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German Pages [422] Year 2014
SCHRIFTENREIHE KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG Hinweise zur Open Access-Ausgabe Band 5: Folgende Abbildungen dürfen aus rechtlichen Gründen in der Open Access-Version nicht zur Verfügung gestellt werden: S. 76 (Abb. 2.1, 2.2, 2.3) S. 90 (Abb. 6.1, 6.2, 6.3) S. 109 (Abb. 2.1, 2.2, 2.3) S. 113 (Abb. 4) S. 134 (Abb. 7) S. 165 (Abb. 2) Für die Open Access-Ausgabe ist folgende Ergänzung des Bildnachweises zu beachten: Wiebke Krohn: Abb. 1 und 2: Houghton Library, Harvard University, George Grosz, MS Ger 206 (116) Open Access-Publikation im Sinne der CC-BY-NC-ND 4.0
böhlau
Open Access-Publikation im Sinne der CC-BY-NC-ND 4.0
Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5 Herausgegeben von Eva Blimlinger und Heinz Schödl
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Die Praxis des Sammelns Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung
Herausgegeben von Eva Blimlinger und Heinz Schödl
2014 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch das Bundeskanzleramt
Die Grundlagen des Beitrages von Gabriele Anderl wurden mit Unterstützung der Conference on Jewish Material Claims Against Germany erarbeitet. In appreciation to the Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) for supporting the research project “The Experts: How Austrian Specialists in Museums and in the Art Business were Involved in the Nazi Art Theft”, Grant Number 222-90319-1, grant letter from December 9, 2005). Through recovering the assets of the victims of the Holocaust, the Claims Conference enables organizations around the world to provide education about the Shoah and to preserve the memory of those who perished. http://www.claimscon.org/
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Adolf Sonnenthal inmitten seiner Sammlung, © Theatermuseum, Wien
© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Eva Blimlinger, Heinz Schödl, Wien Korrektorat: wortstellerei Nikola Langreiter, Lustenau Einbandgestaltung: Leonhard Weidinger, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Reproduktionen: Pixelstorm, Wien Druck und Bindung: Dimograf, Bielsko-Biala Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79601-5
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Inhalt Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Sammlung Gustav Benda
Susanne Hehenberger und Monika Löscher . . . . . . . . . . . . . . . . 13 »So schön wie in Schönbrunn schneit es nirgends auf der Welt« Der Sammler, Forscher und Publizist Ernst Moriz Kronfeld
Claudia Spring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Ein Enthusiast für Industrie und Kunst – Willibald Duschnitz
Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger . . . . . . . . . . . . . . . 71 Getrennt und gemeinsam: Die sammelnden Brüder Gottfried und Hermann Eissler
Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner . . . . . . . . . . . . . . . 99 Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen
Pia Schölnberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 »Niemand wollte diese Bilder …« Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
Julia Eßl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Interieur mit Herrenbildnis Die Sammlung Ernst und Gisela Pollack
Lisa Frank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Für immer verloren Der Sammler Richard Kulka (1863–1931) und die Familiensammlung Heißfeld – Kulka
Anita Stelzl-Gallian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
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Inhalt
»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann« Besitzverhältnisse in der Sammlung und den Galerien Alfred Flechtheims
Wiebke Krohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers
René Schober . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung
Christina Gschiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Egon Schiele und das Belvedere Versuch einer Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte 1912–2003
Monika Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Wien – London und retour? NS-Provenienzforschung an der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte der Universität Wien
Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . 319 »Nicht einmal abschätzbarer Wert …«. Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten – und ihre Sammlung asiatischer Kunst in Wien
Gabriele Anderl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Verzeichnis der Autor_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
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Editorial 7
Editorial Der vorliegende, nunmehr fünfte Band aus der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung widmet sich wiederum dem Sammeln, der Sammlung und auch den Sammler_innen. Dies ist umso naheliegender, als doch private bzw. staatliche (Kunst-) Sammlungen und deren jeweilige Transformationsprozesse nach dem März 1938 einen Hauptuntersuchungsgegenstand der Kommission für Provenienzforschung bilden. In der Regel gilt die Recherche zwar zunächst dem Einzelwerk und dem Weg, den dieses in die Sammlungen der Republik Österreich genommen hat, oft führt diese Untersuchung aber dann zu einer Kenntnis des sammlerischen Kontextes, in den das jeweilige Objekt eingebettet war. Bei Kunstwerken und insbesondere bei Büchern ist es äußerst selten, dass lediglich ein oder zwei Objekte arisiert worden sind, zumeist handelt es sich um Teile umfangreicherer Bestände oder gar von Sammlungen. Immer wieder kommt es vor, dass die Rechtsnachfolger_innen der damaligen Eigentümer_ innen erst über die Recherchen der Kommission auf die in den Archiven bewahrte Dokumentation der familiären Sammlung stoßen. Die heute in den österreichischen Bundesmuseen oder in anderen öffentlichen Sammlungen – wie jenen der Länder oder Gemeinden – recherchierten Kunst- und Kulturobjekte sind darüber hinaus oft die einzigen wiederauffindbaren Teile der Kollektionen, ist doch eine Provenienzforschung im privaten Bereich bis dato äußerst selten. In diesem Band wird nun der methodische Zugang der Provenienzforschung erweitert. Es werden nicht nur die Schicksale der Einzelobjekte dargestellt, sondern versucht, die Spuren zu den Sammlungen und den Sammler_innen zu lesen und zu analysieren. Waren Band I (… wesentlich mehr Fälle als angenommen, 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, Wien 2009) sowie Band III (Kunst sammeln, Kunst handeln, Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien, Wien 2012) als Sammelbände zur damals zehnjährigen Tätigkeit der Kommission bzw. als Tagungsband des 2011 veranstalteten Symposiums angelegt, beleuchtete Band II (schneidern und sammeln. Die Wiener Familie Rothberger, Wien 2010) die Geschichte einer kunstbegeisterten Wiener Familie. Band IV (Die verkaufte Malkunst. Jan Vermeers Gemälde im 20. Jahrhundert) widmete sich monografisch der Malkunst von Jan Vermeer und interessierte sich in konzentrierter Form und bezogen auf das 20. Jahrhundert für die Provenienz dieses Kunstwerks sowie für Fragen, die im Umfeld seiner Erwerbung aufgeworfen wurden. Der nunmehr vorliegende Band begibt sich nun auf eine andere Weise als seine Vorgänger auf die Suche nach Sammlungen, die in Wien vor 1938 bestanden haben,
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8 Editorial und fragt nicht nur nach Herkunft und Schicksal der Kunstwerke sondern auch nach jenen Personen, in deren Eigentum die betreffenden Kollektionen, durch Zufall oder Engagement, gekommen waren. Diese Sammlungen, einst wesentlicher Bestandteil des kulturellen Ambiente Wiens, wurden zerstört und verschwanden somit in Folge der Ereignisse nach dem März 1938 aus dem öffentlichen Bewusstsein: Hier wird nun der Versuch unternommen, die Sammlungen und deren Bedeutung durch Recherche und die Erzählungen von Zeitzeug_innen zu rekonstruieren. Im ersten Teil des Bandes wird der Versuch unternommen, über die Sammlung – als einen Kristallisationspunkt privater, ökonomischer oder ästhetischer Interessen – auch die Persönlichkeiten der Sammler_innen zu fassen. So haben sich Monika Löscher und Susanne Hehenberger auf Spurensuche nach dem bedeutenden Sammler Gustav Benda begeben. Obwohl dieser etwa dem Kunsthistorischen Museum zahlreiche wertvolle Objekte bereits zu Lebzeiten gewidmet hatte und auch als Fabrikant in Erscheinung getreten war, finden sich kaum archivalische Hinweise zu Benda. Seine bedeutende Sammlung kunstgewerblicher Objekte vermachte er dem Kunsthistorischen Museum und dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK: In seinem Testament, mit dem er seine Kunstsammlung »welche einen Weltruf geniesst« dem Kunsthistorischen Museum vermachte, wünschte er, dass dieselbe »als ›Sammlung Benda‹ in einem eigenen Raume möglichst so aufgestellt wird, wie es derzeit in meiner Wohnung der Fall ist«. Claudia Spring berichtet das Schicksal Ernst Moriz Kronfelds, der unter dem Druck nationalsozialistischer Verfolgung, unter anderem, Teile seiner umfassenden Sammlung von Schönbrunnensia verkaufen musste. Kronfeld, der eine akademische Karriere anstrebte, die jedoch nicht gelang, wird als dynamischer und tatkräftiger Sammler geschildert, dessen wissenschaftliche und journalistische Arbeitskraft ein vielfältiges Oeuvre gestaltete. In zahlreichen Museen, Bibliotheken und Archiven in Österreich und Deutschland konnten Teile der ehemaligen Sammlungen Kronfeld als solche identifiziert werden, so etwa in der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Naturhistorischen Museum, dem Österreichischen Theatermuseum, dem Wien Museum und der Wienbibliothek, den Bundesgärten Schönbrunn, dem Archiv des Schlosses Schönbrunn und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln. Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger widmen sich dem Leben des Wiener Industriellen Willibald Duschnitz, dessen vielfache Begabungen ihn nicht nur als cleveren Unternehmer, bedeutenden Sammler sondern auch als Organisten und Komponisten auszeichneten. Chipman, Enkel von Willibald Duschnitz und seit vielen Jahren auf den Spuren der Familiengeschichte, und Weidinger, Provenienzforscher im MAK –
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Editorial 9
Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, haben einander 2009 im Zuge der Recherchen zu drei Gläsern, die Willibald Duschnitz dem Museum als Leihgaben überlassen hatte, kennengelernt. Anneliese Schallmeiner und Alexandra Caruso untersuchen eine der einst bedeutendsten Sammlungen Wiens, nämlich jene der Brüder Gottfried und Hermann Eissler. Vor dem familien- und unternehmensgeschichtlichen Hintergrund werden die Entwicklung der Sammlung und ihr Ende geschildert. Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Brüder, Kunst zu sammeln. Während der Zeit von etwa 1905 bis in die späten 1920er Jahre war es kaum möglich, in Wien eine Kunstausstellung zu Werken der Renaissance, zu österreichischer, französischer oder englischer Kunst des 19. Jahrhunderts zu besuchen, ohne darin auf Werke aus der Eissler’schen Sammlung zu stoßen. Aber nicht nur die Brüder sondern auch deren Schwestern, wie zum Beispiel Josefine Rosenfeld, zählten zu den Wiener Kunstsammler_innen. Das Schicksal Emil Geyers, der die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebte und 1942 im KZ Mauthausen erschossen wurde, schildert Pia Schölnberger. Der Theatermann und Direktor des Max Reinhardt Seminars versuchte sich auch mittels Verkauf seiner Kunstsammlung in die Emigration zu retten, was ihm jedoch misslang. 1926 wurde er von Max Reinhardt zum stellvertretenden Leiter des Theaters in der Josefstadt ernannt. 1930 bevollmächtigte Reinhardt Emil Geyer zum Direktor des Max Reinhardt Seminars, dessen Aufbau er gemeinsam mit anderen maßgeblich mitbestimmt hatte. Seine zweite Leidenschaft galt dem Sammeln von Kunst. Der bedeutende Sammler Oskar Reichel, der sowohl als Arzt wie auch als Kunsthändler tätig war, hat viele Spuren hinterlassen. Julia Eßl rekonstruiert sein Leben und seine Sammlung, die neben Egon Schiele und Oskar Kokoschka auch eine beeindruckende Anzahl der Werke Anton Romakos umfasste. Oskar Reichel war Teilhaber der 1919 gemeinsam mit seiner Frau Malvine gegründeten Firma Kunst und Wohnung, R. Lorenz Gesmbh in der Wiener Josefstadt. Anfang der 1920er Jahre eröffnete er die Galerie Dr. Reichel GesmbH, in der er vor allem junge Künstlerinnen und Künstler zeigte. In ihrem Porträt des Sammlerehepaars Gisela und Ernst Pollack vermag Lisa Frank aufzuzeigen, dass diese, vornehmlich an kunstgewerblichen Objekten Interessierten, mithilfe ihrer Sammlungen auch ein großbürgerliches Repräsentationsbedürfnis wahrnahmen, das sich nicht nur auf Immobilienbesitz und Jagdleidenschaft beschränkte. Ernst Pollack, der die Textilfabrik seines Vaters mit seinem Bruder Julius übernahm, war, wie seine Frau Gisela als Sammler vielseitig interessiert. Obwohl er einige repräsentative Gemälde sein Eigen nennen konnte, lag der Schwerpunkt seiner Sammlung auf kunstgewerblichen Objekten. Innerhalb dieser Kategorie war sein Interesse aller-
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10 Editorial dings breit gefächert. Neben Werken alter Meister und Künstlern des 19. Jahrhunderts spannte sich der Bogen seiner Sammlungstätigkeit von Porzellan über Keramik, Möbel, Gobelins, Bronzen, Silber, Stoffe bis hin zu historischen Waffen. Anita Stelzl-Gallian versucht die Sammlung der Familie Heißfeld-Kulka zu rekonstruieren und kann mit diesem Unterfangen unter anderem zeigen, wo die Provenienzforschung an ihre durch die Quellen vorgegebenen Grenzen stößt. Derzeit, so scheint es, kann diese Sammlung nicht rekonstruiert werden. Es ist hier zu hoffen, dass vielleicht auch dieser Artikel dazu beiträgt, neue Materialien und Informationen zu erhalten. Einer für die Provenienzforschung vor allem in Deutschland entscheidenden Figur widmet sich Wiebke Krohn in ihrem Text zu Alfred Flechtheim, einem der wichtigsten Akteure des europäischen Kunsthandels zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der schließlich von den Nationalsozialisten angefeindet und vertrieben wurde. Flechtheim galt mit seiner Galerie in Düsseldorf und Dependancen in Berlin, Frankfurt, Köln und Wien als einer der wichtigsten Förderer avantgardistischer Kunst in der Weimarer Republik. Die Autorin geht der vielfach diskutierten und bis heute offenen Frage des Privateigentums Flechtheims als Kunstsammler einerseits und der Kommissionsware des Kunsthändlers andererseits sowie den damit verbundenen möglichen Ansprüchen nach. René Schober schreibt in seinem Artikel den vollkommen vergessenen Maler Jehudo Epstein in die Öffentlichkeit zurück. Epstein, einer der »erfolgreichsten, zeitgenössischen Künstler« in Wien, verfügte über bemerkenswerte Netzwerke, die einen Einblick in eine faszinierende Gemeinschaft von Sammler_innen, in deren Unterstützung und Förderung der Karriere des Künstlers, geben. Bis heute sind nahezu alle seiner 350 Werke, die in einem Depot der Textil-Fabrik von Bernhard Altmann gelagert waren, verschwunden; zwei wurden 2013 an die Erb_innen restituiert. Der zweite Teil des Bandes wendet sich der Frage nach der Situation der Museen, dem Geflecht von Interessen und Netzwerken zwischen Kunsthandel und Privaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu. Das endende 19. Jahrhundert sowie das frühe 20. Jahrhundert bot auch den staatlichen Museen und Sammlungen günstige Rahmenbedingungen, wie Christina Gschiel am Beispiel des Aufbaus der theatergeschichtlichen Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek durch Joseph Gregor darlegt. Gregor, der damit zu einem der Begründer der Disziplin überhaupt geworden ist, wirkte seit 1918 für 35 Jahre – während aller wechselnden politischen Systeme – in der Theatersammlung, ehe er 1953 schließlich in den Ruhestand verabschiedet wurde. Diese Sammlung, die schon in den 1920er Jahren um ein Archiv für Filmkunde erweitert wurde, bildet die Grundlage des heutigen Theatermuseums.
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Editorial 11
Monika Mayer skizziert in ihrem Beitrag die weitsichtige Ankaufspolitik des seinerzeitigen Direktors der k. k. Österreichischen Staatsgalerie, der heutigen Österreichischen Galerie Belvedere, Franz Martin Haberditzl. Dank dieser besitzt das Belvedere mit fünfzehn Gemälden, zwei Aquarellen und einem Bronze-Selbstbildnis eine der bedeutendsten Sammlungen von Werken Egon Schieles aus allen Schaffensperioden. Der »Museumsbeamte«, wie Schiele ihn durchaus wertschätzend bezeichnete, wurde 1938 von den Nationalsozialisten entlassen. Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf legen einen Werkstattbericht der Provenienzforschung der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien vor. Sie bieten damit einen Einblick, wie Bestände jener Akteur_innen, die die Wiener Kunst- und Sammlungslandschaft vom Fin de Siècle bis in die 1930er Jahre begleitet, gestaltet, kommentiert und moderiert haben, in der Bibliothek wiedergefunden und teilweise rekonstruiert werden konnten. Den Abschluss des Bandes bildet eine aufgrund ihrer Länge und Dichte beinahe monografische Arbeit von Gabriele Anderl zur Sammler- und Kunsthändlerfamilie Exner. Zwei Bundesmuseen, nämlich das Weltmuseum Wien (früher Museum für Völkerkunde) sowie das MAK – Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst bauen heute wesentlich auf den von Anton Exner unter teils abenteuerlichen Umständen in Übersee akquirierten Objekten auf. Damit eng verbunden sind die museale Entwicklung und die Ausstellungstradition asiatischer Kunst in Wien. Band V der Schriftenreihe versucht sich also an der Rekonstruktion eines spezifischen wienerischen Milieus, der letzten Jahrzehnte des 19. bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Diese großbürgerlichen Privatsammlungen wie auch – ab dem Beginn der Republik – öffentlichen Sammlungen können durchaus als ein konstituierender Teil der so genannten Gründerzeit gesehen werden. Bedingt durch die Wirtschaftskrise mussten einige der Sammler_innen bereits in den frühen 1930ern beginnen, zu verkaufen. Die nationalsozialistische Zäsur führte dann zum jähen Ende der privaten Sammlungen von jenen, die für die Nationalsozialisten als Jüdinnen und Juden galten. Die Sammlungen wurden beschlagnahmt, arisiert und zerstört. In diesem Band wird der Versuch unternommen, einzelne dieser Sammlungen wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen und dem Schicksal der Sammlerinnen und Sammler nachzugehen. In einem Artikel werden auch die Profiteure thematisiert, jene die zugegriffen haben, auf dem Markt der arisierten Ware. Zu Beginn des Bandes auch noch eine editorische Notiz. Derzeit gibt es die beiden Auffassungen arisiert bzw. Arisierung entweder mit oder ohne Anführungszeichen zu schreiben. Jene, die die Schreibweise mit Anführungszeichen bevorzugen, führen ins
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12 Editorial Treffen, dass es hier um einen nationalsozialistischen Begriff gehe und dieser daher zu kennzeichnen sei. Jene die arisiert, Arisierung ohne Anführungszeichen schreiben, erachten die Verwendung von Anführungszeichen als Distanzierung und Infragestellung des Begriffs im Sinne einer modalisierenden Funktion. Die Herausgeber_innen haben den Autor_innen die Entscheidung darüber überlassen, und so finden sich in diesem Band beide Schreibweisen. Die Konzeption und die Herausgabe eines Sammelbandes sind nur mit Engagement und Unterstützung vieler möglich. Zu danken ist dem Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien für die großzügige finanzielle Unterstützung, ohne welche Bücher wie das vorliegende nicht möglich wären. Für das Engagement und die umfassende Unterstützung danken wir Christoph Bazil, dem Leiter der Abteilung für Restitutionsangelegenheiten im Bundeskanzleramt. Anita Stelzl-Gallian sei für die umsichtige Mitarbeit bei der Redaktion und der Organisation der Abbildungen und Bildrechte gedankt. Nikola Langreiter hat mit Geduld und Sachverstand für das Korrektorat gesorgt. Unser ganz besonderer Dank gilt selbstverständlich den Autorinnen und Autoren für ihre lesenswerten, fundierten und informativen Arbeiten. Eva Blimlinger, Heinz Schödl Sommer 2014
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Die Sammlung Gustav Benda Susanne Hehenberger und Monika Löscher
Gustav Benda. Industrieller und Kunstsammler
Gustav Benda kam am 16. August 1846 als zweitgeborener Sohn des in Prag lebenden jüdischen Ehepaars Samuel und Julie Benda zur Welt.1 Gustavs Vater Samuel Benda (1821–1883) stammte aus der böhmischen Stadt Liboch/Liběchov und war seit den 1850er Jahren als Handlungsgesellschafter der mit Lederwaren handelnden Firma Wiener in Prag ansässig.2 Samuel Benda war in erster Ehe mit Julie, geborene Wiener, verheiratet. Julie Benda, geboren 1826, starb in jungen Jahren, nachdem sie vier Kinder zu Welt gebracht hatte: Karl (geb. 1844), Gustav (1846–1932), Pauline (1850–1867) und Ludwig (1853–1877). Nach dem Tod Julies heiratete Gustavs Vater Marie Wifner (1833–1898). Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor: Emilie (geb. 1857).3 Über die Kindheit und Jugend Gustav Bendas wissen wir nichts. Laut Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs war Gustav Benda ab 1916 in Wien 1, Elisabethstraße 13 gemeldet.4 Das Wiener Adressverzeichnis Lehmann nennt Benda jedoch erstmalig in der Ausgabe von 1870, die Wohnadresse war damals noch im zweiten Wiener Gemeindebezirk.5 Spätestens im Alter von 24 Jahren lebte Benda demnach in Wien, ab 1875 in der Nibelungengasse6 und wenige Jahre später am Opernring,7 woraus auf einen sozialen Aufstieg geschlossen werden kann.
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Vgl. Geburtsmatrik Prag (1843–1853), S. 57, Eintrag Nr. 86; abrufbar unter: http://www.badatelna.cz (30.4.2013). Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague, residence applications, archival box number 26, folio 112 and archival box number 696, folio 44. Wir danken Lenka Matušíková für ihre Hilfe. Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague, residence applications, archival box number 26, folio 112. Auf einem anderen Meldezettel wird das Geburtsjahr von Emilie mit 1858 angegeben: National Archives Prague, Police Headquarters Prague, residence applications, archival box number 256, folio 460. Vgl. MA 8 – B+MER+5053/2011. Meldeauskunft Gustav Benda. Vgl. Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1870: http://www.digital.wienbibliothek.at/ wbrobv/periodical/pageview/29705 (29.5.2013). Vgl. Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1875: http://www.digital.wienbibliothek.at/ wbrobv/periodical/pageview/299785 (29.5.2013). Vgl. Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1880: http://www.digital.wienbibliothek.at/ wbrobv/periodical/pageview/276384 (29.5.2013).
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14 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Gustav Benda war der langjährige Inhaber der Wiener Niederlassung der 1869 in Prag gegründeten Firma Waldek, Wagner und Benda. Die Gründung ging von der seit den 1850er Jahren in Prag bestehenden Zentrale Waldek & Wagner aus. Initiatoren waren Franz Waldek Edler von Waldried und Julius Wagner, der 1875 verstarb. Schon bald war das Unternehmen k. und k. Hoflieferant. Die Firma, die technische Bedarfsartikel für Betriebe unterschiedlicher Art führte, war in der Wiener Weltausstellung von 1873 vertreten und wurde mehrfach ausgezeichnet.8 Unter anderem vertrieb Waldek, Wagner und Benda Bedarfsmaterial für Ärzt_innen und Spitäler. In ihrem fast 500-seitigen Katalog offerierte die Firma Verbands- und Rettungskästen für Berg- und Hüttenwerke, Industrie- und Baubetriebe, Eisenbahnen und Feuerwehren, Theater und Unterhaltungsstätten, für Badeanstalten sowie für die Wiener freiwillige RettungsGesellschaft.9 Einer dieser Sanitätskästen befindet sich heute im Technischen Museum Wien. Er kam als Spende der Firma um 1895 an das Gewerbe-hygienische Museum10 in Wien und von diesem später an das Technische Museum.11 Die Wiener Niederlassung der Firma lag am Opernring 10,12 zumindest zeitweise bestand eine Filiale auf der TuchAbbildung 1: Sanitätskasten im Technischen Museum lauben.13 Wien Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit wurde Gustav Benda 1909 – er war damals 63 Jahre alt – mit dem Kaiser FranzJoseph Orden ausgezeichnet, der ein »Massenorden« schlechthin war. Gestiftet wurde 8
Vgl. Beilage zur Wiener Zeitung, 8.8.1903 (Festnummer), S. 86; http://anno.onb.ac.at/cgi-content/ anno-plus?aid=wzj&datum=1903&size=30&page=180 (3.4.2013). 9 Vgl. http://www.technischesmuseum.at/objekt/sanitaetskasten-um-1895 (3.4.2013). 10 Vgl. http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=bau&datum=19010201&seite=05 (3.6.2013). 11 Vgl. http://www.technischesmuseum.at/objekt/sanitaetskasten-um-1895 (29.5.2013). 12 Vgl. Lehmann 1870: http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/29705 und Lehmann 1932, Firmenverzeichnis. Gustav Benda wird als Inhaber, Julius Thiel als Einz. Prokurist der Firma und Bernard Beran als Koll. Prokurist angeführt. Im Lehmann von 1939 wird die Firma als Handel mit Maschinen, Werkzeugen, Armaturen und chirurgischen Instrumenten verzeichnet, Inhaber ist Julius Thiel, Einz. Prokurist Alfred Raschka. 13 Vgl. Lehmann 1880: http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/276384 und http://www.adsandbrands.com/de/sujet/waldek-wagner-benda-wien/waldek-wagner-benda-wien/46287/ brand-WALDEK%20WAGNER%20%26%20BENDA,%20WIEN/coffset-0 (29.5.2013).
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Die Sammlung Gustav Benda
der Orden am 2. Dezember 1849, also am ersten Tag der Thronbesteigung des Kaisers. Laut den Statuten gewährten »ausgezeichnete Verdienste, ohne Rücksicht auf Geburt, Religion und Stand« den Anspruch zur Aufnahme in den Orden.14 Ob Benda den Zusatz Edler von seitdem im Namen führen durfte, oder dies bereits früher der Fall war, kann derzeit nicht gesagt werden. Abgesehen von einem Kurzeintrag im Österreichischen Biographischen Lexikon15 finden sich nur wenige, verstreute Spuren von Gustav Bendas (Privat-)Leben. Seine Kunstsammlung war in seiner Wohnung in der Operngasse 8–10 untergebracht.16 Er blieb Zeit seines Lebens unverheiratet und hatte keine Kinder.17 1895 trat er im Alter von 49 Jahren aus der Israelitischen KultusgeAbbildung 2: Grabmal Gustav Bendas am Hietzinger meinde aus.18 Friedhof Das Grab Gustav Bendas befindet sich am Hietzinger Friedhof. Der Bildhauer Richard von Kauffungen (1854–1942) gestaltete das Grabmal und griff dabei ein mythologisches Motiv auf. Es zeigt Gustav Benda, der einen kleinen Genius emporhält und durch Pallas Athene mit einem Lorbeerkranz als Zeichen des Dankes für dessen Mäzenatentum gekrönt wird. Die Inschrift, die auf Bendas Sammelleidenschaft Bezug nimmt, lautet: »Aus der Stille red14 Ursprünglich gab es drei unterschiedliche Klassen des Ordens, später fünf. Benda erhielt das Offizierskreuz, die zweitunterste Auszeichnung; vgl. Franz-Joseph Orden. Illustriertes Österreichisch-Ungarisches Ehren-Buch, Wien 1909, sowie Statuten für den kaiserlich-österreichischen Franz-Joseph-Orden, Wien 1857. 15 Vgl. http://www.biographien.ac.at/oebl_1/68.pdf (26.2.2013). 16 Laut dem vom Bundesdenkmalamt zur Besichtigung der Benda-Wohnung beauftragten Oskar Oberwalder umfasste die Wohnung am Opernring 8 ein Wartezimmer, einen Salon, ein Kabinett sowie ein Schlafzimmer. BDA-Archiv, 7070/1931, Bericht Oskar Oberwalder, 30.11.1931. Diese Adresse taucht auch in den Korrespondenzen auf. 17 Vgl. MA 8 – B+MER+5053/2011, Meldeauskunft Gustav Benda. 18 Vgl. den Eintrag zu Benda, Gustav bei www.genteam.at (4.1.2013).
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16 Susanne Hehenberger und Monika Löscher licher Arbeit / Zog es zur Schönheit ihn, / Erhob sich sein Geist zur Höhe aller Kultur. / Vieles dankt ihm die Kunst.«19 Obschon Gustav Benda ein bedeutender Kunstsammler war, hat er – abgesehen von einigen Nachrufen – kaum archivalische Spuren hinterlassen. Es gibt weder zeitgenössische Darstellungen noch Beiträge in der aktuellen Forschungsliteratur über ihn. Auch von einem Nachlass ist nichts bekannt. Zwar erwähnte Benda in einer Beilage zu seinem Testament, dass in zwei Schubladen viele »Photografien, Druckwerke, Briefe etc.« enthalten wären, die Bezug auf die Sammlung nehmen, allerdings verliert sich diese Spur.20 Ein paar Briefe Gustav Bendas an Gustav Glück (1871–1952), Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, sind in der Autografensammlung der Nationalbibliothek überliefert.21 72 Briefe Gustav Bendas finden sich im Nachlass des Berliner Museumsdirektors Wilhelm von Bode (1845–1929).22 Erstaunlicherweise findet sich im Bildarchiv der Nationalbibliothek keine Fotografie des Firmeninhabers. Einzig von seinem Vater Samuel Benda hat sich ein Porträt erhalten, das sich heute im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst befindet. Der Porträtmaler Hans Canon (1829–1885) hatte dieses Bild 1878 angefertigt. Ebenso wie Hans Canon war Gustav Benda dem Wiener Künstlerhaus verbunden. 1861 als Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, Künstlerhaus (heute: Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs, Künstlerhaus) gegründet, verstand sie sich als Treffpunkt von Künstler_innen sowie von Kunstliebhaber_innen.23 Vorgeschlagen durch den Theatermaler Carlo Brioschi Abbildung 3: Porträt Samuel Benda (1826–1895), den Bildhauer Edmund Hell19 Olga STIEGLITZ, Gerhard ZEILLINGER, Der Bildhauer Richard Kauffungen (1854–1942), Frankfurt a. M. 2008, S. 474. 20 KHM-Archiv, 239/KL/39, Beilage zu dem Testament von 1930. Einige Bücher wurden jedoch vom Kunsthistorischen Museum übernommen. 21 Vgl. ONB, Autografensammlung, Nachlass Gustav Glück, Mappe 1074/25 und 1074/26. 22 Vgl. Zentralarchiv Berlin, Wilhelm von Bode. Der Nachlass. Bestandsverzeichnis (1995), Briefeingänge: Benda, J. [gemeint ist G.] v. 72 (1899–1916). SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743. 23 Vgl. http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstlerhaus/ausstellungen/ (16.4.2013).
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mer (1850–1935) und durch den Bildhauer Josef Tautenhayn (1837–1911) wurde Benda am 15. Februar 1886 als Teilnehmer aufgenommen, trat jedoch Anfang 1910 wieder aus.24 Als teilnehmendes Mitglied konnte er laut den Statuten die Ausstellungen der Genossenschaft besuchen und an dem »geselligen Verkehr im Künstlerhause Antheil« nehmen. Als Jahresbeitrag waren 40 Gulden zu zahlen, davon wurden zwölf Gulden zur Bildung eines Fonds für den Ankauf von Original-Kunstwerken verwendet. Diese neu angekauften Kunstwerke wurden dann jeweils im Oktober im Künstlerhaus gezeigt und unter allen, die in den Fonds einzahlten, ausgelost.25 Bendas Kunstsammlung
Seit den 1880er Jahren, so heißt es in seinen Nachrufen, betätigte sich Gustav Benda als Kunstsammler, vor allem kunstgewerblicher Objekte. Der Schwerpunkt seiner Sammlung lag in Skulpturen und Bronzen der italienischen Renaissance, denen sich »einige vorzügliche Gemälde, Miniaturen, prächtige französische Möbel, erlesene Werke des Kunstgewerbes sowie Waffen anschließen«.26 Bereits zu Lebzeiten beschenkte er das Kunsthistorische Museum mit fünf Kunstkammerobjekten und sieben Gemälden, zehn dieser Objekte befinden sich heute noch im Museum: • 1905 so genannter Prunkschrank von Prinz Eugen (KK 7163): angeblich ein Geschenk Kaiser Karls VI. an Prinz Eugen nach der Schlacht von Peterwardein, seit 1998 als Leihgabe im MAK • 1906 Statuette von Georg Raphel Donner (1693–1741): Venus (KK 7182) • 1906 Statuette von Georg Raphel Donner: Merkur (KK 7181) • 1907 Gemälde von Gabriel Metsu (1629–1677): Noli me tangere (GG 6044) • 1907 Gemälde von Hans Sueß von Kulmbach (ca. 1480–1522): Verkündigung Mariae (GG 6045a,b) • 1907 Gemälde von Gillis Claesz de Hondecoeter (1580–1638): Gebirgslandschaft (GG 6046) • 1909 Gemälde von Justus Sustermans (1597–1681): Kaiser Ferdinand II. (GG 6100), heute in der Gemäldegalerie von Schloss Ambras • 1910 Gemälde von Carl Schindler (1821–1842): Vorposten (ehemals GG 6182),
24
Vgl. http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstlerhaus/mitglieder/verzeichnisse/mitglieder-gesamtver zeichnis/#b (3.4.2013); Künstlerhaus Archiv im WStLA, Protokoll, Sitzung vom 15.2.1886. 25 Regulativ. Die Theilnehmer und die Bildung eines Fondes für den Ankauf von Kunstwerken betreffend, in: Personenmappe Gustav Benda, Künstlerhaus Archiv im WStLA. 26 Führer durch die Sammlung Gustav Benda, Wien 1932, S. 3.
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18 Susanne Hehenberger und Monika Löscher 1939 von der Österreichischen Galerie übernommen, heute: Albertina Inv.-Nr. 28329 • 1910 Gemälde von Carl Schindler: österreichisches Militärfuhrwesen (ehemals GG 6183), 1939 von der Österreichischen Galerie übernommen, heute: Albertina Inv.Nr. 28256 • 1911 Relief von Hans Daucher (1486–1538): Kaiser Maximilian I. zu Pferd als Ritter Georg, als »Christlicher Streiter« (KK 7236) • 1911 Relief von Georg Schweigger (1613–1690): Susanna im Bade (KK 7236) Zuwendungen an das MAK, damals k. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie, sind ebenso dokumentiert: 1908 unterstützte Gustav Benda den Ankauf von zwei Silberterrinen mit einem Betrag von 1.500 Kronen, 1911 widmete er dem Museum ein Himmelbett.27 Auch seine Fachkenntnis war gefragt: am 29. November 191128 wurde er auf Wunsch Erzherzog Franz Ferdinands in den »Denkmalrat«, ein die Zentralkommission für Denkmalpflege beratendes Gremium, berufen29 und 1914 – ebenfalls auf Empfehlung Franz Ferdinands, der Benda als »patriotischen Kunstsammler« und »Ehrenmann« schätzte30 – in das Kuratorium des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie bestellt.31 Zu seinem Ableben sandte der Direktor des Museums, Richard Ernst (1885–1955), ein Beileidschreiben an die Firma Waldek, Wagner und Benda. Darin nannte er Benda ein »großes Vorbild« für die Museumsleute und betonte, dass im Museum »sein Vermächtnis ehrfürchtig gepflegt und würdig zur Schau gebracht« werde.32 Wie die überlieferten Briefe zeigen, war Gustav Benda in der Kunstwelt um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert bekannt und gut vernetzt. Er hatte Kontakt zum Kustos und späteren Leiter der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Gustav Glück, fragte ihn um seine Meinung, bevor er Gemälde erwarb und sandte ihm wiederholt Objekte zur Begutachtung.33 Mit dem annähernd gleichaltrigen Sammler und Wiener Bankier Albert Figdor (1843–1927) verband ihn neben der Vorliebe für Plas-
27 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 140/1908 und 1011/1911. 28 Vgl. Mitteilungen der k.k. Kommission für Denkmalpflege, Wien 1913, S. 277. 29 Vgl. Theodor BRÜCKLER, Thronfolger Franz Ferdinand als Denkmalpfleger. Die »Kunstakten« der Militärkanzlei im Österreichischen Staatsarchiv (Kriegsarchiv), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 260, KNr. 369. 30 Vgl. BRÜCKLER 2009, S. 265 f., KNr. 13 und S. 485 f., KNr. 3495 (35-3/5-3). 31 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 818/1914. 32 MAK-Archiv, Zl. 94/1932, Ernst an Fa. Waldek, Wagner & Benda, 9.2.1932. 33 In der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek sind einige Briefe Bendas an den Direktor der Gemäldegalerie Gustav Glück überliefert.
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tik und Kunstgewerbe auch eine Freundschaft.34 Eine langjährige amikale Verbindung pflegte Gustav Benda mit dem Kunsthistoriker und Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen zu Berlin Wilhelm von Bode. Benda erbat sich oftmals Bodes Expertise, wenn ihm Kunsthändler wie die Florentiner Stefano Bardini (1836–1922) oder Elia Volpi (1858–1938), italienische Renaissanceplastiken oder auch Gemälde anboten.35 Die auf den fachlichen Austausch und Angebote des Kunstmarkts konzentrierte Korrespondenz verdeutlicht, dass Benda mit großer Leidenschaft sammelte, dennoch nur ausgewählte Stücke zu – aus seiner Sicht – vertretbaren Preisen erwarb. Da er seine Sammlung in der Wohnung am Opernring 8 auf engem Raum untergebracht hatte, konnte es auch vorkommen, dass er ein bereits erworbenes Stück wieder zurückgab, weil es nicht ins Ensemble passte. So geschah es im Dezember 1907, als er ein eben gekauftes französisches Holzfigürchen aus dem frühen 13. Jahrhundert an die Münchner Kunsthandlung A. S. Drey retournierte, mit der Bitte, dieses für ihn zu verkaufen. Gustav Benda hatte, wie er Bode schrieb, festgestellt, dass es nicht zu den bereits in seiner Wohnung versammelten Renaissancekunstwerken passte und wohl besser in einem Museum aufgehoben wäre.36 Bode wollte die Figur wohl gerne für Berlin haben, es fehlte ihm aber das nötige Einkaufsbudget. Am 23. Dezember teilte Benda ihm mit: Ihr Schmerzensschrei hat mich tief berührt und ich will ihnen gerne helfen; ich überlaße Ihnen meine französische Holzfigur welche Sie gegenwärtig dort haben und Sie zahlen mir nur M. 2500.- während ich für M. 5000,- den ›share‹ übernehme. Damit bin ich wie Sie sagen würden unter ihre anonymen Gönner getreten und es freut mich daß ich zur Bereicherung Ihres Museum beigetragen habe.37
Ein Verzeichnis von 1932 benennt für viele Objekte der Sammlung Kaufjahr und Kaufpreis. Sein Lieblingsobjekt Lachender Knabe, erwarb Benda 1892 um 40.000 Gulden, eine ähnlich hohe Summe – 47.750 Gulden – gab er 1908 für eine Johannesbüste von Desiderio da Settignano aus.38 Möglicherweise handelt es sich dabei um ein Objekt aus der Sammlung Kann, das er bei Duveen Brothers in Paris erwarb, nämlich »eine kleine Marmorbüste von Desiderio, die ganz allerliebst« sei, wie er im Septem34 Vgl. SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 5.8.1903 und 8.2.1906. 35 Vgl. Zentralarchiv Berlin, Wilhelm von Bode. Der Nachlass. Bestandsverzeichnis (1995), Briefeingänge: Benda, J. [gemeint ist G.] v. 72 (1899–1916). SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743. 36 Vgl. SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 19.12.1907. 37 SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 23.12.1907. 38 Vgl. KHM-Archiv, ad 12/ED/32, Verzeichnis der vom Kunsthistorischen Museum übernommenen Gegenstände der Sammlung Benda, Nr. 33: »›Donatello‹, Lachender Knabe, Marmor« und Nr. 34: »Desiderio de Setignano, Johannesbüste, Marmor«.
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20 Susanne Hehenberger und Monika Löscher ber 1908 an Bode schrieb.39 1906 erwarb er vom Kunsthändler Volpi aus Florenz ein Gemälde von Lorenzo Lotto Predigt des heiligen Dominikus zum Preis von 25.000 Gulden. Zuvor hatte er den möglichen Ankauf mit Bode diskutiert und sich eine Fotografie des Bildes zur Ansicht schicken lassen. Zufrieden ließ er Bode nach dem erfolgten Ankauf wissen, dass das Bild »reizend schön« sei.40 Dieses Gemälde befindet sich heute in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, ebenso zwei Blätter mit Tierstudien von Jan Brueghel, die Benda 1905 um je 1.175 Gulden eingekauft hatte.41 Wie sich aus einem Bericht des Staatsdenkmalamts vom November 1919, der einer etwaigen Beanspruchung der Wohnräume am Opernring 8 durch das Wohnungsamt vorbeugen sollte, erhellt, bestand Bendas Kunstsammlung aus bedeutenden Gemälden (Lorenzo Lotto, Francesco Guardi, Bartolomé Estéban Murillo, Pieter de Hooch und Ferdinand Georg Waldmüller), den Schwerpunkt bildeten jedoch – wie bereits erwähnt – Skulpturen italienischer und französischer Meister (Donatello, Desiderio da Settignano, Luca della Robbia, Agostino di Duccio und Andrea del Verrocchio) sowie kunstgewerbliche Arbeiten des Mittelalters und der Renaissance. Das Staatsdenkmalamt bestätigte, »dass die Nichtinanspruchnahme der mehrgenannten Wohnung und die unveränderte Erhaltung der darin untergebrachten Kunstschätze ein eminentes öffentliches Interesse bildet«. Weiter hieß es, dass die Qualität der Sammlung Benda gleichwertig sei mit der Sammlung Figdor – wenngleich sie nicht so umfangreich wie diese sei.42 Bendas Kunstwerke blieben zumeist in seiner Wohnung am Opernring. Bevor er verreiste – etwa zur Kur nach Karlsbad oder auf Sommerfrische nach St. Moritz und Gastein – ließ er seine Sammlung wegräumen. So konnte es sein, dass kurzfristig angemeldete Kunstkenner wie Adolfo Venturi (1856–1941), der Benda Anfang Juli 1907 besuchte, nur einen Teil zu sehen bekamen. Benda berichte Bode davon: »Meine Sachen waren schon alle weggepackt, aber ich zeigte dem Herrn Professor doch einige Stücke, namentlich die Skulpturen, die sein Interesse wach riefen.«43 Gelegentlich verlieh Gustav Benda einzelne Objekte aus seiner Sammlung für Ausstellungen, 1910 etwa nach Brüssel, sonst blieben die von ihm zusammengetragenen Kunstgegenstän-
39 SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 26.9.1908. 40 SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 8.3.1906. 41 Vgl. KHM-Archiv, ad 12/ED/32, Verzeichnis der vom Kunsthistorischen Museum übernommenen Gegenstände der Sammlung Benda, Nr. 17: »Lotto, San Domeniko predigend«, Nr. 4 und Nr. 5: »J. Breughel, Tierstudien«. Lottos Predigt des Hl. Dominikus ist unter GG 6980 inventarisiert, die Brueghel‘schen Tierstudien unter GG 6985 und GG 6988. 42 Vgl. BDA-Archiv, Z. 2691/1919, Kommissionierung der Wohnung Gustav Bendas, 13.11.1919. 43 SMB, ZA, IV NL Bode, Nr. 743, 2.7.1907.
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de einer breiteren Öffentlichkeit meist unzugänglich.44 Als im September 1912 die Hauptversammlung des internationalen Museumsverbandes im k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie in Wien tagte, wurde neben anderen privaten Sammlern wie Liechtenstein, Rothschild und Bondy auch Gustav Benda gefragt, ob seine Sammlung besichtigt werden könne. Benda musste bedauernd absagen und erläuterte: »Meine Sammlung ist während meiner Abwesenheit vom Hause nicht aufgestellt und daher auch für niemanden zugänglich.«45 1930 verlieh Benda drei seiner Gemälde an die Ausstellung Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst in die Wiener Secession: Aelbert Bouts Johannes der Täufer und zwei Tierstudien von Jan Brueghel dem Älteren: Hunde (heute: GG 6985) sowie Esel, Affen, Katzen (heute: GG 6988).46 Das Legat von 1932
Gustav Benda starb am 7. Februar 1932. Seine bedeutende Sammlung kunstgewerblicher Objekte vermachte er dem Kunsthistorischen Museum und dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie. In seinem Testament, datiert mit März 1930, verfügte Gustav Benda: Meine Kunst Sammlung welche einen Weltruf geniesst vermache ich dem Kunsthistorischen Museum in Wien I. Burgring und wünsche dass dieselbe als ›Sammlung Benda‹ in einem eigenen Raume möglichst so aufgestellt wird, wie es derzeit in meiner Wohnung der Fall ist. Jene Objekte, welche sich in meinem Speisezimmer und im Vorzimmer befinden ebenso die Porzellane sollen an das Oesterr. Museum für Kunst & Industrie in Wien, am Stubenring abgegeben werden. Ich bitte die Herren des Museums, sich mit Liebe meiner Gegenstände anzunehmen und mein Haupt- und Lieblingsstück das entzückende ›Lachende Kind‹ von Desiderio (oder Donatello) gut aufzustellen.47
Eine Wohnungsbesichtigung fand bereits am 15. Februar 1932 statt, anwesend waren die Direktoren des Kunsthistorischen Museums und des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, Dr. Hermann Julius Hermann (1869–1953) und Dr. Richard Ernst. Weiters kamen die beiden Haupterben Julius Thiel (Prokurist der Firma Waldek,
44 Vgl. ISZ 24, Nr. 4 (1932), S. 29. 45 MAK-Archiv, Zl. 576/1912, Benda (aus Karlsbad) an das k. k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie, 4.7.1912. Für die Unterstützung bei den MAK-Recherchen danken wir Leonhard Weidinger. 46 Vgl. Katalog zur CV. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession, Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst 1400–1700, veranstaltet vom Verein der Museumsfreunde in Wien, 11. Jänner bis 23. Februar 1930, Nr. 42 (S. 28), 124, 125 (S. 51). 47 KHM-Archiv, 12/ED/32, Testament (Abschrift), März 1930.
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22 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Wagner und Benda) mit Anwalt Dr. Ernst Gödl und Mario Gečmen-Waldek48 stellvertretend für seine Mutter Margaritha mit Anwalt Dr. Richard Röhr. Beide Anwälte sagten zu, die vermachten Kunstgegenstände sobald wie möglich an die Museen zu übergeben, bis dahin sollte jedoch die Besichtigung der Sammlung in der Wohnung nicht nur durch das Ministerium, sondern auch durch die Presse möglich sein.49 In einem Schreiben an die Finanzprokurator hielt Ernst fest, dass das Legat Benda eine Reihe von Objekten enthielte, die für das Abbildung 4: Lachender Knabe Staatliche Kunstgewerbemuseum Doublettencharakter hätten und ersuchte daher um Erlaubnis, diese Objekte den privaten Erb_innen zu überlassen, wenn das Museum im Gegenzug das Schlafzimmer, den Steinwayflügel im Speisezimmer und das männliche Bildnis von Canon bekämen.50 Die von Ernst zusammengestellte Liste von abzugebenden Objekten (Möbel und Porzellane) umfasste 34 Positionen. Am Ende der Liste fügte er an: »Aeussersten Falls kann das Familien-Bildnis von Canon den Erben überlassen werden.«51 Eine weitere Verhandlung fand am 10. März 1932 in der Wohnung von Gustav Benda statt. Anwesend waren alle Teilnehmer des Treffens vom 15. Februar, sowie Prokuratsrat Dr. Metznik. Ernst hielt in einer Aktennotiz vom selben Tag fest, dass die Wünsche des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie von den Erb_innen gegen eine »kleine Erweiterung der Kompensationsliste« akzeptiert wurden. Wie Ernst betonte, betraf dies Objekte, die für das Museum »nur Ballast« gewesen wären. In einer Aktennotiz vom darauffolgenden Tag fügte Ernst hinzu, dass auf Wunsch des Erb_ innenvertreters Dr. Röhr schriftlich bestätigt wurde, dass sich die Erb_innen mit dem Museum »vollständig geeinigt« haben und das Museum mit dem Arrangement »restlos 48 Vgl. Todesanzeige Vincenz Gečmen-Waldek in der Neuen Freien Presse vom 9.7.1918. Gattin Margaritha Gečmen-Waldek und die Kinder Vincenz, Alfons, Daisy, Christiane, Mario und Erwin. 49 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 308/1932, Verlassenschaft Gustav von Benda, Protokoll über die Besprechung vom 15.2.1932. 50 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 133/1932, Schreiben an die Finanzprokuratur, 2.3.1932. 51 MAK-Archiv, Zl. 84/1932, Aktennotiz Ernst, 10.3.1932.
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befriedigt« sei.52 Am 21. März wurden schließlich die dem Museum zugeschriebenen Objekte in dessen Eigentum übernommen und in das Inventar eingetragen. In einem siebenseitigen Verzeichnis waren die Objekte gelistet, von Biedermeiervasen über Ölbilder bis hin zu einer Zuckerdose. Extra gelistet war die Schlafzimmereinrichtung, das Badezimmer, das Vorzimmer, sowie das Zimmer der Haushälterin Gustav Bendas, Elsa Patsch.53 Am 2. Juni 1932 bestätigte die Finanzprokuratur in einem Schreiben an Rechtsanwalt Gödl, dass Margaritha Gečmen-Waldek und Julius Thiel als Erbin und Erbe »nach dem am 7. Februar 1932 verstorbenen Herrn Gustav Benda entsprechend den letztwilligen Verfügungen desselben das zu Gunsten des Kunsthistorischen Museums und des österr. Museums für Kunst und Industrie angeordnete Vermächtnis erfüllt haben«. Ebenso versicherte die Finanzprokuratur, dass die Bundesverwaltung die »pietätvollste Behandlung der übernommenen Kunstgegenstände zur Pflicht machen und bei der Aufstellung derselben unter Beobachtung der jeweils gebotenen Grundsätze einer zweckmäßigen musealen Aufbewahrung die Wünsche des Erblassers möglichst berücksichtigen« werde.54 Von Pietät kann im Umgang mit der Sammlung nach dem März 1938 wohl kaum die Rede sein, als diese aufgelöst und der Name des Stifters aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht wurde. Die dem Kunsthistorischen Museum zugedachten Objekte wurden am 17. März 1932 vom Ersten Direktor Hermann Julius Hermann übernommen, am 18. März 1932 wurde Prokuratsrat Metznik ein Verzeichnis übermittelt. Hermann drängte in einem Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, Abt. 6, darauf, bald zu entscheiden »wo dieses kostbare Legat zur Aufstellung kommen soll«.55 Noch 1932 wurden dem letzten Willen Gustav Bendas entsprechend jene Teile seiner Sammlung, die er dem Kunsthistorischen Museum vermacht hatte, in der Neuen Burg präsentiert. Die Aufstellung der Kunstgegenstände war an jener in Bendas Wohnung am Opernring 8 orientiert. Das Bundesministerium dankte dem Ersten Direktor Hermann Julius Hermann Ende Juli 1932 für die Aufstellung der Sammlung Benda »im Ringstrassenflügel der Neuen Burg« und verfügte, dass die Sammlung »in ihrer Gänze als selbständiger Annex der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe anzugliedern und dementsprechend ein selbständiges Inventar über die Sammlung BENDA anzulegen« 52 MAK-Archiv, Zl. 84/1932 ad 133/32, Liste der abzugebenden Objekte, 1.3.1932. 53 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 84/1932, Ernst an das Bundesministerium für Handel und Verkehr, 21.3.1932; vgl. KHM-Archiv, 12/ED/32, Testament (Abschrift), März 1930. 54 MAK-Archiv, Zl. 84/1932, Finanzprokuratur an RA Gödl, 2.6.1932. 55 KHM-Archiv, 12/ED/32, Hermann an BMfU, 29.3.1932 (Durchschlag).
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24 Susanne Hehenberger und Monika Löscher
Abbildung 5: Einblick in die Sammlung Benda, Aufstellung in der Neuen Burg 1932
sei.56 Dieses so genannte Benda-Inventar liegt heute noch in der Kunstkammer auf. Begleitend zur Ausstellung erschien ein Führer durch Sammlung Gustav Benda, herausgegeben vom Verein der Museumsfreunde. Darin wurde Benda als einer der »feinsinnigsten Wiener Kunstsammler der letzten 50 Jahre« gewürdigt und die Sammlung als eine der »hervorragendsten Wiener Privatsammlungen« gerühmt. »Bendas Ehrgeiz war nicht auf die Schaffung einer umfangreichen Sammlung gerichtet; ausschlaggebend für eine Erwerbung war für ihn ausschließlich die Bedeutung eines Kunstwerkes, die er mit sicherem Blick erkannte.«57 Vier Objekte des Legats Benda wurden im Juni und Juli 1936 in einer Ausstellung zur Kleinkunst der italienischen Frührenaissance gezeigt. Der Ausstellungskatalog führte diese korrekt als Teile der eigenständigen Sammlung Benda im Kunsthistorischen Museum an.58 1937 wurde die Sammlung aus Platzgründen in den zweiten Stock des Kunsthistorischen Museums übersiedelt.59 56 KHM-Archiv, 51/ED/32, Kobald (BMfU) an den Ersten Direktor, 29.7.1932. 57 Führer durch die Sammlung Gustav Benda, Wien 1932 (Verlag der Kunsthistorischen Sammlungen). 58 Vgl. Ausstellungskatalog: Kunsthistorisches Museum, Sammlungen für Plastik und Kunstgewerbe, III. Ausstellung: Kleinkunst der italienischen Frührenaissance, Juni–Juli 1936, Nr. 4, 5, 6 und 21. Bekannte Sammler wie Duschnitz, Lederer und Bondy waren als Leihgeber vertreten. 59 Vgl. Herbert HAUPT, Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring. Hundert Jahre im Spiegel historischer Ereignisse, Wien 1991, S. 108.
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Die Sammlung Gustav Benda
Die Auflösung der Sammlung Benda und das Schicksal seiner nächsten Verwandten
Während Gustav Benda seine Kunstsammlung dem Kunsthistorischen Museum sowie dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie vermachte, bedachte er seine nächsten Verwandten mit Geldbeträgen: Seine Nichte Gertrud Kauders erhielt 60.000 Schilling, die Nichten Irma Monter und Hedwig Luksch bekamen je 80.000 Schilling, genauso der Neffe Hans Kauders.60 Die in Prag lebende Nichte Gertrud Kauders erbat 1932 das Canon-Porträt ihres Großvaters Samuel Benda. Dies wurde ihr mit der Begründung verwehrt, dass Gustav Benda in seinem Testament seine Sammlung dem Kunsthistorischen Museum und dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zugewiesen hatte, eine Herausgabe eines Objektes könnte »als pietätsloser Akt gegen den letzten Willen des Sammlers« aufgefasst werden.61 Ob Gertrud Kauders mit der am 26. April 1883 geborenen Gertrud Leopoldine Kauders ident ist, die als »Correspondentin« in Prag lebte, ist nicht klar.62 Deren weiteres Schicksal war jedenfalls tragisch: Sie wurde am 12. Mai 1942 von Prag nach Theresienstadt deportiert und fünf Tage später weiter nach Lublin, wo sie ermordet wurde.63 Irma Benda kam 1878 als erste Tochter von Gustav Bendas älterem Bruder Karl und dessen Gattin Otilie, geborene Wiener, zur Welt. Ihre Eltern waren am 27. Mai 1877 in Prag getraut worden.64 Irma heiratete den Wiener Professor Maximilian Monter und lebte mit ihm seit 1914 in der Eichendorffgasse 7, in Wien 19.65 Am 12. Juli 1938 meldete die zum Katholizismus konvertierte Nichte Gustav Bendas gemeinsam mit ihrem ebenfalls katholisch getauften Mann erzwungenermaßen ihr Vermögen an. Während Maximilian Monter abgesehen von seiner Rente über kein Vermögen verfügte,66 gab Irma das Eigentum an dem Mietshaus in Wien 19, Eichendorffgasse 7 an, in dem sie und ihr Mann den ersten Stock bewohnten, darüber hinaus Aktien der Nationalbank und ein kleines Sparguthaben in der Postsparkassa. Sie merkte dazu an:
60 Vgl. KHM-Archiv, 12/ED/32, Testament (Abschrift), März 1930. 61 MAK-Archiv, Zl. 308/1932. 62 Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague-residence applications, archival box number 256, folio 374. 63 Vgl. http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.1509054 (30.4.2013). 64 Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague-residence applications, archival box number 26, folio 22. 65 Vgl. MA 8 – B-MER-378432/2013, Meldeauskunft Maximilian Monter. 66 Vgl. ÖStA, VA 38447 (früher VA 38489) Maximilian Monter, 12.7.1938, S. 3.
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26 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Mein Onkel, Gustav Benda, Inhaber von Waldeck, Wagner und Benda in Wien, vermachte sein Haus und Geschäft Opernring 10 beim Göthe-Denkmal seinem Prokuristen und versorgte damit auch seine Angestellten. Seine berühmte Kunstsammlung erbte das Kunsthistorische Museum in Wien, wo sie als ›Gustav Benda Sammlung‹ aufgestellt ist. Ich erbte ein Legat, für das ich 23.520 Schillinge an den Staat Erbgebühren zahlte.67
In der Hoffnung, eine Deportation mit Hinweis auf die großzügige Schenkung ihres Onkels Gustav Benda an das Kunsthistorische Museum verhindern zu können, wandte sich Irma Monter am 9. Oktober 1941 an den Ersten Direktor Fritz Dworschak (1890– 1974).68 Ebenso ist eine Karte von Irma Monter an Dworschak überliefert, mit der sie sich für seine Hilfe bedankt. Das Schreiben ist mit 30. November 1939 datiert.69 Das Ehepaar Monter stand auf der Liste für den Transport nach Theresienstadt am 15. Oktober 1941. Dworschak hielt 1945 dazu rückblickend fest: »Für die jüdischen Verwandten des Herrn von Benda, der dem Museum seine Kunstsammlung letztwillig vermacht hatte, Prof. Monter und Frau erwirkte ich wiederholt Erleichterungen ihrer Behandlung und mehrmals Aufschub der Verschickung.«70 Dworschaks Intervention – sofern er tatsächlich etwas unternommen hatte – brachte dem Ehepaar Monter letztlich nichts, es entkam der nationalsozialistischen Vernichtung nur vorläufig. Am 20. Juni 1942 wurden die beiden nach Theresienstadt deportiert. Maximilian Monter starb nach wenigen Wochen am 2. Oktober 1942. Irma Monter wurde am 15. Mai 1944 nach Auschwitz überstellt und dort ermordet.71 Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt, Irma Monter wurde 1945 für tot erklärt. Das entzogene Mietshaus in der Eichendorffgasse 7 wurde 1947 zu gleichen Teilen an die in Prag lebende Nichte Irma Monters und Großnichte Gustav Bendas Dr. Kristina Mager sowie an deren auch in Prag lebenden Vater, den mit Irmas Schwester Hedwig verheirateten Dr. Franz Luksch zurückgestellt.72 Hedwig Luksch, geborene Benda, war die zweite Tochter von Gustavs Bruder Karl und die jüngere Schwester von Irma Monter.73 Hedwig heiratete den sudetendeut67 68 69 70
ÖStA, VA 38489 (früher VA 38447), Irma Monter, 12.7.1938, S. 2. Vgl. KHM-Archiv, 256/KL/41, Monter an Dworschak, 9.10.1941. Vgl. KHM-Archiv, 239/KL/39, Monter an Dworschak, 30.11.1939. KHM-Archiv, Beilage zu 46/ED/45, Gesamtgestion über meine Tätigkeit als Leiter des Kunsthistorischen Museums, zitiert in: Herbert HAUPT, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938–1945, Wien 1995, S. 217–231, hier: S. 226. 71 Vgl. KHM-Archiv, 256/KL/41, Ausweisung Professor Monter und Frau. Vgl. die entsprechenden Suchergebnisse in den Personendatenbanken des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands: http://www.doew.at/ (26.3.2013). 72 Vgl. ÖStA, Irma und Max Monter, FLD 166641. 73 Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague-residence applications, archival box number 26, folio 22.
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schen katholischen Arzt Franz Luksch, geboren 1872 in Libořice/Liboritz im Kreis Podersam. Ihre gemeinsame Tochter Kristina wurde 1906 geboren.74 Luksch studierte in Prag Medizin und machte Karriere als Universitätsprofessor. Sein fachliches Interesse galt körperlichen Missbildungen und Infektionskrankheiten. Wie der Medizinhistoriker Michal Šimůnek festhält, war Luksch gesellschaftspolitisch sehr engagiert und stand der alldeutschen Bewegung nahe, die völkisches und imperialistisches Gedankengut vertrat.75 Zudem galt er als Intimus des späteren Gauleiters Konrad Henlein (1898–1945)76 und spielte eine unrühmliche Rolle in der T4 Aktion der Nationalsozialist_innen, in der mehr als 70.000 Psychiatriepatient_innen und Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen ermordet wurden.77 Wann und auf welche Weise Hedwig Luksch starb und ob die Ehe mit Franz Luksch im Nationalsozialismus aufrecht blieb, ist derzeit noch unklar. Jedenfalls war 1947 Hedwig Luksch nicht mehr am Leben, sodass Franz Luksch und die gemeinsame Tochter Kristina, das Haus von Hedwigs Schwester Irma in Wien zugesprochen bekamen.78 Der ebenfalls im Testament bedachte Neffe Gustav Bendas, Dr. Hans Kauders,79 lebte 1932 in München.80 Er kam am 24. Jänner 1880 als Sohn des Advokaten Dr. Sigmund Kauders und dessen Frau Emilie (Emmy), geborene Benda, in Prag zur Welt. Emilie war Gustav Bendas jüngere Halbschwester. Hans Kauders studierte wie sein Vater Rechtswissenschaft und lebte seit 1915 als Jurist und Schriftsteller gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth, geborene Dühring, in München. Ihr gemeinsamer Sohn Cornelius kam am 6. März 1916 zur Welt. Im Juli 1933 meldete sich Familie Kauders von München in die Schweiz ab.81
74 Vgl. National Archives Prague, Police Headquarters Prague-residence applications, archival box number 359, folio 93. In diesem Dokument wird die Schreibweise »Christine« verwendet. 75 Vgl. zu Franz Luksch: Michal ŠIMŮNEK, Getarnt – verwischt – vergessen. Die Tätigkeit von em. Univ.Prof. Mudr. Franz Xaver Lucksch (1872–1952) und Univ.-Prof. Dr. Med. Carl Gottlieb BennholdtThomson (1903–1972) im Kontext der NS-»Euthanasie« auf dem Gebiet des Protektorates Böhmen und Mähren, in: Karen BAYER, Franck SPARING, Wolfgang WOELK (Hg.), Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit, Wien 2004, S. 125-146, hier: S. 127. 76 Vgl. ŠIMŮNEK, S. 128. 77 Die T4 Aktion ist benannt nach dem Berliner Sitz der Euthanasie-Tarnorganisation in der Tiergartenstraße 4. 78 Vgl. ÖStA, Irma und Max Monter, FLD 166641. 79 Nicht ident mit Hans Kauders, geb. 17.12.1880, Wien 9, Scheuchgasse 24/8, der am 10.9.1942 nach Theresienstadt deportiert wird und dort am 30.10.1943 stirbt; vgl. http://www.doew.at/ (26.3.2013). 80 Vgl. KHM-Archiv, 12/ED/32, Testament (Abschrift), März 1930. 81 Vgl. StA München, Meldekarte Johann Kauders. Wir danken Anton Löffelmeier für die freundliche Zusendung der Meldedaten.
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28 Susanne Hehenberger und Monika Löscher Die nationalsozialistische Politik zerstörte das friedliche Leben von Gustav Bendas nächsten Verwandten in Wien, Prag und München. Zudem wirkte es sich auf seine Kunstsammlung aus: Ein Erlass des Reichministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 23. Juni 1939 legte fest, dass »bei vorhandenen Stiftungen von Juden im Wege einer Satzungsänderung der etwaige jüdische Stiftungsname und jegliche jüdische Mitwirkung bei der Verwaltung der Stiftungen zu beseitigen«82 sei. Obwohl das Legat Benda nicht darunter fiel, nahm Fritz Dworschak diese Bestimmung zum Anlass, um die Sammlung Benda aufzulösen und die Objekte in verschiedenen Sammlungen des Kunsthistorischen Museums zu inventarisieren bzw. an das Staatliche Kunstgewerbemuseum, an die Albertina83, an die Österreichische Galerie84 und an das Österreichische Volkskundemuseum85 abzugeben. Der vergessene Sammler
187 Objekte86 aus der Sammlung Benda befinden sich heute noch im Kunsthistorischen Museum, ein guter Teil davon, nämlich 146 Stück, in der Kunstkammer, wovon 29 in der neu aufgestellten Kunstkammer zu sehen sind. 62 Objekte aus Bendas Sammlung bereichern heute das MAK.87 Einige Gemälde und Zeichnungen befinden 82 Vgl. KHM-Archiv, 239/KL/39, AV Dworschak, 17.7.1939. 83 Insgesamt dreizehn Bilder aus der Sammlung Benda wurden in der Albertina inventarisiert (von Peter Fendi, Carl Schindler, Rudolf von Alt, Moritz Michael Daffinger, Leopold Fischer, Heinrich Friedrich Füger und Balthasar Wigand), zwei davon wurden 1948 aus der Albertina ausgeschieden und über die Galerie Fischer in Luzern veräußert (Auktion vom 17.–21.5.1949). Freundliche E-Mail-Auskunft von Julia Eßl (2.1.2013). 84 An das Belvedere wurden im Zuge der Auflösung der Sammlung Benda zehn Gemälde abgegeben und dort unter den Inv.-Nrn. 3686–3695 aufgenommen. Zwei Gemälde, Waldmüllers Andächtiges Mädchen (3691) und ein als Amerling bewerteter Weiblicher Kopf (3690), wurden im Tausch abgegeben, Waldmüller 1940, Amerling 1962. Freundliche E-Mail-Auskunft von Monika Mayer (14.1.2013). 85 Im Österreichischen Volkskundemuseum befinden sich zwei Objekte, die im Zuge der Auflösung der Sammlung Benda aus dem Kunsthistorischen Museum abgegeben wurden. Ein Memento-Mori-Klappbrief (ÖMV 44930) und ein Narrenstab (ÖMV 53496). Freundliche E-Mail-Auskunft von Birgit Johler (8.1.2013). 86 Wenn in der Datenbank TMS nach »Benda« im Feld Provenienz oder Quelle oder Bemerkung gesucht wird, finden sich 228 Objekte. Werden nur jene Objekte gezählt, die heute noch inventarisiert sind, so sind es 187. 41 Objekte wurden demnach gestrichen oder abgegeben. Drei Objekte mit der Provenienz »Benda« wurden »gestrichen«, was in zwei Fällen bedeutete, dass Musikinstrumente von der Kunstkammer in die Sammlung alter Musikinstrumente wanderten (aus KK 9157 wurde SAM 666, aus KK 9158 wurde SAM 667). 38 weitere Objekte aus der Sammlung Benda wurden abgegeben (eines an die Sammlung alter Musikinstrumente aus KK 9060 wurde SAM 433, drei Objekte gingen an das Belvedere, wovon eines an die Albertina weitergegeben wurde und 34 Objekte gingen an das MAK). 87 Mithilfe von Leonhard Weidinger konnten wir 62 Objekte in den Datenbanken des MAK mit der Provenienz Benda finden.
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Die Sammlung Gustav Benda
sich in der Albertina, weitere Objekte sind in der Österreichischen Galerie Belvedere und im Österreichischen Volkskundemuseum untergebracht.88 Obwohl Gustav Benda aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten war und auch einige seiner Verwandten konvertierten, wurde er post mortem im Nationalsozialismus als Jude klassifiziert. Zwar war er zum Zeitpunkt der Machtübernahme bereits tot, sodass ihn das Regime nicht mehr physisch verfolgen konnte. Die Löschung seines Namens in den Museen bedeutete jedoch einen symbolischen Tod, durch den der Kunstsammler und Mäzen Gustav Benda beinahe in Vergessenheit geraten wäre. Damit wurde, wie Horkheimer und Adorno es formulierten, dem »Toten angetan, was den alten Juden als ärgster Fluch galt: nicht gedacht soll deiner werden«.89
88 Vgl. KHM-Archiv, 239/KL 39, Auflösung der Sammlung Benda. 89 Theodor W. ADORNO, Max HORKHEIMER, Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947, S. 255.
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»So schön wie in Schönbrunn schneit es nirgends auf der Welt« Der Sammler, Forscher und Publizist Ernst Moriz Kronfeld
Cl audia Spring
»Der Verlust ist ein dreifacher: Der Zerstreuung einer Sammlung folgte die Ermordung des Menschen und die Tilgung der Erinnerung an beide. […] Im Kaleidoskop der Erinnerung entsteht das Mosaik einer Sammlung, dessen einzelne Teile das imposante Gesamte erahnen lassen.«1
Ernst Moriz Kronfeld (1865–1942) war seinen Zeitgenoss_innen durch seine zahlreichen Publikationen und Vorträge als Kulturjournalist und Botaniker bekannt. Doch die Dimension seiner Sammlungen, ihre Vielfältigkeit und Bedeutung, wurde erst wieder im Kontext der NS-Provenienzforschung deutlich – als in zahlreichen Museen, Bibliotheken und Archiven in Österreich und Deutschland Teile der ehemaligen Sammlungen Kronfelds als solche identifiziert werden konnten. Paradoxerweise war bis dahin über Kronfeld, der zeitlebens in großem Umfang biografische Informationen zu Botaniker_innen, Journalist_innen und Künstler_innen gesammelt hatte, nicht mehr publiziert als kurze Einträge in Personenlexika.2 Als Kronfeld, in der Monarchie und der Ersten Republik vielfach ausgezeichnet, 1942 starb, war niemand mehr bereit, für einen Journalisten, Sammler, Forscher und Volksbildner, der gemäß der Nürnberger Gesetze als Jude galt, einen Nachruf zu verfassen und seine Verdienste entsprechend zu würdigen. Und obwohl zahlreiche seiner Pu-
1 Lisa FISCHER, Irgendwo. Wien, Theresienstadt und die Welt. Die Sammlung Heinrich Rieger, Wien 2008, S. 8. Ich danke Margit Berner, Michael Bubik, Gerhard Heindl, Susanne Hehenberger, Mario Lanzer, Monika Löscher, Thomas Mang und Bettina Müller für wichtige fachliche Hinweise und die kritische Lektüre dieses Textes. 2 Vgl. u.a. Hermann KOSEL (Hg.), Deutsch-österreichisches Künstler- und Schriftstellerlexikon. Erster Band: Biographien der Wiener Künstler und Schriftsteller, Wien 1902, S. 356; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 4, Wien 1969, S. 295; Ludwig EISENBERG, Das geistige Wien, Band. 1, Wien 1893, S. 172.
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32 Claudia Spring blikationen, insbesondere zu Park und Tiergarten in Schönbrunn, auch in aktuellen Forschungen häufig zitiert werden, wurde er selbst fast vergessen.3 In diesem Beitrag soll eingangs versucht werden, die verstreuten biografischen Informationen zu Kronfeld und seiner großen Familie zusammenzufügen. Bedauerlicherweise gibt es außer zwei Curricula aus der NS-Zeit keine von ihm selbst verfassten biografischen Aufzeichnungen. Trotz intensiver Recherchen konnte auch nur ein einziges, kleines Foto auf einer Fotomontage gefunden werden, entstanden vor dem Jahr 1908.4 Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf den verschiedenen Sammlungen Kronfelds. Nachgezeichnet werden sollen Entstehungsgeschichte und Zusammensetzung der Theatralia- und der botanischen Sammlungen, der biografischen Sammlungen zu Journalist_innen und Botaniker_innen und vor allem seiner großen und bedeutenden Schönbrunnensia-Sammlung. Mangels detaillierterer Sammlungsverzeichnisse mussten verstreute Hinweise zu einzelnen Sammlungsteilen zusammengetragen werden: aus Bemerkungen in den zahlreichen Publikationen Kronfelds und vor allem aus den Ergebnissen der Provenienzforschung in der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Naturhistorischen Museum, dem Österreichischen Theatermuseum, dem Wien Museum und der Wienbibliothek, den Bundesgärten Schönbrunn, dem Archiv des Schlosses Schönbrunn und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln. Trotzdem ist eine vollständige Rekonstruktion des Verbleibs der Sammlungen (bzw. einzelner Teile daraus) nach Kronfelds Tod unmöglich, weil gänzlich unbekannt ist, 3
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Vgl. u. a. Gerhard HEINDL, Brennpunkt Tiergarten: Die Schönbrunner Menagerie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – zwischen kaiserlicher Institution und bürgerlichem Tiergarten, S. 151–177; Oliver HOCHADEL, Vor den Gitterstäben. Die Besucher der Menagerie Schönbrunn im 19. und frühen 20. Jahrhundert, S. 159–179, hier: S. 160; Elfriede IBY, Christian STADELMANN, Die kaiserliche Menagerie in Schönbrunn von der Gründung bis zur Besetzung durch Napoleon, S. 89–115, hier: S. 105 und S. 112; Christa RIEDL-DORN, Tiere auf weiter Fahrt. Expeditionen für Tiergarten und Museum, S. 345–375, hier: S. 367; alle Beiträge in: Mitchell ASH (Hg.), Menagerie des Kaisers – Zoo der Wiener. 250 Jahre Tiergarten Schönbrunn, Wien 2002. Vgl. weiters Christian STADELMANN, Als der Kaiser die Bürger entdeckte. Die Menagerie Schönbrunn im 18. Jahrhundert, in: Mitchell ASH (Hg.), Mensch, Tier und Zoo. Der Tiergarten Schönbrunn im internationalen Vergleich vom 18. Jahrhundert bis heute, Wien-Köln-Weimar 2008, S. 53–71, hier: S. 66; Beatrix HAJÓS, Brigitte MANG, Schönbrunn, in: Österreichische Gesellschaft für historische Gärten (Hg), Historische Gärten in Österreich: vergessene Gesamtkunstwerke, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 257–274, sowie Wolfgang TILL (Hg.), Dein Edelweiss, das macht mich heiss: Souvenir und Modeblume der Alpen, Wien 1997. Unter Mitarbeit von Andreas Ley und Ulrike Zischka. Mit einem Teilreprint von ›Das Edelweiß‹ von E. M. Kronfeld, einem Gedicht von Mascha Kaleko sowie alpenländischen Liedern und Gstanzln. Ich danke Christina Gschiel/Theatermuseum, Theodor Venus und Ingrid Oentrich/Nationalbibliothek für ihre Unterstützung bei der Recherche zu diesem Foto sowie Josef Muhsil/NHM für dessen Bearbeitung. Das Foto ist Teil einer Fotomontage von Journalist_innen, vgl. Österreichs Illustrierte Zeitung, KaiserFestnummer 1908.
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»So schön wie in Schönbrunn schneit es nirgends auf der Welt«
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wie viele Objekte aus dem ehemaligen Eigentum Kronfelds in öffentlichen Institutionen noch nicht als solche identifiziert wurden und welche sich in privatem Besitz befinden. Kronfelds Publikationen erlauben nicht nur fallweise Rückschlüsse auf seine Biografie und seine Sammlungen, sie sind auch für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte aufschlussreich, worauf in einem eigenen Kapitel eingegangen wird. In einem weiteren Abschnitt werden die Folgen des »Anschlusses« im März 1938 und der NS-Herrschaft für Kronfeld und seine Familie beschrieben. Abbildung 1: Ernst Moriz Kronfeld Ergänzend dazu werden die Ergebnisse der Provenienzforschung zum erzwungenen Verkauf bzw. zur Verteilung bzw. zum Raub seiner Sammlungen zusammengefasst und die erfolgten Beschlüsse des Kunstrückgabebeirats zu deren Rückgabe dokumentiert. Zum Schluss soll die bis heute andauernde wissenschaftliche und kulturhistorische Bedeutung der Sammlungen Kronfelds aufgezeigt und der Frage nachgegangen werden, in welcher Form eine adäquate – viel zu späte – Geste der Würdigung der Verdienste Ernst Moriz Kronfelds möglich wäre. Biografische Notizen zu Ernst Moriz Kronfeld und seiner Familie
Ernst Moriz Kronfeld wurde am 1. Februar 1865 im galizischen Lemberg geboren.5 Wann und warum die Familie Kronfeld – sein Vater Jakob (zu dem keine weiteren Daten bekannt sind), seine Mutter Ernestine (geb. Sass, 1841–1890)6 und sein vier Jahre älterer Bruder Adolf (1861–1938) nach Wien migrierten, ist unbekannt. Sein 5
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Die biografischen Angaben sind den von Kronfeld in der NS-Zeit verfassten Lebensläufen entnommen, vgl. der ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, und Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, Lebenslauf Kronfeld, beigelegt dem Schreiben Kronfelds an Otto Antonius vom 18.10.1941. Für weitere Informationen danke ich Theodor Venus, der, finanziert von der Stadt Wien, der Akademie der Wissenschaften und dem Zukunftsfonds der Republik Österreich, eine Datenbank zu jüdischen Journalist_innen erstellt, die demnächst online zugänglich sein wird. In Hans MORGENSTERN, Jüdisches biographisches Lexikon. Eine Sammlung von bedeutenden Persönlichkeiten jüdischer Herkunft ab 1800, Berlin-Münster-Wien-Zürich-London 2011 (Auflage 2) ist sie statt Ernestine Sass irrtümlich als Esther Fass angeführt.
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34 Claudia Spring jüngerer Bruder Robert (1874–1946) wurde bereits in Wien geboren und Ernst Moriz absolvierte seine Schulausbildung schon in Wien, wo er 1882 maturierte. Obwohl er »als Sohn eines Beamten genötigt [war], zeitig [einen] praktischen Beruf zu suchen«,7 begann er ein vielseitiges Studium an der Universität Wien: Philosophie, Physik und Botanik. Im Juni 1886, mit 21 Jahren, beendete er sein Botanikstudium mit dem Doktorat, danach meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger bei der k. und k. Armee und schloss währenddessen auch ein Medizinstudium mit dem so genannten Absolutorium ab. Die Habilitation wurde Kronfeld verwehrt und, da dieses Verfahren eine der raren biografischen Quellen zu Kronfeld ist, sei dies hier ausführlicher beschrieben. Im April 1887 brachte er bei der Universität Wien seinen ersten Antrag auf Zulassung zur Habilitation als Privatdozent für Morphologie und Biologie der Phanerogamen (Blütenpflanzen) ein. Dieser wurde, wie aus einem Besprechungsprotokoll vom Juni 1887 hervorgeht, nicht behandelt, da Kronfeld, so die Ansicht Anton Kerners von Marilaun (1831–1898), damals Ordinarius und Direktor des Botanischen Gartens der Universität Wien, »zwar ein recht talentierter junger Mann sei, […] die Arbeiten aber doch noch nicht ganz ausreichend seien zur Habilitation; außerdem sei erst sehr kurze Zeit seit der Promotion (Juni 1886) verstrichen«.8 Kronfeld zog seinen Antrag zurück und reichte im Jänner 1888 neuerlich ein. In seinem Curriculum verwies er auf seine mittlerweile in renommierten Fachzeitschriften erschienenen Artikel, auf seine Lehrer an der Fakultät und auf seinen Einsatz beim Militär – hatte er sich doch »zur freiwilligen Dienstleistung in dem von der heftigen Typhus-Epidemie heimgesuchten Klosterneuburg«9 gemeldet und war dabei lebensgefährlich erkrankt. Und, dies ist der früheste Hinweis auf seine Sammeltätigkeit, schon für seine Habilitation hatte er eine »für die Verhältnisse eines Privatmannes recht umfangreiche […] und nach speziellen Richtungen eingehende […] Sammlung«10 zusammengetragen – sie enthielt vor allem Objekte, mit denen er seine botanischen Versuche durchgeführt hatte. Der Umfang der Sammlung bzw. Kronfelds Aktivitäten zu deren Erweiterung gehen unter anderem aus einem 1887 verfassten Brief hervor, in dem er das Botanische Institut in Berlin Dahlem bat, ihm »aus Ihrem Vorrathe sämmtliche Typhaarten (und Formen), von
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ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld. UAW, PH PA 2423, fol. 6. Ich danke Wolfgang Herrmann für die aufwändige Transkription der vielen, teilweise nur schwer lesbaren Dokumente dieses Aktes. 9 UAW, PH PA 2423, fol. 8 und fol. 16, Zitat in Letzterem. 10 UAW, PH PA 2423, fol. 14.
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jeder Lokalität in je einem schönen Exemplare, zukommen zu lassen«.11 Doch auch diese Bemühungen nutzten nichts, im April 1888 wurde Kronfelds Habilitationsantrag zurückgewiesen. Kerner hielt in seinem Bericht an das Kollegium fest, dass Kronfeld eine im letzten Antrag angekündigte Arbeit noch nicht vorgelegt habe. Zu den neu eingereichten Arbeiten wollte Kerner kein Urteil abgeben, da diese »nicht systematischen Charakter haben, sondern biologisch sind«.12 Letzteres verweist auf unterschiedliche botanische Forschungsrichtungen, die durchaus zu Kontroversen zwischen einzelnen Botanikern führten, was Kronfeld aber trotzdem nicht davon abhielt, die Venia docendi für beides anzustreben. Das Kollegium traf sich zu zwei weiteren Sitzungen. In der ersten wurde konstatiert, dass Kronfeld keine neuen Fakten für ein Habilitationsverfahren vorgelegt habe, weshalb Kerner und sein Kollege Julius Wiesner (1838–1916), Professor für Anatomie und Physiologie der Pflanzen am Botanischen Institut der Universität Wien, die Zurückweisung des Antrags verlangten. In der zweiten, Ende April 1888, hieß es, dass die von Kronfeld neu vorgelegten Publikationen »von ganz untergeordnetem Werte« seien und Kronfeld darüber hinaus keine »auf selbständiger Untersuchung fußende anatomische oder entwicklungsgeschichtliche oder physiologische Abhandlung«13 vorgelegt habe. Das Kollegium beschloss einstimmig, Kronfeld nicht zur Habilitation zuzulassen.14 Ein Jahr später, im Mai 1889, brachte Kronfeld seinen dritten Antrag auf Verleihung der Venia docendi ein, diesmal für spezielle Botanik.15 Kerner, der Kronfeld gestattet hatte, für seine Arbeiten Material des Botanischen Gartens und des Universitätsinstituts für Botanik zu verwenden, legte in der Kollegiumssitzung am 6. Dezember 1889 eine positive Beurteilung der Habilitationsschrift vor: »Die Arbeit ist mit Fleiß und Verstand ausgeführt, und zeugt von umfassender Literaturkenntniss des Verfassers. […] Die Habilitationsschrift entspricht […] nach Form und Inhalt den Anforderungen, […] sie behandelt nach wissenschaftlicher Methode selbständig ein Problem der systematischen Botanik, für welche sich der Bewerber zu habilitieren beabsichtigt, und ihr wissenschaftlicher Wert begründet die Ertheilung der venia Docendi für
11 Botanisches Museum Berlin, Archiv, Brief Kronfelds, 1887 (das genaue Datum ist nicht ersichtlich, da die Briefmarke herausgeschnitten wurde). Ich danke Hans-Walter Lack und Norbert Kilian/Botanisches Museum Berlin für diesen Hinweis. 12 UAW, PH PA 2423, fol. 10. Ich danke Ernst Vitek/Botanische Abteilung des NHM für die fachlichen Hinweise. 13 UAW, PH PA 2423, fol. 9. 14 Vgl. UAW, PH PA 2423, fol. 9 und fol. 10. 15 Vgl. UAW, PH PA 2423, fol. 25.
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36 Claudia Spring spezielle Botanik.«16 Kerner verteidigte die Qualität von Kronfelds Arbeit gegen die in der Sitzung vorgebrachte Kritik seiner Kollegen. Offenbar gab es jedoch in einem der vorherigen Verfahren eine »Controverse […], die von Seite Kronfelds mit einer umso thadelnswertheren Anmaßung geführt wurde, als er im Unrecht war.«17 Weder das Faktum noch die Gründe des Streites gehen aus den Akten hervor, doch sollten nun »auch die Charaktereigenschaften des Petenten berücksichtigt werden […], wie dieß sogar das Habilitationsgesetz verlangt.«18 Daraufhin hatte die Kommission zwar »einstimmig die wissenschaftliche Qualifikation der vorgelegten Habilitationsschrift anerkannt, jedoch in anderen Hinsichten nicht die Überzeugung schöpfen können, daß die Habilitation des Dr. Kronfeld wünschenswert sei«.19 Warum Kerner trotz seines positiven Gutachtens auch dagegen stimmte, ob, nachdem im dritten Verfahren offenbar keine fachlichen Gründe mehr geltend gemacht werden konnten, persönliche Befindlichkeiten, Differenzen aufgrund unterschiedlicher botanischer Forschungszugänge oder/und auch antisemitische Ressentiments die Kollegiumsmitglieder gegen die Habilitierung Kronfelds stimmen ließen, bleibt offen. Auch letzteres kann angenommen werden, waren doch Lehrende und Studierende mit offenem Antisemitismus konfrontiert und die Hörsäle (beispielsweise an der Medizinischen und der Juridischen Fakultät) schon in den 1870er Jahren »zu Schauplätzen von physischen und psychischen Gewaltanwendungen«20 geworden. Wie Kronfeld diese nun endgültige Abweisung seiner universitären Karriere, seiner »eigentlichen Lebensfreude«,21 wie es die Schriftstellerin Elisabeth Freundlich, eine 16 UAW, PH PA 2423, fol. 33. 17 UAW, PH PA 2423, fol. 1. 18 UAW, PH PA 2423, fol. 1. 19 UAW, PH PA 2423, fol. 1. 20 Birgit NEMEC, Klaus TASCHWER, Terror gegen Tandler. Kontext und Chronik der antisemitischen Attacken am I. Anatomischen Institut der Universität Wien 1910–1933, S. 147–172, hier: S. 149; vgl. weiters Oliver RATHKOLB, Gewalt und Antisemitismus an der Universität Wien und die Badeni-Krise 1897. Davor und danach, S. 69–92, hier: S. 91; sowie Ilse REITER-ZATLOUKAL, Antisemitismus und Juristenstand. Wiener Rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät und Rechtspraxis vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum »Anschluss« 1938, S. 183–206, hier: S. 183; alle in: Oliver RATHKOLB (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität im 19. und 20. Jahrhundert, Wien-Göttingen 2013. Ausgehend von diesem Buch wären weitere Forschungen auch zu den Vertretern der botanischen Universitätsinstitute wünschenswert. 21 Elisabeth FREUNDLICH, Der Seelenvogel, Wien-Hamburg 1986, S. 13 f. Freundlich sprach hier von Adolf Kronfeld, doch aufgrund der Beschreibung handelt es sich mit Sicherheit um Ernst Moriz. Ich danke Mario Lanzer für den Literaturhinweis und die Information (Gespräch am 24.7.2013), dass Elisabeth Freundlich zu ihrem Roman meinte, er sei »›Dichtung und Wahrheit‹«– in dieser Reihenfolge«. Leider finden sich außer im Prolog keine weiteren Hinweise zu diesem Teil ihrer Familie.
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Nichte Kronfelds, in ihrer autobiografischen Erzählung beschrieb, bewältigte, ist unbekannt. Ebenfalls offen bleibt, wie es ihm gelungen ist, 1908 über Kerner, der ihn zwar verteidigte, letztlich aber auch gegen seine Habilitation stimmte, eine viel beachtete und bis heute rezipierte Biografie zu verfassen.22 Kronfeld schrieb weiterhin wissenschaftliche Artikel zu botanischen Fragen, begann aber, um sich und später auch seine Familie ökonomisch abzusichern, als Kulturjournalist für Zeitungen wie die Neue Freie Presse, das Neue Wiener Tagblatt, die Wiener Abendpost und, ab 1882, hauptsächlich für das Fremdenblatt zu arbeiten. In Letzterem war er, vermutlich ab 1887, verantwortlicher und innovativer Redakteur für die Tageschronik.23 Das Fremdenblatt, eine von 1847 bis 1919 erscheinende österreichische Tageszeitung, war seit den 1870er Jahren speziell im Kultursektor, vor allem im Theaterbereich, bedeutsam.24 Kronfeld trug dazu wesentlich durch Theaterkritiken und kurze Biografien bzw. Nachrufe über Theaterdirektoren, Schauspieler_innen, Tänzer_ innen und Varietékünstler_innen bei. Er berichtete aber auch ausführlich von gesellschaftlichen Ereignissen und beschrieb medizinische Besonderheiten wie siamesische Zwillinge. Außerdem konnte Kronfeld sein botanisches Wissen anwenden, indem er immer wieder Beiträge über Gartenanlagen verfasste, vor allem über jene in Schönbrunn.25 Ob Kaiser Franz Joseph das Fremdenblatt tatsächlich täglich gelesen hat, wie ein ehemaliger Redakteur 1948 behauptete, ist fraglich, doch zumindest zählte dessen Lektüre zu den täglichen Aufgaben von Joseph Roths Protagonisten Franz Freiherr von Trotta und Sipolje in seinem Roman Radetzkymarsch.26 1909, Kronfeld war damals 44 Jahre alt, führte ein – vermutlich persönlicher – Konflikt zum Ende seiner Tätigkeit beim Fremdenblatt; eine Rückkehr war vom neuen Eigentümer der Zeitung nicht mehr gewünscht. Trotz Fürsprache einiger Kollegen, 22 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Anton Kerner von Marilaun. Leben und Arbeiten eines deutschen Naturforschers, Leipzig 1908. Zur Rezeption vgl. u. a. Maria PETZ-GRABENBAUER, Anton Kerner von Marilaun, S. 7–25, sowie Walter TILL, Anton Kerner und das Herbarium der Universität Wien, S. 49–63, beide in: Maria PETZ-GRABENBAUER, Michael KIEHN (Hg), Anton Kerner von Marilaun, Wien 2004. 23 In zwei biografischen Lexika (KOSEL 1902 und EISENBERG 1893) findet sich als Beginn von Kronfelds Tätigkeit beim Fremdenblatt das Jahr 1892. 24 Zum Fremdenblatt vgl. Ingeborg HARTL, ›Das Fremdenblatt‹. Ein Beitrag zur österreichischen Pressegeschichte, Dissertation, Wien 1949, hier: S. 23–28. Hartl konnte das Kryptonym mk nicht entschlüsseln, aufgrund des Kronfeld-Nachlasses im Österreichischen Theatermuseum, wo sich mit mk unterzeichnete Artikel Kronfelds sowie von ihm handschriftlich eingefügte Notizen finden, ist die Zuordnung eindeutig möglich, vgl. HARTL 1949, S. 21 und S. 26. 25 Vgl. Österreichisches Theatermuseum, ZA-Sammlung Kronfeld in der Bibliothek des Theatermuseums, Nachlass Kronfeld, Karton 1. 26 Vgl. HARTL 1949, S. 82.
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38 Claudia Spring unter anderem auch aus dem Journalisten- und Schriftsteller-Verein Concordia, konnte Kronfeld auch nicht, wie von ihm angestrebt, in der Wiener Zeitung arbeiten.27 In den Jahren 1926 bis 1930 war er Redakteur des Neuen Wiener Tagblatt,28 doch konkretere Informationen, wann Kronfeld bei welcher Zeitschrift arbeitete, und wann er in Pension ging, sind nicht aufzufinden. Kronfeld machte in seinen Curricula keine Angaben dazu, er schrieb 1938 lediglich, er hätte »durch mehr als 40 Jahre [als] Schriftleiter bei angesehenen Wiener Tageszeitungen«29 gearbeitet. Wann und wo sich Kronfeld und seine spätere Frau Rosalie Lanzer (geb. am 17. Februar 1874 in Wien) kennenlernten, dazu gibt es mangels biografischer Aufzeichnungen Kronfelds keine Informationen. Sie heirateten 1896, er war 31, sie 22, und am 26. August 1897 wurde ihr Sohn Curt in Kritzendorf bei Wien geboren. 42 Jahre, von Februar 1900 bis zu seinem Tod im März 1942, wohnte die Familie Kronfeld in WienLeopoldstadt in der Kaiser-Joseph-Strasse 33/17 (der heutigen Heinestraße). Wie groß die Wohnung war, ist unbekannt, doch auch Curt und, ab 1922, auch dessen Frau Marianne (geb. am 14. Dezember 1894 in Ungvar) wohnten dort. Marianne blieb bei ihren Schwiegereltern, auch nachdem Curt 1928 plötzlich verstarb. Im Oktober 1938 zog noch Rosalie Lanzers verwitwete Schwester Hedwig Prüwer (1870–1942) zur Familie Kronfeld.30 Der Tod ihres einzigen Sohnes – er war »einem tückischen Leiden zum Opfer gefallen«31 traf Ernst Moriz und Rosalie Kronfeld sehr – noch zehn Jahre später schrieb er in seinem Lebenslauf, den er der im Juli 1938 zu erstellenden Vermögensanmeldung beilegte, als erstes von seinem verstorbenen Sohn Curt und erst danach von seiner eigenen Ausbildung und beruflichen Tätigkeit.32 Ernst Moriz Kronfeld und Rosalie Lanzer heirateten nicht nach jüdischem Ritus und in den Matriken der Israelitischen Kultusgemeinde findet sich auch kein Eintrag zur Geburt ihres Sohnes.33 Kronfeld, und mit ihm einige seiner Familienmitglieder, änderten ihre Religionszugehörigkeit: Er trat am 24. Jänner 1902 in die evangelische 27 Ich danke Theodor Venus für diese Information aus der zuvor genannten Datenbank zu Journalist_innen. 28 Vgl. drei Briefe in der Schönbrunnensia-Sammlung dieser Zeit, Archiv der Schloss Schönbrunn GmbH, Sammlung Dr. Kronfeld, Verzeichnis S. 7 und S. 13, 29 ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Lebenslauf. 30 Vgl. Meldeauskunft, MA 8–B-AW 6949/2009, Kopie im Besitz der Verfasserin. Davor war Kronfeld häufig übersiedelt, er wohnte am Schottenring, in der Schlickgasse, in der Porzellangasse und später mit seiner Familie einige Jahre in der Löwengasse. 31 Todesanzeige Curt Kronfelds, in: Neue Freie Presse, 23.8.1928. 32 ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Lebenslauf. 33 Ich danke Wolf-Erich Eckstein/IKG für diese Informationen (4.3.2013).
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Kirche A. B. ein, gleichzeitig wurde sein damals fünfjähriger Sohn Curt evangelisch getauft. Als beider Pate fungierte Johann Jung, ein Administrator der Urania, den Kronfeld vermutlich im Rahmen seiner dortigen Tätigkeit kennengelernt hatte. 1908 war nun Ernst Moriz Pate für seinen jüngeren Bruder Robert und dessen Söhne Rudolf und Robert jun.34 Auch sein älterer Bruder Adolf konvertierte, jedoch zur römischkatholischen Kirche.35 Einzig Rosalie Kronfeld gehörte weiterhin der Israelitischen Kultusgemeinde an. Die Motive der Entscheidung zur Konversion können vielfältig gewesen sein – Glaubensgründe, Ausdruck der Assimilationsbestrebungen in die mehrheitlich christlich geprägte Gesellschaft, oder auch die Hoffnung, dadurch den antisemitischen Anfeindungen dieser Zeit zu entgehen: Immerhin war Karl Lueger Bürgermeister in Wien, antisemitische Tiraden in politischen Reden und Zeitungen waren weit verbreitet, auch antisemitisch motivierte Übergriffe häuften sich. Die Entscheidung der Familie Kronfeld war nicht ungewöhnlich – konvertierten doch auch viele andere um die Jahrhundertwende vom jüdischen zum christlichen Glauben – prominente Beispiele sind unter anderem der Mediziner und spätere Nobelpreisträger Karl Landsteiner, die Romanistin Elise Richter und die Physikerin Lise Meitner.36 Das Interesse an einer breit gefächerten Ausbildung teilte Ernst Moriz mit seinem Bruder Adolf, der nicht nur Medizin, sondern auch Kunstgeschichte und klassische Philologie studierte. Sein jüngerer Bruder Robert wurde ebenfalls Arzt und spezialisierte sich auf Zahnheilkunde. Die drei Brüder Kronfeld waren eng miteinander verbunden: ein Sohn Adolfs war nach seinem Onkel Ernst benannt, auf einer Postkarte von Ernst Moriz an Adolf nannte dieser ihn »Liebster Adolf«; ein Buch Kronfelds zu Schönbrunn enthielt ein von Adolf verfasstes Sonett,37 Adolf unterstützte Ernst Moriz bei den Recherchen zu seinen Publikationen, indem er ihn auf medizinische Fachliteratur aufmerksam machte,38 und Ernst Moriz, der vermutlich aus Altersgründen im Ersten Weltkrieg nicht mehr als Soldat eingezogen wurde, widmete sein Buch 34 Vgl. Anna L. STAUDACHER, Jüdisch-protestantische Konvertiten in Wien 1782–1914, Teil 1, Frankfurt a. M.-Bern-New York 2004, S. 225, sowie Teil 2, S. 402 f., und Teil 1, S. 225. 35 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt VA Zl. 1851, Emma Kronfeld (Ehefrau Adolf Kronfelds). Ich danke Michael Wladika für diesen Hinweis. 36 Vgl. Mitchell ASH, Jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Wien von der Monarchie bis nach 1945. Stand der Forschung und offene Fragen, in: RATHKOLB 2013, S. 93–122, hier: S. 95. 37 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Das neue Schönbrunn. Naturhistorisch geschildert, Wien 1890, Vorwort. 38 Vgl. Österreichisches Theatermuseum, ZA-Sammlung Kronfeld in der Bibliothek des Theatermuseums, Karton 2, Mappe Siamesische Zwillinge, Brief Adolfs an Ernst Moriz Kronfeld vom 9.6. (o. J., nach 1903).
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40 Claudia Spring über den Krieg in Aberglauben und Volksglauben seinem »seit Kriegsbeginn im Felde stehenden vom Kaiser für tapferes und aufopferungsvolles Verhalten vor dem Feinde ausgezeichneten Bruder, k. k. Oberarzt Dr. Robert Kronfeld, als Gruß der Heimat im März 1915«.39 Doch nicht nur die familiären Bande waren eng, auch beruflich bzw. hinsichtlich ihrer Interessen hatten die Brüder vieles gemeinsam. Sie publizierten regelmäßig und nahmen aktiv am gesellschaftlichen Leben Wiens teil – Adolf ab 1889 als Redakteur und von 1909 bis 1938 als Chefredakteur der renommierten Wiener Medizinischen Wochenschrift, als Autor kunsthistorischer Beiträge und als Mitbegründer des Wiener Ärzteorchesters; Ernst Moriz als Kulturjournalist angesehener Zeitungen und als Verfasser zahlreicher naturwissenschaftlicher und kulturhistorischer Publikationen, und auch Robert veröffentlichte von 1898 bis 1936, also fast vierzig Jahre, zahlreiche Beiträge zur Zahnheilkunde.40 Adolf engagierte sich darüber hinaus parteipolitisch in der Ersten Republik und kandidierte, wie auch der Botaniker Richard Wettstein, für die bürgerlich-demokratische Partei – vergeblich – für die Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919.41 Auch die Söhne der Brüder Kronfeld waren bekannte Persönlichkeiten: Ernst Moriz‘ Sohn Curt war erster Direktor der Wiener Fremdenverkehrskommission und Gründungsmitglied der Festwochen Wien-Salzburg.42 Rudolf Kronfeld (1901–1940), Roberts Sohn, wurde wie sein Vater Zahnarzt. Roberts Sohn Robert jun. (1904–1948) war ein international bekannter Segelflieger, der 1928, bei minus 30 Grad, den ersten Hochgebirgssegelflug über die niederösterreichische Rax durchführte, 1929 mehrere Weltrekorde aufstellte und als erster den Ärmelkanal überquerte. Über ihn erschienen auch noch Jahre nach seinem Unfalltod einige Bücher, und 1959 wurde in Wien-Liesing eine Gasse nach ihm benannt.43 Otto Kronfeld (1902–1984) folgte dem Beispiel seines Vaters Adolf und studierte Medizin. 39 Zu Ernst Kronfeld (1898–1900) vgl. Friedhofsdatenbank der Stadt Wien, www.friedhoefewien.at, Eintrag zu Adolf Kronfeld ( 7.2.2013); zur Postkarte siehe Universität Wien, Institut für Geschichte der Medizin, Nachlass Adolf Kronfeld, Korrespondenz; zur Widmung siehe Ernst Moriz KRONFELD, Der Krieg in Aberglauben und Volksglauben. Kulturhistorische Beiträge, München 1915, Vorwort. 40 Vgl. ÖBL, http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kronfeld_Robert_1874_1946 (25.7.2013). 41 Vgl. Stichwort ›Adolf Kronfeld‹, www.bildarchivaustria.at (22.4.2013). Die Partei erhielt nur ein Mandat in der Nationalversammlung. 42 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Lebenslauf, sowie Curt KRONFELD, Burgtheater und Weltkrieg. Mit einem Geleitwort von Hugo Thimig und einem Nachwort von Max von Millenkovich, Wien 1917. 43 Vgl. ÖBL, http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kronfeld_Robert_1874_1946 sowie http://www. wien.gv.at/strassenlexikon (25.7.2013).
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Ernst Moriz‘ journalistische Tätigkeit führte zu zahlreichen Mitgliedschaften und Funktionen, die er – zusätzlich zu seiner publizistischen, auf die weiter unten noch eingegangen wird – ausübte. Am 13. Dezember 1893 trat er dem Journalisten- und Schriftsteller-Verein Concordia bei, und von 1905 bis 1909 engagierte er sich in dessen Ausschuss. Weitere Aktivitäten können angesichts seines sonstigen Engagements nur vermutet werden – das Concordia-Archiv wurde in der NS-Zeit zerstört.44 Weiters war Kronfeld viele Jahre Sekretär der Wiener Urania und des Wiener Volksbildungsvereins, und von Oktober 1909 bis April 1914 übernahm er die Schriftleitung der Mittheilungen des Wiener Volksbildungsvereines. Möglicherweise im Zusammenhang damit stand seine Mitgliedschaft im Kinematographen-Zensurbeirat ab 1915. Nicht zuletzt war er ab 1909 korrespondierendes Mitglied der Gartenbaugesellschaft und, ab 1928, auch des Vereins der Gärtner und Gartenfreunde. Ab 1931, also vermutlich nach seiner Pensionierung als Kulturjournalist, stellte er sein Wissen noch als Mitarbeiter bzw. Konsulent der RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft) zur Verfügung – diese Aufgabe musste er nach dem »Anschluss« im März 1938 beenden. Auch dieses berufspolitische und bildungspolitische Engagement teilte er mit seinem Bruder Adolf, der von 1922–1938 als ehrenamtlicher Sekretär internationale ärztliche Fortbildungskurse organisierte.45 Für seine vielfältigen Aktivitäten erhielt Kronfeld zu Lebzeiten einige Auszeichnungen, sowohl während der Monarchie als auch in der Ersten Republik: 1901 das Ehrendiplom der ersten österreichischen Reichsgartenbau-Ausstellung, 1905 folgte das Diplom der Internationalen Botanischen Ausstellung, 1908, anlässlich des 60-jährigen Jahrestages der Krönung Kaiser Franz Josephs, wurde er zum Kaiserlichen Rat ernannt, 1910 wurde ihm die Silberne Protektormedaille verliehen, 1929 das Silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich und 1936, auf Betreiben der Gartenbaugesellschaft, vom Bundespräsidenten das Ritterkreuz I. Klasse des österreichischen Verdienstordens.46 Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahr war für den mittlerweile 71-jährigen Kronfeld die akademische Feier zu seinem 50-jährigen Promotionsjubiläum, bei der der damalige Direktor des Botanischen Instituts und des Botanischen Gartens der Universität Wien, Fritz Knoll (1883–1981) – der Kronfeld wahrscheinlich persönlich kannte – die Festrede hielt. 44 Kronfeld hatte die Mitgliedsnummer 591. Vgl. Julius STERN, Journalisten- und Schriftsteller-Verein Concordia, 1859–1909. Eine Festschrift, Wien 1909, S. 253 und S. 231, sowie Mail vom ConcordiaSekretariat vom 26.11.2012, Kopie im Besitz der Verfasserin. 45 Leopold SCHÖNBAUER, Adolf Kronfeld zu seinem hundertsten Geburtstag, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 111 (1961) Nr. 27, S. 455–457, hier: S. 456. 46 Ich danke Claudia Gröschl/Gartenbaugesellschaft für diese Information.
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42 Claudia Spring Der Sammler Ernst Moriz Kronfeld
Zu den vielen Sammlungen Kronfelds sind keine von ihm erstellten Verzeichnisse (mehr) bekannt. Hinweise dazu ergaben sich jedoch aus seinen Publikationen, auf die im nächsten Abschnitt detaillierter eingegangen wird, und vor allem im Zuge der systematischen Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven. Die Sammlungen lassen sich in die Bereiche Schönbrunnensia, Botanik, Theatralia und Biografisches unterteilen, weiters gibt es noch einzelne Objekte, die vermutlich auch Teile größerer Sammlungen gewesen sind.47 »So schön wie in Schönbrunn schneit es nirgends auf der Welt«:48 Kronfelds Schönbrunnensia-Sammlung
Ernst Moriz Kronfeld hatte über Jahrzehnte »als Privatmann in Oesterreich wohl die grösste auf die Geschichte des Schönbrunner Gartens bezügliche Sammlung von Büchern, Bildern, Urkunden, Plänen usw.«49 angelegt und zahlreiche Werke dazu verfasst. Als Botaniker sammelte er vor allem zum Garten in Schönbrunn, doch auch die Unterlagen zum Schloss, zur Menagerie und zum Schlosstheater sind zahlreich. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit der Geschichte Schönbrunns, den Habsburger_innen und den von ihnen finanzierten Expeditionen zur Akquise von bis dahin in Wien unbekannten Tieren und Pflanzen. Auch den Hofgärtnern in Schönbrunn, vor allem Richard van der Schot (1763–1819) und Franz Boos (1753–1823), die die exotischen Pflanzen sammelten, kultivierten und dokumentierten, galt sein besonderes Interesse. Die hier beschriebenen Teile der Schönbrunnensia-Sammlung, die Kronfeld auch explizit so bezeichnete,50 wurden im Zuge der Provenienzforschung im Archiv der Schloss Schönbrunn GesmbH, der Bibliothek der Bundesgärten Schönbrunn, dem Naturhistorischen Museum Wien, der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Wien Museum und der Wienbibliothek aufgefunden. Woraus besteht nun die Schönbrunnensia-Sammlung? Neben den von Kronfeld in seiner Vermögensanmeldung genannten Büchern, Bildern, Urkunden und Plänen 47 Zum Verbleib der Sammlungen nach Kronfelds Tod und zu den Entscheidungen des Kunstrückgabebeirates siehe weiter unten. 48 Ernst Moriz KRONFELD, Park und Garten von Schönbrunn, Wien 1923, S. 5. 49 ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Lebenslauf. 50 Vgl. u.a. Ernst Moriz KRONFELD, Die erste Giraffe in Schönbrunn, in: Der Zoologische Garten, Leipzig N. F. (1934/35), S. 214–220, hier: S. 219.
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umfasst das im Archiv der Schloss Schönbrunn GesmbH als Sammlung Dr. Kronfeld erworbene Konvolut zahlreiche Fotos, Radierungen, Lithografien, Federzeichnungen, Typoskripte, Sonderdrucke (sowohl von Beiträgen Kronfelds als auch anderer Autoren wie Otto Antonius (1885–1945), dem langjährigen Leiter des Tiergartens Schönbrunn), Zeitungsausschnitte, Broschüren Plakate sowie zahlreiche handschriftliche Notizen Kronfelds zum Schloss Schönbrunn und seinen Nebengebäuden sowie dem Schlosstheater, den Figuren und Pflanzen aus dem Park und ausgewählten Tieren der Menagerie Schönbrunn. Insbesondere die Bilder und Pläne erleichtern heutige Renovierungs- und Gestaltungsarbeiten in Schönbrunn. Aber auch die Zeitungsausschnitte und Notizen haben kulturhistorische Relevanz – beispielsweise jene zur Welwitschia mirabilis, einer Pflanze, die seit 1788 in Schönbrunn kultiviert und 1900, aufgrund ihrer Seltenheit, bei der Pariser Weltausstellung gezeigt wurde; ebenso die vielen Publikationen und Manuskripte Kronfelds unter anderem zur Menagerie, entstanden im Laufe seiner langjährigen Beschäftigung mit Schönbrunn. Die Drucksachen, Programmzettel und Ankündigungen zu Aufführungen im Schlosstheater, sind nicht nur von historischem Wert, sondern verdeutlichen auch seine Theaterleidenschaft. Aufschlussreich sind nicht zuletzt die zahlreichen Postkarten – meist mit Tier- und Pflanzenmotiven – und Briefe aus dem Zeitraum von 1905 bis Mai 1938. Sie zeigen, dass Kronfeld als anerkannter Experte für biografische Informationen zu Botanikern galt, an den sich die Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums Wien, des Botanischen Gartens München-Nymphenburg und des Zoologischen Instituts in Prag wandten. Sie dokumentieren aber auch, dass Kronfeld umfassend zu den kaiserlichen Hofgärtnern in Schönbrunn forschte und, in der Hoffnung auf Porträts und auf biografische Informationen in ganz Europa deren Nachfahr_innen kontaktierte.51 Von besonderer Bedeutung sind handschriftliche Aufzeichnungen von dem bedeutenden Botaniker Nicolaus von Jacquin (1727–1817) – eine Biografie und die Geschichte seiner Familie, Reiseberichte und Briefe von seinem Sohn Joseph52 – aber auch Autografen von den Hofgärtnern Richard van der Schot, Franz Boos und Georg Scholl. Zwölf weitere Objekte der Schönbrunnensia-Sammlung, nämlich Stiche, Radierungen und Lithografien zu Schönbrunn sowie zum Belvedere wurden im Wien Museum 51 Vgl. Archiv der Schloss Schönbrunn GmbH, Sammlung Dr. Kronfeld, Verzeichnis, S. 5–8. 52 Teile dieser Aufzeichnungen sind nachzulesen in: Helga HÜHNEL, Botanische Sammelreisen nach Amerika im 18. Jahrhundert, in: Franz WAWRIK, Elisabeth ZEILINGER, Jan MOKRE, Helga HÜHNEL (Hg.), Die Neue Welt. Österreich und die Erforschung Amerikas, Wien 1992, S. 61–77, hier: S. 61 und S. 63.
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44 Claudia Spring ebenfalls als ehemaliges Eigentum von Kronfeld identifiziert, ebenso zwei Bücher in der Wienbibliothek. Herausragend innerhalb der Schönbrunnensia-Sammlung sind 176 Pflanzenzeichnungen und ein Verzeichnis von Handzeichnungen, 1988 vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM) angekauft,53 deren historischen Kontext Kronfeld ausführlich beschrieben hat: Kaiser Franz I. Stephan (1708–1765), war ein großer Förderer der Naturwissenschaften. Er gründete 1752 die Menagerie in Schönbrunn und, ein Jahr später, den holländisch-botanischen Garten in Schönbrunn mit Treib- und Glashäusern für seltene Pflanzen – angeregt von Gerhard van Swieten, dem Leibarzt Maria Theresias, umgesetzt vom holländischen Hortologen Adrian van Stekhoven. Anders als beispielsweise Holland oder England, konnte Kaiser Franz I. Stephan kein »intaktes koloniales Netz«54 nutzen, daher war er auf Expeditionen mit kompetenten Reisenden angewiesen. Diese sollten ihm lebende exotische Pflanzen und Tiere nach Wien bringen – »ein unabdingbares Faktum für eine solche Institution«55 – aber auch wissenschaftlich verwendbare Herbarien, Mineralien, Münzen und ethnologische Gegenstände zur Vergrößerung der kaiserlichen Sammlungen. Daher finanzierte Kaiser Franz I. Stephan eine große Expedition (1755–1759) in die Karibik, zu den Antillen, nach Venezuela und Kolumbien, geleitet von Nicolaus von Jacquin, dem »Linné Österreichs«,56 der »der Botanik in Wien ihre lokale Reputation zu verschaffen«57 vermochte. Ein Mitreisender war Hofgärtner Richard van der Schot, der, wie Kronfeld aus Originaldokumenten zur Expedition zitierte, »vornehmlich sich durch Kenntnis der ausländischen Gewächse auszeichne, ein frommes Leben führt und kein Spieler und kein Trinker ist«.58 Die mitgebrachten Pflanzen dieser Expedition dienten Nicolaus von Jacquin zur Erstellung zweier grundlegender und kunstvoll gestalteter Werke zur Botanik: Hortus 53 Vgl. Christa RIEDL-DORN, Von Leermeldungen zu achtzehn Dossiers – Zehn Jahre Provenienzforschung am Naturhistorischen Museum, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg), »... wesentlich mehr Fälle als angenommen««. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung, WienKöln-Weimar 2009, S. 176–194, hier: S. 191 und S. 193 f. Das Verzeichnis trägt den Titel J. v. Jacquin, Verzeichnis der Handzeichnungen welche für die Privat Bibliothek Sr. Maj. von Johann Schmutzer in den Jahren 1795–1824 verfertigt worden sind. 54 Marianne KLEMUN, Botanische Gärten und Pflanzengeographie als Herrschaftsrepräsentationen, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 330–346, hier: S. 334. 55 Marianne KLEMUN, Globaler Pflanzentransfer und seine Transferinstanzen als Kultur-, Wissens- und Wissenschaftstransfer der frühen Neuzeit, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 205– 223, hier: S. 213. 56 KRONFELD 1923, S. 35, vgl. auch S. 32. 57 KLEMUN 2000, S. 331. 58 Konduitenliste zu den Hofgärtnern in Schönbrunn, zitiert nach KRONFELD 1923, S. 54.
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Schoenbrunnensis, Stapelarium in hortis Vindobonensibus cultarum und Selectarum stirpium americanum, letzteres vollendet von seinem Sohn Joseph.59 Drei weitere Expeditionen erfolgten im Auftrag von Joseph II. (1741–1790) – unter anderem auch, um abgestorbene Tropenpflanzen von der Jacquin-Expedition zu ersetzen. Die erste in den Jahren 1783–1785 nach Nordamerika (Pennsylvania, New Jersey und South Carolina, östliches Florida) und Westindien, geleitet von dem Gärtner am Theresianum, Franz Joseph Märter (1753–1817), und begleitet von Franz Boos, damals Obergeselle des Hofgärtners Richard van der Schot, sowie dem Gärtner Franz Bredemeyer; die zweite in den Jahren 1785–1788 zu den westindischen Inseln und Venezuela, wiederum mit Franz Bredemeyer sowie Josef Schücht.60 Im selben Zeitraum war Franz Boos mit der Leitung einer weiteren Exkursion beauftragt – an das südafrikanische Kap der Guten Hoffnung und zur Insel Mauritius, um zur Ausstattung der Menagerie und des Botanischen Gartens in Schönbrunn »daselbst abermals seltsame Pflanzen und Thiere zu sammeln«.61 Zur Dokumentation der erworbenen Objekte fertigten unter anderen Nicolaus von Jacquin, Richard van der Schot und Franz Boos zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle an, auch deshalb, weil die zuvor gesammelten Herbarbelege von Ameisen vernichtet worden waren.62 Kronfeld, der die Zeit Jacquins als »die glanzvollste Epoche der Botanik in Oesterreich«63 beschrieb, besaß zumindest einige der damals entstandenen Bilder: Tuschzeichnungen und Aquarelle mit detaillierten Studien von Pflanzen, ihren Wurzeln, Blättern, Blüten, Früchten und Samen. Die Entstehungsgeschichte dieses wertvollen Teils der Schönbrunnensia-Sammlung ist zumindest teilweise dokumentiert. Im Mai 1891, also zwei Jahre nachdem seine Habilitation abgelehnt worden war, berichtete Kronfeld in einer Versammlung der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien über seinen zufälligen Fund in einem Antiquariat der 59 Vgl. Kronfeld, 1923, S. 66. Die Werke waren 2004 im Rahmen von Sonderführungen bei der JacquinAusstellung in der Universitätsbibliothek Wien zu sehen. Vgl. www.dieuniversität-online.at (4.2.2010). 60 Vgl. KRONFELD 1923, S. 32, S. 53, S. 56 und S. 76. Insgesamt erstellte Joseph von Jacquin 36 Prachtbände, vgl. KLEMUN 2000, S. 334 und S. 337–339. Zu Märter vgl. ebd. S. 340 f. 61 Ernst Moriz KRONFELD, Hundertfünfzig Jahre Schönbrunner Thiergarten (1752–1902), Wien 1902, S. 7. Im Februar 1790 ernannte Kaiser Leopold II Franz Boos, für dessen Aufnahme als Gärtner Richard van der Schot sich seinerzeit eingesetzt hatte, als Direktor des Schönbrunner Gartens sowie der Menagerie. Boos starb 1832 in Wien. Zu Boos und dessen Verdiensten um Schönbrunn vgl. weiters STADELMANN 2008, S. 60–62. 62 Vgl. KRONFELD 1923, S. 50. 63 Verhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien XLI (1891), Wien 1891. Versammlung am 6. Mai 1891. Mittheilung von Dr. Ernst Moriz Kronfeld, S. 37.
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46 Claudia Spring
Abbildung 2: Tsori Valli
Abbildung 3: Pancratium Cariborum
von Jacquin selbst während der westindischen Reise (1755–1759) gezeichnete[n] und mit Wasserfarben gemalte[n] Pflanzenabbildungen, dann Bilder von Pflanzen und Vögeln, welche der Hofgärtner Franz Boos während seiner Amerikareise malte. Jedes der Blätter trägt von Jacquin’s Hand die lateinische Bezeichnung, respective von Boos’ Hand den lateinischen, deutschen und englischen Namen der betreffenden Pflanze und des auf derselben sitzenden Vogels.64
Ein Jahr später beschrieb Kronfeld in einer botanischen Fachzeitschrift die »Originalabbildungen, unter welchen ich solche von Nicolaus Jacquin und Franz Boos zu finden so glücklich war«65 und stellte diese Informationen der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung.
64 KRONFELD 1891, S. 37; vgl. weiters KRONFELD 1923, S. 63. 65 Ernst Moriz KRONFELD, Abbildungen amerikanischer Pflanzen und Vögel von Franz Boos (1783– 1785), in: Botanisches Centralblatt (13) Bd. L Nr. 10, 1892, S. 289–294, hier: S. 289.
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Von mindestens ebenso großer kultur- und wissenschaftshistorischer Bedeutung sind vier im Zuge der Provenienzforschung in der Bibliothek der Bundesgärten Schönbrunn aufgefundene Manuskriptbände, verfasst von den Hofgärtnern Richard van der Schot und Franz Boos. 1799, während Nicolaus von Jacquin sein kunstvolles Werk zum Hortus Schönbrunnensis gestaltete, erstellte, wie Kronfeld in seiner Monografie zum Park Schönbrunns betonte, der »um die naturwissenschaftlichen Anstalten Schönbrunns so sehr verdiente Franz Boos«66 einen 100-seitigen Manuskriptband mit dem Titel Verzeichnis der gesamten in dem Kais. Königl. Holländischbotanischen Hoffgarten zu Schönbrunn befindlichen Gewächsen [sic!] und Pflanzen; Abbildung 4: Apocynum scandens folio cordato flore zusammengetragen von dem alldasigen Kaisl. albo, links oben ist der Eigentumsstempel Kronfelds Königl. Hoffgärtner Franz Boos. Im Jahr zu erkennen. 1799. Der Band enthält ein alphabetisches Verzeichnis aller Gewächse und Pflanzen im Garten von Schönbrunn – »eine Arbeit, wie sie damals in Mode war, um erstlich der Wissenschaft zu nützen, anderseits dem Publikum den Reichtum einer Sammlung zu offenbaren«.67 Dieses Verzeichnis, so Kronfeld weiter, sei von besonderer Wichtigkeit, weil es uns einen Überblick über Schönbrunns Pflanzenreichtum zu einer Zeit gewährt, da der […] Schönbrunner Garten […] in der letzten Zeit alle anderen Gärten überflügelt [hat]. Dies geschah ebenso durch die Munifizenz des Kaisers Franz als durch die Sorge sowie die Reisen Jacquins, welcher die Sammlung um nahezu unermessliche Pflanzenschätze aus Amerika und Afrika bereicherte. Kaum lässt sich ausdrücken, wie viele und große Ergebnisse die Botanik dem ausgezeichneten Institute zu verdanken hat.68
66 KRONFELD 1923, S. 22. 67 KRONFELD 1923, S. 47, vgl. auch S. 66. 68 KRONFELD 1923, S. 66.
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48 Claudia Spring Abbildung 5: Verzeichnis von Franz Boos
Insgesamt waren darin mehr als 5.000 Pflanzen aus der »nicht wieder erreichten Glanzzeit des Schönbrunner Gartens«69 aufgelistet. Um diese Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, publizierte Kronfeld im Jahr 1911 eine Abschrift im Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik.70 Auch Hofgärtner Richard van der Schot dokumentierte das botanische Wissen seiner Zeit in drei wertvollen Manuskriptbänden: der erste trägt den Titel Verzeichnis diverser Pflanzen, im Jahre 1759 begonnen, der zweite Verzeichnis von 1098 Pflanzen, und der dritte Index Systematis Vegetabilium transcriptus a Richardo van der Schot ex editione decima tertia a 1774, et ex posterioribus operibus botan. usque ad annum 1780 circiter. Die Manuskriptbände sind auch heute noch wissenschaftsgeschichtlich relevant – dokumentieren sie doch die Verbreitung von und das Wissen über Pflanzen sowie die Bedeutung Schönbrunns innerhalb der botanischen Gärten der europäischen Herrscherhäuser. Kronfelds Botanische Sammlung
Im Zuge der Arbeiten für seine Habilitation nutzte Kronfeld auch die umfangreichen Bestände und die botanische Bibliothek des damaligen k. k. naturhistorischen Hofmuseums, das 1885 etwa 340.000 Spannblätter von den botanischen Sammlungen des k. k. 69 Ernst Moriz KRONFELD, Der Schönbrunner botanische Garten im Jahre 1799, in: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik 3 (1911), S. 330–356, hier: S. 330. 70 KRONFELD 1911.
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Hof-Naturalienkabinetts übernommen hatte. Doch auch das Museum profitierte von Kronfelds Expertise. So hatte er im Jahr 1888 Typhaarten (Rohkolbengewächse) zur wissenschaftlichen Bearbeitung nach Hause genommen, die er 1889 retournierte. Und er schenkte dem Museum zahlreiche Herbarbelege aus seiner Sammlung: »In der botanischen Abtheilung wurde das Herbar um 11.918 und die morphologische Sammlung um 494 Nummern bereichert […]. Von hervorragender Wichtigkeit darunter sind die von Herrn H. Braun und von Herrn Dr. M. Kronfeld geschenkten Pflanzen aus Oesterreich-Ungarn, 768 und 1567 Nummern.«71 Kronfelds Schenkung bestand aus einer Sammlung von Typhaarten sowie von Früchten, Coniferenzapfen, Holzproben und Pilzen. Kronfeld bedankte sich auch bei den Angestellten der botanischen Abteilung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums »für die hochherzige Unterstützung, welche Sie mir bei meinen botanischen Studien angedeihen ließen.«72 Darüber hinaus erklärte er sich bereit, die umfangreiche Typhasammlung selbst in das Herbarium einzuordnen. Trotzdem verfügte Kronfeld weiterhin über ein umfangreiches Herbarium, denn auch bei der Ankündigung seiner Vorträge findet sich wiederholt der Hinweis, dass er auch Herbarbelege zeigen würde.73 Außerdem besaß Kronfeld eine Tabaksammlung. Sie entstand möglicherweise im Kontext einer Publikation über die Tabakpflanze. Der Umfang der Sammlung ist unbekannt, doch zumindest ein Foto eines japanischen Rauchgerätes ist heute im Besitz des Weltmuseums Wien. Dieses Foto hatte Kronfeld vor 1905 vermutlich der damaligen ethnografischen Sammlung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums, die sich im heutigen Weltmuseum Wien befindet, geschenkt oder verkauft.74 Und der ehemaligen Reichsanstalt für Tabak71 Annalen des k.k. Hofmuseums, 6 (1891), Jahresbericht 1890, S. 9. Vgl. auch die jeweiligen Jahresberichte in den Annalen folgender Jahre: 1886, S. 22; 1887, S. 18; 1888, S. 22 f., S. 48; 1889, S. 21; 1890, S. 9, S. 26, S. 53 f.; 1891, S. 48; 1892, S. 24; 1893, S. 17, 1894, S. 20; 1902, S. 27; 1904, S. 20; weiters die Datenbank Virtual Herbaria, http://herbarium.univie.ac.at (5.6.2013) sowie Eva SCHÖNBECKTEMESY, Zur Geschichte des Herbars der Wiener Universität, in: Wilfried MORAWETZ (Hg.) Die Botanik am Rennweg. Abhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft Österreichs 26 (1992), S. 69–95, hier: S. 69. 72 Schreiben Kronfelds vom 13.6.1890 an die botanische Abteilung des k.k. Hofmuseums, NHM-Archiv, Intendanzakten Z. 386/1890. 73 Verhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien XXXVI (1886), 1886, Versammlung am 13. Jänner 1886, Vortrag von Dr. M. Kronfeld über Studien zur Teratologie der Gewächse, S. 103– 122, hier: S. 103: »Die Güte des Herrn Directors v. Kerner gestattete mir, die Universitäts-Sammlung zu benützen und dem botanischen Garten frische Objecte zu entnehmen. Das übrige ›Material‹ entstammt aus der kleinen Collection meines Besitzes.«« 74 Vgl. Weltmuseum Wien, MVK Fotosammlung, VF_8035. Ich danke Christina Gschiel und Monika Löscher/Kommission für Provenienzforschung, für diesen Hinweis und Ildiko Cazan/Weltmuseum Wien, für
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50 Claudia Spring Abbildung 6: Rauchgerät eines Japaners
forschung im baden-württembergischem Forchheim, dem heutigen Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg hatte er, spätestens in den 1930er Jahren, »sein ganzes Tabak- und Rauchermaterial gewidmet«.75 Kronfelds Theatralia-Sammlung
Die im Theatermuseum, in der Nationalbibliothek und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln aufgefundenen Teile aus Kronfelds Theatralia-Sammlung hatte er spätestens ab 1899, parallel zu seiner langjährigen Tätigkeit als Kulturjournalist angelegt und zumindest bis in die 1930er Jahre fortgeführt. Er sammelte verschiedenste, auf das Theater bezogene Materialien: vor allem Programmhefte, Fotos, Theatertexte und Bücher über das Theater, aber auch Theaterkritiken und diverse Zeitungsartikel – auch seine eigenen – über Wiener Theater und deren Schauspieler_innen. Bemerkenswert ist die Fülle der österreichischen und auch ausländischen die Zurverfügungstellung. Die ethnographische Sammlung wurde 1927 in das neu errichtete Museum für Völkerkunde, seit 2013 umbenannt in Weltmuseum Wien, eingegliedert. 75 Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, Lebenslauf Kronfeld, beigelegt dem Schreiben Kronfelds an Otto Antonius vom 18.10.1941 (siehe dazu weiter unten).
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Zeitschriften, aus denen Kronfeld Beiträge ausschnitt, beschriftete und einordnete – Tages- Wochen- und Monatszeitungen aus Wien, Österreich und Deutschland sowie internationale Theaterzeitungen.76 Eingeordnet sind die jeweiligen Unterlagen in verschiedenste Zeitungsumschläge, die Kronfeld vermutlich im Zuge seiner journalistischen oder sonstigen publizistischen Tätigkeiten bekommen hatte. Die Bandbreite reicht von der Hietzinger Zeitung über die Zeitschrift Asien (von der Deutsch-Asiatischen Gesellschaft) bis zu verschiedensten technischen und medizinischen Fachzeitschriften. Dass Kronfeld sich als Theatralia-Sammler begriff, seine Sammlungen kontinuierlich erweiterte und für seine Publikationen sowie für verschiedenste Anfragen an ihn nutzte, geht aus dem Faktum hervor, dass er seine Unterlagen alphabetisch nach Personen und zahlreichen Stichworten geordnet und zahlreiche Notizen darauf vermerkt hatte. Weiters bewahrte Kronfeld seine Korrespondenzen auf – allein im Kölner Bestand sind noch vierhundert Briefe und Postkarten vorhanden, ein weiterer Brief, der inhaltlich dazu gehört, befindet sich in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.77 Die Korrespondenzen zeigen, dass Kronfeld viele Künstler_innen persönlich kannte – so lud ihn beispielsweise Franz Lehár zur Jause ein. Von Lehár findet sich auch ein Foto, das er Kronfeld »in herzlichster Freundschaft und Wertschätzung«78 gewidmet hatte. Auf den etwa 300 Fotos in Kronfelds Sammlung sind viele persönliche Widmungen vermerkt, unter anderem auch von dem Wiener Schauspieler Alexander Girardi, einem engen Freund Katharina Schratts.79 In vielen Schreiben ersuchten die Verfasser_innen um Ankündigung bevorstehender Premieren bzw. um positive Kritiken, aber es finden sich auch Bitten darunter, für Kolleg_innen in finanzieller Notlage einen Hilfeaufruf in den Zeitschriften zu veröffentlichen. 76 U. a.: Neue Freie Presse, Neues Wiener Journal, Österreichische Kronen-Zeitung, Illustriertes Wiener Extrablatt, Wiener Allgemeine Tagesbote, Die Zeit Wien, Montags Revue Wien, Neues Wiener Tagblatt, Wiener Bilder und Österreichische Illustrierte Zeitung; aus Deutschland: Frankfurter Zeitung, Frankfurter Neueste Nachrichten, Dresdner Nachrichten, Berliner Anzeiger, Leipziger Tagblatt, Norddeutsche Allgemeine Zeitung Berlin, Posener Tageblatt, Kölnische Zeitung, Generalanzeiger Dortmund, Illustrierte Halbwochen-Chronik des Berliner Tageblatts, Artistische Nachrichten des Hansa-Theaters, Welt-Neuigkeits-Blatt, Der Artist Düsseldorf, Artisten-Tribüne Leipzig und Berlin, Staatsbürger-Zeitung Berlin, Der Anker-Internationale Schausteller-Zeitung, weiters Bohemia Prag, Ostpreussische Zeitung und La Vie de Paris. 77 Der dortige Bestand mit der Signatur NB Han Kronfeld umfasst insgesamt 32 Autographen von 25 Personen, zumeist Schreiben an Kronfeld als Redakteur. Der Besitzabfolge dieses Bestandes wird noch nachgegangen. 78 Ralf LEPPIN, Aus der alten Wiener Zeit. Der Teilnachlass des Redakteurs Ernst F. Moriz Kronfeld in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln, Köln 1997, S. 6. 79 LEPPIN 1997, S. 11.
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52 Claudia Spring Insbesondere der Kölner Bestand verdeutlicht die vielen Überschneidungen zwischen Kronfelds Interessen, der Botanik und dem Theater: So sind die Sammlungen zu Goethe als Naturforscher – auf Johann Wolfgang Goethe bezog er sich immer wieder in seinen Publikationen – und zu Gartentheatern besonders umfangreich. Nicht zuletzt bewahrte Kronfeld in seiner Theatralia-Sammlung auch persönliche Geschenke an ihn und seinen 1928 verstorbenen Sohn Curt auf, mit dem er seine Theaterleidenschaft geteilt hatte. Kronfelds biografische Sammlungen
Angesichts der regen Sammlertätigkeit und der verschiedenen Interessensgebiete Kronfelds ist es nicht verwunderlich, dass er auch umfangreiche biografische Sammlungen von Persönlichkeiten, die er kannte und/oder zu denen er forschte und publizierte, angelegt hatte. Kronfeld selbst schreibt nichts zu deren Geschichte – sehr wahrscheinlich entstanden sie im Zuge seiner wissenschaftlichen und journalistischen Tätigkeiten. Weder deren Anzahl noch ihr Umfang ist bekannt – jedoch müssen es zumindest drei größere gewesen sein. Wie zuvor erwähnt, enthielt seine Theatersammlung zahlreiche biografische Informationen, doch hatte Kronfeld auch eine biografische Sammlung zu Journalist_innen angelegt, die er vor 1938, wie er in seiner Vermögensanmeldung anführte, der »Gewerkschaft der Journalisten«80 übergab. Von seiner dritten biografischen Sammlung zu – im weitesten Sinn – an Botanik interessierten Personen sind zumindest noch Teile erhalten: Einige wenige in der zuvor beschriebenen Sammlung Dr. Kronfeld im Archiv der Schloss Schönbrunn GesmbH, der überwiegende Teil jedoch in der Biografischen Sammlung Kronfeld im NHM-Archiv.81 Auch die Entstehung letzterer ist nur teilweise bekannt. Sehr wahrscheinlich hat Kronfeld schon während seines Botanikstudiums Informationen zusammengetragen, spätestens jedoch während der Arbeiten an seiner Habilitation und seinen weiteren Publikationen. Vermutlich schon vor dem Jahr 1912 hatte er eine biografische Samm80 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Pkt. 6. 81 Seit 1989 ist die Sammlung im NHM-Archiv aufbewahrt. Irrtümlicherweise wurde sie in einem 1993 erschienenen Verzeichnis zu den Nachlässen in den Bibliotheken und Museen der Republik Österreich als Nachlass Kronfeld angeführt. Diese ›26 Konvolute, Biographische Sammlung über Botaniker (Zeitungsausschnitte, Separata, Literaturangabe, briefliche Auskünfte)‹ sind kein Nachlass Kronfelds, sondern die Biografische Sammlung Kronfeld im NHM; die 26 Konvolute entsprechen der Zahl der Buchstaben des Alphabets. Siehe Gerhard RENNER, Die Nachlässe in den Bibliotheken und Museen der Republik Österreich, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 220. Trotz der irrtümlichen Schreibweise Moritz statt Moriz und trotz der fälschlichen Annahme, Kronfeld wäre Arzt gewesen, handelt es sich hier eindeutig um Ernst Moriz Kronfeld.
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lung – oder zumindest große Teile davon – der damaligen botanischen Abteilung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums Wien übergeben, mit der er ja in engem wissenschaftlichen Austausch stand.82 Kronfeld blieb Namensgeber für die Sammlung – selbst nach deren Neuordnung im Jahr 1981, wo biografische Informationen aus verschiedensten anderen Konvoluten der botanischen Abteilung eingegliedert wurden.83 Die Biografische Sammlung Kronfeld war in Fachkreisen bekannt und wurde, vermutlich aufgrund des langen Zeitraums ihres Bestehens und der damit verbundenen Quellen, zumindest bis in die 1990er Jahre für Recherchen genutzt.84 In ihrer heutigen Form besteht sie aus nach Nachnamen geordneten Konvoluten unterschiedlichen Umfangs mit Dokumenten aus dem Zeitraum von 1900 bis in die 1990er Jahre. Aufbewahrt sind Informationen vor allem zu den zuvor genannten Botanikern wie Nicolaus und Joseph von Jacquin, den Hofgärtnern in Schönbrunn, Franz Boos und Richard van der Schot, zu Richard Wettstein, Professor für Botanik und Direktor des Botanischen Gartens, aber auch zu bekannten Persönlichkeiten, die sich (unter anderem auch) mit Botanik beschäftigten – beispielsweise Aristoteles, Hildegard von Bingen und William Shakespeare. So finden sich darunter Zeitungsausschnitte, Fotos, Literaturhinweise, Todesanzeigen und Nachrufe, weiters Korrespondenzen zu biografischen Details der jeweiligen Personen, Separata von ihren Publikationen sowie schriftliche Notizen mit Zusammenfassungen von biografischen Angaben. Die Frage, welche Teile dieser Sammlung originär von Kronfeld sind, kann nur teilweise beantwortet werden. In einzelnen Konvoluten gibt es Dokumente, die aufgrund des Inhaltes, der Schrift bzw. des Adressaten eindeutig Kronfeld zuzuordnen sind: Beispielsweise ein Brief an Kronfeld von Mai 1909, in dem ein Vertreter der holländischen Gartenbaufirma Van der Schoot bedauert, ihm keine Auskunft zu Hofgärtner Richard van der Schot geben zu können, weiters eine Postkarte von Juli 1912 an Kronfeld, auf der das Haus des Botanikers Peter Joseph Lenné in Bonn 82 Im einzigen noch vorhandenen Bibliotheksjournal der botanischen Abteilung aus den Jahren 1912 bis 1929 findet sich bis 1918 kein Eintrag, weshalb die Sammlung vor 1912 angekauft worden sein müsste. 1928 erfolgte eine (Neu-)Inventarisierung zahlreicher Bücher und auch der biografischen Sammlung Kronfeld mit einem dementsprechenden Eintrag im Bibliotheksjournal. Möglicherweise erfolgte 1928 auch ein Ankauf weiterer Teile der biografischen Sammlung Kronfelds. 83 Vgl. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Jahresberichte, 86 (1982) Serie C, Bericht von Harald Riedl über das Jahr 1981, Arbeiten in der Bibliothek und in den Sammlungen, S. 15 f. 84 Vgl. u. a. Walter H. LACK, Daniela WAGNER, Das Herbar Ullepitsch, in: Willdenowia. Mitteilungen aus dem Botanischen Garten und Botanischem Museum Berlin-Dahlem 14 (1984), S. 417–433, hier: S. 432. Fußnote 7 verweist auf die Botanische Abteilung, Bibliothek, Kronfeldsammlung. Die Parte, auf die in diesem Beitrag Bezug genommen wird, ist aus dem Jahr 1897.
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54 Claudia Spring abgebildet ist sowie ein Brief Kronfelds von März 1934 an den ehemaligen Direktor der botanischen Abteilung des NHM, in dem Kronfeld diesem eine biografische Anfrage zu Aloys Enslen beantwortet. Allein diese wenigen Dokumente zeigen, dass sich selbst renommierte Institutionen in der Hoffnung auf biografische Informationen an Kronfeld wandten und lassen den Schluss zu, dass er trotz aller Schenkungen und Verkäufe weiterhin eine umfangreiche Sammlung besaß bzw. weiter sammelte.85 Kronfelds Sammlungen waren sowohl privat als auch öffentlich. Zwar ist unbekannt, in welchem Ausmaß er Teile seiner Sammlungen, vor allem der Schönbrunnensia-Sammlung, für Ausstellungen als Leihgaben zur Verfügung stellte, doch zumindest 1927, in einer Jubiläums-Blumenschau anlässlich der 100-Jahrfeiern der Österreichischen Gartenbaugesellschaft, waren einige der zuvor beschriebenen Pflanzenzeichnungen zu sehen, ebenso ausgewählte Dokumente des Hofgärtners Joseph Boos.86 Kronfelds Sammlungen waren öffentlich insofern, als er einige Teile davon an öffentliche Institutionen bzw. Verbände verschenkte und verkaufte, und selbst jene Teile, die er in seiner Wohnung aufbewahrte, können – gewissermaßen indirekt – als öffentlich gelten. Denn Kronfeld teilte sein Wissen großzügig, indem er immer wieder seine biografischen Sammlungen für die Beantwortung von Anfragen nutzte; er stellte Teile seiner Sammlungen für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung, da er seine Quellen veröffentlichte – beispielsweise das Schot’sche Pflanzenverzeichnis des Schönbrunner Gartens, die Briefe Joseph von Jacquins87 oder auch die Korrespondenzen mit Anton Kerner. Letztlich machen auch seine Publikationen seine Sammlungen für die Öffentlichkeit zugänglich, worauf im folgenden Abschnitt detaillierter eingegangen wird. 50 Jahre publizistische Tätigkeit
Ernst Moriz Kronfeld kann als unermüdlicher Publizist bezeichnet werden: einerseits als Kulturjournalist, andererseits als Naturwissenschaftler. Mangels eines ausführlichen Nachrufes oder auch einer Festschrift, die Kronfeld aufgrund seiner langjährigen Tätigkeiten wohl verdient hätte, gibt es kein vollständiges Werkverzeichnis, und die 85 Vgl. NHM-Archiv, Biografische Sammlung Kronfeld, Konvolut Enslen Aloys, Brief Kronfelds mit biografischen Informationen vom März 1934; Konvolut Lenné Peter Josef, Postkarte Kronfelds vom Juli 1912; Konvolut Schoot [sic!], Brief der holländischen Firma van der Schoot an Kronfeld vom Mai 1909. Ich danke Wolfgang Hermann für die Hilfe bei der Transkription. 86 Ich danke Claudia Gröschl/Gartenbaugesellschaft für diese Information. 87 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Jacquin des Jüngeren botanische Studienreise 1788–1790, in: Beihefte zum Botanischen Zentralblatt (1921) Abt. II, S. 132–176.
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Erstellung eines solchen hätte die Vorbereitungen für diesen Beitrag gesprengt – zu zahlreich sind die Zeitungsartikel, Fachbeiträge sowie die kleineren und größeren Monografien, die er im Laufe von 50 Jahren verfasst hatte.88 Es ist das Verdienst der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln, für einen 1997 erschienenen Ausstellungskatalog zu den dortigen Teilen aus der Theatralia-Sammlung Kronfelds, zumindest eine Teilbibliografie erstellt zu haben.89 Kronfelds erste Publikationen entstanden schon während seines Studiums: Er folgte der Einladung von Mitgliedern der k. k. Akademie der Wissenschaften sowie der k. k. Zoologisch-Botanischen Gesellschaft, über seine Forschungsergebnisse zu referieren – allein bei letzterer jährlich zwischen 1886 und 1917. Ausführlich dokumentiert sind seine Vorträge in den Veröffentlichungen dieser im damaligen Wissenschaftskontext sehr renommierten Institutionen.90 Die Liste der botanischen bzw. naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften, in denen Kronfeld publizierte, ist umfangreich. Außer für die beiden zuvor genannten schrieb er für das Botanische Centralblatt, Englers Botanische Jahrbücher, die Österreichische Botanische Zeitschrift, das Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, die Wiener Landwirtschaftliche Zeitung, ebenso für deutsche Zeitschriften wie Der Zoologische Garten, die Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft sowie Die Gartenkunst, eine Monatsschrift für Gartenkunst und verwandte Gebiete. Darüber hinaus verfasste Kronfeld, der ja auch einige Semester Medizin studiert hatte, wiederholt Artikel für bedeutende medizinische Fachjournale, unter anderen für die Wiener Klinische Wochenschrift sowie die Wiener Medizinische Wochenschrift (in Letzterer war, wie bereits erwähnt, sein Bruder Adolf von 1909 bis 1938 Schriftleiter). Außerdem verfasste Kronfeld verschiedenste volksbildnerische Publikationen sowie einen Lehrbehelf für Studierende der Botanik.91 Kronfeld publizierte über die verschiedensten Pflanzen – Edelweiß, Mistel, Nelke, Safran, Tabak, Typha und Walnuss – und beschrieb nicht 88 Ich danke Robert Stangl und Matthias Svojtka/Botanische Bibliothek der Universität Wien sowie Gabriele Palfinger/Bibliothek der botanischen Abteilung des NHM für ihre Unterstützung insbesondere bei der Suche nach Kronfelds zahlreichen Separata. 89 Vgl. LEPPIN 1997, S. 13. Einige wenige Publikationen finden sich auch in: Richard STEINBACH, Österreichische Botaniker des 19. Jahrhunderts, die nicht an Hochschulen wirkten, Dissertation, Wien 1959, S. 177 f. 90 Vgl. u. a. Ernst Moriz KRONFELD, Über einige Verbreitungsmittel der Compositenfrüchte, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften XCI (1885) I. Abth. Xxx, S. 414–430, sowie Ernst Moriz KRONFELD, Über den Blüthenstand der Rohrkolben, in: ebd. XCIV (1886) , S. 78–110. 91 U. a. im Jahrbuch des Volksbildungsvereins und den Blättern des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich. Zu Letzterem vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Die wichtigsten Blütenformeln. Für Studierende erläutert und nach dem natürlichen System angeordnet, Wien 1892.
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56 Claudia Spring nur deren botanische Spezifika, sondern widmete sich auch ausführlich deren Kulturgeschichte, wobei er sein profundes Wissen aus den Bereichen Geschichte, Geografie, Kunst, Philosophie und Botanik nutzen konnte. Exemplarisch sei hier seine Monografie zur Geschichte der Gartennelke genannt, die viele Bilder von Nelken in historischen Kontexten enthält, aber auch Abbildungen eines höfischen Paares bei einem Nelkenstock aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, weiters einen Abschnitt zur geografischen Verbreitung der Nelke und ihrer kulturhistorischen Bedeutung in den verschiedenen Jahrhunderten sowie biografische Informationen zu einzelnen Nelkensammlern. In einem weiteren Text verwies er auf Gemälde verschiedener europäischer Museen etwa in München und Florenz, auf denen Nelken zu finden waren und berichtete ausführlich über ein bedeutendes Herbar in Bologna.92 In einem Beitrag über die Geschichte des Tabaks erläuterte er die Bedeutung und Verbreitung rauchbarer Pflanzen von der Zeit Herodots bis zu Kolumbus und dessen Transfer der Tabakpflanze nach Europa; in einer Veröffentlichung über die Mistel ging er ebenfalls bis in die Zeit Plinius‘ d. Ä. zurück. Auch seine Monografie zum Weihnachtsbaum ist ein informatives und humorvolles Buch mit einem umfangreichen Kapitel zu dessen Geschichte, mit Gedichten und nach kunsthistorischen Kriterien ausgewählten Bildern – hatte Kronfeld doch, wie er im Vorwort betonte, »seit Jahren sein Augenmerk vorzugsweise jenen Problemen gewidmet, die die Pflanze in ihrer Beziehung zur menschlichen Kultur, zu Denken und Fühlen, zu Geist und Herz betreffen. So ist das Buch vom Weihnachtsbaum entstanden«.93 Kronfelds Publikationen waren nicht nur für den damaligen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Interessent_innenkreis relevant, sie sind auch aus heutiger Sicht eine aufschlussreiche Quelle für die Wissenschaftsgeschichte als solche – kann man doch darin den damaligen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse, Methoden, Kommunikationsformen, (technischer) Möglichkeiten und Probleme, beispielsweise bei der Beschaffung von Material aus nahen und fernen Ländern und, damit verbunden, auch die Wahrnehmung und Beschreibung von Menschen aus anderen Ländern aus der Sicht eines in Wien lebenden Botanikers und Kulturjournalisten nachlesen. Nicht zuletzt erweitert die Lektüre seiner Texte auch das Wissen über Tierarten, die, für uns heute selbstverständlich, im Tiergarten Schönbrunn leben. So beschrieb er 92 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Geschichte der Gartennelke, Wien 1913, sowie Ernst Moriz KRONFELD, Die Blume der Renaissance, in: Internationale Sammler-Zeitung 5 (September 1913) Nr. 17, S. 251–255. 93 Ernst Moriz KRONFELD, Der Weihnachtsbaum. Botanik und Geschichte des Weihnachtsgrüns, Leipzig 1906, Vorwort.
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anschaulich die Ankunft der ersten Giraffe in Wien im Jahr 1828, »woselbst sie der Kaiser nebst dem ganzen Hofstaat besichtigte«,94 und schilderte eindrücklich die gesellschaftlichen Auswirkungen – war doch »ganz Wien für den langhalsigen Ankömmling beispiellos interessiert«95 – und die davon inspirierten Kreationen à la Giraffe: Schaufensterdekorationen, Modefrisuren, Mehlspeisen und ein Galopp, der auf einem eigens veranstalteten Giraffenball erstmals getanzt wurde. Auch die damals entstandenen Theaterstücke ließ er nicht unerwähnt. Kronfelds Publikationen sind auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht aufschlussreich – welche botanischen Gärten Europas von Bedeutung waren und warum, welche Überlegungen der Anlage der Gärten zugrunde lagen,96 welche Pflanzen welchen kulturellen Stellenwert hatten. Bei Fragen zur Architekturgeschichte wird man in Kronfelds Publikationen ebenfalls fündig – sei es zur Anlage der verschiedenen europäischen Gärten und der darin errichteten Gartentheater oder den Gebäuden für die Menagerie Schönbrunn. Engstens verknüpft mit Kronfelds Interesse für Gärten, vor allem für den Schönbrunner Schlossgarten, waren seine Publikationen zu den Habsburger_innen – gleichsam den Bewohner_innen Schönbrunns und den Financiers der Gärten – auch wenn diese vor allem aus Anekdotensammlungen bestanden. Die politische und gesellschaftliche Zäsur des Ersten Weltkriegs spiegelte sich ebenfalls in seinen Publikationen wider – Kronfeld verfasste eine Monografie über den Krieg, wie er in Aberglaube und Volksglaube wahrgenommen wurde und eine zweite, für die er Spruchweisheiten über den Krieg und die Soldaten gesammelt hatte.97 Weiters nutzte er sein botanisches Wissen für Fachartikel über giftige Pilze sowie wirksame und unwirksame Gegenmittel – hatte doch, so seine Begründung, »die zunehmende Nahrungsnot […] im fünften Jahre des grausam fortdauernden Weltkrieges Pilze zu einem viel und dringend begehrten Lebensmittel gemacht und im Zusammenhang damit die Zahl der Fälle von Vergiftungen, insbesondere auch tödlichen, mit Giftpilzen, unheimlich gemehrt«.98 Lohnend sind Kronfelds Publikationen auch für die Medizinge94 Ernst Moriz KRONFELD, Die erste Giraffe in Schönbrunn, in: Der Zoologische Garten, Leipzig N. F. (1934/35), S. 214–220, hier: S. 216. 95 KRONFELD 1934/35, S. 217. 96 Vgl. KLEMUN 2000, S. 330–346. 97 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD (Hg.), Krieg und Soldat in der Spruchweisheit. Sentenzen aus drei Jahrtausenden. Von Heraklit bis Hindenburg, München 1915, sowie Ernst Moriz KRONFELD, Der Krieg in Aberglauben und Volksglauben. Kulturhistorische Beiträge, München 1915. 98 Ernst Moriz Kronfeld, Dr. Karl v. Krapfs Versuche mit Giftpilzen, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 41 und 43 (1918). Kronfeld konnte dafür auf eine frühere Publikation zurückgreifen: Ernst Moriz KRONFELD, Eßbare und giftige Schwämme. Volkstümlicher Führer für Pilzfreunde, Wien 1910, S. 57–92.
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58 Claudia Spring schichte, beispielsweise jene über Bakterien im Haushalt, zu denen er sogar eigene Forschungen durchführte, denn »die Bakterien, welche in der Medizin und Hygiene eine mächtige Revolution hervorriefen, greifen auch über das tägliche Brod, sie ragen hinein in die Milchzöpfe. Darum ist es an der Zeit, daß sich jede Hausfrau, jeder brave Wirt mit ihnen vertraut macht«.99 Selbst für Fragen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte ist die Lektüre von Kronfelds Publikationen aufschlussreich, schrieb er doch über in Österreich vorhandene Frauenheilkräuter: konkrete Mittel zur Linderung von Menstruationsbeschwerden, aber auch pflanzliche Aphrodisiaka und Abortiva – letzteres zu einem Zeitpunkt, wo Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert waren und vor allem große medizinische Risken für die betroffenen Frauen bedeuteten.100 Darüber hinaus bezog er in einer Streitschrift explizit Stellung zu einer seit Mitte des 19. Jahrhunderts brisanten gesellschaftspolitischen Frage: 1895 sprach er sich nachdrücklich für die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium aus – allerdings schränkte er ein, sie sollten vorerst nicht an der damals als überfüllt geltenden Wiener Universität, sondern nur in Graz bzw. Innsbruck studieren können. Die diesbezügliche Gesetzgebung erfolgte zwar erst später, war aber liberaler als Kronfeld: ab September 1900 konnten Frauen an der Grazer, Innsbrucker und auch Wiener Universität Medizin studieren – worauf der Anteil der weiblichen Studierenden »sprunghaft an[stieg]«.101 Möglicherweise resultierte sein Einsatz auch aus seiner Bekanntschaft mit Marianne Hainisch.102 Nicht zuletzt sind auch Kronfelds Texte über das Theater erwähnenswert – seine zahllosen Theaterkritiken in österreichischen Tageszeitungen und verschiedenen deutschsprachigen Theaterzeitungen, aber auch eine von ihm verfasste Verwechslungskomödie mit dem Titel Wenn die Katze nicht zu Hause ist sowie seine Publikationen von Theateranekdoten, denn, so Kronfeld, durch »den Beruf mit dem Theater verbunden, habe ich heute, wie seit fünfunddreißig Jahren, meine Freude an dem dionysischen Quell seines Humors«.103 Die Theaterleidenschaft teilte Kronfeld wie bereits erwähnt mit seinem Sohn Curt, den Burgschauspieler Hugo Thimig als »einen jungen 99 Ernst Moriz KRONFELD, Bakterien im Haushalte (Oekonomische Bakterien, Blutendes Brot, Leuchtendes Fleisch, Milchbakterien, Essig- und Brotbackpilz), Wien 1892. 100 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Frauenheilkräuter in Österreich, Wiener Medizinische Wochenschrift 7, 8 und 9 (1890). 101 RATHKOLB 2013, S. 71. 102 Ernst Moriz KRONFELD, Die Frauen und die Medizin. Professor Albert zur Antwort. Zugleich eine Darstellung der ganzen Frage, Wien 1895, S. 53. Vgl. dazu http://www.onb.ac.at/about/ariadne.htm (11.7.2013). 103 Ernst Moriz KRONFELD, Theateranekdoten. Mit einem Geleitwort von Hugo Thimig, Wien 1923, Vorwort. Vgl. weiters Moriz KRONFELD, Carl GODLEWSKI, Wenn die Katze nicht zu Hause ist. Ballett-Pantomime, Wien 1901.
