen am: 1. 4. 2022). 905 Vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 401f. 906 Vgl. Wiese/KGSG, § 55, Rn. 6, für die Restitutionsregeln der §§ 49ff. KGSG gilt gem. § 55 Abs. 2 unabhängig von der subjektiven Kenntnis eine Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren. 907 Gesetz zum Schutz von Kulturgut (KGSG), in Kraft seit 6. 8. 2016. 908 Wiese/KGSG, Vor §§ 49–68, Rn. 9, mit vertiefender Darstellung. 909 Vgl. Wiese/KGSG, Vor §§ 49–68, Rn. 18; vgl. Wiese, Internationales Sachenrecht der Kulturgüter, S. 56f. 910 Vgl. Wiese/KGSG, § 52 Rn. 9 und 22. 911 »Listenprinzip« für § 52 KGSG, vgl. Wiese/KGSG, § 52 Rn. 3; vgl. Wiese/KGSG, § 52 Rn. 13–21, weist auf die Vielzahl an Anspruchsvoraussetzungen des Rückgabeanspruchs hin; vgl. Savoy

Fazit

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einen ungewollten status quo zu zementieren.912 Als Mahnmal für eine solche Gefahr ist hier der Vorgänger des KGSG zu nennen: das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG) hat deutschlandweit zu keiner einzigen Rückgabe geführt.913 Wird die in der Untersuchung deutlich werdende Ambivalenz des Gemischtenrechts betrachtet, namentlich die auf der einen Seite bestehende strukturelle Machtasymmetrie914 und die auf der anderen Seite bestehende Durchbrechung einer rassistischen Segregation durch das Gemischtenrecht,915 kann das Kolonialrecht einen Beitrag zu einem kolonialrevisionistischen Umgang innerhalb der »nicht ausschließlich juristischen Restitutionsdebatte« liefern.916 So könnte eine heutige globale Machtasymmetrie erkannt, Unterschiede bekämpft und durch gemeinsame – daher »gemischte« – Projekte Differenzen überwunden werden. Der entwickelte Erkenntnisgewinn über koloniale Zusammenhänge würde somit zu einem wichtigen Schritt hin zu einer neuen Ethik der globalen Beziehungen fungieren, welche durch eine globale Gleichrangigkeit geprägt sein könnte.917 Auf welche Art und Weise der Erkenntnisgewinn über das Kolonialrecht verwertet und kontemporären asymmetrischen Machtstrukturen sowie der Gefahr eines »scientific colonialism«918 entgegengetreten werden kann, kann in dieser Bearbeitung nicht umfassend behandelt werden. An dieser Stelle bleibt gewiss Raum für die Wissenschaft, um die Vielzahl an Möglichkeiten darzulegen. In Betracht käme eine dialogische, gleichrangige und globale Erklärung.919 Als Vorbild könnte die im Rahmen der nationalsozialistischen Re-

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in dem Podcast-Beitrag »Auf den Spuren kolonialer Raubkunst«, warnt vor einer zu bürokratischen Restitution, unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/provenienzfor schung-identitaetsstiftende-kunst (abgerufen am 1. 4. 2022); vgl. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 385, warnen vor der Gefahr, dass Recht und Bürokratie auch als Mittel gegen die Restitution ins Feld geführt werden können. So zutreffend Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 404. Hackmack/Kaleck, Warum restituieren? Eine rechtliche Begründung, S. 403f. Dazu vorstehend in 3. Kapitel V. Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Archivsignatur: R 1001/5517, Bd. 1, KA V Gr. 6 Rechtssachen, Beschluss des Oberrichters Autenrieth vom 21. 9. 1911, S. 367f., nach Autenrieth werden insbesondere Geschäfte aller Art zwischen Weißen und Schwarzen abgeschlossen, unter: https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/main.xhtml (abgerufen am 1. 4. 2022). Vgl. Goldmann/von Loebenstein, Alles nur geklaut? in: Sandkühler/Epple/Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? S. 382, nach welchen der Hinweis auf Ambivalenzen und Widersprüche des Kolonialrechts als Gegengewicht zu einem heutigen Machtungleichgewicht fungieren kann. Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst – Geschichte einer postkolonialen Niederlage (2021), S. 200: »Nur so wird es gelingen, im Sinne einer neuen Ethik der Beziehung zu Afrika mit den seit Jahrzehnten in Europa eingeübten institutionellen Mustern zu brechen«. Dazu vorstehend in Einleitung VI. Heidt, Koloniales Unrecht, S. 344.

