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German Pages 440 Year 2023
Sabine Küntzel Kolonialismus im Krieg
Global- und Kolonialgeschichte | Band 17
Sabine Küntzel (Dr. phil.), geb. 1985, ist Historikerin und lebt in Berlin. Sie promovierte an der Technischen Universität Dresden, an der sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte und im Sonderforschungsbereich 1285 »Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung« tätig war. Zuvor studierte sie Germanistik und Geschichte in Freiburg, Leipzig und Berlin. Sie interessiert sich besonders für kulturhistorische und globale Perspektiven auf die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Sabine Küntzel
Kolonialismus im Krieg Die Kriegserfahrung deutscher Wehrmachtsoldaten im Nordafrikafeldzug, 1941-1943
Die dieser Publikation zu Grunde liegende Dissertation wurde gefördert mit Mitteln des Sächsischen Landesstipendiums und der
Die vorliegende Publikation ist im Rahmen der Tätigkeit der Autorin an der Technischen Universität Dresden, Institut für Geschichte, Professur für Neuere und Neueste Geschichte, erstellt worden und wurde von der Technischen Universität Dresden finanziell unterstützt. Lektoriert und gedruckt mit freundlicher Unterstützung von: Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Jan Gerbach, Bielefeld Umschlagabbildung: Zeichnung von Regina Weihofen, aus »›Sonderbare Sachen passieren hier‹. Ein illustriertes Kriegstagebuch«, Abschlussarbeit in Kommunikationsdesign (B.A.) an der Hochschule Trier, 2019. Lektorat: Christoph Roolfs Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6778-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6778-7 https://doi.org/10.14361/9783839467787 Buchreihen-ISSN: 2701-0309 Buchreihen-eISSN: 2702-9328 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Danksagung ....................................................................................9 Einleitung ..................................................................................... 11 Forschungsstand und Fragestellung ............................................................ 12 Theoretische Zugänge......................................................................... 22 Quellen ........................................................................................ 31 Aufbau des Buches............................................................................ 39 Anmerkungen zur Sprache ..................................................................... 41
Teil I: Kriegsraum »Afrika« – soldatische Erwartungen, Enttäuschungen und Deutungen 1 1.1 1.2 1.3
Verheißungsvolles »Afrika« ............................................................ Kolonialhistorischer Kontext ............................................................. Kolonialphantasien und Exotismus........................................................ Krieg statt Abenteuer ....................................................................
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Bedrohte Körper: die Natur als Feind.................................................... 71 Wetterverhältnisse ........................................................................72 Ungewohnt und unzureichend – die Verpflegung .......................................... 78 »Unzivilisierte« Zustände ................................................................ 82 Krankheit und Raum ..................................................................... 92
3 3.1 3.2 3.3
Bedrohter Geist: der Raum als Fremde ................................................. 99 »Gelber Höllenhund« ..................................................................... 99 »Tropenkoller« und Kriegsmüdigkeit .....................................................103 Orientierungslos im »leeren« Raum ......................................................106
45 45 50 64
4
Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung .............................. 113
Teil II: Selbstkonstitution im »fremden« Raum 5 5.1 5.2 5.3 5.4
Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit ................................125 Disziplin und Härte als soldatische Tugenden .............................................125 Körperdisziplin in Nordafrika .............................................................133 Körperliche und materielle Zeichen der Männlichkeit .....................................140 Emotionale Vergemeinschaftung als »Afrika- Soldaten« ................................... 149
6 6.1 6.2 6.3
Männlichkeit in Abgrenzung zu den »Anderen«.........................................165 »Harte« Deutsche versus »faule« Italiener ...............................................165 Die Alliierten als »eitle« und »einfältige« Gegner ......................................... 175 Die lokale Bevölkerung als Spiegel deutscher Männlichkeit ................................186
7 7.1 7.2 7.3
Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer ............................................... 205 Baden, Besichtigen, Fotografieren: Touristische Praktiken im Krieg ....................... 205 Exotische Pflanzen und Tiere: Beweise abenteuerlicher Männlichkeit ..................... 220 Selbstverortung auf den Spuren Karl Mays ............................................... 228
8 8.1 8.2 8.3 8.4
»Heimat« in der »Fremde« ............................................................ 239 Die »Heimat« im Krieg .................................................................. 239 Heimatliche Hygiene und Nahrungsmittel ................................................ 246 »Fremde« Landschaft – heimatliche Landschaft ......................................... 253 Die Kehrseite der Heimatpraktiken: Heimweh und Kriegsmüdigkeit ....................... 265
TEIL III: Aneignung des »Fremden« 9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
Die Soldaten und die lokale Bevölkerung ............................................. 273 Der Nordafrikafeldzug im Kontext deutsch- arabischer Verhältnisse ...................... 273 Selbst- Exotisierung und kulturelle Aneignung ........................................... 292 Fotografieren, Filmen, Zeichnen: Aneignung durch Abbildung ............................. 297 Zwischen »Rassenschande« und Begehren – Kontakt mit Frauen im Kriegsgebiet .......... 316 Die lokale Bevölkerung im Dienst der Wehrmacht ........................................ 326
10 10.1 10.2 10.3
Zerstörung, Hass und Gewalt ...........................................................341 Die Folgen des Krieges für die lokale Bevölkerung......................................... 341 »Ich hasse dieses Volk« – Hass und Gewalt gegen die lokale Bevölkerung ..................351 Judenverfolgung in Nordafrika .......................................................... 360
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Der Nordafrikafeldzug als Kolonialkrieg?.............................................. 367
Schluss ..................................................................................... 379 Einordnung der Ergebnisse ................................................................... 386 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................391 Abbildungsverzeichnis ...................................................................... 393 Quellen- und Literaturverzeichnis........................................................... 395 I. Quellen ................................................................................. 395 II. Literatur ................................................................................ 400 III. Internetseiten .......................................................................... 438
Danksagung
Dieses Buch ist die überarbeitete Version meiner Doktorarbeit, die ich im Juni 2021 an der Technischen Universität Dresden eingereicht habe. Seit den ersten Überlegungen war die Arbeit an der Dissertation eine beständige Reise, bei der ich tief in andere Zeiten und Personen eintauchen und viel über mich selbst und meine Wahrnehmung der Welt lernen konnte. Nun soll das Buch auch andere dazu anregen, die eigenen Denkweisen und Zuschreibungen zu hinterfragen und sich bewusst zu machen, wie oft der eigene Blick von rassistischen Stereotypen und imaginativen Raumbildern geprägt ist. Denn diese beeinflussen das individuelle und gesellschaftliche Handeln, mindern nicht selten die Empathie für Betroffene von Krieg und Gewalt und verstellen den Weg für die Menschen, die dem entfliehen wollen. Wie alle Dissertationen wäre auch diese ohne die Hilfe vieler unterschiedlicher Menschen nicht möglich gewesen. Ihnen allen möchte ich hier herzlich danken: Meine Erstbetreuerin Dagmar Ellerbrock hat mich seit mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt auf meinem wissenschaftlichen Weg begleitet und unterstützt. Sie ermutigte mich, diese Arbeit zu schreiben und führte mit mir wichtige Diskussionen zur theoretischen Konzeption. Daneben danke ich meinem Zweitbetreuer Patrick Bernhard für die tolle FernBetreuung. Er hat sich immer wieder viel Zeit genommen und mir stets hilfreich zur Seite gestanden. Seine eigenen Forschungsarbeiten zum Krieg in Nordafrika bilden einen wichtigen Grundstein für dieses Buch. Großer Dank gilt auch Stefan Petke, der mich mit Patrick bekannt gemacht hat und zudem hilfreiche Anmerkungen zu meiner Arbeit hatte. Neben ihm haben noch zahlreiche weitere Kolleg*innen durch ihre Nachfragen und Kommentare geholfen, diese Arbeit zu schreiben und zu verbessern. Allen voran meine Dresdner Kolleg*innen vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte: Dorothea Dils, Silke Fehlemann, Johannes Schütz und Stephanie Zloch danke ich für jahrelange Unterstützung in fachlicher und moralischer Hinsicht und Jonas Hauswald für die Hilfe bei der Edition der Fußnoten. Außerdem möchte ich den Kolleg*innen danken, die mich bei der Stipendienbeantragung und im Verlauf des Schreibens mit Ideen, Kommentaren und Hinweisen unterstützt haben: Felix Axster, Jonas Kühne, Birthe Kundrus, Thomas Schlemmer und Michael Wildt. Ein besonderer Dank gebührt Petra Bopp, die mir nicht nur spannende Quellen zur Verfügung gestellt hat, sondern mir mit ihrer Erfahrung bei der Arbeit
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
mit Knipseraufnahmen und ihrer Bereitschaft zu langen Gesprächen sehr geholfen hat. Nachdrücklich möchte ich auch Mala Loth und Christian Schmittwilken danken für ihre Ratschläge alle Ebenen der Promotion betreffend, ihr immer offenes Ohr und die langjährige freundschaftliche wie kollegiale Unterstützung auf diesem Weg! Nicht zu vernachlässigen ist auch die Hilfe zahlreicher Archivmitarbeitenden, die mir mit Rat und Tat bei der Quellenrecherche zur Seite standen. Insbesondere Gunnar Goehlen von der Museumsstiftung Post-und Telekommunikation hat mir mit seinem Wissen und seiner Begeisterung für die Quellen geholfen und mich inspiriert. Finanziell ermöglichten verschiedene Förderungen, für die ich mich herzlich bedanke, die Arbeit. Dabei bin ich besonders glücklich darüber, dass ich von der Heinrich-BöllStiftung nicht nur eine finanzielle Unterstützung erhalten habe, sondern auch ideell gefördert wurde und so zahlreiche Kontakte und Einsichten gewinnen durfte. Außerdem danke ich Christoph Roolfs für seine Arbeit als Lektor sowie Julia Wieczorek und vor allem Mirjam Galley vom transcript Verlag für ihre Geduld und großartige Hilfe auf dem Weg zum fertigen Buch. Zu dessen Vollendung hat auch Regina Weihofen mit ihrer Großzügigkeit beigetragen, indem sie mir erlaubte, in meiner Arbeit nicht nur Quellen aus dem Familienbesitz zu verwenden, sondern auch eine Zeichnung aus ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Krieg in Nordafrika zum Cover zu machen. Vielen herzlichen Dank dafür, das hat das Buch für mich rund gemacht! Für die moralische Unterstützung in den letzten Jahren danke ich meinem Promotions-Zielteam, das mir immer wieder geholfen hat, den Fokus zu finden und dranzubleiben. Vielen Dank an Lennard Alke, Elise Hanrahan, Elisabeth Hornberger, Matthias Pohl, Rafael Postpischil, Karen Siebert, und besonders Jan Dammel auch fürs Lesen und Diskutieren. Zudem hätte ich die Abgabe in der Coronapandemie ohne die Hilfe zahlreicher Freund*innen niemals geschafft: Danke an euch im Kitagarten und Mauerpark fürs Ablenken und den Kopf frei kriegen – dafür auch Danke an Sev Trayanov! Danke an Franzi Haas und Tobi Knispel sowie an Jan Meuel und Julia Naujokat, dafür dass ich in euren Wohnungen arbeiten durfte, als die Bibliotheken geschlossen waren. Und Danke für die Unterstützung in Form von Korrekturen und Diskussion an Frauke Bretscher, Marcel Dorsch, Lukia Kalantzi, Matthias Nizinski, Hanna Oldemeier, Helena Scholl, Catarina Tarpo und Christian Vey. Nicht zuletzt gilt es den Beitrag meiner Familie herauszustellen: Meine Kinder Leonid und Ilja haben zeitweise viel auf mich verzichtet und mich glücklich gemacht, wenn sie anderen von meiner Arbeit erzählt oder mich Autorin genannt haben. Meine Eltern Christa und Werner Küntzel haben stets an mich geglaubt und mich besonders unterstützt: Ohne die Rätselfreudigkeit meines Vaters beim Lesen schwieriger Handschriften sowie die Korrekturen und unermüdliche Kinderbetreuung, die Aufnahme und Vollverpflegung während der Lockdowns durch meine Mutter wäre dieses Buch nie fertig geworden. Und mein Mann Daniel Schmittfull hat mir den Rücken freigehalten, sich um alles gekümmert, stundenlang Überlegungen zur Arbeit angehört, alle Hochs und Tiefs mitgemacht und immer wieder Textteile gelesen. Dafür danke ich dir von Herzen! Berlin, Juni 2023
Sabine Küntzel
Einleitung
»Wenn ich so in die Wüste hineinsehe, dann kommen mir immer Karl Mays Reiseerzählungen ins Gedächtnis«1 , schrieb der 24-jährige Soldat Hans P. Anfang Februar 1942 in sein Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich seit zehn Tagen im Kriegseinsatz in Nordafrika. Er gehörte zu den ersten Bodentruppen der deutschen Wehrmacht, die am 11. Februar 1941 zur Unterstützung des italienischen Bündnispartners im Kampf gegen die Soldaten Großbritanniens im libyschen Tripolis gelandet waren. Bereits am Tag der Ankunft hatte Hans P. seine »ersten Eindrücke in Afrika« niedergeschrieben. Er habe das Land genauso vorgefunden, wie er und seine Kameraden es sich vorgestellt hatten: Das Wetter sei frühlingshaft, die Landschaft beherrscht von Palmen und Sand. »Ulkig«, aber »zufrieden mit ihrem Los« erschienen ihm »die ersten Araber«, die er als weiße Gewänder tragend und in steter Begleitung von Kamelen in seinem Tagebuch beschrieb.2 Nicht nur Hans P. hatte bestimmte Erwartungen an den Krieg in Nordafrika, die er mit dem tatsächlichen Erleben abglich. Der erste Einsatz deutscher Soldaten auf dem afrikanischen Kontinent seit dem Entzug der Kolonien durch den Versailler Vertrag löste in den unterschiedlichsten Schichten der deutschen Gesellschaft Vorstellungen von »exotischen Abenteuern« aus, weckte neue Hoffnungen auf die Verwirklichung alter Eroberungsphantasien und aktualisierte kulturelle Prägungen durch den Kolonialismus. Denn der Kriegsraum war als Teil des afrikanischen Kontinentes Zielscheibe europäischer Eroberungsbestrebungen gewesen und stand im Zentrum anhaltender kolonialer Diskurse.3 Dieses Buch will zeigen, dass das Denken und Handeln der Wehrmachtssoldaten, die zwischen Februar 1941 bis zu ihrer Kapitulation im Mai 1943 in Libyen, Ägypten und
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Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 5. Februar 1942, S. 2. Die Abschrift wurde mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Regina Weihofen. Alle Zitate aus diesem Absatz stammen aus dem ersten Eintrag im Tagebuch von Hans P., Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1942, S. 1. Damit ist das in Bezug auf den Kolonialismus Sagbare, Denkbare und Machbare gemeint, vgl. zur Begriffsbestimmung von Diskurs Achim Landwehr, Diskurs und Diskursgeschichte, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 1. März 2018, URL: http://docupedia.de/zg/Landwehr_diskursgesch ichte_v2_de_2018 [16.09.2022].
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
Tunesien eingesetzt waren, wesentlich vom Kolonialismus und mit damit einhergehenden Weltbildern geprägt waren. Koloniale Diskurse und exotistische Bilder waren von entscheidender Bedeutung für die Deutung und Sinnstiftung der Soldaten während des Feldzuges und über das Ende des Krieges hinaus. Die beteiligten Soldaten verstanden sich als besondere Gemeinschaft, deren Gruppenidentität nicht allein auf durch NS-Ideologie und Militär geformte Vorstellungen von Männlichkeit sowie den ihrem Befehlshaber Erwin Rommel zugeschriebenen Erfolgen basierte. Sie konstruierten ihre Identität vor allem über ein kolonialistisches Weltbild, in dem sie überlegene Eroberer eines aus europäischer Perspektive als »exotische Fremde« verstandenen Raumes waren, den sie zugleich als bedrohlich und faszinierend erlebten. Der kolonial geprägte Blick auf den Kriegsschauplatz und das persönliche Erleben der Soldaten führten dazu, dass der Kriegsraum zu einem identifikatorischen Bezugspunkt werden konnte, auf den nach dem Krieg immer wieder referiert wurde.4 Die hier lebenden Menschen hielten die Soldaten dank tradierter rassistischer Zuschreibungen und exotistischer Denkmuster für minderwertig und damit vernachlässigbar. In der Folge erschien ihnen die nordafrikanische Wüste als menschenleer und als bloße Kulisse für den Kampf europäischer Mächte. Dieses Raumbild schuf die Grundlage für die lange Zeit von Hobby-Geschichtsschreibenden wie von angesehenen Militärhistoriker*innen vertretene Meinung, es habe sich um einen Krieg ohne besondere Gewaltvorkommnisse gehandelt.5
Forschungsstand und Fragestellung Die Ansicht, der Nordafrikafeldzug sei eine Ausnahme von der verbrecherischen Kriegsführung der Wehrmacht, etablierte sich direkt nach Kriegsende. Schon 1943 bezeichnete der britische Kriegskorrespondent Alexander Clifford den Nordafrikafeldzug als einen »clean, straight, dispassionate war with no Gestapo, no persecuted civilians, no ruined homes«,6 und Elisabeth Mallet Congers lobte in ihrer zeitgenössischen Abhandlung »American Tanks and Tank Destroyers« die konventionelle, an den Regeln des Völkerrechts orientierte Kriegsführung in Nordafrika.7 1950 brachte dann Lucie-Maria Rom4
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Ende der 1950er Jahre veröffentlichte Paul Carell (Paul Karl Schmidt), der selbst maßgeblich an der NS-Propaganda beteiligt gewesen war und den Holocaust rechtfertigte, ein immer wieder neu aufgelegtes Buch über den Krieg in Nordafrika. Schon sein Titel »Die Wüstenfüchse« rief die Vorstellung vom menschenleeren Kriegsraum und die Erzählung der heldenhaften deutschen Soldaten um Rommel auf, vgl. Paul Carell, Die Wüstenfüchse. Mit Rommel in Afrika, Klagenfurt 1958. Aufgrund der Masse an Literatur zum Nordafrikafeldzug wird diese hier nicht im Detail aufgelistet. Einen Überblick über die älteren Publikationen bietet Colin F. Baxter, The War in North Africa. 1940–1943, Westport 1996 (= Bibliographies of Battles and Leaders, Bd. 16). Hervorzuheben ist aber die Rolle der populärwissenschaftlichen Bücher, die die militärhistorische Darstellung beeinflussten, vgl. dazu Detlef Vogel und Gerhard Schreiber, Schlußbetrachtungen, in: Gerhard Schreiber, Bernd Stegemann und Detlef Vogel (Hg.), Der Mittelmeerraum und Südosteuropa. Von der »non belligeranza« Italiens bis zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, Stuttgart 1984 (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3), S. 683–694, S. 694. Alexander Clifford, The Conquest of North Africa 1940 to 1943, Boston 1943, S. 390. Elisabeth Mallet Conger, American Tanks and Tank Destroyers, New York 1944.
Einleitung
mel zusammen mit Fritz Bayerlein, ehemals Chef des Stabes des Deutschen Afrikakorps, die Memoiren ihres verstorbenen Mannes unter dem Titel Krieg ohne Hass heraus.8 Der Buchtitel wurde zu einer vielbeschworenen Formel für die vermeintliche Besonderheit des Nordafrikafeldzuges, die auf eine Kriegsführung ohne Kriegsverbrechen verwies und eine faire, geradezu »ritterliche« Haltung der Kriegsgegner behauptete.9 Zugleich sollte die Bezeichnung als »Krieg ohne Hass« den Nordafrikafeldzug als einen ideologiefreien Krieg darstellen, der in keinem Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Weltanschauung gestanden habe. Dieses Narrativ über den Feldzug war in der Nachkriegszeit von großer politischer Relevanz. Es vermittelte ein beschönigendes Bild der Wehrmacht, das half, die Wiederbewaffnung in der Bundesrepublik Deutschland voranzutreiben und die Millionen Veteranen wieder in die westdeutsche Gesellschaft zu integrieren. Auf außenpolitischer Ebene beförderte die Erzählung eines hassfreien Krieges die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und Großbritannien und deren Zusammenschluss gegen den neuen Gegner hinter dem »Eisernen Vorhang«.10 Das Ende des Kalten Krieges bedeutete jedoch nicht das Ende der Erzählung vom Nordafrikafeldzug als »Krieg ohne Hass«. Noch im 21. Jahrhundert stellten geschichtswissenschaftliche Arbeiten die Besonderheit der Kriegsführung heraus oder erklärten, dass der Krieg nicht »total bösartig«11 war, da hier keine genozidalen Praktiken aus Eu8
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Vgl. Erwin Rommel, Krieg ohne Hass, hg. von Lucie-Maria Rommel und Fritz Bayerlein, Heidenheim (Brenz) 1950. Die englischsprachige Ausgabe erschien kurz darauf unter dem Titel ders., The Rommel Papers, New York 1953. Vgl. etwa Steven Pressfield, Author POV. Rommel’s War Without Hate, in: Armchair General, 21. April 2008, URL: http://armchairgeneral.com/pov-war-without-hate.html [13.06.2021]; David Fraser, Knight’s Cross. A Life of Field Marshal Erwin Rommel, 2. Aufl., London, 1994, S. 309. Die Zuschreibung der Ritterlichkeit findet sich bereits in seinen Memoiren, vgl. Lucie Rommel, Einleitung, in: Erwin Rommel, Krieg ohne Hass, hg. von Lucie-Maria Rommel und Fritz Bayerlein, Heidenheim (Brenz) 1950, S. 7. Allgemein war Ritterlichkeit eine militärische Tugend, vgl. Politsch, Ritterlichkeit in der soldatischen Wirklichkeit, in: Soldatentum 9 (1942)2, S. 36–40. Vgl. Patrick Bernhard, Im Rücken Rommels. Kriegsverbrechen, koloniale Massengewalt und Judenverfolgung in Nordafrika, 1940–1943, in: Zeitschrift für Genozidforschung 17 (2019) 12, S. 83–122, S. 84–86 und insbesondere S. 119 mit Verweis auf Bruce Watson, Desert Battles. From Napoleon to the Gulf War, Mechanicsburg 2007 (= Stackpole Military history series), S. 11. Zur innenpolitischen Bedeutung, die dieser Feldzug nach Ende des Zweiten Weltkrieges besaß, vgl. Edgar Wolfrum, Die beiden Deutschland, in: Volkhard Knigge und Norbert Frei (Hg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, Bonn 2005, S. 153–169; Bernd Wegner, Warum verlor Deutschland den Zweiten Weltkrieg? Eine strategiegeschichtliche Interpretation, in: Matthias Rogg und Christian Th. Müller (Hg.), Das ist Militärgeschichte! Probleme – Projekte – Perspektiven, Boston 2019, S. 103–121, S. 104f.; ders., Erschriebene Siege. Franz Halder, die »Historical Division« und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkriegs im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber und Bernd Wegner (Hg.), Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs, München 1995, S. 287–302; John J. Mearsheimer, Liddell Hart and the Weight of History, London 1988, S. 196. Zur Rehabilitierung der Berufssoldaten siehe auch Bert-Oliver Manig, Die Politik der Ehre, Göttingen 2002 (= Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen, Bd. 22), S. 177–243. Vgl. Ernst-Heinrich Schmidt, Refurbishing the Egyptian Military Museum at the Battlefield of Al-Alamein. A Case Study in Military Museological Practices, in: Jill Edwards und Michel Howard (Hg.), Al-Alamein Revisited, Kairo 2000, S. 43–54, S. 54, Übersetzung der Autorin.
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ropa fortgeführt worden seien. Derartige Darstellungen fokussieren meist allein auf militärische Operationen,12 wohingegen sie sich kaum für das Schicksal der in Nordafrika lebenden Menschen interessieren oder die Anwesenheit der Zivilbevölkerung gänzlich ausblenden.13 Statt die ethnische Heterogenität der kämpfenden Truppen und der ebenfalls vom Krieg betroffenen lokalen Bevölkerung abzubilden, wurde der Feldzug als europäisches Kräftemessen dargestellt. Der nordafrikanische Kriegsschauplatz galt dabei als perfektes Schlachtfeld für eine rein taktische Kriegsführung und damit als Ermöglichungsraum eines angeblichen »War Without Hate«.14 Es ist verwunderlich, wie beständig sich dieses Kriegsbild über die Jahre hinweg halten konnte. Denn bereits 1984 hatten Gerhard Schreiber und Detlev Vogel in einem Klassiker der westdeutschen Militärgeschichtsschreibung herausgestellt, dass die Kämpfe »mitnichten […] ein faszinierendes Spiel souveräner Feldherren« oder »weniger erbärmlich […] als irgendwo sonst auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges« gewesen seien. Die hier und im gesamten Mittelmeerraum eingesetzten Truppen blieben »nicht von verbrecherischen Befehlen verschont«. Doch sind laut Schreiber und Vogel »der Tod, das Leiden und die Zerstörungen« des Krieges in Nordafrika in der Retrospektive in Vergessenheit geraten.15 Grund für dieses Vergessen war eine verengte, eurozentristische Perspektive, die viele westliche Forschende allgemein beim Blick auf den Zweiten Weltkrieg eingenommen hatten. Diese hat sich jedoch mittlerweile geweitet, so dass die zahlreichen heterogenen Akteur*innen des Krieges sowie der globale Charakter des Zweiten Weltkrieges zunehmend herausgearbeitet und anerkannt wurden.16 Damit veränderte sich die Sicht auf 12
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Vgl. etwa Martin Kitchen, Rommel’s Desert War. Waging World War II in North Africa, 1941–1943, Cambridge 2009; Peter Lieb, Erwin Rommel. Widerstandskämpfer oder Nationalsozialist?, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013) 3, besonders S. 303–343; Jo Wooley und David Smurthwaite, Desert Warfare, in: History Today 52 (2002), URL: https://www.historytoday.com/archive/d esert-warfare [13.06.2021]. Robert Lewin, The Life and Death of the Afrika Korps, Havertown 2008; Peter Lieb, Krieg in Nordafrika 1940–1943, Ditzingen 2018 (= Kriege der Moderne); Bruce Watson, Desert Battles. From Napoleon to the Gulf War, Mechanicsburg 2007 (= Stackpole Military History Series), S. 11. Es habe praktisch keine Zivilist*innen gegeben, die sich in den Krieg hätten einmischen können, behauptet, Ben H. Shepherd, Hitler’s Soldiers. The German Army in the Third Reich, New Haven/London 2016, S. 238. Vgl. John Bierman und Colin Smith, Alamein. War Without Hate, London 2003; Pressfield, Rommel’s War Without Hate. Alle Zitate dieses Absatzes aus Schreiber und Vogel, Schlußbetrachtungen, S. 694. Vgl. auch Bernd Stegemann und Reinhard Stumpf, Der Krieg im Mittelmeerraum 1942/43. Die Operationen in Nordafrika und im mittleren Mittelmeer, in: Horst Boog et al. (Hg.), Der globale Krieg. Die Ausweitung zum Weltkrieg und der Wechsel zur Initiative 1941 bis 1943, München 1990, S. 569–757. Allgemein zum Zweiten Weltkrieg vgl. etwa Nancy Ellen Lawler, Soldiers of Misfortune. Ivoirien Tirailleurs of World War II, Athens 1992; Gerhard Höpp (Hg.), Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, Berlin 2000; Rheinisches JournalistInnenbüro, »Auch hier liegt deutsches Land!« Ein deutsches Reich in Afrika, in: Rheinisches JournalistInnenbüro, »Unsere Opfer zählen nicht«. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Berlin u.a. 2005, S. 35–40; Heike Liebau (Hg.), The World in World Wars. Experiences, Perceptions and Perspectives from Africa and Asia, Leiden u.a. 2010; David Killingray und Martin Plaut, Fighting for Britain. African Soldiers in the Second World War, Woodbridge 2012; Judith Byfield et al. (Hg.), Africa and World War II, New York 2015;
Einleitung
den Nordafrikafeldzug. Er wird nun nicht mehr als ein Krieg allein europäischer Mächte verstanden, sondern in globale Zusammenhänge eingeordnet. Dies bezieht sich zum einen auf die Heterogenität der kämpfenden Truppen, die zu großen Teilen aus in den jeweiligen Kolonial-beziehungsweise Einflussgebieten der Kriegsgegner rekrutierten Soldaten bestanden. Daher erschienen vermehrt Untersuchungen zu den australischen, indischen oder südafrikanischen Einheiten.17 In der Freien Französischen Armee waren beispielsweise zeitweise ein Drittel der Soldaten People of Color.18 Dass der Umgang mit diesen Truppenteilen keineswegs von einer fairen Haltung geprägt war, zeigen mittler-
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Dan Diner, Ein anderer Krieg. Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935–1942, München 2021. Auch das Achsenbündnis wird nun in globaler Perspektive betrachtet, vgl. dazu Daniel Hedinger, A Global Conspiracy? The Berlin-Tokyo-Rome Axis on Trial and its Impact on the Historiography of the Second World War, in: Journal of Modern European History 14 (2016) 4, S. 500–521; Reto Thomas Hofmann und Daniel Hedinger, Editorial-Axis Empires, in: Towards a Global History of Fascist Imperialism 12 (2017) 2, S. 161–165, URL: https://www.scopus.com/inward/record.url?sc p=85020704713&partnerID=8YFLogxK [13.06.2021]. Zur kolonialen Verflechtung der Achse siehe: Patrick Bernhard, Die »Kolonialachse«. Der NS-Staat und Italienisch-Afrika 1935 bis 1943, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 147–175; ders., Borrowing from Mussolini. Nazi Germany’s Colonial Aspirations in the Shadow of Italian Expansionism, in: The Journal of Imperial and Commonwealth History 41 (2013), S. 617–643; ders., Colonial Crossovers. Nazi Germany and its Entanglements with Other Empires, in: Journal of Global History 12 (2017) 2, S. 206–227. Vgl. Mark Johnston und Peter Stanley, Alamein. The Australian Story, South Melbourne 2002 (= The Australian Army History Series), URL: www.loc.gov/catdir/enhancements/fy0639/2002489749d.html [13.06.2021]; Katz, South Africans versus Rommel; James Jacobs, The Role of the 1st South African Division during the First Battle of El Alamein. 1–30 July 1942, in: Military History Journal 13 (2004) 2, URL: https://www.samilitaryhistory.org/vol132jj.html [13.06.2021]; Mark Johnston, That Magnificent 9th. An Illustrated History of the 9th Australian Division 1940–46, Sydney 2005, URL: https://ebookcentral.proquest.com/lib/gbv/detail.action?docID=5510028 [13.06.2021]; Tim Moreman, From the Desert Sands to the Burmese Jungle. The Indian Army and the Lessons of North Africa, in: Kaushik Roy (Hg.), The Indian Army in the Two World Wars, Leiden 2012, S. 223–254; Alan Jeffreys, Training the Tropps. The Indian Army in Egypt, Eritrea, and Libya, 1940–42, in: Jill Edwards und Michel Howard (Hg.), Al-Alamein Revisited, Kairo 2000, S. 31–54; Jill Edwards (Hg.), El Alamein and the Struggle for North Africa. International Perspectives from the Twenty-First Century, Kairo 2012. Offizielle und halboffizielle Darstellungen des Krieges australischer, neuseeländischer und südafrikanischer Forschender hatten sich bereits seit den 1950er Jahren mit den diversen Truppen des britischen Commonwealth befasst, vgl. dazu die Übersicht im Literaturverzeichnis von David Brock Katz, South Africans versus Rommel. The Untold Story of the Desert War in World War II, Guilford Connecticut 2018, S. 265f. Vgl. beispielhaft Gavin Long, To Benghazi, Canberra 1961 (= Australia in the War of 1939–1945. Series 1 – Army, Bd. 1), und Barton Maughan, Tobruk and El Alamein, Canberra 1966 (= Australia in the War of 1939–1945. Series 1 – Army, Bd. 3). Zu den indischen Truppen gab es bereits eine frühe Abhandlung, die noch während des Krieges erschien: Walter George Hingston und George Richard Stevens, The Tiger Kills. The Story of the Indian Divisions in the North African Campaign, London 1944. Vgl. zu den Kolonialsoldaten innerhalb der Freien Französischen Truppen Myron Echenberg, ›Morts Pour La France.‹ The African Soldier in France during the Second World War, in: Journal of African History 26 (1985), S. 363–380; Raffael Scheck, French Colonial Soldiers in German Captivity during World War II, Cambridge u.a. 2018.
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weile Arbeiten, die rassistisch begründete Gewalt in deutschen und vor allem italienischen Kriegsgefangenenlagern nachweisen konnten.19 Zum anderen wurde der Krieg als Teil der deutschen Nahostpolitik und im Kontext der deutsch-arabischen Zusammenarbeit während des Nationalsozialismus betrachtet.20 Damit rückte die Verfolgung der nordafrikanischen Juden in den Fokus der internationalen Forschungen zum Holocaust. Die 1938 in Italien erlassenen Leggi razziali galten in der italienischen Kolonie Libyen. In der Folge erfuhr das jüdische Leben massive Einschränkungen, und Tausende jüdische Menschen wurden in Lager vor Ort oder in deutsche Konzentrationslager in Mittel-und Osteuropa deportiert. Nach dem Einmarsch in Tunesien enteigneten und erniedrigten die Deutschen Jüdinnen und Juden auch hier oder verschleppten sie in Arbeitslager. In den französischen Kolonialgebieten war die jüdische Bevölkerung durch die Verwaltung des mit NS-Deutschland kollaborierenden Vichy-Regimes ebenfalls massiv von der antisemitischen Gesetzgebung betroffen.21 Mit dem Wissen um die antijüdische Gewalt, die während des Zweiten Weltkrieges in Nordafrika stattfand, entwickelte sich schließlich ein wissenschaftliches Interesse am Einfluss des Krieges auf die nicht-jüdische Zivilbevölkerung des Kriegsraumes. Die Ortschaften der Länder Libyen, Ägypten und Tunesien, in denen die Achsenmächte kämpften, waren zahlreichen Luftangriffen ausgesetzt und Schauplätze langwieriger Bodenkämpfe. Im Kriegsverlauf nahmen die Alliierten und die Achsentruppen die Städte abwechselnd ein. Die Länder Algerien und Marokko waren als unter französischer Herrschaft stehende Gebiete und durch die Landung der Alliierten ebenfalls vom Krieg betroffen.22 Neben Zerstörungen durch den Krieg kam es zu gewaltsamen Konflikten zwi19
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Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 112f. Zur rassistischen Gewalt gegenüber Schwarzen Soldaten innerhalb der Wehrmacht siehe auch Raffael Scheck, Hitler’s African Victims. The German Army Massacres of Black French Soldiers in 1940, Cambridge u.a. 2006. Zu den Plänen zum Verschicken eines SS-Einsatzkommandos in den Nahen Osten bei militärischem Erfolg in Nordafrika vgl. Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das »Dritte Reich«, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 8); Jeffrey Herf, The Jewish Enemy. Nazi Propaganda During World War II and the Holocaust, Cambridge (Mass.) u.a. 2008; René Wildangel, Zwischen Achse und Mandatsmacht, Berlin 2007; David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge, Massachusetts u.a. 2014, bzw. die deutsche Übersetzung: Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017; Stefan Petke, Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS. Rekrutierung – Ausbildung – Einsatz, Berlin 2021. Vgl. zur Judenverfolgung Mikha’el Abiṭbol, Les Juifs d’Afrique du Nord sous Vichy, Paris 2012 (= Biblis, Bd. 34); Rachel Simon, It Could Have Happened There. The Jews of Libya During the Second World War, in: Africana Journal 16 (1994), S. 391–422; Robert Satloff, Among the Righteous. Lost Stories from the Holocaust’s Long Reach into Arab Lands, New York 2006; Eric Salerno, Uccideteli Tutti. Libia 1943 gli ebrei nel campo di Concentramento Fascista di Giado, Mailand 2008 (= Nuovi saggi Storia); Maurice M. Roumani, The Jews of Libya. Coexistence, Persecution, Resettlement, Brighton 2009; Dan Mikhman und Haim Saadoun (Hg.), Les Juifs d’Afrique du Nord face à l’Allemagne nazie, Paris 2018, oder die Überblicksdarstellung mit Hinweisen auf aktuelle Forschungsprojekte und Literatur von Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein, Introduction, in: Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein (Hg.), The Holocaust and North Africa, Stanford 2019, S. 1–16. Vgl. etwa Mark W. Willis, Not Liberation, but Destruction. War Damage in Tunisia in the Second World War, in: The Journal of North African Studies 20 (2015) 2, S. 187–203.
Einleitung
schen den im Kriegsgebiet lebenden Menschen und Soldaten der europäischen Kriegsparteien. Vor allem die Italiener gingen dabei systematisch und mit massiver Gewalt gegen die heterogene Bevölkerung vor. Hierbei fungierte die von Italien bei der kolonialen Eroberung entwickelte Gewaltroutine als Katalysator für die während des Nordafrikafeldzuges stattfindende Gewalt.23 Damit hat die jüngste geschichtswissenschaftlichen Forschung zum Nordafrikafeldzug gezeigt, wie nötig eine Neubetrachtung dieses Feldzuges war. Denn auch wenn die Gewalt in Nordafrika verglichen mit dem deutschen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion ein geringeres Ausmaß erreichte, war dies durchaus ein Krieg, in dem Hass und Gewalt eine Rolle spielten,24 weshalb das Bild des »Wüstenkrieges« als fairer Kampf ohne jeglichen Ideologiebezug als ahistorisch bezeichnet werden muss. An diese Ergebnisse schließt mein Buch an und fragt nach dem Niederschlag von Gewalt oder ideologischen Haltungen in der Kriegserfahrung der deutschen Soldaten. Damit füllt dieses Buch eine Forschungslücke. Denn trotz der zahlreichen Neuerungen auf dem Feld der historischen Betrachtung des Nordafrikafeldzuges ist über die Erfahrungsgeschichte der hier kämpfenden Soldaten bisher kaum etwas bekannt. Ganz im Gegensatz zu anderen Kriegsschauplätzen wie der sogenannten Ostfront oder dem Westfeldzug, zu denen zahlreiche mentalitätsgeschichtliche Darstellungen den Wahrnehmungen und Deutungen des Krieges durch die eingesetzten Soldaten nachspüren,25 ist die Erfahrungsgeschichte der Achsensoldaten bisher nur partiell untersucht.26 Angehörige 23
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Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels; ders., Behind the Battle Lines. Italian Atrocities and the Persecution of Arabs, Berbers, and Jews in North Africa during World War II, in: Holocaust and Genocide Studies 26 (2012) 3, S. 425–446. Siehe auch Wolfgang Proske, Zwei Rollen für Erwin Rommel beim Aufmarsch der Wehrmacht in Libyen und Ägypten, 1941–1943. Vorlage für die Arbeitsgruppe »Umgestaltung des Rommel-Denkmals« vom 12. November 2013, in: ders. (Hg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer, Münster u.a. 2014. Unter den neueren Darstellungen zum Nordafrikafeldzug ist besonders der 2019 erschienene Band »La guerre du désert« hervorzuheben, der zusammenfassende Texte zu den Themen Kolonialismus, Kolonialsoldaten, Judenverfolgung und Gewalt gegen die lokale Bevölkerung bietet: Nicola Labanca, David Reynolds und Olivier Wieviorka (Hg.), La guerre du désert 1940–1943, Paris 2019. Vgl. etwa Paul Addison et al. (Hg.), Time to Kill. The Soldier’s Experience of War in the West, London 1997; Christoph Rass, »Menschenmaterial«. Deutsche Soldaten an der Ostfront, Paderborn 2003 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 17); Michaela Kipp, »Großreinemachen im Osten«. Feindbilder in deutschen Feldpostbriefen im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a.M. u.a. 2014; Julia S. Torrie, German Soldiers and the Occupation of France, 1940–1944, Cambridge u.a. 2018 (= Studies in the social and cultural history of modern warfare). Auch die Konzepte Kameradschaft und Männlichkeit wurden vor allem in Bezug auf im Osten eingesetzte Soldaten untersucht, vgl. Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 173); Frank Werner, »Noch härter, noch kälter, noch mitleidloser«. Soldatische Männlichkeit im deutschen Vernichtungskrieg 1941–1944, in: Anette Dietrich und Ljiljana Heise (Hg.), Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus. Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion in der pädagogischen Praxis, Frankfurt a.M. u.a. 2013, S. 45–63. Etwa Thomas Schlemmer, Zwischen Erfahrung und Erinnerung. Die Soldaten des italienischen Heeres im Krieg gegen die Sowjetunion, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 85 (2005), S. 425–466, obwohl Lutz Klinkhammer bereits vor mehr als zehn Jahren den Forschungsbedarf zur Mentalitäts-und Erfahrungsgeschichte der Achse hervorgehoben
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der in Nordafrika eingesetzten Truppen kommen in Arbeiten zur Mentalitäts-oder Erfahrungsgeschichte der deutschen Wehrmachtssoldaten nur selten zu Wort.27 Zwar wählt Alexander Querengässer in seinem Buch zur Schlacht von El Alamein teils einen erfahrungs-beziehungsweise kulturgeschichtlichen Zugriff und geht auf die besonderen Bedingungen des Krieges für die Soldaten sowie die Erinnerung an den Nordafrikafeldzug ein. Doch schreibt er keine dezidierte Erfahrungsgeschichte des Nordafrikafeldzuges und missachtet die größeren Zusammenhänge des Krieges.28 Diese stehen dafür bei David Killingray im Zentrum, der die Kriegserfahrung der im Mittelmeerraum eingesetzten Kolonialsoldaten in den Blick nimmt. Sein Aufsatz ist als Beginn einer erfahrungsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit diesen Truppen zu betrachten. Er fokussiert allerdings nicht allein auf den nordafrikanischen Kriegsschauplatz.29 Der Versuch eines transnationalen Überblicks über die Erfahrungsgeschichte des Nordafrika-
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hatte, vgl. Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer, Der Krieg der »Achse« – zur Einführung, in: ders. et al. (Hg.), Die »Achse« im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn u.a. 2010, S. 11–31, S. 16. Sönke Neitzel, Harald Welzer und Christian Gudehus haben sich zwar auf Grundlage der Abhörprotokolle deutscher Soldaten in britischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft eingehend und mit weitreichender Resonanz mit den Innenansichten der Wehrmachtssoldaten auseinandergesetzt, die teilweise auch in Nordafrika gekämpft hatten. Allerdings scheinen die Autoren dem Narrativ des fairen Wüstenkrieges verhaftet. In der Einleitung zu ihrem Sammelband mit Arbeiten aus dem Forschungsverbund zu den Abhörprotokollen schreiben sie, der Nordafrikafeldzug sei »ein konventioneller Kampf ohne irreguläre Gewalt«, also ohne Kriegsverbrechen, gewesen, Sönke Neitzel und Harald Welzer, Einleitung, in: Harald Welzer et al. (Hg.), »Der Führer war wieder viel zu human, viel zu gefühlvoll«. Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht deutscher und italienischer Soldaten, Frankfurt a.M. 2011, S. 9–24, S. 18. Auch für die anderen Aufsätze in diesem Band spielen Nordafrika und die dort lebende Bevölkerung sowie der koloniale Kontext der Achse nur eine Nebenrolle, vgl. darin: Anette Neder, Deutsche Soldaten im Mittelmeerraum, S. 196–216, und Tobias Seidl, »Zwanzig Deutsche zweiundzwanzig verschiedene Meinungen«. Deutungsmuster deutscher Generäle in britischer Gefangenschaft, S. 234–265. Nicht die Kriegserfahrung, sondern die Wahrnehmung der Schwarzen US-Soldaten und die Position der deutschen Kriegsgefangenen in der amerikanischen Gesellschaft stehen im Zentrum des Interesses bei Matthias Reiss, »Die Schwarzen waren unsere Freunde«. Deutsche Kriegsgefangene in der amerikanischen Gesellschaft 1942–1946, Paderborn u.a. 2001 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 11). Mehr für ihre Einschätzung der Kriegsführung als für erfahrungs-oder kulturgeschichtliche Fragestellungen interessiert sich Peter Liddle, Rescuing the Testimony of the North Africa Campaign Experience, in: Jill Edwards und Michel Howard (Hg.), Al-Alamein Revisited, Kairo 2000, S. 32–42. In seiner privaten Sammlung, die mittlerweile über die Universität Leeds zugänglich ist, befinden sich keine Quellen deutscher Soldaten zum Nordafrikafeldzug, vgl. die Internetseite der Liddle Collection, URL: https://library.leeds.ac.u k/special-collections/collection/723/liddle_collection_guide [08.06.2021]. Alexander Querengässer, El Alamein 1942. Materialschlacht in Nordafrika, Paderborn 2019 (= Schlachten – Stationen der Weltgeschichte). Siehe auch die Rezension zu seinem Buch von Thomas Schlemmer, Rezension zu Alexander Querengässer. El Alamein 1942, in: sehepunkte 19 (2019) 7/8, URL: www.sehepunkte.de/2019/07/32025.html [13.06.2021]. David Killingray, »If I Fight for Them, Maybe Then I Can Go Back to the Village«. African Soldiers in the Mediterranean and European Campaigns, in: Paul Addison et al. (Hg.), Time to Kill. The Soldier’s Experience of War in the West, London 1997, S. 93–114.
Einleitung
feldzuges von Julie Le Gac30 und vereinzelte Untersuchungen zur Erfahrungsgeschichte der in Nordafrika eingesetzten Soldaten des britischen Commonwealth31 oder zur arabischen Kriegserfahrung beschäftigen32 sind nur als erste »Probebohrungen« zu verstehen. Eine tiefergehende erfahrungs-und kulturgeschichtliche Darstellung des Nordafrikafeldzuges stand bisher noch aus und wird nun durch das vorliegende Buch zumindest für die deutschen Soldaten geboten. Die Wahrnehmung und Deutung des nordafrikanischen Kriegsraumes und der hier lebenden Menschen stehen im Zentrum der Analyse, um dem globalen und von kolonialen Kontexten geprägten Krieg gerecht zu werden. Damit bilden die europäische Kolonialgeschichte und die kulturelle Prägung der deutschen Gesellschaft einen zentralen Referenzrahmen bei der Betrachtung dieses Teils des Zweiten Weltkrieges. In Fortschreibung aktueller Entwicklungen der historischen Forschung und in Anbetracht des Wandels der deutschen Erinnerungskultur werden damit zwei Aspekte deutscher Geschichte zusammengebracht, die aus Angst vor einer Relativierung der Shoah lange Zeit getrennt behandelt wurden.33 Zwar hatten Hannah Arendt und Aimé Césaire den Kolonialismus bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als wichtigen Faktor für das Verständnis der nationalsozialistischen Verbrechen angesehen.34 Doch erst Ende der 1960er Jahre rückte der Kolonialismus langsam in das Interesse der deutschsprachigen Forschungslandschaft.35 In der Folge wurden Verbindungen zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus nachgewiesen, die nationalsozialistische Afrikapolitik untersucht und Verflechtungen
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Vgl. Julie Le Gac, Combatants du desert, in: Nicola Labanca, David Reynolds und Olivier Wieviorka (Hg.), La guerre du désert 1940–1943, Paris 2019, S. 131–153. Trotz des transnationalen Ansatzes ist hier mehrheitlich die britische Seite dargestellt. Vgl. Karen Horn, Narratives from North Africa. South African Prisoner-Of-War Experience Following the Fall of Tobruk, June 1942, in: Historia 56 (2011) 2, S. 94–112, URL: http://scholar.sun.ac.za/h andle/10019.1/102262 [13.06.2021]. Vgl. etwa das von Gerhard Höpp von Juli 2005 bis Juni 2006 geleitete Projekt »Images of War. Arab Participant Experiences in World War I and World War II«. Darauf aufbauend: Katharina Lange, Proud Fighters, Blind Men. World War Experiences of Combatants from the Arab East, in: Ulrike Freitag und Achim von Oppen (Hg.), Translocality. The Study of Globalising Processes from a Southern Perspective, Leiden u.a. 2014, S. 83–109. Zur Kriegserfahrung der Bewohner*innen von Alexandria vgl. Mohamed Awad und Sahar Hamouda, Alexandrians Tell Their Story. Oral Narratives of the War in North Africa 1940–43, in: Jill Edwards (Hg.), El Alamein and the Struggle for North Africa. International Perspectives from the Twenty-First Century, Kairo 2012, S. 221–234, und Harry Tzalas, The Battle of El Alamein. Impressions of a Young Schoolboy in Alexandria, in: Jill Edwards (Hg.), El Alamein and the Struggle for North Africa. International Perspectives from the Twenty-First Century, Kairo 2012, S. 235–237 Dies kritisierte in den 1980er Jahren bereits John Dower, War Without Mercy. Race and Power in the Pacific War, New York 1993, URL: http://hdl.handle.net/2027/heb.02403.0001.001 [13.06.2021], S. 4. Vgl. dazu Steffen Klävers, Postkoloniale Normalisierung. Anmerkungen zur Debatte um eine koloniale Qualität von Nationalsozialismus und Holocaust, in: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie 5 (2018) 1, S. 103–116. Siehe zur Entwicklung der Forschung zur deutschen Kolonialgeschichte Ulrike Lindner, Plätze an der Sonne? Die Geschichtsschreibung auf dem Weg in die deutschen Kolonien, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 487–510.
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auf institutioneller Ebene analysiert.36 Ende der 1990er Jahre entstanden unter dem Einfluss der postcolonial studies mehr und mehr kulturgeschichtlich angelegte Studien, die sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus auf das nationale Selbstverständnis kolonisierender Gesellschaften beschäftigten. So etablierte sich das koloniale Denken innerhalb der deutschen Gesellschaft bis nach 1945 als Forschungsgegenstand.37 Mittlerweile liegen sogar Arbeiten zu den Auswirkungen von Kolonialismus und Imperialismus auf Länder vor, die selbst nie Kolonien besessen haben.38 Die Frage, ob der Nationalsozialismus, und hier vor allem der Holocaust, stets gesondert zu betrachten ist oder in Beziehung zum Kolonialismus gesetzt werden muss, debattierte die geschichtswissenschaftliche Forschung in zwei großen Wellen. Bereits zu Beginn der 2000er Jahre entfachte Jürgen Zimmerer mit seiner These, dass die NS-Lebensraumplanung und -Expansionspolitik in Osteuropa als kolonial zu bewerten sei, eine teils hitzig geführte Auseinandersetzung.39 Kürzlich wurde vor allem das Verhältnis 36
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Vgl. Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage, 1919–1945, München 1969 (= Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 1); Alexandre Kum’a N’dumbe, Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas, Frankfurt u.a. 1993 (= Kritische und selbstkritische Forschungsberichte zur Dritten Welt, Bd. 7); Helmuth Stoecker et al. (Hg.), Drang nach Afrika. Die koloniale Expansionspolitik und Herrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika von den Anfängen bis zum Ende des zweiten Weltkrieges, Berlin (DDR) 1977; Wolfe W. Schmokel, Dream of Empire. German Colonialism. 1919–1945, New Haven 1964; Dirk van Laak, Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, Paderborn 2004; Karsten Linne, Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonialplanungen für Afrika, Berlin 2008. Vgl. etwa Birthe Kundrus, Die Kolonien. »Kinder des Gefühls und der Phantasie«, in: dies. (Hg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt a.M. 2003, S. 718; Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004; Britta Schilling, Postcolonial Germany. Memories of Empire in a Decolonized Nation, Oxford u.a. 2014; und Bradley Naranch und Geoff Eley (Hg.), German colonialism in a Global Age, Durham 2014. Vgl. Suvi Keskinen, Complying with Colonialism. Gender, Race and Ethnicity in the Nordic Region, Surrey 2009; Patricia Purtschert, Kolonialität und Geschlecht im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte der weißen Schweiz, Bielefeld 2019 (= Postcolonial studies, Bd. 33). Wesentlich prägten Jürgen Zimmerer und Benjamin Madley diese Debatte. Vgl. dazu zusammenfassend Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz. Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Berlin u.a. 2011 (= Periplus-Studien, Bd. 15). Madley sieht den Kolonialismus als entscheidenden Vorläufer der NS-Vernichtungspolitik, vgl. Benjamin Madley, From Africa to Auschwitz. How German South West Africa Incubated Ideas and Methods Adopted and Developed by the Nazis in Eastern Europe, in: European History Quarterly 35 (2005) 3, S. 429–464; Birthe Kundrus, From the Herero to the Holocaust? Some Remarks on the Current Debate, in: Afrika Spectrum 40 (2005) 2, S. 299–308. Siehe auch: Pascal Grosse, What Does German Colonialism Have to Do with National Socialism. A Conceptual Framework, in: Eric Ames et al. (Hg.), Germany’s Colonial Pasts, Lincoln u.a. 2005, S. 115–134; Philipp Geck und Anton Rühling, Vorläufer des Holocaust? Die Debatte um die (Dis-)Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozialismus, in: Informationszentrum 3. Welt (iz3w) (2008) 308, S. 40–43, oder Roberta Pergher und Mark Roseman, The Holocaust. A Colonial Genocide?, in: Dapim: Studies on the Holocaust 27 (2013) 1, S. 40–49. Einen Überblick zur Debatte und ihrer Entwicklung bieten: Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, München 2016; Robert Gerwarth und Stephan Malinowski, Der Holocaust als »kolonialer Genozid«?, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007) 3, S. 439–466; Birthe Kundrus, Colonialism, Imperialism, National Socialism. How Imperial was the Third Reich?, in: Bradley Naranch und Geoff Eley (Hg.),
Einleitung
von Kolonialismus und Holocaust in der Erinnerungskultur diskutiert. Der Streit um das ›richtige‹ Gedenken ist ein hochpolitisches Feld. Als der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein die Einladung Achille Mbembes zur Ruhrtriennale 2020 kritisierte, entspann sich daraus eine langwierige Debatte.40 Im Jahr 2021 befeuerten Dirk Moses’ Kritik eines deutschen »Katechismus«41 , das Erscheinen der deutschen Ausgabe von Michael Rothbergs Buch zur multidirektionalen Erinnerung und die Kontroverse um die documenta 2022 die Diskussion weiter.42 Die Feuilletons der großen Tageszeitungen griffen sie dankbar auf und bezeichneten sie als »neuen Historikerstreit«.43 Dass der Einbezug kolonialer Diskurse für die Untersuchung des Nordafrikafeldzuges eine fruchtbare Perspektive darstellt, haben bereits erste Studien gezeigt. So hat Sandra Maß in ihrer »Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964« ausgeführt, dass der Nordafrikafeldzug in NS-Deutschland in koloniale Diskurse eingeordnet wurde. Sie hebt hervor, dass die Sichtweisen, Wahrnehmungen und Kriegserfahrungen der in Nordafrika eingesetzten deutschen Soldaten, insbesondere hinsichtlich kolonialer Vorstellungen, noch zu erforschen sind.44 Dass sich diese auch auf die alliierte Presseberichterstattung und Erinnerung auswirkten, zeigte Eva Kingsepp.45 Zudem analysierte Brian T. Edwards orientalistische Vorstellungen innerhalb der US-Streitkräfte im Kontext der Invasion in Französisch-Nordafrika46 und Frances Houghton legte dar, dass
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German Colonialism in a Global Age, Durham u.a. 2014, S. 330–346. Noch einmal kritisch zur Kontinuitätsthese äußerte sich vor einiger Zeit Frank Bajohr, Der Cultural Turn und die Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017) 2, S. 223–232, S. 231. Vgl. etwa den Überblick über die Debatte von Thierry Chervel, Historikerstreit 2.0 – eine Chronologie, in: perlentaucher, 20. Juni 2021, URL: https://www.perlentaucher.de/essay/historikerstreit2-von-achille-mbembe-zu-a-dirk-moses-eine-chronologie.html [16.08.2022]. A. Dirk Moses, Der Katechismus der Deutschen, in: Geschichte der Gegenwart, 23. Mai 2021, URL: https://geschichtedergegenwart.ch/der-katechismus-der-deutschen [16.08.2022]. Michael Rothberg, Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung, Berlin 2021. Zur Debatte um die documenta vgl. beispielhaft Quynh Tran, Unterwegs nach Süden, in: Die Zeit Online, 25. September 2022, URL: https://www.zeit.de/kultur/kunst/2022-09/d ocumenta-fifteen-antisemitismus-debatte-postkoloniale-theorie [23.01.2023]. Vgl. etwa Rafael Seligmann, Rechts und links. Der »alte« und der »neue« Historikerstreit haben viel mehr miteinander gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint, in: Jüdische Allgemeine, 19. August 2021, URL: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/rechts-und-links [16.08.2022]. Einen Überblick zur Entwicklung in den letzten Jahren, allerdings noch ohne die Debatte um den »Historikerstreit 2.0«, bietet Andreas Eckert, Die »Wiederentdeckung« des deutschen Kolonialismus, in: Thomas Sandkühler, Angelika Epple und Jürgen Zimmerer (Hg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit, Wien u.a. 2021, S. 245–259. Michael Wildt hat in seiner Abschiedsvorlesung an der Berliner Humboldt-Universität ebenfalls den Stand der Diskussion zusammengefasst und das normativ aufgeladene Sprechen von der Singularität des Holocaust-Gedenkens in Frage gestellt, vgl. dazu die überarbeitete Druckversion: Michael Wildt, Was heißt: Singularität des Holocaust?, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 19 (2022) 1, S. 128–147. Vgl. Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, Köln u.a. 2006, S. 254. Vgl. Eva Kingsepp, The Second World War, Imperial, and Colonial Nostalgia. The North Africa Campaign and Battlefields of Memory, in: Humanities 7 (2018) 4, S. 1–16. Brian T. Edwards, American Orientalism. Taking Casablanca, in: Driss Maghraoui (Hg.), Revisiting the Colonial Past in Morocco, London/New York 2013, S. 207–219.
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sich vor allem junge britische Soldaten aufgrund exotistischer Vorstellungen freuten, in der »Western Desert« kämpfen zu dürfen. Auch für die britischen Soldaten war es laut Houghton das Raumbild einer »Wüstenlandschaft«, das für sie den nordafrikanischen Kriegsschauplatze zu einem besonderen machte und noch rückblickend die Erinnerung der Veteranen an den Krieg beeinflusste.47 Damit zeigen die ersten vorliegenden Annäherungen an die Frage nach dem Einfluss kolonialer Denkmuster und exotistischer Bilder bereits die prägende Rolle, die das Raumbild der vermeintlich menschenleeren Wüste für die Wahrnehmung und Erinnerung des Feldzuges als »Krieg ohne Hass« hatte. Daher stehen in der Untersuchung, die unter Einbeziehung des kolonialen Kontextes und der Wirkmächtigkeit einer kolonialen Kultur das persönliche Erleben der deutschen Soldaten analysiert, die Wahrnehmung und Deutung des Kriegsraumes und seiner Menschen im Zentrum. Mit welchen Vorstellungen über den Kriegsraum und die hier lebenden Menschen kamen die deutschen Soldaten nach Nordafrika, und wie wurden diese im Verlauf des Krieges modifiziert? Inwieweit waren die Vorstellungen und Deutungen relevant für die Verarbeitung der Kriegserlebnisse? Diesen Fragen wird in dieser Arbeit mit einer postkolonialen und kulturgeschichtlichen Perspektive nachgegangen. Die Wahrnehmung des Raumes, seine Deutung durch die Soldaten und ihr Umgang mit diesem werden als Teilaspekte der Kriegserfahrung der Soldaten untersucht. Schlussendlich bietet die Untersuchung damit zudem Einblicke in das Wissen der deutschen Soldaten über koloniale und rassistische bzw. antisemitische Gewalt auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz.
Theoretische Zugänge Theoretische Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist der Begriff der »Kriegserfahrung«. Die »Erfahrung« fand im Zuge der theoretischen Erweiterung der Militärgeschichte in den 1990er-Jahren um die Perspektive des »kleinen Mannes« und allgemein um sozial-, geschlechter-und kulturgeschichtliche Blickwinkel Eingang in die Forschung48 und wurde von Nikolaus Buschmann und Horst Carl konzeptualisiert.49 Sie 47 48
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Vgl. Frances Houghton, The Veterans’ Tale. British Military Memoirs of the Second World War, Cambridge u.a. 2019 (= Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare), S. 72–83. Als Pionier dieser neuen Ausrichtung der Militärgeschichte ist Wolfram Wette hervorzuheben, vgl. Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München u.a. 1992. Die nur wenige Jahre später heiß debattierte Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung unter dem Titel »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht« weckte das Interesse an den unterschiedlichen Menschen in Uniformen noch weiter, vgl. Christian Hartmann, Einleitung, in: ders. (Hg.), Von Feldherren und Gefreiten. Zur biographischen Dimension des Zweiten Weltkriegs, München 2008, S. 7–10, S. 7f. Siehe zu dieser militärhistorischen Perspektive auch Michael Epkenhans, Stig Förster und Karen Hagemann, Einführung. Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte, in: Michael Epkenhans et al. (Hg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn u.a. 2006 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 29), S. IX–XVI, S. IX. Vgl. Nikolaus Buschmann und Horst Carl, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie, Fragestellung, in: dies. (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschicht-
Einleitung
verstehen unter der Herstellung von Erfahrung die Deutung von Ereignissen unter Bezug auf individuelle Vorerfahrungen und gesellschaftliche Normen und Diskurse. Damit beruht ihr wissenssoziologisch fundierter Erfahrungsbegriff auf einem konstruktivistischen Grundverständnis. Er vereint unterschiedliche Ansätze der Sozial-und Kulturgeschichte, die den gesellschaftlichen Kontext als wesentlich für Deutungsprozesse ansehen,50 und schließt an Überlegungen von Reinhart Koselleck und Klaus Latzel zur Herausbildung historischer Erfahrung und sich daraus ergebender Erwartungen an.51 Zudem spielt eine zentrale Rolle, was Jörn Rüsen einen »Fundamentalbegriff der menschlichen Welt-und Selbstdeutung«52 nennt: der Sinn. Denn nicht nur Historiker*innen deuten Ereignisse der Vergangenheit und bringen sie in eine gewisse Ordnung. Auch historische Akteur*innen ordneten ihre Erlebnisse durch Deutungen und versahen sie auf diese Weise mit Sinn.53 Laut Rüsen ist der Sinn ein menschliches Bedürfnis, denn er bietet dem Selbst Orientierung und Halt in Raum und Zeit, stiftet Identität und leitet menschliches Handeln.54 In neuartigen oder extremen Situationen kann das menschliche Bedürfnis nach Sinn jedoch unerfüllt bleiben. Ist dies der Fall, spricht Rüsen von einem kontingenten Charakter des Erlebnisses. Zur Kontingenzbewältigung muss dann aktiv neuer Sinn geschaffen und eine neue Deutung gefunden werden.55 Ähnlich versteht Reinhart Koselleck in Bezug auf das Eintreten unerwarteter Erfahrungen die Möglichkeit einer Durchbrechung des Erwartungshorizontes, die zu neuen Erfahrungen führt.56 Sinndeutungen und damit die Erfahrung sind also nicht statisch, sondern wandlungsfähig und können sich aus unterschiedlichen Phasen oder parallel existierenden Erfahrungen zusammensetzen. Die historischen Akteur*innen wirken durch die neuen Deutungen bei der Herstel-
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liche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u.a. 2001, S. 11–26. Vgl. Nikolaus Buschmann und Aribert Reimann, Die Konstruktion historischer Erfahrung. Neue Wege zu einer Erfahrungsgeschichte des Krieges, in: Nikolaus Buschmann und Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u.a. 2001, S. 261–271, S. 261; siehe auch den Beitrag »Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges« im selben Band von Nikolaus Buschmann und Horst Carl. Vgl. etwa Reinhart Koselleck, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«. Zwei historische Kategorien, in: ders. (Hg.), Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, S. 349–375; ders., Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in: Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München u.a. 1992, S. 324–343, sowie Klaus Latzel, Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 1–30, und ders., Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, Paderborn u.a. 1999 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 1); ders., Kriegsbriefe und Kriegserfahrung. Wie können Feldpostbriefe zur erfahrungsgeschichtlichen Quelle werden?, in: WerkstattGeschichte 22 (1999), S. 7–23. Jörn Rüsen, Historische Sinnbildung, Grundlagen, Formen, Entwicklungen, Wiesbaden 2020, S. 11. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 10f. Vgl. ebd., S. 14 und 63. Vgl. auch ders., Geschichte denken. Erläuterungen zur Historik, Wiesbaden 2020, S. 4. Vgl. Koselleck, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«, S. 358.
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lung von Erfahrung am Ende selbst auf den Diskurs beziehungsweise nebeneinander existierender Diskurse ein. Erfahrung und Diskurs stehen also in einem wechselseitigen Verhältnis.57 Neben Diskursen spielen bei der Deutung von Erlebnissen und Ereignissen zur Erfahrung Praktiken, also repetitive und routinisierte Handlungen,58 eine wesentliche Rolle. Inkorporiertes Wissen und zeitgenössische Handlungsmuster werden bei Sinngebungs-und Deutungsprozessen wirksam und sind umgekehrt von diesen beeinflusst.59 Soziale Praktiken sind es auch, die den Raum – nach Rüsen die dritte »Dimension der menschlichen Lebenspraxis«60 neben dem Selbst und der Zeit – zu einem weiteren theoretischen Konzept dieses Buches machen. Damit wird einer Entwicklung der neueren militärhistorischen Forschung gefolgt: Raum ist hier nicht mehr nur eine geopolitische Komponente des Krieges, sondern stellt eine wertvolle Analysekategorie zur Untersuchung soldatischer Kriegserfahrung dar.61 In der Anwendung bezieht man sich zumeist auf raumsoziologische Überlegungen zum Raumbegriff. So definiert Martina Löw den Raum als eine materielle »(An)Ordnung« von Gütern und Menschen, ihren Positionen und aktiven Bewegungen.62 Raum ist damit kein feststehender Behälter, der mit materiellen Gegebenheiten und vorhandenen men-
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Vgl. etwa Kathleen Canning, Problematische Dichotomien. Erfahrung zwischen Narrativität und Materialität, in: Historische Anthropologie 10 (2002) 2, S. 163–182; Ute Planert, Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur. Erfahrungsgeschichte an der Schwelle zum nationalen Zeitalter, in: Nikolaus Buschmann und Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u.a. 2001, S. 51–66, S. 52. Vgl. zur Definition einer sozialen Praktik etwa Andreas Reckwitz, Praktiken und ihre Affekte, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 14 (2015) 1–2, S. 27–45, S. 27. Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung; Buschmann und Carl, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges, S. 20f. Weil die Deutung von Kriegserlebnissen meist über erlernte kulturelle Praktiken des Schreibens oder Erzählens geschieht und eine repetitive und routinierte Handlung darstellt, die kontextspezifisch verändert werden kann, kann die Herstellung von Erfahrung selbst als soziale Praktik angesehen werden. Siehe dazu auch: Jörg Rogge, Kriegserfahrungen erzählen. Einleitung, in: ders. (Hg.), Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts-und literaturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2016, S. 9–30, S. 19. Das Schreiben von Briefen und Tagebüchern stellte eine kulturelle Praktik dar, die in gebildeten Kreisen schon während des Friedens eingeübt worden war, im Krieg aber von vielen Soldaten quer durch alle Schichten ausgeübt wurde, vgl. Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001 (= Ordnungssysteme, Bd. 7), S. 62. Rüsen, Historische Sinnbildung, S. 22. Vgl. Peter Lieb Christoph und Nübel, Raum und Militärgeschichte, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73 (2014) 2, S. 277–284, S. 286; Christoph Nübel, Durchhalten und Überleben an der Westfront. Raum und Körper im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2014; ders., Das Niemandsland als Grenze. Raumerfahrungen an der Westfront im Ersten Weltkrieg, in: Michael C. Frank et al. (Hg.), Räume, Bielefeld 2008, S. 41–52; Markus Wurzer, »Reisebuch nach Afrika«. Erzählungen zu Gewalt, Fremdheit und Selbst von Südtiroler Soldaten im Abessinienkrieg, in: Geschichte und Region/Storia e Regione 25 (2016) 1, S. 68–94. Vgl. Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001. Siehe dazu auch Susanne Rau, Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, Frankfurt a.M./New York 2013 (= Historische Einführungen, Bd. 14), S. 61.
Einleitung
talen Vorstellungen gefüllt wird,63 sondern menschliches Handeln und Denken produziert und Räume reproduziert. Wie die Kriegserfahrung wird der Raum also aktiv hergestellt.64 Zugleich kann der Raum prägende Wirkung auf das Handeln haben, indem er es ermöglicht oder erfordert.65 Die moderne raumtheoretische Forschung unterscheidet soziale und mentale Dimensionen des Raumes.66 Diese setzen sich aus »gedachten, entworfenen oder zeichenhaft fixierten Räumen oder Raumvorstellungen«67 zusammen, womit die Repräsentationen wahrgenommener oder vorgestellter Räume gemeint sind. Doch erst durch die »Syntheseleistung menschlicher Wahrnehmungs-, Vorstellungs-und Erinnerungsprozesse«68 findet die tatsächliche Konstituierung des Raumes statt. Wie bei der Deutung von Kriegserlebnissen zur Kriegserfahrung sind also Vorerfahrungen und Diskurse wesentlich für die eigentliche Raumkonstitution. Raum ist damit ein relationales und prozessuales Phänomen, das weder allein aus einer naturgegebenen Wirklichkeit besteht noch ein rein konstruiertes kulturelles Phänomen ist.69 Neben Praktiken und Diskursen spielen Sinne und Emotionen eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung und Konstruktion von Räumen. Sie wirken wie ein vorgeschalteter Filter, so dass der Körper und die körperliche Ebene der Emotionen mitbestimmen, wie ein Raum wahrgenommen und gedeutet wird.70 Umgekehrt bestimmen natürlich auch die Bedingungen eines Raumes, wie Subjekte diesen sinnlich über den Körper erfahren. Zudem können Raumvorstellungen bereits vorab mit bestimmten Emotionen verknüpft sein, die eine sinnhafte Erschließung des Raumes leiten.71 So ist die Vorstellung von »Heimat« mit Gefühlen wie Geborgenheit verbunden, wohingegen im Kontext »fremder« Räume oft von Gefühlen wie Angst oder Bedrohung die Rede ist.72 Nicht nur weil sich die Soldaten für den Einsatz in Nordafrika in einen für sie »fremden« Raum begaben, bietet sich die Einbeziehung von Emotionen in die Untersuchung
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Zum Behälterraumbegriff vgl. Rau, Räume, S. 59. Vgl. ebd., S. 47–50 Vgl. Martina Löw, Vor Ort – im Raum. Ein Kommentar, in: Renate Dürr und Gerd Schwerhoff (Hg.), Kirchen, Märkte und Tavernen. Erfahrungs-und Handlungsräume in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2005, S. 445–449, S. 446. Henri Lefebvre bezeichnete sie als espace conçu. Er unterscheidet zwischen der physischen, der mentalen und der sozialen Ebene des Raumes, die erfahren, vorgestellt und erlebt wird, vgl. Rau, Räume, S. 49. Für Lefebvre ist der physikalische Anteil des Raumes die Grundlage, der »Bildhintergrund« für den Raum, vgl. dazu Henri Lefebvre, Die Produktion des Raums [1974], in: Jörg Dünne (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2006, S. 330. Rau, Räume, S. 144. Löw, Raumsoziologie, S. 154. Gerd Schwerhoff, Die große Welt im kleinen Raum. Zur Ver-Ortung überlokaler Kommunikationsräume in der Frühen Neuzeit, in: Renate Dürr und Gerd Schwerhoff (Hg.), Kirchen, Märkte und Tavernen. Erfahrungs-und Handlungsräume in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2005, S. 367–375, S. 373. Vgl. Rau, Räume, S. 173f. Grundsätzlich ist die Sinnbildung »untrennbar mit der menschlichen Sinnlichkeit verbunden«, Rüsen, Historische Sinnbildung, S. 8. Vgl. Yi-fu Tuan, Landscapes of Fear, New York 1979; Rüsen, Historische Sinnbildung, S. 13.
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der Kriegserfahrung an. Gerade weil der Mythos vom »Krieg ohne Hass« sich gerade auf die Abwesenheit von Emotion bezieht, ist die Berücksichtigung von Emotionen, ihrer Normierung und Regulierung hilfreich für eine Analyse der Kriegserfahrung. Dazu orientiert sich das vorliegende Buch an der Emotionsgeschichtsschreibung von Monique Scheer. Sie geht davon aus, dass Emotionen an allen sozialen Praktiken beteiligt sind und die Motivation für Handeln bilden sowie durch soziale Praktiken ausgelöst werden können.73 Scheer spricht daher von doing emotion durch Mobilisierung, Benennung, Kommunikation und Regulation. Emotionen sieht sie selbst als Praktiken an, die aus inkorporiertem Wissen und routinisierten Handlungen bestehen und sowohl eine materielle wie kulturelle Seite besitzen.74 Scheers Überlegungen basieren auf grundlegenden Arbeiten der Emotionsgeschichte von William Reddy und Barbara Rosenwein. Reddys Konzept der emotives geht von einer »Rückkoppelung zwischen ausgesprochenem und empfundenem Gefühl«75 aus. Die Emotionen sind bei ihm das Ergebnis des Sprechens: saying emotions.76 Zudem beschreibt er die Regulierung von Gefühlen und eine emotionale Disziplinierung durch Gefühlsnormen innerhalb einer hierarchischen Gesellschaft. In Abgrenzung zu diesem Konzept spricht Barbara Rosenwein von weniger festen emotional communities, die innerhalb einer Gesellschaft nebeneinander existieren und sich durch bestimmte Gefühlsnormen auszeichnen.77 Im Sinne dieser Theorien können das gesamte Militär und einzelne Einheiten oder Gruppierungen von Soldaten als emotionale Gemeinschaften betrachtet werden. Zumal die Kollektivierung auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges von elementarer Bedeutung war und wesentlich zu Gewaltexzessen beigetragen hat, wie etwa Christopher Browning anhand eines in Osteuropa eingesetzten Hamburger Polizeibataillons zeigen konnte.78 Die Vergemeinschaftung der Soldaten war eng an Vorstellungen von Männlichkeit geknüpft. Als männlich galten innerhalb der soldatischen »Kameradschaft« im Zweiten Weltkrieg unterschiedliche und teils kontroverse Eigenschaften, wie Härte oder Disziplin und Fürsorglichkeit oder Trost.79 73
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Vgl. Reckwitz, Praktiken und ihre Affekte, S. 41. Anders als viele Vertreter*innen der Emotionsgeschichte spricht Reckwitz von Affekten, die Teil aller sozialen Praktiken seien, und demzufolge von affektiven Praktiken. Damit möchte er verdeutlichen, dass es sich um einen wechselseitigen Prozess handelt, bei dem die Gefühle auch ausgelöst (und damit die Betreffenden affizieren) und nicht nur einfach mit Situationen/Menschen/Dingen verbunden werden, vgl. Reckwitz, Praktiken und ihre Affekte, S. 38. Vgl. Monique Scheer, Are Emotions a Kind of Practice (and Is That What Makes Them Have a History?). A Bourdieuian Approach to Understanding Emotion, in: History and Theory 51 (2012) 2, S. 193–220; dies., Emotionspraktiken. Wie man über das Tun an die Gefühle herankommt, in: Matthias Beitl und Ingo Schneider (Hg.), Emotional Turn?! Europäisch ethnologische Zugänge zu Gefühlen & Gefühlswelten, Wien 2016, S. 15–36. Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, S. 306. Vgl. William M. Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001. Vgl. Barbara H. Rosenwein, Emotional Communities in the Early Middle Ages, Ithaca 2007. Vgl. Christopher R. Browning, Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992. Vgl. Kühne, Kameradschaft.
Einleitung
Neben gefühlsmäßigen Charakteristika waren es vor allem körperbezogene Merkmale wie Kraft und Stärke, die als Kennzeichen arischer Männlichkeit ästhetisiert und politisiert wurden.80 Doch nicht allein im nationalsozialistischen Diskurs waren Männlichkeitsvorstellungen körperbezogen. Bereits um die Jahrhundertwende hatte die »Fokussierung auf den virilen männlichen Körper […] eine globale Dimension erreicht«.81 Der gesunde und kräftige Männerkörper galt in kolonisierten Gesellschaften ebenfalls als kultiviert und erstrebenswert, was die Vorstellung einer heteronormativen Binarität vorantrieb.82 Die Normierung und Selbstwahrnehmung der soldatischen Körper wird daher ebenfalls untersucht. Daneben geht es um die Frage der Abgrenzung. Denn Männlichkeitsvorstellungen bilden sich stets durch die Orientierung an den Mitgliedern der eigenen Männergemeinschaft, etwa des Militärs, sowie durch die Abgrenzung von solchen heraus, die außerhalb dieser Gemeinschaft stehen.83 Damit befinden sich Weiblichkeit und nicht akzeptierte Formen von Männlichkeit in einem Kontrast zu einer quasi idealen Männlichkeit: Raewyn Connell bezeichnet sie »hegemoniale Männlichkeit«, wobei sie auf deren Verbindung mit Macht und das hierarchische Verhältnis der Geschlechtervorstellungen hinweist.84 Auch wenn die hegemoniale Männlichkeit laut Connell nur von wenigen Männern tatsächlich gelebt wird, fordere sie doch »von allen Männern, sich zu ihr zu verhalten«.85 Alle Formen von Männlichkeit – ob hegemonial oder nicht – sind ebenso fluide und historisch wandelbar wie sonstige Identitätskonstruktionen. Geschlecht ist also nur eine analytische Kategorie, die stets in Wechselwirkung zu anderen, wie Klasse oder Race, wirksam wird.86 Folglich diente den in Nordafrika eingesetzten Soldaten der Wehrmacht bei der Verortung in Bezug zur »hegemonialen Männlichkeit« das Handeln anderer Männer aus der eigenen militärischen Gemeinschaft ebenso als Referenzrahmen wie die Abgrenzung von der Zivilgesellschaf (insbesondere Frauen), von
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Vgl. etwa Anette Dietrich und Ljiljana Heise: Perspektiven einer kritischen Männlichkeitenforschung zum Nationalsozialismus. Eine theoretische und pädagogische Annäherung, in: dies. (Hg.), Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus. Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion in der pädagogischen Praxis, Frankfurt a.M. u.a. 2013, S. 7–35, S. 7. Cornelia Brink und Olmo Gölz: Geschlechter ordnen? Männlichkeit als paradoxes Versprechen, in: Cornelia Brink, Olmo Gölz und Nina Verheyen (Hg.), Männlichkeiten, Göttingen 2021 (= Zeithistorische Forschungen 18 (2021) 3), S. 437–452, S. 438. Vgl. ebd. Vgl. dazu Michael Meuser, Distinktion und Konjunktion. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb, Moderne, in: Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter und Gerd Schwerhoff (Hg.), Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012, S. 39–48. Vgl. Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2015. Vgl. Brink und Gölz, Geschlechter ordnen?, S. 446, unter Bezugnahme auf Raewyn Connell und James W. Messerschmidt, Hegemonic Masculinity. Rethinking the Concept, in: Gender & Society 19 (2005), S. 829–859, S. 832. Vgl. Brink und Gölz, Geschlechter ordnen?, S. 448, die allgemein zur Intersektionalität verweisen auf Gabriele Winker und Nina Degele, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009.
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militärischen Gegnern oder der lokalen Bevölkerung des Kriegsraumes. Männlichkeitskonstruktionen waren daher wesentlich für die Deutung des Kriegsschauplatzes als »fremder« Raum. Der Begriff des »Fremden« leitet über zur postkolonialen Theorie, deren Überlegungen für dieses Buch ebenfalls leitend sind. Es handelt sich hierbei um eine Forschungsperspektive, die sowohl den »Prozess der Kolonisierung als auch den einer fortwährenden Dekolonisierung und Rekolonisierung«87 untersucht. Sie versucht ähnlich wie die Globalgeschichte unter Abkehr von einer eurozentristischen Perspektive die »verwobenen Geschichten«88 europäischer und außereuopäischer Geschichte ernst zu nehmen. Dies schließt die Verflechtungen vor und nach der Kolonialherrschaft im eigentlichen Sinne mit ein.89 Für die Analyse der Kriegserfahrung deutscher Soldaten im Nordafrikafeldzug sind vor allem die (Nach-)Wirkungen des deutschen Kolonialismus auf Machtstrukturen und gesellschaftliche Diskurse entscheidend. Wie Arbeiten zur Kultur-und Phantasiegeschichte des Kolonialismus gezeigt haben, prägte dieses Herrschaftssystem nicht nur die kolonisierten, sondern auch die kolonisierenden oder von kolonialen Eroberungen phantasierenden Gesellschaften langfristig.90 Die kulturwissenschaftlich orientierte Forschung spricht von »Kolonialismus als Kultur«, um die Auswirkungen der Expansionspolitik auf eine Gesellschaft zu verdeutlichen. Diese Kultur beeinflusste besonders die Vorstellungen von nicht-europäischen und damit als »fremd« wahrgenommenen Menschen.91 Unter »dem Fremden« wird dabei das so genannte »Andere« verstanden, das in einem von Gayatri Chakravorty Spivak als othering bezeichneten Prozess in Abgrenzung von dem als das »Eigene« definierten und gefühlten konstruiert wird.92 Die Herstellung des »Anderen« ist notwendiger Bestandteil eines überlegenen (europäischen) Selbstbildes. Das Ergebnis 87
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María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Bielefeld 2015 (= Cultural Studies, Bd. 36), S. 12. Shalini Randeria und Sebastian Conrad, Geteilte Geschichten. Europa in einer postkolonialen Welt, in: dies. (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts-und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M./New York 2002, S. 9–49, S. 17. Vgl. Castro Varela und Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 15–16. Vgl. wegweisend dazu Susanne Zantop, Colonial Fantasies. Conquest, Family and Nation in Precolonial Germany, 1770–1870, Durham 1997 (= Post-Contemporary Interventions), sowie Russell Berman, Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture, Lincoln/London 1998. Vgl. dazu Alexander Honold und Oliver Simons (Hg.), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden, Tübingen 2002; Oliver Simons, Kolonialismus als Kultur, in: Dirk Göttsche, Axel Dunker und Gabriele Dürbeck (Hg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur, Stuttgart 2017, S. 168-171. In der englischsprachigen Forschung wurde der Terminus bereits früher gebraucht: Vgl. Nicholas B. Dirks (Hg.), Colonialism and Culture, Ann Arbor 1992 (= The Comparative studies in society and history book series); Sarah Amsler, Cultural Colonialism, in: George Ritzer (Hg.), Blackwell Encyclopedia of Sociology Online, 2008, URL: https ://doi.org/10.1111/b.9781405124331.2007.x [29.09.2022]. Die Verflechtungen von Expansionspolitik und Kultur hat auch Edward Said hervorgehoben, vgl. dazu Edward Said, Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt a.M. 1994. Gayatri Chakravorty Spivak, The Rani of Sirmur. An Essay in Reading the Archives, in: History and Theory 24 (1985) 3, S. 247–272.
Einleitung
dieser Konstruktionen ist »weder bloße Vorstellung oder Einbildung noch eine folgenlose Erscheinung«93 , sondern beeinflusst die Wahrnehmung und wirkt sich auf Machtverhältnisse aus. Innerhalb einer Machthierarchie hat die dominante Gruppe die Definitionsmacht über die marginalisierten »Anderen«.94 Eine Form der Ausübung dieser Macht ist die Praxis des Exotisierens. Im Kolonialismus schrieben die Kolonisierenden den in den eroberten Ländern lebenden Menschen nicht nur negative Merkmale zu, um diese fernzuhalten und sich selbst abzugrenzen. Das »Andere« übte gleichzeitig eine Faszination aus. Es wurde ästhetisiert und mit scheinbar positiven Begriffen verbunden, was zu einer von Neugier oder (erotischer) Begierde getriebenen Annäherung führte. Doch diese Form des othering ist nicht von Rassismus zu trennen. »Exotisch« ist eine »rassialisierte und somit ideologische Kategorie« und entstammt einer eurozentrischen Weltsicht. Daher werden bis heute keine weißen Menschen als »exotisch« bezeichnet.95 Wie die bereits zuvor dargelegten Analysekonzepte teils miteinander verflochten sind, so spielen bei der Konstruktion von Selbst-und Fremdbildern auch Raumkonzepte eine Rolle. Bestimmte Raumvorstellungen oder Landschaftsbilder sind auf emotionaler Ebene mit der eigenen Person oder Gruppe verknüpft oder werden anderen zugeschrieben. Die Darstellungen und Repräsentationen des »fremden Raumes« sind daher ein wesentlicher Bestandteil der Konstruktion des »Anderen« und »Fremden«.96 Die Konstruktion von Raumbildern thematisieren daher Vertreter*innen der postkolonialen Theorie wie Edward Said, der in seinem einflussreichen Werk zum Orientalismus den sogenannten »Orient« als einen durch die bedeutungs-und realitätsstiftende Macht des kolonialen Diskurses hergestellten Raum herausgearbeitet.97 Er bezeichnet den »Orient« als eine imagined oder imaginative geography und betont damit den Aspekt der Vorstellungen beim Sprechen über Räume. Der »Orient« ist in diesem Sinne nicht als ein klar eingrenzbarer geographischer Raum zu verstehen, sondern als eine innerhalb bestimmter Diskurse konstruierte Raumvorstellung, die – wie die Vorstellungen über die »Anderen« – mit zahlreichen Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft einhergingen.98 Sowohl aus postkolonialer wie aus militärhistorischer Perspektive stellt sich bei der Eroberung eines Raumes, etwa durch (koloniale) Kriege, nicht nur die Frage nach
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Rau, Räume, S. 87. Vgl. etwa Rolf Eickelpasch und Claudia Rademacher, Identität, Bielefeld 2013 (= Einsichten), S. 81. Vgl. Chandra-Milena Danielzik und Daniel Bendix, »Exotik/exotisch«, in: Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.), Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011, S. 633, Zitat ebd. Vgl. dazu Stuart Hall, Spectacle of the »Other«, in: ders. (Hg.), Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, Los Angeles u.a. 2002, S. 223–290. Siehe auch: Craig Owens, Representation, Appropriation, and Power, in: ders. (Hg.), Beyond Recognition. Representation, Power, and Culture, Berkeley 1994, S. 88–113. Vgl. Edward Said, Orientalism. Western Conceptions of the Orient, München 2019 (= Penguin Modern Classics). Die imagined geography funktioniert also ähnlich zu dem Konzept der imagined community, vgl. Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991.
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den Raumvorstellungen und -bildern, sondern auch nach dem konkreten Umgang mit dem Raum und seinen Menschen. Der Kriegsraum muss bewältigt, die Bevölkerung beherrscht werden.99 Diese Raumbewältigung oder Raumbeherrschung100 bezeichne ich in Anlehnung an Marian Füssel als Aneignung. Füssel unterscheidet zwischen der Aneignung als individuelle oder kollektive »Gebrauchsweise von Wissensformen, Fähigkeiten und Praktiken« und der Aneignung als »Inbesitznahme geistiger oder materieller Güter«.101 Mit der ersten Form können die Auseinandersetzung der Soldaten mit den gegebenen Verhältnissen und die Anpassung ihres Handelns und Denkens gefasst werden.102 Sie mussten sich an die lokalen Umweltbedingungen anpassen und sich zum Teil neue Verhaltensweisen oder Fähigkeiten aneignen, um zu überleben.103 Zudem kann die sinnhafte Deutung des eigenen Erlebens im Krieg etwa in Form von schöpferischen oder kreativen Prozessen als Aneignung bezeichnet werden.104 Die zweite Form der Aneignung bezieht sich auf den Umgang der deutschen Soldaten mit der lokalen Bevölkerung. Aneignung meint hier die Inbesitznahme und lehnt sich an Forschungen zur Kolonialgeschichte an. Sie bezeichnet eine Herrschaftspraktik der kolonisierenden Subjekte gegenüber den kolonisierten Personen als Objekten. Im Nordafrikafeldzug fand sie vor allem auf kultureller Ebene statt, indem sich die Soldaten durch Repräsentationen oder die Nutzung von Sprache symbolisch die Definitionsmacht aneigneten.105 Derartige Formen der Aneignung gingen im kolonialen Kontext häufig einer realen Raumaneignung voraus, der die Aneignung der Menschen des Raumes als Arbeitskräfte folgte. Neuere postkoloniale Studien haben betont, dass der Prozess der Aneignung jedoch potenziell in beide Richtungen funktionieren kann, und vermehrt die kulturelle Aneignung von Seiten der Kolonisierten in den Blick genommen.106 In diesem Buch geht es hauptsächlich um symbolische Aneignungen. Doch soweit es die Quellenlage zulässt, wird die Aneignung der lokalen Bevölkerung als Arbeitskräfte mit einbezogen. Gewalt gegen die lokale Bevölkerung – im kolonialen Kontext wesentlicher Teil der Raumaneignung – kann in dieser Studie nur partiell untersucht werden, da die untersuchten Quellen nur bedingt Auskunft über verbale und nicht-exzessive Formen der Gewalt geben. Ebenso ist keine Analyse der Verbindung von Gewalt und 99 100 101
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Vgl. zur Beherrschung des Kriegsraumes schon bei Friedrich Ratzel, Politische Geographie, München u.a. 1897, S. 337, zit. n. Lieb und Nübel, Raum und Militärgeschichte, S. 281. Vgl. dazu auch Dierk Walter, »Indian Country«. Der Raum als Feind in der Gewaltgeschichte der europäischen Expansion, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73 (2014) 2, S. 309–332, S. 309. Vgl. Marian Füssel, Lernen – Transfer – Aneignung. Theorien und Begriffe für eine transkulturelle Militärgeschichte, in: Dierk Walter und Birthe Kundrus (Hg.), Waffen, Wissen, Wandel. Anpassung und Lernen in transkulturellen Erstkonflikten, Hamburg 2012, S. 34–49, S. 46. Vgl. Marian Füssel, Die Kunst der Schwachen. Zum Begriff der Aneignung in der Geschichtswissenschaft, in: SozialGeschichte 21 (2006) 3, S. 7–28, S. 9. Vgl. Füssel, Lernen – Transfer – Aneignung, S. 34. Vgl. ebd., S. 46. Vgl. Kathleen Ashley und Véronique Plesch, The Cultural Process of ›Appropriation‹, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies 32 (2001) 1, S. 1–15, S. 3. Zur sprachlichen Raumaneignung durch Praktiken der Benennung vgl. Axel Dunker et al., Benennungspraktiken in Prozessen kolonialer Raumaneignung, Berlin u.a. 2017. Vgl. dazu Ashley, The Cultural Process of ›Appropriation‹, S. 4f.
Einleitung
Raum möglich. Der Kriegsraum ist zwar als solcher ein Raum der Gewalt, wird jedoch nicht als Ermöglichungsraum exzessiver Gewalt im Sinne von Jörg Baberowski oder Timothy Snyder verstanden,107 in dem es »nicht von Absichten und Überzeugungen, sondern von Möglichkeiten und Situationen«108 abhängt, ob und wie Menschen Gewalt ausüben. Denn diesbezügliche Aussagen können auf der Basis des diesem Buch zugrunde liegenden Quellenkorpus nicht getroffen werden. Der Gewaltraum wird daher als Konzept nicht berücksichtigt.
Quellen Quellengrundlage dieser Arbeit bilden Selbstzeugnisse.109 Sie bieten einen Zugang zur Kriegserfahrung und damit zur Raumerfahrung, da sich die Erfahrung der Soldaten gerade beim Schreiben dieser Quellen herausbildete.110 Um die während des Kriegseinsatzes vorherrschenden Wahrnehmungen, Sinnstiftungen und Deutungen der Soldaten in Nordafrika zu untersuchen, werden zwischen 1941 und 1943 verfasste Feldpostbriefe und Tagebücher analysiert und vereinzelt durch Memoiren ergänzt.111 Unter den Selbstzeugnissen bilden Feldpostbriefe den größten Teil des Quellenkonvoluts. Insgesamt wurden knapp 450 Briefe aus 47 Konvoluten der Bestände der Museumsstiftung Post und Telekommunikation (MSPT), der »Sammlung Sterz« der Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart (BfZ-SS) und einiger kleinerer Archive transkribiert, verschlagwortet und ausgewertet. Die Feldpostbestände dieser Archive haben sich bereits für andere Arbeiten zur Kriegserfahrung als fruchtbar erwiesen, doch wurden meist Briefe aus dem sogenannten Ostfeldzug untersucht. In Nordafrika verfasste Briefe sind hingegen erst vereinzelt in anderen Arbeiten zitiert.112 Die vorliegende Studie ist damit 107
Vgl. etwa Jörg Baberowski, Ermöglichungsräume exzessiver Gewalt, in: ders. und Gabriele Metzler (Hg.), Gewalträume. Soziale Ordnungen im Ausnahmezustand, Frankfurt a.M. u.a. 2012, S. 7–28; Timothy Snyder, Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, New York 2012. 108 Vgl. Jörg Baberowski, Räume der Gewalt, Frankfurt a.M. 2015, S. 11. 109 Ich habe mich in dieser Arbeit für die Bezeichnung Selbstzeugnisse statt Ego-Dokumente entschieden. Zwar verwende ich einen breit gefassten Begriff von Selbstzeugnis, der von den Soldaten selbst und freiwillig erteilte Auskünfte in schriftlicher, mündlicher oder bildnerischer Form einschließt. Anders als Winfried Schulze verstehe ich darunter aber nicht jegliche Quellen, die etwas über das Leben einer Person verraten. Schulze fasst unter den Begriff des Ego-Dokuments auch Quellen, die nicht selbst verfasst wurden, wie Gerichtsakten o.ä., vgl. Winfried Schulze, Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung »EGODOKUMENTE«, in: ders. (Hg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Bd. 2, Berlin 1996, S. 12–30, S. 14. 110 Zur Konstitution der Erfahrung beim Schreiben von Feldpostbriefen vgl. Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 370. 111 Zahlreiche veröffentlichte Memoiren der Veteranen aus dem Nordafrikafeldzug und die Abhörprotokolle, die im Zuge der Kriegsgefangenschaft entstanden und deren Auswertung große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, wurden nach einer stichprobenhaften Untersuchung nicht genutzt, weil der Fokus dieser Studie nicht auf der Erinnerung an den Krieg, sondern der Herstellung von Kriegserfahrung während des Kriegseinsatzes liegt. 112 Shepherd verwendet aus dem IfZ-Archiv den Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943 sowie MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Ta-
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die erste systematische Auswertung von Briefen, die deutsche Soldaten im Nordafrikafeldzug verfassten. Bei der Nutzung von Feldpostbriefen als historischer Quelle müssen spezifische Merkmale und Probleme inhaltlicher wie überlieferungstechnischer Natur bedacht werden. So wurden die Briefe nur in den seltensten Fällen für die Nachwelt geschrieben und sind damit typische Überrestquellen. Gerade die für die heutige Forschung interessanten Themen, wie Tod und Gewalt, sparten die Briefeschreiber oft aus.113 Stattdessen enthalten Feldpostbriefe als Mittel der Alltagskommunikation und durch ihre Funktion, vor allem ein Lebenszeichen für die Angehörigen zu sein, vor allem private Themen.114 Die Schreibenden bestätigten erhaltene Post und Pakete, informierten ihre Familien über das Wetter oder kündigten den nächsten Fronturlaub an. Viele der Briefe haben daher einen »fast schon standardisierten Briefaufbau«115 und bergen damit die Gefahr, bei einer semantischen Analyse lediglich ein »Panorama der Alltagsfloskeln« zu Tage zu fördern.116 Diese Teile wurden bei der Auswertung der Briefe zunächst einbezogen, spielen für die eigentliche Analyse der Kriegserfahrung und Raumdeutung jedoch nur eine nebengeordnete Rolle. Neben den inhaltlichen Beschränkungen der Briefe aufgrund der Adressat*innen bewirkte die offizielle Zensur, der die Feldpost unterlag, dass gerade für die heutige Forschung interessante Themen ausgespart sind.117 So waren genaue Angaben über den Einsatzort, die Kriegstaktik oder die Nennung der Namen von Kameraden verboten.118 In den Archiven finden sich deshalb Briefe, die von der Zensur geöffnet worden sind. Nach
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gebuch; Soldatenbriefe aus dem Bestand der MSPT finden sich vereinzelt in: Marie Moutier (Hg.), »Liebste Schwester, wir müssen hier sterben oder siegen«. Briefe deutscher Wehrmachtssoldaten 1939–45, München 2015, S. 215. Vgl. Katrin Anja Kilian, Das Medium Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Archivlage, Forschungsstand und Aufbereitung der Quelle aus dem Zweiten Weltkrieg 2001, S. 258, URL: www.feldpost-archiv.de/pdf/diss-kkilian.pd [13.06.2021]; zur äußeren und inneren Zensur Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 25–31. Dazu auch Janosch Steuwer, »Ein neues Blatt im Buche der Geschichte«. Tagebücher und der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34, in: Frank Bajohr und Sybille Steinbacher (Hg.), »… Zeugnis ablegen bis zum letzten«. Tagebücher und persönliche Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust, Göttingen 2015, S. 42–60, S. 44. Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 10; Epkenhans, Förster und Hagemann, Einführung, S. XIII; Kilian, Das Medium Feldpost, S. 250. Ulrike Jureit, Zwischen Ehe und Männerbund. Emotionale und sexuelle Beziehungsmuster im Zweiten Weltkrieg, in: WerkstattGeschichte 22 (1999), S. 61–73, S. 64. Aribert Reimann, Semantiken der Kriegserfahrungen und historische Diskursanalyse. Britische Soldaten an der Westfront des Ersten Weltkriegs, in: Nikolaus Buschmann und Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u.a. 2001, S. 173–193, S. 179. Zur Zensur der Post im Nationalsozialismus vgl. auch Elke Fröhlich, Regimekritik in privaten und anonymen Briefen, in: Martin Broszat und Elke Fröhlich (Hg.), Alltag und Widerstand. Bayern im Nationalsozialismus, München u.a. 1987, S. 517–544. Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 11; Clemens Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung von Ego-Dokumenten aus dem Zweiten Weltkrieg. Erfahrungen aus der Feldpostsammlung Berlin, in: Manfred Seifert und Sönke Friedreich (Hg.), Alltagsleben biografisch erfassen. Zur Konzeption lebensgeschichtlich orientierter Forschung, Dresden 2009, S. 79–92, S. 83.
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der Schwärzung unliebsamer Stellen wurden sie wieder verschlossen und mit einem Vermerk versehen. Trotz der Kontrollen schätzt die Forschung die Auswirkungen der äußeren Zensur auf den Inhalt der Briefe als eher gering ein. Den meisten Soldaten war bewusst, wie gering die Chance einer Überprüfung ausgerechnet der eigenen Briefe war.119 Gleichwohl zeugen kritische Stimmen in Feldpostbriefen von einer starken inneren Haltung. Systemkonforme Briefinhalte hingegen sind laut Clemens Schwender nicht auf den Druck durch die Zensur zurückzuführen, sondern entsprachen der Meinung des soldatischen Verfassers.120 Neben der inneren und äußeren Zensur wirken sich überlieferungstechnische Aspekte auf die Aussagekraft einer Analyse von Feldpost aus. Die eher wenigen heute vorliegenden Briefe stehen in einem zahlenmäßigen Missverhältnis zur Masse der im Zweiten Weltkrieg verschickten Feldpost.121 Zudem schwankt der Umfang der vorliegenden Briefkonvolute stark und zum Teil lassen sich einzelne Passagen oder ganze Briefe nicht mehr entziffern, weil die Soldaten sie mit schlechtem Material oder unter ungünstigen Bedingungen verfasst haben. Aus diesen Gründen kann für die aus der Feldpostanalyse gezogenen Erkenntnisse keine statistische Repräsentativität beansprucht werden.122 Statt einer quantitativen fand daher eine qualitative Auswertung statt, die sich methodisch an anderen historiographischen Arbeiten zur Feldpost orientiert.123 Die Briefinhalte wurden zunächst kategorisiert und vorab festgelegten inhaltlich-thematischen Kategorien zugewiesen. Um ein deterministisches Vorgehen zu verhindern, fand diese induktive Auswertung breit gefächert statt und wurde während der Auswertung stetig deduktiv erweitert. Methoden der empirischen Sozialforschung fanden keine Anwendung, da eine Binnendifferenzierung der Briefinhalte nach Alter, militärischem Rang, Beruf, Konfession 119
Vgl. Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 87; Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 25ff. 120 Vgl. Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 87. 121 Nur ein Bruchteil der im Zweiten Weltkrieg mit der Feldpost verschickten 30 bis 40 Milliarden Briefe, Karten, Päckchen und Pakete ist heute noch erhalten, vgl. ebd., S. 85. Die Briefe durchliefen unterschiedliche Selektionsprozesse. Sowohl beim Versenden, beim Aufbewahren als auch beim Eingang in die Archive wurde immer wieder aussortiert oder es gingen Briefe verloren. Vgl. dazu Thomas Jander, Selbstzeugnisse aus dem Zeitalter der Weltkriege. Das Editionsprojekt »Feldpostbriefe Online« der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, in: Dorothee Hochstetter (Hg.), Militärgeschichtliche Editionen heute. Neue Anforderungen, alte Probleme?, Potsdam 2014, S. 155–169, S. 159; Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 21. Inge Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal in Uniform sehen«. Geschlechterkonstruktionen in Feldpostbriefen, in: WerkstattGeschichte 22 (1999), S. 41–59, S. 42; Kilian, Das Medium Feldpost, S. 243 und 272. 122 Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 21; Michaela Kipp, Reinlichkeitsvorstellungen in Feldpostbriefen. Herausforderung für die Kriegsgeschichte, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 457–468, S. 459. 123 So unterteilt beispielsweise Martin Humburg das Feld in sechs Oberkategorien (Krieg allgemein, Kriegsalltag, Selbstbilder, Fremdbilder, Werte – Motive – Emotionen – Handlungen, Metakommunikation), vgl. Humburg, Martin, Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg. Werkstattbericht zu einer Inhaltsanalyse, in: H-Soz-Kult, 2008, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/ essays/feld.htm [13.06.2021].
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oder Familienstand nicht zielführend erschien. Die Soldaten waren in ihrem Handeln und Denken nicht an ihre Herkunft gebunden und die soziokulturellen Zugehörigkeiten aus dem zivilen Leben im Krieg nicht unbedingt ausschlaggebend.124 Eine genaue soziohistorische Auswertung hätte sich mit dem zur Verfügung stehenden Material zudem nicht durchführen lassen.125 Um die Selbstzeugnisse der Soldaten mit übergeordneten Normen und Diskursen abzugleichen und besser einschätzen zu können, welche Deutungen allgemein gültig waren, sind Feldzeitungen, Tornisterschriften und militärische Publikationen und Berichte weitere Quellen der Studie. Sie geben Einblick in die militärinterne Kommunikation über Gefühle und stellen damit, ähnlich wie die in der Emotionsgeschichte oft verwendete Ratgeberliteratur,126 eine Quelle zur Gefühlsnormierung dar. Besondere Beachtung erfuhr das Periodikum Die Oase. Die Feldzeitung der deutschen Truppen in Afrika127 . Wie die Feldpostbriefe aus Nordafrika wurde die Zeitung bisher nur partiell in Form einzelner Artikel in historiographische Arbeiten einbezogen.128 Die vorliegende Studie wertet die Feldzeitung zum ersten Mal systematisch aus.
124 Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 131f.; Thomas Kühne, The Rise and Fall of Comradeship. Hitler’s Soldiers, Male Bonding and Mass Violence in the Twentieth Century, Cambridge 2017, S. 5. Siehe dazu auch: Julia Murken, Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812, München 2007 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 147), S. 5. 125 Bei der Zusammenstellung von Sammlungen wie der des Reinhold Sterz wurden Kriterien, die für eine sozialgeschichtliche Auswertung wichtig wären, nicht berücksichtigt, vgl. dazu Ortwin Buchbender, Zur Geschichte der Rezeption und Sammlung von Feldpost in Deutschland oder »Auf den Spuren von subjektiven Wirklichkeiten«, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 17–21, S. 17f.; Jander, Selbstzeugnisse aus dem Zeitalter der Weltkriege, S. 158; Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung, Stuttgart u.a. 1989, S. 23. In der Feldpostsammlung des MSPT wurden zwar Informationen, wie Geburtsdatum und -ort, Familienstand, Ausbildung, Einsatzorte oder militärischer Rang, zu den Briefschreiber*innen erfasst. Doch liegen diese für die aus Nordafrika stammenden Briefe nur in weniger als der Hälfte der Fälle vor. Ich beziehe mich hier auf die mir von der MSPT durch Gunnar Goehlen zur Verfügung gestellte Tabelle »Benutzerfindmittel_Feldpostsammlung_Zweiter_Weltkrieg« von 2015. Eine aktualisierte Version ist in Bearbeitung, wird aber nicht vor Drucklegung dieser Arbeit zur Verfügung stehen, wie Gunnar Goehlen, der am MSPT für die Inventarisierung der Feldpostsammlung zuständig ist, der Autorin in einer E-Mail vom 26. April 2021 mitteilte. 126 Vgl. beispielhaft Ute Frevert et al., Wie Kinder fühlen lernten. Kinderliteratur und Erziehungsratgeber 1870–1970, Weinheim/Basel 2021. 127 Der genaue Titel der Zeitung variiert über die Jahre von »Feldzeitung der deutschen Truppen in Afrika«, »Feldzeitung der Deutschen Truppen in Afrika« oder »Feldzeitung des Deutschen Afrikakorps«. Auch das Schriftdesign änderte sich und sogar der Kopf der Zeitung: Ab Folge 99 steht statt der links angeordneten Palme vor einem schraffierten Umriss Afrikas und der rechten Palme vor einem schraffierten Hakenkreuz nur noch links eine Palme, die nun aber hinter dem Kontinent angeordnet ist, das Hakenkreuz befindet sich nun nicht mehr im Kopf. 128 Einzelne Verweise finden sich etwa bei Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 254. Teilweise wird die Zeitung auch in Überblicksdarstellungen wie Frank Vossler, Propaganda in die eigene Truppe. Die Truppenbetreuung in der Wehrmacht 1939–1945, Paderborn u.a. 2005 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 21), erwähnt.
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Die erste Oase erschien am 12. März 1941. In den folgenden Jahren umfasste sie zwischen zwei und zwölf Seiten und erschien anfangs wöchentlich, später täglich. Die ersten beiden Jahrgänge sind in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig vollständig überliefert, von den Ausgaben des Jahres 1943 liegen hingegen nur 12 Ausgaben der insgesamt mindestens 33 Ausgaben vor. Auch im Bundesarchiv ist der Jahrgang 1943 nicht überliefert. Daher stammt die letzte analysierte Folge der Oase vom 2. Mai 1943. Der Bestand der Auswertung umfasst damit 112 Ausgaben der Feldzeitung. Die Herausgabe von Feldzeitungen war während des Krieges Teil der Truppenbetreuung.129 Die gesamte Herstellung und der Vertrieb lagen in der Verantwortlichkeit der Abteilung Wehrmachtspropaganda beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Die Oase wurde von der Propagandakompanie Tunis, in enger Zusammenarbeit mit der italienischen Feldzeitung für Nordafrika La Tradotta Libica, herausgegeben.130 Neben der Oase gab die Propagandakompanie für die in Tunesien stationierten Truppen kurzzeitig ein eigenes Blatt namens Karawane heraus. Es wurde jedoch nach dem Rückzug aller deutschen Einheiten nach Tunesien im Januar 1943 mit der Oase zusammengelegt und erschien fortan als Nachrichtenblatt der Oase.131 Diese vorhandenen Ausgaben wurden ebenfalls in die Analyse einbezogen, sind allerdings in wesentlich geringerem Umfang überliefert.132 Aus Sicht des OKW dienten solche Publikationen vor allem der Nachrichtenübermittlung. Zudem waren sie ein wichtiges Mittel zur Abwehr feindlicher Propaganda und Instrument zur »geistigen Führung und Erziehung der Soldaten«.133 Das Propagandaministerium besetzte deshalb die Stellen der Hauptschriftleiter der Frontzeitungen selbst und zensierte die in den Zeitungen abgedruckten Kriegsberichte.134 Weil die Zeitungen in abgelegenen Gebieten neben den Feldpostbriefen oft die einzige schriftliche Informationsquelle für die Soldaten darstellen,135 sind sie eine bewährte Quelle für die Unter-
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Vgl. Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres, S. 1. Vgl. zu Zeitungen als Teil der Truppenbetreuung auch Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 191–207. 130 Beide Zeitungen wurden in derselben Druckerei in Tripolis gedruckt und die Schriftleitungen arbeiteten zusammen, so dass teilweise gleiche Beiträge in beiden Zeitungen erschienen. Vgl. Adolf Dresler, Die Oase, in: Deutsche Presse. Zeitschrift des Reichsverbandes der Deutschen Presse 31/9 (1941), S. 87. 131 Vgl. Heinz-Werner Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres. 1939–1945, Wien, Stuttgart 1975 (= Schriftenreihe des Instituts für Publizistik der Universität Wien, Bd. 1), S. 58f. 132 Neben den beiden Feldzeitungen scheint es auch noch eine Soldatenzeitung in Nordafrika gegeben zu haben, auf die in einem Beitrag in der Oase verwiesen wird. Hier ist die Rede von einem mit Schreibmaschine erstellten »Konkurrenzunternehmen der Oase«, in dem auch Gedichte und der Wehrmachtsbericht abgedruckt würden, vgl. o. V., Das Konkurrenzunternehmen der Oase. In der Wüste blüht ein heitres Blümelein, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 12. Leider konnte in den Nachlässen der Veteranen keine Ausgabe dieser Zeitung gefunden werden. 133 Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres, S. 172; Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 101. 134 Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres, S. 2. 135 Vgl. Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 195.
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suchung der Meinungslenkung im Krieg und der Produktion von Selbst-und Fremdbildern.136 Als überindividuelle, normative Quelle veranschaulicht die Feldzeitung gesellschaftliche oder militärinterne Sinngebungsmuster, Wertvorstellungen, Wissen oder politische Interessen, die die Kriegserfahrung der Soldaten beeinflussten.137 Das Kollektiv der Armee und ihre spezifische Ordnung hatten großen Einfluss auf den einzelnen Soldaten und dessen Norm-und Wertvorstellungen.138 Diese wirkten sich über die in der Zeitung vermittelten Deutungsangebote auf die Kriegserfahrung der Soldaten aus, was anhand der Selbstzeugnisse nachvollziehbar wird. So belegen Feldpostbriefe die Rezeption der Oase durch die Soldaten, die immer wieder Ausschnitte aus Artikeln der Feldzeitung zitierten oder nach Hause schickten. Umgekehrt gibt es in der Oase Hinweise darauf, dass die Soldaten das Blatt lasen. Beispielsweise hieß es in einer editorischen Notiz nach einer zeitweiligen Einstellung, es habe viele Anfragen wegen eines etwaigen Wiedererscheinens gegeben.139 Die Soldaten waren selbst an der Erarbeitung der Inhalte der Feldzeitung beteiligt. Mehrfach rief die Oase zur Einsendung von Berichten auf, die sie anschließend veröffentlichte. Die Soldaten schickten so zahlreich persönliche Texte, besonders in gereimter Form, ein, dass die Redaktion darum bat, weniger Gedichte und stattdessen mehr Erlebnisberichte oder Schilderungen lustiger Begebenheiten einzusenden.140 Die in der Oase abgedruckten soldatischen Beiträge wurden vermutlich redigiert und zensiert. Somit spiegelt die Auswahl der Beiträge die offiziellen Deutungsangebote und geltenden Wahrnehmungs-und Gefühlsnormen. Dennoch geben die abgedruckten Selbstzeugnisse Auskunft über die Innenansichten der Soldaten. Die Zeitungsinhalte können deshalb »sowohl als Ergebnis einer gedeuteten Erfahrung als auch als Diskursproduzenten«141 gewertet werden. Neben den Feldzeitungen Oase und Karawane sind in die vorliegende Untersuchung weitere militärische Publikationen einbezogen worden. Artikel aus der vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) als offizielle illustrierte Propagandazeitschrift der Wehrmacht für das In-und Ausland herausgegebenen Zeitung Die Wehrmacht 142 oder aus der 136
Vgl. dazu etwa Anne Lipp, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914–1918, Göttingen 2003 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 159); Robert L. Nelson, Deutsche Kameraden – slawische Huren. Geschlechterbilder in den deutschen Feldzeitungen des Ersten Weltkrieges, in: Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat-Front. Militär-und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. und New York, 2002 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 35), S. 91–107. 137 Vgl. dazu auch Svetlana Burmistr, Die »Minsker Zeitung«. Selbst-und Fremdbilder in der nationalsozialistischen Besatzungspresse, Berlin 2016, S. 33; Becker, Bilder von Krieg und Nation, S. 46f. 138 Vgl. Hartmann, Einleitung, S. 9. 139 Vgl. o. V., Die Oase ist wieder da, in: Die Oase 18, 2. Mai 1941, S. 1. 140 Vgl. o.V ., Soldaten des Afrika-Korps, in: Die Oase 12, 10. April 1941, S. 1. Im Mai desselben Jahres versicherte die Redaktion den Soldaten, dass ihre zahlreichen Einsendungen registriert und verarbeitet würden, vgl. o. V., In eigener Sache. Ein Wort an unsere Mitarbeiter, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941. 141 Silke Fehlemann, »Leidgemeinschaft«. Kriegserfahrungen im Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit, in: Geschichte im Westen 26 (2011), S. 35–60, S. 39. 142 Vgl. zu dieser Publikation die Dissertation von João Arthur Ciciliato Franzolin, Die Wehrmacht. Die offizielle illustrierte Propagandazeitschrift der deutschen Wehrmacht für das In-und Ausland
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von der Inspektion des Personalprüfwesens des Heeres herausgegebenen Zeitschrift Soldatentum. Soldatische Wirklichkeit. Soldatische Erziehung. Soldatische Kultur. Wehrpsychologische Wissenschaft, ferner Tornisterschriften oder die Mitteilungen an die Truppe sind weitere normative Quellen, die Aussagen über den militärinternen Diskurs bieten, an dem sich die Soldaten bei der Strukturierung ihrer Erlebnisse zu Erfahrungen orientierten.143 Zudem floss die vom Kolonialen Jugendausschuss seit 1925 herausgegebene Zeitschrift Jambo. Die koloniale Monatsschrift der jungen Deutschen in die Untersuchung mit ein. Dieses Periodikum lässt Rückschlüsse auf die Rezeption des Nordafrikafeldzuges in kolonialrevisionistischen Kreisen zu und belegt, dass der Krieg explizit junge Leser*innen ansprechen sollte. Die Zeitschrift publizierte immer wieder Berichte über die Kämpfe der Wehrmacht in Nordafrika, die oft von Ernst Bayer stammten, der als Kriegsberichterstatter zahlreiche Artikel in der Oase veröffentlichte. Fotografien, Zeichnungen und Filmaufnahmen, die je nach Entstehungskontext der Propaganda und Truppenbetreuung oder den Selbstzeugnissen zuzurechnen sind, ergänzen die Analyse der schriftlichen Zeugnisse und bieten Einblick in Praktiken der Soldaten und die Repräsentation des »Fremden«. Bei den verwendeten bildlichen Quellen handelt es sich oftmals um Abbildungen, welche die analysierten Zeitungen abdruckten, darunter Zeichnungen, Karikaturen, Landschaftsbilder oder Porträtfotos. Sie stammen zu einem großen Teil von offiziellen Kriegsfotografen. Das OKW setzte seit dem Frühjahr 1939 professionelle Fotografen in der Abteilung Wehrmachtspropaganda ein, die für die organisatorische Durchführung der Bildpropaganda zuständig war.144 Im Nordafrikafeldzug waren Experten des Bildjournalismus mit von der Partie: der Kameramann Hans Ertl, der bereits für Leni Riefenstahl gearbeitet hatte und Eric Borchert, der als Fotograf für die Berliner Illustrierte arbeitete.145 Der Einbezug ihrer Fotografien in die Analyse ermöglicht ein differenzierteres Bild der Feldzeitung und zeigt, wo die Schwerpunkte der Meinungslenkung im Krieg lagen. Eine systematische Auswertung aller Propagandabilder aus dem Nordafrikafeldzug ist im Rahmen dieses Buches allerdings nicht möglich, denn das Bildarchiv des Bundesarchivs und andere Archive bewahren rund 1,2 Millionen Fotoaufnahmen der Propagandakompanien (PK) und 300.000 Meter Wochenschau-Filme auf.146
(1936–1944), Diss. Universität Flensburg 2018, URL: https://www.zhb-flensburg.de/fileadmin/con tent/spezial-einrichtungen/zhb/dokumente/dissertationen/ciciliato-franzolin/ciciliato-franzolin -joao-2018.pdf [13.06.2021]. 143 Vgl. dazu Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 197f. 144 Bernd Boll, Die Propaganda-Kompanien der Wehrmacht 1938–1945, in: Christian Stadelmann (Hg.), Brutale Neugier. Walter Henisch, Kriegsfotograf und Bildreporter, Wien 2003, S. 37–46, S. 37–39; Daniel Uziel, Propaganda, Kriegsberichterstattung und die Wehrmacht. Stellenwert und Funktion der Propagandatruppen im NS-Staat, in: Rainer Rother und Judith Prokasky (Hg.), Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, München 2010, S. 13–36, S. 15–18. 145 Johannes Häußler, Nordafrika 1941–1943. Der Wüstenkrieg macht Erwin Rommel zum bekanntesten deutschen General, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik (Hg.), Mythos Rommel. Katalog zur Sonderausstellung, Stuttgart 2008, S. 56–77, S. 60. 146 Vgl. Markus Wurzer, Disziplinierte Bilder. Kriegsbildberichterstattung im nationalsozialistischen Deutschland und faschistischen Italien im Vergleich, Potsdam 2020, URL: https://zeitgeschichtedigital.de/doks/frontdoor/index/index/docId/1742 [13.06.2021].
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Neben Fotografien der PK wurden private Aufnahmen deutscher Soldaten ausgewertet. Sie sind in großer Zahl überliefert, da das Fotografieren im Krieg weit verbreitet war.147 Rommel selbst fotografierte während des Nordafrikafeldzuges mit einer LeicaKleinbildkamera, die ihm Joseph Goebbels geschenkt hatte.148 Als Selbstzeugnisse, welche die Soldaten nach dem Krieg einzeln oder in Alben eingeklebt zu Hause aufbewahrten,149 geben diese Quellen ebenfalls Auskunft über die persönliche Sichtweise einzelner Soldaten auf den Kriegsraum und die lokale Bevölkerung. Ähnlich wie Feldpostbriefe bilden private Fotos nicht alle Themenbereiche des Krieges ab, sondern persönliche Vorlieben. Die Umstände der Aufnahme, der Zweck, für den die Quellen angefertigt wurden, und offizielle Zensur bestimmen die Bildinhalte.150 Schwierig bei der Nutzung der Fotos als historische Quellen ist zudem, dass die Provenienz oft nicht zu klären ist. Fotografien im Album eines Veteranen müssen nicht zwingend von diesem aufgenommen worden sein, denn im Krieg tauschten Soldaten gern Fotografien untereinander. Zudem verkauften die Propagandaeinheiten Abzüge offizieller Bilder an die Soldaten für deren private Fotoalben.151 Die Bilder selbst verraten ihren Ursprung nur selten durch die Qualität der Aufnahmen oder durch die Bildkomposition. Denn die Aufnahmen der privaten Knipser waren von den Bildern der Kriegsberichterstatter hinsichtlich der Motivauswahl und Ästhetik beeinflusst,
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Im Zweiten Weltkrieg machten Privatleute ungefähr ebenso viele Fotos wie die Propagandakompanien, vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier. Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, in: Anton Holzer (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 97–117, S. 99. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland besaßen zu Beginn des Krieges eine Kamera. Die jungen Männer nahmen ihre Kameras oft mit in den Krieg oder erwarben während ihres Kriegseinsatzes einen Fotoapparat, vgl. Bernd Boll, Vom Album ins Archiv. Zur Überlieferung privater Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, in: Anton Holzer (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 167–178, S. 167. 148 Vgl. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 60f. 149 Vgl. zur Aufbewahrung und Archivierung von Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg: Boll, Vom Album ins Archiv, S. 173f. 150 Vgl. Ulrike Pilarczyk, Grundlagen der seriell-ikonografischen Fotoanalyse. Jüdische Jugendfotografie in der Weimarer Zeit, in: Jürgen Danyel et al. (Hg.), Arbeit am Bild. Visual History als Praxis, Göttingen 2017, S. 75–99, S. 90; Rolf Sachsse, Von »wertvoller Blockadebrecherarbeit« zum Wunsch, »mit Gewehr und Kamera dienen zu dürfen«. Notizen zur Verschränkung von professioneller und amateurhafter Fotografie im Zweiten Weltkrieg, in: Visual History. OnlineNachschlagewerk für die historische Bildforschung, 22. Februar 2020, URL: https://visual-history .de/2020/02/22/von-wertvoller-blockadebrecherarbeit-zum-wunsch-mit-gewehr-und-kameradienen-zu-duerfen [13.06.2021]; Petra Bopp, »Rein ins Loch und weitergezeichnet«. Tagebücher, Feldpostbriefe, Zeichnungen und Fotos eines Wehrmachtsoldaten, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 297–306, S. 302. 151 Vgl. Bernd Boll, Vom Album ins Archiv. Zur Überlieferung privater Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, in: Mit der Kamera bewaffnet, S. 167; Petra Bopp, »Rein ins Loch und weitergezeichnet«. Tagebücher, Feldpostbriefe, Zeichnungen und Fotos eines Wehrmachtsoldaten, in: Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg, S. 305 sowie im selben Band Sandra Starke, »Ich lege dir ein paar Bilder bei …«. Feldpost und Fotoalbum von Fritz Bopp, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 307–314, S. 307.
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weshalb es in vielen Fällen schwierig ist, zwischen Privat-und Kriegsfotografie zu differenzieren.152 Dasselbe gilt für die vereinzelten Filmaufnahmen, die im Zuge dieser Studie analysiert wurden. Sie sind ebenfalls nicht immer eindeutig den Kategorien Selbstzeugnisse153 oder Propagandaquelle zuzuordnen. Dennoch sind die filmischen und fotografischen Quellen für eine Untersuchung der Raumdeutungen und Repräsentation der lokalen Bevölkerung durch die deutschen Soldaten unabdingbar. Denn sie geben Auskunft darüber, wie die Soldaten den Kriegsraum gesehen haben oder wie die Soldaten den Raum sehen sollten. Elizabeth Harvey bezeichnet die Kriegsfotografie daher als Form des »emotional managements«, mit deren Hilfe Raumvorstellungen durch angenehme Gefühle an die Ordnung des Nationalsozialismus gebunden werden sollten.154 Mit dem Einbezug von Bildquellen öffnet sich die Tür zu einem riesigen Forschungsfeld, in dem es allgemein zur Nutzung von Film und Fotografie als Quellen in der Geschichtswissenschaft und zum Umgang mit Fotografien aus der Kolonialzeit und dem Nationalsozialismus jeweils eigene Forschungsstränge und Theorien zu verfolgen gäbe. In Anlehnung an andere Studien zur soldatischen Fotografie verwende ich die Betrachtung und Beschreibung als methodische Grundlage bei der Auswertung bildlicher Quellen.155 Daneben orientiere ich mich an Überlegungen von Susan Sontag, die in ihrem Essay »Über Fotografie« deutlich gemacht hat, wie das Fotografieren den Effekt entwickelt, die Menschen vor der Linse zu objektivieren und zu viktimisieren. Sie analysiert Machtbeziehungen, die die Fotografien und die Praktik des Fotografierens offenlegen.156
Aufbau des Buches Das vorliegende Buch analysiert die Kriegserfahrung der deutschen Soldaten in Nordafrika mit einem Fokus auf Wahrnehmung und Deutung des Raumes. Dazu werden im ersten Kapitel zunächst der koloniale Kontext des Krieges und die Rezeption des Feldzuges als kolonialer Krieg in kolonialrevisionistischen Kreisen dargelegt. Daneben werden die Vorstellungen und Erwartungen der Soldaten an den Kriegsraum Nordafrika erläu-
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Vgl. Jens Jäger, Propagandafotografie. Private Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg, in: Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, 12. Februar 2020, URL: https:/ /www.visual-history.de/2020/02/12/propagandafotografie [10.06.2021]; Bernd Hüppauf, Fotografie im Krieg, Paderborn 2015, S. 74–78. Sandra Starke spricht in Bezug auf Soldatenfotos von visuellen Ego-Dokumenten, vgl. Starke, »Ich lege dir ein paar Bilder bei …«, S. 310. Vgl. Elizabeth Harvey, Seeing the World. Photography, Photojournalism and Visual Pleasure in the Third Reich, in: Pamela E. Swett (Hg.), Pleasure and Power in Nazi Germany, Basingstoke (Hampshire) u.a. 2011, S. 177–204, S. 178. Petra Bopp, Fremde im Visier; Timm Starl, Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, München 1995; Peter Jahn (Hg.), Foto-Feldpost. Geknipste Kriegserlebnisse 1939–1945, Berlin 2000; Markus Wurzer und Birgit Kirchmayr (Hg.), Krieg und Fotografie. Neue Aspekte einer alten Beziehung in transnationaler und postkolonialer Perspektive, Göttingen 2018. Vgl. Susan Sontag, Über Fotografie, Frankfurt a.M. 1995.
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tert, den sie einerseits als Teil des afrikanischen Kontinentes, andererseits als Teil des »Orients« imaginierten und sich ein aufregendes Abenteuer »in der Fremde« erhofften. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Realität des Krieges, die die Erwartungen der Soldaten enttäuschte und eine Kontingenzerfahrung bewirkte. Dazu wird der sinnlichen und körperlichen Wahrnehmung des Kriegsraumes durch die Soldaten nachgespürt. Sie sahen sich in Nordafrika einer als fremd und gefahrvoll wahrgenommenen Umwelt ausgesetzt, in der ihre Körper sich nicht als so stark und gestählt erwiesen, wie es die NS-Propaganda verkündete. Vielmehr erlebten sich die Soldaten unter Rückgriff auf koloniale Diskurse als Europäer, deren weiße Körper bedroht waren. Dies führte zur Konstitution des Raumbildes der »menschenleeren Wüste«, das an tradierte koloniale Vorstellungen anknüpfte und bis in die heutige Zeit fortgeschrieben wurde. Anschließend wird die Umdeutung des Kriegsraumes durch die Soldaten in einen Raum der Männlichkeit und des kolonialen Abenteuers als Reaktion auf die Bedrohungen durch den Kriegsraum nachvollzogen. So lege ich im dritten Kapitel dar, wie die offizielle Propaganda und die Soldaten die Natur als Bewährungsraum der Männlichkeit interpretierten und eine eigene Identität der Truppe in Abgrenzung zu anderen Soldaten und der lokalen Bevölkerung herausbildeten. Wie im vierten Kapitel gezeigt werden soll, deuteten die Soldaten ihre Erlebnisse zudem als Reiseerfahrungen und führten zahlreiche touristische Praktiken durch, die es ihnen ermöglichten, den Kriegserlebnissen Sinn zu verleihen. Bewusst griffen sie auf ihre vor der Reise vorhandenen Imaginationen über den Kriegsraum zurück und suchten im Krieg nach Bestätigungen dieser Raumbilder. Es waren vor allem von Exotismus geprägte Vorstellungen oder literarische Vorbilder wie die Abenteuerromane Karl Mays, die die Soldaten heranzogen, um sich doch noch in einer »exotischen« und aufregenden »Fremde« zu verorten. Das fünfte Kapitel ist dem Verhältnis der dichotomen Raumkonstruktionen »Fremde« und »Heimat« gewidmet. Zunächst wird die Verheimatlichung des Kriegsraumes über verschiedene soziale Praktiken als Bewältigung der Kriegssituation geschildert. Feldpost und Medien hielten die Verbindung zur »Heimat« aufrecht und ließen diese zu einem Teil des Kriegsraumes werden. Das Festhalten an Alltags-und Hygienepraktiken ermöglichte es den deutschen Soldaten, sich innerhalb des unbekannten und bedrohlichen Raumes ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu erhalten und sich den Gegebenheiten anzupassen. Gerade der Blick auf die Natur mit tradierten Sehgewohnheiten verdeutlichte nicht nur die Unterschiede zwischen den Heimatvorstellungen und dem Kriegsraum, sondern ermöglichte es den Soldaten, in der »Fremde« Bekanntes wiederzuentdecken und sich den Raum anzueignen. Kapitel fünf und sechs behandeln den Umgang der deutschen Soldaten mit der lokalen Bevölkerung und die Auswirkungen des Krieges auf diese. Neben schriftlichen Zeugnissen, die eine sprachliche Aneignung der Menschen des Kriegsraumes belegen, zeugen Bildquellen von der Degradierung und kulturellen beziehungsweise visuellen Aneignung der lokalen Bevölkerung durch die deutschen Soldaten. Diese von Rassismus geprägten Praktiken ebneten den Weg zu physischer Gewalt. So kann ich zeigen, dass unterschiedliche Formen von Gewalt und die Auswirkungen des Krieges auf die lokale Bevölkerung von den deutschen Wehrmachtssoldaten in Selbstzeugnissen thematisiert wurden. Zudem arbeite ich aus den verwendeten Quellen die Handlungsspielräume der nordafrikanischen Zivilbevölkerung heraus, die auf diese Weise nicht nur wieder in die Erzählung
Einleitung
vom Nordafrikafeldzug eingeschrieben werden, sondern zugleich ihre Handlungsmacht zurückerhalten. Die Ergebnisse des Buches werden in einem abschließenden siebten Kapitel zusammengefasst und in den größeren Kontext der geschichtswissenschaftlichen Forschung eingeordnet.
Anmerkungen zur Sprache Die Historiographie stellt die Vergangenheit dar und macht sie gegenwärtig. In welcher Form historische Ereignisse oder Personen erscheinen, ist von der Perspektive der historischen Darstellung, den verwendeten Quellen und den an sie gerichteten Fragen abhängig.157 So bestimmt die Geschichtswissenschaft mit, wer in der Gesellschaft eine Stimme bekommt und wer Marginalisierung erfährt. Wesentlichen Anteil daran hat die Sprache.158 Sie besitzt eine realitätskonstituierende Kraft, weshalb einige kurze Anmerkungen zur Sprachverwendung in diesem Buch folgen. Um eine geschlechtergerechte Sprachverwendung sicherzustellen, wird mit dem Gendersternchen gearbeitet. In Bezug auf die deutschen Soldaten wird jedoch nur die männliche Form verwendet, da sie sich – soweit sich dies retrospektiv aus den verwendeten Quellen erkennen lässt – durchweg selbst als männlich verstanden oder zumindest als männlich interpretiert wurden.159 Die Quellenauswahl hat damit zur Folge, dass abgesehen von wenigen Ausnahmen ein männlicher Blick reproduziert wird. Aufgrund logistischer und sprachlicher Hindernisse war es nicht möglich, Quellen aus dem ehemaligen Kriegsgebiet einzubeziehen, etwa in Form von Erinnerungen der Zivilbevölkerung. Dennoch wird versucht, über die vorhandenen Quellen die lokale Bevölkerung so weit wie möglich in den Blick zu nehmen und ihre Handlungsmöglichkeiten und Deutungen darzustellen. Trotz der Heterogenität der Bevölkerung wird meist einheitlich von »lokaler Bevölkerung« gesprochen, da aus den Quellen oft nicht ersichtlich ist, welche ethnische Zugehörigkeit die bezeichneten Menschen hatten. Im Allgemeinen sind die europäischen Siedler*innen nicht mitgemeint, wenn die Rede von der lokalen Bevölkerung ist. Diese waren zwar teilweise von den gleichen Kriegsfolgen betroffen, wie etwa von Bombenangriffen auf Städte, hatten aber in der rassistisch-kolonialistischen Weltsicht der deutschen Soldaten einen anderen Status als die nicht-weiße Bevölkerung.
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Vgl. Rüsen, Historische Sinnbildung, S. 30. Siehe zum Konstruktionscharakter von Geschichte außerdem den Klassiker von Hayden White, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1986. Vgl. zur Bedeutung von Sprache für die Geschichtsschreibung und zur geschlechtersensiblen Sprache in der Geschichtswissenschaft Cornelia Brink, Anachronismen und neue Aufmerksamkeiten. Überlegungen zur geschlechtersensiblen Sprache in der deutschsprachigen historischen Forschung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 18 (2021) 3, S. 584–602, URL: https://zeithistorische-forschungen.de/3-2021/5997 [24.01.2023]. Dies schließt natürlich nicht aus, dass unter den schreibenden und fotografierenden Mitgliedern der kämpfenden deutschen Truppen in Nordafrika Personen waren, die sich selbst nicht als männlich verstanden und sich heutzutage als queer bezeichnen würden.
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In der Arbeit wird viel aus historischem Quellenmaterial zitiert, in dem es um rassistische Differenzierungen und Zuschreibungen geht. Deshalb werden manchmal unweigerlich rassistische und abwertende Begriffe reproduziert. Das N-Wort wird jedoch in den Quellenzitaten nicht ausgeschrieben, da es sich um einen Begriff handelt, der »mit Brutalität, Verwundung und Schmerz einhergeht«.160 Stattdessen wird es durch »N*« ersetzt, um die rassistische Verletzung, die es beinhaltet, abzuschwächen und eine Distanz zum rassistischen Gebrauch dieses Begriffs zu markieren. Zudem wird in Anlehnung an die »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland« von Schwarzen Menschen gesprochen, wenn von Personen die Rede ist, die von Rassismus gegen Schwarze betroffen sind. Nicht-weiße Menschen, die der koloniale und nationalsozialistische Rassismus betraf, werden als People of Color bezeichnet.161 Schwarz wird als politische Selbstbezeichnung und zur Markierung des Widerstandspotentials dieses Begriffes großgeschrieben.162 Mit der Kursivschreibung von weiß im Sinne der Critical Whiteness Studies wird der Konstruktionscharakter dieser nicht biologisch gegebenen Kategorie betont und die Position der deutschen Soldaten, die sich selbst als unmarkierte Norm empfanden, verdeutlicht.163 Da bei einigen der verwendeten Selbstzeugnisse aus Privatbesitz eine Anonymisierung zwingend ist, werden in diesem Buch einheitlich bei allen unveröffentlichten Selbstzeugnissen nur die Vornamen ausgeschrieben und die Nachnamen abgekürzt. Ausnahmen bilden lediglich bekannte historische Persönlichkeiten und bereits veröffentlichte Quellen. Bei der Schreibung der Ortsnamen des Kriegsraumes werden zugunsten der Lesbarkeit und für ein besseres Verständnis die von den Soldaten genutzten Schreibweisen verwendet, obwohl dies meistens die italienischen Bezeichnungen waren, deren Verwendung italienische Kolonialherrschaft festigte.
160 Grada Kilomba, Das N-Wort, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 3. Juni 2009, URL: https ://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59448/das-n-wort [13.06.2021]; vgl. dazu auch dies., »Don’t You Call Me Neger!«. Das N-Wort, Trauma und Rassismus, in: Antidiskrimierungsbüro (ADB) Köln und Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V./cyberNomads (Hg.), The BlackBook. Deutschlands Häutungen, Frankfurt a.M. u.a. 2004, S. 173–182. 161 Vgl. dazu Rosa Fava, Leben und Überleben von Schwarzen im Nationalsozialismus, in: Lernen aus der Geschichte, 25. März 2012, URL: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/con tent/8247 [13.06.2021]. 162 Vgl. dazu auch die Erläuterung bei Anette Dietrich, Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007, S. 7. 163 Vgl. dazu etwa Maureen Maisha Eggers et al. (Hg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 13.
Teil I: Kriegsraum »Afrika« – soldatische Erwartungen, Enttäuschungen und Deutungen
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Vordergründig führte die deutsche Wehrmacht den Krieg in Nordafrika zur Unterstützung des italienischen Achsenpartners. Doch die Landung deutscher Truppen an der Küste des afrikanischen Kontinents im Februar 1941 weckte nicht nur in kolonialrevisionistischen Kreisen die Hoffnung auf eine Rückeroberung der mit dem Versailler Vertrag verlorengegangenen ehemaligen deutschen Kolonialgebiete. Dass die deutsche Wehrmacht hier Seite an Seite mit der Kolonialmacht Italien in einem von europäischen Kolonialmächten beherrschten Gebiet kämpfte, ließ auch für die Führungselite in Wirtschaft, Politik und Militär alte machtpolitische Sehnsüchte nach überseeischer Expansion wieder erfüllbar erscheinen.1 Inwiefern das Kriegsgebiet von der europäischen Kolonisierung betroffen war und welche Auswirkungen dies auf den Kriegsverlauf hatte, wird in diesem Kapitel ebenso dargelegt wie die Resonanz des Feldzuges in den kolonialrevisionistischen Teilen der deutschen Gesellschaft. Als Erfahrungshorizont für die deutschen Soldaten hatten dieser koloniale Kontext des Krieges sowie kolonialistische und exotistische Diskurse starke Auswirkungen auf die Erwartungshaltung und Erfahrungsbildung der deutschen Soldaten.
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Kolonialhistorischer Kontext
Das gesamte Kriegsgebiet blickte zu Beginn des Nordafrikafeldzuges auf eine oft gewaltvolle Kolonialgeschichte zurück. Die französische Eroberung Algeriens hatte bereits 1830 begonnen, in Tunesien marschierten 1881 französische Truppen ein und das Land wurde 1883 durch den Vertrag von Marsa offiziell zum Protektorat Frankreichs erklärt. Marokko war, trotz erheblicher deutscher Interessen, 1912 als Protektorat zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt worden.2 Die französischen Gebiete befanden sich ab 1940
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Vgl. Schreiber und Vogel, Schlußbetrachtungen, S. 694. Vgl. Thorsten Loch, Nordafrika zwischen kolonialer Fremdbestimmung und Souveränität (1900–1945), in: Martin Horfbauer und Thorsten Loch (Hg.), Wegweiser zur Geschichte. Nordafrika, Paderborn u.a. 2011, S. 99–112, S. 102.
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unter der Kontrolle des Vichy-Regimes, dessen Kollaboration mit dem »Großdeutschen Reich« am 24. Oktober mit dem sogenannten Handschlag von Montoire zwischen Marschall Philippe Pétain und Adolf Hitler offiziell begann.3 Ägypten hatte sich zwar Ende des 19. Jahrhunderts vom Osmanischen Reich und den europäischen Großmächten befreien können, nach einer starken Verschuldung und einem Aufstand intervenierte Großbritannien jedoch militärisch. Die Briten besetzten Ägypten, und mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erklärten sie das Land zum britischen Protektorat. Obwohl Ägypten ab 1922 formell wieder unabhängig war, sicherte sich Großbritannien zahlreiche Sonderrechte für das Königreich. Der Anglo-Ägyptische Vertrag von 1936 bestätigte die ägyptische Unabhängigkeit, sicherte aber zugleich die militärische Präsenz der Briten.4 Im Gebiet des heutigen Libyens, in dem sich der Großteil des Nordafrikafeldzuges abspielte, hatte das Königreich Italien Gebietsansprüche auf drei osmanische Provinzen erhoben. Es erklärte dem Osmanischen Reich im September 1911 den Krieg, besetzte Tripolis und annektierte Tripolitanien, Fessan und die Cyrenaika. Allerdings hatten die Italiener außerhalb der Küstengebiete Probleme, ihre Macht durchzusetzen.5 Während des Ersten Weltkrieges griffen die europäischen Kolonialmächte in großer Zahl auf materielle und menschliche Ressourcen in den Kolonien zurück. In der Folge versuchten zahlreiche antikoloniale Bewegungen sich gegen die europäische Kolonialherrschaft zu erheben. In Libyen gewann der Widerstand durch den Krieg neuen Auftrieb. Italien reagiert auf diese Befreiungsversuche mit massiver Gewalt. Im Juni 1922, wenige Monate vor der Ernennung Benito Mussolinis zum italienischen Ministerpräsidenten, begann die sogenannte »Pazifizierung« der Kolonie. Dieser Euphemismus bezeichnete die italienische Rückeroberung der Gebiete gegen den Widerstand der Aufständischen unter der Leitung des libyschen Koranlehrers Umar al-Mukhtar und dem Banner des Senussi-Ordens.6
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Vgl. etwa Henry Rousso, Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944, München 2009, S. 46. Einen kurzen Überblick über die Kolonisation Nordafrikas bietet Loch, Nordafrika zwischen kolonialer Fremdbestimmung und Souveränität, S. 100f. Für detailliertere Einblicke vgl. etwa Rica Staiger, Tunesien. Aufstieg zwischen Orient und Okzident, Frankfurt a.M. 2003; Friedemann Büttner und Amr Hamzawy, Ägypten, in: Walter M. Weiss (Hg.), Die arabischen Staaten. Geschichte, Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft, Heidelberg 2007, S. 9–31. Zur Unabhängigkeit Ägyptens vgl. etwa Mahmoud Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschland zu Ägypten 1919–1936, Münster u.a. 2000 (= Studien zur Zeitgeschichte des Nahen Ostens und Nordafrikas, Bd. 6), S. 104–112. Vgl. zur frühen italienischen Kolonialpolitik, vgl. Nicola Labanca, Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2002, Kapitel 2–3. Siehe auch Francesco Malgeri, La guerra libica, 1911–1912, Rom 1970; Almut Hinz, Libyen, in: Walter M. Weiss (Hg.), Die arabischen Staaten. Geschichte, Politik, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft, Heidelberg 2007, S. 176–193. Zur Eroberung Libyens und antikolonialem Widerstand vgl. Angelo Del Boca, Mohamed Fekini and the Fight to Free Libya, New York 2011; Nicola Labanca, La guerra italiana per la Libia. 1911–1931, Bologna 2012 (= Biblioteca storica); Speziell zur Unterdrückung des Widerstandes gegen die Italienier in der Cyrenaica ist kürzlich ein Buch erschienen, das auch Fotografien mit einbezieht: Alessandro Volterra und Maurizio Zinni: Il leone, il guidice e il capestro. Storia e immagini della repressione italiana in Cirenaica (1928–1932), Rom 2021.
1 Verheißungsvolles »Afrika«
Im Zuge der Unterwerfung bombardierte die italienische Luftwaffe die libysche Zivilbevölkerung mit Senfgas-und Phosgenbomben. Die Waffen, die dem von Italien 1928 ratifizierten Genfer Protokoll nicht entsprachen, setzte die Luftwaffe nach dem völkerrechtswidrigen italienischen Angriff auf das Kaiserreich Abessinien ein, der im Oktober 1935 begann. Nach kurzer italienischer Fremdherrschaft siegte der äthiopische Widerstand im November 1941. Bis dahin hatten die Italiener mehrfach gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen, und Millionen von Äthiopier*innen mussten ihr Leben lassen.7 In Libyen setzte Italien ebenfalls nicht nur chemische Waffen ein, sondern wandte auch sonst massive Gewalt an. Bei der Besetzung der Kufra-Oasen im Januar 1931 wurde geplündert, vergewaltigt und gemordet; fliehende Widerstandskämpfer und ihre Familien griffen die Italiener aus der Luft mit Maschinengewehren an. Aus der Marmarica und dem Djebel al-Akhdar wurden etwa 100.000 Menschen in Konzentrationslager in der Wüste verschleppt. Mindestens 40.000 bis 65.000 davon starben.8 Der Anführer des Widerstandskampfes, al-Mukhtar, wurde im September 1931 im Konzentrationslager Soluch bei Bengasi gehenkt. Damit hatte das italienische Militär unter Leitung Rodolfo Grazianis und Pietro Badoglios, der seit 1929 offizieller Generalgouverneur der italienischen Kolonie Libyen war, die Aufstände niedergerungen. Die eroberten Regionen wurden 1934 zu Italienisch-Libyen vereinigt. Die Einnahme Libyens und die im »Abessinienkrieg« verübte Gewalt werden heute in der Forschung sogar Genozid diskutiert, in der italienischen Öffentlichkeit aber meist immer noch vergessen. Die Hauptverantwortlichen für die koloniale Gewalt kamen ungestraft davon oder wurden posthum als italienische Helden verehrt.9 Nach den Eroberungen am Horn von Afrika und der libyschen Gebiete betrieb Mussolini das italienische Kolonialismus-Projekt engagiert weiter. Im Mai 1936 rief er ein faschistisches Nationalimperium aus. Diesem sollten die eroberten Gebiete einverleibt werden, damit die Vormachtstellung Italiens im gesamten Mittelmeerraum gesichert
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Vgl. zu den italienischen Kriegsverbrechen in Äthiopien Angelo Del Boca, I gas di Mussolini. Il fascismo e la guerra d’Etiopia, Rom 1996; ders., Italiani, brava gente?, Vincenza 2006; Aram Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005; Nicola Labanca, La guerra d’Etiopia, 1935–1941, Bologna 2015. Zum Umgang mit der Vergangenheit in Italien vgl. Karl Hoffmann, GenozideItaliens Scheinheiligkeit im Umgang mit dem Völkermord, in: Deutschlandfunk, 13. Juni 2016, URL: https://www.deutschland funk.de/genozide-italiens-scheinheiligkeit-im-umgang-mit-dem-100.html [23.01.2023]. Vgl. Patrick Bernhard, Hitler’s Africa in the East. Italian Colonialism as a Model for German Planning in Eastern Europe, in: Journal of Contemporary History 51 (2016) 1, S. 61–90, S. 68. Zu den italienischen Konzentrationslagern etwa Gustavo Ottolenghi, Gli Italiani e il colonialismo. I campi di detenzione italiani in Africa, Mailand 1997; Eric Salerno, Genocidio in Libia. Le atrocità nascoste dell’avventura coloniale italiana (1911–1931), Rom 2005. Vgl. Aram Mattioli, Die vergessenen Kolonialverbrechen des faschistischen Italien in Libyen 1923–1933, in: Irmtrud Wojak und Susanne Meinl (Hg.), Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. u.a. 2004, S. 203–226; im selben Band: Angelo Del Boca, Faschismus und Kolonialismus – Der Mythos von den anständigen Italienern, S. 193–226; Ali Abdullatif Ahmida, When the Subaltern speak: Memory of Genocide in Colonial Libya 1929 to 1933, in: Italian Studies 61 (2006) 2, S. 175–190; ders., Genocide in Libya: Shar, a Hidden Colonial History, Oxon/New York 2021.
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würde, und hier sollte zudem ein neuer, faschistischer Menschentyp, der uomo nuovo, entstehen.10 Dazu vertrieb Italien die als rassisch minderwertig betrachtete, alteingesessene Bevölkerung der neu eroberten Gebiete und siedelte im Gegenzug eigene Landsleute an.11 Allein 1938 kamen Zehntausende italienische Siedler*innen nach Libyen, und für 1950 war die Ansiedlung weiterer 500.000 Italiener*innen geplant.12 Die italienischen Kolonialprojekte der 1930er Jahre waren wichtiges Vorbild und Impulsgeber für die Expansionspläne des Deutschen Reiches. Vor allem in Fragen des Siedlungswesens galt Italien als beispielhaft. NS-Größen wie Rudolf Hess oder Heinrich Himmler hatten das Kolonialgebiet besichtigt und waren »tief beeindruckt« zurückgekehrt.13 In der Folge orientierten sich die deutschen Stellen maßgeblich an den strikten Rassegesetzen, der staatlichen Intervention in der Siedlungspolitik und am Straßenbau in den italienisch besetzten Gebieten, als es an die Planung der Eroberung von Lebensraum und des Bevölkerungsaustausches in Osteuropa ging.14 Diese Gebiete waren zum Teil schon im 19. Jahrhundert als geeignete Kolonialgebiete beschworen worden. Hier lag Hitlers Hauptinteresse, wenn es um die geographische Erweiterung des Deutschen Reiches ging.15 Daher akzeptierte er die Vorherrschaft Italiens im Mittelmeerraum und damit im Kriegsgebiet des Nordafrikafeldzuges.16 Obwohl in imperialen Fragen Einigkeit herrschte, war das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien teilweise sehr fragil. 1936 hatten die beiden Mächte einen geheimen Freundschaftsvertrag geschlossen und gemeinsam in den spanischen Bürgerkrieg eingegriffen. Drei Jahre später war das Bündnis mit dem sogenannten »Stahlpakt« zu einem Militärbündnis ausgeweitet worden, das sie zu gegenseitigem Beistand im Kriegsfall, sogar bei einem Angriffskrieg, verpflichtete.17 Allerdings hatte das Achsen10
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Vgl. dazu Davide Rodogno, Die faschistische Neue Ordnung und die politisch-ökonomische Umgestaltung des Mittelmeerraums 1940 bis 1943, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 211–231. Vgl. Roberta Pergher, Mussolini’s Nation-Empire. Sovereignty and Settlement in Italy’s Borderlands, 1922–1943, Cambridge 2017. Vgl. zum faschistischen »neuen Menschen« auch Emilio Gentile, L'»uomo nuovo« del fascismo. Riflessioni su un esperimento totalitario di rivoluzione antropologica, in: ders. (Hg.), Fascismo. Storia e interpretazione, Rom u.a. 2005, S. 235–264. Vgl. Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 427. So Heinrich Himmler nach seiner Studienreise nach Libyen im Dezember 1937, vgl. Bernhard, Borrowing from Mussolini, S. 626. Siehe zur Vorbildrolle Italiens in Bezug auf den Kolonialismus auch: ders., Hitler’s Africa in the East; ders., Die »Kolonialachse«, sowie Dirk van Laak, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 136. Vgl. Bernhard, Hitler’s Africa in the East, S. 63; ders., Borrowing from Mussolini, S. 630–633. Vgl. Benno Nietzel, Im Bann des Raums. Der »Osten« im deutschen Blick vom 19. Jahrhundert bis 1945, in: Gunter Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter (Hg.), Das Prinzip »Osten«. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums, Bielefeld 2010, S. 21–49, S. 29, 38; van Laak, Über alles in der Welt, S. 58, 145–149. In der Forschung wird die nationalsozialistische Besatzungsherrschaft in Osteuropa zum Teil als koloniale Praktik gedeutet, vgl. etwa Jürgen Zimmerer, Die Geburt des Ostlandes aus dem Geist des Kolonialismus. Die nationalsozialistische Eroberungs-und Beherrschungspolitik in (post)kolonialer Perspektive, in: SozialGeschichte 1 (2004), S. 10–43. Vgl. Motadel, Für Prophet und Führer, S. 149. Vgl. Hans Woller, Hitler, Mussolini und die Geschichte der »Achse«, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Krieg-
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bündnis laut Klaus Hildebrand lediglich »Ersatzcharakter« für Hitler, da sein zuvor angestrebtes Bündnis mit Großbritannien gescheitert war.18 Nachdem sich Italien trotz des Paktes beim Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 als neutral ausgegeben und im Dezember die Nichtkriegsführung, die non belligeranza, beschlossen hatte, wurde die Verpflichtung wieder gelöst.19 Den anfänglichen Schwierigkeiten des Bündnisses zum Trotz kam Hitler seinem italienischen Koalitionspartner in Nordafrika zu Hilfe, als dieser darum bat. Im August 1940 hatte Italien Britisch-Somaliland besetzt und im September das unter britischem Protektorat stehende Ägypten angegriffen. Nach der von Oberbefehlshaber Rodolfo Graziani geleiteten Offensive auf Ägypten griff Mussolini am 28. Oktober 1940 Griechenland an, ohne seinen Bündnispartner Hitler vorher davon in Kenntnis zu setzen.20 All diese militärischen Offensiven sollten zur weiteren Eroberung von Lebensraum für das italienische Volk (spazio vitale) führen.21 Der Plan zur Erweiterung des italienischen Imperiums durch Ägypten scheiterte jedoch. Nur knapp 100 Kilometer hinter der ägyptischen Grenze kam der italienische Angriff zum Stehen. Der folgende britische Gegenangriff vom 8. Dezember 1940 bescherte den faschistischen Verbänden schwere Mannschafts-und Gebietsverluste.22 Die zunächst zahlenmäßig unterlegenen alliierten Truppen waren stark aufgestockt worden: Großbritannien hatte rund 126.000 Mann aus dem gesamten britischen Empire nach Nordafrika verschifft.23 Daneben musste Italien in Griechenland und Ostafrika starke Gebietsverluste hinnehmen. Die parallele Kriegsführung an den drei Fronten überforderte die Italiener, so dass Mussolini einen Hilferuf nach Berlin sandte.24 Hitler befürchtete, eine Niederlage Italiens könnte die Stimmung im Land des Bündnispartners so weit verschlechtern, dass es zu einem Sturz Mussolinis und damit zum Ende der Achse käme.25 Trotz der Probleme war die Achse, die im September 1940 zu einem Dreimächtepakt mit Japan erweitert worden war, zur Stützung von Hitlers aggressiver Außenpolitik nötig. Er erließ am 12. November 1940 die Weisung Nr. 1826 , in der er
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führung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 33–48, S. 44; Maximiliane Rieder, Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen. Kontinuitäten und Brüche 1936–1957, Frankfurt a.M. 2003, S. 29. Vgl. Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, München 2008, S. 630. Vgl. Rieder, Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen, S. 29. Vgl. ebd., S. 30; Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S. 592. Vgl. Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer, Der Krieg der »Achse« – zur Einführung, in: dies. (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Bd. 64, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte), S. 11–31, S. 12. Vgl. zu den italienischen Expansionsplänen auch den Aufsatz im selben Band von Davide Rodogno, Die faschistische Neue Ordnung und die politisch-ökonomische Umgestaltung des Mittelmeerraums 1940 bis 1943, S. 211–230. Vgl. Klinkhammer, Osti Guerazzi, Schlemmer, Der Krieg der »Achse« – zur Einführung, S. 13. Vgl. Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S. 592. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 70. Vgl. Stegemann, Die italienisch-deutsche Kriegführung, S. 599. OKW/WFSt/Abt. L v. 12.11.1940, Weisung Nr. 18, ADAP, Ser. D, Bd. 11/1, S. 444ff., zit.n. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 71.
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anordnete, eine Panzerdivision für den Einsatz in Nordafrika bereitzuhalten und Vorbereitungen für Luftangriffe auf Alexandria und den Suezkanal zu treffen. Er befahl die Verlegung des X. Fliegerkorps von Norwegen nach Sizilien,27 das die britische Flotte im Mittelmeer und Nachschublager an der Küste aus der Luft angreifen und so die italienischen Truppen unterstützen sollte. Zudem wurde die Entsendung eines Panzer-Sperrverbands befohlen und am 3. Februar 1941 Erwin Rommel, der sich bereits als General im Frankreichfeldzug bewiesen hatte, zum »Befehlshaber der deutschen Heerestruppen in Libyen« ernannt.28 Offizielles Ziel des Einsatzes deutscher Truppen in Nordafrika war die Stabilisierung der Achse Berlin–Rom–Tokio. Daneben gab es Planungen, nach denen die in Nordafrika eingesetzten Truppen zusammen mit aus der südlichen Sowjetunion vorstoßenden Einheiten in einer riesigen Zangenbewegung den Nahen Osten und vor allem Palästina einkesseln sollten. In Kollaboration mit arabischen Nationalbewegungen hätte die Ermordung der Jüdinnen und Juden damit bis auf den Nahen und Mittleren Osten ausgeweitet werden können.29 Zudem war der Einsatz auf der Ebene der internationalen Politik des Deutschen Reiches bedeutsam. Von Nordafrika aus schien es möglich, in naher Zukunft den Suezkanal zu beherrschen, Ölquellen im Nahen Osten zu erschließen und einen europäisch-afrikanischen Großwirtschaftsraum unter deutscher Regie einzurichten. Damit war der Nordafrikafeldzug zwar kein offizieller Kolonialkrieg, aber aufgrund der Möglichkeiten, die sich durch die Landung der deutschen Truppen auf dem afrikanischen Kontinent ergaben, doch ein Krieg um strategische Positionen.30
1.2 Kolonialphantasien und Exotismus Der militärische Wiedereintritt in europäisches Kolonialgebiet ließ die deutsche kolonialrevisionistische Bewegung glauben, sich erneut am Wettlauf der europäischen Großmächte um die Kolonisierung der Welt beteiligen zu können, weshalb sich mit Kriegsbeginn in Nordafrika die militaristischen Tendenzen der Kolonialpropaganda verstärkten.31 Die Agitation war seit dem Entzug aller deutschen Kolonien mit dem Versailler Vertrag fortgesetzt worden und erreichte während der NS-Zeit ihren Höhepunkt.32 Kolonialvereine, Privatleute mit Kolonialinteressen und Interessenvertreter des Auswärtigen Amtes überlegten ständig, wie sie ihre imperialen Machtansprüche erneut und besser umsetzen konnten.33 Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP),
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Vgl. Stegemann, Die italienisch-deutsche Kriegführung, S 599. Ebd., S. 600. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Vgl. Vogel und Schreiber, Schlußbetrachtungen, S. 694. Siehe zur Eroberung von Ölquellen auch: Dietrich Eichholtz, Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel, Leipzig 2006. Maß, Weiße Helden, S. 294. Vgl. Schilling, Postcolonial Germany, S. 68. Siehe auch Kundrus, Kolonialismus. Imperialismus. Nationalsozialismus, S. 194f. Zur kolonialrevisionistischen Bewegung in der Weimarer Republik siehe: Adolf Rüger, Der Kolonialrevisionismus der Weimarer Republik, in: Helmuth Stoecker (Hg.), Drang nach Afrika. Die koloniale Expansionspolitik und Herrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika von den Anfän-
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die in ihrem Parteiprogramm die Rückgabe der Kolonien forderte, und die Führungsriege des NS-Regimes unterstützten diese Bestrebungen. Denn trotz der Fokussierung auf eine Lebensraumgewinnung im Osten Europas wurden weiterhin klassische kolonialpolitische Überlegungen angestellt. So plante das etwa 1934 eigens eingerichtete »Kolonialpolitische Amt« der NSDAP die Errichtung eines »mittelafrikanischen Reiches«.34 Reichsleiter des Amtes war Franz Ritter von Epp, Generalleutnant und Vorzeigemitglied der NSDAP. Er war ab 1936 zudem Bundesführer des »Reichskolonialbundes« (RKB), in dem die traditionellen Kolonialverbände zusammengefasst wurden.35 Ende der 1930er Jahre herrschte wie auf anderen Ebenen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems auch in Bezug auf die Kolonialpolitik ein mannigfaltiges Planungs-und Organisationssystem.36 Wie konkret die Vorbereitungen unterschiedlichster Kreise für eine Wiedererlangung von Kolonien waren, zeigt nicht zuletzt die tropenmedizinische Ausbildung von Sanitätsoffizieren im Frühjahr und Sommer 1940 an der Militärärztlichen Akademie, die auf einen zukünftigen Einsatz in Kolonien vorbereiten sollte.37 Und tatsächlich waren »zahllose Freiwillige […] für den Fall registriert, daß Deutschland in Afrika wieder einmarschiert«.38 Die Landung der ersten Bodentruppen der Wehrmacht in Tripolis und die zunächst erfolgreiche deutsche Kriegsführung in Nordafrika fielen damit auf fruchtbaren Boden. Der Krieg aktualisierte »Kolonialphantasien«39 und wurde von Beginn an in Bezug zu
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gen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1977, S. 243–279; Hartmut Pogge von Strandmann, »Deutsches Land in fremder Hand«. Der Kolonialrevisionismus, in: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 232–239; Susanne Heyn, Deutsche Missionen. Der Kolonialrevisionismus und seine KritikerInnen in der Weimarer Republik, in: Informationszentrum 3. Welt (iz3w) (2006) 296, S. 42–45. Zu Kolonialplänen im Nationalsozialismus: Wolfe W. Schmokel, Dream of Empire. German Colonialism, New Haven 1964; Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage, 1919–1945, München 1969 (= Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 1); Kum’a N’dumbe, Was wollte Hitler in Afrika?; Rheinisches JournalistInnenbüro, »Auch hier liegt deutsches Land!«. Ein deutsches Reich in Afrika, in: dass., »Unsere Opfer zählen nicht«. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Berlin u.a. 2005, S. 35–40 und Linne, Deutschland jenseits des Äquators?. Vgl. van Laak, Über alles in der Welt, S. 101. Siehe auch Sönke Neitzel, »Mittelafrika«. Zum Stellenwert eines Schlagwortes in der deutschen Weltpolitik des Hochimperialismus, in: Wolfgang Elz und Sönke Neitzel (Hg.), Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn u.a. 2003, S. 83–103. Vgl. Harald Sippel, Kolonialverwaltung ohne Kolonien – das Kolonialpolitische Amt der NSDAP und das geplante Reichskolonialministerium, in: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hg.), Kolonialmetropole Berlin, Berlin 2002, S. 256–261, S. 258f. Siehe auch Arne Schöfert, Der Reichskolonialbund und seine kolonialrevisionistische Propagandatätigkeit zwischen 1933–1943, Greiz 2012. Vgl. van Laak, Über alles in der Welt, S. 137. Vgl. Rolf Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg. Der deutsche Sanitätsdienst im Afrikafeldzug 1941–1943, Koblenz 1984, S. 11. Vgl. van Laak, Über alles in der Welt, S. 142. Vgl. Zantop, Colonial Fantasies; Sara Friedrichsmeyer et al. (Hg.), The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy, Ann Arbor 1999; Monika Albrecht, ›Kolonialphantasien‹ im postkolonialen Deutschland. Zur kritischen Revision einer Denkfigur der deutschen Postkolonialen Stu-
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kolonialen Themen gesetzt. Geradezu euphorisch berichtete die Presse über den Feldzug in Nordafrika als Türöffner zu neuen Kolonialreichen.40 Zeitungen wie das amtliche Organ des Deutschen Kolonialkriegerbundes und des Vereins Kolonialkriegerdank die Kolonial-Post oder die koloniale Jugendzeitschrift Jambo griffen den Feldzug begeistert als Thema auf und stellten ihn als eine Fortsetzung kolonialer Traditionen dar. In der Jambo erschienen immer wieder Artikel über den Nordafrikafeldzug oder es schmückten Aufnahmen der Propagandakompanien aus Nordafrika die Titelblätter der Zeitschrift. Darin wurde erklärt, der Nordafrikafeldzug sei ein Kolonialkrieg, der wichtige Erfahrungen für »künftige koloniale Pläne« biete.41 Auch Publikationen des Militärs bezeichneten den Krieg als Kolonialkrieg oder hoben seinen kolonialen Charakter hervor. So betitelte ein Beitrag in der Deutschen Wehr. Zeitschrift für Wehrmacht und Wehrpolitik den Feldzug als Kolonialkrieg und verglich ihn mit dem Krieg des Achsenpartners Italien in Äthiopien.42 In einem vom OKW produzierten Kurzfilm mit dem Titel Deutsche Soldaten in Afrika von 1942 kündigt der Vorspann an, es handele sich bei der Darstellung des Krieges in Nordafrika um einen »Kolonialfilm«.43 Die militärischen Erfolge gegen die Briten auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz machten Rommel zu einem gefeierten General und zu einer Art Rächer der verspäteten Kolonialmacht Deutschland. Die Presse feierte ihn als neuen Kolonialhelden und verglich ihn mit dem für seine Brutalität bekannten Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika, Carl Peters, oder dem Kommandeur der sogenannten Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, Paul von Lettow-Vorbeck.44 Das Amtsblatt für den Kreis Heidenheim betonte in einem Artikel anlässlich von Rommels 50. Geburtstag, dass dieser sich in Nordafrika nicht nur »auf einem ungewohnten Kriegsschauplatz« als erfolgreich erwiesen habe, sondern vor allen Dingen auch, dass die Siege über »einen im Kolonialkrieg reich erfahrenen Gegner« errungen wurden.45 Die Rivalität zur britischen Kolonialmacht thematisierte das zeitgenössische Kino ebenfalls. Am 21. März 1941, einen Tag nachdem die deutsche Öffentlichkeit von der zunächst geheim gehaltenen Bildung des Deutschen Afrikakorps erfahren hatte, feierte der Film Carl Peters Premiere.46 Anfang April kam der Propagandafilm Ohm Krüger über den »Ohm« genannten Burenführer in Südafrika, Paul Kruger/Krüger, in die Lichtspielhäuser, der den Nachfahren brandenburgischer Auswanderer als besseren Deutschen und die Buren zu einem für die NS-Gesellschaft vorbildhaften Bauernvolk verklärt. Bei-
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dien, in: Gabriele Dürbeck und Axel Dunker (Hg.), Postkoloniale Germanistik. Bestandsaufnahme, theoretische Perspektiven, Lektüren, Bielefeld 2014, S. 417–455. Vgl. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 139. Vgl. R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 148. F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 54 (1941) 3, S. 42–43, S. 42 Vgl. BArch-FA, K 20305–7, Deutsche Soldaten in Afrika, 1942. Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 250f. HSTAStu, M 660/200 Bü 6, Brenzboten. Alleiniges Amtsblatt für den Kreis Heidenheim, 15. November 194, Sonderseite zu Rommel. Vgl. Eintrag zum Film Carl Peters, in: Internetseite der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, o. D., URL: https://www.murnau-stiftung.de/movie/97 [14.02.2023].