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und kunstwarmen Verfasser und Freunde unseres Burgtheaters, der sein klares Auge auch in verworrener Zeit offen gehalten hat«104 schätzte. Auch Curt verfasste ein kleines Theaterstück – über eine Schauspielerin vor ihrem ersten Auftritt – sowie einen kurzen Text zum Burgtheater im Ersten Weltkrieg. Bedenkt man, dass Curt im selben Haushalt wie sein Vater wohnte, ist es sehr wahrscheinlich, dass er dessen Sammlung nutzte und zu deren Erweiterung beitrug. Einige von Kronfelds Monografien verdienen trotz der hier gebotenen Kürze eine gesonderte Nennung. 1908, also mitten in seiner intensiven publizistischen Tätigkeit, veröffentlichte er, wie schon kurz erwähnt, eine umfangreiche Biografie über Anton Kerner (Ritter von Marilaun), der Kronfelds Habilitationsschrift damals zwar verteidigt, letztlich aber gemeinsam mit seinen Kollegen gegen seine Habilitation votiert hatte. Kronfeld befasste sich ausführlich mit dem wissenschaftlichen Werk Kerners, hatte Zugang gehabt zu dessen Archiv und griff auf seine eigenen, zu diesem Zeitpunkt offenbar schon umfangreichen, Unterlagen mit der Intention zurück, Kerners Lebenswerk umfassend zu würdigen und, durch den Nachdruck zahlreicher Briefe von und an Kerner, auch weitere Forschungen zu ihm zu ermöglichen. Von besonderer Bedeutung innerhalb aller Veröffentlichungen Kronfelds sind selbstverständlich jene zum Themenkomplex Schönbrunn. 1890 erschien sein erster Führer, eine naturhistorische Annäherung an Schönbrunn. Darin beschrieb er die dortigen Pflanzen und Tiere und das neue Palmenhaus, das »unter dem Schönsten, was die moderne Hortikultur aufweist, anzuführen ist«.105 1891 folgte eine umfangreiche Monografie, denn, so Kronfeld im Vorwort: Die freundliche Aufnahme, welche meine im Vorjahre erschienene Broschüre ›Das neue Schönbrunn‹ fand, und die von schätzenswerter Seite mir direkt gewordene Anregung veranlassen mich, eine Schilderung des Schönbrunner Schlosses und Parkes, der Menagerie und des botanischen Gartens, den Freunden des kaiserlichen Lustschlosses zu bieten. […] Speciell die Thatsache, dass sich an Schönbrunn die glanzvollste Epoche der Botanik in Österreich knüpft, veranlasste den Verfasser dieses Büchleins zur urkundengemässen Untersuchung der Geschichte des Schönbrunner botanischen Gartens im Jacquin’schen Zeitalter.106
104 KRONFELD C. 1917, Vorwort. Vgl. weiters Curt KRONFELD, Friedl SCHREYVOGL, Interview. Eine Szene, Wien 1925. 105 KRONFELD 1890, Vorwort. 106 Ernst Moriz KRONFELD, Das neue Schönbrunn. Schilderung des Schlosses, des Parkes, der Menagerie, des botanischen Gartens, des Palmenhauses und des Reservegartens, nach dem neuesten Stande, Wien 1891, Vorwort.
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60 Claudia Spring 1903, anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Menagerie in Schönbrunn, dokumentierte er deren Geschichte seit der Gründung, berichtete von den Tieren, die durch die habsburgischen Expeditionen aus Nord- und Südamerika sowie Afrika nach Wien kamen und listete abschließend die Tiere in Schönbrunn auf – einer der »hervorragendsten Stätten der Volksbildung und Volksbelustigung in ganz Österreich […], an der Generationen sich ergötzt haben und Generationen Ergötzen finden«.107 Weiters verfasste er humoristisch-märchenhafte Geschichten zu einigen Tieren Schönbrunns – Tiger, Giraffen und Löwen.108 Immer wieder veröffentlichte er Details aus der Geschichte Schönbrunns, beispielsweise die Zerstörung einzelner Gärten während der Besetzung durch Napoleon,109 er schilderte ausführlich Einzelheiten der Expeditionen und die daraus resultierenden Impulse für die Zoologie, Mineralogie und Botanik, er betonte die Bedeutung des Schönbrunner Schlosstheaters – des ältesten Theaters in Wien, dessen Vorstellungen nicht nur von der Hofgesellschaft, sondern auch von der breiten Öffentlichkeit besucht wurden – und er verfasste, wie schon erwähnt, zahlreiche kurze Artikel zu Schönbrunn in verschiedensten Zeitungen.110 Kronfelds Publikationen sind nicht nur informativ, sie verweisen auf sein dichtes berufliches Netzwerk. Bereits genannt wurden seine Kontakte zu renommierten Botanikern im Umfeld der (k. k. bzw. späteren Österreichischen) Akademie der Wissenschaften, von denen er einige schon während seines Studiums kennengelernt hatte; er war häufiger Gast in der botanischen Abteilung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums bzw. des späteren NHM, und besonders mit den Gärtnern von Schönbrunn pflegte er enge Kontakte. So berichtete der dortige Hofgartendirektor Anton Umlauft (1858–1919) Kronfeld von der gelungenen künstlichen Befruchtung der Victoria und wog auf Kronfelds Wunsch hin deren Blatt und Blüte,111 er informierte Kronfeld umgehend, als die Welwitschia mirabilis aufgeblüht war, und er ermöglichte Kronfeld, wie dieser in seiner Publikation dazu dankend erwähnte, »die Pflanzen in dem dem Publikum nicht 107 Ernst Moriz KRONFELD, Hundertfünfzig Jahre Schönbrunner Thiergarten (1752–1902), Wien 1902, S. 20. 108 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Schönbrunner Tierbilder. Zum 150-jährigen Bestehen des Gartens, Wien 1903. 109 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Aus dem Wiener Franzosenjahr 1809, in: Schönbrunnensia, Neue Folge II, Wien 1910, S. 13–26. 110 Viele Publikationen Kronfelds zu Schönbrunn waren auch in einer Anfang der 1960er Jahre erstellten Bibliografie zu Wien aufgelistet, vgl. Gustav GUGITZ, Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien nebst Quellen- und Literaturhinweisen, Band I–V, hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien, Wien 1947 (Bd. I) bis 1962 (Bd. V). 111 Vgl. Archiv der Schloss Schönbrunn GmbH, Sammlung Dr. Kronfeld, Schreiben Umlauft an Kronfeld, Verzeichnis, S. 6.
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zugänglichen Reservegarten zu studieren«.112 Umlauft war es auch, dem Kronfeld seine Monografie über den Weihnachtsbaum gewidmet hat, da er ihn »seit vielen Jahren in botanischer Arbeit und gärtnerischer Beobachtung freundlich gefördert hat«.113 Kronfeld publizierte in verschiedenen angesehenen Wiener Verlagen – Amalthea, Urania, Moriz Perles, aber auch im Eigenverlag der Österreichischen Gartenbaugesellschaft, und er publizierte von seiner Studienzeit bis ins hohe Alter. Seine letzten rekonstruierbaren Artikel sind in der Garten-Zeitung nachzulesen und sie galten Schönbrunn – dem Hofgärtner Franz Boos. Im Februar 1938 erschien sein letzter Artikel, über die Welwitschia aus dem Schönbrunner Schlossgarten.114 50 Jahre Volksbildung
Kronfelds publizistische waren aufs engste verknüpft mit seinen zahlreichen volksbildnerischen Aktivitäten. Allein im Rahmen des Wiener Volksbildungsvereins Urania hatte er zwischen 1888, der Zeit seiner Habilitationsverfahren, und 1937, als er bereits im Ruhestand war, knapp 90 Vorträge gehalten – beispielsweise über Charles Darwin, über Johann Wolfgang Goethes botanische Studien, über Blumen und Insekten, essbare Pflanzen, über Bakterien als Mörder und Helfer sowie über historische Themen wie die Franzosenkriege und Napoleons Aufenthalt in Schönbrunn. Der Garten Schönbrunns war auch das Ziel zahlreicher von Kronfeld geleiteter Exkursionen. Außerdem referierte er über verschiedene Wiener Theater und ihre Schauspieler_innen – wobei er auch auf seine Theatralia-Sammlung zurückgriff und, wie in der Vortragsankündigung jeweils extra erwähnt, Fotos und Autogramme zeigte.115 Nicht zuletzt führte er an der Wiener Handelsakademie Abendkurse über Journalismus durch und lehrte an der Höheren Gärtnerschule Gartengeschichte und Gartenkunst. Seine Vortragstätigkeit war nicht auf Wien beschränkt, er referierte auch in Brünn, Augsburg, Dresden, Hannover, Kassel und München.116 Wie dieser Überblick zu Kronfelds Publikationen und Vorträgen zeigt, waren ihm bis ins hohe Alter Forschung und Vermittlung ein wichtiges Anliegen und wohl auch 112 Vgl. Ernst Moriz KRONFELD, Dr. Friedrich Welwitsch und die Welwitschia mirabilis, in: Schönbrunnensia, Neue Folge I, S. 1–26, Wien 1909, S. 1–26, hier: S. 21. 113 KRONFELD 1906, S. V. 114 Ernst Moriz KRONFELD, Franz Boos, der Schönbrunner Gärtner. Zu seinem 180. Geburtstage am 23. Dezember, in: Die Garten-Zeitung 12 (1933), S. 139 f., sowie Ernst Moriz KRONFELD, Die wunderbare Weltwitschia, in: Die Garten-Zeitung 3 (1938), S. 38. Ich danke Claudia Gröschl/Gartenbaugesellschaft für diese Information. 115 Ich danke Christian H. Stifter/Österreichisches Volkshochschularchiv für diese Information. 116 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt VA, Zl. 18977, Ernst Moriz Kronfeld, Lebenslauf.
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62 Claudia Spring finanziell von Bedeutung. Mit dem Beginn der NS-Herrschaft war er gezwungen, dies zu beenden. »I am appealing on the nobility of mind and the humanity, which connect educated people of all the world.«117 Die Familie Kronfeld in der NS-Zeit
Nach dem »Anschluss« Österreichs an NS-Deutschland im März 1938 war die Familie Kronfeld zunehmenden Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt – galten ihre Mitglieder doch nun, gemäß den nationalsozialistischen Nürnberger Gesetzen, als Jüdinnen und Juden. Ernst Moriz Kronfelds älterer Bruder Adolf starb im Juni 1938 in Wien an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine zweite Frau Emma (geb. 1884) wurde als arisch kategorisiert und lebte weiterhin in Wien.118 Otto, Adolfs Sohn aus erster Ehe, konnte als Mischling zweiten Grades vorerst weiter Medizin studieren – wann und unter welchen Bedingungen er es abschließen konnte, ist unbekannt.119 Kronfelds jüngerem Bruder Robert und dessen Frau Valerie gelang im Juni 1939 die Flucht nach England, wo ihr mittlerweile berühmt gewordener Sohn Robert jun. seit Jänner 1938 lebte und, seine Flugkenntnisse nutzend, eine Fabrik für Leichtmotorflugzeuge gegründet hatte. Roberts zweitem Sohn Rudolf gelang die Flucht in die USA.120 Die finanzielle Situation wurde für Kronfeld und seine Familie immer schwieriger, sodass er im Juni 1940 gezwungenermaßen versuchen musste, seine wertvolle Schönbrunnensia-Sammlung, die er in seiner mehr als 50-jährigen beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit zusammengetragen hatte, an die Nationalbibliothek zu verkaufen. Diese war jedoch nur an den Handschriften der Familie Jacquin und jenen des Hofgärtners Franz Boos interessiert, worauf Kronfeld der Aufteilung der SchönbrunnensiaSammlung zustimmte und die Nationalbibliothek um ein konkretes Angebot bat. Doch trotz der Notlage der Familie war Kronfeld nicht bereit, die dafür gebotenen 100 RM 117 Aus einem Brief Kronfelds an die Linnean Society New York, Archive, Zl. 12/22, 1941 (siehe dazu weiter unten). 118 Vgl. STAUDACHER 2004, Teil 1, S. 264. Zu Robert und Valerie Kronfeld vgl. ÖStA/AdR FLD, AZ 7934 Robert Kronfeld. 1961, anlässlich des 100. Geburtstags von Adolf Kronfeld, erschien in der Wiener Klinischen Wochenschrift ein Nachruf, in dem seine vielen Verdienste geschildert wurden und Berufsverbot als unmittelbare Folge von nationalsozialistischer Verfolgung zumindest angedeutet wurde: »Die politischen Ereignisse des Frühjahrs 1938 zwangen den 77jährigen, die Zügel aus der Hand zu legen. Wenige Monate später, am 14. Juni 1938, erlag er einem apoplektischen Insult««, SCHÖNBAUER 1961, S. 457. Vgl. weiters ÖSTA/AdR BMF, VVSt. VA 1851 Emma Kronfeld. 119 Vgl. http://gedenkbuch.univie.ac.at (22.4.2013) 120 In der so genannten Auswanderungskartei der IKG Wien finden sich keine Informationen zur Familie Kronfeld.
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(nach heutigem Wert etwa 460 Euro) zu akzeptieren, weshalb der Kauf nicht zustande kam – was auch darauf schließen lässt, wie wertvoll diese Handschriften waren und welchen hohen Stellenwert sie für Kronfeld gehabt hatten.121 Vermittelt wurde dieses Angebot vom Antiquar Rudolf Engel, den Kronfeld vermutlich aufgrund ihres gemeinsamen Interesses – Engel handelte vor allem mit Theatralia – gekannt hatte.122 Die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen weiteten sich aus, auf Beraubung und Vertreibung folgten die Deportationen von Jüdinnen und Juden. Für Ernst Moriz und Rosalie Kronfeld spitzte sich im Oktober 1941 ihre ohnehin schwierige Situation noch weiter zu, sie sollten in das Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert werden. Kronfeld wandte sich verzweifelt an Otto Antonius,123 den langjährigen Leiter des Tiergartens Schönbrunn, mit dem er ja in kollegialem Austausch gestanden hatte. Der Brief zeigt, dass Kronfeld versuchte, durch sein botanisches Wissen die Notlage seiner Familie zu lindern, er verdeutlicht die Verzweiflung, bedingt durch die immer weitreichenderen Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes, die finanzielle Not, die gesundheitlichen Probleme, und selbst den Suizid als letzten Ausweg schloss Kronfeld nicht mehr aus: Sehr geehrter Herr Professor! Während des Abschlusses der Denkschrift Rohstoffersatz umsonst und überall / Bewirtschaftung der heimischen Wildpflanzen / (Arbeit und Verdienst für Kriegsblinde etc.), / die durchaus im Sinne des 4 Jahresplans gehalten ist, trifft mich die entsetzliche Aufforderung: Ich (77 Jahre, Leistenbruch, Emphysem, Arteriosklerose) soll mit meiner armen Frau (68, auf einem Auge erblindet) am 28. dieses Monates in die Sammelstelle zur zwangsweisen Verschickung nach Polen
121 Vgl. ÖNB Han, GD 511/40 und GD 511/1564/41. Ich danke Margot Werner/Nationalbibliothek für die Einsichtnahme in ihre Unterlagen der Provenienzforschung. 122 Dr. phil. Rudolf Engel (1882–1955) war Verkäufer und Verleger von Büchern und Theatralia. 1923 gründete er den EOS-Verlag, spezialisiert auf Erotika und die Herausgabe von französischen und lateinischen Werken sowie von deutschen Übersetzungen. Von 1935 bis 1937 besaß seine Frau Henriette Engel die im Jahr 1789 gegründete Theaterbuchhandlung Wallishauser in Wien 1, er betrieb einige Jahre die Cottage-Buchhandlung in Wien 18. Die Buchhandelskonzession legte er mit Oktober 1936 zurück. Recherchen im Rahmen der Provenienzforschung zeigen, dass er der Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Wien, dem Theatermuseum und auch der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln zahlreiche Bücher und Theatralia verkauft hatte. Vgl. Archiv der Wirtschaftskammer Österreich, Firmenakt Dr. Rudolf Engel; Murray HALL, Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938. Band 2: Belletristische Verlage der Ersten Republik, Wien-Köln-Graz 1985, S. 119; Georg HUPFER, Zur Geschichte des antiquarischen Buchhandels in Wien, Diplomarbeit, Wien 2003, S. 48 und S. 53, sowie www. rathay-biographien.de/persönlichkeiten/E/Engel_Rudolf/engel_rudolf.htm (27.9.2013). 123 Gerhard HEINDL, Otto Antonius – ein Wissenschaftler als Tiergärtner, in: Gerhard HEINDL, Dagmar SCHRATTER, Otto Antonius. Wegbereiter der Tiergartenbiologie, Wien 2010, S. 1–90, hier: S. 58 und S. 61.
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64 Claudia Spring […]. Ich wage es, mit meinem letzten Appell an Edelsinn oder Menschlichkeit, bevor ich zum äußersten gezwungen bin, auf meine 60jährige Lebensarbeit im Dienste der Allgemeinheit oder auf meine persönlichen Verhältnisse hinweisend, für die Beilage Beachtung zu erbitten. In Ergebenheit.124
Beigelegt war ein zweiseitiger Lebenslauf, in dem Kronfeld auf seine zahlreichen Tätigkeiten und Verdienste, aber auch auf seine schwierige ökonomische Situation verwies: Er sei »vermögenslos und mit den Angehörigen, die seine Wohnung teilen, auf seine bescheidene Altersrente angewiesen, die durch die neue Steuervorschreibung für mehr als 6 Monate vollständig ausfällt«- Ergänzend fügte er hinzu, er sorge für seine Frau, seine Schwiegertochter und auch »seine schwer herzkranke Schwägerin, die Arztenswitwe Hedwig Prüwer, 70 Jahre alt, ohne Pension und Krankenkasse«.125 Antonius, der bereits 1932 der NSDAP beigetreten war und den Parteikollegen als »einwandfreien Nationalsozialisten«126 bezeichneten, unterstützte Kronfeld insofern, als er den Brief an den Botaniker Fritz Knoll weiterleitete. Knoll, der ja fünf Jahre zuvor die Festrede zu Kronfelds 50-jährigem Promotionsjubiläum gehalten und den Jubilar sehr wahrscheinlich persönlich gekannt hatte, war mittlerweile hoher NS-Funktionär – seit 1937 bei der NSDAP (demnach wie Antonius ehemals illegales Parteimitglied), schon wenige Tage nach dem »Anschluss« kommissarischer Rektor und ab 1939 wirklicher Rektor der Universität Wien geworden. Knoll verantwortete die innerhalb kürzester Zeit durchgeführte Vertreibung jüdischer Lehrender und Studierender von der Universität, er förderte NS-Parteimitglieder, strukturierte die Universität nach dem Führerprinzip und war als Gaudozentenführer und als Mitglied des NS-Dozentenbundes und der Akademie der Wissenschaften bestens vernetzt.127 Knolls Antwort an Antonius ist bemerkenswert: Er war offenbar aufgrund mehrerer Interventionsversuche gut informiert über Kronfeld und seine extrem schwierige Situation, und obwohl er Verständnis dafür äußerte, schloss er jegliche Form der Unterstützung kategorisch aus: 124 Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, Korrespondenzen Otto Antonius 1939–1944, Brief Kronfelds an Antonius, 18.10.1941. Ich danke Christa Riedl-Dorn/NHM für den Hinweis zu diesem Bestand und Gerhard Heindl/Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, für die Zurverfügungstellung der Kopien und der Transkription von Kronfelds Brief. 125 Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, Korrespondenzen Otto Antonius 1939–1944, Lebenslauf, beigelegt dem Brief Kronfelds an Antonius, 18.10.1944, Hervorhebungen im Original. 126 HEINDL 2010, S. 59. 127 Vgl. Klaus TASCHWER, Die zwei Karrieren des Fritz Knoll. Wie ein Botaniker nach 1938 die Interessen der NSDAP wahrnahm – und das nach 1945 erfolgreich vergessen machte, in: Johannes FEICHTINGER, Herbert MATIS, Stefan SIENNEL, Heidemarie UHL (Hg), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938–1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, S. 47–54.
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Abbildung 7: Brief Knolls an Antonius128
128 Tiergarten Schönbrunn, Historische Sammlungen, Korrespondenzen Otto Antonius 1939–1944, Brief Knolls an Antonius, 11.11.1941.
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66 Claudia Spring Sehr wahrscheinlich wandte sich Kronfeld auch an andere ehemalige Kollegen, jedoch ohne Erfolg. Exemplarisch sei hier die Gartenbaugesellschaft genannt, die sich 1936 sehr für die Verleihung seines Ordens eingesetzt, in deren Garten-Zeitung er zahlreiche Artikel (den letzten im Februar 1938) und in deren Verlag er zwei Monografien (zu Schönbrunn und zur Gartennelke) publiziert hatte. Von deren Funktionären konnte er trotz der jahrelangen Zusammenarbeit, immerhin war er seit 1909 korrespondierendes Mitglied, keine Hilfe erwarten: Hatten sie doch per Vorstandsbeschluss bereits im März 1938 jegliche Kontakte zu jenen Menschen, die nun als Jüdinnen und Juden galten, abgebrochen – so auch zu Kronfeld.129 Ernst Moriz und Rosalie Kronfeld sollten am 2. November 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert werden, zählten aber, laut einer Liste der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, zu jenen, die »infolge Alters oder Krankheit bezw. einzelner nächster Angehöriger derartiger Personen«130 nicht deportiert werden sollten. Auch Marianne Kronfeld galt als nicht transportfähig. Hedwig Prüwer war hier nicht genannt. Spätestens jetzt wollten Kronfeld und seine Frau, die Ostmark verlassen, wie aus einem Schreiben vom 14. November 1941 an den Präsidenten der New Yorker Linnean Society hervorgeht, in dem Kronfeld diesen – vergeblich – um Hilfe bat: I am appealing on the nobility of mind and the humanity, which connect educated people of all the world. After 60 years of work, which were dedicated […] as well to botany as to horticultural science, the writer of this – a colleague of Professor WETTSTEIN and now an old man – is compelled to leave with his wife Rosalinde [sic!]. Both of them pray to assist them in obtaining a modest place – far from the large town – in a charitable institution or on a farm, where my wife and I were willing to work. She in the kitchen and in the household and I in the office, library and garden. Though being hard oppressed by fate, I still could accomplish a principal piece of my life-work, under the protection of knowing – and sympathizing gentlemen, that were dedicated to your respected corporation. Concerning the economical profit of rawmaterials, to be won free of cost and everywhere, from the wild plants. New work, new profit for children, women and invalids of every age, new jobbing for everyone. Awaiting your soon reply, I remain, Dear Sir, Yours very truly.131
129 Ich danke Claudia Gröschl/Gartenbaugesellschaft für diese Information. 130 Archiv der IKG Wien/Bestand Jerusalem/A/W 2767, Kronfeld, sowie Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2764/10. Ich danke David Forster/IKG für diese Information. 131 Linnean Society New York, Archive, Brief Kronfelds an den Präsidenten der Linnean Society New York, 14.11.1941, Box 84.
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Der Brief wurde an die Columbia University/New York City, die Cornell University/ Ithaca, ja sogar nach Yale/New Haven weitergeleitet – doch seitens der Universitäten gab es keinerlei Unterstützung: »Unfortunately, there is no way that this Comittee can help a scholar who is in Europe at the present time«,132 hieß es lapidar in einem der Antwortschreiben. Im November 1941, zwischen dem Verfassen dieser Briefe und dem Warten auf Antwort, schrieb Kronfeld auch noch ein Geburtstagsgedicht für den Botaniker, Pflanzenzüchter und Genetiker Erich Tschermak-Seysenegg (1871–1962), damals noch Professor an der Hochschule für Bodenkultur in Wien und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Tschermak-Seysenegg bewahrte es nicht nur auf, sondern fand es auch noch Jahre später so wichtig, dass er es als Teil seines Nachlasses der Akademie der Wissenschaften übergab.133 Ernst Moriz Kronfeld starb wenige Monate später, am 16. März 1942 im Alter von 77 Jahren in seiner Wohnung in Wien, er wurde im Grab seiner 1890 verstorbenen Mutter Ernestine in der jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs bestattet.134 Wenige Monate später, im August 1942, wurden Rosalie Kronfeld und ihre Schwester Hedwig Prüwer in das Ghetto Theresienstadt und von dort in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Marianne Kronfeld wurde im Oktober 1942 nach Maly Trostinec deportiert, auch sie überlebte nicht.135 Die Auflösung der Sammlungen in der NS-Zeit und die Entscheidungen des Kunstrückgabebeirats
Wie eingangs erwähnt, wurde erst seit Anfang 2000, im Zuge der Provenienzforschung, deutlich, dass Ernst Moriz Kronfeld mehrere umfangreiche und wertvolle Sammlungen besessen hatte. Doch abgesehen vom Kauf von 14 Autografen aus der Schönbrunnensia-Sammlung von Nicolaus und Joseph von Jacquin, Richard van der Schot, Franz Boos und anderer, die die Nationalbibliothek (nach dem 1940 nicht zustande gekommenen Ankauf ) nun im Dezember 1942, also ein dreiviertel Jahr nach 132 Linnean Society New York, Archive, Brief der Cornell University Ithaca/New York an den Präsidenten der Linnean Society New York, 5.1.1942. 133 ÖAW-Archiv, Nachlass Tschermak, Mappe 15, Glückwünsche zum 70. Geburtstag 1941, Brief Kronfeld. Ich danke Stefan Siennel/ÖAW für diesen Hinweis. 134 Zentralfriedhof Wien, Tor 1, Grab Nummer 42, vgl. www.friedhoefewien.at (8.4.2013). Eine Grabinschrift für Kronfeld war damals nicht mehr möglich. 135 Vgl. MA 8–B-AW 6949/2009, Meldeauskunft zu Rudolf Engel, sowie zu Ernst Moriz, Rosalie, Curt und Marianne Kronfeld. Zu Hedwig Prüwer vgl. MA 8-B-Mer 2473/2010, und www.doew.at/Datenbank Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer (24.6.2010).
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68 Claudia Spring Kronfelds Tod, von Antiquar Rudolf Engel aus Kirchberg/Wechsel erworben hatte, bleibt es, trotz intensiver Recherchen, unbekannt, wer nach dem Tod Kronfelds und der Deportation seiner Frau, seiner Schwiegertochter und seiner Schwägerin die Schönbrunnensia-Sammlung und auch die anderen hier beschriebenen Sammlungen übernommen und verwertet hat. Selbst bei dem genannten Kauf bleibt unklar, ob Antiquar Engel diese Autografen Kronfeld abgekauft, von ihm in Kommission übernommen oder sie ihm gar geraubt hat. Ebenso unbekannt ist, wie das Berliner Antiquariat Friedländer und Sohn 1941 in den Besitz von Stichen, Lithografien und Radierungen von Schönbrunn und vom Belvedere aus der Schönbrunnensia-Sammlung Kronfelds gelangte, die später vom Baureferat Baldur von Schirachs angeboten und nun im Zuge der Provenienzforschung im Wien Museum aufgefunden wurden. Die Provenienzforschung brachte des Weiteren zutage, dass das Wiener Antiquariat Walter Krieg136 spätestens seit 1988 im Besitz der Pflanzenbilder, der Manuskriptbände und der Sammlung Dr. Kronfeld war und erstere im Herbst 1988 an das NHM sowie letztere 1993 an die Schloss Schönbrunn GesmbH verkauft hatte. Die vier Manuskriptbände erwarben die Bundesgärten Schönbrunn 1988 von einem Wiener Privatmann, der diese offenbar kurz davor dem Antiquariat Krieg abgekauft hatte. Die Besitzabfolge der Objekte vor dem Antiquariat Krieg bleibt trotz intensiver Recherchen unklar.137 Vom Kunstrückgabebeirat liegen bereits Entscheidungen zu einigen Teilen der Schönbrunnensia-Sammlung vor. Er beschloss im Jänner 2009 die Rückgabe der Autografen aus der Nationalbibliothek, im Juni 2011 die Rückgabe der Pflanzenbilder aus dem NHM, und im September 2011 die Rückgabe der Manuskriptbände aus den Bundesgärten Schönbrunn. 136 Walter Krieg (1901–1955) war ein sehr erfolgreicher Buchhändler, Antiquar und Verleger. 1923 gründete er in Berlin den Herbert-Stubenrauch-Verlag und in Leipzig den Walter Krieg Verlag mit dem Schwerpunkt auf technischer und naturwissenschaftlicher Literatur. In Wien arisierte er um einen auffallend niedrigen Betrag die 1816 gegründete k. u. k. Hofbuchhandlung (ab 1885 Universitätsbuchhandlung) R. Lechner (Wilhelm) in Wien I, Graben 31, zu der auch eine Fotomanufaktur gehörte. Einer der beiden jüdischen Vorbesitzer, Alfred Rechnitzer, beging 1938 Selbstmord, dem zweiten, Max Faltischek, gelang mit seiner Familie die Ausreise in die USA. Walter Krieg hatte zahlreiche, auch internationale, Geschäftskontakte und er übernahm 1947 die (1945 gegründete) Zeitschrift Das Antiquariat in sein Verlagsprogramm auf. Nach seinem Tod führte sein Sohn Michael, nach dessen Tod Walter Kriegs Witwe die Buchhandlung weiter. Im März 1997 erfolgte die Löschung im Gewerberegister. Vgl. Archiv der Wirtschaftskammer Österreichs, Gewerbeakt Antiquariat Walter Krieg; Lexikon des gesamten Buchwesens, , Band 4, Stuttgart 1995 (2. völlig neu bearbeitete Aufl.), S. 345 f. 137 Zumindest sechs Bücher aus der Schönbrunnensia-Sammlung besaß das Antiquariat Krieg bereits 1980, vgl. ANTIQUARIAT WALTER KRIEG, Katalog I, Die 40 Jahre der M. T. [Maria Theresia] Wien 1980, Positionen 242, 247, 257, 259, 261 und 262.
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Eine Besonderheit bildet die Sammlung Dr. Kronfeld im Archiv der Schloss Schönbrunn GesmbH. Obwohl diese als private Institution nicht den Bestimmungen des Kunstrückgabegesetzes unterliegt, hat sie sich, nach Bekanntwerden der Geschichte dieser Sammlung und ihres ehemaligen Eigentümers, ebenfalls zur Rückgabe entschieden.138 Zu den im Wien Museum aufgefundenen Objekten erfolgte im Juni 2007 der Beschluss zur Rückgabe seitens der Wiener Restitutionskommission, auch jene Bücher Kronfelds, die in die Wiener Stadt- und Landesbibliothek gelangt waren, sollen zurückgegeben werden.139 Wie die Schönbrunnensia-Sammlung wurde auch Kronfelds umfangreiche Theatralia-Sammlung auf mehrere Institutionen aufgeteilt. Einen Teil übernahm 1953 die Österreichische Nationalbibliothek: Fünf Bücher, 32 Fotografien sowie eine Druckgrafik zu Theater, Zirkus und Varieté wurden in die Theatersammlung (dem heutigen Österreichischen Theatermuseum) eingegliedert, weitere 32 Autografe – Briefe an Kronfeld – der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek. Die aufgrund der schwierigen Quellenlage aufwändigen Recherchen sind noch nicht abgeschlossen, doch sollen auch zu diesen Beständen Dossiers für den Kunstrückgabebeirat zur Entscheidung vorbereitet werden. Trotz intensiver Recherchen bleibt auch die Besitzabfolge der Theatralia-Sammlung Kronfelds in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität Köln – Theaterkritiken, Rezensionen, ca. 300 Fotos, Bücher, Autografen und Programmhefte aus den Jahren 1890 bis 1930 – unklar. Im Frühjahr 1997 wurden Teile davon in einer hausinternen Ausstellung gezeigt, von der es, wie zuvor erwähnt, auch einen kleinen Katalog gibt, wodurch erst bekannt wurde, dass Teile seiner Sammlung auch dorthin gelangt waren. Die Suche nach den Erb_innen nach Ernst Moriz Kronfeld gestaltete sich als äußerst schwierig: Seine Frau Rosalie, die er 1940 in seinem Testament als Alleinerbin eingesetzt hatte, wurde ermordet, ebenso Marianne Kronfeld und Hedwig Prüwer. Doch mittlerweile konnten die Mitarbeiterinnen der Israelitischen Kultusgemeinde Wien die aufgrund von Verfolgung und Vertreibung weltweit verstreut lebenden Erb_innen ermitteln – die erst jetzt, durch diese Recherchen – von Ernst Moriz und Rosalie Kronfeld und ihrer Verwandtschaft mit den anderen Erb_innen erfuhren. Sie
138 Vgl. Thomas TRENKLER, Schloss Schönbrunn GmbH restituiert – freiwillig, in: Der Standard, 11.1.2012, S. 25. 139 Vgl. http://www.wienmuseum.at/de/ueber-uns/restitution.html (9.9.2013).
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70 Claudia Spring sind nun dabei, einander kennenzulernen und über den künftigen Verbleib der restituierten Objekte zu beraten. Resümee
Ernst Moriz Kronfeld war zeitlebens sehr aktiv: Sammeln, Forschen, Vermitteln – dies waren wohl seine Lebensthemen, auch wenn er dazu großteils nur auf private und informelle, nicht aber strukturelle Ressourcen zurückgreifen konnte. Eine universitäre Laufbahn blieb ihm verwehrt, trotzdem widmete er der botanischen Wissenschaft – in umfassendstem Sinn – sehr viel Zeit und sicher auch viel Geld. Seine umfangreichen Sammlungen bewahrte er in seiner Wohnung auf, er forschte und publizierte ohne öffentliche Förderungen und erhielt dafür nur aus seinen Publikationen und seinen Vorträgen ein gelegentliches Einkommen. Seine Sammlungen umfassen wichtige Unterlagen für verschiedenste Forschungsfragen. Vor allem die Schönbrunnensia-Sammlung kann als aufschlussreiche Quelle für Fragen zur Kultur-, Natur- und Wissenschaftsgeschichte genutzt werden, ebenso wie für immer wieder notwendige Restaurierungen des Gebäude- und Gartenkomplexes Schönbrunn, einem Areal großer kulturhistorischer und auch touristischer Bedeutung in Österreich. Auch Kronfelds zahlreiche Publikationen wurden und werden als Grundlage für weitere Forschungen, vor allem zu Schönbrunn, genutzt. Von den vielen Möglichkeiten, Kronfelds umfassende Verdienste als Sammler, Forscher und Vermittler nachdrücklich und nachhaltig zu würdigen, seien hier nur einige genannt: eine Vortragsreihe oder ein Symposium zu Kronfeld am Botanischen Institut der Universität Wien; die Erstellung einer vollständigen Bibliografie seiner Publikationen; die Benennung einer neu aufgefundenen Pflanze nach ihm; die (nach Rücksprache mit den Erb_innen) Digitalisierung der Dokumente, Pläne, Fotos und Bilder aus der Schönbrunnensia-Sammlung für weitere Forschungen und nicht zuletzt die Benennung eines Weges im Garten von Schönbrunn nach Kronfeld. Auch seine Theatralia-Sammlung könnte digitalisiert werden und so weiterhin im Theatermuseum zur Verfügung stehen, ebenso die Biografische Sammlung Kronfeld im Naturhistorischen Museum Wien. Nicht zuletzt sollten Stolpersteine vor dem Haus in der Heinestraße in Wien-Leopoldstadt an Ernst Moriz, Rosalie und Marianne Kronfeld sowie an Hedwig Prüwer erinnern.
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Ein Enthusiast für Industrie und Kunst – Willibald Duschnitz Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger
Er selbst war Orgelspieler und wollte immer allein sein. Er lebte in einer Zauberwelt, und jeder Außenstehende brachte Alltag ins Haus, und das wollte er nicht. (Elsie Altmann-Loos)1
Im Vorfeld dieses Buchprojekts regte Heinz Schödl, Mitherausgeber des Bandes und der Schriftenreihe, an, dass wir, Harold Chipman und Leonhard Weidinger, gemeinsam einen Beitrag zum Sammler Willibald Duschnitz schreiben sollten. Auf den ersten Blick mag diese Kooperation eines Nachkommen eines Sammlers mit einem Provenienzforscher an einem staatlichen Museum ungewöhnlich erscheinen, doch steht dahinter bereits eine Geschichte. Kennengelernt haben wir einander 2009. Im Zuge der Provenienzforschung im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst recherchierte Leonhard Weidinger zu drei Gläsern, die Willibald Duschnitz Abbildung 1: Kommerzialrat Willibald dem Museum als Leihgaben überlassen hatte. Duschnitz (Wien 1884–1976 Teresopolis) Dabei war ein Akt aufgetaucht, der belegte, dass um 1930 Willibald Duschnitz 1932 von Siegfried Radin eine umfangreiche Sammlung von Gläsern gekauft hatte. Leonhard Weidinger berichtete beim ersten Treffen Harold Chipman von diesem Fund – und konnte damit dessen seit langem offene Frage beantworten, woher die Gläsersammlung von Willibald Duschnitz stammte. Im Gegenzug erfuhr Leonhard Weidinger von Harold Chipman, dass Siegfried Radin ursprünglich Ratzersdorfer geheißen hatte und aus einer Wiener
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Elsie ALTMANN-LOOS, Mein Leben mit Adolf Loos. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Adolf Opel, Wien 2013, S. 82f.
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72 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger Kunsthändlerfamilie stammte,2 und konnte so die Erwerbungen des MAK von Radin besser verorten. Wie so viele Menschen hat nach dem Krieg Willibald Duschnitz kaum über seine Vergangenheit gesprochen. Erst kurz vor seinem Tod 1976 schrieb er in drei Briefen über die Maßnahmen, die er nach dem »Anschluss« 1938 getroffen hatte. Weiters schickte er seinem Enkel Harold einige wenige Dokumente aus der Nachkriegszeit. Ein Tagebuch oder andere persönliche Schriften hinterließ er nicht. Seine erste Frau Jenka sprach ebenso wenig über ihr Leben in Wien (hinterließ aber ein kleines Fotoarchiv), seine Tochter Eva wollte sich auch nicht erinnern, gab aber doch über die Jahre bis zu ihrem Tod 1999 ein paar Informationen zur Kunstsammlung sowie zum Leben in Wien. Für Harold Chipman war der Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Kunstsammlung von Willibald Duschnitz dessen Aussage, er habe Gemälde und Kunstobjekte als Leihgaben für Ausstellungen zur Verfügung gestellt. In einem Zeitalter vor Google und vor den Washingtoner Prinzipien gingen die Recherchen nur langsam und mühsam voran. Seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts, mit der Öffnung vieler Archive, konnte sehr viel mehr erforscht und gefunden werden, sodass hier in Zusammenarbeit mit Leonhard Weidinger ein – wie wir glauben – recht eindrucksvoller Einblick in die Sammlung von Willibald Duschnitz geboten werden kann. Es handelt sich hier lediglich um publizierte oder dokumentierte Kunstwerke (aus Ausstellungskatalogen, Auktionskatalogen, Werkverzeichnissen, Museumsbeständen, Hinweisen von Fachleuten weltweit oder aus der Vermögenserklärung von 1938). Viele andere Kunstwerke, die weder ausgestellt waren noch dokumentarisch oder fotografisch (klar) erfasst sind (z. B. allein auf den existierenden Fotos des Interieurs der Villa sind 20 Gemälde sowie mehrere Skulpturen nicht identifizierbar), werden im diesem Porträt der Sammlung von Willibald Duschnitz fehlen. In dieser erstmaligen Rekonstruktion der Kunstsammlung Willibald Duschnitz berichtet Harold Chipman auch über das Leben seines Großvaters. Verschiedene Aspekte werden von Leonhard Weidinger in Exkursen näher beleuchtet – diese Passagen sind im Text eingerückt. Wir haben uns bei der Erstellung der Texte wechselseitig beraten und unterstützt und versuchen, trotz (oder gerade wegen) unserer unterschiedlichen Ausgangslagen eine gemeinsame Geschichte zu erzählen. Es ist eine unglaubliche und unverhoffte Gelegenheit: Franz Joseph, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, hat 1867 durch das vom Reichsrat beschlossene Staatsgrundgesetz alle seine männlichen Untertanen gleichgestellt. Insbesondere für Juden aller Teile des Reichs wird ein Traum Realität. In Sebes Kellemes, einem kleinen 2
Für diese Information dankt Harold Chipman der Familienforscherin Traude Triebel.
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Vorort von Eperijes in Ungarn, dem heutigen Prešov in der Slowakei, ist Adolf Duschnitz gerade 15 Jahre alt. Sein Vater Lazar, geboren 1815 in Sebes Kellemes, stammt aus der bedeutenden Duschnitz-Familie und ist ein wohlhabender Textilkaufmann. Seine Mutter Malie Duneitz ist die Tochter des bekannten und geschätzten Rabbiners und Notars Noah Jacob Duneitz aus Huncovce/Hunsdorff. Mit vier Schwestern ist Adolf der einzige Sohn. Das neue Gesetz erlaubt dem Jugendlichen zu träumen: Er wird nicht mehr unbedingt den Beruf seines Vaters ausüben müssen, denn die Türen aller Berufe und Städte sind den Juden wie ihm fortan offen. Mit dem so genannten Ausgleich mit Ungarn 1867 wurde ein im Inneren der Habsburger-Monarchie schwelender Krisenherd kalmiert. Infolge der neuen Verfassung wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, darunter das 142. Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867.3 Dieses Gesetz legte in Artikel 1 fest: »Für alle Angehörigen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder besteht ein allgemeines österreichisches Staatsbürgerrecht« sowie in Artikel 2: »Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich.« In Artikel 6 wurde festgehalten: »Jeder Staatsbürger kann an jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben und über dieselben frei verfügen, sowie unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben.«4 Dadurch wurden jene Bevölkerungsgruppen, die in der österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie bisher aufgrund ihrer Religion bzw. Herkunft Restriktionen unterworfen waren, auch in die wirtschaftliche Entwicklung und besonders in die Industrialisierung Österreich-Ungarns eingebunden – und einige engagierten sich mit großem Erfolg. Wenn auch die eigentliche »Gründerzeit« mit der Börsenkrise von 1873 endete, setzte sich der wirtschaftliche Aufschwung Österreich-Ungarns nach diesem Einbruch bald wieder fort. Kaiser Franz Joseph hat große Pläne, nicht nur für seine Hauptstadt Wien, sondern für die wirtschaftliche Entwicklung seines gesamten Reiches. Dafür werden Investoren und ambitiöse, talentierte Unternehmer gebraucht. Seit wann genau der junge Adolf seine Pläne und Visionen hegt, bleibt sein Geheimnis, um 1875 jedenfalls verlässt er seine Heimat: Sein Ziel ist das Zentrum aller neuen Entwicklungen und Möglichkeiten: die Reichshauptstadt Wien. In Wien ist Adolf Duschnitz nicht allein – er hat dort Verwandte. Sein Cousin Bernhard Duschnitz, geboren 1819 in Liptószentmiklós, dem heute in der Slowa3 4
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum=1867&page=422&size=45 (23.5.2014). Das Gesetz bezog sich – implizit – nur auf männliche Staatsbürger.
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74 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger kei gelegenen Liptovský Mikuláš, und verehelicht mit der wohlhabenden Katharina Biach aus Pressburg, lebt schon seit 1850 in Wien und ist erfolgreicher Gesellschafter der Firma seines Schwiegervaters Emanuel Biach. Bernhard und Katharina Duschnitz haben neun Kinder. Insbesondere Bernhards ältester Sohn Max, geboren 1850 in Wien, und Adolf scheinen ähnliche Ideen gehabt zu haben sowie die nötigen Finanzen, sie zu konkretisieren, denn im Jahr 1879 gründen beide jeweils eine eigene Textilfirma. Max geht den Weg zuerst mit Emanuel Biach und dann mit der Familie Lieser – so entsteht die Erste Österreichische Mechanische Hanfspinnerei, Bindfaden & Seilfabrik Pöchlarn, Lieser & Duschnitz, die bis 1919 im Familienbesitz bleibt. Adolf hingegen wagt alleine den Einstieg in die Industrie und gründet die Erste Österreichisch-Ungarische Filzfabrik in Achau, N-Ö., Adolf Duschnitz, die genau ein Jahrhundert in Betrieb bleiben wird. Zwei strategische Entscheidungen bringen der Firma rasch Erfolg: Erstens wird der Fokus auf die Produktion »technischer Filze« gelegt, die nicht zu Hüten und Kleidung, sondern zu Umhüllungsfilzen für Kessel, Dichtungsfilzen, Polierscheiben etc. weiterverarbeitet werden. Diese stellen ein Nischenprodukt dar, sie wurden bislang nicht in Österreich hergestellt. Zweitens werden modernste Textilverarbeitungsmaschinen aus den weltweit führenden Herstellerländern England und Deutschland angekauft.5 Mit dem sehr frühen wirtschaftlichen Erfolg öffnen sich auch die Türen zum persönlichen Glück. Adolf verliebt sich und heiratet 1883 die junge, schöne und lebhafte Pauline Langraf – die Braut ist gerade 16 Jahre alt. Sie ist die älteste Tochter des schillernden Kunsthändlers Adolf Langraf, geboren 1846 in Agram/Zagreb, und der Wilhelmine Altenberg, geboren um 1846 in Krefeld, damals Rheinpreußen. Das Brautpaar bezieht eine vornehme Wohnung im Textilviertel im 1. Bezirk in Wien.6 Am 2. April 1884 wird dort Willibald, der erste Sohn, mein Großvater, geboren. Nun müssen die Wände der Wohnung standesgemäß geschmückt werden. Wahrscheinlich unter dem Einfluss seines Schwiegervaters entscheidet sich Adolf, repräsentative Gemälde zu kaufen. Vielleicht sind auch einige schon ein Teil der Mitgift der Braut gewesen. Eine ganz besondere Gelegenheit zum Einkauf bietet die Auktion der hochka5
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Zu Auflistungen der für die Filzfabrik angekauften Maschinen vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Handelsgericht, A12 – P – Pflegschaften: P 14/1910 (Duschnitz Adolf ), 1. Teil: Akten über die Verlassenschaftsabhandlung Adolf Duschnitz, fol. 133 sowie fol. 196–201. Adolf Duschnitz und seine Familie wechselten in den folgenden Jahren mehrmals ihren Wohnsitz. So wohnten sie 1884–1886 in Wien I., Heinrichsgasse 2, 1886–1889 in Wien II., Praterstraße 12, 1890– 1897 in Wien I., Rotenturmstraße 39, und 1898–1903 in Wien I., Spiegelgasse 2, im so genannten Ankerhaus. Vgl. die Einträge in Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger, http://www.digital. wienbibliothek.at/nav/classification/2609 (3.4.2014).
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rätigen Sammlung holländischer Altmeister von Adolf Joseph Bösch am 28. April 1885 in Wien. Sie beinhaltet unter anderem Gemälde von Rembrandt und Vermeer und Private sowie Museen sind unter den Käufer_innen – auch Adolf, der zwei Gemälde erwirbt, Der Dam in Amsterdam am frühen Morgen von Gerrit Berckheyde7 (Abb. 2.2) und eine Hafenszene in Amsterdam von Jan van Goyen. Er sammelt dann weiter, jedoch sind die Belege dafür spärlich. Ende April 1895 ersteigert er in Rom bei der Auktion der Kunstsammlung des Oderisio de Sangro, Prinz von Fondi, in der Galleria Sangiorgi8 eine der bedeutendsten Eleganten Gesellschaften des Genre-Malers Anthonie Palamedesz.9 Später erwirbt er eine raffinierte Variante der Vogelfalle von Pieter Breughel dem Jüngeren. Dann unternimmt er 1904 einen wichtigen Schritt für die Familie und die Sammlung, als er mit seiner Frau und seinen Söhnen vom Ankerhaus am Graben, von Otto Wagner um 1894 errichtet, in eine Villa im modischen Cottageviertel im 19. Bezirk zieht.10 1872 wurde der Wiener Cottage-Verein gegründet, dessen Ziel die Errichtung einer geschlossenen Siedlung von Wohnhäusern für ein oder zwei Familien war, jeweils umgeben von einem Garten. Als Baugrund wurde ein außerhalb des Linienwalls und damit zu dieser Zeit noch außerhalb der Stadt Wien an den Hängen der Türkenschanze gelegenes Gebiet zwischen den Vororten Oberdöbling und Währing gefunden. Erster Obmann des Vereins war Heinrich Ferstel,11 Bauleiter der ersten Häuser Carl von Borkowsky.12 Später planten auch weitere Architekten, darunter Fellner & Helmer,13 die schließlich über 350 Häuser im Cottageviertel.14 7 8 9 10
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Heute im Saint Louis Art Museum, USA. 22.4.–1.5.1895, Los Nr. 327. Heute im North Carolina Museum of Art, Raleigh, USA, http://www.ncarmuseum.org/art/detail/merry_company (21.4.2014) Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nennt als Adresse von Adolf Duschnitz für das Jahr 1904 Wien XIII., Wattmanngasse 9a. Ob die Familie tatsächlich in diesem Jahr im 13. Bezirk wohnte, ist nicht bekannt. Für 1905 findet sich im Lehmann keine Angabe zum privaten Wohnort, ab 1906 wird die Adresse Wien XIX., Karl-Ludwig-Straße 73, angeführt. Heinrich (von) Ferstel (1828–1883) plante die Votivkirche und zahlreiche Bauten an der Ringstraße und im 1. Bezirk. 1879 wurde er in den Freiherrenstand erhoben. Carl von Borkowsky (1829–1905) war Assistent von Heinrich Ferstel und ab 1872 Baudirektor und Chefarchitekt des Wiener Cottage-Vereins. Ferdinand Fellner (1847–1916) und Hermann Helmer (1849–1919) bauten vor allem zahlreiche Warenhäuser und Theater, so auch das Warenhaus Jacob Rothberger am Wiener Stephansplatz. Vgl. auch Leonhard WEIDINGER, Die ersten Jahre der Familie Rothberger in Wien, in: Christina GSCHIEL, Ulrike NIMETH, Leonhard WEIDINGER (Hg.), schneidern und sammeln. Die Wiener Familie Rothberger (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 2), Wien-Köln-Weimar 2010, S. 17–29, hier S. 24. Vgl. Anna-Maria ELLENBOGEN, Das Wiener Cottage. Ein Wohnkonzept in Idee, Planung und Reali-
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76 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger Mein Großvater Willibald heiratet 1907 meine zukünftige Großmutter, die schöne und talentierte Pianistin Jenka Loeff aus Holleschau in Mähren.15 Er hat die Liebe zur Kunst von seinem Vater und Großvater geerbt.16 Als 1909 Adolf völlig unerwartet nach kurzem Leiden stirbt, erbt er das Familienunternehmen und die Kunstsammlung. Beide wird er mit enormem Erfolg weiterführen. Mit technischen Filzen zeigt er sich kreativ, lässt innovative Anwendungen patentieren, gründet neue Unternehmen. Seine Teilnahme an wirtschaftlichen Gremien bringt ihm die Verleihung des Titels Kommerzialrat. Sein Hauptkunde ist das kaiserliche Heer und der Erste Weltkrieg macht aus ihm einen Multimillionär.17
Abbildung 2: Die »erste« Sammlung – holländische und flämische Gemälde, Renaissance-Möbel und -Skulpturen. Bild 1: Stuhl, italienisch, 16. Jh.17 Bild 2: Gerrit Berckheyde, Der Dam in Amsterdam am frühen Morgen. Bild 3: Veit Stoß, Hl. Johannes, deutsch, 16. Jh.
Mit großer Investitionsbereitschaft und bestem Geschmack erweitert er rasant die Kunstsammlung. Sie erhält nun zwei Schwerpunkte: Flämische und holländische Altmeister-Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts sowie Skulpturen und Möbel der Renaissance (Abb. 2). Dazu sammelt er eifrig Kunstbücher und -kataloge.18 Er kauft sierung 1860–1918, WU-Diplomarbeit, Wien 1989. 15 Aus dieser ersten Ehe stammte eine Tochter, Eva, die Mutter von Harold Chipman. Die Ehe wurde am 19.4.1926 einvernehmlich geschieden. Willibald Duschnitz heiratete am 16.7.1932 in Wien ein zweites Mal, und zwar Elisabeth Beer, geschiedene Frankl. Die Ehe blieb kinderlos und wurde am 14.12.1934 einvernehmlich geschieden. 16 Willibald Duschnitz musizierte und komponierte auch. Dies belegen unter anderem die Noten zum Musikstück »San ma lustig aber glei! Marschlied. Text und Musik von Willy Duschnitz. Frau Helene Fürth in Verehrung gewidmet. Gesungen bei den Grinzingern von Mück und Weisgrab«, die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aufliegen. 17 Heute im Musée d’art et d’histoire, Genf, Schweiz. 18 Siehe Handbuch des Kunstmarktes. Kunstadressbuch für das Deutsche Reich, Danzig und Deutsch-
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Gemälde in Frankreich, England und hauptsächlich Holland, wo er vom bedeutendsten Kenner holländischer Malerei, Cornelis Hofstede de Groot,19 beraten wird. In Sachen Renaissance ist sein Mentor einer der größten Sachverständigen und Museumsdirektoren seiner Zeit, Wilhelm von Bode20 aus Berlin. Aber auch die zeitgenössische Architektur interessiert ihn, insbesondere nachdem er den Pionier der Moderne Adolf Loos kennengelernt hat. Er wird Teil seines Kreises, besucht 1912 seine Bauschule.21 Willibald ist zu dieser Zeit enorm erfolgreich und voller Ambitionen. Das führt ihn zu einem bahnbrechenden Entscheid. Da die Familienvilla nun für seine Familie – seine Tochter Eva kommt 1910 zur Welt – und die Kunstsammlung zu klein wird, gibt er Adolf Loos 1914 den Auftrag, die Villa großzügig umzubauen. Der Umbau wird 1915/16 durchgeführt. Die Wohnfläche wird verdoppelt, die Räume werden üppig mit Marmor verkleidet, ein Renaissance-Raum entsteht unter dem Einfluss von Wilhelm von Bode, Willibald wirkt aktiv mit. Das Ergebnis ist eine einmalige Kulisse für Kunstsammlung, Musik und erlesene Wohnkultur. Die Villa Duschnitz in der Karl-Ludwig-Straße 73 im 19. Wiener Gemeindebezirk22 war 1904 durch die Baukanzlei des Cottage Vereins errichtet worden. Die Leitung des Baus lag beim Architekten Carl von Borkowski, ausgeführt wurde er durch
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Österreich, Berlin 1926, S. 752: »Duschnitz, Willibald, Industrieller, -XIX, Weimarer Straße 87, Holländer des 16. und 17. Jahrhunderts, kunsthist. Bibliothek, spez. Samml.- und Auktions-Kataloge 1873 bis heute, italienische Möbel und Skulpturen des 15. und 16. Jahrhunderts.« Cornelis Hofstede de Groot (1863–1930) war einer der führenden Experten seiner Zeit für holländische Malerei. Er aktualisierte und überarbeitete den Werkkatalog großer holländischer Meister des Engländers John Smith und veröffentlichte ihn auf Deutsch in zehn Bänden. Er schrieb auch über 70 Künstlerbiografien für das Thieme-Becker Lexikon. Vgl. u. a. Jane TURNER (Hg.), The Dictionary of Art, Bd. 14, London-New York 1996, S. 635. Mit Wilhelm von Bode arbeitete er an einer umfangreichen Publikation über Rembrandt. Vgl. Wilhelm von BODE, Cornelis HOFSTEDE DE GROOT, The Complete Works of Rembrandt, 8 Bde., Paris 1897–1906. Wilhelm von Bode (1845–1929) war Kunsthistoriker und Museumsdirektor in Berlin. Er war ein bahnbrechender Kunstexperte im Bereich der italienischen Renaissance, der Einfluss seiner Bücher erstreckte sich über ganz Europa und Nordamerika. Nicht nur im Bereich der Museen tätig, war er einer Reihe von privaten Sammler_innen nahe und unterstützte deren Verlangen nach hoher Qualität. Vgl. u. a. TURNER 1996, Bd. 4, S. 208f. Unter Bodes Einfluss ließ Willibald ein Renaissance-Zimmer in seiner Villa einbauen und gestaltete das Entrée mit einem Renaissancekamin aus Frankreich (Kopie der Cheminée de Troyes, Original im Musée National de la Renaissance, Château d’Ecouen, nahe Paris). Vgl. Heidi BRUNNBAUER, Im Cottage von Währing/Döbling. Interessante Häuser – Interessante Menschen, Bd. 1, Gösing/Wagram 2003, S. 207. Nachdem Adolf Loos bei der Nachfolge Otto Wagners als Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste übergangen worden war, richtete er 1912 eine private Bauschule ein. Vgl. Burkhard RUKSCHCIO, Roland SCHACHEL, Adolf Loos. Leben und Werk, Salzburg-Wien 1982, S. 169–171. Seit 1919 lautet die Adresse Weimarer Straße 87.
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Abbildung 3: Das Musikzimmer und das Speisezimmer in der Villa Duschnitz, entworfen und gebaut von Adolf Loos 1915–1916. Bild 1: Das Musikzimmer mit der Orgel. Bild 2: Das Musikzimmer nach hinten mit Gemälden und Skulpturen. Bild 3: Das Speisezimmer aus weißem Marmor.
Stadtbaumeister Victor Fiala.23 Adolf Loos erweiterte das Gebäude 1915/16, der Bau steht in einer Reihe von ähnlichen Projekten des Architekten in den 1910er Jahren. Nach außen blieb der typische Cottage-Stil des Gebäudes erhalten, die Zubauten waren in ihren kubischen Formen klar erkennbar. Im Inneren des Hauses schuf Loos besonders mit dem Musiksaal eine Bühne für den kunstsinnigen Willibald Duschnitz. Zum einen bot dieser 60 Quadratmeter große und fast 4,5 Meter hohe Raum eine geradezu museale Ausstellungsplattform für die Gemäldesammlung (Abb. 3.1 und 3.2), zum anderen war an seiner Stirnseite eine Orgel eingebaut,24 auf der der Hausherr selbst spielte (Abb. 3.1). Diese Orgel hatte die Ludwigsburger Firma E. F. Walcker für die Villa konzipiert und mit einer Organola ausgestattet, einem von Walcker entwickelten Selbstspielsystem, das mit gelochten Papierrollen funktionierte.25 Elsie Altmann-Loos, die zweite Ehefrau von Adolf Loos, der ihr um 1919 die von ihm geplanten Häuser zeigte, berichtete über einen Besuch in der Villa Duschnitz: Eines der schönsten Häuser, zumindest was die Innenräume betraf, denn es war nur ein Umbau, war das Duschnitz-Haus im Cottageviertel. Es hatte das herrlichste Marmorspeisezimmer, das ich je gesehen habe [Abb. 3.3], und außerdem war auch 23 Vgl. BRUNNBAUER 2003, S. 208. 24 RUKSCHCIO, SCHACHEL 1982, S. 512f. 25 Die Orgel befindet sich heute im Festsaal des Technischen Museums Wien. Willibald Duschnitz verkaufte sie 1954 an die Pfarre Leopoldsdorf bei Wien für die neue Kirche. Als die Pfarre die Orgel 1994 verkaufen wollte, erwarb sie auf Empfehlung des Bundesdenkmalamtes das Technische Museum Wien. Für ihre Forschungen zur Geschichte der Orgel danken wir Bettina Schöngut, geborene Quecke, und Christian Klösch.
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eine Orgel eingebaut, deren Pfeifen im ganzen Haus verteilt waren. Leider war Herr Duschnitz ein sehr nervöser und einsamer Mensch und erlaubte niemandem, das Haus zu betreten. Wir waren natürlich eine Ausnahme, aber auch wir durften nicht zu lange bleiben. Er selbst war Orgelspieler und wollte immer allein sein. Er lebte in einer Zauberwelt, und jeder Außenstehende brachte Alltag ins Haus, und das wollte er nicht. Er hatte wunderschöne Hände und dunkle Augen im feingeschnittenen Gesicht, wie besonders kultivierte Juden sie manchmal haben. Er sah mich kaum an, sprach nur ein paar Worte mit Loos, und dann verschwand er. Auch wir gingen bald wieder, um nicht zu stören.26 Das Jahr 1918 bringt die größte Katastrophe für die Habsburger-Monarchie: Der Krieg ist verloren, das Reich zerbricht und wird aufgeteilt, Kaiser Karl wird gezwungen, auf seine Regentschaft zu verzichten, und verlässt mit seiner Familie das Land. Vom größten Reich Mitteleuropas bleibt Österreich als deutschsprachiger Rest – ein kleines Land ohne Bedeutung, politisch zerstritten, ohne klare neue Identität und mit einer Währung, die wegen der Hyperinflation täglich an Wert verliert. Für die junge Industrie Österreichs bedeutet das eine existenzielle Krise. Die Filzfabrik Willibalds verfügt über wenig Rohmaterialreserven, keine Lieferanten, keine Kunden und keine Märkte – der ultimative Albtraum. Die Situation in Wien selbst ist politisch explosiv und eine Bedrohung für die reichen Villenbesitzer im 18. und 19. Bezirk. Einige überlegen sich, welche Sicherheitsmaßnahmen zu treffen sind. Der Schriftsteller Arthur Schnitzler berichtet davon in seinem Tagebuch am 31. Oktober 1918: »Zu Speidels. – Er war gestern bei einer Familie in D., wo auch Panik-Stimmung herrschte. – Neulich eine Versammlung bei Horchs, von Cottage Villenbesitzern, Sicherheitsberathungen.– Mancherlei komisches. Herr D.; – der seine Bilder im Thurm einer Kirche in Sicherheit bringen will«.27 Drei Tage später, am 2. November 1918, schreibt er: »Bei Generaldirector Horch (im Haus das einst Kainz bewohnt) Berathung einiger Villenbesitzer über Sicherheitsmaßnahmen. (Hofr. Thimig, Siegfried Loewy, Commerzialrat Duschnitz, Kuffner, Hofr. Kobler u. a.) Es kam nicht sehr viel heraus.«28 26 ALTMANN-LOOS 2013, S. 82f. Elsie Altmann-Loos (1899–1984) war 1919–1926 mit Adolf Loos verheiratet. 27 Arthur SCHNITZLER, Tagebuch 1879–1931. Unter Mitwirkung von Peter Michael BRAUNWARTH, Susanne PERTLIK und Reinhard URBACH, hg. v. der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 10 Bde. Wien 1981–2000, Bd. 1917–1919 (1995), S. 196. Mit »Herr D.« ist »Herr Duschnitz« gemeint. 28 SCHNITZLER 1995, S. 197.
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80 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger In Wien herrschte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein großer Mangel an Wohnraum. Zwei Millionen Menschen, ein Drittel der Einwohner_innen der jungen Republik Österreich, lebten in der ehemaligen Hauptstadt eines 50-MillionenReichs. Der Staat schuf daher die gesetzlichen Voraussetzungen, dass leerstehende Wohnungen, Zweitwohnungen und Zimmer in Groß- und Luxuswohnungen, die nicht genutzt wurden, wohnungsbedürftigen Personen zugewiesen werden konnten.29 Lag für ein Appartement oder eine Villa eine Wohnungsanforderung vor, erfolgte eine Begehung durch Mitarbeiter des Staatsdenkmalamtes, um die Eignung der jeweiligen Wohnung für eine Zuweisung festzustellen. Die Begehung der Duschnitz-Villa im Oktober 1919 ergab, »dass das Einfamilienhaus des Herrn Willibald Duschnitz, Wien XIX Karl Ludwigstr. 73 eine Reihe von Prunkräumen enthält, die für Wohnzwecke ungeeignet erscheinen«.30 Damit war die Wohnungsanforderung betreffend die Villa von Willibald Duschnitz obsolet. Die Idee, seine Gemälde in einem Kirchturm sicher zu verwahren, war eigentlich nicht so schlecht, jedoch findet Willibald eine ganz andere Lösung, die ihn und seine Firma nicht nur überleben lässt, sondern zu neuer Prosperität führen wird. Sie lautet: Erfolg und Sicherheit sind in der Zukunft im Ausland zu suchen. Für sein Unternehmen bedeutet das, sofort ausländische Märkte zu erkunden, für die Kunstsammlung, Kunstwerke ins Ausland zu schicken. Letzteres gelingt Willibald dank seiner engen Kontakte in Holland spektakulär. Das bedeutende Frans Hals Museum in Haarlem in den Niederlanden war 1913 in ein historisches Altersheim eingezogen. Nun ist viel mehr Ausstellungsplatz vorhanden, aber es mangelt an Gemälden. So bittet das Museum unter anderem Willibald um Leihgaben, der in der Folge 1919 fünfzehn Gemälde zu Verfügung stellt. Es sind Meisterwerke von Gerrit Berckheyde – eines davon hat sein Vater Adolf 1885 in Wien gekauft (Abb. 2.2) –, Jacob Gerritsz. Cuyp, Arent de Gelder,31 Willem Claesz. Heda,32 Jan Lievens, David Rijckaert III, Jan Steen,33 Jan van Goyen, Jacob van Ruysdael, Sa29 StGBl 1918/22, StGBl 1919/223 und StGBl 1919/418 betrafen die Anforderung von Wohnungen durch die Gemeinden, StGBl 1919/515 betraf den Wohnungsnachweis. 30 Archiv des Bundesdenkmalamtes, Zl. 2249/1919, Wohnungsanforderung Wien XIX, Karl Ludwigstr. 73. 31 Heute im Musée de Picardie, Amiens, Frankreich. 32 Heute im Mauritshuis, Den Haag, Niederlande, http://www.mauritshuis.nl/index.aspx?chapterid=234 7&contentID=18297&CollectieZoekKunstenaarSsOtName=Achternaam&CollectieZoekKunstenaarS sOv=Heda (attributed to)%&KunstenaarSsOtName=Achternaam&KunstenaarSsOv=Heda (attributed to)%&kunstenaar=Willem Claesz Heda (attributed to)&naamKunstenaar=Willem ClaeszHeda (attributed to) (21.4.2014). 33 Eines, die Kuchbäckerin, heute in der Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, http://
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lomon van Ruysdael, Dirk van Santvoort34 und Willem van de Velde dem Jüngeren. Sie werden bis 1926 in Haarlem bleiben. Willibald ist Kunstliebhaber und -kenner, aber zugleich gewiefter Geschäftsmann. Mit dieser wichtigen Leihgabe erreicht er gleich drei Ziele: erstens seine Positionierung als bedeutender Sammler, zweitens seinen ersten Auftritt als privater Sammler in einem Museum von internationalem Ruf und drittens die Ausfuhr wertvoller Gegenstände ins stabile und neutrale Ausland, wo sie vor finanziellen Turbulenzen in Österreich sicher sind. So dient seine Kunstsammlung auch als Vermögensanlage, um aktuelle und potenzielle Krisen überstehen zu können. Weitere Leihgaben ins Ausland folgen nach demselben Prinzip. Noch 1921, kurz vor Ende des Eingabetermins, kann Willibald sein Gemälde Der verliebte Alte von Lucas Cranach dem Älteren zur Ausstellung Alter Schweizer Kunst nach Zürich schicken. Es stammt aus der berühmten und umfangreichen Sammlung von Baron Mor Herzog in Budapest35 und wird zum Thema eines religionsgeschichtlichen Aufsatzes.36 1922 bittet das Mauritshuis in Den Haag um sein zweites Gemälde von Salomon van Ruysdael (das andere hängt zu dieser Zeit im Frans Hals Museum, Haarlem). Es handelt um eine sich für diesen Künstler sehr seltene Ansicht von Alkmaar und stammt ebenfalls aus der Sammlung von Baron Herzog.37 Es bleibt bis 1932 im Mauritshuis ausgestellt. Willibald hat schnell und wirkungsvoll auf die Krise von 1918 reagiert. Obwohl der wirtschaftliche Aufschwung in Österreich bis zum Dawes-Plan von 1924 auf sich warten lässt, ist Willibald bald in der Lage, seine Leihgaben mit neuen Ankäufen zu ersetzen. Sein Unternehmen hat die Krise überstanden und er verfügt über genügend finanzielle Mittel, um neue Investitionen zu tätigen. Die seit mehreren Jahren bestehende intensive Freundschaft und wirtschaftliche Verbindung zwischen Willibald und magart.rochester.edu/Obj5039?sid=45620&x=314968 (21.4.2014), vgl. auch Fußnote 62. 34 Heute in der Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, http://magart.rochester.edu/ Obj5040?sid=45620&x=315041 (21.4.2014). 35 Baron Mor Lipot Herzog (1869–1934) war Bankier und besaß die größte Kunstsammlung Ungarns. Vgl. Georg BIERMANN, Die Gemäldesammlung des Baron Herzog in Budapest, in: Der Cicerone IV/11 (1912), S. 417–434. 36 Ferdinand VETTER, Ein bisher unbekanntes Kranachisches Gemälde vom buhlenden Greise als Spottbild auf die Vermählung Luthers?, in: Zwingliana IV/2 (1921), S. 32–45. Die Ausstellung Gemälde und Skulpturen 1430–1530, Schweiz und angrenzende Gebiete fand von September bis November 1921 im Kunsthaus Zürich statt. 37 Über dieses Gemälde schreibt Georg Biermann: »Die prächtige Flußlandschaft des Salomon van Ruysdael mit den weidenden Kühen im Vordergrund hat einen ähnlichen Reichtum des Tones (Abb. 9). Nur auf wenigen Bildern ist die Harmonisierung von Landschaft und Staffage dem Meister gleich glücklich gelungen.« BIERMANN 1912, S. 423.
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82 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger dem jungen charismatischen holländischen Kunsthändler Jacques Goudstikker spielen hier eine zentrale Rolle.38 Seit mehreren Jahren kaufen die beiden voneinander eine Reihe von Gemälden. Dazu besuchen Wilhelm von Bode und Cornelis Hofstede de Groot39 in dieser Zeit mehrmals die Sammlung in Wien. Dank neuer Vertretungen und Büros in mehreren Ländern Europas und Nordafrikas hat Willibald den Aufschwung seines Hauptunternehmens erreicht. Die Jahre um 1925 zeigen sich erfreulich, auch für Willibald, den jetzt international renommierten Sammler. Der optimistische Geist der 1920er verdrängt den Pessimismus der schwierigen Jahre. Der Zusammenbruch der Monarchie wirkte sich auch auf die Wiener Kunst- und Kulturlandschaft aus. Die Museen der öffentlichen Hand waren um die bisher hofärarischen Sammlungen erweitert worden, allerdings gingen die Schenkungen aus Adel und Großbürgertum, das bis in den Ersten Weltkrieg die Häuser mäzenatisch gefördert hatten, deutlich zurück. Der Kunstmarkt blieb in Bewegung, adelige und großbürgerliche Sammlungen wurden verkauft40 und selbst die Museen gaben einige ihrer Bestände ab.41 Im Wien der 1920er Jahre gab es eine Reihe von Kunstauktions38 Jacques Goudstikker (1897–1940) war einer der einflussreichsten Kunsthändler Hollands. Er öffnete den Binnenmarkt für Kunstwerke aus dem Ausland, insbesondere der italienischen Renaissance. Sein Einfluss reichte über ganz Europa und bis Nordamerika. Sein Lebensstil mit rauschenden Festen, umgeben von großartigen Kunstwerken, welche zum Kauf angeboten waren, war legendär. Seine zweite Frau war die Opernsängerin Désirée Halban-Kurz aus Wien. Er starb 1940 auf der Flucht aus Holland bei einem tragischen Unfall an Bord eines Schiffes. Vgl. Pieter DEN HOLLANDER, Melissa MÜLLER, Jacques Goudstikker 1897–1940, in: Melissa MÜLLER, Monika TATZKOW, Verlorene Bilder. Verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, München ²2009, S. 214–229. Goudstikker war einer der engsten Freunde von Willibald Duschnitz, der ihn als sehr jungen Mann kennengelernt hatte, da er bei seinem Vater schon vor 1918 Gemälde gekauft hatte. Mündliche Mitteilung von Eva Duschnitz an Harold Chipman. 39 Besuche von Wilhelm von Bode (1922) und Cornelis Hofstede de Groot (1921 und 1926) bei Willibald Duschnitz werden von Sturla J. Gudlaugsson berichtet. Vgl. Sturla J. GUDLAUGSON, Gerard Ter Borch, 2 Bde., Den Haag 1959/1960. Allerdings ist der briefliche Austausch zwischen diesen beiden Kunstexperten und Willibald Duschnitz noch nicht voll erforscht. Anhand seiner Besuche bei Willibald Duschnitz beriet Wilhelm von Bode Bertha Hochstetter-Buswell über ihren Kauf von Duschnitz-Kunstobjekten. Vgl, Isabel C. HERDLE, Munificent Gifts Enrich University Art Collection, in: Rochester Review 18/2 (1956), S. 8–13, hier S. 10. 40 Z. B. in folgenden Auktionen: 7.–9.12.1920 bei Glückselig & Wärndorfer die Gemäldesammlung Professor Adam Politzer (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/glueckselig1920_12_07, 21.4.2014) (in dieser Auktion erwarb Willibald Duschnitz Los Nr. 170, ein Männliches Bildnis von Johannes Verspronck), 5.–9.4.1921 bei Leo Schidlof die Miniaturensammlung Simon Ritter von Metaxa und die Glassammlung E. Herzheimer (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schidlof1921_04_05, 21.4.2014) und 9.6.1921 bei Albert Kende das Gesamtinventar des Maria-Theresia-Jagdschlössls (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ kende1921_06_09, 21.4.2014). 41 So verkaufte das Österreichische Museum für Kunst und Industrie 1922 einige Teppiche und tauschte seit 1919 mit Museen, Sammler_innen und Kunsthandlungen zahlreiche Objekte ab.
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häusern wie Glückselig & Wärndorfer, Albert Kende, Samuel Kende, August Johannes Schelle, Leo Schidlof, C. W. Wawra, das staatliche Auktionshaus Dorotheum sowie die vor allem im Bereich der Grafik tätigen Firmen Artaria & Co. und Gilhofer & Ranschburg und darüber hinaus zahlreiche Kunst- und Antiquitätenhändler.42 Anders als in Deutschland spielte die zeitgenössische moderne Malerei am Wiener Kunstmarkt kaum eine Rolle. 1917 war Oskar Kokoschka nach Dresden übersiedelt, 1918 waren Gustav Klimt und Egon Schiele gestorben, damit fehlten die drei wesentlichen Persönlichkeiten – ihre Bilder aber wurden nach wie vor gehandelt und gesammelt. Darüber hinaus setzten Wiener Sammler_innen auf traditionellere Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts. Entwicklungen wie Dadaismus,43 Surrealismus oder Konstruktivismus fanden in Wien kaum Niederschlag. Jene, die es sich wie Willibald Duschnitz auch leisten konnten, erwarben »alte Meister« und bauten Sammlungen auf, deren Bilder in ihrer Qualität denen der staatlichen Museen kaum nachstanden. Es ist das Jahr 1926. Die österreichische Wirtschaft hat sich endlich erholt und das Familienunternehmen prosperiert erneut. Willibald lässt seine Leihgaben aus dem Frans Hals Museum in Holland zurück nach Wien kommen. Ein Gemälde ist soeben zurück, als es als Leihgabe das Land gleich wieder verlässt. In Leyden wird im Juni der 300. Geburtstag von Jan Steen mit einer großen internationalen Ausstellung im Museum De Lakenhal gefeiert.44 Willibald ist mit seinem Gemälde Der Liebesbrief von Jan Steen der einzige Leihgeber aus Österreich.45 Doch dieses Jahr wird für ihn zum persönlichen Krisenjahr. Seine Ehefrau Jenka bittet ihn um die Scheidung, sie hat sich in einen Schweizer Arzt verliebt und will ihn umgehend heiraten. Da es in der Ehe schon länger kriselt, willigt Willibald ein und wird am 19. April freundschaftlich geschieden. Jenka erhält keine materiellen Güter, sondern Alimente und das Wohnrecht in der Villa, wo sie mit der gemeinsamen Tochter Eva lebt. Willibald zieht in eine großzügige Wohnung, welche die gesamte Beletage eines vornehmen Wohnhauses am Getreidemarkt 2 im 1. Wiener Bezirk gegenüber der Secession einnimmt. Zur gleichen Zeit tritt er aus der israelitischen Kultusgemeinde aus.46 42 Eine wesentliche, bisher allerdings noch kaum ausgewertete Quelle zum Wiener Kunstmarkt bis 1938 ist die Internationale Sammler-Zeitung, die 1909–1938 in Wien erschien. 43 1920 fand in Berlin die Erste Internationale Dada-Messe statt. 44 16.6.–31.7.1926. 45 Im Archiv des Bundesdenkmalamtes gibt es zur Ausfuhr des Gemäldes von Jan Steen zwar eine Aktenzahl (GZ 2019/26), das entsprechende Ausfuhransuchen ist allerdings nicht vorhanden. 46 Laut Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs war Willibald Duschnitz seit dem 9.10.1926 als konfessionslos an der Adresse Wien 1, Getreidemarkt 2/1/1 gemeldet.
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84 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger Diese Änderungen in seinem Leben sind das Ergebnis einer längeren »mid-life crisis« – er ist zu dieser Zeit 42 Jahre alt und erlebt eine für ihn emotional sehr schwierige Zeit. Nun bergen aber die neuen Umstände auch neue Chancen, zumal der Sammler jetzt zwei Ausstellungssphären für seine Sammlung hat: die Villa und die neue Wohnung. Die Villa mit den hiesigen Kunstwerken bleibt nach wie vor gegen Voranmeldung öffentlich zugänglich. So organisiert auch Adolf Loos für Interessierte Besuche in der Villa. Die Wohnung mit ihren vielen Räumen bietet einen idealen Ort für kleinere Objekte, die auch in Vitrinen untergebracht werden können. Willibald überlegt sich neue Horizonte für seine Sammlung. Zuerst muss er entscheiden, was er aus der Villa in die Wohnung mitnehmen wird. Ganz sicher alles aus seinen privaten Räumen im ersten Stock der Villa, insbesondere seine umfangreiche Kunstbibliothek, die Kunstwerke, mit denen seine Bibliothek geschmückt war, die von Adolf Loos entworfenen Möbel sowie eine Auswahl größerer Objekte aus den Prunkräumen im Erdgeschoß. Auch trifft er die Entscheidung, einen Teil der Sammlung zu verkaufen, um Neues zu erwerben – er will sich verständlicherweise mit Neuem umgeben. So gehen eine Reihe wertvoller Gemälde zu seinem Freund Jacques Goudstikker zum Verkauf, unter anderem auch das bekannte und reizvolle Porträt von Jean le Gouche von Johannes Verspronck. Goudstikker wird das Gemälde für sich behalten, aber nach seinem frühen Tod und dem Zwangsverkauf des Inventars seiner Galerie 1940 an Hermann Göring kommt das Bild schließlich in die Sammlung des geplanten Führermuseums in Linz.47 Das Herrenporträt des seltenen frühen deutschen Malers Anton Woensam van Worms sowie das Porträt der Mutter von Rembrandt von Jan Lievens gehen ebenfalls an Goudstikker. Das Gemälde von Emanuel de Witte Inneres eines Fischmarktes in Amsterdam48 wird an Baron Heinrich Thyssen-Bornemisza für seine prächtige Sammlung verkauft und hängt jetzt im gleichnamigen Museum in Madrid.49 Ein Unikat, das einzige Porträt, das der frühe deutsche Maler Leonhard Beck signiert hat, sein Porträt des Augsburger Goldschmiedes Marx Schwab, wird durch die Galerie Sanct Lucas in Wien verkauft. Von diesem Porträt hängen Kopien in mehreren Museen und Privatsammlungen weltweit.50 47 Birgit SCHWARZ, Hitlers Museum. Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz, Wien-Köln-Weimar 2004. Nach dem Krieg wurde das Bild an die Niederlande übergeben, 2006 an die Erb_innen nach Jacques Goudstikker restituiert und 2007 bei Christie’s in New York versteigert. Der heutige Verbleib ist nicht bekannt. Siehe auch http://www.dhm.de/gos-cgi-bin/linz/satz.cgi?Objekt=li001413 (22.5.2014). 48 Vgl. Wilhelm VON BODE, Die Meister der holländischen und vlämischen Malerschulen, Leipzig 1919, S. 278. 49 http://www.museothyssen.org/en/thyssen/ficha_obra/58 (28.5.2014). 50 Der heutige Verbleib des Gemäldes ist unbekannt, vgl. Guido MESSLING, Der Augsburger Maler und
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Diese Verkäufe schaffen Platz für die Neuerwerbungen. Die bedeutendste bildet der Apostel Petrus von Anton van Dyck (Abb. 4.1). Es ist aus der Frühzeit des Meisters und vielleicht eine Studie zum gleichnamigen Gemälde in der Staatlichen Gemäldegalerie in Dresden. Es ist eine Neuentdeckung im Oeuvre von Van Dyck und wird vom Direktor der Wiener Gemäldegalerie Gustav Glück in sein Werkverzeichnis von Van Dyck aufgenommen und ausführlich beschrieben.51 Es wird später vom Schweizer Vertrauensmann meines Großvaters gestohlen und 1941 von Joseph Goebbels erworben. Danach verschwindet es. Willibald hat dieses Gemälde ganz besonders geschätzt und wird die Suche danach von 1945 an bis zu seinem Tod nie aufgegeben. Der Strom der Besucherinnen und Besucher seiner Kunstsammlung nimmt ab den 1920er Jahren ständig zu. Insbesondere sind es Amerikaner_innen, die zum Teil selbst an Museums- oder Sammlungsgründungen in den USA beteiligt sind, die bei ihm kaufen und um seine Ideen bitten – er ist zum gesuchten Kunstberater geworden. Zu den hochmotivierten Gästen zählen Charles Morgan, Professor am Amherst College, der das Mead Museum konzipieren und gründen wird, der US-Pressemagnat William Randolph Hearst (der sein Inneres einer Kirche von Emanuel de Witte kauft52), die Kunstsammler Emil und Paula Strauss aus Paris sowie Bertha Hochstetter und ihr Mann Henry Buswell aus Buffalo, New York. Sie ist eine eifrige und sehr wohlhabende Sammlerin und Wilhelm von Bode hat ihr empfohlen, sich die Duschnitz-Sammlung genau anzuschauen, denn sie sucht ausschließlich erlesene Kunstwerke. Da sie kinderlos bleibt, wird sie ihre Sammlung über ihren Bruder Ralph Hochstetter der Memorial Art Gallery in Rochester, nahe Buffalo, vermachen. Sie ist von der Sammlung Willibalds sehr beeindruckt und kauft in den 1930er Jahren bei ihm insgesamt fünf Gemälde: von David Teniers Bauern in der Schenke (Abb. 4.2), von Dirk van Santvoort das Porträt der Eva Bicker, von Franz van Mieris dem Älteren Dame mit einem Perlenohrring, von Isaac van Ostade das Bildnis der Mutter Rembrandts und von Jan Steen die bezaubernde Kuchbäckerin (Abb. 5.3). Weiters erwirbt sie fünf Skulpturen: zwei aus dem Frankreich des frühen 16. Jahrhunderts – die Heilige Barbara und eine unbekannte Heilige –, eines aus der italienischen Renaissance – Maria mit Jesus und dem Heiligen Johannes –, zwei aus dem Deutschland des 16. Jahrhunderts – der Heilige Zeichner Leonhard Beck und sein Umkreis. Studien zur Augsburger Tafelmalerei und Zeichnung des frühen 16. Jahrhunderts, Dresden 2006, S. 326, Abb. Nr. 54 auf S. 248. 51 Gustav GLÜCK, Van Dycks Apostelfolge, in: Gustav GLÜCK, Rubens, Van Dyck und ihr Kreis. Mit 200 Abbildungen (= Gustav GLÜCK, Gesammelte Aufsätze 1), Wien 1933, S. 288–302, bes. S. 293, Abb. 163. 52 Heute im Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, Deutschland.
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86 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger Petrus und der großartige, von Wilhelm von Bode hochempfohlene Heilige Johannes von Veit Stoß53 (Abb. 2.3) – sowie mehrere Möbelstücke. Willibald ist mit den Wiener Museumsexperten und -kuratoren bestens befreundet. Nun möchte er Werke seiner Sammlung einem größeren Publikum in seiner Heimat zeigen. Diese Möglichkeit bietet sich ihm 1930 in Wien gleich zweimal – es wird zu seinem »Annus Mirabilis« als Sammler. Zuerst beteiligt er sich mit fünf Gemälden – Der Apostel Petrus (Abb. 4.1) sowie der Marqués Francisco de Moncada zu Pferd von Anton van Dyck,54 Hunde stellen einen Fuchs von Paul de Vos (Abb. 3.3 und 4.3), Bauern in der Schenke von David Teniers dem Jüngeren55 (Abb. 4.2), Rauchender Bauer von Adriaen Brouwer56 und einer Skulptur, Die Anbetung der Könige, eines niederländischen Meisters um 153057 – an der Ausstellung Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst 1400–1700 in der Wiener Secession.58 Kurz darauf stellt er Leihgaben für die Ausstellung Das holländische Sittenbild im XVII. Jahrhundert der Galerie Neumann & Salzer zur Verfügung, und zwar von Gerrit Berckheyde Der Dam in Amsterdam,59 von Jacob van Loo Die Familie Rutger van Weert60 (Abb. 5.1), von Gerrit Houckgeest Neue Kirche in Delft (Abb. 5.2), von Isaac 53 Wilhelm von Bode empfahl besonders Bertha Hochstetter-Buswell den Kauf dieses Meisterwerks, vgl. HERDLE 1956, S. 10. 54 Vgl. Jahel SANZSALAZAR, Van Dyck: Noticias sobre los retratos ecuestres de Francisco de Moncada, Marquès de Aytona, y su procendencia en el siglo XVII, in: Archivo Español de Arte LXXIX/315 (2006), S. 320–332. 55 Heute in der Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, http://magart.rochester.edu/ Obj5032?sid=9363&x=88242 (21.4.2014). 56 Es gibt zwei Varianten von diesem Gemälde: eines im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen, Deutschland, und das andere im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, Spanien. 57 In seiner Rezension zur Ausstellung in der Kunstzeitschrift Apollo (The Exhibition of Three Hundred Years of Flemish Art in Vienna, in: Apollo XL/63 [1930], S. 185–191) schrieb Max Eisler zur DuschnitzSkulptur: »But there are few examples of sculpture, and they illustrate the development only cursorily. Yet even here there are some individual pieces of note out of Viennese collections, especially a magnificent example of popular, sound craftsmanship in the naively conceived »Adoration of the Magi«, an oak carving of about 1530 (Willibald Duschnitz)«. »Aber es waren wenige Skulpturen, und sie illustrieren nur schematisch die Entwicklung. Doch auch hier sind bemerkenswerte Kunstwerke aus Wiener Sammlungen zu sehen, insbesondere ein großartiges Beispiel handwerklicher Kunst, die naiv gestaltete ‚Anbetung der Könige‘, eine Skulptur aus Eichenholz um 1530 (Willibald Duschnitz)« (Übersetzung: Harold Chipman). 58 CX. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession. Drei Jahrhunderte vlämische Kunst 1400–1700. Veranstaltet vom Verein der Museumsfreunde in Wien. 11. Jänner bis 23. Februar 1930, Wien 1930, Kat.-Nr. 78, 84, 100, 113, 127, 160. Als Leihgeberin des Gemäldes Marqués Francisco de Moncada zu Pferd von Anton van Dyck, Kat. Nr. 84, wird im Katalog »Mme. de Ferrière, Wien«, die ehemalige Frau von Willibald Duschnitz angegeben. 59 1920–1926 im Frans Hals Museum, Haarlem, Niederlande, als Leihgabe ausgestellt. 60 Otto Benesch schrieb in seinem Ausstellungsbericht in der Zeitschrift Belvedere zu diesem Gemälde: »Der
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Abbildung 4: Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst, Secession, Wien, 11. Jänner – 23. Februar 1930. Bild 1: Anthonis van Dyck, Der Apostel Petrus (Kat.-Nr. 78). Bild 2: David Teniers d. J., Bauern in der Schenke (Kat.-Nr. 113). Bild 3: Paul de Vos, Hunde stellen einen Fuchs (Kat.-Nr. 100).
van Ostade Die Mutter Rembrandts,61 von Jan Steen Die Kuchbäckerin62 (Abb. 5.3) und von Gerard Ter Borch Johannes Roever.63 Ein Blick in die zeitgenössischen Kunstzeitschriften um 193064 bestätigt, dass in Wien nicht nur in den großen Museen der öffentlichen Hand bedeutende Ausstellungen abgehalten wurden, sondern auch in den Häusern von Kunstvereinigungen und in privaten Galerien. Vom 11. Jänner bis zum 23. Februar 1930 fand im Gebäude der Wiener Secession die Ausstellung Drei Jahrhunderte vlämische Kunst 1400– 1700 statt. Es war die 60. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession, veranstaltet wurde sie vom Verein der Museumsfreunde in Wien. Unter den Leihgebern waren neben Wiener Museen das Musée Royal des Beaux-Arts in Antwer-
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kraftvolle Ernst, die saftige Malerei des Gruppenporträts gibt den besten Werken de Keysers nichts nach. Das dunkle, bald warme, bald kalte Grau der Gestalten steht im Einklang mit dem kühlen Weiss der Kragen. Die Gesichter leuchten in kräftigem Rötlich und Neapelgelb. Herbstliches Goldbraun webt die Landschaftsfolie.« Belvedere 9 (1930), S. 223–225, hier S. 224. Eine alte Kopie des Gemäldes befindet sich im Museum der Bildenden Künste in Leipzig, Deutschland. Heute in der Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, http://magart.rochester.edu/ Obj6545?sid=9445&x=88946 (21.4.2014). Über dieses Gemälde schrieb Otto Benesch in der Zeitschrift Belvedere: »Jan Steens Pfannkuchenbäckerin aus der Sammlung Duschnitz steht an erster Stelle, von prachtvoller Abgewogenheit der Komposition, warm und tief in der Farbe. Das leuchtende Rot der Jacke der Bäckerin sammelt den Blick. Monumental wirkt das breite Dasitzen der Frau. Goldgelb leuchten Butterstollen und Äpfel. An Lokalfarben wird gespart (ein verwaschenes Blau, ein grünliches Zitron); umso mehr kommt der tiefe goldige Klang der Atmosphäre zur Geltung. Wunderbar der farbig leuchtende Abendhimmel, der sicher hinter den Schattenfolien spannt.« Belvedere 9 (1930), S. 223–225, hier S. 223. Es befindet sich heute in der Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, http://magart.rochester.edu/ Obj5039?sid=45620&x=314968 (21.4.2014). Heute im Eva Klabin Museum, Rio de Janeiro, Brasilien. Siehe z. B. die Zeitschriften Apollo, Belvedere, Internationale Sammlerzeitung, Pantheon.
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Abbildung 5: Das holländische Sittenbild im XVII. Jahrhundert, Galerie Neumann & Salzer, Wien, 20. Mai – 20. Juni 1930. Bild 1: Jacob van Loo, Die Familie Rutger van Weert (Kat.-Nr. 32, Abb. auf dem Titelblatt des Katalogs). Bild 2: Gerrit Houckgeest, Neue Kirche in Delft (Kat.-Nr. 23). Bild 3: Jan Steen, Die Kuchbäckerin (Kat.-Nr. 59)
pen und jenes in Brüssel, die Musées Royaux d’Art et d’Histoire in Brüssel, das Nationalmuseum in Stockholm und das Diözesan-Museum Lüttich sowie Kunsthandlungen und private Sammler wie Stephan Auspitz, Gustav Benda, Viktor Bloch, Oscar Bondy, die Berliner Galerie Haberstock, die Wiener Galerie Sanct Lucas, Louis Rothschild und Hans Wilczek.65 Die Texte für den Katalog verfassten Gustav Glück und Ludwig Baldass von der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, August Schestag, der Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, Ernst Kris vom Kunsthistorischen Museum und Otto Benesch von der Grafischen Sammlung Albertina. Gustav Glück, der Direktor der Gemäldegalerie, schrieb in der Einführung zum Katalog über die niederländische Malerei: »Es zeigt sich, daß gerade der Wiener Privatbesitz, wohl hauptsächlich angeregt durch den öffentlichen, sich diesem Sammelgebiete mit besonders starkem Interesse zugewendet hat.«66 Nicht einmal drei Monate später stand die niederländische Malerei erneut im Fokus einer Ausstellung in Wien: Die Galerie Neumann & Salzer präsentierte Das holländische Sittenbild im XVII. Jahrhundert. Im September 1925 hatten der akademische Maler Eugen Neumann und der Kaufmann Oskar Salzer die Firma Neumann & Salzer gegründet.67 Die beiden Gesellschafter führten ihren Antiquitätenhandel in der Stallburggasse 2 im1. Bezirk Wiens, in unmittelbarer Nachbarschaft einiger Kunsthandlungen. Zusätzlich 65 Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst 1400–1700, S. 65f. 66 Drei Jahrhunderte vlämische Kunst 1400–1700, S. 14. 67 Vgl. zur Unternehmensgeschichte WStLA, HG A48, 137a, Neumann und Salzer.
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organisierten Eugen Neumann und Oskar Salzer als Galerie Neumann & Salzer in den Räumen der ehemaligen Galerie H. O. Miethke in der Dorotheergasse 1168 eine Reihe von Ausstellungen. Vom 2. März bis zum 6. April 1930 zeigten sie Die Barockmalerei in Österreich, vom 20. Mai bis zum 20. Juni 1930 Das holländische Sittenbild im XVII. Jahrhundert, vom 25. Oktober bis zum 30. November 1930 Die schöne Wienerin in Bildnissen von 1800 bis 1850 und vom 8. März bis zum 26. April 1931 Das Wiener Kind. Bildnisse aus zwei Jahrhunderten. Alle diese Ausstellungen waren von namhaften Experten kuratiert, die gezeigten Bilder waren Leihgaben und standen nicht bzw. nur in Ausnahmen zum Verkauf. Das holländische Sittenbild im XVII. Jahrhundert war die einzige dieser Ausstellungen ohne direkten Bezug zu Österreich und Wien. Dennoch stammten die Leihgaben soweit nachvollziehbar aus österreichischem Besitz, wobei einige der Leihgeber_innen schon in der Ausstellung in der Secession vertreten waren. 1931 endete die Serie der Ausstellungen. Am 23. Jänner 1932 starb Eugen Neumann, seine Firmenanteile gingen auf seine Witwe Agnes Neumann über. Für die folgenden Jahre sind keine Ausstellungen der Galerie Neumann & Salzer nachweisbar, erst wieder 1937, und zwar vom 6. April bis zum 17. Mai, organisierte Oskar Salzer die Ausstellung Johann Baptist Reiter 1813–1890. Diese Schau fand allerdings nicht mehr in den Räumen in der Dorotheergasse 11 statt, da diese 1936 von der Kunstabteilung des Dorotheums übernommen worden waren.69 Noch vor dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 floh Oskar Salzer nach Paris, bald darauf wurde die Firma Neumann & Salzer unter kommissarische Verwaltung gestellt.70 Nach erfolglosen Versuchen, die Firma zu »arisieren«, wurde sie schließlich von Otto Faltis abgewickelt und 1940 aus dem Firmenbuch gelöscht. Das Jahr 1930 ist für Willibald den Sammler ein absoluter Höhepunkt gewesen. Jedoch bringt das Jahr 1931 einmal mehr eine Katastrophe: den Banken-Crash. Die größte österreichische Bank, die Creditanstalt, erklärt ihre Zahlungsunfähigkeit. Von
68 Das Gebäude in der Dorotheergasse 11 wurde in den 1930ern entweder Palais Miethke nach der dort 1895–1918 befindlichen Kunsthandlung oder Palais Nákó nach der Familie, die es von 1830 an für fast 70 Jahre bewohnt hatte, genannt. Heute befindet sich dort das Jüdische Museum Wien, das Haus wird nach dem Besitzer 1823–1827 Palais Eskeles genannt. Vgl. http://www.jmw.at/de/das-palais-eskeles (5.8.2013). 69 Die erste nachweisbare Auktion der Kunstabteilung des Dorotheums im ehemaligen Palais Miethke war die 444. Kunstauktion S. Bosel, III. Teil, die von 4. bis 6. 3. 1937 stattfand. 70 Vgl. WStLA HG A48, 137a, Neumann und Salzer, fol. 31.
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90 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger
Abbildung 6: Die »zweite Sammlung« – neue Horizonte nach 1926. Bild 1: Kanopische Vasen, Ägypten, Spätzeit. Bild 2: Tonskulptur eines Pferdes mit Satteldecke, China, Tang-Periode. Bild 3: Schale mit Vogeldekor, Syrien, 6. Jh. n. Chr.
ihr abhängige Banken wie Auspitz, Lieben & Co., wo Willibald ein Privatkonto hat,71 sind dadurch vom Konkurs bedroht. Der totale Kollaps der Banken kann unter anderem dank Auslandshilfe vermieden werden. Willibald überlebt wieder ohne größere Schäden. Von nun an widmet sich der Sammler der Antike und den asiatischen Kulturen. Alt-Ägypten, Griechenland und Alt-China bilden in dieser seiner »zweiten« Sammlung die neuen Schwerpunkte. Mit diesen Sammlungsrichtungen kommt für Willibald eine Annäherung an das Österreichische Museum für Kunst und Industrie, das heutige MAK. Dessen Direktor, Richard Ernst,72 ist mit vielen Sammler_innen befreundet und begrüßt interessante Leihgaben. Willibald stellt dem Museum eine ganze Reihe von Objekten zu Verfügung, unter anderen eine sehr belebte Tonskulptur eines Pferdes mit Satteldecke aus der chinesischen Tang-Periode (618–907 n. Chr.)73 (Abb. 6.2). Die Provenienz vieler seiner Kunstobjekte aus der Antike ist noch nicht geklärt. Für die drei sehr schönen Kanopischen Vasen aus der späten ägyptischen dynastischen Zeit (Abb. 6.1) ist jedoch der Vorbesitzer bekannt: die Ägyptische Sammlung des Kunsthisto71 Aussage von Willibald Duschnitz’ Tochter Eva 1996, Tonbandaufnahme im Privatarchiv Harold Chipman. 72 Richard Ernst (1885–1955) war 1932–1950 Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, 1938 umbenannt in Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien und 1947 umbenannt in Österreichisches Museum für angewandte Kunst. Siehe: Rainald FRANZ, Leonhard WEIDINGER, Die Direktion Richard Ernst. Vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zum Österreichischen Museum für angewandte Kunst, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 412–430. 73 Das Pferd mit Satteldecke ist im Leihgabeninventar des MAK als Nr. 176 für die Jahre 1933–1936 eingetragen. Es befindet sich heute im Eva Klabin Museum, Rio de Janeiro, Brasilien.
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rischen Museums in Wien. Willibald erhält sie »auf dem Tauschweg« – was er selbst im Tausch gegeben hat, ist nicht geklärt.74 Der größere menschliche Kopfdeckel gehört nicht zum unteren Teil und stammt von einer anderen Vase.75 Im Jahr 1932 kann er einen sehr bedeutenden Erwerb tätigen: die umfangreiche Sammlung antiker und mittelalterlicher Gläser des Antiquars Siegfried Radin, vormals Ratzersdorfer, die seit 1923 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie ausgestellt ist. Sie umfasst 175 Glasobjekte von der Antike bis zum Spätmittelalter. Die Sammlung ist voller Kostbarkeiten, manche überlässt Willibald dem Österreichischen Museum zur weiteren Ausstellung. Ein absolutes Highlight bildet eine Syrische Schale mit Vogeldekor aus dem 6. Jahrhundert nach Christus.76 Es ist das besterhaltene Exemplar von nur dreien dieser Art weltweit (Abb. 6.3). In diesen Jahren sammelt er auch kleine griechische Terrakotta-Figuren, so genannte Tanagras aus dem 7. bis 1. Jahrhundert vor Chr. Seine Sammlung umfasst erlesene Stücke, darunter mehrere absolute Raritäten.77 In Deutschland ändert sich nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler 1933 die politische Situation für Juden und Jüdinnen dramatisch. Auch in Österreich ist die politische Lage instabil und 1934 wird der autoritär regierende Kanzler Engelbert Dollfuß während eines nationalsozialistischen Putschversuchs ermordet. Unter diesen Umständen schickt Willibald 1935 seine letzte Leihgabe ins Ausland. Für eine umfangreiche Vermeer-Ausstellung zur Einweihung des neuen Boymans-Museums in Rotterdam stellt er zwei kleine Gemälde, Mutter ihr Kind stillend von Jacob Ochter-
74 Für diese Information danken wir Susanne Hehenberger. 75 Kunsthaus LEMPERTZ (Hg.), 609. Math. Lempertz’sche Kunstversteigerung. Alte Kunst. Gemälde – Skulpturen – Porzellan – Fayence – Glas – Silber – Zinn – Möbel – Textilien – Orientteppiche. Dosensammlung Crüwell, Bielefeld. Sammlung Frederic Neuburg, Tel Aviv: Antikes Glas. 21. bis 23. November 1985, Köln 1985, S. 274, Lot-Nr. 2185, 2186 und 2186, Abb. Tafel 241. In der Beschreibung zu Lot-Nr. 2186, der größten der drei Vasen, ist angeführt: »Der Deckel stammt jedoch von einem anderen Set, da die Inschrift den Kanopengott Hapi anruft und dieser hat den Kopf eines Pavians.« Zur Kanope mit dem Falkenkopf, Lot-Nr. 2187, hatte Hans Demel, Leiter der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung und 1950/51 Administrativer Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, ein Gutachten erstellt. 76 Die Syrische Schale ist im Leihgabeninventar des MAK als Nr. 235 für die Jahre 1935–1950 eingetragen. Heute befindet sie sich in der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern, Schweiz. Vgl. Catherine DEPIERRAZ, Kostbarkeiten der Abegg-Stiftung, Riggisberg 2003, S. 44f. 77 Aus dieser Sammlung befinden sich heute 23 Figuren im Eva Klabin Museum in Rio de Janeiro, Brasilien. Eva Klabin hat noch zu ihren Lebzeiten, also vor der Eröffnung des Museums, die Figuren von internationalen Expert_innen des Metropolitan Museum of Art in New York und der Musées Nationaux de France in Paris untersuchen und in einem Katalog abbilden lassen. Vgl. Fernanda DE CAMARGO-MORO, Lourdes REGO NOVAES, As Tanagras – Coleção Eva Klabin Rapaport, Catalogo 1, Rio de Janeiro, 1983.
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92 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger velt78 und Die Alte Kirche in Delft mit sieben Figuren von Hendrik Cornelisz. van Vliet zur Verfügung. Ab diesem Zeitpunkt beschränken sich seine Leihgaben auf österreichische Museen. Neben den Leihgaben im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie kommt 1936 eines seiner schönsten Stücke in die Ausstellung Kleinkunst der italienischen Frührenaissance im Wiener Kunsthistorischen Museum.79 Gezeigt wird sein Sienesischer, von Lippo Vanni raffiniert bemalter Holzleuchter, der wahrscheinlich in dem Großen Konzilsaal des Palazzo Pubblico von Siena aufgestellt war und aus der berühmten Sammlung von Stefano Bardini in Florenz stammt. Es ist das einzige Objekt seiner Art in der Welt. Der Leuchter kommt im Mai 1937 als Leihgabe ins Österreichische Museum. Es ist absolut plausibel anzunehmen, dass Willibald, wie schon im Jahr 1918, an Sicherheitsmaßnahmen für seine Sammlung denkt, da er über die politische Situation in Mitteleuropa bestens unterrichtet ist. 1936 gründet er in England, wo seine Tochter seit 1935 verheiratet ist, ein Polierfilz-Unternehmen. Nun entschließt er sich, weitere seiner bedeutenden Kunstwerke in den Wiener Museen in Sicherheit zu bringen. Am 10. März 1938 arbeitet Gustav Glück an seiner Sammlung und stellt ihm ein Gutachten für ein Gemälde von Jan van Goyen, Dünenlandschaft mit Hütten,80 aus, das später in der Sammlung Hermann Göring landen wird. Nun bleiben dem unabhängigen Österreich nur noch wenige Stunden, bevor Adolf Hitler das Land annektiert. Die »offene Tür« für Jüdinnen und Juden, die erst 71 Jahre zuvor aufgegangen war, wird mit aller Brutalität am 12. März 1938 geschlossen. Wenige Tage nach dem »Anschluss« werden Juden und Jüdinnen und ihr Besitz angegriffen, so auch die Villa Duschnitz.81 Die Beute: persönliches Hab und Gut der Bewohner_innen, die Kunstwerke sind jedoch sicher in Schutzkellern und Tresoren unterbracht. Willibald versteht 78 Heute im Kunsthaus Zürich, Schweiz. 79 Kunsthistorisches Museum, Sammlungen für Plastik und Kunstgewerbe (Hg.), III. Ausstellung. Kleinkunst der italienischen Frührenaissance. Juni–Juli 1936, Wien 1936. Der Leuchter von Willibald Duschnitz findet sich auf als Katalognummer 2 auf S. 5 des Katalogs. Heute befindet er sich in der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern, Schweiz. 80 Heute in einer Privatsammlung, Boston, USA. Vgl. Nancy H. YEIDE, Beyond the Dreams of Avarice. The Hermann Goering Collection, Dallas 2009, Nr. A 1214; Peter C. SUTTON, Albert BLANKERT, Masters of 17th Century Dutch Landscape Painting, Boston 1988, Nr. 34, Tafel 34; Peter C. SUTTON, Robert J. BOARDINGHAM, Prized Possessions: European Paintings from Private Collections of Friends of the Museum of Fine Arts, Boston, Boston 1992, S. 37, Tafel 34, und S. 162. 81 Louis Ferrière, der Ehemann von Jenka, der geschiedenen Frau von Willibald Duschnitz, intervenierte Ende März 1938 bei der Polizei und bei der Schweizer Gesandtschaft in Wien gegen die Plünderungen der Villa in der Weimarer Straße 87 durch die SA. Ferriére hatte die Villa gemietet. Die Proteste führten dazu, dass Ferrière im September 1941 8.000 RM als Ausgleich zugesprochen wurden. Vgl. Gregor SPUHLER, Ursina JUD, Peter MELICHAR, Daniel WILDMANN, »Arisierungen« in Österreich und
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es, sofort zu handeln. Er verkauft sein Unternehmen am 6. April 1938 an seine treuen nicht-jüdischen Mitarbeiter_innen Walter Quecke und Maria Haselböck. Nachdem Franz Kieslinger im Mai die noch in der Wohnung vorhandene Kunstsammlung geschätzt hat, bringt Willibald alles, was noch möglich ist, in Sicherheit. Eine Persische Fliese aus dem 13. Jahrhundert und eine Ägyptische Vase aus dem 12. Jahrhundert kommen als Leihgaben ins Österreichische Museum.82 Ein Konvolut von 182 Glas- und Kleinobjekten wird von der Kunst- und Münzhandlung Auguste Kallai übernommen.83 Die lebensgroße Statue der Heiligen Theresa von Avila von Giovanni Giuliani kommt ins Kunsthistorische Museum. Willibald erhält die Erlaubnis, nach England zu reisen, und darf seine Kunstsammlung ausführen. Nach seiner Abreise lässt er das Inventar seiner Wohnung einpacken – 13 große Holzkisten. Einem Schweizer Vertrauensmann gibt er den Auftrag, alles, was noch von seinem Eigentum in Österreich bleibt, unter eigenem Namen in die Schweiz zu exportieren. Im September 1938 verlässt Willibald Österreich mit fünf Kisten voller Kunstwerke. Er ahnt nicht, dass er seine Heimat zehn Jahre lang nicht sehen wird, und dass, wenn er 1948 zurückkommen wird, nichts von seiner »alten« Welt übrig geblieben ist. Willibald Duschnitz entkam nicht nur der Verfolgung durch das NS-Regime, es gelang ihm auch, Vermögenswerte und Teile seiner Kunstsammlung in die Emigration mitzunehmen. In der Vermögensverkehrsstelle, jener Institution im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, die für den »geordneten« Ablauf der »Entjudung« der österreichischen Wirtschaft verantwortlich war, wurde seine Vermögensanmeldung vom 15. Juli 1938 als Nummer 32.222 aufgenommen.84 In dieser Anmeldung war auch die sechsseitige Schätzungsliste enthalten, die Franz Kieslinger von den Objekten in der Wohnung am Getreidemarkt erstellt hatte. Die Kunstgegenstände, die sich in der Villa in der Weimarer Straße befanden, wurden in der Vermögensanmeldung nicht genannt. Ein mit 19. Oktober 1938 datierter Aktenvermerk hält fest, dass Willibald Duschnitz »Vor ungefähr 3 Wochen nach England zu seiner dort verheirateten Tochter verreist« ist. Weiters wird berichtet: »Die Wohnung ist ganz altertümlich eingerichtet, d. h. es befinden sich dort wirkliche Kunstgegenstände. ihre Bezüge zur Schweiz (= Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg 20), Zürich 2002, S. 73–74 und 171. 82 Im Österreichischen Museum wurden die beiden Objekte als LHG 352 und 353 inventarisiert und am 28.3.1948 zurückgegeben. 83 Vgl. Fußnote 95. 84 ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 32.222 Willibald Duschnitz.
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94 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger Ich bitte daher, einen Kunstsachverständigen dorthin zu senden.«85 Wie sich diese Angelegenheit weiter entwickelte, ist nicht bekannt. Bisher wurden keine Belege dafür gefunden, dass in der NS-Zeit Objekte der Sammlung Duschnitz sichergestellt, beschlagnahmt oder zugunsten des Staates eingezogen wurden. Sechs Monate nach dem »Anschluss« ist der erfolgreiche Industriekapitän ein Mann auf der Flucht. In England darf er sich ohne Sonderbedingungen niederlassen.86 Jedoch ist das nicht das Land seiner Wahl. Sein Ziel ist Frankreich,87 Süd-Frankreich, wo auch seine Cousins leben. Dort ist das Klima angenehm, das Leben schön und dieser Hitlerwahn kann ja nicht allzu lange dauern! Der erste Aufenthaltsort auf dem Weg ist Paris. Hier besucht er einen seiner wichtigsten Kunden und Sammlerkollegen, den aus der Gegend von Frankfurt stammenden Anwalt Emil Strauss (1877–1948) und dessen Frau Paula, die ihn in Wien mehrmals besucht hatten.88 Willibald hat Pläne und braucht wahrscheinlich Devisen, da keine Reichsmark exportiert werden dürfen. So verkauft er an Emil Strauss zwei Gemälde. Das eine ist das Bild von Jan van Goyen, Dünenlandschaft mit Hütten, das andere ist nicht klar identifizierbar – Emil Strauss hat schon lange vor dem »Anschluss« Gemälde bei Willibald gekauft. Sein Reiseziel ist aber Nizza. Als unermüdlicher Unternehmer gründet Willibald eine Firma in Valence im Rhonetal. Dann bittet er seinen Schweizer Vertrauensmann, eine von ihm selbst gepackte und vernagelte Kiste voller Kunstwerke nach Nizza zu 85 ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 32.222 Willibald Duschnitz, fol. 16. 86 Privatarchiv Harold Chipman, Schreiben des British Home Office, London, Zl. D. 5872, 18.10.1938, und das Einreiseformular für Brasilien, ausgestellt von der brasilianischen Botschaft in Madrid am 2.7.1940. Mit dem Schreiben des British Home Office war es ihm möglich, ohne Schwierigkeiten nach Frankreich, dann über Spanien und Portugal nach Brasilien zu emigrieren. Im Einreiseformular für Brasilien ist in der Rubrik »Passaporte n.« die Zahl »D. 5872« angeführt. Also wurde das Schreiben des British Home Office offenbar von den brasilianischen Behörden als Ersatz-Pass anerkannt. 87 Zur Zeit Willibald Duschnitz‘ in Frankreich vgl.: Harold H. CHIPMAN, L’odyssée du collectionneur et industriel autrichien Willibald Duschnitz en France / Die Odyssee des österreichischen Sammlers und Industriellen Willibald Duschnitz in Frankreich, in: Anne GRYNBERG, Johanna LINSLER (Hg.), L’Irréparable. Itinéraires d’artistes et d’amateurs d’art juifs, réfugiés du »Troisième Reich« en France / Irreparabel. Lebenswege jüdischer Künstlerinnen, Künstler und Kunstkenner auf der Flucht aus dem »Dritten Reich« in Frankreich (= Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle Magdeburg 9), Magdeburg 2013, S. 387–431. 88 Emil Strauss hatte über die Jahre eine sehr raffinierte kleine Kunstsammlung erworben. Er war verwandt und befreundet mit dem Kunsthändler Karl Strauss, dessen Frau Minka eine geborene Schey von Koromla war, also eine Österreicherin. Zur Kunstsammlung vgl. Archives de la Récupération Artistique, Direction des Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Paris (AMAE), Listen und Akten der zu den zwischen 1940 und 1944 beschlagnahmten Kunstobjekte, Karton 94, Akte A9, ERR, Inventar-Liste Emil Strauss, 8.9.42, von Dr. Eggemann bearbeitet.
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schicken. Sie kommt an, er macht sie auf und zu seinem Schrecken konstatiert er, dass sie geplündert worden ist. Sofortige Erkundigungen in Wien ergeben, dass sein Vertrauensmann ihn verraten hat und damit befasst ist, seine Gemälde zu veräußern. Da Willibald nicht nach Wien zurück fahren will, kann er nichts machen. Verschwunden aus der Kiste sind der Apostel Petrus von Anton van Dyck,89 der Entenjäger von Salomon van Ruysdael,90 ein Herrenporträt von Gerard Ter Borch, Die Erfrischung ebenfalls von Gerard Ter Borch, die Musizierende Frauen von Jacob Ochtervelt, eine Marine von Charles Brooking und die Neue Kirche in Delft von Emanuel de Witte. Was mit den Kunstwerken weiter geschieht und wo sie sich heute befinden, ist bisher noch nicht geklärt. Und dann das Undenkbare: Frankreich wird vom Deutschen Reich im Mai 1940 angegriffen und kapituliert nach lediglich drei Wochen Kampf. Über Nacht ist Frankreich kein sicherer Hafen mehr. Willibald muss erneut die Flucht ergreifen. Sein erstes Ziel ist Valence, wo sich sein neugegründetes Unternehmen befindet. Das Glück ist aber nicht mit ihm – er wird dort von der Polizei verhaftet und kommt ins Gefängnis.91 Nach ein paar Wochen kann er entkommen und ergreift sofort wieder die Flucht, diesmal Richtung Spanien. In Madrid stellt sich die Frage »Wohin jetzt?« Mit anderen Flüchtlingen aus Österreich erhält er ein Visum für Brasilien. Im August 1940 schifft er sich in Lissabon auf der S. S. Serpa Pinto92 ein. Genau zwei Jahre nach der Flucht aus Wien kommt er in Rio de Janeiro an. In Brasilien zu leben war nie seine Zukunftsvision. Es hat sich aber so ergeben und nun steht er vor der Herausforderung, in diesem neuen Land mit fremder Sprache 89 Vom Schweizer Vertrauensmann Willibald Duschnitz’ durch die Galerie Sanct Lucas in Wien an das Propaganda-Ministerium von Joseph Goebbels, Berlin, ohne Genehmigung des Eigentümers 1941 verkauft. Vgl. Privatarchiv Harold Chipman, Information über den Verkauf vermutlich durch das Bundesdenkmalamt. 90 Der Kunstexperte Wolfgang Stechow führt in seiner im Dezember 1937 fertiggestellten Publikation das Bild Ein Entenjäger im Boot als Gemälde der »Sammlung W. Duschnitz in Wien«. Wolfgang STECHOW, Salomon van Ruysdael. Eine Einführung in seine Kunst. Mit kritischem Katalog der Gemälde und einem Bilderteil von 72 Abbildungen auf 48 Lichtdrucktafeln, Berlin 1938, S. 127, Nr. 503. 91 Information von Willibalds Tochter Eva und Doña Clarissa Viera Machado, Tochter von Georg und Clarisse Stransky. Willibald war gemeinsam mit den Stranskys von Frankreich nach Brasilien geflüchtet. Doña Clarissa besuchte mit ihrer Mutter Willibald und Georg im Gefängnis. Mündliche Mitteilung von Doña Clarissa Viera Machado, Rio de Janeiro, 2008. 92 Zur S. S. Serpa Pinto vgl. Rosine DE DIJN, Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro – Lissabon – New York 1942, München 2009. Willibald Duschnitz und das Ehepaar Stransky mit ihrer Tochter waren Passagiere auf der ersten Fahrt dieses Schiffes nach Südamerika. Am 14.8.1940 verließ die S. S. Serpa Pinto Lissabon und fuhr über Madeira, St. Vincent und Rio de Janeiro, wo Duschnitz und die Stranskys am 29.8.1940 von Bord gingen, nach Santos.
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96 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger und Kultur Fuß zu fassen. Es muss ihm gelingen, denn der Krieg dauert an. Um zu überleben, muss er eine Reihe seiner Kunstwerke veräußern. Doch als leidenschaftlicher Unternehmer gründet er mit österreichischen Freunden, dem Wiener Ehepaar Georg und Clarisse Stransky, ein neues Geschäft und etabliert sich in Rio. So erfährt er, dass am 3. März 1941 die GESTAPO den Rest seines Eigentums, hauptsächlich seinen Anteil an der Villa in Wien, enteignet.93 Nach dem Krieg, im Januar 1946 wird er benachrichtigt, dass die zwölf in Wien verbliebenen Kisten mit dem Großteil seines Besitzes am 12. April 1945 in einem Lagerhaus an der Donau verbrannt seien.94 Erst 1948 kehrt er nach Wien zurück. In einer Stadt in Trümmern und in einem Land, das noch sehr von Antisemitismus geprägt ist, findet er von seiner Welt nichts mehr, obwohl seine Villa, seine Fabrik in Achau sowie deren Stadtbüros von den Bomben verschont geblieben sind. Seine treuen Mitarbeiter_innen bitten ihn, seinen Platz an der Spitze des Unternehmens wieder einzunehmen. Jedoch ist die Fabrik nun in der Sowjetischen Besatzungszone und er nimmt dieses Angebot nicht wahr. Aber er kümmert sich eifrig um die Restitution seines übrig gebliebenen Eigentums. Die Villa kommt wieder 1950 in sein Eigentum. Was sicherheitshalber in die Museen gebracht wurde, wird ihm zurückgegeben, so die Objekte im Österreichischen Museum, im Kunsthistorischen Museum, das Konvolut bei Auguste Kallai.95 Gegen Schikanen in Form von Ausfuhrverboten versucht er sich zu wehren und ist dabei zum Teil auch erfolgreich. 1948 befanden sich 13 Objekte aus der Sammlung Duschnitz im nunmehrigen Österreichischen Museum für angewandte Kunst. Im März dieses Jahres wurden die Leihgaben Nr. 95 Glasbecher, Syrien, 13. Jahrhundert, Nr. 98 Gußeiserner Buddhakopf, China, Tang, Nr. 111 Konsoltisch, Österreich, um 1750, Nr. 232 Vase, Persien oder Syrien, 12./13. Jahrhundert, Nr. 233 Flache Schale, Rhages, 13. Jahrhundert, Nr. 234 Glasfläschchen, Syrien, 12. Jahrhundert, Nr. 290 Sienesischer Holzleuchter, Nr. 352 Persische Fliese aus dem 13. Jahrhundert und Nr. 353 Ägyptische Vase aus dem 93 ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, St. 1515, Arisierungs-Akt der Ersten Österreichischen Filzfabrik, Beschlagnahmeverfügung der Geheimen Staatspolizei Wien, 3.3.1941. 94 Privatarchiv Harold Chipman, Bestätigung vom 8.1.1946 durch die Metropol-Spedition Alexander Pötsch, die die Firma Adolf Stern »arisierte« (vgl. Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens (= Bibliothek des Raubes VIII), Wien 2003, S. 547f.). Ob die Information, dass die Kisten verbrannt seien, zutrifft, konnte bisher nicht durch weitere Belege verifiziert werden. 95 Die Münz- und Antiquitätenhandlung Auguste Kallai (die sie nach dem Tod ihres Ehemanns David 1929 weiterführte) wurde 1938 arisiert und hieß ab nun Münzen-Handlung Emilie Graf. Emilie Graf meldete nach der Vermögensentziehungs-Anmeldeverordnung (VEAV) am 22.11.1946 das übernommene Depot. Vgl. WStLA, VEAV 174, 1. Bez.
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12. Jahrhundert zurückgegeben.96 Für vier Objekte empfahl das Museum, die Ausfuhr nicht zu genehmigen.97 Willibald Duschnitz und sein Anwalt boten daraufhin dem Österreichischen Museum drei Stücke zum Kauf an. Für das vierte, die Syrische Schale mit Vogeldekor, beanspruchten sie aber die Rückgabe.98 Zwei Jahre später, im September 1950, wurde diese Schale schließlich einer Vertrauten von Willibald Duschnitz übergeben.99 Drei Objekte aus der Sammlung Duschnitz, zwei deutsche Gläser aus dem 15. Jahrhundert – ein so genanntes Maigelein und ein so genannter Krautstrunk – sowie ein Noppenbecher befinden sich bis heute im MAK in Wien. In seiner Sitzung vom 8. Oktober 2013 empfahl der Kunstrückgabebeirat die Rückgabe dieser drei Gläser an die Erb_innen nach Willibald Duschnitz.100 Willibald entscheidet sich, in Brasilien zu bleiben – er ist über 60 Jahre alt – das Land ist schön, gilt bei den meisten Flüchtlingen als »Paradies«101 und befindet sich im wirtschaftlichen Aufbau. Im kleineren Rahmen sammelt er weiter: So erwirbt er zum Beispiel 1956 eine sehr schöne ägyptische Stele des Djehutmosi102 aus der 18. Dynastie. Zu dieser Zeit kauft er auch einen alten Balinesischen Kalender, den er 1963 dem Museum für Völkerkunde, dem heutigen Weltmuseum Wien, schenkt.103 Dann trifft er in Rio eine außergewöhnliche Frau. Eva Klabin ist Tochter von Litauer Juden, die in den 1920er Jahren nach Brasilien gekommen waren. Dort hat es die Familie zu enormen Reichtum gebracht. Eva fängt in den 1950er Jahren an, Kunstwerke zu sammeln. In ihrer engen Freundschaft übernimmt Willibald die Rolle des Kunstmentors. Schließlich schlägt er ihr vor, mit ihrer umfangreichen Sammlung ein Museum im eigenen Haus zu gründen.104 Den Traum, ein Museum zu gründen hat Willibald mit Sicherheit für sich selber in Wien in seiner Villa gehegt. Die politischen Umstände hatten dieses Unterfangen verhindert – nun kann er es durch Eva verwirk96 97 98 99 100 101
Vgl. MAK-Leihgabeninventar. Vgl. MAK-Archiv, o. Zl. aus Zl. 323-1948. Vgl. MAK-Archiv, Zl. 621-1948 aus 323-1948. Vgl. MAK-Archiv, Zl. 855-1950 aus 855-1950, MAK-Leihgabeninventar. http://www.provenienzforschung.gv.at/ fileitem.aspx?ID=947 (21.4.2014). Vgl. Marlen ECKL, »Das Paradies ist überall verloren«: Das Brasilienbild von Flüchtlingen des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M.-Madrid 2010. Zur Erinnerungen der Emigrant_innen in Brasilien an die »alte Welt« vgl. Luis S. KRAUSZ, Verbannung. Erinnerungen in Trümmern, Berlin 2013 (portugiesisches Orig.: São Paulo 2011). 102 Heute im Eva Klabin Museum, Rio de Janeiro, Brasilien. 103 Für diese Entdeckung danken wir Susanne Hehenberger. 104 Heloisa Fernandes CARVALHO, Eva Klabin Rapaport – Patrocinadora de Arte, in: Rachelle ZWEIG DOLINGER, Mulheres de Valor. Uma memória dos homens que se destacaram na comunidade judaica do Rio de Janeiro, Rio de Janeiro 2004, S. 381–387.
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98 Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger lichen. Das veranlasst ihn, den verbliebenen Teil seiner Sammlung an Eva zu verkaufen.105 Die Realisierung des Traumes erlebt er nicht – er stirbt 1976, das Museum wird erst 1995 eröffnet.106 Es ist im Geist und in der Tat ganz klar ein Kind der Vision und des Geschmacks dieses außerordentlichen Wiener Sammlers. Ausgehend von einer Reihe von raffinierten Gemälden,107 die er von seinem Vater geerbt hatte, kreierte Willibald Duschnitz eine außerordentlich vielfältige Sammlung, in der Gemälde, Skulpturen, Möbel und später die Kunst der Antike, alte Gläser und Ostasiatika mit erlesenen Objekten vertreten waren. Für diese Sammlung ließ er den Architektur-Pionier der Moderne Adolf Loos einen großartigen Rahmen in seiner Villa entwerfen. In dieser Kombination von Alter Kunst mit einem hochmodernen Interieur schuf er ein einmaliges Gesamtkunstwerk – ein Abbild Wiens seiner Zeit, zugleich rückblickend und vorwärtsschauend, und ein Prototyp moderner Museen. Er prägte damit nicht nur die Wiener Kulturlandschaft, sondern beeinflusste durch seine Kontakte nach Deutschland, Frankreich, Belgien, in die Niederlande und auch in die USA weltweit Sammlungen und Museen. Durch seine erzwungene Emigration 1938 nach Frankreich und 1940 nach Brasilien, wo er bis zu seinem Tod 1976 lebte, verlagerte sich zwar sein Lebensmittelpunkt, er verlor aber nicht seinen unternehmerischen und kreativen Geist. Bis heute finden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen und Museen Objekte mit der Provenienz »Willibald Duschnitz«, die als Zeugen des exzellenten Auges sowie des Enthusiasmus für Kunst eines Sammlers aus dem goldenen Zeitalter des Wiener privaten Sammlertums leuchten.
105 Etwa 20 % des Bestandes des Museums (also 350–400 Objekte) stammen aus der Sammlung Duschnitz. Vgl. CARVALHO 2004. 106 http://www.evaklabin.org.br (21.4.2014). 107 NARA, National Archives and Records Administration, Washington, USA, m1944/Roberts Commission/Reel 43/Frame 185, Karte I – 1338 in der Kartei der Zweiten Roberts Commission.
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Getrennt und gemeinsam: Die sammelnden Brüder Gottfried und Hermann Eissler Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner
Eigentlich ist es die Provenienzforschung und ihre Beschäftigung mit dem NSKunstraub gewesen, die eine der qualitätsvollsten österreichischen Privatsammlungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts vor dem Vergessen bewahrte. Eine Reihe von Bildern aus dem 1938 sichergestellten Teil der ehemaligen Sammlung Eissler befand sich in den österreichischen Bundesmuseen. Einige der Kunstwerke erwiesen sich als Rückgabefälle,1 auf andere war das geltende Kunstrückgabegesetz2 nicht anwendbar. Die Pedanterie der nationalsozialistischen Bürokratie, deren zentrales Interesse in der systematischen Beraubung und schließlich in der Vernichtung von Juden und Jüdinnen gelegen war, vermittelt heute ein relativ präzises – wenn auch eingeschränktes Bild dieser Sammlung beziehungsweise davon, was in den Jahren 1938/1939 von ihr noch übrig war. Zahllose verstreute Hinweise auf drei Jahrzehnte intensiver Sammeltätigkeit, ohne dass jedoch selbst sorgfältigste Recherche ein umfassendes Gesamtbild ergeben würde, verleihen der Sammlung Eissler heute ein geradezu mythisches Gepräge. Die Auflösung dieser von einem Brüderpaar zusammengetragenen, facettenreichen Sammlung hatte bereits vor der NS-Zeit begonnen. Bereits Anfang der 1920er Jahre war das hohe Niveau bei den Bilderkäufen aufgrund der deutlich schlechter gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse im Eissler’schen Unternehmen nicht mehr zu halten gewesen. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1897 war Hermann Eissler (1860–1953)3 aufgrund seiner neu erlangten Position als öffentlicher Gesellschafter der Firma J. Eissler & Brüder finanziell in der Lage gewesen, museumswürdige Kunst zu erwerben. In der Provenienzkette zahlreicher bedeutender Werke stößt man auf seinen Namen. Die Quellenlage zu Gottfried Eissler (1862–1924), der zeitlebens als Privatier galt, sowie zu dessen 1
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Vgl. Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 24.6.2009; http://www.provenienzforschung.gv.at/index. aspx?ID=24&LID=1#C_E (26.6.2013). Darin wird die Rückgabe von vier Apothekenschildern Ferdinand Georg Waldmüllers, Hygieia, Hippokrates, Galen, Flora, an die Rechtsnachfolger_innen nach Hermann Eissler beschlossen, während am 20.11.2009 Waldmüllers Gemälde, Dorf Ahorn bei Ischl und Die Wiedergenesene nicht zur Rückgabe beschlossen wurden. Vgl. BGBl. I 181/1998. Die in diesem Aufsatz angeführten Lebensdaten wurden den Quellen und der Literatur entnommen. Vgl. z. B. Georg GAUGUSCH, Wer einmal war, Wien 2012, S. 513–518.
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100 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Anteil an der Sammlung, stellt sich dank eines überlieferten Testaments, den Katalogen zur Versteigerung seines Nachlasses und diversen Korrespondenzstücken kompakt dar. Familien- und Unternehmensgeschichte
Die Familie Eissler (auch Eißler bzw. Eisler)4 stammte aus dem mährischen Weinstädtchen Bisenz/Bzenec, unweit der heutigen slowakisch-österreichischen Grenze. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Bisenz, kann bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgt werden. In der Zeit um 1850 lebten an die 900 Juden und Jüdinnen in der Stadt, was ungefähr einem Viertel der Einwohner entsprach.5 Die nachhaltige Verbundenheit Jakob Eisslers (1835–1897), dem Vater von Hermann und Gottfried, mit der israelitischen Gemeinde seiner Heimatstadt zeigte sich unter anderem durch ein testamentarisches Legat, das jährlich die Zinsen von 1.000 Gulden einer von ihm ins Leben gerufenen Stiftung für Bedürftige zusprach.6 Jakob Eissler übersiedelte nach Wien und gründete dort gemeinsam mit seinen vorerst noch in Bisanz verbliebenen Brüdern Johann (1838–1904), Heinrich (1842– 1920) und Moriz (1845–1919) eine öffentliche Gesellschaft in der Holzhandelsbranche. Das Unternehmen wurde 1871 als J. Eissler & Brüder ins Handelsregister eingetragen.7 Die Firma wurde als Familienunternehmen geführt, in dem ein eigenes »Hausgesetz« im Stil der Pragmatischen Sanktion dafür sorgte, dass jenes erst kürzlich erworbene Vermögen strikt zusammengehalten blieb.8 Geheiratet wurde in der Gründergeneration vor allem innerhalb des Familienverbands. Im Jahr 1859 hatte Jakob Eissler seine Cousine Rosa Eisler (1835–1916) geheiratet, zwei seiner Geschwister heirateten ebenfalls Cousins ersten Grades, alle aus Bisenz stammend.9 In den Wiener Anfangsjahren wurde der Sitz der Gesellschaft mehrmals verlegt. Anfangs befand sich die Zentrale in der Praterstraße 25, im zweiten Wiener Gemeindebe4 5
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In weiterer Folge wird die Schreibweise »Eissler« verwendet. Davon ausgenommen sind Quellenzitate. Vgl. Vladislava JANUŠKOVÁ, Kurzgefasste Geschichte der Stadt Bzenec bis zur Zeit vor dem I. Weltkrieg, Pädagogische Fakultät Brünn, Bakkalaureatsarbeit 2007, S. 33; http://is.muni.cz/th/152796/ pedf_b/bakalarska_prace.pdf (24.5.2013). Vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Handelsgerichtsakt GZ. 28-6-97, darin Testament von Jakob Eissler vom 13.2.1896. Vgl. Archiv der Wirtschaftskammer Österreichs (WKO), Registerblatt II für Gesellschaftsfirmen, Zl. 28/1871. Vgl. Franz Theodor CSOKOR, Schuß ins Geschäft (Der Fall Otto Eissler) (=Außenseiter der Gesellschaft – Die Verbrechen der Gegenwart 10), Berlin 1924, S. 19–26. Rosa Eissler, geb. Eisler, war trotz der anderen Schreibweise des Familiennamens eine Blutsverwandte. Vgl. GAUGUSCH 2012, S. 512.
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Getrennt und gemeinsam: Die sammelnden Brüder Gottfried und Hermann Eissler
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zirk. Drei Jahre später, im Jahr 1874, war das Unternehmen Auerspergstraße 2/Reichsrathsplatz 2, ansässig, wohin Jakob und Rosa Eissler schließlich auch ihren Wohnsitz verlegten.10 In der Folge übersiedelte man ins neu errichtete Rathausviertel in Wien 1, in die Stadiongasse 6.11 Letzte Firmenadresse in den 1920er Jahren bis zur Löschung der Firma im Jahr 1931 war der Karl-Lueger-Platz 2.12,13 Das Unternehmen war europaweit tätig: »In Ungarn herrscht die Firma als ›Eissler es testvere‹ […], ›Eissler i fratti‹ nennt sich die rumänische Kolonie, ›J. Eissler bratri‹ heißt sie in der Tschechoslowakei«, umriss der Dramatiker Franz Theodor Csokor (1885–1969) den Wirkungskreis des Eissler’schen Imperiums in seiner Publikation Schuß ins Geschäft (Der Fall Otto Eissler), die eine Mordaffäre im Eissler-Clan zum Thema hatte.14 Weitere Zweigniederlassungen befanden sich in Tschechien und Polen auf dem Gebiet der ehemaligen Kronländer.15 1908 hatten die Gesellschafter den Zweig Bosnische Forstindustrie Eissler & Ortlieb gegründet. Während des Ersten Weltkrieges war das Unternehmen einer der wichtigsten Holzlieferanten der österreichischungarischen Monarchie. Mehrere tausend Hektar Wald vorwiegend im Gebiet des heutigen Bosnien, stellten die Grundlage des Konzerns dar:16 Urwald in Bosnien. Schluchten klaffen, Berge bäumen sich, Gewässer zischen von eisenfarbenen Felsen nieder, und überall nistet, wuchert, drängt sich Gehölz. Heldenliedergegend, Wild-West des Balkans, kaum erforschtes Tibet Europas, das hier beginnt und am Griechenmeere in Saloniki endet. […] Über dreitausend Arbeiter roden, fällen, schlichten dort die Wirrnis des Krywayatals, des Zepugebietes, Namen wie aus dem afrikanischen Dschungel,
10 Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungsanzeiger, digital; http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/ periodical/pageview/28183 (24.5.2013) und http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/ pageview/32319 (24.5.2013). Ab 1893 Schmerlingplatz; vgl. http://www.wien.gv.at/strassenlexikon/ internet/ (16.7.2013). 11 Lehmann’s, digital; http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/82846 (24.5. 2013). 12 Vgl. Archiv der WKO Registerblatt II für Gesellschaftsfirmen, Zl. 28/1871. 13 Lehmann’s, digital; http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/166981 (12.6.2013). 14 Vgl. CSOKOR 1924, S. 23. Darstellung wie es zum Mord an Robert Eissler, einem Cousin von Hermann und Gottfried Eissler, kam. Vgl. dazu auch die Prozessberichterstattung in der Neuen Freien Presse ab dem 8.4.1924 bis zum 10.4.1924; http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=192404 08&seite=9&zoom=33 (12.6.2013), darin auch die Aussage von Hermann Eissler. 15 Vgl. Archiv der WKO, Registerblatt II für Gesellschaftsfirmen, Zl. 28/1871. 16 Vgl. GAUGUSCH 2012, S. 512; CSOKOR 1924, S. 19–26.
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102 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner hatte Csokor in expressionistischem Pathos den Eissler’schen Forstbesitz beschrieben.17 Eine Charakterisierung des Firmenbegründers Jakob Eissler als »alter Esel mit Schlafmütze und langer Pfeife«,18 wie sie der Schriftsteller Arthur Schnitzler (1862– 1931), der in jungen Jahren regelmäßig bei Eisslers verkehrte, formuliert hatte, klingt angesichts der Erfolgsgeschichte der von Eissler geführten Unternehmen wenig überzeugend. Auch verfolgte Schnitzler in jener Zeit im Hause Eissler selbst weniger geschäftliche oder geistige Interessen; vielmehr war er an der »kaum hübschen« jedoch offenbar sehr reizvollen Tochter Laura (1863–1899) interessiert gewesen.19 Jedenfalls darf man davon ausgehen, dass der Typ des gestrengen, geschäftsorientierten und noch stärker im traditionellen Judentum verhafteten Patriarchen, dem assimilierten, künstlerischen Großstadtmenschen Schnitzler nicht gelegen hatte. Überliefert ist außerdem, dass die Anfänge der später so umfangreichen Bildergalerie bereits auf Jakob Eissler zurückgegangen waren.20 Die nächste Generation kam bereits durchgehend in Wien zur Welt, wohin die weitläufige Familie nach und nach übersiedelte.21 1860 wurde Hermann geboren, zwei Jahre später folgte Gottfried, »Fritz« gerufen, dann die von Schnitzler und einigen seiner Freunde so heftig umworbene Laura sowie eine weitere Schwester, Josefine (1866–1942), später verheiratete Rosenfeld, dann Bernhard (1868–1913) und schließlich die Jüngste – Clothilde (1872–?), später Pataki. Hermann, der künftige Nachfolger des Vaters im Unternehmen, muss ein echtes Original gewesen sein. Das geht aus allen erhaltenen Beschreibungen seiner Person hervor. Dass die frühesten ausgerechnet von Schnitzler stammten, muss als Glücksfall bezeichnet werden. Dieser hatte mit dem um zwei Jahre älteren Repetenten während einiger Jahre die Schulbank des Akademischen Gymnasiums in Wien gedrückt.22 Am 4. September 1879 notierte er nach einem Besuch bei Eisslers über den damals 19-jährigen Klassenkameraden in sein Tagebuch: »berühmt durch die Eissler’schen Witze. 17 CSOKOR 1924, S. 19. 18 Kommission für Literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Arthur Schnitzler Tagebuch 1879–1892, Wien 1988, S. 100. 19 Therese NICKL, Heinrich SCHNITZLER (Hg.), Arthur Schnitzler. Jugend in Wien. Eine Autobiographie, Frankfurt a. M. 2006, S. 203. 20 Vgl. Dresslers Kunstjahrbuch 1907. Ein Nachschlagebuch für deutsche bildende und angewandte Kunst, Jg. 2, Rostock 1907, S. 476; Theodor V. FRIMMEL, Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen A–F, München 1913, S. 305. 21 Vgl. GAUGUSCH 2012, S. 512–513. 22 Vgl. NICKL, SCHNITZLER 2006, S. 203.
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Ein ganz gescheiter Mensch, der in Jagden, Tarok [sic!] und ähnlichem Zeug viel aufschneiden soll. Zeichnet sich durch seine Schwester Laura aus.«23 Einige Jahre später klang es geradezu, als ob ihm bei der Begegnung mit Eisslers bereits literarische Figuren vorschwebten: Hermann, der älteste Sohn mit knarrender Stimme, häßlich, umgeben von geologischen Büchern, Jagdgeräthen und studentischem Waffenzeug, ihm sehr ähnlich der Bruder Fritz, der just von einer Hundeausstellung kommt – die Töchter Laura, dunkel von Haar und Augen, ein Bild ihrer Mutter ins Reich der Jugend projiciert, die aufsprossende junge Schwester, die schon sehr viel ahnt und zuviel weiss, die hübsche kleinste, und der nette jüngste Bursch.24
In seiner Autobiografie vermerkte der Autor rückblickend, Hermann Eissler sei ein komischer, kleiner Kauz [gewesen], der ebenso gern selber Witze machte, als er sich die freundschaftlichen Spöttereien der anderen gefallen ließ. Insbesondere seine Beziehung zu der Gouvernante seiner Schwester wurde höchst humoristisch aufgefasst und besprochen, ohne daß der detaillierenden Aufrichtigkeit seiner Berichte und unseren unbedenklichen Randbemerkungen dazu, im Augenblick selbst oder auch nur in der Erinnerung, etwas Peinliches anhaften konnte […].25
Die Beziehung der beiden Brüder Hermann und Fritz muss stets eng, wenn auch nicht frei von geschwisterlichem Konkurrenzdenken gewesen sein. Die Sammelleidenschaft hatte augenscheinlich bei Gottfried ihren Ausgang genommen. Bereits als Kind habe er sich von einem »regen Sammlertrieb« leiten lassen, heißt es im Katalog der Nachlassversteigerung. »Die Markenliebhaberei seiner Kinderjahre wurde auf den Schulbänken des Piaristen- und Akademischen Gymnasiums durch ein leidenschaftliches Zusammentragen von Münzen, Mineralien, Sämerein, präpariertem und lebendem Getier abgelöst«.26 Noch im Erwachsenenalter führten die beiden in der geräumigen elterlichen Wohnung ein Junggesellendasein. Hermann, der wohl gelegentlich im Auftrag des Vaters zur Inspektion in die Außenstellen der Firma gesandt wurde, promovierte 1883 zum
23 Kommission für Literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Arthur Schnitzler Tagebuch 1931/Gesamtverzeichnisse 1879–1931, Wien 2000, S. 626. Tagebucheintrag vom 4.9.1879. 24 SCHNITZLER Tagebuch 1879–1892, 1988, S. 100. Tagebucheintrag vom 22.3.1881. 25 NICKL, SCHNITZLER 2006, S. 203. 26 Leo GRÜNSTEIN, Gottfried Eissler als Sammler, in: Versteigerungskatalog Nachlass Gottfried Eissler. Gemälde, Aquarelle, Miniaturen, Plaketten, Silber, Keramik etc., Wien 1925, S. 7.
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Abbildung 1: Herrmann Eissler als Student; Logo Eissler & Brüder; Gottfried Eissler; Druck nach Sigmund Walter Hampel
Thema Der geologischer Bau der Rax-Alpe27 an der Wiener Universität bei Eduard von Sueß (1831–1914), dem Pionier der Erforschung der alpinen Geologie. In einem Geschenkalbum an den verehrten Lehrer findet sich auch eine Fotografie des Studenten.28 Fritz scheint zu einem späten Zeitpunkt noch versucht zu haben, den väterlichen Erwartungen entgegenzukommen. Er war bereits über 30 als er 1894 ein Studium der Forstwirtschaft an der Universität für Bodenkultur antrat, das er jedoch nach wenigen Semestern wieder abbrach.29 Jahre später kehrte er vorübergehend noch einmal an die Universität Wien zurück, diesmal um seine Kenntnisse in der Kunstgeschichte zu vertiefen.30 Nach Beendigung des Studiums verschlug es Hermann Eissler häufig in südlichere Bergregionen, besonders in jene Gebiete am Balkan in denen auch Forste des Unternehmens lagen. Bis zum Tod des Vaters im Jahr 1897 ist von Hermann vor allem seine schwärmerische Begeisterung für die Bergwelt überliefert. 1888 hielt er sie in einem Gedichtbändchen mit dem Titel Edelweiß, Lieder eines Bergfexen31 fest. Darin oszilliert seine Leidenschaft zwischen der Welt der Alpen und der Weiblichkeit, der er sich in luftigen Höhen (und fern des väterlichen Einflusses) hingezogen fühlte: Wenn ich in Deine Augen seh’, Da denk ich an die Alpenfee, 27 Vgl. Hermann EISSLER, Der geologische Bau der Rax-Alpe: eine monographische Studie, Wien, Univ. Diss. 1883. 28 Vgl. Archiv der Universität Wien, Fotoalbum für Sueß, Eduard (20.08.1831–26.04.1914; Geologie), Sign. 106.I.2500, 1901. 29 Vgl. Archiv der Universität für Bodenkultur Wien, Matrikelschein 38/ II 1894, Eintrag Gottfried Eissler. 30 Gottfried Eissler war Student unter anderen bei Franz Wickhoff (1853–1909) und Alois Riegl (1858– 1905). Vgl. GRÜNSTEIN 1925, S. 7. 31 Vgl. Hermann EISSLER, Edelweiß, Lieder eines Bergfexen, Wien 1888.
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So tief und hell, so klar und rein, So lieblich lachend im Sonnenschein. Und wenn ich dann die Berge seh’ So blendend weiß im Kleid von Schnee, Da muß ich immer denken Dein, Weißt Du den Grund, Du Liebste mein?
– hieß es zum Beispiel in Warum? betitelten Versen.32 Diese Schriften trugen ihm in einem zeitgenössischen Literaturlexikon den Titel eines »Lyrikers« ein.33 1890 erschien in der in Slowenien herausgebrachten, national orientierten Zeitung Deutschen Wacht ein längerer Artikel Hermann Eisslers zur Entwicklung des Alpintourismus: Findet er [der Alpinist, Anmerkung der Verfasserinnen] einerseits den anregendsten Reiz in der Entwicklung seiner Kräfte, in dem Siege seines Ich über alle Hindernisse, die ihm die Naturgewalten in den Weg stellen, so weiß er andererseits, daß sich ihm nirgends so überwältigend schöne Szenerien entrollen, als bei solchen Exkursionen […]. Man muss in das Herz der Berge eindringen, um sie in ihrer ganzen Großartigkeit, Schönheit und Wildheit kennen zu lernen,34
charakterisierte Eissler den Zugang zur Bergwelt, der seiner späteren Annäherung an die Bilderwelt nicht unähnlich war. Tatsächlich dürfte Eissler in jungen Jahren – wie ein weiterer Schnitzler-Freund, der Industrielle und Alpinist Louis Friedmann (1861–1939) – sowohl im studentischen Milieu als auch bei seinen bergsteigerischen Unternehmungen deutschnationalen Verbindungen nahe gestanden sein. Schnitzler berichtet von einem Commers mit Familie Eissler sowie von »studentischem Waffenzeug«, mit dem sich Hermann umgeben haben soll.35 Auch hat sich die bereits von Schnitzler für die Gymnasialzeit festgehaltene Neigung Hermanns zu abenteuerlichen, nicht unbedingt standesgemäßen Verbindungen über die Jahre fortgesetzt. 1893 wurde ihm in Jeselnicza (Rumänien) von der Tochter eines lokalen Wagnermeisters ein Mädchen namens Bertha Anna (1893–1975) gebo-
32 EISSLER 1888, S. 8. 33 Vgl. Paul Gustav REINHARDT (Hg.), Biographien der Wiener Künstler und Schriftsteller, Bd. I, Wien 1902, S. 271. 34 Hermann EISSLER, Die Touristik als Sport, in: Deutsche Wacht, 5.6.1890, S. 1–4. 35 Vgl. NICKL, SCHNITZLER 2006, 161–162; SCHNITZLER Tagebuch 1879–1892, 1988, S. 97. Tagebucheintrag vom 16.2.1881. »16. Februar 1881: Mittwoch Abd. Gestern Abend beim Commers Familie Eissler«.
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106 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner ren.36 Während Hermanns und Gottfrieds Vater Jakob in seinem Testament von 1896 nur seine in legitimer Ehe geborenen Enkel als Erben bedachte, hatte Mutter Rosa Eissler, als sie im August 1916 verstarb, laut Testament ihrer »lieben Enkelin Bertha« eine Perlenkette (Bajadere) vermacht.37 Drei Jahre nach dem Tod der Kindsmutter Barbara Havlicsek, war Bertha, im Jahr 1901, als leibliche Tochter Hermanns legitimiert worden.38 Ein sammelnder Familienverband
Ähnlich wie im Holzgeschäft blieben die familiären Bande auch im Zusammenhang mit der Kunst eng. So war es während der Zeit von etwa 1905 bis in die späten 1920er Jahre kaum möglich, in Wien eine Kunstausstellung zu Werken der Renaissance, österreichischer, französischer oder englischer Kunst des 19. Jahrhunderts zu besuchen, ohne darin auf Werke aus der Eissler’schen Sammlung zu stoßen. Auch Josefine Rosenfeld, eine der Eissler-Schwestern, verlieh Werke aus ihrem Besitz für öffentliche Ausstellungen.39 Die jüngste und durchaus ambitionierte Vertreterin der Sammlerdynastie war Bertha. Als sie 1917 den Kaufmann Paul Munk (1888–1955) heiratete, war der angesehene Maler, Galerist und Kunsthändler Carl Moll (1861–1945) ihr Trauzeuge.40 Paul Munk hat Berthas Freude an Kunst geteilt; beide finden sich auf den Mitgliederlisten des Vereins der Museumsfreunde Wien wieder.41 Das Haus in der Cumberlandstraße im damaligen 13. Wiener Gemeindebezirk beherbergte neben Kunstobjekten, die Paul Munk in die Ehe eingebracht hatte, und jenen, die gemeinsam erworben wurden, ab den frühen 1920er Jahren auch eine Reihe von Werken aus der väterlichen Sammlung.42 Das eine oder andere Bild – zum Beispiel Galasso Galassis (Mitte 15. Jh.) Christus am Ölberg oder die Wiedergenesene von Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), die beide in der Folge für die Provenienzforschung Bedeutung erlan36 37 38 39
Vgl. ÖStA/HHStA, Kabinettskanzlei, K. Z., Vorträge, K 8, GZ. 1313/1901. Vgl. WStLA, Testament Rosa Eissler, GZ. A VI 122/16. Vgl. ÖStA/HHStA, Kabinettskanzlei, K. Z., Vorträge, K 8, GZ. 1313/1901. Vgl. unter anderen den Ausstellungskatalog Österreichische Porträtausstellung, 1815–1914, Wien 1927, in dem Josefine Rosenfeld mit drei Werken aus ihrem Besitz aufscheint, eines stammt von ihrem Bruder Hermann. 40 Vgl. GAUGUSCH 2012, S. 514. 41 Verein der Museumsfreunde, Tätigkeitsbericht für die Jahre 1925–1927. 42 »Das Bundesdenkmalamt nimmt zur Kenntnis, dass sich ein Teil der Dr. Hermann Eissler’schen Sammlung in der Wohnung seiner Tochter, Frau Bertha Munk […] befindet«. Vgl. BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt. I., II. Bezirk, GZ. 764/1922. Erklärung Hermann Eissler, 27.4.1922.
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gen sollten, sei, laut einer späteren Auskunft Berthas, als Heiratsgut in ihr Eigentum gelangt.43 Die Sammlung Gottfried und Dr. Hermann Eissler und der Kunsthandel
Ein Großteil der Ankäufe lassen sich ab der zweiten Hälfte der 1890er Jahre bis etwa 1912 belegen. Zu diesem Zweck unterhielten beide Brüder Geschäftskontakte zu Kunsthändlern des In- und Auslands. Um bei ihren Ankäufen höchste Qualität zu wahren, holte man die Meinungen der bedeutendsten Kunstfachleute Europas ein. So sandte etwa Hermann dem in Italien lebenden Kunsthändler und Renaissancespezialisten Bernard Berenson (1865–1959), »il Bibi« genannt, die Abbildung eines Gemäldes mit der Bitte, ihm bei der Bestimmung des Künstlers behilflich zu sein. Umgehend stellte dieser seine Kenntnisse zur Verfügung: »The picture of which you send me the photograph is one I have known for years. It was painted by Calisto Piazza of Lodi.«44 In diesem Zusammenhang hat sich auch ein kleiner Briefwechsel beider Brüder mit dem prominenten deutschen Widersacher il Bibis, Wilhelm von Bode (1845–1929), erhalten. »Für die besonders freundliche Rückäußerung bezüglich einer Terracotta-Büste drücke ich Euer Excellenz meinen besten Dank aus. Falls ich mit irgendetwas dienen kann, bin ich zu Gegendiensten stets gerne bereit und bitte Euer Excellenz über mich verfügen zu wollen«, bedankte sich Hermann Eissler im Mai 1913 beim Generaldirektor der königlich-preußischen Museen für eine ähnliche Hilfestellung.45 Auch Fritz erbat von Bode Hilfe im Zusammenhang mit einem Gemälde Adrian Brouwers (1605–1638), das er 1903 aus der Sammlung des bekannten Pariser Kunsthändlers Charles Sedelmeyer (1837–1925) erworben hatte.46 Wiewohl sich die Vorprovenienzen des Brouwer-Gemäldes bis in das Jahr 1795 zurückverfolgen ließen und Sedelmeyer »für die Echtheit seiner Alten Meister freiwillig die Haftung übernahm«, legte Eissler Wert auf eine Expertise von Bodes.47 43 Zur Behandlung der Gemälde Christus am Ölberg von Galasso Galassi und Wiedergenesene von Waldmüller siehe den Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 24.6.2009; http://www.provenienzforschung.gv.at/ index.aspx?ID=24&LID=1#C_E (12.6.2013); vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 41/1, PM Morelli, Bertha, GZ. 10.228/1949, fol. 32–33. 44 Privatbesitz Wien, Schreiben Bernard Berenson an Hermann Eissler, 7.5.1911. 45 Staatliche Museen zu Berlin - Zentralarchiv, IV/NL Bode 1638, Eißler, Hermann. Schreiben Hermann Eissler an Wilhelm von Bode, 17.5.1913. 46 Staatliche Museen zu Berlin - Zentralarchiv, IV/NL Bode 1637, Eißler, Gottfried. Schreiben Gottfried Eissler an Wilhelm von Bode, 31.5.1906. Anfrage zu dem Gemälde Un joyeux convive. 47 Christian HUEMER, Charles Sedelmeyer (1837–1925), in: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst 2 (1999), S. 6.