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Ergebnisse und Fazit

stitutionsdebatte abgehaltene »Washingtoner Erklärung« dienen.920 Ein moderneres Äquivalent einer selbstbindenden Erklärung für koloniale Kontexte könnte zu ebenso spektakulären und geschichtsträchtigen Restitutionen, wie solchen von Gustav Klimts »Goldener Adele« oder Ernst Ludwig Kirchners »Berliner Straßenszene« führen,921 die als Wegbereiter der Restitution in Bezug auf nationalsozialistische Kontexte fungierten. Einleuchtend ist jedenfalls, dass dies erst der Beginn eines kolonialrevisionistischen Zeitalters sein kann. Die ehemaligen Kolonialnationen stehen in einer besonderen Verantwortung,922 sich aktiv um einen Dialog auf Augenhöhe mit den Betroffenen zu bemühen. Ein Dialog, der untrennbar mit der Restitutionsdebatte und der ( juristischen) Provenienzforschung verbunden ist.923 Dabei gilt es, deutliche Veränderungen vorzunehmen und gegebenenfalls ein Umdenken des »globalen Westens« bezüglich der westlichen Museumskultur einzuleiten.924 Geoffrey Robertson, der ehemalige Präsident des Special Court for Sierra Leone (SCSL), ist sich jedenfalls sicher, dass es in den meisten Fällen auf die Restitution als die richtige Lösung hinauslaufen wird925 – jedenfalls seiner Meinung nach wäre es an der Zeit, die Verantwortung der afrikanischen Objekte in die Sphäre Afrikas abzugeben.926

920 Die Washingtoner-Prinzipien sind aufgeführt unter: https://www.kulturgutverluste.de/Web s/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzipien/Index.html (abgerufen am 1. 4. 2022); vgl. Sachstand des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, unter: https://www.bundes tag.de/resource/blob/491794/42f 7ba4d067efd53c4a62a3d8987c037/wd-10-061-16-pdf-data. pdf (abgerufen am 1. 4. 2022). 921 Vgl. Raphael Gross/Cilly Kugelmann, in: Bertz/Dorrmann (Hg.), Raub und Restitution – Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute (2008), S. 6. 922 Vgl. Heidt, Koloniales Unrecht, S. 344. 923 Heidt, Koloniales Unrecht, S. 345. 924 Vgl. Procter, The Whole Picture – The colonial story of the art in our museums & why we need to talk about it, S. 261, nach welcher eine Dekolonialisierung der westlichen Museen nur durch eine komplette Neuerfindung möglich sein wird. 925 Geoffrey Robertson, Who Owns History? Elgin’s Loot and the Case for Returning Plundered Treasure (2019), S. 249. 926 Vgl. Robertson, Who Owns History?, S. 251.

Verzeichnis der Quellen und Literatur

I.

Archivquellen (unveröffentlicht)

Die in der Bearbeitung angegeben Seitenzahlen sind die unter https://invenio.b undesarchiv.de/invenio/main.xhtml auffindbaren Seitenzahlen des OnlineReaders in Bezug auf die jeweiligen Digitalisate, da in den Akten die ursprüngliche Nummerierung der Blätter – sofern vorhanden – oftmals unübersichtlich geführt wurde. BArch R 1001/4202 (Jahrgang 1884)

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II.

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Literatur

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200

Verzeichnis der Quellen und Literatur

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Literatur

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Anhang

A.

Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts

Auszug aus dem Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts am 9. 9. 2019, das teilweise in englischer und teilweise in französischer Sprache abgehalten wurde. Das Gespräch wurde aufgenommen, transkribiert und möglichst wörtlich927 in die deutsche Sprache übersetzt. Kürzungen in dem Interview werden durch eckige Klammern markiert.

I.

Teilnehmer*innen

– Baumann, Bianca (Conditions of Acquisitions in Colonial Cameroon for State Museum Hannover and Researcher for PAESE) – Dassi, Paule-Clisthène Koudjou (Chief of chefferie-museum of the Batoufam group and Guest Researcher for PAESE) – Gogol, Robin Leon (Associate Researcher for PAESE) – Mecke, Christoph-Eric (Perspectives of Law for PAESE)

II.

Transkribiertes Gespräch

[…] Mecke, Christoph-Eric: Welche Gegenstände in den Archiven der Museen aus dem Projektverbund haben ihre besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen?