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de Filme befeuerten eine antibritische Stimmung und Kolonialbestrebungen innerhalb der deutschen Gesellschaft.47 Bis ins zweite Kriegsjahr hinein wurde der Feldzug in Nordafrika von Interessenvertretern einer erneuten deutschen Kolonialpolitik begrüßt. Josef Viera, der Referent des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, lobte in einer Rede, dass bald der Zugang zur »Herrlichkeit der N*länder«48 frei sei. Ähnlich hieß es im Schulungs-und Rednermaterial der Bundesführung des RKB, mit dem Einsatz deutscher Truppen in Nordafrika werde der Blick frei »zu den ewig grünen jungfräulichen Wäldern am Kilimandscharo, an den brandungsweißen Küsten von Kamerun und Togo«.49 Ritter von Epp gratulierte Rommel nach der Einnahme von Tobruk im Juni 1942 in einem Telegramm anlässlich dessen Ernennung zum Feldmarschall: Er habe »[m]it der Eroberung von Tobruk […] die ruhmreiche Tradition deutschen Kampfes auf afrikanischen Boden in großem Stile wieder aufgenommen und um eine Tat unvergleichlichen Ausmaßes bereichert.« Dass ein deutscher Generalfeldmarschall »auf dem Boden Afrikas kommandiert«, würde ganz Deutschland als Heldenleistung anerkennen, besonders aber die »koloniale Welt mit Stolz und Zuversicht« erfüllen. Rommel antwortete, seine »Afrika-Kämpfer« seien stolz, »die ruhmreiche Tradition deutschen Kampfes in Afrika fortsetzen zu können«.50 Solche Verbindungen zwischen der Wehrmacht und deutschen »Kolonialkriegern« waren nicht allein im Kontext des Nordafrikafeldzuges hergestellt worden. 1937 hatte man etwa den Angehörigen des II. Bataillon Infanterie-Regiments 69 (Wandsbeck) nahelegt, sich die Mitglieder der Lettow-Vorbeck’schen »Schutztruppe« in Ostafrika zum Vorbild zu nehmen.51 Dabei waren freilich nur die weißen Soldaten gemeint und nicht die Schwarzen Kolonialsoldaten, aus denen die sie zu drei Vierteln bestand.52 Eine zur Ausrüstung der Wehrmachtssoldaten gehörende Tornisterschrift namens Kolonialpolitik heute stimmte dann 1941 die deutschen Soldaten auf ihren militärischen Auftrag ein, indem der Krieg in Deutsch-Ostafrika rekapituliert wurde.53 Tatsächliche personelle Kontinuitäten von den deutschen Kolonialkriegen bis zum Nordafrikafeldzug sind schon allein aufgrund des zeitlichen Abstandes unwahrschein47 48 49 50
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Vgl. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 88. BAB, NS 18/154, Bl. 103–120 (Zitat Bl. 114), Vortrag »Das Reich im Raum der Welt. Ein Kolonialvortrag« von Josef Viera von 1942, zit.n. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 139. Walter Estermann, Der größere Raum. Afrika, in: Schulungs-und Rednermaterial der Bundesführung des RKB, Nr. 4, Januar 1942, S. 2, zit.n. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 139. Alle Zitate aus o. V., Feldmarschall Rommel, in: Kolonial-Post 36 (1942) 7, zit.n. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 253. Ebenfalls abgedruckt in: Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 139. Die kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Gedenkblatt zur Traditions-Übergabe an das II. Bataillon Infanterie-Regiment 69, Wandsbek am 5. Februar 1937, o.O. 1937, zit.n. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 228. Vgl. Eckard Michels, Ein Feldzug – zwei Perspektiven? Paul von Lettow-Vorbeck und Heinrich Schnee über den Ersten Weltkrieg in Ostafrika, in: Michael Epkenhans, Stig Förster und Karen Hagemann (Hg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn 2006 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 29), S. 152–168, S. 153. Vgl. Josef H. Krumbach, Kolonialpolitik heute, München 1941; siehe dazu auch Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 225–228.
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lich und aus den untersuchten Quellen nicht bekannt. Doch soweit es möglich war, wurden zunächst Soldaten eingesetzt, die bereits Erfahrungen auf dem afrikanischen Kontinent gesammelt hatten. So bestand das im Juni 1941 aufgestellte Regiment 361 aus ehemaligen Angehörigen der französischen Fremdenlegion,54 die nach der Einführung der Wehrpflicht 1935 zunächst als »wehrunwürdig« gegolten hatten und vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen gewesen waren.55 Aus dem für dieses Buch untersuchten Quellenkonvolut stammt allerdings nur eine Erinnerung von einem Soldaten, der zuvor in der Fremdenlegion gedient hatte. Der 1902 geborene Hans C. hatte sich Ende Januar 1925 für fünf Jahre der französischen Fremdenlegion verpflichtet und war in Algerien und Marokko eingesetzt worden, bevor er fast zwanzig Jahre später erneut als Soldat in Nordafrika landete. In seinen 1977 niedergeschriebenen Erinnerungen rekapitulierte er beide Einsätze.56 Mehr als mit dem Kriegsraum vertraute ältere Soldaten wurden jedoch junge Männer in Nordafrika eingesetzt, von denen viele nicht von der seit 1935 bestehenden allgemeinen Wehrpflicht betroffen waren und sich freiwillig für den Kriegseinsatz meldeten.57 Manche von ihnen, darunter der damals 18-jährige Heinz Kreft, hegten konkrete kolonialpolitische Hoffnungen auf eine Rückgewinnung der Kolonien, wie er später als Veteran in einem Interview mit dem Filmemacher Martin Baer angab.58 Unter kolonialpolitisch interessierten Soldaten stimmte also bereits die Aussicht auf ein militärisches Eingreifen in einem Kolonialgebiet zuversichtlich, dass das Deutsche Reich sich erneut zu einer Kolonialmacht erheben könnte. Dass der Nordafrikafeldzug so unkompliziert an die deutschen Kolonialkriege angebunden werden konnte und die Landung deutscher Truppen auf dem afrikanischen Kontinent sofort koloniale Bestrebungen verstärkte, lag an der Wirkmächtigkeit, die der europäische Kolonialismus als Diskurs auf mentaler Ebene hatte. Die Machtausübung und die Reglementierungen der Kolonialherrschaft prägten einerseits die eroberten Gesellschaften auf Jahrhunderte hinweg. Andererseits wirkte diese Erfahrung, wie die postcolonial studies gezeigt haben, umgekehrt langfristig auf die kolonisierenden Gesellschaften zurück.59 Die koloniale Erfahrung beeinflusste Einstellungen und Empfindungen, Vor-
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Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 34. Siehe auch die Eigenpublikation von Wolfgang Wallenda, Blutiges Afrika. Fremdenlegionäre im Deutschen Afrika-Korps, Norderstedt 2014. Eckard Michels, Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965: Mythen und Realitäten, Paderborn 1999, S. 106. Vgl. DTA, 1464.1 (Reg.-Nr.1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977. Vgl. Cornelia Hecht und Johannes Häusler (Hg.), Mythos Rommel. Katalog zur Sonderausstellung, Stuttgart 2008, S. 58. Auch für den Einsatz in den Feldpoststellen in Nordafrika meldeten sich Feldpostbeamte freiwillig, vgl. die zitierte Erinnerung bei Gerhard Oberleitner, Geschichte der Deutschen Feldpost. 1937–1945, Innsbruck 1993, S. 136. Vgl. Baerfilm Produktion, Befreien Sie Afrika!, URL: https://www.baerfilm.de/frameseiten2/bsa-f rame-deu.html [13.06.2021], und Sylvie Nantcha, Interdisziplinarität – Kulturtransfer – Literatur, Würzburg 2009 (= Epistemata, Bd. 672), S. 240. Das Sprachbild der Einbahnstraße wird in diesem Kontext häufig verwendet, vgl. etwa Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2010, S. 43.
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stellungen und Denkmuster sowie Praktiken, Symbole und materielle Ausdrucksformen nachhaltig.60 Gesetzgebung, Wissenschaft oder Straßennamen, Kunst, Literatur oder Film gründeten auf kolonialen Machthierarchien und Vorstellungen oder transportierten diese. Insbesondere die Alltagskultur war vom Kolonialismus durchdrungen und »Komplizin kolonialer Praktiken«.61 Abenteuerromane, Reiseberichte und die seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Hochphase erlebende exotistische Literatur62 beeinflussten die vorherrschenden Raumvorstellungen über den afrikanischen Kontinent und andere kolonisierte Gebiete. Gesellschaftsspiele, Werbung, Postkarten oder Briefmarken reproduzierten stetig koloniale Vorstellungen über andere Länder und Menschen und von weißer Überlegenheit – und zwar vor allem über Bilder.63 Auf diese Weise wurden koloniale Herrschaftsformen und Verhaltensmuster eingeübt und Stereotype verbreitet.64 Der Kolonialismus war damit Teil der »Gedanken-und Gefühlswelt der deutschen Gesellschaft«.65 Der nördliche Teil des afrikanischen Kontinentes hatte zwar nie zu den deutschen Kolonialgebieten gezählt, doch war das Gebiet beliebtes Ziel bei europäischen (Forschungs-)Reisenden. Spätestens seit der Ägypten-Expedition Napoleons 1798 stellte man sich in Europa den arabischen Raum als magischen Ort voller Geheimnisse vor. Und die Königlich Preußische Expedition nach Ägypten und Äthiopien unter der Leitung von Carl Richard Lepsius 1842 trug maßgeblich zur Produktion von Wissen über den afrikanischen Kontinent in Europa bei.66 Im 19. Jahrhundert faszinierten die dort lebenden Menschen und die Natur nicht mehr allein Forschende. Die arabische Architektur und Ornamentik schlugen sich ebenfalls in der europäischen Literatur und Malerei nieder. In der Kunstszene entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine regelrechte »Ägyptomanie«.67 Zahlreiche Bildungsbürger und Kunstschaffende brachten von ihren 60
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Tatsächlich hat Zantop schlüssig dargelegt, dass gesellschaftliche Diskurse und die Kultur auch bereits vor der deutschen Kolonialherrschaft stark von Kolonialphantasien beeinflusst waren, vgl. Zantop, Colonial Fantasies. Vgl. Simons, Kolonialismus als Kultur, S. 168. Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 11. Vgl. etwa Honold und Simons, Kolonialismus als Kultur; Felix Axster, Koloniales Spektakel in 9×14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich, Bielefeld 2014 (= Post_koloniale Medienwissenschaft, Bd. 2); Joachim Zeller, Bilderschule der Herrenmenschen. Koloniale Reklamesammelbilder, Berlin 2008; Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart und Weimar 2004; zur englischen und französischen Literatur vgl. Said, Kultur und Imperialismus. Vgl. Simons, Kolonialismus als Kultur, S. 170. Birthe Kundrus, Die Kolonien. »Kinder des Gefühls und der Phantasie«, in: dies. (Hg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt a.M. 2003, S. 7–18, S. 7. Diese auch heute noch spürbaren Nachwirkungen der kolonialen Kultur werden mittlerweile als Kolonialität bezeichnet, vgl. etwa Charlotte Wiedemann, Den Schmerz der Anderen begreifen. Über Erinnerung und Solidarität, Berlin 2022, S. 17. Vgl. etwa Silke Grallert und Jana Helmbold-Doyé (Hg.), Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842–1845 (Ausst.-Kat. Ägyptisches Museum und Papyrussammlung. Staatliche Museen zu Berlin), Berlin 2022. Vgl. L.I.S.A. Redaktion, Nach Ägypten! Von Max Slevogt bis Paul Klee. Ägyptenrezeption in der deutschen Malerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Ger-
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Reisen nach Nordafrika Gemälde und Fotografien mit zurück, die das Gesehene aus europäischer Perspektive darstellten und zu einem romantisch-verklärten Bild dieser Region beitrugen.68 Zugleich waren solche Expeditionen immer Wegbereiter für die Eroberung und Beherrschung.69 Auffällig ist, dass Nordafrika in diesen Raumbeschreibungen oder -darstellungen unter zwei Begriffe und damit Raumvorstellungen gefasst wurde. Das Gebiet gehörte zu »Afrika« und zugleich zum »Orient«, wobei besonders letzterer Begriff unterschiedliche Vorstellungen umfasste. Im 19. Jahrhundert waren die beiden tradierten Raumvorstellungen verschmolzen, als europäische Reisende den nördlichen Teil des afrikanischen Kontinentes vor allem als »orientalischen« Raum beschrieben. Sie erweiterten damit die Vorstellung vom »Orient« geographisch, so dass es nun möglich war, »den ›Orient‹ sowohl afrikanisch zu denken als auch den afrikanischen Kontinent als orientalisch zu begreifen«.70 Die Verschmelzung der beiden Begriffe im deutschen Diskurs veranschaulicht den Konstruktionscharakter von Raumbezeichnungen wie »Afrika« und »Orient«. Beides sind Raumvorstellungen, die zwar grob an bestimmte geographische Regionen gebunden, doch unter dem Einfluss von kulturellen Bildern und Diskursen imaginiert und konstruiert worden sind. Mit dem Begriff der imaginative geography betonte Edward Said gerade diesen Konstruktionscharakter, hob dabei aber die realpolitischen Auswirkungen insbesondere auf Machtverhältnisse hervor.71 Die beschriebene »koloniale Kultur« und vorherrschende Bilder und Vorstellungen verschwanden nicht mit dem Ende der formalen deutschen Kolonialherrschaft, sondern
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da Henkel Stiftung, 30. April 2014, URL: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/faszination_aegypt en?nav_id=4921 [15.01.2021]. Vgl. Petra Bopp, Fern-Gesehen. Bildexpeditionen in den Orient. 1865–1893, Marburg 1995; Oliver Simons, Dichter am Kanal. Deutsche Ingenieure in Ägypten, in: Alexander Honold und Oliver Simons (Hg.), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden, Tübingen 2002, S. 243–262. Zur Reise dreier bedeutender deutscher Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Tunesien vgl. Michael Baumgartner (Hg.), Die Tunisreise 1914: Paul Klee, August Macke, Louis Moilliet (Ausst.-Kat. Zentrum Paul Klee, Bern), Ostfildern 2014. Im selben Jahr reiste Max Slevogt, der bereits »Ali Baba und die 40 Räuber« illustriert hatte, nach Ägypten, vgl. Andreas Dehmer (Hg.), Max Slevogt: Die Reise nach Ägypten, 1914 (Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden und Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf), Dresden 2014. Vgl. dazu etwa Reiner Prass, Forschungsreise und Wissensproduktion in Afrika in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2019, URL: www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1728 [24.02.2023]. Rubina Zern, Entgrenzungen Siziliens. Deutsche Wahrnehmungen zwischen Europa, Orient und Afrika vom 18. bis 20. Jahrhundert. 4. Bochumer Nachwuchsworkshop für MediterranistInnen: Mediterrane Grenzen – Grenzen der Mediterranen. Zentrum für Mittelmeerstudien, 15.–16. November 2013, Ruhr-Universität Bochum, S. 7, URL: https://www.ruhr-uni-bochum.de/marem/en/Beric ht_BNWS_2013.pdf [11.06.2021]. Siehe auch Markus Schmitz, Orient, in: Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.), Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2011, S. 483–496, S. 485. Vgl. Edward Said, Orientalism, in: The Georgia Review 31 (1977) 1, S. 162–206, S. 170.
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blieben bis in die Zeit des Nationalsozialismus präsent.72 Exotistische Darstellungen anderer Länder und koloniale Themen waren in Presse, Literatur und Film weiterhin ebenso verbreitet wie zur Zeit des Kaiserreiches oder der Weimarer Republik.73 Als Mitglieder der deutschen Gesellschaft waren die Soldaten, die in Nordafrika kämpfen sollten, vor ihrer Abreise von all diesen Bildern und Erzählungen beeinflusst.74 Sie führten dazu, dass die meisten der freiwillig nach Nordafrika versetzten Soldaten ihre Meldung weniger mit dem Willen, Kolonien zurückzuerobern, begründeten als vielmehr mit exotistischen Vorstellungen und der Erwartung eines aufregenden Erlebnisses. So erinnerte sich der ehemals in Nordafrika eingesetzte Veteran Werner Mork, dass ihm der »eigentliche Sinn des Einsatzes […] zwar nicht ganz plausibel« war, doch habe er angenommen, es werde schon einen »triftigen Grund« für das militärische Eingreifen in Nordafrika geben. Was für ihn zählte, war »der Hauch vom großen Abenteuer im fernen Afrika«.75 Daher meldete er sich freiwillig für den Einsatz im Deutschen Afrikakorps (DAK)76 . Wie Mork wurden viele Soldaten angelockt durch den »exotischen Kriegsschauplatz«, wie es im Katalog zur Ausstellung »Mythos Rommel«, die Perspektive der Soldaten übernehmend, heißt.77 Sie erwarteten, in Nordafrika Abenteuer zu erleben,78 fremdartige Städte kennenzulernen und unter Palmen zu liegen.79 Heinz Kreft etwa stellte sich ein aufregendes Zusammentreffen mit Palmen und Schwarzen Menschen (in dieser Reihenfolge!) vor und meldete sich als »Kamelreiter« zum Militär.80 Damit war für sie »Afrika« ebenso eine »Projektionsfläche für persönliche wie kollektive Wünsche,
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Vgl. Marianne Bechhaus-Gerst, »Nie liebte eine Mutter ihr Kind mehr, als wenn es krank ist«. Der Kolonialrevisionismus (1919–1943), in: dies. und Joachim Zeller (Hg.), Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, 2., erweiterte Auflage, Berlin 2021, S. 101–122. Vgl. Christoph Hagebeucker, Exotik im Dritten Reich. Das Koloniale in populären Medien und die Mobilisierung der Deutschen, Hamburg 2019 (= Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 113). Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 224. Werner Mork, Der lange Weg nach Afrika, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, URL: https://w ww.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-der-lange-weg-nach-afrika.html [05.06.2019]. Häufig wird die Bezeichnung Deutsches Afrikakorps (DAK) undifferenziert verwendet. Das DAK war nur eine von vielen in Nordafrika eingesetzten Formationen, vgl. dazu etwa John Ellis, World War II. A Statistical Survey, New York 1993, S. 58. Daher spreche ich in diesem Buch allgemein von den in Nordafrika eingesetzten beziehungsweise dort kämpfenden Soldaten, wenn nicht in den Quellen explizit vom DAK die Rede ist. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58 Vgl. auch Werner Mork, Als LKW-Fahrer in Nordafrika 1942, URL: https://www.dhm.de/lemo/zei tzeugen/werner-mork-als-lkw-fahrer-in-nordafrika-1942.html [13.06.2021]; DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5. Vgl. etwa einen Brief, in dem Oskar H. seine ursprünglichen Erwartungen schildert, DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1). Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 31. Januar 1943, S. 35. Vgl. Baerfilm Produktion, Befreien Sie Afrika!, URL: https://www.baerfilm.de/frameseiten2/bsa-f rame-deu.html [13.06.2021], und Sylvie Nantcha, Interdisziplinarität – Kulturtransfer – Literatur, Würzburg 2009 (= Epistemata, Bd. 672), S. 240f. Zwar gab es keine Kamelreiter unter den Soldaten in Nordafrika, doch wurden sie teils als solche bezeichnet, um ihre Anpassung an den Kriegsraum zu verdeutlichen, vgl. Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4.
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Entwürfe und Konzeptionen«81 wie für zahlreiche europäische Reisende vor ihnen. »Afrika, das war doch wirklich ein gewaltiges Abenteuer, das lockte unwiderstehlich«, beschrieb Mork seine Empfindungen über den bevorstehenden Einsatz. Noch in der retrospektiven Beschreibung wird deutlich, dass seine Abenteuerlust vor allem von den Vorstellungen herrührte, die er über den Kriegsraum hatte. Das Phänomen, dass eine exotistische Abenteuerlust und die Hoffnung auf Entdeckung »fremder« Welten den freiwilligen Kriegsdienst gerade junger82 Soldaten begründeten, ist kein Spezifikum des Nordafrikafeldzuges. Bereits in anderen Kriegen davor und danach meldeten sich junge Männer in der Hoffnung auf Abenteuer freiwillig zum Kriegseinsatz oder gewannen ihrer Verpflichtung durch diese Einstellung etwas Positives ab.83 Auffällig ist dabei, dass die Abenteuerlust oft an vermeintlich besondere Kriegsschauplätze und exotistische Vorstellungen geknüpft ist. So erwarteten unter den während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich eingesetzten deutschen Soldaten oder im Vietnamkrieg eingesetzte US-Soldaten in einem von ihnen als »exotische Fremde« bewerteten Kriegsgebiet abenteuerliche Erlebnisse.84 Diese Einschätzung des Kriegsraumes und die damit verbundenen Erwartungen waren und sind ein westliches, in der Tradition kolonialen Denkens stehendes Phänomen. Daher war es nicht allein die deutsche Sehnsucht nach »Exotik«, die das nordafrikanische Kriegsgebiet befriedigte. Wie Frances Houghton gezeigt hat, schenkte auch die britische Presse dem Nordafrikafeldzug große Aufmerksamkeit, was nur zum Teil an den militärischen Erfolgen der eigenen Truppen lag. Zwar konnten die Briten lange Zeit nur auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz Erfolge gegen die deutsche Wehrmacht verbuchen, doch bediente das Thema die Vorlieben der Zeitungslesenden. Wie die deutsche, war auch die britische Öffentlichkeit von der vermeintlichen Exotik des Kriegs-
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Kundrus, Die Kolonien – »Kinder des Gefühls und der Phantasie«, S. 7. Aus dem untersuchten Quellenkonvolut lässt sich kein statistisch belastbarer Zusammenhang zwischen einer freiwilligen Meldung und dem Geburtsjahr herstellen, da lediglich von fünf Soldaten das Geburtsdatum und sogleich die Freiwilligkeit bekannt sind. Sie sind zwischen 1921 und 1942 geboren und waren damit zu Zeitpunkt der Verlegung der ersten deutschen Einheiten nach Nordafrika zwischen 17 und 20 Jahre alt. Es handelt sich um Werner Mork, geb. 1921, dessen Erinnerungen online veröffentlicht sind, vgl. Werner Mork, Afrika – oder nicht?, LeMo – Lebendiges Museum Online, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-afrika-oder-nich t.html [25.05.2021]; Helmut T., geb. 1921, DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1); Ludwig E., geb. 1923, MSPT, 3.2002.7104; Heinz Kreft, geb. 1923, vgl. Internetseite Baerfilm, Befreien Sie Afrika! und Günther E., geb. 1924, DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2). Vgl. Paula Diehl, Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer, Berlin 2005, S. 69. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 fühlen sich junge Männer aus aller Welt vom Krieg angesprochen und kämpfen auch aus der Hoffnung auf Abenteuer heraus als »Foreign Fighter« auf Seiten der Ukraine, vgl. dazu: Aleksandra Tulej, Wenn junge Männer in fremde Kriege ziehen, in: Biber, 14. April 2022, URL: https://www.dasbiber.at/content/wenn-junge-maenner-fre mde-kriege-ziehen [30.09.2022]. Vgl. Oliver Stein, »Orientfahrten«. Deutsche Soldaten im Osmanischen Reich und der Krieg als Reiseerlebnis 1914 bis 1918, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 75 (2016), S. 327–358, S. 331; James Lewes, Protest and Survive. Underground GI Newspapers during the Vietnam War, Westport 2003, S. 2. Ganz allgemein war der Kriegseinsatz auch immer ein Reiseerlebnis, vgl. dazu das entsprechende Kapitel im vorliegenden Buch.
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schauplatzes fasziniert, und die weißen Soldaten der Insel hofften ebenso wie die deutschen Soldaten, in der afrikanischen Wüste ein aufregendes Abenteuer zu erleben.85 Die Rekrutierungspraktiken der Wehrmacht für den Krieg in Nordafrika konnten bestehende Erwartungen an ein Abenteuer in »exotischer Fremde« durchaus befördern. Nachdem die Vorbereitungen für den Feldzug in Nordafrika unter größter Geheimhaltung getroffen worden waren, wurden die Soldaten »[i]n aller Eile […] auf Tropentauglichkeit untersucht und notdürftig mit den Besonderheiten Afrikas vertraut gemacht«.86 Die Untersuchung knüpfte an koloniale Praktiken und die sich seit dem 15. Jahrhundert entwickelnde Vorstellung an, zwischen sogenannten gemäßigten Gebieten und »den Tropen« zu unterscheiden. Diese Differenz verweist zwar auf geographische Gebiete, spiegelt aber vor allem eine kulturelle Sichtweise wider, die zwischen »dem Eigenen« und »dem Fremden« unterscheidet. Dass dabei davon ausgegangen wurde, dass weiße Körper dem tropischen Klima nicht lange standhalten konnten und daher eine besondere Tropenmedizin entwickelt werden musste, belegt, welchen Einfluss Vorstellungen von Rasse bei der Entwicklung dieses Raumbildes hatten.87 Bei der schnell abgewickelten medizinischen Untersuchung auf Eignung der Soldaten wurde begutachtete man vor allem der Zustand von Kreislauf und Zähnen.88 Daneben sollten die Soldaten unter 35 Jahre alt sein, keine Asthmatiker, Rheumatiker, Magenund Darmkranke sein und nicht unter Hämorrhoiden oder Krampfadern leiden.89 Die Untersuchung auf Tropendienstfähigkeit konnte als Praktik, die aus der Vorbereitung der Kolonialkriege stammte,90 zusätzlich exotistische Vorstellungen über den Kriegsraum und Assoziationen mit einem Kolonialkrieg wecken. Zudem ließ die Untersuchung auf Tropentauglichkeit den Einsatz als besonders erscheinen. Walter Mork erklärte rückblickend, dass er sich wie in einer Elitetruppe vorkam.91 Eine spezielle Ausbildung erhielten die für den Einsatz auf dem afrikanischen Kontinent ausgewählten Soldaten nicht. Lediglich durch schriftliche Handreichungen, wie das 1941 vom OKH herausgegebene Taschenbuch Der Soldat in Libyen mit Informationen zum Kampfgebiet, seiner Geographie und den Wetterverhältnissen – von den Soldaten und in der Presse stets als Klima bezeichnet – wurden sie auf den Einsatz vorbereitet.92 Daher gingen sie mit generalisierenden Vorstellungen und stark von populären Medien geprägten stereotypen Fremdbildern im Gepäck auf die Reise nach Nordafrika.
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Vgl. Houghton, Veterans’ Tale, S. 72–74. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58 David Arnold, The Problem of Nature. Environment, Culture and European Expansion, Oxford/ Cambridge 1996, S. 142, 152. Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 44. BArch-MA, RH 27–15/58, Anlage, Deutsches Afrika-Korps, Divisionshygieniker, 6. Juli 1941, fol. 166. Vgl. Susanne Kuß, Kolonialkriege und Raum, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73 (2014), S. 333–348, S. 344. Vgl. Werner Mork, Der lange Weg nach Afrika, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/wern er-mork-der-lange-weg-nach-afrika.html [13.06.2021]. Vgl. BArch-MA, RH 27–15/58, Abschrift der Anlage zu 15. Pz. Div. Ia Nr. 635/41 g. Kdos. vom 10. Juli 1941, S. 12; Oberkommando des Heeres Oberkommando des Heeres, Gen. St. d. H., Abt. Fremde Heere West (IV) (Hg.), Der Soldat in Libyen. Taschenbuch für die Truppe, Berlin 1941.
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Zunächst schienen sich ihre Vorstellungen von der »exotischen Fremde« zu bestätigen. Die Soldaten freuten sich, wenn bei der Anreise per Flugzeug oder Schiff endlich »Afrika, das lang ersehnte Land in Sicht«93 kam, und bewerteten die ersten Eindrücke in Nordafrika positiv. »Wie ist nun dieses Land? Ei, genau, wie wir es uns gedacht«,94 notierte etwa Hans P. in sein Tagebuch und bezog sich dabei auf den feinen Sand, ihm unbekannte Pflanzen und hohe Temperaturen. Der Truppenarzt Hubert S. bezeichnete seinen Konvoi vom Flugplatz in Tunis zum Einsatzort als »reinsten Kongoexpress«95 und referierte damit auf einen Ufa-Film von 1939. Helmut T. erinnerte sich noch nach dem Krieg, welch »seltsames Gefühl«96 es war, das »Land, mit dem sich bisher immer nur unsere Phantasie und unsere Träume beschäftigt hatten«,97 zu betreten. Er fand, Nordafrika sei »[m]alerisch«.98 Selbst Männer, die gegen ihren Willen nach Nordafrika versetzt und zunächst nichts Gutes erwartet hatten, nahmen den Kriegsschauplatz vor Ort als faszinierend wahr. Georg N., damals 28 Jahre alt und im zivilen Leben Jura-Referendar, war 1940 zum Kriegsdienst eingezogen worden und zunächst in Belgrad stationiert. Als er im Mai 1941 »neueste Gerüchte« hörte, »daß es zum südlichen Griechenland oder gar nach Afrika (Tripolis)« gehen könnte, war er skeptisch und schrieb seiner Frau, dass er nicht dorthin versetzt werden wollte.99 Er habe keine Lust »umzulernen auf Kokosnußhändler oder Palmwedelfabrikant«.100 Zwar ist aus dieser Abneigung eine gewisse Ironie herauszulesen, doch zeigt das Zitat, wie stark seine Vorstellungen von tradierten, exotistischen Raumvorstellungen geprägt war. Im September 1941 ging es für ihn auf die Reise nach Süden. Er landete am Abend des 25. September in der libyschen Küstenstadt Tripolis. Drei Tage später schrieb er seiner Frau begeistert über seinen neuen Aufenthaltsort: »Herrlich! Auf Urlaub verzichte ich.« Es sei »noch sehr warm«, gebe »Araber und N*« und »[r]iesige Dattelpalmen«.101 Seine Beschreibung knüpften an tradierte exotistische Bilder an, welche die Wahrnehmung der deutschen Soldaten lenkten, so dass sie selektiv nur das bereits Bekannte sahen und sich damit ihre von der Populärkultur geprägten Vorstellungen über »Afrika« bestätigten.102 Dazu gehörte eine – oft noch heute zu beobachtende – undifferenzierte Sicht auf den Kontinent, der als einheitliches Ganzes verstanden wurde.103 So informierte die Feld93 94 95
NLA-WO, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 4. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1942, S. 1. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 22. November 1942. Zum Film Kongo-Express vgl. Willeke Sandler, Empire in the Heimat. Colonialism and Public Culture in the Third Reich, Oxford 2018, S. 257. 96 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien-Afrika, S. 53. 97 Ebd., S. 55. 98 Ebd., S. 52. 99 Vgl. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 13. Mai 1941. 100 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 13. Mai 1941. 101 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 28. September 1941. 102 Selektive Wahrnehmung attestiert Schwarz auch deutschen Soldaten bei der Ankunft in Kolonien, vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 12. 103 Vgl. dazu etwa Dipo Faloyin, Africa Is Not A Country. Breaking Stereotypes of Modern Africa, London/New York 2022.
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zeitung nicht nur über »Land und Leute« Nordafrikas, sondern berichtete auch über Volksgruppen aus Zentralafrika, die ehemaligen deutschen Kolonien oder nicht genauer lokalisierte Tropengebiete.104 Diese vereinheitlichende Vorstellung schlug sich sprachlich nieder. Öffentlichkeit und Militär sprachen nicht von einem Krieg in Nordafrika oder in Libyen, Ägypten und Tunesien, sondern bezeichneten den Krieg als »Afrikafeldzug« und den zunächst eingesetzte Großverband der Wehrmacht als »Deutsches Afrikakorps«. Diesen Beispielen folgend, gaben viele Soldaten ihren Aufenthaltsort schlicht mit der homogenisierenden Bezeichnung »Afrika« an. Dies lag sicherlich partiell an den Vorgaben der Zensur, die es den Soldaten verbot, genaue Angaben über den Einsatzort zu machen.105 Da sich manche Soldaten jedoch über diese Anweisung hinwegsetzten,106 können die Ortsbezeichnungen dennoch als Hinweis darauf gewertet werden, dass die deutschen Soldaten den Kriegsraum vor allem als Teil des afrikanischen Kontinentes wahrnahmen und eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Ländern und Regionen des Kontinentes für unnötig hielten. Lediglich ein Soldat aus dem untersuchten Quellenkonvolut scheint diese Verallgemeinerung beim Verfassen der Ortsangabe in einem Brief reflektiert zu haben. Er schrieb seiner Frau, dass er sich in »Afrika« aufhalte, und setzte die Ortsangabe in Anführungszeichen.107 Die Undifferenziertheit der soldatischen Raumvorstellung zeigt sich weiter daran, dass sie die noch heute verbreitete Redensart vom »schwarzen Kontinent«108 verwendeten, der Vorstellungen von den geographischen Gegebenheiten in den Gebieten südlich der Sahara wachruft.109 So berichteten sie nach der Ankunft in den Briefen, sie seien »glücklich im schwarzen Erdteil gelandet«110 oder hätten »den Boden des dunklen Erdteils«111 betreten. An dieser Ausdrucksweise wird deutlich, dass die Soldaten keine spezifischen Vorstellungen hatten und ihre Vorstellungswelt an tradierte Allgemeinplätze anschloss. Zugleich nahmen die Soldaten den Kriegsraum als Teil des »Orients« wahr, wobei sie stets an tradierte Orientvorstellungen anknüpften. So findet sich in den soldatischen
104 Vgl. etwa H. v. Othegraven, Afrikanische Tätowierungen. Abschreckung wurde Schönheitsideal, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 3. 105 Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 11; Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 83. 106 Vgl. etwa BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 5. Oktober 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 9. Juli 1942; MSPT, 3.2015.2600, Wolf an seine Schwägerin am 8. März 1943; MSPT 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 3. März 1941. 107 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. März 1941. 108 Karl Standke, Auch ein »Lied der Wüste«, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 109 Vgl. Adibeli Nduka-Agwu und Daniel Bendix, Die weiße Darstellung »Afrikas« in der deutschen Öffentlichkeit. Wie ein Kontinent genormt, verformt und verdunkelt wird, in: HUch! Sonderausgabe Rassismus – Winter 2008/09, S. 18–19, URL: https://www.refrat.de/huch/archiv/pdf/HUch_R assismus.pdf [15.01.2021]. 110 BfZ, Sammlung Sterz, Heino P., Ausschnitt aus einem Brief vom 11. April 1942. Vom »schwarzen Erdteil« schrieben auch: MSPT, 3.2017.467.0, Hans D. an Margret am 7. April 1943; DTA, 238.1 (Reg. Nr. 2361.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika. S. 56. 111 DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5.
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Selbstzeugnissen die bereits beschriebene Verschmelzung der beiden Raumkonstruktionen »Afrika« und »Orient«. Die Soldaten verwendeten beide Raumbezeichnungen teils in einem Atemzug, wie Heino P., der in seinem ersten Brief nach der Landung bekundete, ihm gefalle »Afrika« oder der »Zauber des Orients« mit seinen »seltsamen und herrlichsten Naturerscheinungen«.112 Werner Mork erinnerte sich, »[d]er Krieg im fernen Afrika mit Wüste, Oasen, Kamelen, Beduinen und verschleierten Schönheiten war ein Abenteuer, das uns faszinierte«.113 Wie er hoben auch andere Soldaten Beduinen und Kamele in den Beschreibungen des Kriegsschauplatzes hervor. Und in der Feldzeitung Oase wurde ebenfalls berichtet, dass die Soldaten in Bezug auf ihren Einsatz von Palmen, Eseln, Karawanen »wiegender Kamele, schwer mit köstlichen, buntfarbigen Teppichen beladen«, »Arabern« auf »zartgliedrigen Hengsten« und Marmormoscheen träumten.114 Damit griffen sie auf Motive zurück, die bereits in der Werbung des 19. Jahrhunderts den »Orient« symbolisiert hatten.115 Wesentlicher Punkt aller Erwartungen und Raumbilder war aber, dass der Kriegsraum das fundamental »Andere« zu dem Raum darstellte, dem sich die deutschen Soldaten zugehörig fühlten. In einer ins späte 18. Jahrhundert zurückreichenden europäischen Tradition galt er als Teil des »schwarzen Afrika« und als Gegenpart zum weißen Europa: Als Teil des sogenannten »Morgenlandes« war er Gegenstück zum europäischen Abendland und damit wichtig für die eigene Selbstkonstruktion.116 Durch die notwendige Anreise durch Italien und über das Mittelmeer, das traditionell als »vermittelndes Gliede der drei Weltteile«117 und »Vermittler zwischen Orient und Okzident«118 galt, verstärkte das Reiseerlebnis die Konstruktion des »Anderen«. Das Meer war für die Soldaten nicht nur das Grenzgebiet zwischen den zwei Welten des Friedens und des Krieges, sondern auch zwischen der bekannten »Heimat« und der unbekannten »Fremde«. Die Feldzeitung Oase hob das Mittelmeer daher als Transferraum hervor und bezeichnete den Kriegsraum Nordafrika als »drüben«.119 Die Andersartigkeit des Kriegsschauplatzes machten die Soldaten oft am Wetter sowie an der nordafrikanischen Flora und Fauna fest. Weil die Verbindung des afrikanischen Kontinentes mit Hitze bereits seit der Jahrhundertwende als Diskurs etabliert war 112 113 114 115 116
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Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Briefausschnitt von Heino P. vom 11. April 1942. Werner Mork, Der lange Weg nach Afrika, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, URL: https://w ww.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-der-lange-weg-nach-afrika.html [05.06.2019]. Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. Vgl. Bopp, Fern-Gesehen, S. 43 und 85. Vgl. Schmitz, Orient, S. 486; Volker Wiemann, »Das ist die echte orientalistische Gastfreundlichkeit«. Zum Konzept kolonisierbarer, nicht-kolonisierbarer und kolonisierender Subjekte bei Karl May, in: kultuRRevolution. Zeischrift für angewandte Diskurstheorie (1995) 32/33, S. 99–104, S. 99. Meyers Großes Konversations-Lexikon 1908, S. 919, zitiert nach Christine Isabel Schröder, Geopolitik des Mittelmeers im Nationalsozialismus. Eine wissenschaftliche Perspektive, in: Bernd Thum und Gerd Ulrich Bauer (Hg.), Kulturelle Faktoren der Geopolitik, Stuttgart 2014 (= WIKA-Report, Bd. 2), S. 94–99, S. 96. Der Große Brockhaus 1932, S. 631, zit.n. Schröder, Geopolitik des Mittelmeers, S. 96. Vgl. Ernst Bayer, Durchs Mittelmeer nach Afrika!, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3; Heinz Schmidt, Das Beispiel eines Bataillons: Grosses Soldatensportfest im Süden, in: Die Oase 50, 12. Oktober 1941, S. 4.
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und die brennende Sonne in zahlreichen Reiseberichten als entscheidendes Kennzeichen des Kontinentes beschrieben wurde,120 erwarteten die Soldaten ein ihnen von zu Hause unbekanntes oder zumindest ein durchgängig mediterranes Klima. Der Truppenarzt und spätere Oberarzt der Wehrmacht Hubert S. schrieb seiner Frau Maria Anfang November aus dem Zug in Richtung Neapel, dass er und seine Mitfahrer trotz des nahenden Winters darauf hofften, »[i]n der südlichen Wärme« alle ihre Erkältungen loszuwerden.121 Ihre ersten Erlebnisse bestätigten diese Annahme, und sie sendeten Grüße »aus dem Land der heißen Sonne«122 oder »aus dem heißen Wüstenlande«.123 Vor allem die Soldaten, die im Winterhalbjahr nach Nordafrika versetzt wurden, freuten sich über die blühende Vegetation und die milden Temperaturen, bei denen sie im Meer baden konnten.124 Die Zypressen, Pinien und Palmen unter dem blauen Himmel ließen den Soldaten Alfred K. die Kälte und kahlen Bäume zu Hause vergessen.125 Robert W. freute sich nach seiner Ankunft über das »ausgezeichnet[e]« Wetter und prahlte: »So lange wie wir hier sind, der schönste Sonnenschein!«126 Hans P. kontrastierte ebenfalls in seinem Tagebuch den Winter, den er mit dem Kriegseinsatz entflohen war, mit dem »Frühlingswetter« und blühenden Bäumen in Nordafrika.127 Die Wetterbeschreibungen der ersten Tage in Nordafrika im Briefkonvolut des Majors Ritter von D. illustrieren, wie stark die Vorannahmen und Imaginationen über den Kriegsraum die Wahrnehmung der Soldaten oder zumindest deren Erzählungen in den Briefen nach Hause prägten. Kurz nach der Ankunft schrieb er seiner Familie, das Wetter sei angenehm und er freue sich über blühende Klematis und Früchte tragende Zitronenund Orangenbäume vor seinem Balkon.128 Sein nächster Brief belegt, dass er die Wetterbedingungen zunächst beschönigt hatte: »Nun ist es seit heute plötzlich schön geworden, warm, wie bei uns im Juli. Ich bin froh darum, denn die ersten 8 Tage waren wirklich ungemütlich.«129 Obwohl in den ersten Tagen in Nordafrika offenbar kein angenehmes Wetter herrschte, hatte er an bestehende Raumbilder angeknüpft und damit vorherrschende Erwartungen bestätigt. Ein solches Festhalten an den Vorstellungen trotz anderer Erlebnisse ist bei vielen der soldatischen Selbstzeugnisse aus Nordafrika nachweis120 Vgl. Albert Gouaffo, Topographieren, malen, photographieren und erzählen. Das Grasland von Kamerun und seine kulturgeographische Mediatisierung im Rheinland – and back, in: Albert Gouaffo und Stefanie Michels (Hg.), Koloniale Verbindungen – transkulturelle Erinnerungstopografien. Das Rheinland in Deutschland und das Grasland Kameruns, Bielefeld 2019 (= Histoire, Bd. 145), S. 51–67, S. 56. 121 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942. 122 BfZ, Sammlung Sterz, Unbekannter Soldat an Martha B. am 18. März 1942. 123 MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 29. März 1942. 124 Vgl. MSPT, 3.2002.0344.2, Alfred F. an Ritha am 6. April 1943; BfZ, Sammlung Sterz, Karl O. an seine Mutter am 27. Oktober 1942; DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5. 125 HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträgen zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3. 126 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 3. März 1941. 127 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1943, S. 1. 128 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 9. Februar 1943. 129 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 16. Februar 1943.
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bar. Denn obwohl viele der Männer sich zunächst an einem Ferienort glaubten, sollten die meisten Soldaten schnell eine herbe Enttäuschung erleben.
1.3 Krieg statt Abenteuer Wenige Tage nach Beginn ihres Einsatzes merkten die deutschen Soldaten meist bereits, dass sie statt eines Abenteuers einen Krieg erlebten. Schon bei der Schiffspassage über das Mittelmeer waren manche der Soldaten den britischen Fliegerangriffen ausgesetzt, und die Häfen der großen Küstenstädte, an denen sie anlegten oder nach dem Flug über das Mittelmeer landeten, wurden regelmäßig bombardiert. An der Front waren sie dem Beschuss durch feindliche Waffen ausgesetzt, und außerhalb des direkten Operationsgebietes konnten Minen oder Fliegerangriffe die Soldaten treffen. Hans P. bezeichnete den ersten feindlichen Luftangriff, den er aus der Ferne erlebte, als ein »tolles Feuerwerk«, das ihm und seinen Kameraden wie eine extra für sie gegebene »Festvorstellung« erschien.130 Die erste Feindberührung machte den meisten Soldaten klar, dass sie sich in einem Kriegseinsatz mit tödlichen Gefahren befanden. »Dann wird es einem mit einem Schlag klar, dass Krieg ist, und dass wir hier nicht sind als Freunde auf Forschung oder um unsere Wissbegier zu stillen, sondern dass die Pflicht dahinter steht und die Aufgabe das zu erfüllen, was der Befehl von uns verlangt,«131 fasste der Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Afrikakorps, Konstantin Alexander von Neurath, das ernüchternde Erlebnis zusammen. Der Stabsfeldwebel der Sanitäts-Ersatz-Abteilung 12, Adolf Pfeiffer, bemerkte die Enttäuschung der Soldaten. In seinem Bericht über den nordafrikanischen Kriegsschauplatz von Dezember 1942, schrieb er, dass ein sehr großer Teil der Soldaten sich »gänzlich falschen Erwartungen hinsichtlich des Einsatzgebietes Libyen, seiner Bewohner, seiner Flora und seiner Fauna hingegeben« habe. Aufgrund fehlender geographischer Kenntnisse oder »überhitzter Phantasie« wegen des Lesens von »Abenteurerliteratur« hätten sie geglaubt, im Kriegsgebiet »undurchdringliche Urwälder mit üppiger tropischer Vegetation« vorzufinden. Die Vorstellungen von einem »massenhaften Auftreten exotischer Tiere und dergleichen bildeten ein wirres Chaos in der Phantasie vieler Kameraden«, weshalb sie »begeistert und voller Abenteurerlust und Tatendrang den Transportzug« bestiegen. »Die rauhe Wirklichkeit liess dann bei vielen dieser Überschwänglichen die Begeisterung sehr rasch abebben und in das Gegenteil umschlagen.«132 Er selbst habe sich vor dem Einsatz informiert und wusste, dass es »zweierlei Afrika gibt. Ich hatte keine Karl-May-Romantik« erwartet.133 Für die weitere Rekrutierung von Soldaten für den nordafrikanischen Kriegsschauplatz schlug er vor, die Männer genauer zu informieren und »gründlich unter die Lupe« zu nehmen, damit 130 Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 29. Januar 1942, S. 1. 131 IfZ-Archiv, ED402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Oasen«, S. 46. 132 Alle Zitate dieses Abschnittes aus: BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 76. 133 Ebd., fol. 77.
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keine weiteren aus »reiner Abenteurerlust« auf diesen »schwierigen Kriegsschauplatz entsandt werden«.134 Die Enttäuschung über den geplatzten Traum vom exotischen Abenteuer formulierten viele Soldaten in ihren Briefen nach Hause. Robert W. fragte seine Frau: »Kannst Du Dir eine afrikanische Nacht vorstellen mit Vollmond, schöner, dumpftönender Musik aus Geschützrohren?«135 Er rekurrierte auf die exotistischen Vorstellungen, mit denen er sich den Kriegsraum ausgemalt hatte, um sie im selben Satz zu desillusionieren. Knapper erklärte Günther H. in seinem zweiten Brief aus Nordafrika seiner Verlobten, er habe sich »alles etwas romantischer vorgestellt«.136 Ebenso änderte der Jura-Referendar Georg N., der bei seiner Ankunft in Libyen im September 1941 begeistert gewesen war, nach wenigen Wochen seine Einschätzung. Mitte Oktober fand er es nicht mehr »herrlich«, sondern beschrieb die Verhältnisse in Tripolis als »trostlos«.137 Insbesondere die ersten Verluste von Kameraden ließen die Soldaten an ihrer Kriegslust zweifeln. Der Veteran Heinz Kreft bekannte Jahre nach dem Krieg: »Alle wollten Abenteuer erleben, so wie ich auch, aber wenn man die ersten Toten sieht, und den Ernst …«138 Häufig sparten die Soldaten allerdings gerade die Gefahren des Krieges und erste Todeserlebnisse in ihren Briefen aus. Dies ist ein typisches Merkmal der Feldpost: Um ihren Angehörigen nicht unnötige Sorgen zu bereiten und den Vorschriften zum Schreiben von Feldpostbriefen Folge zu leisten, gingen sie über Themen wie Tod und Gewalt oft schweigend hinweg und verwendeten zur Umschreibung von Gefechten und Gefahren neutral klingende Formulierungen.139 Der Gefreite Hans E. thematisierte die Praktik sogar in einem seiner Briefe und erklärte seiner Frau, es sei besser, sie wisse nicht alles.140 Zwischen den Zeilen allerdings waren die Gefahren des Krieges selbst in beruhigenden Schreiben stets präsent,141 obwohl die Andeutungen nicht immer von allen Angehörigen
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Vgl. ebd. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. Mai 1941. DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief vom 24. April 1941, S. 70. 137 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 19. Oktober 1941. 138 Heinz Kreft, in: Befreien Sie Afrika!, zit.n. Nantcha, Interdisziplinarität – Kulturtransfer – Literatur, S. 242. 139 Vgl. dazu etwa Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 10; Epkenhans, Förster und Hagemann, Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte, S. XIII; Kilian, Das Medium Feldpost, S. 250; Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 87. Reinhard B. schrieb etwa nach Hause, sie mussten »wieder mal ›wetzen‹«, oder er bezeichnete Fliegerangriffe als »Nachtbesuch mit staatsfeindlichen Absichten«, MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. August 1941 und 12. Oktober 1941. Wolfgang H. schrieb, er sei »zu stark beschäftigt« gewesen, um zu schreiben, BfZ, Sammlung Sterz, Wolfgang H. an eine DRK-Helferin am 21. Juni 1941. 140 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 6. Juni 1941. Auch Walter J. sprach offen an, dass er nicht über alles schreiben kann, um seinen Angehörigen das »Leben nicht noch schwerer« zu machen, BfZ, Sammlung Sterz, Walter J. an seine Familie am 3. Februar 1943. 141 Ludwig E. schrieb: »Zwischen den Worten steht noch so viel, was nicht zu sagen und auszusprechen ist«, MSPT, 3.2002.7104, Briefausschnitt von Ludwig E. von 1942.
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verstanden wurden.142 Eine häufig genutzte Floskel war etwa »[e]s geht mir noch gut«143 , in der deutlich wird, dass die Schreiber durchaus eine Veränderung der Situation zum Schlechteren erwarteten. Mit der Dauer des Krieges schrieben die Soldaten immer offener über die Gefahren des Einsatzes. Diese Entwicklung zeigt sich in den Briefen des Funkers Karl B., der zum Grenadier-Regiment 754 gehörte. Er betonte im Sommer 1941 in seine ersten Briefen aus Nordafrika stets, dass es ihm gut gehe, und hob die positive Stimmung der gesamten Truppe hervor.144 Ein Jahr später gestand er, dass der Krieg ihnen schwer zusetzte und die »Tommy[-]Fliegerei […] hier das Schlimmste«145 sei. Ostern 1943 schrieb er dann offen darüber, dass er möglicherweise nicht mehr lebend nach Hause zurückkehren könnte und ihm Gefangenschaft oder Tod drohte. Vorerst entging er beidem.146 Sein Regiment, das bei der 334. Infanterie-Division eingesetzt war, wurde im Mai 1943 vernichtend geschlagen; viele Soldaten gerieten in Gefangenschaft.147 Über das Schicksal des Soldaten Karl B. ist nichts bekannt. Anders als bei Karl B., in dessen Briefen das Klagen über die Leiden des Krieges nur langsam zunahm, lässt sich im Briefkonvolut des Truppenarztes Hubert S. ein schnellerer Wandel seines Schreibens von der Beruhigung zur Thematisierung von Gefahr nachvollziehen. Vor seiner Ankunft auf dem Kriegsschauplatz schrieb er seiner Frau, »nur keine Angst, es wird schon alles gut ausgehn!«148 Aus Nordafrika berichtet er dann aber bald von Angriffen, bei denen er gerade noch mit dem Schrecken davongekommen sei.149 Kurz darauf erzählte er ausführlich von einem Fliegerangriff, der sich ereignete, als er im Hospital unter der Dusche stand. Nach dem Beschuss durch die Flak ließ der Angreifer mehrere Bomben fallen. Obwohl er nicht verletzt wurde, beschrieb er die Situation, bei der er völlig schutzlos und dazu noch nackt ausharren musste, in einem Brief an seine Frau als »ein merkwürdiges Gefühl«.150 In dieser Beschreibung des Angriffs wird die körperliche Dimension der Bedrohung durch den Krieg deutlich. Wie in einer Parabel veranschaulichte Hubert S. durch die geschilderte Nacktheit, wie schutzlos sein Körper den Gefahren des Krieges ausgeliefert war. Das Ende der anfänglichen militärischen Erfolge der deutsch-italienischen Truppen desillusionierte die Soldaten dann völlig. »Wir sind in zwischen [sic!] wieder am Ausgangspunkt unserer K.D.F.-Reise zurückgekehrt«,151 beschrieb Georg N. die Kriegslage
142 Kurt H. musste sich erklären, vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Briefausschnitt Kurt H. vom 10. März 1943. 143 Reinhard B. war sich über die häufige Verwendung dieser Formulierung bewusst: »Ihr sollt nur das alte Lied hören, dass es mir nach wie vor gut geht«, MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Juli 1941. 144 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 3. Juli 1942. 145 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 9. Juli 1942. 146 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 30. April 1943. 147 Vgl. Georg Tessin, Verbände und Truppen der Deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg 1939–1945, Bd. 9: Die Landstreitkräfte 281–370, Bissendorf 1974, S. 193. 148 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942. 149 Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 30. November 1942. 150 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 11. Dezember 1942. 151 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 19. Oktober 1941.
1 Verheißungsvolles »Afrika«
nicht ohne Ironie, als die deutschen Einheiten nach der erfolglosen Belagerung von Tobruk Ende 1941 wieder an den Westrand der Cyrenaika zurückgedrängt worden waren. Der Kriegsverlauf oder ein Wechsel zur Front führte bei allen abenteuerlustigen Soldaten dazu, dass sie ihre Erwartungen als falsch erkennen mussten. Ganz klar benannte dies Helmut K.: »Hier vorn [an der Front, S.K.] habe ich erst mal eingesehen, wie wenig Ahnung wir, die wir in Bengasi lagen, von Afrika hatten! Und gar nun erst die Heimat!«152 Dabei betonte er, kein Zeitungsartikel oder Wochenschaubericht hätten »die harte, rauhe und furchtbare Wirklichkeit der kämpfenden Truppe in Afrika«153 wirklichkeitsgetreu abgebildet. Den Brief tippte Helmut T. nach dem Krieg zusammen mit seinem zwischen Januar und März 1943 im Reserve-Lazarett Zweibrücken als Manuskript verfassten Kriegstagebuch ab. Der damals 22-Jährige rekapitulierte, es sei die Vorstellung von »Afrika« gewesen, die ihn in den Krieg gelockt hatte. Allerdings habe er feststellen müssen, dass das »Nordafrika Libyens […] doch gar nichts Verlockendes«154 habe. Und selbst die koloniale Monatsschrift Jambo relativierte ihren exotistischen Blick 1943 und erklärte, dass viele der deutschen Soldaten in Nordafrika sich unter »Afrika« etwas anderes vorgestellt hatten.155 Die Irrtümer der Soldaten und deren enttäuschte Vorstellungen von einem »märchenhafte[n] Orient und Wüstenabenteuer«156 griff die Feldzeitung Oase auf. Als speziell für die in Nordafrika eingesetzten Soldaten herausgegebene Zeitung hatte sie die Funktion, vermittelndes Element im Krieg und Ruhepunkt der Soldaten zu sein. In der ersten Ausgabe wurde daher der Name des Blattes damit begründet, dass es den Soldaten eine Oase sein solle, die »lebenswichtiges Wasser spendet, geistige Kost«157 vermittle. Die Moral der Soldaten hochzuhalten und zu einer positiven Deutung der Kriegserlebnisse beizutragen war damit neben der Informierung der Soldaten ein erklärtes Ziel der Feldzeitung. Daher machte sie Angebote zur Sinnstiftung im Krieg und gab Wahrnehmungs-und Deutungsmuster für den Raum des Krieges und die dort lebenden Menschen vor.158 »Wir wollen zusammen Land und Leute dieses Erdteils kennenlernen, wollen das Herz unserer verbündeten italienischen Kameraden aufspüren, wollen Erfahrungen tauschen, wollen uns näherkommen«,159 hieß es in der Oase. Die
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159
DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, abgedruckter Brief vom 7. Juli 1942, S. 113. Ebd. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 5. Helmuth Köhler, Belebte afrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 31. Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. O.V, Die Oase stellt sich vor, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1. Allgemein war die Zivilbevölkerung des Kriegsraumes fester Bestandteil der Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg, vgl. dazu die Aufschlüsselung der Inhalte der Kriegsberichterstattung von unterschiedlichen Kriegsschauplätzen: Jürgen Schröder, Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel der deutschen Kriegführung im Zweiten Weltkrieg, Diss. Freie Universität Berlin 1965. Vgl. o. V., Die Oase stellt sich vor, in: Die Oase 1, 12. März 1941.
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Feldzeitung wirkte damit wie andere Formen der Militärpresse in wesentlicher Form auf die Raumvorstellungen der Soldaten ein.160 In der Redaktion der Oase war bekannt, dass die Soldaten »eine andere Vorstellung vom Morgenland mitgebracht«161 hatten, als sie es schließlich erlebten, und ihre Artikel sprachen die exotistischen Erwartungen der Soldaten immer wieder direkt an. Der Kriegsberichterstatter und Schriftleiter der Oase, Ernst Bayer, erklärte direkt in der ersten Ausgabe, dass den Kriegsraum »viele nur aus Büchern« kannten und sich daher mit ihm Vorstellungen verbanden, »die schon ans Märchenhaft-Geheimnisvolle grenzen«.162 Und ähnlich ließ der zweite Schriftleiter Willi Körbel verlauten, die Soldaten würden sich »in grellen Farben den märchenhaften Zauber der Tropen« ausmalen und andere mit diesen Vorstellungen anstecken, »ohne ihn noch je selbst gesehen zu haben«.163 Noch im August 1941 bemerkte der Kriegsberichterstatter Eric Borchert, die Soldaten wollten »neue […] fremdartige […] Eindrücke in diesem fernen Lande«164 sammeln. Den Ursprung der in den Köpfen der Soldaten vorherrschenden Bilder reflektierte die Oase durchaus. So hob der Kriegsberichterstatter Claus Dörner den Einfluss der Publikationen internationaler »Afrikaforscher« und Kolonisten wie Gustav Nachtigal, Henry Morton Stanley oder Georg Schweinfurth sowie von »Jagdschilderungen aus dem afrikanischen Busch« auf die verbreiteten Raumvorstellungen hervor.165 In einem anderen Artikel zitiert Dörner einen Soldaten, der glaubte, dass in Nordafrika seine »Jungenswünsche […] in Erfüllung gingen«. Dabei macht der Beitrag deutlich, dass das Wissen dieses Soldaten über den Kriegsraum hauptsächlich auf dem Film Lied der Wüste basierte und er deshalb erwartete, »es muss doch etwas besonderes sein an der Wüste, irgendein Zauber – – –!‹«166 Zugleich versuchte die Zeitung, verklärten oder falschen Vorstellungen entgegenzuwirken, und warnte ihre Leser, den Aufenthalt in Nordafrika als Reise oder Abenteuer zu begreifen. Dörner bezeichnete Soldaten, die sich anhand von Filmen oder Büchern den Kriegseinsatz in Nordafrika ausmalten, in eben jenem Artikel als »Träumer«167 und wies
160 Vgl. zum Einfluss der Militärpresse auf Raumvorstellungen Katrin Bromber, Eine gerichtete Landschaft: Ostafrikanische Soldaten in Nordafrika und im Nahen Osten während des Zweiten Weltkriegs, in: Andrea Fischer-Tahir und Steffen Wippel (Hg.), Jenseits etablierter Meta-Geographien: der Nahe Osten und Nordafrika in transregionaler Perspektive, Baden-Baden 2018, S. 153–171, S. 163. 161 Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 162 Ernst Bayer, Durchs Mittelmeer nach Afrika, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3. Siehe auch ders., Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Die Aussage, dass die Soldaten den Kriegsraum nur aus Büchern kannten, wiederholte Bayer in einer späteren Ausgabe, vgl. ders., Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 11. 163 Willi Körbel, Deutsches Soldatengrab im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 2. 164 Eric Borchert, Drei Stunden Rast in der OASE, in: Die Oase 45, 24. August 1941, S. 6. 165 Vgl. Claus Dörner, Strategen oder Phantasten? Anglo-amerikanische Pläne in Nordafrika, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 5. 166 Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. 167 Ebd.
1 Verheißungsvolles »Afrika«
darauf hin, dass Europäer*innen dazu neigten, »sich den mächtigen Landblock Afrika immer noch als den geheimnisvollen, den unerschlossenen Erdteil vorzustellen«.168 Ernst Bayer mahnte, dass der Einsatz kein Reiseabenteuer sei: »[B]etrachtet dieses Dasein im Sand der Wüste nicht mit den Augen eines Reisenden oder kleinen Abenteurers, der ein solches Leben vielleicht einmal für ein paar Tage oder Wochen als schönen Spass, als Freude am Ungewohnten oder Reizvollen erlebt.«169 Gegen die Vorstellung eines Reiseabenteuers hatte der Schriftleiter der Oase, Willi Körbel, bereits auf der Titelseite der ersten Ausgabe klargestellt: »Unsere ›Afrikaner‹ greifen auch nicht zuerst zum Baedecker [sic!]. Am nächsten liegt ihnen immer ihre Waffe«, verkündete er. Die Soldaten würden wissen, dass ihr »Auftrag nicht romantisierenden Gefühlen entsprang, sondern dass die Deutschen Truppen in Afrika als Teil der Grossdeutschen Wehrmacht den einmaligen und heroischen Befehl haben, zu siegen, wo das Leben schwerer ist als das Sterben«.170 Den bekannten Reiseführer Baedeker zog Körbel in der übernächsten Ausgabe des Blattes erneut heran, um zu unterstreichen, dass es sich beim Kriegseinsatz in Nordafrika um keine Abenteuerreise handelte. Zwar würden in manchem Soldaten »bei dem Namen Afrika all jene schönen Jugendträume vom dunklen Erdteil wach werden. Wie ganz anders aber ist hier die Wirklichkeit, ist hier das Erleben. […] Man darf nicht mit dem Baedecker [sic!] an diesen afrikanischen Krieg herangehen.«171 Diese Warnungen an die Soldaten sollten wohl die Enttäuschung der frisch eingetroffenen Soldaten mildern. Vor allem waren die Artikel aber eine Form des Gefühlsmanagements. Durch die Thematisierung ihrer eigenen Erwartungen und Enttäuschen vermittelte die Zeitung den Soldaten das Gefühl, nicht allein zu sein und in der Gemeinschaft des Militärs Verständnis und Unterstützung zu bekommen. Damit bewies das Blatt Verständnis für die Soldaten und ihre Situation und fing sie emotional auf, wie es unter Kameraden üblich war.172 Die Feldzeitung war damit ein Ort der Kameradschaft zur mentalen Unterstützung der Soldaten. Zugleich appellierte die Zeitung an den Durchhaltewillen der Soldaten und zeigte auf, welche Gefühle innerhalb der militärischen Norm lagen und welche nicht. Diese Regulierung der Gefühle findet sich in der Oase immer wieder und bezog sich nicht allein auf die erste Enttäuschung, als die Soldaten realisierten, dass sie sich in einem Krieg befanden. Auch alle weiteren im Kriegsverlauf aufkommenden Herausforderungen und Beschwerlichkeiten wurden in der Feldzeitung stets emotional begleitet und in bestimmte Bahnen gelenkt.
168 Vgl. Claus Dörner, Strategen oder Phantasten? Anglo-amerikanische Pläne in Nordafrika, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 5. 169 Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 6. 170 Willi Körbel, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1. 171 Willi Körbel, Zwischen dem 30. und 40. Breitengrad. Als erster deutscher Kriegsberichter bei der italienischen Luftwaffe im Mittelmeerraum, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 4. 172 Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 165 und S. 160.
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2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
Der Körper, der im Mittelpunkt aller kriegerischen Aktivität steht,1 war im Nordafrikafeldzug nicht allein durch feindliche Waffen bedroht. Für das Erleben der Soldaten war es gerade auch die natürliche Umwelt, in der der Krieg sich abspielte,2 welche die Soldaten als Bedrohung wahrnahmen. Zwar hatten Hitze und Trockenheit zu den abenteuerlichen Vorstellungen der Soldaten gezählt und sie waren vorab durch die Untersuchung auf Tropentauglichkeit darauf eingestellt, dass im Krieg körperliches Durchhaltevermögen von ihnen erwartet wurde. Doch überraschten die tatsächlichen Realitäten im Kriegseinsatz die meisten Soldaten. Was sie erlebten, entsprach nicht ihren exotistischen Vorstellungen und demontierte ihre Phantasien von einem bevorstehenden Abenteuer. Heino P. bekundete zwar in seinem ersten Brief nach der Landung noch, ihm gefalle »Afrika« und der »Zauber des Orients« mit seinen »seltsamsten und herrlichsten Naturerscheinungen«, interessanten Städten und aufgrund »prächtiger Blumen und Palmen« sehr gut.3 Einige Sätze weiter gestand er jedoch, dass diese Beschreibungen nicht dem entsprachen, was er wirklich erlebte. Er schrieb: »Wo wir im Augenblick liegen, ist allerdings von all dem nichts zu merken; hier brennt nur die Sonne, und Stechmücken und Fliegen quälen uns. Ab und zu fangen wir mal einen Skorpion oder eine Viper und warten im übrigen darauf, daß es weiter vorgeht.«4 Nach vier Tagen aufreibender Fahrt zur Front beklagte sich sogar der einst begeistert gelandete Hans P. über die hygienischen Umstände und Wetterlage. Auf den ungewaschenen, schwitzenden Körpern der Männer klebten Sand und Staub, die Gesichter verschwanden hinter üppigen Bärten und der erste Sandsturm ließ Hans P. und seine Kameraden erfahren, welchen Naturgewalten sie in diesem Krieg neben den feindlichen Angriffen in Zukunft ausgeliefert sein würden.5 Damit erging es den deutschen Soldaten nach der Landung in Nordafrika wie vielen europäischen Reisenden vor ihnen, die das »Abenteuer in Afrika« gesucht hatten. Sie 1 2 3 4 5
Vgl. Kuß, Kolonialkriege und Raum, S. 343. Vgl. zum Verhältnis Krieg und Natur auch Paul Fussel, The Great War and Modern Memory, Oxford/ New York 2000, S. 231. BfZ, Sammlung Sterz, Briefausschnitt von Heino P. vom 11. April 1942. Ebd. Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 2. Februar 1942, S. 2.
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mussten erleben, dass die vorgefundene Umwelt »nicht der aus Romanen und Bildern gewonnenen imaginären Geographie eines Afrikas mit Palmen, Papageien und Papayas«6 entsprach. So merkten die Soldaten in Nordafrika schnell, dass die Realitäten des Kriegsraumes andere waren, als sie sich vorgestellt hatten.
2.1 Wetterverhältnisse In erster Linie führten die Temperaturen, die ihre Erwartungen bei weitem überstiegen, zu großen körperlichen Leiden bei den Soldaten. Wer zu Beginn des Kriegseinsatzes noch erfreut über die im Vergleich zu Deutschland hohen Temperaturen gewesen war, änderte seine Meinung schnell, wenn das Thermometer im Frühjahr steil nach oben kletterte. Robert W., der zunächst entzückt über die Sonne gewesen war, bezeichnete schon kurze Zeit später die »Gluthitze« als »unerträglich«.7 Helmut T. befürchtete nach der Ankunft das Schlimmste für den nordafrikanischen Sommer: »Na, die Hitze hatten wir uns eigentlich nicht so stark vorgestellt, und dabei war es erst Anfang Mai. Wie sollte das erst im Juli, August werden?«8 Bei Hans P. weckten die winterlichen Temperaturen ähnliche Befürchtungen. Nach der Landung in Tripolis schrieb er in sein Tagebuch, es gebe »noch keine Hitze. Aber wir haben ja jetzt erst Januar.«9 Vier Monate nach seiner Ankunft, im April 1942, kommentierte er die herrschenden Temperaturen in seinem Tagebuch mit den Worten: »Ja, das ist Afrika.«10 Zwar bestätigten nun die Temperaturen offensichtlich seine Erwartungen, doch verweist der Zusatz, dies könne man sich »daheim […] nicht ausmalen«, darauf, dass die Realitäten seine Vorstellungen überstiegen.11 Um das Unvorstellbare in Worte zu fassen und die Temperaturen zu verdeutlichen, bedienten sich die Soldaten in ihren Briefen oft starker Bilder. Sie verglichen die Hitze mit Feuer12 oder nannten sie eine »Backofenhitze«.13 Günther H. schrieb, vom Himmel brenne »moerderisch die Sonne«,14 und berichtete nach fast einem Jahr im Kriegseinsatz, es sei mit 45 Grad im Schatten »wieder satanisch heiß«.15 Der Artillerist Hans E. erklärte seiner Frau, die »Sauhitze« mache ihn fertig, fügte aber hinzu, mehr habe noch die Infanterie zu leiden, »die armen Kerle[,] was müssen die aushalten, unbeschreiblich«.16 Für die Panzerbesatzungen konnte die Hitze in den engen Fahrzeugen durch die
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Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 146. MSPT, 3.2002.7605, Brief von Robert W. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut. T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 53. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1942, S. 1. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 17. April 1942, S. 8. Vgl. ebd. MSPT, 3.2002.7280, Gottfried W. an Hedwig am 29. Mai 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Frau am 2. November 1941. DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief vom 24. April 1941, S. 70. DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief vom 14. Mai 1942, S. 70. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 22. Mai 1941.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
starke Sonneneinstrahlung unerträglich werden, wie Ernst Bayer in der Zeitschrift Jambo erläuterte.17 Die hohen Temperaturen wirkten sich massiv auf den Gesundheitszustand der Truppen aus. In den Sommermonaten kam es immer wieder zu Hitzeschlägen oder Herz-und Kreislaufproblemen bei den Soldaten.18 Zudem wurde die Hitze als seelische Belastung empfunden. Reinhard B. sah darin den Grund für seine apathische Stimmung,19 andere Soldaten sahen in ihr den Grund für ihre Vergesslichkeit20 und berichteten ihren Angehörigen, die Sonne sei geradezu »[h]irnverbrennend«21 und zerschmelze ihre geistigen Fähigkeiten. Sie fühlten sich, als sei ihr »Geist […] total eingetrocknet«,22 oder waren regelrecht »fiebertrunken«.23 Auf die Temperaturen führten die Soldaten teilweise im Scherz, teils ernsthaft Zustände geistiger Verwirrung zurück. Franz K. schrieb, er habe »einen leichten poetischen Stich«, weil er schon 15 Monate in »Afrika« sei und seiner Freundin dennoch vorschwärmte, wie schön es sei.24 Robert W. glaubte, er »habe von der Sonne doch schon einen weichen Keks bekommen«,25 weil er sich beim Schreiben nicht mehr konzentrieren konnte. Wenige Monate später machte er die Hitze dafür verantwortlich, dass er »langsam meschugge«26 werde, und schrieb seiner Frau, »wenn man uns nicht bald hier [aus dem Einsatzgebiet im Hinterland, S.K.] rausnimmt und an die Küste verlegt, gibt’s nur noch arme Irre«.27 Neben den Temperaturen war die UV-Strahlung eine Bedrohung für die soldatischen Körper und verursachte »nennenswerte Ausfälle«.28 Dies lag vermutlich auch daran, dass der Tropenhelm aus Kork,29 der neben der Feldmütze zur Uniform gehörte und eigentlich »von morgens 8 Uhr bis nachmittags 16 Uhr außerhalb des Hauses« getragen und sogar im Zelt aufgesetzt werden sollte, »sofern das Zelt nicht im Schatten eines Baumes«30
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Vgl. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo, C (1942) 5, S. 66–71, S. 69. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. Vgl. auch Julie Le Gac, Combattants du désert, in: Nicola Labanca, David Reynolds und Olivier Wieviorka (Hg.), La guerre du désert 1940–1943, Paris 2019, S. 131–153, S. 149. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Eltern am 12. Oktober 1941. Vgl. etwa MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 2. November 1941. »Afrika – Dichtung und Wahrheit«, in: LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o.S. MSPT, 3.2015.2600, Wolf an seine Schwägerin aus Tunesien am 8. März 1943. Werner Sturm, Gedicht »Wüstenposten«, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 11. Vgl. MSPT, Sammlung Feldpost, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula an Pfingsten 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. März 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 1. Juni 1941. Ebd. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 36. Vgl. Art., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 132. Zum Aussehen des Tropenhelms vgl. Adolf Schlicht und John R. Angolia, Die deutsche Wehrmacht. Uniformierung und Ausrüstung 1933–1945, Bd. 1: Das Heer, Stuttgart 1993, S. 151–152. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 26.
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stand, oft nicht getragen wurde.31 Dabei war die Gefahr den Soldaten bewusst.32 Inge W. sorgte sich so um die Haut ihres Mannes Robert, dass sie ihm Babypuder mit der Feldpost schickte.33 Es bot jedoch keinen ausreichenden Schutz gegen die Sonne oder wurde von Robert W. nicht benutzt. Denn nach etwas über einem Jahr in Nordafrika berichtete er seiner Frau, er gleiche einer »zusammengeschrumpfte[n] Rosine« und sein Gesicht sehe aus »wie ein zusammengefaltetes Stück Pergamentpapier«.34 Die starke Sonneneinstrahlung wirkte sich also unmittelbar auf das Aussehen der Soldaten aus. Damit zeichneten die Bedingungen des Kriegsraumes die Gesichter der Soldaten und schrieben sich in ihre Körper ein. Der nächtliche Abfall der Temperaturen und winterliche Regenfälle brachten die Soldaten ebenfalls an ihre körperlichen Grenzen. Waren vereinzelte, kühlere Tage oder Regen im Sommer noch eine willkommene Abwechslung,35 führten sie in den Wintermonaten zu häufigen Klagen und dem Wunsch nach warmen Temperaturen. Georg N. schrieb etwa im Februar 1942 seiner Frau Gretl: »Du wirst Dir kaum vorstellen können, wie sehr ich mich an höhere Temperaturen gewöhnt habe und wie ich auf die wärmere Jahreszeit warte.«36 Die Unzufriedenheit der Soldaten lag dabei vor allem daran, dass sie niedrige Temperaturen und Regenschauer nicht erwartet hatten. »Kannst Du Dir vorstellen, daß man in Afrika kalte Füße kriegen kann?«,37 schrieb Hans O. seiner Frau ungläubig. Gerd W., der zunächst selbst von der Kälte überrascht wurde, schrieb seinen Eltern, dass er »[l]achen mußte […] über die Stelle, an der Mutter schreibt, sie vermuten Ihren Ältesten in glühender Hitze. Dabei hat er seit Anfang Dezember dieses Jahres auch so gefroren wie noch nie in seinem Leben.«38 Kalte Temperaturen überraschten die Soldaten, obwohl sie in offiziellen Handreichungen und während des Einsatzes durch die Feldzeitung Oase durchaus »Raumwissen«39 über den nordafrikanischen Kriegsschauplatz vermittelt bekamen. Die 1941 vom OKH herausgegebene Informationsschrift Der Soldat in Libyen klärte über den Kriegsraum auf und wies auf die großen Temperaturunterscheide zwischen Tag und Nacht sowie den Sommer-und Wintermonaten hin.40 Die Quellen zeigen jedoch die dennoch vorherrschenden falschen Vorstellungen. So klagte Gerd W. im Dezember 1941: »[D]ie Hoffnung in diesem Winter nicht zu frieren ist schmählich betrogen. Im Gegenteil! Selten habe ich so gefroren wie hier nachts.«41 Er hätte »nie geglaubt, daß man in Afrika so
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Vgl. Werner Mork, Afrika oder nicht?, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2006, URL: https:// www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-afrika-oder-nicht.html [25.05.2021]. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 1. Juni 1941; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 24. März 1943. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Juni 1941. Sie kümmerte sich auch um eine Sonnenbrille für ihren Mann, vgl. Robert W. an seine Ehefrau am 24. August 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 29. April 1942. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Eltern am 22. Mai 1941 und am 19. Juni 1941. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 20. Februar 1942. MSPT, 3.2017.467.0, Hans O. an seine Ehefrau am 20. Februar 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 18. Januar 1942. Zu Raumwissen vgl. Rau, Räume, S. 159. Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 10. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 6. Dezember 1941.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
frieren kann«.42 So wurde vielen Soldaten erst mit dem Erleben des Kriegsraumes klar, weshalb lange Unterhosen und Mäntel zur ausgegebenen Ausrüstung gehörten.43 Allerdings waren die meisten Teile der Uniform aus Baumwolle und gaben daher »keine Spur von Wärme«,44 wie Ritter von D. seiner Frau berichtete. Die Diskrepanz zwischen erwartetem und erlebtem Kriegsraum zeigt etwa ein Brief von Reinhard B., der sich im Oktober 1941 bei seiner Familie über das kühle Wetter beschwerte. Man könne »wohl verlangen: Wärme, um nicht zu sagen Hitze«.45 Die stattdessen herrschenden niedrigen Temperaturen bezeichnete er als »eine geradezu arktische Kälte«,46 über die er sich sehr wundere. Erich K. erschienen diese Verhältnisse wie »[e]in Witz, doch man friert im Mai noch in Afrika. Ein tolles Land!«47 Manche Soldaten hatten Schwierigkeiten, die ungeahnten Temperaturen in Worte zu fassen. Als der Truppenarzt Hubert S. seiner Frau im Dezember 1942 berichtete, dass er den Ofen in seinem Dienstzimmer habe anzünden lassen, nannte er als Grund die herrschende »›Kühle‹«, denn »›Kälte‹ kann man das hier ja nicht nennen«.48 Es widerstrebte ihm offenbar anzuerkennen, dass es auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz im Winter kalt war. Die fälschlichen Annahmen der Soldaten über die in Nordafrika herrschenden Wetterverhältnisse wurden in der Feldzeitung Oase aufgegriffen. Gleich in der ersten Ausgabe hieß es, »[m]anch einer der Soldaten war bass erstaunt, dass er im heißen Afrika des nachts friert ›wie ein junger Hund‹, so sagte einer, der glaubte mit der Badehose schlafen zu können«.49 Indem die falschen Vorstellungen der Soldaten in der Feldzeitung angesprochen wurden, sollten Neuankömmlinge gewarnt werden und durch das Ansprechen von Problemen die Kampfmoral der Soldaten aufrechterhalten werden. Denn diese Artikel zeigten den Soldaten, dass ihre Probleme bekannt waren und sie verstanden wurden. Zugleich korrigierte die Oase stets die Erwartungen, die sich aus verallgemeinernden Annahmen über den Kriegsraum ergeben hatten, und wies etwa darauf hin, dass sich die Verhältnisse in Nordafrika stark von den Tropen unterschieden.50 Ein Beitrag mit dem Titel »Afrika nicht ueberall heiss« erklärte: Wenn die Soldaten »tropische Hitze, halbnackte N*, Loewen, Palmen und Wuesten«51 erwarteten, würden sie vergessen, dass es auf dem afrikanischen Kontinent Regionen gebe, deren Temperaturverhältnisse den deutschen Verhältnissen ähnelten.52
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BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 5. Januar 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 6. Dezember 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 28. Februar 1943. Einzig der Mantel war aus Schafswolle gefertigt, vgl. o. V., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 132. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 17./18. Oktober 1941. Ebd. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 284, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen in dem Taschenkalender ›Panzergruppe Afrika‹. Kalender 1942, Eintrag vom 7. Mai 1942. MSPT, 3.2015,2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 20. Dezember 1942. Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. Otto Constantini, Das Gelände in Nordafrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 4. Vgl. o. V., Afrika nicht ueberall heiss. … und wie ist das Klima in Tunesien?, in: Die Oase 104, 20. Februar 1943, S. 2. Vgl. ebd.
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Trotz der Aufklärungsarbeit der Oase und der Erlebnisse im Kriegsraum veränderte sich das Afrikabild der Soldaten nicht zwangsläufig. So wird in der zwischen 1995 und 1997 niedergeschriebenen Lebensgeschichte von Oskar H. ersichtlich, dass er noch nach dem Krieg an der Vorstellung von »Afrika« als heißem Kontinent festhielt, wenn er darin die Nächte im Januar 1943 als »für afrikanische Verhältnisse bitterkalt«53 beschreibt. Wie die Kälte überraschte auch der Regen die Soldaten, denn dieses Wetterphänomen widersprach ebenfalls dem von den Soldaten imaginierten Kriegsraum. »Immer noch klatscht der Regen auf unser Zelt. Fröstelnd läuft es mir den Rücken herunter. So haben wir uns Afrika nie ausgemalt«, notierte Hans P. an einem »Regentag« im Februar 1942 in seinem Tagebuch.54 Obwohl Informationen über die Niederschlagsmengen im Kriegsgebiet zugänglich waren,55 erlagen die Soldaten ihren Vorstellungen und waren mental nicht auf die in den Wintermonaten auftretenden starken Regengüsse eingestellt. Diese Fehleinschätzung konnte im Kriegsalltag verheerende Auswirkungen haben. Da mögliche Regenfälle bei der Wahl von Lagerplätzen nicht eingeplant wurden, kam es in den Wintermonaten, wenn das Regenwasser in den von der Trockenheit harten Boden nicht einsickern konnte, immer wieder zu Überschwemmungen in Feldlagern. Nach tagelangen Regenfällen stand das Wasser oft mehrere Zentimeter hoch im Zelt.56 In den engen Tälern der Gebirgsregionen sammelte sich das Wasser zu richtiggehenden Sturzfluten, die ganze Lager wegschwemmten. Am 19. November 1941, direkt nach der Eröffnung der britischen Gegenoffensive »Crusader« und der Überschreitung der libyschen Grenze durch britische EmpireTruppen, traten sehr starke Regenfälle auf.57 Die Regentropfen waren laut einer Schilderung des Soldaten Gerd W. »so groß wie Taubeneier« und mit »entsprechende[r] Wirkung«.58 Das Tal, in dem Gerd W. und seine Batterie lagen, wurde überschwemmt, und es entstand ein »reißender Bach«.59 Ähnliches berichtete Karl B. seinen Eltern: »Gestern Nacht hat es zum ersten mal seit ich in Afrika bin geregnet und wie! Das Wasser kam in meterbreiten Bächen an.«60 Der Regen überschwemmte das Küchenzelt, so dass die Verpflegungs-und Getränkekisten im Wasser schwammen. Gerd W. büßte bei 53 54 55 56
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DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 35. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 17. Februar 1942, S. 4. Vgl. etwa R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 145. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 10. Februar 1943, S. 110. Zu diesem Bestand ist anzumerken, dass die Akte 1970 vom IfZArchiv akzessioniert wurde, bevor David Irving zum Holocaust-Leugner wurde. Zur Entwicklung von Irvings Interpretationen vgl. etwa Martin Broszat, Hitler und die Genesis der »Endlösung«. Aus Anlaß der Thesen von David Irving, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977) 4, S. 739–755, und Christopher R. Browning, Zur Genesis der »Endlösung«. Eine Antwort an Martin Broszat, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29 (1982) 1, S. 97–109. Vielen Dank für die Hilfe beim Umgang mit diesem Bestand an den Leiter des Archives des IfZ, Dr. Klaus A. Lankheit. Vgl. Janusz Piekałkiewicz, Der Wüstenkrieg in Afrika 1940–1943, München 1985, S. 141. An anderer Stelle sind die Regenfälle auf den 17. November datiert, vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 73. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 24. November 1941. Ebd. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 6. Dezember 1941.
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dieser Überschwemmung einen Teil seines Gepäcks und seiner Kleider ein.61 Zwei Lkw wurden ins Meer gespült, und zwei Soldaten verloren in den Sturzfluten ihr Leben.62 Den Grund für die schwerwiegenden Folgen der Regenfälle sah Karl B. in einer ungenügenden Kenntnis des Kriegsraumes: »Vorschriften über das Verhalten während der Regenzeit gibt es nicht, weil sie selbst noch niemand mitgemacht hat. Die ersten Deutschen kamen erst im Frühjahr dieses Jahres herüber«,63 erklärte er seinen Eltern. Die Erfahrungen aus der ersten Regenzeit führten nicht zu einer besseren Vorbereitung der deutschen Truppen, obwohl für das DAK ein Bericht über die Gefährdung von Truppenunterkünften während der Regenzeit angefertigt wurde.64 Noch im Frühjahr 1942 zerstörte Hochwasser nach Regenfällen deutsche Stellungen. Robert W. berichtete seiner Frau von »wolkenbruchartige[n] Regenfälle[n]«, in deren Folge es zu Überschwemmungen kam. »Zelte, Buden, alle möglichen Ausrüstungsstücke, ja, sogar Fahrzeuge werden von einem reißenden Strom in Richtung Meer abgetrieben«,65 berichtete er. Doch nicht nur Starkregen wirkte sich massiv auf den Kriegsalltag der Soldaten aus. Schon Nieselregen konnte zusammen mit kühleren Temperaturen einen schlechten Gesundheitszustand der Soldaten bewirken. Weil die Soldaten meistens nur in Zelten schliefen, litten viele unter Erkältungen oder Rheuma.66 Daher gehörte zur Ausrüstung der Soldaten eine Bauchbinde, die vor Verkühlung schützen und nachts oder »bei längerem Transport auf offenen Fahrzeugen (Lkw)«67 von den Soldaten getragen werden sollte. Willi S. reichte diese Binde nicht aus, weshalb er seiner Frau auftrug, ihm einen »warmen Wickel« zu schicken, da ihm die Kälte der Nacht zusetze und sich dadurch sein »Rheuma im Rücken wieder eingefunden« habe.68 Die Natur beeinflusste damit die Kriegsführung, wie es bereits der Phänomenologe Kurt Lewin aufgrund seiner Erfahrungen im Ersten Weltkrieg konstatiert hatte,69 und führte dazu, dass die Kriegsführung und der Kriegsalltag der Soldaten erschwert wurden. Daneben bewirkten die Schwierigkeiten des Nachschubs, dass die Vorstellung der Soldaten, sich in einem »fremden« und andersartigen Raum zu befinden, verstärkt wur-
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Vgl. ebd. Piekałkiewicz, Der Wüstenkrieg, S. 141. Die Überschwemmungen sind auch filmisch dokumentiert, vgl. Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 2796, TC 10:02:27-10:03:17, URL: www.archiv-akh.de/filme/2796#1 [17.03.2021]. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Eltern am 18. November 1941. Vgl. Häusler, Wehrgeologie in Nordafrika, S. 81. MSPT 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. März 1942. LHAKo Best. 700 153 Nr. 274, Willi B. an Annemarie, Eltern und Margret am 28. Juni 1942. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 26, Hervorhebung i. O. Diese sollte auch vor Darmerkrankungen schützen. Robert W. erklärt seiner Frau dazu: »Nach dem Baden muß sofort die Bauchbinde angelegt werden. Stelle Dir vor, bei dieser Hitze noch eine Bauchbinde! Man muß lachen und doch ist es wichtig. Der Wind kühlt den nassen Körper so schnell ab und plötzlich hat der Magen wieder einen Knacks weg. Man merkt es gleich, wenn man dann wieder Schnellläufer geworden ist.« MSPT 3.2002.7605, Robert W. an seiner Ehefrau am 17. August 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 14. November 1941. Kurt Lewin, Kriegslandschaft, in: ders., Werkausgabe, 4: Feldtheorie, hg. von Carl Graumann, Bern u.a. 1982, S. 315–326.
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de. Denn die Versorgungsprobleme wurden stets mit der Entfernung des Kriegsraumes vom Deutschen Reich erklärt.70
2.2 Ungewohnt und unzureichend – die Verpflegung Die durch die Wetterverhältnisse bedingten körperlichen Leiden der Soldaten in Nordafrika wurden noch durch eine mangelhafte Verpflegung verstärkt. Denn während des gesamten Feldzuges stellte die Beschaffung und Versorgung der deutsch-italienischen Truppen mit kriegswichtigen Gütern, ausreichend Wasser und Lebensmitteln ein großes Problem dar. Der Nachschub musste zunächst über das Mittelmeer herangeschafft und auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz über weite Strecken transportiert werden. Da die meisten Transportschiffe im Hafen von Tripolis anlegten, wurde es mit dem weiteren Vorrücken nach Osten immer schwieriger, die Verpflegung zu gewährleisten.71 Die Sandstürme beeinträchtigten den Flugverkehr,72 und Luftangriffe zerstörten Transportschiffe und Nachschublastwagen. Im Sommer 1942 dominierte die britische Luftwaffe die militärische Situation, und der Nachschub für die Panzerarmee war durch Angriffe der Luftwaffe fast komplett unterbrochen.73 Dazu beeinflusste der parallel an anderen Fronten von der Wehrmacht geführte Krieg die Versorgungslage in Nordafrika. Der im Juni 1941 begonnene Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion band Kräfte und Material und verschlechterte die Nachschublage für die deutschen Truppen in Nordafrika.74 Die Achsenpartner schweißten diese Umstände noch stärker zusammen, da sie nun auf die Unterstützung des jeweils anderen angewiesen waren.75 Doch auch die Italiener waren nur unzureichend militärisch ausgerüstet oder versorgten die deutschen Truppen mit dem falschen Material. So waren etwa die von ihnen gelieferten Betriebsstoffe nicht für die Motoren der deutschen Kampffahrzeuge geeignet.76 Die Nachschubprobleme wirkten sich vor allem auf die Verpflegung der Soldaten aus. Diese war häufig unzureichend und wurde von den Soldaten zudem als unzweckmäßig empfunden. Sie stammte hauptsächlich aus italienischen Magazinen und war der italienischen Lebensart angeglichen. Wegen der im Kriegsraum oft hohen Temperaturen gab es anstelle eines üppigen Mittagessens nur kalte Speisen. Statt des gewohnten Abendbrotes erhielten die deutschen Soldaten eine warme Mahlzeit.77 Die Verpfle-
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Vgl. J. Welling, Wo sind die PK. -Männer? Aus der Arbeit des Propaganda-Zuges Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 6. Vgl. Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S. 602. Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irvin, ED 100, 34–178, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 19. Januar 1941, S. 14. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 184. Vgl. ebd., S. 85. Vgl. Klinkhammer, Osti Guerazzi und Schlemmer, Der Krieg der »Achse« – zur Einführung, S. 13. Vgl. Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S. 616. Vgl. Herbert Trunschke, Und es klappt dennoch…! Der Verpflegungsnachschub nach Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 9; Ernst Bayer, Verpflegung unserer Soldaten in Afrika, in: Jambo C (1942) 1, S. 10.
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gung bestand, wie die Feldzeitung erklärte, »der Lebensart in Libyen entsprechend in der Hauptsache aus Fleischkonserven, Trockengemüse, Bohnen und Tafelkäse«.78 Die Kolonialzeitschrift Jambo beschrieb die »italienische […] Küche« in Nordafrika als »Makkaroni, Dörrgemüse, Zitronen, Schokolade« und nannte als »Hauptnahrungsmittel« Ölsardinen.79 Viele Soldaten mochten oder vertrugen diese Lebensmittel nicht.80 Vor allem die fettigen und ungewohnten Ölsardinen, von denen ein regelrechtes Überangebot herrschte,81 sorgten für Darmprobleme.82 In der Hitze verdorbene Nahrungsmittel oder in Dosen eingelegtes Obst führten ebenfalls zu Durchfall.83 Frische Lebensmitteln waren Mangelware. »Das versprochene viele Obst, was wir hier erhalten sollten, wächst wahrscheinlich noch«,84 beklagte sich Willi S. Robert W. schrieb seiner Frau, er fände es geradezu komisch, wenn sie von Bekannten gefragt werde, ob er ihr schon einmal exotische Früchte aus Afrika geschickt habe: »Man muß sich ja sonderbare Vorstellungen von unserem Leben hier machen. Wo soll man hier Apfelsinen und Bananen hernehmen? Oder erst Kakao und Kaffee?«85 Von all dem könnten sie selbst nur träumen, stellte er klar. Aufgrund der einseitigen und oft unzureichenden Ernährung litten zahlreiche Soldaten unter Mangelerscheinungen wie etwa Zahnproblemen86 und nahmen stark ab.87 Er sei nur noch »Haut und Knochen«,88 schrieb etwa Robert W. seiner Frau. Die Versorgungslage hatte außerdem starken Einfluss auf den allgemeinen emotionalen Zustand der Soldaten.89 War die Nachschublage schlecht, zweifelten die Soldaten an der gesamten Situation und ihre Kampfmoral sank. Umgekehrt konnte die Ausgabe besonderer
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Herbert Trunschke, Und es klappt dennoch …! Der Verpflegungsnachschub nach Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 9. Fritz E. Maier-Florian, Pioniere im deutschen Afrikakorps, in: Jambo C (1942) 3, S. 33–36, S. 35. Vgl. Ernst Bayer, Verpflegung unserer Soldaten in Afrika, in: Jambo C (1942) 1, S. 10. Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 66. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. August 1941. Vgl. etwa die 2005 verfasste Erinnerung von Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, 2005, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork -kriegsalltag-in-nordafrika-1942 [05.06.2019]; MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 27. Juni 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 14. November 1941. Vgl. zu fehlendem Obst auch LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 28. Mai 1941; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Gedicht »Wir siechen dahin«, o. S. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 21. September 1941. Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 19. September 1942, S. 14. Aufgrund der zahlreichen Zahnprobleme wurde im Lazarett in Tripolis eine eigene Zahnabteilung eingerichtet, vgl. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I, H Qu OKA, den 25. Juli 1941, S. 14. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941 und 8. März 1941; LHAKo, Best.Nr. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Februar 1942; LHAKo, Best. 700 153 Nr. 274, Willi B. an eine Bekannte am 5. Oktober 1941. F. Sparwasser, Die Sahara wie sie wirklich ist, in: Jambo C (1942) 11, S. 170–172, S. 171. Vgl. etwa DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 3. Januar 1942, S. 34.
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Speisen wie mit Vitaminen angereicherte Schokolade90 die Stimmung der ganzen Truppe heben91 und die Soldaten den Kriegsalltag als »durchaus noch erträglich«92 empfinden lassen. Ebenso wirkte sich die Versorgung mit Trinkwasser auf die Stimmung aus, das ebenfalls oft nur in unzureichendem Maße für die Soldaten vorhanden war. Trockenheit und Wassermangel hatten die Soldaten erwartet, da die Vorstellung von wasserarmen Wüsten und Trockenheit zum vorherrschenden Bild von »Afrika« gehörte. Nicht umsonst war die Feldzeitung der Soldaten in Nordafrika nach einem wasserführenden Sehnsuchtsort in der Wüste benannt. Auf die Erfahrung des Wassermangels eingestellt, notierte Hans P. einige Tage nach seiner Landung in seinem Tagebuch, dass nun allmählich der Durst komme, »der in Afrika so gefürchtet wird«.93 Doch die tatsächlichen Verhältnisse überstiegen auch hier jegliche Erwartungen. Sie hatten sich »keine rechte Vorstellung davon gemacht, was es heisst, Wasser zu haben, Wasser zu finden und Wasser zu trinken«,94 fasste Konstantin Alexander von Neurath, der Sohn des ehemaligen Reichsaußenministers und bis 1943 Reichsprotektor in Böhmen und Mähren Konstantin von Neurath, in seinen Erinnerungen zusammen. So stellte die Wasserversorgung eines der größten Probleme für die Kriegsführung dar, obwohl sie ausführlich geplant, berechnet und organisiert worden war. Handbücher zur Versorgung der Truppe mit Wasser und zur Grundwasseruntersuchung sowie Sanitätsanweisungen zur Qualität des Wassers klärten die Soldaten über den Umgang auf. Zudem war eine aus zehn Mann bestehende Wehrgeologenstelle eingesetzt, in der Korpsgeologen, Korps-Hygieniker, Wasseringenieure und Wasseroffiziere zusammenarbeiteten. Sie beurteilten das Gelände für den Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen und kümmerten sich um die Wasserversorgung.95 Selbst Rutengänger wurden eingesetzt.96 90
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Vgl. Jörg Melzer, Christian Kleemann und Reinhard Saller, Ernährungspraxen im »Dritten Reich«, in: Paula Diehl (Hg.), Körper im Nationalsozialismus: Bilder und Praxen, München u.a. 2006, S. 249–267, S. 266. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 284, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen in dem Taschenkalender ›Panzergruppe Afrika‹. Kalender 1942, Eintrag vom 21. April 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 24. November 1941. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 2. Februar 1942, S. 2. IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Etwas vom Wasser«, S. 27. Auch die italienischen Soldaten waren mit einer eigenen Wasserversorgungs-Pionierkompanie ausgestattet, vgl. Hermann Häusler, Militärische Trinkwasserversorgung – einst und jetzt, in: Berichte der Geologischen Bundesanstalt 113 (2015), S. 23–55, S. 37–39. Zur Trinkwasserversorgung siehe auch Hermann Häusler, »Wehrgeologenstelle 12«: Rommel’s Military Geology Team in North Africa, 1941–1943, in: Jacques Bezuidenhout und Hennie Smit (Hg.), African Military Geoscience. Military History and the Physical Environment, Bd. 1, Stellenbosch 2018 (= African Military Studies), S. 163–184; ders., Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg (1941–1943), Wien 2003 (MILGEO – Organ des Militärischen Geowesens des Österreichischen Bundesheeres, Bd. 13). Bis Februar 1941 war der Wassernachweis in Nordafrika durch Wünschelrutengänger der italienischen Armee erfolgt, was jedoch zu einigen Fehlbohrungen führte, vgl. Häusler, Militärische Trinkwasserversorgung, S. 38. Von einzelnen Soldaten wurde die Wünschelrute aber auch zu späteren Zeitpunkten noch eingesetzt, wie ein Brief von Robert W. an seine Frau vom November 1941 zeigt. Er berichtet ihr, »direkt in den Dünen, haben wir mittels einer Wünschelrute Trinkwasser gefunden. […] Wir haben den Brunnen ausgebaut und er liefert am Tag 200–250 Ltr. Süßwasser«, MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. November 1941.
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Doch auch ihr Einsatz konnte den enormen Wasserbedarf nicht decken. Für eine motorisierte Division wurden 100.000 Liter Trinkwasser und 20.000 Liter Kühlwasser pro Tag benötigt. Dies entsprach pro Mann etwa fünf Litern Trinkwasser, pro Lkw/Pkw einem Liter Kühlwasser und pro Panzer zwei Litern Kühlwasser. Zudem waren noch 8.000 Liter Wasser für die Bäckerei-Kompanie und mehrere hundert Liter Wasser für die Sanitätsdienststellen eingeplant.97 Am schwierigsten war die Wasserversorgung im Kampfgebiet nahe der ägyptischen Grenze und während der Kämpfe um Tobruk.98 Hier musste Wasser oft über Strecken von mehreren hundert Kilometern hinweg mit Tankwagen zu den Einsatzorten der Soldaten transportiert werden.99 Denn in diesen Regionen gab es nur wenige Quellen, und die vereinzelten Flüsse trockneten nach der Regenzeit schnell aus. Sickerwasser-Brunnen und Zisternen zum Sammeln von Regenwasser gab es ebenfalls nicht ausreichend100 – zumal diese der lokalen Bevölkerung gehörten und von dieser genutzt wurden. Und viele der von den Achsenmächten benutzten Wasserstellen enthielten kein Süßwasser,101 so dass es nicht, ohne gefiltert zu werden, getrunken werden konnte. Das salzige Wasser und der damit zubereitete »Salzkaffee« schrieben sich tief in die sensorische Erinnerung der Soldaten an den Nordafrikafeldzug ein.102 Als prägendes Erlebnis wurde das Salzwasser in der Oase ebenfalls thematisiert. Hier räumte der Wehrgeologe Knetsch ein, dass es oft »salzig, vielleicht nicht einmal allzustark, aber […] ungewohnt« schmecke, wies aber zugleich darauf hin, dass Wasser in der Wüste eben anders sei als das »heimische […] Wasser« und es durch Kritisieren nicht besser werde. Vielmehr sollten sich die Soldaten über das salzige Wasser freuen, dass sie sich zu Hause extra aus einer Heilquelle abfüllen müssten.103 Außerdem seien am Ende die Munition und »der Transport anderer Dinge noch wichtiger […] als der von Wasser«.104 Als im Sommer 1942 der gesamte Nachschub aufgrund heftiger britischer Luftangriffe stark eingeschränkt war105 und die Wasserversorgung die »größte Sorge«106 war, klärte das Blatt seine Leserschaft über die Grundwasservorkommen in der Wüste auf und
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Vgl. Häusler, Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg, S. 33f. Vgl. Stumpf, Der Krieg im Mittelmeerraum, S. 573. Willibald P. notierte etwa in seinem Tagebuch, dass der Wasserwagen Wasser aus Derna holte und zur fast 800 Kilometer entfernten El Alamein-Front brachte, vgl. IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 11. Vgl. F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 3, S. 42–43, S. 42. Teils mussten sie »am Tag mit 2 Schluck starken Salzwassers auskommen«, DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 57, Hervorhebung i. O. Vgl. etwa IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 10; DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 27. Die Unzufriedenheit wird im Tagebuch Wilfried Armbrusters deutlich, der notierte: »Das Salzwasser ist fürchterlich, es widert einem [sic!] an.« IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 26. Dezember 1941, S. 10. Knetsch, Salziges Wasser in der Wüste, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 10. Vgl. J. Welling, Wo sind die PK.-Männer? Aus der Arbeit des Propaganda-Zuges Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 6. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 184. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2. Juni 1942.
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erläuterte, wie es zu dem salzigen Geschmack des Wassers kam.107 Zudem suggerierten abgedruckte Fotos von Soldaten am Wassertankwagen oder vom Befüllen der Wasserkanister am Wassertankzug,108 dass die Wasserversorgung gesichert sei. Derartigen Aufmunterungen in der Oase zum Trotz wurde der Wassermangel für die Soldaten zu einem Symbol der Kriegserfahrung im nordafrikanischen Kriegsraum. »Wer nicht in der Wüste war, weiss ja überhaupt nicht, was Durst ist. Wenn im Schlund alles angeschwollen ist, man kaum sprechen und atmen kann, der Tod einem wirklich im Hals sitzt«,109 konstatierte Helmut T. in seinem Kriegstagebuch. Dies erkannte die Feldzeitung und spiegelte die Gefühle der Soldaten. Sie berichtete, es gebe »keinen deutschen Soldaten in Afrika, der nicht manchmal davon träumte, daheim ein volles Glas kühles, reines Wasser als Festtrunk an die Lippen zu setzen«,110 oder »einmal den Hahn einer Wasserleitung aufmachen und ganz einfach das Wasser herauslaufen lassen«111 wolle. Hier setzte die Schriftleitung der Oase also darauf, die Kampfmoral der Soldaten durch Anerkennung ihrer Leiden aufrecht zu erhalten. Zudem sollten vor allem Witze und Karikaturen über den herrschenden Durst und das salzige Wasser die Laune heben.112 Denn mit Humor konnte das Gemeinschaftsgefühl der Soldaten angesprochen werden, wie Thomas Kühne in Bezug auf soldatische Kameradschaft im Zweiten Weltkrieg herausgearbeitet hat. In schwierigen Lagen war Zynismus oft die einzige Möglichkeit, mit der Kriegssituation umzugehen.113
2.3 »Unzivilisierte« Zustände Ebenso prägend für das Kriegserlebnis der Soldaten waren die mit der phasenweisen großen Trockenheit einhergehenden Bodenzustände. Sand und Staub erschwerten das Vorankommen auf unbefestigten Straßen in den Wüstengebieten,114 verstopften trotz eingebauter Nassfilter115 die Lüftungen und Motoren der Fahrzeuge116 und die emp-
107 Vgl. die Artikel des Oberleutnant Tripp, Naturkunde für den Afrikakämpfer. Wasser und Wüste, in: Die Oase 83, 30. Juli 1942, S. 4; Unser wissenschaftliches Feuilleton. Kreislauf des Wassers in der Wüste, in: Die Oase 84, 6. August 1942, S. 4; Kreislauf des Wassers in der Wüste, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 4; sowie Knetsch, Salziges Wasser in der Wüste, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 10; Claus Seibert, Wasser in der Sahara. Geburt einer Oase, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 4. 108 Vgl. o. V., Bilderbogen vom Wüstenkrieg in Afrika, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 5. 109 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika. S. 121. 110 Ernst Günter Dickmann, Unser Wasser ist unser täglich Brot. Wasser für Rommels Afrikakämpfer. Die Sicherstellung der kostbaren Flüssigkeit im nordafrikanischen Wüstensand – Wasserversorgungstruppen am Werk, in: Die Oase 84, 6. August 1942, S. 2. 111 Karikatur, Wünsche aus der Wüste, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 12. 112 Vgl. Karl Pauli, »Lasst sie nur kommen!« In einem Schützenloch vor El Alamein, in: Die Oase 88, 3. September 1942, S. 2. 113 Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 199. 114 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 10. Januar 1942. 115 Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 27. 116 Vgl. einen Bericht des Leiters des Wehrgeologenstabes in Berlin-Wannsee vom 4. Juli 1941, zit. n. Häusler, Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg, S. 64. Die Motoren litten etwa stark unter dem Wüstensand, weil sie über keine ausreichenden Luftfilter verfügten, und bereits nach
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findlichen Waffen mussten regelmäßig gereinigt werden, um zu funktionieren.117 Zwar konnte aufgewirbelter Staub kriegstaktisch genutzt werden,118 um nicht vorhandene Panzerkolonnen vorzutäuschen, doch insgesamt erschwerte er den Alltag der Soldaten erheblich. »Man kann sich gar nicht vorstellen, wie fein der Sand ist, den es da durch die Gegend wirbelt und bläst«,119 klagte Helmut T. in seinem Tagebuch: »Alles, Sachen, Haare, Ohren, Nase, Augen usw. ist voll von dem feinen Sandstaub!«120 In nahezu allen Selbstzeugnissen der in Nordafrika eingesetzten Soldaten sind die Klagen über in jede Ritze eindringenden Sand und den alles mit einer Schmutzschicht überziehenden Staub zu lesen.121 Um sich vor dem Eindringen des Sandes in die Atemwege zu schützen, wickelten sich die Soldaten Tücher um Mund und Nase.122 Zudem trugen die Soldaten eine zur Ausrüstung gehörende Schutzbrille, die das Eindringen des Sandes jedoch nicht komplett verhinderte,123 so dass Bindehautentzündungen zum Alltag der Soldaten gehörten.124 Auch durch den Staub ausgelöste Lungenkrankheiten fürchteten die Soldaten.125 Die Feldzeitung Oase bezeichnete den Staub als eine Bedrohung, der die Soldaten »[n]ahezu hilflos […] ausgeliefert« waren und »nicht entfliehen« konnten.126 Die staubige Umgebung und die fehlende Wasserversorgung bewirkten, dass die Soldaten sich stets schmutzig fühlten und eine »unerfüllbare Sehnsucht nach Waschen, Rasieren oder frischer Wäsche«127 entwickelten. Zwar stellte fehlende Hygiene in den meisten Kriegen eine Normalität dar, so dass das Oberkommando des Heeres (OKH) in
dem Anmarsch von Tripolis nach Mugtaa hatten die Panzermotoren den größeren Teil ihrer Lebensdauer hinter sich, vgl. Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S. 616. 117 Vgl. etwa LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941; J. Welling, Wo sind die PK. – Männer? Aus der Arbeit des Propaganda-Zuges Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 6. BfZ, Sammlung Sterz, Der Gefreite Alfons S. ließ sich zu diesem Zwecke einen Pinsel von seinen Angehörigen per Feldpost schicken, vgl. Sammlung Sterz, Alfons S. an seine Eltern am 2. Oktober 1942. 118 Vgl. etwa Desmond Young, Rommel, Wiesbaden 1950, S. 301. 119 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 57–58. 120 Ebd., S. 68. 121 Vgl. etwa MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 12. Oktober 1941; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 2. Februar 1942, S. 2; BfZ, Sammlung Sterz, Alfons S. an seine Eltern am 29. Januar 1942; Wilhelm Rueter, Wir erlebten den Ghibli, in: Jambo C (1942) 1, S. 11; B.K., Soldaten, die unsere Post besorgen. Das Feldpostamt in der Wüste – Unermüdliche Arbeit verbindet die Front mit der Heimat, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 4. 122 Vgl. Wilhelm Rueter, Wir erlebten den Ghibli, in: Jambo C (1942) 1, S. 11. Das Mundtuch gehörte zur Ausrüstung, vgl. o. V., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 132. 123 Vgl. DTA 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 57–58; Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 124 Vgl. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I, H Qu OKA, den 25. Juli 1941, S. 31. 125 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. 126 Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. 127 Kurt von Steinitz, Da wird sich Rommel freuen. Auf Geleitfahrt im Mittelmeer – Kein Lorbeer für den Tommy, in: Die Oase 88, 10. September 1942, S. 2.
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seiner Kalkulation kein Wasser für hygienische Zwecke vorsah.128 Doch wirkte sich das seltene Waschen in einer von Staub und Hitze geprägten natürlichen Umwelt besonders stark auf den Kriegsalltag der Soldaten, ihre sinnlichen Erfahrungen und letztlich ihre Deutung des Krieges aus. Körperliche Anstrengungen bei hohen Temperaturen führten dazu, dass »der Schweiß aus allen Poren«129 brach und aufgewirbelter Staub am ganzen Körper klebte. »[B]ald sind die im Schweiss gebadeten Körper dieser Männer mit einer gelben Lehmkruste überzogen«,130 hieß es in der Oase. Schon nach wenigen Tagen ohne Waschmöglichkeit war der Zustand für die meisten Soldaten äußerst unangenehm, wie sich in der Erwähnung des Umstandes in Tagebüchern oder Briefen zeigt.131 Sie hatten stets ein »dreckiges Gefühl«132 und fühlten sich unwohl. Der Zustand ihrer schmutzigen Körper löste bei den Soldaten zudem Schamgefühle aus. Dass Scham »ein relationaler Beziehungsaffekt zur Regulierung des Innenlebens wie des Soziallebens«133 ist, wird offenbar, wenn sie ihren Angehörigen schrieben und dabei sich deren Blicke auf sich selbst vorstellten. Im Schreiben wurde den Soldaten bewusst, dass sie etablierte Normen und soziale Erwartungen an Sauberkeit nicht mehr erfüllten. Vor allem gegenüber ihren Ehefrauen, die ihnen als reinheitsliebend vor Augen standen, war ihnen der eigene ungepflegte Körper unangenehm.134 Dass sie es nicht schafften, sich im Krieg sauber zu halten, war wie eine Art hygienisches »Versagen«.135 Ihre Schamgefühle zeigen sich in Feldpostbriefen, in denen sich die Soldaten für ihren Zustand entschuldigen und den eigenen Hygieneanspruch hervorhoben. Als der Stabsarzt Hubert S. zeitweise in einem Hotel in Sfax untergebracht war, in dem es wider Erwarten kein fließendes Wasser gab, fügte er dem Bericht im Brief an seine Frau zur »Beruhigung«136 mit einem Ausrufezeichen hinzu, dass er sich »gleich
128 Vgl. Häusler, Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg, S. 34. 129 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 17. April 1942, S. 8. 130 B.K., Soldaten, die unsere Post besorgen. Das Feldpostamt in der Wüste – Unermüdliche Arbeit verbindet die Front mit der Heimat, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 4. Ähnlich beschrieben in Hanns Gert Esebeck, Ueber Benghasi in die Cyrenaika, in: Die Oase 10, 8. April 1941, S. 3. 131 Vgl. etwa MSPT, 3.2017.467.0, Hans O. an seine Ehefrau am 20. Februar 1943; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 2. Februar 1942, S. 2; MSPT, 3.2002,7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941 bis 1. Januar 1942. 132 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 17. April 1942, S. 8. 133 Anja Lobenstein-Reichmann, ›Rasse‹ – zur sprachlichen Konstruktion einer Ausgrenzungsstrategie, in: Kulturwissenschaftliche Zeitschrift 6 (2021) 1, S. 163–183, S. 166. Scham kann dabei nicht nur innerhalb von Kleingruppen wirken, sondern sogar zum »nation building« beitragen, vgl. Sara Ahmed, The Politics of Bad Feeling, in: Australian Critical Race and Whiteness Studies Association Journal 1 (2005), S. 72–85. 134 Zum Auslösen von Schamgefühlen vgl. Dagmar Ellerbrock und Silke Fehlemann, Beschämung, Beleidigung, Herabsetzung: Invektivität als neue Perspektive historischer Emotionsforschung, in: Anja Besand, Bernd Overwien und Peter Zorn (Hg.), Politische Bildung mit Gefühl, Bonn 2019, S. 90–104, S. 93. 135 Zu Scham als Unlustgefühle über das Versagen vor einer Idealnorm vgl. Ute Frevert, Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung – Deutsche Geschichte seit 1900, Frankfurt a.M. 2020, S. 290. 136 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 6. Dezember 1942.
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nach meiner Rückkehr gewaschen u. Zähne geputzt«137 habe. Er hielt es also für nötig, ihr mitzuteilen, dass er sich soweit möglich weiter an die im zivilen Leben etablierten Reinlichkeitsvorstellungen halte, und berichtete ihr sofort, als er wieder unter besseren Bedingungen wohnte.138 Ähnlich wird in den Briefen des Soldaten Robert W. deutlich, wie sehr ihn die hygienischen Zustände belasteten und dass er sich dafür schämte. »Sind wir Schweine, was?«,139 fragte er seine Frau und erklärte, die Nachschublage sei »so verteufelt schwer«,140 dass sie froh seien, wenigstens Wasser zum Kochen zu haben. Im Kontrast mit der Sauberkeit von Schweinen wird erkennbar, dass ihm die Umstände unangenehm waren und sie nicht seinen Vorstellungen von einem zivilisierten menschlichen Leben entsprachen. Ein Jahr später bewertete er die eigene Situation jedoch noch schlechter und meint, die Tiere seien »ein Prachtstück von Sauberkeit dagegen«.141 Der eigene körperliche Zustand verdeutlichte den Soldaten, wie weit entfernt sie sich von zu Hause aufhielten, und ließ ihnen Nordafrika wie ein Gegenstück zum gewohnten Leben vor dem Kriegseinsatz erscheinen. Denn in Nordafrika konnten sie den Normen, die bezüglich Hygiene und Sauberkeit in der zivilen Gesellschaft zu Hause galten, nicht folgen. Für die Soldaten hatte sich die Vorstellung vom Kriegsraum als dem fundamental anderen bestätigt. Die hygienischen Umstände ließen den Kriegsraum damit nicht nur als imaginierte Fremde erscheinen, sondern sie schienen die Andersartigkeit des Raumes zu beweisen. Je länger die Soldaten im Kriegseinsatz waren, desto mehr wünschten sie sich, sich zu waschen, und bewerteten Hygienepraktiken aus dem zivilen Leben als Kostbarkeit. So vermerkte Hans P. während eines Lazarettaufenthaltes, dass er »[n]ach dem ewigen Wüstenleben« Dinge wie »[e]in Dach über dem Kopf, ein weiches Bett, alles ziemlich sauber, Bad, Waschräume und all diese Dinge […] wie Wunderartikel«142 empfände. Ähnlich freute sich Helmut T. über die Ausstattung des Soldatenheimes in Derna: »Sehr gute Verpflegung, Bad mit Brause und Dusche und – Wasserclosett. Jawohl. WC!!!! Das sind für uns die Dinge, denen wir den grössten Wert beimessen!«143 Indem die Soldaten diese Zustände, die den Erfahrungen aus dem zivilen Leben entsprachen, nun als besonders und bemerkenswert bezeichneten, vermittelten sie ihren Angehörigen, dass sie selbst noch dieselben Sauberkeitsansprüche hatten und trotz der ungünstigen Lebensbedingungen nicht zu »unzivilisierten Wilden« verkommen waren. Dass die Soldaten ihre Zugehörigkeit zur sauberen Zivilisation betonten, war deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Scham über die eigene Schmutzigkeit nicht allein aus einem Gefühl des Unwohlseins entstand. Sie lag in tradierten rassistischen Stereotypen und Vorurteilen begründet. Der Reinlichkeit und dem Waschen kam in kolonialen Diskursen eine gewichtige Funktion zu. Denn der weiße Körper war als sauber
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Ebd. Vgl. MSPT, 3.20152600, Hubert S. an seine Ehefrau am 10. Dezember und 11. Dezember 1942. MSPT, 3.2002.7605 Robert W. an seine Ehefrau am 19. Juni 1941. Ebd. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juni 1942. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 12. Januar 1943, S. 19. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 89–90.
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imaginiert worden und Seife wurde die Kraft zugesprochen, den imperialen Körper rein zu halten oder sogar den Schwarzen Körper hell waschen zu können.144 Vor allem unter deutschen Kolonist*innen waren bürgerliche Werte wie akribische Sauberkeit und Ordnung zu starken Kennzeichen der ethnischen Identität im Ausland und einer Erinnerung an das Heimatland geworden.145 Angesichts der starken Wirkungsmacht der kolonialen Kultur und der Einschreibung von kolonialen Deutungsmustern in kolonisierende Gesellschaften ist davon auszugehen, dass die deutschen Soldaten diese Verbindung von Sauberkeit und vermeintlicher europäischer Zivilisiertheit internalisiert hatten. Die kolonialrassistische Lesart wurde zudem von der Ideologie des Nationalsozialismus ergänzt. Hier war die Reinheit des »deutschen Volkskörpers« ein wichtiges Schlagwort der Körperpolitik und sollte durch die Aussonderung, Sterilisierung und Vernichtung »rassisch Minderwertiger« erreicht werden.146 Sogar im buchstäblichen Sinne wurde Reinheit angestrebt und den aus der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft«147 Ausgeschlossenen abgesprochen. Juden wurden in der nationalsozialistischen Propaganda als schmutzig im Sinne von unhygienisch bezeichnet, um Gefühle des Ekels auszulösen.148 Ähnliche Vorurteile hatten die Soldaten an anderen Fronten etwa gegenüber der Bevölkerung Osteuropas.149 Im Nordafrikafeldzug spielten Vorstellungen von Sauberkeit und Unreinheit ebenfalls eine Rolle. Der arabischen Bevölkerung des nordafrikanischen Kriegsraumes traten die deutschen Soldaten mit Vorurteilen über ihre Reinlichkeit entgegen, bezeichneten sie als »dreckig und zerlumpt«150 und berichteten von der »Unsauberkeit der Araber«151 oder der »schmutzige[n] arabische[n] Hand«.152 Damit verwendeten sie ein abwertendes 144 Vgl. Anne McClintock, Imperial Leather: Race, Gender, and Sexuality in the Colonial Contest, New York 1995, S. 207–230. 145 Vgl. Claus-Christian W. Szejnmann, »A Sense of Heimat Opened Up during the War.« German Soldiers and Heimat Abroad, in: ders. und Maiken Umbach (Hg.), Heimat, Region, and Empire. Spatial Identities under National Socialism, New York 2012, S. 112–147, S. 124. 146 Vgl. Paula Diehl, Körperbilder und Körperpraxen im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.), Körper im Nationalsozialismus: Bilder und Praxen, München u.a. 2006, S. 9–30, S. 22. 147 Vgl. zum Begriff der »Volksgemeinschaft« etwa Frank Bajohr und Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2012. 148 Beata Dorota Lakenberg, Die deutsche Minderheitenpresse in Polen 1918–1939 und ihr Polen-und Judenbild, Frankfurt a.M. 2010 (= Die deutschen und das östliche Europa. Studien und Quellen, Bd. 6), S. 195, 276. 149 Vgl. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 127. Michaela Kipp bewertet die Sauberkeit als »zivilisatorisches Grundmotiv«, das auch Gewalt motivieren konnte. So bezogen sich ihrer Ansicht nach die Wehrmachtssoldaten bei der Bewertung der sowjetischen Bevölkerung weniger auf die Ideologie des Nationalsozialismus, als dass sie versuchten, die Eindrücke und Erlebnisse mit ihrem Erfahrungshorizont abzugleichen. Erst wenn die politische Ideologie mit Alltagsüberzeugungen zu vereinbaren war, erhielt sie auch Handlungsrelevanz etwa für gewaltsame Säuberungsaktionen, vgl. Michaela Kipp, Reinlichkeitsvorstellungen in Feldpostbriefen. Herausforderung für die Kriegsgeschichte, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 457–468, S. 457. 150 MSPT, 3.2015.600, Hubert S. an seine Ehefrau am 22. November und 28. Dezember 1942. Erich K. über »dreckige […] Araber«, LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. 151 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17.Februar 1943. 152 MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 6./7. Februar 1943.
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Fremdbild, das bereits in Abenteuerromanen und Reiseberichten aus dem 19. Jahrhundert zur Abgrenzung der »Anderen« gedient hatte.153 Entgegen der viel beschworenen Ideologie-und Gefühlsfreiheit des Nordafrikafeldzuges sind die in den Selbstzeugnissen der Soldaten zu findenden Bezeichnungen für die arabische Bevölkerung teilweise hasserfüllt. Robert W. etwa nannte arabische Händler, die seiner Ansicht nach überteuerte Lebensmittelpreise verlangten, »dreckige […] Mistviecher«.154 Solche Begriffe heben hervor, dass die Adjektive »schmutzig« oder »dreckig« die Bezeichneten abwerten sollten und die Soldaten sich selbst damit als sauber und damit über der lokalen Bevölkerung stehend ansahen. Denn die mangelhaften hygienischen Bedingungen während des Kriegseinsatzes änderten nichts daran, dass sich die deutschen Soldaten weiterhin als Vertreter einer hygienischen und damit zivilisierten Kultur verstanden. Diese Bewertung der Sauberkeit als europäisches Phänomen, das im Kontrast zum als anders und fremd wahrgenommenen Kriegsraum steht, findet sich ferner in der Feldzeitung Oase. So erklärt die Bildunterschrift eines in der Oase abgedruckten Fotos, das mehrere unbekleidete Soldaten beim Waschen ihrer Kleidung an einem Brunnen zeigt, es handele sich um »eine fast europäisch anmutende Reinigungsaktion«.155 Doch das körperliche Erleben der Hygienezustände und die Unterbringung der Soldaten widersprachen diesem Selbstverständnis von Reinheit. Die Soldaten hatten kaum Wasser, um sich zu waschen, und hausten in als »primitiv«156 empfundenen Erdlöchern. Beides entsprach nicht den Vorstellungen von Zivilisiertheit des europäischen Kulturkreises, dem sie sich zurechneten.157 Im Krieg waren sie gezwungen, »andere Lebensgewohnheiten«158 anzunehmen. Dies empfanden manche der Soldaten, als würden sie selbst partiell zum »Fremden«, zum »Anderen« werden. Dies enthüllt beispielsweise eine Textstelle aus dem Briefkonvolut von Erich K., in der er sein verschmutztes Gesicht mit der Hautfarbe von Schwarzen vergleicht. »Aussehen tun wir wie die N*. Bei einer Fahrt durch die Wüste ist man schon nach kürzester Zeit vollkommen versandet und verstaubt.«159 Er nutzte eine tradierte rassistische Verknüpfung von Hautfarbe und Schmutz,160 um darzulegen, wie sehr die unhygienischen Bedingungen des Krieges seinem eigenen Selbstbild widersprachen. Die tradierten Bilder der »schmutzigen 153
Vgl. etwa Ulrike Stamm, Der Orient der Frauen. Reiseberichte deutschsprachiger Autorinnen im frühen 19. Jahrhundert, Köln u.a. 2010, S. 197. Auch Karl May bezeichnete Araber als schmutzig und stellte die Jesiden als eine »reinliche« Ausnahme dar, vgl. Wiemann, »Das ist die echte«, S. 100. 154 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941. 155 Vgl. Bildunterschrift zu einer Abbilung sich waschender Soldaten, in: Die Oase 58, 28. September 1941, S. 6. 156 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Frau am 15. April 1943. 157 Auch die Tiroler Soldaten in Abessinien verbanden »europäisch« mit ordentlich und sauber, wohingegen sie die Dörfer der lokalen Bevölkerung in »Abessinien« als schmutzig und unrein wahrnahmen, vgl. Markus Wurzer, »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.« Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-Abessinischen Krieg 1935–1936, Innsbruck 2016, S. 97–98. 158 DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Horst S., Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 7. 159 Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 28. Mai 1941. 160 Vgl. etwa Natasha A. Kelly, Das N-Wort, in: Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt (Hg.), Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhand-
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Fremden« in Kombination mit dem Erleben der zuvor unvorstellbaren hygienischen Zustände ließen den Soldaten den Raum des Krieges als fremd erscheinen. Zudem stellte er eine Bedrohung für den eigenen Körper dar, der sich durch die Umstände im Krieg denjenigen der als fremd und anders konstruierten lokalen Bevölkerung anglich. In ähnlicher Weise empfanden die Soldaten den eigenen Bartwuchs als Angleichung an die »Anderen«. Aufgrund der Wasserknappheit konnten sich die Soldaten nur selten rasieren. Daher manifestierten sich die mangelnden hygienischen Bedingungen in ihrem Bartwuchs, und der Wassermangel schrieb sich durch die wachsenden Haare in die Gesichter der Soldaten ein. Viele der Männer schrieben nach Hause, wie selten sie sich rasieren könnten, oder schickten Fotos von sich und machten auf die darauf zu sehenden Bärte aufmerksam. So kommentierte Robert W. seine »Aufnahmen nach dem Wüstenmarsch vor Tobruk« mit den Worten: »Du siehst, wie der Bart wächst, wenn man kein Wasser hat.«161 Der Bart war für die Soldaten ein Symbol der Bedrohlichkeit des Kriegsraumes und selbst ein potenzieller Gefahrenherd. Die im 19. Jahrhundert aufgekommene Hygienebewegung hatte »Bärte als Brutstätten widerwärtiger Bakterien«162 erkannt, so dass tägliches Waschen und Rasieren im Militär zur Hygiene vorgeschrieben waren.163 In der Feldzeitung wurde ein Vollbart daher als etwas Unhygienisches bezeichnet, mit dem man sich schmutzig fühlte.164 Obendrein war für die Sicherheit der Soldaten ein rasiertes Kinn notwendig, da eine Gasmaske auf einem unrasierten Gesicht nicht richtig getragen werden konnte. Neben solch praktischer Probleme machten die Bärte die von den Soldaten erlebten Strapazen für die Angehörigen zu Hause schon beim ersten Blick auf ein Foto sichtbar. Ein Gefreiter befürchtete, ihre Frauen würden »Angstzustände« bekommen, wenn sie sie so sähen.165 Tatsächlich musste die Mutter des Soldaten Oskar H. weinen beim Anblick der Fotos, die ihr der Sohn aus Nordafrika geschickt hatte.166 Und die Soldaten selbst waren schockiert von ihrem Aussehen. Davon zeugt eine Karikatur in der Oase, auf der ein Soldat zu sehen ist, der beim Anblick eines Fotos von sich so sehr erschrickt, dass ihm der Tropenhelm hochhüpft.167 Die im Kriegseinsatz wachsenden Bärte wurden als Zeichen nachlassender körperlicher Kraft gedeutet. Der Soldat Robert W. kommentierte die Fotos von sich in einem Brief an seine Frau mit den Worten: »der Bart wächst und ich kann nur sagen: ›Inge, hast
lungen, Frankfurt a.M. 2010 (= Sprache und Diskriminierung. Transdisziplinäre Genderstudien, Bd. 1), S. 157–166, S. 161. 161 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 24. Juni 1941. 162 Peterkin, Tausend Bärte, S. 13. 163 Vgl. Wilhelm Reibert, Der Dienstunterricht im Reichsheer. Ein Handbuch für den deutschen Soldaten, Berlin 1934, S. 166. 164 Karl Pauli, ›Lasst sie nur kommen!‹ In einem Schützenloch vor El Alamein, in: Die Oase 88, 3. September 1942, S. 3. 165 Vgl. Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 166 Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 18. März 1942, S. 37. 167 Vgl. Otto, Man lacht auch in Afrika, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 10.
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Du einen alten Mann.‹«168 Erst als er seinen Bart abnahm, habe er sich selbst wieder als jugendlich empfunden.169 Selbst Erwin Rommel verband die Bärte der Soldaten mit einem Verlust von Jugendlichkeit. Laut den Aufzeichnungen seines Dolmetschers Wilfried Armbruster sah er im Bartwuchs ein Zeichen von Altersschwäche. Daher habe er einen Kompaniechef angewiesen, er solle seinen Soldaten »die Bärte abnehmen. Wir wollen junge Soldaten haben, alt werden wir überhaupt nicht.«170 Die Soldaten sollten sich also rasieren, um das Bild einer starken und ausdauernden Truppe aufrechtzuerhalten. Und natürlich entsprach der Bartwuchs nicht den Vorstellungen von Kultiviertheit und Zivilisiertheit der Soldaten. Er symbolisierte das Sein in einem Raum, der im kolonialen Diskurs und in der Propaganda gegen die Rheinlandbesetzung durch Schwarze Soldaten als »wild« und »unzivilisiert« erklärt worden war.171 Dies lag zum einen an modischen Vorbildern. Zwar hatten sich im Kaiserreich viele Soldaten einen Bart wachsen lassen, um ihre Männlichkeit zu unterstreichen.172 Doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Bartmode ausgehend von den USA auch in Deutschland zu einem haarlosen Stil gewandelt. Statt ausladender Bärte trugen Männer im Allgemeinen nur noch Schnurrbart oder waren glattrasiert.173 Die Vollbärte der in Nordafrika eingesetzten Soldaten entsprachen damit nicht den herrschenden Modekonventionen. Zum anderen widersprach der Bart allgemein den Vorstellungen der Soldaten von männlicher Gepflegtheit. Das Rasieren wurde als eine Kulturtechnik begriffen, die sie als Mitglieder einer zivilisierten Gesellschaft auswies. Die Erfindung des 1903 auf den Markt gekommenen Sicherheitsrasierers der Firma Gilette hatte das tägliche Rasieren zu Hause möglich gemacht, wodurch übermäßiger Bartwuchs zu einem Zeichen industriellproletarischer Rückständigkeit wurde und Bartpflege als Ausdruck von Kultur galt.174 Folglich bezeichnete Wilfried Armbruster seine Hygieneprodukte in einem Tagebucheintrag als »zivilisatorische Dinge«,175 und die soldatischen Bärte waren ein körperliches Zeichen des Verlustes der Verbindung zur Zivilisation. Sie standen für den als außerhalb Europas und unzivilisiert wahrgenommenen, fremden Kriegsraum, der nicht nur
168 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2. Juni 1942. 169 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 16. Juli 1941. 170 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 12.–15. Januar 1942, S. 13. 171 Vgl. etwa Christian Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial-und Militärpolitik (1914–1930), Stuttgart 2001 (= Beiträge zur Kolonial-und Überseegeschichte, Bd. 82), S. 49. 172 Vgl. Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 241. 173 Vgl. Christina Wietig, Der Bart: Zur Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart, Diss. Universität Hamburg 2005, URL: https://ediss.sub.unihamburg.de/bitstream/ediss/1070/1/D issertation_Der_Bart.pdf [5.2.2021], S. 29; Allan Peterkin, Tausend Bärte. Zur Kulturgeschichte des Bartes im 20. und 21. Jahrhundert in Nordamerika und Europa, in: Jörg Scheller und Alexander Schwinghamer (Hg.), Anything grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes, Stuttgart 2014, S. 11–24, S. 13. 174 Vgl. Peterkin, Tausend Bärte, S. 12f. 175 IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Don’t you see I’m shaving«, S. 69.
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von den Soldaten erobert werden sollte, sondern umgekehrt selbst die soldatischen Körper einnahm. Die Bärte offenbarten diese Vereinnahmung und machten die Soldaten zu »unzivilisierten Wilden«. Das wird beispielsweise in einem Tagebucheintrag von Willy P. deutlich, der in einem Brief an eine Bekannte klagte, dass sie »wie die Steinzeitmenschen in Erdlöchern mit Bärten«176 lebten. Wie andere belastende Themen griff die Feldzeitung die Hygienesituation auf und veröffentlichte dazu Gedichte oder Karikaturen.177 Ernst Bayer fasste zusammen, »[j]a, ja, rasieren ist hier Luxus. Zu kostbar ist das Wasser. Und waschen? Für Feiertage aufgespart! Und Zähneputzen? Na eben mit dem guten Einheitskaffee. Trinken? Das hat man sich gar schnell hier abgewöhnt.«178 Im März 1943 ging die Zeitung erneut mit Humor auf die Bärte ein. »Soldaten tragen lange Baerte/dorten, voellig ungescherte,/und es wird darum gebeten/nicht darauf herumzutreten«,179 lautete ein darin erschienener gereimter Vers. Zudem wurde den Soldaten in der Zeitung verdeutlicht, dass sie nicht die einzigen waren, die unhygienische Umstände und das Wachsen der Bärte zu ertragen hatten. Im April 1943 erschien ein Artikel, der den Vergleich der unrasierten, in Erdlöchern lebenden Soldaten mit »Hoehlenmenschen« aufgriff. Hierbei handelte es sich allerdings um einen im Ostfeldzug eingesetzten Leutnant, was als Hinweis an die Soldaten gedeutet werden kann, sich nicht in einer allzu leidvollen Situation zu wähnen.180 Eine weitere Bedrohung für die soldatischen Körper, die mit Unzivilisiertheit und Fremdheit assoziiert wurde, waren Ungeziefer. Das Taschenbuch für die Truppe warnte die Soldaten vor Flöhen, Läusen, Zecken, Stechmücken, Giftschlangen und Skorpionen.181 Durch das Tragen von Stiefeln und das vorherige Ausschütteln konnte Verletzungen vorgebeugt werden.182 In den untersuchten Quellen ist allerdings nur vereinzelt von derartigen Zwischenfällen die Rede.183 Dennoch waren Stiche von Skorpionen oder Schlangenbissen gefürchtet und oft schrieben die Soldaten über diese Ängste, die mit der Besonderheit des Kriegsraumes zusammenhingen.184 Wurden Schlangen und Skorpione noch mit einer gewissen exotischen Neugier betrachtet, assoziierten die Soldaten Flöhe und Läuse mit der als fremd und schmutzig wahrgenommenen Bevölkerung des Kriegsraumes. In zahlreichen Selbstzeugnissen und Artikeln der Oase ist die Rede von Erdflöhen und Läusen, die die deutschen Soldaten aus »verlassene[n] Araberhütten«185 oder einer »verlausten Araberhütte«186 mitgebracht oder 176 177
MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 28. August 1941. Vgl. etwa das Gedicht, Die Bauchbinde, in: Die Oase 77, 16. Juni 1942, S. 8; Otto, Man lacht auch in Afrika, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 10. 178 Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. 179 Gefr. Aigeltinger, Wir »Afrika-Kämpfer« in 30 Jahren, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 8. 180 A. Friedrich, Schiskojedno … Von der Leichenfrau rasiert, in: Die Oase 123, 12. April 1943, S. 3. 181 Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 24. 182 Vgl. ebd., S. 24–25. 183 Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 31. März 1941. 184 Vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 4. April und 5. Juni 1941; MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 14. März 1941; MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 22. Mai 1942. 185 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 158. 186 Martin Glaeser, Die Zeichen der Wüste. Heute in einem Wuestenloch … und morgen in einer verlausten Araberhuette, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 4.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
sich beim Kontakt mit der lokalen Bevölkerung oder in der Nähe von Siedlungen eingefangen hätten.187 In einem Artikel über den Besuch eines »Arabermarktes« heißt es, der Autor habe nicht nur einige dort erworbene Artikel mit nach Hause gebracht, sondern auch Flöhe.188 Flöhe und Läuse waren unangenehm und eine Bedrohung für die Körper der Soldaten, da sie Fleckfieber übertragen konnten. Das Ungeziefer empfanden die Soldaten als Teil einer ihnen feindlich gesinnten Natur. »Hier ist uns nichts der Natur und kein Mensch, – nichts ist uns zugetan. Überall Feind, – so und so. Wenn ich mal an die unzähligen Flöhe denke[,] die mir meinen Alabasterkörper schändlich zurichten«,189 erklärte Willy P. Aufgrund der Schuldzuweisung an die lokale Bevölkerung, diese Schädlinge zu verbreiten, wurden die Menschen des Kriegsraumes indirekt zu einer den soldatischen Körper bedrohenden Gefahr. Die größte Belastung aus dem Tierreich ging für die Soldaten von den Stechmücken und von Fliegen aus, die in den Sommermonaten »in ungeahnten Mengen«190 auftraten und daher in der Feldzeitung Oase ironisch als »Afrikas zweite Sommergabe« neben der Hitze bezeichnet wurden.191 Die Soldaten litten unter den Tieren und thematisierten die »gottsverfluchten Fliegen«192 immer wieder in Briefen und Gedichten.193 Besonders störte es die Soldaten, dass sich die Fliegen auf jegliche Nahrung und die Körper setzten.194 Gegen diese »Millionenheere von Fliegen«195 führten die Soldaten einen Krieg im Kleinen.196 Doch Versuche, die Fliegen zu erschlagen oder durch Moskitonetze Erkrankungen mit Malaria, die vor allem in Tunesien die Soldaten bedrohte, zu verhindern, halfen wenig.197 »Den Kopf schützte der Tropenhelm, über das Gesicht hatten wir uns 187
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Vgl. o. V., Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3; DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 60; DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Lebenserinnerungen, S. 34 Vgl. o. V., Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. Weil die meisten Artikel von männlichen Autoren geschrieben wurden, wird dies auch für diesen Artikel angenommen. MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 28. August 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 7. November 1941. Hanns Gert von Esebeck, Sommertage in Aegypten, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 4. Aus einem Gedicht von Erich K, LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o.S. Vgl. beispielsweise ein fünfstrophiges Gedicht über die »Fliegen, Fliegen, Fliegen!« in: LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o. S; Gefr. B., »Das Fliegenlied«, in: Die Karawane 117, 5. April 1943, S. 3. Vgl. etwa IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 14. Juni 1942, S. 38. Ernst Bayer, Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 11. Vgl. DTA, 238.1 (Reg.-Nr. 236.1) Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 68; DTA, 58,1 (Reg.Nr. 51.III,1), S. 73; Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief an seine Verlobte am 19. Juli 1942; Günther Radtke, Fliegen, Fliegen, Fliegen. Ein gezeichneter Tatsachenbericht, in: Die Oase 46, 12. September 1941, S. 7. Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 141. Netze sollten vor Krankheiten schützen. Vor der Malaria warnte auch das Buch Der Soldat in Libyen: Es forderte die Soldaten dazu auf, in ihrem Zelt ein Moskitonetz zum Schlafen zu benutzen und morgens und abends die Stechmücken wegzufangen, vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 24.
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ein Fliegennetz gezogen. Trotzdem drangen unter das Netz, wenn es nicht fest sass, widerliche winzige Mücken ein, die sich sofort auf die Mundwinkel und auf jede noch so kleine Kratzstelle liessen«,198 erinnerte sich Alfred K. nach dem Krieg. Alle Bedrohungen und Unwägbarkeiten, welche die Soldaten und ihre Körper erlebten, standen für sie in engem Zusammenhang mit dem Schauplatz des Krieges. Wie europäische Soldaten in Kolonialkriegen imaginierten sie die Umwelt als feindselig und erlebten sie als ebenso bedrohlich wie den militärischen Feind.199 Die natürlichen Gefahren interpretierten sie dabei als Spezifika des Kriegsraumes, obgleich Soldaten an anderen Fronten mit ähnlichen Schwierigkeiten umzugehen hatten. Die ständigen Fliegenangriffe und Moskitobisse etwa sind in allen untersuchten Quellen erwähnt und werden darin stets als Besonderheit der Kriegserfahrung geschildert. Dabei waren die Tiere den Soldaten nicht nur lästig, sondern galten zudem als Krankheitserreger.200
2.4 Krankheit und Raum Neben einem beschwerlichen Alltag lösten viele der im Kriegsraum vorkommenden natürlichen Elemente, wie die Moskitos und Fliegen, Krankheiten aus. Mehr als Malaria oder andere durch Insekten verbreitete Krankheiten fürchteten die deutschen Soldaten in Nordafrika allerdings Magenerkrankungen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass in der Oase wie im öffentlichen Diskurs die deutsche Tropenmedizin und vor allem die Erfindung des Medikamentes Germanin gegen die Schlafkrankheit gelobt wurden.201 So betonte die Oase, dass die Errungenschaften der Tropenmedizin den deutschen »Afrikakämpfern« zugutekämen.202 Tatsächlich erhielten die Truppen lediglich einige Ausrüstungsgegenstände von der 1924 gegründeten »Arbeitsgemeinschaft für Kolonial-und Tropentechnik«. Aufgrund der kurzfristigen Planung des Feldzuges hatten nicht alle der eingesetzten Truppenärzte Erfahrungen auf dem Gebiet der Tropenmedizin vorzuweisen.203 Der Truppenarzt Hubert S. betonte in einem Brief an seine Frau, dass lediglich ein anderer Arzt aus Berlin geschickt worden sei, »der in Tropenuntersuchung Erfahrung hatte«.204 198 HStAStu, J 175 Bü 620, HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträgen zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 7. 199 Vgl. dazu etwa Dierk Walter, »Indian Country«. Der Raum als Feind in der Gewaltgeschichte der europäischen Expansion, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73 (2014) 2, S. 309–332, siehe auch im selben Band: Susanne Kuß, Kolonialkrieg und Raum, S. 333–348, S. 337. 200 Vgl. etwa BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 7. November 1941. 201 Vgl. Ilse Deyk, Mungo stiehlt Germanin. Der Ufa-Film Germanin singt das hohe Lied auf das Heldentum deutscher Wissenschaftler, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 7; zu Germanin und der Tropenmedizin als Element der kolonialrevisionistischen Argumentation vgl. etwa Susanne Heyn, Kolonial bewegte Jugend. Beziehungsgeschichten zwischen Deutschland und Südwestafrika zur Zeit der Weimarer Republik, Bielefeld 2018, S. 141. 202 Ktz., Ruhmestat der deutschen Tropenmedizin. Vor fünfundzwanzig Jahren wurde Germanin, das bewährte Heilmittel gegen die Schlafkrankheit, zum ersten Mal hergestellt, in: Die Oase 94, 15. Oktober 1942, S. 4. 203 Vgl. van Laak, Über alles in der Welt, S. 110; Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 11. 204 MSPT, 3.2015,2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
Außerdem quälten die Soldaten viele Durchfallerkrankungen. Denn obwohl Wehrgeologen und Militärärzte die Wasserqualität205 prüften und die Soldaten angewiesen waren, nie Wasser zu trinken, ohne es vorher abzukochen oder mit dem Tornisterfiltergerät genießbar zu machen,206 führte verunreinigtes Wasser immer wieder zu Ruhrerkrankungen oder gar Cholera.207 Darmerkrankungen trugen wesentlich zu den mit 40 Prozent sehr hohen Krankheitszahlen der Soldaten in Nordafrika bei.208 Beispielsweise waren zur Zeit der Besichtigung durch den Oberstarzt Schreiber im Ortslazarett Derna von den 400 Betten 150 mit Soldaten belegt, die »Magen-Darmerkrankungen vom einfachen unspezifischen Katarrh bis zur klinischen Ruhr« hatten.209 Obgleich die Soldaten mit Atebrin und Chinin behandelt wurden,210 mussten viele, die bereits aufgrund der mangelhaften Ernährung körperlich geschwächt waren,211 ins Lazarett eingeliefert werden.212 Immer wieder führten Darmerkrankungen zu Todesfällen.213 Weil die Themen Verdauung und Durchfall zum Kriegsalltag der Soldaten in Nordafrika gehörten und an vorderster Front die Fäkalienbeseitigung sehr schwierig war,214 nehmen alle damit verbundenen Fragen breiten Raum in den Quellen ein. Über ihre Darmprobleme und den als »Spatengang« bezeichneten Toilettengang in der freien Natur, bei dem sie ihre Exkremente vergruben, verfassten die Soldaten sogar Gedichte.215 Die Oase betonte jedoch, dass der Gang mit dem Spaten zur Verrichtung der Notdurft an anderen Fronten ebenfalls üblich war.216 Die mangelnde Hygiene wurde damit als erträglich dargestellt. Zwar war es tatsächlich kein nordafrikanisches Spezifikum, dass die Soldaten unter unhygienischen Bedingungen und daraus resultierenden Krankheiten litten,217 doch erschwerten die oft sehr hohen Temperaturen die Regeneration der 205 206 207 208
Vgl. Häusler, Militärische Trinkwasserversorgung, S. 40. Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 23. Vgl. etwa DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 65–66. Im September 1942 waren 11.054 der 54.000 deutschen Soldaten krankgemeldet. Damit litten mehr Soldaten unter Krankheiten als unter Kriegsverletzungen, vgl. Le Gac, Combattants du désert, S. 141. 209 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I, H. Qu. OKA, den 25. Juli 1941, S. 23. 210 Vgl. DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S 65–66. Robert W. versuchte einen mit Darmproblemen einhergehenden Schwächeanfall mit hohem Fieber mittels Chininpillen und einer Flasche Rum auszukurieren, vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 14./15. November 1941. 211 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 274, Willi B. an seine Familie am 28. Juni 1942. 212 Vgl. IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 11. 213 Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 28. Siehe zur Verbreitung der Ruhr unter den Soldaten in Nordafrika auch: Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 56–61. 214 Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 47. 215 Vgl. etwa Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 29. Januar 1942, S. 2. Siehe auch das Gedicht von Erich K. in: »Afrika – Dichtung und Wahrheit«, in: LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o.S. 216 Vgl. Gren. Georg Lehner, Lobgesang auf den Spaten, in: Die Oase 118, 4. April 1943, S. 4. 217 Die bayerischen Soldaten litten 1812 in Russland ebenso darunter wie die Soldaten des Ersten Weltkrieges, vgl. Julia Murken, Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812: Ihre Kriegserfahrungen und deren Umdeutungen im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 64–65. Vgl. auch Nübel, Durchhalten und Überleben, S. 75.
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Körper nach großem Wasserverlust. Insgesamt war die Hygienesituation der deutschen Soldaten schlechter als die der britischen Soldaten, die zumindest Latrinen in der Nähe der Lager einrichteten.218 Die Durchfallerkrankungen führten deshalb dazu, dass sich die Soldaten dem Kriegsraum ausgeliefert fühlten und sich selbst nicht mehr als starke Soldaten wahrnahmen. »Ich kann nur sagen, daß es nun keinen Spaß mehr hier macht, weil man nur noch ein halber Mensch ist«,219 klagte Robert W., nachdem er mehrfach an Magenproblemen gelitten hatte. Zudem wurden sie als ein Spezifikum des Kriegsraumes wahrgenommen, was die Soldaten sprachlich aufgriffen und Durchfall als »die Krankheit der afrikanischen Soldaten«220 bezeichneten, die »jeder Afrikaner durchmachen«221 musste. Die Soldaten nannten die Durchfallleiden »Tropendurchfall«222 , »Afrikakrankheit«223 oder »afrikanische Ruhr«224 und verknüpften sie so konzeptionell mit dem Kriegsraum, den sie in einer über Jahrhunderte entstandenen westlichen Sichtweise als Teil eines kulturell fremden Raumes wahrnahmen.225 Ebenso erklärten die Soldaten andere Erkrankungen mit den Bedingungen des Kriegsraumes. Kleinere Verletzungen heilten schlecht und eiterten oder entwickelten sich zu Geschwüren,226 deren Grund in den warmen Temperaturen gesehen wurde, wie Werner V. ausführte: »Es ist hier alles anders man merkt es schon wenn man nur einen kleinen Schnitt oder so etwas kaputt hat am Gesicht das wird sofort rot und sieht gefährlich aus das liegt am Klima.«227 Tatsächlich trugen derartige Verletzungen wesentlich zum hohen Krankenstand der Soldaten in Nordafrika bei.228 Sprachlich brachten die Soldaten Geschwüre ebenso wie den Durchfall mit der empfundenen Fremdheit des Raumes, dem Helmut T. eine »tropische Atmosphäre«229 attestierte, in Verbindung und bezeichneten sie als »Tropengeschwüre«.230 Diesen Eindruck verstärkte das Vorkom-
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Vgl. Le Gac, Combattants du désert, S. 141. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 14. August 1941. DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 7–8. Claus Dörner, Der Löwe von Capuzzo. Hauptmann Kümmel erhielt das Eichenlaub, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2. Vgl. etwa BfZ, Sammlung Sterz, Gefr. Alfons S. an seine Eltern am 2. Oktober 1942. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 19. Oktober 1941. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 65–66. Vgl. Arnold, The Problem of Nature, S. 142. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 284, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Einträge vom 31. Januar und 4. März 1942; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 8. Januar 1943, S. 18. MSPT, 3.2015.2404.0, Werner V. an seine Verlobte am 10. Januar 1942. Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 53. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 53. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Frau am 21. Januar 1943; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 8. Januar 1943, S. 18.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
men weiterer Krankheiten, die mit fernen Ländern assoziiert wurden. So litten die Soldaten teils unter »Malaria und Gelbsucht«231 und anderen »Tropenkrankheiten«.232 Damit wurden die in der nationalsozialistischen Körperpolitik neben der Diszipliniertheit und Stärke der männlichen Körper ebenfalls angelegten Körperängste vor »Blutsvermischung« und »Kontamination« der einzelnen Körper im Nordafrikafeldzug zur Realität. Hier bedrohten »Parasiten«, »Bazillen« und »Geschwüre« die soldatischen Körper, die nun genau denjenigen Gefahren ausgeliefert waren, als die, die NS-Propaganda Jüdinnen und Juden und andere aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossene Personengruppen bezeichnete.233 Die untersuchten Quellen enthalten keine Anhaltspunkte inwiefern sich diese Erlebnisse auf die Haltung der deutschen Soldaten in Nordafrika zur NS-Ideologie auswirkte. Doch wurde das Gefühl, durch die Natur fundamental bedroht zu sein, sicherlich durch die Nutzung der Begriffe in der Propaganda verstärkt. Vor den körperlichen Bedrohungen durch Krankheiten, natürliche Umwelt und Gefechte schützten weder Unterkünfte noch Kleidung. Zelte und Erdmulden, in denen die meisten Soldaten in Nordafrika lebten, wenn sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hatten, boten wenig Schutz vor Fliegerangriffen, Regengüssen, Hitze oder Kälte.234 Die Uniform gab in den unerwartet kalten Tagen »keine Spur von Wärme«,235 so dass mancher der Soldaten glaubte, er hätte »auf die Tropenuniform gut verzichten«236 können. Der Raum des Krieges schrieb sich in Form von wachsenden Bärten, Schmutz, Sonnenbrand und Krankheiten in die soldatischen Körper ein und machte aus ihnen ein Gegenbild zu den von dem Bildhauer Arno Breker entworfenen glatten und gestählten nationalsozialistischen Körpern. Die leibliche Gestalt der Soldaten entsprach damit nicht mehr den herrschenden ästhetischen Vorstellungen von einem männlichen Körper, sondern war geschwächt und krank. Sie erinnerte damit eher an Hitlers Beschreibungen vom »jüdischen Bolschewismus« als an das propagierte Bild des deutschen Soldaten.237
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DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 27; zu Gelbsucht vgl. auch LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 284, Erich K. an seine Eltern am 28. September 1941; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 5. September 1942, S. 60; MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 18. Dezember 1942. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. September 1942, S. 14. Vgl. zu Körperängsten im Nationalsozialismus Diehl, Körperbilder und Körperpraxen, S. 28–29. Zu den Bezeichnungen der Juden siehe auch Alexander Bein, »Der jüdische Parasit«. Bemerkungen zur Semantik der Judenfrage, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965) 2, S. 121–149. Vgl. MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 28. August 1941; NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 20; MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. November 1941; Hanns Gert von Esebeck, Sommertage in Aegypten, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 4. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 28. Februar 1943. MSPT, 3.2015.2600 Hubert S. an seine Ehefrau am 21/22. November 1942. Vgl. dazu Alexander Häusler, Die Konstruktion soldatischer Männlichkeit im faschistischen Weltbild, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 28. November 2014, URL: https://www.bpb.d e/politik/extremismus/rechtsextremismus/197049/die-konstruktion-soldatischer-maennlichkeit -im-faschistischen-weltbild#fr-footnode17 [22.04.2021].
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Die Bedrohungen durch die Natur wurden als Gefahr für die als europäisch verstandenen soldatischen Körper gedeutet und in der Zeitschrift Jambo mit den Herausforderungen der »alten Kolonialkämpfer« verglichen.238 Damit war die Erfahrung anschlussfähig an kolonialmedizinische Diskurse, in denen die Auswirkungen der natürlichen Umwelt auf die weißen Körper diskutiert worden waren. Bei den europäischen Forschungsreisen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sowie im Kontext der Eroberung erster deutscher Kolonien wurde diskutiert, welche Auswirkungen etwa das tropische Klima auf weiße Menschen habe und ob eine Anpassung an derartige Verhältnisse für Europäer*innen überhaupt möglich sei. Parasiten, Insekten, Viren, Bakterien waren gefürchtete Krankheitsauslöser, da sie in den Leib eindrangen und damit statt des zu kolonisierenden Landes der eigene Körper erobert wurde.239 Weil der koloniale bzw. weiße Körper stets zur Repräsentation der Herrschaft diente, die durch eine Verletzung dieses Körpers angezweifelt werden konnte, stellten Krankheiten aus europäischer Perspektive zugleich eine Bedrohung der kolonialen Projekte dar.240 In ähnlicher Weise waren in Nordafrika die militärischen Ziele vom Zustand der soldatischen Körper abhängig. Deren ständige Bedrohung und Schwächung durch Natur und Krieg führten dazu, dass bei den meisten Soldaten spätestens nach einem Jahr die Widerstandskraft nachließ.241 »Das Klima hat uns doch schlapp gemacht«,242 notierte Hans P. zusammenfassend in seinem Tagebuch. Zusammen mit mangelnder Versorgung griff es die Körper der Soldaten an. Ein Artikel über einen Besuch in einem Feldlazarett beschrieb die »ausgedoerrten, ausgetrockneten Koerper« der dort liegenden Soldaten als »unendlich schwach« und »[v]on der Wueste angefressen«.243 Vielleicht rächten sich nun die schnelle Mobilmachung und die hastig durchgeführten Untersuchungen auf Tropendiensttauglichkeit. Der Kriegsraum und seine Herausforderungen wurden jedenfalls zu einer fast größeren Gefahr als der eigentliche Kriegsgegner. So stellte der Kriegsberichter Willi Körbel in der Oase bereits kurz nach der Landung der ersten deutschen Truppen fest: »Andere Probleme müssen gelöst werden, ehe man den eigentlichen Feind angeht. Hitze, Wasser, Strassen, Versorgung, Nachschub.«244 Die jeweils akut vorherrschenden Schwierigkeiten wurden dabei als am bedrohlichsten wahrgenommen und als »Kampfmittel«245 bewertet. Einmal galten die »elenden, dreimal ver238 Vgl. R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 148. 239 Vgl. Rosa B. Schneider, Um Scholle und Leben. Zur Konstruktion von »Rasse« und Geschlecht in der kolonialen Afrikaliteratur um 1900, Frankfurt a.M. 2003, S. 167–172. 240 Vgl. Michael Pesek, Der koloniale Körper in der Krise. Koloniale Repräsentationen, Ordnung und Gewalt während des Ersten Weltkriegs in Ostafrika, 1914–19, in: Jörg Baberowski und David Feest (Hg.), Dem Anderen begegnen. Eigene und fremde Repräsentationen in sozialen Gemeinschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 59–81. 241 Vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 155. 242 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. September 1942, S. 14. 243 August Hartmanns, Tapfere Schwestern in Afrika. Unsere guten Kameraden unterm roten Kreuz von El Alamein bis Tunesien, in: Die Oase 134, 2. Mai 1943, S. 3. 244 Willi Körbel, Zwischen dem 30. und 40. Breitengrad. Als erster deutscher Kriegsberichter bei der italienischen Luftwaffe im Mittelmeerraum, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 4. 245 Vgl. Ernst Bayer, Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 11.
2 Bedrohte Körper: die Natur als Feind
fluchten, teuflischen Fliegen«246 als die schlimmste Plage, dann war der »Wassermangel der gefährlichste Gegner«.247 Schlussendlich führten all diese Erfahrungen und das Erleben der eigenen körperlichen Versehrtheit dazu, dass den Soldaten der Kriegseinsatz weniger sinnhaft erschien und der Kriegseinsatz damit aufgrund der enttäuschten Erwartungen eine Kontingenzerfahrung im Sinne Jörn Rüsens war.248 Nicht nur im Nordafrikafeldzug spielte die Natur eine wesentliche Rolle im Krieg. In allen Kriegen muss sie in gewisser Weise kontrolliert werden und prägt dennoch den Kriegsalltag der Soldaten.249 So war und ist die Natur in vielen Kriegen ein »Grundbestandteil der Kriegserfahrung«, die sich in den Selbstzeugnissen der Soldaten niederschlägt.250 Ebenso wurden die soldatischen Erwartungen an ein Abenteuer in anderen Kriegen enttäuscht. Doch war der Realitätsschock hinsichtlich der Raumerfahrung im Ostfeldzug weniger massiv ausgefallen als in Nordafrika, wo das Erlebnis, die einfachsten Dinge wie eine Toilette oder einen Wasserhahn entbehren zu müssen, in besonderer Weise mit den Bildern und Imaginationen der Soldaten über den Kriegsraum kollidierten. Denn das Raumbild von »Afrika« war grundsätzlich positiv konnotiert,251 wohingegen über den »Osten« zwar teilweise ähnliche Zuschreibungen und Fremdheitskonstruktionen von weniger zivilisierten Menschen kursierten,252 der Raum aber keine so große Faszination im Sinne einer »exotischen« Anziehungskraft ausübte. Vielmehr war man »den Slawen« feindlich gesinnt, insbesondere den sogenannten »Ostjuden«, und es bestand spätestens seit dem 19. Jahrhundert die Angst vor »heranstürmenden asiatischen Horden«.253 Das Bedrohungsszenario, Antisemitismus und ein allgemeiner antislawischer Rassismus waren fester Bestandteil der nationalsozialistischen Propaganda gegen die Sowjetunion und kulminierten in der Behauptung einer »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung«.254 Damit hatten die deutschen Soldaten generell negativere Assoziationen mit dem Kriegsraum als beim Nordafrikafeldzug. Ihre Erwartungen wurden
246 Harold Winter, Die Fliegenfrage. Heitere Betrachtung einer Tragödie, in: Die Oase 76, 7. Juni 1942, S. 2. 247 R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 146. 248 Vgl. allgemein zu Kontingenzerfahrung Rüsen, Historische Sinnbildung, S. 14. Die körperliche Versehrung der Soldaten hatte zuvor bereits im und nach dem Ersten Weltkrieg eine gesellschaftliche Kontingenzerfahrung dargestellt, vgl. Diehl, Macht – Mythos – Utopie, S. 63, 70. 249 Vgl. etwa zur Rolle der Natur in früheren Kriegen Jan Philipp Bothe, Die Natur des Krieges. Militärisches Wissen und Umwelt im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 2021. 250 Die im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich eingesetzten deutschen Soldaten sowie die in Mesopotamien und Palästina eingesetzten britischen Truppen litten ebenso unter den natürlichen Bedingungen des Kriegsraumes wie die Soldaten an der Westfront oder die Tiroler Soldaten im Italienisch-Abessinischen Krieg, vgl. Wurzer, »Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen«; Stein, »Orientfahrten«, S. 68; Nübel, Durchhalten und Überleben an der Westfront, S. 33, Zitat S. 38. 251 Vgl. Hagebeucker, Exotik im Dritten Reich, S. 207. 252 Vgl. Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter, Das »Prinzip Osten« – einleitende Bemerkungen, in: dies. (Hg.), Das Prinzip »Osten«. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums, Bielefeld 2010, S. 9–15; Nietzel, Im Bann des Raums, S. 25. 253 Vgl. Nietzel, Im Bann des Raums, S. 30, 33. 254 Vgl. Bianka Pietrow-Ennker, Die Sowjetunion in der Propaganda des Dritten Reiches: Das Beispiel der Wochenschau, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 46 (1989) 2, S. 79–120, S. 81.
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weniger enttäuscht, als dass sie schließlich »eine der Quellen für die Eskalation der Gewalt im von den Deutschen besetzten Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges«255 waren. Trotz der enormen Enttäuschung, welche die deutschen Soldaten in Nordafrika aufgrund irriger Erwartungen erlebten, bestätigten sich ihre exotistischen Vorstellungen zugleich auf manchen Ebenen, so dass sie in bestimmten Aspekten an ihre Raumbilder von »Afrika« und dem »Orient« anknüpfen konnten. Denn sie erlebten den Kriegsraum als fundamental anders und fremd, als Gegensatz zu einem als zivilisiert geltenden Europa, wie immer wieder in der Feldzeitung bekräftigt wurde. Es müsse etwa bei der Truppenbetreuung bedacht werden, dass sie sich »nicht in Europa« befanden und daher »mit ganz anders gearteten Verhältnissen zu rechnen« sei.256 »Afrika ist nicht Europa. Nichts kann mit europäischen Maßstäben gemessen werden«,257 betonte Ernst Bayer. Gerade weil die Soldaten an andere Bedingungen, wie das »europäische[s] Klima«, gewöhnt waren, interpretierten sie die natürlichen Bedingungen des Kriegsraumes als »die härtesten Anforderungen«.258 »Es mußte scheinbar alles schwarz werden, nachdem der Erdteil es hier ja auch ist«, fasste Georg N. am 1. Januar 1942 die Situation aufgrund der Herausforderungen zusammen. Damit bezog er sich in seiner Enttäuschung auf das tradierte, undifferenzierte Bild vom »schwarzen Erdteil«, das vielen Soldaten vor und zu Beginn ihres Einsatzes Grund für die Hoffnung auf Abenteuer gewesen war. Er passte seine Vorstellungen also an seine Erlebnisse an, hielt aber weiter an exotistischen Vorstellungen fest und blickte mit gewohnten Sehmustern auf den Kriegsraum. Dass diese bei vielen Soldaten vorherrschten und sie den »fremden Raum« anhand europäischer Denktraditionen interpretierten, führte auch zu einer starken mentalen Belastung.
255 Nietzel, Im Bann des Raums, S. 22. 256 J. Welling, Wo sind die PK.-Männer? Aus der Arbeit des Propaganda-Zuges Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 6. 257 Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 71. 258 Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2.
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Neben den körperlichen Auswirkungen hatten die Bedingungen des nordafrikanischen Kriegsraumes psychische Leiden zur Folge. So waren etwa die Fliegen nicht nur »Überträger von Tropenkrankheiten«1 , sondern zugleich eine enorme psychische Belastung. Das Vertreiben der Tiere war ein »aussichtsloser Kampf«,2 der bei vielen eine regelrechte »Wut«3 auslöste. »Ich muß manchmal an mich halten, um normal zu bleiben«,4 schrieb etwa Karl B. nach Hause; und Reinhard B. befürchtete, wenn er »von der Hitze auch keinen Koller bekomme, dieses Insektenzeug wird mir mein Nervengewand vollkommen aufdrieseln«.5 Sie vermuteten, dass sich diese Plage in der »fliegenarme[n] ferne[n] Heimat«6 niemand vorstellen konnte.7 Das Erlebnis von Unerwartetem und Ungewohntem bewirkte, dass die Soldaten den Kriegsraum als völlig anders und fremd wahrnahmen. Diese Erfahrungen deuteten sie innerhalb eines kolonialen Diskurses, was dazu führte, dass sie den Kriegsraum aus europäischer Perspektive interpretierten.
3.1 »Gelber Höllenhund« Alle durch die Natur ausgelösten Strapazen übertrafen aus Perspektive der Soldaten die Sandstürme. Die aus der südlichen Wüste kommenden heiße Winde, deshalb Ghibli (Südwind) genannt, traten vor allem im Frühjahr und im Herbst auf8 und machten 1 2 3 4 5 6 7 8
DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 65. DTA, a58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief an seine Verlobte am 19. Juli 1942, S. 73. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juli 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 16. November 1941. MSPT, 3.2002.375, Reinhard B. an seine Eltern am 1. Juni 1941. Günther Radtke, Fliegen, Fliegen, Fliegen. Ein gezeichneter Tatsachenbericht, in: Die Oase 46, 12. September 1941, S. 7. Vgl. etwa DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 71. Irene Ortner-Huen, Das Entwicklungsland Libyen, Köln 1967, S. 13. In einer an Sanitätsoffiziere verteilten Denkschrift hieß es, der meist einige Tage andauernde Ghibli trete vor allem im Mai, Juni, September und Oktober auf, könne aber in jeder Jahreszeit vorkommen, vgl. Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 20.