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108 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Keinesfalls gehörten Eisslers jedoch zu jener Kategorie von Sammlern, die leidenschaftslos den Aufbau ihrer Kollektion Experten überließen. Persönlich besah man, was andere Kunstliebhaber und Kunstliebhaberinnen zusammengebracht hatten und besuchte Auktionen. Für den Ankauf von Werken französischer Künstler des 19. Jahrhunderts reisten die Brüder direkt nach Paris. Weiters pflegten sie Kontakt zu den wichtigsten Promotoren des Impressionismus im deutschsprachigen Raum. Bot sich die Möglichkeit, so kaufte man direkt beim Künstler. Dies lässt sich unter anderem für Werke des Bildhauers Medardo Rosso (1858–1928) belegen, bei dem Gottfried Eissler 1903 die Bronzebüste L’Enfant malade erworben hatte.48 Dieser persönliche Kontakt lässt sich durch eine handschriftliche Widmung Rossos an Gottfried in einer 1902 erschienen Publikation über den Künstler verifizieren.49 Auch der ältere Bruder kaufte 1905 direkt bei Rosso in Paris.50 Ein weiterer Ankauf war im Zuge einer Ausstellung von Rossos Werken in die Wege geleitet worden, die unter dem Titel Bronzen und Impressionen aus Wachs im Februar 1905 im Kunstsalon Artaria in Wien abgehalten wurde.51 Ab 1906 stand Hermann Eissler in regem Kontakt mit der Galerie Heinemann in München, die auf deutsche Kunst des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts spezialisiert war, aber auch mit spanischer, englischer und französischer Kunst handelte. Im Frühjahr 1906 erstand Eissler bei Heinemann unter anderem zwei Gemälde des englischen Naturalisten John Constable (1776–1837), Willy Lott’s House und eine Parklandschaft.52 Bei anderen Ankäufen trat die später mit Heinemann aufs engs48 Von diesem Thema fertigte Rosso in der Zeit von 1900–1905 mehrere Büsten in verschiedenen Materialien wie Wachs, Bronze oder Marmor an. Vgl. Sharon HECKER, »An Enfant malade« by Medardo Rosso from the Collection of Louis Vauxelles, in: The Burlington Magazine CLII (November 2010), S. 727–735. 49 Vgl. E. CLARIS, De l’impressionisme en sculpture. Lettres et opinions de Rodin, Rosso, Meunier, Monet Pissaro etc, Paris 1902. Die Publikation wurde im Juni 1925 als Nr. 1385 im Versteigerungskatalog der Bibliothek Gottfried Eisslers angeführt. Vgl. Gottfried EISSLER, Katalog der Bibliothek Gottfried Eissler. Erstausgaben des 16. bis 20. Jahrhunderts, eine umfangreiche Goethe-Sammlung, Luxusdrucke, Kunstpublikationen in Vorzugsausgaben, Versteigerung 8.–13.6.1925, Wien 1925, S. 171. 50 Hierbei handelt es sich um das Werk La fille et l’enfant. In Privatbesitz findet sich eine Bestätigung Rossos, dass er den Teilbetrag von 2.000 Kronen zur Nachfertigung der Bronzeskulptur La fille et l’efant erhalten hatte. Vgl. Privatbesitz Wien, Rechnungsbestätigung Medardo Rossos, o. D. »Reçu de mon ami – Eißler Hermann […].« 51 Die ausgestellten Werke waren verkäuflich. »Die meisten können, ausschliesslich vom Meister selbst nachgeformt oder gegossen werden, auch wiederholt werden; R o s s o würde solche Bestellung in 2–3 Monaten ausführen können«. Vgl. Ausstellungskatalog Medardo Rosso, Bronzen und Impressionen aus Wachs, Kunstsalon Artaria, Wien 1905. 52 Vgl. http://heinemann.gnm.de/de/recherche.html (24.5.2013). Die Galerie Heinemann wurde 1938/1939 von dem ehemaligen Mitarbeiter Friedrich Heinrich Zinckgraf arisiert und bis nach 1945 unter dem Namen Galerie Zinckgraf weitergeführt. Beide Gemälde befanden sich noch im Dezember
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Abbildung 2.1: Autograph Medardo Rosso; Ausschnitt L’impression d’omnibus (1884/1885); 2.2.: Rechnung Medardo Rossos für La fille et l’enfant /Wachs; 2.3: Rechnung Medardo Rossos für La fille et l’enfant / Bronze
te verflochtene Galerie Fleischmann als Vermittler auf. Etwa bei den Gemälden und Zeichnungen Honoré Daumiers (1808–1879): Die Reiter, Nach der Arbeit, Die Gerichtssitzung. Ebenfalls über Fleischmann erwarb Eissler noch im gleichen Jahr Giovanni Segantinis (1858–1899) Gemälde Sonnenuntergang im Gebirge. Zeichnungen und Gemälde dieses Malers, mit dem ihn die Begeisterung für die Bergwelt verband, und der ihn mit seiner Lichtmalerei zu den französischen Impressionisten hingeführt hatte, schmückten den Eingangsbereich seiner Wohnung.53 In Wien entstand in Zusammenhang mit dem Aufbau der Sammlung Eissler ein Netzwerk an Kunsthändlerkontakten, wie Miethke, Moll, Roessler, Pisko und Artaria, in späteren Jahren auch Nebehay. Einiges spricht dafür, dass die Brüder noch in der alten Galerie von Hugo Othmar (H. O.) Miethke (1834–1911) ihre ersten Kunstkäufe getätigt hatten. H. O. Miethke – stets um internationalen Austausch bemüht – habe versucht, das Wiener Publikum für die zeitgenössische Französische Kunst zu sensibilisieren, schreibt Natter in seiner Geschichte der Galerie.54 Carl Moll, Mitbegründer und vorübergehend Präsident der Wiener Secession, übernahm 1904, nach dem Verkauf durch H. O. Miethke, die künstlerische Leitung der Galerie, die vergleichbar 1938 auf den Listen der im Eigentum Hortense Eissler bzw. Bertha Morelli sichergestellten Gegenstände. BDA-Archiv, Kt. 41/1, PM Morelli, Bertha, GZ. 4180/1938. 53 Zu Heinemann-Fleischmann vgl. Beate SCHREIBER, Frank DRAUSCHKE, Heinemann-Online – Eine Datenbank für die Provenienzforschung, in: Vereinigung Deutscher Wirtschaftsarchivare e.V. (Hg.), Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirtschaft 43 (2010) 4, S. 177–184. In der Kartei der Kunsthandlung Heinemann scheint Eissler noch für das Jahr 1934 mit einem Eintrag auf, als es um den Verkauf einer Landschaft mit Kindern von Waldmüller ging; http://heinemann.gnm. de/de/recherche.html (24.5.2013); vgl. BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt. I., II. Bezirk, GZ 1987/1920. 54 Vgl. Tobias G. NATTER, Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Wien 19.1.2003–8.2.2004, Wien 2003, S. 29.
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110 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner der Berliner Sezession und der Galerie Paul Cassirer (1871–1926) den Sezessionisten als Verkaufstelle diente, und brachte dort eine Reihe von Ausstellungen neuerer französischer Kunst zusammen.55 Die Kunst der Secession hatte das Interesse der Brüder Eissler niemals im Besonderen geweckt, ein anderes Geschäftsfeld der Galerie Miethke, war hingegen seit jeher bei den Wiener Künstlern des 19. Jahrhunderts gelegen, auf deren Werken beide Brüder, individuell wie gemeinsam, anfänglich ihre Sammlung aufbauten. 1904 hatte auf Initiative Molls, eine wegweisende Ausstellung Ferdinand Georg Waldmüllers (1793–1865) stattgefunden – die als »Initialzündung der WaldmüllerRezeption der Wiener Jahrhundertwende« gilt.56 1905 wurde mit Arthur Roessler (1877–1955) ein weiterer Waldmüller-Spezialist in den Mitarbeiterstab von Miethke aufgenommen. Er sollte für den Aufbau der Eissler’schen Waldmüller-Kollektion auch nach seiner kurzen Tätigkeit für die Galerie ein wichtiger Gewährsmann bleiben. Im Künstlerhaus organisierte die Galerie Miethke Nachlassversteigerungen der populären Maler August von Pettenkofen (1822–1889) und Rudolf von Alt (1812–1905) von denen Eisslers ebenfalls umfangreiche Bestände besaßen. Andere Schwerpunkte im Ausstellungs- und Verkaufsprogramm von Miethke haben nachweislich keinen Widerhall bei den Brüdern gefunden. Weder hatten sie H.O. Miethkes Vorliebe für den Salonmaler Hans Makart (1840–1884) geteilt, noch nützten sie Jahre später die Gelegenheit, bei der von Moll 1914 organisierten Picasso-Ausstellung ihre Sammlung um ein Werk dieses Malers zu ergänzen. Ein amtlicher Weg in die Sammlung Hermann Eissler57
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurde in den so genannten »Notgesetzen«58 die Forderung formuliert, leer stehenden Wohnraum für Kriegsgeschädigte zur Verfügung zu stellen. Um einer »Enteignung zu Wohnzwecken« zu entgehen, überprüften Beamte des Staatsdenkmalamtes Wohnungen auf den Denkmalwert vorhandener Kunstwerke, Sammlungen und Möbel. Im Zuge dieser »Wohnungs55 Vgl. Tobias G. NATTER, Carl Moll – Stationen eines bewegten Lebens, in: Ausstellungskatalog Carl Moll (1861–1945). Maler und Organisator, Salzburg 1998, S. 25–39, hier S. 33. 56 NATTER 2003, S. 69. 57 Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt beide Brüder in der Wohnung in der Auerspergstraße gemeldet, das Aufnahmeprotokoll der Kunstwerke durch die Denkmalbehörde erwähnt jedoch nur die Sammlung Hermann Eisslers; BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt. I., II. Bezirk, GZ. 1996/1920. 58 Vgl. Eva FRODL-KRAFT, Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918– 1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien-Köln-Weimar 1997, S. 7–17.
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Abbildung 3: Auflistung von Kunstwerken in der Wohnung Eissler, Wohnungsanforderung Eissler, Auerspergstraße 2, Wien
kommissionierungen« wurden zahlreiche Wohnungen, unter anderem auch jene Eisslers beziehungsweise des Ehepaars Munk, von einer Belegung durch Dritte befreit.59 Ein in diesem Zusammenhang vom Staatsdenkmalamt angefertigtes kursorisches Inventar bietet heute nicht nur die Möglichkeit eines Streifzugs durch die Eissler’sche Wohnung mit ihrer üppigen und wertvollen Ausstattung, sondern liefert auch ein letztes umfassendes Zeugnis dieser außergewöhnlichen Privatsammlung, bevor diese mittels der Verteilungslisten der Nationalsozialisten, rund 20 Jahre später, nur mehr als ein Rudiment vergangen Reichtums nachweisbar ist. Im Juli 1920 wurde ihre Erhaltung durch das Staatsdenkmalamt als im öffentlichen Interesse gelegen bestätigt. Exemplarisch führt das durch die Behörde angefertigte Gutachten 312 Kunstwerke verteilt auf 13 Räume an, die »durchwegs von höchster Qualität […] und Museumsstücke ersten Ranges sind«.60
59 Ziel des Wohnungsanforderungsgesetzes (Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates, betreffend die Anforderung von Wohnungen durch die Gemeinden StGBl 1918/22) war eine Verbesserung der Wohnverhältnisse der minderbemittelten Bevölkerung gewesen. Vgl. FRODL-KRAFT 1997, S. 7–9. 60 BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt I., II. Bezirk, GZ. 1996/1920. Schreiben Hermann Eissler an das Staatsdenkmalamt, 31.7.1920.
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112 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Man grenzt sich voneinander ab und ergänzt sich
Wollte man die Sammeltätigkeit Gottfried und Hermann Eisslers charakterisieren, so könnte man von einem Kollektiv sprechen, das von zwei unterschiedlichen einander jedoch ergänzenden Sammlerpersönlichkeiten bestimmt wurde. In Dresslers Kunstjahrbuch wird der Anfang der Sammlung mit 1897 datiert, mit jenem Jahr also, in dem der Vater der Brüder verstorben war. Eine Reihe von Kunstwerken hätte sich allerdings, laut Dressler, schon zu dessen Lebzeiten im Eigentum der Familie befunden.61 Zwei Jahre später untergliedert Dressler die Sammlung der beiden bereits in sechs Abteilungen: »1. Gemälde, Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen und Miniaturen 2. Plastiken, desgleichen Plaketten und Medaillen 3. Kunstdrucke, Kupferstiche, Radierungen, Holzschnitte usw. 4. Antiquitäten jeder Art, besondere Porzellane 5. Silhouetten, insbesondere aus dem Goethekreise und 6. eine Bibliothek von ca. 3000 Bänden.« Allein unter den ersten drei Abteilungen befanden sich, laut Dressler, Werke von 111 Künstlern, darunter 78 Werke Rudolf von Alts (1812–1905), 43 von Ferdinand Georg Waldmüller und sieben von Giovanni Segantini.62 Die Katalogisierung der Objekte erfolgte durch Gottfried Eissler auf eigens für die Sammlung gedruckten Karteikarten in Billet-Form. Neben Informationen zu Künstler und Künstlerinnen und einer detaillierten Beschreibung des Objektes, geben diese Karteikarten Auskunft darüber, wann und wo ein Objekt angekauft und ausgestellt wurde. Findet man bis zu Fritz’ Tod im Dezember 1924 in den Publikationen und Ausstellungskatalogen überwiegend die Bezeichnung Sammlung Eissler, verzeichneten die Karteikarten den individuellen Eigentümer respektive die beide Sammler gemeinsam.63 Von Anfang an teilten die Brüder die Vorliebe für die Wiener Kunst des 19. Jahrhunderts. An erster Stelle standen hier die schon von Dressler hervorgehobenen Maler Waldmüller und Alt. Neben den gemeinsamen Vorlieben, verfolgten beide jedoch auch eigenständige Sammlerinteressen. Gottfried setzte auf Miniaturmalerei. Ständig war er auf der Suche nach bedeutenden Menschen und repräsentativen Persönlichkeiten, »die trotz ihrer bildmäßigen Verkleinerung, […] dem metaphysischen Wun61 Vgl. DRESSLER 1907, S. 476; FRIMMEL 1913, S. 305. 1913 waren von diesen nur mehr drei Gemälde aus dem väterlichen Bestand Teil der Sammlung: Gilis van Tilborch (1625–1678), Anbetung der Hirten, Ignatz Raffalt (1800–1857), Sonnenuntergang und Karl Schindler (1821–1847), Der eingeschlafene Postillon. 62 Willy O. DRESSLER, Dresslers Kunstjahrbuch 1909. Ein Nachschlagebuch für deutsche bildende und angewandte Kunst, Jg. 2, Rostock 1909, S. 559. 63 Privatbesitz Wien.
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Abbildung 4: Karteikarte zu dem Gemälde von Ferdinand Georg Waldmüller, Frau von Managetta-Lerchenau; Rück-, Vorder- und Innenseite
der der Menschengestalt, in welcher Proportion auch immer bedeutsam zu bleiben« entsprachen.64 Hermann hingegen war bemüht, einerseits die verschiedenen Schaffensperioden eines Künstlers zu dokumentieren, andererseits Werke von Künstlern zu sammeln, die einander nachhaltig beeinflusst hatten. Als Beispiel sei hier auf die Landschaftsgemälde – vor allem die Farbgebung in den Landschaften – John Constables aus den 1820er Jahren verwiesen, die temporär das Œuvre von Eugène Delacroix mitbestimmt haben.65 »Ohne doktrinäre Vorurteile sind hier Werke der verschiedensten Zeiten und Stilrichtungen zu einer künstlerischen Harmonie vereinigt«, beschrieb Hans Tietze (1880–1954), Kunsthistoriker und bis 1925 im Unterrichtsministerium in der Abtei64 GRÜNSTEIN 1925, S. 9–10. 65 1824 hatte der Pariser Kunsthändler John Arrowsmith einige Werke Constables (Heuwagen, Blick auf den Stour, Yarmouth Pier) erworben und diese im Pariser Salon ausgestellt, wo sie großen Anklang bei zahlreichen Künstlern, unter ihnen auch Delacroix, fanden. Vgl. Barry VENNING, Constable. Sein Leben und seine Meisterwerke, New York 2004, S. 79.
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114 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner lung Museen und Denkmalpflege tätig, in einer seltenen zeitgenössischen Rezeption die Sammlung Hermann Eissler, italienische Quatrocentobronzen und Bilder von Greco, Dürer-Zeichnungen und eine Auswahl vortrefflicher Waldmüller und Rudolf Alt bezeugen die Wesenseinheit hochwertiger Kunst. Und ebenbürtig stehen hier neben Meisterwerken goldener Kunstperioden Arbeiten des neunzehnten Jahrhunderts, dem man gern einen Fall von früherer Höhe zum Vorwurf macht; seine künstlerischen Probleme lassen sich hier besser als anderwärts in Wien studieren, weil eine nicht abreißende Kette guter Beispiele der französischen Malerei den hohen Rang und die Konsequenz dieser Periode bezeugen.66
Im März 1908 hatte der Wiener Kunstsalon Pisko erstmals einen prominenten Teil der Sammlung Eissler, nämlich die alten und neuen Meister unter Ausschluss der österreichischen Künstler der Öffentlichkeit präsentiert.67 Am 20. und 21. März fand im Rahmen der Wiener Kunstwanderungen eine organisierte Besichtigung der Ausstellung statt, deren Einnahmen für wohltätige Zwecke Verwendung fanden.68 Die auf zehn Tage angelegte Schau umfasste einhundert Werke aus verschiedenen Epochen und künstlerischen Disziplinen. Neben antiken Bronzestatuetten, wie einem Apoll aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert über die Federzeichnung Der gute Schächer von Albrecht Dürer (1471–1528) von 1517 wurden auch bereits erwähnte Gemälde Constables, darunter Willy Lott’s house, sowie jene Zeichnungen und Gemälde Daumiers, die über die Galerie Heinemann erworben worden waren, gezeigt. Mit der Ausstellung wurde ein Einblick in die englische Malerei des späten 18. und 19. Jahrhunderts gewährt. Außer den Constables fanden sich hier Werke von Edward Burne-Jones (1833– 1889), Love’s hunting ground, Henry Raeburns (1756–1823), Porträt David Anderson, Zeichnungen von James Abbott Mac Neill Whistler (1834–1903), Pablo Sarasate, und eines weiteren Zeitgenossen, John M. Swan (1846–1910), Liegender Tiger. Von Medardo Rosso werden im Ausstellungskatalog vier Werke gelistet. Neben der Skulptur La Fille et l`enfant, waren dies drei Büsten, zwei, Caesar und Senateur, nach antikem Vorbild, und eine, Niccoló da Uzzano, nach einem Original Donatellos im Bargello 66 Hans TIETZE, Französische Bilder und Zeichnungen in der Sammlung Eißler, in: Die Bildenden Künste. Wiener Monatshefte 3 (1920), S. 133–134. 67 Ausstellungskatalog Sammlung Eißler Wien. Erster Teil. Alte u. neue Meister mit Ausschluß der Österreicher, Wien Kunstsalon Pisko 20–29.3.1908, Wien 1908. 68 Ein 1902 gegründeter Verein, der die Möglichkeit bot, Palais, Privatsammlungen und Künstlerateliers zu besichtigen. Die Einnahmen wurden für karitative Zwecke, wie für den Verein Lucina (der Verein betrieb das Kaiserin Elisabeth Wöchnerinnenheim und Geburtshelferinnen-Ausbildungsstätte in Wien 10) verwendet. Vgl. Werner J. SCHWEIGER, Die Wiener Kunstwanderungen 1902 und die erste Ausstellung der ‚Modernen Galerie, in: Belvedere, Zeitschrift für bildende Kunst 2 (2004), S. 53–63.
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in Florenz. Den Anteil der Holländer in der Sammlung bestimmten Ölgemälde von Adriaen (1610–1685) und Jzaak (1621–1649) van Ostade, Der Raucher und Schweineschlachten, die Federzeichnung Der verlorene Sohn beim Gelage von Harmensz Rembrandt van Rijn (1606–1669) und Jan Wynants (nach 1600–1678), Gehöft am Wasser. Die Österreichische Kunst des 19. Jahrhunderts und ihre wichtigsten Exponenten Ferdinand Georg Waldmüller
Waldmüller, dessen Werk bei Eisslers ein herausragender Stellenwert zukam, war – wie häufig der Fall – erst Jahrzehnte nach seinem Tod zu Ruhm und Ehren gelangt. Im November 1904 war, wie erwähnt, bei Miethke die erste Personale des Künstlers eröffnet worden. Der Katalog zur Ausstellung führte drei Werke als verkäuflich an, 30 kamen damals aus Privatbesitz, bei den restlichen handelte es sich um Leihgaben aus der Modernen Galerie69 sowie aus kaiserlichem Besitz.70 Frimmel personalisierte in einem Artikel zur Ausstellung die Leihgeber, der Name Eissler kann zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht mit Waldmüller in Verbindung gebracht werden.71 Im Katalog zur so genannten Berliner Jahrhundertausstellung von 1906 tauchte die Genesung/Wiedererstehen zu neuem Leben, damals noch in der Budapester Sammlung Alfred Kohner auf,72 und wechselte erst anschließend zu den Eisslers, wo das Gemälde bis zum Dezember 1938 auch verblieb. 1907 scheinen die beiden Brüder mit zahlreichen Besitzereinträgen in Arthur Roesslers Waldmüller-Monografie auf. 73 Es werden dort bereits 33 Werke der Sammlung
69 »Als ‚›Moderne Galerie‹ 1903 gegründet, 1911, zugleich mit einer umfassenden Erweiterung des Sammelprogramms, in ›k. k. Österreichische Staatsgalerie‹ umbenannt, entstand 1921 der noch heute gültige Museumsname ‚Österreichische Galerie‹, dem im Jahr 2000 offiziell das Wort ›Belvedere‹ hinzugefügt wurde.« Hadwig KRÄUTLER, Gerbert FRODL (Hg.), Das Museum. Spiegel und Motor kulturpolitischer Visionen, 1903–2003. 100 Jahre Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2003, S. 11. In weiterer Folge wird im Text die heute gängige Bezeichnung Österreichische Galerie Belvedere verwendet. 70 Vgl. Ausstellungskatalog Waldmüller, Ausstellung von Werken alter und moderner Kunst, Wien Galerie Miethke November – Dezember 1904, Wien 1904. 71 Vgl. Theodor von FRIMMEL, Die Waldmüller-Ausstellung in Miethkes Kunstsalon, in: Neue Freie Presse, 3.12.1904, S. 20. Er nennt hier als Leihgeber die Witwe Franz X. Mayers, Friedrich Jasper, die Familie Bachofen-Echt und die Sammlung Figdor. 72 Vgl. Ausstellungskatalog Ausstellung Deutscher Kunst aus der Zeit von 1775–1875, Gemälde und Skulpturen. Königliche Nationalgalerie Berlin, Januar–Mai 1906, Berlin 1906, S. 242. Das Gemälde ist hier fälschlich mit 1854 anstatt 1864 datiert. Auch als Die Wiedergenesene/Erwachen zu neuem Leben bezeichnet. 73 Vgl. Arthur ROESSLER, Gustav PISKO, Ferdinand Georg Waldmüller, Wien 1907.
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116 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Gottfried und Dr. Hermann Eissler zugeschrieben, in einem Exemplar des Buchs in der Bibliothek der Österreichische Galerie Belvedere hatte man bei drei weiteren Werken nachträglich den Besitzvermerk Eissler ergänzt.74 Im Vorwort bedankte sich Roessler explizit bei den Sammlern Albert Figdor (1843–1927) und Hermann und Gottfried Eissler für deren »munifizierte Förderung des Waldmüller-Werkes durch Stiftung von Farbtafeln« und hebt weiters »die kollegiale Unterstützung« durch Gottfried Eissler in Form von Datenbeistellung und Bildernachweisen hervor.75 Korrespondenzen im Vorfeld der Publikation zeugen vom regen Kontakt des Autors mit den Sammlern. Aus einigen dieser Schreiben sind Merkwürdigkeiten herauszulesen, die auf ein eigenwilliges Miteinander der Brüder schließen lassen. Im Dezember 1906, hatte Gottfried Eissler Roessler wissen lassen, dass sein Bruder zu seinem »lebhaften Bedauern […] über ihre Publikation erfahren [habe], worüber ich ihn aus praktischen Gründen bis zum letzten Moment in Unkenntnis lassen wollte«.76 In weiterer Folge erwähnte Fritz zur Verfügung gestellte Fotografien, von denen der Bruder nichts erfahren dürfe. Sollte die Sprache auf diese kommen, solle Roessler vielmehr erklären, dass es sich hierbei um Reproduktionen aus früheren Büchern und Fachzeitschriften handle. Desgleichen ersuchte er den Publizisten »ganz bestimmt nichts darüber zu sagen, dass sie wissen, dass ich die Praterlandschaft v. Waldmüller gekauft habe, noch weniger, dass sie wissen, dass ich sie von Miethke gekauft habe. Für den Fall, dass Sie den früheren Eigentümer […] kennen sollten, bitte ich sehr meinem Bruder gegenüber diese Kenntnis vollständig abzuleugnen«.77 Erwähnte Praterlandschaft stieß Eissler nach längeren Verhandlungen fünf Jahre später wieder ab. Er verkaufte sie, 15.000 Kronen unter den anfänglich geforderten 70.000 Kronen an die Moderne Galerie.78 Hermann Eissler war ebenfalls sehr an Waldmüller interessiert. Er informierte Roessler über Werke in seinem Bekanntenkreis »deren Besichtigung die Besitzer
74 Vgl. ROESSLER 1907, Abb. 65, Praterpartie mit Mähern staffiert (1831) aus der Sammlung Figdor. Abb. 142, Silberpappel in der Praterau (1840) aus der Sammlung Leopold Gudenus, Abb. 227, Bettelmädchen (1854). 75 ROESSLER 1907, S. 6. 76 Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Arthur Roessler, I.N. 149.726. Schreiben Gottfried Eissler an Arthur Roessler, 29.12.1906 [Unterstreichungen im Original]. 77 Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Arthur Roessler, I.N. 149.726. Schreiben Gottfried Eissler an Arthur Roessler, 29.12.1906 [Unterstreichungen im Original]. 78 Archiv des Belvedere, ZL. 898/1911. Abschrift des Schreibens des Direktors der Modernen Galerie Friedrich Dörnhöffer (1865–1934) an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, 31.10.1911 sowie ZL. 984/1911. Schreiben Ministerialrat von Förster an den Direktor der Modernen Galerie Dörnhöffer, 20.10.1911.
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mit Vergnügen gestatten werden«.79 Außerdem vermerkte er, dass er wahrscheinlich selbst bald in der angenehmen Lage sein werde, Roessler weitere Werke des Künstlers zu präsentieren, wobei er diesen gleichzeitig wissen ließ, was er und Gottfried »vom Waldmüller« noch am liebsten in ihrer »kleinen Sammlung« vertreten hätten: »Nämlich ein Hochgebirgsbild mit den zarten Verschneeungen und den wunderbaren, weißen und duftigen Farben, wie sie nur dieser Meister malen kann.«80 Im Katalog der Kaiser Jubiläumsausstellung »Altwiener Malerei« 1911 in München wird Hermann Eissler als »Darleiher« etlicher Waldmüllerwerke angeführt, darunter Arbeiten, die nachweislich nach 1907 angekauft worden waren, wie zum Beispiel Am Praterspitz/Silberpappeln und Altaussee mit dem Dachstein. Neben den Eckpfeilern Alt, Waldmüller und Pettenkofen waren in der Ausstellung noch Werke Franz Eybls (1806–1880), Anton Romakos (1832–1889) und Jakob Emil Schindlers (1842– 1892), darunter ein Hauptwerk – Ochsengespann am Bach –, zu sehen.81 Die konstante Wertsteigerung der Werke Waldmüllers, die mit der von Moll 1904 bei Miethke zusammengebrachten Ausstellung ihren Höhepunkt erreichte, habe, so Feuchtmüller, nach dem Erscheinen der Roessler-Publikation zu stagnieren begonnen. In einem Artikel in der Neuen Freien Presse im Juli 1907 stellt Gottfried Eissler die Preisentwicklung für Waldmüller-Werke folgendermaßen dar: Seit dieser Zeit [Ausstellung bei Miethke 1904, Anmerkung der Verfasserinnen] datiert die rapide Hausse in den Bilderpreisen des Meisters, so dass sich dieselben in einem Zeitraume von noch nicht drei Jahren zum Teil verzehnfacht haben […]. Und zwar ist dieses Anwachsen der Preise nicht bloß durch höhere Wertschätzung der einheimischen Kunstfreunde verursacht, sondern auch durch die Konkurrenz einiger reichsdeutscher Amateure und Museen […]. Insbesondere seitdem die ›JahrhundertAusstellung Berlin 1906‹ die Bedeutung des Meisters für die Freilichtmalerei […] dargetan hat.82 79 Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Arthur Roessler, I.N. 149.720. Schreiben Hermann Eissler an Arthur Roessler vom 8.2.1907. Hierbei handelt es sich um die Werke Der neue Lehrling (später in der Sammlung Eissler), Der Schulgang, Die Rückkehr von der Trauung im Besitz Conrad von Lindheim, Dr. Eugen Halaczi und im Besitz Max Fischels. 80 Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Naschlass Arthur Roessler, I.N. 149.719. Schreiben Hermann Eissler an Arthur Roessler, 19.2.1907. 81 Ausstellungskatalog Kaiser Franz Josef Jubiläumsausstellung »Altwiener Malerei«, Kunstverein München 6.–20. Jänner 1911, München 1911. 82 Gottfried EISSLER, Einiges über Waldmüllerpreise, in: Neue Freie Presse, 13.7.1907, S. 22. Als Beispiel für die Wertsteigerung wurde hier der Ankauf der 1865 entstandenen Fassung des Themas der Wiedergenesenen von 1864, aufgezeigt: Das Gemälde »wurde Ende 1906 für den Preis von 4650fl. für die bedeutendste Waldmüller-Sammlung in privatem Besitz angekauft«. Gemeint ist hier der Ankauf durch Eisslers. Das Werk wurde vermutlich um 1927 wieder aus der Sammlung Eissler ausgeschieden und befin-
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118 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Betrachtet man nun den Zeitraum in dem die Brüder Eissler ihre WaldmüllerSammlung anlegt hatten und zieht die Bewertung Gottfrieds heran, so kommt man zu dem überraschenden Schluss, dass die beiden dies – wie auch im Fall von Rudolf von Alt – in der hochpreisigen Phase getan hatten. In der Zeit um 1910 besaßen sie mit ihren rund 45 Waldmüller-Gemälden eine der bedeutendsten Sammlungen an Werken des Künstlers. Ab 1911 war die Zeit des Zusammentragens von Werken Waldmüllers beendet und es wurde begonnen, wichtige Werke sukzessive wieder abzustoßen, wobei etliche Bilder Eingang in museale Sammlungen fanden. Ganz ähnlich verfuhren sie mit den Werken Pettenkofens und Alts, wodurch ersichtlich wird, dass die Brüder Eissler durch ihr konzentriertes und dynamisches Sammeln im Stande gewesen waren Rezeption und Marktlage zentraler österreichischer Künstlerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts nachhaltig mitzugestalten. Rudolf von Alt
1892 war anlässlich des 80. Geburtstages des großen Aquarellisten Rudolf von Alt eine Jubiläumsausstellung mit seinen Werken veranstaltet worden. Als Leihgeber hatte das »Who is who« der damaligen Wiener Sammlerszene fungiert.83 Bilder von Eisslers waren noch nicht dabei. Dabei hatte Gottfried die Gelegenheit wahrgenommen, noch zu Lebzeiten von Alt, Werke direkt in dessen Atelier in der Skodagasse zu erwerben, wie dies durch eine Widmung an »Herrn Gottfried Eissler zur freundlichen Erinnerung« auf dem Aquarell Die Tochter des Künstlers (1871) verdeutlicht wird.84 Obwohl sie mit dem Künstler selbst noch in Kontakt gestanden waren, müsste man das Brüderpaar det sich seit dem Jahr im Van der Heydt Museum Wuppertal. Auskunft Antje Birthälmer, stellvertretende Direktorin, E-Mail vom 7.6.2013. 83 Vgl. Katalog der Jubiläums-Ausstellung zur Feier des 80. Geburtstages von Professor Rudolf Alt, Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens, Wien, 29.4.1892. Neben höfischen Auftraggebern (erste Generation), galt der Wiener Glasfabrikant Ludwig Lobmeyr (1829–1917), der den Künstler seit den frühen 1860er Jahren förderte, bis zu seinem Tod als einer der bedeutendsten Alt-Sammler. Durch ihn wurde auch der aus dem Elsass stammende Wollhändler Friedrich Jakob Gsell (1812–1871) zum Sammeln von Alts Aquarellen motiviert. Rudolf von Alt bezeichnete ihn als denjenigen, »der als erster seine besten Aquarelle, die jahrelang tot in Portefeuille und Kasten lagen, hervorgerufen habe«. Gsell wurde einer seiner zuverlässigsten Abnehmer und brachte es schließlich auf über 300 Aquarelle, die er durchgängig um den Einheitspreis von 35 Gulden gekauft hatte (zweite Generation). Zu nennen sind hier auch noch die Sammler Eugen Miller-Aichholz (1835–1919), Carl Lanckoroński (1848–1933), Alfred von und zu Liechtenstein (1842–1907) und andere. Vgl. Walter KOSCHATZKY, Gabriele KOSCHATZKY-ELIAS, Rudolf von Alt mit einer Sammlung von Werken der Malerfamilie Alt der Raiffeisen Zentralbank Österreich AG, Wien 2001, S. 26. 84 Arthur ROESSLER, Rudolf von Alt, Wien 1909, Abb. 97.
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als Alt-Sammler der »dritten Generation« bezeichnen, die sich ab 1900 einem regen Handel mit stetig teurer werdenden Werken des Künstlers konfrontiert sah. In der Publikation Roesslers zu Alt aus dem Jahr 1909 werden alleine mehr als 30 Werke aus der Sammlung Gottfried und Dr. Hermann Eissler abgebildet. Einige davon waren von den Eisslers 1906 in der Versteigerung des Nachlasses von Alt bei Miethke erworben worden,85 andere wie das Bildnis des Barons Merode (1839) wechselten aus der Sammlung Figdor in der Zeit um 1909 zu Eisslers. Im Eigentum Gottfrieds hatten sich noch vier weitere bedeutende Aquarelle Alts befunden, die in zahlreichen Ausstellungen die Leihgaben der Eissler Brüder repräsentierten.86 Sie wurden von der Versteigerung seines Nachlasses im Mai 1925 ausgenommen, um per Legat in die Österreichische Galerie Belvedere zu gelangen.87 Dabei handelte es sich um das Bildnis des Barons Merode, das Doppelbildnis der Zuckerbäckerin Flach und Tochter sowie die beiden Interieurbilder aus dem ehemaligen Palais Chotek in Wien.88 August von Pettenkofen
Im Katalog zur Ausstellung Deutscher Kunst aus der Zeit von 1775–1875, der so genannten Jahrhundertausstellung von 1906 waren neben einem einzelnen Aquarell von Rudolf von Alt vor allem Gemälde August von Pettenkofens (1822–1889) aus der Sammlung Eissler zu sehen.89 Auch wenn Eisslers quantitativ nie zur führenden Riege der Samm-
85 Katalog Rudolf von Alt. Öffentliche Versteigerung des künstlerischen Nachlasses von Rudolf von Alt in der Galerie H. O. Miethke, Wien 12.2.1906, Wien 1906. 86 Vgl. unter anderen den Ausstellungskatalog Rudolf von Alt Gedächtnis Ausstellung Secession, XLII. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Wien November–Dezember 1912, Wien 1912, Nr. 38–40. 87 Weiters waren ein spätes Selbstbildnis (1895) (das Aquarell wurde in der Nachlassversteigerung Gottfried Eissler 1925 um 2.000 Kronen von Alexander Wolf erworben und 1950 von der Albertina angekauft), das Doppelporträt der Baroninnen Weichs (1843), das Porträt einer älteren Dame im Lehnstuhl, eine Ansicht des Stephansplatzes in Richtung der Rotenturmstraße (1834), eine Landschaft rund um den Gosausee und eine Darstellung des Dorfplatzes von Sand in Tirol (1875) bis zu seinem Tod in seinem Eigentum. Vgl. WStLA-Archiv, Testament Gottfried Eissler vom 9.9.1918, GZ. A II 211/24. Die Legatsbestimmungen wurden von Gottfried Eissler am 23.7.1921 abgeändert. Ursprünglich sollten der Staatsgalerie die Sammlung von Miniaturen ohne die bemalten Medaillen, die Wachsbossierungen, Silhouetten- und Aquarellporträts mit Ausnahme des Selbstbildnisses von Rudolf von Alt (1895) und das Bildnis der Tochter Louise (1871) zukommen. Die Sammlung sollte ungeteilt präsentiert werden und mit der Bezeichnung Vermächtnis des Herrn Gottfried Eissler, Wien versehen werden. 88 Die vier Aquarelle befinden sich seit 1939 in der Grafischen Sammlung Albertina in Wien. 89 Vgl. Ausstellungskatalog Ausstellung Deutscher Kunst aus der Zeit von 1775–1875, Gemälde und Skulpturen. Königliche Nationalgalerie Berlin, Januar–Mai 1906, Berlin 1906. Nr. 1306 Schimmel; Nr. 1307 Bildnis Leopold Bauers; Weibliches Portrait.
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Abbildung 5.1.: John Constable, Williy Lot’s house; 5.2.: Ferdinand Georg Waldmüller, Der zerprellte Praterbaum; 5.3.: August von Pettenkofen, Soldaten beim Biwakieren
ler von Werken Pettenkofens gehört hatten, bildeten die Werke, dieses in der Wiener Gesellschaft so überaus beliebten Malers, in ihrer Kollektion von Wiener Malerei des 19. Jahrhunderts die dritte, umfangreichere Gruppe. 1916 führt Arpad Weixlgärtner in seiner Pettenkofen-Monografie über 30 Arbeiten des Künstlers aus dem Besitz der Brüder Eissler an.90 Vom Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikation bis zur PettenkofenGedenkausstellung des Jahres 1922, hatten sich in der Wiener Sammlungslandschaft große Umwälzungen vollzogen. Von den bedeutenden Wiener Pettenkofen Sammlungen existierten zu jenem Zeitpunkt nur mehr die von August Heymann und jene Franz Xaver Mayers, die sich geschlossen im Besitz seiner Witwe befand.91 Hermann Eissler und die französische Kunst
Für die Zeit von 1908 bis 1925 war ein ständiges Wachsen des französischen Anteils in der Sammlung Eissler festzustellen, dessen außerordentliche Bedeutung seitens der Denkmalbehörde bereits in deren Bewertung von 1920 hervorgehoben wurde: Unter den Franzosen befinden sich Bilder von Weltruf und ist ein solcher Besitz innerhalb der Mauern unserer Stadt umso erfreulicher, als diese Meister in unseren öffentlichen und privaten Sammlungen unzulänglich vertreten sind. […] Bei der Anordnung der Sammlung sins [sic!] künstlerische und museale Momente aufs glücklichste vereinigt, so zwar, dass innerhalb der Sammlung jeder einzelne Raum als in sich geschlossene Einheit betrachtet werden kann.92 90 Arpad WEIXLGÄRTNER, August von Pettenkofen, Wien 1916. 91 Die bedeutende Sammlung Ludwig Lobmeyrs wurde 1917 bei Wawra versteigert und jene von Eugen Miller-Aichholz nach dessen Tod 1919 von Camillo Castiglioni angekauft. Vgl. Dieter STIEFEL, Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 313. 92 BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt. I., II. Bezirk, GZ. 1987/1920.
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Anhand der Quellenlage zeigt sich, dass dieser Teil der Eissler’schen Sammlung im Wesentlichen mit Hermann in Verbindung gebracht werden muss. Fest steht aber, dass sich beide – wie erwähnt – annähernd gleichzeitig für die impressionistischen Skulpturen des seit 1886 in Paris tätigen Bildhauers Medardo Rosso begeistert und bei diesem persönlich Ankäufe getätigt haben. Eben zu dieser Zeit begann sich Hermann für Auguste Rodin (1840–1917) zu interessieren. Während in der Präsentation der Sammlung Eissler bei Pisko im Jahr 1908 nur ein Werk des Bildhauers nachgewiesen werden kann, nämlich die Marmorbüste des Bildhauers J. A. J. Falguière, befand sich bis zum Verkauf im Jahr 1951 auch noch ein Entwurf zum Denkmal Victor Hugos in der Sammlung.93 Das gezielte Sammeln französischer Kunst hatte in Wien im Jahr 1903 durch die in der Secession abgehaltene Ausstellung Die Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik einen wichtigen Impuls erfahren.94 Aus heutiger Sicht gilt sie als eine der bedeutendsten und als die erste didaktisch konzipierte Präsentation dieser Stilrichtung in Österreich. Gezeigt wurden Werke, die in jenen Jahren in Frankreich längst als selbstverständliches Gemeingut galten, während sie hier zu Lande auch danach ein historisches Phänomen blieben, das »in letzter Konsequenz […] nie angenommen wurde«.95 Vor allem waren es deutsche wie auch französische Kunsthändler und Sammler gewesen, die für diese Ausstellung Sachkenntnis sowie Werke zur Verfügung stellten.96 Zu nennen wären hier an erster Stelle die beiden Kunsthändlern und Förderer der Impressionisten Paul Cassirer in Berlin und Paul Durand-Ruel (1831– 1922) in Paris. Für das Gesamtkonzept waren der Kunsthistoriker Richard Muther (1860–1909) sowie der Kunstkritiker und Publizist Julius Meier-Graefe (1867–1935) verantwortlich gewesen. Meier-Graefe oblag die Einbettung von 51 Werken des Im93 Vgl. Ausstellungskatalog Sammlung Eißler Wien. Erster Teil. Alte und neue Meister mit Ausschluß der Österreicher, Wien Kunstsalon Pisko 20–29.3.1908, Wien 1908, Nr. 78; Verkauf an das Kunsthistorische Museum Wien. Abgabe 1987 an die Österreichische Galerie Belvedere; vgl. http://digital.belvedere.at/ emuseum/view/objects/asitem/search$0040/0?t:state:flow=13b9449c-34d8-4b31-b2e4-e41614836e6f (10.7.2013). 94 Ausstellungskatalog Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik, 16. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, Secession Jänner–Februar 1903, Wien 1903. 95 Marian BISANZ-PRAKKEN, Internationale Kunst in der Wiener Secession, in: Ausstellungskatalog Heiliger Frühling – Gustav Klimt und die Anfänge der Wiener Secession 1895–1905, Graphische Sammlung Albertina 16.10.1998–10.1.1999, Wien 1999, 162–196, hier S. 165. 96 Dazu der intensive Briefwechsel zwischen dem damaligen Präsidenten der Secession Wilhelm Bernatzik und dem Kunsthändler Paul Cassierer in Berlin, der in weiterer Folge den Kontakt zu Durand-Ruel herstellte. Vgl. Andreas NARZT, Der Briefwechsel Paul Durand-Ruels mit Wilhelm Bernatzik und Paul Cassirer, in: Ausstellungskatalog Wien–Paris. Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne 1880–1960, Wien 3.10.2007–13.1.2008, Wien 2008, S. 214–231.
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122 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner pressionismus in kunstgeschichtliche Zusammenhänge.97 Die Schau war als Verkaufsausstellung angelegt, erzielte jedoch in dieser Hinsicht wenig Erfolg. Außer einem Werk von Pissarro und einem Gemälde von Monet, die sich heute beide in der Österreichischen Galerie Belvedere befinden, wurde kein weiteres Werk verkauft.98 Auch bei Miethke präsentierte man in den nachfolgenden Jahren eine Reihe von Ausstellungen mit französischem Schwerpunkt. So schreibt Natter, dass »in der Dorotheergasse 11 […] die Klassiker der französischen Moderne öfter zu Gast als an jedem anderen Ort der österreichisch-ungarischen Monarchie« gewesen sind.99 Unter den Werken Éduard Manets, die ab dem 6. Mai 1910 in der Doppelausstellung Manet – Monet präsentiert wurden, befand sich auch die Ölskizze zu dem berühmten Gemälde Die Bar in den Folies Bergère sowie das Aquarell Der Guitarrespieler, die beide nach der Ausstellung von Hermann Eissler erworben wurden.100 Ein Jahr später wurde mit der Ausstellung Corot –Delacroix –Courbet der Frankreich-Schwerpunkt der Galerie fortgesetzt. Eissler scheint mit den erwähnten Skizzen Delacroix’ Gemetzel von Chios und jener für den Plafond der Galerie d’Apolleon im Louvre als Leihgeber auf und erwarb hier das Gemälde Die Gefangennahme Weislingens desselben Künstlers.101 In der Überblicksausstellung Französische Meister von Jänner bis Februar 1912 ergab sich für Eissler erneut die Möglichkeit, seine expandierende Sammlung um ein bedeutendes Gemälde zu bereichern.102 Es handelte es sich um Paul Cézannes (1839– 1906) Landschaftsbild Village derrière les arbres, das durch diesen Ankauf in eine Wiener Sammlung zurückkehrte.103 97 Vgl. Kolja KRAMER, Eine Dreiecksbeziehung für den französischen Impressionismus. Die Impressionisten- Ausstellung 1903 in der Wiener Secession, in: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst 2 (2001), S. 48-65, hier S. 51. In der Abteilung Anfänge und Entwicklung zeigte man Werke von Tintoretto, Rubens, Vermeer, El Greco, Velazquez, Goya, Delacroix, Corot und Daumier, gefolgt von den »großen Meister[n]« Manet, Monet, Renoir, Degas, Cézanne, Pissarro, Sissley, Morisot, Puvis de Chavannes, Carpeaux, Seurat, Rodin, Van Gogh, Toulouse-Lautrec, Vuillard, Bonnard, Denis, Vallotton, Roussel, Redon und Gauguin. Vgl. Paul RACHLER, Matthias BOECKL, Das Medium als Botschaft. Ausstellungen als Verbreitungsmotor von Ideen der Moderne, in: Ausstellungskatalog Wien«Paris 2007, S. 11–21, hier S. 13. 98 Vgl. NARZT 2007, S. 229. Bei dem Gemälde Monets handelte es sich um Fischer auf der Seine in Poissy. 99 NATTER 2003, S. 110. 100 Vgl. Ausstellungskatalog Manet-Monet, Wien Galerie Miethke 1910, Wien 1910, Nr. 3; Die Skizze zu Die Bar in den Folies Bergère wurde nach 1925 über die Kunsthandlung Gustav Nebehay an Paul Cassierer verkauft. Vgl. NEBEHAY 1983, S. 120 sowie Ausstellungskatalog Manet-Monet 1910, Nr. 8; vgl. auch NATTER 2003, S. 112–113. 101 Ausstellungskatalog Corot-Delacroix-Courbet, Wien Galerie Miethke Februar–1.3.1911, Wien 1911; NATTER 2003, S. 217. 102 Ausstellungskatalog Französische Meister, Wien Galerie Miethke Jänner–Februar 1912, Wien 1912. 103 Ursprünglich aus dem Besitz des Wiener Sammlers Oskar Bondy (1870–1944), kam der Cézanne über
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Abbildung 6.1.: Rudolf von Alt, Amtsschreiber von Kogl; 6.2.: Théodore Géricault, La folle; 6.3.: Francisco José de Goya y Lucientes, Bildnis Pedro Romano
1924 stellte Eissler ein Ausfuhransuchen für ein Selbstbildnis und ein Blumenstück Vincent van Goghs (1853–1890).104 Beide Bilder waren von der Galerie Marcel Bernheim in Paris für eine Van Gogh Retrospektive angefragt worden.105 Kurze Zeit später wurde das Porträt Van Goghs in der Ausstellung Die führenden Meister der französischen Kunst im neunzehnten Jahrhundert im Gebäude der Secession wieder gezeigt. Für diese erneut von Moll unter der Ägide der Museumsfreunde organisierte Ausstellung steuerte Hermann Eissler mit Abstand die meisten Werke bei. Neben dem Van Gogh waren aus seiner Sammlung unter anderem Théodore Géricaults (1790–1824), La folle, Auguste Renoirs (1841–1919), Lesende Mädchen, sowie eine ganze Reihe von Zeichnungen Jean-François Millets, Delacroix’ und Théodore Rousseaus sowie Tierbronzen von Louis Antoine Barye zu sehen.106 Ab dem Auftritt in der Secession im Jahr 1925 wurde damit begonnen, die Ausstellungsstücke wieder abzustoßen. 1938 sind nur mehr zwei Gemälde Courbets, Schweinemagd und Frauenkopf, Géricaults La folle und L’ordonnance, sowie Die Gefangennahme Weislingens von Delacroix und die beiden Skulpturen Rodins im Besitz Eisslers nachweisbar.107
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Paris und Berlin wieder nach Wien. Vgl. http://www.christies.com/lotfinder/paintings/paul-cezannevillage-derriere-les-arbres-ile-4935408-details.aspx (27.6.2013). BDA-Archiv, Ausfuhrakten, Kt. 7, GZ. 764/1924. Schreiben Hermann Eissler an BDA, 10.12.1924. Vgl. Ausstellungskatalog Exposition rétrospective d‘oeuvres de Vincent van Gogh (1853–1890), Galerie Marcel Bernheim 5.–24.1.1925, Paris 1925. Vgl. Ausstellungskatalog Die führenden Meister der französischen Kunst im XIX. Jahrhundert, 82. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, Secession März–April 1925, Wien 1925, S. 1–38. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 60, 60/3 Zentraldepotkartei/Sicherstellungskartei A–E, F–O, Hortense Eissler, Bertha Morelli.
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124 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Gottfried Eissler und die Miniaturen
Im Jahr 1923 war Gottfried Eissler als Vizepräsident der im selben Jahr gegründeten Gesellschaft der Bilder- und Miniaturenfreunde mit der Organisation der ersten geplanten internationalen Miniaturen-Ausstellung in Wien beschäftigt. Er selbst schreibt im Vorwort des Ausstellungskataloges, wie »wenig günstig die jetzige Zeit für Kunstausstellungen überhaupt, nun gar für eine solche von hochwertigen, kleinen Objekten fragilster Natur« genannt werden könne.108 Auch im organisatorischen Bereich taten sich Probleme auf. Anfänglich sollte die Ausstellung im Künstlerhaus, dem Vereinsgebäude der Genossenschaft bildender Künstler, präsentiert werden.109 Schlussendlich aber wechselte man in Räumlichkeiten der Albertina, und dies, obwohl die von der Genossenschaft gestellte Bedingung, »dass nur erstklassige Werke zu dieser Ausstellung gelangen« dürften, erfüllt gewesen wäre.110 Der Direktor der Österreichischen Galerie Belvedere Franz Martin Haberditzl (1882–1944) entrüstete sich in einem Schreiben an das Unterrichtsministerium, dass er ebenso wenig wie sein Kollege Bruno Grimschitz (1892–1964) im Ausstellungskomitee angeführt werden wollte: »Trotzdem figurieren unsere Namen ungehörigerweise auf dem Werbeplakat der Aussteller. Was mich anbelangt habe ich in einem Brief an den genannten Herrn [Gottfried Eissler, Anm. d. Verfasserinnen] die Abstellung dieser Ungehörigkeit verlangt.«111 Vermutlich hatte Eissler sich den Ärger der Galerieleitung zugezogen, als er diese bezüglich gewünschter Leihgaben vorerst übergangen und sich stattdessen direkt ans Unterrichtsministerium gewandt hatte. Schon im Jänner 1924 wurde die Galerie nämlich per Erlass des Ministeriums aufgefordert, »die Miniaturenausstellung durch Leihgabe von Objekten aus der Sammlung tunlichst zu unterstützen«.112 108 Gottfried EISSLER, Vorwort, in: Ausstellungskatalog Internationale Miniaturen-Ausstellung in der Albertina, Mai–Juni 1924, Wien 1924, S. II. 109 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, PM Gottfried Eissler, Nr. 355/1923. Schreiben Gottfried Eisslers an die Genossenschaft der bildenden Künstler, 19.10.1923. 110 Künstlerhaus Archiv im WStLA, PM Gottfried Eissler, o. GZ. Schreiben des Präsidenten der Genossenschaft der Bildenden Künstler an Gottfried Eissler, Oktober 1923. Gottfried Eissler war seit 1922 Teilnehmer des Künstlerhauses. 111 Archiv des Belvedere, GZ. 41/1924: Schreiben Haberditzl an HR Leisching, Bundesministerium für Unterricht, 15.4.1924. Im Vorwort des Ausstellungskataloges scheinen die Namen Haberditzl und Bruno Grimschitz nicht mehr im Aktionskomitee auf. Vgl. EISSLER 1924, S. X–XI. 112 Archiv des Belvedere, GZ. 41/1924. Schreiben Bundesministerium für Unterricht an die Direktion der Österreichischen Galerie, 18.1.1924; Schreiben Haberditzl an HR Leisching, 15.4.1924. Schlussendlich fungierte die Österreichische Galerie als Leihgeberin von drei Miniaturen und von zwölf Miniaturen Heinrich Fügers, ursprünglich aus dem Bestand der Akademie der bildenden Künste, die sich zum Zeitpunkt des Leihansuchens als leihweise in der Österreichischen Galerie befunden hatten.
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Insgesamt wurden in der Ausstellung von Mai bis Juni mehr als 1.600 Objekte gezeigt, die etwa zu einem Drittel aus öffentlichen Sammlungen stammten, während der größere Teil von Privaten, unter ihnen Gottfried Eissler, zur Verfügung gestellt wurde.113 Die Ausstellung enthielt Werke der englischen, französischen und deutschen Schule ab dem 16. Jahrhundert, wohingegen die österreichische Miniaturmalerei mit den Werken Heinrich Fügers (1751–1818) beginnend schwerpunktmäßig im dem 19. Jahrhundert angesiedelt war und hier neben den Miniaturen auf Elfenbein auch das Aquarellporträt hervorgehoben wurde. Eisslers Vorliebe für Miniaturen ist schon für das Jahr 1905 belegt. Im Katalog zu einer Ausstellung im Palais des k. k. Ministerrats-Präsidiums in der Wiener Herrengasse, schien Gottfried bereits als Leihgeber von mehr als 30 Objekten der ansonsten vorwiegend aus adeligem Besitz bestückten Miniaturen-Schau auf.114 Die Nachlassversteigerungen der Sammlung Gottfried Eissler
Am 25. Dezember 1924 war Gottfried Eissler im Sanatorium Auersperg an Krebs verstorben.115 Testamentarisch hatte er verfügt, dass seine Kunstsammlung wie auch seine Bibliothek zu Gunsten seiner Haupterben öffentlichen Versteigerungen zugeführt werden sollten, »falls nicht besondere Umstände dagegen sprechen, welche einen günstigen Verlauf der Auktion gefährden könnten«.116 »Den im Allgemeinen nur sehr beschränkten Kenntnissen der Wiener Auktionäre« misstrauend, und da seine Sammlung aus »heterogensten« Gegenständen zusammengesetzt sei, hatte er noch einige Firmen bestimmt, die für die Nachlassversteigerung herangezogen werden sollten.117 Für Eissler selbst hatte die Qualität seiner Sammlung »weder künstlerisch noch in Bezug auf Erhaltung« seinem Verständnis und seinen Ambitionen entsprochen: »Das 113 Vgl. Ausstellungskatalog Internationale Miniaturen-Ausstellung 1924, S. V–VII. 114 Vgl. Ausstellungskatalog Miniaturen-Ausstellung im Palais des k. k. Ministerrats-Präsidium Wien, I. Herrengasse 7, Wien 1905, S. 119–123. 115 Vgl. Todesfallsaufnahme, 14.1.1924. WStLA, Testament Gottfried Eissler GZ. A II 211/24. 116 In seinem am 19.9.1918 verfassten Testament und seiner Nachbesserung von 1921 setzte Gottfried Eissler die in London lebenden Kinder seines verstorbenen Bruders Bernhard (1864–1913) Claude William zu zwei Drittel seines Nachlasses und Norah zu einem Drittel seines Nachlasses als Erben ein. Ausgenommen davon waren Legate, die er zu Gunsten seines Bruders Hermann, der Österreichischen Staatsgalerie, seiner Schwestern, seiner Nichte Bertha und einiger Hausangestellter verfügte. Vgl. WStLA, Testament Gottfried Eissler GZ. A II 211/24. 117 Als geeignet befand Gottfried Eissler die Auktionshäuser Glückselig Ges.mbH und Ignaz Schwarz. WStLA, Testament Gottfried Eissler GZ. A II 211/24. Schlussendlich führten die Häuser Glückselig und Wawra und die Buch- und Kunstantiquariate Gilhofer & Ranschburg und Dr. Ignaz Schwarz die Versteigerungen durch.
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126 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner was mir wirklich genügt hätte, war mir leider unerreichbar, da ich mein Lebe[n]lang mit Geldmangel, Krankheit und anderen sehr ungünstigen Umständen kämpfte.«118 Auch von außen war der Blick kritisch. Zwar wurde neben ihrer »außerordentlichen Vielseitigkeit«, die Sorgfältigkeit der Sammlung hervorgehoben, »der man die Liebe, die Mühe und die Emsigkeit anmerkt, mit der ein unermüdlicher, begeisterter und doch skeptischer Kunstfreund Stück für Stück ausgewählt hat«.119 – Dennoch handle es sich um eine Sammlung ohne Originalität. »Das Letzte fehlt. – Gottfried Eissler vertrat einen Typus des Wiener Kunstliebhabers: Sehr viel Tradition, sehr viel Kultur, sehr wenig Selbstständigkeit«.120 Der Kunstschriftsteller Leo Grünstein (1876–1943) hingegen bezeichnete ihn als einen »ernsten und vollwertigen Kunstfreund«, für den »seine Sammeltätigkeit weniger eine Liebhaberei aus Veranlagung und Neigung, als eine planmäßige Fortbildung seines individuellen Geschmackes« bedeutet habe.121 Mit Erteilung der »abhandlungsbehördlichen« Bewilligung am 24. April 1925 fand schließlich am 6. und 7. Mai in den Räumen des Künstlerhauses die Versteigerung der Ölgemälde, Aquarelle, Miniaturen, Handzeichnungen und Kupferstiche durch das Versteigerungshaus C. J. Wawra sowie die Firma Glückselig Ges.m.b.H. statt. Schon im Vorfeld der Auktion wurden von Seiten mehrerer deutscher Museen Kaufabsichten für verschiedene Gemälde angemeldet. In einem Schreiben an die Österreichische Galerie bekundete der Direktor der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen Eberhard Hanfstaengel (1886–1975) Interesse an den Werken Pettenkofens, Waldmüllers, Romakos und Schindlers. Um »die Ware [nicht] unnötig zu verteuern« erbat er möglichst umgehend Nachricht, für welche Gemälde sich die Galerie selbst entschieden hätte. 122 Im Antwortschreiben gab man an, nur den Romako123 erwerben zu wollen und informierte Hanfstaengel dahingehend, dass die Galerie bereits ein anderes deutsches Museum bei der Auktion vertrete.124 118 WStLA, Testament Gottfried Eissler GZ. A II 211/24. 119 Norbert EHRLICH (Hg.), Gottfried Eissler, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 2 (15.1.1925) 17, S. 10–11, hier S.10. 120 Alfred KUHN (Hg.), Kunstchronik und Kunstmarkt 12 (20.6.1925), S. 227. 121 GRÜNSTEIN 1925, S. 7. 122 Archiv des Belvedere, GZ. 268/1925. Schreiben Hanfstaengel an Grimschitz, 29.4.1925. 123 Es handelte es sich um die Nr. 46 des Versteigerungskataloges: Anton Romako, Die Familie des Künstlers. Das Gemälde wurde um 4.880 Schilling von der Österreichischen Galerie angekauft. Die Hälfte der Summe wurde vom Verein der Museumsfreunde beglichen. Vgl. Archiv des Belvedere, GZ. 298/1925 in GZ. 268/1925. Abschrift Schreiben Schwarz an Hanfstaengl, 2.5.1925 und Abschrift Schreiben Haberditzl an Robert Hammer [Schätzmeister des Vereins der Museumsfreunde], 14.5.1925. 124 Nr. 49 des Versteigerungskataloges: Carl Schindler, Der Rekrut. »No 49 kaufte Dr. Schwarz vom Belvedere fuer das Germanische Museum, Nürnberg«. Annotation im Versteigerungskatalog Nachlass Gottfried
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Die Versteigerung erzielte trotz anhaltender wirtschaftlicher Stagnation das Ergebnis von 305.000 Schillingen (inklusiver der Aufschläge). Größten Anklang fanden Porzellane, von denen Eissler vor allem Erzeugnisse der Manufakturen Meißen, Sèvres Fürstenberg und der Wiener Porzellanmanufaktur besessen hatte, und kleine Silberobjekte, deren Schätzpreis in einzelnen Fällen um das Zwanzigfache überboten wurde.125 Unter den Ölgemälden, Aquarellen und Miniaturen erreichte nur eines den so genannten Friedenspreis,126 andere fanden ihrer hohen Qualität entsprechende Wertung unter den großteils Wiener Sammlern. Die Handzeichnungen und Grafiken blieben allerdings mehrheitlich hinter den Erwartungen zurück. Einige, wie die Dürerzeichnung Die Schächer und eine Landschaftszeichnung von Pieter Brueghel fanden keinen Abnehmer.127 Im Vergleich dazu nahm die durch die Buch- und Kunstantiquariate Gilhofer & Ranschburg sowie Dr. Ignaz Schwarz durchgeführte Versteigerung der Bibliothek, die als ein »Nebenergebnis einer ungemein weitausgreifenden, hauptsächlich auf bildende Kunst und Kunstgewerbe eingestellten Sammeltätigkeit« bezeichnet wurde,128 einen großartigen Verlauf. Eissler hatte seinen bibliophilen Schatz sukzessive seit 1902 aufgebaut und war pedantisch darauf bedacht gewesen, den einwandfreien Erhaltungszustand seiner Ankäufe zu sichern.129 Insgesamt wurden mehr als 2.000 Positionen im Katalog zur Auktion gelistet. Besonders bemerkenswert war die angehend 400 Posten umfassende Sammlung primärer und sekundärer Literatur von und zu Johann Wolfgang von Goethe. Darunter befand sich neben Goethes und seines Vaters juristischen Dissertationen, der so genannte Himburgsche Nachdruck, einer in Wien erschienen frühen Parallelausgabe der Goethe-Werke, sowie der Erstdruck der französischen Ausgabe des Faust mit Lithografien von Delacroix. Ansonsten bündelte sich, wie bei den
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Eissler. Gemälde, Aquarelle, Miniaturen, Plaketten, Silber, Keramik etc., Wien Mai 1925, S. 24 (Privatexemplar). Archiv des Belvedere, GZ. 268/1925. Abschrift Schreiben Schwarz an Hanfstaengl, 2.5.1925. EHRLICH 1925, S. 75. Hierbei handelte es sich um die Nr. 35 des Versteigerungskataloges: Joseph Kriehuber, Junger Mann. »Das einzige Object, das den val. Friedenspreis erzielte«. Annotation im Versteigerungskatalog Nachlass Gottfried Eissler. Gemälde, Aquarelle, Miniaturen, Plaketten, Silber, Keramik etc., Wien Mai 1925, S. 21 (Privatexemplar). KUHN 1925, S. 227. Nr. 145 und Nr. 137 des Versteigerungskataloges Nachlass Gottfried Eissler. Gemälde, Aquarelle, Miniaturen, Plaketten, Silber, Keramik etc., Wien Mai 1925, S. 39–40. Rudolf PAYER-THUN, Die Bibliothek Gottfried Eissler, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 17. Jahrgang Nr. 11, Wien, 1.6.1925, S. 83; Katalog der Bibliothek Gottfried Eissler: 1925, S. 1. Nr. 1 des Versteigerungskataloges. Norbert EHRLICH, Die Auktion der Eißler-Bibliothek, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 17 (1.8.1925) 15, S. 116–118, hier S. 116.
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128 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Bildern, das Interesse bei den Büchern im Österreich des 19. Jahrhunderts, was so unter anderem in einer umfassenden Liste von Werken der Hauptvertreter des »Jungen Wien« um Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) zum Ausdruck kam, jenen Künstlern deren Generation die Eissler-Brüder ebenfalls angehörten. Gottfrieds Sammeltätigkeit auf dem Gebiet der bildenden Kunst wurde durch eine Reihe von seltenen Vorzugsausgaben unterstützt, so etwa durch das Tafelwerk von Leischnig zur Bildnis-Miniatur in Oesterreich.130 Sämtliche Werke erzielten ein Mehrfaches des valorisierten ursprünglichen Ankaufspreises.131 Durch den Wegfall zweier Standbeine – den Miniaturen sowie der Bibliothek – wurde das Gesamtbild der Sammlung Eissler entscheidend verändert. Hermann Eissler und der Staat
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich bei Hermann Eissler neben seiner beruf lichen Tätigkeit als Holzunternehmer und seinem intensiven Engagement als Sammler für Kulturpolitik interessiert. Ab 1913 war er Mitglied des 1912 gegründeten Österreichischen Staatsgalerie Vereins, der sich »die Pflege des heimischen Kunstsinnes durch planvolle Förderung der unter öffentlicher Aufsicht stehenden Sammlungen« zum Ziel gesetzt hatte.132 Mit dem Ende der Monarchie weitete der Verein sein Aufgabenfeld auf die übrigen inzwischen staatlich gewordenen Museen aus und benannte sich in Verein der Museumsfreunde Wien um. Eissler gehörte dem Vorstand und der Ankaufskommission des Gremiums an. Das Kunstspektrum, das die Museumsfreunde mit den von ihnen unterstützten Museen abdeckten, war in seiner Bandbreite dem Eissler’schen Kunstbesitz nicht unähnlich.133 Allerdings werde man, so Hans Tietze, im Unterrichtsministerium mit der Umgestaltung der Museen betraut, 130 GILHOFER & RANSCHBURG, Ignaz SCHWARZ (Hg.), Katalog der Bibliothek Gottfried Eissler: Erstausgaben deutscher Literatur des 16. bis 20. Jahrhunderts, eine umfangreiche Goethe-Sammlung, Luxusdrucke, Kunstpublikationen in Vorzugsausgaben, Wien 1925. 131 EHRLICH 1925, S. 116. 132 Österreichischer Staatsgalerie Verein in Wien. Bericht über das II. Vereinsjahr 1913, Statuten, Wien 1914, S. 31. 133 Aber nicht nur das Spektrum der Museen wurde erweitert sondern man war bemüht gewesen, auch dem veränderten sozialen Gefüge der Republik Rechnung zu tragen und »der bedenklich zusammenschrumpfenden Anzahl reicher Gönner eine Mitgliederkategorie mit geringen Beiträgen an die Seite zu setzen, die sich aus einer viel breiteren gesellschaftlichen Schichte immer neu rekrutierte«. Felix Oppenheimer, 25 Jahre Vereinsarbeit für öffentliche Kunstsammlungen, Wien 1936, S 9. Laut Tätigkeitsbericht der Jahre 1928–1930 fand sich Hortense Eissler dann auch unter den Hunderten Mitgliedern wieder, während Bertha Munk zu den exklusiveren Stiftern zählte und Hermann Eissler sowohl Stifter als auch Vorstandsmitglied war.
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in einer Hinsicht [….] immerdar arm und zweitrangig bleiben müssen, eine vollgültige moderne Galerie, die die Entwicklung der europäischen Malerei vom Beginn des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart in ihren Hauptzügen zu verfolgen gestatten würde, werden wir niemals haben können, hauptsächlich, weil es nicht möglich sein wird, die französische Malerei, die in diesem Zeitraum die Führung innehat, in entsprechenden Beispielen vertreten zu haben.134
Tietze verwies auf den Privatsammler Eissler, dank dessen französischer Kollektion es zumindest im Ansatz gelungen wäre, staatliche Versäumnisse und Lücken zu schließen.135. In Bezug auf Malerpersönlichkeiten wie El Greco und Goya, deren Werk in der Entwicklung der modernen Kunst eine Schlüsselrolle zukommt, aber vor allem hinsichtlich der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts bemühte sich Eissler – angesichts hoher Weltmarktpreise und unter Nutzung seiner ausgezeichneten Kontakte zu internationalen Händlern –, etwa für die Österreichischen Galerie Belvedere günstige Konditionen für mögliche Ankäufe auszuhandeln beziehungsweise durch längerfristige Leihgaben dem Wiener Publikum den Blick auf international bedeutende Werke seiner eigenen Sammlung zu ermöglichen.136 Als Beispiel sei bereits das erwähnte Gemälde von Delacroix Die Gefangennahme Weisslingens genannt, das von Eissler der Galerie des 19. Jahrhunderts im Oberen Belvedere (Österreichische Galerie Belvedere) für die Dauer eines Jahrs als Leihgabe zur Verfügung gestellt worden war. Nachdem zwei Jahre vergangen waren, forderte er das Bild schließlich von der Galerie zurück: Ich bin bereit, Ihnen an Stelle dieses Bildes das Bildnis Napoleons von Géricault als Leihgabe für die Dauer von zwei Jahren zu überlassen. Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen schliesslich die Versicherung geben, dass ich an einen Verkauf des Weisslingen durchaus nicht denke und dass ich nur dieses schöne Bild nach so langer Abwesenheit wieder zu Hause haben möchte, weil es eine fühlbare Lücke meiner Sammlung ausfüllen soll.
schrieb Eissler an Franz Martin Haberditzl, den Direktor der Galerie im Belvedere.137 Außer der Gefangennahme Weisslingens besaß Eissler von Delacroix noch ein weiteres
134 TIETZE 1920, S. 133–134. 135 TIETZE 1920, S. 134. 136 Vgl. Monika MAYER, Museen und Mäzene, »Jüdisches Mäzenatentum und die Österreichische Galerie 1903 bis 1938», in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012, 19–35; Archiv des Belvedere, GZ. 694/1924. 137 Archiv des Belvedere, GZ. 208/1928. Schreiben Hermann Eissler an Franz Martin Haberditzl, 12.4.1928.
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130 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Gemälde (»ein kleines Löwenbild«) und einige »jener saftig lavierten Löwenskizzen« sowie von Géricault gleich drei Gemälde, darunter erwähntes Spätwerk La Folle in seiner Sammlung.138 Über all die Jahre stellte Eissler vor allem für die von den Museumsfreunden organisierten Ausstellungen eine Vielzahl an Leihgaben zur Verfügung. Die Künstler Waldmüller und Alt nahmen dabei eine immer wichtigere Stellung ein. Mussten für interessante Exponate hohe Versicherungssummen aufgebracht werden, sprang er mit seinem Privatvermögen ein. So wäre es einem ausländischen Leihgeber an der »Garantie eines angesehenen Privatmanns, wie z. B. Dr. Eissler« gelegen, der sich gegebenenfalls bereit erklären würde, »im Fall der Beschädigung die Summe zu erlegen und das Bild zu behalten«, informierte der Kunstkritiker Meier-Graefe seinen Freund Moll, als diese gemeinsam die Ausstellung französischer Kunst des 19. Jahrhunderts vorbereiteten.139 Im Rahmen seiner Tätigkeit für den Verein der Museumsfreunde veranstaltete Eissler außerdem Führungen durch die eigene Sammlung.140 Ein wenig überrascht es, ihn, der in seiner eigenen Sammlung weder das Fin de siècle noch die große Wende in der Kunst um 1910/11 mit vollzogen hatte (soweit ersichtlich, besaßen Hermann und Fritz Eissler weder einen Kokoschka noch irgendeinen prominenten Vertreter der französischen Malerei des 20. Jahrhunderts) ab dem Jahr 1923, im Vorstand der von Tietze gegründete Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien anzutreffen, die sich dezidiert die Etablierung moderner und modernster Kunstrichtungen zum Ziel gesetzt hatte.141 Eissler begleitete die Aktivitäten der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst von Beginn an und bis zu deren Auflösung im Gefolge der Etablierung des austro-faschistischen Ständestaats im Jahr 1933. Tietze war es vermutlich auch gewesen, der Eissler in die im Jahr 1919 im Unterrichtsministerium eingerichtete Museumskommission optiert hatte. Die Aufgabe dieser Kommission war, Tauschaktionen und Abverkäufe von Kunstwerken durch die staatlichen Museen zu überprüfen und sowohl gegenüber der alliierten Reparationskommission als auch vor der Öffentlichkeit kompetent zu vertreten.142 138 Tietze 1920, S. 137. 139 Catherine KRAHMER (Hg.), Julius Meier-Graefe. Kunst ist nicht für Kunstgeschichte da, Göttingen 2001, S. 256. Schreiben Julius Meier-Graefe an Carl Moll, 12.1.1925. 140 Verein der Museumsfreunde Wien, Tätigkeitsbericht 1925–1927, Wien 1928, S 7. 141 WStLA, Vereinsarchiv, Kt. 1923, Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien, Statuten und Protokoll der konstituierenden Versammlung am 23.2.1923. 142 ÖStA/AVA Unterricht, 1923, Nr. 10.832, Protokoll über die am 15.6.1923 abgehaltene Sitzung in Angelegenheit der Änderung des Regulatives für die kommissionelle Prüfung musealer Transaktionen. Der zweite renommierte Sammler in der Kommission war Stefan Auspitz.
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1937 trat Eissler ein letztes Mal als Leihgeber für eine Großausstellung in Erscheinung, die mehr als eine Leistungsschau der Kunst zu sein, dem damals in seiner Existenz bereits stark bedrohten Staat vor der europäischen Öffentlichkeit Legitimation verleihen sollte, und wieder waren es Werke Ferdinand Georg Waldmüllers, die aus der ehemals bedeutenden Kollektion Hermann Eisslers bei der Exposition d‘art autrichien im Musée du Jeu de Paume des Tuileries zu sehen waren.143 Die Auflösung der Sammlung Hermann Eissler
Hermann Eissler ging noch eine späte Ehe ein. 1929 heiratete er die um 35 Jahre jüngere Hortense Kopp (1895–1983), »Horti« genannt, Tochter des Bürgermeisters der niederösterreichischen Gemeinde Wimpassing. Für sie war er 1927 zum katholischen Glauben übergetreten.144 Näher gekommen waren die beiden einander, als Hortense während mehrere Jahre Gouvernante von Eisslers Enkelsohn Peter (1918-?) gewesen war. Die Beziehung zwischen Bertha Munk und ihrer etwas jüngeren Stiefmutter blieb, wohl aufgrund jener Vorgeschichte, spannungsreich.145 Auch dürften in Hermanns neuer Partnerschaft Bilder nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Eine Episode allerdings verdient, hervorgehoben zu werden: 1929 – anlässlich des ersten gemeinsam verbrachten Weihnachtsfests – überraschte Hermann Horti mit einem Gemälde von El Greco unter dem Christbaum.146 Bei einem versierten Sammler und Kenner, wie Eissler es gewesen ist, mögen bei solch einem sentimentalen Akt auch Erinnerungen an eine Zeit der heftigen kunsthistorischen Debatten und der spektakulären Neubewertung jenes Künstlers in den 1910er Jahren des 20. Jahrhunderts mitgespielt haben.
143 Ausstellungskatalog Exposition d‘art autrichien, Musée du Jeu de Paume des Tuileries, Mai–Juni 1937, Paris 1937. 144 Auskunft J. P. an die Verfasserinnen, 16.9.2013. Getraut hatte das Paar der katholische Geistliche und leidenschaftliche Alpinist, Prälat Alois Wildenauer (1877–1967). J. P. sei an dieser Stelle dafür gedankt, dass er sein Wissen über die Familie Eissler weitergegeben hat. 145 Von Herbst 1921 bis Februar 1925 hatte Hortense Kopp bei der damals bereits geschiedenen Bertha Munk und deren Sohn Peter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. WStLA, Meldearchiv, Auskunft vom 11.6.2013. Vgl. dazu auch ÖStA/AdR 03 BMfU, Sammelmappe 311, Zl. 60 522-II/1/65. Sachverhaltsdarstellung Demus. 146 Privatbesitz Wien, Notiz Hermann Eissler an Hortense Eissler vom 24.12.1929. Sehr wahrscheinlich handelte es sich dabei um das in der Wohnungsanforderung als »Cruzificus« bezeichnete Gemälde El Grecos. Vgl. BDA-Archiv, Wohnungsanforderungen Kt. I, II. Bezirk, GZ. 1987/1920. Nach dem Krieg verkaufte Hortense Eissler das Bild in die Schweiz und konnte mit dem Erlös ihren Lebensunterhalt aufbessern. Auskunft J. P. an die Verfasserinnen, 16.9.2013.
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132 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Eissler richtete sein Leben neu aus. Mit Hortense bezog er einen Landsitz im niederösterreichischen Kleinzell, einer reizvollen voralpinen Gegend rund 80 Kilometer von Wien entfernt und kehrte somit in seine romantische Bergwelt zurück. Zum Gut gehörten eine kleine Landwirtschaft sowie ein Jagdforst, der ideale Ort für diesen temperamentvollen alten Mann, seinen Lebensabend zu genießen.147 In den Erinnerungen an die Geschäftstätigkeiten seines Vaters schreibt der Kunsthändler Christian Nebehay, dass das Eissler’schen Holzunternehmen im Gefolge des Ersten Weltkriegs große Gewinneinbrüche erlitten hätte.148 Mit den veränderten persönlichen Interessen hatten sich vermutlich auch die finanziellen Mittel zum weiteren Ausbau der Sammlung letztlich erschöpft. Das Ende
Mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 geriet die Eissler’sche Bilderwelt noch einmal in Bewegung. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft war Eissler zur Flucht ins Ausland gezwungen. Noch während seiner Anwesenheit in Wien erfolgte im Jänner 1939 auf Antrag der Denkmalbehörde eine erste Sicherstellung der Sammlung durch das Wiener Magistrat. Zwar verblieben die prominenten Stücke weiterhin an »Ort und Stelle«, das heißt bei den Eigentümern, eine Ausfuhr wurde damit jedoch verhindert.149 Die familieninterne Aufteilung zwischen Tochter und Stiefmutter jenes sichergestellten Teils hatte davor, im Dezember 1938, höchstwahrscheinlich noch unter der Ägide Eisslers stattgefunden.150 Somit konnte man ei147 Hermann Eissler wurde im gleichen Jahr Eigentümer der Liegenschaft Cumberlandstraße 59b, die er an seine Tochter weitergab, und des Landguts in Kleinzell. Beide Objekte hatten einer Karoline Civic später verheiratete Wöber gehört. Durch ein den Verfasserinnen nicht bekanntes Gerichtsverfahren waren sie Hermann Eissler zugefallen. Vgl. dazu Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk, Bezirksgericht Hietzing, Zl. 1743/29, Anerkenntnisurteil GZ. Cg. 299 und 301/29; EZ 1683. 148 NEBEHAY 1983, S. 120. 149 »Da es sich im vorliegenden Falle um Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung handelt, und die Gefahr der einer Verbringung dieser Gegenstände ins Ausland entgegen den Bestimmungen des § 1 des Ausfuhrverbotsgesetzes besteht, erfolgt auf Antrag der Zentralstelle für Denkmalschutz im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten die Sicherstellung der oben angeführten Gegenstände und die Übernahme in die Verwahrung eines öffentlichen Museums.« BDAArchiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 41/1, PM Bertha Morelli, Zl. 4988/Dsch/39, fol. 67. Durchschlag des Sicherstellungsbescheides MA2/8294/38. Der Zahl der vor Ort sichergestellten Objekte, entsprach jedoch sicherlich nicht der Anzahl an Kunstwerken, die sich zu jener Zeit noch im Eissler’schen Besitz befunden haben. 150 Ab Mai 1940 verschärfte sich die Gangart der Denkmalbehörde zu der offenbar Unstimmigkeiten zwischen Bertha Morelli und Hortense Eissler den Anlass geliefert hatten. Eine notariell beglaubigte Feststellung der Eigentumsverhältnisse an den Kunstgegenständen wurde gefordert, da ansonsten mit einer
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ner absehbaren Arisierung zumindest vorbeugen. Hermann Eissler galt damit offiziell nicht mehr als Eigentümer seiner Sammlung. Zunächst hatten Hermann und Hortense daran gedacht, gemeinsam über Budapest in das kleine mittelamerikanische Nicaragua auszuwandern. Zu diesem Zweck hatten sie die nicaraguanische Staatsbürgerschaft angenommen. Doch dann entschlossen sie sich zur Ehescheidung. So konnte neben den Kunstwerken auch das Gut in Kleinzell in Hortenses Hände übertragen und vor dem Zugriff der Nationalsozialisten geschützt werden.151 Ungefähr zur gleichen Zeit ging Tochter Bertha Munk eine Scheinehe mit dem nichtjüdischen Budapester Rechtsanwalt Josef Morelli ein, Sohn des ehemaligen Direktors der königlich ungarischen Kunstgewerbeschule. Dabei war neben ihrer persönlichen Sicherheit und der ihres Sohnes Peter ebenfalls der Erhalt ihres Anteils am Bildererbe im Vordergrund gestanden.152 Den Krieg überdauerte Hermann Eissler versteckt in Südfrankreich.153 Möglicherweise war es ihm durch Bilderverkäufe gelungen, sein Überleben zu sichern. Im Mai 1939 hatte Hortense Eissler zum Beispiel unter ihrem Mädchennamen Kopp um die Ausfuhrbewilligung für eine als Geschenk deklarierte Plastik Köpfchen mit Locken angesucht. Als Empfänger wird A. Neupert, Bahnhofstraße 1, Zürich angeführt. Die Adresse des Züricher Kunsthändlers Albert Neupert erscheint gelegentlich auch als Postadresse Hermann Eisslers auf.154 Hortense Eissler hielt sich in jenen Jahren weiterhin in der Eissler’schen Familienwohnung in Wien sowie auf dem Landgut in Kleinzell auf.155
Verbringung der Objekte in die Räumlichkeiten des Denkmalamts zur rechnen wäre. 151 WStLA, Akten des LG für ZRS Wien: 25 Cg 199/39, S. 11. Aufhebung der Ehe zwischen Hortense und Dr. Hermann Eissler 31.8.1939. 152 Bezirksamt für den 13. u. 14. Bezirk, Bezirksgericht Hietzing, Zl. 800/39: Abschrift der Originalheiratsurkunde vom 21. November 1938, datiert 14.3.1939. WStLA, Akten des LG für ZRS, 39 d Cg 147/71, S. 6: Aussage Hortense Eissler vom 12.10.1971, Berta Morelli hat im Jahre 1939 [sic!] einen ungarischen Rechtsanwalt geheiratet, den wir dafür gut bezahlt haben. 153 ÖStA/AdR 03 BMfU, Sammelmappe 311, Zl. 4413/65. Gesuch Hortense Eissler an BM Theodor PifflPerčević o. D. 154 WStLA, Akten des LG für ZRS Wien, 25 Cg 199/39. Aufhebung der Ehe zwischen Hortense und Dr. Hermann Eissler am 31.8.1939. 155 Zu den Rückstellungsverfahren ebenfalls BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Hortense Eissler bzw. Bertha Morelli. Zur Behandlung des Falls durch die aktuelle Provenienzforschung siehe http://www.provenienzforschung.gv.at/index.aspx?ID=24&LID=1#C_E (26.6.2013).
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134 Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner Nach dem Krieg heirateten Hermann und Hortense ein zweites Mal.156 Hermann Eissler kehrte 1948 nur mehr zu einem Kurzbesuch nach Wien zurück, um bei dieser Gelegenheit die Ausfuhr der ihm und Hortense verbliebenen Kunstwerke nach Nizza mit der Denkmalbehörde zu regeln.157 Er verstarb 1953 93-jährig in Nizza.
Abbildung 7: Hermann Eissler in Nizza
156 Privatbesitz Wien, Certificat de Célébration civile, Mairie de Nice, 9.7.1951. Die nikaraguanische Staatsbürgerschaft beider war noch aufrecht, als die beiden am 9.7.1951 erneut heirateten. 157 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 41/1, PM Bertha Morelli, GZ. 1838/49. Abschrift Schreiben BDA an RA Zörnlaib, 5.4.1949.
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Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen Pia Schölnberger
Der vertuschte Voreigentümer
Provenienzrecherchen zu einem Aquarell des österreichischen Malers Josef Kriehuber mit dem Titel Bildnis eines Herren (Abb. 1) waren das auslösende Moment für die Suche nach der Kunstsammlung des Wiener Theatermannes Emil Geyer. Nachdem sich das Blatt unter den im Salzbergwerk Aussee gelagerten Beständen des letztlich nie realisierten »Führermuseums« befunden hatte, stellte das Bundesdenkmalamt nach dem Krieg Nachforschungen zu seinem Vorbesitzer an. Im Vordergrund stand bei derartigen Umfragen vor allem die Frage nach den jeweiligen Herkunftsländern, in welche die Abbildung 1: Josef Kriehuber, Bildnis eines einzelnen Werke (zurück-)gebracht werden Herren, Aquarell (1837) sollten. Das Wiener Dorotheum, wo Kriehubers Aquarell 1943 zur Versteigerung eingebracht worden war, machte als Vorbesitzerin Gabriele Gross namhaft, die gegenüber dem Denkmalamt angab, sie habe es »1939 von Dr. Emil Geyer, zuletzt wohnhaft in Wien I. Krugerstraße 5, erworben«.1 Als Zeugen für die Richtigkeit ihrer Behauptung nannte Gross »Dr. Georg Saiko an der staatl. graphischen Sammlung ALBERTINA.«2 Dieser fügte ihren Angaben den handschriftlichen Vermerk bei: »Ich bestätige die obigen Angaben. Mein Freund Dr. Emil Geyer wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und, wie ich in Erfahrung brachte, einige Wochen später im KZ Mauthausen ›auf der Flucht
1 2
Gabriele Gross an das Bundesdenkmalamt, 8.11.1947, Archiv des BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 36/3, PM Gabriele Groß, Zl. 6594/47. Saiko selbst bevorzugte die internationale Form seines Vornamens, George. Diese Schreibweise wird auch im vorliegenden Beitrag verwendet.
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136 Pia Schölnberger erschossen‹.« 3 Diese Provenienzangabe entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Es ist vielmehr belegt, dass sich das Aquarell spätestens seit den frühen 1930er Jahren in der Sammlung des Wiener Juristen Josef Blauhorn und dessen Frau Auguste befunden hatte, die – wie Geyer – aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurden. Ihnen gelang Anfang 1939 gemeinsam mit ihren Söhnen die Flucht nach London. Ihre annähernd 190 Objekte umfassende Kunstsammlung wurde – nach langwierigen Verhandlungen ihres Anwalts Hans Dechant mit der Wiener GESTAPO – beschlagnahmt und ist bis heute, nachdem Abbildung 2: Josef Kriehuber, Bildnis der Gatsich eine Reihe unterschiedlicher Personen tin und Tochter des Künstlers, Aquarell, Bleistift und NS-Behörden daran bereichert hatten, (1838) zu einem großen Teil nicht mehr auffind4 bar. Erst kürzlich konnte das seit Oktober 1948 von der Familie Blauhorn5 gesuchte Aquarell Selbstportrait von Kriehuber, das sich ab 1963 unter der Bezeichnung Bildnis eines Herren in der Albertina befand, als aus dieser Sammlung stammend identifiziert und restituiert werden. Ein Käufer für den Sonderauftrag Linz hatte das Werk 1943 von Gross über das Dorotheum für das Linzer Kunstmuseum erworben, aus dessen Beständen es nach dem Krieg in die Albertina gelangt war. An die Rechtsnachfolger_innen nach Josef Blauhorn zurückgegeben wurde zudem eine weitere Kriehuber-Zeichnung, Gattin und Tochter des Künstlers (Abb. 2),6 die – ebenfalls im Jahr 1943 – von einer Frau namens Luise Winter direkt an die Albertina verkauft worden war. 3 4
5 6
George Saiko, Handschriftlicher Vermerk auf dem Schreiben von Gabriele Gross an das Bundesdenkmalamt, 8.11.1947, Archiv des BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 36/3, PM Gabriele Groß, Zl. 6594/47. Vgl. hierzu Anita STELZL-GALLIAN, Der Fall Blauhorn: Das Schicksal einer Sammlung, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 360–374. Rückstellungsantrag, Karl M. und Georg Blauhorn, Gusti Bienenfeld, 14.10.1948, ÖStA/AdR E- u. Reang., Finanzlandesdirektion Ö-73, Josef Blauhorn, M. II. Beschluss des Kunstrückgabebeirates vom 3.5.2013, unter http://www.provenienzforschung.gv.at/index. aspx?ID=25&LID=1 (1.8.2014).
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Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen
Bei den beiden Frauen, die die Kriehuber-Zeichnungen veräußert hatten, handelte es sich um Mutter und Tochter, die zum Zeitpunkt des Verkaufs auch in derselben Wohnung im achten Wiener Gemeindebezirk lebten. Gabriele Gross wurde 1895 als Tochter von Moritz Johann und Luise Winter geboren, die ihrerseits miteinander den fotografischen Betrieb von Luises Vater, dem k. u. k. Hof-Photographen Victor Angerer, nach dessen Tod im Jahr 1894 übernommen und bis 1915 weitergeführt hatten. Mit dem von ihr namhaft gemachten Zeugen für die zuvor zitierte Aussage von 1947, dem österreichischen Schriftsteller George Saiko, unterhielt Gabriele Gross seit Mitte der 1930er Jahre eine Liebesbeziehung.7 Entgegen bisher veröffentlichten biografischen Darlegungen muss Saikos Haltung in Bezug auf den Nationalsozialisums als durchaus widersprüchlich bezeichnet werden. Nachdem der langjährige Kurator der Albertina Benno Fleischmann im Dezember 1938 beurlaubt und wenige Monate darauf schließlich aus »rassischen« Gründen in den Ruhestand versetzt worden war, trat der promovierte Kunsthistoriker Saiko »über persönlichen Auftrag des Herrn Staatssekretärs Dr. Kajetan Mühlmann«8 an seine Stelle. Dass Saiko diese Anstellung, wie er später angab, »wahrlich nicht freiwillig«9 angenommen hätte, ist jedoch nicht belegbar. In seinem Personalakt finden sich dagegen Aussagen, in denen er mit Hinweis auf seine sudetendeutsche Herkunft seine nationale Einstellung betonte.10 Auch die Behauptung, er hätte »Jella« – so Gabrieles Rufname – »beschützt«, weil sie Jüdin gewesen sei11 und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihre leitende Position im Gremium der Wiener Kaufmannschaft verloren habe,12 ist nicht verifizierbar. Ga-
7
Zu diesem Zeitpunkt hatte Saiko zwar bereits eine Beziehung mit seiner späteren Ehefrau, der AlbertinaMitarbeiterin Magdalena Junk, begonnen, er kümmerte sich jedoch um Gabriele Gross bis zu deren Tod im Jahr 1957. In einem Brief an Heinz Hartmann schreibt er von einem »Dreigespann«, bestehend aus ihm, der um 24 Jahre jüngeren Magdalena Junk sowie Gabriele Gross als seiner »(mehr als zwanzig Jahre lange[n]) Zuggenossin«. Brief Nr. 105, George Saiko an Heinz Hartmann, 29.12.1957, in: George SAIKO, Briefe. Hg. v. Adolf HASLINGER, Salzburg-Wien 1992, S. 221. In Gabrieles Nachlasspapieren ist Saiko ebenfalls als ihr Lebensgefährte angeführt. WStLA, Verlassenschaftssache Gabriele Gross, 8A 949/57. 8 Der kommissarische Leiter der Albertina, Anton Reichel, an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 19.5.1939, ÖStA/AdR BMU, PA George Saiko. 9 Adolf HASLINGER, George Saiko, Schriftsteller. Eine biographische Skizze, in: SAIKO 1992, S. 347– 363, hier S. 356. 10 George Saiko, Aus meinem Lebenslauf, ÖStA/AdR BMU, PA George Saiko. 11 Jürgen SERKE, Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft, WienHamburg 1987, S. 450–451. 12 Vgl. Michael HANSEL, George Saiko oder: Die Wirklichkeit hat doppelten Boden, Wien 2010, S. 44. Vgl. auch SAIKO 1992, S. 30, Fn. 1, sowie HASLINGER 1992, S. 360. Gabrieles Pensionierung hing möglicherweise mit ihrer Multiple Sklerose-Erkrankung zusammen, die sie auch zu häufigen Aufenthalten in verschiedenen Sanatorien zwang. Vgl. SAIKO 1992, S. 163, Fn. 3.
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138 Pia Schölnberger briele wurde ebenso wie ihre Verwandten in sämtlichen auffindbaren Dokumenten als römisch-katholisch geführt. Allerdings war ihr Exmann Paul Gross, von dem sie sich 1934 scheiden hatte lassen, als »mosaisch« in Wien gemeldet gewesen. Ihm gelang im März 1939 offenbar die Flucht in die USA.13 Ebenso konnte kein Beleg für die Angabe gefunden werden, dass Saiko zwar emigrieren wollte,14 jedoch sein bereits erworbenes Affidavit »an einen gefährdeten jüdischen Freund« weitergegeben habe.15 Dies erscheint nicht zuletzt aufgrund der Tatsache unmöglich, als es sich hierbei um personalisierte und damit keinesfalls übertragbare Dokumente handelte. Schwer wiegt zudem Saikos Behauptung, er hätte sich geweigert, der Reichsschrifttumskammer beizutreten, und wäre von dieser mit Schreibverbot belegt worden.16 De facto war er jedoch RSK-Mitglied und galt als politisch »einwandfrei«.17 Fest steht jedoch auch, dass Saiko, der viele als jüdisch geltende Freunde wie den Schriftsteller Hermann Broch hatte, sich in der NS-Zeit mit Aussagen und Veröffentlichungen zurückhielt, weshalb die Behauptung, er sei in diesen Jahren in die »innere Emigration« gegangen,18 nicht von der Hand zu weisen ist. In den Monaten kurz vor Kriegsende hatte Saiko, der eine führende Rolle bei der Bergung der Kunstwerke der Albertina spielte, gemeinsam mit Heinrich Leporini die kommissarische Leitung des Museums inne. Während dieser Zeit hatte er sich offenbar der österreichischen Widerstandsgruppe O5 angeschlossen, wovon eine Art Ausweis sowie ein Schutzbrief der O5 aus Saikos Nachlass zeugen.19 Die Bergungstresors der Albertina standen nach Kriegsende unter dem Schutz der österreichischen Widerstandsbewegung, die Saiko als Bergungsleiter akzeptierte.20 13 Auswanderungsfragebogen Paul Gross, Archiv der IKG Wien, Bestand Jerusalem, A/W 2589, 94. 14 Laut seiner späteren Ehefrau Magdalena Saiko soll er geplant haben, gemeinsam mit seinem Freund Siegfried Geyer das Land zu verlassen. Dieser war wie zuvor Emil Geyer Theaterdirektor in der Josefstadt gewesen, und auch er wurde später von den Nationalsozialisten ermordet. Die Namensgleichheit ist zufällig. 15 Vgl. George Saiko. Zum 100. Geburtstag des Dichters. Ausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek im Palais Palffy Josefsplatz 6, 4.2.–1.3.1992, S. 41–42; Serke 1987, S. 450–451. 16 Saiko bezeichnete sich selbst als »banned by the Nazis«. George Saiko an Mary B. Underwood, 7.12.1946, ÖNB, Literaturarchiv, NL George Saiko, Zl. 86/B7. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Michael Hansel für die freundlichen Auskünfte zum Nachlass Saiko. 17 Die Landesleitung Wien, Gruppe Schriftsteller, stellte lediglich den Antrag, ihn »[m]it Rücksicht auf den geringen Umfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit« von der Mitgliedschaft zu befreien. Landesleitung Wien, Gruppe Schriftsteller, an die Reichsschrifttumskammer, 13.7.1939, Bundesarchiv Berlin, RKK, R9361V/33142. 18 Jeannie EBNER, Hermann Broch und George Saiko, in: Literatur und Kritik 54/55 (1971), S. 262–270, hier S. 262. 19 ÖNB, Literaturarchiv, NL George Saiko, Zl. 86/L9, L10, abgedruckt bei Hansel 2010, S. 229, 231. S. a. Renate S. POSTHOFEN, Treibgut. Das vergessene Werk George Saikos (= Literatur und Leben 46), Wien-Köln-Weimar 1995, S. 73. 20 George Saiko an das Bundesministerium für Unterricht, o.D., ÖStA/AdR BMU, 15B1, Zl. 2416/47, fol. 0622.
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Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen
Abbildung 3: Emil Geyer mit seinen Studierenden vor dem Schönbrunner Schlosstheater, ca. 1930
Im Dunkeln bleiben muss, weshalb Gabriele Gross und George Saiko fälschlicherweise den Theaterregisseur Emil Geyer als Voreigentümer des Kriehuber-Aquarells angaben. Zweifelsohne kannten die beiden Männer einander – laut seinem Schwiegersohn Paul Singer hatte Geyer den Schriftsteller sogar finanziell unterstützt, als dieser an seinem ersten großen Roman arbeitete.21 Dass Gross in ihrer Zeugenaussage die Krugerstraße 5 als Geyers letzte Wohnadresse angab, deutet auch darauf hin, dass sie und Saiko bis zuletzt mit diesem in Verbindung gestanden sein dürften. Denn unter dieser Adresse befand sich eine Sammelwohnung, in die Geyer Ende Juli 1941 gemeinsam mit seiner Schwester Jeanette und deren Ehemann Otto Richard Herrmann übersiedeln musste. Als die Transporte von Wien in Richtung der Massenvernichtungsstätte Maly Trostinec bei Minsk im Mai des darauffolgenden Jahres begannen, entschlossen sich die drei zur gemeinsamen Flucht nach Ungarn, wurden jedoch aufgegriffen und in der Folge in NS-Konzentrationslagern ermordet. Doch wer war Emil Geyer, der in den Dokumenten der nationalsozialistischen Behörden nur mit seinem Geburtsnamen Goldmann genannt ist? 21 Paul Singer an Milan Dubrovic, 26.12.1980, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, NL Milan Dubrovic, ZPH 944, Kt. 3. Siehe hierzu weiter unten.
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140 Pia Schölnberger Ein Theaterleben
Geboren wurde Emil Geyer am 29. November 1872 als Sohn des Gutspächters Jakob Goldmann und dessen Frau Amalie im mährischen Vojkovice. Die Familie Goldmann war sehr kinderreich, worüber die Todesanzeige Jakob Goldmanns vom Juni 1923 Auskunft gibt. Die Witwe trauerte hier gemeinsam mit ihren neun Kindern, sechs Schwiegertöchtern und einem Schwiegersohn – Enkel- und Urenkelkinder wurden nicht mehr eigens angeführt.22 Nachdem Emil in Znaim maturiert hatte, inskribierte er im Wintersemester 1890/91 an der juridischen Fakultät der Universität Wien, wo er im Mai 1895 zum Doctor iuris promoviert wurde. In der Folge studierte er Nationalökonomie in Berlin,23 um sich auf eine akademische Karriere vorzubereiten. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, da er 1899 seine Theaterlaufbahn einschlug.24 Anfang Oktober desselben Jahres trat Goldmann aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus und konvertierte zum evangelischen Glauben. Nachdem er in Deutschland als Schauspieler debütiert und kurz darauf auch begonnen hatte, als Spielleiter und Dramaturg, unter anderem am Düsseldorfer Schauspielhaus,25 zu wirken, ging er nach Berlin, wo er 1907 das Märkische Wandertheater übernahm.26 In seinen frühen Berliner Jahren lernte er Max Reinhardt kennen, mit dem er später in Wien eng zusammenarbeiten sollte.27 Bezeichnenderweise hatte auch Max Reinhardts Familienname ursprünglich Goldmann gelautet. Er legte diesen jedoch bereits 1890, bei seinem Debüt als Schauspieler in Wien, zugunsten seines »neutraler« klingenden Künstlernamens Reinhardt ab.28 Ab 22 Todesanzeige Jakob Goldmann, Neue Freie Presse, 1.7.1923, S. 19. Vgl. hierzu auch die Todesanzeige Amalie Goldmanns, gest. 21.12.1927, Neue Freie Presse, 25.12.1927, S. 16. 23 Allerdings war er nur von April bis Oktober 1896 an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin als Student eingetragen, Auskunft des Archivs der Humboldt Universität Berlin. 24 Leumundszeugnis Emil Geyer, Bundespolizeidirektion Wien, 17.12.1928, ÖStA/AVA, 2898 (15 C 1); vgl. a. Ilse BACHMANN, Emil Geyer (1872–1942). Regisseur – Theaterleiter – Pädagoge – Schauspieler, Dissertation Universität Wien, Wien 2003, S. 2. 25 So bezeichnete er sich in einem Brief an Richard von Kralik von Anfang November 1906 als Regisseur des Düsseldorfer Schauspielhauses, Emil Geyer an Richard von Kralik, 2.11.1906, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, H.I.N. 188.753. In einem weiteren Brief schilderte er seine Vielbeschäftigtheit »als Regisseur, Akademielehrer, Darsteller, und zudem noch literarische Arbeiten«, die ihn in der letzten Zeit »sehr in Anspruch genommen« hätten. Emil Geyer an Richard von Kralik, 10.1.1907, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, H.I.N. 188.755. 26 Hilde HAIDER-PREGLER, Überlebens-Theater. Der Schauspieler Reuss, Wien 1998a, S. 14. 27 Hilde HAIDER-PREGLER, Wien 1938 – Spurensuche nach den Vergessenen der Theatergeschichte. Eine biographische Annäherung an Emil Geyer und Lilly Karoly, in: Theo GIRSHAUSEN, Henry THORAU (Hg.), Theater als Ort der Geschichte. Festschrift für Henning Rischbieter, Velber 1998b, S. 183–191, hier S. 187. 28 Peter W. MARX, Max Reinhardt. Vom bürgerlichen Theater zur metropolitanen Kultur, Tübingen 2006, S. 191.
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wann genau Emil Goldmann den Künstlernamen Geyer29 trug, ist nicht bekannt. Die früheste Erwähnung findet sich 1902, als er bei der Uraufführung von Georg Büchners Dantons Tod des Vereins Neue Freie Volksbühne im Belle-Alliance-Theater in Berlin in der Rolle des Camille Desmoulins mitwirkte.30 In der Ausgabe des Wiener Adressbuchs Lehmann des Jahres 1914 steht unter »Goldmann Emil« der Eintrag »Geyer Emil, Dr., Theaterdirektor, XIX., Karl Ludwig Straße 80«.31 Eine offizielle Namensänderung dürfte nie durchgeführt worden sein, im Theaterumfeld war er jedoch allen nur als Emil Geyer bekannt. Dies war ihm nach seiner Rückkehr nach Wien 1912 wohl umso wichtiger, als hier ein weiterer Emil Goldmann lebte, der wie er Doktor der Rechtswissenschaften war und ebenfalls im November 1872 geboren worden war.32 Nur zu Beginn seiner Karriere trat Emil Geyer publizistisch in Erscheinung. Noch als Student hielt er im Oktober 1892 einen in der Folge veröffentlichten Vortrag über Gerhard Hauptmanns bis dahin erschienene Dramen in der Lese- und Redehalle der Deutschen Studenten in Prag.33 Als wirkliches Mitglied der Redehalle war er innerhalb der Abtheilung für Literatur und Kunst im Wintersemester 1892/93 Berichterstatter für Literatur, als der er weitere Vorträge über literarische Neuerscheinungen hielt. Während dieser Vereinstätigkeit kam er aufgrund der ausführlichen Berichterstattung über Ausstellungen und Museen auch mit Kunst in Berührung. In einem Essay über das Werk des Posener Bildhauers Franz Flaum hielt Geyer ein Plädoyer für das Pathos im Werk des Kuenstlers, so auch der Titel des Textes.34 Mit diesem Sujet beschäftigte er sich mehrere Jahre lang, auch im Hinblick auf seine Theaterarbeit, wie die Veröffent29 Dubrovic schreibt, Emil Goldmann hätte den Namen Geyer eingedenk des von ihm verehrten Richard Wagner angenommen, da er dessen Stiefvater Ludwig Geyer für Wagners wirklichen Vater gehalten und überdies geglaubt habe, dass Geyer in Wahrheit jüdischer Herkunft gewesen sei. Vgl. Milan DUBROVIC, Veruntreute Geschichte. Die Wiener Salons und Literatencafés, Wien 1985, S. 184. 30 Vgl. Siegfried JACOBSOHN, Soweit Kritik beweisen kann. Kommentar, hg. u. komm. v. Gunther NICKEL, Alexander WEIGEL, Göttingen 2005, S. 41. 31 Wenig aussagekräftig ist, dass er in der Todesanzeige seines Vaters in der Neuen Freien Presse vom 1.7.1923 als »Dr. Emil Goldmann« angeführt ist – die Nennung seines ursprünglichen Namens könnte ein Wunsch des Vaters gewesen sein. 32 Wie sein Namensvetter wurde der Rechtshistoriker Emil Goldmann im Nationalsozialismus aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfolgt, allerdings gelang ihm die Flucht nach Großbritannien, wo er 1942 starb. Thomas OLECHOWSKI, Kleine Institutsgeschichte, http://rechtsgeschichte.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/inst_rechtsgeschichte/PDF-Dateien/Institutsgeschichte.pdf, S. 4 (15.5.2013). 33 Emil GOLDMANN, Gerhart Hauptmann. Vortrag, gehalten in der Redehalle-Versammlung vom 29. October 1892, in: Bericht der Lese- und Redehalle der Deutschen Studenten in Prag über das Jahr 1892, Prag 1893, S. 3–23. 34 Emil GEYER, Das Pathos im Werk des Kuenstlers, in: Franz FLAUM, Fuenf Essays von Stanislaw PRZYBYSZEWSKI, Rudolf v. DELIUS, S. LUBLINSKI, Dr. Emil GEYER, Cesary JELLENTA, Berlin 1904, S. 26–31.
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142 Pia Schölnberger lichung von zehn seit 1901 erschienenen Aufsätzen unter der Überschrift Vom Pathos der Zeit verdeutlicht. In diesem Buch, das seiner Frau Ellen Neustädter gewidmet war, plädierte Geyer unter anderem »für eine Vereinigung von tiefem Empfinden und schwereloser Farbigkeit«, womit er sich als großer Verfechter Max Reinhardts zu erkennen gab. Angriffspunkt seiner Argumentationslinie war das »Psychologisieren um jeden Preis« als »Hauptfeind des neuen Pathos«.35 Im selben Jahr, 1908, schrieb er zudem eine der frühesten Würdigungen des deutsch-jüdischen Schriftstellers Rudolf Borchardt.36 1913 übernahm Geyer die Leitung der Neuen Wiener Bühne in der Harmoniegasse im neunten Wiener Gemeindebezirk.37 In seiner Funktion als Theaterdirektor und -regisseur trieb er die Etablierung des modernen Dramas in Wien voran, indem er beispielsweise Erstaufführungen gegen die herrschenden Zensurbestimmungen durchsetzte.38 Unter anderem wurde dort 1920 Arnold Zweigs Jüdische Tragödie mit dem Titel Semaels Sendung (1913) gespielt, nachdem sie jahrelang in Deutschland von der Zensur verboten gewesen war. Mit der Besetzung Elisabeth Bergners als Moritz Scharf initiierte Geyer deren Welterfolg, wie Zweig Jahrzehnte später feststellte.39 Der Theaterkritiker Ludwig Ullmann schrieb rückblickend über diese Jahre: »Dr. Emil Geyers Wiener Anfänge waren von sozusagen brausendem literarischen Rhythmus, und die Jahre der Neuen Wiener Bühne als eines vorbildlich farbigen und intensiven Strindberg-Wedekind-Tschechow-Theaters sind unvergeßlich.«40 Unter den vielen Lokalgrößen, die Geyer für sein Ensemble gewinnen konnte, befand sich zu Beginn der Spielsaison 1921/22 auch Karl Farkas, der den Regisseur G. W. Pabst ersetzen sollte, in der Folge jedoch bekanntermaßen vor allem als Schauspieler reüssierte.41 Doch Geyers Direktion fand auch scharfe Kritiker. Herbert Jhering beschuldigte ihn beispielsweise, 35 Hubertus SCHNEIDER, Alfred Kerr als Theaterkritiker. Untersuchung zum Wertsystem des Kritikers, Rheinfelden 1984, S. 416. 36 Emil GEYER, Ein Dichter, in: Morgen 2 (1908) 2, S. 1208–1210. 37 Fremden-Blatt, 21.2.1918, S. 10–11 (»Gespräch mit Direktor Dr. Emil Geyer«). 38 Vgl. Peter ROESSLER, Zur Geschichte des Reinhardt-Seminars von 1928 bis 1938, in: Peter ROESSLER, Günter EINBRODT, Susanne GFÖLLNER (Hg.), Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars, Wien 2004, S. 11–52, hier S. 16. 39 Brief Arnold Zweigs an Ruth Klinger, 27.10.1947, abgedruckt in: Ludger HEID (Hg.), »Das nenne ich ein haltbares Bündnis!«. Arnold Zweig, Beatrice Zweig, Ruth Klinger, Briefwechsel (1936–1962) (= Exil Dokumente. Verboten – verbrannt – vergessen 8), Bern 2005, S. 138–143, hier S. 139–140. 40 Ludwig ULLMANN, Geleitwort für Otto Ludwig Preminger, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 30.7.1933, S. 5. 41 Vgl. Georg MARKUS, Karl Farkas. »Schau’n Sie sich das an«. Ein Leben für die Heiterkeit, WienMünchen 1983, S. 41–42.
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»mit dem Schund Geld zu machen für die Literatur. […] Geyer ist intelligent, gebildet und geschmackvoll, ja bestimmt ein geistiger Mensch, aber er verzweifelt, diese Intelligenz auf die Vorstellung zu übertragen.«42 Schwerwiegende Vorwürfe machte ihm auch der Schriftsteller Karl von Felner, dessen Stücke Geyer immer wieder ablehnte, was von Felner gegenüber seinem Freund, dem Kunstkritiker und -sammler Arthur Roessler, zu heftigen Tiraden gegen Geyer verleitete, den er in diesen Briefen als »vertrottelt« oder gar »unzurechnungsfähig« beschimpfte. Von Felner, der zu dieser Zeit, im Jahr 1913, in Weimar lebte, erwähnt in einem der Schreiben an Roessler, dass dieser für ihn w egen der Aufführung seines Stücks Pygmalion mit Emil Geyer verhandeln solle, wie er dies bereits 1912 getan hätte.43 Geyer war also seit seiner Rückkehr nach Wien in Kontakt mit Egon Schieles wichtigstem Förderer Arthur Roessler, was im Hinblick auf Geyers Schiele-Sammlung eine Rolle gespielt haben könnte. 1906 hatte Emil Geyer die um dreizehn Jahre jüngere Berliner Schauspielerin Ellen Neustädter geheiratet, ihre Tochter Eva wurde im Jahr darauf geboren. Die Ehe sollte nicht halten, 1921 trennte sich Ellen wegen eines Verhältnisses mit dem Schauspieler Leo Reuss, der zwei Jahre zuvor in das von Geyer geleitete Ensemble der Neuen Wiener Bühne eingetreten war. Als Reuss nach Hamburg engagiert wurde, ging sie mit ihm.44 Kurz darauf verließ Geyer Wien in Richtung Berlin, wo er als Oberregisseur und Direktionsstellvertreter der Bühnen des Theaterunternehmers Eugen Robert tätig war, der seinerseits die Leitung der Neuen Wiener Bühne übernahm.45 Arthur Schnitzler notierte kurz vor Geyers Weggang in seinem Tagebuch: »Dr. Emil Geyer holt mich ab; er hat das Theater abgegeben, wird Oberregisseur bei Robert (dem Großunternehmer) wir nachtmahlen im Türkenschanzpark; reden über die Zeitläufte […] Netter kluger Mensch.«46 Nachdem Reuss seinerseits Ellen Neustädter verlassen hatte – beide lebten 42 Herbert JHERING, Der Kampf ums Theater und andere Streitschriften 1918 bis 1933, hg. von der Akademie der Künste der DDR, Berlin 1974, S. 94–95. 43 Postkarte Karl von Felners an Arthur Roessler, 23.10.1913, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, H.I.N. 153.301: »Voriges Jahr um die Zeit verhandeltest Du mit Geyer wegen ›Periandros‹. Hast nicht noch einmal Lust?« 44 Vgl. HAIDER-PREGLER 1998a, S. 20. 45 Vgl. HAIDER-PREGLER 1998a, S. 21; Nicole STREITLER, »… und alles Bedeutsame kam aus Berlin«. Berlin in den Theaterkritiken Musils, in: Annette DAIGGER, Peter HENNINGER (Hg.), Robert Musils Drang nach Berlin. Internationales Kolloquium zum 125. Geburtstag des Schriftstellers (= Musiliana 14), Bern 2008, S. 253–263, hier S. 255. 46 Arthur SCHNITZLER, Tagebuch 1920–1922, hg. v. Peter Michael BRAUNWARTH, Wien 1993, 10.7.1922. Eine erste Erwähnung Geyers findet sich bei Schnitzler ein knappes Jahrzehnt früher, als dieser flüchtig bei Schnitzlers Nachtmahl mit den Ehepaaren Beer-Hofmann und Salten sowie mit Gustav Schwarzkopf erschienen war; vgl. Arthur SCHNITZLER, Tagebuch 1913–1916, hg. v. Peter Michael BRAUNWARTH, Wien 1983, 7.1.1913.
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144 Pia Schölnberger mittlerweile ebenfalls in Berlin – nahm sie sich am 12. Juni 1926 fünfundvierzigjährig in einem Charlottenburger Hotelzimmer das Leben.47 Rollen, die Leo Reuss früher gemeinsam mit ihr gespielt hatte, übernahm seine neue Gefährtin Agnes Straub.48 Noch im selben Jahr kehrte Emil Geyer von der privaten Tragödie gezeichnet nach Wien zurück, wo er von Max Reinhardt zum stellvertretenden Leiter des Theaters in der Josefstadt ernannt wurde, als der er die künstlerischen mit den administrativen Agenden zu vereinen hatte.49 Trotz der Erfolge, welche das Theater in diesen Jahren zu verbuchen hatte, kämpfte jedoch auch die Josefstadt infolge der allgemeinen Wiener Theaterkrise mit einem Besucher_innenschwund.50 Darüber hinaus war ein Konkurrenzkampf zwischen Geyer und Reinhardts Stellvertreter an dessen Berliner Bühnen, Robert Klein, entbrannt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 wurden die deutschen Bühnen Max Reinhardts »arisiert«, womit diesem nur noch die Josefstadt in Wien verblieb. Als Geyer der sich weiter verschlechternden finanziellen Situation des Theaters nicht Herr zu werden vermochte, wurde er im Juli 1933 von seinem bisherigen Stellvertreter, dem späteren HollywoodRegisseur Otto Preminger, ersetzt, der die finanziellen Probleme lösen sollte. 51 Der 47 Vgl. HAIDER-PREGLER 1998a, S. 46. 48 Vgl. HAIDER-PREGLER 1998a, S. 66; 69. Emil Geyer sollte im Jahr 1936 erneut mit Leo Reuss zusammentreffen. Nachdem dieser Deutschland infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme verlassen hatte, sprach Reuss, der selbst jüdischer Herkunft war, als Milchbauer Kaspar Brandhofer aus Zell am See im Burgtheater vor und wurde – unter anderem auch im Völkischen Beobachter als Naturtalent bezeichnet – von einer Prüfungskommission in die Bühnengewerkschaft aufgenommen. In dieser Kommission saßen seine früheren Kollegen, die Regisseure Max Reinhardt, Ernst Lothar, Hermann Röbbeling und – Emil Geyer. Bezweifelt werden muss, dass Geyer Reuss, der an der Neuen Wiener Bühne unter seiner Direktion zwanzig Rollen gespielt hatte, tatsächlich nicht erkannte. Wahrscheinlicher erscheint hier, dass die nationalsozialistische Gefahr den Schicksalsschlag um Ellen Neustädter überwog. Reuss, der dem immensen Druck auf seine Person auf Dauer nicht standzuhalten vermochte, demaskierte sich in der Folge selbst und floh noch vor dem »Anschluss« in die USA. Vgl. auch Ernst LOTHAR, Das Wunder des Überlebens. Erinnerungen und Ergebnisse, Wien-Hamburg 1961, S. 83–89. 49 Vgl. Edda FUHRICH, Das Theater in der Josefstadt 1924 bis 1935, in: Gerald M. BAUER, Birgit PETER (Hg.), Das Theater in der Josefstadt. Kultur, Politik, Ideologie für Eliten? (= Wien – Musik und Theater 3), Wien 2010, S. 47–58, hier S. 49. 50 Diese war vor allem dem Börsenkrach von 1929 geschuldet, als dessen Folge u. a. eine Reihe von Wiener Theatern der Rezession zum Opfer fielen und geschlossen oder in Kinos umgewandelt wurden. Vgl. z. B. Edda FUHRICH, Das Theater in der Neubaugasse von 1912 bis 1931. Der Existenzkampf einer Wiener Bühne in den Zeiten der Theaterkrisen, in: Gerald M. BAUER, Birgit PETER (Hg.), »Neue Wege«. 75 Jahre Theater der Jugend in Wien (= Wien – Musik und Theater 2), Wien 2008, S. 9–24, hier S. 23 51 Vgl. FUHRICH 2010, S. 53–54, sowie Angela HEIDE, »... auf Betreiben des Prof. Max Reinhardt«. Die Wiener Schauspielhaus AG von ihrer Gründung bis 1954, in: BAUER, PETER 2010, S. 61–76, hier S. 68–69. In Premingers Biografie wird Geyer als »a workmanlike functionary with no artistic passion« charakterisiert. Foster HIRSCH, Otto Preminger. The man who would be king, New York 2007, S. 33.
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Theaterkritiker Ullmann hatte kurz zuvor noch erklärt, es gebe keinen Grund, trotz der »Geldklemme« an einen Direktionswechsel zu denken, »zumal der jetzige Leiter dieser Bühne, Dr. Emil Geyer, der vielleicht anerkannteste deutsche Kulturtheaterdirektor ist«,52 musste jedoch wenige Tage später das Unvermeidliche zur Kenntnis nehmen.53 Felix Salten, dessen Stück Der Gemeine mit Hans Moser, Attila Hörbiger und Paula Wessely unter Geyers Direktion zur Aufführung gebracht worden war, schrieb zu dessen Abgang: Der Direktor Geyer geht, weil er müde ist und keine Neigung mehr besitzt, für ein Wagnis einzustehen oder für den materiellen Ertrag des Theaters zu zittern. So hat er eines Tages die Neue Wiener Bühne nach jahrelanger, musterhaft künstlerischer Leitung, verlassen. Er war abgekämpft. Der wirtschaftlichen Mühsal überdrüssig. Ein kluger, durch und durch sauberer Mensch. Zuverlässig, opferfähig, Idealen hingegeben. Nur gelegentlich schwerfällig und langsam von Entschlüssen.54
Geyer arbeitete jedoch weiterhin als Regisseur an der Josefstadt sowie auch am Wiener Volkstheater.55 Dazu war er seit 1930 der von Max Reinhardt bevollmächtigte Direktor des Max Reinhardt Seminars, dessen Aufbau er gemeinsam mit diesem und seinem Kollegen Paul Kalbeck inhaltlich und strukturell maßgeblich mitbestimmt hatte.56 Als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, engagierte er drei nach Österreich geflohene Lehrer, Emil Lind, Leopold Hubermann und Carl Meinhard.57 Geyer unterhielt unzählige Kontakte mit der Kunst- und Kulturwelt des deutschsprachigen Raums. Eine tiefe Freundschaft verband ihn mit Richard Beer-Hofmann, Egon Friedell58 oder Franz Theodor Csokor – letzterer übrigens auch ein langjähriger Freund George Saikos. Erwähnung fand Geyer beispielsweise auch in Briefen Else Lasker-Schülers, die im September 1933 dem vor den Nationalsozialisten nach Wien geflüchteten Schauspieler Ernst Ginsberg anbot, Geyer wegen eines Bühnenengage-
52 Ludwig ULLMANN, Kein Kultur-Defizit, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 25.7.1933, S. 5. 53 Vgl. Ludwig ULLMANN, Geleitwort für Otto Ludwig Preminger, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 30.7.1933, S. 5. 54 Felix SALTEN, Aenderung in der Josefstadt?, in: Neue Freie Presse, Morgenblatt, 30.7.1933, S. 1–3, hier S. 1. 55 Vgl. HAIDER-PREGLER 1998a, S. 21. 56 Vgl. ROESSLER 2004, S. 15; Peter ROESSLER, Paul Kalbeck – der Regisseur als Lehrer, in: Judith PÓR-KALBECK (Hg.), Paul Kalbeck – ein Poet der Regie. Der Lebensweg eines Wieners (= Bilder aus einem Theaterleben 3), Wien 2005, S. 173–212, hier S. 182. 57 Vgl. ROESSLER 2004, S. 36. 58 Friedell bezeichnete ihr Verhältnis als Verkehr »auf menschlich-seelisch-amikale[m] Fuss«, Egon Friedell an Emil Geyer, 10.9.1928, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, H.I.N. 211.158.
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146 Pia Schölnberger ments zu schreiben: »Soll ich Dr. Geyer auch schreiben. Ich grüße ihn. Nie tat er für mich je was,59 soll nun gut machen, Sie sofort I. Rollen engagieren«.60 Diese Bemühungen dürften sich erübrigt haben, nachdem Ginsberg Wien bereits Ende November in Richtung Zürich verließ.61 Während sich seine Freund_innen und Kolleg_innen angesichts der drohenden Machtübernahme der Nationalsozialisten um Ausreisebewilligungen bemühten und allmählich das Land verließen, dachte Emil Geyer zunächst an die Rettung seiner Tochter. Verfolgung und Ende
Am 26. Februar 1938, also nur wenige Tage vor Hitlers Einmarsch in Österreich, wandte Geyer sich in einem verzweifelten Brief an die Schauspielerin Salka Viertel, die bereits seit 1928 in Hollywood lebte. Mit Verweis auf ihre langjährige Freundschaft sowie auf die Hilfe, die Geyer Viertels Schwager Josef Gielen angedeihen hatte lassen,62 bat er nun um ihre Unterstützung bei der Ausreise seiner Tochter Eva und deren Ehemann, dem Gynäkologen und Kunstsammler Paul Singer, in die USA. Eva, die wie ihre Mutter Schauspielerin geworden war, habe bereits 1935 das Land verlassen wollen, doch »[n]un hat die Entwicklung auch ihren Mann überzeugt«.63 In dem Brief deutete Geyer an, darüber nachzudenken, die beiden zu begleiten: »Vielleicht fügt es sich so, dass ich mitkomme und den Rest meiner Tage bei meiner Tochter verbringe. Denn hier reizt mich nichts mehr v.a. ist besser vorher freiwillig Schluss zu machen als nachher gezwungen.«64 Salka Viertels Antwort ist nicht überliefert. Paul Singer schaffte es jedenfalls, ein Einreisevisum für England zu erhalten und sogar Teile seiner Kunstsammlung, vor allem altchinesische Bronzen, aber auch »Bilder und Zeichnungen von Klimt, Schiele und Kokoschka und eine Madonnenstatue der Donauschule, 59 Dieser Vorwurf bezieht sich möglicherweise auf eine nicht zustande gekommene Inszenierung von Lasker-Schülers Drama Die Wupper durch Emil Geyer und Max Reinhardt 1926. Vgl. Lasker-Schülers Briefe an Emil Geyer, 19./20.9.1926, abgedruckt in: Else LASKER-SCHÜLER, Briefe 1925–1933, bearb. v. Sigrid BAUSCHINGER, Frankfurt a. M. 2005, S. 82–83. 60 Else Lasker-Schüler an Ernst Ginsberg, 22.9.1933, abgedruckt in: Else LASKER-SCHÜLER, Briefe 1933–1936, bearb. v. Karl Jürgen SKRODZKI, Frankfurt a. M. 2008, S. 44. Vgl. Elisabeth BROCKSULZER, Ernst Ginsberg, Velber bei Hannover 1962, S. 8. 61 Meldeauskunft Ernst Ginsberg, Wiener Stadt- und Landesarchiv. 62 Da Gielens Frau Rosa, Salka Viertels Schwester, als Jüdin galt, übersiedelten sie 1937 – mit Emil Geyers Hilfe – von Berlin nach Wien. Nach dem »Anschluss« floh das Paar nach Südamerika. 63 Emil Geyer an Salka Viertel, 26.2.1938, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Viertel, Salka, 80.1.140. 64 Emil Geyer an Salka Viertel, 26.2.1938, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Viertel, Salka, 80.1.140.
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sowie Autographen des Prinzen Eugen und des Fürsten Metternich«,65 mitzunehmen. Noch vor Kriegsausbruch gelangten die beiden in die USA, wo Paul sich in New York als Neuropsychiater niederließ, Eva hingegen ging nach Hollywood.66 In Wien zurückgeblieben, bemühte sich Emil Geyer um seine eigene Ausreise. Kurz nach dem »Anschluss« war er gemeinsam mit den anderen Lehrern und Schüler_innen jüdischer Herkunft unter Federführung des Nationalsozialisten Hans Niederführ aus dem Max Reinhardt Seminar entlassen worden, das unter dessen nunmehriger Leitung als Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn weitergeführt wurde.67 Die damalige Seminaristin Judith Holzmeister erinnerte sich: Dann kamen die Iden des März 1938. Wir standen unter den Arkaden des Schönbrunner Schlosstheaters und warteten auf den Unterricht mit Emil Geyer. Der ›Papschi Geyer‹ kam, ungeheuer elegant, mit einem Homburg und einem Überzieher. In dem Moment kam der Sekretär des Seminars – dessen Namen ich nicht nenne (aber nomen est omen) – heraus und sagte: ›Herr Geyer, Sie dürfen das Seminar nicht mehr betreten.‹ Lähmende Stille, keiner konnte auch nur einen Ton sagen. Wir waren wie paralysiert. Unser geliebter ›Papschi Geyer‹ hat seinen Homburg gezogen, sich umgedreht und ist hinausgegangen – durch das große schwarze Gittertor von Schönbrunn. Wem da das Herz nicht bricht, der hat keins.68
Der der kurz nach dem »Anschluss« nach Polen geflüchtete Schriftsteller Franz Theodor Csokor schrieb bereits Mitte April 193869 an Lina Loos nach Wien, er hätte eine »offene Karte« Emil Geyers70 erhalten mit dem Inhalt: »Ich stehe tagelang vor den Schaltern, um eine Fahrterlaubnis zu erhalten; ich vergesse eben, daß es nicht ›Juda, verreise!‹ heißt, sondern ›Juda, verrecke!‹«71 Infolge seiner Entlassung und der immer restriktiveren Behandlung der österreichischen Juden und Jüdinnen geriet Geyer auch zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Anfang Juli 1938 wandte er sich an Hans Nie-
65 DUBROVIC 1985, S. 157. 66 Ab 1970 war Paul Singer Konsulent des Metropolitan Museum of Art. Sein Nachlass wird in den Archiven der Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Washington, verwahrt. Laut Auskunft des Archivleiters David Hogge finden sich dort keine Dokumente zu Emil Geyer. 67 Vgl. ROESSLER 2004, S. 41. 68 Judith HOLZMEISTER, Erzählte Erinnerung, in: Peter ROESSLER, Susanne GFÖLLER (Hg.), Erinnerung. Beiträge zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars. Eine Dokumentation, Wien 2005, S. 37–39, hier S. 38–39. 69 Die Datumsangabe lautet »Karfreitag 1938«, also handelte es sich um den 15.4.1938. 70 Im Brief nur als »Emil G.« genannt; der Herausgeber hat diesen wohl zu Recht als Emil Geyer identifiziert. 71 Franz Theodor CSOKOR, Auch heute noch nicht an Land. Briefe und Gedichte aus dem Exil, hg. v. Franz Richard REITER, Wien 1993, S. 173.
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148 Pia Schölnberger derführ, er sei »in Verlegenheit u. brauche sehr die kleine Summe, die mir zusteht«.72 Kurz darauf gab er, wie vorgeschrieben, den Umfang seines Vermögens bei der Vermögensverkehrsstelle bekannt.73 Zu diesem Zeitpunkt hieß die Siebensterngasse im siebten Wiener Gemeindebezirk, wo er seit Jahren wohnte, »Straße der Julikämpfer« – in Erinnerung an den am 25. Juli 1934 von Angehörigen der 89. SS-Standarte verübten Putschversuch, bei dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet worden war. Geyer gab in dem Dokument wieder »Goldmann« als seinen Familiennamen an. Ein halbes Jahr vor Inkrafttreten der die Namensänderung betreffenden reichsdeutschen Rechtsvorschriften74 war er von den nationalsozialistischen Behörden offenbar dazu gezwungen worden, wieder seinen ursprünglichen Namen zu tragen, der ihn als Juden entlarven sollte. Erst im Stadium seiner Entrechtung sollte Emil Geyers Kunstsammlung greifbar werden. Zeugnisse über seine Tätigkeit als Kunstsammler finden sich vor 1938 nur in spärlicher Zahl, und die wenigen erhaltenen lassen – wie die Bekanntschaft mit Arthur Roessler – viel Interpretationsspielraum. Im Jahr 1922 schrieb er dem in Venedig weilenden österreichischen Künstler Theodor Allesch-Alescha, er habe zwei von dessen Pastellen um 10.000 Kronen verkauft.75 Wir erfahren nicht, an wen und ob Geyer öfter als Vermittler aufgetreten ist, allerdings gibt uns der Künstler selbst einen kleinen Hinweis darauf, dass Geyer Bilder von ihm besessen hatte. Nachdem Allesch-Alescha aus politischen Gründen vor den Nationalsozialisten aus Österreich geflohen war und sich schließlich in New York niedergelassen hatte, teilte er seiner Mutter Ende 1945 brieflich mit, er habe den ebenfalls aus Wien geflohenen Schriftsteller und Dramaturgen Berthold Viertel getroffen, mit dem er »eine Menge gemeinsamer Bekannter von drüben entdeckt« hätte, »wie Dr. Emil Geyer, den die Nazis leider umbrachten«. Dieser habe »eine Anzahl Bilder von mir gehabt […] – meist italienische Landschaften«.76 72 Emil Geyer an Hans Niederführ, 5.7.1938, Archiv des Max Reinhardt Seminars, Universität für Musik und darstellende Kunst, o. Zl. Niederführ hatte ihn am 27.3. darum gebeten, die Verrechnung erst nach dem 10.4. durchzuführen, was im Juli dann offenbar noch immer nicht geschehen war. 73 Vgl. Vermögensanmeldung, Dr. Emil Goldmann, ÖStA/AdR, VVSt., Zl. 40.256. 74 Vgl. Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 5.1.1938 (RGBl. I, S. 9); Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 7.1.1938 (RGBl. I, S. 12); Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938 (RGBl. I, S. 1044). 75 Postkarte Emil Geyers an Theodor Allesch-Alescha, 7.5.1922, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, Sammlung Theodor Allesch-Alescha, ZPH 1331, H.I.N. 235.247. 76 Theodor Alescha an Elisabeth Allesch, 6.12.1945, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, NL Theodor Allesch-Alescha, ZPH 1399/1, M. Korrespondenzen Theodor Alescha an Elisabeth Allesch, 07–12/1945.
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Gegen Milan Dubrovics Schilderung, wonach SA-Männer nach dem »Anschluss« eine Razzia in der Wohnung durchgeführt hätten, der auch die Kunstwerke zum Opfer gefallen sein sollen,77 sprechen Geyers eigene Aussagen den Nationalsozialisten gegenüber. In seiner Vermögensanmeldung gab er – neben mehreren Teppichen und wertvollen Schmuckgegenständen – Gemälde von Hans Canon, Paul Signac, Max Pechstein und Egon Schiele sowie zwei Radierungen von Ferdinand Schmutzer und ein Aquarell von Wassily Kandinsky an.78 Diese Angaben machen Geyers Werke zu einer »der erstaunlichsten und ungewöhnlichsten« der von Sophie Lillie porträtierten Sammlungen.79 Zu sämtlichen angeführten Kunstwerken vermerkte Geyer, sie seien »derzeit unverkäuflich«. Jahrzehnte später schrieb Paul Singer, dass Geyer ein »eifriger Unterstuetzer lebender Kuenstler« gewesen sei, »in dem er ihre Bilder im Atelier kaufte, Pechstein, Frankel, Schiele, Kandinsky, etc. (Alles verloren)«.80 Von dieser Unterstützung profitierten jedoch nicht nur bildende Künstler – so »sustenierte« Geyer laut seinem Schwiegersohn auch den Schriftsteller George Saiko »in all den Jahren«, in denen dieser an seinem Roman Auf dem Floß schrieb.81 Als Singer im Jahr 1985, auf den Mauerbach-Fonds aufmerksam gemacht, die Frage nach dem Verbleib von Geyers Bildern an das Kunsthistorische Museum richtete, gab er dazu noch etwas ausführlichere Auskunft. Sein Schwiegervater sei Eigentümer »of some fine paintings« gewesen, »that he had acquired with the advice of George Saiko, then an impecunious writer and art historian whom he had adopted as a protégé. My recollection of only a few of them are: a small Schiele oil landscape, a Frankel or Frankl (contemporary)82 still life and a Kandinsky water color. When we met Saiko in 1951, he had been associated with the Albertina during the Nazi area [sic], he had no idea what had become of the Dr. Geyer property.«83 Damit stellte Paul Singer vierzig Jahre nach Kriegsende eine Verbindung zwischen Emil Geyer und George Saiko her, der diesen als Gegenleistung für finanzi-
77 Vgl. DUBROVIC 1985, S. 185. 78 Vermögensanmeldung, Dr. Emil Goldmann, ÖStA/AdR, VVSt., Zl. 40.256. 79 Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 406. 80 Paul Singer an Milan Dubrovic, 11.12.1980, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, NL Milan Dubrovic, ZPH 944, Kt. 3. 81 Paul Singer an Milan Dubrovic, 26.12.1980, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, NL Milan Dubrovic, ZPH 944, Kt. 3. Saiko dürfte Mitte der 1920er-Jahre mit dem Roman begonnen haben, der erst 1948 erscheinen sollte. Vgl. Hansel 2010, S. 84. 82 Möglicherweise war damit der österreichische Maler Gerhart Frankl gemeint. 83 Paul Singer an Hermann Fillitz, 1.1.1985, KHM, Archiv, Korrespondenz der Gemäldegalerie 1985, Zl. 16/GG/1985.
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150 Pia Schölnberger elle Zuwendungen bei der Zusammenstellung seiner Kunstsammlung beraten hatte.84 Dies unterstreicht jedoch auch die Möglichkeit, dass Saikos Zeugenaussage bezüglich der Provenienz des Kriehuber-Aquarells aus dem Jahr 1948 einer gezielten Verschleierungstaktik geschuldet war. Dubrovic berichtete außerdem von Geyers umfangreicher Bibliothek, in der sich unter anderen sämtliche Werke Friedrich Nietzsches und Knut Hamsuns sowie die gesammelten Acta Sanctorum befanden. Auch der ehemalige Reinhardt-Seminarist Richard Fortin, der einmal nach einer Theaterprobe bei Geyer eingeladen gewesen war, schreibt von dessen »riesige[r] Bibliothek«.85 Ihr Verbleib ist bis heute ebenso ungeklärt wie eine davor aufgestellte Nietzsche-Büste. Im August 1938 verwendete sich Karl Meinhard, Generaldirektor der MeinhardBernauer-Bühnen a. D. sowie ehemaliger Dozent am Max Reinhardt Seminar, für Emil Geyer, indem er versuchte, ihn als Regisseur eines Gastspiels an Paul Egger, den Direktor des Neuen Deutschen Theaters in Prag, zu vermitteln: Ich habe während der 10 Wochen Hitler in Wien viel Elend gesehen. Aber ganz nahe ging mir das Schicksal Dr. Emil Geyer, den sein ›Schreiber‹ Dr. Niederführ, a tempo vom Stuhl vor die Thür (und sich selbst auf den Dir. Stuhl des Reinhardt Seminars) setzte! […] Emil G. ist nicht blos ein Wunder an Character, der Mut von ihm, seine Aufopferung für Andere (noch während Hitler) ist staunenswert. Alles hatte bei ihm Rat und Hilfe und für alle hatte er offenes Ohr und – Brieftasche.86
Die Bitte fruchtete nichts, Geyer saß in Wien fest,87 und sein Vermögen verringerte sich zusehends. Nachdem Staatssekretär Mühlmann entschieden hatte, dass Geyer keine weitere Auszahlung des Rückstands aus dem Studienjahr 1936/37 erhalten würde,88 er stattdessen noch eine Zahlungspflicht auferlegt bekam,89 war Geyers ursprünglich 84 Singer war seinerseits noch jedenfalls einmal in Kontakt mit Saiko, für den er ein Kunstwerk des Webers Michel-Marie Carquillat, Joseph-Marie Jacquard darstellend, verkaufen sollte. Paul Singer an George Saiko 28.12.1953, ÖNB, Literaturarchiv, NL George Saiko, Zl. 86/B86. 85 Richard FORTIN, Erzählte Erinnerung, in: ROESSLER, GFÖLLER 2005, S. 55–57, hier S. 55. 86 Archiv hl. mesta Prahy (Bratislava), NDT Inv. cis 13/Karton 15, Regieseminar Schönbrunn, Karl Meinhard an Paul Egger, 22.8.1938. Vgl. ROESSLER 2004, S. 43. 87 Dennoch findet sich auf dem mit »Aktenabschluß« betitelten Aktenblatt der Vermögensanmeldung Emil Geyers der Vermerk, dass dieser am 5.12.1938 »ins Ausland verzogen« sei, und zwar nach »Tschechei, Frankreich, England, U.S.A.«, auch wurde eine »Aktnummer der Auswandererstelle: 7317« angegeben. 88 Bezeichnenderweise war Geyer in dem Schreiben ursprünglich als Direktor betitelt worden, was nachträglich ausgestrichen werden musste. Vgl. Schreiben des kommissarischen Leiters der Staatsakademie an Emil Geyer, 27.3.1939, Archiv des Max Reinhardt Seminars, Universität für Musik und darstellende Kunst, Zl. 84/Res/39. 89 Gegen den nicht erhaltenen Bescheid erhob Geyer Einspruch, da er »im Kalenderjahr 1939 überhaupt
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mit 113.872 RM beziffertes Vermögen mit Dezember 1939 auf zirka fünf- bis zehntausend Reichsmark geschrumpft.90 In diese Zeit dürfte auch seine Entscheidung gefallen sein, sich von Teilen seiner Kunstsammlung zu trennen. Judith Holzmeister erinnerte sich daran, ihren ehemaligen Lehrer »noch zwei oder drei Mal« in seiner Wohnung im siebten Bezirk – also noch vor dem Juli 1941 – besucht zu haben: »Emil Geyer war ganz lieb. Ich fragte ihn, wie es ihm ginge. Er, der einige Bilder besaß, antwortete: ›Ich verkaufe einen Schiele nach dem anderen Kokoschka [sic]. Davon lebe ich.‹«91 Unterdessen war einer Reihe von Freund_innen, die ebenfalls aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von Verfolgung bedroht waren, die Flucht aus Österreich gelungen, unter ihnen der Schriftsteller Richard Beer-Hofmann und seine Frau Paula, der Rechtsanwalt Samuel Wachtell, sein Kollege Philipp Menczel und dessen Frau Rosa. Hatte Geyer noch im August 1939 an Beer-Hofmann geschrieben, er »hoffe noch immer, dass die Kriegskatastrophe vermieden wird«,92 resignierte er drei Wochen später: »Ich mache letzte verzweifelte Anstrengungen, um von hier fort zu können – bin mir aber bewusst, sie werden fruchtlos sein.«93 Geyer wurde jedoch nicht müde in seinen Bemühungen, doch noch das Land zu verlassen. Im Laufe des Jahres 1940 sollte er zu Max Reinhardt nach Hollywood kommen, der ihm eine Stelle als Leiter für seine in Hollywood gegründete Schauspielschule angeboten hatte. Der Briefwechsel zwischen Emil Geyer und Reinhardts Sekretärin Gusti Adler zeugt von der wachsenden Verzweiflung über die lebensbedrohliche Langsamkeit der involvierten Behörden. Geyer schrieb Beer-Hofmann im Juni, dass »sich Amerika immer weiter zu entfernen scheint«,94 und einige Monate später: »Was hat unsereiner zu erwarten? Ein Dahinvegetieren im besten Fall. Hier ist man ein lebender Leichnam.«95 Er wisse »sehr
90 91 92 93 94 95
kein Einkommen habe«, Emil Geyer an das Magistrat Wien-Abgabenamt M.-Abt. 11/B, 7.11.1939, Vermögensanmeldung, Dr. Emil Goldmann, ÖStA/AdR, VVSt., Zl. 40.256. Vgl. Vermögensbekenntnis, 4.12.1939, Vermögensanmeldung, Dr. Emil Goldmann, ÖStA/AdR, VVSt., Zl. 40.256. HOLZMEISTER 2005, S. 39. Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 25.8.[1939], Harvard University, Houghton Library_Beer-Hofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 17.9.[1939], Harvard University, Houghton Library_Beer-Hofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 26.6.[1940], Harvard University, Houghton Library_Beer-Hofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 26.10.[1940], Harvard University, Houghton Library_BeerHofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177).
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152 Pia Schölnberger wohl, die Sache ist sehr schwierig, es wurmt mich nur, dass mir nicht gelingen soll«, was anderen »nicht ohne mein Zuthun gelungen ist«.96 In der Tat dürfte sich Geyer für verschiedene Leidensgenoss_innen eingesetzt haben, zuletzt bat er kurz vor seiner eigenen Ermordung seinen ehemaligen Kollegen am Max Reinhardt Seminar Erhard Buschbeck, der in der Burgtheater-Direktion beschäftigt war, um Hilfe für die langjährige Burgtheater-Souffleuse Sabine Krischke, die bereits aus der Sammelwohnung in der Wasagasse delogiert und in die ehemalige Jüdische Schule in der Kleinen Sperlgasse gebracht worden war.97 Von diesem Sammellager aus wurde sie Anfang April 1942 nach Izbica deportiert und hat nicht überlebt.98 Immer verzweifelter werden Geyers Schilderungen des Wartens auf eine Ausreisegenehmigung: »Die Aussicht ist sehr trübe. Ich wäre nun an der Reihe, aber Visa gibt’s kaum welche mehr. Ich zapple mich ab, doch noch eines zu erreichen, aber mit wenig Hoffnung. Die Dinge werden hier immer schwieriger, in jeder Beziehung.«99 Im Dezember des Jahres 1940 musste Gusti Adler Geyer mitteilen, dass sich alles unerhört verzögern würde und bis dato noch kein positives Ergebnis der Bemühungen eingetroffen sei: »Leider sind die Menschen so schwer dazu zu bringen, schnell zu sein – selbst wenn man noch so sehr versucht, ihnen die Dringlichkeit klar zu machen.«100 Emil Geyers Tochter Eva bemühte sich ebenfalls um Unterstützung für ihren in Wien festsitzenden Vater. Offenbar hatte sie an Arthur Schnitzlers Sohn appelliert, ihrem Vater zu Hilfe zu kommen. Erhalten geblieben ist Heinrich Schnitzler Antwort, seine finanziellen Möglichkeiten wären begrenzt, weil er bereits Menschen in »leider verzweifelt ähnlich[en]«101 Situationen mit hohen Geldsummen geholfen hätte. Er schickte ihr jedoch einen Scheck über den »verhältnismässig kleinen« Betrag von zehn Dollar für ihren Vater. 96 Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 26.6.[1940], Harvard University, Houghton Library_Beer-Hofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). 97 Vgl. Emil Geyer an Erhard Buschbeck, o.D., ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 987/42-7. 98 Vgl. DÖW, Datenbank österreichischer Shoah-Opfer und Todesopfer politischer Verfolgung 1938 bis 1945 sowie von der GESTAPO Wien erkennungsdienstlich erfasster Männer und Frauen. 99 Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 26.10.[1940], Harvard University, Houghton Library_BeerHofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). 100 Gusti Adler an Emil Geyer, 15.12.1940, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, NL Max Reinhardt, ZPH 1565, Kt. 11, 2.5.193. Hervorheb. i. O. Herzlichen Dank an Edda Fuhrich für den Hinweis auf diesen Bestand. 101 Heinrich Schnitzler an Eva Geyer, 7.3.1941, ÖTM, Autographen-Sammlung, NL Heinrich Schnitzler, Zl. 20/47. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Christiane Mühlegger-Henhapel.
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Um ihn in seinen Geldnöten zu unterstützen, veranstaltete die Tänzerin Grete Wiesenthal in ihrer Wohnung am Modenapark »Benefizvorträge« Emil Geyers, um Geld für die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu sammeln. Dubrovic selbst sah ihn ebendort zum letzten Mal, als Geyer den Tod des Tizian Hugo von Hofmannsthals las.102 Auch seine Theaterkolleg_innen sollen sich für ihn eingesetzt haben. Hermine Ehrenstein, die Sekretärin Paula Wesselys, die sich selbst als »›Verbindungsmann‹ für […] Hilfe-Suchende« bezeichnete, gab nach dem Krieg an, sie habe »wiederholt Direktor Geyer vom Theater in der Josefstadt« aufgesucht, um ihm »finanzielle und materielle Zuwendungen zu überbringen«.103 Am 13. April 1940 nahm Geyer seine Schwester Jenny (Jeanette) sowie deren Ehemann Otto Richard Herrmann bei sich in der »Straße der Julikämpfer« auf. Sie alle wurden Ende Juli 1941 dort ausquartiert und in die Krugerstraße Nr. 5/8 im ersten Bezirk umgesiedelt, wobei unter diese Adresse eine Sammelwohnung eingerichtet worden war. Es handelte sich dabei nicht um die Untermiete bei einem Freund, wie verschiedene Darstellungen, beispielsweise jene Dubrovics, angeben.104 In dieser zirka 180 Quadratmeter umfassenden Wohnung lebten ab Februar 1940 der Invaliditätsrentner Arnold Saffir sowie ab Ende April 1940 die beiden Schwestern Gisella Gerstl und Ilka Blumberg mit deren Nichte Ida Blumberg. Nachdem Emil Geyer mit seinen Verwandten im Juli 1941 in diese Wohnung gezogen war, wurde dort auch noch im Februar des darauffolgenden Jahres die ehemalige Bankbeamtin Frieda Politzer einquartiert. Keine_r von ihnen hat die nationalsozialistische Verfolgung überlebt.105
102 DUBROVIC 1985, S. 186–187. Den Dichter hatte Geyer auch persönlich gekannt. Vgl. Hugo von HOFMANNSTHAL, Brief-Chronik, Bd. 2, 1912–1929, hg. v. Martin E. SCHMID, Heidelberg 2003, Sp. 2683; 2856; 2862. 103 Vgl. Maria STEINER, Paula Wessely. Die verdrängten Jahre, Wien 1996, S. 91. Steiner zitiert diese Erklärung Hermine Ehrensteins vom 20.11.1945 mit der Angabe, dass ihr eine Kopie dieses Schreibens ohne nähere Quellenangabe von Sigrid Löffler zur Verfügung gestellt worden sei. 104 Dem Vermerk in Otto Herrmanns Todfallsanzeige, dass er, seine Frau und Emil Geyer im Haus unbekannt gewesen seien und dort »mehrere Juden als Untermieter« gewohnt hätten, »nun aber alle ausgehoben worden« seien, ist entgegenzusetzen, dass alle Genannten dort polizeilich gemeldet gewesen waren. Todfallsaufnahme von Otto Herrmann, 17.8.1942, WStLA, 17A 946/42. 105 Während Arnold Saffir und Frieda Politzer am 27.5.1942 nach Maly Trostinec deportiert und dort am 1.6.1942 ermordet wurden, kamen Gisella Gerstl und ihre 88-jährige Schwester Ilka Blumberg, kurz nachdem sie am 22.7.1942 nach Terezín gebracht wurden, ums Leben. Deren Nichte Ida wurde schließlich am 15.10.1942 nach Łódź deportiert. Vgl. DÖW, Datenbank österreichischer Shoah-Opfer und Todesopfer politischer Verfolgung 1938 bis 1945 sowie von der GESTAPO Wien erkennungsdienstlich erfasster Männer und Frauen.
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154 Pia Schölnberger Die Zwangsübersiedlung in die Krugerstraße markiert die Phase der letzten verzweifelten Versuche Emil Geyers, sich der Deportation zu entziehen. Im September 1941 dürfte er noch eine Aussicht auf Ausreise gehabt haben, da er den Antrag auf Ausfuhrbewilligung verschiedener Kunstgegenstände stellte, die ihm seitens der Zentralstelle für Denkmalschutz erteilt wurde.106 Aufgrund dieser Liste ist es jedoch auch nicht möglich, die angegebenen Kunstwerke zu identifizieren. Die Beschreibung beschränkte sich auf »4 Ölbilder, 7 Aquarelle, 4 Graphiken, 2 Zeichnungen, 1 Pastell, div. Reproduktionen, 1 Perser«, somit ist nicht eruierbar, ob darunter auch die Werke aus der Vermögensanmeldung fielen. Auffällig ist jedoch, dass Geyer im Juli 1938 um einiges weniger Kunstgegenstände angegeben hatte. Angesichts seiner sich dramatisch verschlechternden finanziellen Situation ist davon auszugehen, dass es ihm damals gelungen war, einen Teil seiner Kunstsammlung in der Vermögensanmeldung zu verschweigen. Die Angaben auf dem Ausfuhransuchen würden dementsprechend den letzten Rest der durch die Verkäufe kleiner gewordenen Sammlung wiedergeben. Geyer bereitete offenbar die Flucht nach Kuba vor, wofür ihm seine Tochter ein Visum beschafft hatte, auf dessen Eintreffen er wartete.107 Der Wortlaut jener Briefe, die er in der Folge versandte, verhehlt seine Todesangst kaum mehr. Er bat Buschbeck, er möge bei dem von den Nationalsozialisten eingesetzten Generalintendanten Lothar Müthel108 dahingehend für ihn intervenieren, in eine »spezielle Liste […] für solche die für Polen nicht in Betracht kommen« aufgenommen zu werden. »Jedenfalls geht die Aktion weiter. War ich bisher verschont, so kann doch jeden Tag die Reihe an mich kommen. Ist’s so weit, dann ist’s zu spät.«109 Der Brief ist lediglich mit der Datumsangabe »19. Oct.« versehen, doch legt sein Inhalt (und jener der im Folgenden zitierten Schriftstücke) nahe, dass es sich um das Jahr vor Geyers Ermordung durch die Nationalsozialisten – 1941 – gehandelt haben muss. Nachdem bereits im Oktober 1939 erste Deportationen aus Wien stattgefunden hatten, begannen die Nationalsozialisten im Frühjahr 1941 mit der Deportation von rund 5.000 Menschen in den Distrikt Lublin. Im Herbst desselben Jahres wurden über 5.000 Personen nach Łódź (in das Ghetto Litzmannstadt) und 6.000 in die Ghettos Minsk und Riga deportiert. Nach weiteren 106 Emil Geyers Aufenthaltsort wurde in dem Dokument fälschlicherweise mit »Ausland« angegeben, vgl. Ausfuhrgenehmigung Emil Geyer, Zl. 167/41, Archiv des BDA, Ausfuhransuchen. 107 »[I]n spätestens vier Wochen habe ich das Kubavisum in Händen, wie meine Tochter mir telegraphiert.« Emil Geyer an Erhardt Buschbeck, 15.11.[1941], ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 987/42-5. 108 Geyer schrieb lediglich »M«. 109 Emil Geyer an Erhard Buschbeck, 19.10.[1941], ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 987/42-4.
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großen Transporten aus Wien 1941/42, unter anderem in die Vernichtungslager der Aktion Reinhard, begannen im Juni 1942 die Massentransporte nach Terezín. Wenig später wandte sich Geyer erneut an Buschbeck mit dem Ansuchen, ein »Certificat« bei Müthel zu erwirken, das seine Verlegung in das Sammellager in der Sperlgasse verzögern würde,110 da er in Bälde das Kubavisum, das ihm seine Tochter besorgt habe, in Händen halten würde. »Einmal in Polen, nützt dieses auch nicht mehr.«111 Belege, ob und wie Buschbeck auf diese Hilferufe reagiert hat, sind nicht erhalten. In seinem Nachlass findet sich kein Hinweis auf Geyers Schicksal. Ein einziges Mal bezieht sich der Schauspieler Ferdinand Mussi in einem Brief an Buschbeck auf seine Freundschaft zu Geyer: »Zur Zeit, da ich am Burgtheater war, war ich, wie jeder am Theater wusste, mit Ere [sic!] Geyer befreundet – was heute allerdings auch keine ›Reklame‹ ist!«112 Aufgrund des Vorwurfs der Homosexualität war Mussi selbst in Misskredit geraten. Zuletzt dürfte Geyer versucht haben, mithilfe des nach Schweden geflohenen Wiener Publizisten Ernst Martin Benedikt eine Einreisegenehmigung ebendorthin zu erhalten. »[D]er einzige Trost«, die Zeit der Ungewissheit in der Sammelwohnung zu überstehen, waren ihm »gute Bücher und uferloses Lesen. Solange ich noch einen Winkel habe, in dem ich mich mit einem Buch verkriechen kann, bin ich nicht ganz unglücklich. Fragt sich nur, wie lange ich noch diesen Winkel haben werde. Am schlimmsten ist die Unmöglichkeit zu arbeiten. Und all der Jammer um einen her. An die Silberstreifen glaube ich nicht.«113 Geyers Schwester und sein Schwager dürften zwischenzeitig in das Sammellager in der Kleinen Sperlgasse 2a in Wien-Leopoldstadt gebracht worden sein, offenbar waren sie bereits für einen früheren Transport in den Osten bestimmt gewesen. Auf Otto 110 »Dann ist man erledigt und der nächste Transport bringt einen nach Polen (Concentrationslager!). Die einzige Rettung wäre, wenn ich der Kommission, die jeden Tag erscheinen kann, etwas Schriftliches von massgebender Stelle präsentieren könnte, etwa des Inhalts, dass noch weitere Erhebungen zu machen sind (oder ähnlich) und daher eine Frist zu geben sei.« Emil Geyer an Erhardt Buschbeck, 15.11.[1941], ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 987/42-5. 111 Emil Geyer an Erhardt Buschbeck, 15.11.[1941], ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 987/42-5. 112 Ferdinand Mussi an Erhard Buschbeck, Dresden, 19.3.1940, ÖNB, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, NL Erhard Buschbeck, Autogr. 994/26-11. 113 Emil Geyer an Ernst Martin Benedikt, 30.1.[1942], ÖNB, Literaturarchiv, Teil-NL Ernst Martin Benedikt, Zl. 381/B21. Abgedruckt in Andrea WINKELBAUER, Brigitte BORCHARDT-BIRBAUMER (Hg.), Euphorie und Unbehagen. Das jüdische Wien und Richard Wagner. Publikation anlässlich der Ausstellung Euphorie und Unbehagen. Das jüdische Wien und Richard Wagner des Jüdischen Museums Wien, 25.9.2013–16.3.2014, Wien 2013, S. 182–183.
