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German Pages 853 [854] Year 2005
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 627
Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht Das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
Von
Matthias Schmidt-Preuß Zweite, um ein ausführliches Nachwort erweiterte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
MATTHIAS SCHMIDT-PREUSS
Kollidierende Privatinteressen i m Verwaltungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 627
Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht Das subjektive öffentliche Recht i m multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
Von
Matthias Schmidt-Preuß
Zweite, um ein ausführliches Nachwort erweiterte Auflage
Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 1992 Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11906-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de
Dem Andenken meines Großvaters Ernst Groschke 26.5.1897
-15.
3.1984
Vorwort zur zweiten Auflage Die Ende 1992 erschienene Arbeit ist seit etwa zwei Jahren vergriffen. Die zweite Auflage erscheint als unveränderter Nachdruck mit einem ausführlichen Nachwort, in dem die bisherige Aufnahme in Literatur und Rechtsprechung dargestellt und eine Zwischenbilanz gezogen wird. Fragestellungen und Entwicklungen, Bestätigung wie kritische Stimmen werden aufgegriffen. Zur besseren Verwendbarkeit wird die Reihenfolge der Kapitel und der Untergliederungen der Arbeit weitestgehend beibehalten. Dies gilt für die konzeptionellen Grundlagen im 1. Teil ebenso wie für den praktischen „Test" der Konfliktschlichtungsformel im 2. Teil, die Strukturfragen im 3. Teil sowie das VerwaltungsVerfahrens- und das Verwaltungsprozeßrecht im 4. und 5. Teil. Das Nachwort berücksichtigt Literatur und Rechtsprechung sowie Gesetz- und Verordnungsgebung seit 1993. Damit ist die Arbeit wieder auf dem neuesten Stand (Juli 2005). Der Verleger, Herr Prof. Dr. Norbert Simon, hatte die Idee für das Vorhaben und ermöglichte dessen rasche Verwirklichung. Dafür und für die vertrauensvolle, angenehme Zusammenarbeit sei ihm herzlich gedankt. Bonn, im Juli 2005
Matthias Schmidt-Preuß
Vorwort
Die Arbeit wurde von der Redits- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Wintersemester 1991/92 als Habilitationsschrift angenommen. In der vorliegenden Fassung ist sie auf dem Stand vom 1.7.1992. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Senator Prof. Dr. Walter Schmitt Glaeser, danke ich herzlich fur das Engagement bei der Betreuung der Arbeit, fachlichen und menschlichen Rat sowie die jederzeitige Gesprächsbereitschaft. Herrn Prof. Dr. Peter Häberle, der das Zweitgutachten erstellt hat, gilt mein aufrichtiger Dank fur die großzügige Unterstützung des Habilitationsvorhabens, vielfaltige Anregungen und die stete Anteilnahme während der Anfertigung der Arbeit. Beide hatten mich ermutigt, nach den Jahren der Praxis in Bonn den Weg in die Wissenschaft zu beschreiten. Für die Gelegenheit zum Gedankenaustausch möchte ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Ernst-Ludwig Neil, Lüneburg, danken. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft verdanke ich ein Habilitationsstipendium, dem Bundesministerium fur Wirtschaft die Beurlaubung zum Zwecke der Habilitation. Beides war Voraussetzung fur die Abfassung der Schrift. Dank besonderer Art schulde ich meiner Frau und meinem Sohn fur Geduld und Verständnis.
Bayreuth/Bonn im Juli 1992
Matthias Schmidt-Preuß
Inhaltsübersicht A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
1
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen zum subjektiven öffentlichen Recht in multipolaren Konfliktlagen 37 C. Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsveihaltnis 84 D. Multipolare Probleme des Verwaltungsverfahrensrechts
495
E. Multipolare Probleme des Verwaltungsprozeßrechts
550
Zusammenfassung
626
Iiteraturverzeichnis
635
Sachregister
681
Nachwort
705
Inhaltsverzeichnis A. Untersochungsgegenstand und Gnmdproblematik I. Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht und subjektives öffentliches Recht. 1. Der Konflikt privater Interessen als Gegenstand des Verwaltungsrechts a) Die bipolare Ausgangslage b) Die praktische Bedeutung kollidierender Privatinteressen im Verwaltungsrecht . c) Normatives Konfliktschlichtungsprogramm und Ausgleich kollidierender Privatinteressen d) Die fünf Grundkonstellationen multipolarer Konfliktlagen 2. Der Verwaltungsakt mit Drittwirkung a) Der Verwaltungsakt mit Drittwirkung: Probleme und Terminologie b) Der Mangel materiell-rechtlicher Eigenständigkeit des Verwaltungsakts mit Drittwirkung 3. Kollidierende Privatinteressen und normative Konfliktschlichtung a) Neuorientierung in multipolarer Perspektive b) Veiwaltungsrechtliche Dreiecksbeziehungen II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsveihaltnis 1. Ansatzpunkte eines multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses a) Die Ausgangslage des Verwahungsrechtsveihiltnisses b) Die Begrenzung bipolarer Orientierung c) Das Horizontalverhiltnis im Rahmen des multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses als Basis subjektiver öffentlicher Rechte d) Parallele Verwaltungsrechtsverhältnisse e) Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung als Ausschnitt objektiv-rechtlicher Regelung 2. Echte und unechte Multipolaritat m. Kehrseitigkeit und Wechselbezuglichkeit multipolarer Interessenkonflikte 1. Kehrseitigkeit 2. Wechselbezuglichkeit
1 1 1 1 3 6 9 11 11 15 17 17 18 20 20 20 21 24 26 27 28 30 31 34
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen zum subjektiven öffentlichen Recht in multipolaren Konfliktlagen 37 I. Grundrechtsdurchgriff oder Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm . . 37 1. Subjektive öffentliche Rechte aus einfachem Recht und aus Grundrechten 37 a) Die Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Konfliktlösung 37 b) Die norminterne Funktion der Gnuidrechte 41 c) Verfassungskonforme Auslegung 44 2. Ablehnung einer "dritten Ebene" - Rücksichtnahmegebot 46 a) Tatbestandsubergreifende Wirkung innerhalb des Baurechts 46 b) Tatbestandsunabhingigkeit außerhalb des Baurechts 48 IL Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision 49 1. Multipolare Abwägung und Grundrechtskollision 49
X I n h a l t s v e r z e i c h n i s
a) Die anspruchsbegründende Wirkung der Grundrechte 49 b) Multipolare Konflikt Schlichtung und Grundrechtskollision 51 2. Einzelfalle normexterner Grundrechtswirkung 54 a) Art. 14 Abs. 1 GG 54 b) Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 56 c) Art. 12 Abs. 1 GG 58 d) Art. 2 Abs. 1 GG 61 e) Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG 64 f) Art. 3 Abs. 1 GG 65 g) Art. 33 Abs. 2 GG 66 h) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 67 i) Art. 19 Abs. 4 GG 67 3. Giundrechtsschutz für juristische Personen des Privatrechts 68 m. Subjektiv-rechtliche Probleme staatlicher Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien 69 1. Staatliche Schutzpflichten 69 a) Subjektiv-rechtliches Schutzniveau objektiv-rechtlicher Schutzpflichten? 69 b) Schutzanspruch und Eingriffsabwehr - Der Hoechst-Beschluß des VGH Kassel . 71 c) Keine Exklusivitit von Eingriffsabwehr oder Schutzpflicht 73 2. Verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien 75 a) Das Sozialstaatsprinzip 75 b) Der Wettbewerb als wirtschaftsverfassungsrechtliches Leitbild 77 c) Umweltschutz als Staatszielbestimmung 80 C. Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverh&ftms I. Bisherige Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive 1. Die Separations-Doktrin als Leitmotiv bipolarer Drittschutzjudikatur 2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit a) Abgrenzbarkeit als Ausprägung der Separations-Doktrin b) Die Abgrenzbaikeits-Doktrin am Beispiel des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots c) Einwirkungsbezogene Abgrenzbarkeit im Immissionsschutz-, Atom-, Abfall-, Wasser-und Beigrecht d) Kapazitatsbezogene Abgrenzbarkeit e) Der begünstigte Personenkreis 3. Separations-Doktrin und Mittelbarkeit a) Separation und zivilrechtsbezogene Konflikte b) Die Mittelbarkeits-Doktrin in der Judikatur c) Die Unhaltbarkeit der Mittelbarkeits-Doktrin 4. Separations-Doktrin und Rechtsuntergang a) Wechselbezügliche Konflikte und Separation b) Die Rechtsuntergangs-Doktrin c) Der Sonderfall des institutionalisierten Rechtsuntergangs im Kapazitätsstreit . . . 5. Separations-Doktrin und zivilrechtliche Konfliktschlichtung a) Separation und Rechtsweg b) Ablehnung der Ziviliechtsweg-Doktrin c) Bindung der Zivilgerichte an die öffentlich-rechtliche Konfliktschlichtung? . . . . II. Rechtszuweisung im Horizontalverhältnis und streitschlichtender Verwaltungsakt . . . 1. Rechtszuweisung und Anspruchsrichtung a) Rechtszuweisung durch normative Ordnung gegenseitigenfreien Dürfens . . . . b) Anspruchsrichtung gegen den Staat als Pflichtsubjekt
84 84 84 86 86 87 94 99 100 101 101 102 104 109 109 111 116 120 120 120 125 130 130 130 134
Inhaltsverzeichnis
c) Weichenstellung für die Entwicklung der Konfliktschlichtungsformel 2. Elemente des HorizontaWeihähnisses und multipolare Abwägung a) Anspnichsbegiünduqg und -maßstabsbildung durch multipolare Abwägung . . . b) Multipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung: Materielle Verwirkung 3. Der stieitschlichtende Verwaltungsakt a) Normative und administrative Konfliktschlichtung b) Dogmatische Einzelheiten des stieitschlichtenden Verwaltungsakts c) Die Duldungsproblematik m. Auslegungsinstrumente zur Ermittlung des multipolaren Konfliktschlichtungsprogramms 1. Das multipolar-normative Umfeld a) Legislatorische Leitlinien b) Gegenrechte c) Grundrechte in norminterner und -externer Funktion 2. Das legislatorische Indiz 3. Allgemeinwohlklauseln 4. Verfahrenspositionen? 5. Rücksichtnahme? 6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz und Spürbarkeit a) Konkret-empirische im Gegensatz zur abstrakten Auslegung b) Partieller Drittschutz c) Spürbarkeit und tatsächliche Beeinträchtigung IV. Interessenschutzformel, Vermutungsthese und die multipolare Konfliktsituation . . . . 1. Die bipolare Prägung der Schutznormtheorie a) Inhalt, Verwirklichung und Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts . b) Die drei Kategorien der Kritik in der Literatur c) Das Merkmal "des einzelnen" als Problem der eingliedrigen Interessenschutzformel 2. Die Bachofsche Vermutungsthese als Grundlage der eingliedrigen Interessenschutzformel a) Die Vermutung der Rechtsmacht b) Die Evidenz der Vermutungsthese im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis . . c) Die Vermutung der gewollten Individualbegünstigung 3. Die Notwendigkeit einer Anpassung der Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts an die multipolare Konfliktlage a) Interessenschutzformel und Vermutung in horizontaler Perspektive b) Die begrenzte Legitimationswirkung der Vermutung in multipolaren Konfliktlagen c) Notwendigkeit der multipolaren Fortentwicklung des subjektiven Öffentlichen Rechts V. Die Ordnungsnorm 1. Stnikturmerkmale der Ordnungsnorm a) Systematik und Funktion der Ordnungsnorm b) Stnikturelemente der Ordnungsnonn 2. Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen a) Subjektives öffentliches Recht und Ermessen b) Drittschutzcharakter der Ermessensnorm und ermessensdirigierende Ausstrahlungswirkung c) "Vollendete Tatsachen" und Ermessensnorm: Inkonsequenz des Nachbarschutzes? 3. Konkretisierung durch Rechtsverordnung a) Maßgeblichkeit der Ermächtigungsnorm
140 141 141 148 155 155 155 161 165 165 165 167 169 170 171 174 176 177 177 180 182 186 186 186 190 193 198 198 201 203 205 205 208 211 213 213 213 216 218 218 219 225 228 228
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Inhaltsverzeichnis
b) Die Zielsetzung normativer Konkretisierung 4. Normkonkietisierung durch Verwaltungsvorschriften? a) Ablehnung der Verwaltungsvorschriften als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte b) Die exekutivische Ausleguqgsofferte c) Verwaltungsvorschriften außerhalb technisch-wissenschaftlicher Konkretisierung 5. Exkurs: Ordnungsnormen des EG-Rechts a) Primarrecht am Beispiel des Beihilfenverbots b) EG-Sekundanecht VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts im normativen Konfliktschlichtung sprogramm der Ordnungsnorm 1. Die Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte auf der Grundlage der multipolaren Konfliktschlichtungsformel a) Die Konfliktschlichtungsformel b) Strukturmerkmale und Zielsetzung der Konfliktschlichtungsformel 2. Konfliktschlichtungsprogramme im Baunachbarrecht a) Der partielle Drittschutz des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB b) Die Drittschutzschwelle des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB bei Immissionen und intangiblen Störungen c) Innenbereichsuberschieitende Konflikte gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB d) Planfeststellungsbedingter Verlust baurechtlicher Drittrechte gem. § 38 S. 1 BauGB e) § 34 Abs. 2 BauGB 0 5 35 Abs. 1 BauGB g) § 35 Abs. 2 und 3, 2. tiret BauGB h) S 31 Abs. 2 BauGB 0 S 15 Abs. 1 BauNVO j) § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO k) Grundeigentum als Strukturmerkmal bauplanungsrechtlichen Drittschutzes . . . . 1) Drittvornahmebegehren m) Bauplanerische Festsetzungen n) Abstandsflachen 3. Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung im Immissionsschutzrecht a) Die Zuordnung von Emission und Immission bei § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG . b) Die fehlende Voraussetzung geordneter Konfliktbeziehungen bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG c) Die Drittschutzschwelle nach Maßgabe der Erheblichkeit d) Die Drittschutzproblematik von Emissionsgrenzwerten e) Die Störfallproblematik f) § 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BImSchG g) Drittvornahmebegehren h) § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG 4. Subjektiv-rechtliche Konfliktschlichtung und atomrechtliche Schadensvorsorge . . . a) Atomrechtliche Schadensvorsorge und wahrscheinlichkeitsgewichtete Abwägung b) Dosisgrenzwerte als normative Drittschutzschwelle (§ 45 StrlSchV) c) Strahlenminimierungsgebot (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV) d) Konfliktschlichtung durch Störfallplanungsdosen (§ 28 Abs. 3 S. 1 und 2 StrlSchV) e) Die drei Bereiche tatbestandlicher atomrechtlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und die ermessensbezogene Restrisikominimieniqg f) Individualitat oder Typizitat? g) Personell-organisatorische Schadensvorsorge (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG) . . .
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h) § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG i) Drittvornahmcbcgchren j) Entsorgung 5. Kehrseitige Konflikte insbesondere im Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie im Gaststätten- und Gewerberecht a) Die drei Stufen planfeststellungsbezogener subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung am Beispiel des Abfallrechts b) Einzelfragen abfallrechtlicher KonfliktschlichtuQg (§§ 7 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c, 8 Abs. 3 S. 1 und 7 a Abs. 1 AbfiS) c) Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung im Wasserrecht (§§ 7, 8 und 31 Abs. 1 und 2 WHG) d) Konfliktschlichtung im Bergrecht: Partieller Drittschutz des § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG e) Multipolare Ordnungsnormen bei kehrseitigen Konflikten im Gaststatten- und Gewerberecht f) Immissionsbezogene Konflikte in bezug auf den Sonn- und Feiertagsschutz . . . 6. Kehrseitigkeit bei "diskretionären" fachgesetzlichen Finzelmaßnahmen a) Kehrseitige Konflikte und wirtschaftsverwaltungsrechtliche Fachgesetze .... b) Kollidierende Wirtschaftsinteressen im Kartellrecht 7. Zivilrechtsbezogene Konfliktlagen bei der Genehmigung abstrakter Tarif- und Bedingungswerke a) Die prinzipiell objektiv-rechtliche Konfliktschlichtung im Versicherungsaufsichtsrecht b) Objektiv-rechtliche Konfliktschlichtung bei der Strompreisgenehmigung (§ 12 Abs. 1 und 2 BTO Elt) c) Objektiv-rechtliche Konfliktschlichtung bei der Genehmigung von Beforderungsentgelten (5 39 Abs. 2 PBefG) d) Zivilrechtsbezogener und privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt 8. Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung im Wohnungsbindungsrecht a) Die Kostenmiete als quantifiziertes Konfliktschlichtungsprogramm im Rahmen des § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG b) Weitere wohnungsbindungsrechtliche Ordnungsnormen (§§ 7 Abs. 1 und 3, 9 Abs. 7 S. 3 WoBindG; § 11 Abs. 7 H. BV) 9. Subjektiv-rechtliche Schlichtung kollidierender Arbeitgeber- und Arbeitnehmer^ interessen im öffentlichen Kündigungsschutzrecht a) Schwerbehindertenrecht b) Mutterschutzrecht 10. Arbeitszeitschutz und Allgemeinverbindlicherklärung a) Arbeitszeitschutz b) Allgemeinverbindlicherklärung 11. Wechselbezügliche Konkurrenzkonflikte bei kapazitätbezogenen Auswahl- und Verteilungsentscheiduogen - 1. Gruppe: Qualitative Leistungskriterien a) Hochschulzulassungsrecht b) Beamtenrecht c) Güterfernverkehrsrecht d) Rundfunkrecht e) Personenbeförderungsrecht (Linienverkehrsgenehmigung) f) Gewerbe- und kommunalrechtliche Zulassungskonkurrenz g) Energierecht h) Subventionsrecht i) Parteienrechtliche Zugangskonkurrenz und Wahlkampfwerbung j) Straßen- und Straßenverkehrsrecht
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12. Wechselbezügliche Konkurrenzkonflikte bei kapazititsbezogenen Auswahl- und Verteilungsentscheidungen - 2. Gruppe: Schematische Rangkriterien a) Das Prioritätaprinzip b) Schornsteinfegerrecht c) Taxikonzessionsrecht d) Das Konkurrenzverhältnis im Kapazititsrechtsstreit: Losverfahren als Konfliktschlichtungsinstmment e) Hochschulzulassungsrechtliche Verteilung nach Wartezeit i) Stadthallenbenutzung durch Parteien VII. Die Legitimation des subjektiven öffentlichen Rechts und die Struktur des multipolaren Verwaltungsrechtsverhaltnisses 1. Die Legitimation der Rechtsmacht im Rahmen subjektiv-rechtlicher Konfliktschlichtung a) Rechtsmacht und Legitimationsproblematik b) Das Prinzip der "gleichen Freiheit" und die Aufopferung kollidierender Privatinteressen als Legitimationsgrund c) Möglicher Einwand gegen Konfliktschlichtungsformel und Legitimation 2. Die Struktur subjektiver öffentlicher Rechte im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis a) Das fachspezifische Horizontalverhältnis als Basis subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung b) Subjektives öffentliches Recht und multipolares Verwaltungsrechtsverhiltnis . . 3. Exkurs: Einbeziehung von "Ausländer-Interessen in das normative Konfliktschlich tungsprogramm Vm. Die Aktualisierung der Rechtsmacht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhiltnis auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen 1. Die multipolare Problematik auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen a) Die Bewahrung des subjektiven öffentlichen Rechts im Verletzungsfall b) Die Begründung des materiellen Aufhebungsanspruchs c) Der einheitliche Gesamttatbestand des subjektiven öffentlichen Rechts 2. Verletzungsfolgen bei multipolarer Kehrseitigkeit a) Der kategorische Aufhebungsanspruch im Drittabwehrfall b) Der fortbestehende Anspruch auf Dritt- bzw. Gestaltungsvornahme 3. Verletzungsfolgen bei Wechselbezüglichkeit I: Schematische Konfliktschlichtung mit Fehlerkorrektur a) Schematische Konfliktschlichtung und Anwartschaftsrecht im Schornsteinfegerund Taxikonzessionsrecht b) Multipolare Rangsichemng bei isoliertem Zugriff 4. Verletzungsfolgen bei Wechselbezüglichkeit ^Qualitative Konfliktschlichtung mit Fehlerkorrektur a) Der Grundsatz primärer Vornahme und akzessorischer Aufhebung bei hoher Erfolgsaussicht am Beispiel des Güterfernverkehrsrechts b) Die Beschrankung des Folgenbeseitigungsanspruchs auf Abwehrbegehren im Güterfernverkehrsrecht c) Subjektiv-rechtliche Fehlerkorrektur am Beispiel des Rundfunkrechts d) Isolierte Zugangsvornahmeansprüche? 5. Verletzungsfolgen bei Wechselbezüglichkeit DI: Rechtsuntergang im Beamtenrecht und multipolar-surrogativer Eilrechtsschutz a) Die Rechtsbestandigkeit der Ernennung b) Die Effektivität des multipolar-surrogativen Eilrechtsschutzes c) Ablehnung eines beamtenrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs d) Isolierter Zugangsvornahmeanspruch?
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Inhaltsverzeichnis
e) Fehlerfolgen beim Wettbewerb um Beförderungsdienstposten 6. Verletzungsfolgen bei Wechselbezüglichkeit IV: Rechtsuntergang im Hochschulzulassungsrecht und surrogativer Drittschutz durch Folgenbeseitigung a) Die Rechtsbeständigkeit der Zulassung b) Der Ausnahmefall eines hochschulzulassungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs 7. Verletzungsfolgen bei Wechselbezüglichkeit V: Rechtsuntergang im Gewerbe- und Kommunalrecht und multipolar-surrogativer Eilrechtsschutz D. Multipolare Probleme des Vemaltungsverfahrensrechts I. Ausgewogene Verfahrensbeteiligung und Risikobalance im multipolaren Verfahrensrechtsverhiltnis II. Die sachlich-personelle Geltungskraft des streitschlichtenden Verwaltungsakts 1. Bekanntgabe und Wirksamkeit 2. Die einheitliche sachlich-personelle Geltungskraft des streitschlichtenden Verwaltungsakts ID. Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung und Risikobalance in gestuften und parallelen Genehmigungsverfahren 1. Das gestufte Genehmigungsverfahren a) Regelungsgehalt und Bestimmtheit b) Das vorlaufige positive Gesamturteil c) Sonstige Verfahrensstufungen 2. Parallelgenehmigungen a) Der Grundsatz komplementärer Regelungsgehalte b) Faktische Präjudizierung? IV. Probleme der Hinzuziehung und der Transparenz von Auswahlverfahren 1. Hinzuziehung und Partizipation - Grundtypen multipolarer Verfahrensbeteiligung . 2. Transparenz und verfahrensrechtliche Konkurrenzbeziehungen in wechselbezüglichen Konfliktlagen a) Beamtenrechtliche Zugangskonkurrenz b) Gewerbe- und kommunalrechtliche Zugangskonkurrenz c) Güterfernverkehrsrechtliche Zugangskonkurrenz d) Hochschulzulassungsrechtliche Zugangskonkurrenz V. Multipolares Verfahrensrechtsverhältnis und Verfahrensfehler 1. Verfahrensfehler und materiell-rechtlicher Aufhebungsanspruch in multipolaren Konfliktlagen a) Die materiell-rechtliche Begründung des Aufhebungsanspruchs b) Die Voraussetzung einer drittschützenden Verfahrensvorschrift c) Die Voraussetzung hinreichend wahrscheinlicher Auswirkungen auf die materiell-rechtliche Drittrechtsposition 2. Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung und § 46 VwVfG VI. Die Obliegenheit zur Rechtswahrung im multipolaren Verfahrensrechtsverhältnis . . . 1. Präklusion im "Normalverfahren" a) Widerspruchs-und Klagefrist b) Die Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde 2. Die materielle Präklusion im qualifizierten Genehmigungsverfahren 3. Die multipolare Obliegenheit im Planfeststellungsverfahren VII. Die Aufhebung des streitschlichtenden Verwaltungsakts durch die Ausgangsbehörde (§§ 48, 49, 50 VwVfG) 1. Die Zuordnung des Verwaltungsakts mit Drittwirkung zu den §§ 48, 49 VwVfG und die Funktion des S 50 VwVfG a) § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG und multipolare Abwägung 2 Schmidt-Preuß
484 486 486 489 492 495 495 499 499 501 504 504 504 506 508 510 510 511 511 511 515 515 518 518 519 520 520 520 523 524 527 531 531 531 534 535 539 540 540 540
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b) § 50 VwVfG 2. Das Drittvornahmebegehren innerhalb und außerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens a) Aufhebung im Rechtsbehelfsverfahren b) Aufhebung außerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens Vm. Wiederaufgreifen des Verfahrens in multipolaren Konfliktlagen (§51 VwVfG) . . . 1. Der multipolare Konflikt zwischen privaten Bestands- und Aufhebungsinteressen . . 2. Ausnahmsweiser Vorrang der Bestandsinteressen aus Gründen ausgewogener Konfliktschlichtung
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E. Multipolare Probleme des Verwaltungsprozeßrechts I. Ausgewogene prozessuale Konfliktschlichtung und Risikobalance II. Klagebefugnis 1. Zugang zu Gericht und subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung a) Die prozessuale Konfliktlage b) "Ungleichgewicht" zuungunsten des Dritten im Vergleich mit dem Adressaten? . c) Das normative und das tatsachliche Element der Klagebefugnis 2. Die Substantiierung eigener Rechtsverletzung im einzelnen a) Beispiele möglicher tatsachlicher Beeinträchtigung im Bau- und Umweltrecht . . b) Subventionsrecht c) Wechselbezügliche Konflikte bei qualitativen Verteilungsprogrammen 3. Klagebefugnis, Maßgeblichkeit einfachgesetzlicher Konfliktschlichtung und Grundrechte 4. Klagebefugnis und Verfahrensfehler 5. Mißbrauch der Klagebefugnis m. Die Beiladung vor dem Hintergrund der multipolaren Konfliktkonstellationen 1. Der Drittabwehr-Fall 2. Der Drittvornahme-Fall 3. Der Gestaltungsvornahme-Fall 4. Der Gestaltungsabwehr^Fall 5. Wechselbezügliche Zugangskonkurrenz IV. Klageart und subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung 1. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bei kehrseitigen Konflikten a) Durchsetzung von Verschonungsinteressen b) Durchsetzung von Gestaltungsinteressen 2. Wechselbezügliche Konflikte bei kapazitatsbezogenen Auswahl- und Verteilungsentscheidungen a) Die notwendige Verbindung von Verpflichtungs- und Anfechtungsklage b) Isolierte Bescheidungsantrage c) Isolierte Anfechtungsanträge 3. Vorbeugende Unterlassungsklage? V. Multipolare Probleme des Eilrechtsschutzes 1. Grundsatzentscheidung der VwGO-Novelle für § 80 VwGO: Die aufschiebende Wirkung beim streitschlichtenden Verwaltungsakt a) Der Suspensiveffekt als Grundlage multipolaren Eilrechtsschutzes b) Voraussetzungen und Reichweite des Suspensiveffektes c) Widerspruch bei kapazitätsbezogenen Auswahl- und Verteilungsentscheidungen d) Faktische Vollziehung 2. Die Neuregelung des § 80 a VwGO a) Gestaltungsvornahme b) Drittabwehr und gerichtliche Sicherungsanordnung gem. § 80 a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO c) Der adressatbelastende Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung
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3. Multipolare Anwendungsfelder dea § 123 VwGO a) Kehrseitige Konflikte b) WechaelbezQgliche Konflikte 4. Streitschlichtung zwischen Privaten im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens (S§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO) a) Multipolare Interesaenabwagung und Elfolgsprognose b) Private und öffentliche Interessen 5. Zwischenentscheidung im Eilrechtsschutz VI. Weitere Elemente muhipolar-prozessualer Konfliktschlichtung 1. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 2. Multipolare Probleme im verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittelverfahren 3. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt 4. Materielle Beweislast 5. Rechtsschutzbedürfiiis
597 597 599 605 605 611 613 614 614 615 616 619 623
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Nachwort
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Abkürzungsverzeichnis a.A. abgedr. abl. ABl. Abs. abw. AcP a.E. AEG ÄnderungsV a.F. AbfG abl. AGBG AKB allg. Allg.VerwR Alt. AMVOB Anm. AoR AP ApoBetiO ArbG Arb StattV AibuR ArchVR ARD Art. AS AT AtAnlV AtG AtVfV atw Aufl. AVG AZO
anderer Ansicht abgedruckt ablehnend Amtsblatt Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende Allgemeines Eisenbahngesetz Änderungsverordnung alte Fassung Abfallgesetz ablehnend Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung allgemein Allgemeines Verwaltungsrecht Alternative Altbaumietenverordnung Berlin Anmerkung Archiv des öffentliches Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Apothekenbetriebsordnung Arbeitsgericht Arbeitsstattenverordnung Arbeit und Recht Archiv des Völkerrechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands Artikel Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Allgemeiner Teil Atomanlagenverordnung Atomgesetz Atomrechtliche Verfahrensverordnung Atomwirtschaft. Atomtechnik Auflage Angestelltenversicherungsgesetz Arbeitszeitordnung
Abkrzungsverzeichnis
B. BÄO BAnz. BauGB BauGB-MaßnahmenG BauNVO BauO BauR BAV BaWüVBl. Bay. BayAbfAlG BayAbfG BayBG BayBO BayEG BayGO BaylmSchG BayObLG BayVBl. BayVcrfGH BayVwVfG BayWG BB BBauBl. BBauG BBergG BBG Bd. bearb. BErzGG Bern. bes. bez. Bea.VerwR BFH BG BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BImSchG BImSchV BJagdG BKaitA Bl. BLV Bln. BMG BNatSchG
Beschluß Bundesirzteordnung Bundesanzeiger Baugesetzbuch Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung Bauordnung Baurecht Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Baden-Wurttembergisches Verwaltungsblatt Bayern Bayerisches Abfallwirtschafts- und Altlastengesetz Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetz Bayerisches Beamtengesetz Bayerische Bauordnung Bayerisches Enteignungsgesetz Bayerische Gemeindeordnung Bayerisches Immissionsschutzgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblatter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz Bayerisches Wasselgesetz Betriebs-Berater Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundesberggesetz Bundesbeamtengesetz Band bearbeitet Bundeserziehungsgeldgesetz Bemerkung besonders bezuglich Besonderes Verwaltungsrecht Bundesfinanzhof Beamtengesetz Börgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Verordnung zur Durchfuhrung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Bundesjagdgesetz Bundeskartellamt Blatt Bundeslaufbahnverordnung Berlin Bundesmietengesetz Bundesnaturschutzgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BNotO BPflV br BraunschwZ. BRdFunkG BR-Drcks. Brem. BRRG BRS BSG BSGE BT BT-Drcks. BTOElt BV (mit Art.) BV (mit §) BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVOT Bln. BW ca. DAR dB(A) DB ders. dgl. DJT DÖD DÖV DtZ DVB1. DWW E EG EGKSV Einl. EinleitungsG entspr., Entspr. EnWG EStG ESVGH et EuGH EuGRZ EuR EuZW EV EWGV
Bundesnotarordnung Bundespflegesatzverordnung Behindertenrecht Zeitschrift für Rechtspflege im Herzogtume Braunschweig Gesetz über die Errichtung von Runfunkanstalten desBundesrechts Drucksache des Bundesrates Bremen Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Bundesozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Deutscher Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Bundestarifordnung Elektrizität Verfassung des Freistaates Bayern Berechnungsverordnung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Tiefbohrverordnung Berlin Baden-Württemberg circa Deutsches Autorecht Dezibel Der Betrieb derselbe dergleichen Deutscher Juristentag Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft Amtliche Entscheidungssammlung Europaische Gemeinschaften Vertrag über die Europaische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung Einleitungsgesetz entsprechend, Entsprechendes Energiewirtschaftsgesetz Einkommensteuergesetz Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Energiewirtschaftliche Tagesfragen Gerichtahof der Europaischen Gemeinschaften Europaische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europaische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
XXIV
EzA f. f., ff. FeiertagsG FG Fn. FS GastG GastV GBl. gespr. GewArch. GewO GFAV GG GK GKÖD GMB1. GO grdl. grds. GrünhutsZ GS GüKG GVB1. GWB HBO HdbDStrR HdbStR HdUR HdWW HeimG Hess. HessStGH HessVGRspr. h.M. HRG Hs. Hrsg. ibid. ICRP insbes. i.O. i.O. gesp. i.V.m. IW JA JK JurA Jura JuS JZ
Abkürzungsverzeichnis
Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht für folgende Seite(n) Feiertagsgesetz Festgabe Fußnote Festschrift Gaststättengesetz Gaststättenverordnung Gesetzblatt gesperrt Gewerbearchiv Gewerbeordnung Großfeuerungsanlagenverordnung Grundgesetz Gemeinschaftskommentar Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht Gemeinsames Ministerialblatt Gemeindeordnung grundlegend grundsätzlich Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hessische Bauordnung Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handwörterbuch des Umweltrechts Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft Heimgesetz Hessen Hessischer Staatsgerichtshof Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte herrschende Meinung Hochschulrahmengesetz Halbsatz Herausgeber ebenda International Commission on Radiological Protection insbesondere im Original im Original gesperrt in Verbindung mit Immissionswert Juristische Arbeitsblätter Jura Kartei Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
Abkürzungsverzeichnis
KapV Kfe KG KHG KMK-HSchR KPPG krit. KritV KSchG KSchVO KTA kurs. LadSchlG LAG LAI LImSchG Lit. LKV LMG l.Sp. LRG LuftVG LuftVZO LV LVG LVwG LVwVfG m. MAK MBauO MDR MEG mrem mSv MuSchG m.w.N. NAG Nds. NdsRpfl. Neudr. N.F. NJW NJW-RR NMV Nr. NW NuR NVwZ NVwZ-RR
Kapazitätsverordnung Kraftfahrzeug Kammergericht Krankenhausfinanzierungsgesetz Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz. Informationen zum Hochschulrecht Kabelpilotprojektgesetz (Berlin) kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kündigungsschutzgesetz Verordnung über Kündigungsschutz und andere kleingartenrechtliche Vorschriften Kerntechnischer Ausschuß kursiv Ladenschlußgesetz Landesarbeitsgericht Landerausschuß für Immisssionsschutz Landes-Immissionsschutzgesetz Literatur Landes- und Kommunalverwaltung Landesmediengesetz linke Spalte Landesrandfunkgesetz Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesverwaltungsgericht Landesverwaltungsgesetz Landesverwaltungsverfahrensgesetz mit Maximale Arbeitsplatzkonzentration Musterbauordnung Monatsschrift für Deutsches Recht Medienerp robungs- und -entwicklungsgesetz (Bayern) Millirem Millisievert Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen Namensanderungsgesetz Niedersachsen Niedersachsische Rechtspflege Neudruck Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Neubaumietenverordnung Nummer Nordrhein-Westfalen Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht
XXVI
NWVBL NZV OBG OLG OVG OVGE
OVGE Bln. PAG PartG PBefG PflVG PflVO PrcisG PrFeuersocietätsG PrGS PrOVG PrVBl. RdA RdE RdL Rdnr. RegE RFG RGaO RhPf RiA RIW r.Sp. Ra. Rspr. RSK RuStAG 8.
s.
Saarl. sächs. OVG SchfG SchfV SchwbG
s.a.
SGG SH SIg. sog. SozR SSVO StAnz. StorfallV StrG
Abkuizungsveizeichnis
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Ordnungsbehördengesetz Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin Polizeiaufgabengesetz Parteiengesetz Personenbeförderungsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Pflegesatzverordnung Preisgesetz Preußisches Feuersocietätsgesetz Preußische Gesetzsammlung Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußisches Verwaltungsblatt Recht der Arbeit Recht der Elektrizitätswirtschaft Recht der Landwirtschaft Randnummer Regierungsentwurf Rundfunkgesetz Reichsgaragenordnung Rheinland-Pfalz Recht im Amt Recht der internationalen Wirtschaft rechte Spalte Rechtssache Rechtsprechung Reaktor-Sicherheitskommission Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz siehe Satz, Seite Saarland sächsisches Oberverwaltungsgericht Schornsteinfegergesetz Schornsteinfegerverordnung Schwerbehindertengesetz Supreme Court Sozialgerichtsgesetz Schleswig-Holstein Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften sogenannte(r) Sozialrecht (Erste) Strahlenschutzverordnung Staatsanzeiger Störfallverordnung Straßengesetz
Abkürzungsverzeichnis
StrdgsO StriSchV StVO SVG TA Abfall
TA Lärm TA Luft TarifV TBG TEG 11 TVG Tz. U. UPR UTR UVP UVPG v. VAG VB1BW VDI VerBAV Verf. VerfGH VergabeVO ZVS Verh. VersG VersR VerwArch. VerwRspr. VG VGH VGH n.F. vgl. VO VO PR 71/51 Vorbem. VR VRS WDStRL VU WO VwGO VwVfG WaStrG
xxvn
Strandungsordnung Strahlenschutzverordnung Straßenverkehrsordnung Soldatenversorgungsgesetz Technische Anleitung zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfallen Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft Tarifverordnung Teilbetriebsgenehmigung Teilerrichtungsgenehmigung Thallium Tarifvertragsgesetz Textziffer Urteil Umwelt- und Planungsrecht Umwelt- und Technikrecht Umweltvertraglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltvertraglichkeitsprüfung vom Versicherungsaufsichtsgesetz Verwaltungsblitter für Baden-Württemberg Verein Deutscher Ingenieure Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Verfasser Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Vergabeverordnung über die zentrale Vergabe von Studienplatzen und die Durchführung eines Feststellungsverfahrens Verhandlungen Versammlungsgesetz Versicherungsrecht Verwaltungs-Archiv Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vergleiche Verordnung Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Verkehrsrechts-Sammlung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungsunternehmen Vergabeverordnung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Bundeswasserstraßengesetz
Abkürzungsverzeichnis
WEG WG WHG WiR WissR WiVcrw. WM W&M WoBauG WoBindG WRV WUR WuW WuW/E ZAR z.B. ZBR ZfB ZfBR ZfW ZHR Ziff. ZIP ZMR ZollG ZPO z.T. ZulassungszahlenVO ZUM zust. zutr. ZVersWiss. ZVS
Wohnungseigentumsgesetz Wasselgesetz Wasseihauahaltageaetz Wirtschaftarecht Wissenschaftarecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsschaftsförderung Wirtschaft und Verwaltung Wertpapier-Mitteilungen Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wohnungsbaugesetz Wohnungsbindungsgesetz Weimarer Reichsverfassung Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung Zeitschrift für Auslanderrecht und Auslanderpolitik zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zollgesetz Zivilprozeßordnung zum Teil Zulassungszahlen-Verordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zustimmend zutreffend Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik I. Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht und subjektives öffentliches Recht 1. Der Konflikt
privater
Interessen als Gegenstand des Verwaltungsrechts
a) D i e bipolare Ausgangslage Gegenstand der Arbeit sind kollidierende Privatinteressen i m Verwaltungsrecht. Die Zielsetzung ist, Voraussetzungen und Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts i m multipolaren Veiwaltungsrechtsverhältnis 1 zu ermitteln. M i t dem Begriff der MuUipolarität wird zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei dem von einer verwaltungsrechtlichen Ordnungsnorm geregelten Konflikt um einen Streit zwischen Privaten 2 handelt. I m Bild des Dreiecks stehen sich an den beiden Endpunkten Trager kollidierender Pr/vo/interessen gegenüber, während der Staat3, dem die Konfliktschlichtung im Einzelfall aufgegeben ist, die Spitze bildet. Die Thematik des subjektiv-rechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender
1 Der Sprachgebrauch ist noch nicht einheitlich, vgl. etwa Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6): "multilaterale ('polygonale') Verwaltungsnormalität"; Ossenbühl, ibid., S. 35 (36): "... in sog. multilateralen oder polygonalen Verwaltuqgsrechtsverhältnissen"; Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (200): Beispiel der "mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnisse kraft Verwaltungsakts mit Doppelwirkung"; Schmidt-^ßmann, DVB1. 1989, 533 (540): "... in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen ..."; Erichsen, DVB1. 1983, 289 (292): "Gefuge mehrpoliger Rechtsbeziehungen und Interessenverflechtungen"; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 22 zu § 8 (S. 137): "polygonale oder mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältmsse" (kurs. i. O.); Schmitt Glaeser 9 in: Lerche/Schmitt Glaeser/SchmidtAßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (55): "Bereich polygonaler Verwaltungsverhaltnisse"; Häberle, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 248 (262): "'mehrseitige', 'polygonale' Verwaltungsverhaltnisse"; Wahl, JuS 1984, 577 (578): "Konzept vom mehrseitigen Verwaltungsverhältnis"; W. Martens, DÖV 1982, 89 (96): vom "bipolaren zum trigonalen Polizeirechtsverhältnis" (kurs.i.O.). 2 Demgegenüber verwenden Wolff/Bachof, VerwR I, § 32 m c 2 ß (S. 209), den Begriff der "Zivilperson", um eine Person zu bezeichnen, die "öffentlicher Gewalt unterworfen, also Träger öffentlich-rechtlicher Pflichten und Rechte ist, ohne selbst Träger öffentlicher Gewalt zu sein", während als "Privatperson" ein Träger privatrechtlicher Verpflichtungen und Berechtigungen definiert wird. 3 Hierunter sind vor allem Bund, Länder und kommunale Gebietskörperschaften zu verstehen; sie handeln durch Behörden, denen wiederum das Verhalten ihrer Organwalter zugerechnet wird.
2
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
Privatinteressen im Verwaltungsrecht rückt anstelle der klassischen Staat-Bürger-Relation das Horizontalverhältnis der Bürger-Bürger-Relation in den Mittelpunkt der Betrachtung. 4 Während im Zivilrecht typischerweise Deckungsgleichheit von Verpflichtung und Berechtigung besteht, bedarf es i m öffentlichen Recht jeweils des Nachweises, ob und inwieweit eine Verpflichtungsnorm auch subjektiv-rechtlichen Charakter hat. Für das bipolare? VerwaltungsrechtsveAaltnis der Staat-Bürger-Beziehung wird das subjektive öffentliche Recht ohne weiteres durch die Schutznormtheorie 6 in ihrer Fassung der Interessenschutzformel 7 bestimmt; ihr Fundament hat Bachof 8 mit Hilfe der Vermutungsthese 4 Vgl. zur Gnindproblematik Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 21 ff., 32; ders. 9 in: Maunz/Dürig, Rdnr. 3, 22 zu Art. 19 Abs. IV; Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Veihandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287); s. krit. zum Trend der Gesetzgebung Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, Rdnr. 46 zu § 28: Das "BürgerBüiger-Veihahms" werde "durch eine ausgedehnte und sprunghaft zunehmende staatliche Aufsichtsverwaltung geprägt". 5 Auch hier ist die Terminologie unterschiedlich; so wird die Bezeichnung "bilateral" (vgl. etwa Erichsen, DVB1. 1983, 289 (292); Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 35 (36); Isensee, ibid., S. 3 (4)), "zweiseitig" (vgl. Wahl, JuS 1984, 577 (578)), "zweipolig" (s. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 3 zu Art. 19 Abs. IV) wie "bipolar" (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 22 zu § 8 (S. 137); Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. 13 I) verwendet; s. auch noch die Nachweise in Fn. 1. - Wiederum anders H.P. Ipsen, AöR 91 (1966), 86 (87): "Vertikalsicht des Einzelnen zum Staat", im Gegensatz dazu "horizontale Rundsicht der zivilen Eigentumsordnung, die primär auf Nachbarn und andere Einzelne blickt". 6 Vgl. hier nur BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (344); VGH Mannheim, B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61), sowie aus der Lit. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 8, 9 zu § 8 (S. 127 f.); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Durig, Rdnr. 118, 139 zu Ait. 19 Abs. IV; Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 15 zu § 50; WcififBachofy VeiwR I, § 43 I b 2 (S. 322). S. im einzelnen C.IV.l.a.bb mit Fn. 18 und 19 sowie zur Darstellung der Gegenstimmen - b. Das Anwendungsfeld der Schutznormtheorie besteht im Gegensatz zu einer verbreiteten Ansicht (s. z.B. Zuleeg, DVB1. 1976, 509 (515)) keineswegs nur im Drittschutzbereich. Verwiesen sei insoweit etwa auf BVerwG, U.v. 4.2.1982 - 3 C 19.81, E 65, 19 (22): zu § 10 Abs. 3 BÄO, und Normen, die hoheitliche Fachplanungen oder dingliche Zustandsregelungen zum Gegenstand haben. 7 S. hier nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 29 zu § 10 (S. 218): Bei Rechtswidrigkeit des den Adressaten belastenden Verwaltungsakts sei "in aller Regel auch die Rechtsverletzung gegeben"; Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 45 zu § 154; s. im einzelnen C.IV.2. - Auch im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ist vor einer Außerachtlassung der Schutznorm durch unmittelbaren Ruckgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG zu warnen. Dies ist namentlich in bezug auf die im Rahmen der Klagebefugnis praktizierte sog. "Adressatentheorie" (vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 88 zu § 24; s. auch Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 33 IV (S. 206 f.); Faber, Verwaltungsrecht, S. 232) zu betonen; zu Recht distanziert Erichsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 43 ff. zu § 152, sowie am Beispiel einer Ermessensentscheidung auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 159 Fn. 24 zu Art. 19 Abs. IV, und VGH Mannheim, U.v. 18.3.1980.- IV 1631/79, NJW 1980, 1868 f. (keine Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf fehlerfreie Ermessensausübung bei Ablehnung der Ernennung unter Angebot einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis); a.A. Skouris, NJW 1981, 2727 (2728 f.).