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durch die Einschränkung der Sicht Gefechte9 oder Flüge unmöglich,10 so dass der Krieg teilweise zum Stillstand kam.11 Ein Sandsturm kombinierte die Qualen von Hitze und des überall eindringenden Sands und Staubs. Im Sandsturm wurden die Soldaten von allen Seiten von Sand und Staub bedrängt; Erich K. hatte sogar das Gefühl, er würde selbst zu Staub werden.12 Dass die Wehrmachtsangehörigen die Sandstürme als so belastend empfanden, lag mit daran, dass ein solcher Sturm nicht nur Lunge, Rachen und Augen quälte, sondern auch an den Nerven zerrte.13 »[N]icht nur körperlich, sondern weit mehr noch seelisch«14 peinigte der Sturm die Soldaten, erklärte Ernst Bayer in der Oase. Der Sandsturm mache »apathisch«15 und führe dazu, dass »Denk-und Tatkraft […] wie gelähmt«16 seien, hieß es in einem anderen Artikel. Diesen Einfluss auf den geistigen Zustand beschrieben die Soldaten ebenfalls. Nach zwei Tagen im Sandsturm berichtete Robert W. seiner Frau, er habe »im Taubenschlag ein wüstes Durcheinander«.17 Sandstürme waren also eine enorme körperliche und seelische Belastung, so dass es sogar zu Todesfällen aufgrund von Erschöpfung kam.18 Die Gefahren, die von einem Sandsturm ausgingen, wurden als besonders bedrohlich erlebt, weil die deutschen Soldaten dieses Wetterphänomen nicht kannten. Erwin Rommel notierte über den ersten Sandsturm, den er erlebte: »Nun mußten wir erkennen, daß wir uns wirklich keine Vorstellung von der ungeheuren Gewalt eines solchen Sturmes gemacht hatten.«19 So wurde der Ghibli für die Soldaten zu einem Symbol der »Fremdheit« des Raumes, wie Ernst Bayer gleich zu Beginn des Feldzuges in der Oase schrieb.20 Als solches erlebten sie den Sturm als besondere Bedrohung und thematisierten ihn stets in Tagebüchern, Briefen, Zeitungsartikeln und Gedichten.21 Der Ghib9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 28. Mai 1942, S. 10. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 9. April 1943. Vgl. Oberstleutnant z. V. v. Olberg, Fort Bir Hacheim erstürmt, in: Deutsche Wehr 46 (1942) 26, S. 401–402, S. 401. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 20. Mai 1941. Hanns Gert Esebeck, Sommertage in Aegypten, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 4. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 70. Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. Ebd. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Januar 1942. BArch-MA, RH 27–15/58, Anlage, Deutsches Afrika-Korps, Divisionshygieniker, 6. Juli 1941, fol. 166. Rommel, Krieg ohne Hass, S. 19. Vgl. Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Vgl. etwa das Gedicht »Afrika – Dichtung und Wahrheit«, in: LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o.S . Den Kriegseinsatz und vor allem den Alltag im Krieg in Gedichten zu verarbeiten war eine weit verbreitete Praxis unter den Soldaten. Die Oase hielt ihre Leser immer wieder dazu an, von ihren Erlebnissen zu berichten. So fand im Herbst 1942 ein Wettbewerb statt, bei dem die besten Einsendungen mit Buchpreisen ausgezeichnet werden sollten. Die Soldaten waren aufgefordert, von der Wüste und dem, was sie »dort gehört, gesehen, empfunden und erfahren« haben, zu berichten. »Schickt uns Fotos […] und literarische Arbeiten, Erzählungen, Skizzen, Reportagen und Erlebnisberichte«. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass auf die Einsendung von Gedichten verzichtet werden solle, »da wir noch nicht genug Schränke beschaffen
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li sei »schlimmer wie das Artilleriefeuer«,22 schrieb der Gefreite Hans E., und Freiherr von Wechmar, Oberstleutnant und Mitglied der Propagandatruppe23 , hielt den Sandsturm sogar für schlimmer als die Briten und verhasster als den Feind.24 Die Kolonialzeitschrift Jambo nannte den Ghibli »das Schlimmste, was Maschine und Mensch während des Kampfes passieren kann«.25 Die Einschätzung des Sandsturmes als gefährlichster Feind im Nordafrikafeldzug kulminierte in einigen Texten in einer Personifizierung des Sandsturmes. Günther H. schrieb in einem Brief an seine Verlobte, es habe sie »ein Ghibli heimgesucht, der an Heftigkeit alles bisher erlebte uebertrifft. […] Wuetend schuettelt der Sturm an unsere[m] Zelt und durch alle Ritze[n] stroemt der Sand.«26 Durch die Verbindung mit der Emotion Wut personifizierte er den Sturm und stellte ihn als fast menschlichen Feind der deutschen Soldaten dar. Ebenso beschrieben Presseartikel den Sturm als wütendes Subjekt.27 In einem Artikel in der Oase verglich der Gefreite Fritz Schneider den Sandsturm mit einem glutschnaubenden Ungeheuer.28 Ernst Bayer, Schriftleiter der Oase, bezeichnete den Ghibli gar als »gelbe[n] Höllenhund«, der die »ganze Härte und Brutalität« der Wüste verdeutliche und »mit seiner niederdrückenden Gewalt […] alles vernichten zu wollen« schien.29 Die Bezeichnung des Sandsturmes als Bewacher der Unterwelt zeigt, wie sehr das Naturereignis gefürchtet wurde. Diese teuflische Interpretation des Sandsturmes ist auf die massive sinnliche Extremsituation zurückzuführen, die ein Sandsturm für die Soldaten darstellte. Er »vergröbert[e] und verzerrt[e] alle Geräusche«30 und nahm den Soldaten die Sicht.31 So fühlten sich die Soldaten nicht nur körperlich bedroht, sondern richtiggehend verloren. Diese Gefühlslage spiegelt ein Motiv wider, das in verschiedenen Quellen zu finden ist: die im Sturm stehengebliebene Uhr. »Der Sturm flaut etwas ab […]. Ich ziehe die Uhr. Sie steht. Dieser Sand!!«,32 heißt es in einem in der Oase abgedruckten Artikel eines Gefreiten. Dann betont der Autor das Ausgeliefertsein: »Der Sand weht wie zerfetzte Fahnen über mir, umwirbelt mich und
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konnten, um die bisher eingesandten unterzubringen«, was darauf hindeutet, wie zahlreich Dichtungen eingesandt wurden, vgl. o. V., Mach mit, Kamerad! Der deutsche Soldat erlebt Afrika. Ein laufender Wettbewerb der »Oase« in Wort und Bild, in: Die Oase 92, 1. Oktober 1942, S. 1. BfZ, Sammlung Sterz, Hans. E. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. Vgl. Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 104, Fußnote 157. Vgl. Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. Wilhelm Rueter, Wir erlebten den Ghibli, in: Jambo C (1942) 1, S. 11. DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief vom 19. Mai 1942, S. 71. Wilhelm Rueter, Wir erlebten den Ghibli, in: Jambo C (1942) 1, S. 11. Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 70. Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. Vgl. Wilhelm Rueter, Wir erlebten den Ghibli, in: Jambo C (1942) 1, S. 11; LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 20. Mai 1941; Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unserem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7.
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zerrt an mir. Wie lang können zwei Stunden sein!«33 In ihren Briefen berichteten Soldaten, dass ihre Taschen-oder Armbanduhr dem eindringenden Staub und Sand im Sturm nicht standgehalten hatte und stehen blieb.34 »Man hatte uns vorher nicht gesagt, daß man in Nordafrika nur staubdichte Uhren brauchen kann,« beschwerte sich Oskar H. nach dem Krieg.35 Die Oase veröffentlichte sogar eine Anleitung zum Bau einer Sonnenuhr aus Papier, weil es nicht lange dauere, bis die Uhr eines Soldaten in Afrika vom Sand zum Stehen gebracht werde.36 Die Gleichförmigkeit des Kriegsalltages und die ungewohnte Umgebung trugen weiter zu einem Gefühl des Verlorenseins bei. Immer wieder schrieben sie in ihren Briefen nach Hause, dass sie nicht wussten, welcher Wochentag oder welches Datum war und es ihnen erschien, als lebten sie zeitlos.37 Ihre Eindrücke der Orientierungs-und Zeitlosigkeit sprach die Feldzeitung genauso an und kann daher als ein von den meisten Soldaten empfundenes Phänomen gelten.38 Die Beschreibungen der stehengebliebenen Uhr symbolisierten das Gefühl, sich in Nordafrika in »der Fremde« zu befinden. Denn die Zeiteinteilung mit Hilfe einer Uhr gehörte aus ihrer Sicht zu ihrem Alltag vor dem Kriegseinsatz und war traditionell mit Vorstellungen von westlicher Zivilisation verbunden. Die Vereinheitlichung der Zeitrechnung war mit der europäischen Modernisierung einhergegangen und hatte Normierung und Disziplin versprochen. Diese Tugenden sollten den »unzivilisierten Wilden« vermittelt werden. Deshalb waren bereits im späten 17. Jahrhundert von Kolonisierenden zur Arbeitskontrolle der Sklaven auf den Plantagen Taschenuhren mit in die Kolonien gebracht worden, nach denen die Glocken zur Regulierung der brutalen Praktiken des Sklaventreibens läuteten.39 Funktionierten die Uhren der Soldaten im Kriegsraum Nordafrika aufgrund der Sandeinwirkung nicht mehr, kam dies für sie einer Abtrennung vom Wirkungskreis der europäischen Zivilisation gleich und bestätigte die Vorstellungen der Soldaten vor und zu Beginn des Kriegseinsatzes. Sie fühlten sich nun in einem »fremden« Raum.
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Ebd. Vgl. MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 17. September 1942. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 27. Vgl. Art., Wie baue ich eine Sonnenuhr? Ein wertvoller Tipp für die Afrikakämpfer – Von Oberleutnant Karl Tripp, in: Die Oase 93, 8. Oktober 1942, S. 4. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Dezember 1941; MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 28. August 1942. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 26. November 1942. Vgl. etwa die Aussage »Seit Tagen folgen wir dem endlosen Band der Strasse. […] Wir haben kein Besinnen mehr auf Raum und Zeit«; in Frhr. v. Esebeck, Ueber Benghasi in die Cyrenaica, in: Die Oase, 8. April 1941, S. 3; »Wenn auch im weiten Wüstenland die Begriffe für die Zeit beinahe verloren gehen,« heißt es in Ernst Bayer, Helm ab zum Gebet, in: Die Oase, 26. März 1941, S. 3. Christopher A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780–1914, Frankfurt a.M./New York 2006, S. 32.
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3.2 »Tropenkoller« und Kriegsmüdigkeit Der Sandsturm war jedoch nur die Spitze der Fremdheitserfahrung. Aus der europäischen Perspektive der Soldaten waren alle Herausforderungen des Kriegsraumes Gefahren, die ihren Leib und Geist bedrohten und die Vorstellung von einem völlig anderen Raum bestätigten. Diese Erlebnisse interpretierten sie daher innerhalb etablierter Diskurse über das »Andere«. Die Hitze, durch Parasiten ausgelöste Krankheiten und seelische Belastungen machten sie für den Ausbruch des sogenannten »Tropenkollers«, verantwortlich. Dieser psychische Ausnahmenzustand war bereits unter den europäischen Reisenden des 19. Jahrhunderts gefürchtet und bezeichnete einen Zustand großer geistiger Verwirrung aufgrund der ungewohnten Temperaturen und sonstigen Wetterverhältnisse. Die Umgebung habe die Gemüter erhitzt und den Sexualtrieb weißer Männer angeregt, dessen Unterdrückung nach Auffassung der Kolonialmediziner einen Tropenkoller bewirke.40 Daneben war man der Ansicht, die angenommene Unzivilisiertheit des sogenannten fremden Raumes oder die Überreizung durch die unbekannten Geräusche des Tropenwaldes führten zu Unsicherheit, Einsamkeit, Monotonie und Nervosität.41 Mit der Erfindung des Begriffs »Tropenkoller« – wohl zum ersten Mal 1895 in Berlin gebraucht und eigentlich eine humoristische Bezeichnung für die Gereiztheit und Schroffheit der Beamten in den Tropen – konnte das Fehlverhalten oder Versagen europäischer Kolonialbeamter erklärt werden. Deshalb wurde er zu einem Schlüsselbegriff der Kolonialdebatte.42 Obgleich der Tropenkoller schon zeitgenössisch als Mythos entlarvt wurde, der in Wirklichkeit auf den übermäßigen Gebrauch von Alkohol zurückzuführen war,43 verhalf er so manchem zu einem Freispruch vor Gericht, weil er ihre Unzurechnungsfähigkeit während der Tat bewies.44 Nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft blieb das Wissen um diese Krankheit präsent und wurde im Kontext des Nordafrikafeldzuges reaktiviert. Im Zweiten Weltkrieg machte man den nordafrikanischen Kriegsraum verantwortlich für als Tropenkoller bezeichnete »Geisteskrankheiten«45 . In einem Brief an seine Eltern berichtete Erich K., dass »der erste« seine Batterie »mit Tropenkoller« verlassen habe. »Dies zeigte sich zuerst in harmlosen [sic!] Irresein und artete schliesslich in Tobsuchtsanfälle aus.« Weiter gestand er, dass er sich von der Umgebung belastet fühlte. »Einen kleinen Tro-
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Vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 168–170. Vgl. ebd. Siehe auch Anna Brasch, Moderne – Regeneration – Erlösung. Der Begriff der ›Kolonie‹ und die weltanschauliche Literatur der Jahrhundertwende, Göttingen 2017, S. 158–159. Brasch bietet hier auch einen Überblick über die unterschiedlichen Definitionen des »Tropenkollers« in verschiedenen Konversations-und Kolonial-Lexika. Vgl. Stephan Besser, Tropenkoller. 5. März 1904: Freispruch für Prinz Prosper von Arenberg, in: Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart/Weimar 2004, S. 300–309, S. 301. Vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 170. Vgl. etwa Besser, Tropenkoller, S. 300. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 19. Januar 1941, S. 14.
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penkoller haben wir ja alle, sagen wir uns. So langsam muss man verrückt werden.«46 Wie andere Themen, die die Soldaten beschäftigten, verarbeiteten die Soldaten die Angst vor dem Tropenkoller in selbstverfassten Gedichten. Hans P. notierte nach einem Jahr in Nordafrika in seinem Tagebuch: »[e]s kam noch toller: Vor EI-Alamein: Tropenkoller.«47 Selbst die Oase veröffentlichte das Gedicht eines Soldaten, in dem es hieß: »Der T r o p e n k o l l e r bringt in Wallung alle T r i e b e.«48 Sogar Fälle von Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte wurden wie im Kolonialismus auf die natürlichen Bedingungen des Raumes zurückgeführt. Das Gericht der 21. Panzerdivision gab an, dass es vor allem im ersten Jahr des Nordafrikafeldzuges zu einer »recht beträchtlich[en]« Anzahl von Misshandlungen von Untergebenen gekommen sei, und führte dies auf die »Einwirkungen des tropischen Klimas« zurück. Der Dienstaufsicht führende Kriegsgerichtsrat begrüßte, dass in der zweiten Jahreshälfte 1942 nur zwei Fälle auftraten, in denen Vorgesetzte ihre Dienstgewalt missbrauchten.49 Bei der Benennung dieser Vorfälle als Formen von Tropenkoller spielten die bereits dargelegten Vorstellungen über den Kriegsraum und imaginierten Geographien eine entscheidende Rolle. Denn wie die bereits verlorenen Gebiete im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika gehört Nordafrika nicht zu den im Allgemeinen als »die Tropen« bezeichneten Klimazonen. In beiden Fällen wurden aber stets Unterschiede zu Deutschland betont und die Temperaturgegensätze hervorgehoben.50 Diese Andersartigkeit kulminierte in der Bezeichnung des Raumes mit dem Begriff der »Tropen«, der die Unterschiede symbolisierte. Er funktioniert damit wie die Raumkonstruktion des »Orients«, der für das »Abendland« laut Michel Foucault all das ist, was es selbst nicht ist.51 Weil die deutschen Soldaten in Nordafrika vor allem den Sandsturm als bedrohlich empfanden, wurde der Tropenkoller teilweise zum Wüstenkoller umformuliert. Dieser könne durch den Sandsturm ausgelöst werden, berichtete die koloniale Monatsschrift Jambo. Vor allem für neu in Nordafrika angekommene Soldaten sei der Sandsturm »nicht ungefährlich, da nämlich gerade dann am leichtesten der gefürchtete ›Kaffâr‹, der Wüstenkoller, ausbricht«.52 Damit bezog sich der Verfasser des Artikels wohl auf die innerhalb der Fremdenlegion etablierte Bezeichnung »Le Cafard« für depressionsähnliche Zustände unter den Soldaten, die vor allem zu Beginn des Einsatzes auftraten.53 Die psychischen Probleme der Soldaten lagen zudem in der ständigen Todesgefahr im Kriegseinsatz begründet, wie in den Erinnerungen von Werner Mork erkennbar ist.
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LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 8. Februar 1942. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1943, S. 22. Albert Heinrichs, Afrikanisches Landser – ABC, in: Die Oase 92, 1. Oktober 1942, S. 9, Hervorhebung i. O. BArch-MA, RH 27–21/14, Gericht der 21. Panzer-Division, Dienstaufsichtsführender Kriegsgerichtsrat, Tätigkeitsbericht für das 2. Halbjahr 1942 vom 1. Januar 1943, S. 6 (= fol. 107). Vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 168. Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt a.M. 1969, S. 10, zit.n. Schmitz, Orient, S. 483. F. Sparwasser, Die Sahara wie sie wirklich ist, in: Jambo C (1942) 11, S. 170–172, S. 171. Vgl. Christian Koller, Die Fremdenlegion. Kolonialismus, Söldnertum, Gewalt 1831–1962, Paderborn u.a. 2013, S. 138.
3 Bedrohter Geist: der Raum als Fremde
Darin ist beschrieben, wie einer der Soldaten auf die Gefahren des Krieges reagierte und bei einem feindlichen Angriff einen »Nervenzusammenbruch« erlitt. Dieser hatte zur Folge, »dass er im Lazarett in eine Zwangsjacke gesteckt werden musste und dann ausgeflogen wurde«.54 Er bewertet dies als eine der »grauenhaften Realitäten des Wahnsinns, der als Krieg über die Menschen gestülpt wurde«.55 Dem Gefreiten Hans E. waren die Auswirkungen des Krieges auf die Psyche der Soldaten schon während des Krieges bewusst: »[H]offentlich geht der Krieg bald aus, oder ich bin wenigstens bis Weihnachten zu Hause damit rechne ich. Ich glaube kaum, dass sie uns noch länger hier lassen werden denn da wäre die Hälfte bestimmt verückt [sic!], es geht ja jetzt schon mit so manchem los.«56 Die Gefahren des Krieges trugen also wesentlich dazu bei, dass die Männer die natürliche Umwelt des Raumes als Gefahr und psychische Belastung empfanden. Umgekehrt erschwerten die natürlichen Umstände die akuten Gefechtssituationen, die eine enorme Stresssituation für die Soldaten bedeuteten. Die Selbstzeugnisse der Soldaten nennen beide belastenden Erfahrungen in einem Atemzug. So notierte Armbruster in seinem Tagebuch: »Die Ari schiesst immer auf die Minengasse. Ich kann kaum schreiben. Heute war ein unerhört heisser Ghibli-Tag. Man konnte wahnsinnig werden.«57 Bei fast allen Soldaten führten die Belastungen dazu, dass sie ihr Leben als Soldat irgendwann als sinnlos empfanden und das Ende des Krieges herbeisehnten. Selbst diejenigen, die sich zunächst höchst motiviert und freiwillig für den Nordafrikafeldzug gemeldet hatten, empfanden den Kriegseinsatz irgendwann als Qual. Ihre Verzweiflung wird an der immer wieder formulierten Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende deutlich.58 Die freudige Erwartung aufregender Abenteuer wandelte sich zum Wunsch, nach Hause zurückzukehren, was die militärische Haltung der Soldaten stark beeinflusste. Die Entwicklung der soldatischen Einstellung schilderte Hans P. nach einem Jahr in Nordafrika in seinem Tagebuch: »Ja, heute vor einem Jahre brachte uns ein Flugzeug nach Afrika. Damals waren wir voller Begeisterung und Kampfesfreude. – Unendlich viel ist seither an uns vorbeigezogen. Viele Kameraden hat der Krieg von uns weggerissen. Viel haben wir gesehen. Und das Klima hat uns stark mitgenommen.«59 Die Feldzeitung druckte teils unzensiert, wie es um die Stimmung der Soldaten stand: »Das Band zwischen uns ist nicht zerissen, hier ist’s und bleibt es doch beschissen«,60 hieß es in einem dort veröffentlichten Gedicht. Vermutlich wurde angenommen, dass dies als zynische Formulierung mit Bezug auf die verbreiteten Durchfallerkrankungen
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Werner Mork, Fliegerangriffe der Engländer in Afrika 1942, Januar 2005, in: LeMo – Lebendiges Museum, www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-fliegerangriffe-der-englaender-inafrika-1942.html [13.07.2020]. Ebd. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 16. Juli 1941. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 2. Juni 1942, S. 34. Vgl. Jürgen Reulecke (zusammen mit Thomas Kohut), »Sterben wie eine Ratte, die der Bauer ertappt«. Letzte Briefe aus Stalingrad, in: ders., »Ich möchte einer werden so wie die …«. Männerbünde im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 2001, S. 177–194, S. 185. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1943, S. 23. Art., Die Bauchbinde, in: Die Oase 77, 16. Juni 1942, S. 8.
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durchgehen konnte. Immerhin suggerierten solche Beiträge den Lesern des Blattes, dass sie mit ihrer Enttäuschung und Wut nicht allein waren. Seine Gefühle beschrieb der Soldat Robert W. stets in seinen Briefen nach Hause. Er gehörte zu den ersten eingeschifften Truppen und war als Anhänger des NS-Regimes voller Zuversicht in den Krieg gezogen. Während der Anreise hatte er seiner Frau aus Neapel geschrieben, »[d]er deutsche Soldat ist und bleibt der beste Soldat der Welt«.61 Doch bereits wenige Monate nach Beginn des Einsatzes entwickelte Robert W. eine solche Wut auf die Umstände und seine Situation, dass er von Gewalt phantasierte: »Gestern hätte man wieder alles kurz und klein schlagen können. Dieses ganze Afrika müßte eine Sintflut oder ein Erdbeben vernichten. Man liegt in seinem Loch und kann nichts tun«,62 schrieb er im Mai 1941 seiner Frau. Zwei Tage Sandsturm hatten ihn zu diesem Zeitpunkt demoralisiert. Am Jahresende fühlte sich Robert W. komplett verlassen. »Was hier seit Wochen geschieht, kann die Heimat wohl kaum ermessen. Ich kann aber auch nicht glauben, daß man uns hier vergessen hat, den Anschein hat es fast.«63 Im Januar 1942 erneuerte er diese negative Deutung seines Kriegserlebnisses und schreibt seiner erst kurz vor dem Kriegseinsatz ihm angetrauten Ehefrau, er wolle »doch auch mal nach 1 Jahr Wüste wieder etwas Mensch sein«.64 Ein Grund für seine schlechte Stimmung war sicherlich die Kriegslage, da sich die deutschen und italienischen Truppen zum Zeitpunkt des Briefes gerade auf dem Rückzug befanden und nun erneut in zuvor mühsam eroberten Stellungen standen.65 Doch nannte Robert W. in einem Brief im Mai 1942 explizit den Raum des Krieges als Auslöser seiner Gefühle: »Diese 3 x verfl… Wüste habe ich satt bis zum Erbrechen.«66 Mit diesem körperlichen Bild griff er die ständigen Magenbeschwerden auf, unter denen die Soldaten litten, um seiner Frau zu erklären, wie sehr es ihm reichte. Nicht der Krieg, sondern der Kriegsraum war in den Formulierungen der Grund für die Kriegsmüdigkeit. Die Soldaten wollten »endlich wieder zu Afrika hinaus«, wie Hans E. seiner Frau schrieb. »Es macht keinem von uns Spaß hier zu sein, wir sind es alle schon leidig und sind froh, wenn wir endlich wieder auf deutschem Boden sind.«67
3.3 Orientierungslos im »leeren« Raum Nicht nur die Gefahren des Krieges und die einzelnen genannten körperlichen Bedrohungen durch die natürliche Umwelt prägten die Kriegserfahrung der deutschen Soldaten in Nordafrika. Das gesamte Erscheinungsbild der ungewohnten Umgebung erlebten sie als belastend. Sie empfanden eine zeitliche Orientierungslosigkeit und fühlten sich darüber hinaus räumlich verloren. Denn die sie umgebende Natur entsprach nicht dem,
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MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 20. Februar 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 4. Dezember 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Januar 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941 bis 1. Januar 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 10. Mai 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Gefreiter Hans. E. an seine Ehefrau am 1. Juni 1941.
3 Bedrohter Geist: der Raum als Fremde
was ihnen bekannt war, weshalb sie die Umwelt nicht so gut einordnen konnten und dieser in ihren Augen Landmarken fehlten, anhand derer Entfernungen und Richtungen eingeschätzt werden konnten. Die empfundene Gleichförmigkeit führte neben dem Gefühl von fehlender Orientierung zu Problemen bei der Kriegsführung.68 Die eingesetzten Wehrgeologen erstellten zwar unter Verwendung bereits vorliegender Literatur und Karten neues Material, das sie durch Informationen aus Luftbildauswertungen und Erkundungsfahrten ergänzten. Doch waren die Karten fehlerhaft und deckten nicht das gesamte Kriegsgebiet ab.69 Das Team der Wehrgeologen war zu klein, um genügend Kartenmaterial auszuarbeiten, was, wie einer der Wehrgeologen bemerkte, nicht einmal 30 Jahre italienische Kolonialpolitik geschafft hätten.70 Dieses Problem wurde wie alle Herausforderungen der Soldaten in der Oase thematisiert, in deren »Witz-Ecke« es hieß: »Der Wüstenlatscher schimpft auf fast jede Karte. Er hat noch selten einen da eingezeichneten Karawanenweg, eine Piste oder gar einen Ort gefunden, weil es das überhaupt nicht gibt.«71 Es gehörte daher zum Alltag der Truppen – auch auf britischer Seite –,72 dass die Soldaten das fehlende Kartenmaterial beklagten, die Orientierung verloren oder sich im Gelände festfuhren.73 Hinzu kam, dass der nordafrikanische Raum den deutschen Soldaten auf kultureller Ebene die Orientierung erschwerte. Die arabischen Namen der Ortschaften verwirrten die Soldaten. »Es wimmelt auf der Karte von Birs und Sidis«, erklärte Armin Schönberg in der Oase. Daher könne »der Blick auf die Karte […] das Kreuz und Quer, diesen feurigen Reigen um den Feind nur schwer klären«.74 Die Orientierungslosigkeit entstand also nicht allein aus den Gegebenheiten der natürlichen Umwelt oder aufgrund des fehlenden Kartenmaterials, sondern aufgrund einer allgemein fehlenden Anpassung an den ungewohnten Kriegsraum und seine Verhältnisse. Die Erlebnisse der Orientierungslosigkeit verbanden sich mit den Empfindungen durch die ungewohnten Wetter-und Bodenverhältnisse zum Eindruck der Soldaten, sich in einem weiten, leeren Raum aufzuhalten. Diese Empfindung bereitete ihnen mentale Schwierigkeiten. »Unglaublich müde geht man sich in diesem öden Sand, wenn die Sonne brennt und man so weit wie man sieht nichts als Sand und nochmals Sand erblickt«,75 schrieb Erich K. seinen Eltern im Mai 1941. Kurz darauf berichtete er, dass ihn 68 69 70 71 72 73
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Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 221. Vgl. Häusler, Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg, S. 81. Vgl. ebd., S. 94. Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – Er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. Vgl. Houghton, Veterans’ Tale, S. 78. Vgl. Stegemann, Italienisch-deutsche Kriegführung, S 620; IfZ-Archiv, ED 402, »Don’t you see I’m shaving«, in: Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, S. 66; DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 2. Wie sehr die Orientierungslosigkeit zum Kriegsalltag der Soldaten gehörte, belegen auch verschiedene Presseartikel, vgl. etwa Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2; Hans Welker, Panzerangriff in der Wüste, in: Jambo C (1942) 7, S. 101; Ludwig Alwens, Fünf Tage im Rücken der Briten durch die Wüste gefahren, in: Jambo C (1942) 7, S. 98–100. Armin Schönberg, Die verbissenste Front in der Wüste. Krieg der pausenlosen Einkreisung in: Die Oase 61, 24. Februar 1942, S. 2. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941.
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die »afrikanische Einöde« dazu bringe, sich Sorgen zu machen. Er komme »auf Gedanken, auf die er, abgelenkt durch eine andere Umwelt, nie gekommen wäre«.76 Die Gefühle der Soldaten wurden in der Oase aufgegriffen und von einem »seelische[n] Druck der Einöde«77 gesprochen. Gleich zu Beginn des Feldzuges publizierte Ernst Bayer einen Artikel, der den Kriegsraum als leeren, weiten und toten Raum darstellte.78 Unter der Überschrift »Alltag des Wüstenkrieges« betonte er, »gerade sie [sic!] seelische Belastung des deutschen Soldaten«, die von der Einförmigkeit der Umwelt ausgehe, solle bei der Betrachtung des Krieges in Nordafrika nicht unterschätzt werden.79 Ein ebenso betitelter Artikel in der Zeitschrift Jambo von Bayer zeichnete ein Bild des Kriegsraumes als Ödnis, in der höchstens »hin und wieder eine Gazelle über die Sandwellen«80 huschte. Die »niederdrückende Einförmigkeit des weiten Landes«81 sei für Europäer problematisch, hieß es in einem anderen Artikel der Oase, in dem der Kriegsraum damit als fremd und außerhalb des Eigenen stehend konstruiert wurde. Erich K. gewöhnte sich während des Einsatzes nicht an die neue Umgebung. Noch ein halbes Jahr nach den ersten Klagen empfand er die ihn umgebende Natur als belastend. »Es kann sich von Euch gar keiner vorstellen, was es heisst, Tag für Tag, Woche für Woche nichts zu sehen als den grauen Wüstensand, dieses ewige Einerlei«, berichtete er seinen Eltern im Februar 1942. Jeder Tag in Nordafrika sei wie der andere. »Ob wir bei Bengasie [sic!] liegen oder hinter Sanddünen der Marmarica, ob bei Tobruk oder Bardia, das Gelände, unsere Umgebung bleibt sich gleich, kein Baum, kein Strauch, kein Haus, keine Frauen, keine Kinder, kein Radio, kein Kino, nur Sand und Krieg.«82 Der Brief offenbart, dass es nicht nur die vermeintlich trostlose Umgebung war, die zur Wahrnehmung der Eintönigkeit beitrug. Gerade die soziale Abgeschiedenheit, ohne Kontakt nach Hause zur Familie oder eine mediale Verbindung ins Deutsche Reich, war es, die bei ihm das Gefühl bewirkte, sich in einer Einöde fern der Zivilisation aufzuhalten. Die Vorstellungen, mit dem Kriegseinsatz in ein »exotisches«, fernes Land zu reisen, hatten sich also im negativen Sinne bestätigt. Die Soldaten fühlten sich in Nordafrika sehr weit von zu Hause entfernt, doch war diese Fremde für sie nicht mehr anziehend, sondern eine Bedrohung, die sie stets im Vergleich mit dem ihnen Bekannten aus einer europäischen Perspektive betrachteten. Aus dieser Perspektive war der Kriegsraum eine mentale Belastung, wie ein psychologischer Gutachter bestätigte. Neben der Hitze seien die Krankheiten, die Fliegenplage und »die Weite der Landschaft« schwer auszuhalten gewesen.83 Den Raum beschrieb die Oase als eine große Weite und verglich ihn mit einem Meer. So behauptete Ernst Bayer in der ersten Ausgabe 76 77 78 79 80 81 82 83
LHAKo Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 29. Juni 1941. Vgl. o. V., Panzer im Ghibli, in: Die Oase 65, 2. April 1942, S. 5. Vgl. Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. Ernst Bayer, Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 11. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 66. Eitel Fritz Kuhn, Lethe – der unterirdische Fluss. Besuch in der berühmten nordafrikanischen Grotte, in: Die Oase, 9. Juli 1942, S. 3. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 8. Februar 1942. BArch-MA, RH 27–15/59, Kämpfe der 15. Panzerdivision in der Cyrenaika und bei El Alamein, Heft 1: Text 1942, darin: Oberregierungsrat Dr. Dirks und Regierungsrat Dr. Gaupp, Einschub in den Bericht über die Ruhezeit vom 11. Februar und 25. Mai 1952; vom 18. Mai 1942, S. 1–2.
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der Zeitung, die Augen der Soldaten hätten sich an dieses »eintönige Bild des gelblichen Sandmeeres« längst gewöhnt.84 Und in einer späteren Ausgabe wurde wiederholt, dass den Soldaten die Umgebung wie ein »uferlose[s] Sandmeer«85 erscheine. Die Selbstzeugnisse der Soldaten bestätigen dies. »Am Anfang muß man sich erst sehr an die weite Ebene gewöhnen. Hier ist es so eben wie auf dem Meer«,86 erklärte etwa der Soldat Walter W. Die Interpretation der Umgebung als Wüstenlandschaft steht in einer europäischen Tradition, das Gefühl, sich nicht im ungewohnten Raum zurechtzufinden, mit einem konstruierten Raumbild zu fassen, das nicht die Realität widerspiegelt.87 Es war die ungewohnte Bodenbeschaffenheit und die, im Vergleich zu der den Soldaten bekannten Natur aus dem Deutschen Reich, geringe, karge Vegetation, die diesen Eindruck weckte. Die vorkommenden Kameldornbüsche kontrastierten das ansonsten wahrgenommene Fehlen von Pflanzen und verstärkten damit den Eindruck einer leblosen Umgebung. So hieß es in einem Beitrag in der Oase: »Sand, nichts als Sand, abgesehen von den Kameldornbüschen, die die ungeheuere Trostlosigkeit des Landschaftsbildes aber so gut wie gar nicht beleben.«88 Und die Soldaten beklagten, das Gelände erinnere sie an einen riesigen Tisch und sei »nur dünn mit kärglichen, dürren Büschen bewachsen«.89 Zudem trugen die Herausforderungen durch die Beschaffenheit des Kriegsraumes, denen sich die Soldaten im Nordafrikafeldzug stellen mussten, zum Raumbild einer endlosen Weite bei. Dies ist in einzelnen Selbstzeugnissen ersichtlich, die die Bodenbeschaffenheiten oder die Tierwelt zusammen mit anderen Erlebnissen schilderten. So schrieb etwa Hans E. seiner Frau, er sitze »in der Wüste, weit und breit nichts zu sehen wie Sand und Steine, dann die große Hitze, die nervigen Mücken und das verfluchte Ungeziefer«.90 Aber auch die Erfahrungen im Kriegsalltag durch die schlechte Verpflegungssituation oder Langeweile hinter der Front kulminierten für die Soldaten im Bild der Wüste. Franz K. meinte, es gebe in Nordafrika »wenig Unterhaltung, nur Steine u. Sand«,91 und Robert W. schrieb seiner Frau: »Tag für Tag das selbe Bild, ewig blauer Himmel, öde Wüste ohne jeden grünen Strauch und Eintopf«.92 Helmut B. und Oskar
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Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. Karlheinz Holzhausen, Sturzbomber greifen bei Sollum ein. Wirksamer Angriff auf britische LKW’s und Panzerkolonnen, in: Die Oase 37, 29. Juni 1941, S. 2. DTA, 776.1 (Reg.Nr. 817, II.1), Edith P., Briefwechsel 1941/1942, Walther W. an Edith P. am 5. Juli 1942. Vgl. Sabina Sestigiani, Writing Colonisation. Violence, Landscape, ant the Act of Naming in Modern Italian and Australian Literature, New York u.a. 2014 (= Currents in Comparative Romance Languages and Literature, Bd. 220), S. 18. D.B., Aus meinem Skizzenbuch; in: Die Oase. Feldzeitung der deutschen Truppen in Afrika vom 2. April 1942, S. 4–5, S. 4. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 20. April 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Hans. E. an seine Ehefrau am 1. Juni 1941. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 26. April 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. Oktober 1941.
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H. fanden die Umgebung schlicht »trostlos«,93 und der Kriegsreporter Eric Borchert deklamierte eine »Trostlosigkeit der Landschaft«.94 Solche Interpretationen des Raums waren keine Neuerfindungen der deutschen Wehrmachtssoldaten. Sie sind vielmehr auf koloniale Diskurse bezogen, in denen afrikanische Regionen traditionell mit der Vorstellung einer scheinbar endlosen Weite assoziiert wurden.95 Auffällig ist, dass die Soldaten und Autoren der Feldzeitung nicht von der sie umgebenden Natur oder Umwelt sprachen, sondern diese als Landschaft bezeichneten. Dieser Begriff bezeichnete in der alt-und mittelhochdeutschen Sprache einen fest umrissenen und politisch definierten Landstrich. Ab dem 15. Jahrhundert wurde der Begriff zum Fachterminus für einen gemalten Naturausschnitt, woraus sich das Genre der Landschaftsmalerei entwickelte. Das Ergebnis dieser Kunst sind komponierte Landschaften, die in den Köpfen der Künstler*innen entstehen. In der Folge bezeichnet Landschaft heute eine vom Menschen gestaltete Umgebung. Die »bildhafte Wahrnehmung eines räumlichen Eindrucks als ›Landschaft‹« wurde eine Kulturpraktik, ein schöpferischer Akt, bei dem gewöhnlich das gesehen wird, was der oder die Betrachtende gelernt hat zu sehen.96 Im Nordafrikafeldzug leitete die Oase die Wahrnehmung des Raumes an und vermittelte Raumdeutungen visuell in Form von Landschaftsbildern. Die Zeitung druckte immer wieder Fotos, die Panzer in einer Wüstenlandschaft zeigen. Dabei war der Bildausschnitt häufig so gewählt, dass außer Kriegsgeräten und Staub nichts auf den Bildern zu erkennen ist oder die Soldaten und Panzer wie in einer leeren, weißen Fläche wirken.97 Auf vielen dieser Aufnahmen ist es insbesondere die Linie des Horizontes, die den abgebildeten Raum endlos erscheinen lässt. So zeigt eine Aufnahme des PK-Fotografen Borchert einen Panzerzug, der im Bildhintergrund im Horizont verschwindet. Die Horizontlinie ist hier so tief gesetzt, dass der Himmel besonders weit erscheint und die vorderen Panzer noch größer wirken (vgl. Abb. 1). Damit ist in dem Bild die Erfahrung der Soldaten, sich dem Raum und dem Krieg ausgeliefert und selbst klein und hilflos zu fühlen, bildlich umgesetzt. Zudem erinnert die Bildunterschrift: »Sand, Steine, Flimmern und darüber der ewig-hellblaue Himmel, das ist alles, was sich dem Auge bei einem Vorstoss in die Wüste bietet.«
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MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 12. September 1942; DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 33. Eric Borchert, Weisst Du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. Vgl. Hagebeucker, Exotik im Dritten Reich, S. 204. Vgl. Beate Jessel, Landschaft, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.), Handwörterbuch der Raumordnung, Hannover 2005, S. 579–586, S. 580, Zitat ebd. Vgl. etwa Aufnahme PK Mosmüller, »Durch Sand und Sonne zur Front«, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3; Aufnahme PK Eric Borchert, »Vormarsch im Sandsturm«, in: Oase 2, 19. März 1941, S. 1; Aufnahme PK v. Esebeck, in: Oase 42, 3. August 1941, S. 4; Eric Borchert.
3 Bedrohter Geist: der Raum als Fremde
Abbildung 1: Fotografie aus einem Bilderbogen von Eric Borchert, Weisst Du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5.
In einer Ausgabe druckte die Zeitung zwei Seiten mit Zeichnungen von Günther Radtke und Werner Schulz, die mit wenigen Strichen »einmal mehr einen Eindruck von der Eintönigkeit des nordafrikanischen Raumes vermitteln«.98 Der dazugehörige Text lobte, wie sehr diese Zeichnungen die Realität abbilden würden. »Sie sprechen eindringlich und klar von der Eintönigkeit des Landes, von dem bleibenden Gleichmass dieser Weiten.«99 Ebenso bildete Herbert Sommer in seinem noch während des Feldzuges veröffentlichten Skizzenbuch den Kriegsraum in seinen Aquarellen als weit und leer ab.100 Die Wüste ist damit ein Landschaftsbild, das von den Soldaten und Kriegsberichterstattern im Nordafrikafeldzug auf Grundlage bekannter Wahrnehmungs-und Interpretationsmuster hergestellt wurde. Dabei waren die geschilderten Herausforderungen und das Gefühl der Soldaten, der natürlichen Umwelt in Nordafrika ebenso ausgeliefert zu sein wie den gegnerischen Waffen, zentrale Komponenten. Insbesondere die aus dem vorherigen Leben nicht gewohnten natürlichen Herausforderungen beeinflussten das Raumbild der Soldaten. So wurde der Sandsturm zum Inbegriff des Raumes, der gefühlt »nur aus Wüstensand«101 bestand, und der Krieg zum »Wüstenkrieg«.
98 D.B., Aus meinem Skizzenbuch, in: Die Oase 66, 2. April 1942, S. 4–5, S. 4. 99 Ebd. 100 Afrikanisches Skizzenbuch von Herbert Sommer mit einem Vorwort von Ritterkreuzträger Oberst Irnfried Freiherr von Wechmar, Berlin 1942. 101 Vgl. Gedicht, Liebe Luise!, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 11.
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4 Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung
Neben den Gefahren und Herausforderungen durch ungewohnte Naturbestandteile war es die kulturell geprägte Interpretation des gesamten Raumes sowie des Krieges, das die Komposition des Landschaftsbildes der Wüste beeinflusste. Denn dass es sich bei der Wüste um ein konstruiertes Raumbild handelte, zeigt sich im Vergleich mit der tatsächlichen Lokalisierung des Feldzuges im geographischen Raum. Der Kriegsraum bestand nur zu einem kleinen Teil aus Sandwüste. Den größten flächenmäßigen Anteil machten unterschiedliche Trockengebiete oder Geröllflächen und die Küstenregion aus. Hier lagen die meisten Orte und herrschten die besten Bedingungen zur Versorgung der Truppen, weshalb diese sich selten mehr als 100 Kilometer von der Küste entfernten und der schmale Küstenstreifen das hauptsächliche Operationsgebiet im Nordafrikafeldzug darstellte.1 Entlang der Küste führte die von den italienischen Kolonisten gebaute Via Litoranea, eine Tausende Kilometer lange Straße in einer Entfernung von bis zu 50 Kilometern vom Meer.2 Sie wurde zu Ehren des im Juni 1940 bei Tobruk abgeschossenen Marschalls und Gouverneurs Libyens Italo Balbo meist »Via Balbia« genannt und war »die Ader des ganzen Krieges in Afrika, für Freund und Feind«.3 Auf ihr fuhren die Soldaten zu ihren Fronteinsätzen und wieder zurück, so dass Hans P. in seinem Tagebuch notierte, die Soldaten hätten »die über 2000 Kilometer lange Via Balbia, von einem Ende zum anderen kennen gelernt und befahren«.4 Selbst als die Truppen sich bei den Schlachten um Bir Hakeim von Mai bis Juni 1941 etwas weiter von der Küste entfernten, berichtete die Feldzeitung im August, »[d]er Krieg selbst hat sich aber nicht an den Küstenstreifen und die Via Balbia gehalten, […] sondern
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Vgl. Stumpf, Der Krieg im Mittelmeerraum 1942/43, S. 570. In einem Artikel in der Zeitschrift Deutsche Wehr wurde sie als eine »1882 km lange, an der Küste des Mittelländischen Meeres entlangführende Betonstraße, die an der Grenze von Tunis beginnt und an der von Ägypten endet«, beschrieben; Ruprecht, Lybiens Verkehrsverhältnisse, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 13, S. 203–204, S. 203. Oberleutnant Köhrer, Afrikanischer Bilderbogen, in: Jambo C (1942) 11, S. 165–167, S. 167. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 23. Januar 1943, S. 21.
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ist in die Wüste selbst verlegt worden«.5 In anderen Artikeln erklärte die Oase dann aber, die »reine Wüste« sei »ausgeschaltet« und nur als »Durchzugsgebiet« relevant, um die Küstenzone als eigentliches Kampfobjekt zu verdeutlichen.6 Im September 1942 bestätigte ein anderer Beitrag, dass die eigentliche Wüste für die Soldaten verschlossen sei und der Krieg nur am Rande geführt werde.7 Ebenso hieß es zwar nach der Schlacht von Bir Hakeim in der kolonialen Monatsschrift Jambo, der Krieg greife »in den weiten Raum der Wüste« hinein.8 Dennoch unterstrich die Zeitschrift in anderen Beiträgen, dass das Kampfgebiet »noch keine echte Wüste im wahrsten Sinne des Wortes« sei. Leidglich im Gebiet der Großen Syrte erstrecke sich »die innere Wüste in Form einer Halbwüste mit spärlichem Pflanzenwuchs und breiten Dünen bis ans Meer«. Zwischen den Küstenebenen, in denen sich die deutschen Truppen bewegten, und der »eigentliche[n] Wüste im Hinterland« lägen hingegen »noch Gebirgszüge als wichtige geographische und klimatische Scheidemauer«.9 Erst die Ausläufer der großen östlichen Sandmeere der libyschen Wüste waren laut der Feldzeitung Karawane so, wie man sich die Wüste vorstellte, sie aber in Wirklichkeit nur an wenigen Stellen vorhanden sei. »Dort ziehen sich, so weit das Auge blickt, Duenen hin, und dort erlebt man Stimmungen, wie man sie auf den vielen Wuestenbildern und in manchen Filmen als ›echteste Wueste‹ geboten bekommt.«10 Die libysche Sandwüste war aber nur in Ausnahmefällen Kriegsschauplatz. Sie war schwer zu befahren und machte eine ausreichende Wasserversorgung kaum möglich, weshalb nur die britische Spezialeinheit »Long Range Desert Group« das Gebiet für Aufklärungs-und Erkundungsfahrten nutzte.11 Dennoch schrieben die meisten Soldaten ihren Angehörigen, dass sie sich in der Wüste befanden. So erklärte Robert W., er habe Bengasi nicht auf der Straße, sondern »hunderte von Kilometern tief in der Wüste«12 erreicht. In den Selbstzeugnissen wurde nur selten reflektiert, dass der Kriegsraum strenggenommen nicht nur aus Wüste bestand. Im untersuchten Quellenbestand notierte allein Horst S. in seinen Erinnerungen, er habe häufig erlebt, »wie Feldmarschall Rommel in aller Frühe mit seinem Kübelwagen in die Wüste an die Front abfuhr, die im eigentlichen Sinn gar keine war«.13 Er war sich also zumindest nach dem Krieg darüber im Klaren, dass die Bezeichnung als Wüstenkrieg strenggenommen nicht korrekt war.
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Ernst Bayer, Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 11. Ähnlich in Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 69. Otto Constantini, Das Gelände in Nordafrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 4. Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. Ernst Bayer, Das Hohelied des deutschen Kraftfahrers, in: Die Oase 37, 29. Juni 1941, S. 3. R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 145. Vgl. F. Sparwasser, Kamerad, was weisst Du von Tunesien? Das Dreieck im Sueden, in: Die Karawane 116, 31. März 1943, S. 2. Stumpf, Der Krieg im Mittelmeerraum, S. 572. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941 bis 1. Januar 1941. DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 2.
4 Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung
Vielmehr als auf tatsächlichen Verhältnissen beruhte die soldatische Selbstverortung in der Wüste auf Vorstellungen, Erfahrungen und Diskursen und stellte eine Raumkonstruktion dar, deren Herstellung im Folgenden analysiert wird. Wie bereits dargelegt führten die Erlebnisse von körperlicher und seelischer Belastung dazu, dass die Soldaten den Raum als fremd und anders wahrnahmen. Der Kriegsraum erschien ihnen aufgrund mangelnder Vorkenntnis als »echte Wüste« im Sinne einer Sandwüste, sobald sie sich etwas von der Küste entfernten. Erkennbar ist das an einem Beispiel aus dem Briefkonvolut von Erich K.; er schrieb seinen Eltern: »Zur Zeit liegen wir in einem Lager ausserhalb der Stadt, rund umgeben von Kakteen und recht viel Sand. Sobald man Tripolis hinter sich hat und von der Hauptstrasse abweicht, versickt [sic!] man im Sand.«14 Zwar spricht er hier nicht von einer Wüste, doch weckte seine Betonung der Sandmengen bei seinen Eltern und bei ihm selbst sicherlich diese Assoziation. Explizit für das Gebiet hinter Tripolis erklärte jedoch die Zeitschrift Jambo: »Man darf sich auch nicht durch die Sandfelder täuschen lassen, die südlich Benghasi oder noch ausgedehnter hinter Tripolis auftreten. Vollkommen die Vorstellung von einer Wüste würde man erst bekommen, wenn man über die Gebirge nach Süden zieht.«15 Doch komme es am Ende auf die Empfindungen der Soldaten an, denn »trotzdem« stehe das »Afrikakorps im Wüstenkrieg«, denn die Anforderungen an die Soldaten seien im Grunde fast die gleichen wie in der Wüste selbst. Der Feind ist nur einer der Gegner. Ihm Widerstand zu leisten, heißt zugleich den Kampf gegen eine unerbitterlich sengende Sonne aufzunehmen, gegen das drückende Gefühl der Schwüle in feuchtheißen Küstenstädten, gegen den Staub, der nicht nur in alle Taschen und Nähte der Uniform dringt, sondern auch einen ungewöhnlichen Verschleiß der Waffen und vor allem der Motoren bewirkt. Es gilt ferner zu kämpfen gegen den Durst. Zwar gibt es hier noch keinen Vergleich mit der echten Wüste, wo die Wasserstellen mitunter 300 und mehr Kilometer voneinander entfernt sind, es muß aber doch mit Wasser hausgehalten werden.16 Die Herausforderungen der Umwelt konnten als wüstengleich interpretiert werden, weil sie aus der Perspektive der Soldaten genügend anders als das Gewohnte waren und damit zu den Vorannahmen passten, mit denen die Soldaten nach Nordafrika gekommen waren. Die Wahrnehmung des Raumes als andersartig, fremd und bedrohlich und die Deutung des Kriegsschauplatzes als Sandmeer deckten sich mit den geläufigen Vorstellungen von »Afrika« oder dem »Orient« als Raum endloser Wüsten. Indem sie den Raum beständig als Wüste bezeichneten, festigte sich die Wahrnehmung als solche. Denn das Sprechen über den Raum und die Verwendung gewöhnlicher geographischer Begriffe beeinflussen nach Ansicht der Humangeographie, wie ein Subjekt den Raum sieht und als was der Raum gesehen wird.
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LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283 Erich K. an seine Eltern am 13. Mai 1941. R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 145. Ebd., S. 145–146.
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Mit dem Raumbild der Wüste knüpften die Soldaten an ihre exotistischen Erwartungen sowie an eine lange Tradition der bildenden Kunst und Literatur an, die Erfahrungen einer körperlichen Bedrohung und des Leidens mit dem Bild der Wüste zu fassen. Bereits seit der Antike faszinierten Wüsten die Menschen und fanden daher Eingang in zahlreiche Gemälde sowie literarische und religiöse Texte, in denen die Wüste eine unwirtliche Landschaft symbolisierte. Sie wurde ein literarischer Topos für Einsamkeit und Unendlichkeit, deren Todessymbolik in der Darstellung als Unterwelt oder Hölle erkennbar wird.17 Neben der allgemeinen Todessymbolik dient die Wüste traditionell zur Symbolisierung von Kriegszerstörung. Kriegsschauplätze wurden und werden auf Gemälden oft als öde Landschaften gezeigt oder mit Wüstenlandschaften verglichen, die damit die Verwüstung im Sinne der Zerstörung und die topographische Ähnlichkeit des Raumes nach dem Darüberrollen der Front symbolisieren.18 In der Feldzeitung sind die Wüstenbilder untrennbar mit den Gefechtserlebnissen verknüpft. So erklärte Ernst Bayer, dass sich der Krieg daran zeige, dass sich zu den »bleichenden Knochen verendeter Tiere« die »verbogenen und jeweils im weiten Umkreis zerstreuten Gestänge und Teile vernichteter feindlicher Flugzeuge«19 gesellten. Hanns Gert von Esebeck verglich die Überreste der Gefechte mit vereinzelt in der Steppe wachsenden Büschen. In der »Wüste voll gelben Sandes«, in der »Halfa und Kameldorn seltsam bizarr blühen […] liegt plötzlich ein englischer Tropenhelm, dort ein Gewehr, eine Patronentasche.«20 Damit bediente er sich einer Bildsprache und ikonographischen Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in der die leere und ausgedörrte Wüste ebenso Teil der Orientvorstellungen war wie Kamele oder Minarette. Kamelgerippe oder kreisende Geier symbolisierten den Raum als Ort des Todes.21 Klaus Dörner sprach in einem Artikel direkt die Vorstellungswelt an und betonte, dass die Realität des Krieges gefährlicher sei als die schon fast mystische Bedrohung durch die Umwelt: »Die Wüste wurde entschleiert«, erklärte er. »Die Zahl der verkohlten Panzerwracks, der ausgeschlachteten Fahrzeuge überwiegt tausendfach die im Sande halbverwehten Kamelgerippe unserer Vorstellungswelt.«22 Esebeck prägte neben Bayer das in der Oase gezeichnete Bild des Kriegsraumes wesentlich. Der ehemalige NSDAP-Gaupresseamtsleiter Bayerische Ostmark und seit 1941 17 18
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Vgl. Chaim Noll, Die Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen, Leipzig 2020, S. 79; Bopp, Fern-Gesehen, S. 10, 154. Vgl. Martin Kaltenecker, Klang als Geschichtsmedium. »Das Ohr vertieft sich«. Veränderungen, Verstörungen und Erweiterungen des Hörens im Krieg, in: Anna Langenbruch (Hg.), Klang als Geschichtsmedium. Perspektiven für eine auditive Geschichtsschreibung, Bielefeld 2019, S. 122–155, S. 127. Siehe auch Annegret Jürgens-Kirchhoff, Verbrannte Erde: Kriegslandschaften in der Kunst zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: Bruno Thoß und Hans-Erich Volkmann (Hg.), Erster Weltkrieg – Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich, Paderborn 2002, S. 783–819, S. 784f. Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Hanns Gert von Esebeck, Vorwärts nach Agedabia, in: Die Oase 11, 9. April 1941, S. 3. Vgl. Diana K. Davis, Introduction: Imperialism, Orientalism, and the Environment in the Middle East History, Policy, Power, and Practice, in: dies. und Edmund Burke III (Hg.), Environmental Imaginaries of the Middle East and North Africa, Athens 2011, S. 1–22, S. 1–2; Bopp, Fern-Gesehen, S. 142f. Claus Dörner, Strategen oder Phantasten? Anglo-amerikanische Pläne in Nordafrika, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 5.
4 Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung
Chef der Propagandaabteilung im OKW-Amt für Wehrmachtspropaganda23 war von Beginn des Feldzuges an als Kriegsberichterstatter in Nordafrika dabei24 und schrieb in der Oase immer wieder über den Raum des Krieges. In einem wenige Wochen nach dem bereits zitierten Artikel erschienenen Beitrag kombinierte er die Zeichen des Krieges erneut mit den Elementen der natürlichen Umgebung zu einer Kriegslandschaft. So weit das Auge reicht, herrschen Sand und Stein auf dieser trostlos kahlen Ebene des Madauuar. Zerschossene Fahrzeuge, Benzinkanister, Kisten mit leeren Blechdosen liegen sinnlos verstreut umher. Nichts wächst auf diesem unendlichen Plateau. Das Land ist tot. Sonne und Wind haben es ausgedorrt, seine Steine gebleicht, das Leben erstickt.25 Die Verbindungslinie zwischen Kriegswüste und dem Landschaftsbild der Wüste wurde in Bezug auf akustische Merkmale des Kriegsraumes ebenfalls gezogen. In einem Artikel in der Oase hieß es, das »Surren und Brummen der englischen Maschinen« klinge wie ein »Schwarm Muecken in einer drueckendschwuelen Sommernacht«.26 Ein anderer Autor griff den Regen als Bedrohung auf und beschrieb seine Geräusche als untrennbar mit den Geräuschen der Gefechte zu einer mehrdimensionalen Kriegslandschaft verflochten. Während in der Ferne die Front »trommelt […] klatscht der tropische Regen auf uns nieder, wird aufgesogen von dem durstigen Wüstensand, von der heissen Sonne ins Nichts verscheucht«.27 Die als Elemente eines tropischen und damit »fremden« Raumes beschriebenen Wetterverhältnisse gehören in dieser Beschreibung aus der Oase ebenso zu der die Soldaten umgebenden Landschaft wie das Rattern und Tacken des Krieges. Damit wurden die kriegsspezifischen Bedrohungen mit den auditiven Elementen des Kriegsraumes verknüpft, wie im Allgemeinen in den Raumschilderungen die Elemente der Kriegslandschaft in die Landschaftskonstruktion des Kriegsraumes eingebunden waren. Die Beschreibungen speisten sich dabei aus den Gegebenheiten der Umwelt und waren zugleich abstrakte Konstrukte.28 Die von der Bedrohung der Soldaten durch den Krieg und den Raum des Krieges ausgelösten Ängste und negativen Stimmungen sowie das Gefühl der Hoffnungslosigkeit beeinflussten also ihre Raumwahrnehmung und wirkten sich auf die Konstruktion des Landschaftsbildes der Wüste aus. Die von den Soldaten in ihren Selbstzeugnissen beschriebene Landschaft, stellte damit ein Spiegelbild ihrer Gefühle dar. Dies entspricht den Überlegungen der Raumsoziologie, die von einem »Wechselspiel von Ausdruck und
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Vgl. Sabrina Nowack, Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren, Berlin 2016, S. 450. Vgl. Hans Ertl, Als Kriegsberichter 1939–1945, Innsbruck 1985, S. 201. Hanns Gert von Esebeck, Vor Tobruk – nichts Neues, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 4. O.A., Soldaten an allen Fronten gruessen den Fuehrer. Zwoelf Feldpostbriefe und ihre Antworten zum Geburtstag des Fuehrers, in: Die Oase 126, 18. April 1943, S. 3. Fritz Treffz-Eichhöfer: Die Feuerprobe bei Bir el Gobi. Jungfaschisten zerschlagen englische Panzer. Deutsche Panzer hauen die tapferen Jungfaschisten nach viertägigem Kampf heraus, in: Die Oase 73, 21. Mai 1942, S. 6. Vgl. zu historischen Geräuschen Mark M. Smith, Mitchell Snay und Bruce R. Smith, Coda: Talking Sound History, in: Mark M. Smith (Hg.), Hearing History. A Reader, Athens 2004, S. 365–404, S. 366.
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Eindruck« bei der Entstehung von Raumbildern ausgeht. Demnach werden Emotionen einerseits durch die Bedingungen des Raumes ausgelöst und fließen umgekehrt in die Raumwahrnehmung und Raumdeutung ein.29 Das Bild der Wüste symbolisierte im Nordafrikafeldzug also nicht nur die sinnliche Wahrnehmung des Raumes, sondern auch die Enttäuschung der Soldaten. »Der Reiz der Neuheit, den Afrika auf jeden deutschen Soldaten bei der Landung ausübte, wurde bald abgelöst von einem großen Gefühl der Eintönigkeit und Verlassenheit«30 , erklärte Ernst Bayer in der Zeitschrift Jambo. Nach den ersten Erlebnissen von Hitze, Sandsturm und Durst habe sich »die Wüste so präsentiert, wie sie in Wirklichkeit ist: unromantisch, gefahrvoll und verderbenbringend.«31 Ähnlich beschrieb er in der Oase, dass die Wüste als toter Raum das Neue und Aufregende, das die Soldaten beim Betreten der nordafrikanischen Küste vorgefunden hatten, abgelöst habe.32 Neben Erwartungen, Erlebnissen und enttäuschten Vorstellungen entsprang die Interpretation des Kriegsraumes als Wüste den tradierten Sehgewohnheiten der Soldaten. Ihnen erschien die Umwelt in Nordafrika eintönig, weil sie nicht das enthielt, was sie kannten. So waren sie etwa zahlreiche unterschiedliche Grüntöne beim Blick in die Natur gewöhnt und nicht Abstufungen von Gelb und Braun. In ihrem europäisch geprägten Blick erschien ihnen die Umgebung daher als eintönig. Ähnliche Mechanismen hatten bereits die Landschaftsdarstellungen deutscher Kolonialisten in Namibia geprägt, die ein »zentraler Topos der Landschaftskonzeptionen im 19. Jahrhundert« waren.33 Die auf diese Weise entstandenen Raumbilder von »Trockenheit, Weite und vor allem die Leere«34 waren subjektiv und wertend. Dies wird etwa anhand eines 1941 in der Zeitschrift Deutsche Wehr veröffentlichten Beitrags über die Verkehrsverhältnisse in Libyen offensichtlich. Darin wurde der deutsche Geologe Karl Alfred von Zittel zitiert, der die libysche Wüste als »die trostloseste und langweiligste Gegend« überhaupt bezeichnet habe.35 Die Beschreibungen des nordafrikanischen Kriegsraumes in den Texten der Soldaten, in der Feldzeitung Oase und in anderen Publikationen im Kontext des Krieges sind damit nicht als objektive Beschreibungen des Kriegsraumes zu bewerten. Vielmehr stellen sie durch Vorerfahrungen, Einstellungen und Deutungsmuster beeinflusste Repräsentationen dar. Visuelle Abbildungen, wie Zeichnungen und Fotografien, sind folglich Repräsentationen dieser Repräsentation mit symbolischen und ästhetischen Anteilen.36
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Jürgen Hasse, Zum Verhältnis von Stadt und Atmosphäre. Wo sind die Räume der Urbanität?, in: ders. (Hg.), Subjektivität in der Stadtforschung, Frankfurt a.M. 2002 (= Natur – Raum – Gesellschaft, Bd. 3), S. 19–40, S. 24. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 66. Ebd. Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. Vgl. Lorena Rizzo, Faszination Landschaft – Landschaftsphotographie in Namibia, BAB Working Paper No. 1, 2014, URL: https://www.baslerafrika.ch/content/uploads/2017/04/WP-2014-1-Rizzo.p df [04.10.2022], S. 5, Zitat S. 6. Siehe auch John Maxwell Coetzee, White Writing: On the Culture of Letters in South Africa, Braamfontein 1988. Rizzo, Faszination Landschaft, S. 6. Ruprecht, Libyens Verkehrsverhältnisse, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 13, S. 203–204, S. 203. Vgl. William John Thomas Mitchell, Landscape and Power, Chicago/London 2002, S. 7, 14.
4 Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung
Damit war das Bild der Wüste im Sinne Edward Saids ebenso eine imaginierte Geographie wie die Raumvorstellungen von »Afrika« oder eben dem »Orient«, der er sich in seinem bekanntesten Werk widmete. Sie war kein geographischer Raum, sondern als eine innerhalb bestimmter Diskurse konstruierte Raumvorstellung, die mehr über die Kultur und Personen, die sie hervorbrachten, als über den vermeintlichen Gegenstand des Raumbildes erzählt.37 In Anlehnung an Said definiert die Geographin Diana K. Davis die Wüste als Konstruktion und als Konstellation von Ideen, die von sozialen Gruppen und Menschen bezogen auf lokale oder regional begrenzte Räume entworfen werden. Sie seien nicht statisch, sondern historisch wandelbar und enthielten sowohl Wertungen als auch Annahmen über die Entstehung des Raumes. Durch ihre Bezeichnung der Wüste als »Western environmental imaginary« veranschaulicht sie den Konstruktionscharakter von Wüstenvorstellungen ebenso wie den Einfluss imaginierter Gemeinschaften und Konstruktionen vom Selbst und den »Anderen« auf das Bild der Wüste.38 Dabei spielte die Raumbezeichnung als Wüste laut Davis in der Geschichte oft eine wichtige Rolle bei der Rechtfertigung von Machthierarchien im Kontext kolonialer oder postkolonialer Eroberungen. Wie das koloniale Projekt insgesamt als zivilisierende Entwicklungshilfe dargestellt wurde,39 war das Wüstenbild mit Überlegenheitsgefühlen verbunden, die Eroberung und Gewalt rechtfertigten. So wurde von europäischer Seite angenommen, dass die lokale Bevölkerung Nordafrikas durch Misswirtschaft und Abholzung von Wäldern die Wüste selbst geschaffen habe, weshalb aus französischer Perspektive die Kolonialherrschaft in Algerien, Marokko und Tunesien rechtens war. Denn diese sollte zu einer verbesserten Bewirtschaftung des Raumes beitragen.40 In anderen Fällen sah man die Bevölkerung eines zu kolonisierenden Raumes nicht nur als minderwertig oder hilfsbedürftig an, sondern klammerte sie vollständig aus oder negierte sie. Damit wurde ein Raum auf der Vorstellungsebene zu einem leeren Raum, dessen Eroberung dadurch gerechtfertigt war.41 Bei der Berliner Westafrika-Konferenz von 1884/85 regelten die europäischen Mächte die Handelsfreiheit am Kongo und am Niger mit Hilfe einer »terra nullius«-Entscheidung. Die Gebiete, um die es bei der Konferenz ging, behandelten die europäischen Mächte wie unbesiedelte Gebiete und ignorierten die lokale Bevölkerung. Zugleich wurde der Raum seiner politischen und sozialen Strukturen und kulturellen Traditionen entleert.42 Laut Birthe Kundrus wirkte sich die Vorstellung von einem leeren und damit menschenleeren Raum auf die Entgrenzung der Gewalt in den Kolonialkriegen aus. Denn wehrten sich die im eroberten Raum lebenden
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Said, Orientalism, S. 22. Diana K. Davis, Introduction: Imperialism, Orientalism, and the Environment in the Middle East History, Policy, Power, and Practice, in: dies. und Edmund Burke III (Hg.), Environmental Imaginaries of the Middle East and North Africa, Athens 2011, S. 1–22, S. 2. Vgl. Schmitz, Orient, S. 487f. Vgl. Davis, Introduction, S. 3. Vgl. Sestigiani, Writing Colonisation, S. 14. Vgl. dazu Walter, »Indian Country«, S. 326; Sestigiani, Writing Colonisation, S. 15; Alexander Honold und Rolf Parr, Atome des Exotischen, in: kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie (1995) 32/33, S. 2–3, S. 2.
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Menschen gegen die Kolonisierung, versuchten die Kolonisierenden der »Landschaft ihre ›Menschenleere‹ zurückzugeben«, indem sie die Bevölkerung ausrotteten.43 Diese in imperialen und kolonialen Kontexten etablierte Praktik der Entleerung des Raumes schlug sich zudem in der visuellen Repräsentation des Raumes nieder, vor allem in der sogenannten Landschaftsmalerei und -fotografie. Sie sind laut Lorena Rizzo »nicht zu trennen von kolonialideologischen Diskursen und Praktiken der Landenteignung«44 und waren Teil der imperialen Erschließung der Welt, da Herrschaftsansprüche über die Bildsprache mental gefestigt und Eroberungen legitimiert wurden. Denn »[l]andschaftliche Leere bedeutete im Kontext imperialer Expansion und kolonialer Herrschaft […] vor allem die narrative wie bildliche Verdrängung der afrikanischen Bevölkerung«.45 In ähnlicher Weise sind die Landschaftsdarstellungen zu deuten, die aus dem Kontext des Nordafrikafeldzuges überliefert sind. In Zeichnungen und Fotografien haben professionelle Bildberichterstatter der Propagandakompanien, aber auch künstlerisch tätige Soldaten den Kriegsraum festgehalten und dabei nicht einfach wiedergegeben, was sie gesehen haben. In die Darstellungen flossen sowohl ihr Erleben des Raumes und der Kriegssituation als auch die Bedrohung für den eigenen Körper ein. Daneben behauptete das Landschaftsbild der Wüste die Abwesenheit von anderen Menschen als den leidenden Soldaten. Obwohl die Wehrmachtsangehörigen vielfältige Kontakte mit der lokalen Bevölkerung hatten, etwa wenn sie in den Küstenstädten auf ihren Einsatz warteten oder in den rückwärtigen Gebieten aufeinandertrafen, waren in den Raumbeschreibungen der Soldaten die Menschen des Kriegsraumes meistens nicht Teil der Landschaft. Die Zivilbevölkerung des Kriegsraumes wurde ausgeklammert, stattdessen konzentrierte man sich auf die europäischen Kriegsgegner. Damit standen das Raumbild der nordafrikanischen Wüste und die Interpretation des Krieges als Wüstenkrieg in der kolonialen Tradition der Herstellung landschaftlicher Leere. Die gewollte Wahrnehmung der Natur als menschenleer gehörte zum eingeübten Blick der Soldaten als kolonial geprägte Europäer. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die imaginierte Wüste eine wichtige politische Funktion. Nun vermittelte die Darstellung der Wüste als menschenleerer Raum die Vorstellung, dass sich in Nordafrika ein reiner Strategiekrieg abgespielt hätte. Wie einst Lettow-Vorbeck in seinen Memoiren über den Ersten Weltkrieg Ostafrika als »ein topographisch, klimatisch und tropenhygienisch schwierig zu meisterndes militärisches Operationsgebiet« schilderte,46 in dem »sauber« gekämpft werden konnte,47 trug das Bild des menschenleeren nordafrikanischen Kriegsraumes im Zweiten Weltkrieg dazu bei, den Krieg als einen sauberen Krieg zu verstehen. Nicht allein die (west)deutsche Seite bediente das Landschaftsbild der Wüste, um die lokale Bevölkerung aus der Kriegserzählung auszusparen. Auch die britischen Veteranen ignorierten die Städte, Siedlungen und Nomaden im Hinterland. Und selbst die in den
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Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 145. Rizzo, Faszination Landschaft, S. 8. Ebd., S. 6. Vgl. Michels, Ein Feldzug – zwei Perspektiven, S. 162. Vgl. ebd., S. 163.
4 Das Landschaftsbild der Wüste: ein Symbol mit Wirkung
Küstenstädten lebenden Menschen kamen in der Erzählung von diesem Krieg lange Zeit nicht vor, dabei fanden hier die entscheidenden Schlachten im Nordafrikafeldzug statt. Doch die deutschen und britischen Soldaten sparten die hier lebenden Menschen explizit in ihren Erinnerungen aus oder separierten diesen Teil des Kriegsraumes von den im Hinterland ausgetragenen Gefechten.48 Die beiden ehemaligen Kriegsgegner verorteten sich damit noch retrospektiv in einem menschenleeren Raum, der als das perfekte Schlachtfeld für einen Kampf gleichwertiger Gegner betrachtet werden konnte und damit half, die beiden Nationen zu versöhnen. Für die westdeutschen Veteranen hatte die Erzählung vom »Wüstenkrieg« in Anbetracht der massenhaften Verbrechen der Wehrmacht noch eine weitere wichtige Funktion: Sie konnten das Bild der sauberen Wehrmacht zumindest teilweise aufrechterhalten.
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Vgl. Veteran’s Tale, S. 76.
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Teil II: Selbstkonstitution im »fremden« Raum
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Die Erwartungen der Soldaten an das Kriegserlebnis hatten sich als falsch herausgestellt. Sie fühlten sich dem nordafrikanischen Kriegsraum ausgeliefert, schwach und angreifbar. Wie viele Soldaten vor und nach ihnen empfanden sie den »Körper in seiner tiefsten Labilität«.1 Damit entsprachen ihre körperlichen Erlebnisse nicht mehr den vorherrschenden Normen von soldatischer Männlichkeit. Weil Körperbilder bei der Subjektkonstitution eine wesentliche Rolle spielen2 und bereits andere Arbeiten die identitätsstabilisierende Funktion von Geschlechtervorstellungen für Soldaten belegt haben,3 gehe ich davon aus, dass sich das Erleben der körperlichen Schwäche auf die gesamte Selbstwahrnehmung der Soldaten in Nordafrika auswirkte. Aufgrund der Erfahrung des Leidens im Kriegsraum stellten sie nicht nur den Sinn des Krieges in Frage, sondern ihre gesamte Identität. Daher mussten sie ihre Erlebnisse in Nordafrika auf andere Weise interpretieren, um dem Krieg eine Bedeutung zu verleihen und die eigene Identität wieder zu stabilisieren. Sie orientierten dabei an Normen und Werten der sozialen Gemeinschaft des Militärs. Auf diese Weise konnten sie eben jene körperlichen Erfahrungen des Leidens an den Umständen im Krieg in eine Form der Auszeichnung umdeuten und eine neue Identität der »Afrika-Soldaten« konstruieren.
5.1 Disziplin und Härte als soldatische Tugenden Vorstellungen eines starken Körpers waren bereits lange vor dem Einsatz der deutschen Soldaten in Nordafrika Teil der »hegemonialen Männlichkeit«4 . Im Laufe des 19. Jahr-
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Diehl, Macht – Mythos – Utopie, S. 70. Vgl. Diehl, Körperbilder und Körperpraxen, S. 13. Vgl. dazu Ruth Seifert, Identität, Militär und Geschlecht. Zur identitätspolitischen Bedeutung einer kulturellen Konstruktion, in: Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), HeimatFront. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M./New York 2002 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 35), S. 53–66. Einen Forschungsüberblick bietet Robert A. Ney, Western Masculinities in War and Peace, in: American Historical Review 112 (2007) 2, S. 417–438. Vgl. Connell, Der gemachte Mann.
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hunderts etablierte sich die Vorstellung, dass männliche Körper der Nation dienen und dafür ertüchtigt und kultiviert werden müssten.5 In Turnvereinen und innerhalb des Militärs wurde die Formung der Männerkörper praktiziert.6 Die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, aus dem die Soldaten als Invaliden zurückgekehrt und mit ihren versehrten Körpern in der Öffentlichkeit stark präsent gewesen waren, führte zu einer Überhöhung des männlichen Kriegskörpers, um die Niederlage zu verschleiern. An die in der Weimarer Republik entstandenen Männerbilder schloss die Propaganda in der NS-Zeit an.7 Bilder und Praktiken vermittelten einen gekräftigten und disziplinierten Körper als Ideal, das vor allem von Männern zu erfüllen war.8 Ein gestählter Körper trug daher dazu bei, ob ein Subjekt Teil der sogenannten »Volksgemeinschaft« im Sinne eines »Volkskörpers« sein konnte oder nicht.9 Besonders im Militär galt ein gekräftigter und disziplinierter Körper als Zeichen soldatischen Männlichkeit;10 im Krieg musste der männliche Körper tauglich sein und im Einsatz funktionieren.11 Solche Männlichkeitsvorstellungen betrafen nicht nur den leiblichen Körper. Ferner wurde mentale Stärke erwartet, und insbesondere Militärangehörige galten als »Antipoden alles Weiblich-Weichen«.12 Daher gehörte zu den bereits vor dem Zweiten Weltkrieg etablierten und akzeptierten Bildern von soldatischer Männlichkeit die als männlich wahrgenommene Eigenschaft der »Härte«. Diese bezog sich meist auf schwierige Kriegslagen, Verletzungen oder den Tod von Kameraden. Damit hatte die Härte sowohl eine physische als auch eine emotionale Dimension und war gleichbedeutend mit dem Aushalten körperlicher und seelischer Leiden. Gefühle in schweren Situationen galten als »Weichwerden« und damit als weiblich und sollten reguliert oder zumindest deren Ausdruck unterdrückt werden. Innerhalb der Wehrmacht galt physische und emotionale Härte als zentrale Eigenschaften soldatischer Männlichkeit.13 Wollten die Soldaten in der Männergemeinschaft
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Ute Planert, Der dreifache Körper des Volkes: Sexualität, Biopolitik und die Wissenschaften vom Leben, in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 539–576, S. 553. Vgl. ebd.; Christa Hämmerle, Ganze Männer? Gesellschaft, Geschlecht und Allgemeine Wehrpflicht in Österreich-Ungarn (1868–1914), Frankfurt a.M. 2022, S. 234. Diehl, Macht – Mythos – Utopie, S. 63. Zur Bedeutung der Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs für die NS-Propaganda und Symbolpolitik vgl. Nils Löffelbein, Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus, Essen 2013 (=Zeit der Weltkriege, Bd. 1). Vgl. dazu etwa Kiran Klaus Patel, Erziehungsziel: Männlichkeit. Körperbilder und Körperpraktiken im Nationalsozialismus und im New Deal in den USA, in: Paula Diehl (Hg.), Körper im Nationalsozialismus: Bilder und Praxen, München u.a. 2006, S. 229–248; Daniel Wildmann, Begehrte Körper: Konstruktion und Inszenierung des »arischen Männerkörpers« im »Dritten Reich«, Würzburg 1998. Vgl. Diehl, Körperbilder und Körperpraxen, S. 13. Zur »Volksgemeinschaft als Volkskörper« vgl. Michael Wildt, »Volksgemeinschaft«, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03.06.2014, URL: http://docupedia.de/zg/wildt_volksgemeinschaft_v1_de_2014 [1.11.2022]. Vgl. etwa Thomas Kühne, Protean Masculinity, Hegemonic Masculinity : Soldiers in the Third Reich, in : Central European History 51 (2018) 3, S. 390–418, S. 338f. Siehe zum »Kriegskörper« auch Klaus Theweleit, Männerphantasien, Bd. 2: Zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Weinheim/München 1980, S. 195ff. Vgl. Frevert, Die kasernierte Nation, S. 247. Vgl. Kühne, Protean Masculinity, S. 398–400.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
des Militärs akzeptiert sein, mussten sie den Krieg durchhalten und Härte gegen sich selbst zeigen. Denn das Aushalten schwieriger menschlicher Situationen galt in der Wehrmacht als die grundlegendste aller soldatischen Tugenden, wie in der Zeitschrift Soldatentum während des Nordafrikafeldzuges propagiert wurde.14 Ob die Soldaten diesem Anspruch gerecht werden konnten, prüfte man zumindest theoretisch bereits vor dem Einsatz. In der Untersuchung auf Tropendiensttauglichkeit wurden nicht nur die körperlichen Eigenschaften der Soldaten begutachtet, es waren daneben bestimmte charakterliche Eigenschaften wie »Härte gegen sich selbst, Beherrschtheit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewußtsein gefordert«.15 Die Feldzeitung Oase vermittelte den deutschen Soldaten in Nordafrika vor Ort, dass Härte zu den wesentlichen Eigenschaften eines Wehrmachtssoldaten gehörte. Bereits in der zweiten Ausgabe hob der Titel eines Artikels die drei wichtigsten Tugenden der Wehrmachtssoldaten, »Härte – Kampf – Treue«,16 hervor. In einer späteren Ausgabe erinnerte ein Artikel, der sich an die Flieger richtete, erneut an die Tugend der Härte.17 Als gutes Beispiel stellte ein Beitrag die Tapferkeit der Kriegsverwundeten voran, die trotz erlittener Verletzungen »so frisch, so frohen Mutes und so voller Lachen und Leben« seien. Ihre mentale Stärke wurde explizit als Zeichen ihrer soldatischen Männlichkeit gedeutet.18 Die Oase kommunizierte, was im Kollektiv des Militärs von den Soldaten erwartet wurde, welche Gefühlsäußerungen und welche emotionalen Praktiken erlaubt waren. Damit war die Feldzeitung ein Medium des »emotionalen Regimes« im Sinne William Reddys. Mit diesem Begriff bezeichnet der Emotionshistoriker das innerhalb eines Kollektivs oder politischen Systems herrschende »set of normative emotions and the official rituals, practices, and emotives that express and inculcate them«.19 Allerdings gab die Feldzeitung weniger emotives im Sinne von Gefühlsbeschreibungen vor, die laut Reddy sowohl Gefühle beschreiben als auch hervorbringen.20 Vielmehr waren die Soldaten angehalten, durch die Kriegserlebnisse ausgelöste Gefühle zu negieren. Der Begriff der Härte umfasst diese propagierte Abwesenheit von Gefühlen des Leidens. Das beständige Wiederholen des Begriffs der Härte stellte dabei ebenfalls einen Sprechakt dar, der 14
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Vgl. Politsch, Ritterlichkeit in der soldatischen Wirklichkeit, in: Soldatentum 9 (1942) 2, S. 36–40, S. 36; Hans Flemming, Die Ziele der Soldatischen Erziehung, in: Deutsche Wehr 47 (1943) 10, S. 137–139, S. 137. Richtlinien für die Untersuchung auf Tropendienstfähigkeit vom 7. Dezember 1942, Auszug, abgedruckt in: Valentin, Ärzte im Wüstenkrieg, S. 163–164, S. 163. Vgl. Werner Beumelburg, Drei Tugenden des Soldaten: Härte – Kampf – Treue, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 1. Vgl. B.K., Unsere gemeinsame Mutter: Die Heimat, in: Die Oase 30, 18. Mai 1941, S. 1. E. Rodegerdts, Die Heimat setzt sich ein. Für unsere Verwundeten wird gesorgt, in: Die Oase, 23. Juli 1942, S. 2. In diesem Artikel grenzt sich der Verfasser zudem vom Umgang mit den Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges ab, als vor allem die Veteranen, denen ein Bein oder Arm fehlte, möglichst nicht im Stadtbild sichtbar sein sollten. Es etablierte sich die Praxis, die Trauer aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, und auch die (weiblichen) Hinterbliebenen sollten »still« trauern; vgl. Silke Fehlemann, »Leidgemeinschaft«. Kriegserfahrungen im Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit, in: Geschichte im Westen 26 (2011), S. 35–60, S. 52. Vgl. Reddy, The Navigation of Feeling, S. 129. Vgl. ebd., S. 128.
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nicht nur die emotionale Lage der Soldaten beschreiben, sondern sie zugleich herstellen sollte. Damit ist die Härte das zentrale emotive innerhalb des emotionalen Regimes der Wehrmacht. Diese Vorgaben hatten die meisten Soldaten internalisiert. Sie wussten, was von ihnen erwartet wurde, und beschrieben sich selbst als hart21 oder berichteten, dass das Soldatentum Härte erfordere. »Soldat sein, heißt – hart sein! Nur zu oft muß man es beweisen«22 , erklärte etwa Robert W. seiner Frau. Der Gefreite Hans E. berichtete aus seinem Einsatz in Nordafrika: »[D]iese Zeit muß durchgemacht sein, die ist sehr, sehr hart und gefährlich.«23 Indem die Soldaten angaben, bestimmte Gefühle nicht zu haben, handelten sie entsprechend dem emotionalen Regime des Militärs, das von ihnen Härte forderte. Da sie aber gerade Schwierigkeiten hatten, den an sie gestellten Ansprüchen zu genügen, und ihre Körper in Nordafrika als schwach erlebten, interpretiere ich derartige Äußerungen als Selbstversicherung der Soldaten. Durch den Akt des Niederschreibens, hart zu sein, versicherten sie sich selbst, dass sie die Normen des emotionalen Regimes befolgten und emotionale Stabilität herzustellen versuchten. Auf diese Weise konnten sie ihre Kriegserfahrungen einordnen und die Kontingenzerfahrung kompensieren. Darüber hinaus konnten sie ihr eigenes Selbstbild als Mann stabilisieren, denn wenn sich die Soldaten an der vorgegebenen emotionalen Normierung orientierten, entsprachen sie den vorherrschenden Geschlechterrollen. Dazu betonten sie, dass nur Männer für den Krieg geeignet seien, und distanzierten sich bewusst von als typisch weiblich geltendem Verhalten.24 Der Soldat Hans D. schrieb, man müsse »durchhalten und durchstehen. Denn wenn man einmal weich wird, dann ist’s vorbei.«25 Härte bedeutete für die Soldaten also, die Situation auszuhalten, da sie sich nicht ändern lasse, wie es Robert W. seiner Frau erklärte.26 Der Begriff des Aushaltens ist in vielen weiteren Selbstzeugnissen zu finden. So berichtete etwa Karl B. seiner Familie, es sei »unglaublich was man alles aushält!«27 Dabei konstruierte er eine Gemeinschaft und schloss sich in diese selbst durch die mit Hilfe des Pronomens »man« allgemein gehaltene Formulierung mit ein. Dass das emotive der Härte gerade die Abwesenheit oder Nicht-Äußerung bestimmter Gefühle bedeutete,28 wird anhand der zahlreichen Aufforderungen an die Soldaten deutlich, über erlittenes Leiden zu schweigen. Denn Verschwiegenheit war bereits seit dem Ersten Weltkrieg als soldatische Tugend eng verknüpft mit dem Anspruch der Härte.29 Die Feldzeitung Oase hob sie daher als wichtige Eigenschaft eines deutschen Soldaten hervor. Ein Artikel über ein Feldlazarett in Nordafrika pries etwa das »stille Hel21 22 23 24 25 26 27 28 29
Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 5. Jan 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 19. Oktober 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Gefreiter Hans E. an seine Ehefrau am 6. Juni 1949. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 24. April 1942; MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an seine Schwester am 5. Juni 1942. MSPT, 3.2017.467.0, Hans D. an Margret am 20. April 1943. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 26.Oktober 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 28. Dezember 1942. Vgl. etwa Kühne, Kameradschaft, S. 141. Vgl. D. Deussing, Das Fronterlebnis des einfachen Mannes, in: Soldatentum 8 (1941) 4, S. 107–111, S. 107.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
dentum, dieses mannhafte Ertragen des Schmerzes«.30 Ein »braver Landser« jammere nicht, ertrage alles »mit verbissenen Zähnen« und stehe »seinen Mann«.31 Um ihre Leser zu motivieren, den an sie gestellten Ansprüchen zu entsprechen, lobte das Blatt die wortkarge Art der deutschen Soldaten in Nordafrika und führte sie als Beweis dafür an, dass es sich um »ganze […] Kerle«32 handele. Für den Briefverkehr mit der »Heimat« wurde die Tugend des Schweigens zu einer soldatischen Pflicht. Denn Krieg und Tod gehörten im Zuge der Normierungen zu den Dingen, »ueber die der, der sie wirklich erlebt hat, am liebsten schweigt«.33 Soldaten, die in Briefen an die Angehörigen gefallener Soldaten Details über deren Tod beschrieben, wurden in der Oase regelrecht angeprangert und ihr Handeln als geschmacklos verurteilt.34 Da die Feldpost das »Herzstück der geistigen Kriegsführung« darstellte, wie es in einem Artikel des Chefredakteurs der Mitteilungen für die Truppe, Hans Ellenbeck, hieß, sollten sich die Soldaten diszipliniert zeigen. Dazu wiederholte er die vom Oberkommando der Wehrmacht im Februar 1942 herausgegebenen Anweisungen, »männliche, feste und klare Briefe«35 nach Hause zu schreiben. Ein »wirklich guter Soldat« äußere sich »über schwere oder auch drückende Erlebnisse nur mit grösster Zurückhaltung«, denn wer in Briefen jammere oder klage, sei »kein rechter Soldat«.36 Ein ein halbes Jahr später in der Oase veröffentlichtes Gedicht wiederholte den Anspruch. Es forderte die Soldaten unmissverständlich auf: »schreibt keine Jammerbriefe«.37 Vielmehr sollten die Soldaten in ihren Briefen »der Frau oder der Mutter daheim von dem harten, tapferen Geist der Front etwas mitzugeben«.38
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B.K., Nur das Beste für unsere Verwundeten. Aus der Arbeit eines Feldlazaretts in Nordafrika, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 3–4, S. 3. Ebd. Hans Welker, Moderne Karawanen. Soldaten afrikansicher Strassen, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 8. Martin Glaeser, Die Zeichen der Wüste. Heute in einem Wuestenloch … und morgen in einer verlausten Araberhuette, in: Die Oase 110, 1. März 1943, S. 4. Vgl. o. V., Geschmacklosigkeit. Briefe an die Hinterbliebenen, in: Die Oase 53, 2. November 1941, S. 4. Hans Ellenbeck, Die Kunst, Briefe zu schreiben, in: Die Oase 67, 9. April 1942, S. 2. Der Inhalt des Artikels entspricht den Mitteilungen für die Truppe, Nr. 176 des OKW vom Februar 1942, zitiert in: Frank Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg. Geschlechtsspezifische Dimensionen der Gewalt in Feldpostbriefen 1941–1944, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 283–294, S. 284. Auch die Mitteilungen für die Truppe, Nr. 223, bezog sich auf die Feldpost: »Ein echter Soldatenbrief, also ein Brief, aus dem harte Entschlossenheit spricht und die Einsicht, daß dieser schwere Krieg nun mal durchgepaukt werden muß, bis die Friedensstörer endlich klein beizugeben gezwungen sind.« Diese Quelle ist online einsehbar: Deutschrussisches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in Archiven der russischen Föderation (DRP), Bestand 500, Akte 70, OKW, Mitteilungen für die Truppe, Nr. 223, September 1942, S. 1, URL: https://wwii.germandocsinrussia.org/de/nodes/2208-akte-70-zusammenstellung -der-propagandistischen-bl-tter-mitteilungen-f-r-die-truppe-der-propa#page/335/mode/inspect /zoom/8 [19.10.2022]. Hans Ellenbeck, Die Kunst, Briefe zu schreiben, in: Die Oase 67, 9. April 1942, S. 2. Georg Büttel, Die Feldpost kommt!, in: Die Oase, 22. Oktober 1942, S. 11. DRP, OKW, Mitteilungen für die Truppe, Nr. 223, September 1942, S. 1.
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Zwar wurde mangelnde Männlichkeit innerhalb der Wehrmacht nur sanktioniert, wenn sie Ausdruck politischer Opposition war und »wehrkraftzersetzend« wirkte. Doch zeigt sich der Anspruch an die geforderte Männlichkeit sehr wohl in den Selbstzeugnissen der Soldaten.39 Sie klammerten ihre Gefühle angesichts der im Krieg erlebten Gefahren beim Schreiben meistens aus oder verschleierten sie. Statt Gefahren oder Ängste zu benennen, schrieben sie von der Hoffnung, verschont zu bleiben und gesund nach Hause zurückzukehren.40 Verletzungen wurden als aushaltbar beschrieben, um die Angehörigen nicht zu beunruhigen und sich gleichzeitig als »stiller Held« und soldatischer Mann zu zeigen.41 Dieses Aussparen höchst emotionaler Themenbereiche ist ein allgemeines Merkmal der Feldpost und traf nicht nur auf den Nordafrikafeldzug zu. Die eigentliche Stimmung und das wirkliche Erleben des Krieges waren für die Angehörigen, sowohl im Zweiten wie bereits im Ersten Weltkrieg, daher oft nur zwischen den Zeilen lesbar.42 Der junge Soldat Ludwig E. bemerkte dies selbst in einem Brief: »Da schreib ich ein bisschen vom Krieg. Es ist aber nicht das Richtige. Zwischen den Worten steht noch so viel, was nicht zu sagen und auszusprechen ist.«43 Die weiblichen Angehörigen und Empfängerinnen der Briefe, konnten die Gefühle ihrer Männer, Söhne oder Brüder vermutlich ohne explizite Nennungen erfassen. Denn sie waren an der »Heimatfront« Leiden ausgesetzt und damit bezüglich der Gefahren des Krieges nicht komplett unwissend.44 Zwar galten sie grundsätzlich als weich, doch sind Rollenbilder nicht statisch und können modifiziert werden. Daher konnten Frauen im Kontext des Krieges als männlich geltende Eigenschaften zugeschrieben werden. Von Müttern und Ehefrauen der Soldaten wurde deswegen ebenfalls erwartet, über eigenes Leid und Qualen zu schweigen. Wie die Soldaten nicht jammern durften, sollten sie ihren Ehemännern an der Front keine »Klagebriefe […], die Sorgen bringen«,45 schreiben, sondern seelische Unterstützung bieten, wie es in den Mitteilungen an die Truppe hieß.46 Derartige Ansprüche an die Ehefrauen vermittelte auch die Oase. Sie druckte
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Vgl. Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, S. 284–285; zu Männlichkeit in Feldpostbriefen auch Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 310–320. Vgl. etwa in einem Brief des Gefreiten Hans E., der zuvor die zahlreichen Angriffe während seiner Schiffspassage über das Mittelmeer thematisierte und mit den Worten endet: »Meine liebe Frau hoffentlich habe ich weiter so Glück und komme gut durch.« BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 22. Mai 1941. Vgl. beispielhaft MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. am 12. Juli 1942. Vgl. etwa Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 25–31. Siehe zum Ersten Weltkrieg etwa Christa Hämmerle, »An Expression of Horror and Sadness«? (Non)Communication of War Violence against Civilians in Ego Documents (Austria-Hungary), in: Martin Baumeister, Philipp Lenhard und Ruth Nattermann (Hg.), Rethinking the Age of Emancipation. Comparative and Transnational Perspectives on Gender, Family, and Religion in Italy and Germany, 1800–1918, New York/Oxford 2020, S. 309–331. MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E., Briefausschnitt von 1942. Vgl. zur äußeren und inneren Zensur Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, S. 25–31. So wird nicht nur der Zweite, sondern auch der Erste Weltkrieg manchmal als totaler Krieg bezeichnet, um die Auswirkungen auch auf die zu Hause Gebliebenen zu verdeutlichen, vgl. Silke Fehlemann, »Leidgemeinschaft«, S. 35–36. DRP, OKW, Mitteilungen für die Truppe, Nr. 223, September 1943, S. 1. Vgl. Marszolek, »Ich möchte Dich zu gern mal«, S. 41.
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etwa ein Gedicht, in dem sich das weibliche lyrische Ich als »[g]efasst und stark wie jede deutsche Frau«47 bezeichnete. Dass die Frauen diesen Forderungen nachkamen, legen die untersuchten Briefkonvoluten der in Nordafrika eingesetzten Soldaten nahe. Robert W. bewunderte beispielsweise seine Gattin »ob ihres stets zuversichtlichen Mutes« und fand es rührend, dass sie ihm Mut zusprach, »statt selbst zu klagen«.48 Als männlich geltende Eigenschaften wurden Frauen im Kontext des Zweiten Weltkrieges allerdings meist in Kombination mit als typisch weiblich geltenden Attributen zugesprochen. So bescheinigte die Oase den in Nordafrika eingesetzten Lazarettschwestern einerseits »Widerstandskraft, […] persoenliche[n] Mut und […] zaehe[n] Willen«.49 Gleichzeitig stellte das Blatt sie als umsorgend und den Soldaten im Lazarett durch ihr Lächeln Geborgenheit vermittelnd dar und betonte damit die klassischerweise Frauen zugesprochenen Eigenschaften.50 Die Regulierung von Emotionen und die Norm der »Härte« bezogen sich aber nicht nur darauf, bestimmte sprachliche Gefühlsäußerungen zu vermeiden. Körperliche Reaktionen, die mit als weich geltenden Gefühlen verbunden waren, sollten unterdrückt werden beziehungsweise im besten Fall nicht vorhanden sein. Dies veranschaulicht der zeitgenösische Diskurs über ein innerhalb militärischer Kreise bereits bekanntes Phänomen: das körperliche Zittern des männlichen Körpers im Krieg. Deutsche Nervenärzte hatten die psychischen Kriegsfolgen bei Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg debattiert. Damals hatte man gestritten, ob die Ursache des unkontrollierten Zitterns der Gliedmaßen allein im Erlebnis des Krieges zu suchen war oder ob das Zittern Ausdruck einer »erblich disponierten ›Minderwertigkeit‹ der Erkrankten« war, deren Psyche anfälliger für neurotische Krankheiten sei, da sie »nicht den festen Willen, heroisch zu bleiben«, hätten.51 Folglich galten Veteranen, die nach dem Kriegseinsatz unter psychischen Problemen litten, als »hysterisch«. Mit dieser Zuschreibung, die klassischerweise Frauen an-
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Vgl. Jo Baenge, An Dich in Afrika, in: Die Oase 54, 9. November 1941, S. 4. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 17. Januar 1942. August Hartmanns, Tapfere Schwestern in Afrika. Unsere guten Kameraden unterm roten Kreuz von El Alamein bis Tunesien, in: Die Oase 134, 2. Mai 1943, S. 3. Vgl. Ernst Bayer, Tapfere deutsche Schwestern, in: Die Oase 50, 12. Oktober 1941, S. 10; August Hartmanns:, Tapfere Schwestern in Afrika. Unsere guten Kameraden unterm roten Kreuz von El Alamein bis Tunesien, in: Die Oase 134, 2. Mai 1943, S. 3. Diese Ambivalenz der Weiblichkeit zeigt auch das Beispiel der Testpilotin Hanna Reitsch, die als erste Frau mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet worden war. Stets wurde sie lächelnd und ohne Uniform, stattdessen in Kleidung mit weicher Paspelierung am Ausschnitt, als zwischen militärisch und zivil changierende Figur dargestellt. Vgl. Katharina Menzel, »Frauen helfen siegen«. Frauenarbeit in der Fotopropaganda des Ersten und Zweiten Weltkrieges, in: Anton Holzer (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet: Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 71–96, S. 91. Vgl. Silke Fehlemann u.a., Psychiatrie – Politik – Wissenschaft. 175 Jahre psychiatrische Fachgesellschaften in Deutschland, Berlin 2017, S. 13, Zitate ebd. Siehe zu psychischen Leiden im Krieg auch Nicolas Funke, Gundula Gahlen und Ulrike Ludwig (Hg.), Krank vom Krieg. Umgangsweisen und kulturelle Deutungsmuster von der Antike bis in die Moderne, Frankfurt a.M. 2022, sowie Gundula Gahlen, Wencke Meteling und Christoph Nübel (Hg.), Themenschwerpunkt: Psychische Versehrungen im Zeitalter der Weltkriege. Portal Militärgeschichte, 5. Januar 2015, URL: https://www.po rtal-militaergeschichte.de/psychische_versehrungen [11.11.2022].
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haftete, wurden die ehemaligen Soldaten zugleich degradiert und ihnen ihre Männlichkeit abgesprochen.52 Die Oase interpretierte das Zittern als Zeichen mangelhafter soldatischer Eigenschaften. Dies kann aus mehreren Beiträgen geschlossen werden, die das Ausbleiben der körperlichen Reaktion als Beweis der soldatischen Ehre bewerten. So berichtete ein Artikel, in dem allgemein die Eigenschaften deutscher Soldaten hervorgehoben werden sollten, über »Landser«, denen angesichts des Todes von Kameraden durch feindliche Angriffe zwar das Herz krampfte, aber deren »Hände […] nicht gezittert«53 hätten. In einem bereits zuvor in der Feldzeitung veröffentlichten Beitrag über den Alltag der Soldaten im Sandsturm wird der Fahrer eines Lkw beschrieben, der zum ersten Mal feindlichen Beschuss erlebte. Er sei verstört gewesen und seine Hände hätten gezittert, doch gleich »hat er sich wieder in der Gewalt und lächelt etwas verlegen«.54 Eine kurze innerliche Gefühlsregung bei drastischen Ereignissen wurde den Soldaten in diesen Artikeln also zugestanden, zugleich aber bekräftigt, dass sich diese nicht langfristig äußerlich manifestieren durfte. Wie nachhaltig diese Normierung wirkte, zeigt sich in den Memoiren der Soldaten des Nordafrikafeldzuges. Adolf S., der in seinen Erinnerungen an den Krieg zwar die eigene Angst bei einem Angriff beschrieb, relativierte diese aber zugleich, indem er schrieb, er habe über einige junge, zitternde Soldaten lachen müssen.55 Ebenso verinnerlicht hatte Günther E. die Norm, Gefühlen der Angst und des Schocks keinen körperlichen Ausdruck zu verleihen. Er schrieb in seinen Memoiren nieder, dass er vor der »heldenhaften Bewährungsprobe […], die aus einem erst den rechtschaffenen Mann machte, […] zugestandenerweise innerlich erheblich zitterte«.56 Er traute sich also nach dem Krieg von seinen Gefühlen zu berichten, doch körperlich sichtbare Folgen wollte er noch in der Retrospektive nicht gehabt haben. Stattdessen attestierte er sich mit der Beschreibung des lediglich inneren Zitterns selbst die Fähigkeit, Körper und Gefühle unter Kontrolle gehabt zu haben und dem Rollenbild gerecht geworden zu sein. Die Quellen aus dem Kontext des Nordafrikafeldzuges bestätigen damit die Ergebnisse anderer Forschungsarbeiten: Vorstellungen von Männlichkeit und dazugehörige Normierungen von Körper und Emotionen waren während und nach dem Krieg bei der Deutung der Kriegserlebnisse von wesentlicher Bedeutung.57 52
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Vgl. Sandra Maß, Das Trauma des weißen Mannes. Afrikanische Kolonialsoldaten in propagandistischen Texten, 1914–1923, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 12 (2002) 1, S. 11–33, S. 19. Rudolf Pörtner, So sind sie – unsere Landser. Der deutsche Soldat nach drei Jahren Krieg, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. Fritz Schneider, Posten im Sandsturm. Aus unsrem Alltag, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 10. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1.2), Günther E., Davongekommen, S. 142. Die Rolle von Männlichkeitskonstruktionen bei der Herausbildung der Kriegserfahrung haben bereits andere Arbeiten als zentral herausgearbeitet, vgl. etwa Murken, Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug; Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg. Zu Geschlecht und Erfahrung vgl. Marguérite Bos, Bettina Vincenz und Tanja Wirz, Auseinandersetzung mit einer Debatte um einen vielschichtigen Begriff, in: dies. (Hg.), Erfahrung: Alles nur Diskurs? Zur Verwendung des Erfahrungsbegriffs in der Geschlechtergeschichte, Beiträge der 11. Schweizerischen HistorikerInnentagung 2002, Zürich 2004, S. 9–21.
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5.2 Körperdisziplin in Nordafrika Das Beispiel des Zitterns zeigt, dass die Disziplinierung des eigenen Körpers wesentliches Element der Norm der Härte war. Wie diese war auch Disziplin als solche ein Schlüsselbegriff der soldatischen Männlichkeit und wirkte sich im 20. Jahrhundert zu Kriegszeiten gesamtgesellschaftlich aus.58 Die Tugenden der Härte und Selbstdisziplin bekamen im Nordafrikafeldzug aufgrund der schlechten Versorgungslage und der extremen Witterungsbedingungen besonderes Gewicht. Denn neben der Disziplin im Gefecht waren vor allem die physische Widerstandsfähigkeit und körperliche Belastbarkeit innerhalb des Kriegsraumes Teil der männlichen Härte.59 An allen Fronten bedeutete Widerstandsfähigkeit zugleich die Disziplinierung des Körpers angesichts der Umweltbedingungen und der unzureichenden Verpflegung. In Nordafrika erforderte die mangelhafte Wasserversorgung großen Verzicht von den Soldaten. Um einen disziplinierten Umgang mit Trinkwasser zu fördern, bereitete die Feldzeitung die Männer in ihren Artikeln auf drohenden Wassermangel vor, erklärte die Umstände der Wasserversorgung in der Wüste oder stellte in Geschichten und Erzählungen Vorbilder für einen disziplinierten Umgang mit dem Wasser zur Verfügung.60 Zudem wurde die Wasserdisziplin gelobt, welche die Soldaten analog zur Feuerdisziplin entwickelt hätten. Nicht nur würden sie genau überlegen, wann es sinnvoll sei, einen Schuss abzugeben, ebenso würden sie nur überlegt von den knappen Wasservorräten trinken und auf unnötigen Wasserverbrauch gut verzichten können.61 Der erfolgreiche Umgang mit der Wasserknappheit wurde in dieser Interpretation zu einem Beweis der Leidenskraft und geistigen Haltung der Soldaten. Damit konnten die eigentlichen Leiden der Soldaten und die schlechte Versorgung zu einem Ausweis der Disziplin der Soldaten umgedeutet und ihnen somit das Prädikat der soldatischen Männlichkeit verliehen werden. In derselben Weise verfuhr die Propaganda mit den Problemen der Hygiene, die sich ebenfalls aus dem Wassermangel ergaben. Das Aushalten der unhygienischen Zustände deutete sie zu einem freiwilligen Verzicht der Soldaten um und stilisierte sie zu Tapferkeit.62 Bereits in der ersten Ausgabe der Oase erklärte der Kriegsberichterstatter Willi Körbel, die Soldaten wüssten, »das kostbare Nass wird für Wichtigeres gebraucht als zum täglichen Rasieren«.63 In einem später erschienenen Artikel wurde ein Oberstleutnant zitiert, der den Umstand, dass er und seine Truppen sich in den »50 Tagen der
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Vgl. Seifert, Identität, Militär und Geschlecht, S. 60–62; siehe auch: dies., Militär, Kultur, Identität: Individualisierung, Geschlechterverhältnisse und die soziale Konstruktion des Soldaten, Bremen 1996, S. 39. Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 141. Vgl. etwa Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für AfrikaSoldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7; Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2. Zu den Umständen der Wasserversorgung vgl. besonders die Artikel von Oberleutnant Tripp, Naturkunde für den Afrikakämpfer. Wasser und Wüste, in: Die Oase 83, 30. Juli 1942, S. 4; ders., Kreislauf des Wassers in der Wüste, in: Die Oase 84, 6. August 1942, S. 4; ders., Die Entstehung der Oase, in: Die Oase 86, 20. August 1942, S. 4. Vgl. Art., Panzer im Ghibli, in: Die Oase 65, 2. April 1942, S. 5. Vgl. o. V., Unsoldatische Gegner, in: Deutsche Wehr 46. (1942) 38, S. 573–574. Willi Körbel, Deutschlands neue Front!, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1.
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schwersten Kämpfe im November und Dezember« des vergangenen Jahres »überhaupt nicht gewaschen« hätten, mit einem Lachen erzählt.64 Mit der nötigen Disziplin und der richtigen Haltung, so suggerierten solche Beiträge den Soldaten, konnten die Beschwerlichkeiten des Krieges von echten Soldaten leicht ertragen werden. Neben humoristischer Unterstützung der Soldaten beschwor die Feldzeitung stets die Härte der Soldaten angesichts der Herausforderungen der Umwelt. Die »natürlichen Feinde« wurden in der Oase als besiegbar erklärt und behauptet, dass die Umwelt kein Hindernis für den Krieg darstellte. Vor allem zu Beginn des Krieges erklärte die Oase, die Soldaten würden den Widrigkeiten der Umwelt mit einem »nie erlahmende[n] Wille[n] und de[m] Einsatz grosser Kräfte«65 begegnen. Sie würden »trotz unbarmherziger Hitze unentwegt kämpfen«,66 und selbst ein Naturereignis von gewaltigem Ausmaß, wie der gefürchtete Ghibli, würde die deutschen Truppen nicht von einem Angriff abhalten. Denn »[d]er Befehl war klar. Trotz Sandsturm wird angegriffen!«,67 lobte Ernst Bayer. Nicht nur den Anspruch der Härte kommunizierte die Feldzeitung. Zugleich beschworen die Verfasser der Artikel stets, die besondere Härte der Kampfhandlungen in Nordafrika, die sich nicht zuletzt aus den Besonderheiten des Raumes ergeben habe. Die Oase betonte mehrfach, dass der Kampf in Nordafrika »äusserst hart«68 und es »ein einfaches und hartes Leben«69 sei, das die Soldaten hier führten. Doch die deutschen Soldaten hätten gelernt, damit fertig zu werden. So seien die Gefechte um Tobruk »ein unerhört harter Kampf« gewesen, in dem die Soldaten »hart geworden« seien »gegen die Tücken der klimatischen Verhältnisse und gegen die unerhörte Wirkung aller Waffen in diesem deckungslosen Felsgelände«.70 Indem der gesamte Krieg und der Kriegsraum als außergewöhnlich hart bezeichnet wurden, sprach die Zeitung indirekt den dort kämpfenden deutschen Soldaten Härte zu. So hieß es, der Kampf in Nordafrika sei »äusserst hart«71 und die Soldaten führten »ein einfaches und hartes Leben«.72 Mit diesem hätten die Wehrmachtsangehörigen jedoch umzugehen gelernt: Gerade die Härte des Kampfes und der Dienst im Kriegsraum Nord-
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Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Einen ähnlichen Artikel schrieb Bayer für die Zeitschrift Jambo: Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, siehe vor allem S. 66. Karlheinz Holzhausen, Sturzbomber greifen bei Sollum ein. Wirksamer Angriff auf britische LKW’s und Panzerkolonnen, in: Die Oase 37, 29. Juni 1941, S. 2. Ernst Bayer, Tief in den Feind hineingestossen. Aus der Serie: P.K.-Männer waren dabei, in: Die Oase 24, 10. Mai 1941, S. 2. Bruno Káldor, Unser italienischer Kamerad, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1–2, S. 1. Vgl. auch Hanns Gert Esebeck, Wie El Brega in unsere Hand fiel, in: Die Oase 8, 5. April 1941, S. 1. Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. Art., Festung Tobruk gefallen. 25 000 Mann und mehrere Generale geangen – Bardia und El Gobi genommen, in: Die Oase 78, 25. Juni 1942, S. 1, Hervorhebungen durch die Autorin. Bruno Káldor, Unser italienischer Kamerad, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1–2, S. 1. Vgl. auch Hanns Gert von Esebeck, Wie El Brega in unsere Hand fiel, in: Die Oase 8, 5. April 1941, S. 1. Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
afrika hätten die Soldaten erst »zu ganzen Kerlen gemacht«.73 Somit wurde der Kriegsraum gemeinsam mit dem Krieg von einer Bedrohung in einen Ermöglichungsraum umgedeutet. Gerade weil er die Disziplin und Härte der Soldaten nötig machte, so die Deutung der Feldzeitung, konnten die Soldaten erst die geforderten Tugenden erlangen. Der gesamte Kriegsraum galt damit als »Szenario der Männlichkeit«,74 das sinnstiftend für die Soldaten im Krieg war. Diese Form der Umdeutung des Kriegsraumes und die Konstruktion einer soldatischen »Front-Männlichkeit« über die Natur fanden nicht allein in Nordafrika statt. An der Ostfront war die Härte ebenfalls das Leitbild soldatischer Männlichkeit, die mit Hilfe der Selbstverortung der Soldaten »in einer als ausgesprochen hart empfundenen Umwelt«75 herausgebildet wurde. Die Deutung des Kriegsraumes als Raum der Härte war allerdings im Nordafrikafeldzug besonders wirkungsmächtig, da der Kriegsraum schon vorab als ein Ermöglichungsraum imaginiert worden war. Die Vorstellungen von einem Raum des (kolonialen) Abenteuers, die unter den Soldaten vor dem Einsatz verbreitet gewesen waren, waren direkt anschlussfähig für die Deutung als Raum der harten Männlichkeit während des Krieges – zumal sich die Soldaten auf diese Weise in die Tradition der sogenannten deutschen Kolonialkrieger einschreiben konnten, in der sie von der Öffentlichkeit gesehen wurden. Denn auch innerhalb der »Schutztruppe« Lettow-Vorbecks war die Natur als Raum gesehen worden, der die Männlichkeit und Härte der Soldaten formte.76 Die Norm der soldatischen Härte vermittelte die Oase sprachlich und visuell. Ein im Oktober 1941 abgedrucktes Foto zeigt sechs in einer Reihe angetretene Soldaten. Sie tragen Uniform, Tropenhelm und Staubbrille und blicken nach links aus dem Bild hinaus. In der Bildunterschrift werden sie als die Prototypen der deutschen Soldaten in Nordafrika ausgegeben: »Hart und entschlossen warten die Afrikakämpfer auf neue Aufgaben.«77 Die Gesichter der abgebildeten Männer lassen keine Regung erkennen und verweisen damit auf das geltende Emotionsregime. Der gewählte Bildausschnitt, der von den Körpern der Soldaten nur die Köpfe zeigt, die mit den schweren Helmen und den Staubbrillen eine zentrale Linie quer durch das Foto bilden, unterstreicht die in der Bildunterschrift genannte Härte zusätzlich. Aufnahmen des PK-Fotografen Eric Borchert verdeutlichten ebenfalls die Verbindung von harter Männlichkeit und Kriegsraum in der Oase. Seine in einer Fotoreportage zum Kriegsalltag in Nordafrika abgedruckten Bilder zeigen im Sandsturm laufende Soldaten oder Staub aufwirbelnde »Krads« und Panzer inmitten von Sand und Staub.78 In seiner Bildsprache knüpfte Borchert an die Traditionen der Kriegsfotografie aus dem Ersten Weltkrieg an, in der neben Aufnahmen von Gruppen oft einzelne Soldaten fotografisch aus der Truppe herausgelöst und als Einzelhelden darge-
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Hans Welker, Moderne Karawanen. Soldaten afrikanischer Strassen, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 8. Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, S. 286. Ebd. Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 136–139. Vgl. o. F., Hart und entschlossen warten die Afrikakämpfer auf neue Aufgaben, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 1–2. Eric Borchert, So leben wir … so leben wir alle Tage!, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 6.
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stellt wurden. Typisch waren Großaufnahmen, die einen Soldaten in Uniform, oft mit Helm im Profil zeigen und »Tatkraft und Entschlossenheit zum Ausdruck« brachten.79
Abbildung 2: Fotografie aus einem Bildbericht von Eric Borchert, So leben wir … so leben wir alle Tage!, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1.
Die Aufnahme zweier Soldaten, die mit der »Sonnenbrille vor den brennenden Augen«, das »Gewehr fest in der Hand« haltend, »geisterhaft durch die Wüste« stürmen, wie es in der Bildunterschrift heißt, ist an derartige Soldatenporträts angelehnt (vgl. Abb. 2). Auf dem Bild sind die Belastungen des Kriegsraumes ersichtlich. Um die Soldaten, die einen Mundschutz gegen den Staub tragen, ist der Sand aufgewirbelt, der das Bild trübt. Zugleich vermittelt die Aufnahme den Eindruck von Entschlossenheit, denn indem die beiden Soldaten in leicht nach vorn gebeugter Haltung abgebildet sind und der
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Vgl. Anton Holzer, Den Krieg sehen. Zur Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkrieges, in: ders. (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet: Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 57–67, S. 63.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Soldat im Vordergrund nur angeschnitten ist, wirkt es, als würden sie schnellen Schrittes in das Bild hineinlaufen. Derartige Aufnahmen lenkten den Blick der Soldaten auf ihre eigenen Körper und vermittelten ihnen eine Haltung der Härte.80 Zusätzlich machten die Bildunterschriften die Erwartung deutlich, dass sich die Soldaten nicht von den Herausforderungen des Kriegsraumes unterkriegen lassen durften. So erläuterte der Text unter einem anderen, in derselben Ausgabe der Feldzeitung abgedruckten Bild, dass im Krieg das Leiden an der Umwelt auszuhalten ist: Der Ghibli rast über die Wüste dahin, macht jeden Schritt zu einer riesigen Anstrengung, verdeckt das Land mit einem undurchsichtigen Dunstschleier, den nicht einmal die Sonne durchdringt. Der Angriff gegen den Ras Medauura wird trotzdem fortgesetzt!81 Die überlieferten Selbstzeugnisse dokumentieren, dass die in der Zeitung vermittelten Deutungen des Kriegsraumes von den Soldaten internalisiert wurden. In ihren Briefen stellten sie die eigene Härte im Kriegsraum heraus. Etwa bekräftigten sie, dass ihnen diese neue Umgebung körperlich »nicht das Geringste«82 oder »Anstrengungen solcher Art nicht viel ausmachen«.83 Solche Äußerungen sind nicht als komplette Relativierung vorangegangener Beschreibungen der Leiden an den hohen Temperaturen oder der Qualen durch Sandstürme zu verstehen, sondern fügten der Erzählung eine weitere Dimension hinzu. Die zahlreichen detaillierten Beschreibungen schrieben die Soldaten nicht nur nieder, um ihr Herz auszuschütten, sondern sie wollten damit ebenso vermitteln, dass sie körperlich und mental stark genug waren, um diesen Bedingungen zu trotzen. Dabei konnten sich die Soldaten immer wieder beim Lesen der Feldzeitung rückversichern, dass ihr Leiden einen Sinn hatte, und sich an den vorgegebenen Deutungsmustern orientieren. Indem sie die vorgegebenen Normen selbst formulierten, konnten sie sich selbst die Eigenschaft der Härte zuschreiben und dadurch ihre negativen Erlebnisse kompensieren. Daher beteuerten sie ihre Durchhaltekraft mit ähnlichen Worten, wie sie in der Feldzeitung verwendet wurden. Weder das heiße Klima noch die Sandstürme könnten militärische Erfolge verhindern, versuchte etwa der Gefreite Siegfried K. in einem Brief an seine Eltern zu vermitteln. »[A]uch so etwas kann uns nicht aufhalten. Wir erreichen jeden Tag unser vorgeschriebenes Ziel.«84 In der Gegenüberstellung der Widrigkeiten der natürlichen Umwelt mit der Durchhaltekraft der Soldaten betonte er die militärische Leistung der Soldaten, die ihre soldatischen Pflichten trotz der Umstände erfüllten. Mit den Formulierungen »uns« und »wir« schrieb sich Siegfried K. dabei in die Gemeinschaft der Soldaten als eine standhafte Männergemeinschaft ein.
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Zur Erziehung des Blicks auf Körper mit bildnerischen Mitteln vgl. Diehl, Körperbilder und Körperpraxen, S. 28. Vgl. Bildunterschrift Hanns Gert von Esebeck, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 4. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 16. Februar 1943. MSPT, 3.2017.467.0, Hans O. an seine Ehefrau am 20. Februar 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Gefr. Siegfried K. an seine Eltern am 9. Mai 1941.
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Dass das Aushalten der Alltagsbedingungen des Kriegsraumes als Kennzeichen von Männlichkeit verstanden wurde, zeigt die in den Quellen dokumentierte Praktik der Wehrmachtsangehörigen, ihren Fahrzeugen Namen zu geben. In einem Schreiben der Wehrgeologenstelle 12 vom 20. Mai 1942 wurden Kraftfahrzeuge, die mit den Umweltbedingungen nicht zurechtkamen, Frauennamen gegeben. »›Grete‹ ist ein sehr unzuverlässiges und störrisches Frauenzimmer geworden, und mit ›Suse‹ ist überhaupt nicht zu rechnen. ›Lotte‹ liegt immer noch in Bengasi«,85 beklagte sich der Verfasser. Umgekehrt berichtete die Oase, dass einer der Fahrer ein sehr zuverlässiges Fahrzeug Emil taufte.86 Die Belege sind ein weiterer Hinweis darauf, wie stark das Aushalten und Bewältigen der räumlichen Bedingungen als männlich interpretiert wurde, ohne dabei zu reflektieren, dass die Frauen der lokalen Bevölkerung durchaus mit den Bedingungen des Kriegsraumes zurechtkamen. Nicht nur in Abgrenzung von Weiblichem beziehungsweise als weiblich geltenden Eigenschaften, sondern auch im Spannungsfeld zwischen Abgrenzung und Vergleich mit anderen Männern, wie den Kameraden,87 bestimmte das Aushalten der Raumbedingungen in Nordafrika, insbesondere die Länge des Einsatzes, die Zugehörigkeit zur hegemonialen Männlichkeit. Denn aufgrund der bereits etablierten Vorstellung vom Militär als »Schule der Männlichkeit«88 wurde davon ausgegangen, dass sich die Soldaten erst im Kriegseinsatz beweisen mussten, bevor sie zu vollwertigen Mitgliedern der »Gemeinschaft der Kämpfer«89 wurden. Klassischerweise galt die »Feuertaufe« als eine Art Initiationsritus, den jeder durchmachen musste, um ein »richtiger Soldat« zu werden.90 Die erste Feindberührung wurde als ein seelisch belastendes Erlebnis anerkannt.91 Die Kontrolle und Überwindung der Gefühle ließen einen jungen Mann im Kriegseinsatz aus Sicht der damaligen Wehrpsychologen reifer und männlicher werden.92 Die Deutung des Krieges als Ort, an dem Männlichkeit entstand, gab die Oase wie93 der und war von den Soldaten verinnerlicht. Der junge Soldat Ludwig E., der sich von seinem Einsatz in Nordafrika die Erlangung von Härte erhoffte, glaubte, dass vielleicht »der Kampf aus dem halben Bub einen Mann«94 mache. Nach seiner Ernennung zum 85 86 87 88
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Vgl. Häusler, Wehrgeologie im nordafrikanischen Wüstenkrieg, S. 99f., allerdings ohne eindeutige Quellenangabe. Vgl. Ernst Bayer, Das Hohelied des deutschen Kraftfahrers, in: Die Oase 37, 29. Juni 1941, S. 3. Vgl. Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 10. Diese Redewendung prägte der Philosophieprofessor Friedrich Paulsen 1902, vgl. Ute Frevert, Das Militär als Schule der Männlichkeiten, in: Ulrike Brunotte und Rainer Herrn (Hg.), Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, Bielefeld 2015, S. 57–75, S. 57. Vgl. dazu auch dies., Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Thomas Kühne (Hg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a.M./New York 1996, S. 69–87, S. 82; dies., Kasernierte Nation, S. 228–245. Politsch, Die Feuertaufe im Vorstellungsleben von Rekruten des deutschen Heeres, in: Soldatentum, 8 (1941) 3, S. 71–75, S. 71. Vgl. ebd., S. 72. Siehe zur Feuertaufe und Mannwerdung auch Kühne, Kameradschaft, S. 144f. Vgl. Broermann, Ueber das Erlebnis der Feuertaufe, in: Soldatentum 8 (1941) 3, S. 66–68, S. 67. Politsch, Die Feuertaufe, S. 72. Vgl. Rudolf Pörtner, So sind sie – unsere Landser. Der deutsche Soldat nach drei Jahren Krieg, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an seine Mutter am 15. April 1942.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Gruppenführer war er stolz, dass damit alle gemerkt hätten, dass er »nicht nur ein Bub«, der »Pimpfe führen« könne, sondern auch »ein Mann und Vorbild« sei.95 Der fünf Jahre ältere Hans P. war ebenalls überzeugt, dass die Feuertaufe in Nordafrika echte Männer und Soldaten herausbildete. In seinem Tagebuch notierte er nach dem ersten durchgestandenen Angriff über seine »Jungens«, dass diese nach dem ersten Gefecht »ernst, härter als sonst« gewesen seien. Bisher habe er »immer das jungenhafte Wesen an ihnen bestaunt. Es schien wie weggeblasen. Männer standen vor mir.«96 Die Länge des Einsatzes in Nordafrika wurde aufgrund der als außergewöhnlich beschwerlich wahrgenommenen Umstände des Kriegsraumes zu einem besonderen Ausweis der soldatischen Männlichkeit erhoben. Wer bereits seit den ersten Wochen des Krieges im Februar 1941 in Nordafrika dabei war, gehörte zur Gruppe der »alten Afrikaner«.97 Sie sprachen sich besondere Durchhaltekraft zu, wohingegen sie davon ausgingen, dass die später eingetroffenen Soldaten den Herausforderungen nicht gewachsen wären. »Mit unserem Ersatz[,] der in den Monaten April, Juni und August ankam[,] ist es ja Sch…! Die Kerle sind ein paar Wochen hier, dann kippen sie um. Die meisten davon sind wieder in Deutschland«,98 klagte Karl B. in einem Brief an seine Familie. Ebenso unterstellte Robert W. den Soldaten, die nicht von Beginn an am Feldzug beteiligt waren, ein geringeres Durchhaltevermögen. »Wir alten, vom Februar, haben uns bis jetzt noch am besten gehalten. Die jungen Springer, die wir später als Ersatz bekommen haben, sind zum größten Teil auch schon wieder verschwunden.«99 Robert W. war ebenfalls unter den ersten in Nordafrika gelandeten Truppen gewesen und grenzte sich deshalb von später eingetroffenen Einheiten ab. Wie im Sport herrschte im Krieg eine hierarchische Wettbewerbsstruktur. Dies galt für den Vergleich mit gegnerischen Truppen ebenso wie innerhalb der eigenen Einheiten.100 Sieger des Wettkampfs in Nordafrika waren die Soldaten, die am längsten und heftigsten den Bedingungen des Kriegsraumes ausgesetzt waren. Damit wurde ein klassisches Muster der Konstruktion von Männlichkeit wirksam: Die Soldaten distanzierten sich nicht nur von Frauen und als weiblich geltenden Rollenzuschreibungen, sondern stellten ihre Männlichkeit auch durch Abgrenzung von anderen, als weniger männlich geltenden Männern heraus.101 Derartige Gruppenbildungen innerhalb der Truppen führten vermutlich mit dazu, dass Veteranen des Zweiten Weltkrieges im Nachhinein
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MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an eine Bekannt am 7. Juli 1942. Privatbesitz der Familie, Abschrift der Kriegstagebücher Hans P., Eintrag vom 3. März 1942, S. 5. E. G. Dickmann, Unser sechsbeiniger Feind. Kleine Belehrung über die afrikanische Wüstenfliege, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. 98 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 14. September 1942. 99 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. November 1941. 100 Vgl. Connell, Der gemachte Mann, S. 55. Vgl. auch Michael Meuser, Distinktion und Konjunktion. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb, in: Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter und Gerd Schwerhoff (Hg.), Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012, S. 39–48. 101 Vgl. Meuser, Distinktion und Konjunktion, S. 41.
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das unter Wehrmachtssoldaten als »Kameradschaft« bezeichnete Gemeinschaftserlebnis anzweifelten.102
5.3 Körperliche und materielle Zeichen der Männlichkeit In Nordafrika wurde neben den Erfahrungen im Gefecht vor allem die »Härte« des Kriegsraumes als Auslöser echten Soldatentums angesehen. Erst sie habe die Soldaten »zu ganzen Kerlen gemacht«103 und die Kämpfe in diesem Kriegsraum »den wirklichen Afrikakämpfer geformt«.104 Nur wer Sonne, Hitze und Sand, Kälte, Regen, Fliegen und Krankheiten auf Dauer aushielt, konnte sich zur Gruppe der erfahrenen Kämpfer zählen. Daher wurden körperliche und materielle Verschleißerscheinungen, die einerseits das Ausgeliefertsein im Raum symbolisierten, zu Insignien der Männlichkeit und Gruppenzugehörigkeit umgedeutet: Die von mangelnder Versorgung und Hygiene ausgezehrten und verschmutzten Leiber oder wuchernde Haare standen im Kontext der Härte nicht mehr für die Unterlegenheit der soldatischen Körper im nordafrikanischen Kriegsraum. Nun bezeugten sie als in die Körper der Soldaten eingeschriebene Zeichen deren Männlichkeit und Härte. Die aufgrund der wenigen Gelegenheiten zur Körperpflege gewachsenen »ueppige[n] Baerte«105 wurden als »Wüstenbart«106 zu einem Auszeichnungsmerkmal der Soldaten in Nordafrika. Diese Interpretation machte das Barttragen geradezu beliebt. So bezeichnete der der Stabsfeldwebel Adolf Schreiber von der Sanitäts-Ersatz-Abteilung 12 seinen Vollbart als »zünftig«.107 Ein Artikel der Oase von Mai 1942 beschrieb, wie ein Soldat »den ersten Vollbart seines Lebens«108 geradezu liebevoll betrachtete. Die Umdeutung des Bartwuchses vom Zeichen des Ausgeliefertseins in ein Zeichen des Aushaltens der schlechten Hygienebedingungen funktioniere, weil in Gesellschaften mit klarem Geschlechterdualismus der Bartwuchs traditionell als biologisches Zeichen von Männlichkeit und Stärke gesehen wird.109 So fungierte der Bart bereits bei den
102 Vgl. zu Nordafrika: Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, 2005, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-kriegsalltag-in-nordafri ka-1942 [05.06.2019]. Siehe allgemein auch Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 3–4. 103 Hans Welker, Moderne Karawanen. Soldaten afrikanischer Strassen, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 8. 104 Art., Festung Tobruk gefallen. 25 000 Mann und mehrere Generale geangen – Bardia und El Gobi genommen, in: Die Oase 78, 25. Juni 1942, S. 1, Hervorhebungen durch die Autorin. 105 Martin Glaeser, Die Zeichen der Wüste. Heute in einem Wuestenloch … und morgen in einer verlausten Araberhuette, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 4; vgl. auch das Gedicht von PK Moosmüller, Alltag in der Wüste, in: Die Oase 47, 21. September 1941, S. 3. 106 Heinrich Brüssler, Wuestennacht im Igel, in: Die Oase 60, 19. Februar 1942, S. 4. 107 BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 82. 108 Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2. 109 Vgl. zum Bart als Zeichen von Männlichkeit Mahret Kupka, »Wann ist ein Mann ein Mann?« Der Bart in Mode und Werbung als Ausdruck männlicher Sehnsucht nach Initiation, in: Jörg Scheller und Alexander Schwinghammer (Hg.), Anything grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Be-
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alten Ägyptern als Herrschaftssymbol.110 Im Militär war der Bartwuchs im zumindest 19. Jahrhundert akzeptiert und wurde als Zeichen für Kraft und andere männliche Tugenden eines Soldaten gedeutet.111 Diese Interpretation konnten die Soldaten aufgreifen und auf ihre Lebenswelt im Krieg übertragen. Damit war der Bart im Nordafrikafeldzug nicht nur ein Ergebnis der fehlenden Wasserversorgung, sondern gleichzeitig ein Zeichen echter, erprobter und bewiesener Männlichkeit – im Sinne biologischer Reife und als Beleg für das Aushalten der Anforderungen des Krieges im Sinne der Härte. Beim Vergleich der Ausführungen über den Bartwuchs in den Selbstzeugnissen der Soldaten sowie der Bemerkungen und Karikaturen über die langen Bärte in der Feldzeitung mit fotografischen Aufnahmen fällt allerdings eine Diskrepanz ins Auge: Zumindest auf den von der Verfasserin gesichteten Fotografien aus dem Nordafrikafeldzug sind meist glattrasierte oder lediglich einen Schnauzer tragende Soldaten zu sehen. Zudem wurde das Rasieren von Wehrmachtssoldaten eigentlich erwartet und in einem Bericht über den Nordafrikafeldzug ist die Rede von einem Verbot zum Tragen von Bärten, aufgrund dessen der Schreiber selbst seinen Bart »schweren Herzens« abnahm.112 Es ist daher davon auszugehen, dass die Soldaten in ihren Beschreibungen des Bartwuchses übertrieben, um einerseits die schlechte Hygienesituation zu verdeutlichen und um andererseits über die Umdeutung der Bärte ihre Selbstbilder als Soldaten und Männer zu stabilisieren. Ähnlich wie Bärte als Zeichen des Durchhaltens interpretiert wurden, galten ergraute Haare als Zeichen der durchgestandenen Kriegserlebnisse,113 dauerhafte Durchfallerkrankungen114 als Symbol für die ausgehaltenen Strapazen. Auch die von der Sonneneinstrahlung gezeichnete Haut wurde zu einem Erkennungssmerkmal soldatischer Männlichkeit in Nordafrika. Denn wie an anderen warmen Einsatzorten, hielten sich die Soldaten nicht an strenge Kleidervorschriften und trugen meist nur kurze oder offene Kleidung.115 Daher hatten vor allem die sich bereits einige Zeit im Einsatz befindlichen Männer im Gegensatz zu Neuankömmlingen eine stark gebräunte Haut.
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deutung des Bartes, Stuttgart 2014, S. 65–83, S. 68. Siehe auch Joseph Imorde, Requisit des Widerstands, Zierde der Krieger. Zur Kultur, Politik und Mediatisierung des deutschen Bartes im langen 19. Jahrhundert, in: Jörg Scheller und Alexander Schwinghammer (Hg.), Anything grows. 15 Essays zur Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes, Stuttgart 2014, S. 25–48, darin zu Bart/Kraft S. 25. Vgl. Kupka, »Wann ist ein Mann ein Mann?«, S. 72. Vgl. Imorde, Requisit des Widerstands, Zierde der Krieger, S. 36f. BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 82. Vgl. LHAKo Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 29. Juni 1941. In der Oase wurden daher die Neuankömmlinge auf dem Kriegsschauplatz kritisiert, die sich nach den ersten Erfahrungen mit der Ruhr oder anderen Darmerkrankungen »schon selber für einen ›alten Afrikaner‹« hielten, vgl. E. G. Dickmann, Unser sechsbeiniger Feind. Kleine Belehrung über die afrikanische Wüstenfliege, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941 und am 5. Juni 1941; Eric Borchert, Weisst Du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5. Die kurzen Hosen der Tropenuniform waren die ersten dieser Art für die Wehrmacht, vgl. o. V., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 132.
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Robert W. berichtete seiner Frau stolz, dass sich beim Baden im Meer die neu eingetroffenen Soldaten äußerlich von ihm und seinen Kameraden unterschieden: »Unsere Jungens durchweg beinahe schwarzbraun und dazwischen diese weißen Gestalten. Es sah ja direkt gemein aus. Uns fällt es untereinander gar nicht mehr auf, weil alle gleich aussehen.«116 Er definierte die Zugehörigkeit zu den wirklichen Soldaten also über den Bräunungsgrad der Haut. Je gebräunter ein Soldat war, desto länger hatte er durchgehalten und umso größer mussten seine Härte und Männlichkeit sein. Die Bräunung war den Soldaten als körperliche Auszeichnung so wichtig, dass sie bewusst nachhalfen. Manch einer betrieb »Nacktkultur«117 und lief »im Adamskostüm«118 herum oder sonnte sich in der Badehose.119 Dieses Verhalten war so häufig, dass in einem Entwurf eines Merkblattes für das Verhalten im Kriegseinsatz in Libyen vor dieser Praktik gewarnt wurde, denn sie berge die Gefahr »schwerster Sonnenbrände«. Dem Verfasser Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel der Sanitäts-Ersatz-Abteilung 12, war bekannt, warum die Soldaten sich sonnten: »Die tiefbraune Hautfarbe, die Du ersehnst, erhälst [sic!] Du auch ohne stundenlange Sonnebäder [sic!].«120 Die gebräunte Haut war für die Soldaten nicht nur ein Beleg ihres allgemeinen Durchhaltens im Krieg. Weil das Aushalten von Hitze und Sonne als besonderes Merkmal des Einsatzes in Nordafrika galt, war sie ein Beweis des Aushaltens dieses speziellen Krieges und damit ein Zeichen der Gruppenzugehörigkeit. So schrieb der Propagandakompanie-Angehörige Ernst Bayer in einem Artikel in der Feldzeitung: »Tage nun liegen die Landser schon im Sand. Sie sind schon richtige ›Afrikaner‹ geworden. Braun gebrannt die Gesichter, sie stehen sich schon gut mit dieser Erde, die ihnen nun Stellung, Lebensraum und Bett geworden ist.«121 Die Hautbräunung stand damit für das Aushalten der besonderen Merkmale dieses Krieges, so dass darüber eine gemeinschaftliche Identität harter Soldaten herausgebildet werden konnte. In diesem Sinne bezeichnete Claus Dörner die von der Sonne ledrige Haut und helle Augen als die körperlichen Merkmale eines »Rommelsoldat[en]«.122 Wie der Bart wurde also das innerhalb einer Bedrohungssituation entstandene körperliche Merkmal der Haut in eine Auszeichnung umgedeutet. Robert W. hatte dieses Deutungsmuster verinnerlicht und war deshalb stolz auf seine von der nordafrikanischen Sonne gebräunte Haut. In einem Brief teilte er seiner Frau mit, er wollte gerne einmal mit ihr ein deutsches Schwimmbad besuchen, da er dort sofort als Soldat des
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MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juli 1941. Albert Heinrichs, Afrikanisches Landser-ABC, in: Die Oase 92, 1. Oktober 1942, S. 9. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. Februar 1942. Vgl. Gefr. Sattler, Bei uns in Afrika. Soldaten erzaehlen von Front und Ruhetag; in: Die Karawane 118, 4. April 1943, S. 4. 120 BArch-MA, RH 12–23/1238, Schreiben des Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel, San.-Ers.-Abt. 12, Betreff: Vorschlag für ein Merkblatt, das bis zum Erscheinen entsprechender Vorschriften den zur Abstellung zum Deutschen Afrika-Korps in Frage kommenden Angehörigen der San.-Ers.-Abt. 12 Anhaltspunkte für das Verhalten in Libyen geben soll, fol. 3. 121 Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5. 122 Claus Dörner, Der Löwe von Capuzzo. Hauptmann Kümmel erhielt das Eichenlaub, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2.
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Nordafrikafeldzuges auffallen würde.123 Robert W. glaubte also, dass sein als Symbol der soldatischen Männlichkeit gedeutetes Merkmal auch außerhalb der Gemeinschaft der Nordafrikasoldaten erkannt und er Anerkennung für seine Leistung bekommen würde. Dass die eigene dunklere Haut für soldatische Männlichkeit stand ist inbesondere mit Blick auf die lokale Bevölkerung des Kriegsraumes interessant. Denn in anderen Kontexten stellten die Soldaten eine rassistische Verknüpfung von Hautfarbe und Schmutz her. Doch anders als bei Klagen über die unzureichende Hygiene, versuchten sich die Soldaten hier nicht von der lokalen Bevölkerung abzugrenzen. Vielmehr setzen sie sich mit den im Kriegsraum lebenden Menschen beziehungsweise ihrer Vorstellung von ihnen zumindest bezogen auf das äußerliche Erscheinungsbild gleich. Im Skizzenbuch von Herbert Sommer hieß es neben der Zeichnung eines Strandes am Meer, dass die Soldaten »braun wie die Araber« würden.124 »Schwarz wie ein N* bin ich von der 60° Grad Hitze […]. Mit dem nächsten Briefe sende ich Euch ein Bild im Tropenhelm, da werdet ihr staunen«,125 schrieb Gustav S. nach Hause und Robert W. bezeichnete sich in einem Brief an seine Frau als ihr »Schwarzer«.126 Diese Vergleiche konnten jedoch nur innerhalb der im Zuge des Kolonialismus etablierten Machthierarchie angestellt werden, die von der NS-Ideologie gefestigt wurde. Da die deutschen Soldaten sich als über der einheimischen Bevölkerung stehend sahen, konnten sie sich mit ihnen vergleichen; ein umgekehrtes Vorgehen der lokalen Bevölkerung hätten sie jedoch verboten. Eine Karikatur in der Oase legt die hinter solchen Vergleichen stehende weiße Überlegenheitshaltung dar. Gezeichnet ist ein Soldat neben einer rassistisch dargestellten Schwarzen Person, die durch klischeehafte Attribute wie Bast-Rock, Kreolen-Ohrringe, und einer kleine Rundhütte im Hintergrund als »afrikanisch« gekennzeichnet ist (vgl. Abb. 3). Deren Haut berührt der Soldat mit ausgestrecktem Zeigefinger. Die unter der Zeichnung stehende Frage »Ist das auch wirklich echt?« offenbart, dass sich die deutschen Soldaten selbst als ordnungsstiftende Personen ansahen. Als weiße Männer, deren Machtposition in ihrer Sichtweise kulturell tradiert und zudem ganz konkret durch die italienische Kolonialherrschaft und ihren Status als waffentragende Europäer gesichert war, konnten sie sowohl »die Anderen« in Frage stellen als auch sich selbst als »schwarz« bezeichnen. Neben körperlichen Zeichen symbolisierten Gegenstände die Zugehörigkeit zur soldatischen Gemeinschaft in Nordafrika und wurden als Auszeichnungen der »Afrika-Soldaten« interpretiert. Darunter waren Objekte, in die sich der Kriegsraum eingeschrieben hatte oder die Dinge, die für den Kriegsraum standen. So galt etwa die Uniform vielen Soldaten nicht nur als Ausweis ihrer Zugehörigkeit zum Militär, sondern auch als Beleg ihres Aushaltens der Bedingungen in Nordafrika.
123 Vgl. ebd. 124 Afrikanisches Skizzenbuch von Herbert Sommer mit einem Vorwort von Ritterkreuzträger Oberst Irnfried Freiherr von Wechmar, Berlin 1942, o.S. 125 MSPT, 3.2002.1280.0, Gustav S. an seine Geschwister am 21. Juli 1941. 126 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 3. Mai 1942.
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Abbildung 3: Karikatur von H. Langguth, Ist das auch wirklich echt?, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 8.
Uniformen hatten in den europäischen Gesellschaften bereits lange eine statusund distinktionsbildende Funktion, sie waren Sinnbild soldatischer Männlichkeit.127 Durch Uniformen unterschieden sich die Soldaten äußerlich von Zivilist*innen. Sie veranschaulichten, dass man es mit einem Mann zu tun hatte, der sein Leben für die Nation aufs Spiel setzte. Daher stilisierte die nationalsozialistische Presse die Uniform zu einem Heldensymbol.128 Die militärische Kleidung trug aber auch zur Formierung eines inneren Gemeinschaftsgefühls bei, indem sie die soldatischen Körper vereinheitlichte.129 127
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Vgl. Hämmerle, Ganze Männer?, S. 485. Siehe dazu etwa Sabina Brändli, Von »schneidigen Offizieren« und »Militärcrinolinen«: Aspekte symbolischer Männlichkeit am Beispiel preussischer und schweizerischer Uniformen des 19. Jahrhunderts, in: Ute Frevert (Hg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 201–228. Zur Verarbeitung in der Literatur siehe auch Torsten Voß, Körper, Uniformen und Offiziere. Soldatische Männlichkeiten in der Literatur von Grimmelshausen und J. M. R. Lenz bis Ernst Jünger und Hermann Broch, Bielefeld 2016. Zur Uniform als Heldenkleidung siehe Vera Marstaller, Visuelle Helden-Diskurse. Kriegsfotografie im Nationalsozialismus, in: Fotogeschichte 38 (2018) 147, S. 59–61. Vgl. zur inneren Wirkung der Uniform etwa Diehl, Macht – Mythos – Utopie, S. 177. Allgemein zur Entwicklung normierter Kleidung Bayly, Die Geburt der modernen Welt, S. 28–32; Frevert, Kasernierte Nation, S. 241f.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Viele der in Nordafrika eingesetzten Soldaten ließen sich in ihrer Uniform fotografieren und schickten Abzüge davon an Verwandte und Bekannte.130 Damit handelten sie entsprechend einer innerhalb des Militärs weit verbreiteten Praktik, den eigenen Status und die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Soldaten zu bezeugen. Nicht nur anderen, sondern gerade sich selbst konnten die Soldaten bei der Aufnahme und dem anschließenden Betrachten der Bilder ihrer Zugehörigkeit zu einer besonderen Gruppe versichern. Diese identitätsbestärkende Funktion der Soldatenfotos wurde durch die Zusammenstellung von Alben, in denen sich einzelne Fotos gegenseitig ergänzen und in ein Gesamtnarrativ eingebettet sind, verstärkt. Aufbewahrt und immer wieder herausgeholt wirkten sie noch weit nach dem Ende des Krieges fort, so dass sie auch zur Selbstkonstitution von Veteranen beitrugen.131 Im Kontext des Nordafrikafeldzuges hatte die Uniform darüber hinaus eine besondere Distinktionsfunktion. Sie bezeugte nicht nur allgemein die Zugehörigkeit zur Wehrmacht, sondern wies ihren Träger sofort als Angehörigen einer besonderen Einheit aus. Denn die vor dem Einsatz erhaltene Tropenuniform, stellte durch die verwendeten Materialien und die zahlreichen dazugehörenden zusätzlichen Ausrüstungsgegenstände »für die deutsche Wehrmacht uniformmäßig etwas völlig Neues«132 dar. Erst Ende 1940 war mit der Entwicklung dieser im Vergleich zur üblichen feldgrauen Uniform leichteren, »braun-bis grünolivfarbigen«133 Tropenuniform begonnen worden. Zu ihr gehörten neben der Grundausstattung aus Feldmütze, Feldbluse, Stiefelhose und langer Hose auch ein Tropenhelm, Tropenschuhe und der Tropenmantel sowie Schutzausrüstung gegen Sand und Mücken.134 Die Soldaten berichteten detailliert über die Bestandteile nach Hause und widmeten sich noch in ihren Erinnerungen ausführlich der Einkleidung und dem Aussehen der Uniform.135 Die Uniformen verstärkten die soldatische Wahrnehmung, sich in einem ganz besonderen, abenteuerlichen Kriegseinsatz zu befinden, denn sie waren von den Kolonialuniformen des Ersten Weltkrieges inspiriert.136 Zudem weckte ihre Bezeichnung als Tropenuniform Vorstellungen und Phantasien, die anschlussfähig waren für die Erwartungshaltung der Soldaten von einem Abenteuer in der Ferne. Ihre Farbgebung und die ungewohnten Elemente der Uniform, insbesondere der auffällige Helm, bewirkten, dass sich die Soldaten darin wie »eine Mischung aus zentralafrikanischem Missionar und forschungsbesessenem Pfadfinder«137 vorkamen. Die Uniform stieß in kolonialrevisionisti-
130 Vgl. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 26. April 1942; MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 25. Mai 1941; MSPT, 3.2002.1280.0, Gustav S. an seine Geschwister am 21. Juli 1941; Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. 131 Vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier, S. 97. 132 Vgl. o. V., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 132. 133 Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 150. 134 Vgl. ebd., S. 150–151, 157. 135 Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942; DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 117; DTA, 238.1 (Reg.-Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, Eintrag vom 25. Oktober 1941, S. 10. 136 Vgl. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58. 137 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 117.
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schen Kreisen auf großes Interesse, belegte sie doch, dass das deutsche Heer wieder im Einsatz in sogenannten tropischen Gebieten war. Daher druckte die koloniale Jugendzeitschrift Jambo eine ausführliche Schilderung der Materialität und Besonderheiten ab. Detailreich wurden darin Hemd, Hosen, Helm und Schuhe beschrieben und als »zweckmässige Bekleidung für den Tropenkrieg« eingestuft.138 Im Laufe des Einsatzes veränderte sich jedoch die Bedeutung der Tropenuniform. War sie zu Beginn als besondere Kleidung verstanden worden, die den Träger als Mitglied einer »Elitetruppe«139 auszeichnete und zu bestehende Abenteuer verhieß, wurde sie im Verlauf des Feldzuges zu einem materiellen Zeichen des Aushaltens und Durchhaltens der Soldaten. Denn Sand, Staub und Sonne des Kriegsraumes sowie der Schweiß der Soldaten ließen die Uniformen schnell ausbleichen und abgenutzt erscheinen.140 »Die ehedem khakifarbene Uniform ist durch Sonne, Sand und Schweiss fast weiss geworden. Die kurze Hose hat das Format einer Badehose erhalten. […] Die Schirmmütze sitzt auf Sturm und der Tropenhelm ist zerbeult und abgeschunden.«141 Die Abnutzungserscheinungen der Uniform, die eigentlich die zerstörerischen Kräfte des Kriegsraumes und die Bedrohung der soldatischen Körper belegten, wurden, ebenso wie die körperlichen Auswirkungen der Bedingungen des Kriegsraumes, zu Zeichen der Männlichkeit umgedeutet. Eine ausgeblichene Mütze, die ausgewaschene und staubige Kleidung galten als Belege für die Länge des Einsatzes und die dabei ausgehaltenen Qualen. Daher erklärte ein Artikel in der Oase, der »Anzug dieser ›Kamelreiter‹ sagt [etwas über, S.K.] seine Afrikazeit aus«.142 In einer Geschichte über einen auf Urlaub nach Hause fahrenden Soldaten heißt es: »Die weisse von der Sonne ausgebleichte Muetze […] verraet, woher er kommt: aus Afrika.«143 Ein schlechter Zustand der Uniform erhöhte also noch die symbolische Wirkung der Kleidung als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gemeinschaft. Sie war für manch einen Soldaten so bedeutsam, dass er auch nach dem Einsatz den Dreck nicht aus der Kleidung herauswaschen wollte, um damit seine Teilnahme am Nordafrikafeldzug beweisen zu können.144 Selbst mit Bleichmittel halfen die Männer gelegentlich nach, »um mit verwaschenen Uniformen den Eindruck eines ›alten Afrikakämpfers‹ hervorzurufen«.145 Umgekehrt galt eine saubere Uniform, ebenso wie ungebräunte Haut, als Merkmal eines Soldaten mit wenig Kampferfahrung. Sowohl die Verfasser der Artikel in der Oase als auch die Soldaten selbst unterschieden zwischen einem »ganz frisch in Afrika eingetroffene[n] Landser«146 und einem langgedienten Soldaten in Nordafrika. Insbesondere
138 Vgl. Art., Deutsche Soldaten unter afrikanischer Sonne, in: Jambo C (1941) 11, S. 131–132, S. 131. 139 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 117. 140 Vgl. Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 151. Siehe auch die Schilderung in MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 25. Mai 1941. 141 Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. 142 Ebd. 143 Vgl. Art., Ein Afrikaner faehrt heim. Kleine Geschichte von Obergefr. Karl Standke, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 6. 144 IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 157 (62). 145 Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 151. 146 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juli 1941.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
den erst für den letzten Kriegsabschnitt in Tunesien nach Nordafrika versetzten Soldaten wurde die Leistung unter Bezug auf die Uniform abgesprochen. Die Unerfahrenheit der »junge[n], tunesische[n] Afrikaner« sollten den Lesern der Oase ihre »weniger verblichenen Muetzen und Uniformen« verdeutlichen.147 Denn saubere, ordentliche Kleidung zeugte davon, dass die Soldaten dem Kriegsraum erst kurz ausgesetzt waren und sich noch nicht als soldatische Männer bewiesen hatten. Heinz G. machte daher an der Kleidung fest, dass die Einheiten in Tunesien weniger unter dem Krieg litten und betrachtete sich selbst folglich als wertvolleren Soldaten. Seiner Frau schrieb er kurz vor Ende des Feldzuges aus Tunesien, er sei erschüttert über »jene tunesischen Afrikakämpfer, die hier bereits seit fünf Monaten mit […] gebügelten Hosen leben«148 . Er freue sich, dass sie jetzt etwas vom Krieg mitbekämen und sich ihr »Mundwerk«149 mäßige. Trotz der enormen Bedeutung, die der Uniform zugeschrieben wurde, pflegten die Soldaten einen pragmatischen Umgang mit ihrer Kleidung, die im Verlauf des Krieges auch an Prestige verlor. Denn die neu entwickelte Ausrüstung erwies sich als unpraktisch,150 weil die Tropenuniform vom Schnitt her sehr ähnlich zur feldgrauen Uniform war.151 Meistens trugen die Soldaten, aber auch die Oberbefehlshaber in Nordafrika nur die zum ersten Mal als Teile einer Uniform ausgegebenen kurzen Hosen und Hemden.152 Damit war die Förmlichkeit der Kleidung dahin, wie Helmut T. in seinem Kriegstagebuch notierte: »Ich komme mir bald vor, wie ein ›Pimpf‹. […] Nur in Shorts, Hemd und Tropenhelm laufen wir umher!«153 Aufgrund dieser Wirkung war Wehrmachtsangehörigen im und außerhalb des Dienstes und damit auch Urlaubern aus Nordafrika das Tragen von kurzen Hosen im Heimatkriegsgebiet wohl auch verboten.154 Besser als die deutsche Wehrmacht waren die britischen Soldaten ausgerüstet. Die langjährige Erfahrung Großbritanniens als Kolonialmacht wirkte sich auf die Herstellung geeigneter Kleidung aus. Daher erbeuteten die deutschen Soldaten gerne neue Uniformteile aus britischen Lagern.155 »Grosser Beliebtheit erfreute sich auch die englische Militär-Tropenkleidung, die besser und leichter zu tragen war als unsere deutsche. Heiss begehrt waren auch die australischen Wildlederschuhe mit dicker Kreppsohle, richtige Schleicher, die sehr leicht zu tragen waren«,156 erinnerte sich Horst S. Selbst Rommels durch zahlreiche Propagandaaufnahmen bekannt gewordene Staubbrille war ein solcher
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August Harlmanns, Die alten Afrikaner. Wir sind nicht Amboss, sondern Hammer, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 4. 148 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 15. April 1943. 149 Vgl. ebd. 150 Vgl. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58. 151 Vgl. Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 150. 152 Vgl. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58. 153 DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 58. 154 Vgl. Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 151. 155 Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941 bis 1. Januar 1942; IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 151 (56). 156 DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Horst S., Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 5.
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Beutegegenstand.157 Und sogar gefallenen britischen Soldaten wurden die Kleider oder Schuhe vom Leibe gestohlen.158 Diese Praktiken relativieren die Funktion der deutschen Tropenuniform als Zeichen von Zugehörigkeit, Exklusivität und Männlichkeit. Denn die praktische Erfahrung zeugte von der schlechten Ausstattung des deutschen Militärs und der Überlegenheit des Gegners im Kriegsraum. Dies könnte dafür gesorgt haben, dass das Tragen der britischen Kleidung als Beleg soldatischer Männlichkeit gewertet wurde. Denn das Tragen der gegnerischen Uniform stellt eine Form der Übernahme dar, die den Rückzug oder Tod des vormaligen Trägers und damit einen eigenen militärischen Erfolg zur Voraussetzung hat. Eine Deutung des Tragens britischer Uniformen als Zeichen der Verbundenheit mit dem Kriegsgegner, wie sie die nach dem Krieg verbreitete Erzählung des fairen Kampfes in der Wüste nahelegen würde, findet sich in den untersuchten zeitgenössischen Quellen jedenfalls nicht. Neben der Tropenuniform trugen die Soldaten in Nordafrika ab Juli 1941 verschiedene Ärmelstreifen, die ihre Träger als Soldaten des Deutschen Afrikakorps und ab November 1942 als Angehörige der Panzergruppe Afrika auswiesen. Diese galten als weitere materielle Belege für die Mitgliedschaft in einer besonderen Gemeinschaft, denn sie durften erst nach dem Verlassen des europäischen Festlandes getragen werden. Auf »Heimaturlaub« war es jedoch erlaubt, diese Auszeichnung an der feldgrauen Uniform zu tragen und so die Zugehörigkeit zur Gruppe der in Afrika kämpfenden Soldaten zur Schau zu stellen.159 Eine derartige leicht sichtbare Markierung scheint den Soldaten wichtig gewesen zu sein. Denn bereits vor Einführung der offiziellen Ärmelstreifen trugen sie vereinzelt ein Band, das 1941 in Tripolis auf Truppeninitiative hergestellt worden war.160 In der Oase vom 27. Februar 1943 wurde ein »Aermelband aus Kamelhaarstoff« angekündigt, das als Kampfabzeichen für einen mindestens sechsmonatigen ehrenvollen Einsatz und bei Verwundung oder Erkrankung, die zur Tropendienstuntauglichkeit führte, verliehen werden sollte.161 Dies bezog sich vermutlich auf das Mitte Januar eingeführte Ärmelband »AFRIKA«, das als Kampfabzeichen persönlich verliehen werden konnte und neben dem Schriftzug eine Palme enthielt. Danach musste das Zugehörigkeitsabzeichen des Ärmelstreifens mit der Aufschrift »AFRIKAKORPS« abgelegt werden.162 Eventuell waren solche Reglementierungen der Grund für zusätzliche informelle Schmuckstücke, die bei den Soldaten beliebt waren. Auf Märkten, bei Straßenhändlern oder bei lokalen Silberschmieden erwarben sie Fingerringe, die ihre Zugehörigkeit zur Frontgemeinschaft in Nordafrika besiegelten.163 Derartige Ringe wurden auch an 157 158 159 160 161 162 163
Vgl. Häußler, Nordafrika 1941–1943, S. 58. Vgl. DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 5. Vgl. Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 157. Vgl. ebd., S. 158. Alle zuvor getragenen Ärmelstreifen verloren damit ihre Gültigkeit, vgl. o. V., Aermelband Afrika, in: Die Oase 105, 27. Februar 1943, S. 1. Vgl. Schlicht und Angolia, Die deutsche Wehrmacht, S. 158. Vgl. Hermann Wacker, Eine Landser-Sehnsucht. Die deutschen Mädchen sollen auf »ihn« achten, in: Die Oase 67, 9. April 1942, S. 4, und DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, Eintrag vom 25. Oktober 1941, S. 69; IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben
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anderen Fronten selbst aus Draht hergestellt oder von SS-Führern getragen.164 Im April 1942 berichtete die Oase über einen »original Afrika-Ring«, der »nirgends in der Welt zu kriegen [sei] ausser in Afrika«.165 Bei der Gestaltung dieser Schmuckstücke wurden die Imaginationen vom Kriegsraum als exotische Fremde wirksam. Meist schmückten ein Hakenkreuz und eine Palme sowie die Aufschrift »DAK 1941« die Ringe. Zudem waren sie mit »arabischen Schriftzeichen, Ornamenten, einem Kamel, einer Gazelle, einer Moschee oder irgendwelchen ›fantasia‹« verziert.166 Den Ring interpretierte die Oase als Zeichen der Zugehörigkeit, ein Frauen beeindruckendes Symbol der Männlichkeit und Produkt des »exotischen« Raumes, das es nur »in Afrika« gebe.167 Die materiellen und körperlichen Auszeichnungen bezeugten also einerseits die Spezifika des nordafrikanischen Kriegsraumes, indem sie entweder besondere Belastungen durch die natürliche Umwelt oder bereits vor dem Kriegseinsatz mit dem Raum verknüpfte Symbole manifestierten. Zugleich bezeugten sie die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Soldaten. Gebräunte Haut oder lange Bärte belegten in der Interpretation der Soldaten nicht nur das Aushalten des Kriegsraumes, sondern waren ein Merkmal der in Nordafrika eingesetzten Männer. Die enorme Bedeutung, die diese Gruppenidentität für die Soldaten hatte, verdeutlichen die selbst hergestellten materiellen Auszeichnungen und die Kommunikation über diese als einzigartig wahrgenommenen Objekte.
5.4 Emotionale Vergemeinschaftung als »Afrika- Soldaten« Für die Identifikation mit einer soldatischen Gemeinschaft war die offizielle Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit von Bedeutung. Im Falle Nordafrikas spielte die bereits während des Krieges berühmt gewordene Führungsperson Erwin Rommels dabei eine besondere Rolle. Nicht umsonst bezeichneten sich noch viele Veteranen als Rommel-Soldaten.168 Daneben war es der Kriegsraum, über den eine Gruppenidentität hergestellt wurde. Denn er war nicht nur ein Raum, in dem die persönliche Härte und Standhaftigkeit bewiesen werden konnten. Dem Raum ausgesetzt zu sein und die Strapazen des in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 146f (51f.). Auch heute noch finden sich zahlreiche solcher Ringe bei Internetauktionen und lassen auf eine rege Produktion im Nordafrikafeldzug schließen. Zudem werden bei Amazon kostengünstigere Nachbildungen angeboten, vgl. etwa das Angebot bei Amazon: MK-art Ring, Fingerring DAK Deutsch-Afrika Korps Rommel, URL: https://ww w.amazon.de/MK-art-Fingerring-Deutsch-Afrika-Korps-Rommel/dp/B06WVGFRR9 [15.05.2020]; sowie die PDF-Ausgabe der Veteranenzeitschrift Oase, URL: http://dak.webseiten.cc/verband-deu tsches-afrika-korps-ev/die-oase-mitglied-im-verband-werden/die-oase [15. 05. 2020]. 164 Vgl. zum Westwallring etwa Wolfgang Pieper, Geschichte der Pforzheimer Schmuckindustrie. Ein Beitrag zur Geschichte des Nordschwarzwaldes 1989, S. 258; siehe zu den SS-Totenkopfringen Klaus D. Patzwall, Der SS-Totenkopfring: seine illustrierte Geschichte 1933–1945, Norderstedt 2002; vgl. Craig Gottlieb, The SS Totenkopf Ring: Himmler’s SS Honor Ring in Detail, Atglen (PA) 2008. 165 Hermann Wacker, Eine Landser-Sehnsucht. Die deutschen Mädchen sollen auf »ihn« achten, in: Die Oase 67, 9. April 1942, S. 4. 166 Vgl. ebd. 167 Vgl. ebd. 168 Zum Mythos Rommel vgl. beispielhaft Maurice Philip Remy, Mythos Rommel, München 2002.
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Krieges auszuhalten war darüber hinaus Zugangsvoraussetzung zu einer emotionalen Gemeinschaft. Wehrmachtsangehörige konnten unabhängig von Herkunft, Alter und sozialem Status Teil dieser Gemeinschaft werden, wenn sie nur genügend Disziplin und Härte besaßen.169 Die Feldzeitung Oase beförderte und mobilisierte die Vergemeinschaftung der Soldaten über das Aushalten der Bedingungen des Kriegsraumes. Immer wieder erklärte sie, dass im nordafrikanischen Kriegsraum eine besondere Kameradschaft unter den Soldaten entstehe.170 Denn »nichts bindet Menschen stärker aneinander als die aufatmende Entdeckung, dass sie an demselben Uebel leiden«,171 wie es der Kriegsberichterstatter Schönberg formulierte. Die Sonne habe die Soldaten in Nordafrika »im wahrsten Sinne des Wortes ›zusammengeschweisst‹«, dazu »schwitzen alle gemeinsam und sind alle gleichermassen durch die Sandwolken des Ghibli eingedreckt«.172 Neben den körperlichen Leiden wurde gerade auch dem Aushalten der seelischen Qualen innerhalb des als fremd und leer gedeuteten Raumes Bedeutung bei der Vergemeinschaftung beigemessen. Stabsfeldwebel Pfeiffer erklärte in einem Bericht, die »Eintönigkeit und Öde« zwinge »zu engstem Zusammenschluss der Kameraden und fördert und vertieft dadurch, dass sie ein Leben neben der Gemeinschaft nicht zulässt, das Gefühl unbedingter Kameradschaft und Zusammengehörigkeit«.173 Auch die enttäuschten Erwartungen an den Kriegsraum führte die Oase als Grund für den Zusammenhalt unter den Soldaten an. Weil die echten Bilder aus dem Krieg keine Palmen zeigten und der Wüstenromantik entbehrten, sei eine starke Kameradschaft entstanden.174 Das Gemeinschafts-und Zusammengehörigkeitsgefühl ermöglichte es laut dem Kriegsberichterstatter Ernst Bayer den deutschen Wehrmachtssoldaten, nicht nur den militärischen Gegner, sondern auch die Natur – aus deren Herausforderungen die Kameradschaft ja gerade entstanden war – zu besiegen.175 Auch wenn die Feldzeitung den Zusammenhalt der Soldaten in einen engen Zusammenhang mit den Besonderheiten des Kriegseinsatzes in Nordafrika stellte, war die »Kameradschaft« allgemein ein »Leitbegriff für den inneren Zusammenhalt der NS-Volksgemeinschaft«.176 Neben dem gemeinsamen Aushalten und Härtezeigen, also der Regulierung von Emotionen, war im Kontext der Kameradschaft partiell auch das Zulassen
169 Vgl. o. V., Soldaten an allen Fronten gruessen den Fuehrer. Zwoelf Feldpostbriefe und ihre Antworten zum Geburtstag des Fuehrers, in: Die Oase 126, 18. April 1943, S. 3. Zu Vergemeinschaftung der Soldaten trotz Unterschiedlichkeiten vgl. auch Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 292. 170 Vgl. etwa Martin Glaeser, Die Zeichen der Wüste. Heute in einem Wuestenloch … und morgen in einer verlausten Araberhuette, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 4. 171 Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 172 Ebd. 173 BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 77. 174 D.B., Aus meinem Skizzenbuch, in: Die Oase 66, 2. April 1942, S. 4–5, S. 4. 175 Vgl. Ernst, Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 66. 176 Frank Bajohr, Der Cultural Turn und die Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017) 2, S. 223–232, S. 227.
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von starken Gefühlen akzeptiert. Wie Frauen in bestimmten Situationen Härte zugesprochen werden konnte, war es innerhalb der Kameradschaft möglich, »weiche« Gefühle in die Vorstellung von soldatischer Männlichkeit zu integrieren. Voraussetzung war jedoch, dass ein Soldat zuvor seinen Status als harter, soldatischer Mann etabliert hatte. Dieses Phänomen, das an allen Fronten wirksam wurde, haben bereits andere Forschungsarbeiten zur soldatischen Männlichkeit, insbesondere diejenigen von Thomas Kühne, nachgewiesen.177 Im Nordafrikafeldzug wurden weiche Anteile von Männlichkeit ebenso wie die Vorstellung der heroischen, harten Männlichkeit aus dem Raum heraus begründet. »Weil kein Baum, kein Strauch, kein Haus, keine Frau, kein Fluss, kein Berg und kein Kind da«178 sei, erklärte Claus Dörner in der Oase, müssten die Soldaten sich untereinander Liebe geben. Die Akzeptanz der »Weichheit« hatte jedoch ihre Grenzen. Zwar gehörten Praktiken des Kümmerns zur Kameradschaft, und die Soldaten pflegten teils einen regelrecht zärtlichen Umgang miteinander. Die Härte war aber dennoch der übergeordnete Maßstab. Gefühle durfte in der Kommunikation unter Männern nur zeigen, wer zugleich aushielt.179 Schwäche oder Verzweiflung drückten die Soldaten offen meistens nur in Briefen an weibliche Adressaten aus.180 Ludwig E. gestand seiner Schwester, dass er Schwierigkeiten hatte, den Ansprüchen an seine harte Männlichkeit gerecht zu werden: »Vorgestern wäre ich beinahe zusammengeklappt. Aber alle bewundern mich, dass ich so die Nerven bewahren und ruhig bleiben konnte. Wenn sie wüssten, wie schwer es für mich war.«181 Hans E. schrieb seiner Frau, dass er beim Erhalt ihrer Post am liebsten weinen würde, doch er schäme sich zu sehr vor seinen Kameraden.182 Auch andere Soldaten schrieben ihren Müttern oder Frauen, sie könnten »manchmal hinausheulen vor lauter Kummer u. Heimweh«, doch wüssten sie, dass dies nicht im Rahmen des anerkannten Verhaltens eines Soldaten liege, der Opfer bringen müsse.183 Trotzdem gestand der Truppenarzt Hubert S. seiner Frau sogar, körperliche Reaktionen der Angst bei feindlichen Luftangriffen gehabt zu haben: »Wenn es wieder vorbei ist, dann zittert man noch eine ganze Weile […]. Vielleicht gewöhnt man sich mit der Zeit daran, bei mir ist es aber noch nicht so weit.«184 Doch auch bei Ehepaaren, die sich sonst sehr nahestanden, behinderten die lange Trennung und die unterschiedlichen Erlebnisse an der Front und zu Hause die offene 177
Vgl. Thomas Kühne, »… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren«. Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a.M./New York 1996, S. 174–192, S. 179; ders., Protean Masculinity, S. 394. 178 Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. 179 Vgl. zu »Mutterliebe und zärtliche[r] Kameradschaft« Kühne, Kameradschaft, S. 153-165, zur Gleichzeitigkeit von »Härte« und »Weichheit« besonders S. 165. 180 Vgl. zur Wirkung des Empfägers oder Empfängerin auf den Briefinhalt etwa Kilian, Medium Feldpost, S. 24. 181 MSPT, 32.002.7104, Ludwig E. an seine Schwester am Auszug, ohne Datum. 182 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Frau am 6. Juni 1941. 183 BfZ, Sammlung Sterz, Friedel an seine Eltern am 16. Februar 1943; sehr ähnlich in MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2. November 1941. 184 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 24. Dezember 1942.