927 Die syntaktischen und semantischen Bedeutungen wurde nur dann ausgebessert, wenn die Tonspur akustisch unverständlich war oder Zusammenhänge aus dem Gesprächszusammenhang sich nicht ins schriftliche übertragen ließen.

208

Anhang

Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Gestern war ich in dem Museum in Witzenhausen und habe mir eine kamerunische Sammlung angeguckt. Ich war total schockiert. Hier im Archiv [Landesmuseum Hannover] ist alles eingelagert, doch dort war alles anders präsentiert. Es fand eine Ausstellung mit dem Thema »Sammlung aus den Kameruner Grasfeldern« statt. Und jeder Gegenstand928 der Ausstellung wurde in Bezug zu diesem Titel präsentiert. Gogol, Robin Leon: Könnten Sie uns noch verdeutlichen, wo genau der Unterschied in ihrer subjektiven Wahrnehmung zwischen der Ausstellung hier [Landesmuseum Hannover] und der Ausstellung in Witzenhausen lag? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Der Unterschied hier ist … Gogol, Robin Leon: (unterbricht) Ich habe das doch richtig verstanden, dass Sie hier nicht im gleichen Ausmaß schockiert sind wie in Witzenhausen, richtig? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja genau. Auch hier habe ich Ausstellungen mit einer solchen Thematik [Mit Thematik ist der Name und Gegenstand der Ausstellung gemeint] gesehen, aber hier gab es einen entscheidenden Unterschied in der Art und Weise der Darstellung. Denn manche Thematiken sollte man nicht einfach so benutzen, denn wenn man alle Gegenstände unter falschem Kontext im Rahmen der falschen Thematik präsentiert, dann sind die Gegenstände völlig deplatziert. Und das macht mich, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll (überlegt) … Baumann, Bianca: (hilft aus) Der Unterschied besteht darin, dass wir in unserer Ausstellung für die Öffentlichkeit fast keine Objekte aus Kamerun zugänglich gemacht haben. Ich glaube nur zwei kamerunische Objekte sind für die Öffentlichkeit zugänglich, während der Rest hier im Archiv ist. Gogol, Robin Leon: (an Dassi) Also verstehe ich das richtig, Sie sind traurig und wütend, weil diese Objekte – auch in ihrer Art und Weise – nicht im richtigen Kontext der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Genau beschreiben kann ich das nicht, ich kann nicht genau erklären, warum ich so schockiert war. Als ich in Frankreich war, war es die gleiche Reaktion von mir, als ich in einem Museum war. Und ich weiß

928 Dassi sprach im Englischen in Bezug auf Gegenstände von »Subjects« und nicht von »Objects«.

Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts

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wieder nicht genau warum, aber ich dachte mir, diese Gegenstände sind nicht an ihrem angestammten Platz. Mecke, Christoph-Eric: Und wo ist dieser angestammte Platz? In Kamerun? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Naja jedenfalls nicht so wie sie derzeit präsentiert werden. Eher an ihrem Ursprungsort. Vielleicht kann man manche Subjekte einfach nicht präsentieren. Mecke, Christoph-Eric: Warum? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Viele dieser Objekte waren einmal ritueller oder sakraler Natur, sie durften schon damals nur von manchen gesehen werden. Und die Sammler der Objekte würden Sie von solchen Leuten nehmen, doch Sie wussten, dass diese Gegenstände nicht zum herumzeigen gedacht waren, also eben nicht wie ein Kunstgegenstand mit ihnen verfahren werden sollte. Mecke, Christoph-Eric: Sehr interessant, vielleicht kann ich Sie hier etwas aus der Reserve locken, ich lese hier einen Beitrag von einem Journalisten aus Tansania vor, Charles Kayuka.929 Er sagt, auf der einen Seite sei das wichtigste, was die Europäer von uns wegnahmen, nicht die Objekte, sondern das afrikanische Selbstbewusstsein und Nationalbewusstsein. Aber auf der anderen Seite sagt er auch – und das spielt auf ihren Schock an – all die Masken und Fetische, es gibt da überhaupt keinen Sinn, diese zurückzugeben, denn sie sind jetzt nutzlos und tot für die afrikanische Bevölkerung. Sie sind jetzt leer, tot und entseelt. Sie haben ihre angestammte Bedeutung verloren, dadurch, dass sie aus ihrer angestammten Bedeutung gerissen worden sind, daher sind sie jetzt bedeutungslos. Da sie keine Sammelgegenstände, sondern religiöse Gegenstände waren. Stimmen Sie dem zu? Ich denke ich kenne Ihre Antwort schon ein bisschen, immerhin haben Sie eben berichtet, wie schockiert Sie gestern waren. Aber welche Bedeutung sollte die religiöse Bedeutung für die Diskussion um die Gegenstände haben? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Also ich erkläre das am besten dergestalt: wir haben zwei verschiedene Interessengruppen in Afrika, die eine Gruppierung ist der junge Flügel Afrikas, dem die konservative Gruppierung Afrikas gegenübersteht. Manche von dieser Gruppe sind extrem fixiert auf den Bezug der einzelnen Gegenstände. Diese sind der Auffassung, es ist eine Sache der Ver929 Der Beitrag von Charles Kayuka ist zu finden unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de /tansania-und-die-kolonialzeit-der-afrikanische-blick.979.de.html?dram:article_id=441958 (abgerufen am: 1. 4. 2022).