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
3
gelegt. Demgegenüber stellen sich in multipolaren Konfliktlagen neue Fragen. Wie sich im einzelnen zeigen wird, sind die Grundlagen des subjektiv-rechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen und namentlich das verwaltungsrechtliche Horizontalverhältnis der Bürger-Bürger-Relation noch weitgehend ungeklärt. U m nochmals das Bild des Dreiecks zu bemühen: Eine verwaltungsrechtliche "Verbindungslinie" zwischen den Endpunkten wird nicht hergestellt. Diese Bürger-Bürger-Relation zu erfassen, bereitet deshalb Schwierigkeiten, weil die verwaltungsrechtliche Dogmatik im Kern nach wie vor bipolar geprägt, d.h. auf das Verhältnis Staat - Bürger bezogen ist. Dementsprechend galt und gilt das Augenmerk im öffentlichen Recht weithin der Spannungslage zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Allerdings ist die Vorstellung einer schroffen Trennung seit längerem einer differenzierten Betrachtung des Gemeinwohls9 und seiner verfahrensrechtlichen Konkretisierung 10 gewichen. Dennoch ist die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts als einer der verwaltungsrechtlichen Grundkategorien in besonderer Weise vom Gegensatz zwischen Staat und Bürger, öffentlichem und privatem Interesse geprägt.11 Da die Schutznormtheorie in Gestalt der eingliedrigen Interessenschutzformel ein subjektives öffentliches Recht dann annimmt, wenn eine Norm zumindest auch den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmt ist, stellt sich die Frage, ob sie in dieser Form der multipolaren Konfliktlage gerecht werden kann oder einer Fortentwicklung bedarf. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Ihre Ausgangshypothese ist, daß Verwaltungsnormen unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen die Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern ordnen und damit die Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis bilden.
b) Die praktische Bedeutung kollidierender Privatinteressen im Verwaltungsrecht Für die Aktualität multipolarer Konfliktschlichtung im Verwaltungsrecht sind vielfaltige tatsächliche Faktoren und Entwicklungen maßgeblich. So führt eine zunehmende Störanfälligkeit in Verdichtungsräumen 12 immer häufiger zu
8 9
In: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (296 ff., 299 ff.), sowie im einzelnen C.IV.2. Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, bes. S. 525 IT.; Scholz, Wiitschaftsaufeicht, S. 87 ff.,
164 f. 10
S. Schmitt Giaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (59 ff.). 11 Vgl. Scholz, WDStRL 32 (1976), 145 (199). 12 Vgl. allg. Schmidi-Aßmann, Die Verwaltung, 18 (1985), 273 (274 ff.), mit der Feststellung, daß im Grunde "viele Verdichtungsschäden Verteilungsprobleme* seien (kurs. i.O.).
4
A . Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
bodenrechtlichenNutzungskonflikten. Sicherheitsbedürfnisse gegenüber Risiken von Großanlagen schlage sich i n einer Ausschöpfung des Rechtsschutzpotentials i m technischen Sicherheitsrecht nieder. Trotz aller Deregulierungsbemühungen 1 3 und partieller Anstoßwirkungen durch das EG-Recht 1 4 ergeben sich neue staatliche Verteilungsmandate wie i m Rundfiinkrecht. 15 Schließlich verliert die öffentlich-rechtliche Gewahrleistung sozialer Schutz- und Ausgleichsinteressen wie z.B. i m öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz nichts von ihrer Aktualität. 1 6 Die praktische Bedeutung dieser nur beispielhaft skizzierten Konfliktfelder läßt die Vermutung zu, daß die Thematik des subjektiv-rechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen i m Verwaltungsrecht eher noch von steigender Bedeutung ist und näheres dogmatisches Interesse verdient. U m hier kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, sei freilich betont, daß die Schlichtung von Interessenkonflikten zwischen Privaten die Domäne des Zivilrechts ist und kein Anlaß besteht, hieran etwas zu ändern. 1 7 Insofern hat Vgl. Gesellschaft zur Forderung der Entbürokratisieiung (Hrsg.), Gefahren für die Effektivität des Rechts, 1990, S. 1 i?.; Kruse, Ordnungstheoretische Grundlagen der Deregulierung, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. 184, 1989, S. 9, bes. 21 ff.; Stober, in: ders. (Hrsg.), Deregulierung im Wirtschafts- und Umweltrecht - interdisziplinar betrachtet, 1990, S. 1 ff.; Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Anlagen, 1990, S. 36 ff. (zur erweiterten Anwendung von §§ 19, 15 Abs. 2 und 33 Abs. 1 BImSchG); zum Begriff der öffentlich-rechtlichen Regulierung Jarass, Die Verwaltung 20 (1987), 413 (414 f.). - Speziell zum VAG und zur Frage der Deregulierung s. Monopolkommission, Hauptgutachten 1986/87, Tz. 549 ff., 609 ff., sowie - skeptisch - R. Schmidt, in: FS f. Rittner, 1991, S. 583 (585 ff., 591). 14 S. die Prognose zum Güterfernverkehr von Fromm, WiVerw. 1989,26 (38), daß mit dem Beginn des Gemeinsamen Marktes am 1.1.1993 "auch die Kontingentierung gegenstandslos werden" dürfte. Freilich bleibt die Frage, ob nicht an die Stelle nationaler Kontingentierungen nunmehr eine Mangelverteilung auf EG-Ebene tritt, die dann von den Behörden der Mitgliedstaaten administriert wird. 15 Vgl. die Zulassungsregelungenin den Landesrund funkgesetzen, z.B. Alt. 26 Abs. 1, 25 Abs. 4 MEG. 16 Auch die Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, Tz. 609, halt am geltenden Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte fest; allerdings wird für den Fall einer wahrend der Beschäftigung eintretenden Schwerbehinderung erwogen, dem Betroffenen freizustellen, für den allgemeinen Kündigungsschutz zu optieren, s. Tz. 610. 17 S. Schmitt GUteser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (81): Die Entscheidungssituation im Einwendungsverfahren sei dadurch gekennzeichnet, daß die Verwaltung "Verteilungskampfe zwischen Privatpersonen schlichtet, mit öffentlich-rechtlichen Instrumenten also eine Lage ordnet, die herkömmlich eine Domäne der Privatrechtsordnung war". - Allg. zur Konfliktschlichtung im Zivilrecht im Vergleich zum öffentlichen Recht D. Schwab, Einfuhrung, Rdnr. 101 ff.; zur grundsatzlichen Aufgabenverteilung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht s. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 13 zu § 3 (S. 30), der von der "Bereinigung aktueller oder potentieller Interessenkonflikte zwischen Privatpersonen" als Aufgabe des Privatrechts spricht, wahrend es im öffentlichen Recht um "Begründung und Begrenzung staatlicher Befugnisse" gehe; Berg, Die Verwaltung 21 (1988), 319 (322 ff.).
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
5
Rupp x % "eine schon seit langem zu beobachtende kritische Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft" diagnostiziert, "nämlich eine mehr oder weniger schleichende Umpolung der Ordnungsstrukturen im Sinne einer Umdimensionierung der Bürger-Bürger-Relation in eine Relation des öffentlichen Rechts mit dem Staat als unmittelbarem Gegenüber"; dies sei bereits im "Baurecht... übermächtig spürbar, vom Immissionsschutzrecht oder Energiewirtschaftsrecht ganz zu schweigen". Dieser kritischen Einschätzung ist voll zuzustimmen. Hiermit steht es keineswegs in Widerspruch, wenn die vorliegende Arbeit kollidierenden Privatinteressen im Veiwaltungsrecht nachgeht und die Begründung subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung anstrebt. Insofern geht es allein um die dogmatische Bewältigung jener Fälle, in denen die Regelung des Streits zwischen Privaten de lege lata bereits dem öffentlichen Recht überantwortet worden ist. 19 Welche dogmatischen Probleme diese Entwicklung mit sich bringt, zeigen Äußerungen zur Problematik der Drittabwehrklage. So hat Brohm 20 darauf hingewiesen, daß die Verwaltungsbehörde "oft nur formal der Beklagte" ist und es in "Wirklichkeit ... um einen Streit unter den verschiedenen Betroffenen, einzelnen Privaten und gesellschaftlichen Gruppen" geht, "über deren oft widersprüchliche Interessen die Verwaltung und letztlich das Gericht als 'Instanzen des Ausgleichs' zu befinden haben". Kloepfer 21 hat davon gesprochen, daß im Umweltrecht "'Stellvertreterkriege' gegen den genehmigenden bzw. nicht einschreitenden Staat" gefuhrt werden, "wo doch eigentlich der Betreiber als Umweltbeiaster der primäre Konfliktgegner sein sollte". Ahnlich hat Leisner 22 kritisiert, daß Nachbarstreitigkeiten in "risikolose Verwaltungsprozesse umfunktioniert" werden. 23 Bemerkenswerterweise hatte schon das BVerfG 24 zu § 80 Abs. 6 S. 2 VwGO a.F. anhand eines Baunachbarstreits ausgeführt, daß dem "Rechtsstreit eigentlich nur eine Auseinandersetzung zwischen Nachbarn zugrunde" hege. Ebenso ist für den VGH München im Rahmen der Interessenabwägung des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Fall 2 VwGO beim Verwaltungsakt mit Drittwirkung "in erster Linie zwischen widerstreitenden Privatinteressen zu
18
In: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, Rdnr. 46 zu § 28. Vgl. Erichsen, in: Erichsen/Maitens, Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59: "... Fälle, in denen der Gesetzgeber ... die Regelung der zwischen Privaten bestehenden Konflikte in das öffentliche Recht verlagert, an deren Schlichtung also ein öffentliches Interesse begründet und sie den Staatsorganen anvertraut." S. auch Bachof, in: FG BVerwG, 1978, S. 1 (16 f.). 20 DÖV 1982, 1 (4). 21 DVB1. 1988, 305 (309). 22 Umweltschutz, S. 51. 23 S. auch Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (603). 24 B.v. 19.6.1973 - 1 BvL 39/69 und 14/72, E 35, 263 (271); dazu aber auch krit. Erichsen, WDStRL 35 (1977), 171 (215) Fn. 263: "doch wohl zu sehr vereinfacht". 19
3 Schmidt-Preuß
6
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
entscheiden" P Schließlich wird die materiell-rechtliche Grundkonstellation des Streits zwischen zwei privaten Konfliktgegnern im Verwaltungsrecht vollends deutlich, wenn das BVerwG 26 betont, daß sich bei einer Drittanfechtungsklage, "was den grundsätzlichen Interessengegensatz anlangt, nicht der Nachbar und die Behörde, sondern Nachbar und Bauherr gegenüberstehen". So sehr auch die Tendenz der zunehmenden multipolaren Konfliktschlichtung im Verwaltungsrecht der Kritik unterliegt oder sogar für eine ausschließlich zivilrechtliche Beilegung des Baunachbarstreits plädiert worden ist, 27 so muß zur Kenntnis genommen werden, daß - wie Ossenbiiht 28 lapidar festgestellt hat - sich "die Dinge ... anders entwickelt" haben. Damit stellt sich die Aufgabe, die von Hause aus bipolar geprägte Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts an die Erfordernisse multipolarer Konfliktschlichtung anzupassen.29
c) Normatives Konfliktschlichtungsprogramm und Ausgleich kollidierender Privatinteressen Ohne jede Brisanz wäre die Frage nach der subjektiv-rechtlichen Konfliktschlichtung freilich, wenn man wie der 10. Senat des OVG Münster 30 davon ausgehen wollte, daß "prinzipiell eine jede Norm des materiellen öffentlichen Baurechts ... Bedeutung im Sinne des Nachbarschutzes" hätte und in diesem Sinne "potentiell (auch) nachbarschützend" wäre. Davon kann aber keine Rede sein. Vielmehr gibt es - wie das BVerwG 31 mit wünschenswerter Klarheit
25
VGH München, B.v. 21.11.1989 - Nr. 20 CS 89.1924, BauR 1990, 700 (701). U.v. 19.9.1969 - IV C 18.67, DVB1.1970, 62 (64); hier wird auch schon der Begriff des "Dreiecksverhältnisses" verwendet. 27 So zum Baunachbarrecht vor allem Redeker, NJW 1959, 749 (751); s. auch Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201). 28 In: ders., (Hrsg.), Eigentumsschutz und Umweltschutz, 1990, S. 35 (37). 29 Nach der pointiert überspitzten Formulierung von Ossenbühl, ibid., S. 45, ist schon die Frage, "ob eine bestimmte gesetzliche Vorschrift ein subjektives öffentliches Recht verleiht oder nicht, ... in vielen Fallen nicht weit vom Kaffeesatzlesen entfernt, also der Rechtspolitik benachbart". 30 U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415), für bauplanerische Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung; die von Alexy, DÖV 1984,953, (962) mit Fn. 100, unter Hinweis auf den Zusatz "prinzipiell" angenommene Deutungsmöglichkeit, daß die These des OVG Münster "nur grundsatzlich" gelte und insofern die Kritik des BVerwG an dem Urteil "vorbei" gehe, läßt sich nicht bestätigen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Grundannahme des OVG Münster, daß eine "Norm, die sich bei abstrakter Betrachtung nicht als nachbarschützend erweist, ... nicht gleichwohl im Einzelfall Nachbarschutz gewähren" könne. 31 B.v. 16.8.1983 - 4 B 94.93, NVwZ 1984, 38 r.Sp.; ausdrücklich unterstrichen in BVerwG, U.v. 9.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 l.Sp.; vgl. ebenso das Urteil des 21. Senats des OVG Münster v. 22.10.1987 - 21 A 330/87, NVwZ 1988, 554 (559); s. auch BVerwG, B.v. 26
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
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unterstrichen hat - "zahlreiche Normen des öffentlichen Baurechts, die ausschließlich der Durchsetzung von Interessen der Allgemeinheit und nicht dem Schutz individueller Interessen dienen". Einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch kennt das geltende Recht nicht.32 Diesem materiell-rechtlicher* Befund entspricht die durch Art. 19 Abs. 4 GG 3 4 und die §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 und 5 VwGO ausgeprägte prozessuale Konzeption35 des subjektiven Rechtsschutzes.36
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Wenn damit auch nicht aus jeder objektiv-rechtlichen Verpflichtung ein subjektives öffentliches Recht »wächst, so setzt doch umgekehrt jede subjektivrechtliche Position eine entsprechende Verpflichtungsnorm voraus. 37 Der Ausgangshypothese dieser Arbeit entsprechend wird daher zu fragen sein, ob und in welcher Weise ein Verwaltungsgesetz Konflikte zwischen Privaten regelt. Hierbei handelt es sich jenseits der Vielfalt fachgesetzlicher Regelungen im einzelnen um ein Strukturproblem allgemein-verwaltungsrechtlicher Dogmatik. Külz* hat im Jahr 1958 festgestellt, daß der Staat im öffentlichen Recht "grundsatzlich nicht etwa zur Schlichtung von privaten Streitigkeiten oder zum Ausgleich privater Gegensätze" tätig werde; eine Ausnahme bestehe nur beim "Widerstreit privater Interessen" im Wasserrecht. 39 Diese Aussage läßt sich
6.12.1988 - 1 B 157.88, GewArch. 1989, 172 (173), zu (ausschließlich) tatsachlichen Nachteilen, die keinerlei rechtlichen Schutz genießen. 32 Vgl. hier nur Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 II 5 Rdnr. 52. 33 Zwischen der Frage nach dem materiell-rechtlichen Anspruch und dem prozessualen Anspruch wird nicht immer deutlich genug unterschieden; zur Notwendigkeit klarer Differenzierung am Beispiel der Klagebefugnis s. die nach wie vor gültige Mahnung von Bachof, AöR 88 (1963), 424 (425); vgl. im übrigen Weyreuther, in: FS f. Menger, 1985, S. 681 (684 f.). 34 Vgl. BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 f.): Art. 19 Abs. 4 GG gewährleiste "nicht selbst den sachlichen Bestand oder den Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung; dieserichtetsich vielmehr nach der Rechtsordnung im übrigen". S. aber auch Bachof, Vornahmeklage, S. 85, zur ursprünglichen Fassung der Vermutungsthese, dazu unten C.IV.2.a. 35 Das Prozeßrecht ist der Durchsetzung des materiellen Rechts verpflichtet, vgl. E.I; zur eigenständigen prozeßrechtlichen Begründung von Ansprüchen Weyreuther, in: FS f. Menger, 1985, S. 681 (683 f.). 36 Vgl. J. Ipsen, Jura 1987,123 (125); Schmidt-Aßmann, in: FS f. Menger, 1985,107 (109); s. auch Lorenz, ibid., 143 (149); Krebs, Kontrolle, S. 66; ders., Die Verwaltung, 21 (1988),155 (166 f.); Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 41 zu § 154; zu Art. 19 Abs. 4 GG als Ausdruck individuellen Rechtsschutzes Schenke, in: Bonner Kommentar, Rdnr. 25 zu Art. 19 Abs. 4; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 8 f. zu Art. 19 Abs. IV. 37 Vgl. Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (289). 38 In: FS f. Gieseke, 1958, S. 187 (205). 39 Vgl. z.B. VGH Mannheim U.v. 24.10.1977 - VH 39/76, RdL 1978, 107 (108): Die "Einwendungsmöglichkeit beschrankt sich bei einem hier erforderlichen Interessenausgleich zwischen den beiderseitigen Interessen sowohl des Klagers als auch des Beigeladenen an einer
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A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
heute nicht mehr aufrechterhalten. Wie im einzelnen zu zeigen sein wird, erkennt die Rechtsprechung den Ausgleich zwischen kollidierenden Privatinteressen bereits weithin als legitime Aufgabe des Verwaltungsrechts an. 40 Insofern kann von "Bürgerbeziehungen 'unter' der Verwaltung" gesprochen werden, die "sich vornehmlich auf Verteilungskampfe zwischen Privatpersonen richten, die mit den Instrumenten des öffentlichen Rechts in Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsentscheidungen geschlichtet werden sollen".41 Nicht die "Anerkennung widersprüchlicher privater Interessen im Verwaltungsrecht" 42 kann in Frage stehen.43 Klärungsbedürftig ist vielmehr, unter welchen Voraussetzungen den einzelnen Privaten auch die Rechtsmacht zusteht, ihre Interessen auf Kosten des Konfliktgegners zu verwirklichen und gegenüber dem Staat (der Behörde) durchzusetzen. Insoweit weist das BVerwG auf den richtigen Ausgangspunkt, wenn es zum Konflikt zwischen Bergbauunternehmen und Oberflächeneigentümer festgestellt hat: "Treffen ... zwei grundrechtlich geschützte Rechtspositionen aufeinander, so ist es in erster Linie Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, eine ausgleichende sachgerechte Lösung des Konflikts zu finden." 44 Ob die gesetzliche Ordnung der Konfliktbeziehungen zwischen den Privaten als Basis subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung in Betracht kommt, hängt davon ab, welche tatbestandlichen Anforderungen hierfür zu stellen sind. 45 Ausschlaggebend ist das normative Konfliktschlichtungsprogramm. Hierunter wird in dieser Arbeit jene tatbestandliche Ausprägung des Horizontalveihältnisses einer Ordnungsnorm verstanden, die unter noch zu darzulegenden Voraussetzungen46 subjektive öffentliche Rechte im multipolaren VerwaltungsrechtsNutzung des eigenen Grundstucks nach persönlichen Wünschen auf beachtliche, nicht zumutbare Nachteile". 40 Vgl. C.Ü.2. 41 Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (87). 42 Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6). 43 Die fachplanungsrechtliche Abwägungsformel schließt zwar auch den Widerstreit "privater Belange untereinander" ein, s. BVeiwG, U.v. 14.2.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (68). Dies bezieht sich aber nur auf die parallelen Einwendungen Dritter und ändert nichts daran, daß die hoheitliche Fachplanung bipolar strukturiert ist. Zur Multipolarität bei privatem Voihabenträger s. C.ü.2.a.ee und eingehend C.VI.5.a.dd. 44 BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (343). 45 Das "materielle Entscheidungsprogramm" ist als terminus technicus vom BVerwG erstmals in den Urteilen vom 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1986, 337, und vom 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (42), eingeführt und im Moers-Kapellen-Urteil vom 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (334), bekräftigt worden; dem hat sich das OVG Berlin, U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (211), angeschlossen; von normativen Ordnungsmustern "im Sinne der verbindlichen Entscheidungsprogrammierung" hat bereits Esser, Vorverständnis, S. 34, gesprochen. Zum Begriff des "Normprogramms" s. auch Frarfien, in: FS f. Zeidler, 1987, S. 429 (451), nach dem die Verwaltung, nicht die Rechtsprechung "zum Vollzug dieses Programms" ermächtigt ist; s. hierzu auch C.V.l.a.aa. 46 S. die Konfliktschlichtungsformel unten C.VI.l.a.
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
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Verhältnis begründet. Es geht dabei um - typischerweise abstrakt-generelle gesetzgeberische Konfliktlösung, 47 die der konkret-individuellen administrativen Streitschlichtung 48 als Grundlage dient.
d) D i e fünf Grundkonstellationen multipolarer Konfliktlagen Überblicksweise lassen sich fünf Grundkonstellationen multipolarer Konfliktlagen unterscheiden. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß ein Privater seinen Interessen nur auf Kosten eines anderen zum Durchbruch verhelfen kann. Zum einen handelt es sich um Fälle der Drittabwehr , in denen der private Dritte zur Wahrung seiner Verschonungsinteresseri 49 mit dem Genehmigungsabwehranspruch 30 die Aufhebung einer ihn belastenden Fremdbegünstigung etwa einer Baugenehmigung, einer (zivilrechtsbezogenen) versicherungsaufsichtsrechtlichen Genehmigung oder einer Zustimmung zur Kündigung nach dem SchwbG - erstrebt. 51 A n zweiter Stelle ist das Drittvornahmebegehren 52 zu
S. dazu grdl. Lerche , in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (105 ff.): "Gesetzgeber als Konfliktschlichter" (S. 107); Schmitt Glaeser , Die Verwaltung 14 (1981), 277 (289): "... größere 'Freiheit' des Gesetzgebers, aber auch größere Verantwortung im Verfahren der Konfliktbewältigung"; ferner Schopp, Nachbarrecht, S. 32 f., der allerdings nicht ausreichend zwischen Norm und Einzelakt unterscheidet. 48 Zur Programmierung der Verwaltungsentscheidung durch das Gesetz s. Schmitt Glaeser , WDStRL 31 (1973), 179 (193 ff. mit Fn. 58); im einzelnen zum streitschlichtenden Verwaltungsakt s. C.H.3. 49 Vgl. treffend Schopp, Nachbarrecht, S. 32: "Schonungsinteressen" des Nachbarn. 50 S. zum materiellen Zusammenhang zwischen Genehmigungs- und Genehmigungsabwehranspruch Badura , in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8). 31 In der Rspr. ist neuerdings vielfach von Abwehr in solchen Fällen die Rede, die der Drittvornahmekonstellation zuzuordnen sind, vgl. z.B. OVG Munster, U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 (173 f.), das davon spricht, daß die §§ 17 Abs. 1 S. 2 und 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG im Fall der Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG "Abwehrrechte" verleihen. Umgekehrt wird in Drittabwehrfallen der Terminus der Schutzansprüche verwendet, vgl. etwa BVerwG, B.v. 28.2.1990 - 4 B 32.90, NVwZ 1990, 655 r.Sp.: Schutzanspruche des Abwehrklägers; ebenso BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 25.86, DVBl. 1989, 672 (673): "Schutzanspruch" (im bergrechtlichen Drittabwehrfall). Darin kommt zu Recht die materielle Verflochtenheit von Abwehr und Vornahme zum Ausdruck, wie sie für die multipolare Konfliktlage typisch ist, vgl. Schmidt-Aßmarm, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 121 zu Art. 19 Abs. IV; s. auch schon Bachof, WDStRL 12 (1954), 37 (57); ferner Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66): Wehre sich ein Drittbetroffener gegen die Erteilung einer Genehmigung, "dann wendet er sich genau genommen nicht gegen einen Eingriff, sondern verlangt noch mehr Schutz durch den Staat"; Breuer , in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (109), nach dem grundrechtliche Genehmigungsabwehranspröche zwar "äußerlich negatorische Abwehransprüche" seien, der "Sache nach ... jedoch zur Typik des positiven Schutzes grundrechtlicher Freiheit" gehören (s. dazu insgesamt B.H.l.b). Entscheidend für die hier vorgeschlagene Systematisierung der multipolaren Grundkostellationen ist, wer die Inititiative der Interessenwahrung übernehmen muß.
10
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
nennen. Hier zielt der Dritte auf ein Tätigwerden der Behörde, um seine Verschonungsinteressen gegenüber dem "störenden" Konfliktgegner geltend zu machen. Zu denken ist z.B. an den Erlaß einer Stillegungsverfugung, einer Genehmigungsergänzung durch Schutzauflage, einer Nutzungsuntersagung, des Widerrufs einer Genehmigung oder einer Untersagungsverfugung zu Lasten eines marktstarken Unternehmens.33 Multipolarer Natur ist aber auch - zum dritten - die Fallkonstellation der Gestaltungsvornahme. Hiervon ist zu sprechen, wenn zur Durchsetzung aktiver Gestaltungsinteressen beispielsweise ein Bauherr oder ein Betreiber die Erteilung einer Genehmigung begehrt, die jedoch zum Schutz von Verschonungs- und Integritätsinteressen Dritter versagt wird. Als vierte multipolare Grundkonstellation läßt sich die Gestaltungsabwehr hervorheben. Hier geht es vor allem um die Fälle, in denen ein Gestaltungsinteressent die Aufhebung einer (selbständigen) drittschützenden Auflage oder eines (auf Drittwiderspruch ergangenen, die erteilte Genehmigung aufhebenden oder inhaltsverschärfenden) Widerspruchsbescheids erstrebt. Während die beiden erstgenannten Fallgruppen klassischerweise die Drittrechtsdiskussion dominieren, hat die multipolare Natur der beiden anderen Kategorien bislang wenig Beachtung gefunden. 54 Dies liegt nicht zuletzt daran, daß in der prozessualen Entscheidungssituation die Drittschutzkomponente nicht in Erscheinung tritt. 55 Dennoch gehören diese Fälle materiell zur multipolaren Konfliktschlich-
Vielfach wird - im Gegensatz zu Abwehransprüchen des status negativus - von Erfullungsansprüchen im status positivus gesprochen, vgl. Rupp, Grundfragen, S. 262 ff., 272; SchmidtAßmam, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 284 f. zu Alt. 19 Abs. IV; Papier, DÖV 1972, 845 (846 ff.). Da aber jeder Anspruch - einerlei, ob er auf Genehmigungsabwehr oder auf staatliches Handeln gerichtet ist - der Erfüllung fähig und bedürftig ist, wird dieser Terminus hier nicht übernommen, sondern die Kategorie der Vornahme(begehren, -anspräche) verwendet. S. C.Vm.2.b. 53 Zum Sonderfall der isolierten Zugangsvornahme s.u. A.m.l. 54 Zutr. bemerkt Schlichter, Berliner Kommentar, Rdnr. 86 Vorbem. zu den §§ 29 - 38 (kurs.i.O.), daß eine "'Nachbarklage'" auch dann vorliegt, wenn die Baugenehmigung "wegen der Nachbarinteressen von vornherein versagt ist und der Bauherr auf Genehmigung klagt" oder wen auf Nachbarwiderspruch eine Genehmigung aufgehoben werde und nunmehr der Bauherr auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids klagt; vgl. auch Schmdt-Aßmam, WDSlRL 34 (1976), 221 (249 f.) Fn. 96, unter dem Aspekt der Beiladung; distanziert Breuer, in: von Münch/SchmidtAßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (497) Fn. 600: Gerichtsentscheidungen "zum Ermessen bei repressiven Verfugungen nach den §§ 24, 25 BImSchG" seien für die Frage des Drittschutzes des § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG "nicht einschlägig"; P. Jacob, VB1BW 1986, 72 (73), der im Streit um die vom Bauherrn analog § 80 Abs. 5 VwGO vor Gericht erstrebte Sofortvollzugsanordnung keinen "Nachbarprozeß" sehen will, sondern "einen durch den Nachbarn ausgelösten Bauherrenprozeß". - Für den Fall des Gleichstellungsbegehrens eines Konkurrenten s. Scholz, WiR 1972, 35 (42), der betont, daß das Begehren des Subventionspetenten "tatbestandlich konkurrenzbezogen" ist; insoweit a.A. Brohm, in: FS f. Menger, 1984, S. 235 (236); vgl. hieizu A.III. 1 bei Fn. 184 ff. 55 So lassen Gerichtsentscheidungen in Gestaltungsabwehr- oder -vomahmefallen i.d.R. nicht erkennen, ob bei Anwendung des objektiven Rechts die Drittschutzschwelle erreicht ist. Ausnahmsweise drittschutzrelevante Aussagen in einem Fall der Gestaltungsabwehr finden sich aber etwa in
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
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tung; dies wird bei einem Austausch der Prozeßrollen deutlich. Allen vier genannten Konfliktlagen ist damit die normative Aufgabe gemein, einen Ausgleich zwischen aktiven Gestaltungsinteressen und gegenläufigen passiven Verschonungsinteressen zu finden. Davon sind die ganz anders strukturierten Konflikte zwischen konkurrierenden kapazitittsbezpgenen Zugangsinteressen unterscheiden (fünfte Grundkonstellation multipolarer Konfliktlagen). Hier geht es um den Zugriff eines Konkurrenten auf denselben - nur einmal zur Verfugung stehenden - Verteilungs- und Auswahlgegenstand, den ein anderer Prätendent für sich erstrebt. Bei der Durchsetzung des "besseren" Rechts eines Bewerbers wird dem Verhältnis zwischen der Aufhebung der Fremdbegünstigung und der Realisierung des eigenen Zugangsvornahmebegehrens besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein.56 In allen fünf Grundkonstellationen - die den weiteren Ausführungen der Arbeit zugrunde gelegt werden - kann die Ordnungsnorm den Modus des Verwaltungshandelns strikt ausgestalten oder mit Ermessens-, Beurteilungs- bzw. Abwägungsspielräumen versehen.
2. Der Verwaltungsakt
zu
mit Drittwirkung
a) Der Verwaltungsakt mit Drittwirkung: Probleme und Terminologie aa) Die Verwaltungsrechtsdogmatik hat sich der multipolaren Problematik zunächst auf der Ebene der Verwaltungsentscheidung zugewandt und den Verwaltungsakt mit Drittwirkung entwickelt.57 Es handelt sich um einen Verwaltungsakt, der sich begünstigend bzw. belastend an den Adressaten richtet und notwendig zugleich gegensätzliche - belastende bzw. begünstigende - Auswirkungen auf einen anderen Privaten hat. 58 § 80 a Abs. 1 und 2 VwGO hat
VGH Mannheim, B.v. 27.6.1990 - 10 S 1129/90, NVwZ-RR 1990, 542 (544): Die vorläufige Betriebseinstellung gern § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG lasse auch insoweit keine Ermessensfehler erkennen, als die von der drittschützenden Wirkung der Norm begünstigten Personen seitens der Behörde auch geschützt werden sollten. Entsprechendes gilt im Fall der Gestaltungsvomofoni für VG Hamburg, U.v. 2.4.1985 - 2 592/84, W&M 1985, 400 (401 f.): Die Sozialmieter hätten auf die Beibehaltung der im Wege der Modernisierung durch den vormaligen Vermieter eingebauten Nachtstromspeicherheizung vertrauen dürfen. Dies müsse bei der Ermessensausübung im Rahmen der Zustimmungsentscheidung gem. § 11 Abs. 7 II. BV von der Behörde in Rechnung gestellt werden. 56
S.o. C.Vm.3 für schematische, 4 für qualitative Konfliktschlichtung. S. bereits Laubinger , Verwaltungsakt, S. 5 ff., 28 ff.; Menger/Erichsen , VerwArch. 60 (1969), 89; Fromm , VerwArch. 56 (1965), 26 (31 ff.); Bettermann, in: GS f. Imboden, 1972, S. 37 (52 ff.). 58 Vgl. mit unterschiedlichen Akzentuierungen Maurer , Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 50 zu § 9 (S. 179); Erichsen y in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 18 Rdnr. 1; Woiff/Bachofy VerwR I, § 46 V c 3 (S. 384); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhaidt, VwVfG, Rdnr. 12 zu § 50; Schmitt Glaeser , Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 253; Laubinger , Verwaltungs57
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
12
jetzt die beiden Gnmdtypen des Verwaltungsakts mit Drittwiikung - den adressatbegünstigenden Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung wie auch den adressatbelastenden Verwaltungsakt mit drittbegünstigender Wirkung 59 - aus60 drücklich anerkannt. Daß die Auswirkungen auf den Dritten eine Rechtsverletzung darstellen, setzt der Begriff des Verwaltungsakts mit Drittwirkung nicht voraus. 61 Es kommt allein auf die Möglichkeit einer Minderung oder Mehrung der Rechtsposition des Dritten a n . 6 2 Eine physisch-reale Identität von Begünstigung und Belastung i m Sinne einer "Stoffgleichheit" 0 kann vorliegen, ist aber nicht erforderlich; 64 es reicht, wenn der Regelung die notwendige materielle Verflochtenheit der gegensätzlichen Abwehr- und Vornahme- bzw. der konkurrierenden Zugangsbegehren zugrunde liegt. Inhaltlich kann es sich u m geoder verbietende, feststellende oder gestaltende Verwaltungsakte handeln. 65
akt, S. 1 f., 29; XJle/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464); s. aus der Rspr. etwa BVerwG, U.v. 29.8.1986 - 7 C 52.84, NVwZ 1987, 131 (132); OVG Lünebuig, B.v. 16.1.1990 - 8 M 26/89, GewArch. 1990, 250 r.Sp.; OVG Münster, U.v. 25.4.1989 - 13 A 2399/87, NVwZ-RR 1990, 573 (574); VGH München, U.v. 6.11.1990 - 22 B 90.1800, GewArch. 1991, 143 r.Sp.; VGH Kassel, B.v. 24.11.1990 - 8 TH 3414/89, NVwZ-RR 1990, 185 r.Sp. ("zweifache Wirkung" durch Begünstigung und Belastung). Zum Regelungsgehalt des streitschlichtenden Verwaltungsakte s. C.II.3 und D.II. 59
In der Lit. war auf diese beiden Kategorien bereits aufmerksam gemacht worden, s. Erichsen, in: Erichsen/Maitens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 18 Rdnr. 1; Obermayer, VwVfG, Rdnr. 6 und 7 zu § 50; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464); Knoke, Rücknahme, S. 68 f. Erfaßt wird im übrigen auch die sachbezogene Allgemeinverfugung gem. § 35 S. 2, Fall 2 VwVfG, die - wenn auch allg. als dinglicher Verwaltungsakt bezeichnet - für die einen Nutzer der gewidmeten Sache eine rechtliche Begünstigung und für die anderen eine entsprechende Belastung darstellen kann; vgl. zur nachtraglichen Widmungsbeschränkung durch Teileinziehung einer öffentlichen Straße OVG Berlin, U.v. 12.11.1986 - 1 B 10.85, OVGE Bln. 18, 1 (2 ff.), das freilich Drittrechtspositionen verneinte. 60 S. hierzu Redeker, NVwZ 1991, 526 (529). 61 S. auch Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 12 zu § 50 i.V.m. Rdnr. 81, 84 zu § 48 und Rdnr. 13 zu § 49. 62 Vgl. hierzu BVerwG, U.v. 29.4.1986 - 7 C 52.84, NVwZ 1987, 131 (132), wonach das Vorliegen eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung voraussetzt, daß "in die Rechtsstellung eines Dritten eingegriffen wird oder doch eingegriffen werden kann" (für den Fall eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids). In der Sache dürfte damit kein Unterschied zu Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464), bestehen, die verlangen, daß der Verwaltungsakt ein subjektives öffentliches Recht "begründet oder bestätigt und gleichzeitig" in ein solches einer anderen Person "eingreift". 63 Laubinger, Verwaltungsakt, S. 29. 64 Ibid., s. 29 f.; s. auch Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464 f.); insoweit enger - Identität fordernd - Menger/Erichsen, VerwArch. 60 (1969), 89 (98). 65 Zum streitschlichtenden Verwaltungsakt s. C.II.3. § 35 S. 1 VwVfG ist auf den Verwaltungsakt mit Drittwirkung nicht ausgelegt. In bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen bezieht sich das Merkmal "auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet" ohne weiteres auf den Adressaten. In der Drittrechtekonstellation kann nichts anderes gelten, so daß es nicht etwa auf (intendierte) Außenwirkungen gegenüber dem Dritten ankommt; so aber Faber, Verwaltungsrecht,
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
13
bb) I n terminologischer Hinsicht war in Literatur und Rechtsprechung die Bezeichnung des Verwaltungsakts mit Drittwirkung wie mit Doppelwirkung gelaufig. 66 Die Neufassung des § 80 Abs. 1 S. 2 V w G O durch das am 1.1.1991 in Kraft getretene 4. Gesetz zur Änderung der V w G O 6 7 spricht nunmehr v o m Verwaltungsakt mit "Doppelwirkung". Eine sachliche Änderung gegenüber dem status quo ist hiermit nicht verbunden. D i e Begriffswahl erscheint nicht als glücklich, weü der Terminus der Doppelwirkung auch den Fall betreffen kann, in dem ein und dieselbe Person von einem Verwaltungsakt teils begünstigt, teils belastet w i r d . 6 8 Freilich erscheint auch der Begriff des Verwaltungsakts mit Drittwirkung als nicht zweckmäßig; er ist Ausdruck bipolarer Verwaltungsrechtsdogmatik. 69 Wenn der Gesetzgeber hier tätig werden wollte, hätte es deshalb nahegelegen, mit einem neuen Begriff der multipolaren Konfliktlage zu entsprechen; insofern wird auf den weiter unten unterbreiteten Vorschlag des streitschlichtenden Verwaltungsakts verwiesen. 70 W i l l man dem nicht folgen, ist der Terminus des Versvaltungsakts mit Drittwirkung immer noch vorzugswür-
S. 176, der das Merkmal der Unmittelbarkeit auf den Dritten beziehen will. Ob dem Dritten im übrigen ein subjektives öffentliches Recht zusteht, bemißt sich allein nach dem Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm. Eine Finalitat der Regelung hinsichtlich einer solchen Rechtsposition ist von § 35 S. 1 VwVfG nicht gemeint, (vgl. insoweit zur seineizeitigen Diskussion um zufallige und bezweckte Drittwirkungen etwa Dörfler, NJW 1963, 14 (15)). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der von Faber in Bezug genommenen Äußerung O. Mayers, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 127 Fn. 9, wonach das "Anzufechtende" nicht die "Gestalt eines Befehls an den Beschwerdefuhrer haben muß". Das OVG Berlin, U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (210), laßt es zu Recht ausreichen, daß die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans zugunsten eines Eigenbetriebs "jedenfalls den drittbetroffenen Nichtadressaten gegenüber ... Außenwirkung im Sinne der Verwaltungsaktsdefinition" hat. Wie im bauaufsichtlichen Zustimmungsverfahren bei Vorhaben des Bundes und der Lander (dazu Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 67) ist auch in diesem Sonderfall von einem Verwaltungsakt auszugehen, obwohl sich die Finalitat der Außenwirkung nicht auf den Adressaten bezieht. 66 Vgl. für "Drittwirkung" Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 162, 253; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 49 (i.V.m. Register) und Rdnr. 50 zu § 9 (S. 179); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leortiaidt, VwVfG, Rdnr. 11 f. zu § 50; Schenke, DVB1. 1990, 328 (329). - Demgegenüber für den Begriff des Verwaltungsakts mit "Doppelwirkung" Faber, Verwaltungsrecht, S. 164, 177; Laubinger, Verwaltungsakt, S. 3 ff.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464 f.); Friaitf, JurA 1969, 3 (4). - Vielfach werden auch beide Begriffe synonym gebraucht, s. z.B. Scholz, WiR 1972, 35 (38); Bosch/Schmidt, Einführung, S. 80 sowie S. 91; vgl. in diesem Sinne auch Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allg.VerwR, § 18 Rdnr. 2 einerseits, Rdnr. 1, 4 andererseits. Wiederum anders Dörfler, NJW 1963, 14 (15). - Aus der Rspr. für "Drittwirkung" z.B. OVG Koblenz, B.v. 25.6.1990 - 2 B 11182/90, NVwZ 1990, 1087 r.Sp.; s. jetzt aber auch zum neuen Recht VGH Kassel, B.v. 30.1.1991 - 4 TG 3243/90, BauR 1991, 185 (186): "Doppelwirkung". 67 V. 17.12.1990, BGBl. I S. 2809. 68 So zutr. Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 11 zu § 50. 69 S. sogleich unter A.I.2.b. 70 C.Ü.3.