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Kommunikation.185 Daher wollte so manch ein Soldat gerade dann ein starkes Bild von sich vermitteln, wenn es ihm eigentlich nicht so gut ging. Vehemente Bekundungen der eigenen Härte und des Aushaltens lesen sich oft eher als Anzeichen für einen instabilen Gefühlszustand. Ebenso zeugen widersprüchliche Aussagen in soldatischen Selbstzeugnissen von dem Versuch, Verzweiflung zu überspielen und sich der Gefühlsnormierung im Krieg anzupassen. »Wenn ich auch schlapp bin, so macht mir doch die Hitze keine besonderen Schwierigkeiten«,186 beteuerte etwa Reinhard B. in einem Brief seiner Familie. Dass er die Witterungsverhältnisse gut aushalte, ist aufgrund der gleichzeitigen Schilderung seines Allgemeinzustandes wenig glaubhabt. Vielmehr scheint Reinhard B. im Bewusstsein, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, das Aushalten der Bedingungen betont zu haben, damit er seiner Familie kein falsches Bild von sich vermittelte.187 Nicht nur in der Korrespondenz zwischen Reinhard B. und seiner Familie, sondern auch aus den Briefen vieler anderer Soldaten ist ersichtlich, dass sie großen Wert darauf legten, dass ihre Angehörigen von der soldatischen Männlichkeit des Schreibers überzeugt waren. Denn zweifelten die Familienangehörigen an der Härte des Krieges, empfanden viele Soldaten dies als eine Infragestellung ihrer Leistung im Krieg und damit ihrer Männlichkeit. Daher betonten die Soldaten beständig die Härte des Krieges und die Herausforderungen des Kriegsschauplatzes und versuchten falsche Vorstellungen ihrer Familien zu korrigieren. Viele Angehörige der in Nordafrika eingesetzten Wehrmachtsangehörigen hatten ähnliche Bilder des Kriegsraumes im Kopf, wie sie die Soldaten selbst vor Beginn ihres Einsatzes besaßen. Dies lag nicht nur an den tradierten Vorstellungen über den »Orient« oder exotistischen Afrikabildern. Auch die Propagandaberichte der nationalsozialistischen Presse stellten den Nordafrikafeldzug teilweise als exotisches Abenteuer dar und zeigten gern Bilder von Panzern unter Palmen.188 Die Oase berichtete, dass die Stimmung im Kinosaal eine ganz besondere sei, wenn bei der Wochenschau Bilder aus dem Nordafrikafeldzug gezeigt wurden. »Sobald […] das Lied von den Panzermotoren in Afrika aufklingt, wenn die Bilder der langen Kolonnen erscheinen, die hinter riesigen Staubwolken verborgen, fast nur schemenhaft sichtbar, vorwärtsrollen, dann geht eine Bewegung besonderer Art durch das Publikum.«189 Auch im Deutschen Reich wurden die Soldaten in Nordafrika demnach als eine besondere Gemeinschaft wahrgenommen, was an exotistische Vorstellungen und Raumbilder geknüpft war. Teilweise freuten sich die Soldaten über diesen Ruhm und hofften, selbst einmal in der Wochenschau gezeigt zu werden.190 Doch zugleich wollten sie den Irrtum klarstellen und als Gemeinschaft harter 185
186 187 188 189 190
Vgl. dazu Clemens Schwender, Liebesdiskurse in Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg, in: Feldpost im Zweiten Weltkrieg, Internetseite des Feldpost-Archivs, o.D., URL: www.feldpost-archiv.de/08-x-cs-liebesbriefe.shtml [11.11.2022]. MSPT, 3.2002,375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. Mai 1941. Vgl. dazu einen ähnlichen Befund für die Briefe aus dem Ostfeldzug bei Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, S. 286. Vgl. etwa das Titelblatt der Zeitschrift Jambo A (1943) 3. Art., Panzer im Ghibli, in: Die Oase 65, 2. April 1942, S. 5. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom Eintrag vom 28. April 1942, S. 28.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Männer anerkannt werden. Dazu wiesen sie ihre Angehörigen empört darauf hin, dass das in den Medien vermittelte Bild des Krieges nicht mit der Realität übereinstimmte. »In den Wochenheften ist wohl ja alles schön abgebildet und so schön geschildert, aber gerade diese gehörten mal hier her in so einen Sandsturm und kämpfen, ich garantiere die würden nicht mehr reden«,191 schrieb Hans E. seiner Frau. Immer wieder sprachen die Soldaten in den Briefen nach Hause die exotistischen Vorstellungen über den Kriegsraum an und versuchten sie durch Schilderungen ihrer eigenen Erfahrungen zu berichtigen. »Was stellt man sich […] unter Adjedabe alles vor, wenn man es im Heeresbericht liest«, fragte Erich K. seine Eltern und klärte sie darüber auf, dass es sich dabei um nicht mehr als eine Oase und ein paar Palmen handele.192 Ein dreiviertel Jahr später erläuterte er erneut anhand von Adschdabiya, dass die Kriegsberichterstattung den Krieg verkläre. Der Ort bestehe lediglich aus einigen verfallenen oder leerstehenden Häusern und bettelnden arabischen Menschen. »Das ist Afrika, nicht so, wie man es euch in Film und Presse zeigt«,193 fügte er, scheinbar wütend über die falsche Darstellung, hinzu. Heinz G. nahm Fehlinformationen mit Humor und schrieb seiner Frau, dass es unter den Soldaten »immer ein herzliches Gelächter« gebe, wenn sie »einen Bildbericht über Afrika in die Hände bekommen«, der »schmatzende Landser über einem Gazellenbraten, oder schattenspendende Palmenhaine« zeigte.194 Robert W. kritisierte insbesondere die Darstellung des Kriegseinsatzes in der Presse: »Diese Berichterstatter hier sollen sich dahin scheren, von wo sie gekommen sind. Schöne Aufnahmen veröffentlichen, Soldaten unter Palmen und so, das können sie. Sollen sie doch ›mal von dem wirklichen Leben hier berichten.«195 Die Berichterstattung der Oase hielt Robert W. dagegen für so realitätsnah, dass er seiner Frau, die ihn um einen Bericht seiner Anreise nach Nordafrika gebeten hatte, einen zuvor in der Feldzeitung erschienenen Artikel abschrieb.196 Die Feldzeitung war durch den Abdruck vielfältiger Texte, zum Teil von den Soldaten selbst eingesandt, als Spiegel der eigenen Erfahrungen anerkannt. Sie regulierte nicht nur durch die Vermittlung von Normen die soldatischen Gefühle, sondern fing diese auf, indem stets auch die Strapazen und Leiden der Soldaten in Worte gefasst wurden. Die Redaktion der Oase bemühte sich zudem, die Soldaten zu beruhigen. Sie betonte, dass die Angehörigen zwar durch Wochenschau und Kriegsberichterstattung wüssten, dass die Soldaten »all dieses Schöne und Fremdartige da unten in Afrika« erlebten. Zugleich hätten sie aber auch ein Bewusstsein für die »ungeheure Strapazen«, welche die Soldaten in Nordafrika mitmachten. Keineswegs sollten die Angehörigen zu Hause glauben, dass die Soldaten in Nordafrika »den ganzen Tag nur unter Palmen wandeln« und sich dabei
191
BfZ, Sammlung Sterz, Gefreiter Hans E. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941; vgl. auch MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 11. Februar 1941. 192 LHAKo, Best. 700, 153, Nr.283, Erich K. an seine Eltern am 22. Mai 1941. 193 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 8. Februar 1942. 194 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 14. Dezember 1943. 195 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. Juni 1941, S. 4. 196 Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 31. März 1941. Bei dem abgeschriebenen Artikel handelt es sich um: Ernst Bayer, Durchs Mittelmeer nach Afrika, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3.
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wie »auf einem KdF-Ausflug« fühlten.197 Mit ähnlichen Worten beruhigte der Kriegsberichterstatter Hanns Gert Esebeck die Soldaten. Auch zu Hause sei bekannt, »dass sich der deutsche Soldat im ägyptischen Sommer nicht unter Palmen betten oder ins kühle Meer stürzen kann«.198 Kriegsberichterstatter Ernst Bayer deutete die außerhalb Nordafrikas kursierenden Gerüchte als Beweis dafür, dass die Soldaten einer exklusiven Erfahrungsgemeinschaft angehörten. Nur sie hätten »eine richtige Vorstellung, von dem, was man unter dem Begriff ›Wüstenkrieg‹ versteht«, die keiner, der nicht im Kriegseinsatz in Nordafrika dabei gewesen war, verstehen könne. Selbst »die grössten Ausführungen und besten Worte« würden nicht ausreichen, um einem Außenstehenden »die ganze Schwere dieses Kampfes« zu vermitteln.199 Indem Bayer die falschen Vorstellungen der Angehörigen und Daheimgebliebenen als Exklusionsmerkmal interpretierte, unterbreitete er den Soldaten ein Deutungsangebot für die Kontingenzerfahrung des Krieges. Gerade die eigenen enttäuschten Erwartungen machten in dieser Auslegung das Raumwissen aus, das nur die in Nordafrika eingesetzten Soldaten hatten und sie zu einer Gemeinschaft verband. Trotz derartiger Sinnstiftungsangebote konnten Äußerungen, die dem Kriegseinsatz in Nordafrika die Härte absprachen, zu regelrechten Wutanfällen führen. So hatte Reinhard B. gehört, dass der Einsatz der Soldaten in Nordafrika zu Hause mit dem Reim »Im Osten kämpft das deutsche Heer, in Afrika die Feuerwehr!«200 diskreditiert wurde. Diese Schmähung der in Nordafrika kämpfenden Soldaten brachte ihn so sehr auf, dass er den solche Verleumdungen verbreitenden Personen Schläge androhte und sich empörte, sie sollten erst einmal selbst in Nordafrika kämpfen.201 Der Grund für Reinhard B.s harsche Formulierungen war nicht allein, dass er sich von der Nicht-Anerkennung der Härte des Einsatzes gekränkt fühlte. Die Herabsetzung ihrer Leistungen in Nordafrika war für ihn auch deshalb schwer zu ertragen, weil sie belegte, dass es Personen gab, die die Einzigartigkeit des Kriegsschauplatzes Nordafrika negierten und den Krieg in der Sowjetunion für anspruchsvoller hielten. Doch gerade der Glaube, dass die eigenen Erlebnisse anspruchsvoller und die eigene Härte größer war als an anderen Fronten, war ein wesentliches Element der Gruppenidentität der in Nordafrika kämpfenden Soldaten. Denn wie es zur Konstruktion einer soldatischen Männlichkeit nötig war, sich von weiblichen oder nicht als männlich anerkannten Eigenschaften und Gefühlen zu distanzieren, um die eigene Männlichkeit zu konstruieren, bedurfte die soldatische Gemeinschaft eines Gegenparts, von dem sich die Mitglieder abgrenzen konnten. Natürlich ist eine solche Herstellung einer gemeinschaftlichen Identität durch Exklusion anderer nicht nur typisch für die Soldaten der Wehrmacht, sondern in allen (konstruierten) Gemeinschaften bedeutsam. So beruhen auch nationale Identitäten oder die für die Kriegserfahrung der Soldaten in Nordafrika ebenfalls wirksame Vorstellung vom
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Welling, Wo sind die PK.-Männer? Aus der Arbeit des Propaganda-Zuges Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 6. Hanns Gert Frhr. von Esebeck: Sommertage in Aegypten, in: Die Oase, 17.08.1941, S. 4. Ernst Bayer, Alltag des Wüstenkrieges, in: Die Oase, 3. August 1941, S. 11. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 25. Dezember 1941. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 25. Dezember 1941.
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sogenannten Abendland auf der Abgrenzung von jeweils unterschiedlich definierten »Anderen«.202 Diese Abgrenzung geschah in der Oase etwa durch Artikel, die den Kriegseinsatz in Nordafrika als besonders beschwerlich im Vergleich zu anderen Kriegen darstellten. Die Hitze, der Sand und die Sandstürme führten laut Ernst Bayer dazu, dass die nordafrikanischen Bedingungen dem »[e]uropäische[n] Schlamm, Dreck und Regen […] in einem nie gekannten Ausmass und einer unvorstellbaren Steigerung gegenüber[treten]«203 würden. An anderer Stelle unterstrich er die »Schwere dieses Kampfes, die hier in Afrika wohl ohne Beispiel«204 sei. Ähnlich betonte Major Cranz, dass die »ständige[n] geistige[n] und körperliche[n] Leistung[en] […] in diesem Masse noch kein Kriegsschauplatz«205 verlangt habe. Mit diesen allgemein gehaltenen Vergleichen wurde die Härte der Soldaten in Nordafrika betont und in der Differenzierung zu anderen Kriegsschauplätzen eine Gemeinschaft konstruiert. Die Soldaten selbst verglichen ihre Erlebnisse mit früheren Kriegseinsätzen oder anderen Fronten. Günther H. erschien angesichts der Versorgungslage in Nordafrika seine vorherige Zeit als Soldat in Breslau, Kudowa, Neapel oder Kreta »wie ein schoener Traum«.206 Erich K. nannte den Frankreichfeldzug in einem Brief an seine Eltern »eine K.D.F.-Reise gegen den andauernden Kampf hier unten«207 und glaubte, erst in Nordafrika zu erleben, was Krieg eigentlich bedeute.208 Vor allem den Ostfeldzug, der wenige Monate nach der Landung der ersten deutschen Truppen in Nordafrika am 22. Juni 1941 begann, zogen die Soldaten häufig heran, um die besonders schwere Situation auf dem afrikanischen Kontinent zu verdeutlichen. »Lieber doch Russland als hier«,209 fasste Erich K. seine Einschätzung mit wenigen Worten zusammen. Robert W. fragte seine Frau entrüstet, warum sie ihn lieber »in Afrika als in Rußland«210 wisse, und betonte, dass er gegenteiliger Meinung sei und den Einsatz in Nordafrika als gefährlicher und härter einschätze. Zum Beleg zitierten die Soldaten andere Kameraden, die vor ihrem Einsatz in Nordafrika an der Ostfront gekämpft hatten. »Alle Rußlandkämpfer sagen zu dieser Härte, daß sie so etwas in Rußland nicht erlebt haben«,211 ließ Alfred F. die Adressatin seines Briefes wissen. Helmut T. bekräftigte in seinem Tagebuch mehrfach, dass der Kriegseinsatz in Nordafrika außergewöhnlich herausfordernd sei. »Russland wäre
202 Vgl. zur Herstellung einer soldatischen Gemeinschaft durch Abgrenzung etwa Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 10, sowie ders., Kameradschaft, S. 140. Siehe zu Nationen Anderson, Imagined Communities. 203 Ernst Bayer, Das Hohelied des deutschen Kraftfahrers, in: Die Oase, 29. Juni 1941, S. 3. 204 Ernst Bayer, Einer, der immer am Feind ist. Aus der Serie: P.K.-Männer waren dabei, in: Die Oase 25, 11. Mai 1941, S. 3. 205 Major Cranz, Englands letzte Mittelmeer-Bastionen, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 3. 206 DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, Brief vom 24. April 1942, S. 70. 207 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 19. Juni 1941. 208 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 23. Juni 1941. 209 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 5. Juli 1941. 210 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 9. Juli 1941. 211 MSPT, 3.2002.0344.2, Alfred F. an »Mutti Falk« am 5. April 1943.
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zwar die Hölle, aber Afrika die siebenfache Hölle!! So sagte ein Offizier mit hohen Auszeichnungen zu uns!«212 Sogar »alte Afrikaner« – und damit meinte Helmut T., der seinen Memoiren ein Zitat von Lettow-Vorbeck voranstellte, Soldaten mit Kolonialerfahrung – würden zustimmen, dass es in Nordafrika schlimmer sei als »im Osten«.213 Grund für derartige Einschätzungen waren nicht allein die Verhältnisse im Kriegsraum oder die Versorgungslage. Auch das Militär Großbritanniens, insbesondere die Fliegerangriffe der Royal Air Force, wurde als gefährlicher als das anderer Kriegsgegner eingeschätzt. Gerd W. hielt die britische Luftwaffe für sehr stark214 und Erich K. schrieb nach Hause, dass er so etwas noch nicht erlebt habe.215 Selbst nach der Verlegung von Nordafrika an die Ostfront empfanden manche Soldaten den britischen Feind noch als gefährlicher.216 Diese Wahrnehmung lag vermutlich nicht nur an der zahlenmäßigen Übermacht der alliierten Truppen in Nordafrika, sondern auch an einer auf der rassischen Ideologie gründenden Beurteilung der jeweiligen Kriegsgegner. Die Briten galten als »nordisch« und es war nicht lange her, da hatte Hitler um die britische Freundschaft geworben.217 Damit waren die britischen Soldaten in Nordafrika ebenbürtige und schwer zu bezwingende Kriegsgegner. Ein Zusammenschluss mit Russland kam hingegen für Hitler schon aus rassischen Gründen nicht in Frage, da dort der »jüdische Bolschewismus« herrsche.218 Stattdessen stellte die NS-Propaganda die Bevölkerung der Sowjetunion etwa in der Ausstellung Das Sowjetparadies als »Untermenschen« dar, die folglich auch leichter zu besiegende Kontrahenten wären.219 Dass die Vorstellung einer leichteren Kriegsführung im Osten nicht der Realität entsprach, wurde mit der Zeit auch den »Afrika-Soldaten« klar. Nur wenige Wochen nachdem Robert W. sich darüber empört hatte, dass seine Frau seinen Kriegseinsatz in Nordafrika einem Kampf an der Ostfront vorzog, erkannte er an, dass »[i]n Rußland […] wirklich gewaltiges geleistet worden«220 sei. Nachdem er Post von seinem Schwager erhalten hatte, der ihm von der Kälte im sowjetischen Einsatzgebiet berichtete, musste er seine Einschätzung der dortigen Kriegslage offenbar ändern.221 Vielleicht hatte auch die nachlassende Hitze im November, die er als eine Verbesserung des Wetters empfand, zu einem Wandel seiner Bewertung geführt.222 Zumindest führte die Wetterlage bei anderen Soldaten zu der Einschätzung, dass der Krieg in Nordafrika doch leichter zu ertragen sei als an anderen Fronten. Werner V. schrieb seiner Ver212 213 214 215 216 217
Ebd., S. 113–114. Vgl. DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 123. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 28. November 1941. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am3. Juli 1941. Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 23. April und 1. Mai 1942. Zur Rolle der Rassenideologie bei der Bewertung der Briten durch Hitler vgl. Hermann Graml, Hitler und England. Ein Essay zur nationalsozialistischen Außenpolitik 1920 bis 1940, München 2012 (= Zeitgeschichte im Gespräch, Bd. 7). 218 Vgl. ebd., S. 11. 219 Vgl. etwa Oliver Lorenz, Die Ausstellung »Das Sowjetparadies«: nationalsozialistische Propaganda und kolonialer Diskurs, in: Revue d’Allemagne 48 (2016) 1, S. 121–139, URL: https://journals.opene dition.org/allemagne/376 [25.04.2021]. 220 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. Oktober 1941. 221 Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. November 1941. 222 Ebd.
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lobten im Februar 1942 hocherfreut, dass er schon im »blauen Mittelmeer gebadet« habe, um zu verdeutlichen »wie schön warm es hier schon ist«.223 Zugleich teilte er mit, dass er über die Wetterlage an anderen Fronten Bescheid wisse, da sein Bruder als Soldat »ganz oben in Finnland übern Polarkreis hinaus« und sein Vetter in der Sowjetunion eingesetzt waren, und mutmaßte, dass im Gegensatz zu Nordafrika in Russland »eine schreckliche Kälte« herrschen müsse.224 Wie Robert W. und Werner V. standen viele Soldaten in Kontakt mit Verwandten und Bekannten an den unterschiedlichsten Fronten, aufgrund deren Schilderungen sie anerkannten, dass auch diese Soldaten »Unmenschliches mitgemacht«225 hatten. Derartige Reflexionen führten dazu, dass der eigene Kriegseinsatz im Vergleich mit der Ostfront durchaus als erträglicher eingestuft werden konnte. Karl B. reflektierte nüchtern, dass er in jedem Fall Kriegsdienst hätte leisten müssen und »Afrika […] nicht das Schlechteste«226 sei. Noch im Februar 1942 kam er zu dem Schluss, dass es in Nordafrika »bestimmt besser als in Rußland«227 sei. Ein Jahr darauf bekundete er gegenüber seiner Familie, dass er froh sei, dass ihn das Schicksal nach Nordafrika geführt habe.228 Obwohl die Kriegslage in Nordafrika zu diesem Zeitpunkt für die Achsenmächte schon recht aussichtslos war, weil die deutsch-italienischen Truppen einer halben Million alliierter Soldaten gegenüberstanden und Libyen Ende des Monats aufgeben mussten, war Karl B. nicht der einzige, der seine Situation positiv einschätzte. Major Ritter von D. berichtete im Februar 1943 seiner Frau, dass seine »Männer […] durch die Bank gerne« in Nordafrika eingesetzt und froh seien, »keinen so miserablen Krieg wie in Russland«229 führen zu müssen. Mit welchen Strapazen auch der Kriegseinsatz in der Sowjetunion einherging, realisierten die Soldaten spätestens nach der eigenen Versetzung an die Ostfront. Dort relativierten sie oft ihre Einschätzung des Krieges in Nordafrika, und die neue Umwelt erschien ihnen als ebenso bedrohlich und belastend. Klagen über die Hitze wurden durch Klagen über die Kälte ersetzt, und nicht der Sand, sondern die Sümpfe und der Schlamm symbolisierten nun die Unwirtlichkeit der Natur.230 Am Ende stellten die Kriegsräume beider Fronten die Soldaten vor ähnliche Herausforderungen: In der Sowjetunion wie in Nordafrika mussten riesige Strecken unter schwierigsten Bedingungen zurückgelegt werden, die Hygienestandards waren schlecht, das Klima zermürbte die Körper, die Verpflegungslage war mangelhaft.231 Die Herausforderungen des Kriegsraumes an anderen Fronten waren auch in der Feldzeitung Oase ein Thema. In erster Linie die im Norden Europas gelegenen Schlachtfelder wurden als ebenso bedrohlicher Raum wie die nordafrikanische Wüste gezeigt. 223 224 225 226 227 228 229 230 231
MSPT, 3.2015.2404.0, Werner V. an seine Verlobte am 7. Februar 1942. Ebd. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 9. April 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 16. November 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 21. Februar 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 26. Janauar 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943, S. 2. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 25. Dezember 1942; MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau im Januar 1943. Vgl. Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, S. 286.
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
»Eigentlich ist die Landschaft unseres kaum bekannten Krieges nördlich des Polarkreises und unweit der Kandalakscha See des Weissen Meeres nichts als ein Sumpfwald«, es sei »schlimmstes Unland«,232 hieß es über den Einsatz von Soldaten im Norden der Sowjetunion. Und aus Finnland wurde über »bruetende Hitze, eine Hoelle von Muecken und […] Frost, schneidige Kaelte«233 berichtet. Ein Artikel von Mai 1942 erklärte sogar, dass zwar die besondere Hitze und die unerwartete Nachtkälte in Nordafrika herausfordernd seien, aber Eis, Stürme und fehlende Sonne den Kriegseinsatz im Osten beschwerlicher machten.234 Analog zum Raumbild der Wüste wurde hier das Bild einer ebenso leeren und bedrohlichen Eiswüste entwickelt. Der NS-Starjournalist Hans Schwarz van Berk bezeichnete den Krieg in der »Einöde des nördlichen Norwegens und im Dunkel Kareliens« als einen »Gegenpol« zum Krieg in Nordafrika.235 Diese Ähnlichkeit der Kriegslandschaft vermittelte die Kriegspropaganda auch visuell. Wie zahlreiche PK-Fotografien die Wüste als endloses und schwer zu befahrendes Gelände zeigten, waren auf Bildern aus dem Ostfeldzug Morastwege und Schlammstraßen beliebte Motive, die nicht nur einen propagandistisch genutzten Gegensatz zu den deutschen Reichsstraßen bildeten, sondern auch die Beschwerlichkeiten des Krieges darlegen und Stockungen im Angriffskrieg erklären sollten.236 Auch die Oase druckte Bilder anderer Kriegsschauplätze.237 Der nordafrikanische Kriegsraum und der nördliche Kampfplatz erschienen dabei teilweise als Landschaftspaar, wie der Vergleich zweier in der Oase abgedruckter Fotos der Propagandakompanien verdeutlicht. Ein Bild von Eric Borchert zeigt eine Soldatengruppe, deren Mitglieder – aus der linken, unteren Ecke des Bildes kommend – in den weiten Raum der Wüste schreiten. Die Männer sind leicht von hinten aufgenommen, so dass die Kameraperspektive noch den Eindruck unterstützt, dass sich die Soldaten auf dem Weg in einen großen, leeren Raum befinden.238 In einer späteren Ausgabe der Oase findet sich eine Aufnahme, die in Aufbau und Bildkomposition sehr ähnlich ist. Auch auf dieser scheint sich die von hinten abgebildete Reihe der Soldaten aus Perspektive der Betrachtenden von links nach rechts in eine weite, eintönige Landschaft zu bewegen.239 In beiden Fällen versinnbildlicht die Wüste die Bedrohung der soldatischen Körper durch die natürliche Umwelt. Dabei ist es am Ende unerheblich, ob ein geographischer
232 W. Fr. Droste, Der Krieg im schlimmsten Unland. Bei den deutschen Soldaten der Lappland-Front, in: Die Oase 86, 20. August 1942, S. 2. 233 Karl Springenschmid, Leben und Tod an der weissen Grenze. Das Kind der ganzen Kompanie, in: Die Oase 133, 18. April 1943, S. 3. 234 Vgl. Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2 235 Hans Schwarz van Berk, Die Wahrheit über Afrika, in: Die Oase 101, 4. Januar 1943, S. 1. 236 Vgl. dazu Olli Kleemola, »Gekaufte Erinnerungen?« Zur Thematik und Bedeutung von gekauften Kriegsfotos in den Alben von ehemaligen Kriegsteilnehmern in Finnland und Deutschland, 2020, URL: https://doi.org/10.14765/ZZF.DOK-1738 [13.07.2020]. 237 Vgl. etwa o. V., Ueberlegen trotz Kälte und Schnee, in: Die Oase 59, 8. Februar 1942, S. 1. 238 Eric Borchert, Unsere Truppen rücken in der Wüste vor, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 5. 239 Bavaria, Ein Stoerungstrupp marschiert an den in Eis und Schnee erstarrten Bergen Norwegens entlang, in: Die Oase 104, 20. Februar 1942, S. 4.
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Raum aus Sand oder aus Eis und Schnee in das Landschaftsbild der Wüste gefasst wurde. Auf einigen der Propagandabilder aus Nordafrika erscheint auch der aufgewirbelte Staub wie ein Schneesturm.240 Der nördliche Kriegsraum konnte damit ebenfalls als Ermöglichungsraum der soldatischen Männlichkeit gedeutet werden. Dies war bereits im Ersten Weltkrieg umgesetzt worden, als der hochalpine Kriegsraum aus Felsen und Eis als Bewährungsfeld einer »steinharten« Männlichkeit des »Eisfrontkämpfers« interpretiert worden war.241 Zwar widersprach die Anerkennung der Härte der nördlichen Kriegsschauplätze der an anderer Stelle in der Feldzeitung stets betonten Behauptung, dass der Krieg in Nordafrika außerordentlich hart sei und eine besondere Form der Männlichkeit und Kameradschaft hervorbringe. Sie waren aus Sicht der Truppenbetreuung dennoch sinnvoll. Denn durch die Gleichsetzung der in Nordafrika erlittenen Strapazen mit denen der Soldaten auf anderen Kriegsschauplätzen, konnten die Normen des emotionalen Regimes vermittelt werden. Indem die Zeitung die Soldaten informierte, dass auch andere Soldaten die Herausforderungen der Umwelt mit soldatischer Härte ertrugen, forderte die Oase ihre Leser indirekt auf, die Leiden gleichermaßen auszuhalten. Darüber hinaus beförderten solche Artikel eine Vergemeinschaftung über die Kriegsfronten hinweg. Die Soldaten der unterschiedlichen Kriegsschauplätze wurden auf diese Weise zu Leidensgenossen stilisiert, die sich gegenseitig ein Vorbild und Unterstützung sein konnten. Dies offenbart ein in der Feldzeitung abgedruckter Gruß der in Nordfinnland eingesetzten Wehrmachtssoldaten an ihre Kameraden in Nordafrika, der die Gemeinsamkeiten der Kriegserfahrungen hervorhob: In beiden Kriegsräumen erlebten die Soldaten »die weite Eintoenigkeit der Landschaft« und waren durch »Tausende von Kilometern […] von der Heimat« getrennt.242 Dabei diente die Gleichsetzung der Landschaft ganz explizit als Verbindung über Truppengrenzen hinaus, wenn ein im Norden eingesetzter Soldat zitiert wurde: »Unsere Wueste ist der spaerlich ueberwucherte Fels der Tundra, ist der unendlich grosse Wald Nordkareliens.«243 Die Versuche der Vergemeinschaftung anhand von Landschaftsvergleichen verdeutlichen erneut die Ambivalenz der Kameradschaft der Soldaten, die stets zwischen Inklusion und Exklusion changierte. Einerseits waren nicht einmal alle Soldaten der eigenen Einheit gleichermaßen in die Vorstellung einer Gemeinschaft der harten Männer in Afrika eingeschlossen. Andererseits konnte die Gemeinschaft der Soldaten über das tatsächliche gemeinsame Erleben hinaus ausgeweitet werden. Daher betonten die Soldaten stets die Besonderheit ihrer Kriegserlebnisse, verglichen ihre Erfahrungen aber zugleich mit ikonischen Schlachten, um sich in eine nationale Gemeinschaft von Soldaten einzu-
240 Vgl. etwa P.K.-Aufnahme von Eric Borchert, Vormarsch im Sandsturm, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 1. 241 Vgl. dazu Monika Szczepaniak, »Helden in Fels und Eis.« Militärische Männlichkeit und Kälteerfahrung im Ersten Weltkrieg, in: Colloquia Germanica 43 (2010) 1/2, S. 63–77, S. 64, 69. 242 Johannes Matthiesen, Nordfinnland gruesst Nordafrika. Kameradschaftliche Verbundenheit der deutschen Fronten, in: Die Oase 59, 8. Februar 1942, S. 4. 243 Ebd.
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schreiben. Sie bezeichneten Tobruk als »das Verdun der Wüste«,244 und die Kämpfe um Tunis gingen unter dem Namen »Dünkirchen«245 in die Erinnerungen der Soldaten ein. Robert W. beschrieb seiner Frau die Gazalla-Stellung als mit dem Westwall vergleichbar.246 Eine solch breite Vorstellung von soldatischer Gemeinschaft war möglich, weil es sich bei der Kameradschaft der Wehrmachtssoldaten um einen ideologisch stark aufgeladenen Begriff handelte.247 Zwar bezog sich die Kameradschaft auf tatsächliches Handeln und von den Soldaten empfundene Gefühle, doch wurde sie zugleich benutzt, um im Krieg herrschende Normen zu vermitteln und Sinn zu stiften. Damit hatte die Kameradschaft ebenso einen Konstruktionscharakter wie das Bild des Kriegsraumes als Ort, an dem Männlichkeit entstand. Im Raumbild der Wüste manifestierten sich nicht nur die Leiden der Soldaten, sondern auch ihre soldatischen Tugenden des Aushaltens und der Härte. Zwar wurden diese, wie eben dargelegt, auch den Soldaten an anderen Fronten zugesprochen. Doch zur sinnstiftenden Deutung des eigenen Kriegseinsatzes war die Annahme einer außergewöhnlichen Herausforderung hilfreich. Daher erkannte etwa der Soldat Karl B. zwar die kämpferischen Leistungen der Soldaten an der Ostfront an, betonte aber die Einzigartigkeit des nordafrikanischen Kriegsraumes. Hier seien aufgrund der Eintönigkeit der Landschaft zusätzlich »moralische Hindernisse zu überwinden«.248 Durch die Umdeutung der Herausforderungen in eine Möglichkeit, das eigene Durchhaltevermögen zu zeigen und sich als harter Soldat und echter Kamerad zu beweisen, wurde das Raumbild der Wüste auch zu einem Sinnbild der positiven Erfahrung von soldatischer Helden-Gemeinschaft.249 In Kombination mit der bereits vor dem Krieg gefestigten Vorstellung eines besonderen Einsatzortes und der im kolonialen wie im kriegerischen Kontext etablierten Sichtweise auf die Natur als Raum der Männlichkeit bildete sich eine auf den Kriegsraum bezogene Identität der Männer als »Afrika-Soldaten« heraus, die sie sprachlich transportierten. Stets bezeichneten sich die deutschen Soldaten in Nordafrika als »Afrikaner« und unterzeichneten ihre Briefe so.250 Helmut B. nannte sich in einem Brief an seine Angehörigen sofort nach der Ankunft auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz »filius
244 Vgl. etwa Hanns Gert Esebeck, »Verdun der Küste?« Im Vorfeld von Tobruk, in: Die Oase 46, 12. September 1941, S. 3; Alfred Tschimpke, Tobruk – das libysche Verdun, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 1–2; DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 70. 245 Vgl. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 174; Wilhelm Jung, Stuka -Staffeln im Erdkampf bei Tobruk, in: Die Oase 50, 12. Oktober 1941, S. 12. 246 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2. Juni 1942. 247 Vgl. Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 5. 248 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 16. November 1941. 249 Vgl. dazu auch eine auf wenigen Quellen basierende Einschätzung von Maß, Weiße Helden, S. 256. 250 Erich K. unterzeichnete etwa einen Brief an seine Eltern mit den Worten »Euer Afrikaner«, LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 7. Oktober 1941. Robert W. schrieb seiner Frau aus dem Lazarett in München: »Ich bin so froh, daß Du zunächst nun auch aus der Sorge um Deinen Afrikaner heraus bist.« MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. Juli 1942.
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africanus« und unterschrieb den Brief mit »B. [Nachname, Anmerkung der Autorin] africanus«.251 Damit stellten sich die Wehrmachtssoldaten erneut in eine koloniale Traditionslinie, denn bereits europäische, weiße Siedler252 hatten sich nach einem längeren Aufenthalt in den Kolonien oftmals selbst »Afrikaner« genannt.253 Zudem fand die Rhetorik Verwendung in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, das von 1884 bis 1915 eine deutsche Kolonie war, in der Generalleutnant Lothar von Trotha den Völkermord an den Herero und Nama befehligte. Die dort eingesetzten deutschen Soldaten hatten sich ebenfalls als »Afrikaner« bezeichnet und damit das mit Waffengewalt eroberte Land auch diskursiv in Besitz genommen.254 Die im Ersten Weltkrieg in Ostafrika kämpfenden deutschen Soldaten waren im innerdeutschen Diskurs ebenfalls als »Ostafrikaner« bezeichnet worden.255 Und nach dem Ersten Weltkrieg sprach man innerhalb der kolonialrevisionistischen Bewegung weiterhin von Carl Peters oder dem Gouverneur von Deutsch-Ostafrika Hermann von Wissmann als den »alten Afrikanern«.256 Die Verbindung der Bezeichnung zur kolonialen Vergangenheit wurde in der Feldzeitung der Soldaten angesprochen. So verwies ein Artikel, der einen in Nordafrika kämpfender Hauptmann als »alte[n] Afrikaner« bezeichnete, auf dessen Kolonialerfahrung und betonte seine besondere Eignung für den aktuellen Krieg aufgrund eines erworbenen »Wüstensinn[es]«.257 Hier wird der eigentliche Zweck der Selbstbezeichnung erkennbar: Sie bezog sich nicht einfach auf den in Afrika liegenden Einsatzort der Soldaten, sondern sollte die soldatische Leistung und Durchhaltekraft der Soldaten illustrieren. Der Begriff des »Afrikaners« offenbart, dass sich die Soldaten mit dem Krieg und seinem Schauplatz identifizierten und sich so gut an die Bedingungen angepasst hätten, wie es sonst nur Einheimische könnten. Dies wurde bereits in der ersten Ausgabe der Feldzeitung erkennbar, als es hieß, die Soldaten lägen seit Tagen im Sand und seien »schon richtige ›Afrikaner‹ geworden. Braun gebrannt die Gesichter, sie stehen sich schon gut mit dieser Erde, die ihnen nun Stellung, Lebensraum und Bett geworden ist.«258 Es seien zwar ungewohnte Verhältnisse, aber sie hätten »gelernt mit Allem fertig
251 IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 157 (62). 252 Da aus der Literatur nicht deutlich wird, ob diese Selbstbezeichnung auch von Frauen verwendet wurde, wird hier nur die männliche Form der »Afrikaner« genannt. 253 Vgl. Britta Schilling, Hermann von Wissmann und die Verflechtung nationaler, internationaler und lokaler Erinnerungsdiskurse, in: Albert Gouaffo und Stefanie Michels (Hg.), Koloniale Verbindungen – transkulturelle Erinnerungstopografien. Das Rheinland in Deutschland und das Grasland Kameruns, Bielefeld 2019, S. 217–240, S. 231. 254 Vgl. dazu Medardus Brehl, Diskursereignis ›Herero-Aufstand‹. Konstruktion, Strategien der Authentifizierung, Sinnzuschreibung, in: Warnke, Deutsche Sprache und Kolonialismus, S. 167–202, S. 180f. 255 Vgl. Michels, Ein Feldzug – zwei Perspektiven, S. 155. 256 Vgl. Heyn, Kolonial bewegte Jugend, S. 132. Ebenso wird die früher als Kolonial-Niederländisch bezeichnete Sprache der Nachfahren niederländischer Siedler*innen in Südafrika heute als Afrikaans, als afrikanisch, bezeichnet. 257 Vgl. Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2. 258 Ernst Bayer, Deutsche Wacht im Wüstensand, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 5–6, S. 5.
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zu Werden [sic!]«.259 Willi Körbel erklärte in einem Beitrag der ersten Ausgabe der Oase, dass sich viele Soldaten für den Kriegseinsatz geeignet hielten und »prädestinierte ›Afrikaner‹«260 seien. Auch in den Afrika-Nachrichten bezeichnete er tapfere deutsche Soldaten in Nordafrika als »Afrikaner«.261 In ähnlicher Weise verwiesen die ebenfalls als Ehrentitel verwendeten Bezeichnungen »Wüstenlatscher«262 oder »Wüstenhasen«263 sowie der bekannte Name »Wüstenfuchs« für Erwin Rommel auf das Aushalten der natürlichen Umstände des Kriegsraumes. Als erfahren wurden auch Soldaten angesehen, die an anderen Orten auf dem afrikanischen Kontinent gelebt oder gekämpft hatten. Robert W. berichtete seiner Frau von einem Bekannten, den er über die Bezeichnungen als »SS-Hauptmann in Berlin, alter Afrikaner (12 Jahre eigene Farm in Südwest)«264 definierte. Der Kriegsberichter Max Walter Clauss sprach Männern mit Kolonialerfahrung ein besseres Aushalten der natürlichen Umstände zu, als er sich in der ägyptischen Kattarasenke aufhielt. Er notierte, man müsse schon »ein ganz alter Afrikaner mit 20 Jahren Kolonialdienst sein wie der zaundürre italienische Kommandant des Kattarawerkes, um in dieser Sonnenperspektive den Gleichmut nicht zu verlieren«.265 Weil der Begriff also auf Kenntnisse über den Kriegsraum oder koloniale Erfahrungen verwies, wurde sie in Rommels Memoiren sogar in Bezug auf die britischen Kriegsgegner verwendet.266 Bei der Verwendung der Bezeichnung »Afrikaner« wurde allerdings differenziert, insbesondere bezüglich der Länge des Aufenthaltes und der damit einhergehenden Erfahrung. So nannte man Soldaten, die bereits viele Monate in Nordafrika eingesetzt waren, »alte Afrikaner« genannt, wohingegen von »jungen Afrikanern« gesprochen wurde, wenn Soldaten gemeint waren, die gerade erst auf dem Kriegsschauplatz angekommen waren.267 Insofern korrespondiert diese Bezeichnung mit der bereits aufgezeigten Differenzierung der Zugehörigkeit zur soldatischen Männergemeinschaft. Die Länge des
259 Ebd. Ähnlich in Leutnant Erich Pfund, Afrikanisches Allerlei, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 1; August Harlmanns, Die alten Afrikaner. Wir sind nicht Amboss, sondern Hammer, in: Die Oase 10, 21. März 1943, S. 4. 260 Willi Körbel, Deutschlands neue Front!, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1. 261 Willi Körbel, Begegnungen mit dem »Afrikaner«, in: Afrika-Nachrichten 22 (1941) 5, S. 96. 262 Vgl. Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. 263 Gefunden bei IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, S. 36. In ähnlicher sprachlicher Gleichsetzung mit vermeintlichen Tieren des Kriegsraumes wurde in der Oase ein mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichneter Hauptmann als »Löwe« bezeichnet, vgl. Claus Dörner, Der Löwe von Capuzzo. Hauptmann Kümmel erhielt das Eichenlaub, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2. 264 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. September 1941. 265 IfZ-Archiv, ED 402–125, Max Walter Clauss, Auszug aus Kriegsberichten, Vor der Kattarasenke, 8. September 1942, S. 106. 266 Vgl. Rommel, Krieg ohne Hass, S. 218. 267 Vgl. dazu einen Artikel in der Oase, der die Bezeichnung »alte Afrikaner« im Titel trägt und in dem unterschiedliche Einsatzlängen unterschieden werden und zwischen »Veteranen des Wuestenkrieges von Alamein bis Tripolis« und »junge[n] tunesische[n] Afrikaner[n]«, die erst gegen Ende des Krieges nach Nordafrika kamen, unterschieden wird; August Harlmanns, Die alten Afrikaner. Wir sind nicht Amboss, sondern Hammer, in: Die Oase 10, 21. März 1943, S. 4
5 Der Kriegsraum als Bewährungsraum der Männlichkeit
Einsatzes und das Aushalten der natürlichen Umstände des Kriegsraumes galten als ausschlaggebend für die Männlichkeit und Härte der Soldaten. Dies wurde mit der Bezeichnung als »junge« oder »alte Afrikaner« konkret begrifflich gefasst. Vermutlich aus Stolz auf die Zugehörigkeit ihrer Männer und Söhne zu einer Elitetruppe auf einem ganz besonderen Kriegsschauplatz nutzten die Angehörigen der Soldaten diesen Ausdruck ebenfalls.268 Obwohl in das vorliegende Buch aufgrund der schlechten Überlieferungslage nur in geringem Umfang an die Soldaten geschriebene Feldpostbriefe einbezogen werden konnten, fand sich ein Beleg für die Verwendung. Margret W. berichtete ihrem Freund Hans D., dass während des Schreibens »[g]erade […] wieder ein ›Afrikaner‹ […] in seiner gelben Uniform«269 an ihr vorbeilaufe. Indem sie die eigentlich für den Kriegsraum gebrauchte, homogenisierende Bezeichnung »Afrika« auf sich selbst anwendeten, nahmen die deutschen Soldaten den Kriegsraum diskursiv in Besitz. Der Sprachgebrauch verdeutlicht zudem die kolonialistisch geprägte Wahrnehmung des »fremden Raumes« und der dort lebenden Bevölkerung. Wie in kolonialen Kontexten wurde letztere auch im Nordafrikafeldzug stets marginalisiert oder als nicht vorhanden dargestellt. Damit wurde der zu kolonisierende Raum als ein leerer Raum präsentiert, der auf die Fruchtbarmachung beziehungsweise Eroberung durch Europäer*innen zu warten schien. Vor diesem Hintergrund ist die Selbstbezeichnung als »Afrikaner« als sprachliches Handeln im Kontext kolonialistischer Machthierarchien und eines eurozentristischen Selbstverständnisses zu verstehen. Denn sie beabsichtigte, dass sich die Soldaten als die eigentlichen »Afrikaner« und damit die rechtmäßigen Besitzer des Raumes imaginierten.
268 Vgl. D.B., Aus meinem Skizzenbuch, in: Die Oase 66, 2. April 1942, S. 4–5, S. 4. 269 MSPT, 3.2017.467.0, Margret W. an Hans D. am 2. Mai 1943.
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6 Männlichkeit in Abgrenzung zu den »Anderen«
Die im Krieg erlebte Bedrohung und die Gefahren des natürlichen Kriegsraumes hatten nicht nur die Hoffnungen der Soldaten auf ein Abenteuer enttäuscht. Die Männer fürchteten ganz in der Tradition europäischer Kolonist*innen vor ihnen außerdem einen Verlust der europäischen Identität durch die Übernahme des Körpers und des Geistes durch den Raum.1 Die Orientierung an militärischen Werten und Normen half den Soldaten, die Kontingenzerfahrung des Krieges zu bewältigen. Sie interpretierten den Kriegsraum neu und stabilisierten ihr Selbstbild, indem sie sich gerade aufgrund der Herausforderungen der natürlichen Umwelt als ungewöhnliche Soldaten und harte Männer inszenierten. Zugleich stellten die Überwindung der Natur und die Rückbesinnung auf zivilisatorische Praktiken eine Verortung der Soldaten innerhalb der sogenannten zivilisierten Welt dar. Dieser stand das Unzivilisierte, »Wilde« gegenüber, das sie im Raum erkannten und in den Menschen erblickten, mit denen sie in Nordafrika in Kontakt kamen. Auch in Abgrenzung von diesen »Anderen«, die teilweise ebenfalls Soldaten, teils Zivilisten waren, konstituierten die deutschen Soldaten ihr eigenes Selbstbild.
6.1 »Harte« Deutsche versus »faule« Italiener In Nordafrika kämpften die deutschen Wehrmachtssoldaten Seite an Seite mit den Soldaten der italienischen Wehrmacht. Nach der Weisung Hitlers über das Verhalten deutscher Truppen auf italienischen Kriegsschauplätzen von Februar 1941 unterstanden die deutschen Wehrmachtssoldaten in Libyen mit dem Gouverneur von Libyen und Oberbefehlshaber in Nordafrika, Ettore Bastico, der italienischen Seite taktisch unmittelbar. Allerdings gab es eine Ausnahmeregelung, nach der der deutsche Befehlshaber »das Recht und die Pflicht« hatte, bei einem Auftrag, der einen »schweren Mißerfolg und damit zu einer Schädigung des Ansehens der deutschen Truppen führen würde«, zunächst Hitlers
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Vgl. Gouaffo, Topographieren, malen, photographieren, S. 56, mit Verweis auf Thomas Schwarz, »Die Tropen bin ich!« Der exotische Diskurs der Jahrhundertwende, in: kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie (1995) 32/33, S. 11–21.
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Entscheidung einzuholen.2 Diese Rückversicherung zeugt von den Schwierigkeiten, die sich in der Praxis der Koalitionskriegsführung auftaten. Die Achsenpartner vertrauten sich nicht, und es fehlten klare Absprachen zu globalen Kriegszielen. Zudem waren die Soldaten weder strategisch noch operativ miteinander eingespielt. Dies war noch 1942 der Fall, im zweiten Jahr des gemeinsamen Kampfes in Nordafrika, obgleich mittlerweile in der Sowjetunion ebenfalls deutsche und italienische Truppen gemeinsam eingesetzt waren.3 Um strukturelle Probleme nicht zu verstärken, war man innerhalb der Führungsebene der Wehrmacht um ein gutes Verhältnis zwischen den deutschen und italienischen Soldaten bemüht und setzte zur Förderung der Kameradschaft auf ein verbessertes kulturelles Verständnis. Die deutschen Soldaten, die zusammen mit italienischen im Kriegseinsatz waren oder nach Italien verlegt wurden, sollten über die Vermittlung von Kultur und Lebensweise der Koalitionspartner ein positives Italienbild erhalten. Beispielsweise fand am 6. April 1941 eine deutsch-italienische »Stunde des Soldaten« statt, die der Rundfunk an alle Truppenteile übertrug. Ein ehemaliger Tenor am Düsseldorfer Opernhaus sang dabei zu Ehren der italienischen Verbündeten aus Verdis Oper »Aida« im italienischen Originaltext.4 Neben der Musik wurden andere Künste und kulturelle Errungenschaften der Italiener in der proitalienischen Aufklärung betont.5 In den Jahren 1942 und 1943 existierte eine regelrechte Italien-Propaganda, mit der der Archäologe Ludwig Curtius und der Kunsthistoriker Wilhelm Waetzold beauftragt waren.6 Letzterer publizierte auch in der Feldzeitung Oase einen Artikel, in dem er den deutschen Soldaten den »Lebensrhythmus der Italiener« erläuterte. Dieser sei zwar anders als der deutsche, doch deswegen nicht schlecht, hieß es. In dem Beitrag kamen zahlreiche Stereotype zur Sprache, die von der
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Vgl. Stumpf, Der Krieg im Mittelmeerraum 1942/43, S. 572. Vgl. Jürgen Förster, Die Wehrmacht und die Probleme der Koalitionskriegsführung, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 108–121, S. 110. Vgl. dazu auch Maximiliane Rieder, Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen. Kontinuitäten und Brüche 1936–1957, Frankfurt a.M. 2003, S. 30; Stegemann, ItalienischDeutsche Kriegführung, S. 592; Klinkhammer, Osti Guerrazzi und Schlemmer, Der Krieg der »Achse« – zur Einführung, S. 20; Alessandro Massignani, Die italienischen Streitkräfte und der Krieg der »Achse«, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 122–146, S. 123–126. Zum Einsatz italienischer Truppen an der Ostfront vgl. Thomas Schlemmer, Invasori, non vittime. La Campagna italiana di Russia 1941–1943, Rom/Bari 2009, sowie Bastian Matteo Scianna, The Italian War on the Eastern Front, 1941–1943. Operations, Myths and Memories, Cham 2019. Vgl. Carl-Heinz Reissig, Deutsch-italienische Stunde des Soldaten. Eine schöne Rundfunkveranstaltung für deutsche und italienische Soldaten in Nordafrika, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 2. Vgl. etwa H.W., Italien das Land der Kunst. Schöpferischer Geist vom antiken Rom bis zum Faschismus, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 5. Vgl. Bericht der von den Außenministern der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik am 28. März 2009 eingesetzten Deutsch-Italienischen Historikerkommission, Juli 2012, URL: https://italien.diplo.de/blob/1600270/12748346557a5f376948654ad1deab52/hiko-de-d ata.pdf [05.05.2021], S. 34f.
6 Männlichkeit in Abgrenzung zu den »Anderen«
italienischen Ruhe und Entspanntheit über die »natürliche Höflichkeit« bis hin zur »tiefe[n] künstlerischen Begabung« der italienischen Menschen reichten.7 Mit derartigen Beiträgen versuchte die Feldzeitung die Einstellung der Soldaten ebenso zu beeinflussen, wie sie die Deutungen des Kriegsraumes vorgab. Denn die Oase war nicht nur ein Medium zur mentalen Unterstützung der eigenen Soldaten, sondern verstand sich selbst als wichtiges Verbindungsglied zwischen den deutschen und italienischen Truppenteilen. Bereits auf der Titelseite ihrer ersten Ausgabe wurde Erwin Rommel zitiert, der die Feldzeitung in einer Ansprache an deutsche Soldaten als »ein Band zwischen Euch und den mit Euch Seite an Seite kämpfenden italienischen Kameraden«8 bezeichnet hatte. Mit Hilfe der Oase sollten die deutschen und italienischen Soldaten Erfahrungen austauschen und sich näherkommen. Dazu wollte die Zeitung einerseits zusammen mit den deutschen Soldaten das »Herz [ihrer] verbündeten italienischen Kameraden aufspüren«.9 Zugleich sollten sich die italienischen Soldaten zumindest anfänglich ebenfalls von der deutschen Feldzeitung angesprochen fühlen, die in der zweiten und dritten Ausgabe sogar italienischsprachige Beiträge veröffentlichte.10 Weil die deutschen Soldaten bei der Anreise zum nordafrikanischen Kriegsschauplatz und auf den dortigen Schlachtfeldern zum ersten Mal in engen Kontakt mit den verbündeten italienischen Soldaten kamen,11 reichten Informationen über die italienische Kultur nicht aus. Sie mussten zudem über den Aufbau und die Gepflogenheiten des italienischen Militärs in Kenntnis gesetzt werden. Gebräuchliche militärische Abzeichen und die italienischen Dienstgrade erklärte das Taschenbuch für den Einsatz in Libyen. Daneben enthielt es italienische Formeln für Briefe und Meldungen, um sprachliche Hindernisse zu überwinden.12 Die praktische Verständigung wollte auch die Feldzeitung Oase erleichtern und druckte italienische Vokabeln ab.13 Ihr Nachrichtenblatt Karawane veröffentlichte noch 1943 Erläuterungen zur italienischen Sprache.14 Neben der Förderung eines besseren Verständnisses für die kulturellen, sprachlichen und militärischen Besonderheiten des Achsenpartners betonte die Oase die wichtige Rolle der italienischen Wehrmacht bei der Truppenbetreuung. Mehrfach erklärte das Blatt, dass ihr Erscheinen ohne italienische Hilfe und die Kooperation mit der italienischen Feldzeitung nicht möglich gewesen wäre.15 Die Zusammenarbeit der beiden
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Vgl. Wilhelm Waetzold, Lebensrhythmus der Italiener. Ein wertvoller Ratgeber für die deutschen Soldaten in Italien, in: Die Oase 97, 5. November 1942, S. 6. Erwin Rommel, Kameraden!, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1. Vgl. o. V., Die Oase stellt sich vor, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1. Vgl. o. V., Tradotta Libica. Die Feldzeitung unserer italienischen Kameraden, in: Die Oase 7, 4. April 1941, S. 1. Vgl. o. V., Per voi, camerati italiani, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 4; o. V., Per voi, camerati italiani«, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 5. Vgl. Bericht der Deutsch-Italienischen Historikerkommission, S. 48. Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 33–40. Vgl. Vokabelliste, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 4. Vgl. Wolfdieter von Langen, Vom italienischen Landser … und von seiner Sprache, in: Die Karawane 115, 29. März 1943, S. 1–2. Vgl. o. V., Per voi, camerati italiani, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 4; o. V., Tradotta Libica. Die Feldzeitung unserer italienischen Kameraden, in: Die Oase 7, 4. April 1941, S. 1.
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Zeitungen wurde als Ausdruck der »kameradschaftlichen Verbundenheit der deutschen Soldaten mit ihren italienischen Kameraden« gedeutet.16 Spätere Ausgaben beschrieben dann auch allgemein die deutsch-italienische Waffenbruderschaft als eine »ausgezeichnete und bewährte«17 und ernannten die italienischen Soldaten zu tapferen Kameraden,18 über deren Einsatzbereitschaft die Feldzeitung ebenso berichtete wie über die der deutschen Soldaten.19 All diese Vermittlungsversuche bewirkten jedoch wenig. Zwar bezeichneten zwei Briefeschreiber aus dem untersuchten Quellenkonvolut die Italiener als Kameraden20 und vereinzelt berichteten die Soldaten darüber, auf persönlicher Ebene recht gut mit den Italienern auszukommen und die Abende gemeinsam zu verbringen.21 Auch die italienische Sprache fand Eingang in den Sprachgebrauch der deutschen Soldaten.22 Doch im Allgemeinen sprachen die deutschen Soldaten schlecht über ihre Verbündeten. Das gemeinsame Erleben der Strapazen des Kriegsraumes und das Aushalten feindlicher Angriffe hatte zu keiner deutsch-italienischen Vergemeinschaftung geführt. Dabei hielten sich die Italiener schon um einiges länger im Kriegsraum auf, da sie nach längerer Vorgeschichte Libyen als Kolonie einverleibt und den Feldzug mit dem Angriff auf Ägypten 1940 begonnen hatten. Sie hätten damit als Vorbild im Aushalten von Sonne, Sand und Hitze gelten können. Aber ihre Erfahrungen mit den »natürlichen Feinden« des Kriegsraumes wurden in der Oase lediglich in zwei Artikeln erwähnt.23 In den Selbstzeugnissen sprachen die Soldaten diesen Vorsprung an Raumwissen nicht an. Vielmehr waren die italienischen Verbündeten in der Wahrnehmung der meisten deutschen Soldaten in Nordafrika nicht einmal wirkliche Waffenbrüder, sondern minderwertige Soldaten. Schon auf der Anreise empfand Hubert S. das Gebaren der italienischen Kämpfer als unsoldatisch. Er erregte sich über die Haltung der italienischen bewaffneten Posten an den Bahnhöfen. Sie hätten alle beide Hände in den Hosentaschen und eine Zi-
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Vgl. ebd. Ernst Bayer, Unverbrüchliche Waffenbrüderschaft. Italienische Auszeichnungen für deutsche Afrikakämpfer, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 2. Vgl. etwa Bruno Káldor, Unser italienischer Kamerad, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1–2; Bernhard Müllmann, Tapfere italienische Kameraden. Sturm auf La Valetta, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 3; Oberstleutnant von Menges, Gemeinsamer Kampf an allen Fronten. Deutsch-italienische Kampfgemeinschaft, in: Die Oase 77, 16. Juni 1942, S. 2. Vor allem die italienischen Fußsoldaten wurden als treue und tapfere Bundesgenossen bezeichnet, vgl. Fritz Treffz-Eichhöfer, Italiens »Fante«. Der Prototyp des italienischen Soldaten, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 5. Vgl. etwa o. V., Tradotta Libica. Die Feldzeitung unserer italienischen Kameraden, in: Die Oase 7, 4. April 1941, S. 1.; o. V., Im Geist des Sieges, in: Die Oase 79, 2. Juli 1942, S. 1. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern, 7. November 1941; DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika 1, 1943–1945, S. 18. Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 15. Dezember 1942; LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 28. April 1941. Zur Abendgestaltung vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Einträge vom 16. und 17. März 1942. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Juni 1941 und am 24. April 1942; DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 3. Vgl. Hans Welker, Moderne Karawanen. Soldaten afrikanischer Strassen, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 8, und Hans Schwarz van Berk, Die Wahrheit über Afrika, in: Die Oase 101, 4. Januar 1943.
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garette im Mund, berichtete er seiner Frau. »Für deutsche Begriffe ein toller Haufen«,24 rundete er die Beschreibung ab. Im Kampf in Nordafrika hielten die meisten Soldaten dann gar nichts mehr von den Bundesgenossen und machten deren militärische Schwäche für Niederlagen verantwortlich.25 Ironisch sprachen die deutschen Soldaten von der »Stärke« der Bundesgenossen,26 die bei der Erringung eines Sieges in Nordafrika nur »wenig helfen« könnten.27 Erich K. beschrieb die Italiener zwar als menschlich recht angenehm, doch sie seien »keine Soldaten. Beim ersten Schuss, sogar wenn unsere eigene Flak schiesst, geht alles türmen, vornauf ihre Führung. Sie haben eine Mordsangst.«28 Ähnlich schätzte Hubert S. die italienischen Soldaten als feige ein und glaubte, sich im Ernstfall nicht auf sie verlassen zu können, denn sie würden kehrtmachen, sobald sie das Wort »Amerikaner« hörten.29 Die in den von mir untersuchten Selbstzeugnissen zu findende Abwertung der Italiener entspricht damit anderen Analysen zum Italienbild deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Grundsätzlich empfanden sie die Angehörigen der italienischen Wehrmacht als ehrlos und feige.30 Die angebliche Feigheit stand im Gegensatz zum etablierten Selbstbild der deutschen Soldaten als tapfere Männer. Als Gerd W. gegenüber seinen Eltern beteuerte, die schweren Kämpfe der vergangenen Tage machten einen »Afrikakämpfer« wie ihn nur härter, fügte er hinzu: »Jedenfalls gilt dies uneingeschränkt für den Deutschen. Bei unseren lieben Bundesgenossen gab es leider schon wieder recht unerfreuliche Bilder. Stellenweise ließen sie schon wieder alles stehen u. liegen.«31 Die angebliche Feigheit der italienischen Soldaten kontrastierte er mit der Härte der deutschen Soldaten. Damit erkannte er den Italienern nicht nur ihren Mut, sondern gleich ihre ganze soldatische Männlichkeit ab. Als unmännlich stellte auch Hitlers Dolmetscher Wilfried Armbruster den italienischen General Benvenuto Gioda in seinem Tagebuch dar. Darin notierte er, dass dieser bei seiner Absetzung beinahe »flennte«.32 Ähnliche Abwertungen der italienischen Soldaten finden sich in der Feldzeitung, obgleich sich diese die Vergemeinschaftung der deutsch-italienischen Truppen als Ziel gesetzt hatte. So verkündete Ernst Bayer in zwei Artikeln, dass die italienischen Soldaten aufgrund ihrer eigenen »südländische[n] Lebhaftigkeit« und »echt südländische[n] […] Begeisterung« die kühle »deutsche Sachlichkeit« und die »straffe Disziplin« der
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MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 13. November 1942. Vgl. etwa Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 226. Vgl.BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 31. Dezember 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Paul E. an Lina am 3. April 1943. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern, 28. Mai 1941. Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 8. Dezember 1942. Willi S. bezeichnet die italienischen Soldaten ebenfalls als feige, vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 6. November 1941. Vgl. Neder, Deutsche Soldaten im Mittelmeerraum, S. 200. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 16. Dezember 1941. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 18. August 1942, S. 55.
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Wehrmacht bewunderten.33 Er betonte die Gegensätzlichkeit der Verbündeten und suggerierte, dass die italienischen Soldaten dem im Krieg herrschenden emotionalen Regime nicht entsprechen würden. Statt den innerhalb des Militärs so bedeutenden Tugenden wie Härte, Aushalten und Schweigen, welche die soldatische Männlichkeit der deutschen Soldaten ausmachten und auf der Unterdrückung von Emotionen basierte, schrieb Bayer den italienischen Soldaten ein besonderes Maß an Emotionalität zu. Ähnlich hatte im Januar 1940 das OKH den Italienern eine Nichteignung als Soldaten wegen »südländische[r] Stimmungsschwankungen«34 attestiert und ihnen damit zeitgenössisch als weiblich geltende Eigenschaften zugeschrieben. Die Angehörigen der italienischen Truppen erschienen damit als weniger männlich und außerhalb der soldatischen Gemeinschaft stehend. Wo die Feldzeitung sich noch um einen sachlichen Ton bemühte, wurden die Soldaten zum Teil richtiggehend ausfällig. Sie sprachen den als »Itaka« – dann auch als »Itaker« verschriftlicht35 – bezeichneten italienischen Kameraden jegliche soldatische Eigenschaft ab und setzten sie, vor allem in schwierigen Kriegszeiten, verbal herab: »Es soll nur keiner sagen, daß die Italiener Soldaten sind, die taugen garnichts«,36 erklärte etwa Hans E. seiner Frau. In einem anderen Brief schrieb er an den Rand: »Die Italiener sind richtige Schlamper und taugen keinen Schwanz.«37 Hubert S. konnte kaum glauben, dass ein amerikanisches Flugzeug von Italienern abgeschossen worden sei.38 Er hatte in den vergangenen Wochen nach dem Durchbruch der Briten am 2. November bei El Alamein kein gutes Bild von den Italienern entwickelt und glaubte, sie seien sogar »viel zu dumm«,39 um Gefangene zu bewachen oder auf die Richtigen zu schießen.40 Die Militärführung in Nordafrika sprach nach der verlorenen Schlacht von El Alamein ebenfalls schlecht von den Bündnispartnern. Rommel selbst schimpfte auf die Italiener und gab ihnen die Schuld für Niederlagen.41 Ebenso verdächtigte er sie der Sabotage, als der Nachschub aufgrund starker britischer Bombardierung italienischer Transportschiffe zunehmend ausblieb.42 Sein Italienisch-Dolmetscher in Nordafrika, Wilfried Armbruster, war bereits im Sommer in seinem Tagebuch ausfällig geworden. Während der Kämpfe um Bir Hacheim nannte er den Bündnispartner die »blöden
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Ernst Bayer, Durchs Mittelmeer nach Afrika, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3; bereits ähnlich in Ernst Bayer, So war die Fahrt nach Süden, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 5. Vgl. Förster, Die Wehrmacht und die Probleme, S. 18f. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941. Andere Soldaten nennen die italienischen Soldaten ebenfalls »Itaker«, vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 23. Januar 1942; BfZ, Sammlung Sterz, Hans M., Briefausschnitt vom 31. Dezember 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 22. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 22. November 1942. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 6. Dezember 1941, S. 7. Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. Dezember 1942. Vgl. Förster, Die Wehrmacht und die Probleme, S. 117. Tatsächlich waren die Funksprüche entschlüsselt worden, vgl. Häußler, Nordafrika 1941-1943, S. 63f.
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Italiener«43 und bezeichnete ihre Truppen als »Sauhaufen«.44 Einen Monat nach der Eroberung Bir Hacheims, als die italienischen Truppen bei einem Angriff aus seiner Sicht kurz vor dem Ziel versagt hatten, fand er, sie »gehören verprügelt«.45 Seine Kenntnisse der italienischen Sprache und Kultur, über die er als Dolmetscher verfügte, hatten nicht zu einer wertschätzenden Haltung gegenüber den Verbündeten geführt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch die zaghaften Versuche der deutschen Wehrmachtsführung scheiterten, den Soldaten durch die Vermittlung italienischer Vokabeln oder Hinweise auf die künstlerischen Fähigkeiten des italienischen Volkes eine kameradschaftliche Haltung zu vermitteln. Zu stark war die Wirkung der Erlebnisse im Krieg. Die mangelhafte Ausstattung und Kampfkraft der italienischen Einheiten, die zum Eingreifen der deutschen Wehrmacht in Nordafrika geführt hatte,46 sowie unkoordinierte militärische Zusammenarbeit der Achsenpartner prägten das Bild von den Verbündeten, das sich bei militärischen Niederlagen der Achse noch verschlechterte.47 Dass die Leistung der italienischen Soldaten nicht an ihrer Manneskraft lag, sondern von strukturellen Umständen abhing, reflektierte im untersuchten Quellenkonvolut lediglich Robert W.: Er schrieb seiner Frau, die italienischen Soldaten seien an sich gut, doch ihre Führung und Ausrüstung schlecht.48 Die Herabsetzung der Italiener erfüllte eine wichtige Funktion innerhalb der deutschen Truppen. Sie ermöglichte es den deutschen Soldaten, sich abzugrenzen und dadurch die interne Kameradschaft zu stärken sowie das durch die Kriegserlebnisse strapazierte eigene Selbstbild zu stabilisieren. Lag die Verantwortung für militärische Niederlagen, wie bei El Alamein, aus ihrer Sicht bei den Italienern, musste das Scheitern nicht mit eigenem Versagen erklärt werden. Indem die deutschen Soldaten den italienischen dabei nicht nur die Kampfkraft, sondern generell die Männlichkeit absprachen, betonten sie zugleich ihre eigene soldatische Männlichkeit. Diese wurde damit neben der Abgrenzung von Frauen oder als weiblich geltenden Eigenschaften zugleich durch die Abgrenzung von einer durch nationale Zugehörigkeiten konstruierten Einheit gebildet. Die Härte und Disziplin der deutschen Soldaten waren damit nicht allein Tugenden, die innerhalb der Wehrmacht zur soldatischen Männlichkeit gerechnet wurden, sondern machten eine spezifisch deutsche soldatische Männlichkeit aus. Somit festigten die Herabsetzungen der als unmännlich konstruierten Italiener nicht nur die Identität der Wehrmachtsangehörigen als Soldaten, sondern werteten allgemein die eigene Nation auf.49
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IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 7. Juni 1942, S. 36. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 8. Juni 1942, ebd. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. Juli 1942, S. 46. Vgl. etwa Querengässer, El Alamein, S. 47. Vgl. Förster, Die Wehrmacht und die Probleme, S. 118. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. Dezember 1941. Dies war auch in anderen Kriegen der Fall, vgl. etwa Robert L. Nelson, Deutsche Kameraden – slawische Huren. Geschlechterbilder in den deutschen Feldzeitungen des Ersten Weltkrieges, in: Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterver-
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Im Umkehrschluss wurden die italienischen Soldaten nicht nur als Soldaten abgewertet, sondern auch als Angehörige einer minderwertigen Nation angesehen. Die Hinweise auf eine sich von der deutschen unterscheidende italienische Kultur in der Feldzeitung bewirkten damit kein besseres Verständnis, sondern vielmehr, dass die deutschen Soldaten die Italiener als anders empfanden. Ernst Bayer betonte etwa in einem Artikel der Oase die unterschiedlichen Brotvorlieben der deutschen und italienischen Wehrmachtsangehörigen: »Die italienischen Soldaten essen reines Weizenbrot, während die Deutschen das aus Roggen und Weizen hergestellte Mischbrot bevorzugen.«50 Derartige Kontrastierungen bestärkten bei den deutschen Soldaten der Eindruck, dass es sich bei den Italienern um gänzlich »andere« und »fremde« Menschen handele. Diese Haltung, die Gayatri Chakravorty Spivak für den kolonialen Kontext als othering beschrieben hat,51 führte auch zu einer Abwertung der italienischen Soldaten. Zugleich bewirkten im Zuge von Kolonialismus sowie im Nationalsozialismus etablierte Denkmuster, dass die deutschen Soldaten ein rassifizierendes Bild des Bündnispartners hatten. Dies ist in den Briefen der deutschen Soldaten an den Beschreibungen der Eindrücke in Italien vor und nach dem Kriegseinsatz in Nordafrika abzulesen. Die Süditaliener, die auch in der heutigen italienischen Gesellschaft oft als »die Anderen« wahrgenommen werden, schienen den deutschen Soldaten als besonders fremd. Viele deutsche Soldaten beschrieben die süditalienischen Städte als schmutzig, wie etwa Erich K., der Neapel als »riesige Drecksstadt«52 bezeichnete. Hier waren rassistische Vorstellungen wirksam, die im Kontext des Nordafrikafeldzuges sonst auf die lokale Bevölkerung projiziert wurden.53 Noch nach dem Krieg notierte Adolf S., Süditalien habe auf ihn wegen der »engen, schmutzigen Gassen mit den vielen Verkaufsständen und den dunklen Höhlenwohnungen« fast »orientalisch« gewirkt.54 Die italienischen Verbündeten galten damit als ebenso fremd und exotisch, wie die deutschen Soldaten den Kriegsraum imaginierten. Die rassistische Sichtweise konnte im Kontext von Kriegsniederlagen und alltäglichen Herausforderungen in Hass umschlagen. Besonders eindrücklich wird dies im Tagebuch des Italienisch-Dolmetschers Wilfried Armbruster, der am 11. Juli 1942 während der ersten zum Scheitern verurteilten Schlacht um El Alemein notierte: »Man sollte dieses Scheissvolk einfach erschiessen«55 . Das negative Bild von den italienischen Soldaten entwickelte sich nicht erst während des Nordafrikafeldzuges. Insgesamt war die Einstellung der deutschen Wehrmachtsangehörigen gegenüber den Truppen des Achsenpartners mehrheitlich negativ. Anette Neder ist zu dem Schluss gekommen, dass nur fünf Prozent der deutschen Wehrmachtssol-
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hältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M./New York 2002 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 35), S. 91–107. Ernst Bayer, Verpflegung unserer Soldaten in Afrika, in: Jambo C (1942) 1, S. 10. Vgl. Spivak, The Rani of Sirmur. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 28. April 1941. Zur rassistischen Einstellung deutscher Soldaten gegenüber Süditalienern vgl. Neder, Deutsche Soldaten im Mittelmeerraum, S. 200. NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 2. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. Juli 1942, S. 46.
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daten im Mittelmeerraum ein positives Italienbild hatten.56 Damit kann die Einstellung nicht allein auf die im Krieg miterlebten Missstände in der Kriegsführung zurückgeführt werden, wie die von den Außenministern beider Länder 2009 einberufene Deutsch-Italienische Historikerkommission betonte. Im historischen Kontext betrachtet fügte sich die abwertende und exkludierende Bewertung der Italiener in ein Kontinuum von Vorurteilen ein. Negative Italienbilder und Stereotype gehörten »schon zum mentalen Gepäck der deutschen Soldaten, als diese erstmals italienischen Boden betraten«.57 Zwar existierte in deutschen bürgerlichen Kreisen seit langem eine regelrechte »Italiensehnsucht«. Das damit einhergehende Italienbild umfasste allerdings lediglich »Kunst, Kultur und Landschaft«58 und pries vor allem die antike Kultur, wohingegen die italienische Bevölkerung als rückständig betrachtet wurde.59 Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte sich der Vorwurf, die Italiener hätten Deutschland und den Dreibund durch den Kriegseintritt auf Seiten der Entente-Mächte im Jahr 1915 verraten, negativ auf das deutsche Italienbild aus.60 Die Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, vor allem der Waffenstillstand der Italiener mit den Alliierten im September 1943 und die anschließende Kriegserklärung, schienen das Vorurteil vom italienischen Verräter dann zu bestätigen. Auch die offizielle Propaganda schwenkte nun auf einen anti-italienischen Kurs und sprach nur noch abschätzig über die vormaligen Verbündeten, die nun zu Feinden geworden waren.61 Daher äußerten sich auch die vom nordafrikanischen Kriegsschauplatz in Kriegsgefangenschaft gegangenen Wehrmachtsangehörigen negativ über die Italiener.62 Die ehemaligen Verbündeten dienten nun erneut als »Alteritätspartner« und dem eigenen Handeln konnte in Abgrenzung zu dem der italienischen Soldaten Sinn verliehen werden.63 Als Negativfolie war die Bewertung der Italiener so erfolgreich, dass nicht nur das eigene Verhalten im Krieg zumindest militärisch in einem positiven Licht erscheinen konnte, sondern auch das Vorurteil über die »faulen Italiener« bis weit nach 1945 fortwirkte.64 Anders als die italienischen Soldaten wurden die als Teil der italienischen Truppen rekrutierten libyschen Soldaten in den untersuchten deutschen Selbstzeugnissen kaum angesprochen. Dabei machten die aus der lokalen Bevölkerung eingezogenen Soldaten ganze 16 Prozent der Einheiten aus. Anders als die libyschen Soldaten, die an der Niederschlagung der Rebellenbewegungen in den 1920er und 1930er Jahren beteiligt gewe56 57 58 59 60 61
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Vgl. Neder, Deutsche Soldaten im Mittelmeerraum, S. 197. Bericht der Deutsch-Italienischen Historikerkommission, S. 52. Daniella Seidl, »Wir machen hier unser Italien …«. Multilokalität deutscher Ferienhausbesitzer, Münster u.a. 2009, S. 104. Vgl. ebd. S. 108f. Vgl. ebd., S. 17, 52 und 60. Vgl. Kerstin Wölki, »Und ab ging die Reise!« Kriegserfahrung deutscher Soldaten in Frankreich, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 511–524. Vgl. Querengässer, El Alamein, S. 194. Vgl. den Abschnitt zur gegenseitigen Wahrnehmung im Tagungsbericht von Alexander Korb, »Abgehört« – Intercettazioni. Krieg und Nachkrieg des faschistischen Achsenbündnisses im Lichte neuer Quellen, 1.-2. April 2009, Rom, in: H-Soz-Kult, 01.07.2009, URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-2658 [04.05.2021]. Vgl. Bericht der Deutsch-Italienischen Historikerkommission, S., 51, 35.
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sen waren, kämpften diese im Zweiten Weltkrieg nicht freiwillig auf der Seite der Italiener. Sie mussten die 1937 in Tripolitanien eingeführte und 1939 auf die ganze italienische Kolonie Libyen ausgeweitete Wehrpflicht erfüllen. Weil die Kolonialsoldaten aus Eritrea und Äthiopien zur Verteidigung der dortigen italienischen Herrschaftsgebiete gebraucht wurden, blieben die Libyer die einzigen Kolonialsoldaten innerhalb der italienischen Einheiten in Nordafrika.65 Die deutschen Wehrmachtsangehörigen nahmen die libyschen Soldaten durchaus wahr, wie eine Filmaufnahme aus dem Nordafrikafeldzug belegt. Darauf ist zu erkennen, dass die deutschen Wehrmachtsangehörigen einem libyschen Soldaten mit neugierigem Interesse gegenübertraten.66 Doch allein Helmut T. erinnerte sich, in Bengasi »in das Lager […] einer italienischen Kolonialtruppen-Kaserne« gebracht worden zu sein.67 In den im Kontext des Afrikafeldzuges erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften spielten diese Truppenteile nur eine marginale Rolle. Die Oase thematisierte die Kolonialtruppen der Kriegsgegner zwar, verwies aber nur in einem Artikel auf »[e]in Kamelreiterkorps der eingeborenen Tuaregs oder die arabische[n] Fallschirmjäger-Formationen« und erklärte, dass sie nicht den exotistischen Vorstellungen vom märchenhaften »Orient« entsprächen.68 Auch die Kolonialzeitschrift Jambo erwähnte die lokal rekrutierten Soldaten nur ein einziges Mal: »Müßig, rauchend und lachend standen die Soldaten des dort garnisonierten Eingeborenenregiments herum«,69 hieß es darin. Schon während des Krieges wurden diese Truppenteile also aus dem Kriegsnarrativ ausgeklammert, stattdessen dominierte das unter Rückbezug auf tradierte Sehweisen entwickelte Raumbild der leeren Wüste. Daher wurde auch retrospektiv die Beteiligung dieser Truppenteile nicht erkannt und Helmut B. schrieb in seinen Erinnerungen, dass seine Kameraden und er zwar »zum ernsthaften Kriegsspielen im Lande« stünden, aber »die Araber eigentlich nicht beteiligt« gewesen seien.70 Schlussendlich marginalisierte das in der Öffentlichkeit vorherrschende Kriegsbild die Rolle der gesamten italienischen Wehrmacht, und zwar sowohl der italienischen als auch der nordafrikanischen Truppenteile.71 Dabei wirkten sich auch auf die geschichtswissenschaftliche Bewertung des Nordafrikafeldzuges italophobe Einstellungen aus.72
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Nir Arielli, Une guerre non européenne: Les troupes des colonies et des dominions, in: Nicola Labanca, David Reynolds und Olivier Wieviorka (Hg.), La guerre du désert 1940–1943, Paris 2019, S. 131–180, S. 157f. Vgl. Aufnahme am Arco dei Fileni, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 516, TC: 10:24:01-10:24:17, URL: www.archiv-akh.de/filme?utf-8= %E2 %9C %93&q=Nordafrika#2 [19.01.2021]. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, 1941–1943, S. 56. Willi Körbel, Zwischen dem 30. und 40. Breitengrad. Als erster deutscher Kriegsberichter bei der italienischen Luftwaffe im Mittelmeerraum; in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 4. Oberleutnant Köhrer, Afrikanischer Bilderbogen, in: Jambo C (1942) 11, S. 165–167, S. 165. IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 149 (54). Vgl. James J. Sadkovich, Of Myths and Men. Rommel and the Italians in North Africa, in: The International History Review 13 (1991) 2, S. 284–313. Vgl. Raimondo Luraghi, The Italian Forces at the Battle of Al-Alamein. »Ferrea Mole, Ferreo Cuore«, in: Jill Edwards und Michel Howard (Hg.), Al-Alamein Revisited, Kairo 2000, S. 13–31, S. 13.
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6.2 Die Alliierten als »eitle« und »einfältige« Gegner Im Gegensatz zu den Italienern hatten die britischen Soldaten nach dem Krieg einen überaus guten Ruf. Die historische Forschung stellte das Verhältnis der deutschen zu den britischen Soldaten als außergewöhnlich dar und beschrieb es als von gegenseitigem Respekt und Bewunderung geprägt. Geradezu kameradschaftliche Gefühle hätten die deutschen und britischen Soldaten füreinander empfunden, hieß es.73 Auf diese Bewertung hatten die Veteranen wesentlichen Einfluss durch die Veröffentlichung von Aufzeichnungen und Erinnerungen, die ein positives Bild der britischen Soldaten verbreiteten. Beispielsweise ist in Erwin Rommels posthum publizierten Tagebuch zu lesen, wie begeistert der Generalfeldmarschall von seinen Kriegsgegnern gewesen sei und dass er »solche Menschen gerne im Kampf selbst«74 hätte führen wollen. Wie bei der Ausklammerung der lokalen Bevölkerung und der rekrutierten nichtweißen Soldaten war auch hier das Raumbild des nordafrikanischen Kriegsschauplatzes bedeutsam für die Einschätzung. Mit dem Bild der weiten, menschenleeren Wüste wurde das gute Verhältnis der deutschen und britischen Truppen begründet, denn man habe sich dank dieser Gegebenheiten auf einen rein taktischen Krieg konzentrieren können. Und anders als im Fall der italienischen Soldaten gestand man den britischen Truppen nach dem Krieg zu, ebenso wie die deutschen an den Bedingungen des Raumes gelitten zu haben. Damit wurde eine gemeinsame Kriegserfahrung beschworen, nach der auch die britischen Veteranen die Natur als gemeinsamen Feind im Krieg erinnerten.75 In seinen Memoiren beteuerte etwa Alexander von Neurath, dass »Kameradschaft zwischen Freund und Feind […] in der Wüste wohl etwas anderes als auf dem europäischen Festland« sei, denn hier zähle »vor allem der Kampf mit der Natur, der allen gleich zu schaffen macht«.76 Die Briten verstanden den Kriegsraum ähnlich wie die deutschen Soldaten als einen Ort, der die Soldaten formte und zu Elitesoldaten machte. In der nordafrikanischen Wüste, so erinnerten sich britische Veteranen nach dem Krieg, erlangten die Angehörigen des britischen Militärs Unabhängigkeit, Zähigkeit, Selbstsicherheit.77 Auf Grundlage der gemeinsamen Erfahrungen und der ähnlichen Raumdeutung konnte sich die Vorstellung etablieren, dass der Kampf der deutschen und britischen Soldaten ideologiefrei und ohne Hass geführt worden sei. Stattdessen hätten sich die Kriegsgegner fair verhalten. Bis heute ist daher in manchen Publikationen zum Nordafrikafeldzug zu lesen, Briten und Deutsche hätten in Nordafrika geradezu »ritterlich« gegeneinander gekämpft.78 Damit stand nach dem Krieg eine im Nationalsozialismus propagierte soldatische Tugend im Zentrum der Erinnerung. Ritterlichkeit war bereits 1942 von mehreren Au73 74 75 76 77 78
Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 85. Rommel, Krieg ohne Hass, S. 104. Houghton, Veterans’ Tale, S. 80. Vgl. IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Vom Wasser«, S. 34. Vgl. Houghton, Veterans’ Tale, S. 80. Vgl. etwa David Fraser, Knight’s Cross. A Life of Field Marshal Erwin Rommel, London 1994, S. 309; Pressfield, Author POV.
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toren in der Zeitschrift Soldatentum diskutiert worden und bezeichnete eine »Großmütigkeit im Kampfe«,79 die sich an die Kämpfe der deutschen Ritter im Mittelalter anlehne. Denn diese seien nicht von einem »Vernichtungsgedanken, sondern nur vom Streben nach Anerkennung der eigenen ehrenvollen kämpferischen Überlegenheit«80 geleitet gewesen. Als eine »ausgesprochene Herrentugend«81 war Ritterlichkeit Teil soldatischer Männlichkeit. Dabei stellte der Begriff einen legitimierenden Vergangenheitsbezug her. Er knüpfte an Deutungen des Ersten Weltkrieges in Deutsch-Ostafrika an, der bereits als ritterlicher Krieg nach »alten Regeln« bezeichnet worden war.82 Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Ritterlichkeit eine auf die Zukunft gerichtete politische Funktion. Die verklärende Darstellung des Nordafrikafeldzuges und die Legendenbildung um Rommel und seine Soldaten hatten gewichtigen Wert für die bundesdeutsche Innen-und Außenpolitik unter Konrad Adenauer, in der eine Reihe ehemaliger deutscher Militärs einflussreich waren. Hans Speidel, vormals Chef des Stabes der Heeresgruppe B unter Erwin Rommel, war im Jahr 1950 Adenauers militärischer Chefberater. Er und andere ehemalige Militärangehörige beschworen die Kameradschaft der Soldaten als Zeichen ihrer Ehre, um die Wiederbewaffnung in der jungen Bundesrepublik voranzutreiben.83 Nun konnte die positive Erzählung des Wüstenkrieges von den Verbrechen der Wehrmacht ablenken und mit dem Erzählmuster einer »sauberen Kriegsführung« helfen, Millionen Veteranen des Zweiten Weltkrieges in eine neue demokratische Gesellschaft zu integrieren.84 Sie ermöglichte, wenigstens im Kontext des Nordafrikafeldzuges positiv über die Wehrmachtssoldaten zu sprechen und trug wesentlich zum Mythos der »sauberen Wehrmacht« bei, insbesondere nachdem Erwin Rommel von Speidel sogar zum Widerstandskämpfer erklärt worden war.85 So wurde Rommel zumindest in den westdeutschen Massenmedien als Held breit adaptiert, wohingegen er in der DDR als faschistischer Ideologe innerhalb des Militärs eingeschätzt wurde.86 Das in der westdeutschen Öffentlichkeit vorherrschende Bild von der Wehrmacht veränderte sich erst ab den 1990er Jahren durch die Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die Dimension der Verbrechen der Wehrmacht bekannt wurde.87 Der Nordafrikafeldzug galt aber weiterhin als eine Ausnahme. Die Vorstellung von einer exzeptionellen Kriegsführung auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz hielt
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Max Simoneit, Ritterlichkeit und Wahrhaftigkeit, in: Soldatentum 9 (1942) 2, 34–36, S. 34. Ebd. Politsch, Ritterlichkeit in der soldatischen Wirklichkeit, S. 38. Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 134, 253. Vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 231. Zur Rehabilitierung der Berufssoldaten siehe auch Manig, Politik der Ehre, S. 177f. Vgl. Hans Speidel, Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal, Stuttgart 1949; ders., Aus unserer Zeit. Erinnerungen, Wien 1977; ders., Invasion 1944. Der letzte Chef des Generalstabs von Feldmarschall Rommel über die Invasion und das Schicksal seines Oberbefehlshabers, Frankfurt a.M. u.a. 1979. Siehe auch Helmut Krausnick, Erwin Rommel und der deutsche Widerstand gegen Hitler, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), S. 358–371. Vgl. Wolfrum, Die beiden Deutschland, S. 156. Vgl. etwa Christian Hartmann, Johannes Hürter und Ulrike Jureit (Hg.), Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte, München 2005.
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sich, weil das Bild vom »Krieg ohne Hass« nicht nur einseitig gestützt wurde. Die britische Seite stellte den Feldzug ebenfalls als Beispiel einer fairen Kriegsführung dar und verhalf damit auch den Wehrmachtsgenerälen zu einem positiven Image. Zudem war diese Kriegserzählung die Grundlage für eine potenzielle gemeinsame westeuropäische Verteidigung. Es konnte die Kriegsgegner versöhnen und auf den Kampf gegen den nun gemeinsamen Feind des Kommunismus einstimmen.88 Zugleich wirkte der retrospektiv gegenseitig gezollte »soldatisch-ritterliche Respekt« nicht nur als Mittel zur Rehabilitation der Soldaten auf militärischer Ebene, sondern kann auch als Form der Wiederherstellung soldatischer Männlichkeit verstanden werden, die während des Krieges durch die Erfahrung des Ausgeliefertseins und der Schwäche beschädigt worden war.89 Mit Blick auf die politischen Funktionen der Erzählung vom Nordafrikafeldzug als »Krieg ohne Hass« ist es nicht verwunderlich, dass sich die Ritterlichkeit und Fairness des Kampfes beim Blick in die Selbstzeugnisse als nachträgliche Konstruktion erweist. Zwar hat Anette Neder in den von ihr untersuchten Quellen aus dem Krieg im Mittelmeerraum ein zu 70 Prozent positives Bild der Briten analysiert, das die Vorstellung eines fairen und aufrichtigen Gegners mit einschloss.90 Doch in den für diese Arbeit untersuchten Quellen, die nur aus dem Kontext des Nordafrikafeldzuges stammen, findet sich mehrheitlich eine wenig anerkennende Sichtweise auf die britischen Truppen. In ihren Briefen und Tagebucheinträgen erwähnen die deutsche Soldaten die Kriegsgegner nur, wenn sie Verpflegung oder Kleidung aus britischen Lagern erbeuten konnten, als Verursacher von Fliegerangriffen oder wenn sie deren militärische Übermacht betonten.91 Robert W., Mitglied des Maschinengewehr-Bataillons 8, das der 5. leichten Division/21. Panzer-Division unterstellt war, schilderte beispielsweise, dass die gegnerischen Truppen beim Rückzug nach Agedabia »etwa das Doppelte an Panzern und das 5-fache an Panzer-Spähwagen mehr« besaßen und von »der Artillerie gar nicht zu reden« sei.92 Von einem kameradschaftlichen Umgang über die Fronten hinweg ließen die Briefeschreiber nichts verlauten. Selbst Neurath, der einerseits die deutsch-britische Kameradschaft in seinen Erinnerungen beschwor, berichtete andererseits auf derselben Seite davon, dass er einen abgeschossenen britischen Flieger in der Wüste aufgriff und ihm seinen Fallschirm wegnahm, den er zum Wassersammeln genutzt hatte.93 Die von ihm beschriebene soldatische Kameradschaft gegenüber den britischen Truppen bestand also nur auf dem Papier, nicht aber in seinem Handeln. Ebenso war in der Feldzeitung Oase kaum etwas von gegenseitigem Respekt zu lesen. Anders als in der Nachkriegsliteratur oder in militärhistorischen Darstellungen, die von
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Vgl. Houghton, Veterans’ Tale, S. 99. Vgl. dazu die kompetitiven Elemente innerhalb der Herstellung von Männlichkeit bei Meuser, Distinktion und Konjunktion, S. 44, Zitat ebd. Vgl. Neder, Deutsche Soldaten im Mittelmeerraum, S. 202f. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seinen Sohn am 12. Januar 1942; Ifz-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, Eintrag vom 5. April 1943, S. 14. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 4. Februar 1942. Vgl. IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Vom Wasser«, S. 34.
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der Ritterlichkeit Rommels und seiner Soldaten gegenüber den Briten sprachen,94 lobten einige Artikel allein die Kampfmoral der gegnerischen Soldaten.95 Doch kann dies als Taktik zur Betonung der Leistung der deutschen Soldaten verstanden werden. Zwar erwähnte das Blatt, dass die britische Presse Lobesworte über Rommel drucken würde,96 die Oase fand im Gegenzug aber keine Worte der Anerkennung für die Briten und ihre Alliierten. Lediglich das Zusammentreffen eines deutschen und eines amerikanischen Fliegers, bei dem der abgeschossene US-Soldat sich über »die ritterliche Behandlung«97 durch die Deutschen verwundert gezeigt hätte, schilderte die Zeitung. Ebenso wurde zumindest von deutscher Seite während der Kämpfe noch keine gemeinsame Leiderfahrung am Kriegsraum heraufbeschworen, obwohl diese nach dem Krieg wesentlicher Teil der Versöhnungsstrategie war. Statt über den Raum des Krieges und den Kampf gegen die »natürlichen Feinde« ein Moment der Vergemeinschaftung zu konstruieren, wurden in der Feldzeitung die Umwelteinflüsse des Kriegsschauplatzes genutzt, um die britischen Einheiten als den Deutschen unterlegen darzustellen. Zwar war es nicht zu leugnen, dass die britischen Soldaten aufgrund ihrer Kolonialgeschichte im Gebiet des Kriegsraumes mehr Erfahrung im Umgang mit den Herausforderungen des Wetters oder mit Sandstürmen hatten. Doch wurde dieser Umstand als Beweis für die Überlegenheit der deutschen Soldaten gewertet, die trotz ihrer geringeren Kolonialerfahrung große Leistungen erbrachten. Als Neulinge auf einem »Kriegsschauplatze, auf dem sich der Engländer zu Hause fühlte«, hätten sie, die von britischer Seite als »die Fremden, die Eindringlinge« in diesem Raum bezeichneten wurden, die Briten dennoch vielfach geschlagen.98 Weil die Schmach der entzogenen Kolonien wesentlich von der britischen Regierung ausgegangen war, begann der Kampf gegen Großbritannien nicht erst im Zweiten Weltkrieg, sondern die Kolonialmacht war schon zuvor als Widersacher angesehen worden. Dass die deutschen Soldaten, von denen die meisten ohne Kolonialerfahrung waren, gegen einen Gegner kämpften, »der sich als bester Kolonialsoldat der Welt brüstete«99 , verstärkte die Freude über die anfänglichen Kriegserfolge der deutschen Truppen noch. Der Nordafrikafeldzug konnte so als eine Revanche interpretiert werden. Um diese unverhoffte Überlegenheit hervorzuheben, wurde auch die Natur des Kriegsraumes herange94
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Fraser sprach in seiner Rommel-Biographie von dessen »chivalry« und »essential decency«, die die Briten als »fairness« bezeichneten, vgl. Fraser, Knight’s Cross, S. 309. Der Roman-und Drehbuchautor Steven Pressfield nannte noch 2008 die Ritterlichkeit das wesentliche Merkmal des Krieges in Nordafrika, vgl. Pressfielfd, Author POV. Vgl. Ernst Pröbstli, Wir pochen an das letzte Tor. Erbitterte Kämpfe um die El Alamein-Stellung, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 2; Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 71. Vgl. Claus Dörner, Wiedersehen mit dem Halfayapass, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 2. Rommel hatte durch die von ihm erzielten Überraschungserfolge erheblichen Eindruck auf die britischen Militärs gemacht, die deshalb von ihrem Oberbefehlshaber General Claude Auchlineck angewiesen wurden, nicht mehr von ihm, sondern nur noch von »den Deutschen« zu sprechen, um das Bild des überragenden deutschen Generals zu entmystifizieren, vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 122. Vgl. Claus Dörner, Wiedersehen mit dem Halfayapass, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 2. B.K., General Rommels grösster Sieg, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 1. B.K., Tödliche Schläge: England blutet aus tausend Wunden, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 1.
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zogen. Ernst Bayer schrieb etwa in einem Artikel in der Zeitschrift Jambo, dass die Engländer es den Deutschen nicht zugetraut hätten, in der Wüste zu kämpfen. Aber nun sei den deutschen Soldaten »[d]ie Wüste […] zur Heimat geworden.«100 Andere Beiträge ignorierten die räumliche Erfahrung der Briten. Ein mit dem Titel »Delirium Britanicum« überschriebener Artikel behauptete, dass die Briten sich, im Gegensatz zu den deutschen Soldaten, die auch bei Sandsturm angriffen, von derartigen Naturereignissen aufhalten ließen.101 Die englische Presse, so höhnte der Kriegsberichterstatter Ernst Bayer, habe die Umwelteinflüsse gar »zu ›Generalen‹ erhoben […], die schon allein in der Lage sind Niederlagen im Wüstenraum herbeizuführen«.102 Der Raum des Krieges und dessen Bedingungen lieferten also mit Blick auf die deutsche Wehrmacht den Beweis soldatischer Männlichkeit, wohingegen sie in Bezug auf den Kriegsgegner als Belege für dessen Unterlegenheit gedeutet wurden. Zudem berichtete die Oase herablassend über andere »Qualitäten des englischen Soldaten«.103 Die Zeitung zitierte dazu Oberstleutnant Freiherr von Wechmar, der im Februar 1941 mit seiner Abteilung als Teil des DAK nach Libyen verlegt worden war. Er hatte im April 1941 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes und im Januar 1942 das Deutsche Kreuz in Gold verliehen bekommen und war damit ein Vorbild an soldatischer Männlichkeit. Zudem amtierte er von 1942 bis 1943 als Chef der Propagandaabteilung des Heeres. Er behauptete, dass die britischen den deutschen Soldaten nicht gewachsen seien und keinerlei Begeisterung für den Kampf zeigten.104 Der bereits erwähnte Journalist Hans Schwarz van Berk veröffentlichte in der Feldzeitung ebenfalls einen Artikel, in dem er die deutschen mit den britischen Soldaten verglich. Darin unterschied er mehrere Charaktereigenschaften, wie sie die Oase auch in Bezug auf die italienischen Soldaten proklamierte. Die deutschen Soldaten würden Disziplin beweisen und wortkarg und sachlich kämpfen, wohingegen der englisch-amerikanische Kriegsstil »wortreich, schrill, lärmend, vollmäulig und überheblich«105 sei. Wie den italienischen Soldaten warf er damit den Briten fehlende emotionale Disziplin vor, was im Gegensatz zur deutschen Tugend des Schweigens stand. Anders als im Fall der Italiener, denen die Oase die Kultur des Landes zugutehielt, zeichnete die Presse von den Kriegsgegnern ein Bild kulturloser Menschen. In der Zeitschrift Die Wehrmacht wurde ein gefangener US-Soldat zitiert, der angegeben habe, die
100 Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 70. 101 O.A., Delirium Britanicum. Zwölf Invasionstermine, in: Die Oase 11, 9. April 1941, S. 1. 102 Ernst Bayer, Generale der Wüste, in: Die Oase 41, 27. Juli 1941, S. 1–2, S. 1. In der Zeitschrift Jambo veröffentlichte Bayer einen ähnlichen Beitrag, in dem er schreibt, die Engländer würden sich »Sand, Wasser, Hitze, Staub und wie sie noch alle heißen mögen« gar unterwerfen, indem sie diese Faktoren zu »Generalen« erhoben hätten, vgl. Ernst Bayer, Der Alltag des Wüstenkrieges, in: Jambo C (1942) 5, S. 66–71, S. 66. In der Oase wurde zudem belächelt, dass die Briten Sandstürme als Entschuldigungen für Niederlagen anführen würden, vgl. Erich Pfund, Ist das die englische Blitzkriegtechnik?, in: Die Oase 59, 8. Februar 1942, S. 1. 103 Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. 104 Gert Habedanck, Die andere Seite. Begegnung mit Tommies und Yankees, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 1, S. 8 und 11, S. 8. 105 Hans Schwarz van Berk, Die Wahrheit über Afrika, in: Die Oase 101, 4. Januar 1943, S. 1.
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Briten behandelten die amerikanischen Soldaten »von oben herab« und ungerecht, obwohl sie sich selbst nicht zu benehmen wüssten: »In Algier haben sie sich immer betrunken, kamen singend und torkelnd an unserem Lager vorbei. Wir mußten im Biwak bleiben, bekamen nicht ein einziges Mal Ausgang in die Stadt.«106 Andere Beiträge behaupteten eine Kulturlosigkeit der Briten mit Hilfe von Schilderungen der britischen Kolonialherrschaft. Diese sei so brutal und zerstörerisch, dass sie selbst vor der Zerstörung religiöser Bauten nicht zurückschrecken würde.107 Die Inhalte der Feldzeitung entsprachen hier der allgemeinen deutschen Auslandspropaganda im Nahen Osten, die regelmäßig die britische und zum Teil auch die französische Kolonialmacht diffamierte und über tatsächliche oder angebliche Gräueltaten berichtete.108 Kontinuierlich informierte die Oase über Verfehlungen der Briten in ihren Kolonialgebieten, die dort stattfindende Gewalt und den Widerstand der Kolonisierten. An der großen Anzahl dieser Artikel ist erkennbar, wie tief der Vorwurf von 1918, eine zu schlechte Kolonialmacht zu sein, um weiter eigene Kolonien zu besitzen, die deutsche koloniale Ehre verletzt hatte. Zugleich waren die britischen Verfehlungen in der Kolonialpolitik eine willkommene Gelegenheit, den Kriegsgegner außenpolitisch wirksam anzugreifen. Das Blatt veröffentlichte Artikel über die Proteste in Indien, um die Unrechtmäßigkeit der dortigen britischen Herrschaft zu betonen,109 berichtete auf seinen Titelseiten über Aufstände im Irak110 und zog auch während des Krieges stattfindende Gewalt gegenüber der ägyptischen Bevölkerung oder die Auswirkungen britischer Luftangriffe auf die Städte des nordafrikanischen Kriegsraumes als Beweise für die britische Boshaftigkeit heran. Durch sie sei es nicht selten vorgekommen, »dass Eingeborene in ein Freudengeheul ausbrachen, als sie nach langen Jahren das erste Mal wieder auf einem Schiff oder auf andere Weise eine deutsche Fahne sahen, weil sie glaubten, die alte Herrschaft kehre wieder«.111 Das Narrativ der »Eingeborenen«, die sich über die Rückkehr der europäischen Herrscher freuten, war allgemein verbreitet und wurde auch in einer in der Oase abgedruckten Kurzgeschichte aktualisiert.112 106 Gert Habedanck, Die andere Seite. Begegnung mit Tommies und Yankees, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 1, S. 8 und 11, S. 8. 107 Vgl. O. H. Kempfe, Die Moschee ist zerstört. Beispiel britischer Kriegsführung, in: Die Oase 93, 8. Oktober 1942, S. 1. 108 Vgl. Hans Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus. Die deutsche Rundfunkpropaganda für die arabische Welt, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64 (2016) 3, S. 449–489, S. 467. 109 Vgl. etwa o. V., Indien will frei sein! Der Kampf gegen die britischen Unterdrücker, in: Die Oase 77, 16. Juni 1942, S. 4–5; Dr. G. Köhler, Frauen – billiger als Benzin. So sieht die britische Herrschaft in Indien aus, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 3; Gandhis Kampf gegen die Briten, in: Die Oase 79, 2. Juli 1942, S. 6. 110 Vgl. etwa o. V., Der Irak gegen England angetreten. Geschlossene Front des Arabertums im Freiheitskampf, in: Die Oase 20, 6. Mai 1941, S. 1; o. V., Vom Irak nach Aegypten. Britischer Terror gegen den Freiheitsdrang der Araber, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 1. 111 Vgl. o. V., Deutschlands einstiger Kolonialbesitz und unser Anspruch. Eines Tages wieder Kolonialmacht …, in: Die Oase 73, 21. Mai 1942, S. 3–4, S. 4. 112 Vgl. Werner Hill, Das Shauri. Ein eheliches Drama von afrikanischer Prägung, in: Die Oase 65, 26. März 1942, S. 3. Siehe dazu auch Sandler, Deutsche Heimat in Afrika, S. 45f.
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Die Darstellung der Briten formte ein Feindbild, das konträr zu dem in den Nachkriegsjahren vermittelten Bild der fairen und kameradschaftlichen Gegner steht. Die Oase bezeichnete die Briten als schlechte Soldaten sowie als »vornehme Herren«113 und unterstellte ihnen einen »zur Eitelkeit gewordenen Stolz«,114 der sich durch übertriebene Körperpflege und das Tragen von Anzügen verrate. Außerdem galt der britische Kriegsgegner schon deshalb als ungleichwertiger Feind, weil in ihm ein Verbündeter der propagierten »jüdischen Weltverschwörung« gesehen wurde. Juden und Briten seien »[s]eit 2 Jahrhunderten […] zu einer Einheit verschmolzen« und wollten gemeinsam »Deutschland vernichten«, hieß es in der Oase.115 Dieses Ziel war laut einem anderen Artikel auch der Grund für den Krieg, den England und »das internationale Judentum« den Deutschen »aufgezwungen« hätten.116 Folglich betitelte die Zeitung von den Briten verteilte Flugblätter als Produkt eines »typisch jüdischen«117 Geistes. Und weil Juden per se aus der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft ausgeschlossen waren, diskreditierte eine solche behauptete Zusammenarbeit auch die britischen Soldaten. Diese seien, konstatierte der Oberstleutnant Wechmar in der Feldzeitung, fast so verhasst wie die Sandstürme in Nordafrika.118 Statt von Ritterlichkeit und Fairness war während des Feldzuges in der Oase also eher von einem »Krieg mit Hass« die Rede und der Blick auf den britischen Kriegsgegner war gänzlich anders als in den rückblickend veröffentlichten Kriegsdarstellungen. Die amerikanischen Verbündeten der Briten diffamierte die Feldzeitung ebenfalls über antisemitische und rassistische Zuschreibungen.119 Wie die Briten galten die US-amerikanischen Soldaten als ungebildet und einfältig. Und auch ihnen sprach die deutsche Seite zur Aufwertung der eigenen Leistungen und Stabilisierung des soldtischen Selbstbildes das Soldatentum ab. So interpretierte der Autor eines in der Wehrmacht erschienenen Artikels Kleidung und Aussehen der amerikanischen Soldaten als Symbole ihrer militärischen Unterlegenheit und allgemeinen Minderwertigkeit. Der randlose Stahlhelm sei »genau wie ihn die Sowjets tragen« und mit der »aus einer englischen Hose und einer Art Windjacke mit Reißverschluß« bestehenden Uniform glichen die Amerikaner »mehr einem Landarbeiter als einem Soldaten«.120 Weiter wurde ein US-amerikanischen Kriegsgefangener als »[l]ebende Illustration zu einem Gangsterroman« geschildert: »Stiernackig, untersetzt, sommersprossig, große Tätowierungen auf
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Heinz Schlösser, Abenteuer in der Wüste: Die Fahrt zum unerwünschten Ziel, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 12. 114 Vgl. o. V., Unsoldatische Gegner, in: Deutsche Wehr 46 (1942) 38, S. 573–574, S. 573. 115 Vgl. o. V., Darüber denke nach: Totschlagefrömmigkeit, in: Die Oase 25, 11. Mai 1941, S. 2. 116 Erich Pfund, Afrikanisches Allerlei, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 1. 117 B.K., Was englische Flugzettel verraten! Eingeständnis eigener Schwäche, in: Die Oase 41, 27. Juli 1941, S. 1–2, S. 1. 118 Oberstlt. Frhr. v. Wechmar, Der Ghibli und der Tommy. Gedanken am Rande der Wüste – Bericht über einen Heldenkampf, in: Die Oase 75, 4. Juni 1942, S. 2. 119 Vgl. o. V., Das ist der Unterschied! Hier Entjudung – dort Verjudung, in: Die Oase 25, 11. Mai 1941, S. 4. 120 Gert Habedanck, Die andere Seite. Begegnung mit Tommies und Yankees, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 1, S. 8 und 11, S. 8.
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der Brust, breite Narbe von altem Messerstich im Gesicht. Stechender, scheuer Blick«.121 Und in seinen Hosentaschen neben einem ganzen Berg französischer Geldscheine lauter Fotos unterschiedlichster Frauen aufbewahrt, von denen einige laut diesem Artikel ein Kind von ihm erwarteten.122 Obwohl in anderen Kontexten auf die deutschen Wurzeln vieler Amerikaner verwiesen wurde,123 sollten die amerikanischen Soldaten hier als unehrenhaft erscheinen. Dass die Abwertung über die Uniform funktionierte, die in Bezug auf die deutschen Truppen als Zeichen des deutschen Soldatentums gewertet wurde, verdeutlicht den Selbstbezug solcher Fremdbilder. Die Abwertung der gegnerischen Soldaten wertete das Selbst auf. Die Betonung eines angeblich ungezügelten Sexuallebens, das der Hinweis auf die Frauenfotos suggerierte, zeigt, dass es dabei auch um die Aufrechterhaltung normierter Männlichkeitsideale ging. Die deutschen Soldaten übernahmen die antibritische und antiamerikanische Propaganda der Presseorgane. In den Selbstzeugnissen finden sich mehrfach negative Äußerungen über die Briten. Sie kommunizierten nach Hause, dass die britischen Flugblätter »einen kümmerlichen armen Geist«124 verrieten und der »Feind nicht sehr angriffslustig«125 , sondern auf ihrem »Spezialkriegsschauplatz« von der Kampfkraft der Deutschen überrascht worden waren.126 Lediglich Robert W., der auch schon differenzierter auf die italienischen Verbündeten geblickt hatte, gestand den britischen Gegnern zu, dass sie mit »verbissene[r] Wut und Zähigkeit«127 kämpften. Doch sah auch er den Gegner nicht als ebenbürtig an, sondern bezeichnete die Alliierten als »kauenden Schnelläufer«,128 um hervorzuheben, dass sie seiner Einschätzung nach kein Durchhaltevermögen im Kampf besäßen. Noch abwertender als die Fremdbilder der weißen Alliierten waren aufgrund der im Nationalsozialismus herrschenden rassistischen Weltanschauung die Darstellungen ihrer diversen »Hilfstruppen«.129 Die Truppenteile aus Australien, Neuseeland, Südafrika, Mauritius, Indien, Palästina, Zypern und dem Pazifik oder die meistens aus Kenia stammenden Soldaten des von den Briten eingesetzten African Auxiliary Pioneer Corps zogen stets besondere Aufmerksamkeit auf sich und wurden als exotisch und fremd wahrgenommenen.130 121 122 123
Ebd. Vgl. ebd. Vgl. o. V., Es sind gar keine Angelsachsen. Das falsche Bild von Nordamerika, in: Die Oase 14, 12. April 1941, S. 2. 124 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 15. April 1943. 125 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 22. November 1942. 126 BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 28. November 1941. 127 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2. Juni 1942. 128 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. April 1941. 129 Hitler betrachtete Großbritannien und die USA laut Hermann Graml zumindest als arische Herrscher, vgl. Graml, Hitler und England, S. 12. 130 Vgl. zur Heterogenität der Truppen etwa Arielli, Une guerre non europènne, S. 155; Katrin Bromber, Imperiale Propaganda. Die ostafrikanische Militärpresse im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2009 (= Studien Zentrum Moderner Orient, Bd. 28), S. 54. Zum African Auxiliary Pioneer Corps vgl. ebd. Die sogenannte Panyako reparierten Straßen und Flugplätzen, entluden Versorgungsschiffe, richteten befestigte Anlagen ein oder hielten Wachdienst in Militärdepots. Katrin Bromber verweist hier auf eine unveröffentlichte Dissertation von Meshak Owino, »For Your Tomorrow, We Gave
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Für die meisten deutschen Soldaten war es bemerkenswert, dass sie in Nordafrika gegen Schwarze und People of Color Krieg führten, obwohl auch die Truppen der Achse nicht rein weiß waren – die Wehrmacht zählte arabische und indische Soldaten zu ihren Reihen131 und auf Seiten der italienischen Verbündeten kämpften zahlreiche Kolonialsoldaten. Wenn Robert W. auf Angehörige der zahlreich eingesetzten Truppen des britischen Commonwealth traf, in Kontakt mit afroamerikanischen Soldaten kam oder sich unter den Kriegsgefangenen Schwarze Soldaten oder Inder befanden, erwähnte er dies in seinen Briefen.132 Friedel S. schrieb aus Tunesien nach Hause, dass seine Einheit über 90 Panzer abgeschossen hätten und die Alliierten »mitsamt seinen N* u. Hilfsvölker«133 in schwere Bedrängnis bringen würde. In der Presse waren die Soldaten des Commonwealth ein beliebtes Fotomotiv. Die Oase betitelte britische Gefangene als »Soldaten aus aller Welt«,134 ein Titelblatt der Zeitschrift Deutsche Wehr zeigte eine Gruppe Gefangener mit den indischen, die traditionelle Kopfbedeckung der Sikh tragenden Soldaten im Vordergrund.135 Besondere Aufmerksamkeit bekamen diese Truppen nicht nur aus Faszination für das »Fremde«. Auch Schamgefühle spielten hier sicherlich eine bedeutende Rolle. Denn in einer von hierarchischen Rassevorstellungen geprägten Ideologie wurde es als Herabwürdigung empfunden, gegen nicht-weiße Soldaten zu kämpfen. Zwar ist dies in den untersuchten Selbstzeugnissen nicht explizit formuliert, jedoch für andere Kriegskontexte nachgewiesen. So hatten die italienischen Soldaten den gescheiterten Einmarschversuch nach Ägypten 1940, bei dem sie von einer 35.000 Mann starken anglo-indischen Einheit abgewehrt worden waren, als Schmach empfunden.136 Und bereits im Ersten Weltkrieg war der Einsatz Tausender Männer aus den französischen und britischen Kolonien, den britischen Dominions und Indien als Soldaten im Kampf gegen Deutschland von deutscher Seite als erniedrigend empfunden worden.137 Die
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Our Today«: A History of Kenya African Soldiers in the Second World War, Rice University, Houston 2004. Vgl. dazu etwa Motadel, Für Prophet und Führer; Petke, Militärische Vergemeinschaftungsversuche muslimischer Soldaten; ders., Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS; Rudolf Hartog, Im Zeichen des Tigers. Die indische Legion auf deutscher Seite 1941–1945, Herford 1991. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 19. und 20. Juni 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Friedel an seine Eltern am 16. Februar 1943. Vgl. o. F., Britische Soldaten aus aller Welt, in: Die Oase 58, 20. Dezember 1941, S. 1. Vgl. Titelblatt, Deutsche Wehr 45 (1941) 24. Vgl. Richard J. Evans, The Third Reich at War 1939–1945, London 2008, S. 148. Vgl. Daniel Marc Segesser, »When Bench Gained Parity With Trench«: Außereuropäische Kriegsarbeiter im Ersten Weltkrieg, in: Markus Pöhlmann, Flavio Eichmann und Dierk Walter (Hg.), Globale Machtkonflikte und Kriege: Festschrift für Stig Förster zum 65. Geburtstag, Paderborn 2016, S. 193–210, S. 193; Christian Koller, Der »dunkle Verrat an Europa«: Afrikanische Soldaten im Krieg 1914–1918 in der deutschen Wahrnehmung, in: Peter Martin und Christine Alonzo (Hg.), Zwischen Charleston und Stechschritt: Schwarze im Nationalsozialismus, Hamburg u.a. 2004, S. 111–115, S. 111. Vgl. dazu allgemein die Debatte um den Einsatz von Kolonialsoldaten, dazu Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«. Vgl. zum Einsatz von Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg auch Mohamet Traore, Schwarze Truppen im Ersten Weltkrieg: zwischen Rassismus, Kolonialismus und Nationalismus, Hamburg 2014.
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anschließende französische Besetzung des Rheinlandes durch afrikanische Kolonialsoldaten wurde in der deutschen Öffentlichkeit als »Schwarze Schmach« bezeichnet.138 Um diese empfundene Herabsetzung umzukehren, argumentierte die deutsche Seite, dass die Rekrutierung nicht-europäischer Soldaten zeige, dass ihre Kriegsgegner ihre Kulturfähigkeit verloren und die europäische Kolonialherrschaft gefährdet hätten.139 Die eigne Rekrutierung afrikanischer Soldaten in der Vergangenheit betrachtete man hingegen positiv: Die Leistungen der sogenannten Askari, Schwarze Soldaten, die etwa in der »Schutztruppe« für Deutsch-Ostafrika eingesetzt waren, ehrte man noch während des Nationalsozialismus.140 Dennoch wurde ein Einsatz von Kolonialsoldaten im Nationalsozialismus nicht befürwortet. Zwar konnte sich der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, den Einsatz solcher Hilfstruppen auf außereuropäischen Kriegsschauplätzen vorstellen, doch lehnte Hitler dies ab.141 Auch die Feldzeitung der deutschen Soldaten in Nordafrika vertrat eine gegenüber dem Einsatz von Kolonialsoldaten abwehrende Haltung. Die Nutzung südafrikanischer Truppen in diesem Krieg deutete ein Artikel der Oase mit Verweis auf die zwangsweise Rekrutierung als Beweis der britischen Ungerechtigkeiten.142 Und die Soldaten aus den pazifischen und afrikanischen Kolonien, die auf Seiten des »Freien Frankreich« etwa bei Bir Hacheim gegen die Achsentruppen kämpften,143 waren Anlass für scharfe Kritik an der französischen Kolonialpolitik.144 Das Deutsche Reich erschien in der Feldzeitung immer wieder als Vertreter der durch die Kolonisierung Unterdrückten und ergriff laut einem Artikel auch für nicht-weiße Soldaten Partei, wie das NS-Regime auch US-amerikanische Kritik an der Judenverfolgung mit Verweis auf das Schicksal der Native Americans als scheinheilig abwehrte.145 Im Juli 1942 berichtete die Zeitung, dass in einem Café in Kairo ein britischer Captain auf offener 138
Vgl. dazu etwa Sally Marks, Black Watch on the Rhine: A Study in Propaganda, Prejudice and Prurience, in: European History Quarterly, 13 (1983), S. 297–334; Christian Koller, »Die schwarze Schmach« – afrikanische Besatzungssoldaten und Rassismus in den zwanziger Jahren, in: Marianne Bechhaus-Gerst und Reinhard Klein-Arendt (Hg.), AfrikanerInnen in Deutschland und schwarze Deutsche. Geschichte und Gegenwart: Beiträge zur gleichnamigen Konferenz vom 13.–15. Juni 2003 im NS-Dokumentationszentrum (EL-DE-Haus) Köln, Münster 2004, S. 155–169; Sandra Maß, Die »Schwarze Schmach«, in: Benedikt Burkard und Céline Lebret (Hg.), Gefangene Bilder. Wissenschaft und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a.M. 2014, S. 122–125. 139 Vgl. Maß, Das Trauma des weißen Mannes, S. 12. 140 Vgl. ebd., auch das Zitat. 141 Vgl. Gerhard L. Weinberg, German Colonial Plans and Policies 1938–1942, in: Waldemar Besson und Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen (Hg.), Geschichte und Gegenwartsbewusstsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen. Festschrift für Hans Rothfels zum 70. Geburtstag, Göttingen 1963, S. 462–491, S. 485. 142 Vgl. o. V., Südafrika im Krieg. Neue gewaltsame Rekrutierungswelle nach den katastrophalen Verlusten der südafrikanischen Truppen in Nordafrika, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 3. 143 Vgl. Matthias Waechter, Ein »neues Verdun«: Die Schlacht von Bir Hakeim (Juni 1942) und der Mythos des Gaullismus, in: Gerd Krumeich und Susanne Brandt (Hg.), Schlachtenmythen: Ereignis, Erzählung, Erinnerung, Köln 2003, S. 165–181, S. 167. 144 PK, Frankreich in Afrika, in: Die Oase 53, 2. November 1941, S. 3. 145 Vgl. Frank Usbeck, Durchs Büffelhorn gesprochen, in: Voices. Internetseite der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 6. Januar 2022, URL: https://voices.skd.museum/voices-mag/durchs-bueff elhorn-gesprochen [10.03.2023].
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Straße von einem gaullistischen Offizier niedergeschossen worden sei, da der Brite »die Tapferkeit der zur Verteidigung von Bir Hacheim eingesetzten Fremdenlegionäre und Senegaln* (sehr zu Unrecht übrigens!) in Zweifel gezogen hatte«.146 Derartige Angriffe auf die Kolonialherrschaft anderer europäischer Mächte gab es bereits vor der deutsch-britischen Kriegsführung. Autoren wie Hans Grimm, dessen Buchtitel Volk ohne Raum sich im Nationalsozialismus zu einem geflügelten Wort entwickelte, stellten die Briten als gewinnsüchtige Kolonialherren ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung dar, wohingegen die Deutschen als verantwortungsvolle »Schutzherren« gezeichnet wurden.147 Neben Artikeln, die das Deutsche Reich zum Gegner des Kolonialismus erklärten, veröffentlichte die Oase aber auch Erzählungen voller sexualisiertem Rassismus gegen Schwarze,148 der inhaltlich an die rassistische Propaganda im Zuge der Rheinlandbesetzung durch Kolonialsoldaten anknüpfte.149 Weil die Zeitung als einziges Nachrichtenorgan im Kriegseinsatz die Meinung der deutschen Soldaten lenkte und mit solchen Darstellungen tradierte rassistische Vorstellungen aktualisierte, war der Blick der deutschen Wehrmachtsangehörigen auf die nicht-weißen Truppenteile der Alliierten von eben diesen Denkmustern geprägt. Sie beeinflussten auch die Behandlung der Kriegsgefangenen in Nordafrika, insbesondere der Schwarzen Soldaten. Sie gerieten teilweise in großer Zahl in Kriegsgefangenschaft. Allein im Juni 1942 wurden 230 tansanische und 32 kenianische Soldaten bei der libyschen Hafenstadt Tobruk in deutsche Gefangenschaft genommen.150 Zwar wurde Rommel, unter Verweis auf seine Ablehnung einer Separierung der Schwarzen Soldaten von den weißen Soldaten der südafrikanischen Truppen, lange vom Vorwurf einer Ungleichbehandlung Schwarzer Soldaten aus rassistischen Gründen freigesprochen151 und auch die untersuchten Selbstzeugnisse der deutschen Soldaten geben keine konkreten Hinweise auf Verbrechen gegen Kriegsgefangene aus rassistischen Motiven. Doch hat die Forschung anhand von Quellen Betroffener gezeigt, dass die Rechte nicht-weißer Soldaten, die in Nordafrika in deutsche oder italienische Kriegsgefangenschaft gerieten, von den Achsenmächten in Tausenden Fällen missachtet wurden. Unter Nichtbeachtung der Genfer Konvention wurden afrikanische Gefangene im Nachschub eingesetzt und mussten Schiffe auch während der Luftangriffe entladen. Im Zuge dieser Arbeit flohen einige Gefangene, verdursteten in der Wüste oder kamen durch Minen um.152 Nach dem Krieg offenbarte sich der Rassismus in der Kriegserinnerung: Die Truppen of Color der alliierten Streitkräfte waren nicht Teil der mythischen Erzählung eines
146 Hier zitiert nach Claus Dörner, Strategen oder Phantasten? Anglo-amerikanische Pläne in Nordafrika, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 5. 147 Vgl. Simons, Kolonialismus als Kultur, S. 170f. 148 Vgl. etwa die Geschichte eines nicht genannten Autors: o. V., Der Leopard greift an! Abenteuer mit dem Räuberhauptmann der Wildnis, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 7, in der das schwarze Tier ein Mädchen raubt und damit die tradierte rassistische Metapher von Raubkatzen für Schwarze Menschen aufgreift, vgl. Schwarz, »Die Tropen bin Ich!«, S. 14. 149 Vgl. dazu etwa Maß, Das Trauma des weißen Mannes, S. 28. 150 Vgl. Bromber, Imperiale Propaganda, S. 55. 151 Vgl. Fraser, Knights Cross, S. 338. 152 Vgl. David Killingray, »If I Fight for Them«, S. 102. Siehe auch Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 20f.; ders., Behind the Battle Lines, S. 435f.
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Krieges gleichwertiger Gegner, in der die Briten innerhalb des als Wettbewerb und ritualisierter Kampf interpretierten Krieges als männlich anerkannt und in das Narrativ der eigenen Ritterlichkeit integriert wurden.153 Nicht nur auf Seiten der deutschen und britischen Veteranen, sondern auch von den Franzosen wurden die nicht-weißen Soldaten marginalisiert. Zum Teil war schon während des Krieges bewusst Einfluss auf die künftige Erinnerungskultur genommen worden, indem etwa Charles de Gaulle bei der Befreiung von Paris gegenüber dem amerikanischen Generalstab auf rein weißen französischen Einheiten bestand.154 Somit standen die Kolonialsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg wie bereits nach 1918 außerhalb der als europäisch verstandenen soldatischen Vergemeinschaftungsformen und waren nicht in verbindende Konzepte von Kameradschaft und Ritterlichkeit eingebunden.155 Denn Ritterlichkeit wurde als eine Haltung begriffen, die lediglich gegenüber Personen angewandt werden konnte, die »als gleichrangig ausdrücklich anerkannt und bestätigt«156 galten, wenn sie entweder »gleich tapfere […] Kämpfer oder […] dem gleichen Gesittungskreis zugehörig«157 waren. Ritterlichkeit galt als Teil eines »abendländische[n] Richtbild[es] des Soldatentums«,158 da sie aus den »geschichtlichen Kräften lebt, die das Abendland als geistige Realität geformt haben«.159 Die deutschen Soldaten und die weißen Briten waren in dieser Perspektive Repräsentanten der westlichen Welt, die eine Tradition tugendhaften und moralischen Verhaltens aus dem Zeitalter der Kreuzritter fortführten.160 Darauf berief sich auch Lucie-Marie Rommel im Vorwort zu den posthum publizierten Erinnerungen ihres Mannes Erwin Rommel, als sie schrieb, es hätte sich im Nordafrikafeldzug »jener Geist der Ritterlichkeit, der […] aus der Kultur des Abendlandes geboren«161 sei, offenbart. Das Zitat enthüllt, wie stark der Blick auf den Nordafrikafeldzug von tradierten Formen des othering und der Selbstwahrnehmung als weiße Europäer geprägt war.
6.3 Die lokale Bevölkerung als Spiegel deutscher Männlichkeit Rassismen beeinflussten nicht allein den Blick der deutschen Soldaten auf die nicht-weißen Soldaten der Alliierten, sondern auch ihre Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung
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Vgl. zu Formen der männlichen Vergemeinschaftung der Gegner Meuser, Distinktion und Konjunktion, S. 40–41. 154 Olivier Wieviorka, Normandy: The Landings to the Liberation of Paris, Cambridge 2008, S. 314–315. 155 Vgl. Maß, Das Trauma des weißen Mannes, S. 25f. 156 Pieper, Gedanken über Ritterlichkeit als soldatische Haltung, in: Soldatentum, 9 (1942) 2, S. 40–43, S. 42. 157 Ebd. 158 Ebd., S. 41. 159 Ebd., S. 40. 160 Vgl. zur Anknüpfung an die Kreuzritter Nicolaus Sombart, Männerbund und politische Kultur in Deutschland, in: Thomas Kühne (Hg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a.M./New York 1996, S. 136–155, S. 144f. 161 Rommel, Krieg ohne Hass, S. 8.
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im nordafrikanischen Kriegsraum. Dieser galt bereits in den zeitgenössischen Darstellungen als eine wenig besiedelte oder gar menschenleere Gegend, doch lebten im Kriegsgebiet zahlreiche Menschen. Sie gehörten zum Raum des Krieges und wurden von den deutschen Soldaten im Nordafrikaeinsatz wahrgenommen und gedeutet. Dabei fungierten sie, wie die verbündeten und feindlichen Soldaten, als Spiegel der deutschen soldatischen Männlichkeit. Im Gegensatz zu den europäischen Soldaten und den im Kriegsgebiet lebenden europäischen Siedler*innen, die sie trotz ihrer vermeintlichen Andersartigkeit im Allgemeinen noch zum Kulturraum des Abendlandes zählten,162 wurde die von Italien kolonisierte Bevölkerung als gänzlich fremd wahrgenommen. Die Soldaten grenzten sich von ihnen zudem auf der Ebene der Männlichkeitsvorstellungen ab. Da Männlichkeit stets intersektional hergestellt wird und auch im Zweiten Weltkrieg Kategorien wie race in Geschlechtervorstellungen einflossen,163 zogen die deutschen Soldaten nicht nur rassistische Vorstellungen über die nicht-weißen Kriegsgegner, sondern auch Fremdbilder der lokalen Bevölkerung zur Stabilisierung des eigenen Selbstbildes heran. Wie allgemein in der NS-Ideologie dienten rassifizierte Einordnungen und Hierarchisierungen der Abgrenzung von anderen und der Konstruktion einer eigenen soldatischen Männlichkeit.164 In Nordafrika waren jedoch weniger antisemitische Deutungsmuster als kolonialrassistische Deutungen der Zivilbevölkerung als Spiegel des eigenen Selbst zentral. Wie die Soldaten die lokale Bevölkerung einzuschätzen hatten, gab bereits die Schrift Der Soldat in Libyen vor. Darin wurde über biologistische Kriterien wie die Hautfarbe eine hierarchische Ordnung hergestellt und erklärt, es lebten »etwa 100 000 Weiße, 720 000 Eingeborene […] verschiedener Rassen und Rassenmischungen« in Libyen. Bei den sogenannten »Eingeborenen« unterschied die Schrift zwischen »Berbern« als »seßhafte[m] Bauernvolk« und dem »kriegerische[n] und räuberische[n] Herrenvolk« der sogenannten Araber. Zuletzt wurden »N*stämme[n] sowie Mischlinge der verschiedenen obengenannten Rassen« als Teile der im Kriegsgebiet lebenden Bevölkerung genannt. In Anwendung der nationalsozialistischen Rassenideologie galt vor allem derjenige Teil der lokalen Bevölkerung als minderwertig, der nicht »reinrassig« war und deren Angehörige »Farben von schwachen Gelb bis zum tiefsten Schwarz zeig[ten]«.165 Damit basierte die Beschreibung der Menschen Nordafrikas auf der »Erfindung der Hautfarbe« im Zusammenhang mit der Konstruktion unterschiedlicher Menschenrassen, die politische Machtinteressen in natürliche Tatsachen verwandelt hatte und im Kolonialismus wie im
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Klar belegt ist dies für Italien, das als Teil des Mittelmeerraumes von den Kriegsberichterstattern der Propagandakompanien als europäisch definierter Teil des »Abendlandes« dargestellt wurde, vgl. Hanna Degener, Tagungsbericht zum 5. Bochumer Nachwuchsworkshop der Mittelmeerstudien, Zentrum für Mittelmeerstudien, 26.-27. Februar 2015, Ruhr-Universität Bochum, in: H-SozKult, 20. Juni 2015, URL: www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-124649 [15.06.2020]. 163 Vgl. etwa Connell, Der gemachte Mann, S. 96; Kühne, Protean Masculinity, S. 395. Siehe auch Katharina Walgenbach et al. (Hg.), Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität, Opladen 2007. 164 Vgl. zu soldatischer Männlichkeit als rassifizierte Konstruktion im NS: Dietrich und Heise, Perspektiven einer kritischen Männlichkeitsforschung zum Nationalsozialismus, S. 18. 165 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 6, von hier stammen alle Zitate dieses Absatzes.
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Nationalsozialismus wirkmächtig war.166 Das körperliche Merkmal der Hautfarbe war der vermeintlich sichtbare Beweis der Andersartigkeit und Fremdheit der Bevölkerung des Kriegsraumes.167 Bei ihrer Ankunft auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz diente den deutschen Soldaten oft die Hautfarbe der Menschen, denen sie begegneten, als erstes äußeres Differenzierungsmerkmal. Am 18. Januar 1943 schickte ein Wehrmachtssoldat einen ersten Gruß aus Tunesien vom »neuen Erdteil«, wie er den afrikanischen Kontinent nannte. Im Vergleich zu Sizilien gebe es nicht »allzu viel Unterschied. Nur sieht man viel Schwarze und dann eben die braunen Araber mir ihren roten Fezen.«168 Die Diversität der Bevölkerung empfanden die gerade gelandeten Soldaten als Besonderheit des Kriegsraumes, in dem sie sich nach der Überfahrt über das Mittelmeer befanden. »[S]chwarze und braune Menschen gibt es auch um uns her«,169 berichtete daher Walter K. in einem seiner ersten Briefe aus Nordafrika. Auch in Presseerzeugnissen, die sich an Leser*innen im Reichsgebiet richteten, wurde dieser Umstand hervorgehoben. Die kolonialistische Zeitschrift Jambo erklärte, die deutschen Soldaten würden Nordafrika voller »Erwartung und Spannung« betreten und zunächst fasziniert »dem neuen, fremdartigen Treiben der schwarzen und braunen Bevölkerung« zuschauen.170 Somit stellte die Hautfarbe der lokalen Bevölkerung nicht nur ein Differenzierungsmerkmal dar, das die »Fremdheit« des Kriegsraumes veranschaulichte und die angenommene eigene, rassische Überlegenheit bewies. Die Diversität der Bevölkerung bestätigte auch die exotistischen Erwartungen, mit denen sich viele Soldaten für den Einsatz in Nordafrika gemeldet hatten. Viele beschrieben deshalb die lokale Bevölkerung im Kriegsraum als ein »buntes Völkergemisch«171 oder als »buntes Durcheinander«.172 Noch in seinen Erinnerungen nannte Günther E. die Impressionen bei der Landung in Tunesien im März 1943 ein »reges fremdländisches Treiben und Geschrei der einheimischen Bevölkerung«.173 Das Stadtbild in Tunis hatte ihn nachhaltig beeindruckt: »Turbanbedeckte Männer, verschleierte Frauen, dunkelhäutiges Volk, teils mit schweren Lasten auf dem Kopf, Muli-gezogene, zweirädrige Karren, Moscheen, Palmen umwimmelten unseren sich durch die Enge manövrierenden Wagen.«174 Ebenso erinnerte sich Adolf
166 Wulf D. Hund, Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit, Münster 1999, S. 16; ders., Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus, Stuttgart 2017. Vgl. zur Farbsymbolik als seit langem etabliertes Differenzierungs-und Hierarchisierungsmerkmal auch Nduka-Agwu und Bendix, Die weiße Darstellung »Afrikas«, S. 19. 167 Vgl. zur noch heute verbreiteten Praktik der Abgrenzung aufgrund rassischer Zuschreibungen Eickelpasch und Rademacher, Identität, S. 94. 168 Dieses Zitat stammt aus einem Feldpostbrief aus Privatbesitz, Bestand F.B., zitiert nach Bopp, Fremde im Visier. Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, S. 97. 169 MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 14. September 1941. 170 Helmuth Köhler, Belebte nordafrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 31. 171 Vgl. Körholz, Gebundenheit im Lande des Nil. Eine wehrgeographische Betrachtung, in: Die Oase 82, 23. Juli 1942, S. 1. 172 Karl Standke, Auch ein »Lied der Wüste«, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 173 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 139. 174 Ebd.
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S. an seine Eindrücke von der zur damaligen Zeit etwa 400.000 Einwohner*innen zählenden Stadt Tunis als buntes »Völkergemisch«, wo er »zum ersten Mal […] wieder richtige N* herumlaufen« sah.175 Dass die lokale Bevölkerung und vor allem der Anblick von Schwarzen Menschen Teil einer exotistischen Raumimagination war und mit anderen als typisch geltenden Elementen korrespondierte, zeigt ein Zitat von Georg N.: »Hier ist es noch sehr warm. Araber und N* bilden ein buntes Gemisch. Riesige DattelpalmenPlantagen. Primitive Verhältnisse«,176 fasste er seine Eindrücke bei der Landung in Nordafrika zusammen. Obwohl also einerseits die ethnische Diversität der nordafrikanischen Bevölkerung durch die Betonung der unterschiedlichen Hautfarben hervorgehoben wurde, homogenisierten die deutschen Soldaten die Menschen des Kriegsraumes zugleich. Wie sie den Kriegsraum in der Regel einfach »Afrika« nannten, bezeichneten sie die lokale Bevölkerung vereinfachend als »Araber«. Ein Artikel aus der Karawane belegt, dass die Soldaten die Angehörigen der lokalen Bevölkerung nicht nur vereinheitlichten, sondern sie ihnen auch alle gleich erschienen. Darin hieß es, »alles, was Fez, Turban oder Burnus« trage, heiße »Ali« und irgendwas hintendran, woran man sich aber aufgrund der vielen Konsonanten die Zunge breche. Es hörten auch alle auf diesen »deutschen Anruf«, auch wenn sie tatsächlich Achmed heißen würden.177 Wie die nordafrikanischen Ortsbezeichnungen in den Ohren der deutschen Soldaten alle ähnlich klangen, empfanden sie auch das Aussehen und die Namen der Menschen, mit denen sie hier in Kontakt kamen, aufgrund ihrer von einem europäischen Blickwinkel geprägten Gewohnheiten als nicht differenzierbar. Helmut T. reflektierte zumindest nach dem Krieg diese Vereinheitlichung: »Auch Beduinen-Lager waren hin und wieder etwas abseits der Strasse zu sehen«, notierte er in seinem Kriegstagebuch. »Dort wurden uns von den Beduinen, Nachkommen der Berber und Mauren, vermischt mit Juden und Türken – wir nannten sie der Einfachheit halber durchweg Araber, obgleich dies völkisch nicht in der Ordnung ist!«178 Die fehlende Differenzierung sprach auch die Zeitschrift Jambo an und berichtete, »[d]ie Tunesier werden häufig als Araber bezeichnet«.179 Von diesen unterschieden die Soldaten oft nur Schwarze Menschen, wohingegen sie die weißen europäischen Siedler*innen bei der Ankunft auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz zunächst gar nicht erwähnten. Durch diese Auslassung und Vereinfachung konnten sich die deutschen Soldaten selbst in Abgrenzung von der lokalen Bevölkerung sehen. Entscheidend war lediglich die Einordnung der nicht zu den europäischen Siedler*innen gehörenden Menschen als nicht-weiß, weshalb der Soldat Franz K. ohne Probleme in einem Gedicht behaupten konnte, es gäbe »nur Schwarze da in Afrika«.180
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NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 4. Zur Einwohner*innenzahl vgl. Motadel, Für Prophet und Führer, S. 150. 176 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 28. September 1941, Hervorhebung i. O. 177 E. G. Dickmann, Ali und der Landser. Eine kameradschaftliche Ansprache, in: Die Karawane 125, 16. April 1943, S. 4. 178 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 259. 179 E. Fischer, Die Bewohner Tunesiens. Berber, Araber, Mauren und Juden, in: Jambo A (1943) 1, S. 14. 180 MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 29. März 1942.
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Neben biologistischen Kriterien wie der Hautfarbe grenzten sich die Soldaten über die Zuschreibung bestimmter Verhaltensweisen und charakterlicher Eigenschaften von den Menschen des Kriegsraumes ab. In Anlehnung an Stuart Hall ist hier von kulturellem Rassismus zu sprechen,181 der sich insbesondere durch abwertende Praktiken äußerte. Auch hier spielte Kleidung eine wichtige Rolle. Während die deutschen Soldaten die eigene Uniform zu einem Zeichen ihrer soldatischen Männlichkeit erhoben und die amerikanischen Uniformen als Symbol der Minderwertigkeit interpretierten, zogen sie die Kleidung der Bevölkerung als Beweis für deren »Fremdheit« und »Andersartigkeit« heran. Vor allem die Erscheinung arabischer Männer wurde immer wieder von den Soldaten thematisiert und als lächerlich beschrieben. Hans P. notierte in seinem Tagebuch: »Ulkig erscheinen uns die ersten Araber. Ganz in weiße, weite Tücher gehüllt, ziehen sie umher, bebauen ihr Land, pflügen mit Kamelen und scheinen sehr zufrieden mit ihrem Los.«182 Helmut T. fand vor allem die Hosen »urkomisch«.183 Auch diese Interpretationen fußen auf tradierten Denkmustern. So hatte sich eine abschätzige Bewertung traditioneller Kleidungstile und deren Deutung als Zeichen von Unterlegenheit bereits im Zuge der Uniformierung des Militärs und der Vereinheitlichung der Kleidung gehobener Schichten etabliert. Die Bekleidung der lokalen Bevölkerung kolonisierter oder anders eroberter Gebiete stand seither im Kontrast zur Uniform, welche die Zugehörigkeit zur Machtelite ausdrückte.184 In ähnlicher Weise hob die Abwertung der Kleidung der lokalen Bevölkerung die Bedeutung der eigenen Uniform als Symbol von Machtzugehörigkeit und Überlegenheit hervor. Neben den Äußerlichkeiten erschienen den deutschen Soldaten lautliche Äußerungen der lokalen Bevölkerung als Grund zur Belustigung. Die ihnen unbekannte Sprache klang in den Ohren der deutschen Soldaten und Kriegsberichterstatter ungewohnt und fremd. Gespräche zwischen arabischen Männern empfanden sie als »großes Gebrüll«, das »zunächst kaum als menschlich zu erkennen«185 gewesen sei. Unverständnis riefen die Rufe des Muezzins hervor, die als ›Al…la…a…a…a il…la…a…a il--al--la--aaa!‹«186 verlacht wurden. Ebenso hielten die deutschen Soldaten die Musik der nordafrikanischen Bevölkerung für »eigenartig«.187 Sie bezeichneten sie als »ohrenbetäubende[n] Lärm«,188
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Hall bezieht sich dabei allerdings auf das postkoloniale Zeitalter, vgl. Stuart Hall, Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Nora Räthzel (Hg.), Theorien über Rassismus, Hamburg 2000, S. 7–16. 182 Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1942, S. 1. 183 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. 184 Vgl. Bayly, Die Geburt der modernen Welt, S. 32. 185 IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 155 (60). 186 Armin Schönberg, Sommersaison in Aegypten. Interessante Betrachtungen aus dem ›gelobten Lande‹, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 2; ähnlich in Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. 187 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 7. Februar 1942, S. 17. 188 NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 5.
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»eintönig«189 oder »monotone Litanei«.190 Der Oberstarzt Schreiber berichtete von »monotonem quäkenden Gesang«.191 Ähnlich abwertend bezeichnete Hans P. den Gesang bei einem Umzug in Tripolis als »Gekrächze« und »Radau«.192 Helmut T. schrieb ebenfalls über eine Parade nach Hause, bei der »irgend eine Melodie« gesungen wurde, die in seinen Ohren eher »furchtbar monoton« und wie ein Brüllen klang.193 Zusammen mit ungewohnten Lauten der Tiere verbanden sich die sinnlichen Reize für die Soldaten zu einer Geräuschkulisse der »Fremdheit«. »Das misstönige Geschrei der Kamele und der eintönige Singsang der Eingeborenen lassen in den ersten Nächten keinen Schlaf finden«,194 berichtete ein Artikel in der Oase. Auch über auditive Reize stellten die Soldaten eine Differenz her: sich selbst beschrieben sie als zivilisierte Kulturmenschen, wohingegen die »Anderen« als rohe und unzivilisierte Wilde erscheinen sollten. Diese Übertragung des klassischen Dualismus zwischen Kultur und Natur entstammte kolonialen Diskursen195 und wurde in der Oase auch auf die Tänze der lokalen Bevölkerung ausgeweitet. Es hieß, das Tanzen sei nicht als solches zu erkennen, sondern eher eine »ruckhafte, wilde Gebärde«, bei der die Tanzenden fast die Köpfe zusammenschlügen; überhaupt sei das ganze Fest eine »wilde, unbändige Orgie«.196 In Anbetracht der von den Soldaten im Krieg erlebten Entzivilisierung, etwa durch mangelnde Hygiene, ist die Abwertung der lokalen Bevölkerung als »wild« als gleichzeitige Aufwertung des soldatischen Selbstbildes und Reaktion auf die Kontingenzerfahrung des Krieges zu verstehen. Neben der herabsetzenden Bewertnug visueller und auditiver Geschehnisse be-und verurteilten die deutschen Soldaten das Handeln der lokalen Bevölkerung unter Rückgriff auf eine bereits im Kolonialismus etablierte Figur. Das Motiv des einfältigen »Einheimischen«, der die Weißen und ihre Technik staunend bewundert, findet sich in den Quellen immer wieder.197 So berichtete Ernst Bayer in der Oase, dass die Hirtenjungen, die ihr Vieh an den Rändern der von den Achsentruppen zur Fortbewegung genutzten Via Litoranea entlangtrieben, den vorbeifahrenden Truppen winkten und »staunende Blicke den dahinbrausenden Fahrzeugen«198 hinterherschickten. Die Erwachsenen der lokalen Zivilbevölkerung wurden ebenso als unwissende Bewunderer der Errungenschaften der Soldaten und deren europäischer Technik beschrie189 MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Juli 1941. 190 Martin Gläser, Ramadan, Fest nach dem Fasten. Eselsmagen, Branntwein und süsser Kaffee – Ein Tanz wird zur Orgie – Essen und Trinken erst nach Sonnenuntergang, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2. 191 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 21. 192 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. Januar 1943, S. 19. 193 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69–70. 194 Eric Borchert, Weisst Du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. 195 Vgl. Hall, Spectacle of the Other, S. 244. 196 Martin Gläser, Ramadan, Fest nach dem Fasten. Eselsmagen, Branntwein und süsser Kaffee – Ein Tanz wird zur Orgie – Essen und Trinken erst nach Sonnenuntergang, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2. 197 Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin Ich!«, S. 17. 198 Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3.
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ben. In einem Artikel vermutete der Verfasser sogar, die lokale Bevölkerung halte alle deutschen Soldaten aufgrund deren moderner Ausrüstung für Medizinmänner mit Heilkräften. Der Wehrmachtsarzt, so wird weiter behauptet, habe tatsächlich einige Einwohner einer Ortschaft behandelt und ihnen für ein tapferes Ertragen der Behandlung Bonbons versprochen. Daraufhin seien viele Menschen nur wegen der in Aussicht gestellten Süßigkeiten gekommen.199 Die Feldzeitung schilderte die lokale Bevölkerung also nicht nur als rückständig, sondern auch als einfältig und kindlich. Derartige Zuschreibungen hatten im kolonialen Diskurs die europäischen Missionierungs-und Erziehungsversuche legitimiert und sind bis heute Elemente der Konstruktion von Andersartigkeit.200 Das Narrativ von der Rückständigkeit des Kriegslandes und den dort lebenden Menschen, die über die moderne Technik der deutschen Soldaten staunen, findet sich ebenfalls in der Zeitschrift Jambo. Darin hieß es, es fehle in Libyen aufgrund der erst begonnenen Kolonisierung »natürlich auch jede Industrie, selbst die einfachsten Werkstätten sind nur in ganz bescheidenem Ausmaße vorhanden«.201 In der Publikation schrieb der Redakteur der Oase, Ernst Bayer, die Angehörigen der lokalen Bevölkerung würden die deutschen Soldaten stets umringen und die »deutschen Wunder der Technik« bestaunen. Dabei interpretierte er, dass aus ihren Augen Bewunderung und Staunen über bisher unbekannte Technik spreche.202 Seine Schilderung der lokalen Bevölkerung erinnert an (post)koloniale Darstellungsformen Schwarzer Menschen in Theater und Film, bei denen weiße Schauspieler sich mit Hilfe der heute als rassistisch eingestuften Praktik des blackfacings und durch weit aufgerissene Augen maskierten, um Naivität und Rückständigkeit zu transportieren.203 Das Motiv der kindlich staunenden »Wilden« wurde im Kontext des Nordafrikafeldzuges auch fotografisch umgesetzt. So präsentierte in der Zeitschrift Deutsche Wehr eine Aufnahme eine Ansammlung von Menschen, unter denen sich einige Personen mit Turban oder Fez befinden, neben einem Sanitätsflugzeug.204 Sehr deutlich inszeniert ist die angebliche Bewunderung der lokalen Bevölkerung auf einer Bildtafel des bekannten Bildpresseverlages »Heinrich Hoffmann. Verlag nationalsozialistische Bilder«, der Fotografien an zahlreiche deutsche Zeitungsredaktionen und internationale Agenturen vermittelte und dessen Propaganda-Bildbände die nationalsozialistische Bildpolitik prägten.205 Die Bildtafel Nr. 18/V 41 zeigt das Bild eines Jungen, der sich laut Bildunterschrift »offenbar mit einiger Vorsicht« einer »ungeheueren Flug-
199 Vgl. Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. 200 Grada Kilomba, Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism, Münster 2008, S. 44. 201 F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 3, S. 42–43, S. 42. 202 Ernst Bayer, Ein Deutscher kommt. Das Zauberwort für den Araber, in: Jambo 9 C (1942), S. 139–140, S. 139. 203 Vgl. etwa Pablo Dominguez Andersen und Henny Porten, Weißsein und Blackface im postkolonialen Starkino der Weimarer Republik, in: Visual History, 2020, URL: https://visual-history.de/2020 /06/15/henny-porten-weisssein-und-blackface [15.11.2020]. 204 Vgl. PK-Kriegsberichter Pirath, Ein Sanitäts-Storch auf einem tunesischen Feldflugplatz, in: Deutsche Wehr 47 (1943) 13, S. 1. 205 Zu dem auch als Hitlers Leibfotograf berühmt gewordenen Hoffmann vgl. Christina Irrgang, Hitlers Fotograf. Heinrich Hoffmann und die nationalsozialistische Bildpolitik, Bielefeld 2020.
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maschine« näherte.206 Der Bildaufbau illustriert die hierarchische Stellung der abgebildeten Personen. Der Junge auf dem Esel muss weit nach oben zu den beiden fast auf dem Rotorblatt des Flugzeuges sitzenden deutschen Soldaten aufschauen. Indem die berechtigte Zurückhaltung der nordafrikanischen Zivilbevölkerung gegenüber militärischem Gerät als Bewunderung und Staunen interpretiert wurde, schufen die Soldaten und Kriegsberichterstatter das Fremdbild einer emotionalen und unwissenden Bevölkerung, gegenüber der sie sich als rational und wissend abgrenzen konnten. Gerade in Verbindung mit den Flugzeugen der Luftwaffe findet sich das Motiv der staunenden Bevölkerung auch in den Selbstzeugnissen der Soldaten. Die Maschinen hätten Begeisterung ausgelöst, behauptete etwa Wilfried Armbruster in seinem Tagebuch. Darin schilderte er, wie sich eine Maschine des Typs Fieseler Fi 156, wegen des langbeinigen Fahrgestells »Storch« genannt, beim Start auf den Kopf stellte, und notierte: »Die Araber waren über diese Vögel hell begeistert.«207 Joseph B. berichtete seiner Schwester in einem Brief ebenfalls von den Reaktionen der lokalen Bevölkerung auf die Flieger. »Die Stukas haben auf die Bevölkerung […] einen unheimlichen Eindruck gemacht.«208 Vor allem die Kinder würden jedes Mal, wenn sich ein Flieger näherte, »ängstlich« schauen, »Aeroplane! Stuka!« rufen und sich zu Boden werfen. »Sie zeigen uns Bombensplitter und machen mit Gesten und Lauten die Stukas nach. Wir haben unsere Freude daran und sind stolz auf unsere Luftwaffe.«209 Welche Bedrohung von den Fliegern der Achsenmächte sowie der alliierten Luftwaffe für die lokale Bevölkerung ausging, ignorierten die Soldaten bei ihrer Bewertung solcher Situationen. Obwohl Joseph B. die Angst der Kinder vor den Flugzeugen benannte, interpretierte er das Verhalten der lokalen Bevölkerung beim Eintreffen eines Flugzeuges vielmehr als Bewunderung der Technik, die ihn ein Gefühl von Stolz empfinden ließ, Teil des bewundernswerten und fortschrittlichen Militärs zu sein. In der Oase wurde der vermeintliche Gegensatz zwischen der lokalen Bevölkerung und den Soldaten auch anhand anderer Fortbewegungsmittel herausgestellt. So bezeichnete eine Bildunterschrift das abgelichtete Zusammentreffen eines deutschen Panzers und eines von zwei Kindern gerittenen Esels als die Begegnung zweier Welten. Die Perspektive wählte der Fotograf Borchert dabei so, dass die Größe des Panzers im Vergleich zu dem Reittier deutlich wird. Aufgenommen wurde das Bild als die beiden Reiter den Kopf in Richtung Panzer wenden und es wirkt als würden sie bewundernd zu ihm aufblicken (vgl. Abb. 4).
206 IfZ-Archiv, P 364, »Kampf und Sieg in der Wüste!«, Hoffmanns Bildtafel Nr. 18/V 41, verantwortlich für Text und Bild: Oskar Robert Aschenbach, München. 207 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 16. März 1943, S. 119. 208 BfZ, Sammlung Sterz, Joseph B an seine Schwester am 22. April 1941. 209 Ebd.
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Abbildung 4: Fotografie von Eric Borchert, Zwei Welten begegnen sich in der Wüste, in: Die Oase, 47, 21. September 1941, S. 5.
Die Konstruktion der »Fremden« als rückständig und unwissend ging so weit, dass der Schriftsteller Anton Mieves ihnen sogar das Wissen um die eigene Pflanzenwelt absprach. In einer in der Oase abgedruckten Geschichte namens »Gang in die Wüste« berichtet der Erzähler, er habe in der Wüste Feigen geschenkt bekommen, die ihm jedoch »ein wenig fad und unreif« vorkamen. »Ich hätte den Männern gern von der veränderten Begegnung mit diesen Früchten erzählt, wenn sie, in weisse Spankörbchen verpackt honig gelb und seimigsüss zu uns kamen und die Sehnsucht nach den sonnigen Ländern ihrer Herkunft weckten«.210 Die Herstellung einer Binarität zwischen den Wissenden und den Unwissenden, den Fortschrittlichen und den Rückständigen war wesentlicher Bestandteil des Blickes auf die lokale Bevölkerung. Solche asymmetrischen Bezeichnungspraktiken und binären Unterscheidungen waren und sind elementarer Bestandteil rassistischer Stereotypenbildung.211 Neben dem Staunen über die Technik wurden Interpretationen der Verhaltensweisen und Körperlichkeit der lokalen Bevölkerung für asymmetrische Zuweisungen benutzt.212 Auf Fotos und Zeichnungen der Soldaten oder Kriegsberichterstatter waren
210 Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 7. 211 Mona Singer, Fremd. Bestimmung. Zur kulturellen Verortung von Identität, Tübingen 1997, S. 45. 212 Auch der Körper der im Ersten Weltkrieg eingesetzten Kolonialsoldaten stellte das zentrale Kriterium der Unterscheidung und Abgrenzung von den Weißen dar; vgl. Maß, Das Trauma des weißen Mannes, S. 25.
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Menschen der lokalen Bevölkerung oft hockend dargestellt.213 Diese Haltung wurde als fremdartige Praktik gedeutet. »[K]omisch, wie diese Gestalten vermummt im Sande hocken«,214 bemerkte Walter K. in einem Brief an seine Eltern. »Ueberall hocken farbige Menschen im Sand«,215 berichtete Martin Glaeser in der Feldzeitung über eine libysche Stadt. Und ein Artikel über einen Basar behauptete: »Ueberall kauern die verhüllten Gestalten – der Araber lebt in hockender Stellung.«216 In beiden Zitaten wird die »herumhockende« Bevölkerung wie eine Invasion von Schädlingen beschrieben, der nicht zu entkommen sei. Die hockenden Körper der »Einheimischen« bildeten einen Gegenpart zu den als stets strammstehend, gestählt imaginierten Körpern der deutschen Soldaten. Damit wertete die Beschreibung der Körperhaltung die lokale Bevölkerung ab, während die Soldaten sich davon abgrenzen konnten. Ähnlich rassifizierte Männlichkeitskonstruktionen waren im Nationalsozialismus bereits für die Ab-und Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen etabliert, die ebenfalls an körperliche Zuschreibungen, wie die eines »weichen«, »unmännlichen« Körpers oder einer gebogenen Nase geknüpft waren.217 Zu den zur Abgrenzung herangezogenen Praktiken gehörte weiter das in den Quellen häufig beschriebene Reiten von Eseln, das ebenfalls auf Hofmanns Bildtafel Nr. 18/V 41 zu finden ist,218 und als Zeichen der Rückständigkeit gedeutet wurde. Ein unter dem Titel »Begegnung in Afrika« in der Oase veröffentlichtes Foto zeigte etwa einen von zwei Personen gerittenen Esel, in dessen Hintergrund sich als riesiger schattiger Umriss ein deutscher Panzerspähwagen mit Bügelantenne erhebt.219 Durch den Kontrast der Formen der beiden Fortbewegungsmittel ist die technische Überlegenheit der deutschen Militärs bildnerisch inszeniert. Wie in der kolonialen Landschaftsfotografie die Eisenbahn technischen Fortschritt symbolisierte,220 setzte die Bildkomposition hier die Panzer als technische Errungenschaften in Kontrast zu den Eselsreitern. Die Primitivität des Eselreitens wurde also im Vergleich zur eigenen militärischen Technik behauptet. Zudem wurde die Art und Weise, wie die Männer der lokalen Bevölkerung auf den Eseln ritten, einerseits als seltsam und fremdartig empfunden,221 andererseits als primitiv und lachhaft beschrieben. In der Oase hieß es, es sei »ein rührendes Bild wie aus ferner Zeit«, wie »ein greiser, weissbärtiger Araber auf einem zähen Eslein« mit weit vor-
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Vgl. Zeichnung, in: Die Oase 64, 12. März 1942, S. 3; o. F., Gestickte arabische Mützchen gefällig, in: Die Oase 48, 28. September 1941, S. 6. 214 MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 14. September 1941. 215 Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. 216 Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 217 Vgl. Kühne, Protean Masculinity, S. 398. Siehe auch: Sander L. Gilman, The Jew’s Body, New York 1991. 218 Vgl. IfZ-Archiv, P 364, »Kampf und Sieg in der Wüste!«, Hoffmanns Bildtafel Nr. 18/V 41, verantwortlich für Text und Bild: Oskar Robert Aschenbach, München. 219 o. F., Begegnung in Afrika, in: Die Oase 38, 6. Juli 1941, S. 3; erneut abgedruckt in: Die Oase 47, 21. September 1941, S. 5. 220 Vgl. Rizzo, Faszination Landschaft, S. 8. 221 Vgl. Otto Constantini, In Gadames. Die geheimnisvolle Stadt, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 3.
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gestreckten Beinen vorbeiritt.222 Dass die Deutschen diese Fortbewegungsart komisch fanden, dokumentiert eine Briefpassage des Soldaten Heinz G., der seiner Frau aus Libyen berichtete, dass die Reiter »mit langen baumelnden Beinen auf diesen kleinen Tierchen« säßen.223 Weil diese als rückständig und lächerlich empfundene Praktik die deutschen Soldaten faszinierte, waren Eselsreiter auch bei den privaten Knipsern ein beliebtes Motiv.224 Daneben sahen die Soldaten beim Beobachten der auf Eseln reitenden Bevölkerung ein weiteres Vorurteil bestätigt. Denn insbesondere den arabischen Teilen der lokalen Bevölkerung wurde die Untugend des »Müssiggang[s]«225 zugeschrieben. Trägheit und Faulheit galten bereits im 19. Jahrhundert als Eigenschaften der arabischen Bevölkerung. Derartige Vorurteile hatte die Orientalistenmalerei in Europa verbreitet.226 In der Feldzeitung hieß es daher, dass Ausruhen »der Zweck des orientalischen Lebens« sei und die arabischen Männer vor ihren Häusern in der Sonne sitzen würden, statt zu arbeiten, und alles etwas langsamer angingen,227 während die Frauen die anstehenden Arbeiten am und im Haus verrichten würden.228 Diese Eigenschaft glaubten die deutschen Soldaten auch in der Nutzung der Esel zu erkennen. So zeigte eine Karikatur in der Oase einen voll beladenen Esel; sie trug den Titel: »Armer Esel … sollst dich mal freuen«.229 Heinz G. betonte in einem Brief an seine Frau, welche Mengen an Gepäck von den Eseln »mit viel Ergebenheit allerdings auch mit schlackernden Kniegelenken getragen«230 wurden. Dass diese Art der Nutzung von Tieren für ihn die Rückständigkeit der lokalen Bevölkerung, aber auch deren Faulheit bestätigte, belegt sein Kommentar: »Besonders stolz ist das Völkchen, wenn es nicht zu Fuss laufen braucht sondern im Besitz eines Esels ist.«231 Ähnlich stellte eine Bildunterschrift in der Oase heraus, dass die deutschen Soldaten im Vergleich mit der lokalen Bevölkerung schneller unterwegs waren. Die abgebildeten Kamele, die mit einem im Bildhintergrund stehenden Panzer kontrastiert sind, werden hier als »fleischgewordene Symbole orientalischer Lebensanschauung« bezeichnet und betont, für solche Langsamkeit hätten die deutschen Soldaten – »leider, leider« – keine Zeit (vgl. Abb. 5). 222 Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. 223 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. 224 Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 27b, Foto 680; Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021]. 225 IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Oasen«, S. 47. 226 Vgl. dazu Bopp, Fern-Gesehen. 227 Vgl. Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7, Zitat ebd. Siehe auch Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. 228 Vgl. o. V., Menschen in Nordafrika und Arabien. Ein historisches Lebensbild der Beduinen, in: Die Oase 22, 7. Mai 1941, S. 2. Ebenfalls notierte Armbruster in seinem Tagebuch, dass die Männer herumlungerten, während die Frauen arbeiteten, vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 4.Februar 1943, S. 108. 229 EMÖ, Armer Esel … sollst dich mal freuen, in: Die Oase 82, 23. Juli 1942, S. 6. 230 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. 231 Ebd.
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Abbildung 5: Fotografie aus einem Bildbericht von Eric Borchert, Weißt du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5.
Die Hervorhebung der Faulheit war direkt mit der Konstruktion der eigenen soldatischen Männlichkeit verknüpft, denn die der lokalen Bevölkerung zugesprochene Bequemlichkeit stand im Kontrast zu den eigenen soldatischen Idealen. Armin Schönberg erklärte in der Oase, die deutschen Soldaten müssten sich von der »unermüdliche[n] Geduld«, die ihnen in »Afrika« überall gelehrt werde, so viel aneignen, wie es ihre »nordische Bluttemperatur« erlaube.232 Auch Heinz G. kontrastierte die eigene Einstellung mit jener der lokalen Bevölkerung und schrieb seiner Frau, dass er auf »die köstliche Ruhe und Sorglosigkeit der Morgenländer« fast neidisch werden könnte.233 Diese auf den ersten Blick positiv wirkende Einschätzung diente eigentlich dazu, die eigenen soldatischen Eigenschaften zu betonen. Denn der Gegenpart zur »arabischen Faulheit« war die soldatische Disziplin und Strenge der deutschen Wehrmachtssoldaten. An dieser festzuhalten war der Wehrmachtsführung in der »Fremde« wichtig. So wurde die Soldaten schon in der Tornisterschrift Der Soldat in Libyen aufgefordert: »Sei stets militärisch straff und vorbildlich in deinem Auftreten. Das ist in Afrika noch nötiger als in Europa.«234 Neben der angeblichen Rückständigkeit und Faulheit der lokalen Bevölkerung veranschaulichte das Reiten der Esel für die deutschen Soldaten auch die vermeintliche Primitivität der »Fremden«. Diese Einschätzung war ebenfalls ein bereits um die Jahrhundertwende etabliertes Wahrnehmungsmuster. In Kolonial-und Weltausstellungen waren die europäischen Länder als Industrienationen gezeigt und mit den »fernen Ländern« kontrastiert worden, aus denen lediglich Handwerkskunst zu sehen war.235 In dieser Tradition ist die Betonung der handwerklichen Fähigkeiten der nordafrikanischen Zivilbevölkerung durch die Soldaten sowie die Autoren der Oase zu sehen. Die Zeitung druckte Fo-
232 Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. 233 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. 234 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30, Hervorhebung i. O. 235 Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin Ich!«, S. 11.
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tografien von stickenden Frauen oder von Handwerkskunst verkaufenden Händlern auf den Märkten; Helmut T. hob in einem Tagebucheintrag über einen Marktbesuch hervor, dass die angebotenen Waren »[m]eistens alles Handarbeit oder mittels primitiver Handwerksgeräte hergestellt«236 waren. Zudem wurden die Wohnstätten der lokalen Landbevölkerung als Zeichen ihrer vermeintlichen Unzivilisierheit dargestellt: »Diese Mäuerchen, die man mit einem Schritt übersteigen kann, zirkeln beinahe diskret den Besitz der Araber ab. Das Haus, so primitiv es sein mag, ist hier wie nirgends heilig«, hieß es etwa in der bereits erwähnten Erzählung von Anton Mieves. Der Friedhof des Ortes sei »für einen Fremden« nicht als solcher zu erkennen.237 Die Soldaten stellten die Siedlungen und Wasserstellen der Zivilbevölkerung in ähnlicher Weise als sehr einfach und aus »dürftigen« Mauern errichtet dar.238 Der Wehrmachtsarzt Schreiber notierte in seinem Reisebericht aus Libyen, »[d]as Leben und Treiben an den öffentlichen Brunnen mag jetzt noch genau so sein, wie es vor Jahrtausenden gewesen ist«.239 In der Beschreibung der Primitivität schwang dabei immer das Selbstbild der eigenen technischen und wissenschaftlichen Überlegenheit mit. Doch die empfundene Einfachheit der »Fremden« führte nicht nur zu Ablehnung. Zugleich wurde sie als idyllisch wahrgenommen und romantisiert.240 Die meistens mit dem Verweis auf die herrschende Armut begründete Schlichtheit von Wohnstätten beschrieb Wildfried Armbruster daher als ursprünglich und »charakteristisch«.241 Otto W. beschriftete noch in seinen Erinnerungen Aufnahmen von Gebäuden, die er während des Feldzuges gemacht hatte, mit den Worten: »Romantisch doch arm und schmutzig«.242 Die Romantisierung des als fremd und anders Wahrgenommenen schrieb ebenso tradierte rassistische Vorstellungen fort wie die anderen unter den Teilnehmern des Nordafrikafeldzuges verbreiteten Vorurteile und Fremdbilder, die auf der Unterscheidung zwischen sich selbst und den als fremd konstruierten »Anderen« beruhten.243 An welche Diskurse die Fremdbilder im Kontext des Nordafrikafeldzuges anknüpften, reflektierte teilweise sogar die Oase. Die Redaktion der Feldzeitung erklärte, dass sie die »Menschen in Nordafrika und Arabien«244 mit Hilfe der Beschreibungen des »Orientreisenden« Johann Ludwig Burckhardt den Soldaten näherbringen wollte. Burckhardt,
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DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 91. Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 7. Vgl. etwa DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 159. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 21. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100, 34–178, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 7. Januar 1943, S. 100. DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 9. Die Langlebigkeit stereotyper und rassistischer Zuschreibungen hob u.a. Eberhardt Kettlitz für die deutsche Sicht auf afrikanische Soldaten hervor, vgl. Eberhardt Kettlitz, Afrikanische Soldaten aus deutscher Sicht seit 1871: Stereotype, Vorurteile, Feindbilder und Rassismus, Frankfurt a.M. 2007. O. V., Menschen in Nordafrika und Arabien. Ein historisches Lebensbild der Beduinen, in: Die Oase 22, 7. Mai 1941, S. 2. Vgl. zu Stereotypen etwa Hall, Spectacle of the Other, S. 257.