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156 Pia Schölnberger Richard Herrmanns Meldezettel findet sich jedoch der Vermerk, dass sie am 15. Mai 1942 von der »Sperlschule« wieder in die Krugerstraße 5/8 »zugezogen« seien. Dort blieben sie jedoch nur mehr wenige Tage. Denn am 20. Mai 1942 sollte ein Transport nach Maly Trostinec durchgeführt werden, der in der Regel kurz vorher den dafür Vorgesehenen angekündigt wurde. Womöglich waren Emil Geyer und seine beiden Angehörigen für diesen ausgewählt worden, jedenfalls ergriffen sie die Flucht und versuchten nach Ungarn zu entkommen. Laut Tagesbericht der GESTAPO-Leitstelle Wien Nr. 10 wurde unter der Rubrik »Juden« vermerkt, dass die drei am 18. Mai 1942 verhaftet und in »Schutzhaft« genommen worden waren, »weil sie versuchten, das Reichsgebiet illegal nach Ungarn zu verlassen«.114 Dabei wurden 6.000 RM und verschiedene Schmuckstücke sichergestellt. Dies deutet darauf hin, dass sie vorher versucht hatten, ihre letzten Habseligkeiten zu veräußern, um sich ihre Flucht zu finanzieren. Auch das zuvor von Freund_innen und Kolleg_innen gesammelte Geld könnte Teil der sichergestellten Summe gewesen sein. Nachdem sie in der »Erkennungsdienstlichen Kartei« der GESTAPO Wien erfasst und fotografiert worden waren,115 deportierte man Emil Geyer am 31. Juli ins Konzentrationslager Mauthausen. Er wurde am 1. August 1942 »auf der Flucht erschossen«, sein Schwager kam zwei Wochen später ebendort zu Tode.116 Jenny Herrmann, deren Gesicht auf der erhaltenen Fotografie der GESTAPO – ebenso wie Emil Geyers Äußeres – deutliche Spuren von Misshandlung aufweist, wurde nach Auschwitz deportiert, wo sie am 30. September 1942 ermordet wurde.117 Nur wenige der sieben Geschwister von Emil Geyer sowie deren Partner_innen und Kinder haben die nationalsozialistische Verfolgung überlebt. Sein Bruder Alfred konnte mit Gattin Maria in die USA entkommen, wo er jedoch aufgrund seines Alters keine Anstellung fand und deshalb Privatunterricht in deutscher Sprache geben musste. Seine Frau gab Französisch- und Klavierunterricht und war als Babysitterin tätig. Alfred schildert in seinem Hilfsfondsantrag vom September 1956: In den Jahren 1945/46 erfuhr ich alle meine Geschwister 2 lebend in Oesterreich, 4 in der C.S.R. ihren Tod in Auschwitz oder durch standrechtliches Erschiessen wegen Fluchtversuch gefunden hatten. Die in Oesterr. lebenden waren Dr Emil Geyer, Regisseur des Volkstheaters Wien und Frau Jenny Herrmann, ihr Gatte Otto Herrmann, 114 115 116 117
GESTAPO-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 10, Rapport vom 22. bis 24.5.1942, DÖW, Zl. 5733c. Fotografien der Erkennungsdienstlichen Kartei der GESTAPO Wien, DÖW. Vgl. die Todfallsaufnahme von Otto Herrmann, 17.8.1942, WStLA, 17A 946/42. DÖW, Datenbank österreichischer Shoah-Opfer und Todesopfer politischer Verfolgung 1938 bis 1945 sowie von der GESTAPO Wien erkennungsdienstlich erfasster Männer und Frauen.
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Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen
in Kirchgasse 25. Ich war daher einer event. Hilfe durch sie beraubt. Über Verlangen gebe Details über den Tod der 4 cech. Brüder.118
Dazu gab es zwei weitere in Wien lebende Brüder – Dr. Rudolf Goldmann, der ebenfalls gemeinsam mit seiner Frau in Auschwitz ermordet wurde, sowie Eugen Goldmann, dem wie Alfred die Flucht in die USA gelungen war. Im Zusammenhang mit Geyers gescheitertem Fluchtversuch sind verschiedene Nachkriegsquellen über eine Hilfsaktion während seiner anschließenden GESTAPOHaft erhalten. Diese standen, wie der Artikel im Neuen Österreich vom August 1945, vor allem mit den Bemühungen in Verbindung, Paula Wessely von den Vorwürfen der NS-Kollaboration zu entlasten: Einen Teil der nicht unbeträchtlichen Kosten [für Emil Geyers Flucht, Anmerkung der Verfasserin] schossen einige prominente Wiener Schauspieler, nämlich Paula Wessely, Christl Mardayn, Attila Hörbiger und Hans Moser zu. […] Die Gestapo jedoch, die davon Wind bekommen hatte, wer die Geldgeber waren, witterte in Anbetracht der Prominenz der Beteiligten ein gutes Geschäft. Sie lud die Schauspieler vor und beschuldigte sie, daß sie einem Juden bei einer illegalen Tat behilflich gewesen seien. Schließlich erklärte man ihnen jedoch, man wolle diesmal noch ein Auge zudrücken und, falls sie einen ›Sühnebetrag‹ von 50.000 RM erlegten, werde Direktor Geyer aus der Haft entlassen, ja sogar von den eigenen Organen über die Grenze gebracht werden. Die Schauspieler erklärten sich, um ihrem ehemaligen Direktor das Leben zu retten, auch dazu bereit, und erlegten am nächsten Tag den Betrag auf der Gestapo […]. Als einer von den Schauspielern bei der Gestapo erschien, um Aufklärung zu verlangen, erklärte ihm der damalige Leiter des Judenreferates Dörhagel119 in schar118 Alfred Gilbert, Antrag an den Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben, 14.9.1956, ÖStA/AdR BMF, Hilfsfonds, Alfred Gilbert, Zl. 06923. 119 Gemeint ist wohl der ehemalige Leiter der »Abteilung für Judenangelegenheiten« der GESTAPO Wien, Hans Dörhage. Dieser war jedoch gemäß Volksgericht erst nach den geschilderten Ereignissen, am 12.8.1942 von der Polizeidirektion Bielefeld als Kriminalkommissär nach Wien versetzt worden. Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, 25.4.1953, WStLA, Vg 8 Vr 788/55. Diese Informationen finden sich kurz darauf in einem Brief von Paul Kalbecks Neffen Gustav Breuer: »A Gestapo (or SS, I forget) guy said for 30.000 Mark he could get him [Emil Geyer, Anmerkung der Verfasserin] out, the money was collected among Paula, Attila, Mardayn, Neugebauer, and I believe Moser ... handed over ... the last one heard was ›shot during flight‹.« Gustav Breuer an Adrienne Gessner, 18.9.1945, DÖW, Zl. 15.950. Breuer, der rechtzeitig aus Wien geflohen war, wurde nach Kriegsende als Sergeant der US-Armee in Augsburg stationiert, von wo er die Hörbigers im September 1945 in Innsbruck besuchte. Über dieses Zusammentreffen schrieb er diesen Brief an die ebenfalls in die USA geflüchtete Schauspielerin Adrienne Gessner. Die Information hatte er womöglich von einem leider undatierten Brief Marie Kalbecks, die an »darlingest Guzzi« schreibt: »Poor old Emil Geyer died in Auschwitz, although Paula, Attila, Mardayn and Moser paid an enormous sum for his leaving the country
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158 Pia Schölnberger fem Ton, die Sache sei für die Künstler noch glimpflich ausgegangen, denn wenn die Reichstheaterkammer erfahren hätte, daß sie sich für einen jüdischen Theaterdirektor so exponiert hätten, wären die Konsequenzen für sie sehr unangenehm gewesen.120
Franz Theodor Csokor, der sich im Juli 1947 bei Stadtrat Victor Matejka für Paula Wessely verwendete, brachte deren Einsatz für Emil Geyer mit der ihr abgezwungenen Rollenannahme für den nationalsozialistischen Propagandafilm Heimkehr in Verbindung: »Da ist ein anderer Fall, wo ich ernstlich helfen möchte: das ist Paula Wessely. Ich weiss heute, daß sie und ihr Mann dem armen Dr. Emil Geyer während des Naziterrors unter schweren persönlichen Opfern ins Ausland retten wollten, daß das missglückte und daß die Gestapo es zum Anlaß nahm, von Paula Wessely ihre Teilnahme an dem Film ›Heimkehr‹ zu erpressen, eine Teilnahme, die sie bis dahin abgelehnt hatte.«121 Dies hatte Csokor auch dem polnischen Journalisten Julian Popławski122 geschrieben, der ein »enger Freund« Emil Geyers gewesen war.123 Angesichts der Tatsache, dass keine weiteren Hinweise auf eine derartige Erpressung Paula Wesselys durch die NS-Behörden aufgefunden werden konnten, muss jedenfalls hervorgehoben werden, dass eine Reihe von Film- und Theaterschaffenden nach dem Krieg großes Interesse an der Rollenbesetzung ihrer Stücke mit Paula Wessely hatten, was sich auch in ihren Empfehlungsschrieben niedergeschlagen haben dürfte.124 Dazu stellt sich jedenfalls die Frage, weshalb Wessely selbst nie den zahlreich geäußerten Vorwürfen mit diesem Argument beizukommen versuchte. free!« ÖTM, Handschriftensammlung, NL Paula Wessley, E 4610, Korrespondenzen, M. Marie Kalbeck. 120 Neues Österreich, 12.8.1945, S. 2 (»Schmutzige Geschäfte nach Gestapoart. Der Tod des Direktors Emil Geyer – Wie Wiener Künstler geprellt wurden«). 121 Franz Theodor Csokor an Victor Matejka, 5.7.1947, Handschriftensammlung der Wienbibliothek, H.I.N. 222.672. 122 Popławski, dessen ursprünglicher Name Julius Stein lautete, feierte nach dem Krieg als Dramatiker große Erfolge im Theater in der Josefstadt. Vgl. Adam ZIELINSKI, Höre nie auf zu lernen. Begegnungen, Fehden, Versöhnungen. Erinnerungen, Klagenfurt 2007, S. 194–195. 123 Csokor hatte Wessely für die Hauptrolle der Verfilmung seines Dramas Jadwiga vorgesehen, sah diese Besetzung jedoch angesichts der Anschuldigungen gegen sie, NS-Sympathisantin gewesen zu sein, gefährdet. Für eine Realisierung dieses Projekts fanden sich keine Belege. In seinem Brief an Popławski wurde Csokor noch deutlicher: »Liebe Paula, heute erhielt ich aus Polen einen Brief von dem Journalisten Julian Popławski in Krakau, der ein enger Freund von Dr. Emil Geyer gewesen ist. Ich hatte ihm geschrieben, daß du alles versucht hättest, um Dr. Emil Geyer vor den Nazis zu retten und daß du selbst nach dem Tode Dr. Geyers vor der Alternative standest, entweder jenen Film zu machen, den Du bis dahin abgelehnt hattest oder selbst in’s KZ zu kommen.« Franz Theodor Csokor an Paula Wessely, 1.7.1947, ÖTM, Handschriftensammlung, NL Paula Wessely, E 4610, Korrespondenzen. Eine Antwort Paula Wesselys war nicht auffindbar. 124 Herzlichen Dank an Maria Steiner und an Gerald Trimmel für ihre diesbezüglichen Einschätzungen.
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Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen
Begibt man sich auf die Suche nach weiteren Hinweisen zu Emil Geyers tragischem Ende, taucht noch ein letztes, überaus rätselhaft erscheinendes Dokument auf. Eine gewisse Maria Kotera beteuerte im Juni des Jahres 1947 eidesstattlich, die Anschuldigung, der langjährige Leiter des Österreichischen Theatermuseums – und ihr späterer Ehemann – Joseph Gregor125 wäre »in irgend einem Zusammenhang am Schicksal des Direktor Geyer schuldtragend oder mitschuldtragend«, sei »absurd«. Geyer habe im selben Haus gewohnt, in dem sie und ihre Schwester O. Mayer-Kotera126 »ein Atelier für Stoffmalerei besitzen«, und »zählte in der letzten Zeit seines Lebens zu unseren häufigen Gästen, besprach mit uns sein Schicksal und stellte auch Möbel bei uns ein.«127 Wie die Vorwürfe gegen Gregor in Bezug auf Geyer konkret lauteten, geht aus den erhaltenen Quellen nicht hervor. Fest steht, dass die beiden einander gekannt hatten, da Gregor am Max Reinhardt Seminar regulär Vorlesungen zur Theatergeschichte gehalten hatte.128 Ob Geyer bei den Schwestern Kotera nicht nur Möbel, sondern möglicherweise auch Kunstwerke untergebracht hatte, bleibt offen. Emil Geyer hatte den jahrelangen Kampf, sich dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen, verloren. Mit vielen seiner in alle Welt geflohenen Freund_innen stand er – teilweise bis kurz vor seinem gewaltsamen Tod – in Kontakt. Leider konnten bis dato nur wenige Fragmente dieser Korrespondenzen gefunden werden. Die letzten Worte, die er an seinen Freund Richard Beer-Hofmann richtete, sind die eines Gebrochenen: »Unter den vielen Entbehrungen – es gibt fast nichts mehr als solche – sind Sie meine schlimmste. Ich schreibe nichts mehr, das wenigste ist schreibbar.«129 A beautiful human being
All die zitierten Briefe und Aussagen schweigen über den Verbleib von Geyers Kunstsammlung. Paul Singer resignierte. Er habe keinerlei Interesse an materiellen Werten, die mit einer eventuellen Restitution der Kunstsammlung seines Schwiegervaters verbunden wären, »but Eva and I had no mementos of a beautiful human being, except his letters«.130 125 Zu Joseph Gregor siehe den Artikel von Christina Gschiel in diesem Band. 126 Es handelte sich dabei um die Modezeichnerin Olga Hauptmann. 127 Maria Kotera, Eidesstattliche Erklärung, 5.6.1947, ÖTM, Archiv, PA Josef Gregor. Für die Zur-Verfügung-Stellung dieses Dokuments bin ich Christina Gschiel zu großem Dank verpflichtet. 128 Vgl. ROESSLER 2004, S. 161–183, hier S. 167. 129 Emil Geyer an Richard Beer-Hofmann, 3.5.[1942], Harvard University, Houghton Library_Beer-Hofmann, Richard, 1866–1945, Richard Beer-Hofmann correspondence, 1882–1967, MS Ger 183 (177). 130 Paul Singer an Hermann Fillitz, 1.1.1985, KHM, Archiv, Korrespondenz der Gemäldegalerie 1985, Zl. 16/GG/1985.
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160 Pia Schölnberger Auch konnte kein Hinweis darauf gefunden werden, weshalb Gabriele Gross und George Saiko, der nicht nur mit Geyer befreundet gewesen war, sondern, wie sein Schwiegersohn berichtete, diesen bei der Erwerbung seiner Kunstwerke beraten hatte, fälschlicherweise ihn als Voreigentümer des eingangs erwähnten Aquarells von Josef Kriehuber angaben. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die beiden von der Zerfledderung der Kunstsammlung der tatsächlichen Eigentümer Josef und Auguste Blauhorn nach deren Flucht nach London gewusst hatten und dieses Mitwissen beziehungsweise ihre Verbindung dazu verschleiern wollten. Mit der Angabe eines anderen Kunstsammlers, der die nationalsozialistische Verfolgung nicht überlebt hatte, erschienen sie diesbezüglich unverdächtig und sind dies auch jahrzehntelang geblieben. Resümee
Die Angabe Gabriele Gross’ und ihres Lebensgefährten, des ehemaligen AlbertinaMitarbeiters und Schriftstellers George Saiko, wonach eine Zeichnung von Josef Kriehuber, die Gross 1943 an den Käufer des Sonderauftrags Linz verkauft hatte und sich ab 1963 im Inventar der Albertina befand, zuvor dem Theaterregisseur Emil Geyer gehört habe, hält einer näheren Überprüfung nicht Stand. Mithilfe eines Katalogs der wichtigsten Kunstwerke der Sammlung Josef Blauhorns, den dessen Frau Auguste zu seinem 50. Geburtstag 1933 anfertigen hatte lassen, kann diese Zeichnung als bis 1939 definitiv in deren Eigentum stehend identifiziert werden, wie übrigens auch ein weiteres Aquarell desselben Malers, das Luise Winter, Gabriele Gross’ Mutter, ebenfalls 1943 direkt an die Albertina verkauft hatte. Unbekannt ist, wie die beiden Frauen in den Besitz der beiden Zeichnungen gelangt waren. Nahe liegt hier die Überlegung, dass sie diese für Saiko verkauften, der als von Kajetan Mühlmann beauftragter Kurator der Albertina möglicherweise von der teilweisen Sicherstellung der Sammlung der als jüdisch geltenden Familie Blauhorn gewusst hatte, deren Verbleib bis heute nur in Bruchstücken bekannt ist. Nach dem Krieg zur Provenienz des einen Blattes befragt, entschieden sich Gross und Saiko zur Nennung ihres ermordeten Freundes Emil Geyer, dessen Kunstsammlung auch nach Sichtung einer Vielzahl von Archivdokumenten, Briefen und sonstigen biografischen Zeugnissen nicht näher fassbar wurde. Zum Vorschein kam ein sowohl in der Berliner als auch vor allem in der Wiener Kunst- und Kulturszene bekannter und beliebter Philanthrop, dessen tragisches Ende angesichts seiner erschütternden Hilferufe unvergessen bleiben muss.
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»Niemand wollte diese Bilder …« Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel Julia Eßl
Die Anmerkung »Niemand wollte diese Bilder und trotzdem nahm ich sie zu mir«1 im Ausstellungskatalog zur Privatsammlung Dr. Oskar Reichel Wien, die 1913 in der Wiener Galerie Miethke präsentiert wurde, stammte von Oskar Reichel persönlich, der mit diesen Worten das Vorwort seines Kataloges beendete. Diese gern zitierte Aussage wählte schon der 2011 verstorbene Kunsthistoriker Werner J. Schweiger, der sich mit Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern sowie Sammlerinnen und Sammlern des beginnenden 20. Jahrhunderts – vorwiegend um Oskar Kokoschka und Egon Schiele – auseinandergesetzt hatte, für einen seiner Beiträge zur Sammlung Oskar Reichel.2 Mit dem Ende 2003 erschienenen Werk Sophie Lillies Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens wurde ein Einblick in das Schicksal zahlreicher jüdischer Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern gewährt. So auch in jenes von Dr. Oskar Reichel, der neben seiner Tätigkeit als Arzt hauptsächlich österreichische Kunst sammelte, und »einer der zweifellos wichtigsten Sammler zeitgenössischer Kunst vor 1938«3 war. Dr. Oskar Reichel, der 1943 im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien verstarb, hatte seine umfangreiche Kunstsammlung zuletzt in seiner im Juni 1938 erstellten Vermögensanmeldung4 aufgelistet. Es war einer seiner Söhne, der 1957 auf die einst von seinem Vater besessenen und zwangsverkauften Kunstwerke hinwies.5 Diese einst im Eigentum der Familie Reichel befindlichen Kunstwerke rückten aber erst Jahrzehnte später in den Fokus der Provenienzforschung. Im September 2003 ordnete die Wiener Rückstellungskommission die Rückgabe von sechs Gemälden aus der Sammlung Reichel an, die sich in 1
Oskar REICHEL, Über meine Bilder, in: Ausstellungskatalog Galerie Miethke, Privatsammlung Dr. Oskar Reichel Wien, Wien 1913, o. S. 2 Vgl. Werner J. SCHWEIGER, Your Love Affair with My paintings. Oskar Kokoschka and his Early Viennese Collectors, in: Tobias G. NATTER, Oskar Kokoschka. Early Portraits from Vienna and Berlin 1909–1914, New York 2002, S. 61–63. 3 Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 937. 4 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt., VA, Zl. 45.139, Dr. Oskar Reichel, Schätzgutachten von Amatus Caurairy, 25.6.1938. 5 Vgl. ÖStA/AdR BMF, AHF, Zl. 28.067, Raimund Reichel, fol 1. Mithilfe der Künstlermonografie Fritz Novotnys zu Anton Romako listete Raimund Reichel das ehemalige Familieneigentum auf.
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162 Julia Eßl den Beständen des Wien Museums befunden hatten.6 Dieser Entscheidung folgten weitere Restitutionen aus österreichischen Museen und Sammlungen. Die im Laufe der Jahre zusammengetragenen Materialien ermöglichen es uns heute, ein sehr genaues Bild dieser Sammlung und der dahinter stehenden Person, Dr. Oskar Reichel, zu skizzieren. Biografisches zu Oskar Reichel
Oskar Reichel wurde am 21. April 1869 in Wien als erstes von vier Kindern des Fabrikanten Leopold Reichel (1840–1908) und dessen Frau Regine Kollinsky (1845–1923) geboren.7 Nach seinem Studium der Medizin an der Universität Wien, das er 1893 absolviert hatte, machte er sich selbstständig und eröffnete eine eigene Praxis im Haus seines Vaters in der Börsegasse 12 im ersten Wiener Gemeindebezirk. Nach der Verehelichung mit Malvine Kann (1877–1951) im Jahr 1899 lebte das Ehepaar Reichel in einer Malvine Reichel gehörigen Villa in der Chimanistraße 11 im neunzehnten Wiener Gemeindebezirk. Das Ehepaar hatte drei Söhne: Maximilian, geboren am 22. April 1900, Johannes, genannt Hans, geboren am 8. Mai 1901, und Raimund, geboren am 3. November 1904.8 Als Leopold Reichel 1908 verstarb, wurde die Liegenschaft in der Börsegasse unter Oskar sowie seiner Schwester Therese Friedmann und seinem Bruder Richard Reichel aufgeteilt. Oskar Reichels Vermögensanmeldung vom 30. Juni 1938 wies ihn als 3/8 Eigentümer dieses Hauses aus, in dem Therese und Richard sowie die jüngste Schwester, Olga Aufricht, wohnten.9 Richard Reichel war ferner Inhaber der dort ansässigen Wäschewarenerzeugungsfirma, die vom Vater gegründet worden war.10 Neben seiner beruflichen Tätigkeit war Oskar Reichel auch Kunstsammler und -händler und wurde ab 1919 mit seiner Frau Malvine Teilhaber der Firma Kunst und Wohnung, R. Lorenz GesmbH in der Josefstädter Straße 21, wo er und sein Sohn Rai-
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Die jährlich erscheinenden Restitutionsberichte der Wiener Rückstellungskommission sind seit dem Jahr 2002 auf der Website des Wien Museums abrufbar: http://www.wienmuseum.at/de/ueber-uns/restitution. html. Die Ergebnisse der vorangegangenen Jahre sind in Die Restitution von Kunst- und Kulturgegenständen im Bereich der Stadt Wien 1998–2001 publiziert. 7 Vgl. LILLIE 2003, S. 937. 8 Vgl. LILLIE 2003, S. 937–938. 9 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt., VA, Zl. 45.139, Dr. Oskar Reichel, Verzeichnis über das Vermögen von Juden, 30.6.1938. 10 Firma: L. Reichel, Pfaidlergewerbe, I. Börsegasse 12, Inh. Richard Reichel. Vgl. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1910, Bd. 1, III., Nachweis der protokollierten Firmen.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
mund später auch als Geschäftsführer agierten.11 An diese Firma gebunden eröffnete Oskar Reichel 1921 seine eigene Galerie, die Galerie Dr. Reichel GesmbH, in der Ausstellungen junger aufstrebender Künstlerinnen und Künstler stattfanden.12 In dieser Zeit begann er auch mit dem Verkauf von Kunstwerken aus seiner Sammlung an Wiener Museen, wie zum Beispiel der Österreichischen Galerie, in der heutigen Österreichischen Galerie Belvedere. Als er um 1928 in den Ruhestand trat, überließ er seinem Sohn Hans, der ebenfalls Arzt war, die Praxis. Eine Privatsammlung tritt an die Öffentlichkeit
Die Sammlung von Oskar Reichel, die neben Werken von Anton Romako auch jene weiterer namhafter Künstler wie Oskar Kokoschka, Egon Schiele und Max Oppenheimer enthielt, war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in mehreren Ausstellungen und Publikationen vertreten (Abb. 1). Vom 15. November bis Ende Dezember 1905 wurden erstmals acht Werke aus seiner Sammlung in der Kollektivausstellung Anton Romako in der Wiener Galerie Miethke in der Dorotheergasse gezeigt.13 Reichel, der Romakos Werke laut eigener Aussage um 1900 zum ersten Mal gesehen hatte und sich seitdem eine der größten Sammlungen von Werken Anton Romakos erworben hatte, war auch publizistisch tätig. In der Zeitschrift Bildende Künstler, einer Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde, verfasste er 1911 erstmals einen Beitrag zu Anton Romako. Dieser und weitere Texte zu Romakos Werdegang und Kunstwerken wurden mit zwanzig Abbildungen aus seiner Privatsammlung sowie anderem Privatbesitz ergänzt.14 Mit dem Schriftleiter der Zeitschrift, Arthur Roessler, dem einstigen Leiter der Galerie Miethke, stand Reichel auch in privatem Kontakt. Durch die Freundschaft mit Roessler, der als Kunstkritiker und -händler aber auch als Förderer junger Wiener Künstler in Erscheinung trat, lernte Reichel unter anderen Oskar Kokoschka, Egon 11 Vgl. LILLIE 2003, S. 937–938; WStLA, Handelsgericht Wien, A45, Registerakten der aufgelassenen Firmen: GmbH, C 37-229. Kunst und Wohnung, R. Lorenz Gesellschaft m. b. H. Weitere Gesellschafterinnen und Gesellschafter waren: Rudolf und Franziska Lorenz, Samuel und Rosa Goldfarb, Gustav Pollak, Ernst Kössler, Ottilie Bernfeld, Dr. Alfred Kraus, Olga Aufricht, Dr. Emil Kann, Frieda Winterstern, Dr. Moritz Löw und Edith Willner. Als weitere Geschäftsführer waren Samuel Goldfarb und Rudolf Lorenz angeführt. 12 Vgl. WStLA, Handelsgericht Wien, A45, Registerakten der aufgelassenen Firmen: GmbH, C 57-55. 13 Vgl. Tobias G. NATTER, Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne, Wien 2003, S. 199. 14 Vgl. Oskar REICHEL, Ludwig HEVESI, Josef von KOPF, Anton Romako. Mit Bildern und begleitenden Texten, in: Bildende Künstler. Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde, H. 2/1911, WienLeipzig, S. 51–66.
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164 Julia Eßl Jahr 1905 1911 1912
Ort Wien, Galerie Miethke Wien, Zedlitzhalle Köln, Städtische Ausstellungshalle am Aachener Tor
1913 1920 1921
Wien, Galerie Miethke Wien, Österreichisches Museum für Kunst und Industrie Dresden, Lennéstraße
1924 1926 1927
Wien, Neue Galerie Wien, Galerie Würthle Wien, Künstlerhaus
1933
Wien, Neue Galerie
1935 1936 1937
Wien, Secession Wien, Neue Galerie Wien, Österreichisches Museum für Kunst und Industrie
Name der Ausstellung Ausstellung Anton Romako Sonderausstellung Malerei und Plastik Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler zu Cöln Privatsammlung Dr. Oskar Reichel Kunstschau 1920 Sommer-Ausstellung der Künstlervereinigung Dresden Oskar Kokoschka Anton Romako Österreichische Porträtausstellung 1815–1914 Meisterwerke moderner österreichischer Malerei Kaiser Franz Joseph Ausstellung Moderne österreichische Malerei Oskar Kokoschka
Abbildung 1: Auszug an Ausstellungen, in denen Leihgaben der Sammlung Reichel vertreten waren.
Schiele und Max Oppenheimer persönlich kennen. In Roesslers Wohnung, die nicht weit entfernt von Reichels Villa lag,15 verbrachte man gemeinsame Abende und traf sich dort zur Besichtigung von Kunstwerken, die durch Tausch oder Verkauf den Besitzer wechselten. Vor allem zeitgenössische Kunst erwarb Oskar Reichel in den Jahren 1909 bis 1917 über Roessler. Ferner erstand Reichel seine Bilder in der Galerie Arnot sowie im Kunstsalon Gustav Pisko. Gelegentlich wurde Reichel von den Künstlern – insbesondere von Egon Schiele – in seiner Villa in Döbling aufgesucht, die ihm dort ihre Kunstwerke direkt zum Kauf anboten, in der Hoffnung, für diese sofort etwas Bargeld zu erhalten. Die Treffen waren nicht nur geschäftlicher Natur und die Künstler waren im Hause Reichel auch gern willkommene Gäste.16 Oskar Kokoschka beispielsweise, dessen Werke zahlreich in der Sammlung vertreten waren, erhielt die Inspirati15 Arthur Roessler wohnte in der an die Chimanistraße angrenzenden Billrothstraße. 16 Vgl. Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Signatur: H.I.N.-163772. Arthur Roessler: Tagebucheintragungen sowie Signatur: H.I.N.-147037. Oskar Reichel: Korrespondenzkarte an Arthur Roessler, 11.5.1912.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
Abbildung 2: Oskar Kokoschka: Stillleben mit Hammel und Hyazinthe, Österreichische Galerie Belvedere Wien.
on für sein Gemälde Stillleben mit Hammel und Hyazinthe (Abb. 2), als er 1910 einer Einladung zum Ostermahl im Hause Reichel folgte, wie er sich äußerst detailliert in seinem autobiografischen Werk erinnerte: Der Hausherr [Oskar Reichel, Ergänzung der Verfasserin] hatte mich zum kommenden Ostersonntagsbraten eingeladen; er hatte am Markt ein Lamm eingekauft und wollte es mir in der Küche zeigen. […] Ich hatte plötzlich einen Einfall. Statt der Einladung zum Braten am Ostersonntag zu folgen, wollte ich den abgehäuteten Kadaver schnell malen, bevor er ungenießbar wurde […]. Das Porträt des Sohnes war fertig, und ich war an diesem Morgen nur gekommen, um das nasse Bild in dem unbenutzten Raum zum Trocknen abzustellen. Wenn ich sofort mit dem Stilleben begänne, wäre Zeit genug bis zum Sonntag. Man konnte alles Beiwerk im Spielzimmer des Sohnes finden: eine alte Schildkröte und in einem Aquarium eine Axolotl, einen rosaroten Lurch […]. Auch eine weiße Maus war noch da, die der Knabe so dressiert hatte, daß sie von einem Stückchen Käse, mit der Hand gereicht, knabberte, ohne wegzulaufen. […] aber etwas mußte ich noch finden, eine Kleinigkeit, etwas, was dem Ganzen, wie ich und mein Gastgeber es uns ausgebaut hatten, ein Licht aufsetzte. […] Und eifrig herumsuchend, nach Blumen vielleicht, fanden wir im Zimmer des Dienstmädchens auf dem Fensterbrett eine weißleuchtende Hyazinthe im Topf in voller Blüte. Eine Blume, wie aus Wachs, wie künstlich gemacht. Sie leuchtete wie das ewige Licht selber im Dunkeln.17
17 Oskar KOKOSCHKA, Mein Leben, München 1971, S. 84–86.
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166 Julia Eßl Mithilfe des späteren Besitzers – Oskar Reichel – wurden in dessen Haus die notwendigen Komponenten zusammengesucht und zu einem Stillleben kombiniert, was dem Bild eine ganz eigene Geschichte verlieh. Ein außergewöhnliches Gemälde, das aus einer spontanen Idee heraus entstand und heute zu einem der bekanntesten Werke Kokoschkas zählt. Das im Zitat erwähnte Porträt des Sohnes, Bildnis Hans Reichel,18 hatte Kokoschka nur kurz zuvor angefertigt. Oskar Reichel selbst ließ sich in dieser Zeit von Egon Schiele19 und Max Oppenheimer porträtieren. Für das Porträt seiner Frau Malvine mit ihrem Sohn Raimund20 und Bilder weiterer Familienmitglieder wurde ebenfalls Max Oppenheimer beauftragt, von dem Reichel 1911 bereits eine beachtliche Anzahl von Werken besaß.21 Wie groß Oskar Reichels Interesse an Kunst war, zeigt auch der Umstand, dass er ab 1912 für mehrere Semester Vorlesungen der Kunstgeschichte an der Universität Wien besuchte.22 In einem Brief an Arthur Roessler berichtete er über Vorlesungen von Josef Strzygowski und Max Dvorák. Das Sammeln diente Reichels persönlichem Kunstbedürfnis und das Interesse an Anton Romako und junger österreichischer Kunst wurde zu jener Zeit nur von wenigen geteilt. So wurde Reichel von Arthur Roessler als einer, »der einer Spezies von Kunstfreunden angehört, die nur wenige Repräsentanten hat, die wenigsten in Wien«,23 charakterisiert. Als Oskar Reichel 1913 die Möglichkeit erhielt rund 80 seiner Kunstwerke unter dem Titel Privatsammlung Dr. Oskar Reichel Wien in der Wiener Galerie Miethke der Öffentlichkeit zu präsentieren, wurde dies von der Presse immerhin als »eine gute, zur gefälligen Nachahmung dringendst zu 18 Das Bildnis Hans Reichel ist auch unter den Titeln Porträt eines Knaben, The Blue Boy oder Knabe mit erhobener Hand bekannt und befindet sich heute im Besitz von Sarah Blodgett Dunbar, New Orleans, die dieses 1973 von ihrer Mutter, die das Gemälde 1946 in der New Yorker Galerie St. Etienne von Otto Kallir-Nirenstein gekauft hatte, erbte. Vgl. http://www.nola.com/arts/index.ssf/2010/09/new_orleans_woman_wins_legal_f.html (25.3.2013). 19 Das Porträt Bildnis Dr. Oskar Reichel befindet sich heute im Kunsthaus Zug und stammt aus der Sammlung Kamm. Außerdem besaß Reichel folgende Werke Schieles: Die Selbstseher I, Schwarze Mädchen, Der Prophet, Prozession, Madonna, Mutter und Tod, Delirien, Herbstbäume, Kahle Bäume, Herbstbäume, Die Brücke, Jesuiten, Ruine, Vision und Die Asketen. Vgl. Christian M. NEBEHAY, Egon Schiele, 1890–1918. Leben, Briefe, Gedichte, Salzburg-Wien 1979, S. 559. 20 Das Bildnis Malvine und Raimund Reichel befindet sich heute im Museum Moderner Kunst-Stiftung Ludwig Wien, der Verbleib des Bildnis Oskar Reichel ist unbekannt. Vgl. Tobias G. NATTER, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene, Köln 2003, S. 259. 21 1911 besaß Oskar Reichel rund 20 Gemälde und Zeichnungen: Begräbnis, Bildnis eines Jünglings, Bildnis Arnold Schönberg, Bildnis Heinrich Mann, Der Blutende, Frau mit offenem Haar, Kreuzabnahme, Kruzifixus, Mutter und Kind, Obst (Stillleben), Selbstbildnis, Simson, Skizze zur Kreuzabnahme, Hand, Ernst Kößler, Kreuzabnahme II und Kreuzabnahme III, Anton von Webern und Blutenden, sein Sohn Richard das Porträt Bildnis Oskar Reichel. Vgl. Wilhelm MICHEL, Max Oppenheimer, München 1911. 22 Archiv der Universität Wien, Nationalen der Philosophischen Fakultät, Sommersemester 1912. 23 Arthur ROESSLER, Anton Romako, in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 55, 25.2.1913, S. 1–2, hier S. 2.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
Abbildung 3: Einladung vom Kunstverlag H. O. Miethke zur Eröffnung der Privatsammlung Oskar Reichel
empfehlende Idee« wohlwollend begrüßt.24 In dieser Ausstellung wurden über vierzig Gemälde und Zeichnungen des in Vergessenheit geratenen Malers Anton Romako, von dem Reichel einige Jahre zuvor gerade einmal acht Werke besaß, gezeigt.25 In der Einladung zur Ausstellungseröffnung (Abb. 3) wird auf die bemerkenswerte Anzahl an Werken dieses Künstlers hingewiesen, zu denen sich nun Werke junger österreichischer und französischer Künstler gesellten.26 Die Entstehung seiner Sammlung erläuterte Reichel im selbstverfassten Vorwort des Ausstellungskataloges: 24 Friedrich POLLAK, Kunst der Woche, in: Der Morgen. Wien, 17.2.1914, S. 14, zitiert nach Werner J. SCHWEIGER, Der junge Kokoschka. Leben und Werk 1904–1914, Wien-München 1983. 25 Zudem besaß Reichel Briefe von Romako aus dessen Zeit bei Wilhelm Kaulbach in München. Vgl. Hans TIETZE, Anton Romako, in: Zeitschrift für bildende Kunst 5/N. F. 27 (1916), S. 173–180, hier S. 175. 26 Vgl. Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Signatur: H.I.N.-224880. Reichel Oskar: Brief an Richard von Schaukal, Einladung vom Kunstverlag H. O. Miethke zur Eröffnung der Privatsammlung Oskar Reichels, 12.2.1913.
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168 Julia Eßl Der Weg von Romako führt zu Kokoschka, dem Visionär unter den jungen Wiener Künstlern. Er besitzt starkes, farbiges Fühlen und eine Stilempfindung, die an die primitiven Meister denken läßt. Vertreter des rein Malerischen ist der Expressionist Max Oppenheimer. Große Kraft im Ausdruck und Mühelosigkeit des Schaffens charakterisieren für mich seine Werke. Es gährt unter den jungen Wienern. Schiele und seine zeichnerische Kunst, der schwermütig empfindende Faistauer und der geistreiche, anmutig leichte Gütersloh sind Erscheinungen, die, wie ich glaube, unser höchstes Interesse wachhalten müssen. Was sich bei mir vereint hat, ist keine Sammlung. Niemand wollte diese Bilder, trotzdem nahm ich sie zu mir.27
Reichel grenzte sich selbst von den konventionellen Sammlerinnen und Sammlern ab und negierte seine Sammlung per se wiederholt im Ausstellungskatalog: »Das was ich heute zeige, ist keine Sammlung – es ist vielmehr ein Protest gegen eine solche, gegen den vielfach verbreiteten Gebrauch der Zusammenstellung so genannter Kunstwerke, ein Protest gegen die Mehrzahl der Künstler, gegen die offiziellen Ausstellungen und gegen die wahllos kaufende Menge.«28 Durch Reichel wurde dem Künstler Anton Romako, wie Berta Zuckerkandl konstatierte, eine »posthume Rehabilitierung«29 zuteil, die auch in einer Ausstellungskritik von Hans Tietze aufgegriffen wurde: Seine [Anton Romakos, Ergänzung der Verfasserin] Kunst die man geringschätzte oder verspottete, gewürdigt, seine Werke, die niemand haben wollte, in so stattlicher Anzahl und so charakteristischen Beispielen gesammelt zu haben, ist ein Verdienst Dr. Reichels, das ihm hoch eingerechnet werden muß. […] Um diesen problematischen Künstler […] sind kämpfende Künstler der jüngsten Zeit versammelt; junge Wiener – denn was von Van Gogh, Khnopff, Toulouse-Lautrec, Munch, Gauguin zu sehen ist, bedarf kaum besonderer Erörterung […].30
Die »jungen Wiener« wie Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh und Egon Schiele sah Tietze noch als »Werdende«, lediglich Max Oppenheimer wurde als einer in seiner Entwicklung »Fertiger« wahrgenommen.31 Zu Max Oppenheimer hatte Reichel ein besonders enges Verhältnis. Gemeinsam mit Arthur Roessler plante Reichel 1911 eine Oppenheimer-Monografie herauszugeben, deren Kosten er übernehmen wollte. Doch in dieser Zeit kam es zum Konflikt 27 REICHEL 1913, o. S. 28 REICHEL 1913, o. S. 29 Berta ZUCKERKANDL, Bei Miethke. Ausstellung Romako, in: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8299, 18.11.1905, S. 3, zitiert nach Werner J. SCHWEIGER 1998, S. 64–83, hier S. 72. 30 Hans TIETZE, Ausstellung der Sammlung Dr. Oskar Reichel in der Galerie Miethke, in: Fremdenblatt, Nr. 55, 23.2.1913, S. 15–16. 31 TIETZE 1913, S. 15–16, hier S. 16.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
zwischen Oppenheimer und seinem Freund und Künstlerkollegen Kokoschka, der mit dem Erfolg Oppenheimers nicht umgehen konnte und ihn als Konkurrenten, der sich mit fremden Federn schmückte, empfand. Kokoschkas Meinung nach diente die Monografie lediglich dazu, dass Reichel »die 30/40 Bilder, die er zu 40fl. gekauft hat, losbringt«.32 Das Projekt wurde nicht umgesetzt und Kokoschka sorgte dafür, dass ein jeder wusste, mit welch einem »Schwindler« sie es zu tun hatten.33 Darüber hinaus soll dieses Zerwürfnis dazu geführt haben, dass Kokoschkas Gemälde und Zeichnungen für die Ausstellung in der Galerie Miethke zurückzogen und im Katalog ausgestrichen wurden.34 Aber auch die Motive sollen zur Verbannung der Objekte aus der Ausstellung geführt haben: »Jedenfalls waren sie unmöglich. Wie der Katalog besagt, waren es weibliche Akte«.35 Bereits 1913 verfügte Reichel über eine Kunstsammlung, die für ihre Individualität und Vielseitigkeit bekannt war. In den darauffolgenden Jahren wurde diese durch weitere Gemälde, Zeichnungen sowie Kunstgegenstände erweitert, die Reichel im Kunsthandel, direkt von den Künstlern oder bei seinem Freund Arthur Roessler erwarb. Doch die Sammlung begann sich nicht nur durch Ankäufe sondern auch durch Verkäufe zu verändern. Erste Verkaufsabsichten gab es um 1917 und Kokoschka selbst riet, seine Bilder aus der Sammlung Reichel zu erwerben: Versuchen Sie einmal von Dr. Oskar Reichel, Wien XIX, Chimanystr. 11 die O. K.Sammlung zu bekommen. Der hat aus allen Jahren mindestens eine charakteristische Arbeit (die Sammlung wird nächstens im ›Kunstblatt‹, Kiepenheuer, Weimar abgebildet sein) und P. C. [Paul Cassirer, Berliner Galerist und Verleger, Ergänzung der Verfasserin] würde guttun, wenn er diese Bilder noch halbwegs preiswert erwerben könnte […].36
Noch im selben Jahr wurden in der von Paul Westheim herausgegebenen Zeitschrift Das Kunstblatt acht Werke Kokoschkas aus der Sammlung Dr. Oskar Reichel abgebildet.37 Neben den beiden in seinem Hause anfertigten Gemälden – dem Porträt seines Sohnes und dem Stillleben – besaß Reichel folgende Werke Kokoschkas: Susanna und die beiden Alten, Porträt eines Kaufmanns, Porträt der Frau Dr. K., Blinde Mutter mit 32 Olda KOKOSCHKA, Heinz SPIELMANN (Hg.), Oskar Kokoschka. Briefe I. 1905–1919, Düsseldorf 1984, S. 20, Brief an Herwarth Walden, Mai/Juni 1911. 33 KOKOSCHKA, SPIELMANN 1984, S. 20, Brief an Herwarth Walden, Mai/Juni 1911. 34 NATTER Miethke 2003, S. 222. 35 Karl SCHREDER, Galerie Miethke, in: Deutsches Volksblatt, Wien, Nr. 8669, 20.2.1913, S. 10. 36 KOKOSCHKA, SPIELMANN 1984, S. 266. Brief an Leo Kestenberg, 31.3.1917. 37 Vgl. Paul WESTHEIM (Hg.), Oskar Kokoschka, in: Das Kunstblatt 10 (1917), S. 289–337.
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170 Julia Eßl Kind, Skizze (Doppelakt), Der irrende Ritter, Veronika, Paul Scheerbart sowie Sposalizio.38 Auch zahlreiche Zeichnungen konnte Reichel sein Eigen nennen.39 Das Hammelstillleben verkaufte Reichel 1922 um 25 Millionen Kronen an die Österreichische Galerie, die Gemälde Blinde Mutter mit Kind und Susanna und die beiden Alten gingen im selben Jahr an die Galerie Caspari in München.40 Weitere Erwerbungen durch die Österreichische Galerie sind Ende 1935 dokumentiert, als die Gemälde Wolfgangsee und Bildnis Frau Professor Stern – beide von Anton Romako – in das Eigentum der Österreichischen Galerie übergingen. Einige Jahre zuvor widmete Reichel dem Museum ein weiteres Gemälde von Romako, Pußtalandschaft, als Dank für die Unterstützung ein Selbstbildnis van Goghs zu Verkaufszwecken nach Deutschland ausführen zu dürfen.41 Reichels Kunstsammlung war also auch außerhalb Wiens bekannt. Neben Nennungen in deutschen Publikationen hatten sich sowohl Schiele als auch Kokoschka ihre an Reichel verkauften Bilder für Ausstellungszwecke in Deutschland, Schweden sowie der Schweiz geliehen.42 In den frühen 1920er Jahren widmete sich Oskar Reichel unter anderem dem Kunsthandel und organisierte in den Räumen seiner Galerie Verkaufsausstellungen. Zu dieser Zeit war er Teilhaber einer Firma für moderne Wohnungseinrichtungen und Kunstgegenstände, wo er auch als Geschäftsführer tätig war.43 Als die Galerie Würthle 1926 eine Ausstellung zu Anton Romako veranstaltete, beteiligte sich Reichel abermals mit zahlreichen Leihgaben und schrieb wie schon bei der Ausstellung von 1913 den begleitenden Text zu den insgesamt 57 ausgestellten Werken.44 In der Kollektivausstellung Anton Romako im Jahre 1936 in der Neuen Galerie Wien waren ein letztes Mal zahlreiche Stücke aus der Sammlung Reichel in Wien zu sehen. Eine Auflistung vom Oktober 1936 von 34 zugesagten Bildern und den von Reichel verlangten Nettopreisen zeigt, dass die Sammlung trotz vorangegangener Verkäufe nicht an Bedeutung und Größe verloren hatte.45 Auch in dieser Verkaufsausstellung dürften nicht viele Werke den Besitzer gewechselt haben, denn die meisten der zum Verkauf angebotenen Bilder 38 Vgl. Edith HOFFMANN, Kokoschka. Life and Work, London 1947, S. 288–337. 39 Vgl. Alfred WEIDINGER, Alice STROBL, Oskar Kokoschka. Die Zeichnungen und Aquarelle 1897– 1916, Salzburg 2008, beispielsweise die Katalognummern 151, 308, 628 oder 832. 40 Vgl. Johann WINKLER, Katharina ERLING, Oskar Kokoschka. Die Gemälde 1906–1929, Salzburg 1995, Nr. 103, Nr. 120. 41 Archiv des Belvedere Wien, Hausakten, Zl. 508/22, 662/27 und 483/35. 42 Vgl. KOKOSCHKA, SPIELMANN 1984, S. 268. Brief an Dr. Reichel, 2.7.1917; Gustav NEBEHAY, Egon Schiele 1890–1918. Leben, Briefe, Gedichte, Salzburg-Wien 1979, S. 427. 43 Zu seiner Tätigkeit im Kunsthandel wird weiter unten ausführlicher eingegangen. 44 Oskar REICHEL, Anton Romako, in: Ausstellungskatalog Galerie Würthle, Wien 1926. 45 Archiv des Belvedere Wien, Archiv der Neuen Galerie Wien, Nr. 285/1, Bestätigung vom 26.10.1936.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
befanden sich zwei Jahre später in dem von Amatus Caurairy erstellten Schätzgutachten für Reichels Vermögensanmeldung.46 Im darauffolgenden Jahr war Reichel neben seinem Sohn Hans einer der Leihgeber für die große Oskar Kokoschka Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie.47 Zu dieser Zeit wurden Kokoschkas Gemälde in Deutschland bereits als Entartete Kunst aus den öffentlichen Sammlungen entfernt und zum Teil vernichtet. Abgesehen von den hier besprochenen Kunstwerken befanden sich in Reichels Sammlung auch Werke nachstehender Künstler: Albin Egger-Lienz, Anton Faistauer, Johannes Fischer, Paris von Gütersloh, Felix Albrecht Harta, Carry Hauser, Fritz Hegenbart, Rolf Henkl, Ferdinand Khnopff, August von Pettenkofen, Carl Anton Reichel, Moritz von Schwind, Viktor Tischler oder Vincent van Gogh, Henri de ToulouseLautrec, Auguste Renoir sowie Paul Gauguin und Eduard Manet. Außerdem darf an dieser Stelle sein Interesse an Asiatika und gotischer Plastik nicht unerwähnt bleiben.48 Reichel als Galerist und Kunsthändler
Wie bereits berichtet, führte Reichels Kunstinteresse so weit, dass er Anfang der 1920er Jahre eine eigene Galerie eröffnete. Dem Direktor der K. K. Österreichischen Staatsgalerie, Franz Martin Haberditzl, gab Oskar Reichel in einer Zuschrift bekannt, dass er »seit kurzem die künstlerische Leitung eines modernen Salons übernommen habe (VIII. Josefstädterstraße 21, Moderne Galerie)«.49 Die Moderne Galerie eröffnete von März bis April 1920 in den »drei einfach und konzessionslos zweckmäßig ausgestatteten Räumen«50 ihre erste Ausstellung mit Arbeiten des ungarischen Malers Lajos Tihanyi. Ab Jänner 1921 fand die vierte Gruppenausstellung der Künstlervereinigung Freie Bewegung in den Räumen der Galerie statt. Es wurden über 60 Zeichnungen und Druckgrafiken unter anderen von Carry Hauser, Erich Heckel, Frieda Salvendy oder Katharina Zirner präsentiert.51 Daran anschließend wurden vom 23. 46 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt., VA, Zl. 45.139, Dr. Oskar Reichel, unfol. Schätzgutachten von Amatus Caurairy, 25.6.1938. 47 Vgl. Ausstellungskatalog der Oskar Kokoschka Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, Mai und Juni 1937. 48 Oskar Reichel war Mitglied des Vereins der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien. Vgl. Wiener Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Asiens, Band V., 1930. 49 Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Signatur: H.I.N.-208509. Oskar Reichel: Brief an Franz Martin Haberditzl, 12.4.1920. 50 Erica TIETZE-CONRAT, Ausstellungen Wien, in: Kunstchronik und Kunstmarkt. Wochenschrift für Kenner und Sammler 55 (23.4.1920) 30, S. 79. 51 Vgl. Ewald SCHNEIDER, Die Künstlergruppe »Freie Bewegung« 1918–1922, Wien 1999, S. 52 und S. 202.
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Abbildung 4: Anzeigen der Firma KUWO.
April bis 17. Mai die Werke des Wiener Künstlers Rolf Henkl gezeigt, der mittels selbst entworfener Plakate und Einladungskarten Werbung für seine Ausstellung machte. Die Räume waren ihm kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Im Gegenzug dazu behielt sich die Galerie bei Verkäufen eine Provision von 15 Prozent und verlangte ein Eintrittsgeld von 20 Kronen.52 Die Ausstellungen dürften erfolgreich gewesen sein, denn im Juli desselben Jahres wurde die Galerie als eigenes Unternehmen unter dem Namen Galerie Dr. Reichel GesmbH ins Handelsregister eingetragen.53 Die Galerie bestand nur einige Jahre und das Hauptgeschäft der Firma Kunst und Wohnung, auch KUWO genannt, die von Hugo Gorge, Architekt und Mitarbeiter der Wiener Werkstätte, künstlerisch geleitet wurde, bestand in der Erzeugung sowie dem Ankauf und Vertrieb von Möbeln, Kunstgewerbe- und Einrichtungsgegenständen aller Art.54 1933 fand in den Räumen des Möbelhauses noch eine Ausstellung mit Werken von Georg Kirsta (Gemälde und Pastelle) und Priska von Martin (Terrakotten) statt.55 Die Firma wechselte 1934 ihren Standort in den ersten Wiener Gemeindebezirk in die Seilergasse 7 und verfügte über eine Zweigniederlassung in der angrenzenden Plankengasse (Abb. 4). Mit Ende des Jahres 1937 wurde Reichels 52 Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Signatur Cod. Ser. n. 15302, Teilnachlaß Rolf Henkl, fol. 50, Reichel an Henkl, 9.4.1921 und fol. 63, Einladungskarte. Reichel selbst erwarb das Gemälde Die einsame Landschaft und die Zeichnung Das Empfangene. 53 WStLA, Handelsgericht Wien, A45, Registerakten der aufgelassenen Firmen: GmbH, C 57-55. Galerie Dr. Reichel Gesellschaft m.b.H. Betriebsgegenstand der Galerie war der Handel mit Gegenständen der Kunst, des Kunstgewerbes und mit antiken Möbeln für eigene und fremde Rechnung. Zu Geschäftsführern wurden neben Oskar Reichel Rudolf Lorenz und Dr. Jean Billiter bestellt. In den Zeitungsartikeln wurde die Galerie allerdings Moderne Galerie Lorenz, Kunstsalon Lorenz oder einfach nur Moderne Galerie genannt. 54 Vgl. Werner J. SCHWEIGER, Kunsthandel der Zwischenkriegszeit in Wien, in: Galerie Würthle. Gegründet 1865, Wien 1995, S. 17–23, hier S. 20. 55 Vgl. Kunstausstellungen, in: Der Wiener Kunstwanderer 1 (Dezember 1933) 11/12, S. 44.
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
Sohn Raimund zum Geschäftsführer ernannt und der Firmenwortlaut in Kunst und Wohnung, Lorenz & Reichel Gesellschaft m.b.H. geändert.56 Ein Jahr später wurde die Firma behördlich gesperrt und in der Folge zwangsliquidiert. Die Sammlung und ihr Schicksal nach 1938
Mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich musste Oskar Reichel – der entsprechend den Nürnberger Gesetzen als Jude verfolgt wurde – sein gesamtes Vermögen anmelden, so auch seine Kunstsammlung, deren Schätzung von Amatus Caurairy, einem Wiener Kunsthändler sowie gerichtlich beeideten Sachverständigen und Schätzmeister, durchgeführt und mit einem Gesamtwert von 9.318 RM bewertet wurde.57 Caurairys Expertise ist das letzte verfügbare Dokument, das uns über diese vielfältige Sammlung Auskunft gibt, bevor diese über den Wiener Kunsthandel und Privatpersonen veräußert wurde. Einige Verkäufe wurden noch von Oskar Reichel selbst vorgenommen. In der Zeit von Ende April bis Juni sowie im November und Dezember 1938 fanden laut Mitteilungen von Oskar Reichel an die Vermögensverkehrsstelle Bilderverkäufe statt.58 Reichel muss, wie heute bekannt ist, große Teile seiner Sammlung damals an die Neue Galerie Wien, der die Sammlung bestens bekannt war, verkauft haben – denn Vita Maria Künstler, Mitarbeiterin der Neuen Galerie Wien, hatte Kunstwerke aus der Sammlung Reichel ab 1939 der Albertina, den Städtischen Sammlungen sowie der Österreichischen Galerie zum Kauf angeboten.59 In den Nachkriegsjahren handelte auch Wolfgang Gurlitt, Mitbegründer der Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang Gurlitt Museum, nachweislich mit Werken aus der Sammlung Reichel. Er verkaufte 1953 aus seiner privaten Kunstsammlung einige Gemälde Romakos an die Städtischen Sammlungen in Wien. In diesem Jahr erwarb die Stadt Linz für die Gründung der Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang Gurlitt Museum, dem heutigen Lentos Kunstmuseum, über 100 Gemälde und Zeichnungen aus Gurlitts Privateigentum.60 Einen Teil seiner Sammlung versuchte Oskar Reichel mit seinen Sohn 56 Archiv Wirtschaftskammer Österreich, Gewerbearchiv, Kunst & Wohnung R. Lorenz GesmbH. 57 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt, VA, Zl. 45.139, Dr. Oskar Reichel, unfol., Schätzgutachten von Amatus Caurairy, 25.6.1938. 58 Vgl. ÖStA/AdR BMF, VVSt, VA, Zl. 45.139, Dr. Oskar Reichel, unfol., Reichel an die Vermögensverkehrsstelle, 28.11.1938 und 13.12.1938. 59 Vgl. Archiv des Belvedere Wien, Archiv der Neuen Galerie Wien, Rechnungen 1941–1954 sowie Briefwechsel Albertina 1924–1954, Historisches Museum der Stadt Wien und Österreichische Galerie 1925– 1953. 60 Vgl. Walter SCHUSTER, Die »Sammlung Gurlitt« der Neuen Galerie der Stadt Linz, Manuskript des Archivs der Stadt Linz, Linz 1999, S. 43–46.
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174 Julia Eßl Hans, der in die USA emigrieren wollte, auszuführen. Auf dem Ausfuhransuchen vom Juli 1939 waren neben Teppichen und Porzellan zwei Ölbilder und ein Tafelbild angeführt, drei Ölgemälde von Anton Romako wurden zur Beurteilung vorläufig zurückgehalten und drei Tage später abermals angemeldet. Das Ansuchen vom Juli 1939 wurde im April 1940 mit Gültigkeit bis Juli 1940 neu ausgestellt und die Ausfuhr für alle fünf beantragten Gemälde61 bewilligt.62 Ein weiterer Teil der Kunstsammlung war für Versteigerungen vorgesehen. Laut eines Briefwechsels zwischen dem Leiter der Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo, Karl Herber, und dem Institut für Denkmalpflege sollten vier Bilder Anton Romakos Anfang 1942 im Dorotheum versteigert werden. Diese wurden allerdings auf Wunsch des Instituts für Denkmalpflege von der Auktion zurückgezogen.63 Sie konnten alle eindeutig als Kunstwerke der Sammlung Reichel identifiziert und Gemälden auf dem Schätzgutachten zugeordnet werden. Zwei der Gemälde wurden schließlich in der Auktion vom 3. bis 6. November 1942 im Dorotheum auktioniert und tauchten Mitte der 1970er beziehungsweise 1980er Jahre im Kunsthandel auf. Von den beiden anderen kam eines direkt an die Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz und das vierte Gemälde war 1950 als Leihgabe der Neuen Galerie der Stadt Linz bei der Gedächtnisausstellung Anton Romako in der Akademie der bildenden Künste in Wien zu sehen.64 Einige Stücke der Sammlung verblieben in Wien und wurden von Malvine Reichel 1946 bei ihrer Übersiedlung in die USA ausgeführt.65 Neben einigen Teppichen waren dies Gemälde von Romako und Oppenheimer, darunter auch das Bildnis Malvine und Raimund Reichel, das sich seit 1988 als Schenkung von Raimund Reichel im Museum Moderner Kunst – Stiftung Ludwig Wien (MUMOK) befindet.66 Raimund Reichel, der anhand des Werkverzeichnisses von Fritz Novotny 1957 Anspruch auf über 50 Gemälde und Zeichnungen Anton 61 Es handelt sich hier um die Gemälde Bildnis eines jungen Mannes (Selbstbildnis), Mädchenbildnis, Die Gattin des Künstlers, Studie nach einem Schimpansen und Tannhäuser. Vgl. NOVOTNY 1954, WV 13, 90, 95 und 153 und 349; Cornelia REITER, Anton Romako. Pionier und Außenseiter der Malerei des 19. Jahrhunderts, Weitra 2010, WV 15, 139, 144, 249 und 558. 62 Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhrmaterialien, Ausfuhrbewilligung Dr. Hans Reichel, Zl. 5066/39, 5084/39 und 407/40. 63 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien Kt. 13/2, M. 3a, fol. 25. Karl Herber an das Institut für Denkmalpflege, 20.6.1942. 64 Vgl. REITER 2010, WV 18, 234, 338 und 506; Katalog der Gedächtnisausstellung Anton Romako, Wien 1950, S. 19, Nr. 33. 65 Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhrmaterialien, Ausfuhrbewilligung Malvine Reichel, Zl. 108/46. Es ist anzunehmen, dass diese Werke an Freunde zur Verwahrung übergeben worden waren und Malvine diese nach Kriegsende abholte. 66 Vgl. www.mumok.at (29.3.2013).
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Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel
Romakos, die einst seinem Vater Oskar gehört hatten, erhob, erlebte die Restitutionen der Kunstwerke nicht mehr.67 Dr. Oskar Reichel, zuletzt wohnhaft im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, verstarb ebendort am 7. Mai 1943. Seine Frau Malvine wurde im Jänner 1943 nach Theresienstadt deportiert und überlebte den Nationalsozialismus.68 Nach Kriegsende lebte sie für kurze Zeit in Wien und übersiedelte dann nach New York zu ihrem Sohn Hans, der 1939 vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet war. Dort starb sie 1951, ihr Sohn 1979. Raimund Reichel flüchtete im März 1939 über Paraguay nach Argentinien und kehrte Anfang der 1980er Jahre nach Wien zurück, wo er am 4. Dezember 1997 verstarb.69 Der älteste Sohn Maximilian war am 10. Juli 1940 mit einem Sammeltransport in die NS-Euthanasieanstalt Brandenburg an der Havel gebracht und ebendort ermordet worden.70 Oskar Reichel, seine Frau Malvine,sein Bruder Richard und der jüngste Sohn Raimund liegen heute am Hietzinger Friedhof in Wien begraben.71 Die Sammlung Reichel in der Provenienzforschung
Bislang konnten 23 Werke, die sich bis März 1938 im Eigentum von Oskar Reichel befunden hatten, in den Beständen österreichischer Museen und Sammlungen aufgefunden und restituiert werden.72 In einigen Fällen verblieben die zur Rückgabe emp67 Vgl. ÖStA/AdR BMF, AHF, Zl. 28.067, Raimund Reichel, fol. 1; NOVOTNY 1954, S. 77–79. 68 Vgl. ÖStA/AdR BMF, E- uReang FLD, Reg. 46/232, Malvine Reichel. 69 Vgl. Michael WLADIKA, Dossier Dr. Oskar Reichel, Provenienzforschung bm:uuk – Leopold MuseumPrivatstiftung, 21.12.2009, S. 17. 70 Information aus der Zugangsliste der Heilanstalt Berlin-Buch aus dem Landesarchiv Berlin. Freundliche Auskunft von Annette Hinz-Wessels per E-Mail, 25.7.2011. 71 http://www.friedhoefewien.at/eportal/fhw/vs/submitSuchergebnis.do?id=0 (25.3.2013). 72 Die Zahl resultiert aus folgenden Rückgaben: Sechs Gemälde aus dem Wien Museum, drei Gemälde aus der Leopold Museum-Privatstiftung, sechs Zeichnungen aus der Albertina, sechs Gemälde aus dem Lentos Kunstmuseum Linz, ein Gemälde aus dem Oberösterreichischen Landesmuseum sowie ein Werk aus dem Universalmuseum Joanneum in Graz. Zwei zu restituierende Gemälde aus dem Wien Museum konnten nicht zurückgegeben werden, da diese im Zuge von kriegsbedingten Auslagerungen verloren gegangen sind. Vgl. Vierter Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek vom 10. November 2003, S. 60–63; http://derstandard.at/1308680070849/Fall-Reichel-Leopold-Museummeldet-Einigung (6.5.2014); Beschluss des Kunstrückgabebeirates zur Sammlung Oskar Reichel vom 6.12.2011; http://derstandard.at/1339639750367/Linz-gibt-erneut-Nazi-Raubkunst-zurueck (6.5.2014); http://www.landesmuseum.at/fileadmin/user_upload/downloads/provenienzforschung/Zwischenbericht_ GrafischeSammlung_Walther_Kastner.pdf (6.5.2014); http://derstandard.at/1326503558035/Universalmuseum-Joanneum-Kommission-empfiehlt-Rueckgabe-von-Raubkunst (6.5.2014).
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176 Julia Eßl fohlenen Werke in den Museen und Sammlungen, da sich die Erbin dazu entschlossen hat, diese als Dauerleihgaben den Häusern zu überlassen. Trotz der zahlreichen Rückgaben sind die Untersuchungen zur Sammlung Reichel bis heute nicht abgeschlossen, denn die Provenienzforschung stößt nach wie vor auf Hinweise – wie Besitzvermerke auf den Rückseiten – und es ist erst zu klären, wann und unter welchen Umständen diese Kunstwerke aus der Sammlung Reichel ausgeschieden sind. Zwar waren die in Reichels Eigentum stehenden Kunstgegenstände in einer der Vermögensanmeldung beiliegenden Schätzliste aufgelistet worden, die zahlreichen Zeichnungen der Sammlung waren dort lediglich als Konvolute zusammengefasst angeführt. Daher ist deren Identifizierung und Zuordnung im Gegensatz zu den meist ausführlicher dokumentierten Gemälden oft erst durch jahrelange Recherchen und der daraus resultierenden Zusammenhänge möglich – wenn dies überhaupt gelingt. Der Verbleib von etlichen in der Vermögensanmeldung von Oskar Reichel angeführten Kunstwerken – beispielsweise der Gemälde von Max Oppenheimer – konnte bis heute nicht geklärt werden.73
73 Vgl. Marie-Agnes von PUTTKAMER, Max Oppenheimer 1885–1954. Leben und malerisches Werk mit einem Werkverzeichnis der Gemälde, Wien-Köln-Weimar 1999.
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Interieur mit Herrenbildnis Die Sammlung Ernst und Gisela Pollack
Lisa Frank
Im März des Jahres 2000 empfahl der durch das Kunstrückgabegesetz eingerichtete Kunstrückgabebeirat die Restitution von neun Objekten aus dem MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst. Die Empfehlung basierte auf einem Dossier von Julia König, die im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung im Museum tätig war.1 Bei den Objekten handelte es sich um Keramiken aus der Sammlung von Ernst Pollack, die infolge einer so genannten Widmung 1948 im Museum verblieben waren.2 Die Übergabe der neun Sammlungsstücke erfolgte im Juni 2002 an die Erben Ernst Pollacks.3 Ursprünglich hatte der Wiener Sammler gemeinsam mit seiner Ehefrau Gisela eine weitaus umfangreichere, bedeutende Kunstsammlung besessen. Ernst Pollack4 wurde am 4. Februar 1865 als Sohn einer Prager Kaufmannstochter und eines mährischen Unternehmers in Wien geboren.5 Als ältester Sohn des erfolgreichen Textil-Fabrikanten Friedrich Pollak war seine berufliche Laufbahn vorgezeichnet. Er führte die Firma seines Vaters ab den 1890er Jahren als Gesellschafter gemeinsam mit seinem Bruder Julius fort.6 Beruflicher Erfolg und privates Glück ermöglichten dem Wiener Industriellen den Aufbau einer respektablen Kunstsammlung, die mehrere hundert Objekte zählte und in seiner Wohnung im Ersten Wiener Gemeindebezirk, in der er gemeinsam mit seiner Frau Gisela lebte, aufgestellt war. Mit einer repräsentativen Liegenschaft an der Wiener Ringstraße, einem Sommersitz in Reichenau an der Rax, einer breit gefächerten Kunstsammlung und dem Titel Kaiserlicher Rat entsprach Ernst Pollack jenen Vorstellungen, die mit einem erfolgreichen Geschäftsmann seiner Zeit verbunden wurden. 1 2 3 4
5 6
Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/index.aspx?ID=24&LID=1#L_P (2.6.2013). Vgl. http://www.mak.at/sammlung/sammlung_artikel/ernst_pollak (2.6.2013). Vgl. http://www.mak.at/sammlung/sammlung_artikel/ernst_pollak (2.6.2013). Am 15.9.1905 änderten Ernst und seine Ehefrau Gisela ihren Familiennamen von Pollak in Pollack. Möglicherweise um sich von der Vielzahl an Pollaks in Wien abzuheben. Vgl. Matrikenamt der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012; vgl. Georg GAUGUSCH per E-Mail vom 10.1.2013. Vgl. Wirtschaftskammer Österreich (WKO) Archiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875.
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178 Lisa Frank Die Lage änderte sich grundlegend als die Nationalsozialisten die Macht in Österreich übernahmen und der dem evangelischen Glauben H. B. angehörige Ernst genauso wie seine Ehefrau Gisela, basierend auf den antisemitischen Nürnberger Gesetzen der Verfolgung ausgesetzt waren.7 Ernst und Gisela Pollack wurden ihres Hab und Guts beraubt, die Sammlung wurde im Zuge des NS-Kunstraubes zerschlagen. Das Ehepaar fiel 1942 der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer.8 Auf die Empfehlung des Beirates, Kunstgegenstände aus dem MAK an die Erben nach Ernst Pollack zu restituieren, folgend, erschien im Mai 2000 in der Tageszeitung Der Standard ein Interview von Hubertus Czernin mit der Nichte des Ehepaars Pollack, Maria K., die zu Restitutionsangelegenheiten ihre Familie betreffend Stellung nahm und persönliche Erfahrungen im Bemühen die Sammlung wieder zusammenzubringen, schilderte.9 Der Entzug und das Schicksal ihrer Tante und des Onkels wurden im selben Jahr ein weiteres Mal thematisiert, diesmal in der kanadischen Zeitung The Ottawa Citizen in einem Interview von Ian MacLeod mit Maria und Hans K.10 Im Jahr 2001 berichtete Marianne Enigl im Profil von der Restitution eines Canon Gemäldes, das als Leihgabe des Historischen Museums der Stadt Wien in der Wiener Polizeidirektion gehangen hatte.11 2003 umriss Sophie Lillie die Entzugsgeschichte der Pollack’schen Kunstsammlung in ihrer Publikation Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens.12 Zuletzt fand das Schicksal von sechs flämischen Gobelins des Cornelis de Wael Erwähnung in einer Ausgabe des Magazins Profil vom Oktober 2012.13 Entzug und Restitution der Sammlung von Gisela und Ernst Pollack waren also seit dem Jahr 2000 wiederholt Gegenstand medialer beziehungsweise wissenschaftlicher Betrachtungen.14 Da die Geschichte der Familie und damit verbunden die der Kunst7
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Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde am 9.1.1920; vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012; ab 5.1.1934 mit evangelisch helvetischem Bekenntnis gemeldet; vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Ernst Pollack vom 15.11.2012. Vgl. http://www.doew.at/personensuche (2.6.2013). Vgl. Hubertus CZERNIN, Eine freche Abfuhr eingeholt, in: Der Standard, 5.5.2000. Vgl. Ian MACLEOD, An heiress’s fight for justice, in: The Ottawa Citizen, 9.12.2000. Vgl. Marianne ENIGL, Profil 48, 2001, S. 46. Vgl. Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 838–871. Vgl. Marianne ENIGL, Christa ZÖCHLING, Ums nackte Überleben, in: Profil online, http://www. profil.at/articles/1240/560/343549/egon-schiele-kunstkrimi-schiele-blaetter-sammlung-leopold (4.6.2013). Die vorhergehende Aufzählung von thematisch relevanten Publikationen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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sammlung des Ehepaars von der NS-Gewaltherrschaft entscheidend geprägt wurde, muss bei einer Darstellung eben dieser Sammlung und ihrer Eigentümer entsprechendes Augenmerk auch auf die Entziehung gelegt werden. Dennoch gilt es zunächst die Geschichte einer Kunstsammlung und ihrer Eigentümer vor der Machtübernahme Hitlers zu beleuchten; jene Jahre der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in welchen der Wiener Industrielle Ernst Pollack mithilfe seiner Frau Gisela die Kunst- und kunsthandwerkliche Sammlung zusammenstellte.15 Die Sammlung von Ernst und Gisela Pollack ist über Inventare in den Restitutionsmaterialien des Bundesdenkmalamtes (BDA) und über die Akten der Finanzlandesdirektion (FLD) im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA) zu einem Teil rekonstruierbar. In der von Sophie Lillie16 publizierten Liste werden jene Sammlungsteile wiedergegeben, die von der Vugesta in das Dorotheum zur Versteigerung eingebracht wurden und unter der Konsignationsnummer 213.631 Positionen zwischen 1 und 330 tragen.17 Abgesehen von diesem Verzeichnis gibt eine auf den 10. Mai 1944 datierte Liste in den FLD-Akten jene Objekte der Silbersammlung Pollacks wieder, die nicht zur Versteigerung kamen, sondern in einem Banksafe eingeschlossen waren.18 Ein in den Restitutionsmaterialien einliegendes, undatiertes Inventar enthält Bilder, China und Diverses, Möbel, Holz und Alt Wiener Porzellan.19 Unter anderem sind Werke von Eugène Delacroix, Hans Makart und Carl Moll verzeichnet, die in den übrigen Listen nicht aufscheinen. »Das Damenporträt von Gugel ist im Ursprungsverzeichnis Pollak nicht verzeichnet, scheint aber ebenfalls aus diesem Besitz zu stammen, da Fräulein Czepreghi [sic!] eine alte Inventarliste ihres Onkels vorgelegt hat, in der dieses Bild von Gugel enthalten ist«, schreibt Otto Demus (1902–1990), der Leiter des BDA, im Jahr 1948.20 Da das eben genannte Inventar ein Werk von Gugel aufweist, besteht eine 15 Für die Unterstützung bei der Spurensuche nach Ernst und Gisela Pollacks Lebenswegen sowie ihrer Kunstsammlung danke ich vor allem Hans K. – für die bereitwillig gegebenen Auskünfte zu seiner Familie und den freien Zugang zum Privatarchiv, das mir vor allem die persönlichen Erinnerungen seiner Frau Maria K. (geb. Csepreghy) offenbarte. Mein Dank gilt ebenfalls Wolf-Erich Eckstein, Georg Gaugusch, Christine Karner, Paul Rachler, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der von mir konsultierten Archive und Institutionen und meinen Kollegen und Kolleginnen der Kommission für Provenienzforschung. 16 Vgl. LILLIE 2003, S. 838–871. 17 Der bei Lillie wiedergegebenen Liste liegt eine Abschrift aus Privatbesitz zugrunde, vergleichbar mit der im Ursprungsverzeichnis einliegenden Liste (Positionen bis 342) der Vugesta-Einbringung (siehe Fußnote 21). Vgl. LILLIE 2003, S. 844. 18 ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 11, fol. 22–25. 19 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, Liste, fol. 1–6. 20 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Pollack Ernst, Kt. 43, M. 2, GZ. 4279/48, fol. 56; vgl. Theodor BRÜCKLER, Ulrike NIMETH, Personenlexikon zur Österreichischen Denkmalpflege (1850–1990), Wien 2001, S. 46–47.
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180 Lisa Frank hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um die von Demus erwähnte Inventarliste Pollacks handelt. Weitere Teilinventare, wie zum Beispiel die Reichsliste zu Pollack, befinden sich in der betreffenden Personenmappe, außerdem liegt ein Inventar der Sammlung im Ursprungsverzeichnis ein.21 Weitere Kunstwerke, wie ein Porträt des Sammlers, sind eindeutig der Sammlung zuzuschreiben, jedoch nicht in den bekannten Listen verzeichnet. Ernst Pollack war als Sammler vielseitig interessiert. Obwohl er einige repräsentative Gemälde sein Eigen nennen konnte, lag der Schwerpunkt seiner Sammlung auf kunstgewerblichen Objekten. Innerhalb dieser Kategorie war sein Interesse allerdings breit gefächert. Neben Werken alter Meister und Künstlern des 19. Jahrhunderts spannte sich der Bogen seiner Sammlungstätigkeit von Porzellan über Keramik, Möbel, Gobelins, Bronzen, Silber, Stoffe bis hin zu historischen Waffen. Auf eine Familientradition konnte er sich in Bezug auf seine Leidenschaft für Kunst vermutlich nicht berufen. Der soziale und wirtschaftliche Aufstieg der Familie Pollak wurde durch Friedrich Pollak (1831–1914) ermöglicht. Friedrich Pollak war am 25. Juni 1831 im damaligen Wölking bei Zablings/Dolní Bolíkov bei Slavonice in Mähren als Sohn eines so genannten Schnittwarenhändlers, einem Händler für Textilien, geboren worden.22 In einem Artikel über Bedeutende Südwestmährer wird 1932 berichtet, dass er vor 1850 als Schulgehilfe in Piesling/Písečné mit einem Monatsgehalt von 14 fl. (Gulden) gearbeitet haben soll, bevor er sich der Industrie zuwandte.23 1860 gründete er mit Heinrich Hackl (1822–1901), einem Webermeister aus Weitra in Niederösterreich, der bereits seit 1843 einen eigenen Betrieb führte, die Woll- und Seidentücher produzierende Fabrik Hackl & Pollak.24 Neun Jahre später erhielt die Firma das Privileg, k. k. im Namen tragen und den Doppeladler in Schild und Siegel führen zu dürfen.25 Überdies 21 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, GZ. IV-723/Dsch/1940. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Ursprungsverzeichnissen finden sich bei Pollack Listen der Vugesta-Einbringung ins Dorotheum mit Konsignationsnummern, eine Liste der Erwerbungswünsche des Kunstgewerbemuseums, eine Liste der Bronzen, sowie ein Nachtrag zur Liste des Dorotheums. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Ursprungsverzeichnis III: Pollak, Kt. 8/1, M. 17. 22 Vgl. Rud. [?] HRUSCHLA, Bedeutende Südwestmährer. Pollak Friedrich, Fabrikant, in: Deutsch mähr.schles. Heimat 1/2 (1932), S. 22. 23 Vgl. HRUSCHLA 1932, S. 22. 24 Vgl. J. [?] MENTSCHL, Friedrich Pollak, in: Österreichisches biographisches Lexikon 1850–1950, http://www.biographien.ac.at/oebl?frames=yes (4.6.2013); vgl. Andrea KOMLOSY, Auf den Spuren der Familie Hackl. Notizen zum Werdegang einer Waldviertler Industriefamilie, in: Rainer STEPAN (Hg.), Christliche Demokratie 6 (1988) 3: Bürgertum in Österreich, S. 197–212, hier S. 198–199. 25 Vgl. KOMLOSY 1988, S. 199; vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, Wien 1898, S. 125.
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wurde das Unternehmen bei Ausstellungen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem bei der Weltausstellung von 1873 in Wien, wo Hackl & Pollak in der Kategorie Textil- und Bekleidungs-Industrie eine Verdienst-Medaille erhielt.26 Im Jahr 1876 wurde der Vertrag zwischen Heinrich Hackl und Friedrich Pollak aufgelöst.27 Fortan führte Friedrich Pollak eine eigene Firma unter seinem Namen, ab 1896 war sie als k. k. privilegierte Tücher- und Modewarenfabrik Friedrich Pollak eingetragen.28 Seine Söhne stiegen beide in das Unternehmen des Vaters mit ein, Ernst im Jahr 1890, sein Bruder Julius (1868–1943) 1893.29 Sein Schwiegersohn Ignaz Wolf (1856–1913),30 der Ehemann seiner Tochter Ida (1862–1943), war ebenfalls Gesellschafter.31 1898 beschäftigte Friedrich Pollak insgesamt etwa 1.000 Arbeiter und Arbeiterinnen.32 »Centralleitung, Niederlage und Bureaux [befanden] sich im Waarenhause« in der Schmalzhofgasse 4–6 in Wien Mariahilf.33 Der Hauptsitz der Fabrikation lag in Fulnek in Mähren mit einer Färberei, einer mechanischen Weberei und Appretur, einer Spinnerei und einer Handweberei.34 Zweigniederlassungen bestanden in Böhmen, Mähren und Schlesien, Musterlager und Vertretungen waren in zahlreichen Städten der Welt zu finden.35 Bis zur Einführung der McKinley Bill, die ab 1890 die Einfuhr ausländischer Waren nach Amerika erschwerte, exportierte Pollak zudem Chenilledecken36 in die USA.37 Er starb am 9. März 1914 im Alter von 83 Jahren in Wien.38
26 Grazer Ausstellung 1870, Weltausstellung Wien 1873, Weltausstellung Melbourne 1888 und Weltausstellung Paris 1889. Vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, Wien 1898, S. 125; vgl. o. A., Weltausstellung 1873 in Wien. Amtliches Verzeichnis der Aussteller, welchen von der internationalen Jury Ehrenpreise zuerkannt worden sind, Wien 1873, S. 219. 27 Andrea Komlosy gibt die Auflösung des Vertrags von Hackl und Pollak mit 1876 an, die Eintragung in das Handelsregister für Friedrich Pollaks eigene Firma erfolgte jedoch bereits am 7.12.1875; vgl. WKOArchiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875. 28 Vgl. WKO-Archiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875. 29 Die Firma bestand, zumindest auf dem Papier bis 12.3.1951. Vgl. WKO-Archiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875; ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 11, fol. 28. 30 Vgl. Todesanzeige Ignaz Wolf, in: Neue Freie Presse, 21.3.1913, S. 21. 31 Vgl. WKO-Archiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875. 32 Vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, S. 125. 33 Vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, S. 125; ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 2, o. fol. 34 Vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, S. 124–125. 35 Musterlager in Prag, Brünn, Triest, Budapest, London und Brüssel, Vertretungen in Paris, Manchester, Hamburg, Kopenhagen, Turin, Alexandrien, Kairo, Beirut, Saloniki, Barcelona und Basel. Vgl. o. A., Die Gross-Industrie Oesterreichs, S. 124–125. 36 Chenille: frz.: Raupe. 37 Vgl. J. [?] MENTSCHL, Friedrich Pollak, in: Österreichisches biographisches Lexikon 1850–1950, http://www.biographien.ac.at/oebl?frames=yes (4.6.2013). 38 Vgl. Todesanzeige Friedrich Pollak, in: Neue Freie Presse, 11.3.1914, S. 23.
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182 Lisa Frank Als Folge des Ersten Weltkriegs und der daran anschließenden Neuordnung Europas, die Friedrich Pollak nicht mehr miterlebte, entfiel der kaiserlich-königliche Zusatz im Firmennamen. Die politische Lage führte außerdem zur teilweisen Aufgabe von Standorten beziehungsweise zu Änderungen im Firmengefüge.39 Am 6. Juli 1938 gab sein Sohn Ernst im Verzeichnis über das Vermögen von Juden an: »Gesellschafter der Firmen: Schafwoll- und Seidenwarenfabrik Friedrich Pollak, Wildenschwert, Tücheru. Modewarenfabrik Friedrich Pollak, Fulnek, CSR, Ziegelei Friedrich Pollak, Thyrn CSR [und] Tücher- u. Modewarenfabrik Friedrich Pollak, Wien, wo nur ein Evidenzbüro für die c[z]echoslovakischen Fabriken geführtes Evidenzbüro besteht« zu sein.40 Mit seiner Ehefrau Franziska, geb. Fischel (1840–1907),41 die er 1860 geheiratet hatte42 – sie war einige Jahre vor ihm verstorben – hatte Friedrich Pollak fünf Kinder, die bereits genannten Söhne Ernst und Julius, sowie die drei Töchter Ida Wolf, Berta Sanders (1863–1943) und die im Kindesalter verstorbene Olga Pollak (1874–1880).43 Als Vizepräsident war Friedrich Pollak jahrelang im Vorstand des Israelitischen Tempel-Vereins für Mariahilf und Neubau tätig gewesen.44 Die 1883–1884 von Max Fleischer (1841–1905) im neogotischen Stil errichtete Synagoge lag in unmittelbarer Nachbarschaft der Zentrale seiner Fabrik und Wohnung in der Schmalzhofgasse 3.45 1938 wurde sie während des Novemberpogroms zerstört.46 Wie Maria K. vermutete, teilten Friedrich Pollaks Kinder dessen religiöses Engagement nicht. »[F]ast alle Pollack Verwandten, also Julius, Berta und Ida und deren Familien [scheinen] zum evangelischen Glauben übergetreten zu sein und zwar nicht zum helvetischen aber zum Augsburger Bekenntnis, wohingegen Onkel Ernst und Tante Gisi scheinbar das helvetische Bekenntnis bevorzugten.«47 Am 14. Oktober 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. WStLA, Handelsgerichtsakten, Ges 36, 20. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Vgl. Georg GAUGUSCH per E-Mail vom 10.1.2013. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 30.4.2013. Vgl. Todesanzeige Friedrich Pollak, in: Neue Freie Presse, 11.3.1914, S. 23. Max Fleischer war als Architekt auf den Synagogenbau spezialisiert. Er schuf zwei weitere Synagogen in Wien, eine Synagoge in Krems und weitere in zahlreichen anderen Ländern der Monarchie. Vgl. http:// www.architektenlexikon.at/de/142.htm (6.6.2013); vgl. Todesanzeige Friedrich Pollak, in: Neue Freie Presse, 11.3.1914, S. 23. 46 Vgl. Bob MARTENS, Herbert PETER, Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Stadtspaziergänge, Wien 2011. 47 Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004. Während der Religionswechsel von Ernst und Gisela nachweisbar ist, konnten die Austritte der Geschwister nicht belegt werden. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 26.4.2013; vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Julius Pollak vom 11.3.2013; vgl. WStLA, Historische Meldeunterla-
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1894 hatte Ernst die um neun Jahre jüngere Gisela Baronin Neuman de Végvár (1874–1942)48 nach jüdischer Tradition im Wiener Stadttempel geheiratet.49 Das Ehepaar Pollack trat im Jahr 1920 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus.50 Der Drang sich zu assimilieren, dürfte ein mitbestimmender Grund für den Übertritt gewesen sein.51 »Man wollte einfach nicht mehr zu einer Minorität gehören. Und da man reich war wollte man auch Prestige, Wohltätertum und großer generöser Förderer [sein], all das hat wahrscheinlich damals eine große Rolle gespielt.«52 Die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche war jedoch nicht nur auf dem Abbildung 1: Gisela Pollack Papier existent. Ernst Pollack unterstützte die Kirche und engagierte sich als Presbyter und Vorstand 53 in der Pfarrgemeinde. Gisela Pollack bedachte die Gemeinde in ihrem Testament großzügig.54 Als eines von vier Kindern des Adolf Baron Neuman de Végvár (1836–1917) und seiner Ehefrau Marie (1851–1889) entstammte Gisela einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie.55 Ihr Vater war Seniorchef der Firma Gebrüder Neuman in Arad,56 die dort seit 1851 eine Spirituosenfabrik, ab 1909 eine Textilfabrik und eine Mühle betrieb.57
48 49 50 51 52 53 54 55
56 57
gen, Meldeauskunft Ida Wolf 5.6.2013; vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Berta Sanders vom 7.6.2013. Todesfallanzeige Pollak Gisela; vgl. http://www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.7999 (19.4.2013). Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004. Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004. WStLA, Verlassenschaftsakt Gisela Pollack, GZ. 10A 773/46. Die Geschwister Giselas waren Alfred Baron Neuman de Végvár (1871–1930), Adele Neuman de Végvár (1877–1942) und Klara de Györössy-Csepreghy (1883–1936). Vgl. http://www.geni.com/people/AlfredNeuman-von-Vegvar/6000000015865769813 (6.6.2013); vgl. http://www.geni.com/people/Adele-Neumann/6000000015865317993 (6.6.2013); Totenmatrikelauszug Klara de Györössy-Csepreghy, Privatarchiv Toronto; vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Ehemals in der österreichisch-ungarischen Monarchie gelegen, heute: Rumänien. Vgl. Todesanzeige Baron Adolf Neuman v. Végvár, in: Neue Freie Presse, 18.11.1917, S. 24; vgl. http:// www.virtualarad.net/city/va_history_de.htm (29.11.2012).
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184 Lisa Frank Neben dem Wohnsitz in Arad hatte der Vater Giselas ebenfalls eine Wohnung in der Praterstraße 78 in Wien.58 Die Historikerin Christine Karner vermutet, dass Teile der Kunstsammlung mit dem wohl beträchtlichen Erbe Giselas nach dem Tod ihres Vaters erworben wurden.59 Im Testament Ernst Pollacks, in dem seine Gattin als Universalerbin eingesetzt ist, heißt es: »Da die gesamte Wohnungseinrichtung nebst den Kunstsammlungen, Silbergeräten, Bildern etc., weiters die Automobile bereits im Eigentum meiner lieben Gattin sind, weil diese Objekte teils ihr von mir schon vor vielen Jahren bei Lebzeiten geschenkt und übergeben, teils von ihrem eigenen Gelde ihrerseits angekauft wurden, können diese Objekte keinen Gegenstand meines Nachlasses bilden.«60 Auch die Immobilie an der Ringstraße, die Ernst Pollack 1917 erworben hatte, ging 1936 in Giselas Eigentum über.61 Die Villa in Reichenau an der Rax wurde den Erinnerungen der Nichte Maria K. zufolge zwar von Ernst Pollack erworben, tatsächlich gehörte sie aber (zumindest ab 1935)62 ebenfalls ihrer Tante Gisela, wie aus der Vermögensanmeldung und ihrem letzten Willen hervorgeht.63 Zugleich belegen die Testamente der beiden aber auch das Gewicht, das auf die Wünsche beziehungsweise die Meinung des Ehemannes gelegt wurde, wenn Gisela ihren letzten Willen in Bezug auf das Ringstraßenhaus mit den Worten »[g]emäß den Intentionen meines Mannes vermache ich mein Haus« beginnt.64 Ernst seinerseits empfiehlt seiner Gattin, die Verwaltung ihres Vermögens im Einvernehmen mit zweien seiner Freunde zu besorgen und vermacht seinem »langjährigen Freunde Robert Mayer in Wien III., Reisnerstraße 19 als Andenken die zur Kunstsammlung meiner Frau gehörige Bronzefigur Venus l’ecrivisse darstellend«.65 Von der Richtigkeit der Angaben ausgehend war Ernst Pollack demnach die treibende Kraft beim Aufbau der Sammlung, seine Frau Gisela dürfte daran aber, jedenfalls finanziell maßgeblich beteiligt gewesen sein. Offiziell scheint die Kunstsammlung 1938 in der Vermögensanmeldung Ernst Pollacks auf.66
58 Eintrag in den Meldeunterlagen von 1890 bis 1917. Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Adolf Neuman de Végvár vom 7.3.2013. 59 Vgl. Christine KARNER per E-Mail vom 27.1.2013. 60 WStLA, Verlassenschaftsakt Ernst Pollack, GZ. 10A 772/46. 61 Bezirksgericht Innere Stadt Wien, Grundbuch, Schubertring 7, EZ 654. 62 Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 3, fol. 63. 63 Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 26201, Gisela Pollack; Vgl. WStLA, Verlassenschaftsakt Gisela Pollack, GZ. 10A 773/46; vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto 18.12.2004. 64 WStLA, Verlassenschaftsakt Gisela Pollack, GZ. 10A 773/46. 65 WStLA, Verlassenschaftsakt Ernst Pollack, GZ. 10A 772/46. 66 Bei der Zuordnung der Kunstsammlung zum Vermögen Gisela Pollacks können steuerliche Gründe nicht völlig ausgeschlossen werden; vgl. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack.
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Abbildung 2: Wohnungsinterieur
Ernst und Gisela lebten bis 1908 in der Mariahilferstraße 93, danach in der Reichsratstraße 3, ab 1914 waren sie in der Weihburggasse 30 an der Ecke zur Hegelgasse im ersten Wiener Gemeindebezirk gemeldet.67 Obwohl die Nichte der Pollacks die Woh67 Vgl. http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/121472 (5.6.2013); vgl. http://
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186 Lisa Frank nung der beiden als »sehr schön« in Erinnerung hatte, war ihr Onkel auf der Suche nach einem größeren Domizil, um seine Kunstsammlung, die stetig anwuchs, besser zur Geltung bringen zu können.68 Er fand die seinen Vorstellungen entsprechende Wohnung am damaligen Kolowrat-Ring 7, dem heutigen Schubertring an der Ecke Christinengasse. Maria K. erinnerte sich an die reich ausgestattete Wohnung ihrer Jugendzeit folgendermaßen: »The tapistries I know because they were so huge (3.5 by four meters) and overwhelming. One was in the dining room. You’d have to eat your spinach, or whatever you didn’t want to eat and look at this tapestry. And the Brueghel I remember because it was always pointed out. But the rest, I’ll tell you, it was mainly, ›don’t touch it!‹, ›You can’t sit on this chair because it’s antique‹, and so on.«69 Das Haus, in welchem die neue Wohnung lag, war 1865 von Anton Ölzelt (1817– 1875) errichtet worden.70 Eine Familienlegende besagt, der Touring Club als damaliger Eigentümer, hätte nicht an Ernst vermieten wollen, woraufhin dieser einfach das ganze Haus gekauft habe.71 Das Ehepaar Pollack stellte sich mit dem Erwerb dieser Liegenschaft an der noch verhältnismäßig neuen Ringstraße in eine Reihe mit Familien wie den Epstein, Ephrussi, Lieben, Todesco, Zeppezauer, Schey oder Gutmann.72 Freilich gehörte Ernst, schon seines Alters wegen, aber nicht zu den ersten Eigentümern eines imposanten Baus an der neuen Prachtstraße Wiens, wie beispielsweise Baron Ignaz von Ephrussi, der den Vertrag mit Theophil Hansen bereits 1869 unterzeichnet hatte.73 »Der ganze Zauber wurde dadurch finanziert, dass man Grundstücke an die rasch wachsende Schicht der Finanzleute und Unternehmer verkaufte. Auf vielen wuchsen die typischen Ringstraßenpalais empor, ein Gebäudetyp, in dem sich hinter einer prächtigen Fassade mehrere Wohnungen verbargen.«74 Gleiches galt für das Haus am Schubertring 7 in dem das Ehepaar Pollack ab 1934 wohnte, nachdem die Wohnung im zweiten Stock vom Architekten Hartwig Fischel (1861–1942)75 nach ihren Wün-
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www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/124668; vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Ernst Pollack vom 15.11.2012. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto 18.12.2004. Maria K. zit. n. MACLEOD 2000, S. A2. Vgl. http://www.architektenlexikon.at/de/1200.htm (6.6.2013). Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto 18.12.2004. Vgl. Otto SCHWARZ, Hinter den Fassaden der Ringstrasse. Geschichte. Menschen. Geheimnisse, Wien 2007. Vgl. Edmund DE WAAL, Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, Wien 2011, S. 132. DE WAAL 2011, S. 126. Hartwig Fischel war Architekt und Schriftsteller fachspezifischer Aufsätze zu Architektur, Malerei und
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schen adaptiert worden war.76 Giselas Schwester Adele Neuman de Végvár lebte an der gleichen Adresse.77 Offen bleibt, warum Ernst und Gisela Pollack in der Wohnung erst ab 1934 gemeldet waren, obwohl sie das Haus bereits seit November 1917 besaßen.78 Im Sommer waren die Pollacks regelmäßig in Reichenau an der Rax, wo Ernst ein Haus, die so genannte Villa Gisela, errichtet im Jahr 1897, gekauft hatte.79 »Die Villa wurde […] von meinem Onkel Ernst als Sommerfrische für die Familie erworben. Es war nicht zu weit von Wien, wo er den Hauptsitz seiner Gross-Textilunternehmen und sein Haus am Schubertring 7 hatte, aber hauptsächlich wegen der Jagdmöglichkeiten. Onkel Ernst war ein leiAbbildung 3: Villa Gisela denschaftlicher und gewissenhafter Jäger.«80 Zu diesem Zweck pachtete er Reviere am Feuchter, Schneeberg, Prein und Kreuzberg. Auch die Schwestern seiner Frau, Klara und Adele, waren regelmäßige Gäste in der Villa. Maria, die Tochter Klaras, behielt das Anwesen als »sehr eleganten
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Kunstgewerbe. Als Architekt war er unter anderem an Gebäuden der Kaiser Ferdinand-Nordbahn beteiligt, errichtete Wohnbauten wie die die Villa Dr. Tietze, die Villa O. Anninger oder die Villa Mahler. Er starb im Alter von 81 Jahren im Exil in London. Vgl. http://www.architektenlexikon.at/de/136.htm (12.4.2013). Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Ernst Pollack vom 15.11.2012; vgl. Interview mit Hans K. im März 2013. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Bezirksgericht Innere Stadt Wien, Grundbuch, Schubertring 7, EZ 654. Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Brief vom 29.12.2003; vgl. Peter AICHINGER-ROSENBERGER, Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Niederösterreich südlich der Donau. A–L, HornWien 2003, S. 812. Privatarchiv Toronto, Maria K., Brief vom 29.12.2003.
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188 Lisa Frank Sommersitz« im Gedächtnis.81 In ihren Beschreibungen, die auf Erinnerungen aus ihrer Kindheit basieren, schilderte sie einzelne Räume, wie beispielsweise das getäfelte Speisezimmer mit einem großen Kachelofen und einem Käfig im Erker für den Kanari Hansi, das Grün tapezierte Jagdzimmer, das mit zahlreichen Jagdtrophäen ausgestattet war, die Zimmer der Familie, der Angestellten und Nebenräume, wie die unzählige Gläser Eingemachtes enthaltende Speisekammer. Auch die terrassierte Wiese mit Schaukel, Gemüse- und Obstgarten, sowie Nebengebäude, wie ein Glashaus oder eine Kammer für das erlegte Wild, fanden in ihrer Erzählung Platz. Von einer Sammlung oder Kunstwerken in der Sommervilla ist nicht die Rede. Ausgenommen davon ist eine zirka 60 Zentimeter hohe Mutter Gottes Statue, die im Mittelpunkt eines im Garten befindlichen Marterls stand. »Onkel Ernst hatte zuerst ein Stück Land von der Rothschild Stiftung gemietet. Es war nicht kaufbar, zum Ärgernis meines Onkels und so wurde es gemietet. Dieses Stück Land ergänzte den Garten gegen die Straße und ergab einen Eingang mit Tor im unteren Garten, heute gänzlich verwachsen. Damals wurde auch die Kapelle und das Marterl errichtet.«82 Außerdem berichtet sie von einer kleinen Statue im Garten, sie selbst als Kind darstellend und von einer Büste mit dem Porträt Gisela Pollacks, die 1918 von dem Bildhauer und Künstlerhausmitglied Josef Kassin (1856–1931) angefertigt wurde.83 Es ist nicht bekannt, wann Ernst Pollacks Sammelleidenschaft ihren Anfang nahm. Sicher ist, dass er im Herbst 1919 bereits eine repräsentative Sammlung sein Eigen nennen konnte, als er mit seiner Frau in der Weihburggasse 30 im ersten Bezirk in Wien wohnte. Sie ist erstmals über eine Wohnungsanforderung der Denkmalbehörde zur genannten Adresse am 28. November des Jahres 1919 greifbar, in der eine »grosse Anzahl wertvoller kunstgewerblicher Gegenstände von historischem Werte […] sowie guten alten Gemälden« erwähnt wird.84 Paul Buberl (1883–1942),85 Sekretär des Staatsdenkmalamtes, stellte bei seiner Besichtigung Majoliken, Porzellan, Gläser, Waffen, Bronzen sowie Gemälde in den mit Stuckdecken und Seidentapeten ausgestatteten Räumen fest.86
81 Privatarchiv Toronto, Maria K., Brief vom 29.12.2003. 82 Privatarchiv Toronto, Maria K., Brief vom 29.12.2003. 83 Vgl. http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstlerhaus/mitglieder/verzeichnisse/mitgliedergesamtverzeichnis/#k (30.4.2013). 84 BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wohnungsanforderungen, GZ. 2939/1919. 85 Vgl. BRÜCKLER, NIMETH 2001, S. 35. 86 Vgl. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wohnungsanforderungen, GZ. 2939/1919.
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Als Ratgeber beim Kauf neuer Stücke für die Sammlung fungierte Robert Mayer (1873–1973)87, der Ernst Pollack des Öfteren auf Auktionen begleitete.88 Er war Pollacks Taufpate, ebenfalls in der Textilbranche tätig und teilte mit seinem langjährigen Freund die Leidenschaft zur Kunst.89 Dem Leiter der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe des Kunsthistorischen Museums Bruno Thomas zufolge galt Mayer als »der letzte in der großen Generation der Wiener Sammler vom Range der Figdor, Bondy, Lederer, Auspitz«.90 Seine Sammlung nannte Thomas außerordentlich wertvoll.91 Das bereits erwähnte Inventar in den Restitutionsmaterialien des BDA, allem Anschein nach vom Sammler selbst stammend, enthält in einigen wenigen Fällen Hinweise auf Vorbesitzer beziehungsweise Auktionen, bei denen auf der Liste verzeichnete Werke versteigert wurden.92 So fand im Juni 1918 eine Auktion des Dorotheums in Wien statt, bei der die Sammlung Franz Thill zur Versteigerung gelangte.93 Dem Vermerk des Inventars folgend, erwarb Ernst Pollack bei dieser Gelegenheit das Ölbild Christus am Kreuz mit Maria und Johannes.94 Zwei kleine Holz geschnitzte Ritter darstellend Erzherzog Albrecht de[n] Weise[n] und Herzog Leopold deren lebensgroße Originalmodelle in der Innsbrucker Hofkirche zu sehen sind, kaufte er demnach aus der Sammlung Amerling.95 1925 besuchte Pollack die 282. Versteigerung von C. J. Wawra die gemeinsam mit der Antiquitätenhandlung Albert Werner am 26. und 27. November in der Lothringerstraße 14 in Wien 3 veranstaltet wurde.96 Es kamen Stücke aus der Sammlung 87 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Robert Mayer vom 22.7.2011. 88 Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto 18.12.2004; vgl. Christine Karner per E-Mail vom 27.1.2013. 89 Vgl. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto 18.12.2004; vgl. WStLA, Verlassenschaftsakt Ernst Pollack, GZ. 10A 772/46. 90 Bruno Thomas an den Präsidenten des Vereins der Museumfreunde Max Allmayer-Beck, 14.6.1955. Kunsthistorisches Museum (KHM) Archiv, 20/PL/55. 91 Vgl. Bruno Thomas an den Präsidenten des Vereins der Museumfreunde Max Allmayer-Beck, 14.6.1955. KHM-Archiv, 20/PL/55. 92 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, Liste, fol. 1–6. 93 Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/dorotheum1918_06_17/0029?sid=70acf3d8d3cfdaa7035e0 9ee364f0fda (23.5.2013). 94 Kat. Nr. 203, Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/dorotheum1918_06_17/0029?sid=70acf3d8d 3cfdaa7035e09ee364f0fda (23.5.2013); Abb. Tafel 27, Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/doro theum1918_06_17/0111?sid=70acf3d8d3cfdaa7035e09ee364f0fda (23.5.2013); vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, Liste, fol. 2. 95 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 43, Pollack Ernst, M. 1, Liste, fol. 4. 96 Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wawra1925_11_26/0003?sid=b1cbe5cade7e85d9fd002f918 af2b968 (8.5.2013).
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190 Lisa Frank von Eugen Miller von Aichholz unter den Hammer, die Camillo Castiglioni nach dessen Tod 1919 inklusive dem Palais in der Prinz-Eugen-Straße erworben hatte. 97 Aufgrund finanzieller Probleme sah sich nun Castiglioni gezwungen, einen Teil seiner Sammlung zu veräußern. Ernst Pollack erstand aus dem Konvolut eine Schüssel auf Fuß: im Medaillon Vulkan am Amboß in einer Landschaft, eine Schüssel: Loth und seine Töchter. Im Hintergrund das brennende Sodoma, einen Kölner Bartmannskrug und einen Siegburger rundbauchige[n] Krug, die im Versteigerungskatalog verzeichnet sind.98 Ein Derutateller und ein Urbinoteller stammen laut den Restitutionsmaterialien zu Ernst Pollack ebenfalls aus der Sammlung Miller von Aichholz ebenso eine Holländische Landschaft von Van de Venne und zwei Rehköpfe des 17. Jahrhunderts.99 Die Rehköpfe könnten allerdings auch schon bei einer Auktion der Sammlung Castiglioni/ Miller von Aichholz vor dem 15. Jänner 1922 von Pollack ersteigert worden sein. 100 In der Versteigerung des Auktionshauses für Altertümer Glückselig erstand Pollack 1928 die Porzellangruppe Pierrot und Pierette aus der Sammlung Karl Mayer, die von der Internationalen Sammler-Zeitung als »schlichtweg d i e Wiener Porzellansammlung« in den Himmel gehoben wurde.101 Wie viele andere gehörte Ernst Pollack dem Verein der Freunde asiatischer Kunst und Kultur an, in dessen Jahrbuch er 1931 als Stifter geführt wird und in deren Mitgliederverzeichnis die Elite der Wiener Kunstinteressierten, Kunstsammler und -sammlerinnen wiedergegeben ist.102 Auch darüber, was seine Hinwendung zur Kunst auslöste, können nur Vermutungen angestellt werden. Ein gewisses Repräsentationsbedürfnis dürfte dabei eine Rolle gespielt haben.103 Die private Kunstsammlung diente indes nicht allein der Verwirklichung persönlicher Interessen oder dem Drang, sich durch Kunst als Mann von Welt darzustellen. Sie war, abgesehen davon, ebenfalls einer wirtschaftlich relevanten Pres97 Vgl. Dieter STIEFEL, Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 331–332. 98 Kat. Nr. 78, Kat. Nr. 86, Kat. Nr. 113 und Kat. Nr. 114, Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ wawra1925_11_26/0014?sid=b1cbe5cade7e85d9fd002f918af2b968 (5.6.2013). 99 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Fotokartei N–Z, M. Silber; Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, Liste, fol. 1, 4. 100 Vgl. Norbert EHRLICH (Hg.), Versteigerung Rahmen, Wappen und Rehköpfe, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 2 (1922), S. 12. 101 Vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/glueckselig1928_11_19/0290/image?sid=eba45200b71745b 24d5515d26d1a2da3 (23.5.2013); vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Pollack Ernst, Kt. 43, M. 1, Liste, fol. 6; Norbert EHRLICH (Hg.), Auflösung der Porzellansammlung Karl Mayer, in: Internationale Sammler-Zeitung. Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 24 (1928), S. 239. 102 Vgl. Melanie STIASSNY (Schriftleitung), Wiener Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Asiens (= Jahrbuch des Vereins der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien 1929/30, V), Wien 1931, S. 82. 103 Interview mit Hans K. im März 2013.
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Abbildung 4: Hans Temple, Interieur mit Herrenbildnis
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192 Lisa Frank tigesteigerung förderlich.104 »Das Präsentieren von Reichtum war für die Wirtschaftsbürger eine Notwendigkeit, denn der ›demonstrative Konsum‹ verkörperte die erreichte wirtschaftliche Leistungskraft und, damit einhergehend, die Kreditwürdigkeit des Hauses.«105 Sein Stolz auf die erworbene Sammlung spiegelt sich in dem Ölgemälde Der Sammler wieder, das Ernst Pollack umringt von seinen Kunst- und kunsthandwerklichen Objekten zeigt. Gemalt wurde es von Hans Temple (1857–1931), wie eine Signatur in der rechten oberen Ecke des Bildes belegt, eine Datierung ist nicht vorhanden. Sicher ist eine Entstehung vor dem April 1926, da es ab diesem Zeitpunkt, bis zum Juni des Jahres, im Rahmen der XLVII. Jahresausstellung der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens im Künstlerhaus in Wien ausgestellt war.106 Das Gemälde ist im betreffenden Ausstellungskatalog unter dem Namen des Künstlers Temple Hans, der seit 1883 Mitglied des Künstlerhauses war, als Interieur mit Herrenbildnis verzeichnet und im Abbildungsteil wiedergegeben.107 Dass das Bild heute wieder in Familienbesitz ist, ist einem Zufall zu verdanken. Es wurde von einem Neffen der Pollacks in der Auslage einer Wiener Kunstgalerie in der Innenstadt wiederentdeckt.108 Der damalige Inhaber der Galerie konnte die Geschichte des Bildes aus alten Aufzeichnungen rekonstruieren.109 Die Galerie hatte es im Februar oder März 1943 im Dorotheum ersteigert und es war seitdem durchgehend im Besitz der Firma verblieben. Da es restaurierungsbedürftig schien, wurde das Gemälde noch während des Krieges einem Restaurator übergeben, dessen Haus in Folge von einer Bombe getroffen wurde. Aus diesem Grund ging man von der Vernichtung des Temple-Bildes aus. Bei den Aufräumungsarbeiten aber, wurde es zur Überraschung aller, so gut wie unbeschädigt aus dem Schutt geborgen und der Kunstgalerie retourniert. 1948 wurde es von der Galerie ein weiteres Mal zu einer Künstlerhausausstellung angemeldet und hat sich, wie aus dem Einlaufbuch des Künstlerhauses hervorgeht, 104 Vgl. Sven KUHRAU, Der Kunstsammler im Kaiserreich. Kunst und Repräsentation in der Berliner Privatsammlerkultur, Kiel 2005, S. 20. 105 KUHRAU 2005, S. 56. 106 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, XLVII. Jahresausstellung (= Kat. Ausst. Gesellschaft bildender Künstler Österreichs Künstlerhaus), Wien 1926. 107 Vgl. XLVII. Jahresausstellung 1926, S. 32. 108 In dem Artikel in The Ottawa Citizen von 2000 wird die Wiederentdeckung des Gemäldes in die 1970er Jahre datiert. Laut einem Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Hans Georg Zedwitz vom 6.12.1960 an Maria K. muss das Bild bereits vor diesem Datum aufgefunden worden sein. Vgl. Privatarchiv Toronto; vgl. MACLEOD 2000, S. A2. 109 Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Hans Georg Zedwitz vom 6.12.1960 an Maria K. Vgl. Privatarchiv Toronto.
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auch bis Oktober 1948 dort befunden.110 Aus unbekannten Gründen wurde es jedoch in der Ausstellung 80 Jahre Künstlerhaus. Jubiläums-Ausstellung anlässlich der Schlußsteinlegung 1868, in der es ausgestellt werden sollte, nie gezeigt.111 Die im Gemälde abgebildeten Kunstobjekte sind zum Teil noch in den frühen 1940er Jahren über das schon genannte Inventar des Dorotheums in der Sammlung nachweisbar, wie zum Beispiel das Bildnis eines jungen Reeders eines niederländischen Malers des 17. Jahrhunderts im linken oberen Eck des Bildes (aus der Sicht des Betrachters), die vergoldete Empire-Bronzefigur einer Diana mit Hirsch, die in der linken Bildmitte auf dem Tisch stehend abgebildet ist, oder die in unmittelbarer Nachbarschaft verewigte Bronzefigur eines Zentauren mit Löwenfell über dem linken Arm von 1787. 1943 wurden sie im Auftrag der Vugesta über das Dorotheum versteigert.112 In der rechten Hälfte des Gemäldes ist innerhalb des Bildraumes ein Tisch angeschnitten. Bei dem darauf befindlichen weißen, bauchigen Krug mit Henkel und blau-gelber Bemalung handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um jenen Slowakischen Weinkrug von 1824, der vom Staatlichen Kunstgewerbemuseum Wien (heute MAK) 1943 gemeinsam mit 28 weiteren Objekten im Dorotheum angekauft wurde und im März 2000 Gegenstand von Beratungen des Kunstrückgabebeirats war.113 Auch die große Schleifkanne aus Zinn der Nürnberger Bäckerzunft, die in das Jahr 1665 datiert und rechts unten im Bildvordergrund des Ölgemäldes dargestellt ist, kann über eine Fotografie in der Sammlung Pollack verortet werden. Sie ist in einem Aufsatz in der Zeitschrift Belvedere Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde von 1934/37 von Hartwig Fischel über Deutsche Zunftkannen abgebildet.114 Fischel, nicht nur ein Freund und Architekt Ernst Pollacks, sondern als Cousin seiner Mutter Franziska Pollak auch mit ihm verwandt115 – verfasste insgesamt neun Aufsätze zur Sammlung Pollack, die zwischen 1929 und 1937 im Belvedere erschienen.
110 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1948. 111 Vgl. 80 Jahre Künstlerhaus. Jubiläums-Ausstellung anlässlich der Schlußsteinlegung 1868 (= Kat. Ausst. Gesellschaft bildender Künstler Österreichs Künstlerhaus), Wien 1948. 112 Bildnis eines jungen Reeders; vgl. 484. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 22., 23., 24.6.1943, 6., 7., 8., 9.6.1943), Wien 1943, S. 9; Diana mit Hirsch; vgl. 483. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 18., 25., 26., 27., 28.5.1943), Wien 1943, S. 15; Zentaur mit Löwenfell über dem linken Arm; vgl. 483. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 18., 25., 26., 27., 28.5.1943), Wien 1943, S. 15. 113 Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/index.aspx?ID=24&LID=1#L_P (2.6.2013). 114 Vgl. Hartwig FISCHEL, Deutsche Zunftkannen, in: Belvedere. Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde 12 (1934/37), S. 102–104. 115 Vgl. Georg GAUGUSCH per E-Mail vom 10.1.2013.
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194 Lisa Frank Der erste Aufsatz aus 1929 hat Figürliches Silbergerät zum Inhalt.116 Fischel beschreibt darin Silberobjekte deutscher Herkunft für die Tafel. Er thematisiert einzelne Stücke der Sammlung in ihrem kunsthistorischen Kontext, wobei die beschriebenen Objekte zur Veranschaulichung in Fotografien dem Text beigestellt sind. Dass die besprochenen Werke aus der Sammlung des »Kommerzialrat E. Pollack, Wien« stammen, wird erwähnt, Näheres zur Sammlung in ihrer Gesamtheit, zur Sammlungsgeschichte oder zum Sammler selbst wird in diesem, wie auch in den acht folgenden Texten, nicht preisgegeben. In diesen Aufsätzen werden weitere in der Sammlung befindliche kunsthandwerkliche Objekte unterschiedlicher Gattungen beleuchtet: Elfenbein und Silberkannen 1930, Silberpokale und Silberschüsseln, Eine Goblinserie des Cornelis de Wael, sowie Intarsierte Schrankmöbel 1931, 1932 wurden Geschnitzte Truhen und Kassetten und Deutsche Gefäßkeramik thematisiert, Deutsche Zunftkannen und Deutsche Silberkannen 1934/37. Ob weitere Publikationen geplant waren, die aufgrund der Ereignisse des Jahres 1938 und danach nicht mehr zustande kamen, ist nicht überliefert. In den Quellen zu Ernst Pollack wird mehrfach bemerkt, dass seine Kunstsammlung unter Denkmalschutz gestanden haben soll.117 So empfahl Konrad Thomas in seiner Funktion als beeideter Kunstsachverständiger in einem beigelegten Schreiben zu Ernst Pollacks Vermögensanmeldung im März 1939 »diese bekannte Wiener Kunstsammlung in ihrer Gänze zu erhalten, da sie wegen ihrer Bedeutung schon vor Jahrzehnten unter Denkmalschutz gestellt wurde«.118 Retten konnten seine Worte die Sammlung jedoch nicht. Sie wurde größtenteils in den Jahren 1942 und 1943 in vier Kunstauktionen des Dorotheums versteigert und infolgedessen zerstreut.119 Die umfangreiche Silbersammlung ist in den Akten der Finanzlandesdirektion belegt. Der Anwalt Dr. Albert R. v. Schwarz ließ als Treuhänder über das gesamte Vermögen von Ernst Pollack das Silber im März 1939 in Safes der Länderbank in Wien I, Am Hof 2 sicherstellen.120 Wie auch Konrad Thomas, auf den er sich in seinem Schreiben an die Vermögensverkehrsstelle am 20. März 1939 be116 Vgl. Hartwig FISCHEL, Figürliches Silbergerät, in: Belvedere. Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde 8 (1929), S. 376–378. 117 Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack. 118 ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack. 119 Vgl. 478. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 6., 7.10.1942), Wien 1942; vgl. 483. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 18., 25., 26., 27., 28.5.1943), Wien 1943; vgl. 484. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 22., 23. 24.6.1943, 6., 7., 8., 9.6.1943), Wien 1943; vgl. 485. Kunstauktion (= Kat. Verst. Dorotheum Wien, Wien 19., 20. 21., 22.10.1943), Wien 1943. 120 Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack.
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zieht, befürwortete er »diese Sammlung wegen ihres grossen Kunstwertes beisammen zu halten«.121 Thomas umriss die Silberobjekte mit folgenden Worten: »In derselben [Kunstsammlung] befindet sich auch eine sehr wertvolle Sammlung von antiken Silbergegenständen, die aus der Zeit von Gotik bis Renaissance stammen«.122 Am 10. Mai 1944 wurde über Ersuchen der Bank ein Inventar der im Safe einliegenden Stücke angefertigt.123 Aufgenommen wurden 99 Objekte, wie etwa silberne und vergoldete Tierfiguren, eine Madonna, Leuchter, Dosen, Becher, Krüge, und weitere Silberobjekte sowie alter Silberschmuck, außerdem Schmuckstücke mit Edelsteinen und Perlen aus dem Besitz von Gisela Pollack.124 Im Juni 1945 gab die Länderbank der Oberfinanzkasse Wien-Niederdonau bekannt, dass die Schrankfächer von Angehörigen der Roten Armee geöffnet worden waren. Paul Sanders (1888–1948),125 der Neffe Ernst Pollacks, wurde über die Plünderung der Safes in Kenntnis gesetzt. Seine Bemühungen, den Inhalt von den sowjetischen Alliierten zurückzuerhalten blieben erfolglos.126 Der Verbleib der Silbersammlung konnte nicht geklärt werden. Sie ist heute zum Teil über Reproduktionen des Fotografen Martin Gerlach (1879–1944)127 visuell nachvollziehbar, die in den Restitutionsmaterialien des Bundesdenkmalamtes archiviert sind. Einzelne Stücke sind in der Zeitschrift Belvedere, in den Aufsätzen, die Silbergerät zum Thema haben, näher beschrieben und ebenfalls mit Fotos von Martin Gerlach illustriert. Da sich Fotografien Gerlachs aus den Restitutionsmaterialien als Abbildungen im Belvedere wieder finden, kann davon ausgegangen werden, dass Ernst Pollack Martin Gerlach bereits in den 1920er Jahren mit der Reproduktion seiner Sammlung beauftragt hatte. Die Figurengruppe Diana auf einem springenden Hirsch, ist ein Beispiel für eines der besonderen Silberstücke, die im Aufsatz Figürliches Silbergerät im Detail ausgeführt sind. Im Inventar von 1944 ist sie als ein Hirsch, darauf reitende Diana, mit Hunden verzeichnet, in der Fotokartei der Restitutionsmaterialien befindet sich eine Reproduktion Martin Gerlachs von 1940.128
121 122 123 124 125 126 127
ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack. Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 11, fol. 22–25. Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 11, fol. 22–25. Vgl. http://www.geni.com/people/Paul-Sanders/6000000011710423178 (14.6.2013). Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 11, fol. 17. Vgl. http://fotobiobibliografie.albertina.at/cgi-bin/biobibl_ausgabe.pl?scid=3135&pos=0&max=46&lan g=de&n=Gerlach%2C%20Martin%20jun. (25.6.2014). 128 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 30/1, Fotokartei N–Z, Silber.
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196 Lisa Frank Abbildung 5: Diana – Automat, Silbersammlung
Der vorliegende Aufbau erhebt sich über einem ornamentgeschmückten oblong achteckigen Sockel, der wohl das Uhrwerk getragen haben mag, welches das Schaustück über die Tischplatte rollen ließ. Die Deckplatte stellt den Waldboden dar auf dem in kleinen gegossenen Figürchen eine Hasenjagd sich abspielt. Über diese hinweg setzt der große Hirsch, der, prächtig modelliert, von feiner Naturbeobachtung zeugt; er ist ganz getrieben, zeigt glänzend polierte Flächen, gegen welche die ornamental gegossenen Auflagen in mattem, patiniertem Weißsilber kontrastieren. Diese stellen einen reichen textilen Schmuck vor, der teilweise dazu dient, konstruktive Details zu verbergen. So deckt ein breites durchbrochenes Halsband die Nut zwischen dem abnehmbaren Kopf des Hirsches und dem hohlen Körper, der wohl für das Getränk bestimmt war.129
Es handelt sich bei der Gruppe um einen so genannten Diana-Automat, der in Varianten mehrfach ausgeführt wurde und dessen Ursprungsentwurf dem Augsburger Renaissance-Goldschmied Matthias Walbaum zugeschrieben wird.130 Diese Automaten 129 FISCHEL 1929, S. 377. 130 Vgl. FISCHEL 1929, S. 376; vgl. http://www.liechtensteincollections.at/de/pages/artbase_main. asp?module=browse&action=m_work&lang=de&sid=87564&oid=W-48200994424700 (5.5.2013).
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waren Teil der höfischen Tafeldekoration und dienten als Trinkspiele der Belustigung der Gäste. Der Sockel enthielt ein Räderwerk, das die Figurengruppe über den Tisch gleiten ließ. Jener Mitspieler, vor welchem sie zu stehen kam, musste den Hirschkopf abnehmen und aus dem mit Wein gefüllten, hohlen Körper trinken.131 Ernst Pollack sah die kommenden Ereignisse und die Gefahr, in der er sich befand, im Frühling 1938 nicht voraus. Obwohl die Rede Kurt Schuschniggs in der Familie Bestürzung auslöste, wie sich seine Nichte im Interview mit der eingangs erwähnten kanadischen Zeitung im Jahr 2000 erinnerte, die am Abend des 11. März 1938 bei den Pollacks zu Besuch war, reagierte ihr Onkel mit Wut, als er vom Selbstmord eines Cousins erfuhr: »That’s not what you do, you don’t give into these things, that was absolutely silly of (him)«.132 Maria K. ergänzte: »That was his attitude. You don’t give into these things. You fight it.«133 Angebote von Verwandten, ihm bei der Ausreise zu helfen, nahm er nicht an. Da er, wie er meinte, nicht jüdisch aussah, Geld und Verbindungen hatte und außerdem kinderlos und bereits alt war, würde er die Nazis überleben.134 Sein Bruder Julius verließ Österreich im Herbst 1938.135 Nachdem er einige Wochen beruflich in Fulnek/Tschechien verbracht hatte, reiste er über Prag in die Schweiz und soll von dort aus nach England gegangen sein, von wo aus er schließlich nach Kanada emigrierte.136 Das Selbstvertrauen, das dem erfolgreichen Industriellen und Kunstsammler Ernst Pollack 1938 noch innewohnte, ist in der Nachmeldung zu seiner Vermögensanmeldung vom 20. Jänner 1939 nicht mehr spürbar. Er ergänzte die Liste seines Vermögens vorsichtshalber, quasi entschuldigend, um drei alte Pelzmäntel, da er Zweifel hätte, ob diese anzugeben seien oder nicht. Darüber hinaus bat er die Schätzmeister Konrad Thomas und Eugen Primavesi, die seine Sammlung begutachtet hatten, eine kleine Golddose zu schätzen, da diese bei der ersten Begutachtung übersehen worden war.137 Man weiß nur wenig darüber, wie sich das Leben der Pollacks in den darauf folgenden Jahren gestaltete. Bekannt ist nur, dass die Eheleute bis zu ihrer Deportation 131 Vgl. http://www.liechtensteincollections.at/de/pages/artbase_main.asp?module=browse&action=m_wor k&lang=de&sid=87564&oid=W-48200994424700 (5.5.2013). 132 Maria K. gibt im Interview mit Ian MacLeod die Worte ihres Onkels in englischer Sprache wieder. Maria K. zit. n. MACLEOD 2000, S. A2. 133 Maria K. zit. n. MACLEOD 2000, S. A2. 134 Vgl. Maria K. zit. n. MACLEOD 2000, S. A2. 135 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Julius Pollak vom 11.3.2013. 136 ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 9, fol. 17. 137 Vgl. ÖStA/AdR E-uReang, VVSt, VA 38319, Ernst Pollack.
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198 Lisa Frank weiterhin in ihrer Wohnung am Schubertring 7 lebten. »We don’t understand how he managed for four years. We believe that he used his wealth and his connections to survive.«138 Um ihr Auskommen zu haben, musste Ernst wohl auch einige Stücke seiner Sammlung veräußern. Seinem Freund Robert Mayer verkaufte er vor seiner Festnahme ein Aquarell von Hans Thoma Ponte Molle, ein Aquarell von Leistikoff Felsige Küste und ein Gemälde von Eugène Delacroix Beduine zu Pferd.139 Am 28. Juni 1942 wurden Ernst und Gisela Pollack nach Theresienstadt deportiert, wo Ernst am 19. September 1942 und seine Frau Gisela nur wenig später am 15. Oktober desselben Jahres umkamen.140 Von den zum Zeitpunkt des »Anschlusses« noch lebenden vier Kindern Friedrich Pollaks entkam Julius als einziger dem Holocaust. Das Ende des Nationalsozialismus erlebte auch er nicht mehr. Er starb am 5. November 1943 im kanadischen Exil.141 Die Schwestern Ida Wolf und Berta Sanders kamen 1943 wie Ernst und Gisela in Theresienstadt um.142 Die Nichte der Pollacks erfuhr im Herbst 1945 vom Tod ihrer Tante und ihres Onkels.143 Sie kam nach Wien zurück, um die Familienangelegenheiten zu ordnen. Ihre Bemühungen die Kunstsammlung ihres Onkels und ihrer Tante wieder zu bekommen gestalteten sich schwierig, da die damals 23-jährige Frau bei Behörden aufgrund ihrer Jugend oft nicht ernst genommen und mit ihrem Anliegen schlicht abgewimmelt wurde.144 Dennoch konnte in Bezug auf die Rückstellung der Liegenschaften bald Erfolge erzielt werden. Die Villa Gisela in Reichenau, die durch ihre zeitweiligen Nutzer völlig verwahrlost war – »alles abmontierbare war verschwunden, von Badewannen bis Türklinken, kniehoher Dreck und Schmutz in allen Zimmern« – wurde 1949 zurückgestellt.145
138 Hans K. zit. n. MACLEOD 2000, A5. 139 Unklar ist, ob mit der Festnahme eine tatsächliche Festnahme gemeint ist oder damit die Deportation Ernst Pollacks bezeichnet wurde. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Ernst Pollack, Kt. 43, M. 2, GZ. 4279/48, fol. 59–60. 140 Todesfallanzeige Pollak Gisela. Vgl. http://www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.7999 (19.4.2013); Todesfallanzeige Pollack Ernst. Vgl. http://www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT. ITI.5135 (19.4.2013). 141 Vgl. WStLA, Handelsgerichtsakten, Ges 36, 20. 142 Vgl. WStLA, Historische Meldeunterlagen, Meldeauskunft Ida Wolf vom 5.6.2013; vgl. http://www. doew.at/personensuche (26.6.2013). 143 Vgl. Maria K. zit. n. CZERNIN 2000. S. 2. Sie behielt ihren Onkel als distanzierten aber liebenswürdigen Mann in Erinnerung, der sie sehr mochte. Vgl. Maria K. zit. n. MACLEOD 2000, S. A2. 144 Interview mit Hans K. im März 2013. 145 Die Villa war bis 1947 von Vertretern und Vertreterinnen der sowjetischen Alliierten genutzt worden, die die Einrichtung des Hauses angeblich als Brennmaterial heranzogen. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004; ÖStA/AdR E-uReang, FLD 18240, M. 3, fol. 36.
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Das Haus am Schubertring 7 vermachte Gisela Pollack gemäß den Wünschen ihres Ehemannes der Evangelischen Pfarrgemeinde Helvetischen Bekenntnisses »mit der Auflage: Dieses Haus als ›Ernst und Gisela Pollack Stiftungshaus‹ zu bezeichnen, es nicht zu veräußern [und] seine reinen Erträgnisse wohltätigen Zwecken zuzuwenden«.146 Eine weitere Auflage, dass nämlich ihre Schwester Adele Baronin Neuman ihre Wohnung im Gebäude behalten dürfe, war durch deren Selbstmord 1942 obsolet geworden.147 Die Liegenschaft wurde der Pfarrgemeinde nach 1945 übergeben. Auf Drängen der Gemeinde – sie befürchtete, das Haus könne ihnen durch die Sowjets weggenommen werden – stimmten die Erben einem Verkauf schließlich zu.148 Die Tücher- und Modewarenfabrik Friedrich Pollak in der Schmalzhofgasse 4–6, die seit 1939 unter Zwangsverwaltung gestanden hatte und danach zumindest am Papier weiter bestand, wurde im März 1951 aus dem Handelsregister gelöscht.149 In den Nachkriegsjahren restituierten das Kunsthistorische Museum Wien, das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, das Landesmuseum Joanneum in Graz und das Österreichische Museum für angewandte Kunst (heute MAK) Objekte aus der Sammlung Pollack an die Erben.150 Aus dem Niederösterreichischen Landesmuseum wurde im Jahr 1999 eine Porzellanschale mit Untertasse ausgefolgt.151 Im Jahr 2000 wurde ein Selbstporträt Hans Canons aus dem Wien Museum zurückgegeben.152 Im Jahr darauf restituierte das Joanneum eine Radschlossbüchse und eine Barockstanduhr.153 Im Jahr 2002 erfolgte, wie schon erwähnt, die Restitution von neun im MAK verbliebe-
146 147 148 149 150
WStLA, Verlassenschaftsakt Gisela Pollack, GZ. 10A 773/46. Vgl. Matrikenamt der IKG, Wolf-Erich ECKSTEIN per E-Mail vom 11.12.2012. Privatarchiv Toronto, Maria K., Pollack History, Toronto am 18.12.2004. WKO-Archiv, Registerblatt I für Einzel- und Gesellschaftsfirmen, GZ. 90/1875. Vgl. Abschrift des Bescheids der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland vom 7.3.1949, Privatarchiv Toronto; Vgl. Claudia SPORER-HEIS, »… sind dem Ferdinandeum Auslagen erwachsen, auf deren Ersatz es Anspruch erheben zu können glaubt …« – Zur Frage der Restitution jüdischen Eigentums am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, in: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (Hg.), Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Innsbruck 2002, S. 78–82; vgl. Monika BINDER-KRIEGLSTEIN, Ernst Pollack, Wien, in: Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Universalmuseum Joanneum Restitutionsbericht 1999–2010, Graz 2010, S. 197, hier ebendiese; vgl. Fax des MAK vom 13.9.1999, Privatarchiv Toronto. 151 Vgl. Schreiben des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22.9.1999. Vgl. Privatarchiv Toronto. 152 Vgl. Historisches Museum der Stadt Wien, Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Hg.), Die Restitution von Kunst- und Kulturgegenständen im Bereich der Stadt Wien 1998–2001, Wien 2002, S. 85. 153 Vgl. http://www.museum-joanneum.at/de/joanneum/ueber-das-joanneum/restituierte_objekte/an-dieerben-nach-ernst-felix-pollak (26.5.2013).
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200 Lisa Frank nen Keramiken auf Basis des Kunstrückgabegesetzes.154 Die Restitution einer Scheibenarmbrust aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum konnte 2003 erfolgen.155 Weitere Werke, wie das Porträt Ernst Pollacks als Sammler, wurden von den Erben aus dem Kunsthandel zurückgekauft, genauso wie ein Highlight der Sammlung, das Gemälde Wolf und Hirt von Pieter Brueghel, das aus dem deutschen Kunsthandel wieder erworben wurde.156 Ein Großteil der einst so umfangreichen Sammlung von Ernst und Gisela Pollack, wie etwa die gesamte Silbersammlung, ist jedoch bis heute verschollen geblieben.
154 Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/index.aspx?ID=24&LID=1#L_P (2.6.2013); vgl. http:// www.mak.at/sammlung/sammlung_ artikel/ ernst_pollak (2.6.2013). 155 Vgl. http://www.tiroler-landesmuseum.at/html.php/de/tiroler_landesmuseen/provenienzforschung/restitution (26.5.2013). 156 Das Bild befindet sich heute nicht mehr im Eigentum der Familie. Vgl. Interview mit Hans K. im März 2013.
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Für immer verloren Der Sammler Richard Kulka (1863–1931) und die Familiensammlung Heißfeld – Kulka
Anita Stelzl-Gallian
Das kleine Aquarell Rudolf von Alts, Die Apsis der Kirche von Schöngrabern1 (Abb. 1), befand sich nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich nur noch wenige Monate im Eigentum von Valerie Heißfeld, geborene Kulka. Am 9. September 1938 wurde es durch die Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien für die Ausfuhr2 gesperrt.3 Die Familie wurde wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und zur Flucht gezwungen; Valerie Heißfeld musste unter anderem dieses Aquarell veräußern. Über die Versteigerung in der Kunsthandlung Artaria & Co. am 21. Dezember 1938 gelangte es schließlich auf den Kunstmarkt.4 Viele Jahre später, im Jahr 1969, tauchte das Aquarell in der Beilage der Wiener Zeitung zum Kunst- und Kulturgutsbereinigungsgesetz, in der so genannten »Mauerbachliste«,5 als »herrenloses Gut« wieder auf, wurde aber nicht beansprucht. Bei der Aufarbeitung der Aktenbestände im Archiv des Bundesdenkmalamtes6 konnte die Kommission für Provenienzforschung die ehemalige Eigentümerin eruieren und die Provenienzkette des Kunstwerks schließen. Folgende Stationen des Alt-Aquarells ließen sich ermitteln:
1 2 3
4
5 6
Vgl. Walter KOSCHATZKY, Rudolf von Alt, Salzburg 1975, S. 271. Das Aquarell, signiert und datiert 1843, 24 x 14,5 cm. Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr, Zl. 5704/38, Valerie Heißfeld, geb. Kulka. Die Einschränkung der Ausfuhr von »Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung« war in Österreich seit 1918 durch das Ausfuhrverbotsgesetz bzw. dessen Novelle von 1923 geregelt. Durch das Gesetz sollte die Verschleppung bzw. Veräußerung von national wertvollem Kunstund Kulturgut verhindert werden (BGBL. 1923/533). Das Kunst- und Auktionshaus Artaria informierte die Zentralstelle für Denkmalschutz über den Ankauf der vier für die Ausfuhr gesperrten Aquarelle, vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Valerie Heißfeld, Kt. 37/2. Anlage zum Kunst- und Kulturgutsbereinigungsgesetz (KKGB 1969/294), Amtsblatt der Wiener Zeitung (WZ) vom 2. September 1969, Nr. 202, Pos. 676. Ausfuhrmaterialien 1918–1980 BDA-Archiv. Die Akten zu Mauerbach stellen ebenfalls einen Bestand des BDA-Archivs dar. Es finden sich dort Materialien zu den Grundlagen der KKGB-Gesetze sowie zu den Antragsteller_innen.
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202 Anita Stelzl-Gallian Nach dem Verkauf im Jahr 1938 hatte sich die Spur des Bildes verloren und war erst im Jahr 1941 im Berliner Kunsthandel wieder nachweisbar.7 In einem Schreiben von Ernst Schulte-Strathaus8 an Hans Posse9 wird das Alt-Aquarell in Zusammenhang mit einem Anbot des Auktionshauses Henrici in Berlin10 erwähnt. Posse lehnte den Ankauf ab.11 Der Vermerk auf der Property Card »erworben v. Braunen Haus in München oder Obersalzberg für Ausstattungszwecke«,12 sowie der Nachweis des Aquarells in den Ankaufslisten von Martin Bormann,13 legen die Vermutung nahe, dass das Alt-Aquarell nach der Ablehnung durch Posse von Bormann erworben worden ist. Einen Nachweis dafür hat auch die aktuelle Recherche allerdings nicht erbracht. Abbildung 1: Rudolf von Alt, Die Apsis der 1945 wurde das Alt-Aquarell im Central CollecKirche von Schöngrabern, 1843, Aquarell. ting Point aufgefunden. Im Jänner 1952 im Zuge Rückseite der Property Card, Nr. 13306-6. der Rückführung der Kunst- und Kulturobjekte durch die Alliierten kam es nach Österreich in die Verwahrung des Bundesdenkmalamts.14 1955 entlehnte das Bundesdenkmalamt das Aquarell für eine Rudolf von Alt-Gedächtnisausstellung in der Albertina und ersuchte um weitere Verwahrung des Blattes.15 Im August 1980 wurde es aus den Mauerbach7 8 9 10 11 12 13
14 15
Vgl. Marta RIESS, Katja FISCHER, Dossier zur Sammlung Valerie Heißfeld, Rudolf von Alt, Chorpartie der Kirche in Schöngrabern, Wien 2010 (unveröffentlicht), S. 4. Ernst Schulte-Strathaus (1881–1968) war Sachbearbeiter für Kulturfragen im Amt Hess, vgl. Uwe WERNER, Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 –1945, München 1999, S. 56. Hans Posse (1879–1942) war Sonderbeauftragter Adolf Hitlers für den Aufbau des Führermuseums, vgl. Birgit SCHWARZ, Hitlers Sonderbeauftragter Hans Posse, Dresdner Hefte 22 (2004), S. 77. Karl Ernst Henrici (1879–1944) Auktionshaus in Berlin, Derfflingerstr. 3; vgl. RIESS, FISCHER 2010, S. 7. vgl. RIESS, FISCHER 2010, S. 8. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Property Card Mü 13306/6 Aussee 8126/6, vgl. Bundesarchiv Koblenz B 323/667. Martin Bormann (1900–1945) war beauftragter Kunsteinkäufer für den Obersalzberg und für das Braune Haus in München, vgl. RIESS, FISCHER, Wien 2010, S. 9; vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 27/1, österreichische Liste, S. 15. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 12, M. 7, Zl. 17 Res 1952. Vgl. Schreiben des Bundesdenkmalamtes an die Albertina, Albertina Archiv, Zl. 2271/55, vgl. Rudolf von Alt, Gedächtnisausstellung im 50. Todesjahr, Grafische Sammlung Albertina, Wien 1955, Nr. 84.
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beständen vom Bundesministerium für Finanzen der Grafischen Sammlung Albertina zugewiesen.16 Am 26. Februar 1996 sprach das Landesgericht für Zivilrechtsachen das Bild nach dem 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz von 1986 den Erben nach Josef und Cäcilie L. zu.17 Kurz darauf, im Jänner 1997, wurde es von der Albertina aus dem Kunsthandel18 zurück erworben. Nach einer erneuten Überprüfung der Bestände im Rahmen des Kunstrückgabegesetzes vom 1998 gelang es, Valerie Heißfeld als Eigentümerin des Blattes festzulegen. Das Aquarell befindet sich heute in der Albertina.19 Um Klarheit darüber zu gewinnen, was aus den Sammlungen der genannten Familien Heißfeld und Kulka geworden ist, wurden die Bilderlisten verglichen, die Valerie Heißfeld, deren Tochter Lotte Heißfeld sowie Valeries Schwester, Adele Kulka,20 mit der Bitte um die Erteilung der Ausfuhrbewilligung der Denkmalbehörde vorgelegt hatten. Die Bilderlisten in den Ausfuhranträgen aus dem Jahr 1938 stellen für die Untersuchung des Sammlungsbestandes die wichtigste Quelle dar.21 Der Vergleich der circa 150 Objekte in Hinblick auf die Wahl der Sujets sowie der Künstler (einige Meister des 19. Jahrhunderts waren mit mehreren Werken vertreten) ließ die Vermutung aufkommen, dass es sich hier um eine Einheit, eine größere Sammlung gehandelt haben könnte. Bereits Sophie Lillie22 hat darauf hingewiesen, dass die Objekte aus einer Erbschaft nach Dr. Richard Kulka, Adele Kulkas und Valerie Heißfelds Bruder, stammen könnten.23 Schriften, Verzeichnisse oder Kataloge, die näheren Aufschluss über die Sammlung von Richard Kulka geben würden, konnten nicht eruiert werden. Das bisher aufgefundene Nachlassmaterial24 vermittelt einen Einblick in die familiären Verhältnisse und eine vage Vorstellung von Kulkas Persön16 Vgl. Grafische Sammlung Albertina in Wien (Inv. Nr. 42 396). 17 WStLA, Akten des LG. f. ZRS, 2. KKGB, 50b Nc 1153/87; vgl. RIESS, FISCHER, 2010, S. 41. 18 Vgl. Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 15.4.2011. http://www.provenienzforschung.gv.at/index. aspx?ID=24&LID=1#H_K (14.5.2014). 19 Der Kunstrückgabebeirat empfahl 2011 keine Rückgabe. 20 Am 9. September 1938 beantragten Valerie Heißfeld, geb. Kulka, Zl. 5704/38, Lotte Heißfeld Zl. 5703/38 und Adele Kulka Zl.5975/38 die Ausfuhr der insgesamt 150 Kunstobjekte. Bis auf sieben Objekte, die »zurückgehalten« wurden, wurde die Ausfuhr bewilligt. Valerie Heißfeld durfte zwei Bilder Rudolf von Alts – Schloss Greinburg und Apsis der Kirche in Schöngrabern – sowie Friedrich von Amerlings Mutter mit Kind nicht ausführen. Bei Lotte Heißfeld waren der Nordbahnhof und Persenbeug, sign. 45, Pettenkofens Zigeunerlager, sign. 59, betroffen. Aus dem Eigentum von Adele Kulka wurde das von Wilhelm Richter stammende Porträt Pettenkofens nicht für die Ausfuhr freigegeben. 21 BDA-Archiv, Ausfuhr 1918–1945. 22 Vgl. Sophie LILLIE, Was einmal war, Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen, Wien 2003, S. 485. 23 Vgl. LILLIE 2003, S. 485. 24 WStLA, Verlassenschaftsakten, GZ. 6A 1068/31, Richard Kulka; GZ. I 60/26, Alfred Kulka; GZ. 21P 21/40, Leopold Kulka, GZ. 2A 607/63, Franziska Komanek.
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204 Anita Stelzl-Gallian lichkeit, ergibt aber auch in dieser Hinsicht kein vollständiges Bild. Über den Ursprung und den Umfang seiner Sammlung sowie die Intensität seiner Sammeltätigkeit erfahren wir nichts. Trotz der unbefriedigend erscheinenden Quellenlage steht jedenfalls fest, dass es in der Familie eine Kunstsammlung gegeben hat, die nach dem »Anschluss« zerschlagen worden ist, und dass die Eigentümerinnen dieser Sammlung Opfer der Shoah geworden sind.25 Biografisches zur Familie
Richard Kulka kam am 13. März 1863 in Leipnik26 als erster Sohn des Leopold Kulka27 und der Charlotte Kulka, geborene Scheuer,28 zur Welt. Seine Jugend verbrachte er im österreichisch-schlesischen Jägerndorf (heute Krnov, Tschechische Republik), einer Stadt, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriezentrum entwickelte. Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Blüte der Stadt wurden die MährischSchlesische Zentralbahn und die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn miteinander verbunden. Auch das bis heute berühmte Orgelbauunternehmen der Gebrüder Rieger29 hatte seine Anfänge 1884 in Jägerndorf. Im Jahr 1889 wurde hier außerdem das bekannte Tuchhaus Silesia durch Geiringer und Reitler gegründet – ein Unternehmen, das es zum k. k. Hoflieferanten brachte und zwei Niederlassungen in Wien besaß.30 Die Textilindustrie wurde zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Stadt Jägerndorf.31 Ende des 19. Jahrhunderts existierten dort 25 Tuchfabriken.32 Einer der Tuchfabrikanten war Richard Kulkas Vater, Leopold Kulka, Gesellschafter eines Unternehmens, das bereits in den 1850er Jahren von Josef Alscher und Anton 25 Am 29.3.1942 wurden Adele Kulka und Valerie Heißfeld, geb. Kulka, nach Theresienstadt deportiert. Adele Kulka kam dort am 11.4.1942 ums Leben, Valerie Heißfeld zwei Tage nach ihr, am 13.4.1942. Vgl. Namentliche Erfassung der österreichischen Shoah-Opfer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). 26 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Dr. Richard Kulka. 27 Matrikenamt der IKG, Leopold Kulka geb. 1838 in Leipnik, gest. 7.2.1909 in Jägerndorf. Eltern von Leopolod Kulka waren Gabriel Kulka und (?) Bellak. Geschwister: Abraham, Adolf und Johanna. Freundliche Auskunft von Wolf Erich Eckstein. 28 Vgl. Matrikenamt der IKG. Charlotte Kulka, geb. Scheuer, starb am 18.4.1892 in Jägerndorf. 29 Vgl. Krnov, Okresni Archiv Bruntal, OU Krnov, Fas. 283, Aufnahmsbogen. 30 Vgl. Jubileumi Emlek. Ajanlva a Tuchhaus Silesia, Geiringer es Reitler, Andenken an das Jubiläum, Jägerndorf, Becs 1908. 31 Vgl. Marina DORDA, Stadt Jägerndorf bis 1945, Bilddokumentation von Josef BEYER. Jägerndorf – 700 Jahre/eine deutsche Stadt, Krnov 1994. 32 Vgl. Michaela RYšKOVá, Przemysl włókienniczy w Krnowie, http://muzeum.krnov.cz (22.1.2013).
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Wilsch gegründet und 1862 in Jägerndorf registriert worden war.33 In Fulnek, Bezirk Jägerndorf, kamen auch die jüngeren Geschwister Richard Kulkas zur Welt. Julius34 und Alfred Kulka35 führten, weil ihr älterer Bruder nach Wien gezogen war, das Familienunternehmen und bauten es zu einer modernen Fabrik aus.36 Das Unternehmen der Gebrüder Kulka wurde am 4. Jänner 1896 beim Handelsgericht Troppau (Opava, Tschechische Republik) registriert, die beiden Brüder schienen als Gesellschafter auf.37 1913 wurde die Firma durch die Jägerndorfer Tuchfabrik Aktiengesellschaft übernommen, deren Präsident und Verwaltungsrat zuerst Alfred Kulka und nach dessen Tod am 4. Jänner 192638 Julius Kulka war. Nach den drei Söhnen kamen noch drei weitere Kinder des Ehepaares Leopold und Charlotte Kulka zur Welt: Adele,39 Valerie, später verheiratete Heißfeld40 und Otto.41 Charlotte Kulka starb am 18. April 1892 in Jägerndorf.42 Aus der zweiten Ehe Leopold Kulkas mit Elisabeth Kulka, geborene Kafka,43 stammte die Tochter Frieda.44 33 Vgl. Stanislav KLIVAR, Industrializace Krnova od 40. Let stoleti do roku 1914, Magisterska diplomova prace, Olomouc 2010, S. 27. 34 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Julius Kulka, geb. 21.4.1865 in Fulnek in Mähren, mosaisch, Heimatzuständigkeit Jägerndorf, gestorben am 15.9.1934 in Gräfenberg. 35 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Alfred Kulka, geb. 24.3.1868 in Fulnek/Jägerndorf, konfessionslos, ledig, tschechischer Staatsbürger, gemeldet von 4.4.1925 bis 19.1.1926 in der Meytensgasse 27, 1130 Wien, gestorben am 4.1.1926 im Sanatorium Führt in Wien. 36 Die neue Fabrik wurde 1862 nach den Entwürfen von Ernst Latzel erbaut. Sie wurde bereits mit Dampfmaschine und Wasserturbinen betrieben. Vgl. Krnov, Okresni Archiv Bruntal, OU Krnov, Fasz. 283, Aufnahmsbogen. 37 Vgl. Landesgericht Troppau/Opava, Handelsregister: Eintragung ins Handelsregister am 14.1.1896, veröffentlicht in der WZ vom 22. und 28.1.1896. Der »fabriksfähige Betrieb der Tucherzeugung« befand sich an der Ecke Lidogasse 12 und Moritzgasse 1 in Jägerndorf. 38 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Alfred Kulka. 39 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Adele Kulka, geb. 13.5.1871 in Fulnek, Mähren, ledig, mosaisch. Gestorben am 11.4.1942 in Theresienstadt. Vgl. Namentliche Erfassung, DÖW. 40 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Valerie Heißfeld, geb. Kulka, geb. 30.4.1876 in Jägerndorf, mosaisch. Aus der Ehe mit Dr. med. Jakob Heißfeld gingen zwei Kinder hervor: Karl Heißfeld und Lotte Heißfeld. 41 Dr. phil. Otto Kulka, geb. 29.6.1880 in Jägerndorf, gestorben 12.4.1931 in Braunschweig, wohnte in der Kaiserstraße 13 (heute Beethovenstraße). Otto Kulka war in erster Ehe mit Paula Cohn, geb. 27.1.1878 in Landsberg, verheiratet. Paula Cohn ist vermutlich am 21.8.1920 nach Frankfurt übersiedelt und dort am 16.11.1920 gestorben. Otto Kulka war in der zweiten Ehe mit Wally Marnes verheiratet. Nach Kulkas Tod 1931 zog diese nach Luzern/Schweiz. Freundliche Auskunft von Michael Utecht, Stadtarchiv Peine, Februar 2013. 42 Vgl. Matrikenamt der IKG. 43 Geboren 1858 in Brünn, vgl. Matrikenamt der IKG. Elisa Kulka ist laut dem Totenschein der Pfarre Lichtenthal, Wien, vom 10.1.1925, am 17.12.1924 gestorben. Vgl. WStLA Verlassenschaft 21P 21/40 Substitution Leopold Kulka. 44 Frieda Kulka, geb. 27.2.1894 in Wien, gestorben 19.12.1968 in Zürich. Vgl. Matrikenamt der IKG.
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206 Anita Stelzl-Gallian Richard Kulka maturierte 1881 an der k. k. Oberrealschule in Jägerndorf und begann im Herbst des Jahres an der Universität Wien ein Jusstudium. Am 5. Juli 1890 promovierte er.45 Die Rechtsanwaltskammer Wien besitzt keine Akten mehr aus dieser Zeit. Dennoch war dort zu erfahren, dass Dr. Richard Kulka am 12. Mai 1896 in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen worden war, am 30. Juni 1926 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete und am 31. Mai 1927 wieder eingetragen wurde.46 1931 verzichtete er neuerlich auf eine Tätigkeit als Anwalt, seine Kanzlei übernahm Rechtsanwalt Dr. Friedrich Kulka,47 der seit 1909 als Konzipient bei ihm beschäftigt gewesen war.48 In den Meldeunterlagen im Wiener Stadt- und Landesarchiv konnte für Richard Kulka eine Meldung ab 1904 ermittelt werden. Bis 1926 wohnte er in der Mariahilferstraße 109, von da an bis zu seinem Ableben im Jahr 1931 in der Paracelsusgasse 6 im dritten Wiener Gemeindebezirk.49 Im Branchenverzeichnis von Lehmann’s Adressbüchern für Wien findet man Dr. Richard Kulka unter der Rubrik Advokaten bis 1904 mit der Adresse Neubaugasse 23, ab 1905 mit der Anschrift Mariahilferstraße 109, die gleichzeitig seine Wohnadresse war. Ermitteln ließ sich auch, dass Richard Kulka 1902 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten war,50 unverheiratet blieb und keine Kinder hatte.51 Eine Eintragung im Melderegister, wonach er katholisch war, konnte anhand anderer Quellen nicht verifiziert werden. Er liegt gemeinsam mit Fanny Komanek,52 »mit welcher ich seit vielen Jahren eng befreundet bin und die mich in meiner jetzigen schweren Krankheit auf das aufmerksamste und dankenswerteste gepflegt hat«,53 auf dem Wie45 Vgl. Archiv der Universität Wien. Freundliche Auskunft von Martin G. Enne, Dezember 2012. 46 Freundliche Auskunft der Rechtsanwaltskammer Wien, Oktober 2012. 47 Dr. Friedrich Kulka emigrierte 1938 nach Amerika. Vgl. Barbara SAUER, Ilse REITER-ZATLOUKAL, Advokaten 1938. Das Schicksal der in den Jahren 1938 bis 1945 verfolgten österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Wien 2010, S. 217. Eine mögliche Verwandtschaft wurde nicht überprüft. 48 Freundliche Auskunft von Barbara Sauer vom 3.6.2013. 49 Vgl. WStLA, MA 8 Meldeauskunft für Richard Kulka. Bis 1.6.1926 wohnte unter dieser Adresse Valerie Heißfeld, geb. Kulka, ab 17.7.1926 Dr. Richard Kulka. 50 Vgl. Anna L. STAUDACHER, Austritte in Wien aus der IKG 1868–1914, www.genteam.at (16.10.2012). 51 Vgl. WStLA, MA 8 Meldeauskunft für Richard Kulka. 52 Vgl. WStLA, MA 8 Meldeauskunft für Franziska Komanek, geb. Pochyly, geb. am 3.4.1871 in Rampensdorf, römisch-katholisch, wohnte seit 1915 in der Moritzgasse 8 im 6. Bezirk. Sie starb am 30.10.1963 kinderlos im 92. Lebensjahr. Dr. Richard Kulka vermachte Fanny Komanek einen lebenslangen Zinsenbezug von Kommunal-Schuldnerverschreibungen der Tirolischen Landes-Hypothekenbank. Vgl. WStLA, Verlassenschaft 6A1068/31 Richrad Kulka. 53 Vgl. WStLA, Verlassenschaft 6A1068/31 Richard Kulka.
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Für immer verloren
ner Zentralfriedhof begraben.54 Richard Kulka kehrte nicht mehr nach Jägerndorf zurück. Nach dem Tod des Vaters Leopold im Jahr 1909 siedelten sich seine Geschwister ebenfalls in Wien an. Adele und Julius verbrachten dort die Zeit des Ersten Weltkriegs. Danach kehrte Julius nach Schlesien zurück, wo er, getrennt von seiner Frau Margarethe Kulka, geborene Schick, bis zum Jahr 1934 lebte. Auch sein Sohn Paul wurde aus Wien wieder nach Schlesien abgemeldet.55 Ab 1920 war Valerie in Wien gemeldet. Sie war mit Dr. med. Jakob Heißfeld verheiratet gewesen und nach dessen Tod 1915 mit ihrer Tochter Lotte56 ihren Geschwistern nach Wien gefolgt. Der Sohn von Valerie Heißfeld, Karl, starb ledig und kinderlos im 32. Lebensjahr in Brünn an Tuberku lose.57 Alfred Kulka, der leitende Direktor der Jägerndorfer Tuchfabrik Aktiengesellschaft, der wie sein Bruder Richard nie verheiratet gewesen war und keine direkten Nachkommen hatte, erwarb per 16. Februar 1924 in Hietzing eine großzügig angelegte Liegenschaft,58 in der er seit dem 4. April 1925 gemeldet war.59 Frühere Meldungen in Wien konnten nicht nachgewiesen werden, obwohl Alfred Kulka bereits 1916 in Hietzing eine andere, in der ehemaligen Reichgasse 39 – heute Beckgasse –, gelegene Villa gekauft hatte, die er später seinem in Peine bei Hannover lebenden Bruder Otto vermachte.60 In der zuvor erwähnten, von Carl Witzmann (1883–1952) 1925 erbauten Villa61 verbrachte er allerdings nur neun Monate, da er am 4. Jänner 1926 im Sanatorium Führt in Wien starb.62 Die Villa übertrug er ein halbes Jahr vor seinem Tod, am 26. Juni 1925, seiner Schwester Valerie Heißfeld,63 die sie wiederum mittels
54 Vgl. Friedhofsdatenbank, Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 9/16. Bestattet wurden 1931 Richard Kulka und 1963 Franziska Komanek. 55 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Julius Kulka. 56 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Valerie Heißfeld. Lotte Heißfeld wurde am 23.1.1907 in Stanislau/PL, geboren. 57 Karl Heißfeld (2.2.1906–23.1.1938). Vgl. Nationalarchiv Prag, Jüdisches Sterberegister Brno 01.1937– 1938, Nr. 24. 58 Vgl. Bezirksgericht Hietzing, Grundbuch 578, Zl. 2217/24. Die Liegenschaft gehörte zuvor Johanna Herzig. 59 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Alfred Kulka. 60 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. I 60/26, Alfred Kulka. 61 Carl Witzmann errichtete zahlreiche Villen in Wien-Hietzing. »Als Vertreter einer gemäßigten Moderne, der es geschickt verstand, historisierende Elemente (vor allem Biedermeieranklänge) einzubeziehen, entsprach der Architekt ideal den Anforderungen einer großbürgerlichen Klientel, die allzu Avantgardistisches scheute«, vgl. Architekturlexikon 1770–1945, http://www.architektenlexikon.at/de/694. htm#Stellenwert (10.4.2013). 62 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Alfred Kulka. 63 Vgl. Bezirksgericht Hietzing, Grundbuch 578, Zl. 2791/1927.