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Anhang

gangenheit und wir müssen vergessen und uns eher auf die Zukunft konzentrieren. Also, ich habe mit beiden Gruppierungen viel Zeit und Arbeit verbracht. Und die unterschiedlichen Gruppierungen beantworten diese Frage sehr unterschiedlich. Der junge Flügel sieht das aber anders. Also die eine Gruppe hängt total an den Gegenständen, die andere halt nicht. Das kommt vor allem von Afrikaner*innen, welche die europäischen Schulen besucht haben. Denn mit dem Besuch der europäischen Schulen kam auch die Verpflichtung. Denn in den europäischen Schulen wurde denen eingebläut, dass Tradition nichts Gutes bringt. Der europäische Lehrer hatte ihnen eingeredet, dass es besser wäre, ihre Geschichte zu vergessen. Das ging sogar so weit, dass nur deutsch gesprochen wurde. Hörte der Lehrer etwas in einem afrikanischen Dialekt, gab es die Rute. Übrigens sehen wir ironischerweise heute genau solche Schlagwerkzeuge in manchen Museen wie diesem hier. Mecke, Christoph-Eric: Also sehen Sie in den ethnologischen Ausstellungen eine Verkörperung der Kolonialzeit? Ist es überhaupt möglich für den globalen Westen, afrikanische Objekte auszustellen? Gibt es spezielle Objekte, die wir zeigen sollten? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Also, es gibt einfach manche Objekte, die nicht gezeigt werden sollten, und andere Objekte, bei welchen gefragt oder diskutiert werden sollte, ob man diese ausstellt. Eine gute Ansicht ist ja schließlich: Damit Wissen für die junge Generation konserviert werden kann, ist es wichtig, Objekte der Kolonialzeit zu zeigen. Mecke, Christoph-Eric: Dann kommt es auf den Einzelfall an, ob ein spezifisches Objekt gezeigt werden kann oder nicht? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Genau. Mecke, Christoph-Eric: Eine andere Frage: Gibt es aktuell Bestrebungen, das jetzige – durch die Kolonialzeit geprägte Rechtssystem – durch ein Rechtssystem der präkolonialen Zeit zu ersetzen? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, in Kamerun gibt es zurzeit eine große Gruppe, sie gehen davon aus, dass das Leben und die Kultur vor der Kolonialzeit viel besser funktioniert hatte als nach der Kolonialzeit. Sie werfen die Frage auf, ob man jetzt dem europäischen Trend folgen sollte oder zurück in die traditionelle Kultur gehen sollte. Die Bewegung ist groß. Sie arbeitet daran, wie man das afrikanische Land wieder mit historischen Traditionen verbinden könnte.

Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts

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Mecke, Christoph-Eric: Sind sie auch Teil dieser Bewegung? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Naja, ich denke jedenfalls die Idee kann Kamerun weiterhelfen. Denn aktuell ist die Gesellschaft gespalten, und eine Seite interessiert sich nur für Materialistisches wie Geld und Häuser. Dabei denke ich, wäre es auch wichtig, eine gute Einstellung zu haben. Denn sonst wird man in Kamerun keinen Frieden mit seinen eigenen Gedanken finden können. Am Ende werden sonst Fehler der Vergangenheit wiederholt. Ja, wir haben zurzeit in Kamerun fast eine kleine Revolution. Viele der jungen Leute denken, dass das aktuelle System – also übrigens hier als Einwurf – meine Meinung ist ganz klar: Kamerun ist auch in der jetzigen Zeit ganz eindeutig eine Kolonie. Mecke, Christoph-Eric: Warum ist das so? Ist das ein altes Narrativ in Ihrem Kopf ? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: In meinem Kopf (überlegt) … nun ja, man kann nun mal nicht sagen, dass man unabhängig und frei ist, wenn man nicht frei ist vom Geld… (überlegt) Gogol, Robin Leon: Ich sehe das ähnlich, meinen Sie die wirtschaftliche Abhängigkeit? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Exakt! Und ein anderes Beispiel, nehmen Sie die kamerunischen Schulen. Dort wird nicht die Geschichte Kameruns unterrichtet. Wir orientieren uns komplett am französischen System. Mecke, Christoph-Eric: Das wäre meine nächste Frage gewesen, gibt es Gruppen, die sich mit der präkolonialen Geschichte Kameruns auseinandersetzen, um so etwas aufzuarbeiten? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, die gibt es, aber lange Zeit wurden diese von der Verwaltung ausgebremst. Man könnte sagen, das Schulsystem ist gerade dazu da, die eigene kulturelle Identität zu zerstören. Ich nenne ihnen ein Beispiel: Wenn wir Geschichte in der Schule lernen, dann lernen wir kaum die Geschichte Kameruns. Wir lernen ausschließlich die Geschichte anderer Länder. Mecke, Christoph-Eric: Das ist schockierend. Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, ich kenne mich auch erst mit der kamerunischen Geschichte aus, weil ich mich sehr stark damit auseinandergesetzt habe.

212

Anhang

Wie soll man denn die anderen Dinge lernen, wenn man die Geschichte des eigenen Landes nicht versteht? Man wird manipuliert. Gogol, Robin Leon: Also wurde eine Menge der Erinnerung in der Mitte der Gesellschaft durch koloniale oder neokoloniale Verhaltensweisen unterdrückt? Vielleicht wäre das ein wichtiges Argument in Richtung Restitution von vielen oder allen afrikanischen Kulturobjekten, damit Kameruner*innen wieder eine Verbindung zur eigenen Geschichte und Herkunft herstellen und diese wieder lernen können? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja! Gogol, Robin Leon: Ok, ich benutze das als kleine Überleitung um eine Frage zu stellen. [Zeigt das in der hiesigen Dissertation abgedruckte Bild der Federkrone der Bell]. Das hier ist vermutlich die Federkrone der Bell-Familie. Zur Zeit des Dahomey-Aufstand wurde sie wegegeben. Meine Quellen legen dar – jedenfalls schrieben das deutsche Kolonisatoren nieder – die Federkrone wurde willentlich wegegeben. Also, es wird fast schon eine Freiwilligkeit impliziert. Was halten Sie von diesem spezifischen Objekt? Was war seine Funktion? Und wenn Sie glauben, das ist tatsächlich die Krone der Bell-Familie, können Sie sich vorstellen, dass dieser Gegenstand tatsächlich weggegeben werden könnte? Ich gebe Ihnen einen Kontext. [Kurze Erzählung des Dahomey-Aufstands und der mutmaßlichen Schenkung der Krone an Christaller]. Also kurzgefasst, würde ein Chief diese Krone verschenken können? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Also allem anderen voran, ein Chief in Kamerun könnte und würde seine Krone nicht weggeben, außer er würde gezwungen werden. Ich gebe ein Beispiel: Also, in der afrikanischen Gesellschaft war es nur dem Chief erlaubt, eine Krone vor der Bevölkerung zu tragen. Niemand darf die Krone vom Chief nehmen. Wenn doch jemand die Krone nimmt, dann bedeutete das, dass der Chief am Sterben ist oder sie müsste gestohlen worden sein. Einem Chief wäre es nicht erlaubt gewesen, die Krone zu entfernen und wegzugeben. Also wenn Sie davon ausgehen, dass das die Krone des Chiefs der Bell war, und diese dann in den Besitz eines Kolonisierenden überging, dann gehe ich davon aus, dass die Erzählung nicht wahr ist; sie ist gelogen. Gogol, Robin Leon: So etwas dachte ich mir schon, als zweite Frage: Nehmen wir an, die Krone wurde gestohlen oder gegen den Willen entwendet. Kennen sie afrikanische Quellen, welche diesen Umstand belegen könnten? Es wäre toll, vertiefende Quellen von afrikanischen Wissenschaftler*innen zu erhalten, damit die Quellenlage ausgeprägter wäre.