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der »im Auftrag der Afrikanischen Gesellschaft im Jahre 1809 Nordafrika und Arabien unter dem Namen Scheik Ibrahim«245 erforschte, sollte den deutschen Wehrmachtssoldaten in Nordafrika Wissen über die Beduinen vermitteln. Denn die Schriftleiter der Oase hielten Burckhardts stereotype Schilderungen, die »den Arabern« einige wenige, unveränderliche Eigenschaften zuwiesen, für »haarklein«246 zutreffend. Auf den Arbeiten von Orientalisten wie Burckhardt fußten die Abenteuerromane Karl Mays, in denen ebenfalls das Stereotyp der »schmutzigen Araber« vorkam.247 Gerade seine Werke zogen die deutschen Soldaten, wie später dargelegt wird, in Nordafrika zum Vergleich heran. Und auch die Oase gab belletristische Literatur als Referenz für die Einschätzung der Bevölkerung an. In der Erzählung von Anton Mieves wird der Erzähler von einigen arabischen Männern ans Feuer eingeladen und gesteht, dass er »die arabische Gastfreundschaft nur aus einer überaus bezeichnenden Geschichte der Schulzeit kenne«.248 Den angebotenen Tee trinkt er mit einiger Überwindung, da er hygienische Bedenken gegen das Glas hegte, »das schmierig von dem braunen Zuckersud am Boden lag und an diesem Morgen schon einige Male die Runde unter den Männern gemacht hatte«.249 Wie der Ich-Erzähler dieser Geschichte hielten die Soldaten die Menschen des Kriegsraumes für unhygienisch und schrieben damit ein durch Reiseberichte kultiviertes Bild des dem Westen unterlegenen, schmutzigen »Orients« fort.250 Sie thematisierten diese Vorstellung meist im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln, die sie von der lokalen Bevölkerung erwarben. Neben Obst oder Eiern boten Menschen aus der lokalen Bevölkerung den deutschen Soldaten vor allem Ölgebäck an. Dieses schmeckte laut Heinz G. zwar »sehr gut«, wurde »durch die Unsauberkeit der Araber aber oft verachtet«.251 Er selbst habe es gern gegessen und dabei den Umstand ignoriert, dass möglicherweise »der Teig mit den Füßen gestampft wurde«, obgleich sich manchmal ein Haar darin befunden habe.252 Horst S. hingegen gab in seinen Memoiren an, keine der Gebäckteilchen mehr gegessen zu haben, nachdem er gesehen hatte, dass die Angehörigen der lokalen Bevölkerung den Teig »mit den nackten, ungewaschenen Füssen geknetet« hatten.253 Daher stammten für Walter K. die »schmalzigen Bäckereien aus
245 O. V., Menschen in Nordafrika und Arabien. Ein historisches Lebensbild der Beduinen, in: Die Oase 22, 7. Mai 1941, S. 2. 246 Ebd. 247 Vgl. Wiemann, »Das ist die echte«, S. 100. Vgl. allgemein zum Bild von Muslimen bei Karl May: Svenja Bach, Das Islambild Karl Mays. Die Hintergründe seiner Darstellungen von Islam und Muslimen im »Orientzyklus«, in: Heiko Erhardt und Friedmann Eißler (Hg.), »Winnetou ist ein Christ«. Karl May und die Religion, Berlin 2012 (= Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen – Texte, Bd. 220), S. 150–164. 248 Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 7. 249 Ebd. 250 Vgl. Stamm, Der Orient der Frauen, S. 197. 251 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943. 252 Ebd. 253 DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Horst S., Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 7.
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schmutziger arabischer Hand«,254 und er erinnerte sich an die lokale Bevölkerung auch retrospektiv als »landesüblich nicht sehr sauber«.255 Reinhard B. diffamierte die lokale Bevölkerung noch stärker. Er beschrieb sie als Fremde, die im Schmutz hausten und sich sogar von Schmutz ernährten. Die »Araber« würden das Konzept der Hygiene nicht verstehen und von den deutschen Soldaten zum Schutz vor Fliegen vergrabene Abfälle ausgraben, berichtete er seinen Eltern. Weil sie diese mit ihren robusten Mägen vertragen würden, seien sie »anscheinend ganz genauso zäh wie die Fliegen«.256 Mit der seit Jahrhunderten etablierten invektiven Sprachpraktik des Tiervergleichs degradierte er die lokale Bevölkerung und erklärte, dass er sie als ähnlich lästig wie die Fliegenplagen empfand.257 Ortschaften und Städte waren für die deutschen Soldaten ebenso Anlass, um die Hygiene anzusprechen. Dabei differenzierten sie zwischen den europäischen Siedler*innen und der arabischen und Schwarzen Bevölkerung beziehungsweise den durch den italienischen und französischen Kolonialismus geprägten Innenstädten in Libyen und Tunesien und den sogenannten Arabervierteln.258 Zwar gefielen ihnen die Zentren mit ihren europäischen Prachtbauten und Palmenalleen meist gut,259 doch erschienen ihnen die »Araberviertel« als »dreckig und stinkig«260 und »unberührt von jedem Fortschritt«.261 »Während die moderne Stadt ebensolche Strassen und Gebäude hat, ist das Araberviertel unberührt von jedem Fortschritt«,262 erklärte Ritter von D. seiner Ehefrau. Rommels Dolmetscher Armbruster, der die Städte als »unberührt von jedem Fortschritt«263 beschrieb, bezeichnete einen Basar, den er in solch einem Viertel besuchte, als »[e]ine Fülle von Eindrücken und Schmutz«.264 Ähnlich abwertend äußerte er 254 MSPT, 3.2002,7506, Walter K. an seine Eltern am 6./7. Februar 1943. 255 IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, o.O. 1987, S. 148 (53). 256 MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. August 1941. 257 Vgl. Uwe Israel, Marius Kraus und Ludovica Sasso, Einleitung, in: dies. (Hg.), Agonale Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung im italienischen und deutschen Humanismus, Heidelberg 2021 (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte, Bd. 17), S. 1–13, S. 12. 258 Hubert S. etwa beschrieb seiner Frau, die Stadt Gabes habe »ca. 20 000 Einwohner, etwa 3000 Europäer, das übrige sind Araber«. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 22. November 1942. 259 Zur Modernität der italienischen Kolonialarchitektur, allerdings für den Fall Ostafrika, vgl. Edward Denison, Guang Yu Ren und Naigzy Gebremedhin, Asmara. Africa’s Secret Modernist City, London 2003, sowie Vera Simone Bader, Moderne in Afrika: Asmara – die Konstruktion einer italienischen Kolonialstadt 1889–1941, Berlin 2016. 260 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 28. Oktober 1941, S. 2. Mit denselben Worten beschrieb Ritter von D. ein Araberviertel; BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. Vgl. auch LHAKo Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., 15. Mai 1941, und MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 28. Dezember 1942. 261 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 262 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 263 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 28. Oktober 1941, S. 2-3. 264 Ebd.
6 Männlichkeit in Abgrenzung zu den »Anderen«
sich über die Wohnbauten der Ortschaft Beni Ulid (Bani Walid), in die er zusammen mit Erwin Rommel und dem Chef des Stabes der Panzerarmee Afrika, Fritz Bayerlein, reiste.265 Noch abschätziger als die Viertel der arabischen Bevölkerungsrteile verurteilte ein Artikel in der Oase die Armensiedlung vor den Toren einer nicht näher benannten Stadt. Hier lebten laut dem Kriegsberichterstatter Martin Gläser »schwarze und braune, Mischlinge aller Rassen der Welt, elende hässliche Menschen, ohne Heimat, ohne Aufgabe, Menschen ohne Ziel und Glück.«266 Die Ansiedlung sei »ein furchtbares Problem«, da »sich diese glücklosen Mischlinge mit einer ans Unwahrscheinliche grenzenden Vehemenz vermehren« und damit die italienische Kolonialverwaltung am Ende vor »die Frage einer entscheidenden Lösung stellen«.267 Dieser Hinweis in der Zeitung ist im Kontext der deutschen Faszination für den italienischen Kolonialismus in den 1930er Jahren einzuordnen. Denn eigentlich waren die Deutschen von der Separationspolitik in den italienischen Kolonien beeindruckt,268 weshalb diese Siedlung als Fehlschlag der italienischen Stadtplanung galt. Zumindest für die heutige Leserin schwingt in dieser Wortwahl aber auch die Option einer mörderischen Lösung rassenideologischer Probleme mit. Der Soldat Heinz G., den die vermeintliche Unsauberkeit der Bevölkerung nicht davon abhielt, das angebotene Ölgebäck zu essen, bewertete seine Erlebnisse etwas anders als die meisten seiner Kameraden. Beim Besuch der tunesischen Hauptstadt klagte er nicht über den Schmutz in den arabischen Vierteln, sondern über den Dreck, den der industrielle Fortschritt mit sich brachte: »Eigentlich war ich […] von Tunis enttäuscht, nachdem [sic!] was man mir erzählte. Rund um Tunis zieht sich ein Ring schmutziger Industrieanalagen. Ebenfalls im Stadtinneren hätte ich mir eine saubere, reichere Umgebung vorgestellt.«269 An dieser Passage wird nicht nur erkennbar, dass die deutschen Soldaten sehr wohl etwas von der Modernität des Kriegslandes mitbekamen und die Rückständigkeit konstruiert war. Die darin ausgedrückte Enttäuschung macht deutlich, dass sein Eindruck nicht dem entsprach, was er sich von Tunis erwartet hatte. So wie die meisten Soldaten durch die Lebensverhältnisse im Krieg und von den Bedrohungen des Kriegsraumes ernüchtert waren, weil der Kriegseinsatz eben kein exotisches Abenteuer war, enttäuschte die Realität der tunesischen Hauptstadt seine romantischen Imaginationen. Der angebliche Schmutz diente den deutschen Soldaten ebenso wie die anderen Zuschreibungen an die lokale Bevölkerung zur Abgrenzung, wie ein Kommentar aus der Oase beweist: »Vieles, was unsere Lebensauffassung ablehnt, ist den Eingeborenen selbstverständlich und natürlich.«270 Derartige Differenzierungsstrategien waren auch an an265 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 7. Januar 1943, S. 100. 266 Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2 267 Ebd. 268 Vgl. Eric Jennings, L’Afrique du nord: un enjeu colonial, in: Nicola Labanca, David Reynolds und Olivier Wieviorka (Hg.), La guerre du désert 1940–1943, Paris 2019, S. 91–106, S. 101. 269 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 15. April 1943. 270 Otto Constantini, In Gadames. Die geheimnisvolle Stadt, in: Die Oase, 17. August 1941, S. 3.
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
deren Fronten verbreitet271 und eine im Deutschen Reich etablierte Ausgrenzungstechnik. Denn die Beschreibung schmutziger, stinkender Viertel oder eingeschleppter Flohplagen weckte Gefühle des Ekels und der Abscheu. Damit knüpften diese Bilder an die von Silke Fehlemann herausgearbeitete »sensorische Mobilisierung« an, die im Nationalsozialismus gegen die Juden betrieben wurde.272 Die ständig wiederholte Erzählung von den unhygienischen Verhältnissen war aber auch eine Strategie zur Bewältigung der Kriegserlebnisse. Denn Schmutz und Primitivität waren wesentliche Bestandteile des Kriegsalltags der deutschen Soldaten in Nordafrika oder an der Ostfront. Sie widersprachen jedoch den vermittelten Normen und Werten innerhalb des Militärs. Indem sie »die Fremden« als schmutzig und als Gegensatz zur eigenen, als europäische Tugenden verklärten Sauberkeit und Ordnung wahrnahmen, konnten die Soldaten ihre eigenen Schamgefühle über die unhygienischen Zustände überwinden, sich selbst aufwerten und wieder als Teil der militärischen Gemeinschaft fühlen. Die Fremdbilder – oder um mit den Worten Stuart Halls zu sprechen: Repräsentationen273 – der lokalen Bevölkerung in der Feldzeitung und den Selbstzeugnissen dienten daher ähnlich wie in der Reiseliteratur des Kolonialismus als Spiegel der Selbstbilder der deutschen Soldaten.274 Aussehen, Körperlichkeit und Praktiken der nordafrikanischen Bevölkerung spiegelten das Weißsein, die Reinlichkeit und Diszipliniertheit der deutschen Soldaten. Die Selbstbilder und Fremdbilder waren gleichermaßen in eine Bedeutungswelt eingeschlossen.275 Dass es sich dabei vor allem um Zuschreibungen handelte, die mit der Realität nicht viel gemein hatten und der Erhöhung des eigenen Selbstwertes dienten, wird daran deutlich, dass nicht nur die lokale Bevölkerung des Kriegsraumes als schmutzig bezeichnet wurde. Auch die italienischen oder indischen Soldaten nannten die deutschen Wehrmachtsangehörigen teils unrein.276 . Umgekehrt bezeichnete Helmut T. in seinem Kriegstagebuch die arabische Bevölkerung Nordafrikas als »sehr reinlich« und »sauber gekleidet« und bemerkte, sie machten jedenfalls einen besseren Eindruck auf die deutschen Soldaten als die Italiener.277 Wer genau die »Fremden« zur Abgrenzung waren, spielte damit eine untergeordnete Rolle. Dies belegt auch ein Artikel aus der Oase über die Feierlichkeiten zum Ramadan. Darin heißt es, das Fest werde von den »arabischen Völker[n] in Nahost und in Nordafrika«, den »Berber[n], Felachen, Sudanesen und N*«
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Vgl. Kipp, Reinlichkeitsvorstellungen in Feldpostbriefen, S. 461–463; Wurzer, Nachts hörten wir, S. 97–98. Vgl. Silke Fehlemann, Mit allen Sinnen hassen. Sensorische Mobilisierung in der Weimarer Republik, in: WerkstattGeschichte 83 (2021) 1, S. 49–67; zu Ekel als historischem Gefühl siehe auch Frevert, Mächtige Gefühle, S. 89–105. Vgl. Hall, Spectacle of the »Other«. Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin Ich!«, S. 11. Vgl. dazu Hall, Spectacle of the »Other«, S. 93. »Die Flöhe stammen von den Indern«, notierte Armbruster, IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 12. September 1942, S. 62. Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69.
6 Männlichkeit in Abgrenzung zu den »Anderen«
im Grunde nicht anders gefeiert als ein Fest der »Indianer oder […] Eismeerlappen. Verschieden ist nur das Kleid.«278 Die Abgrenzung von der lokalen Bevölkerung eines Kriegsgebietes und die Verbreitung rassistischer Stereotype zur Konstruktion des eigenen Selbstbildes sind allerdings kein Spezifikum des Nordafrikafeldzuges. Vielmehr ist diese Praktik ein wesentliches Element moderner Kriegsführung und wurde auch an anderen Fronten praktiziert.279 Mit denselben angenommenen Eigenschaften (faul, primitiv, ohne Kultur, emotional, neugierig, schmutzig und verlaust), welche die Soldaten der lokalen Bevölkerung in Nordafrika zuschrieben, versahen sie nach einer Versetzung an die Ostfront auch die sowjetische Bevölkerung.280 Dieser Umstand veranschaulicht noch einmal die Funktion der Fremdbilder: In der Abgrenzung von der als fremd und anders markierten Gruppe der Zivilbevölkerung des Kriegslandes konnten sich die Soldaten selbst als reinlich, kulturvoll, wissend, rational und damit überlegen konstruieren.281 Darüber hinaus stabilisierten solche asymmetrischen Bilder die nationale Integrität der Soldaten und rechtfertigten auch eine verbrecherische Kriegsführung.282 Anders als an der Ostfront waren die Fremdbilder über die lokale Bevölkerung in Nordafrika allerdings weniger von der nationalsozialistischen Propaganda gegen Slaw*innen oder Jüdinnen und Juden geprägt, sondern von exotistischen Denkmustern und kolonialen Rassismen beeinflusst.
278 Martin Gläser, Ramadan, Fest nach dem Fasten. Eselsmagen, Branntwein und süsser Kaffee – Ein Tanz wird zur Orgie – Essen und Trinken erst nach Sonnenuntergang, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 2. 279 Vgl. David Ulbrich und Bobby A. Wintermute, Race and Gender in Modern Western Warfare; Berlin, Boston 2018. 280 Vgl. etwa das Briefkonvolut von MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B: In seinem Brief vom 13. April 1942 aus der Sowjetunion äußerte er sich über die primitiven Hütten der Bevölkerung, die ihm überraschend sauber erschienen. Nach seiner Rückkehr aus Nordafrika schrieb auch Robert W. aus Minsk, dass Rußland auf ihn zunächst einen armseligen und dreckigen Eindruck gemacht habe; vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. November 1943. 281 Vgl. Kipp, Reinlichkeitsvorstellungen in Feldpostbriefen, S. 461–463; Markus Wurzer, Disziplinierte Bilder. Kriegsbildberichterstattung im nationalsozialistischen Deutschland und faschistischen Italien im Vergleich, in: Visual History, 2020, URL: https://www.visual-history.de/2020/04/06/disz iplinierte-bilder-kriegsbildberichterstattung-deutschland-und-italien-im-vergleich [22.05.2021]. 282 Vgl. dazu Nübel, Durchhalten und Überleben, S. 261, 266.
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7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
Exotistische Vorstellungen sind Teil rassistischer Denkmuster. Daher verschwanden die imaginierten Raumbilder und Vorstellungen der Soldaten von einem aufregenden Abenteuer in der afrikanischen Wüste oder dem zauberhaften »Orient« nicht einfach durch Erlebnisse, die diesen Bildern widersprachen. Sie waren für die Soldaten weiterhin prägend bei der Deutung und Sinnstiftung und wurden zu einer Strategie des Umgangs mit der Kontingenzerfahrung. Durch exotistische Sichtweisen auf den Raum und die hier lebenden Menschen konnten die Soldaten die Erfahrung der eigenen Schwäche bewältigen und ihre Erlebnisse positiv interpretieren. Sie inszenierten sich nicht nur als soldatische Männer, deren Härte im Kriegsraum zur Geltung kam, sondern deuteten den Kriegseinsatz allen Bedrohungen und Enttäuschungen zum Trotz als spannende Entdeckungsreise, in dem sie sich – Vorstellungen von kolonialer Männlichkeit folgend – als Abenteurer und Eroberer inszenierten.
7.1
Baden, Besichtigen, Fotografieren: Touristische Praktiken im Krieg
Voraussetzung für die Deutung des Krieges als Abenteuer war die Wahrnehmung des Kriegseinsatzes als Reise. Dass Soldaten den Krieg oft nicht allein als existenzielle Bedrohung erlebten, sondern ihre Erlebnisse auch als Reiseerfahrung interpretierten, ist in der Forschung bereits bekannt.1 Das Reiseerlebnis war bei einem Kriegseinsatz immanent, da eine Rekrutierung lange für viele Menschen die einzige Möglichkeit darstellte, zu reisen und andere Länder kennenzulernen. Zwar hatte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die deutsche Reiselust stetig zugenommen, doch blieb das Reisen weiterhin 1
Vgl. etwa Konrad Köstlin, Krieg als Reise, in: Margit Berwing und Konrad Köstlin (Hg.), Reise-Fieber. Begleitheft zur Ausstellung des Lehrstuhls für Volkskunde der Universität Regensburg, Regensburg 1984, S. 100–114; Richard White, The Soldier as Tourist. The Australian Experience of the Great War, in: War & Society 5 (1987), S. 63–77; Klaus Latzel, Tourismus und Gewalt. Kriegswahrnehmungen in Feldpostbriefen, in: Hannes Heer und Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995, S. 447–459; Charlotte Heymel, Touristen an der Front. Das Kriegserlebnis 1914–1918 als Reiseerfahrung in zeitgenössischen Reiseberichten, Berlin 2007 (= Literatur – Kultur – Medien, Bd. 7).
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
das Privileg einer kleinen, zahlungskräftigen Klientel. Der Erste Weltkrieg ermöglichte auch Männern nicht-bürgerlicher Herkunft die Fahrt in ferne Länder, wobei berücksichtigt werden muss, dass sie als eingezogene Soldaten zu diesen Reisen verpflichtet waren.2 Nichtsdestotrotz war das Reiseerlebnis für viele Soldaten elementarer Bestandteil ihrer Kriegserfahrung von 1914 bis 1918, wie etwa für die ins Osmanische Reich versetzten Soldaten, für die die Zugreise nach Konstantinopel ein herausragendes Reiseerlebnis mit moderner Truppenbetreuung darstellte.3 Auch in den 1930er Jahren gab es noch keinen Massentourismus und Reisen über mehrere Tage oder Wochen oder gar Fernreisen waren eine Seltenheit. Daran hatte auch die nationalsozialistische Reise-und Freizeitorganisation »Kraft durch Freude« für die breite Bevölkerung nur wenig geändert.4 Erst der Zweite Weltkrieg führte wieder Menschen in großer Zahl und aus allen sozialen Schichten auf Reisen. Der Einsatz in Nordafrika stellte daher für viele der beteiligten Soldaten die erste Fernreise ihres Lebens dar, auch wenn diese fremdbestimmt war, wie Georg N. nicht ohne Ironie kommentierte: »Man gondelt halt in der Weltgeschichte herum und wartet, bis man schließlich einmal freundlicherweise nach Hause fahren darf. Zu nette Leute.«5 Die im Kontext des Krieges verfassten Selbstzeugnisse der Soldaten sind daher immer auch Reiseberichte. Die geographische Lage des Kriegsschauplatzes führte die deutschen Soldaten auf der Anreise durch ganz Italien oder bis nach Griechenland, um dann von Neapel, Sizilien oder Kreta aus mit dem Schiff oder dem Flugzeug nach Nordafrika verlegt zu werden. Damit bewegten sie sich durch ein traditionelles Reiseziel, über das seit den 1920er Jahren durch das vermehrte Erscheinen von Reiseberichten, Reiseführern und Bildbänden ein populäres Raumwissen verbreitet war.6 Bilder über die Mittelmeerregion reproduzierten auch die militärischen Publikationen der NS-Zeit. In der vom Oberkommando der Wehrmacht herausgegebenen Tornisterschrift Schlag nach über das Mittelmeer wurde die Region in der Tradition des europäischen Landschaftsdiskurses als ein Sehnsuchtsraum geschildert.7 Die rassistische Einstellung der deutschen Soldaten gegenüber den italienischen Bündnispartnern änderte nichts daran, dass Italien bereits seit Goethes Italienreise im Bildungsbürgertum ein beliebtes Reiseland war. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm der deutsche Tourismus nach Italien zahlenmäßig zu und das faschistische Regime Italiens bemühte sich sehr, den Deutschen die Schönheit des eigenen Landes näher zu
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Vgl. Stein, »Orientfahrten«, S. 329. Für die Soldaten wurden sogar Reiseführer herausgegeben und Zugfahren ans Meer zum Baden organisiert, vgl. ebd., S. 330. Vgl. Hasso Spode, »Der deutsche Arbeiter reist«. Massentourismus im Dritten Reich, in: Gerhard Huck (Hg.), Sozialgeschichte der Freizeit. Untersuchungen zum Wandel der Alltagskultur in Deutschland, Wuppertal 1980, S. 281–306, S. 294–300. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. Januar 1942. Christine Isabel Schröder, Das Mittelmeer im Fokus nationalsozialistischer Diskurse über Geopolitik und Raum. Eine wissensgeschichtliche Perspektive, in: Mihran Dabag u.a. (Hg.), New Horizons. Mediterranean Research in the 21st Century, Paderborn 2016 (= Mittelmeerstudien, Bd. 10), S. 385–406, S. 8. Vgl. Degener, Tagungsbericht.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
bringen.8 1931 reisten bereits circa 300.000 Deutsche dorthin.9 Der Austausch zwischen den beiden Ländern intensivierte sich nach der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes, und seit 1938 war Italien auch Ziel von KdF-Fahrten.10 Bis 1939 reisten etwa 145.000 Deutsche mit der Organisation in das Land, das seit 1936 mit dem Deutschen Reich unter dem Titel der »Achse Berlin–Rom« freundschaftlich verbunden war.11 Daher weckte der Grenzübertritt am Brenner bei einigen deutschen Soldaten sofortige Urlaubsstimmung, und sie verschickten direkt die ersten Grußkarten.12 Die sich im Laufe der Fahrt nach Süden verändernde Umgebung entsprach zunehmend den soldatischen Vorstellungen einer »italienischen Landschaft«, von der bereits Goethe geschwärmt hatte. Sie waren von Pinien und Zypressen, Orangenplantagen und Palmen begeistert,13 vor allem aber über das Mittelmeer. Manche der Soldaten waren in Italien zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Strand und genossen das Baden.14 Auch sonst verhielten sich die Soldaten, während sie auf die Verlegung nach Nordafrika warteten, wie Touristen. Sie machten Ausflüge nach Neapel oder Palermo, besuchten Pompeji und den Vesuv oder die Blaue Grotte auf Capri.15 Die über Griechenland anreisenden Soldaten besichtigten antike Stätten, etwa die Akropolis in Athen.16 Der Besuch von derartigen Sehenswürdigkeiten und Ausgrabungsstätten stellte eine seit dem 18. Jahrhundert etablierte touristische Praktik dar,17 welche die Soldaten zu Reisenden machte. Der anschließende Flug über das Mittelmeer stellte einen Höhepunkt des Reiseerlebnisses dar. Im Flugzeug über dem glitzernden Wasser wurde den Soldaten bewusst, dass sie unterwegs zu unbekannten Ufern waren. Walter K. schrieb seinen Eltern, er freue sich, nun endlich etwas erzählen zu können, denn »die Entfernung steht proportional zur Urlaubsfreude«.18 Der Flug war für die Soldaten, die nicht unter Übelkeit litten oder feindlichen Angriffen ausgesetzt waren, ein »tolles Gefühl«19 und »phantastisch 8
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Vgl. Patrick Bernhard, »Vieni un po‹ in Italia …«. Aspetti del turismo tedesco in Italia nel secondo dopoguerra, in: Storia del turismo. Annale 2006–2008, S. 175–189, als Word-Dokument online abrufbar unter: https://www.academia.edu/11790112/Vieni_un_po_in_Italia_Aspetti_del_turismo_t edesco_in_Italia_nel_secondo_dopoguerra [05.05.2021], S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. dazu Birgit Mandel, »Amore ist heißer als Liebe.« Das Italien-Urlaubsimage der Westdeutschen in den 50er und 60er Jahren, in: Hasso Spode (Hg.), Goldstrand und Teutonengrill. Kulturund Sozialgeschichte des Tourismus in Deutschland 1945 bis 1989, Berlin 1996, S. 147–162, S. 149. Vgl. Bernhard, »Vieni un po‹ in Italia …«, S. 4. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern, 21. April 1941. Vgl. etwa MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 13. November 1942; MSPT 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 19. November 1941; Ernst Bayer, So war die Fahrt nach Süden, in: Die Oase, 19. März 1941, S. 5. Walter K. ließ sich unter einem Orangenbaum fotografieren, vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 10b, Foto 560. Vgl. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, 1984, S. 22. Vgl. etwa LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 27. April 1941; MSPT, 3.2002.7280, Gottfried W. an Hedwig am 25. April 1942. Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 04 a und b, Fotos 503–515. Vgl. Mai, Touristische Räume im 19. Jahrhundert, S. 8. MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 14. September 1941. BFZ, Sammlung Sterz, Wilhelm S. an seinen Onkel am 11. Januar 1943.
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schön«.20 Für die Soldaten, die zum ersten Mal flogen, war die Anreise ein außergewöhnliches Erlebnis, von dem sie in ihren Selbstzeugnissen ausführlich berichteten.21 Die ungewohnte Vogelperspektive auf die winzig unter ihnen liegenden Kampfschiffe und die Küstenansichten, die beim Anflug die baldige Landung auf dem afrikanischen Kontinent ankündigten, beeindruckten sie.22 Propagandakompanie-Angehörige wie auch private Knipser machten daher zahlreiche Fotoaufnahmen aus den Fenstern der Flugzeuge.23 Auch die Anreise per Schiff war für die Soldaten eindrucksvoll und ließ immer dann Urlaubsstimmung aufkommen, wenn die Überfahrt von gegnerischen Luftangriffen verschont blieb. Laut einem Artikel in der ersten Ausgabe der Oase herrschten an Bord eine fröhliche Atmosphäre und ausgelassene Stimmung, die eher an eine Urlaubsfahrt als an die Anreise zu einem Kriegseinsatz erinnerte. Die Soldaten spielten, musizierten, nahmen Sonnenbäder oder schrieben Karten nach Hause.24 Erich K. schrieb seinen Eltern zwar, die Überfahrt sei aufgrund der fehlenden Bequemlichkeit nicht mit einer »K.D.F.Reise« zu vergleichen, doch empfand er die Fahrt dennoch als Reise.25 Für Otto W. war die Schiffsreise noch rückblickend »so einzig schön«, dass er sicher war, sie nie zu vergessen.26 In Nordafrika angekommen, führten die Soldaten die in Italien begonnenen touristischen Praktiken fort. Da viele nicht direkt zur Front mussten, hatten sie Zeit, sich zunächst am Ankunftsort umzusehen. Sie besichtigten Tripolis oder Tunis und gingen ans Meer zum Baden.27 Gottfried W. fand das Wasser an der nordafrikanischen Küste genauso schön und salzig »wie in Neapel«.28 Gerd W. suchte sich direkt nach der Ankunft im Oktober 1941 eine neue Badestelle in Nordafrika und freute sich, dass er »trotz der vorgeschobenen Jahreszeit hier noch im Freien baden« konnte.29 Weil das Baden bereits seit dem 18. Jahrhundert eine etablierte touristische Praktik darstellte,30 konnten die Soldaten den Beginn des Einsatzes zunächst als Reise verbuchen, auch wenn sich manch einer wunderte, warum es im Krieg so viel Gelegenheit zum Baden gab.31
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BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 9. Februar 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Wilhelm S. an seinen Onkel am 11. Januar 1943. Vgl. auch BfZ, Sammlung Sterz, Karl O. an seine Mutter, 16. Oktober 1942. Vgl. etwa NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 4; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1942, S. 1; MSPT, 3.2002.7252, Gerhard K. an seine Eltern am 5. Mai 1941. Vgl. etwa zwei Luftaufnahmen von Walter K., Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 08 b, Fotos 539–542 sowie Bl. 16b, Fotos 605 und 606. Vgl. Ernst Bayer, Durchs Mittelmeer nach Afrika, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 3. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 9. Mai 1941. Vgl. DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5. Vgl. IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 10; NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 4. MSPT, 3.2002.7280, Gottfried W. an Hedwig am 29. Mai 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 3. Oktober 1941. Vgl. Andreas Mai, Touristische Räume im 19. Jahrhundert. Zur Entstehung und Ausbreitung von Sommerfrischen, in: WerkstattGeschichte 36 (2004), S. 7–23, S. 8. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 14. März 1941.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
Da der Feldzug mehrheitlich in den Küstenregionen stattfand, kamen die Soldaten immer wieder in den Genuss, im Meer zu schwimmen. Die Vorlieben vieler Soldaten für das Baden und die Verknüpfung des Meeres mit positiven Gefühlen wurden während des Feldzuges auch von offizieller Seite genutzt. Nach schweren Gefechten sollte eine Stationierung am Meer die Soldaten entspannen. Daher befanden sich auch die Erholungsheime in Nordafrika am Meer in Appolonia32 und in Cyrene, »einem Ort zwischen Bengasi und Derna«,33 wie Hans P. in seinem Tagebuch notierte. »Dort am Meeresstrand sollen alle, nach und nach, einige Wochen Ruhe finden«,34 erklärte er. Der Militärarzt Schreiber bezweifelte allerdings in tropenmedizinischer Manier, dass sich die Soldaten als Nordeuropäer in Libyen unter den gegebenen klimatischen Verhältnissen überhaupt erholen konnten.35 Neben der Erholung bot das Meer aber auch die Möglichkeit, die soldatischen Körper zu kräftigen. Daher war das Baden auch eine Praktik, die der nationalsozialistischen Körperpolitik folgte. Sport wurde als sinnvolle Vorbereitung des Körpers auf den Krieg angesehen, der »die Männer im Spiel und Kampf« zusammenfasste, ihre Körper stählte und »ihnen die Spannkraft und den Mut für kommende Einsätze«36 gab. Diese politische Dimension des Badens war den Soldaten allerdings unwichtig. Sie beschrieben solche Ausflüge ans Meer in ihren Selbstzeugnissen vor allem als Freizeiterlebnis. Denn hier konnten sie nicht nur ihre verstaubten Körper und Kleider säubern, sondern sich zum Spaß in die Fluten werfen, in der Sonne baden und die Gemeinschaft mit den anderen Soldaten genießen. Die Stunden am Meer ließen die Soldaten die Strapazen des Krieges vergessen und waren deshalb wichtig, um dem Gesamterlebnis des Krieges Sinn zu verleihen und sich als Teil einer Kameraden-Gemeinschaft zu fühlen. Von dieser Bedeutung zeugen neben den Briefen und Tagebucheinträgen die zahlreich überlieferten Fotografien badender Soldaten in Nordafrika. Denn diejenigen, die eine Kamera besaßen, machten gern Fotos von sich und ihren Einheiten, wie sie nackt oder in Badehose im Meer planschten oder sich am Strand aufstellten. Solche Aufnahmen versinnbildlichten für die Soldaten bereits während des Krieges die positive Deutung ihres Kriegseinsatzes als gemeinschaftliches Reiseerlebnis und halfen auch im Nachhinein, an diese Deutung anzuknüpfen.37 Über die Bademöglichkeiten freuten sich vor allem die im Winter nach Nordafrika versetzten Soldaten. Sie bewerteten dabei stets die milden Temperaturen im Kriegsraum
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BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 31. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 17. April 1942, S. 8. Ebd. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 32. Heinz Schmidt, Das Beispiel eines Bataillons: Grosses Soldatensportfest im Süden, in: Die Oase 50, 12. Oktober 1941, S. 4. Interessant wäre es, anhand des gemeinsamen Badens oder nackter Soldaten am Strand genauer zu untersuchen, wie die Soldaten diese Erlebnisse zwischen den Polen der soldatischen Kameradschaft und der Furcht vor Homoerotik einordneten, vgl. Kühne, Protean Masculinity, S. 394; Laura Fahnenbruck, Ein(ver)nehmen. Sexualität und Alltag von Wehrmachtsoldaten in den besetzten Niederlanden, Göttingen 2018 (= L’Homme Schriften, Bd. 24), S. 10f.
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als positiv. Und auch wenn sie bereits die Qualen des Krieges erlebt und sich über die Hitze und die Sonne, die Sandstürme und Trockenheit des Landes beklagt hatten, schrieben sie im Frühling und Herbst wieder über die angenehmen, warmen Temperaturen und verglichen die Wetterlage mit einer »Sommerfrische«38 . Karl B., der im Juli 1941 in Nordafrika ankam, freute sich nicht nur im Oktober 1941 über »prächtiges Badewetter«, während es zu Hause schon kühler werde, und sprach von der »schönste[n] Zeit des Jahres« für die Afrikasoldaten.39 Noch ein Dreivierteljahr nach seiner Ankunft auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz war er begeistert, dass man schon baden gehen konnte, während die Angehörigen zu Hause noch im Winter froren.40 Robert W. kam auch noch ein Jahr nach Beginn seines Einsatzes, als er schon die Gefahren des Krieges und der Umwelt erlebt hatte, beim Vergleich der Wetterlage in Deutschland mit den von ihm erlebten Witterungsbedingungen zu einem positiven Schluss und schrieb seiner Frau: »Du schreibst von schlechtem und kalten Wetter und bei uns ist längst der Frühling da.«41 Die Wetterverhältnisse des Kriegsraumes, die, wie im ersten Kapitel gezeigt, wesentlich für die Deutung des Kriegsraumes als Raum der Bedrohung waren, konnten also gleichzeitig zu einer Deutung des Krieges als Reise führen und somit helfen, die Kriegserlebnisse zu bewältigen. Weitere gute Stimmung verbreitete der Besuch von Sehenswürdigkeiten. Wie in Italien und Griechenland besichtigten die Soldaten in Nordafrika an freien Tagen gerne antike Stätten. »Fabelhaft sind die Spuren alter römischer Kultur. So habe ich z.B. in Leptis magna, der alten, am Mittelmeer gelegenen Römermetropole, die Säulen bewundert, die die in Pompeji bei weitem übertreffen«,42 fand etwa der Soldat Heino P. Die Ruinen von Cyrene lobte Helmut T. als »für den Gelehrten und auch den Reisenden ausserordentlich interessant«.43 Nach Cyrene machte Wilfried Armbruster sogar an seinem Geburtstag einen Ausflug, bei dem sie an der antiken Stätte picknickten und er »einige alte Münzen« als Souvenirs erstand.44 Die Besichtigung der aus der Zeit der römischen Herrschaft in Nordafrika stammenden Sehenswürdigkeiten wurde auch durch die Oase befördert, die immer wieder Beiträge über die Antike und die kulturellen Errungenschaften der Römer brachte, um ein positives Italienbild zu befördern.45 Zugleich waren derartige Artikel typischer Bestandteil von Soldatenzeitungen, denn auch in den Publikationen für die von den Briten
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DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 74. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 5. Oktober 1941. Vgl. ebd. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. Februar 1942; ähnlich bei BfZ, Sammlung Sterz, Alfons S. an seine Eltern am 29. Oktober 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Heino P., Ausschnitt aus einem Brief vom 11. April 1942. DTA, 238.1, (Reg.Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 88. Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 16. März 1942, S. 22. Vgl. etwa H.[ermann] W.[acker], Italien das Land der Kunst. Schöpferischer Geist vom antiken Rom bis zum Faschismus, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 5; o. F., Zeugen römischer Baukunst in Nordafrika, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 5.
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eingesetzten ostafrikanischen Soldaten fanden sich Reiseberichte zu Kulturstätten nach christlich-europäischen Maßstäben.46 Wie andere Touristen hielten die Soldaten die Besichtigungen bildlich fest und fotografierten oder filmten die Ruinen der antiken griechischen Kolonie Cyrene oder der römischen Stadt Leptis magna.47 Der ambitionierte Fotograf Reinhard B. schickte sogleich einen Film zum Entwickeln an seine Eltern und erklärte: »Es sindszumeist [sic!] Aufnahmen von den Ausgrabungen der alten griechischen Siedlung Cirene, vom Appollo-Tempel, von dem herrlichen Theater, den Thermen und den Höhlen, die als Grabkammern dienten.«48 Er beauftragte seine Eltern aus Nordafrika mit so vielen Filmentwicklungen, dass er sich für die dabei entstehenden Kosten entschuldigte. Wie er schickten die meisten Soldaten ihre Filme zum Entwickeln nach Hause. Robert W. teilte seiner Frau dabei genau mit, auf welchem Film sich die »[b]ei einem Streifzug durch Sollum und dem Halfaia-Paß« gemachten Aufnahmen befanden.49 Karl B. fand in Tunis gar einen Fotoladen, in dem er sogar von einem »Fräulein« bedient wurde, »die fliessend deutsch sprach« und mit der er sich »gut unterhielt«.50 Reinhard B. hoffte, dass seine Eltern ihm weiter zu Hause die Fotos entwickelten, denn das Betrachten der Fotografien würde ihm beim nächsten Heimaturlaub eine große Freude sein. Dazu wünschte er sich zu Weihnachten ein »stilvolles Album« für seine »Afrikafotos«.51 Dass auch andere Soldaten ihre Angehörigen baten, die Aufnahmen aus Nordafrika für spätere Erinnerungen in einem Album zu verwahren,52 verdeutlicht, welche Bedeutung das Fotografieren von Reisemotiven und die so entstandenen Bilder für sie hatten. Die Fotos halfen bereits während des Einsatzes, den Krieg als sinnvoll zu deuten, und waren auch nach dem Krieg als zusammengestellte Alben ein wesentliches Element der Sinnstiftung.53
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Vgl. Bromber, Imperiale Propaganda, S. 227. Dies belegen sowohl schriftliche als auch bildliche Quellen. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 27. April 1942; Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 199, TC: 11:19:51-11:21:57, URL: www.archiv-akh.de/filme/119#1 [19.01.2021]; Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 516, TC: 10:21:43-10:23:35, URL: www.archiv-akh.de/filme/516# [19.01.2021]. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. August 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 24. Juni 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 14. April 1943, S. 4. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 6. November 1941. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seinen Sohn am 30. November 1941. Zur Narration in Fotoalben der Soldaten vgl. Petra Bopp, Forced Images? Entangled Connotations of Wehrmacht Soldiers’ Photos in Greece, schriftliche Fassung eines Vortrags vom April 2019 bei der Konferenz »The Occupier’s Gaze: Athens in the photographs of the Nazi soldiers, 1941–1944« anlässlich der Ausstellung »The Occuper’s Gaze: The Athens of the German Occupation in the Photographic Collection of Byron Metos« (Athen 2019), S. 44–45. Dabei wurden die Aufnahmen nicht nur während des Krieges untereinander getauscht, sondern die Veteranen halfen sich auch bei der Zusammenstellung der Alben. Der ehemals in Nordafrika eingesetzte Eugen schickte etwa an einen alten Kameraden seine Aufnahmen, damit dieser ihm bei der Beschriftung und dem Verfassen danebenstehender Erläuterungen in seinem Album half, vgl. MSPT, 3.2002.7486, Eugen an Germann aus dem Genesungsheim Bad Tölz, 22. Februar 1942.
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Neben antiken Ausgrabungsstätten und dem Meer wollten die deutschen Soldaten in Nordafrika aber auch Land und Leute kennenlernen, über die sie im Taschenbuch für die Truppe oder in der Feldzeitung informiert worden waren. Stolz berichtete etwa Heino P. in einem Brief nach Hause, er habe seit seiner Abfahrt in Deutschland »sehr viel Neues gesehen« und es gefalle ihm sehr gut in »Afrika«, das er nun von der Küste bis zur Sahara kennengelernt habe. Er zählte Naturerscheinungen, Städte und Siedlungen, die »Trachten der Bewohner, die tropische Vegetation, das lebendige Spiel von Licht und Schatten« als Elemente auf, die »dem Lande eine ungewöhnliche Anziehungskraft«54 verliehen. Reinhard B., der abends die Geräusche eines Festes der lokalen Bevölkerung in der Nähe gehört hatte, schrieb seinen Eltern, dass er beim nächsten Mal losgehen wollte, um aus der Nähe »dieses bisher sicher noch nicht gesehene Schauspiel zu geniessen«.55 Die Feldzeitung Oase bewertete den Drang, »möglichst viel von diesem von Romantik umwitterten Land kennen zu lernen«, als ganz natürlich. Jedoch wurde darauf hingewiesen, dass nicht näher genannte Grenzen einzuhalten waren, was die Feldgendarmerie überprüfte.56 Vermutlich sollten vor allem zu enge Kontakte und eine »rassische Vermischung« verhindert werden. Zum Kennenlernen des Einsatzortes standen die großen Küstenstädte auf dem Ausflugsprogramm. Ihr Besuch stellte für die Soldaten eine willkommene Abwechslung und Erholung vom Krieg dar, den sie dabei fast vergessen konnten.57 Daneben wurden die Städte als Kontrast zur »Eintönigkeit der Libyschen Wüste«58 verstanden und damit ebenfalls als mentale Erholung betrachtet. An wasch-oder sonstigen dienstfreien Tagen fuhren sie in die nächstgelegene Stadt und erkundeten die Straßen, Restaurants und Geschäfte. Hier konnten sie einmal etwas anderes als salziges Wasser als Getränk bestellen oder zum Mittagessen in ein Lokal gehen.59 Obwohl die Oase den Soldaten empfahl, keine Kaffeehäuser aufzusuchen, da hier »nur niederes Volk«60 anzutreffen und »alles Vorgezeigte […] sehr minderwertig«61 und daher nicht des Geldes wert sei, freute sich Helmut T., »in ein echt orientalisches – arabisches Kaffeehaus«62 gehen zu können. »Auf niedrigen Polstern saß ich an einem niedrigen Tischlein und schlürfte (andere Länder, andere Sitten) für 3 Lire mein Tässchen Mokka. Aber wirklich prima!prima! Dazu ass ich so ein kleines undefinierbares Gebäck für 4 Lire und dann noch eine Portion Eis!«63
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BfZ, Sammlung Sterz, Heino P., Ausschnitt aus einem Brief vom 11. April 1942. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Juli 1941. Ernst Bayer, Feldgendarmerie in Afrika. Helfer und Berater der Truppe; in: Die Oase, 22. Juni 1941, S. 12. Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2005, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-kriegsalltag-in-nordafrika-1942 [05.06.2019]. Siehe auch Le Gac, Combattants du désert, S. 142. Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Siegfried K. an seine Eltern am 27. Juni 1941. Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3. Ebd. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Ebd.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
Karl B. berichtete seiner Familie vom Glück eines kurzen Besuches in Tunis. »Ganz fabelhaft! Man fühlt sich für ein paar Stunden wie im Frieden. Ein Leben und Treiben, elegante Frauen dazwischen verschleierte Araberinnen.«64 Einige Tage später resümiert er: »Tunis hat mir sehr gut gefallen. Im Frieden muß es dort fabelhaft sein.«65 Die Erlebnisse in den Küstenstädten standen für die Soldaten zudem auch im Kontrast zu dem als trostlos empfundenen Hinterland, so dass Siegfried K. seinen Eltern erklärte, es sei für ihn belebend, in Bengasi einmal »wieder Bäume Felder u. Häuser«66 zu sehen. Er glaubte, seine Eltern könnten sich gar nicht vorstellen, wie es sei, »wenn man nichts anderes sieht als Sand u. Steine u. plötzlich sieht man wieder etwas grünes [sic!] es ist wie ein Wunder ich möchte am liebsten garnicht mehr vor fahren«67 . Als empfundenen Gegenpol zur Einsamkeit in weniger dicht besiedelten Gegenden und zu den Eindrücken aus der Wüste machten die nordafrikanischen Küstenstädte erheblichen Eindruck auf die Soldaten. Insbesondere diejenigen, die sich zum ersten Mal in Nordafrika aufhielten, waren begeistert.68 Wie bei der Ankunft faszinierte die Soldaten noch bei späteren Besuchen das geschäftige Treiben auf den Straßen.69 Die vielen unterschiedlichen Fortbewegungsmittel von Eselskarren über »Dogcarts mit schnellen Berberpferden und eleganten europäischen oder arabischen Lenkern« und zahlreichen »gelben Autos der Wehrmacht«, dazwischen Hirten mit ihrem Vieh, und die heterogene Bevölkerung, deren Kleidung und Kopfbedeckungen, »arabische Gassenjungen, lustig und frech, Bettler, jung und alt, Gesichter von weiss bis zum tiefen schwarz«,70 beeindruckten die Soldaten schwer. Alfred K. erinnerte sich an Tunis als »[e]ine Stadt, die jeden in ihren Bann ziehen muss«.71 Hans P. hielt sich im Januar 1943 im Lazarett in Tripolis auf und konnte von seinem Krankenzimmer hinunter auf die Stadt blicken: »Oft stehe ich am Fenster und schaue hinaus auf die Stadt. Dort wogt das bunte Leben, Radau dringt herauf, Europäer und Eingeborene, Autos und Kamele, alles durcheinander. -Afrika der [sic!] großen Welt.«72 Diese Eindrücke der Soldaten spiegelte die Feldzeitung, indem dort eine nicht näher genannte libysche Stadt in rassistischem Ton als ein Durcheinander unterschiedlichster Verkehrsmittel und Menschen beschrieben wurde: Ein »italienischer Arabersoldat in Wickelgamaschen, mit breitem blaugrün gesticktem Leibgürtel und dunkelrotem Fez« regelte den Verkehr »der Lastautomobile, der Motorräder, der Personenkraftwagen und der bespannten Karren« oder es steuere ein Schwarzer seine Kutsche vorbei, in der mal
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BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 11. April 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 14. April 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Siegfried K. an seine Eltern am 27. Juni 1941. Ebd. Hans C., der als Fremdenlegionär selbst bereits in Tunis gewesen war, behauptete in seinen Erinnerungen, er und andere ehemalige Legionäre wären weniger beeindruckt gewesen, vgl. DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 56. Vgl. etwa Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für AfrikaSoldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 7. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträgen zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 12. Januar 1943, S. 20.
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»eine fesche Italienerin« sitze, mal »eine fette alte N*mammy mit riesigen Metallringen in den Ohren und breiten, blitzenden Armreifen, die vom Handgelenk bis zu den Ellenbogen reichen«.73 Die bei der Ankunft oft als fremd und eher abstoßend bewerteten Eindrücke führten zugleich zu einer gewissen Faszination durch die Soldaten. Zudem bewunderten die Soldaten die Architektur. Die Kolonialbauten der italienischen und französischen Siedler*innen gefielen den deutschen Soldaten ebenso wie »die Moscheen mit den schlanken, spitzauslaufenden Minaretten«,74 die sie bei Gelegenheit auch besichtigten.75 Daher schrieben die Soldaten ihren Angehörigen, sie fänden Tripolis »herrlich, interessant«76 oder nannten Bengasi »eine der schönsten Städte Libyens«.77 Helmut T. bezeichnete hingegen Derna als »das schönste Städtchen in Libyen«.78 An die Fahrten dorthin erinnerte sich nach dem Krieg auch Werner Mork gern. Die »Schönheit dieser Stadt« habe sie bereits gefangen genommen, wenn sie vom »Hochplateau der Wüste über den Halfaya-Pass kommend, tief unten am Meer die Stadt liegen sahen. In vielen Serpentinen ging es dann hinunter in die herrliche Stadt mit ihren Palmenhainen und dem weiten Blick auf das unendlich erscheinende Meer.«79 Die sogenannten Araberviertel fanden die Soldaten »hoch interessant«,80 so dass sich viele von ihnen diese Viertel unbedingt ansehen wollten. Helmut T. hielt diesen Teil der Stadt für das »verlockendste und interessanteste« an einer »orientalischen Stadt«.81 Otto W. erinnerte sich in seinen Memoiren, dass die ihm unterstellten Soldaten ihn gebeten hatten, auf dem Weg zu Aufräumarbeiten im Hafenbecken von Tunis durch das »Araberviertel« zu gehen. Er entsprach ihrem Wunsch und verlief sich sogar absichtlich, damit sie mehrere Stunden Zeit zur Besichtigung hatten.82 In diesen Stadtteilen erwarteten die Soldaten, wie auch das Taschenbuch für die Truppen in Libyen angekündigt hatte, das »echte orientalische […] Leben«83 zu finden. Hier glaubten sie zu erkennen, was der klassische Orientbegriff transportierte, der bis heute »immer dann bemüht [wird], wenn es darum geht, eine vormoderne traditionelle Essenz zu evozieren und damit das Gegenwärtige zu diskriminieren«.84 Günther E. schrieb noch in seinen
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Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Helmut T. besuchte einmal eine Moschee und lobte die Teppiche, Arabesken und Wandverzierungen, vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 90–91. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Ebd. S. 90. Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2005, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-kriegsalltag-in-nordafrika-1942 [05.06.2019]. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 3. Februar 1942, S. 16; BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 9. Februar 1943. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5. OKW, Der Soldat in Libyen, S. 11. Schmitz, Orient, S. 485.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
Erinnerungen: »Eine bisher unbekannte, sehr reizvolle Welt tat sich auf – eine fast mittelalterlich orientalische, urwüchsige Welt wie aus 1001 Nacht ohne jede […] technische Errungenschaften der uns so vertrauten zivilisierten Heimat.«85 Gegenläufig zu seinen Gewohnheiten waren die Eindrücke auch für Alfred K., der sich nach dem Krieg an das »Araberviertel mit all seiner Buntheit und schockierenden Fremdheit«86 erinnerte. Der Blick der Soldaten auf die sie umgebende Welt war immer von dieser Dichotomie geleitet, auch wenn zum Teil das Gesehene als beispielhaft für die Kunst und Kultur der Region bewertet und als solche dokumentiert wurde. »In den Arabervierteln der nordafrikanischen Städte können wir oft solche hervorragenden Beweise arabischer Kunst und des Kunsthandwerks bewundern«,87 kommentierte eine Bildunterschrift in der Oase das Foto eines deutschen Soldaten, der ganz am rechten Bildrand stehend vor einem reichlich verzierten Torbogen aufgenommen worden war. Auch in den Fotoalben der Soldaten sind Detailaufnahmen ornamentreicher Torbögen oder Türen sowie Bilder von Moscheen zu finden.88 In den Stadtaufnahmen der Soldaten und Kriegsberichter spiegelt sich die tradierte Bildsprache, mit der europäische Künstler*innen den »Orient« darstellten. Wie deren Bilder stellen auch die Fotografien aus dem Nordafrikafelzug die Städte oft nur als Silhouette dar, die sich gegen den Abendhimmel abhebt.89 Stadtinnenansichten zeigen im Hochformat und in Zentralperspektive enge Gassen, an deren Ende ein Turm oder eine Kuppel den Blick abschlossen. Sie entsprachen damit der Bildsprache der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts.90 Oft versperrten auf den Bildern auch Häuser den Weg, die Menschen waren reine Staffage und die Orte ohne konkrete Namen.91 In der Architektur sahen die Soldaten ihre vor dem Einsatz beim Erklingen des Namens des Kriegsraumes geweckten Imaginationen bestätigt. Dies war »Afrika, ja ein Stück Orient, wie wir es uns etwa vorgestellt hatten«,92 fasste die Oase zusammen. Besonders in den ägyptischen Städten meinten die Soldaten nun den »Orient« zu entdecken. Dies lag vermutlich an der bedeutenden Rolle des Landes im deutschen Orientdiskurs. Die Bekanntheit des Landes am Nil wirkte sich auch auf die Wahrnehmungen und Deutungen der deutschen Soldaten in Nordafrika aus. Mit dem Eintritt nach Ägypten verortete sich Helmut T. endgültig im »Orient«, wie er in seinem Tagebuch notierte. Mit dem Überschreiten der libysch-ägyptischen Grenze glaubte er, sich »in dem Land von Tausend und einer Nacht, in dem Land, von dem man sich die schönsten Sagen und Märchen erzählt«,93 zu befinden.
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DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 139. HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträgen zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3. Aufn. Uffz. Kunst, in: Die Oase 43, 10. August 41, S. 4. Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. VI, Bl. 20b, Fotos 619–621, Bl. 26a, Fotos 663–665. Vgl. Bopp, Fern-Gesehen, S. 43. Vgl. ebd., S. 45–47. Vgl. ebd., S. 59. Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 102.
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Auch die Feldzeitung beschrieb Ägypten als Teil des Orientraumes und betrachtete das Land als den »echten Orient«. Alexandria bezeichnete sie als »Perle des Orients«, wo »der Orient den Fremdling sofort mit aller Macht« empfangen würde.94 Es hieß, im Hafen wimmele es von Leuten und einer »verwirrenden Fülle und Buntheit orientalischen Lebens«, so dass man erst einmal den Atem anhalten müsse, um sich vor dem über der Stadt liegenden »Schleier wie von einer modernen Tausendundeiner Nacht« zu sammeln.95 In derselben Ausgabe wurde Kairo die »orientalisch funkelnde Millionenstadt« genannt, deren »orientalische[r] Akzent« der britischen Herrschaft und der »Berührung mit der westlichen Welt« trotze.96 Weiterhin hockten Teppichmaler »mit untergeschlagenen Beinen vor modernen Büros, die spitzen Segel der Feluken huschen durch die Rauschschleier grösserer Dampfer, der näselnde Singsang der Gebetsrufer tropft von schlanken Minaretts in das Gewühl grell hupender Autos«.97 Ein Major verkündete gar, in Ägypten sei das Straßenleben »viel bunter und echter als in Tripolis«.98 Zur Bestätigung druckte die Oase mehrfach Ansichten von Kairo mit beeindruckenden Bauwerken voller schlanker Türme und runder Kuppeln, wie etwa die Muhammad-Ali-Moschee.99 Das vermeintlich echte orientalische Leben fanden die Soldaten zudem auf den Märkten der Städte, weshalb Helmut T. den großen »Araber-Basar« als das interessanteste an seinem Besuch in Derna bezeichnete.100 Auch andere Soldaten reizten vor allem die »Verkaufsstraßen«101 bei Stadtbesichtigungen und besuchten die Basare und Märkte,102 wo sie Gemüse und Obst einkauften, mit denen die Truppen unzureichend versorgt war.103 Dazu bestaunten sie »die herrlichen Webereien und Stickereien. […] Teppiche, herrliche und phantastische Teppiche, Gobelins, Decken, seidene Buntschals usw. Alles gab es hier«,104 erinnerte sich Helmut T. an den Markt in Derna. Zu gerne hätte er »so ein echt arabisch-orientalisches Stück erstanden«.105 Da solche Produkte jedoch zu teuer und zu groß waren, um von den Soldaten nach Hause geschickt zu werden, erwarben sie kleinere Stücke als Souvenirs und Geschenke für ihre Angehörigen,
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Werner Lojewski, Perle des Orients. Das Leben in Alexandrien, der zweitgrössten Stadt Aegyptens, vor Ausbruch des Krieges – Sommerresidenz des Königs, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 3. Ebd. Erich Winter, Die verdunkelte Sphinx. Tommies und Tanks nahmen der Stadt Kairo nicht ihren orientalischen Akzent, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 3. Ebd. Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3. Vgl. o. F., Blick auf Kairo, in: Die Oase 88, 3. September 1942, S. 3; o. F., Die Mohammed-Ali-Moschee, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 11. Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T, Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 91. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Vgl. etwa BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 5. Oktober 1941; Besuche auf dem »Sukh« in Sfax und Derna, vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Einträge vom 11. Mai 1942, S. 30, 9. März 1943, S. 114, und 11. März 1943, S. 118. Armbruster kaufte etwa Tomaten, vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 3. Februar 1942, S. 16. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 91. Ebd.
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»allerhand nette Sachen«,106 wie Parfüm,107 »arabische Sandalen«108 oder »Tücher«109 und »wunderschönen handgesponnenen und -gewebten Wollstoff«.110 Kleinere Souvenirs schickten die Soldaten direkt mit der Feldpost nach Hause. So legte Karl B. einem Brief an seine Familie »ein paar kleine Andenken an Afrika bei« und betonte, die Hauptsache sei, dass seine Eltern diese aufheben, bis er wiederkomme.111 Andere Soldaten sammelten zahlreiche Gegenstände, um diese bei einem »Heimaturlaub« mitzubringen. Auffällig viele Gegenstände erwarb Ritter von D., der seiner Frau eine Brosche »von feiner tunesischer Handarbeit […] mit vergoldetem Silber«112 kaufte. Zudem ließ er ihr regelrechte Luxusgüter von anderen Soldaten, die auf Urlaub fuhren, mitbringen und teilte ihr mit, dass sie sich auf eine »braune Damenhandtasche, eine Theatertasche, 1 Paar Hausschuhe, Kaffee, für Hanswerner Schokolade«113 freuen könne. Zuvor hatte er sich schon nach Schuhen für sie umgesehen.114 Auch Georg N. erwarb zahlreiche Geschenke. Für sein Baby erstand er »etwas niedliches aber auch nützliches […], was seine besondere afrikanische Eigenart in sich birgt«,115 wie er seiner Frau mitteilte und betonte, selbstverständlich habe er auch etwas für sie gekauft. Dieses Geschenk bereite ihm »jedesmal Freude«, wenn er es betrachtete, da er sie dabei vor seinem inneren Auge sah.116 Zudem ließ er für sich und seine Familie, wie andere Soldaten auch,117 Schuhe nach »afrikanisch-arabische[r] Eigenart« anfertigen, die »der arabischen Originalität« ähnelten.118 Es war ihm also wichtig, seiner Familie durch Mitbringsel zu zeigen, dass er an sie dachte. Die Souvenirs sollten aber zugleich etwas von der empfundenen Andersartigkeit des Raumes vermitteln. Manche Soldaten beschwerten sich allerdings über die von ihnen als hoch eingeschätzten Preise oder befürchteten, geprellt zu werden.119 Schon im Taschenbuch Der Soldat in Libyen war der Hinweis abgedruckt, dass die Soldaten ein gewisses Misstrauen gegen die lokalen Händler hegen sollten. Es empfehle sich, Silbermünzen auf Echtheit zu prüfen und bei Händlern darauf zu achten, dass man nicht übervorteilt werde.120 Gegenüber »Eingeborenen« sei »Vorsicht!« geboten, erklärte der Stabsfeldwebel Pfeiffer in seinem Bericht über den Kriegseinsatz. Es handele sich um einen »Teil der arabischen 106 Über Markt in Sfax vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 9. März 1943, S. 114. 107 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. März 1943, S. 118. 108 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. 109 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. Mai 1941. 110 IfZ München, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 146f. (51f.). 111 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 5. Oktober 1941. 112 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 113 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 9. April 1943. 114 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 22. März 1943. 115 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. Januar 1942. 116 Ebd. 117 Vgl. etwa LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 7. April 1943. 118 Ebd. 119 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 15. März 1942. 120 Vgl. OKH, Soldaten in Libyen, S. 30–31.
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Welt und arabische […] Stämme […] der mit dem von K. May gepriesenen edlen, stolzen und freien Sohn nichts [sic!] das geringste gemein« habe.121 Diese Stereotype verbreitete auch die Feldzeitung, welche die Soldaten aufforderte, sich beim Einkaufen gut über den Wert des Geldes und der Waren zu informieren. Denn das »Uebervorteilenwollen« liege dem »Orientalen im Blute«.122 Wilfried Armbruster hatte solche Warnungen verinnerlicht und »dachte schon an das Schlimmste«, als ihm auf dem Markt einmal eine »kleine Araber-Schar« nachgelaufen kam.123 Die befürchteten Betrügereien passten in das tradierte Bild von der lokalen Bevölkerung, mit dem die Soldaten nach Nordafrika gekommen waren. Denn orientalistische Vorstellungen prägten nicht nur ihre Wahrnehmung des Naturraumes und der Städte, sondern auch der Menschen, die sie an die breit rezipierte Geschichte »Ali Baba und die vierzig Räuber« erinnerten, die der französische Orientalist Antoine Galland der Sammlung »Tausendundeine Nacht« hinzugefügt hatte. In einer in der Oase abgedruckten Erzählung wurde in Anlehnung an Christian August Vulpius’ Roman »Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann« von Rinaldinigestalten gesprochen.124 Solche literarischen Darstellungen gingen an den deutschen Wehrmachtssoldaten nicht spurlos vorbei, die die arabische Bevölkerung in ihrer Vorstellung nicht nur als schmutzig und rückständig, sondern auch als falsch und verschlagen einschätzten. So schrieb Otto W. noch in seinen Erinnerungen unter die Fotografien zweier Männer aus der lokalen Bevölkerung, es seien »Gestalten aus Ali-Baba’s Räuberladen«.125 Günther E., der als Soldat erst im März 1943 nach Tunesien kam, kaufte im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Soldaten nicht auf den arabischen Basaren ein. Seine Memoiren zeigen, dass diese Entscheidung in einem abschätzigen Blick auf die lokale Bevölkerung begründet lag. So beschrieb er seinen Eindruck von Tunis wie folgt: »Das Volk hing, abgesehen vom Gedränge innerhalb der Fahrzeuge, auf Trittbrettern, Kotflügeln und Anhängerkupplungen.« Einer »Jagd nach Souvenirs oder dem Erwerb materieller Güter« vermochte er »keinen Geschmack« abzugewinnen, da dies nur »Balast [sic!]« darstellte und »dem Genuß leiblicher Kostbarkeiten schließlich […] mit Mißtrauen und Vorsicht begegnet werden« musste.126 Daher gab es für ihn »nichts, was des Kaufens, des Verschickens wert gewesen wäre«.127 Viele andere sahen darin jedoch eine Möglichkeit, ihre Angehörigen an ihrer Reise nach Nordafrika teilhaben zu lassen. Auch die zahlreichen von den Soldaten selbst gemachten oder von den Fotografen der Propagandakompanie abgekauften Fotoaufnahmen, dienten diesem Zweck. Wie an anderen Fronten entstanden in Nordafrika neben zahlreichen Fotografien der Propagandakompanien massenhaft Fotos privater Knipser, die neben den Ortschaften auch die 121
BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 77. 122 Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3. 123 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 14.–18. Mai 1942, S. 30. 124 Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 7. 125 DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika 1, 1943–1945, S. 17. 126 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 141. 127 Ebd., S. 142.
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natürliche Umgebung, Landschaften sowie ihre Bewohner*innen zeigen.128 Die Motive der entstandenen Privatfotografie ähneln sich an allen Fronten. Die Neugier auf das Unbekannte leitete den Blick der Soldaten und sie fotografierten Menschen und Orte, die sie bisher nur aus Reisebüchern und von Erzählungen kannten, um sich später daran zu erinnern und das Erlebte für ihre Angehörigen zu dokumentieren.129 »Wem es möglich war, von daheim einen Photoapparat mitzubringen, der tat es, um dieses Erlebnis besser festhalten und die vielen fremdartigen Bilder in Afrika seinen Angehörigen und Freunden mitbringen zu können«,130 wusste die Feldzeitung Oase. Manche Soldaten wurden schon während des Einsatzes nach solchen Fotos gefragt, weil sich ihre Angehörigen und Bekannten ein besseres Bild machen wollten. So erklärte Franz K. einer Bekannten, dass er ihr leider keine Wüstenaufnahmen schicken könne, da er bereits alle Fotos nach Hause gesandt habe.131 Wie die Badefotos der Soldaten waren solche Aufnahmen ein wesentliches Mittel, das Erleben des Krieges in ein Reiseabenteuer umzudeuten. Deshalb fotografierten die Soldaten nur, wenn es ihnen gut ging und sie nicht unter den Gefechten oder den sonstigen Bedrohungen des Kriegsraumes litten. Robert W., der zunächst viel fotografiert hatte, schrieb seiner Frau im April 1942, dass er mittlerweile »so gut wie gar keine Aufnahmen mehr« mache. »Ich habe einfach keine Lust mehr.« Als Grund führte er die natürlichen Umstände des Krieges an. Er habe nach einem Jahr im Kriegseinsatz »mehr als die Nase voll« von »diesem elenden Gottesgarten mit seinem vertrockneten ›Nichts‹ und seinen ewigen Sandstürmen«. Erst, wenn die deutschen Soldaten nach Kairo kommen sollten, wollte er wieder mit dem Fotografieren anfangen.132 Sein Beispiel macht offensichtlich, dass die Deutung des Kriegseinsatzes als Reiseerlebnis nicht selbstverständlich war und die touristischen Praktiken, wie das Baden, Besichtigen und Fotografieren, die Kriegserlebnisse nur dann zu einer Reiseerfahrung umdeuten konnten, wenn die Soldaten nicht gerade in schwere Gefechte eingebunden waren oder unter den Bedingungen des Krieges und des Kriegsraumes litten. Die Feldzeitung druckte immer wieder Warnungen vor einer Bewertung des Kriegseinsatzes als Reise. Der Schriftleiter der Oase, Bruno Káldor, machte unmissverständlich klar, dass es sich beim Nordafrikafeldzug nicht um einen Ausflug der Organisation »Kraft durch Freude« handele: »Wir sind nicht als Touristen oder friedliche KdF-Fahrer hier, sondern als Soldaten, als Männer des Deutschen Afrikakorps.«133 Solche vehement
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Erich K. machte vor allem in Tripolis Aufnahmen, vgl. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 3. Juni und 5. Juli 1941. 129 Vgl. etwa Kleemola, »Gekaufte Erinnerungen?«. Diese Neugier auf das Land und die Menschen des Einsatzortes und der Wunsch, das Gesehene zu dokumentieren, bestimmen auch die Motive der Fotos von heutigen Soldat*innen, vgl. dazu Melina Scheuermann, Bilder des Alltäglichen im Krieg. Private Fotografien von Bundeswehrsoldat*innen aus dem ISAF-Einsatz in Afghanistan, in: Visual History, 2018, URL: https://visual-history.de/2018/07/19/bilder-des-alltaeglichen-im-kri eg [27.11.2020]. 130 Meldung, Verloren! Zwei Photoapparate werden gesucht, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 11. 131 Vgl. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an eine Bekannte am 26. April 1942. 132 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 26. April 1942, alle Zitate in diesem Absatz stammen aus diesem Brief. 133 Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?; in: Die Oase, 15. Juni 1941, S. 9.
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wiederholten Hinweise verdeutlichen einerseits die Funktion der Feldzeitung als Korrektiv der soldatischen Deutungen. Andererseits verweisen sie darauf, wie verbreitet die Deutung des Kriegseinsatzes als Urlaubsreise war.
7.2 Exotische Pflanzen und Tiere: Beweise abenteuerlicher Männlichkeit Alfred F., 1910 geboren und eigentlich Herrenschneider, war seit 1935 Berufssoldat und in Nordafrika Teil des Panzer-Grenadier-Regiments 104, das der 21. Panzerdivision unterstellt war. Auf den Kopf eines aus dem Nordafrikafeldzug verschickten Briefes zeichnete er neben eine eingesteckte Trockenblume eine kleine Pyramide, drei Palmen, ein Kamel, ein Gebäude mit Zwiebeldach und Halbmond, außerdem Zugvögel.134 Seine Zeichnung greift die verschiedenen Elemente des Kriegsraumes auf, in denen die Soldaten ihre Imaginationen von einer Reise in einen »exotischen und fremden Raum« bestätigt sahen. Heino P. schrieb seiner Mutter etwa vom »Zauber des Orients« und nannte »die charakteristischen Trachten der Bewohner, die tropische Vegetation, das lebendige Spiel von Licht und Schatten« als ausschlaggebend für »einen Reiz, welcher dem Lande eine ungewöhnliche Anziehungskraft verleiht«.135 »Wo Meer ist, ist’s schön«, schwärmte Ludwig E. »So blau das Meer und der weisse Sand und dann die Dünen. Weisse ägyptische Häuser mit Türmen und Araber in ihren weissen Tüchern. Und Kamele, Schakale, Gazellen. […] So ähnlich alles, wie man sich’s vorstellt, aber doch ganz anders.«136 Die Tiere und bestimmte Pflanzen und damit die sie umgebende Natur boten den deutschen Soldaten also die Möglichkeit, an exotistische Erwartungen anzuknüpfen und den Kriegseinsatz als aufregendes Abenteuer zu bewerten. Dabei war, anders als bei der Einordnung der Erlebnisse von Stadtbesichtigungen, nicht die imagined geography des »Orients« zentral für die Sinnstiftung, sondern die unter dem Begriff »Afrika« subsumierten Imaginationen des »Fremden«. Denn der die Erwartungen der Soldaten prägende, aus (vor)kolonialer Zeit stammende, exotisierende und romantisierende Blick auf »Afrika« bezog sich vor allem auf die Natur und Tierwelt.137 Bei ihnen zu Hause nicht wachsende Pflanzen, wie ein »zwei Meter hohe[r] Kaktus mit über hundert roten Blüten«,138 wurden daher von den Soldaten, aber auch in Zeitschriften zur Demonstration der angeblichen Exotik des Kriegsraumes beschrieben und fotografiert.139 »Die Vegetation ist vollkommen fremd. Neben Palmen, Orangen, Oliven
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MSPT, 3.2002.0344.2, Alfred F. an »Mutti Falk« am 5. April 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Heino P., Ausschnitt aus einem Brief vom 11. April 1942. MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an eine Bekannte am 1. Juli 1942. Vgl. Nduka-Agwu und Bendix, Die weiße Darstellung »Afrikas«, S. 18. Der Aufsatz stammt zwar aus dem Jahr 2007, aber viele der angesprochenen Problematiken sind trotz einer gestiegenen medialen Aufmerksamkeit und Sensibilisierung weiterhin aktuell. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. In der Zeitschrift Deutsche Wehr wurde das Kettenrad als hilfreich auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz gepriesen, der auf dem Foto allein durch große Kakteen repräsentiert wurde, vgl. Foto von PK-Kriegsberichter Lüken, in: Deutsche Wehr 47 (194) 4, S. 49. Ein ähnliches Foto aus Tunesien klebte Walter K. in sein Fotoalbum, vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. V, Bl. 3, Foto 740.
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usw., ist der Boden von den verschiedenartigsten Kakteengewächsen übersäht [sic!]«,140 schrieb Erich K. seinen Eltern. Insbesondere die Palme entwickelte sich zu einem immer wiederkehrenden Motiv der Deutung des Krieges als Reise und Abenteuer. Die »seltsamen Bäume«,141 wie Erich K. sie bezeichnete, waren bereits »in der imperialistisch-industriellen als auch in der exotistisch-literarischen Produktion der Jahrhundertwende massenhaft als Rohstoffe verarbeitet«142 worden. Kokospalmen wurden aufgrund der erhöhten Nachfrage nach Kopra, dem getrockneten Fruchtfleisch der Kokosnüsse, in den Kolonien vermehrt angebaut.143 Die daraus hergestellten Produkte waren auch in deutschen Kolonialläden zu finden. So prägte die Palme die Alltagskultur und stand oft im Titel von Kolonialromanen144 . Noch heute ist die Palme ein »klischeehaftes Symbol«145 für Exotik. Diese Symbolkraft hatte die Palme auch im Kontext des Nordafrikafeldzuges, obgleich auf dem Kriegsschauplatz keine Kokospalmen, sondern Dattelpalmen wuchsen. Für die Soldaten des Nordafrikafeldzuges waren sie das Zeichen, am vorab imaginierten Ziel ihrer Reise angekommen zu sein, auch wenn sie nicht so oft auf Palmen trafen, wie sie vorher angenommen hatten. Denn Palmen wuchsen lediglich in den Küstenorten und bewässerten Oasen. »Zum ersten Mal in Afrika unter Palmen«,146 notierte etwa Wilfried Armbruster deswegen erst 1943 in seinem Tagebuch, obwohl er schon im Oktober 1941 von Sizilien nach Tripolis geflogen war. Ludwig E., der sich bereits 1941 als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, schrieb aus Ägypten über seine ersten Palmen.147 Auch die Feldzeitung nahm auf die falschen Erwartungen Bezug: »Palmen: Als ob es die hier gäbe!«,148 hieß es im April 1942 in einem Artikel. Dennoch beschrieben die Soldaten Palmen immer wieder in den Selbstzeugnissen149 und auch die Feldzeitung bezog sich auf sie: »Panzer unter Palmen, ein Bild wie gemacht für Postkartengrüsse der deutschen Afrikakämpfer in die ferne Heimat«, hieß es in der Oase über eine Fotografie des Bildberichterstatters Eric Borchert, die eine palmengesäumte Straße zeigt, auf der eine Reihe von Panzern aus der Tiefe des Bildes bis in den
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LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. Ebd. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 12. Vgl. Reinhard Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, Paderborn 2007, S. 275. Zum Beispiel »Unter deutschen Palmen« von Christian Benkards oder Richard Deekens Buch »Rauschende Palmen. Bunte Erzählungen und Novellen aus der Südsee«. Matthias Schulz und Maria Aleff, Mikrotoponyme in der Kolonialtoponomastik: Deutsch-Samoa und Deutsch-Neuguinea, in: Stefan Engelberg u.a. (Hg.), Vergleichende Kolonialtoponomastik: Strukturen und Funktionen kolonialer Ortsbenennung, Berlin/Boston 2018 (= Koloniale und Postkoloniale Linguistik, Bd. 12), S. 125–159, S. 145. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 21. Januar 1943, S. 104. MSPT, 3.2002.7104, Brief von Ludwig E. an eine Bekannte am 1. Juli 1942. D.B., Aus meinem Skizzenbuch, in: Die Oase 66, 2. April 1942, S. 4–5, S. 4. Vgl. etwa Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. Januar 1943, S. 19; DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 52.
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rechten Bildvordergrund fährt.150 Ähnliche Gedanken hatte Erich K., als er im Lazarett in Derna lag und von seinem Fenster aus das Meer und Palmen sehen konnte. Er schrieb seinen Eltern, »diese sattgrünen Palmen hinter denen versteckt die weissen Häuser Dernas hervorschauen, dahinter das weite, blaue Meer und der tiefblaue, ewig wolkenlose Himmel, ein schönes Bild«, weshalb er hier gern einmal »in einem Hotel seinem Vergnügen, seiner Erholung leben« wollte.151 Palmen entsprachen also nicht nur den Erwartungen der Soldaten an einen fremden und exotischen Raum, sondern trugen auch dazu bei, dass die Umgebung als erholsam wahrgenommen wurde. Die Palme war somit ein Gegenbild zum leeren, trostlosen Raum der Wüste. Eric Borchert schrieb in der Oase: »In Tripolis, Misurata, Bengasi und Derna sahen wir die seltsamen Bäume, dazwischen aber alles wüst und leer, wie bei Beginn der Schöpfungsgeschichte.«152 Indem er die Palme als Gegenstück der Wüste und im unwirtlichen Kriegsraum überlebende Pflanze deutete, konnte sie zu einem Zeichen des Aushaltens der Bedrohungen des Kriegsraumes werden. Als solche war sie in stilisierter Form mit einem Hakenkreuz ab 1. April 1941 Truppenkennzeichen der Division. Die Palme zierte die Uniformen, Fahrzeuge, Ärmelbänder, die bereits erwähnten Afrika-Ringe und den Kopf der Feldzeitung Oase. Zudem fertigten die Soldaten der rückwärtigen Einheiten Palmenstempel an, mit denen die Feldpostbriefe als Post aus Nordafrika gekennzeichnet werden konnten.153 Die Stempel sahen der Tunis-Päckchen-Zulassungsmarke ähnlich, die eine Dattelpalme mit Hakenkreuz im Mäanderrahmen zeigte.154 In den von mir untersuchten Quellen verwendete allerdings lediglich der Gefreite Eugen einen solchen Stempel in einem Brief an einen Kameraden, der mit ihm in Nordafrika gekämpft hatte und dem er aus einem Genesungsheim in Bad Tölz schrieb.155 Neben der Vegetation war die Tierwelt Nordafrikas für die Soldaten bei der Deutung des Krieges als abenteuerlicher Reise wesentlich. Fast ebenso symbolisch aufgeladen wie Palmen waren Kamele. Diese gehörten in der Vorstellung der Soldaten einfach unverrückbar zum Kriegsraum. Schon das Taschenbuch Der Soldat in Libyen vermittelte die Zugehörigkeit dieses Tieres zum Kriegsraum durch den Abdruck mehrerer Fotografien mit Kamelen im kleinen Abbildungsteil des Buches.156 Die Feldzeitung Oase druckte eben150 Eric Borchert, Weisst Du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. 151 LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 29. Juni 1941. 152 Eric Borchert, Weisst Du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. 153 Diese Aufdrucke waren zwar zunächst beanstandet, aber dann toleriert worden; vgl. Gerhard Oberleitner, Geschichte der Deutschen Feldpost 1937–1945, Innsbruck 1993, S. 137f. 154 Deren Entwurf stammte vom damaligen Ordonanzoffizier Leutnant Roleff. Allerdings war der Päckchenversand nach Deutschland seit April 1943 im Brückenkopf Tunesien eingeschränkt. Für ein Päckchen bis 1000 Gramm waren eine Zulassungsmarke und eine Freigebühr von 20 Reichspfennig nötig. An einen Teil der Soldaten wurden zwei Zulassungsmarken ausgegeben. Vgl. MichelHandbuch-Katalog deutsche Feldpost 1937–1945. Mit ausführlicher Einführung in die Feldpost ergänzend dazu: Deutsche Wehrmachtpost 1935–1939, Wehrmachteinsatz im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1938, Wehrmacht-Nachfolgepost ab 8.5.1945, München 2002, S. 292–293. 155 Vgl. MSPT, 3.2002.7486, Eugen [ohne Nachname] an Germann aus dem Genesungsheim Bad Tölz am 22. Februar 1942. 156 Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 12–21.
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falls immer wieder Kamele als kleine Zeichnungen neben Artikeln, in Karikaturen oder auf Fotografien ab.157 Dass die Tiere in der herrschenden Vorstellung zum Kriegsraum gehörten, wird auch aus der Zeichnung des Doppelporträts eines Mannes mit Turban und eines Kamels ersichtlich, die in der Oase als Kunstwerk, das im Erleben des Krieges entstanden sei, präsentiert wurde.158 Das Kamel stellten auch andere Publikationen als wesentliches Element des nordafrikanischen Kriegsraumes dar. Eine Zusammenstellung von Bildern aus Tunesien in der Zeitschrift Die Wehrmacht erklärte das Kamel als zugehörig zum Kriegsraum. Es gehörte nach den hier abgedruckten Aufnahmen zum Straßenbild, und die deutschen Soldaten beobachteten gern die Tiere und ihre Treiber.159 Dabei machten sie Aufnahmen, die sie anschließend in ihre Fotoalben klebten, in denen Bilder von Kamelen mit Angehörigen der lokalen Bevölkerung oder mit davor posierenden Soldaten überliefert sind.160 Gelungene Bilder schickten sie an die Redaktion der Oase.161 Beim Antreffen einer ganzen Karawane sahen die Soldaten und Kriegsberichterstatter ihre Kenntnisse aus dem »Schulatlas«162 und die Vorstellungen vom Kriegsraum als dem geheimnisvollen »Orient« bestätigt. Beschreibungen solcher Reisegesellschaften finden sich sowohl in den privaten Briefen als auch in der Oase. »Im langsamen Paßgang zogen 30–40 voll bepackte Kamele mit bald ebenso vielen Arabern durch den Sand der unendlichen Wüste, auf Wegen, nur von den Eingeborenen gekannt«,163 erinnerte sich Otto W. nach dem Krieg. Die soldatische Faszination für Karawanen schlug sich eindrücklich in der Benennung der zweiten Feldzeitung für die in Tunesien eingesetzten Soldaten nieder, die später zum Nachrichtenblatt der Oase wurde. Zwar galten Kamele ähnlich wie Esel als veraltetes, aber ursprüngliches Verkehrsmittel,164 doch zugleich war diese Art der Fortbewegung aus der Perspektive der Reisenden
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Vgl. etwa o. V., Die Jagd, in: Die Oase 4, 1. April 1941, S. 2; o. F., Seine Majestät das Wüstenschiff, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 9; Foto von einem Kamel, in; Die Oase 30, 18. Mai 1941, S. 9. 158 Vgl. Zeichnung »Wüstenreiter« von Ambrazio Casati, in: o. V., Italienische Künstler in Uniform. Kunstwerke die aus dem Kriegserlebnis entstanden, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 5. 159 Vgl. Gert Habedanck, Tunesisches Kaleidoskop, Schnappschüsse zwischen den Kampfhandlungen, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 2, S. 4–5, S. 4; PK-Aufnahme Horst Zellmer, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 8, S. 12. 160 Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 32b und 33 a. Im Nachlass von Willibald P. ist ein Foto überliefert, auf dem einer seiner Kameraden und zwei weitere Soldaten mit arabischen Männern und einem Kamel posieren, vgl. IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 29–30. Vgl. auch das Foto eines Mannes mit Kamel, DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 17. Den Wunsch, sich mit einem Kamel fotografieren zu lassen, äußerte LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. 161 Vgl. Aufn. d. Uffz. Kunst, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 5. 162 DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 7. 163 Ebd. 164 Vgl. das Foto in einem Bildbericht in der Oase, Eric Borchert, Weißt du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5. Die Kontrastierung von Kamelen und deutschen Panzern wurde zudem in der Zeitschrift Die Wehrmacht genutzt, vgl. die Aufnahme des PK-Berichterstatters Horst Zellmer, in: Die Wehrmacht 7 (1943) 8, S. 12.
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eine für den Kriegsraum typische und ursprüngliche Tradition, die es sich lohnte zu bewahren. Daher bedauerte Martin Glaeser in der Oase, dass Kamele mittlerweile seltener waren und die Wüste nicht mehr beherrschten.165 Einige Soldaten probierten die aus ihrer Sicht altmodische, aber faszinierende Art der Fortbewegung selbst aus. Helmut T. schilderte in seinem Tagebuch, wie er versuchte, sowohl einen Esel als auch ein Kamel zu reiten, allerdings »zum Gelächter aller Kameraden« vom Kamel abrutschte und in den Sand fiel.166 Eine Karikatur in der Oase weist darauf hin, dass Helmut T. nicht der Einzige war, der sich als Kamelreiter versuchte. Sie zeigt einen deutschen Soldaten auf einem Kamel, von dem ein mit Kaftan und Kopfbedeckung als Araber kenntlich gemachter Mann ein Foto von ihm macht. Auf einer zweiten Zeichnung liegt der Soldat am Boden, das Kamel läuft weg und der Araber lacht.167 Neben Kamelen und Karawanen bezogen sich die Vorstellungen vom »fremden Afrika« auf Jagdabenteuer und Begegnungen mit Großwild. Deshalb wurde der Krieg im Marschlied des Deutschen Afrika-Korps als Jagd auf den »brit’sche[n] Löwen« ausgelegt.168 Die Oase druckte dazu Jagdgeschichten.169 Zudem ist das Jagdtopos in den Selbstzeugnissen der Soldaten zu finden, die manchmal den ganzen Krieg als Jagd darstellten.170 »Wenn ich vielleicht auch nicht zum Schießen eines Elephanten komme, eine Gazelle wird es bestimmt auch einmal«,171 schrieb Gerd W. seinen Eltern über den Krieg. Eine Elefantenjagd inspirierte den Zeichner eines in der Oase abgedruckten Bildwitzes. Auf der Zeichnung ist ein neben einem abgeschossenen Elefanten stehender Mann mit Gewehr zu sehen, dem vor Überraschung der Tropenhelm vom Kopf fliegt, da auf dem Elefanten noch ein mit Glatze, Brille und Stiefeln als Kolonialherr erkenntlicher Mann gesessen hatte.172 Tatsächlich geschossen haben die deutschen Soldaten in Nordafrika meist lediglich Gazellen, die sie anschließend als »Leckerbissen« und Aufstockung ihrer mangelnden Verpflegung verspeisten.173 Doch indem sie sich selbst als Jäger in Afrika in165 166 167 168 169
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Vgl. Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 62f., Zitat S. 63. EMÖ, Ein stolzes Foto … im Dreck, in: Die Oase 82, 23. Juli 1942, S. 6. Vgl. Dimitros Dolaplis, Musik als Propagandainstrument im Nationalsozialismus. Politische und soziale Funktionen von Soldatenliedern im NS-Regime, Baden-Baden 2019, S. 95. Etwa ein Artikel, der die Jagd auf Großtiere wie Nilpferd, Löwe und Elefanten abenteuerlich schildert, oder ein Artikel über einen deutschen Elefantenjäger in Südafrika, vgl. o. V., Drei Abenteuer Hermann von Wissmanns. »Unter deutscher Flagge quer durch Afrika‹« in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 9. Siehe auch: o. V., Die Jagd, in: Die Oase 4, 1. April 1941, S. 2; o. V., Heia Safari! Eine Löwenjagd, in: Die Oase 47, 21. September 1941, S. 7; Moritz Winter, Der Tod, der spuckt. Das Erlebnis eines Jägers in Südafrika, in: Die Oase 40, 20. Juli 1941, S. 6. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Auszug aus einem Brief von Arnold D., ohne Datum. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 28. November 1941, S. 7; ähnlich am 31. Dezember 1941. Vgl. Karikatur, in: Die Oase 6, 3. April 1941, S. 2. Ebenfalls ein Elefant war Zentrum einer Karikatur der Witzeecke in der Folge 3, 26. März 1941, S. 6 sowie in einer Zeichnung in: Die Oase 4, 1. April 1941, S. 2. In einer anderen Ausgabe der Feldzeitung wurde kontextlos das Foto eines Elefanten abgedruckt, der in einem Zoo o.ä. mit Wasser abgespritzt wurde, vgl. o. F., o. T., in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 7. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Eherau am 12. April 1942, Zitat ebd. Armbruster schildert in seinem Tagebuch mehrere Gazellenjagden, bei denen er die Tiere zusammen mit Rommel
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szenierten, knüpften sie an ein klassisches Motiv kolonialer Männlichkeit an.174 So dienten die Jagd und deren bildliche Inszenierung inklusive kräftiger männlicher Körper beispielsweise zur symbolischen Ausstellung der Macht des britischen Kolonialregimes in Indien. Auf Bildern der kolonialen Großwildjagd zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch die Abbildung der Trophäen zudem auch die Überlegenheit der weißen Jäger über den »fremden Raum« konstruiert.175 An koloniale Traditionen knüpften die deutschen Soldaten in Nordafrika mit der Verwendung des Ausrufes »Heia Safari!« an. Er verband den Nordafrikafeldzug unmittelbar mit der Kolonialzeit, den deutschen Kolonialkriegen und dem euphemistisch als »Kolonialheld« bezeichneten Vertreter rassistisch motivierter Vernichtungspolitik, Paul von Lettow-Vorbeck.176 Denn dieser platzierte den Ausruf »Heia Safari« prominent im Titel seines Buches über seine Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika, in dem er den Krieg als eine Jagd auf den »britischen Löwen« glorifizierte.177 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein Lied über die Erfahrungen der Soldaten der »Schutztruppe« komponiert, dessen Refrain den Ausruf stetig wiederholte.178 Sowohl das Lied als auch Lettow-Vorbecks Buch waren noch im Nationalsozialismus sehr populär. Das Buch stand sogar auf der Grundliste des empfohlenen Lektürebestandes für Schulbüchereien.179 Während des Zweiten Weltkrieges war das Lied weiterhin fester Bestandteil des soldatischen Liedergutes und wurde von den Soldaten in Nordafrika als Marschlied gesungen. Zudem grüßten sie sich während des Kriegseinsatzes gegenseitig mit diesen Worten.180 Manche Soldaten identifizierten sich stark mit diesem Ausdruck. Die letzte Funkmeldung des Kommandeurs Hans Cramer aus Tunesien schloss mit den Worten »Heia Safari«.181
vom Auto aus schoss, vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Einträge vom 24. und 25. Dezember 1942 sowie vom 2. Januar 1943, S. 95, 98. 174 Vgl. Felix Axster, Männlichkeit als Groteske. Koloniale (Un-)Ordnung auf Bildpostkarten um 1900, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, URL: www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1708 [05.05.2021]. 175 Elahe Haschemi Yekani, Das Spektakel des ›Selbst‹: Britische Kolonialfotografie zwischen universalen Gesten und partikularem Scheitern, in: Ulrike Bergermann und Nanna Heidenreich (Hg.), total. Universalismus und Partikularismus in postkolonialer Medientheorie, Bielefeld 2015, S. 135–147, S. 137, 145. 176 Vgl. zur Biographie Lettow-Vorbecks vgl. Schulte-Varendorff, Kolonialheld für Kaiser und Führer. 177 Paul von Lettow-Vorbeck, Heia Safari! – Deutschlands Kampf in Ostafrika, Leipzig 1920. Vgl. dazu Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 19. 178 Worte: Robert Götz nach A. Aschenborn, Weise: Robert Götz; vgl. Helmut Glenk, Shattered Dreams at Kilimanjaro. An Historical Account of German Settlers from Palestine Who Started a New Life in German East Africa During the Late 19Th and Early 20Th Centuries, Bloomington 2011, S. 236; siehe auch Dolaplis, Musik als Propagandainstrument, S. 94f. 179 Vgl. Gertrud Selzer, »Zehn kleine N*lein« – AfrikaBilder & Rassismus im Kinder-und Jugendbuch, in: Philippe Kersting und Karl W. Hoffmann (Hg.), AfrikaSpiegelBilder. Reflexionen europäischer Afrikabilder in Wissenschaft, Schule und Alltag, Mainz 2011 (= Mainzer Kontaktstudium Geographie, Bd. 12), S. 23–28, S. 25. 180 Vgl. Fraser, Knight’s Cross, S. 346. 181 Vgl. Maurice Philip Remy, Mythos Rommel, München 2002, S. 175.
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In der Feldzeitung Oase erschien der Ausruf in seiner Funktion als Jagdgruß in der Überschrift zu einer Kurzgeschichte über eine Löwenjagd.182 Denn »Safari«, ein Lehnwort aus dem Swahili, bezeichnete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem eine Jagdsafari oder einen Kriegszug.183 In den Selbstzeugnissen der Soldaten wurde der Ausdruck vor allem als Gruß am Ende von Briefen verwendet.184 Wie die Bezeichnung »Afrikaner« verwendeten die Angehörigen der Soldaten auch den Ausdruck »Heia Safari«. Inge W. versuchte etwa in einem Brief an ihren Ehemann Robert W. durch die Verwendung von sprachlichen Ausdrücken oder Redewendungen, die sie für typisch für den Kriegsraum hielt, die Entfernung zu ihrem Mann zu verringern. Eine Postkarte adressierte sie an »den ›Heia-Safari-Feldwebel‹, Wüste Gegend, Str. der Kamele immer geradeaus bis zur Kultur-Insel« und unterschrieb mit »Safari-Mama«.185 Die im Ausruf »Heia Safari« ausgedrückte Begeisterung über den Krieg als Abenteuer wurde in der Forschung zum Nordafrikafeldzug teilweise unreflektiert übernommen. So schreibt der britische ehemalige Offizier und Militärhistoriker David Fraser in seiner Rommel-Biographie unter Bezugnahme auf Aussagen von Wilfried Armbruster, dass sich die Soldaten damit eine »gute Jagd« wünschten, und verweist in diesem Kontext auf die Aufregung und abenteuerlichen Gefühle der deutschen Truppen, allen voran Erwin Rommels.186 Den kolonialen Kontext und die darin mitschwingenden Untertöne spricht Fraser jedoch nicht an.187 Nicht aus Jagdgründen, sondern als exotische Haustiere waren andere Tiere bei den Soldaten beliebt. Skorpione galten nicht nur bei den britischen Soldaten, die das Tier auf dem Abzeichen der Long Range Desert Group verewigten, als Symbole des »fremden« Kriegsraumes.188 Aus diesem Grund fingen die deutschen Soldaten, die auch Vipern189 oder Schlangenhäute sammelten, sie ein.190 Mit den Skorpionen betrieben sie »Wettspiele mit relativ hohen Einsätzen«, bei denen zwei Tiere in einen Feuerkreis gesetzt wurden, in dem sie sich bis zum Tode bekämpften.191 Da solche Praktiken gerade auch eine faszinierende Wirkung auf Jugendliche hatten und darüber ein positives Bild
182 Vgl. Art., Heia Safari! Eine Löwenjagd, in: Die Oase 47, 21. September 1941, S. 7. 183 Vgl. Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 18f. 184 Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. Juni und 8. Juli 1941; MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 5. Mai 1941; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 274, Willi B. an eine Bekannte am 2. Mai 1941. 185 MSPT, 3.2002.7605, Postkarte von Inge W. an ihren Ehemann an Pfingsten 1941. 186 Vgl. David Fraser, Knight’s Cross, S. 339. 187 Dazu auch Maß, Weiße Helden, S. 254, Fußnote 157. 188 Vgl. das in der Oase abgedruckte Gedicht, Sehnsucht in der Wüste, in: Die Oase 89, 10. September 1942, S. 9. 189 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Heino P., Ausschnitt aus einem Brief vom 11. April 1942; Helmuth Köhler, Belebte afrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 32. 190 Ein Gefreiter bat über eine Annonce »um Auskunft, wie man eine Schlangenhaut behandeln kann, um sie zu erhalten«. Vgl. o. V., Aufgepasst!, in: Die Karawane 116, 31. März 1943, S. 2. Vgl. auch IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 25. Robert W. schickte seiner Frau vermutlich sogar eine Schlangenhaut, denn er schrieb ihr, es gebe eine »Unmenge Schlagen« dieses Jahr und er lege ihr ein »kleines Andenken daran« in den Brief, MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 3. Mai 1942. 191 IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 25.
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vom Nordafrikafeldzug als Abenteuer in der »Fremde« verbreitet werden konnte, informierte darüber auch die kolonialen Monatszeitschriftschrift Jambo. Sie erklärte ihren Leser*innen mit Hilfe eines Textes und einer Zeichnung auch, wie am besten ein Skorpion zu fangen sei.192 Auch Chamäleons erregten die Aufmerksamkeit der deutschen Soldaten und wurden als Haustiere gehalten. Darüber berichtete die Zeitschrift Deutsche Wehr und erklärte, dass sich ein Chamäleon in Nordafrika als »nützliches Haustier und unermüdlicher Fliegenfänger« erweise.193 Jus F. beschrieb in seinen Erinnerungen, dass er sich ein solches Tier auf einem Seil in seinem Zelt zu diesem Zwecke gehalten hatte. Das von ihm »Anton« genannte Chamäleon beruhigte ihn mit seinen langsamen Bewegungen, »fiel« aber bei einem Luftangriff.194 Die Oase druckte ein Foto von einem Soldaten, der wohl ebenfalls eine enge Beziehung zu seinem Chamäleon entwickelt hatte. Darauf hielt er es auf dem Arm und streckt, das Tier konzentriert anblickend, einen Finger aus, um es zu streicheln.195 Landschildkröten hielten die Soldaten ebenfalls als Haustiere.196 Hans P. notierte in seinem Tagebuch ausführlich ein Experiment mit einem Exemplar, das er auf den Rücken legte, um zu beobachten, ob es sich aus dieser Lage befreien konnte.197 Den Tieren wurden sogar »die tollsten Firmenzeichen […] auf ihren Panzer eingekratzt« und liefen damit »an eine Strippe gebunden« um die Zelte der Soldaten.198 Eine solche Schildkröte mit einer in den Panzer eingeritzten Palme mit Hakenkreuz und dem Schriftzug D.A.K. ist auch auf Filmaufnahmen zu sehen, die aus dem Nordafrikafeldzug überliefert sind.199 Willi S. versprach seinem Sohn sogar, ihm eine Schildkröte mitzubringen, wenn er wieder nach Hause komme, da »das Schicken von solchen Sachen« verboten worden sei.200 Die Idee, eine Schildkröte mitzubringen, thematisierte auch die Oase. Eine Karikatur zeigte einen älteren Herrn, der vor einer Schildkröte kniet und als Zoologe betitelt wird, der sein erstes Tier beim Kriegseinsatz in Tunesien fand.201 Einerseits waren diese Tiere ebenso wie Rennmäuse, Wüstenspringmäuse, Echsen und Vögel Beweise für das Leben in der Wüste, die eben nicht leer war.202 Andererseits machte sie der Umstand, dass es sie in Deutschland nur in zoologischen Gärten zu sehen 192 193 194 195 196
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Helmuth Köhler, Belebte afrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 32. Vgl. o. V., Ein Wüstenkrieger bummelt um sein Zeltlager, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 51, S. 902. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 25. Vgl. o. F., Das Chamäleon – ein kleiner Freund in der Wüste, in: Die Oase 53, 2. November 1941, S. 7. Vgl. o. V., Ein Wüstenkrieger bummelt um sein Zeltlager, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 51, S. 902; Heinz G. bezeichnete Schildkröten als »häufige[n] Artikel«, LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 7. April 1943. Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 13. März 1942, S. 7. LHAKo, Best. 700, 153, Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 7. April 1943. Vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:10:39-11.11.03, URL: www.archivakh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seinen Sohn am 19. Oktober 1941. Vgl. Gefr. Aigeltinger, Wir »Afrika-Kämpfer« in 30 Jahren, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 8. Vgl. einen Artikel über die Tiere des Kriegsraumes in der Zeitschrift Jambo, in dem es heißt, die Soldaten »sahen voller Erstaunen, daß eine ›Wüste‹ nicht immer lebensfeindlich zu sein braucht«. Helmuth Köhler, Belebte nordafrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 32.
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gab und sie damit die vermeintliche Exotik des Kriegsraumes belegten, für Soldaten und Angehörige zu einem spannenden Thema des Krieges. Zudem wurde die Praktik der Haltung von Tieren als Ausweis des Know-hows der Soldaten gedeutet, die schon lange in Nordafrika eingesetzt waren. Das Wissen und Können, wilde Tiere zu fangen, galt damit ebenso als angeeignetes Raumwissen angesehen, wie das von erfahrenen Nordafrikasoldaten aufgebaute Wissen, ihr Zelt so festzumachen, dass es bei einem Sandsturm nicht fortgeweht wurde. Ein erfahrener Soldat könne das »Heulen der Schakale von der Fliegeralarmsirene unterscheiden«, nutze Chamäleons, um sein Zelt fliegenfrei zu halten, und verfüge über das Wissen, einen Schnupfen seiner Schildkröte auszukurieren, behauptete ein Kriegsberichter in der Oase. »Er kann beurteilen, ob ein Skorpionstich gefährlich ist oder nicht, er hat eine bewährte Methode, jede Sandviper, die sich nachts in den noch warmen Motor seines Wagens verkrochen hat, heraus-und umzubringen.«203 Das Können, mit den Tieren Nordafrikas umzugehen, stellte damit ebenso einen Aspekt der durch den Kriegsraum geformten Männlichkeit dar wie das disziplinierte Aushalten des Wassermangels und das Ertragen der Sandstürme. Die Tiere des Kriegsraumes waren damit nicht nur lebendige Beweise für die erwartete Exotik des Kriegsraumes und ihre Haltung zu einer Praktik der Eroberung des Kriegsraumes, die die Überlegenheit der soldatischen Männer über den »wilden« und »fremden« Raum symbolisierte. Mit Hilfe dieser Praktiken konnten sich die deutschen Soldaten selbst als handlungsmächtig erfahren und die Kriegserlebnisse als aufregendes Abenteuer deuten.
7.3 Selbstverortung auf den Spuren Karl Mays Werner Mork rechnete in seinen Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika mit seinen Vorstellungen und Imaginationen ab. Erst seine Erlebnisse im Krieg hätten ihm offenbart, wie sehr seine Erwartungen von Romanen geprägt gewesen waren und wie wenig seine Vorstellungen mit der Realität des Kriegseinsatzes in Nordafrika gemein gehabt hatten. Aus und vorbei war es nun auch mit meinen sehr kindlichen Träumen, in Afrika auf den Wegen von Gerhard Rohlfs und Karl May zu marschieren bzw. zu fahren. Nur eine kurze Zeit war ich in Afrika gewesen, die mir aber dennoch gereicht hatte, um mich zu befreien von den spinnerten Gedanken eines ›abenteuerlichen Lebens‹ auf afrikanischem Boden.204 Während des Kriegseinsatzes aber hatte die genannte Literatur bewirkt, dass die Soldaten das Land und seine Menschen in die ihnen bekannten Bilder einfügten und den Kriegsraum zu einer Abenteuerlandschaft formten. Reinhard B. beschrieb in einem Brief, wie er mit einem Kameraden rauchend vor dem Zelt saß, als sie in der Ferne die Klänge eines Festes der arabischen Zivilbevölkerung hörten: »Eintöniges Flötengedudel,
203 Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. 204 Werner Mork, Afrika oder nicht?, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2006, URL: https://www .dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-afrika-oder-nicht.html [25.05.2021].
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Singen in den höchsten Tönen der Kopfstimme, rhytmisches [sic!] Stampfen und Trommeln drangen bis an unsere Ohren.«205 Zunächst bewertete er die auditiven Eindrücke als negativ. Im Schreiben an seine Eltern fügte er aber noch hinzu, dass ihn diese Erlebnisse an seinem dienstfreien Abend an die von ihm gelesene Literatur erinnerten. Er nannte den Autor bekannter Abenteuerromane Jack London, den britischen Verfasser des »Dschungelbuches«, Rudyard Kipling, den am Völkermord an den Hereros beteiligten Generalstabsoffizier der »Schutztruppe« in Deutsch-Südwestafrika, Wilhelm Heye, und »die ganze Afrika[-] und Dschungelliteratur«.206 Die Situation deutete er also durch seine kulturelle Prägung um und fühlte sich dadurch selbst in einen Abenteuerroman versetzt. Wie Reinhard B. fühlten sich andere Soldaten in Nordafrika an bekannte Abenteuerromane und koloniale Literatur erinnert, deren Darstellungen von »Arabern« und »Muslimen« in Bühnenstücken oder der Alltagskultur des Nationalsozialismus repetiert wurden.207 Besonders gern zogen die deutschen Soldaten Karl May als Referenz heran, um ihre Erlebnisse einzuordnen. May hatte mit seinen Abenteuerromanen über ferne Länder nicht nur wesentlich zur deutschen Vorstellung von »Indianern«208 beigetragen, die auch im Nationalsozialismus auf Begeisterung stieß.209 Auch das Bild des »Orientalen« mit seinem sogenannten »Orientzyklus« hatte er wesentlich geprägt.210 Seine Werke wirkten lange über die Entstehungszeit hinaus und beeinflussten auch noch in der Zeit des Nationalsozialismus die allgemeinen Vorstellungen über die Gegenden der Welt, in denen die Abenteuer spielten.211 Von der sechsbändigen Reihe war der Titel »Durch Wüste und Harem«, 1895 in »Durch die Wüste« umbenannt, von herausragender Bedeutung für die deutschen Soldaten in Nordafrika. Darin erleben der Ich-Erzähler mit dem selbst erfundenen, arabisch klingenden Namen Kara Ben Nemsi und sein
205 MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Juli 1941. 206 Ebd. 207 Vgl. Sophie Wagenhofer, »Rassischer« Feind – politischer Freund? Inszenierung und Instrumentalisierung des Araberbildes im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 2010 (= Islamkundliche Untersuchungen, Bd. 299), S. 97–103. 208 Um zu betonen, dass er vor allem die kulturell konstruierte Figur mitprägte und kein wirklich differenziertes Bild der tatsächlichen Menschen vermittelte, spreche ich hier von »Indianern« und nicht von Native People. 209 Vgl. dazu Frank Usbeck, Fellow Tribesmen. The Image of Native Americans, National Identity, and Nazi Ideology in Germany, New York 2015; ders., »Die Indianer konnten die Einwanderung nicht stoppen«. Nationalismus und Antiamerikanismus in deutschen Indianerbildern vor 1945 und heute, in: Volker Benkert (Hg.), Feinde, Freunde, Fremde? Deutsche Perspektiven auf die USA, Baden-Baden 2018, S. 67–82. 210 Vgl. Dominik Melzig, Der »Kranke Mann« und sein Freund: Karl Mays Stereotypverwendung als Beitrag zum Orientalismus, Husum 2003; Nina Berman, Karl May im Kontext von Kolonialismus und Auswanderung, in: Iman Attia (Hg.), Orient-und Islambilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischen Rassismus, Münster 2007, S. 199–209; dies., Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart 1996, S. 157–160. 211 Zur Karl May-Begeisterung im »Dritten Reich« und bei Hitler vgl. Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin 2010, S. 65f. und S. 197f.
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muslimischer Diener Hadschi Halef Omar unter anderem Abenteuer in der tunesischen Wüste und in Ägypten. Karl May griff beim Schreiben seiner Abenteuerromane nicht auf eigene Reiseerlebnisse zurück, sondern verwendete vorhandene wissenschaftliche Literatur als Grundlage.212 Trotzdem wurde seinen Geschichten eine »verblüffende Genauigkeit«213 zugesprochen. Der Autor eines während des Nordafrikafeldzuges in der Zeitschrift Jambo erschienenen Artikels bewertete sie als Beitrag zur Verbreitung des Ruhmes »deutschen Forschergeistes und deutscher Erfolge« in der Welt.214 Die Bücher des Dresdner Autors wurden in der Oase ausdrücklich als Referenz für die Vorstellungen der Soldaten und ihrer Angehörigen angegeben. Darin hieß es, in der Öffentlichkeit gebe es ein Wissen über den Kriegsraum und vor allem die Beduinen, das nicht unwesentlich von Karl May geprägt worden sei.215 Seine Schriften galten als so einflussreich, dass sogar davon ausgegangen wurde, dass den deutschen Soldaten bereits einige »arabische Ausdrücke […] aus Karl Mays Romanen bekannt«216 waren. Die Selbstzeugnisse belegen, dass sich in der Tat viele der deutschen Soldaten in Nordafrika an ihre Lektüre der May’schen Abenteuerromane erinnerten.217 So bezeichnete Walter W. eine Karawane, der er in Nordafrika begegnete, als ein »richtiges Ka[r]lsMay-Bild«.218 Und Helmut T. schrieb seinen Eltern: »Ihr werdet vielleicht lächeln, aber oft muss ich hier an Karl May denken, wenn er von Afrika schreibt. Genau so, wie er schrieb, habe ich es mir einmal vorgestellt und auch angetroffen. (Besonders in Aegypten und Tripolitanien)«.219 Robert W., der stets sehr ausführliche Briefe verfasste, versuchte sich selbst als kleiner Karl May und schrieb: »Allah ist weise und Mohammed ist sein Prophet. Kara ben Nemsi, Hadschi Halef Oma, Sulaika, ich rufe Dich und vermisse Dein Aroma.‹«220 Zu diesem Satz, der halb Aufzählung der Namen der Figuren aus dem Roman von Karl May, halb eigene Dichtung ist, fügte er hinzu, dass er selbst jeden Abend sein »Lied der Wüste« singe. Damit nahm er Bezug auf den Film »Das Lied der Wüste«
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Vgl. Wiemann, »Das ist die echte«, S. 99. Werner Legère, Rohlfs, Bartz, Nachtigall, von Berumann – und Karl May in: Jambo C (1942) 4, S. 61–63, S. 61. 214 Ebd. 215 Art., Menschen in Nordafrika und Arabien. Ein historisches Lebensbild der Beduinen, in: Die Oase 22, 7. Mai 1941, S. 2. 216 J. W., Einige Worte auf ägyptisch; in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 4. 217 Auch deutsche Soldaten der Legion Condor fühlten sich angesichts »der marokkanischen Leibgarde Francos in ihrer Galauniform« an Karl-May-Romane erinnert, vgl. Petke, Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS, S. 85. 218 DTA, 776.1 (Reg. Nr. 817,II.1), Briefwechsel 1941/1942 von Edith P., Walther W. an Edith P. am 10. August 1942. 219 DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 64. 220 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. Juni 1941. Kara ben Nemsi nennt sich der IchErzähler der Romane Karl Mays, was »Deutscher Sohn der Wüste« heißen soll. Hadschi Halef Omar heißt eine Figur aus Karl Mays Orientzyklus. Suleika ist ebenfalls ein Name, der in Büchern von May vorkommt, vgl. Horst Dürr, Gesammelte Spuren. Karl Mays Werke – Unterschiede zwischen den Texten der »Gesammelten Werke« und der digitalen Fassung der »Historisch-kritischen Ausgabe«, Stuttgart 2017, S. 189.
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von 1939, einem in britischem Mandatsgebiet in Nordafrika spielenden »Orient«-Abenteuer mit antibritischen Tendenzen, und inszenierte sich als Abenteurer in der Ferne. Die Assoziationen zu Karl May waren Ausdruck der kulturellen Prägung der Soldaten, die ihren Blick auf das »fremde« Land leitete. Die Soldaten reflektierten zwar, woher sie bestimmte Bilder kannten, machten sich aber nicht bewusst, in welchem Umfang ihre Vorannahmen ihre Wahrnehmung beeinflussten. So notierte Hans P., der in seiner Kindheit gerne Karl May gelesen hatte,221 in seinem Tagebuch: »Wenn ich so in die Wüste hineinsehe, dann kommen mir immer Karl Mays Reiseerzählungen ins Gedächtnis. Wie begierig haben wir dieselben früher geschluckt und uns die Wüste ausgemalt in Gedanken. – Heute sitzen wir mittendrin.«222 Wilfried Armbruster, Oberstleutnant im Generalstab und Rommels Italienisch-Dolmetscher, behauptete in seinem privaten Tagebuch, dass man auf der Fahrt durch das tunesische Gebirge nach Toujane, das er als »herrlich und wildromantisch« empfand, »unwillkürlich an Karl May denken« müsse.223 Die Erinnerung an Bilder aus Abenteuerromanen stellte auch die Oase als zwingende Assoziation dar. Darin hob der Schriftsteller Alfred Hein Karl Mays Bedeutung für die in Nordafrika kämpfenden deutschen Soldaten hervor. Der Kriegsraum sei genauso, wie ihn dieser in seinen Romanen geschildert habe, so dass die Soldaten sich »[b]litzartig« an Szenen aus seinen Büchern erinnern würden.224 Ebenso ging es wohl auch dem Kriegsberichterstatter Heinz Mittelstaedt, der in der Karawane einen Pass-Eingang, der seit einigen Wochen von deutschen Panzergrenadieren gesichert wurde, als »eines dieser grossartigen ›Karl-May-Taeler‹«225 bezeichnete. Auch er fühlte sich nicht einfach daran erinnert, sondern der Kriegsraum war für ihn wie in den gelesenen Büchern. Hein nahm in seinem Artikel auch auf die Tugenden soldatischer Männlichkeit Bezug. Er wies darauf hin, dass es durchaus eine Diskrepanz zwischen der »spielerische[n] Phantasie« in Karl May Romanen und dem soldatischen »Kampf auf Leben und Tod« gebe. Doch würden sich die Soldaten gerade wegen der Härte und Gefahren an Karl May erinnern. Wie die Romanhelden »Old Shatterhand« und »Kara Ben Nemsi« seien die Posten in der libyschen Wüste der Natur ausgeliefert, so dass die Romanfiguren in ihnen lebendig würden. Daher würde »in vielen Frontbriefen […] Karl May als heimlicher Lehrmeister und seelischer Ansporner gepriesen, dessen Hilfe und dessen Zuspruch nicht versagen, wenn die Situation manchmal mulmig wird«.226 Damit gab er die Deutung
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Regina Weihofen schreibt in ihrer Illustration zum Tagebuch »Sonderbare Sachen passieren hier«, er habe Karl May in seiner Kindheit verschlungen. Das Projekt war ihre Bachelor-Abschlussarbeit im Fach Kommunikationsdesign an der Hochschule Trier, siehe dazu die Online-Präsentation, URL: https://www.hochschule-trier.de/gestaltung/kd/projektgalerie/sonderbare-sachen-pass ieren-hier-regina-weihofen [13.05.2021]. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 5. Februar 1942, S. 2. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100, 34–178, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 30. Januar 1943, S. 107. Alfred Hein, Winnetou – Freund der Frontsoldaten. Wie Karl May die Libysche Wüste sah, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 10. Heinz Mittelstaedt, An einem Pass-Eingang, in: Die Karawane 119, 5. April 1943, S. 3. Alle Zitate dieses Absatzes aus: Alfred Hein, Winnetou – Freund der Frontsoldaten. Wie Karl May die Libysche Wüste sah, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 10.
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des Kriegsraumes als Karl May-Schauplatz regelrecht vor und erklärte sie zu einer Bewältigungsstrategie im Umgang mit den Strapazen des Krieges. Die regelmäßigen Bezugnahmen auf Karl May in den Selbstzeugnissen der Soldaten und der Feldzeitung bestätigen Heins Interpretation. Die Romane und ihre Helden, die als »tapfer, ritterlich und schweigsam […] wie Winnetou«227 galten, riefen sich die deutschen Soldaten in Nordafrika bewusst ins Gedächtnis, um die Strapazen und Herausforderungen durchstehen zu können. Die Romanhelden verkörperten dieselben Tugenden, die wesentlich für die soldatische Männlichkeit waren. Daher konnten sich die deutschen Soldaten, wenn sie den Kriegsraum als den in den Karl May-Romanen beschriebenen Raum imaginierten, selbst als ebensolche Abenteurer fühlen. Um die eigene bedrohliche Kriegssituation zu bewältigen, griffen die deutschen Soldaten also nicht nur auf Normen und Werte aus der militärischen Männergemeinschaft zurück und grenzten sich zur Stabilisierung der eigenen Selbstbilder von den anderen Soldaten und der Zivilbevölkerung ab. Sie nutzten auch tradierte Vorstellungen »fremder« Räume und literarische Darstellungen zur Bewältigung der Kontingenzerfahrung des Krieges. Durch die Ansprache und Reflexion von Abenteuerromanen wurde der Krieg selbst zum Abenteuer. Wie die Zivilisationsflucht der Abenteuerreisenden in der Kolonialzeit auch eine Suche nach dem Eigenen im vermeintlich Fremden gewesen war,228 so beinhaltete die Deutung des »fremden« Raumes als Raum des Abenteuers Entwürfe des eigenen Selbst als kühne Männer.229 Diese Umdeutung der Kriegserlebnisse führte dazu, dass neben dem Landschaftsbild der trostlosen, menschenleeren Wüste andere Bilder entstanden. Die Deutung der Kriegserlebnisse als Reise und Abenteuer führte zu einem parallel existierenden Landschaftsbild, das die Soldaten ebenfalls bildlich festhielten. Das Landschaftsbild der Reiseerfahrung war dabei von denselben tradierten Sehgewohnheiten und europäischen Bildmustern beeinflusst, die bereits die Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts prägten.230 Was ihnen bekannt vorkam, erkannten sie wieder und nutzten es für ihre Raumbeschreibungen – der Rest konnte ausgeblendet werden.231 Helmut T. nannte es ein »reizendes Bild«, wenn »[a]bends, gegen 20 Uhr, […] die Sonne hinter den Sandhügeln und dem Meer untergeht«. Die Palmen, die sich vor den hellen Dünen abhoben, erschienen ihm »[w]ie ein Scherenschnitt«, und er nannte es eine »[b]ezaubernde Tropenlandschaft! Selbst mit einem Farbfoto würde man diese Wirkung nicht einfangen und festhalten können!«232 Hubert S. reflektierte in Bezug auf diese abendliche Stimmung in einem Brief an seine Frau sogar, wie ihn der gewohnte Blick und bekannte visuelle Bildmuster bei der Wahrnehmung der Landschaft leiteten. Die von ihm als schön empfundenen Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge, so schrieb er, seien »genau wie auf den sog. kitschigen Farbenpostkarten«.233
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Ebd. Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 11. Vgl. Petra Bopp, Fern-Gesehen, S. 12. Vgl. ebd., S. 11. Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 12. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 74. MSPT; 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 6. Dezember 1942.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
So entstanden Ansichten von am Meer gelegenen Städten, die ein völlig anderes Bild vom Kriegsraum vermitteln als das der öden Wüstenlandschaft. Herbert Sommer bildete in seinem Skizzenbuch beispielsweise einen idyllisch an der Steilküste gelegenen Ort ab.234 Hans P. zeichnete in sein Tagebuch eine Ansicht des libyschen Ortes Sirte, die vom weiten Himmel dominiert wird. Unter ihm liegt am Meer die Stadt, die von zahlreichen Palmen flankiert wird. Zwar scheint durch die lediglich mit Hilfe von Schraffierungen angedeuteten Hügel im unteren Drittel der Zeichnung auch die vermeintliche Leere der Wüste auf, doch wirkt die Zeichnung ansonsten sehr liebevoll angefertigt und als habe Hans P. hier eine schöne Reiseerinnerung im Postkartenformat festhalten wollen (vgl. Abb. 6). Andere Soldaten fotografierten von erhöhten Punkten aus die sie umgebende Natur. Wilfried Armbruster lobte in seinem Tagebuch etwa die Aussicht in die Quattarasenke und die sie umgebenden Tafelberge als ein »phantastisches Gelände«, von dem auch die PK-Berichterstatter, mit denen er unterwegs war, viele Filmaufnahmen machten.235
Abbildung 6: Zeichnung der Stadt Sirte von Hans P., Privatbesitz der Familie, Tagebuch von Hans P., o. S.
Diese »afrikanischen Landschaften« bildeten die Umgebung nicht eins zu eins ab, sondern waren ein Konglomerat aus den geographischen Verhältnissen, den kulturellen
234 Vgl. Zeichnung vom 18. Mai 1941, in: Herbert Sommer, Afrikanisches Skizzenbuch, o.S. 235 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100, 34–178, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Einträge vom 20. und 25. Juli 1942, S. 38f.
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Prägungen sowie daraus folgenden Deutungen der Soldaten und hatten lediglich referenziellen Charakter.236 So kam es, dass Helmut T. den Kriegsraum einmal als »verzaubernde Tropenlandschaft«237 bezeichnete und ein anderes Mal schrieb, er bemerkte hier »nichts gross von Wüste, nichts gross Afrikanisches«.238 Die jeweiligen Landschaftsbilder waren nicht allein von der Natur beeinflusst, die während der oft mehrere hundert Kilometer langen Vormärsche wechselte. Hinzu kam die emotionale Stimmung der Soldaten und was sie an der Umgebung an Bekanntes erinnerte. Die Konstruktion positiver Landschaftsbilder wurde zum Teil von der Feldzeitung Oase beeinflusst. Sie trug zu einem exotistischen Bild des märchenhaften »Orients« bei und beflügelte die auf Reise-und Abenteuerberichten beruhenden Vorstellungen von »Afrika« durch die Publikation von Abenteuererzählungen und Jagdgeschichten. Beispielsweise veröffentlichte sie drei Erzählungen des Dresdner Afrikareisenden Paul Graetz, der mit Dia-Vorträgen über seine Durchquerungen des afrikanischen Kontinentes mit einem Automobil und einem Motorboot einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hatte.239 Diese Geschichten aktualisierten traditionelle Vorstellungen und Motive der »Exotik« und »Fremdheit«. So zerstören in der Erzählung über eine Reise mit der KapKairo-Bahn Elefanten die Bahngleise und retten die »Boys vom Speisewagen« die Kolonialherren vor einer Heuschreckenplage, indem sie die Tiere als Delikatesse verspeisen; zudem überfallen Kannibalen einen Zug.240 Daneben erschienen »orientalische« Erzählungen, in denen Kalifen mitspielten oder als fremdartig empfundene islamische Bräuche geschildert wurden.241 Nicht nur durch abgedruckte Erzählungen beförderte die Oase die Deutung des Krieges als Reise. Die Soldaten wurden regelrecht aufgefordert, auch die Reiseaspekte des Kriegseinsatzes anzuerkennen, und das Blatt versicherte, dass es auch im Krieg Abenteuer zu entdecken gäbe. Armin Schönberg veröffentlichte in der Oase eine »[t]ripolitanische Rede für Afrikasoldaten«, in der er die touristischen Praktiken der Soldaten ansprach. Sie hätten »unter der Kuppel des Marc Aurel Bogens in Tripolis gestanden«, seien »durch die Bazare gebummelt ›dank scheen … Aufwiedersehen … Seouvenir … sehr billik, Herr Major … Souvenir … bitscheen … Aufwiedersehen‹, […] Palmwein und Dattelschnaps probiert«. Daher ermunterte er seine Leser, »auch heute noch den Orient« zu finden und zu entdecken, auch wenn er etwas anders aussehe als in ihren Kinderbüchern.242 Ein an-
236 Vgl. zu Landschaftskonstruktion Jürgen Hasse, Zum Verhältnis von Raum und Gefühl in der Anthropogeographie: Einführung in das Themenheft, in: Geographische Zeitschrift 87 (1999) 2, S. 61–62, S. 62. Ähnlich hatten deutsche Reisende das Grasland Kameruns als Landschaft konstruiert, vgl. Gouaffo, Topographieren, malen, photographieren, S. 53. 237 DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 73. 238 Ebd., S. 88–89. 239 Vgl. o. V., Nächtlicher Tanz der Avemba. Paul Graez [sic!] erzählt aus Afrika, in: Die Oase 76, 7. Juni 1942, S. 2. 240 Vgl. o. V., Paul Graetz erzählt aus Afrika. Auf der Kap-Kairo-Bahn, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 4. 241 Vgl. etwa Eduard Franz, Hachim und Suleika. Eine orientalische Erzaehlung, in: Die Oase 105, 27. Februar 1943, S. 3. Elly Ahrend, Hochzeit in Tunesien. Brautleute, die sich nicht kennen – unveraenderte Sitten und Gebraeuche, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 4. 242 Armin Schönberg, Wenn in Suk el Giuma Markttag ist. Tripolitanische Rede für Afrika-Soldaten, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
derer Autor schrieb, auch wenn Nordafrika anders sei, als es sich die Soldaten vorgestellt hatten, sei es dennoch ein »einmaliges Erlebnis« und die Erfüllung eines Jugendtraumes.243 Eine Karikatur imaginierte die Soldaten dreißig Jahre nach dem Krieg, als würden sie immer noch den Erinnerungen aus ihrer Zeit in Afrika nachhängen. Die Zeichnung zeigt unter anderem einen Mann, über dessen Kopf in einer Gedankenblase eine Frau mit langen Gewändern und Kopftuch und einer Schale Obst auf dem Kopf, eine Person mit einem Eselskarren und eine Palme zu sehen sind, während er mit seiner Frau im Ehebett liegt. So würden sich die Soldaten in Zukunft im kalten Winter erinnern, wie sie im Januar baden gingen und Apfelsinen pflückten.244 Gleichzeitig wies die Oase aber nicht nur zu Beginn des Feldzuges darauf hin, dass gerade die Abenteuerromane zu falschen Vorstellungen vom Kriegseinsatz bei den Soldaten geführt hätten. Man könne sich nicht auf die Angaben zu geographischen Besonderheiten aus Romanen verlassen, erklärte etwa F. Sparwasser.245 Die Lektüre habe bei den Soldaten den »Zauber orientalischer Romantik« bewirkt, schrieb Sparwasser bereits ein Jahr zuvor in einem Artikel in der Zeitschrift Jambo. Sie stellten sich bei dem Wort Oase »verschleierte Schönheiten hinter Haremsgittern« und »wildverwegene Scheichs auf edlen Rassepferden« vor, wo doch in Wirklichkeit alles ganz anders sei: Die Frauen sind dort nur ganz selten verschleiert. Haremsgitter gibt es auch nicht und Rassepferde fast nie. Die wildverwegenen Scheichs aber sind meistens würdige, kluge alte Herren, die für das Wohl ihres Ortes sorgen und sich mehr um Bewässerungsfragen als um Falkenjagden kümmern.246 Obwohl die Zeitschrift wesentlich zu einem verklärten Bild des Feldzuges im Deutschen Reich beitrug, versuchte der Autor hier das Gegenteil herauszuarbeiten. Diese wechselnde Einschätzung lag sicherlich an den jeweiligen Einstellungen der Autoren und der jeweiligen Stimmung unter den Soldaten, die durch die Feldzeitung moralisch unterstützt werden sollten. Einerseits wollten die Redakteure der Oase sie vor zu herben Enttäuschungen bewahren, andererseits konnte das Deutungsangebot des Krieges als Abenteuer den Soldaten in schlimmen Stunden helfen, ihrem Kriegseinsatz wieder Sinn zu verleihen. Zudem hatten auch die Soldaten nicht zu jeder Zeit dieselben Gefühle, und insgesamt wurde der Kriegsraum von ihnen sowohl als Bedrohung wie auch als Raum eines aufregenden Abenteuers wahrgenommen. Ein im Mai 1941 veröffentlichter Artikel eines Hauptmannes trifft diese changierenden Raumbilder sehr treffend. Er appellierte an die Vernunft der Soldaten, diesen Krieg ausgewogen zu betrachten: »Alles nur Palmen? --- Pittoreske, farbenbunte Bilder? … Nein! Gewiss nicht! Alles nur Sandsturm, Oede, Wüste? … Gewiss auch nicht! Vielmehr beides!«247 Die Vorstellung vom Krieg als Reise und die damit verbundenen Empfindungen waren daher nicht nur vorab des Nordafrikafeldzuges verbreitet, sondern wurden auch
243 Erich Linke, Sudetenland – Nordafrika, in: Die Oase 65, 19. März 1942, S. 3. 244 Vgl. Gefr. Aigeltinger, Wir »Afrika-Kämpfer« in 30 Jahren, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 8. 245 F. Sparwasser, Kamerad, was weisst Du von Tunesien? Das Dreieck im Sueden, in: Die Karawane 116, 31. März 1943, S. 2. 246 F. Sparwasser, Die Sahara wie sie wirklich ist, in: Jambo C (1942) 11, S. 170–172, S. 171. 247 B.K., Alles nur Palmen?, in: Die Oase 28, 15. Mai 1941, S. 1.
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noch währenddessen und danach aufrechterhalten. Denn mit Hilfe dieser vorgenommenen Umdeutung konnten die Soldaten ihrem Aufenthalt im Kriegsraum Sinn verleihen. Aktiv griffen sowohl die Kriegsberichterstatter der Feldzeitung als auch die deutschen Soldaten selbst auf das Narrativ der Reise zurück. Dabei verschmolzen in der Vorstellung der Soldaten unterschiedliche imagined geographies und die Wüstenlandschaft, die einerseits zur Versinnbildlichung der Leiden und Gefahren im Krieg diente, fungierte zugleich als Landschaftsbild des Abenteuers. Eine solche Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Raumbilder trat auch schon bei Kolonialreisenden auf, die einerseits von der als exotisch empfundenen Landschaft fasziniert waren, zugleich aber unter den ungewohnten klimatischen Umständen und Krankheiten litten.248 Für die Soldaten in Nordafrika symbolisierte die Wüste die verschiedenen Ebenen der Kriegserfahrung. Die Bedeutung des Raumes als Ort der Reise und des Abenteuers half, die Erfahrungsebene der existenziellen Bedrohung im Krieg zu bewältigen. Dass damit am Ende konträre Landschaftsbilder in die Kriegserfahrung der Soldaten einflossen, ist nicht verwunderlich, waren doch die sogenannten fernen Länder, insbesondere die als Tropen bezeichneten Gebiete, von europäischen Reisenden stets sowohl als Hölle wie auch als Paradies wahrgenommen worden.249 Abenteuerliteratur bewirkte auch in anderen Kriegen die Vorstellung von einem Reiseabenteuer oder half bei der Sinnstiftung der Soldaten. Hans C., der vor seinem Einsatz in Nordafrika bereits als Soldat der französischen Fremdenlegion in Algerien und Marokko gewesen war, gab als Grund für seinen damaligen Einsatz Abenteuerlust an, die er in einen Zusammenhang mit gelesenen Karl May-Romanen rückte.250 Ebenso waren die Raumwahrnehmung und Kriegsdeutung der deutschen und britischen Soldaten im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges stark von Literatur beeinflusst gewesen.251 Und in den autobiographischen Texten der Legion Condor wurde der Krieg ebenfalls mit Hilfe einer Karl-May-Romantik als »romantisch-touristisches Abenteuer« geschildert.252 So verwundert es nicht, dass auch die westeuropäischen Kriegsgegner der deutschen Soldaten in Nordafrika den Krieg auf Grundlage kulturell geprägter Vorstellungen als orientalisches Abenteuer imaginierten. Die amerikanischen Soldaten, die die Briten im 248 Vgl. etwa die Wahrnehmung von Samoa als Paradies und bedrohliche Landschaft: Gabriele Förderer, Koloniale Grüße aus Samoa: Eine Diskursanalyse von deutschen, englischen und US-amerikanischen Reisebeschreibungen aus Samoa von 1860–1916, Bielefeld 2017; ebenso unterscheidet Birthe Kundrus die Naturwahrnehmung der Siedler*innen in den deutschen Kolonien als »zwischen Paradies und Hölle«, vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten. 249 Vgl. Arnold, The Problem of Nature, S. 144–150. 250 Vgl. DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 29. 251 Vgl. Stein, »Orientfahrten«; Nadia Atia, A Wartime Tourist Trail. Mesopotamia in the British Imagination, 1914–1918, in: Studies in Travel Writing 16 (2012), S. 403–414; James E. Kitchen, The British Imperial Army in the Middle East. Morale and Military Identity in the Sinai and Palestine Campaigns, 1916–1918, London u.a. 2014, S. 92–99. 252 Stefanie Schüler-Springorum, Die Leichtigkeit des Krieges. Die Legion Condor in (auto-)biographischen Zeugnissen, in: Michael Epkenhans, Stig Förster und Karen Hagemann (Hg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn 2006 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 29), S. 223–235, S. 227.
7 Die Soldaten als (koloniale) Abenteurer
Nordafrikafeldzug seit November 1942 unterstützten, bezogen sich auf exotistische Vorstellungen und schrieben ihren Familien, sie fühlten sich, als wären sie in die Märchen aus »Tausendundeiner Nacht« eingetaucht.253 Die amerikanischen Kriegsberichterstatter suchten auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz eine Bestätigung ihrer orientalistischen Vorstellungen und waren enttäuscht, dass Nordafrika nicht orientalisch genug war.254 Sie inszenierten den Kampf in Nordafrika daher als Western und deuteten ihn als einen amerikanischen »frontier tale«, um die ansonsten komplexe Kriegslage in dem fernen Land für die amerikanische Zivilbevölkerung zu veranschaulichen.255 Welche Bedeutung die Interpretation der Erlebnisse als Reise noch in der retrospektiven Kriegsdeutung hatte, veranschaulicht das Beispiel des Nordafrika-Veteranen Walter K., der viele Jahre nach dem Ende des Krieges Ausschnitte aus Reisekatalogen neben die Aufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug in sein Kriegsalbum klebte.256
253 Vgl. Brian T. Edwards, American Orientalism: Taking Casablanca, in: Driss Maghraoui (Hg.), Revisiting the Colonial Past in Morocco, London 2013, S. 207–219, S. 207–208. 254 Vgl. ebd., S. 209. 255 Vgl. ebd., S. 208–209. 256 Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 17b, Bild 10–11, sowie die letzten Seiten des Albums Bl. 34a–38b, und Fotoalbum Walter K. V, Bl. 18b–37a, 38a und 38b. Dieses Quellenmaterial wurde mir freundlicherweise von Petra Bopp in Absprache mit Horst K. zur Verfügung gestellt, herzlichen Dank dafür.
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8 »Heimat« in der »Fremde«
Wesentlicher Bestandteil der Deutung des Krieges als Reise und Abenteuer durch die Soldaten war die Wahrnehmung des Kriegsraumes als etwas Anderes. Hier kamen sie in Kontakt mit Menschen, Tieren, Pflanzen und einer natürlichen Umwelt, die sie von zu Hause nicht kannten und die ihre Sehnsucht nach dem »exotischen Anderen« stillten. Damit stellte der Kriegsraum ein Gegenstück zu dem dar, was die Soldaten »Heimat« nannten. Für den kolonialen Kontext wies Homi K. Bhabha auf die Unfähigkeit hin, sich eine »andere« Landschaft vorzustellen ohne den Bezug auf ihre Unterschiede zu »Heimat« beziehungsweise zu dem, was als Zentrum der eigenen Welt gesehen wurde.1 Bei der Sinnstiftung im Krieg bezogen sich die deutschen Soldaten in Nordafrika stets auf diesen Sehnsuchtsort. Er half bei der Einordnung und Deutung der Kriegserlebnisse im »fremden Raum« und konnte zur Bewältigung der Kontingenzerfahrung des Krieges beitragen.
8.1 Die »Heimat« im Krieg Der Begriff der »Heimat« ist vielseitig und mit unterschiedlichen Gefühlen und Vorstellungen verbunden. Allgemein verweist der Begriff jedoch auf soziale und räumliche Dimensionen.2 Zur »Heimat« gehören die Familie, Angehörige und Freund*innen, Raumund Landschaftsvorstellungen und Praktiken. Heimatvorstellungen sind dabei hochgradig emotionalisiert, wobei sich die emotionalen und psychischen Bindungen zur »Heimat« sowohl auf Menschen als auch auf eine Region als erlebten Raum richten.3 So war im Kaiserreich der deutsche Heimatbegriff eng an die Vorstellung einer Nation und an
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Homi K. Bhabha, The Location of Culture, Oxon/New York 2004, S. 210. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 116f. Vgl. Rau, Räume, S. 50–51, 189. Der Humangeograph Yi-Fu Tuan hat sich eingehend mit dem Zusammenhang von Raum und Emotionen befasst und und beschreibt einen »affective bond between people and setting«, den er unter dem Begriff der »Topophilia« fasst. Yi-fu Tuan, Topophilia. A Study of Environmental Perceptions, Attitudes, and Values, New York 1974, zitiert nach Rau, Räume, S. 72.
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Sabine Küntzel: Kolonialismus im Krieg
das Vaterland geknüpft.4 Im Nationalsozialismus wurde »Heimat« ebenfalls mit großen räumlichen Kategorien wie Nation, Volk und Vaterland verbunden und sollte dank seiner emotionalen Dimension für die politische Manipulation nutzbar gemacht werden.5 Besondere Bedeutung hatte der Begriff im Krieg, denn Heimatkonzepte greifen immer dann, wenn größere Ordnungen ins Wanken geraten. Der Volkskundler Hermann Bausinger hat »Heimat« daher als »Kompensationsraum« bezeichnet, »in dem die Versagungen und Unsicherheiten des eigenen Lebens ausgeglichen werden«.6 Deshalb stellt die »Heimat« einen wichtigen Bezugspunkt bei der Sinnstiftung von Soldat*innen im Krieg dar und spielte auch für europäische Reisende eine wichtige Rolle als Referenzrahmen bei der Erkundung und Eroberung ferner Länder. Als solchen nutzten die deutschen Soldaten in Nordafrika den Begriff ebenfalls in besonderer Weise. Denn der Kriegseinsatz in Nordafrika war für sie ein existenzielles Erlebnis, bei dem sie mit großen Unsicherheiten umzugehen hatten. Im Kriegskontext ist der Begriff der »Heimat« zunächst vor allem ein Gegenkonzept zum Erfahrungsraum der Front. Die »Heimat« war für die Soldaten im nationalsozialistischen Krieg das, wo sie nicht waren, wohin sie sich aber sehnten. Wie eng diese beiden Kriegsräume miteinander verbunden waren, hat die historische Forschung herausgearbeitet. Der Krieg war durch Bombenangriffe, Rüstungsindustrie und mangelnde Versorgung stets zu Hause präsent, wie der Begriff der »Heimatfront« deutlich macht. Umgekehrt wurde die »Heimat« auf unterschiedlichen Wegen stets auch an die Front getragen und benutzt, um die Kampfmoral der Soldaten zu steigern.7 Denn die mit der »Heimat« assoziierten Gefühle der Soldaten stärkten ihre Opferbereitschaft, weil »die Heimat zum Ausdruck […] für das hohe, einem einfachen Denken nicht vorstellbare Ziel dieses Kampfes«8 wurde, wie die wehrwissenschaftliche Zeitschrift Soldatentum erklärte. Der starke Einbezug der »Heimat« als Angebot der Sinnstiftung war in den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg begründet. Damals war eine geschwächte »Heimatfront« als Grund für die Niederlage ausgemacht worden.9
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Vgl. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 80f. Zur Rolle von Heimat in der modernen deutschen Gesellschaft siehe Celia Applegate, A Nation of Provincials. The German Idea of Heimat, Berkeley 1990. Vgl. Zur Nationalisierung der Heimat Alon Confino, The Nation as a Local Metaphor: Heimat, National Memory and the German Empire, 1871–1918, in: History & Memory 5 (1993), S. 42–86. Vgl. Andreas Huber, Heimat in der Postmoderne, Zürich 1999, S. 47; Jens Jäger, Heimat, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 9. November 2017, URL: http://docupedia.de/zg/Jaeger_heima t_v1_de_2017 [29.01.2021]. Hermann Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft. Begriffsgeschichte als Problemgeschichte, in: Will Cremer und Ansgar Klein (Hg.), Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven, Bd. 1, Bielefeld 1990, S. 76–90, S. 80, Hervorhebung i. O. Vgl. etwa Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien 2014; Karen Hagemann und Stefanie Schüler-Springorum, HeimatFront. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M./New York 2002 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 35); Benjamin Ziemann, Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914–1923, Essen 1997. Politsch, Die Feuertaufe im Vorstellungsleben von Rekruten des deutschen Heeres, in: Soldatentum 8 (1941) 3, S. 71–75, S. 74, Hervorhebung i. O. Vgl. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 112.
8 »Heimat« in der »Fremde«
Feldzeitungen wie die Oase ignorierten daher oftmals die Auswirkungen des Krieges auf die »Heimat« und inszenierten diese als kraftspendende Idylle und Gegenpol zum Kriegserlebnis. So sollte den Soldaten vor Augen geführt werden, wofür sie die Strapazen auf sich nahmen oder ihr Leben gaben.10 Die Oase, die sich als »Mittler zwischen Euch [den Soldaten, S.K.] und der Heimat«11 verstand, sowie die Karawane förderten die Heimatverbundenheit der Soldaten.12 Darin hieß es, die Soldaten dächten im Kampf nicht an die Gefahren, sondern »an die Heimat, an die Zukunft, an das Leben«.13 Viele der in Nordafrika eingesetzten Wehrmachtssoldaten hatten diese Vorstellung verinnerlicht. »[W]ir stehen nun einmal im Kampf und müssen ihn durchfechten, zum Schutze unserer Heimat, um unserer Lieben Willen, nach denen wir uns doch so sehnen«,14 notierte etwa Hans P. in seinem Tagebuch. Und Gerd W. erklärte seinen Eltern, dass er erst in der Wüste erkenne, um was ihr Kampf ginge, »[u]m die Heimat und alles, was einem dort so teuer ist«.15 Um die Opferbereitschaft der Soldaten zu stärken und die gedankliche Verbindung der Soldaten zur »Heimat« aufrechtzuerhalten, betonte die Oase stets, was die Soldaten leiten sollte: »[D]as eine grosse Gefuehl: die Heimat, die Frau und die Eltern, die Kinder, die eigene Wohnung, der Garten am Hause, die Sehnsucht nach allem, was sich an Schönem, Gutem und Sauberem mit dem Namen Deutschland verbindet.«16 Damit wurde auf die Familie und das gemütliche Zuhause als Gegenort zum Militär zurückgegriffen, der schon lange als von weiblich angesehenen Tugenden wie Emotionalität, Sorge, Weichheit geprägt galt und in dem Männer die Oberherrschaft und Verteidigungsrolle innehatten.17 Waren die Männer an der Front, wurden Frauen und Kinder zu den Protagonisten der »deutschen Heimat« und die Verbindung »Heimat-home-coziness-women« geformt.18 Diese private Ebene der »Heimat« sprachen die nordafrikanischen Feldzeitungen explizit an und warben für eine fürsorgliche und liebevolle Vaterrolle. Der »Blut und Boden«-Dichter Karl Springenschmid erklärte in einem Artikel in der Karawane, dass der Umgang mit dem Soldaten als Familienvater mittlerweile anders sei als noch im Ersten Weltkrieg. Früher sei ein Soldat, dessen Frau, während er sich im Krieg befand, ein Kind gebar, »verlacht […], verspottet« worden, »weil doch das Leben im Krieg keinen Sinn
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Vgl. ebd., S. 117; Hasse, Zum Verhältnis von Raum und Gefühl, S. 61. Vgl. o. V., »Die Oase« spricht zu Euch!, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 5. Vgl. etwa K. H. B., Liebe Mutter!, in: Die Karawane 119, 5. April 1943, S. 3; Eric Borchert, Vor Tobruk, in: Die Oase 43, 10. August 1941, S. 6–7, S. 6. Ernst Bayer, Einer, der immer am Feind ist. Aus der Serie: P.-K. Männer waren dabei; in: Die Oase 25, 11. Mai 1941, S. 3. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 4. Juni 1942, S. 11–12. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 24. Dezember 1941. Vgl. ähnlich Aussagen in BfZ, Sammlung Sterz, Wolfgang H. an eine DRK-Helferin am 21 Juni 1941, und MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 18. Dezember 1942. Rudolf Pörtner, So sind sie – unsere Landser. Der deutsche Soldat nach drei Jahren Krieg, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. Vgl. Frevert, Soldaten, Staatsbürger, S. 83. Vgl. Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 71.
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mehr hat, weil doch alles verloren ist«19 . Nun sei die parallele Rolle des Soldaten als Familienvater wichtig und akzeptiert, weil der Krieg eben genau für die Familie und das Leben geführt werde.20 Der Beitrag kombinierte die Tugend der soldatischen Härte mit der Heimatverbundenheit und integrierte die Rolle als Familienvater und Ehemann in die Vorstellung von soldatischer Männlichkeit. Denn die Soldaten seien zwar »hart wie Panzerstahl« geworden, doch seien sie dadurch nicht »roh oder unempfindsam«.21 Wie in den Heimatblättern für die Frontsoldaten oder in den Heimatbriefen,22 vermittelte auch die Oase die Rolle des Soldaten als Familienvater und Ehemann. Dabei setzte die Zeitung vor allem auf eine visuelle Thematisierung. Sie veröffentlichte Abbildungen spielender Kinder, die auf den Vater warten, oder zeigte Soldaten, die sich im Heimaturlaub mit ihrer Familie beschäftigten.23 Solche Bilder in der Feldzeitung legitimierten die Sehnsucht der Soldaten in Nordafrika und vermittelten die Rolle des Familienvaters als akzeptierten Teil der Männlichkeit im Krieg. Es wurde im Kapitel zu Männlichkeit bereits auf Thomas Kühne Bezug genommen, der darauf hingewiesen hat, dass soldatische Männlichkeit durchaus mehrdeutig sein und auch traditionell eher als weiblich bewertete Eigenschaften und Gefühle beinhalten konnte. Männlichkeit im Krieg bestand eben nicht nur aus Härte, sondern es konnten bis zu einem gewissen Grad durchaus auch »weiche« Gefühle einbezogen werden.24 Gefühle der Verbundenheit und Sehnsucht in Bezug auf die Familie bildeten eine andere, parallel existierende Form von hegemonialer Männlichkeit im Krieg. Wie auch die weiche Form der kameradschaftlichen Männlichkeit besaß sie eine Nischenfunktion und war eine Ergänzung zur hegemonialen Männlichkeit der Härte, die das nationalsozialistische Herrschaftssystem laut Kühne »flexibler, belastbarer, stabiler«25 machte. Neben der Oase hielt die allgemeine Truppenbetreuung die Verbindung zur »Heimat« aufrecht. Sie stellte den Soldaten auch anderen Lesestoff, wie Zeitungen und Zeitschriften, Bücher oder Filme, zur Verfügung. In Nordafrika war die Versorgung mit Lesestoff allerdings aufgrund der schlechten Versorgungslage nicht immer ausreichend. Deshalb forderte ein unbekannter Autor die Soldaten bereits in der dritten Folge der Oase auf, die Feldzeitung und die »verhältnismässig geringe Zahl der bis jetzt zur Verfügung stehenden Bände«26 an Büchern weiterzugeben. Im Oktober 1941 wurde dann der baldige Einsatz einer motorisierten Frontbuchhandlung auch in Nordafrika gemeldet.27 Lesen konnten die Soldaten in den Soldatenheimen, die »ein Stück deutsche Heimat« in der »Fremde« sein und damit den Soldaten Erholung und Entspannung bringen
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Karl Springenschmid, Leben und Tod an der weissen Grenze. Das Kind der ganzen Kompanie, in: Die Oase 123, 12. April 1943, S. 3. Vgl. ebd. Rudolf Pörtner, So sind sie – unsere Landser. Der deutsche Soldat nach drei Jahren Krieg, in: Die Oase 90, 17. September 1942, S. 2. Vgl. Szejnman, A Sense of Heimat, S. 117. Vgl. etwa o. F., Weisst du schon: Papa ist in Afrika, in: Die Oase 40, 20. Juli 1941, S. 6; o. F., Papa geht baden, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 9. Kühne, The Rise and Fall of Comradeship, S. 6 und 295. Thomas Kühne, …«… aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren«, S. 180. Vgl. o. V., Bücher für die Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 5. Vgl. o. V., Frontbuchhandlung auch für Afrika, in: Die Oase 50, 12. Oktober 1941, S. 2.
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sollten.28 Das erste, nach Erwin Rommel benannte, Soldatenheim in Nordafrika wurde am 10. Mai 1941 in einem ehemaligen arabischen Café in Tripolis eröffnet. Hier standen den Soldaten unterschiedlichste Medien zur Verfügung.29 Neben Soldatenheimen gab es in den großen nordafrikanischen Küstenstädten auch Soldatenkinos.30 Der Besuch dieser Einrichtungen oder der Frontkinos, in denen die Wochenschau und aktuelle Spieloder »Kulturfilme« vorgeführt wurden,31 war ebenfalls eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Soldaten.32 Die Vorstellungen informierten die Soldaten über die Geschehnisse zu Hause und ermöglichten auf diese Weise »so etwas wie ein gemeinsames synchrones Erleben«33 mit den Angehörigen. Denn oft waren Medienereignisse die einzige Möglichkeit, innerhalb der getrennten Welten von Front und »Heimat« gemeinsame Erlebnisse zu haben.34 Als »das einzige Live-Medium, das an allen Abschnitten der Front und zu Hause zeitgleich gehört werden konnte«, bot insbesondere das Radio die Möglichkeit »der synchronen Rezeption« zur Verbindung der getrennten Familienangehörigen.35 »Abends sitzen wir meistens um das Radio und hören Musik, die gleiche die Ihr manchmal hört«,36 beschrieb etwa Karl B. dieses Phänomen seiner Familie. Sehr beliebt war das Wehrmacht-Wunschkonzert, über das auch die Feldzeitung berichtete. Die Sendung würde »am Sonntag-Nachmittag Millionen Soldaten nah und fern einige Stunden der Unterhaltung und der Erholung bereite[n]«, indem das Konzert »viele der Wünsche erfüllt, die ihm von den Truppenteilen zugingen«.37 Am häufigsten wünschten sich die Soldaten in Nordafrika laut der Oase Heimatlieder, »darunter viele Wiener Lieder«, und Schlager, »nicht zu vergessen die ›Lilli-Marleen‹!«38 Dieses von Lale Andersen gesunge-
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Ebd. Vgl. A. Fischer, Erholungsstätte unserer Soldaten. Das erste deutsche Soldatenheim in Afrika, in: Die Oase 30, 18. Mai 1941, S. 2. Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34 Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. Dezember 1941, S. 8. Vgl. BA-MA, RH 19-VIII/78, »Tätigkeitsbericht über die geistige Betreuung der P.K. Afrika im Monat Mai 1942«, 19. September 1942, o.O., fol. 2. Vgl. etwa LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 284, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen in dem Taschenkalender ›Panzergruppe Afrika‹. Kalender 1942, Eintrag vom 6. Mai 1942; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 6. April 1942, S. 25; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. Mai 1942, S. 10. Vgl. auch: o. V., Ein Frontkino in Afrika. Mit grossem Erfolg eingesetzt, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 2. Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 82. Vgl. ebd., S. 84. Vgl. ebd. BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 5. Oktober 1941. Art., Das Wunschkonzert hat Wünsche, in: Die Oase 18, 2. Mai 1941, S. 4. Kurt Paul, »KdF« in der Wüste. Ein Gespräch in einem Fronturlauberzug, in: Die Oase 63, 12. März 1942, S. 4.
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ne Lied wurde im Sommer 1941 bekannt und erreichte Kultstatus. Das Radio spielte es allabendlich für die Soldaten.39 Neben der Nutzung von Medien versuchten die Soldaten im Krieg verschiedene andere gewohnte Praktiken aufrechtzuerhalten, um »vertraute Lebensgewohnheiten in einen Kriegsalltag hinüber zu retten, der diese ständig durchbrach«.40 An den Weihnachtsfeiertagen trafen sich die Soldaten zu einem festlichen Kaffee mit Orangen und Plätzchen41 oder bastelten sich aus Brettern oder vorhandenen Sträuchern einen Weihnachtsbaum, den sie mit Stanniolpapier oder Konserven schmückten.42 Auch von Seiten der Truppenbetreuung wurde versucht, den Soldaten im Krieg die Teilnahme an gewohnten Traditionen zu ermöglichen und etwa einen Gottesdienst zu besuchen. Allerdings konnte die Messe nur abgehalten werden, wenn das Gelände es zuließ und nicht zu sehr von außen eingesehen werden konnte. In der deutschen Stellung bei El Alamein im Winter 1942 war die Gefahr feindlicher Angriffe zu groß, so dass auch an den Weihnachtsfeiertagen keine Gottesdienste oder eine geistliche Betreuung der Kampftruppen möglich waren.43 Feierlichkeiten zu Festtagen wie Weihnachten lösten allerdings oft gerade erst eine besondere Befremdnis in der Extremsituation des Krieges aus. In Nordafrika verstärkten die ungewohnten Wetterverhältnisse dieses Unbehagen, wie Reinhard B. seiner Familie schrieb. »Daß heute der vorletzte Advents-Sonntag ist, kann ich mir schlecht vorstellen, trotzdem Afrika, wie mir ein Araber versicherte, […] einen sehr strengen Winter erlebt. Aber weihnachtlich ist uns durchaus nicht zumute«,44 erklärte er. Aufgrund der milden Temperaturen im Kriegsraum erschien ihm das Fest noch weiter von seiner eigenen Realität entfernt zu sein, als er es durch den Kriegseinsatz sowieso schon empfand. Die wichtigste Verbindung nach Hause zur Familie war im Krieg das Schreiben von Briefen. Die Feldpost war für die Soldaten und ihre Familien das einzige direkte Kommunikationsmittel und verband so die Front mit der »Heimat«. Sie ermöglichte es, sich
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Vgl. Heike Frey, »›… aber es war mal eine Abwechslung‹. Truppenbetreuung im Spiegel von Feldpostbriefen«, in: Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Hg.), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, S. 419–428, S. 428. Nikolaus Buschmann, Der verschwiegene Krieg. Kommunikation zwischen Front und Heimatfront, in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial-und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997 (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Bd. 5), S. 208–224, S. 217. Ein solches Kaffeekränzchen beschrieb Hans P. in seinem Tagebuch, vgl. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 25. Dezember 1942, S. 17. Als wirklich religiös zeigten sich in dem von mir untersuchten Selbstzeugnissen nur wenige Schreibende, wie Alfred F., der versuchte, den Krieg durch Gottvertrauen zu überstehen, vgl. MSPT, 3.2002.0344.2, Alfred F. an seine Ehefrau am 3. April 1943 sowie Alfred F. an »Mutti Falk« am 5. April 1943. Oskar H. nannte den Rosenkranz seinen ständigen Begleiter, vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 16. Februar 1943, S. 36. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 2.November 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 24. Dezember 1941. BArch-MA, RH 19-VIII/296, Katholischer Armeepfarrer bei der Panzer Armee Afrika, Tätigkeitsbericht Abt. IV c für die Zeit vom 1. Oktober – 31. Dezember 1942, o.O. 1943, fol. 3. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 14. Dezember 1941.
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der eigenen Zugehörigkeiten zu versichern. Clemens Schwender nennt die Feldpost deshalb ein »selbstreferenzielles System«,45 um zu verdeutlichen, dass sich die Schreibenden über die Kommunikation mit der Familie ihrer eigenen Rolle innerhalb eines sozialen Gefüges versicherten. Dazu zählten die Gruppenzugehörigkeitsgefühle außerhalb des Militärs über die Zuordnung zur Familie und einer Region oder Stadt. Das Briefeschreiben bot damit Orientierung in einer Ausnahmesituation und im unbekannten Raum.46 Die Verbindung, die Robert W. durch die Post empfand, drückte er in einem seiner Briefe an seine Frau aus: »Schrecklich! Afrika ist ja so weit – und wir sind uns doch so nah!«47 Neben der Feldpost hielten auch Fotografien die mentale Verbindung zu den Angehörigen aufrecht.48 Aufnahmen der Liebsten steckten die Soldaten schon bei der Abreise in ihr Gepäck, fragten aber auch immer wieder in Feldpostbriefen nach Bildern von den Kindern oder der Frau.49 Erhaltene Bilder trugen sie anschließend oft in der Brieftasche bei sich. Wie die Briefe der Angehörigen wurden sie in ruhigen Stunden hervorgeholt und angesehen.50 Die Angehörigen waren so zumindest in Papierform tatsächlich mit im Krieg. Das belegt die weit verbreitete Praktik, Aufnahmen von Angehörigen, vor allem der Ehefrauen oder Freundinnen, aber auch erotische Bilder aus Zeitschriften im Bunker oder im Zelt aufzuhängen.51 Der Soldat Franz K. bat aus Nordafrika seine Bekannte Ursula um ein Foto: »Wie ist es denn mit einer Schönheitsaufnahme von Dir? Ich möchte Dich gerne wiedermal sehen wenn es auch nur auf dem Bildchen ist. Dein Bildchen würde dann ein Ehrenplatz in meinem Bunker oder Zelt einnehmen u. mir ein Frühlingsgruss aus unserer schönen deutschen Heimat sein.«52 Als die gewünschte Aufnahme eintraf, bedankte er sich überschwänglich dafür, dass sie ihm mit dem »Bild ein Stückchen Heimat in die ferne Wüste gebracht«53 habe. Fotografien erfüllten also wie die Feldpost die Funktion, eine »Brücke zwischen Front und Heimat« zu schlagen, wie es auch die Fotoindustrie während des Zweiten Weltkrieges propagierte.54 Die Platzierung von Familienfotos in Unterkünften diente neben der Verbindung mit der »Heimat« aber auch zur Demonstration der eigenen Männlichkeit. Denn die Kameraden begutachteten die Fotos und deuteten sie als Zeugnisse der Manneskraft – im Falle von Kinderbildern auch der Zeugungskraft. Wer keine Bilder vorzuweisen hatte, stand 45 46 47 48 49 50
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Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 85. Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 8–10. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. März 1942. Vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 10. Hans E. schreibt beispielsweise, dass er Bilder geschickt haben möchte, weil er so sehr Heimweh hat, vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 22. Mai 1941. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Schwester am 6. November 1941. Siehe dazu auch Kathrin Hoffmann-Curtius, Trophäen und Amulette. Die Fotografien von Wehrmachts-und SS-Verbrechen in den Brieftaschen der Soldaten, in: Fotogeschichte 78 (2000), S. 63–76. Vgl. Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 193f. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 26. April 1942. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula an Pfingsten 1942 Vgl. eine Anzeige der Firma Agfa in der Berliner Illustrierten Zeitung, 9. November 1944, zit.n. Bernd Boll, Vom Album ins Archiv. Zur Überlieferung privater Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, in: Anton Holzer (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet: Krieg und Fotografie, Marburg 2003, S. 167–178, S. 171.
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im Verdacht, aufgrund von Unmännlichkeit keine Frau zu haben, und hängte stattdessen Bilder von Schauspielerinnen auf – denn dies war laut dem Dichter Karl Springenschmid »das ärgste, was die Kompanie einem Soldaten nachsagen kann, dass er kein Mädchen hat«.55 Familienfotos dienten also nicht nur der Stabilisierung des eigenen Selbstbildes als Vater oder Ehemann, sondern verstärkten auch die Inszenierung der eigenen Männlichkeit im Sinne hegemonialer Diskurse innerhalb des Militärs.56
8.2 Heimatliche Hygiene und Nahrungsmittel Innerhalb etablierter Geschlechtervorstellungen deuteten die Soldaten die körperlichen Auswirkungen der Kriegsumstände auf ihre Körper. So wurden die aufgrund des fehlenden Wassers und mangelhafter Ausstattung schnell wachsenden Bärte zu Zeichen ihrer Männlichkeit. Trotz dieser Bewältigungsstrategie litten die Männer unter den fehlenden Hygienemöglichkeiten und sehnten sich nicht nur allgemein nach der »Heimat«, sondern im Speziellen auch nach den heimatlichen Hygienestandards. Hier hatte das Rasieren zum morgendlichen Ritual eines Mannes gehört und war damit zugleich selbst ein Ritual der Männlichkeit gewesen.57 Daher versuchten viele im Kriegseinsatz daran festzuhalten und entwickelten neben neuen Deutungsstrategien neue Praktiken, um mit den Herausforderungen des Krieges umzugehen und ihr Selbstbild zu stabilisieren. Die einfachste Möglichkeit, gewohnte Hygienestandards aufrecht zu erhalten, war, bei den Angehörigen um die Sendung von Rasierutensilien zu bitten.58 Willi S. wünschte sich etwa »einen Alaunstein zum Rasieren und 2 Pakete aber allerbeste und teuerste Rasierklingen«,59 die er benötigte, weil er mit günstigeren Klingen »den Bart nicht« fortbekomme, »der hier wie doll wächst«.60 Da zudem das Kopfhaar der Männer wuchs und sich Staub darin sammelte,61 ließen sie sich auch Scheren schicken, um sich die Haare zu schneiden.62 Helmut B. berichtete kurz nach seiner Ankunft in Libyen: »Heute habe ich mir von einem Kameraden mit Hilfe einer Schere die Haare schneiden lassen. Es ist ganz gut geworden, trotzdem es ein Laie war. Ich werde mich gelegentlich in gleicher Weise erkenntlich zeigen.«63 Waren unter den Soldaten Männer, die im zivilen Leben
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Karl Springenschmid, Die Mädchen im Bunker. »Wer hat der hat« sagte der Leutnant, »und wer hat der zeigt«, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 5. Auch noch in der Kriegsgefangenschaft schmückten die Soldaten ihre Unterkünfte mit Fotos von Pin-up Girls, vgl. Matthias Reiss, The Importance of Being Men: The Afrika-Korps in American Captivity, in: Journal of Social History 46 (2012) 1, S. 23–47, S. 29f. Vgl. Kupka, »Wann ist ein Mann«, S. 68. Die Bitte nach Rasierklingen findet sich in den Briefen immer wieder. Hubert S. bestellte diese sogar schon bei der Anreise, erhielt aber lange Zeit keine Post, so dass er später erneut nachfragte, vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942 und am 18. Dezember 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 6. November 1941. Ebd. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 20. Mai 1941. Vgl. MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 12. September 1942. MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 19. August 1942.
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als Friseure arbeiteten, versorgten diese gleich ihre ganze Kompanie mit neuen Frisuren.64 Indem sie sich das notwendige Handwerkszeug besorgten und so wie zu Hause bestimmte Hygienestandards aufrechterhalten konnten, arrangierten sich die Soldaten mit den Umständen des Kriegseinsatzes. Die Feldzeitung lobte diese Praktiken in einer Bildunterschrift mit den Worten: »Der deutsche Soldat aber hält auch in dieser Umgebung auf militärischen Haarschnitt.«65 Neben Klingen und Scheren verlangten die Soldaten nach Zahnpflegeprodukten66 oder Toilettenpapier, das aufgrund der zahlreichen Durchfallerkrankungen eine konkrete Hilfe für das tägliche Leben im Krieg war. Willi S. schrieb seiner Frau pragmatisch, wenn sie ihm etwas schicken wolle, »dann jeden Monat 2 Rollen Toilettenpapier«.67 Inge W. schickte ihrem Mann schon Hygienepapier, bevor dieser ihr ausführlich die Toilettensituation schilderte. Ihr sei eingefallen, »daß die Wüste eine sehr grasarme Gegend ist«, und habe daher beschlossen »›mal eine Anzahl weißer Servietten mitzuschicken«.68 Zwei Monate später hatte Robert W. die Servietten bereits aufgebraucht und nahm dies zum Anlass, ihr ein Gedicht aus der Oase über den »stillen Gang zur Wüste« abzuschreiben.69 Wo die Angehörigen nicht per Post Abhilfe schicken konnten, halfen sich die Soldaten selbst und nutzten die Gegebenheiten. Sie eigneten sich als klassisch weiblich geltende häusliche Arbeiten an und wuschen ihre Kleider70 oder adaptierten ihre Gewohnheiten und badeten nun nicht in der Wanne, sondern wuschen sich im Meer,71 in Seen hinter der Küste,72 mit einer Waschschüssel an Brunnen73 oder in einem mit Regenwasser vollgelaufenen Erdloch.74 Vor allem in den tunesischen Gebirgsregionen fanden sie geeignete Wasserstellen oder Bachläufe.75 Nach einer Propagandakompanie-Aufnahme in der Zeitschrift Jambo bauten sich einige Soldaten sogar selbst eine Dusche. »Die Planken einiger Bombenkisten, eine alte Benzinpumpe, der Rest eines Tankwagenschlauchs und 64 65 66
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Vgl. NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 12. Vgl. Foto im Bildbericht von Eric Borchert, Weisst Du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juli 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Karl O. an seine Mutter am 27. Oktober 1942; MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 5. Oktober 1941. MSPT, 3.2002.7605, Inge W. an ihren Ehemann am 6. April 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Juni 1941. Siehe auch das Gedicht von Herbert Fläschel, Der stille Gang zur Wüste, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 12. Vgl. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 125. Vgl. beispielsweise Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 14. Mai 1942, S. 9. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 71. Das Baden in anderen Gewässern als dem Mittelmeer wurde den Soldaten eigentlich wegen der Gefahr der Infizierung untersagt, vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 23 und Ernst Burkhardt, Wüstengefahr – vom Arzt überlistet, in: Jambo C (1942) 1, S. 6–7. Vgl. Foto zum Artikel von Eric Borchert, Weisst Du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5. MSPT, 3.2002.959, Hans O. an seine Ehefrau am 5. April 1943. Vgl. auch NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 12. Vgl. NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 12; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943.
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ein Benzinfaß – fertig ist das Brausebad der Stuka. In der Wüste bestimmt eine einmalige Einrichtung«,76 hieß es in der Bildunterschrift. Zwar ist in einer Karikatur der Oase, welche die Rahmenbedingungen des Krieges als Anlass für ideenreiche Erfindungen der Soldaten anführte, eine ähnliche Duschanlage abgebildet,77 doch ist in den Selbstzeugnissen nichts von einer solchen Installation zu lesen. Die PK-Aufnahme wurde vermutlich vor allem zur Beruhigung der Angehörigen aufgenommen und half, ein abenteuerliches Narrativ vom Krieg in Nordafrika zu verbreiten. Das Festhalten an den Hygienepraktiken ermöglichte den Soldaten, sich ihres eigenen Körpers zu ermächtigen. Indem sie sich bei jeder sich bietenden Möglichkeit rasierten oder wuschen, wehrten sie sich gegen Einflüsse der natürlichen Bedingungen des Kriegsraumes und behaupteten sich selbst. Dabei kam die Veränderungsoffenheit sozialer Praktiken zum Tragen, wie sie der Soziologe Andreas Reckwitz in seiner sozialen Praxistheorie postuliert hat.78 Die Soldaten führten nicht einfach etablierte, routinierte Alltagshandlungen im Nordafrikafeldzug weiter fort. Weil die Umstände des Krieges, insbesondere die natürlichen Bedingungen des Raumes, die gewohnte Ausübung der Praktiken erschwerten, wurden die Praktiken verändert und angepasst.79 Zum Teil nutzten die Soldaten die spezifischen Möglichkeiten, die ihnen der Kriegsraum bot, oder eigneten sich lokale Praktiken an. Als der Truppenarzt Hubert S. den Wunsch verspürte, seinen »Körper mal einer gründlichen Reinigung zu unterziehen«, besuchte er zusammen mit seinem Unteroffizier ein »maurische[s] Bad« in der nächstgelegenen Stadt. Den Ausflug in das arabische Badehaus schilderte er seiner Frau anschließend ausführlich in einem Brief. Neben den unterschiedlich geheizten Räumlichkeiten und dem Liegen auf der beheizten Steinplatte beeindruckte ihn vor allem der Kontakt mit den dort arbeitenden Männern. Den Besitzer des Bades beschrieb er als »devot«, den Masseur schilderte er aufgrund seines muskulösen Körperbaus als etwas angsteinflößend und nannte ihn einen »Henkersknecht«, um die Schmerzen, die die Behandlung bei ihm auslösten, zu verdeutlichen. Seiner Beschreibung des Hammam-Besuches fügte er abschließend hinzu: »jetzt fühle ich mich so sauber wie noch nie. […] Auf jeden Fall werde ich dort jetzt öfter hingehen.«80 Sauberkeit assoziierte Hubert S. dennoch weiterhin mit dem eigenen Kulturkreis und wunderte sich, dass in dem Bad »alles piksauber« war, was ihm als »krasser Gegensatz zu den Araberwohnungen, die toll dreckig sind«, erschien.81 Seine detaillierte Beschreibung des Aufenthaltes im Hammam erinnert an Beschreibungen anderer europäischer Reisender, die von den ungewohnten Reinigungstechniken ebenfalls fasziniert
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W. Roßbach, Unsere Luftwaffe im Afrika-Einsatz, in: Jambo C (1942) 4, S. 49–52, S. 51. Vgl. Radtke-Heuser, Wüste Anregungen!, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 5. Vgl. Andreas Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive/Basic Elements of a Theory of Social Practices: A Perspective in Social Theory, in: Zeitschrift für Soziologie 32 (2003) 4, S. 282–301, S. 295. Vgl. Reckwitz, Praktiken und ihre Affekte, S. 38. Alle Zitate dieses Absatzes aus: MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 28. Dezember 1942. Ebd.