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
14
dig, da er die Beteiligung verschiedener Personen erkennen läßt. Folgerichtig wäre dann von einem Verwaltungsakt mit Mischwirkung zu sprechen, wenn nur eine Person betroffen ist. 71 Insoweit hatten Wolff/Bachof 72 den Verwaltungsakt mit Doppelwirkung als Oberbegriff vorgeschlagen und ihm die Verwaltungsakte mit Mischwirkung bzw. mit Drittwirkung zugeordnet. Wie sich auch aus der Begründung des Regierangsentwurfs ergibt, hat der Gesetzgeber jedoch dieses Konzept nicht übernommen.73 Angesichts des Zweckmäßigkeitscharakters terminologischer Fragen ist es keine Mißachtung einer gesetzgeberischen Entscheidung, vom Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu sprechen.74 cc) Als Instrument der Streitschlichtung in multipolaren Konfliktlagen stellt der Verwaltungsakt seine Leistungsfähigkeit unter Beweis. Daher steht, was die Ebene der Verwaltungsentscheidung angeht, die Handlungsform des Verwaltungsakts im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Er hat sich bei aller Bedeutung des übrigen Instrumentariums der Verwaltung "nicht als ein Relikt vergangener Epochen" erwiesen, "sondern als eine durchaus zeitgerechte Rechtsform ..., die zumal zur Regelung mehrpoliger Interessenlagen unverzichtbar ist". 75 Der Stellenwert etwa des öffentlich-rechtlichen Vertrages in der Praxis 76 des Subventionsrechts77 oder des schlichten Hoheitshandelns78 bleibt davon unberührt. Im übrigen stellen sich die materiell-rechtlichen Probleme unabhängig von der Handlungsform. 79
Vgl. hierzu Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allg.VerwR, § 15 Rdnr. 6. VerwR I, § 47 V I c (S. 395). 73 BT-Drcks. 11/7030, S. 25; der Bericht des Rechtsausschusses hat in diesem Punkt den Regierungsentwurf unverändert und ohne eigene Äußerung übernommen, s. BT-Drcks. 11/8275, S. 8. Im übrigen hatte zwar nicht der seinerzeitige Gesetzgeber des VwVfG in § 50 VwVfG selbst, aber die einschlägigen Begründung des damaligen Regierungsentwurfs bereits vom Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gesprochen, vgl. BT-Drcks. 7/910, S. 73 (zu § 46 RegE). 74 Demgegenüber hat das Gesetz nach Redeker, NVwZ 1991, 526 (527), dem Begriff des Verwaltungsakts mit Drittwirkung "eine Absage erteilt''. 75 Schmidt-Aßmann, VB1BW 1988, 381 (384); unbeschadet "einer notwendigen und gleichmäßigen Entfaltung aller Teile des Formensystems" behält der Verwaltungsakt damit seine "zentral wichtige Bedeutung" (,ders., DVB1. 1989, 533 (536)). 76 Auch hier hat freilich - trotz vielfaltiger Kritik in der Lit. (s. etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 14 ff. und 24 ff. zu § 17 (S. 380 ff.)) der Verwaltungsakt (als Zuwendungsbescheid im Rahmen der Zweistufentheorie) seine Rolle im wesentlichen behaupten können, vgl. KP. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, Rdnr. 60 ff. zu § 92. 77 Vgl. dazu etwa OVG Münster, U.v. 22.9.1982 - 4 A 989/81, NVwZ 1984, 522 ff.; Knuth, JuS 1986, 523 (525 ff.). 78 Vgl. BFH, B.v. 18.9.1984-VHR50-51/82,NVwZ 1985,375 f., wo der ursprüngliche Klageantrag auf Unterlassung der Zollabfertigung bei Butterfahrten gelautet hatte. 19 Wenn Bleckmann, Subventionsrecht, S. 147, aus Gründen des Drittschutzes "in der Willenserklärung der Behörde gegenüber dem Subventionsempfanger einen Verwaltungsakt gegenüber dem Konkurrenten" (kurs. i.O.) sehen will, ist zu bedenken, daß Rechtsschutz im Wege der 72
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
15
b) Der Mangel materiell-rechtlicher Eigenständigkeit des Verwaltungsakts mit Drittwirkung So bedeutsam die Entwicklung des Verwaltungsakts mit Drittwirkung ist, so wenig kann er einen eigenständigen Beitrag zur Klärung des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis leisten. Dies zeigt sich etwa anhand der unterschiedlichen Qualifizierung einer Ernennung durch das VG Hannover80, das einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung bejaht, und das VG Berlin 81, das diesen mit der herrschenden Rechtsprechung verneint. Ausschlaggebend ist hier die unterschiedliche Auffassung über den materiell-rechtlichen Zusammenhang von Belastung und Begünstigung und damit über Voraussetzung und Reichweite etwaiger subjektiv-öffentlicher Berechtigungen. Der Begriff des Verwaltungsakts mit Drittwirkung selbst gibt insoweit nichts her. Er ist seinerseits von Existenz und Fortbestand subjektiver Berechtigungen des Dritten abhängig. Daher kann dem Vorschlag von Günther* 1 nicht gefolgt werden, trotz Rechtsbeständigkeit der Ernennung in ihr gleichwohl einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu sehen. Allgemein ist festzustellen, daß der Zusammenhang von subjektivem öffentlichem Recht und Verwaltungsakt mit Drittwirkung nicht immer beachtet wird. So kann es nicht überzeugen, wenn das VG Schleswig83 eine abfallrechtliche Transportgenehmigung ohne weiteres als Verwaltungsakt mit Drittwirkung ansieht, aber gleichzeitig § 13 Abs. 1 S.
Feststellungsklage durchaus zur Verfügung steht (s. § 58 Abs. 1 VwVfG); vgl. Ehlers, VerwArch. 74 (1983), 112 (121 f.); H.P. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, § 92 Rdnr. 63 Fn. 89. 80 U.v. 19.5.1976 - ffl A 104/75, DVB1. 1977, 584 l.Sp.; in diesem Sinne Schenke, in: FS f. Mühl, 1981, S. 571 (576 ff.): Bejahung von Drittwirkung und Aufhebung; ferner Schoch, Rechtsschutz, S. 692 m.w.N.; Kopp, VwGO, Rdnr. 81 zu § 42 und Rdnr. 52 zu Anh § 42 ("Ernennung''); auch Obermayer, VwVfG, Rdnr. 174 i.V.m. Rdnr. 160 zu § 35; Huber, Konkurrenzschutz, S. 477; ebenso Günther, ZBR 1990, 284 (290), der aber gleichzeitig an der Rechtsbestandigkeit festhalt. 81 U.v. 7.5.1982 - 5 A 232.80, ZBR 1983, 103 l.Sp.; vgl. auch Isensee, in: FG BVerwG, 1978, S. 337 (355); s. zur Problematik der Rechtsbestandigkeit der Ernennung C.Vffl.5.a. 82 ZBR 1990, 284 (290). Der Hinweis auf § 49 Abs. 1 BHO, nach dem das veigebene Amt nicht mehr zur Verfugung steht, erscheint als petitio principii. Es geht gerade darum, ob das Amt mit zugehöriger Planstelle verfugbar ist oder nicht. Wenn mit der Ernennung ein zuvor bestehendes subjektives öffentliches Recht auf ermessens- und beurteilungsfreie Berücksichtigung einer Bewerbung untergeht, dann kann in eben diesem Rechtsakt nicht ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung gesehen werden: Bei Eintritt der "Belastung" entfiele die Rechtswirkung nach außen. - Konsequent erscheint es dagegen, wenn Befürworter der beamtenrechtlichen "Konkurrentenklage" in der Ernennung einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung sehen, vgl. z.B. Schenke, in: FS f. Muhl, 1981, S. 571 (580), und umgekehrt ihre Gegner einen solchen ablehnen, s. z.B. Isensee, in: FG BVerwG, 1978, S. 337 (355). Vgl. im einzelnen C.Vffl.5.a. 83 B.v. 2.10.1986 - 12 D 43 und 72/86, UPR 1987, 77 sowie 78 f.
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A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
2 Nr. 4 c AbfG als nicht drittschützend bezeichnet. Demgegenüber ist dem BVerfG beizupflichten, wenn es ein - aus der Sicht beeinträchtigter Dritter nicht mit ausreichenden Auflagen versehenes - Demonstrationsverbot nicht als Verwaltungsakt mit Drittwirkung qualifiziert hat, weil es § 15 VersG zu Recht kein subjektives öffentliches Recht entnehmen konnte.84 Schließlich rechtfertigt auch die "Stoffgleichheit zwischen Begünstigung und Belastung"85 keine Aussage über das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts. So hat das BSG 86 unter Grundrechtsaspekten vom BVerfG 87 bestätigt - eine Rechtsstellung des ausgleichspflichtigen früheren Ehemanns im Hinblick auf die Erteilung eines Rentenbescheides an die geschiedene Ehefrau aus § 55 c Abs. 1 S. 2 SVG zu Recht verneint, obgleich hier eine Identität von Vor- und Nachteil besteht. All diese Beispiele lassen ein doppeltes Fazit zu: Zum einen definiert der Verwaltungsakt mit Drittwirkung nicht das subjektive öffentliche Recht, sondern setzt es mit dem Erfordernis der (intendierten) unmittelbaren Außenwirkung voraus; entscheidend ist also, ob die ihm zugrundeliegende Ordnungsnorm ihrerseits Drittschutz verleiht. 88 Zum anderen aber ist der Verwaltungsakt mit Drittwirkung ein Beispiel bipolarer Kategorienbildung. Er ist nicht darauf angelegt, den Ausgleich zwischen den Konfliktgegnern auf der Grundlage des normativen Konfliktschlichtungsprogramms zu erfassen. Statt dessen ist er durch die bipolare Relation des Staat-Bürger-Verhältnisses geprägt, in der prinzipiell für den "Dritten" kein Platz ist. 89 Im Hinblick auf die hier zu leistende Klärung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen kann damit der pointierten Feststellung von S c h o l l nur zugestimmt werden, wonach "Begriffsschöpfungen wie die vom Verwaltungsakt mit Doppelwirkung ... sich als begriffstheoretische Krücken" erweisen, die das "Gerüst jenes Relationsverständnisses" der individualen Staat-Bürger-Beziehung "nur mühsam
84 BVerfG, B.v. 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81, E 69, 315 (370 f.), gegen OVG Lünebuig, B.v. 28.2.1981 - 12 B 26/81, DÖV 1981, 461 f. m. - zu Recht - abl. Anm. Jacob, S. 463 (464). 85 Laubinger, Verwaltungsakt, 1967, S. 29. 86 U.v. 25.11.1986 - IIa RA 18/85, E 61, 27 (28 ff.). 87 B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 ff.). 88 Vgl. in diesem Sinn Ortloff, in: Finkelnbuig/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 195, für die als gebundene Entscheidung ergehende Baugenehmigung: Die "Feststellung" habe "Drittwirkung, wenn sie auf einer nachbarschützenden Vorschrift beruht". 89 Unter sprachlichem Aspekt pointiert hierzu Scheuing, AöR 112 (1987), 297 (301), nach dem sich schon mit der "Redeweise vom zu schützenden 'Dritten' ... leicht der Beiklang einer unberechtigten Einmischung in fremde Angelegenheiten veibindet"; s. auch J. Martens, NJW 1985, 2302 (2305): "Schieflage zu Lasten" des Nachbarn; Wahl, JuS 1984, 577 (578): Der Nachbar werde lediglich als "'Destinatar'" der "Zweierbeziehung" und damit nur "'reflexhaft' begünstigt" angesehen. Im selben Sinn bezüglich der Klagebefugnis Brohm, WDStRL 30 (1972), 245 (273) Fn. 78. 90 WDStRL 34 (1976), 145 (157).
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
17
aufrechterhalten". In diesem Sinne hatte bereits Badurä 91 in wirtschaftslenkenden Verwaltungsakten "nur eine Verlegenheitslösimg" gesehen. Damit muß nach anderen dogmatischen Ansatzpunkten für die Konzipierung subjektiver öffentlicher Rechte im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis gesucht werden.
3. Kollidierende
Privatinteressen
und normative Konfliktschlichtung
a) Neuorientierung in multipolarer Perspektive Die bipolare Prägung des subjektiven öffentlichen Rechts und seiner dogmatischen Grundlagen ist durch Scholl und Schmidt-Aßmanri w im Jahre 1975 erstmals umfassend thematisiert worden. Während jener dabei u.a. für "die Öffnung des subjektiven öffentlichen Rechts zur legitimen Repräsentation auch öffentlicher Interessen"94 plädierte, lenkte dieser den Blick auf die Erscheinungsform "polygonaler Verwaltungsverhältnisse, in denen subjektive Rechte auch untereinander in Frontstellung stehen".93 In der Folgezeit mehrten sich Stimmen, die auf die Gesamtausrichtung des Verwaltungsrechts an der klassisch-bipolaren Staat-Bürger-Beziehung und die sich daraus ergebenden Grenzen für die Erfassung von Mehrpersonenverhältnissen hinwiesen. So hat Brohm 96 hervorgehoben, daß "das materielle wie auch das Prozeßrecht an Zweierbeziehungen orientiert" sei und das "überkommene Verwaltungsrecht" der "Notwendigkeit, mehrpolige, komplexe Beziehungen zu regeln, ... wenig Rechnung" trage. Weiterhin hat Erichsen 71 im Hinblick auf die Schutznormtheorie kritisiert, daß "die Gegenüberstellung öffentlicher und privater Interessen ... untauglich" sei, "Fälle, in denen der Gesetzgeber ... die Regelung der zwischen Privaten bestehenden Konflikte in das öffentliche Recht verlagert", zu lösen. Nachhaltig hat schließlich Schmidt-Aßmanri auf die "Interessenverschränkung der mehr91
Verwaltungsrecht, S. 24. WDStRL 34 (1976), 145 (157, 198 ff.); das subjektive öffentliche Recht sei zwar "Ausfluß und Vermittler" der "grundsatzlichen Dichotomien" zwischen öffentlichem und privatem Interesse, doch komme ein Verzicht auf dieses Institut als solches nicht in Betracht; zum Vorschlag der repräsentativen grundrechtstypischen Wahrnehmung öffentlicher Interessen ibid., S. 203 ff.; s. dazu C.m.3 und VI.7.a.bb. 93 WDStRL 34 (1976), 221 (234 ff., 245 ff.). 94 WDStRL 34 (1976), 145 (208). 95 WDStRL 34 (1976), 221 (236), unter Bezugnahme auf Häberle, WDStRL 30 (1972), 43 (87). 96 In: FS f. Menger, 1985, S. 235 (252). 92
97
In: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59; s. auch ders., DVB1. 1983,
289 (292). 96
In: FS der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universitat
18
A. Untersuchungsgegenstand und Gndproblematik
poligen Rechtsverhältnisse* aufmerksam gemacht und gefordert, das Verwaltungsrecht müsse "die mehrpoligen Interessenstrukturen, auf die die Verwaltung im Bau-, Wirtschafts- und Umweltrecht - ja auf nahezu allen Gebieten - mehr und mehr trifft, angemessen aufnehmen". 99 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, auf der Suche nach dem subjektiven öffentlichen Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis zunächst den verwaltungsrechtlichen Dreiecksbeziehungen nachzugehen.
b) Verwaltungsrechtliche Dreiecksbeziehungen Das Bild des "Dreiecks" wird zur Erläuterung von Drittrechtsproblemen zunehmend verwendet. 100 In der Rechtsprechung taucht es bereits frühzeitig im Baurecht und - nahezu unbeachtet - im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutzrecht auf, 101 ohne allerdings in der Judikatur nennenswerten Niederschlag zu finden. Erst in jüngster Zeit scheint sich eine Trendwende abzuzeichnen.102 So hat sich z.B. das BVerwG auf "die für die öffentlichrechtliche Nachbarklage kennzeichnende Dreiecksbeziehung" als Drittschutzvoraussetzung bezogen, um das subjektive öffentliche Recht eines Miteigentümers zu verneinen. 103 Das "Dreieck" ist ohne Zweifel eine einprägsame Umschreibung. Der Begriff verspricht jedoch mehr, als er dogmatisch zu halten vermag. Es entsteht nämlich der Eindruck, daß die einzelnen drei Pole jeweils - um im Bild zu bleiben miteinander verbunden und somit öffentlich-rechtliche Beziehungen z.B. auch zwischen Bauherrn und Nachharn anerkannt seien. Dies ist nicht der Fall.
Heidelbeig, 1986, S. 107 (126), kurs. i.O.; s. auch ders., in: Maunz/Dürig, Rdnr. 144 zu Art. 19 Abs. IV, sowie ders., Ordnungsidee, S. 21 f. und 23. 99 Ders., VB1BW 1988, 381 (383). 100 S. zum Dreiecksverhältnis etwa Ossenbähl, in: ders. (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 35 (36, 45); Hoppe, Belgwerkseigentum, S. 12; Isensee, Sichertieit, S. 35: "Dreieck der Rechtsbeziehungen zwischen Staat, Störer und Opfer"; Wahl, JuS 1984, 577 (578); GaUwas/Mößle, Polizei- und Sicheiheitsrecht, Rdnr. 459; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (7); Stern, Staatsrecht m/1, § 69 IV 4 und 5 (S. 942, 946); Kraft, JuS 1990, 278 (280). S. bereits Häberle, Öffentliches Interesse, S. 66. Vgl. C.I.l und C.ü.l.a und b. 101 BVerwG, U.v. 19.9.1969 - IV C 18.67, DVB1. 1970, 62 (64), zum Baurecht; BVerwG, U.v. 5.6.1975 - V C 57.73, E 48, 264 (266): "Dreieck von Rechtsbeziehungen", zum Schwerbehindertenrecht. 102 Vgl. etwa OVG Lüneburg, U.v. 12.7.1989 - 4 L 21/89, br 1990, 114 r.Sp., zum öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz nach dem SchwbG; VG Sude, U.v. 8.12.1988 - 1 A 91/87, NVwZ 1989, 497 (498), zum Immissionsschutzrecht; im Zusammenhang mit der Enteignung zugunsten "Privater" auch BVerfG, U.v. 24.3.1987 - 1 BvR 1046/85, E 74, 264 (286): "Interessendreieck Gemeinwohl-Enteigneter-Begünstigter". 103 BVerwG, B.v. 27.4.1988 - 4 B 67.88, NVwZ 1988, 2056 l.Sp.
I. Kollidierende Privatinteressen und subjektives öffentliches Recht
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Spätestens seit den grundlegenden Urteilen des BVerwG vom 18.8. i960 1 0 4 und 28.4.1967 105 sind zwar Drittvornahme- bzw. Genehmigungsabwehransprüche außer Streit. Wie noch zu zeigen sein wird, geht das überkommene dogmatische Instrumentarium jedoch von der Annahme zweier separater, jeweils bipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse aus.106 Den Beziehungen im Horizontalverhältnis Z.B. zwischen Bauherrn und Nachbarn - dem eigentlichen Streitverhältnis 107 fehlt ein angestammter Platz in Praxis und Lehre des Verwaltungsrechts. Statt dessen werden sie weiterhin - was das PrOVG 108 im Baurecht noch zur Ablehnung der Baunachbarklage bewogen hat - allein dem Zivilrecht zugeordnet. 109 Die Frage, welchen Beitrag die normative Ordnung der verwaltungsrechtlichen Beziehungen zwischen privaten Konfliktgegnern als Basis von Dreieck und subjektivem öffentlichen Recht in multipolaren Konstellationen leisten kann, stellt sich bei dieser Sichtweise nicht. Der Ausgangshypothese entsprechend muß aber das Bild des Dreiecks um die Verbindung zwischen den offenen Endpunkten ergänzt werden, um so das "bisher in erster Linie auf das bipolare Verwaltungsverhältnis ausgerichtete Arsenal verwaltungsrechtlicher Eingriffsdogmatik"110 an die multipolare Konfliktlage anzupassen. Insoweit kann die von Faber 411 vorgeschlagene Zuordnung der Drittrechtsproblematik zum Sachkomplex der Leistungsverwaltung nicht überzeugen. Unabhängig davon, daß sich
104
I C 42.59, E 11, 95 (98 f.). IV C 3.65, E 22, 129 (130 ff.). 106 Vgl. C.I. 107 Vgl. Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewaltigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287): "Im Ausgangspunkt handelt es sich beim Konflikt Betreiber und Drittbetroffene um einen horizontalen Konflikt zwischen zwei Privaten." 108 S. z.B. PrOVG, U.v. 30.4.1877 - Rep. C 83/77, E 2, 351 (355); hieizu O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 293 f., 303 f., 312, sowie zur Rspr. des sachs. OVG S. 439; ferner Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 68 f.; Freu, Bau- und Gewerbenachbarklagen, S. 54 f. (zur Rspr. des PrOVG) sowie S. 59 f. (zur Rspr. des sachs. OVG: "Gegenentwurf zur 'polizeilichen' Konzeption des PrOVG"). 109 Vgl. Bothe, JZ 1975, 399 (400): Die "Basis" des Dreiecks bleibe "zivilrechtlich, nur die Schenkel des Dreiecks sind öffentlich-rechtlich"; zum öffentlichen BaunachbarrechtRedeker, NJW 1959,749 (751): "Fremdkörper"; Schwerdtfeger, NVwZ 1983,199 (201): Der zivilrechtliche quasinegatorische Abwehranspruch allein reiche aus; entspr. für den Drittvornahmebereich Konrad, BayVBl. 1984, 70 (71 f.). 110 Erichsen, DVB1. 1983, 289 (291 f.). 111 Verwaltungsrecht, S. 214; s. auch S. 268, mit der Bemerkung, daß "die Abwehr einer Fremdbegünstigung mehr ist als Eingriffsabwehr und ein Element der Leistungsverwaltung enthält"; danach soll Drittrechtsschutz dann ausscheiden, wenn es bei "raumlich wirksamen Begünstigungen" zu einer den einzelnen "nur noch als Mitglied der Allgemeinheit treffenden Benachteiligung" komme, wo also die "Leistungsverwaltung (Begünstigung einzelner mit individueller oder individualisierbarer Drittbelastung)" verlassen werde und der Bereich der "Infrastnikturverwaltung" beginne (S. 269); in allg. Form ders., in: FS f. Ridder, 1989, S. 291 (293 ff.); in diesem Sinne auch Sudhoff, Konkurrentenklage, S. 32 f., 62, 71 f. 105
20
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
die Kategorien der Eingriffs- und Leistungsverwaltung seit längerem ihrerseits berechtigter Kritik ausgesetzt sehen, 112 kann aus dem Begriff der "InfrastrukturVerwaltung" eine subjektiv-rechtliche Grenzziehung nicht abgeleitet werden. 1 1 3
II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis 1. Ansatzpunkte eines multipolaren
Verwaltungsrechtsverhältnisses
a) D i e Ausgangslage des Verwaltungsrechtsverhältnisses Das subjektive öffentliche Redit und das Verwaltungsrechtsverhältnis hängen "eng" 1 1 4 miteinander zusammen. D i e dogmatische Anpassung des bipolar geprägten subjektiven öffentlichen Rechts an die multipolare Konfliktlage muß sich daher auch der Frage zuwenden, welche Ansatzpunkte die Rechtsfigur des Verwaltungsrechtsverhältnisses hierfür bietet. Allgemein werden hierunter die sich aus Verwaltungsrechtsnormen ergebenden Rechtsbeziehungen zwischen Rechtssubjekten verstanden. 115 Das Verwaltungsrechtsverhältnis hat durch Bachof, Häberle, Schmitt Glaeser und P. Krause 116 neue Impulse erfahren.
112
Vgl. Bachof; WDStRL 30 (1972), 193 (227); Erichsen, DVB1. 1983, 289 (292); Rupp, Grundfragen, S. 267 ff. 113 Dies wird deutlich, wenn es bei Faber, Verwaltungsrecht, S. 269, heißt: "Iigendwo muß hier eine Grenze liegen, von der ab der individuelle Nachteil so verschwindend gering (infinitesimal wird, daß er den einzelnen nur noch als ein Mitglied der Allgemeinheit trifft.'' Vor allem aber ist nicht erkennbar, nach welchen Kriterien Drittschutz bei einer Zuordnung zur Leistungsverwaltung positiv bemessen sein soll. 114 Maurer, Allgemeines Verwaltungsiecht, Rdnr. 16 zu § 8 (S. 134); das Verwaltungsrechtsverhaltnis sei "teils Folge, teils Voraussetzung subjektiver Rechte"; s. auch Schmidt-Aßmann, WDStRL 24 (1976), 221 (236): polygonale "Verwaltungsverhältnisse, in denen subjektive Rechte auch untereinander in Frontstellung stehen"; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 43 ff. - Die Forderung einer ganzlichen Ablösung des subjektiven öffentlichen Rechts durch das Verwaftungsrechtsveihahnis (Achurberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 68 zu § 20; demgegenüber geht es Henke, DÖV 1980, 621 (622 f.), um die Fundierung des subjektiven öffentlichen Rechts durch das Rechtsverhältnis, das er als "Grundlage aller subjektiven Rechte" auffaßt) ist vereinzelt geblieben. 115
S. allg. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 16 zu § 8; Erichsen, in: Erichsen/ Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 U Rdnr. 26. 116 S. Bachof; WDStRL 30 (1972), 193 (231 f.) mit Fn. 172; Häberle, in: den»., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 248 (250 f.); Schmitt Glaeser, in: FS Booibeig Verlag, 1977, S. 1 (35 f.); ders., in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (84 f.); P. Krause, WDStRL 45 (1987), 212 (217 ff., 220 ff.). Vgl. ferner Rupp, Grundfragen, S. 15 ff.; Henke, DÖV 1980, 621 (622 ff.); Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdrn. 68 ff. zu § 20. - S. im übrigen schon O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 103; Fleiner, Institutionen, S. 141 ff., 164; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 191 ff.; Nawiaksy, Rechtslehre, S. 244 ff.
II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
21
Auch wenn ihm weithin "noch keine dogmatische, sondern nur eine heuristische Funktion* 111 zukommt, läßt sich doch sagen, daß es gegenüber der Momentaufnahme des Verwaltungsakts in der zeitlichen Dimension als Dauerrechtsveihältnis insbesondere im Sozial-, Subventions- und Steuerrecht bislang erhebliche Bedeutung erlangt und namentlich zur Herausbildung von Nebenpflichten gefuhrt hat.
b) Die Begrenzung bipolarer Orientierung In all diesen Fällen bezieht sich das Verwaltungsrechtsverhältnis freilich auf die bipolare Relation zwischen Staat und Bürger. Dies ist beim Steuer- und Sozialrechtsverhältnis evident, wo sich Steuerschuldner bzw. Anspruchsteller und der Staat gegenüberstehen. Gleiches läßt sich bislang aber auch für das Subventionsrechtsverhältnis feststellen. Hier finden in erster Linie die Beziehungen zwischen Staat und Subventionsempfänger und die sich daraus ergebenden beiderseitigen Rechte und Pflichten Beachtung, nicht jedoch das Verhältnis zwischen dem subventioniert«! Unternehmen und einem von der Mittelvergabe ausgeschlossenen, nunmehr in seiner Chancengleichheit beeinträchtigten Konkurrenten. Was soeben für das Dreiecksverhältnis festgestellt wurde, gilt auch in bezug auf das Verwaltungsrechtsverhältnis: Das Horizontalverhältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern wird nicht thematisiert. Dies überrascht, weil das Verwaltungsrechtsverhältnis durchaus dazu beitragen kann, Drittrechtskonstellationen dogmatisch zu erfassen. 118 Allerdings setzt dies die Anerkennung verwaltungsrechtlicher Beziehungen in der Bürger-Bürger-Relation voraus. Dieser Schritt steht aber noch weitgehend aus. Dies gilt auch für die sog.
117
Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 (540), kurs. i.O.; s. - verhalten - auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 24 zu § 8 (S. 138 f.); Erichsen, DVB1. 1983, 289 (294); Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 73. 118 Vgl. Häberie, in: den., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 248 (251): "Beziehung zwischen (auch mehreren) Burger(n) und Verwaltung ... durch beidseitige und gegenseitige Rechte und Pflichten"; s. femer Hqffinain-Riem, WDStRL 40 (1982), S. 187 (217 f.), mit der Forderung, "mehrpolige Interessenbeziehungen als mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältnisse auszugestalten, die mehrpolige Rücksichtnahmen absichern"; Steinberg, NJW 1984, 457 (458), nach dem sich das "zweipolige Rechtsverhältnis ... zum drei- oder mehrpoligen Rechtsverhältnis" weitet, "in dem Rechte und Duldungspflichten des Dritten auszumachen sind" (krit. zur Duldungsproblematik aber unten C.n.3.c); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 22 zu § 8 (S. 137), der von einem "tripolaren Rechtsverhältnis" spricht; Schach, Rechtsschutz, S. 318 ff., 197 ff., mit der Unterscheidung zwischen dreiseitigen und mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen; auf der Grundlage einer umassenden Rechtsverhältnislehre s. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 16 zu § 20, sowie ders.y in: FS f. Küchenhoff, 1987, S. 13 (16). 4 Schmidt-Preuß
22
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
rechtsverhältnistheoretischen Ansätze zur Lösung der Drittrechtsproblematik. 119 Sie gründen auf dem Verwaltungsrechtsverhältnis als einer Beziehung zwischen Rechtssubjekten, die durch gegenseitige Rechte und Pflichten verbunden sind.120 In diesem Sinne seien Staat und Bürger gleichermaßen dem Gesetz unterworfen; daher werden beide als gleichrangig angesehen.121 Bezugsrahmen ist folglich die Staat-Bürger-Relation, so daß auch hier die dogmatische Erfassung des "Dritten" letztlich unbewältigt bleibt. Im übrigen kann der These der Gleichrangigkeit von Staat und Bürger nicht zugestimmt werden, da nur der Staat über Handlungsermächtigungen verfügt. 122 Ihm kommt in der multipolaren Konfliktlage das Mandat zur Streitschlichtung zu. Das Verhältnis zwischen ihm und den Konfliktgegnern ist von dem Horizontalverhältnis der Bürger-BürgerRelation zu unterscheiden. Damit ist zwar gegen das Anliegen von H. Bauer, 173 das subjektive öffentliche Recht durch Aktivierung des Rechtsverhältnisses aus traditionellen Begrenzungen zu lösen, nichts einzuwenden. Auch ist der Forderung, das gesamte rechtsverhältnisbezogene Normenmaterial einschließlich der Grundrechte in den Blick zu nehmen und die tatsachlichen Verhältnisse bei der Normanwaldung zu beachten, beizupflichten. Klar zu widersprechen ist aber, wenn auf der Grundlage eines solchen rechtsverhältnistheoretischen Ansatzes die Schutznormtheorie aufgegeben werden soll. Der These, daß sich Nachbarrechte "dem Grunde nach"124 aus den Grundrechten ergeben sollen, während sich nur noch die Ausgestaltung im einzelnen nach dem einfachen Recht richten soll, kann nicht zugestimmt werden. Damit würde das einfache Gesetz als drittrechtsbegründender Faktor aufgegeben. 125 Statt dessen käme es zu einem direkten Grundrechts-
119
Vgl. zum einen H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (610 ff.); ders., in: Heckmann/Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 113 (143 ff.); s. auch schon ders., Grundlagen, S. 170 ff., 176; ebenso R. Schmidt, Wirtschaftsrecht, S. 453 ff. S. zum anderen J. Martens, NJW 1985, 2302 (2303 ff.); ders., KritV 1986, 104 (122 ff.); ders., Praxis, Rdnr. 92 ff. 120 S. die ausdriickliche Bezugnahme von H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (612), auf Henke, DÖV 1980, 621 (623); dieser fuhrt exemplarisch aus: Die "Entscheidung für das Rechtsverhältnis als Grundlage aller subjektiven Rechte" bedeute, "daß nicht das souveräne Individuum ... und nicht der souveräne Staat..., sondern das Veihältnis zwischen dem Staat ... einerseits und dem Bürger andererseits aller Rechtssystematik im Verwaltungsrecht zugrunde gelegt wird". Ebenso J. Martens, Praxis, Rdnr. 29 ff.; zusammenfassend H. Bauer, Bundestreue, S. 270 ff.; skeptisch demgegenüber Huber, Konkurrenzschutz, S. 168 ff. 121 So J. Martens, KritV 1986, 104 (116 f.). 122
S. hierzu mit Recht krit. Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 (539).
123
AÖR 113 (1988), 582 (610 ff.).
124
Ibid., S. 628 (kurs. i.O.), für Art. 14 GG und das Baunachbarrecht; eines "Rückgriffs auf die Schutznormtheorie" bedürfe es dabei nicht.
II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
23
durchgriff mit entsprechender Ausweitung von Drittrechten unabhängig von der (verfassungsgemäßen) fachgesetzlichen Einzelregelung. 126 So hat denn auch R. Schmidt 127 im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts von einer im Vergleich mit der Schutznormtheorie durch den rechtsverhältnistheoretischen Ansatz ermöglichten "Erweiterung der Konkurrentenrechte" gesprochen und z.B. für den Drittschutz des auf einem regulierten Markt bereits tätigen Alt-Unternehmers plädiert. 128 Zur Lösung der Drittrechtsptfoblematik verbindet schließlich J. Martens 129 die These einer Gleichordnung und -rangigkeit zwischen Staat und Bürger im Rahmen des Verwaltungsrechtsverhältnisses mit dem Postulat verwaltungsrechtlicher mVerhaltensnorrnen m. Deren Adressaten sollen neben dem Staat Bauherr und Nachbar sein, denen "jeweils Rechte und Pflichte zugeordnet werden". Zwar lenkt J. Martens damit einerseits den Blick auch auf die Positionen der am Nachbarschaftskonflikt beteiligten Bürger und spricht von "Rechtsbeziehungen" zwischen diesen, doch beläßt er es andererseits bei zwei bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen. 130 Die Annahme, bei "Orientierung an den für das Verwaltungsrecht maßgebenden Verhaltensnormen" von Bauherrn und Nachbarn ließen sich die Probleme des nachbarlichen Drittschutzes "schnell lösen",131 kann nicht bestätigt werden. Zusammenfassend lassen sich diese Probleme rechtsverhältnistheoretischer Ansätze mit W. Schmidt 132 darin begründet sehen, daß die "Betonung der Pflichten eher auf wechselseitige, damit vor allem zweiseitige Beziehungen paßt als auf mehrseitige Beziehungen mit den ihnen eigentümlichen Problemen 'polygonalen Rechtsschutzes*". Wenn das Verwaltungsrechtsverhältnis zur Anpassung des subjektiven öffentlichen Rechts an die multipolare Konfliktlage
125 S. dazu im einzelnen die Kritik unter dem Aspekt der Konfliktschlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers in B.I.l.a. 126 Vgl. insoweit H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (613): Die "Gesamtbetrachtung des jeweiligen Rechtsverhältnisses" eröffne "die Möglichkeit zu einer verstärkten Berücksichtigung ... der Grundrechte". 127 Wirtschaftsrecht, S. 462 (vor dem Hintergrund von Art. 12 Abs. 1 GG). 128 Dagegen unten B.IH.2.b.bb und C.VI.l 1 .e. 129 NJW 1985, 2302 (2303), kura.i.O., nachfolgendes Zitat auf S. 2308; s. auch den., KritV 1986, 104 (114 ff., 122 ff.). Zur Kritik an der Bezugnahme auf Verhalten^fc'c/iten s. im einzelnen C.H.l.b. 130 NJW 1985 , 2302 (2308); ders. y Praxis, Rdnr. 94: Das Verwaltungsrechtsverhältnis zwischen dem Bauherrn und der Behörde sei "rächt identisch* mit dem zwischen dem Nachbarn und der Behörde (kurs. i.O.). 131 J. Martens, KritV 1986, 104 (124). 132 Einfuhrung, Rdnr. 343 (S. 251). Diese Feststellung läßt sich auch im Hinblick auf die gegenseitigen Berechtigungen treffen.
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
24
beitragen soll, muß es das Horizontalverhältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern anerkennen und ihm die Rolle des Staates zuordnen. 133
c) Das Horizontalverhältnis im Rahmen des multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses als Basis subjektiver öffentlicher Rechte Die Frage, ob es zwischen "den von mehrseitig wirksamen Verwaltungsmaßnahmen betroffenen Bürgern ... verwaltungsrechtlich vermittelte Rechtsbeziehungen"134 gibt und wie sie sich in die Struktur subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung einfügen, trifft den Kern der Problematik des subjektiven öffentlichen Rechts in multipolaren Konfliktlagen. Die Ausgangshypothese der Arbeit soll vor diesem Hintergrund dahin präzisiert werden, daß in der normativen Ordnung der kollidierenden Privatinteressai nicht nur die Basis des "Dreiecks", sondern in einem übertragenen Sinne auch des subjektiven öffentlichen Rechts und des multipolaren Verwaltungsrechtsverhaltnisses gefunden werden kann. Könnte subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung auf diese Weise aus dem Horizontalverhältnis begründet werden, ließe sich die schon von L. Richter 435 in ihrer grundsätzlichen Bedeutung hervorgehobene dogmatische Verbindung von subjektivem öffentlichen Recht und Verwaltungsrechtsverhältnis im Bereich multipolarer Konflikte verwirklichen. 136 Das Horizontalverhältnis hat auf der Ebene des Verwaltungsverfahrensrechts in dem von Schmitt Glaeser 137 entwickelten "Partizipationsverhältnis", in dessen Rahmen "Bürgerbeziehungen 'unter1 der Verwaltung" bestehen und die "Verwaltung Verteilungskämpfe zwischen Privatpersonen schlichtet", bereits Ausdruck gefunden. Auf derselben Linie liegt es, wenn das BVerwG in seinem Sasbach-Urteil vom 17.7.1980 die materielle Präklusion als Regelung eines multipolaren Interessenkonflikts Privater gewertet hat, da sie "die auf ein mehrpoliges Rechtsverhältnis einwirkenden gegenläufigen, jeweils auf materielle
133 Vgl. zu einer solchen Öffnung des Verwaltungsrechtsverhältnisses Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (84 f.): "konkrete Rechtsbeziehungen öffentlich-rechtlicher Art zwischen Verwaltung und wenigstens einem Bürger"; Häberle, in: ders., Die Verfassungs des Pluralismus, 1980, S. 248 (251): "Beziehung zwischen (auch mehreren) Bürger(n) und Verwaltung". 134 Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (157). 135 AöR N.F. 8 (1925), 1 (28 ff., 74 ff.). 136
Vgl. hier nur Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 23. In: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (84 ff., bes. S. 90 f., 87, 81); s. dazu Schmidt-Aßmmwi,, DVB1. 1989, 533 (540). 137
II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
25
Grundrechtspositionen zurückzuführenden Interessen" ausbalanciere und "sie in ein angemessenes Verhältnis zueinander" bringe. 138 Hier wird deutlich, daß es im multipolaren Verwdtungsrechtsverhältnis um mehr als nur eine Verbindung 139 zweier separater bipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse mit jeweils dem 140 Staat als Bezugsgspuhkt geht. Die dogmatische Begründung subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung muß den oben141 geschilderten fünf muUipolaren Konfliktkonstellationen und den fachgesetzlichen Ordnungnormen in ihrer Vielgestaltigkeit gerecht werden. Sie kann sich nicht auf die in der rechtsveihältnistheoretischen Diskussion vorherrschenden Drittabwehrfalle namentlich des Baurechts beschranken, sondern muß auch jene ganz anders strukturierten Konfliktlagen erfassen, die sich z.B. aus kapazitatsbezogenen staatlichen Auswahl- und Verteilungsentscheidungen ergeben. Hier gilt es, die "Begünstigten" und die "Ausgeschlossenen ... nicht nur in der Direktbeziehung, sondern im Hinblick auf alle, auch die 'bloß' mittelbar Betroffenen" 142 zu berücksichtigen. Insoweit hat das OVG Lüneburg143 treffend davon gesprochen, daß die Bewerber (um einen Kehrbezirk) "durch die Aufnahme in die Beweiberliste in ein einheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis einbezogen" werden, "das durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen abzuwickeln ist". Damit wird zu Recht auch das komplementäre Verhältnis zwischen der Verwaltungsentscheidung, mit der die Behörde die normative Konfliktschlichtung im Einzelfall umsetzt, und der zugrunde liegenden Ordnungsnorm hervorgehoben. 144 Bei aller Betonung der allgemein-verwaltungs-
138
So BVerwG, U.v. 17.7.1980 - 7 C 101.78, E 60, 297 (307); vgl. ferner auch VG Hamburg, B.v. 18.9.1986 - 18 2970/86, NVwZ 1987, 354 (355), wo von "sog. mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen" die Rede ist. Aus der Lit. s. Schmidx-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 22, 124 zu Art. 19 Abs. IV; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 22 zu § 8 (S. 137); Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (555, 556 f.). Unter dem Aspekt multipolarer Obliegenheit zur Rechtswahrung s. hierzu unten C.n.2.b sowie in verwaltungsverfahrensrechtlicher Perspektive D.VI. 139 So etwa BVerwG, U.v. 10.2.1960 - V C 14.58, E 10,148 (150); s.u. C.I, insbesondere sub 1. 140 Demgegenüber will P. Krause, WDStRL 45 (1987), 212 (221 f.), versuchen, die "Lebensverhältnisse des Verwaltungsrechts, auch wo sie eine Vielzahl von Beteiligten in drei- und mehrseitigen Strukturen verbinden oder das Verfahren die Beteiligung Drittinteressierter ermöglicht, in selbständige Zweierbeziehungen zu zerlegen". Damit aber bliebe es bei den klassisch bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen in der Staat-Bürger-Relation. 141 A.I.l.d. 142 Vgl. Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (18). 143 B.v. 16.1.1990 - 8 M 26/89, GewArch. 1990, 250 r.Sp. (kurs. v. Verf.). 144 S. etwa VGH Kassel, B.v. 31.5.1990 - 8 R 3118/89, NVwZ 1991, 88 (89): "... in Rechtsverhältnissen, bei denen mit dem Erlaß eines den Empfanger begünstigenden Verwaltungsakts zugleich ein Dritter belastet wird".
26
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
rechtlichen Strukturen 145 des multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisses muß auf der anderen Seite den Spezifika der normativen Konfliktschlichtungsprogramme der Fachgesetze des Besonderen Verwaltungsrechts 146 der nötige Spielraum gegeben werden.
d) Parallele Verwaltungsrechtsverhältnisse Da Gegenstand der Arbeit kollidierende Privatinteressen sind, bleiben jene Fälle außer Betracht, in denen mehrere Private mit gleichgerichteten Interessen dem Staat gegenübertreten 147 (parallele Interessenverfolgung). 148 Zur Wahrnehmung gleichgerichteter Privatinteressai kann es auch im Zusammenhang mit einem multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis kommen. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich ein Betreiber dem Angriff mehrerer Privater ausgesetzt sieht, die ihre Verschonungsinteressen nebeneinander je für sich geltend machen. Insoweit bestdien selbständige parallele multipolare VerwaUungsrechtsveThältnisse 9 die in der horizontalen Dimension die Beziehungen zwischen dem Bauherrn/Betreiber und den verschiedenen Dritten umfassen. Anders ist es nur dann, wenn die Dritten untereinander zwingend in das Konfliktverhältnis einbezogen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein "störendes" Bauvorhaben auf Grund der örtlichen Verhältnisse nur so angeordnet werden kann, daß es entweder den einen oder den anderen Nachbarn beeinträchtigt.149 Dann besteht ein einheitliches multipolares Verwaltungsrechtsverhältnis, an dem der Staat, der Bauherr und die beiden Nachbarn beteiligt sind. Geht es um die Ordnung von Konkurrenzbeziehungen bei kapazitätsbezogenen staatlichen Auswahl- und Verteilungsentscheidungen nach dem Prioritätsprinzip, sind alle Bewerber an
145 S. insoweit zur Aufgabe der Dogmatik Wahl/Masing, JZ 1990, 553 Fn. 3; eingehend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 1982, S. 10 ff. 146 Von anderem Blickwinkel, aber mit ähnlicher Tendenz betont Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 24 zu § 8 (S. 139), daß das Verwaltungsrechtsverhältnis im Besonderen Verwaltungsrecht stärkere Berücksichtigung verdiene. 147 S. hierzu etwa die Fallkonstellationen in BVerwG, U.v. 3.5.1973 - I C 20.70, E 42, 141 (142 f.): eigene Rechte der deutschen Ehefrau im Hinblick auf die Ausweisung des ausländischen Ehemannes; vgl. insoweit auch VGH Mannheim, U.v. 10.12.1986 - I I S 644/86, NVwZ 1987, 920; ferner OVG Koblenz, U.v. 7.10.1986 - 7 A 48/86, NVwZ 1987, 425, zum Aufhebungsbegehren des Geschäftsführers gegenüber der Untersagungsvergügung zu Lasten einer GmbH. 148 Vgl. Friaufy JurA 1969, 3 f., der insoweit von der "parallelen Belastung des Adressaten und des Dritten" (kurs. i.O.) spricht. 149 Beispiel: Im unbeplanten Innenbereich wird die Errichtung eines privaten Tennisplatzes beabsichtigt. Auf dem Grundstück kommen nur zwei Standorte in Betracht, von denen der eine an das Wohnhaus des A, der andere an das des B derart angrenzt, daß jeweils die Erheblichkeitsschwelle des § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG überschritten wäre.
. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
27
dem materiellen multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis beteiligt, deren Rangstelle eine Verschlechterung droht. 150
e) Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung als Ausschnitt objektiv-rechtlicher Regelung Einem möglichen Einwand gegen die Annahme kollidierender Privatinteressen als Gegenstand von Verwaltungsrechtsnormen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen sei hier begegnet. Es wird keineswegs behauptet, daß sich Norm- und Entscheidungsinhalt in der subjektiv-rechtlich verfaßten Konfliktschlichtung stets erschöpfen. 151 Zwar gibt es Normen, deren objektiv- und subjektiv-rechtliche Konfliktregelung weitgehend deckungsgleich ist, wie dies z.B. bei § 15 SchwbG der Fall ist. Häufig geht aber der rein objektiv-rechtliche Anwendungsbereich einer Ordnungsnorm über die subjektiv-rechtliche Reichweite hinaus (partieller Drittschutz). 152 Als Beispiel hierfür sei etwa auf § 34 Abs. 1 BauGB oder die §§ 7, 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG verwiesen. In diesen Fällen stellt die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung nur einen Ausschnitt™ aus einem weiterreichenden objektiv-rechtlichen Ordnungsgefüge dar. Entsprechendes gilt auf der Ebene der Verwaltungsentscheidung. Wenn ein Betreiber die Erteilung einer Genehmigung verlangt, die Behörde sie aber auf Grund erheblicher Beeinträchtigungen der Nachbarschaft versagt, geschieht dies in Anwendung objektiven Rechts. Hieran ist die Behörde gebunden, unabhängig davon, ob in concreto Drittberechtigte vorhanden sind. So hat überpointiert, aber in der Sache durchaus richtig, der V G H Mannheim 154 festgestellt, daß es "nicht die Hauptaufgabe der Baurechtsbehörden" sei, "lediglich sicherzustellen, daß keine Nachbarrechte verletzt werden, sondern rechtmäßige Baugenehmigungen zu erteilen". Auf der anderen Seite wird es die Behörde aber ohne weiteres zur Kenntnis nehmen, wenn eine Beeinträchtigung die Drittschutzschwelle
150
S. hierzu C.Vm.3. Vgl. Breuer, DVB1. 1983, 431 (435), wonach die "berührten öffentlichen Belange und die konfligierenden Privatinteressen vielfaltig miteinander verwoben sind". S. auch die Hervorhebung von Schmidt-Aßmann, WDStRL 34 (1976), 221 (235), daß unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG "primär der Schutz subjektiver Rechte" zu "leisten" sei, "wahrend der Schutz des objektiven Rechts ... regelmäßig nur inzidenter erbracht wird, insofern subjektives und objektives Recht ein gutes Stück gemeinsamen Weges gehen". 152 Vgl. C.m.6.b. 151
153 Grdl. zu dieser Funktion des Rechtsverhältnisses, die Betrachtung auf einen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit zu beschränken, Medicus, BGB AT, Rdnr. 56. Speziell zum subjektiven öffentlichen Recht im Zusammenhang mit der Konfliktmittlung vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. n, 1990, S. 9 (20). 154 U.v. 15.9.1986 - 3 S 2547/85, BRS 46 Nr. 174, S. 402 (404), kurs. i.O.
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A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
erreicht. Selbstverständlich darf und muß sie dies bei ihrer Entscheidung auch in Fällen der Gestaltungsabwehr bzw. -vornähme berücksichtigen. So kann die Behörde etwa bei Erlaß einer Stillegungsentscheidung zu Lasten eines Betreibers auch im Verschonungsinteresse individualrechtlich begünstigter Dritter tätig werden. 155
2. Echte und unechte Multipolarität Da Gegenstand der Arbeit der Ausgleich kollidierend»: Privatinteressen 156 im Verwaltungsrecht ist, 157 stehen die Fallgestaltungen nicht in ihrem Mittelpunkt, in denen auf (mindestens) einer der beiden Seiten ein Träger hoheitlicher Gewalt beteiligt ist 1 5 8 Insoweit wird von unechter Multipolarität gesprochen.159 Darunter werden die Fälle verstanden, in denen der Staat160 entweder unmittelbar handelt oder sich zwischengeschalteter Gesellschaften des Privatrechts (Eigengesellschaften oder gemischt-wirtschaftliche Unternehmen) bedient, sofern er ausschließlich oder mindestens in zur Beherrschung 161 befähigender Höhe Anteilseigner ist. Trotz dieser materiell einheitlichen Qualifizierung hat die Zwischenschaltung einer juristischen Person des Privatrechts Konsequenzen für die Rechtsnatur von Genehmigungsabwehransprüchen. Nur im Falle un-
155 In diesem Sinne zutr. VGH Mannheim, B.v. 27.6.1990- 10S 1129/90, NVwZ-RR 1990, 542 (544), zu § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG; vgl. auch VG Hamburg, U.v. 2.4.1985 - 2 592/84, W&M 1985, 401 (402), sowie oben Fn. 55. 156 Hierunter werden einerseits natürliche Personen, andererseits juristische Personen des PrivatrechU verstanden, soweit der Anteilsbesitz ausschließlich oder wenigstens in Höhe der Beherrschung auf natürliche Personen zurückzuführen ist. 157 Damit scheiden auch intra- und interorganschaftliche Streitigkeiten (zur Anwendung der Schutznormtheorie in diesem Fall s. VGH Mannheim, U.v. 12.2.1990 - 1S 588/89, VB1BW 1990, 457 (458)), bei denen es um die Befugnis zur Wahrnehmung von Organzuständigkeiten und nicht um personlich-individuelle Rechtsmacht geht (vgl. Erichsen, in: FS f. Menger, 1985, S. 211 (215 ff., 226 ff.), aus der Thematik der vorliegenden Arbeit aus. - Da subjektive öffentliche Rechte Ausdruck der Individualitat und Personalitat privater Rechtssubjekte sind (vgl. Schmidi-Aßmcam, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 117 zu Art 19 Abs. IV), kommt eine Inhaberschaft des Staates nicht in Betracht; a.A. Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 47; s. auch unten C.H Fn. 48. 158 In der hoheitlichen Fachplanung etwa des Straßenrechts scheidet eine private (Planungs-) Trägerschaft von vornherein aus. Dagegen kann der "Betrieb" einer Straße als solcher in privater Hand liegen. 159 Vgl. Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. 13 I, der für den Fall, daß "hoheitliche Anlagen ... dem allgemeinen öffentlichen Anlagenrecht ganz oder teilweise unterworfen" sind, ein" - scheinbar - ... mehrpoliges Nachbarrechtsverhältnis" annimmt. - Zur Problematik der Grundrechtsfahigkeit s.u. B.U.3. 160 S.o. Fn. 3. 161 Vgl. Pestatozza, JZ 1975, 50 (53).
II. Die horizontale Dimension im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis
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mittelbarer Tätigkeit des Staates (der Gemeinde) ist der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch - gleich ob aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG bzw. §§ 1004, 906 BGB analog abgeleitet oder aber als öffenthch-rechtlicher Folgenbesdtigungsanspruch162 konstruiert - geltend zu machen. Handelt die öffentlichrechtliche Körperschaft dagegen in den rechtlichen Formen der juristischen Person des Privatrechts, gelten wie für einen Privaten die Genehmigungsvorschriften der einschlägigen Ordnungsnormen mit der Folge, daß auch ein Genehmigungsabwehranspruch nur aus ihnen ableitbar ist. 163 Insofern schlägt die Eigenständigkeit der juristischen Person des Privatrechts - auch bei einer im Alleinbesitz des Staates stehenden oder sonst beherrschten Gesellschaft - voll durch. Ein Durchgriff auf die öffentlich-rechtliche Körperschaft scheidet aus. Unter dem Aspekt der funktionellen Verselbständigung gilt dies sogar im Fall des Eigenbetriebs. 164 Wird der Staat165 z.B. als Bauherr, Vorhabenträger, Arbeitgeber etc. tätig, kommen dieselben Ordnungsnormen mit denselben Konfliktschlichtungsmaßstäben zur Anwendung, wie wenn es sich um echte Multipolarität handeln würde. 166 So gilt z.B. dasselbe Schädlichkeitsniveau unabhängig davon, ob eine Aktiengesellschaft als Betreiberin eines Kohlekraftwerks in privatem oder in (rein) öffentlichem Anteilsbesitz steht. Einer hoheitlich beherrschten Gesellschaft als Betreiberin oder Voihabenträgerin verleiht das Fachgesetz damit nicht mehr und nicht weniger Rechte als dem Privaten. Andererseits steht im umgekehrten Fall dem Dritten keine stärkere Rechtsposition zu Gebote, wenn es sich auf Seiten des Genehmigungsempfängers um eine staatlich beherrschte Gesellschaft handelt.167 Diese Korrespondenz gilt auch für planfeststellungsrechtliche
162
In st. Rspr. offen gelassen durch das BVerwG, s. U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81,197
(199 f.). 163
Vgl. zur Begründung des materiellen Aufhebungsanspruchs auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen C.Vm.l und 2. 164 S. bezüglich der beigrechtlichen Rahmenbetriebsplanzulassung OVG Berlin, U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (210). 165 Dabei spielt es keine Rolle, ob diese unmittelbar (z.B. als Bauherrin bzw. Betreiberin einesKindergartens oder Sportplatzes) oder durch zwischengeschaltete (i.d.R. gemeinsam beherrschte) Gesellschaften handelt; letzteres wird z.B. bei der Beteiligung an einer AG oder GmbH zum Betrieb eines Kraftwerks bzw. einer Sondermüllverbrennungsanlage der Fall sein. 166 S. - allerdings im Fall direkter Tätigkeit einer Gemeinde - VGH München, U.v. 23.8.1988 - M 1 6 K 88.2203, DWW1988,380 (382), im Hinbück auf einen hoheitlich betriebenen (Schul-)Spoitplatz: "Eine Vorschrift, die dem Beklagten das Recht verschaffen würde, mehr Lärm zu machen als ein anderer, existiert nicht." Dieser Grundsatz der Veigleichbarkeit mit privaten Betreibern findet dort seine Grenze, wo die Verwirklichung des Vorhabens in privater Hand (also nicht in Ausfuhrung durch Verwaltungshelfer) aus Marktgründen ausscheidet wie z.B. beim Betrieb einer Feueralarmsirene. 167 S. BVerwG, U.v. 15.6.1975 - V C 57.73, E 48, 264 (267): "Einem Arbeitgeber des
30
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
Vorhaben, sofern sie ihrer Natur nach sowohl privat als auch hoheitlich betrieben werden können.168 Dies ist etwa bei Flughäfen, 169 wasserrechtlichen Ausbauvorhaben oder Abfallverbrennungsanlagen der Fall. Einen Sonderfall unechter Multipolarität stellt es dar, wenn eine Gemeinde als "Dritter" auftritt. 170 Da sie keinen Grundrechtsschutz genießt,171 steht ihr abgesehen von Art. 28 Abs. 2 GG Rechtsschutz nur nach Maßgabe des Fachrechts zu. So kann sie sich auf den Schutz ihres Eigentums - etwa im Rahmen des § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG 172 - wie jeder Private berufen. 173 Rechtlich ausgeschlossen ist dagegen, daß sie die Einzelinteressai ihrer Bürger gleichsam bündelt und deren Individualrechte geltend macht.
m . Kehrseitigkeit und Wechselbezüglichkeit multipolarer Interessenkonflikte Die fünf oben174 dargestellten Grundkonstellationen multipolarer KonßJctlagen systematisieren typische Fälle der Kollision von Privatinteressen aus der Sicht der privaten Konfliktgegner. Sie lassen sich ebenso wie die zugrunde liegenden fachgesetzlichen Einzelnormen zwei übergeordneten Konflikttypen zuweisen. Insoweit ist zwischen Kehrseitigkeit und Wechselbezüglichkeit zu unterscheiden. Hiervon wird im folgenden ausgegangen. Beide Konflikttypen weisen z.T. erhebliche strukturelle Unterschiede auf, was die materiell-rechtlichen Voraussetzungen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung, die Verwirklichung
öffentlichen Dienstes obliegen keine weitergehenden Pflichten gegenüber einem Schwerbeschädigten als einem privaten Betriebsinhaber." Zum Anlagenrecht s. Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. 14 I (S. 9). 168 Hieran fehlt es typischerweise beim Betrieb einer Wasserversorgungsanlage. Die kommunalen Unternehmen können insoweit als Eigenbelang die gemeindliche Wasserversorgung einbringen. 169 Nicht ganz überzeugend allerdings BVerwG, U.v. 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., E 56, 110 (119): "gemeinnützige" Planfeststellung bei einem Flughafen wegen öffentlicher Zwecksetzung unter Hinweis auf § 6 Abs. 3 LuftVG und § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO. 170 Hierzu Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (69 ff.). 171 Vgl. - zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG - BVerfG, B.v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (100 ff.); dazu Badura, JZ 1984, 14 (15 ff.). 172 OVG Lüneburg, U.v. 16.5.1984 - 7 A 15/84, DVB1. 1984, 895 (896); ebenso für § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG OVG Lüneburg, B.v. 12.6.1987, DVB1. 1987, 999 (1001); auch in diesem Punkte a.A. VGH Mannheim B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/889, DVB1. 1990, 60 (62); einfachgesetzlichen Eigentumsschutz der Gemeinde im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erkennt VGH Kassel, B.v. 31.5.1990 - 8 R 3118/89, NVwZ 1991, 88 l.Sp., an. 173 Vgl. KLoepfer, VerwArch. 76 (1985), 371 (386). 174 A.I.l.d.
m . Kehrseitigkeit und Wechselbezüglichkeit
31
der Rechtsmacht auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen und schließlich die prozessuale Durchsetzung angeht. Auf der anderen Seite besteht auch eine Gemeinsamkeit: die materielle Verflochtenheit der kollidierenden Privatinteressen und ihre normative Ordnung in einer Verwaltungsrechtsnorm. Von den fünf Grundkonstellationen multipolarer Konfliktlagen sind Drittabwehr und vornähme sowie Gestaltungsabwehr und -vornähme dem kehrseitigen, die Zugangskonkurrenz dem wechselseitigen Konflikttypus zugehörig.
1. Kehrseitigkeit Von Kehrseitigkeit 175 wird hier gesprochen, wenn aktive Gestaltungsinteressen mit passiven Verschonungsinteressen 176 kollidieren. Bei einer derartigen Konfliktlage kann auf der einen Seite z.B. ein Bauherr, ein Anlagenbetreiber, der private Trager eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens, ein mit öffentlichen Mitteln geforderter Vermieter, ein Arbeitgeber, ein marktstarkes Unternehmen bzw. ein Versicherungsunternehmen stehen, denen kehrseitig ein Wohnnachbar, ein auf Ruhe oder gesundheitliche Integrität bedachter Immissionsnachbar, ein Sozialmieter, ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, ein kleines (im Wettbewerb behindertes) Unternehmen bzw. ein Versicherungsnehmer gegenübertritt. Die kollidierenden Privatinteressen sind normativ verflochten, 177 aber heterogener Natur: Der Gestaltungsinteressent will handeln, der Verschonungsinteressent begehrt keineswegs die Genehmigung an seiner Stelle, sondern will lediglich reaktiv fremde Aktivität 178 verhindern. 179 Der V G H München180 hat im Hinblick auf eine wasserrechtliche ("privatnützige") Planfeststellung plastisch vom Gegensatz zwischen "'Ausbauinteresse'" und "'Nichtausbauinteresse' " gesprochen. Das ist es, was mit Kehrseitigkeit gemeint ist. Auf der Ebene des Verwaltungsakts mit Drittwirkung läßt sich sagen, daß es in diesen
175 Vgl. Friaufy JurA 1969, 3 (4): "Die Begünstigung des Adressaten ... erzeugt als 'Kehrseite' eine Belastung des Dritten", wobei Vorteil und Nachteil "in untrennbarer Wechselbeziehung" stünden; insofern bezeichnet Friauf mit dem Begriff "kehrseitig" anders als hier generell den m Interessenkor\flikt zwischen dem Adressaten und dem Dritten " (ibid., kurs. i.O.). 176 Vgl. Schopp, Nachbarrecht, S. 32, der prägnant davon spricht, daß der Bauherr mit seinem "Entfaltungsinteresse" im Konflikt mit dem privaten Nachbarn auf dessen "Schonungsinteressen" stößt. 177 Vgl. VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (133): "mehrseitig, d.h. was den Unternehmer begünstigt, geht zu Lasten der Nachbarn und umgekehrt". 178 Vgl. Isensee , Sicherheit, S. 35 : "Störer" und "Opfer". 179 Dies darf nicht übersehen werden, wenn man im Hinblick auf das Baurecht von Bodennutzungskonflikten spricht oder im Bereich des Immissionsschutzrechts die Konkurrenz "um die Nutzung von Gütern" (Kunig , in: GS f. W. Martens, 1987, S. 599) hervorhebt. 180 U.v. 26.4.1983 - 8 B 80. A.1595, UPR 1984, 274 (275).
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
32
Fällen an der "Stoffgleichheit zwischen Begünstigung und Belastung" 181 fehlt und lediglich die Mindestanforderung erfüllt ist, daß Belastung und Begünstigung untrennbar miteinander verbunden sind. 1 8 2 Kehrseitige Konfliktlagen können sich sowohl aus der Sicht des Verschonungs- wie des Gestaltungsinteressenten als Abwehr- oder aber als Vornahmekonstellationen darstellen. Zu den sich daraus ergebenden Konfliktkonstellationen wird auf die obige Übersicht verwiesen. 183 Als atypische Grenzfalle kehrseitiger Konfliktlagen lassen sich jene Konstellationen bezeichnen, die zwar aus kapazitätsbedingten Konkurrenzsituationen entstehen, die sich aber in der isolierten Abwehr (1) oder Zugangsvomahme (2) erschöpfen. 184 Voraussetzung ist, daß auf diese Weise die wettbewerbliche Ausgangslage 183 wiederhergestellt werden kann. Innerhalb der erstgenannten Gruppe ist u.a. an die Fälle zu denken, in denen ein Unternehmen die Abwehr der wettbewerbsverfälschenden Subventionierung eines Konkurrenten erstrebt, ohne selbst an seiner Stelle in den Genuß der Finanzmittel kommen zu wollen. 1 8 6 Ebenso ist die Abwehr einer unter Verstoß gegen die Chancengleichheit erfolgten Zuteilung von Wahlwerbezeiten zugunsten einer Konkurrenzpartei zu
181
Laubinger, Verwaltungsakt, S. 29. Wie oben A.I.2.a.aa dargelegt, muß es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der ipso iure den einen begünstigt und den anderen belastet, vgl. hier nur Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 641 1 (S. 465): Die Begünstigung des einen stehe "mit der Belastung des anderen in einem untrennbaren Zusammenhang"; s. bereits Laubinger, Verwaltungsakt, S. 1 f. ("wechselseitig bedingen") und unter Bezugnahme hierauf BVerfG, B.v. 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81, E 69, 315 (370). 183 S. A.I.l.d. 184 Das übersieht das ansonsten vorbildliche Urteil des VGH München vom 22.7.1982 - Nr. 22 B 81 A.2506, DVB1. 1983, 274 (275), der es praktisch wahlweise neben dem Begehr eigenen Zugangs unter Aufhebung der Verteilungsentscheidung auch für zulässig hält, daß sich der übergangene Bewerber "mit der Ablehnung seines Antrags abfindet, aber - etwa aus Gründen der Chancengleichheit im Wettbewerb - ... die Begünstigung seines Konkurrenten zu Fall bringen will". Hier gilt der Grundsatz, daß die Aufhebung nicht verlangt werden kann, wenn dem nicht ein eigener Anspruch entspricht; s. zu diesem Primat des Vornahmeanspruchs eingehend C.VID.3 und 4. Eine Wahlrecht zwischen subjektiv-rechtlicher Fehlerkorrektur zu Lasten des Begünstigten und isoliertem Aufhebungsanspruch besteht nicht. 185 Zum "Grundrechtsschutz auf hoheitliche Respektierung der wettbewerblichen Ausgangslage" H. P. Ipsen, WDStRL 25 (1967), 257 (303), im Org. gesp.; vgl. hierzu unter B.n.2.c.bb und C.VI.ll.h. 186 S. den zweiten Hilfsantrag in BVerwG, U.v. 30.9.1968 - Vü C 122.66, E 30, 191 (196 ff.); in prozessualer Perpektive spricht Brehm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 f., hier von der "'defensiven' oder 'negativen Konkurrentenklage'" und weist auf die "rechtsstrukturelle Gleichartigkeit" mit der Baunachbarklage hin; s. auch schon Scholz, WiR 1972, 35 (46 f.); ferner Ronellenfitsch, VerwArch. 82 (1991), 121 (128); Miebach, JuS 1987, 956 f.; Scherer, Jura 1985, 11 (14 f.); Huber, Konkurrenzschutz, S. 84 f.; s. in der Sache auch Mössner, JuS 1971, 131 (133 ff.). Zu Klagebefugnis und Klageart E.D.2.b und IV.l.a. 182
m . Kehrseitigkeit und Wechselbezüglichkeit
33
nennen. Der Klarheit halber sei betrat, daß im Gegensatz hierzu im Falle staatlicher Marktzutrittsregulienmgen für isolierte Abwehrbegehren kein Platz ist. 187 Das gilt namentlich für den Konkurrenzschutz von Alt-Untemehmem gegenüber Newcomern. Sofern auf regulierten Märkten von einem Abwehrbegehren gesprochen werden kann, kommt es nur als akzessorisches Hilfsmittel hinsichtlich des primären Zugangsanspruchs eines unterlegenen Bewerbers in Betracht. 188 Die zweite Fallgruppe atypischer Kehrseitigkeit - die isolierte Zugangsvornahme - ist dadurch gekennzeichnet, daß die Kapazität noch nicht erschöpft ist und der erfolglose Bewerber allein durch Gleichstellung mit seinen begünstigten Konkurrenten die Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen erreichen kann. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem konkurrenzbezogene Subventionskonflikte t 199 die durch Einbeziehung des bislang ausgeschlossenen Unternehmais in die seinen Wettbewerbern bereits zuteil gewordene staatliche Förderung geschlichtet werden können.190 Auch diese Konfliktlage ist multipolarer Natur. 191
187
Zur Möglichkeit einer eng umgrenzten Ausnahme im Fall des § 13 Abs. 2 PBeflG s. C.VI.ll.e a.E. 188 S.o. Fn. 184 sowie im einzelnen unten C.Vffl.3 und 4. 189 Durch das Vorliegen eines Konkurrenzverhältnisses unterscheiden sich diese Fälle von der wettbewerbsneutralen Subventionsvergabe an einen unbestimmten Empfängerkreis und dem auf Art 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Vergabepraxis gestützten Anspruch auf (gleichstellende) Bewilligung von Fördermitteln; s. dazu B.n.2.c.bb und f sowie C.VI.ll.h. 190
Vgl. hierzu die auf isolierte Zugangsvornahme gerichteten Klageanträge im Kokskohlenbeihilfe-Fall, OVG Münster, U.v. 28.10.1985 - 4 A 476/84, Ausfertigung, S. 9 f. 191 In diesem Sinne Scholz , WiR 1972, 35 (42); s. auch R. Schmidt , BB 1969, 653 r.Sp.; a.A. Brehm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (236 f.): Der "begünstigte Mitbewerber" werde durch die Gleichstellung "nicht unmittelbar berührt"; ferner Scherer , Jura 1985, 11 (16); Huber , Konkurrenzschutz, S. 86 ff., allerdings einschränkend S. 92 ff. Der Konkurrenzcharakter eines isolierten (Zugangs-)Vornahmebegehrens wird auch am Beispiel des Anspruchs einer Partei auf straßenrechtliche Sondernutzung in der Spätphase des Wahlkampfs deutlich: VGH Mannheim, B.v. 13.1.1987 5 S 33/87, VB1BW 1987, 310 (312); wie das Gericht zu Recht bemerkt, fühlt die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis an eine der Parteien dazu, daß auch den anderen ein entsprechender Anspruch zusteht. Der multipolare Charakter isolierter Zugangsvornahme liegt nur dann nicht vor, wenn es um wettbeweibsneutrale Subventionierung einer unbestimmten Zahl von Begünstigten geht; s. dazu B.D.2.c.bb und f sowie C.VI.ll.h.
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
34
2. Wechselbezüglichkeit Demgegenüber liegt Wechselbezüglichkeit
192
vor, wenn konkurrierende
Zu-
gangsinteressen vor dem Hintergrund kapazitätsbezogener staatlicher Auswahlund Verteilungsentscheidungen aufeinanderstoßen. Angesichts der vorgegebenen, nicht erweiterbaren Kapazitäten kann hier ein Bewerber nur auf Kosten eines Konkurrenten zum Zuge kommen (kazapitiitsbedingte
Ausschlußwirkung).
D a sich die "Verteilungskämpfe zwischen Privatpersonen" 193 auf denselben Gegenstand beziehen, der nur einmal zur Verfügung steht, kann von homogenen Interessen gesprochen werden; es handelt sich u m die klassische NullsummenSituation.
194
I n diesem Kapazitätseffekt
liegt der strukturelle Unterschied zum
Grundtypus kehrseitiger Konfliktlagen. 195 Das Kriterium der "Stoffgleichheit" 196 von Begünstigung und Belastung ist erfüllt. Z u denken ist z.B. an die Vergabe von Rundfunkzulassungen, Studienplätzen, Güterfernverkehrsgenehmigungen, Taxikonzessionen oder Beförderungsämtern und -dienstposten. I m übrigen gehören zur Gruppe der Wechselbezüglichkeit nicht nur die Zugangskonkurrenz vor dem Hintergrund kapazitatsbezogener staatlicher Auswahl- und Verteilungsentscheidungen, sondern auch Fälle der notwendigen Lastenverteilung
bei
192
Anders die Terminologie bei OVG Berlin, B.v. 18.4.1986 - 2 S 62/86, NVwZ 1986, 848 (849), wo die Grundlage des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes im Austauschverhältnis gesehen wird, das den Grundstückstückseigentümern gleiche öffentlich-rechtliche Belastungen auferlege bei gleichzeitiger Einräumung von "wechselbezüglichen Vergünstigungen"; vgl. auch OVG Saarlouis, U.v. 3.6.1980 - U.v. 3.6.1980 - H R 110/79, BRS 36 Nr. 198, S. 398 (399), das im selben Sinne von "wechselbezüglichen Rechtswirkungen" spricht; hierauf beruft sich OVG Berlin, B.v. 25.2.1988 - 2 S 1.88, NVwZ-RR 1989, 116 f. Die damit auf der Grundlage des Austauschverhältnisses (hierzu nach wie vor grdl. Sendler, BauR 1970, 4 (6): "Ausbalancierung und ... gegenseitige Abhängigkeit von Vor- und Nachteilen" im Rahmen des Bebauungsplans) umschriebene Konfliktlage wird hier als kehrseitig bezeichnet (s.o. A.m.l). 193
Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (77), unter Bezugnahme auf Schmidt-Afimann, Ordnungsidee, S. 21 ff.; s. auch Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (20): "Auswahl zwischen mehreren Inhabern von Rechtsansprüchen"; Rümmer, NJW 1988, 225 (229): "Verteilung bei knappen Kontigenten"; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 36 f.:"Problem gerechter Verteilung", kurs. i.O. 194 Vgl. Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 238. In diesen Fällen besteht "Identität von Vermehrtem und Vermindertem" im Sinne von Menger/Erichsen, VerwArch. 60 (1969), 89 (98), die den Begriff des Verwaltungsakts mit Drittwirkung hierauf beschränken wollen. Ebenso dürfte der Begriff der Wechselbezüglichkeit Laubingers Terminus der "Stoffgleichheit" (Verwaltungsakt, S. 29 f.) nahestehen, auch wenn dieser insoweit nicht die Fälle kapazitätsbezogener Auswahl- und Verteilungsentscheidungen in ihrer Breite auffuhrt und als Beispiele lediglich Fälle der Aufteilung von versorgungsrechtlichen Ansprüchen nennt. 195
Vgl. Brehm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (248), der in prozessualer Perspektive mit Recht herausstellt, daß sich die "ausschließliche Konkurrentenklage" von der "baurechtlichen Nachbarklage und der damit strukturell übereinstimmenden defensiven Konkurrentenklage" erheblich unterscheidet. 196 Laubinger, Verwaltungsakt, S. 29 f.
m . Kehrseitigkeit und Wechselbezüglichkeit
35
immissionsrelevanten Straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen197 oder der Aufteilung personenbezogener staatlicher Versorgungsleistungen. 196 Die Anwendung des normativen wechselbezüglichen Konfliktschlichtungsprogramms fuhrt dazu, daß die konkurrierenden Zugangsinteressen nach Maßgabe des normativen Ausleseprinzips an das verfugbare Angebot angepaßt werden. Dabei lassen sich schematische und qualitative Auswahl- und Verteilungsprogramme unterscheiden. Im ersten Fall wird der Zugangskonflikt vor allem durch das Prioritätsprinzip gelöst. Beispielhaft sei auf die Vergabe von Schornsteinfegerkehrbezirken oder Taxikonzessionen verwiesen. Die zweite Gruppe wird insbesondere durch das Leistungsprinzip gekennzeichnet und weist entsprechende Bewertungsspielräume und Einschätzungsprärogativen aus. Als Beispiel kann hier die Verteilung von rundfunkrechtlichen Zulassungen oder von Güterfernverkehrsgenehmigungen, die Aufteilung von (qualitativ definierten) Ausfuhrkontigenten, die Einstellung und Beförderung von Beamten oder die Zulassung von Studenten zum Studium nach den leistungsbezogenen Auswahlverfahren der §§ 25, 26 und 28, 31 ff. VergabeVO ZVS i.V.m. § 33 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 und 2 Nr. 2 b HRG genannt werden. Erwähnenswert ist auch die Verteilung (zu knapper) Subventionsmittel unter konkurrierende Unternehmen. 199 Ob und in welcher Weise sich in all diesen Fällen das "bessere" Recht durchsetzen kann oder ob es ggf. auch zu einem Rechtsuntergang mit surrogativem Drittrechtsschutz kommt, wird im einzelnen zu erörtern sein.200 Schließlich gehört zur Wechselbezüglichkeit auch die Enteignung zugunsten privater Dritter. Diese ist zwar dann im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG unzulässig, wenn sie zum "Vorteil bloßer Privatinteressen" 201 erfolgt. Bei Wahrung des
197
Vgl. etwa zur Einziehung einer Straße nach § 4 Abs. 1 S. 1 StrG Bln. v. 9.6.1964 (GVB1. S. 693) OVG Berlin, U.v. 12.11.1986 - 1 B 10.85, OVGE Bln. 18, 1 (2 ff.): Diese bewirkte zwar eine Verkehrsberuhigung der dortigen Anwohner, führte aber gleichzeitig und notwendig zu korrespondierenden Lärmbeeintrachtigungen in der Straße des Klagers, in die sich nunmehr der Verkehr verlagerte. 198 S. BSG, U.v. 23.6.1964 - 11/1 RA 90/62, E 21, 125 (125 ff.), zu §§ 42, 45 Abs. 4 S. 2 AVG; anders dagegen beim Pensionisten-Privileg gem. § 55 c Abs. 1 S. 2 SVG BSG, U.v. 25.11.1986 - 1 la RA 18/85, E 61, 27 (28 ff.), das eine Berechtigung des ausgleichsverpflichteten geschiedenen Ehemanns gegenüber der Rentenfestsetzung zugunsten derfrüheren Ehefrau verneint; bestätigt unter grundrechtlichen Aspekten von BVerflG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 ff.). 199 Hierzu gehört das Begehren des Klagers in dem Subventionsrechtsstreit, der dem Streitwertbeschluß des OVG Münster, B.v. 4.4.1990 - 4 B 210/90, NVwZ-RR 1990, 671, zugrunde lag; s. dazu auch VG Köln, B.v. 14.6.1984 - 1 K 4032/83, ZIP 1984, 1018. 200 Vgl. C.Vm, zum Rechtsuntergang namentlich unter Ziff. 5 - 7 . 201
Papier, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 499 zu Alt. 14 (kurs. i.O.). Insofern trifft es zu, daß die Enteignung kein Instrument des Staates ist, "Konflikte zwischen Privaten und ihren Interessen zu schlichten" (ibid.).
36
A. Untersuchungsgegenstand und Grundproblematik
Wohls der Allgemeinheit aber kann eine Enteignung auch zugunsten eines auf private Gewinnerzielung bedachten Unternehmens zulässig sein. 202 Wesentliche Unterschiede bestehen zwischen kehrseitigen und wechselbezüglichen Konfliktlagen nicht nur, was die Voraussetzungen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung anlangt. Noch gravierender werden sie auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen zu Buche schlagen, wenn es zu einer Auswahl- bzw. Verteilungsentscheidung unter Verstoß gegen das Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm gekommen ist und der zu Unrecht ausgeschlossene Bewerber nunmehr sein "besseres" Recht geltend macht. Hier kommt es nicht zuletzt auf eine dogmatische Bestimmung des Verhältnisses von Vornahme und Abwehr (Aufhebung) an. Sind diese Kategorien in multipolaren Konfliktlagen ohnehin nicht mehr strikt auseinander zu halten,203 so gilt dies in einem gesteigerten Maße im Falle der Wechselbezüglichkeit. Daß bei regulierten Marktzutrittsbedingungen ein isoliertes Abwehrbegehren prinzipiell ausgeschlossen ist, wurde soeben bereits betont.204 Hier gilt der Grundsatz primärer Vornahme und akzessorischer Aufhebung. 205
202 S. hierzu BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 5.90, E 87, 241 (247 ff.); BVerfG, U.v. 24.3.1987 - 1 BvR 1046/85, E 74, 164 (284 ff.); Schmidt-Aßmann, NVwZ 1987, 1587 f.; Papier, in: Maunz/Durig, Rdnr. 500 zu Alt. 14; Breuer, DVB1. 1981, 971 (974); Schmidbauer, Enteignung, S. 137 ff.; zur Grundproblematik bereits Buüinger, Der Staat 1 (1962), 449 (451 ff.). Vgl. Fn. 102 sowie im einzelnen unten C.n.2.a.ee und C.VI.5.a.dd. 203 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 121 zu Art. 19 Abs. IV. 204 A.ffl.l mit Fn. 187 und 188. 205 C.Vm.4. S. dort auch zur Problematik isolierter Zugangsvornahme.
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen zum subjektiven öffentlichen Recht in multipolaren Konfliktlagen I. GrundrechtsdurchgrifF oder Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnonn 1. Subjektive öffentliche
Rechte aus einfachem Recht und aus Grundrechten
a) Die Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Konfliktlösung Grundrechte sind subjektive öffentliche Rechte "par excellence".1 Der einzelne kann sich auf sie als NSchutznormN unmittelbar berufen. 2 Dies bedeutet freilich nicht, daß sich subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung nur auf der Grundrechtsebene abspielen könnte. Das Konzept eines direkten Durchgriffs auf Grundrechte3 zur Begründung subjektiver öffentlicher Rechte würde dem einfachen Gesetzgeber die Entscheidung darüber nehmen, ob er den Ausgleich kollidierender Privatinteressen subjektiv- oder nur objektiv-rechtlich ausgestaltet.4 Im Rahmen der Verfassung kommt aber prinzipiell dem demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgeber die Kompetenz zum normativen Ausgleich kollidierender Privatinteressen zu. 5 Insoweit hat er das Mandat zur Konflikt-
1 Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 17 (S. 76); Kupp, AöR 88 (1963), 479 (484); Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 157; s. zum subjektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte auch Bachof t Vornahmeklage, S. 67; Hesse, Grundzuge, Rdnr. 283; Höberle, Wesensgehaltgarantie, S. 70; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 11 zu § 8 (S. 131); Erichsen, Verwaltungsrecht, S. 100; Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (138 f.; 140); Gallwas, Grundrechte, 1985, S. 15. 2 Vgl. Bachof WDStRL 33 (1975), 312 (313). 3 Gegen die Schutznormtheorie und für den unmittelbaren Zugriff auf die Grundrechte, meist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 1 GG, vor allem Zuleeg, DVB1. 1976, 509 (514 ff.); Bernhaidt, JZ 1963, 302 (305 ff.); Senmg, NuR 1989, 325 (330); ders., NuR 1980, 102 (105); Baumann, BayVBl. 1982, 292 (295); vgl. ferner - wenn auch einschränkend - Lorenz, Rechtsschutz, S. 65 f.; trotz Betonung von Art. 2 Abs. 1 GG letztlich zurückhaltend Brehm, WDStRL 30 (1972), 245 (272 f.), dazu C.IV Fn. 38; zum Direkizugriff auf Grundrechte in rechtsverhahnistheoretischer Hinsicht R. Schmidt, Wirtschaftsrecht, S. 453 ff.; H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (613 f.); für Orientierung am Kriterium der Grundrechtsrelevanz Huber, Konkurrenzschutz, S. 193 ff. S. insgesamt C.IV.l.b. 4
Vgl. Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66). S. anhand des Konflikts zwischen einem Bergbauunternehmen und einem Oberflacheneigentümer BVeiwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (343): "Treffen ... zwei grundrecht5
5 Schmidt-Preuß
38
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
Schlichtung, 6 das ihm die Wahl zwischen einer subjektiv-rechtlichen oder rein objektiv-rechtlichen Regelung eröffnet. 7 I m zweiten Fall beschrankt er sich auf eine gewollte Begünstigung, 8 ohne damit die Rechtsmacht ihrer Durchsetzung zu verbinden. 9 Dieses Mandat zur multipolaren Konfliktschlichtung ergibt sich materiell-rechtlich aus dem Demokratieprinzip (Art. 2 0 Abs. 1 G G ) , funktionell-rechtlich aus den Bestimmungen über die Gesetzgebung (Art. 72 ff. G G ) . Das Grundgesetz stattet auch den einfachen Gesetzgeber mit demokratischer Legitimation aus; 10 das schließt die Falle ein, in denen die Grundrechte der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürfen. n Aus der demokratisch legitimierten Stellung des - seinerseits an die Grundrechte gebundenen (Art. 1 Abs. 3 GG) - Gesetzgebers folgt i m Rahmen der Verfassung die Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm für die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen. 1 2 Der primäre Direktdurch-
lich geschützte Rechtspositionen aufeinander, so ist es in erster Linie Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, eine sachgerechte, ausgleichende Lösung des Konflikts zu finden." Als Ordnungsnormen kamen in diesem Drittvomahmefall die §§ 71 Abs. 1 bzw. 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG zur Begründung eines Anspruchs auf Einschreiten der Bergbehörde in Betracht; s. im einzelnen krit. zur Konstruktion des BVerwG C.VI.5.d.aa. 6 Vgl. Lerche, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (107): "Gesetzgeber ... als Konfliktschlichter." 7 Auf vorgelagerter Stufe erstreckt sich das Konfliktschlichtungsmandat des Gesetzgebers in multipolaren Konfliktlagen bereits darauf, ob er sich überhaupt zum öffentlich-rechtlichen Ausgleich kollidierender Privatinteressen entschließt, statt (allein) eine zivilrechtliche Regelung vorzusehen. 8 Vgl. Schlichter, NVwZ 1983, 641 f., wonach die baurechtlichen Vorschriften "im Lichte des Art. 14 I GG auszulegen" sind, es dem einfachen Gesetzgeber aber frei steht, "eine Norm mit starkem, begrenztem oder gar ohne Drittschutz auszustatten". Letzteres sei "unter voller Ausschöpfung des Grundsatzes der Sozialbindung, d.h. bis kurz vor der Enteignungsgrenze", möglich. 9 Schließlich kann er es bei rein tatsachlichen Reflexen bewenden lassen, vgl. Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 1 (S. 322); hier fehlt es bereits objektiv-rechtlich an einer gewollten Begünstigung, so daß es nur zu zufalligen Nebenfolgen einer Regelung kommt. 10
Vgl. grdl. zur Funktion des Parlaments im Rahmen der Verfassungsstruktur des GG Jeschy Gesetz, S. 92 ff.; s. unter dem Aspekt des demokratischen Gesetzesbegriffs auch ibid., S. 26 ff. 11 S. hierzu Hesse, Grundzüge, Rdnr. 303 ff; Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 180 ff. sowie S. 340 f. (Nachtrag); ders. y Die Verwaltung 22 (1989), 409 (413). 12 Vgl. Schmidt-Aßmann y in: Maunz/Dürig, Rdnr. 127 zu Art. 19 Abs. IV, nach dem die "normative Basis der subjektiven Rechte ... zu allererst im einfachen Recht gesucht werden" muß (kurs. i.O.). S. auch - auf Fälle kehrseitiger Konflikte bezogen - Breuer, DVB1. 1986, 849 (854): Der Gesetzgeber habe die Aufgabe, "im Spannungsfeld der konfligierenden Grundrechte verschiedener Genehmigungsadressaten, Umweltnutzer und Drittbetroffener subjektiv-öffentliche Nachbarrechte zu konstituieren". Vgl. ferner Pietzcker, in: FS f. Dürig, 1990, S. 345 (361); Gassner, DÖV 1981, 615 (617 ff.). S. demgegenüber Huber, Konkurrenzschutz, S. 204: "Vor allem aus den normimmanenten Wirkungen der Grundrechte muß ... der subjektiv-rechtliche Gehalt einfachgesetzlicher Schutzvorschriften bestimmt werden". S. auch ibid., S. 208 f.
I. Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm
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griff auf die Grundrechte zur Drittrechtsbegründung würde hiermit in Widerspruch stehen.13 In diesem Sinne hat das BVerfG 14 in seinem Beschluß vom 9.1.1991 zum Streit um die Aufteilung von Versorgungsbezügen festgestellt: "Von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsmäßiger Rechte abgesehen, bestimmt der Gesetzgeber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat." Dieser Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Konfliktschlichtung hat das BVerwG 15 Ausdruck verliehen, wam es in "§ 15 Abs. 1 BauNVO eine zulässige Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG" sah und feststellte, daß insoweit der "unmittelbare Rückgriff auf nachbarliche Eigentumsrechte nicht möglich" sei. In diesem Sinne hat das OVG Münster 16 zu Recht davon Abstand genommen, durch direkten Zugriff auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG oder Art. 14 GG dem Begehren nach Widerruf einer atomrechtlichen Betriebsgenehmigung stattzugeben; richtigerweise hat es demgegenüber den Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen von Betreiber und Anwohnern - "konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen" - der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm des § 17 Abs. 5 AtG entnommen.17 In diesem Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, daß der 22. Senat des VGH München18 unter Betonung des immissionsbezogenen Drittschutzes gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG einen "Rückgriff auf insoweit ohne einfachrechtliche Konkretisierung nicht aussagekräftige Grundrechte wie Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG" ausgeschlossen hat. Damit wird zu
13 Vgl. Kloepfer, VeiwArch. 76 (1985), 371 (383); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 42 zu § 4 (S. 65), der vom "Anwendungsvorrang" des einfachen Gesetzes gegenüber Grundrechten und Verfassung spricht. 14 Vgl. BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (195). 15 B.v. 13.5.1991 - 4 B 56.91, WUR 1991, 341 (342). Gleichfalls scheidet ein Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GG unter dem Aspekt des Bestandsschutzes aus, wenn und soweit der Gesetzgeber erschöpfend tatig geworden ist. Dies ist z.B. in § 34 Abs. 3 S. 1 BauGB geschehen; zu dessen Nr. 2 s. zutr. BVerwG, U.v. 15.2.1990 - 4 C 23.86, NVwZ 1990, 755 (757); s. femer zu § 35 Abs. 4 BauGB BVerwG, B.v. 3.12.1990 - 4 B 145.90, NVwZ-RR 1991, 231 (232); vgl. hierzu § 4 Abs. 2 und 3 BauGB-MaßnahmenG. S. auch BVerwG, U.v. 26.9.1991 - 4 C 5.87, DÖV 1992, 405 (406), wo die Frage gestellt wird, "ob Abwehransprüche Dritter im öffentlichen Baurecht überhaupt unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1. S. 1 GG gestützt werden können. ... Soweit drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden sind, kann ... ein weitergehender, unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG beruhender Anspruch nicht bestehen." Dabei wird eine den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG genügende Norm vorausgesetzt. 16 U.v. 19.12.1988 - 21 AK 8/88, Ausfertigung, S. 7 (dort auch das folgende Zitat im Text); insoweit klärend zum Begriff der "eriieblichen Gefahrdung" BVerwG, B.v. 5.4.1989 - 7 B 47/89, NVwZ 1989, 1170 (1171): Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde. 17 Zur Problematik der Maßstabsunsicherheit bei direktem Grundrechtszugriff s. Wolff/Bachof i VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323); vgl. auch Krebs, Kontrolle, S. 87 f.; Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (140 f.). 18 U.v. 8.6.1988 - 22 B 83 A.1681, VGH n.F. 41, 78 (82), vor dem Hintergrund emissionsbezogener Vorschriften der TA Luft.