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208 Anita Stelzl-Gallian eines Schenkungsvertrages am 15. Juli 1932 an Lotte Heißfeld weitergab.64 Nachdem Valerie Heißfeld und deren Tochter die Villa bezogen hatten, übersiedelte Richard Kulka in die Wohnung der beiden Frauen in der Paracelsusgasse 6, was auf einen engen Kontakt unter den Geschwistern hinweisen mag. Das Leben und die Interessen
Als assimiliertes Mitglied der bürgerlichen Wiener Gesellschaft war Dr. Richard Kulka Mitglied in verschiedenen Vereinen. So galt sein Interesse unter anderem der Anthropologie. Er war seit 1889 Mitglied der Anthropologischen Gesellschaft und bekleidete im Vorstand das Amt eines »langjährigen Rechnungsprüfers«.65 Sein Legat in der Höhe von 50 Schilling wurde als Ausdruck seiner »Anhänglichkeit an unserer Gesellschaft« entgegengenommen und in den Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft vom 17. Februar 1932 veröffentlicht.66 Dem Verein für Volkskunde hatte er bereits seit 1894 angehört.67 Als Zeichen seiner Verbundenheit schenkte er dem Volkskundemuseum 1904 eine Fotografie von Musikanten und Teufelstänzern aus der Gegend von Anuradhapura/Ceylon von A. Varges aus dem Jahr 1902,68 und er bedachte das Museum mit einem Legat von 30 Schilling.69 Eine weitere Geldspende ging an die Prähistorische Gesellschaft in Wien.70 Am 21. April 1921 war Dr. Richard Kulka auch als Teilnehmer in das Künstlerhaus aufgenommen worden.71 Personen, die »am Ausstellungsbesuch und am geselligen Verkehr im Künstlerhaus ›teilnehmen‹, also soziale Kontakte mit bildenden Künstlern pflegen wollten, konnten über Vorschlag von drei Mitgliedern/Bürgern in den Monats- und Hauptversammlungen als ›Teilnehmer‹ in die Genossenschaft aufgenom-
64 Vgl. Bezirksgericht Hietzing, Grundbuch 578, Zl. 3522/1932. 65 Vgl. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien LXII (1932), S. 9. Freundlicher Hinweis von Barbara Kowalewska, Mai 2013. 66 Vgl. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. LXII, 1932, S. 9. 67 Albertina, Online Datenbank, Biobibliographie. Vgl. Dr. Richard Kulka taucht 1907 schon einmal in der Mitgliederliste auf, und zwar im Zusammenhang mit einem »Hausfonds«. Freundliche Auskunft von Birgit Johler, Mai 2013. 68 Weltmuseum Wien. Freundliche Auskunft von Manfred Kaufmann, Mai 2013. 69 Vgl. Wiener Zeitschrift für Volkskunde 38 (1933, S. 50–51). 70 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 6A 1068/31 Richard Kulka. 71 1922 wurde Dr. Richard Kulka im Mitgliederverzeichnis genannt. Im nächsten Verzeichnis von 1927 wurden die so genanntenTeilnehmer nicht mehr angeführt. Außer dem Beitrittsansuchen vom 1.4.1921 sind keine Korrespondenzen vorhanden. Freundliche Auskunft von Paul Rachler, Mai 2013.
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men werden«.72 Ob Richard Kulka abseits dieser Empfehlung mit Dr. Alfred Spitzer;73 Eduard Ameseder (1856–1939), Hans Ranzoni (1868–1956)74 und Otto Herschel (1871–1937) auch privat in Kontakt gestanden war, konnte nicht geklärt werden.75 In der Bilderliste des Ausfuhrantrags von Valerie Heißfeld sind jedenfalls drei Bilder von Hans Ranzoni nachweisbar. Interessant erscheint auch der Hinweis auf eine Widmung von 25 Fotografien an das Theatermuseum in Wien, bei denen Richard Kulka als Fotograf aufscheint. Es handelt sich um Bauaufnahmen vom Theater an der Wien aus der Zeit um 1900. Im Zuge der weiteren Recherchen stellte sich heraus, dass Kulka seit 1904 auch Mitglied der Gesellschaft von Amateur-Photographen im Österreichischen Touristen-Klub gewesen war.76 Der Tätigkeitsbericht des Vereins der Museumsfreunde in Wien listet Richard Kulka als ordentliches Mitglied in den Jahren 1928 bis 1930 auf.77 Dass sich Kulka als Vereinsmitglied auch als Förderer der »Musealbestrebungen« sah, erwähnte er gegenüber dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, dem er kurz vor seinem Tod ein Anbot unterbereitete.78 Es ging um eine große Anzahl von Schriftstücken betreffend das Unterperflergut am Katharinenberg79 bei Schnals aus der Zeit 1640–1850. Es waren Abhandlungsextrakte, Vergleiche, Quittungen, Gerichtsstücke und Briefe, die das Museum am 2. Dezember 1931 ankaufte.80 Dies deutet auf eine breitere Streuung 72 Vgl. WStLA, Künstlerhausarchiv. Freundliche Auskunft von Paul Rachler, Mai 2013. 73 Dr. Alfred Spitzer (1861–1923) war Rechtsanwalt und Kunstsammler, u. a. von Werken Egon Schieles. Vgl. Michael WLADIKA, Egon Schiele, Mauer und Haus vor hügeligem Gelände mit Zaun, Dossier LM Inv. Nr. 476, Provenienzforschung bm:ukk – LMP, 16.5.2011; vgl. Tobias G. NATTER, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene, Köln 2003. 74 Hans Ranzoni war Landschafts- und Architekturmaler. Zwischen 1919–1921 und 1930–37 Direktor des Künstlerhauses und Begründer des Bundes Hagen; vgl. Ulrich THIEME, Felix BECKER, u. a. Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 28, Leipzig 1934, S. 14. 75 Vgl. Wladimir AICHELBURG, 150 Jahre Künstlerhaus Wien 1862–2011, http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstlerhaus/mitglieder/teilnehmer/ (5.1.2013). 76 Vgl. Albertina, Biobibliographie, Online Datenbank. 22.5.2013. 77 Österreichische Galerie Belvedere. Freundliche Auskunft von Monika Meyer, Juni 2013. 78 »Der angebotene Preis von S 50,- bleibt zwar wesentlich hinter dem von mir genannten Betrage zurück, in Anbetracht des Umstandes, dass ich dem hiesigen Verein der Museumsfreunde angehöre und gerne die Musealbestrebungen fördere, bin ich aber bereit mich mit dem Betrage von S. 50,- […] zu begnügen«; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF) Archiv, 487/1931. 79 Katharinaberg ist eine Fraktion der Gemeinde Schnals in Südtirol (Italien). Der Ort liegt im Schnalstal auf einem Bergsporn in 1.245 m Höhe am Meraner Höhenweg. 80 Darunter waren es noch: drei tirolische Privaturkunden 1550 IV 7, 1598 I 17 und 1635 III 20 und ein Convolut Akten und Briefe aus dem Schnalser und Ötztal aus dem 17. und 19. Jahrhundert. Vgl. Korrespondenz Dr. Richard Kulka mit der Direktion des TLMF vom 8.11.1931. TLMF Archiv, 487/1931. Freundlicher Hinweis von Sonia Buchroithner, Juli 2013 und Mai 2014.
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210 Anita Stelzl-Gallian der Interessen Kulkas hin, als zunächst aufgrund der übrigen spärlichen Quellen absehbar war. Dr. Richard Kulka starb am 7. Dezember 1931 in Wien im Alter von 68 Jahren.81 In seinem Testament hatte er der Gemäldesammlung der Akademie der bildenden Künste in Wien das von Wilhelm Richter stammende Porträt August von Pettenkofen aus dem Jahr 1849 vermacht.82 Die Erfüllung des Legats kam nicht zustande, weil die Gemäldegalerie die Annahme ablehnte. Begründet wurde dies damit, dass die Bestände mit der »Zeit Fügers schließen«83 würden und deshalb kein innerer Zusammenhang zwischen dem Porträt und den übrigen Objekten der Galerie bestehen würde. Das Bild verblieb in der Folge offensichtlich bei Adele Kulka, die 1931 in die Wohnung ihres verstorbenen Bruders in der Paracelsusgasse 6 eingezogen war.84 Wie bereits erwähnt, suchte sie am 9. September 1938 um die Ausfuhrbewilligung für das Werk an, sie wurde ihr jedoch verweigert.85 Heute befindet sich das Porträt im Wien Museum.86 Dem damaligen Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum) vermachte Richard Kulka: […] das Bleistiftporträt Grillparzers von Josef Schön und den Porzellanbecher Grillparzers mit der Aufschrift ‚Karlsbad‘ aus dessen Nachlass oder der Schwestern Fröhlich herrührenden Gegenstände, wie Medaille auf Grillparzers 50. Geburtstag von Josef Schön, Medaille auf Heinrich Lube, Tanzschuhe Katharina Fröhlichs, Taschentuch Josefine Fröhlichs mit Monogramm J. F., weisses Glas mit Inschrift M. F.. Mathias Fröhlich, Reticule mit grüner Seidenerfassung, kleiner Porzellanflakon, zwei kleine Nadeln mit Mosaik […]87
81 Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Richard Kulka. 82 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 6A 1068/31 Richard Kulka. Vgl. Gabriele WINTER, Wilhelm Richter (1824–1892), ein vergessener Maler des 19. Jahrhunderts. Leben und Werk. Teil II. Diplomarbeit Universität Wien, Wien 2003, Pos. 41. Arpad Weixlgärtner schloss aus, dass es sich um ein Porträt Pettenkofens handeln könnte. Vgl. Arpad WEIXLGÄRTNER, August Pettenkofen, Tl. I, Wien 1916, S. 298. 83 Aus der Korrespondenz zwischen Dr. Robert Eigenberger (1890–1979), dem Direktor der Akademie der bildenden Künste, mit dem Anwalt Dr. Max Gross vom 22.12.1931. Vgl. Archiv der Akademie der bildenden Künste Wien 1506/1931. Freundliche Auskunft von René Schober, April 2013. 84 Vom 30.12.1931 bis zu ihrer Flucht am 6.12.1938 blieb sie in der Wohnung gemeldet. Vgl. WStLA, Meldeauskunft für Adele Kulka. 85 Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr für Adele Kulka, Zl. 5975/38. 86 Das Gemälde ist derzeit Gegenstand der Provenienzrecherche im Wien Museum. Kontakt: Michael Wladika: [email protected] 87 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 6A 1068/31 Richard Kulka.
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Alle aufgezählten Objekte finden sich noch heute in den Beständen des Wien Museums.88 Weitere Kunst- und Kulturgüter erwähnt das Testament nicht. Der gesamte Nachlass wurde 1932 den beiden Schwestern Richard Kulkas eingeantwortet. Adele Kulka erhielt ein Drittel, Valerie Heißfeld zwei Drittel des Nachlasses.89 Auch die Bilderlisten der Ausfuhranträge des Jahres 1938 weisen auf eine solche Aufteilung hin. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Brüder Alfred und Otto Kulka bereits tot. Julius Kulka, der bis 1934 lebte, wurde in dem Testament nicht begünstigt. Das finanzielle Auskommen der Familie war vermutlich durch die Aktien der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn und durch Wertpapiere gesichert, die der Vater, Leopold Kulka, seinen Kindern 1909 zu gleichen Teilen übergeben hatte.90 Adele Kulka hatte die besondere Sorge des Vaters gegolten. Als er starb, war sie 38 Jahre alt und unverheiratet. Leopold Kulka gründete eine Heiratsausstattungsstiftung und widmete 10.000 Kronen »an arme israelitische aus Leipnik gebürtige und ebenda zuständige Mädchen, die einen tadellosen Lebenswandel geführt haben, vorzugsweise an solche, die irgend einen Verwandtschaftsgrad mit den Familien Kulka und Bellak oder die Abstammung von diesen Familien nachweisen können«, wodurch auch seine Tochter Adele finanziell abgesichert wurde.91 Einen Hinweis auf die wirtschaftliche Situation der in Wien lebenden Geschwister in der Zeit um 1925 findet man im Testament Alfred Kulkas, der sie zu gleichen Teilen bedachte, weil ihre Lage »weniger günstig« war als die des nach wie vor aktiven Präsidenten und Verwaltungsrates der Jägerndorfer Tuchfabrik Aktiengesellschaft Julius Kulka.92 Einen ungefähren Wert der Sammlungen vermittelt eine Schätzung aus dem Jahr 1938, die etwa 100 Objekte erfasste. Sie wurde von Dr. Otto Reich93 im Zuge der verpflichtenden Anmeldung des jüdischen Vermögens vorgenommen.94 Otto Reich 88 Alle durch das Legat erfassten Objekte befinden sich heute im Wien Museum. Freundliche Auskunft von Michael Wladika, März 2013. 89 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 6A 1068/31 Richard Kulka. 90 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 21P 21/40 Leopold Kulka. 91 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 21P 21/40 Leopold Kulka. 92 »Bei seinem Gerechtigkeitsgefühl darf ich wohl annehmen, dass mein Bruder in dieser Unterlassung keine Spitze gegen sich oder seinen Sohn finden und einen Akt gerechten Ausgleiches darin erblicken wird«, vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. I 60/26 Alfred Kulka. 93 Dr. Otto Reich (1891–1955) war Bibliotheksdirektor an der Akademie der bildenden Künste in Wien und bereits vor 1938 ein illegales Mitglied der NSDAP, vgl. Akademie der bildenden Künste in Wien, https://www.akbild.ac.at/Portal/einrichtungen/universitatsbibliothek/ueber_uns/leitbild/leitbild?set_ language=de&cl=de (30.5.2014). 94 Vgl. ÖStA/AdR 06, VVST 21201 und VVST 38413. Die auf der Ausfuhrliste von Lotte Heißfeld angeführten Objekte wurden nicht geschätzt, weil sie keine Vermögensanmeldung abgegeben hatte.
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212 Anita Stelzl-Gallian bewertete die Objekte der Sammlung Valerie Heißfelds mit 7.955 RM, jene von Adele Kulka mit 3.579 RM. Das Aquarell Rudolf von Alts, Die Apsis der Kirche von Schöngrabern, das wegen seines musealen Wertes für die Ausfuhr gesperrt wurde, schätzte Reich auf 200 RM. Drei Jahre später, 1941, als sich das Aquarell bereits im Kunsthandel befand, bot es Karl Ernst Henrici vom Berliner Auktionshaus um 3.000 RM Ernst Schulte-Strathaus an.95 Im Vergleich dazu war die Wiener Schätzung auffallend niedrig gewesen. Schwerpunkte der Sammlung
Soweit uns die Sammlung Richard Kulkas heute in ihrem Umfang bekannt ist, drängt sich aufgrund der Dominanz von Landschaftsdarstellungen der Eindruck auf, dass er den Schwerpunkt seiner Sammeltätigkeit auf Werke der österreichischen Stimmungsmalerei gelegt haben dürfte. Gleichzeitig ist auch eine Vorliebe für Arbeiten bemerkbar, die noch unter dem Einfluss des Biedermeiers standen. In der Sammlung fanden sich vorwiegend Werke von Malern des 19. Jahrhunderts, die zu den meistgesammelten Künstlern jener Zeit gehörten. Kulka brachte sie Sammlung auf ein repräsentatives Niveau. Die etwa 150 Werke umfassende Sammlung, kann man in drei Gruppen untergliedern. Die erste Gruppe setzt sich vorwiegend aus Bildern zusammen, deren Maler Vertreter des so genannten Stimmungsimpressionismus waren. Es finden sich in den Sammlungen insgesamt neun Blätter, vorwiegend Zeichnungen und Skizzen von Pferdemärkten und Theiß- Landschaften von August von Pettenkofen (1822–1889), Skizzen von Jakob Emil Schindler (1842–1892), Praterdarstellungen von Tina Blau (1845–1916), neun Bilder mit Darstellungen südlicher Gärten und Architektur von Theodor von Hörmann (1840–1895) sowie sechs Theiß- und Moorlandschaften von Eugen Jettel (1845–1901) und Hugo Darnaut (1851–1937). Innerhalb dieser Bildergruppe lassen sich noch Werke eines kleineren Künstlerkreises ausmachen, dem die Schüler Franz Steinfelds (1787–1868)96 angehörten, der Professor an der Akademie der bildenden Künste und Begründer der Landschaftsmalerei des Biedermeier, somit auch der Entdecker der Alpen als Motiv gewesen war. Zu den Schülern Steinfelds zählten dessen Sohn, Wilhelm Steinfeld (1816–1854), Ludwig Halauska (1827–1882) und Adolf Obermüller (1833–1898), von denen je ein Bild in der Sammlung Kulka 95 Vgl. Bundesarchiv Koblenz, B 323/121, SA Linz – Korrespondenz Einzelpersonen Bu-Schm. Freundliche Auskunft von Marta Riess und Katja Fischer, August 2010. 96 Vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 13, (ÖBL online 2010), S. 183.
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aufscheint. Von Ignaz Raffalt (1800–1857),97 ebenfalls einem Landschafts- und Porträtmaler, und Vertreter der österreichischen Biedermeiermalerei, sind zwei Landschaften und das Porträt einer Dalmatinerin gelistet. Anton Schrödl (1820–1906),98 dessen Schwerpunkt auch in den Darstellungen des bäuerlichen Lebens und der Alpen lag, war mit zehn Werken vertreten. Als zweiter Schwerpunkt der Sammlung lassen sich jene Bilder ausmachen, die Architekturdarstellungen zum Sujet haben. Die meisten davon sind Werke Rudolf von Alts (1812–1905), eines Künstlers, der schon damals wegen der Perfektion und Ausdruckskraft seiner Arbeiten einen wichtigen Platz in öffentlichen und privaten Sammlungen eingenommen hat. Nach der Nachlassauktion Rudolf von Alts im Frühjahr 1909 bei Miethke, in der für Aquarelle Rekordpreise von 1.500 bis 5.000 Gulden erzielt worden waren,99 stieg der Wert seiner Werke enorm an. In der ehemaligen Sammlung Richard Kulkas befanden sich neun Werke Rudolf von Alts. Eine kleinere Gruppe bilden als dritten Schwerpunkt schließlich noch die Porträts. Das Hauptwerk der Sammlung war wahrscheinlich das der Akademie der bildenden Künste gewidmete Bildnis, das Wilhelm Richter 1849 von August von Pettenkofen gemalt hatte.100 Hier finden sich noch andere Namen von bekannteren Künstlern, auch wenn diese nur mit kleineren Skizzen oder Blättern vertreten sind. Etwa Peter Fendi (1796–1842), der Begründer des Genrebildes im Wiener Biedermeier. Eine nicht genauer definierte Damenstudie stammt von Hans Canon (1829–1885), das Lesende Mädchen von dem etwas jüngeren Josef Urban Reznicek (1854–1899), von dem sich Werke bereits damals im Museum der Stadt Wien befanden.101 Von Leopold Karl Müller (1834–1892) der wegen seiner exotischen Bilder, Orient-Müller genannt wurde und ein Freund Pettenkofens war, waren zwei Porträts aufgelistet. Von dem beliebtesten Porträtisten des Biedermeier, Friedrich von Amerling (1803–1887), befand sich in der Sammlung ein Gemälde religiösen Inhalts, Madonna mit Kind von 1840, das wie die Aquarelle Rudolf von Alts von Valerie Heißfeld 1938 ebenfalls für die Ausfuhr zurückgehalten wurde.102 Unbeantwortet muss die Frage bleiben, ob in Kulkas Familie bereits früher gesammelt worden ist – scheinen doch auf den Bilderlisten auch ältere Arbeiten der bereits 97 98 99 100 101 102
Vgl. ÖBL 1815–1950, Bd. 8 (Lfg. 40, 1983), S. 387. Vgl. ÖBL 1815–1950, Bd. 11 (Lfg. 53, 1998), S. 235–236. Vgl. Nachlassauktion Rudolf von Alt bei Miethke, Frühjahr 1907. Vgl. WINTER 2003, Nr. 41. Vgl. ÖBL 1815–1950, Bd. 9 (Lfg. 42, 1985), S. 111. Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr, Zl. 5704/38 für Valerie Heißfeld.
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214 Anita Stelzl-Gallian erwähnten Künstler Peter Fendi, Hamilton, Friedrich Loos, Palamedesz, Emanuel Peter oder Karl von Saar auf, die möglicherweise innerhalb der Familie vererbt worden waren. Unter Punkt 12 des Testaments von Leopold Kulka wurden zwar Bilder angeführt, jedoch ohne Titel und ohne jegliche Zuweisung. Persönliche Widmungen gab es offensichtlich nur bei »Familienstücken«. Sohn Leopold Kulkas, Otto, bekam vom Vater eine Spieluhr und eine Zuckerschale mit vier Unterfüßen, »welche Gegenstände von meinen Eltern herrühren«.103 Sie sollten, so der Wunsch Leopold Kulkas, auch weiterhin im Eigentum der Familie bleiben. Die Einrichtung des Speise- und des Rauchzimmers bekam die Ehefrau Elisa Kulka, geborene Kafka, die Salonmöbel Adele Kulka und jene des Klavierzimmers Frieda, die jüngste Tochter. Ähnlich verhielt es sich mit der Weitergabe der Familienstücke im Testament des im Jahr 1926 verstorbenen Alfred Kulka. Die »Napoleonsuhr« erhielt Valerie Heißfeld, die »Gobelinmöbel« wurden Adele Kulka zugesprochen. Diese Stücke sollten schließlich auch nach dem Ableben der Schwestern der Familie erhalten bleiben.104 Offenbar hatte Alfred Kulka ebenfalls Bilder besessen, doch sie wurden wie im Fall Leopold Kulkas nicht definiert. In Alfred Kulkas Testament heißt es lediglich: »Bilder und sonstige Einrichtungen […] sollten nicht verkauft sondern unter meinen eingesetzten Erben […] aufgeteilt werden«.105 Früheste Hinweise auf eine Sammlertätigkeit Richard Kulkas stammen nach gegenwärtigem Wissensstand aus dem Jahr 1906, als er als Leihgeber mit dem bereits erwähnten Porträt August von Pettenkofens von Wilhelm Richter an der Spitzen- und Porträtausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien beteiligt war.106 Namentlich erwähnt wurde Richard Kulka jedoch nur selten. Im März des Jahres 1922 fand im Künstlerhaus eine Gedächtnis-Ausstellung für August von Pettenkofen statt. Richard Kulka wurde im Ausstellungskatalog nicht genannt,107 obwohl er wie seine Schwester, Valerie Heißfeld, Leihgeber waren. Aus dem Einlaufbuch erfährt man, dass Richard Kulka an der Ausstellung mit drei Werken des Künstlers – Fischer a/d Theiss, Innenräume aus Tirol und Pferdeskelett – beteiligt war. Weitere zehn Werke Pettenkofens – Bauerngerätschaften, Eselwagen, Zigeuner in ihrer Hütte, Bauernhof in Riva, Ungarischer Markt, Ungarischer Bauernwagen, Regenschirm, Gassenwinkel in Riva und Kinder in
103 104 105 106 107
Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 21P 21/40 Leopold Kulka. Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 21P 21/40 Leopold Kulka. Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. I 60/26 Alfred Kulka. Vgl. WINTER 2003, Nr. 41. Vgl. Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag August von Pettenkofens im Künstlerhaus, März 1922.
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Tirol, vor einem Stall in Riva108 stellte Valerie Heißfeld zur Verfügung, womit erstmals ersichtlich war, dass auch sie Werke Pettenkofens besaß. Der Eintrag in den Einlaufbüchern macht deutlich, dass die Geschwister Dr. Richard Kulka und Valerie Heißfeld nicht namentlich als Leihgeber genannt werden wollten. An dieser Ausstellung waren viele bedeutende Wiener Sammler wie Oskar Bondy, Dr. Hermann Eissler oder der zuvor erwähnte Dr. Alfred Spitzer als Leihgeber beteiligt. Spitzer hatte Richard Kulka auch für die Mitgliedschaft im Künstlerhaus empfohlen. Die sich 1922 im Familienbesitz befindlichen Bilder August von Pettenkofens waren vermutlich erst nach 1916 erworben worden. Das von Arpad Weixlgärtner publizierte Werkverzeichnis führt die Namen Kulka oder Heißfeld als Eigentümer der Werke nicht an.109 Auch die Identifikation jenes Aquarells, Zigeunerlager von 1859, dessen Ausfuhr Lotte Heißfeld 1938 nicht bewilligt worden war,110 ist bis heute nicht möglich. Weixlgärtner listet ein solches Bild mit dem Entstehungsjahr 1859, wie im Ausfuhrantrag angeführt, nicht auf. Es bleibt bis heute unauffindbar.111 Als Spender verewigt und daher namentlich genannt werden wollte Richard Kulka bei den dem Museum der Stadt Wien gewidmeten Objekten. Das Museum hatte zwar keinerlei Abgaben und Gebühren für die Übernahme zu entrichten, musste sich jedoch zu einer Bedingung bereit erklären: »Die vermachten Gegenstände sollten unveräußerlich bleiben und jährlich an den Geburtstagen Grillparzers und Pettenkofens unter Angabe des Spenders zur Schau gestellt werden«.112 Einen möglichen Hinweis auf einen Ankauf Kulkas von fünf Aquarellen Rudolf von Alts, findet man im Zusammenhang mit dem Bild Der Nordbahnhof in Wien im Winter von 1851,113 das am 16. November 1922 bei C. G. Boerner in Leipzig erwor108 WStLA, Künstlerhausarchiv, Einlaufbuch 16/1922, Einlaufnummern 2364–2408. Freundliche Auskunft von René Schober, März 2013. 109 Vgl. Arpad WEIXLGÄRTNER, August Pettenkofen, Bd. II, Wien 1916, S. 373. 110 Genauere Angaben zum Werk fehlen; vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr, Zl. 5703/38 Lotte Heißfeld. 111 Ein sich heute in der Albertina befindendes Bild August von Pettekofens Zigeunerzelt um 1855 (Inv. Nr. 34805) wurde 1946 in Altaussee gefunden. Es wird vermutet, dass es sich dabei um einen Ankauf für Hitlers Museumsprojekt in Linz gehandelt hat. Zwischen 1952 und 1963 wurde es zur Verwahrung dem Bundesdenkmalamt und letztendlich 1963 der Albertina übergeben. Es konnte nicht als das vermisste Aquarell von Lotte Heißfeld identifiziert werden. Freundliche Auskunft von Katja Fischer 2010. 112 Vgl. WStLA, Verlassenschaft GZ. 6A 1068/31 Richard Kulka. 113 Das Aquarell wurde Anfang der 1940er Jahre für den Sonderauftrag Linz erworben und gelangte nach dem Krieg über den Central Collecting Point in München in die Staatliche Graphische Sammlung in München, wo es 1973 inventarisiert wurde. 2011 beschlossen die Staatlichen Graphischen Sammlungen die
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216 Anita Stelzl-Gallian ben wurde.114 Bei der Durchsicht des Versteigerungskataloges fanden sich noch vier weitere Aquarelle, deren Titel und Datierungen auf den Bilderlisten der Ausfuhranträge eine Identifizierung ermöglichten. Dies legt die Vermutung nahe, dass Richard Kulka während dieser Ausstellung in Summe fünf Aquarelle erworben hat. 1938 wurden drei Titel aus dieser Erwerbung – Schloss Persenbeug an der Donau, Der Nordbahnhof, Grein an der Donau – sowie das Aquarell Apsis der Kirche von Schöngrabern, das 1930 in der Gedenkausstellung Rudolf von Alts in der Kunsthandlung S. Kende ausgestellt worden war,115 zur Ausfuhr gesperrt und wie bereits in der Einleitung erwähnt, in der Kunsthandlung Artaria & Co. am 21. Dezember 1938 versteigert.116 Zwei der damals veräußerten Aquarelle, Schloss Persenbeug an der Donau von 1845 und Grein an der Donau von 1846, konnten bis heute nicht wieder gefunden werden. Auch wenn die Sammeltätigkeit Richard Kulkas nur auf Basis einiger weniger Sammelstücke zu belegen ist, kann auf laufende An- und Verkäufe geschlossen werden. So muss es etwa nach der Pettenkofen-Gedächtnis-Ausstellung im Künstlerhaus 1922 zu einer Veränderung des Sammlungsbestandes gekommen sein. Der Vergleich der im Ausstellungskatalog genannten Bildtitel mit den Bilderlisten der Ausfuhranträge von 1938, wonach sich neun Werke Pettenkofens in der Sammlung befunden haben, erlaubt keine eindeutige Identifikation. Auch hinsichtlich eines Werks von Jehudo Epstein (1870–1945) könnte es zu einem Weiterverkauf gekommen sein. Die Erwerbung eines Werks dieses Künstlers konnte im Zusammenhang mit der XXXIX. Ausstellung des Aquarellisten-Klubs117 am 16. Februar 1925 nachgewiesen werden. Dort hatte Richard Kulka eine Federzeichnung mit der Darstellung der Gräberstraße von Pompei von Epstein um 300 Kronen gekauft. Die Federzeichnung Epsteins scheint in keiner Objektliste von 1938 auf, Valerie Heißfeld führt stattdessen Venedig-Darstellungen und ein Interieur des Künstlers an. Rückgabe an die Erbin nach Lotte Heißfeld. Vgl. Gilbert LUPFER, Zwickmühlen und Gewissensbisse. Anmerkungen zur Provenienzforschung im Museum, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der GuernicaGesellschaft, Schwerpunkt: Allianzen und Konflikte. Hrsg. dieses Bd.: Anna Greve. Göttingen, 2011, S. 77– 85, hier S. 77. 114 Die fünf Aquarelle finden sich auf den Bilderlisten der Ausfuhranträge von Valerie und Lotte Heißfeld. 1922 waren sie bei Boerner ausgestellt worden. Vgl. C. G. Boerner, Katalog, Leipzig 1922. Dank an Meike Hopp für die Zusendung des Kataloges. 115 Vgl. Ausstellungskatalog Gedenkausstellung Rudolf von Alt, Kunsthandlung S. Kende, Wien 1930, Nr. 21. 116 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 37/2, PM Valerie Heißfeld. 117 XXXIX. Ausstellung des Aquarellisten-Klubs, Künstlerhaus Wien, 17. Jänner bis 12. Feber 1925. Freundlicher Hinweis von René Schober, März 2013.
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Die Flucht und der Verlust der Sammlung
Der 1932 auf die beiden Schwestern – Adele Kulka und Valerie Heißfeld – aufgeteilte Nachlass Richard Kulkas wurde nach dem »Anschluss« 1938 im Zuge ihrer Flucht in die Tschechoslowakei und des in diesem Zusammenhang gestellten Ausfuhrantrages ein weiteres Mal zwischen Valerie Heißfeld und ihrer Tochter Lotte aufgeteilt. Lotte Heißfeld gelang am 1. März 1939 die Flucht nach England, wo sie ledig und kinderlos am 29. November 1983 starb.118 Bis auf die drei zur Ausfuhr gesperrten Aquarelle – zwei von Rudolf von Alt und eines von Pettenkofen – hatte sie nach England ungefähr 25 Bilder ausführen können.119 Die ihr nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 entzogene Liegenschaft mit der von Carl-Witzmann erbauten Villa wurde per 30. Juni 1947 an sie zurückgestellt; sie verkaufte sie im Jahr 1952 weiter.120 Ihren Anträgen an den Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter wurde stattgegeben.121 Valerie Heißfeld und Adele Kulka, die tschechoslowakische Staatsbürgerinnen waren, flüchteten zunächst nach Prag,122 dann nach Brünn, von wo sie am 29. März 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Adele Kulka kam dort am 11. April 1942 ums Leben, Valerie Heißfeld zwei Tage später, am 13. April 1942.123 Auch das Schicksal der eigentlich zur Ausfuhr freigegebenen Kunstwerke lässt sich heute nicht mehr nachverfolgen. So wurden die Bilder von Adele Kulka mit Bescheid vom 16. Dezember 1940 von der GESTAPO beschlagnahmt124 und anschließend durch die Vugesta125 verwertet. Die Spuren verlieren sich im Kunsthandel. Bis auf das mehrmals erwähnte, von Richter gemalte Porträt Pettenkofens im Wien Museum konnten keine weiteren Gemälde eruiert werden.
118 Vgl. Katinka GRATZER, Dossier zur Sammlung Valerie und Lotte Heißfeld, Theodor von Hörmann, Auf der Ligethi Puszta, 1884, Öl/Lwd., 58x71 cm, in der Österreichischen Galerie (IN 5254), Wien 2009 (unveröffentlicht), S. 2. 119 »[I]m Zuge der Verlassenschaftsabhandlung wurden 30 Kunstwerke in ihrem Besitz verzeichnet, von welchen 25 in Übereinstimmung mit der Liste ihres Ausfuhransuchens von 1938 gebracht werden können«. Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/index.aspx?ID=24&LID=1#H_K (30.5.2014). 120 Vgl. WStLA, VEAV, Bz. 13, 183 Lotte Heißfeld, vgl. Bezirksgericht Hietzing, Grundbuch, Zl. 1067/1952. 121 Vgl. ÖStA/AdR, Hilfsfonds für politisch Verfolgte, Lotte Heißfeld. 122 Vgl. GRATZER Wien 2009, S. 5. 123 Vgl. Namentliche Erfassung, DÖW. 124 Vgl. ÖStA/AdR 06, FLD 8418, KT 375 Adele Kulka. 125 Vgl. ÖStA/AdR 06, Geschäftsbücher der VUGESTA, Bd. 2, 814.
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218 Anita Stelzl-Gallian Dass die Kunstobjekte von Valerie Heißfeld, die über den Spediteur Eger & Co in Wien Leopoldstadt verschickt worden waren, ihren Bestimmungsort126 erreicht haben, lässt sich aufgrund der Stempel der Zollbehörde, die den Grenzaustritt bestätigen, vermuten. Der Verbleib der Kunstgegenstände selbst konnte jedoch bislang nicht belegt werden.127 Eines der Werke, das auf der Liste der zur Ausfuhr bewilligten Bilder von Lotte Heißfeld aufschien und verschickt werden sollte, war Theodor Hörmanns Ölgemälde Auf der Ligethi Puszta von 1884. Eine Identifikation dieses Ölgemäldes, das sich seit 1957 in der Österreichischen Galerie Belvedere befindet,128 gelang über ein Etikett auf der Rückseite, das den Namen Valerie und Lotte Heißfeld trägt. Das Schicksal des Gemäldes zwischen der Flucht Lotte Heißfelds 1939 und dem Jahr 1956, als es im Dorotheum eingebracht wurde, ist genauso wenig nachweisbar,129 wie die Feststellung, ab wann sich das Gemälde in der Familiensammlung Heißfeld-Kulka befunden hatte, obwohl das Werk in diversen Quellen aufgelistet wird.130 Abschließend lässt sich feststellen, dass von den insgesamt sieben für die Ausfuhr gesperrten Kunstwerken bisher nur zwei Aquarelle Rudolf von Alts aus der ehemaligen Familiesammlung Heißfeld-Kulka identifiziert worden sind. Eines davon wurde an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben.131 Es ist derzeit auch noch unbekannt, wo sich das große, unvollendete Werk Friedrich von Amerlings Madonna mit Kind von 1840 befindet, das gemäß dem 1927 publizierten Werkverzeichnis von Günther Probszt132 nachweislich Teil der Sammlung Richard Kulkas gewesen ist. Dieser hatte das Bild wahrscheinlich in der Versteigerung des Nachlasses von Friedrich von Amerling 1916 in Wien erworben.133 1938 wurde Valerie Heißfeld die Ausfuhr des Gemäldes ver126 Im Ausfuhransuchen von Valerie Heißfeld fehlt der Bestimmungsort, Adele Kulka und Lotte Heißfeld gaben Prag an. Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr. 127 Vgl. GRATZER Wien 2009, S. 5. 128 Das Bild wurde in der 534. Kunstauktion des Dorotheums (13. –15. November 1956) eingebracht. 1957 kaufte es die Österreichische Galerie Belvedere über die Kunsthandlung Theodor Schebesta und die Galerie Sanct Lucas an, vgl. GRATZER Wien 2009, S. 1. 129 Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 2.3.2012. http://www.provenienzforschung.gv.at/index. aspx?ID=24&LID=1#H_K (15.5.2013). 130 Vgl. GRATZER 2009, S. 2–3; vgl. 15. Jahresausstellung im Künstlerhaus, 1885, S. 44, Nr. 631; vgl. Friedrich von BÖTTICHER, Malerwerke des 19. Jahrhunderts, Bd. I/2, Dresden 1891–1901, Nr. 27. 131 Rudolf von Alts Die Apsis von Schöngrabern befindet sich heute in der Grafischen Sammlung Albertina, Der Nordbahnhof, ehemals in den Staatlichen Graphischen Sammlungen in München; vgl. LUPFER 2011, S. 77, heute in Privatbesitz. 132 Vgl. Günther PROBSZT, Friedrich von Amerling der Altmeister der Wiener Porträtmalerei, ZürichLeipzig-Wien 1927, Pos. 513, S. 130. 133 Vgl. Friedrich von Amerling künstlerischer Nachlass (Nr. 1–44), Pos. 38, Madonna mit Kind in überle-
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Für immer verloren
weigert. Danach verlieren sich die Spuren. Die Frage, wo die vermissten Kunstwerke verblieben sind, ist Gegenstand laufender Recherchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft alle oder zumindest ein Großteil der Sammlungsobjekte identifiziert werden können, ist gering. Somit zählt auch die Sammlung der Familie Heißfeld-Kulka zu jenen Sammlungen, die durch das NS-Regime unwiederbringlich zerschlagen worden sind.
bensgroßer Figur, unvollendet, Tagebuch 1838, Öl/Lwd., H 210 x 113 cm. 263 Kunstauktion k. k. Versteigerungsamt Wien. Nachlass Friedrich von Amerling (Stiftung für die Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens), 6.5.1916.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienz forschung nicht auflösen kann«1 Besitzverhältnisse in der Sammlung und den Galerien Alfred Flechtheims
Wiebke Krohn
Die Schwierigkeiten, heute über die ganze Welt verstreute Kunstwerke aus dem Galeriebestand und der privaten Sammlung des Kunsthändlers Alfred Flechtheim zu identifizieren und ihre Provenienz eindeutig zu klären, finden zur Zeit häufig Niederschlag in der Presse, da Flechtheim ständig Gegenstand der Provenienzforschung ist. Annegret Erhard fasst die kritische Lage zusammen: »Die Quellenlage ist denkbar dünn, es gibt weder Künstler- noch Kundendateien, keine Geschäftsbücher, keine Inventare, doch die Restitutionsansprüche der Erben, vertreten durch Michael Hulton, scheiterten bisher am halbherzigen Interesse vor allem der deutschen Museen.«2 Ob letztere Bewertung zutrifft, sei angesichts der komplizierten Befunde einmal dahingestellt. Als Händler der Avantgarde sammelte, verkaufte und stellte er vor allem Werke aus, die heute als »klassische Moderne« bezeichnet werden. Darin liegt begründet, dass viele dieser Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen aus Museen entzogen wurden, galten sie doch in der Zeit des Nationalsozialismus als »entartete Kunst«. Bei diesen Beständen muss die Provenienzforschung feststellen, ob sie sich zum Zeitpunkt der Entziehungen als Leihgaben des Kunsthändlers in den entsprechenden Häusern befanden, oder ob sie bereits angekauft worden waren. Flechtheim war Jude und mit einer ebenfalls jüdischen Frau verheiratet, somit wurde er nach 1933 aufgrund des Reichsbürgergesetztes zum Schutze von Volk und Nation verfolgt und flüchtete 1934 nach London ins Exil. Es gelang ihm, einige Werke mitzunehmen und von London aus weiter anzubieten. Der Rest verblieb bei seinen Mitarbeitern, die seine Galerien weiter betrieben oder im Privathaushalt seiner seit Februar 1936 von ihm geschiedenen Frau Bertha, genannt Betti. Zwar hatte das Ehepaar während der Ehe eine Gütertrennung vereinbart, diese jedoch bei der Ausstattung der gemeinsamen Wohnung mit Kunstgegenständen großzügig gehandhabt und über die
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Christian HERCHENRÖDER, Alfred Flechtheim. Ein Kunstbesessener am Rande des Ruins, in: Handelsblatt, 14.4.2012. Annegret ERHARD, Die Museen und der Kunsthändler. Eine Datenbank zu Alfred Flechtheim und Kunstwerken seiner Provenienz, in: Neue Zürcher Zeitung, 26.10.2013.
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222 Wiebke Krohn Scheidung hinaus nicht nur die Beziehung, sondern weitgehend auch die gemeinsame Nutznießung des Besitzes aufrechterhalten. Die Scheidung wurde durchgeführt, um Betti Flechtheim zu schützen, da sie sie sich aus familiären Gründen nicht entschließen konnte, ebenfalls zu flüchten. Alfred Flechtheim wollte sie im Allgemeinen davor bewahren, gegen ihn gerichteten Repressalien ausgesetzt zu werden und im Besonderen vermeiden, dass sie finanziell für seine später noch zu erläuternde Insolvenz haften müsse.3 Sofern bekannt ist, welche Kunstwerke sich noch bei Betti Flechtheims Freitod 1941 in ihrer Wohnung befanden, lässt sich somit nur schwer zuordnen, ob der von Alfred Flechtheim für seinen Besitz eingesetzte Erbe Heinz Hulisch (im Exil anglisierte er seinen Namen zu Henry Hulton) oder die Verwandten seiner Ehefrau rechtmäßigen Anspruch darauf erheben könnten. Weitere Fragen wirft auch die zusätzlich zur europäischen modernen Kunst in den 1920er Jahren erworbene Sammlung von Ethnografica auf, sie erscheint hinsichtlich Provenienzforschung noch viel problematischer. Vereinzelte Berichte der Mitbesitzer der Galerie aus der Nachkriegszeit bieten nur wenig Hilfe, da sie, sei es absichtlich, um die eigene Rolle bei der Abwicklung der Galerie Flechtheim zu verschleiern oder weil der Kontakt nach der Flucht des Kunsthändlers tatsächlich abgebrochen war, äußerst vage ausfallen. So berichtet Alex Vömel, in dessen Besitz die Galerie Flechtheim in Düsseldorf übergegangen war: »Flechtheim hatte rechtzeitig seine Galerie aufgelöst, um mitsamt seinem Kunstbesitz nach London überzusiedeln. Über Flechtheims Tätigkeit in London vermag ich nichts zu sagen. Mein Freund Hans Tisdall hat mir darüber erzählt, nachdem er die engsten Freunde Flechtheims in England, Freddy Mayor und Geoffrey Agnew, interviewt hatte.«4 Auch Gustav Kahnweiler, Mitinhaber der Frankfurter Galerie, konnte nur Vermutungen über die Zeit nach Flechtheims Flucht berichten: »Was geschah mit dem Nachlass von Alfred Flechtheim? – Das ist mir vollkommen unbekannt. Ich habe keine Ahnung, was er aus Deutschland retten konnte […] In England hat er auf jeden Fall finanziell zunächst keinen Erfolg gehabt. Er hätte aber meiner Ansicht nach in England sehr großen Erfolg gehabt, denn diese phantasievolle und witzige Art Flechtheims hätte dem englischen Publikum als eine etwas exzentri-
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Vgl. Ottfried DASCHER, »Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst.« Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger, Wädenswil 2011, S. 365–367. Alex VÖMEL, Alfred Flechtheim, Kunsthändler und Verleger, in: Konrad F. BAUER, Bertold HACK, Heinz SARKOWSKI, Gesellschaft der Bibliophilen (Hg.), Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde NF V (1967), S. 90–97, hier: S. 96.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
sche Gestalt sicher imponiert.«5 Diese Mutmaßung erscheint angesichts der Tatsache, dass Gustav Kahnweiler Daniel-Henry Kahnweilers Bruder ist, welcher als Inhaber der Galerie Simon bzw. später Leiris in Paris bis zu Flechtheims Tod als Freund und Geschäftspartner mit ihm zusammenarbeitete, erstaunlich. Möglicherweise hatte sogar Daniel-Henry Kahnweiler keine genaue Kenntnis der geretteten Bestände, was die Vermutung nahe legt, dass bereits seit 1933 keine genaue Übersicht mehr vorhanden gewesen war. Erst seit 1987, spätestens aber seit den Washington Principles 19986 konnten durch die verstärkt durchgeführte Provenienzforschung in europäischen und US-amerikanischen Museen immer mehr Erkenntnisse über den Verbleib bzw. den Verlust der Galeriebestände und Privatsammlung Alfred Flechtheims ermittelt werden, wenngleich gesagt werden muss, dass viele Hinweise sich als bloße Vermutungen oder Andeutungen herausstellen. Den umfassendsten Überblick des aktuellen Forschungsstandes gewährt die 2011 erschienene Biografie Ottfried Daschers.7 Der Autor referiert die Problematik wie folgt: »Obwohl ein Archiv Flechtheim nicht mehr existiert, die Akten nach der Löschung der Galerie 1937 an den Liquidationsverwalter überführt wurden und heute als verschollen gelten müssen, die Handakten Flechtheims bei der Bombardierung Londons verloren gingen, die Handbibliothek nur in verstreuten Exemplaren auftaucht, finden sich in zahlreichen öffentlichen Archiven des In- und Auslandes Korrespondenzen der Galerie Flechtheim und ihres Inhabers.«8 Dank dieser Publikation stehen auch erstmalig umfangreiche Listen zur Sammlung und zum bisher bekannten Verbleib zur Verfügung. Des Weiteren befinden sich Scans der Galeriekataloge auf einer CD-Rom im Anhang, die Rudolf Schmidt-Föller für das Werk zur Verfügung stellte, wenngleich diese nur bedingt zur Identifikation einzelner Werke verhelfen können, weil die Listen oft nur kursorische Bildtitel beinhalten. Seit dem ebenfalls in der Presse vieldiskutierten Fälschungsskandal9 eines Flechtheimsignets ist der eigene Galeriestempel des Kunsthändlers weitreichend bekannt, 5
Gustav KAHNWEILER im Interview mit Gerhard LEISTNER, in: Hans Albert PETERS, Stephan von WIESE, Monika FLACKE-KNOCH, Gerhard LEISTNER, Alfred Flechtheim. Sammler. Kunsthändler. Verleger, im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung des Kunstmuseums Düsseldorf, Düsseldorf 1987, S. 23 f. 6 1987 fand zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine Ausstellung zum Wirken Alfred Flechtheims statt, für die weitreichende Recherchen unternommen wurden. Vgl. PETERS, von WIESE, FLACKE-KNOCH, LEISTNER 1987; Washington Principles vgl. http://www.state.gov/p/eur/rt/ hlcst/122038.htm (7.2.2014). 7 Vgl. DASCHER 2011. 8 DASCHER 2011, S. 415. 9 Vgl. http://alfredflechtheim.com/rezeption/die-sammlung-jaegers/ (14.1.2014).
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224 Wiebke Krohn auch die Aufkleber der einzelnen Filialen wurden bereits publiziert.10 Auf den Etiketten befinden sich üblicherweise Hinweise auf den Galeriestandort des Werks und Angaben, ob es sich um Verkaufsware, Eigentum Flechtheims oder Kommissionen handelt. Aber auch diese Provenienzmerkmale helfen nur bedingt zur Einordnung der Werke, denn die Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben sind noch nicht komplett entschlüsselt.11 Außerdem ist nicht belegt, ob auf jedem mit der Galerie Flechtheim zu assoziierenden Gemälde ein Stempel oder Aufkleber vorhanden war, so fehlt beispielsweise auf einem im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien befindlichen Gemälde von George Grosz jeder Hinweis auf die Galerie, obwohl es mit Sicherheit durch Flechtheims Hände gegangen ist. Heutzutage ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob nie eine Kennzeichnung stattfand, oder ob ein eventuell vorhandenes Etikett im Laufe der Jahre abfiel und verloren ging.12 Es handelt sich bei dem genannten Werk um das Gemälde Das Bündnis von 1931 [dies ist nicht der Originaltitel, es ist nicht festzustellen, seit wann es so genannt wurde]. Dieses Gemälde befand sich ab 1931 in der Berliner Galerie am Lützowufer 13 in Kommission, wurde aber nicht verkauft. 1933 wurden die Galerien Flechtheims aufgrund von Insolvenz liquidiert und unverkaufte Kommissionen als Insolvenzmasse in Flechtheims Eigentum überführt, sofern für diese Ware Vorauszahlungen geleistet wurden. Nach seiner Flucht aus Deutschland war das Gemälde in Paris bei der Galerie Pierre deponiert. 1936 lieh Flechtheim dieses Bild mit einigen anderen Ölgemälden und Aquarellen an die Galerie Carel van Lier in Amsterdam für eine George-GroszAusstellung aus, wo es sich noch befand, als er ein Jahr später verstarb. 1938 brachte Carel van Lier die Ausstellungsstücke in eine Auktion ein.13 Auf die Geschichte des Gemäldes wird im Folgenden noch eingegangen werden. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, Alfred Flechtheims Umgang mit Besitz, Eigentum, Kommissionsware und Ausstellungsleihgaben in den Galerien und in der privaten Kunstsammlung zu skizzieren und die sich hieraus für die Provenienzforschung ergebenden methodischen Schwierigkeiten an einem Beispiel aufzuzeigen.
10 Vgl. http://alfredflechtheim.com/provenienzforschung/etiketten/ (14.1.2014). 11 Vgl. http://alfredflechtheim.com/provenienzforschung/etiketten/ (14.1.2014). 12 Vgl. George GROSZ, das Bündnis/Andenken, 1931, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Inv. Nr. B 661. Vgl. Ergebnisse der 65. Sitzung des Kunstrückgabebeirats vom 8.3.2013; http://www. provenienzforschung.at/fileitem.aspx?ID=895 (24.3.2014). 13 Die Hintergründe dieser Entwicklungen werden noch im Einzelnen berichtet. Die Skizzierung folgt DASCHER 2011, S. 315–326, S. 374 und S. 389–392.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
Die Privatsammlung Teil 1. Ein kunstbesessener Getreidehändler
Den Grundstock der späteren Galerien bildete auch bei Flechtheim die eigene Sammlung. Bereits in den Jahren, als er noch im elterlichen Betrieb als Getreidehändler arbeitete, begann er, zum Befremden und Unverständnis seines Vaters, eine Sammlung erst rheinischer, dann auch französischer Künstler und Künstlerinnen zusammenzutragen. Dabei profitierte er vom Vermögen des äußerst erfolgreichen Familienunternehmens, der Getreidehandlung Flechtheim, die sein Urgroßvater Sostmann Flechtheim im Jahre 1795 in Brakel/Kreis Höxter in Westfalen gegründet hatte. Im Laufe der nächsten zwei Generationen war die Firma gewachsen, 1870 nach Münster verlegt worden und bis 1888 mit verkehrsgünstigen, weil am Rhein gelegenen Zweigstellen in Duisburg und Düsseldorf erweitert worden. Im Geburtsjahr Alfred Flechtheims, 1878, hatte die Familie auch einigen Einfluss an den regionalen Getreidebörsen in Dortmund, Essen und Duisburg, die über den Rhein und den Dortmund-Ems-Kanal weite Teile Westeuropas versorgten.14 Alfred Flechtheim agierte von Anfang an als Marchand-Amateur;15 es ist wahrscheinlich, dass er auch im Hinblick auf spätere Verkäufe gesammelt hat, wenngleich in Selbstzeugnissen zum Ausdruck kommt, dass er dabei stark seinen Neigungen folgte und sich oft in einen Kaufrausch steigerte.16 Für ein unternehmerisches Denken Flechtheims spricht der Erwerb einiger ausgewählter Impressionisten, die im Rheinland in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg recht beliebt waren. Eigentlich war der junge Kunsthändler persönlich mehr dem Expressionismus zugetan. Später favorisierte er dann jedoch vor allem Picasso, den er als Überwinder des Expressionismus ansah sowie frühe Kubisten,17 denen er vorsichtig und beharrlich ein Publikum zu bereiten versuchte.18 Von Beginn seiner Sammlertätigkeit an suchte er Kontakt zu den größeren Museen in seiner Umgebung – sicherlich einerseits, um sein Sendungsbewusstsein für avantgardistische Kunst, die stets neue, nie beschrittene Wege auszuprobieren habe, auszuleben, jedoch auch, um der eigenen Sammlung mehr Bedeutung zu verleihen.19 Schon in den ersten Jahren kaufte er Van Gogh, von dem auch sein aufgrund von Geldmangel verkauftes und danach wieder erworbenes Lieblingsbild der Zuave 14 Vgl. DASCHER 2011, S. 23–30. 15 http://alfredflechtheim.com/alfred-flechtheim/werdegang/ (14.1.2014). 16 Alfred FLECHTHEIM, Zehn Jahre Kunsthändler (1923), in: Rudolf SCHMITT-FÖLLER (Hg.), »Nun mal Schluß mit den blauen Picassos«. Gesammelte Schriften, Bonn 2013, S. 47–54. 17 Alfred FLECHTHEIM, Tagebuchblätter (1913), in: SCHMITT-FÖLLER 2013, S. 26–46, hier: S. 33. 18 FLECHTHEIM 1923, S. 47–54. 19 Vgl. DASCHER 2011, S. 88.
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226 Wiebke Krohn stammte20 und Cezanne. Im Laufe der Jahre wandte er sich immer entschiedener der Avantgarde zu und entwickelte als Autodidakt ein überragendes Qualitätsbewusstsein.21 Zu den Schwerpunkten Rheinland und Frankreich kamen Anfang der 1920er Jahre noch Uli-Figuren,22 satirische Kunst über die Weimarer Republik und andere zeitgenössische, deutsche Kunst hinzu, wobei sich zeigen sollte, dass Flechtheim sowohl vom künstlerischen Ausdruck der Werke, als auch von den Künstlerpersönlichkeiten fasziniert war, wie zum Beispiel sein Verhältnis zu Renée Sintenis oder Hermann Nauen zeigt.23 Als einer der ersten Sammler und als der erste in Deutschland widmete er sich Picasso. Der Düsseldorfer Kompagnon ab 1922, Alex Vömel, beschrieb die Aufbruchsstimmung: Damals vollzog sich eine bestürzende Wendung in der Kunst. Die optisch sichtbare Welt wurde nicht mehr abgebildet, sie trat neu in Erscheinung in neuen Farben und Formen. Kunsthändler pflegen als Sammler zu beginnen. Flechtheim zögerte nach dieser Einsicht keinen Augenblick, solche Werke zu erwerben, in denen sich dieses Neue ankündigte, und die Sicherheit im Zugriff machte einen Kenner deutlich, der instinktiv wußte, was vielen seiner Zeitgenossen problematisch war. Seine Ankäufe von 1908 von Werken französischer Maler und von Künstlern des Rheinlandes erregten die Aufmerksamkeit und die Opposition der damaligen Kunstwelt.24
In seinen Tagebuchaufzeichnungen zählte Flechtheim jene Künstler auf, die ihm am Herzen lagen; seltener konkrete Bildtitel. Flechtheim erwarb mit vollen Händen »Braque, Derain, Girieud, Laurencin, Vlaminck« und plante, auch Bonnard, Rousseau und Seurat zu kaufen.25 Auch wenn Vömel über den Verbleib der Galeriebestände erstaunlich uninformiert scheint, beschreibt er die Anfänge ganz genau: »Alfred Flechtheim verkaufte die Bilder, zu denen er meist ein ganz persönliches Verhältnis besaß, an die großen Museen und
20 Vgl. DASCHER 2011, S. 423. 21 Vgl. DASCHER 2011, S.41–44. 22 Hierbei handelt es sich um Holzskulpturen aus Neu-Guinea und von anderen Südsee-Inseln, die im Zusammenhang mit Ahnenkulten stehen; vgl. Jill LLOYD, Alfred-Flechtheim: ein Sammler außereuropäischer Kunst, in: PETERS, von WIESE, FLACKE-KNOCH, LEISTNER 1987, S. 33–35. 23 FLECHTHEIM 1923, und: Alfred FLECHTHEIM, Mein Freund Nauen (1919), in: SCHMITTFÖLLER 2013, S. 72–81. 24 VÖMEL 1967, S. 91, Sp. 1. 25 Vgl. Alfred FLECHTHEIM, Auf dem Wege zur Kunst unserer Zeit – Vorkriegsbilder und Bildwerke (1919), in: SCHMITT-FÖLLER 2013,S. 64–72, hier: S. 64–68.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
betreute einen weitverzweigten Sammlerkreis.«26 Ferner beschreibt er auch das zweite Standbein des Sammlers, das die Provenienzforschung noch vor ganz andere Probleme stellt, wie später zu zeigen sein wird, denn »Flechtheim zeigte ausgewählte Beispiele afrikanischer Kunst und Ahnenfiguren aus der Südsee, aus Neu-Pommern und NeuMecklenburg. Gerade diese weit auseinanderliegenden und damals schwer vereinbarenden künstlerischen Äußerungen bildeten einen glücklichen Zusammenhang mit den Zeugnissen der Moderne.«27 Galerieware in verschiedenen Städten, Ausstellungen: Leihgaben aus fremdem und eigenem Besitz vor 1933
Seine erste Galerie eröffnete Flechtheim 1913 in Düsseldorf, nachdem der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer die Familie nicht zuletzt durch tatkräftige finanzielle Unterstützung davon überzeugen konnte, dass Alfred Flechtheim im Kunsthandel besser aufgehoben sei, als im Getreidehandel. Diese Galerie sollte am längsten bestehen, sie wurde nach einer kriegsbedingten Unterbrechung von 1917 bis 1919 bis zur Insolvenz im Jahr 1933 geführt. 1926 stellte Flechtheim Alex Vömel hier als Kompagnon ein, der sie mit Beginn des NS -Regimes weiterführte, wobei bis heute nicht geklärt ist, inwiefern es sich bei dieser Übernahme um eine gegen den Willen Flechtheims gerichtete Arisierung handelte, oder ob, wie es sich inzwischen als wahrscheinlicher darstellt, Vömel mit Einverständnis und sogar im Sinne Flechtheims agierte.28 Die Klärung dieser Frage hätte jedenfalls Auswirkungen hinsichtlich etwaiger Restitutionen von nach 1933 in der Düsseldorfer Galerie verbliebener Werke. Im Jahr 1921 eröffnete Flechtheim mit Gustav Kahnweiler gemeinsam zwei weitere Filialen in Frankfurt und Berlin. Während die Berliner Filiale ebenfalls bis 1933 bestand, musste die Frankfurter Galerie ebenso wie eine 1922 gegründete Niederlassung in Köln bereits 1925 wieder geschlossen werden. Nach Kahnweiler arbeitete in Berlin Curt Valentin ab 1928 für Flechtheim. In Wien wurde Flechtheim von der Galerie Würthle vertreten.29 Die bereits erwähnte CD-Rom im Anhang der Biografie Ottfried Daschers30 bestätigt durch die Darstellung aller Ausstellungskataloge der Galerien Flechtheim des-
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VÖMEL 1967, S. 93, Sp. 2. VÖMEL 1967, S. 93, Sp. 2. http://alfredflechtheim.com/alfred-flechtheim/whos-who/#Voemel (16.1.2014). http://alfredflechtheim.com/handel/alfred-flechtheim-galerien-gmbh/ (16.1.2014). DASCHER 2011, CD-Rom, darin PDF »Materialien« 1.
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228 Wiebke Krohn sen rege Ausstellungstätigkeit. Bereits der Katalog zur ersten Ausstellung Beiträge zur Kunst des XIX. Jahrhunderts und unserer Zeit. Zusammengestellt von Dr. Paul Mahlberg. Herausgegeben anläßlich ihrer Eröffnung von der Galerie Alfred Flechtheim G.m.b.H. Düsseldorf, Alleestraße 7 gibt Auskunft über die Zusammenarbeit mit den Sammlern aus der regionalen industriellen und kaufmännischen Elite.31 Diese Auswertung ist für die Provenienzforschung von großem Wert, wenngleich Flechtheim seine eigenen Leihgaben oft nur als »Privatbesitz« oder gar nicht kennzeichnete.32 Darüber hinaus fällt die Identifikation schwer, da die Werke oftmals nur kursorisch als Stilleben oder Landschaft33 betitelt sind und keine weiteren Verweise zur Verfügung stehen. Von Anfang an pflegte Flechtheim eine enge Zusammenarbeit mit Daniel-Henry Kahnweiler in Paris sowie Kontakte nach London und New York und in die Niederlande34 und stellte dort auch aus. 35 Als Flechtheim ins Exil ging, befanden sich mehrere Stücke der Galerieware bereits außerhalb Deutschlands und verblieben dort auch nach seinem Tod 1937.36 Kommissionsware
Flechtheim legte Wert auf einen freundschaftlichen und großzügigen Umgang mit den Künstlern und Künstlerinnen, die bei ihm unter Vertrag standen. Er nahm Werke in Kommission und tätigte Vorauszahlungen.37 Künstler wie Klee, Beckmann und Grosz konnten sich gute Bedingungen der Galerievertretung aushandeln, auch weil es Flechtheim ein Anliegen war, seine Galerie mit den prominenten Namen zu schmücken.38 Als die Galerien aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage und des politischen Drucks Insolvenz anmelden mussten, kam es offenbar zur Überführung von Kommissionen in die Konkursmasse. Auch hierzu gibt es keine eindeutigen Unterlagen wie zum Beispiel Verkaufsquittungen, Übernahmebestätigungen oder ähnliche 31 DASCHER 2011, CD-Rom, darin PDF »Materialien« 1, S. 3. 32 DASCHER 2011, CD-Rom, darin PDF »Materialien« 1, S. 45, Beispiel Vincent van Gogh, Nr. 140 der Zuave oder S. 54, Marie Laurencin, Nr. 33a L’Hôtel de la Marine. 33 Zum Beispiel: DASCHER 2001, CD-Rom, darin PDF »Materialien« 1, S. 45, Nr. 55 und 56 von Max Burschak. 34 Bas VAN LIER, Carel van Lier. Kunsthandelaar, wegbereider 1897–1945, Bussum 2003, S. 24. 35 DASCHER 2011, S. 266 f. 36 Vgl. Seligmann Papers, General Correspondence: 1.3.1913–1978, Flechtheim, Alfred (and Estate of ), 1932–1946, Box 37, Folder 16. Smithsonian Archives of American Art, Washington D. C. 37 Vgl. http://alfredflechtheim.com/alfred-flechtheim/werdegang/ (16.1.2014). 38 Vgl. DASCHER 2011, S. 224.
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Geschäftspapiere der Galerie Flechtheim. Dennoch gibt es einige Dokumente, die einen entsprechenden Vorgang belegen. George Grosz führte ein so genanntes Logbuch, in welches er seine neuen Werke eintrug.39 Am 27. April 1931 notierte er das Werk unter dem Titel Andenken mit einer »Inventarnummer B. 13694 Flechtheim A.« Ein weiterer Nachweis stammt von Flechtheims Steuerberater, dem Wirtschaftsprüfer Alfred E. [?] Schulte, der 1933 mit der Liquidation der Galerie Flechtheim betraut war.40 In einem Brief Schultes an Grosz vom 18. November 1933 wird festgehalten, dass der Maler Schulden in Höhe von 16.255 RM bei der Galerie Flechtheim hatte.41 Durch Laurie Steins Rebuttal Report anlässlich einer Restitutionsforderung für das Grosz-Gemälde Republic automatons gegen das Museum of Modern Art New York ist zu erfahren, dass in George Grosz‘ Logbuch in der Akademie der Künste in Berlin eine Liste über Zahlungen von Flechtheim an Grosz aus den entsprechenden Jahren existiert.42 Bereits im Jahr 1932 stellte Curt Valentin, zu dieser Zeit Mitarbeiter der Berliner Galerie Flechtheim, in einem Brief an George Grosz die Schuldensumme fest und formulierte einen Ausgleich über die Kommissionsware.43 Die genaue Festlegung der Rückzahlungsmodalitäten erfolgte einen Monat später, wie ein Gesprächsprotokoll nach einer Unterredung zwischen Grosz und Valentin belegt.44 Auch Flechtheim nimmt in einem Brief an Grosz hierzu Stellung: […]Deine Aquarelle, die Du mir als Sicherheit ließest, sind in London unverkauft. Die Geschäfte gehen auch in England schlecht. (Schlechter aber hier.) Ich will sie aber denn.[och, Abkürzung ergänzt durch die Autorin] ausstellen lassen u. als Bruttopreis pro Blatt ca. 100 M. feststellen hoffend, so viel zu bekommen, obwohl bei der Pfundabwertung das für England schon viel ist. Zeichnungen die Hälfte.
39 Vgl. Akademie der Künste Berlin, George Grosz Archiv, Logbuch 1924–1940, S.274. 40 Vgl. DASCHER 2011, S. 319–326. 41 Vgl. Brief von Alfred E. Schulte an George Grosz vom 18.11.1933, George Grosz papers MS Ger 206 Nr. 116, Houghton Library, Harvard University. 42 Vgl. Rebuttal Expert Report of Laurie A. Stein, 2.11.2009, S. 8. Dieses Gerichtsdokument des United States District Court, Southern District of New York, wurde der Autorin neben zahlreichen anderen wertvollen Hinweisen dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. 43 Brief von Curt Valentin an George Grosz am 31.10.1932, George Grosz papers MS Ger 206 Nr. 116, Houghton Library, Harvard University. 44 Brief von Curt Valentin an George Grosz am 28.11.1932, George Grosz papers MS Ger 206 Nr. 116, Houghton Library, Harvard University.
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230 Wiebke Krohn
Abbildung 1: Brief von Curt Valentin an George Grosz vom 31.10.1932
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
Abbildung 2: Brief von Curt Valentin an George Grosz am 28.11.1932
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232 Wiebke Krohn Ich habe die Preise mit Billiet & Masereel (B. ist M’s Händler) überlegt & sie M’s Preisen entsprechend aufgebaut. Noch schwerer, als mit den Aquarellen, ist es mit den Oelbildern, die Du mir gleichfalls als Sicherheit übereignetest. Sie lagern fast ein Jahr in der Galerie Pierre, die mich immer vertröstete. Aber dann [?] weder sie, noch die Galerie Simon wollte ich damit bemühen. Geschäftsgang zu schlecht. Nicht allein hier, sondern auf dem ganzen Continent. Jetzt habe ich sie bei Billiet deponiert. Anbei dessen Liste & Preise. Vielleicht verkauft er was. Hoffnungen hat aber weder er, noch ich. […]45
Es gibt keine Stellungnahme von Grosz zu den Schulden oder einer Sicherheitsübereignung seiner Werke an Flechtheim. Somit muss offen bleiben, ob Flechtheim mit diesem Brief Fakten schaffen wollte oder ob hier ein rechtlich gesicherter Übergang von der Kommission zum Eigentum Flechtheims kommentiert wurde. Laurie Stein ist dieser Überzeugung.46 Insolvenz
Dascher beschreibt die Gratwanderungen des Wirtschaftsprüfers Alfred E. Schulte, der bereits Ende der 1920er die Galerien beraten hatte, während der Liquidation der Galerien Flechtheim: Ein Konkurs hätte allerdings in zweierlei Hinsicht schwerwiegende Folgen gehabt. Es wäre in diesem Fall ein amtlicher Konkursverwalter bestellt worden, der angesichts des Missverhältnisses zwischen haftendem Kapital, liquiden Mitteln und Schuldbetrag zwei Wege hätte beschreiten müssen: Einerseits die Zwangsverwertung der Kunstbestände anzuordnen (was normalerweise durch öffentliche Versteigerung geschah); andererseits die Haftung auf die Privatperson Flechtheims auszuweiten, da evident war, daß dieser durch Beleihung seiner privaten Sammlung die Betriebsmittel für die Galerie beschafft, die Haftung also selbst schon vermischt hatte. Beides hätte Flechtheims unmittelbaren Ruin zur Folge gehabt, so dass Schultes Strategie eines LiquidationsVergleichs zweifellos die aussichtsreichere Variante war […].47
Wieder einmal existieren kaum Belege für die einzelnen Verfahren. Somit lässt sich nicht mehr nachvollziehen, was tatsächlich zur Konkursmasse gehörte und aufgrund der bereits vor 1933 bestehenden wirtschaftlichen Notlage verkauft werden musste oder was Flechtheim zur Ermöglichung seiner Flucht eventuell veräußerte.48 45 Brief vom 15.4.1934 Flechtheim an Grosz, Briefseiten 2 und 3, George Grosz papers MS Ger 206 Nr. 116, Houghton Library, Harvard University. 46 Rebuttal Expert Report of Laurie A. Stein, 2.11.2009, S. 12 f. 47 DASCHER 2011, S. 320 f. 48 Vgl. http://alfredflechtheim.com/alfred-flechtheim/liquidation/ (16.1.2014).
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Der Künstler George Grosz bestätigt die Vermischung der privaten mit den Galeriebeständen, ihm zufolge behandelte Flechtheim nicht nur in der Beleihung, sondern auch anhand der Kunstwerke selbst die Übergänge zwischen Privateigentum, Kommission und Galerieeigentum großzügig: »Seine Privatwohnung war eigentlich eine intimere Fortsetzung seiner Galerie am Lützowufer; die Wände hingen buchstäblich von oben bis unten voller Bilder, meist moderne Franzosen, denn die liebte er am meisten. (Auch ein paar deutsche Maler hingen da, aber die wirkten wie Stiefkinder und kamen nicht recht gegen die Franzosen auf.)«49 Dieser Eindruck wird durch zahlreiche Fotos aus der Berliner Wohnung bestätigt. 1929 war eine »Homestory« über Flechtheim in der Berliner Zeitschrift Die Dame erschienen, aus diesem Anlass fertigte das Atelier Zander und Labisch Innenaufnahmen an. Anfang der 1930er Jahre dokumentierte die Fotografin Martha Huth (vermutlich für einen ähnlichen Zweck, da auch sie Reportagen für Magazine erstellte) ein zweites Mal die Zimmer in der Bleibtreustraße.50 Ottfried Dascher warnt vor dem Quellenwert der Dokumentation aus der Berliner Wohnung des Galeristen: An dieser Stelle muss ausdrücklich darauf verwiesen werden, daß die Belege für einen ‹Besitzer‹ Flechtheim Irrtümer nicht ausschließen. Flechtheim wechselte in den Zuschreibungen gerne und virtuos zwischen Galerie- und Privatbesitz, deklarierte Bilder um, ohne deutlich zu machen, daß es damals wie heute sog. Geschäfte á meta gab, Kunstwerke sich im gemeinschaftlichen Eigentum verschiedener Partner befinden konnten. […] Selbst die Hängung in den Privaträumen muß nicht im Einzelfall einen privaten Besitz garantieren. So sind die beiden Fotoserien zur Wohnung nicht frei von inszenatorischen Zügen und reflektieren ein legitimes Geschäftsinteresse.51
Insofern besteht sogar die Möglichkeit, dass Galerieware anderer Kunsthändler, die mit Flechtheim gemeinsam Bilder anboten, in der Berliner Wohnung hing. Flucht und Exil
Flechtheim war als Jude vom Reichskulturkammergesetz vom 22.September 1933 betroffen, das ein Berufsverbot für ihn nach sich zog. Die Regierung hatte ihm zwar Kompromissbereitschaft signalisiert, jedoch nur unter der Bedingung, dass er auf die 49 George GROSZ, Ein kleines Ja und ein großes Nein, Hamburg 1955, S. 189. 50 Vgl. DASCHER 2011, S. 243–258. 51 DASCHER 2011, S. 417.
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234 Wiebke Krohn Avantgarde und die französischen Künstler zu verzichten habe, was er als sein Kerngeschäft betrachtete und daher ablehnte.52 Mit Hilfe seines Freundes und Kooperationspartners Daniel-Henry Kahnweiler flüchtete er nach England. Die Hoffnung, im Ausland erfolgreicher verkaufen zu können, trog, obwohl die Mayor Gallery sogar einen Vertrag53 mit Flechtheim hatte, (in Kooperation mit Kahnweilers Galerie Simon). Dieser Vertrag diente dazu, Flechtheim auf Reisen als Vertreter der genannten Galerien zu rechtfertigen und Zugriff auf die Gemälde durch deutsche oder englische Behörden, da Geschäfte mit deutschen Waren in Großbritannien aufgrund restriktiver Außenhandelsbestimmungen in Deutschland vertraglich vereinbart über Clearingstellen abzuwickeln waren, zu vereiteln.54 Wie Cornelia Frowein schreibt,55 waren die meisten Verkaufsversuche dennoch erfolglos. Es ist nicht ganz geklärt, wie es Flechtheim überhaupt gelang, Bestände auszuführen. Ebenfalls erscheint es verwunderlich, dass er noch einige Male nach der Emigration nach Berlin zurückreiste und auch seine Frau Betti, die nicht aus Berlin floh, ihn weitestgehend ohne Repressalien in London besuchen und auch wieder nach Deutschland zurückkehren konnte. Dascher weist auf einen Kontakt zu dem SS-Offizier Hans Hinkel im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda hin.56 Eine genauere Untersuchung dieser Verbindung steht noch aus. Eventuell hatte Flechtheim auf diesen Reisen auch noch Gelegenheit, Kunstgegenstände auszuführen. Sein Nachruf in der Times lässt zumindest vermuten, dass er eine größere Auswahl bei sich hatte: »His own collection was extensive , and from it he contributed works to several loan exhibitions in London.«57
52 Vgl. DASCHER 2011, S. 312–315. 53 Galerie Simon [d. i. Daniel-Henry Kahnweiler] 29 bis rue d’Astorg, Paris VIII, 3 Avril 1934, zitiert nach Cornelia FROWEIN, Alfred Flechtheim im Exil in England, in: PETERS, von WIESE, FLACKEKNOCH, LEISTNER 1987, S. 59–64, hier: S. 59. 54 Vgl. DASCHER 2011, S. 341. 55 »Flechtheim hatte gute Beziehungen zur Lefevre Gallery, die sich auf französische Kunst spezialisierte und zu einer der führenden Galerien in London, The Leicester Galleries. Wie schwer es war, Bilder zu verkaufen – auch Bilder von berühmten Künstlern –, geht aus seinen Briefen an Kahnweiler hervor. Jack Bilbo stellte während des Krieges Picassos La Hollandaise aus. Das Bild wurde nicht verkauft. Die bedeutendste Ausstellung, die Flechtheim in London einleitete und mitorganisierte, war die ›Exhibition of 19th Century French Painting‹ in den New Burlington Galleries, Oktober 1936«, zitiert nach FROWEIN 1987, S. 63. Eine detaillierte Darstellung über weitere erfolglose Ausstellungen mit exquisiten Werken in London vgl. Kapitel Was wird aus den Bildern, DASCHER 2011, S. 332–341. 56 Vgl. DASCHER 2011, S. 397. 57 Mr Alfred Flechtheim – Art Dealer and Critic, in: The Times, 10.3.1937.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
Flechtheim hatte in London nicht die Mittel, eine eigene Galerie zu eröffnen und war auf die Hilfe anderer Galeristen angewiesen. Das hatte zur Folge, dass er diese am Gewinn beteiligen musste.58 Auch hierin besteht eine weitere Unübersichtlichkeit der Eigentumsverhältnisse, denn bei gegebenenfalls noch aufzufindenden Werken könnten nicht nur die Erben Flechtheims zu berücksichtigen sein. Hiervon war beispielsweise die Galerie Jacques Seligmann in New York betroffen, wie sich anhand der in den Archives of American Art befindlichen Unterlagen über Picassos Gemälde Arlequin nachvollziehen lässt. Die unmittelbar daraus resultierenden Komplikationen für die Erben über die Feststellung der Anteile setzten sich nach Flechtheims Tod bis ins Jahr 1946 fort.59 Nachlass Alfred Flechtheim
Alfred Flechtheim hatte seinen Neffen Heinz Hulisch, den Sohn einer Schwester seiner Frau Betti als Erben eingesetzt. Heinz Hulisch lebte ebenfalls im Exil in London und Flechtheim wollte verhindern, dass sein Eigentum auf dem Rechtsweg wieder an seine eigenen Geschwister, Nichten und Neffen nach Deutschland zurückgelangte,60 was die Erbfolge bei Kinderlosen üblicherweise vorgesehen hätte. Ohne Zweifel hätten die NS-Behörden die Erbmasse sofort beschlagnahmt. Das Ehepaar Flechtheim hatte sich scheiden lassen, damit Betti trotz bei der Heirat vereinbarter Gütertrennung nicht von der Insolvenz betroffen und außerdem nach der Emigration Alfred Flechtheims nicht erpressbar zu sein.61 Damit war sie von der Erbfolge nach Flechtheim ausgeschlossen. Die Anwaltskanzlei Herbert Oppenheimer, Nathan, Vandyk & Mackay wurde nach dem Tod Alfred Flechtheims beauftragt, einen Überblick zu schaffen und die Abwicklung des Erbes durchzuführen.62 Weitere Quellen bis auf die genannte SeligmannKorrespondenz zu den Aktivitäten der Anwälte stehen nicht zur Verfügung, wie Dascher beschreibt: Leider sind die Akten der Kanzlei Oppenheimer wie der Mayor Gallery mit den persönlichen Akten Flechtheims im 2. Weltkrieg durch die deutschen Luftangriffe auf London vernichtet worden, so daß sich eine zuverlässige Übersicht über den Nachlaß 58 Vgl. DASCHER 2011, S. 389–392. 59 Vgl. Diverse Briefe vom 19.4.1937 bis 27.5.1946, Seligmann-Papers, General Correspondence: 1.3.1913–1978, Flechtheim, Alfred (and Estate of ), 1932–1946, Box 37, Folder 16. Smithsonian Archives of American Art, Washington D. C. 60 Vgl. DASCHER 2011, S. 387. 61 Vgl. DASCHER 2011, S. 366. 62 Vgl. DASCHER 2011, S. 389.
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236 Wiebke Krohn nur schwer rekonstruieren läßt. Hulisch scheint, so wenigstens der auch durch die Aussage von Verwandten bestätigte Befund, die meisten der ererbten Bilder noch vor Ausbruch des Kriegs veräußert zu haben, doch darf bezweifelt werden ob es ihm oder der beauftragten Kanzlei gelungen ist, den noch im Ausland vorhandenen Restbestand an Kunstwerken vollzählig zu erfassen. […] Und Betti im fernen Berlin fehlten der Überblick und die Legitimation.63
Es ist also nicht genau festzustellen, ob Hulisch alle ihm zustehenden Werke erhalten hat, da schon zuvor aufgrund der vermischten Eigentumsverhältnisse nicht bei allen Objekten, die Flechtheim zugeordnet werden können, feststeht, ob sie unter die Bestimmungen des Testamentes fallen. Ferner ist bei heute vorhandenen Werken nicht klar, ob sie von den Anwälten erfasst und weiterverkauft wurden. Es könnte sogar sein, dass geplante Verkäufe abgeschlossen wurden und der Erlös an Hulisch noch nicht ausgefolgt wurde. Vielleicht sind inzwischen wieder einige Kunstwerke im Umlauf, deren Verkauf durch Hulischs Anwälte nicht mehr überliefert ist. Sicherlich konnte damals nicht der Standort aller Werke ermittelt werden, wenn die Anwälte und somit auch Hulisch überhaupt von deren Existenz informiert waren. Von der Schwierigkeit, Ethnografica zu identifizieren
Noch unüberschaubarer als die Einordnung von Kunstwerken europäischer Provenienz, gestaltet sich der Umgang mit den Ethnografica der Sammlung Flechtheim. Nur wenige Forscher und Forscherinnen haben sich bisher damit auseinandergesetzt. Ottfried Dascher kommentiert die Aufstellung der Privatsammlung64 in seinem Buch wie folgt. Trotz nicht unerheblicher methodischer und inhaltlicher Bedenken, angesichts von Lücken und unvermeidlichen Irrtümern hat sich der Autor daher entschlossen, seine Liste des sog. Privaten Kunstbesitzes zu veröffentlichen. Ausgespart bleiben in der Aufstellung die Stammeskunst der Südsee, afrikanische Kunst sowie die wenigen Beispiele ägyptischer und chinesischer Kunst, die sich in Flechtheims Besitz befunden haben und nachgewiesen werden können. Deren Identifizierung und Klassifikation muß Spezialisten vorbehalten bleiben.65
63 DASCHER 2011, S. 392. 64 Vgl. DASCHER 2011, S. 419–444. 65 DASCHER 2011, S. 418.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
Esther Tisa-Francini stellt in ihrem Aufsatz Die Rezeption der Kunst aus der Südsee in der Zwischenkriegszeit: Eduard von der Heydt und Alfred Flechtheim66 fest, dass bis dato nur wenige Institutionen Provenienzforschung an Ethnografica durchführen und die Erfahrungswerte daher gering sind. »Bisher ist kein Verkauf der Südsee-Objekte durch Alfred Flechtheim bekannt.«67 Über den bereits im Zusammenhang mit dem Verkauf der Grosz-Gemälde erwähnten Amsterdamer Kunsthändler Carel van Lier sind Beziehungen mit Flechtheim und anderen Sammlern bekannt, jedoch lassen sich auch aus diesen Nachrichten keine Erkenntnisse über Einzelstücke gewinnen.68 Im bereits öfter zitierten Katalog von 1987 beschäftigt sich Jill Lloyd mit einem Text des Ethnologen Carl Einstein von 1920, den dieser anlässlich einer Ausstellung der Sammlung von der Heydt in der Galerie Flechtheim verfasst hatte. Sie weist auf Fehler hin: »Als er [Einstein] den Text Negerplastik schrieb, war Einstein verhältnismäßig uninformiert: Beispielsweise schloß er versehentlich zwei polynesische TikisSkulpturen in seine afrikanischen Abbildungen mit ein. Die Abbildungen 43, 81, 82, 85 und 87, in: Einstein, Carl, Negerplastik, von 1915 zeigen ozeanische Objekte. In der Ausgabe von 1920 sind die beiden letzten Abbildungen weggelassen.«69 Das zeigt, wie problematisch die Identifikation damals für die Zeitgenossen Flechtheims war, auf deren Berichte die heutige Provenienzforschung im Zweifelsfall jedoch angewiesen ist. Immerhin kann dem historischen Text die regionale Provenienz entnommen werden: »Die Skulpturen der Flechtheimschen Sammlung entstammen den früheren deutschen Kolonien, dem Bismarck-Archipel – nämlich Deutsch-Neu-Guinea, NeuPommern, (Neu-Britannien), Neu-Mecklenburg (Neu-Irland) und Neu-Hannover […] Ahnenfiguren aus Neu-Guinea. […] Kepang-Masken. […]Turu, Uli-Typus.«70 Auf der bereits erwähnten Fotodokumentation der Wohnung in der Bleibtreustraße in Berlin sind ebenfalls einige Ethnografica zu sehen. Wie weiter oben gesagt, lassen diese Fotos jedoch keine Rückschlüsse zu, ob Flechtheim Eigentümer der Objekte war. »Blicke in seine Wohnung in Berlin, die wir der Fotografin Marta Huth verdanken, 66 Vgl. Esther TISA-FRANCINI, Die Rezeption der Kunst aus der Südsee in der Zwischenkriegszeit: Eduard von der Heydt und Alfred Flechtheim, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst handeln – Kunst sammeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012, S. 183–196. 67 Vgl. TISA-FRANCINI 2012, S. 193. 68 Vgl. VAN LIER 2003, S. 24. 69 LLOYD 1987, S. 33. 70 Carl EINSTEIN, Südsee-Plastiken. Vorwort zur Ausstellung der Galerie Flechtheim, Berlin und Düsseldorf, 1926, in: PETERS, von WIESE , FLACKE-KNOCH, LEISTNER 1987, S. 26–31.
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238 Wiebke Krohn zeigen eine relativ gute Vertretung der traditionellen afrikanischen und ozeanischen Kunst.«71 Auf der Website www.alfredflechtheim.com bestätigt Esther Tisa-Francini, dass die Sammlung Alfred Flechtheim eigentlich von der Heydt gehörte. Dennoch sind Stücke abgebildet, die zuvor Flechtheim gehört haben.72 Es ist nicht geklärt, ob er noch Ethnografica besessen hat, nachdem er mit von der Heydt die Ausstellung in der Galerie veranstaltet hat. Die Privatsammlung Teil 2. Betti Flechtheim, geschiedene Witwe eines Sammlers; Kunsthändlers und Verlegers73
»Anders steht es um jene Bilder, die sich 1941 in der Wohnung von Betti Flechtheim und 1942 in der Wohnung von Rosi Hulisch befanden. Sie wurden nach dem Freitod der von Deportation bedrohten Frauen beschlagnahmt. Über den heutigen Verbleib lassen sich zur Zeit nur Vermutungen anstellen.«74 Es gibt keine Aufstellung der nach Flechtheims Emigration in Berlin verbliebenen Bestände aus der Galerie und seiner Sammlung, denn »Der Aktenband mit dem Wohnungsinventar, der eine nachträgliche Identifizierung erlauben würde, war jedoch bereits in den Nachkriegsjahren nicht mehr auffindbar und scheint bis heute verloren«.75 Vage Spuren lassen sich im Wiedergutmachungsverfahren Henry Hultons (d. i. Heinz Hulisch) aus dem Jahr 1954 finden, denn die Sekretärin Schultes, Margarete Reif, berichtete von der prachtvollen Ausstattung und nannte einzelne Künstlernamen, deren Gemälde und Skulpturen noch zu sehen waren.76 Wie schon festgestellt, war Betti Flechtheim nicht mehr als Erbin vorgesehen. Aber dennoch hatte Flechtheim seine Kunstwerke zum Teil bei ihr untergebracht, eine Unterscheidung zwischen ihren persönlichen Gegenständen und Resten aus seiner Sammlung oder den Galerien wurde nicht mehr gemacht. Betti Flechtheim nahm sich im November 1941 das Leben. Nach ihrem Tod wurde die Wohnung versiegelt, ihr Erbe fiel an ihre Schwester Klara Hulisch und weitere Verwandte in Dortmund, die 71 TISA-FRANCINI 2012, S. 187. 72 Vgl. http://alfredflechtheim.com/kuenstler/aussereuropaeische-kunst/ (14.1.2014). 73 Dieser in der Literatur häufig zitierte Dreischritt erschien zum ersten Mal im Titel bei PETERS, von WIESE, FLACKE-KNOCH, LEISTNER 1987. 74 DASCHER 2011, S. 415. 75 DASCHER 2011, S. 410. 76 »Hofer, Klee, Grosz, Matisse, Monet, Renoir sowie Skulpturen von Maillol«, Aussage Margarete Reif in den Akten der Oberfinanzdirektion Berlin1-2792/50, 1954, zitiert nach DASCHER 2011, S. 409 f.
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»Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«
bis dahin nicht deportiert worden waren.77 Klara und Rosi Hulisch sollten ein Jahr später ebenfalls in ein Konzentrationslager verschleppt werden und begingen ebenfalls Selbstmord. Ihre Wohnungseinrichtung wurde beschlagnahmt und verwertet. Auch die Dortmunder Verwandten entgingen der Deportation nicht, wurden als »ausgereist« definiert und somit wurde ihr Vermögen gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941 beschlagnahmt.78 Auch aus dem Nachlass Betti Flechtheims könnten also weitere Kunstgegenstände stammen, die Klärung der Provenienzen dürfte freilich noch schwierig sein, wie die des Fluchtguts Alfred Flechtheims. Zusammenfassung
Die eindeutige Identifikation der Sammlung oder den Galerien Alfred Flechtheims zugehöriger Werke bleibt trotz intensiver Forschung in den letzten Jahren problematisch. Existierende Listen und der Austausch unter den Forschern und Forscherinnen hat zwar schon Ergebnisse gezeitigt, die zum Beispiel in einer Aufstellung »verschollener Werke« auf der von den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen betreuten Website www. alfredflechtheim.com79 veröffentlicht wurden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Liste nicht vollständig ist. Ungenaue Beschreibungen in den überlieferten Katalogen der Galerie Flechtheim erschweren den Vergleich mit heute vorhandenen Werken. Da die Geschäftsakten der Galerien Flechtheim und ihrer Partner verloren gingen, lassen sich Nachrichten über Verkäufe nur über andere Quellen erschließen, die in vielen verschiedenen Archiven aufbewahrt werden. Die Bemühungen der mit der Nachlassverwaltung betrauten Anwaltskanzlei Oppenheimer, Nathan, Vandyck und Mackay in London sind nicht mehr vollständig nachvollziehbar, da auch deren Geschäftsakten im Krieg vernichtet wurden. Es ist kaum feststellbar, wie viele Werke noch fehlen. Auch für die Museen, die heute nachweislich im Besitz von Werken aus den Galerien Flechtheim sind, ist es nicht immer ganz eindeutig festzustellen, ob es sich dabei um vor 1933 getätigte Verkäufe Flechtheims handelt. Noch schwieriger wird die Unterscheidung bei nachweislich nach 1933 erworbenen Objekten, die aus Restbeständen der weiterbestehenden Galerien, aus 77 Vgl. DASCHER 2011, S. 410. 78 Die Darstellung der Ereignisse folgt DASCHER 2011, S. 395–411. 79 http://alfredflechtheim.com/werke/verschollene-werke/?tx_paintingdb_pi[page]=1&cHash=f4923937e8 b9a0d625b3408a968fb137 (14.1.2014).
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240 Wiebke Krohn Flechtheims Fluchtgut oder gar aus dem entzogenen Eigentum seiner in Deutschland ermordeten Familie stammen könnten. Es ist jedoch bei der momentanen intensiven internationalen Bearbeitung der Geschichte der Galerien Alfred Flechtheims mit weiterem Erkenntnisfortschritt zu rechnen.
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Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers René Schober
Beim regelmäßigen Besuch von Kunstausstellungen in Wien und der Durchsicht entsprechender Kataloge der letzten Jahrzehnte sind kaum Werke des Malers Jehudo Epstein zu entdecken. Einzig Schwerpunktausstellungen oder Publikationen zu Themen wie die des Judentums in Wien und jüdischer oder emigrierter Künstler_innen enthalten vereinzelt Gemälde dieses in Vergessenheit geratenen Künstlers.1 Im Gegensatz dazu werden alljährlich auf Kunst- und Antiquitätenmessen sowie in den größeren Auktionshäusern in Wien Werke Epsteins zum Verkauf angeboten.2 Die mediale Darstellung der Rückgabe von bislang zweien seiner Gemälde an die Erb_innen hat in letzter Zeit seinen Bekanntheitsgrad etwas gehoben.3 Das Schattendasein steht im Widerspruch zu Karriere, Anerkennung und Erfolg dieses jüdischen Malers von der Wende zum 20. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre. Sophie Lillie bewertet ihn in ihrem Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens sogar als einen der »erfolgreichsten, zeitgenössischen Künstler in Wien«.4 Diesen Karriereweg zu skizzieren sowie Teile seines Netzwerks zu rekonstruieren, soll Aufgabe des vorliegenden Texts sein.
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Vgl. Elfriede BAUM, Jehudo Epstein, in: Die uns verließen. Österreichische Maler und Bildhauer der Emigration und Verfolgung, Wien 1980, S. 70–72; Hannelore KÜNZL, Jüdische Kunst von der biblischen Zeit bis in die Gegenwart, München 1992, S. 186–188; Jüdische Maler, in: Karl-Albrecht WEINBERGER, Felicitas HEIMANN-JELINEK (Hg.), »Heilige Gemeinde Wien«. Judentum in Wien. Sammlung Max Berger, Wien 1988, S. 234–237, hier: S. 235 f.; Positionen jüdischer Kunst, in: Felicitas HEIMANN-JELINEK (Hg.), Judenfragen. Jüdische Positionen von Assimilation bis Zionismus, Wien 1997, S. 124–133, hier: S. 126 f. Vgl. etwa: Jehudo EPSTEIN, Gemälde Nr. 127 Zwei Juden im Gespräch, bei: Auktion Klassische Moderne, Auktionshaus im Kinsky, Wien 22.6.2010; Jehudo EPSTEIN, Gemälde Nr. 23 Sonnenuntergang, bei: Auktion Moderne und zeitgenössische Kunst, Dorotheum, Wien 23.6.2010; Jehudo EPSTEIN, Gemälde Nr. 114 Mädchen mit Rose, bei: 88. Auktion, Auktionshaus im Kinsky, Wien 5.12.2011. Stand April 2013; vgl. Thomas TRENKLER, Der Name ausgelöscht, das Werk verschwunden, in: Der Standard, 28.12.2011, S. 26; Thomas TRENKLER, Ungeklärte Provenienzen im Jüdischen Museum, in: Der Standard, 5./6.1.2013, S. 25; Thomas TRENKLER, »Der Horizont ist die Grenze«, in: Der Standard, 6.4.2013, S. A 1. Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 34.
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242 René Schober Studienjahre
Geboren wurde Jehudo Epstein in Sluzk oder Slonsk im heutigen Weißrussland als eines von zehn Geschwistern einer jüdisch-orthodoxen Familie.5 Tag, Monat und Jahr der Geburt sind nicht bekannt, da in diesen Tagen jüdische Kinder in Russland nicht genau registriert wurden.6 In seiner 1929 publizierten Autobiografie schrieb Epstein dazu: »Ich kann weder mein Alter noch den Tag meiner Geburt mit Genauigkeit angeben. Mein Vater glaubte, daß ich im Jahre 1871 geboren wurde, die Mutter aber behauptete, ich wäre schon 1869 auf die Welt gekommen. […] Für das Geburtsjahr nehme ich die Mitte zwischen mütterlicher und väterlicher Version an und sage, ich bin 1870 geboren.«7 Aufgewachsen war Epstein in den jüdischen Ghettos Russlands, in denen große Armut, ein Mangel an Hygiene sowie Unterernährung die Lebensumstände bestimmten. Epstein beschrieb kleine, mit Stroh und Schindeln gedeckte Holzgebäude, große kinderreiche Familien und einfache Mahlzeiten in einer ungepflegten und verwahrlosten Umgebung.8 Im Cheder9 in der bescheidenen Wohnung eines Rebbes10 wurde er in hebräischer und aramäischer Sprache unterrichtet, um den Talmud zu lesen und die zahlreichen rituellen Vorschriften zu erlernen.11 Anfeindungen bis hin zu Handgreiflichkeiten und Pogromen gehörten zu den regelmäßigen an-
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Mangels vorhandener Matrikel ist unbekannt, wo genau Epstein geboren wurde. Er selbst gibt entweder Sluzk im Gouvernement Minsk etwa in der Aufnahmeliste der Akademie der bildenden Künste Wien für das Semester 1893/94, auf einem Passzettel vom 24.7.1927 für eine Ausreise nach Palästina oder in seiner Autobiografie an oder Slonsk im Gouvernement Mogilev in seinem Antrag zur Aufnahme in die Genossenschaft bildender Künstler Wiens. Vgl. Jehudo EPSTEIN, Mein Weg von Ost nach West. Erinnerungen, Stuttgart 1929, S. 7; UAAbKW, Aufnahmslisten von I. & II. Semester 1893/94, Specialschule für Historienmalerei; ÖStA/AdR Bundeskanzleramt, Inneres, Wanderungsamt, Passzettelkartei, Passzettel Jehudo Epstein vom 24.7.1927; Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Brief an den Genossenschaftsvorstand von Jehudo Epstein vom 27.11.1901. 6 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 7. Die Matrikelführung in Russland war sehr ungenau. Selbst nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 1.1.1874 konnte die verbesserte Matrikelführung keine vollständige Erfassung der jüdischen Bevölkerung garantieren. Vgl. Josef MEISL, Geschichte der Juden in Polen und Rußland, Band 3, Berlin 1925, S. 213, S. 341. 7 EPSTEIN 1929, S. 7. Später gibt Epstein unterschiedliche Geburtsdaten an: etwa 10.7.1869 in den Aufnahmelisten der Akademie der bildenden Künste Wien oder 6.7.1870 auf einem Passzettel vom 24.7.1927 für eine Ausreise nach Palästina. Vgl. UAAbKW, Aufnahmslisten von I. & II. Semester 1888/89, Allgemeine Malerschule; ÖStA/AdR Bundeskanzleramt, Passzettel 24.7.1927. 8 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 9. 9 Hebräisch für jüdisch-religiöse Schule; vgl. EPSTEIN 1929, S. 51. 10 Jiddisch für Rabbi, hier: Lehrer; vgl. Cecil ROTH, The Standard Jewish Encyclopedia, London 1959, S. 1581. 11 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 51, S. 53, S. 58, S. 60.
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tisemitischen Erniedrigungen und Verfolgungen.12 Mit zwölf Jahren begann Epstein zu zeichnen. Trotz des väterlichen Verbots konnte er in Folge ehrgeiziger Studien von 1884 bis 1887 die Zeichenschule in Vilnius besuchen.13 Nach dem dritten Schuljahr in Vilnius finanzierte er sich durch das Erteilen von Unterricht und das Anfertigen von Porträts eine Reise nach Wien, um sich dort an der Akademie der bildenden Künste zu bewerben.14 Nach dem Besuch einer Vorbereitungsschule und dem Erlernen der deutschen Sprache absolvierte Epstein am 12. Oktober 1888 die Aufnahmeprüfung an der Akademie.15 Die dabei angefertigte Zeichnung nach einer Büste Julius Caesars fand derart Anklang, dass er sogleich in den zweiten Jahrgang der allgemeinen Malerschule aufgenommen wurde.16 Die ersten beiden Jahre war er als Gastschüler, ab dem Wintersemester 1890/91 als ordentlicher Schüler und von 1891 bis 1894 als Schüler der Spezialschule für Historienmalerei bei Professor August Eisenmenger inskribiert.17 Die Stimmung an der Akademie beschrieb Epstein als unkollegial, was zum einen dem dort blühenden Antisemitismus zum anderen der Selbstüberschätzung vieler seiner Kollegen geschuldet war.18 Epstein und seine jüdischen Mitschüler führten ein Außenseiterdasein, wurden oft verspottet und manches Mal endeten Diskriminierungen mit Handgreiflichkeiten.19 Seinen kärglichen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Zeichenunterricht, Zeichenarbeiten und dem Anfertigen von Porträts nach Fotografien. Essensmarken des akademischen Unterstützungsvereins bildeten eine notwendige Ergänzung seiner bescheidenen Mahlzeiten.20 Seine Begabung, sein Eifer und sein stetes Studium an der Akademie sowie in der Gemäldegalerie im Schloss Belvedere wurden schon bald mit Auszeichnungen und Stipendien anerkannt.21 Er erhielt 1892 12 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 28, S. 74, S. 88, S. 152. Nach der Ermordung von Zar Alexander II. im März 1881 kam es im Westen Russlands zu einer Serie von Pogromen. Damit einhergehend wurden zahlreiche antisemitische Gesetze verschärft oder erlassen. Viele russische Juden emigrierten in Folge dessen in die USA oder nach Westeuropa. Vgl. Zvi GITELMAN, A Century of Ambivalence. The Jews of Russia and the Soviet Union, 1881 to the Present, New York 1988, S. 13–16; Ulrich HERBECK, Das Feindbild vom »jüdischen Bolschewiken«. Zur Geschichte des russischen Antisemitismus vor und während der Russischen Revolution, Berlin 2009, S. 33, S. 43. 13 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 190 f., S. 194 f. 14 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 271, S. 282. 15 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 298, S. 300 f.; UAAbKW, Aufnahmslisten. 16 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 304. 17 Vgl. UAAbKW, Schülermatriken, Jehudo Epstein. 18 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 311 f. 19 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 312–314. 20 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 326 f. 21 Vgl. EPSTEIN 1929, S. 298–300.
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244 René Schober den Spezialschulpreis aus dem Kunstausstellungsfonds für das Gemälde Schachspielende polnische Juden, 1891 bis 1893 jährlich das Nassau-Stipendium und 1894 das JeittelesStipendium.22 Zionismus und Judentum
In der Zeit von Epsteins letztem Akademiejahr bis kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert entstanden einige Gemälde nach Themen aus den heiligen, jüdischen Schriften oder der Geschichte des jüdischen Volks. Er gewann bereits 1894 mit Saul und David den Preis der Ersten Michael Beer’schen Stiftung für Maler jüdischer Religion von der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, der aus einem Atelieraufenthalt in der Villa Strohl-Fern in Rom bestand.23 Die Jahre nach der Rückkehr aus Rom waren von Studienmalerei und dem entbehrungsreichen Kampf um das tägliche Überleben geprägt.24 Im Jahr 1900 erhielt Epstein dieses Romstipendium ein zweites Mal. Vom 20. Juli 1900 bis 18. Juli 1901 nutzte er das Atelier, um Bilder aus dem Volksleben, Studienskizzen, Porträts und ein großes historisches Bild nach einem Motiv aus den heiligen Schriften zu malen.25 Vermerke in Berichten über den Stipendiaten lassen darauf schließen, dass es sich dabei um die Gemälde Hiob und Die Makkabäer handelt.26 Bis 1903 sind noch die Gemälde David und Mathatias spricht zum Volke aus diesem Themenkreis nachweisbar. Die Wahl der Motive steht neben Epsteins Ausbildung als Historienmaler wohl mit seinen Kontakten zum Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, und zu zionistischen Protagonisten wie Martin Buber und Max Nordau in Zusammenhang. Bereits 1896 zeichnete Epstein ein Porträt Herzls, das 1931 bei seiner Einzelausstellung in der Galerie Neumann & Salzer gezeigt wurde. Am 14. März 1900 intervenierte Herzl bei der Direktion der Südbahn, um dem Maler eine Freikarte für den Zug nach Triest als Teil seiner geplanten Studienreise in den Orient zu ermög22 Vgl. UAAbKW, Schülermatriken, Jehudo Epstein; Verzeichnis Akademische Preise 1787–1945, S. 155; Franz SERVAES, Jehudo Epstein, in: Martin BUBER (Hg.), Jüdische Künstler, Berlin 1903, S. 155–170, hier: S. 164. 23 Vgl. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Preußische AdK, 12.1. Michael-Beersche Stiftung, Michael-Beersche Stiftungen I und II (Preisvergabe und Kuratorium), PrAdK 0577, Wettbewerbsausschreibung, Korrespondenz vom 18.3.1895; SERVAES 1903, S. 164 f. 24 Vgl. SERVAES 1903, S. 165. 25 Vgl. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Preußische AdK, 10.1.2. Deutsche Akademie in Rom – Villa Massimo, Atelieranmietung in Rom für Stipendiaten der Akademie – Berichte über die Stipendiaten, PrAdK 0729, Bericht vom 29.10.1900 und 19.12.1900; PrAdK 0731, Bericht vom 23.4.1901. 26 Vgl. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, PrAdK 0729, Bericht vom 29.10.1900; PrAdK 0731, Bericht vom 11.7.1901.
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lichen.27 In einem weiteren Brief vom 4. April 1900 empfahl Herzl ihn allen Gesinnungsgenossen auf das Wärmste.28 Aus diesem Brief wird ersichtlich, dass die Studienreise nach Palästina gehen sollte und Herzl um Unterstützung dafür bat.29 Mögliche Früchte aus Herzls Fürsprache waren der Erwerb mehrerer Werke Epsteins von Herzls Freund und Testamentsverwalter Moriz Reichenfeld und Herzls Schwager Isidor Eisner. Zudem befanden sich im Eigentum Herzls die bereits erwähnten Gemälde Saul und David und vermutlich Die Makkabäer.30 Im Jüdischen Museum in Wien haben sich zwei Gemälde Epsteins Abbildung 1: Jehudo Epstein, um 1903 von 1901/02 erhalten, die Max Nordau und seine Gattin Anna darstellen.31 Dass der Fokus auf religiös-historische Themen, der Kontakt zu führenden Zionisten und eine mögliche Reise nach Palästina mehr als nur künstlerischem Karrierestreben geschuldet war, belegt Epsteins Teilnahme an der Ausstellung am zweiten Tag des fünften Zionisten-Kongresses in Basel am 27. Dezember 1901.32 Dieser Kongress hatte die Gründung eines jüdischen Nationalfonds zum Ziel. Eine weitere Forderung galt einem Programm zur Förderung der hebräischen Kultur.33 Der bereits bestehende politische Zionismus34 wurde mit dem kontroversiell diskutierten Versuch der Er27 Vgl. Barbara SCHÄFER, Sofie GELMAN, Chaya HAREL, Ines RUBIN, Theodor Herzl. Briefe. Anfang Dezember 1898 – Mitte August 1900, Berlin-Frankfurt a. M. 1991, S. 349. 28 Vgl. SCHÄFER, GELMAN, HAREL, RUBIN 1991, S. 370. 29 Ob diese Reise nach Palästina tatsächlich stattgefunden hat, ist ungewiss. Belegbar ist jedoch eine Reise nach Palästina für das Jahr 1927; vgl. ÖStA/AdR Bundeskanzleramt, Passzettel 24.7.1927. 30 Vgl. SERVAES 1903, S. 165. Der Hinweis, dass sich Die Makkabäer im Eigentum Herzls befunden hat, stammt von Cecil Roth, der schreibt, dass sich Saul und David sowie Die Makkabäer im Herzl-Zimmer des Jüdischen Nationalfonds in Jerusalem befinden. Eine Anfrage dort blieb unbeantwortet. Vgl. B. Cecil ROTH, Die Kunst der Juden, Band II, Frankfurt a. M. 1964, S. 51. 31 Diese sind Bestandteil der Sammlung bzw. des Legats Berger und wurden von Max Berger 1985 im Wiener Dorotheum erworben.Vielen Dank an Alexandra Chava Seymann für diese Auskunft. 32 Vgl. Gilya Gerda SCHMIDT, The Art and Artists of the Fifth Zionist Congress 1901, Syracuse 2003, S. 1, S. 7. 33 Vgl. Michael BERKOWITZ, Zionist Culture and West European Jewry before the First World War, Cambridge 1993, S. 91; SCHMIDT 2003, S. 6, S. 9. 34 Maßgeblicher Inhalt des politischen Zionismus war die Schaffung einer jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina. Vgl. ROTH 1959, S. 1964 f.
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246 René Schober neuerung der jüdischen Kultur und Erziehung ergänzt.35 So genannte jungjüdische Künstler sollten in ihrem Streben nach Modernisierung und Säkularisierung jüdischer Kultur helfen, das antisemitische Vorurteil – etwa eines Richard Wagner oder Karl Lueger – von der Unfähigkeit der Juden Kunst zu schaffen, zu widerlegen.36 Zudem sollte die Einbindung einer kulturellen Erneuerung in den politischen Zionismus die Ausbildung eines jüdischen Nationalbewusstseins fördern.37 Zur Unterstützung des kulturellen Zionismus organisierten Martin Buber und Ephraim Moshe Lilien für den zweiten Tag des Kongresses eine Ausstellung von elf jüdischen Künstlern.38 An dieser ersten Ausstellung jüdischer Künstler in einem jüdisch-nationalen Kontext nahmen unter anderen Lesser Ury, Hermann Struck, Ephraim Lilien, Josef Israels und Jehudo Epstein teil.39 Unter den 48 gezeigten Werken befanden sich neben jüdischen Genrebildern, Architektur- und Buchentwürfen einige Werke zu religiös-historischen Themen, darunter Epsteins Hiob und Die Makkabäer.40 Neben dem Aspekt der Identifikation jüdischer Künstler mit religiös-historischen Thematiken hängt dies mit der Forderung Martin Bubers nach einer Renaissance jüdischer Kunst auf der Grundlage religiöser Vorlagen zusammen.41 Zudem fokussierte Epstein seine Themenwahl, insbesondere bei Die Makkabäer, Mathatias spricht zum Volke und David, auf Glanzzeiten oder erfolgreiche Aufstände des jüdischen Volks. Im Sinn der Forderung der kulturellen Zionisten nach einer Erneuerung jüdischer Kultur inszenierte Epstein kämpferische Themen gleichsam »das Volk zum Kampfe aufrufend«.42 Angesichts des Engagements Bubers für den kulturellen Zionismus verwundert es nicht, dass er bereits 1903 im ein Jahr zuvor gegründeten Jüdischen Verlag den Sammelband Jüdische Künstler mit Texten über Josef Israels, Lesser Ury, Ephraim Lilien, Max Liebermann, Solomon 35 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 6. Der kulturelle Zionismus war innerhalb der zionistischen Weltorganisation umstritten. Durch die Forderung nach einer Erneuerung jüdischer Kultur war die Gefahr gegeben, dass sich religiöse Mitglieder von der zionistischen Weltorganisation abspalten werden. Daher konnten sich die kulturellen Zionisten beim fünften Zionistenkongress nicht durchsetzen. Vgl. BERKOWITZ 1993, S. 44, S. 59, S. 91. 36 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 5, S. 24 f. 37 Vgl. Gilya Gerda SCHMIDT, Martin Buber’s Formative Years. From German Culture to Jewish Renewal, 1897–1909, Tuscaloosa 1995, S. 63. 38 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 1, S. 7. 39 Vgl. BERKOWITZ 1993, S. 129. 40 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 26 f. 41 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 29–31. 42 Die zionistische Zeitung Die Welt schrieb in einem Artikel über die Ausstellung im Rahmen des fünften Zionistenkongresses zu Epsteins Studie für das Gemälde Die Makkabäer: »Diesem Bilde [gemeint ist Hiob, Anmerkung des Verfassers] reiht sich würdig die Studie zu den ›Makkabäern‹ an, die Matathias an der Leiche des Abtrünnigen zeigt, das Volk zum Kampfe aufrufend.« Die Welt, Nr. 2, 10.1.1902, S. 12.
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Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers
Abbildung 2: Jehudo Epstein, Die Makkabäer, 1902, Öl auf Leinwand, Standort: unbekannt
J. Solomon und Jehudo Epstein herausgab.43 Der darin enthaltene Text von Franz Servaes sollte für lange Zeit die einzige kunsthistorische Abhandlung über Epstein sein.44 Im ebenfalls im Jüdischen Verlag erschienen Jüdischen Almanach von 1902 sind drei, in dessen Neuauflage von 1904 fünf Gemälde Epsteins abgebildet. 45 Mit der Mitarbeit und der Abbildung eines Gemäldes im Jüdischen Almanach von 1910 endete Jehudo Epsteins nachweisbares Engagement für den kulturellen Zionismus.46 In den Jahren danach stellte er nur vereinzelt Werke zu religiös-historischen Themen aus, wie 43 Vgl. BUBER 1903; SCHMIDT 2003, S. 12. 44 Vgl. SERVAES 1903, S. 155–170. 45 Bei den abgebildeten Gemälden handelt es sich 1902 um Hiob, Saul und David (Fragment) und An den Gräbern und 1904 um Hiob, Die Makkabäer, An den Gräbern, Saul und David (Fragment) und Saul (Fragment). Vgl. Berthold FEIWEL (Redaktion des literarischen Teiles), E. M. LILIEN (Redaktion des künstlerischen Teiles), Jüdischer Almanach 5663, Berlin 1902, S. 70, S. 113, S. 160; Jüdischer Almanach, Berlin 1904, S. 137, S. 163, S. 194, S. 261, S. 293. 46 Bei dem abgebildeten Gemälde handelt es sich um Drei Frauen. Vgl. Jüdischer Almanach 5670, Wien 1910, S. 212a.
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248 René Schober etwa 1920 Hiob bei der Jahresausstellung im Wiener Künstlerhaus oder 1931 bei seiner Einzelausstellung in der Galerie Neumann & Salzer je eine Skizze für die Bilder Matathias und Haman und Mordochai. Den größten Teil seines Oeuvres nehmen Porträts, Landschafts- und Genrebilder ein. In diesem Sinn schrieb auch Hans Tietze in seinem 1933 erschienen Buch Die Juden Wiens Folgendes: »Ein Maler aus orthodoxem Milieu wie Jehudo Epstein, der […
] ein frommer Jude geblieben ist, ist als Künstler trotz gelegentlicher Behandlung jüdischer Stoffe so völlig entjudet, wie es […] Theodor Herzl oder Max Nordau in ihrer vorzionistischen Periode waren.«47 Dennoch war bei Jehudo Epstein immer wieder ein Engagement für jüdische Belange und gegen antisemitische Umtriebe festzustellen. Anlässlich einer Spende Epsteins an den Akademischen Unterstützungsverein schrieb er 1923 in der Neuen Freien Presse: »Gewissenlose Unruhestifter aber vergiften das Gemüt der studierenden Jugend, säen Zwietracht und Feindschaft, Uneinigkeit und Haß, lenken die Jugend vom Lernen ab und suchen ihr weiß zu machen, daß nicht Studieren und Fleiß, nicht Charakter und hehres Streben, nicht objektive Leistung des Sohnes, sondern die Abstammung des Vaters das Wichtigste sei.«48 Zu dieser Spende sind noch weitere wohltätige Widmungen Epsteins zu zählen, die als traditions- und herkunftsbewusste Handlungen angesehen werden können.49 In seiner Autobiografie erwähnte er in den zahlreichen Beschreibungen der Traditionen und Bräuche osteuropäischer Juden Folgendes: »Die Wohltätigkeit genoß allgemein höchstes Ansehen, noch höheres als selbst die Gelehrsamkeit.«50 In diesem Sinn stellen Epsteins wohltätige Gaben eine Fortsetzung jüdischer Traditionen dar. Seine ab 1925 in Auszügen mehrfach in Zeitungen und schließlich 1929 in Buchform publizierte Autobiografie ist als Versuch zu werten, seine unwissenden Mitmenschen über das Leben, die Gepflogenheiten und die religiösen Ansichten osteuropäischer Juden aufzuklären.51 Dazu schilderte er: »›Du bist ganz an47 Hans TIETZE, Die Juden Wiens, Wien 2007, S. 222 (Neuauflage des 1933 erstmals erschienenen Buchs). 48 Jehudo EPSTEIN, Eine Millionenspende des Malers Jehudo Epstein für notleidende Kunstakademiker, in: Neue Freie Presse, 9.1.1923, S. 3. 49 Das ist im Februar 1910 eine Widmung von 1.000 Kronen für einen talentierten Künstler und die im Mai 1920 gemeinsam mit Max Silberberg erfolgte Angeli-Widmung. Vgl. Rudolf SCHMIDT, Das Wiener Künstlerhaus. Eine Chronik 1861–1951, Wien 1951, S. 186; Wladimir AICHELBURG, 150 Jahre Künstlerhaus Wien 1861–2011, http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstlerhaus/preise-und-ehrungen/ (29.4.2013). 50 EPSTEIN 1929, S. 22. 51 Vgl. Jehudo EPSTEIN, Erinnerungen, in: Neue Freie Presse, 19.8.1925, S. 1–3 ; Jehudo EPSTEIN, Erinnerungen, in: Neue Freie Presse, 26.9.1925, S. 1–3; Jehudo EPSTEIN, Sabbat, in: Neue Freie Presse, 28.11.1925, S. 30–32; Jehudo EPSTEIN, Erinnerungen, in: Neue Freie Presse, 25.4.1926, S. 32 f.; Jehudo EPSTEIN, Erinnerungen, in: Neue Freie Presse, 7.7.1926, S. 1–3; Kurt SONNENFELD, Kind-
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ders als die anderen Juden.‹ Wie oft noch habe ich später im Leben die gleiche Bemerkung, die eine Auszeichnung für mich sein sollte, zu hören bekommen und immer, wenn ich meine Lober fragte, wodurch ich mich so sehr von den anderen Juden ihrer Bekanntschaft unterscheide? [sic!] stellte sich heraus, daß ich der einzige Jude war, den sie kannten.«52 Daher beabsichtigte er mit seinen Ausführungen, »manchen Nichtjuden darauf aufmerksam zu machen, daß seine Vorstellung vom Geiste des Judentums und dem Wesen einer jüdischen Erziehung keine ganz richtige war«.53 Künstlerhaus und Malerkarriere
Am 27. November 1901 stellte Epstein den Antrag in die Genossenschaft bildender Künstler Wiens (kurz: Künstlerhaus) aufgenommen zu werden, der auch angenommen wurde. Als Referenz für seine Eignung und künstlerische Reife führte er die bei der Herbstausstellung 1901 im Künstlerhaus gezeigte Sammlung von 66 seiner Werke an.54 Schon davor war er bei mindestens fünf Künstlerhausausstellungen vertreten gewesen.55 Auffallend ist, dass er vor seiner Mitgliedschaft größtenteils Bleistift- und Kohlezeichnungen ausgestellt hat. 1901 überstieg der Anteil an Ölgemälden, nämlich 56, die der Zeichnungen jedoch enorm. Dies liegt zum einen daran, dass er zuvor zum Teil bei Ausstellungen des Aquarellistenclubs vertreten war, entspricht zum anderen aber auch seiner eigenen Schilderung, dass er in den Jahren bis zur Jahrhundertwende größtenteils Studien zeichnete und kaum Geld zum Überleben hatte.56 Zudem stand sein zionistisches Engagement mit dem Verkauf einiger Werke in Zusammenhang, womit er finanzielle Mittel für die Zuwendung zur Ölmalerei erlangte. Seit seiner Aufnahme in die Künstlergenossenschaft bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beteiligte er sich mit 189 Werken an 26 Ausstellungen und zwei Versteigerungen im Wiener Künstlerhaus.57 Bis zur Jahresausstellung 1905 waren seine Verkäufe äußerst bescheiden. Bei den beiden Versteigerungen von Kunstwerken 1902 und 1905 wurde keines der
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heit im Ghetto. Jehudo Epsteins Lebenserinnerungen, in: Neue Freie Presse, 26.5.1929, S. 34 f.; Jehudo EPSTEIN, Kindheit im Ghetto, in: Neues Wiener Journal, 20.6.1929, S. 3. EPSTEIN 1929, S. 225. EPSTEIN 1929, S. 123 f. Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Brief an den Genossenschaftsvorstand von Jehudo Epstein vom 27.11.1901. Das sind die Aquarellistenclubausstellungen 1897, 1898 und 1900, die Ausstellung in Wien 1897 und die Weihnachtsausstellung 1899. Vgl. SERVAES 1903, S. 165. Diese Zahlen sind Ergebnis der Auswertung der Einlaufbücher und Ausstellungskataloge des Wiener Künstlerhauses von 1900 bis 1914.
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250 René Schober angebotenen zwölf Gemälde verkauft.58 Bei den Ausstellungen war die Situation ähnlich. Einzig bei der Herbstausstellung 1902 wurde das Gemälde Mathatias spricht zum Volke aus dem Eigentum von Moriz Reichenfeld59 und bei der Aquarellistenclubausstellung 1904 die Kohlezeichnung Auf einem Friedhofe aus dem Eigentum von Herrn Eisner präsentiert.60 Mit der Jahresausstellung 1905 verbesserte sich die Situation etwas. Dort konnte Epstein zwei Gemälde verkaufen und eines aus Privatbesitz zeigen.61 Zudem wurde ihm die Kleine goldene Staatsmedaille für das Gemälde Schoonmaken verliehen.62 Dennoch suchte er im August desselben Jahres während eines Aufenthalts in Venedig beim Vorschussfonds des Künstlerhauses gegen Verpfändung von Gemälden um ein Darlehen von 1.000 Kronen an.63 Anfang 1906 kam es im Casino des Wiener Künstlerhauses zu einem denkwürdigen Vorfall. Nach dem Besuch einer Ausstellung in der Wiener Secession am 21. Januar 1906 berichtete Epstein einem Kollegen wertschätzend über die dort gezeigten Arbei-
58 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1903, Einlaufnummern 71, 72, 74–81 sowie Einlaufbuch 1905/06, Einlaufnummern 121, 123. 59 Moriz Reichenfeld (1862–1940) war Testamentsverwalter von Theodor Herzl und Cousin seiner Frau Julie Naschauer. Er war von 1880 bis 1907 bei der Union-Bank beschäftigt, ab 1890 als Prokurist. Mit Hilfe der Künstlerhaus-Einlaufbücher sind folgende sechs Gemälde Jehudo Epsteins in seinem Eigentum nachweisbar: Mathatias spricht zum Volke, Porträt Hilde Radnay, Heimkehr, Das alte Portal, Stille Parkenten, Meierhof in der Slowakei. In seiner Vermögensanmeldung vom 10.7.1938 führte er unter anderem eine Porzellan-, Keramik-, Gläser- und Gemäldesammlung im Gesamtwert von 55.205 RM an, wovon vieles 1938/39 über die Auktionshäuser Weinmüller und das Wiener Dorotheum verkauft wurde. Die Sammlung von 88 Gemälden umfasste Werke von Egon Schiele, Albin Egger Lienz, Josef Danhauser, Hans Makart, Tina Blau und viele mehr. Von Epstein werden folgende Gemälde aufgelistet: Heimkehr in Mähren, Bauernwirtschaft, Porträt von Piccaver, Porträt, Römischer Brunnen, Park und Hof in Dürnstein, Parkszene, Selbstmörder und Plauscherei. Vgl. Avner FALK, Herzl, King of the Jews. A Psychoanalytic Biography of Theodor Herzl, Lanham 1993, S. 104, S. 390 f.; ÖStA/AdR VVSt, VA 30014 Moriz Reichenfeld; Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1902, Einlaufnummer 3015, Einlaufbuch 1908, Einlaufnummern 1724, Einlaufbuch 4, 1911/12, Einlaufnummern 3115, 3116, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 3014–3016, Einlaufbuch 12, 1925, Einlaufnummer 2320; WStLA, Handelsregister, Ges 9, 218, S. 64, S. 74. 60 Es handelt sich vermutlich um Isidor Eisner (1859–1924), der mit der Schwester von Herzls Frau Julie Naschauer, Helene, verheiratet war. Bei der Jahresausstellung 1920 im Wiener Künstlerhaus wurden weitere Gemälde Epsteins aus dem Eigentum von Isidor Eisner gezeigt. Es handelt sich um Dürnsteiner Tor und Marktbild aus Siebenbürgen. Vgl. FALK 1993, S. 106; Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1903/04, Einlaufnummer 405, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 3023, 3024. 61 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1903/04, Einlaufnummern 1602, 1604 sowie Einlaufbuch 1904/05, Einlaufnummer 1594. 62 Vgl. SCHMIDT 1951, S. 166. 63 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Brief an den Genossenschaftsvorstand von Jehudo Epstein vom 1.8.1905.
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ten.64 Über die zeitgleich stattfindende Ausstellung des Aquarellistenclubs im Künstlerhaus meinte er, dass es dort »aussieht wie bei einem Bilderhändler in Mariahilf oder in der Sammlung eines Privatiers, der alles bunt zusammenkauft«.65 Zudem sprach er sich gegen die regelmäßigen, öffentlichen Hausfeste aus, da deren Mitarbeiter »mittelmäßige Talente [sind], die dann als Trinkgeld ihre schlechten Bilder in die nächste Jahresausstellung hineinbringen dürfen«.66 Die Stimmung war in Folge der raschen Verbreitung von Epsteins Aussagen angespannt. Am 27. Januar 1906 kam es zu einer verbalen Konfrontation zwischen Epstein und Louis Uhl, die mit den Worten des Letztgenannten: »Sie, Herr Epstein, nehmen Sie sich mit Ihrer bösen Goschen in Acht! Sonst kann Ihnen einmal etwas passieren!«,67 und der Andeutung einer Ohrfeige endete.68 Einen Tag später forderte Epstein für die angedrohte Ohrfeige Genugtuung. Als ihm diese verweigert wurde, versetzte er Uhl zwei Schläge. Die Angelegenheit endete in einem Handgemenge.69 Am 1. Februar 1906 wurde damit ein Ausschuss betraut, der zahlreiche Zeugen einvernahm.70 Aufgrund der angespannten Stimmung in Folge von Epsteins Äußerungen, der allgemeinen Erregung, einigen Missverständnissen und der nachfolgenden Entschuldigung Epsteins wurde in der Generalversammlung am 12. Februar 1906 von einem Ausschluss Epsteins aus der Genossenschaft abgesehen.71 Ob antisemitische Ressentiments dabei eine Rolle gespielt haben, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Auffallend ist, dass der jüdische Kollege Isidor Kaufmann während der Affäre eher die Partei Epsteins ergriffen hat.72 Das Konkurrenzdenken in Bezug auf die Wiener Secession, persönliche Emotionen und gesteigerte Erregung in Folge vieler Gerüchte dürften naheliegende Gründe für den Vorfall gewesen sein. Dass die geschilderte Ohrfeigenaffäre für das Fortkommen Epsteins innerhalb der Künstlergenossenschaft nicht hinderlich war, belegen die Verleihungen der Erzherzog Karl Ludwig-Medaille im Rahmen der Jahresausstellung 1907 für das Gemälde Begräbnis in den Lagunen und der Großen goldenen Staatsmedaille bei der Jahresausstellung 64 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Abschlussbericht des Ausschusses zur Ohrfeigenaffäre, S. 1. 65 Abschlussbericht Ohrfeigenaffäre, S. 1. 66 Abschlussbericht Ohrfeigenaffäre, S. 1. 67 Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Protokoll der Ausschusssitzung zur Ohrfeigenaffäre vom 1.2.1906, S. 9. 68 Vgl. Protokoll der Ausschusssitzung zur Ohrfeigenaffäre vom 1.2.1906, S. 9. 69 Vgl. Abschlussbericht Ohrfeigenaffäre, S. 7. 70 Vgl. Protokoll der Ausschusssitzung zur Ohrfeigenaffäre vom 1.2.1906, S. I. 71 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Beschluss der Generalversammlung vom 12.2.1906. 72 Vgl. Protokoll der Ausschusssitzung zur Ohrfeigenaffäre vom 1.2.1906, S. 43.
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252 René Schober 1914 für das Gemälde Durstige Kehlen.73 Bei den Ausstellungen der folgenden Jahre mehrten sich zudem die Leihgaben aus Privatbesitz. Unter den privaten Leihgebern, die meist mit ein bis zwei Werken vertreten waren, fallen der bereits erwähnte Moriz Reichenfeld mit vier Gemälden und Artur Knöpfelmacher74 mit fünf Werken Epsteins bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf.75 Besonders erfolgreich war die Herbstausstellung 1909, bei der Epstein von 23 gezeigten Gemälden vier veräußern konnte.76 Bis 1915 verkaufte er in Summe 15 Werke, davon zwölf nach 1905, im Rahmen von Künstlerhausausstellungen. Dazu sind noch 24 Werke aus Privatbesitz zu zählen, die bei diesen Ausstellungen präsentiert wurden.77 Eine Bestätigung von staatlicher Seite für Epsteins künstlerische Anerkennung erfolgte im Rahmen der Herbstausstellung 1910, bei der das Gemälde Fischer aus Burano vom Unterrichtsministerium für die 1903 gegründete Moderne Galerie angekauft wurde.78 Der zunehmende Erfolg ab 1905 zeigt sich auch an seinen Teilnahmen an Ausstellungen im Ausland. Zwar war Epstein schon bei den beiden internationalen Kunstausstellungen in Düsseldorf 1902 und 1904 sowie 1904 bei der Weltausstellung in St. Louis beteiligt, doch kommen bis 1914 noch elf weitere internationale Ausstellungen hinzu.79 73 Vgl. SCHMIDT 1951, S. 174, S. 205. 74 Als Eigentum von (Direktor) Knöpfelmacher sind in den Künstlerhaus-Einlaufbüchern folgende Werke Epsteins zu finden: die Gemälde Damenbildnis, Wasserstudie aus Venedig, Porträt der Frau K.K., Kircheninterieur aus Venedig, Kohlendampfer, Studie aus Venedig, Studie aus der Wachau und die Zeichnungen Ungarisches Motiv und Friedhof von Casa Miciola. Ab 1920 finden sich unter Sigmund Knöpflmacher noch folgende Werke Epsteins eingetragen: die Gemälde Damenporträt, Aus Venedig I, Aus Venedig II und die Zeichnungen Venezianischer Platz und Meeresstudie. Bei Artur Knöpfelmacher handelt es sich um einen der beiden Gesellschafter der Wiener Schuhwarenfabrik Knöpfelmacher & Co. Sigmund Knöpf(e)lmacher (1867–1943) war Bruder von Malvine Marburg, Gattin von Prof. Marburg (siehe Anmerkung 87) und Gesellschafter der Wiener Buch- und Steindruckfarbenfabrik Knöpflmacher & Co. In seiner Vermögensanmeldung vom 10.7.1938 gab er unter anderem 17 Ölbilder, je sieben Aquarelle und Zeichnungen als Kunstbesitz an. Vgl. ÖStA/AdR, VVSt, VA 9425 Sigmund Knöpflmacher; Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1906/07, Einlaufnummer 2898, Einlaufbuch 1907/08, Einlaufnummer 1867, Einlaufbuch 1908, Einlaufnummern 734, 2054, Einlaufbuch 3, 1910/11, Einlaufnummer 323, Einlaufbuch 12, 1919/20, Einlaufnummer 3345, 3347, 3350, 3353, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 2998, 2999, 3041, Einlaufbuch 13, 1925/26, Einlaufnummern 107, 108. 75 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 1902, Einlaufnummer 3015, Einlaufbuch 1906/07, Einlaufnummer 2898, Einlaufbuch 1907/08, Einlaufnummer 1867, Einlaufbuch 1908, Einlaufnummern 734, 1724, 2054, Einlaufbuch 3, 1910/11, Einlaufnummer 323, Einlaufbuch 4, 1911/12, Einlaufnummern 3115, 3116. 76 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 2, 1909/10, Einlaufnummern 3684, 3685, 3689, 3704. 77 Diese Zahlen sind Ergebnis der Auswertung der Einlaufbücher des Wiener Künstlerhauses von 1900 bis 1914. 78 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 3, 1910/11, Einlaufnummer 2572. 79 Dabei handelt es sich 1905 um eine Ausstellung im Kunstsalon Wertheim in Berlin sowie die IX. Interna-
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Mit der Musterung am 23. August 1915 und dem Einrücken als Mitglied der Kunstgruppe des Kriegspressequartiers am 22. Oktober 1915 erfuhr Epsteins bisherige künstlerische Laufbahn eine kriegsbedingte Wende.80 Seine Stationen als Kriegsmaler waren Trient im Winter 1915/16, Bozen bis zum Sommer 1916, Villach bis Mitte 1917 und Rumänien im Herbst 1918.81 Während der Kriegsjahre beteiligte sich Epstein nach derzeitigem Kenntnisstand an acht Kriegsbilderausstellungen mit insgesamt 22 Werken.82 An Pflichtabgaben hatte er in Summe fünf Gemälde und zwölf Zeichnungen an die Bildersammelstelle und dem Heeresmuseum abzuliefern.83 Auffallend ist, dass es sich bei allen Werken ausschließlich um Porträts von Offizieren handelt. Daher ist anzunehmen, dass der Kriegsmaler Epstein wegen seiner Qualitäten als Porträtist für Offiziersbildnisse eingesetzt wurde. Der Militärdienst Epsteins und seine dadurch bedingte teilweise Abwesenheit von Wien und der hiesigen Künstlergenossenschaft taten seiner künstlerischen Karriere keinen Abbruch. So stellte er bereits bei der Winterausstellung 1919/20 im Künstlerhaus 14 Gemälde aus, von denen die Hälfte aus Privatbesitz stammte.84 Die Jahresausstellung 1920 enthielt anlässlich seines 50. Geburtstags mit einer Kollektion von 46 Werken einen Überblick seines bisherigen Schaffens; von frühen Arbeiten wie Schachspielende polnische Juden aus der Studienzeit, Hiob aus dem religiös-historischen Genre
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tionale Kunstausstellung im königlichen Glaspalast in München, 1907 der VII. Internationalen Kunstausstellung in Venedig, 1908 der Münchener Jahres-Ausstellung im königlichen Glaspalast, 1909 der Großen Berliner Kunstausstellung, 1911 der VI. Exposición Internacional de Arte Barcelona, 1911 der Esposizione Internazionale di Roma, 1912 der X. Internationalen Kunstausstellung in Venedig, 1912 der Großen Kunstausstellung in Dresden, 1913 der Großen Berliner Kunstausstellung und 1913/14 einer Ausstellung bei der Künstlervereinigung Müheszház in Budapest. Vgl. ÖStA/KA AOK-KPQu, Karton 29, E–F, Mappe Epstein Jehuda Kriegsmaler, Brief Jehudo Epsteins an das k.k. Armee-Oberkommando (Kriegspressequartier) vom 14.9.1915 sowie Brief des k. k. Landwehrergänzungsbezirkskommando Olmütz an das k. k. Etappen-Oberkommando vom 7.1.1915 [eigentlich: 7.1.1916, vermutlich ein Tippfehler, Anmerkung des Verfassers]. Vgl. ÖStA/KA AOK-KPQu, Karton 29, E–F, Mappe Epstein Jehuda Kriegsmaler, Telegramm an die Kriegspresseexpositur Rittmeister Koschull, Trient vom 5.2.1916, Abschrift der Rechnung des Postgasthofs Erzherzog Heinrich in Bozen vom 1.3.1917, Quartiergebührenverrechnung an das k. k. Kriegspressequartier vom 14.9.1917, Meldung der Entsendung Jehudo Epsteins an das k. k. Landsturminfanterieregiment Jičin Nr. 11 durch das Kriegspressequartier vom 18.9.1918. Dabei handelt es sich um die Kriegsbilderausstellungen des Kriegspressequartiers im Oktober 1916 in Innsbruck und Basel, im November 1916 in Prag, im Januar 1917 in Bozen und im März 1918 im Wiener Künstlerhaus, die Kriegsausstellung 1916 in Wien und 1917 in Triest sowie 1918 die Wanderausstellung Österreichische und ungarische Kriegsgraphik. Vgl. ÖStA/KA KPQ, Karton 83, E, Verzeichnis über die Abgaben der Künstler des Kriegspressequartiers an die Heeresverwaltung 1917/18. Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 12, 1919–20, Einlaufnummern 3345, 3347, 3348, 3350, 3351, 3353, 3357.
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254 René Schober bis hin zu Gemälden mit Motiven aus Rom, Pompei, Venedig, Burano, Ischia, den Niederlanden und der Slowakei als Ergebnissen seiner Studienreisen, sowie Porträts, darunter jenes der Tänzerin Hilde Radnay, ebenso Genre- und Landschaftsmalereien. Seinen Erfolg gleichsam belegend, stammten 35 der gezeigten Werke aus Privatbesitz, darunter Vorbereitungen zum Fest von 1912 aus dem Eigentum von Moritz Rothberger,85 fünf Gemälde aus dem Eigentum von Oskar Neumann,86 jeweils drei Gemälde aus dem Eigentum von Moriz Reichenfeld und Sigmund Knöpflmacher, vier Werke aus dem Eigentum von Professor Otto Marburg87 sowie zwei Gemälde aus dem Eigentum von Isidor Eisner.88 Für die dabei gezeigte Auswahl seines Oeuvres wurde Epstein von der Akademie der bildenden Künste Wien der mit 3.200 Kronen dotierte 85 Zu Moritz Rothberger vgl.: Ulrike NIMETH, Moritz Rothberger, in: Christina GSCHIEL, Ulrike NIMETH, Leonhard WEIDINGER (Hg.), Schneidern und Sammeln. Die Wiener Familie Rothberger (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 2), Wien 2010, S. 61–82; vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummer 2995. 86 Oskar Neumann (1870–1951) war Architekt und Kunstsammler. Seinem Schwerpunkt im Villen- und Wohnhausbau entsprechend baute er 1914/15 ein Doppelmietshaus in Wien 19., Himmelstrasse 41–43, worin sich seine Wohnung und Büro befanden. Auch Jehudo Epstein wohnte von 1915 bis 1936 in diesem Gebäude. Laut Vermögensanmeldung besaß Oskar Neumann unter anderem Bilder und Zeichnungen im Wert von 21.300 RM, seine Frau Therese Bilder im Wert von 9.400 RM. Die 201 Gemälde stammten größtenteils von österreichischen Künstlern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, darunter viele Künstlerhausmitglieder. Von Jehudo Epstein sind folgende Werke in der Sammlung Neumann nachweisbar: Leichenbegängnis, Durstige Kehlen, Damenporträt, Volendamer und Fleischerboden. Trotz Neumanns Verfolgung und dem Entzug seiner Architektenlizenz konnten er und seine Frau die NS-Zeit in Wien überleben. Vgl. ÖStA/AdR, VVSt, VA 17071 Oskar Neumann, VA 17070 Therese Neumann; Eintrag zu Oskar Neumann in: Architektenlexikon Wien 1770–1945: http://www.architektenlexikon.at/de/430.htm (23.4.2013); BDA-Archiv, Ausfuhrmaterialien, 6202/38 Oskar Neumann; Sonja NIEDERACHER, Dossier Oskar Neumann und Therese Neumann. Albin Egger-Lienz: »Die Bergmäher« (I. Fassung), Leopold Museum Privatstiftung, Wien 2009, http://www.bmukk.gv.at/medienpool/19428/beschluss_neumann.pdf (30.4.2013); Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 3050–3054, Einlaufbuch 11, 1924/25, Einlaufnummer 3464. 87 Otto Marburg (1875–1948) war Professor für Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Im April 1938 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft an der Universität Wien zwangspensioniert und musste nach Bezahlung der Reichsfluchtsteuer von 17.952 RM mit seiner Frau Malvine (geb. Knöpfelmacher) nach New York emigrieren. Mit Hilfe der Künstlerhaus-Einlaufbücher sind folgende fünf Werke Epsteins in seinem Eigentum nachweisbar: die Gemälde Wasserstudie, Motiv aus Ischia und Hiob und die Zeichnungen Motiv aus Ischia und Porträt. Vgl. Judith MERINSKY, Die Auswirkungen der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich auf die medizinische Fakultät der Universität Wien im Jahre 1938. Biographien entlassener Professoren und Dozenten, Wien 1980, S. 153–155; ÖStA/AdR, E-uReang, Abgeltungsfonds, Akt 3828; Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 3011–3013, 3019, Einlaufbuch 13, 1925/26, Einlaufnummer 4707. 88 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 13, 1920, Einlaufnummern 2994–2997, 3001, 3004–3006, 3008, 3009, 3011, 3012, 3014-3016, 3019, 3022, 3023, 3025–3027, 3041, 3042, 3050– 3057, 3148–3150, 3084.
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Reichel-Preis verliehen.89 1923 erhielt er den Titel eines Professors vom österreichischen Bundespräsidenten, im Dezember 1928 die Große goldene Staatsmedaille von der Genossenschaft bildender Künstler Steiermarks.90 Die Annahme der ihm 1929 verliehenen Silbernen Ehrenmedaille für verdienstvolles Wirken lehnte Epstein aus unbekannten Gründen ab.91 Ähnlich der Auswertung der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beteiligte er sich zwischen 1919 und 1934 mit 153 Werken an 27 Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus. Der Anteil an Leihgaben aus Privatbesitz hat sich allerdings mit mindestens 63 Werken mehr als verdoppelt. Die Verkäufe bei diesen Ausstellungen sind mit mindestens 19 Werken nur leicht angestiegen.92 Besonders erfolgreich war dabei die Ausstellung des Aquarellistenclubs 1925 mit dem Verkauf von acht Zeichnungen, darunter Motive aus der Gräberstraße in Pompei erworben von Richard Kulka93 und Mein Atelier in Rom 1893 sowie 3 Judenköpfe, ein sitzender Jude erworben von Bernhard Altmann.94 Zu den Teilnahmen Epsteins an Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus sind noch sechs, zum Teil von diesem organisierte, internationale Ausstellungen in den Jahren zwischen 1925 und 1931 zu zählen.95 89 Vgl. UAAbKW, Verzeichnis Akademische Preise 1787–1945, S. 232; Sitzungsprotokoll des akademischen Professorenkollegiums vom 18.5.1920. 90 Vgl. UAAbKW, Akt 397-1923, Brief vom Bundesministerium für Inneres und Unterricht, Unterrichtsamt an das Rektorat der Akademie der bildenden Künste vom 19.3.1923; Neue Freie Presse, 4.12.1927, S. 13. 91 Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Brief Jehudo Epsteins an den Genossenschaftsausschuss vom 23.3.1929. 92 Diese Zahlen sind Ergebnis der Auswertung der Einlaufbücher und Ausstellungskataloge des Wiener Künstlerhauses von 1918 bis 1938. 93 Zu Richard Kulka verweise ich auf den Text Anita Stelzl-Gallians in der vorliegenden Publikation. 94 Bernhard Altmann (1888–1960) war Strickwarenfabrikant und Kunstsammler. In seiner Sammlung befanden sich zahlreiche Werke der europäischen Kunstgeschichte ab dem 17. Jahrhundert. Von Jehudo Epstein sind folgende Werke bei ihm nachweisbar: die Gemälde Begräbnis an der Lagune, Betendes Bauernvolk in Burano, Flusslandschaft, Selbstbildnis mit brennender Zigarette, Spanisches Paar und Selbstbildnis sowie die Zeichnungen Drei Judenköpfe, ein sitzender Jude, Mein Atelier in Rom 1893, Porträt Bernhard Altmann, Bildnis und Interieur. Nach der Flucht Altmanns nach London wurden seine Strickwarenfabrik und seine Villa enteignet und deren Einrichtung in einer fünftägigen Versteigerung des Wiener Dorotheums veräußert, darunter auch Werke Epsteins. Vgl. Künstlerhaus Archiv im WStLA, Einlaufbuch 16, 1922, Einlaufnummer 791, Einlaufbuch 11, 1924-25, Einlaufnummern 387, 389, 391, 394, 397, 399, 400, 405, Einlaufbuch 13, 1925/26, Einlaufnummer 4711, Einlaufbuch 16, 1927/28, Einlaufnummer 873; Katalog Versteigerung der kompletten Villeneinrichtung Wien 18., Kopfgasse 1, Dorotheum Wien, 17., 18., 20.–22.6.1938; LILLIE 2003, S. 33 f. 95 Dabei handelt es sich 1925 um die 29th London Exhibition der International Society of Sculptors, Painters & Gravers in der Royal Academy of Arts, um die Österreichische Kunstausstellung in Nürnberg sowie die Osztrák Representativ Képzömüvészeti Kiállitás im Nemzeti Szalon in Budapest, 1926 um die XV. Internationale Kunstausstellung in Venedig, 1930 um die Wystawa reprezentacyjna sztuki austriackiej in Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych in Warschau und 1931 um die Thirtieth International Exhibition of Paintings im Carnegie Institute in Pittsburgh.
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256 René Schober Abbildung 3: Jehudo Epstein in seinem Atelier, um 1920
Bei der Eröffnung der Modernen Galerie in der Orangerie des Belvederes im Jahr 1929 befand sich auch Epsteins Bildnis des Architekten Oskar Neumann unter den Ausstellungsstücken.96 Dies kann als besondere Auszeichnung seines Schaffens gewertet werden. Es ist auch deshalb bemerkenswert, da Epstein mit seinem Zeitungsartikel Über Künstler und Kunsthistoriker am 4. Mai 1924 die Gemüter erregte. Vom Vorwurf der Fälschung zweier durch das Wiener Kunsthistorische Museum neuerworbener Rubensporträts ausgehend holte Epstein in seinem Artikel zu einem Rundumschlag gegen Kunsthistoriker aus, insbesondere jene die sich als Förderer moderner Kunst hervortaten, darunter Hans Tietze.97 Darin folgerte er, dass nur Künstler und nicht Kunsthistoriker berufen wären, über moderne Kunst zu urteilen. Die Aufgabe des Kunsthistorikers wäre es, »eine wissenschaftliche Darstellung der Entwicklung der bildenden Künste auf geschichtlicher Grundlage zu geben«.98 Als Folge entspannte sich in der Neuen Freien Presse über mehrere Artikel eine hitzige Diskussion über die Auf96 Vgl. VEREIN FÜR MUSEUMSFREUNDE IN WIEN (Hg.), Moderne Galerie in der Orangerie des Belvedere, Österreichische Galerie, Wien 1929, S. XIV. 97 Vgl. Jehudo EPSTEIN, Über Künstler und Kunsthistoriker, in: Neue Freie Presse, 4.5.1924, S. 12 f.; Hans Tietze (1880–1954), Kunsthistoriker, gründete 1923 die Gesellschaft zur Förderung der modernen Kunst in Wien und engagierte sich unter anderem für zeitgenössische Künstler. Er baute mit seiner Frau Erica Tietze-Conrat eine Sammlung bedeutender zeitgenössischer Künstler auf. 1938 musste das Ehepaar Tietze in die USA emigrieren. Ihr Besitz, darunter ihre Bibliothek, wurde von der GESTAPO beschlagnahmt. Vgl. Almut KRAPF-WEILER, Daten zur Biografie, in: Almut KRAPF-WEILER (Hg.), Hans Tietze. Lebendige Kunstwissenschaft. Texte 1910–1954, Wien 2007, S. 308–315, hier: S. 309 f., 312 f. 98 EPSTEIN 4.5.1924, S. 12.
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gaben von Künstlern und Kunsthistorikern, über den Fälschungsvorwurf gegenüber den erwähnten Rubensporträts und über moderne Kunst schlechthin. Die Debatte mündete in der Einsetzung einer Museumskommission, um die getätigten Vorwürfe zu überprüfen.99 Am 19. Dezember 1924 wiederholte Epstein in der Neuen Freien Presse seine Angriffe auf Kunsthistoriker, am 17. Januar 1926 auf Hans Tietze und am 10. April 1926 auf die Futuristen und Expressionisten.100 Trotz dieser öffentlichen und breitenwirksamen Angriffe auf ein modernes zeitgenössisches Kunstverständnis und seiner dadurch veröffentlichten konservativen Kunstanschauung war eines seiner Werke in der 1929 eröffneten Modernen Galerie vertreten. Epstein reagierte darauf mit einem in der Neuen Freien Presse am 23. Juni 1929 abgedruckten offenen Brief an den Unterrichtsminister. Darin kritisierte er, dass »das künstlerische Niveau der ganzen Sammlung etwa auf der Höhe einer kleineren, eher schlechten als mittelmäßigen modernen Kunstausstellung [sei]. (Ausgenommen sei nur der Klimt-Saal).«101 Große Könner wie Egger-Lienz, Sterrer oder Moser seien unterrepräsentiert gewesen, dafür aber minderwertige Bilder von Munch, Corinth oder Vlaminck ausgestellt worden. Als Konsequenz forderte er die Entfernung seines Gemäldes aus der Modernen Galerie und die Möglichkeit eines Rückkaufs desselben.102 Sein Ansuchen, einen Vortrag über die von Tietzes Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst 1930 veranstaltete Ausstellung Die Kunst in unsrer Zeit im Künstlerhaus zu halten, wurde aus »Gründen des Taktes«103 schließlich abgelehnt. Diese wiederholten Kundmachungen seines konservativen Kunstverständnisses und sein künstlerischer Erfolg bewirkten ein zunehmendes mediales Interesse an seiner Person. So wurden Auszüge aus seiner 1929 erschienenen Autobiografie zwischen 1925 und 1929 in mehreren Artikeln in der Neuen Freien Presse und dem Neuen Wie99 Vgl. etwa Siegmund SONNENTHAL, Über Künstler und Kunsthistoriker (Zu dem Artikel von J. Epstein vom 4.5.1924), in: Neue Freie Presse, 10.5.1924, S. 18 f.; Künstler und Kunsthistoriker, in: Neue Freie Presse, 11.5.1924, S. 11; Künstler und Kunsthistoriker, in: Neue Freie Presse, 13.5.1924, S. 7; Ernst H. BUSCHBECK, Der Kunststreit, in: Neues Wiener Tagblatt, 17.5.1924, S. 2–4; Künstler und Kunsthistoriker, in: Neue Freie Presse, 20.5.1924, S. 7; Gustav GLÜCK, Rubens’ Jugendstil und die Porträts Alberts und Isabellas im Kunsthistorischen Museum, in: Neue Freie Presse, 30.5.1924, S. 1–3; Siegmund SONNENTHAL, In Sachen des Peter Paul Rubens, in: Neue Freie Presse, 6.6.1924, S. 4 f. 100 Vgl. Jehudo EPSTEIN, Wege und Irrwege zum Kunstverständnis, in: Neue Freie Presse, 19.12.1924, S. 1–4; Jehudo EPSTEIN, Die Kulturpolitik Österreichs und die Wiener Museen, in: Neue Freie Presse, 17.1.1926, S. 4 f.; Jehudo EPSTEIN, Wohlgemeinte Betrachtungen über das Neue in den Künsten, in: Neue Freie Presse, 10.4.1926, S. 1–3. 101 Jehudo EPSTEIN, Der Skandal der Modernen Galerie, in: Neue Freie Presse, 23.6.1929, S. 6. 102 Vgl. EPSTEIN 23.6.1929, S. 6. 103 Künstlerhaus Archiv im WStLA, Personenmappe Jehudo EPSTEIN, Brief des Genossenschaftsausschuss an Jehudo Epstein vom 29.3.1930.
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258 René Schober Abbildung 4: Robert Haas, Plakat für die Jehudo Epstein-Kollektivausstellung in der Galerie Neumann und Salzer, 1931. Das abgedruckte Selbstbildnis Epsteins von 1924 stammte aus dem Eigentum von Fritz Grünbaum.
ner Journal abgedruckt.104 Zudem erschienen 1930 mehrere Artikel zu seiner Person und seinem Werk anlässlich seines 60. Geburtstags und der Anfang 1931 darauf folgenden Einzelausstellung in der Galerie Neumann & Salzer.105 Als einzige bislang belegbare Einzelausstellung und mit 85 gezeigten Werken größte Schau stellte sie den vorläufigen Höhepunkt von Epsteins Laufbahn dar. Die Präsentation einer Büste Epsteins des Bildhauers Otto Hofner sowie eines Bildnisses desselben von Leo Perlberger 104 Vgl. Anmerkung 51. 105 Vgl. Josef SOYKA, Jehudo Epstein. Zum 60. Geburtstag des Künstlers, in: Neues Wiener Tagblatt, 4.7.1930, S. 9; Der sechzigste Geburtstag Jehudo Epsteins, in: Neue Freie Presse, 22.7.1930, S. 6; Besuch bei Jehudo Epstein. Der Maler, der seinen Geburtstag nicht kennt, in: Neues Wiener Journal, 8.7.1930, S. 3–4; A. S. F., Jubiläumsausstellung Jehudo Epstein, in: Neues Wiener Journal, 10.1.1931, S. 5; A. F. S., Kunstausstellungen. Jehudo Epstein – Albert Reuß, in: Neue Freie Presse, 18.1.1931, S. 14; Jehudo Epstein erzählt von seinen Modellen. Zur Kollektivausstellung seiner Werke in Wien, in: Neues Wiener Journal, 22.1.1931, S. 9; A. R., Kollektivausstellung Jehudo Epstein, in: Wiener Neueste Nachrichten, 24.1.1931, S. 8.
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Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers
bei der Jahresausstellung und österreichische Bildniskunst der Gegenwart 1932 im Wiener Künstlerhaus liefert einen weiteren Beleg dafür, wie sehr Jehudo Epstein Person des öffentlichen Interesses geworden war.106 Mit seinen über Kunstbesitz und Korrespondenz belegbaren Kontakten zu jüdischem Großbürgertum und Kulturschaffenden, darunter der Textilfabrikant Bernhard Altmann, der Architekt Oskar Neumann, der Kabarettist und Schauspieler Fritz Grünbaum, der Schriftsteller Richard Beer-Hofmann und der Bankier Moriz Reichenfeld, war er bestens vernetzt. Die vielen Bildnisse von Tänzerinnen, Künstlern, Schriftstellern, Schauspielern, Universitätsprofessoren und Personen des politischen und wirtschaftlichen Lebens weisen ihn als beliebten Porträtisten aus.107 Das mediale Echo, die Teilnahmen an bislang 91 nachweisbaren Ausstellungen und die vielen Werke in Privatbesitz bezeugen eine äußerst erfolgreiche Künstlerkarriere vom beginnenden 20. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre. Studienreise und Emigration
Mit der Abreise Epsteins nach Südafrika im Dezember 1934 endete seine Karriere in Österreich.108 Seine Frau Auguste folgte ihm im August 1935 nach Johannesburg.109 Den Grund für diese Reise nannte Epstein in einem Brief an Richard BeerHofmann: »Ich bin ja hergefahren um meine Finanzen, die stark angegriffen waren, aufzubessern.«110 Epsteins Berichte über die südafrikanische Kunstszene dieser Zeit schilderten äußerst triste Verhältnisse. Durch den Kontakt zu Paul Strakosch verwandelte sich die Situation zu einer erfolgreichen Studienreise, die sich länger als ursprünglich geplant ausdehnte.111 Daher bezog das Ehepaar Epstein eine Wohnung in den Gainsborough Mansions in Hillbrow, Berea, das als einer der nobelsten Orte Jo106 Vgl. 53. Jahresausstellung und österreichische Bildniskunst der Gegenwart, Künstlerhaus Wien 1932, S. 45 f. 107 Darunter Porträts der Tänzerin Hilde Radnay, der Schriftsteller Carl Kautzky und Richard Beer-Hofmann, des Schauspielers Albert Heine, des Bildhauers Gustinus Ambrosi, des Professors Otto Marburg, des Grafen Kinsky, des Konsulen Heingartner, des Industriellen und Politikers Siegfried Strakosch, des Industriellen Josef Blauhorn sowie der Zionisten Theodor Herzl und Max Nordau. 108 Vgl. Harvard University, Houghton Library, Richard Beer-Hofmann correspondence 1882–1967, Letter from Jehudo Epstein MS Ger 183 (135), Postkarte Jehudo Epsteins an Richard Beer-Hofmann vom 5.12.1934. Vielen Dank an Pia Schölnberger für den Hinweis. 109 Vgl. Harvard University MS Ger 183 (135), Brief Jehudo Epsteins an Richard Beer-Hofmann vom 18.8.1935; Auguste Schellnast wurde am 27.11.1892 geboren. Sie heiratete Jehudo Epstein am 9.1.1922. Das Ehepaar blieb kinderlos. Nach der Emigration nach Südafrika kehrte Auguste nach Wien zurück, wo sie 1976 verstarb. Vgl. Franz PLANER, Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft 1928, Wien 1928, S. 69. 110 Harvard University MS Ger 183 (135), Brief 18.8.1935. 111 Vgl. Harvard University MS Ger 183 (135), Brief 18.8.1935.