Gespräch im Rahmen des PAESE-Projekts

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Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Dort tut sich langsam etwas, vielleicht finde ich etwas und schicke es Ihnen, aber jetzt in diesem Moment fällt mir da nichts ein. Gogol, Robin Leon: Ach, eine Sache, die mich noch interessiert – eine kurze Frage. Natürlich hat der globale Westen eine Menge Museen mit afrikanischen Objekten. Aber gibt es in Kamerun ein Deutsches Museum, also eine Ausstellung mit deutschen Objekten? Quasi genau umgekehrt. Es ist mehr eine rhetorische Frage. Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: In Kamerun haben wir keine Museen über Deutschland in diesem Sinne. Aber wir haben einige wenige Dinge, die unter der deutschen Kolonialzeit entstanden. Viel eher als konkrete Objekte finden sich aber Spuren der Deutschen. Ja, sogar in meinem Dorf haben wir eine deutsche Brücke. Gogol, Robin Leon: Also sind es eher die Einflüsse die noch wahrzunehmen sind? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Genau, wir brauchen ja auch keine Museen, unser Palast ist immer noch ein Gebäude aus der Kolonialzeit. Gogol, Robin Leon: Stimmt, wir diskutierten gestern darüber, meine Utopie wäre eine Gleichrangigkeit der internationalen Museumskultur und eine wirkliche Augenhöhe im multilateralen Austausch. Meine romantische Vorstellung eines Museums war stets, dass diese als Ziel ein maximales Bereitstellen von Wissen, Kultur und Objekten für die Menschheit innehaben: ich finde die Idee von Museen in Deutschland als objektive Wissensquellen per se nicht schlecht, aber genauso möchte ich in Kamerun gleichrangige Institutionen vorfinden können, welche die Gesellschaft mit Wissen versorgen könnten. Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, aber vergessen Sie nicht, dass wir in Kamerun einfach eine andere Kultur der Museen haben. Gogol, Robin Leon: Da haben Sie natürlich recht. Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Also, ganz allgemein, wir lernen gerade erst, dass wir Wissen und Geschichte kultivieren müssen. Unser erstes Museum wurde wiederum von den Deutschen gebaut. Gogol, Robin Leon: Ironischerweise.

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Anhang

Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, uns fehlen auch die rechtlichen Grundlagen für Museen in Kamerun. Mecke, Christoph-Eric: Noch mal zurück zur Restitution: Wenn restituiert werden sollte, ist da eine Diskussion, an wen restituiert werden sollte? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Naja, im Allgemeinen gibt es die Auffassung, dass alle diese Gegenstände der kamerunischen Bevölkerungen gehören. Mecke, Christoph-Eric: Also egal, was mit den Gegenständen passiert ist? Ob sie gestohlen wurden oder nicht? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Das ist nicht meine Auffassung, aber von Stellen der Regierung, ja. Was mich angeht, ich habe da gestern mit Bianca [Baumann, Bianca] darüber gesprochen, sicherlich gab es manche Fälle, in denen etwas geschenkt wurde, aber die meisten Fälle sind sicherlich entweder Objekte, die gestohlen wurden oder wo Kolonisierte zum Weggeben gezwungen worden sind. Jedenfalls war es bei den meisten nicht freiwillig. So haben zum Beispiel christliche Missionare den Kameruner*innen eingeredet, dass in vielen Objekten der Teufel wohnt. Nur die Christen könnten diesen Teufel austreiben. Sie benutzten diesen Trick, damit die Kameruner*innen ihnen Objekte gaben, und die Missionare gaukelten bei einem großen nächtlichen Feuer vor, dass diese Objekte verbrannten, was aber gar nicht der Fall war. Mecke, Christoph-Eric: Also müssen wir auch an Schenkungen zweifeln? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Exakt, sicher gab es auch normale Schenkungen, aber viele müssen wir anzweifeln. Aber vergessen Sie nicht, die Leute waren damals extrem verängstigt. Viele Leute sahen eine weiße Person zum ersten Mal und dachten teilweise sogar so Extremes wie, die weißen Leute sind Götter. Sie gaben also nicht weg, weil sie wollten, sondern weil sie dachten, sie müssten. Mecke, Christoph-Eric: Wie sollen wir jetzt verfahren? Wäre es eine Lösung alles zurückzugeben? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Das wird schwierig, wir haben nicht die Infrastruktur in den Museum, um die Objekte aufzunehmen. Erstmal ist es schwierig, nimmt die Mitte der Gesellschaft oder die Regierung die Sachen an. Das internationale Museum ist viel zu klein. Gogol, Robin Leon: Wie wäre es mit den Universitäten?