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
Recht die gesetzgeberische Entscheidung über die Reichweite des Drittschutzes - im letztgenannten Fall gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Verhältnis zu Nr. 2 - respektiert. Wenn schließlich das Verordnungsrecht konkretisierende Regelungen nach Maßgabe der Ermächtigungsnorm bereithält, 19 erschiene es wenig verständlich, wenn derartige Vorschriften bei einem direkten Grundrechtsdurchgriff leer laufen müßten. Die Konfliktschlichtungsprärogative des Gesetzgebers erfährt aber dadurch eine entscheidende Begrenzung, daß die Grundrechte ein verbindliches Mindestniveau subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung statuieren.20 Hinter dieser Vorgabe darf der einfache Gesetzgeber nicht zurückbleiben. Insoweit hat Breuer 21 vom "unabdingbaren Minimalbestand grundrechtlicher Verteilungs-, Zuteilungs- und Schutzanspruche" gesprochen. Von einem anderen Blickwinkel ergibt sich dasselbe Ergebnis, wenn man grundrechtliche Genehmigungsabwehransprüche der Schutzkomponente des Grundrechts zuordnet und betont, daß der Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung über einen weiteren Gestaltungsspielraum verfügt als im Abwehrbereich. 22 Umgekehrt kann der einfache Gesetzgeber selbstverständlich über den verfassungsrechtlichen Mindeststandard hinaus subjektive öffentliche Rechte zuerkennen.23 Dies wird von den Vertretern eines direkten Grundrechtszugriffs zu wenig beachtet.
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Vgl. zu § 45 StriSchV (a.F.), § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und Art. 2 Abs. 2 GG Pietzicker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (141), der zutr. darauf hinweist, daß für eine Prüfung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nur Raum sei, wenn die Verfassungswidrigkeit der §§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, 45 StriSchV geltend gemacht werde, "nicht hingegen bei einem bloßen Angriff gegen die sich in diesem Rahmen haltenden Emissionen". S. zur Problematik auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 281, 289. 20 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 11 zu § 8 (S. 131):"Der Gesetzgeber kann zwar darüber entscheiden, ob und inwieweit er subjektive Rechte gewahren will; er muß dabei aber die Grundrechte beachten." Ein verfassungsrechtliches Defizit im Bereich des Nachbarrechts wird von Steinberg, NJW 1984, 457 (461), zu Recht verneint: Es sei derzeit nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber im Bereich des öffentlichen Nachbarrechts seiner Schutzpflicht nicht nachgekommen wäre. - BVerwG, U.v. 11.5. 1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (62 ff.), hat in einem Fall paralleler Genehmigungsverfohren keinen Verstoß gegen den von einem Nachbarn in Anspruch genommenen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gesehen; dazu Schmidt-Preuß, DVB1. 1991, 229 (238 ff.). 21 In: FG BVerwG, 1978, S. 89 (94). 22 Vgl. in diesem Sinne Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66), der es insoweit als entscheidend ansieht, daß "die Dritten in ihren Grundrechten durch die Erteilung einer Genehmigung nur mittelbar bzw. faktisch betroffen sind". Derartige Beeinträchtigungen "klassischen Eingriffen gleichzusetzen", sei aber "dann allein berechtigt, wenn sie ein erhebliches Gewicht aufweisen". S. auch bereits Breuer, in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (109 f.): Giundrechtliche Genehmigungsabwehransprüche seien "äußerlich negatorische Abwehransprüche", der Sache nach "gehören sie jedoch zur Typik des positiven Schutzes grundrechtlicher Freiheit"; s. auch ibid., S. 109: "Notlösung grundrechtlicher Genehmigungsabwehransprüche". S.u. B.n.l.b. 23 Vgl. Wolff/Bachof, VerwR, § 43 I b 2 (S. 323).
I. Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm
41
b) Die norminterne Funktion der Grundrechte Im Rahmen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung können Grundrechte fördernd, verdeutlichend und stützend bei der Auslegung der einfachgesetzlichen Ordnungsnormen wirksam werden. Schmidt-Aßmann 24 hat plastisch von der norminternen Wirkung der Grundrechte gesprochen. Auch wenn ihnen insoweit keine selbständige wspmchsbegrilndende Funktion zukommt, ist die Bedeutung dieser Funktion nicht gering zu schätzen. Sie spiegelt die "durchgängige Verfassungsabhängigkeit" 25 des Verwaltungsrechts wider. 26 Die Annahme einer Ausstrahlungswirkung der Grundrechte 27 kann freilich nicht bedeuten, daß nunmehr "positiven Rechtssätzen ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Einzelfallvorbehalt beigefügt wird". 28 Die Handhabung der norminternen Wirkung der Grundrechte verlangt vielfach eine Gratwanderung: Einerseits ist die Konfliktschlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgebers zu respektieren; auch in bezug auf die (nur) norminterne Grundrechtswirkung gilt, daß das Fundament der einfachgesetzlichen Konfliktschlichtung nicht einfach "unterspült"29 werden darf. 90 Andererseits ist bei der Auslegung der Ordnungsnormen den Grundrechten in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen.31 Die Notwendigkeit eines behut-
™ In: Maunz/Dürig, Rdnr. 123 zu Art. 19 Abs. IV; s. auch ibid., Rdnr. 128: "wertverdeutlichende, systematisierende Rolle". 25 Bachof, VerfR D, 1967, S. 5. 26 Das schon oben (A.I.l .c) erwähnte Sasbach-Urteil des BVerwG hatte von den "auf ein mehrpoliges Rechtsverhältnis einwirkenden gegenläufigen, jeweils auf materielle Grundrechtspositionen zurückzufilhrenden Interessen m gesprochen, U.v. 17.7.1980 - 7 C 101.78, E 60, 297 (307), kurs. v. Verf. 27 Vgl. Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (67); Stern, Staatsrecht m/1, § 69 ffl 2 (S. 925 ff.); Isensee, Sicherheit, S. 50 f. mit Fn. 117; Scholz, Wntschaftsaufsicht, S. 129 ff.; vgl. hierzu auch Breuer, DVB1. 1983, 431 (437): Die konkrete Reichweite der subjektiven öffentlichen Rechte müsse "aus dem grundrechtskonkretisierenden Gesetzesrecht heraus entwickelt werden"; Schenke, JZ 1988, 317 (321); Huber, Konkurrenzschutz, S. 193 ff.; die Maßgeblichkeit des einfachen Gesetzes grundsätzlich ohne Einräumung einer grundrechtlichen Ausstrahlungswirkung betont demgegenüber Gassner, DÖV 1981, 615 (617 ff.). 28 Wahl, NVwZ 1984, 401 (407), kurs.i.O. S. auch Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 163. 29 Kloep/er, VerwArch. 76 (1985), 371 (383); ders. t Umweltrecht, Rdnr. 21 zu § 5 (S. 264), in bezug auf die Schutznormtheorie. 30 Nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 123 zu Art. 19 Abs. IV, ist "die Rückbindung an die einfach-gesetzliche Regelung" von entscheidender Bedeutung, "um vorschnelle Generalisierungen zu vermeiden". 31 Vgl. zu einer Gestaltungsvomahme-Konstellation BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 17.90, E 88, 191 (200 ff.); ferner - zu einer bipolaren Fallgestaltung - BVerfG, B.v. 11.6.1991 - 1 BvR 772/90, E 84, 203 (210 f.): Überprüfung der Schlußfolgerungen des Fachgerichts "im Lichte des Grundrechts" des Art. 8 GG; s. auch BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, B.v. 18.10.1991 - 1 BvR
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
samen Vorgehens ist darin begründet, daß in der muhipolaren Konfliktlage eine grundrechtlich bekräftigte Rechtsmehrung des einen Privaten notwendig zu einer entsprechenden Minderung des anderen fuhren würde. 3 2 I m übrigen bedeutet der prinzipielle sachlich-thematische Zusammenhang zwischen dem Schutzbereich eines Grundrechts und der ausgestaltenden einfachgesetzlichen N o r m 3 3 keineswegs, daß diese ihrerseits Verfassungsrang einnähme. 34 Auch die aus Gesetzen, die in Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht erlassen worden sind, "hervorgehenden Schutzansprüche Drittbetroffener" sind "nichtsdestoweniger durch Gesetz begründete Ansprüche und nicht grundrechtliche Ansprüche". 35 D i e Rechtsprechung macht von der norminternen Wirkung der Grundrechte bei der Losung von multipolaren Konfliktfällen nur gelegentlich erkennbaren Gebrauch. Z u Recht wurde z.B. eine Erlaubnis für Sondernutzungen gem. §§ 13 Abs. 1, 16 Abs. 1 StrG B W als "Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen" vor dem Hintergrund des Nutzungskonflikts zwischen einzelnen
1377/91, BayVBl. 1992, 83, zur Anwendung und Auslegung des Hamburgischen Wegegesetzes im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG; zur möglichen Ausstrahlung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auf § 35 Abs. 1 GewO s. OVG Hamburg, U.v. 31.7.1990 - Bf VI 71/90, GewArch. 1991, 212 (213 f.); zum Verhältnis der Kunstfreiheit zu den Regelungen einer Baugestaltungssatzung BVerwG, B.v. 27.6.1991 - 4 B 138.90, BauR 1991, 727 (728 f.). S. schließlich - zu einer bipolaren Fallgestaltung unter Ermessensaspekten - BVerwG, U.v. 29.4.1964 - I C 30.62, E 18, 247 (250). 32 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 124 zu Art. 19 Abs. IV: Die norminterne Wirkung der Grundrechte müsse "nicht notwendig auf eine stärkere Subjektivierung des einfachen Gesetzesrechts hinauslaufen", sondern könne ihr auch entgegenstehen. Zur Vermutungsproblematik C.IV.2. 33 Vgl. z.B. Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6): Die Eigentümerinteressen, die das Verwaltungsrecht schützt, seien "weithin grundrechtlich unterfangen". 34 In verfahrensrechtlicher Hinsicht Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (471): Sind danach "'grundrechtsschützende' Verfahrensvorschriften als einfaches Recht in Geltung gesetzt, so bleiben sie dies auch" (kurs. i.O.). S. auch Wahl, WDStRL 41 (1983), 151 (169); Hoppe, DVB1. 1969, 246 (248); Rupp, Grundfragen, S. 223 (hinsichtlich der Berufung auf Eigentum); Isensee (Sicherheit, S. 51 mit Fn. 117), der in der Schutzpflichtkonstellation die "einfachgesetzliche Form und die gmndrechtliche Substanz ... im Interesse des Schutzbedürftigen als Ganzheit" sieht, spricht von einem "Problem der Abgrenzung". 35 Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (10). Dies bedeutet zugleich, daß ein Verstoß gegen derartige einfachgesetzliche Normen nicht ipso iure zugleich eine Grundrechtsverletzung darstellt. Nicht zu folgen daher Schenke, NuR 1983, 81 (88), der bei Eingriffen unterhalb der Schwelle schwerer und unerträglicher Beeinträchtigung bei einem Verstoß gegen die §§ 34 f. BBauG auch eine Verletzung von Art. 14 GG annimmt. - Zu weitgehend, weil Grundrechtsverletzung und Verstoß gegen einfaches Recht im wesentlichen gleichsetzend, Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 199, nach der eine drittbelastende Genehmigung grundrechtseingreifenden Charakter haben soll, wenn sie unter Verstoß gegen einfachrechtliche Genehmigungsnormen erteilt worden ist, die "einer objektiven Pflicht zum Schutz der Grundrechte des betroffenen Dritten entsprechen".
I. Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm
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Straßenbenutzern verstanden.36 Insoweit stehen sich normintern Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auf seiten des Straßenkünstlers einerseits und die Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 bzw. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf Seiten der Verkehrsteilnehmer, der Anlieger bzw. der Immissionsbetroffenen andererseits gegenüber. Der hohe Rang der Kunstfreiheit kann hier in der Tat eine Reduzierung des Ermessens zugunsten der Sondernutzungserlaubnis bewirken, wenn die gegenläufigen Grundrechte nicht "ernstlich beeinträchtigt" sind. Weiterhin seien Fälle der Durchsetzungsfahigkeit des auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG beruhenden Bestandsschutzes gegenüber den ebenfalls dem Eigentumsrecht zuzuordnenden Verschonungsinteressen des Nachbarn hervorgehoben; dies schließt den Fall ein, daß der Emittent die Nutzung einer Baugenehmigung zwischenzeitlich reduziert hat. 37 Im Bereich staatlicher Marktzutrittsregulierungen ist Art. 12 Abs. 1 GG herangezogen worden. Dies gilt zum einen für den Zugang von Newcomern zu Lasten von bereits auf dem Markt etablierten Wirtschaftssubjekten, 38 zum anderen für isolierte Zugangsvornahmebegehren; in letzterer Hinsicht hat das BVerwG 39 in bezug auf den Zugangsanspruch nach § 13 Abs. 4, 5 PBefG das Gewicht hervorgehoben, das der "grundrechtlich geschützte prinzipielle Zulassungsanspruch eines Bewerbers" habe. Ahnlich hat das VG Gießen40 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 GG betont, daß bei der Bewertung der besten Befriedigung des öffentlichen Verkehrsbedürfhisses gem. § 10 Abs. 3 S. 3 GüKG keine für Neubewerber zu strengen Anforderungen gestellt werden dürften. Andererseits fällt auf, daß in zentralen Bereichen auf die norminterne Heranziehung von Grundrechten ganz verzichtet wird. Das gilt bemerkenswerterweise für die Rechtsprechung zum subjektiven Rücksichtnahmegebot, das
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Vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1989 - 7 C 81.88, E 84, 71 (78): Zurückverweisung zwecks Auslegung der landesrechtlichen Begriffe des Gemeingebrauchs und der Sondemutzung gem. §§ 13 Abs. 1, 16 Abs. 1 StiG BW; das folgende Zitat befindet sich ebenfalls auf S. 78. Krit. hierzu unter dem Aspekt zu geringer Veranschlagung des Art. 5 Abs. 3 S.l GG in seiner Ausstrahlung auf den landesstraßenrechtlichen (erlaubnisfreien) Gemeingebrauch Hufen, JZ 1990, 339 f.; Wärkner, NJW 1990, 2013 f. 37 S. in der Gestaltungsabwehrkonstellation OVG Saarland, U.v. 29.6.1990 - 2 R 369/87, BauR 1991, 197 (198 f.). 38 Vgl. z.B. VGH München - Nr. 22 B 81 A.2506, DVB1. 1983, 274 (275), zur Vergabe einer Rezeptsammelstelle gem. § 11 Abs. 1 ApoBetrO; hier wird bei der Beurteilung der Auswahlentscheidung auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG Bezug genommen. 39 U.v. 7.9.1989 - 7 C 44 und 45.88, E 82, 295 (298): Der "grundrechtlich geschützte prinzipielle Zugangsanspruch eines Bewerbers" nach Maßgabe des Prioritatsprinzips (§ 13 Abs. 5 S. 2 PBefG) dürfe nur im "Ausnahmefair übergangen werden. Vgl. hierzu C.Vm.3.b. 40 U.v. 20.4.1988 - H/1 E 7/86, Ausfertigung, S. 12, 14.
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
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nach ausdrücklicher, des näheren noch zu erörternder Aussage des BVerwG 41 nur im einfachen Recht angesiedelt ist. 42 Weiterhin wurde etwa die subjektive Rechtsstellung einer (werdenden) Mutter gegenüber der behördlichen Zustimmung zu einer ausnahmsweisen Kündigung gem. § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG nicht etwa auf den Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG 4 3 gestützt.44 I m Schwerbehindertenrecht hat das BVerwG 45 zwar jüngst allgemein den Schwerbehindertenstatus als "zum grundrechtlich geschützten Bereich der Persönlichkeitsrechte" gehörend bezeichnet; doch waren Drittberechtigungen im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz seit jeher offenbar so selbstverständlich, daß die Frage einer ausdrücklichen Absicherung durch Grundrechte gar nicht gestellt wurde. I m Immissionsschutzrecht ist schließlich der Versuch einer Ausweitung des Drittschutzes in den Bereich des Vorsorgegebots des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG hinein jedenfalls nicht mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründet worden. 46
c) Verfassungskonforme Auslegung Neben der norminternen Grundrechtswirkung bleibt bei der Ermittlung subjektiv-rechtlicher Drittpositionen für die verfassungskonforme Auslegung' nur noch wenig Raum. 48 In jedem Fall muß zweierlei beachtet werden. Zum einen darf dieses Instrument nicht dazu verleiten, zu rasch die oft mühsame Exegese einfachgesetzlicher Vorschriften hintanzusetzen und die eigentliche subjektiv-rechtliche Weichenstellung ohne weiteres "verfassungskonform" vorzunehmen. Insoweit muß die Reichweite etwaigen subjektiv-rechtlich
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U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp. Für verfassungsrechtlichen Bezug (Art. 14 GG) dagegen Weyreuther, BauR 1975, 1 (7); s. hierzu Fn. 53. 43 Zu diesem Badura, Staatsrecht, 1986, Rdnr. C 54 (S. 108). 44 Vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.8.1977 - V C 8.77, E 54, 276 (280 ff.). 45 U.v. 15.12.1988 - 5 C 67.85, JZ 1989, 843 (844). 46 Vgl.VGHMünchen,U.v.30.11.1988-20A 86.40030u.a.,BayVBl. 1989,530(532 f.). 47 Vgl. BVerwG, U.v. 18.12.1987 - 4 C 9.86, E 78, 347 (352 f.); BVerfG, B.v. 23.10.1991 - 1 BvR 850/88, NJW 1992, 890 f., zu Eilversammlungen mit abw. Meinung von Seibert und Henschel; B.v. 14.5.1985 - 1 BvR 233,341/81, E 69, 315 (349 ff.), zu §§ 14, 15 VersG; zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung s. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 83; Stern, Staatsrecht m/1, § 73 IV 4 c 5 (S. 1316 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 98; Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 405 ff. - S. auch noch Kunig, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 599 (616, 617), der zwischen "grundrechtsangeleiteter Auslegung" und "verfassungskonformer Auslegung" unterscheidet. 42
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Die Abgrenzungsschwierigkeiten beschreibt Stern, Staatsrecht m/1, § 69 m 4 (S. 927). Zu stark die Betonung der verfassungskonformen Auslegung bei Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 (527 ff.).
I. Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm
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verfaßten Interessenausgleichs prinzipiell durch Auslegung des Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm ermittelt werden. Nicht im Ergebnis, wohl aber in der Begründung ruft das Moers-Kapellen-Urteil des BVeiwG Bedenken hervor, wenn es den begrenzten bergrechtlichen Drittschutz ausdrücklich im Wege der verfassungskonformen Auslegung über die Generalklausel der öffentlichen Interessen in § 48 Abs. 2 BBergG entwickelt hat. 49 Auf diese Weise soll vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG subjektiv-rechtlicher Sachgüterschutz zur Verhinderung "schwerwiegender Einwirkungen auf das Oberflächeneigentum" begründet werden. Wie noch zu zeigen sein wird, hätte sich die Antwort auf die Drittschutzfrage ohne diesen "Umweg" einfachgesetzlich allein aus § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG entnehmen lassen.50 Daß es vielfach von vornherein nur um eine einfachgesetzliche Auslegung geht, zeigt auch eine Entscheidung des OVG Münster,51 in der es in einem Fall paralleler Anlagengenehmigungen auf Grund "verfassungskonformer Auslegung und Anwendung" bau- und atomrechtlicher Vorschriften letztlich eine Gesetzeslücke verneint hat. Demgegenüber macht das Revisionsurteil des BVerwG 52 deutlich, daß es in der Sache nicht um verfassungskonforme Auslegung ging. Die Anwendung der parallelen Genehmigungsnormen ließ bereits die Annahme eines in vollem Umfang drittschutzeröffhenden Komplementärverhältnisses zu. Anlaß für eine verfassungskonforme Auslegung unter dem Aspekt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bestand damit nicht. Richtig ist schließlich, daß die Rechtsprechung das Rücksichtnahmegebot nicht in Anlehnung an Art. 14 Abs. 1 GG verankert sieht und auch keine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Baurechtsnormen vorgenommen hat. 53 Zum anderen darf von der verfassungskonformen Auslegung nicht in einer Weise Gebrauch gemacht werden, die eine ausdrückliche und verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer nur objektivrechtlichen Konfliktschlichtung überspielen würde. Dies würde in besonderer Weise die Konfliktschlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers verletzen. In multipolaren Konfliktlagen kann eine verfassungs-
49 BVerwG, U.v. 6.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (339 ff., 345 f.); krit. hierzu C.VI.5.d.aa. 50 S. C.VI.5.d.aa; das Urteil des BVerwG v. 13.12.1991 - 7 C 25.90, Ausfertigung, S. 9, hat keine Wende herbeigeführt. 51 U.v. 22.10.1987 - 21 A 330/87, NVwZ 1988, 554 (556). 52 U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (66 ff.). 53 Nicht gefolgt werden kann Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 (527 ff.), insoweit, als er das Rücksichtnahmegebot als Ausdruck verfassungskonformer Auslegung ansieht. Dies würde seine Verankerung in Art. 14 GG voraussetzen; so in der Tat Wey reuther, BauR 1975, 1 (7); dagegen HJ. Müller, NJW 1979, 2378 (2379 f.); s. auch BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410). Vgl. ferner Fn. 60.
46
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
konforme Auslegung darüber hinaus zu Ungleichgewichten zwischen den Privaten fuhren, wenn nur auf einer Seite ein etwaiges einfachgesetzliches Defizit angereichert wird, ohne daß gleichzeitig gefragt wird, ob nicht auf der anderen Seite zugunsten des Konfliktgegners eine verfassungskonforme Balance erfolgen muß. Gerade dies ist die für multipolare Konfliktlagen typische Konstellation. So hat z.B. das OVG Lüneburg54 im Wege verfassungskonformer Auslegung unter Hinweis auf "grundrechtlich geschützte Positionen" § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG Drittschutz entnommen. Unabhängig vom Eigebnis bleibt dabei unklar, warum es nur hinsichtlich des Verschonungsinteressenten auf Verfassungskonformität ankommen soll, während die entsprechende Gegenposition des Konfliktgegners überhaupt nicht angesprochen wird.
2. Ablehnung einer "dritten
Ebene " - Rücksichtnahmegebot
a) Tatbestandsübergrei fende Wirkung innerhalb des Baurechts Zwischen Grundrechten und einfachem Gesetz gibt es keine "dritte Ebene", die in multipolaren Konfliktlagen als Quelle subjektiver öffentlicher Rechte dienen könnte. Die Vorstellung eines allgemeinen, die Einzeltatbestände überwölbenden baurechtlichen Rücksichtnahmegebots ist daher abzulehnen. Den entscheidenden, in seiner Tragweite kaum beachteten, bis heute aber bestimmenden Schritt in die Richtung einer solchen tatbestandsunabhängigen Wirkungsweise tat seinerzeit der 4. Senat des BVerwG im Beschluß vom 31.10.1977, 55 als er das im Schweinemäster-Urteil zu einem privilegierten Außenbereichsvorhaben gem. § 35 Abs. 1 BBauG entwickelte und dort als öffentlicher Belang anerkannte subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot56 auf § 34 Abs. 1 BBauG 1960 übertrug: Anstelle einer Begründung für diesen angesichts der unterschiedlichen Tatbestände beider Normen schwerwiegenden Schritt begnügte sich der 4. Senat mit der Bemerkung, daß die Geltung auch für den unbeplanten Innenbereich "auf der Hand liege". 57 Dies fand seine Fortsetzung in der weiteren Erstreckung der Rücksichtnahme-Doktrin auf § 15
54
B.v. 21.4.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (420), das sich dabei auf Art. 19 Abs. 4 GG stützt. Für verfassungskonforme Auslegung ferner - in der Begründung nicht überzeugend - VG Darmstadt, B.v. 10.11.1986 - m/2 H 1677/86, NVwZ 1987, 350 (351). 55 IV B 185.77, Ausfertigung, S. 3 (Abdruck nur des Leitsatzes in Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 60); die Bedeutung dieses Beschlusses steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Beachtung, die er gefunden hat. Eine Begründung wurde erst in BVerwG, B.v. U.v. 13.3.1981 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (929), nachgeschoben: Veroitung im Begriff der Unbedenklichkeit des § 34 Abs. 1 BBauG 1960 bzw. des Einfügens des § 34 Abs. 1 BBauG 1976. 56 BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (128 ff.). 57 BVerwG, B.v. 31.10.1977 - IV B 185.77, Ausfertigung, S. 3.
I. Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Ordnungsnorm
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Abs. 1 BauNVO, § 31 Abs. 2 BBauG und schließlich den Fall des notwendigen, aber fehlenden Dispenses (§ 15 Abs. 1 BauNVO analog unter Berücksichtigung der Wertung des § 31 Abs. 2 BauGB).58 Dem entspricht, daß das BVerwG §§ 34, 35 BauGB oder auch § 15 Abs. 1 BauNVO wiederkehrend als "Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes"59 bezeichnet hat. Will man schon diesen Begriff verwenden, dann könnte allenfalls umgekehrt das Rücksichtnahmegebot als Ausprägung der Einzelnormen bezeichnet werden. Immerhin tat das BVerwG 60 gut daran, im Dispens-Urteil vom 19.9.1986 hervorzuheben, daß es "ein das gesamte Baurecht umfassendes - außergesetzliches - Rücksichtnahmegebot" nicht gibt und sich dieses "auch nicht aus dem Verfassungsrecht ableiten" läßt. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Ebenso deutlich ist aber festzustellen, daß die Rechtsprechung das Rücksichtnahmegebot auch nach dieser Entscheidung in der Sache innerhalb und außerhalb des Baurechts tatbestandsübergreifend im Sinne einer "dritten" Ebene handhabt. Sowohl bei § 34 Abs. I , 6 1 § 35 Abs. 2, 3 BauGB,62 § 15 Abs. 1 BauNVO 63 wie auch bei § 31 Abs. 2 BauGB64 wird trotz der tatbestandlichen Unterschiede jeweils die z.T. modifizierte 65 - Standardformel des Schweinemäster-Urteils (Proportionalität, Individualisierung und Qualifizierung; Abgrenzbarkeit) 66 angewandt.67 Auch an der Ausprägungsthese wird unverändert festgehalten. Das gilt für das BVerwG 68 wie für die übrige Rechtsprechung.69 Auf den weiterhin tatbestands-
58 BVerwG, U.v. 5.8.1983 - 4 C 96.79, E 67, 334 (338 f.), zu § 15 Abs. 1 BauNVO; U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 f., zu § 31 Abs. 2 BBauG; U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (346 ff.), zu § 15 Abs. 1 BauNVO analog unter Beachtung der Weitung des § 31 Abs. 2 BauGB. 59 So z.B. BVerwG, U.v. 7.2.1986 - 4 C 49.82, BauR 1986, 414 (416), zu § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO. 60 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410). S. dagegen Weyreuther, BauR 1975, 1 (7), der die gesetzlichen Einzelvorschriften nur als "Ausprägungen" des "Rücksichtnahmegebots in seiner verfassungsrechtlichen Gestalt" sieht; für verfassungsrechtliche Fundierung auch Schulte, UPR 1984, 212 (215 f.). 61 BVerwG, B.v. 7.4.1988 - 4 B 56.88, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 78, S. 24 (25). 62 OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - I I A 1090.84, NVwZ 1988, 377 (378). 63 BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347). 64 BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410). 65 S. BVerwG, U.v. 5.8.1983 - 4 C 96.79, E 67, 334 (339), u.a. zur quantitativen Eingrenzung sowie BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 f., zur räumlichen Abgrenzbarkeit und zur Einbettung des Rücksichtnahmegebots in das einfache Recht; im einzelnen hierzu C.I.2.b. 66 Vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - 4 C 22.75, E 52, 122 (126, 131); s. im einzelnen C.I.2.b.aa. 67 Zu diesen Kriterien naher C.I.2.b. Wenn schließlich nicht nur im Bauplanungs-, sondern auch im Bauordnungsrecht subjektive öffentliche Rechte mit Hilfe des Rücksichtnahmegebots ermittelt werden, gilt das im Text Ausgeführte entsprechend. 68 So BVerwG, U.v. 11.3.1988 - 4 C 56.84, NVwZ 1989, 659 (660), zu § 15 Abs. 1 S.
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
überwölbenden Charakter des Rücksichtnahmegebots weist schließlich die durchweg geübte Praxis der Gerichte hin, wegen Ergebnisgleichheit die Prüfung nach den Einzelnormen (qualifizierter Bebauungsplan, § 34 oder § 35 BauGB) offen zu lassen, da in jedem Fall das Rücksichtnahmegebot Anwendung finde. 70 Überspitzt gesagt, läuft dies auf eine Beliebigkeit der Tatbestände hinaus und setzt voraus, daß in der Sache ein einheitlicher Entscheidungsmaßstab auf der "dritten" Ebene zwischen Verfassung und Gesetz angesiedelt ist. Bei allem Verständnis für eine praxisgerechte und auch ökonomische Entscheidungsfindung und -begrundung muß doch erkennbar bleiben, nach welcher konkreten Norm das Klägerbegehren in einer multipolaren Konfliktlage anerkannt oder verworfen wird. 71
b) Tatbestandsunabhängigkeit außerhalb des Baurechts Die Ablehnung eines umfassenden Rücksichtnahmegebots gilt erst recht, wenn es baurechtsextern - im Sinne einer fachübergreifenden Überwölbung postuliert wird. 72 So konzipiert Dürr 73 das Rücksichtnahmegebot als "allgemeingültiges Rechtsprinzip" in Anlehnung an § 242 BGB. Abgesehen davon, daß es nicht über ein allgemeines neminem laedere hinausgehen könnte, ist ein solches Prinzip im geltenden Recht jedoch nicht nachweisbar. Vielmehr kommt es auf die normative Konfliktschlichtung in den jeweiligen fachgesetzlichen Ordnungnormen an. Es ist daher zu begrüßen, daß das BVerwG 74 für das
2 BauNVO; z.T. wird aber auch von dem in einer der einschlägigen Vorschriften "verankerten Gebot der Rücksichtnahme" gesprochen, vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347). - Geiger, in: Birk! (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 69, will sogar den aus bauplanerischen Festsetzungen zu entnehmenden Drittschutz als Ausdruck des Rücksichtnahmegebots verstanden wissen. 69 S. z.B. VGH München, U.v. 31.10.1989 - Nr. 20 B 85 A.2535, NVwZ-RR 1990, 529 (530), das den - im Rahmen der §§ 34 Abs. 2 BauGB, 15 Abs. 1 BauNVO angewandten - § 22 BImSchG "als eine gesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots" bezeichnet; VGH Mannheim, U.v. 28.11.1989 - 10 S 1011/89, NVwZ 1990, 985 (987), bezüglich § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. 70 S. etwa OVG Münster, U.v. 9.5.1989 - 10 A 2580/86, NVwZ 1989, 1081 l.Sp.; VGH München, U.v. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 r.Sp.; VG Gelsenkirchen, U.v. 22.11.1990- 5 K 2716/88, NWVBL 1991, 131 ff. 71 Vgl. insoweit Breuer, DVB1. 1982,1065 (1070), wonach die Rücksichtnahme-Rspr. die rechtsstaatliche Bindung an das Gesetz "mißachtet". 72 So Dürr, NVwZ 1985, 719 (722 f.), unter Bezugnahme auf § 242 BGB; im Anschluß daran Wasmuth, NVwZ 1988, 322 (324 f.); im Sinne eines übergreifenden Prinzips auch Kopp, VwGO, Rdnr. 70 f. zu § 42. 73 NVwZ 1985, 719 (722). Zur Weite des Begriffs der Rücksichtnahme Redeker, DVB1. 1984, 870 l.Sp. 74 U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (338).
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
49
Bergrecht und - im Gegensatz zum OVG Hamburg75 - für das EinleitungsG die Vorstellung eines Rücksichtnahmegebotes zurückgewiesen hat. 76 Wie uneinheitlich die Linie der Rechtsprechung aber ist, zeigt die Tatsache, daß das BVerwG 77 im Wasserrecht die Abgrenzbarkeits-Kriterien der Rücksichtnahmeformel wiederum verwendet; ferner haben etwa der V G H Mannheim,78 der V G H München79 und das OVG Münster 80 die Rücksichtnahme-Doktrin in das Immissionsschutzrecht eingeführt. Schließlich wird sie vom V G H Mannheim81 im Rahmen des gaststättenrechtlichen Nachbarschutzes herangezogen. In all diesen Fällen ist demgegenüber allein die fachgesetzlich spezifische tatbestandliche Ausprägung des Konfliktschlichtungsprogramms maßgeblich. Von der Vorstellung eines fachgebietsumfassenden, überwölbenden Rücksichtnahmegebots ist daher Abstand zu nehmen.82
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision 1. Multipolare Abwägung und Grundrechtskollision a) Die anspruchsbegründende Wirkung der Grundrechte Normexterne Wirkung 83 entfalten Grundrechte dann, wenn sie konstitutiv subjektive öffentliche Rechte verleihen. Damit verlagert sich die subjektiv75
U.v. 19.5.1981 - Bf VI 76/81, JZ 1981, 701 (702 f.). BVerwG, U.v. 1.12.1982-7C 111.81, E 66, 307 (309). 77 U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (43 f.); ebenso BVerwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 (338 f.); s. ferner OVG Münster, U.v. 21.8.1989 - 20 A 1629/88, ZfW 1990, 417 (418 f.). Abi. bereits Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 463. 78 U.v. 5.9.1989 - 10 S 1712/88, NJW 1990, 1930 (1931), wo die ErheblichkeitsAbwägung im Rahmen des § 22 Abs. 1 BImSchG als Ausdruck des Gebots der Rücksichtnahme geweitet wird; vgl. auch VGH Mannheim, U.v. 28.11.1989 - 10 S 1011/89, NVwZ 1990, 985 (987), zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. 79 U.v. 31.10.1989 - 20 B 85 A.2535, NVwZ-RR 1990, 529 (530). 80 U.v. 10.11.1988 - 21 A 1104/85, NVwZ-RR 1989, 638 (641), wo das Gericht im Zusammenhang mit der Sondeiprufung nach Nr. 2.2.1.3 Abs. 4, 3. tiret TA Luft (Feststellung von erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen unter "Beachtung des Gebots zur gegenseitigen Rücksichtnahme im Nachbarschaftsverhältnis") vom "Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme" spricht und sich auf das Tunnelofen-Urteil des BVerwG (U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (54): In Bereichen, in denen "Gebiete von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen", sei die Grundstücksnutzung "mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet") bezieht; ebenso im Zusammenhang mit der "Mittelwertmethode" z.B. OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 21. 81 U.v. 18.11.1988 - 14 S 2953/87, NVwZ 1989, 574 (575). 82 Dagegen hält R. Schmidt, Wirtschaftsrecht, S. 451 Fn. 112, eine Heranziehung des Rücksichtnahmegebots "auch in wirtschaftsrechtlichen Zusammenhängen für denkbar". 83 Grdl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 125 zu Art. 19 Abs. IV. 76
50
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung auf die Grundrechtsebene. Z u einer derartigen normexternen Wirkung der Grundrechte kann es wegen des Konfliktschlichtungsmandats des einfachen Gesetzgebers nur in zwei Fällen kommen. Zum einen ist es möglich, daß es an einer einfachgesetzlichen Ordnungsnorm von vornherein fehlt. Als Beispiel hierfür sei auf weite Bereiche des Subventionsrechts oder auf den hochschulzulassungsrechtlichen Kapazitatsrechtsstreit verwiesen. Zum anderen kommen Grundrechte unmittelbar und anspruchsbegründend zur Geltung, wenn ein bestehendes Gesetz den Anforderungen des bereits erwähnten grundrechtlichen (und damit subjektiv-rechtlich gewährleisteten) Mindeststandards nicht genügt. I n diesem Fall stellt sich die Problematik der Fehlerfolgen. Schließt die N o r m erkennbar subjektive öffentliche Rechte aus, obwohl der grundrechtliche Mindeststandard unterschritten ist, muß von Verfassungswidrigkeit ausgegangen werden. 8 4 Bei Entscheidungserheblichkeit nachkonstitutioneller Gesetze ist dann gem. Art. 100 Abs. 1 G G vorzulegen. 85 Stellt das BVerfG nur die Unvereinbarkeit der Regelung mit der Verfassung fest und ordnet es die vorübergehende Anwendbarkeit für eine Übergangszeit an, 8 6 wäre z.B. eine Drittabwehrklage abzuweisen. I m Fall der Nichtigerklärung hätte sie Erfolg. Schwierigkeiten treten allerdings im Fall einer Gesetzeslücke auf. 8 7 Läßt sich die "unterlassene" Rege-
Vgl. mit unterschiedlichen Akzenten Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 11 zu § 8 (S. 131), wonach "die (eindeutig individualschutzverneinende) Rechtsvorschrift als verfassungswidrig zu behandeln oder (bei Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung) direkt auf das in Betracht kommende Grundrecht zurückzugreifen" ist; Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (65), der freilich nur den Fall behandelt, in dem die einfachgesetzliche Norm "keinen Drittschutz vermittelt"; dies besage nicht, "daß Grundrechte keinen Drittschutz vermitteln dürfen". Nur im Fall eines ausdrücklichen Ausschlusses subjektiver Rechte "stünde die ... Vorschrift im Widerspruch zum einschlagigen Grundrecht". Ebenso in bezug auf den Mangel verfahrensrechtlicher Regelungen Laubinger, VerwArch. 73 (1982), 60 (77). S. auch Rupp, Grundfragen, S. S. 246 f. Fn. 442, unter Hinweis auf das Fürsorge-Urteil des BVerwG und mit der Bemerkung, daß die Problematik nicht deshalb abgetan werde könne, weil sich die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit auch auf die Wahl zwischen objektiv- und subjektiv-rechtlicher Regelung erstrecke. Ohne Klärung dieser Fragen BVerwG, U.v. 1.12.1982 - 7 C 111.81, E66, 307 (308 ff.), das Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 EinleitungsG als nicht drittschützend ansieht, dann aber letztlich in Art. 14 Abs. 1 GG (Recht am eingerichteten und ausgeübten Geweibebetrieb) die Grundlage eines Abwehrrechts sieht; dazu krit. Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 35 (38 ff.). Zu weitgehend schließt Frers, DÖV 1988, 670 (674), jedwede Möglichkeit aus, daß das Gesetz selbst verfassungswidrig sein könnte. 85
S. Kleinlein, System, S. 167, zu Art. 14 GG und §§ 34, 35 BBauG. Vgl. hierzu Schiaich, Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 366, 373 ff., sowie - zur interimistischen Anwendbarkeit - Rdnr. 382 ff. Skeptisch gegenüber Rechtsfolgeanordnungen bei Unvereinbarerklärungen J. ¡pseny Rechtsfolgen, S. 124. 87 Vgl. Pestalozzi, Verfassungsprozeßrecht, Rdnr. 114 f., mit der Unterscheidung zwischen (vollständigem) Unterlassen, das auf Verfassungsbeschwerde festgestellt werden kann, und der Unvollständigkeit einer Norm ("Teilunterlassen"); s. unter dem Aspekt der Fehlerfolgen im einzelnen Sendler, NVwZ 1990, 231 (234 ff.). 86
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
51
lung sachlich noch dem Gesetz zuordnen, auf dem der streitgegenstandliche Verwaltungsakt beruht, steht einer Vorlage gem. Art. 100 GG nichts im Wege.88 Fehlt es dagegen an einem Regelungskomplex überhaupt, existiert auch kein nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlagefahiges Gesetz. In diesem Fall geht es allein um ein Normerlaßbegehren. Dieses kann nicht im Wege des Art. 100 Abs. 1 GG, sondern nur mit einer Verfassungsbeschwerde 89 verfolgt werden. In diesem Fall fände das angerufene Fachgericht nur ein "unvollkommenes" einfaches Gesetz vor. Die Entscheidung über die Evidenz einer etwaigen Schutzpflichtverletzung steht nicht ihm, sondern nur dem BVerfG zu. 90
b) Multipolare Konfliktschlichtung und Grundrechtskollision Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung stellt sich im Falle normexterner Wirkung als Lösung einer Grundrechtskollision M dar. Die privaten Konfliktgegner können sich jeweils auf Grundrechte stützen, um ihre kollidierenden Interessen zur Geltung zu bringen. 92 Dabei kann es sich einmal um eine gleichartige Kollision handeln; hierfür sei auf den hochschulzulassungsrechtlichen Kapazitätsrechtsstreit verwiesen, wo die Studienplatzbewerber gleichermaßen Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip geltend machen. Ebenso werden sich die konkurrierenden
88
Im Ahaus-Urteil des BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (68 ff.), kam es hierzu nicht, weil das Gericht in dem parallel gestalteten Genehmigungsverfahren hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG keine grundrechtswidrige Lücke erkannte; ausdrücklich eine Gesetzeslücke verneinend OVG Münster, U.v. 22.10.1987 - 21 A 330/87, NVwZ 1988, 554 (556). 89 So in BVerfG, Voiptüfungsausschuß, B.v. 14.9.1983 - 1 BvB 920/83, NJW 1983, 2931 (2932). 90 Für Vorlagepflicht gem. Art. 100 Abs. 1 GG Preu, JZ 1991, 265 (270). 91 Vgl. Lerche, Übermaß, S. 125 ff., 130: "Zusammenprall mehrerer Giundrechtssphären"; Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 m 5 (S. 928 ff.); Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 374 ff. (für das öffentliche Recht); Scholz, DB-Beilage Nr. 10/79, S. 18 ff., sowie ders., Wittschaftsaufsicht, 1971, S. 134; Häberle, WDStRL 30 (1972), 43 (87); ders., Wesensgehaltgarantie, S. 61; Gallwas, Grundrechte, S. 64 (nur für zivilrechtliche Streitigkeiten; die Problematik im öffentlichen Recht wird allein unter dem Aspekt der Schutzpflicht erörtert, S. 64 ff.). - Aus der Rspr. s. etwa die Kollision zwischen Art. 4 Abs. 2 GG einerseits und Art. 2 Abs. 2 GG andererseits in BVerwG, U.v. 7.10.1983 - 7 C 44.81, E 68, 62 (68 f.); zu Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG BVerwG, U.v. 18.12.1959 - Vn C 62.59, E 10, 91 ( 94 f.), freilich letztlich im Wege verfassungskonformer Auslegung. 92
In diesem Sinne Scholz, DB-Beilage Nr. 10/79, S. 18 ff.; ders., Wittschaftsaufsicht, S. 134 Fn. 52; Bethge, Giundrechtskollisionen, S. 373, 374 ff.; Stern, Staatsrecht m/1, § 69 III 5 (S. 928 ff.). Mit der sog. Drittwirkung von Grundrechten (s. dazu Pietzcker, in: FS f. Dürig, 1990, S. 345 (346 f.)) hat dies nichts zu tun; grdl. zum Verhältnis von Verfassungsrecht und Privatrecht Hesse, Privatrecht, S. 24 ff.