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260 René Schober hannesburgs beschrieben wird.112 Sie ließen ihren Hausrat aus Wohnung und Atelier in der Himmelstraße vermutlich 1936 in einem Depotraum der Fabrik Altmanns unterstellen. Karl Kramer, ein Angestellter Altmanns, legte im Zuge der Einlagerung ein Inventar an, in dem neben rund 500 Büchern, Möbeln und zahlreichen Einrichtungsgegenständen auch 190 Gemälde, 127 Zeichnungen und 31 Drucke Jehudo Epsteins und vier Gemälde, 13 Zeichnungen und zwölf Drucke von Künstlerkollegen_innen verzeichnet sind.113 Mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 wandelte sich Epsteins Studienreise in eine Emigration. Das Wiener Künstlerhaus führte ihn im 1941 publizierten Verzeichnis nicht mehr als Mitglied an.114 Auch Bernhard Altmann musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft fliehen und sein Vermögen wurde entzogen.115 Seine Fabrik in der Siebenbrunnengasse kam 1938 zunächst im Mai unter kommissarische Verwaltung des Textilingenieurs Erich Schwarz und im August des langjährigen Abteilungsleiters in der Fabrik Altmanns, Felix Beller, bis sie schließlich am 9. Dezember von dem Wurstwarenfabrikanten Kurt Bagusat und dem ehemals Bediensteten der Reichpropagandaleitung Abteilung Filmwesen, Adolf Böhme, beides Reichsdeutsche, »arisiert«, in Wiener Wollwaren Werke Bagusat & Böhme umbenannt und am 21. April 1939 aus dem Handelsregister gelöscht wurde.116 Nach Aussage Karl Kramers wurden 1938 auf Anordnung der »Ariseure« Bilder aus dem Depot des Ehepaars Epstein weggebracht. Einige Bilder sollen 1938 oder 1939 der Mutter Augustes ausgefolgt, andere im Speisesaal der Fabrik nach Übermalung der 112 Vgl. SCHMIDT 2003, S. 234. 113 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Auguste Epstein, Brief Auguste Epsteins an The Control Office for Germany and Austria vom 13.1.1947, Verzeichnis der Bilder und Zeichnungen aus dem Atelier der Herrn Professor Jehudo Epstein; ÖStA/AdR 06 FLD, Registratur 16667, Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13.11.1950. Vielen Dank an Sabine Loitfellner für den Hinweis auf den FLD-Akt. Das in den Restitutionsmaterialien der Kommission für Provenienzforschung erhaltene Inventarverzeichnis dürfte eine spätere Abschrift des Originals sein. Auffallend ist, dass die meisten Werke eher kurze Beschreibungen als Titel führen, was dafür spricht, dass es von einem Fabrikangestellten angelegt wurde. 114 Vgl. Mitgliederverzeichnis der Genossenschaft bildender Künstler Wiens 1941. Er wurde in Folge nicht mehr wiederaufgenommen. 115 Vgl. ÖStA/AdR 06 FLD, Registratur 16667, Bescheid 13.11.1950. 116 Vgl. ÖStA/AdR, VVSt, Ind. 864, Abwicklung der Firma Bernhard Altmann, Bericht des Wirtschaftsprüfers Ulrich Ostrowski vom 14.6.1939, S. 4, Brief von Felix Beller an die Prüfungsstelle für kommissarische Verwalter vom 13.10.1938, Brief der Rechtsanwälte von Adolf Böhme an die Abwicklungsstelle der VVSt Wien vom 14.7.1941; WStLA, Handelsregister, A 31, S. 173, S. 187; WStLA, Handelsgerichtsakt, A 31/173, Bestellung von Erich Schwarz zum kommissarischen Verwalter der Firma Bernhard Altmanns vom 17.5.1938, Bestellung von Felix Beller zum kommissarischen Verwalter der Firma Bernhard Altmanns vom 8.8.1938.
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Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers
Abbildung 5: Jehudo Epstein und sein Schwager Alexander Cemach, um 1930, aus Familienbesitz.
Signatur aufgehängt und ein Teil im Wiener Dorotheum veräußert worden sein.117 Welche Gegenstände sich im Übersiedlungslift 568, der im VUGESTA-Geschäftsbuch unter »Epstein J., 19. Himmelstr. 43« vermerkt ist, befunden haben, ist unbekannt.118 Nach dem Tod Jehudo Epsteins in Südafrika am 16. November 1945 bemühte sich im November 1946 sein Schwager Alexander Cemach beim British Committee of the Preservation of Works of Art in Enemy Hands und 1947 sowie 1966 seine Witwe Auguste als einzige Erbin erfolglos unter anderem beim Österreichischen Bundesdenkmalamt um Auskünfte über den Verbleib der in der Fabrik Altmanns eingelagerten Güter.119 Einzig das 1949 zufällig in Räumen des Landesarbeitsamts Niederösterreich gefundene Gemälde Camposanto in Venedig aus den Altmann-Beständen wurde 1950 nach einem fast zweijährigen Rückstellungsverfahren an die Witwe zurückgegeben.120 Bei der Frage nach dem Verbleib der bei Altmann eingelagerten Bilder fällt eine hohe Dichte an Versteigerungsangeboten im Wiener Dorotheum in den Jahren von 1946 bis 1965 auf. 117 Vgl. ÖStA/AdR 06 FLD, Registratur 16667, Brief der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland an das Bezirkskommisariat Margarethen vom 1.7.1950, Bescheid 13.11.1950. Bei den an die Mutter Augustes ausgefolgten Bildern könnte es sich um jene acht handeln, die in der Abschrift des Inventarverzeichnis als gerettet bezeichnet werden. 118 Vgl. ÖStA/AdR 06, VUGESTA-Geschäftsbuch, Band 9, Eintrag 568. Vielen Dank an Sabine Loitfellner für den Hinweis. 119 Vgl. The National Archives, Kew, Akte FO 371/53105, Aktenzeichen UE 5745, Brief von A.I. Cemach an The British Committee of the Preservation of Works of Art in Enemy Hands vom 18.11.1946; BDAArchiv, Restitutionsmaterialien, PM Auguste Epstein, Brief 13.1.1947; Akt 1376-47; Akt 252-66. 120 Vgl. ÖStA/AdR 06 FLD, Registratur 16667.
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262 René Schober Bei 26 Auktionen in diesem Zeitraum wurden 24 verschiedene Werke teilweise mehrmals zum Verkauf angeboten.121 Die Karriere Jehudo Epsteins beschreibt die eines aus Osteuropa kommenden Juden, der in Wien studierte, hier zunächst über zionistische Kreise und dann über das Wiener Künstlerhaus zu beachtlichem Ansehen gelangte, um in den Jahren nach 1918 schließlich zu einer Person des öffentlichen Interesses zu werden. Zahlreiche Werke in Privatbesitz und Kunstsammlungen, vielfache Porträtaufträge, mediale Präsenz und viele Auszeichnungen würdigten ihn als einen angesehenen und erfolgreichen Maler. Die Studienreise und anschließende Emigration des Ehepaars Epstein nach Südafrika bedeuteten eine Zäsur in der künstlerischen Karriere des Malers. Das Verschwinden von fast 350 seiner Werke aus dem Depot der Fabrik Altmanns sowie die hohe Dichte an jüdischen Sammlern seiner Werke bewirkten als Folge des nationalsozialistischen Vermögensentzugs ein Verdrängen seiner Person und seines Oeuvres aus der öffentlichen Wahrnehmung. Zwar wurde am 18. Oktober 1949 Epsteins Urne in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt, doch stießen die Bemühungen von Auguste Epstein ob seines Andenkens und einer Würdigung seines Wirkens im Wiener Künstlerhaus auf wenig Resonanz. In der Jubiläumsausstellung und dazugehörigen Publikation von 1961 wurde er nicht erwähnt. Lediglich als kostengünstiger Genremaler im Kunsthandel oder als ein Vertreter unter vielen bei Schwerpunktausstellungen zu jüdischer Kunst und Kultur beachtet, führt sein Oeuvre bis heute ein Schattendasein. Erst durch die Provenienzforschung wurden intensive Nachforschungen zu Epsteins Lebensweg und künstlerischer Karriere betrieben. Diese Recherchen führten schließlich im Frühjahr 2013 zur Rückgabe von zwei Gemälden aus dem Altmann-Depot. Damit einhergehend wurde der Maler Jehudo Epstein nach über 80-jähriger Absenz mit Hilfe medialer Darstellung wieder zu einer Person des öffentlichen Interesses.
121 Diese Zahlen sind Ergebnis der Auswertung der Dorotheums-Kataloge von 1946 bis 1965.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung1 Christina Gschiel
Ein Sammler und Theatermensch
Joseph Gregor, der Begründer der Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien und vorzügliche Netzwerker in der Welt des Theaters, wurde am 26. Oktober 1888 in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, geboren. Als Sohn von Alberta2 und des k. u. k. Baurates und Architekten Josef Gregor, nach dessen Plänen das Alte Stadttheater in Czernowitz im Jahr 1878 errichtet worden war, ist er schon früh mit der faszinierenden Theaterwelt in Berührung gekommen.3 Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums in seiner Geburtsstadt, zog es ihn für das Studium in die Hauptstadt, nach Wien.4 An der philosophischen Fakultät studierAbbildung 1: Joseph Gregor te er dort die Fächer Kunstgeschichte, deutsche Sprachwissenschaften sowie Musikwissenschaf5 ten und promovierte 1911 zum Doktor der Philosophie.6 Er strebte seiner wirklichen Passion folgend, schon sehr früh nach praktischen aber auch akademischen Erfahrun1 2 3
4 5 6
Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, o. Zl., Bick an Lugmayer, 25.10.1945. Geborene Alberta Fiala. Vgl. WStLA, Verlassenschaftsakt Gregor Joseph, Zl. 3A 931/60, Todfallsaufnahme, 15.10.1960. Vgl. Georg DROZDOWSKI, Zur Geschichte des Theaters in der Bukowina, in: Franz LANG (Hg.), Buchenland Hundertfünfzig Jahre Deutschtum in der Bukowina, Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks, München 1961, S. 451–472, hier S. 457. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Curriculum vitae, 4.8.1945. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Personalnachrichten der Nationalbibliothek, 10.5.1940. Vgl. ÖNB-Archiv, Ergänzung zum PA Gregor Joseph, o. Zl., Standesausweis, o. Datum.
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264 Christina Gschiel gen in dem zu dieser Zeit noch nicht universitär etablierten Fach der Theaterwissenschaft. Die verschiedenen Stationen dieser erweiterten Studienzeit führten ihn daher an die Hofoper in Wien, an das Deutsche Theater in Berlin unter der Leitung von Max Reinhardt und schließlich an die Universität Leipzig zu dem Germanisten und Pionier der wissenschaftlichen Theaterforschung Albert Köster.7 Mit der Teilnahme am Ersten Weltkrieg8 ist für Joseph Gregor ein endgültiger Abschied von Czernowitz verbunden. Seinen Lebensmittelpunkt verlegte er, unter anderem auch durch die Heirat9 mit seiner ersten Ehefrau Sophie Khautz von Eulenthal,10 nach Wien.11 Am 25. November 1918, nur wenige Tage nach Ende des Krieges, startete er seine 35-jährige ununterbrochene Karriere in der Nationalbibliothek in Wien. Zu Beginn noch Aspirant, wurde er innerhalb kürzester Zeit zum Nachfolger des bei einem Bergunfall in Salzburg verunglückten Alexander von Weilen, dem vormaligen Kustos des Referates für Theater in der Nationalbibliothek.12 Vorrangig auf die Eigeninitiative Gregors beruhend, wird in der Nationalbibliothek bereits ab 1921 an der Planung einer neuen Abteilung, der Theatersammlung, gearbeitet und diese bereits 1922 offiziell eröffnet.13 Nicht einmal zehn Jahre später, wurde er 1931 zudem noch ehrenamtlicher Leiter des Bundestheatermuseums.14 Trotz seines gescheiterten Habilitationsgesuches an die philosophische Fakultät der Universität Wien für das neue Fach der Theaterwissenschaft im Jahr 1924,15 gab er seinen Vermittlungswunsch nicht auf und arbeitete ab 1929 als Honorardozent für Theatergeschichte an der Akademie für Musik und darstellende Kunst und ab 1933 in derselben Funktion an der Akademie der bildenden Künste in Wien.16 Zusätzlich zu seiner lehrenden Tätigkeit und seiner Hauptfunktion als Abteilungsdirektor in der Nationalbibliothek, kuratierte er regelmäßig Ausstellungen für die Theatersammlung und das Bundestheatermuseum und enga7 8
9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Curriculum vitae, 4.8.1945. Joseph Gregor diente im ersten Weltkrieg von 18.6.1915–14.11.1918 zuerst im vierten Regiment der Tiroler Kaiserjäger, zuletzt im Kriegsministerium. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Personenstandesblatt der Nationalbibliothek, 4.8.1945. Am 4.12.1915 in Wien. Vgl. ÖStA/AdR BMU, PA Gregor Joseph, K 16/3, Zl. 37/22, Versöhnungsversuch, 24.2.1922. Geboren am 5.11.1881 in Wien, gestorben am 11.7.1949 in Wien. Vgl. WStLA, Meldeanfrage zu Sophie Gregor, geb. Khautz von Eulenthal, 22.5.2013. Vgl. WStLA, Meldeanfrage zu Gregor Joseph, 2.5.2013. Vgl. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., Habilitationsgesuch, 26.9.1945, fol. 41. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Curriculum vitae, 4.8.1945. Siehe den Exkurs zum Bundestheatermuseum in diesem Artikel. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Curriculum vitae, 4.8.1945. Vgl. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., 28.11.1924, fol. 4. Vgl. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., Habilitationsgesuch, 26.9.1945, fol. 41.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
gierte sich bei zahlreichen externen Projekten oder Ausstellungsbeteiligungen in ganz Europa. Anhand eines 1958 nur teilweise publizierten Versuches einer Bibliographie zu Joseph Gregor17 von Agnes Bleier-Brody lässt sich in etwa der Umfang seines vielschichtigen verschriftlichten Lebenswerkes bestehend aus Büchern, Aufsätzen, Vorträgen, Ausstellungs- und Bestandskatalogen aber auch Texten zu Operetten von Richard Strauss18 mit der beinahe unvorstellbaren Anzahl von fast eintausend Einzelwerken in der Zeit zwischen 1908 und 1963 erahnen.19 Zur Illustration seiner sonstigen, über seine Tätigkeit als Abteilungsdirektor, Ausstellungskurator, Schriftsteller, Wissenschaftler, und vor allem auch Sammler hinausgehenden Wirkungskreise, müssen hier beispielhaft noch einige der Ämter und Ehrenämter Erwähnung finden, die er im Laufe seiner Karriere inne hatte. So fungierte Joseph Gregor beispielsweise als Sekretär der Gesellschaft der Freunde der Nationalbibliothek20 und der Gesellschaft der Denkmäler des Theaters, als Ehrenpräsident der Gesellschaft der Freunde des internationalen MusikerBrief-Archivs E.V. in Berlin21 und schließlich noch als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft und Filmwirtschaft.22 Joseph Gregor galt als strebsamer und vielbeschäftigter Theaterwissenschaftler, der teils hoch gelobt, teils höchst umstritten, jedoch kontinuierlich von der Ersten Republik an, während des Austrofaschismus, des Nationalsozialismus sowie in der Zweiten Republik die Theatersammlung leitete. Auf den Punkt gebracht, verstand er es hervorragend, seine Position gegen regelmäßig aufkeimenden Widerstand bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1953 zu verteidigen. Die erhaltenen Personalakten erschließen ein vielschichtiges Bild eines äußerst facettenreichen Menschen, der es begriffen hatte, seine wechselnden Vorgesetzten, wichtige politische, künstlerische oder gesellschaftliche Persönlichkeiten für sich zu gewinnen. Die zahlreich dokumentierten Reaktionen auf Gregor und seine Arbeit sind, wenig überraschend, nicht ausschließlich positiver 17 Vgl. Agnes BLEIER BRODY, Versuch einer Joseph Gregor Biographie, 1908–1958, Berlin 1958. 18 Bei den Opernlibretti für Richard Strauss handelte es sich um Friedenstag (1938), Daphne (1938) und Die Liebe der Danae (1944). 19 Vgl. Agnes BLEIER-BRODY, Gregoriana. Joseph Gregor. Leben und Werk, Wien-Köln 1989, unveröffentlichtes Manuskript in der Bibliothek des Österreichischen Theatermuseum. Die auf den ersten Blick irritierende Diskrepanz zwischen dem Ableben Joseph Gregors am 12.10.1960 und der Veröffentlichung seines letzten wissenschaftlichen Beitrages im Jahr 1963 lässt sich durch eine kleine Anzahl posthum erschienener Werke erklären. 20 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Curriculum vitae, 4.8.1945. 21 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. P 373, Johannes Liese an Erwerbungsabteilung der ÖNB, 10.4.1958. 22 Vgl. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., Personalblatt, 3.12.1959, fol. 7.
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266 Christina Gschiel Natur. So stehen lobende Worte über seine zahlreichen Bücher oder auch sein Ruf als hervorragender Theaterwissenschaftler und Leiter der bedeutendsten TheatraliaSammlung Wiens, teilweise Vorwürfen, Anschuldigungen und Kritiken gegenüber. Die Untersuchungen seitens der NSDAP zur Ergründung der politischen Gesinnung Gregors sind am besten in den Fragebögen zur politischen Beurteilung von August 1938 bis März des Folgejahres dokumentiert. Im ersten Fragebogen findet sich noch unter dem Punkt Anmerkungen folgender Kommentar: »Der Gefragte steht der Bewegung gut gesinnt gegenüber.« 23 In einem undatierten doch bestimmt erst in Folge entstandenen, als Gesamturteil über Joseph Gregor, betitelten Schreiben finden sich gegenteilige Einschätzungen, wie: 1937 gab er das ›Theater der Welt‹ heraus, eine Zeitschrift, die dem Geschäftsführer der Reichstheaterkammer, dem Gauleiter A.F. Frauenfeld, sehr viel Ärgernis verursachte und veranlasste, sich um Auskunft über Gregor an den Schriftsteller Dr. Karl Wache zu wenden. Frauenfeld erklärte diesem gegenüber nach dem Umbruche, im Falle Gregor hätte die Partei Anlass zum Einschreiten. Gregor war ständiger Mitarbeiter der ›Neuen Freien Presse‹ und anderer nur jüdischer Zeitungen und nahm darin in grosser Aufmachung Stellung zu den Kunstereignissen.24
Im Zuge einer weiteren Erhebung im Oktober 1938 berief sich die Gauleitung auf die Auskunft von Zellenleiter Konstantin Schneider aus der Nationalbibliothek. Dieser beurteilte Gregor als politisch nicht einwandfreie Person, sogar als Gegner des Nationalsozialismus und fügte seinem Kommentar hinzu, dass dieser sich des Schutzes von Richard Strauss erfreue, für den er einige Libretti zu Opern verfasst hatte.25 Eine höchst interessante Aussage findet sich auch in einem Brief eines unbekannten Verfassers an den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche: All diese dem Nationalsozialismus widersprechenden Eigenschaften wurden nach dem Umbruch höherorts gemeldet, doch ist vom Propagandaministerium der Auftrag erteilt worden, dass Gregor in seiner künstlerischen Tätigkeit nicht gehemmt werden darf. […] Dr. Gregor wird auf fachlichem Gebiet grosses Wissen und Können nachgesagt, jedoch hat er seiner Einstellung nach den Eindruck, als ob er Freimaurer sei, doch konnte Sachdienliches nicht in Erfahrung gebracht werden.26 23 Vgl. ÖStA/AdR ZNSZ, GA Gregor Joseph, Nr. 16983, Zl. 4866, Politische Beurteilung, 20.8.1938. 24 Vgl. ÖStA/AdR ZNSZ, GA Gregor Joseph, Nr. 16983, o. Zl., Gesamturteil über Dr. Joseph Gregor, ohne Datum, fol. 28. 25 Vgl. ÖStA/AdR ZNSZ, GA Gregor Joseph, Nr. 16983, o. Zl., Bericht der Gauleitung Wien über Gregor, 20.10.1938. 26 ÖStA/AdR ZNSZ, GA Gregor Joseph, Nr. 16983, Zl. III/D/2191/Eu/G/1804, Unbekannt an Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche, 24.10.1938.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
In der letzten politischen Beurteilung die im März 1939 durchgeführt wurde, heißt es weiter: »Laut neuerlicher, genauer Erhebung (Univ. Bibl.) ist Genannter ein ausgesprochener Konjunkturmensch, vor dem Umbruch jüdisch-freundlich, jetzt betont nat. soz.«27 Doch ungeachtet dieser, für Gregor äußerst heiklen Gutachten wurde das Ermittlungsverfahren gegen ihn überraschenderweise eingestellt. Der Reichskommissar entschied dementsprechend am 6. Juni 1939, dass gegen den Leiter der Theatersammlung keine Maßnahmen zu treffen seien.28 Kurz darauf konnte Gregor somit wieder um die Genehmigung für seine Nebenbeschäftigung als Honorardozent an der Akademie der bildenden Künste ansuchen, von der er zwischenzeitlich enthoben worden war.29 Doch Zweifel über seine Gesinnungstreue blieben weiterhin aufrecht, sodass der neue Generaldirektor der Nationalbibliothek, Paul Heigl, 1940 seinen Mitarbeiter gegenüber dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mit folgenden Worten zu protegieren suchte: »Es ist die Gewähr gegeben, dass Dr. Gregor jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt.«30 Welche Rolle nahm der Leiter der Theatersammlung während der NS-Zeit nun tatsächlich ein? Maßgebliche Einblicke in die seinerzeitigen Geschehnisse liefern zahlreiche Briefe zur heiß umfochtenen theaterwissenschaftlichen Sammlung Fritz Brukners, um welche sich sowohl die Kölner als auch die Wiener einschlägige Institution bemühte. Ein Kampf, den Gregor zumindest in den 1940er Jahren für sich beziehungsweise für die Nationalbibliothek entscheiden konnte. Die Auseinandersetzung fand ihren Höhepunkt im Jahr 1951 als Carl Niessen, Begründer des Theaterwissenschaftlichen Institutes und der Theaterwissenschaftlichen Sammlung in Köln, bei der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, die Gregor zu einem Vortrag anlässlich ihrer Hauptversammlung im April in Bochum eingeladen hatte,31 in einem umfangreichen Brief schwer belastete. Die wesentlichen Punkte dieses Schreibens betrafen die besagte Erwerbung der Sammlung Brukner32 durch Joseph Gregor, die angeblich Niessen schon für sein Institut mittels eines Vorvertrages vor anderen Zugriffen gesichert geglaubt hatte. 27 ÖStA/AdR ZNSZ, GA Gregor Joseph, Nr. 16983, Zl. 5485, Fragebogen zur politische Beurteilung, 22.3.1939. 28 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. 69/224, Ministerium f. innere u. kulturelle Angelegenheiten an GD der NB, 1.7.1939. 29 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. 69/319 P, Gregor an GD der NB, 2.9.1939. 30 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. 69/824 P, Konzept Heigl an Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung u. Volksbildung, 5.12.1940. 31 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. Ad P/120/51, Stroedel an Gregor, 26.1.1951. 32 Heigl nimmt das Angebot Brukners über seine Sammlung und Bibliothek an. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ad PA Gregor Joseph, Kopie, Zl. 446/746, Heigl an Brukner, 30.7.1940.
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268 Christina Gschiel Nach Angaben des Kölner Theaterwissenschaftlers wurde der als Jude verfolgte Sammler zur GESTAPO bestellt, die ihm unter Androhung der Verbringung in ein Ghetto, den Verkauf seiner Sammlung an die Theatersammlung nahe legte. Nach Verhandlungen zwischen Joseph Gregor und dem Sammler, in denen schließlich klar gemacht wurde, dass der Vertrag mit Köln keine Bedeutung mehr habe, verkaufte schließlich Brukner die Sammlung um 5.000 RM an die Wiener Institution.33 Erschwerend kam der Vorwurf hinzu, dass Gregor seinen Gegenspieler wegen des besagten Vorvertrages mit Brukner bei der GESTAPO angezeigt haben soll.34 Joseph Gregor konterte diese schwerwiegenden Vorwürfe und verabsäumte dabei nicht, auf den schmerzlichen Abzug seiner Zeitschrift Theater der Welt35 unter die Leitung von Carl Niessen und dessen Mitgliedschaft bei der NSDAP zu verweisen. Um seine Position noch weiter zu stärken, formulierte er Folgendes: Nachdem Österreich im März 1938 besetzt worden war, wurde ich in Untersuchungen gezogen. Es gab endlose Vorladungen bei der Gestapo. Die Untersuchung dauerte bis August 1938, ein halbes Jahr, das mir lebhaft im Gedächtnisse ist. – Mein Vorgesetzter, Dr. Paul Heigl, war aber loyal und teilte mir eines Tages mit, daß Dr. Niessen einer der schärfsten Drahtzieher des Verfahrens sei. Dr. Niessen hätte angeregt, daß die weltberühmte Theatersammlung der Nationalbibliothek, die ich gegründet habe und der ich auch heute noch vorstehe, nach Köln oder Berlin übertragen werden solle. Er, Heigl, sei aber nicht dieser Ansicht. Nach vielen Zwischenfällen wurde das Verfahren gegen mich eingestellt.36
Doch Gregor musste die Verteidigung seines nunmehr angekratzten Rufes nicht alleine bestreiten. Als gewichtiger Fürsprecher fungierte beispielsweise Robert Teichl, der sich 1951 schon im Ruhestand befindliche ehemalige stellvertretende Generaldirektor 33 Kurze Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges begannen die Rückstellungsverhandlungen zwischen den Erbinnen des am 4.7.1944 verstorbenen Fritz Brukner und der Nationalbibliothek. Mit Erkenntnis RKb 30/53 der Rückstellungsoberkommission des Oberlandesgerichtes Wien vom 16.2.1953 wurde die Witwe Theodora Brukner als Alleineigentümerin der Theatersammlung Fritz Brukner festgestellt. Die Übergabe der zu restituierenden Objekte erfolgte am 3.3.1954. Hierzu muss jedoch angemerkt werden, dass die Anzahl der in der Rückstellungsentscheidung aufgezählten Objekte und der gemäß Rückstellungsbestätigung tatsächlich rückgestellten Objekte an mehreren Stellen sowohl positiv als auch negativ abweicht. Vgl. ÖNB-Archiv Zl. 584/45, Zl. 243/53, Zl. 107/54. 34 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 2, Niessen an den Vorstand der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, 3.3.1951. 35 Das letzte von Gregor geleitete Heft erschien im Juli/August 1937. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 9, Ecker an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 4.4.1951. 36 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 4, Gregor an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 17.3.1951.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
der Nationalbibliothek, sprach sich in einer Stellungnahme ausdrücklich für Gregor aus und wies die gesamte Verantwortung für die bedenkliche Erwerbung der Sammlung Brukner auf den vormaligen Generaldirektor Paul Heigl, der im April 1945 Selbstmord verübte.37 Weiteren Beistand erhielt er von Karl Ecker, dem langjährigen Mitarbeiter der Theatersammlung und Stellvertreter Gregors bei diversen Dienstreisen. Ecker bestätigte, dass die Zeitschrift Theater der Welt tatsächlich von deutscher Seite her Anfeindungen erfahren hatte: »Als Mitarbeiter bei den Redaktionsgeschäften der von Prof. Gregor 1936/37 geleiteten Zeitschrift ›Theater und Welt‹ [sic!] kann ich bestätigen, daß diese Zeitschrift aus den Kreisen des damaligen Deutschland Anfeindungen erfuhr, weil sie international eingestellt war und jüdische Mitarbeiter nicht vermied.«38 Darüber hinaus beschrieb auch er die schwierige Lage, in der sich Gregor nach dem »Anschluss« Österreichs befunden hatte und berichtete darüber hinaus auch von den geschickt genutzten Seilschaften, die seinem Vorgesetzen trotz anfänglicher Turbulenzen, die Fortführung seiner Tätigkeit und den Verbleib der Sammlung in Wien sicherstellen sollten: Seiner Lehrtätigkeit an der Akademie der bildenden Künste war Gregor bereits enthoben. Ich schuf damals, um mitzuhelfen, die hochgeschätzte Kraft Prof. Gregors zu erhalten, Verbindung zwischen ihm und dem im damaligen Unterrichtsamte tätigen, sehr maßgebenden Prof. Dr. Anton Haasbauer. Im Juli 1938 konnte mir zwar Legationsrat Dr. Walter Nasse, ein Freund des damaligen Generaldirektors Dr. Paul Heigl, mitteilen, daß Gregor persönlich nichts mehr zu fürchten hätte, aber erst am 18. Oktober 1938 erfuhr ich in einer Unterredung mit leitenden Herren der Nationalbibliothek, daß die stürmisch betriebene Aktion des Abtransportes der Theatersammlung nach Deutschland gescheitert sei. Ich habe davon Prof. Gregor, der sich beim Convegno Volta in Rom befand am 20. Oktober 1938 mittels eing. Luftpostbriefes in Kenntnis gesetzt, um ihn von dieser Sorge zu befreien.39
Ecker äußerte sich im selben Brief auch über die Entziehung der Sammlung Brukner, mit der Gregor nach seinen Angaben nichts zu tun gehabt hatte und angeblich über deren plötzliche Beschlagnahme selbst überrascht gewesen sei.40 Am Höhepunkt des 37 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 8, Teichl an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 31.3.1951. 38 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 9, Ecker an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 4.4.1951. 39 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 9, Ecker an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 4.4.1951. 40 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Anlage 9, Ecker an Deutsche Shakespeare-Gesellschaft, 4.4.1951.
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270 Christina Gschiel Disputes zwischen Wien und Köln brachte Joseph Gregor mit Hilfe seines Rechtsanwaltes Leo Diekamp bei der Staatsanwaltschaft Köln eine Klage wegen Nötigung und Beleidigung gegen Carl Niessen ein, die er 1954 schließlich gewann.41 Die Einschätzung Josef Bicks, der vom NS-Regime von seinem Posten als Generaldirektor der Nationalbibliothek enthoben, von der GESTAPO verfolgt und zwischenzeitlich sogar im KZ Dachau inhaftiert wurde, zur Person und Rolle Joseph Gregors während der NS-Zeit, erscheint an dieser Stelle von besonderer Relevanz. In einem Brief an das Dekanat der philosophischen Fakultät der Universität Wien stellte dieser sich befürwortend und verteidigend hinter Gregor, dessen Institut während der NSZeit förmlich aufblühte und von zahlreichen problematischen Erwerbungen profitiert hatte. So führte Bick am 17. Dezember 1945 Folgendes aus: Wollte Gregor sein Werk fortsetzen und nicht im Stich lassen, so mußte er sich zu einer Anpassung an die Verhältnisse gezwungen sehen, die sich aber stets durchaus im Rahmen seiner amtlichen Verpflichtungen bewegte und nur der Kontinuität seiner Tätigkeit diente. Wiederholt aufgefordert, die Parteimitgliedschaft zu erwerben, hat Gregor dies stets und konsequent abgelehnt obwohl ihm dadurch nicht eben Annehmlichkeiten erwuchsen. Umgekehrt ist es ihm aber gelungen, gerade in der Zeit des Naziregimes das ihm unterstellte Institut fast auf den doppelten Umfang zu bringen, sodaß dessen äußere Erweiterung und innere Erhöhung des Wertes dem neuen Österreich nunmehr zugute kommt.42
Nur wenige Tage zuvor hatte sich Josef Bick anlässlich Gregors Habilitationsansuchens an die Universität Wien schon gegenüber Eduard Castle, dem damaligen Leiter des Institutes für Theaterwissenschaft, scheinbar vorbehaltslos über den lang gedienten Mitarbeiter der Nationalbibliothek geäußert und im Zuge dessen erklärt, dass »Dr. Gregor im Kreise der Fachleute der Theaterwissenschaft großes Ansehen und besondere Wertschätzung genießt«.43 Trotz intensiver Bemühungen sollte Joseph Gregor jedoch erst 1947 habilitiert werden und endlich auch an der Universität als Privatdozent für Theaterwissenschaft lehren können.44 Etwas differenzierter bewertete die Beurteilungskommission der Universität Wien, darunter der als Leiter des Institutes für Theaterwissenschaft wiedereingesetzte Heinz
41 42 43 44
ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/317/54, Bericht von Diekamp, 29.4.1954. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., Bick an Dekanat der phil. Fakultät, 17.12.1945, fol. 48-50. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., Bick an Castle, 7.12.1945, fol. 45. Vgl. ÖStA/AdR BMU, PA Gregor Joseph, K 16/3, Zl. 42756-III/8-47, BMU an Dekanat der phil. Fakultät, 26.9.1947.
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Kindermann,45 die wissenschaftliche Kompetenz Gregors. So merkte die Kommission 1955 in ihrem Bericht zu seiner Beantragung des Titels Außerordentlicher Professor kritisch an, dass seit seiner Habilitation im Jahr 1949 noch keine wissenschaftlich bedeutsamen Arbeiten erschienen waren und daher die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Titels im Moment noch nicht erfüllt waren.46 Thematisch zugehörig ist auch ein ausführlicher Bericht Kindermanns über Gregors bisheriges literarisches Werk aus dem Jahr 1956. Kindermann stellte zu Beginn seiner mehrseitigen Darstellung fest, »daß Gregor von Haus aus Schriftsteller und Sammler war«,47 und führte weiter aus, dass dieser mit seinen Büchern ein möglichst breites Publikum erreichen wolle, dafür jedoch mitunter auf die wissenschaftlichen Methoden der exakten Quellendokumentation sowie Literaturverweise verzichtete. Dies führte, wenig verwunderlich, zu skeptischen Beurteilungen seiner Fachkollegen. Ergänzend wird ebenfalls die große Anzahl der von Gregor verfassten Bücher kritisch erwähnt. Als großen Verdienst würdigt Kindermann jedoch Gregors Arbeit in der Theatersammlung: »teils aus schon vorhandenen Sammlungsbeständen des Kaiserhauses, teils durch glückliche Neuerwerbungen [Ergänzung der Autorin: theatrale Objekte] so zusammengetragen zu haben, daß diese […] Sammlung zu den umfangreichsten ihrer Art in Europa gehört«.48 Bei der fachlichen Beurteilung von Gregors Arbeiten durch Heinz Kindermann muss jedoch stets deren persönliche und berufliche Konkurrenzsituation mitbedacht werden. Heinz Kindermann wurde im April 1943 eigens von Baldur von Schirach zur Neugründung des Zentralinstitutes für Theaterwissenschaft nach Wien berufen und bezog mit seinem Institut mehrere Räume im Michaelertrakt der Hofburg, in unmittelbarer Nachbarschaft der bereits seit den 1920er Jahren existierenden Theatersammlung. Allein aufgrund des thematisch identen Forschungsgebietes, der unmittelbaren räum45 Heinz Kindermann (geb. 8.10.1894 in Wien, gest. 3.10.1985 in Wien) war Theater- und Literaturwissenschaftler. Er wurde 1933 Mitglied der NSDAP und hatte ab 1927 einen Lehrstuhl in Danzing und ab 1937 einen Lehrstuhl in Münster inne. Am 1.4.1943 berief ihn Baldur von Schirach nach Wien und setzte ihn als Leiter des neu gegründeten Zentralinstituts für Theaterwissenschaft ein. Nach Ende des Krieges wurde er am 17.5.1945 seines Amtes als Institutsleiter enthoben und ein Entnazifizierungsverfahren wurde eingeleitet. Trotz seiner nachweisbaren nationalsozialistischen Tendenzen in diversen Schriften wurde Kindermann als minderbelastet eingestuft und amnestiert. Am 1.4.1954 erfolgte schließlich die Wiedereinsetzung als Vorstand des Institutes für Theaterwissenschaft. Vgl. Birgit PETER, Martina PAYR, Wissenschaft nach der Mode?, Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943, Wien 2008; vgl. Ernst KLEE, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2007. 46 Vgl. UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, Zl. 2666/526 aus 1951/52, Protokoll u. Kommissionsbericht, 18.6.1956, fol. 125–126. 47 UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., 18.6.1956, Bericht von Kindermann, fol. 129–133. 48 UAW, PA Gregor Joseph, Nr. 1787, o. Zl., 18.6.1956, Bericht von Kindermann, fol. 129–133.
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272 Christina Gschiel lichen Nähe sowie der unterschiedlichen finanziellen Ausgangssituation der beiden Institute musste diese Konstellation zur Rivalität zwischen Gregor und Kindermann führen. Die Konkurrenz der beiden Leiter äußerte sich nicht nur auf personeller Ebene, sondern auch in der Erwerbungspolitik, da Heinz Kindermann von Schirach mit umfangreichen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde und sich damit zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten bei der Erwerbung neuer Theatralia entwickelt hatte. Eine vergleichbare Situation existierte auch zwischen Gregor und Niessen. Der Leiter der Theatersammlung in Wien schilderte 1941 die Problematik so, »dass Herr Prof. Niessen bei jeder seiner Anwesenheiten in Wien zahlreiches Material hier einkauft, das absolut keinen Bezug zur Theatergeschichte von Köln hat, jedoch in Wien dringend notwendig wäre«.49 Sehr interessant ist auch der Vergleich der politischen Ausrichtungen zwischen Gregor und seinen Fachkollegen aus Wien und Köln. So war Joseph Gregor zwar ab 1933 Mitglied der Vaterländischen Front,50 jedoch anders als Heinz Kindermann und Carl Niessen nie Mitglied der NSDAP oder auch nur Parteianwärter geworden.51 Aufgrund dessen konnte Joseph Gregor seinem Beruf auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges ohne Unterbrechung sowie ohne Entnazifizierungsverfahren und damit verbundener Restriktionen nachgehen. Doch die scheinbare politische Unantastbarkeit währte nicht lange. So wurde Gregor zwischen 1947 und 1948 durch die Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur wegen seines 1943 erschienen Buches Das Theater des Volkes in der Ostmark, das mit einer gedruckten Widmung an Reichsleiter Baldur von Schirach versehen war, abermals näherer politischer Untersuchungen unterzogen. Es kann jedoch als glückliche Fügung für ihn gewertet werden, dass zum Leiter dieser Untersuchungskommission niemand anderer als Josef Bick, der Gregor offenbar wohlgesonnene Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek, bestellt worden war. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Gregors Buch nach nur kurzer Untersuchung doch freigegeben und lediglich aus den noch unverkauften Exemplaren die verhängnisvolle Widmung entfernt werden musste.52 Auch in diesem Fall verfügte Gregor über einen prominenten Fürsprecher. Diesmal handelte es sich dabei um Walter Thomas, den ehemaligen Leiter des Referats für Kulturförderung, 49 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ad PA Gregor Joseph, Kopie, zu Zl. 446/1871, Bemerkung Gregors zum Brief Niessens vom 24.2.1941, 4.3.1941. 50 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Personalnachrichten der NB, 10.5.1940. 51 Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv Zl. ad P/951/51, Bestätigung von Stummvoll, 13.4.1951. 52 Vgl. ÖNB-Archiv, Silberkiste 8, Zentralkommission zur Bekämpfung der NS-Literatur, Verzeichnis der behandelten Fälle, Bericht Bicks über den Beschluss der Zentralkommission, Zl. 10.633-I/1-47, 9.12.1948.
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Staatstheater, Museen und Volksbildung, der sich mit einer eidesstattlichen Erklärung entscheidend für ihn einsetzte und um eine schlüssige Erklärung für die verfängliche Widmung bemüht war: Mehrfach hat der damalige Leiter der Abteilung Theater des Propagandaministeriums, Dr. Rainer Schlösser, mir gegenüber geäußert, daß er Gregor für einen ausgesprochenen Feind des Nationalsozialismus ansähe, und ich weiß auch, daß er diese Auffassung dem damaligen Wiener Reichsstatthalter Schirach mitgeteilt hat. Ich habe Prof. Gregor diese Tatsache wissen lassen und auch zugleich die Gefahr, in der sich seine Sammlung befand, nämlich evtl. nach Berlin oder einen anderen Ort überführt zu werden. Um dieser Gefahr zu entgehen hat Prof. Gregor keine Mittel gescheut, die nazistischen deutschen Behörden von ihrem Vorhaben abzubringen. […] Wenn er damals eines seiner Bücher dem damaligen Reichsstatthalter mit einer Widmung überreichte, so tat er dies aus eben diesen Motiven und um die deutschen nazistischen Stellen für seine Forderung nach Papier für die Herstellung des Josef Kainz-Kataloges der Nationalbibliothek zu gewinnen und um einen Zuschuß für seine großen Verlags-Editionen zu erhalten.53
Nicht nur persönliche sowie wissenschaftliche Agenden bedurften ordnender Maßnahmen nach Ende der NS-Zeit. Auch in der Theatersammlung begann in den Nachkriegsjahren die Aufarbeitung von in den Jahren zuvor aufgrund von Zeit und Personalmangel liegen gebliebener zentraler Aufgaben der Sammlungsverwaltung. So wurde nach Kriegsende mit der aktiven Bearbeitung und Aufnahme der so genannten »Alten Bestände« in die Akzessionsverzeichnisse der Theatersammlung begonnen. Die absolute Hochphase dieser versuchten Aufarbeitung von bis dahin noch gar nicht verzeichneter, lediglich in der Sammlung eingelagerter, Bestände ist um das Jahr 1953 feststellbar. Jenem Jahr in dem sich die Karriere Joseph Gregors als Direktor der Theatersammlung ihrem Ende zuneigte. Mit dem Erreichen der Altersgrenze wurde der jahrzehntelange Mitarbeiter der Nationalbibliothek schließlich mit 31. Dezember 1953 in den dauernden Ruhestand versetzt und die Leitung der Sammlung seinem Nachfolger Franz Hadamowsky übertragen.54 Auch jetzt blieb Gregor noch als Privatdozent für Theaterwissenschaft an der Universität Wien tätig und hielt zusätzlich Lehrveranstaltungen an der Akademie der bildenden Künste und der Akademie für Musik und darstellende Kunst ab. Aus dem Abmeldungsvermerk der Wiener Gebietskrankenkasse ist abzulesen, dass er die Lehre trotz schwerer Krankheit nie ganz aufgegeben hatte und somit bis zu seinem Tode
53 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, o. Zl., Erklärung von Thomas, 10.3.1947. 54 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, ÖNB-Archiv, Zl. P 3, Generaldirektor der ÖNB an BMU, 4.1.1954.
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274 Christina Gschiel am 12. Oktober 1960 noch gemeldet war.55 Um die Ordnung und Sichtung aller privaten Schriften dürfte sich nach dem Ableben sein langjähriger Mitarbeiter Karl Ecker angenommen haben.56 Heute befindet sich sein Nachlass im Umfang von circa 108 Schachteln im Bestand des Theatermuseums und beinhaltet privaten sowie beruflichen Schriftverkehr, Manuskripte, Notizbücher und diverse andere Quellen. Außerordentlich günstige Entwicklungsmöglichkeiten57 – Die Geschichte der Theatersammlung unter der Leitung von Joseph Gregor Von der Gründung der Sammlung bis Anfang 1938
Die Gründung einer neuen, eigenständigen Sammlung der Nationalbibliothek zum Fachgebiet des Theaters beruhte im Wesentlichen auf den engagierten Bestrebungen Joseph Gregors. Anders als sein Vorgänger Alexander von Weilen, verfolgte dieser die Idee alle Theatralia der Nationalbibliothek, die bisher an unterschiedlichen Stellen der Bibliothek Aufstellung gefunden hatten, an einer zentralen Stelle zu konzentrieren. Diese ambitionierten Pläne wurden vom generellen Aufschwung der Theatergeschichte Anfang des 20. Jahrhunderts gestützt. Doch auch die Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen in Wien im Jahre 1892 hatte einen fruchtbaren Boden für die weitere Entwicklung bereitet. Zwei Teilbereiche dieses kolossalen Ausstellungsprojektes wurden zur Theatergeschichte der Stadt Wien und zum Deutschen Drama und Theater unter der Leitung von Karl Glossy, dem Direktor der Stadtbibliothek und des Historischen Museums der Stadt Wien, realisiert. Betrachtet man die begleitend zur Ausstellung erschienenen Kataloge, offenbaren sich bereits hier die wesentlichsten Sammlungs- und Handelsstrukturen mit Theatralia dieser Zeit. Als Leihgeber für die Ausstellung sind alle wesentlichen Wiener staatlichen Sammlungen auf dem Gebiet des Theaters wie das Historische Museum der Stadt Wien, die k. k. Hofbibliothek, die Stadtbibliothek Wien und das Stadtarchiv vertreten. Doch auch zahlreiche Namen von Wiener Sammler_innen und prominenten Schauspieler_innen, die ab der Gründung der Theatersammlung regelmäßig auch als Provenienzen in den Erwerbungsbüchern aufscheinen, sind in diesen Ausstellerverzeichnissen nachweisbar, wie beispielsweise Arnsburg, Berger, Bettelheim, Burghardt, Glücksmann, Held, Kalbeck, Krastel, Son55 ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Wiener Gebietskrankenkasse, Abmeldung für Angestellte, 31.10.1960. 56 WStLA, Verlassenschaftsakt Gregor Joseph, Zl. 3A 931/60, Zl. UV.1218/61, Abschrift des Testaments, 3.11.1960. 57 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht von 13.3.1938–31.3.1939.
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nenthal und natürlich auch Thimig. Ergänzend dazu treten auch Kunsthandlungen beziehungsweise Antiquariate wie Artaria, V. A. Heck und Gilhofer & Ranschburg als Leihgeber in Erscheinung, die in den Folgejahren ebenfalls die jüngste Sammlung der Nationalbibliothek mit ausgewähltem Material versorgt haben.58 Die Basis für die erfolgreiche Eröffnung einer neuen Abteilung der National bibliothek war somit gegeben. Angefangen vom ausgedehnten Kreis der theateraffinen Gesellschaft in Wien, den zahlreichen, teilweise vermögenden Privatsammler_innen, zahlreichen berühmten »Schauspielerdynastien«, der Struktur der Nationalbibliothek, der bereits in der Bibliothek selbst vorhandene Bestand an verschiedenartigen Zeugnissen zur Welt des Theaters und nicht zuletzt die Möglichkeit der örtlichen Versorgung mit neuen Objekten durch ansässige Kunst- und Antiquariatshandlungen. Im Winter 1921 fruchteten schließlich Gregors intensive Bemühungen. Josef Dona baum, damaliger Direktor der Nationalbibliothek, entschloss sich zur Begründung einer eigenen Theatersammlung in seinem Institut. Der damalige Vizedirektor Josef Bick, der Gregor wie schon mehrfach ausgeführt, auch in den folgenden Jahrzehnten als Generaldirektor äußerst fördernd zur Seite gestanden war, begleitete bereits diesen Schritt wohlwollend. Zu den ersten großen Erwerbungen der Sammlung zählte die Übernahme der Archive verschiedener Wiener Theater, wie des Theaters an der Wien, des Theaters in der Josefstadt und des Deutschen Volkstheaters. Doch schon am Beginn seiner Tätigkeit gelang Gregor auch im Bereich der privaten Sammler im Jahr 1922 bei der Erwerbung der berühmten Sammlung Thimig ein entscheidender Coup. Der berühmte Schauspieler und spätere Schwiegervater Max Reinhardts, Hugo Thimig, hatte über vierzig Jahre hinweg ein umfassendes Kompendium aus bibliophilen und theaterhistorischen Objekten zusammengetragen, das der jüngsten Sammlung der Nationalbibliothek schon im offiziellen Gründungsjahr ihren Grundstock sowie ihre eigene Handbibliothek verschafft hatte. Diese umfangreichen Erwerbungen der Gründungsjahre bildeten in Verbindung mit den bereits aus den Zeiten der k. k. Hofbibliothek stammenden und zuvor noch im gesamten Haus verstreuten Theatralia-Beständen die unikale Theatersammlung. Dieser Kernbestand umfasste bereits die wesentlichsten kontemporären und zukünftigen Sammlungsbereiche, die sich abgesehen von der später hinzukommenden Abteilung zum Film, auf Bücher, Archivstücke, Handzeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Autografen und Bühnenmodelle aufteilten.59 58 Vgl. Kataloge zur Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen, Wien 1892. 59 Vgl. Joseph GREGOR, Die Theatersammlung der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–32, in: Gene-
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276 Christina Gschiel Hinsichtlich der personellen Ausstattung konnte Gregor im Jahre 1922 ausschließlich über einen Aufseher verfügen,60 auch in den Folgejahren entwickelte sich dieser Bereich nur sehr langsam weiter. Es stieg die Mitarbeiterzahl um 1924/25 zwar schon gering auf einen Beamten,61 eine Hilfskraft, einen Hilfsaufseher und eine Volontärin an. Um seine abermalige Bitte um Erweiterung des Personalstandes der Sammlung im Tätigkeitsbericht zu 1926 anschaulicher zu untermauern, zog Joseph Gregor daher andere einschlägige Sammlungen im europäischen Raum, von denen jedoch keine im Umfang an die Theatersammlung der Nationalbibliothek heranreichte, als Vergleich heran. Seinen Angaben zufolge verfügten die Sammlungen in Paris über sieben, jene in Mailand über fünf, die in Berlin über vier und die örtlich am nächsten gelegene in München über drei Beschäftigte. Am 5. März 1926 wird mit der Eröffnung des Lesesaales ein Zwischenziel erreicht und ein wesentlicher Schritt hin zur Öffnung der Sammlung nach außen erwirkt. Als Ergebnis dieser Arbeit konnte die Sammlung schon im ersten Jahr des offiziellen Leserbetriebes auf die stolze Zahl von 612 Leser_innen verweisen. Im selben Jahr fand ebenfalls wegweisend, erstmals ein antiquarischer Ankauf62 zur Mehrung des Sammlungsbestandes statt.63 Exkurs: Die Theaterausstellung im Kaufhaus Gerngross im Jahr 1926
In der Februar-Ausgabe des Jahres 1926 der Zeitschrift Die Bühne wird von einer Theaterausstellung der Schauspieler im Wintergarten des Kaufhauses Gerngross in Wien berichtet. Veranstaltet wurde diese jedoch nicht von Joseph Gregor, dem Leiter der Theatersammlung, sondern vom Bühnenverein unter der Organisation von Heinrich Glücksmann. Der beruflich als Schriftsteller, Redakteur und Dramaturg tätige Glücksmann hatte gemeinsam mit anderen privaten Sammler_innen verschiedenstes Material wie Bilder, Autografen, persönliche Gebrauchsgegenstände, Büsten und Fotografien von lebenden sowie verstorbenen Wiener Schauspielerpersönlichkeiten zusammengetragen und daraus eine Ausstellung arrangiert, die ganz der romantischen Erinnerun-
60 61 62 63
raldirektion der Nationalbibliothek (Hg.), Das Theater in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860 (= Kataloge der Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien), Wien 1934, S. 7–37. Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresbericht 1928–1965, Jahresbericht 1930, o. Datum Joseph Gregor. Es handelte sich dabei um einen Ankauf von 52 Blättern Szenenskizzen von Litzmann über das noch heute existierende Antiquariat V. A. Heck. ÖNB-Archiv, Mappe Theatersammlung NB, Jahresberichte 1924–1933, Tätigkeitsbericht 1926, 13.1.1927.
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Abbildung 2: Theaterausstellung im Kaufhaus Gerngross, Februar 1926
gen an diese verehrten Künstler_innen gewidmet war. Diese Ausstellung verdient ganz besondere Beachtung, wenn man den von Joseph Gregor nur wenige Jahre später realisierten Plan eines eigenen Bundestheatermuseums bedenkt. Analog zur Theaterausstellung im Kaufhaus Gerngross wurden in diesem neuen Museum vielfältige Erinnerungsstücke an die berühmten Künstler_innen der Bundestheater an einem Ort gesammelt und zur Ausstellung gebracht. Auffällig ist daher die völlige Abstinenz Joseph Gregors und der Theatersammlung bei den Vorbereitungen sowie der Durchführung dieser Ausstellung, die einerseits für eine mögliche Konkurrenzsituation zwischen Gregor und Glücksmann sprechen könnte, andererseits auch Rückschlüsse auf Heinrich Glücksmanns offenbar ebenfalls hervorragendes Netzwerk in der kulturellen Elite Wiens und besonders der Gesellschaft der Wiener Theatralia-Sammler_innen unter Beweis stellte. Erfreulicherweise hat sich zur Illustration dieses Ausstellungsereignisses bei Gerngross eine Fotografie erhalten. Bei der abgebildeten Gruppe handelt es sich jedoch wider Erwarten nicht um eine illustre Runde aus zeitgenössischen Schauspieler_innen, Theaterdirektoren, Nachfahren verstorbener Theatergrößen, Schriftsteller_innen und Vertreter_innen der Wiener Sammlerfamilien, sondern nur um wenige heute noch
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278 Christina Gschiel bekannte beziehuhngsweise identifizierbare Persönlichkeiten.64 Klar bestimmbar sind drei Personen auf der linken Bildseite, wie der unverkennbare Heinrich Glücksmann mit weißem Spitzbart und vor ihm Robert Gerngross mit dessen Ehefrau Frieda65 auf seiner linken Seite. Im rechten Bilddrittel mit weißem Stecktuch in der Brusttasche, vor einer Vitrine stehend, kann Raoul Korty als einziger prominenter zeitgenössischer Sammler identifiziert werden. Der bekannte Wiener Fotosammler sah sich aus Geldnot schon ab 1930 immer wieder gezwungen, Teile seiner Sammlung an die Theatersammlung zu veräußern.66 Nur wenige Jahre später wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt. Seine umfangreiche Sammlung wurde 1939 von der GESTAPO beschlagnahmt, anschließend an die Nationalbibliothek überwiesen; Korty wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet.67 Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind auf der Fotografie auch Personen wie Paul Gerngross,68 der Dramaturg, Regisseur und Theaterwissenschaftler Friedrich Rosenthal69 sowie der damalige Ministerialrat des Bundesministeriums für Unterricht in der Sektion der Bundestheaterverwaltung Alfred Eckmann70 abgebildet. Nach diesem kurzen Exkurs richtet sich der Fokus sogleich wieder auf den weiteren Verlauf der Geschichte der Theatersammlung. Die zu dieser Zeit im dritten Stock des Bibliotheksgebäudes und teilweise im Augustinerstöckl in der Hofburg untergebrachte Theatersammlung geriet mit Ende des Jahres 1927 erstmalig in schwerwiegende Raumnot. Bedingt durch ein bemerkenswert erfolgreiches Jahr, in dem eine Vermehrung der Sammlung um 10.000 Objekte verzeichnet werden konnte, musste nach diversen räumlichen Notlösungen gesucht werden. So konnte das neu erworbene Archiv des Burgtheaters nicht mehr in einem der üblichen Depoträume verwahrt werden, sondern musste in einem Raum inmitten der Sammlung zwischen Lesesaal und Vorstandszimmer unterge-
64 An dieser Stelle herzlichen Dank an Edda Fuhrich für die freundliche Unterstützung bei der versuchten Personenidentifizierung. 65 An dieser Stelle herzlichen Dank an Sabine Loitfellner für den Hinweis zur Identifizierung von Frieda Gerngross. 66 ÖTM-Archiv, Zuwachsverzeichnis der Theatersammlung von 1930. 67 Vgl. Margot WERNER, Zur Erinnerung an schönere Zeiten: Bilder aus der versunkenen Welt des jüdischen Sammlers Raoul Korty, Wien 2008. 68 Bei Paul Gerngross handelt es sich um den Bruder von Robert Gerngross, der vermutlich hinter diesem mit Brille abgebildet sein könnte. 69 Friedrich Rosenthal könnte am äußersten linken Bildrand direkt hinter Frieda Gerngross stehen. 70 Vgl. ÖStA/AdR BMU, PA Eckmann Alfred. Alfred Eckmann dürfte sich im Bildhintergrund, an der linken inneren Türrahmung stehend, befinden.
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bracht werden.71 Schon in den ersten Jahren des Bestehens der Theatersammlung kristallisierten sich wesentliche Defizite der Sammlungspolitik heraus, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer weiter verschärfen sollten. So wurde das Thema der Raumnot, der ständige, höchst dringende Wunsch des Sammlungsleiters nach der räumlichen Erweiterung der Sammlung durch Zuweisung neuer Räume und der Mangel an qualifiziertem Personal in fast jedem der Jahresberichte thematisiert. Damit in engem Zusammenhang stehen die oftmals zahlenmäßig sehr umfangreichen Objektkonvolute, die regelmäßig Eingang in die Sammlung fanden und den Sammlungsleiter nicht nur in Bezug auf deren Inventarisierung, sondern auch auf deren einigermaßen systematische und objektgerechte Verwahrung, vor schwer lösbare Herausforderungen stellten. Dazu illustrierend ein paar Worte von Joseph Gregor aus dem Jahresbericht von 1930: […] so bleiben eigentlich für laufende Sammlungsarbeiten nur der Vorstand und der Aufseher übrig, ein Zustand wie er etwa zur Zeit der Gründung der Slg im Jahre 1922 der Fall war, aber in der Gegenwart natürlich gänzlich unhaltbar ist. Sowohl der Umfang der Akzessionen als der durch die Benützung gegebene Umfang der allgemeinen Arbeiten macht es unter diesen Umständen ganz illusorisch, Rückstände zu vermeiden und die zahlreichen Benützer, Besucher, Fragesteller, in restloser Weise zu befriedigen.72
Im Jahresbericht 1929 findet erstmals ein eigener Ausstellungsraum der Theatersammlung Erwähnung, der auch der Aufstellung der besten Bühnenmodelle dienen sollte. Zusätzlich erfuhr mit Ende des Jahres das Sammelgebiet eine wesentliche Erweiterung durch die Anlage eines eigenen Archives zum neuen Medium des Filmes. Der als Archiv für Filmkunde bezeichnete Sammlungsteil wies zu jener Zeit, aber auch in den Folgejahren, ein sehr reges Wachstum auf und wurde aufgrund des akuten Personalmangels von Gregors zweiter Ehefrau, Felizitas Gregor,73 an drei Wochentagen zu je drei Stunden kostenlos für die Theatersammlung katalogisiert.74 Im darauffolgenden Jahr muss als wesentliche Errungenschaft zur Dokumentation der eigenen Bestände, die Anlegung des ersten Akzessionsverzeichnisses ab dem 12. Februar 1930 gesehen werden.75 Fortan gab es die Möglichkeit die zahlreichen Erwerbungen – 18.314 Nummern allein im ersten Jahr – in der Sammlung selbst und nicht 71 ÖNB-Archiv, Mappe Theatersammlung NB, Jahresberichte 1924–1933, Jahresbericht 1927, 10.2.1928. 72 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1930, o. Datum. 73 Felizitas Maria Gregor, geb. Huber, 11.10.1898–19.3.1944. Eheschließung am 3.4.1922 oder 1923. Vgl. ÖTM-Archiv, PA Gregor Joseph, Personalnachrichten der NB, 10.5.1940 und ÖNB-Archiv, Ergänzung zum PA Gregor Joseph, o. Zl., Standesausweis, o. Datum. 74 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1929, 15.3.1930. 75 Vgl. ÖTM-Archiv, Zuwachsverzeichnis 1930.
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280 Christina Gschiel nur in den allgemeinen Erwerbungsbüchern der Nationalbibliothek zu verzeichnen.76 Einen spannenden Einblick in die Erwerbungspolitik geben hier schon die Provenienzen der Akzessionen des ersten Jahres, die neben diversen Quellen im Kunst- und Antiquariatshandel wie V. A. Heck, Artaria, S. Kende und Rudolf Bedernicsek, auch gute Verbindungen zum Wiener Dorotheum offenbaren. Wie bereits erwähnt, sind auch bedeutende Sammler, wie Raoul Korty und Künstler, wie Emil Pirchan, Oskar Strnad und Edward Gordon Craig in dem Verzeichnis vertreten. Sehr auffällig ist auch die stete Präsenz der Spenden von Mitarbeiter_innen der Sammlung. Waren es am Beginn ausschließlich Joseph Gregor und Bertha Niederle die regelmäßig Objekte in die Sammlung einfließen ließen, findet sich im Laufe der Jahre fast jede Arbeitskraft als Spender_in wieder.77 Gregors unbändiger Drang, immer mehr Material zu lukrieren und teilweise als persönliche Spende deklariert in die Sammlung einfließen zu lassen, wird spätestens ab der NS-Zeit, durch die im Zuge dessen praktizierte Verschleierung der tatsächlichen Provenienzen, zu einer für die heutige Forschung nicht zu unterschätzenden Herausforderung. Exkurs: Das Bundestheatermuseum
Da sich Joseph Gregor in der Theatersammlung aufgrund des auf bibliophile, grafische, autografische sowie fotografische Werke beschränkten Sammlungsauftrages zusehends bei Erwerbungen limitiert fühlte, strebte er nur wenige Jahre nach der Gründung der Sammlung in der Nationalbibliothek zusätzlich noch die Errichtung eines Bundestheatermuseums an. In diesem ambitionierten Vorhaben vom Verein der Museumsfreunde und dem Generalintendanten der Bundestheater, Franz Schneiderhan, unterstützt, kam es bei der Versammlung aller Beteiligten am 3. Februar 1931 zur Begründung des neuen Museums. Nur wenige Tage darauf begann bereits die aktive Suche nach musealen Erinnerungsstücken, also nach Kränzen, Plaketten, Ölbildern, Büsten, Dosen und diversem anderen Material aus dem ehemaligen Eigentum hoch verehrter Größen der Bundestheater, beispielsweise von Adolph Sonnenthal, Charlotte Wolter, Josef Kainz und Fanny Elssler.78 Der Adressatenkreis, der im Zuge der Suche nach musealen Objekten für den Aufbau des Museums verfassten Briefe, umfasste sowohl private Sammer_innen, als auch Nachfahren berühmter Schauspieler_innen und 76 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1930, o. Datum. 77 Vgl. Die diversen Zuwachs- u. Akzessionsverzeichnisse der Theatersammlung im ÖTM-Archiv. 78 ÖStA/AdR Präsidentschaftskanzlei, Zl. 11318/1932, Information über das Bundestheatermuseum, o. Datum.
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Künstler_innen. Exemplarisch für die zahlreichen Bittschreiben findet sich im Archiv des Theatermuseums auch ein Brief vom 13. Februar 1931 an Siegmund Sonnenthal, in dem Schneiderhan blumig um die Mitarbeit eines der Söhne des berühmten Burgtheaterschauspielers Adolph Sonnenthal bittet, um »die unauslöschliche Erinnerung an Ihren großen Herrn Vater würdig zu pflegen«79. Die zahlreichen Anfragen stießen auf rege Unterstützung und der junge museale Bestand wuchs innerhalb kürzester Zeit mit Hilfe von Spenden und Leihgaben auf eine Summe von ungefähr 400 Objekten an. Von August bis Dezember 1932 erfolgte schließlich die Aufstellung im linken Flügel des Burgtheaters, in den vormaligen Räumen der Privatwohnung des früheren Theaterdirektors Anton Wildgans80 und am 21. Dezember die feierliche Eröffnung durch den Bundespräsidenten.81 Zum großen Bedauern Joseph Gregors und der diversen Spender_innen konnte das Museum jedoch nur wenige Jahre bis zum März 1938 in diesen Räumlichkeiten Aufstellung finden,82 da diese anschließend für Wohnzwecke in Anspruch genommen wurden.83 Die Bestände des Bundestheatermuseums wurden ab diesem Zeitpunkt gänzlich unzugänglich für die Öffentlichkeit und ohne angemessene fachliche Betreuung in einem Depot der Nationalbibliothek verwahrt. Erst zwanzig Jahre später erfolgte im April 1958 mit Zustimmung des Leiters der Bundestheaterverwaltung, Karl Haertl, die Eingliederung der Bestände in die Theatersammlung der Nationalbibliothek. Dies jedoch nur unter der Prämisse, dass im Rahmen der Theatersammlung geplante Wiener Theatermuseum zu eröffnen und im Zuge dessen die Ausstellungsstücke in absehbarer Zeit wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.84 Nach diesem Exkurs zur Geschichte des Bundestheatermuseums richtet sich der Blick nun wieder auf die Anfang der 1930er Jahre ersten Restriktionen unterworfene Theatersammlung. So erwähnte Gregor erstmals im Jahresbericht zu 1932 eine massive Einschränkung der Ankaufstätigkeit durch die Sammlung, die sich jedoch dank zahlreicher privater Spender_innen, aber auch Spenden durch das Bundestheatermuseum und die Gesellschaft der Freunde der Nationalbibliothek, nicht wesentlich auf die tatsächliche Zuwachszahl auswirkte. In einem Resümee zum Jahresbericht kommentierte er die Si79 ÖTM-Archiv, Kiste Bundestheatermuseum, Mappe 1931, Schneiderhan an Siegmund Sonnenthal, 13.2.1931. 80 ÖStA/AdR Präsidentschaftskanzlei, Zl. 11318/1932, Information über das Bundestheatermuseum, o. Datum. 81 ÖStA/AdR Präsidentschaftskanzlei, Zl. 11318/1932, Eröffnung des Bundestheatermuseums, 17.12.1932. 82 ÖTM-Archiv, o. Zl., Bundestheatermuseum, Pro memoria, 15.1.1946. 83 ÖNB-Archiv, Zl. 325, Stummvoll an Haertl, 28.3.1958. 84 ÖNB-Archiv, Zl. 325, Haertl an Stummvoll, 21.4.1958.
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282 Christina Gschiel tuation mit folgenden Worten: »Trotz der äussersten Einschränkungen aller Einkäufe ist die Akzessionsziffer im Berichtsjahre nicht gesunken.«85 Offenbar begann sich die angespannte wirtschaftliche Situation in Österreich in der Nationalbibliothek durch gekürzte Ankaufsbudgets direkt auf die Sammlungen auszuwirken. Durch Gregors hervorragendes Netzwerk zu Schauspielerfamilien und gut situierten Sammler_innen, seine Tätigkeit als Sekretär bei der Gesellschaft der Freunde der Nationalbibliothek und seine Doppelfunktion als Leiter des Bundestheatermuseums, ermöglichten ihm auch 1932 mit einem Zuwachs von 15.680 Nummern nur gering unter das Ergebnis von 1930 mit 18.314 Objekten zu fallen.86 Diese bemerkenswerten Zahlen konnte er jedoch in den Folgejahren nicht mehr halten. Der Gesamtzuwachs der jährlich für die Theatersammlung erworbenen Objekte sank zwischen 1933 und 1936 auf Tiefstwerte von etwas mehr als 5.000 beziehungsweise 11.000 Nummern. Im Jahr vor dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich kam es allerdings wieder zu einem auf den ersten Blick etwas überraschenden Aufwärtstrend und sprunghaften Anstieg der Erwerbungen, da für das Jahr 1937 plötzlich die Rekordsumme von 20.469 Akzessionsnummern verzeichnet wurde. Unter näherer Betrachtung offenbart sich jedoch eine nur etwas zeitlich verzögerte offizielle Aufnahme des Sonnenthal-Nachlasses in die Akzessionsbücher der Theatersammlung, die offenbar erst nach deren vollständiger Katalogisierung erfolgte.87 Dieser umfangreiche, beinahe 14.000 Einzelstücke umfassende Teilnachlass aus der Privatsammlung des berühmten Burgtheaterschauspielers Adolph Sonnenthal88 wurde bereits 1934 über eine Spende seiner Schwiegertochter Margarethe Sonnenthal an die Theatersammlung übereignet. Dieser Nachlassteil umfasst heute, bereits abzüglich der auf andere Abteilungen wie die Fotosammlung oder die Sammlung für Künstlerandenken aufgeteilten Objekte, allein in der Abteilung für Nachlässe des Theatermuseums 46 Kartons. Der gesamte Sonnenthal-Nachlass enthielt jedoch vor der testamentarischen Aufteilung auf die vier Kinder des Schauspielers noch wesentlich mehr persönliche Erinnerungsstücke an seine Schauspielzeit sowie Ölporträts aus verschiedenen Lebensphasen. Wesentliche Teile des künstlerischen Nachlasses fielen nach dem Ableben des Burgschauspielers im Jahr 1909 gemeinsam mit seinem Wohnhaus in der Anastasius-Grün-Gasse 54 in Währing an dessen Tochter Hermine Sonnenthal.89 Diese äußerte im Juli 1916 wiederum in 85 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1932, 14.2.1933. 86 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1932, 14.2.1933. 87 Diese verzögerte Dokumentation von Erwerbungen im Akzessionsverzeichnis kann mitunter zur bewussten oder auch unbeabsichtigten Verschleierung des tatsächlichen Erwerbungsdatums führen. 88 Geboren 21.12.1834 in Pest, gestorben am 4.4.1909 in Prag. 89 Vgl. ÖTM, Sonnenthal Nachlass, Kiste 21, Testament von Sonnenthal Adolf, 8.6.1902.
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Abbildung 3: Adolph Sonnenthal in seiner Sammlung, 1901
einem Nachtrag zu ihrem Testament vom 19. Oktober 1913 folgenden Wunsch an ihren Bruder Siegmund: »alle aus dem Nachlasse unseres Vaters stammenden Schriftstücke – sein ›Tagebuch‹, Stammbuch, Briefe, eigenhändige Abschriften von Gedichten – ferner seine Rollenbücher, Theaterzettel etc gewissenhaft aufzubewahren und testamentarisch etwa so darüber zu verfügen, dass der wichtigste Teil dieses Nachlasses vielleicht der k. k. Hofbibliothek90 zu Wien übergeben und dortselbst bleibend aufbewahrt werde«.91 Ganz dem Anliegen seiner Schwester entsprechend, hatte Siegmund Sonnenthal schon 1931 in einem ersten Schritt museale Objekte aus dem Nachlass des Vaters als Leihgaben an das Bundestheatermuseum übergeben.92 Nach dessen Tod im Jahr 1933, folgte auch seine Ehefrau Margarethe Sonnenthal der testamentarischen Bitte und 90 Im Jahr 1920 wurde die k. k. Hofbibliothek in Nationalbibliothek umbenannt. 91 WStLA, Verlassenschaftsakt von Sonnenthal Hermine, Zl. A IV 274/22, Kodizill, 10.11.1916, fol. 14–18. 92 Vgl. ÖTM, Verzeichnis der Bestände des Museums der Staatstheater, Band I.
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Abbildung 4: Fotografie einer Vitrine in der Sonnenthal-Ausstellung im Bundestheatermuseum, 1935
übereignete 1934 den restlichen noch im Eigentum ihres Mannes befindlichen Nachlass an die Theatersammlung der Nationalbibliothek. Wie schon erwähnt, war Adolph Sonnenthal selbst schon als Leihgeber für die Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen im Jahr 1892 in Erscheinung getreten. Sein Sohn Siegmund, Zeit seines Lebens gewissenhaft die Erinnerungsstücke seines Vaters verwaltend, trat ganz dem Vorbild des Vaters folgend ebenfalls gelegentlich als Leihgeber auf. Dokumentiert wird dies zum Beispiel im Einlaufbuch des Künstlerhauses von 1927. Dort wurde vermerkt, dass er für die Österreichische Porträt Ausstellung 1815–1914, die von Oktober bis Dezember 1927 im Künstlerhaus in Wien gezeigt wurde, drei Werke, davon zwei Porträts von Adolph Sonnenthal und eines von Josef Lewinsky, zur Verfügung gestellt hatte.93 In diesem Zusammenhang ist es auch wenig überraschend, dass Joseph Gregor anlässlich der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Adolph Sonnenthal und auch als Ausdruck des Dankes für die großzügigen Zuwendungen der Familie, im Jahr 1935 im Bundestheatermuseum eine Gedächtnisausstellung veranstaltete. 93 Vgl. WStLA, Künstlerhausarchiv, Künstlerhaus Einlaufbuch Nr. 15 von 1927, Zl. 2262–2264, 21.9.1927. Herzlichen Dank für diesen Hinweis an René Schober.
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Gregor verfügte durch die Leihgaben von 1931 und den Nachlass von 193494 über reichliches Material zu Sonnenthals Schauspielzeit, wie beispielsweise über sein Album, seine Lorbeerkrone, das Ernennungsdekret zum Hofschauspieler, ein angeblich aus Wallenstein’schem Besitz stammendes Pulverhorn, einen Ziegel aus dem alten Burgtheater, aber auch über diverse Auszeichnungen, Kontrakte, eigenhändige Gedichte und Bücher, mit denen er für die Ausstellung sprichwörtlich aus dem Vollen schöpfen konnte.95 Diese bedeutende Erwerbung verschärfte im Gegenzug jedoch die sich ab 1933 immer weiter manifestierende Raumproblematik der Sammlung. War Gregor 1930 noch in der glücklichen Lage, im Jahresbericht schwärmerisch von dem neu eröffneten Ausstellungssaal berichten zu können, verlor der Saal diese, für eine öffentliche Sammlung so wesentliche Funktion, durch die permanente Aufstellung eines zuvor in sieben großen Kisten verpackten und im besagten Saal schließlich aufgebauten mechanischen Bühnenmodells.96 Der Sammlungsleiter beschrieb die aussichtslose Situation im Jahresbericht von 1937 mit folgenden Worten: Diesen Zuwachs in den räumlichen Verhältnissen, die seit zwölf Jahren unverändert sind, unterzubringen, ist die Sammlung gänzlich ausserstande. Die Folge dieser Verhältnisse zeigt sich bereits darin, dass einzelne Gruppen, wie z. B. die restliche Sammlung Held überhaupt nicht mehr in die Räume der Theatersammlung aufgenommen werden konnten, sondern unkatalogisiert und unbearbeitet sich in einem Depotraume der Nationalbibliothek befinden. Auch eine Reihe weiterer Neuerwerbungen, insbesondere der jüngst zugewachsenen Nachlässe nach Hofrat Glossy und die Schenkung Professor Glücksmann können mangels geeigneter Unterbringung nicht mehr aufgearbeitet werden. […] Der außerordentlich verteilte Sammlungsstand, die ausserordentlich verschiedenen und an verschiedenen weit auseinanderliegenden Stellen untergebrachten kleinen Kollektionen und Archive machen es, wie die Dinge heute liegen, notwendig, dass die Arbeit der Aushebung und Wiedereinstellung zum großen Teile aus dem Gedächtnisse geleistet werden muss. Es wird sich auf Dauer nicht tun lassen, dass diese ganze Arbeit angesichts eines Sammlungsstandes, der ganz gewiss eine Million Objekte überschritten hat, von einer einzigen Person bewältigt werde.97
94 Vgl. ÖNB-Archiv, Zl. 220/34, Margarethe Sonnenthal an Nationalbibliothek, 6.2.1934. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Gabriele Mauthe für ihre überaus zuvorkommende Unterstützung bei der Recherche der Geschichte der Theatersammlung und ihrer Mitarbeiter_innen. 95 Leider muss an dieser Stelle jedoch erwähnt werden, dass gerade auch Mitglieder der Familie Sonnenthal ab 1938 gemäß der Nürnberger Gesetze als Juden galten und somit der Verfolgung durch das Regime unterlagen. Der Fall zu Margarethe und Eva Henriette Sonnenthal steht aktuell im Theatermuseum unter Bearbeitung der Provenienzforschung. 96 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1933, 13.3.1934. 97 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1937, 11.3.1938.
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Abbildung 5: Blick in einen Raum der Internationalen Ausstellung für Theaterkunst, 1936
Im Jahr 1937 kumulierten somit mehrere schwerwiegende Mängel der Sammlungsverwaltung, wie der chronische Personal- und Raummangel und die trotz weniger Erwerbungen in Summe gesehen doch zu hohe Anzahl neu erworbener Objekte, die sich folglich in den diversen Depots der Sammlung zu Bergen unkatalogisierter Bestände stapelten. Trotz dieser immer schwieriger werdenden Situation, war Joseph Gregor weiterhin um einen positiven Auftritt der Sammlung nach außen hin bemüht. Von September bis November 1936 veranstaltete er daher mit Hilfe der Gesellschaft der Freunde der Nationalbibliothek die Internationale Ausstellung für Theaterkunst. Als Sekretär dieser Gesellschaft hatte er die Möglichkeit, ungeachtet der kargen Zeit eine wirklich umfassende Ausstellung mit insgesamt an die 1.000 Objekte zu realisieren.98 Anlass für die Ausstellung gab der in den ersten Septembertagen beginnende Welttheaterkongress in Wien. Gezeigt wurde in der, in 24 Räumen der Hofburg untergebrachten, Ausstellung die bildende Kunst des Theaters, wie Dekorationen, Kostüme und Bühnenaufbauten 98 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste-Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1936, 8.3.1937.
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der modernen Zeit im direkten Vergleich zu historischen Werken derselben Gattungen. Für die Internationalität sorgten Objekte aus Österreich, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Niederlande, Schweden, Schweiz, Ungarn, den Vereinigten Staaten von Amerika, der ehemaligen Tschechoslowakei, Großbritannien, Russland und Frankreich.99 Allgemein genoss das ambitionierte Vorhaben sogar große Unterstützung seitens seines erweiterten Kollegenkreises. So stellte Richard Ernst100 die benötigten Schaukästen aus seinem eigenen Museum zur Verfügung, Emil Geyer101 brach seinen Urlaub vorzeitig ab, um mit seinen Student_innen ein Marienspiel aus dem dreizehnten Jahrhundert für die Eröffnungsfeier zu proben, und Benno Fleischmann102 stellte unentgeltlich seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung.103 Die Sammlung in der Zeit des Nationalsozialismus
Der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich hatte auf den ersten Blick keine entscheidenden Auswirkungen auf den Personalstand der Sammlung. Joseph Gregor wurde als Leiter der Sammlung, trotz mehrfacher (negativer) politischer Beurteilungen durch die NSDAP, in seinem Amt belassen. Es kam zu keinen politisch motivierten Kündigungen, sondern sogar zu zwei neuen Anstellungen. So wurden Karl Ecker, der schon 1936 an der Internationalen Ausstellung für Theaterkunst mitgearbeitet hatte und bis Mai 1938 als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theatersammlung über die Gesellschaft der Freunde der Nationalbibliothek finanziert wurde,104 sowie Karoline Steuer, die zuvor über den Freiwilligen Arbeitsdienst ebenfalls in der Sammlung tätig war, angestellt. Nur Gisela von Berger, die über mehrere Jahre über private Mittel finanziert als Mitarbeiterin aufscheint, beendete mit Ende März 1939 den Dienst in der Sammlung.105 Dies jedoch auch nur, um von 1938 bis 1945 die Pressestelle im Haus der Mode zu leiten.106 Auch die Zuwachszahlen der Sammlung dürften Gregor Anlass zur Freude gegeben haben. In der Zeit von 1. März 1938 bis 31. März 1939 erlangte die nunmehr Theaterabteilung genannte Sammlung einen hohen Gesamtzuwachs von 16.380 Objekten. Dies kommentierte Joseph Gregor mit folgenden Worten: 99 Vgl. GESELLSCHAFT DER FREUNDE DER NATIONALBIBLIOTHEK, Führer durch die Internationale Ausstellung für Theaterkunst, Wien 1936. 100 Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. 101 Leiter des Max-Reinhardt-Seminars. 102 Wissenschaftlicher Assistent der Albertina. 103 Vgl. Joseph GREGOR, Wie entstand die Theaterausstellung?, in: Die Bühne, 1. Septemberheft 1936. 104 Vgl. ÖNB-Archiv, PA Ecker Karl, Standesausweis, o. Datum. 105 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresbericht 1.1.1938–31.3.1939, 28.4.1939. 106 Vgl. http://data.onb.ac.at/nlv_lex/perslex/B/Berger_Gisela.htm, 3.7.2013.
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288 Christina Gschiel Die ausserordentlich günstigen Entwicklungsmöglichkeiten, die der Sammlung nach der Heimkehr der Ostmark ins Grossdeutsche Reich zuteil wurden, äussern sich am besten in den folgenden Zuwachsziffern: Gesamtzuwachs: 16380 Obj Davon Spenden: 13891 Ankäufe: 2489 107
Von 1939 an sank diese Zahl jedoch wieder auf etwas mehr als 13.600 Stücke und in den Folgejahren noch weiter, bis einschließlich 1944, auf jährlich über 10.000 Objekte. Dies mag auf den ersten Blick für einen Einbruch der Erwerbungszahlen sprechen, betrachtet man jedoch die Zusammensetzung und das Verhältnis von gekauften Werken zu den durch Spenden erlangten Stücken, zeigt sich der nachhaltige finanzielle Aufschwung, den die Sammlung während der NS-Zeit erfahren hatte. Überwogen in den Jahren vor dem »Anschluss« noch die Anzahl der Spenden um ein vielfaches jene der Ankäufe, drehte sich ab 1939 signifikant das Bild. Plötzlich musste die Sammlung über wesentlich mehr Ankaufsbudget verfügt haben, da bis 1944 die käuflich erworbenen Werke die Spenden zahlenmäßig um mehrere Hundert bis sogar mehrere Tausend Objekte überstiegen. Die einzige Ausnahme stellte die Zeit von März 1938 bis März 1939 dar, in der eine wahre Spendenflut im Umfang von 13.891 Objekten in die Sammlung aufgenommen wurde, die sich im Wesentlichen aus sehr umfangreichen Spenden des Sammlungsleiters, aber auch diverser Mitarbeiter_innen der Sammlung wie Bertha Niederle und Karl Ecker zusammensetzte sowie bereits die ersten Zuweisungen seitens der Nationalbibliothek oder einzelner ihrer Abteilungen beinhaltete. Im Falle Gregors muss ob der großen Anzahl der gerade auch während der Zeit des Nationalsozialismus als Spenden in die Sammlung eingebrachten Objekte, zumindest teilweise die bewusste Verschleierung der Provenienzen in Betracht gezogen werden. Zu einer wesentlichen Steigerung des Erwerbungsvolumens der Sammlung führten jedoch ab März 1938 vor allem auch die »Arisierungen«, die in den Akzessionsbüchern sowohl als Spenden als auch als Ankäufe verzeichnet wurden. Beispielhaft hierfür können in diesem Zusammenhang die mehrere Hundert Objekte umfassenden Einzelsammlungen des Postkartenverlages der Brüder Kohn, von Oskar Strnad und Louis Rothschild genannt werden. Ganz klar im Zusammenhang mit dem letzten Kriegsjahr und der damit verbundenen Verknappung der Mittel, sank die Gesamtzahl der erworbenen Objekte im Berichtsraum April 1944 bis Ende März 1945 schließlich auf einen historischen Tiefpunkt von nur 7.032 im Akzessionsverzeichnis verzeichneten Stücken.108 107 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 13.3.1938–31.3.1939, o. Datum. 108 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresberichte der Jahre 1938–1945.
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Der nachhaltige Aufschwung den die Theatersammlung zwischen 1938 und 1945 erfahren hatte, zeigte sich ebenso an der vermehrten Erwerbung ausgewählter, bisher im Sammlungskompendium noch fehlender Theatralia über Antiquariate in der Ostmark, wie Hinterberger und Rudolf Engel, und aus dem Altreich, wie Hiersemann und Hönisch in Leipzig, Wunderlich in Schöneberg oder Dannappel (J. E. Thoma) in Dresden.109 Gregor dokumentierte diese Bestrebungen im Jahresbericht zu 1939 folgendermaßen: »Durch viele Jahre war die Sammlung vom deutschen Antiquariatsmarkte abgeschnitten und ist es daher eine ihrer vornehmlichsten Aufgaben, die auf diese Weise entstandenen Lücken zu ergänzen.«110 Diese für den Sammlungsleiter erfreulichen Neuerwerbungen, die zumindest teilweise auch »arisiertes« Gut enthielten, verschärften allerdings die räumlich begrenzte Situation der Theaterabteilung noch weiter. Ein Umstand, den Joseph Gregor im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in einem Bericht an die Generaldirektion abermals schilderte: »Die Raumnot hält auch gegenwärtig an, ja sie ist durch den Umstand sehr vermehrt, dass seit den Märztagen 1938 der Zuwachs von Sammlungsobjekten noch vielfach gestiegen ist.«111 Den Klagen über akuten Platzmangel und die jahrelangen Beschwerden in den Jahresberichten Gregors über die dadurch nur sehr eingeschränkt zu erfüllende Sammlungsverwaltung wurden 1940 erhört, als zumindest große Teile der Sammlung vom dritten Stock der Nationalbibliothek in neue Räume des Schweizerhofes in der Hofburg verlagert werden konnten.112 Drei Jahre später folgte ein neuerlicher Umzug. Diesmal in sechsundzwanzig, an der Front Michaelerplatz und Schauflergasse, gelegene Räume der alten Hofburg.113 Diese befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum im April 1943 gegründeten Zentralinstitut für Theaterwissenschaft unter der Leitung von Heinz Kindermann. Die fortschreitenden Kriegsereignisse und die Einnahme Italiens durch die Alliierten im September 1943 brachte Wien nun erstmals in die Reichweite der amerikanischen Luftflotte. Sich dieser erhöhten Gefahr für Wien und dessen zahlreicher Kunstschätze bewusst, begann man im August 1943 mit der Bergung der Kunst- und Kulturgüter aus Museen, Kirchen, Klöstern und der Nationalbibliothek. Dies merkte auch Joseph Gregor im Jahresbericht 1943/44 an: »Die Kriegsverhältnisse ergaben 109 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresbericht 31.3. –31.10.1939, 26.10.1939; ÖTMArchiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresbericht, 1.4.1940–31.3.1941, 27.6.1941. 110 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresbericht 31.3. –31.10.1939, 26.10.1939. 111 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 13.3.1938–31.3.1939, o. Datum. 112 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.4.1940–31.3.1941, 27.6.1941. 113 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.4.1942–31.3.1943, o. Datum.
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290 Christina Gschiel die Notwendigkeit umfangreicher sukzessiver Bergungen.«114 Für den Direktor der Theatersammlung stellten die Bergungsaktionen jedoch eine ganz besondere Herausforderung dar, da ihm seit Kriegsbeginn das Amt des Obersten Luftschutzleiters für das gesamte Institut und anfänglich auch für die Albertina übertragen worden war. Unterstützung erhielt er in den administrativen Agenden von Karl Ecker, seinem Mitarbeiter und Stellvertreter in der Sammlung.115 Begründet durch umfangreiche Bergungsaktionen im Juli und August 1944, musste der Lesesaal der Sammlung für Benützer_innen geschlossen werden.116 Nach dem ersten großen Luftangriff auf die Innere Stadt am 10. September 1944 wurde schließlich die gesamte Theaterabteilung bedingt durch Bombentreffer am Michaelerplatz von 11. bis 19. September geschlossen. Karl Ecker berichtet, dass schon kurz darauf die längerfristige Schließung der Sammlung erfolgen sollte: In der ersten Septemberhälfte 1944 wurde im Zusammenhang mit der verfügten Sperre der Theater und sämtlicher als nicht Kriegswichtig befundener Betriebe und Institute auch die Theatersammlung (zugleich mit den meisten anderen Abteilungen) auf Kriegsdauer für geschlossen erklärt und das Personal mit Ausnahme des Vorstandes der Katalog- bzw. der Erwerbungsabteilung zugeteilt. […] Ende Jänner 1945 mußte ein Teil der Räume freigemacht und der Staatspolizei überlassen werden.117
Es soll nun noch abschließend auf die realisierten Ausstellungen in diesen Jahren eingegangen werden. Vergleicht man die Themen mancher Ausstellungen der zwanziger bzw. der dreißiger Jahre mit jenen der NS-Zeit, so fällt auf, dass sich ein inhaltlicher Wandel vollzogen hatte. Ausstellungen zu Adolph Sonnenthal118 oder Hugo von Hofmannsthal119 wären nach März 1938 aufgrund des damit einhergehenden klaren Widerspruches zur nationalsozialistischen Ideologie nicht mehr möglich gewesen. Mit dem, wie es Gregor begeistert als »welthistorische[s] Ereignis der Heimkehr der Ostmark ins Reich«120 beschrieben hatte, setzte auch ein unweigerlicher ideologischer und thematischer Wandel bei den Ausstellungsprojekten ein. Neues zentrales Thema für die Theatersammlung wurde der Gedanke der Bewahrung des deutschen Nationaltheaters. So 114 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.4.1943–31.3.1944, o. Datum. 115 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Sonderbericht über den Zeitraum 13.3.1938– 31.3.1945, 31.1.1947. 116 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Sonderbericht über den Zeitraum 13.3.1938– 31.3.1945, 31.1.1947. 117 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1.4.1944–31.3.1945, Jänner 1947. 118 1935 im Bundestheatermuseum. 119 1930 in der Theatersammlung. 120 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 13.3.1938–31.3.1939, o. Datum.
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Abbildung 6: Eröffnung der Ausstellung Ferdinand Raimund und das Volkstheater,121 1940 121
postulierte der Abteilungsleiter im Jahresbericht von 1938/39: »Als oberste Aufgabe muss es die Theatersammlung erkennen, an der Geschichte des Nationaltheaters vom Standpunkte des ostmärkischen Volksraumes mitzuwirken.«122 Dies bedeutete für die praktische Sammlungsarbeit die Konzentration auf Ausstellungsthemen wie Das Wiener Burgtheater (1938), Geschichte der Theaterdekoration und des Kostüms der Oper in drei Jahrhunderten (1939), Richard Strauss (1939), Ferdinand Raimund und das Volkstheater (1940) sowie Hebbel und Wien (1942).123 Die gezielte Auswahl, von aus nationalsozialistischer Sicht besonders geschätzten Themengebieten, entsprach auch den Vorstellungen der neuen Machthaber und er121 Anwesend waren bei der Eröffnung gemäß einer Zeitungsberichtesammlung zur Ausstellung neben Joseph Gregor auch Robert Teichl, Rainer Schlösser, Karl Scharizer, Ludwig Körner, Leopold Tavs, Friedrich Hirschauer und Heinrich Stümpfl. Vgl. ÖTM-Archiv, Mappe Ausstellung Volkstümliches Theater in der Ostmark und Ferdinand Raimund 1940. 122 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 13.3.1938–31.3.1939, o. Datum. 123 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Sonderbericht über den Zeitraum 13.3.1938– 31.3.1945, 31.1.1947.
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292 Christina Gschiel möglichte der Wiener Theatersammlung schon 1938 an prominenter Stelle, wie an der Gaukulturwoche in der Saarpflanz mit der Ausstellung Das Wiener Burgtheater in Erscheinung zu treten.124 Dementsprechend schwelgte Joseph Gregor in seinem Artikel in der NSZ Rheinfront vom September 1938 über Die Wiener Theatersammlung – Im Dienst für das werdende deutsche Nationaltheater über die neuen Möglichkeiten für seine Sammlung, wenig überraschend schon mit einschlägigem Vokabular versetzt: Durch die welthistorischen Vorgänge, die die Ostmark dem Reiche wieder eingegliedert haben, hat auch die Theatersammlung nicht nur eine gewaltige ideelle Bereicherung, sondern auch ein ganz anderes Wirkungsfeld, ja einen neuen, großen Sinn erhalten. Dafür sprechen schon heute drei Ausstellungen: die aus Anlaß der Reichstheaterfestwoche in Wien, abgehaltene in dem eingangs erwähnten Prunksaal, die im Ausstellungshause in Hamburg (Beteiligung) und vor allem die nun bevorstehende in Kaiserslautern. Früher bearbeitete die Theatersammlung ein gewiß wichtiges Gebiet – aber sie konnte es nur in einem Kleinstaate bearbeiten, und – was schwerer wiegt – getrennt vom überwiegenden Teile des Sprach- und Volksgebietes. Heute mit dem gesamten deutschen Theater in Verbindung, sich als Teil eines unendlich Größeren fühlend, sieht auch dieses Institut die Möglichkeit, von der Stätte des alten deutschen Nationaltheaters, des Burgtheaters, dem werdenden deutschen Nationaltheater zu dienen.125
Ein in Zusammenhang mit Ausstellungen während der NS-Zeit gänzlich neuer Aspekt ist die Mitarbeit oder zumindest eine geplante Beteiligung der Theatersammlung an der Entartete Kunst Ausstellung der Propagandaabteilung der NSDAP.126 Im Jahresbericht zum Zeitraum April 1941 bis März 1942 wurden vorbereitende Arbeiten zur Ausstellung erwähnt, die jedoch höchst wahrscheinlich nie tatsächlich zur Ausführung gelangten, da die zu jener Zeit als Wanderausstellung durch verschiedene Städte tourende Entartete Kunst Schau lediglich bis einschließlich 1941 existiert hatte. Auf zusammenfassenden Listen über die Ausstellungstätigkeit beziehungsweise -beteiligungen der Theatersammlung während der Zeit des Nationalsozialismus ließen sich ebenfalls keine Hinweise für eine faktische Realisierung finden.127
124 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht 1.1.1938–31.3.1939, 28.4.1939. 125 Vgl. Joseph GREGOR, Die Wiener Theatersammlung, in: NSZ Rheinfront, 6.9.1938. An dieser Stelle herzlichen Dank an Meike Hopp für die Vermittlung des Artikels. 126 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.4.1941–31.3.1942, 8.5.1942. 127 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Sonderbericht über den Zeitraum 13.3.1938– 31.3.1945, 31.1.1947.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
Von der Nachkriegszeit bis zur Pensionierung Joseph Gregors
Betrachtet man den Zeitraum vom Ende des NS-Regimes im Mai 1945 bis Ende des Jahres 1953, dem Zeitpunkt der Versetzung Joseph Gregors in den dauerhaften Ruhestand, in Bezug auf die Erwerbungszahlen und die Art der Erwerbungen im Vergleich zu den voran gegangenen Jahren, so lässt sich schon ganz zu Beginn, für den Berichtszeitraum von April 1945 bis Ende Dezember 1946 mit einer Gesamtzahl von nur 3.962 Stück, eine deutliche Reduktion der Neuerwerbungen feststellen.128 Dies ist vorrangig auf das Ende des Krieges und die dadurch auf allen Gebieten sehr beschränkten Mittel sowie die Beseitigung der Kriegsschäden im Land und in der Sammlung zurückzuführen. Verfolgt man die Akzessionszahlen der folgenden Jahre, lässt sich jedoch eine fortschreitende Entspannung der Lage feststellen, die abgesehen von einem abermaligen Absinken der Zahlen im Jahr 1952, sich jedes Jahr wieder um mehrere Tausend Objekte vermehrte. Dieser Umstand, ist jedoch nicht ausschließlich dem schrittweisen konjunkturellen Aufschwung zu verdanken, sondern muss im Falle der Theatersammlung auch unbedingt mit der offensichtlichen Aufarbeitung der so genannten Alten Bestände in Verbindung gebracht werden. Die im Akzessionsverzeichnis meist nur mit der Herkunftsangabe AB versehenen Einzelobjekte, Konvolute oder zum Teil auch mehrere Hundert Stücke umfassende Sammlungen, fanden zwar physischen Eingang in die Sammlung, wurden jedoch wegen Zeit- oder Personalmangels im Laufe der vergangenen Jahre nie einer Bearbeitung unterzogen oder auch nur in die Erwerbungsbücher aufgenommen. Ein direkter Zusammenhang mit dem Beginn der NS-Zeit und den damit verbundenen zahlreichen Objekterwerbungen liegt nahe, allein schon wegen der erstmaligen Verzeichnung eines Altbestandes im Jahr 1939. Dieser enge Zusammenhang der zeitlichen Komponente und dem erhöhten Erwerbungsvolumen ermöglicht die Hypothese, dass sich vermutlich auch »arisiertes« Gut unter dem Altbestand befinden könnte. Die Masse der Erwerbungen gipfelte schließlich 1953 mit einer Gesamtzahl von insgesamt über 35.000 Objekten, deren wesentlicher Teil über die Provenienzangabe Altbestand verfügt. Betrachtet man diese Zahlen und Zusammenhänge, manifestiert sich die Annahme, dass Joseph Gregor vermutlich noch vor seiner Pensionierung all die ungeordneten, bisher lediglich von der Sammlung übernommenen und eingelagerten Bestände, dann doch offiziell erfassen wollte, um bei der Übergabe der Agenden an seinen Nachfolger Franz Hadamowsky eine möglichst geordnete Sammlung vorweisen zu können. Diese verstärkte Aufarbeitung 128 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.4.1945–31.12.1946, o. Datum.
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294 Christina Gschiel der Sammlung umfasste jedoch ganz offensichtlich nicht jedes einzelne Objekt der damals erworbenen Konvolute, da sich bis dato immer wieder noch gänzlich unverzeichnetes Material in den sehr umfangreichen Sammlungsbeständen finden lässt. Zu diesem Schluss ist auch Franz Hadamowsky, der neue Leiter der Sammlung ab Jänner 1954, in seinem Jahresbericht zum letzten Dienstjahr des Sammlungsbegründers gekommen. Im Absatz über die zukünftig notwendigen Arbeiten führte er bisher noch gar nicht katalogisierte Autografen wie zum Beispiel aus dem Nachlass Hermann Bahr oder auch von Heinrich Glücksmann an. Etwas überraschend sind die weiteren Ausführungen über die ungenügende oder nur behelfsmäßige Katalogisierung von Autografen aus berühmten Sammlungen, wie aus der zum Gründungsbestand gehörigen Sammlung Thimig und dem äußerst umfangreichen Nachlass Sonnenthal. So sollen sich auch die meisten der Theaterbibliotheken die in den 20er Jahren von verschiedenen Wiener Theatern übernommen wurden noch im Urzustand, lediglich in nach Provenienz getrennter Aufstellung, befunden haben.129 Um endlich einen Überblick über diese im Zeitraum von nur etwas mehr als dreißig Jahren aufgebaute, äußerst vielseitige und vom Umfang her bemerkenswerte Theatersammlung geben zu können, müssen an dieser Stelle auch die Objektzahlen nach Sammlungsgebieten zum Zeitpunkte der Pensionierung Joseph Gregors am 31. Dezember 1953 Erwähnung finden: Druckschriften und Handbibliothek: 29.427 Objekte Einblattdrucke, Theaterzettel, Zeitungsausschnitte: 335.157 Objekte Dramentexte: 124.839 Objekte Autographen: 51.940 Objekte Bilder (Handzeichnungen, Grafiken, Fotografien): 218.071 Objekte Film: Standfotos, Werkfotos: 91.208 Objekte Filmrollen: 111 Objekte Farbdias (Diapositive): 1.218 Objekte Modelle: 699 Objekte130
In Bezug auf die Personalsituation in der Theatersammlung gab es in den unmittelbaren Nachkriegsjahren keine Veränderungen. Nach einem eingehenden Vergleich der erhaltenen Personal- beziehungsweise Gauakten zu den noch am Ende der NS-Zeit in der Sammlung tätigen Personen, fällt auf, dass offenbar keine_r der Mitarbeiter_innen 129 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.1.–31.12.1953, 22.1.1954. 130 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.1. –31.12.1953, 22.1.1954.
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
Mitglied der NSDAP geworden war.131 Dennoch gab es Mitarbeiter, wie Karl Ecker, der Mitglied in der Betriebs-SA, bei der NS-Volkswohlfahrt, der Deutschen Arbeitsfront und dem NS-Reichskriegerbund132 gewesen war sowie den Sammlungsaufseher, Franz Micka, der ebenso Mitgliedschaften bei der NSV und der DAF, ebenso wie beim Reichsluftschutzbund133 inne hatte. Diese Mitgliedschaften hatten jedoch offensichtlich nicht zu Entlassungen geführt. Ganz im Gegenteil, wurde im Jahre 1946 Franz Hadamowsky, der bereits Ende der 1920er bis Anfang der 30er Jahre in der Sammlung gearbeitet hatte und als einziger, Mitglied der NSDAP gewesen war, wegen des dringenden Bedarfes an seiner Arbeitskraft erneut in der Theatersammlung beschäftigt. Ungeachtet seiner Klassifizierung als Minderbelasteter nach dem Verbotsgesetz von 1947, übernahm er nur wenige Jahre später, im Jänner 1954, sogar die Leitungsfunktion in der Sammlung.134 Ein schrittweiser Wandel in der Personalstruktur vollzog sich erst ab den 1950er Jahren, als in kurzen Abständen die wesentlichsten und langjährigsten Mitarbeiter_innen die Sammlung zum Großteil aus Altersgründen verlassen mussten. So wurde der Stellvertreter der Leitung Karl Ecker mit Ende März 1950 gekündigt,135 ihm folgte die im Bereich Sammlungs- und Katalogarbeiten tätige Bertha Niederle mit Ende Dezember 1952 und schließlich wurde auch Joseph Gregor am 31. Dezember 1953 in den dauernden Ruhestand versetzt.136 Für die Sammlung selbst entwickelten sich die letzten Jahre bis zur Pensionierung ihres Begründers zu einer Zeit der Veränderung und Aufarbeitung. Seit der Wiedereröffnung des Lesesaales im September 1945 war wieder eine Öffnung nach außen möglich, was sich in ständig wachsenden Benützer_innenzahlen niederschlug. Neben der Organisation einer erfolgreichen Shakespeare Ausstellung anlässlich des 25-jährigen Bestandes der Theatersammlung von Juni bis Oktober 1947137 und einer Ausstellungsbeteiligung zum Thema 25 Jahre Neuerwerbungen der Österreichischen Nationalbiblio131 Vgl. ÖNB-Archiv, PA zu Gregor Joseph, Ecker Karl, Niederle Bertha, Micka Franz, und ÖStA/AdR BMU, PA zu Micka Franz, Steuer Karoline, Blumenthal Werner. Zu Maria Kotera ließ sich bisher kein eigener Personalakt finden. Aus den in dem ÖNB-Archiv zu ihr erhaltenen drei Werkverträgen von 1941 bis 1943 lassen sich leider keine Informationen über ihre politische Orientierung gewinnen. 132 Vgl. ÖNB-Archiv, PA Ecker Karl. 133 Vgl. ÖNB-Archiv, PA Micka Franz und ÖStA/AdR BMU, PA Micka Franz. 134 Vgl. ÖNB-Archiv, PA Hadamowsky Franz und WStLA, GA Hadamowsky Franz, Zl. 108149. 135 »Infolge notwendig gewordener personeller Umstellungen ist jedoch nunmehr beabsichtigt, Herrn Dr. Ecker mit Rücksicht auf sein Alter nicht in den neuen Personalstand zu übernehmen. Der unterzeichnete Generaldirektor stellt daher den Antrag, das Dienstverhältnis […] durch Kündigung aufzulösen.« Vgl. ÖStA/AdR BMU, Zl. 47924-III/7/49, Generaldirektor der Nationalbibliothek an BMU Sektion III, 17.10.1949. 136 Vgl. ÖNB-Archiv, PA zu Niederle Bertha, Ecker Karl und Gregor Joseph. 137 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresberichte, 1.1.–31.12.1947, 31.3.1948.
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296 Christina Gschiel thek im Folgejahr,138 eröffnete die Theatersammlung 1953, gespeist aus umfangreichen Nachlassbeständen, auch zwei Gedenkstätten zu Hermann Bahr und Max Reinhardt.139 Parallel zu diesen üblichen Sammlungstätigkeiten, wurde auch die Theatersammlung nach Kriegsende mit dem umfassenden Thema der Rückstellung von während der NS-Zeit entzogenen Objekten konfrontiert. Im Jahresbericht zu 1947 wird zum Beispiel die »Räumung der dem Missionshaus St. Gabriel gehörenden, 1938/39 der Theatersammlung zugewiesenen Bücherregale«140 beschrieben. Höchst interessant ist auch ein Abschnitt im Bericht des Folgejahres, in dem die »Aussonderung eines Teiles und Verzeichnung sämtlicher in den Jahren 1938–1945 der Theatersammlung zugewiesenen Druckschriften, Handzeichnungen und Bilder fremden Eigentums (insbes. Schnitzler, Brukner)«141 dargestellt wurde. Einmal von der tatsächlichen Realisierung dieser ersten vermeintlichen Rückstellungsversuche und rückwirkenden Dokumentation von »Arisierungen«142 abgesehen, lässt sich nur wenige Jahre nach Ende der NS-Herrschaft durch diese Zeile im Jahresbericht ein erstmaliges Unrechtsbewusstsein und ein partieller Wille zur Restitution fremden Eigentums feststellen. Diese ersten Versuche einer Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und dem damit verbundenen Entzug von Eigentum wirkten sich jedoch im Falle der Theatersammlung nicht nur auf die Sammlungsbestände sondern auch auf die Räumlichkeiten aus. In einem Schreiben Josef Bicks an das Bundesministerium für Unterricht vom 3. Oktober 1946, in dem der Generaldirektor der Nationalbibliothek um die dringende Aufnahme von Franz Hadamowsky in die Theatersammlung für unaufschiebbare Katalogisierungs-, Aufstellungs- und Konservierungsarbeiten bat, findet sich auch ein Absatz über die von der Sammlung geforderte Übersiedlung einiger ihrer Depoträume aus Anlass der Unterbringung des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung in der Hofburg.143 Dabei handelte es sich um jenes Ministerium, das ab 1946 mit den ersten Rückgaben entzogenen Vermögens und u.a. auch zur Verwaltung sowie Verwertung von Vermögen der NSDAP betraut war.144 138 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928-1965, Jahresbericht, 1.1.–31.12.1948, 1.3.1949. 139 Vgl. ÖTM, Reinhardt Nachlass, Entwurf zur Gesamtdarstellung der Beziehungen der Familie Thimig und der ÖNB. An dieser Stelle herzlichen Dank für diesen Hinweis an Edda Fuhrich; vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.1.–31.12.1953, 22.1.1954. 140 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.1.–31.12.1947, 31.3.1948. 141 ÖTM-Archiv, Kiste Jahresberichte 1928–1965, Jahresbericht, 1.1.–31.12.1948, 1.3.1949. 142 Ein schriftliches Zeugnis dieser Bemühungen konnte bis dato leider noch nicht in der Sammlung gefunden werden. 143 ÖNB-Archiv, PA Hadamowsky Franz, Zl. 827/924, Bick an BMU, 3.10.1946. 144 Vgl. http://ns-quellen.at/bestand_anzeigen_detail.php?bestand_id=4604&action=B_Read (30.7.2013).
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Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien
Die Geschichte der Theatersammlung von der Gründungszeit bis Ende des Jahres 1953 zeichnet sich besonders durch die Art der gesammelten Objekte und der praktizierten Erwerbungspolitik aus. Das zentrale Element dabei ist Joseph Gregor, der die Sammlung mit Hilfe hervorragender Netzwerke im kulturellen Wien sehr selbstbewusst durch Konjunktur- und Rezessionsphasen sowie wechselnde politische Systeme führte. Der Wandel der Sammlung und der Ausstellungstätigkeit während, sowie nach der Zeit des Nationalsozialismus ist unverkennbar. Dazu zählen auch regelmäßige Erwerbungen äußerst umfangreicher Konvolute aus Privatsammlungen und dem Antiquariatshandel. Dies kann einerseits als positiv für die bemerkenswert rasche Sammlungsentwicklung bezeichnet werden, stellte die Mitarbeiter_innen des Museums jedoch zugleich vor große Herausforderungen. Das legte Gregor bereits in einem frühen Artikel im Neuen Wiener Tagblatt von 1924 zum Thema Von Sammlern und Sammlungen dar: Wenigstens scheint es gesetzmäßig, daß kleinere Privatsammlungen, die veränderlich sind, schließlich von den großen aufgenommen, gleichsam aufgesogen werden, wo sie unverrückbar bleiben. […] Eine sich rasch ausbauende Sammlung erwirbt einzelne Stücke auch viel seltener, als man gemeinhin annehmen würde, im Verhältnis weit häufiger aber schon bestehende ganze Kollektionen. Sie scheint auf solche eine eigentümliche Anziehungskraft auszuüben, sich ihnen immer mehr zu nähern, bis sie sie schließlich ganz aufnimmt.145
145 Josef GREGOR, Von Sammlern und Sammlungen, in: Neues Wiener Tagblatt, 23.9.1924.
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Egon Schiele und das Belvedere Versuch einer Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte 1912–2003
Monika Mayer
Das Belvedere besitzt mit fünfzehn Gemälden, zwei Aquarellen und einem BronzeSelbstbildnis eine der bedeutendsten Sammlungen von Werken Egon Schieles. Entstanden in den Jahren 1907 bis 1918, dem Todesjahr des Künstlers, repräsentieren diese alle wichtigen Werkphasen beginnend mit Schieles früher akademischer Periode. Vertreten sind die drei Hauptthemen seiner Kunst – Porträts, Allegorien und Landschaften: »Die Sammlung umfasst eine Anzahl von allgemein anerkannten Meisterwerken, wie Tod und Mädchen […] und Die Familie.«1 Im Folgenden wird versucht, die Geschichte der Schiele-Sammlung des Belvedere, deren Anfänge noch in die Lebenszeit des Künstlers zurückreichen, aufzuzeigen. Eng verbunden mit der Sammeltätigkeit der Österreichischen Galerie seit 1912 sind auch die Beziehungen diverser Schiele-Sammler_innen und -Förderer_innen mit dem Museum, wodurch ein Konnex zur aktuellen Provenienzforschung gegeben ist. Fragen der zeitgenössischen Rezeption nach dem frühen Tod des Künstlers, insbesondere der Umgang mit dem Werk Egon Schieles in der NS-Zeit, sollen ebenfalls Berücksichtigung finden. Einleitend sei der Kunsthistoriker Fritz Karpfen zitiert, der die Österreichische Galerie 1923 wie folgt charakterisierte: Das, was sich bei uns ›Moderne Galerie‹2 nennt, ist eine Affenschande! [...] Da gibt es Privatsammlungen, die hundertmal wertvoller, verständiger und übersichtlicher angeordnet sind. Greifen wir eine der besten Wiener Privatsammlungen heraus, die des Dr. Heinrich Rieger. […] Hier erhält der Beschauer eine Übersicht über die Malerei seit Klimt, die ihm Aufschluß gibt über Entwicklung, Fortschritt und Können unserer österreichischen Kunst. Nirgend sonst finden wir etwa den Weg Egon Schieles so packend aufgezeigt wie da.3
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Siehe dazu Jane KALLIR, Egon Schiele. Studien und Bilder und Gerbert FRODL, Egon Schiele. Ich ewiges Kind, in: Österreichische Galerie (Hg.), Egon Schiele in der Österreichischen Galerie in Wien, Salzburg 1990, S. 5–18, hier: S. 11. Die 1903 im Unteren Belvedere als staatliches Museum gegründete Moderne Galerie wurde 1912 unter der Leitung des Direktors Dr. Friedrich Dörnhöffer in die Österreichische Staatsgalerie umgewandelt. Fritz KARPFEN, Österreichische Kunst, Leipzig-Wien 1923, S. 8.
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300 Monika Mayer Der Zahnarzt Dr. Heinrich Rieger,4 einer der bedeutendsten Wiener Sammler von Werken Egon Schieles, hatte ab der Jahrhundertwende mit dem Aufbau einer einzigartigen Sammlung zeitgenössischer österreichischer Kunst5 begonnen, die er unter anderen durch die Abgeltung von kostenlosen Zahnbehandlungen stetig erweiterte und die bis in die 1930er Jahre auf mehr als 500 Bilder und 200 Grafiken anwuchs. Hervorzuheben ist seine Schiele-Kollektion, die neben großformatigen Ölgemälden wie Kardinal und Nonne und Umarmung (Liebespaar), mehrere kleinformatige Frühwerke wie Wiesenlandschaft mit Häusern und Hafen von Triest,6 aber auch rund 150 Zeichnungen und Aquarelle umfasste. Ein persönlicher Kontakt zu Egon Schiele lässt sich seit Anfang 1916 nachweisen, als Rieger den Künstler wissen ließ, er sei bereit, dessen Gattin Edith zu behandeln, wenn er dafür »einen schönen Schiele« bekomme.7 Im Bestand des Museums befand sich im Erscheinungsjahr der genannten Publikation Fritz Karpfens, abgesehen von mehreren Arbeiten auf Papier, die zum Großteil in der Zwischenkriegszeit an die Albertina abgegeben wurden,8 nur ein Ölgemälde Schieles, nämlich das 1918 erworbene Porträt Edith Schiele. Laut Verzeichnis der Neuerwerbungen 1918–1921 und der gleichzeitig ausgestellten Kunstwerke war Egon Schiele trotz der von Direktor Franz Martin Haberditzl betonten »Raumknappheit« für die im Unteren Belvedere untergebrachten Sammlungen der Staatsgalerie mit sieben Werken vertreten.9 Mit der Erwerbung des Porträts Edith Schiele tätigte Haberditzl, Leiter der k. k. Österreichischen Staatsgalerie seit 191510 und Förderer des Künstlers, 4
Zur Sammlung Heinrich Rieger siehe Tobias G. NATTER, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene, Köln 2003, S. 216–223; Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 968–985, Lisa FISCHER, Irgendwo. Wien, Theresienstadt und die Welt. Die Sammlung Heinrich Rieger, Wien 2008. 5 Überliefert ist die Zusammensetzung der Sammlung mit Werken unter anderen von Klimt, Schiele, Kokoschka und Oppenheimer durch einen im August 1921 unterzeichneten Notariatsakt zur Widmung der Kunstsammlung Rieger zur öffentlichen Besichtigung in der Wohnung in der Wiener Mariahilferstraße. Das beiliegende Kunstwerk-Verzeichnis umfasst 658 Nummern; vgl. Archiv des Bundesdenkmalamtes Wien, Notariatsakten, Zl. 1807/1921. 6 Die Neue Galerie Graz erwarb das Gemälde 1958 von Friedrich Welz; 2006 erfolgte die Restitution an die Erben nach Dr. Heinrich Rieger durch das Landesmuseum Joanneum. 7 Christian M. NEBEHAY, Egon Schiele 1890–1918. Leben, Briefe, Gedichte, Salzburg 1979, S. 365, Nr. 877. 8 Rechtsgrundlage für die Abgabe von Handzeichnungen aus dem Bestand der Österreichischen Galerie an die Albertina ist der Erlass des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht, Zl. 1348-IV/10b vom 24. Jänner 1923. 9 Mitteilungen aus der Österreichischen Staatsgalerie, 4/5 (1921); Kat. Nr. 125–131. Abgesehen von dem Porträt Edith Schiele sind zwei Aquarelle, drei Bleistift- und eine Kohlezeichnung angeführt. 10 Im März 1916 wurde Haberditzl zum Direktor ernannt.
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Egon Schiele und das Belvedere
Abbildung 1: Egon Schiele, Porträt Franz Martin Haberditzl, Österreichische Galerie Belvedere Wien
als »erster und einziger Museumsdirektor zu Lebzeiten Schieles« den Ankauf eines Gemäldes.11 In den folgenden Jahren seiner Direktion konnte Haberditzl drei weitere Hauptwerke des Malers erwerben und damit den Grundstock für den großartigen SchieleBestand der Österreichischen Galerie Belvedere legen.12 Die persönliche Bekanntschaft Egon Schieles mit Haberditzl (Abb. 1) fällt in jene Zeit, als dieser Leiter der Kupferstichsammlung der Hofbibliothek war. »Als am 1. April 1915 der erst 32jährige Kunsthistoriker mit der provisorischen Leitung der k.k. Österreichischen Staatsgalerie be11 Siehe dazu Andreas KUGLER, Franz Martin Haberditzl – Ein Charakter prägt ein Museum, in: Hadwig KRÄUTLER, Gerbert FRODL (Hg.), Das Museum. Spiegel und Motor kulturpolitischer Visionen. 1903–2003. 100 Jahre Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2004, S. 179–187. Die erste Museumserwerbung erfolgte bereits im August 1912 als der Sammler Karl Ernst Osthaus für das Museum Folkwang in Hagen das Gemälde Die kleine Stadt I (Tote Stadt VI) ankaufte; vgl. Jane KALLIR, Egon Schiele, The Complete Works, London 1998 (2. Aufl.), WV 246. 12 Vgl. Stephan KOJA, Österreichische Galerie Belvedere (Hg.), Franz Martin Haberditzl. Portrait eines Direktors, Wien 2003.
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302 Monika Mayer traut wurde, folgte zwangsläufig zur privaten auch eine dienstliche Beziehung zum Künstler. Waren doch damals bereits 14 Aquarelle Schieles im Besitz der Staatsgalerie, die sie 1912 aus der Poiret-Stiftung13 gewidmet erhalten hatte.«14 Der erste dokumentierte Kontakt Haberditzls mit dem Künstler im Jahr 1914 ist die von Egon Schiele persönlich übermittelte Einladung zur Ausstellung der Galerie Arnot, der ersten von Schiele mit 16 Gemälden bzw. Aquarellen und Zeichnungen allein beschickten Präsentation in Wien. Arthur Roessler,15 der als einer der ersten bereits 1909 das Potenzial des damals 19-jährigen Egon Schiele erkannt hatte, reklamiert die Bekanntmachung des Kunsthistorikers Haberditzl mit Schiele für sich: »Unter den neu aufgetauchten Talenten, die ich der Beachtung seitens Haberditzls empfahl, befand sich auch Schiele. Dr. Haberditzl bat mich, Schiele zu ihm zu schicken. ›Ich möchte den jungen Künstler persönlich kennen lernen. Bitte sagen sie ihm, er möge mich in seinem Büro besuchen und einige seiner Arbeiten mitbringen.‹«16 Egon Schiele äußerte sich nach der Begegnung mit Franz Martin Haberditzl beeindruckt: Er ist ganz anders, als man sich einen Museumsmann vorstellt. Er ist ein wertvoller Mensch. Das meine ich nicht deshalb, weil er sich mir gegenüber wohlwollend benimmt, ich mein’ das überhaupt wegen seiner ganzen Einstellung zur Kunst. […] verblüffender war für mich vielmehr seine Fähigkeit der Einfühlung in das Wesen neuzeitlicher Künstler, auch in das meine. Das ist doch allerhand von einem Manne, der wie er ›Museumsbeamter‹ ist, so viel Überzeugung gegen über ›hohen Vorgesetzten‹ mutig zu vertreten. Er wagt da oft viel. Ein Wagnis muß man’s doch auch nennen, dass Haberditzl nicht davor zurückscheut, von mir sein Porträt malen zu lassen! Allerdings nicht offiziell für die Galerie, sondern privat für seine Wohnung. Eine tapfere Tat trotzdem, weil er sich dessen bewusst sein muß, wie sehr ihm das ›amtlicherseits‹ verargt werden kann.17
13 Österreichische Galerie Belvedere, 14 Aquarelle laut Inventarbuch als »Widmung aus der Poiret-Stiftung« 1912 (»in Verwahrung der Graphischen Sammlung Albertina«). 14 Hubert ADOLPH, Briefe Egon Schieles an Franz Martin Haberditzl, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie, 12 (1968), Nr. 56, S. 143. 15 Zu Arthur Roessler vgl. Tobias G. NATTER, »Nichts und niemand half mir!« Egon Schiele und sein Promoter Arthur Roessler, in: Tobias G. NATTER, Ursula STORCH (Hg.), Egon Schiele und Arthur Roessler. Der Künstler und sein Förderer. Kunst und Networking im frühen 20. Jahrhundert, Wien 2004, S. 9–19. 16 Arthur ROESSLER, Erinnerungen an Egon Schiele, Wien 1948 (2. Aufl.), S. 52. 17 ROESSLER 1948, S. 52 f.
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Egon Schiele und das Belvedere
Am 18. Februar 1917 stattete Haberditzl Egon Schiele in dessen Wohnung einen Besuch ab, bei dem über die Erwerbung einer Zeichnung verhandelt wurde: »Herr Grünwald, dem die Zeichnung die sitzende Dame gehört – welche Sie haben wollten, ist als Besitzer zurückgetreten, wenn das Blatt auch wirklich in der Staatsgalerie ausgestellt wird und mir nützen kann.«18 Tatsächlich konnten im März 1917 dank »eines Kunstfreundes […] 3 farbige Zeichnungen« um 300 Kronen für die Staatsgalerie erworben werden:19 Lieber Herr Dr. H. – Ihr Diener brachte mir die restlichen 3 Blätter und eine Quittung über K 300 – welche ich aber nicht empfangen habe. Das eine Blatt können Sie jederzeit für ein besseres austauschen. – ich habe die Absicht Sie morgen Mittwoch ½ 5 – 5 h in der Galerie aufzusuchen und hoffe Sie anzutreffen.20
Bereits am 19. Februar, einen Tag nach dem genannten Besuch Haberditzls, hatte Egon Schiele die schriftliche Anfrage an Franz Martin Haberditzl gerichtet, »ob Sie mir zu einem Porträt, welches ich sehr gerne von Ihnen für mich malen will, sitzen möchten. – Vielleicht hätten Sie an Sonntagen nachmittags Zeit dazu?«21 Nach einer weiteren vergeblichen Nachfrage Schieles im April 191722 leistete Haberditzl erst im September 1917 Schieles Einladung zu einer Porträtsitzung Folge: Lieber Herr Dr. Haberditzl! wenn Sie Lust haben könnten wir jetzt mit dem Porträt beginnen, – es wäre mir recht, wenn Sie den Tag und die Stunde selbst bestimmen würden. An Wochentagen bin ich ab 5h, an Sonntagen ab 10h vormittags zuhause.23 (Abb. 2)
Schieles Porträt wurde zu Weihnachten 1917 geliefert: »Das Bild ist von Jaffé bereits in gutem Zustand übersandt worden […]. Nun sage ich Ihnen herzlichen Dank für die Leistung, nicht zuletzt auch für die angenehmen, interessanten Stunden, die ich bei Ihnen verbrachte! Erlauben Sie, dass ich gleichzeitig einen ersten Teil meiner Schuld 18 Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 19.2.1917; vgl. ADOLPH 1968, S. 149–150, Nr. 4, und NEBEHAY 1979, S. 416, Nr. 1175. 19 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 264/1917. IN 1965a–c (Russischer Kriegsgefangener, 2 Porträts Edith Schiele). 20 Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 7.3.1917; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 157/1917. 21 Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 19.2.1917; siehe ADOLPH 1968, S. 149 f., Nr. 4 und NEBEHAY 1979, S. 416, Nr. 1175. 22 Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 18.4.1917; siehe ADOLPH 1968, S. 150 f., Nr. 6. 23 Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 3.9.1917; siehe ADOLPH 1968, S. 154, Nr. 11, und NEBEHAY 1979, S. 427, Nr. 1260.
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Abbildung 2: Schreiben Egon Schiele an Franz Martin Haberditzl vom 3. September 1917, Privatbesitz Wien
(300 Kronen […]) begleiche.«24 Das Bildnis »stellt in dem aufrechten Sitzen und den klaren Augen die Tatkraft und hellwache Geistigkeit des Museumsmannes dar – und seine Sammelleidenschaft, da Haberditzl eine Gouache auf den Knien hält und eine Zeichenmappe an seinen Stuhl gelehnt hat«.25 Im März 1918 war Egon Schiele mit 19 Gemälden und 29 Zeichnungen an der 49. Ausstellung der Wiener Secession höchst erfolgreich beteiligt. Schiele hatte den Höhepunkt seiner künstlerischen Reputation erreicht und erzielte mit den erfolgten Verkäufen ein halbes Jahr vor seinem Tod auch den finanziellen Durchbruch. Von der Kunsthandlung Gustav Nebehay wurde das Porträt Edith Schiele (Abb. 3) um 3.000 Kronen erworben und umgehend an die Staatsgalerie weiterverkauft.26 Die in der Aus24 Schreiben Franz Martin Haberditzl an Egon Schiele vom 24.12.1917, Privatbesitz USA; siehe Egon Schiele Datenbank der Autographen (http://www.schiele-dokumentation.at; ID 1391). 25 KOJA 2003, o. S. 26 Ergänzend wurde von der Kunsthandlung Nebehay eine Bleistiftzeichnung einer Landschaft um 100 Kronen angekauft.
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Egon Schiele und das Belvedere
Abbildung 3: Egon Schiele, Porträt Edith Schiele, Österreichische Galerie Belvedere Wien
stellung präsentierte Fassung der Dargestellten mit kariertem Rock, »was dem Bilde einen stärker kunstgewerblichen Charakter gab«,27 wurde vermutlich auf Anregung Franz Martin Haberditzls von Schiele überarbeitet.28 Auch nach dem frühen Tod Egon Schieles am 31. Oktober 1918 setzte Franz Martin Haberditzl die Erwerbungen von Werken des Künstlers fort. 1919 kaufte das Museum zwei Kohle-Zeichnungen um 1.500 Kronen von der Mutter des Künstlers. Ausdruck der anhaltenden Wertschätzung für Egon Schiele ist auch die Publikation der Zeichnung Die Gattin des Künstlers in der 1922 veröffentlichten Sammelmappe Aquarelle und Handzeichnungen aus der Wiener Galerie des XIX. Jahrhunderts, die als eine der frühesten Galeriepublikationen 50 Faksimiles von Werken unter anderen von Rudolf 27 Handschriftlicher Eintrag von Bruno Grimschitz im Grundbuchblatt der Österreichischen Galerie Belvedere zu dem Porträt Edith Schieles: Grimschitz spricht dabei von der »nicht ganz vollendeten Überarbeitung der ersten Fassung«. 28 Laut Mitteilung von Melanie Schiele-Schuster, der Schwester von Egon Schiele, an Anton Peschka jun. erteilte diese die Änderungsvorschläge an ihre Schwägerin Edith; vgl. KALLIR 1998, WV 316.
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306 Monika Mayer von Alt, Anton Romako und Gustav Klimt umfasste.29 1922 erhielt die Österreichische Galerie von Marie Schiele, der Mutter Egons, eine »Widmung von fünfzigtausend (50.000) Kronen, welcher Betrag zum Ankaufe eines Werkes von Egon Schiele für die Oesterreichische Galerie Verwendung finden soll«.30 In den kommenden Jahren konnte Direktor Haberditzl drei Werke Schieles erwerben, die ab 1929 in der neueröffneten Modernen Galerie in der Orangerie im Unteren Belvedere zu sehen waren. Nach der Erwerbung des Gemäldes Sonnenblumen I im Jahr 1924 von Dr. Hermann Trenkwald konnten 1930 das Bildnis Dr. Victor Ritter von Bauer31 von Wolko Gartenberg und Tod und Mädchen von der Sezession München angekauft werden. Mit den erfolgten Schiele-Erwerbungen argumentierte Direktor Haberditzl bei seinem Ansuchen an das Unterrichtsministerium um Dotation aus den Kunstförderungsmitteln 1936 »zur Erfüllung der wichtigsten Aufgabe der Modernen Galerie, zur Erwerbung von Hauptwerken der namhaftesten österreichischen Künstler der Gegenwart. […] Hiebei ist insbesonders daran gedacht die allzu geringe, im Vergleich mit der Repräsentanz von Faistauer, Dobrowsky, Schiele, geradezu kümmerliche Vertretung von Werken von Oskar Kokoschka in der Modernen Galerie zu ergänzen.«32 Unter jenen Sammler_innen, Kunsthistoriker_innen, Kunsthändler_innen und Publizist_innen, die sich nach dem Tod Egon Schieles um dessen kunsthistorische Etablierung bleibende Verdienste erwarben, sei im Folgenden der Kunsthändler und Sammler Otto Kallir-Nirenstein33 hervorgehoben. Otto Nirenstein, der 1930 das erste Œuvre-Verzeich29 Franz Martin HABERDITZL, Bruno GRIMSCHITZ (Hg.), Aquarelle und Handzeichnungen aus der Wiener Galerie des XIX. Jahrhunderts, Leipzig-Wien-München 1922, Tafel 41, Egon Schiele, Die Gattin des Künstlers (1915), Bleistiftzeichnung. 30 Schreiben Franz Martin Haberditzl an Marie Schiele vom 30.6.1922; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 288/1922 (Betreff: »O. Insp. Benesch / Widmung der Frau Marie Schiele von 50.000 K als Erlös einer Zeichnung von Egon Schiele«). 31 Franz SMOLA, »Da erkenne ich ihn nur auf Grund der Manschettenknöpfe wieder«. Das Portrait Dr. Victor von Bauer von Egon Schiele – Wiederentdeckung einer Biographie, in: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst, 2 (2001), S. 18–35. 32 Schreiben Franz Martin Haberditzl an das Bundesministerium für Unterricht vom 27.6.1936; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 298/1936; vgl. Tobias G. NATTER, Oskar Kokoschka und das Belvedere oder Wie sammelt man ein »Genie«?, in: ÖSTERREICHISCHE GALERIE BELVEDERE (Hg.), Kokoschka und Wien, Wien 1996, S. 9–31, hier: S. 12. 33 Er wurde 1894 als Otto Nirenstein geboren. Die Namensänderung auf Kallir-Nirenstein erfolgte 1933; nach der durch die Nationalsozialisten erzwungenen Emigration verwendete er ausschließlich den Namen Kallir. Zur Person und Wirken Otto Kallir-Nirensteins vgl. Jane KALLIR, Saved from Europe. Otto Kallir and the History of the Galerie St. Etienne, New York 1999, und Jane KALLIR, Hans BISANZ, Otto KallirNirenstein. Ein Wegbereiter österreichischer Kunst, Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1986.
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nis zum malerischen Werk Egon Schieles publizierte,34 widmete die erste Ausstellung seiner 1923 eröffneten Neuen Galerie in der Wiener Grünangergasse Egon Schiele. Im Herbst 1928 folgte die aus Anlass des zehnten Todestages durchgeführte Gedächtnisausstellung Egon Schiele in den Räumen des Hagenbundes in der Zedlitzgasse, die am 15. Oktober durch Bundespräsident Dr. Michael Hainisch eröffnet wurde. Ergänzend wurden in der Neuen Galerie 120 Aquarelle und Handzeichnungen Egon Schieles aus der Sammlung Heinrich Rieger gezeigt. Unter den zahlreichen Leihgebern der im Katalog35 angeführten 79 Gemälde seien stellvertretend Lea Bondi, Fritz Grünbaum, Arthur Roessler und Arthur Stemmer genannt. Josef Morgenstern stellte das 1917 entstandene Gemälde Vier Bäume zur Verfügung, »da es sicher eine der schönsten Landschaften ist«.36 Auch die Direktion der Österreichischen Galerie wurde gebeten, »die beiden Bilder […] Sonnenblumen und Porträt der Frau des Künstlers leihweise zu überlassen […], sodass durch diese beiden Bilder eine wesentliche Ergänzung der Ausstellung erfolgen würde«.37 Auch die 65. Ausstellung der Neuen Galerie widmete Otto Nirenstein im Jahr 1930 Egon Schiele. Eine der Leihgeberinnen der Schau Unbekanntes von Egon Schiele war Jenny Steiner, die das Gemälde Mutter mit zwei Kindern III zur Verfügung stellte.38 1937 waren Otto Kallir-Nirenstein und die Neue Galerie als Leihgeber von SchieleGemälden an der Beschickung der beiden Ausstellungen Österreichischer Kunst im Pariser Musée du Jeu de Paume39 und in der Kunsthalle Bern beteiligt. Die Präsentati-
34 Otto NIRENSTEIN, Egon Schiele. Persönlichkeit und Werk, Wien 1930. 35 Den Katalogtext verfasste Dr. Bruno Grimschitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Galerie seit 1919. 36 Schreiben Otto Nirenstein an Josef Morgenstern vom 13.9.1928; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Archiv der Neuen Galerie, Zl. 324/24. Das Gemälde wurde 1943 von der Österreichischen Galerie erworben. Eine Interieur-Ansicht der von dem Architekten Otto Bauer eingerichteten Wohnung Morgensterns mit dem Schiele-Gemälde Vier Bäume wurde 1924 in der Zeitschrift Innendekoration veröffentlicht; vgl. auch Iris MEDER, »Ihr Platz ist in der Welt«. Fragmente zu Leben und Werk des Architekten Otto Bauer, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift 20 (2008) Nr. 76, S. 62–64. 37 Schreiben Otto Nirenstein an Franz Martin Haberditzl vom 3.9.1928; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 535/1928. 38 Otto Nirenstein bestätigte in einem Schreiben an Jenny Steiner vom 20.10.1930 die Übernahme des Bildes Mutter für die Schiele Ausstellung der Neuen Galerie; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Archiv der Neuen Galerie, Zl. 341/11. 39 Vgl. Bernadette REINHOLD, Die Exposition d’Art Autrichien im Jeu de Paume in Paris. Ein Lehrstück austrofranzösischer Kulturpolitik in der Zwischenkriegszeit, in: Agnes HUSSLEIN-ARCO, Matthias BOECKL (Hg.), Wien – Paris. Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne 1880–1960, Wien 2007, S. 307–317.
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308 Monika Mayer onen können als kulturpolitischer Versuch des austrofaschistischen Regimes interpretiert werden, durch die Inanspruchnahme künstlerischer Avantgarde eine propagandistische Abgrenzung zur NS-Kunstpolitik zu versuchen; dies zu einem Zeitpunkt als im Deutschen Reich Oskar Kokoschka, aber auch Egon Schiele als »entartete Künstler« verfemt waren. Wenige Monate nach dem Ende der Berner Ausstellung im September 1937 sollten die in Paris und Bern repräsentativ gezeigten Kunstsammlungen aufgelöst und in der Folge deren Eigentümer_innen wie Ferdinand Bloch-Bauer, Serena Lederer oder Heinrich Rieger beraubt, vertrieben und ermordet werden. Auch für Franz Martin Haberditzl und seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Heinrich Schwarz, Leihgeber der Schiele-Ausstellung 1923, wurde der »Anschluss« 1938 zur Zäsur. Haberditzl wurde seines Amtes enthoben und durch seinen langjährigen Stellvertreter Dr. Bruno Grimschitz40 ersetzt; Heinrich Schwarz41 wurde aus rassistischen Gründen aus Österreich vertrieben. Wenige Tage nach dem »Anschluss« wurde die Moderne Galerie von Bruno Grimschitz entsprechend der ministeriellen Vorgabe, »diese bis auf weiteres gesperrt zu belassen, (und) ihre Bestände […] zu magazinieren« bereits am 20. März 1938 geschlossen.42 Am 22. März 1938 hatte Klaus Graf Baudissin, der kommissarische Leiter des Amtes für Volksbildung im Reichserziehungsministerium, die Moderne Galerie besichtigt, um »die Bestände […] im Hinblick auf die auf die Wertung als Verfallskunst geltenden Gesichtspunkte zu überprüfen, diesbezüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen und betreffend endgültige Ausscheidung aus den Beständen der Galerie bzw. aus den Depotbeständen Anträge an das Unterrichtsministerium zu stellen«.43 Nach Ausbruch des Krieges 1939 wurden im Zuge der einsetzenden Bergungsmaßnahmen auch die Gemälde Egon Schieles in die Bergungsorte, darunter die Kar40 Nach der mit Erlass des Ministeriums vom 24.5.1938 genehmigten vorläufigen Betrauung wurde Grimschitz mit 20.8.1938 zum kommissarischen Leiter des Museums bestellt; seine Ernennung zum Direktor erfolgte mit 28.12.1939; vgl. Monika MAYER, Bruno Grimschitz und die Österreichische Galerie 1938–1945. Eine biographische Annäherung im Kontext der aktuellen Provenienzforschung, in: Gabriele ANDERL, Alexandra CARUSO (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen, Innsbruck 2005, S. 59–79. 41 Zur Person von Heinrich Schwarz siehe Ulrike WENDLAND, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, Teil 2, München 1999, S. 630–635. 42 Schreiben Bruno Grimschitz an das Österreichische Unterrichtsministerium vom 6.5.1938; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 202/1938. 43 Dienstzettel des Österreichischen Unterrichtsministeriums vom 21.3.1938 per Schreiben vom 21.3.1938 an die Direktion der Österreichischen Galerie übermittelt; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 184/1938.
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tause Gaming in Niederösterreich, verbracht, wo sie den Krieg unbeschadet überstanden. Im Gegensatz zu den Beschlagnahmungen im Zuge der Aktion Entartete Kunst im Deutschen Reich, blieben in Österreich die Bestände »entarteter Kunst« und damit auch die Werke Egon Schieles in den öffentlichen Museen unangetastet.44 Diverse Werke Schieles waren ab 1937 als »entartet« aus deutschen Museen entfernt worden, darunter das 1912 für das Folkwang Museum Hagen erworbene Gemälde Die kleine Stadt I (Tote Stadt VI), aber auch Aquarelle und Zeichnungen aus dem Folkwang Museum Essen, dem Kupferstichkabinett in Dresden oder der Städtischen Kunsthalle in Mannheim.45 Sophie Lillie ist zuzustimmen, die Schieles Werk ein »kurioses Schicksal unter den Nazis« zuspricht und darauf verweist, dass dessen Arbeiten in Österreich »not typically subject to Nazi confiscation campaigns or export embargos« waren.46 Unter den zahlreichen von den städtischen Behörden in den Jahren 1938 bis 1945 erfolgten Sicherstellungen von Kunstgegenständen »wegen Gefahr einer verbotswidrigen Ausfuhr« sind laut Sophie Lillie nur zwei Bilder Egon Schieles aus der Sammlung von Serena Lederer47 nachweisbar.48 Das Faktum, dass Werke Egon Schieles, insbesondere Arbeiten auf Papier, nach dem »Anschluss« 1938 von vertriebenen Sammlern und Sammlerinnen und Kunsthändlern wie Otto Kallir,49 Erich Lederer oder Arthur Stemmer, ohne Einschränkungen des Ausfuhrverbotsgesetzes in das vom NS-Regime erzwungene Exil mitgenommen werden konnten, hatte die Etablierung Schieles auf dem internationalen Kunstmarkt zur Folge. Otto Kallir konnte daher 1966 feststellen, dass es merkwürdigerweise […] aber gerade jene Jahre [waren], in denen sein Werk in Europa ganz von der Bildfläche verschwunden war, die seinem Namen zu internationaler 44 Vgl. Maren GRÖNING, Fluchtpunkte der »entarteten Kunst« in Wien, in: ANDERL, CARUSO 2005, S. 80–89. 45 Siehe Beschlagnahmeinventar »Entartete Kunst« (http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/db_entart_kunst/ datenbank/index.html). Dank an Susanna Köller/Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Freie Universität Berlin, die auch nicht in der Datenbank publizierte Angaben zur Verfügung stellte. 46 Sophie LILLIE, A Legacy Forlorn. The Fate of Egon Schiele’s Early Collectors, in: Renée PRICE (Hg.), Egon Schiele. The Ronald Lauder and Serge Sabarsky Collections, New York 2005, S. 111–139, hier: S. 111; vgl. auch Wolfgang FISCHER, Egon Schiele’s Rise to Posthumous Fame, in: KALLIR 1998, S. 247–255, hier: S. 249 f. 47 Zu Serena Lederer vgl. LILLIE 2003, S. 656–671. 48 Das Gemälde Mödling I (Graue Stadt) 1916 und das Aquarell Selbstporträt 1910; vgl. LILLIE 2005, S. 112. 49 Vgl. KALLIR 1999.
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310 Monika Mayer Anerkennung verholfen haben. Infolge der Ablehnung Schieles durch das Deutsche Reich bereiteten die österreichischen und deutschen Stellen, die damals darüber zu wachen hatten, dass Kunstschätze nicht ins Ausland gebracht wurden, den Sammlern seiner Werke meist keine Schwierigkeiten, diesen Teil ihres Besitzes bei der Auswanderung mitzunehmen. So kam es, dass eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten Schieles nach Amerika gelangte.50
Im Kontext der »Stigmatisierung« von Egon Schiele als »entarteter Künstler« 51 durch die NS-Kunstpolitik ist eine Stellungnahme von Bruno Grimschitz über den Wert eines Schiele-Knabenbildnisses erwähnenswert: Auf Ihr Schreiben teile ich Ihnen mit, dass Egon Schieles Kunst bisher von keiner offiziellen Seite als ›entartet‹ erklärt worden ist. Wenn auch die vielfach pessimistisch erscheinende Grundstimmung in den Werken Schieles gegenwärtig nicht zusagt, so kann von einer Entartung der Bilder keine Rede sein. Im Gegenteil, die öffentlichen Versteigerungen sind Beweis, dass Schiele unter den Augen offizieller Stellen sowohl künstlerisch als auch materiell positiv gewertet wird.52
Bruno Grimschitz verweist dabei auf die erstaunliche Präsenz von Werken Egon Schieles in Versteigerungen des Wiener Auktionshauses Dorotheum, das eine wichtige Rolle bei der Verwertung der vom NS-Regime beschlagnahmten und entzogenen Kunstwerke jüdischer Sammlerinnen und Sammler spielte. In den Jahren 1940 bis 1944 sind in den Auktionskatalogen des Dorotheums mehrere Aquarelle und Zeichnungen Schieles, aber auch die beiden Gemälde Häuser am Meer53 und Städtchen am Fluss (Krumauer Landschaft)54 nachweisbar. Als öffentlicher Erwerber von Schiele-Blättern auf den Dorotheums-Auktionen der NS-Zeit war die Albertina tätig.55 50 Otto KALLIR, Egon Schiele. Œuvre-Katalog der Gemälde, Wien 1966, S. 15. 51 Siehe dazu auch Tobias G. NATTER, Fürstinnen ohne Geschichte? Gustav Klimt und die »Gemeinschaft aller Schaffenden und Genießenden«, in: Tobias G. NATTER, Gerbert FRODL (Hg.), Klimt und die Frauen, Köln 2000, S. 57–74, hier: S. 72. 52 Schreiben Bruno Grimschitz an Anton Peschka vom 18.3.1941; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 115/1941. 53 Das Gemälde aus der Sammlung von Jenny Steiner wurde als entzogenes Vermögen über das Finanzamt Innere Stadt zur Deckung von »Reichsfluchtsteuerschulden« im Dorotheum verwertet. Nach dem vergeblichen Angebot in der 458. bzw. 463. Kunstauktion 1940/41 – Schätzpreis 2.400 RM – wurde das Bild in der 465. Kunstauktion 1941 verkauft. Zu Jenny Steiner vgl. LILLIE 2003, S. 1244–1251. 54 Das Gemälde aus der Sammlung von Daisy Hellmann, einer Tochter Jenny Steiners, wurde nach der Beschlagnahme der GESTAPO als VUGESTA-Einbringung 1942 in der 471. Kunstauktion des Dorotheums veräußert (Schätzpreis 1.000 RM). Das von Wolfgang Gurlitt erworbene Gemälde wurde 2002 an die Hellmann-Erben von der Neuen Galerie in Linz restituiert. Zu Daisy Hellmann vgl. LILLIE 2003, S. 490–497. 55 Dank an Katja Fischer/ehemals Albertina, für den Hinweis auf zwei Erwerbungen im Dorotheum 1941; diese wurden ergänzt durch vier weitere Ankäufe der Albertina von Schiele-Blättern im Jahr 1943.
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Egon Schiele und das Belvedere
Abbildung 4: Egon Schiele, Vier Bäume, Österreichische Galerie Belvedere Wien
Auch Bruno Grimschitz, der neben seiner musealen Tätigkeit bereits seit den 1930er Jahren als Experte des Dorotheums56 tätig gewesen war, erwarb zwei Werke von Oskar Kokoschka und Egon Schiele aus der Kunstsammlung Wolff-Knize57 in dem Wiener Auktionshaus: Ich habe die einwandfreie Bestätigung erhalten, dass das Gemälde von Schiele ›Liegender weiblicher Akt auf weißem Tuch‹ aus dem Besitze Knize stammt, ebenso wie Kokoschkas Bildnis des Herrn Wolf [sic!]. Ich habe die Bilder in der Allgemeinen Abteilung des Dorotheums außerhalb einer Auktion – weil sie als ›entartet‹ nicht zur öffentlichen Versteigerung kommen konnten – unter meinem Namen erworben und im Depot der Österreichischen Galerie sichergestellt. Da ich den Kaufpreis für das Gemälde von Schiele aus privaten Mitteln [2500 RM, handschriftlicher Zusatz] und den für den Kokoschka aus dem Millionenfond [300 RM, handschriftlicher Zusatz] aufbrachte, ich aber seit langem mit der Rückstellung der Gemälde an den Eigentümer rechnete, habe ich sie nicht offiziell der Galerie überantwortet. Ich ersuche also, wenn der Eigen56 Vgl. Alexandra CARUSO, Raub in geordneten Bahnen, in: ANDERL, CARUSO 2005, S. 90–109. 57 Zur Sammlung Annie und Fritz Wolff-Knize vgl. LILLIE 2003, S. 1340–1345.
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312 Monika Mayer tümer in ungefähr einem Monat nach Wien kommen wird, ihm nicht nur das Bildnis von Kokoschka, sondern auch das Aktbild von Schiele ausfolgen zu wollen.58
Mit der Erwerbung des Gemäldes Vier Bäume (Abb. 4) wurde der Schiele-Bestand der Österreichischen Galerie in der NS-Zeit offiziell erweitert. Das Gemälde, das wie ausgeführt 1928 als Leihgabe von Dr. Josef Morgenstern in der Schiele-Gedächtnisausstellung im Hagenbund gezeigt worden war, wurde 1943 von der Wiener Galerie Neumann um 8.000 RM angekauft.59 Besonderer Erwähnung bedarf auch die von Reichsstatthalter Baldur von Schirach und seinem Generalkulturreferenten Walter Thomas geförderteAusstellungstätigkeit,60 die als Ausdruck der besonders von österreichischen Nationalsozialisten forcierten »Kulturmission« Wiens eine Scheinliberalität vermitteln sollte. Neben der von Schirach initiierten und unter der Leitung von Bruno Grimschitz im Gebäude der Secession durchgeführten Klimt-Retrospektive 1943, muss vor allem auf die im Auftrag des Reichsstatthalters veranstaltete Schau Deutsche Zeichnungen der Jahrhundertwende in der Albertina im selben Jahr hingewiesen werden. Neben Arbeiten von Gustav Klimt, Lovis Corinth oder Käthe Kollwitz wurden zwölf Zeichnungen Egon Schieles präsentiert, die »meist als selbstgültige Kunstwerke entworfen […] von einer wilderen Dynamik getragen (sind) als die Klimt’s«.61 Betont wurde die große »zeitliche Distanz zu diesen Arbeiten […], dass wir in ihnen den voll gültigen Ausdruck einer bodenständigen Kunstgesinnung erblicken, die der Jahrhundertwende das Gepräge gab«.62 58 Schreiben Bruno Grimschitz an Fritz Novotny vom 5.5.1948; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 206/1948. Die beiden Gemälde wurden 1948 durch die Österreichische Galerie an die rechtmäßigen Eigentümer ausgefolgt. 59 Dr. Josef Morgenstern ist als Eigentümer des Gemäldes von 1924 bis 1930 eindeutig nachweisbar. Im Schiele-Werkverzeichnis Otto Nirensteins von 1930, WV 164, ist Morgenstern als Eigentümer des Bildes genannt. Siehe auch die Ansicht seiner von Otto Bauer eingerichteten Wiener Wohnung in der Zeitschrift Innendekoration von 1924 (siehe Anm. 36). Ob Josef Morgenstern im März 1938 Eigentümer des Gemäldes war, lässt sich bei derzeitigem Forschungsstand nicht belegen. Josef Morgenstern wurde 1942 nach Ausschwitz deportiert und 1948 für tot erklärt. 60 Siehe dazu Monika MAYER, Gesunde Gefühlsregungen. Das Wiener Ausstellungswesen 1933–1945, in: Jan TABOR (Hg.), Kunst und Diktatur: Architektur, Bildhauerei, Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922–1956. Ausstellungskatalog, Band 1, Wien 1994, S. 294–301, hier: S. 301. Vgl. Oliver RATHKOLB, Die Wiener Note in der deutschen Kunst. Nationalsozialistische Kulturpolitik in Wien 1938–1945, in: Jan TABOR (Hg.), Kunst und Diktatur: Architektur, Bildhauerei, Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922–1956. Ausstellungskatalog, Band 1, Wien 1994, S. 332–335. 61 Anton REICHEL, Vorwort, in: Anton REICHEL, GRAPHISCHE SAMMLUNG ALBERTINA (Hg.), Deutsche Zeichnungen der Jahrhundertwende, Wien 1943, S. 4 f. 62 Schreiben Direktor Anton Reichel an das Generalreferat der staatlichen Kunstverwaltung vom 19.1.1943; Archiv der Albertina, Zl. 253/1943. Dank für die Zugänglichmachung an Katja Fischer.
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Egon Schiele und das Belvedere
Die auf Vorschlag des Wiener Bürgermeisters Hanns Blaschke für 1943 angedachte Egon Schiele- und Kolo Moser-Gedächtnisausstellung zum 25. Todestag konnte allerdings nicht verwirklicht werden, »weil die Landesleitung der Reichskammer [der bildenden Künste] für diese Ausstellung unter keinen Umständen die Bewilligung erteilen würde«.63 Eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Bewahrung des künstlerischen Werkes von Egon Schiele in der NS-Zeit in Wien spielte Vita Maria Künstler, langjährige Mitarbeiterin der Neuen Galerie. Kurz vor seiner Flucht in die Schweiz hatte Otto KallirNirenstein die Leitung der Galerie an Künstler übertragen, um den NS-Forderungen einer Arisierung nachzukommen. Vita Maria Künstler erinnerte sich, dass während des Krieges »die Schiele-, Klimt-, Kokoschka- und Gerstlbestände […] möglichst geheim aufgehoben werden [mussten]. Allerdings habe ich während des Krieges auch von ihnen Einiges verkauft, natürlich unter der Hand an mir genau bekannte Kunden64 […]. Besonders Aquarelle und Zeichnungen von Schiele und Klimt wurden damals zu unglaublich billigen Preisen gehandelt.«65 Otto Kallir, der über die Schweiz und Paris in die USA emigrierte, gelang die Ausfuhr seiner Kunstsammlung zu großen Teilen. In der von ihm in New York eröffneten Galerie St. Etienne wurden bereits im Sommer 1940 in der Ausstellung Saved from Europe Arbeiten Egon Schieles präsentiert; 1941 folgte die erste Schiele-Einzelausstellung in den USA.66 Das Eintreffen der während des Krieges in Paris deponierten Teile der Kunstsammlung im Jahr 1947 ermöglichte Otto Kallir 1948 die Durchführung einer umfassenden Schiele-Ausstellung in New York. Nachdem in Wien bereits im Herbst 1945 in den Räumen der Neuen Galerie eine von der Österreichischen Kulturvereinigung durchgeführte Ausstellung Klimt, Schiele und Kokoschka gewidmet war, wurde im Jahr 1948 der 30. Todestag Egon Schieles Anlass mehrerer Ausstellungen in der Albertina, der Akademie der bildenden Künste und der Neuen Galerie. Auch die Österreich-Präsentation der ersten Nachkriegs-Biennale in Venedig war – neben einer Werkschau des Bildhauers Fritz Wotruba – Egon Schiele gewidmet, der mit 26 Gemälden und 30 Aquarellen und Zeichnungen umfassend vorgestellt wurde. Die Leihgaben stammten unter anderen 63 Verhandlungsschriften Nr. 14 und 15 über die Sitzungen der Ausstellungskommission vom 27.5. und 11.6.1943; WStLA, Archiv des Künstlerhauses, Sitzungsprotokolle 1943. 64 Wolfgang Fischer nennt Verkäufe an den Berliner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt; vgl. FISCHER 1998, S. 249. 65 Vita Maria KÜNSTLER, Erinnerungen an die Neue Galerie, Typoskript o. J., Privatbesitz New York, S. 16. 66 Vgl. KALLIR 1999, S. 25.
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314 Monika Mayer aus der Neuen Galerie und aus den Sammlungen Heinrich Rieger, Jenny Steiner und Otto Mandl. Im Katalog der von Vita Maria Künstler durchgeführten Gedächtnis-Ausstellung der Neuen Galerie 1948 schrieb Otto Kallir »anstatt eines Vorwortes«: »Mit einer Schiele-Ausstellung wurde die ›Neue Galerie‹ eröffnet, mit einer Schiele-Ausstellung feiert sie jetzt ein Vierteljahrhundert ununterbrochener Tätigkeit.« Unter den 55 gezeigten Gemälden waren Leihgaben unter anderen von Arthur Roessler, Wolfgang Gurlitt und aus der ehemaligen Sammlung Heinrich Rieger vertreten. Besonderer Erwähnung bedarf die Präsentation des Gemäldes Mutter mit zwei Kindern III aus der Sammlung Steiner; als Leihgeber fungierte die Berufsvereinigung bildender Künstler in Wien, die das in der NS-Zeit entzogene Gemälde 1945 von der Wiener Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste übernommen hatte. Für das nach einem Rückstellungsvergleich im November 1950 zurückgestellte SchieleBild67 empfahl der damalige Direktor der Österreichischen Galerie, Dr. Karl GarzarolliThurnlackh, im Falle eines Ausfuhransuchens durch Jenny Steiner, die sich im Exil in New York befand, die Ausfuhrsperre. Die folgenden Verhandlungen der Österreichischen Galerie zum Erwerb des Bildes mit Jenny Steiner und ihrer Tochter Klara Mertens führten im April 1951 zum Ankauf des Gemäldes durch das Museum.68 Während Werke Egon Schieles nach dem »Anschluss« Österreichs 1938, wie ausgeführt, relativ problemlos in das Ausland verbracht werden konnten, waren diese in der Nachkriegszeit Gegenstand einer restriktiven Ausfuhrpolitik.69 Diese betraf unter anderen auch das 1948 an Annie und Fritz Wolff-Knize zurückgestellte Gemälde Liegende Frau. Der Antrag auf Ausfuhrgenehmigung wurde abschlägig beschieden, da »das gegenständliche Bild […] zu den Hauptwerken Schieles [zähle] und es sei wichtiger, wenn dieses Bild […] im Lande selbst gezeigt werde«.70 Annie Knize hatte das Bild dem Museum of Modern Art in New York als langfristige Leihgabe versprochen: »Ich hatte damit die Absicht fuer Egon Schiele der hier ziemlich unbekannt ist und den ich fuer einen grossen Meister halte, in Amerika Propaganda zu machen.«71 67 Vgl. Archiv des Bundesdenkmalamtes Wien, Zl. 8783/1950. 68 Vgl. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 157/1951. In der Sitzung vom 8.10.2010 konnte der Kunstrückgabebeirat die Rückgabe des Gemäldes an die Erben nach Jenny Steiner nicht empfehlen. 69 Vgl. Sophie LILLIE, Restitution als zweite Enteignung, in: Inka BERTZ, Michael DORRMANN (Hg.), Raub und Enteignung. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Begleitbuch zur Ausstellung Jüdisches Museum Berlin und Frankfurt, Göttingen 2008, S. 245–251. 70 Schreiben Otto Demus, Bundesdenkmalamt, an die Direktion der Österreichischen Galerie vom 14.11.1951; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 484/1948. 71 Schreiben Annie Knize, New York, an Fritz Novotny vom 8.4.1949; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 484/1948.