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waren.82 Dieses Ausprobieren lokaler Praktiken kann einerseits als von Neugier getriebenes Handeln im Sinne eines Reisenden verstanden werden. Zugleich war es aber eine Möglichkeit, an Gewohnheiten festzuhalten und sich damit gegen die Übernahme des eigenen Körpers durch den Kriegsraum zu wehren. Damit versicherten sie sich zugleich ihrer eigenen Identität als zivilisierte Europäer, wie ein Tagebucheintrag von Wilfried Armbruster offenbart. Er notierte, wie er für die Rasur eine Wasserschüssel auf der Kühlerhaube des Wagens abstellte, dann »den Rasierpinsel daneben, die Seifentube, das Zahnwasserglas, und was sonst noch für diese zivilisatorischen Dinge notwendig ist«.83 Für ihn war die Körperhygiene also mit Vorstellungen von Zivilisiertheit verbunden. Die identitätsstiftende Funktion der Hygienepraktiken belegt ein Brief von Robert W., in dem er seiner Frau in Bezug auf zukünftige Waschgelegenheiten schrieb: »Du glaubst ja nicht, wie ich mich gerade darauf freue, wieder ein Kulturmensch zu sein.«84 Indem sie sich aber im Kriegseinsatz so viel wuschen wie möglich, konnten sie die Scham gegenüber den Ehefrauen, nicht mehr den Ansprüchen an Hygiene zu entsprechen, überwinden. Deswegen war es Robert W. wichtig, seiner Ehefrau mitzuteilen, dass er sich trotz der ungünstigen Umstände noch ein sauberes und ansehnliches Äußeres erhielt, und schrieb: »Na, wenn Du mich mal zu sehen bekommst, schaue ich wieder ganz manierlich aus. Das habe ich gerade wieder im Spiegel festgestellt. Ja, so eitel bin ich noch. Dann ist noch nichts verloren, was?«85 Jegliche Art der Hygiene war für die Soldaten damit nicht nur aufgrund eines besseren Körpergefühls wichtig, da sie gerade den Schmutz und den auf der Haut klebenden Staub als unangenehm empfanden. Durch die eingeübten Hygienepraktiken konnten sie am »Zivilisierten« und »Eigenen« in der »Fremde« festhalten.86 Damit war die Hygiene eine Möglichkeit, in Verbindung mit der »Heimat« zu bleiben, die durch die Dokumentation in den Briefen an die Angehörigen oder das Verschicken von Aufnahmen aus dem Alltagsleben der Soldaten verstärkt wurde.87 Die verbindende und identitätsstiftende Funktion der Alltagspraktiken nutzte die Kriegspropaganda, um im Gegenzug an der »Heimatfront« die Verbindung zu den Soldaten im Krieg zu stärken. Zeitschriften und Illustrierte druckten Bilder, auf denen die die Soldaten »beim Verrichten alltäglicher Dinge wie Mundharmonikaspielen, Ausruhen, Wäschewaschen oder Essen zubereiten« zu sehen waren, und stellten so ein »für alle
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Vgl. etwa Salomon Schweigger, Ein newe Reiß Beschreibung auß Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem, Nürnberg 1639, S. 113–115. IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Don’t jou see I’m shaving«, S. 6. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 17. April 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 8. Juni 1942. Vgl. Bopp, Fremde im Visier. Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, S. 106. Vgl. auch Xosé M. Núñez Seixas, Die spanische Blaue Division an der Ostfront (1941–1945). Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster 2016 (= Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, Bd. 42), S. 182. In privaten Fotoalben aus dem Krieg sind Themen des soldatischen Alltags meist überproportional vertreten, vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 33.
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verfügbares und erfüllbares Handlungs-und Haltungsrepertoire«88 bereit. Indem diese Bilder die Soldaten bei der Ausübung alltäglicher Praktiken zeigten, die der Wahrnehmung der zu Hause gebliebenen Angehörigen entsprachen, setzten sie gewohnte Bildtraditionen aus Familienalben fort und konnten so die Distanz der unterschiedlichen Erlebnisräume zum Teil verringern.89 Praktiken der Nahrungsaufnahme waren ebenfalls eine wichtige Verbindung in die »Heimat« und das zivile Leben der Soldaten. Denn die Nahrungsversorgung und die dort herrschenden Essenspraktiken ließen ihnen den Kriegsraum fremd erscheinen. Wie es zu Hause war, konnten sie sich teilweise nicht mehr vorstellen. »[W]ieder einmal mit Messer und Gabel essen, oder auf dem Sofa hinlegen, oder den Wasserhahn aufdrehen, um ein Glas Wasser zu trinken. Ist alles ein Begriff für mich geworden«,90 schrieb Alfons S. seinen Eltern. Karl B. erklärte in einem Brief aus Ägypten, dass er erst hier in der »Fremde« »die täglichen Gewohnheiten des europäischen Lebens so richtig schätzen«91 gelernt habe. Schon davor hatte er seinen Eltern geschrieben, wie sich die Einschätzung der Gewohnheiten zu Hause veränderte, »weil man gespürt hat wie es ist wenn man die Genüsse des europäischen Lebens entbehren muß«.92 Nun sehnten sie sich danach, »einmal wieder am schön sauber gedeckten Tisch«93 zu sitzen, und träumten davon, sich satt zu essen oder Speisen ohne die »Gewürze« des Kriegsraumes, wie Robert W. sich ausdrückte, zu bekommen: »Ach, das Essen mit schönem, glasklaren [sic!] Wasser zubereitet, es schmeckt nicht nach Salz, es ist kein Sand drin, man braucht auch keine Fliegen aus der Suppe fischen«,94 erklärte er seiner Frau. Zwar konnte die Feldpost keine Suppe frei von Sand kochen, doch schuf sie eine enge Verbindung zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen durch die Auslieferung von Paketen mit Nahrungsmitteln. Trotz der insgesamt schlechten Nachschublage waren die Soldaten hinter der Front teilweise so gut versorgt,95 dass sie Verpflegung nach Hause schicken konnten.96 Meist waren es jedoch die Soldaten, die um die Verschickung von Lebensmitteln baten und damit indirekt die Notlage an der Front kommunizierten.97 In
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Vera Marstaller, Stillstand der Körper im Krieg. Von den Pflichten des Heroischen und dem Reiz des Alltags in der illustrierten Massenpresse des Nationalsozialismus (1939–1945), in: Visual History 2019, URL: https://visual-history.de/project/stillstand-der-koerper-im-krieg [13.07.2020]. Vgl. Kleemola, »Gekaufte Erinnerungen?«. BfZ, Sammlung Sterz, Gefr. Alfons S. an seine Eltern am 2. Oktober 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 9. Juli 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 26. Mai 1942. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 24. August 1941. Ebd. Vgl. IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, S. 3. Darunter waren Bananen, Datteln oder Orangen, aber auch Olivenöl und Bohnenkaffee und Schokolade oder Hygieneprodukte wie Nivea-Creme, vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 10. Dezember 1942; MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1./4.Dezember 1941 und 15. Januar 1942; BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 18. November 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. und 28. Februar 1943. Dies sahen sie teilweise selbst als kriegswichtige Unterstützung der Heimatfront an, vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Briefausschnitt von Heinz T. am 16. Dezember 1942. Vgl. Schwender, Formale und inhaltliche Erschließung, S. 82.
8 »Heimat« in der »Fremde«
den Paketen waren aufgrund der weit verbreiteten Magenprobleme oft Schonkost, wie Zwieback, oder Medikamente, wie Verdauungspulver.98 Sie enthielten zudem besondere Leckerbissen, denn die Männer sehnten sich nach Speisen und Getränken von zu Hause. Manche Soldaten bekamen so viele Pakete und schickten ihrerseits so zahlreich Päckchen an ihre Familienangehörigen, dass sie Listen anlegen mussten, in denen sie vermerkten, welche Waren sie wann verschickt oder erhalten hatten.99 Sie fragten nach Kartoffelsalat100 oder »Rehkeulen als Rauchfleisch«,101 sogar Eier wurden mit der Feldpost nach Nordafrika geschickt, kamen aber verdorben an.102 Paketsendungen der Angehörigen ermöglichten es den Soldaten, manchmal ihre Sehnsüchte zu stillen und bestimmte Speisen selbst zuzubereiten. Eine beliebte Postbeigabe war daher Puddingpulver, das die Soldaten mit Dosenmilch aufkochten und Abwechslung in den Speiseplan brachte.103 Gerd W. kochte für seine Kameraden einen Reisbrei, der »beinahe« aussah »wie zu Hause«.104 Ein aus Köln stammender Soldat backte an einem Sonntag selbst Karnevalskrapfen, die bei dem zum Kaffee eingeladenen Hans P. zugleich Gefühle der Sehnsucht auslösten. »Gerade bei dieser Gelegenheit denke ich der Tage um Fastnacht, wenn Mutter daheim ›Nonnenfürze‹ backte«, notierte er in seinem Tagebuch. »Heute backt man die Dinger in der Wüste. Andere Zeiten, doch dieselben Bräuche. Wann essen wir sie wieder bei Mutter? Sie schmecken doch besser. Die letzten Tage […] habe ich mal wieder ein besonderes Sehnen nach Hause.«105 An anderer Stelle notierte er in seinem Tagebuch, wie einige Soldaten aus seiner Truppe Kartoffeln rieben und daraus mit Hilfe einer vom Schirrmeister besorgten Lötlampe Reibekuchen brieten. Die hätten ihm noch nie so gut geschmeckt, und er beschrieb das Essen als »ein Stückchen Heimat«.106 Die Nahrungsaufnahme konnte im Krieg also eine identitätsstiftende Funktion entfalten.107 Aufgrund der trockenen und staubigen Umwelt und der mangelhaften Wasserversorgung vermissten die Soldaten ebenfalls Getränke. Die Vorstellung, ein kühles Bier zu
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Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 14. November 1941; Ritter von D. an seine Ehefrau am 9. April 1943. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7506, Walter K., Bestätigungsliste der erhaltenen Pakete; »Rekordposttag, von alleine 15 Postsendungen, 4 Zeitungs-Pakete, Briefe mit süßen Einlagen« berichtete Karl B. an seine Familie am 21. Februar 1942. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 15. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 19. Oktober 1941. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 27. Juni 1941, 16. Juli 1941 und 20. Juli 1941. Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 15. Mai 1941; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 16. November 1941; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Februar 1942, S. 5. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 16. Dezember 1941. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 13. September 1942, S. 15. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. Dezember 1942, S. 16–17. Vgl. zur identitätsstiftenden Funktion von Essen für Deutsche im Ersten und Zweiten Weltkrieg den Sammelband von Heather Merle Benbow und Heather R. Perry Food (Hg.), Culture and Identity in Germany’s Century of War, Cham 2019.
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trinken, gehörte zu den weit verbreiteten Phantasien der deutschen Soldaten in Nordafrika. Sie wünschten sich ein »Gläschen Bier«108 oder »ein ganzes Fass Bier«109 und sahen sich gemeinsam »die Anzeigen in den Zeitungen an, ›Münchner Export‹, eisgekühlter Sekt und so weiter«.110 Die Oase spiegelte diesen Wunsch der Soldaten, indem sie in Geschichten verarbeitet oder in Karikaturen humoristisch veranschaulicht wurden.111 Ab und an wurde ihr Wunsch tatsächlich erfüllt und Bier als Verpflegung ausgehändigt, was die Soldaten stets als besonderes Ereignis in den Tagebüchern notierten und in Briefen mitteilten.112 Allerdings kamen sie nur »alle Vierteljahr mal in den Genuß einer Flasche«,113 obwohl die Propaganda dies anders darstellte: »Die Wochenschau zeigt […], wie rauhe Mengen Flaschenbier und Limonade an die ›durstenden Afrikaner‹ ausgegeben wird, ich habe seit wir von Neapel weg sind auch schon ganze drei Flaschen getrunken«,114 beschwerte sich daher Erich K. in einem Brief an seine Eltern. Das Biertrinken konnte zu einer emotionalen Verbindung mit den Angehörigen zu Hause werden. Als Inge W. ihrem Mann eines Tages eine Flasche Bier mit der Feldpost schickte, war dieser erfreut und schrieb zurück, er habe beim Trinken »nur an [s]ein liebes Frauchen gedacht«.115 Als emotionalen Durstlöscher stellte Gerd W., der für die Verpflegung seiner Truppe verantwortlich war, seinen Kameraden für den ersten Weihnachtsfeiertag neben besonderen Nahrungsmitteln »eine ansehnliche Zahl von Flaschen mit Münchner Exportbier«116 zur Verfügung. Dabei konnte vor allem die Marke des Bieres bei den Soldaten kurz den Eindruck wecken, nicht mehr im Kriegseinsatz, sondern zu Hause zu sein. Daher erinnerte sich der aus Unterfranken stammenden Oskar H. in seinen Memoiren explizit daran, wie bei El Alamein einmal eine Flasche Würzburger Hofbräu ausgegeben wurde.117 Lebensmittel konnten positive Emotionen auslösen, die gefühlte Verbindung zur »Heimat« stärken und so die Soldaten moralisch unterstützen. So wurden bestimmte Nahrungsmittel nicht nur im Nordafrikafeldzug, sondern allgemein im Krieg zu regelrechten Symbolen der »Heimat« und trugen zur Identitätsstabilisierung im »fremden
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Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 12. April 1942, S. 8. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 63. BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 26. Mai 1942. Vgl. etwa eine Erzählung, in der die Mannschaft eines Flugzeuges mitten in der Wüste notlanden musste und der Hauptmann dann träumte, wie er in einem Weinlokal unbedingt ein Bier bestellen wollte, Fritz Dettmann, Das silberne Leben. In Wüstennot in der libyschen Sahara, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 2; Karikatur, »Heini« in Afrika – Die Enttäuschung!, in: Die Oase 64, 12. März 1942, S. 6. Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Einträge vom 1. und 6. November 1941, S. 2; MSPT, 3.2011.3536, Helmut B. an seine Eltern am 4. Oktober 1942; BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 30. Dezember 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 26. Oktober 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 16. Juli 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 24. Dezember 1941. Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 28.
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Raum« bei.118 In der Oase hieß es, die Soldaten verlangten »heimatliche Kost«,119 und vor allem »sein heimatliches Brot«120 liebte der deutsche Soldat, laut Ernst Bayer, in Nordafrika. Bestimmte Nahrungsmittel konnten also nicht nur helfen, die geschwächten Körper der Soldaten zu stärken, sondern versorgten die Soldaten auch emotional, weil sie mit dem Konzept der »Heimat« verbunden waren. Auf diese Weise konnten die Soldaten die Herausforderungen des Krieges leichter ertragen und erwiesen sich als anpassungsfähig. Sogar Lebensmittel, die sie sich selbst im Kriegsraum besorgten, deuteten sie heimatlich um und nutzten sie damit zur Stabilisierung des eigenen Selbst. So empfanden sie etwa gebackene Eier als »etwas Heimatliches«121 oder interpretierten Feigen in der Erinnerung an die von zu Hause bekannten getrockneten Feigen als Symbol für Weihnachten mit Schnee und »liebliche[m] Märchenglauben«.122 Derartige Einfügungen und Anpassungen an den Kriegsraum sind nicht nur als eine Form der Bewältigung der Enttäuschung und existenziellen Bedrohung im Krieg zu verstehen. Sie sind zumindest partiell eine Form der sinnhaften Aneignung des Kriegsraumes im Sinne von Marian Füssel, mit denen die Soldaten sich den zunächst als fremd wahrgenommenen Raum zu eigen machten.123
8.3 »Fremde« Landschaft – heimatliche Landschaft Das Konzept der »Heimat« ist nicht nur als Überbegriff für die Familie von Bedeutung, sondern umfasst bis heute die Natur als zentrale Komponente.124 Insbesondere die Abbildung der natürlichen Umgebung als kultivierte Landschaft spielte seit dem 18. Jahrhundert eine wesentliche Rolle für die Konstruktion von »Heimat«. Die Natur wurde in Form von Landschaftsbildern kanonisiert, die vor allem in der Vorstellung und Wahrnehmung existierten und nicht eng an die tatsächlichen Gegebenheiten gebunden waren. Die konstruierten Landschaften dienten der Bildung von Zugehörigkeitsgefühlen und trugen wesentlich zum nation building bei.125 Alon Confino bezeichnete daher die deutsche Nation in den Heimatvorstellungen des 19. Jahrhunderts als eine »communitiy within nature and in harmony with nature«.126 Während des Nationalsozialismus war die imaginierte »deutsche Landschaft« wesentlicher Teil von Heimatkonstruktionen, die vor allem auf eine nationale Vergemein-
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Die wichtige Rolle von Essen und Getränken im Leben von Soldaten und den Einfluss der Versorgungslage auf die soldatische Kampfmoral hat beispielsweise zuvor nachgewiesen: Benjamin Zieman, War Experiences in Rural Germany: 1914–1923, London 2006, S. 74. 119 Ernst Bayer, Verpflegung unserer Soldaten in Afrika, in: Jambo C (1942) 1, S. 10. 120 Ebd. 121 DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 23. Januar 1943, S. 35. 122 Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 7. 123 Vgl. Füssel, Lernen – Transfer – Aneignung. 124 Vgl. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 79. 125 Vgl. Thomas Etzemüller, Landschaft, Tourismus und Nation. Imaginary landscapes als Medien des inneren nation building in der Moderne, in: Geschichte und Gesellschaft 45 (2019) 2, S. 275–296. 126 Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 64.
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schaftung abzielten und lokale Besonderheiten als zweitrangig betrachteten.127 Die Ordnung der »deutschen Landschaft« war daher allgemein gehalten und eher eine Anhäufung ansprechender Elemente als die Abbildung eines Raumes. Es waren, wie Confino es ausgedrückt hat, benutzerfreundliche Landschaften,128 die immer wieder dieselben Motive reproduzierten. Die klassischen Bildmotive stammten vornehmlich aus dem ländlichen Raum, auf den sich bereits die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene deutsche Heimatbewegung berufen hatte.129 In Liedern und Gedichten wurde die »deutsche Heimat« durch den kühlen Wiesengrund oder den Lindenbaum konstruiert,130 auf Bildern symbolisierten Dorf, Kirche und Kirchturm, Landbevölkerung oder Felder die deutsche Landschaft.131 Diese »Postkartenästhetik«132 mit ihrer entindividualisierten Ikonographie war auch für nationalsozialistische Heimatkonstruktionen typisch, die nun komplett zentralisiert und auf die »Volksgemeinschaft« ausgerichtet nur noch wenige lokale Besonderheiten enthielten.133 Die »Gliederung des Reichs in Stämme und Gaue oder die Zuweisung rassischer Nuancen an einzelne Landschaften« geschahen nur mit dem Ziel, eine »nordisch geprägte gesunde Gesamtmischung« zu propagieren.134 Welcher geographische Ort, welches Dorf, welcher Wald auf einem Bild der deutschen Landschaft abgebildet wurde, war damit unwichtig, denn wesentlich für Landschaftskonstruktionen war allein die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich.135 Die Auflösung der lokalen Ebene in einer übergeordneten, nationalen Vorstellung von der »Heimat« als dem »Höchste[n]« und »Heiligste[n]« findet sich in vielen Artikeln und Bildern, die die Feldzeitung Oase veröffentlichte. In einem Artikel, der die Soldaten laut Titel über ihre »gemeinsame Mutter: die Heimat« aufklären wollte, wird die »wunderschöne, deutsche Heimat« als ein Konglomerat von Naturelementen unterschiedlichster geographischer Zugehörigkeit beschrieben. Sie setze sich zusammen aus »Meeresküsten, Sanddünen, […] saftiggrünen Feldern und dunklen Wäldern, […] eis-und firnbedeckten Alpen, […] Dörfern und Städten«.136 In den von Soldaten auf einen Aufruf der Oase hin verfassten Heimatgedichten war zwar vereinzelt die Großstadt als Ort der Heimatliebe und -sehnsucht beschrieben,137 in den meisten Gedichten streiften die Soldaten jedoch »durch Wiese, Wald und Feld«138 und stellten sich ein
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Vgl. Jäger, Heimat. Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 64. Vgl. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 82. Vgl. Rolf Petri, Deutsche Heimat 1850–1950, in: Comparativ 11 (2001)1, S. 77–127, S. 92. Vgl. ebd.; zum Kirchturm als Symbol der Heimat vgl. auch Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 64f. Vgl. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 82; zu Postkarten auch Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 66. Vgl. Petri, Deutsche Heimat, S. 101. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 85. Vgl. dazu Confino, The Nation as a Local Metaphor, S. 72. B.K., Unsere gemeinsame Mutter: Die Heimat, in: Die Oase 30, 18. Mai 1941, S. 1. Gedicht, »Sehnsucht«, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 12. Raimund Marny, Gedicht »Sehnsucht in der Wüste«, in: Die Oase 89, 10. September 1942, S. 9.
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idyllisches Landleben vor.139 Ländliche Regionen waren in den sonstigen Beiträgen der Oase ebenfalls der Ort der »Heimat«. Die Soldaten vermissten diese Landschaften ebenso wie ihre Angehörigen. Der Soldat Robert W. wünschte sich, Feiertage gemeinsam mit seiner Ehefrau zu verbringen, und sehnte sich danach, mit ihr in der Natur der »Heimat« zu sein. »Wie schön wäre es, wenn wir […] zusammen durch unseren herrlichen deutschen Wald wandern könnten«, schrieb er kurz vor Ostern 1942 und erinnerte an gemeinsame Wanderungen an vorangegangen Ostertagen. »Weißt Du noch damals – Ostern, Strausberg, Ihlandsee, ein großer Schwan usw.?«140 Willy P. freute sich über erhaltene Ansichtskarten, denn es machte ihm »Freude[,] so quasi im Geiste mit durch die herrlichen deutschen Landschaften zu wandern«.141 Um die Sehnsucht der Soldaten zu befriedigen, druckte die Feldzeitung regelmäßig Fotografien und Zeichnungen deutscher Landschaften ab. Die Soldaten konnten beim Aufschlagen der Zeitung einen deutschen Wald, eine sommerliche Wiese oder eine Dorfansicht erblicken.142 Solche Landschaftsaufnahmen hatten neben Familienfotos eine emotionale Bedeutung für die Soldaten, weshalb sie in ihren Unterkünften die Bilder von Frau und Kindern durch Abbildungen der »heimatlichen Natur« ergänzten. Sie hängten an die Decke über der Schlafstätte oder in eine Ecke, neben dem Bild der Frau, »rechts eine Landschaft mit Frühling, links eine mit Mond«.143 Das Schmücken der Bunker mit Fotos wurde teils sogar von den Heimatzeitungen eingefordert, weil die Soldaten damit ihren Kameraden die Schönheit ihrer Herkunftsregion zeigen sollten.144 Dieser Heimatregion stand der Kriegsraum nicht nur als Ort des Krieges und der Gewalt entgegen, sondern auch als Raum der »Fremde«. Die »Heimat« bildet stets einen Gegenbegriff zur Entfremdung,145 weshalb die Natur des als fremd empfundenen Raumes stets in Beziehung zu Bekannten, nämlich dem als »Heimat«146 imaginierten Raum und seiner Natur, gesetzt wurde. Wie die Menschen des Kriegsraumes als Spiegel der soldatischen Selbstbilder und Männlichkeitskonstruktionen fungierten, war die nordafrikanische Landschaft ein Spiegel landschaftlicher Heimatkonstruktionen. Daher waren Bilder beliebt, die natürliche Umgebungen präsentierten, die es so in Nordafrika nicht gab. Die Oase druckte gerne Frühlingslandschaften wie einen blühenden Baum vor schneebedeckten Bergen oder das »Frühlingsgrünen im deutschen Birkenwald« in
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Vgl. den Aufruf »Wo bleiben unsere Heimatdichter? Sie könnten in Poesie und Prosa das schönste Heimatbild vermitteln – wie mit einigen Beiträgen in dieser Ausgabe bewiesen ist. Also ran!« Vgl. o. V., In eigener Sache. Ein Wort an unsere Mitarbeiter, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 12. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 29. März 1942. MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 13. November 1941. Vgl. etwa o. F., Hoch ragt der deutsche Wald, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 9. Karl Springenschmid, Die Mädchen im Bunker. »Wer hat der hat« sagte der Leutnant, »und wer hat der zeigt«, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 5. Vgl. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 221. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 77. Allgemein zum Begriff der Heimat vgl. Jäger, Heimat.
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der anbrechenden Frühjahrszeit.147 Die Frühlingsbilder stellten einen Kontrast zu der staubigen und trockenen Umgebung der Soldaten in Nordafrika dar und ließen damit die deutsche Natur als Idylle erscheinen. Ebenso konterkarierten winterliche Landschaften die Erlebnisse der Soldaten und waren Sehnsuchtsorte. Deshalb druckte die Oase im Dezember 1942 das Foto einer im hohen Schnee stehenden, auf den Ästen dicke Schneeschichten tragenden Tanne, in deren Hintergrund hohe Berge zu sehen sind. Untertitelt war das Foto mit der Frage »Wer möchte nicht diese Tanne gegen eine Palme eintauschen?«.148 Die regelmäßigen Beiträge in der Feldzeitung konnten unter den Soldaten durch die Imagination einer gemeinsamen »Heimat« und die Erinnerung an eine gemeinsame Vergangenheit in eben dieser die Identität der Soldaten im Krieg stabilisieren, die sich aufgrund des unbekannten und »fremden« Kriegsraumes verloren fühlten.149 Doch die Bilder und Beiträge waren nicht nur zur Aufheiterung der Soldaten gedacht. Wie die Abbildungen von lachenden Kindern und lächelnden Frauen hatten auch die Landschaftsbilder eine politische Funktion: Sie sollten den Krieg als Schutz der »Heimat« rechtfertigen und damit die Kampfbereitschaft der Soldaten wecken und erhöhen.150 Dieses Ziel formulierte eine der Bildunterschriften. Unter dem Foto eines Schäfers mit seiner Herde, der in der Bildmitte auf einem Feldweg auf die Betrachtenden zuläuft, ist zu lesen: »Ein Bild aus der deutschen Heimat, für deren Schutz und Verteidigung, das wollen wir nie vergessen, auch wir deutschen Soldaten auf dem Wüstenboden Afrikas im Kampf stehen.«151 Neben Landschaftsbildern brachten Blumengrüße, die die Angehörigen einiger Soldaten mit der Feldpost nach Nordafrika schickten, die »heimatliche Natur« in den Kriegsraum. Reinhard B. bedankte sich bei seiner Familie für einen Brief, dem eine Erika beigelegt war, und Alfred F. erhielt von seiner Frau ebenfalls eine kleine getrocknete Blume.152 Über die Praktik des Verschenkens von Blumen teilten die Soldaten umgekehrt ihre Naturerlebnisse im nordafrikanischen Kriegsraum mit den Angehörigen zu Hause. Neben detaillierten Beschreibungen des Kriegsraumes legten sie ihren Briefen Zeichnungen oder Fotos bei und steckten oder klebten getrocknete Blumen, die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung gesammelt hatten, auf ihre Briefe.153 So schickte Gerd W. einige der Blumen, die nach einem Regenschauer erblüht waren, »als Weih-
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Vgl. o. F., Der Frühling zieht in Deutschland ein, in: Die Oase 11, 10. April 1941, S. 3; o. F., Frühlingsgrünen, in: Die Oase 30, 18. Mai 1941, S. 2. Auch blühende Tulpen als Frühlingsmotiv wurden gedruckt, vgl. o. F., Tulpen, Die Oase 4, 1. April 1941, S. 2. 148 Vgl. o. F., Schneebedeckte Tanne, in: Die Oase 100, 14. Dezember 1942, S. 4. 149 Vgl. zu »Heimat« als identitätsstiftendes Moment in der Fremde Eickelpasch und Rademacher, Identität, S. 65–69. 150 Aus diesem Grund waren bereits in den Feldzeitungen des Ersten Weltkrieges Landschaftsbilder abgedruckt worden, vgl. Nübel, Durchhalten und Überleben, S. 250. 151 Vgl. Foto eines Schäfers, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 12. 152 Vgl. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 22. Mai 1941; MSPT, 3.2002.0344.2, Brief von Ehefrau an Alfred F. an Ostern 1940. 153 Vgl. etwa DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 5; MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula an Pfingsten 1942.
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nachtsgedanken« an seine Familie,154 und Robert W. sandte seiner Frau einen blumigen »Frühlingsgruß aus Afrika«.155 Derartige kleine Gesten ermöglichten es den Soldaten zumindest symbolisch, sich an traditionelle Verhaltensnormen zu halten. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes schickte Hans O. seiner Frau getrocknete Blütensterne, die er in den tunesischen Bergen an einem der »mageren, harten u. struppigen Büsche«156 gefunden hatte. »So kann ich Dir also doch noch Blumen schicken zur Geburt unserer kleinen Tochter, auch wenn der Strauß sehr mager ist u. in einer Patronenschachtel verpackt. Er soll Dir ein Zeichen sein wie sehr ich mich freue u. glücklich darüber bin.«157 Dass die Praktik des Verschickens getrockneter Blumen gängig war, belegt die Oase, die eine Fotografie von einem Soldaten abdruckte, der gerade zu einem kleinen Strauß gepresste Blüten einem Brief an seine Mutter beilegt. Umringt ist er dabei von zahlreichen anderen Soldaten, die laut dem kurzen Artikel zu Nachahmern wurden.158 Das Verschicken von Blumen stellte für die Soldaten nicht nur eine Anknüpfung an soziale Praktiken aus dem zivilen Leben dar, wie etwa am Muttertag Blumen zu schenken. Die Blumen waren eine zusätzlich zu den Briefen greifbare, materielle Verbindung zwischen der Front und der »Heimat«, die den Angehörigen den Raum des Krieges näherbrachte. Die Blumen bezeugten den Aufenthalt in der »Fremde«, von der sich die meisten Angehörigen sonst nur aus Büchern und Filmen ein Bild machen konnten. Sie dienten als materielles Zeugnis des Einsatzes in Nordafrika. In anderen Fällen wurde zum Beleg des Aufenthaltes auf dem afrikanischen Kontinent ein unabsichtlich auf dem Blatt entstandener Fingerabdruck als Probe des Wüstensandes ausgewiesen159 oder in einem Briefumschlag gefundene Sandkörner als Beweismittel für die Kriegsführung in der Wüste gedeutet.160 Der nächtliche Sternenhimmel hingegen musste nicht erst per Post zu den Angehörigen geschickt werden, um zu einem Symbol der Verbundenheit zu werden. Er erstreckte sich vom nordafrikanischen Kriegsraum bis zur Familie nach Hause und war damit ein natürliches Band zwischen Front und »Heimat«. Die Sterne erschienen als »Brücke« über das Meer und wie »Grüße aus dem lieben Heimatland«.161 So notierte Hans P. in sein Tagebuch: »Hell leuchteten die Sterne und mir fiel auf, es waren dieselben, die wir daheim schon als Kinder bestaunt haben. Ja, sie sehen von ihrer Höhe herab zu uns und sehen genau so unsere Heimat.«162 Er empfand die Sterne als beruhigend, und »Bilder der Heimat« kamen ihm in den Sinn.163 Alexander von Neurath fühlte sich beim Blick in den Nachthimmel »geborgen unter einer grossen, blauen Glocke« und sandte, beschirmt 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163
BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 6. Dezember 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. Februar 1942. MSPT, 3.2002.959, Hans O. an seine Ehefrau am 5. April 1943. Ebd. Vgl. o. V., Blumen aus der Wüste für die Mutter, in: Die Oase 46, 12. September 1941, S. 12. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 5. Mai 1941. B.K., Soldaten, die unsere Post besorgen. Das Feldpostamt in der Wüste – Unermüdliche Arbeit verbindet die Front mit der Heimat, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 4. Ebd. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 6. März 1942, S. 6. Ebd.
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von dieser, zahlreiche Wünsche und Gedanken »in die andere Welt, aus der wir gekommen sind«.164 Das Anschauen der Sterne war, ähnlich einem Waldspaziergang, eine überlieferte Naturpraktik, die in der »Heimat« wie in Nordafrika ausgeübt werden konnte. Die routinisierte Handlung war hier nicht das langsame Gehen, sondern der Blick in den Himmel. Sie schauten die Himmelskörper nicht zum Zwecke einer bestimmten visuellen Erkenntnis an. Wie das Gehen im Wald der Sinn und Zweck eines Waldspazierganges ist, war der Blick in die Sterne selbst der Sinn dieser Praktik.165 Sie wurde durch das Wissen, dass es sich um dieselben Sterne wie unter einem Nachthimmel zu Hause handelte, emotional aufgeladen. Oft stellten sich die Soldaten vor, wie ihre Lieben zur selben Zeit in den Himmel und auf dieselben Sterne blickten. Wie das Hören desselben Radiosenders machte die vorgestellte Synchronität der Handlungen den emotionalen Wert aus. Daher beschrieb Robert W. seiner Frau, wie schön der Sternenhimmel im Kriegsraum sei, und forderte sie auf, sich »doch einmal bei völliger Dunkelheit heute abend den großen Bären« herauszusuchen. Er selbst »mache jeden Abend daßelbe zwischen 20 und 21:00 Uhr«.166 Damit das nächtliche Treffen am Sternenhimmel funktionierte, zeichnete Robert W. seiner Frau auf, wie das Sternbild aussah. In seinem nächsten Brief versicherte er ihr, er »werde wieder nach dem ›Gr. Bären‹ sehen«, so dass sie sich »begegnen« könnten.167 Manche der in Nordafrika eingesetzten Soldaten verfassten sogar Gedichte über die emotionale Verbindung zur »Heimat«, die die Sterne für sie herstellten, und schickten diese zur Veröffentlichung an die Oase. »Dieselbe Sonne und dieselben Sterne, Steh’n leuchtend über Dir und mir«,168 dichtete etwa der Obergefreite Erich Schachtner. Der Unteroffizier Gottfried Albert erinnerte in einem Gedicht: »Kamerad, diesselben [sic!] Sterne,/die hier ihre Kreise drehn,/sind es, die in ferner Heimat/über deinem Dache stehn.«169 Die »guten heimatlichen Sterne«170 verbanden ferner die Kriegsberichterstatter in der Feldzeitung mit dem Konzept der »Heimat« und luden sie auf diese Weise emotional auf. Ab 1943 erschien regelmäßig eine Rubrik namens »Heimat, deine Sterne …«, in der Fotografien von Frauen, Kindern und Städten sowie Heimatgeschichten veröffentlicht wurden.171 Zudem reflektierte Claus Dörner, dass der Nachthimmel den Soldaten Trost in der als fremd erlebten Landschaft spendete172 und die Sterne eine Abwechslung
164 IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Oasen«, S. 43. 165 Vgl. zum Waldspaziergang als routinisierte Praktik Reckwitz, Sinne und Praktiken, S. 449. 166 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 12. April 1942. 167 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 22. April 1942. 168 Erich Schachtner, Feldpostbrief, in: Die Oase 48, 28. September 1941, S. 10. 169 Gottfried Albert, Brücke der Sterne, in: Die Oase 95, 22. Oktober 1942, S. 11. 170 Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. 171 Vgl. etwa die Fotos von Mario Heil de Brentani, Aus der Brieftasche des Afrikasoldaten, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 6. 172 Claus Dörner, Der Wüste Spiegelbild. Nordafrikanische Notizen, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5.
8 »Heimat« in der »Fremde«
vom trostlosen Kriegsraum in Nordafrika boten.173 »Nur die Sterne stehen reglos, unnahbar am Firmament. Dieser Himmelsdom lässt die Monotonie der Sandwüste fast vergessen«,174 wurde eine Wüstennacht in der Feldzeitung beschrieben. Nicht nur den Zeitungsmachern war bekannt, dass die Soldaten den Sternen »[v]iele Gruesse und gute Wuensche […] fuer die Heimat anvertraut[en]«.175 Auch dem OKW war die Bedeutung des nächtlichen Himmels für die Soldaten bewusst, weshalb es eine Postkarte herausgab, die Soldaten unter einem nächtlichen Sternenhimmel in Nordafrika zeigte.176 Das Sterneanschauen und Verschicken getrockneter Blumen als verbindende Praktiken basierten auf bestimmten Gewohnheiten der Naturbetrachtung. Denn selbst im Kriegseinsatz, weit entfernt von zu Hause, folgten die Soldaten bei der Wahrnehmung der Umwelt tradierten Mustern und Konventionen des Sehens.177 Diese wirkten sich auf die Betrachtung des Nachthimmels aus und leiteten die Wahrnehmung und Deutung der sie umgebenden Umwelt. Wie die europäischen Maler*innen, die vor ihnen nach Nordafrika gereist waren und Natur mit europäischen Augen gesehen hatten,178 betrachteten die deutschen Soldaten den unbekannten Raum unter Verwendung inkorporierter Sehgewohnheiten. Daher wurde er von ihnen nicht nur im Landschaftsbild der trostlosen Wüste gefasst, sondern sie konstruierten in Analogie zu Landschaftsbildern der »Heimat« auch Landschaften, die mit positiven Gefühlen und Geborgenheit verbunden waren. Ähnlich zur Bildkultur des Kolonialismus, wo auf Bildern der Kolonien tradierte Motive »heimatlicher Landschaftsbilder«, wie etwa die Kirche, in Szene gesetzt wurden,179 suchten die deutschen Soldaten in der Umgebung nach Bekanntem, dass sie in Verbindung mit ihrer Heimatvorstellung setzen konnten. Es waren vor allem ländliche, frühlingshaft blühende Gegenden, die den Soldaten auffielen und von ihnen als eine mit angenehmen Gefühlen verbundene Landschaft gedeutet wurden. Alfred K. erinnerte sich an eine Fahrt durch die Gegend südwestlich von Tunis, die er aufgrund der »frühsommerliche[n] Blüte und beginnende[n] Fruchtbarkeit« sowie der grünen Weinfelder und saftigen Wiesen mit bunten Blumen ein »paradiesisches Land« nannte.180 Oskar H. bezeichnete die landwirtschaftlichen Regionen Tunesiens mit Palmenwäldern und blühenden Obstbäumen als »eine Wonne«, die ihn den Krieg fast vergessen ließ.181 Sogar die Wüste, die für die Soldaten eigentlich den Inbe173 174 175 176
Werner Lohmann, Kleine Libysche Sternkunde. Ein Brief, in: Die Oase 49, 5. Oktober 1941, S. 3. Heinrich Brüssler, Wuestennacht im Igel, in: Die Oase 60, 19. Februar 1942, S. 4. Werner Baecker, Tunesische Kaffeestunde, in: Die Oase 118, 4. April 1943, S. 4. Vgl. die vom OKW herausgegebene Feldpostkarte mit Zeichnung von H. v. Medvey, Nachlass Klaus K., MSPT, 2.2002.0817. 177 Vgl. dazu auch Nübel, Durchhalten und Überleben, S. 221–236. 178 Vgl. dazu das Beispiel von Paul Klee in: Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 11f. Auch die französischen Orientalisten hatten in ihren Bildern das Unbekannte und Ungewohnte aus den Landschaftsbildern ausgeklammert. Sie zeigten Nordafrika als Mittelmeer-Landschaften, die sich besser in den Erwartungsraum der Betrachtenden einfügten, indem alle »befremdenden Merkmale« weggelassen wurden, vgl. Bopp, Fern-Gesehen, S. 38. 179 Vgl. Jens Jäger, Colony as Heimat? The Formation of Colonial Identity in Germany around 1900, in: German History, 27 (2009) 4, S. 467–489, S. 467–478. 180 HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträge zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 6. 181 DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 23. Januar 1943, S. 35.
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griff der Bedrohung darstellte, konnte unter ästhetischen Gesichtspunkten als romantische Landschaft wahrgenommen werden. Vor allem von der unerwarteten Fruchtbarkeit waren viele Soldaten beeindruckt.182 Rommels Dolmetscher Armbruster notierte im Februar 1942 in seinem Tagebuch: »Die Wüste ist einfach phantastisch. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ein einziger Blütenteppich in allen Farben, hellrot, zitronengelb, dunkelrot, lila, grün, orange, violett, weiss, also alle Farben.«183 Die Soldaten fügten damit die natürliche Umwelt in ihre Sehgewohnheiten ein und schufen eine der »Heimat« ähnliche Landschaft, die ihnen im Krieg als Ort der Entspannung und Ruhe diente.184 Günther E. beschrieb in seinen Erinnerungen eine Oase mit den Worten, er habe nun »endlich Ruhe, Stille, Erholung in saftigem Wiesengrün, zwischen Hecken und Bäumen – inmitten einer fast mitteleuropäisch anmutenden Oase.«185 Indem sie den Blick auf Gewohntes lenkten, erschien ihnen der Kriegsraum weniger »fremd«,186 ja er konnte sogar als »heimatlich« gedeutet werden. Sobald die Umgebung etwas fruchtbarer wurde oder die Soldaten »einzelne und bescheidene Blümchen« fanden, fühlten sie sich »ein bisschen an die Heimat« erinnert, wie Fred S. seiner Familie erklärte.187 Rommels Dolmetscher Armbruster erinnerten die blühenden Mandelbäume der libyschen Cyrenaika »an die Heimat«.188 Die Zeitschrift Jambo verglich die im Frühling erblühende Wüste mit der von zu Hause bekannten Heidelandschaft.189 Neben Blumen berührten Wälder oder Bäume die Gefühle der Soldaten, weil sie diese in Nordafrika nicht erwartet hatten und sie Assoziationen an die im 19. Jahrhundert etablierte Sehnsuchtslandschaft des »deutschen Waldes«190 weckten. Erich K. notierte in seinem Taschenkalender, dass am 13. Januar 1942 ihr »neuer Rastraum in grünen Bäumen«191 lag. Helmut B. erinnerte sich noch in seinen Memoiren an ein »Wäldchen mit hohen Fichten«, dass er in den tunesischen Bergen vorgefunden habe. »Es war die einzige Stelle, die ich mit Wald bestanden, gefunden habe. [Daraufhin] ging ich ein wenig ›in den Wald‹, der mich geradezu heimatlich berührte.«192 Sicherlich bewirkten der Schatten zwischen den Bäumen und das Rauschen des Windes in den Blättern, dass sich die Soldaten an solchen Orten mehr zu Hause fühlten. Die Oase schilderte auditive Elemente des Kriegsraumes als Auslöser einer starken Affizierung. So wurde das Gackern der Hühner in einem Dorf als »so heimatlich und allen ver-
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Vgl. etwa MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. Januar 1942. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 12. Februar 1942, S. 21. Vgl. dazu Nübel, Durchhalten und Überleben, S. 221–236. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 153. Vgl. Jürgen Hasse, Was Räume mit uns machen – und wir mit ihnen. Kritische Phänomenologie des Raumes, Freiburg i. B. 2014, S. 335. BfZ, Sammlung Sterz, Fred S. an seine Familie am 7. Januar 1943. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. Februar 1942, S. 18. Helmuth Köhler, Belebte nordafrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 31. Vgl. dazu etwa Albrecht Lehmann, Der deutsche Wald, in: Étienne François und Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München 2001, S. 187–200. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 13. Januar 1942. IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, S. 150 (55).
8 »Heimat« in der »Fremde«
ständlich«193 beschrieben oder der Geruchssinn als Sensor »heimatlicher Gefühle« dargestellt: »Als wir den Duft der weissen Margueriten und roten Nelken, so wie sie in unseren Gärten blühen, einatmen, da berührt uns leise ein Stück Heimat.«194 Manche Elemente des Kriegsraumes wurden nicht nur allgemein als europäisch anmutend oder »heimatlich« empfunden, sondern mit konkreten Orten und Regionen verglichen. So hieß es in einem Artikel der Feldzeitung Oase über ein Gebirge in Tunesien: Waeren es statt der Dromedare im Hintergrund schwarz-weiss gescheckte Kuehe, die zur Weide gehen und waeren nicht die Agaven-und Kakteenhecken die rechtwinklig ueberall durch die Landschaft laufen, dann koennte man sich bei dem starken Latschenkiefergeruch direkt auf eine Alm zu den Allgaeuer Alpen versetzt fuehlen.195 Solche Vergleiche stellten die nach Hause schreibenden Soldaten an, die sich von der Umgebung je nach ihren früheren biographischen Erlebnissen an andere Regionen erinnert fühlten. Heinz G. fühlte sich an »Fahrten durch die Lüneburger Heide oder den Schwarzwald«196 erinnert oder glaubte sich im tunesischen Gebirge plötzlich in einer »Deutschen Landschaft«, in der er und seine Kameraden »mächtig aufgelebt« seien.197 »[S]tell dir vor wir sind in Tirol! Das begreifst du nicht, was?«, schrieb er seiner Frau. »Jawohl, landschaftlich gesehen sind wir in Tirol, obwohl geographisch gesehen immer noch in – Afrika.«198 Bei anderen weckte die Umgebung die Erinnerung an frühere Reisen. Der Journalist Max Walter Clauss schrieb über die Kattarasenke, einem Teil der sogenannten Libyschen Wüste in Ägypten: »Die Tafelberge hier sind die gleichen wie in der Sahara, die gleichen wie in Westtexas und überall, wo das Urgestein, von Wind, Sonne und periodischen Regengüssen blossgelegt, nackt in der Wüste zutage tritt.«199 Helmut T. fühlte sich an die »toskanische Campagna und die grüne umbrische Landschaft« erinnert,200 und Erich K. verglich die libysche Küste bei Bardia mit »norwegischen Fjorden«.201 Analogien mit bekannten Naturlandschaften hervorzuheben und den »fremden Raum« durch europäische Namensbezeichnungen zu etwas Vertrautem und Eigenem zu machen,202 war eine
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Fritz Eitel Kuhn, Lethe – der unterirdische Fluss. Besuch in der berühmten nordafrikanischen Grotte, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 3. Hanns Gert Esebeck, Ueber Benghasi in die Cyrenaica, in: Die Oase 10, 8. April 1941, S. 3. August Hartmanns, Das war das Panzersterben vom Dschebel S. Die verwegene Tat des Hauptmanns Freiherrn von Stotten im Februar 1943, in: Die Oase 122, 11. April 1943, S. 3. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 15. April 1943. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 10. April 1943. IfZ-Archiv, ED 402, Max Walter Clauss, Auszug aus Kriegsberichten, Vor der Kattarasenke, 8. September 1942, S. 105. DTA, 238.1, (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 88–89. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 28. Mai 1941. Axel Dunker, Ortsnamen. Namen überhaupt. Benennungspraktiken in Prozessen kolonialer Raumaneignung, in: Axel Dunker, Thomas Stolz und Ingo H. Warnke (Hg.), Benennungspraktiken in Prozessen kolonialer Raumaneignung, Berlin/Boston 2017, S. 1–16, S. 7.
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verbreitete Praktik unter Reisenden.203 Beispielsweise hatte Kolumbus auf seiner ersten Reise in die Karibik in seinem Tagebuch stets Vergleiche zwischen den Pflanzen und Tieren, die er sah, mit denen, die er aus Spanien kannte, angestellt.204 Auch Soldaten an anderen Fronten suchten im Kriegsraum nach dem Bekannten und verglichen die Umgebung mit der ihnen bekannten Natur.205 Den »fremden Raum« mit europäischen Bezeichnungen zu benennen, diente nicht allein der Herstellung von Vertrautheit. Es war ebenso eine symbolische Besitzaneignung des Raumes.206 Damit vollzogen die deutschen Soldaten in Nordafrika Praktiken, die bereits im Kolonialismus von Bedeutung waren, wo das Benennen und Beschreiben einen wesentlichen Anteil an der Raumaneignung hatte.207 So verglichen deutsche Kolonialreisende die Bucht von Apia auf der Insel Upolu, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Kolonialgebiet Deutsch-Samoa gehörte, mit dem Golf von Neapel208 oder bezeichneten den Kilimanjaro als »höchsten deutschen Berg«.209 Ein Gehölz bei Daressalam wurde im bekannten Koloniallexikon von Heinrich Schnee als »Sachsenwald« betitelt210 und damit deutsche Besitzansprüche ausgedrückt. Sprache war also – im Zuge des Kolonialismus und im Nationalsozialismus – ein wichtiges Werkzeug zur Ordnung, Hierarchisierung und Exklusion. Der Sprachgebrauch brachte die politischen und rassistischen Machtverhältnisse mit hervor und festigte sie.211 Erkennbar ist dies etwa an der Neu-oder Umbenennung von Ortschaften oder Straßen. Die italienische Kolonialmacht etwa hat die Macht der Sprache genutzt und den Städten und Ortschaften Libyens im Zuge der Eroberung italienische Namen gegeben, die den Besitzanspruch des italienischen Regimes auf das Land manifestierten. Diese Begriffe verwendeten die deutschen Soldaten und festigten damit die 203 Vgl. Gouaffo, Topographieren, malen, photographieren, S. 53. Siehe auch Tuan, Desert and Ice, S. 142. 204 Vgl. Arnold, The Problem of Nature, S. 143. 205 Der aus Schweinfurt stammende Erhart Kästner verfasste mehrere Bücher über Griechenland für die hier eingesetzten Wehrmachtssoldaten und verglich darin beispielsweise den griechischen Gebirgsstock Parnass mit Tirol, vgl. Bopp, Forced, S. 48. 206 Vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 157–159; Etzemüller, Landschaft, Tourismus und Nation, S. 295. Umgekehrt bezeichnete Edward Said es als Kultur des Widerstandes, wenn sich die Kolonisierten ihren Raum zurückeroberten und ihn dabei auch wieder mit einem neuen Namen versahen, vgl. Dunker u.a., Vorwort, in: dies., Benennungspraktiken in Prozessen kolonialer Raumaneignung, S. vii–xi, S. ix. 207 Vgl. Axel Dunker u.a., Vorwort, S. viii. 208 Vgl. Förderer, Koloniale Grüße aus Samoa, S. 59. 209 Vgl. zum Kilimandscharo: Christof Hamann und Alexander Honold, Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges, Berlin 2011. 210 Vgl. Kundrus, Moderne Imperialisten, S. 145. Als umgekehrte Benennung heimatlicher Orte mit Bezeichnungen aus den Kolonien kann die bereits zu Beginn des deutschen Kolonialerwerbs beginnende Praktik, Straßen nach kolonialen Orten zu benennen, verstanden werden, die die Kolonien im Kaiserreich und teilweise bis heute vergegenwärtigen; vgl. Verena Ebert, Kolonialtoponomastik im Raum der deutschen Metropole, in: Stefan Engelberg et al. (Hg.), Vergleichende Kolonialtoponomastik: Strukturen und Funktionen kolonialer Ortsbenennung, Berlin und Boston 2018, S. 95–123, S. 100. 211 Vgl. für die Sprache im Nationalsozialismus die Bibliographie von Heidrun Kämper, Sprachgebrauch im Nationalsozialismus, Heidelberg 2019.
8 »Heimat« in der »Fremde«
italienische Kolonialherrschaft.212 Als entgegengesetzte Benennung »heimatlicher« Orte mit Bezeichnungen aus den Kolonien kann die bereits zu Beginn des deutschen Kolonialerwerbs beginnende Praktik, Straßen nach kolonialen Orten zu benennen, gesehen werden, die die Kolonien im Kaiserreich (und teilweise bis heute) vergegenwärtigten.213 Die deutschen Soldaten in Nordafrika benutzten nicht nur das »Eigene«, um sich das »Fremde« anzueignen, und verwendeten italienische Ortsnamen oder bezeichneten den nordafrikanischen Raum als deutsche Landschaft. Sie übernahmen umgekehrt Wörter aus der Sprache der lokalen Bevölkerung, verwendeten Lehnwörter aus afrikanischen Sprachen oder benutzten Begriffe, die Spezifika des Kriegsraumes bezeichneten, um ihren Angehörigen Erlebnisse im Krieg zu schildern oder ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. So fanden Begriffe für Naturphänomene oder Besonderheiten des Kriegsraumes Eingang in ihren Sprachgebrauch. Die Kolonnen der Kriegsfahrzeuge wurden als »Karawanen«214 bezeichnet oder ein Fahrzeug als »moderne Wüstenschiff«.215 Als eine ebensolche Form der sprachlichen Aneignung können die Titel der Feldzeitung Die Oase und ihres Nachrichtenblattes Die Karawane gewertet werden, die zugleich den als exotisch geltenden Charakter des Kriegsraumes hervorhoben. Häufig ist in den Selbstzeugnissen die aus dem Arabischen stammende Bezeichnung »Wadi« oder »Uadi« ( )اﻟﻮاديzu finden, die ein Trockental beziehungsweise einen Flusslauf bezeichnet, der nur nach Regenfällen Wasser führt.216 Diesen Begriff hatte den Soldaten bereits das Taschenbuch für die Truppe Der Soldat in Libyen erklärt.217 Die Feldzeitung nutzte den Begriff in humoristischen Beiträgen. Darin erschien die karikaturistische Zeichnung eines zwischen zwei riesenhaft neben ihm aufragenden Frauenbeinen stehenden Soldaten. Der dazugehörige Bildtext, »[e]in Wadi schaut oft anders aus, als es sich denkt der kleine Klaus«,218 spielt mit der Lautähnlichkeit des Wortes mit dem umgangssprachlich-bajuwarischen Wort »Wadl«. Das Wortspiel vermittelte, dass die deutschen Soldaten Kenner des Kriegsraumes waren, die sehr wohl wussten, was ein »Wadi« ist. Ebenfalls zur Unterhaltung in Karikaturen nutzten die Autoren der Feldzeitung den Begriff »Fata Morgana«. Die Oase veröffentlichte etwa ein so betiteltes Gedicht und eine mit dem Phänomen der optischen Täuschung spielende Karikatur.219 Doch die Soldaten wurden über dieses Phänomen aufgeklärt. Die Feldzeitung erläuterte die etymologische
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So wurde etwa die Stadt Barke mit italienischem Namen »Barce« bezeichnet, vgl. Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 213 Vgl. Ebert, Kolonialtoponomastik, S. 100. 214 NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 23. Vgl. auch Hans Welker, Moderne Karawanen. Soldaten afrikanischer Strassen, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 8. 215 Vgl. o. F., Das moderne Wüstenschiff, das den Sand beherrscht!, in: Die Oase 11, 10. April 1941, S. 3. 216 Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 4. Februar 1942; BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 6. Dezember 1941; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 24. Februar 1943, S. 116; NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf. S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 8. 217 Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 9. 218 Vgl. P.K. Otto, Man lacht auch in Afrika, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 10. 219 Vgl. Felix Krämer, Fata Morgana, in: Die Oase 55, 22.11.1941, S. 7; Karikatur, »Heini« in Afrika – Fata Morgana, in: Die Oase 65, 26. März 1942, S. 4.
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Herkunft des Wortes aus dem bretonischen Sagenkreis des Königs Artus sowie die Entstehung einer Fata Morgana durch Ablenkung des Lichtes an unterschiedlich warmen Luftschichten.220 Ansonsten verwendete die Oase den Begriff symbolisch. So war in Bezug auf Meldungen der in London ansässigen Nachrichtenagentur Reuters über ein baldiges Ende der Achsenmächte in Nordafrika von einer »Fata Morgana« die Rede,221 und in einer späteren Ausgabe wurde der nahende Sieg der Alliierten als eine »Fata Morgana der USA«222 bezeichnet. Der Kriegsberichterstatter Max Walter Clauss setzte mit dem Begriff hingegen die vermeintliche Exotik des Kriegsschauplatzes in einen Kontrast zur Wirklichkeit. Dazu kombinierte er den Begriff mit dem, die Vorstellungen über den »Orient« symbolisierenden Titel »Tausendundeiner Nacht«, der auf die durch Antoine Gallands Übersetzung bekannt gewordene Geschichtensammlung zurückgeht. Er bezeichnete den »Wunsch, aus dem Dreck und Staub und den schwer erträglichen Entbehrungen von 18 Monaten Krieg im Sand lieber heute als morgen herauszukommen«, als eine »mit allen Farben aus Tausendundeiner Nacht ausgeschmückte soldatische Fata Morgana.«223 Ansonsten sprachen die Soldaten meist in Bezug auf unerfüllte Wünsche nach Urlaub oder bestimmten Speisen von einer »Fata Morgana«.224 Die Aneignung des Raumes über die Sprache weckte ebenso wie das Wiedererkennen der »Heimat« in der »Fremde« und der Vergleich mit Bekanntem positive Gefühle bei den Soldaten.225 Sie halfen damit, die Bedrohungen und das Leid des Kriegs und des Kriegsraumes auszuhalten. Ebenso wie der Vergleich von Kriegs-oder Gefechtssituationen mit vorher erlebten oder in das kulturelle Gedächtnis eingegangenen Schlachten und Schlachtenorten trug der Vergleich mit bekannten Landschaften dazu bei, dass sich die Soldaten in der Extremsituation des Krieges selbst verorten konnten. Zudem ermöglichten sie es, den Angehörigen das Aussehen der natürlichen Umgebung im Kriegsraum besser zu vermitteln. Wussten die Soldaten etwa die Namen von Pflanzen oder die richtigen Bezeichnungen der Gebiete nicht, nutzten sie Begriffe aus ihrem Wissensrepertoire und bezogen sich damit auf ein ihnen und den Angehörigen bekanntes Referenzsystem.226 Die Analogien, auf die sie dabei zurückgegriffen, bildeten zwar nicht unbedingt das ab, was die deutschen Soldaten in Nordafrika wirklich sahen. Sie wurden aber von den zu Hause Gebliebenen verstanden.227 Damit trugen die Vergleiche zu einer Stabilisierung der Verbindung mit der »Heimat« bei.
220 Art., Was ist eine Fata Morgana? Luftspiegelung und überreizte Sinne die Ursache, in: Die Oase 93, 8. Oktober 1942, S. 4. 221 B. K., General Rommels größter Sieg, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 1. 222 Vgl. Die Strasse des Sieges. Der Totengraeber des Empire – Fata Morgana der USA, in: Die Oase 60, 19. Februar 1942, S. 1. 223 IfZ-Archiv, ED 402–109, Max Walter Clauss, Auszug aus Kriegsberichten, In der Westlichen Wüste, 1. September 1942, S. 90. 224 Vgl. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 20. Februar 1942; BfZ, Sammlung Sterz, Fred S. an seine Familie am 7. Januar 1943; BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 5. Januar 1942. 225 Vgl. Hasse, Was Räume mit uns machen, S. 335. 226 Vgl. Gouaffo, Topographieren, malen, photographieren, S. 56. 227 Vgl. ebd.
8 »Heimat« in der »Fremde«
8.4 Die Kehrseite der Heimatpraktiken: Heimweh und Kriegsmüdigkeit Die ständigen Gedanken an die »Heimat« und die Mobilisierung der Heimatverbundenheit durch die Oase wirkten sich nicht nur positiv auf die Kriegsmoral der Soldaten aus. Der dem Heimatbegriff inhärente Gegensatz zur »Fremde« wurde den Soldaten durch die Betonung der heimatlichen Verbundenheit in der Oase schmerzhaft deutlich.228 Beim Anblick der deutschen Landschaften in der Feldzeitung oder der von den Angehörigen geschickten Fotografien spürten die Soldaten schmerzhaft, wie weit weg von zu Hause sie waren und wie sehr sich ihr Kriegsalltag vom zivilen Leben unterschied. Aus den Verbundenheits-und Verpflichtungsgefühlen, die die NS-Propaganda und die Feldzeitung Oase mobilisierten, indem »Heimat« zur Etablierung eines politischen und kämpferischen Geistes mit Vaterland gleichgesetzt war,229 wurde Heimweh. Das Objekt dieses emotionalen Schmerzes war nicht mehr eine abstrakte Vorstellung der deutschen »Volksgemeinschaft« oder des Vaterlandes, sondern die »Heimat, verstanden als Herkunftsort und gewohnte Umgebung«230 – also die eigene Familie und deren Wohnort. Die Sehnsucht nach dieser privaten Ebene von »Heimat« konnte die Kriegsmoral der Soldaten untergraben. Wie sehr es ihn schmerzte, so weit weg von der Familie zu Hause zu sein, berichtete Alfons S. seinen Eltern. Er habe beim Ansehen der »Fotografien von zu Hause [...] so richtige Heimatgedanken« bekommen und klagte: »O, Elternhaus, wie weit bist doch Du entfernt. Manchmal reißt mich die Sehnsucht direkt hin. Wie würde es schön sein, ein paar Menschen zu Hause. Aber nicht und nicht.«231 Reinhard B. bekam eine richtige »Stinklaune«, als er von seiner Familie Postkarten vom »Berggasthof Lilienstein« und dem »Häuschen Elbblick« erhielt. Denn darauf sei »wenigstens noch eine Landschaft« zu sehen gewesen. So belegten für ihn die Karten die Andersartigkeit und die Strapazen der natürlichen Umgebung im Kriegsraum. »Wenn man hier aus dem Zelt herausschaut, kann einen das grosse Kotzen ankommen: Jeden Tag derselbe vertrocknete Busch, die Steine und der rote Sand. Nicht einmal der Himmel bringt mit einigen Wolken etwas Abwechslung. Wolken gibt es zwar, aber nur Wolken von – Fliegen.«232 Das verbreitete Träumen »von gutem Essen, vom schattigen Wald und kühlem Bier, von einer Wasserleitung«233 verstärkte die Wahrnehmung der Fremdheit darüber hinaus. Wenn die Fruchtbarkeit einer Region die Soldaten überraschte, schwang damit zugleich oft der Vergleich mit der als viel fruchtbarer erinnerten »Heimat« mit, weckte Sehnsüchte und ließ den Kriegsraum als außergewöhnlich fremd erscheinen.234 Der nach Gewohntem suchende Blick auf den nordafrikanischen Kriegsraum brachte die Unterschiede zum Vorschein, da hier über die Landschaft eine Differenzierung zwischen dem »Eigenen« und dem »Fremden« stattfand. Da die Soldaten sich teilweise 228 229 230 231 232 233 234
Vgl. zu Heimweh: Petri, Deutsche Heimat, S. 83. Vgl. Bausinger, Heimat in einer offenen Gesellschaft, S. 85. Vgl. Petri, Deutsche Heimat, S. 83. BfZ, Sammlung Sterz, Alfons S. an seine Eltern am 2. Oktober 1942. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. August 1941. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 12. Juni 1941. Vgl. Fritz Eitel Kuhn, Lethe – der unterirdische Fluss. Besuch in der berühmten nordafrikanischen Grotte, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 3.
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über Monate und Jahre in Nordafrika befanden, führte die empfundene Fremdheit des Kriegsraumes zum Teil dazu, dass ihnen die »Heimat« so fern erschien, dass ihnen diese bereits fremd vorkam. Robert W. formulierte humorvoll in einem Brief: »Ich möchte schon gerne mit Dir so durch den Wald stromern, aber ich werde da wohl Angst bekommen, denn ich kenne doch Wälder überhaupt nicht mehr.«235 Der briefliche Kontakt mit den Angehörigen, der einerseits zu einem starken Gefühl der Verbundenheit führen konnte, verstärkte andererseits das Gefühl der Entfernung zwischen Front und »Heimat«, vor allem wenn die Zustellung der Briefe lange dauerte oder der Postverkehr unterbrochen war. Gerade im Nordafrikafeldzug war die Feldpost aufgrund der häufigen Stellungswechsel, der komplizierten Transportwege, der Unterbrechung des Luftverkehrs durch Sandstürme und wegen der zahlreichen britischen Angriffe auf die deutschen Transportflugzeuge oftmals unterbrochen.236 Zudem hatten die Soldaten bei anhaltenden Gefechten keine Möglichkeit zu schreiben. Immer wieder thematisierten sie daher in ihren Briefen nach Hause die Situation der Feldpost und die Umstände des Schreibens.237 War die postalische Verbindung zu den Angehörigen unterbrochen, fühlten sich die Soldaten in verstärkter Weise weit weg. Dies war in Nordafrika vor allem der Fall, weil die Briefe per Luftpost über das Mittelmeer transportiert werden musste. Das Meer symbolisierte für viele Soldaten die Trennung von der Familie. Diesen Umstand betonte Georg N., der sich im Januar 1942 schon seit mehreren Jahren als Soldat im Kriegseinsatz befand und darüber nachdachte, dass es nun schon das dritte Mal in Folge war, dass sie ihre Geburtstage getrennt erlebten. Die räumliche Trennung von seiner Frau empfand er bei seinem Einsatz emotional als »besonders wehmutsvoll, [...] weil so viel Land und das Meer« sie trennten, und fühlte sich deswegen »so einsam und verlassen«.238 Erich K. empfand ähnlich. In seinem Taschenkalender schrieb er über die »Sehnsucht nach der Heimat«, die ihn »übers Meer so weit« lenke.239 Die Feldpost konnte damit nicht zu einem verbindenden Element zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen werden. Sie verdeutlichte stattdessen die Entfernung zu den Angehörigen und verstärkte die Wahrnehmung der Soldaten, sich in einem weit entfernten und »fremden« Raum aufzuhalten. Sichtbar wird dies an den Grußformeln der Briefe, in denen die Soldaten die Entfernung oft verbalisierten. Franz K. verabschiedete sich in fast allen Briefen mit der Formulierung, dass er Grüße »aus dem fernen Afrika«240 schicke. Ähnliche Worte wählte Erich
235 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 26. April 1942. 236 Georg N. schrieb seiner Frau, dass ein Brief durchschnittlich zehn Tage brauchte, teils aber überhaupt keine private Post über das Mittelmeer transportiert werden konnte, vgl. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 15./19. Oktober 1941; Probleme der Postverbindung beschreiben etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Mai 1941; MSPT, 3.2002.959, Hans O. an seine Ehefrau am 17. April 1943; BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 23. November 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 5. Mai 1941. 237 Vgl. beispielhaft MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 12. Oktober 1941; BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 6. Juni 1941. 238 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 8. Januar 1942. 239 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, o. S. 240 Vgl. MSPT, 3.2012.5264, Franz K. an Ursula am 15. Januar 1942.
8 »Heimat« in der »Fremde«
K. und schrieb seinen Eltern, er grüße sie alle recht herzlich »aus weiter, weiter Ferne«241 . Am Anfang der Briefe betonten Anreden wie »An meine Lieben in der fernen Heimat!«242 die räumliche Entfernung. Die Imaginationen vom Kriegsraum als fremdem Raum, dessen homogenisierende Bezeichnung »Afrika« bereits vor Beginn des Kriegseinsatzes mit Vorstellungen von Fremdheit und Andersartigkeit aufgeladen war, ließen das Heimweh und die Sehnsucht der Soldaten groß werden. Robert W. schrieb: »Afrika ist ja so weit.«243 Obwohl es dem Bild des tapferen Soldaten und dem Bild nationalsozialistischer Männlichkeit widersprach, hatten viele der Soldaten Heimweh und litten unter den Kriegsbedingungen.244 Ganz besonders sehnten sich die Soldaten nach Hause, wenn sie aus den Briefen von Ereignissen wie Hochzeiten oder Geburten von Kindern erfuhren. Vor allem Männer, die kleine Kinder zu Hause hatten, litten zunehmend darunter, ihre Kinder nicht aufwachsen zu sehen, und befürchteten, nicht erkannt zu werden, wenn sie wieder nach Hause kämen.245 Ihre Gefühle entsprachen dann nicht mehr den Vorstellungen von soldatischer Männlichkeit. Statt Härte und Durchhaltevermögen waren die Soldaten traurig und fühlten sich einsam. Sie wurden vom tapferen »Afrika-Kämpfer« zum »treuen Heimweh-Mann«.246 Diese starken Gefühle von Weichheit konnten nicht mehr in das vorherrschende Bild soldatischer Männlichkeit integriert werden, da sie die geforderte Härte der Soldaten fundamental zum Wanken brachten. Hubert S. reflektierte diesen Widerspruch zu den geltenden Emotionsnormen in einem Brief an seine Frau: »Von meinem Heimweh u. meiner Sehnsucht nach Dir will ich lieber nicht sprechen, man darf hier nicht weich werden, sonst kippt man um, wenn es wieder los geht.«247 Das Heimweh galt daneben als Ursache für dem Raum zugeschriebene Krankheiten, denn bei einzelnen Männern wuchs die Sehnsucht so stark, dass sie regelrecht verrückt wurden. Einem Kameraden, der von der Geburt seines Kindes zu Hause erfahren hatte und nun befürchtete, dieses nicht mehr lebend zu sehen, attestierte Jus F., dass er einen Tropenkoller erlitten habe.248 Nahm die Sehnsucht nach der Familie und der »Heimat« solche Züge an, wirkten die Heimatverbundenheit und Identifikation mit der Familie als eine Form von soldatischer Männlichkeit nicht mehr stabilisierend. Die Gefühle der Soldaten waren nun im Gegenteil hinderlich für die Kriegsführung. Je länger ihr Einsatz dauerte, desto sehnlicher wünschten sich die meisten Soldaten, dass ihr Urlaub genehmigt würde und sie den nächsten Geburtstag oder Feiertag zu Hause verbringen könnten.249 Bei denjenigen, die das Glück hatten, auf Heimaturlaub fahren zu können, keimte
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LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 28. November 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 19. Oktober 1941. Vgl. Latzel, Kriegsbriefe und Kriegserfahrung, S. 15. Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Hans. E. an seine Ehefrau am 1. Juni 1941; MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 5. November 1942. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Frau am 22. Mai 1941. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 24. Dezember 1942. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 27. BfZ, Sammlung Sterz, Paul E. an Lina am 3. April 1943; BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau und seien Sohn am 28. September 1941; MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 27. Februar 1942.
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nach der Rückkehr auf den Kriegsschauplatz sofort die Hoffnung auf den nächsten Urlaub auf.250 Die starken psychischen Probleme, die der Kriegseinsatz auslöste, spiegelt die beständige Sehnsucht der Soldaten nach Bier. Das Trinken stellte damit eine heimatliche Praktik dar, die etwa durch Biersorten aus der eigenen Region zu einer Heimatpraktik wurden, und fungierte als Seelentröster. Der zahlreiche Genuss alkoholischer Getränke bei Feierlichkeiten war daher einerseits Ausdruck von Unbeschwertheit und Feierlaune,251 kann aber andererseits als weiterer Hinweis darauf verstanden werden, dass die Soldaten sich in Nordafrika als leidend empfanden und versuchten, die Situation durch den Genuss von Alkohol erträglicher zu gestalten. Offiziell waren die Soldaten angehalten, »mäßig im Alkoholgenuß« zu sein und »nie die Selbstbeherrschung«252 zu verlieren. In der Realität war der übermäßige Konsum von Alkoholika aber weit verbreitet und führte nicht nur zu Unfällen und Schlägereien, sondern auch zum Tod von Soldaten.253 Freilich war den Militärärzten sehr wohl bewusst, dass die »seelische Belastung infolge starker Kampferlebnisse an der Front oder kriegsbedingter dienstlicher und persönlicher Schwierigkeiten an der Front und in der Heimat« zu den Ursachen für den Alkoholmissbrauch zählte. Daneben wurde der »erhöhte Anreiz zum Alkohol durch den Einfluß von Kameraden oder vermehrtes Alkoholangebot« in den besetzten Gebieten als Grund angeführt.254 Die Oase griff die Heimatsehnsucht zum Teil auf. Im Dezember 1941 erschien ein Gedicht, in dem beschrieben wird, wie sich die Soldaten an die Weihnachtsfeiertage zu Hause erinnerten, und die Verbundenheit der Soldaten untereinander in diesen Tagen hervorgehoben wird.255 Damit versuchte die Feldzeitung, die Emotionen der Soldaten zu regulieren und in bestimmte Bahnen zu lenken, da Heimweh die Kampfmoral schwächte.256 Die Sehnsucht nach der Familie sollte in kameradschaftliche Gefühle umgeleitet werden und so den Zusammenhalt innerhalb der Männergemeinschaft des Militärs stärken. Doch die wachsende Sehnsucht nach der Familie führte dazu, dass viele Soldaten sich nicht mehr mit ihrer Aufgabe als Soldat identifizieren konnten und ein Ende ihres Einsatzes herbeisehnten. Insbesondere wenn zur allgemeinen Einsamkeit noch eine
250 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 28. Dezember 1942; MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 6./7. Februar 1943. 251 Feuchtfröhliche Abende werden zumindest in den Selbstzeugnissen immer wieder geschildert. Vgl. etwa LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 18. Februar 1942; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 18. April 1943. 252 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 5, 30, Hervorhebungen i. O. 253 Vgl. zum Alkoholmissbrauch in der Wehrmacht Peter Steinkamp, Zur Devianz-Problematik in der Wehrmacht: Alkohol-und Rauschmittelmissbrauch bei der Truppe, Diss. Universität Freiburg i. B. 2008, https://freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:5681/datastreams/FILE1/content [20.2.2021]. 254 Victor Müller-Heß und Gerhard Rommeney, Trunkenheitsdelikte, in: Bericht über die 2. Arbeitstagung Ost der beratenden Fachärzte vom 30. November bis 3. Dezember 1942 in der Militärärztlichen Akademie Berlin, o. O. 1943, S. 151–153, S. 151, BArch-MA, RHD 43/52, zit.n. Steinkamp, Devianz-Problematik in der Wehrmacht, S. 376–377. 255 Vgl. Gert Harley, Deutsche Weihnacht in Afrika, in: Die Oase 58, 20. Dezember 1941, S. 4. 256 Vgl. Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 56.
8 »Heimat« in der »Fremde«
schwierige Kriegslage oder Krankheiten hinzukamen, nahmen die Umstände den Soldaten die letzte Kriegsbegeisterung und Abenteuerlust.257 Aus Heimweh erwuchs Kriegsmüdigkeit und Regimekritik. »Ja so manches liebe Mal denkt man an die schöne Heimat, wie lange werden wir noch hier bleiben müssen?«,258 fragte etwa Willi B. Georg N. klagte: »Ich möchte so gern bei Euch sein. Wenn doch die leidige Kriegszeit nur bald zu Ende sein möchte!«259 Vor allem die zweite Schlacht bei El Alamein und der anschließende Rückzug durch Libyen belastete die Soldaten so sehr, dass sich einige nicht mehr in der Lage sahen, den Einsatz bis zu seinem Ende auszuhalten und dem Krieg zu entkommen versuchten. So hielten sich drei Angehörige der 21. Panzerdivision mehrere Monate in Kfz-Werkstätten im rückwärtigen Gebiet auf, ohne dass ihre Einheiten über ihren Verbleib Bescheid wussten.260 Im Bericht des Divisionsgerichts sind allein für das zweite Halbjahr 1942 Ermittlungen gegen elf Soldaten wegen Fahnenflucht und gegen sechs wegen des Verdachts des Überlaufens zum Feind angeführt. Manche Soldaten schreckten nicht davor zurück, sich selbst zu verletzen oder gar umzubringen. Im Bericht sind sieben Fälle von Selbstverstümmelung genannt.261 Davon musste ein Verfahren eingestellt werden, weil der Verdächtigte in der Kriegswehrmachthaftanstalt Selbstmord begangen hatte. Zudem sind in dem Bericht noch vier weitere Selbstmordverfahren genannt.262
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Vgl. etwa MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 25. September 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Willi B. an Annemi R. am 25. August 1941. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 9. November 1941. Vgl. BArch-MA, RH 27–21/14, Gericht der 21. Panzer-Division, Dienstaufsichtsführender Kriegsgerichtsrat, Tätigkeitsbericht für das 2. Halbjahr 1942 vom 1. Januar 1943, S. 6 (= fol. 107). 261 Vgl. ebd., S. 5f. (= fol. 106f.) 262 Vgl. ebd., S. 6 (= fol. 108).
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TEIL III: Aneignung des »Fremden«
9 Die Soldaten und die lokale Bevölkerung
Im nordafrikanischen Kriegsraum waren die deutschen Soldaten nicht nur ungewohnten Wetterverhältnissen ausgesetzt, litten unter mangelnder Hygiene und Verpflegung, kämpften im Sandsturm und sahen aus ihrer Sicht exotische Pflanzen und Tiere. Die Soldaten hatten zudem zahlreiche Kontakte zur lokalen Bevölkerung, die trotz ihrer Heterogenität meistens auf die arabisch-muslimischen Teile reduziert wurde. Dass die Soldaten rassistische Stereotype über die lokale Bevölkerung verinnerlicht hatten, ist bereits im Zusammenhang mit ihrer Umdeutung des Kriegsraumes in einen Raum der Männlichkeit deutlich geworden. Im Folgenden soll nun das Verhältnis der deutschen Soldaten zur nordafrikanischen Bevölkerung genauer untersucht werden und dabei nicht nur auf Fremdbilder, sondern vor allem auf die Praktiken der deutschen Soldaten im Umgang mit den im Kriegsraum lebenden Menschen eingegangen werden. Dazu ist zunächst ein kurzer Überblick über den historischen Hintergrund der Beziehungen nötig, ohne deren Kenntnis weder die Anweisungen an die Soldaten zum Umgang mit der lokalen Bevölkerung noch das tatsächliche Verhältnis zwischen der Zivilbevölkerung und den Soldaten zu verstehen sind.
9.1 Der Nordafrikafeldzug im Kontext deutsch- arabischer Verhältnisse Die meisten Soldaten hatten sich zunächst unter ihrem Kriegseinsatz in Nordafrika nicht nur eine Reise auf den »schwarzen Erdteil« vorgestellt, sondern auch den Kontakt mit Schwarzen Menschen. Diese galten in der nationalsozialistischen Ideologie ebenso wie Juden als »fremdblütig«, wurden durch rassistische Gesetzgebung in ihrer Freiheit stark eingeschränkt und waren von den Nürnberger Gesetzen betroffen. Sie wurden teilweise sterilisiert oder in Konzentrationslagern inhaftiert.1 In der deutschen Gesell1
Vgl. zur Geschichte Schwarzer Menschen im Nationalsozialismus Robbie Aitken und Eve Rosenhaft, Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884–1960, Cambridge 2013, S. 231–278; Tina Campt, Other Germans. Black Germans and the Politics of Race, Gender and Memory in the Third Reich, Ann Arbor 2003; Clarence Lusane, Hitler’s Black Victims. The Historical Experiences of Afro-Germans, European Blacks, Africans, and African Americans in the Nazi Era, New York/London 2002.
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schaft waren sie vor allem durch Völkerschauen oder in Filmproduktionen sichtbar, in denen sie rassistische Stereotype verkörperten.2 Zudem beeinflussten die seit dem Ersten Weltkrieg verbreiteten Bilder über Schwarze die Einstellungen und Wahrnehmungen der deutschen Soldaten im Kontext des Nordafrikafeldzuges. Einerseits hatte man die nicht-weißen Soldaten der Schutz-und Polizeitruppen in Deutsch-Ostafrika als vorbildhafte Soldaten bezeichnet und unter dem Schlagwort der »Askari-Treue« nach dem Krieg für die kolonialrevisionistische Propaganda benutzt. Andererseits waren die Schwarzen Soldaten von deutscher Seite als Schande empfunden und als blutrünstige Tiere degradiert worden.3 Der nordafrikanische Kriegsraum gehörte in der Vorstellung der deutschen Soldaten allerdings nicht nur zu »Afrika«, sondern ebenso zum »Orient«. Innerhalb dieser imagined geography verorteten die Soldaten den Kriegsraum und seine Bewohner*innen verstärkt, als sie vor Ort waren. Denn hier waren sie mit Personen in Kontakt, die sie unter der Bezeichnung »Araber« subsumierten und einheitlich als Muslime betrachteten.4 Im Gegensatz zu exotistischen Raumvorstellungen, in denen »Afrika« und der »Orient« oft verschmolzen, wurden die »Orientalen« traditionell von den »Afrikaner« unterschieden und als diesen überlegen angesehen.5 In der europäischen Vorstellung gehörte der Islam nicht zu Afrika, und Afrikaner*innen waren keine Muslim*innen. Deshalb unterschied man zwischen einem »reinen« arabischen Islam und einem in Subsahara-Afrika verbreiteten sogenannten »schwarzen Islam«.6 Die Tatsache, dass sich unter den Schwarzen Kolonialsoldaten auch Muslime befunden hatten, wurde im Nationalsozialismus in ähnlicher Weise durch die Unterscheidung zwischen einem »Kulturislam« und einem »N*islam« entproblematisiert.7 Der »Kulturislam« besaß eine angesehene Stellung in Deutschland. Bereits seit der Orientreise Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1898 und seiner Rede in Damaskus, wo er versicherte, dass das Deutsche Reich und der Kaiser zu allen Zeiten Freunde aller Mohammedaner*innen seien, war die deutsch-muslimische Freundschaft immer wieder betont worden. Ohne Möglichkeiten, eigene Besitzungen zu erwerben, konnte sich das Deutsche Reich nach außen als »ehrlicher« Freund der muslimischen Bevölkerung ohne eigene imperiale Interessen darstellen.8 Deswegen präsentierte sich das Deutsche Reich als
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Diesem Bild versuchten jedoch auch einige Schwarze Schauspieler*innen zu widersprechen, indem sie eigene Theateraufführungen planten, wie Bebe Mpessa alias Louis Brody, vgl. Robbie Aitken, Sunrise in Morgenland (1930), in: Black Central Europe, URL: https://blackcentraleurope.com /sources/1914-1945/sunrise-in-morningland-1930 [14.03.2022]. Vgl. Koller, Deutsche Wahrnehmungen feindlicher Kolonialtruppen im Ersten Weltkrieg, S. 48f.; vgl. auch Maß, Weiße Helden, Schwarze Krieger, S. 3. Vgl. Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 475f. Obwohl in Quellen aus dem Nationalsozialismus zum Teil die arabische Bevölkerung des Maghreb auch als »Schwarze« bezeichnet wurde; vgl. Wagenhofer, »Rassischer« Feind – politischer Freund, S. 17. Vgl. Rebekka Habermas, Debates on Islam in Imperial Germany, in: David Motadel (Hg.), Debates on Islam in Imperial Germany, Oxford u.a. 2014, S. 231–251, S. 237. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 20. Vgl. Necmettin Alkan, Die deutsche Weltpolitik und die Konkurrenz der Mächte um das osmanische Erbe.
9 Die Soldaten und die lokale Bevölkerung
Unterstützer antikolonialer Freiheitsbewegungen in muslimischen Ländern.9 Der Versuch, eine Allianz mit pan-islamischen Kräften zu bilden, wirkte sich ebenso positiv auf das herrschende Orientbild aus wie die sich gleichzeitig entwickelnde Orientbegeisterung in der deutschen Kultur-und Wissenschaftslandschaft.10 Im Ersten Weltkrieg war das Osmanische Reich Verbündeter des deutschen Kaiserreiches und rief die muslimischen Kolonialsoldaten der Kriegsgegner zum Heiligen Krieg gegen ihre Kolonialherren auf, während die 1914 gegründete »Nachrichtenstelle für den Orient«11 die deutsche Kriegspropaganda in den muslimischen Ländern koordinierte. Sie richtete Flugblätter mit pro-deutschen Inhalten an die muslimischen Kolonialsoldaten Frankreichs und Großbritanniens sowie an die Muslime in der russischen Armee. Ebenso sollten die in speziellen »Sonderlagern« in Zossen und Wünsdorf in Brandenburg internierten muslimischen Kriegsgefangenen zu einem Wechsel auf die Seite der Mittelmächte animiert werden.12 Die etwa 12.000 in Zossen inhaftierten Gefangenen waren mehrheitlich Tataren und Kaukasier aus der russischen Armee, die in Wünsdorf, im sogenannten »Halbmondlager« untergebrachten rund 4.000 Häftlinge stammten zumeist aus Nordafrika und Indien.13 Sie sollten durch gezielte Propaganda nach dem Krieg als »›Anhänger Deutschlands‹ in ihre Heimat zurückkehren«.14 Die positive Erinnerung an die »treuen Askari« und die verbündeten Muslime im Ersten Weltkrieg führten dazu, dass im Zweiten Weltkrieg erneut muslimische Soldaten für den Kampf auf Seiten der Achse rekrutiert werden sollten.15 Wie schon die Kriegsgefan-
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Die deutsch-osmanischen Beziehungen in der deutschen Presse 1890–1909, Münster 2003, S. 37; Mustafa Gencer, Imperialismus und die orientalische Frage – deutsch-türkische Beziehungen (1871–1908), Ankara 2005, S. 53–59; und Jan Stefan Richter, Die Orientreise Kaiser Wilhelms II. 1898. Eine Studie zur deutschen Außenpolitik an der Wende zum 20. Jahrhundert, Hamburg 1997, S. 86–92 und S. 132–154. Vgl. Gregor Schöllgen, Imperialismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage 1871–1914, München 1984, S. 16–31. Siehe zur Orientpolitik des Deutschen Reiches auch: Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, Stuttgart 1995; Friedrich Scherer, Adler und Halbmond. Bismarck und der Orient 1878–1890, Paderborn u.a. 2001; Abdulmajeed Al Haj Ali, Die Orientfrage in der deutschen Außenpolitik von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg, Berlin 2018. Vgl. Alexander Honold, Nach Bagdad und Jerusalem. Die Wege des Wilhelminischen Orientalismus, in: Alexander Honold und Oliver Simons (Hg.), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden, Basel 2002, S. 143–166. Vgl. dazu Samuel Krug, Die »Nachrichtenstelle für den Orient« im Kontext globaler Verflechtungen (1914–1921). Strukturen – Akteure – Diskurse, Bielefeld 2020. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 21. Vgl. zu den Lagern auch Margot Kahleyss, Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland im Ersten Weltkrieg – Ansichten und Absichten, in: Gerhard Höpp und Brigitte Reinwald (Hg.), Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945, Berlin 2000 (= Studien Zentrum Moderner Orient, Geisteswissenschaftliche Zentren Berlin e.V, Bd. 13), S. 79–118. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 45. Die Gefangenenzahlen stammen aus Margot Kahleyss, Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland, S. 80. Schwarze und Soldaten of Color aus den britischen Kolonien wurden in Ruhleben interniert, vgl. ebd., S. 44. Zitat aus der »Instruktion für die Propagandalager«, zit.n. Höpp, Muslime in der Mark, S. 70. Stefan Petke, Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS. Rekrutierung – Ausbildung – Einsatz, Berlin 2021, S. 83–85.
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genen der »Sonderlager« mit in Büchern, Illustrierten und als Postkarten verbreiteten Fotografien als Freunde der Deutschen bezeichnet worden waren,16 hieß es während des Zweiten Weltkrieges, die arabische Bevölkerung der Welt und insbesondere des nordafrikanischen Kriegsraumes sei Deutschland freundschaftlich verbunden. Zudem versuchten Deutschland und sein Achsenpartner Italien, muslimische Soldaten aus gegnerischen Armeen zum Desertieren zu bewegen. Dazu wurde erneut auf Flugblätter gesetzt, bei der Ansprache nordafrikanischer Soldaten zudem auf den Rundfunk. Die Zahl der Überläufer war in beiden Kriegen jedoch wohl ebenso marginal, wie generell die Reaktionen auf die Aufrufe der Radiopropaganda zu Aufständen und antibritischen Gewalttaten gering ausfielen.17 Die zuständigen Vertreter aus Wehrmacht, Waffen-SS, dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und dem Auswärtigen Amt glaubten, dass sich die »muslimischen Volksgruppen aus dem Maghreb, Nordafrika, dem östlichen Mittelmeerraum, Südosteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien nicht nur als überzeugte Gegner des Bolschewismus und britischen Imperialismus, sondern auch als geeignete Soldaten«18 erweisen würden. Um muslimische Soldaten zum Überlaufen zu bewegen oder für die Achse zu rekrutieren, wurde weniger die Religion der potenziellen Soldaten angesprochen als nationale Identitäten. In der Hoffnung, dass sich diese aus nationalistischen Gründen auf die Seite der Achse schlagen würden, inszenierte Deutschland sich weiterhin als Unterstützer muslimischer Nationalbewegungen. Weil das Deutsche Reich die im Vergleich geringsten imperialen Aktivitäten in der Region aufzuweisen hatte, konnte es als Gegner der anderen Kolonialmächte auftreten und sich als Befreier von der Unterdrückung anderer europäischer Mächte darstellen. Tatsächlich konnte das Deutsche Reich insgesamt einige Hunderttausend muslimische Soldaten für den Einsatz in Wehrmacht und Waffen-SS rekrutieren.19 Die Soldaten 16
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Zumindest die von Otto Stiehl, Angehöriger der Lagerkommandantur, vgl. Kahleyss, Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland, S. 84; Petra Bopp, »Rasse und Schönheit des Orients.« Lehnert & Landrocks Fotografien als Widerschein kolonialer Blicke in Postkarten und Bildbänden der zwanziger Jahre, in: Sven Halse (Hg.), Worte, Blicke, Träume: Beiträge zum deutschen Kolonialismus in Literatur, Fotografie und Ausbildung, Kopenhagen u.a. 2007, S. 93–164, S. 141–42. Vgl. Höpp, Frontenwechsel, S. 130f. Vgl. auch Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus. S. 485. Manche glauben in der Radiopropaganda sogar einen Beleg für die Theorie des »Islamofaschismus« zu erkennen, wie bspw. Matthias Küntzel, Die Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand, Leipzig 2019. Dabei missachtet er allerdings sowohl die zahlreichen NS-kritischen Stimmen in der arabischen Welt als auch die araberfeindliche Ausrichtung des NS, vgl. Philipp Henning, Rezension zu: Küntzel, Matthias: Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand. Leipzig 2019, in: H-Soz-Kult, 03.04.2020, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29145 [30.05.2021]. Stefan Petke, »Überzeugte Mohammedaner sind in jedem Falle entschiedene Gegner des Bolschewismus«. Die Rekrutierung, Aufstellung und der Einsatz muslimischer Einheiten der Wehrmacht und Waffen-SS, Diss. Technische Universität Berlin 2016, S. 32. Vgl. Höpp, Frontenwechsel, S. 135. Für diese Soldaten wurde auch die Truppenbetreuung organisiert, und muslimische Freiwillige sollten eine Ausbildung zu islamischen Feldgeistlichen erhalten. Dazu fanden Imam-Kurse der Wehrmacht und dann der Waffen-SS in Dresden statt, vgl. dazu Peter Heine, Die Imam-Kurse der deutschen Wehrmacht im Jahre 1944, in: Gerhard Höpp (Hg.), Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945, Berlin 1996, S. 229–238.
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stammten mehrheitlich aus muslimisch geprägten Teilen der Sowjetunion und vom Balkan20 und zum Teil aus dem arabischen Raum, für dessen Bewohner*innen das deutsche Versprechen, nationale Befreiungsbewegungen zu unterstützen, von Bedeutung war.21 Denn allein Saudi-Arabien und der Jemen waren unabhängig. Ägypten wie der Irak besaßen nur eine formale Unabhängigkeit. Alle anderen arabischen Länder standen unter einer direkten Kolonial-oder Mandatsherrschaft Großbritanniens, Frankreichs oder Italiens und befanden sich daher auf der Suche nach auswärtigen Verbündeten.22 Diesen Umstand wollten die Deutschen für ihre Zwecke ausnutzen.23 Seit Mitte der 1930er Jahre wurde die Zusammenarbeit mit arabischen Nationalisten verschiedener Länder gestärkt, bei denen für Deutschland die Kriegsziele entscheidend waren.24 Eines dieser Länder forderte daher konkrete Hilfe ein. Das Deutsche Reich sollte den Aufstand im Irak, der sich im April 1941 gegen die von London eingesetzte Regierung erhob, unterstützen. Nach dem Angriff der Briten wurde eilig das Sonderkommando Junck entsandt. Doch die Fliegerstaffel konnte gegen die britische Überlegenheit nichts ausrichten. In der Weisung Nr. 32 vom 11. Juni 1941 ordnete Hitler die »Ausnutzung der arabischen Freiheitsbewegung« an. Zur Planung aller weiteren Maßnahmen im arabischen Raum bestimmte er den Sonderstab F.25 Diese deutsche Militärmission für den arabischen Raum sollte unter seinem Kommandeur, dem General der Flieger Hellmuth Felmy, zu einiger Bedeutung gelangen. Er gründete eine kleine Ausbildungstruppe arabischer Soldaten, die unter dem Namen Deutsch-arabische Lehrabteilung (DAL) bekannt wurde. Die DAL unterstand der Abteilung Ausland/Abwehr des OKW und umfasste »Ende 1942 6000 Soldaten, davon 800 Araber, Studenten aus ostarabischen Ländern, Kriegs-
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Siehe beispielhaft für die Muslime in der SS Xavier Bougarel et al., Muslim SS Units in the Balkans and the Soviet Union, in: Jochen Böhler und Robert Gerwarth (Hg.), The Waffen-SS. A European History, Oxford 2017, S. 252–283; Stefan Petke, Militärische Vergemeinschaftungsversuche muslimischer Soldaten in der Waffen-SS. Die Beispiele der Division »Handschar« und des »Osttürkischen Waffenverbands der SS«, in: Jan Erik Schulte et al. (Hg.), Die Waffen-SS. Neue Forschungen, Paderborn 2014, S. 248–266; und Franziska Zaugg, Albanische Muslime in der Waffen-SS. Von »Großalbanien« zur Division »Skanderbeg«, Paderborn 2016. 1965 ist eine Arbeit von Heinz Tillmann erschienen, doch bewertete dieser »Haltungen und Handlungen von Arabern im Konflikt zwischen Anti-Hitler-Koalition und Achse aus der Sicht der ›Täter‹« und verwendete eine »Terminologe, die unmißverständlich Abscheu bekunden sollte: Hier handelte es sich um ›rechtsextreme‹ und ›profaschistische‹ Nationalisten, im günstigsten Falle um ›antibritische‹ und ›achsenfreundliche‹.« Gerhard Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg – Kollaboration oder Patriotismus?, in: Wolfgang Schwanitz (Hg.), Jenseits der Legenden: Araber, Juden, Deutsche, Berlin 1994, S. 86–92, S. 87. Fritz Steppat hat laut Höpp hingegen ein verständigeres Bild arabischer Nationalisten und ihrer Kooperation mit Hitler gezeichnet, etwa in seinem 1985 erschienenen Aufsatz »Das Jahr 1933 und seine Folgen für die arabischen Länder des Vorderen Orients«, vgl. Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 88. Dort weist er auch darauf hin, dass bei diesem Thema der Nahostkonflikt auch die erschienene Literatur beeinflusste und zu gegenseitigen Kollaborationsvorwürfen führte, vgl. ebd. Vgl. Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 89. Vgl. Petke, »Überzeugte Mohammedaner«, S. 33. Vgl. Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 91. Weisung Nr. 32, Vorbereitung für die Zeit nach Barbarossa, 11. Juni 1941, abgedruckt in: Hubatsch, Hitlers Weisungen, S. 143–153, S. 144.
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gefangene aus Nordafrika«.26 Als ortskundiger Spezialverband sollten die Soldaten der DAL die deutschen Truppen bei einem geplanten Vormarsch in den »Vorderen Orient« unterstützen.27 Die Rekrutierungen im arabischen Raum fanden erst zu den Endkämpfen in Nordafrika statt. Dabei profitierte man von der in der lokalen Bevölkerung verbreiteten antibritischen Haltung, die eine positive Haltung gegenüber NS-Deutschland begründete. Die arabischen Soldaten der DAL wurden allerdings erst im Frühjahr 1943 an der Tunisfront eingesetzt und die »Reste« noch vor der Kapitulation nach Deutschland ausgeflogen. Insgesamt waren zwei arabische Bataillone in Tunesien und je eines in Marokko und Algerien aufgestellt. Eingesetzt waren die Soldaten beispielsweise im Küstenschutz. Eine Beteiligung an Kriegsverbrechen ist nicht belegt.28 Zugleich kämpften zahlreiche arabische Soldaten auf Seiten der Alliierten gegen die Achse. Auf dem europäischen Kriegsschauplatz wurden Algerier, verschiedene marokkanische Kolonialtruppen, wie die bekannten Goum, sowie Tunesier, Sudanesen und Palästinenser eingesetzt. In Nordafrika kämpften ebenfalls marokkanische Goum, Angehörige der libyschen Legion und der transjordanischen Arabischen Legion, etwa bei El-Alamein.29 Anhand der militärischen Zusammenarbeit allein kann also keine einheitliche Haltung der Menschen des arabischen Raumes festgestellt werden. Ebenso ist die Frage nach dem Erfolg und der Perzeption der deutschen Propagandaanstrengungen im arabischen Raum nur schwer zu beantworten. Beide Kriegsparteien sahen die Sympathien jeweils auf ihrer Seite.30 Rommel inszenierte sich in seinen Memoiren daher als Vermittler in Konflikten mit der arabischen Bevölkerung.31 Als solcher war er bereits während des Krieges in der deutschen Presse dargestellt worden, die das Verhältnis zwischen der arabischen Bevölkerung des Kriegsraumes und den deutschen Soldaten unter Rommel als gut und die deutschen Truppen als Befreier von der britischen Kolonialmacht beschrieb. Auf einer Sonderseite des Amtsblattes seiner Geburtsstadt zu Ehren seines Geburtstages hieß es, dass die arabische Bevölkerung Nordafrikas den deutschen General verehrte. Sie hätten ihm in Anlehnung an den Scirocco, ein von der Sahara in Richtung Mittelmeer wehender Wind, der als »verderblich« und auf die Psyche wirkend bekannt war, den Namen »Schirokko-General« gegeben, denn Rommel habe wie ein Wüstenwind die Briten aus dem Kampfgebiet geblasen.32
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Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 92. Vgl. Petke, Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS, S. 110. Vgl. ebd., S. 265–269. Vgl. Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 92. Eine ausführliche Disskussion bei: Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 478–489. Vgl. Rommel, Krieg ohne Hass, S. 232. Vgl. Willy Hugo Hellpach, Geopsyche. Die Menschenseele unterm Einfluss von Wetter und Klima, Boden und Landschaft, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Leipzig 1935, S. 25f., 80; Michael Desaga, Kleine Naturlehre für die Elementarklassen der Stadt-und Landschulen, Kleine Naturlehre und Naturgeschichte, 1. Bändchen, fünfte, unveränderte Ausgabe, Heidelberg 1837, S. 49; HStAStu, M660/200 Bü 6, Militärischer Nachlass Erwin Rommel, Sonderseite zu Erwin Rommels 50. Geburtstag, Brenzbote. Alleiniges Amtsblatt für den Kreis Heidenheim, 15. November 1941.
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Die Redakteure der Oase verbreiteten ebenfalls die Ansicht, dass die arabische Bevölkerung Nordafrikas sich über den Einmarsch der deutschen Soldaten freue. Zwar wies Ernst Bayer in der kolonialen Monatsschrift Jambo auf vereinzelte Fälle der arabischen Zusammenarbeit mit den Engländern hin, behauptete aber, die deutschen Soldaten seien »Gegenstand lebhafter Bewunderung« der lokalen Bevölkerung in den Küstengebieten wie der libyschen Wüste. Sie hätten »bei den Arabern« den Ruf der »Zusammenfassung alles Tapferen, Guten, Gerechten und Ehrlichen«. Selbst »die Araber in noch so einsamen Gegenden« seien sehr gut »über den Führer, Deutschland und die großen Leistungen und Waffentaten unterrichtet«.33 Hier sprach Bayer die nationalsozialistische Propagandaoffensive an, konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass die tiefen Kenntnisse der arabischen Bevölkerung über die Deutschen allein aus dem Radio stammten.34 In der Oase selbst schilderte Bayer in der zweiten Ausgabe, dass sich bei der Ankunft der ersten deutschen Soldaten in Nordafrika »an den Strassenrändern und auf den Bürgersteigen [...] die Schaulustigen« drängten. »›Die Deutschen kommen‹ – dieser Ruf zündet und löst Begeisterung aus. Italienische Offiziere und Mannschaften, Zivilisten und Eingeborene, weisse und dunkelhäutige Menschen, die Jugend und das Alter, alles ist vertreten.«35 In der folgenden Ausgabe der Zeitung verkündete Bayer, »[ü]berall dort, wo deutsche Soldaten erscheinen, winken ihnen die Eingeborenen zu und die Italiener grüssen lebhaft«.36 Über die Ankunft der deutschen Truppen in Libyen berichtete der Kriegsberichterstatter Hanns Gert Esebeck. In Bengasi hätte die lokale Bevölkerung die deutschen Soldaten jubelnd empfangen und als Befreier von der britischen Gewalt gefeiert.37 Zwar stand Bengasi zu Beginn des Krieges unter italienischer Kolonialherrschaft, doch Esebeck bezog sich in seinem Artikel auf die Zeit nach der britischen Eroberung im Februar 1941 im Zuge des Vormarschs in der Cyrenaika. Die vermeintliche Deutschfreundlichkeit der arabischen Bevölkerung verband die pro-arabische Rundfunkpropaganda und die deutsche Presse stets mit Kritik am Verhalten der Briten in den muslimischen Ländern.38 Das Bild der Deutschen als Freunde und Befreier der arabischen Welt diente dabei jedoch mehr der Schädigung des britischen Kriegsgegners, als dass eine tatsächliche Freundschaft aufrechterhalten werden sollte.39 Dennoch erklärte die Oase die Befreiung der arabischen Länder von der britischen Herrschaft zu einem über »den rein militärischen Auftrag« der Unterstützung des italienischen Achsenpartners hinausgehendes Ziel des Nordafrikafeldzuges. »Mit unserem Sieg wird Afrika aufhören, ein englisches ›Handelsunternehmen‹ zu sein«40 , schrieb Willi Körbel und verwies auf die »umfassende Resonanz in der arabischen Welt« auf den
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Vgl. Ernst Bayer, Ein Deutscher kommt. Das Zauberwort für den Araber, Jambo 9 C (1942), S. 139–140, S. 139. Vgl. ebd. Ernst Bayer, Parade unterm Tropenhelm, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 5. Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Vgl. Hanns Gert von Esebeck, Über Benghasi in die Cyrenaica, in: Die Oase 10, 8. April 1941, S. 3. Vgl. Wagenhofer, »Rassischer« Feind – politischer Freund, S. 100f.; Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 463–467. Vgl. Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 452. Willi Körbel, Deutschlands neue Front, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1.
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deutschen »Kampf auf afrikanischer Erde«.41 Die Feldzeitung folgte damit der allgemeinen Propaganda, die – als eine Einigung mit den Briten aussichtslos erschien – ihre Angriffe auf Großbritannien stets mit kolonialen Themen verband und die prodeutsche Haltung in der arabischen Welt unter Bezugnahme auf den gemeinsamen englischen Feind beschwor. Die »Bösartigkeiten«, die »die Araber« erfahren hätten, wie die Niederschlagung des Aufstandes im Irak und die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, habe Großbritannien zum »grosse[n] Feind, gegen den alle Araber den tiefsten Hass hegten«, gemacht, hieß es in einer Meldung der 23. Ausgabe der Zeitung im Mai 1941.42 Nicht unerwähnt in der Oase blieb deshalb der mit dem NS-Regime zusammenarbeitende Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, der als Führer der Palästinenser den antijüdischen und antibritischen Aufstand von 1936 bis 1939 angeführt hatte und zuvor an antisemitischen Pogromen beteiligt gewesen war.43 Die Zeitung druckte zunächst einen Artikel ab, in dem der Großmufti von Jerusalem als »politische[s] Kraftzentrum« des arabischen Widerstandes gegen die Engländer bezeichnet wurde.44 Nachdem sich der Mufti ab Oktober 1941 in Deutschland aufhielt, wurde ein erneuter Beitrag über einen Besuch bei ihm in Berlin abgedruckt und lobend über seinen politischen Einfluss berichtet.45 Dass der Mufti entgegen seinem Wunsch der NS-Führung kein entscheidendes Zugeständnis für die Unterstützung der arabischen Unabhängigkeitsbewegung entlocken konnte, blieb allerdings unerwähnt. Dafür wurde seine Rolle innerhalb der »arabischen Jugend« betont, dessen führender Vertreter beim Zusammentreffen von 14 faschistischen bzw. autoritären Jugendverbänden Europas unter deutsch-italienischer Führung vom 14. bis zum 18. September 1942 in Wien erklärt habe, »dass das junge Arabien geschlossen für das neue Europa und die Achsenmächte sei«. Sie würden nur auf den Befehl Amin al-Husseinis warten, um Seite an Seite gegen die Unterdrücker der freien Völker zu kämpfen.46 In den Beiträgen der Feldzeitung nahm Ägypten stets eine besondere Stellung ein. Das Land wurde nicht nur als »echter Orient«, sondern auch als besonderer Partner dargestellt. Ägypten sei ein »Widerstandsherd gegen den Bolschewismus«47 und die gemeinsame Feindschaft mit den Briten hätte dazu geführt, dass Tausende Menschen in Kairo bei einer Volkskundgebung Rommel als Befreier feierten.48 Diese Hervorhebung
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Ebd. Meldung, Englands drohender Verlust. Die Mittelmeer-Tankstelle in Gefahr, in: Die Oase 23, 9. Mai 1941, S. 1. Vgl. Rainer Zimmer-Winkel (Hg.), Eine umstrittene Figur: Hadj Amin al-Husseini, Mufti von Jerusalem, Trier 1999; Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis, Darmstadt 2007 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 11). Vgl. o. V., Der Mufti, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 4. Vgl. o. V., Die Hoffnung von Millionen. Ein Besuch beim Mufti von Jerusalem, in: Die Oase 86, 20. August 1942, S. 12. Meldung, Arabische Jugend auf der Seite der Achse, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 2. Vgl. Körholz, Gebundenheit im Lande des Nil. Eine wehrgeographische Betrachtung, in: Die Oase 82, 23. Juli 1942, S. 1. Vgl. o. V., Hochrufe auf Rommel in Kairo, in: Die Oase 65, 26. März 1942, S. 1.
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Ägyptens in der Feldzeitung entspricht der generellen Fokussierung nationalsozialistischer Propaganda auf das erst seit kurzem formell unabhängige Königreich. Die antikoloniale, englandfeindliche Stimmung in Ägypten versuchten die Deutschen durch antijüdische Propaganda über libysche Juden, die als britische Spione arbeiten würden, noch anzuheizen.49 Mit dem Vormarsch nach Ägypten wurde eine Propagandaoffensive gestartet, und auf »Ägypten, aber auch auf Palästina, den Libanon und Syrien gingen neben deutschen und italienischen Bomben ungezählte Tonnen an Flugblättern, Propagandapostkarten und Aufrufen nieder«.50 Teilweise stieß der Nationalsozialismus hier auf Befürwortende, wie die 1933 gegründete Bewegung »Junges Ägypten« (Misr el-Fatah), die eine starke ideologische Übereinstimmung mit Faschismus und Nationalsozialismus zeigte.51 Daher nahm man an, dass die Ägypter*innen im Allgemeinen positiv gegenüber den deutschen Soldaten gestimmt seien, weshalb kein Widerstand gegenüber dem deutschen Einmarsch in Ägypten erwartet wurde.52 In den ägyptischen Zeitungen, die zunehmend ein Sprachrohr des öffentlichen Diskurses waren, sympathisierte man mit dem Nationalsozialismus jedoch nicht nur. Teilweise war die Haltung distanziert.53 Denn entgegen anders lautender Behauptungen bildete der Antisemitismus nicht von vornherein eine gemeinsame Basis. Der Großteil der muslimischen Bevölkerung im Gebiet Nordafrikas lehnte nicht nur die italienische Kolonialherrschaft, sondern auch eine deutsche Kontrolle ab, so dass die an die muslimische Welt gerichtete Propaganda größtenteils erfolglos blieb.54 Dies lag daran, dass die nationalsozialistische Ideologie mit ihrem Antisemitismus sich im eigentlichen Wortsinn auch gegen Semiten, also arabische Menschen, richtete.55 Dies war den deutschen Stellen durchaus bewusst und der Begriff »antisemitisch« für einige Zeit aus der NS-Propaganda gestrichen, um die deutsch-arabische Zusammenarbeit nicht zu gefährden.56 Innenpolitisch wurden Araber*innen im Nationalsozialismus ebenfalls diffamiert, obgleich die in Deutschland lebenden arabischen Menschen nicht von den gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Rassengesetzen betroffen waren.57 Das deutsche Denken
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Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 123. Ebd., S. 128; vgl. auch Proske, Zwei Rollen, S. 24. Vgl. James P. Jankowski, Egypt’s Young Rebels: »Young Egypt«, 1933–1952, Stanford 1975, S. 9–13, und Bernard Lewis, Semites and Anti-Semites, An Inquiry into Conflict and Prejudice, London/New York 1986, S. 148f. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 126. Vgl. dazu Edmond Cao-Van-Hoa, Zionismus und Nationalsozialismus. Vergleiche bei arabischen Autoren. »Der Feind meines Feindes ...«. Darstellungen des nationalsozialistischen Deutschlands in ägyptischen Schriften, Frankfurt a.M. 1990; sowie Israel Gershoni und Götz Nordbruch, Sympathie und Schrecken. Begegnungen mit dem Nationalsozialismus in Ägypten 1922–1937, Berlin 2011. Vgl. Jens Hoppe, The Persecution of Jews in Libya Between 1938 and 1945. An Italian Affair?, in: Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein (Hg.), The Holocaust and North Africa, Stanford 2019, S. 50–75, S. 59, 73. Vgl. Höpp, Araber im Zweiten Weltkrieg, S. 90. Vgl. Evans, The Third Reich at War 1939–1945, S. 151. Vgl. Wagenhofer, »Rassischer« Feind – politischer Freund, S. 34.
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über arabische Menschen und Handeln im direkten Kontakt unterschied sich am Ende sehr von der außenpolitischen, pro-arabischen Propaganda.58 In der Feldzeitung Oase war von eventuellen Schwierigkeiten der arabischen Bevölkerung mit der deutschen Rassenideologie allerdings keine Rede. Sie hob das positive deutsch-arabische Verhältnis durch Meldungen über den »britische Terror«59 und die »[e]nglische Brutalität«60 gegen Ägypten hervor. Es wurde über die Verminung des an die Verbindungsstraße von Alexandria nach Kairo angrenzenden Gebietes durch die Briten und das »schroff[e]« Vorgehen gegen achsenfreundliche Ägypter und die Verhaftung »Tausende[r]« aus »militärischen Sicherheitsgründen« informiert,61 die Versorgungsengpässe in Ägypten auf die Briten zurückgeführt62 und die Aufstellung der Jüdischen Brigade bzw. des Palästina-Regiments als Dolchstoß gegen »die Araber« bezeichnet63 sowie eine Vernichtung des Landes durch die Briten befürchtet.64 Ausführlich berichtete die Oase über die am 3. Juli 1942 unterzeichnete deutsch-italienische Erklärung zur Unabhängigkeit Ägyptens.65 Darin sei festgelegt worden, »dass weder Italien noch Deutschland daran denkt, Aegypten seiner Freiheit zu berauben, im Gegenteil, durch das Ausschalten Englands [...] Aegypten erst seine Freiheit wieder zurück«66 erhalten würde. Zur Unterstreichung der ägyptischen Einstellung druckte die 92. Ausgabe der Feldzeitung den Artikel »Wir Aeygpter und England« eines angeblich aus Ägypten stammenden Autors, dessen Name jedoch nicht genannt wurde. Vermutlich stammte der Beitrag aus deutscher Feder. Darin hieß es weiter, Ägypten müsse »auf der Seite der Achse stehen«, damit der gegenwärtige Krieg für die Zukunft des Landes entscheidend sei. »Deshalb sind wir Aegypter und Araber entschlossen, für unsere Freiheit, unser Recht und Leben zu kämpfen, und wir können unser Kampfziel nur erreichen, wenn wir gegen die englische Demokratie kämpfen, nicht aber, wenn wir uns mit ihr verbünden.«67 Ein halbes Jahr später, im März 1943, wurde in der Karawane noch einmal beschworen, dass die Ägypter zu 90 Prozent auf der Seite der Achsenmächte stehen würden und sich einen deutsch-italienischen Sieg wünschten.68
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Vgl. ebd., S. 11. Vgl. o. V., Vom Irak nach Aegypten. Britischer Terror gegen den Freiheitsdrang der Araber, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 1. Vgl. o. V., Englische Brutalität in Ägypten. Die gleichen Methoden durch mehr als fünfzig Jahre, in: Die Oase 93, 8. Oktober 1942, S. 1. Vgl. Meldung, Wüstenstrasse Alexandrien-Kairo vermint, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2; Meldung, Tausende von Aegyptern verhaftet, in: Die Oase 86, 20. August 1942, S. 1. Vgl. Meldung, Aegyptens Versorgungslage, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. Vgl. o. V., Dolchstoss gegen Araber. Judenbataillone in Palästina – ein raffinierter Verzweiflungsschritt der Briten, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 1. Vgl. o. V., Aegypten soll zerstört werden. General Stone droht mit der Vernichtung des Landes, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 1. Vgl. Andreas Hillgruber, Der Zweite Weltkrieg 1939–1945. Kriegsziele und Strategie der grossen Mächte, Stuttgart 1982, S. 94. Vgl. o. V., Deutsch-italienische Erklärung. Um die Freiheit Aegyptens, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 1. Vgl. o. V., Wir Aegypter und England. Ein Wort an Nahas Pascha. Von einem Aegypter, in: Die Oase 92, 1. Oktober 1942, S. 1. Vgl. o. V., Aegypter fuer die Achsenmaechte, in: Die Karawane 115, 29. März 1943, S. 2.
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Nach der Landung amerikanischer Truppen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz im Zuge der »Operation Torch« verkündete die Oase die anti-amerikanische Einstellung der arabischen Bevölkerung in den nun umkämpften Gebieten. Im Januar 1943 berichtete sie, amerikanische Truppen würden von der lokalen Bevölkerung bekämpft, weshalb der Oberkommandierende der westalliierten Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower, befohlen habe, dass alle Waffen der Bevölkerung abgeliefert werden müssten. Weil aber »[f]ür den Araber, den Marokkaner und Berber [...] die Waffe schlechthin das Zeichen des freien Mannes« sei, würden die Amerikaner damit einen Brand schüren, »den zu löschen vielleicht über die Kraft dieser ›Weltbefreier‹ geht.«69 In den Wochen danach berichtete die Zeitung, dass nach dem Abschuss amerikanischer Jagdflugzeuge über Tunis »das Freudengeheul der Araber [...] nicht verstummen« wollte.70 Um diese Meldungen zu bestätigen, wurde über Gewalttaten amerikanischer Truppen seit der Landung informiert und die Karawane meldete, dass ein rigoroses Vorgehen gegen die französische Bevölkerung in Tanger geplant sei. Dies bestätigte ein Bericht über die Erschießung von »16 Muselmanen« in Casablanca, die Frankreich ihre Treue bekundet hätten, sowie über weitere Hinrichtungen im marokkanischen Meknès.71 Die Artikel der Feldzeitung Oase spiegeln insgesamt wider, dass das deutsch-arabische Verhältnis vor dem Hintergrund der kolonialen und imperialen Durchdringung und gewaltsamen Unterwerfung der Region durch die europäischen Mächte und deren Konkurrenz zueinander zu bewerten ist. Neben der ständigen Einbeziehung innereuropäischer Rivalitäten und der Herausarbeitung der vermeintlich achsenfreundlichen Einstellung der arabischen Bevölkerung versuchte die Oase jedoch das Verhalten der deutschen Soldaten konkret zu beeinflussen. Dazu betonten zahlreiche Artikel die Besonderheiten Ägyptens und seine Rolle als Wiege der europäischen Kultur. So hieß es in einem Artikel: »Aegypten ist das Land der Mathematik, Ptolemäus lebte im Dreieck aller Dreicke, im ›Delta‹, und Eratosthenes mass im Brunnen unter dem Wendekreis, als kühnster Dichter der Mathematik den Umfang der Erdkugel ...«72 Zudem wurde der Islam als eine dem Christentum verwandte Religion vorgestellt, deren »Grundlagen [...] dieselben sind wie die europäische Zivilisation des Mittelalters«. Weder sei Mohammed »der Antichrist«, noch sei der Islam eine »kulturzerstörende Macht«. Vielmehr hätten sich »die Araber« aus der Not heraus andere Länder angeeignet und dabei – im Gegensatz zu Rom – den von ihnen im Mittelalter unterworfenen Völkern nicht ihre Religion aufgezwungen.73 Damit sollte ein der behaupteten deutsch-arabischen Freundschaft entsprechendes Verhalten 69 70 71 72 73
Vgl. o. V., Der Orient-Knigge half nicht. Amerikaner sollen sich ›guten Abschied‹ sichern, in: Die Oase 101, 4. Januar 1943, S. 2. Vgl. H. Wachsmuth, Handschlag nach dem Sieg. Begegnung nach einem erbitterten Luftkampf ueber Tunis, in: Die Oase 105, 27. Februar 1943, S. 2. Meldung, USA in Nordafrika. Bis zum letzten Franzosen ..., in: Die Karawane 112, 14. März 1943, S. 1. Josef Ponten, Entzauberte Landschaft. Aegypten im Brennglas des Analytikers, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 3. Vgl. Major Purper, Die Mohammedaner und ihre Lehren. 200 Millionen Menschen bekennen sich heute zum Islam, in: Die Oase 38, 6. Juli 1941, S. 7, alle Zitate ebd.; Major Purper hat neben diesem
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der deutschen Soldaten gefördert werden. Dazu gab die Oase praktische Hilfestellung und vermittelte ihren Lesern ägyptisches Arabisch. Zwei kleine Beiträge informierten über wichtige Vokabeln und die korrekte Aussprache.74 Für militärische Stellen waren zudem ein Tuareg-Lesebuch, ein Soldaten-Wörterbuch Deutsch-Berberisch und ein SoldatenWörterbuch Deutsch-Tuareg für den »Feldgebrauch« herausgegeben worden.75 Wie wichtig ein gutes Verhältnis den deutschen Behörden war, zeigen zudem andere Publikationen. So behauptete die Monatsschrift Jambo, dass deutsche Soldaten den arabischen Bevölkerungsteilen stets freundlich gesinnt seien und deren Sitten und Gebräuche respektierten.76 Ein respektvolles Handeln und insbesondere Achtung der islamischen Religion war den deutschen Soldaten in Nordafrika tatsächlich nahelegt worden, um Konflikten zwischen den deutschen Wehrmachtssoldaten und einheimischen Zivilpersonen vorzubeugen. Wie ein Vertreter des Auswärtigen Amtes berichtete, wurden im Mai 1942 Richtlinien für das Verhalten in Ägypten erstellt.77 Und bereits das 1941 erschienenen Taschenbuch für die Truppe Der Soldat in Libyen hatte die Soldaten angewiesen, die islamische Religion zu respektieren. Sie sollten die Vorschriften beim Betreten einer Moschee einhalten und sich nicht über ein Gebet auf offener Straße lustig machen.78 Extra betont wurde, dass Schwarze Menschen des Kriegsraumes mit einem gewissen Respekt zu behandeln waren: »Sei stets taktvoll – auch dem N* gegenüber. Du dienst damit der Sache und dir selbst.«79 Der im Schriftbild mit Fettdruck akzentuierte Hinweis lässt erkennen, dass man glaubte, ein solches Verhalten sei für die Soldaten nicht selbstverständlich. Vielmehr hatten sie die nationalsozialistische Rassenhierarchie verinnerlicht, nach der Schwarze Menschen unter den arabischen Bevölkerungsgruppen rangierten. In der vom OKW herausgegebenen Tornisterschrift für Wehrmachtsoffiziere Der Islam waren zudem 19 Leitsätze »für das Verhalten des Europäers in mohammedanischen Ländern« abgedruckt, in denen der Respekt vor dem Islam an erster Stelle genannt wurde.80 Die deutschen Wehrmachtsangehörigen sollten den Islam als »eine hochstehende Religion« anerkennen und die religiösen Praktiken der Muslime achten. Vor allem sollte verhindert werden, ein muslimisches Grab zu zerstören, und darauf geachtet werden, gute Beziehungen zu Personen zu haben, die eine Wallfahrt nach Mekka unternommen hatten.81 Um die positive Einstellung der arabischen Bevölkerung gegenüber den Deutschen nicht zu gefährden, hatte der Stabsfeldwebel Adolf Pfeiffer vor, bis zum Erschei-
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Artikel noch drei weitere über die Bevölkerung, Geschichte und Bodenschätze Ägyptens in der Oase veröffentlicht. Angegeben war unter anderem die Übersetzung der Frage nach dem Aufenthaltsort der Engländer, vgl. J.W., Einige Worte auf ägyptisch, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 4; Becker-Naumburg, Einige Worte auf ägyptisch, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 7. Vgl. Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 456. Vgl. Bayer, Ein Deutscher kommt, S. 139. Vgl. BArch-MA, RH 19-VIII/78, Tätigkeitsberichte (Anl. C–E) 1942, Tätigkeitsbericht des VAA in der Zeit vom 1.–25. Mai 1942, 20.09.1942, fol. 3. Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30, i. O in Fettdruck. Vgl. dazu auch Motadel, Für Prophet und Führer, S. 150–156. Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 63–64.
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nen entsprechender Vorschriften die Soldaten anzuweisen, die Sitten und Gebräuche zu achten und keine Gewalttaten zu begehen.82 Die Mitteilungen für die Truppe Nr. 212 von Juli 1942 erläuterten erneut, wie wichtig das Verhalten des einzelnen Soldaten für die politische Zusammenarbeit zwischen dem NS-Staat und den arabischen Führern war. Das »Verhalten zu den Mohammedanern, mit denen er jetzt in Afrika und im europäischen Teil der Sowjetunion in Berührung kommt«, werde »v o n d e r m o h a m m e d a n i s c h e n B e v ö l k e r u n g i m gesamten vorderen Orient beobachtet und als ein Prüfs t e i n a n g e s e h e n « .83 Die deutschen Soldaten würden durch ihr Verhalten das positive Bild der Deutschen aufrechterhalten, weshalb ein respektvoller Umgang mit dem Islam nötig sei, der zudem auf die angeblich von Hitler vertretene Religionsfreiheit zurückgeführt wurde.84 Zur Unterstreichung der Notwendigkeit eines respektvollen Umganges wurde zudem auf die bereits »in den Reihen der deutschen Wehrmacht für die Befreiung vom Bolschewismus« kämpfenden muslimischen Soldaten hingewiesen. »Wie schon in Afrika, so haben jetzt unter den Tataren und auch unter anderen Völkerschaften Deutsche mohammedanische Sitten und Gebräuche kennengelernt.«85 Die in den Schriften des OKW beziehungsweise OKH enthaltenen Anweisungen zum Umgang mit der lokalen Bevölkerung waren allerdings teils unterschiedlich. Hieß es in der Tornisterschrift Der Islam, dass auf die Besichtigung einer Moschee verzichtet werden sollte, wenn diese »an irgendwelche Bedingungen geknüpft, wie Waffen oder Schuhe abzulegen«, geknüpft waren, verbiete dies die »Selbstachtung«.86 Im Taschenbuch für die Truppe des OKH hieß es hingegen, dass die »Vorschriften beim Betreten von Moscheen«87 geachtet werden sollten. Als Helmut T. und seine Kameraden eine Moschee in Derna besichtigten, zogen sie, wie er in seinem Tagebuch schilderte, die Sandalen aus und gingen »in Socken [...] durch die grosse Gebetshalle«. Zwar befolgten die deutschen Soldaten damit die religiösen Vorschriften des Landes, doch wertete er die Gebetspraktiken zugleich ab, indem er sie als »Freiübungen« und »Körperverrenkungen« bezeichnete.88 In den Anweisungen zum Umgang mit der lokalen Bevölkerung wurde die NS-Rassenideologie ebenfalls offensichtlich. Das Taschenbuch für die Truppe des OKH changierte zwischen geforderter Rücksicht und Überheblichkeit. »Der Eingeborene denkt 82
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BArch-MA, RH 12–23/1238, Schreiben des Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel, San.-Ers.-Abt. 12, Betreff: Vorschlag für ein Merkblatt, das bis zum Erscheinen entsprechender Vorschriften den zur Abstellung zum Deutschen Afrika-Korps in Frage kommenden Angehörigen der San.-Ers.-Abt. 12 Anhaltspunkte für das Verhalten in Libyen geben soll, fol. 42. Deutsch-russisches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in Archiven der russischen Föderation, Bestand 500, Akte 70. Zusammenstellung der propagandistischen Blätter »Mitteilungen für die Truppe« der Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht für die Hare 1940–1944, OKW, Mitteilungen für die Truppe, Nr. 212, S. 2, Hervorhebung i. O, https://wwii.germ andocsinrussia.org/de/nodes/2208-akte-70-zusammenstellung-der-propagandistischen-bl-ttermitteilungen-f-r-die-truppe-der-propa#page/313/mode/inspect/zoom/8 [05.05.2020]. Vgl. ebd. Ebd. Ebd., S. 63. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30, Hervorhebung i. O. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 90–91.
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und fühlt anders als du. Sei ihm gegenüber zurückhaltend und verletze seine Gefühle nicht«,89 erklärte das Buch Der Soldat in Libyen. Von den Soldaten wurde also gefordert, dass sie die lokale Bevölkerung nicht verärgern sollten, dabei aber zugleich die rassische und kulturelle Unterlegenheit der lokalen Bevölkerung behauptet. »Behandele den Eingeborenen nicht wie deinesgleichen, insbesondere biedere dich nie an. Zeige nicht, daß du über ihm zu stehen glaubst, aber benimm dich so, daß er deine Überlegenheit von sich aus anerkennt.«90 Die deutschen Soldaten sollten im Kriegsgebiet »als Herr« auftreten, »ohne herrisch oder überheblich zu sein«.91 Inwieweit die deutschen Soldaten derartige Broschüren, die darüber hinaus speziell für Tunis oder mit Informationen für die Piloten der Luftwaffe erschienen, tatsächlich gelesen haben, kann nicht abschließend geklärt werden.92 Doch in ihren Briefen und Tagebucheinträgen folgten die deutschen Soldaten größtenteils der proarabischen Propaganda. Sie beschrieben die arabische Bevölkerung als »sehr deutschfreundlich«93 und erklärten, diese seien begeistert über die Ankunft der deutschen Soldaten gewesen. Der Dolmetscher Armbruster notierte in seinem Tagebuch, dass während ihrer Fahrt durch die Cyrenaika im Februar 1942 »das ganze Volk an den Strassen zusammen[geströmt]«94 sei, um ihnen zuzujubeln. Fünf Tage später notierte er: »Araber umjubeln Rommel.«95 Insbesondere aus Tunesien berichteten die Soldaten über die prodeutsche Haltung der lokalen Bevölkerung. Alfons S. schrieb etwa in einem Brief: »[D]iese Araber sind von uns ganz begeistert. Sie sagten, sie wären für die Deutschen, Engländer und Amerikaner nichts gut.«96 Ebenso erinnerte sich Hans C. nach dem Krieg: »Die Bevölkerung von Tunis sympathisierte offen mit uns Deutschen, sie hatten genug von den Franzosen.«97 Günther H. beschrieb den Sieg der Alliierten als eine Enttäuschung für die Bevölkerung, die den gefangenen genommenen deutschen Soldaten »traenenden Auges« gewinkt hätte.98 Es ist noch einmal zu betonen, dass derartige Reaktionen weniger die Folge einer antisemitischen Übereinstimmung und ideologischen Waffenbrüderschaft waren als eine Reaktion auf die koloniale Unterdrückung durch andere europäische Mächte. So
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OKH, Der Soldat in Libyen, S. 29, Hervorhebung i. O. Ebd., S. 29. Ebd., S. 30, Hervorhebung i. O. Vgl. Motadel, Für Prophet und Führer, S. 156. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. Ebenso BfZ, Sammlung Sterz, Joseph B. an seine Schwester am 22. April 1941; DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 143; DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 20. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 11. Februar 1942, S. 18. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 16. Februar 1943, S. 112. BfZ, Sammlung Sterz, Fragment eines Briefes von Alfons S. am 19. Februar 1943. DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 56. DTA, 58.1 (Reg.-Nr. 51.III,1), Günther H., Meine Brautzeit hinter anglo-amerikanischem Stacheldraht, S. 81.
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hat Jamaâ Baida zeigen können, dass die in der marokkanischen Gesellschaft vorhandene positive Einstellung zu Deutschland nicht das Ergebnis deutscher Propaganda war, sondern aufgrund der Kolonisierung schon zuvor eine antifranzösische Haltung verbreitet war.99 Hingegen zeigte die französische Anti-Nazi-Propaganda, die die koloniale Rassenlogik kurzzeitig auszusetzen versuchte, durchaus Wirkung.100 So berichtete ein deutscher V-Mann im Mai 1942 in einem Reisebericht aus Algerien und Marokko, dass die dortige Bevölkerung ihre Einstellung gegenüber den Deutschen seit etwa einem Jahr geändert habe. Die öffentliche Meinung sei nun pro-britisch-amerikanisch, und die marokkanische Bevölkerung erwarte eine alliierte Landung ungeduldig.101 In Tunesien herrschte hingegen im Allgemeinen tatsächlich eine deutschfreundliche Stimmung, und die deutschen Soldaten wurden von der arabischen Bevölkerung Tunesiens begeistert empfangen.102 Dies erklärt, warum sich in der privaten Korrespondenz der deutschen Wehrmachtssoldaten besonders über die tunesische Bevölkerung immer wieder positive Kommentare finden. »Die Araber selbst sind ganz prächtige Burschen. Sie tun uns Gutes, wo sie nur können«,103 schrieb ein Soldat aus Tunesien. Sie sagen stets, Araber und Deutsche sind Kameraden oder auf französisch: ›c’est la même chose.‹ [...] Sie bringen sich fast um vor Sorge um die ›Allemands‹. Sehr viele Araber sprechen französisch und zwar sehr gut, so daß ich mich sehr anstrengen muß, mit meinem Schulfranzösisch mitzukommen.104 Er schätzte das Verhältnis zur arabischen Bevölkerung als so gut ein, dass er vorhatte, bei diesen unterzutauchen, bevor er den Alliierten in die Hände fallen sollte.105 Helmut B. erinnerte sich in seinen Memoiren an einen jungen Mann aus Tunesien, der »sehr gegen die Franzosen – ja Herren des Landes – eingenommen« gewesen sei, und fügte hinzu, dass die arabische Bevölkerung daher »ihre Sympathie für die deutschen [sic!]«106 deutlich machte. Offene Bekundungen zum Nationalsozialismus erlebten Hubert S. und seine Kameraden bei der Abholung einer bei einem lokalen tunesischen Konditor bestellten Torte. Als sie darauf den aus Schokoladencreme hergestellten Schriftzug »Heil Hitler« entdeckten, schrieb er seiner Frau: »Für uns Deutsche tun die Araber alles, vielleicht hoffen sie,
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Vgl. Jamaâ Baida, Das Bild des Nationalsozialismus in der Presse Marokkos, in: Gerhard Höpp, Peter Wien und René Wildangel (Hg.), Blind für Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004, S. 19–37. Vgl. dazu Driss Maghraouis, Französische Anti-Nazi-Propaganda während des zweiten Weltkriegs, in: Gerhard Höpp, Peter Wien und René Wildangel (Hg.), Blind für Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004, S. 191–214. IfZ-Archiv, MA 190/8, Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 2499953–2499961, Reisebericht über die derzeitige Lage in Marokko, 18.05.–23.05.1942, Beobachtungen in Fes, Rabat und Casablanca (Records of the Headquartes, German Armed Forces High Command, T-77, Rolle 1027), S. 2. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 200. Privatbesitz, Bestand F.B., Wehrmachtssoldat am 7. Februar 1943 aus Tunesien, zitiert nach Bopp, Fremde im Visier. Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, S. 97. Ebd. Vgl. ebd. IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, S. 146 (51).
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dass wir sie vom französ. Joch befreien.«107 Allerdings war es für ihn offensichtlich nicht so klar, dass die Wehrmacht in Nordafrika als Befreier von der Kolonialherrschaft anderer europäischer Mächte auftrat. Für Jus F. war klar, dass die arabische Bevölkerung nicht allein auf die Deutschen als Befreier setzte, sondern auch auf Vorteile aus Beziehungen zu den Alliierten hoffte. »Das Verhältnis zur arabischen Bevölkerung war gut. Die Araber begegneten uns freundlich, fast ehrerbietig. Jedoch verlassen durfte man sich nicht auf sie. Sie trugen auf zwei Schultern«,108 notierte er in seinen militärischen Erinnerungen. Den Soldaten war die Handlungsmacht der lokalen Bevölkerung also sehr bewusst und sie erkannten, dass sich die arabischen Sympathien nach deren eigenen Interessen ausrichteten. In diesem Sinne erkannte Helmut T.: »Sie waren teilweise recht deutschfreundlich aber auf den Italiener nicht gut zu sprechen.«109 Die Beziehungen zwischen den deutschen Soldaten und der Bevölkerung nahm er also nicht uneingeschränkt als positiv wahr. Die Kontrastierung mit dem Verhältnis der Bevölkerung zu den italienischen Soldaten lässt vermuten, dass sich Helmut T. hier auf die libysche Bevölkerung beruft. Denn diese hatte aufgrund der Erfahrungen mit der brutalen italienischen Kolonialherrschaft ein von Angst und Hass geprägtes Verhältnis zu den Italienern. Die gewaltsame Eroberung der libyschen Gebiete hatte sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingeschrieben, die die Italiener dafür verachteten. Dies galt nicht nur für Libyen, dessen Bewohner*innen zuvor massiv unter der Gewalt während der italienischen Eroberung gelitten hatten,110 sondern auch für die Bevölkerung Algeriens und Tunesiens, wie eine Meldung an das OKW im März 1942 berichtete.111 Die »Mißstimmung gegen die italienische Bevölkerung Tunesiens« wachse beständig und richtete sich »gegen die dortigen italienischen Waffenstillstandsdienststellen«, wie es in der Meldung heißt. Dabei habe sich laut diesem Bericht der »beinahe an Verachtung grenzende Hass« in der Öffentlichkeit bemerkbar gemacht: »So beschimpfte vor kurzem ein Araber vor einem der grössten Kaffees auf der Hauptstrasse in Tunis unter Beifallskundgebungen des Publikums, an denen sich auch französische Offiziere der Luftwaffe beteiligten, die Italiener als Feiglinge.«112 Ein deutscher V-Mann berichtete in einem Reisebericht aus Marokko ebenfalls über ein schlechtes Verhältnis der lokalen Bevölkerung zu den Italienern: »Der Araber kennt lediglich die italienischen und spanischen Migranten, die zumeist aus dem
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MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 30. November 1942. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 26e. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 61. Vgl. Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 427. Vgl. IfZ-Archiv, MA 190/8, Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 60018, Brief an das OKW, Abteilung Wehrmachtpropaganda, z. H. v. Herrn Oberst d. G. von Wedel, zur Lage in Tunesien und Algerien, S. 2. IfZ-Archiv, MA 190/8 Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 2499926–2499929, Meldung an das Oberkommando der Wehrmacht zur Lage in FranzösischNordafrika vom 30. März 1942, Nr. 221/42 geh.
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Abschaum der Bevölkerung herruehren. Ein wirkliches Ansehen genießt nur der Franzose.«113 Die Gründe für die Missachtung der Italiener erwähnten während des Nordafrikafeldzuges erschienene Artikel und Texte durchaus und hielten sie für gerechtfertigt.114 Ein Artikel in der Kolonialzeitschrift Jambo erinnerte an die Rebellenkämpfe der Senussi und den »Kleinkrieg gegen die italienischen Truppen vor allem in Djebel el-Akdar«.115 Ebenso benannte die Zeitschrift Deutsche Wehr die »jahrzehntelangen Kämpfe«, bezeichnete sie allerdings als eine Befreiung der Beduinen durch die Italiener.116 Die »Befriedung« der Kolonie durch die italienische Kolonialmacht kam auch im Taschenbuch für die Truppe zur Sprache. Hier wurde ebenfalls der Widerstand der Senussi erwähnt und ihre Niederschlagung als Ergebnis einer »tatkräftigere[n] Kolonialpolitik« bezeichnet.117 Probleme unter der Führung Grazianis werden in dem kurzen historischen Abriss durchaus erkennbar. Er habe »in langen, oft schweren Kämpfen eine Gruppe aufständischer Eingeborener nach der anderen« geschlagen.118 Die Feldzeitung Oase nahm die italienische Seite ein und erklärte den deutschen Soldaten, die »wilden Eingeborenenstämme«119 hätten sich im Ersten Weltkrieg gegen die italienische Herrschaft aufgelehnt. Den daraus folgenden schlechten Stand des Achsenpartners im Kriegsgebiet ignorierte die Feldzeitung und betonte stattdessen die freundliche Begrüßung der deutschen Soldaten durch die lokale Bevölkerung und deren generelle Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Immer wieder berichteten die Oase und ihr Nachrichtenblatt davon, dass deutsche Soldaten in ein »Araberzelt«120 eingeladen würden, Gastgeschenke erhielten und mit den Männern der lokalen Bevölkerung Tee tranken und rauchten.121 Umgekehrt hätten deutsche Soldaten bei einem Besuch in einer »kleinen, kuemmerlichen Siedlung der Sahara [...]manches zurück[gelassen], was den Arabern dort Freude machte«.122 Die Karawane berichtete, dass in Tunesien eingetroffene Soldaten stürmisch begrüßt und oftmals direkt auf ein Getränk eingeladen wurden.123 Ein Artikel der Oase schilderte gar einen dreiwöchigen Aufenthalt bei Angehörigen der
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IfZ-Archiv, MA 190/8 Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 2499953–2499961, Reisebericht über die derzeitige Lage in Marokko, 18.05.–23.05.1942, Beobachtungen in Fes, Rabat und Casablanca (Records of the Headquartes, German Armed Forces High Command, T-77, Rolle 1027), S. 8. 114 Vgl. Bernhard, Borrowing from Mussolini, S. 627f. 115 R. Pfalz, Landschaft und Klima des afrikanischen Kampfgebietes, in: Jambo C (1941) 12, S. 145–148, S. 148. 116 F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 3, S. 42–43, S. 43. 117 Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 5. 118 Vgl. ebd., S. 6. 119 Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9. 120 H.W., Künstler im Soldatenrock, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 5. 121 Vgl. etwa Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4; Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7f. 122 Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. 123 Vgl. E. G. Dickmann, Ali und der Landser. Eine kameradschaftliche Ansprache, in: Karawane 125, 16. April 1943, S. 4.
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lokalen Bevölkerung, bei dem ein deutscher Soldat mit einem Araber »über Land und Leute, Heimat und Familie, Art und Gewohnheit« gesprochen habe.124 Über derartige Begegnungen berichtete außerdem die Zeitschrift Jambo. »Wie oft haben wir es schon erlebt, daß uns Deutschen Geschenke der Freundschaft überreicht wurden, Geschenke der bodenständigen handwerklichen Arbeit, wie Matten, Flechtarbeiten oder Dolche«, schwärmte Ernst Bayer. Soldaten aus der lokalen Bevölkerung seien sogar in die Lager gekommen und hätten »heimatliche [...] Lieder am Lagerfeuer« gesungen oder »als besondere Auszeichnung und besonderen Beweis ihrer freundschaftlichen Gefühle wunderbaren Kaffee oder Tee in zeremonieller Weise« gebraut.125 Ein anderer Beitrag dieser Zeitschrift führte das positive Verhältnis zwischen arabischer Bevölkerung und deutschen Soldaten direkt auf die gemeinsame Kriegserfahrung im Ersten Weltkrieg zurück. So habe ein Anführer der Tuareg einen Deutschen eingeladen, er solle sein Gast sein, denn die Deutschen hätten »im großen Kriege unseren Glauben verteidigt«.126 Über das richtige Verhalten bei solchen Einladungen war in der Tornisterschrift Der Islam bereits aufgeklärt worden.127 Und die deutschen Soldaten konnten diese Hinweise teilweise gebrauchen, denn in den Selbstzeugnissen werden ebenfalls einige solcher privaten Kontakte geschildert. Wilfried Armbruster schilderte in seinem Tagebuch eine Einladung bei Angehörigen der lokalen Bevölkerung in einem Vorort von Bengasi (Berca), in deren Hochzeitsfeier sie zufällig geraten waren. »Anschliessend wurden wir ins Zelt eingeladen und mussten Tee trinken; er war ausgezeichnet. Ich staunte, wie schön die Zelte innen ausgerüstet waren.«128 Als Angehöriger von Rommels Stab hatte er noch ganz andere Kontakte. So notierte er am 18. Februar 1943: »Mittags waren wir beim Scheich eingeladen, assen 3 x Hammel, Kuskus etc. So voll waren wir schon lange nicht mehr.«129 Erich K. war ebenfalls von einem jungen Araber eingeladen. »Heute lernte ich Araberleben kennen. [...] Zeltstadt. Frau mahlt Brot, der Mann ist der Gastgeber«,130 vermerkte er in seinem Tagebuch. In den Erinnerungen von Helmut B. ist von einer Einladung bei europäischen Kolonialsiedler*innen131 und bei einem Angehörigen der lokalen Bevölkerung zu lesen. Seine Aufzeichnungen lesen sich, als ob er schon zuvor einmal Gast in einem arabischen Haus gewesen wäre, denn er beschrieb »einen kleinen Raum, der wie alle arabischen Hütten, eine erhöhte Liege bot«.132 Weiter schrieb er: »Mit den Arabern
124 Vgl. Felix Krämer, Afrika-Kämpfer sprechen zu Dir. 1000 Worte Arabisch – Italienisch ... und weniger, in: Die Oase 54, 9. November 1941, S. 7. 125 Bayer, Ein Deutscher kommt, S. 140. 126 Hermann Freyberg, Menschen der Sahara. Im Streifgebiet der Tuareg, in: Jambo C (1940) 9, S. 135–138, S. 138. 127 Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 64. 128 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 7. Februar 1942, S. 17. 129 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag 18. Februar 1943, S. 112. 130 LAHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 28. März 1942. 131 Vgl. IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, S. 148 (53). 132 Ebd., S. 155 (60).
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verstanden wir uns recht gut. Oftmals spielten wir mit ihnen auf einem in den Sand gemalten Schachbrett und mit weissen und schwarzen Steinen Dame.«133 Die Schilderung des Zusammentreffens mit einem arabischen Jungen offenbart zudem, dass er die religiösen Sitten achtete. Denn er gab dem Jungen Büchsenfleisch aus der Verpflegung und wies ihn dabei auf die darauf abgebildete Kuh hin. Ihm war also das muslimische Verbot des Essens von Schweinefleisch bewusst.134 Darauf war in der Tornisterschrift Der Islam hingewiesen worden.135 Trotz der Einhaltung von Regeln entsprachen die »Ansichten und Gefühle der Deutschen«136 nicht immer der pro-arabischen Propaganda, und die engeren Kontakte offenbaren eine Machtasymmetrie im Verhältnis der Wehrmachtssoldaten und der lokalen Bevölkerung. Diese Treffen wurden von deutscher Seite als eine Form der Inbesitznahme des Raumes gedeutet, wie ein Artikel der Oase erklärt, der die Eigenschaften der in Nordafrika eingesetzten deutschen Soldaten anführt. Neben Kenntnissen über den Naturraum, die sich etwa darin äußerten, dass Soldaten bei einem Sandsturm gelassen blieben, wurde als Voraussetzung für einen richtigen »Afrika-Soldaten« angeführt, dass er einmal »Gast am Lagerfeuer eines Stammes« gewesen war.137 Es war also üblich unter den Soldaten, sich von Angehörigen der lokalen Bevölkerung einladen zu lassen und damit den eigenen Status als Abenteurer zu festigen. Hinweise auf Gegeneinladungen sind in den untersuchten Quellen dagegen nicht zu finden, obwohl die Tornisterschrift Der Islam sogar die Anweisung gab, »die Gastfreundschaft mit allem, was [...] zu Gebote steht«, zu erwidern, falls man Besuch aus einem Hause erhalte, in das man zuvor eingeladen war.138 Doch nahmen nur die deutschen Soldaten Einladungen bei Angehörigen der lokalen Bevölkerung an, luden sie aber nicht selbst ein. Unaufgefordert war ihnen das Betreten der deutschen Truppenlager verboten139 und auch nicht versucht, wie sich Jus F. noch nach dem Krieg erinnerte: »Kein Araber ging in nächste Nähe eines Zeltes oder wagte es gar, es ungeladen zu betreten.«140 Denn in der Realität sahen die deutschen Soldaten die arabische Welt nicht als wirklichen Partner an. Arabische Menschen galten innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie als »Fremdvölkische« und »fremdrassige Ausländer«, und »negativ aufgeladene orientalisierende Fremdbilder und Zuschreibungen«141 lenkten den Blick der deutschen Soldaten auf die Menschen des Kriegsraumes. So bemerkte der Sonderführer
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Ebd., S. 156 (61). Ebd., S. 155 (60) Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 64. 136 Über diese berichtete ein in Frankreich im Exil lebender Nordafrikaner, vgl. dazu Motadel, Für Prophet und Führer, S. 161. 137 Vgl. Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4. 138 Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 64. 139 BArch-MA, RH 12–23/1238, Dr. Ignatius, San.-Ers.-Abt. 12, Plan für Sonderausbildung der TropenErsatzkompanie, 24. Februar 1942, fol. 65. 140 IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 26e. 141 Goldenbaum, Nationalsozialismus als Antikolonialismus, S. 454.
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des Auswärtigen Amtes, Alfred Hermann, nach einer Dienstreise durch Libyen, »dass der deutsche Soldat, der mit den Eingeborenen Libyens in Verbindung kommt, für diese schwer das richtige Verständnis findet«. Aus seiner Einstellung, »der Araber sei eine Art ›N*‹, können [...] leicht Missverständnisse erwachsen, die aber im deutschen Interesse vermieden werden müssen«.142
9.2 Selbst- Exotisierung und kulturelle Aneignung Die bereits dargestellten, für die lokale Bevölkerung verwendeten homogenisierenden Bezeichnungen verdeutlichen die rassistische Haltung der deutschen Soldaten gegenüber den im Kriegsraum lebenden Menschen. Sie fühlten sich diesen überlegen und ignorierten daher die ethnische Zusammensetzung der lokalen Bevölkerung sowie deren spezifische Eigenheiten, Kultur und Geschichte. In den Augen der Wehrmachtsangehörigen war es unwichtig, die Menschen, mit denen sie im Kriegsraum in Kontakt kamen, angemessen zu benennen oder anzusprechen. Gleichzeitig drückten die Soldaten über ihren Sprachgebrauch eine Eroberungshaltung aus, in dem sie nicht nur den Kriegsraum mit ihnen Bekanntem verglichen und bezeichneten, sondern auch arabische und religiös geprägte Redewendungen in ihren Sprachgebrauch übernahmen. In den privaten Zeugnissen wird immer wieder Allah genannt und seine Bedeutung für die arabische Weltsicht erläutert.143 Zudem wurde auf Allah verwiesen, wenn die Soldaten die Unvorhersagbarkeit ihrer Situation betonen wollten. So schrieb Reinhard B. direkt nach seiner Ankunft auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, nun müssten sie »Allah das weitere«144 überlassen. Robert W. beendete einen Briefabschnitt über seine Hoffnung, keinen zweiten Sommer als Soldat in Nordafrika verbringen zu müssen, mit den Worten: »Ein frommer Wunsch, aber Allah ist weise.«145 Auch die Oase wies auf die Entscheidungsgewalt Allahs hin, indem etwa ein Artikel überschrieben war mit »Inschallah, wie Allah will«.146 Durch die Übernahme örtlicher Begriffe und die Selbstbezeichnungen inszenierten sich die Soldaten als Kenner des Kriegsraumes. Zugleich stellte dieser Sprachgebrauch eine Art Selbst-Exotisierung dar, mit deren Hilfe sich die Soldaten in der existenziell bedrohlichen Kriegssituation zumindest auf mentaler Ebene eine gewisse Handlungsmacht und Selbstbestimmung erhalten und sich als Abenteurer inszenieren konnten. Gerade die Aneignung religiöser Begrifflichkeiten zeigt aber, in welcher Machtposition sie sich gegenüber der lokalen Bevölkerung verorteten. Die Nutzung der arabischen Gottesbezeichnung, die aus islamischer Sicht durchaus als Gotteslästerung verstanden werden konnte, sahen sie als ihr gutes Recht an. Ebenso verwendeten die Soldaten die be142 PA AA, R 60747, Akten betreffend: G.R. v. Neurath, Propagandaoffiziere, 1941–1942, zit.n. Proske, Zwei Rollen, S. 16. 143 So etwa in IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, »Die Piste«, S. 39. 144 MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. Mai 1941. 145 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 7. Januar 1942. 146 Vgl. Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4.
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reits thematisierten Begriffe »Afrikaner« oder »Wüstensöhne« und beanspruchten durch die Umkehrung der Fremdbezeichnung in eine Selbstbezeichnung die sprachliche Deutungshoheit. Umgekehrt wäre es für sie undenkbar gewesen, wenn sich Angehörige der lokalen Bevölkerung Deutsche genannt hätten. Auch ärgerten sie sich über arabische Händler, die deutsche Wörter im falschen Kontext benutzten.147 Die Überlegenheitshaltung der deutschen Soldaten wird nicht nur durch die Aneignung von Sprache und in Selbstbezeichnungen deutlich. Darüber hinaus versuchten die Männer den Abenteuercharakter des Kriegseinsatzes zu verstärken, indem sie sich selbst so inszenierten, wie sie sich die lokale Bevölkerung aufgrund ihres aus der Populärkultur stammenden Wissens vorstellten. Robert W. schrieb seiner Frau im Stile Karl Mays, er singe »schon jeden Abend« sein »›Lied der Wüste‹«, indem er sich »nach Sonnenuntergang 3 Mal nach Mekka verneige und Allah anrufe: ›Wann schenkst Du meinen Lidern den Schlaf der mir geraubt und wann gibst Du mir Kunde von meinem Verstand, wohin er entfloh’n‹«.148 Zwar verneigte sich Robert W. vermutlich nicht nach Mekka, doch haben die in Nordafrika eingesetzten deutschen Soldaten durchaus ihre Vorstellungen von islamischen Praktiken umgesetzt. In klamaukigen Darbietungen stellten sie bei Kompaniefesten oder anderen Feierlichkeiten ihren Vorstellungen entsprechend »Araber« dar, um sich gegenseitig zu unterhalten. Robert W. berichtete seiner Frau von einem solchen Ereignis bei einem »Strandfest«. Für eine Aufführung hatten sie »2 Esel eingefangen« und selbst »Araberkostüme [...] zusammengebaut«. Zudem, so berichtete er, hatten sie sich ein Kamel »zurechtgeschustert und die beiden Kameraden, die da drin steckten, machten ihre Sache ganz ausgezeichnet. Die ganze Araberszene (sogar ein Scheich mit einer schwarzen Schönen, der Blume des Orients, war erschienen) hatte einen riesigen Lacherfolg.«149 Ähnliche Szenen sind auf Filmen aus dem Nordafrikafeldzug dokumentiert. Eine Aufnahme aus dem Archiv Höffkes zeigt, wie eine große Gruppe von Soldaten sich um eine Bühne herum auf dem sandigen Boden platziert. Kisten, um sich darauf hinzusetzen, werden herbeigeschleppt und Zigaretten ausgetauscht. Zunächst tritt ein einzelner Soldat auf, der sich als »Araber« verkleidet in Clownsmanier bewegt und Bocksprünge über einen Esel macht. Dann werden von Männern mit Turbanen Pferde und ein Kamel herbeigeführt, Männer mit hellen Tüchern um den Kopf sitzen um ein Lagerfeuer. Ein mit knappem Kleid, Kopftuch und großen Ohrringen als »arabische Schönheit« verkleideter Soldat wird geraubt,150 woraufhin ein Mann an einen Pfosten wie an einen Marterpfahl gebunden wird.151 147 148 149 150
151
Vgl. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 146. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. Juni 1941. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 10. August 1941. Vgl. zum weit verbreiteten Verkleiden von Soldaten als Frauen siehe auch Martin Dammann (Hg.), Soldier Studies. Cross-Dressing in der Wehrmacht, Berlin 2018. Siehe auch Ulrich Prehn, »Kriegstrauung« – »Apachentanz«. Zur Stabilisierung und Destabilisierung von Geschlechterordnungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg durch Fotografie(n), in: WerkstattGeschichte 86 (2022) 2, S. 89–102. Vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:13:00-11:16:03, URL: www.archivakh.de/filme/119#1 [19.01.2021].
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Ein anderer Film dokumentiert das »Jahresfest der 1. Gruppe. Neumanns bunte Bühne«, wie ein eingeblendeter Titel verrät.152 Sie wurden also im Zuge der Feierlichkeiten zum einjährigen Einsatz der I. Gruppe des Geschwaders (I/JG 27) unter dem Gruppenkommandeur Eduard Neumann aufgenommen. Das Geschwader war am 18. April 1941 nach Nordafrika versetzt worden, die Aufnahmen entstanden also im April 1942.153 In dieser Aufnahme ist ein richtiger Jahrmarkt zu sehen, mit »Hau den Lukas«, Flaschenwerfen, Zirkuszelt, Karussell, Zauberer und Blasmusik. In einer Szene messen zwei Gruppen von Soldaten, von denen die einen als Beduinen verkleidet sind, ihre Kräfte beim Tauziehen.154 In Anlehnung an ein vom Orientalismus geprägtes (populär)kulturelles Bilderrepertoire stellten die Soldaten zu verschiedenen Anlässen die lokale Bevölkerung nach. Die Aufmachung der Soldaten erinnert dabei an spätere Karl May-Filme oder -Festspiele.155 Es ging den Soldaten bei der Darstellung nicht darum, sich den lokalen Kulturen auf eine schauspielerische Weise anzunähern. Vielmehr waren diese Inszenierungen eine rein unterhaltende Repräsentation der »Anderen«, die den Bildern und Vorstellungen entsprach, mit denen die Soldaten nach Nordafrika gekommen waren. Deshalb verkleideten sie sich nicht erst vor Ort, sondern zum Teil bereits auf der Anreise in Italien mit Kopftüchern und spielten »Araber«. In einer Filmaufnahme ist zu sehen, wie Soldaten mit improvisierten Turbanen und Sonnenbrillen auf die Kamera zuschreiten und sich mit vor der Brust überkreuzten Armen verbeugen. Die darauffolgende Szene zeigt ebenfalls mit Turbanen verkleidete Soldaten, die im fahrenden Zug singen, lachen und trinken.156 Das Verkleiden als »Araber« war für die Männer ein lustiger Zeitvertreib, der sie in exotistischen Vorstellungen vom eigenen Abenteuer schwelgen ließ und noch in der Kriegsgefangenschaft betrieben wurde. So verkleideten sich im Camp Alva, Oklahoma für das von den deutschen Kriegsgefangenen organisierte »Oktoberfest« im Jahr 1943 einige Männer als »Haremsdamen«, und ein Leutnant trat mit einem »durchsichtigen Schleier« und »schlangenhaften Bewegungen« als die arabische Tänzerin »Anitra« auf.157 Darüber hinaus waren solche Inszenierungen eine Form von Machtaneignung. Wie sie arabische Wörter in ihren Sprachgebrauch aufnahmen und sich damit aneigneten, so nahmen sie den nordafrikanischen Kriegsraum und die dort lebenden Menschen über
152 153 154 155
156 157
Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 2796, TC: 10:09:00, URL: www.archiv-akh.de/filme/2796#1 [17.03.2021]. Vgl. Walter A. Musciano, Messerschmitt Aces, New York 1982, S. 111f.; John Weal, Jagdgeschwader 27 »Afrika«, London 2003. Vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 2796, TC: 10:09:23-10:14:35, URL: www.archivakh.de/filme/2796#1 [17.03.2021]. Als solche wurde eine Szene im Filmarchiv der Agentur Karl Höffkes auch verschlagwortet, vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, URL: www.archiv-akh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3756, TC: 10:02:30 – 10:04:29, URL: www.archiv-akh.de/filme/3756#1 [19.01.2021]. Vgl. Eberhard Scheel, Erinnerungen eines »alten« Mannes! 22. Kapitel: Okotberfest 1942 in Mexia/ Texas, in: Kameradenkreis Mexia-Alva-Dermott Trinidad. Mitteilungsblatt 46, September 1992, S. 45, zit.n. Reiss, The Importance of Being Men, S. 15.
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die Nachahmung in Besitz, was daran erkennbar ist, dass die Soldaten bei diesen Aufführungen teilweise black- beziehungsweise brownfacing betrieben. Sie schminkten ihre Gesichter dunkler, um »überzeugender« einen Angehörigen der nordafrikanischen Bevölkerung darzustellen.158 Das blackfacing stammt aus den US-amerikanischen Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts, die Schwarze Menschen herabwürdigten und, zumindest in den Anfangsjahren, zur Rechtfertigung der Sklaverei beantragen sollten. In diesen Shows spielten – ähnlich wie in den Aufführungen der deutschen Soldaten in Nordafrika – weiße Männer mit angemalten Gesichtern stereotype »schwarze« Figuren männlichen und weiblichen Geschlechts für ein weißes Publikum.159 Das blackfacing hat aber auch in Deutschland eine lange Tradition. Im Bereich Theater und Film wurde es bereits im Ersten Weltkrieg von Soldaten im Krieg betrieben und wirkte sich auf die Darstellungen Schwarzer Personen in der Zeit des Nationalsozialismus aus, wie etwa auf dem Propagandaplakat zur »entarteten Musik«.160 Der bis heute verbreiteten Praktik liegt die »Farbenlehre des Kolonialismus« zugrunde. Die »Aufteilung der Menschheit in weiße Europäer, rote Amerikaner, gelbe Asiaten und schwarze Afrikaner«,161 bei der es sich »nicht um die Pigmentierung der natürlichen, sondern um die Farbgebung einer sozialen Haut«162 handelt, ließ es nötig erscheinen, die Gesichter von weißen Schauspieler*innen mit Farbe dunkler zu machen. Das Schminken demonstrierte dabei eine angenommene, weiße Überlegenheit. Sowohl bei Minstrel Shows als auch in den Theaterstücken der deutschen Soldaten in Nordafrika führte man eindrucksvoll vor, dass sich weiße Menschen durch einfache Mittel in das »Andere« verwandeln können, wohingegen eine umgekehrte Verwandlung für Schwarze oder die Angehörigen der lokalen Bevölkerung nicht möglich war.163 Dieses Ungleichgewicht wird zudem in Bezug auf den bereits angesprochenen Umgang der Soldaten mit der lokalen Bevölkerung und deren Bekleidungen deutlich. Schon im kolonialen Kontext hatten Europäer*innen Angehörige der lokalen Bevölkerungen für das Tragen von Uniformen oder Uniformteilen verhöhnt. Sie sollten lieber ihre traditionelle Kleidung anziehen. Schuhe waren der indigenen Bevölkerung hingegen verboten, 158
Vgl. Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:13:00-11:16:03, www.archiv-akh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. 159 Vgl. Jennifer Bloomquist, The Minstrel Legacy: African American Englishand the Historical Construction of »Black« Identities in Entertainment, in: Journal of African American Studies 19 (2015) 4, S. 410–425, S. 411f. 160 Vgl. Franziska Bergmann, Hautfarbe im deutschen Theaterdiskurs der Gegenwart. Ein Diskussionsbeitrag, in: Natalie Bloch und Dieter Heimböckel (Hg.), Theater und Ethnologie. Beiträge zu einer produktiven Beziehung, Tübingen 2016, S. 67–80, S. 77f. Zu blackfacing im deutschen Kontext vgl. Frederike Gerstner, Inszenierte Inbesitznahme: Blackface und Minstrelsy in Berlin um 1900, Stuttgart 2017. Zu Blackfacing im Ersten Weltkrieg vgl. o. V., Krieg an der Westfront – Koloniale Vergnügungen. Blackfacing in Krieg und Gefangenschaft, in: Website Dortmund postkolonial, ohne Datum, URL: www.dortmund-postkolonial.de/?page_id=3351 [22.02.2023]. 161 Vgl. Eickelpasch und Rademacher, Identität, S. 80. 162 Hund, Rassismus, S. 20. 163 In Bezug auf heutige Theater-und Filmproduktionen verweist Bergmann darauf, dass zwar immer noch weiße Schauspieler*innen Schwarze Figuren spielen, dies jedoch umgekehrt kaum der Fall ist; vgl. Bergmann, Hautfarbe im deutschen Theaterdiskurs, S. 78.
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um die propagierte Differenz und den niedrigeren Status nach außen kenntlich zu machen.164 Mit Hohn und Spott reagierten deutsche Soldaten im Nordafrikafeldzug ebenfalls, wenn Angehörige der lokalen Bevölkerung Kleider aus Wehrmachtsbeständen trugen. »Die Kleidung der Araber hat bei uns schon mächtiges Gelächter zur Folge gehabt. Da sieht man Burschen stolz mit unseren Unterhosen und Nachthemden herumlaufen, und es ist für sie eine vornehme Aufmachung, weil es eben weisse Klamotten sind«,165 erklärte Heinz G. seiner Frau. Noch in seinen Erinnerungen an die Kriegszeit beschrieb Jus F. eine Begegnung mit »mehrere[n] Araber[n], groß und klein, brav nebeneinander, nur in wießen [sic!], langen Unterhosen und Unterhemden deutscher Soldaten gekleidet«.166 Selbst kauften die Deutschen sich jedoch gerne, was sie für die traditionelle Kleidung der lokalen Bevölkerung hielten, wie Schuhe in »afrikanisch-arabische[r] Eigenart«167 und Kopfbedeckungen.168 Die Oase erklärte, dass es bei sehr heißen Temperaturen sinnvoll sei, sich wie die lokale Bevölkerung dick in Stoff einzuhüllen.169 Im Kontext der Bekleidung wird damit offenbar, dass die deutschen Soldaten sich die Deutungsmacht darüber zusprachen, wem welches Handeln und welches Aussehen erlaubt war und wem nicht. Weniger von Machtasymmetrien bestimmt scheint zunächst ein von Helmut B. in seinen Lebenserinnerungen geschilderter Kleidertausch. Er stand in Kontakt mit einem jungen arabischen Mann und lieh diesem für ein Foto seine »langen, braunen Soldatenhosen und die Stiefel und [...] meine Feldwebeluniformjacke«. Er hängte ihm sogar sein »Gewehr über die Schulter«. Im Gegenzug trug er den »Sonntagsanzug« des Arabers, der aus »weißen wollenen Hosen« und einem »Umhang aus weißer Seide« bestand.170 Obwohl beide scheinbar gleichberechtigt an diesem Tausch beteiligt waren, zeigen sich in der Erinnerung von Helmut B. die Vorurteile gegenüber der lokalen Bevölkerung und seine eigene Machtposition. Er schreibt, dass der arabische Mann »sich sehr für die deutschen Uniformen und Waffen«171 interessiert habe, was implizit an das Vorurteil von der die europäische Technik bestaunenden Bevölkerung anknüpft. Helmut B. hielt die Zivilbevölkerung des Kriegsraumes im Allgemeinen für schmutzig und wies extra darauf hin, dass einem Kleidertausch eigentlich nichts im Weg stand, weil der Mann und seine Familie »einen sehr guten, sauberen Eindruck«172 machten. Dass die während des Kleidertausches aufgenommenen Fotografien am Ende nur Helmut B. zu sehen bekam, veranschaulicht zudem die der Situation inhärente Machtasymmetrie. Die Bewertung der eigenen Hautfarbe sowie die Praktiken des Verkleidens und brownfacings können aus heutiger Sicht als cultural appropriation bewertet werden.
164 165 166 167 168
Vgl. Bayly, Die Geburt der modernen Welt, S. 31f. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 26e. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. März 1942. Vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:16:04-11:16:23, URL: www.archivakh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. Vgl. auch IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 146 (51). 169 Vgl. Otto Constantini, In Gadames. Die geheimnisvolle Stadt, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 3. 170 IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 146 (51). 171 Ebd. 172 Ebd.
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Dies stellt eine negative Form der Aneignung der Kultur einer anderen, meist marginalisierten Gruppe dar, die ohne Verständnis oder eine entsprechende Würdigung auskommt.173 Selbstverständlich müssen die Handlungen der deutschen Soldaten im Kontext ihrer Zeit gesehen werden und es ist klar, dass sie kein Bewusstsein für die rassistische Diskriminierung hatten, die derartigen Handlungen heute zu Recht attestiert wird.174 Dennoch war ein solches Handeln schon zu kolonialen Zeiten und im Kontext des Nordafrikafeldzuges Ausdruck von Macht und festigte rassistische Ordnungen. Wenn sich die Soldaten als »Araber« verkleideten, diente dies nicht nur dazu, den als exotisch wahrgenommenen Kriegsschauplatz und seine Bevölkerung nachzuspielen und eine lustige Zeit zu haben. Gerade das Lachen der zusehenden Soldaten enthüllt die herabsetzende und beschämende Ebene dieser Theaterspiele, die nicht nur stereotype Vorstellungen über die lokale Bevölkerung reproduzierten, sondern zugleich die eigene weiße Überlegenheit bestätigen sollten.