52
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
Unternehmen beim Wettbeweib um die Bewilligung von Subventionen und den Zugang zu regulierten Märkten jeweils auf Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG berufen. Dagegen handelt es sich um eine ungleichartige Grundrechtskollision, wenn bei kehrseitigen Konfliktlagen Art. 12 Abs. 1 GG auf Seiten des Betreibers und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf Seiten des Nachbarn kollidieren. Da es im Fall normexterner Grundrechtswirkung an der konkretisierenden, differenzierenden und austarierenden Konfliktschlichtung durch das einfache Gesetz fehlt, stoßen die gegenläufigen Grundrechte unvermittelt aufeinander. Die Lösung der Grundrechtskollision ist somit letztlich auf das Prinzip des schonendsten Ausgleichs 9* bzw. der praktischen Konkordanz 9* angewiesen. Es geht um multipolare Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechtsinteressen. Dabei ist nicht ohne konkretisierende Maßstäbe und Beurteilungskriterien auszukommen. So setzt etwa die Geltendmachung eines grundrechtlichen Genehmigungsabwehranspruchs aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Bestimmung körperlicher Unversehrtheit voraus, wie das OVG Hamburg anhand einer Mieternachbarklage beispielhaft demonstriert hat. 95 Die Maßstäbe für die Gewichtung und Zuordnung kollidierender Grundrechte können letztlich nur durch die Rechtsprechung - namentlich des BVerfG - fallweise herausgebildet werden. Dabei kann, wie schon betont, die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung auf Grundrechtsebene lediglich einen Mindeststandard absichern. Sollen hier subjektive öffentliche Rechte mit Erfolg geltend gemacht werden, muß die Beeinträchtigung einen Schwellenwert erreichen, der mit der bekannten Formel "unerträglich und schwer"96 nur allgemein umschrieben werden kann. In kehrseitigen Konfliktlagen veibindet die Grundrechtskollision Abwehr- und Schutzdimension in einer für die multipolare Konfliktlage charakteristischen Weise. Isensee 97 hat treffend von einer "Korrelation zwischen der gefährdenden 93 Lerche, Übermaß, S. 152 f.; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 134 ff., 150 ff.; ders., DBBeilage Nr. 10/79, S. 18. 94 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 317; s. auch Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 51 ff. ("Güterabwägung" einschließlich der "Wechselbeziehung zwischen Grundrechten"); Schnitt Glaeser, AöR 113 (1988), 52 (92): "grundsätzlich gleichgewichtige Berücksichtigung der kollidierenden Rechtsgüter" (kurs. i.O.). 95 OVG Hamburg, B.v. 13.10.1989 - Bs U 44/89, NVwZ 1990, 379 (380 f.), das einerseits die körperliche Unversehrtheit nicht auf den biologisch-physiologischen Bereich begrenzt, sondern auch die geistig-seelische Dimension einbezieht, andererseits aber zu Recht das soziale Wohlbefinden ausschließt; TA Lärm und VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 mit ihren Richtwerten für erhebliche Belästigungen sieht das Gericht unter dem Aspekt möglicher Gesundheitsgefahrdungen nicht als aussagekräftig an. Zu letzterem grdl. BVerfG, B.v. 14.1.1981 - 1 BvR 612/72, E 56, 54 (73 ff.). 96 So die - heute nicht mehr akute (s. Fn. 109) - Formel zu Art. 14 GG in BVerwG, U.v. 13.6.1969 - IV C 234.65, E 32, 173 (179). 97 In: FS f. Sendler, 1991, S. 39 (62), sowie zum folgenden Zitat ders., in: Ossenbühl
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
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und der schutzbedürftigen Grundrechtsposition" bzw. dem "Zusammenspiel von Abwehrrecht und Schutzpflicht" gesprochen. Zwar macht der Dritte einen grundrechtlichen Abwehnmsprueh geltend, doch begehrt er in der Sache ein positives Tun des Staates. 98 Breuer" hat hierzu hervorgehoben, daß der grundrechtliche Genehmigungsabwehranspruch in der Sache "zur Typik des positiven Schutzes grundrechtlicher Freiheit" gehört. Wenn man auf der anderen Seite von Art. 14 Abs. 1 G G als Grundlage der Baufreiheit ausgeht, 100 erscheint die Versagung einer begehrten Baugenehmigung als Vorenthaltung eines Rechts, 101 so daß insoweit von einem grundrechtlichen Abwehrbegehren zu sprechen wäre. 1 0 2 Das gilt sogar in bezug auf den Dispens. 1 0 3 Damit stellt sich auf Grundrechtsebene der kehrseitige Konflikt als Kollision zwischen dem Scfritfzbegehren 104 des Dritten und dem (materiellen) Abwehrpetitum des Bauherrn/Betreibers dar. 1 0 5 Ohne den Darlegungen zur Schutzpflicht vor-
(Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6). S. auch Jarass, FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66 f.); den., AöR 110 (1985), 363 (381 f.); Schmidl-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 205 (214 ff.); offen lassend, ob Grundrechtsschutz bei mittelbarer Beeinträchtigung Ober die Abwehr- oder Schutzdimension gewährt wird, Erichsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, § 152 Rdnr. 79 Fn. 242. Zur Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in verfahrensrechtlicher Hinsicht s. auch BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (63, 67). 98 S. allg. für den einfachgesetzlichen Genehmigungsabwehranspiuch Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66): "Wenn sich ... ein Drittbetroffener gegen die Erteilung einer Genehmigung wehrt, dann wendet er sich genau genommen nicht gegen einen Eingriff, sondern er verlangt noch mehr Schutz durch den Staat." 99 In: FG BVerwG, 1978, S. 89 (109). 100 Vgl. Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- und Bodenrecht, Rdnr. 160 ff. 101 Vgl. zum Verhältnis zwischen Abwehr und Vornahme bereits Bachof, JZ 1958, 301 (304), der in bezug auf die "Vornahmeklage" ihre "primäre Abwehrfunktion gegenüber obrigkeitlichem Verhalten" betont; s. auch Rupp, AöR 85 (1960), 302 (319), unter Hervorhebung des Unterschieds zwischen der bloßen prozessualen Ausformung des Begehrens als Verpflichtungsklage und dem materiellem Freiheitsrecht. - Der Genehmigungsvorbehalt einer Kontrollnorm läßt die materiellen subjektiven öffentlichen Rechte unberührt, Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 52 zu § 9 (S. 181). 102 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 340. 103 S. hierzu Hoppe, DVB1. 1969, 340 (347): Das Dispensationsermessen unterliege einem "Gebot des Aktualisierungsmaximums an Baufreiheit"; Erichsen, DVB1. 1967, 269 (275): strikter Anspruch auf Dispenserteilung. 104 Vgl. Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8, 10); Isensee, Sicherheit, S. 34 ff., 44 ff., 48 ff.; Schmidt'Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (216 f.); Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66 f.); unter dem Aspekt des Dreiecksverhältnisses und des Zusammenhangs grundrechtlicher Abwehr- und Schutzdimension Stern, Staatsrecht m/1, § 69 IV 5 (S. 945 ff.); Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556); Wahl, JuS 1984, 577 (578). 105 Vgl. Sendler, UPR 1981, 1 (5); s. auch Papier, in: Achtes Deutsches AtomrechtsSymposium, 1989, S. 173 (177). 6 Schmidt-Preuß
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
zugreifen, kann hier bereits gesagt werden, daß eine Lösung der Grundrechtskollision einseitig zu Lasten des Gestaltungsinteressenten ausscheidet.106 Kommt es in wechselbezüglichen Konfliktlagen zur (gleichartigen) Grundrechtskollision, bedarf es ebenfalls konkretisierender Zwischenschritte, um etwa im hochschulzulassungsrechtlichen Kapazitätsrechtsstreit Kriterien für die gerechte Verteilung knapper Kapazitäten zu finden. Auf diese Weise wird der Konflikt zwischen konkurrierenden prinzipiellen Zugangsansprüchen aus Art. 12 Abs. 1 G G 1 0 7 geschlichtet.
2. Einzelfälle
normexterner
Grundrechtswirkung
a) Art. 14 Abs. 1 GG aa) Das Urteil des BVerwG vom 13.6.1969, 108 wonach bei nachhaltiger Veränderung der vorgegebenen Grundstückssituation mit der Folge einer schweren und unerträglichen Beeinträchtigung des Nachbarn ein Genehmigungsabwehranspruch direkt aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt, ist durch die Drittschutzeröffhung im Bauplanungsrecht - sei es im Wege des von der Rechtsprechung entwickelten Rücksichtnahmegebots, sei es durch die hier vorgeschlagene tatbestandsbezogene Interpretation der Ordnungsnormen - praktisch überholt. 109 Die
106 107
Zutr. Wahl/Masing,
JZ 1990, 553 (556 ff.); s.u. B.m.l.
Vgl. BVerfG, B.v. 22.10.1991 - 1 BvR 393, 610/85, DVB1. 1992, 145 r.Sp., unter Bezugnahme auf BVerfG, U.v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71, E 33, 303 (332): "Art. 12 Abs. 1 GG in Veibindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip gewahrleistet ... ein Recht des die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllenden Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl." Dazu Häberle, DÖV 1972, 729 (730 f., 734 ff.); von Mutius, VerwArch. 64 (1973), 183 (189 ff.); Breuer, in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (114 ff.); s. auch schon Berg, JurA 1970, 635 (639 ff.). Zur Konfliktlösung durch das Losverfahren s. C.I.4.C mit Fn. 179 und C.VI.12.d. 108 IV C 234.65, E 32, 173 (179); s. dazu R. Schmidt, NJW 1969, 2162 f. 109 Nach Gaent&ch, DÖV 1988, 891 (892), ist die "unmittelbare Ableitung von Drittschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG" auch "durch die - aus dem Naßauskiesungs-Beschluß des BVerfG gewonnene - Erkenntnis erschüttert, daß § 34 verfassungswidrig wäre und nicht durch Begründung eines 'außergesetzlichen' Abwehranspruchs unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG zu retten wäre, wenn ertatsächlichohne Rücksicht auf Art. 14 Abs. 1 GG den Nachbarn schutzlos möglichen schweren und unerträglichen Eingriffen aussetzte, er also nicht als drittschützend auslegungsfahig wäre"; s. auch ders.> BauGB, Rdnr. 36; ferner Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht U, S. 189, nach dem viel dafür spricht, daß es "das unmittelbare Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht (mehr) gibt". In diesem Sinne auch Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 59, mit demrichtigenHinweis auf einen Restanwendungsbereich im Fall des Verstoßes gegen eine nicht nachbarschützende Norm des Bauordnungsrechts. S. zur Fehlerfolgenproblematik oben B.ü.l.a.
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
55
besonders schweren Fälle des Rechtsverstoßes werden lückenlos bereits auf der einfachgesetzlichen Ebene erfaßt. Entsprechendes gilt seit den Urteilen des BVerwG vom 3. und 15.7.1987 110 zum Nachbarschutz im Wasserrecht; auch hier bleibt für eine normexterne Wirkung des Art. 14 Abs. 1 GG - nach dem Vorbild der früheren Rechtsprechung111 - praktisch kein Raum. 112 Anders stellt sich die Lage im Bergrecht dar, wenn man die Drittschutz-Konzeption des BVerwG zugrunde legt. Die h.M. hatte bislang Art. 14 Abs. 1 GG nach dem Grundsatz "dulde und liquidiere" in toto für unanwendbar erklärt. 113 Dem ist das BVerwG in seinen Urteilen vom 16.3.1989 114 entgegengetreten, indem es in einem eng begrenzten Umfang im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 48 Abs. 2 BBergG Drittschutz zugunsten des Oberflächeneigentümers anerkannte (Art. 14 Abs. 1 GG). Freilich wird zu zeigen sein, daß hier bereits eine einfachgesetzliche Auslegung zum Drittschutz gefuhrt hätte. 115 Hingegen dient Art. 14 Abs. 1 GG als Grundlage für das Abwehrbegehren eines Grundstückseigentümers, der die Entstehung eines Notwegerechts zugunsten eines Dritten verhindern will. 1 1 6 Im Bereich des Straßen- und Straßenverkehrsrechts schließlich umfaßt Art. 14 Abs. 1 GG zwar das Recht des Anliegergebrauchs; dieses bietet aber z.B. keine Handhabe gegen die Anordnung eines eingeschränkten Halteverbots auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 StVO. 1 1 7
110 U.v. 3.7. 1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 (338 ff.); U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (42 ff.), jeweils für einfache Erlaubnisse, aber nach der Konzeption des BVerwG über das Rücksichtnahmegebot anwendbar für alle wasserrechtlichen Gestattungen. 111 Vgl. vor allem BVerwG, U.v. 11.11.1970 - IV C 102.67, E 36, 248 (249); U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (66); s. auch OVG Münster, U.v. 6.4.1989 - 21 A 952/88, NWVBL 1990, 91 (92): Fischzuchtbetrieb als Gegenstand des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb; ferner hierzu VGH Mannheim, U.v. 24.10.1977 - VH 39/76, RdL 1978,107 r.Sp.; s. zur Problematik Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 453, mit dem Hinweis auf § 2 Abs. 2 S. 1 WHG, aus dem jedoch eine "völlige 'Blutleere' des Grundeigentums in wasserwirtschaftlicher Hinsicht" nicht gefolgert werden könne. 112 Denjenigen, die den Vorschriften zur einfachen Erlaubnis keinen Drittschutz zubilligen (so Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 496; Peine, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, 1990, Rdnr. 893 zu 2/5) bleiben Art. 14 GG oder Art. 2 Abs. 2 GG. 113 S. z.B. OVG Lüneburg, U.v. 18.12.1985 - 7 A 2/85, ZfB 127 (1986), 358 (367 f.), wonach "Art. 14 GG ... als Schutznorm für den ... bergrechtlichen Nachbarschutz gegen die Betriebsplanzulassung ausscheidet". 114 4 C 36.85, E 81, 329 (334 ff.); 4 C 25.86, DVB1. 1989, 672 ff. 115 S. C.VI.5.d.aa. 116 BVerwG, U.v. 26.3.1976 - IV C 7.74, E 50, 282 (286 ff.). Voraussetzung ist, daß die rechtswidrige Baugenehmigung dazu fuhrt, daß sich der in Anspruch genommene Nachbar wegen der nicht mehr in Frage zu stellenden "ordnungsmäßigen Benutzung" i.S.d. § 917 Abs. 1 BGB nicht mehr gegen das Notwegerecht wehren kann. 117 S. VGH Mannheim, U.v. 16.1.1990 - 5 S 2525/89, BauR 1990, 595 f.
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
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bb) Auch beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG ist die hohe Schwelle des normexternen Grundrechtsschutzes zu beachten.118 Er setzt die Besorgnis voraus, daß die Existenz des Unternehmens mangels Liquidiät oder Rentabilität gefährdet ist. 119 Mit dieser Maßgabe wird das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als mRecht m in den § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG oder die §§ 8 Abs. 3 S. 1 , 3 1 Abs. 2 WHG einfachgesetzlich inkorporiert. 120 In seiner Ausprägung als Recht am Gewerbebetrieb hat das BVerwG Art. 14 Abs. 1 GG im Krabbenfischer-Urteil vom 1.12.1982 121 herangezogen, nachdem es sich nicht dazu verstehen konnte, Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 EinleitungsG als drittschützend anzusehen. Weiterhin schützt Art. 14 Abs. 1 GG auch den Bestand des rechtmäßig Erworbenen und seine Nutzung {Bestandsschutz). 122 Ein normextemer Zugriff auf Art. 14 Abs. 1 GG ist hier etwa bei einem Anspruch des Bauherrn oder Betreibers auf (Änderungs-)Genehmigung einer Erhaltungsmaßnahme denkbar. 123
b) Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG In kehrseitigen Konflikten namentlich des Umweltrechts kann die normexteme Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zum Tragen kommen, wenn ein Gesetz den grundrechtlich gebotenen Mindeststandard unterschreiten sollte. Dies setzt voraus, daß Schäden für die Gesundheit bzw. bei entsprechend hoher Schadens-
118
Grdl. Badura, in: FS zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 1 (17 ff.), der die Parallele zur Unmittelbarkeit des Entschädigungsrechts zieht. S. zum Wasserrecht im Hinblick auf Erlaubnis und Bewilligung Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 455 ff. 119 Vgl. Scholz, WiR 1972, 35 (61); Schmidt-Preuß, Zentralfragen, S. 162 f.; VGH Kassel, B.v. 14.3.1990-3 TH 2517/89, DÖV 1991, 118 (119): nur Beseitigung der "Substanz der Sachund Rechtsgesamtheit". 120 Vgl. zu § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG VGH Kassel, B.v. 14.3.1990 - 3 TH 2517/89, DÖV 1991, 118 (119); insoweit stellen mögliche "marktbedingte Absatzeinbußen" keine nachteiligen Auswirkungen auf das Recht eines anderen dar. Vgl. hierzu C.m.l.c. 121 7 C 111.81, E 66, 307 (309): "Drittschutz jedenfalls" bei rechtswidriger Erlaubnis und Existenzgefahrdung; s. krit. Ossenbähl, in: ders., (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 35 (37 ff., 42): "kein materielles Abwehrrecht", da sich der existenzbedrohte Kutterfischer gegen eine rechtmäßige Einleitungserlaubnis nicht mit Erfolg wehren könne; Kloepfer, VerwArch. 76 (1985), 371 (383 f.). 122 Vgl. insoweit nach wie vor grdl. BVeiwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (55 ff. sowie S. 57 f.), zum uberwirkenden Bestandsschutz; allg. Orüoff y in: Finkelnbuig/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 131 ff.; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Rdnr. 103 ff. zu § 35. Zur Abgrenzung von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG s. BVerfG, U.v. 24.4.1991 - 1 BvR 1341/90, E 84, 133 (157). 123
Zum Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung aus Gründen des Bestandsschutzes s. BVerwG, U.v. 27.4.1990 - 4 C 36.87, NVwZ 1990, 1071 (1072).
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
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Wahrscheinlichkeit ausnahmsweise gleichzustellende GesundheitsgeßÜirdungen zu besorgen sind. Dies gilt im Hinblick auf Drittabwehr- wie -vornahmekonstellationen.125 Zwar ist es richtig, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG den Nachbarn "in nicht geringerem Maße" als Art. 14 Abs. 1 GG "vor nachteiligen Auswirkungen behördlich gestatteter Vorhaben in seiner Umgebung" schützt,126 doch ist ebenso deutlich zu betonen, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein Umweltgrundrecht darstellt. 127 Tatbestandliche Schutzgüter sind "Leben" oder "körperliche Unversehrtheit". Gesundheitsschaden können zu verneinen sein, auch wenn die Nachbarschaft "erhebliche nächtliche Lärmbelästigungen hinnehmen mußte".128 Beispielhaft sei auch auf den schon erwähnten Fall des OVG Hamburg 129 verwiesen, in dem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG in einem Streit zwischen Mieter und Bauherrn miteinander kollidierten. Das Dargelegte gilt selbstverständlich auch insoweit, als es um Abwehrpositionen obligatorisch Berechtigter geht, denen bauplanungsrechtlicher Drittschutz mangels Eigentums versagt ist. 130 Welch einschneidende Wirkung der direkte Durchgriff auf ein Grundrecht für den privaten Konfliktgegner haben kann, hat im übrigen der - sogleich noch zu erörternde - HoechstBeschluß des VGH Kassel131 gezeigt. Hier hatte das Gericht Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Wege einer abstrakten Risikobeurteilung Vorrang vor Art. 5 Abs. 3, 12 und 14 GG auf Seiten des Betreibers eingeräumt. Das BVerwG 132 hatte dagegen
124 Vgl. BVerfÜ, B.v. 14.1.1981 - 1 BvR 612/72, E 56, 54 (78, 82); ungeklärt sind allerdings noch die Voraussetzungen im einzelnen, unter denen eine Grundrechtsgefahrdung einer Grundrechtsverletzung gleichzustellen ist; in der Rspr. des BVerfG ist bislang nur ausgesprochen, daß beides gleich zu beweiten sein kann; s. insoweit BVerfG, B.v. 29.10.1987 - 2 BvR 624/83 u.a., E 77, 170 (220); ebenso zuvor BVerfG, B.v. 8.8.1978 - 2 BvL 8/77, E 49, 89 (141 f.); B.v. 19.6.1979 - 2 BvR 1060/78, E 51, 324 (346 f.); B.v. 16.12.1983 - 2 BvR 1160/83 u.a., E 66, 39 (57 f.). Die drohende Verletzung bzw. Grundrechtsgefahrdung ist aber nichts anderes als die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Grundrechtsbeeinträchtigung, wobei an den Grad der Schadenswahrscheinlichkeit um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je hochwertiger das Grundrechtsgut ist. Von Grundrechtsgefahrdung spricht auch schon BVerwG, U.v. 16.9.1980 - 1 C 89.79, E 61, 40 (42). 125 Vgl. zur Genehmigungsabwehr BVerwG, U.v. 29.7.1977 - IV C 51.75, E 54, 211 (222 f.); zur Drittvornahme Breuer, in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (104 f.). 126 BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (62); s. früher schon BVerwG, U.v. 29.7.1977 - IV C 51.75, E 54, 211 (222 f.). 127 Zutr. BVerwG, U.v. 29.7.1977 - IV C 51.75, E 54, 211 (219); R. Schmidt, Einführung, S. 27 f.; s. auch schon Rupp, JZ 1971, 401 (402); Kloepfer, Grundrecht, S. 29. 128 BVerwG, B.v. 7.10.1987 - 1 B 124/87, NVwZ 1989, 755 (756): Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sei "nicht berührt". 129 B.v. 13.10.1989 - Bs D 44/89, NVwZ 1990, 379 (380 f.). Zum Grundsätzlichen BVerfG, B.v. 14.1.1981 - 1 BvR 612/72, E 56, 54 (73 ff.). 130 S. BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (74 ff.), sowie C.VI.2.k. 131 B.v. 6.11.1989 - TH 685/89, ESVGH 40, 119 (120 ff.). 132 U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (63, 67, 72 f.).
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
im Ahaus-Urteil zu Recht eine (parallelverfahrensrechtlich bedingte) Verletzung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verneint. Auch in wechselbezüglichen Konfliktlagen kann dieser Artikel normextern herangezogen werden. Dies zeigt der Fall der gleichartigen Grundrechtskollision bei Verlagerung der Verkehrsbelastung durch Einziehung einer Straße auf Anwohner, die bislang von Lärmimmissionen verschont geblieben waren. 133
c) Art. 12 Abs. 1 GG aa) Grundlage eines Kapazitätsbegehrens auf Zulassung134 zu einer Hochschule außerhalb der normativ festgelegten Zulassungszahlen ist der derivative, im Rahmen der Kapazitäten bestehende prinzipielle Zugangsanspruch aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsprinzip.135 Das VG Köln 136 hat einen Anordnungsanspruch im Rahmen des § 123 Abs. 1 VwGO auf Teilnahme am Losverfahren in diesem Sinne zutreffend grundrechtlich begründet. Hierbei handelt es sich um den Fall normexterner Grundrechtsgeltung, weil Zulassungszahlenverordnung und Vergabeverordnung ZVS 1985 naturgemäß137 für diese Studienplätze nicht gelten und daher der Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist. Allerdings bleibt von dem grundrechtlichen Zulassungsanspruch im Ergebnis - legt man das von den Gerichten präferierte Losverfahren zugrunde138 - lediglich eine statistische Loschance übrig. 139
133
S. OVG Berlin, U.v. 12.11.1986 - 1 B 10.85, OVGE Bln. 18, 1 (4 f.): § 4 Abs. 1 S. 1 StiG Bln. sei nicht drittschützend; ein Rückgriff auf Alt. 2 Abs. 2 S. 1 GG komme nur in Betracht, wenn die Verwaltung wegen der "Schwere" der durch die Straßeneinziehung bewirkten Laim- und Abgasbelastungen "und wegen des Fehlens anderweitiger Schutzmöglichkeiten im Hinblick auf die Berührung des Wesensgehaltes des Grundrechts auf köiperliche Unversehrtheit gerade durch die Unterlassung der Baumaßnahmen" als zur Abwehr der Straßensperrung verpflichtet angesehen werden müsse. S. hierzu unter dem Aspekt der Wechselbezüglichkeit A.m.2. 134 Vgl. Theuersbacher, in: Westdeutsche Rektorenkonferenz, Aktuelle Probleme des Kapazitätsrechts, 1986, S. 51 (72): "Zulassungsanspruch des Studienbewerbers". 135 S. BVerfG, B.v. 22.10.1991 - 1 BvR 393, 610/85, DVBI. 1992, 145 r.Sp.; U.v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71, E 33, 303 (332). 136 B.v. 26.1.1989 - 6 L 2266/88, Ausfertigung, S. 4. 137 Aus Sicht der Landesverordnungsgeber schöpfen die Zulassungszahlenverordnungen die Kapazität aus; vgl. hierzu auch Datönger/Bode/Dellian, HRG, Rdnr. 1 zu § 32 Fn. 2: "'Regehingslücke'". 138 S.u. C.I Fn. 179. 139 Vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1990 - 7 C 11.88, NVwZ-RR 1990, 348 r.Sp.: Auch bei Zugrundelegung von ZVS-Kriterien bliebe nur eine Zulassungschance.
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Gndrechtskollision
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bb) I n ebenfalls nonnexterner Funktion können Grundrechte i m Bereich des Subventionswesens i n Anspruch genommen werden, soweit spezialgesetzliche Regelungen fehlen. Insofern reicht trotz der Wünschbarkeit einer materiellrechtlichen Grundlage das Haushaltsgesetz mit Erläuterungen i m dazugehörigen Haushaltsplan als Ermächtigungsgrundlage aus. 1 4 0 Geht man - anders als die bisherige Rechtsprechung 141 und Teile der Literatur, 1 4 2 die auf Art. 2 Abs. 1 G G rekurrieren - vom Spezialitätsgrundsatz aus, ist Art. 12 Abs. 1 G G , ergänzt durch Art. 14 Abs. 1 G G und Art. 3 Abs. 1 G G , 1 4 3 die Grundlage eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Wahrung der Wettbewerbsfreiheit bei der Vergabe von Subventionen mit Konkurrenzbezug. 144 Dieses kann zum einen
140 Vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 - 3 C 111.79, E 58, 45 (48); dagegen Grupp, WUR 1991, 183 (188). Zu ermessenslenkenden Subventionsrichtlinien als Verwaltungsvorschriften s. C.V.4.C mit Fn. 153. 141 Vgl. BVerwG, U.v. 30.8.1968 - VH C 122.66, E 30, 191 (198). - BVerfG und BVerwG sollten in dieser grundrechtssystematischen Frage mit dem Spezialitatsprinzip Emst machen und die Verankerung der Vertrags-, Preis-, Investitions- und Wettbewerbsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG anerkennen. Begrüßenswert BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, B.v. 20.12.1990 - 1 BvR 1418 und 1442/90, DtZ 1991, 91 f.: Preisfreiheit als Gegenstand des Art. 12 Abs. 1 GG; BVerwG, U.v. 18.4.1985 - 3 C 34.84, E 71, 183 (189): Art. 12 Abs. 1 als Garantie "der Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet", die "Freiheit der Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb" umfassend; im Kontrast dazu BVerwG, U.v. 23.3.1982 - 1 C 157.79, E 65, 167 (174); U.v. 22.5.1980 - 3 C 2.80, E 60, 154 (159 ff.). 142 Vgl. Zuleeg, Subventionskontrolle, S. 82 ff.; s. aber auch ders., DÖV 1984, 733 (739) mit Fn. 104 (Art. 12 Abs. 1 GG); Henke, DVBi. 1975, 272 (273); s. aber auch ders., Wirtschaftssubventionen, S. 117 f.; Friehe, JuS 1981, 867 (870 f.); ScfavaHc, Wirtschaftsrecht, S. 300; für eine Gesamtbetrachtung H. P. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, Rdnr. 76 zu § 92: Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG; in diesem Sinne auch Lilbbe-Wolff, Grundrechte, S. 293 ff.; s. auch Haverkate, Rechtsfragen, S. 156 f., 161 ff. 143 Zur Selbstbindung der Verwaltung auf Grund von Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraxis Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rdnr. 26 zu § 11 (5. 153) sowie Rdnr. 36 zu § 14 (S. 202 f.). 144 Vgl. grdl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 114 ff., 123 ff., 130 ff., zu Art. 12 unter Betonung des engen funktionalen Zusammenhangs mit Art. 14 Abs. 1 GG; s. bereits ders., NJW 1969, 1044, f.; für Art. 2 Abs. 1 GG, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 H.P. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, Rdnr. 76 zu § 92; Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, Rdnr. 75, 77 zu § 148 (mit ergänzender Heranziehung von Art. 3 Abs. 1 GG) sowie Rdnr. 97 zu § 147: "Geltungsvorrang" von Art. 12 Abs. 1 GG vor Art. 2 Abs. 1 GG namentlich für Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit; Papier, DVBI. 1984, 801 (810); Brohm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (245); Knuth, JuS 1986, 523 (528); Schmidt-Preuß, Zentralfragen, S. 133 ff. S. auch BVerwG, U.v. 18.4.1985 - 3 C 34.84, E 71, 183 (189): Art. 12 Abs. 1 GG. - Friauf, in: Veih. des 55. DJT, 1984, S. M 8 (M 24), bezieht sich auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, entnimmt dabei aber die Beurteilungskriterien aus Art. 3 Abs. 1 GG; s. auch schon ders., DVBI. 1969, 368 (371 f.); ferner Pietzcker, JZ 1989, 305 (309 f.); vor allem Art. 3 Abs. 1, daneben 14 Abs. 1 GG betont Zacher, WDStRL 25 (1967), 308 (363 ff., 366 ff.); Henke, Wirtschaftssubventionen, 1979, S. 118 ff., sieht für die Abwehr einer Fremdsubventionierung weder in Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 12 Abs. 1 GG einen Ansatzpunkt und votiert stattdessen allein für Art. 14 GG.
60
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
isoliert auf eigene Teilhabe an der Subventionierung oder auf die Abwehr einer Fremdbegünstigung gerichtet sein (atypische Kehrseitigkeit). 145 Zum anderen vermag es - in der wechselbezüglichen Konfliktlage - eine Subventionsvergabe zu Lasten des Begünstigten und zugunsten des ausgeschlossenen Bewerber zu korrigieren. 146 Materiellrechtliche Voraussetzung ist in diesen Fällen, daß eine kausal147 auf die Subventionierung des Konkurrenten bzw. die verweigerte Gleichstellung zurückfuhrbare Existenzgefährdung prognostiziert werden kann. 148 Konkurrenzinteressen unterhalb dieser Schwelle grundrechtlichen Mindeststandards wie die Verhinderung von Marktanteilsverlusten oder die Verbesserung der Ertragsaussichten genießen keinen Schutz. Eine außerhalb multipolarer Wettbewerbserhältnisse stehende Subventionsvergabe an einen unbestimmten Empfängerkreis bemißt sich allein nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Subventionspraxis.149 cc) Art. 12 Abs. 1 GG bietet nicht nur gegenüber Marktzutrittsregulierungen Schutz, sondern auch gegenüber "diskretionären" fachgesetzlichen Einzelmaßnahmen, die der Durchsetzung spezieller Ordnungsziele dienen und zu punktuellen Eingriffen in das Marktgeschehen fuhren. 150 Daß sich in beiden Fällen auch negative Auswirkungen für die Marktposition bestimmter, auf dem Markt schon etablierter Unternehmen ergeben können, ist hinzunehmen. Insbesondere ist jedweder Schutz vor Konkurrenz ausgeschlossen. Art. 12 Abs. 1 schützt - wie das BVerwG 151 zu Recht betont - "nicht ... vor einem hoheitlichen Handeln, das allenfalls Konkurrenten einen Wettbewerbsvorsprung verschafft". Daher kann
145 146
s.o. A.m.i. Vgl. A.ra.2.
147 Vgl. den Vortrag des übergangenen Konkurrenten in OVG Münster, B.v. 4.4.1990 - 4 B 210/90, NVwZ-RR 1990, 671 l.Sp., er werde durch die Subventionierung in seiner "Existenz ernsthaft gefährdet". S. auch Brohm y in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (246 f.), nach dem "'primafacie' oder 'Plausibilitats'-Erwägungen ausreichen, sofern sie nicht durch substantiierte Gegenargumente entkräftet werden"; Schmidt-Preuß, Zentralfragen, S. 138, 154. 148 Vgl. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 77 zu § 148: "Erdrosselungssubvention'", bei Zugrundelegung von Art. 12 Abs. 1 GG; ders. y in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (111). Zum Komplementärverhältnis von Ait. 12 und 14 GG Scholz, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 136 zu Art. 12, sowie ders. y WiR 1972, 35 (61): Die Vernichtung der Wettbewerbsfähigkeit greife in die "rechtliche und wirtschaftliche Existenz" ein und bedeute eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. Die vom OVG Münster, U.v. 22.9.1982 - 4 A 989/81, NVwZ 1984, 522 (525), offen gelassene Frage, ob jede zur Existenzvernichtung fuhrende Subvention als Grundrechtseingriff anzusehen ist, muß prinzipiell bejaht werden; dabei ist freilich das Erfordernis der Kausalität zu beachten. Offen hinsichtlich der Beeintrachtigungsintensitat BVerwG, B.v. 27.1.1988 - 7 B 1/88, NJW 1988, 1277 (1278); die Grenze einer Grundrechtsverletzung zutr. bei einer Einschränkung der "Wettbewerbsfähigkeit" ansetzend BVerwG, U.v. 23.3.1982 - 1 C 157.79, E 65, 167 (174). 149 S. dazu B.D.2.f sowie C.VI.ll.h; zum Primat der Veigabepraxis s. C.V Fn. 90. 150 151
S. zum Begriff C.VI.6.a. U.v. 23.3.1982 - 1 C 157.79, 65, 167 (171).
. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
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z.B. ein Wirtschaftsunterndunen eine Baugenehmigung nicht unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG zu Fall bringen. 152
d) Art. 2 Abs. 1 GG aa) Die Befürworter unmittelbaren Grundrechtszugriifs stützen sich insbesondere auf Art. 2 Abs. 1 GG als Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit. 153 Bezugspunkt ist dabei vielfach die Aussage des BVerfG, daß Art. 2 Abs. 1 GG "auch den grundrechtlichen Anspruch" umfasse, "durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist". 154 Eine subjektiv-rechtliche Instrumentalisierung des Art. 2 Abs. 1 GG ist jedoch abzulehnen. Wie Schott 55 hervorgehoben hat, läßt sich eine "allgemeine Eingriffsfreiheit" auch dem vorgenannten Beschluß des BVerfG nicht entnehmen. Eine pauschale Subjektivierung jeglicher tatsächlicher "Betroffenheit" würde dem materiellen Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG und sein»* Auffangfunktion widersprechen. Sie liefe auf einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch hinaus, den das geltenden Recht nicht kennt. Da - wie Erichsen 156 betont hat - "letztlich jeder Bürger von jeder Handlung des Staates wenn auch nur in entfernter Weise - betroffen ist und der sozial gestaltende Staat regelmäßig gleichzeitig begünstigend und belastend tätig wird, ließe sich bei dieser Interpretation kaum eine Handlung des Staates vorstellen, die nicht als grundrechtserheblich zu qualifizieren und bei Verstoß gegen objektives Recht von den Gerichten ... zu korrigieren wäre". Die Ablehnung des grundrechtlichen Direktzugriffs im allgemeinen bedeutet noch nicht, daß Art. 2 Abs. 1 GG schlechthin für eine normexterne Wirkung ausscheidet. So finden sich in bipolaren Beziehungen durchaus Anwendungsfalle. In multipolaren Konfliktlagen schlägt jedoch die prinzipielle Angewiesenheit des Art. 2 Abs. 1 GG auf die gesetzgeberische Kollisionslösung zu Buche. Wo die Rechtsmehrung zugunsten des einen notwendig zu Lasten des anderen geht, kommt dem Gesetzgeber bei der Wahrnehmung seines Konfliktschlichtungsmandats entscheidende Bedeutung zu. Dies steht einer Begründung von Drittrechtspositionen aus Art. 2 Abs.
152
Vgl. VGH Mannheim, B.v. 15.8.1989 - 8 S 1863/89, NVwZ 1990, 575 r.Sp., mit dem zutr. weiteren Hinweis, daß schon der Regelungsgehalt der Baugenehmigung keinen wirtschaftlichen Bezug erkennen lasse. 153 Vgl. Zuleeg, DVB1. 1976, 509 (514 ff.) 154 BVerfG, B.v. 8.1.1959 - 1 BvR 425/52, E 9, 83 (88). 155 AöR 100 (1975), 80 (113) Fn. 174 a.E. 156 In: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 17 zu § 152.
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
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1 G G prinzipiell entgegen. 157 M i t Recht hat daher das B V e r w G eine auf dieses Grundrecht gestützte "Nachbarklage" ausgeschlossen.158 bb) Eine begrenzte Ausnahme ergibt sich i m Zusammenhang mit der Frage, ob Ausländern der hochschulzulassungsrechtliche Kapazitätsanspruch zusteht. D i e Problematik zeichnet sich dadurch aus, daß Art. 12 Abs. 1 G G ein sog. Deutschengrundrecht ist, andererseits einfachgesetzliche Normen fehlen, aus denen etwaige Rechte von Ausländern - wie z.B. i m Fall der sog. Ausländerquote 1 5 9 des ZVS-Verfahrens gem. §§ 33 Abs. 5 S. 1, 32 Abs. 2 S. 1 N r . 3 H R G i . V . m . mit der § 24 Abs. 1 N r . 1 VergabeVO Z V S 1985 - abgeleitet werden könnten. Zugunsten von EG-Ausländern sorgt freilich - entgegen dem O V G Berlin 1 6 0 - Art. 12 der EG-Rats-VO N r . 1612/68 1 6 1 auch hinsichtlich des
157
Im Ergebnis ebenso Jarass, NJW 1983, 2844 (2847), mit der Ergänzung, daß etwas anderes dort gelten könne, wo Art. 2 Abs. 1 GG Gehalte des Art. 1 Abs. 1 GG aufnehme; in der Sache zunickhaltend auch Scholz, AöR 100 (1975), 80 (111 ff.) Fn. 174; Bartlsperger, DVB1. 1970, 30 (33), der eine objektive Beanstandungsfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG vor allem durch das Erfordernis eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs ausschließt; s. ferner Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (146 ff.); Friauf, Jura 1969, 3 (8); skeptisch auch Erichsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 78 f. zu § 152, der aber noch Möglichkeiten eines "subjektivrechtlichen Schutzanspruchs gegenüber mittelbaren Beeinträchtigungen" sieht, sofern die Dichte der "Erfolgsbeziehungen zwischen Ausgangsakt und Beeinträchtigung" dies zuließen (ibid., Rdnr. 80, 84).
158 Vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1977 - IV C 51.75, E 54, 211 (220 f.); unklar allerdings der Zusatz, daß Art. 2 Abs. 1 GG dann zum Zuge kommen könne, wenn "eine gesetzliche Berechtigung besteht". Ist dies der Fall, dann greift die Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Begründung subjektiver öffentlicher Rechte, so daß für Art. 2 Abs. 1 GG kein Raum mehr ist. 159 Vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.4.1990 - 7 C 59.87, DVB1. 1990, 941 (942). Wie das Gericht zutreffend hervorhebt, bemißt sich diese Auslanderquote statt nach der normativ festgesetzten nach der gerichtlich ermittelten tatstlchlichen Kapazität. Art. 12 Abs. 1 GGräumtin der T Deutschen keinen Anspruch auf Studienplatze ein, die beirichtiger Kapazitätsfestsetzung ausländischen Studienplatzbewerbern vorbehalten gewesen wären. So jetzt auch OVG Berlin, U.v. 25.6.1991 - 7 S 215.90, NVwZ-RR 1992, 191 (192), unter Aufgabe seiner früheren Rspr. (B.v. 15.4.1985 - 7 S 719.84, KMK-HSchR 1985, 928 (929)). 160 B.v. 26.6.1986 - 7 S 500.86, KMK-HSchR 1986, 1243 f., unter Hinweis auf die Privilegierung deutscher Bewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Beschränkung ausländischer Bewerber aus EG-Mitgliedstaaten auf die Ausländerquote verstoße nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV. 161 Hieraufstellt VGH Kassel, B.v. 18.4.1988 - V/V G 2424/86 T, NVwZ 1989, 387 (388 f.) ab, der im übrigen offen läßt, ob Art. 7 EWGV in der vom EuGH (U.v. 13.2.1985 - Rs. 293/83, Slg. 1985, 593 (612 f.)) vertretenen Auslegung dieses Fjgebnis bereitsrechtfertigen würde; s. auch VG Frankfurt, B.v. 11.2.1987 - Fb 62 G 1105/86 u.a., NVwZ 1987, 731 (732 f.); für Gleichstellung von EG-Ausländem und Deutschen in Kapazitätsstreitigkeiten Oppermann, Bildungsordnung, S. 66 sub 6, unter Bezugnahme auf das voigenannte Gravier-Urteil des EuGH als Konsequenz des Wegfalls der Sonderquote sowie ibid., S. 83 f.; femer Hailbronner, JuS 1991, 9 (14); Avenarius, NVwZ 1988, 385 (388 f.); Schulz, ZAR 1987, 72 (77); Breinersdorfer/Zimmerling, JZ 1986, 431 (434); s. auch Becker, NVwZ 1989, 315 (318). Abi. dagegen - auch unter dem Aspekt des Art. 7 EWGV - OVG Berlin, 15.7.1986, OVGE Bln. Bd. 17 S. 223 (224 ff.).
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Kapazitätsrechtsstreits für eine Gleichstellung mit Deutschen.162 Ungeklärt ist aber die Frage im Hinblick auf Nicht-EG-Ausländer} 1* Die Verteilung von Studienplätzen außerhalb der normativ festgesetzten Kapazität ist im wesentlichen nicht Gegenstand gesetzlicher oder verordnungsrechtlicher Regelungen. Für Deutsche kann diese Lücke mit Hilfe des vom BVerfG entwickelten Zugangsanspruchs gem. Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsprinzip geschlossen werden. Bei dieser Rechtslage ist es gerechtfertigt, Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Auffangfunktion 164 - bei Wahrung des Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten deutscher Bewerber - heranzuziehen: In der wechselbezüglichen Konkurrenzsituation des Kapazitätsrechtsstreits darf der Nicht-EG-Ausländer nicht schlechter stehen als er stünde, wenn die Kapazität durch die Zulassungszahlenverordnung richtig berechnet worden wäre. In diesem Falle hätte er innerhalb der (die Nachfrage abdeckenden) Ausländerquoten sogar einen strikten Zugangsvornahmeanspruch. Zwar gibt es keinen allgemeinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.165 Doch legt es hier die geschilderte Konfliktlage nahe, unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG dem Nicht-EG-Ausländer aus Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf eine willkürfreie Ermessensentscheidung über die Verteilung "versteckter" Studienplätze zuzuerkennen. Das gilt zum einen dann, wenn es um die Inanspruchnahme der Zusatzkapazität im Rahmen der festgesetzten Quote geht.166 Hier wird deutschen Studienbewerbern von vornherein nichts genommen, da Art. 12 Abs. 1 GG
162
Der neue § 27 Abs. 3 HRG, der EG-Ausländer Deutschen gleichstellt, hätte dies nicht bewirken können, da sich diese Regelung nur auf normierte Zulassungsverfahren beziehen kann. In der Begnindung des RegE in BR-Dicks. 500/89, S. 9, heißt es, daß die Gleichstellung "für den Hochschulzugang insgesamt" und "damit auch für die Hochschulzulassung, also z.B. auch für den Fall von örtlichen Zulassungsbeschränkungen", gilt. Dies schließt den Kapazitätsrechtsstreit nicht ein, da dieser kein nach Landesrecht normiertes Zugangsverfahren darstellt. 163 Da das deutsch-türkische Assoziierungsabkommen in diesem Zusammenhang keine weiteren Rechte einräumt, sind hierzu auch türkische Staatsangehörige zu zählen, vgl. VGH Kassel, B.v. 25.8.1987 - 6 TG 1888/87, ESVGH 38, 1 (4 f.); Hcälbromer, JuS 1991, 9 (14); offengelassen in BVerwG, U.v. 20.4.1990 - 7 C 59.87, DVB1. 1990, 941 (943). 164 Im Sinne einer weitgehenden Parallelisierung von Deutschen- und Jedermann-Grundrecht jetzt BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, B.v. 28.9.1989 - 1 BvR 1310/84, NVwZ 1990, 853 (854), hinsichtlich einer Prüfungsentscheidung zu Lasten eines togolesischen Medizinstudenten. S. zuvor BVerfG, B.v. 10.5.1988 - 1 BvR 482/84 u. 1166/85, E 78, 179 (196 ff.); zust. H. Bauer, NVwZ 1990, 1152 ff. Für Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 1 GG auf Ausländer s. mit Differenzierungen im einzelnen Pieroth, AöR 115 (1990), 33 (41 f.); Sachs, BayVBl. 1990, 1990, 385 (388 f.). 165 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 15 zu § 8 (S. 133); nicht gefolgt werden kann Hqffmann-Becking, DVB1. 1970, 850 (855); ders., JuS 1973, 615 (618), der generell auf die Schutznormtheorie zugunsten einer alleinigen Ableitung des Rechts auf fehlerfreie Ermessensentscheidung aus Art. 2 Abs. 1 GG verzichten will. 166 Vgl. BVerwG, U.v. 20.4.1990 - 7 C 59.87, DVB1. 1990, 941 (943); OVG Berlin, B.v. 25.6.1991 - NVwZ-RR 1992, 191 (192).