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Im Falle des Sammlers Otto Mandl, der »seine Zustimmung zur Ausstellung der 4 Schiele-Bilder auf der Biennale in Venedig unter der Voraussetzung erteilt [hatte], dass diese Bilder ihm nach Beendigung der Ausstellung ausfuhrfrei zur Verfügung stehen« wurde die Ausfuhr in die USA erst bewilligt, als er sich bereit erklärte, »das ihm gehörige und in Wien verwahrte Gemälde von Franz Eybl ›Sitzender Bauernjunge‹ mit einem Bild aus dem österreichischen Galeriebesitz einzutauschen«.72 Die bis dahin aus fünf Gemälden bestehende Schiele-Sammlung der Österreichischen Galerie erfuhr in den Jahren 1948 bis 1954 durch die Erwerbung von insgesamt elf Werken73 ihren größten Zuwachs. Als erste Nachkriegserwerbung erfolgte 1948 der Ankauf zweier Gemälde aus der Sammlung des Malers Hans Böhler.74 Erst nach Schieles Tod hatte Böhler mehrere Ölbilder erworben, darunter Hauswand und Die Familie (Kauerndes Menschenpaar) aus dem Jahr 1918. »Nach langer Überlegung theile ich Ihnen mit, dass ich mich mit dem Verkauf meiner Schielebilder Familie (S. 25.000.–) Fensterfront (S. 15.000.–) einverstanden erkläre.«75 Im Folgenden soll exemplarisch auf jene Werke näher eingegangen werden, die aus der Sammlung Heinrich Rieger stammen. Die Österreichische Galerie erwarb im Mai 1949 von der Galerie Welz in Salzburg Egon Schieles kleinformatiges Frühwerk Wiesenlandschaft mit Häusern aus dem Jahr 1907.76 Heinrich Rieger war als »Jude« den rassistischen Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt und wurde auch für seine Kunstsammlung, die Bruno Grimschitz 1938 mit 16.500 RM bewertet hatte, zur Leistung diskriminierender Abgaben gezwungen. Er kam im Oktober 1942 nach der Deportation in Theresienstadt ums Leben; seine Frau Berta wurde in Auschwitz ermordet. 72 Amtsbestätigung des Bundesdenkmalamtes Nr. 1368 vom 1.12.1948: Ausfuhr von »4 Bildern von Egon Schiele: Ansicht von Krumau, 2 Ansichten von Stein a. D., Kinderbildnis« [Otto Mandl als Kind, Anm. der Verf.] an Otto Mandl in die USA bewilligt; Archiv des Bundesdenkmalamtes Wien, Zl. 10.011/1948. Schreiben RA Robert Hentschel an Otto Demus, Bundesdenkmalamt, vom 30.11.1948; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 179/1948. Direktor Garzarolli-Thurnlackh hatte unter anderen Gustav Klimts Gemälde Allee vor Schloss Kammer als Tauschobjekt angeboten. Der Tausch fand in der Folge nicht statt. 73 1948 Hauswand, Die Familie, Porträt Hugo Koller; 1949 Wiesenlandschaft mit Häusern; 1950 Umarmung, Kardinal und Nonne, Bildnis Vally; 1951 Mutter mit zwei Kindern III; 1953 Bildnis Eduard Kosmack, Hockende Frauen; 1954 Bildnis Rainerbub. 74 Zu Hans Böhler als Schiele-Sammler vgl. NATTER 2003, S. 186–194. 75 Schreiben Hans Böhler, New York, an den Direktor der Österreichischen Galerie vom 11.9.1948; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 456/1948. 76 Aufgrund der Empfehlung des Kunstrückgabebeirates vom 25.11.2004 wurde das Gemälde im April 2006 an die Rechtsnachfolger_innen nach Dr. Heinrich Rieger ausgefolgt.
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Abbildung 5: Egon Schiele, Kardinal und Nonne, Leopoldmuseum Wien
Wesentliche Stücke seiner Kunstsammlung, darunter die Schiele-Gemälde Kardinal und Nonne (Abb. 5) und Umarmung (Liebespaar) sicherte sich der Salzburger Kunsthändler und Ariseur der Wiener Galerie Würthle, Friedrich Welz, dem 1947 in einer Anzeige, die »Arisierung eines grossen Teiles der stadtbekannten Kunstsammlung Dr. Rieger in Wien, aus der ungewöhnlichen Zwangslage des Besitzers heraus zu ungewöhnlichen Schleuderpreisen« vorgeworfen wurde.77 Im Dezember 1950 kam es zur Erwerbung von elf, zuvor von Friedrich Welz an die Erben nach Heinrich Rieger restituierten Kunstwerken durch die Österreichische Galerie,78 darunter die Schiele-Gemälde Umarmung und Kardinal und Nonne, aber 77 Schreiben Fritz Hoefner, kommissarischer Verwalter der Kunsthandlung Friedrich Welz in Salzburg, an die Staatsanwaltschaft des Volksgerichts Linz vom 26.6.1947; Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, Vg 11 Vr 6626/47 – Friedrich Welz. 78 Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 535/1950.
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Egon Schiele und das Belvedere
auch des Bildnis Vally,79 das Friedrich Welz 1938 von Lea Bondi-Jaray übernommen hatte und das irrtümlicherweise an die Rieger-Rechtsnachfolger übergeben worden war. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit der Erwerbung der Gemälde von dem nach New York vertriebenen Sohn Heinrich Riegers, Dr. Robert Rieger, einem nur als zynisch zu bewertenden Vorschlag Friedrich Welz’ »entsprochen« wurde. Welz hatte in einem Schreiben an Robert Rieger im Juni 1947 eine Präsentation der Rieger‘schen Kunstwerke in einer öffentlichen Sammlung angedacht: Nach Gründung der Salzburger Landesgalerie [...] [im Jahr 1944] hatte ich die Absicht die Gemälde aus der Sammlung Rieger nach Abklingen oder Brechung der Nazi Kunstdoktrinen derselben einzuverleiben. [...] Ich hatte [...] die Absicht, die Werke, die Ihr Herr Vater gesammelt hatte, in einer öffentlichen Sammlung weiterwirken zu lassen und ich glaube, daß damit auch im Sinne Ihres Herrn Vaters gehandelt worden wäre. Ich möchte nun auch heute mit der Bitte an Sie herantreten, diese Gemälde, die dem amerik. Geschmack wohl kaum entsprechen, in den Staaten wohl kaum einen nennenswerten Ertrag bringen können, wenn sie überhaupt verkäuflich sind, so wie dies hier in Österreich schon schwer möglich ist, in pietätvoller Weise einer öffentlichen Sammlung zu überlassen, ev. geschlossen unter dem Namen Ihres Herrn Vaters, dem damit ein würdiges Andenken bewahrt wäre.80
Das Gemälde Kardinal und Nonne verblieb allerdings nur wenige Jahre im Bestand der Österreichischen Galerie. Im Februar 1957 wurde es gemeinsam mit dem von Arthur Stemmer 1953 erworbenen Gemälde Zwei kauernde Frauen im Tausch unter anderen gegen Gustav Klimts Mohnwiese an Dr. Rudolf Leopold abgegeben. »Der in Wien bereits bekannte Schiele-Sammler Dr. Rudolf LEOPOLD [hatte sich] mit der Anfrage an die Österreichische Galerie gewendet, ob sie nicht etwa die beiden wegen des Darstellungsthemas nicht exponierten bzw. von der Exposition zurückgezogenen Schieles gegen Kunstwerke vertauschen würde, die für die Exposition von besonderem Interesse wären.«81 In der im Oberen Belvedere am 16. Juli 1954 eröffneten Galerie des 19. und 20. Jahrhunderts waren Egon Schiele im zweiten Stock die Säle XXI und XXII gewidmet. 79 Das Bildnis Vally wurde 1954 im Tausch gegen das aus der Sammlung Arthur Stemmer stammende Bildnis Rainerbub an Dr. Rudolf Leopold abgegeben. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 520/1954. 80 Schreiben Friedrich Welz an Robert Rieger, New York, vom 5.6.1947; Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, Vg 11 Vr 6626/47 – Friedrich Welz. 81 Schreiben der Direktion der Österreichischen Galerie an das Bundesministerium für Unterricht vom 7.2.1957; Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Zl. 125/1957.
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318 Monika Mayer Unter den im Katalog der Neuaufstellung angeführten 13 Werken des Künstlers ist das Gemälde Zwei kauernde Frauen angeführt; das Gemälde Kardinal und Nonne scheint im Katalog nicht auf. Im November 1955 ersuchte das Unterrichtsministerium die Direktion der Österreichischen Galerie um eine Reaktion auf die Aufforderung des Reichsbundes der Arbeit Schaffenden,82 der »die unverzügliche Entfernung der Bilder von Egon Schiele [z. B. Zwei Hockende Frauen] verlangt [hatte] […] diese [können] ›in ihrer nicht zu überbietenden Ordinärheit vielleicht als Bordell-Illustrationen üblich sein […] deren euphemistische Bezeichnung ›Kunst‹ (hat) auf keinen Fall eine andere Berechtigung […] als das Wort Liebe im Munde von Dirnen‹«.83 Der Direktor Karl Garzarolli-Thurnlackh, konnte in Beantwortung der dortigen Zuschrift […] zur Art und Ausdrucksweise der Beschwerde des Reichsbundes der Arbeit-Schaffenden […] nur […] [sein] Befremden feststellen. Von der Österreichischen Galerie würde ein solches Einschreiten keine Erledigung finden. Zum Gegenstande selbst darf bemerkt werden, daß Egon Schiele heute als durchaus anerkannte und höchst bedeutende künstlerische Erscheinung gewertet wird, sodaß eine Diskussion über die museale Zulässigkeit seiner Werke längst überflüssig ist. Der Vorfall erinnert an immer wieder auftauchende Beschwerden gleicher Art, wie sie schon an Michelangelos Jüngstem Gericht erhoben wurden.84
Abschließend sei die jüngste Schiele-Erwerbung der Österreichischen Galerie Belvedere angeführt. Mit dem Ankauf des Porträts Franz Martin Haberditzl (Abb. 1) im Jahr des hundertjährigen Bestehens des Museums 2003 gelang gewissermaßen die »Rückholung« des 1938 von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten Museumsdirektors, der sich besondere Verdienste nicht nur um die Förderung des Künstlers Egon Schiele erworben hatte.85
82 Zu dieser Organisation konnten keine näheren Informationen gefunden werden. 83 Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht an den Direktor der Österreichischen Galerie vom 17.11.1955; Archiv der Österreichischen Galerie, Zl. 696/1955. 84 Schreiben Karl Garzarolli-Thurnlackh an das Bundesministerium für Unterricht vom 24.11.1955; Archiv der Österreichischen Galerie, Zl. 696/1955. 85 Vgl. KOJA 2003; Monika MAYER, »Jüdisches« Mäzenatentum und die Österreichische Galerie 1903 bis 1938, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des internationalen Symposiums in Wien, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 19–35.
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Wien – London und retour? NS-Provenienzforschung an der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte der Universität Wien
Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf
Einleitung
Seit 2004 wird an der Universitätsbibliothek (UB) Wien NS-Provenienzforschung durchgeführt. Das zunächst nur auf die Hauptbibliothek bezogene Projekt wurde 2006 um den dezentralen Bereich der UB Wien, das heißt die Fachbereichs- und Institutsbibliotheken, zu denen auch die Fachbereichsbibliothek (FB) Kunstgeschichte zählt, erweitert. Insgesamt wurden mehr als 400.000 Bücher geprüft. Über 62.000 Bücher kamen auf die Liste für die weitergehende Recherche. Nach einer ersten Auswertung wurden bisher mehr als hundert Falldossiers angelegt.1 Bei insgesamt 2.185 Büchern, einem Nachlassfragment und fünf Gipsabgüssen wurde bisher auf Rückgabe entschieden.2 Im Folgenden liegt der Fokus auf jenen an der FB Kunstgeschichte aufgefundenen Provenienzen, deren Vorbesitzer vor oder nach dem »Anschluss« im März 1938 aus politischen oder rassistischen Verfolgungsgründen vor dem NS-Regime nach England emigrieren mussten.
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Für einen Überblick zu den Zwischenergebnissen der NS-Provenienzforschung an der UB Wien vgl. Markus STUMPF: Ergebnisse der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, S. 113–132 [online abrufbar unter: http://eprints. rclis.org/17777/ bzw. http://phaidra.univie.ac.at/o:291812 (30.7.2013)]. Zum aktuellen Stand siehe die Website der NS-Provenienzforschung der UB Wien, http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung. html (30.4.2014). Im Zuge der Autopsie, die bis 2008 an fast allen Fachbereichsbibliotheken der UB Wien abgeschlossen wurde, konnte auf den durch die Novellierung des Kunstrückgabegesetzes im Jahr 2009 erweiterte Untersuchungszeitraum von 1938 auf 1933 rückwirkend nicht nachgekommen werden; vgl. BGBl I 117/2009, http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2009_I_117/BGBLA_2009_I_117. pdf (30.7.2013).
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320 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Eine kurze Geschichte des Instituts für Kunstgeschichte
Die Wiener Lehrkanzel für Kunstgeschichte und Kunstarchäologie wurde als eine der ersten in Europa im Jahr 1852 eingerichtet, mit Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817–1885) besetzt und 1879 um einen zweiten Lehrstuhl erweitert. Kunsthistoriker wie Moritz Thausing (1838–1884), Franz Wickhoff (1853–1909) und Alois Riegl (1858–1905) sollten die Grundlagen für die Wiener Schule der Kunstgeschichte schaffen.3 1909 wurden die beiden Lehrstühle von Max Dvořák (1874–1921) und Josef Strzygowski (1862–1941) besetzt, deren persönlichen und methodischen Auseinandersetzungen zur räumlichen Trennung des Instituts im Jahr 1911 geführt haben. Das I. Kunsthistorische Institut unter Strzygowski bestand bis zu dessen Emeritierung im Jahr 1933. Dvořáks Kunsthistorischer Apparat wurde 1920 in II. Kunsthistorisches Institut umbenannt. 1936 wurden die beiden Institute wieder zu einem zusammengeführt, das von 1936 bis 1945 von Hans Sedlmayr (1896–1984) geleitet wurde. Nicht erst mit dem nationalsozialistisch geprägten neuen Ordinarius, der schon von 1930–1932 NSDAPMitglied4 war, wurde antisemitische Ausgrenzung am Institut deutlich. Antisemitische Berufungspraxis5 und die Blockierung akademischer Karrieren von Personen die als jüdisch6 definiert wurden, lassen sich an der Universität Wien bis weit in das 19. Jahrhundert ausmachen. Nicht wenige Absolvent_innen verließen schon vor 1938 die Wiener Kunstgeschichte, da diese seit der Ersten Republik in einer antidemokratischen, deutschnationalen und antisemitischen Tradition7 stand, um in Deutschland, England oder den USA eine Anstellung zu finden.8 So übersiedelte Fritz Saxl (1890–1948), der spätere Direktor des Warburg Institutes, bereits 1914 nach Hamburg, da er nach Beendigung seines Studiums nicht zuletzt aufgrund seiner jüdischen Herkunft keine Anstellung in Wien fand.9 3 4
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Vgl. Maximilian HARTMUTH, Golo MAURER, Raphael ROSENBERG, Kunstgeschichte an der Universität Wien, http://kunstgeschichte.univie.ac.at/institut/profil-geschichte-des-instituts/ (30.7.2013). Vgl. Hans H. AURENHAMMER, Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien, in: Kunst und Politik – Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Kunst und Politik 5 (2003), S. 161–194, hier: S. 162. Vgl. Mitchell G. ASH, Jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Wien von der Monarchie bis nach 1945. Stand der Forschung und offene Fragen, in: Oliver RATHKOLB (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 93–122, hier: S. 101. Zur Frage der fremdbestimmten Identitätszuschreibung vgl. ASH 2013, S. 94 ff. Vgl. AURENHAMMER 2003, S. 163. Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 363; vgl. AURENHAMMER 2003, S. 163. Vgl. Dorothea McEWAN, Ausreiten der Ecken. Die Aby Waburg-Fritz Saxl Korrespondenz 1910–1919
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Wien – London und retour?
Kurz nach dem »Anschluss« Österreichs am 12. März 1938 wurden die durch die Nürnberger Gesetze als jüdisch definierten Lehrenden oder politisch Andersdenkende sowie Befürworter des austrofaschistischen Regimes, von der Universität Wien noch vor dem Erlass des Berufsbeamtengesetzes im Mai 1938 entlassen.10 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Institutsvorstand Hans Sedlmayr suspendiert und 1946 aufgrund von Entnazifizierungsmaßnahmen mit einem Berufsverbot belegt.11 Mit dem Nachfolger Karl Maria Swoboda (1889–1977) wurde auf fachliche Kontinuität – Swoboda war als Assistent bei Dvořák tätig – an der Wiener Kunstgeschichte gesetzt. Swoboda wurde als politisch unbelastet eingestuft, sodass die zuständige Fakultätskommission seine beruflichen Tätigkeiten während der NSZeit, wie für den »Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften«, als nicht verhindernd für eine Bewerbung ansah.12 Nach 1945 blieb die Remigration gering, nicht zuletzt da sich die universitäre Leitung in Wien selten um die Rückholung vertriebener Wissenschafter_innen bemühte.13 Nur wenige der ehemaligen Studierenden kehrten wie Otto Demus (1902–1990) oder Otto Pächt (1902–1988) aus der Emigration zurück an die Universität Wien. Mehr als 2.700 Angehörige der Universität Wien wurden aus rassistischen oder politischen Gründen vom NS-Regime vertrieben, verfolgt oder ermordet.14 Für die 2010 eröffnete Ausstellung Ausgegrenzt, vertrieben, ermordet wurden gemeinsam von Studierenden und der Initiative Kunstgeschichte Lebenswege ehemaliger Studierenden der Kunstgeschichte nachgezeichnet und auf der Onlineplattform Wiener Kunstgeschichte gesichtet veröffentlicht.15
(= Kleine Schriften des Warburg Institute London und des Warburg Archiv im Warburg-Haus Hamburg 1), Hamburg 1998, S. 28. 10 Vgl. ASH 2013, S. 111 und S. 114. 11 Vgl. Hans H. AURENHAMMER, Das Wiener Kunsthistorische Institut nach 1945, in: Margarete GRANDNER, Gernot HEISS, Oliver RATHKOLB (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945–1955 (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte 19), Innsbruck-Wien-München-Bozen 2005, S. 174–188, hier: S. 174. 12 Vgl. AURENHAMMER 2005, S. 176 f. 13 Vgl. ASH 2013, S. 117. 14 Vgl. Das Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, das 2008 fertig gestellt werden konnte, verzeichnet für die gesamte Universität Wien mehr als 2.700 Lehrende und Studierende, die im NS-Regime vertrieben, verfolgt oder ermordet wurden, vgl. http://gedenkbuch.univie. ac.at/ (30.7.2013). 15 Vgl. http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/ausstellung-ausgegrenzt-vertrieben-ermordet/10/neste/51.html (30.7.2013); vgl. FEICHTINGER 2001, S. 362 ff.; vgl. Wiener Kunstgeschichte gesichtet, http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/ausstellungmenu.html (30.7.2013).
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322 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Zur NS-Provenienzforschung an der FB Kunstgeschichte16
Die Durchsicht der Bestände der FB Kunstgeschichte wurde im Juni 2007 im Wesentlichen abgeschlossen. Insgesamt wurden etwa 1.480 Signaturen (rund 2.380 Bände) für die weitere Recherchen dokumentiert. Zusätzlich erfolgte die Überprüfung der vier vorhandenen Inventarbücher17 auf Erwerbungs- und Provenienzangaben. Für die Provenienzforschung stand das Inventarbuch Bibliothekskatalog II. Inventar 1–10.619 im Fokus, da es den Untersuchungszeitraum von 1938 bis 1945 abdeckt. Die letzte Inventarnummer (10.619) wurde im Jahr 1951 eingetragen. Die Bezeichnung Bibliothekskatalog II. bezieht sich wahrscheinlich auf das II. Kunsthistorische Institut.18 Im Inventarbuch selbst wurde jedenfalls der Begriff Österreich durch Ostmark ersetzt. Für die Provenienzforschung waren die Vermerke der in den 1930er Jahren durchgeführten Revisionen relevant, um Eingänge datieren zu können bzw. eine Annäherung zu ermöglichen. Das genaue Datum der ersten Revision, auf die ein Häkchen im Inventarbuch 1 (Inventarnummer 1 bis 5506) hinweist, ist unbekannt. Einen Hinweis liefert jedoch eine Rechnung der Buchhandlung Gerold & Co aus dem Jahre 1937, auf der unter anderem das Buch Bauwerk Reichssportfeld19 aufgelistet wird, das im Inventarbuch 1 der Kunstgeschichte die Inventarnummer 5583 erhalten hatte und nicht mehr mit dem ersten Revisionszeichen versehen worden war.20 Dieses Buch wurde also um die Jahreswende 1937/1938 inventarisiert, womit sich die Durchführung der ersten Revision spätestens auf das Jahr 1937 einschränken lässt. Am 3. November 1939 fand die zweite Revision statt, die im Inventarbuch 1 mit dem Kreis-Symbol angezeigt wird. Dieses Zeichen findet sich durchgehend bis zur Inventarnummer 5990. Somit kann angenommen werden, dass die Bücher ab der Inventarnummer 5991 nach dem 3. November 1939 eingegangen sind. Die dritte Revision, mit einem Plus-Sym16 Die Zusammenfassung basiert in wesentlichen Bereichen auf dem internen »Endbericht FB Kunstgeschichte«, verfasst von Eva Dobrovic, Stand: 15.2.2010. Eva Dobrovic ist für Ihre Vorarbeiten im Rahmen des Arbeitsbereiches NS-Provenienzforschung der UB Wien herzlich zu danken! 17 Inventarbuch 1: Bibliothekskatalog II. Inventar 1–10.619 bis Jänner 1951. Inventarbuch 2: Bibliothekskatalog II. Inventar 10.620–26.155 ab Jänner 1951–Juni 1971. Inventarbuch 3: [keine Bezeichnung mehr lesbar] ab Juni 1971–November 1986. Inventarbuch 4: [keine Bezeichnung] ab November 1986–1994. Anschließend erfolgte die Umstellung auf automatisierte Bibliothekssysteme (BIBOS, ALEPH). 18 Die Annahme beruht auf dem Vergleich einer Inventarliste des I. Kunsthistorischen Instituts aus dem Jahr 1930 mit dem Bibliothekskatalog II., wobei keine Übereinstimmungen der Titel festgestellt werden konnten; vgl. Archiv des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien (AIKGS), Liste »Inventar der im Kalenderjahr 1930 vom I. Kunsthistorischen Institut der Universität Wien, Lehrkanzel Strzygowski erworbenen Bücher«. 19 Werner MARCH, Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936 [Signatur: Dtld.Berl.-002]. 20 Vgl. AIKGS, Rechnung Nr. 1097, Gerald & Co Buchhandlung Wien, 31.12.1937.
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Abbildung 1: Auszug aus dem Bibliothekskatalog II. Inventar 1–10.619 der FB Kunstgeschichte, »Ostmark« ersetzt »Österreich«, Revisionszeichen.
bol gekennzeichnet, wurde bis zur Inventarnummer 7159 zwischen 1939 und September 1940 durchgeführt. Weitere Datierungshinweise beginnen sich ab dem Band Inv. Nr. 4930 zu mehren. Einige Male lassen sich die Einträge fehlt seit 1944 bzw. fehlt seit 1946 finden, die mit der Auslagerung von 1943 und der Rückführung 1945/46 der Bibliothek in Zusammenhang stehen. Bei den Inventarnummern 7569–7954 wurde mit wenigen Unterbrechungen das Eingangsdatum zwischen 28. Juni 1942 und 16. Dezember 1943 eingestempelt. Nach der Auflösung des I. Kunsthistorischen Instituts gab es keine ausgewiesene Trennung mehr zwischen I. und II. Institut. Ab 1934 wurde daher ein neuer Rundstempel mit der Bezeichnung Kunsthistorisches Institut der Universität Wien verwendet,21 der ein weiteres wesentliches Indiz für die Provenienzforschung darstellt. Provenienz Otto und Lili Fröhlich
Die Relevanz der angeführten Zuordnungen zeigt sich im Fall des Ehepaars Otto Fröhlich (1908–1975) und Lili Fröhlich (1886– nach 1975), geborene Caroline Bum(e). Beide studierten sie bei Riegl bzw. Dvořák Kunstgeschichte und waren im Kunsthandel tätig. Im März 1938 mussten sie emigrieren, da sie als Juden verfolgt wurden.22 Der Kunsthistoriker und Psychoanalytiker Ernst Kris (1900–1957) setzte 21 Freundliche Mitteilung von Georg Vasold (Institut für Kunstgeschichte) an Eva Dobrovic, E-Mail-Kommunikation, 21.7.2010. 22 Vgl. Ulrike WENDLAND, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, München 1999, S. 180 f; vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/l_frohlich-bume.html (30.7.2013); vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_froehlich.html (30.7.2013).
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324 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Abbildung 2: Ex Libris Dr. Otto und Dr. Lili Fröhlich
sich, wie auch für viele andere, für die Einreise von Lili Fröhlich nach England ein.23 Das Ehepaar Fröhlich verstarb in England. Im Zuge der Provenienzforschung wurde im Buch Die Gemälde und Zeichnungen des Antonio Pisano aus Verona24 das Exlibris von Otto und Lili Fröhlich aufgefunden. Der Stempel des II. Kunsthistorisches Institut sowie verschiedener Revisionszeichen im Inventarbuch geben jedoch Hinweise darauf, dass das Werk bereits vor 1934 von der kunstgeschichtlichen Bibliothek erworben wurde. Provenienz Fritz Saxl und der »S-Inventarnummernbestand«
Im Zuge der Provenienzforschung wurde eine Druckschrift25 mit dem Stempel »Fritz Saxl« gefunden. Ausgehend von der Provenienz Fritz Saxl lassen sich über den durch die Provenienzforschung erfassten so genannten »S-Inventarnummernbestand« Querverbindungen zwischen der NSDAP Gauleitung in Wien, vertriebenen Absolvent_innen und Professoren des Wiener Kunstgeschichte Instituts und dem Warburg Institute in London nachzeichnen.26 Fritz Saxl wurde als Felix Friedrich Saxl am 8. Jänner 1890 in Wien geboren und konfessionslos erzogen. Von 1909 bis 1912 studierte er Kunstgeschichte in Wien und
23 Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 369. 24 Kurt ZOEGE VON MANTEUFFEL, Die Gemälde und Zeichnungen des Antonio Pisano aus Verona, Univ. Diss. Halle-Wittenberg 1909 [Signatur: K.M. Pisa. 38-007; Inventarnummer: 686; Provenienzvermerk im Buch: Ex Libris Dr. Otto und Dr. Lili Fröhlich (Etikette); X f 94, Fröhlich (handschriftlich); II. Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]. 25 Bruno Archibald FUCHS, Die Ikonographie der 7 Planeten in der Kunst Italiens bis zum Ausgang des Mittelalters, Univ. Diss. München 1909 [Signatur: Ikonogr.allg.-041; Inventarnummer: S 612; Provenienzvermerk: Fritz Saxl (Stempel); Universitätsbibliothek Wien Fachbibliothek für Kunstgeschichte (Stempel)]. Das genaue Eingangsdatum der Druckschrift konnte nicht eruiert werden. 26 Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 354 ff.
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Wien – London und retour?
Abbildung 3: Stempeleintrag Fritz Saxl
Berlin und promovierte 1912 bei Max Dvořák an der Wiener Universität mit seinen Rembrandt-Studien.27 Ein weiteres Merkmal findet sich in dieser Druckschrift. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde es mit der handschriftlich eingetragenen Nummer »S 612« versehen. Durch die »S«-Inventarnummern ist eine Verbindung zwischen Teilen des Nachlasses des Wiener Professors Josef Strzygowski (1862–1941), langjährigen Ordinarius des I. Kunsthistorischen Instituts und Doktorvater Saxls und der Druckschrift Saxls gegeben. Somit wurden der Nachlass Strzygowskis und der so genannte »S-Inventarnummernbestand« für die Provenienzforschung interessant. Da in den Inventarbüchern der FB Kunstgeschichte die »S«-Nummern nicht verzeichnet sind und keine anderen Dokumente mit einer Auflistung aufgefunden werden konnten, erfolgte die Analyse des »S-Inventarnummernbestandes« über den Bibliothekskatalog und kann aufgrund diverser Problemstellungen nur eine Annäherung bieten.28 Insgesamt sind im Bibliothekssystem 1.312 Bände mit einer S-Inventarnummer dokumentiert.29 Tatsächlich beginnt der erfasste S-Inventarnummernbereich zwar mit S-1 und reicht relativ kontinuierlich mit mehr oder weniger großen Lücken bis zur Inventarnummer S-1415. Danach sind nur mehr wenige einzelne Inventarnummern in den nächsten Tausenderstellen zu finden. Als höchste Inventarnummer des S-Bestands ist fälschlicherweise die Inventarnummer S-6330 im Bibliothekskatalog dokumentiert.30 27 Vgl. McEWAN 2012, S. 15; vgl. Archiv der Universität Wien, Rigorosenakten der Philosophischen Fakultät (1870 (ca.)–2003), PH RA 3425 Saxl, Friedrich (1912.5.11.–1913.10.15), http://scopeq. cc.univie.ac.at/Query/detail.aspx?ID=210799 (30.7.2013). 28 Bei der Eintragung der S-Inventarnummern kann es zu Fehlern gekommen sein kann, da die Zielsetzung in einer retrospektive bibliographische Erfassung bestand und nicht in der Dokumentation spezifischer Exemplarangaben, wie etwa Inventarnummern und allfälligen Erwerbungsangaben. Hinzu kommen die Problemstellungen einer Gebrauchsbibliothek, bei der die Nutzung der Werke als vordringliche Aufgabe gesehen wird und der Aspekt der Erhaltung der Bücher als Sammlung in den Hintergrund tritt. 29 Abfrage im Bibliothekssystem ALEPH der UB Wien durch das Systemteam am 17.6.2013 (mit herzlichem Dank an Christian Authried/Universitätsbibliothek Wien). 30 Bei einer Stichprobenüberprüfung (30.7.2013) konnte die Inventarnummer nur ohne »S-« vorgefunden
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326 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Die vorhandene Exemplaranzahl pro Erscheinungsjahr ergibt eine Schwerpunktsetzung in den Jahren 1896 bis 1928, wobei das Erscheinungsjahr 1912 mit 59 Bänden am stärksten vertreten ist. Die große Bandbreite der Sammlung zeigt sich bei Betrachtung der Verlage und der Erscheinungsorte. Insgesamt sind 594 auf 274 Erscheinungsorte verteilte Verlage gelistet.31 Inhaltlich finden sich in der Sammlung verschiedenste Themenbereiche: Enzyklopädien, Quellenwerke, kunsthistorische Werke zu verschiedensten Ländern und Epochen aber auch Führer zu Museumssammlungen und einzelne Zeitschriftenbände. Eine Schwerpunktsetzung lässt sich ob der großen regionalen und thematischen Bandbreite nicht eindeutig festmachen. Während die ältesten zwei Werke32 dieses Bestands aus dem Jahr 1680 stammen, sind insgesamt nur drei Werke mit einem Erscheinungsjahr nach 1941 verzeichnet.33 Dies stützt die Arbeitshypothese, dass es sich bei dem Bestand um einen Teil des Nachlasses Strzygowskis handelt.34 Ein großer Bestandteil der Bibliothek des I. Kunstgeschichtlichen Instituts stammte aus Strzygowskis Privateigentum, so dass mit seiner Emeritierung 1933 wichtige Bestände zur außereuropäischen Kunst dem nun zusammengeschlossenen Kunsthistori-
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werden. Die nächsthöchste im Bibliothekssystem ausgewiesene Inventarnummer S-5505 war nicht am Platz, so dass als höchste überprüfte Inventarnummer dieses Bestands S-4160 gilt. Die größte Anzahl ist bei Weber (Bonn) mit 38 Nennungen, gefolgt von Reimer (Berlin) und Leroux (Paris) mit je zwanzig Nennungen gegeben. Charles Du Fresne DU CANGE, Historia Byzantina duplici commentario illustrate; Prior familias ac stemmata imperatorum Constantinopolitanorum, cum eorundem Augustorum nomismatibus, & aliquot iconibus; praeterea familias Dalmaticas & Turcicas complectitur: alter descriptionem urbis Constantinopolitanae, qualis extitit sub imperatoribus christianis, Lutetiae Parisiorum Paris 1680 [Inventarnummer: S371; Signatur: Quellen.Byz.-008]. Charles Du Fresne DU CANGE, Constantinopolis Christiana, seu descriptio urbis Constantinopolitanæ, qualis exstitit sub imperatoribus Christianis, ex variis scriptoribus contexta & adornata : libri quatuor, Paris 1680 [Inventarnummer: S376; Signatur: Quellen.Guiden.Byz.-002]. Es kann vermutet werden, dass die ebenfalls verzeichneten zwei Bücher aus 1942 (Béla KELEMEN, Német-magyar és magyar-német nagyszótar, Budapest 1942 (4. Aufl.) [Inventarnummer: S35; Signatur: Wörterbücher.Ungar.-002] und Fritz KLIMSCH, Fritz Klimsch (=Die Kunstbücher des Volkes: Kleine Reihe 10), Berlin 1942 [Inventarnummer: S113; Signatur: K.M.Klim.13-002]) und ein Buch aus 1943 (Kurt LANGE, Ägypten. Landschaft und Kunst, Berlin 1943 [Inventarnummer: S174; Signatur: Altorient.Ägypten-022]) nach dem Tod Strzygowskis der Sammlung hinzugefügt wurden. Ein weiterer Ausreißer wird mit geschätztem Erscheinungsjahr 1950 (Vladimir MARINKOVIĆ, Atlas kulture. Kralévine, Srba, Hrvata i Slovenaca, Beograd [1950] [Inventarnummer: S755; Signatur: Geographie-038]) angeführt. Dies kann aber mit einem falsch zugeordneten Erscheinungsjahr des Buches erklärt werden. In der Nationalbibliothek Dänemarks wird das ermittelte Erscheinungsjahr jedenfalls mit 1922 angegeben, vgl. http://bibliotek.dk/linkme.php?ccl=lid%3D006747051+og+lok%3D810010 (30.7.2013). Swoboda schreibt am 11.11.1953 an das Rektorat: »Die so übernommenen Bestände wurden im Kunsthistorischen Institut gesichtet, wobei der wissenschaftliche Nachlaß von Prof. Strzygowski als eigener, besonders gekennzeichneter Teil in die Institutsbibliothek aufgenommen wurde«. Dies dient als weiterer Hinweis, dass die Bücher des Nachlasses mit den S-Inventarnummern versehen wurden.
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schen Institut nicht mehr zur Verfügung standen. Im Jahr 1949 begann der damalige Institutsvorstand Karl Swoboda sich um den Nachlass zu bemühen und somit die »Spezialbibliothek für diesen Forschungsbereich«35 wieder zu vervollständigen. Aus der Korrespondenz zur Rückgewinnung des Nachlasses zwischen 1945 und 1951 geht hervor, dass die nationalsozialistisch eingestellte Hertha Strzygowski36 1940 zumindest einen Teilvorlass ihres Mannes an die NSDAP Gauleitung verkauft haben soll. Im Verlassenschaftsakt37 vom 2. Jänner 1941 wird unter anderem eine Bibliothek aufgezählt, deren Verwaltung Strzygowski in seinem Testament38 seiner Ehefrau überantwortet. Es werden zwei Interessent_innen für den Ankauf des Bestands durch die NSDAP erwähnt. Entweder sollte dieser in Besitz der Hohen Schule der NSDAP am Chiemsee oder an die Gaubibliothek in Wien übergehen. Fest steht, dass der Bestand in Wien verblieb und zunächst im Gauhaus, das ab 1940 im Parlamentsgebäude39 untergebracht war, gelagert wurde. Anfang des Jahres 1945 wurde der Bestand zumindest zu einem Teil in die Hermesvilla40 im 13. Gemeindebezirk geborgen. Der Verkauf wird in verschiedenen Aussagen mit einer Summe zwischen 30.000 und 40.000 RM beziffert.41 Der Ankauf durch die NSDAP lässt sich in 130 Büchern aus dem Nachlass Strzygowski durch den Stempel Eigentum der NSDAP Gauleitung Wien belegen. Dass nur 35 AIKGS, Aktenzahl 54 -Nachlass Strzygowski, Schreiben Swoboda an das Bundesministerium für Unterricht am 8.4.1949. Mit besten Dank an Herrn Dr. Friedrich Polleroß/Archiv des Instituts für Kunstgeschichte, für die Hilfestellung zur Auffindung der Akten. 36 Vgl. Besprechung der Ausstellung von Zeichnungen Hertha Strzygowski zum Umsiedlerlager Semlin. In: Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien, Gaupressearchiv, Karton 30/11, Mappe 1, Akt 14, »Wennscht nit still bischt, derfscht nit mitfahre …« »VB.«-Gespräch mit der Malerin Hertha Strzygowski, Völkischer Beobachter, Wien, 1.3.1941. 37 Vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), BG Hietzing A5/7 –7P 42/41, Verlassenschaftsabhandlung Josef Strzygowski, gest. 2.1.1941. 38 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Abschrift des Testament Josef Strzygowski, Nr. 8751940. 39 Zu den ersten Ergebnissen der Provenienzforschung in der Parlamentsbibliothek vgl. Harald WENDELIN, Die Provenienzforschung in der Bibliothek des Parlaments. Ergebnisse einer Pilotstudie, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken: Anspruch und (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch, S. 371–390 [online abrufbar unter: http://eprints.rclis. org/17816/ (30.7.2013)]. 40 Im Akt wird an anderer Stelle von Nebengebäuden der Hermesvilla in Lainz als Bergungsstelle gesprochen; vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Stadtrat Matejka an Prof. Czermak, 22.9.1945. Ein Schreiben der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien an Anna Höck [die Autor_innen gehen davon aus, dass es sich hier um Anna Heck handelt] vom 10.1.1945, in dem sie zu einer Besprechung zwecks Bergung von Kulturgütern geladen wird, gibt Hinweis auf den Zeitraum der Bergung. 41 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Kraus an Heck, 101.1945.
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328 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf wenige Bücher gestempelt wurden, kann als Hinweis gesehen werden, dass die Lagerung im Gauhaus42 vor der Überbringung des Bestands in die Hermesvilla nicht von langer Dauer war. Von dort wurden die Bücher zum Kriegsende in 75 Kisten in die Städtische Sammlung und in 20 Kisten in die Privatwohnung der Kunsthändlerin Anna Seidl-Heck43 gebracht, die nach eigenen Angaben »in den letzten Kriegsjahren zur Bergung von Kunstgütern etc.« eingesetzt wurde und sich unter anderem um die Räumung des Strzygowski-Bestands aus der Hermesvilla kümmern musste.44 Aus einem Schreiben des Kulturrats Viktor Matejka (1901–1993) an Professor Czermak vom 22. September 1945 geht hervor, dass die Bibliothek Eigentum der Stadt Wien sei.45 Die treuhändige Verwahrung hatte die Städtische Sammlung, angesiedelt in der Magistratsabteilung 10, übernommen. Im Jahr 1951 wurde der vormals aufgeteilte Nachlass von Strzygowski, der Bücher sowie Manuskripte und Korrespondenzen umfasste, mit dem ausdrücklichem Einverständnis von Hertha Karasek-Strzygowski dem Kunsthistorischen Institut zur treuhändigen Verwahrung übergeben.46 In Teilen des Nachlasses Strzygowskis lassen sich daher verschiedene Hinweise und Vermerke finden, die in Kombination oder einzeln auftreten. In knapp 760 Büchern finden sich konkrete Hinweise in Form von Stempel oder handschriftlichen Vermerken auf den Nachlass von Strzygowski.47 Eine Kombination mit einer S-Inventarnummer findet sich in 390 Büchern. 130 Bücher aus dem gekennzeichneten Nachlass wei42 In der Parlamentsbibliothek wurden im von 2009-2012 durchgeführten Provenienzforschungsprojekt unter der Leitung von Harald Wendelin Forschungsbüro – Verein für wissenschaftliche und kulturelle Dienstleistungen keine Provenienzvermerke Strzygowskis aufgefunden. Mit herzlichen Dank für die Auskunft an Harald Wendelin, E-Mail-Kommunikation am 31.7.2013. 43 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Schreiben Swoboda an das Rektorat der Universität Wien am 11.11.1953; vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Schreiben von Annie SeidlHeck, Keramische Werkstätten Wien XV., Karmeliterhofgasse 5, an den Rektor der Universität Wien am 15. Juni 1946. Heck wurde vom Kulturamt der Stadt Wien mit der Bergung der Strzygowski-Bibliothek aus der Hermesvilla beauftragt; vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski. 44 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Gedenkprotokoll 28.5.1951 über Aussage von Anna Heck verfasst von Renate Rieger. Der damalige Dekan der philosophischen Fakultät Wilhelm Czermak (1889–1953) bestätigt die Beauftragung Anna Hecks mit der vorläufigen Verwahrung des Bestandes, wobei die rechtliche Basis hierfür ungeklärt ist; vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Schreiben von Czermak an Heck am 11.6.1945. 45 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Stadtrat Matejka an Czermak, 22.9.1945. 46 Vgl. AIKGS, Aktenzahl 54 - Nachlass Strzygowski, Schreiben von Hertha Karasek-Strzygowski an Swoboda am 30.11.1953. 47 Eine Druckschrift weist den Vermerk »Hertha Strzygowski« auf. Einige weisen eine Widmung an oder den Namensvermerk Strzygowski auf. Zumeist sind die Bücher mit dem Stempel »Nachlaß Josef Strzygowski im Kunsthistorisches Institut der Universität Wien« bzw. »Nachlass Josef Strzygowski« versehen worden.
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sen den Stempel Eigentum der NSDAP Gauleitung auf, wovon wiederum 60 Bücher in Kombination mit eine S-Nummer auftreten. Ungeklärt bleibt jedoch, zu welchem Zeitpunkt und aus welchem Grund die Druckschrift Saxls in diesen »S-Inventarnummerbestand« einbezogen wurde. Nach derzeitigem Kenntnisstand verwahrt die Universität Wien damit einen Bestand von mindestens 130 Büchern aus dem Eigentum der NSDAP, der mit dem Nachlass von Josef Strzygowski an die FB Kunstgeschichte gekommen ist und muss sich der Aufgabe eines adäquaten Umgangs stellen.48 Warburg Institute: Wissenschaftliche Anknüpfung in der Emigration
Die mit Saxls Stempel versehene Dissertation Ikonographie der 7 Planeten in der Kunst Italiens bis zum Ausgang des Mittelalters von Bruno Archibald Fuchs49 (1881–1921) aus 1909 spiegelt sein Interesse für Astrologiegeschichte sowie antike und mittelalterliche Sterngläubigkeit wider, das ihn im Übrigen mit dem Kulturwissenschafter Aby Warburg (1866–1929) verbinden sollte.50 Im Zuge der Provenienzforschung konnte keine rechtmäßige Erwerbung der Druckschrift von Seite der Universitätsbibliothek Wien nachgewiesen werden, sodass zu Beginn 2014 die Restitution veranlasst wurde.51 Der reisefreudige Saxl lernte Warburg schon 1911 in Hamburg kennen und trat 1914 als wissenschaftlicher Assistent in dessen 1902 gegründete kulturwissenschaftliche Bibliothek ein. Später trug er maßgeblich dazu bei, die Bibliothek zu einem pluridisziplinären kultur- und kunstwissenschaftlichen Forschungsinstitut von öffentlichem Interesse auszubauen.52 Aufgrund des Kriegseinsatzes für die österreichisch48 Zu einer ähnlichen Problemstellung mit einem Bestand des SS-Ahnenerbes an der Universität Wien vgl. Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF: »Machen Sie es ordentlich, damit man nachher, wenn wir die Bücher ihren Besitzern zurückgeben, nicht sagt, es hätten Schweine in der Hand gehabt. «Die Orientalistik – Ergebnisse der NS-Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien, in: Mitteilungen der VÖB 65 (2012), Nr. 1, S. 39–78 [online abrufbar unter: http://eprints.rclis.org/17180/ (30.7.2013)]. 49 Das Münchner Kunstgeschichte Institut listet Bruno Archibald Fuchs Dissertation aus dem Jahr 1909. Strzygowski hatte 1885 in München zur Ikonographie der Taufe Christi bei Brunn promoviert. Vgl. http://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/diss/diss_abgeschl/index.html (30.7.2013). Siehe Fußnote 25 für die bibliographische Beschreibung. 50 Vgl. McEWAN 2012, S. 16; vgl. BING 1957, S. 5. 51 Vgl. http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung-restitutionen.html (4.3.2014). 52 Vgl. McEWAN 2012, S. 10–12; vgl. BING 1957, S. 18. Der wissenschaftliche Fokus liegt auf der Erforschung von Kontinuitäten der Antike über die Renaissance bis zur Gegenwart, ohne sich auf geisteswissenschaftliche Zugänge zu beschränken. Vgl. Dorothea McEWAN, A Tale of One Institute and Two
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330 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf ungarische Armee von 1915 bis 1918 an der italienischen Front und der folgenden Tätigkeit in der Erwachsenenbildung für heimkehrende Soldaten, kehrte er erst 1920 als interimistischer Leiter der Warburg Bibliothek nach Hamburg zurück.53 Nach dem Tod von Warburg 1929 wurde er als Freund Warburgs und dessen Assistent zum Leiter der Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (KBW), die seit 1927 von der gleichnamigen Stiftung gefördert wurde,54 in Hamburg bestimmt.55 Die Anbindung an die Universität Hamburg wurde in Folge stärker und Saxl wurde zum Extraordinarius berufen.56 Schon zu Beginn der 1930er Jahre sahen sich Saxl und seine Mitarbeiter der Herausforderung gegenüber, die KBW aus finanziellen, wissenschaftlichen und politischen Notwendigkeiten umzusiedeln.57 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland am 30. Jänner 1933 erforderten die neuen politischen Gegebenheiten schnelles Handeln. Im Jahr 1933 sollte Saxl nicht nur die Warburg Bibliothek vor dem NS-Regime in der Emigration in Sicherheit bringen, sondern auch seine eigene Person. Der Zwangspensionierung auf Grundlage des Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 beugte er durch die Einreichung seiner Kündigung an der Hamburger Universität vor.58 Mit der Unterstützung der Familie Warburg sowie englischer Kunsthistoriker wie William George Constable (1887–1976) vom kunsthistorischen Courtauld Institute, der vom Academic Assistance Council59 angesprochen wurde, konnte die Bibliothek in der Größe von über 55.000 Büchern zusammen mit der Fotografien-Kollektion sowie Bibliotheksinventar noch im Dezember 1933, als Leihgabe an die University of London getarnt, übersiedelt werden.60 Im Mai 1934 eröffnete die
Cities: The Warburg Institute«, in: Ian WALLACE (Hg.), German-Speaking Exiles in Great Britain, The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies 1 (1999), S. 25–42, hier: S. 25. 53 Vgl. McEWAN 2012, S. 17. 54 Vgl. McEWAN 1999, S. 29. 55 Vgl. McEWAN 2012, S. 11–12.; vgl. Bing 1957, S. 18. 56 Vgl. BING 1957, S. 20. 57 Vgl. McEWAN 2012, S. 145 ff. 58 Vgl. McEWAN 2012, S. 144. 59 Das Academic Assistance Council wurde im April 1933 von William Beveridge (1879–1963) explizit mit dem Ziel gegründet, exilsuchende Akademiker zu unterstützen. Im Jahr 1936 erfolgte die Umbenennung in Society for the Protection of Science and Learning, um nicht nur Fachkollegen die Flucht aus faschistischen und kommunistischen Regimen nach England zu ermöglichen, sondern auch die akademische Freiheit als solche in einen stärkeren Fokus zu rücken. Im Jahr 1999 wurde die Society in Council for Assisting Refugee Academics umbenannt; vgl. http://www.academic-refugees.org/history.asp (30.7.2013). 60 Vgl. McEWAN 1999, S. 29 f. Der Entscheidungsprozess und die Alternativen lassen sich bei McEWAN 1999 S. 29 ff. nachlesen sowie bei McEWAN 2012, S. 145 ff.
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Bibliothek in London, die fortan als Warburg Institute bezeichnet wurde.61 Nach Dorothea McEwan versetzte der Umzug die Bibliothek und seine Mitarbeiter in eine andere akademische Tradition und zugleich in ein Spannungsfeld von Assimilation und Entfremdung.62 Neben dem Erhalt und dem Schutz vor nationalsozialistischer Enteignung der Bibliothek Warburgs und der Fortsetzung der kulturwissenschaftlichen Forschung, bemühte sich Saxl und insbesondere seine stellvertretende Direktorin Gertrud Bing (1892–1964) in Zusammenarbeit mit verschiedensten britischen Instituten und Organisationen um Hilfestellung für Fachkolleg_innen aus Kontinentaleuropa.63 Im Jahr 1936 schrieb Ernst Kris an Fritz Saxl, dass die Ausgrenzung jüdischer Akademiker seit 1933 vollzogen wäre und es keine Arbeitsmöglichkeiten mehr gab.64 Zwei Fachkollegen sollte Kris aus diesem Grund explizit anraten, Österreich zu verlassen: Kris machte Ernst Gombrich (1909–2001) mit Fritz Saxl bekannt, der ihm eine Stelle am Warburg Institute anbot. Gombrich emigrierte 1936 nach London65 und wurde später langjähriger Direktor des Warburg Institutes. Auf den Rat von Ernst Kris und seinem Doktorvater Julius von Schlosser (1866– 1938) verließ Otto Kurz (1908–1975) bereits 1932 Österreich. Kurz absolvierte ein Volontariat an der KBW in Hamburg, bevor er 1934 auf Einladung von Saxl nach London emigrierte und als Bibliothekar am Warburg Institute arbeitete.66 Nach fünf Jahren ständigem Wohnsitz in Großbritannien konnte Saxl die britische Staatsbürgerschaft beantragen, die ihm im Mai 1940 verliehen wurde. Als Unterstützer des Gesuchs trat vor allem Walter Adams (1906–1975),67 der Generalsekretär der Society for Protection of Science and Learning auf, der Nachfolgeorganisation des Academic 61 Vgl. McEWAN 1999, S. 30. 62 Vgl. McEWAN 1999, S. 37. Im Gegensatz zur britischen Kunstgeschichte war die Wiener Schule der Kunstgeschichte in ihrem Profil geschärft und wurde daher kaum als Konkurrentin wahrgenommen; vgl. FEICHTINGER 2001, S. 354 f. Die britischen Gelehrten standen den Mitgliedern des Warburg Institutes offen gegenüber, wie der Nachruf auf Otto Kurz (1908–1975) von Ernst Gombrich (1909–2001) darlegt. Er schrieb in: Tributes. Interpreters of Our Cultural Tradition, Oxford 1984, S. 241, dass die »Großzügigkeit« der britischen akademischen Welt gegenüber den Flüchtenden vor dem NS-Regime nicht hoch genug geschätzt werden kann (zitiert nach McEWAN 2012, S. 174). In dieser Atmosphäre konnte das Hamburger Programm von Vorträgen und Veröffentlichung fortgesetzt werden; vgl. McEWAN 2012, S. 176. 63 Vgl. McEWAN 1999, S. 36-37 für eine Auflistung von Organisationen, mit denen das Warburg Institute bezüglich Hilfestellung für Exilsuchende in Verbindung stand. 64 Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 368. 65 Vgl. McEWAN 2012, S. 170. 66 Vgl. McEWAN 2012, S. 170; vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_kurz.html (30.7.2013). 67 Vgl. McEWAN 2012, S. 175 f.
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332 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Assistance Council. Als Brite konnte Saxl sich 1940 für die schnellere Freilassung von als enemy aliens internierten Emigranten wie den Kunsthistorikern Otto Pächt, Otto Demus, Ludwig Münz (1889–1957), Otto Kurz, Alfons A. Barb (1901–1979) oder Johannes Wilde (1891–1970), um nur einige Namen mit Wien-Bezug zu nennen, einsetzen.68 Das Warburg Institute entwickelte sich damit zu einem Anknüpfungspunkt für Emigrant_innen aus Deutschland und Österreich und konnte Arbeitsstellen oder Stipendien an knapp 40 Personen vermitteln.69 Mit der Angliederung des Instituts an die University of London im November 1944 wurde eine bis heute bestehende institutionelle Kontinuität erreicht.70 Provenienzfunde in Wien mit Emigrationsbezug nach London
Neben der Provenienz Saxls konnten weitere Druckschriften an der FB Kunstgeschichte Absolvent_innen und ehemaligen Professoren zugeordnet werden, die in ihrer Emigration Anknüpfung am Warburg Institute in London fanden. Im Folgenden wird auf Betty Kurth (1878–1948), Otto Demus und Otto Pächt sowie Hans Tietze (1880–1954) eingegangen. Betty Kurth
Als Bettina Dorothea Kris am 5. Oktober 1878 in Wien geboren, war Betty Kurth eine der ersten Studentinnen der Universität Wien und promovierte 1911 bei Dvořák.71 Vom NS-Regime wurde die evangelisch getaufte Kurth als Jüdin verfolgt.72 Mit Unterstützung von Fritz Saxl, der Society for the Protection of Science and Learning, ihrem Cousin Ernst Kris und Hans Tietze konnte Kurth 1939 nach England emigrie-
68 Vgl. McEWAN 2012, S. 185. McEwan bezieht sich auf archivierte Gutachten in der British Academy, London, Archive, Box 361, Papers and Correspondence 1940–1949. 69 Vgl. BELTING 1991, S. viii; vgl. McEWAN 2012, S. 34 f. für eine Auflistung von Personen die zwischen 1934 und 1938 sich mit Anfragen an das Warburg Institute wandten. 70 Vgl. McEWAN 1999, S. 38; vgl. http://warburg.sas.ac.uk/home/ (30.7.2013). 71 Die erste Frau, die im Fach Kunstgeschichte promovierte war Erica Conrat, spätere Conrat-Tietze. Zumeist wird Kurth als die erste Studentin der Wiener Kunstgeschichte vorgestellt – es ist anzunehmen, dass Kurth als erste Frau am I. Kunsthistorischen Institut nach der Teilung von 1911 promoviert hat. Erica Conrat-Tietze hat laut ihrem Rigorosenakt bereits 1905 promoviert; vgl. http://www.univie.ac.at/ geschichtegesichtet/e_tietze-conrat.html (30.7.2013). 72 Vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/b_kurth.html (30.7.2013) und vgl. MA 8 des WStLA, Meldeabfrage Dr. Betty Kurth.
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ren.73 Sie fand berufliche Anknüpfung am Warburg Institute, hielt einen Vortrag und publizierte im Warburg Journal.74 Nach der Evakuierung der Bibliothek aufgrund des Zweiten Weltkrieges nach Denham, war Kurth auch dort wohnhaft.75 Sie kehrte nicht mehr nach Österreich zurück und verstarb 1948 in England.76 Obwohl das genaue Erwerbungsdatum und die Provenienzkette nicht bekannt sind, kann jedoch der Erwerb der des zweibändigen Werks77 aufgrund eines Revisionsvermerks und dem verwendeten Stempel II. Kunsthistorisches Institut der Universität Wien auf ein Datum vor 1938 eingegrenzt werden. Otto Demus und Otto Pächt: Wien – London – Remigration
Auf die beiden Altersgenossen Otto Pächt und Otto Demus und späteren Wiener Kollegen von 1963 bis 1972 soll hier näher eingegangen werden, da im Zuge der Provenienzforschung ihre Namensvermerke in Druckschriften aufgefunden wurden. Otto Pächt wurde am 7. September 1902 in Wien geboren.78 Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie an der Universität Wien, promovierte er 1925 bei Schlosser. Pächt wechselte auf Anraten von Schlosser nach Heidelberg, da er für seine Student_innen keine Zukunft in Österreich sah. Im November 1932 wurde Pächts Habilitationsschrift angenommen.79 Aufgrund des Gesetzes zur Herstellung des Berufsbeamtentums konnte er seine Antrittsvorlesung nicht halten und 73 Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 410 f. Im Onlinearchiv-Verzeichnis der Gertrud Kurth Collection am Leo Baeck Institute in New York, der Tochter von Betty und Paul Kurth, wird Ernst Kris als Cousin von Gertrud Kurth beschrieben, der bei Betty und Paul Kurth aufgewachsen ist; vgl. http://findingaids.cjh. org/?pID=265272 (30.7.2013). 74 Vgl. Karin GLUDOVATZ, Kurth, Bettina (Betty), geb. Kris, in: Brigitta KEINTZEL, Ilse Erika KOROTIN (Hg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Wien-Köln-Weimar 2002, S. 421-425, hier S. 423. 75 Vgl. KEINTZEL 2002, S. 423; vgl. BING 1957, S. 29 ff., zur Bergungsstelle Denham bei London. 76 Vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/b_kurth.html (30.7.2013). 77 Sammlung Leopold Iklé, St. Gallen. Textilien, Spitzen und spitzenähnliche Gebilde, Stickereien auf Leinen, Seide und Sammet, liturgische Gewänder, gewirkte Bildteppiche, Gobelins, Antependien. Versteigerung in Zürich, im Zunfthaus zur Meise, 18. September 1923 und folgende Tage unter Leitung von Hugo Helbing, München, H. Messikommer, Zürich. Zürich: Messikommer, 1923 (2 Teile: 1. Text; 2. Tafeln). [Signatur: Kunstgew.Textil-037/01 u. 02; Inventarnummer: 4615/1 u. 2; Provenienzmerkmale: Geschenk D. Kurth [handschriftlich, in Teil 1]. 78 Es existieren verschiedene Angaben zum Geburtsjahr von Otto Pächt. Aus dem handgeschriebenen Curriculum Vitae geht das Geburtsjahr 1902 hervor, vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_ paecht.html (30.7.2013). 79 Vgl. AURENHAMMER 2003, S. 163; vgl. Hans AURENHAMMER, Introduction, in: Margareta VYORAL-TSCHAPKA, Michael PÄCHT (Hg.), Otto Pächt – Venetian Painting in the 15th Century, London 2003, S. 9–13, hier: S. 9.
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334 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf kehrte zunächst wieder nach Österreich zurück. 1935 emigrierte Pächt nach Irland und England80 und forschte zwischen 1937 und 1941 am Warburg Institute.81 1949 scheiterten die Bemühungen des Institutsvorstandes Karl Swobodas Pächt wieder nach Wien einzuladen, da dieser noch nicht überzeugt war, in Wien eine anders gesinnte Umgebung als in den 1930er Jahren vorzufinden.82 Erst 1963 kehrte Pächt als ordentlicher Professor für Kunstgeschichte nach Wien zurück.83 Sein Fachkollege Otto Demus wurde am 4. November 1902 in Harland bei St. Pölten geboren und begann sein Kunstgeschichtestudium in Wien 1921. Er entschied sich am I. Kunsthistorischen Institut unter Strzygowski zu studieren, promovierte 1928 und habilitierte sich unter Sedlmayer im Jahr 1937.84 Schon 1929 trat er in den Dienst des Bundesdenkmalamts und wurde mit Juni 1936 zum Landeskonservator in Kärnten bestellt.85 Im Juni 1939 kehrte Demus von einer Dienstreise nach Sizilien nicht mehr nach Österreich zurück um der Verfolgung durch die GESTAPO zu entgehen und entschloss sich nach England zu emigrieren. Im Gauakt wird Otto Demus sogar als »Staatsfeind« bezeichnet, da er Ausfuhrdokumente für Kunstgegenstände in seiner Funktion als Staatsdenkmalamtsbeamter ausgestellt haben soll.86 Von 1940 bis 1946 arbeitete er als Bibliothekar am Warburg Institute und lehrte am Courtauld Institute.87 Als einer der wenigen Remigranten unter den Vertriebenen der (ehemaligen) Studierenden kehrte Otto Demus hingegen bereits 1946 als Direktor des neu gegründeten Bundesdenkmalamtes zurück und lehrte ab 1950 als außerordentlicher Professor an der Universität Wien.88 In der Festschrift zum 70. Geburtstag von Otto Pächt und Otto Demus, erschienen im 25. Jahrbuch für Kunstgeschichte im Jahr 1972, erwähnte die Redaktion mit keinem Wort die Vertreibung durch antisemitische und nationalsozialistische Politik und die erzwungene Emigration beiden Professoren.89 Otto Pächt verstarb am 17. April 1988 80 Vgl. AURENHAMMER 2005, S. 180. Auf der Webseite Geschichte gesichtet wird von 1936 gesprochen, vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_paecht.html (30.7.2013). 81 Vgl. http://www.dictionaryofarthistorians.org/pachto.htm (30.7.2013). 82 Vgl. AURENHAMMER 2005, S. 180. Aurenhammer wertet die Bemühungen Swobodas, u. a. Otto Pächt wieder nach Wien zu bringen, als ein Bemühen um Internationalisierung. 83 Vgl. AURENHAMMER 2005, S. 188. 84 Vgl. Gerhard SCHMIDT, Nachruf Otto Demus, Sonderdruck aus dem Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 141 (1991), S. 359–369, hier: S. 359. 85 Vgl. ÖStA/AdR BMU, Personalakt Demus Otto. 86 Vgl. ÖStA/AdR, Gauakt Otto Demus 3569. 87 Vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_demus.html (30.7.2013). 88 Vgl. AURENHAMMER 2005, S. 180. 89 Vgl. Festschrift für Otto Demus und Otto Pächt (=Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 25), hg. vom
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in Wien, Otto Demus am 17. November 1990 ebenso in Wien.90 Die im Zuge der Autopsie aufgefundenen Provenienzen von Demus91 und Pächt92 wurden vom Arbeitsbereich NS-Provenienzforschung als unbedenkliche Erwerbungen eingeschätzt, da beide nach dem Zweiten Weltkrieg lange am Institut für Kunstgeschichte tätig waren und somit von einer Spende ausgegangen wird. Hans Tietze
Im Jahr 1938 wurde Hans Tietze, geboren am 1. März 1880 in Prag, als einziger unter sieben Privatdozenten der Kunstgeschichte aus rassistischen Gründen entlassen.93 Er promovierte 1903 bei Wickhoff und Riegl und verehelichte sich 1905 mit seiner Studienkollegin Erica Conrat. Neben der Lehre widmete sich Tietze der Reorganisation der Museen in Wien sowie erstellte er gemeinsam mit Erica Conrat-Tietze die Österreichische Kunsttopographie. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurden beide vom NS-Regime verfolgt und kehrten von einer Studienreise nach Florenz Anfang März 1938 nicht mehr nach Österreich zurück. Von Italien aus bemühte Tietze sich um die Unterstützung der Society for the Protection of Science and Learning, die ihm ein siebenmonatiges Stipendium gewährte. Erst im Oktober 1938 wurde ihm und seiner Frau Institut für österreichische Kunstforschung des Bundesdenkmalsamtes Wien und vom Kunsthistorischen Institut der Universität Wien, Wien [u.a.] 1972, S. 5. 90 Vgl. http://www.univie.ac.at/geschichtegesichtet/o_paecht.html (30.7.2013) und http://www.univie. ac.at/geschichtegesichtet/o_demus.html (30.7.2013). 91 Charles DE LINAS, Les origines de l’orfévrerie cloisonnée. Recherches sur les divers genres d’incrustation, la joaillerie et l’art des métaux précieux, Band 1, Arras (u. a.) 1877 [Signatur: Kunstgew.Metall-175; Inventarnummer: 39.835; Angaben im Inventarbuch: Geschenk; Provenienzvermerk: »Schenkung (Stempel) Prof. Demus« (handschriftlich)]; Margaret Dickens WHINNEY, The interrelation of the fine arts in England in the early middle ages (= University college monographs on English mediaeval art 3), London 1930 [Signatur: Engl. allg.-055; Inventarnummer: 39.839, Angaben im Inventarbuch: Geschenk; Provenienzvermerk: »Schenkung (Stempel) Prof. Demus« (handschriftlich)]. Die beiden Druckschriften wurden im Jahr 1985 inventarisiert. Aufgrund der späten Schenkung kann von einer unbedenklichen Erwerbung ausgegangen werden. 92 John ROUS [mutmaßl. Verf.], Pageant of the birth, life and death of Richard Beauchamp, Earl of Warwick K. G., 1389–1439. Edited by Viscount Dillon and W. H. St. John Hope. Photo-engraved from the original mauscript in the British Museum by Emery Walker, London [u. a.] 1914 [Signatur: Buchmal.got.-101; Inventarnummer: 20937, Angabe im Inventarbuch: Geschenk, Provenienzvermerke: »Geschenk v. Prof. Pächt« (handschriftlich), »F.C. Peasce from Ludy Hopes« (handschriftlich)]. Otto Pächt war zum Zeitpunkt der Schenkung bereits am Wiener Institut tätig. Des Weiteren wird sein Nachlass von der Kunsthistorischen Gesellschaft, angesiedelt am Wiener Institut für Kunstgeschichte, verwaltet. Somit wird von einer rechtmäßigen Erwerbung ausgegangen; vgl. http://kunstgeschichte.univie.ac.at/ forschungsprojekte/buchmalerei/ (30.7.2013). 93 Vgl. AURENHAMMER 2003, S. 163.
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336 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf Abbildung 4: Handschriftlicher Bucheintrag »Spende des H. Hofrat Tietze«, Inventarnummer 5339.
die Einreise nach England ermöglicht, von wo aus sie schlussendlich 1939 in die USA emigrierten.94 Hans Tietze verstarb am 11. April 1954 in New York, Erica ConratTietze am 12. Dezember 1958. Im Zuge der Provenienzforschung an der FB Kunstgeschichte wurden acht Druckschriften mit der Provenienz Hans Tietze lokalisiert, deren genaue Erwerbungsdaten jedoch nicht bekannt sind. Für sieben dieser Druckschriften95 existiert jeweils der handschriftliche Hinweis Gesch. Hofr. Tietze im Inventarbuch.96 Bei zwei Büchern97 mit Hinweisen auf Tietze können unbedenkliche Erwerbungsvorgänge angenommen werden, da aufgrund der Revisionsvermerke im Inventarbuch ein Inventarisierungszeitpunkt vor 1938 rekonstruierbar ist. Anders verhält es sich bei den restlichen sechs Druckschriften.98 Im Inventarbuch 94 Vgl. FEICHTINGER 2001, S. 398 ff. 95 Inventarnummern: 5539, 5634, 5706, 5707, 5711, 5712, 5722. 96 Es ist davon auszugehen, dass es sich um Hans Tietze handelt, da er am Kunsthistorischen Institut studiert und als Dozent gearbeitet hat. Der Vollständigkeit halber wird hier auf einen anderen Hofrat Tietze, den Rechtsanwalt Paul Tietze hingewiesen, der am 9.10.1942 nach Theresienstadt deportiert wurde und am 31.7.1943 starb; vgl. http://www.doew.at/personensuche?gestapo=on&shoah=on&politisch=on&findall =&lang=de&suchen=Alle+finden&firstname=&lastname=Tietze&birthdate=&birthdate_to=&birthpla ce=&residence=&newsearch=10&iSortCol_0=1&sSortDir_0=asc&lang=de (30.7.2013). In dessen Vermögensanmeldung wird ebenfalls auf eine Bibliothek hingewiesen. Vgl. ÖStA/AdR VA Paul Tietze AZ 4053. 97 Xavier DE SALAS, Historia del Arte Espanol, Madrid 1930 [Signatur: Quellen.Span.-001; Inventarnummer: 5136; Provenienzangaben: A. monsieur le Profeseur H. Tietze avec le meilleur souvenir (?), Barcelone. 20. IV. 36 (handschriftliche Widmung); Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]; Handbook of the Gallery of Fine Art, New Haven 1931. [Signatur: Samml.Kat.USA.N.Have.1-001; Inventarnummer: 5339; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Spende des H. Hofrat Tietze (handschriftlich); Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]. 98 Václav MENCL, Stavebné umenie na Slovensku od najstarších čias až do konca doby románskej, Band 1, Praha 1937 [Signatur: CSR.A.got.-001/01; Inventarnummer: 5634; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Geschenk Hofr. Tietze (hgs.); Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]; Jaques LAVALLEYE, Juste de Gand, Louvain 1936 [Signatur: K.M.Just.11-001; Inventarnummer: 5706; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]; Hermann HETTNER, Das Königliche Museum der Gypsabgüsse zu Dresden, Dresden 1881 [Signatur: Samml.Kat.Dtld.Dres.3-001; Inventarnummer:
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werden diese als Schenkung Tietzes an die Kunstgeschichtebibliothek im Jahr 1938 ausgewiesen. Auch wenn in zwei Fällen99 Stempel zu finden sind, die auf eine frühere Erwerbung hindeuten könnten, muss diese »Schenkung« kritisch betrachtet werden, da die Reise des Ehepaar Tietzes im März 1938 aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht mehr nach Österreich zurückführte und die gemeinsame Wohnung in der Armbrustergasse 20 im 19. Wiener Gemeindebezirk sowie ihr Eigentum beschlagnahmt wurden. In den Vermögensanmeldungen – beide am 12. Juli 1938 in Zagreb unterzeichnet – wird jeweils eine Bibliothek erwähnt.100 Aus diesem Grund wurde die Restitution an die Erben nach Hans Tietze veranlasst. Dankenswerterweise verzichteten die rechtmäßigen Erben jedoch auf die Bücher und schenkten sie der FB Kunstgeschichte. Schlussbemerkungen
Im Rahmen der NS-Provenienzforschung an der FB Kunstgeschichte erfolgte die Überprüfung der Bücherzugänge in der Zeit von 1938 bis 1945. Von 22 erstellten Dossiers konnten die Recherchen bisher in der Hälfte der Fälle abgeschlossen werden. Konnte kein Nachweis einer legalen Erwerbung erbracht werden – wie bei Hans Tietze und Fritz Saxl – wurde auf Rückgabe entschieden. Nicht nur die Warburg-Verbindungen haben ihre Provenienzspuren in den Büchern hinterlassen. Beispielhaft sei hier nur der Fall der »französischen Bücher« der GESTAPO erwähnt. Von den insgesamt zumindest 4.368 Büchern und »28 Säcken«, die die GESTAPO an die UB Wien liefert wurden zumindest acht Signaturen an die 5707; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]; Führer durch die neuen Abteilungen, hrsg. von der Leitung des Museums, Köln 1932 [Signatur: Samml.Kat.Dtld.Köln.4-001; Inventarnummer: 5711; Angabe im Imventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Erstes Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel); Inv. 2991 (durchgestrichen), (darüber) Inv. 5711]; Raymond LA FAGE, Les dessins de Raymond Lafage, Vienna 1937 [Signatur: K.M.Lafa.3-001; Inventarnummer: 5712; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze]; Claude PHILLIPS, Titian, a study of his life and work, London 1898 [Signatur: K.M.Tizi.26-010; Inventarnummer: 5722; Angabe im Inventarbuch: Geschenk Hofr. Tietze; Provenienzangabe: Kunsth. Apparat der Universität Wien (Stempel); 262, IX.d.15 (handschriftlich); Kunsthistorisches Institut der Universität Wien (Stempel)]. 99 Das Buch mit der Inventarnummer 5711 weist den Stempel des I. Kunsthistorischen Instituts auf, das 1934 aufgelöst und dessen Bücher vom II. Kunsthistorischen Institut übernommen wurden. Die Druckschrift mit der Inventarnummer 5722 trägt den Stempel Kunsth. Apparat der Universität Wien, der soweit bestimmbar bis zur Umbenennung im Jahr 1920 in II. Kunsthistorisches Instituts in Verwendung war. 100 Vgl. ÖStA/AdR VA Hans Tietze AZ 32220 und ÖStA/AdR, VA Erica Tietze AZ 32221, vgl. http://www. univie.ac.at/geschichtegesichtet/e_tietze-conrat.html (30. 7.2013).
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338 Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf FB Kunstgeschichte weiter gegeben. Die Frage, wem die GESTAPO die Bücher raubte, konnte bisher nicht gelöst werden.101 Vor dem Institut für Kunstgeschichte am Universitätscampus erinnert das 2008 eröffnete Denkmal für Ausgegrenzte, Emigrierte und Ermordetet des Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien an die antisemitische nationalsozialistische Verfolgung und Ermordung von Absolvent_innen und Lehrende. Das Warburg Institute unter der Leitung von Fritz Saxl stellte nicht erst ab März 1938 einen wissenschaftlichen und persönlichen Anknüpfungspunkt in der Emigration vieler am Denkmal verzeichneter Wiener Kunsthistoriker_innen dar, von denen nur wenige zurück nach Österreich kamen. Im Nachruf auf Otto Demus beschreibt Hans Belting dessen Zeit in der Londoner Emigration als »intellectual experience, in which the encyclopedic ›Warburg people‹ were the dominating influence. After the big exodus in the 1930s, any such experience was restricted to England and the United States, with refugees acting, with their grateful idealism, as the driving force.« 102 Ziel der NS-Provenienzforschung der UB Wien an der FB Kunstgeschichte ist es jedenfalls, allen Provenienzfunden nachzugehen und damit zur Bearbeitung der Geschichte und Rolle der FB Kunstgeschichte und ihrer Mitglieder in der NS-Zeit beizutragen.
101 Vgl. STUMPF 2011, S. 129–132. 102 Vgl. Hans BELTING, Otto Demus 1902–1990, in: Dumbarton Oaks Papers 45 (1991), S. vii–xi, hier: S. viii.
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»Nicht einmal abschätzbarer Wert …«. Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten – und ihre Sammlung asiatischer Kunst in Wien1 Gabriele Anderl
»Die umfangreichste Sammlung asiatischer Kunst, die im ›Österreichischen Museum für angewandte Kunst‹ aufbewahrt wird, ist jene der Familie Exner«, schrieb Johannes Wieninger 1996 in einem Sammelband über die österreichisch-chinesischen Beziehungen. Die Rede ist von der überaus kostbaren Kollektion, die Anton Exner (1882– 1952) und dessen Sohn Walter Exner (1911–2003) in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg angelegt hatten. Wieninger bezeichnet Anton Exner auch als den bedeutendsten Wiener Asiatikahändler der Zwischenkriegszeit.2 Das Österreichische Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst (MAK) besitzt gegenwärtig rund 3.700 großteils sehr wertvolle Objekte aus der Sammlung Exner, das Museum für Völkerkunde (seit 2013 Weltmuseum) 177 Inventarnummern derselben Provenienz. Auch das Uhrenmuseum der Stadt Wien erhielt von Anton Exner einige Objekte – etwa zwei Sonnenuhren – als Geschenk. Der Name Exner tauchte in den Inventarbüchern des damaligen Museums für 1
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Ein Forschungsprojekt, das sich mit der Rolle von Experten aus Museen und dem Kunsthandel im Kontext des nationalsozialistischen Kunst- und Kulturgutraubes – unter anderem auch mit Anton und Walter Exner – befasste, wurde dankenswerterweise vom Nationalfonds der Republik Österreich, der Conference on Jewish Material Claims against Germany sowie vom David Herzog Fonds der steirischen Universitäten unterstützt. Ich danke namentlich Elvira Glück (Claims Conference) und Gerald Lamprecht (David Herzog Fonds), vor allem aber auch dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, hier besonders Wolfgang Neugebauer und Brigitte Bailer, für die Übernahme der Projektleitung. Für die freundliche Unterstützung durch zahlreiche Informationen sowie Unterlagen aus dem Privatarchiv der Familie Exner danke ich Uta Exner Horlacher sowie Elisabeth (Lisl) Exner (1921–2014). Alle in diesem Aufsatz zitierten, nicht publizierten bzw. nicht aus öffentlichen Archiven stammenden Materialien stammen aus dieser Quelle. Bei der Beschaffung von Bildmaterial für diesen Artikel haben mich u. a. Gerd Kaminski (Österreichisches Institut für China- und Ostasienforschung), Bettina Zorn (Weltmuseum Wien), Florian Kugler und Ilse Jung (Reproduktionsabteilung des Kunsthistorischen Museums Wien) sowie das Fotoarchiv des Bundesdenkmalamtes freundlich unterstützt. In eckige Klammern gesetzte Anmerkungen innerhalb von Zitaten sind von Gabriele Anderl. Vgl. Johannes WIENINGER, Die Chinasammlungen des »Österreichischen Museums für angewandte Kunst«, in: Gerd KAMINSKI, Barbara KREISSL (Hg.), AODILI. Österreich – China. Geschichte einer 300jährigen Beziehung, Wien 1996, S. 70–75, hier S. 73; Walter EXNER, Die Sammlung Exner, in: Josef KREINER (Hg.), Japan-Sammlungen in Museen Mitteleuropas – Geschichte, Aufbau und gegenwärtige Probleme, Bonner Zeitschrift für Japanologie 3 (1981), S. 225–234.
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340 Gabriele Anderl Kunst und Industrie (1938–1947 Staatliches Kunstgewerbemuseum Wien, ab 1947 Österreichisches Museum für angewandte Kunst) erstmals 1912 auf. 1922 war Anton Exner schon unter den Leihgebern der großen Ausstellung Ostasiatische Kunst vertreten. Laut Wieninger sollte es »in der Folge […] in Wien keine größere Asiatikaausstellung mehr geben, in der die Sammlung Exner nicht prominent vertreten war«.3 1982 veröffentliche das BundesministeriAbbildung 1: Buddhistische Gottheit (Jizô), um für Wissenschaft und Forschung in einer Bronze, vergoldet, Japan, dat. 1318, Sammlung Broschüre jene Festvorträge, die der damaExner im MAK, Wien. lige Direktor des MAK, Herbert Fux, und Kustos Kurt Binder von der Asienabteilung des Museums für Völkerkunde anlässlich des 100. Geburtstags von Anton Exner im MAK gehalten hatten.4 Laut Fux belegt die Sammlung Exner im MAK, dass Anton Exner »nach einem räumlich und zeitlich möglichst weit gespannten Dokumentationsmaterial zur Kunst des Fernen Ostens« getrachtet und dabei, zumindest für China, einen Zeitraum vom Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends bis ins 20. Jahrhundert abgedeckt habe. »Anton Exner ging es um den Aufbau einer Sammlung, die möglichst alle Sparten der fernöstlichen Kunst umfasste. Daher durften auch die von den Chinesen geringer bewerteten Sorten der Sung-Periode nicht fehlen«, resümierte Fux. »Kein Sammelgebiet auf dem chinesischen Sektor innerhalb der Sammlung Exner besitzt einen gleich großen Umfang. Trotzdem sind die wichtigsten Epochen der chinesischen Kunstgeschichte und die verschiedensten Techniken jeweils mit ein paar exquisiten Beispielen demonstrierbar.«5 Einen eigenen Sammlungsbereich in der Sammlung Exner bilden Münzen aus dem 8.– 3. Jahrhundert v. Chr. sowie die von Nomaden stammenden Ordosbronzen aus dem 4.–3. Jahrhundert v. Chr. und der Han-Dynastie. Eine zentrale Rolle spielen des Weiteren die
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Vgl. WIENINGER 1996, S. 73. Vgl. Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hg.), Zum Gedenken an Anton Exner (1882–1952), Festvorträge anlässlich der 100. Wiederkehr des Geburtstages Anton Exners im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien, Wien 1982. Vgl. Herbert FUX, Zum Geleit und »Die Sammlung Exner« im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien, in: Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hg.), Zum Gedenken an Anton Exner, Festvorträge, Wien 1982, S. 2 und S. 4-10, hier S. 4 u. S. 6.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Malerei, etwa in Form von Bildrollen, die vielen Lackarbeiten und erlesene Schnitzereien, unter anderem in Jade, Speckstein, Elfenbein oder Bambus, zahlreiche Gläser aus dem 18. und 19. Jahrhundert sowie Textilien – vor allem Hofgewänder und Teppiche. Besondere Bedeutung kommt den chinesischen und japanischen Holzschnitten – insgesamt mehr als 800 Einzelblättern – und Büchern zu. Die Drucke bilden den größten Posten innerhalb der Werke japanischer Kunst, wobei kaum ein Name der großen Meister fehlt. Die weiteren regionalen Sammlungsgebiete sind alle wesentlich weniger stark vertreten, sie müssten jedoch »ob ihrer hochstehenden Qualitäten besonders erwähnt werden«. Fux bezog sich mit dieser Einschätzung vor allem auf den Bestand an koreanischen Artefakten, für die das Museum fast ausschließlich auf Exner-Objekte angewiesen sei. Er hob des Weiteren »künstlerisch ganz hervorragende Beispiele der lamaistischen, indische und chinesische Einflüsse verarbeitenden Kunst« hervor, die Malereien, Metallplastiken und Kultgeräte umfasse. Überblickt man die Sammlung Exner in ihrer Gesamtheit, so wird deutlich, dass sie von einer Größenordnung ist, die sich in einer einzigen Ausstellung nicht mehr präsentieren lässt, weil damit die Grenzen des Überschaubaren überschritten würden. Dadurch wird vielleicht am eindrucksvollsten die einzigartige Leistung des Mannes klar und nicht zuletzt auch der Reichtum und die Bedeutung seines Geschenkes, das er dem Museum für Angewandte Kunst und damit dem österreichischen Volk vermachte, aus einem hochherzigen Idealismus heraus […].6
Auch das Museum für Völkerkunde – das heutige Weltmuseum – blickt auf eine lange Beziehung zu Anton und Walter Exner zurück. Der erste Kontakt Anton Exners zu dieser öffentlichen Sammlung wird mit 1923 datiert, als der Händler der damaligen Ethnografischen Abteilung des Naturhistorischen Museums einen indischen Pfeil übergab. Der Direktor dieser Abteilung war ab 1925 Friedrich (Fritz) Röck (1879–1953), der nach der Einrichtung eines eigenständigen Museums für Völkerkunde in der Neuen Burg 1928 dessen erster Direktor wurde und das Haus bis zum Ende der NS-Zeit leitete. Exner verbanden auch mit Röcks Nachfolger, dem Orientalisten Robert Bleichsteiner, der sich 1922 mit einer Arbeit über kaukasische Sprachen und Völkerkunde habilitiert hatte, wissenschaftliche Kontakte und eine jahrzehntelange Freundschaft. Bleichsteiner (Museumsdirektor von 1945–1953) war schon vorher Kustos der asiatischen Sammlungen gewesen und hatte maßgeblichen Anteil an den Neuaufstellungen im Museum für Völkerkunde nach dessen Gründung. 6
Vgl. FUX 1982, S. 4 f.
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342 Gabriele Anderl Abbildung 2: Lampion Heuschrecke, Bambus, Papier, Metall, China, Anfang 20. Jahrhundert, Weltmuseum Wien.
Bereits 1923 erhielt die Ethnografische Abteilung des Naturhistorischen Museums auf dem Tauschweg eine sehr wertvolle Sammlung von Exner, wobei von den Objekten eine 94 Zentimeter große Holzfigur aus dem Japan des 17. Jahrhunderts, also aus der Edo-Zeit, die Kannon, den Bodhisattva der Barmherzigkeit darstellt, und ein japanisches Medizinbüchschen besondere Erwähnung verdienen. Kurt Binder von der Ostasienabteilung des Museums für Völkerkunde wies in seinem Festvortrag für Anton Exner 1982 darauf hin, dass 1924 die Periode der umfangreichen Schenkungen Antons Exners an das Museum begonnen habe. Binder betonte, dass ein Teil der von Anton Exner gesammelten Stücke von diesem »auch fachkundig und ausführlich dokumentiert« worden sei. Die Sammlung Exner unterscheide sich deshalb durch jeweils genaue Ortsangaben und Bezeichnungen der Gegenstände in der Originalsprache von anderen Sammlungen, die von Ostasienreisenden nach Wien gebracht worden seien.7 1925 erhielt das Museum insgesamt drei Schenkungen, wobei die beiden letzten von Vater und Sohn Exner gemeinsam stammten. Unter den Objekten befanden sich Papierdrachen und Lampions sowie 13 japanische Bände mit genealogischen Aufzeichnungen der Samurai und den jeweiligen Wappen. 1938 schenkten Anton und Walter Exner dem Museum eine Sammlung von großen chinesischen Geschäfts- und Zunftschildern aus Holz. Diese Objekte wurden ebenfalls von den Sammlern dokumentiert, die Inschriften übersetzt. 1938 bekam das Museum auch noch 52 durchschnittlich 18 Zentimeter große, meist mythologische Gestalten darstellende Papierfigürchen aus China. Die letzte Schenkung fand 1943 statt. Es handelte sich um ein Tympanon eines nordindischen Tempels aus Holz mit hinduistischen Motiven. 7
Vgl. Kurt BINDER, Der Sammler Anton Exner und das Museum für Völkerkunde in Wien, in: Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hg.), Zum Gedenken an Anton Exner, Festvorträge Wien 1982, S. 11.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Ab 1948 treten die Kontakte Anton Exners mit dem Museum für Völkerkunde in eine Schlussphase: Von 1948 bis 1951 kauft das Museum noch einige indonesische Malereien sowie ein Lack- und ein Messinggefäß aus Südostasien. Damit enden die direkten Kontakte einer insgesamt 30jährigen freundschaftlichen und wissenschaftlichen Beziehung Anton Exners mit dem Museum für Völkerkunde. Einen unmittelbaren, mit Anton Exner in Zusammenhang stehenden Ankauf tätigt das Museum in den Jahren 1979–1982: insgesamt 10 zum Teil sehr große und wertvolle Objekte […], darunter drei große chinesische Holzplastiken (H 146 cm) [...].8
Hans Manndorff, der damalige Direktor des Museums für Völkerkunde, wies 1982 im Rahmen der Festvorträge für Anton Exner darauf hin, dass auch im Zusammenhang mit den von Exner stammenden Objekten im Museum der Charakter ethnologischer Sammlungen berücksichtigt werden müsse: Im Unterschied zu Kunstkollektionen ist der Wert einer nach ethnologischen Gesichtspunkten angelegten Sammlung nicht so sehr von Seltenheit, Künstlersignatur, künstlerischem Ausdruck, Wert des Materials etc. abhängig. Die Sammlungen eines Völkerkundemuseums sollen vielmehr einen möglichst vollständigen historischen, alle Kulturbereiche umfassenden Überblick außereuropäischer Ethnien geben. Allerdings enthalten die Exner-Sammlungen am Wiener Völkerkundemuseum auch Beispiele hervorragender Keramiken und künstlerisch hochstehender Holzplastiken und andere bedeutende Werke. Von ganz besonderem Wert für die Ethnologie sind aber die repräsentativen Beispiele alter Papierdrachen, die zahlreichen Amulettformen oder die Geschäfts- und Zunftschilder.9
Das Museum besaß zum damaligen Zeitpunkt, im Jahr 1982, 162 von Anton Exner »gesammelte« Objekte.10
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Vgl. BINDER 1982, S. 11. Vgl. Hans MANNDORFF, Beitrag ohne Titel, in: Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hg.), Zum Gedenken an Anton Exner, Festvorträge Wien 1982, S. 3. 10 Vgl. MANNDORFF 1982, S. 3. Vgl. auch die Kurzbiografie zu Anton und Walter Exner in: Josef Kohlbacher, Die Süd- und Südostasiatischen Sammlungen des Museums für Völkerkunde in Wien und ihre Sammler, Wiener Völkerkundliche Mitteilungen 30/31 (1988/89), S. 203 ff. In der aktuellen Objektdatenbank des Weltmuseums sind, wie schon festgehalten, 177 Inventarnummern unter den Namen Anton und Walter Exner verzeichnet. 30 davon beziehen sich auf die Jahre bis einschließlich 1924, insgesamt 31 auf 1936 und 1937, 87 auf das Jahr 1938. 1943 wurde nur eine einzige Inventarnummer unter dem Namen Exner vergeben, 1944 waren es neun Nummern. In den Jahren 1948 bis 1951 wurden sechs Zugänge unter dem Namen Exner verzeichnet, 1979 bis 1984 insgesamt 13. Unter den Erwerbungen aus dem Jahr 1938 überwiegen die zuvor erwähnten Zunftschilder und Papierfigürchen. Für die Unterstützung bei der Recherche danke ich Manfred Kaufmann vom Weltmuseum Wien.
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344 Gabriele Anderl Abbildung 3: Lampion Krabbe, Bambus, Papier, Metall, China, Anfang 20 Jahrhundert, Weltmuseum Wien.
In der Jubiläumsbroschüre zum 100. Geburtstag von Anton Exner wurde die von diesem zusammengetragene Sammlung beschrieben und wissenschaftlich bewertet, der Sammler gewürdigt, doch blieben andere wesentliche Aspekte vollständig ausgeblendet: 1) die NS-Vergangenheit Anton und Walter Exners; 2) das enge, aber äußerst konflikt reiche Verhältnis zwischen Vater und Sohn Exner und die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden wegen des Verfügungsrechts über die Sammlung; 3) das in Wirklichkeit höchst ambivalente Verhältnis vor allem des Kunstgewerbemuseums/MAK zu Anton und Walter Exner und 4) die innerfamiliären Streitigkeiten um das Erbe Anton Exners nach dessen Tod im Jahr 1952, die zu zivilrechtlichen Verfahren führten und auch die Museen – das MAK sowie vor allem auch das Museum für Völkerkunde – tangierten. Gerade die innerfamiliären Konfliktfelder hatten direkte Auswirkungen auf die Geschichte der Sammlung und die Beziehungen der Familie Exner zu den Museen. Der familiäre Hintergrund
Die Informationen über die Familiengeschichte und den Beginn der Sammlertätigkeit Anton und Walter Exners stammen zu einem wesentlichen Teil aus einem unveröffentlichten Manuskript mit dem Titel Meine 90 Jahre, das auf autobiographischen Fragmenten von Walter Exner beruht, weiteren (auto-)biografischen Notizen und dem 1980 in der Bonner Zeitschrift für Japanologie erschienenen Artikel Die Sammlung Exner von Walter Exner,11 sowie des Weiteren Materialien, die Nachfahr_innen, vor allem Walter Exners Witwe, Lisl Exner, und seine Tochter Uta Exner Horlacher, 11 Vgl. EXNER 1981, S. 225–234; . Walter EXNER, Meine 90 Jahre, unveröffentlichtes Manuskript, o. D. Die beiden angeführten Quellen überschneiden einander großteils, wobei es jedoch auch abweichende Darstellungen verschiedener Ereignisse gibt. Das unveröffentlichte Manuskript ist wesentlich ausführlicher als das publizierte.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
der Verfasserin dieses Artikels freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Weitere Quellen sind Zeitungsartikel sowie Angaben, die Anton und Walter Exner in der NSZeit beziehungsweise im Zuge ihrer polizeilichen Vernehmungen und Strafverfahren nach dem Krieg gemacht haben. Anton Exner war das, was man heute einen Selfmademan nennen würde: Er hatte sich aus bescheidenen Verhältnissen emporgearbeitet und es zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Sein Sohn Walter Exner war ohne Zweifel der intellektuell und wissenschaftlich Ambitionierte der beiden. Er besaß, wie ihm ein Autor bescheinigte, »nicht nur unternehmerische Phantasie […], sondern auch die Courage und den zähen Fleiß, Projekte zu verwirklichen«.12 »Unter meinen 66 bekannten Vorfahren finden sich keine Bauern, alle waren sie Handwerker oder bescheidene Häusler«, schrieb Walter Exner in seinen Erinnerungen.13 Sein Urgroßvater Johann Exner – der Großvater Anton Exners – war 1811 in der kleinen nordböhmischen Stadt Friedland (Frýdlant v Čechách) geboren14 und 1850 nach Wien gezogen, wo er die aus der Slowakei – ursprünglich angeblich von der Schüttinsel in der Donau15 – stammende Victoria Jarabeck heiratete. Sein Leben endete tragisch: Bei der Rückfahrt von einer Landpartie mit einem »Zeiserlwagen« fiel er in einen Straßengraben und brach sich das Genick. Der Vater Anton Exners, der 1850 geborene Huf- und Wagenschmiedmeister Josef Johann Exner, starb im Alter von 45 Jahren ebenfalls durch einen Unfall – ein Pferd hatte ihn in die Lebergegend getreten. Seine Frau Christiane, geborene Wunderlich, Jahrgang 1855, die noch zu Fuß aus dem westböhmischen Asch (Aš) nach Wien gekommen war, blieb mit ihren fünf Kindern allein zurück. Sie musste ihren Lebensunterhalt durch Heimarbeit bestreiten und war bestrebt, ihre Sprösslinge so rasch wie möglich in die Selbständigkeit zu entlassen. Anton Exner wurde am 4. Jänner 1882 als drittes von vier Kindern in Wien gebo12 Vgl. Rainer ZIMMERMANN, Buddha kam bis Frankenau. Ein Privatmann schuf ein Zentrum für Asien-Kunst in Hessen – Zum 50. Geburtstag von Walter Exner, in: Hessische Heimat 11/5 (1961), S. 35–38, hier S. 38. Für die Übermittlung dieses Heftes sowie weiterer Unterlagen zu Walter Exner danke ich Horst Hecker vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e. V. Kassel, Zweigverein Frankenberg als Aufgabenträger für das Stadtarchiv Frankenberg (Eder). 13 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 2 f. 14 Damals Kronland Böhmen Österreich-Ungarns, ab 1919 Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik. 15 Die »Große Schüttinsel« ist eine Insel bzw. Inselgruppe, die von Donau, Kleiner Donau und Waag gebildet wird und heute auf dem Gebiet der westlichen Slowakei liegt; die »Kleine Schüttinsel« wird vom Hauptstrom der Donau und der Moson-Donau gebildet – der Großteil gehört heute zu Ungarn, der kleinere zur Slowakei. Welche der Schüttinseln gemeint ist, geht aus der Quelle nicht eindeutig hervor, es ist jedoch von Ungarn die Rede.
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346 Gabriele Anderl ren und wuchs in Wien-Rudolfsheim auf, das heute den westlichen Teil des 15. Wiener Gemeindebezirks (Rudolfsheim-Fünfhaus) bildet. Wie aus einer in der NS-Zeit erstellten Ahnentafel hervorgeht, war Anton Exner nach der Geburt katholisch getauft worden, weil sein Vater, Josef Johann Exner, der römisch-katholischen Kirche angehörte, und erst 1904 zum evangelischen Glauben übergetreten. Als sein Vater starb, war Anton Exner 13 Jahre alt. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in Lassee im Marchfeld, später übersiedelte er mit der Familie nach Hainburg an der Donau, wo er die Volksschule besuchte. Er war gemäß der Familienüberlieferung ein begabter und strebsamer Schüler und bildete sich auch noch später in Kursen weiter. Nach fünf Klassen Volksschule besuchte er drei Klassen einer Bürgerschule, anschließend absolvierte er noch zwei Jahre einer Handelsschule.16 »Schon als Kind am Sonntag« habe der »›Exner-Toni‹ lieber das Kunsthistorische Museum als den Wurstelprater besucht«, heißt es in einem Artikel der Kronen-Zeitung aus dem Jahr 1944.17 »Schon als Bub, nach den ersten Museumsbesuchen, stand es für mich fest, dass auch ich reisen und so schöne Dinge heimbringen würde«, erzählte Anton Exner 1941 einem anderen Journalisten.18 Exner wurde Buchhalter, Vertreter einer Schuhfabrik und lernte, im Hinblick auf seine geplanten Auslandsaufenthalte, Englisch. In seiner Freizeit war Anton Exner ein begeisterter Ruderer. Im Jahr 1900 zählte er zu den Mitbegründern des Ruder-Vereins »Austria«, der als Rudersektion dem Wiener Schwimm-Club Austria beitrat und durch die konstituierende Versammlung am 13. März 1904 offiziell in Erscheinung trat. Überliefert ist, dass Anton Exner 1903 im Stromrudern eine Distanz von insgesamt 791 Kilometern und bis Ende 1904 1.272 Kilometer zurücklegte. 1905 stellte er für die Erbauung eines vereinseigenen Bootshauses im Kuchelauer Hafen in Kahlenbergerdorf »seine Ersparnisse bereitwilligst zur Verfügung«.19 Zwischen 1906 und 1923 gewann er mehrere wichtige Ruderbewerbe.20 16 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Landesgericht für Strafsachen Wien, Verfahren gegen Anton Exner, Mathilde Exner, Eduard und Edith Sch. und Rudolf Raue); EXNER, 90 Jahre, S. 1; WStLA, Gauakten – Personalakten des Gaues Wien, Walter Exner, Kleiner Abstammungsnachweis. 17 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben. Siebzehn Reisen nach Ostasien. Besuch beim Kunstsammler Anton Exner, in: Kronen-Zeitung, 15. 6. 1944. 18 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Ein Wiener durchquerte neunundzwanzigmal Asien. Anton Exner erzählt von seinen abenteuerlichen Reisen, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941. 19 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 1; 25 Jahre Wiener Ruder-Verein Austria, 1904–1929 (Broschüre), o. D. (vermutlich Wien 1929), S. 6. Für Informationen und die Übermittlung von Kopien danke ich Anton Haslinger. Zur Vereinsgeschichte siehe auch die Website http://www.ruderverein-austria.at. 20 1922 die Internationale Regatta im Neulings-Vierer, 1922 und 1923 die Meisterschafsregatta im Junioren-Achter und 1923 die Internationale Regatta im Senioren-Achter II. Klasse (vgl. Siegerliste, in: 25 Jahre Wiener Ruder-Verein »Austria«, S. 27).
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Dem Ruder-Verein »Austria« gehörten bis zu dessen Auflösung 1938 auch zahlreiche jüdische Mitglieder an, unter ihnen der Bankdirektor Emil Kiesler, Vater der später unter dem Künstlernamen Hedy Lamarr bekannt gewordenen Schauspielerin und Erfinderin Hedwig Eva Maria Kiesler (1914–2000).21 Der Ruderverein Austria sei, wie Anton Exner in einem Polizeiverhör nach seiner Verhaftung 1945 betonte, der einzige Verein dieser Art in Wien gewesen, der seine Mitglieder ohne Rücksicht auf die Konfession aufgenommen habe. 1932 war Anton Exner gemäß eigenen Angaben aus dem Verein ausgetreten, um sich ganz seinen Geschäften und seinen Kunststudien widmen zu können.22 Am 26. Februar 1911 hatte er die Protestantin Mathilde Adele Ludwig geheiratet, die am 25. Juli 1880 als Tochter eines Webers im Städtchen Asch im äußersten Nordwesten Böhmens (Aš/Bezirk Cheb) im Zentrum des so genannten Ascher Ländchens zur Welt gekommen war. Asch war vor dem Ersten Weltkrieg, wie Walter Exner betonte, »eine […] rein deutsche Stadt« gewesen. Mathilde Ludwig, die in ihrem Heimatort als Bürokraft tätig gewesen war, wurde von ihrer Firma in die Wiener Zweigstelle versetzt und lernte ihren späteren Mann in der »Hung Ascher Gmoi« (der »jungen Ascher Gemeinde«) kennen, in der sich die in Wien lebenden Zuwanderer aus Asch regelmäßig trafen.23 Die Herkunft ihrer Vorfahren aus den Sudetengebieten spielte für die ideologische Prägung von Walter und Anton Exner eine wichtige Rolle. Die Reisen Anton Exners
Die Angaben über die Anzahl der von Anton Exner unternommenen Asienreisen und deren Datierungen weichen in den unterschiedlichen Quellen zum Teil voneinander ab. Walter Exner rekonstruierte später die Fahrten seines Vaters hauptsächlich auf Basis von dessen erhaltenen Pässen. Der erste Pass war am 15. August 1908 – Anton Exner war damals noch Buchhalter und ledig – mit einjähriger Gültigkeit für eine Fahrt nach Nordamerika ausgestellt worden. Gemeinsam mit einem Schulfreund trat Exner 1908 oder aber »im 28. Lebensjahr« (somit 1909) von Triest aus seine erste größere 21 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 3 und 10. Zu den Gründern des Ruder-Vereins Austria zählten neben Anton Exner auch Bernhard Amster, Josef Dostal, Leo Fürth, Rudolf Kalinka, Emil Kiesler, Louis Leuchtag, Hans Lorentz, Simon Orlik, Ernst Spitz, Wilhelm Röhner, Arnold Rona (Roller) sowie André und Arthur Saborsky (vgl. 25 Jahre Wiener Ruder-Verein Austria, S. 3). 22 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.), Staatspolizei, Gr. I, Jansa, Niederschrift mit Anton Exner, 7. 6. 1945, O. Nr. 21. Der Ruder-Verein »Austria« konnte nach 1945 seine Tätigkeit wieder aufnehmen und besteht bis heute. 23 Vgl. Walter EXNER, Als Peking noch ummauert war. Erlebtes und Gehörtes, Waldeck (BRD) 1996, S. 19.
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348 Gabriele Anderl Schiffsreise an, um die beruflichen Möglichkeiten in Kanada und den USA auszuloten. Sein ältester Bruder war schon Jahre zuvor in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Anton Exner arbeitete sich als Geschirrwäscher und Kesselputzer hoch und fand schließlich eine gut bezahlte Stelle als Geometer in Seattle im US-Bundesstaat Washington, unweit der kanadischen Grenze. Sein Freund blieb in Amerika, Anton Exner aber zog es, vor allem wegen seiner späteren Ehefrau Mathilde, zurück nach Wien. Laut einem Artikel in der Volks-Zeitung von Oktober 1941 hatte Anton Exner bei diesem Aufenthalt in den USA »seine ersten weittragenden Beziehungen« angeknüpft – und zwar in New York: »Dort«, so wurde festgehalten, »interessierte sich der junge Wiener weniger für aussichtsreiche feste Stellungen als für das Chinesenviertel.« Vermutlich im Mai 1910 trat er per Schiff die Rückfahrt an, wobei er in Japan einen österreichischen Frachter als Transportmittel wählte.24 Diese Seereise sei entscheidend für Anton Exners weitere Lebensgestaltung gewesen, heißt es in einem von seinem Sohn Walter verfassten, im Familienbesitz befindlichen biografischen Manuskript. Die Fahrtkosten waren weitaus geringer als auf einem Personenschiff, zum anderen ermöglichten es die vielen Frachtumladungen, die oft mehrere Tage dauerten, Anton Exner, immer wieder an Land zu gehen. »In jedem Hafen, in dem er sich umsah, kaufte er preiswerte Landeserzeugnisse ein«, heißt es in dem Manuskript.25 Nach der insgesamt drei Monate dauernden Fahrt, die ihn über Japan, das südchinesische Kanton (Guangzhou), Hongkong, Singapur, Bombay (jetzt Mumbai /Indien), Karatschi (im heutigen Pakistan), Aden (im heutigen Jemen) und Kairo nach Triest führte, traf Exner am 28. August 1910 wieder in Wien ein. Als Reiseandenken brachte er unter anderem einen geflochtenen Schiffssessel und einen großen bissigen Vogel (einen Papagei oder, anderen Angaben zufolge, Kakadu) mit. Die kunstgewerblichen Gegenstände, insbesondere japanische Seidenblusen, die er Händlern zum Weiterverkauf anbot, fanden reißenden Absatz. In einem seiner (auto-)biografischen Manuskripte hielt Walter Exner fest, dass sein Vater gestickte japanische Blusen einem Geschäft in der Kärntnerstraße angeboten habe, wo ihm bedeutet wurde, »dass man sofort auch tausend japanische Blusen kaufen würde«. Gemeint ist höchstwahrscheinlich das Orientalische Kunstgewerbehaus, an das Anton Exner Grußpostkarten von seinen Reisen adressierte (siehe unten). 24 Auch hinsichtlich dieser Datierung decken sich die Angaben in den verschiedenen Quellen nicht. So heißt es in einem der unveröffentlichten Manuskripte Walter Exners, die Heimreise habe genau 30 Tage gedauert, was sich mit den anderen Angaben aber nicht in Einklang bringen lässt. 25 Privatarchiv der Familie Exner, undatiertes Manuskript zur Biografie von Anton Exner, verfasst von Walter Exner; Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Ein Wiener durchquerte neunundzwanzigmal Asien. Anton Exner erzählt von seinen abenteuerlichen Reisen, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Anton Exner beschloss aufgrund der großen Nachfrage nach fernöstlichen Artikeln, noch im November desselben Jahres wieder nach Ostasien aufzubrechen und Nachschub zu besorgen. Die notwendigen finanziellen Mittel konnte er nur mit Unterstützung seiner nunmehrigen Ehefrau Mathilde aufbringen: Sie stellte ihm ihre gesamten Ersparnisse zur Verfügung und vermittelte ihm einen Kredit eines befreundeten Fabrikanten in der Höhe von 10.000 Kronen. »Meine Reisen wie meine Sammeltätigkeit habe ich ohne [einen einzigen] Kreuzer Kapital 1908 begonnen«, berichtete Anton Exner später mit Stolz einem Journalisten.26 Im Jänner 1911 war er nach seiner zweiten Reise wieder in Wien eingetroffen. Sein nächster erhaltener Pass war am 12. Juni 1912 ausgestellt und für »alle Staaten der Erde« gültig – Anton Exner war inzwischen selbständiger Gemischtwarenhändler. Ab 1912 reiste er in der Regel einmal jährlich nach Ostasien, um einzukaufen, meist mit der Transsibirischen Eisenbahn, die die schnellste Verbindung darstellte. Die Fahrt auf dieser Strecke, die von Wien über Moskau und Harbin (Mandschurei) nach Peking (Beijing) führte, dauerte damals zehn bis zwölf Tage. Gemäß den Berechnungen Walter Exners hat sein Vater, die erste Weltreise mitgezählt, 15 Reisen nach Ostasien unternommen. In dem bereits zitierten Artikel in der Kronen-Zeitung aus dem Jahr 1944, der auf einem Gespräch mit Anton Exner selbst basierte, ist von insgesamt fünf Weltreisen und 17 Reisen nach Ostasien die Rede, 25 Mal habe er China besucht, 29 Mal Russland durchquert. 1937 habe er seine letzte Reise nach Japan, China und Indonesien unternommen – »dem Land, wo Leute und Fische (Schlammhüpfer) auf Bäumen leben und sich der Reisende zum Schutz vor wilden Tieren in Baumhotels einmieten kann«.27 Aufenthalte in den genannten Ländern unter den damaligen Bedingungen waren mit beträchtlichen Risiken verbunden. Das illustriert ein anderer Zeitungsartikel über Anton Exner aus dem Jahr 1941, in dem erwähnt wird, dass »Cholera- und Pestkranke, die mit einem Schrei vom Sitz fielen und verschieden […], manchmal [seine] Reisegefährten« gewesen seien,
26 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Ein Wiener durchquerte neunundzwanzigmal Asien. Anton Exner erzählt von seinen abenteuerlichen Reisen, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941. 27 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben. Siebzehn Reisen nach Ostasien. Besuch beim Kunstsammler Anton Exner, in: Kronen-Zeitung,15. 6. 1944. Die 30 Reisen, von denen in Berichten wiederholt die Rede war, ergaben sich laut Walter Exner durch die separate Zählung der Hin- und Rückfahrten. Nach anderen Angaben war Anton Exner vor dem Ersten Weltkrieg fünfmal nach Ostasien gereist, danach zwischen 1922 und seiner letzten Reise 1937 noch ein Dutzend Mal; Anton Exner selbst sprach einmal von 25 Ostasienreisen.
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350 Gabriele Anderl wie es auch nicht ausbleiben konnte, dass auch er in China unter die Räuber fiel. Aber nicht weniger gefährlich wie das Reisen können auch die Gastmähler chinesischer Geschäftsfreunde sein. Sie bestehen aus mindestens 40 Gängen und dauern stundenlang. Dabei muss nicht nur von jedem Gang genommen werden, sondern der Gastgeber stopft noch je nach Ansehen des Gastfreundes diesem mehr oder weniger viele Leckerbissen in den Mund, die müssen hinunter! ›Umsonst‹, lächelt abschließend Herr Exner mit einem Blick nach seinen Sammlungen, ›sind eben diese herrlichen Stücke nicht zu haben‹.28
Nicht verifizierbar ist Walter Exners Behauptung, sein Vater sei damals der Einzige im gesamten deutschen Sprachraum gewesen, der beinahe jährlich Einkaufsreisen nach Ostasien unternommen habe. Jedenfalls liefen die Geschäfte so gut, dass sich Anton und Mathilde Exner 1911 in der Lerchenfelderstraße 66/3/71 im achten Bezirk eine straßenseitig gelegene gutbürgerliche Mietwohnung mit drei Zimmern leisten konnten, dazu ein Magazin im Keller und zusätzliche Lagerräume im Hof, die mittels Haustelefon mit der Wohnung verbunden waren. Zwei Räume der Wohnung wurden für den Verkauf von Antiquitäten adaptiert. Kurz darauf eröffnete Anton Exner dort sein Geschäft für ostasiatische Kunst und ostasiatisches Kunstgewerbe.29 Gemäß seinen Angaben nach dem Krieg hatte er zuvor bereits ein Geschäft in der Reindorfgasse im damaligen 14. (heute 15.) Bezirk besessen. »Mein Vater war sehr zielstrebig, im Beruf und auch im Sport. Er war hart gegen sich selbst, war ausdauernd und einer der besten Ruderer Wiens. […] Sein Fleiß und sein anspruchsloser Arbeitswille ließen ihn oft bis Mitternacht arbeiten«, schrieb Walter Exner in seinen Erinnerungen. In der Familienüberlieferung werden verschiedene Episoden kolportiert, die die angesprochene Gnadenlosigkeit Anton Exners auch im Umgang mit der eigenen Person illustrieren. So soll er sich, als ihm während einer Schiffsreise eine Blutvergiftung drohte, die Wunde selbst mit einem Messer ausgeschnitten haben. Auf einer seiner Asienreisen, die er am 14. Juni 1914 angetreten hatte, wurde er auf der Rückfahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn am Baikalsee vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht. Er gab sich als Amerikaner aus, stieg in einen Zug in die Gegenrichtung und konnte so über die Mandschurei wieder China erreichen. Im August 1914 stellte er sich freiwillig und bot an, an der Verteidigung der deutschen Festung Tsingtau teilzunehmen – einer Aktion, in die auch etwa 400 Staatsangehörige
28 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941. 29 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 3.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Österreich-Ungarns involviert waren, weil in Tientsin nach dem Boxeraufstand von 1900 eine Konzession unter österreichisch-ungarischer Hoheit eingerichtet worden war, die unter Verwaltung der k. u. k. Kriegsmarine stand.30 Wegen eines Herzklappenfehlers und wohl auch wegen seiner fehlenden militärischen Ausbildung wurde Anton Exner jedoch nicht zur Musterung zugelassen – bereits früher war er bei dreimaliger Stellung für militäruntauglich befunden worden.31 Die Angaben zu den genauen Umständen, unter denen er 1914 zurück nach China gereist ist, widersprechen einander allerdings in manchen Details. In dem erwähnten Artikel in der Volks-Zeitung von 1941 heißt es dazu: Am 29. Juli 1914 […] trifft Herr Exner, durch einen Taifun verspätet, in Wladiwostok ein, um durch die Mandschurei weiter zu reisen. Nach der russischen Kriegserklärung aber werden alle Deutschen und Österreicher verhaftet. Ein weißrussischer Stationsvorsteher jedoch lässt ihn entkommen. Trotzdem wagt der Wiener von der gleichen Station mit dem nächsten Zug die Weiterfahrt, um nach Tsingtau zu kommen und dort eingelagerte Kunstgüter zu retten. Er wird von einer Militärpatrouille kontrolliert und für einen – Engländer gehalten, während ihn in der Zwischenstation Hsingking [heute Changchun]32 gar der österreichische Pass selbst vor dem Verhaftetwerden rettet. Denn ein Vermerk darin lautet: ›Der Kaiser von Russland empfiehlt allen Behörden, dem durchreisenden Anton Exner allen Schutz und alle Förderung angedeihen zu lassen.‹33
In einem Personalfragebogen der NSDAP zur Feststellung der Mitgliedschaft gab Anton Exner 1938 an, er habe sich anschließend als Österreicher zur Marschroute über die USA nach Wien entschlossen. Wie schon einmal Jahre zuvor, war er völlig mittellos in den Vereinigten Staaten eingetroffen. Er hielt sich unter anderem in San Francisco auf und übersiedelte im Herbst 1916, in der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, nach New York, um der Heimat näher zu sein. In der 56th Street eröffnete er einen Handel mit ostasiatischer Kunst. Nach 30 Der vom Deutschen Reich kontrollierte Hafen im chinesischen Tsingtau (nach der heute üblichen Transkription Qingdao) wurde in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges, zwischen dem 13. 9. und dem 7. 11. 1914, von vereinigten japanischen und britischen Truppen belagert. Die Belagerung endete mit einem japanisch-britischen Sieg. 31 Nicht ganz nachvollziehbar ist, wie Exner dennoch im Rudersport reüssieren konnte. 32 Die heutige Provinzhauptstadt im Nordosten der Volksrepublik China hieß ursprünglich Changchun und trägt auch jetzt wieder diesen Namen. Als Japan 1931 die Mandschurei besetzte und den Satellitenstaat Mandschuko ausrief, wurde Changchun unter dem neuen Namen Hsingking/Xinjing (= neue Hauptstadt) zur Hauptstadt bestimmt. 1945 wurde sie von der Roten Armee besetzt, 1948 von den Truppen der Kommunistischen Partei Chinas zurückerobert. Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Changchun (1. 9. 2013). 33 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941.
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352 Gabriele Anderl dem Kriegseintritt der USA wurde er als feindlicher Ausländer interniert, das Geschäft blieb jedoch bestehen. Erst am 1. Dezember 1919 konnte Anton Exner auf einem deutschen Dampfer als Schiffsleutnant anheuern und auf diese Weise die Rückreise antreten. Gegen Ende des Jahres traf er in Wien ein. »Amtliche Dokumente über diese Angaben liegen vor«, merkte Exner 1945 in einer Vernehmung durch die österreichische Polizei an.34 Die angesprochenen Unterlagen befinden sich noch heute im Familienbesitz und geben einen gewissen Einblick in Exners damalige kaufmännische Tätigkeit: Am 10. August 1914 wurde seitens des k. u. k. österreichisch-ungarischen Generalkonsulats in Shanghai bestätigt, dass sich der aus Wien stammende Kaufmann Anton Exner nach Tsingtau begebe, um sich dort einige Tage in Handelsangelegenheiten aufzuhalten. Die zuständigen Behörden vor Ort wurden ersucht, »Herrn Exner guetige Unterstuetzung angedeihen zu lassen«.35 Vom 8. September 1914 stammt eine Bestätigung des k. u. k. Österreichisch-Ungarischen Konsulats in San Francisco, wonach der Landsturmmann Anton Exner am 7. September 1914 aus Shanghai kommend in San Francisco eingelangt sei und sich zur Weiterbeförderung nach New York gemeldet habe. Aufgrund der Mitteilung des österreichisch-ungarischen Konsulats in New York, wonach Truppentransporte von dort in die Monarchie nicht abgehen könnten, wurde seitens der k. u. k. Botschaft in Washington die Weisung erteilt, »Angehoerige des Mannschaftsstandes nicht weiter zu befoerdern, daher Obgenannter [Anton Exner] bemuessigt ist, hie zu verbleiben«.36 Am 5. Oktober 1914 erhielt Anton Exner folgende Mitteilung von der North German Lloyd Steamship, adressiert an seine damalige Adresse in Seattle im Staat Washington: Der Dampfer Kleist habe am 4. August im Hafen Padang auf Sumatra Zuflucht gesucht und werde voraussichtlich bis zum Ende des Krieges dort verbleiben; eine Kaperung könne somit ausgeschlossen werden. »Soweit sind noch keine Schritte gemacht worden, die Fracht von Padang weiterzubefördern, da nach einer Depesche, welche wir am 1sten d. Mts. von der dortigen Agentur erhalten haben, der Kapitän erstens auf Instructionen von Bremen wartet und zweitens der Hafen von Padang keine Gelegen34 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 3 f.; ÖStA/AdR Inneres, Gauakten, Zl. 295.193 (Anton Exner), Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei, Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich, ausgefüllt und unterzeichnet von Anton Exner, 20. 5. 1938. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.) 35 Vgl. Privatarchiv der Familie Exner, Brief des k. u. k. österreichisch-ungarischen Generalkonsulats Shanghai, gez. Vizekonsul Kunz, Bestätigung, 10. 8. 1914. 36 Vgl. Privatarchiv der Familie Exner, Brief des k. u. k. Österreichisch-Ungarisches Konsulat San Francisco, California, 8. 9. 1914.
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heit bieten soll, die Fracht aus dem Dampfer herauszunehmen und weiterzusenden.«37 Exner wurde versprochen, dass man ihm Bescheid geben werde, sobald Genaueres bekannt sei. Er wurde seinerseits um Mitteilung gebeten, ob er die Konnossemente (Schiffsfrachtbriefe) über die neun Kisten mit Marken und Nummern besitze.38 Am 23. September des Jahres erhielt Anton Exner auch von den Agenten des Norddeutschen Lloyd Bremen in Shanghai die enttäuschende Nachricht, »dass die aus dem Dampfer ›Prinz Eitel Friedrich‹ in Tsingtau gelandeten 52 Kisten Kuriositaeten« nicht in Shanghai eingetroffen seien: »Es besteht nunmehr keine Moeglichkeit mehr, die Kisten nach hier zu senden, da Tsingtau von allen Seiten eingeschlossen ist, und es muss nun der Verlauf der Sache abgewartet werden.« Anton Exner, der sich – wie aus dem Schreiben hervorgeht – Ende August noch in Honolulu (im US-Bundesstaat Hawaii) aufgehalten hatte, befand sich mittlerweile im kalifornischen Santa Cruz.39 Am 28. Mai 1915 erhielt er in Reaktion auf eine am 1. April des Jahres eingebrachte Petition ein Antwortschreiben von K. Kumasaki, dem japanischen Konsul in Portland, Oregon, wo sich Exner inzwischen offenbar niedergelassen hatte. Kumasaki hatte von den zuständigen Behörden in Japan erfahren, dass Frachtgut, das sich zur Zeit der Okkupation durch die japanische Armee in den Lagerhäusern der Tsing-Tao-Werft befunden habe und seitdem nicht an die Anspruchsberechtigten ausgefolgt worden sei, nach wie vor in japanischem Gewahrsam befinde. Güter aus dem Eigentum feindlicher Personen würden, so hieß es, auf unbestimmte Zeit zurückbehalten: »Under the circumstances I regret to say that you may not get the delivery of your goods in Tsing Tao at present.«40 Trotz der punktuellen Einblicke, die diese Dokumente in Exners Auslandsaufenthalte gewähren, ist sehr wenig über die genauen Umstände bekannt, unter denen er seine Ankäufe in Asien getätigt hat. Wer seine Geschäftspartner_innen waren und wie sich sein Verhältnis zu den lokalen Behörden gestaltete, konnte bisher nur fragmentarisch rekonstruiert werden. Insgesamt sind die genauen Rahmenbedingungen, unter denen in dieser Zeit westliche Sammler_innen und Händler_innen Objekte bezie37 Vgl. Privatarchiv der Familie Exner, North German Lloyd Steamship Co./Oelrichs & Co., General Agents, New York, Inward Freight Dept., an Anton Exner, Seattle, Washington, 5. 10. 1914, Betreff: D. Kleist. 38 Vgl. ebenda. 39 Vgl. Privatarchiv der Familie Exner, Norddeutscher Llyod Bremen – Melchers & Co. Agenten, Shanghai, an Anton Exner, c/o Judge Scott, Santa Cruz, 3. 9. 1914. Eine Abschrift des Briefes wurde an die Heimatadresse Exners, nach Wien 8., Lerchenfelderstraße 66, gesandt. 40 Vgl. Privatarchiv der Familie Exner, K. Kumasaki (Consul of Japan), Portland Oregon, USA, an Anton Exner, Portland, Oregon, 28. 5. 1915.
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354 Gabriele Anderl hungsweise Waren in fernöstlichen Ländern akquiriert haben, sehr wenig erforscht. Einer der seltenen Hinweise auf eine in Ostasien tätige Händlerin findet sich in der Ankündigung eines Lichtbildervortrages über Peking, den die deutsche Chinareisende Editha Leppich offenbar im Museum für Völkerkunde halten sollte. Sie war in den 1930er Jahren nach Peking gezogen, hatte dort in einem Tempel gewohnt und die chinesische Sprache und Schrift erlernt. Leppich, die sich, wie es hieß, »nun ganz dem Studium der chinesischen Kunst« gewidmet hatte, hatte in Peking einen Kunsthandel (an anderer Stelle »curio shop« genannt)41 eröffnet, der sich – so der Text im Folder – »nicht nur in Peking sehr regen Zuspruchs erfreut, sondern auch durch Ausstellungen chinesischer Kunst im Ausland recht erfolgreich ist. Die Schwierigkeiten, die sich der Eröffnung eines Geschäftes entgegenstellen, sind groß, mussten doch zwei Chinesen nicht nur mit einem Vermögen von 150.000 Dollar, sondern selbst mit ihrem Kopf bürgen«.42 In dem erwähnten Artikel über Anton Exner aus dem Jahr 1944 in der Kronen-Zeitung wurde festgehalten, dass bei seinem ersten Besuch in China dort noch »die Dynastie« geherrscht habe, es aber bald darauf zu einem Umsturz gekommen sei – »und damit […] für die europäischen Kunsthändler eine günstige Zeit« begonnen habe, »da diese Kunstschätze auf den Markt kamen«.43 Tatsächlich war nach Jahrhunderten die Herrschaft der Qing-Dynastie zu Ende gegangen und 1912 die Republik China gegründet worden. Drei erhaltene Ansichtskarten, die Anton Exner in der ersten Hälfte der 1930er Jahre aus Japan nach Österreich geschickt hat, verweisen auf seine geschäftlichen Kontakte zum Orientalischen Kunstgewerbehaus in der Kärntnerstraße 23 in Wien. Sie sind allerdings nicht an den Geschäftsinhaber, Jakob Hugo Biel, gerichtet, der 1938 durch die »Arisierung« seines Betriebes enteignet und schließlich von den Nationalsozialisten ermordet werden sollte,44 sondern an verschiedene Mitarbeiter_innen der Kunsthand41 Der Terminus curio shop kann sowohl mit Souvenir- als auch mit Altwaren- oder Antiquitätenhandel übersetzt werden. Editha Leppichs curio shop wird in einem Brief von Flora Belle Jan von 1940 erwähnt, vgl. Fleur YANO, Saralyn DALY (Hg.), Unbound spirit. Letters of Flora Belle Jan, Illinois 2009, S. 168. 42 Ankündigung eines Lichtbildvortrages von Editha Leppich: Peking. Der Zauber des Fernen Ostens (Berlin, o. D.), in: ÖStA/AdR BMU, Kunstangelegenheiten, Sign. 15 Kt. 14, Museum für Völkerkunde, (1940–1957), Zl. 3594/1944. Editha Leppich kehrte kurz vor Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (»des russischen Krieges«) über Sibirien nach Deutschland zurück. 43 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben. Siebzehn Reisen nach Ostasien. Besuch beim Kunstsammler Anton Exner, in: Kronen-Zeitung, 15. 6. 1944, 44 Jakob Hugo Biel, geboren am 2. 6. 1872, wurde am 15. 10. 1941 nach Litzmannstadt deportiert und kam dort am 4. 3. 1942 ums Leben (DÖW, Namentliche Erfassung der österreichischen Shoah-Opfer, Jakob Hugo Biel).
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
lung. Am 18. Mai 1930 sandte Exner eine Grußpostkarte aus Kyoto an die Kassiererin des »Orientalischen Kunsthauses«, die Karte vom 28. April 1931 adressierte er an das »Personal«, die dritte an einen Ignatz Schulz – vermutlich einen Angestellten der Firma.45 Die Jugendjahre Walter Exners
Am 26. Februar 1911 hatte Anton Exner seine Verlobte, Mathilde Ludwig, geheiratet. Am 13. November 1911 wurde Walter Exner geboren, am 27. September 1913 seine Schwester Edith Frieda (später verehelichte Sch., gestorben am 15. Jänner 2011). Zur Unterstützung von Mathilde Exner wurde eine Bekannte aus dem böhmischen Asch als Hausgehilfin aufgenommen. Mathilde Exner musste während der fünfjährigen Abwesenheit ihres Mannes mit ihren Kindern allein zurechtkommen. Sie verfügte jedoch durch Warenverkäufe über ausreichend finanzielle Mittel, um sich und ihre Familie – sieht man von kriegsbedingten Mängeln ab – über Wasser zu halten. Sie hatte in Wien nur wenige Freunde und Bekannte. »Lediglich ein einfaches Arbeiterehepaar, bei dem meine Mutter vor der Heirat wohnte, stand ihr treu zur Seite und der Mann vertrat bei mir die fehlende Vaterstelle«, schrieb Walter Exner später in seinen Lebenserinnerungen. »Diesem Mann, den ich ›Hief-Onkel‹ nannte, verdanke ich viel Zuneigung in meinem Leben und immer, wenn ich die ersten Jahre [nach dessen Rückkehr] mit meinem Vater Schwierigkeiten hatte, fand ich bei ihm Trost und Hilfe.«46 Walter Exner wuchs zunächst in der Lerchenfelderstraße auf. Im September 1917 wurde er eingeschult. Über die Motive seiner Mutter bei der Auswahl der Schule merkte er Folgendes an: »Weil meine Mutter täglich die Arbeiter-Zeitung las und von zu Hause her aus Asch in Böhmen stammte, einer fast rein evangelischen Stadt Österreichs, besuchte ich die den Sozialisten nahe stehende ›Freie Schule‹ in der Albertgasse, die überdies den Vorteil hatte, dass sie in unserer Nähe lag und ich auf dem Schulweg keine größere Straße zu überqueren hatte.«47 Die Freie Schule war im September 1910 von dem gleichnamigen, 1905 entstandenen Verein unter dem noch heute innovativ anmutenden Motto Mehr Licht in die Köpfe, in die Schulstuben in der Albertgasse 23 in Wien-Josefstadt eröffnet worden. Der Verein wurde ursprünglich als parteiunabhängige Initiative mit dem Ziel
45 Für den Hinweis auf diese Postkarten sowie die entsprechenden Scans danke ich dem emer. Prof. für Japanologie, Peter Pantzer. In Lehmann’s Adressbuch von 1931 scheint ein Handelsangestellter mit dem Namen Ignaz Schulz, wohnhaft im 21. Bezirk, auf. 46 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 4. 47 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 4 f.
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356 Gabriele Anderl gegründet, das rückständige österreichische Bildungssystem zu reformieren und den übergroßen Einfluss der katholischen Kirche im Schulwesen zurückzudrängen. Da der überwiegende Teil der Mitglieder Sozialdemokrat_innen waren, wurde er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zum offiziellen Schulverein der Sozialdemokratie.48 Den Sommer 1919, den ersten nach Kriegsende, verbrachte Walter Exner mit seiner Mutter und seiner Schwester im Waldviertel – in Oberrabenthan, das heute zur Gemeinde Rappottenstein gehört. Im folgenden Sommer – der Vater war inzwischen nach Wien zurückgekehrt – mieAbbildung 4: Porträt Anton Exner, Zum tete die Familie für die nächsten fünf Jahre in der Gedenken an Anton Exner. Bundesminiszur Gemeinde gehörenden Ortschaft Lembach terium für Wissenschaft und Forschung ein »Ausnahm-Häusl«.49 Während dieser Sommeraufenthalte entwickelte Walter Exner eine starke innere Beziehung zum Örtchen Lembach und dessen Umgebung, vor allem zu dem nahe gelegenen Siebenberg, einer 800 Meter hohen bewaldeten Kuppe. 1932 erwarb er, ohne seine Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, zwei erste Grundstücke, die auch die Kuppe umfassten, und plante, dort ein Haus zu bauen. Durch weitere Ankäufe vergrößerte sich der Besitz im Laufe der Jahre auf über fünf Hektar. Als sich nach dem »Anschluss« die Wirtschaftslage Österreichs gebessert habe, seien seine Eltern mit dem Bau eines Hauses einverstanden gewesen, hielt Walter Exner in seinen Memoiren fest. Auf die Flurbezeichnung Siebenberg bezog er sich, als er in Peking den Siebenberg-Verlag gründete. Die Rückkehr des Vaters gegen Ende 1919 war für ihn ein einschneidendes Ereignis mit nachhaltiger Wirkung gewesen, denn Anton Exner nahm nun die Erziehung des Sohnes in die Hand. Er duldete keinen Widerspruch und versuchte, ihn nach seinem 48 Vgl. WEB-Lexikon der Wiener Sozialdemokratie, http://www.dasrotewien.at/freie-schule-verein.html. In dem Gebäude in der Albertgasse 23 befindet sich heute das Verwaltungsgebäude der Wiener Kinderfreunde. Bekannte sozialdemokratische Persönlichkeiten wie Paul Speiser, Otto Glöckel und Ludo Hartmann waren Aktivisten der Freien Schule – ihre Forderungen sind bis heute Teil der Debatte um Neuerungen im schulischen Bereich. Sie kämpften für eine umfassende Schulreform, für die Einführung der Einheitsschule bei gleichzeitiger Begabtenförderung sowie für die längst überfällige Modernisierung der Lehrpläne. 49 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.), Vernehmung des Beschuldigten Anton Exner vor dem LG St Wien, 21. 1. 1947, O. Nr. 4, Bl. 28; EXNER, 90 Jahre, S. 5.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Vorbild zu formen. Die folgenden ausführlichen Auszüge aus den Erinnerungen Walter Exners können viel zum Verständnis der Konflikte zwischen ihm und seinem Vater beitragen: Er war für mich ein fremder Mann, überhaupt der erste Mann im Hause. Nachdem ich, soweit ich mich erinnern konnte, nur Frauen um mich gekannt hatte, ein befremdendes Gefühl. Ich besuchte damals schon die dritte Volksschulklasse und hatte meine eigene kleine Welt, die plötzlich gestört worden war. Bisher war ich – soweit es die Umstände erlaubten – ein verwöhntes Muttersöhnchen gewesen. Alles dies hatte sich von einem Tag auf den anderen geändert. Mein Vater, dem es in New York an nichts gefehlt hatte, konnte sich nicht in meine Lage versetzen und behandelte mich so wie einen amerikanischen Jungen […]. Ich war ein Kind, das nie zu kleinen Arbeiten, z. B. das Zusammenräumen von Spielsachen, das immer ein Dienstmädchen besorgt hatte, solange meine jüngere Schwester und ich Kleinkinder waren, herangezogen wurde. Nun musste auch ich einen Besen in die Hand nehmen und im Haushalt mitarbeiten. Auch verlangte mein Vater im steigenden Maße meine Mitarbeit in handwerklichen Dingen. Er gehörte zu den Menschen, die auf der Straße noch Nägel aufhoben, um sie zu verwenden, und selbst in der kühlen Jahreszeit trug er den Mantel offen, um die Knopflöcher zu schonen. Er bestellte nur selten Handwerker, weil er alles selbst machte. Ich musste, wenn ich schon nicht mithelfen konnte, wenigstens zusehen und dabei lernen. Weil ich ihm einmal bei einer Arbeit zusah und die Hände in die Hosentasche steckte, erhielt ich eine Ohrfeige mit der Begründung, dass man anderen nicht mit den Händen in den Hosentaschen bei der Arbeit zusieht. Ich habe es mir gemerkt und bis heute nicht mehr getan. Mein Vater war so streng zu mir, sodass ich die ersten Jahre mit meiner täglichen Ohrfeige rechnen musste. Ich bekam des Öfteren Schläge, auch wenn er mir als Kind zu viel zumutete und meine Kräfte zu schwach waren, um eine Anforderung zu erfüllen. Einmal schlug er mich nur deshalb, weil ich zu schwach war, um einen schweren Schrank zu heben. Daher fürchtete ich ihn. Doch war sein Wissensdrang unermüdlich. Immer wieder fragte er mich, warum ist dies so oder so. Zum Beispiel: Warum kühlt die Suppe ab, wenn man bläst? Oft fragte und belehrte er mich und ich verdanke ihm diese Eigenschaft, allem – soweit möglich – auf den Grund zu gehen. Und sein Verhalten hat ihm Recht gegeben. Vom armen Halbwaisen ohne die so genannte höhere Bildung hatte er es zum Millionär im eigenen Haus nahe der Staatsoper und zum angesehenen Kenner ostasiatischer Kunst gebracht. […] Ich wurde schüchtern und zog mich in mich zurück, ständig in Angst, von meinem Vater gezüchtigt zu werden, denn mein Vater war aufbrausend und jähzornig. Oft fragte er gar nicht nach den Ursachen einer Bestrafung [sic!]. Auf meine schulischen Aufgaben nahm er keine Rücksicht. So musste ich eine Zeitlang
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358 Gabriele Anderl nach dem Mittagessen mit ihm Schach spielen, ohne dass er nach meinen Hausaufgaben fragte. Verlor ich absichtlich, um Zeit zu gewinnen, musste ich nochmals mit ihm spielen. Dadurch wurde ich immerhin für mein Alter ein ganz guter Schachspieler. Mein Vater zwang mich, manchmal auch nachts, zur Mithilfe bei Arbeiten im Lager, wo Ware aus- und eingepackt wurde. Wenn er mich fragte, ob ich Aufgaben hätte, sagte ich lieber nein, um einer (wohl unverdienten) Ohrfeige aus dem Wege zu gehen.50
Er habe in seiner Jugend durch »die strenge, oft ungerechte Erziehung« auf vieles verzichten müssen, hielt Walter Exner ausdrücklich fest. »Ich war immer froh, wenn mein Vater sonntags schon früh die Wohnung verließ, um auf der Donau dem Rudersport zu huldigen.« Von Schulbildung hielt der Vater nicht viel, »weil im Leben doch alles anders ist, wie er sagte«. 51 Dennoch schenkte Anton Exner seinem Sohn noch während der Volksschulzeit ein Ausgabe von Meyers Konversationslexion, das viele Bände umfasste und bei Walter Exner ein nachhaltiges Interesse an Geschichte, Geografie und religiösen Themen weckte: »Ich erinnere mich, dass ich in meiner Schulzeit vor jeder Buchhandlung stehen blieb und mir manches Buch zu kaufen wünschte, doch reichte mein bescheidenes Taschengeld niemals dazu aus, mir eines kaufen zu können. Erst in der Oberstufe, als mein Vater großzügiger geworden war, konnte ich von meinem Taschengeld (etwa ab 1928) die zehnbändige Propyläen-Weltgeschichte erwerben.«52 1922 bestand Walter Exner die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium in der Albertgasse. Doch die Tatsache, dass der Vater weiterhin seine Mithilfe im Geschäft und bei Hausarbeiten einforderte, wirkte sich ungünstig auf die schulischen Leistungen des Kindes aus. So durfte Walter Exner, der von den Mitschülern zum Klassensprecher gewählt worden war, das Amt wegen seiner schlechten Noten nicht ausüben.53 Während des fünften Schuljahres versäumte er krankheitsbedingt viele Unterrichtsstunden und musste die Klasse wiederholen. Sein Deutsch- und Französischlehrer war nun der Schriftsteller und Lyriker Franz Spunda (1890–1963) – später ein überzeugter Nationalsozialist. Exner, der Protestant, geriet mit Spunda, dem Katholiken, in einen Streit über Martin Luther. Der Lehrer zeigte sich verärgert über die vermeintliche Besserwisserei des Jüngeren und ließ Walter Exner ein Jahr vor der Matura durchfallen, woraufhin dieser die Schule verließ.54 50 51 52 53 54
Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 6 f. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 6 f. und 10. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 7. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 7 f. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 8 f.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Politisch war die Familie laut Walter Exner »großdeutsch gesinnt, wie der größte Teil des Wiener Bürgertums jener Zeit, und weltanschaulich der Jugendbewegung verbunden«.55 Als evangelischer Mittelschüler trat er dem Bibelkreis (BK) bei. Er und sein aus anderen Gymnasiasten bestehender Freundeskreis schlossen sich unter Führung des jungen Vikars Georg Traar (1899–1980) der Jugendbewegung an, die sich nun Kreuzfahrer. Bund deutsch-evangelischer Jugend in Österreich nannte. Mit Traar, der ab 1946 für viele Jahre Superintendent der Diözese Wien werden sollte, verband Exner »aufrichtige Zuneigung und Freundschaft, die auch nach meiner Kreuzfahrerzeit und meinem Austritt aus der Kirche nach dem Anschluss, bis zu seinem Tode anhielt. Er vor allem und die Ziele der Jugendbewegung prägten meine Weltanschauung, wofür ich noch heute dankbar bin, obwohl sich seit damals vieles bei mir geändert hat.«56 Die Zugehörigkeit zu den Kreuzfahrern habe ihn, so Exner, in seiner Jugend vor schädlichen »Versuchungen« bewahrt und ihm »ein gewisses Zuhausegefühl« vermittelt, das ihm ansonsten fehlte. Die Gruppe traf sich wöchentlich, »um biblische und später zunehmend völkische Fragen zu erörtern«. Einmal jährlich, zu Pfingsten, trafen sich alle Kreuzfahrer-Kreise Österreichs. Dem Zug der Zeit folgend, trugen wir später bei gemeinsamen Veranstaltungen die gleiche Kleidung, weißes Hemd zur kurzen Lederhose, weiße Kniestrümpfe und über das Hemd den damals so genannten ›Entente-Riemen‹, den auch die SA (Sturmabteilung der Nationalsozialisten) trug. Unsere Mädchen trugen zum Dirndl ebenfalls, wie in den Alpenländern Brauch, weiße Strümpfe – nach dem Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 [ein] Zeichen nationalsozialistischer Gesinnung.57
Es gab Volkstanzkreise und »Volkstumsarbeit«, etwa in Form von Wanderungen in den deutschen Sprachinseln der ehemaligen Monarchie (Banat, Siebenbürgen, Batschka, Zips) während der Ferien. Bei den Kreuzfahrern lernte Walter Exner die Schauspielerin Elfriede Kuzmany wie auch Heinrich Harrer kennen, mit dem er ein Leben lang in Freundschaft verbunden blieb. Als junge, deutsch und evangelisch geprägte Menschen hätten sie, nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg, in den 1920er Jahren »messianisch geprägte Hoffnungen« gehabt, so Walter Exner.58 Nach Einschätzung der Wiener Zeithistori55 56 57 58
Vgl. EXNER 1996, S. 19. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 9. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 9. Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 9.
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360 Gabriele Anderl kerin Johanna Gehmacher, einer Expertin für Jugendbewegungen der Zwischenkriegszeit, kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass auch dieser Verein, wie die meisten evangelischen Jugendorganisationen in den 1930er Jahren, nationalsozialistisch unterwandert war.59 Nach dem Abbruch des Gymnasiums besuchte Walter Exner einen fünfmonatigen Abendkurs der Handelsschule Weiss und trat 1930 als unbezahlte Arbeitskraft in das väterliche Geschäft ein.60 Nicht nur Walter Exner beschrieb seinen Vater als autoritären Charakter. Auch dessen Schwiegersohn, Eduard Sch., zeichnete in einer nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfassten Darstellung ein äußerst negatives Bild von Anton Exner. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch gegen Sch., der ebenfalls NSDAP-Mitglied gewesen war, ein Volksgerichtsverfahren eingeleitet worden war und die Ausführungen wohl auch seiner eigenen Entlastung dienen sollten. Sch. behauptete, er habe von seinem Schwiegervater, Anton Exner, nur »Zurückweisung und Ablehnung« erfahren, als er sich um dessen Tochter bemüht habe. »Er machte mich darauf aufmerksam, wie ich es wagen könne, als ›armer Hund und Krüppel‹ überhaupt aufzutreten. Abgesehen (davon), das ich nichts besäße, störe ihn mein Name Schmalz als jüdisch, meine Abstammung von der tschechischen Mutter sowie meine katholische Religion«. Sch. musste seinen Namen abändern und aus der katholischen Kirche austreten. Seine Frau, Edith, sei »ein armes, unterdrücktes Kind« gewesen, »das nicht einmal bei einer schweren Rippenfell- und Lungenentzündung von ihrem Vater einen Arzt zugebilligt gekommen hatte (der ihr trotz 40 Grad Fieber eine Schreibmaschine ins Bett brachte und sie zwang, einen diktierten Brief zu schreiben)«.61 Anton Exner wurde bald nach seiner Rückkehr aus den USA am Dorotheum in Wien zum staatlich beeideten Schätzmeister für ostasiatische Kunst bestellt – als damals einziger in Österreich. Er hatte diese Funktion rund ein Vierteljahrhundert lang inne. Im Zuge der Rückkehr aus den USA hatte er seine Dollar in Kronen umgetauscht und während der Zeit der Inflation sein Vermögen verloren. Doch schon im Laufe des ersten Nachkriegsjahrzehnts konnte er sich wieder finanziell erholen. 1929 kaufte die Familie ein Mietshaus in der Paniglasse 18–20 im vierten Bezirk. Da die 59 Auskunft von Johanna Gehmacher, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Es gab in dieser Zeit eine Vielzahl von Jugendbünden; konkret zu den Kreuzfahrern konnte die Historikerin keine näheren Angaben machen. 60 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 10. 61 Vgl. WStLA, Personalakten des Gaues Wien, Gauakt Walter Exner, »Das Verhältnis zu Exner«, nicht namentlich gezeichnete und nicht datierte Darstellung.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Wohnungen wegen des Mieterschutzes für lange Zeit unkündbar waren, ließ Anton Exner ein fünftes Stockwerk mit 18 Räumen für den Eigenbedarf oben aufsetzen. In der Folge wurde auch das Geschäft in die Paniglgasse verlegt. Walter Exners Eintritt in das väterliche Geschäft entlastete seinen Vater, dieser konnte sich nun auch anderen Leidenschaften, etwa dem Kartenspielen, widmen. Doch auch für Walter Exner begann, wie er in der Retrospektive festhielt, ein »unbeschwerter Lebensabschnitt, zumal die ständige Zusammenarbeit dem Vater-SohnVerhältnis bestens bekam«.62 Sowohl Anton als auch Walter Exner entwickelten in der Zwischenkriegszeit tiefe Ressentiments gegen die Politik des Roten Wien. Auch später hielt Walter Exner an dieser Sichtweise fest. Als Negativpunkte führte er in seinen Erinnerungen die Einführung des Mietrechts und der Wohnbausteuer sowie die Tatsache an, dass damals das Schulgebet abgeschafft worden sei und man die Schüler angehalten habe, einander mit dem Parteigruß der Sozialdemokraten, Freundschaft, zu begrüßen. Während der Feiern zum Ersten Mai habe sich »das erschreckte Bürgertum« in seinen Wohnungen verkrochen. Der »Mittelstand«, der seine Ersparnisse durch wertlos gewordene Kriegsanleihen verloren hatte, habe sich durch neue steuerliche Belastungen nicht erholen können. »Während die roten Stadtväter ihrer Wohnbauten wegen von den Intellektuellen der ganzen Welt bewundert und gepriesen wurden, verfielen die Altbauten wie überall dort, wo der linke Sozialismus herrscht. Mein Vater, der Welterfahrung besaß, sah den Irrsinn dieser Politik und wurde ein entschiedener Gegner dieser verfehlten Politik, deren Irrsinn die arbeitenden Massen nicht erkennen konnten.«63 Das austrofaschistische Regime entsprach der Weltanschauung von Vater und Sohn Exner freilich ebenso wenig. Beide hatten sich inzwischen der NSDAP zugewandt, der sie auch in der Zeit des Parteiverbotes die Treue hielten. Am 21. Juli 1934 (also wenige Tage vor dem Ausbruch des Juliputsches) wurde Walter Exner, wie er später festhielt, von zwei ihm unbekannten Kriminalbeamten – »möglicherweise auch Regierungsgegner[n]« – dezent gewarnt und schloss daraus, dass er von der Staatspolizei beobachtet wurde und ihm die Verhaftung drohte. Wenige Stunden später saß er im Zug nach Paris, von wo er weiter nach London reiste. Ein Freund aus der Jugendbewegung vermittelte ihn in ein Lager der Völkerbundjugend in Südengland, in dem sich fast ausschließlich englische Jugendliche zusammengefunden hatten. »Am 62 Vgl. EXNER 1981, S. 227. 63 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 11.
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362 Gabriele Anderl 3. August 1934 wurde der Tod des Reichspräsidenten [Paul von] Hindenburg bekannt und am Abend am Lagerfeuer wurde von den Jugendlichen, die Deutsch konnten, stehend das Deutschlandlied gesungen.«64 Walter Exner, der in seinen nach dem Krieg verfassten Erinnerungen die Monate in England als jugendbewegte Idylle schilderte, verschwieg in einem in der NS-Zeit verfassten Lebenslauf seine Teilnahme an dem erwähnten Jugendlager. Im Oktober 1934 kehrte Walter Exner nach Wien zurück. Im Februar 1935 reiste er ein weiteres Mal nach Großbritannien, um als Kunsthändler studienhalber die Great Chinese Art Exhibition zu besuchen. Wenige Tage nach seiner Rückkehr, im März 1935, fuhr er das erste und einzige Mal gemeinsam mit seinem Vater Anton Exner in den Fernen Osten. Während der Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn, die er später in dem Büchlein Als Peking noch ummauert war eindrücklich schilderte, lernte Walter Exner nach eigenen Worten »nicht nur einen fürsorglichen Vater, sondern auch einen großartigen Kameraden kennen«. An einem lauen Frühlingsabend trafen die beiden in der alten Kaiserstadt Peking ein. Um in die Stadt zu kommen, mussten wir von dem an der Außenseite der gewaltigen Stadtmauer gelegenen Bahnhof diese durchschreiten und, heraustretend, erlebte ich das, was die Japaner wohl mit satori, wir Abendländer mit ›plötzlicher Erleuchtung‹ oder ›schicksalhaftem Erlebnis‹ bezeichnen. Die sich dunkel gegen den dämmernden Himmel abzeichnenden geschwungenen Dächer, die trotz des regen Verkehrs herrschende Stille, die das leise Trapp-Trapp der laufenden Rikscha-Zieher, welche bereits ihre Laternen angezündet hatten und wie Glühwürmchen über die Straße huschten, nur noch betonten – all das überwältigte mich zutiefst und ich wusste von diesem Augenblick an um die Einzigartigkeit der chinesischen Kunst und Kultur, die ganz Ostasien geprägt hat. Der Umgang mit ostasiatischer Kunst und Kultur war mir nicht mehr Lebensunterhalt allein, sondern auch Lebensinhalt und Lebensaufgabe geworden.65
Nachdem Walter Exner im Mai 1935 nach Wien zurückgekehrt war, erlaubte ihm sein Vater, bestimmte Gegenstände aus dem Verkauf zu nehmen und in einem besonderen, nicht allgemein zugänglichen Raum zu verwahren. Bald kam ein zweiter Raum hinzu, und schon drei Jahre später umfasste die damit entstandene Sammlung Exner an die 3.500 Gegenstände. Sie wurde laut Walter Exner nicht nach einem festen Plan oder
64 Vgl. EXNER, 90 Jahre, S. 11 f. 65 Vgl. EXNER 1981, S. 227; EXNER 1996, S. 9 ff.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
von einem bestimmten Blickwinkel aus angelegt. Vielmehr wurden »einfach alle die Stücke aus einem reichlich vorhandenen Bestand einverleibt, die uns gefielen. Bald wurden aber auch zur Ergänzung – z. B. von Holzschnittfolgen – Gegenstände nur für die Sammlung erworben.«66 Um weitere Antiquitäten für das väterliche Geschäft zu beschaffen und angetrieben von dem Wunsch, die Kultur und Lebensart der Menschen im Fernen Osten besser verstehen zu lernen, entschloss er sich zu einem neuerlichen, diesmal einjährigen Aufenthalt in Peking, wo er im Frühjahr 1936 eintraf. In seiner Begleitung befanden sich zwei jüngere Freunde aus Wien, der 1913 in Czernowitz geborene Jörg (Hansjörg) Netolitzki,67 der am Deutschen Hospital in Peking praktizieren wollte, und der Architekturstudent Peter Szongott, an deren Reisekosten sich Anton Exner beteiligt hatte. Walter Exner nahm in Peking, wo er zwischen März 1936 und Februar 1937 nach eigenen Worten »das wohl glücklichste und unbeschwerteste Jahr« seines Lebens verbrachte,68 täglich Sprachunterricht bei einem chinesischen Lehrer, der ihn auch mit den Grundlagen der chinesischen Schreibkunst vertraut machte.69 Bald stellte er fest, dass vieles von dem, was Reisende aufgrund flüchtiger Eindrücke über China geschrieben hatten, nicht den Tatsachen entsprach und ein falsches Bild vermittelte. Um dieses Bild zu korrigieren, gründete er im Herbst 1936 in Peking, unterstützt vom Leiter der dortigen deutschen Schule, Dr. Karl Gruber, den Siebenberg-Verlag. Der Name verwies, wie erwähnt, auf Walter Exners Grundbesitz im Waldviertel. Der Siebenberg-Verlag soll, wie Walter Exner später festhielt, der einzige deutschsprachige Verlag gewesen sein, der vor der kommunistischen Machtübernahme in China gegründet wurde und noch Jahrzehnte nach Kriegsende – allerdings in Europa – bestand. Er hatte später seinen Sitz in Wien, anschließend in den hessischen Kleinstädten Frankenau und Bad Wildungen. 1996 wurde er von dem 1981 in Hamburg gegründeten Felicitas Hübner Verlag übernommen, der von 1982 bis 2004 in Waldeck beheimatet war und seit 2005 in Lehrte bei Hannover ansässig ist.70 In den Jahren 1937 und 1938 erschienen im Siebenberg-Verlag Peking mehrere, zum Teil von Walter Exner (mit-)verfasste Publikationen, etwa der Sprachführer Die ersten 66 Vgl. EXNER 1981, S. 227 f. 67 Der Mediziner Hansjörg (Hans-Jörg) Netolitzki dürfte später als Internist tätig gewesen sein. Sein Vater war nach Angaben Exners Professor an der deutschsprachigen Universität von Czernowitz gewesen. 68 In seinem Volksgerichtsverfahren gab Walter Exner an, er habe sich fast eineinhalb Jahre lang in China aufgehalten. Die Abreise datierte er mit Jänner 1936, die Rückkehr mit Mai 1937. 69 Vgl. EXNER 1981, S. 228; EXNER, 90 Jahre. 70 Privatarchiv der Familie Exner, Werkverzeichnis von Walter Exner (vermutlich von diesem selbst verfasst); vgl. auch http://www.huebner-books.de/info/.
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364 Gabriele Anderl 111 chinesischen Zeichen von Fritz Emme; Die westlichen Kaisergräber bei Peking von Karl Gruber und Walter Exner; das Büchlein Japanisch für die Olympiade von Shichimato; Das Chinesische Schachspiel: Einführung mit Aufgaben und Partien von Karl Gruber, 111 chinesische Zeichen für den Kunstkenner – Ein Taschenbuch für den Käufer von »Curios« von Walter Exner und Thomas Zwieauer, des Weiteren eine kleine Edition von Postkarten mit Abbildungen »vorbildlicher ostasiatischer Kunstgegenstände«. Die Auslieferung für Europa erfolgte über die Buchhandlung Krey (siehe unten) in Wien und Leipzig.71 In Peking nahm Exner einige Zeitlang auch Unterricht bei einem ehemals kaiserlichen russischen Konsul, der etwas Mongolisch und Mandschurisch sprechen und schreiben konnte. Sein Lehrer zeigte ihm eines Tages die Abzeichnung einer Karte der Mongolei in mongolischer Schrift – er hatte sie Jahre zuvor durch Bestechung eines chinesischen oder mandschurischen Beamten anfertigen lassen. Diese geheim gehaltene Karte wies die Karawanenwege durch die Wüste Gobi sowie Standorte und Stärke der chinesischen Garnisonen aus. Exner veröffentlichte sie mit Unterstützung des ehemaligen Konsuls im Siebenberg-Verlag – maßstabsgetreu und in mongolischer Schrift mit deutschen Erklärungen und Erläuterungen zur Aussprache. Es stellte sich laut Exner heraus, dass es sich um die bis dahin älteste bekannte Karte dieser Region handelte. Aufgrund der Publikation begann Walter Exners Brieffreundschaft mit dem schwedischen Forscher und Schriftsteller Sven Hedin (1865–1952), die bis zum Tod des Letzteren weiter bestand.72 Grundsätzlich sollte der Verlag auf drei Säulen basieren: 1) der Buchabteilung, 2) der Kunstabteilung, die für die Herstellung und den Vertrieb von Kunstpostkarten in großen Auflagen zuständig war, wobei die Produktion zunächst in Wien, später in Berlin erfolgte; und 3) die Publikation der Zeitschrift Asien-Berichte. Besonders der Vertrieb der Kunstkarten erwies sich als rentables Geschäft. Später spezialisierte sich der Verlag auch auf Kunstblätter, Kalender (besonders erfolgreich war der MondKalender) und Bildbände über ostasiatische Kunst, etwa die berühmten Meister des japanischen Farbholzschnittes. Von Walter Exner stammt das Buch über Utagawa Hiroshige (1797–1858), das erstmals 1960 publiziert wurde.73
71 Privatarchiv der Familie Exner, Verlagsprospekt des Siebenberg-Verlags Peking 1937, 1938. 72 Vgl. EXNER 1981, S. 228. Sven Hedin war ein Bewunderer des NS-Regimes gewesen und hatte Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches geknüpft. »Wir werden die völlige Genesung und Größe von Deutschland erleben – es geht schon aufwärts«, schrieb Sven Hedin am 26. 11. 1949 an Lisl Exner, Privatarchiv der Familie Exner. 73 Vgl. EXNER, 90 Jahre; Privatarchiv der Familie Exner, einseitige Manuskript von Walter Exner: Die Gründung des Siebenberg-Verlages; ZIMMERMANN 1961, S. 37 f.