Dokumente: Provenienz der Federkrone

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Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Vielleicht in Geschichte, Kunst, Archäologie und Anthropologie? Gogol, Robin Leon: Ja, wäre das nicht eine Möglichkeit? Dassi, Paule-Clisthène Koudjou: Ja, aber da fehlt auch die entsprechende Infrastruktur, aber die könnte aufgebaut werden. Wir lehren die entsprechenden Leute jetzt. Wir lernen jetzt über Infrastruktur und Labore. Aber uns fehlen auch die Finanzen. […]

B.

Dokumente: Provenienz der Federkrone

I.

Abbildung 1: Federkrone aus Kamerun

Abbildung 1: Federkrone aus Kamerun. Fotografie bereitgestellt vom Weltkulturen Museum

216 II.

Anhang

Abbildung 2: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 1

Abbildung 2: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 1. Fotokopie der Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an das Völkerkundemuseum in Frankfurt, Seite 1 (heute: Weltkulturen Museum). Fotokopie bereitgestellt vom Weltkulturen Museum

Dokumente: Provenienz der Federkrone

III.

217

Abbildung 3: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 2

Abbildung 3: Fotokopie der Verkaufsofferte, Seite 2. Fotokopie der Verkaufsofferte von Dr. Ludwig Battenberg an das Völkerkundemuseum in Frankfurt, Seite 2 (heute: Weltkulturen Museum). Fotokopie bereitgestellt vom Weltkulturen Museum

Beiträge zu Grundfragen des Rechts Herausgegeben von Stephan Meder

Die drei Grundfragen des Rechts, die vor gut zweihundert Jahren der Rechtsgelehrte Gustav Hugo formulierte – »Was ist Rechtens?«, »Wie ist es Rechtens geworden?« und »Ist es vernünftig, daß es so sey?« – stellen sich bis heute. Die Frage nach dem geltenden Recht zielt heute nicht nur auf dessen Prinzipien und Regeln, sondern auch auf das Verhältnis von Gesetz und Recht, juristischer Geltung und sozialer Wirklichkeit. Die Frage nach der Geschichte des Rechts betrifft auch das sich wandelnde Verhältnis zwischen den Rechtsquellen sowie das Verhältnis von Tradition und Gegenwartsbezug der Rechtsinhalte. Die Frage nach den richtigen Inhalten des Rechts bezieht sich heute vor allem auf das rechtliche Verhältnis zwischen der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen und dem notwendigen Mindestmaß sozialer Gleichheit und Gemeinwohlbindung des Rechts. So sind die Grundfragen des Rechts niemals von lediglich theoretischer Bedeutung, sondern haben einen unmittelbar praktischen Bezug zur Rechtsentstehung, Rechtsauslegung und Rechtsanwendung. Antworten auf diese Fragen versuchen aus unterschiedlichen Perspektiven die Beiträge dieser Reihe zu geben. Weitere Bände dieser Reihe: Band 40: Stephan Meder (Hg.) Geschichte und Zukunft des Urheberrechts III 2022, 278 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1453-6 Band 39: Susanne Beck / Stephan Meder (Hg.) Jenseits des Staates? Über das Zusammenwirken von staatlichem und nicht-staatlichem Recht 2021, 230 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1367-6 Band 38: Christian Holzmann Die »Fehleridentität« bei der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums unter besonderer Berücksichtigung des Insolvenzverfahrens 2022, 211 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1359-1 Band 37: Janina Schaffert Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch Die Geschichte einer Fehlkonstruktion 2021, 200 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1257-0 Band 36: Christoph Sorge Abhängige Autoren Rechtsdiskurse um angestellte und arbeitnehmerähnliche Urheber in der Weimarer Republik – ein Blick zurück nach vorn 2020, 161 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1213-6 Band 34: Stephan Meder (Hg.) Geschichte und Zukunft des Urheberrechts II 2020, 262 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1176-4

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