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ihnen - wie das BVerwG 167 zu Recht hervorgehoben hat - keinen Anspruch auf Studienplätze einräumt, die ihnen auch bei richtiger Berechnung auf der Grundlage von Kapazitätsverordnungen und VergabeVO ZVS gar nicht zugestanden hätten. Zum anderen aber ist in begrenztem Umfang ein Anspruch auf willkürfreie Entscheidung auch insoweit zu bejahen, als es um den Zugriff auf darüber hinaus verfügbare Kapazität geht. Damit ist dem V G H Kassel168 zuzustimmen, wenn er einen solchen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung - ohne allerdings ausdrücklich auf Art. 2 Abs. 1 GG zu rekurrieren - bejaht hat. Bemerkenswerterweise hat Bachof bereits 1955 dafür votiert, Ausländern allgemein einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Behandlung zu gewähren. 169 Die Losung der Grundrechtskollision darf dabei freilich nicht zu Lasten der deutschen Kapazitätsbewerber gehen, die sich auf Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip berufen können. Es erscheint als willkürfrei, von einer Studienplatzvergabe an Nicht-EG-Ausländer solange abzusehen, wie damit gerechnet werden muß, daß die zusätzliche Kapazität von deutschen Studienbewerbern - bis hin zum Fall des Quereinstiegs oder des Ortswechsels - in Anspruch genommen wird. 170 Bei dieser Sichtweise ist eine unzulässige Nivellierung zwischen Deutschen- und Jedermann-Grundrechten 171 ausgeschlossen, wie dies bei einer vollen Gleichstellung von Nicht-EG-Ausländern und Deutschen der Fall wäre.
e) Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Sofern es an einer einfachgesetzlichen Grundlage fehlt, können benachteiligte Presseunternehmen in subventionsbedingten Konkurrenzkonflikten Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in Anspruch nehmen.172 Als pressespezifische Grundrechtsgewährleistung umfaßt er auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung von Presse-
167 168 169 170 171
U.v. 20.4.1990 - 7 C 59.87, DVB1. 1990, 941 (942). B.v. 25.8.1987 - 6 TG 1888/87, ESVGH 38, 1 (4 f.). S. Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (306). Zutr. VGH Kassel, B.v. 25.8.1987 - 6 TG 1888/87, ESVGH 38, 1 (4 f.). Hiergegen namentlich Erichsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 49 zu
§ 152. 172 Dazu VG Berlin, U.v. 15.5.1974 - I A 240.73, DÖV 1975, 134 f. mit Anm. Scholz, ibid., S. 136 f., der unter Hinweis auf die Besonderheiten des publizistischen Wettbewerbs für eine Zuordnung zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG plädiert und die Begründung mit Art. 5 Abs. 2 GG kritisiert; dagegen für Art. 2 Abs. 1 GG Henke, DVB1. 1975, 272 (273); von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ausgehend OVG Berlin, U.v. 25.4.1975 - H B 86/74, NJW 1975, 1938 (1939 f.). Unter dem Aspekt des publizistischen Wettbewerbs zur Problematik von Subventionsansprüchen BVerfG, B.v. 6.6.1989 - 1 BvR 727/84, E 80, 124 (133 f.).
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
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unternehmen.173 Zur Beeinträchtigungsschwelle (Geiährdung der Unternehmensexistenz) kann auf das oben Ausgeführte 174 verwiesen werden.
f) Art. 3 Abs. 1 GG Die Bedeutung von Art. 3 Abs. 1 GG hegt vielfach in der Ergänzung spezieller Freiheitsgrundrechte. Das gilt auch für multipolare Konfliktlagen. 175 Insoweit kommt vor allem bei der isolierten Zugangsvornahme ein Komplementärverhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht, wenn etwa ein bislang nicht bedachtes Unternehmen bei noch verfügbarer Kapazität Gleichbehandlung mit subventionierten Konkurrenten verlangt (atypische Kehrseitigkeit).176 Wie schon dargelegt, 177 ist dieser Fall multipolarer Natur, sofern im Wege der Gleichstellung der "Grundrechtsschutz auf hoheitliche Respektierung der wettbewerblichen Ausgangslage" (H. P. Ipsen) m gewährleistet werden kann. Voraussetzung ist, daß der Ausschluß von der Subvention die Existenzgrundlagen des Unternehmens kausal beseitigen würde. Insoweit läßt sich von einer Alternativität zwischen (isolierter) Abwehr und Vornahme 119 sprechen.180 Allerdings ist zu
173 Scholz, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 161 zu Art. 12, nimmt Idealkonkurrenz von Alt. 5 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG an.
174
B.n.2.c.bb.
175
Vgl. zur Subventionskonkurrenz B.n.2.c.bb. 176 Allein mit Art. 3 Abs. 1 GG wird der Antrag auf isolierte Zugangsvornahme in BVerwG, U.v. 30.8.1968 - Vn C 122.66, E 30, 191 (192 ff.), begründet; ebenso OVG Münster, U.v. 28.10.1985 - 4 A 476/84, Ausfertigung, S. 11 ff. : "Als Grundlage für die verlangte Ausgleichszahlung kommt ... nur der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht." In der Lit. sprechen sich für Art. 3 Abs. 1 GG - z.T. in Ergänzung zu Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG - aus Friaitf, in: Verh. des 55. DJT, 1984, S. M 8 (M 24); ders., DVB1. 1969, 368 (371 f.); Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 77 zu § 148; H. P. Ipsen, WDStRL 25 (1967), 257 (303); Badura, in: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 179 (230); Selmer, NJW 1969, 1266 (1267); Zacher, WDStRL 25 (1967), 308 (363); Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 40; für Art. 3 Abs. 1 GG neben Art. 2 Abs. 1, 12 und 14 GG R. Schmidt, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, Rdnr. 163 zu 1/1; dagegen für Art. 12, 14 GG Scholz, NJW 1969, 1044 (1045), sowie ders., WiR 1972, 35 (64 f.): Art. 3 Abs. 1 GG betreffe nur die "Rechtsungleichheit". 177
A.m.l. WDStRL 25 (1967), 257 (303), i.O. gespr. S. auch ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IV, Rdnr. 76 zu § 92: "verfassungswidrige Ungleichbehandlung". 179 S. zum Konkurrenzcharakter auch des Gleichstellungsbegehrens Scholz, WiR 1972, 35 (42); a.A. Brohn, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (236); Huber, Konkurrenzschutz, S. 89 ff. Vgl. zum "Anspruch auf gleichmaßige (Mit-)Subventionierung" Breuer, FG BVerwG, 1978, S. 89 (101). S. zur isolierten Zugangsvornahme bei Subventionskonkurrenz oben A.m.l sowie B.n.2.c.bb. 180 Das VG Köln, U.v. 27.10.1983 - 1 K 4651/82, Ausfertigung, S. 13 ff., hat daher zu Recht das Gleichstellungs- und das feststellungsweise geltend gemachte Abwehrbegehren mit 178
66
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
beachten, daß dem Staat bei der Subventionsvergabe betrachtliche Gestaltungsfreiheit zusteht und im übrigen schon auf Grund begrenzter Finanzmittel, aber auch aus Gründen der Sachgerechtigkeit nicht alle auf einem Markt tatigen Unternehmen in den Genuß einer Subvention kommen können (kapazitätsbedingter Ausschlußeffekt). Insofern ist bei der Lösung der Grundrechtskollision eine die Chancengleichheit im Rahmen des Subventionszwecks berücksichtigende Ausübung des Verteilungsermessens von zentraler Bedeutung.181 Hiervon zu unterscheiden und außerhalb der multipolaren Problematik angesiedelt ist die wettbewerbsneutrale Subventionsvergabe an einen unbestimmten Empfängerkreis; hier kommt allein Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der tatsächlichen Vergabepraxis zum Zuge. 182 Was schließlich den wechselbezüglichen Konfliktfall, in dem das übergangene Unternehmen die Korrektur der Vergabeentscheidung - auf Kosten des (zunächst) begünstigten Konkurrenten - zu seinen Gunsten erstrebt, anlangt, wird auf die obigen Ausführungen zu Art. 12 Abs. 1 GG verwiesen. 183
g) Art. 33 Abs. 2 GG In der Konkurrenz um Statusämter können sich die Bewerber mit Art. 33 Abs. 2 GG auf ein "grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang"184 nach dem Maßstab von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung stützen. Dem entsprechen - auch textlich weitgehend deckungsgleich - die einfachgesetzlichen
einheitlicher Begründung zurückweisen können. Vgl. grds. zur Konkretisierung der "beruflichen Wettbewerbsfreiheit" Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 77 zu § 148: Ausfüllung durch die "Maßstäbe" des Alt. 3 Abs. 1 GG. - Das BVerwG, U.v. 30.8.1968 - VIIC 122.66, E 30, 191 (197), nimmt an, daß Art. 3 GG nicht alle Fälle abdecke, in denen "schutzwürdige Interessen" des Konkurrenten "geschadigt" werden können, so daß ein isolierter Abwehranspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG gewährt werden müsse. 181 S. OVG Münster, U.v. 28.10.1985 - 4 A 476/84, Ausfertigung, S. 12: "Speziell für die Subventionierung von Unternehmen folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot der Grundsatz, daß der Kreis der zu Beteiligenden sorgfaltig abzugrenzen ist; es muß dafür Sorge getragen werden, daß nicht jemand von den Hilfsmaßnahmen völlig ausgeschlossen bleibt, bei dem die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die für die wirtschaftliche Maßnahme entscheidend gewesen sind, ebenfalls in einem entscheidenden Umfang vorliegen." Zutr. sah das Gericht in der Tatsache, daß Elektrostahlwerke anders als Hochofenstahlwerke auf den Einsatz von Steinkohle weder unmittelbar noch mittelbar angewiesen sind, eine sachgerechte Abgrenzung, die durch die Zielsetzung der Kokskohlenbeihilfe, die Existenz des deutschen Steinkohlebergbaus zu garantieren, gestützt werde. 182
Vgl. z.B. zum Primat der Vergabepraxis OVG Münster, U.v. 5.3.1991 - 4 A 215/89, Ausfertigung, S. 7 (s. hieizu das Zitat unten C.VLllJi Fn. 897), sowie bereits OVG Münster, U.v. 13.10.1982 - 4 A 434/81, Ausfertigung, S. 9. 183 B.H.2.c.bb. 184 BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, B.v. 19.9.1989 - 2 BvR 1576/88, DVB1. 1989, 1247 f.
II. Normexterne Grundrechtswirkung und Grundrechtskollision
67
Normen der §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG bzw. der Landesbeamtengesetze. Dasselbe gilt - mutatis mutandis - für die Konkurrenz um Beförderungsdienstposten. 185
h) Art. 4 Abs. 1 und 2 G G Art. 4 Abs. 1 und 2 G G kann normexterne Wirkung entfalten, wenn die Genehmigung für ein Vorhaben zur Religionsausübung erstritten wird, dem Dritte unter Hinweis auf eine Beeinträchtigung ihrer Verschonungsinteressen entgegentreten. 186 Dabei kann es namentlich zur Grundrechtskollision zwischen Art. 4 Abs. 1 und 2 einerseits sowie Art. 2 Abs. 2 S. 1 G G andererseits kommen. 1 8 7
i) Art. 19 Abs. 4 G G Nach richtiger und jüngst vom BVerfG 1 8 8 bestätigter Auffassung setzt Art. 19 Abs. 4 G G subjektive öffentliche Rechte voraus, begründet sie hingegen
185
Vgl. VGH Kassel, B.v. 13.6.1988 - 1 TG 2054/88, NVwZ-RR 1989, 30 l.Sp., bezuglich des Auswahlermessens bei Beforderungsdienstpostenkonkurrenz. 186 S. BVeiwG, U.v. 27.2.1992 - 4 C 50.89, Ausfertigung, S. 13: Vorrang der Freiheit der Religionausübung unter Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; anders die Vorinstanz in VGH Mannheim, U.v. 20.6.1989 - 3 S 873/89, Ausfertigung, S. 8, der die nachbarlichen Verschonungsinteressen höher bewertete. 187 Vgl. - in einem Fall unechter Multipolaritat, da Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV betroffen waren - BVerwG, U.v. 7.10.1983 - 7 C 44.81, E 68, 62 (68 f.), zum Unteriassungsanspruch von Nachbarn gegen Glockengelaut (Konflikt zwischen Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 GG) sowie schon BVerwG, U.v. 18.12.1959 - VII C 62.59, E 10, 91 (94 f.), zur Anfechtungsklage gegen eine gaststattenrechtliche Erlaubnis gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 GastG a.F. für eine Gaststatte in unmittelbarer Nahe der Kirche (Konflikt zwischen Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG). Nicht ausgeschlossen ist eine normexterne Wirkung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ferner, wenn sich aus einer mit öffenlichen Mitteln geförderten (privaten) Tätigkeit eine Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit oder der Religionsausübungsfreiheit ergeben sollte. Für eine derartige Subventionsvergabe verlangt das BVerwG (U.v. 27.3.1992 - 7 C 21.90, Ausfertigung, S. 13 ff.; s. auch schon OVG Münster, U.v. 23.3.1990 - 5 A 584/86, NVwZ 1991, 174 (175 f.)) eine gesetzliche Gmndlage: Eine verfassungsunmittelbare Eingriffsermachtigung scheide aus, da es sich um Verwahungs-, nicht aber Regieiungstatigkeit des Bundes handele. Damit geht das Gericht allerdings von dem oben (B.n.2.c.bb) genannten Grundsatz zulassiger Subventionsvergabe auf Grund des Haushaltsgesetzes ab. 188
B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 f.); vgl. auch BVerwG, U.v. 22.5.1980 3 C 2.80, E 60, 154 (161); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Rdnr. 21 zu Art. 19; nach BSG, U.v. 22.10.1986 - 9a RVs 3/84, NJW 1987, 2462 r.Sp., dient Art. 19 Abs. 4 GG nicht "dem Ausgleich von Interessen zwischen einzelnen Bürgern" und verleiht deshalb dem Arbeitgeber kein "Klagrecht" gegen die Feststellung des Schwerbehindertenstatus.
68
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
nicht. 189 Das allein schließt freilich andere Bedeutungsschichten nicht aus. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß Bachof 190 seine Vermutungsthese zunächst allein auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützt hatte, bevor er dann des weiteren auch auf die Grundrechte und Grundprinzipien der Verfassung abstellte. In der Rechtsprechung ist in einigen Fällen Drittrechtsschutz auch aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet worden. 191
5. Grundrechtsschutz för juristische Personen des Privatrechts Juristische Personen des Privatrechts können unter den Bedingungen des Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsschutz in Anspruch nehmen.192 Dies gilt auch dann, wenn der Staat allein oder in zur Beherrschung befähigender Höhe Anteile hält (unechte Multipolarität). Das BVerfG verneint freilich in einem Beschluß der 3. Kammer des 1. Senats193 die Grundrechtsfahigkeit (über den Fall der Eigengesellschaft hinaus auch) gemischt-wirtschaftlicher juristischer Personen des Privatrechts mangels personalen Substrats. Dem ist nicht zuzustimmen. Es kann nicht übersehen werden, daß einer als juristische Person des Privatrechts organisierten Gesellschaft kraft Gründungsakts und rechtlicher Verfassung eine Eigenständigkeit eingeräumt ist, die ihr die volle rechtliche Aktionsfreiheit verleiht. 194 Sie kann Käuferin, Eigentümerin, Betreiberin und Arbeitgeberin sein. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der sich aus der Fungibilität der Anteile ergibt. So kann binnen kürzester Zeit aus einer vom Staat beherrschten Konzemgesellschaft ein Unternehmen in privatem Anteilsbesitz werden. Der im Zeitablauf mögliche Wechsel des Allein- oder Mehrheitsgesellschafters darf aber nicht dafür ausschlaggebend sein, ob die Gesellschaft grundrechtsfähig ist oder nicht. Daher kommt zum einen gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen mit staatlicher Beherrschung die Grundrechtssubjektivität i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG zu. 195 Dann spricht - zum anderen - alles dafür, Eigengesellschaften nicht
189
Vgl. nur Schenke, Bonner Kommentor, Rdnr. 287 zu Art. 19 Abs. 4. Vornahmeklage, S. 85; sodann ders., GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (301). 191 OVG Lüneburg, B.v. 24.1.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (420); VG Hamburg, U.v. 11.4.1980 - V n 60/80, NuR 1980, 174 (176). Zur multipolaren Problematik s. im einzelnen C.IV.2.a und b. 192 Juristischen Personen mit Sitz im Ausland kommen lediglich die justiziellen Garantien zugute, nicht aber die (materiellen) Grundrechte, vgl. Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 133; weitergehend Degenhart, EuGRZ 1981, 161 (163 ff.). 193 B.v. 16.5.1989 - 1 BvR 705/88, JZ 1990, 335. 194 Vgl. grdl. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, S. 6 ff., 10 ff., unter Bezugnahme auf die Formentypik der juristischen Person. 195 Vgl. Scholz, in: FS f. W. Lorenz, 1991, S. 213 (227); Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, S. 6 ff., 10 ff.; Pütmer, Unternehmen, S. 120 f.; Kähne, JZ 1990, 335 f. (für gemischt190
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
69
anders zu behandeln. Andernfalls würde man die Grundrechtssubjektivität ein»* Kapitalgesellschaft im Extremfall von Erwerb oder Veräußerung auch nur einer Aktie bzw. eines entsprechenden Geschäftsanteils abhängig machen. Somit sind auch Kapitalgesellschaften in der Alleininhaberschaft des Staates - etwa im Bereich der öffentlichen Energieversorgungswirtschaft - grundrechtsfahig. 196
m . Subjektiv-rechtliche Probleme staatlicher Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien 1. Staatliche Schutzpflichten a) Subjektiv-rechtliches Schutzniveau objektiv-rechtlicher Schutzpflichten? Nach ständiger Rechtsprechung insbesondere des BVerfG 197 und ganz überwiegender Lehre 198 enthalten die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern zugleich objektiv-rechtliche staatliche Schutzpflichten. Freilich sind damit erhebliche Probleme verbunden, die sich vor allem in multipolaren Konfliktlagen kehrseitiger Art am Beispiel des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zeigen. So gerät die Schutzpflichtkonstruktion in Begründungszwänge, wenn sie den Umschlag vom objektiv-rechtlichen Prinzip zur subjektiv-rechtlichen Drittrechtsposition erklären soll. Dabei ist es nicht die Vorstellung unterschiedlicher Grundrechtsfunktionen als solche, die konstruktive Schwierigkeiten bereiten würde. 199 Vielmehr erscheint die dogmatische Begründung staatlicher Schutzpflichten als kaum geeignet, das erstrebte Ziel einer grundrechtlichen Konstituierung subjektiv-rechtlicher "Schutzansprüche" zwecks Genehmigungs-
wirtschaftliche Unternehmen); Ehlers , Verwaltung, S. 85; Schmidt-Preuß, Zentralfragen, S. 141 f. A.A. Badura, in: FS f. W. Lorenz, 1991, S. 3 (13), der das vom Staat beherrschte Unternehmen als "eine nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts dem Willen der öffentlichen Hand unterworfene Tochtergesellschaft" ansieht, "in der sich nicht die privatautonome Assoziation unternehmenswirtschafUicher Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, sondern eine am öffentlichen Interesse orientierte und organisatorisch mit dem Staat verbundene Verwaltungsaufgabe zur Geltung bringt"; J. fpsen , WDStRL 48 (1990), 177 (183), für den Fall, daß die öffentliche Hand "bestimmenden Einfluß" auf das Unternehmen ausübt. 196 So OVG Münster, U.v. 18.6.1958 - IV A 917/54, RdE 1959, 2 (8), in bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG; einschränkend dagegen Degenhart , Kernenergierecht, S. 186 mit Fn. 150. 197 B.v. 29.10.1987 - 2 BvR 624, 1080, 2029/83, E 77, 170 (214 f.); B.v. 30.11.1988 - 1 BvR 1301/84, E 79, 174 (201 f.). 198
Vgl. Isensee , in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (5 ff.); ders., Sicherheit, S. 34 ff.; Böckenförde , Der Staat 29 (1990), S. 1 (12 f.); SchmidtAßmann, AöR 106 (1981), 205 (215 ff.); Badura , in: FS f. Eichenberger, 1982, S. 481 (489 ff.); Stern, Staatsrecht m/1, § 69 IV 4, VI 3 b und 4 b a (S. 937 ff., 984 ff., 989); Häberle, AöR 114 (1989), 361 (378); E. Klein , NJW 1989, 1633 (1636 ff.); Hermes , Grundrecht, S. 261 ff. 199 Insoweit erhebt Schwabe , Grundrechtsdogmatik, S. 258, Bedenken. 7 Schmidt-Preuß
70
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
abwehr zu erreichen. Das Dilemma liegt in der Anknüpfung an die objektivrechtliche Seite der Grundrechte. Die staatliche Schutzpflicht ist in ausdrücklichem Gegensatz zjur subjektiv-rechtlichen Abwehrposition des status negativus konzipiert. Dann aber wirft es kaum überwindbare dogmatische Schwierigkeiten auf, die Begründung oder Erweiterung subjektiv-rechtlicher Grundrechtspositionen gerade aus der objektiv-rechtlichen Komponente der Grundrechte gewinnen zu wollen. 300 Daß - wie es Isensee 201 plastisch formulierte - "der Funke zur individuellen Rechtsposition" überspringt, erfordert einen irgendwie gearteten Bezug zur subjektiv-rechtlichen Grundrechtskomponente. Ein grundrechtlicher Genehmigungsabwehranspruch kann nicht allein auf objektiv-rechtlicher Basis unter völligem Verzicht auf die subjektiv-rechtliche, negatorische Dimension der Grundrechte begründet werden. 202 Angesichts dieser grundsatzlichen Problematik staatlicher Schutzpflichten bietet sich in multipolaren Konfliktlagen stattdessen das oben203 dargestellte Konzept der Grundrechtskollision zur Begründung schutzgewahrender Genehmigungsabwehransprüche an. Zum einen wird damit der erforderlichen Ausbalancierung der gegenläufigen Privatinteressen im Horizontalverhältnis Rechnung getragen. So kann der Nachbar die Unterschreitung des grundrechtlich gebotenen Mindestandards im Wege normexterner Grundrechtswirkung geltend machen und sich etwa auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG berufen. Dem vermag der Betreiber zur Begründung freier wirtschaftlicher - wenn auch risikobegründender - Tätigkeit seinerseits Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 GG entgegenzusetzen. Damit steht in der kehrseitig-multipolaren Konfliktlage auf Grundrechtsebene Freiheit gegen Freiheit. Die Kollisionslösung erfolgt nach dem Prinzip schonendsten Ausgleichs der widerstreitenden Grundrechtsinteressen bzw. praktischer Konkordanz im Sinne multipolarer Abwägung. 70 4 Dabei bedarf es einer konkreten Risikobeurteilung, um der materiellen Verflochtenheit von Abwehr und Vornahme gerecht zu werden. Zum anderen bietet die Lösung im
200 Dies gilt auch dann, wenn terminologisch zwischen objektivem Recht und objektivrechtlichen Gehalten unterschieden wird, vgl. Stern, Staatsrecht III/1, § 69 II 4 (S. 920): "nicht identisch"; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Rdnr. 4 Vorb vor Art. 1, wonach "der objektive Grundrechtsgehalt etwas anderes" ist "als der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte". 201 In: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (8); ders., Sicherheit, S. 50: Den Schutzpflichten würden "nicht durchgehend Schutzrechte des Bürgers" korrespondieren. Vgl. Stern, Staatsrecht m/1, § 69 VI 4 b (S. 989), der von einer "vorsichtigen Bejahung subjektiver Rechte bei objektiv-rechtlichen Gehalten" (i.O. kurs.) spricht; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (382), und ders., in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (66 f.); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (217). 202 S. schon die Kritik von Rauschning, DVB1. 1980, 831 (832): "Rückverwandlung der objektiven Schutzpflicht in ein Grundrecht mit erweitertem Inhalt". 203 B.n.i. 204 B.II.l.b.
ID. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
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Wege der Grundrechtskollision den dogmatischen Vorteil, daß - falls die multipolare Abwägung zugunsten des Nachbarn ausgefallen sein sollte - der grundrechtliche Genehmigungsabwehranspruch im Gegensatz zur Schutzpflichtkonstruktion Ausdruck der subjektiv-rechtlichen Komponente des Grundrechts ist. Ergibt sich im übrigen die Unterschreitung des grundrechtlichen Mindeststandards aus einer gesetzlichen Regelungslücke, handelt es sich um ein Normerlaßbegehren; hierfür verlangt das BVerfG 205 mit Recht die Erfüllung des Evidenzkriteriums, wenn es um die Einforderung bestimmter Maßnahmen geht. 206
b) Schutzanspruch und Eingriffsabwehr Der Hoechst-Beschluß des V G H Kassel Welche Probleme sich der Schutzpflichtkonzeption bei der Ableitung von Genehmigungsabwehransprüchen stellen, hat der Hoechst-Beschluß des VGH Kassel vom 6.11.1989 207 in aller Deutlichkeit gezeigt. In der hier akuten kehrseitigen Konfliktlage ist aus einer subjektiv-rechtlich verstandenen Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugunsten des Dritten praktisch ein - sofort wirksames208 - Betriebs- und Investitionsverbot entnommen worden. Maßgeblich hierfür war die Auffassung des Gerichts, daß mit Blick auf BImSchG und 4. BImSchV in der damaligen Fassung209 eine ausreichende Genehmigungsgrund-
205
Vgl. z.B. die Ablehnung in BVerfG, Vorprüfungsausschuß, B.v. 14.9.1983 - 1 BvB 920/83, NJW 1983, 2931 (2932). 206 Grdl. Badura , in: FS f. Eichenberger, 1982, S. 481 (491 f.): "Allein daraus, daß eine grundiechtliche Schutzpflicht 'gegenüber dem einzelnen' besteht, darf nicht auf das subjektive Recht geschlossen werden"; dieses könne nur angenommen werden, wenn die Schutzpflicht "individualisiert, konkret und evident eine Verletzung ergibt", was "in der Regel" nicht der Fall sei; vgl. ebenso HessStGH, B.v. 26.3.1990 - P.St. 1103/1103 e.V., LKV 1991, 41 (42); BVerfG, Vorprüfungsausschuß, B.v. 14.9.1983 - 1 B BvB 920/83, NJW 1983 , 2931 (2932). Anders Alexy , Der Staat 29 (1990), 49 (60 f.), der -freilich im Hinblick auf bipolare Sachverhalte und insofern für die hier in Rede stehende multipolare Problematik nicht einschlagig - eine "Vermutung zugunsten der subjektiven Dimension" für den Fall der "Ausdehnung" eines Grundrechts "über den abwehrrechtlichen Bereich hinaus" annimmt. Von "Schutzrechten ... im Sinne eines Schutzes vor Rechtsverletzung und im Sinne einer Sicherung des vorhandenen Rechtsbestandes" spricht E. Klein , NJW 1989, 1633 (1637 ff.). 207 8 TH 685/89, ESVGH 40, 119 (121 ff.). 208 Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Errichtungs- und Betriebsgenehmgung wurde wiederhergestellt. 209 Da hier die Rechtslage im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids maßgeblich war (s.u. E.VI.3), hatte sich die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht aus Nr. 4.3 Spalte 2 4. BImSchV i.d.F.d. ÄnderungsVO v. 24.7.1985 (BGBl. I S. 1586) ergeben (Anlagen zur fabrikmäßigen Herstellung von Arzneimitteln oder Arzneimittelzwischenprodukten). Die Ausgangsgenehmigung beruhte noch auf der z.T. wortgleichen Bestimmung des § 4 Nr. 35 c 4. BImSchV v. 14.2.1975 (BGBl. I S. 499). Expressis verbis hat der Verordnungsgeber gentechnische
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
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läge für das gefahrenträchtige Vorhaben des Betreibers (Errichtung und Betrieb gentechnischer Anlagen) nicht bestehe. Das Gefahrenpotential mache - so das Gericht - eine gesetzliche Regelung erforderlich; deren Fehlen löse die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Ergebnis des Genehmigungsabwehranspruchs aus. Wenn man mit dem VGH Kassel annimmt, daß die seinerzeitige Gesetzes- und Verordnungslage keine Regelung des fraglichen Vorhabens enthielt, stellt sich der Konflikt als Grundrechtskollision dar. Dessen Lösung schließt, wie oben ausgeführt, 210 eine einseitige Privilegierung im Sinne eines per-se-Vorrangs aus. Statt dessen bedarf es in der multipolaren Konfliktlage des Ausgleichs der kollidierenden Grundrechtsinteressen im Horizjcmtalverhältrüs privaten Konfliktgegner. 2n So konnte der Betreiber im Hoechst-Fall immerhin die Grundrechte der Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 5 Abs. 3 GG in die Waagschale werfen. 212 Die Lösung der Grundrechtskollision kann nur auf Grund einer konkreten Risikobewertung erfolgen. Ein Überwiegen der gmndrechtlichen Verschonungsinteressen zugunsten des Nachbarn hätte im Rahmen multipolarer Abwägung des Nachweises eines "evident drohenden, qualifizierten Kollisionsfalls" 213 bedurft. Andernfalls sähen sich "die Abwehrrechte überwältigt von den Schutzpflichten". 214 Der VGH Kassel hat sich demgegenüber auf eine rein abstrakte Beurteilung des Gefahrdungspotentials beschränkt und damit die Abwägung von vornherein zu Lasten des Betreibers ausgehen lassen.215 Schließlich ist unter dem Aspekt der Fehlerfolgen zu bedenken, daß bei Annahme einer Regelungslücke des BImSchG auch eine Vorlage nach Art. 100
Anlagen erst durch Nr. 4.11 (Spalte 1) 4. BImSchV (Art. 2 der Verordnung zur Änderung von Verordnungen zur Durchfuhrung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes v. 19.5.1988 (BGBl. I, 608» geregelt. 210 211
B.n.l.b.
Vgl. Graf Vitzthum, VB1BW 1990, 48 (50 f.); Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (557 ff.). 212 In der Abwägung fallt zugunsten des Betreibers ins Gewicht, daß jedenfalls die polizeiliche Generalklausel (so Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (562 f.); Seruüer, NVwZ 1990, 231 (235)) unter dem Aspekt der konkreten Gefahrdung ein Einschreiten ermöglicht. 213 Scholz, in: FS f. Sendler, 1991, S. 93 (98). 214 Isensee, in: FS f. Sendler, 1991, S. 39 (63). 215 Abi. Sendler, NVwZ 1990, 231 (235): "generelles Veibot"; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (562) mit Fn. 89; Rupp, JZ 1990, 91 (92): "schlichte Umpolung von grundrechtlichen Freiheitsverburgungen (mit Einschrankungsvorbehalt) zu Verboten mit Erlaubnisvorbehalt"; Graf Vitzthum, VB1BW 1990, 48 (50): Der VGH Kassel lasse die Gnindrechtsinteressen der Nachbarn "gegen die der Betreiber 'durchschlagen' ..., ohne jegliche 'Koordinierung'". - Die Risiken der einseitigen subjektiv-rechtlichen Instrumentalisierung der Schutzpflicht bestehen - wie die Ausfuhrungen von Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 88 ff., 92 ff., zeigen - auch im Atomrecht.
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
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Abs. 1 GG in Betracht gekommen wäre. 216 Wie oben ausgeführt, 217 ist es insofern ausschlaggebend, ob es sich um eine Annexregelung oder um einen sachthematisch geschlossenen selbständigen Regelungskomplex handelt, dessen Fehlen gerügt wird. Geht man von letzterem Fall aus, stellt sich das Verschonungsinteresse freilich als Normerlaßbegehren dar; ob hierfür das Erfordernis des Evidenz-Kriteriums erfüllt ist, kann nur das BVerfG entscheiden.218
c) Keine Exklusivität von Eingriffsabwehr oder Schutzpflicht Wenn in den vorstehenden Ausfuhrungen die Problematik einer einseitigen Schutzpflichtkonstruktion deutlich wurde, so wird die reine Eingriffskonzeption der multipolaren Konfliktlage ebenso wenig gerecht. Dies gilt insbesondere für den Vorschlag von Schwabe* 19 und Murswiek 220, in der Genehmigung nur einen Eingriffsakt des Staates zu Lasten des Dritten zu sehen, der die Grundrechte allein in ihrer Abwehrdimension aktiviert. Grundrechte des Genehmigungsempfangers bleiben hier aus der Betrachtung ausgeschlossen.221 In multipolaren Konfliktlagen geht es aber um den Ausgleich kollidierender Grundrechtspositionen 222 (Grundrechtskollision). Die grundrechtliche Konfliktschlichtung kann daher nur durch ein "Zusammenspiel von Abwehrrecht und Schutzpflicht" 223 bewältigt werden. Indem die Eingriffskonzeption hierüber hinweggeht, verkennt sie die "kategoriale Verschiedenheit des das Grundrecht als Abwehrrecht
216
Vgl. hierzu Preu, JZ 1991, 265 (270 f.). S. B.n.l.a. 218 S.o. B.n.l.a bei Fn. 88 ff. 219 Gmndiechtsdogmatik, S. 212 ff., mit der Giundthese, daß all das, was nicht veiboten ist, auch erlaubt und von den nachteilig Betroffenen hinzunehmen sei; ferner ders., NJW 1983, 523 (524 ff.). Demgegenüber für das Konzept der Schutzpflicht Alexy, Theorie, S. 416 ff. 220 Verantwortung, S. 91 ff.: Der Betreiber greife in Grundrechte des Nachbarn ein; s. bes. S. 93: "Ermächtigung zu privaten GrundrechtseingrifYen". Dem ist entgegenzuhalten, daß der für das subjektive öffentliche Recht des Beeinträchtigten allein maßgebliche Eingriff ausschließlich in der staatlichen Genehmigung liegt (richtig Steinberg, NJW 1984, 457 (462); s. auch krit. Stern, Staatsrecht m/1, § 69 IV 5 b ß (S. 947 f.)). Von einem Eingriff eines Privaten in ein Gnindrecht oder auch ein grundrechtlich geschütztes Gut (so des weiteren Murswiek, Verantwortung, S. 95 Rdnr. 19) kann nicht die Rede sein. Vgl. auch Rauschung, WDStRL 38 (1980), 167 (184 f.): Die "Immission aus der genehmigunten Anlage" bedeute nicht einen staatlichen Eingriff in die Gesundheit des Anwohners". Dazu stehe nicht in Widerspruch, daß dem Dritten subjektive öffentliche Rechte gewährt sein können. S. im einzelnen zum Regelungsgehalt des streitschlichtenden Verwaltungsakts D.H.2. 221 Vgl. zu Recht krit. Papier, in: 8. Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 173 (177); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (216). 222 Vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (343); Isensee, Sicheiheit, S. 44, 44 ff. 223 Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6 ff.). 217
74
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
aktivierenden Eingriffs der öffentlichen Gewalt und der eine gesetzliche Regelung gebietenden Verantwortung des Staates für den Schutz der grundrechtlich garantierten Schutzgüter als zentrales Prinzip der freiheitlichen Grundrechtsordnung". 224 Richtig ist zwar, daß der Staat mit Erteilung der Genehmigung in der Tat eine "Garantenstellung 1,225 einnimmt. Andererseits folgt hieraus nicht die apriorische Gleichsetzung von Genehmigung und Grundrechtseingriff. Dies würde die entscheidende Weitung vorwegnehmen, daß überhaupt subjektive öffentliche Rechte des Dritten bestehen. Die Maßgeblichkeit der einfachgesetzlichen Konfliktschlichtung 226 wäre aufgegeben. 227 Entgegen der Eingriffskonzeption wird der Betreiber nicht "ermächtigt", den Dritten zu schädigen.228 Ebensowenig wird diesem die Duldung aufgegeben, eine solche Schädigung hinzunehmen. Der Genehmigung eine "Duldungspflicht" zu Lasten des Dritten wegen des Selbsthilfeverbots der allgemeinen Rechtsordnung entnehmen zu wollen, überzeugt nicht, weil dieses nicht Regelungsgegenstand der Genehmigung ist. 229 Da der Staat mit der Erteilung der Genehmigung eine Garantenstellung übernimmt, ist aber auch eine Grundrechtssicht ausgeschlossen, die Drittschutz allein im Rahmen der Schutzpflicht - dem Gegenstück zur Eingriffskonzeption gewähren will. Das ließe außer Acht, daß der Staat dem normativen Konfliktschlichtungsprogramm zuwiderhandelt und damit die Abwehrdimension wirksam wird. Dies ist dem Vorschlag von Schwerdtfeger 230 entgegenzuhalten, öffentlichrechtlichen Baunachbarschutz nur noch nach der "schwer-und-unerträglich"Doktrin als Ausprägimg der Schutzpflicht-Konzeption auf Grundrechtsebene anzuerkennen. Danach soll Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dagegen sprechen, im Bereich des Baurechts den als Richterrecht angesehenen "öffentlich-rechtlichen Drittschutz ohne eine entsprechende gesetzgeberische Entscheidung neben dem zivilrechtlichen Drittschutz noch aufrechtzuerhalten". 231 Eine solche Sichtweise
224
Baäura, in: Achtes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 227 (238); s. auch DVB1. 1988, 305 (309); E. Klein, NJW 1989, 1633 (1639). 225 Schmidi-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 172 zu Art. 19 Abs. IV (kurs. i.O.). 226 S.o. B.I.l.a. 227 So soll nach Murswiek, WiVerw. 1986, 179 (200), ein nachbarlicher Abwehransprüch bestehen, wenn das immissionsschutzrechtliche Vorsorgegebot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verletzt ist. 228 Zum streitschlichtenden Verwaltungsakt s. C.II.3. 229 S. auch Lilbbe-Wolff, Grundrechte, S. 187, die zutr. darauf hinweist, daß das Selbsthilfeverbot völlig unabhängig davon besteht, ob eine (rechtswidrige) Genehmigung erteilt wird oder nicht. 230 NVwZ 1982, 5 (8); ders., NVwZ 1983, 199 (201), wobei für den Dispens eine Ausnahme gelten soll; dagegen Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (142 f.). 231 Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201), kurs. i.O. Kloepfer,
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
75
würde den verwaltungsrechtlichen Baunachbarschutz (gegen einfache Baugenehmigungen) praktisch obsolet machen. Hierauf lief bereits der seinerzeitige Vorschlag von Redeker 232 hinaus, das baurechtliche Nachbarrecht "als das zu erkennen, was er wirklich ist, nämlich als zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Bauherrn und Nachbarn unmittelbar um die allgemeine Frage, ob der Bauherr durch sein Bauvorhaben die Rechte des Nachbarn an seinem Eigentum in unzumutbarer Weise stört oder beeinträchtigt".
2. Verfassungsrechtliche
Ordnungsprinzipien
Schließlich sei noch untersucht, ob aus verfassungsrechtlichen Leitprinzipien oder Staatszielbestimmungen233 Rückschlüsse auf die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung gezogen werden können.
a) Das Sozialstaatsprinzip In der multipolaren Konfliktlage läßt sich aus der Staatszielbestimmung des Sozialstaatsprinzips eine drittrechtsbegründende Wirkung nicht ableiten. Es ist ein vor allem an den Gesetzgeber, in zweiter Linie aber auch an die Verwaltung gerichteter Handlungs- und Konkretisierungsauftrag mit der Zielsetzung sozialer Gerechtigkeit, 234 ohne jedoch subjektive öffentliche Rechte entstehen zu lassen.235 Allerdings hat das BVerwG in seinem Urteil vom 24.6.1954 236 einen
232
NJW 1959, 749 (751). Zur umfassenden Kategorie der " Aufgaben-Normen" mit Bezügen zu den Grundrechten und den Schutzpflichten s. Häberle , in: FS f. Hafelin, 1989, S. 225 (240 ff.); zu Staatszielbestimmungen im einzelnen noch Lücke, AöR 107 (1982), 15 (20 ff.). 234 Vgl. Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, Rdnr. 84 zu Art. 20; Zacher , in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, Rdnr. 107 zu § 25; vgl. auch Wiedenbrüg , Sozialstaatsprinzip, S. 128 ff. 235 S. Badura, DÖV 1989, 491 (495); Scholz , in: Böckenforde/Jekewitz/Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte, 1981, S. 75 (82); "Staatszielbestimmungen. Gesetzgebungsaufträge" (Bericht der Sachverständigenkommission), 1983, Rdnr. 29; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, § 13 14 (S. 99); R. Schmidt , Wirtschaftsrecht, S. 186, aber auch Fn. 707, wonach nicht ausgeschlossen ist, daß subjektive Rechte "aus den Grundrechten und insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip" (kurs.i.O.) hergeleitet werden könnten. Dies aber könnte jedenfalls nur wie im Text ausgeführt - für das bipolare Staat-Bürger-Verhältnis gelten. S. auch - unter dem Aspekt eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens BVerwG, U.v. 30.1.1974 - VDI C 20.72, E 44, 333 (337 f.). Dagegen für das Sozialstaatsprinzip als Quelle subjektiver öffentlicher Rechte Zuleeg , DVB1. 1976, 509 (519): "Im status positivus verleiht... in erster Linie das Sozialstaatsprinzip die Rechtsmacht, objektive Begünstigungen von Individualinteressen in Gesetzen auch durchzusetzen." Zu weitgehend auch Lücke (AöR 107 (1982), 15 (48 f.)) und Degenhan (Staatsrecht I, Rdnr. 361 f.), nach dem das Sozialstaatsprinzip bei der Auslegung von Gesetzen, "soweit sie grundsatzliche Rechtsansprüche gewähren, anspruchsbegründend herangezogen werden" kann und 233
76
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
Anspruch auf Fürsorgeleistungen i m Rahmen des grundgesetzlichen Leitgedankens, daß der einzelne "nicht Untertan, sondern Bürger" sei, u.a. auch mit Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip bejaht. 2 3 7 Freilich lag der Hauptakzent der Entscheidung auf den Grundrechten. 238 Selbst wenn man aber dem Sozialstaatsprinzip i m Sinne einer - auf die Objekt-Formel 2 3 9 zurückfuhrbaren - Evidenzschwelle subjektivierende Wirkung zuerkennen w o l l t e , 2 4 0 könnte dies nur für das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis gelten, wie es auch dem FürsorgeUrteil zugrunde lag. I n den hier interessierenden multipolaren Konfliktlagen, in denen die Rechtsmehrung zugunsten des einen Privaten notwendig auf Kosten des anderen ginge, ist für eine Evidenzregel kein Raum. Hier kann das Sozialstaatsprinzip nur den Gesetzgeber zur erforderlichen Konfliktschlichtung verpflichten. Bemerkenswerterweise ist denn auch der Drittschutz i m öffentlich-
auch "bei Bewertung der Schutzwürdigkeit individueller Rechtspositionen verstärkend" berücksichtigt werden soll, sowie MiÜler-Bromley (Staatszielbestimmung, S. 178), der einen Individualbezug des Sozialstaatsprinzips annimmt, so daß eine Subjektivierung von einfachgesetzlichen Vorschriften möglich sei. Ohne ausdrückliche Aussage zum subjektiv-rechtlichen Stellenwert des Sozialstaatsprinzip die allgemeine Würdigung von Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 274, nach dem "die Anerkennung individueller Schutzansprüche dringender rechts- und sozialstaatlicher Notwendigkeit" während er "den klassisch rechtsstaatlichen Aspekt ... der Freiheitswahrung" in den Hintergrund getreten sieht. 236 V C 78.54, E 1, 159 (161 f.). 237 Ibid., S. 162. Daraus hatte das Gericht die Forderung abgeleitet, daß "nicht ein wesentlicher Teil des Volkes in dieser Gemeinschaft hinsichtlich seiner Existenz ohne Rechte dasteht". Im Ergebnis billigend Breuer, in: FG BVerwG, S. 89 (96 f.). 238 So hat Scholz (DB-Beilage Nr. 10/79, S. 14) zu Recht daraufhingewiesen, daß die im Fürsorge-Urteil angenommene "Gewährleistung ... nicht isoliert auf dem Boden des Sozialstaatsprinzips entstanden bzw. isoliert aus ihm ableitbar" ist, "maßgebend ... vielmehr die Grundrechte aus Art. 1 I, Art. 2 II 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip" gewesen seien; wie Breuer, in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (96), krit. bemerkt, zählt das BVerwG die Art. 1, 2, 14 Abs. 2 und 19 Abs. 4 GG "ohne erkennbare Systematik" auf. In einer späteren Entscheidung hat das BVerwG unter Bezugnahme u.a. auf das Fürsorge-Uiteil - das Sozialstaatsprinzip gar nicht mehr erwähnt und nur unterstrichen, daß sich zwar "aus Grundrechten unter besonderen Umständen Ansprüche auf staatliches Tätigwerden mit dem Ziel der Sicherung der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter" ergeben könnten, daß jedoch "diese Ansprüche keineswegs weiter reichen" würden, "als es zur Ermöglichung der grundrechtlich geschützten Freiheit unerläßlich ist" (BVerwG, U.v. 16.9.1980 - I C 89.79, E 61, 40 (42)). Zum Sozialstaatsprinzip s. auch BVerwG, U.v. 17.2.1971 - V C 68.69, E 37, 243 (246). 239
S. Dürig, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 28 zu Art. 1 Abs. I: "Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt ... herabgewürdigt wird" (i.O. zum Teil kursiv). Vgl. Häberle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, Rdnr. 60 zu § 20, der den Zusammenhang des Staatsziels des sozialen Rechtsstaats mit der Menschenwürde betont. 240 Vgl. hierzu Badura, DÖV 1989, 491 (495).