9.3 Fotografieren, Filmen, Zeichnen: Aneignung durch Abbildung Dass der nordafrikanische Kriegsraum mitnichten menschenleer war, belegen zahlreiche überlieferte Fotografien und andere Abbildungen der lokalen Bevölkerung. Private Fotoalben, die Feldzeitung Oase und Filmaufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug zeigen Männer mit Turban, ferner verschleierte Frauen und Kinder. Zudem sind Bilder von deutschen Soldaten in Interaktion mit Zivilist*innen erhalten. Zwar ist in den Quellen meistens kein genauer Kontext zu den Aufnahmen angegeben, doch belegen die Bilder, »dass die hier abgebildeten Personen zumindest für diesen einen Moment der Aufnahme zusammen dort waren und wie sie sich zur fotografischen Situation und zueinander verhielten« und es die abgebildeten »gegenseitigen Berührungen und körperliche Nähe zumindest für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich gegeben hat«.175 Allgemein gehören Fotografien von Menschen aus Kriegsgebieten zu den am meisten überlieferten Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg.176 Sie ergänzten schriftliche 173 174
175 176
Vgl. Ashley, The Cultural Process of ›Appropriation‹; siehe auch Hans Peter Hahn, Antinomien kultureller Aneignung: Einführung, in: Zeitschrift für Ethnologie 136 (2011) 11, S. 11–26. Gerade das Verkleiden als »Indianer« oder »arabische Scheichs« steht heutzutage auch in der Kritik; vgl. beispielhaft die Debatte um Justin Trudeaus Verkleidung auf einer Universitätsparty. Siehe dazu Dagmar Ellerbrock und Gerd Schwerhoff, Spaltung, die zusammenhält? Invektivität als produktive Kraft in der Geschichte, in: Saeculum 70 (2020), 1, S. 3–22. Siehe auch die verstärkten Debatten um blackfacing in der deutschen Theaterlandschaft seit 2012, ausgelöst u.a. durch eine Inszenierung von Dieter Hallervorden am Berliner Schlossparktheater und eine Inszenierung am Deutschen Theater, welche diese Praktik verwendeten, vgl. etwa Philipp Khabo Koepsell, Erste Indaba Schwarzer Kulturschaffender in Deutschland. Protokolle, Berlin 2015. Pilarczyk, Grundlagen der seriell-ikonografischen Fotoanalyse, S. 88. Vgl. Starke, »Ich leg dir ein paar Bilder bei ...«, S. 310. Siehe zur Fotografie im Zweiten Weltkrieg auch die Arbeiten von Petra Bopp sowie Kleemola, Gekaufte Erinnerungen; Ahlrich Meyer (Hg.), Der Blick des Besatzers. Propagandaphotographie der Wehrmacht aus Marseille 1942–1944, Bremen 1999; Miriam Y. Arani, Fotografische Selbst-und Fremdbilder von Deutschen und Polen im Reichsgau Wartheland 1939–45. Unter besonderer Berücksichtigung der Region Wielkopolska, 2 Teilbände, Hamburg 2008.
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Fremdbilder in der Kriegspresse und hatten als Teil der Kriegspropaganda eine zentrale Funktion in der Kriegsführung.177 Bereits vor Beginn des Krieges, im Frühjahr 1939, hatte das Oberkommando der Wehrmacht die neue Abteilung Wehrmachtspropaganda geschaffen, die den Propagandakompanien übergeordnet war und die Bildpropaganda im Krieg organisierte.178 Sie setzte systematisch Kriegsmaler, Kameramänner und Fotografen an allen Fronten ein. Die Menschen, die in den umkämpften und besetzten Gebieten lebten, waren beliebte Motive,179 die den kämpfenden Soldaten den Kriegsraum näherbringen und der deutschen Bevölkerung zu Hause die Erlebnisse der Soldaten verständlicher machen sollten. Denn die Menschen und ihre jeweilige Kultur gehörten genauso zum Kriegsraum wie die natürliche Umwelt, wie in einem Artikel der Zeitschrift Soldatentum betont wurde.180 Neben der offiziellen Kriegsfotografie war das private Fotografieren eine gängige Praxis unter Soldaten. Sie lichteten bereits im Ersten Weltkrieg und dann auch an anderen Fronten des Zweiten Weltkrieges die lokale Bevölkerung ab, sofern sie Fotoapparate zur Verfügung hatten.181 Die Knipser fotografierten allerdings eher aus privaten als aus kriegsimmanenten Gründen. Bilder von Kamelen, Palmen und Moscheen sowie den Menschen dienten als Beleg ihrer Reise in ein entferntes Gebiet. Als Dokumentation des »Reiseabenteuers« wurden sie bereits während des Krieges nach Hause geschickt und später oft in Kriegsalben eingeklebt.182 Im Internet werden zahlreiche Aufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug bei Auktionen oder auf Sammlerseiten angeboten. Sie sind aufgrund ihrer meist ungeklärten Provenienz nur bedingt für die historische Forschung verwendbar.183 Zudem sind die Preise für die angebotenen Fotografien hoch. Für diese Arbeit wurden daher in der Feldzeitung Oase veröffentlichte Abbildungen der lokalen Bevölkerung, private Bilder aus Privat-und Archivbesitz sowie Filmaufnahmen aus dem Film-und Foto-Archiv der Agentur Karl Höffkes untersucht. Zwar ist bei diesen Quellen die Herkunft ebenfalls nicht immer eindeutig zu bestimmen, doch liegen zumindest grundlegende Informationen durch die Publikation in der
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Vgl. dazu etwa Paul, Visual Essay V, S. 288; siehe auch ders., Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004, bes. S. 225–243. 178 Vgl. Wurzer, Disziplinierte Bilder. Siehe auch: Bernd Boll, Die Propaganda-Kompanien der Wehrmacht 1938–1945, in: Christian Stadelmann und Regina Wonisch (Hg.), Brutale Neugier. Walter Henisch – Kriegsfotograf und Bildreporter, Wien 2003, S. 37–46, S. 37–39. 179 Vgl. Starke, »Ich leg dir ein paar Bilder bei ...«, S. 310. 180 Vgl. Gackstatter, Gedanken über die kulturelle Einstellung des deutschen Frontsoldaten, in: Soldatentum 8 (1941) 1, S. 2–3, S. 2. 181 Vgl. etwa Nübel, Durchhalten und Überleben an der Westfront, S. 266. Auch der Soldat Hans C. hatte bereits 1926, als er als Fremdenlegionär in Marokko eingesetzt war, einen Fotoapparat in Gebrauch, vgl. DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 31. 182 Es muss angemerkt werden, dass diese Bilder nur einen Teil der Fotografien darstellen, die von den Fotografen der Propagandakompanien und Laienfotografen unter den Soldaten angefertigt wurden. Ein Großteil der Bilder zeigt auch Panzer, Flugzeuge, Schlachtgeschehen oder Situationen aus dem soldatischen Alltag. 183 Vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 9.
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Oase oder die Archive vor. So handelt es sich bei den Filmaufnahmen laut der Internetseite des Archivs Höffkes um private Aufnahmen,184 es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich Filme der Propagandakompanie darunter befinden. Für diese Untersuchung sind solche Unsicherheiten jedoch weniger von Bedeutung, weil anhand der Aufnahmen die Repräsentation der lokalen Bevölkerung auf Bildern aus dem Krieg und der Umgang mit der lokalen Bevölkerung nachgezeichnet werden sollen. Zudem zeigen Forschungen zur Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg, dass private Aufnahmen in Motivik, Perspektive und Komposition durch Propagandabilder beeinflusst waren.185 Zwar machten einige Laienfotografen bewusst Aufnahmen, die von der nationalsozialistischen Ästhetik abwichen,186 doch den meisten selbst fotografierenden Soldaten gefielen die Bilder der Kriegsberichterstatter. Viele erwarben professionelle Aufnahmen für ihre privaten Fotoalben. Zudem verkauften sogenannte »Kompaniefotografen« ihre eigenen Bilder und Abzüge von Fotograf*innen der Propagandakompanien an ihre Kameraden und trugen damit zur Vereinheitlichung der Bildsprache privater und offizieller Aufnahmen bei.187 Daher greifen die private und die öffentliche Sicht auf den Krieg und die lokale Bevölkerung des Kriegsraumes in den visuellen Quellen ineinander, so dass eine genaue Trennung von privater und propagandistischer Fotografien kaum möglich ist.188 Bei allen Quellenarten sind die Aufnahmen der lokalen Bevölkerung nicht als wahrheitsgetreue Abbildungen zu verstehen. Die Bilder sind immer Repräsentationen, die die Menschen für einen bestimmten Zweck zeigen, etwa um den Weg zur militärischen Eroberung eines Landes zu ebnen. Denn die Einschätzung der »Anderen« als unterlegen und die Darstellung der Bevölkerung eines Landes als degeneriert rechtfertigten die Eroberung.189 An der Ostfront wurden Fotografien der sowjetischen Bevölkerung ebenso als Legitimationsmuster zur Rechtfertigung des Krieges herangezogen.190 Ebenso setzten andere Armeen die vermeintliche Rückständigkeit der Bevölkerung in umkämpften Gebieten aus militärischen Zwecken bildlich in Szene.191 Weil die lokale Bevölkerung im Nordafrikafeldzug nicht der offizielle Kriegsgegner war, sind die hier entstandenen Aufnahmen vor allem als Mittel der soldatischen Selbstverortung zu bewerten. Die dargestellten Menschen dienten als Spiegel der Selbstbilder der deutschen Soldaten und als lebende Beweise für die angenommene Exotik des Kriegsschauplatzes. 184 185 186 187
Vgl. Internetseite der Agentur Karl Höffkes, URL: https://www.archiv-akh.de [24.05.2021]. Vgl. Jens Jäger, Propagandafotografie. Vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 17. Vgl. ebd., S. 105; zum Verhältnis Propaganda-und Privatfotografie siehe auch: Kleemola, »Gekaufte Erinnerungen«. 188 Vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 10 und 72; dies., Viewing the Photographs of Willi Rose, in: Thomas Eller (Hg.), Shadows of War. A German Soldier’s Lost Photographs of World War II, New York 2004, S. 13–23, S. 15–16. 189 Homi K. Bhaba, The Other Question. The Stereotype and Colonial Discourse, in: Screen 24 (1983), S. 23. 190 Vgl. beispielhaft die Analyse der Ausstellung »Das Sowjetparadies« von Oliver Lorenz, Die Ausstellung »Das Sowjetparadies«: nationalsozialistische Propaganda und kolonialer Diskurs, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 48 (2016) 1, http://journals.openedition.org/allema gne/376 [08.03.2021]. 191 Vgl. Kleemola, »Gekaufte Erinnerungen?«.
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Als Reisende in einem ihnen unbekannten Raum war der fotografische Blick der Soldaten ein neugieriger. Scheinbar zufällig lichteten sie die Menschen ab, mit denen sie in Kontakt kamen. Wann die Fotografierenden jedoch tatsächlich auf den Auslöser der Kamera drückten oder die Zeichner ihren Stift zückten, welchen Bildausschnitt und welche Komposition sie wählten, welche Bilder sie am Ende entwickelten, aufhoben oder zur Veröffentlichung auswählten, geschah keineswegs absichts-und gedankenlos.192 Insbesondere das Filmen oder Fotografieren schuf eine spezielle kommunikative Situation der Performanz, in der die fotografierten Personen sich in Position brachten oder gebracht wurden, sich einander oder der Kamera zuwendeten und sich zur fotografierenden Person in körperlicher Nähe befanden.193 Laut Pierre Bourdieu bringt »noch die unbedeutendste Photographie neben den expliziten Intentionen ihres Produzenten das System der Schemata des Denkens, der Wahrnehmung und der Vorlieben zum Ausdruck, die einer Gruppe gemeinsam sind«.194 Daher wirkten sich verinnerlichte Denkmuster auf die Abbildungen der Menschen des Kriegsraumes ebenso aus wie auf die Beschreibungen und Bilder der Natur. Die Aufnahmen aus dem Krieg zeugen einerseits von Abbildungspraktiken der nationalsozialistischen Bildpropaganda, andererseits von kolonialen Bildpraktiken.195 Sie waren das kulturelle Bildrepertoire, das die Art des Fotografierens lenkte.196 Bei genauerer Betrachtung werden Ähnlichkeiten zu kolonialen Bildtraditionen und zur Reise-und Kolonialfotografie erkennbar.197 Die Motive ähneln den Postkarten und Bildbänden des Verlages Lehnert & Landrock, dessen Fotografen Rudolf Franz Lehnert und Ernst Heinrich Landrock zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Fotostudio in Tunis (1904–1924) und später in Kairo (ab 1920) betrieben. Ihre dort entstandenen Fotografien verkauften sie zunächst an europäische Reisende, publizierten sie später als Postkarten und Bildbände und prägten damit wesentlich das in Europa verbreitete Bild des »Ori-
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Ulrike Pilarczyk hebt daher vor allem private Fotoalben für die Nutzung als historische Quelle hervor, weil zwar »beim Fotografieren manches Bild gemacht wird, das nicht intendiert war, doch ist der Gebrauch, den man von Fotos macht, zumeist nicht zufällig«. Pilarczyk, Grundlagen der seriellikonografischen Fotoanalyse, S. 80. 193 Vgl. ebd., S. 85–86. 194 Vgl. Pierre Bourdieu, Einleitung, in: ders. et al. (Hg.), Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Frankfurt a.M. 1983, S. 11–21, S. 17. 195 Vor allem der Einfluss kolonialer Bildpostkarten auf die Sehgewohnheiten der (post)kolonialen europäischen Gesellschaften ist zu betonen. Diese verbreiteten Bilder, die in diesem Ausmaß sonst den meisten Rezipierenden nicht zugänglich gewesen wären. Vgl. dazu etwa Axster, Koloniales Spektakel. 196 Vgl. Kaja Silverman, Dem Blickregime begegnen, in: Christian Kravagna (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 41–64, S. 49. 197 Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Bezeichnung »Kolonialfotografie« suggeriert, es gebe eine solche als einheitliche Kategorie. Vielmehr fasst der Begriff unterschiedliche Darstellungsformen und Fotografie-Genres, die in der Kolonialzeit entstanden sind, zusammen; vgl. Wayne Modest, in: Museums and the Emotional Afterlife of Colonial Photography, in: Elizabeth Edwards und Sigrid Lien (Hg.), Uncertain Images: Museums and the Work of Photographs, London 2014, S. 21–42, S. 25.
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ents«.198 Die Aufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug zeigen, was in den Katalogen des Verlages als »Typen [...] aus dem Orient, [...] sorglose, lachende, braune Kinder, [...] Beduinenmädchen, zerlumpte Bettler [...], Araber zu Pferd, [...] wunschlose Greise, an biblische Patriarchen erinnernd«,199 bezeichnet worden war. Solche folkloristischen, »pseudo-ethnologische[n] Fotomotive« nahmen die Soldaten in Nordafrika und ihre »Kameraden« an anderen Fronten gerne auf.200 Sie waren – ähnlich wie manch heutige Tourist*innen – stets auf der Suche nach Motiven, die ihre Annahmen über die Ursprünglichkeit der lokalen Bevölkerung Nordafrikas bestätigten. Die Motive und Posen der Abgebildeten suggerierten damit die Unterlegenheit, Rückständigkeit und Primitivität der Dargestellten.201 Was sie also einerseits als unrein ablehnten, weckte als »exotisches« Fotomotiv ihr Interesse.202 Zudem konnten Aufnahmen von Gegenständen, die symbolisch für die im Kriegsraum lebenden Menschen standen, stereotype Fremdbilder (re-)produzieren.203 Bilder von auf Eseln reitenden und Kamele treibenden Menschen oder von der landwirtschaftlichen Nutzung dieser Tiere beglaubigten die in den Briefen und Zeitungsartikeln behauptete Rückständigkeit. Bilder zerrissener Zeltbehausungen bezeugten die angenommene Primitivität der lokalen Bevölkerung.204 Der scheinbar dokumentarische Charakter der Fotos naturalisierte und fixierte stereotype Vorstellungen zugleich.205 Bildausschnitt und Komposition verraten ebenfalls viel über die Intentionen der Fotografierenden, wie Aufnahmen aus den Fotoalben des Soldaten Walter K. zeigen. Auf einer Seite des Albums IV ist, zusammen mit drei Bildern zweier verschiedener Zeltwohnungen, eine aus erhöhter Position aufgenommene Fotografie einer am Boden sitzenden Frau mit Kind eingeklebt. Nicht nur die Kombination mit den anderen Bildern stellt die fotografierte Frau als rückständig dar, die Perspektive des Fotos von oben herab zeigt die Frau zudem als unterlegen.206 Solche Perspektiven wurden in ähnlicher Weise bei Darstellungen der Menschen in eroberten Gebieten oder Schwarzer Soldaten in Kriegsalben aus dem Frankreichfeldzug zur Herabwürdigung genutzt.207
198 Vgl. Joseph Geraci, Lehnert & Landrock of North Africa, in: History of Photography 27 (2003) 3, S. 294–298. 199 Aus dem Vorwort zu Katalog Nr. 5 von Lehnert & Landrock, zit.n. Bopp, »Rasse und Schönheit«, S. 93. 200 Starke, »Ich leg dir ein paar Bilder bei ...«, S. 310. 201 Vgl. Elizabeth Edwards, Anthropology and Photography, 1860–1920, London 1992, S. 9. 202 Ähnlich verhalten hatten sich auch andere europäische Reisende und Soldaten, vgl. Wurzer, Nachts hörten wir, S. 97–98; Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 123. 203 An der Ostfront waren dies etwa ein Schlitten oder handgemauerter Ofen, vgl. Starke, »Ich leg dir ein paar Bilder bei ...«, S. 310. 204 Vgl. die mit den Worten »Hier wohnen Felachen« unterschriebene Fotografie in: DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 10. 205 Vgl. Thomas Etzemüller, Auf der Suche nach dem nordischen Menschen. Die deutsche Rassenanthropologie in der modernen Welt, Bielefeld 2015, S. 191. Zu der unreflektiert der Fotografie zugeschriebenen Beweiskraft siehe auch Susan Sontag, Über Fotografie, Frankfurt a.M. 2016, S. 11. 206 Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 31b. 207 Vgl. Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 55, 70.
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Abbildung 7: Mit »Volkstypen« überschriebene Fotografien aus den Alben von Walter K. mit Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Albumblatt 32 a, Privatbesitz Horst K.
Dass die Perspektive und der Bildausschnitt nicht rein zufällig gewählt waren, verdeutlicht eine Seite mit mehreren Aufnahmen von Kindern aus Tunesien. Diese Bilder wirken einerseits verwackelt und der Bildausschnitt lässt vermuten, dass beim Fotografieren zu früh auf den Auslöser gedrückt wurde oder die Bilder eher zufällig, im Vorbeigehen entstanden sind. Andererseits illustriert die Komposition, dass gerade als »exotisch« empfundene Kinder abgebildet werden sollten. So ist auf einem Bild ein von anderen Kindern umringtes junges Mädchen mit Kopftuch, auf einem anderen ein Schwarzer Junge eindeutig im Zentrum der Aufnahme positioniert. Die Kinder, deren äußerliche Merkmale als Belege der ihnen zugeschriebene Andersartigkeit gedeutet werden konnten, wurden in den Mittelpunkt des Bildes gebracht (Vgl. Abb. 7). Das Interesse der Soldaten lässt sich ebenso an Filmaufnahmen nachvollziehen. So sind im Archiv Höffkes Filmaufnahmen überliefert, die Kinder und Männer der lokalen Bevölkerung beim Tausch von Lebensmitteln mit deutschen Soldaten zeigen. Hier verweilt die Kamera auffällig lange auf dem einzigen Schwarzen der Gruppe, was ebenfalls
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dafür spricht, dass gerade der als besonders »exotisch« wahrgenommene Mann gefilmt werden sollte.208 Noch stärker offenbaren Zeichnungen, deren Anfertigung mit einem wesentlich höheren Aufwand verbunden war als Fotografien, dass Abbildungen der lokalen Bevölkerung nicht zufällig getätigt, sondern die Bildmotive und die Perspektive sehr bewusst ausgewählt wurden. Der Obergefreite Bruno Kröll beschrieb diesen selektiven Prozess in einem Artikel, den er zusammen mit einigen Zeichnungen an die Feldzeitung Oase schickte. Darin wird deutlich, dass Kröll Menschen ablichten wollte, die seinen Vorstellungen entsprachen. Detailliert erzählt er, unter welchen Umständen er Zeichnungen von Menschen auf dem Markt in der libyschen Stadt Barce anfertigte, weil er dort endlich den »Orient« vorgefunden habe. »Da liefen Typen herum, die wie Illustrationen aus Tausend-und-Einer-Nacht anmuteten. Da konnte ich meinen Zeichenstift auch nicht ruhen lassen.«209 Der Artikel belegt, dass Kröll bestimmte Vorannahmen über das Verhalten und die Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung des Kriegsraumes bestätigen wollte. Als er gerade einen Eselskarren auf einem Markt skizzierte, sei der Besitzer gekommen und habe das Geschirr des Tieres und den Wagen geputzt. »Er war nur schwer davon zu überzeugen, dass er mir damit gar keinen Gefallen tat.«210 Der Zeichner wollte also gerade das Bild eines schmutzigen Karrens zeichnen, weil es den Stereotypen über die lokale Bevölkerung entsprach. Manche Aufnahmen aus dem Krieg reproduzierten nicht nur Stereotype, sondern kategorisierten die Menschen des Kriegsraumes regelrecht, wie es auf nationalsozialistischen Schautafeln üblich war, die die propagierte Hierarchie der »Rassen« innerhalb der nationalsozialistischen Rassenideologie darstellten.211 Dabei erinnern die Bilder zugleich an die Frontal-und Profilansichten der ethnographischen Vermessungsfotografie, die nach starren Schemata vorgenommen wurde.212 Solche Typenbilder nutzten die deutschen Propagandakompanie-Fotografen im Zweiten Weltkrieg, um sowjetische Kriegsgefangene oder nicht-weiße Soldaten der französischen Armee als minderwertig darzustellen.213 Diese Tradition spiegelt sich in der Privatfotografie der deutschen Soldaten aus Nordafrika. Sie fotografierten die Menschen des Kriegsraumes in der Manier von Hobby-Ethnologen und katalogisierten die stereotypen und typisierenden Abbildungen
208 Vgl. Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 572, TC: 11:21:00-11:22:43, www.archiv-akh.de/filme/571#1 [19.01.2021]. 209 Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 210 Homi Bhaba, The Other Question. The Stereotype and Colonial Discourse, in: Screen 24 (1983), S. 23 211 Fotografische und gezeichnete Abbildungen sollten im Nationalsozialismus nicht nur die Kategorisierung der aus der »Volksgemeinschaft« Ausgeschlossenen ermöglichen, auch die »deutschen Rassen« wurden auf Schautafeln hierarchisiert und bildlich unterteilt. Dabei spielte auch die Kategorie Geschlecht eine Rolle bei der Hierarchisierung nach »Rassemerkmalen«, da von mehr arischen Männern als Frauen ausgegangen wurde; vgl. Diehl, Körperbilder und Körperpraxen im Nationalsozialismus, S. 25–28. 212 Vgl. Bopp, »Rasse und Schönheit«, S. 131. 213 Vgl. Bopp, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 45, 54–55.
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in ihren Fotoalben. So setzte der Soldat Walter K. seine Fotos durch Bildunterschriften in den Kontext der Rassenlehre und bezeichnete sie als Repräsentationen von »Volkstypen«.214 In seinem Album sind die Abbildungen von Männern verschiedenen Alters aus der lokalen Bevölkerung zudem so eng nebeneinander angeordnet, dass die Albumseite an eine »Rasse-Schautafel« erinnert. Die einzelnen Porträtierten sind frontal oder im Profil abgebildet und blicken fast alle direkt in die Kamera (vgl. Abb. 8). Noch im Nachhinein versahen ehemalige Soldaten ihre Aufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug mit typisierenden Beschriftungen. In seinen Erinnerungen an die Kriegsgefangenschaft in Nordafrika, die er nach seiner Freilassung verfasste und 2011 mit dem Computer abtippte, beschriftete Otto W. das Bild dreier Männer mit weißen Kufiya-Kopfbedeckungen als »Rasse-Gesichter«.215
Abbildung 8: Mit »Tunis Volkstypen« überschriebene Fotografien aus den Alben von Walter K. mit Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Albumblatt 22 b, Privatbesitz Horst K.
214 Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 22 b. 215 DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 14.
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Weniger formell angeordnet waren die Typenbilder in der Feldzeitung Oase. Hier war etwa im Juli 1941 das Foto eines alten Mannes abgedruckt, der mit verschränktem Armen und einem über die Schulter geschlungenen Seil in einem Palmenhain steht (vgl. Abb. 9). Er trägt eine dunkle Hose, ein helles Oberteil und um seinen Kopf sind Tücher gebunden. Sein sonnengegerbtes Gesicht ist der Kamera direkt zugewandt. Die Augen sind zusammengekniffen, weil das Foto so aufgenommen wurde, dass die Sonne direkt hinter der fotografierenden Person stand, wie die Schatten von außerhalb des Bildes stehenden Palmen zeigen. Durch eine solche Positionierung verstärkte der Fotografierende seine Machtposition bei der Aufnahme. Er selbst hatte das Licht im Rücken und konnte sein Objekt besser sehen, während er selbst nur schwer zu erkennen war. Zudem war der Abgebildete zu einer Art Grimasse gezwungen und auf dem entstandenen Foto mit einem ungünstigen Gesichtsausdruck zu sehen. Damit war die Aufnahme ein Gegenbild zu den in der Oase abgebildeten, Härte und Disziplin ausstrahlenden deutschen Soldaten. Der Mann, der in der Bildunterschrift als »Sohn der Wüste« bezeichnet wird, stand als pars pro toto für die gesamte lokale Bevölkerung, der sich die Soldaten beim Betrachten überlegen fühlen konnten.
Abbildung 9: Fotografie Abbildung 10: Fotografie aus o.V., Bildero. F., Ein Sohn der bogen vom Wüstenkrieg in Afrika, in: Die Wüste, in: Die Oase 39, Oase 85, 13. August 1942, S. 5. 17. Juli 1941, S. 7.
Abbildung 11: Zeichnung »Alter Araber« von Kriegsmaler Volkmar, abgedruckt neben dem Artikel: H. W., Kü nstler im Soldatenrock, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 5.
Der erneute Abdruck eines Fotos desselben Mannes belegt, wie stark das Bedürfnis der Redakteure der Feldzeitung war, bestimmte Bilder zu vermitteln. Die zweite Aufnahme ist weniger porträthaft. Der Mann, der hier als der »alte Ali« bezeichnet wird, ist hier zusammen mit einem Soldaten zu sehen. Die Bildunterschrift vermutet, dass er gerade ein Geschäft mit dem deutschen Unteroffizier abgeschlossen habe. Schon die körperliche Größe des Deutschen lässt den neben ihm stehenden alten Mann unterlegen erscheinen. Zudem wirkt er aufgrund der gewählten Perspektive leicht von oben herab zusätzlich klein (vgl. Abb. 10). Die ungenauen Angaben zum Entstehungskontext in den Bildunterschriften beider Fotografien zeigen, dass es der Redaktion der Feldzeitung nicht darum
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ging, individuelle Menschen und ihre jeweilige Umgebung abzubilden. Vielmehr entsprachen die Aufnahmen genau dem Typenbild, das die Zeitung den Soldaten vermitteln wollte. Deshalb wurde er mit zwei Fotos abgebildet, obwohl es, wie die zahlreichen anderen Aufnahmen in privaten Fotoalben zeigen, oft möglich war, Angehörige der lokalen Bevölkerung zu fotografieren. Andere in der Oase abgedruckte Bilder zeigen ebenfalls den Typ »alter Mann mit Turban«. Das Porträtfoto eines als »Araber aus Tunesien« betitelten Mannes stellt den Abgebildeten ebenso leicht von der Seite dar wie das Foto des »Wüstensohnes«.216 Veröffentlichte Zeichnungen knüpften in ihrer Motivik ebenfalls an dieses Sujet an und präsentieren ältere, bärtige Männer mit Turban. So druckte die Oase eine Zeichnung des PK-Mitglieds Volkmar, die denselben Typus Mann darstellt, wie der als »alter Ali« bezeichnete Mann (vgl. Abb. 11). Den Fotografierenden und Zeichnenden ging es vor allem um die Darstellung bestehender stereotyper Vorstellungen. Sie sollten Typen zeigen und keine individuellen Menschen abbilden, die in einem Artikel über einen Kriegsmaler als »Köpfe« bezeichnet wurden.217 Andere Texte, wie Bildbeschriftungen, verstärkten die stereotypisierende Wirkung der Aufnahmen. In den Texten zu den beiden beschriebenen Fotos des alten Mannes bezog man sich auf die Differenz zwischen Natur und Kultur, und der Abgebildete wurde durch die Bezeichnungen »Sohn der Wüste« oder »Araber aus Tunesien« sprachlich mit dem Kriegsraum und dessen natürlicher Umwelt verbunden. So fand eine Naturalisierung statt, die den Diskurs der »wilden Fremden« heraufbeschwor.218 Ebenso stellte die in der Oase getroffene Aussage, dass Porträtbilder ein »Stück Seele« des Kriegsraumes transportieren könnten,219 die Menschen als Teil der Natur dar. Damit wurde an die dichotome Vorstellung der »zivilisierten« Europäer*innen und der »unzivilisierten/wilden Eingeborenen« angeknüpft. Ähnlich verbindet die Benennung eines Mannes auf einer Zeichnung des bereits erwähnten Obergefreiten Kröll als »alter Wüsten-›Stratege‹« den Abgebildeten mit der natürlichen Umwelt. Zugleich suggerieren die Anführungszeichen beim Wort Stratege seine Inferiorität und Unterlegenheit.220 Andere Bildunterschriften reproduzierten, wie bereits dargelegt, homogenisierende Bezeichnungen für die lokale Bevölkerung. Neben »Ali« wurden die Männer von den deutschen Soldaten und in der Oase oft einfach nur als »alter Araber«, Frauen pauschal als »Arabermädchen« bezeichnet.221 Damit nahmen sich die Soldaten das Recht heraus, die Menschen des Kriegsraumes mit Fremdbezeichnungen zu versehen, die diese ihrer Individualität beraubten und ihrem europäischen Blick entsprachen. Im postkolonialen und rassismuskritischen Diskurs werden solche Benennungsakte daher als »Teilhandlungen epistemischer Gewalt« gesehen, wie sie Spivak mit Hilfe des othering-Konzeptes
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Vgl. Foto von Baumfrei, Araber aus Tunesien, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 4. H.W., Künstler im Soldatenrock, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 5. Diese Topoi kamen etwa in den Reiseberichten der Afrikaforscher Heinrich Barth oder Emin Pascha vor; vielen Dank für den Hinweis an Annika Vosseler. Zu Heinrich Barth siehe auch Christoph Marx, Von Berlin nach Timbuktu. Der Afrikaforscher Heinrich Barth. Biographie, Göttingen 2021. 219 H.W., Künstler im Soldatenrock, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 5. 220 Vgl. etwa Zeichnungen von Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 221 Ebd.
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diskutiert hat.222 Die Praktik des Namengebens zeugt von der Benennungsmacht der deutschen Soldaten und sind darüber hinaus als grundsätzliche Machtübernahmen zu verstehen. Denn die Bilder entstanden innerhalb eines hegemonialen, »rassifizierten Repräsentationssystems« und waren als Abbildungen der als anders und fremd Markierten mit symbolischer und politischer Macht verbunden.223 Die Bildunterschriften sind Ausdruck der Macht derjenigen, die die Bilder besaßen und damit die Möglichkeit hatten, sie und die darauf Abgebildeten einzuordnen. Roland Barthes hat darauf hingewiesen, dass Bildunterschriften den Blick lenken und so Bedeutung erzeugen bzw. eine der vielfältigen Bedeutungen, die ein Bild haben kann, hervorheben. Oft sind es subversive Verweise im Text, die die Rezeption in die gewünschte Richtung lenken.224 Durch die Kommentierung und die Anordnung eines Bildes im Kontext mit anderen kann, noch nachdem der Moment des Fotografierens vorbei ist, die Subjekt-oder Objektrolle auf einem Foto für die Betrachtenden zugewiesen werden. Auf diese Weise lässt sich etwa zu Propagandazwecken der politische Gehalt eines Fotos erhöhen und die Interpretation steuern, wie es bei den Abbildungen in der Oase der Fall war.225 Ebenso lenkten bei der privaten Nutzung der Bilder Bildtexte den Bedeutungsgehalt. Motivik, Komposition, gewählter Bildausschnitt und Perspektive dokumentieren und festigen auf Bildern die tatsächliche Machtverteilung. Wie in der Kolonial-und Missionsfotografie um 1900 sind daher auch auf den Fotografien aus dem Nordafrikafeldzug die Subjekt-und Objektrollen nach rassistischen Mustern verteilt. In Analogie zu den Kolonisierten sind den Angehörigen der lokalen Bevölkerung subalterne Positionen und Rollen zugeordnet, während die deutschen Soldaten auf den Bildern in Position und Rolle als herausgehobene Subjekte erscheinen.226 Die von Kröll in der Oase abgedruckten Zeichnungen zeigen vor allem hockende Menschen, sie visualisieren damit die angenommene Unterlegenheit der lokalen Bevölkerung. Die Perspektive der bereits genannten Fotografie des deutschen Unteroffiziers und des arabischen Mannes kann als eine ebensolche bewusste Rollenzuweisung in diesem Sinne gedeutet werden. Andere Bilder zeigen die lokale Bevölkerung als entindividualisierte Gruppe im Gegensatz zum europäischen Individuum, dem deutschen Soldaten. Die Bilder inszenierten damit in der Art der Fotografien aus dem kolonialen Kontext die »fremde Menschenmasse [...] als kollektives Spektakel«, das sich »als Objekt diesem Subjekt präsentiert«.227 So zeigt eine in der Oase abgedruckte Aufnahme eine Gruppe von Frau-
222 Lobenstein-Reichmann, ›Rasse‹ – zur sprachlichen Konstruktion einer Ausgrenzungsstrategie, S. 171. 223 Vgl. Hall, Spectacle of the Other, S. 269. 224 Vgl. Roland Barthes, Rhetoric of the Image, in: Carolyn Handa (Hg.), Visual Rhetoric in a Digital World: A Critical Sourcebook, Boston/New York 2004, S. 152–163, S. 156. 225 Vgl. Richard Hölz, Rassismus, Ethnogenese und Kultur. Afrikaner im Blickwinkel der deutschen katholischen Mission im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: WerkstattGeschichte 59 (2012), S. 7–34, S. 30. 226 Vgl. Hölzl, Rassismus, Ethnogenese und Kultur, S. 26. 227 Anthony Easthope, Der kolonialistische Blick. Medien gegen den Strich lesen, in: Ruth Mayer und Mark Terkessidis (Hg.), Globalkolorit. Multikulturalismus und Populälrkultur, St. Andrä-Wördern 1998, S. 195–208, S. 195.
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en mit Kopftüchern, vor der ein lächelnder Landser steht. Der deutsche Soldat ist auf dem Bild im Gegensatz zur Gruppe der sitzenden Frauen im Stehen inszeniert. Damit wurde seine vermeintliche Superiorität verbildlicht, die die Bildunterschrift bestätigte: »Der Landser, der arabisch spricht und alles in Erstaunen setzt ...!«228 Die Handlungsmacht und Subjektposition werden damit dem Soldaten zugesprochen, der als aktiv und die Reaktion der Frauen bestimmend dargestellt ist. Auch in den Erinnerungen des Willibald P. findet sich eine Abbildung deutscher Soldaten zusammen mit Männern der lokalen Bevölkerung. Die Beschriftung des Soldaten lässt erkennen, dass er die Subjektrolle allein den deutschen Soldaten zuwies: »Rechts mein Kamerad Albrecht aus Münnerstadt bei Arabern«.229 Der lokalen Bevölkerung nahm er durch die homogenisierende Bezeichnung die Individualität, wohingegen der deutsche Soldat mit Angabe des Namens und des Herkunftsortes als Individuum erscheint. Die Darstellungsweise der lokalen Bevölkerung anhand kolonialrassistischer Sehgewohnheiten bezeichnet Henning Melber in der Auseinandersetzung mit Fotografien aus dem kolonialen Kontext als »kolonialen Blick«. Mit diesem Begriff möchte er die Einschreibung eines hierarchisierenden und eurozentristischen Weltbildes sowie rassistischer Zuschreibungen in der Fotografie fassen.230 Die Fotografien werden damit als Mittel der Repräsentation von Hegemonie und Macht entlarvt, die im Kontext kolonialer Verhältnisse entstanden sind und als solche noch nach dem Ende der realpolitischen Kolonialherrschaft nachwirken. Ebenso sind die Fotografien aus dem Nordafrikafeldzug Ergebnisse eines »kolonialen« beziehungsweise »kolonialisierenden Blickes«, der eine »selektive, subjektive Wahrnehmung als optische[r] Tatbestand« darstellt.231 Kaja Silverman spricht in diesem Zusammenhang von einem »Blickregime«, durch das ein Subjekt in einer bestimmten Weise wahrgenommen wird.232 Es macht die von Rassismen geprägte Perspektive der deutschen Soldaten beim Zusammentreffen mit Angehörigen der lokalen Bevölkerung noch heute auf den Bildern sichtbar. Zugleich sind die Fotografien Zeugnisse der Machtposition der deutschen Soldaten. Sie besaßen als Verbündete der italienischen Kolonialmacht in Libyen und als Träger von Kriegswaffen faktisch die Autorität über die lokale Bevölkerung und sahen sich selbst als überlegen an. Dies spiegelt sich nicht allein in der Perspektive und Motivik der Fotografien, Zeichnungen oder Filmaufnahmen,233 sondern beeinflusste ferner den Akt des Abbildens selbst, der zu einem »Instrument der Macht«234 wurde. Denn in der Praktik 228 O. F., o. T., in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. 229 Foto aus dem Nachlass von Willibald P., in: IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 29–30. 230 Vgl. Henning Melber, Der Weissheit letzter Schluss: Rassismus und kolonialer Blick, Frankfurt a.M. 2001. 231 Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Der Schleier als Fetisch. Bildbegriff und Weiblichkeit in der kolonialen und postkolonialen Fotografie, in: Fotogeschichte 20 (2000) 76, S. 25–38, S. 30. 232 Silverman, Dem Blickregime begegnen, S. 47. 233 Joachim Zeller spricht in Bezug auf koloniale Fotografie von einer Manifestierung der Macht in der Praktik der Fotografien, in denen das Überlegenheitsgefühl der Fotografierenden zum Ausdruck kommt; vgl. Joachim Zeller, Koloniale Bilderwelten. Zwischen Klischee und Faszination. Kolonialgeschichte auf frühen Reklamesammelbildern, Augsburg 2010, S. 11. 234 Sontag, Über Fotografie, S. 14. Daher versteht Landau die Fotografie als ein »tool of empire« zur Sicherung der Herrschaft, vgl. Paul S. Landau, Empires of the Visual: Photography and the Colonial
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des Fotografierens beziehungsweise Zeichnens konnten sich die Soldaten einerseits die Abgebildeten und die Deutungsmacht über sie aneignen,235 andererseits war die Praktik des Abbildens von teilweise an Gewalt grenzender Respektlosigkeit geprägt.236 Aus gutem Grund wurde in der Tornisterschrift Der Islam in den Leitsätzen zum Umgang mit der Bevölkerung in muslimisch geprägten Ländern auf das Fotografieren Bezug genommen. So sollte »unter keinen Umständen« versucht werden, Betende zu »photographieren oder zu filmen« oder »in der Moschee zu photographieren«, wenn dies nicht ausdrücklich gestattet war.237 Die fotografischen Quellen und Filmaufnahmen aus dem Nordafrikafeldzug belegen, dass die deutschen Soldaten den Anweisungen nicht folgten. Wollten die Soldaten ein interessantes Foto schießen oder etwas abbilden, was als »typisch« oder »orientalisch« galt, achteten sie die Befindlichkeiten der Menschen des Kriegsraumes nicht. Sie fotografierten und filmten die dort anwesenden Menschen, ohne zu fragen, auf der Straße, im Vorbeifahren oder beim Besuch von Märkten. Armbruster notierte in seinem privaten Tagebuch, dass er in Derna eine »Unmenge Fotos auf dem Sukh gemacht«238 und sogar auf dem Markt gefilmt habe.239 In Archiven und Fotoalben von Soldaten finden sich immer wieder Aufnahmen aus dem fahrenden Automobil oder Panzer heraus, oder es entstanden Filmaufnahmen während Erkundungsgängen durch die Küstenstädte.240 In großen Gruppen und mit Kameras bewaffnet besichtigten die Soldaten die Städte des Kriegsraumes.241 Nachdem ihre Hoffnung auf Safaris enttäuscht worden war, machten sie stattdessen mit der Kamera Jagd auf die lokale Bevölkerung,242 die im Nordafrikafeldzug zwar nicht das offizielle Ziel deutscher
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Administration in Africa, in: ders. und Deborah D. Kaspin (Hg.), Images and Empires: Visuality in Colonial and Postcolonial Africa, Berkeley 2002, S. 141–171, S. 142. Ebd. Siehe auch Sontag, Über Fotografie, S. 10. Vgl. Starke, »Ich leg dir ein paar Bilder bei ...«, S. 310. Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 63. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag 14.–18. Mai 1942, S. 30. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 3. Februar 1942, S. 16. Vgl. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 22 a. Vgl. auch die Straßenaufnahmen in BArch-MA, N267/9, Nachlass Erwin M., Fotoalbum – Afrikakorps im Einsatz, Bl. 1 und 30; Bl. 6, Bild 3; Bl. 16, Bilder 3–11 sowie die im Vorbeifahren gemachten Filmaufnahmen der lokalen Bevölkerung und Aufnahmen von Kindern auf dem Markt in Derna, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:04:25-11:04:27 und 11:18:20-11:19:20 und 11:22:28-11:24:05, URL: www.archiv-akh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. Siehe auch die Aufnahmen auf dem Markt in Derna, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 516, 10:33:20-10:35:34, URL: www.archiv-akh.de/filme?utf-8= %E2 %9C %93&q=Nordafrika#2 [19.01.2021]. Vgl. Aufnahme von Soldaten in Tripolis, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, TC: 10:17:2210:17:50, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021]. Auf die linguistische Entsprechung der Bezeichnungen für das Jagen und die Praktiken des Fotografierens hat Susan Sontag hingewiesen, vgl. Sontag, Über Fotografie, S. 19. Auch Landau machte auf die Analogien der Fotografie im kolonialen Kontext und der Jagd auf Wildtiere aufmerksam. Bei beiden Praktiken wurde das Ziel verfolgt und am Ende als Trophäe mit nach Hause genommen, vgl. Landau, Empires of the Visual, S. 149. Landau bezeichnet dies als »shooting and taking«, ebd., S. 161.
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Waffen war, auf die aber die deutschen Soldaten mit ihren Kameras zielten.243 In der Feldzeitung Oase wurde sogar behauptet, die lokale Bevölkerung habe die Soldaten deshalb als »knipsende Europäer« bezeichnet.244 Die so entstandenen Bilder offenbaren, wie unverhohlen die Wehrmachtsangehörigen die Menschen des Kriegsraumes in den Blick nahmen. Neben der Fotografie bot vor allem das moderne Medium des Films die Möglichkeit, leicht und schnell Menschen gegen ihren Willen bildlich einzufangen.245 Ihre teils irritierten Reaktionen sind in einigen Aufnahmen dokumentiert. Manche versuchten schnell aus dem Blickfeld zu kommen, andere blickten direkt in die Kamera und sahen damit ihrerseits die deutschen Soldaten und Kriegsberichterstatter durch das Objektiv hindurch an. So blieb ein am Strand mit seiner Schafherde entlangziehender Hirte, auf den die Kamera annähernd eine Minute lang zielte, immer wieder stehen und blickte in die Kamera.246 Die Möglichkeit des Gegenblicks war den Soldaten nicht bewusst. Die filmenden, fotografierenden und zeichnenden Soldaten und Kriegsberichter betrachteten sich als alleinige Subjekte ihrer visuellen Praktiken. Beim Fotografieren der »Fremden« verstanden sie sich als Sehende, wobei in ihrer Vorstellung die »Anderen« nur gesehen werden konnten, ohne selbst zurückzublicken.247 Daher betrachteten sie sich im Recht, die lokale Bevölkerung gegen ihren Willen zu fotografieren. Dass sie umgekehrt zum Motiv von Abbildungen hätten werden können, wurde dagegen nicht thematisiert. Allein in Kontexten, die zugleich das Stereotyp der »inferioren« und »staunenden« lokalen Bevölkerung reproduzierten, hieß es, dass die Soldaten zurück angeblickt wurden.248 Doch die abgebildeten Menschen blickten nicht nur zurück oder gingen weg, sondern wehrten sich auch, soweit ihnen dies möglich war. Eine der analysierten Filmaufnahme lässt deutlich erkennen, dass die gefilmten Menschen die Aufnahmen als respektlos empfanden. Als einige unter Arkaden sitzende Männer gefilmt wurden, springt einer plötzlich auf und geht einige Schritte auf die Kamera zu, als wollte er das Filmen unterbinden. Die filmende Person hat ihr Handeln offensichtlich sofort beendet, denn die
243 Gerhard Paul spricht von einer Gleichschaltung von Kameraauge und Waffe im Zweiten Weltkrieg, die auch vom Bildverlag Heinrich Hoffmann so praktiziert wurde, vgl. die Beschriftung eines Pressebildes des »NS-Bildimperiums« Heinrich Hoffmann, zitiert bei Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004, S. 288. Ähnlich wurde in der Zeitschrift Photofreund erklärt, die Kamera solle »Werkzeug und Waffe« werden, zit. in Janina Struk, Photographing the Holocaust: Interpretations of the Evidence, London 2004, S. 23. 244 Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3. 245 Vgl. Bopp, »Rasse und Schönheit«, S. 94. 246 Aufnahme eines Hirten mit Schafherde am Strand, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 119, TC: 11:00:55-11:01:30, www.archiv-akh.de/filme/119#1 [19.01.2021]. 247 Vgl. dazu Susan Sontag, Das Leiden der anderen betrachten, München/Wien 2003, S. 86: »[D]enn der andere, selbst wenn er kein Feind ist, gilt uns nur als jemand, den man sehen kann, nicht als jemand, der (wie wir) selbst sieht.« 248 »Oft wird die Eintönigkeit des Vormarsches angenehm unterbrochen, und die deutschen Flieger machen bei gelegentlichen Zwischenlandungen interessante Bekanntschaften: Afrika schaut sie an!« heißt es auf einer Bildtafel des Hoffmann Verlages, IfZ Archiv, P 364, Hoffmanns Bildtafel Nr.18/V 41, »Kampf und Sieg in der Wüste!«, Verantwortlich für Text und Bild: Oskar Robert Aschenbach, München.
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Aufnahme bricht ab.249 Zwar befinden sich auf dieser Filmrolle Aufnahmen, die in die Kamera lachende Männer und Kinder zeigen,250 doch in diesem Fall hatte der Filmende wohl keine Erlaubnis und musste sein Tun schleunigst unterbrechen. In besonderer Weise entwürdigend war das Filmen von Frauen. Weil die lokale Bevölkerung des Kriegsraumes zu großen Teilen muslimisch war, missachteten die deutschen Soldaten beim Fotografieren und Filmen das islamische Bilderverbot, das das Abbilden muslimischer Frauen untersagt.251 Zwar war es ihnen nicht explizit in Handreichungen erläutert worden, doch hieß es in der Tornisterschrift Der Islam, dass muslimische Frauen nicht angesprochen und am besten nicht angesehen werden sollten.252 Ein Entwurf für ein Merkblatt zum Verhalten der deutschen Soldaten in Nordafrika hatte hingegen das Fotografieren ausdrücklich thematisiert: »Sprich unter keinen Umständen verschleierte Frauen an und unterlasse den Versuch, solche zu fotografieren. Für den strenggläubigen Islamiten ist die Belästigung einer verschleierten Frau eine tödliche Beleidigung, die Rache erfordert.«253 Die Soldaten hätten diese Aufforderung vermutlich ignoriert, denn sie sahen gerade in verschleierten Frauen ein begehrenswertes Motiv und versuchten immer wieder, diese zu fotografieren, zu filmen oder zu zeichnen. Wilfried Armbruster notierte in seinem Tagebuch, wie sehr es ihn freute, während einer Einladung bei Angehörigen der lokalen Bevölkerung Aufnahmen von arabischen Frauen machen zu können. »Morgens haben wir uns zu einem Araber gesetzt und mit ihm zusammen Tee getrunken. Ich habe es soweit gebracht, dass ich sogar seine Frauen fotografieren konnte. Habe einen ganzen Farb-und Schwarzweissfilm verknipst.«254 Walter K. klebte mehrere Aufnahmen von Straßenszenen aus der Altstadt von Tunis in sein Kriegsfotoalbum. Auf den Bildern ist klar zu erkennen, dass er den Versuch unternommen hatte, verschleierte Frauen abzubilden. Ein Bild, das durch seine Komposition die beiden verschleierten Frauen ins Zentrum rückte, ordnete er ebenso in seinem Album in der Mitte der Seite an.255 Dass ihnen dabei Verbote herzlich egal waren, wird im Bildtext zu einem Aquarell eines »Beduinenmädchens« in Herbert Sommers Skizzenbuch deutlich. Darin heißt es, Sommer habe es »nur heimlich und mit der größten Vorsicht« wagen können, die Frau 249 Aufnahme eines aufspringenden Mannes, Filmarchiv Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, TC: 10:18:40-10:18:44, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021]. 250 Aufnahme lachender Männer, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, TC: 10:17:05-10:17:20, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021]. Das Lächeln der Menschen auf diesen Aufnahmen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Aufnahmen ebenfalls mit entblößender Intention entstanden, vgl. dazu Bopp, Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 70. 251 Vgl. Bopp, Fremde im Visier. Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, S. 98. 252 Vgl. Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 64. 253 BArch-MA, RH 12–23/1238, Schreiben des Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel, San.-Ers.-Abt. 12, Betreff: Vorschlag für ein Merkblatt, das bis zum Erscheinen entsprechender Vorschriften den zur Abstellung zum Deutschen Afrika-Korps in Frage kommenden Angehörigen der San.-Ers.-Abt. 12 Anhaltspunkte für das Verhalten in Libyen geben soll, fol. 42. 254 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 22. Januar 1943, S. 104. 255 Fotos »Tunis Altstadt«, aus den Alben von Walter K. mit Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Albumblatt 22 a, Privatbesitz Horst K.
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zu zeichnen. Denn als er den »Dorfobersten um Erlaubnis« gebeten hatte, war dessen »Gesicht finster« geworden und »eine nicht mißzuverstehende Bewegung« habe es ihm »ein für alle mal« verboten, danach zu fragen. Dass er sich mit der Zeichnung über dessen Willen hinwegsetzte, ist mit folgenden Worten kommentiert: »Na – was sind Verbote?«256 Weitere Filmaufnahmen zeigen, wie gefilmte Frauen versuchten, Aufnahmen zu verhindern. In einem Filmausschnitt aus dem Archiv Höffkes ist zu sehen, wie zwei an der Kamera vorbeilaufende Frauen mit Schleiern ihren Schritt beschleunigen, als sie bemerken, dass sie gefilmt werden. Eine der beiden zieht ihren Schleier weiter nach unten, um ihr Gesicht zu verdecken. Dennoch folgt die Kamera den beiden, während das Kind, das die Frauen begleitet, im Vorbeigehen in die Kamera blickt.257 Trotz des fehlenden Kommentars ist zu erkennen, dass die filmende Person den Wunsch der Frauen, nicht abgebildet zu werden, ignorierte. Dabei war den filmenden und fotografierenden Soldaten die ablehnende Haltung mancher fotografierter Personen durchaus bewusst, wie ein Eintrag aus dem Tagebuch des Oberstleutnants Weicht belegt. Er notierte, dass »Junge [sic!] (Schwarze) flüchteten, als sie eine Kamera blitzen sahen«.258 Doch war es ihnen wichtiger, die vermeintliche Exotik des Kriegsraumes abzubilden, als den Willen der Menschen zu respektieren. Dass die Menschen als Attraktion des »fremden Raumes« gefilmt wurden, belegt die Einbettung der beschriebenen Filmsequenz in Aufnahmen antiker Stätten. Im Archiv Höffkes findet sich ein weiterer Versuch, eine verschleierte Frau in einem hellen Gewand in der Stadt Tripolis zu filmen. In der ersten Einstellung dreht sie sich sofort weg, wird dann aber aus größerer Entfernung noch einmal gezeigt. Doch bricht die Einstellung nach wenigen Sekunden ab, vermutlich weil das Gesicht der Frau nicht zu sehen ist.259 Derartige Übergriffe fanden nicht nur beim Filmen statt, sondern sind auch in Form von Zeichnungen belegt. In seinem in der Oase abgedruckten Artikel zu den auf dem Markt in Barce entstandenen Bildern beschreibt der Obergefreite Kröll sein Grenzen überschreitendes und gewaltvolles Verhalten selbst. Zwar behauptete er, die Menschen seien teils »mächtig stolz, wenn sie gezeichnet wurden«.260 Im weiteren Verlauf des Textes wird jedoch klar, dass die Gezeichneten – die er in abschätzigen Anführungszeichen seine »›Modelle‹« nannte – nicht abgebildet werden wollten. Zugleich belegt der Artikel, dass Kröll diese Grenzüberschreitungen bewusst und mit einem gewissen Stolz vollzog.261
256 Vgl. Afrikanisches Skizzenbuch von Herbert Sommer, o.S. 257 Aufnahme zweier Frauen und eines Kindes, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 516, TC: 10:27:0710:27:16, URL: www.archiv-akh.de/filme?utf-8= %E2 %9C %93&q=Nordafrika#2 [19.01.2021]. 258 BArch-MA, MSG 2/260, Abschrift des Tagebuchs des Oberleutnants Weicht, Stellvertretender Quartiermeister des rückwärtigen Armeegebietes des DAK vom 22. April 1941 bis 18. Februar 1942, Eintrag vom 25. Mai 1941, S. 7. 259 Aufnahme einer verschleierten Frau, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, TC: 10:18:30-10:18:33, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021]. 260 Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 261 Vgl. ebd.
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Kröll beschrieb sein Vorgehen beim Anfertigen einer Zeichnung folgendermaßen: Er stellte sich »möglichst unauffällig ihr gegenüber«, um die Zeichnung anzufertigen. Als die Frau, die er als ein »altes N*weib in grell-buntester Aufmachung« bezeichnete, ihn und seine »Absichten« entdeckte, bedeckte sie »ihr Gesicht mit einem Stück Pappe«. Doch Kröll erklärte, dies habe ihr nichts genützt, denn er hatte bereits den Kopf gezeichnet und machte unbeirrt weiter. Über diese »Beharrlichkeit« sei die Frau »so wütend« geworden, dass sie in Richtung des Zeichners und der bei ihm stehenden anderen deutschen Soldaten spuckte.262 Kröll war sich also sehr bewusst, dass seine Abbildung gegen den Wunsch der Frau erfolgte, und deutete ihr Handeln selbst als Form des Aufbegehrens. Doch durch die Reaktion der anderen Menschen auf dem Markt fühlte er sich in seinem Tun bestätigt: Es habe sich schnell »der halbe Markt [...] versammelt und [...] laut lachend und mit den Fingern zeigend fest[gestellt], dass die Schwarze da gezeichnet worden ist«.263 Die Abbildung empfanden die Umstehenden also ebenfalls als entwürdigend und beschämten die Frau deshalb öffentlich. Damit erlebte die Frau eine doppelte Herabwürdigung durch den deutschen Soldaten und die Zuschauenden.
Abbildung 12: Zeichnung einer »Araberin« von Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3.
262 Ebd. 263 Ebd.
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Auf der schließlich in der Feldzeitung veröffentlichten Zeichnung ist der Widerstand der Frau sichtbar. Sie hat ihre rechte Hand am Kopftuch, um dieses tiefer ins Gesicht zu ziehen und sich vor dem Blick des deutschen Soldaten zu schützen (vgl. Abb. 12). Die Bildunterschrift kommentierte die Zeichnung mit den Worten: »Diese Araberin wollte ihr Gesicht verdecken, aber unser Zeichner war schneller!«264 Damit thematisierte sie den Versuch der Frau, sich gegen das Zeichnen zu wehren, vermittelt aber Stolz über die trotzdem gelungene Abbildung. Diese wird als ein Erfolg dargestellt, wie es etwa die fotografische Aufnahme eines scheuen Tieres in der freien Natur wäre. Die gezeichnete Frau wurde damit nicht nur durch die Abbildung ihrer Würde beraubt, sondern zusätzlich entmenschlicht und zu einem Objekt gemacht, dass der Befriedigung exotistischer Bedürfnisse diente. Die beschriebenen Bildbeispiele verdeutlichen die Respektlosigkeit, mit der die deutschen Soldaten der lokalen Bevölkerung in Nordafrika begegneten. Gleichzeitig bieten die Fotografien und Filme aber die Möglichkeit, den Gegenblick und das widerständige Verhalten der lokalen Bevölkerung aufzuspüren. Denn sie waren, anders als viele Menschen, die als Kolonisierte unter Zwang fotografiert und dazu teilweise in Fotostudios geschleppt wurden, den nach Schnappschüssen jagenden deutschen Soldaten nicht wehrlos ausgeliefert. Denn das Herunterziehen des Schleiers, das Wegdrehen oder das direkte Erwidern des Blickes können als Formen der Selbstbehauptung und des Widerstandes gedeutet werden.265 Die Aufnahmen sind damit Zeugnisse der Handlungsmacht der lokalen Bevölkerung, die in bestimmtem Maße auf die Situation des Fotografierens reagieren konnten. Dennoch waren die deutschen Soldaten aufgrund ihrer Position innerhalb des Machtgefüges des Krieges diejenigen, die die Situation des Fotografierens oder Filmens bestimmten. Dies wird besonders in Aufnahmen erkennbar, die körperlichen Kontakt zeigen, wie eine verwackelte, mehrfach die Perspektive wechselnde Aufnahme eines Kindes auf einem Esel. Zwei, rechts und links von dem kleinen Eselsreiter stehende Soldaten fassen immer wieder das Tier an und greifen auch dem Kind auf die Kopfbedeckung, als ob sie ihm durch die Haare fahren wollten, so dass sein Kopf hin und her bewegt wird. Dabei ist zu erkennen, dass das Kind zurückweicht, weil ihm diese Behandlung unangenehm ist. Dennoch nähert sich die filmende vierte Person und scheint am Ende die Kamera direkt vor das Maul des Esels zu halten.266 Eine ähnliche Situation bezeugt eine an der Küstenstraße »Via Balbia« gemachte Filmaufnahme. Am Arco dei Fileni, einem von den Italienern an der antiken Grenze zwischen Tripolitanien und der Cyrenaika errichteten Torbogen, sind mehrere Männer zu sehen. Zwei Soldaten fassen einen libyschen Posten an die Arme und die Kopfbedeckung, während eine vierte Person filmt. Der Blick und der zu einem Lächeln verzogene Mund
264 Zeichnung einer »Araberin«, Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. 265 Vgl. Zeller, Koloniale Bilderwelten, S. 17. Zum widerständigen Potential des Blickes vgl. bel hooks, Black Looks: Race and Representation, Boston 1992, S. 115–131. 266 Aufnahme eines Kindes auf einem Esel mit zwei Soldaten, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 3921, TC: 10:15:19-10:15:46, URL: www.archiv-akh.de/filme/3921#1 [19.01.2021].
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des libyschen Mannes lassen erkennen, dass er sich unwohl fühlt, die Handlungen aber aufgrund des Machtungleichgewichtes geschehen lässt.267 Dieses Ungleichgewicht bestand ebenfalls bei Abbildungen, die respektvoller oder mit Einverständnis der Abgebildeten angefertigt wurden. In dem 1942 veröffentlichten Skizzenbuch des Soldaten des Afrikakorps Herbert Sommer sind neben Landschaftsbildern einige Zeichnungen von Angehörigen der lokalen Bevölkerung enthalten, die sich von den anderen hier besprochenen Fotos und Zeichnungen unterscheiden. Die Perspektive dieser Zeichnungen scheint die Menschen auf Augenhöhe abzubilden; zudem sind die Namen mit auf dem Blatt vermerkt. Dennoch stellen auch diese Zeichnungen eine Aneignung der betreffenden Menschen dar. Die Bildtexte, die den Zeichnungen in der Publikation des Skizzenbuches zugeordnet sind, belegen, dass hier Personen abgebildet wurden, die den unter den Soldaten vorherrschenden stereotypen Fremdbildern entsprachen. So heißt es neben der Zeichnung eines jungen Mannes, eine Zigarette habe »ihn zutraulich werden« lassen, sein Freund habe des Zeichners »sämtliche [...] Taschen« durchsucht und sei am Ende »mit einem gemauserten Gummiband« gegangen – was auf das Vorurteil der inferioren und unehrlichen »Araber« verweist. Eine gezeichnete Frau wird in dem Buch homogenisierend als »Arabermädchen« bezeichnet. Das Porträt von Rofo bai Mohoumet, das aufgrund der Angabe seines Namens zunächst so wirkt, als habe hier ein respektvoller Kontakt zwischen dem Zeichner und dem Mann stattgefunden, wird durch den Bildtext ebenfalls zu einem materiellen Beleg dafür, dass die deutschen Soldaten in Nordafrika entgegen allen Aufforderungen, die lokale Bevölkerung nicht achteten. Es heißt, Mohoumet sei »ungnädig« gewesen, als Sommer ihn zeichnen wollte. Dennoch bildete er ihn ebenso ab wie die junge Frau, die er als »orientalische Schönheit« darstellte.268 Den Abbildungen der lokalen Bevölkerung haftet damit »etwas Räuberisches an«.269 Denn das Anfassen und Abfotografieren der Menschen durch die Soldaten ist nicht nur Ausdruck der Machtverhältnisse, sondern kann als ein Versuch der Aneignung und Inbesitznahme bewertet werden. »Fotografieren heißt sich das fotografierte Objekt aneignen«,270 wie Susan Sontag betonte. Somit waren die entstandenen Abbildungen selbst machtvolle Objekte, die die Position der deutschen Soldaten nachhaltig stärkten. Indem die Zeichnungen oder Fotografien einen einmaligen Moment visuell festhielten, machten sie ihn unendlich wiederholbar.271 So hatten die Soldaten langfristig die Deutungshoheit über die Bilder, etwa wenn sie sie bei Heimatbesuchen und nach dem Krieg herumzeigten.272 267 Aufnahme am Arco dei Fileni, Agentur Karl Höffkes, Material Nr. 516, TC: 10:24:01-10:24:17, URL: www.archiv-akh.de/filme?utf-8= %E2 %9C %93&q=Nordafrika#2 [19.01.2021]. 268 Vgl. Afrikanisches Skizzenbuch von Herbert Sommer, o.S. 269 Vgl. Sontag, Über Fotografie, S. 20. 270 Sontag, Über Fotografie, S. 10. 271 Vgl. Edwards, Anthropology and Photography, S. 7. 272 Das Machtverhältnis, das in diesen Quellen zum Ausdruck kommt, muss auch im heutigen Umgang mit solchen Aufnahmen reflektiert werden, wie in der Diskussion um koloniale Fotografien und Aufnahmen von Opfern des Holocaust oder anderen Völkermorden. Denn auch hier besteht die Gefahr einer Reproduzierung von Machtverhältnissen und Stereotypen. Dennoch habe ich mich zur Reproduktion einiger ausgewählter Aufnahmen entschlossen. Denn die Bilder zeigen
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Zudem gaben die Fotografien, Filmaufnahmen und Zeichnungen rassistische Stereotype an die Betrachtenden weiter. Indem die Soldaten bei der Deutung des Kriegsraumes tradierte Motive des »fremden Raumes« fortschrieben und in Berichten, Fotos und Zeichnungen nach Hause übermittelten, wurden sie selbst zu Produzenten eines exotistischen Wissens über Nordafrika und wirkten damit auf die deutschen Fremdbilder und Vorstellungen von »Afrika« und dem »Orient« ein. Denn ihre Afrikabilder wurden im öffentlichen und familiären Gedächtnis weitergetragen. Daher überraschen die Bilder die heutigen Betrachtenden ohne Reflexion der Prägung der eigenen Sehgewohnheiten durch koloniale und rassistische Denkmuster und Strukturen zunächst nicht. Die Motive der Fotos und die Posen der Abgebildeten entsprechen heute noch den Erwartungen und offenbaren damit das nachhaltige Fortwirken kolonialer Denkmuster, wie es Jürgen Zimmerer für koloniale Fotografien aus afrikanischen Ländern betont hat.273 Dies wird auf beklemmende Weise an dem bereits genannten privaten Fotoalbum des Nordafrika-Veteranen Walter K. ersichtlich. In den letzten Jahren seines Lebens füllte er leere Seiten und die Stellen herausgerissener Fotos mit Bildern aus aktuellen Reiseprospekten. Er überschrieb seine eigenen Erinnerungen mit den neuen Fotos, deren Bildkomposition und Motivik jedoch stark den Bildern aus dem Kontext des Nordafrikafeldzuges ähneln.274
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Zwischen »Rassenschande« und Begehren – Kontakt mit Frauen im Kriegsgebiet
Das fotografische Interesse der deutschen Soldaten an verschleierten Frauen ist Ausdruck einer generellen Faszination und Begierde. Dabei machte die Verschleierung die Frauen aus der lokalen Bevölkerung gerade reizvoll für die Männer. Denn der Schleier versperrte den ungehinderten Blick der Fotografierenden und brachte die Frauen in die Position, »zu sehen, ohne gesehen zu werden«.275 Dies deuteten westliche, männliche Betrachter häufig als Lust, so dass verschleierte Frauen zu einer »Projektionsfläche für Phantasmen des kolonialen und sexuellen Genießens«276 wurden. Bereits in der kolonialen Fotografie war der Schleier muslimischer Frauen als eine Art Fetisch inszeniert und
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zumindest keine Nacktheit, körperliche Gewalt oder gar Tod und sind damit wesentlich unproblematischer als zahlreiche im Kontext von Kolonialismus und Nationalsozialismus entstandene Bilder. Zweitens ist es ohne Abbildungen teilweise nicht gut möglich, Bildanalysen und Argumente nachzuvollziehen, und die bei fehlenden Abbildungen bei den Lesenden entstehenden Bilder können ebenso problematisch sein. Vgl. L.I.S.A. Redaktion, Kolonialgeschichte Kreativ. Das Generalinterview mit Jürgen Zimmerer, in: L.I.S.A., 19. September 2018, URL: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/das_generalinterview_ mit_prof._dr._juergen_zimmerer?nav_id=7778 [20.02.2021], TC: 09:00– 09:50. Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 23 a, 23b und 32 a (vgl. Abb. 7). Schmidt-Linsenhoff, Der Schleier als Fetisch, S. 31. Ebd. Vgl. allgemein zur Verbindung von Exotisierung und Sexualisierung Ulrike Schaper et al., Sexotic: The interplay between sexualization and exoticization, in: Sexualities 23 (2020) 1–2, S. 114–126.
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in den exotistischen Romanen der Jahrhundertwende das Narrativ einer sexuellen Freizügigkeit »orientalischer« Frauen konstruiert worden, deren Schleier weniger verdeckte, als er vielmehr die Erotik und Nacktheit seiner Trägerin noch betonte.277 Derartige Bilder scheinen die Vorstellungen der in Nordafrika eingesetzten Soldaten geprägt zu haben, die vielleicht deshalb beständig Versuche unternahmen, verschleierte Frauen abzubilden. Die von verschleierten Frauen ausgehende Faszination war vermutlich im Kriegseinsatz besonders stark, da die Soldaten Teil einer homogenen Männergemeinschaft waren, in der sich eine allgemeine Sehnsucht nach sexuellen Kontakten entwickelte und soldatische Männlichkeit unter anderem über die Beziehungen zum weiblichen Geschlecht definiert wurde.278 Daher gehörten sexuelle Aktivitäten unterschiedlichster Art im Krieg zu den »Freizeitbeschäftigungen« der Soldaten.279 Auch die in Nordafrika eingesetzten Männer sehnten sich nach Kontakten zu Frauen ebenso wie nach anderen Abwechslungen vom Krieg, wie Willy P. einem Bekannten schrieb. Es fehle ihm »etwas Bier und Musik, vielleicht auch ›ein leckeres Mädchen beim Mondschein‹«.280 Die lokale Bevölkerung galt zwar als rassisch minderwertig, doch die Frauen des nordafrikanischen Kriegsraumes wurden dank verbreiteter, exotistischer Vorstellungen auch sexuell begehrt. Neben negativen Stereotypen brachten die deutschen Soldaten positive Vorurteile mit in den Krieg. Wie sich deutsche Wehrmachtsangehörige Frankreich als das »Land der Liebe«281 vorstellten, erhofften sich die deutschen Soldaten in Nordafrika den Kontakt mit »orientalischen Schönheiten«. Solche Frauenbilder waren durch orientalistische Malereien, die das Sujet der Tänzerin darstellten, verbreitet worden.282 Der Verlag Lehnert & Landrock beispielsweise hatte mit seinen Fotopostkarten, auf denen Frauen aus dem nordafrikanischen Raum zum Teil entblößt gezeigt wurden,
277 Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 11. 278 Vgl. dazu Regina Mühlhäuser, Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941–1945, Hamburg 2010. 279 Alexander Hirt schreibt sogar, die Freizeitgestaltung der Soldaten habe hauptsächlich aus Trinken und sexuellen Aktivitäten bestanden, vgl. Alexander Hirt, »Die Heimat reicht der Front die Hand«. Kulturelle Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg 1939–1945. Ein deutsch-englischer Vergleich, Diss. Universität Göttingen 2006, URL: https://ediss.uni-goettingen.de/bitstream/han dle/11858/00-1735-0000-0006-B49C-A/hirt.pdf?sequence=1 [20.04.2021], S. 349. Paul Fussel konstatierte, Frauen und Sex hätten das Hauptgesprächsthema der Soldaten im Zweiten Weltkrieg ausgemacht, vgl. Paul Fussel, Wartime: Understanding and Behavior in the Second World War, New York/Oxford 1989, S. 109. 280 MSPT, 3.2012.5272, Willy P. an Ursula am 4. August 1941. Vgl. dazu auch die Karikatur von PK Otto, WUNSCHTRÄUME. Von »Ihr« zu »Ihm« und von »Ihm« zu »Ihr«, in: Die Oase 94, 15. Oktober 1942, S. 9. Sie zeigt eine schlanke Frau mit langen Beinen in einem trägerlosen Badeanzug und einer Mütze des Afrikakorps, unter der ihre langen Haare hervorkommen. Die rechte Hand hat sie zum militärischen Gruß an die Mütze gelegt, den linken mit Armreifen geschmückten Arm auf der Hüfte abgestützt. Auf einem zweiten Bild ist ein lächelnd am Boden sitzender Soldat in kurzer Uniform zu sehen, der seinen Arm um ein riesiges Glas mit Hefeweizen gelegt hat. Die Bildunterschrift lautete: »EINMAL IM SCHATTEN EINER KÜHLEN BLONDEN SITZEN DÜRFEN«. 281 Vgl. Insa Meinen, Wehrmacht und Prostitution während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Frankreich, Bremen 2002. 282 Vgl. Bopp, Fern-Gesehen S. 43, 85.
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das Bild der geheimnisvoll-erotischen »Orientalin« bekannt gemacht.283 An derartige Bildtraditionen anschließend, stellte Herbert Sommer in seinem Skizzenbuch die »Ortsschöne« im Stil einer »orientalischen Schönheit« mit dunklen Augen und roten Lippen dar. Eine Brust betonte er mit zeichnerischen Mitteln, um sie seinen Vorstellungen von einer verführerischen, »orientalischen« Frau entsprechend darzustellen.284 Sexuelle Interessen waren zumindest teilweise der Grund für die Verbreitung des Exotismus und der eigentliche Auslöser für Reisen in ferne Länder.285 Vermutlich stand dieses Motiv bei einigen der deutschen Soldaten hinter einer freiwilligen Meldung für den Kriegseinsatz in Nordafrika und die Frauen des nordafrikanischen Kriegsraumes waren, ebenso wie Frauen kolonisierter Bevölkerungen, Projektionsfläche für die sexuellen Wünsche und Verbote der Soldaten.286 Zumindest griff die Feldzeitung Oase exotistische Vorstellungen über die Frauen der Zivilbevölkerung auf. Der Kriegsberichterstatter Martin Gläser beschrieb in einem Artikel eine typische libysche Stadt, zu deren Straßenbild Frauen gehörten. »Dann flanieren junge Araberinnen und N*innen, dunkelhäutige fremde Schönheiten, in bunte Tücher gehüllt, barfuss durch die Strassen, eifrig danach guckend, ob man auch nach ihnen guckt, und den Fremdling trifft manch feuriger, verheissender Blick«.287 Das männliche Begehren kehrte er allerdings in eine Begierde der Frauen um, die an das Narrativ der sexuellen Freizügigkeit der Frauen des »Orients« anknüpfte. Adolf L. berichtete in seinem Kriegstagebuch von einer ähnlichen Begegnung in Tunis, bei der »zwei verschleierte Araberfrauen« an ihm vorübergingen. »Sie hatten weiße Gewänder und einen Schleier über dem Mund quer übers Gesicht. Man konnte also nur die Nase, die Augen, die Stirn und den Ansatz der schwarzen Haare sehen. Dieses wenige aber war von einer solch gepflegten Schönheit und zeugte von soviel Kultur, daß ich wie angewurzelt stehen blieb.«288 Er bezeichnete diesen Anblick als einen Kontrast zum ringsum herrschenden Krieg. Zugleich werden Begehrlichkeiten in der Beschreibung der Frauen erkennbar. Die Verschleierung als solche beschrieb Helmut T. in seinem Kriegstagebuch ebenso wie die im Gesicht tätowierten »Stammeszeichen« als archaisch und wild.289 Derartige äußere Zeichen der vorgestellten Fremdheit und Exotik wirkten auf die deutschen Männer anziehend und weckten die Lust zur Aneignung der Frauen. Die Karikaturen der Oase griffen diese Lust und orientalistische Vorstellungen über die Frauen Nordafrikas ebenfalls auf. Sie stellten Bauchtänzerinnen als etwas dar, das
283 Vgl. dazu etwa Bopp, »Rasse und Schönheit«, S. 110. Joseph Geraci vermutet, dass diese Frauen Prostituierte waren; vgl. Joseph Geraci, Lehnert & Landrock of North Africa, in: History of Photography 27 (2003) 3, S. 294–298, S. 296. 284 Vgl. Afrikanisches Skizzenbuch von Herbert Sommer, o.S. 285 Vgl. Schwarz, »Die Tropen bin ich!«, S. 17. 286 Vgl. Rachel Ama Asaa Engmann, Under Imperial Eyes, Black Bodies, Buttocks, and Breasts. British Colonial Photography and Asante »Fetish Girls«, in: African Arts 45 (2012) 2, S. 46–57, S. 55. 287 Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. 288 DTA, 18114.1 (Reg. Nr. 483.1), Adolf L., Kriegstagebuch Afrikafeldzug 1942–1943, S. 35. 289 DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69–70.
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zu den Kriegserlebnissen der Soldaten im Nordafrikafeldzug gehörte. Auf einer Karikaturenseite, die die Zukunft der »Afrika-Kämpfer« imaginierte, zeigte eine Zeichnung drei Wasserpfeife rauchende Männer, die angeben, einen richtigen Bauchtanz seit dem Nordafrikafeldzug nicht mehr erlebt zu haben. Dabei hält einer der Männer das Bild einer Bauchtänzerin hoch. Daneben ist ein schlafender deutscher Soldat gezeichnet, der von einer verschleierten Frau in körperbetonter Kleidung träumt.290 Eine andere Karikatur stellt eine Bauchtänzerin gar als Objekt der Begierde eines deutschen Soldaten dar: Dieser sitzt mit heraushängender Zunge und zusammengekniffenem Auge im Eingang eines Zeltes, während vor ihm eine Frau mit durchsichtiger Kleidung einen Tanz aufführt. Die beiden umringen mehrere Männer, die mit Turban und Fez als zur arabischen Bevölkerung zugehörig gekennzeichnet sind. Auf dem zweiten Bild der Karikatur stellt sich die Szene als Wunschtraum des Soldaten heraus, der in Wirklichkeit mit Kameraden in der Feldküche Kartoffeln schält (vgl. Abb. 13).291
Abbildung 13: KaAbbildung 14: Karikatur o.V. ›Heini‹ in Afrika – Die Versuchung!, in: Die rikatur von EMÖ, Oase 63, 12. März 1942, S. 4. Phantasie . . . und Wirklichkeit, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 4.
Eine andere zweiteiligen Karikatur nahm zwar ebenfalls auf das Interesse der deutschen Soldaten an den »orientalischen« Frauen Bezug, wies dabei allerdings auf die angenommenen rassischen Unterschiede hin: Eine zunächst nur von hinten dargestellte 290 Vgl. Gefr. Aigeltinger, Wir »Afrika-Kämpfer« in 30 Jahren, in: Die Oase 114, 28. März 1943, S. 8. 291 EMÖ, Phantasie ... und Wirklichkeit, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 4.
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Frau war auf dem zweiten, sie von vorn zeigenden Bild, mit einer an einen Affen erinnernden Fratze zu sehen (vgl. Abb. 14). Damit sollten die deutschen Soldaten daran erinnert werden, ihre sexuelle Begierde aus rassenbiologischen Gründen nicht auf die Frauen der lokalen Bevölkerung zu richten. Dies war im Taschenbuch für die in Libyen eingesetzten Soldaten klar formuliert worden. »Halte dich von der eingeborenen Frau fern. Du bist ein Weißer, ein Deutscher. Geschlechtsverkehr mit farbigen Frauen ist Rassenschande«,292 hieß es darin unmissverständlich. Neben dem Argument der »Rassenschande« wurden sexuelle Kontakte und Beziehungen zwischen Wehrmachtssoldaten und Frauen aus der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten aus Furcht vor einer »Fraternisierung« abgelehnt.293 In Nordafrika verbot zudem der geforderte Respekt vor der muslimischen Bevölkerung den Kontakt zu den Frauen der lokalen Bevölkerung. Den rücksichtsvollen Umgang mit Musliminnen stellten die vom OKH und OKW herausgegebenen Schreiben heraus. In der Tornisterschrift Der Islam erklärten drei der 19 Punkte den Umgang mit muslimischen Frauen: »Suche niemals durch Gruß oder Wort Beziehung zu gewinnen zu einer muslimischen Frau. Winke nie zu einem Fenster hinauf, sprich niemals eine Frau auf der Straße oder in einem Laden an.«294 Zudem sollten die Soldaten nie einen Muslim nach seiner Frau fragen und beim Klopfen an einem muslimischen Haus mit dem Rücken warten, damit sie nicht aus Versehen die Frau ansahen, falls diese die Tür öffnen sollte. In der Feldzeitung für die Soldaten in Nordafrika wurde noch einmal wiederholt, dass die deutschen Soldaten auf die Sitten und Gebräuche der »Eingeborenen« achten sollten, denn gerade der Muselmann, dessen ganze Lebensauffassung und Lebenshaltung von religiösen Gesichtspunkten bestimmt werden, rächt Verstösse gegen sein religiöses Empfinden, das alle Gebiete seines Lebens besonders das seiner heiligen Stätten und seiner Frauen beherrscht, mögen sie auch aus Unkenntnis geschehen sein.295 Um das Begehren der Soldaten umzulenken, waren von nordafrikanischen Frauen keine Fotografien in der Feldzeitung abgedruckt, die diese als Individuen und begehrenswerte Frauen zeigten. Stattdessen veröffentlichte sie einem männlichen Blick entsprechende,296 verlockende Zeichnungen westlich gekleideter, weißer Frauen297 und verdeutlichte mit Hilfe von Fotografien deutscher Schauspielerinnen oder Frauen mit Namen wie
292 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30, Hervorhebung i. O. 293 Vgl. Birthe Kundrus, Nur die halbe Geschichte. Frauen im Umfeld der Wehrmacht zwischen 1939 und 1945 – ein Forschungsbericht, in: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 719–735, S. 734. 294 Ernst Rodenwaldt, Der Islam (= Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Heft 52), o. O. 1941, S. 64. 295 Ernst Bayer, Feldgendarmerie in Afrika. Helfer und Berater der Truppe, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 12. 296 Vgl. L. Paul Weeks, Male Gaze, in: George Ritzer (Hg.), Encyclopedia of Social Theory, Bd. I, Thousand Oaks 2005, S. 467–468. 297 Vgl. EMÖ, Verführung zur Sauberkeit, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 6.
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Marte oder Feodora,298 was erlaubt war. Die Bilder vermittelten die geltende Norm, weiße Frauen zu bevorzugen. Zudem wurden sexuelle Kontakte im Krieg als Teil der Truppenbetreuung organisiert, damit die Soldaten möglichst wenig Kontakt zu einheimischen Frauen hatten.299 Um eine massenhafte Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten wie im Ersten Weltkrieg,300 Vergewaltigungen von Angehörigen der Zivilbevölkerung sowie homosexuelle Handlungen der Soldaten zu verhindern,301 richtete das Wehrmachtssanitätswesen von Medizinern kontrollierte Bordelle in den besetzten Gebieten ein. 1942 gab es insgesamt etwa 500 Wehrmachtsbordelle.302 Derartige Einrichtungen standen den Soldaten in Nordafrika und bereits auf der Anreise in Italien zur Verfügung. Obwohl getrennte Bordelle für die deutschen Soldaten und die Angehörigen verbündeter Armeen angestrebt waren,303 wurden sie von den deutschen und italienischen Soldaten gemeinsam benutzt. Die in den Wehrmachtsbordellen angestellten Frauen wurden zu dieser Arbeit oft gezwungen, wie für sowjetische Frauen in dortigen Einrichtungen bekannt ist. Zudem wurden Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück nicht nur in KZ-Bordelle, sondern auch in Wehrmachtsbordelle verschleppt. In Frankreich fanden sich hingegen mitunter Freiwillige für die Arbeit in diesen Einrichtungen.304 In den für die Soldaten in Nordafrika eingerichteten Bordellen arbeiteten, wenn laut den Angaben des Arztes Schreiber, italienische Frauen freiwillig. Er berichtete nach seiner Dienstreise, dass die in libyschen Bordellen eingesetzten Frauen bereits älter waren und in die Kolonien gekommen seien, »weil dort das Angebot an weißen Frauen geringer« sei.305 Neben den offiziellen Wehrmachtsbordellen gab es im Kriegsgebiet zivile Bordelle, in denen Frauen aus der lokalen Bevölkerung arbeiteten. Ihr Besuch war den deutschen Soldaten verboten.306 Schon im 1941 herausgegebenen Taschenbuch für die Truppe in Libyen wurden die Soldaten angewiesen, nur die »von der Truppenführung freigegebenen« Bordelle zu besuchen und zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten ein Kondom zu benutzen.307 Ebenso hieß es in einem Schreiben der Sanitäts-Ersatz-Abteilung 12 zum Verhalten der Soldaten in Libyen, dass es das »Rassebewusstsein« der Soldaten verbiete, »Eingeborenen-Bordells« zu besuchen. Dort würden hauptsächlich »Jüdinnen und N*mischlinge« arbeiten, die mit Geschlechtskrankheiten infiziert seien. Daher wurden
298 Vgl. o. F., ... und diese Woche: Feodora, in: Die Oase 101, 4. Januar 1943, S. 3; o. F., Und diese Woche: Marte, in: Die Oase 103, 13. Februar 1943, S. 3. 299 Vgl. zu Sexualität und Bordellbesuchen auch Vossler, Propaganda in die eigene Truppe, S. 336–358. 300 Vgl. Hirt, Kulturelle Truppenbetreuung, S. 349. 301 Vgl. Kundrus, Frauen im Umfeld der Wehrmacht, S. 732. 302 Vgl. ebd. Die Zahl stammt aus Franz Seidler, Prostitution, Homosexualität, Selbstverstümmelung. Probleme der deutschen Sanitätsführung 1939–1945, Neckargemünd 1977, S. 186. 303 Vgl. Kundrus, Frauen im Umfeld der Wehrmacht, S. 733. 304 Vgl. ebd., S. 732. 305 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 28. 306 Zum Verbot nicht nur in Nordafrika vgl. Seidler, Prostitution, S. 136. 307 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 25.
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»empfindliche Strafen und Degradierung« für Soldaten gefordert, die diese Einrichtungen besuchten.308 Schreiber zeichnete in einem Bericht über eine Dienstreise nach Nordafrika insgesamt ein positives Bild vom Verhalten der deutschen Soldaten. Er behauptete, sie würden sich an die Anweisungen halten und hätten wegen des Klimas und der Anstrengungen des Kriegsdienstes ohnehin nur ein geringes »Bedürfnis nach geschlechtlichem Verkehr«.309 Zudem hätten sie eine Abscheu gegenüber der angeblich unhygienischen Bevölkerung entwickelt und würden sich von »der farbigen Frau« fernhalten.310 Er erklärte, dass hauptsächlich die italienischen Soldaten die arabischen Bordelle in Libyen besuchen würden. Als Angehörige eines romanischen Volkes seien sie »auf dem Gebiet des Geschlechtslebens anders veranlagt« und hätten daher sexuelle Kontakte mit der lokalen Bevölkerung.311 Im Gegensatz zu ihnen würden Nordeuropäer, wie die deutschen Soldaten, sich trotz der »noch sehr jung[en], oft auch recht hübsch[en]« Frauen aufgrund des »Fehlen[s] jeglicher Hygiene in diesen Häusern [...] mit Schauder abwenden«.312 Anhand rassenhygienischer Kriterien wurden also die lokale Bevölkerung ebenso wie die italienischen Soldaten als minderwertig herabgesetzt. Starke Ekelgefühle vor nordafrikanischen Frauen hatten die deutschen Soldaten jedoch offenbar nicht. Denn sie besuchten die Etablissements ebenso wie die italienischen Wehrmachtsangehörigen und die alliierten Soldaten.313 Laut Schreiber hielten sich die Soldaten schon bei der Anreise nicht an das Verbot. Wie er notierte, litten einige der Soldaten, die sich im Lazarett in Tripolis befanden, an Geschlechtskrankheiten, als deren Ursache er das Verhalten der deutschen Soldaten in Süditalien vor der Überfahrt nach Nordafrika ansah, wo es »eine weit verbreitete heimliche Prostitution«314 gegeben habe. Er glaubte, dass sich die Männer hier angesteckt hatten, weil aus den für die deutschen Soldaten freigegebenen neapolitanischen Bordellen keine Fälle von Geschlechtskrank-
308 BArch-MA, RH 12–23/1238, Dr. Ignatius, San. Ers.-Abt. 12, Plan für Sonderausbildung der TropenErsatzkompanie, vom 24. Februar 1942, fol. 64; vgl. auch BArch-MA, RH 12–23/1238, Schreiben des Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel, San.-Ers.-Abt. 12, Betreff: Vorschlag für ein Merkblatt, das bis zum Erscheinen entsprechender Vorschriften den zur Abstellung zum Deutschen Afrika-Korps in Frage kommenden Angehörigen der San.-Ers.-Abt. 12 Anhaltspunkte für das Verhalten in Libyen geben soll, fol. 42. 309 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 28. 310 Vgl. ebd. 311 Ebd., S. 28. 312 Ebd., S. 29. 313 So sind die Bordelle in Kairo teils für die britischen Soldaten gesperrt worden, die dann aber andere Prostituierte aufsuchten, vgl. Hirt, Kulturelle Truppenbetreuung, S. 651. Siehe dazu auch die Erinnerung eines neuseeländischen Soldaten: o.V., Watt McEwan talks about brothels in Cairo, in: New Zealand History, 23. Dezember 2014, URL: https://nzhistory.govt.nz/media/sound/brothel s-in-cairo, (Ministry for Culture and Heritage) [22.02.2021]. 314 Auf deren Nutzung durch amerikanische Soldaten wird auch in einem Bericht der Gesundheitsabteilung des US-Militärs verwiesen, vgl. Medical Department, United States Army (Hg.), Preventive Medicine in World War II, Bd. V: Communicable Diseases. Transmitted Through Contact or By Unknown Means, Washington, D.C. 1960, S. 213.
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heiten bekannt geworden seien.315 Er erwähnte zudem einen deutschen Unteroffizier, den er in einem arabischen Bordell in Libyen angetroffen habe.316 Adolf Pfeiffer von der Sanitäts-Ersatz-Abteilung 12 wusste, »dass sich einzelne deutsche Soldaten nicht gescheut haben, dieses Verbot [des Besuchs unkontrollierter Bordelle, S.K.] zu übertreten«. Ihm sei erzählt worden, dass »das Blaue Puff« in Bengasi sich »grosser Beliebtheit« unter deutschen Soldaten erfreue. Ein solches Verhalten sei ihm allerdings unverständlich, da es »aus Rassegründen« verboten sei und dem deutschen Ansehen in der arabischen Bevölkerung schade.317 Die Feldgendarmerie, die laut einem Artikel in der Oase »strengstens über die Einhaltung einer sauberen Manneszucht«318 wache, berichtete 1943 aus Tunis über Besuche deutscher Soldaten in arabischen Bordellen. »Im Araberviertel werden sehr viele Soldaten angetroffen, die die dort befindlichen Bordelle übelster Sorte aufsuchen. Neben N*, anderen Eingeborenen stehen sie in diesen stinkenden Gassen vor den Türen der Dirnen und warten.«319 Gegen Ende des Krieges in Tunesien gab es viele zivile Bordelle, weil die individuelle Prostitution aufgrund der durch die Warenknappheit und die Ausgaben der amerikanischen Soldaten ausgelösten Inflation zunahm.320 Um den Besuch ziviler Bordelle zu verhindern, wurden die zwölf »Bordellstraßen« der Stadt durch Schilder für deutsche Soldaten gesperrt. Ebenso brachte man an den Eingängen der lokal geführten Bordelle Verbotsschilder an.321 Schreiber erwähnt diese in seinem Bericht aus Libyen im Sommer 1941 und erklärt, sie wiesen die deutschen Soldaten »eindringlich« darauf hin, die Häuser nicht zu besuchen.322 Der Soldat Hans P. behandelte die Anschläge in einem selbstverfassten Gedicht: »Vor jedem Harem/Mit schmierigen Pfoten,/stand geschrieben:/Betreten verboten!«323 Er versuchte allerdings, das Bild eines ehrbaren deutschen Soldaten aufrechtzuerhalten, der sich allein nach den Frauen in der »Heimat« sehnte, wie die letzte Zeile seines Gedichtes offenbart, in der er ein baldiges Wiedersehen mit deutschen Frauen erhoffte.
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BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 8f. 316 Ebd., S. 29. 317 BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 80. 318 Ernst Bayer, Feldgendarmerie in Afrika. Helfer und Berater der Truppe, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 12. 319 BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Björn Gerhard Roth, Halt, Feldgendarmerie! Die Ordnungstruppen der deutschen Wehrmacht 1939–1945, Norderstedt 2019, S. 78–81, S. 80, Hervorhebung i. O. 320 Vgl. Medical Department, United States Army (Hg.), Preventive Medicine in World War II, Bd. V: Communicable Diseases. Transmitted Through Contact or By Unknown Means, Washington, D.C. 1960, S. 207. 321 Vgl. BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80. 322 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 29. 323 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1943, S. 22.
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Tatsächlich waren die deutschen Soldaten in Nordafrika nicht so treu, wie Hans P. es darstellte. Sie waren laut Schreiber dem »Reiz des Fremden« erlegen.324 Er wusste, dass der gemeine Soldat nach einer Infizierung mit einer Geschlechtskrankheit immer angeben würde, er habe sich diese in einem der erlaubten Bordelle geholt, bevor er »den Verkehr mit einem unbekannten und unkontrollierten Mädchen« zugeben würde.325 Doch nicht nur der besondere Reiz, sondern generelle Bedürfnisse führten dazu, dass die Soldaten, wie an anderen Fronten des Krieges, mit den Frauen der lokalen Bevölkerung sexuelle Kontakte hatten. Das Gericht der 21. Panzer-Division verurteilte deshalb im zweiten Halbjahr 1942 vier Wehrmachtsangehörige wegen »wiedernatürliche[r] [sic!] Unzucht« und einen wegen »Blutschande«.326 Das Wissen über Verbote und die Scham der Soldaten, mit als rassisch minderwertig angesehenen Frauen verkehrt zu haben, führten dazu, dass sexuelle Erlebnisse in den Selbstzeugnissen nur selten erwähnt werden. Natürlich trug dazu der Umstand bei, dass die Feldpostbriefe meist an enge Angehörige, wie die Ehefrauen oder Mütter, gerichtet waren. Daher thematisierten die Soldaten in Briefen nach Hause sexuelle Kontakte und Bordellbesuche allein als Eskapaden anderer Männer und betonten, dass ihnen selbst daran nichts gelegen sei.327 So berichtete Ritter von D. seiner Frau scherzhaft, dass ein Bekannter von ihm »eine kleine Schwarze haben« wolle. Daraufhin habe er ihm »eine Photographie geschickt mit zweien und ihm geschrieben, er möchte sich eine aussuchen. Ich schicke ihm die Gewünschte dann postwendend zu. Ob seine Gritt einverstanden ist, weiss ich allerdings nicht.«328 Wilfried Armbruster notierte in seinem privaten Tagebuch, dass er und andere Kameraden zu Dienstzwecken einen »Puff« aufsuchen mussten, in dem allerdings »bis auf eine [...] alle Weiber scheusslich« gewesen seien. Was genau sie dort taten oder wie die Kontrolle ablief, beschrieb Armbruster nicht; er verbuchte das Erlebnis als »ein ganz interessantes Abenteuer«.329 Werner Mork schrieb in seinen Kriegserinnerungen über die mit italienischen Frauen besetzten Bordelle in Marsa Matruk und Tobruk. Laut seinen Beschreibungen machten die Soldaten von diesen Einrichtungen »gerne und viel Gebrauch [...], auch wenn es bei den Damen Personalmangel gab und es dann schon mal zum Schlangestehen kam«.330 Dabei schloss er deutsche Soldaten als Kunden dieser Art
324 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 28f. 325 Ebd. 326 BArch-MA, RH 27–21/14, Gericht der 21. Panzer-Division, Dienstaufsichtsführender Kriegsgerichtsrat, Tätigkeitsbericht für das 2. Halbjahr 1942 vom 1. Januar 1943, S. 3 (= fol. 104). 327 Vgl. Ulrike Jureit, Zwischen Ehe und Männerbund. Emotionale und sexuelle Beziehungsmuster im Zweiten Weltkrieg, in: WerkstattGeschichte 22 (1999), S. 61–73, S. 69. 328 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 28. Februar 1943. 329 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100, 34–178, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 4. Februar 1942, S. 17. 330 Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2005, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-kriegsalltag-in-nordafrika-1942 [05.06.2019].
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der Truppenbetreuung mit ein und betonte, dass »die deutschen Frauen, Mütter und Bräute« sich, nichts von dem Tun ihrer Männer ahnend, sorgten.331 Andere Soldaten waren in ihren Aufzeichnungen weniger zurückhaltend und schrieben, dass sie an den Reizen der im Kriegsraum angetroffenen Frauen interessiert waren. Alfred K. schilderte den Anblick einer französischen Siedlerin, deren nackte Beine in hohen Schuhen ihn phantasieren ließen, dass sie unter ihrem Mantel ebenfalls nackt sei. Dieses harmlose Vorübergehen bezeichnete er gar als den Beginn einer Romanze, die der Krieg verhindert habe.332 Er erinnerte sich nach dem Krieg nicht nur an die Französin, die seine sexuelle Begierde weckte. Er beschrieb zudem »[h]übsche, junge Araberfrauen«, die ihm auf der Fahrt nach Tunis begegnet seien und »deren dunkle, leuchtende Augen oft kokett über den Schleier hervorblick[t]en«.333 Vermutlich bietet das Selbstzeugnis allerdings mehr Einblick in seine Phantasien und Wünsche, als dass es über tatsächliche Begebenheiten informiert. Die männliche Begierde zeigt sich auch in den Memoiren von Günther E., der sich nach dem Krieg an ein Zusammentreffen mit einem »üppig ausgestattete[n] Arabermädchen« erinnerte. Er beobachtete sie, als sie gerade Wäsche an einem Brunnen wusch, und erfreute sich an ihren durch die Waschbewegungen auf und ab wippenden Brüste, die sie daraufhin unter ihre Arme klemmte.334 Trotz des Interesses der Soldaten an den im Kriegsgebiet lebenden Frauen und der sexuellen Kontakte in Bordellen wurde in Bezug auf die weibliche Zivilbevölkerung das Bild der menschenleeren Wüste herangezogen. So hieß es in einem Artikel der Oase, dass sich die deutschen Soldaten beim Frontkino vor allem über Bilder »hübsche[r] Mädchen in der Sauna« freuen würden, »[w]enn’s dabei manchmal ein bisschen was zu sehen gibt, jubelt jedesmal die ganze Wüste«, denn in dieser gäbe es nur viele Steine und wenig Brot.335 In ähnlichem Tenor schrieb Ludwig E., dass er noch keine Frauen gesehen hätte, und Hans P. verfasste nach einem Jahr Aufenthalt in Nordafrika ein Gedicht, in dem er behauptete, dass es keine Frauen »zu schauen« gäbe.336 Schreiber erklärte in seinem Bericht: »In der Wüste [...], in der die Mehrzahl der Truppen sich dauernd aufhält, ist der Raum zu weit und der Mensch zu klein, da gibt es keinerlei Berührung zwischen den Geschlechtern.«337 Doch entsprach im Kontext der sexuellen Kontakte das Bild des Krieges in der leeren Wüste ebenso nicht der Realität wie in Bezug auf die natürliche Umwelt allgemein. Es war eine Raumkonstruktion, die in diesem Fall der eigenen Selbstdarstellung als brave Ehemänner diente.
331 Vgl. ebd. 332 HSAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträge zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3–4. 333 Ebd., S. 3. 334 Vgl. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 161. 335 Art., Ein Frontkino in Afrika. Mit grossem Erfolg eingesetzt, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 2. 336 MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an eine Bekannte am 1. Juli 1942; Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 27. Januar 1943, S. 22. 337 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 28.
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9.5 Die lokale Bevölkerung im Dienst der Wehrmacht Die Truppen der Achsenmächte nutzten die lokale Bevölkerung verschiedentlich als Arbeitskräfte. Im Zuge der Kolonialisierung Libyens waren auf italienischer Seite bereits libysche Männer als Soldaten, Polizisten, Fahrer, Arbeiter oder Kamelreiter eingesetzt worden. Italien ließ die Einwohner*innen ihres nordafrikanischen Kolonialgebietes während des Krieges weiter für sich arbeiten.338 Zudem vermittelten die Italiener lokale Arbeitskräfte an die deutsche Wehrmacht. Die italienische Verwaltung von Tripolitanien kündigte in einem Schreiben von November 1941 an, dass auf Wunsch des deutschen Basiskommandos 350 Arbeiter und sieben Vorarbeiter aus Tripolis bei den deutschen Stellen eingesetzt werden sollten.339 Dass die Nutzung lokaler Arbeitskräfte von vornherein geplant war, lässt das Taschenbuch für die Truppe vermuten, das erklärte: »Der Eingeborene ist bei richtiger Behandlung meist willig und zuverlässig.«340 Die deutschen Soldaten beauftragten Angehörige der lokalen Bevölkerung mit den unterschiedlichsten Arbeiten. In Bäckereien bestellten Wehrmachtsangehörige Torten,341 und arabische Arbeiter waren bei der Heeresbäckerei eingesetzt.342 Lokale Schuster oder Sattlereien wurden mit der Herstellung oder Reparatur von Wehrmachtsgegenständen beauftragt,343 und auch Zimmerleute, Minenarbeiter, Schmiede und Tischler arbeiteten für die Wehrmacht.344 In den Unterkünften höher gestellter Wehrmachtsangehöriger verrichteten lokale Arbeitskräfte einfache Arbeiten oder halfen bei der Truppe aus. Hans C. berichtete in seinen Erinnerungen, dass sie »[a]ls Hilfskräfte [...] zwei Araber, Ali und Arbi«, gehabt hätten, die »in erster Linie mit Eselskarren die Thermosbehälter mit dem warmen Essen (1 x täglich) zu den einzelnen Zügen, die irgendwo im Gelände Posten besetzt hatten, befördern« mussten.345 In seiner Beschreibung geht er nicht auf das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses ein, es wird aber erkennbar, dass er durchaus einen gewissen Besitzanspruch auf die lokalen Arbeitskräfte erhob: »Unsere beiden Araber wurden im Depot, teils auch beim Waffenmeister beschäftigt, denn sicher würden wir sie bald wieder an unserer Feldküche benötigen.«346
338 Vgl. dazu allgemein Carolyn A. Brown, African Labor in the Making of World War II, in: Judith A. Byfield et al. (Hg.), Africa and World War II, New York 2015, S. 43–67. 339 BArch-MA, RW 7/226, Schreiben der Intendenza della Tripolitania – Direzione di Amministrazione an die Direzione di Commissariato militare intendenza della Tripolitania, mit dem Betreff. Assunzione di mano d’opera indigena, 7. November 1941. 340 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 30, Hervorhebung i. O. 341 Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 30. November 1942. 342 BArch-MA, RW 7/226, Schreiben des Panificio Militare Tripoli über Specchietto delle ore di lavoro, 28. Februar 1942. 343 Vgl. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. März 1942; IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 148 (53). 344 BArch-MA, RW 7/226, Schreiben der Intendenza della Tripolitania vom 22. September 1941. 345 DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 57. 346 Ebd., S. 59.
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Zudem waren bei der Entladung von Schiffen im Hafen neben gefangenen Kolonialsoldaten lokale Arbeitskräfte eingesetzt.347 Im Bundesarchiv liegen Lohnabrechnungen vor, die belegen, dass in der Zeit vom 21. bis 27. Februar 1942 sieben Gruppen mit jeweils 35 bis 36 Personen mit arabischen Namen für das Deutsche Afrikakorps Pulverfässer und Munition entluden. Dafür erhielten sie pro Stunde 1,8 Lire, die Vorarbeiter 2,16 Lire, was im Vergleich mit den von den Soldaten genannten Preisen für Eier eine sehr schlechte Bezahlung darstellte. Den Erhalt des Lohns bestätigten die namentlich angeführten Arbeiter mit ihrem Fingerabdruck.348 Unter den Straßenarbeitern der italienischen Truppen befanden sich ebenfalls Hilfskräfte aus der lokalen Bevölkerung, wie der Wehrmachtsarzt Schreiber von seiner Dienstreise berichtete.349 Sie hätten zusammen mit Soldaten von italienischen Baubataillons die Straßen, die von den Engländern auf ihrem Rückzug in die Cyrenaika gesprengt worden waren, wieder hergestellt und Schäden ausgebessert.350 In den Selbstzeugnissen der Soldaten oder der Feldzeitung Oase werden diese Arbeiter allerdings nicht erwähnt. Hier sind als Straßenbauarbeiter lediglich militarisierte und bewaffnete Siedler aus Süditalien351 oder allgemeiner »italienische Kameraden«352 genannt. Hans C. berichtet in seinen Erinnerungen aber von lokalen Arbeitskräften, die für den Bau eines Verteidigungsringes um die Stadt Tunis eingesetzt waren: »Für diese Arbeiten wurden gegen Bezahlung in unserem Bereich etwa 800 Araber angeworben. Sie verpflegten sich selbst, aber sie erhielten die Rohprodukte über unsere Kompanie.«353 Bei der Instandsetzung der Fahrzeuge halfen eher italienische Siedler. Die Wehrmacht hatte »alle größeren« Kraftfahrzeug-Reparaturwerkstätten in Tripolis beschlagnahmt. Darin arbeiteten laut einem Bericht von Major Rentsch 362 Facharbeiter, von denen 30 Prozent deutsche Soldaten waren, und reparierten die Kraftwagen der Wehrmacht.354 Zwei im Bundesarchiv vorliegende Lohnhefte lassen vermuten, dass die restlichen 70 Prozent in den Werkstätten vor allem italienische Arbeiter waren. Denn darin sind 280 beziehungsweise 300 italienische Namen als Mechaniker und Automechaniker angeführt.355 347 Etwa eine halbe Million Zivilisten waren in den Häfen des mittleren Ostens zur Entladung von Nachschubschiffen eingesetzt, vgl. Jill Edwards, Introduction, in: dies. (Hg.), El Alamein and the Struggle for North Africa, Kairo/New York 2012, S. 1–6, S. 5. 348 BArch-MA, RW 7/226, Direzione di Commissariato dell’intendenza della Tripolitania, ufficio amministrazione, foglio paga manovalanza indigeni in servizio presso il Corpo Tedesco in Africa Settentrionale, 21.–27. Februar 1942, Gruppo 1–7. 349 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 16. 350 Ebd., S. 21. 351 Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9. 352 Vgl. o. F., o. T., in: Die Oase 61, 24. Februar 1942, S. 4. 353 DTA, 1464.1 (Reg.-Nr. 1306.II,1), Hans C., Sonnenblitzer – Dreckspritzer. Erinnerungen 1902–1977, S. 57. 354 BArch-MA, RW 19/3442, Bericht über die Dienstreise von Major Dr. Rentsch vom 26. November bis 13. Dezember 1941 nach Libyen, S. 5. 355 BArch-MA, RW 7/212, Corpo di Spedizione Tedesco P.M 13233, Paghe operai Ia Quindicina Settembre 1941 und Corpo di Spedizione Tedesco P.M 13233, Paghe operai IIa Quindicina Settembre 1941.
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Bei der Heranziehung der lokalen Bevölkerung für Hilfsarbeiten fühlten sich die deutschen Soldaten in ihren Vorurteilen über die arabischen Menschen des Kriegsraumes bestätigt. Dies ist beispielsweise in einem Brief von Robert W. belegt, der seiner Ehefrau über die im Hafen von Tripolis beim Ausladen der Schiffe eingesetzten Arbeiter berichtete. Er schrieb, die »Araber und N* müssen diesmal tüchtig zupacken, doch diese Burschen können einen mit ihrer Trägheit zur Raserei bringen«.356 Der Truppenarzt Hubert S. schätze die Arbeitsleistung lokaler Kräfte ähnlich ein. »Mein Auto ist natürlich noch nicht fertig, die Araber haben heute Feiertag u. arbeiten null«,357 beschwerte er sich bei seiner Frau. In einem anderen Brief berichtete er, es käme gerade »ein Araber«, um das Brennmaterial in seinem Ofen anzuschüren. Er hoffte, dieser sei »etwas geschickter als der, der neulich da war. Der brauchte eine halbe Stunde bis das Ding endlich brannte.« Zudem sei der Ofen zwar am Ende in Betrieb gewesen, doch habe er das Fenster offengelassen, weshalb er seinen Bericht mit den Worten schloss: »Manche sind wirklich so dumm, denen muß man alles einzeln erklären, obwohl sie es sicher schon hundertmal gemacht haben.«358 Faulheit und Rückständigkeit, ja geradezu Unvermögen und Dummheit schrieb auch die Feldzeitung den eingesetzten Arbeitern zu, obwohl bei ihrer Herstellung zum Teil ebenfalls lokale Fachkräfte beteiligt waren, die in der Druckerei arbeiteten.359 Unter einem Foto, das mehrere Personen mit heller Kopfbedeckung neben einem Schiff zeigt, von dem gerade ein Panzer gehoben wird, reproduziert die Bildunterschrift das Stereotyp des »faulen Arabers«: »Der Panzerschütze kratzt sich verlegen am Kopf, als er die schwärzlichen, wollbemützten Kaiarbeiter sieht, die bei der Entladung seines braven Panzers mehr schwatzen, als zugreifen.«360 Trotz dieser Vorurteile nutzten die kriegführenden Parteien die Zivilbevölkerung für wichtige strategische Aufgaben. Sowohl die Alliierten als auch die Achsenmächte engagierten Kundschafter. Daher verdächtigten die deutschen Soldaten durch das Kriegsgebiet ziehende Karawanen der Spionage für die Briten. Sie wurden untersucht und zum Teil festgenommen, wie einige Soldaten in ihren Selbstzeugnissen dokumentierten.361 Auch den beim Entladen von Schiffen beschäftigen Arbeitern unterstellten die Achsenmächte, als Spione für die Briten zu arbeiten.362 Wilfried Armbruster notierte in seinem Tagebuch etwa, dass in der Quattara-Senke »5 Araber [...] geschnappt« wurden, die er für britische Späher hielt. »Gewiss sind sie in engl. Diensten und wollen uns mal wie-
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MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 31. März 1941. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 18. Dezember 1942. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 27. Dezember 1942. Vgl. Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres, S. 58. Eric Borchert, Weisst Du noch, Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 4. 361 Vgl. etwa DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 7; DTA, 776.1 (Reg. Nr. 817,II.1), Briefwechsel 1941/1942 von Edith P., Walther W. an Edith P. am 10. August 1942. 362 BArch-MA, RH 12–23/1238, Dr. Ignatius, San.-Ers.-Abt. 12, Plan für Sonderausbildung der TropenErsatzkompanie, 24. Februar 1942, fol. 65.
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der ausspionieren.«363 Schon vor dem Krieg hatte die italienische Abwehr »verdaechtige Elemente« mit Meldebogen erfasst und bei Kriegsausbruch interniert. In einem an die Panzer-Gruppe Afrika weitergeleiteten Brief von Januar 1942 war die Rede von 600 bis 700 verhafteten Personen.364 Zum Teil wurden der Kollaboration mit den Briten verdächtigte Personen gehenkt.365 Obwohl der Wert und die Zuverlässigkeit lokaler »Agenten« von deutscher Seite als gering eingestuft wurden,366 engagierte die Achse Bewohner des Kriegsraumes, die sich in der Umgebung besser auskannten und sie gewohnt waren, zu Spionagezwecken. Dafür hatte die Feldzeitung Oase das benötigte Vokabular – Ortsbezeichnungen, Richtungsangaben, Standort der Engländer – abgedruckt.367 Die lokale Bevölkerung half den Achsenmächten sogar durch Festnahmen. Im Tagebuch des Wilfried Armbruster ist zu lesen, dass ein Captain David südlich von Zuara von Arabern gefangen genommen und ausgeliefert wurde. Diese erhielten dafür 50 Kilogramm Tee als Belohnung.368 Dass die Menschen des Kriegsraumes sich bei den Kriegsgegnern als Hilfe anboten und damit ihre eigene Situation im Krieg verbesserten, verstanden die deutschen Soldaten als Ausdruck von Opportunismus. So bemerkte Jus F. in seinen Erinnerungen, man dürfe sich nicht auf sie verlassen: »Bei uns schimpften sie auf die Engländer und bei den Tommies drehten sie die Platte um und erzählten von militärischen Beobachtungen bei den Deutschen.«369 Doch waren die europäischen Militärs aufgrund der Gegebenheiten des Raumes und des fehlenden Kartenmaterials auf das Raumwissen der lokalen Bevölkerung angewiesen. Arabische Führer finden in den Lebenserinnerungen von Helmut B.370 oder in einem humoristisch gehaltenen Artikel der Oase Erwähnung. Hier heißt es, ein richtiger Afrika-Soldat schenke keiner Karte des Kriegsraumes Vertrauen, sondern habe sich auf »einem Viele-Tage-Spähtrupp weit in die Wüste hinein [...] einen Beduinenscheich in den Beiwagen geklemmt«.371 Selbst ohne Bezahlung halfen Angehörige der lokalen Bevölkerung den deutschen Soldaten. Immer wieder retteten sie verirrte oder verletzte Soldaten, wie etwa Wilfried Armbruster in seinem Tagebuch berichtet. So sei ein Verwundeter, der schon als vermisst galt, wieder bei seiner Einheit aufgetaucht, nachdem er 30 Kilometer auf einem »Araber-
363 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 10. August 1942, S. 53. 364 BArch-MA, RH 23/112, Br. Nr. 165/42 geh. Kdos. vom 22.1.42, Betr. Arbeit der ital. Abwehr in Libyen, von A.O. III Tripolis an Kdt. d.r.A. Ic, zu Hd. Major Punge, weitergeleitet vom Kdt. rückw. ArmeeGebiet Panzer-Gruppe Afrika am 23.1.42 an die Panzer-Gruppe Afrika Abt. Ic/AO, S. 1. 365 Vgl. Pressfield, Author POV. 366 BArch-MA, RH 23/112, AO III Tripolis, Ho 32/42. geh. Kdos., 20.1.1942, Betr. Klärung des fdl. N.D. von Libyen aus, S. 2 (= fol. 9). 367 Vgl. J.W., Einige Worte auf ägyptisch, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 4. 368 Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 29. Januar 1943, S. 106–107. 369 IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 26e. 370 Vgl. IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, S. 155 (60). 371 Gerhard Garske, Der Wüstenlatscher. Vom deutschen Soldaten in Nordafrika – er hat seine Erfahrung, in: Die Oase 68, 16. April 1942, S. 4.
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Esel« mitgenommen worden war.372 Ritter von D. berichtete seiner Frau, dass Schiffbrüchige Hilfe von der lokalen Bevölkerung bekamen, und wertete dies als Zeichen der »Deutschfreundlichkeit«. Diese empfand er als »sehr angenehm« und berichtete, dass die Verunglückten »von den Arabern sehr herzlich aufgenommen und verpflegt« wurden, bis ihre Einheit sie abholte.373 Allerdings waren nicht alle Wehrmachtsangehörigen dankbar. Konstantin Alexander von Neurath schildert in seinem Tagebuch, wie er eines Tages ohne Wasser und Nahrung allein in einen Sandsturm geriet. Als er Stimmen hörte, versuchte er durch Rufen auf sich aufmerksam zu machen, doch war er schon so geschwächt, dass ihm alles, was er »einstmals an arabischen [sic!] Wortschatz kannte, nicht mehr einfiel«. Er wurde von einem Mann aus der lokalen Bevölkerung gefunden, auf dessen Esel gesetzt und in einem sechsstündigen Ritt zu einer Zeltsiedlung gebracht. Am nächsten Tag brachten ihn »drei Araber« mit zwei Kamelen zum Posten der italienischen Carabinieri in der nächstgelegenen Stadt.374 Statt sich dankbar über diese Hilfe zu zeigen, war es ihm wichtiger zu erwähnen, dass ihm sein Retter aus einer »alten, ranzigen Djerba, dem Wassersack«, etwas zu trinken gab.375 Trotz der Abhängigkeitssituation, in der er ohne die Hilfe des Retters aus der lokalen Bevölkerung verloren gewesen wäre, waren die Angst vor Krankheiten und die Vorstellungen von der lokalen Bevölkerung als schmutzig also weiter dominant. Ähnliche Rettungsgeschichten erschienen in Zeitungen. Die Jambo berichtete, dass ein abgestürzter Flieger von Arabern gefunden, im Zelt mit Tee versorgt und zu einem italienischen Stützpunkt gebracht wurde.376 Das Nachrichtenblatt der Oase führte die unterschiedlichen Bereiche auf, in denen die lokale Bevölkerung die deutschen Soldaten unterstützte. So habe ein älterer Mann, in dessen Nähe sie eine Weile »hausten«, ihnen jeden Morgen »als gastgebender Grundstuecksbesitzer seine Aufwartung« gemacht und immer eine Gabe wie Eier, Blumen oder Brot dabeigehabt. Andere arabische Männer hätten für einen kranken Soldaten die Wäsche gewaschen oder einen Soldaten versorgt, der einen Abhang hinuntergestürzt war, und ihn anschließend 14 Stunden auf dem Pferd bis zu einem deutschen Hauptverbandsplatz gebracht.377 Trotz der unterschiedlichen Formen der Arbeitseinsätze hatten manche Soldaten weniger Kontakte mit arabischen Menschen des Kriegsraumes. »Gegen uns Deutsche sind die Burschen recht vertrauensseelig, trotzdem wir nur zum handeln [sic!] mit ihnen zusammen kommen«,378 schrieb Heinz G. seiner Frau im Februar 1943 aus Tunesien. Als Händler trafen aber wohl alle deutschen Soldaten Angehörige der lokalen Bevölkerung,
372 Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 5. August 1942, S. 52. 373 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 374 IfZ-Archiv, ED 402, Konstantin Alexander von Neurath, Erinnerungen an die Jahre 1941–43, Vom Wasser, S. 32–33. 375 Ebd., S. 33. 376 Vgl. Alois Pleske, Ist Oberleutnant K. noch nicht zurück?, in: Jambo C (1942) 4, 1942, S. 53–55. Siehe auch Ernst Bayer, Ein Deutscher kommt. Das Zauberwort für den Araber, in: Jambo C (1942) 9, S. 139–140, S. 140. 377 Vgl. E. G. Dickmann, Ali und der Landser. Eine kameradschaftliche Ansprache, in: Karawane 125, 16. April 1943, S. 4. 378 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943.
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denn zur Ergänzung ihrer Lebensmittelversorgung erwarben die Soldaten zusätzliches Essen bei ihnen. Derartige Kontakte sind im Fotoalbum von Walter K. durch Fotografien festgehalten, die er im Nachhinein mit den Worten »Der Handel blüht« kommentierte.379 Teils bezahlten oder tauschten sie, trotzdem gehörten Plünderungen zum Kriegsalltag. Dies war im Sinne der Wehrmachtsführung, die die »Selbstversorgung der Truppeneinheiten durch Eigenproduktion oder Raub« im Zweiten Weltkrieg auf allen Kriegsschauplätzen vorsah. Vor allem Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch, Eier, Honig oder Butter sollten aus dem Land heraus für die Truppenversorgung beschafft werden.380 Außerdem gehörte es zu den Aufgaben des Armeeoberkommandos, dafür zu sorgen, dass Nahrungsmittel aus den Kriegsgebieten zur Versorgung der zivilen Bevölkerung ins »Altreich« geschickt wurden.381 Zunächst hatte man geglaubt, dass auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz die Truppenversorgung vor allem über das italienische Festland gesichert werden musste. Obwohl der Autor eines Artikels in der Zeitschrift Deutsche Wehr die Oasen der Wüste als wichtige Stützpunkte im Kampf ansah, berichtete er, dass es in Nordafrika unmöglich sei, die Truppen aus eigenen Erträgen zu versorgen.382 Ernst Bayer erklärte in der kolonialen Monatsschrift Jambo, Gemüse und Fleisch könnten auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz nicht vor Ort beschafft werden, »da der Ausbau der Kolonisation erst noch im Gange ist«.383 In der Oase hieß es, »[e]ine Beschaffung von Zusatzkost wie Frischgemüse aus dem Lande selbst kommt nicht in Frage, da selbst die Zivilbevölkerung vielfach auf die aus Europa eingeführten Konserven angewiesen ist«.384 Doch waren diese Einschätzungen von einem kolonialen Blick auf den Kriegsraum geprägt. Aufgrund von Vorurteilen gegenüber der lokalen Bevölkerung und einer Fokussierung auf die Wüstengebiete erschien dieser den europäischen Berichterstattern als gänzlich unfruchtbar. Der Arzt Schreiber stellte bei seiner Dienstreise nach Libyen dann erstaunt fest, dass die Cyrenaika ein »völlig anderes Bild« biete. Hier wüchsen Buschwerk und Gras, auf denen Rinderherden weideten, und er war beeindruckt von den Weizenfeldern im Becken von Barce. Nach diesen Erlebnissen regte er an, die örtliche Landwirtschaft und insbesondere die Ziegen und Schafe der lokalen Bevölkerung vermehrt zur Ernährung des DAK heranzuziehen.385 Als dies nicht geschah, wunderte er sich, warum nicht »grössere Mengen« an Ziegen und Schafen »zur Abschlachtung freigegeben« würden.386
379 Privatbesitz Horst K., Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Bl. 30b. 380 Vgl. Reichsführer, Truppenernährung, o.O., S. 17, zit. bei Melzer, Kleemann und Saller, Ernährungspraxen, S. 265–266. 381 Vgl. ebd., S. 266. 382 F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 3, S. 42–43, S. 42. 383 Ernst Bayer, Verpflegung unserer Soldaten in Afrika, in: Jambo C (1942) 1, S. 10. 384 Herbert Trunschke, Und es klappt dennoch ...! Der Verpflegungsnachschub nach Afrika, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 9. 385 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 20. 386 BArch-MA, RW 19/3442, Bericht über die Dienstreise von Major Dr. Rentsch vom 26. November bis 13. Dezember 1941 nach Libyen, S. 3.
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Andere Nahrungsmittel organisierten die am Krieg beteiligten Militärs vor Ort. Die Alliierten nutzten land-und forstwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern im Krieg und waren im Nordafrikafeldzug auf die Hilfe Ägyptens angewiesen. Das Land lieferte Baumwolle und Tonnen von Lebensmitteln an das britische Militär.387 Die italienischen und deutschen Truppen besserten ihre mangelhafte Verpflegung mit Frischobst, wie Melonen, Datteln oder Mandarinen, und mit Gemüse auf.388 Major Rentsch berichtete von einer Dienstreise nach Libyen, dass die deutsche Wehrmacht aus seiner Sicht in Konkurrenz mit dem italienischen Militär und der italienischen Zivilverwaltung stand.389 Der Ankauf von Obst, Frischgemüse, Fleisch und Olivenöl deckte daher den Bedarf der deutschen Truppen nicht ausreichend. Kamelfleisch konnte hingegen ausreichend dazugekauft werden.390 Das Taschenbuch Der Soldat in Libyen für die Truppe warnte die Soldaten allerdings vor dem Kauf bestimmter Lebensmittel. So sollten sie, um sich vor Darmkrankheiten zu schützen, kein Speiseeis am Straßenrand und nur ganze Melonen von Straßenverkäufern erwerben. Der Kauf von Mineralwasser oder Limonade war generell verboten, wenn dies nicht ausdrücklich von der Truppenführung gestattet wurde.391 Damit offenbart das Taschenbuch die Angst vor einer Schwächung der Truppen durch verdorbene Lebensmittel und belegt zugleich, dass der Handel mit der lokalen Bevölkerung durchaus vorgesehen war. Die Redaktion der Feldzeitung Oase betrachtete den Einkauf von Lebensmitteln und anderen Gütern bei der lokalen Bevölkerung daher als selbstverständlich und trug aktiv dazu bei, indem es die wichtigsten hierfür nötigen Vokabeln vermittelte.392 In ägyptischem Arabisch mit Übersetzung und Lautschrift druckte sie arabische Begrüßungsformeln, Vokabeln zum Verhandeln des Preises von Tee, Kaffee, Zucker, Wein, Gemüse und Reis sowie die Zahlen von eins bis zwanzig ab.393 Zusätzlich wurde eine Zusammenstellung arabischer Vokabeln mit englischer und italienischer Übersetzung an die An-
387 Vgl. zur afrikanischen Produktion für die Alliierten allgemein, Judith A. Byfield, Producing for the War, in: dies. et al. (Hg.), Africa and World War II, New York 2015, S. 24–42. Für Ägypten siehe: Emad A. Helal, Egypt’s Overlooked Contribution to World War II, in: Heike Liebau et al. (Hg.), The World in World Wars: Experiences, Perceptions and Perspectives from Africa and Asia, Boston 2010, S. 217–247. 388 Helmut T. beschreibt in seinen Erinnerungen, dass sie sich »[b]ei den Arabern« zusätzlich Eier und Gurken kauften und Obst erstanden, vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 65, 259. 389 BArch-MA, RW 19/3442, Bericht über die Dienstreise von Major Dr. Rentsch vom 26. November bis 13. Dezember 1941 nach Libyen, S. 3. 390 Ebd., S. 2. 391 OKH, Der Soldat in Libyen, S. 23–24. 392 Neben Italienisch-Dolmetschern wie Wilfried Armbruster waren teils auch Arabisch-Dolmetscher beschäfigt. So wird in einem Artikel über einen Spähtrupp erwähnt, dass »einer der bedeutendsten arabischen Privatgelehrten Deutschlands« als Dolmetscher mit unterwegs war, vgl. Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. 393 Vgl. S. Becker-Naumburg, Einige Worte auf ägyptisch, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 7; J.W., Einige Worte auf ägyptisch, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 4.
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gehörigen der 21. Panzerdivision verteilt.394 Damit konnten die Soldaten auf den Märkten der Städte Grundnahrungsmittel und kleine Gaumenfreuden erwerben oder Restaurants besuchen. Helmut T. erinnerte sich, auf dem Basar in Derna »Mokka und Schokolade« getrunken und »Melonen, Apfelsinen und Maisbrot« eingekauft zu haben.395 Hans P. freute sich in seinem Tagebuch, dass sie in der tunesischen Stadt Sfax kaufen konnten, was sie zuvor »lange entbehren« mussten und nun direkt verkochten: »Frischgemüse, Salate, Kartoffeln. [...] Wo man hinsieht, flackern Feuerchen auf und die Bratpfanne regiert das allgemeine Bild wieder.«396 Soldaten in höheren Positionen, wie der Truppenarzt Hubert S., gingen zum Teil in den Städten sogar in Restaurants. Mit seinem Oberleutnant aß er in einem Lokal zu Abend: »Zuerst je ein Omlett [sic!] von 4 Eiern, dann Fisch (wahrscheinlich Polyp oder Tintenfisch) mit ganz weich gekochten Mohrrüben, dazu Brot u. 1 Flasche roten Landwein, kostete pro Mann 1.50 Mark.«397 Bei solchen Besuchen waren Grundkenntnisse des Arabischen hilfreich; Otto W. erinnerte sich in einem Restaurant in Tunis, sogar auf Deutsch bedient worden zu sein, da der Besitzer in Deutschland studiert hatte.398 Die Soldaten mussten aber nicht erst an einem freien Tag in eine Stadt fahren, um von der lokalen Bevölkerung Lebensmittel zu erwerben. Viele Selbstzeugnisse berichten von lokalen Händlern, die zu den Lagern der Soldaten hinter der Front kamen und ihnen Nahrungsmittel zum Kauf anboten.399 Helmut T. erklärte in seinen Erinnerungen, es habe sich dabei um Tuareg gehandelt, bezeichnet sie aber im gleichen Absatz als Araber, wie die meisten der deutschen Soldaten.400 »Araber besuchen uns dauernd«,401 notierte Erich K. in seinem Tagebuch. Zwei Tage später schrieb er: »Täglich erleben wir Araberbesuch, die Eier und Milch gegen Brot tauschen wollen. Es ist ein ganz netter Zeitvertreib.«402 Die Datierung der Tagebucheinträge und Briefe beweist, dass diese Kontakte nicht nur während des Tunesienfeldzuges stattfanden, dem der Historiker David Motadel die engeren Kontakte zwischen den deutschen Soldaten und der lokalen Bevölkerung zuschreibt.403 Besonders in den abgelegenen Gebieten profitierten die Soldaten von der Handelsbereitschaft der lokalen Bevölkerung, die Produkte teils extra für den Verkauf an die Soldaten herstellten. Häufig ist in den Selbstzeugnissen von frischem Ölgebäck
394 BArch-MA, RH 27–21/14, Anlagen zum K.T.B. Nr. 8, 21. Panzerdivision – Abt. I, 28. September 1942–21. Januar 1943, fol. 49. 395 Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 243. 396 Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 23. Januar 1943, S. 21. 397 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 21./22. November 1942. 398 DTA, 1087.1 (Reg. Nr. 1044.1), Otto W., Erinnerungen an die Gefangenschaft in Nordafrika, Bd. 1: 1943–1945, S. 7. 399 Vgl. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, 1984, S. 26e; MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941. 400 Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 259. 401 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 23. März 1942. 402 LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K., Tagebuchaufzeichnungen, Eintrag vom 25. März 1942. 403 Vgl. Motadel, Für Prophet und Führer, S. 157.
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mit Dattelfüllung die Rede, das die Händler den Soldaten zu ihren Lagerstätten brachten. Zwar lehnten einige der deutschen Soldaten das Gebäck aufgrund von befürchtetem Mangel an Hygiene bei der Herstellung ab, andere sahen darin aber eine wohlschmeckende Abwechslung auf ihrem Speiseplan.404 Gerne kauften die deutschen Soldaten Eier von der italienischen und vor allem der arabischen Bevölkerung.405 »5 Eier [...] (von den Arabern eingehandelt)«,406 schrieb etwa Robert W. seiner Frau. Georg N. berichtete von einem am Ostersonntag unternommenen »Spähtrupp in die Wüste«, von dem sie »mit einer erfolgreichen Beute an Eiern, von denen jeder Soldat der Einheit 1 bekam«, zurückkehrten.407 Mit den Eiern bereiteten die Soldaten Rührei zu oder brieten sich in aus Dosen improvisierten Pfannen Spiegeleier.408 Wenn sie keine Möglichkeit zum Kochen hatten, tranken sie die Eier roh aus oder schlugen sie mit Zucker schaumig. »Eier gibt’s genug und werden in jeder Form gegessen. Spiegeleier u. Zuckereier werden bevorzugt«,409 berichtete Eugen seinen Eltern. Manche Soldaten erstanden sogar Hühner und Hähne, die, wenn sie keine Eier legten, selbst gegessen oder für Hahnenkämpfe benutzt wurden.410 Vom Handel profitierten nicht nur die Soldaten. Indem sie Nahrungsmittel oder Gegenstände gegen von den Soldaten benötigte Güter eintauschten, versuchten die im Kriegsraum lebenden Menschen positive Effekte aus der Besatzung ihres Landes durch europäische Soldaten zu erzielen und erweiterten damit ihren Handlungsspielraum im Krieg. Dies reflektierte Günther E. in seinen Erinnerungen an Tunesien: »Sie suchten die für sie unvorhergesehene Einquartierung auf ihren Ländereien ökonomisch zu nutzen.«411 Die Waren bezahlten die Soldaten entweder mit der örtlichen Währung, in Libyen also mit italienischen Lire,412 oder mit Gütern aus ihrer Verpflegung, die der lokalen Bevölkerung fehlten, wie Tee, Brot, Marmelade oder Ölsardinen.
404 Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943. Erwähnt wird das Gebäck auch bei MSPT, 3.2002.7506, Walter K. an seine Eltern am 6./7. Februar 1943, und DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Horst S., Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 7. 405 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 25. Januar 1943, S. 105. Helmut B. berichtete, dass ihnen eine französische Siedlerin, bei der sie wohnten, aus von Arabern erstandenen Eiern ein Omelett zubereitete, vgl. IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, S. 152 (57). 406 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 11. März 1942. 407 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 5. April 1942. 408 Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 25. Dezember 1942. 409 MSPT, 3.2002.7486, Eugen [ohne Nachname] an seine Eltern, 24. April 1943; zum Trinken roher Eier vgl. Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943, LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318. 410 Heinz G. berichtete, sie hätten sich »[e]ine Menge Hühner [...] von Arabern eingehandelt«, und erwähnt die Hahnenkämpfe, vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 7. April 1943. In der Oase erschien ein zweispaltiger Artikel über das von einem Soldaten gehaltene Huhn Beate, das aufgrund mangelnder Eierproduktion gegessen wurde, vgl. Art., Huehner-Ballade. Beate, die Afrikanerin – Sie ging den Weg alles irdischen Gefluegels, in: Die Oase 118, 4. April 1943, S. 4. 411 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 145. 412 Vgl. beispielsweise MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941.
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Daneben tauschten die Soldaten Dienst-oder Beutegegenstände bei den lokalen Händlern gegen Lebensmittel ein.413 Weit verbreitet scheint zudem die Bezahlung der lokalen Angebote mit Kleidung, insbesondere Unterwäsche, aus den Beständen der Wehrmacht gewesen zu sein.414 Ein Schreiben der 15. Panzerdivisionsleitung zur »Abgabe von Bekleidung an Araber« zeugt von der Häufigkeit dieser Praktik. Darin heißt es, es sei festgestellt worden, »dass Araber deutsche Uniformstücke tragen, die sie als Tauschgegenstände für Lebensmittel von Truppen erhalten haben«. Die Wehrmachtsführung missbilligte solche Vorkommnisse und erinnerte daran, dass die Uniform ein »Ehrenkleid des Soldaten« sei, das nicht einfach weggeworfen werden dürfe.415 Die Soldaten empfanden das Tragen ihrer Kleidung durch die lokale Bevölkerung allerdings nicht als Verstoß gegen eigene Ehrvorschriften. Vielmehr deuteten sie es als Zeichen für die Unterlegenheit der Bevölkerung des Kriegsraumes, dass die Menschen Kleidung aus Wehrmachtsbeständen trugen. Für Menschen in den ländlichen Regionen waren die Uniformteile der Wehrmacht sicherlich eine Möglichkeit, die durch den Krieg beschränkten Erwerbsmöglichkeiten von Stoffen und Kleidung zu kompensieren. Zudem war es eine Form der Aneignung und damit Selbstbehauptung in einer Situation, in der sie ungefragt in einen Krieg hineingezogen und so in ihrer Bewegung eingeschränkt waren, vertrieben wurden und den Gefahren des Krieges ausgesetzt waren. Die lokale Bevölkerung versuchte sich durch die Anpassung an die potenziellen Kunden und die Nutzung ihrer Handlungsspielräume selbst zu behaupten und ihre Situation im Krieg zu verbessern. Denn während die Soldaten ihre zum Teil vorhandenen Sprachkenntnisse des Italienischen und die über die Feldzeitung vermittelten arabischen Wörter zum Tauschen und Handeln nutzten, priesen die lokalen Verkäufer, ihre Ware bei den Lagern der deutschen Soldaten auf Arabisch oder Italienisch an und lernten nach den ersten Kontakten mit deutschen Soldaten deutsche Wörter. Dies belegt ein Artikel der Feldzeitung Oase für den Verkauf von Eiern;416 in den Erinnerungen von Günther E. ist zudem das Anbieten des Ölgebäcks als »Prima Frischko«417 dokumentiert. Die deutschen Soldaten interpretierten das Erlernen deutscher Wörter allerdings als Zeichen von Dummheit und nahmen dies zum Anlass, sich über die lokale Bevölkerung lustig zu machen, wenn sie den Sinn der Worte nicht verstanden und etwa gegen sie gerichtete Schimpfworte aufgriffen. So verspottete Günther E. in seinen Erinnerungen einen der Männer, der »befriedigt lächelnd über seine fachliche SprachschatzErweiterung mit dem unvergleichlich werbewirksamen Spot auf den Lippen: ›Prima Scheißdreck‹«418 weiter seine Waren anpries. Jus F. bezeichnete die Art der Händler, 413
BArch-Ma, RH 27–21/14, Gericht der 21. Panzer-Division, Dienstaufsichtsführender Kriegsgerichtsrat, Tätigkeitsbericht für das 2. Halbjahr 1942 vom 1. Januar 1943, S. 6 (= fol. 108). 414 Vgl. IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, 1984, S. 26e; LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943. 415 BArch-MA, RH 27–15/13, Teil 2, 15. Pz.-Div. Ia, Schreiben vom 26. Februar 1943 mit dem Betr.: Abgabe von Bekleidung an Araber, fol. 164. 416 Vgl. den Bericht eines Gefreiten in der Oase. Felix Krämer, Afrika-Kämpfer sprechen zu Dir. 1000 Worte Arabisch – Italienisch ... und weniger, in: Die Oase 54, 9. November 1941, S. 7. 417 DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 145. 418 Ebd., S. 146.
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ihre Waren anzupreisen als »unverständliches, mehrstimmiges Geschrei: ›Ei a, Ei a EiaEia-...Mandrin-Mandrin...Dat’n Dat’n Dat’n–Uwu-wäsh-Uwu-wäsh‹«.419 Dass die Händler ihr Warenangebot aus Eiern, Mandarinen, Datteln und Unterwäsche in der Sprache der deutschen Soldaten anpriesen, löste bei ihm keinen Respekt, sondern nur Spott aus. Zudem echauffierten sich manche Soldaten über die Preise der erworbenen Waren. Robert W. berichtete seiner Frau, dass »die Hunde so frech« seien und für »1 Ei 10 -12 Lire = RM 1,30 -1,60 oder für 1 Melone 30 und 40 Lire = RM 3,90 und 5,20« verlangten.420 Georg N. berichtet in einem Brief, dass ihm umgerechnet 15 Reichspfennig für Apfelsinen und Mandarinen günstig erschienen, wohingegen er den Preis von zwei Reichsmark pro Kilo Kartoffeln »enorm!« fand. Für unverschämt hielt er die Preise für Eier: Diese kosteten »in der Gegend von Tripolis das Stück 50–65 Rpf, in Derna und Bengasi kostete ein Ei sogar RM 1«. Aber, so erklärte er seiner Bekannten, die Soldaten kauften diese dennoch, da »sie von vorne nach Ablösung oder sonst woher mit über 1000 Lire in der Tasche bewaffnet sind (1000 Lire = 131.50 RM). Und was soll man auch machen. Die Verpflegung muß irgendwie ergänzt werden, sonst ist sie in ihrer Zweiförmigkeit zu eintönig.«421 Die Preise für Lebensmittel auf den Märkten der Küstenstädte hielten die Soldaten ebenso für überzogen. »Tripolis ist herrlich, interessant und --teuer«, schrieb etwa Erich K. seinen Eltern und erklärte, dass hier »ein Kilo Orangen 17 Lire, d. hst. 2,20 Mark« kosteten, so dass seine Eltern das Obst zu Hause günstiger erstehen könnten.422 Vermutlich hoben die Händler ihre Preise beim Verkauf von Waren an die deutschen Wehrmachtssoldaten tatsächlich an. Zugleich wirkten sich tradierte Stereotype über die arabische Bevölkerung auf das Gefühl der Soldaten aus, betrogen zu werden. Weil »die Araber« als Räuber verschrien waren, vermutete Helmut T. in seinen zwischen 1943 und 1945 geschriebenen Erinnerungen, dass die lokale Bevölkerung sich an den Verpflegungslagern der sich auf dem Rückzug befindlichen italienischen und deutschen Truppen bedienten und die Beute den Soldaten dann zum Kauf anboten.423 Die Oase bezeichnete die Händler zwar als »[u]nsere ›Arabs‹«, behauptete jedoch, sie kämen zu den deutschen Lagern, weil sie »Geschaefte witterten«, und würden mit »allerhand guten und schlechten Sachen« erscheinen.424 In einem anderen Artikel mahnte ein Major Purper, die Soldaten sollten nur »gebrechliche[n] Greise[n] oder Krüppel[n]« Geld geben und alle anderen Bettler abweisen. Am besten sollten sie auf Ansprachen antworten »Gott wird dir geben«, was bedeute: »Es gibt nichts oder Halts maul [sic!]!« Er warnte die Soldaten, sich beim Einkaufen gut über den Wert des Geldes und der Waren zu informieren, denn das Betrügen liege »dem Orientalen im Blute«.425 Aufgrund der vorhandenen Stereotype erlebten manche der Soldaten die häufigen Tauschangebote als lästig. In einem in der Oase veröffentlichten Artikel beschrieb ein 419 420 421 422 423 424
IfZ-Archiv, MS 463, Jus F., Militärische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, S. 26e. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941. MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. Januar 1942. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 283, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 259–260. Art., Huehner-Ballade. Beate, die Afrikanerin – Sie ging den Weg alles irdischen Gefluegels, in: Die Oase 118, 4. April 1943, S. 4. 425 Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3.
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Gefreiter abschätzig, dass ein Junge, der beim deutschen Lager Milch gegen Brot eingetauscht hatte, danach immer wieder gekommen sei. »Jedenfalls lässt er sich mehrmals am Tage sehen und schleppt mir auch seine ganzen Stammesgenossen herbei, die mir neben ›Latte‹ und ›Cipolla‹ (das sind Zwiebeln, geneigter Leser) alles nur mögliche anbieten.«426 Die Handlungsmacht, die sich die lokale Bevölkerung durch die proaktiv eingegangenen Handelsbeziehungen mit den deutschen Soldaten aneignete, scheinen die deutschen Soldaten als zu groß empfunden zu haben und fühlten sich von dem als übereifrig empfundenen Warenangebot belästigt. Der Handel zwischen den Soldaten und der lokalen Bevölkerung war jedoch zeitlich und räumlich begrenzt. Er fand nur in den Gebieten hinter der Front statt, in denen keine akuten Gefechte mit den alliierten Kriegsgegnern ausgetragen wurden. Zudem gab es ein von der italienischen Regierung erlassenes »Verbot der Überschreitung von Höchstpreisen«, das die deutschen Truppen daran hinderte, jegliche angebotenen Güter einzukaufen.427 Trotz dieser Einschränkungen trug der Handel mit der lokalen Bevölkerung wesentlich zu einer Verbesserung der Versorgungslage der deutschen Soldaten bei, wenn nicht sogar die Durchführung des Krieges von dieser Art der Versorgung abhängig war. Ebenso profitierte die »Heimatfront« von den Geschäften. Obgleich die Soldaten in Libyen eigentlich nur für den eigenen Bedarf einkaufen durften und der Erwerb von rationierten Waren, wie Brot, Öl, Teigwaren, Zucker und Reis, nicht gestattet war,428 wurden massenhaft Päckchen mit im Kriegsraum erworbenen Nahrungs-und Genussmitteln nach Hause geschickt. Die Soldaten sendeten etwa Orangen, Kaffee429 oder »Afrika-Rauchwaren«430 per Feldpost an ihre Angehörigen. Denn Genussmittel wie Kaffee oder Tee und Obst-und Gemüsekonserven waren im Krieg für den Handel gesperrt und knappe Güter für die deutsche Zivilbevölkerung. Die Kaffeezuteilung war sogar durch eine eigene »Reichsstelle für Tabak und Kaffee« geregelt.431 Beliebter Paketinhalt waren neben erbeuteten britischen Lebensmitteln lokale Erzeugnisse wie Schafswolle oder Olivenöl.432 Dass der Kauf von Öl eigentlich verboten war, ignorierten die Soldaten. So erklärte Hubert S. seiner Frau: »Mit dem Olivenöl wird es wohl nichts werden, der Mann der es besorgen
426 Felix Krämer, Afrika-Kämpfer sprechen zu Dir. 1000 Worte Arabisch – Italienisch ... und weniger, in: Die Oase 54, 9. November 1941, S. 7. 427 BArch-MA, RW 19/3442, Bericht über die Dienstreise von Major Dr. Rentsch vom 26. November bis 13. Dezember 1941 nach Libyen, S. 3. 428 BArch-MA, RH 27–15/56, Besondere Anordnungen zur Versorgung, 15. Panzerdivision, Besondere Anordnungen für die Versorgung Nr. 1. (L), 29. März 1941, S. 1. 429 MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 1. Januar 1942; MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 17./18. Oktober 1941. 430 BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 5. Januar 1943. In anderen Fällen bekamen die Soldaten in Nordafrika auch Zigaretten von den Angehörigen per Feldpost geschickt, da sie in Libyen »knapp und schlecht« waren; MSPT, 3.2002.1286.0, Georg N. an seine Ehefrau am 9. November 1941. 431 Vgl. Melzer, Kleemann und Reinhard, Ernährungspraxen, S. 263; vgl. zu Kaffee: Nicole Petrick-Felber, Kriegswichtiger Genuss: Tabak und Kaffee im »Dritten Reich«, Göttingen 2015 (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 17). 432 Vgl. Oberleitner, Geschichte der Deutschen Feldpost, S. 139.
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wollte, wurde gestern verwundet, u. ausserdem dürfen wir offiziell gar keins kaufen, damit die Zivilisten nicht zu kurz kommen.«433 Die Beschränkungen wirkten sich nur wenig auf die Paketsendungen aus. Die Soldaten wollten ihre Angehörigen so gut wie möglich unterstützen, weil in Deutschland die Versorgungslage immer schlechter wurde. Aus Tunesien schickten die deutschen Soldaten gegen Ende des Krieges in Nordafrika so viele Pakete nach Hause, dass eine eigene »Tunispäckchenmarke« eingeführt wurde. Damit sollten die Mengen des Versandes gesteuert werden. Jeder Soldat erhielt zwei Marken pro Monat für den Versand von Paketen bis zu einem Kilogramm. Allein im März und April 1943 wurden etwa 200.000 dieser Marken ausgegeben.434 Im Verlauf des Krieges erwies es sich jedoch als immer schwieriger, Nahrungsmittel oder andere Güter bei der lokalen Bevölkerung zu bekommen. Denn die Zivilbevölkerung litt zunehmend unter den Beeinträchtigungen durch den Krieg und war in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Nach der Eröffnung des Zweifrontenkrieges mit der Landung britischer und US-amerikanischer Truppen in Marokko und Algerien wurden die Lebensmittelversorgung und die wirtschaftliche Lage der lokalen Bevölkerung noch schwieriger. Die Oase verwies darauf im März 1943 und erklärte, dass die arabische Bevölkerung durch den Krieg arm geworden sei, weil die Karawanen aufgrund des Krieges nicht mehr ihre angestammten Routen nehmen konnten. Zwar wird hier explizit das »Verschwinden der Karawane als Folge des Krieges« bezeichnet, doch wurde das Problem sogleich relativiert und erklärt, die Menschen würden dies mit Fassung tragen.435 Der Soldat Horst S. verdrängte in seinen Erinnerungen den Umstand, dass die lokale Bevölkerung vom Krieg betroffen war, und schrieb: »[T]rotz des Krieges in Nordafrika zogen die arabischen Nomaden-Kamelkarawanen im Süden der lybischen [sic!] Wüste weiter ihres Weges wie eh und je.«436 Der Wehrmachtsarzt Schreiber hingegen bemerkte schon bei seiner im Juni 1941 durchgeführten Dienstreise, dass der Krieg die lokale Wirtschaft schwächte. Über die stark vom Krieg betroffene Stadt Bengasi notierte er, dass »Auslagen [...] in den Geschäften kaum zu sehen«437 gewesen seien. Ab November 1942 bemerkten auch andere Soldaten das schrumpfende Warenangebot in den nordafrikanischen Städten. Helmut T. notierte etwa in seinem Tagebuch, dass auf dem Basar in Derna kaum noch etwas angeboten wurde.438 Im Dezember teilte Hubert S. seiner Frau aus Tunesien mit, dass es kaum noch Obst, wie Orangen, Bananen oder Datteln, gebe, da im Landesinneren »ja nun die Amerikaner« säßen, und daher komme »nur hin u. wieder [...] ein Araber per Kamel hierher u. bringt eine Kleinigkeit.«439 Zu Beginn des Folgejahres berichtete Oskar 433 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 30. November 1942. 434 Vgl. Oberleitner, Geschichte der Deutschen Feldpost, S. 139. 435 Vgl. Oberstleutnant Hurtmanns, Kämpfer, Karawanen und der weisse Medizinmann. Spaehtrupp in der Serir – »Inschallah, wie Allah will«, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. 436 DTA, 177.1 (Reg. Nr. 187.1), Horst S., Erlebnisse des Panzersoldaten Horst S. in Afrika von April 1941 bis 1943, S. 7. 437 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 18. 438 Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 243. 439 MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 2. Dezember 1942.
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H., dass er auf dem Rückzug nach Tunesien erst in einem kleinen Städtchen wieder etwas erwerben konnte.440 Kurz darauf bedauerte er, dass die Preise für Lebensmittel hoch seien, weil die meisten Händler aufgrund der ständigen Luftangriffe die Stadt verließen.441 Die deutschen Soldaten in Nordafrika hatten also nicht nur entgegen allen Behauptungen von einem menschenleeren Kriegsraum zahlreiche Kontakte mit der lokalen Bevölkerung. Sie erfuhren zudem durch alltägliche Praktiken des Handelns, in welchem Maße ihre Kriegsführung das Leben der lokalen Bevölkerung beeinträchtigte.
440 Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 23. Januar 1943, S. 35. 441 Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Memoirentext, S. 36.
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10 Zerstörung, Hass und Gewalt
Die deutschen Soldaten, die ab Februar 1941 zum Kriegseinsatz den afrikanischen Kontinent an seiner Nordküste betraten, kamen mit zahlreichen von Kolonialismus und Nationalsozialismus geprägten Bildern. Exotistische Vorstellungen prägten ihre Wahrnehmung und Deutung der natürlichen Umgebung und die Art und Weise, wie sie mit den Herausforderungen des Kriegsraumes umgingen. Zugleich wirkten sich tradierte Denkweisen über die Menschen »Afrikas« und des »Orients« auf die Einschätzung der lokalen Bevölkerung aus. Rassismen gegen Schwarze und Muslime bestimmten den Umgang der Soldaten mit den in Nordafrika lebenden Menschen. Die Ressentiments und Vorurteile führten dazu, dass sie sich von der lokalen Bevölkerung abgrenzten, sie ausnutzten und durch verschiedene Formen kultureller Aneignung herabsetzten. Schlussendlich waren die rassistischen Einstellungen verantwortlich für eine rücksichtslose Kriegsführung und bereiteten den Weg zu physischer Gewalt gegenüber den im Kriegsraum lebenden Menschen.
10.1 Die Folgen des Krieges für die lokale Bevölkerung Südlich der Küstenstadt El Alamein befinden sich zahlreiche Überreste aus dem Nordafrikafeldzug: Gräben, Schützenlöcher oder Barrieren zur Abwehr von Panzern prägen das Gelände bis heute. Noch immer gefährden Landminen und nicht detonierte Munition die Bevölkerung,1 die bereits während des Krieges unter den in Massen von den europäischen Streitkräften verlegten Sprengkörpern litt.2 Die Menschen des Kriegsraumes
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Vgl. Kingsepp, The Second World War, S. 5f.; Aldino Bondesan, Between History and Geography. The El Alamein Project: Research, Findings, and Results, in: Jill Edwards (Hg.), El Alamein and the Struggle for North Africa. International Perspectives from the TwentyFirst Century, Kairo/New York 2012, S. 113–136, S. 115. Siehe auch Joachim Hoelzgen, Landminen im Wüstensand: Rommels Erbe blockiert Ägyptens Zugang zum Reichtum, in: Spiegel Online vom 11. März 2008, URL: www.spiegel.de/wirtschaft/landminen-im-wuestensand-rommels-erbeblockiert-aegyptens-zugang-zum-reichtum-a-539085.html [30.05.2017]. Allein bei der zweiten Schlacht um El Alamein ließ Rommel fast eine halbe Million Minen verlegen, vgl. Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 236.
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konnten leicht unbewusst in vermintes Gebiet geraten und von den Kriegswaffen verletzt oder getötet werden. Welche Auswirkungen und Folgen der Krieg damit auf die lokale Bevölkerung hatte, war einem Autor der Feldzeitung Oase bereits während des Feldzuges bewusst. Er vermutete, dass durch die verlegten Minen »noch viele Jahre nach dem Kriege irgendwo in der Wüste dann und wann Kamelkarawanen hochgehen werden«3 , und sollte damit recht behalten. Über die tödliche Wirkung der Minen für die am Krieg unbeteiligten Menschen und Tiere waren auch die Angehörigen der deutschen Truppen informiert. Wilfried Armbruster notierte in seinem Tagebuch, dass in der Quattara-Senke »3 Araber-Kamele [...] auf Minen gelaufen«4 waren. Die Tiere wurden zum Teil bewusst auf Minenfelder geschickt, um die vergrabenen Sprengkörper auszulösen, ohne Soldatenleben zu gefährden.5 Dass aber im Kriegsraum lebende Menschen zu Opfern eines zwischen europäischen Mächten ausgefochtenen Krieges wurden, sah man als unvermeidbar an und zerstreute »solche Gedanken« mit dem Argument, es gelte die Kriegslage zu meistern.6 Denn der erhoffte Kriegserfolg der Achsenmächte stand im Zentrum des deutschen Interesses. Die Leiden der lokalen Bevölkerung erwähnte die Feldzeitung meist nur in Nebensätzen. So schilderte der Kriegsberichterstatter Hanns Gert Esebeck in einem Artikel über die Einnahme der libyschen Küstenstadt Marsa al Brega zwar Luftangriffe durch deutsche Stukas, erwähnte aber nicht, was diese für die Bewohner*innen der Stadt bedeuteten.7 Ebenso ignorierte eine Bildunterschrift zu einem Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein deutscher Oberarzt die Brandwunden eines Kindes verbindet, die Realität.8 Die Verletzungen hatte sich das Kind vermutlich bei einem Fliegerangriff zugezogen. Doch auch in diesem Fall wurde in der Zeitung kein Zusammenhang zwischen dem Krieg und den Leiden der lokalen Bevölkerung hergestellt. In einem anderen Artikel erklärte der Kriegsberichterstatter Martin Gläser sogar, die im Kriegsraum lebenden Kinder würden von den Auswirkungen des Krieges profitieren. In den zerschossenen und durch Bomben zerstörten Häusern hätten »[d]reist lärmende Araber-und N*jungen [...] für kindliche Gelüste geradezu märchenhafte Spielplätze gefunden«.9 Damit missachtete er nicht nur die traumatisierende Wirkung des Krieges auf die im nordafrikanischen Kriegsraum lebenden Kinder, sondern wertete diese zusätzlich ab, indem er ihren kindlichen Drang zu spielen als ungewöhnlich und ihr Spiel als respektlos und laut beschrieb.
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H. Herlya, Erkundungsfahrt ins Nichts. Durch Minenfelder in der nordafrikanischen Wüste, in: Die Oase 71, 7. Mai 1942, S. 1. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 10. August 1942, S. 53. BArch-MA, RH 27–15/24, Tätigkeitsbericht der 15. Pz. Div., Abt. Ic vom 1. Oktober bis 30. November 1942, S. 11. H. Herlya, Erkundungsfahrt ins Nichts. Durch Minenfelder in der nordafrikanischen Wüste, in: Die Oase 71, 7. Mi 1942, S. 1. Hanns Gert Esebeck, Wie El Brega in unsere Hand fiel, in: Die Oase 8, 5. April 1941, S. 1. Vgl. o. F., o.T., in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 4. Martin Gläser, Bild einer libyschen Stadt. Zwischen Moschee und Wüstenbahn, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2.
10 Zerstörung, Hass und Gewalt
Das Foto eines zerstörten Straßenzuges in Tobruk machte die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung hingegen offensichtlich.10 Zahlreiche Städte und Dörfer wurden während des Krieges durch Bombardierungen vernichtet, besonders in den Küstengebieten der Cyrenaika.11 Die Zerstörungen wurden in der Bildunterschrift allerdings allein den Alliierten zugeschrieben. Derartige Schuldzuweisungen an die britischen und amerikanischen Truppen waren in der Kriegsberichterstattung verbreitet, denn die Propagandakompanie Tunis war angewiesen worden, Fehlverhalten der gegnerischen Truppen herauszustellen.12 Obwohl die Oase vereinzelt über Luftangriffe der Achse auf die Städte im Kriegsraum berichtete13 und bemerkte, dass »[d]ie Abwanderung der Bevölkerung aus Alexandrien [...] nach den Bombardierungen der deutschen und italienischen Luftwaffe unvorhergesehene Ausmasse angenommen«14 habe, wurde in den meisten anderen Artikeln den Briten die Alleinschuld an Zerstörungen im Kriegsgebiet zugeschrieben. Damit konnte an das ebenfalls in der Feldzeitung verbreitete Bild der brutalen Kolonialherren angeknüpft und versucht werden, Deutschland als gute Kolonialmacht und Freund der arabischen Bevölkerung darzustellen. Bereits in einem Artikel über die Einnahme der libyschen Hafenstadt Bengasi im Februar 1941 durch die 6. australische Division betonte Kriegsberichterstatter Esebeck, es sei »fast kein Haus [...] von den Engländern verschont« worden, weshalb »von den 16.000 Italienern und 32.000 Arabern viele geflüchtet« seien.15 In einem anderen Beitrag schrieb er ebenfalls alle Verwüstungen den Briten zu, als er über einen Luftangriff der Royal Air Force berichtete. Der Ort Agedabia sei von »dumpfen Schläge der Explosionen« und Granaten in Flammen gesetzt worden, so dass die deutschen Soldaten beim Einmarsch nur noch »[v]erlassene, zerschossene, leergeräumte Häuser« und eine »Totenruhe« in den Straßen vorgefunden hätten.16 Über den Kriegsalltag der ägyptischen Bevölkerung, die als besonders deutschfreundlich galt, berichtete Esebeck sehr ausführlich. Bereits bei der Anfahrt auf die Grenzstadt Sollum habe er tief unten im Tal die »dürftige[n] Eingeborenenhütten« gesehen, die »wie alles [...] im Kampfgebiet« zerstört waren.17 Im selben Artikel erklärte er, der libysche Ort Bardia sei stark vom Krieg getroffen worden. Seit der Krieg die Stadt erreicht habe, sei für die ehemals 2.500 Einwohner*innen alles anders geworden und »[k]ein Mensch« lebe mehr hier:
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Vgl. o. F., Kampf um Tobruk, in: Die Oase 91, 24. September 1942, S. 5. Vgl. Motadel, Für Prophet und Fürer, S. 169. Vgl. Schröder, Der Kriegsbericht als propagandistisches Kampfmittel, S. 152f.; Motadel, Für Prophet und Führer, S. 156f. Vgl. Meldung, Bombenangriff auf Alexandria, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 2; Meldung, Granaten auf Tobruk, in: Die Oase 45, 24. August 1941, S. 1. Allein im Juni 1941 hätten 80.000 Personen die Stadt verlassen. Vgl. o. V., Unter der Wirkung deutscher Bomben. Flucht aus Alexandria, in: Die Oase 45, 24. August 1941, S. 2. Hanns Gert Esebeck, Über Benghasi in die Cyrenaica, in: Die Oase 10, 8. April 1941, S. 3. Hanns Gert Esebeck, Vorwärts nach Agedabia, in: Die Oase 11, 9. April 1941, S. 3. Hanns Gert Esebeck, An der ägyptischen Grenze, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 7.
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In den Häusern fehlen die Fenster. Granateinschläge haben die Wände aufgerissen. Schutt, Geröll, leere Flaschen und der ganze Plunder des Krieges liegt [sic!] verstreut umher. Die Häuser sind leer. Kein Bild, kein Stuhl, kein Teller – nichts mehr blieb, vom Leben zu zeugen, das hier einst die Menschen in friedlicher Stille führten.18 Mit dem Hinweis, dass an den Häusern »noch in roter Farbe die Inschriften der englischen Einheiten, die hier Quartier bezogen«19 hatten, zu sehen seien, machte er deutlich, dass der britische Kriegsgegner für die Situation verantwortlich sei. Die antibritische Propaganda offenbart sich deutlich in einem im Juli 1942 erschienenen Artikel. Er informierte über die angeblichen Pläne Englands zur Zerstörung Ägyptens, die selbst die Achse nicht aufhalten könne. »Das einzige Ergebnis würde darin bestehen, den Krieg für die einheimische Bevölkerung noch schrecklicher zu machen, als er ohnehin schon ist.«20 Wie sehr die europäische Kriegsführung das Leben der lokalen Bevölkerung beeinflusste, war der Redaktion der Oase also bewusst. Das Blatt hob hervor, dass die »britische[n] Kriegsanstrengungen auf Kosten der ägyptischen Zivilbevölkerung«21 gingen. Es berichtete von britischen Bombenangriffen, die den ägyptischen Ort Sidi Abdel Rahman in »einen donnernden Krater« verwandelt haben. Deshalb sei »der Ruf des Muezzins vom Minarett [...] verstummt und das Bahnhöfchen [...] von einer Bombe aufgerissen«.22 Derartige Gefahren und die schlechte Versorgungslage hätten viele in Ägypten lebende Menschen zur Flucht gezwungen.23 Im Zuge antibritischer Propaganda sprach die Feldzeitung also sehr wohl an, dass der Nordafrikafeldzug nicht allein Sache der europäischen Kriegsgegner war. In Wehrmachtsunterlagen ist von der Beeinträchtigung der Bevölkerung gegen Ende des Krieges ebenfalls die Rede. Eine geheime Meldung an das Oberkommando der Wehrmacht zur Lage in Französisch-Nordafrika berichtete über Verdunklungsmaßnahmen in den tunesischen und algerischen Hafenstädten und die Einrichtung von Luftschutzunterständen in »den Eingeborenen-Vierteln«.24 Während des Kampfes der alliierten Streitkräfte unter General Dwight D. Eisenhower gegen die Achse in Tunesien, das zwischen November 1942 und Mai 1943 unter deutscher Besatzung war, wurden fast alle größeren Städte des Landes zerstört oder stark beschädigt. Etwa eine Million der 2,89 Millionen Tunesier*innen verloren durch den Krieg ihr Zuhause, und während der deutschen Besatzungszeit mussten etwa 8.000 tunesische Menschen im Monat kriegsbedingt ihr Leben lassen. In Relation zu den 2.715 amerikanischen und 6.233 britischen
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Ebd. Ebd. Vgl. o. V., Aegypten soll zerstört werden. General Stone droht mit der Vernichtung des Landes, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 1. Vgl. Meldung, Aegyptens Versorgungslage, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. Armin Schönberg, Sommersaison in Aegypten. Interessante Betrachtungen aus dem ›gelobten Lande‹, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 2. Vgl. Meldung, Aegyptens Versorgungslage, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 2. IfZ-Archiv, MA 190/8 Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 2499926–2499929, Meldung an das Oberkommando der Wehrmacht zur Lage in FranzösischNordafrika, Nr. 221/42, 30. März 1942, S. 3.
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Soldaten, die in Tunesien starben, war die Zahl der zivilen Opfer der letzten Kriegsmonate damit sehr hoch.25 Das Ausmaß von Tod und Zerstörung wurde im Nachgang von den Regierungen und der Öffentlichkeit der beteiligten Streitmächte allerdings vergessen oder verdrängt, obwohl die New York Times im April 1943 berichtet hatte, dass die tunesische Stadt Sfax nach der Einnahme durch die Alliierten noch verwüsteter war als das während des vorangegangenen Krieges am meisten bombardierte libysche Bengasi.26 Die deutschen Wehrmachtsangehörigen mussten von den Zerstörungen nicht erst in der Zeitung lesen. Sie sahen die Folgen der Kämpfe mit eigenen Augen. Der Militärarzt Schreiber informierte über das Kriegslazarett in Tripolis, dass es »überall ziemlich starke Spuren der Beschießung«27 gebe, und berichtete von »zahlreichen im Hafen liegenden Wracks von versenkten und ausgebrannten Schiffen und einer Reihe von zerstörten Häusern, die Fliegerangriffen oder der Beschießung durch die englische Flotte zum Opfer fielen«.28 Seine Beschreibung der Stadt Bengasi bezeugt das schon im Sommer 1941verheerende Ausmaß: »Beschießungen und zahlreiche Fliegerangriffe haben arge Verwüstungen angerichtet. Die zertrümmerten Häuser sind notdürftig mit Bretterzäunen geschlossen. Im Geschäftsviertel gibt es nicht mehr viel Schaufenster, deren Scheiben nicht zerbrochen sind.«29 . Major Rentsch berichtete ebenfalls von den Zerstörungen in Libyen: »In Tripolis weist jede Strasse und fast jedes Haus Schäden von Bombardierungen oder Schiffsbeschiessungen auf.« Die Fensterscheiben der Häuser seien »größtenteils zerbrochen«, die »Hafengebäude [...] zum grössten Teil verwüstet« und »die grossen Lagerschuppen [...] ausgebrannt«.30 In den Selbstzeugnissen der deutschen Soldaten sind die Auswirkungen des Krieges auf die lokale Bevölkerung erkennbar, wenn sie von »verlassene[n] Araberhütten«31 oder Dörfern erzählten.32 Heinz G. schrieb seiner Frau aus Tunesien, dass sich die lokale Bevölkerung von der Front fernhielt, denn »da vorne« sei »die Luft [...] manchmal recht eisenhaltig«.33 Andere Soldaten erwähnten Luftangriffe auf die nordafrikanischen Küstenstädte und Zerstörungen von Gebäuden.34 Karl B. schrieb nach Hause, dass täglich englische Bomben auf Tripolis fielen und die Stadt »dementsprechend«35 aussehe. Ähnlich beschrieb Hans P. in seinem Tagebuch den Zustand der Stadt Tobruk im Juli 1942 als »[v]öllig zerstört und trostlos«.36 Wilfried Armbruster notierte in seinem Tagebuch, dass 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
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Vgl. Willis, Not Liberation, but Destruction, S. 189. Vgl. ebd., S. 187. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 11. Ebd., S. 10. Ebd., S. 18. BArch-MA, RW 19/3442, Bericht über die Dienstreise von Major Dr. Rentsch vom 26. November bis 13. Dezember 1941 nach Libyen, S. 7. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 158. Vgl. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 34. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943. Vgl. etwa Privatbesitz, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 29. Januar 1942, S. 1; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 27. April 1942, S. 28. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 27. September 1941. Privatbesitz der Familie, Hans P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 10. Juli 1942, S. 12.