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Bei aller Bewunderung, die er der Kultur Chinas entgegenbrachte, war Walter Exners Haltung gegenüber den unteren Schichten der einheimischen Bevölkerung nicht frei von Überlegenheitsgefühlen. Ein Beispiel dafür ist eine Episode, die er in dem im Siebenberg-Verlag erschienenen Bändchen Als Peking noch ummauert war schilderte. Walter Exner hatte ein vollständig eingerichtetes Haus mit Dienerschaft gemietet. Eines Morgens unterließ es Wang, »Boy Nr. 1«, dem die Führung des gesamten Haushalts samt Verpflegung unterstand, seinen jungen Arbeitgeber rechtzeitig zu wecken, was Walter Exner erboste: »Am liebsten hätte ich jetzt Wang für sein Verhalten versohlt, dies aber im Nachthemd zu besorgen, schien mir doch übertrieben. Also packte ich einen Schuh, um ihm dem Sünder an den Kopf zu werfen.«74 Ungeachtet seiner eigenen privilegierten Lebensbedingungen lernte Walter Exner, wie zuvor schon sein Vater, auch die Schattenseiten des damaligen China kennen: »An auf offener Straße Sterbenden, Erfrierenden oder von unheilbarer Krankheit wie zum Beispiel Lepra Befallenen gingen Chinesen ungerührt vorbei. Nach einer Zeit des Eingewöhnens die Ausländer auch.«75 Aus unterschiedlichen Quellen wird deutlich, dass Walter Exner und seine Freunde, Netolitzky und Szongott, enge Kontakte zur deutschen Gemeinde in Peking unterhielten, die gemäß Exners Angaben damals etwa 400 Personen umfasste und die ohne Zweifel zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend im Sinne der NS-Ideologie gleichgeschaltet war. Bald nach ihrer Ankunft errichteten Walter Exner und die genannten Freunde einen Maibaum im Hof der Deutschen Botschaft. Deren Leiter habe nur zögernd seine Zustimmung erteilt, da die jungen Männer Österreicher, »also im strengen Sinne Ausländer« gewesen seien, notierte Walter Exner in einem seiner unveröffentlichten Manuskripte: Im Laufe unsres einjährigen Aufenthaltes in Peking unterstützten wir den Lehrkörper der Deutschen Schulen in Peking und Tientsin bei einem mehrtätigen Schulausflug zu den Westlichen Kaisergräbern […], zumal ich mit dem Leiter der Deutschen Schule in Peking, Dr. Karl Gruber, eng befreundet war. Zudem stammte seine liebenswerte Frau Luise aus Linz/Donau. Wir veranstalteten in beiden Städten österr. Volkstänze, wozu wir unsere Lederhosen mitgebracht hatten. Anlässlich der Berliner Olympiade veranstalteten wir in den heißen Sommerferien in dem nordchinesischen Badeort Petaiho für die deutsch sprechende Jugend – darunter Angehörige anderer Nationen, die deutsche Schulen besuchten, wie auch Chinesen – eine Jugend-Olympiade. […] Zwischendurch hatte ich eine zeitlang die Betreuung der wöchentlichen ›deutschen Stunde‹ des Pekinger Privatsenders für Ausländer übernommen, wobei [ich] haupt74 Vgl. EXNER 1996, S. 69 f. 75 Vgl. EXNER 1996, S. 53.
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366 Gabriele Anderl sächlich Schallplatten auflegte, [die] uns eine Deutsche geschenkt hatte, weil sie für alpenländische Musik kaum Verwendung fand.76
Dass sich der schon mehrfach erwähnte Karl Gruber mit der nationalsozialistischen Ideologie identifiziert haben dürfte, geht aus einem von ihm 1939 verfassten Artikel in den von Walter Exner herausgegebenen Berichten des Asienarbeitskreises hervor, in dem Gruber Adolf Hitler zitierte: »(Gewaltigste Aufgabe, schreibt der Führer, ist für die Bewegung, dem Volke die Augen zu öffnen für die fremden Nationen!)«77 Bei einem Besuch im Deutschen Club beanstandete der in Nanking stationierte deutsche Generalkonsul Hermann Kriebel78 den Zustand des österreichischen Teils des 1900 an der Innenseite der Stadtmauer in Peking errichteten Dreibund-Friedhofs. Dort waren auch die gefallenen Matrosen der ehemaligen österreichisch-ungarischen Kriegsmarine beerdigt, die während des Boxer-Aufstands 1900 ums Leben gekommen waren.79 Im Gegensatz zum deutschen und zum italienischen Teil war dieser Bereich des Friedhofs verwahrlost, was damit zusammenhing, dass nach dem Ende der Monarchie weder Österreich noch Ungarn diplomatische Vertretungen in Peking besaßen. Walter Exner und seine Freunde Netolitzky und Szongott sammelten in den deutschen Gemeinden in Peking und Tientsin Geld und errichteten im Einvernehmen mit dem in Tientsin amtierenden österreichischen Honorar-Generalkonsul Paul Bauer ein Denkmal. Die Planung und Ausführung übernahm der junge Wiener Architekt Erich Engels, der in der Stadt bei einem österreichischen Bauunternehmer praktizierte. Walter Exner ließ die Enthüllung am 13. Dezember 1936 von Gerda Heiß, der Tochter 76 Undatiertes Manuskript ohne Titel von Walter Exner aus dem Privatarchiv der Familie Exner (BRD). 77 Vgl. Karl GRUBER, Der deutsche Student in Asien, in: Berichte des Asienarbeitskreises November 1939(3), S. 6 f., zit. nach Igor EBERHARD, Friedrich Dörbeck – Vergessen in Wien und anderswo? Ein ethnohistorischer und biographiegeschichtlicher Beitrag zur Konstruktion der Ethnologie und Wissenschaftsgeschichte des Russischen Fernen Ostens, Univ.-Diplomarbeit, Wien 2003, S. 76. 78 Hermann Kriebel (1876–1941) war Generalstabsoffizier im Ersten Weltkrieg und 1923 in München am Putschversuch Adolf Hitlers beteiligt, gemeinsam mit diesem wurde er zu Haft in der Festung Landsberg verurteilt. Ab 1929 hielt sich Kriebel als Militärberater in China auf, 1935 wurde er zum deutschen Generalkonsul I. Klasse in Shanghai ernannt. Bereits 1937 wurde er jedoch abgelöst und musste China verlassen. Der Grund war vermutlich seine kritische Haltung gegenüber der pro-japanischen Politik Adolf Hitlers; vgl. Wikipedia-Eintrag zu Hermann Kriebel (10. 10. 2013). 79 Nach den Boxer-Unruhen 1900, in die auch die k. u. k. Kriegsmarine eingegriffen hatte, wurde in der nordchinesischen Hafenstadt Tientsin (Tianjin) eine österreichisch-ungarische Konzession erworben (die einzige ihrer Art), die 30.000–40.000 chinesische Einwohner_innen hatte. Sie wurde von der k. u. k. Marine verwaltet, besaß eigene Gerichtsbarkeit und Polizei. 1917 fiel sie nach der Kriegserklärung Chinas an die Mittelmächte wieder an China zurück. Vgl. Walter EXNER, Das 1936 auf dem ehemaligen Dreibund-Friedhof in Peking errichtete österreichische Kriegerdenkmal, in: Österreich in Geschichte und Literatur 38/4/(1994), S. 254–259.
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des österreichischen Mitbesitzers des Pekinger Nord-Hotels, filmen und sandte den Streifen nach Wien, wo er 1937 in der Österreichischen Wochenschau gezeigt wurde.80 In einem Fragebogen der Reichsschrifttumskammer hielt Walter Exner nach dem »Anschluss« fest, dass er im Frühjahr 1938 an den Deutsch-Chinesischen Nachrichten mitgearbeitet, zwischen Jänner 1937 und März 1938 erste Bücher über Asien publiziert und in Wien und Peking erste Rundfunkvorträge über den Fernen Osten gehalten habe.81 Während seines einjährigen Aufenthaltes in Ostasien unternahm Walter Exner zwei Reisen nach Japan, wo er den Fuji San, den höchsten Berg, bestieg.82 Dass er in diesem Jahr auch geschäftlich tätig war, geht aus einem Mitte Juli 1936 verfassten Brief der China North-West Trading Company in Lanchow (Kansu) hervor, der an die damalige Pekinger Adresse Exners – 5 Kuan Mao Hutung – gerichtet war. Übermittelt wurden ihm Frachtscheine über eine per Luftfracht versandte Kiste, die einen prähistorischen, in der Nähe von Hochow/Kansu ausgegrabenen Lanchow-Topf enthielt. Der Preis des Topfes inklusive Verpackung und Fracht wurde mit 78,80 (vermutlich chinesischen) Dollar angegeben. Von einer von Walter Exner erlegten Vorauszahlung blieben nach Abzug dieses Betrages noch 21,20 Dollar über, die der unterzeichnete G. Wrobel83 von der China North-West Trading Company benutzen wollte, »um preiswerte Courios fuer Sie einzukaufen«. Er dürfte den Angesprochenen, Walter Exner, näher gekannt haben, denn der Brief ist mit »Freundschaftlichst Ihr G. Wrobel« unterzeichnet. Wrobel bat Exner gleichzeitig um »ausfuehrliche Kritik bezuegl. aller Einzelheiten des gesandten Topfes« und informierte ihn darüber, dass er am folgenden Tag über Hochow nach Labrang, Taochow, Minchow und Titao reisen und erst in fünf Wochen wieder in Lanchow sein werde. Gleichzeitig bot er seinem Kunden weitere Stücke zum Kauf an: »Betreffs des oben beschriebenen Topfes bemerke ich noch, dass es noch weit bessere Exemplare gibt, der Preis dafür aber um ca. 80 % höher ist, und außerdem sind solche Exemplare nicht immer auf Wunsch zu haben. Die größere 80 Die Vorderseite des Denkmals trug folgende Inschrift: »Österreichs Toten in Chinas Erde. Taku Tientsin Peking 1900 Tsingtau 1914«. Die Schrift und der Lorbeerkranz aus Bronze wurden von einer österreichischen Firma in Tientsin hergestellt. Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51 (Verfahren gegen Walter Exner), Walter Exner an den Bundespräsidenten, 25. 10. 1951; siehe dazu auch EXNER 1994, S. 254 f. 81 Weder über die Tätigkeit Walter Exners im SD noch über seine Aktivitäten in NS-Organisationen in Peking geben die verfügbaren Akten näheren Aufschluss. In einem Gespräch mit Igor Eberhard gab Walter Exner an, auch für das Reichssicherheitshauptamt als Berater für Kunst- und Ostasienfragen tätig gewesen zu sein. 82 Vgl. EXNER 1981, S. 229. 83 Die Unterschrift ist nicht eindeutig entzifferbar.
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368 Gabriele Anderl Anzahl der ausgegrabenen Toepfe zeigen doch mehr oder weniger Spuren des hohen Alters.«84 In seinem publizierten autobiografischen Text erwähnte Walter Exner auch, dass seine Suche nach den Siegeln aller Mandschu-Kaiser auf Adelsrollen erfolgreich gewesen und es ihm gelungen sei, zwei einmalige Schriftdenkmäler der tangutischen HsiHsia-Schrift aus dem 13. oder 14. Jahrhundert zu erwerben.85 Gemeinsam mit seinem Vater, der inzwischen ebenfalls nach Peking gekommen war, reiste Walter Exner zurück nach Wien. In Schantung bestiegen die beiden den heiligen Berg Tai-Shen, dann fuhren sie über die neu eröffnete Bahnstrecke von Hankau (heute Teil der Stadt Wuhan in der Volksrepublik China) nach Kanton und weiter mit dem Schiff von Hongkong nach Saigon. Sie besuchten Angkor, Bangkok und Rangun (im heutigen Myanmar), erreichten Indien, wo sie unter anderem Benares, Agra mit dem Taj Mahal sowie Delhi besichtigten, und setzten die Reise mit dem Dampfer von Karatschi bis Basra fort. Mit dem Autobus gelangten sie durch die syrische Wüste nach Damaskus, von dort ging es mit dem Taurus-Express weiter nach Istanbul und mit dem Orient-Express schließlich zurück nach Wien.86 Im Jänner 1938 (gemäß einer anderen Angabe im Frühjahr 1938) trat Walter Exner als nunmehriger Geschäftsteilhaber, der den Betrieb einmal übernehmen sollte, seine dritte und letzte Einkaufsreise nach Ostasien an. Gemäß seinen Angaben in einem 1951 verfassten Brief an den österreichischen Bundespräsidenten trug er diesmal einen Kuriervermerk des Bundeskanzleramtes im Reisepass, da ich Aufträge der österr. Verkehrswerbung übernommen hatte und der Weisung entsprechend in Peking die ›Österr. Werbung für den Fernen Osten‹ einrichtete. Auch hatte ich den Auftrag, mir mitgegebene österr. Tonfilme gegen japanische in Tokyo zu tauschen. Zu dieser Zeit hielt ich auch zwei Vorträge mit Schallplatten über den Pekinger Sender XCOM87 mit den Themen ›Musik aus Österreich‹ und ›Musik aus Wien ‹. (1937 hatte ich auch in der Ravag über China eine Sendung gesprochen.) Den Anschluss erlebte ich in Peking; nach Einstellung meiner Werbetätigkeit kehrte ich im Mai 1938 nach Wien zurück.88
84 Dokument aus dem Familienbesitz der Familie Exner (BRD), China North-West Trading Company Lanchow (Kansu), gez. G. Wrobel, an Walter Exner, Peiping, 14. 7. 1936. 85 Vgl. EXNER 1981, S. 228. 86 Vgl. EXNER 1981, S. 229. 87 Die Schrift ist undeutlich, es könnte auch XGOM heißen. 88 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51 (Verfahren gegen Walter Exner), Walter Exner an den österreichischen Bundespräsidenten, 25. 10. 1951.
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»Daheim« fand Walter Exner nach eigenen Worten »eine inzwischen völlig veränderte politische und wirtschaftliche Lage vor.«89 Exkurs: Ostasiatische Kunst in Wiener Museen in der Zwischenkriegszeit
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten weitere Kreise im Kunstbereich und in der Wissenschaft begonnen, bestimmte außereuropäische Gegenstände als Kunstobjekte zu begreifen – zunächst Werke aus Ostasien, später auch solche aus Afrika, Ozeanien und dem amerikanischen Raum. Damit begannen sich auch die Forschungsfelder der Ethnologie und der Kunsthistorie zu überschneiden.90 Auch für das Wien der Zwischenkriegszeit lässt sich ein gesteigertes Interesse der Fachwelt wie auch einer breiteren Öffentlichkeit vor allem an der Kunst Ostasiens nachweisen. Obwohl Anton und Walter Exner nicht unmittelbar Teil der Wiener Museumsszene waren, agierten sie in dem Bestreben, ihre Sammlung zu erweitern und infolge auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, allerdings innerhalb bestehender Konfliktfelder und Konkurrenzsituationen zwischen verschiedenen Museen und wissenschaftlichen Gruppierungen. Ohne Zweifel haben Vater und Sohn Exner ihrerseits dazu beigetragen, die ostasiatische Kunst und Kultur in Österreich populär zu machen, und umgekehrt von dem wachsenden allgemeinen Interesse daran profitiert. Die erste Präsentation von Werken chinesischer Künstler in Wien nach dem Ersten Weltkrieg fand 1922 auf Anregung von Josef Strzygowski (1862–1941), dem Vorstand des I. Kunsthistorischen Instituts an der Universität Wien, im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie statt. Die Objekte – Plastiken, Bilder, Teppiche, Porzellangegenstände von der Han- bis zur Qing-Dynastie – stammten aus hauseigenen Beständen, dem Naturhistorischen und dem Kunsthistorischen Museum, dem Kunsthistorischen Institut der Universität Wien, aus ungarischem Staatsbesitz sowie privaten Sammlungen. Für die wissenschaftliche Bearbeitung zeichneten Melanie Stiassny und Ernst Dietz verantwortlich. 1928 beklagte Stiassny jedoch in einem Artikel die mangelnde Bereitschaft der österreichischen Museen und des Kunsthandels, ihre Aufmerksamkeit der asiatischen Kunst zuzuwenden. Umso überschwänglicher lobte sie den Kunsthändler Alexander 89 Vgl. EXNER 1981, S. 230. 90 Vgl. Barbara PLANKENSTEINER, »Völlige Fühllosigkeit dem Künstlerischen gegenüber …«. Der Streit um den »asiatischen Kunstsaal« anlässlich der Neueröffnung des Museums für Völkerkunde in Wien im Jahre 1928, in: Archiv (für Völkerkunde) 53 (2003), S. 1–26., hier S. 20 f.
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370 Gabriele Anderl Förster, der in seinen Verkaufsräumen am Kohlmarkt in der Wiener Innenstadt eine Ausstellung chinesischer Kunst arrangiert und auch rare, sehr wertvolle Stücke aus seiner Privatsammlung gezeigt hatte. Im Vorfeld der Ausgliederung der Ethnografischen Abteilung des Naturhistorischen Museums und der Eröffnung eines eigenständigen Museums für Völkerkunde im Ringstraßenflügel der Neuen Burg im Jahr 1928 kam es zu heftigen, äußerst emotional geführten Debatten um einen so genannten Kunstsaal, der in dem Ostasien gewidmeten Teil der neuen Schausammlung eröffnet werden sollte. Es ging, auf den Punkt gebracht, um die Frage, auf welche Art außereuropäische Kunst, also ästhetisch wertvolle Objekte, auf der einen Seite und ethnografisches Material auf der anderen Seite im musealen Rahmen kategorisiert und präsentiert werden sollten. Diese Diskussionen müssen auch im Zusammenhang mit der damaligen Entwicklung der universitären Ethnologie sowie einem gerade in Wien aufkeimenden Selbstverständnis einer Schule der Kunstgeschichte, die sich für eine vergleichende Weltkunstforschung einsetzte, gesehen werden. Mit der Einrichtung des Kunstsaales war 1922 die Kunsthistorikerin Melanie Stiassny beauftragt worden, eine Schülerin Josef Strzygowskis. Dieser trat vehement für eine Öffnung der Kunstgeschichte in Richtung außereuropäischer Kunst ein. Die Forderung bestimmter Kreise nach einem Herausheben der Kunst aus der Ethnografie bildete den inhaltlichen Kern der Auseinandersetzung um den Kunstsaal. Für die eine Fraktion erschien es unabdingbar, die künstlerisch wertvollen Objekte aus der Masse der ethnografischen Gegenstände in inhaltlicher und gestalterischer Hinsicht herauszuheben und sie, im Sinne einer Hierarchisierung, in einer eigenen Gruppe zu vereinigen. Die Vertreter dieser Position wandten sich also gegen eine Gleichbehandlung von »guter Qualität« auf der einen und »Massenware« sowie »minderwertiger« Alltagskultur auf der anderen Seite. Die Vertreter der Gegenposition setzten sich für die Integration der Kunst in einen breiteren soziokulturellen Kontext, also eine inhaltliche und gestalterische Darstellung von künstlerisch wertvollen Objekten zusammen mit Alltagsgegenständen ein, um den Betrachter_innen einen besseren Einblick in die fremden Kulturen zu ermöglichen. Vor allem der Direktor des neu gegründeten Museums für Völkerkunde, Friedrich (Fritz) Röck, befürchtete, dass die Aussonderung asiatischer Kunstwerke nur ein erster Schritt sein könnte und die Entwicklungen in weitere Folge zu einer Entnahme sämtlicher künstlerisch bedeutender Objekte aus dem ethnografischen Museum und in letzter Konsequenz zur Gründung eines eigenen Museums außereuropäischer Kunst führen würden. Bereits 1923 war eine Abmachung zwischen dem Museum für Kunst
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Abbildung 5: Qi Baishis Arbeitszimmer in Peking, aufgenommen von Anton Exner Archiv des Österreichischen Instituts für China- und Südostasienforschung
und Industrie, dem Kunsthistorischen Museum und der Ethnografischen Abteilung des Naturhistorischen Museums getroffen worden, der gemäß Sammlungen ostasiatischer und islamischer Kunst in den Zuständigkeitsbereich des Museums für Kunst und Industrie fielen.91 1928 wurde im Museum für Kunst und Industrie eine Ausstellung mit dem Titel Ostasiatische Gerätekunst und Kleinbildnerei eröffnet, an der viele Privatsammler_innen beteiligt waren, 1930 eine weitere Schau mit Werken asiatischer Kunst. Die Initiative kam in beiden Fällen von dem 1925 gegründeten Verein der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien, der im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie seinen Vereinssitz hatte und von 1926 bis 1938 die Wiener Beiträge zur Kunst und Kultur Asiens herausgab. Zu den führenden Mitgliedern zählten Melanie Stiassny, Ernst Dietz, Arthur Rosthorn (Präsident) und Robert von Heine-Geldern. Bereits 1927 hatte der Verein 210 Mitglieder, unter ihnen auch der bedeutende Kunstsammler und Mäzen Eduard von der Heydt. Es fanden sich, so Herbert Fux, »Fachgelehrte, Sammler und Interessenten zu einer äußerst fruchtbringenden wissenschaftlichen Arbeit [zusammen], die bald internationale Anerkennung finden sollte«.92 1930 wurden in der Sezession Bilder moderner chinesischer Maler gezeigt – es soll die erste Schau dieser Art in Europa gewesen sein. Damals wurde auch der Künstler Qi 91 Vgl. Plankensteiner 2003. 92 Zit. bei EBERHARD 2003, S. 73; vgl. auch Andrea BRANDSTÄTTER, Verein der Freunde Asiatischer Kunst und Kultur in Wien. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte über die Entstehung ethnologisch orientierter Ostasienforschung in Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Univ.-Diplomarbeit, Wien 2000.
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372 Gabriele Anderl Baishi, dessen Werke heute Spitzenpreise erzielen, erstmals dem österreichischen Publikum vorgestellt. Er kannte auch Anton Exner, der ihn in seinem Atelier in Peking besuchte – davon zeugt ein im April 1931 aufgenommenes Foto. Die nächsten Ausstellungen kamen nun wieder auf Initiative des Vereins zustande, der sich allerdings weniger für die zeitgenössische ostasiatische Kunst interessierte. Dass das Museum für Völkerkunde in Wien nicht als Leihgeber aufscheint, lässt auf nach wie vor bestehende Differenzen schließen: Melanie Stiassny hatte dem Haus in ihrem Artikel Ostasiatische Kunst Abbildung 6: Anton Exner mit dem Maler Qi auf dem Wiener Markt stiefmütterliche BeBaishi in dessen Atelier in Peking, 5. April 1931, Archiv des Österreichischen Instituts für Chinahandlung der Asiatica vorgehalten. und Südostasienforschung An der vom 10. November 1934 bis 1. Jänner 1935 gemeinsam mit dem Kunsthistorischen Museum veranstalteten Ausstellung Eurasiatischer Kunst (Nomadenkunst und Tierstil) beteiligten sich mehrere österreichische und ausländische Museen, diesmal auch das Museum für Völkerkunde. Unter den privaten Leihgeber_innen war auch C. T. Loo93 aus Paris, der mit einer umfangreichen Auswahl aus seiner Sammlung vertreten war. Nach dem Ende der Schau erwarb Baron Eduard von der Heydt94 die gesamte Sammlung und überließ sie dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie als Leihgabe.
93 Zu C. T. Loo vgl. Dorota CHUDZICKA, The Dealer and the Museum. C. T. Loo (1880–1957), the Freer Gallery of Art, and the American Asian Art Market in the 1930s and 1940s, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 243–254. 94 Vgl. dazu Eberhard ILLNER (Hg.), Eduard von der Heydt. Kunstsammler – Bankier – Mäzen, München-London-New York 2013. Das Buch erschien anlässlich einer Ausstellung über Eduard von der Heydt im Museum Rietberg in Zürich. Es enthält u. a. einen von Esther TISA FRANCINI, der Provenienzforscherin des Museums, verfassten Beitrag: »Ein Füllhorn künstlerischer Schätze« – Die Sammlung außereuropäischer Kunst von Eduard von der Heydt, S. 136–199; vgl. auch: Esther TISA FRANCINI, Die Rezeption der Kunst aus der Südsee in der Zwischenkriegszeit: Eduard von der Heydt und Alfred Flechtheim, in: BLIMLINGER/MAYER 2012, S. 183–196.
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Auf Initiative zweier Mitglieder des Vereins der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien – Otto Mänchen-Helfen95 und Fritz Löw-Beer96 – wurde im Frühjahr 1937 in Kooperation mit dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie chinesische Lackkunst in einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive gezeigt.97 Nach dem »Anschluss« bestand der eben genannte Verein zwar weiter, wurde aber »gleichgeschaltet«, nachdem Dr. Eduard Beninger, ein NSDAP-Mitglied, die kommissarische und schließlich auch die endgültige Leitung übernommen hatte. Der Verein verlor fast sämtliche Mitglieder, von denen ein Großteil nun rassistischer Verfolgung ausgesetzt war.98 Über das Verhältnis Anton und Walter Exners zu dem Verein der Freunde asiatischer Kunst und Kultur ist nichts Näheres bekannt. In einer von Andrea Brandstätter verfassten Dissertation über den Verein, in der auch die Namen der Vortragenden sowie die der Verfasser von Artikeln im Vereinsjahrbuch aufgelistet sind, scheint der Name 95 Otto Mänchen-Helfen (eigentlich Helfen, 1894 Wien – 1969 Berkeley/Kalifornien) war ein aus Wien stammender Sinologe und Althistoriker. Er studierte an den Universitäten Wien, Göteborg und Leipzig Sinologie, Völkerkunde, Kunstgeschichte und Archäologie und promovierte 1923 in Leipzig. Bis 1927 lebte er als Privatgelehrter in Wien; 1927–1929 war er Leiter der soziologisch-ethnologischen Abteilung des Marx-Engels-Instituts in Moskau, ohne jedoch KP-Mitglied zu sein. 1929 unternahm er Forschungsreisen in die zentralasiatische Sowjetrepublik Tannu-Tuwa, in die Mongolei, nach Nepal, Kaschmir und Afghanistan. 1930–1933 lebte er in Berlin und habilitierte sich dort 1933, durfte aber aus politischen Gründen keine Vorlesungen halten. Er ging deshalb nach Wien, wo er sich 1938 erneut habilitierte. Noch im selben Jahr emigrierte er in die USA und wurde dort Professor of Oriental Studies am Mills College in Oakland/Kalifornien (1939–1947); anschließend bis zu seiner Emeritierung 1962 war er Professor of Art an der University of California in Berkeley. Vgl. Herbert Franke, Maenchen-Helfen, Otto, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 15, 1987, S. 636 (Onlinefassung, siehe http://www.deutsche-biographie.de/pnd136176100.html). 96 Fritz Löw-Beer (1906–1976) wurde in der mährischen Kleinstadt Zwittawka (Swittawka, svitávka) geboren und wuchs teils in seinem Geburtsort, teils bei der Mutter in Wien auf. Von Beruf Textilingenieur, wurde er vor allem als Sammler alter chinesischer Lackkunst bekannt, sein Schwerpunkt lag auf der »Tihong« genannten Lacktechnik. In der Zwischenkriegszeit richtete Löw-Beer in der Villa seiner Eltern in Zwittawka ein Privatmuseum ein. 1937 konnte er im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie seine Sammlung erstmals öffentlich zeigen. Als Jude verfolgt, flüchtete Löw-Beer in die USA, wo er in New York eine kleine Galerie eröffnete und bald als Kenner, Händler und Leihgeber für Museen bekannt wurde. Seine Sammlung erwarb schließlich das Linden-Museum in Stuttgart. Zu Fritz Löw-Beer vgl. Monika KOPPLIN (Hg.), Im Zeichen des Drachen. Von der Schönheit chinesischer Lacke. Hommage an Fritz Löw-Beer, Stuttgart 2006. 97 Vgl. Gerd KAMINSKI, Else UNTERRIEDER, Von Österreichern und Chinesen, Wien-MünchenZürich 1980, S. 664. 98 Vgl. dazu u. a. BRANDSTÄTTER 2000, S. 95 f.; »Wiener Kunstgeschichte Gesichtet«, http://www. univie.ac.at/geschichtegesichtet/m_stiassny.html (10. 10. 2013). So musste etwa Melanie Stiassny, als Jüdin verfolgt, nach dem »Anschluss« in die Schweiz flüchten, wo sie an der Universität Genf ihre Karriere fortsetzte. In Lehmann’s Adressbuch aus den Jahren vor dem »Anschluss« scheint Stiassny als einzige gerichtlich beeidete Sachverständige und Schätzmeisterin für ostasiatische Kunstgegenstände auf.
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374 Gabriele Anderl Exner nicht auf. Allerdings findet sich Anton Exners Name in einer im Internet veröffentlichten Liste der Vereinsmitglieder aus dem Jahr 1931.99 Es geht aus dieser Quelle jedoch nicht hervor, ob er ein »ordentliches« oder ein »unterstützendes« Mitglied gewesen ist.100 Hinweise auf eine maßgeblichere Rolle Anton oder Walter Exner in dem Verein gibt es bis dato nicht. Walter Exner war jedenfalls mit einigen Persönlichkeiten, die im Verein eine wichtige Rolle spielten, auf persönlicher Ebene gut bekannt oder sogar befreundet, etwa mit dem bereits erwähnten Ethnologen Robert Bleichsteiner, mit dem ihn ein besonderes Interesse an der Eurasischen Steppe als uraltem Völkerweg verband, oder mit dem Arzt und Forscher Friedrich Albert Dörbeck, der sich lange im russischen Fernen Osten aufgehalten hatte.101 Im Dezember 1937, zwischen seiner zweiten und dritten Asienreise, veranstaltete Walter Exner seine erste kleine Ausstellung einer mandschurischen Sammlung im Museum für Völkerkunde, sodass er sich von da an, wie er später schrieb, »fest als dem Museum zugehörig betrachten durfte«. Er hatte diesem, wie schon erwähnt, aus Peking eine Sammlung chinesischer Geschäfts- und Zunftschilder mitgebracht und bereits ein Jahr zuvor gemeinsam mit dem Vater eine lebensgroße Gruppe dreier chinesischer Gottheiten – eine Kuan-yin mit zwei Bodhisattva – geschenkt. Die Sammlung Exner war inzwischen bekannt geworden, zumal Anton Exner sich schon seit den frühen 1920er Jahren mit Leihgaben an allen bedeutenden einschlägigen Ausstellungen in Wien beteiligt hatte.102
99 Dort wird noch Exners alte Adresse (Wien 8, Lerchenfelderstraße 66) angeführt, was darauf schließen lässt, dass er dem Verein schon zu einem früheren Zeitpunkt beigetreten ist. 100 Vgl. http://www.pratercottage.at/2013/01/31/verein-der-freunde-asiatischer-kunst-und-kultur-inWien-1931/ (10. 10. 2013). Die Mitgliederliste ist im Blog Pratercottage veröffentlicht, für den Eva Maria Mandl verantwortlich zeichnet und der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Beiträge zur Geschichte dieses Wiener Stadtviertels in Form von Fotos, Zitaten, Audiofiles und Dokumenten zu veröffentlichen. 101 Vgl. EBERHARD 2003; Igor EBERHARD, Friedrich Albert Dörbeck und die Waldmenschen Udehe. Eine Ergänzung zur Forschungsgeschichte des russländischen Fernen Ostens, in: Stefan BAUER, Stefan DONECKER, Aline EHRENFRIED, Markus HIRNSPERGER (Hg.), Bruchlinien im Eis, Wien 2005, S. 283-298. – Eberhard lernte im Zuge seiner Recherchen Walter Exner noch persönlich kennen und konnte ihn befragen. Er stellt jedoch fest, dass in den Archiven der Museen und Universitätsinstitute heute kaum noch Spuren der erwähnten Kontakte Exners zu Persönlichkeiten wie Dörbeck und Bleichsteiner zu finden seien. Vgl. auch Kurzdossier von Gabriele Anderl über die Sammlung Dörbeck im Weltmuseum im Rahmen der Provenienzforschung. 102 Vgl. EBERHARD 2003, S. 72; EXNER 1981, S. 230.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
Anton und Walter Exner und der Nationalsozialismus
Mit dem »Anschluss« Österreichs war für Anton und Walter Exner eine neue Ära angebrochen, die sie lange herbeigesehnt hatten. Ihr bereits seit Jahren bestehendes Nahverhältnis zum Nationalsozialismus blieb in den nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Erinnerungen Walter Exners sowie in den eingangs erwähnten Darstellungen der Museumsvertreter allerdings vollständig ausgeblendet. Anton Exner war bereits 1931 Mitglied der NSDAP (mit der Mitgliedsnummer 782.343) geworden und gehörte der Partei auch während der Verbotszeit (1933–1938) an, allerdings trat er ebenso wie sein Sohn in der austrofaschistischen Ära auch der Vaterländischen Front (VF) bei. Nasch dem »Anschluss« behauptete Anton Exner, sein Beitritt zur VF sei »zwangsweise« geschehen, weil er Experte des Dorotheums gewesen sei. Im Mai 1938 wies er in einem Fragebogen der NSDAP nachdrücklich darauf hin, dass er in den Jahren zuvor über hundert Mitglieder für die Partei angeworben habe. Ich habe mehrere Hausdurchsuchungen über mich ergehen lassen müssen. Ich wurde oft angezeigt und stand mehrmals durch lange Zeit unter Beobachtung. Auch in der Verbotszeit warb ich, richtete auf, half durch Unterstützung, tröstete, wo ich konnte, aber so vorsichtig, dass ich niemals erwischt wurde. Der beste Beweis für meine gefährliche Tätigkeit ist mein ›schwarzes Blatt‹ bei meinen Personalakten in der Polizeidirektion, woselbst ich als ganz arger Naziführer belastet erscheine.103
Sein Haus sei »eine Zufluchtsstelle für verfolgte hilfsbedürftige Pg. [Parteigenossen, Mitglieder der NSDAP]« gewesen, sogar eine geheime Druckerei habe sich dort befunden, und sein Sohn habe Munition versteckt. »In der Hauptanstalt des Dorotheums warb und vertrat [ich] dort dermaßen die NSDAP, dass ich dort als maßgebender Nationalsozialist gelte«, versicherte Exner, und wies darauf hin, dass er und seine Familie auch im Waldviertel propagandistisch tätig gewesen seien.104 In der Polizeidirektion Wien wurde nach Kriegsende festgehalten, dass Anton Exner ein »radikaler Nazi« gewesen sei und sich »besonders antisemitisch betätigt« habe.105 103 Vgl. ÖStA/AdR Inneres, Gauakten, Zl. 295.193 (Anton Exner), Nationalsozialistische Deutsche ArbeiterPartei, Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich, ausgefüllt und unterzeichnet von Anton Exner, 20. 5. 1938. 104 Vgl. ÖStA/AdR Inneres, Gauakten, Zl. 295.193 (Anton Exner), Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei, Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich, ausgefüllt und unterzeichnet von Anton Exner, 20. 5. 1938. 105 Vgl. ÖStA/AdR Inneres, Gauakten, Zl. 295.193 (Anton Exner), Polizeidirektion Wien, Staatspolizei, ZEST-Anfrage betreffend Anton Exner, 10. 9. 1946.
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376 Gabriele Anderl Anton Exner wirkte während des Krieges weiterhin als Dorotheums-Experte und schätzte in dieser Funktion auch Asiatika aus Sammlungen von verfolgten Jüdinnen und Juden. Später fungierte er, wie aus seinem Gauakt hervorgeht, als »Sachverständiger für kriegsbedingte Schätzungen« – was genau damit gemeint war, lässt sich dem Akt nicht entnehmen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass Anton Exner auch als Kunstsachverständiger für die Landesstelle Wien der Reichskammer der bildenden Künste tätig gewesen ist. Wie er nach Kriegsende gegenüber der Staatspolizei und dem Wiener Landesgericht für Strafsachen angab, hatte er in der Zwischenkriegszeit die Schwester Adolf Hitlers, Paula Hitler, die damals in einer Dachkammer in der Schönburgstraße 52 im 4. Bezirk gewohnt hatte, kennengelernt und unterstützt. Der Kontakt soll über ihren Onkel N. Schmidt, der in Spital bei Weitra im Waldviertel lebte, zustande gekommen sein. Nach 1938 hatte die Bekanntschaft gemäß den Angaben Anton Exners bis auf wenige Postkartengrüße aufgehört.106 Auch Anton Exners Ehefrau Mathilde, seine Tochter Edith und deren Ehemann, Eduard Sch., gehörten der NSDAP an. Sie alle traten während der NS-Zeit aus der Kirche aus und galten, regimekonform, als gottgläubig. Walter Exner gab in einem in der NS-Zeit verfassten Lebenslauf an, er sei mit 13 Jahren der bündischen Jugend beigetreten, »wodurch meine weltanschauliche Stellung gekennzeichnet wird«, und habe 1928 an seiner Schule gemeinsam mit Schulkameraden den Deutschen Mittelschülerbund gegründet. »Im März 1929 trat ich der Stabskompanie des Steirischen Heimatschutz-Verbandes in Wien bei, der ich bis zu deren Auflösung im Herbst 1930 angehörte«, so Walter Exner im Dezember 1938.107 Ab 1930 war er Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 300.121), Anfang Jänner meldete er sich beim Sturm 1 der Wiener SA: »In diesem Verbande machte ich jahrelang Dienst und wurde befördert, bis ich im Sommer 1934 die Geldverwaltung der Standarte 81 unter gleichzeitiger Beförderung 106 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.), Staatspolizei, Gr. I, Jansa, Niederschrift mit Anton Exner, 7. 6. 1945, O. Nr. 21; LG St Wien, Vg Vr 9002/46, Vernehmung des Beschuldigten Anton Exner vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, 21. 1. 1947, O. Nr. 4, Bl. 28 f. Wiener Adressbuch. Lehmanns Wohnungsanzeiger für Wien, Bd. 1, Wien 1930: Dort ist Paula Hitler unter der Adresse Schönburggasse 52 als Kunstgewerblerin eingetragen. Exner gab an, Paula Hitler sei seiner Erinnerung nach Beamtin der Landesversicherungsanstalt in der Löbelstraße gewesen. 107 Der Steirische Heimatschutz war eine paramilitärische Organisation im Österreich der Zwischenkriegszeit und ein Teil der Heimwehr. Er vertrat von Anfang an eine radikale deutschnationale und bald auch antisemitische Linie, wandte sich gegen Parlamentarismus und Demokratie. 1931 versuchte er einen gewaltsamen Umsturz und näherte sich schließlich immer stärker der NSDAP an.
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zum Obertruppführer übernahm.« Nach seiner Rückkehr aus England habe er weiterhin Dienst in der SA getan, so Walter Exner, der nun hervorhob, auch während seines einjährigen Aufenthaltes in China in der dortigen SA gedient zu haben. 108 In einem Fragebogen merkte er ferner an, seit Juli 1934 Mitglied der O. G. (Ortsgruppe) London gewesen zu sein, ab 1. April 1936 Mitglied der O. G. Peking. Es ist allerdings unklar, ob sich diese Angabe auf die Mitgliedschaft in der SA oder in der NSDAPAuslandsorganisation bezieht.109 Auf einen Wiedereintritt in die SA habe er 1938 verzichtet, da er »dieser Organisation keinerlei Bedeutung mehr« beigemessen habe, berichtete Walter Exner in dem zuvor erwähnten Brief an den österreichischen Bundespräsidenten im Jahr 1951. »Vielmehr glaubte ich, meinem Ziele, Wien zum Mittelpunkt der deutsch-asiatischen Kulturbeziehungen auszubauen, besser zu dienen, wenn ich der SS beitreten würde.« Tatsächlich sei dieser Beitritt erst im Herbst 1938 erfolgt, doch durch die Hilfe eines Jugendfreundes, Kurt Krey, sei das Aufnahmedatum auf den 15. Mai 1937 rückdatiert worden. Kurt Krey, Sohn des auf militärische Lehrbücher und Kriegsgeschichte spezialisierten Buchhändlers Rudolf Krey,110 eines in Wien lebenden deutschen Staatsbürgers, war laut Walter Exner hauptamtlich beim SD in Wien tätig. Kurt Krey sei es auch gewesen, der ihn »zur Mitarbeit im SD« gewonnen habe. Dieser NS-Organisation hatte er gemäß seinen nach dem Krieg getätigten Aussagen ab Anfang 1939 als »VMann […] für Ostasien und Kunst« beziehungsweise »Fachmann für Kunst in Ostasien« angehört, und zwar etwa sechs bis acht Monate lang, wobei sich seine Dienststelle
108 Vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, BDC-Akt Walter Exner. 109 Vgl. ÖStA/AdR Inneres, Gauakten Zl. 48.627 (Walter Exner). Zur nationalsozialistischen Einflussnahme in China vgl. Françoise KREISSLER, L’action culturelle allemande en Chine. De la fin du XIXe siècle à la Seconde Guerre mondiale, Paris 1989; Volker KOOP, Hitlers Fünfte Kolonne. Die AuslandsOrganisation der NSDAP, Berlin 2009, S. 266. 110 Vgl. dazu Murray G. HALL, Entnazifizierung in Buchhandel und Verlagen, http://www.murrayhall. com/content/articles/entnazifizierung.pdf, S. 14 ff. – ursprünglich erschienen in: Sebastian MEISSL / Klaus-Dieter MULLEY / Oliver RATHKOLB (Hg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich, Wien 1996, S. 230-253. Der in Deutschland geborene Rudolf Krey war seit 1908 in Wien ansässig, seine Buchhandlung am Graben führte er seit 1931. Er gehörte vor dem »Anschluss« dem Bund der Reichsdeutschen in Österreich an und huldigte in Gedichten dem großdeutschen Gedanken. Er war auch an der Entstehung der Arbeitsgemeinschaft der NS-Buchhändler der illegalen Kampfzeit in Wien beteiligt. In einem Fragebogen vom 28. 3. 1938 brüstete er sich, dass sein ältester Sohn Angehöriger der für den Juli-Putsch verantwortlichen SS-Standarte 89 gewesen sei, alle drei Söhne Mitglieder der SS seien, einer von ihnen auch dem SD und seine Gattin der NSDAP angehöre.
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378 Gabriele Anderl im »Rothschild-Palast«111 befunden habe. »Meine Tätigkeit im SD beschränkte sich auf Auskünfte und Angaben das o. a. [oben angegebene] Gebiet betreffend«, versicherte Walter Exner und erklärte, er sei zu dieser Tätigkeit herangezogen worden, »da im Kunsthandel früher nur Juden tätig waren und [nach dem »Anschluss«] keine Fachleute als Experten für den Kunsthandel zur Verfügung standen. In dieser Eigenschaft hatte ich fast nichts zu tun. […] ich war nur ganz lose mit dem SD damals in Verbindung.«112 Walter Exners Behauptung, er habe »in dieser Eigenschaft […] fast nichts zu tun« gehabt, lässt sich aufgrund der diesbezüglich spärlichen Aktenlage schwer überprüfen. Wie er weiter ausführte, sei es zumeist darum gegangen, die Ausfuhr wertvoller japanischer Holzschnitte zu verhindern. Er sei auch in vager Verbindung mit dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin gestanden und habe mit dessen Subvention eine Ostasienzeitschrift herausgegeben (siehe unten). Als Beruf gab Walter Exner in der NS-Zeit an, er sei »Kunsthändler und Verleger«. Somit war es unumgänglich, dass er auch der Reichskulturkammer bzw. der für Künstler und Kunsthändler zuständigen Unterabteilung, der Reichskammer der bildenden Künste, angehörte.113 Die weiteren Entwicklungen, die vor allem für das damalige Kunstgewerbemuseum, das heutige MAK, von großer Bedeutung waren und heute für die Provenienzforschung von besonderem Interesse sind, können in diesem Beitrag nur skizziert werden, da sich der vorliegende Sammelband schwerpunktmäßig mit der Zeit vor 1938 befasst.114 Nach dem »Anschluss« kristallisierte sich, offenbar ausgehend von der Reichsstatthalterei, die Idee heraus, in Wien ein eigenes Ostasienmuseums entstehen zu lassen, bei dem die Sammlung Exner eine zentrale Rolle spielten sollte. Als Standort war ein repräsentatives Ringstraßenpalais – angeblich das von Theophil Hansen erbaute Hochund Deutschmeisterpalais (auch Palais Erzherzog Wilhelm) – in unmittelbarer Nähe des Kunstgewerbemuseums vorgesehen. »Mit dem Eifer neuer Herren bestand bald seitens der Reichsstatthalterei der Plan, unter Einbeziehung der ›Sammlung Exner‹ in Wien ein eigenes Museum für ostasiatische Kunst zu errichten«, schrieb Walter Exner 111 Gemeint ist vermutlich das Palais von Alphonse Rothschild in der Theresianumgasse, damals Sitz des SD in Wien. 112 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51 (Verfahren gegen Walter Exner), Amtsgericht Frankenberg a. d. Eder (BRD), Strafsache gegen Walter Exner gemäß § 10, 11 Verbotsgesetz, Angaben von Walter Exner, 14. 8. 1953; Walter Exner an den österreichischen Bundespräsidenten, 25. 10. 1951; Vernehmung des Beschuldigten Walter Exner, 25. 9. 1951, O. Nr. 5, Bl. 11. 113 Vgl. WStLA, Personalamt des Gaues Wien, Gauakt 76.973 (Walter Exner). 114 Die Jahre 1938–1945 sowie die Nachkriegszeit werden Gegenstand einer umfangreichen Publikation der Verfasserin über Anton und Walter Exner und deren Sammlung sein.
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in seinen Erinnerungen,115 womit er freilich die Tatsache herunterspielte, dass er und sein Vater die treibenden Kräfte dieses Projekts gewesen waren. Anton Exner war es, wie es in einem Zeitungsartikel formuliert wurde, »schon in der Jugend ein Dorn im Auge [gewesen], dass Wien kein ostasiatisches Museum besaß«.116 Die Idee eines solchen Museums war nicht neu: Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte der aus einer Wiener Großindustriellenfamilie stammende Adolf Fischer (1856–1914) seiner Heimatstadt eine große und wertvolle Sammlung ostasiatischer Kunst unter der Bedingung angeboten, dass dafür ein eigenes Museum gebaut und er auf Lebenszeit zum Direktor bestellt würde. Wien hatte abgelehnt, Köln später den Wunsch erfüllt.117 Das Museumsprojekt Anton und Walter Exners und dessen Unterstützung durch die Reichsstatthalterei in Wien – ein Projekt, über dessen Details die derzeit bekannten Akten allerdings keine nähere Auskunft geben, – muss wohl im Kontext des deutschen Weltmachtstrebens, das während der NS-Zeit einen neuen Impetus erhielt, gesehen werden. Gemäß Walter Exners Erinnerungen zerschlug »der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs […] alle Pläne«. Es muss freilich bezweifelt werden, dass gerade der Ausbruch des Krieges, in dessen Verlauf in den besetzten Gebieten in großem Stil Kulturgut geplündert wurde, das Aus für das Vorhaben gebracht hat. Wie aus anderen Quellen hervorgeht, war es vor allem das damalige Kunstgewerbemuseum (das heutige MAK) gewesen, das die Pläne von Anton und Walter Exner sowie des damaligen Staatssekretärs für Kultur beim Reichsstatthalter in Wien, Kajetan Mühlmann, durchkreuzte, obwohl Vater und Sohn Exner dem Haus 1922, 1928 und 1937 großzügig
115 Vgl. EXNER 1981, S. 230. Für die Information zum Standort des geplanten Museums danke ich Johannes Wieniger, Sammlung Asien, MAK. Sie dürfte aus einem Gespräch mit Walter Exner stammen. Anzumerken ist, dass sich während der NS-Zeit in diesem Gebäude am Parkring 8 die Dienststelle des SS-Oberabschnitts (OA) Donau befand. Wann genau die SS das Palais bezogen hat, konnte nicht eruiert werden. In Lehmann’s Wohnungsanzeiger von 1939 findet sich als Eigentümer noch das Meistertum des hohen deutschen Ritterordens, gemäß den Ausgaben von 1940 und 1941 hatte inzwischen der Staatssekretär für das Sicherheitswesen das Gebäude übernommen, die früheren Mieter_innen sind nicht mehr verzeichnet. 1942 ist unter der Adresse die Dienststelle SS – OA Donau eingetragen. 116 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben. Siebzehn Reisen nach Ostasien. Besuch beim Kunstsammler Anton Exner, in: Kronen-Zeitung, 15. 6. 1944. 117 Vgl. Adolf FISCHER, Kleiner populärer Führer durch das Museum für ostasiatische Kunst der Stadt Cöln, Köln 1913; Roger GOEPPER, Das Museum für ostasiatische Kunst, Köln, in: Josef KREINER (Hg.), Japan-Sammlungen in Museen Mitteleuropas – Geschichte, Aufbau und gegenwärtige Probleme –, Bonn 1981, S. 201–213, hier bes. S. 201 ff.; Peter PANTZER, Der muntere Museumsgründer. 100 Jahre Kölner Museum für Ostasiatische Kunst, Adolf Fischer und seine Wiener Wurzeln, in: Ostasiatische Zeitschrift Neue Serie Nr. 18 (2009), S. 53–66. Für Auskünfte danke ich Bettina Clever vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln und Peter Pantzer.
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380 Gabriele Anderl Leihgaben für Ausstellungen zur Verfügung gestellt hatten. Im November 1946 gab das Kunstgewerbemuseum folgende Stellungnahme zu einem »Museum Exner« – dem »Projekt Mühlmann-Exner« – ab: Dem Museum war gegen Ende 1938 bekannt geworden, dass der damalige Staatssekretär Dr. Mühlmann über Betreiben [Anton] Exners und seines Sohnes ein ostasiatisches Museum gründen wollte, mit der Sammlung Exner als Grundstock und den ostasiatischen Objekten des Kunstgewerbemuseums und des Völkerkundemuseums als Ergänzung. Das Gebäude war bereits gemietet, der Bruder des Dr. Mühlmann [Josef Mühlmann] als Direktor designiert, Anton Exner und seinem Sohn eine besondere Position vorbehalten. Das Kunstgewerbemuseum hat gegen dieses Projekt Einspruch erhoben, die Unzweckmäßigkeit der neuen Gründung nachgewiesen, die persönlichen Interessen der Stifter und Gründer dargelegt und das Projekt verhindert, mit dem Hinweis, dass das Kunstgewerbemuseum statutengemäß die ganz auf dem Kunstgewerbe beruhende Kunst des Ostens zu sammeln habe und den wesentlichsten Teil des projektierten neuen Museums beisteuern müsste.118
In einem von Kustos Viktor Griessmaier verfassten Protokoll hatte es dazu geheißen: »Gegen diesen Plan […] nahm die Leitung des Museums in einer ausführlichen Eingabe an das Ministerium Stellung und es gelang, das Unternehmen zu verhindern, trotz der Unterstützung seitens politischer Kreise.«119 Zu berücksichtigen ist vor allem aber auch, dass Anton und Walter Exner nach der Abberufung Kajetan Mühlmann durch den Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien, Josef Bürckel, im Juni 1939 ihren wichtigsten Unterstützer verloren hatten.120 Dass zumindest Anton Exner das Museumsprojekt auch 1941 noch nicht ganz abgeschrieben hatte und eine gewisse Unterstützung offenbar auch vom damaligen Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien, Baldur von Schirach, kam geht jedoch aus 118 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum Wien an das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 4. 11. 1946, Betreff: Sammlung Exner – sichergestellte Bestände. Ein Teil der in der Sammelmappe vereinigten Schriftstücke basiert auf Akten aus dem MAK-Archiv, die hier nicht gesondert ausgewiesen werden. 119 Zit. nach Johannes WIENINGER, Zur Geschichte der Ostasiensammlung des Österreichischen Museums für angewandte Kunst 1918–1939, in: MINIKOMI 4 (Dezember 1997), S. 14–18, hier S. 18. Eine Analyse der Argumente, die das Kunstgewerbemuseum 1939 gegen das Projekt Exner-Mühlmann vorbrachte, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 120 Zum Konflikt zwischen Bürckel und Mühlmann vgl. etwa Birgit SCHWARZ, Geniewahn: Hitler und die Kunst, Wien-Köln-Weimar 2009, S. 243 f. Wie Schwarz ausführt, ging es in dem Konflikt unter anderem um die Sammlung Rothschild, für deren Verbleib in Österreich sich Mühlmann eingesetzt hatte. Die Ablöse Mühlmanns sei schließlich auf Betreiben Hitlers persönlich erfolgt.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
einem von ihm verfassten Brief an eine Militärdienststelle in Berlin hervor, in dem er bat, den Gefreiten Walter Exner, »gegenwärtig in Stellung bei Petersburg«, wenigstens für einen Monat zu beurlauben, weil er dringend dessen Hilfe im Weihnachtsgeschäft benötige. »Weiters ist die Errichtung eines Museums für Ostasiatische Kunst in Wien, das hauptsächlich durch unsere Beiträge und Mitarbeit entsteht, im Werden. Diese Sache findet die Förderung des Reichsleiters Baldur von Schirach. Mein Sohn ist dabei ein unentbehrlicher Mitarbeiter.«121 Nachdem das Museumsprojekt aber letztendlich gescheitert war, konzentrierte sich Walter Exner stärker auf seine publizistische und wissenschaftliche Tätigkeit. Gemeinsam mit Robert Bleichsteiner hatte er schon 1938 begonnen, den Asienarbeitskreis aufzubauen, der aus Fachleuten, Wissenschaftlern und sonstigen an der Region Interessierten bestand. Die Vereinstreffen fanden in Walter Exners Wohnung statt.122 Gemäß seinen Angaben ging aus dem Asienarbeitskreis 1943 die Zen Bambushalle (auch Bambushalle – Gesellschaft zur Pflege asiatischen Schrifttums) hervor, die Asien und die Kultur des Kontinents auch einem breiteren Publikum bekannt machen wollte. Der Asienarbeitskreis hatte sich das Ziel gesetzt, Wien zum Mittelpunkt der deutschasiatischen Beziehungen zu machen. Neben der Schaffung eines Museums für asiatische Kunst lanciert er die Projekte eines Freilichtmuseums nach Stockholmer Vorbild und eines Instituts für Steppenforschung. De facto trat er jedoch nur mit seiner vierteljährlich erscheinenden Publikation, den Berichten des Asienarbeitskreises (BAAK) beziehungsweise den Folgepublikationen, den Asien-Berichten und den OstasienBerichten, an die Öffentlichkeit. Die Zeitschrift entwickelte sich allmählich »zu einem in den an Asienfragen interessierten Kreisen recht beachteten wissenschaftlichen Fachblatt«.123 Der Ethnologe Igor Eberhard, der Walter Exner noch persönlich interviewt hat, mutmaßt, dass der Asienarbeitskreis und dessen Publikationen möglicherweise auch als Konkurrenzprojekt zum Kunstgewerbemuseum gedacht waren und es ermöglichen sollten, »die Vorherrschaft der Nationalsozialisten bei den Asien-Interessierten und -Wissenschaftern und deren Nutzbarkeit für die NS-Propaganda zu gewährleisten«, vielleicht habe er aber auch nur die Lücke schließen wollen, die durch den Mitgliederschwund im Verein der Freunde asiatische Kunst und Kultur in Wien entstanden war.124 121 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 1022 – 41, Anton Exner an die Befehlsstelle des Ln.-Rgt. 10, 9. Komp. (Tel. Bau), Berlin Kladow, 23. 10. 1941. 122 Regelmäßig anwesend waren etwa Anna von Rottauscher oder Karl Ferdinand Reichel. 123 Privatarchiv der Familie Exner, Unterlagen zur Geschichte des Siebenberg-Verlages. 124 Vgl. EBERHARD 2003, S. 74f.
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382 Gabriele Anderl Ein wesentlicher Zweck des Asienarbeitskreises war die politische und propagandistische Verbreitung von Kenntnissen über das verbündete Japan beziehungsweise Ostasien. Die ersten vier Ausgaben der BAAK wurden vom Außenamt des NS-Studentenbundes herausgegeben, dessen Hauptaufgabe die Betreuung auslandsdeutscher Studierender war und dessen Japanreferat eng mit der Deutsch-Japanischen-Gesellschaft zusammenarbeitete. Die Asien-Berichte. Vierteljahresschrift für asiatische Geschichte und Kultur wurden im Gegensatz zu den BAAK allein von Walter Exner, die Ostasien- Berichte (ab Oktober 1944) von »Walter Exner im Ostasien-Institut Berlin« herausgegeben. Letzteres war, wie im Vorwort zu Heft 23 vom Oktober 1944 erklärt wurde, »eine 1943 gegründete, von Reichs- und Parteistellen unterstützte und mit dem Deutschen Auslandswissenschaftlichen Institut in wissenschaftlicher Zusammenarbeit stehende Forschungsstätte, die sich die Aufgabe stellt, die etwa von Japan unter dem Begriff der Großostasiatischen Wohlfahrtssphäre zusammengefassten Gebiete Asiens gerade in den Fragen ihrer historischen und aktuellen Gemeinsamkeit und Verbundenheit im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben wissenschaftlich zu bearbeiten«.125 Ein Anliegen der Zeitschrift sollte es sein, »nach besten Kräften einen Beitrag zu leisten an der gewaltigen Aufgabe der Verbreitung und Vertiefung der Kenntnis Groß ostasiens in Deutschland und Europa«.126 Bei den Artikeln lassen sich, wie Igor Eberhard analysiert hat, drei Hauptrichtungen feststellen: 1) kulturkundliche, historische, kunstgeschichtliche, wirtschaftliche, linguistische und ethnographische, etwa von Anna von Rottauscher, Robert Bleichsteiner oder Friedrich Dörbeck; 2) militärstrategische und geopolitische Untersuchungen über Japan, die Sowjetunion und den Fernen Osten; 3) NS-Propaganda, also Artikel, die zum allergrößten Teil pro-japanisch, antisemitisch, antikommunistisch, antiklerikal, rassistisch und antidemokratisch waren. Die dritte Kategorie von Artikeln fand sich vor allem in den BAAK, doch auch im Japanheft und im Innerasien-Heft der Asien-Berichte127 überwog diese Grundausrichtung. In ihrem Vorwort zum Japanheft schrieben Walter Exner und Karl Ferdinand Reichel: Wir sind davon überzeugt, dass durch diesen Krieg auch in Ostasien ein neuer, großer Abschnitt der Menschheitsgeschichte beginnt: die eigenen völkischen Kräfte […] wer125 Vgl. EBERHARD 2003, S. 76ff. 126 Vgl. Ostasien-Berichte 5/23 (1944), Vorwort, verfasst von Walter Exner, Prof. Dr. Walter Donat (Univ. Berlin, Leiter des Ostasien-Instituts) und Dr. Karl Ferdinand Reichel (Schriftleiter, Ostasien-Institut, Berlin). 127 Asien-Berichte 20 (1943) und 21 (1944).
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den, angetrieben durch den Elan Japans und dessen innere Kraft, an die Errichtung einer neuen asiatischen Ordnung in Ostasien gehen. […] Denn wie wir von der großen Zukunft Asiens überzeugt sind, so glauben wir als Nationalsozialisten und Soldaten an das Ewige Europa, das auch in der Zukunft das sein wird, was es immer war: Herz und Hirn der Welt.128
Es seien in den genannten Zeitschriften aber durchaus auch wissenschaftliche seriöse Artikel veröffentlicht worden, schreibt Eberhard. Auch Autoren, die nicht der NDSAP angehörten, wie etwa Bleichsteiner, hätten die Möglichkeit erhalten zu publizieren, solange die Artikel keine politisch gegenläufigen Stellungnahmen aufwiesen. Wichtiger als die politische Gesinnung sei offenbar das wissenschaftliche Interesse an Asien gewesen, und insgesamt betrachtet habe die Publikationsreihe noch heute wissenschaftliche Relevanz. Zu den wichtigsten Autor_innen der BAAK und der Nachfolgepublikationen zählten Walter Exner, Walter Heissig, Karl Ferdinand Reichel, Robert Bleichsteiner, Karl Anton Nowotny, Julius Smolik, Frederic Martin Schnitger, Sepp Finger, Anna von Rottauscher und Friedrich Dörbeck. Daneben gab es aber auch Beiträge von Ernst Schäfer, dem Leiter des Reichsinstituts Sven Hedin für Innerasienforschung in Mittersill (Salzburg) und der SS-Tibetexpedition von 1938/39, oder dem Anthropologen Bruno Beger, dem Leiter der Abteilung für Rassengeschichte, Rassenkunde und Erbkunde im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS. Das Interesse der Nationalsozialisten am Fernen Osten während des Zweiten Weltkriegs muss im Kontext der Bündnispolitik des Deutschen Reiches (der Achse Berlin-Rom-Tokio) gesehen werden: 1940 hatten Deutschland und das Königreich Italien auf Initiative Hitlers mit dem japanischen Kaiserreich den Dreimächtepakt geschlossen. Die pro-japanische Propaganda ging dabei von der Annahme aus, dass es zwischen dem Deutschen Reich und Japan trotz der jahrtausendelangen getrennten Entwicklung auffallende Ähnlichkeiten in den Anschauungen, Zielen und Idealen gebe. Im Gegensatz dazu wurde die Bevölkerung Russlands stark abgewertet. So befasste sich etwa der bereits erwähnte Anthropologe und Arzt Hansjörg Netolitzky – er hatte sich 1937 mit Walter Exner in Peking aufgehalten – in einem Artikel in den Asien-Berichten mit Rassenfragen des zentralasiatischen Raumes, wobei er etwa auch auf das »Mischlingsproblem« in dieser Region einging. In der Publikation heißt es unter anderem: »[…] Raum und Rasse sind die beiden naturgegebenen Faktoren, die 128 Vgl. Anton EXNER, Karl Ferdinand REICHEL, Gruß an Japan zur zweijährigen Wiederkehr des Kriegseintrittes, Vorwort zu den Asien-Berichten 20 (1943), S. 3.
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384 Gabriele Anderl das Schicksal menschlicher Gemeinschaften vorherbestimmen, die also Geschichte machen«.129 1951 gab Walter Exner vor dem Volksgericht an, er habe während seiner Wehrmachtszeit, zwischen 1939 und 1944, die Herausgabe der Asien-Berichte aus eigenen Mitteln finanziert, es seien 23 Nummern der Zeitschrift erschienen, die letzte bereits nach Kriegsende in Wien. Es habe sich »um eine historisch-kulturelle Zeitschrift« gehandelt, »die mit der Tagespolitik nichts zu tun hatte«. In den Jahren 1940 bis 1942 habe Robert Bleichsteiner, der nach Ende des Krieges Direktor des Museums für Völkerkunde wurde, die Publikation betreut.130 Die erste Schenkung an das Österreichische Kunstgewerbemuseum 1944
Anton Exner hatte in einem Brief vom 13. Jänner 1939 dem Kunstgewerbemuseum das Angebot gemacht, ihm einen Teil seiner Sammlungen ostasiatischer Kunst (Baukeramik, Altarfiguren und Porzellan) als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht klar, ob zu diesem Zeitpunkt das Projekt eines eigenen Ostasienmuseums bereits Geschichte gewesen ist. Ebenso lässt sich nicht rekonstruieren, inwieweit Anton Exner über die Bemühungen des Kunstgewerbemuseums, die Realisierung dieses Vorhabens zu hintertreiben, damals schon informiert gewesen ist und was genau ihn dazu veranlasst hat, dem Museum Teile seiner Sammlung als Leihgabe anzubieten. Wie dem auch sei – nach einer Meldung des Museums an das damalige (österreichische) Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten hatte der Kustos der Ostasienabteilung, Viktor Griessmaier, rasch mit der Sichtung, Kategorisierung und Auswahl des Materials begonnen, wobei Exner dem Museum völlig freie Hand ließ. Die anfängliche Beschränkung auf die genannten Gebiete wurde bald aufgegeben und Objekte aus allen Gebieten des ostasiatischen Kunstschaffens wurden ausgewählt. Am 22. November 1939 reichte das Museum beim Ministerium den Entwurf für den Leihgabenvertrag ein.131
129 Vgl. Hansjörg NETOLITZKY, Rassenfragen des zentralasiatischen Raumes, in: Asien-Berichte 21 (1944), S. 7–28, hier S. 27 f., zit nach EBERHARD 2003, S. 79f. 130 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51 (Verfahren gegen Walter Exner), O. Nr. 5, Bl. 13 ff., Vernehmung des Beschuldigten Walter Exner vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, 5. 10. 1951. 131 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum Wien an das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 4. 11. 1946, Betreff: Sammlung Exner – sichergestellte Bestände.
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Gemäß den Angaben Walter Exners hatten er und sein Vater im Februar 1940 dem Kunstgewerbemuseum den größten Teil ihrer Sammlung als befristete Leihgabe übergeben.132 1943, als eine Beschädigung der Bestände durch den Bombenkrieg befürchtet wurde, kam es zu einer größeren Tauschaktion mit Anton Exner: Die Depots auf dem Dachboden des Kunstgewerbemuseums waren mit ostasiatischen Export- und Kommerzwaren des ehemaligen Handelsmuseums – »schwere[m] Ballast für den Konservierungsdienst« – überfüllt. Das Museum entschloss sich »zum Eintausch der Masse gegen hervorragende kunstgewerbliche Objekte zum systematischen Ausbau der Sammlungen«. Es wurde ein Tauschvertrag mit Anton Exner abgeschlossen, »dem eine Schätzung der abzugebenden Bestände durch den Konkurrenten Exners, Herrn Paul Förster, Chef der Firma A. Förster, zu Grunde gelegt wurde«. Das Museum erwarb auf diese Weise 19 kostbare frühchinesische Bronzen und 21 ebenso wertvolle Objekte chinesisch-archaischer Frühkeramik, die in den hauseigenen Sammlungen bis dahin nur schwach vertreten gewesen waren. Das Museum drängte nun Anton Exner, die von diesem zur Verfügung gestellten Leihgaben definitiv als Eigentum übernehmen zu können: »Es liegt im Wesen von Leihgaben, dass sie zurückgegeben werden können. Exner sprach zwar von dauernden Leihgaben und künftiger Widmung, pflegte aber einer Einladung zu einer bindenden Erklärung zunächst auszuweichen«, formulierte der Direktor des Museums Richard Ernst seine damaligen Überlegungen. Um die Objekte »vor allem gegen eine Rückziehung durch Exner oder durch seine Angehörigen bzw. eventuellen Erben« zu schützen und »um ein Zurückgreifen auf den Plan eines Exner-Museums asiatischer Kunst zu verhindern«, bestand die Museumsleitung auf einen Notariatsakt, der am 21. März 1944 als »Schenkungsvertrag auf den Todesfall« abgeschlossen wurde und die temporäre Leihgabe in eine Leihgabe auf Lebensdauer und eine Schenkung auf Todesfall verwandelte, wobei jede Möglichkeit einer Zurückziehung der Sammlung aus irgendeinem Titel ausgeschlossen wurde. Der Vertrag bezog sich auf den ersten Teil der Sammlung Exner, der 2.195 Objekte aus China und Japan umfasste. Für Exner ging es nach eigenen Worten darum, seine Sammlung »vor dem Zerstreuen und Zerflattern« zu bewahren und sie der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Gleichzeitig erklärte er seine Absicht, dem Museum später einen weiteren, für das Haus wichtigen Teil seiner Sammlung zu schenken. Im Notariatsakt hieß es unter anderem:
132 Vgl. EXNER 1981, S. 230.
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386 Gabriele Anderl Herr Anton Exner hat die dem Staatlichen Kunstgewerbemuseum in Wien als Leihgabe zur Verfügung gestellte Sammlung Exner, die sein Lebenswerk darstellt, unter den schwersten Opfern zustande gebracht. Er wünscht, dass diese Sammlung dauernd dazu dienen solle, es Künstlern, Kunstforschern und anderen Interessenten zu erleichtern, sich mit der Kunst des Fernen Ostens vertraut zu machen und aus ihr zu lernen, und dass auch anderen Sammlern ein Beispiel dafür gegeben werde, dass wertvoller Kunstbesitz dem Volk zugänglich gemacht werden muss und dass der eigene Ehrgeiz dem Wohle des Volkes unterzuordnen ist.
Die geschenkten Gegenstände sollten als Sammlung Exner in die Museumsbestände einbezogen, nach Möglichkeit auch ausgestellt und in Ausstellungen und Katalogen obligatorisch als Stücke der Sammlung Exner gekennzeichnet werden. Ebenso hatte sich das Museum zu verpflichten, eventuell ausgeschiedene Objekte wieder in das Eigentum von Walter Exner zu übertragen, dessen Zustimmung auch bei Tauschgeschäften einzuholen war. Anton Exner bestätigte im Notariatsakt, der nur von ihm und Richard Ernst, nicht aber von Walter Exner gezeichnet war, dass alle in der Liste, Beilage A, verzeichneten Gegenstände ihm als Alleineigentümer gehören würden.133 Als Zusatz zu seiner Schenkungserklärung legte Anton Exner am 22. März 1944 Folgendes fest: »Meinem Sohne Walter Exner bleibt das Recht eingeräumt, einzelne wenige Gegenstände im Einverständnis mit der Museumsverwaltung gegen andere gleichwertige Stücke umzutauschen. Ebenso ist es meinem Sohne Walter Exner unbenommen, für literarische Arbeiten Stücke publizistisch zu verwenden.«134 Der Museumsdirektor, Richard Ernst, betonte in einem am Tag der Schenkung verfassten Schreiben an die Reichsstatthalterei, dass Exner die Sammlung »in mühevoller Arbeit und unter großen Opfern, zum größten Teil im Fernen Osten, manchmal unter Lebensgefahr, zustande gebracht« habe, »ein[en] Teil auf großen Auktionen in Berlin, Paris, London und New York«. Die Vereinigung der Sammlung Exner mit dem ostasiatischen Bestand des Museums bedeute eine ansehnliche Bereicherung der Wiener staatlichen Museen. Durch sie werde ein Programm des Wiener Kunstgewerbemu133 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum Wien an das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 4. 11. 1946, Betreff: Sammlung Exner – sichergestellte Bestände; Notariatsakt: Schenkungsvertrag auf den Todesfall, unterzeichnet von Anton Exner und Dr. Richard Ernst (Direktor des Staatlichen Kunstgewerbemuseums im Namen des Museums), Wien, 21. 3. 1944. 134 Vgl. ÖStA/AdR, BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Anton Exner, Zusatz zur Schenkungserklärung, 22.3.1944.
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seums, »die Vereinigung des abend- und morgenländischen Kunstgewerbes, in einer beispielhaften Weise verwirklicht«.135 Die Widmung wurde sogar im Völkischen Beobachter erwähnt: So gut wie sämtliche Epochen und Gattungen der chinesischen und japanischen Kunst seien mit ausgezeichneten Werken repräsentiert. Besonders hervorgehoben wurden die mit rund 450 Stücken vertretene chinesische Keramik, etwa 800 Holzschnitte sowie die Metallarbeiten, das Porzellan und die Textilien.136 Wie sich bald herausstellen sollte, war die Schenkung nicht mit Anton Exners Sohn Walter abgesprochen worden, der sich 1939 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte und 1940 eingerückt war. In einem Schreiben vom 25. Juni 1944 an das Staatliche Kunstgewerbemuseum protestierte Walter Exner vehement gegen die durch den Notariatsakt geschaffenen Fakten. Sein Vater sei nicht zu einem solchen Schritt berechtigt gewesen, er habe sein (Walter Exners) Eigentum mit verschenkt und den ursprünglichen Leihvertrag vernichten lassen. Im Jahre 1935 gründete ich im Rahmen des seit 1911 in Wien bestehenden väterlichen Geschäftes für ostasiatische Kunst die ›Sammlung Exner‹. Letztere wurde von meinem Vater (Anton Exner) und mir gemeinsam am 2. 2. 1940 dem damaligen Staatl. Museum für Kunstgewerbe in Wien als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Ohne meine Zustimmung als Mitunterzeichner des Leihvertrages einzuholen, wurde die Leihgabe am 21. 4. 1944 [sic!] von meinem Vater einseitig in eine Schenkung verwandelt.137
Mit der Schenkung sei sein Vater weiter gegangen, als er durfte. »Obwohl ich Teilhaber der Sammlung (wie aus dem Leihvertrag ersichtlich) und des Geschäftes war, wurde mein Anteil einfach übergangen.« Nach dem Krieg machte Walter Exner eine schwere seelische Depression des Vaters, gegen den ein Zollstrafverfahren eingeleitet worden war, für den Akt verantwortlich, er habe die Schenkung »in seelisch umdüsterter Stimmung« vollzogen und ihm zur selben Zeit einen Abschiedsbrief ins Feld geschickt.138 135 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum, gez. Ernst, an den RSTH in Wien, Ref. Z./GK, 21.3.1944, Betreff. Sammlung Exner. 136 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Die Sammlung Exner, in: Völkischer Beobachter, 3. 6. 1944. 137 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Walter Exner/Asien-Institut zur Förderung des Wissens um die Kulturen der Völker Asiens, Frankenau (BRD), an den Bundesminister Dr. Drimmel, 11. 2. 1964. 138 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Walter Exner/Asien-Institut, Frankenau (BRD), an den Bundesminister Dr. Drimmel, 11. 2. 1964.
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388 Gabriele Anderl Walter Exner zeigte sich jedoch bereit, die Schenkung unter gewissen Bedingungen zu akzeptieren: Alle japanischen Holzschnitte müssten ausgenommen werden, alle die Sammlung Exner berührenden Publikationen im Siebenberg-Verlag erscheinen. Des Weiteren verlangte Walter Exner alle Rechte am Vertrieb von Postkarten mit Abbildungen von Objekten aus der Sammlung Exner. Anton Exner erklärte die Stellungnahme seines Sohnes jedoch für »gänzlich belanglos«, und auch Direktor Ernst vom Kunstgewerbemuseum zeigte sich völlig unbeeindruckt.139 Die zweite Schenkung 1946
Da Anton Exner seine Schenkung im Jahr 1944 nur als eine erste Rate seiner gesamten Widmung betrachtet und schriftlich und mündlich mehrmals erklärt hatte, einen weiteren ebenso großen und wertvollen Teil seiner Sammlungen dem Museum überlassen zu wollen, wurde die Auswahlarbeit zunächst fortgesetzt, durch Griessmaiers Einberufung zur Wehrmacht per 1. September 1944 aber unterbrochen. Verschiedene Teilbestände der Sammlung Exner wurden vom Kunstgewerbemuseum an mehreren Stellen geborgen.140 Am 15. Juni 1944 veröffentlichte die Kronen-Zeitung unter dem Titel Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben einen Artikel über den Kunstsammler Anton Exner und dessen 17 Reisen nach Ostasien. Daraus geht hervor, dass Exners Wohnung immer noch prall gefüllt mit ostasiatischen Wertgegenständen war. Im fünften Stock eines Hauses der Paniglgasse hängt an einer Wohnungstür ein chinesisches Namensschildchen. […] Der Blick fällt in ein großes, seltsames, um nicht zu sagen wundervoll ›exotisches‹ Vorzimmer. Die Wände sind mit japanischen Bildern verkleidet, chinesische Vasen dienen als Schmuck, in den Ecken sind Waffen von Samurais aufgestellt, Buddhaköpfe lächeln einen an und an der Längsseite des Raumes erhebt sich ein prächtig geschnitzter und bemalter Aufbau, den man für einen Altar halten könnte. Es handelt sich aber, wie der Besucher belehrt wird, um den Vorbau eines ostasiatischen Prunkbettes […]. [In Exners Arbeitszimmer] steht eine zartgebaute Vitrine mit einer Sammlung kostbarer Riechfläschchen, auf dem Tisch liegen fremdländische Talismane, der Aschenbe-
139 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Richard Ernst/Staatliches Kunstgewerbemuseum Wien an den Reichsstatthalter in Wien, 29. 6. 1944, Betreff: Sammlung Exner. 140 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien an das BMVS, 4.11.1946, Betreff: Sammlung Exner − sichergestellte Bestände.
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cher ist anders wie die unseren, die Zigarettendose mit japanischer Malerei versehen, die Bilder, der Teppich, die Vorhänge und der Federhalter auf dem Schreibtisch, alles, alles stammt aus fremden Erdteilen. Ein der Kunst gewidmetes, reiches Leben spiegelt sich in den seidenen Kimonos, den geschnitzten Hausaltären und Leuchtern, in dem feinen chinesischen Porzellan.141
1941 hatte ein anderer Zeitungsjournalist von »einer stundenlangen Wanderung durch zahllose Stücke prachtvoller chinesischer, japanischer, indischer und anderer ostasiatischer Porzellane und Teppiche, Schnitzereien und Plastiken, Treibarbeiten, Schränken, Truhen und Gebrauchsgegenständen, Buddhas, Dämonen und Masken, Schmuck, Waffen und Stößen von Kunstmappen« in Exners Wohnung berichtet.142 Nach dem Krieg setzte das Kunstgewerbemuseum/MAK seinen Kampf um den restlichen Teil der Sammlung Exner – »einmalige und heute unersetzliche Kunstwerke von hohem musealem Rang«143 – mit allen Mitteln fort. Dies erwies sich nun als umso einfacher, als sich Anton Exner in großer Bedrängnis befand: Er wurde im Juni 1945 als ehemaliger Nationalsozialist verhaftet, und es wurde gegen ihn ein Volksgerichtsverfahren wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP in der Verbotszeit sowie wegen des Verdachts der missbräuchlichen Bereicherung im Zusammenhang mit der »Arisierung« der Kunsthandlung von Wilma Werner in der Augustinerstraße 8 durch seine Tochter Edith Sch. eingeleitet. Das Kunstgewerbemuseum stellte bei der Kunstsektion des damaligen Staatsamts für Unterricht und beim Staatsamt für Inneres den Antrag, die Restbestände von Exners Privatsammlung im Rahmen des Volksgerichtsverfahrens auf Basis des Vermögensverfallsgesetzes sicherstellen zu lassen, da es wünschte, aus dieser Masse die für das Museum relevanten Objekte auswählen zu können. Die Bestände wurden schließlich nach Erteilung der Bewilligung zur vorläufigen Verwahrung in Depots des Dorotheums überführt. Teile der Sammlung Exner befanden sich zu Kriegsende an drei verschiedenen Orten: in Exners Haus in der Paniglgasse, in seinem Haus im niederösterreichischen Lembach sowie in Bergungsräumen beim Museum für Völkerkunde in der Neuen Burg. 141 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Im Land, wo Mensch und Fisch auf Bäumen leben. Siebzehn Reisen nach Ostasien. Besuch beim Kunstsammler Anton Exner, in: Kronen-Zeitung, 15. 6. 1944. 142 Vgl. Wien Bibliothek, Dokumentation/Tagblattarchiv, Ein Wiener durchquerte neunundzwanzigmal Asien. Anton Exner erzählt von seinen abenteuerlichen Reisen, in: Volks-Zeitung, 27. 10. 1941. 143 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien, gez. Ernst, an das BMU, 19. 2. 1947, Betreff: Bergungsmaßnahmen, Länderbank, Kündigung der Tresoranlage.
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390 Gabriele Anderl Im letztgenannten Depot waren jene Objekte eingelagert, die Anton Exner 1944 für eine von Reichsleiter Baldur von Schirach angeordnete Ausstellung über Groß-Ostasien verliehen hatte. Die von den japanischen Vertretungen in Berlin und Wien geförderte Schau, die planmäßig im September 1944 hätte eröffnet werden sollen, war jedoch »im Zuge der Maßnahmen für den totalen Krieg« abgesagt worden.144 Das Kunstgewerbemuseum bediente sich nach Kriegsende auch des Arguments, mit der Übernahme der Objekte den Interessen von möglichen Geschädigten des NSRegimes zu dienen: Sollten sich entgegen der ausdrücklichen Erklärung Exners, dass seine Sammlung auf seinen zahlreichen Ostasienreisen und Weltreisen zustande gekommen sei, in seiner Sammlung Objekte aus entzogenen Vermögenschaften befinden, so wäre bei der beantragten Überführung der sichergestellten Kunstbestände in die Verwahrung des Kunstgewerbemuseums die Feststellung solcher Provenienz wohl am leichtesten möglich, aber auch eine Konservierung der Objekte gesichert, für die der Staat mit der durchgeführten Verwahrung auch die Verantwortung übernommen hat.145
Es handelte sich bei Exners Objekten um Kunstwerke aller Gattungen – Plastiken aus Holz, Keramiken, Bronzen, Textilien, Porzellane, Bilder, Malereien und wertvolles Mobiliar aus China, Japan, der Mongolei, der Mandschurei, aber auch aus Indien und vom malaischen Archipel. In der Paniglgasse waren, wie auch in einem Polizeibericht 144 »Im Zuge der Maßnahmen für den totalen Krieg« wurden »alle Ausstellungsvorhaben eingestellt«, wie es etwa in einem Schreiben des Instituts für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda an den Reichsstatthalter in Wien vom 5. 9. 1944 hieß. ÖStA/AdR BMU, Kunstangelegenheiten, Sign. 15, Kt. 148, Museum für Völkerkunde (1940–1957), Zl. 5067/1944. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels hatte in seiner Eigenschaft als Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz folglich auch die Abhaltung der vom Reichsstatthalter in Wien geplanten Groß-Ostasienausstellung nicht genehmigt. ÖStA/AdR BMU, Kunstangelegenheiten, Sign. 15, Kt. 148, Museum für Völkerkunde, Zl. 2507/44, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Reichsstatthalter in Wien, 14. 9. 1944. Die Hauptverantwortung für das Konzept und die Realisierung der Ausstellung hatte der während des Krieges im Museum für Völkerkunde angestellte Koreaner Hung Soo Han getragen. Im Verlag des Museums für Völkerkunde sollte auch ein von Hung Soo Han herausgegebener Großostasien-Atlas erscheinen. Das staatliche, dem Unterrichtsministerium unterstellte Museum sollte »den weiteren Kreisen des Volkes einen umfassenden Überblick und einigermaßen richtige Aufklärung über das Werden und Wesen der Völker Großostasiens vermitteln«. Dieser Auftrag sollte durch umfangreiches Ausstellungsmaterial (Objekte, Bilder, Fotos) zu China, Japan, Mandschuko, die Mongolei, Tibet, Burma, Thailand und Indochina erfüllt werden. Zu Hung Soo Han vgl. Andreas SCHIRMER, Ein Pionier aus Korea. Der fast vergessene Han Hung-Su – Archäologe, Völkerkundler, Märchenerzähler, Kulturmittler, in: Archiv (Archiv Weltmuseum Wien) 61/62 (2013), S. 261–316. 145 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien an das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, 4. 11. 1946, Betreff: Sammlung Exner − sichergestellte Bestände.
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festgehalten wurde, das vierte und fünfte Stockwerk sowie ein Magazin im Keller mit wertvollen Vasen, Buddhastatuen und sonstigen ostasiatischen Kunstwerken angefüllt.146 Mignon Langnas, eine jüdische Krankenschwester, die den Krieg in Wien überlebt hatte, nahm in einem Tagebucheintrag auf die in der Paniglgasse verwahrten ostasiatischen Kostbarkeiten Bezug – ohne allerdings die genaue Hausnummer oder den Namen Exner zu nennen. Eine ihre Freundinnen, Maria, war in der letzten Kriegsphase in die ehemalige Wohnung Anton Exners in der Paniglgasse gezogen, nachdem sich dieser ins Waldviertel abgesetzt hatte, und auch Mignon Langnas selbst wohnte nach der Einnahme Wiens durch sowjetische Truppen am 13. April 1945 eine Zeitlang in diesem Haus.147 Am 21. April schrieb sie ihr Tagebuch: »Die Wohnung –. Gütiger Gott – wo bin ich? Ich reibe meine Augen – kanns einfach nicht glauben. Ich bekomme Buddas + Vasen + Fächer + Pagoden + Talismane – + + – […] Und Maria bewirtet uns + diese Blumen + die herrliche japanische Pracht. […] + ich hole dann diese wundervollen Sachen bei Maria + gehe beladen heim.« Vom 28. April stammt der folgende Eintrag: Diese Wohnung in der Paniglg. ist ja verlockend schön, diese japanische Pracht hat einen mächtigen exotischen Zauber […]. Das unablässige Denken, dass hier ein Kenner lebte – ein Sammler – dessen Nachfolgerin ich bin? Was verstehe ich davon? Wenn er auch verirrt war – ein Mordsnazi war – ich beuge mich vor seinem Schönheitssinn + schäme mich – ihn zu verdrängen, – doch jetzt ist es zu spät + die Mädeln aus Auschwitz [aus dem Lager befreite und zurückgekehrte Freundinnen] brauchen ein Heim.148
Josef H., dessen eigene Wohnung ausgebombt worden war, war noch im Herbst 1944 von NS-Behörden in Exners Haus eingewiesen worden. Nach dem April 1945 wurden dort auch sowjetische Militärpersonen einquartiert. H. gab am 25. Juni 1945 gegenüber der Polizei an, dass »zahlreiche unbekannte Zivilisten die Wohnung im 5. Stockwerk besichtigt haben und dort wiederholt auch Angestellte und Arbeiter irgendeines Museums [Gegenstände] abgeholt haben» und »dass das Raimundtheater ebenfalls chinesische Sachen aus dem Besitze Exners für die Aufführung der Operette ›Das Land des Lächelns‹, und zwar altchinesische Kleider und auch Möbel (Sessel) sowie Vasen wegführen ließ. 146 Ebenda. 147 Josef H., der Ehemann von Maria H., war im November 1944 vom Gauquartieramt in die Wohnung von Edith Sch., Exners Tochter, einquartiert worden. Soweit rekonstruierbar, dürfte Maria H. als Jüdin in einer »Mischehe« überlebt haben. 148 Elisabeth FRALLER, George LANGNAS (Hg.), Mignon. Tagebücher und Briefe einer jüdischen Krankenschwester in Wien 1938–1949, S. 315 f.
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392 Gabriele Anderl Ob und durch wen das Raimundtheater die Bewilligung hierzu erhalten hat, weiß ich nicht.«149 Anton Exner hatte bei seiner Rückkehr aus dem Waldviertel nach Wien seine Wohnung besetzt vorgefunden und verbittert festgestellt, »dass Kunstwerke aus meinem Besitze geradezu vandalisch benützt worden sind. So wurden wertvollste chinesische Porzellanteller aus dem 17. Jahrhundert als Blumentopfunterlage benützt, ein wertvollster kleiner Teppich aus dem 17. Jahrhundert wurde nächst der Eingangstür ausgebreitet, wo er von jedermann betreten und beschädigt wird.«150 Gegenüber den Polizeibehörden hatte Anton Exner seine Sammlung am 20. Juni 1945 folgendermaßen charakterisiert: Meine Ostasiensammlung zählt zu ihrem Bestande Kunstwerke aller Gattungen, also Plastiken aus Holz, Bronze und Stein, Textilien (Teppiche, Stickereien, Brokate, alte Kleider, Stoffe), Kleinkunst aller Art und in allen Materialien, Keramiken (darunter Porzellane) von der ältesten Zeit (ca. 3000 Jahre v. Chr. Geb.) bis in die Gegenwart, ferner Malereien, Bilder, Grafiken (darunter auch Bücher). Meine Sammlung kann als eine geschlossene Sammlung musealen Charakters bezeichnet werden. Den größten Teil meiner Sammlung bezw. den vom Standpunkt der Kunst aus gesehen wichtigsten Teil meiner Sammlung habe ich als Schenkung dem Staatl. Kunstgewerbemuseum in Wien, Stubenring, dann dem Völkerkundemuseum Wien, Hofburg, und dem Uhrenmuseum der Stadt Wien, 1., Schulhofgasse, im Laufe der Jahre ab 1922 übergeben. […] Im Übrigen war ich auch in meinem Kunsthandelsgeschäfte ausschließlich auf die Kunst Ostasiens spezialisiert, habe aber in meinem Geschäfte eigentlich nur Kommerzkunstware, darüber hinaus aber auch bessere Sachen, geführt. Ich betrachtete die Sammlung ostasiatischer Kunstwerke geradezu als meine Lebensaufgabe. Ich war dafür in Kreisen der Kunstwissenschaft und bei den Museen sehr wohl bekannt. Meine Sammlung repräsentiert einen ganz hohen, von mir nicht einmal abschätzbaren Wert und ist heute überhaupt nicht wieder zu beschaffen oder auch nur im Geringsten zu ergänzen.151
Was seine NS-Vergangenheit betraf, gab sich Anton Exner nun geläutert: Er bedauere zutiefst, »als Idealist der Lügenpropaganda des Nationalsozialismus Glauben« ge149 Vgl. ÖStA. AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Polizeidirektion Wien, Referat Überwachung der Wirtschaft, Niederschrift mit Josef H., vermutlich 25. 6. 1945 (Tag der Niederschrift ausgebessert und nicht genau leserlich). 150 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Polizeidirektion Wien, Niederschrift mit Anton Exner, 20. 6. 1945. 151 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, Niederschrift mit Anton Exner, 20. 6. 1945.
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schenkt zu haben: »Ich bereue diese auf das Bitterste und verfluche meine Narrheit. Ich habe den festen Willen und die ehrliche Absicht, mit dem Aufgebote aller meiner Kräfte der neuen Regierung treu und vorbehaltlos zu dienen, um in meinen schwachen Kräften gut zu machen, was mir möglich ist.«152 In einer polizeilichen Niederschrift bot Anton Exner am 28. Juni 1945 in Gegenwart von zwei Zeugen an, sämtliche an den erwähnten Standorten befindlichen Objekte der Republik zum Geschenk zu machen – um sich auf diese Weise »an der Wiederaufrichtung Österreichs in kultureller Hinsicht beteiligen zu können«. Er schlug auch vor, bei der Übernahme der Objekte durch Einrichtungen der Republik »an Ort und Stelle beigezogen zu werden«. Nur er allein sei in der Lage, »über die örtliche Herkunft jedes Stückes und die Zeit seiner Entstehung authentischen Bescheid zu geben«.153 Tatsächlich durfte sich Exner an der Auswahlarbeit im Dorotheum beteiligen, die bereits von dem Anfang November 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Kustos Viktor Griessmaier gemeinsam mit dem vom Dorotheum als Experten gestellten Schätzmeister Förster in Angriff genommen worden war. Die Befindlichkeiten Anton Exners waren für das Kunstgewerbemuseum nun von geringer Bedeutung. Griessmaier brachte 1946 in einer Unterredung im Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung zum Ausdruck, »dass unserer Ansicht nach die Kunstobjekte der Sammlung Exner uns zufallen würden, wie immer der Entscheid über Exners Eigentum auch ausfallen würde, denn würde Exner rehabilitiert, dann trete seine Schenkungsabsicht in Kraft, wenn nicht, dann würde der Staat die kunstgeschichtlich wertvollen Objekte uns als dem staatlichen, durch seinen Aufgabenkreis und seine Geschichte dazu berufenen Institut übergeben«.154 Das Volksgerichtsverfahren gegen Anton Exner wurde schließlich eingestellt, es kam zu keiner Anklage und folglich auch zu keinem Urteilsspruch. Es ist gut vorstellbar, dass sich die Schenkung auf den für Anton Exner günstigen Ausgang des Verfahrens vorteilhaft ausgewirkt hat und er seine zweite Schenkung auch mit diesem Hintergedanken getätigt hat. Die Sicherstellung der aus dem Besitz Exners stammenden Objekte wurde mit Erlass des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vom 152 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.), Vernehmung des Beschuldigten Anton Exner vor dem LG St Wien, 21. 1. 1947, O. Nr. 27, Bl. 4. 153 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammlermappe 51, (Sammlung Anton Exner), Polizeidirektion Wien, Niederschrift mit Anton Exner, 28. 6. 1945. 154 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Bericht über die Unterredung im BMVS am 14. 2. 1946 zwischen Dr. Land und Dr. Griessmaier, gez. Dr. Griessmaier, Betreff: Sammlung Exner,.
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394 Gabriele Anderl 23. Juli 1948 aufgehoben, und die in Punkt 3 der Widmung Anton Exners vom 6. Mai 1946 verzeichneten Kunstgegenstände wurden in ein Depot des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien überführt.155 Auch die zweite Schenkung hatte Anton Exner in Abwesenheit seines Sohnes und ohne diesen zu informieren getätigt. Damit hatte er Walter, den er durch sein eigenmächtiges Vorgehen bereits 1944 tief gekränkt hatte, ein weiteres Mal übergangen.156 Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, das sich Mitte der 1930er Jahre für einige Zeit deutlich verbessert hatte, war nunmehr nachhaltig und wohl für immer getrübt. Walter Exner schrieb dazu in seinen Erinnerungen: So gelangten über 3000 Gegenstände in den Besitz des Österreichischen Museums für angewandte Kunst in Wien. Mit diesen beiden rechtlich nicht einwandfrei geklärten Schenkungen hatte mein Vater die ideelle Grundlage meines bisherigen Lebens zerstört, ohne dass ihm zunächst die Folgen seiner Handlung klar geworden waren. Gewiss war es von Anfang an auch mein Bestreben gewesen, für unsere Heimatstadt Wien eine ansehnliche Sammlung ostasiatischer Kunst zu schaffen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, die Art und Weise des von meinem Vater ohne Absprache allein beschrittenen Weges hat mich dennoch tief getroffen und mein Leben völlig verändert.157
Wie autoritär und unsensibel sich Anton Exner auch in ganz privaten Angelegenheiten mitunter seinem Sohn gegenüber verhalten hat, geht aus einem persönlichen Brief aus dem Jahr 1944 hervor, der die künftige Ehefrau Walter Exners betraf, die dieser im hessischen Frankenau kennen gelernt hatte: Ich habe gar nichts gegen ein anständiges, gut aussehendes Mädchen mit mittelgroßer, moderner Gestalt. Aber ohne jede Vorbildung auf künstlerischem Gebiet, das halte ich für höchst gewagt. Deine Frau muss Dir nicht nur Gattin und Mutter Deiner Kinder sein, sie muss auch Dich geschäftlich und gesellschaftlich vertreten können. Mir schwebte da ein Mädel vor aus der Kunstschule des Prof. Niedermoser, die vor einigen Monaten bei mir war und chines. Kostüme abzeichnete. Und solche gibt es hier genug.158
In einem Schreiben an das MAK räumte Anton Exner einige Jahre nach Kriegsende, am 29. September 1948, immerhin ein, »dass sich unter den von mir laut Zuschrift vom 6. Mai 1946 dem Kunstgewerbemuseum geschenkten Kunstgegenständen irr155 156 157 158
Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46 (Verfahren gegen Anton Exner u. a.). Vgl. EXNER 1981, S. 230 f. Vgl. EXNER 1981, S. 226 f. Brief von Anton an Walter Exner aus dem Privatarchiv der Familie Exner, Datum nicht ersichtlich.
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tümlicherweise einzelne Objekte befinden, die tatsächlich Eigentum meines Sohnes oder meiner Tochter sind. Ich behalte mir daher vor, diese Gegenstände aus meiner Schenkung wieder zurückzufordern, was demnächst erfolgen wird.«159 Doch auch weitere Vorstöße Walter Exners, seinen Anteil an der Schenkung zurückzubekommen, verliefen ergebnislos: Sein 1964 dem damaligen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel unterbreiteter Vorschlag, die im MAK befindlichen Gegenstände der Sammlung Exner im Verhältnis zwei zu eins zu teilen und ein Drittel an ihn (Walter Exner) zu retournieren, fand keine Beachtung. Mathilde Adele Exner, die Ehefrau von Anton und Mutter von Walter Exner, dürfte ihren Sohn in seiner Auseinandersetzung mit dem Vater unterstützt zu haben. »Auf Anfrage« bestätigte sie 1959, dass die ›Sammlung Exner‹ auf das Betreiben meines Sohnes Walter zurückgeht. Nachdem mein Mann unseren Sohn im Jahre 1935 zum ersten Mal mit nach Ostasien genommen hatte, zeigte der Letztere großes Interesse an der ostasiatischen Kunst. In unserer Wohnung in der Paniglgasse wurde im Herbst des gleichen Jahres das Fremdenzimmer geräumt und Gegenstände, [die] nicht mehr verkauft werden sollten, dort aufgestellt. Später wurde auch das zum Fremdenzimmer gehörige Badezimmer zur Unterbringung der unverkäuflichen Gegenstände benützt, aus denen dann die ›Sammlung Exner‹ gebildet wurde. Vor dem Jahre 1935 war zwar von meinem Mann daran gedacht worden, einige besonders gute Gegenstände österr. Museen zu schenken, der Gedanke einer umfassenden Sammlung stammt jedoch von meinem Sohn.160
Am 29. November 1982 unterzeichneten allerdings das Ehepaar Walter und Elisabeth Exner und dessen Tochter Uta Exner eine Erklärung, wonach sie die »Schenkung Exner« vom 21. März 1944 und vom 6. Mai 1946 an das MAK »vollinhaltlich« anerkennen würden und »nunmehr […] keine wie immer gearteten Ansprüche gegen die Republik Österreich bzw. das Österreichische Museum für angewandte Kunst« mehr hätten.161 Wie ambivalent Walter Exners Verhältnis zu seinem übermächtigen Vater gewesen ist, geht auch aus seinem berteits mehrfach zitierten autobiografischen Aufsatz hervor. Während er dort den Beginn der Sammlung Exner einerseits pathetisch mit der Geburt des Vaters datierte, sprach er andererseits ausdrücklich von der »seinerzeit mit väterlicher Billigung von mir gegründete[n] Sammlung«.162 159 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Anton Exner an das Österreichische Museum für angewandte Kunst in Wien, 29. 9. 1948. 160 Privatarchiv der Familie Exner, Bestätigung von Mathilde Adele Exner, 22. 11. 1959. 161 Privatarchiv der Familie Exner, Erklärung, unterzeichnet von Walter Exner, Elisabeth Exner, geb. Scheerer, und Uta Exner, Bad Wildungen (BRD), 29. 11. 1982. 162 Vgl. EXNER 1981, S. 225 und 234.
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396 Gabriele Anderl Das Strafverfahren gegen Walter Exner
Walter Exner kehrte nach Kriegsende nicht mehr dauerhaft nach Wien zurück – wohl auch, um als ehemaliger Nationalsozialist der Strafverfolgung zu entgehen. »Nachdem feststand, dass die Sowjetmacht ihren Anteil Österreichs als Besetzer auf unbestimmte Zeit behalten würde und unglücklicherweise sowohl die elterliche (und meine) Wohnung in Wien und auch mein Landhaus in dieser Zone lagen, war nun auch ich […] gezwungen, mein Leben neu einzurichten«, begründete Walter Exner den Entschluss in seinen Erinnerungen. Er ließ sich in dem kleinen nordhessischen Landstädtchen Frankenau, dem Geburtsort seiner Ehefrau, der Kaufmannstochter Elisabeth (Lisl) Scheerer, nieder. Er hatte sie dort im Mai 1944 als Angehöriger einer Luftwaffen-Telegrafenbaueinheit kennengelernt und im November 1945 geheiratet.163 Walter Exner wurde zunächst wegen der Paragraphen 10 und 11 des Verbotsgesetzes in das gegen seinen Vater und andere Familienangehörige eingeleitete Strafverfahren mit einbezogen und 1949 im staatspolizeilichen Fahndungsblatt zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Am 19. September 1951 reiste er, von Deutschland kommend, nach Österreich ein und wurde in Salzburg festgenommen. Er kam jedoch rasch wieder frei, und die Ausschreibung zur Fahndung wurde widerrufen, da er sich bei der Schwester seines Vaters, Emma Schrumpf, in der Ullmannstraße 45 im 15. Bezirk polizeilich anmeldete und am 2. Oktober seiner Registrierungspflicht als ehemaliger Nationalsozialist nachkam. Das Verfahren gegen Walter Exner wurde aus dem eben erwähnten Verfahren gegen Anton Exner und andere ausgeschieden und als eigenständiges Verfahren weitergeführt. In seinen Nachkriegsaussagen deutete Walter Exner, wie viele andere ehemalige Nationalsozialisten, seine politische Vergangenheit um. Während er nach dem »Anschluss« bemüht gewesen war, alle seine Tätigkeiten im Rahmen der NS-Bewegung vor 1938 zu betonen, wurden sie nun in einem gänzlich anderen Licht dargestellt. Walter Exner gab an, er habe seit 1936 der deutschen Gemeinde in Peking – seinem zweiten Wohnsitz – angehört. Diese Zugehörigkeit zur deutschen Kolonie (und zur deutschen Auslandsorganisation) sei in der NS-Zeit mit einer Zugehörigkeit zur NSDAP gleichgesetzt und in seinem Fall als ununterbrochene Parteimitgliedschaft angerechnet worden. Auf sein Ansuchen hin habe er dann die Dienstauszeichnung in Bronze erhalten. Die Unterbrechung der Mitgliedschaft in den Jahren 1933–1936 sei dabei einfach nicht in Erwägung gezogen worden – Dank der Intervention seines Jugendfreundes 163 Vgl. EXNER 1981, S. 231.
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Kurt Krey, der hauptamtlicher Mitarbeiter des SD geworden sei. Er habe es möglich gemacht, dass sein (Walter Exners) Eintrittsdatum in die SS auf den 15. Mai 1937 rückdatiert wurde, während er tatsächlich erst im Herbst 1938 der SS beigetreten sei. Auf Kreys Vorschlag habe er provisorisch beim SD im Referat für Kunst als Fachmann für Ostasien mitgearbeitet, und zwar von Jänner bis 2. September 1939, als er sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldete habe. Im Zuge seiner Einrückung habe er auch den provisorischen Mitgliedsausweis zurückgegeben. Ins Rothschild-Palais sei er insgesamt nur zehnmal gekommen. Es handelte sich meistens darum, um einen wertvollen japanischen Holzschnitt, der erst ausgeführt werden sollte, zu verhindern und für Wien auf Grund des Gesetzes des Bundesdenkmalschutzes zu erhalten. Es gelang mir jedoch nicht, und das Bild wurde später trotzdem ins Ausland verbracht. Ich stand in vager Verbindung mit einer Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin, mit deren Subvention ich eine Ostasienzeitschrift herausgeben sollte, von der jedoch nur eine Nummer erschien.164
In einem langen Schreiben bat Walter Exner im Oktober 1951 den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Theodor Körner (SPÖ) um Ausnahme von der Registrierung als ehemaliger Nationalsozialist sowie von dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren. Um seine Verbundenheit mit Österreich zu unterstreichen, erwähnte er unter anderem die auf seine Initiative hin erfolgte Errichtung des Denkmals auf dem Dreibund-Friedhof in Peking im Jahr 1936.165 Mit Schreiben vom 25. März 1953 gewährte der Bundespräsident Walter Exner, gegen den am 11. November 1952 von der Staatsanwaltschaft Wien Anklage erhoben worden war, die Ausnahme von der Behandlung nach den Bestimmungen von Artikel III und den Sühnefolgen gemäß § 118 des Verbotsgesetzes, allerdings beschränkt auf die Ausübung der Gewerbe zur Herstellung von literarischen Erzeugnissen und den Handel damit.166 »Auf Grund der Aktenlage, insbesondere des Gutachtens der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit erscheint die Gnadenbitte vertretbar«, hatte zuvor das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau befunden. Die Prä164 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51 (Verfahren gegen Walter Exner), O. Nr. 5, Bl. 13 ff., Vernehmung des Beschuldigten Walter Exner vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, 5. 10. 1951. 165 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 1689/49 bzw. Vg Vr 361/51(Verfahren gegen Walter Exner), Walter Exner an den Bundespräsidenten, 25. 10. 1951; siehe dazu auch EXNER 1994, S. 254. 166 Privatarchiv der Familie Exner, Entschließung von Theodor Körner betr. Walter Exner, 25. 3. 1953. Die Ausnahme betraf jedoch ausdrücklich nicht die Verpflichtung zur Entrichtung einer Sühneabgabe gemäß den Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes vom 6. 2. 1947, BGBl Nr. 25 sowie die vermögensrechtlichen Verfügungsbeschränkungen gemäß § 20 des Verbotsgesetzes von 1947.
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398 Gabriele Anderl sidentschaftskanzlei konstatierte zusammenfassend, dass Walter Exner »seine Zugehörigkeit zur NSDAP, SS, SA und zum SD nicht missbraucht« habe.167 Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren gegen Walter Exner im Herbst 1953 eingestellt. In einem Entnazifizierungsverfahren vor der Spruchkammer in Frankenberg a. d. Eder (Hessen) wurde er als minderbelastet eingestuft.168 Nachdem Anton Exner am 27. September 1952 unerwartet gestorben war, bewertete der Asiatikahändler Alexander Förster in seiner Funktion als Sachverständiger und Schätzmeister des Dorotheums für die asiatische Kunst die zur Verlassenschaft gehörenden, in verschiedenen Depots – im Museum für Völkerkunde (etwa 80 Kisten), im MAK, in der Kunstabteilung des Dorotheums, in dessen Zweigstelle in der Schanzstraße im 15. Bezirk sowie bei der Firma Schmiedl & Co. (6., Windmühlgasse) – lagernden ostasiatischen Kunstgegenstände und ermittelte, unter Berücksichtigung der zahlreichen Bruchschäden, die durch unsachgemäße Verpackung bei der Überstellung von der Hauptanstalt des Dorotheums an die genannten Depots entstanden waren, einen Gesamtwert von 65.000 Schilling.169 Walter Exner transferierte den auf ihn fallenden Erbteil an den Kunstobjekten in die BRD – es soll sich um 150 Kisten und Pakete gehandelt haben. Ausgehend von diesem Grundstock baute er seine Sammlung in den folgenden Jahren durch Neuerwerbungen weiter aus. Sie umfasste unter anderem zahlreiche ostasiatische Porzellane und Plastiken und rund 2000 ostasiatische Holzschnitte – unter anderem Werke von Harunobu, Utamaro, Sharaku, Hokusai und vor allem Hiroshige, dem Exners besondere Liebe galt und von dem er zu Beginn der 1960er Jahre die größte Kollektion in der BRD besaß. Um die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den Ländern Asiens zu fördern, gründete Walter Exner ein Asien-Institut, das sich mit dem Kultur- und Geistesleben Asiens und besonders der asiatischen Kunst befasste – es war, wie er betonte, »das einzige private Asien-Institut in der Bundesrepublik«.170 Es wurde im Mai 1956 mit der Schau 2500 Jahre Buddha und der Buddhismus eröffnet. Bis 1963 wurden in Walter Exners Privatmuseum, das in einer aus Mitteln des Landes Hessen errichteten 167 Privatarchiv der Familie Exner (siehe auch Bundeskanzleramt, Zl. 212.622/1-2N/52; Präsidentschaftskanzlei, Zl. 4438/1953). 168 Auskunft des Stadtarchivs Frankenberg a. d. Eder, mit Dank an Horst Hecker. 169 Privatarchiv der Familie Exner, Alexander Förster, Sachverständiger und Schätzmeister des Dorotheums für die asiatische Kunst, z. Hdn. von Notar Dr. Josef Wurst, 11. 2. 1953, Betreff: Verlassenschaft Anton Exner. 170 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Anton Exner an das Österreichische Museum für angewandte Kunst in Wien, 29. 9. 1948.
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Halle in Frankenau untergebracht war, zahlreiche weitere Ausstellungen veranstaltet, die Tausende Besucher anzogen. Genannt seien hier die Ausstellung über Yoga als geistiges Ereignis (1957), ein Überblick über das Werk des japanischen Künstlers Hiroshige zu dessen 100. Todestag (1958), Sieben Jahre in Tibet: Heinrich Harrer stellt aus (1959), eine Schau über Chinesisches Porzellan der Mandschu-Zeit (1960) und eine weitere zum 100. Todestag von Kuniyoshi, einem Spätmeister des japanischen Farbholzschnittes (1961). Leihgaben kamen teilweise auch vom MAK in Wien. Angeschlossen an die Ausstellungsräume war die mit ostasiatischen Requisiten geschmückte Teestube Lisl Exner.171 1965 musste das Museum, dessen Räumlichkeiten von der Stadt Frankenau beansprucht wurden, in das nahe gelegene Bad Wildungen verlegt werden, doch 1977 wurde auch hier aus ähnlichen Gründen der Betrieb eingestellt. Das Ehepaar Exner verkaufte in der Folge den Großteil seiner asiatischen Kunstwerke und erwarb mit dem Erlös ein Haus in der Kurstadt. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Instituts-Gemeinschaft für den Kulturaustausch brachte das Asien-Institut die Schriftenreihe Ost-West-Begegnung heraus, und schon 1947 hatte Walter Exner eine Asien-Bücherei gegründet, die schließlich um die 13.000 Bände umfasste und in deren Rahmen er zwei regelmäßig erscheinende Bibliografien herausgab: die Asien-Bibliographie über in deutscher Sprache erschienene Werke und die Bibliographia Asiatica, die Beiträge in internationalen Zeitschriften erfasste. Gemeinsam mit Josephine Huppertz gab er auch die Reihe Geokultur. Beiträge zur Erforschung der geschichtlichen Dynamik heraus, in den späteren Jahren auch eher populärwissenschaftliche Bücher zu einem breiten Themenspektrum – etwa über Walther von der Vogelweide, die Osterinseln oder die Venus von Willendorf. Walter Exner blieb österreichischer Staatsbürger, kehrte aber nie mehr dauerhaft nach Österreich zurück. 1960 erwarb er die Bundesbürgerschaft der BRD, ohne die österreichische Staatsbürgerschaft dafür aufgeben zu müssen. Das Asien-Institut und die – nicht öffentlich zugängliche – Bibliothek Walter Exners zogen auch zahlreiche renommierte Wissenschaftler an. Enge freundschaftliche Kontakte unterhielt Walter Exner unter anderem mit Therese Kümmel, der Witwe des Gründers und Direktors der Abteilung für ostasiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, sowie mit dem Ostasienexperten Werner Speiser.172 Auch die Beziehungen
171 Vgl. ZIMMERMANN 1961, S. 35 ff. 172 Werner Speiser (1908–1965) war ein deutscher Kunsthistoriker und Sinologe. Er war ab 1951 Direktor des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln.
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400 Gabriele Anderl zum MAK blieben aufrecht – etwa in Form gegenseitiger Leihgaben. 2006 etwa hielt der Kustos der Ostasiensammlung des MAK, Johannes Wieninger, in Frankenau den Festvortrag Japanische Holzschnitte von Hiroshige und die Sammlung Exner zur 50-JahrFeier des Asien-Instituts.173 In einer im Rahmen des Volksgerichtsverfahrens gegen Anton Exner getätigten Zeugenaussage wurden von der Ehefrau des erwähnten Josef H. auch Anton Exners Geschäftspraktiken thematisiert. Anzumerken ist jedoch ausdrücklich, dass es bislang keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Angaben den Tatsachen entsprechen. Die Aussage stammte von der 1897 in Czernowitz geborenen Maria H., die ab Ende 1944 Räume des Exner gehörenden Hauses in der Paniglgasse bewohnte. In der Folge kam es zu heftigen Konflikten mit Mitgliedern der Familie Exner, die dem Ehepaar H. vorwarfen, Teile der dort gelagerten Kunstschätze geplündert zu haben.174 Maria H. gab am 31. Jänner 1946 Folgendes zu Protokoll: Ich habe anlässlich der Beschlagnahme [der Objekte aus der Sammlung Exner im Jahr 1945] Schriftenmaterial dem Hofrat [Hermann] Reuther gezeigt, welcher diese mir kurzer Hand wegnahm. Darunter war auch ein Brief Exners an eine Fa. [Firma] in Peking, woraus hervorging, dass Exner Rohbernstein von Österreich nach China geschickt hat, mit dem Auftrag, aus diesem Bernstein eine antik wirkende Figuralgruppe schnitzen zu lassen. Der Arbeitslohn war den chinesischen Arbeitslöhnen angepasst und dementsprechend niedrig. Diese Figuralgruppe kam dann wieder nach Wien zurück und wurde als antik[e] chinesische Kunstarbeit mit den entsprechenden Preisen verkauft. Außerdem wurden Fakturen vorgefunden, aus welchen hervorging, dass sog. chin. Kommerzwaren im Anschluss auf [sic!] eine größere Bestellung zu Dtzd. [Dutzenden] gratis den Kisten beigepackt wurden. Bezeichnend ist vor allem eine Buddhalieferung aus Bronze, in welchen [sic!] das Dtzd. mit 3 Chinadollar angegeben war, während der Engros-Verkaufspreis eines Stückes in Wien 15–20 S betrug. Dieser Mann arbeitete sonach mit mehr als 2000 %. Ein Chinadollar ist gleich 0,3 US-Dollar. Bezüglich seiner Arbeit in China und Japan im Wege der Deutschen Gesandtschaft in Peking, in welcher er Österreich diffamierte, sei erwähnt, dass ich dieselben gesammelt und die schriftlichen Unterlagen seinerzeit anlässlich einer Hausdurchsuchung der Staatspolizei bei der Pol. Dion. [Polizeidirektion] Wien bzw. dem Beamten des Bez. Pol. Koat. [Bezirkspolizeikommissariats] Wien IV übergab, welche Papiere sich beim Akt Exner befinden müssen.175 173 Vgl. u. a. EBERHARD 2003, S. 73. 174 Maria H. war vermutlich jüdischer Herkunft. Sie gehörte jedoch der evangelischen Konfession an. Es ist anzunehmen, dass es sich bei der im Tagebuch von Mignon Langnas erwähnten Maria in der Paniglgasse um Maria H. gehandelt hat. 175 Vgl. WStLA, Volksgerichtsakten, Vg Vr 9002/46, Niederschrift mit Maria H., 31. 1. 1946.
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Für die Provenienzforschung stellen vor allem die im MAK befindlichen zahlreichen Objekte aus der Sammlung Exner eine große Herausforderung dar. Fast immer fehlen schriftliche Belege sowie konkrete Angaben über die Voreigentümer_innen beziehungsweise Händler_innen, bei denen Käufe getätigt worden sind. Angesichts der zahlreichen Einkaufsreisen Anton und Walter Exners nach Ostasien kann davon ausgegangen werden, dass der überwiegende Teil der Objekte tatsächlich vor Ort erworben worden ist, ein Rest unbekannter Größenordnung jedoch – auch während der NS-Zeit – in Österreich und anderswo in Europa. So bleibt der Verdacht bestehen, dass es sich teilweise um entzogenes Gut handeln könnte, obwohl Anton Exner 1948 in einem Schreiben an das MAK versichert hatte, dass dies nicht der Fall sei. In dem bereits zitierten Brief hatte er eingeräumt, 1944 und 1946 einige seinem Sohn gehörende Gegenstände mit verschenkt zu haben: »Sonstiger fremder Besitz befindet sich in dieser Schenkungsmasse nicht, insbesondere meines Wissens auch nicht den Rückstellungsgesetzen obliegende Objekte.«176 Anton Exner war auch während der gesamten NS-Zeit als Schätzmeister für Ostasiatika im Dorotheum tätig gewesen und praktisch bei jeder der großen einschlägigen Auktionen als Experte herangezogen worden. Er hatte in dieser Funktion auch Objekte aus dem Eigentum verfolgter Jüdinnen und Juden geschätzt und selbst Gegenstände bei Auktionen erworben. Belegt ist ferner, dass er sich darum bemüht hat, die Ausfuhr von Objekten zu verhindern, die sich in Umzugslifts befanden. Ein Beispiel dafür ist ein an die Denkmalbehörde gerichtetes Schreiben vom 12. Februar 1939, das in seinen Formulierungen an die Wunschlisten verschiedener österreichischer Museen um die Zuteilung beschlagnahmter Sammlungsobjekte erinnert. In Exners Schreiben heißt es unter anderem: Im Auftrage der Reichskulturkammer zur Feststellung wertvoller ostasiatischer Kunstgegenstände in Wien mache ich Ihnen in Angelegenheit des Juden Hans Amon folgende Mitteilung: Im Besitze des Amon befindet sich eine Anzahl wertvoller japanischer Drucke, an denen die Kunstsammlungen der Ostmark besonders arm sind. Drucke dieser Art werden von allen Museen der Welt für die Kunst-Erforschung für sehr wichtig gehalten und derart gesammelt, dass im Welthandel fast nichts mehr dieser Art vorhanden ist. Es wäre daher ein nicht wieder gut zu machender Schaden, der gesamten Sammlung die Ausfuhrerlaubnis zu erteilen. Unsere Albertina besitzt an ostasiatischen Beständen fast gar nichts Gutes und ich empfehle, das wertvollere Kunstgut der Sammlung Amon diesem Institut zur erhalten. […] Aus diesem Grunde er176 Vgl. ÖStA/AdR BMU/Kunstangelegenheiten, 02, Sammelmappe 51 (Sammlung Anton Exner), Anton Exner an das Österreichische Museum für angewandte Kunst in Wien, 29. 9. 1948.
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402 Gabriele Anderl suche ich das Zentralamt [sic!] für Denkmalschutz, die auf diese Gegenstände bereits erteilte Ausfuhrerlaubnis aufzuheben und die Ausfuhr nur auf die hier [von Anton Exner] nicht erwähnten Drucke und Malereien der weniger bedeutenden Meister zu beschränken. Gleichzeitig bemerke ich, dass ich mich im Bedarfsfalle dem Zentralamt für Denkmalschutz uneigennützig zur Verfügung stelle.177
Hans Amon und dessen Frau Helene hatten in der Zwischenkriegszeit zu den bekannten Asiatikasammler_innen in Österreich gezählt, und die Buchhandlung Hans Amons im legendären Hochhaus in der Herrengasse 6–8 war auf die Kunst und Kultur Ostasiens spezialisiert gewesen. Seine bemerkenswerte Sammlung japanischer Drucke war das letzte Mal anlässlich der Ausstellung Spätmeister des japanischen Holzschnittes im Frühjahr 1938 in der Grafischen Sammlung Albertina zu sehen. Im Fall Amons kam Exners Intervention zu spät. Gemäß einem Aktenvermerk von Josef Zykan von der Zentralstelle für Denkmalschutz befand sich die Sammlung bereits außer Landes. Exner sollte jedoch Zykans handschriftlicher Anmerkung zufolge bei den nächsten sich bietenden Gelegenheiten zum Zug kommen.178 Hinter der »Arisierung« des Antiquitätengeschäfts von Wilma Werner in der Augustinerstraße 8 durch Edith Sch. stand als treibende Kraft deren Vater, Anton Exner. Der nach der Übernahme in ein Fachgeschäft für Asiatika umgewandelte Betrieb, der von Exner in großem Stil mit Waren versorgt wurde, bestand allerdings nur wenige Jahre: Er wurde, wie der gesamte Philipphof, am 12. März 1945 bei einem schweren Luftangriff durch US-Flugzeuge vollständig zerstört. Die »Arisierung« des Betriebes war auch Gegenstand des gegen Anton Exner sowie Edith und Eduard Sch. eingeleiteten Volksgerichtsverfahrens, in dem gegen die Genannten auch wegen des Verdachts der »missbräuchlichen Bereicherung« ermittelt wurde. Edith Sch. hatte schon in der NS-Zeit gegenüber der Vermögensverkehrsstelle bestritten, dass es sich um eine »Arisierung« gehandelt habe, da sie nur das Geschäftslokal sowie Restposten von Warenbeständen übernommen und den Betrieb anschließend völlig neu ausgerichtet habe. Ihrem Einspruch war damals nicht stattgegeben worden: Sie musste zusätzlich zum Kaufpreis eine so genannte »Arisierungsauflage« bezahlen. Von mehreren Überlebenden der Shoah wurde nach dem Krieg im Rahmen von Volksgerichtsverfahren oder Rückstellungsprozessen der Vorwurf erhoben, Objekte aus ihrem Eigentum seien mutmaßlich in die Sammlung Exner gelangt. So entdeckte die 177 Vgl. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 31, Personenmappe Hans Amon, Anton Exner an die Zentralstelle für Denkmalschutz, 12. 2. 1939. 178 Vgl. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 31, Personenmappe Hans Amon; Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 78 ff. (Hans und Helene Amon).
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nach dem »Anschluss« aus Österreich geflüchtete Karoline Czeczowiczka anlässlich eines Besuches in Wien im Jahr 1953 im MAK zwei aus ihrer ehemaligen Sammlung stammende wertvolle chinesische Grabfiguren, die über Anton Exner ins Museum gelangt waren. Dieser hatte die Objekte 1927 aus China importiert und bald darauf an das Ehepaar Czeczowiczka, das zu seinen Stammkunden zählte, verkauft. 1930 hatten die Czeczowiczkas einen Prozess gegen Exner angestrengt, inzwischen überzeugt, dass die Keramiken Fälschungen wären. Nachdem ein Sachverständiger die Echtheit der Objekte bestätigt hatte, zogen sie die Klage jedoch zurück. Da dem Wunsch von Edwin und Karoline Czeczowiczka auf Herausgabe der ihnen nach dem »Anschluss« entzogenen Objekte in den 1950er Jahren keine Folge geleistet wurde und das Museum darauf pochte, die Objekte »gutgläubig« erworben zu haben, kam es zu einem Rückstellungsverfahren gegen die Finanzprokuratur als Vertreterin der Republik Österreich.179 Die Akten zum Rückstellungsprozess sind nicht mehr greifbar. Erhalten ist jedoch ein Artikel aus der Zeitung Neues Österreich vom 23. Dezember 1953 mit dem Titel Arisierte Grabfiguren in der Museumsvitrine, in dem der Fall ausführlich dargelegt wurde. In dem Verfahren hatte unter anderem der Asiatikahändler Kommerzialrat Förster180 Anton Exner schwer belastet: Exner sei 1938 der einzige Experte für ostasiatische Kunst gewesen und, da er bereits vor dem »Anschluss« illegaler Nationalsozialist gewesen war, der Vermögensverkehrsstelle zugeteilt worden. In dieser Funktion habe er Kunstgegenstände aus dem Besitz von Jüdinnen und Juden zu seinen eigenen Schätzpreisen angekauft. Prof. [sic!] Exner plante damals, ein Asiatisches Museum in Wien zu errichten. […] In seinem Fanatismus für dieses Werk ging er so weit, dass er beispielsweise jüdisches Transportgut, das bereits den Emigranten zur Verschiffung nach Hamburg nachgeschickt worden war, zurückbeorderte, weil er erfahren hatte, dass dieser ›Lift‹ einen Kunstgegenstand enthielt, der ihm für eine Serie fehlte. So kam der gesamte Transport zurück, der Krieg brach aus, und die Eigentümer im Ausland waren um ihr Hab und Gut gekommen.181
Förster erklärte dezidiert, dass Anton Exner ohne jeden Zweifel auch die chinesischen Grabfiguren der Familie C. (Czeczowiczka) – eine Prinzessin aus der Tang-Zeit und 179 Vgl. WStLA, M. Abt. 119, VEAV, I/C – 1552. Zur Sammlung Czeczowiczka vgl. auch LILLIE 2003, S. 274 f. Zur Arisierung der Kunsthandlung Werner siehe u. a. WStLA Vg Vr 9002/46. 180 Der Vorname wird in dem Artikel nicht genannt, somit ist nicht eindeutig geklärt, ob Paul oder Alexander Förster gemeint war. 181 Vgl. Arisierte Grabfiguren in der Museumsvitrine. Rückstellungsprozess eines emigrierten Wiener Ehepaares gegen die Republik Österreich. Nazi-Schätzmeister »sammelte« für ein geplantes Asiatisches Museum, in: Neues Österreich, 23. 12. 1953.
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404 Gabriele Anderl zwei Schlachtrösser –, einzigartige Stücke, für das Museumsprojekt zurückbehalten habe. Der Anwalt des betagten, nach der Vertreibung im Ausland lebenden Ehepaares Czeczowiczka hatte darauf hingewiesen, dass Edwin und Karoline Czeczowiczka bereits 1945 dem Leiter der Staatlichen Sammlungen, Alfred Stix,182 eine Suchliste mit sämtlichen ihnen während der NS-Zeit geraubten Kunstgegenständen übergeben hatten. Dessen ungeachtet habe das Museum die Figuren, die als »entzogenes« Gut bekannt gewesen sein müssten, aus der Verlassenschaft Exner übernommen.183 Die Sammlung Exner im MAK und im Weltmuseum repräsentiert ideell und materiell einen unschätzbaren Wert. Anton und Walter Exner hatten ihr Leben der Kunst Ostasiens gewidmet und sich überragende Kenntnisse der Materie angeeignet. Beide waren aber auch überzeugte Nationalsozialisten gewesen und ihre Sammelleidenschaft hatte mitunter, wie bei vielen anderen Kunstsammler_innen der Fall, obsessive Züge angenommen. Es bleibt zu bezweifeln, dass sie Gelegenheiten zur Erweiterung ihrer Sammlung während der NS-Zeit ungenutzt gelassen haben – die erwähnten Beispiele unterstreichen diese Annahme. Auch Anton Exner selbst hatte 1948, seinen früheren Beteuerungen widersprechend, bestätigt, »dass sich Stücke aus jüdischem Eigentum« in seinen Widmungen an das MAK befänden. Selbst wenn man die Umstände dieser Aussage berücksichtigt – Exner kämpfte zu diesem Zeitpunkt um die Rückgängigmachung seiner zweiten Schenkung –, bekräftigt sie die bestehenden Verdachtsmomente. In einem vom Direktor des MAK, Richard Ernst, verfassten Gedächtnisprotokoll vom 19. August 1948 wurde festgehalten, dass Anton Exner am selben Tag im Museum vorgesprochen und um Auskunft über die aus dem Dorotheum in das Museum überführten, zuvor sichergestellten Bestände seiner Sammlung gebeten hatte. Ernst machte Exner darauf aufmerksam, dass die Behörden – die Bundesministerien für Inneres, für Vermögenssicherung und für Unterricht sowie die Staatspolizei – aufgrund schriftlicher verbindlicher Erklärungen Exners der Auffassung seien, dieser habe nach Österreichs Befreiung 1945 und dann 1946 dem österreichischen Staat seinen gesamten Besitz an ostasiatischer Kunst als Widmung angeboten und überlassen. Exner erklärte demgegenüber, niemals eine solche Erklärung abgegeben zu haben – die Erklärungen seien ihm abgepresst worden. Von der Widmung bleibe nur die 1944 notariell durchgeführte Widmung aufrecht, alle späteren Erklärungen habe er nur gemacht, um 182 Der Kunsthistoriker Alfred Stix (1882–1957) war seit 1923 Direktor der Albertina und von 1933–1938 Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums gewesen. Seit 1945 war er Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Wiens. 183 Vgl. Arisierte Grabfiguren in der Museumsvitrine, in: Neues Österreich, 23. 12. 1953.
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Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten
seinen Privatbesitz zu retten. Er sei der Meinung gewesen, dass es einfacher sein würde, die Objekte vom Museum wieder in sein Eigentum zurückzubekommen, als wenn sie an den Staat fallen und versteigert würden. Des Weiteren heißt es in dem Gedächtnisprotokoll: Exner erklärte, er mache das Museum heute schon aufmerksam, dass es in einen Rattenschwanz von Prozessen verwickelt werde, denn in den Widmungen von 1945 und 1946 seien Stücke [enthalten] 1. Stücke, die nicht ihm sondern seinem Sohne 2. Stücke, die seiner Tochter [gehören würden] 3. Stücke, die ihm von Berufskollegen und Fremden zur Aufbewahrung übergeben worden [seien] 4. Stücke jüdisches Eigentum 5. Stücke ungeklärten Ankaufs aus dem Dorotheum184
Richard Ernst erinnerte Exner daran, dass dieser vom Museum mehrmals um die Abgabe einer Erklärung über die Provenienz seiner Sammlungen ersucht worden sei und das Museum »mündlich wie schriftlich die bestimmteste Versicherung erhalten habe, dass sie kein entzogenes Vermögen enthalten und nur sein [Exners] persönliches Eigentum seien. Das Museum wünsche kein entzogenes Eigentum in seinem Inventar. Herr Exner wurde an die Bestimmungen des Restitutionsgesetzes genau erinnert und die Gefahr, die bei Unterlassung einer Anmeldung für ihn bestehe.«185 Zu einer Rückgabe der zweiten Schenkung an Exner ist es nicht gekommen, ebenso wenig zu einer Anmeldung entzogener Objekte durch Exner. Seit 2013 bemüht sich die Verfasserin dieses Beitrags als Mitglied der Kommission für Provenienzforschung, mehr Licht in die Herkunft der Objekte aus der Sammlung Exner im Weltmuseum sowie im MAK zu bringen. Angesichts der ungünstigen Ausgangslage – des fast vollständigen Fehlens von Provenienzangaben – bleibt dies eine äußerst schwierige und aufwändige Aufgabe ohne Erfolgsgarantie. Begrenzt erscheinen auch die Chancen, Näheres über die Umstände der Erwerbungen Anton und Walter Exners in Asien in Erfahrung bringen zu können. Auch wenn dieser Aspekt den Auftrag der Provenienzforschung nicht direkt tangiert, wären Antworten auf diese Frage von großem Interesse.
184 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 860-48, Gedächtnisnotiz, verfasst von Dir. Richard Ernst, 19. 8. 1948, Betreff: Widmung Anton Exner. 185 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 860-48, Gedächtnisnotiz.
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Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung Abt. Abteilung AdK Akademie der Künste (Preußische) AdR Archiv der Republik AHF Alter Hilfsfonds AIKGS Archiv des Institutes für Kunstgeschichte der Universität Wien AMAE Archives du Ministère des Affaires Etrangères AOK Armeeoberkommando Aufl. Auflage Auss. Kat. Ausstellungskatalog AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv AV Aktenvermerk BAAK Berichte des Asienarbeitskreises Bd. Band Bde. Bände BDA-Archiv Archiv des Bundesdenkmalamtes BDA Bundesdenkmalamt BDC Berlin Document Center bes. besonders Bez. Pol. Koat. Bezirkspolizeikommissariat BG Bezirksgericht BGBl Bundesgesetzblatt BK Bibelkreis BMF Bundesministerium für Finanzen BMU Bundesministerium für Unterricht BMI Bundesministerium für Inneres BMUKK Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur BMVS (auch BMfVuW) Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung BRD Bundesrepublik Deutschland bzw. beziehungsweise CSR
Tschechoslowakei
DAF DDR d. h. DÖW Dsch
Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik das heißt Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Denkmalschutz
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408 Abkürzungsverzeichnis ED Ebd. ERR EZ
Erster Direktor ebenda Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg Einlagezahl
FB fl. FLD f. frz.
Fachbereichsbibliothek Gulden Finanzlandesdirektion folio französisch
GA Gauakt GD Generaldirektion geb. geboren GESTAPO Geheime Staatspolizei GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GZ Geschäftszahl H Hg. HHStA
Höhe Herausgeber_in Haus- Hof- und Staatsarchiv
IKG Inv. Inv. Nr. I.N. ISZ
Israelitische Kultusgemeinde Inventar Inventar Nummer Inventar Nummer Internationale Sammler-Zeitung
Jg. jun.
Jahrgang Junior
KA Kriegsarchiv KHM Kunsthistorisches Museum k.k.- kaiserlich königlich k. u. k. kaiserlich und königlich KKGB Kunst- und Kulturgutsbereinigungsgesetz KL Kommissarischer Leiter KP Kommunistische Partei Kt. Karton KBW Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg KPQ Kriegspressequartier
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409
Abkürzungsverzeichnis
KUWO
Kunst und Wohnung
LG f ZRS LG St LHG LMP
Landesgericht für Zivilrechtssachen Landesgericht für Strafsachen Leihgabe Leopoldmuseum Privatstiftung
M. M.-Abt. MA MA 8 MAK MUMOK Mü MVK
Mappe Magistratsabteilung Magistrat Magistratsabteilung 8 (Wiener Stadt- und Landesarchiv) Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien Museum Moderner Kunst – Stiftung Ludwig Wien München Museum für Völkerkunde, heute Weltmuseum Wien
NB Han NHM NL NN Nr. NS NSDAP NSV NSZ
Handschriftensammlung der Nationalbibliothek Naturhistorisches Museum Nachlass nomen nescio Nummer Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Nationalsozialistische Zeitung
o. A. o. D. O. G. o. J. ÖAW Obj ÖBL ÖMV ÖNB ÖStA ÖTM
ohne Angabe ohne Datum Ortsgruppe ohne Jahr Österreichische Akademie der Wissenschaften Objekt/Objekte Österreichisches Biographisches Lexikon Österreichisches Museum für Volkskunde Österreichische Nationalbibliothek Österreichisches Staatsarchiv Österreichisches Theatermuseum, seit Sommer 2014 Theatermuseum
PA PM Pol. Dion. Prof.
Personalakt Personenmappe Polizeidirektion Professor_in
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410 Abkürzungsverzeichnis RA RAVAG Rest. Mat. RGBl RM RSK
Rechtsanwalt Österreichische Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft Restitutionsmaterialien Reichsgesetzblätter Reichsmark Reichsschrifttumskammer
SA SAM S. S. SD Sign. SMB, ZA SS StAM StGBl
Sturmabteilung Sammlung alter Musikinstrumente Schilling Seite Sicherheitsdienst der SS Signatur Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv Schutzstaffel der NSDAP Staatsarchiv München Staatsgesetzblatt
TMS TLMF
The Museum System Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
u. a. UAAbKW UAW UB Univ. Diss. USA
unter anderem Universitätsarchiv der Akademie bildenden Künste Wien Universitätsarchiv Wien Universitätsbibliothek Universitäts-Dissertation United States of America
v. VA VEAV vgl. VF VÖB Vugesta VVSt VgVr
von Vermögensanmeldung Vermögensentziehungs - Anmeldeverordnung vergleiche Vaterländische Front Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo Vermögensverkehrsstelle Volksgerichtsverfahren
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Abkürzungsverzeichnis
WKO WStLA WU WV WZ
Wirtschaftskammer Österreich Wiener Stadt- und Landesarchiv Wirtschaftsuniversität Wien Werkverzeichnis Wiener Zeitung
ZA-Sammlung Zeitungsausschnitt-Sammlung z. B. zum Beispiel ZEST Zentralevidenzstelle zit. n. zitiert nach Zl. Zahl ZNSZ Zivilakten NS Zeit
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Abbildungsverzeichnis Susanne Hehenberger und Monika Löscher, Die Sammlung Gustav Benda, Abb. 1: TMW (Inv. Nr. 31285/1), Abb. 2: Monika Löscher, Abb. 3: MAK (Malerei 85), Abb. 4: KHM (KK 9104), Abb. 5: KHM-Archiv (AR XV 1713). Claudia Spring, »So schön wie in Schönbrunn schneit es nirgends auf der Welt«: Der Sammler, Forscher und Publizist ernst Moriz Kronfeld, Abb. 1: ÖNB/Wien, ANNO-Archiv, Abb. 2, 3, und 4: NHM, Mario-Dominik Riedl, Abb. 5: Claudia Spring, Abb. 6: Weltmuseum Wien (MVK VF 8035), Abb. 7: Tiergarten Schönbrunn, Wien. Harold H. Chipman und Leonhard Weidinger, Ein Enthusiast für Industrie und Kunst – Willibald Duschnitz, Abb. 1, 3.1., 4.3.: Privatarchiv Harold Chipman, Abb. 2.1.: Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, inv. n° 20594, Foto: Bettina Jacot-Descombes, Abb. 2.2.: Saint Louis Art Museum, USA, Abb. 2.3., 4.2. und 5.3.: Memorial Art Gallery of the University of Rochester, USA, Abb. 3.2. und 3.3.: Public Domain / Rukschcio/Schachel, Adolf Loos, Leben und Werk, SalzburgWien 1982, S. 512, Abb. 4.1.: Public Domain / Ausstellungskatalog »Drei Jahrhunderte Vlämische Kunst«, Secession, Wien, 11. Jänner – 23. Februar 1930, Abb. 5.1.: Johnny Van Haeften, London, Abb. 5.2.: Brian Koetser, Zürich, Schweiz, Abb. 6.1.: Lempertz, Köln, Abb. 6.2.: Eva Klabin Foundation and Museum, Rio de Janeiro, Brasilien, Abb. 6.3.: Abegg-Stiftung, Riggisberg, Schweiz, 1996, Foto: Christoph von Viràg. Alexandra Caruso und Anneliese Schallmeiner, Getrennt und gemeinsam: Die sammelnden Brüder Gottfried und Herrmann Eissler, Abb. 1.1.: Archiv der Universität Wien, Abb. 1.2.: Historisches Archiv des Belvedere Zl. 694/1924, Abb. 1.3. Privat, Wien, in: Versteigerungskatalog Nachlass Gottfried Eissler. Gemälde, Aquarelle, Miniaturen, Plaketten, Silber, Keramik etc., Wien 1925. (illustrierte und limitierte Auflage, Privat Wien), Abb. 2.1., 2.2., 2.3., 4 und 7: Privat, Wien, Abb. 3, 5.2.: BDA-Archiv, Abb. 5.1., 5.3., 6.1., 6.2., 6.3.: BDA-Fotoarchiv. Pia Schölnberger, Emil Geyer – Ein Sammler im Verborgenen, Abb. 1 und 2: Privatbesitz London, Foto: Albertina Wien, Abb. 3: Archiv des Max Reinhardt Seminars, Universität für Musik und darstellende Kunst. Herzlichen Dank an Susanne Gföller. Julia Eßl, »Niemand wollte diese Bilder …«. Die Privatsammlung Dr. Oskar Reichel, Abb. 1: Julia Eßl, Abb. 2: Belvedere, Wien, Abb. 3: Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Beilage zu H.I.N. 224880, Abb. 4: ÖNB Wien Sign. 587.611-B Neu – Österr. Werkbund. Der gute billige Gegenstand. Ausstellung im Österr. Museum f. Kunst u. Industrie Wien, 1931-1932. Seite 68 (Anzeige Lorenz Möbel) und Sign. 636.694-C. 3.1935 Neu – Profil. Österreichische Monatsschrift für bildende Kunst, Ausgabe 01.01.1935, Rückseite Titelblatt.
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Abbildungsverzeichnis
Lisa Frank, Interieur mit Herrenbildnis/Die Sammlung Ernst und Gisela Pollack, Abb. 1, 3 und 4: Privatbesitz Toronto, Abb. 2 und 5: BDA-Archiv. Anita Stelzl-Gallian, Für immer verloren. Der Sammler Richard Kulka (1863–1931) und die Familiensammlung Heißfeld – Kulka, Abb. 1: BDA-Fotoarchiv. Wiebke Krohn, »Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann«. Besitzverhältnisse in der Sammlung und den Galerien Alfred Flechtheims, Abb. 1 und Abb. 2: Public Domain/ George Grosz papers bMS Ger 206 Nr. 116, Houghton Library, Harvard University. René Schober, Jehudo Epstein – Karriere eines vergessenen Malers, Abb. 1 und 2: Albertina Wien, in: Martin Buber (Hg.), Jüdische Künstler, Berlin 1903, S. 157 und S. 165, Abb. 3: Privatbesitz, Wien, in: A. F. Seligmann, Jehudo Epstein, in: Moderne Welt. Kunst, Literatur, Mode, 10 (1920/21), S. 1, Abb. 4: Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, P-10981, Abb. 5: Familienbesitz. Christina Gschiel, Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung, alle Abbildungen: Österreichisches Theatermuseum, Wien. Monika Mayer, Egon Schiele und das Belvedere/Versuch einer Sammlungs- und Rezeptionsgeschichte 1912–2003, Abb. 1, 3 und 4: Belvedere, Wien, Abb. 2: Privatbesitz, Wien, Abb. 5: Leopold Museum, Wien. Olivia Kaiser-Dolidze und Markus Stumpf, Wien – London und retour? NS – Provenienzforschung an der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte der Universität Wien, alle Abbildungen: Universitätsbibliothek, Wien. Gabriele Anderl, »Nicht einmal abschätzbarer Wert…«. Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten – und ihre Sammlung asiatischer Kunst in Wien, Abb. 1: SiebenbergVerlag, Bad Wildungen, Abb. 2 und 3: Weltmuseum Wien (Inv. Nr. Vo 126066) und (Inv. Nr. Vo 126067), Abb. 4: Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Abb 5 und 6: Archiv des Österreichischen Instituts für China- und Südostasienforschung.
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Verzeichnis der Autor_innen Gabriele Anderl, Wissenschaftlerin und Autorin in Wien; war Mitarbeiterin der Historikerkommission der Republik Österreich. Seit 2005 Provenienzforschung im Weltmuseum Wien, seit 2013 mit der Überprüfung der Sammlung Exner dort sowie im MAK befasst. Zahlreiche Publikationen zu zeithistorischen Themen unter anderem zu NS-Vertreibungs- und Beraubungspolitik, NSKunst- und Kulturgutraub, Kunsthandel, Exilforschung; journalistische Beiträge für Radio und Printmedien. Buchpublikationen (Auswahl): NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen (herausgegeben mit Alexandra Caruso, 2005), »9096 Leben«. Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer (2012); Jüdisches Leben in der Wiener Vorstadt. Ottakring und Hernals (mit Evelyn Adunka, 2013). Eva Blimlinger, Historikerin; 1999–2004 Forschungskoordinatorin der Historikerkommission der Republik Österreich, 2004–2011 Leiterin der Abteilung für Projektkoordination und Prozessmanagement Kunst- und Forschungsförderung, der Universität für angewandte Kunst, seit 2011 Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, seit 2008 Wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung, seit 2008 stellvertretende Vorsitzende im Kunstrückgabebeirat des Bundes; langjährige Lehrtätigkeit an österreichischen Universitäten, zahlreiche Veröffentlichungen zu Frauengeschichte, Nationalsozialismus und zur Zweiten Republik. [email protected] Alexandra Caruso, Kunsthistorikern, Kulturmanagerin und Übersetzerin, seit 2000 in der Provenienzforschung tätig, seit 2006 Mitarbeiterin der Kommission für Provenienzforschung; NSKunstraub in Österreich und die Folgen (hg. mit Gabriele Anderl, 2005), [email protected] Harold H. Chipman, Psychologe, Lehre und Forschung an Universitäten in der Schweiz, Deutschland, Australien und den USA; heute Dozent, Trainer und Coach in den Bereichen Management, Führung, Kommunikation und interkulturelle Angelegenheiten am Arbeitsplatz. Die UNO und große internationale Firmen zählen zu seinen Kunden. Er spricht fünf Sprachen und ist Autor zahlreicher Publikationen; außerdem hat er in den USA beim Fernsehen gearbeitet. Seit mehreren Jahren schon widmet er sich dem Erforschen seiner eigenen Familiengeschichte sowie der Genealogie jüdischer Familien in Mitteleuropa. [email protected] Julia Eßl, Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien; von 2005–2011 für den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus in der Arbeitsgruppe Kunstrestitution tätig; seit Mai 2011 Provenienzforscherin in der Albertina im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung. [email protected]
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Verzeichnis der Autor_innen
Lisa Frank, Ausbildung zu Grafikdesignerin an der Werbe Akademie Wien, Studium der Kunstgeschichte und der Romanistik an der Universität Wien. Seit 2008 Provenienzforscherin im Büro der Kommission für Provenienzforschung, zudem seit 2014 Provenienzforschung im Naturhistorischen Museum in Wien. [email protected] Christina Gschiel, Studium der Kunstgeschichte mit vertiefendem Schwerpunkt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz. Diplomarbeit zum Thema Sammlung Heinrich Rothberger aus Sicht der Restitution (2008). Seit September 2009 bis Dezember 2013 Provenienzforscherin im Österreichischen Theatermuseum. Von Jänner bis Juni 2014 Provenienzforscherin in der Österreichischen Galerie Belvedere im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung, ab Juli 2014 Rückkehr ins Theatermuseum in derselben Funktion. schneidern und sammeln – Die Wiener Familie Rothberger (2010, herausgegeben mit Ulrike Nimeth und Leonhard Weidinger) in dieser Schriftenreihe. In Zusammenarbeit mit René Schober Leitung des Projektes Datenbank der Provenienzmerkmale. [email protected] Susanne Hehenberger, Historikerin, seit 1999 an verschiedenen Forschungsprojekten beteiligt, seit 2002 Universitätslektorin für Geschichte, 2001–2003 DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die 2003 fertig gestellte Dissertation über Sodomie im frühneuzeitlichen Österreich wurde mit dem Michael Mitterauer Förderungspreis 2004 ausgezeichnet. 2006–2012 Koordinatorin der Zeitschrift Frühneuzeit-Info; seit 2009 Vorstandsmitglied des Instituts für die Erforschung der Frühen Neuzeit, 2011–2014 FWF-Projektmitarbeiterin am Institut für Geschichte der Universität Wien. Seit 2009 Provenienzforscherin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung im Kunsthistorischen Museum in Wien. http://homepage.univie.ac.at/susanne.hehenberger/ [email protected] Olivia Kaiser-Dolidze, Studium der Geschichte und Cultural Studies in Wien und Madrid. Von 2010–2011 Projektmitarbeiterin bei www.ns-quellen.at; 2011–2012 Provenienzforschung in der Parlamantsbibliothek; weiters Provenienzforscherin an der Universitätsbibliothek Wien, Mitglied der Arbeitsgruppe NS-Provenienzforschung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB); Vorstandsmitglied im Verein GEDENKDIENST – Verein für historisch-politische Bildungsarbeit und internationalen Dialog; Vorstandsmitglied in der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen. [email protected] Wiebke Krohn, studierte Neue und Mittlere Geschichte, Alte Geschichte und Musikwissenschaft an der Universität zu Köln. 2005–2008 in Teilzeit Administratorin bei der Association of European Jewish Museums; 2005–2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jüdischen Museum der Stadt Wien; seither Provenienzforscherin am Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und Mitarbeiterin des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. [email protected]
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416 Verzeichnis der Autor_innen Monika Löscher, Historikerin, 1998–2000 freie Mitarbeiterin der Kommission für Provenienzforschung am Museum für Völkerkunde in Wien; 2000–2003 Referentin beim Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus; 2003–2004 DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; 2004–2007 DFG Forschungsprojekt über Eugenik und Rassenhygiene im katholischen Milieu in Deutschland und Österreich. 2007–2008 Mitarbeiterin des Projekts Provenienzforschung an den Fachbereichs- und Institutsbibliotheken der Universitätsbibliothek Wien; seit 2009 Provenienzforscherin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung im Kunsthistorischen Museum in Wien. [email protected] Monika Mayer, Historikerin, Leiterin des Archivs der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien, Mitglied der Kommission für Provenienzforschung. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zur Museumsgeschichte, Provenienzforschung und zur Kunstpolitik im Austrofaschismus und Nationalsozialismus; Kunst sammeln – Kunst handeln Beiträge des internationalen Symposiums in Wien in dieser Schriftenreihe (2012, herausgegeben mit Eva Blimlinger). [email protected] Anneliese Schallmeiner, Kunsthistorikerin; seit 1998 in der Provenienzforschung tätig; seit 2012 Betreuung des Archivs des Bundesdenkmalamtes. [email protected] René Schober, Jurist und Kunsthistoriker mit Schwerpunkten in Provenienzforschung, Kulturrecht, bildender Kunst des 20. Jahrhunderts und Plakatkunst. Wissenschaftliche Tätigkeit im Museum für angewandte Kunst Wien und der Kunstsammlung der Universität für angewandte Kunst Wien. 2009–2011 Provenienzforschung in der Kunstsammlung der Universität für angewandte Kunst Wien; seit 2013 an der Akademie der bildenden Künste Wien im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung. In Zusammenarbeit mit Christina Gschiel Leitung des Projekts Datenbank der Povenienzmerkmale. [email protected] Heinz Schödl, Kunsthistoriker; 1997–2004 Studium der Rechtswissenschaften, der Geschichte, der Philosophie und der Kunstgeschichte in Wien, Basel und Cambridge; seit 2005 im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, seit 2014 im Bundeskanzleramt, seit 2008 stellvertretender Abteilungsleiter und stellvertretender administrativer Leiter der Kommission für Provenienzforschung; 2011 Promotion in Kunstgeschichte. [email protected] Pia Schölnberger, Diplom- und Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; unter anderem Mitarbeit beim Allgemeinen Entschädigungsfonds sowie in den NS»Euthanasie«-Gedenkstätten Hartheim und Am Spiegelgrund; 2008–2011 Projektmitarbeit zu politisch motiviertem Vermögensentzug in Wien 1933–1938 am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien; 2012 Dissertation über das austrofaschistische Anhaltelager Wöllersdorf; Lehrtätigkeit an der Universität Wien. Seit 2011 Provenienzforscherin in der Albertina im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung. [email protected]
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Verzeichnis der Autor_innen
Claudia Andrea Spring, Historikerin und Coach in Wien; Sozialarbeiterin (1982), Sozialpädagogin (1983), Historikerin (1999), Coach (2012) Forschungsschwerpunkte: Österreichische Zeitgeschichte, Medizin- und Rechtsgeschichte; wissenschaftliche Mitarbeit in der Historikerkommission der Republik Österreich, dem FWF-Forschungsprojekt Anthropologie im Nationalsozialismus. Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien 1938–1945 sowie der Kommission für Provenienzforschung/BDA im Naturhistorischen Museum Wien. Zahlreiche Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten österreichische Zeitgeschichte, Medizin- und Rechtsgeschichte – etwa Zwischen Krieg und Euthanasie: Zwangssterilisationen in Wien 1940-1945 (2009). www.claudia-spring.at Anita Stelzl-Gallian, Kunsthistorikerin, seit 1997 im Archiv des Bundesdenkmalamtes; seit 1998 für die Kommission für Provenienzforschung tätig. Beteiligung an Publikationen. [email protected] Markus Stumpf, Leiter der NS-Provenienzforschung und der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien; Vortragender am Institut für Zeitgeschichte und im ULG Library and Information Studies; Mitbegründer (2008) und Vorsitzender (2009–2014) der Arbeitsgruppe NS-Provenienzforschung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB); seit 2009 Vorstandsmitglied der VÖB. Zahlreiche Publikationen – zuletzt etwa NS-Provenienzforschung an Österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (2011, herausgegeben mit Bruno Bauer und Christina Köstner-Pemsel). [email protected] Leonhard Weidinger, selbständiger Historiker und Multimedia/Web-Producer in Wien; seit 2005 Provenienzforscher im MAK; seit 2006 Mitherausgeber der Frühneuzeit-Info; 2011–2013 Mitarbeit am vom Getty Research Institute initiierten Projekt German Sales 1930–1945. Mitherausgeber der Bände 1 (2009) und 2 (2010) der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung. Diverse Publikationen und Produktionen in verschiedenen Medien, unter anderem eine Videodokumentation über das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz; Forschungsschwerpunkte: österreichische Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert, (digitale) Medien in der Geschichtswissenschaft. [email protected]
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SCHRIFTENREIHE DER KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG HERAUSGEGEBEN VON EVA BLIMLINGER UND HEINZ SCHÖDL
SUSANNE HEHENBERGER, MONIKA LÖSCHER ( HG. ) DIE VERKAUFTE MALKUNST JAN VERMEERS GEMÄLDE IM 20. JAHRHUNDERT (SCHRIFTENREIHE DER KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG , BD. 4) 2012 . 339 S. ZAHLR. S / W- U. FARB. ABB. GB. MIT SU. € 39,00 | 978-3-205-78816-4
EVA BLIMLINGER, MONIKA MAYER ( HG. ) KUNST SAMMELN , KUNST HANDELN BEITRÄGE DES INTERNATIONALEN SYMPOSIUMS IN WIEN (SCHRIFTENREIHE DER KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG , BD. 3) 2012 . 324 S. 30 S / W- U. FARB. ABB. GB. MIT SU. € 39,00 | 978-3-205-78753-2
CHRISTINA GSCHIEL , ULRIKE NIMETH , LEONHARD WEIDINGER ( HG. ) SCHNEIDERN UND SAMMELN DIE WIENER FAMILIE ROTHBERGER (SCHRIFTENREIHE DER KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG , BD. 2) 2010 . 333 S. ZAHLR. S / W- U. FARB. ABB. , 1 CD-ROM. GB. MIT SU. € 35,00 | 978-3-205-78414-2
GABRIELE ANDERL , CHRISTOPH BAZIL , EVA BLIMLINGER , OLIVER KÜHSCHELM , MONIKA MAYER , ANITA STELZL-GALLIAN , LEONHARD WEIDINGER (HG.) … WESENTLICH MEHR FÄLLE ALS ANGENOMMEN 10 JAHRE KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG (SCHRIFTENREIHE DER KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG , BD. 1) 2009 . 569 S. 60 S / W- U. FARB. ABB. BR. € 35,00 | 978-3-205-78183-7
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MEIKE HOPP
KUNSTHANDEL IM NATIONALSOZIALISMUS: ADOLF WEINMÜLLER IN MÜNCHEN UND WIEN
Adolf Weinmüller (1886–1958) betrieb seit 1921 eine Kunsthandlung in München und eröffnete 1936 – nachdem der jüdische Kunsthändler Hugo Helbing sein Auktionshaus hatte schließen müssen – das in den Folgejahren nahezu konkurrenzlose „Münchener Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller“. Zu seinem Kundenkreis gehörten NSDAP-Funktionäre wie Martin Bormann oder Händler wie die Galeristin Maria Almas-Dietrich, die gezielt Werke an Hitlers „Sonderauftrag Linz“ vermittelte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 arisierte Adolf Weinmüller auch das Traditionshaus der jüdischen Kunsthändlerfamilie Kende in Wien. Nicht nur für die Provenienzforschung, auch für Forschungen zum Kunsthandel in der Zeit des Nationalsozialismus spielt Adolf Weinmüller eine wichtige Rolle. Seine Person und seine Aktivitäten zwischen 1936 und 1945 stehen im Zentrum dieses Bandes, der aus einem gemeinsamen Projekt des Münchener Kunstauktionshauses Neumeister und des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München hervorgeht. 2012. 411 S. 48 S/W-ABB. FRANZ. BR. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20807-3
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Christiane hoffr ath
BüCherspuren Das sChiCksal von elise unD helene riChter unD ihrer BiBliothek im »Dritten reiCh«
Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eroberten sich Elise und Helene Richter einen Platz in der akademischen und kulturellen Welt Wiens. An ihrem Lebensabend konnten sie auf eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftlerinnen und Publizistinnen zurückblicken. Mit dem Anschluss Österreichs an das »Deutsche Reich« 1938 waren Elise Richter, die erste Universitätsprofessorin Österreichs, und Helene Richter, die Anglistin und Theaterhistorikerin, als Jüdinnen den Verfolgungen der Nationalsozialisten ausgesetzt. Am Ende blieb ihnen nur noch ihre umfangreiche, bedeutende Privatbibliothek. Sie verkauften ihre Bücher in der Hoffnung, damit die fälligen Judenabgaben bezahlen zu können und der drohenden Deportation zu entgehen. Das Buch schildert den Lebensweg der Schwestern, der 1943 in Theresienstadt endete. Zugleich geht es der Frage nach, wie es dazu kam, dass sie den größten Teil ihrer Bücher 1941 an die tausend Kilometer entfernte Universitäts- und Stadtbibliothek Köln veräußerten. Detektivische Kleinarbeit und die Suche nach Spuren in tausenden von Büchern der größten Bibliothek Nordrhein-Westfalens waren nötig, um die Geschichte der Schwestern und ihrer Bibliothek schreiben zu können. 2. durchgesehene und ergänz te AuflAge 2010. 225 s. 14 s/w-Abb. Auf 8 tAf. gb.155 x 230 mm. Isbn 978-3-412-20651-2
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