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die Stadt Derna sehr schön, aber viel zerstört sei.37 In zwei Einträgen schrieb er über die libysche Hafenstadt Bengasi, dass »sehr viel zerschossen« und »zertrümmert« sei und sie daher »einen traurigen Eindruck« mache.38 Erich K. berichtete, dass Bengasi stark von den fast jeden Tag erfolgenden britischen Fliegerangriffen getroffen worden sei.39 Kurz darauf schrieb Siegfried K. seinen Eltern aus der Stadt, dass es nun bereits sechs Uhr abends sei und er deshalb die Stadt habe verlassen müssen, »denn jede Nacht kommen Flieger u. werfen die Eier ab«.40 Die lokale Bevölkerung floh regelmäßig vor den nächtlichen Luftangriffen aus den Städten. Die Feldzeitung berichtete allerdings nur von italienischen Siedlerinnen, die als »Flüchtlinge vor den allnächtlichen Fliegerangriffen auf die Stadt« in einem »Araberdorf« in der Wüste wohnten.41 In verschiedenen Selbstzeugnissen ist aber von der Flucht der in den Städten lebenden nicht-italienischen Bevölkerung zu lesen. Wilfried Armbruster notierte in seinem Tagebuch, dass »die Araber« nachts in die Wüste flohen.42 Schreiber erklärte in seinem Reisebericht aus Libyen, dass die Royal Air Force während seines Aufenthaltes fast jede Nacht Angriffe auf die Stadt Bengasi flog und die Brände weithin leuchteten. »Die Zivilbevölkerung, oder wenigstens erhebliche Teile von ihr, verlassen deshalb abends die Stadt und übernachten in Zelten in der Wüste.«43 Gegen Ende des Krieges berichtete Oskar H. aus Tunesien von »Eingeborenen«, die vor den Fliegerangriffen aus den Städten flohen.44 Die Erinnerungen des Adolf S. an einen Angriff auf die tunesische Stadt La Marsa offenbaren zudem die Panik, die die Bombardierung unter den Menschen auslöste: »Der blaue Himmel war plötzlich mit Sprengwolken betupft, deutsche Jäger kurvten wild hoch und schreiend stürzten die Leute von der Strasse.«45 Dass bei Luftangriffen auf die Städte Menschen aus der Zivilbevölkerung starben, war den deutschen Soldaten durchaus bewusst. Helmut T. schrieb beispielsweise in sein Tagebuch, dass Bengasi, einst »einer [sic!] der schönsten Städte Libyens [...] durch den Krieg stark beschädigt«46 wurde, und berichtete über einen miterlebten Angriff, bei dem »viele Bomben [...] ins Araberviertel« fielen und es »[e]inige Tote und Verletzte« gab.47 Werner Mork erinnerte sich nach dem Krieg an einen britischen Fliegerangriff auf den Hafen von Tobruk am 2. November 1942. Weil die Flugabwehr die angreifenden Flugzeuge nicht bemerkt hatte, sei »ein wirklich infernalischer Bombenangriff auf den Hafen
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Vgl. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 9. Dezember 1941, S. 8. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Einträge vom 10. Dezember 1941 und 30. Januar 1942, S. 9 und 16. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 13. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Siegfried K. an seine Eltern am 27. Juni 1941. Anton Mieves, Gang in die Wüste, in: Die Oase 44, 17. August 1941, S. 7–8, S. 8. IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 28. Oktober 1941, S. 2. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 18 und erneut über die Flucht bei Luftangriffen auf S. 29. DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, Brief vom 28. Februar 1943, S. 36. NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 24. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Ebd., S. 66.
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und auf Menschen [gefolgt], die hilflos ohne Schutz dem Angriff ausgeliefert waren«.48 Zwar spezifizierte Mork nicht genauer, wer von dem Angriff betroffen war, doch ist aufgrund des Einsatzes lokaler Arbeiter bei der Entladung von Schiffen davon auszugehen, dass er diese meinte. Beim Abladen der Munition waren die Arbeiter generell gefährdet. Der stellvertretende Quartiersmeister des rückwärtigen Armeegebietes des DAK berichtete in seinem Tagebuch von einer Explosion im Hafen von Tripolis, bei dem 200 Deutsche, Italiener und Araber umkamen.49 Die Gefahrenzulage, die es auf den nur wenige Lire betragenden Lohn gab, erscheint angesichts der extrem gefährlichen Arbeit wie eine bewusste Herabsetzung der lokalen Arbeitskräfte.50 Im Juli berichtete er von Toten aus der lokalen Bevölkerung und notierte trocken: »1 Bomber in Tripolis, etwa 35 Araber tot.«51 Ausführlicher erinnerte sich Alfred K. in seinen 1977 verfassten Erinnerungen an einen Fliegerangriff auf den Hafen von Tunis. »Flugzeuge kommen, werfen Bomben aufs Hafengebiet und jagen, was Füße hat, auseinander. Wie die Wiesel rennen die Araber, springen von ihren Eselskarren und lassen sie stehen, verkriechen sich, sind verschwunden, wie von der Erde verschluckt.« 52 Zudem hatte er beobachtet, dass bei diesem Angriff noch weitere Zivilist*innen betroffen waren: »Nur die Menschen, die auf der Fähre sind, können nicht weg. In panischer Angst ducken sie sich, dass man nur noch wie in einem Knäuel zusammengedrückt Rücken und hier und da einige Farbflecken von Kopfbedeckungen sieht.«53 Der Angriff führte zum Tod zahlreicher Angehöriger der lokalen Bevölkerung, wie Alfred K. berichtete: Die noch vor wenigen Sekunden von Leben und Betriebsamkeit erfüllte Hafenstrasse gähnend leer und tot. Ich habe mich mit dem Rücken an eine Mauer gedrückt und sehe zu, wie sich auf dem der Hafenstrasse gegenüberliegenden Ufer, auf das die Fähre zusteuert, eine Anzahl von Arabern – es sind mindestens 20 Menschen – in einem mit weissem Kalk getünchten steinschuppen flüchten, um den todbringenden Bomben zu entgehen. Da zerreisst ein entsetzlicher Knall die Luft, und genau in diesen Fluchtort hinein schlägt eine Bombe und lässt von Gebäude und Menschen nichts mehr übrig.54
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Werner Mork, Fliegerangriffe der Engländer in Afrika 1942, in: LeMo – Lebendiges Museum, Januar 2005, www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-fliegerangriffe-der-englaender-in-afrika-1942.html [13.07.2020]. BArch-MA, MSG 2/260, Abschrift des Tagebuchs des Oberleutnants Weicht, Stellvertretender Quartiermeister des rückwärtigen Armeegebietes des DAK vom 22. April 1941 bis 18. Februar 1942, Eintrag vom 28. April 1941, S. 5. BArch-MA, RW 7/226, Schreiben der Intendenza della Tripolitania vom 22. September 1941. BArch-MA, MSG 2/260, Abschrift des Tagebuchs des Oberleutnants Weicht, Stellvertretender Quartiermeister des rückwärtigen Armeegebietes des DAK vom 22. April 1941 bis 18. Februar 1942, Eintrag vom 18. Juli 1941, S. 12. HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträgen zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3–4. Ebd. Ebd., S. 4.
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Danach sei das Leben weitergegangen, als wäre nichts passiert und die Schiffe wurden laut Alfred K. zu Ende abgeladen. Dass er den Angriff noch Jahrzehnte später detailliert schilderte, zeigt jedoch, dass ihn dieses Erlebnis emotional getroffen haben muss. Die Erinnerungen des Alfred K. sind die einzige Quelle der für dieses Buch untersuchten Selbstzeugnisse, in denen die Zerstörungen und Kriegsfolgen für die Menschen des Kriegsraumes mit dem eigenen Handeln in Verbindung gebracht werden. Er beschrieb darin, dass er und seine Mannschaft während der Endkämpfe in Tunesien ihre komplette Munition verschossen und nachts »in der Bucht von Tunis Hunderte von Feuern« flackerten, die alles zerstörten, was nicht in die Hand der Feinde fallen sollte.55 Andere Quellen nennen keinen Verantwortlichen oder schreiben die Zerstörungen wie in der Oase dem britischen Militär zu, das bereits vor dem Eintreffen der deutschen Soldaten gegen die Italiener gekämpft hatte. So bemerkte Erich K. bei seiner Landung in Libyen, dass »Tripolis [...] ziemlich zerschossen« sei, und erklärte, die Engländer hätten »wüst gehaust. Besonders die Hafengegend ist stark mitgenommen.«56 Die deutsche Presse nutzte Zerstörungen in Tunesien für antiamerikanische Propaganda. So berichtete die Pommersche Grenzlandzeitung über das Ende der Kämpfe in Tunis, dass die Zivilbevölkerung empört vor den durch amerikanische Bombenangriffe getroffenen Wohnhäusern gestanden habe. Die deutschen Soldaten hätten sie dagegen »in diesen Monaten kennen und schätzen gelernt« und den deutschen Kraftwagen zum Abschied zugewinkt.57 Ebenso wurden die Zerstörungen in Tunesien in der Feldzeitung Oase dazu genutzt, die amerikanischen Kriegsgegner zu diffamieren. Obwohl ein Artikel in Bezug auf einen amerikanischen Soldaten behauptete, dass »wahre Flieger die Angriffe auf Zivilbevölkerung« nicht gutheißen würden,58 berichtete die Feldzeitung im März 1943, dass die amerikanischen Soldaten »bei allzu starker Abwehr militaerischer Ziele lieber mit einem kraeftigen Fluch auf den Lippen auf die dicht bevoelkerte[n] franzoesische[n] und arabische[n] Siedlungen« ihre Bomben abwerfen würden.59 Von eigenen Verfehlungen war allerdings keine Rede. Dabei enthalten die Unterlagen der 15. Panzerdivision zumindest für Tunesien den Hinweis, dass deutsche Truppen ebenfalls Häuser der lokalen Bevölkerung zerstörten. Darin sind einige Verse überliefert, die auf diese Gefahr für die vorgeschobenen Beobachter hinweisen: »Das Schiessen in Tunesien/bereitet grosse Pein!/Die Hütte des Arabers/kann auch ein Panzer sein./Die Brille drum zur Hilfe/nehmt sorgsam mit hinaus,/dass Panzer Ihr beschiesset,/nicht des Arabers Haus.«60 Das Gedicht stellte nicht nur eine Warnung vor versehentlichem Beschuss ziviler Bauten dar, wie Ben Shepherd
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Ebd., S. 8. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 22. Mai 1941. August Hurtmann, Wir taten unsere Pflicht – bis zum Letzten! Bericht über die letzten harten Tage des Kampfes gegen die Übermacht des Feindes, in: Pommersche Grenzland-Zeitung, Nr. 131, 14. Mai 1943, S. 1–2. H. Wachsmuth, Handschlag nach dem Sieg. Begegnung nach einem erbitterten Luftkampf ueber Tunis, in: Die Oase 105, 27. Februar 1943, S. 2. Vgl. o. V., Wie faengt man einen Landser, in: Die Oase 110, 21. März 1943, S. 2. BArch-MA, RH 27–15/13, Teil 2, Zum Schiessen der VB des Pz. A.R. 33 und der I./Flak 43 am 15.2.1943 bei Ben Gardane und am 19.2.1943 bei Metameur, fol. 144.
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interpretiert,61 sondern ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass solche Verwechslungen vorgekommen sind. Denn in dem Schreiben sind konkrete Daten und Namen zweier kleinerer tunesischer Ortschaften sowie mehrerer Einheiten angegeben.62 Zudem war die Gefahr, bei Angriffen ungewollt zivile Einrichtungen zu treffen, in Tunesien erhöht, da es hier eine höhere Siedlungsdichte gab als in Libyen. Die im Kriegsraum lebenden Menschen litten aber nicht nur unter der Zerstörung ihrer Häuser und Städte, auch die Wasserversorgung war durch den Krieg für sie unsicher geworden.63 Denn die kämpfenden Truppen griffen auf die Zisternen und Brunnen der lokalen Bevölkerung zurück, die teilweise schon durch die italienischen Kolonialsiedelnden beansprucht wurden.64 Obwohl es naheliegend ist, dass es zwischen den kämpfenden Soldaten und der Zivilbevölkerung Nordafrikas zu einer harten Konkurrenz um das Wasser gekommen ist und gewaltsame Auseinandersetzungen um das Wasser sehr gut denkbar sind, liegen in den ausgewerteten Quellen keine Aussagen zu solchen Konflikten vor. Im Gegenteil erinnerte sich der Veteran Werner Mork in seinen 2005 verfassten Erinnerungen, dass es »[a]n den Wasserstellen [...] trotz des Gedränges keinen Ärger« gegeben habe und »Eingeborene, Italiener und Deutsche« geduldig warteten, bis sie an der Reihe waren, da jedem die Wichtigkeit des Wassers bekannt war und man sich daher »anständig« benahm.65 Die in Nordafrika kämpfenden Einheiten nutzten die Wasserstellen der lokalen Bevölkerung nicht nur, sondern zerstörten sie bei Stellungswechseln nach einer Niederlage sogar, um dem Gegner möglichst kein Trinkwasser zu hinterlassen. In der Oase ist beschrieben, dass die deutschen Soldaten nach den Siegen bei Tobruk und Marsa Matruk zwar gefüllte Verpflegungslager mit fester Kost vorfanden, die Wasserkanister aber von den Briten ausgeleert oder zumindest durchschossen worden waren.66 Die Zerstörung gehörte neben der Erschließung von Wasservorräten zu den Aufgaben der deutschen Wehrgeologen. Der Leiter der Wehrgeologenstelle 12, Leo J. M. Kuckelkorn, plante »die gezielte Zerstörung der Wasserversorgung von Tobruk mittels Stuka-Bomben«.67 Zusätzlich wurden Brunnen vergiftet, um den gegnerischen Truppen beim Vorrücken Versorgungsprobleme zu bereiten. Dies war laut Oase eine unter den britischen Truppen
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Vgl. Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 321. Vgl. BArch-MA, RH 27–15/13, Teil 2, Zum Schiessen der VB des Pz. A.R. 33 und der I./Flak 43 am 15.2.1943 bei Ben Gardane und am 19.2.1943 bei Metameur. Vgl. Motadel, Für Prophet und Führer, S. 161. Vgl. Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 427. Werner Mork, Kriegsalltag in Nordafrika 1942, in: LeMo – Lebendiges Museum Online, 2005, URL: https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-kriegsalltag-in-nordafrika-1942 [05.06.2019]. Vgl. Ernst Günter Dickmann, Unser Wasser ist unser täglich Brot. Wasser für Rommels Afrikakämpfer. Die Sicherstellung der kostbaren Flüssigkeit im nordafrikanischen Wüstensand – Wasserversorgungstruppen am Werk, in: Die Oase 84, 6. August 1942, S. 2. Kuckelkorn war ab März 1941 als Wehrgeologe Kriegsverwaltungsrat im Majorsrang und Leiter der »Wehrgeologenstelle 12« im Stab des Deutschen Afrikakorps und ab Januar 1942 desgleichen im Stab der »Deutsch-Italienischen Panzerarmee Afrika« beim Armee-Pionierführer, vgl. Hermann Häusler und Kore F. Kuckelkorn, Leo Jakob Medard Kuckelkorn (1900–1973): Wehrgeologe im 2. Weltkrieg; in: Berichte der Geologischen Bundesanstalt 123 (2017), S. 41–53, S. 42.
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verbreitete Taktik, bei der die Wasserstellen »mit stinkendem Oel [...] unbrauchbar« gemacht wurden.68 Über die Vernichtung von Wasservorräten und zerstörte Brunnen berichteten die Soldaten in ihren Selbstzeugnissen.69 »In unserer nächsten Nähe ist eine Wasserstelle, darauf zielen sie immer, das macht sich bei uns bemerkbar«,70 schrieb etwa Karl B. über die Luftangriffe der Briten im November 1941 an seine Familie. Reinhard B. erklärte schon im Mai 1941: »Das Wasser muss mit LKWs transportiert werden, hier ist alles zerstört.«71 Was die Zerstörung der Brunnen für die lokale Bevölkerung bedeutete, die damit ebenfalls um ihre Lebensgrundlage gebracht wurde, reflektierten die Soldaten allerdings nicht. Anstatt der Folgen des Krieges für die in Tunesien lebenden Menschen schilderte Siegfried K. die durch Zerstörungen entstehenden Unannehmlichkeiten für sich selbst. In einem Brief erklärte er seinen Eltern, aufgrund der Verwüstungen nicht an alkoholische Getränke zu gelangen: »[H]ier kommt alle 400 bis 500 km ein größeres Nest u. meistens ist es so zertrümmert von den Engländern, daß man nur vielleicht etwas Wasser bekommt.«72 Derartige Kommentare sind nicht nur auf die eigene Betroffenheit der Soldaten zurückzuführen, sondern zu großen Teilen mit der rassistischen Sicht auf die lokale Bevölkerung erklärbar. Daher fand Ritter von D. zwar, die Luftangriffe der Alliierten auf die Münchner Innenstadt durch die Royal Air Force am 9. und 10. März 1943, von denen er im Wehrmachtsbericht gelesen hatte, seien »gegen die Vernunft und gegen jeden Anstand in der Kriegsführung«. Die Luftangriffe auf nordafrikanische Städte hielt er hingegen »natürlich für selbstverständlich« und erklärte, »letzten Endes« müsste die lokale Bevölkerung »eben die Folgen der Angriffe mittragen, da sie im Kriegsgebiet leben«.73 Diese unterschiedliche Einschätzung ergab sich aus der persönlichen Betroffenheit des Soldaten. Denn seine Familie lebte in der Nähe von München, so dass mit den Angriffen ihre »unmittelbare Nähe bedroht« worden war. Obgleich er über die britischen Angriffe auf nordafrikanische Städte bemerkte, dass sie »unter der Zivilbevölkerung auch meistens bedeutend mehr Opfer als unter den Angehörigen der Wehrmacht«74 forderten, brachte er für die dort lebenden Menschen kein Mitgefühl auf. Das Wohlergehen der Familie und Angehörigen zu Hause war nicht nur Ritter von D. das Wichtigste. Wie er dachte auch Willi S. angesichts der im Kriegsgebiet gesehenen Zerstörungen nur an das eigene Zuhause. Als er in Tripolis landete, das er später als »bald nur noch ein Trümmerhaufen«75 beschrieb, forderte er seine Frau auf, dankbar dafür zu sein, dass sie bisher weitgehend vom Krieg verschont geblieben sei: »Frage bloß nicht, wie es hier aussieht. Dankt Gott, daß er uns Heimat und unser geliebtes Vaterland erhält.«76 68 69 70 71 72 73 74 75 76
Ebd. Vgl. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 13. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 16. November 1941. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 4. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Siegfried K. an seine Eltern am 9. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Familie am 12. März 1943. Ebd. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 6. November 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Willi S. an seine Ehefrau am 14. September 1941.
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Der erst 18-jährige Ludwig E. allerdings reflektierte zumindest über die Zerstörungswut des Krieges, als er bei der Wache auf dem Rücken lag und es in der Ferne donnerte und Leuchtkugeln aufstiegen. Von seinen Überlegungen schrieb er einer Bekannten: »Du hast recht, alles muss ein Kreislauf sein. Alles was hier zerstört wird, muss wieder aufgebaut werden. Alles schlechte [sic!], was getan wird, muss wieder gutgemacht werden.«77 Es bleibt in diesem Brief jedoch unklar, inwieweit er dabei über die Leiden der Zivilbevölkerung nachdachte. Der Soldat Heinz G. dagegen kam in Anbetracht der Landwirtschaft im Kriegsgebiet ins Zweifeln über die Rechtmäßigkeit der Kriegsführung in Nordafrika. »Was hier zwischen Steinen und Sand dem kargen Boden abgerungen wurde, das wird jetzt von den Kulturvölkern verwüstet und vernichtet. Wo bleibt die Religion und Kultur?«,78 fragte er seine Frau in einem Brief aus Tunesien. Eine solch kritische Hinterfragung des Krieges und der propagierten Überlegenheit der europäischen Mächte, die Ansprüche auf das Kriegsgebiet erhoben und es dabei zerstörten, war aufgrund der internalisierten Rassismen gegenüber der lokalen Bevölkerung jedoch ein Einzelfall.
10.2 »Ich hasse dieses Volk« – Hass und Gewalt gegen die lokale Bevölkerung Die Annahme des Historikers Ben Shepherd, dass es im Kriegsraum nur eine geringe Bevölkerungszahl gegeben habe, die »nomadischen Araber« kein Interesse am Krieg gehabt und den deutschen Soldaten weitgehend aus dem Weg gegangen seien,79 entkräfteten die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel. Seine Aussage, dass die lokale Bevölkerung keine Repressalien zu befürchten gehabt hätte, ist von anderen Forschungsarbeiten widerlegt worden. Neben Zerstörungen durch Bombenangriffe und damit einhergehenden Tötungen von Menschen kam es im Nordafrikafeldzug zu unterschiedlichen Formen der Gewalt, die europäische Soldaten gegenüber der lokalen Bevölkerung ausübten. Die Achsenmächte gingen, wie bereits dargelegt, etwa gegen unter Spionageverdacht stehende Menschen aus der lokalen Bevölkerung vor. Zudem wurden Rebellen bekämpft, die das durch den Krieg entstandene Machtvakuum zu nutzen versuchten, um sich von der Kolonialmacht zu befreien. Einige arabische Teile der Bevölkerung, sogenannte Berber sowie geflohene italienische Kolonialsoldaten, unterstützten die alliierte Seite und erniedrigten italienische Kolonist*innen, plünderten Farmhäuser, zerstörten Farmland, stahlen Vieh, vergewaltigten Siedlerfrauen und töteten über 100 Italiener*innen. Diese Gewalt erwiderten die Italiener nach der Rückeroberung der Gebiete durch die deutschitalienischen Truppen auf brutale Weise. Sowohl italienische Soldaten, die italienische Kolonialpolizei als auch italienische Siedler*innen erschossen, verbrannten oder töte-
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MSPT, 3.2002.7104, Ludwig E. an eine Bekannte am 5. Juni 1942. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 27. März 1943. Vgl. Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 238, Übersetzung der Autorin.
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ten mit Handgranaten Angehörige der libyschen Bevölkerung. Zum Teil waren an diesen Aktionen Angehörige des Deutschen Afrikakorps beteiligt.80 Des Weiteren gingen Polizei und Gerichte hart gegen arabische und jüdische Bewohner*innen vor und verurteilten diese wegen begangener oder angedichteter Plünderung, Beleidigung oder Kollaboration zu langen Haftstrafen oder zum Tode. Die deutsche Militärführung hatte von den Verbrechen Kenntnis, unterband diese allerdings nicht. Anders als in seinen Memoiren behauptet, befürwortete Rommel das gewaltsame Durchgreifen gegenüber Aufständischen explizit und es wurde darüber beraten, vorsorglich alle Nomaden und damit potenzielle Aufständische und Saboteure in Internierungslagern festzusetzen.81 Die Oase sprach nur in einem Artikel indirekt an, dass arabische Widerstandsbewegungen während des Krieges eine Bedrohung für die Achsenmächte darstellten. Bruno Káldor erklärte, dass die italienischen Straßenarbeiter aus Angst vor Angriffen durch »bewaffnete Araberstämme« bei den Ausbesserungsarbeiten während des Nordafrikafeldzuges Waffen tragen.82 Die Gewalt, mit der gegen die Aufständischen vorgegangen wurde, erwähnte die Feldzeitung nicht. Sie schrieb herablassendes und gewaltsames Handeln wie die Zerstörungen aus propagandistischen Gründen den alliierten Truppen zu und berichtete über von amerikanischen oder britischen Soldaten »[g]eplünderte Häuser, Geschäfte und Büros, Diebstähle und Gewalttaten, zerstörte Museen, entehrte Gräber, misshandelte Verwundete und Kranke und ohne Grund umgebrachte Bürger«.83 Derartige »Schandtaten«, wie sie laut Oase von den Briten in der Cyrenaika,84 aber vor allem in Kairo und Alexandria begangen wurden, seien »bei [...] Deutschen ganz ausgeschlossen«,85 erklärte ein Major in der Zeitung. In den Selbstzeugnissen der Soldaten sind vor allem kleinere Delikte oder Handgreiflichkeiten genannt. Während Heinz G. seiner Frau von italienischen Soldaten berichtete, die Händler*innen auf den lokalen Märkten ihre Waren mitunter durch Drohungen mit der »Pistole und [...] mit heftigen Schimpfworten« abnähmen,86 beschrieb Gerd W. seinen Eltern in einem Brief den Diebstahl von Lebensmitteln. Wenn die Kameraden hier den letzten Rest des Obstes, der noch nicht gestohlen ist, in den schönen Vorstadtgärten von den Bäumen schlägt [sic!], denke ich manchmal an die Obsternte in der Heimat, die sicher ordnungsmäßiger vor sich geht u. ganz bestimmt besser verwertet wird.87 Im Tagebuch von Helmut B. ist ebenfalls ein Diebstahl beschrieben. Als er Ausrüstungsgegenstände seiner Kompanie zur Reparatur in eine lokale Sattlerei brachte, umringten
80 81 82 83 84 85 86 87
Vgl. Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 428–430; ders., Im Rücken Rommels, S. 94–97; Hoppe, Persecution of Jews in Libya, S. 58. Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 97–98. Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9. Vgl. o. V., Englands Schandtaten in der Cyrenaika, in: Die Oase 44, 7. August 1941, S. 12. Vgl. ebd. Major Purper, Die Bevölkerung Aegyptens, in: Die Oase 39, 13. Juli 1941, S. 3. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 17. Februar 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern an 16. Dezember 1941.
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ihn zahlreiche junge Männer. In dem von ihm als unangenehm empfundenen Gedränge entwendete er einem von ihnen ein Fernglas.88 Neben kleineren Gegenständen raubten die deutschen Soldaten Nahrungsmittel. Allein in Tunesien wurden während des Krieges 17.000 Tonnen Lebensmittel gestohlen, nicht bezahlt oder vom Militär beschlagnahmt.89 Ritter von D. äußerte gegenüber seiner Frau deshalb die Vermutung, dass sich die positive Einstellung der arabischen Bevölkerungsteile gegenüber den Deutschen durch die Beschlagnahmung aller Vorräte ändern könnte.90 Zudem wurden riesige landwirtschaftliche Flächen und Zehntausende Olivenbäume zerstört, 11.000 Rinder und 35.000 Schafe gingen verloren.91 Die Nutztiere wurden zum Teil von den Soldaten gestohlen. Willibald P. erinnerte sich in seinen Memoiren auf Grundlage seines Tagebuches an einen Raubüberfall auf die ländliche Bevölkerung. Er und ein weiterer Soldat waren am Halfayapass mit Pistolen losgeschickt worden, um Schafe zum Schlachten und Braten zu holen. Bald hatten sie »ein Zelt mit einem Schafspferch«92 gefunden, bei dem sich nur Frauen und Kinder aufhielten. Die Frauen schickten die Kinder in den Pferch, um die Schafe durcheinanderzujagen, damit die deutschen Soldaten diese nicht so leicht fangen konnten. »Mit Mühe und Not haben wir ein Schaf und eine Ziege erwischt und sind dann abgezogen.«93 Der Brief belegt, dass dies eine unrechtmäßige Handlung war, die die lokale Bevölkerung zu verhindern suchte. Weil die Soldaten für ihren Auftrag extra mit einer Waffe ausgestattet worden waren, kann angenommen werden, dass es im Zusammenhang mit solchen Nahrungsbeschaffungsmaßnahmen auch zu Gewalt kam. Dies legt zudem ein Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie aus Tunesien nahe, die »[i]n den nordafrikanischen Hafenstädten [...] in Zusammenarbeit mit den französischen und italienischen Polizeieinheiten die dort stationierten oder in Urlaub befindlichen deutschen Soldaten«94 kontrollierte. In ihrem Bericht werden verschiedene Delikte deutscher Soldaten geschildert. Als die Versorgungslage des deutschen Militärs zu Beginn des Jahres ausgesprochen schlecht war, beschafften sich deutsche Soldaten mit gewaltsamen Mitteln Nahrung und andere Güter des täglichen Bedarfs. Die Feldgendarmerie kritisierte, »[d]er Begriff des ›Organisierens‹« werde von den »Einheitsführern zu weit ausgelegt«. Sie seien »stillschweigend damit einverstanden, wenn ihre Soldaten möglichst viel ›besorgen‹«, was dem »Ansehen der deutschen Wehrmacht« schade.95 Dabei kam es zu einfachen Diebstählen von Lebensmitteln oder zu Plünderungen und Raubüberfällen durch deutsche Soldaten, wie die Feldgendarmerie festhielt:
88 89 90 91 92 93 94 95
IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 148 (53). Willis, Not Liberation, But Destruction, S. 189. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. Willis, Not Liberation, But Destruction, S. 189. IfZ-Archiv, MS 2260–1, Willibald P., Kriegserlebnisse aus meinem Tagebuch, S. 12. Ebd. Björn Gerhard Roth, Halt, Feldgendarmerie! Die Ordnungstruppen der deutschen Wehrmacht 1939–1945, Norderstedt 2019, S. 78. BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80.
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Aus dem Stadtgebiet Tunis sowie aus dem gesamten Operationsgebiet des Pz. A.O.K.5 [Panzer-Armeeoberkommando 5, S.K.] laufen Meldungen der franz. Polizei und von der Zivilbevölkerung ein. Es wird häufig Klage erhoben über unberechtigte Requisitionen von Häusern, Plünderungen, Viehdiebstähle, [...] Hausfriedensbrüche und Diebstähle mit vorgehaltener Waffe.96 Im Hafengelände von Tunis hätten Soldaten »aus den bombengeschädigten Magazinen und Häusern Material und Lebensmittel entwende[t], in manchen Fällen unter Bedrohung der dort eingesetzten Zivilwächter«. Die italienischen und französischen Posten würden hier nicht genug durchgreifen, kritisierte Hauptmann Thomas von der Feldgendarmerie.97 Die tätlich gewordenen Soldaten brachten laut dem Bericht zu ihrer Entschuldigung vor, sie seien über die in Tunis »geltenden grundsätzlichen Befehle[n] nicht unterrichtet« gewesen.98 Solange es kein militärisches Verbot gab, empfanden die deutschen Militärangehörigen Raub und Diebstahl gegenüber der lokalen Bevölkerung als legitim, obgleich Plünderungen durch gegnerische Truppen in der Feldzeitung zu Propagandazwecken als verwerflich bezeichnet wurden.99 Die Kriegsgerichte verurteilten derartige Vergehen jedoch durchaus. »Verschiedene Fälle sind schon von den Kriegsgerichten abgeurteilt worden«100 , erklärte der Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie. Zudem hatte das Gericht der 21. Panzer-Division schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 17 Fälle von Diebstahl oder Hehlerei und einen Fall des unerlaubten Beutemachens verurteilt.101 Um das Verhalten der Soldaten zu unterbinden, wurde außerdem ein Zapfenstreich um 20 Uhr für Tunis vorgeschlagen.102 Damit sollte verhindert werden, dass sich die deutschen Soldaten spät abends noch in Bars oder Restaurants aufhielten. Denn die Feldgendarmerie berichtete über »Zusammenstöße im Stadtgebiet zwischen den Soldaten und der Bevölkerung«103 aufgrund von Trunkenheit. Eine ähnliche Regulierung war 1941 bereits für Tripolis beziehungsweise das ganze libysche Gebiet vorgenommen worden, wie die Dokumente von der Dienstreise des Arztes Schreiber belegen. »Für alle Angehörigen des DAK, auch für die Offiziere, ist der Zapfenstreich in der gesamten Kolonie auf 22°° Uhr festgelegt, das Eingeborenenviertel darf nach 19°° Uhr nicht mehr betreten werden«104 , notierte er in seinem Reisebericht. 96 97 98 99
100
101 102 103 104
Ebd. Ebd., S. 80f. Ebd., S. 80. »Mit der Besetzung der Stadt durch australische Truppen lernte sie die Schrecken der Plünderung kennen«, hieß es in der Oase. Vgl. Hanns Gert Esebeck, Über Benghasi in die Cyrenaica, in: Die Oase 10, 8. April 1941, S. 3. BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80. BArch-Ma, RH 27–21/14, Gericht der 21. Panzer-Division, Dienstaufsichtsführender Kriegsgerichtsrat, Tätigkeitsbericht für das 2. Halbjahr 1942 vom 1. Januar 1943, S. 3 (= fol. 104). Vgl. ebd. Ebd. BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 10.
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In Kombination mit seiner ebenfalls in diesem Bericht gemachten Anmerkung über das häufige Auftreten deutscher Soldaten in Tripolis ist davon auszugehen, dass diese Ausgangssperre aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den Soldaten und der lokalen Bevölkerung verhängt wurden. Allein im Zeitraum zwischen dem 15. November und dem 31. Dezember 1942 kam es laut Bericht der Feldgendarmerie Tunis zu 109 Ermittlungsverfahren und 80 Verhaftungen in solchen Fällen.105 Die Übergriffe der deutschen Soldaten in Tunesien wurden durch ihre Machtposition als bewaffnete Soldaten ermöglicht, wobei sicherlich ihr Gefühl, der lokalen Bevölkerung »rassisch« und kulturell überlegen zu sein, enthemmend wirkte. Die zahlenmäßige Präsenz der deutschen Soldaten während der Besatzung von Tunesien begünstigte Verbrechen gegenüber der lokalen Bevölkerung sicherlich. Sie dominierten das Stadtbild, wie Ritter von D. seiner Frau berichtete: »Auf den Strassen geben natürlich die gelben Autos der Wehrmacht den Ton an. [...] Auf den Bürgersteigen ist natürlich auch viel Khaki der Soldaten; dazwischen die Uniformen unserer Bundesgenossen.«106 Ähnlich beschrieb der Gefreite Karl B. von der 334. Infanterie-Division die Situation: »Das Straßenbild beherrschen jetzt die deutschen Soldaten. Neugekommene aus Europa und die alten Kämpfer Rommels findet man dort«107 , schrieb er im April 1943 nach Hause. Das Zitat zeigt, dass er die deutschen Soldaten als dominierende Kraft im Kriegsraum wahrgenommen hat. Ihre Machtposition machte Übergriffe auf die lokale Bevölkerung leicht möglich. Die von der Präsenz der deutschen und italienischen Soldaten eingeschüchterte lokale Bevölkerung schätzte die Machtverhältnisse ähnlich ein, wie ein Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie belegt. Darin heißt es, es sei oftmals schwierig, die Täter von Vergehen festzustellen, »da die Geschädigten in Gegenwart der Soldaten Angst haben und später nur angeben können, dass es deutsche oder italienische Soldaten waren, ohne nähere Kennzeichen«.108 Zudem kam es gegenüber den lokalen Arbeitskräften, die für die Wehrmacht eingesetzt waren, oder im Umgang mit den Händlern, die ihre Waren den Soldaten verkauften, zu Gewalt. Dies wird zwar in den untersuchten Selbstzeugnissen nicht so benannt, doch weist der Feldpost-Experte Klaus Latzel darauf hin, dass sich die Gewaltbereitschaft der Soldaten in der Sprache der Briefe wiederfinden lasse.109 In diesem Sinne sind die teilweise von deutlicher Verachtung zeugenden Aussagen der deutschen Soldaten in Briefen an ihre Angehörigen oder in ihren Tagebüchern als Hinweise auf Gewalthandlungen zu deuten. Die Soldaten sprachen abschätzig über die lokalen Händler und bezeichneten sie als »solche Figuren« oder »Hunde«.110 Dabei sind teils Aggressionen erkennbar, die die Soldaten gegenüber den Händlern hegten. Der Soldat Helmut T. berich105 Vgl. BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80f. 106 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 107 BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 14. April 1943. 108 BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80. 109 Latzel, Tourismus und Gewalt, S. 447f. 110 MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941.
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tete beispielsweise in seinem Kriegstagebuch, dass er und seine Kameraden manchmal »gross[en] [...] Zorn« auf die arabischen Händler gehabt hätten.111 Günther E. erinnerte sich nach dem Krieg, dass »die anfängliche Überraschung in geduldete Belästigung und schließlich in Groll«112 umschlug, wenn die lokalen Händler aus Sicht der deutschen Soldaten zu aufdringlich wurden. Dass die Soldaten ihren Ärger auf die Waren anbietenden Personen nicht nur verbal äußerten, legen die Erinnerungen von Günther E. nahe. Darin beschreibt er eine Auseinandersetzung zwischen deutschen Soldaten und Angehörigen der lokalen Bevölkerung, die mit Ölgebäck zu den Zelten der Soldaten kamen. »›Haut ab mit eurem ... eurem Scheißdreck!‹, tönte es recht unkonventionell – Pause – ›Was sagen – – nix gut Frischko?‹ – ›Scheißdreck!‹, kam es ein Deut ungehaltener zurück.« Am Ende flog »ein Stiefel [...] in Richtung Zeltausgang. Wenig später saßen wir tatsächlich mitten drin im ... ›Frischko‹!«113 Ob damit ein Überangebot des als »Frischko« angebotenen Ölgebäcks gemeint war oder der Begriff hier für das Ergebnis einer handfesten Auseinandersetzung verwendet wurde, bleibt unklar. Eine andere Quelle belegt, dass die Soldaten die Händler vertrieben, wenn sie ihnen ungelegen kamen. Robert W. berichtete seiner Frau, dass diese »sofort zum Teufel gejagt« würden.114 Noch deutlicher äußerte er sich im Zusammenhang mit den angeblich überhöhten Preisen der Händler: »Wenn man sich dann noch diese dreckigen Mistviecher ansieht, dann gibt es nur eins, weg mit dem Gesindel.«115 Zwar wird hier nicht beschrieben, wie genau das Vertreiben ablief, aufgrund der in den Berichten der Feldgendarmerie belegten Gewalttaten ist aber davon auszugehen, dass die Soldaten in solchen Fällen rücksichtslos handelten. Darauf deutet auch eine andere Quelle hin. Ein Brief von Reinhard B. bezeugt, dass Händler und andere, den Soldaten ohne deren Erlaubnis zu nahe kommende Menschen, vertrieben wurden. Er berichtete nach Hause, »die Araber« würden bei den Stellungen der Soldaten »durchs Gelände streichen und sich von unseren Abfällen fettige Tage machen«. Er glaubte, die Menschen der lokalen Bevölkerung hätten einen »robusten Magen« und seien »genauso zäh wie die Fliegen« in Nordafrika. Weil das Ausgraben von Müll dazu geführt habe, dass im gesamten Tal, in dem sich die deutsche Stellung befand, »Papier, Flaschen und Konservendosen lagen«, gingen die deutschen Soldaten gegen die lokale Bevölkerung vor. »[W]ozu gibt es schliesslich einen Spiess??? Die Sauberkeit seiner Unterkunft lässt er sich auch hier sehr angelegen sein, somit haben die bettelnden Arabs hier ausgespielt.«116 Das Stereotyp der »schmutzigen Araber« wirkte sich dabei sicherlich auf den Umgang der deutschen Soldaten mit der lokalen Bevölkerung aus. Zudem deuten die in der Karawane auf Deutsch und Arabisch abgedruckten Befehle auf einen gewaltsamen Umgang der deutschen Soldaten mit der lokalen Bevölkerung
111 112 113 114 115 116
Vgl. DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 260. DTA, 56.2 (Reg.-Nr. 51.1,2), Günther E., Davongekommen, S. 145. Ebd., S. 146. MSPT, 3.2002.7605, Robert W. an seine Ehefrau am 6. Oktober 1941. Ebd. Alle Zitate dieses Absatzes aus: MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. am 4. August 1941 an seine Familie.
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hin. Den Soldaten wurde damit ermöglicht, die Angehörigen der arabischen Bevölkerung in der Landessprache anzuweisen, zu schweigen oder ihnen behilflich zu sein (»Ruhe da!«, »Die Hunde sollen still sein«, »Mach Feuer an«, »Gebt uns Stroh«), sie von einem zukünftigen Kampfplatz vertreiben (»Es wird hier Artilleriefeuer geben«, »Ihr muesst jetzt hier fort«, »in ein paar Tagen koennt Ihr wiederkommen«) oder ganz einfach über die Notwendigkeit des Tötens ihrer Haustiere für den Kriegszweck informieren (»Wir muessen deinen Hund toeten«).117 In den Erinnerungen von Adolf S. wird ersichtlich, dass er es noch im Nachhinein für unproblematisch hielt, dass zu Kriegszwecken Menschen vertrieben wurden. Er berichtete, wie er und seine Kameraden eine neue Stellung in den Bergen bezogen. Als sie sich die neue Umgebung ansahen, waren »die Eingeborenen [...] dabei, das Gebiet zu räumen«. Nach Einschätzung des Soldaten brauchten sie dabei nicht viel »im Stich zu lassen, denn sie lebten in ganz kleinen, aus Steinen lieblos errichteten Hütten, die man nur sehr schwer erkennen konnte. Mit lautem Geschrei verschwanden sie und liessen uns in tiefer Stille zurück.«118 Die Annahme von der Rückständigkeit und Primitivität der lokalen Bevölkerung führte offensichtlich dazu, dass Adolf S. keinerlei Mitleid mit den Vertriebenen empfand. Entgegen den offiziellen Richtlinien, die muslimische Bevölkerung des Kriegsraumes mit Respekt zu behandeln, gingen die deutschen Soldaten im Krieg mehrheitlich herablassend mit den hier lebenden Menschen um: besonders dann, wenn sie sich, ganz entgegen der Annahme von den unbeteiligten Zuschauern des Krieges, in die Kampfhandlungen einmischten oder versuchten, ihrerseits vom Krieg zu profitieren. In seinem Privattagebuch schrieb Rommels Dolmetscher Armbruster kurz vor der Rückeroberung von Bengasi durch die Briten am 24. Dezember 1941 mit sehr klaren Worten, was er von der arabischen Bevölkerung des Kriegsraumes hielt: »Überall schon Auflösungserscheinungen. Die Araber warten auf ihre Beute. Ich hasse dieses Volk wie kein Zweites. Einmal sind sie für, dann mal wider.«119 Zwei Tage später schrieb er, die »verfluchten Araber« hätten mehrere Flugzeuge in Brand gesteckt, was zu einem »Höllenzauber durch Bombenangriffe« geführt habe.120 Die starken Emotionen in diesem Tagebucheintrag veranschaulichen, dass der Krieg keinesfalls als »Krieg ohne Hass« bezeichnet werden kann. Hart und mit Waffengewalt ging das deutsche Militär gegen die Bewohner*innen des Kriegsraumes vor, wenn sie diese der Plünderungen verdächtigten. Diesen Vorwurf erhob Rommel in seinen Memoiren ebenso wie sein Dolmetscher in seinem privaten Tagebuch.121 Armbruster notierte: »Zeitweise musste heute schon auf die Araber geschossen werden, weil sie sonst alles plündern.«122 Sein Tagebuch lässt erkennen, dass er die loka117
Vgl. o. V., 5 Minuten Arabisch für den Landser. Ein kurzweiliger Unterricht von Lt. Dr. Seibert, in: Die Karawane 112, 24. März 1943, S. 2. 118 NLAWo, 299 N, Nr. 741, Adolf S., Erinnerungen an den Krieg in Nordafrika, S. 11. 119 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 20. Dezember 1941, S. 9f. 120 Ebd., Eintrag vom 22. Dezember 1941, S. 10. 121 Vgl. Rommel, Krieg ohne Hass, S. 350; IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 22. Dezember 1941, S. 10. 122 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Privattagebuch Wilfried Armbruster, 1941–1943, Eintrag vom 20. Dezember 1941, S. 9.
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le Bevölkerung als minderwertig betrachtete und ihr Verhalten anders als das der deutschen Truppen bewertete. Kurz nachdem er von den angeblichen Plünderungen durch Angehörige der arabischen Bevölkerung berichtete, schilderte er, in Bengasi Geschirr und ein »indisches Schwert«123 mitgenommen zu haben, und bedauerte ein halbes Jahr später in Marsa Matruh, dass sie »keine Zeit [hatten], Beute zu machen«, und er daher nur »[e]twas Wäsche und ein Paar Halbschuhe« mitnehmen konnte.124 Eigene Plünderungen im Krieg sah er damit als legitim an. Aufgrund solcher Übergriffe hatten manche der Angehörigen der lokalen Bevölkerung Angst vor den deutschen Soldaten. Dies wird deutlich in den bereits erwähnten Erinnerungen von Helmut B. an einen Besuch bei einer lokalen Sattlerei deutlich. Er hielt sich nicht an die in der Tornisterschrift Der Islam aufgestellte Regel, sich beim Anklopfen mit dem Rücken zur Tür zu stellen, um unerwünschten Kontakt mit Frauen zu vermeiden. Als er an der Tür stand, wurde ihm »[e]rst nach langem Klopfen« geöffnet und eine Frau blickte ihn »mit angstvoll aufgerissenen Augen« an. Er musste ihr erklären, dass er und seine Kameraden »in friedlicher Absicht« gekommen seien, um Aufträge zu erteilen.125 Das Verhalten der Frau ist vermutlich auf schlechte Erfahrungen mit Soldaten der in Nordafrika kämpfenden Truppen zurückzuführen. Denn im Kontext des Nordafrikafeldzuges kam es zu sexualisierter Gewalt, wie etwa nach der Kapitulation der Achsentruppen an das Auswärtige Amt über die amerikanischen Truppen gemeldet wurde, die sich »wie Gangster« verhalten hätten und Frauen vergewaltigten und plünderten.126 Wie andere Verbrechen schrieb die Feldzeitung Vergewaltigungen allein den Kriegsgegnern zu. Im August 1941 behauptete Bruno Káldor, die »B ü r g e r v o n D e r n a , B e n g a s i u n d a n d e r e n S t ä d t e n« sowie »d i e t a u s e n d e n v o n S i e d l e r n i n d e r C i r e n a i k a« hätten eine schlechte Meinung von den »e w i g b e s o f f e n e n , p l ü n d e r n d e n , h e r umschiessenden, die Frauen und Mädchen vergewaltig e n d e n« australischen, neuseeländischen und britischen Soldaten.127 Selbst der amerikanische Offizier David Fraser nahm an, dass derartige Kriegsverbrechen allein von den italienischen Soldaten in Nordafrika begangen worden seien,128 da Rommel in seinen Memoiren schrieb, diese hätten sich »manchmal der weiblichen arabischen Bevölkerung gegenüber allerhand heraus[genommen]«.129 Der gezielte Einsatz von (Massen-)Vergewaltigungen ist bis heute eine Taktik zur Zerstörung des bekämpften Volkes im Krieg, die meistens die Frauen der Zivilbevölke-
123 Ebd., S. 16. 124 IfZ-Archiv, Bestand David Irving, ED 100/34, Wilfried Armbruster, Privattagebuch 1941–1943, Eintrag vom 29. Juni 1942, S. 43. 125 IfZ-Archiv, MS 2256–2, Helmut B., Mein Leben in Hirschberg im Riesengebirge, 1987, S. 148 (53). 126 IfZ-Archiv, MA 190/8 Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 6600159, Meldung an das Auswärtige Amt über Nordafrika vom 17. August 1943. 127 Bruno Káldor, Unser italienischer Kamerad, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1–2, S. 2, Hervorhebung i. O. 128 Fraser, Knight’s Cross, S. 340. 129 Rommel, Krieg ohne Hass, S. 53.
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rung betrifft.130 Und wie an anderen Fronten vergewaltigten deutsche Soldaten auch in Nordafrika dort ansässige Frauen.131 Dass derartige Übergriffe von militärischer Seite befürchtet worden waren, zeigen die Mitteilungen für die Truppe von Juli 1942, die die Soldaten bereits ermahnten, sich nicht an den Frauen muslimischer Bevölkerungen zu vergreifen. »Besonders wichtig ist auch d i e W a h r u n g d e r U n a n t a s t b a r k e i t d e r m o h a m m e d a n i s c h e n F r a u e n [...]. Annäherungen an die Frauen werden von den Sippenangehörigen als Kränkung empfunden.«132 Für Tunis sind Vergewaltigungen in dem bereits erwähnten Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie belegt. Es sei hier zu Plünderungen und »Notzuchtverbrechen« gekommen.133 Obwohl es noch lange dauerte, bis Vergewaltigungen als Verbrechen anerkannt wurden, waren sie bereits in einem OKH-Befehl von 1940 abgelehnt worden;134 es sollte jedoch ein schonendes Strafmaß angewendet werden.135 Es sind Verurteilungen von Wehrmachtssoldaten für Vergewaltigungen von wenigen Tagen Arrest bis hin zur Todesstrafe bekannt.136 Der Bericht der Feldgendarmerie aus Tunis erwähnte, dass diese Vergehen nicht allein durch eine Disziplinarstrafe durch den Einheitsführer verurteilt werden könnten, weshalb ein solcher Fall dem Kriegsgericht übergeben worden sei.137 Im Allgemeinen waren Formen sexualisierter Gewalt als Mittel der Demütigung der Zivilbevölkerung Teil der Kriegsführung und wurden daher etwa im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion nicht streng geahndet.138 130 Vgl. Zipfel, Sexuelle Gewalt in Kriegen, S. 10. Ich konzentriere mich hier auf die Aneignung der Frauen der lokalen Bevölkerung Nordafrikas, aber natürlich werden auch Männer (im Krieg) Opfer von sexualisierter Gewalt und ebenso konnten deutsche Frauen Opfer von Gewalttaten durch deutsche Soldaten werden. Vgl. allgemein zu männlichen Opfern sexualisierter Gewalt im Krieg als Entmännlichung, Gabriela Mischkowski, Sexualisierte Gewalt im Krieg: eine Chronik, in: Medica mondiale e.V. und Karin Griese (Hg.), Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen: Handbuch zur Unterstützung traumatisierter Frauen in verschiedenen Arbeitsfeldern, Frankfurt a.M. 2006, S. 15–55, S. 50. 131 Für Nordafrika schreibt Richard Evans von Vergewaltigungen jüdischer Frauen, vgl. Evans, The Third Reich at War, S. 150. In der Sowjetunion sind Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten besonders häufig im Zusammenhang mit Plünderungen belegt, vgl. Birgit Beck, Wehrmacht und sexuelle Verbrechen. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939–1945, Paderborn 2004, S. 328. 132 DRP, OKW, OKW, Mitteilungen für die Truppe, Nr. 212, S. 2, Hervorhebung i. O. 133 BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80. 134 Vgl. dazu etwa Gaby Zipfel, »Blood, sperm and tears«. Sexuelle Gewalt in Kriegen, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 10 (2001) 5, S. 3–20, S. 4. 135 Vgl. BArch-MA, RH 14/39, Der Oberbefehlshaber des Heeres, 5. Juli 1040, Az. 458 GenQu (III) GendStfH, Nr. 1608/40, betr. Notzuchtverbrechen, zitiert nach Wolfgang Petter, Militärische Massengesellschaft und Entprofessionalisierung des Offiziers, in: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht: Mythos und Realität, München 1999, S. 359–370, S. 369. 136 Vgl. Petter, Militärische Massengesellschaft, S. 369. 137 Vgl. BArch-MA, RH 21–5/37, Tätigkeitsbericht der Feldgendarmerie Kompanie (mot.) 613 für die Zeit vom 15.11.–31.12.1942, Kdo. Afrika vom 21. Januar 1943, abgedruckt in: Roth, Halt, Feldgendarmerie, S. 80. 138 Birgit Beck, Vergewaltigung von Frauen als Kriegsstrategie im Zweiten Weltkrieg?, in: Jahrbuch für historische Friedensforschung 4 (1996), S. 3–50, S. 45.
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Wie Bordellbesuche sparen soldatische Memoiren derartige »sexuelle Kriegsgewinne« meist aus, wie Stefanie Schüler-Springorum in Bezug auf die Selbstzeugnisse der Legion Condor feststellt. Dies lag einerseits an der Selbstzensur durch die Soldaten, die meist zu Hause eine Ehefrau hatten, andererseits an der staatlichen Zensur zur Aufrechterhaltung des Bildes von militärischer Disziplin.139 Gewaltsame und einvernehmliche sexuelle Kontakte im Krieg dienten den Soldaten eher dazu, sich untereinander ihre Männlichkeit zu beweisen.140 Zugleich waren sexuelle Gewalttaten eine Form der Aneignung des Kriegsraumes, bei der durch die Ermächtigung des weiblichen Körpers der Kriegsraum und dessen Bewohner*innen symbolisch in Besitz genommen werden konnte.141 Für die symbolische Inbesitznahme des Raumes durch verschiedene Formen der Gewalt waren rassistische Denkmuster und Überlegenheitsgefühle wegbereitend. Zwar führte die Wehrmacht in Nordafrika keinen Vernichtungskrieg gegen die lokale Bevölkerung,142 doch von der propagierten deutsch-arabischen Freundschaft war im gewaltsamen Handeln der Soldaten häufig nicht mehr viel zu spüren. Die Verbundenheit wurde in der offiziellen Propaganda oder in den Feldzeitungstexten vor allem zur Konstruktion einer gemeinsamen Gegnerschaft genutzt, die sich einerseits gegen die alliierten Kriegsgegner richtete, andererseits eine Menschengruppe betraf, gegen die in Nordafrika zumindest geplant war, gezielt und mit Gewalt vorzugehen: die Jüdinnen und Juden.
10.3 Judenverfolgung in Nordafrika Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Nordafrika etwa eine halbe Million Jüdinnen und Juden. So zählte beispielsweise die jüdische Gemeinde in Tunesien rund 80.000 Mitglieder, in Marokko lebten an die 240.000 jüdische Menschen.143 In der italienischen Kolonie Libyen wurden 1931 bei einer Volkszählung 25.103 jüdische Menschen erfasst, die 3,57 Prozent der Bevölkerung ausmachten und vor allem in den großen Städten Tripolis und Bengasi lebten.144 Damit waren ein nicht geringer Teil der lokalen Bevölkerung im nordafrikanischen Kriegsraum Jüdinnen und Juden, die als solche Hauptziel der nationalsozialistischen Verfolgungs-und Vernichtungspolitik waren. Doch obwohl der Antisemitismus das zentrale Element der nationalsozialistischen Weltanschauung war, finden sich in der Feldzeitung der deutschen Truppen kaum Ver-
139 Vgl. Schüler-Springorum, Die Leichtigkeit des Krieges, S. 232. 140 Vgl. dazu Zipfel, Sexuelle Gewalt in Kriegen, S. 17. 141 Rolf Pohl, Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, Hannover 2004, S. 480. 142 Den Grund, warum hier nicht gegen die lokale Bevölkerung in dem Maße vorgegangen wurde wie in der Sowjetunion, sieht Shepherd u.a. darin, dass sich diese in Nordafrika nicht in den Krieg einmischten und gegenüber slawischen Menschen eventuell als höherwertig angesehen wurden; vgl. Shepherd, Hitler’s Soldiers, S. 238f. 143 Vgl. Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein, Introduction, in: dies. (Hg.), The Holocaust and North Africa, Stanford 2019, S. 1–16. 144 Vgl. Hoppe, The Persecution of Jews in Libya, S. 50.
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weise auf die hier lebenden jüdischen Menschen. Dies lag nicht daran, dass ihre Anwesenheit unbekannt gewesen wäre, wie das Taschenbuch Der Soldat in Libyen belegt. Es gab an, dass Jüdinnen und Juden einen großten Teil der Bevölkerung Libyens ausmachten. Doch erwähnte die Schrift sie relativ neutral und erklärte, dass sie vor allem in den Küstengebieten lebten und als Händler oder Handwerker arbeiteten. Lediglich die Schlussposition der jüdischen Bevölkerung in der Aufzählung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen verweist auf den innerhalb des NS-Regimes herrschenden Judenhass.145 In den Selbstzeugnissen erwähnten nur wenige der Soldaten die jüdische Bevölkerung des Kriegsraumes, was vermutlich daran lag, dass die Jüdinnen und Juden für die deutschen Soldaten optisch nur schwer von den muslimischen Menschen zu unterscheiden waren. Denn die den Soldaten aus der antisemitischen Propaganda bekannten Darstellungen richteten sich vor allem gegen die sogenannten »Ostjuden«: Die kursierenden Bilder ließen sich nur schwer auf die Menschen anwenden, denen sie in Nordafrika begegneten, wie in einem Vorschlag für ein Merkblatt für die deutschen Soldaten in Nordafrika bemerkt wurde. Darin heißt es, dass die Soldaten »als Neuling« in Nordafrika die jüdischen kaum von muslimischen, als Araber bezeichneten Personen differenzieren konnten.146 Deshalb stehe man in Nordafrika häufig vor der »Preisfrage: Jude oder Araber?«.147 Nur in Ausnahmefällen oder wenn sie als solche denunziert werden konnten, benannten die deutschen Soldaten in Nordafrika jüdische Menschen.148 So bemühte der Oberstarzt Schreiber in seinem Bericht über seine Dienstreise nach Libyen klassische antisemitische Stereotype und stellte die jüdische Bevölkerung des Landes als Geldscheffler dar, die sich selbst noch an den versenkten Schiffen bedienen und gefundene Militärausrüstung verkaufen würden.149 Das Motiv der Juden als Kaufleute findet sich ebenso in den untersuchten Selbstzeugnissen. Ritter von D. erklärte etwa seiner Frau, dass die arabische Bevölkerung zwar teilweise geldgierig sei, doch betrieben diese »ihr Geschäft mit Würde« und seien »nicht aufdringlich wie Juden«.150 Karl B. verwies in einem Brief auf den Stereotyp des reichen Juden und beschrieb seinen aktuellen Unterbringungsort, einen ehemaligen Herrensitz mit Tennisplatz, als Besitz eines Juden.151 Die Oase aktivierte für die jüdischen Bevölkerungsteile dieselben Vorurteile, die über die arabische Bevölkerung vorherrschten. Im August 1942 erschien ein Artikel über eine »libysche Judensiedlung aus dem 14. Jahrhundert«, in der vor allem die vermeintliche Primitivität dieser Gemeinde betont wurde. »Männlein und Weiblein, schmutzstarrend,
145 Vgl., OKH, Der Soldat in Libyen, S. 7. 146 BArch-MA, RH 12–23/1238, Schreiben des Adolf Pfeiffer, Stabsfeldwebel, San.-Ers.-Abt. 12, Betreff: Vorschlag für ein Merkblatt, das bis zum Erscheinen entsprechender Vorschriften den zur Abstellung zum Deutschen Afrika-Korps in Frage kommenden Angehörigen der San.-Ers.-Abt. 12 Anhaltspunkte für das Verhalten in Libyen geben soll, fol. 42. 147 BArch-MA, RH 12–23/1238, Adolf Pfeiffer, Erfahrungen, Eindrücke und Beobachtungen auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz, Dezember 1942, fol. 78. 148 Proske, Zwei Rollen, S. 16 149 BArch-MA, RH 12–23/2055, Bericht über die Dienstreise Oberstarzt Schreiber zum Deutschen Afrikakorps, Teil I vom 25. Juli 1941, S. 18. 150 BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 21. Februar 1943. 151 Vgl. BfZ, Sammlung Sterz, Karl B. an seine Familie am 1. Februar 1943.
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Kinder, verkommen und verdreckt, die Augen voller Fliegen, Hund, Katzen, Hühner und sogar Esel« würden dort in Höhlen leben wie schon vor Hunderten von Jahren.152 In ähnlicher Weise bemühte ein Artikel über die Feldgendarmerie in Nordafrika das Motiv des »schmutzigen Juden« und berichtete, die Gendarmen der Wehrmacht kämen während ihres Dienstes immer wieder »in die verschmutzten Judenviertel, wo schon der Anblick der verkümmerten Gestalten, der feilschenden und gestikulierenden Männer und Frauen und der vor Dreck strotzende Verkaufsladen ein Gefühl tiefsten Ekels erzeugt«.153 Ansonsten wurde die jüdische Bevölkerung des Kriegsraumes nur im Kontext der antibritischen Propaganda angesprochen und mit antisemitischen Motiven gegen die Alliierten gehetzt.154 So hieß es, das »internationale Judentum« sei ein »Verbündeter des britischen Kriegsgegners und auch in den USA übermächtig. In Bengasi hätte sich daher während der kurzen englischen Besatzung die jüdische Bevölkerung breit gemacht und an der Unterdrückung der restlichen Bevölkerung durch die Briten mitgewirkt.155 Zudem hätten die Briten die Errungenschaften der italienischen Kolonialpolitik zunichte gemacht und nach der Einnahme der Stadt Tripolis die dort von der italienischen Kolonialmacht erlassenen Judengesetze wieder aufgehoben.156 Ein anderer Artikel behandelte die jüdische Bevölkerung in Tanger. Diese wurden in die klassische antisemitische Erzählung integriert und als ausbeuterische Händler beschrieben, welche die einst reiche Stadt ausgeplündert hätten. Dabei wurde der Antisemitismus hier erneut mit antibritischer Propaganda verknüpft und behauptet, die Briten hätten die jüdische Bevölkerung bei der Ausbeutung der Stadt unterstützt.157 Solchen Artikel waren nicht nur Hetze gegen den britischen Kriegsgegner, sondern auch gegen andere europäische Kolonialmächte. Im Februar 1943 berichtete die Oase über den Anteil der jüdischen Menschen im tunesischen Kampfgebiet, die 40.000 der 2,6 Millionen Einwohnenden ausmachen würden. Sie hätten, seitdem Tunis unter französischem Protektorat stand, den Handel in der Stadt übernommen, weshalb die Araber auf Rache warteten.158 Ebenso wurde betont, dass aus der Bevölkerung Ägyptens allein die jüdischen Menschen mit den Briten verbündet seien, ansonsten aber 90 Prozent der in dem Land lebenden Menschen auf der Seite der Achsenmächte stünden und sich einen deutsch-italienischen Sieg wünschten.159 Das Nachrichtenblatt Karawane konsturierte eine gemeinsame Gegnerschaft: »Die Deutschen sind fuer jeden Araber nicht zuletzt
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Vgl. Hàret-el-Ihùd. Eine libysche Judensiedlung aus dem 14. Jahrhundert, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 3. Ernst Bayer, Feldgendarmerie in Afrika. Helfer und Berater der Truppe, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 12. Vgl. o. V., Die armen Juden, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 6. Vgl. Meldung, Juden machten sich in Bengasi breit, in: Die Oase 63, 12. März 1942, S. 1. Vgl. Meldung, Echt britisch, in: Die Oase 103, 13. Februar 1943, S. 1. G.D., Die Juden in Tanger. Schieber und Agenten des britischen Geheimdienstes, in: Die Oase 97, 5. November 1942, S. 3. Vgl. o. V., Tunis-ein Dorado der Juden. Die Hebraeer als Hauptnutzniesser des franzoesischen Protektorats, in: Die Oase 104, 20. Februar 1943, S. 1. Vgl. o. V., Aegypter fuer die Achsenmaechte, in: Die Karawane 115, 29. März 1943, S. 2.
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wegen ihrer klaren Einstellung zur Judenfrage das europaeische Volk schlechthin, das sie anerkennen und dessen moralische wie militaerische Kraft sie respektieren.«160 Tatsächlich sympathisierte die jüdische Bevölkerung der östlichen Cyrenaika mit den Briten.161 Die daher teils vorhandene Unterstützung der Alliierten durch Angehörige der jüdischen Bevölkerung wurde von der Achse zum Vorwand für ein gewaltsames Vorgehen genommen. Die jüdische Bevölkerung der Cyrenaika und anderer stark umkämpfter Gebiete wurde ausgegrenzt, verfolgt und vom italienischen Militär und der Kolonialpolizei in weit entfernte Lager in der Wüste deportiert, in denen viele der Insassen vor Hitze und Durst umkamen.162 Die Judenverfolgung hatte sich in Libyen nach dem bottom-up-Prinzip radikalisiert.163 Von Beginn der faschistischen Regierungsbeteiligung an und damit bereits vor der Ankunft der deutschen Soldaten kam es in Libyen zu lokalen, antisemitischen Attacken durch italienische Faschisten, wie etwa in Tripolis 1923 und 1932. Zudem wurden jüdische Kaufleute ausgepeitscht, wenn sie italienische Gesetze nicht befolgten und etwa ihre Geschäfte am Sabbat geschlossen hielten.164 Die italienischen Soldaten und Siedler*innen griffen ebenfalls Mitglieder der jüdischen Bevölkerung Libyens an. Dieses radikale Vorgehen gegen jüdische sowie gegen arabische Menschen war durch die gewaltsame Kolonisierung der libyschen Regionen bereits vorbereitet worden.165 Der italienische Überfall auf Äthiopien 1935 und die dort durchgeführte Massenumsiedlungen, die Einrichtung von Konzentrationslagern, der Einsatz von Hungersnöten als Instrument der Kriegsführung, die Ausschaltung politisch kultureller Eliten und der Einsatz von Giftgas wirkten dann als Katalysator auf die allgemeine italienische Judenpolitik und Gesetzgebung.166 Es muss aber festgehalten werden, dass die italienischen Kriegsverbrechen nicht auf die komplette Ausrottung eines »Rassenfeindes« zielten, weshalb die koloniale Gewalt und das rassistische Kolonialsystem Italiens nicht mit dem mörderischen System des deutschen NS-Regimes gleichgesetzt werden darf.167 Im Jahr 1938 wurden in Libyen die italienischen Rassegesetze etabliert, die noch radikaler als die 1935 erlassenen »Nürnberger Gesetze« des deutschen Achsenpartners waren und einen wichtigen Schritt hin zur organisierten Judenverfolgung darstellten. Nun mussten jüdische Kinder die Schulen verlassen, jüdisches Eigentum registriert werden,
160 E. G. Dickmann, Ali und der Landser. Eine kameradschaftliche Ansprache, in: Karawane 125, 16. April 1943, S. 4. 161 Vgl. Proske, Zwei Rollen, S. 14. 162 Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 107. 163 Vgl. Hoppe, Persecution of Jews in Libya, S. 66. 164 Vgl. ebd., S. 54f. 165 Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 87. 166 Vgl. Schlemmer und Woller, Der italienische Faschismus und die Juden, S. 199. Siehe auch Aram Mattioli, Ein vergessenes Schlüsselereignis der Weltkriegsepoche, in: Asfa-Wossen Asserate (Hg.), Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935–1941, Köln 2006, S. 9–25. 167 Vgl. etwa Bernhard, Hitler’s Africa in the East; Thomas Kühne, Colonialism and the Holocaust: Continuities, Causations, and Complexities, in: Journal of Genocide Research 15 (2013) 3, S. 339–362.
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Juden durften nicht mehr zum Militär oder der Polizei und hatten im Gegensatz zu Muslimen keine Möglichkeit, die italienische Staatsbürgerschaft zu bekommen.168 Ihre Situation verschlechterte sich mit Kriegsbeginn noch weiter. Nun wurden jüdische Menschen der Kollaboration mit den Briten verdächtigt, was zu Übergriffen und Plünderungen durch die italienische Zivilbevölkerung und vereinzelten langen Haftstrafen für Juden führte. Zudem war die jüdische Bevölkerung arabischen Angriffen ausgesetzt. 1942 intensivierte Italien seine Judenpolitik und Mussolini ordnete an, alle Juden und Jüdinnen Libyens in Tripolitanien zu internieren. Zwischen Februar und Juni 1942 deportierte die italienische Polizia dell‘Africa Italiana Juden aus verschiedenen libyschen Städten in Lagern. Im Lager Giado, das regelmäßig von Deutschen kontrolliert wurde, befanden sich im Sommer 1942 2.537 Häftlinge.169 Mehrere hundert ausländische jüdische Menschen wurden nach Italien deportiert.170 Zudem wurden jüdische Männer ab Juni 1942 zur Zwangsarbeit in Infrastrukturprojekten gezwungen und der Spionage verdächtige arabische und jüdische Personen inhaftiert.171 Die sich in Libyen aufhaltenden französischen Jüdinnen und Juden wurden nach Tunesien gebracht und dort in drei Lagern interniert, in denen sehr schlechte hygienische Bedingungen herrschten und die Lebensmittelversorgung unzureichend war: La Marsa, Agareb und Gabes.172 Zwar war Italien verantwortlich, doch unterstützte Rommel – anders als von manchen Autoren behauptet – dieses Vorgehen.173 Zudem beeinflusste die deutsche Judenpolitik Italien als Bündnispartner.174 Wie ganz Tunesien kamen die Lager mit dem Rückzug der deutschen und italienischen Truppen ab November 1942 unter deutsche Kontrolle. Hier sollte nun die europäische Judenpolitik auf dem afrikanischen Kontinent fortgesetzt werden. Schon zuvor waren die Rechte der Jüdinnen und Juden in Tunesien durch die Vichy-Regierung stark beschnitten worden. Doch mit der deutschen Besatzung erreichten die Maßnahmen eine völlig neue Dimension. Nun wurde das Einsatzkommando Walter Rauff, das eigentlich zur systematischen Ermordung der jüdischen Menschen in Palästina und dem sogenannten Vorderen Orient aufgestellt, nach der Niederlage bei El Alamein aber wieder nach Deutschland zurückgeholt worden war, eingesetzt. Das 24 Mann starke Kommando wurde noch im Januar 1943 um hundert Mann ergänzt, nachdem zuvor schon drei weitere SS-Führer hinzugekommen waren.175 Jüdische Menschen
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Vgl. Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 433f.; Roumani, The Jews of Libya, S. 30f. Vgl. Hoppe, Persecution of Jews in Libya, S. 63; Bernhard, Behind the Battle Lines, S. 434. Vgl. Hoppe, Persecution of Jews in Libya, S. 57–61. Vgl. ebd., S. 64, 71. Vgl. ebd., S. 62. Bei einem Bombenangriff auf La Marsa wurden mehr als 50 der internierten Menschen getötet, vgl. ebd. Peter Lieb hebt die Abwesenheit von Kriegsverbrechen gegen Kriegsgefangene hervor und schreibt, es sei lediglich in Tunesien zu Repressalien an Juden gekommen, und betont die ablehnende Haltung Rommels zum italienischen Umgang mit dem arabischen Widerstand; vgl. Lieb, Krieg in Nordafrika, S. 135–138. Vgl. Hoppe, Persecution of Jews in Libya, S. 73f. Vgl. Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers, »Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina«. Das Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942, in: Jürgen Matthäus und Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der
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wurden belästigt, bestohlen, tätlich angegriffen, inhaftiert und interniert. Männer zwischen 16 und 60 Jahren wurden zur Zwangsarbeit gezwungen und mussten einen Judenstern tragend Straßenkehrarbeiten verrichten, wie auf Fotografien dokumentiert ist. Angehörige der jüdischen Oberschicht wurden nachts in ihren Häusern überfallen, manche ermordet oder in europäische Konzentrationslager deportiert,176 etwa nach BergenBelsen.177 In den Nachbarländern sah die Situation für die jüdische Bevölkerung nicht viel besser aus. In den beiden Kolonien der französischen Vichy-Regierung Marokko und Algerien galten die anti-jüdischen Gesetze Vichy-Frankreichs. Dass die »Judenfrage« in diesen Ländern »in einer der Handhabungen des Mutterlandes entsprechende[n] und den afrikanischen Verhältnissen angepassten Weise geregelt« wurde, erfuhr das OKW im März 1942.178 Bereits 1940 waren 1.500 in der französischen Fremdenlegion dienende Juden in Arbeitslagern interniert worden, von denen es etwa 100 gab. Die Internierten mussten unter den schlimmsten Bedingungen am Bau der Trans-Sahara-Eisenbahn mitarbeiten. Einige wenige jüdische Menschen erhielten Unterstützung durch die arabische Bevölkerung und wurden versteckt.179 Insgesamt sind ungefähr 5.000 nordafrikanische Juden während der Okkupation durch die Achsenmächte umgekommen. Allein die deutsch-italienische Niederlage im Nordafrikafeldzug verhinderte weitere Deportierung nach Europa und damit noch größere Opferzahlen.180 Doch wie die Gewalt gegen die nordafrikanische Zivilbevölkerung im Allgemeinen und deren Leiden unter der zerstörerischen Kraft des Krieges wurde auch die Geschichte der Judenverfolgung im Kontext des Zweiten Weltkrieges in Nordafrika lange Zeit nicht beachtet. Dafür können drei Gründe ausgemacht werden. Erstens war in der historischen Forschung zunächst von einem »relativen Antisemitismus« des faschistischen Italiens die Rede, was mit der vorläufigen Entfremdung zwischen Hitler und Mussolini nach der italienischen Nichtbeteiligung am Krieg und der Entlassung Mussolinis aus der Bündnispflicht begründet wurde. Erst mit der deutschen Besetzung Italiens im Jahre 1943 habe sich, so hieß es, dort ein mörderischer Antisemitismus etabliert.181 Diese These ist mittlerweile widerlegt; gezeigt wurde stattdessen, dass die unterschiedliche Bewertung des Nationalsozialismus und italienischen Faschismus von politischen Erfordernissen der Nachkriegszeit beeinflusst gewesen war.182 Michele Universität Stuttgart, Bd. 7), S. 153–176, besonders S. 168, Vgl. dies., Halbmond und Hakenkreuz, S. 202f. 176 Vgl. Lia Brozgal, The Ethics ans Aesthetics of Restraint. Judeo-Tunisian Narratives of Occupation, in: Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein (Hg.), The Holocaust and North Africa, Stanford 2019, S. 168–184, S. 168. Siehe auch Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 107. 177 Vgl. Boum und Stein, Introduction. 178 IfZ-Archiv, MA 190/8 Oberkommando Wehrmacht/Wehrmachtspropaganda (1939–1943), frame 2499926–2499929, Meldung an das Oberkommando der Wehrmacht zur Lage in FranzösischNordafrika, Nr. 221/42 geh., 30. März 1942, S. 3 179 Vgl. Evans, The Third Reich at War, S. 150. 180 Vgl. ebd., S. 151. 181 Vgl. etwa Renzo De Felice, Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo. Nuova edizione apliata, Turin 1993. 182 Vgl. etwa Schlemmer und Woller, Der italienische Faschismus und die Juden, S. 165f.; Ruth BenGhiat, A Lesser Evil? Italien Fascism in/and the Totalitarian Equation, in: Helmut Dubiel und
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Sarfatti attestiert Italiens faschistischem Regime hinsichtlich der antisemitischen Ausrichtung durchaus eine Verwandtschaft mit dem NS-Regime.183 Denn auch in Italien erklärten die Faschisten die jüdische Bevölkerung zu Feinden, so dass diese dem Hass und Verrat der italienischen Bevölkerung ausgesetzt war.184 Zudem war die Judenpolitik in Italien von den Erfahrungen der rassistischen Segregation in Äthiopien und der Judenverfolgung in Libyen beeinflusst,185 so dass das lange Schweigen über die italienische Kolonialgewalt sich insgesamt auf das Bild des italienischen Faschismus ausgewirkt hatte.186 Zweitens wurde in Israel und innerhalb der Shoah-Forschung selbst das Schicksal der Mizrachim, zu denen die Juden Nordafrikas gezählt werden, im Wettbewerb um die Anerkennung als Opfer lange nicht beachtet.187 Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Judenverfolgung in Nordafrika nicht in einen industrialisierten Massenmord umschlug und befürchtet wurde, dass ein Einbezug der nordafrikanischen Jüdinnen und Juden die Einzigartigkeit des Holocaust relativieren könnte. Zudem gab es keine Kriegsverbrecherprozesse, die in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Judenverfolgung in Nordafrika hätten herausbilden können.188 Drittens passte die antisemitische Gewalt nicht in die Erzählung der heldenhaften Kriegsführung in der menschenleeren Wüste und wurde daher aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt. »In Africa, however, there were no SS units. There appeared to be few Jews. [...] There were not even very many Nazis«,189 schrieb David Fraser in seiner Rommel-Biographie. Kolonialistische Vorstellungen über den afrikanischen Kontinent als leeren Raum und die von den deutschen Soldaten und Kriegsberichterstattern während des Nordafrikafeldzuges geprägten Raumbilder wirkten sich damit auf das Bild des Krieges und der Wehrmacht ebenso aus wie auf die unterschiedliche Wahrnehmung der Opfergruppen des Holocausts.
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Gabriel Motzkin (Hg.), The Lesser Evil: Moral Approaches to Genocide Practices, New York/ London 2004, S. 137–153. Vgl. Michele Sarfatti, Autochthoner Antisemitismus oder Übernahme des deutschen Modells? Die Judenverfolgung im faschistischen Italien, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 231–243; ders., Gli ebrei nell’Italia fascista, Turin 2000. Vgl. Amedeo Osti Guerazzi, Die ideologischen Ursprünge der Judenverfolgung in Italien. Die Propaganda und ihre Wirkung am Beispiel Roms, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi und Thomas Schlemmer (Hg.), Die »Achse« im Krieg: Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2010 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 64), S. 434–455. Siehe auch die Monographie: Ders., Caino a Roma. I complici romani della Shoah, Rom 2005. Vgl. Schlemmer und Woller, Der italienische Faschismus und die Juden, S. 176, 180. Vgl. Ali Abdullatif Ahmida, Forgotten Voices. Power and Agency in Colonial and Postcolonial Libya, New York 2005, S. 35–54. Vgl. dazu Omer Bartov, Recentering the Holocaust (Again), in: Aomar Boum und Sarah Abrevaya Stein (Hg.), The Holocaust and North Africa, Stanford 2019, S. 207–213. Vgl. Bernhard, Im Rücken Rommels, S. 117. Fraser, Knight’s Cross, S. 257.
11 Der Nordafrikafeldzug als Kolonialkrieg?
Exotistische Vorstellungen und kolonial geprägte Denkmuster beeinflussten, wie die vorangegangenen Kapitel dargelegt haben, nicht nur die Vorannahmen und Erwartungen der Soldaten an den Kriegseinsatz in Nordafrika. Sie prägten das gesamte Erleben des Krieges und die Art und Weise, wie die Soldaten ihre Erlebnisse deuteten, wie sie den Kriegsraum interpretierten und wie sie mit der lokalen Bevölkerung interagierten. Daher blieben Ambitionen zur kolonialen Eroberung des Kriegsraumes und die Hoffnung, den Nordafrikafeldzug als Türöffner zur Rückgewinnung verlorener Kolonialgebiete zu nutzen, nach Februar 1941 aktuell. So mancher Soldat konnte sich für den Kriegsraum als möglichen neuen Lebensraum erwärmen. Denn einerseits lösten die Speisen, Hygienepraktiken oder die Umdeutung der Landschaft bei den Soldaten im »fremden« Raum heimatliche Gefühle aus,1 andererseits gewöhnten sie sich zunehmend an die neue Umgebung. Karl B. erklärte seiner Familie, er habe sich an die warmen Temperaturen angepasst und werde frieren, wenn er einmal wieder zu Hause wäre.2 Die Kolonial-Zeitschrift Jambo behauptete 1943, die Soldaten in Nordafrika kannten nun die »Geheimnisse der Wüste« und wurden in ihr zunehmend »heimisch und vertraut«.3 Reinhard B. behauptete nach seiner Versetzung auf die Krim gar, dass er nun eine regelrechte »Sehnsucht nach Afrika« verspüre. Diese bezeichnete er aber nicht mehr als Abenteuerlust, sondern erklärte sie zu einer Art »Heimat«-Gefühl. Wenn er und seine Kameraden mit ihrem Radioapparat eine arabische Sendung empfingen, würden sie »einen Augenblick der eigenartigen Musik« zuhören und sich »dabei irgendwie heimatlich berührt« fühlen.4 Dass sich Europäer*innen auf dem afrikanischen Kontinent nicht nur irgendwie »heimisch« fühlen, sondern sich in der »Fremde« ein Zuhause schaffen konnten, war den Soldaten aus den Berichten und Geschichten über deutsche Auswanderer*innen oder Siedler*innen bekannt, die das Prinzip »Heimat« auf die Kolonien übertragen
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Vgl. Szejnmann, A Sense of Heimat, S. 128. BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 9. Juli 1942. Helmuth Köhler, Belebte nordafrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 33. MSPT, 3.2002.375.0, Reinhard B. an seine Familie am 17. Mai 1942.
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hatten.5 In Nordafrika sahen sie die Schaffung einer neuen »Heimat« durch europäische Kolonist*innen mit eigenen Augen. Im gesamten Kriegsgebiet trafen sie auf die Spuren europäischer Kolonisation und erlebten in Libyen die Folgen der Eroberung durch den Bündnispartner. Regelmäßig fuhren sie an den italienischen Siedlungen mit ihren weißen Häusern vorbei oder kamen in Kontakt mit ihren Bewohner*innen. Die Soldaten waren vor allem von der italienischen Architektur beeindruckt, die sie in den Küstenstädten zu Gesicht bekamen. Erich K. bezeichnete die Stadt Tripolis aufgrund ihrer »grossen weissen ital. Gebäuden« als »fabelhaft«.6 Noch in ihren Erinnerungen beschrieben die deutschen Veteranen aus dem Nordafrikafeldzug die europäischen Wohngebiete der Städte als beeindruckend.7 Die italienische Herrschaft im Kriegsgebiet galt in militärischen Publikationen unter Berufung auf die Antike als rechtmäßig. Der österreichische Kriegsberichter Colin Ross erklärte die Rückgewinnung der »Gegenküste unseres Kontinents« zum Ziel des Krieges, damit dieser Teil der Welt wieder zu einem »europäischen Lebensraum« werde, wie er es während der gesamten Antike gewesen sei.8 Der in der Zwischenkriegszeit als Reisejournalist bekannt gewordene Ross erinnerte also an die größte Ausdehnung des Römischen Reiches um 116 n. Chr., als die gesamte nordafrikanische Küste zum Imperium Romanum gehörte. Damit folgte er der offiziellen Argumentation des deutschen Achsenpartners Italien, das in der Antike nicht nur ein Vorbild für den Faschismus sah, sondern sie vor allem zur Rechtfertigung der Kolonisation heranzog.9 Weil die italienische Kolonialmacht im Kriegsgebiet aus der Vergangenheit heraus erklärt wurde, interpretierte die Zeitung antike Bauwerke im Kriegsgebiet stets als Überreste der einstigen Macht Roms.10 Auf die Antike als Argument für die italienische Kolonisation in Nordafrika beriefen sich auch andere militärische Publikationen. Das Taschenbuch Der Soldat in Libyen deutete die Ausgrabungsstätten und Überreste antiker Tempel als materielle Zeugen einer »großen Vergangenheit«, als das Gebiet des heutigen Libyens noch die »Kornkammer
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Vgl. etwa Krista O’Donnell, Home, Nation, Empire: Domestic Germanness and Colonial Citizenship, in: dies., Renate Bridenthal und Nancy Reagin (Hg.), The Heimat Abroad. The Boundaries of Germanness, Ann Arbor 2005, S. 40–57; Willeke Sandler, Deutsche Heimat in Afrika. Colonial Revisionism and the Construction of Germanness through Photography, in: Journal of Women’s History 25 (2013) 1, S. 37–61. Rolf Parr spricht in diesem Zusammenhand von einem »Adoptiv-Vaterland« und einer »imperialen Verheimatung der Fremde«, vgl. Rolf Parr, Die Fremde als Heimat. Heimatkunst, Kolonialismus, Expeditionen, Konstanz 2014. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 238, Erich K. an seine Eltern am 15. Mai 1941. Vgl. HStAStu, J 175 Bü 620, Alfred K., Feuer in der Nacht. Aus den Beiträge zum Wettbewerb »Ältere Menschen schreiben Geschichte«, 1977, S. 3–4; DTA, 238.1 (Reg. Nr. 236.1), Helmut T., Kriegstagebuch Italien – Afrika, S. 69. Colin Ross, Es geht um Europas Gegenküste. Schicksal Nordafrika, in: Die Oase 118, 4. April 1943, S. 1. Vgl. dazu Wurzer, Disziplinierte Bilder. Vgl. o. V., Jahrtausende über dem Mittelmeer, in: Die Oase 6, 3. April 1941, S. 2; H.[ermann] W.[acker], Italien, das Land der Kunst. Schöpferischer Geist vom antiken Rom bis zum Faschismus, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 5; Hermann Wacker, Leptis Magna. Das Wunder in Marmor, in: Die Oase 38, 6. Juli 1941, S. 5; o. F., Zeugen römischer Baukunst in Nordafrika, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 5.
11 Der Nordafrikafeldzug als Kolonialkrieg?
des alten Rom« darstellte.11 Mit dem Lob der antiken Landwirtschaft wurde indirekt das agrarische Geschick der Italiener hervorgehoben und zugleich die lokale Bevölkerung für unfähig erklärt, ihr eigenes Land zu bewirtschaften. Wie in anderen kolonialen Kontexten diente damit das angebliche Unvermögen der indigenen Bevölkerung als Rechtfertigung für die Kolonisierung.12 So hatten französische Siedelnde in Algerien, Marokko und Tunesien die Vorstellung, dass Nordafrika zur Zeit des Römischen Reiches fruchtbarer gewesen sei, und beanspruchten die Gebiete als römisches Erbe für sich.13 Die gleiche Argumentation druckte die Feldzeitung Oase in Bezug auf das Kriegsgebiet. In einem ausführlichen Artikel erklärte der SS-Gruppenführer und zweite Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Siegfried Fuchs, die indigene Bevölkerung des Kriegsraumes habe der Kolonisation bedurft, um den Boden zu bewirtschaften, weshalb erst die griechische Kolonisation aus Kyrene im heutigen Libyen einen fruchtbaren Ort gemacht habe.14 In dieser Tradition wurden die in den 1930er Jahren nach Libyen übergesiedelten Italiener*innen gesehen, die laut dem Taschenbuch Der Soldat in Libyen »[w]eite Wüstengebiete [...] wieder zu Kulturland«15 gemacht hätten. Dieser »environmental chauvinism«,16 also die Vorstellung von einer besseren Bewirtschaftung der kolonisierten Länder durch die europäischen Siedelnden, ging mit der Vorstellung von der Primitivität und geistigen Unterlegenheit der kolonisierten Bevölkerung einher. Daher war auch bezogen auf andere Wissensgebiete die Annahme verbreitet, dass die indigene Bevölkerung europäisches Wissen benötige und die Kolonisation eine hilfreiche Missionsarbeit war. So erklärte das Taschenbuch für die Truppe, die italienischen Siedler*innen förderten neben moderner Kultur die antiken Schätze durch Ausgrabungen wieder zu Tage.17 Und die Oase erklärte, die Errungenschaften der »modernen Pädagogik«, die europäische Kolonialist*innen auf den afrikanischen Kontinent brachten, vermittelten den »Eingeborenen« lebenswichtiges Wissen.18 In Bezug auf die Infrastruktur sah die Feldzeitung den Achsenpartner Italien ebenfalls als der lokalen Bevölkerung überlegen an. Daher lobte sie neben den antiken Bauwerken und den italienischen Kolonialbauten in Libyen19 den »Kultur-Aufbauwille[n]« und die kolonialen Leistungen des Achsenpartners Italien.20 In Nordafrika könnte man
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Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 5. Vgl. Davis, Introduction, S. 2f. Vgl. Diana K. Davis, Restoring Roman Nature. French Identity and North African Environmental History, in: dies. und Edmund Burke III (Hg.), Environmental Imaginaries of the Middle East and North Africa, Athens 2011, S. 60–86. Vg. Siegfried Fuchs, Kyrene. Geschichte und Denkmäler, in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 5. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 6. Vgl. William H. Rollins, Imperial Shades of Green: Conservation and Environmental Chauvinism in the German Colonial Project, in: German Studies Review 22 (1999) 2, S. 187–213. Vgl. OKH, Der Soldat in Libyen, S. 5. Vgl. etwa o. V., Moderne Pädagogik im N*dorf. Das unverdorbene Naturkind – Gemeinschaftserziehung und Ehevorbereitung, in: Die Oase 93, 8. Oktober 1942, S. 8. Vgl. etwa Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst? (2. Fortsetzung), in: Die Oase 38, 6. Juli 1941, S. 10. Vgl. etwa Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3.
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sehen, »welche Energie und Tatkraft es bedurfte, um am Rande der Wüste solche Bauten und Strassen anzulegen«, weshalb die »Waffenbrüder« stolz sein könnten »auf diese Zeugnisse ihres jungen, aufstrebenden Vaterlandes«21 . Damit knüpfte die Zeitung an die positive Bewertung des italienischen Straßenbaus in den Kolonien durch deutsche Stellen aus den 1930er-Jahren an.22 Denn die Errichtung von Infrastruktur war wie bei der territorialen Aneignung von Gebieten als Kolonien23 im Nordafrikafeldzug ebenfalls von besonderer Bedeutung, wie ein Artikel in der Zeitschrift Jambo reflektierte.24 Erst die von der italienischen Kolonialmacht in den 1930er-Jahren gebaute, 1.811 Kilometer lange Küstenstraße Via Litoranea ermöglichte den Transport der Truppen zur Front und damit die Kriegsführung. Sie war ein Symbol der Aneignung des Raumes und wurde daher in der Oase als »Strasse des Sieges«25 bezeichnet und als italienische Höchstleistung gelobt.26 Der Krieg habe nun das Werk der Kolonisation fortgeführt und den Bau der Eisenbahn sowie den Ausbau der Straßen vorangetrieben.27 Wie die Feldzeitung dokumentierte,28 bauten italienische Straßenarbeiter und lokale Arbeitskräfte beständig an der Erweiterung des kriegswichtigen Straßennetzes. Ernst Bayer sprach den Italienern daher einen »nie erlahmende[n] Wille[n] und de[n] Einsatz grosser Kräfte«29 zu. Nach ihren Selbstzeugnissen zu urteilen, vertraten einzelne deutsche Soldaten ebenfalls die Sichtweise, dass der Kolonialismus einem eroberten Land Vorteile bringe. Etwa machten sie den italienischen Kolonialismus für die Fruchtbarmachung des Landes verantwortlich.30 Heinz G. beschrieb die Cyernaika in einem Brief an seine Frau als »[e]in herrliches Ländchen bevölkert von emsigen italienischen Siedlern mit grossen Weinbergen, kleinen Wäldern mit Eichen und Birken und sanften grünen Höhen. Wirklich ein [sic!] Pionierarbeit faschistischen Idealismusses [sic!].«31 Doch so unmissverständlich wie in der Oase fielen die Lobeshymnen der Soldaten für die italienische Kolonialpolitik 21 22 23
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H.[ermann] W.[acker], Italien das Land der Kunst. Schöpferischer Geist vom antiken Rom bis zum Faschismus, in: Die Oase 33, 8. Juni 1941, S. 5. Vgl. Bernhard, Borrowing from Mussolini, S. 630. Zu infrastrukturellen Planungen vgl. Dirk van Laak, Imperiale Infrastruktur: Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, Paderborn 2004; sowie ders., Ist je ein Reich, das es nicht gab, so gut verwaltet worden? Der imaginäre Ausbau der imperialen Infrastruktur in Deutschland nach 1918, in: Birthe Kundrus (Hg.), Phantasiereiche: Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt a.M./New York 2003, S. 71–90. F. Wiedemann, Krieg im Wüstensand, in: Deutsche Wehr 45 (1941) 3, S. 42–43, S. 42. Vgl. o. V., Die Strasse des Sieges. Der Totengraeber des Empire – Fata Morgana der USA, in: Die Oase 60, 19. Februar 1942, S. 1. Vgl. etwa Bruno Káldor, Kennst du das Land in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9. Vgl. Claus Dörner, Strategen oder Phantasten? Anglo-amerikanische Pläne in Nordafrika, in: Die Oase 96, 29. Oktober 1942, S. 5. Vgl. etwa Foto von Straßenarbeiten in einem Artikel von Eric Borchert, So leben wir ... so leben wir alle Tage!, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 6. Ernst Bayer, Durch die Wüste zur Front, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 3. Ähnlich gelobt wurden die Straßenarbeiten in: Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst? (1. Fortsetzung), in: Die Oase 35, 22. Juni 1941, S. 4. Vgl. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. März 1941; DTA, 1934.1 (Reg.-Nr. 1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 33. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 21. Januar 1943.
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eher selten aus, vermutlich weil insgesamt eine negative Haltung gegenüber den »Waffenbrüdern« dominierte. Die deutschen Soldaten, die nach dem Ende der gemeinsamen Kriegsführung in Italien eingesetzt waren, glaubten sogar, dass die Italiener*innen ihre eigene Kultur – ihre Bauwerke, Denkmäler und Museen – nicht genug würdigten.32 In den untersuchten Quellen war es zwar allein Hubert S., der die italienische Kolonialmacht offensichtlich unterstützte und die Stärkung des Achsenpartners bei der Verteidigung seiner Kolonie für das vordringlich zu erreichende Kriegsziel hielt.33 Doch gab es durchaus deutsche Soldaten, die koloniale Eroberungen für einen legitimen Grund der Kriegsführung hielten und sich vom Nordafrikafeldzug nicht nur exotische Abenteuer versprachen. Wie die kolonialrevisionistische Bewegung sahen sie den Krieg in einer Traditionslinie mit den Kolonialkriegen: »[W]ir fühlten uns stolz, als erste deutsche Soldaten seit langer Zeit wieder auf afrikanischem Boden zu stehen und dem Gegner zu beweisen, daß auch wir einen Wüstenkrieg zu führen wissen«,34 zitierte etwa die Zeitschrift Jambo einen Soldaten. Heinz Kreft, ein Veteran des Nordafrikafeldzuges, erinnerte sich in einem Interview für den Film Befreien Sie Afrika!, dass er zu Beginn des Feldzuges der Meinung war, bei seinem Einsatz bei der Eroberung von Kolonien mitzuwirken, und sich dazu an den Kämpfen Lettow-Vorbecks in Deutsch-Ostafrika orientierte.35 Koloniale Eroberung wird ferner in den vor und während des Krieges verfassten schriftlichen Selbstzeugnissen als Kriegsziel genannt. Der Soldat Gerd W. war im April 1941, vor seiner Versetzung nach Nordafrika, optimistisch, dass »die Lösung der territorialen Fragen in Afrika noch in diesem Sommer vollzogen« sein würde.36 Ebenso hoffte der Gefreite Hans E. auf einen zügigen Feldzug und glaubte, dass »Kolonien [...] sicher auch gleich geholt« würden.37 Für ihn war der Einsatz in Nordafrika nicht nur eine Unterstützung der italienischen Kolonialherrschaft, sondern er sah umgekehrt die italienische Wehrmacht als notwendige Kraft für die Erlangung deutscher Kolonien an.38 Als ihm kurz darauf die ersten Sandstürme schwer zusetzten und die Stimmung in der Truppe sank, tröstete er sich mit dieser Aussicht: »Unsere Meinung hier ist, sie sollen auf schnellstem Wege den Frieden herstellen, eine gerechte Verteilung der Kolonien und Schluß.«39 Die Feldzeitung Oase redete koloniale Aspekte des Krieges zunächst klein. Im Leitartikel der ersten Ausgabe der Zeitung erklärte der Schriftleiter Willi Körbel, der bereits die märchenhaften Vorstellungen der Soldaten kritisiert hatte, dass die Erlangung von Kolonien nicht das Ziel des Kriegseinsatzes war. »Mögen sich unsere Kämpfe hier auch im weiten leeren Raum nordafrikanischer Wüste abspielen – hier geht es nicht erstlich [sic!] um Afrika oder Kolonien! Hier geht es um Grossdeutschland, um Europa!«40 Er verwen32 33 34 35 36 37 38 39 40
Vgl. Deutsch-italienische Historikerkommission, S. 62f. Vgl. MSPT, 3.2015.2600, Hubert S. an seine Ehefrau am 13. November 1942. Helmuth Köhler, Belebte nordafrikanische Wüste, in: Jambo A (1943) 3, S. 31–33, S. 33. Vgl. Befreien Sie Afrika!, Filmausschnitt in: OnlineFilm, URL: https://onlinefilm.org/de_DE/film/2 1506 [21.2.2021]. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 26. April 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 5. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Hans E. an seine Ehefrau am 22. Mai 1941. BfZ, Sammlung Sterz, Hans. E. an seine Frau am 25. Mai 1941. Willi Körbel, Deutschlands neue Front!, in: Die Oase 1, 12. März 1941, S. 1.
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dete das Raumbild der leeren Wüste, das so eine bedeutende Rolle in der Kriegserfahrung und -erinnerung des Nordafrikafeldzuges spielte, in diesem Artikel also in seinem ursprünglichen, kolonialen Kontext: als Begründung für eine Kolonisation. Obgleich die Eroberung von Kolonialgebieten nicht das vorrangige Ziel des Feldzuges war, stellte die Feldzeitung an anderer Stelle koloniale Bezüge her und ließ eine deutsche Rückeroberung afrikanischer Kolonialgebiete im Rahmen des Möglichen erscheinen. Im Stil der NS-Kolonialpropaganda reaktivierte sie durch Abenteuerberichte, Naturbeschreibungen und Jagdgeschichten die kolonialen Imaginationen und exotistischen Erwartungen, mit denen die Soldaten in den Krieg gezogen waren.41 Derartige Themen beförderten vermutlich die Mitglieder der Zeitungsredaktion, die nachgewiesenermaßen aus kolonialistischen Kreisen stammten. Zum 50. Jahrestag der Gründung der deutschen Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika veröffentlichte die Zeitung etwa einen Artikel von Erich Student.42 Dieser war ein Angestellter der Deutschen KamerunGesellschaft, der bereits kolonialrevisionistische Schriften über die deutschen Kolonialkriege für die Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt der Wehrmacht, den Berliner Safari-Verlag oder die Abenteuerreihe »Afrika-Bücherei« des Fichte-Verlags verfasst hatte.43 Des Weiteren arbeitete mit Adolf Dresler ein Kolonialrevisionist für die Oase. Der ehemalige Leiter der Pressestelle der Reichsleitung der NSDAP in München war auf verschiedenen Gebieten versiert. Er hatte die erste deutsche Mussolini-Biographie veröffentlicht und war ein Kenner der faschistischen italienischen Presse44 sowie der Kolonialpresse.45 Zudem schrieb er regelmäßig für die Kolonial-und Auslandszeitung AfrikaNachrichten. Er betrachtete die Oase als ein wichtiges Element auf dem Weg zur Wiedererlangung kolonialer Herrschaft, da es die einzige Zeitung war, die ohne Zensur durch feindliche Mächte auf dem afrikanischen Kontinent erschien. Er sah in der Oase deshalb
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Vgl. Maß, Weiße Helden, S. 224. Vgl. in der Oase etwa o. V., Die Jagd, in: Die Oase 4, 1. April 1941, S. 2; o. V., Heia Safari! Eine Löwenjagd, in: Die Oase 47, 21. September 1941, S. 7. Vgl. Erich Student, Frühzeit deutscher Kolonialpolitik. Vor 50 Jahren: Gründung der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 2. Vgl. etwa das Manuskript in BArch, RH 61/47, Erich Student, Der Feldzug in Kamerun, angeführt im Archivführer Kolonialzeit, URL: https://archivfuehrer-kolonialzeit.de/index.php/erich-student -der-feldzug-in-kamerun [03.04.2021]; Erich Student, Kolonien! Auf Grund authentischer Unterlagen und Dokumente, Berlin 1937; ders., Die Helden von Mora. Deutsche Schutztruppe kämpft in Kamerun, München 1941 (= Afrika-Bücherei, Heft 2). Vgl. dazu die Übersicht seiner Veröffentlichungen zur italienischen Presse in: Gert Hagelweide, Literatur zur deutschsprachigen Presse. Eine Bibliographie: Von den Anfängen bis 1970, Band 9: Länder außerhalb des deutschen Sprachraums. Afrika – Amerika – Asien – Australien – Europa, München 1998, S. 128. Vgl. Heinz Werner Eckhart, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres 1939–1945, Wien/Stuttgart 1975, S. 57. Zur deutschen und italienischen Kolonialpresse veröffentlichte Dresler etwa den Eintrag zu: Kolonial-Presse. II. Deutsche Kolonien, in: W. Heide (Hg.), Handbuch der Zeitungswissenschaft, Leipzig 1940–1943, Sp. 2388–2394. Siehe auch Adolf Dresler, Die deutschen Kolonien und die Presse, Würzburg 1942 (= Forschungen zur Kolonialfrage, Bd. 11).
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nicht nur eine Feldzeitung, sondern den Beginn einer »neuen deutschen, von keinem Feinde mehr behinderten Kolonialpresse«.46 Die Oase druckte tatsächlich konkrete kolonialrevisionistische Begründungen zur Rechtmäßigkeit einer Rückgewinnung deutscher Kolonien. Bereits in der ersten Ausgabe verwies die Zeitung auf die Kontinuität des Deutschen Afrikakorps zu den Kolonialkämpfern im Ersten Weltkrieg und behauptete, dass Europa Afrika brauche und umgekehrt.47 Das Blatt berief sich auf historische, bis in die Antike zurückreichende Ereignisse und Entwicklungen, um den Anspruch einer deutschen Kolonialherrschaft zu untermauern.48 Der für den Inhalt der Zeitung verantwortliche Ernst Bayer betonte, dass der Einmarsch der deutschen Truppen in Libyen an die koloniale deutsche Vergangenheit in Afrika anknüpfte. »Wie lange ist es her, seitdem der letzte deutsche Soldat afrikanischen Boden verliess, wie lange ist es her, seitdem Afrika marschierende deutsche Truppen sah?«, fragte in einem Artikel der zweiten Ausgabe und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Vor 23 Jahren mussten wir gehen, heute sind wir wiedergekommen, um kämpfend einzuholen, um was man uns betrog.«49 Den Soldaten sprach er ein Bewusstsein für diese historische Situation zu. »Sie waren stolz, dabei sein zu dürfen bei einem Einsatz in unbekanntem Land, von dem sie wussten, dass dort schon einmal deutsche Männer gekämpft haben gegen eine Uebermacht von Feinden, die sie nicht zu besiegen vermochten.«50 In derselben Ausgabe des Blattes erschien ein Artikel, der die »Kolonisationskraft deutschen Volkstums« pries und den Kolonialismus als ein Wesensmerkmal des Nationalsozialismus darstellte. Daher rückte der nicht namentlich genannte Autor den Nordafrikafeldzug in eine Linie mit der »ostwärts gerichtete[n] deutsche[n] Kolonialbewegung der Hochmeister und Ritter des Deutschen Ordens«, der ebenfalls als Kolonisation bezeichneten Aneignung der polnischsprachigen Gebiete Preußens, den deutschen Kolonien in Afrika und in der Südsee Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich den »Ruhmestaten der unbezwungenen Heldenschaft Lettow-Vorbecks«.51 Diese Kontinuitäten zur kolonialen Vergangenheit zog die Feldzeitung noch in späteren Ausgaben. Im Mai 1941 bezeichnete die Oase die deutschen Soldaten in Nordafrika als ersten »Grundstock jener Streitkräfte der neuen deutschen Wehrmacht, die in die spätere Geschichte als deutsche Kolonialtruppen eingehen« würden.52 Weiter wurde die angebliche Unrechtmäßigkeit des Versailler Vertrages angeklagt und die Notwendigkeit eines deutschen Kolonialismus für das Deutsche Reich und die ehemaligen Kolonien be-
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Adolf Dresler, Eine deutsche Feldzeitung in Afrika: Die Oase, in: Afrika-Nachrichten 22 (1942) 5, S. 74–75, S. 75. Ebenso äußerte er sich in anderen Artikeln über die Feldzeitung: Ders., Die Oase, in: Deutsche Presse. Zeitschrift des Reichsverbandes der Deutschen Presse 31 (1941) 9, S. 87. Vgl. Adolf Dresler, Die Oase, in: Deutsche Kriegsopferversorgung 1941, Heft 11, S. 12–13, zit.n. Eckhart, Die Frontzeitungen, S. 57. Vgl. Willi Körbel, Deutschlands Neue Front, in: Die Oase 1941, 12. März 1941, S. 1. Vgl. o. V., Deutschlands Recht in Afrika, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 5. Ernst Bayer, Parade unterm Tropenhelm, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 5. Ernst Bayer, So war die Fahrt nach Süden, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 5. Vgl. o. V., Kolonialgeist ist Pioniergeist, in: Die Oase 2, 19. März 1941, S. 4. B.K., Tödliche Schläge: England blutet aus tausend Wunden, in: Die Oase 31, 24. Mai 1941, S. 1.
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hauptet.53 In die Traditionslinie Deutsch-Ostafrikas stellte sich im Juni 1941 ein Hauptmann, dessen Gedicht in der Feldzeitung erschien. Nach dem siegreichen Ende des Krieges wollte er nach dem Vorbild von Lettow-Vorbeck und Heinrich von Schnee, die 1919 in einem Triumphzug durch das Brandenburger Tor marschierten, als Held an der Spitze seiner Truppen in Berlin einziehen.54 Noch im Oktober druckte die Zeitung einen fast einseitigen Artikel über den Krieg unter Lettow-Vorbeck, in dem der angeblich unbesiegte Kommandeur geehrt wurde.55 Direkt daneben informierte das Blatt über eine Rede, die der ehemalige Kommandeur der sogenannten Schutztruppen, Lettow-Vorbeck, vor deutschen Soldaten gehalten hatte. Diese sei gerade für die in Nordafrika eingesetzten Soldaten interessant gewesen, da sich Parallelen zwischen dem damaligen Krieg in Deutsch-Ostafrika und der aktuellen Kriegsführung in Nordafrika ziehen ließen. So sei es nicht Lettow-Vorbecks Ziel gewesen, die Kolonie militärisch zu verteidigen, sondern er wollte die feindlichen Kräfte auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz binden, um die deutschen Kriegsfronten in Europa zu entlasten.56 Andere Autoren relativierten das Ziel kolonialer Eroberungen zumindest in Bezug auf Nordafrika und erkannten entsprechend der offiziellen Ausrichtung des Deutschen Reiches die italienische Vorherrschaft im Mittelmeerraum an. Leutnant Erich Pfund betrachtete den Krieg in Nordafrika nicht als einen Feldzug zur kolonialen Eroberung des Kriegsraumes. Aber er sah in ihm einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur (Rück-)Eroberung anderer Kolonien. Dabei stellte er den Feldzug erneut in eine Traditionslinie mit dem Krieg in Ostafrika und betonte, dass Deutschland gerade gegenüber England durch seine Einheiten in dem »fremden Erdteil« zeige, dass der Besitz von Kolonien zum deutschen »L e b e n s r e c h t« gehöre und der Feldzug nur den Beginn einer neuen kolonialen Ära für Deutschland darstelle. »Die Welt hat schon richtig verstanden: Mit dem Betreten afrikanischen Bodens durch deutsche Soldaten ist der erste Schritt zur Rückgewinnung der noch immer gegen alles Völkerrecht unter Mandatsverwaltung stehenden ehemaligen deutschen Kolonien getan.«57 Mit dem Verweis auf die Mandatsverwaltung der ehemaligen deutschen Kolonialgebiete bezog sich Pfund auf die nationale Schmach von 1918. Denn nicht nur die Niederlage im Ersten Weltkrieg an sich und der Alleinschuldparagraph des Versailler Vertrages wurde als eine ungerechte Beschämung der Deutschen wahrgenommen,58 sondern
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Vgl. o. V., Deutschlands einstiger Kolonialbesitz und unser Anspruch. Eines Tages wieder Kolonialmacht ..., in: Die Oase 73, 21. Mai 1942, S. 3–4, oder o. V., Afrika als Rohstoff-Reservoir. Der Sieg der Achsenmächte wird eine Generalrevision bringen, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 6. Vgl. Hauptmann Daiglmajer, Liebe Luise, in: Die Oase 32, 1. Juni 1941, S. 11. Zum Triumphzug vgl. Uwe Schulte-Varendorff, Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck – Mythos und Wirklichkeit, Berlin 2006, S. 68. Erich Student, Lettow-Vorbeck blieb unbesiegt: Deutsch-Ostafrika 1916, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 3. In einer Kurzgeschichte in der zweiten Ausgabe der Zeitung war bereits von einem tapferen Kolonialheld zu lesen gewesen, der gegen die als brutal dargestellten Herero antrat, vgl. Hans Kersten, Der Reiter von Omaruru, in: Die Oase 3, 26. März 1941, S. 2. Vgl. o. V., Weltkrieg in Ostafrika, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 6. Erich Pfund, Afrikanisches Allerlei, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 1, Hervorhebung i. O. Vgl. Ellerbrock und Fehlemann, Beschämung, Beleidigung, Herabsetzung, S. 97.
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vor allem der Entzug der Kolonien. Dreißig Jahre nach der Eroberung der ersten deutschen Kolonialgebiete entzog der Friedensvertrag dem Deutschen Reich alle Kolonien, weil es sich nach Ansicht der Siegermächte als brutale und unfähige Kolonialmacht erwiesen hatte. Von der britischen Regierung herausgegebene Blaubücher, wie der »Report on the Natives of South-West-Africa and their Treatment by Germany« von 1918, sollten belegen, dass die Deutschen nicht geeignet waren, um »Eingeborene« unter ihre Kontrolle zu bringen.59 Eine Rückgewinnung der Kolonien, so verkündete Pfund in der Feldzeitung, würde diese Schmach überwinden und »das deutsche Volk aus der Klasse der ›Habenichts‹« in eine Klasse versetzen, die seiner Ansicht nach den Deutschen gerecht werde.60 Bereits in anderen Artikeln der Zeitung war auf die von vielen Kreisen nach dem Krieg als Schande empfundene Regelung des Versailler Vertrages Bezug genommen worden. Dabei wurde der Vorwurf der Unfähigkeit zum Kolonisieren in der Oase, wie allgemein im deutschen Kolonialdiskurs der Zeit, unter Verweis auf den in der Zwischenkriegszeit etablierten Mythos des »treuen Askari« zurückgewiesen. Dieser Begriff, wesentlich durch die Memoiren von Lettow-Vorbeck und von Schnee geprägt,61 bezog sich auf den Umstand, dass die Kolonialtruppe in Ostafrika erst nach der Kapitulation in Europa den Kampf aufgegeben hatte. Da unter den Soldaten viele Afrikaner waren, argumentierte man, dass die deutsche Kolonialherrschaft nicht grausam gewesen sein könne.62 Die Feldzeitung veröffentlichte Fotografien, die Schwarze deutsche Kolonialsoldaten beim Strammstehen oder Exerzieren zeigten und sie als gehorsame Soldaten darstellten. Dazu wurde betont, dass die afrikanischen Soldaten bis zum Ende treu in der »Schutztruppe« gekämpft hätten und dies ein Beweis für die deutsche Eignung zur Kolonialmacht sei.63 Eine Kurzgeschichte griff den Mythos des »treuen Askari«, der am liebsten wieder für die Deutschen kämpfen würde, ebenfalls auf.64 »Klassische« Kolonialthemen, wie der Gewinn von Rohstoffen, wurden in der Zeitung ebenfalls behandelt. Die Ausbeutung der eroberten Länder war ein wesentliches Merkmal kolonialer Herrschaft und auch unter Hitler gab es bis 1943 konkrete Kolonialpläne, die eine Kolonie »Mittelafrika« für die Versorgung Deutschlands mit Kolonialprodukten und Rohstoffen vorsahen.65 Neben brutaler Herrschaft wurde daher den anderen europäischen Kolonialmächten – außer Italien – eine schlechte Nutzung der Roh-
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Vgl. Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 116. Siehe auch in der Neuedition des Reports: Jeremy Silvester und Jan-Bart Gewald (Hg.), Words Cannot be Found. German Colonial Rule in Namibia, Leiden 2003, S. 17. Erich Pfund, Afrikanisches Allerlei, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 1. Vgl. Michels, Ein Feldzug – zwei Perspektiven, S. 163–167. Vgl. Stefanie Michels, Der Askari, in: Jürgen Zimmerer (Hg.), Kein Platz an der Sonne. Erinnerungesorte der deutschen Kolonialgeschichte, Bonn 2013, S. 294–308, S. 296f. Siehe auch Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 116. Erich Student, Lettow-Vorbeck blieb unbesiegt: Deutsch-Ostafrika 1916, in: Die Oase 51, 19. Oktober 1941, S. 3; o. V., Deutschlands einstiger Kolonialbesitz und unser Anspruch. Eines Tages wieder Kolonialmacht ..., in: Die Oase 73, 21. Mai 1942, S. 3–4. Vgl. o. V., »Ich will wieder zu Euch!« Ein Beispiel von der Askaritreue, in: Die Oase 38, 6. Juli 1941, S. 4. Vgl. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 7; Neitzel, Mittelafrika.
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stoffvorkommen in den Kolonialgebieten vorgeworfen. Diesen angeblichen Fehler der französischen und britischen Kolonialmächte führte die Oase als Grund dafür an, dass Deutschland eine bessere Kolonialmacht sei und Kolonien verdiene.66 In der Feldzeitung wurden teils sogar konkrete Pläne zur Ausbeutung der nordafrikanischen Länder, die aktuell unter französischer oder britischer Herrschaft beziehungsweise Einfluss standen, veröffentlicht. In einem Ende 1942 erschienenen Artikel hieß es, der Krieg in Nordafrika werde von den Alliierten geführt, um an die Bodenschätze der umkämpften Länder zu gelangen. Daher sei es eine deutsche »Kriegsaufgabe«, zur »Ergänzung des europäischen Nahrungs-und Lebensraumes« die französischen Kolonialgebiete zu erobern.67 Als Information über die zu erbeutenden Rohstoffe kann zudem ein Artikel über ägyptische Baumwolle gewertet werden.68 Das Nachrichtenblatt Karawane verwies auf die Bodenverhältnisse des nordafrikanischen Kriegsraumes und die »wirtschaftsgeographischen« Verhältnisse in Tunesien, die aufgrund der Phosphatvorkommen günstig für eine europäische Besiedlung seien.69 In der Zeitschrift Deutsche Wehr erschien während des Krieges ein eigener Artikel über die »[k]riegswichtigen Rohstoffvorkommen an der Mittelmeerküste Afrikas«.70 Wie Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers darlegen, sah die deutsche Führung vor allem in Ägypten die Möglichkeit, sich an den Rohstoffen des Landes zu bereichern. Noch während der laufenden Kämpfe bei El Alamein begannen die deutschen und italienischen Truppen mit der Verteilung der Kriegsbeute. Hitler und Mussolini hatten jedoch unterschiedliche Vorstellungen, was mit Ägypten nach einer Besetzung passieren sollte. Dass Hitler selbst angewiesen hatte, den ägyptischen König zu schützen, wurde den Italienern ebenso verheimlicht wie vorhandene Kontakte zu ägyptischen Offizieren. Mussolini wollte vor allem die Wirtschaft des Landes stabil halten und eine Ausplünderung durch die Deutschen, wie sie es auf anderen Kriegsschauplätzen getan hatten, verhindern. Die Deutschen taten so, als ob sie den italienischen Forderungen folgen würden, hielten sich aber die Option offen, Plünderungen in Ägypten durchzuführen.71 Die neben der Gewinnung von Rohstoffen zweite Säule kolonialer Expansion, die Gewinnung von Lebensraum, war allerdings für das nordafrikanische Kriegsgebiet offiziell nicht vorgesehen. Zwar wurde in einem Artikel in der Oase davon gesprochen, dass sowohl Italien als auch Deutschland neuen Lebensraum bräuchten,72 doch der nordafrikanische Raum und andere, zu erobernde Kolonien in Afrika wurden als reine »Ergänzungsräume« gesehen, nicht aber als Siedlungsgebiete. Dies betonte der Verfasser
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Vgl. o. V., Afrika als Rohstoff-Reservoir. Der Sieg der Achsenmächte wird eine Generalrevision bringen, in: Die Oase 17, 16. April 1941, S. 6. Wilhelm Waetzold, Frankreichs Kolonialreich. Von 66 Millionen bevölkert – Es fehlt der dritten Republik an Menschen zur Schliessung ihres Besitzes, in: Die Oase 99, 1. Dezember 1942, S. 1. Vgl. o. V., Reichtum des Nillandes. Aegyptische Baumwolle ist die beste der Welt, in: Die Oase 87, 27. August 1942, S. 3. Vgl. o. V., Kamerad, was weisst du von Tunesien? Das groesste Phosphatlager der Welt, in: Die Karawane 112, 24. März 1943, S. 2. Vgl. P. R., Kriegswichtige Rohstoffvorkommen an der Mittelmeerküste Afrikas, in: Deutsche Wehr 47 (1943) 7, S. 96–97. Die Fortsetzung erschien in 47 (1943) 8, S. 212–113. Vgl. Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 131f. Vgl. Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9.
11 Der Nordafrikafeldzug als Kolonialkrieg?
zahlreicher geopolitischer Schriften, Hans Felix Zeck, in der Feldzeitung. Die Deutschen könnten zwar als »Kulturpioniere in die Tropen« gehen, die ungünstigen klimatischen Bedingungen des Lebensraumes seien aber nicht für eine dauerhafte Ansiedlung geschaffen.73 Damit wiedersprach er zwar einer Publikation des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, in der es hieß, das Klima in Tripolitanien und der Cyrenaika sei »heiß, aber gesund«,74 doch waren diese Angaben wohl eher zur mentalen Unterstützung der deutschen Soldaten und ihrer Angehörigen gedacht. Laut einer Meldung in der Oase kamen allerdings zahlreiche deutsche Soldaten während ihres Kriegseinsatzes in Nordafrika auf den Geschmack an einem Leben auf dem afrikanischen Kontinent. So seien bei der Schriftleitung der Feldzeitung wiederholt Anfragen eingegangen, die Auskünfte über die »Bedingungen für Kolonisten in Afrika« erbaten. Diese wurden an den Reichskolonialbund weitergeleitet, dessen Antwort in der darauffolgenden Ausgabe der Feldzeitung abgedruckt werden sollte.75 Auch berichtete der Schriftleiter Bruno Káldor von »Hunderte[n] von Briefen und Zuschriften« durch Deutsche aus allen in Nordafrika gegen die Briten eingesetzten Verbänden, die sich »nach dem Kriege in den Kolonien niederlassen« und Informationen erhalten wollten.76 Das Versprechen auf Aufklärung über die Regelungen der Siedlung löste die Oase nicht ein. Lediglich über die Voraussetzungen für die Verwendung als »Neubauer im Osten« informierte das Blatt in einer späteren Ausgabe, da sich viele Soldaten aus den Reihen der deutschen Soldaten in Nordafrika für eine solche Zukunft interessieren würden.77 Eine große Zahl an Soldaten, die Interesse am Leben als Kolonialsiedler in Nordafrika hatten, lässt sich anhand des untersuchten Quellenmaterials nicht belegen. Zwar bemerkte der eine oder andere Soldat, dass er sich sehr gut vorstellen könne, hier in Friedenszeiten zu leben,78 doch betrachteten sie den Kriegsraum selten mit den Augen zukünftig hier Siedelnder als geeignet oder nicht geeignet für kommende kolonialwirtschaftliche Maßnahmen, wie es richtige Siedler*innen oder Missionare und Missionsschwestern getan hatten.79 Nur in einem Artikel in der Zeitschrift Deutsche Wehr war von einem Bauern die Rede, der als Soldat im Kriegsgebiet überall den Boden prüfte und im Geiste schon anpflanzte.80 In den untersuchten Selbstzeugnissen interessierte sich nur der Ölmüller Oskar H. bei einem Erkundungsgang durch ein verlassenes Dorf für eine 73 74
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Hans Felix Zeck, Was ist Geopolitik? Völkerordnung gegen Staatenordnung – die Notwendigkeit weltweiten Denkens, in: Die Oase 48, 28. September 1941, S. 11. Erich Obst, Afrika. Handbuch der praktischen Kolonialwissenschaften. Auf Veranlassung von General Ritter von Epp, Leiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, herausgegeben, Berlin 1942, S. 71. Vgl. Meldung, Die Bedingungen für Kolonisten, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 2. Bruno Káldor, Kennst Du das Land, in dem Du kämpfst?, in: Die Oase 34, 15. Juni 1941, S. 9. Martin Altenried, Das Siedeln nach dem Kriege. Wer kann Neubauer werde? In den neuen Gebieten des Ostens – Interessante Einzelheiten besonders für den Soldaten, in: Die Oase 63, 12. März 1942, S. 2. Vgl. etwa BfZ-SS, Karl B. an seine Familie am 1. Februar 1943. Vgl. Hiltrud Lauer, Die sprachliche Vereinnahmung des afrikanischen Raums im deutschen Kolonialismus, in: Ingo H. Warnke (Hg.), Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation, 1884–1919, Berlin/New York 2009, S. 203–233, S. 223f. Vgl. dazu auch Wurzer, Nachts hörten wir, S. 101. Vgl. Art., Geographie des Landsers, in: Deutsche Wehr. 46 (1942) 29, S. 451.
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»uralte Olivenölmühle«81 . Heinz G., dem es in der libyschen Cyrenaika gut gefallen hatte, schrieb seiner Frau dann aus Tunesien, dass »[s]o ein Leben unter Palmen und Mandelbäumen [...] nicht das schlechteste« sei. Doch konnte er sich nicht vorstellen, im Kriegsgebiet zu siedeln, und fügte hinzu: »Aber wenn man [...] das Leben der französischen Kolonisten hier betrachtet, dann wird die Zeit allmählich etwas lang.«82 Die Rückschläge für die Truppen der Achse führten dazu, dass mit dem Verlauf des Krieges die Hoffnungen auf einen Sieg immer wieder enttäuscht wurden. Damit rückte auch die koloniale Zukunft wieder in weite Ferne. So war Gerd W. ursprünglich davon ausgegangen, dass sich an den Nordafrikafeldzug ein »Frühjahrsfeldzug im Sudan mit Elefantenjagd« anschließe.83 Nachdem die deutschen Truppen durch die britische »Operation Crusader« Ende des Jahres 1941 wieder in ihre Ausgangsposition in der westlichen Cyrenaika zurückgeworfen worden waren, hoffte er nur noch, dass die Position in Nordafrika überhaupt gehalten werden könne.84 Die Niederlage bei El Alamein, der anschließende Rückzug der deutschen Truppen und die Landung alliierter Einheiten in Algerien und Marokko Anfang November 1942 beendeten die Hoffnungen der Mitglieder der deutschen Kolonialbewegung auf afrikanische Kolonien schließlich und die Intensität der kolonialen Planungen ließ deutlich nach.85 Aus der Reichskanzlei kam die Anweisung, die Kolonialpropaganda einzustellen. Im Januar 1943 wurde die Stilllegung des Kolonialpolitischen Amtes gefordert und im Februar vom Führer der »Partei-Kanzlei« der NSDAP, Martin Bormann, endgültig angeordnet.86 Damit hatten die deutschen Ambitionen auf die Erlangung von Kolonien ein Ende. Ebenso war die Zeit des italienischen Kolonialismus in Libyen vorüber. Im April 1943 wurde Tripolis geräumt, und die italienischen Siedler*innen verließen die Stadt. In seinem Tagebuch schrieb Hans P. von einer tumultartigen Stimmung, als bekannt wurde, »dass die Stadt geräumt werden soll. Und man könnte es Panik nennen, wie die Leute, Siedler und Arbeiter abzogen. Ein Bündel gepackt. Frau und Kind genommen und dann los. Auf ungefähr in die Wüste. – Viele hatte man schon vorher mit Flugzeugen und Schiffen nach Europa geschafft.«87 Als die Achsentruppen in Tunesien eingeschlossen waren und sich die bevorstehende Niederlage schon abzeichnete, schrieb Ritter von D. seiner Frau betrübt: »Für mich persönlich ist es natürlich bitter, dass ich mit dem Gedanken rechnen muss, einen zweiten Weltkrieg günstigstenfalls in Gefangenschaft beschliessen zu müssen, dass meine koloniale Begeisterung jedesmal ein solches Ende nimmt.«88
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DTA, 1934.1 (Reg.-Nr.1631.1), Oskar H., Meine Lebensgeschichte, S. 34, Hervorhebung i. O. LHAKo, Best. 700, 153 Nr. 318, Heinz G. an seine Ehefrau am 10. April 1943. BfZ, Sammlung Sterz, Gerd W. an seine Eltern am 16. Dezember 1941. Vgl. ebd. Vgl. Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 140. Vgl. ebd., S. 36. Vgl. Privatbesitz der Familie, Hans. P., Abschrift der Kriegstagebücher, Eintrag vom 20. Januar 1943, S. 21. BfZ, Sammlung Sterz, Ritter von D. an seine Ehefrau am 10. April 1943.
Schluss
Der Nordafrikafeldzug endete im Mai 1943. Rommel hatte Tunesien schon Anfang März für verloren erklärt und war in Hitlers Hauptquartier zurückgeflogen, wo er zugunsten von Hans-Jürgen von Arnim von der Führung der Heeresgruppe abberufen wurde. Die britische 8. Armee begann am 20. März eine neue Offensive im Süden. Sie vereinigte sich am 7. April mit US-amerikanischen Truppen und griff am 6. Mai die Achsenverbände an. Sie konnte die deutsch-italienische Front durchbrechen, und Tunis und Biserta fielen. Die letzten Reste der Heeresgruppe Afrika zogen sich auf das Kap Bon zurück, wo sie am 13. Mai 1943 kapitulierten. Damit war für die deutsche Wehrmacht der Krieg in diesem Teil der Welt beendet.1 Kein Ende fanden hingegen die Vorstellungen und Bilder, mit denen die deutschen Wehrmachtssoldaten in den Krieg nach Nordafrika gezogen waren und an denen sie während des Einsatzes festhielten. Noch heute kursieren in der deutschen Gesellschaft Imaginationen vom »Fremden« und den »Anderen«, die ganz den Erwartungen und Deutungen der Soldaten entsprechen. Wie die deutschen Soldaten von der lokalen Bevölkerung Nordafrikas einerseits fasziniert waren und sich zugleich abgestoßen und bedroht fühlten, preisen heutzutage Reisekataloge den »Zauber des Orients« an und gleichzeitig kursieren Warnungen vor »islamisch-orientalische[n] Parallelgesellschaft[en]«.2 Wie die Soldaten und zahlreiche europäische Reisende vor ihnen die ihnen ungewohnte Natur des nordafrikanischen Kriegsraumes als öde Weite interpretierten, weil sie nicht ihren Sehgewohnheiten entsprach, dominieren heute noch von Menschen geleerte, stilisierte und repetitive Landschaftsdarstellungen die bildlichen Repräsentationen afrikanischer Länder in der westlichen Öffentlichkeit.3 Dieser Blick auf das vermeintlich »Fremde« ist es meiner Ansicht nach, was den Nordafrikafeldzug auch ohne die militärischen Anfangserfolge Erwin Rommels ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt hätte und heute noch zu einem populären
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Vgl. für eine Zusammenfassung etwa Mallmann und Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz, S. 217f. Schmitz, Orient, S. 484. Vgl. für das Beispiel Namibias etwa Rizzo, Faszination Landschaft. Die genannten Beispiele sind nur einige wenige für das Fortschreiben kolonialer Denkmuster und die Kontinuitäten von Rassismen, die auch heute noch mit Macht und Ungleichheit einhergehen.
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historischen Thema macht. Der Feldzug gilt trotz zahlreicher Forschungsarbeiten, die diesen Krieg in den Kontext von Vernichtung und Verfolgung eingeordnet haben, immer noch als »exotisch«. Mit dem Schlagwort der »Wüstenfüchse« lassen sich militärgeschichtliche Zeitschriften in Bahnhofsbuchhandlungen verkaufen, Gamer schlüpfen in der Computerspielreihe »Call of Duty« in die Rolle eines alliierten Soldaten in Nordafrika und Internetauktionshäuser versteigern Knipseraufnahmen oder »Afrika-Ringe«. Selbst im ehemaligen Kriegsgebiet wird auf die Anziehungskraft des Nordafrikafeldzuges und des deutschen Generalfeldmarschalls gesetzt und versucht, den Tourismus mit nach Rommel benannten Restaurants, Hotels oder einem Museum anzukurbeln.4 All diese Darstellungen setzen, ohne dies explizit deutlich zu machen, auf die eurozentrische Vorstellung von Nordafrika als besonderem, weil »exotischem« Kriegsschauplatz. Zugleich halten die populärwissenschaftlichen Darstellungen an der Vorstellung fest, dass es sich bei diesem Krieg um einen fairen Krieg gehandelt habe, der in einer menschenleeren Wüste geführt worden sei. Dieses Kriegsbild und die damit einhergehende Raumvorstellung dekonstruiert dieses Buch, indem es darlegt, wie und warum sich das Bild des »Wüstenkrieges« entwickelte und dabei Teil einer generellen, von kolonialen Denkmustern geprägten Wahrnehmung und Deutung der Kriegserlebnisse war. Grundlage für die Deutung des Raumes als menschenleer und öde war die Verbindung von tradierten Sehgewohnheiten, rassistischen Denkmustern und der Kontingenzerfahrung des Krieges. Die Soldaten hatten sich in Anlehnung an in der Populärkultur verbreitete Bilder ein Abenteuer im märchenhaften »Orient« ausgemalt. Doch die Realitäten des Krieges enttäuschten sie herb. Neben den tödlichen Gefahren des Krieges selbst ließen die mangelnde Verpflegung, Schmutz, Staub und Hitze sowie unerwarteter Regen und Kälte den Kriegseinsatz für die Soldaten schnell zur Qual werden. Dazu litten sie unter den schlechten hygienischen Bedingungen und verschiedensten Krankheiten. Sie magerten ab und waren wegen der schlechten Hygienebedingungen schmutzig und oft unrasiert. Damit entsprachen die in Nordafrika eingesetzten deutschen Soldaten mitnichten dem Bild des gestählten, deutschen Volkskörpers, das die NS-Propaganda idealisierte. Vielmehr waren sie im wörtlichen Sinne von Ungeziefer und Parasiten bedroht, mit denen in der NS-Ideologie aus der sogenannten Volksgemeinschaft Ausgeschlossene bezeichnet wurden. Der Kriegsraum, den die Soldaten eigentlich erobern sollten, eroberte umgekehrt die Körper der Soldaten.
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Auf »Googlemaps« finden sich auf dem Stadtplan der ägyptischen Hafenstadt Marsa Matruh, die im Juni 1942 an die deutsch-italienischen Truppen fiel, zahlreiche Verweise auf den deutschen General. Im Zentrum der Stadt liegen das »Rommel House Hotel« und das »Rommel House Restaurant«, im Norden die »Rommel Bucht« mit der Strandbar »Rommel Lagoon Beach«, darüber das luxuriöse Hotel »Rommel Island«. Im Westen grenzt der »Rommel Strand« an, wo sich in der »Rommel Höhle« das »Rommel-Museum« befindet. Vgl. zu Tourismus und der Rommel-Verehrung in Marsa Matruh Gerald Drissner, Rommel-Verehrung in Ägypten: Die Mumie von Marsa Matruh, in: die tageszeitung, 19. Dezember 2008, URL: www.taz.de/!5170873 [30.05.2017]. Siehe auch: Ägyptens Tourismus-Behörde – Das Rommel-Museum, o. D., URL: www.egypt.travel/de/news/therommel-cave-museum [04.12.2018].
Schluss
Für die meisten der Soldaten völlig neue Erlebnisse, wie der Aufenthalt in trockenen Gebieten und das Naturereignis des Sandsturmes, beeinflussten die Wahrnehmung und Deutung des Krieges. Diese Erfahrungen waren für die Soldaten so einschneidend, dass sie sich unsicher und einem Raum ausgeliefert fühlten, der ihnen als völlig fremd erschien. Die Bedrohung ihrer Körper empfanden die Soldaten zudem als psychische Belastung. Wie bereits vor ihnen die Beamten in Kolonialgebieten, sahen auch die deutschen Soldaten die Natur des Kriegsraumes als Ursache für geistige Verwirrung an. Der Zustand wurde in Anlehnung an koloniale Medizindiskurse als »Tropenkoller« bezeichnet, der sogar als Erklärung für Gewaltmissbrauch innerhalb der Wehrmacht diente. Die empfundene Bedrohung des Raumes führte zu einer Landschaftskonstruktion unter Rückgriff auf exotistische Bildtraditionen und koloniale Denkmuster. Soldaten wie Kriegsberichterstatter beschrieben den Raum des Krieges als trostlose und menschenleere Wüste. Dieses Landschaftsbild spiegelte die Stimmung der Soldaten wider und gab ihren Gefühlen einen bildhaften, Sicherheit vermittelnden Ausdruck. Es führte dazu, dass der Krieg als »Wüstenkrieg« in die Geschichte einging, obgleich sich die Soldaten zumeist entlang der Küste bewegten und die Kämpfe ebenfalls in deren Nähe stattfanden. Die »Wüste« wurde unter Rückbezug auf nationalsozialistische Vorstellungen von Soldatentum und Männlichkeit in einen Bewährungsraum umgedeutet, mit dem das Selbstbild der Soldaten stabilisiert und die Kontingenzerfahrung des Krieges bewältigt werden konnten. Der Kriegsraum wurde von einem Raum der Bedrohung zu einem Raum der soldatischen Männlichkeit. Obwohl die Bedingungen des Kriegsraumes eigentlich dazu führten, dass die Soldaten den militärischen Normen nach Ordnung und Sauberkeit nicht gerecht werden konnten und sich ihre Körper als zu schwach erwiesen, um problemlos mit den Bedingungen des Raumes zurecht zu kommen, wurde das Gegenteil behauptet. Die Schwierigkeiten des Kriegsraumes galten als Belege für das Aushalten, Durchhalten und die Härte der deutschen Soldaten, die sich damit als soldatische Männer bewiesen. Bei dieser Umdeutung spielte die Feldzeitung eine erhebliche Rolle, indem sie Deutungsangebote machte und die Emotionen der Soldaten durch die Spiegelung negativer Gefühle sowie die Vermittlung klarer Gefühlsnormen regulierte. Die Männlichkeit wurde stets in Differenz zu anderen hergestellt. So konstruierten sich die deutschen Soldaten in Nordafrika im Vergleich mit anderen Kriegsschauplätzen als besonders männliche Soldaten und vergemeinschafteten sich emotional als »Afrika-Soldaten«. Daneben konstituierten sie ihr Selbstbild in Abgrenzung zu Soldaten anderer Militärs oder zur lokalen Bevölkerung. Den italienischen Verbündeten schrieben die Deutschen etwa Eigenschaften zu, die als unmännlich galten, und dadurch die soldatische Männlichkeit abgesprochen. Rassistische Vorstellungen von den italienischen »Waffenbrüdern« beeinflussten dabei die Bewertung der Kampfkraft durch die deutschen Soldaten. Anders als die Italiener beschrieben sie die britischen und amerikanischen Soldaten nicht nur als weniger fähig und unmännlich, sondern setzten diese unter Einbezug antisemitischer Diskurselemente herab. In den während des Nordafrikafeldzuges verfassten Selbstzeugnissen findet sich die Vorstellung einer gemeinsamen abendländischen Kampfgemeinschaft in der Wüste noch nicht. Begründet war die mehrheitlich negative Meinung über die alliierten Soldaten zudem in der Vorstellung, dass sich die alliierten
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Truppen durch den zahlreichen Einsatz von Kolonialsoldaten selbst diskreditieren würden. Denn deren Rekrutierung war bereits im Ersten Weltkrieg als Beweis dafür angesehen worden, dass die Alliierten ihre Kulturfähigkeit verloren und mit dem Einsatz von Kolonialtruppen gegen weiße Soldaten das Projekt der europäischen Kolonialherrschaft gefährdet hätten. Die zahlreichen Kolonialsoldaten und ausländischen Kämpfer in den eigenen Reihen ignorierten die Soldaten hingegen ebenso wie die Feldzeitung. Auch sind in den untersuchten Quellen keine Hinweise auf die Missachtung der Rechte nicht-weißer Soldaten in deutscher oder italienischer Kriegsgefangenschaft zu finden. Die im Kontext des Nordafrikafeldzuges vorhandenen Rassismen und Abgrenzungen von als anders und fremd wahrgenommenen Soldaten wirkten über die Zeit des Nordafrikafeldzuges hinaus. So wurden die italienischen Soldaten nach dem Ende der Achse diffamiert und die innerhalb der deutschen Wehrmacht verbreiteten Stereotype über Italiener*innen teilweise bis heute weiter tradiert. Ebenso waren die Soldiers of Color nach dem Krieg nicht in die Erzählung des ritterlichen Kampfes in der Wüste eingeschlossen und lange Zeit sogar ganz aus der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg getilgt. Rassistische, von Kolonialismus und Nationalsozialismus geprägte Denkmuster offenbart auch die Analyse der soldatischen Fremdbilder über die lokale Bevölkerung des Kriegsraumes, die sie ebenfalls im Gegensatz zur eigenen soldatischen Männlichkeit konstruierten. Die lokale Bevölkerung wurde als kindlich, rückständig, primitiv und faul dargestellt, um die eigenen militärischen und soldatischen Qualitäten zu betonen. Das Stereotyp der »unzivilisierten«, »schmutzigen Araber« wurde bedient, um die eigenen unzivilisierten Lebensverhältnisse in Staub und Schmutz weniger schlimm erscheinen zu lassen und sich selbst als saubere Europäer zu inszenieren. Neben den anspruchsvollen Umweltbedingungen mussten die deutschen Soldaten in Nordafrika vor allem ihre enttäuschten exotistischen Erwartungen kompensieren. Denn schon kurz nach Beginn ihres Einsatzes fühlten sich die meisten Soldaten nicht mehr wie Abenteurer in der »Fremde«, sondern gerade von der als fremd wahrgenommenen Umwelt bedroht. Um damit umzugehen und den Krieg ertragen zu können, versahen viele Soldaten ihren Kriegseinsatz mit Sinn, indem sie genau an diesen enttäuschten Erwartungen festhielten. Gerade weil sie in Nordafrika feststellen mussten, dass die Realitäten des Krieges meistens nichts mit ihren Vorstellungen von einem aufregenden Reiseabenteuer gemein hatten, deuteten sie ihre Erlebnisse als eine abenteuerliche Reise und den Kriegsraum in einen Raum des männlichen Abenteuers um. Dabei spielten touristische Praktiken eine wesentliche Rolle. Die Soldaten badeten im Meer, besuchten antike Stätten, fotografierten Sehenswürdigkeiten oder schickten Souvenirs nach Hause. Auf diese Weise erlebten sich die Soldaten als Reisende und konnten an ihre Vorstellungen vom Kriegseinsatz als aufregende Fernreise anknüpfen. Auch die Flora und Fauna des Kriegsraumes zogen die Soldaten heran, um sich selbst doch als Abenteurer in einer »exotischen« Umwelt verstehen und zugleich die eigene Männlichkeit beweisen zu können. Das Wissen über den Umgang mit den in Nordafrika lebenden Tieren wurde zum Beleg dafür, dass die Soldaten sich im Kriegsraum auskannten und ihn bewältigen konnten. Damit konnte die Erfahrung, vom Kriegsraum beherrscht zu werden, ausgeglichen werden. Die Palme wurde zum Symbol der Deutung des Krieges als Abenteuerreise, das die Soldaten vielfach verwendeten, um Armbinden, Ringe oder
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Briefe nach Hause zu verzieren und damit auf ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Abenteurern zu verweisen. Zudem rekurrierten die Soldaten auf tradierte Raumkonstruktionen, die im Sinne Edwards Saids als imagined geographies bezeichnet werden: das »Mittelmeer«, »Afrika« und der »Orient«. Die mit diesen Begriffen verknüpften Bilder und Vorstellungen leiteten den Blick der Soldaten auf den Kriegsraum, so dass sie glaubten, in ihm genau das zu entdecken, was sie vorab erwartet hatten. Dabei beriefen sie sich oft auf Karl May, dessen Abenteuerromane das Bild vom »Orient« in Deutschland nachhaltig geprägt hatten. Die Umdeutung des Kriegsraumes in einen Raum des Abenteuers und des Reisens führte dazu, dass neben dem Landschaftsbild der trostlosen Wüste andere Darstellungen des Kriegsraumes entstanden. Die natürliche Umwelt wurde mit den Augen der Reisenden zu einer Urlaubslandschaft, die sich aus Palmen, dem Meer und »orientalischer« Architektur bei Sonnenuntergang zusammensetzte. Die soldatische Deutung des Kriegsraumes schwankte damit je nach Kriegslage und persönlicher Situation zwischen zwei Extremen, die so schon europäische Reisende vor ihnen erlebt hatten: Der »fremde« Raum galt entweder als Paradies oder Hölle. Dass sich die Wahrnehmung und Deutung des »Fremden« stets in Relation zum »Eigenen« vollziehen, schlug sich nicht nur auf die Wahrnehmung und Deutung der anderen Kriegsparteien und der lokalen Bevölkerung nieder. Den Kriegsraum setzten die Soldaten ebenso in Bezug zu Bekanntem bzw. zur »Heimat«. Sie verheimatlichten den »fremden Raum« durch die Beibehaltung etablierter Hygiene-, Kommunkationsund Kulturpraktiken, wie etwa den Blick in den Sternenhimmel. Zudem versuchten sie in der unbekannten Umgebung Vertrautes wiederzuentdecken und eigneten sich den Kriegsraum durch sprachliche und kulturelle Praktiken diskursiv an. Die Heimatverbundenheit wurde von der Feldzeitung Oase wesentlich gefördert, um den Soldaten dabei zu helfen, den Krieg mit Sinn zu versehen. Doch diese Mobilisierung der Emotionen konnte ins Gegenteil kippen. Dann halfen die Gedanken an das Zuhause den Soldaten nicht mehr dabei, die Strapazen des Krieges zu ertragen, sondern führten zu starken Gefühlen von Sehnsucht nach der Familie, Heimweh und dadurch zu Kriegsmüdigkeit. Die negativen Gefühle konnten so sehr überhand nehmen, dass die Soldaten versuchten, dem Krieg zu entkommen und sogar vor Fahnenflucht, Selbstverstümmelung oder Suizid nicht zurückschreckten. Derartige Verhaltensweisen entsprachen ebenso nicht den offiziellen Richtlinien wie das Verhalten der deutschen Soldaten gegenüber der lokalen Bevölkerung. Denn die NS-Propaganda bekräftigte stets das freundschaftliche Verhältnis zwischen »den Arabern« und Deutschland, zu dem die Soldaten in Nordafrika durch einen angemessenen Umgang mit der arabischen Bevölkerung beitragen sollten. Zwar lobten viele deutsche Soldaten die deutschfreundliche Haltung der Bevölkerung im Kriegsraum, mit der sie, wie die Selbstzeugnisse belegen, in vielfältigem Kontakt standen. Doch war das Verhältnis der deutschen Soldaten zur lokalen Bevölkerung vor allem von Machtasymmetrien, der Überheblichkeit der deutschen Soldaten und zum Teil sogar von Gewalt geprägt. Die deutschen Soldaten eigneten sich die lokale Bevölkerung diskursiv über sprachliche und kulturelle Praktiken an, die ihre Machtposition noch verstärkten. Sie benutzten Begriffe, die aus dem Arabischen stammten oder eng mit dem Kriegsraum verwoben waren, erwarben als typisch geltende Kleidung und spielten in Theaterstücken das
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nach, was sie für »orientalisch« hielten. Umgekehrt lehnten sie aber die Aneignungspraktiken der lokalen Bevölkerung ab, wenn deren Angehörige ihrerseits Kleidung aus Wehrmachtsbeständen trugen oder deutsche Wörter erlernten. Die Praktik des Fotografierens belegt, wie deutsche Soldaten die im Kriegsraum lebenden Menschen objektivierten und für ihre Zwecke nutzbar machten. Sie gingen regelrecht mit der Kamera auf Jagd und stellten über die Aufnahmen die vermeintliche Unterlegenheit der lokalen Bevölkerung dar. Während des Fotografierens setzten sie sich über die Anweisung, die muslimische Bevölkerung mit Respekt zu behandeln und deren Sitten zu ehren, hinweg und fotografierten, was ihnen eigentlich untersagt worden war. Damit benutzten die Fotografierenden die Menschen vor allem dazu, ihre Imaginationen vom Kriegsraum als »exotischem Orient« zu belegen. Zwar geben die Bildnisse daher vor allem Auskunft über die Vorstellungen und Fremdbilder, die unter den Soldaten vorherrschten, doch ist auf ihnen auch der Widerstand der fotografierten Menschen sichtbar. Besonders gerne fotografierten die Soldaten verschleierte Frauen, obwohl sie in verschiedenen Schriften darauf hingewiesen worden waren, Respekt gegenüber der muslimischen Bevölkerung zu zeigen, die gerade ein solches Verhalten als Verstoß gegen die herrschenden Sitten werteten. Doch die von einem romantisierten Orientbild aus der Abenteuerliteratur geprägte Neugier bewirkte, dass sich die Soldaten in Nordafrika einem besonderen »Reiz des Fremden« ausgesetzt sahen und Bilder von »orientalischen Schönheiten« im Kopf hatten, die sie bestätigt haben wollten. Sie setzten sich daher über die Anweisungen zum Umgang mit muslimischen Frauen hinweg und bildeten diese gegen den Willen der lokalen Bevölkerung und der betreffenden Frauen ab. Der von den muslimischen Frauen getragene Schleier weckte erotische Phantasien bei den Soldaten. Er schützte die Frauen vor allzu aufdringlichen Blicken der Soldaten und machte die Frauen gerade deshalb zu einem begehrten Fotomotiv. Karikaturen in der Oase belegen, dass die Männer der deutschen Truppen in Nordafrika geheimnisvolle, weibliche Versuchungen vermuteten. Diese versuchten die Soldaten in den lokalen Bordellen, deren Besuch ihnen eigentlich verboten war, zu entdecken. Obgleich die Wehrmachtsangehörigen die lokale Bevölkerung im Allgemeinen als minderwertig und schmutzig empfanden, fühlten sie sich in Bezug auf sexuelle Kontakte nicht unbedingt abgestoßen, wie es von den zuständigen Sanitätsstellen erhofft worden war. Neben Frauen in Bordellen nutzte das deutsche Militär männliche Arbeitskräfte aus der lokalen Bevölkerung und nahm so das nordafrikanische Kriegsgebiet in Besitz. Sie waren für verschiedene Arbeiten eingesetzt und halfen für einen geringen Lohn bei der gefährlichen Arbeit, die Munition von den Schiffen in den Häfen abzuladen. Der Warenaustausch mit lokalen Händlern verbesserte die Versorgungssituation, so dass die Zivilbevölkerung letztlich ebenso erst die deutsch-italienische Kriegsführung ermöglichte wie die Rekrutierung lokaler Arbeitskräfte für militärische Zwecke. Durch den Lebensmittelhandel kam es fast täglich zu Kontakten zwischen den Soldaten und den im Kriegsraum lebenden Menschen. Die aus diesem Kontext überlieferten Quellen belegen, dass die Einstellung der deutschen Soldaten mitnichten der in der Propaganda behaupteten deutsch-arabischen Freundschaft entsprach. Wenn sich die Soldaten von den arabischen Händlern belästigt fühlten, zeigten sie durch ihre Beschimpfungen, dass sie nichts von der lokalen Bevölkerung hielten und diese als »rassisch minderwertig« betrachteten.
Schluss
Daher hatten die meisten der deutschen Soldaten kein Mitleid mit den im Kriegsraum lebenden Menschen. Dass deren Häuser bei Bombenangriffen zerstört wurden, der Krieg ihnen ihre Lebensgrundlagen nahm und die Menschen bei Bombenangriffen oder Explosionen starben, erschien ihnen als unumgängliche Notwendigkeit des Krieges. Dennoch offenbart die Analyse der Selbstzeugnisse und der Feldzeitung Oase, dass die Menschen in Nordafrika auf vielfältige Weisen vom Krieg betroffen waren. Sie litten nicht nur unter den allgemeinen Kriegsfolgen, sondern auch unter der gegen sie gerichteten Gewalt. Gewaltanwendungen der deutschen Soldaten sind in den Selbstzeugnissen vor allem über die Sprache fassbar – etwa wenn die Soldaten in ihren Briefen nach Hause etwa erklärten, dass sie und ihre Kameraden die Angehörigen der lokalen Bevölkerung dazu veranlassten, das Weite zu suchen. Die meisten Gewalthandlungen, wie der Diebstahl von Lebensmitteln oder Vergewaltigungen, werden jedoch weniger aus den Selbstzeugnissen als aus Wehrmachtsunterlagen ersichtlich. Neben diesen Taten einzelner Angehöriger der deutschen Wehrmacht, die ebenfalls von den Soldaten der anderen am Krieg beteiligten Armeen begangen wurden, kam es im Kontext des Nordafrikafeldzuges zu massiver Gewalt der Achse gegenüber lokalen Rebellen, die versuchten, den Krieg für koloniale Befreiungsbewegungen zu nutzen. Diese duldete das deutsche Militär zumindest. In den untersuchten Selbstzeugnissen und der Feldzeitung der deutschen Soldaten in Nordafrika kommt diese Gewalt jedoch nicht zur Sprache. Allein die Alliierten galten als grausame Akteure der Kriegsführung. Neben der Niederschlagung von Widerstandsbewegungen und der Gewalt in Kriegsgefangenenlagern muss beim Blick auf den nordafrikanischen Kriegsschauplatz auch der Holocaust Beachtung finden. Das NS-Regime plante, bei einem Sieg in Nordafrika die in Europa begonnene Vernichtungspolitik auf die im Kriegsraum lebenden Jüdinnen und Juden sowie auf die jüdische Bevölkerung Palästinas und des gesamten Nahen Ostens auszuweiten. Obwohl der Sieg der Alliierten und die Kapitulation der Achsenmächte im Mai 1943 die Pläne verhinderten, war die jüdische Bevölkerung des nordafrikanischen Kriegsraumes von gezielter Gewalt und Verfolgung durch verschiedene Stellen betroffen. Weil die Folgen des Nordafrikafeldzuges für die lokale Bevölkerung allgemein lange Zeit marginalisiert wurden, sollte es bis zur Anerkennung der Verfolgung der nordafrikanischen Jüdinnen und Juden ebenfalls dauern. Grund hierfür war unter anderem das bereits während des Feldzuges etablierte und nach dem Krieg weiter verbreitete Raumbild der trostlosen, menschenleeren Wüste. Da geglaubt wurde, von diesem Krieg seien generell keine Zivilist*innen betroffen gewesen, konnten die jüdischen Opfer in Vergessenheit geraten. Neben der Eroberung zu militärischen Zwecken spielte für die Soldaten und in der Zeitung Oase die Idee kolonialer Eroberung einer Rolle. So glaubte nicht nur die den Feldzug für Propagandazwecke ausnutzende innerdeutsche Presse, dass dieser Krieg die Rückeroberung deutscher Kolonialgebiete ermöglichen würde. Die Feldzeitung beschrieb immer wieder den aktuellen Krieg als Fortführung der Kämpfe deutscher »Kolonialhelden« wie Lettow-Vorbeck. Nun konnten die deutschen Soldaten in der Argumentation der Oase beweisen, dass das von den anderen Kolonialmächten nach dem Krieg als unfähig zur Kolonisation charakterisierte Deutschland sehr wohl koloniale Fähigkeiten besaß. Dabei wurden die militärischen Erfolge gegen Großbritannien, das
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wesentlich zur Schmähung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg beigetragen hatte, als Beleg für die deutsche Überlegenheit und die Briten im Gegenzug als grausame Kolonialherren dargestellt. Die Soldaten verstanden sich selbst als in der Tradition der Kolonialkrieger stehend. Zum Teil konnten sie sich sogar vorstellen, in dem Gebiet, in dem sie als Soldaten eingesetzt waren, zu siedeln. Die Analyse der Kriegserfahrung der deutschen Wehrmachtssoldaten in Nordafrika hat offenbart, dass der Kolonialismus sich auf vielfältige Art und Weise auf ihre Deutung der Kriegserlebnisse auswirkte. Nicht nur war ihre Erwartungshaltung von exotistischen Vorstellungen, kolonialem Rassismus und einer eurozentrischen Perspektive geprägt. Während des Krieges aktualisierten die Soldaten diese Denkweisen stets, um sich in der ungewissen Situation des Krieges Orientierung zu verschaffen und um ihr Selbstbild durch die Abgrenzung von den »Anderen« zu stabilisieren. Neben konkreten kolonialen Phantasien und der Hoffnung auf die Wiedererstarkung eines deutschen Kolonialimperiums waren es vor allem allgemeine Denkmuster, Welt-und Fremdbilder, die den Krieg in Nordafrika aus der Perspektive der Soldaten bedeutsam machten und deren Wahrnehmung und Deutung beeinflussten. Kolonial geprägte Imaginationen des Kriegsraumes und Landschaftskonstruktionen waren leitend für die Herstellung der Kriegserfahrung und erwiesen sich noch nach dem Ende des Krieges als so wirkmächtig, dass der Krieg lange Zeit als etwas gesehen wurde, das er nicht war: ein »Krieg ohne Hass«.
Einordnung der Ergebnisse Indem dieses Buch zum ersten Mal den Nordafrikafeldzug aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive untersucht hat und dabei eine postkoloniale Perspektive einnimmt, die marginalisierte Akteur*innen und die Kategorie Raum ins Zentrum rückte, konnte die Meistererzählung vom »Krieg ohne Hass« dekonstruiert werden. Im Anschluss an die Ergebnisse der eingangs genannten Forschungen zur Gewalt in Nordafrika wurde ersichtlich, dass dieser Teil des Zweiten Weltkrieges ebenfalls von Ideologie und Gewalt geprägt war. Die überlieferten Feldpostbriefe und Tagebucheinträge verdeutlichen, dass es anders als auf anderen Kriegsschauplätzen in Nordafrika weniger der Antisemitismus war, der die alltäglichen Kontakte der Soldaten mit der lokalen Bevölkerung bestimmte und Gewalthandlungen leitete. Zentral waren hier vielmehr tradierte und bis in die Gegenwart vorhandene Rassismen gegen Schwarze, muslimische oder italienische Menschen. So war der soldatische Blick auf die arabische Bevölkerung von tradierten Stereotypen geprägt, die entweder zur Verachtung der angeblich rassisch minderwertigen »Araber« oder zu einer Neugierde auf den von exotistischen Bildern geprägten »Orient« führten. In beiden Fällen sahen die deutschen Soldaten die lokale Bevölkerung als minderwertig an und ihr Handeln stand im Widerspruch zur von der nationalsozialistischen Propaganda behaupteten deutsch-arabischen Freundschaft. Allerdings ist der Befund von der Bedeutsamkeit von Rassismen nicht allein auf die konkrete Kriegssituation bezogen, in der durch den Kriegsraum und die Kontakte mit der lokalen Bevölkerung internalisierte Fremdbilder aktualisiert wurden. Denn im Deutschen Reich spielten neben dem Antisemitismus verschiedene Formen von Rassismus
Schluss
eine zentrale Rolle bei der Exklusion von Menschen aus der sogenannten Volksgemeinschaft. Die »Rassentheorie« der Nationalsozialisten orientierte sich an Überlegungen aus dem 19. Jahrhundert und identifizierte nicht nur »die Juden« als rassischen Feind, sondern auch arabische und Schwarze Menschen, von denen viele muslimisch waren. Wie andere von der nationalsozialistischen Verfolgung betroffene Gruppen werden sie allerdings erst in den letzten Jahren zunehmend als solche anerkannt. Über die Bedeutung des Rassismus hinaus zeigt die Untersuchung der Kriegserfahrung der deutschen Soldaten in Nordafrika, welch starke Nachwirkungen die vermeintlich kurze deutsche Kolonialgeschichte, insbesondere die koloniale Kultur, während des Zweiten Weltkrieges hatte. In der Propaganda und Presseberichterstattung, die koloniale Themen stets zur Sinnstiftung für die Soldaten und zur Diffamierung der Kriegsgegner heranzogen, sowie in den Selbstzeugnissen der Soldaten nehmen der Kolonialismus und koloniale Denkmuster breiten Raum ein. Die Analyse der Kriegserfahrung belegt, dass der Kolonialismus ein bedeutender Referenzrahmen für die Interpretation von Kriegserlebnissen war, und bestätigt damit, dass koloniale Denkmuster – wie es Birthe Kundrus beschrieb – in die »Gedanken-und Gefühlswelt« der deutschen Gesellschaft eingeschrieben waren. Im Kontext des Nordafrikafeldzuges machten gerade das Fortwirken und die Fortschreibung lang tradierter, exotistischer und rassistischer Bilder die Erzählung vom Wüstenkrieg ohne Gewalt erst möglich. Indem es dies dargelegt hat, dekonstruiert dieses Buch nicht nur das Bild eines Krieges ohne Gewalt, sondern verdeutlicht zugleich die Vorstellung von einem Wüstenkrieg als eine europäischen Kolonialbestrebungen verhaftete Raumkonstruktion. Damit wird erkennbar, wie wichtig der Einbezug der Kolonialgeschichte beim Blick auf andere historische Epochen, insbesondere den Nationalsozialismus, sein kann. Denn diese zwölf Jahre der deutschen Geschichte fanden im Kontext vorheriger Ereignisse und Diskurse statt, die bei der historischen Betrachtung nicht ausgeblendet werden können. Der Raum kann dabei als Analysekategorie einen hilfreichen Zugriff darstellen, um Wechselwirkungen aufzuspüren und zu analysieren. Die Verflechtungen kolonialer und nationalsozialistischer Formen der Herabsetzung, Ausgrenzung, Verfolgung und Gewalt wurden aufgrund der Fokussierung auf die Singularität des Holocausts und die Sonderstellung des Nationalsozialismus in der deutschen Erinnerungskultur lange Zeit marginalisiert. Doch entwickelte sich in den letzten Jahren ein Bewusstsein für die Auswirkungen des Kolonialismus, das sich in der Selbstreflexion europäischer Museen und der Infragestellung der eigenen Sammlungen zeigt.5 Und auch in der immer noch mehrheitlich weißen deutschen Geschichtswissenschaft werden die Auswirkungen der deutschen Kolonialvergangenheit zunehmend einbezogen und der damit verbundene, überall in der Gesellschaft vorhandene Rassismus von (Zeit-)Historiker*innen reflektiert.6 5 6
Vgl. dazu in erster Linie die französische Debatte. In Deutschland wurde dazu vor allem im Kontext der Eröffnung des Humboldt-Forums diskutiert. Im Jahr 2020 hat die Debatte durch die Massenproteste gegen rassistische Gewalt im Zuge der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten noch einmal enorm an Schwung gewonnen. Vgl. etwa die virtuelle Podiumsreihe des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands »Racism in History and Context« im Wintersemester 2020/21 oder den Beitrag von Christina Morina und Norbert Frei, Rassismus und Geschichtswissenschaft, in: L.I.S.A. Wissen-
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Natürlich müssen die Spezifika der nationalsozialistischen Ideologie und des mörderischen Antisemitismus stets im Blick behalten werden. Weiterhin greift es zu kurz, eine direkte Verbindungslinie von »Windhuk nach Auschwitz«7 zu ziehen. Statt eine schlichte Kontinuität vom Kolonialismus zum Holocaust zu behaupten, gilt es vielmehr Einflüsse und Verflechtungen, parallele Strukturen und zirkulierende Rückbezüge herauszuarbeiten, also im Sinne Reinhart Kosellecks die »Schichtungen« der Geschichte zu analysieren.8 Dem sollte eine moderne Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges gerecht werden und anerkennen, dass die im NS-Regime oft ebenfalls in Gewalt oder Tod kulminierenden Rassismen von kolonialen Traditionen geprägt waren. Denn »so wenig sich die Shoah vom Vernichtungskrieg im Osten trennen lässt, so wenig lässt sich der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland von der Kolonialität der Zeit trennen«,9 wie Charlotte Wiedemann in ihrer Anregung zu einer empathischen Gedenkkultur geschrieben hat. Es geht also, wie immer, wenn Geschichte gemacht wird, nicht allein um das Bild der Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart und die Art des Erinnerns. Denn kolonialrassistische Denkmuster und Stereotype wirkten noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fort. Sie führten dazu, dass der Krieg in Nordafrika lange Zeit aus einer eurozentrischen Perspektive heraus betrachtet wurde und, wie bei anderen weit vom Zentrum Europas gelegenen Kriegsschauplätzen, die nicht-weißen Soldaten und die lokale Bevölkerung marginalisiert und teils gänzlich aus der öffentlichen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg gelöscht wurden. Noch heute, 80 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Tunis, sind exotistische Vorstellungen über »Afrika« oder den »Orient« und rassistische Stereotype weiterhin verbreitet. Trotz zahlreicher Versuche der Aufklärung und Herausbildung eines besonderen Geschichtsbewusstseins, des Perspektivenwechsels hin zu einer transnationalen und globalen Geschichtsschreibung, des wachsenden öffentlichen Interesses an kolonialen Themen und postkolonialen Fragestellungen und dem zunehmenden Bewusstsein weißer Forscher*innen für rassistische Strukturen gehört Rassismus ebenso zu Deutschland wie Antisemitismus. Daher finden sich dieselben Vorurteile, mit denen die deutschen Soldaten den verbündeten Soldaten, den nicht-weißen Soldaten der Kriegsgegner und der lokalen Bevölkerung begegneten, in allen Schichten der deutschen Gesellschaft. Vor allem die Vorstellung davon, was ein »Araber« sei, ein »Produkt lange eingeübter und kulturell tief verankerter Wahrnehmungs-und Zuschreibungspraktiken«,10 ergibt in Kombination mit Raumbildern, die das Mittelmeer als Grenze zwischen dem »Eigenen« und dem »Fremden« festschreiben und das Schicksal der Menschen im ehemaligen
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schaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung, 24. September 2020, URL: https://lisa.gerda-henkelstiftung.de/rassismus_und_geschichtswissenschaft_morina_frei [13.06.2021]. Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz. Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust. Berlin, Münster 2011 (= Periplus-Studien, Bd. 15). Vgl. Kundrus, Kontinuitäten, Parallelen, Rezeptionen, S. 52. Wiedemann, Den Schmerz der Anderen begreifen, S. 17. Eickelpasch und Rademacher, Identität, S. 79.
Schluss
Kriegsraum als unumgängliche Folgen der Machtspiele europäischer Staaten erscheinen lassen, eine mitunter tödliche Mischung. Es sind immer noch vom Kolonialismus geprägte Denk-und Handlungsmuster, die nicht nur zu Hass innerhalb Deutschlands führen. Sie bewirken ebenso, dass im Meer vor der Küste Nordafrikas, in dem vor 80 Jahren die deutschen Soldaten badeten und sich den Staub von den Körpern wuschen, regelmäßig Menschen ertrinken, weil sie als die »Anderen« wahrgenommen werden und vom »Eigenen«, den europäischen Grenzen, ferngehalten werden sollen.
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Abkürzungsverzeichnis
Abt. AO BArch-FA BArch-MA Betr. BfZ Bl. DAK DAL ders. dies. Diss. Div. DRP DTA feindl. fol. Gefr geh. Ia IfZ i. O. HStAStu KdF Kdo. LHAKo mot. MSPT ND NLAWo
Abteilung Abwehroffizier Bundesarchiv-Filmarchiv Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i. B. Betreff Bibliothek für Zeitgeschichte Blatt in einem Fotoalbum Deutsches Afrikakorps Deutsch-arabische Lehrabteilung derselbe dieselbe(n) Dissertationsschrift Division Deutsch-russisches Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in Archiven der russischen Föderation Deutsches Tagebucharchiv, Emmendingen feindlich folio Gefreiter geheim 1. Generalstabsoffizier (Führungsabteilung) Institut für Zeitgeschichte München im Original Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart Kraft durch Freude (Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront Kommando Landeshauptarchiv Koblenz motorisiert Museumsstiftung Post und Telekommunikation Nachrichtendienst Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Wolfenbüttel
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NS OKH OKW o. D. o. F. o. O. o. T. o. V. PA AA PK Pz.-Div. RKB rückw. San.-Ers.-Abt SS NSDAP u.a. vgl. zit.n.
Nationalsozialismus Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht ohne Datum ohne Fotograf*innenangabe ohne Ort ohne Titel ohne Verfasser*in Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Propagandakompanie Panzerdivision Reichskolonialbund rückwärtig Sanitäts-Ersatz-Abteilung Schutzstaffel der NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei unter anderem/anderen vergleiche zitiert nach
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5
Abbildung 6 Abbildung 7
Abbildung 8
Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11
Abbildung 12 Abbildung 13
Fotografie aus einem Bilderbogen von Eric Borchert, Weisst Du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5. Fotografie aus einem Bildbericht von Eric Borchert, So leben wir ... so leben wir alle Tage!, in: Die Oase 42, 3. August 1941, S. 1. Karikatur von H. Langguth, Ist das auch wirklich echt?, in: Die Oase 107, 14. März 1943, S. 8. Fotografie von Eric Borchert, Zwei Welten begegnen sich in der Wüste, in: Die Oase, 47, 21. September 1941, S. 5. Fotografie aus einem Bildbericht von Eric Borchert, Weißt du noch Kamerad? Als wir durch Libyen zogen, in: Die Oase 52, 26. Oktober 1941, S. 4–5, S. 5. Zeichnung der Stadt Sirte von Hans P., Privatbesitz der Familie, Tagebuch von Hans P., o. S. Mit »Volkstypen« überschriebene Fotografien aus den Alben von Walter K. mit Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Albumblatt 32 a, Privatbesitz Horst K. Mit »Tunis Volkstypen« überschriebene Fotografien aus den Alben von Walter K. mit Fotos aus Tunesien von 1941–1942, Walter K. IV, Albumblatt 22 b, Privatbesitz Horst K. Fotografie o. F., Ein Sohn der Wüste, in: Die Oase 39, 17. Juli 1941, S. 7. Fotografie aus o. V., Bilderbogen vom Wüstenkrieg in Afrika, in: Die Oase 85, 13. August 1942, S. 5. Zeichnung »Alter Araber« von Kriegsmaler Volkmar, abgedruckt neben dem Artikel: H. W., Künstler im Soldatenrock, in: Die Oase 81, 16. Juli 1942, S. 5. Zeichnung einer »Araberin« von Bruno Kröll, Afrika-Soldaten erzählen und zeichnen. Auf dem Arabermarkt, in: Die Oase 64, 19. März 1942, S. 3. Karikatur von EMÖ, Phantasie . . . und Wirklichkeit, in: Die Oase 80, 9. Juli 1942, S. 4.
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Abbildung 14 Karikatur o.V., ›Heini‹ in Afrika – Die Versuchung!, in: Die Oase 63, 12. März 1942, S. 4.
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Quellen
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