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
77
rechtlichen Kündigungsschutzrecht241 nie mit dem Sozialstaatsprinzip begründet worden.
b) Der Wettbewerb als wirtschaftsverfassungsrechtliches Leitbild aa) Daß dem GG keine Entscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem zu entnehmen ist, entspricht seit dem Investitionshilfegesetz-Urteil von 1954 242 der h . M . 2 4 3 Nicht verkannt werden kann aber, daß die wirtschaftsbezogenen Grundrechte bestimmte Rahipenbedingungen voraussetzen, wenn sie wirksam sein sollen.244 Insoweit impliziert namentlich Art. 12 Abs. 1 GG 2 4 5 in seiner Funktion als Grundrecht freier wirtschaftlicher Tätigkeit eine rechtlich gewährleistete Wettbewerbsordnung , die durch Offenhaltung der Märkte, Leistungswettbewerb und Chancengleichheit gekennzeichnet ist. 246 Mit Recht hat das BVerwG 247 daher festgestellt: "Die bestehende Wirtschaftsverfassung enthält als eines ihrer Grundprinzipien den grundsätzlich freien Wettbewerb des als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmers." In diesem Sinne kann von einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitbild des Wettbewerbs 248 gesprochen werden. In multipolaren Konfliktlagen schließt dies von vornherein die Annahme eines Grundrechtsschutzes vor unliebsamer Konkur-
241 Keine Ausnahme stellt OVG Münster, U.v. 13.2.1989 - 13 A 2643/85, NWVBL 1989, 378 (380), dar, wo das Sozialstaatsprinzip allein im Zusammenhang mit dem Zustimmungsvorbehah zur Begründung öffentlich-rechtlicher Konfliktschlichtung im Gegensatz zum Arbeitsrecht genannt wird. 242 BVerfG, U.v. 20.7.1954 - 1 BvR 459/52 u.a., E 4, 7 (17 f.); s. ferner BVerfG, U.v. 1.3.1979 - 1 BvR 532, 533/77 u.a., E 50, 290 (336 ff.). 243 Vgl. R. Schmidt , Wirtschaftsrecht, S. 70 f. Püttner , Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 21; Stober , Handbuch, S. 14 ff.; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 45 ff. 244 Scholz , in: FS f. Rittner, 1991, S. 629 (639 f.); ders ., Entflechtung, S. 90 ff.; Badura , in: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 179 (194 ff.): keine "Inhalts- oder Entscheidungslosigkeit" des GG; ders., Staatsrecht, Rdnr. C 87 (S. 145): "Bindungen"; Rupp, in: HdWW, Bd. 9, 1980, S. 141 (145 f.); ders., "Wirtschaftsverfassung", S. 11 ff., 14 ff. (mit Ablehnung der Neutralitatsthese S. 41 Fn. 68); Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1 (3); R. Schmidt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 25 zu § 83; Schmidt-Preuß, Zentralfragen S. 100 ff.; krit. zur "soweit-Klausel" des BVerfG Breuer , in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 19 f. zu § 147. S. verfassungsvergleichend Häberle, Jura 1987, 577 (580 ff.). 245 Im Hinblick auf die Wettbewerbsfreiheit den Vorrang des Spezialgrundrechts des Art. 12 Abs. 1 GG vor Art. 2 Abs. 1 GG mit Recht betonend Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 97 zu § 147; s.o. B.H.2.c.bb. 246 Vgl. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 94 ff., 102 ff.; Rupp, in: HdWW, 1980, S. 146 f. 247 U.v. 18.4.1985 - 3 C 34.84, E 71, 183 (189). 248
Vgl. Rupp, in: Wettbewerb als Aufgabe, 1968, S. 187 (205): Der Wettbewerb "ist das Agens und der Motor, zugleich der Regulator einer auf individuelles Eigentum, auf Freiheit des Berufs, des Gewerbes und der wirtschaftlichen Entfaltung gründenden Wirtschaftsordnung".
B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
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renz aus. Art. 12 Abs. 1 GG gewährt nicht Freiheit vor Wettbewerb, sondern Freiheit zum Wettbewerb. Ebenso steht das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild des Wettbewerbs schon objektiv-rechtlich der Abschottung gegenüber potentiellen oder aktuellen Konkurrenten prinzipiell entgegen. Dies gilt für Marktzutrittsregulierungen wie für "diskretionäre" fachgesetzliche Einzelmaßnahmen. 249 bb) Erfreulicherweise entspricht die Rechtsprechung - mit einer sogleich noch zu erörternden Ausnahme - diesem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitbild des Wettbewerbs. Für den Bereich der Markzutrittsregulierungen sei auf die Ablehnung subjektiv-rechtlichen Schutzes von Alt-Unternehmern vor Newcomern bei der Vergabe von Taxikonzessionen gem. § 13 Abs. 4, 5 PBefG verwiesen. Zu dessen Vorgängervorschrift (§ 13 Abs. 3 PBefG 1961) hat das BVerwG mit Recht festgestellt, daß "nicht etwa der Schutz der wirtschaftlichen Interessen bestehender Kraftdroschkenunternehmer gegenüber dem Eindringen der Konkurrenz" Gesetzeszweck sei; werde ein Alt-Unternehmer durch die Zugangssperre geschützt, so handele es sich nur um einen Reflex. 230 Daß es in einem solchen Fall keinen grundrechtlichen Schutz des Alt-Unternehmers gibt, hat das OVG Münster 251 betont. Dieser am wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitbild des Wettbewerbs orientierten Rechtsprechung ist zuzustimmen.252 Des weiteren lehnt die Rechtsprechung zu Recht einen subjektiv-rechtlichen Alt-Unternehmerschutz in weiteren regulierten Märkten ab. Dazu sei verwiesen auf die Berufszulassungsregelungen in den Bereichen der Apothekenkonzession, 253 der Rechtsberatung254, des Handwerks, 255 der Versicherungswirtschaft 256
249
S.o. B.n.2.c.cc sowie unten C.VI.6.a. S. BVerwG, U.v. 28.6.1963 - VH C 139.61, E 16, 187 (189), unter Hinweis auf eine Passage des BVerfG, B.v. 8.6.1960 - 1 BvL 53/55 u.a., E 11, 168 (191), zur Existenzbedrohung bei ruinöser Konkurrenz. Zust. Menger, VerwArch. 55 (1964), 175 (184). 251 U.v. 1.2.1980 - 13 A 1509/79, NJW 1980, 2323 (2324), im Rahmen einer vorbeugenden Unterlassungsklage; s. auch Huber, Konkurrenzschutz, S. 289 ff.; aufgeschlossen für Grundrechtspositionen des Alt-Unternehmers dagegen Pitschas, GewArch. 1981, 216 (218 f.); Scherer, Jura 1985, 11 (13). 252 Vgl. in diesem Sinne Jarass t Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rdnr. 51 E (S. 182); Frers, DÖV 1988, 670 (673). Dagegen - auf rechtsverhältnistheoretischer Grundlage - für einen grundrechtlich begründeten Schutz des Alt-Unternehmers R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 460, 462, der bei Verstößen gegen Berufszulassungsnormen "regelmäßig eine rechtswidrige Verletzung der Rechte von Ahunternehmem und Mitbewerbern" annehmen will, was auch unterhalb der Schwelle schwerer und unerträglicher Beeinträchtigung der Fall sein soll; femer für Schutz des Ah-Unternehmers Ehlers, in: Achterbeig/Püttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, Rdnr. 661 zu 1/2 (S. 231); Stober, Handbuch, S. 746. 253 BVerwG, U.v. 29.8.1957 - I C 87/54, NJW 1958, 643 r.Sp. 254 BVerwG, B.v. 6.12.1988 - 1 B 157.88, NJW 1989, 1175 l.Sp.: Keine Verletzung der Art. 12 Abs. 1 oder 2 Abs. 1 GG. 250
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sowie des Sachverstandigenwesens.257 Zu zögerlich ist freilich die Rechtsprechung, wenn es um die Offenhaltung der Märkte bei der Vergabe von Marktstandplätzen auf der Grundlage des Auswahlermessens gem. § 70 Abs. 1, 3 GewO geht. Hier steht das Leitbild des Wettbewerbs einem marktabschottenden "bekannt-und-bewährt-Kriterium" entgegen.258 Neben der Markzutrittsregulierung bestätigt sich das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild des Wettbewerbs auch im Bereich fachgesetzlicher "diskretionärer" Einzelmaßnahmen. Beispielhaft sei hier nur auf den Beschluß des V G H Mannheim hingewiesen, der zu Recht einem auf Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG gestützten Abwehrbegehren, das die Aufhebung der einem Konkurrenten erteilten Baugenehmigung zum Gegenstand hatte, widersprach. 259 cc) Eine Ausnahme von der prinzipiellen Ablehnung subjektiv-rechtlichen Konkurrenzschutzes soll nach der Rechtsprechung bei der Zulassung zum Linienverkehr gem. § 13 Abs. 2 a - c PBefG bestehen.260 Nach Aufgabe der ursprünglichen Ableitung des Drittschutzes aus dem Anhörungsrecht des AltUnternehmers soll nach der Rechtsprechung des BVerwG die Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen gerade in der Zurücksetzung der Betriebsinteressen des einzelnen Alt-Unternehmers liegen können, der damit auch das Recht habe, die Einhaltung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG geltend zu machen. Ohne der Drittschutzanalyse vorzugreifen, 261 sind hier unter dem Aspekt des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Leitbilds des Wettbewerbs Zweifel angebracht. Soll in diesem Fall entgegen der Ablehnung des Konkurrenzschutzes von Alt-Unternehmern in den übrigen Fachgesetzes eine Sonderstellung bestehen, dann bedarf dies der Rechtfertigung anhand des § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG. Hinweise auf eine Schutzbedürftigkeit der Alt-Unternehmer, hinter denen sich in Wahrheit das Interesse am Schutz vor unliebsamer Konkurrenz zu Lasten der Zugangsinteressen von Newcomern verbirgt, reichen nicht. Das wettbewerb-
255
BVerwG, B.v. 20.7.1983 - 5 B 237.81, GewArch. 1984, 306 (307). BVerwG, U.v. 28.1.1960 - I A 17.57, E 10, 122 (123): "keine Rechtsstellung", aus der das bereits zugelassene Versicherungsunternehmen "einen Anspruch auf Schutz gegen die Zulassung von Konkurrenzunternehmen herleiten" könnte. 257 VG Oldenburg, U.v. 24.6.1986 - 1 OS A 39/86/B, GewArch. 1987, 19 (20). 258 Noch zu vorsichtig BVerwG, U.v. 27.4.1984 - 1 C 24.82, NVwZ 1984, 585; s. im einzelnen C.VI. 11.f. 259 Sehr klar VGH Mannheim, B.v. 15.8.1989 - 8 S 1863/89, NVwZ 1990, 575. 200 Vgl. BVerwG, U.v. 25.10.1968 - Vü C 90.66, E 30, 347 (348 f.), zu § 13 Abs. 3 PBefG 1965: Statt des Anhörungsrechts wird nunmehr auf § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG abgestellt, insbesondere auch auf das Ausgestaltungsrecht. Vgl. zur Entwicklung der Rspr. Scholz, WiR 1972, 35 (43 ff.). 261 C.VI.ll.e. 256
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
liehe Leitbild schließt in seiner objektiv-rechtlichen Funktion eine Identifizierung der öffentlichen Verkehrsinteressen mit den Konkurrenzschutzinteressen des Alt-Unternehmers aus. 2 6 2
c) Umweltschutz als Staatszielbestimmung aa) Art. 5 E V enthält die Empfehlung, daß sich die gesetzgebenden Körperschaften u.a. mit "Überlegungen zur Einführung von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz" befassen. I m Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist insoweit die Thematik des Umweltschutzes von Bedeutung. Hierzu waren in der 11. Legislaturperiode verschiedene Gesetzentwürfe eingebracht worden. Bei der Abstimmung i m Deutschen Bundestag hat keiner von ihnen - auch nicht der Koalitionsantrag 263 - die erforderliche 2/3-Mehrheit erhalten. 2 6 4 D a derzeit neue Formulierungsvorschläge nicht vorliegen, müssen sich die folgenden Bemerkungen auf die vorhandenen Entwürfe beschränken. bb) D i e Verankerung einer Staatszielbestimmung Umweltschutz 2 6 5 nach dem Vorbild des Koalititonsentwurfs für einen neuen Art. 20 a G G 2 6 6 könnte nicht als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte dienen. 2 6 7 V o m Wortlaut her und
262 S. in diesem Sinne Friauf, DVB1. 1969, 368 (370 f.), wonach die Zulassungsregelung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 a - c PBefG "aus verfassungsrechtlichen Gründen den Schutz der Konkurrenten von vornherein nicht bezwecken darf". Die "allenfalls im Rahmen des Unvermeidlichen zugelassene konkurrenzschützende Nebenwirkung" dürfe "ausschließlich öffentlichen Belangen dienen". Zur Möglichkeit einer eng umgrenzten Ausnahme s. C.VI.ll.e a.E. 263 BT-Drcks. 11/7423; danach soll ein neuer Art. 20 a folgenden Wortlaut haben: "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates. (2) Das Nähere regeln die Gesetze." Demgegenüber lautet der Vorschlag eines neuen Art. 20 a im von der SPDeingebrachten Gesetzentwurf (BT-Drcks. 11/10): "Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates." 264 Vgl. wib 1990, S. 6. Der Rechtsausschuß hatte vorgeschlagen, den von der SPD eingebrachten Entwurf an den Koalitionsentwurf, der noch nicht an ihn überwiesen worden war, anzupassen, BT-Drcks. 11/7905, S. 6; gleichzeitig wurde empfohlen, den Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drcks. 11/885), der ebenfalls eine Abwägungsklausel enthalten hatte, für erledigt zu erklären und den Gesetzentwurf der Grünen (BT-Drcks. 11/663) abzulehnen. 265 Vgl. auch Häberle, JZ 1990, 358 (363): In Frage komme nur ein "Verfassungsauftrag 'Umweltschutz' (z.B. nach dem Vorbild von Art. 141 n.F. Bayr. Verf., Art. 49 a Verf. ARW, Art. 59 a Verf. Saar)", kurs. i.O. Zum Regelungsbedarfs. Bock, Umweltschutz, S. 206 ff. 266 Vgl. Fn. 263. 267 Vgl. Kloepfer, DVB1. 1988, 305 (315); von Mutius, WiVerw. 1987, 51 (65 f.); "Staatszielbestimmungen . Gesetzgebungsaufträge" (Bericht der Sachverständigenkommission), 1983, Rdnr. 164; Bock, Umweltschutz, S. 307; Mülle r-Bromley, Staatszielbestimmung, S. 170, sieht schon die objektive Staatszielbestimmung als nicht individualisierbar an und will deshalb die Grundsätze der Schutzpflicht-Doktrin nicht anwenden; nicht eindeutig Heinz, in: Heckmann/Meßerschmidt (Hrsg.),
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
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auf Grund ihrer Ausrichtung auf den Gesetzgeber2® besäße sie "nicht die Eigenschaften eines Grundrechts auf gesunde Umwelt". 269 Über eine rein objektivrechtliche Berücksichtigung von Umweltbelangen im Rahmen von unbestimmten Rechtsbegriffen, Ermessenstatbeständen und planerischen Abwägungsspielräumen 270 hinaus wäre eine subjektiv-rechtliche Instrumentalisierung prinzipiell ausgeschlossen. Falls man hier unter dem Aspekt einer Evidenzschwelle doch zu einer Subjektivierung kommen wollte, könnte dies jedenfalls nur für die bipolare Fallkonstellation gelten. Wie zum Sozialstaatsprinzip ausgeführt, stünde einer rechtsbegründenden Heranziehung dieses Kriteriums in der multipolaren Konfliktlage die Tatsache entgegen, daß hier die Rechtsmehrung des einen Privaten notwendig zu Lasten des anderen ginge. Für die Reichweite subjektivrechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen ergäbe sich damit bei Einführung der Staatszielbestimmung in der Fassung des Koalitionsvorschlags keine Änderung gegenüber dem geltenden Recht. Diese Einschätzung bestätigt ein Blick auf das Landesverfassungsrecht. 271 Die Staatszielbestimmungen der Art. 141 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 BV sind - wie der BayVerfGH 272 hervorhebt - "rein objektives Recht und gewähren kein subjektives Recht". Subjektive öffentliche Rechte, die dann in multipolaren Konfliktlagen entscheidend werden könnten, lassen sich demnach durch eine derartige Staatszielbestimmung Umweltschutz nicht begründen. Mit Recht hat freilich Stern 273 in diesem Zusammenhang auf eine mögliche "interpretatorische Eigendynamik" aufmerksam gemacht, die so weit gehen könne, daß subjektive Rechte gewährt
Gegenwartsfragen des Öffentlichen Rechts, 1988, S. 181 (188 f.)» nach dem Staatszielbestimmungen "in ihrem Kern" keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche gewahrleisten, andererseits als "'versubjektiviertes objektives Recht" doch befähigen sollen, die "Erfüllung der in den Staatszielbestimmungen inkorporierten Gehalte einzufordern". Zu weitgehend Lücke, AöR 107 (1982), 15 (24), nach dem subjektive Berechtigungen aus Staatszielbestimmungen zwar "in der Regel nicht erwachsen"; "in besonders gelageiten Fallen" sollen aber aus ihnen dann doch "subjektivrechtliche, grundrechtsgleiche Ansprüche" hervorgehen können. 268 Vgl. hierzuBadura, in: vonMünch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR,S. 179((195). 269 S. Badura, Staatsrecht, Rdnr. 36 C (S. 92), kurs. i.O., im Hinblick auf verfassungsrechtliche "Staatszielbestimmungen über den Schutz von Natur und Umwelt". 27 0 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 16 ff. (S. 52 f.), erwarten nicht ohne Grund, daß es u.a. "zu einer größeren Kontrollintensitat im Hinblick auf dierichterliche Kontrolle umweltrechtlicher Verwaltungsentscheidungen" kommen wird; s. auch von Mutius, WiVerw. 1987, 51 (64 f.), nach dem bei einer "eindeutig objektiv-rechtlichen Formulierung als Zielbestimmung ... Klage- und Beschwerderechte nicht vermehrt" würden; eherrichterliche Zurückhaltung prognostizierend Bock, Umweltschutz, S. 311. 271 S. hierzu mit anderem Akzent Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 373, nach dem landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen "überall dort" Bedeutung erlangen würden, wo auf Landesebene behördliche Entscheidungsspielraume auszufüllen seien. 272 Entscheidung v. 23.8.1985 - Vf. 116-VI-84, UPR 1986, 63 f. 273 Schriftliche Stellungnahme für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, in: Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz, "Zur Sache" 2/88, S. 241 (252).
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B. Verfassungsrechtliche Überlegungen
werden, "wo der Gesetzgeber nur Rechtsreflexe begründen wollte". Insofern würde die Beifügung eines Gesetzesvorbehalts, nach dem Gesetze das Nähere regeln oder der Staat den Auftrag zur näheren Ausgestaltung erhält, verfassmgstextlich verdeutlichen, daß die Staatszielbestimmung selbst nicht bereits rechtsbegründende Wirkung entfalten kann. Ganz anders liegen die Dinge bei dem von der Fraktion "Die Grünen" vorgelegten Gesetzentwurf. 274 Neben einer Staatszielbestimmung ohne Gesetzesvorbehalt setzt dieser vor allem bei Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 GG an. Hiermit würde ein Instrument geschaffen, das es de constitutione lata nicht gibt. 275 Ausweislich der Begründung dieses Gesetzentwurfs ist mit der vorgeschlagenen Neuregelung ein "Umweltgrundrecht" beabsichtigt, das "unabhängig von der jeweiligen gesetzgeberischen Entscheidung über die Einräumung oder Verneinung subjektiver Rechte" den Bürgern einen grundrechtlichen "Schutzanspruch zumindest vor erheblichen Beeinträchtigungen ihrer natürlichen Umwelt" 276 gewähren soll. 277 Mit diesem Konzept käme es zu einer kaum noch überschaubaren278 und das Prinzip des Individualrechtsschutzes verlassenden grundrechtsunmittelbaren Begründung subjektiver öffentlicher Rechte.279 Die oben dargelegte Maßgeblichkeit der einfachgesetzlicher Konfliktschlichtung im Rahmen der Verfassung wäre aufgehoben. Die angestrebte "Erweiterung der Klagebefugnis" 280 würde § 42 Abs. 2 VwGO in bezug auf das Erfordernis einer individuellen Rechtsverletzung im Umweltbereich gegenstandslos machen.
Nach diesem Gesetzentwurf (BT-Drcks. 11/663) soll Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG um folgenden Halbsatz ergänzt werden: die Erhaltung seiner natürlichen Lebensgrundlagen und den Schutz vor erheblichen Beeinträchtigungen seiner natürlichen Umweh". Femer soll Art. 14 Abs. 2 S. 2 die Fassung erhalten: "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen dienen," während Abs. 3 folgendermaßen formuliert werden soll: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zulässig." Schließlich soll ein neuer Art. 20 a GG lauten: "Die natürliche Umwelt steht als Lebensgrundlage des Menschen und um ihrer selbst willen unter dem besonderen Schutz des Staates. Bei Konflikten zwischen ökologischer Belastbarkeit und ökonomischen Erfordernissen ist den ökologischen Belangen der Vorrang einzuräumen, wenn andernfalls eine erhebliche Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt droht." 275 Vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1977 - IV C 51.75, E 54, 211 (219); U.v. 25.6.1975 - VH B 84/74, NJW 1975, 2355 (2356). 276 BT-Drcks. 11/663, S. 4. 277 S. hierzu Kloepfer, DVB1. 1986, 305 (314): Auch ein nach dem Vorbild des Gesetzentwurfs der Fraktion "Die Grünen" gestaltetes Umweltgrundrecht könne "regelmäßig nur gegenüber evidentem und schwerwiegendem gesetzgeberischen Versagen (Unterlassen oder fehlerhaften Entscheidungen) helfen". 278 Vgl. Rupp y DVB1. 1985, 990 ff. 279 Sehr klar Kloepfer, DVB1. 1988, 305 (314): "Rechtserzwingungsmacht" nur bei Statuierung eines Umweltgrundrechts. 280 BT-Drcks. 11/663, S. 4.
. Schutzpflichten und verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien
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Insgesamt läßt sich prognostizieren, daß die materiell- und prozeßrechtliche Konzeption des Individualrechtsschutzes bei Verwirklichung dieses Gesetzentwurfs aufgegeben würde.
C. Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis I . Bisherige Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive 1. Die Separations-Doktrin
als Leitmotiv bipolarer Drittschutzjudikatur
Die multipolare Konfliktlage zeichnet sich dadurch aus, daß die Verwirklichung der Gestaltungs-, Verschonungs- oder Zugangsinteressen1 des einen privaten Konfliktgegners notwendig auf Kosten des anderen geht. Damit ist die Aufgabe gestellt, den Ausgleich kollidierender Privatinteressen im Verwaltungsrecht - also dort, wo der Gesetzgeber ihn zum Gegenstand öffentlich-rechtlicher Regelung gemacht hat - zu bewältigen. Demgegenüber ist, wie bereits oben2 ausgeführt, die Dogmatik des Verwaltungsrechts allgemein und des subjektiven öffentlichen Rechts im besonderen von der bipolaren Staat-Bürger-Relation geprägt; das war auch für die bisherigen drittschutzrechtlichen Instrumente wie den Verwaltungsakt mit Drittwirkung, das Dreiecksverhältnis und den rechtsverhältnistheoretischen Ansatz zu konstatieren. Die horizontale Dimension des Ausgleichs kollidierender Privatinteressen bleibt weithin außerhalb der verwaltungsrechtlichen Betrachtung. Im Bild des Dreiecks fehlt es an der Verbindung zwischen den offenen Endpunkten. Statt dessen wird von der Annahme separater, nebeneinander stehender bipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse jeweils mit einem der privaten Konfliktgegner auf der einen und dem Staat au der anderen Seite ausgegangen. Dies ist gemeint, wenn hier von der Separations-Doktrin die Rede ist. Sie ist das Leitmotiv der überkommenen Verwaltungsrechtsdogmatik. Die Separations-Doktrin beherrscht das Feld auch dort, wo die Rechtsprechung bisher Drittrechte bejaht. Insoweit sei hier nur auf das Beispiel kehrseitiger Konfliktlagen verwiesen. So hat der VGH Kassel3 die Feststellung getroffen, daß die "Baugenehmigung ... das Rechtsverhältnis zwischen dem Bauherrn und der Bauaufsichtsbehörde" regelt. Falls diese bei Erteilung der
1 2
Zu den fünf multipolaren Grundkonstellationen s.o. A.I.l.d.
A.I und D. 3 B.v. 30.1.1991 - 4 TG 3243/90, NVwZ 1991, 592 (593); s. bereite VGH Kassel, B.v. 19.8.1976 - IV TG 37/76, BRS 30 Nr. 151, S. 275 (277).
1.1. Separations-Doktrin als Leitmotiv
85
Baugenehmigung "nachbarschützende Bestimmungen" verletzt, "regelt sie insofern auch das Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem Nachbarn, nicht aber das allenfalls privatrechtliche Verhältnis zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn". Ebenso deutlich wird die Separations-Doktrin etwa im Urteil des OVG Münster vom 17.5.1983, 4 wo anhand eines vom Nachbarn erhobenen Begehrens auf bauordnungsbehördliches Einschreiten vom "Rechtsverhältnis zwischen der Bauordnungsbehörde und dem beeinträchtigten Nachbarn" die Rede ist und dieses vom "Rechtsverhältnis zwischen der Bauordnungsbehörde und dem Bauherrn" unterschieden wird; die Beziehung zwischen den beiden privaten Konfliktgegnern bleibt unerwähnt. Ähnlich eindeutige Formulierungen fehlen zwar in der Judikatur des 4. Senats des BVerwG. Daß aber auch er von der Separations-Doktrin ausgeht, läßt sich daraus schließen, daß er die Schutznormtheorie in Gestalt der eingliedrigen Interessenschutzformel in Drittschutzkonstellationen verwendet.5 Diese aber ist - wie schon angesprochen wurde und im einzelnen noch zu vertiefen sein wird 6 - Ausdruck der Grundstruktur bipolarer Verwaltungsrechtsveihältnisse. Audi das Baurecht als klassisches Gebiet des Drittschutzes7 ist damit nach wie vor von parallelen separaten bipolaren Rechtsverhältnissen beherrscht, während die "horizontale Dimension"8 im Sinne der Bürger-Bürger-Relation verwaltungsrechtlich unerschlossen ist.9
4 7 A 330/81, NJW 1984, 883 r.Sp.; vgl. auch VGH Mannheim, U.v. 8.5.1985 - 3 S 63/85, VB1BW 1986, 23 r.Sp. - Ausdruck der Separations-Doktrin ist es auch, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch - um den es in der im Text genannten Entscheidung des OVG Münster ging - auf das bipolare Staat-Burger-Verhältnis beschränkt wird, ohne ihn als Grundlage auch für Maßnahmen gegenüber Dritten ansehen zu wollen, vgl. VGH Mannheim, B.v. 20.1.1987 - 1 S 2718/86, VB1BW 1987, 423 (424): Der allein auf das Verhältnis Behörde-Wohnungseigentümer "zugeschnittene" Folgenbeseitigungsanspruch erstrecke sich nicht auf das Verhältnis zum Eingewiesenen, so daß es der polizeirechtlichen Generalklausel bedürfe; in diesem Sinne Weyreusher, Gutachten zum 47. DJT (1968), S. B 111 ff.; Knemeyer, JuS 1988, 696 (698): "Realisierung des Folgenbeseitigungsanspnichs" gegenüber dem Verantwortlichen im Wege des Polizeirechts; OVG Münster, B.v. 25.10. 1990 - 9 B 2864/90, NWVBL 1991, 199 f.; dagegen zu Recht für Wirkung auch zu Lasten des Dritten Bachof y Vornahmeklage, S. 133 ff.; Schenke, DVB1. 1990, 328 (330 ff.), unter besonderer Betonung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; Götz, VB1BW 1987, 424 f.; s. hierzu auch C.V.l.a.cc mit Fn. 18. 5
S. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (344). S. einerseits A.I.l.a - d, andererseits C.IV. 7 Vgl. grdl. BVerwG, U.v. 18.8.1960 - I C 42.59, E 11, 95 (96 ff.), für den Drittvornahmefall; U.v. 5.10.1965 - IV C 3.65, E 22, 129 (130 ff.), für den Drittabwehrfall. 8 Wahl, in: Hoffinann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287); s. auch Scheuing, AöR 112 (1987), 297 (301): "das ... Verhältnis zwischen den Privaten und ihren widerstreitenden Nutzungsinteressen". 9 So nimmt z.B. - trotz des rechtsverhältnistheoretischen Ansatzes - J. Martens, Praxis, Rdnr. 94, im Baunachbarrecht ausdrücklich getrennte Rechtsverhältnisse an, s. dazu A.D.l.b. Vgl. allg. Bothe, JZ 1975, 399 (400), wonach "Rechtsbeziehungen, jedenfalls grundsätzlich, nur zwischen der Verwaltung und Privaten, nicht aber zwischen den Privaten unmittelbar entstehen". S. zur Problematik Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (157), sowie A.I und H. 6
8 Schmidt-Preuß
86
C.
Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
Ähnliches gilt für die Rechtsprechung des BVerwG zum Immissionsschutzrecht. So hat das BVerwG mit seiner Erheblichkeits-Judikatur in der Sache durchgehend anspruchsbegründende multipolare Abwägung10 praktiziert und insoweit zutreffend vom "Interessenausgleich"11 gesprochen. Andererseits hat sich der 7. Senat des BVerwG 12 nicht dazu entschließen können, die verwaltungsrechtlichen Beziehungen zwischen Emittent und Nachbarn anzuerkennen; statt dessen betont er ausdrücklich, daß etwa § 25 BImSchG "nicht das unmittelbare Nachbarschaftsverhältnis zwischen störender und gestörter Nutzung, sondern die Befugnisse und Pflichten der für den Immissionsschutz zuständigen Behörde" regele. Ein weiteres Beispiel für die Separations-Doktrin ist auch der Beschluß des V G H München vom 14.10.1982, 13 in dem die Verletzung "in eigenen subjektiven Rechten" eines im erstinstanzlichen Aussetzungsverfahren einfach beigeladenen gestörten Nachbarn verneint wurde. Mit der ursprünglichen, allein an den Störer adressierten Lärmschutzanordnung, die erst auf Veranlassung der Nachbarn erfolgte, sei nach Tenor und Begründung nicht über einen Anspruch des Nachbarn gem. § 25 Abs. 2 BImSchG entschieden worden; dann aber könne auch die gerichtliche Aufhebung dieser Anordnung den Nachbarn in seinen Rechten ebensowenig "tangieren" wie dies eine Aufhebung durch die Ausgangsbehörde oder die Widerspruchsbehörde hätte tun können. Seine Rechte müsse der Nachbar vielmehr "in einem separaten Verfahren" geltend machen. Die Separations-Doktrin ist das Leitmotiv der drittschutzrechtlichen Judikatur in kehrseitigen und wechselbezüglichen Konfliktlagen. Dabei stellt sie sich vor allem in vier speziellen Varianten dar, denen im folgenden nachzugehen ist.
2. Separations-Doktrin
und Abgrenzbarkeit
a) Abgrenzbarkeit als Ausprägung der Separations-Doktrin Weithin besteht Übereinstimmung darüber, daß der begünstigte Personenkreis einer Norm abgrenzbar oder bestimmt sein muß, wenn Drittschutz in Betracht kommen soll. 14 Dies erscheint einleuchtend, doch ist das Kriterium durchaus
10 Vgl. hier noch BVerwG, B.v. 12.6.1990 - 7 B 72.90, NVwZ 1990, 962 (963): immissionsschutziechtliches Prioritatsprinzip; U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (213 fF.), zu einem Fall unechter Multipolaritat. 11 BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 149.84, NVwZ 1984, 186 r.Sp. 12 U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (211). 13 22 CS 82 A/1564, NVwZ 1983,413 (414); dort befinden sich auch die folgenden Zitate. 14 Vgl. Schmidt-Aßrrumn, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 140 zu Alt. 19 Abs. IV; Bachcf, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (297): Der "Kreis der Interessenten" müsse "hinreichend bestimmt
1.2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit
87
ambivalent. Das zeigt sich daran, daß auch ein "Rechtssatz, der 'alle' schützt, ... jeden einzelnen schützen"15 kann. Nach der Ausgangshypothese der Arbeit ist Quelle subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen die normative Ordnung der Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern. Entscheidend ist somit die tatbestandliche Ausprägung des Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm. Die Separations-Doktrin stellt dagegen in kehrseitigen Konfliktlagen allein das Verhältnis zwischen Genehmigungspetent und Behörde in den Mittelpunkt der Betrachtung; die subjektiv-rechtliche Position des Dritten bleibt prinzipiell unberücksichtigt. Er beruft sich auf dieselbe Norm wie der Genehmigungsempfanger, sieht sich nach diesem Ansatz aber darauf verwiesen, seine Rechtsposition in einem separaten Rechtsverhältnis zur Behörde geltend zu machen. Da die Ordnungsnormen insoweit regelmäßig keine eindeutigen Aussagen treffen, wird die "Abgrenzbarkeit" zum Problem. Es überrascht daher nicht, daß die "Qualifizierung" des Kreises der Begünstigten zu einem Schwerpunkt der Drittschutz-Judikatur geworden ist. Die Abgrenzbarkeits-Doktrin hat sich vor allem - wenn auch nicht ausschließlich in kehrseitigen Konfliktlagen als besondere Variante der Separations-Doktrin entwickelt. Dem sei zunächst am Beispiel des Bauplanungsrechts nachgegangen, das wegen seiner großen juristischen und praktischen Bedeutung eine vertiefte Betrachtung verdient.
b) Die Abgrenzbarkeits-Doktrin am Beispiel des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots aa) In der frühen baurechtlichen Nachbarschutzrechtsprechung wurde die quantitative Abgrenzbarkeit des begünstigten Personenkreises als Drittschutzvoraussetzung ausdrücklich für erforderlich gehalten, um so den Bauherrn vor einem unübersehbaren Risiko von Drittklagen "angeblich"16 Berechtigter zu schützen. Dieses später als Ausdruck einer "überholten"17 Rechtsprechung
sein" (kurs. i.O.); Lerche, BayVBl. 1980, 257 (261): "Konturenklarheit, Faßbarkeit"; Lorenz, in: FS f. Menger, 1985, 143 (148): "Überschaubaikeit von Regelungsfeld und Beteiligten", "personelle Lokalisierung"; Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (60); Degenhart, JuS 1984, 187 (188). 15 Bachqf, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (297), kurs. i.O.; dies zeige sich etwa am Beispiel der Grundrechte. S. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Durig, Rdnr. 140 zu Art. 19 Abs. IV, wonach subjektive Rechte auch aus solchen Rechtssatzen folgen können, "die sich an alle - aber eben an jeden einzelnen in seiner Individualitat - wenden". 16 BVerwG, U.v. 28.4.1967 - IV C 10.65, E 27, 29 (32 f.), für § 11 Abs. 1 S. 1 RGaO; U.v. 6.12.1967 - IV C 94.66, E 28, 267 (275), für § 35 Abs. 2 BBauG 1960; U.v. 13.6.1969 - IV C 234.65, E 32, 173 (175), für § 34 Abs. 1 BBauG; U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (63), zum Wasserrecht; s. auch Jarass, DVB1. 1976, 732 (733). 17 Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 14 Vorbem. zu den §§ 29 - 38.
88
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
gekennzeichnete Merkmal quantitativer Abgrenzbarkeit wurde auch noch im grundlegenden Schweinemäster-Urteil des BVerwG vom 25.2.1977 18 genannt, in dem es um das Drittabwehrbegehren eines mit der Rechtsposition des § 35 Abs. 2 BBauG ausgestatteten Wohneigentümers im Außenbereich gegen ein nach § 35 Abs. 1 BBauG genehmigtes privilegiertes Vorhaben eines Schweinemaststalls ging. Danach sollte die Drittschutzprüfung in zwei Schritten erfolgen. Auf einer ersten Stufe bestimmte das BVerwG das objektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot: "Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme ... zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verstandlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht deijenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen."19 Hierbei soll es auf eine "Abwägung zwischen dem" ankommen, "was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist" (objektiv-rechtliche Proportionalitcitsklausel). Ein Umschlag vom objektiv- zum subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebot soll nach der Schweinemäster-Doktrin erst dann ausnahmsweise erfolgen, wenn die Norm auf einer zweiten Stufe "einen bestimmten und abgrenzbaren, d.h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen läßt"; als Ratio dieser quantifizierenden Abgrenzbarkeits-Klausel wurde das "Schutzbedürfiiis" des Bauherrn genannt. Er wäre bei Drittschutz "zugunsten eines nicht mehr übersehbaren Kreises von angeblich Berechtigten" einem "... für ihn ... nicht mehr übersehbaren Risiko" ausgesetzt und "mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen und sonstigen Folgen ... oft über Jahre hinweg im Ungewissen"20 gelassen. Die für diese Abgrenzbarkeit nach Auffassung des BVerwG ausreichende, aber auch erforderliche Individualisierung und Qualifizierung soll in zwei alternativen Ausnahmefällen erfüllt sein: wenn sich der Rücksichtnahmeberechtigte auf "besondere Rechtspositionen" berufen kann oder 21 wenn sich auf Grund der "gegebenen Umstände ... handgreiflich" 22 ergibt, auf wen Rücksicht zu nehmen ist. 23
18 IV C 22.75, E 52, 122 (126, 129 und 131), jeweils zur objektiv-rechtlichen Proportionalitats-Klausel, zum Risiko des Bauherrn sowie zur subjektivierenden Individualisierung und Qualifizierung. 19 Ibid., S. 126. Das folgende Zitat findet sich auf S. 129; vgl. - den Ausführungen zum objektiv-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme voll zustimmend - Menger, VerwArch. 69 (1978), 313 (314). 20 BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (129), unter wörtlicher Wiedergabe von BVerwG, U.v. 28.4.1967 - IV C 10.65, E 27, 29 (33).
1.2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit
89
bb) Das damit geschaffene subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot 24 weist eine eigentümlich Doppelspurigkeit auf. Die objektiv-rechtliche Proportionalitätsklausel ermöglicht und erfordert bereits die Abwägung der kollidierenden Privatinteressen am Maßstab gegenseitiger Zumutbarkeit. Nach dem eigenen Ansatz des B V e r w G ist diese Austarierung der gegensätzlichen Privatinteressen umfassender Natur. Dies schließt eine Aussonderung von Gesichtspunkten aus, die erst auf einer zweiten Stufe der Individualisierung und Qualifizierung zum Zuge kommen und dort den Drittschutz begründen könnten. Wenn das BVerwG i m Schweinemäster-Urteil gleichwohl Proportionalitätsmaßstab und Individualisierung bzw. Qualifizierung trennt, offenbart sich darin ein tatbestandsunabhängiges Abgrenzbarkeits-Kriterium. Dieses aber läßt sich anhand der Ordnungsnorm nicht bestätigen. Das gilt namentlich für die i m SchweinemästerUrteil bekräftigte quantifizierte Abgrenzbarkeit. Dieser Befund bleibt i m Grunde durch die Modifizierungen unberührt, die das B V e r w G in der Folgezeit vorgenommen hat. Hier ist zunächst das in diesem Punkte zu wenig beachtete Hinterlandbebauungs-Urteil des B V e r w G vom 5 . 8 . 1 9 8 3 2 5 zur Erstreckung der Schweinemäster-Doktrin auf § 15 Abs. 1
21
Es handelt sich um alternative, nicht - so aber Dolde, NJW 1984, 1713 (1726) - kumulative Voraussetzungen. Vgl. auch VGH Kassel, B.v. 17.12.1984 - 4 TG 2545/84, ESVGH 35, 125 (129), der nur in bezug auf die (seinerzeit) erstgenannte Fallgruppe der besonderen Rechtsposition dem BVerwG folgt, dagegen das Merkmal der Handgreiflichkeit ablehnt. 22 BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (131); Menger,, VerwArch. 69 (1978), 313 (317), hält die Formel nicht für überzeugend, da die "Abgrenzung des Kreises der Berechtigten" nicht mehr "von der Norm her", sondern nach "tatsachlichen Gegebenheiten" erfolge. Krit. auch Krebs, in: von Münch/Schmidt-Aß mann, Bes.VerwR, S. 165 (385): "schwerverständliche Rechtskonstruktion". 23 Vgl. hierzu Weyreuther, Außenbereich, Anm. 12 zu "Nachbarschutz", der vom "sog. Sichtbarkeitspostulat" spricht; s. hierzu auch Schmidt-Aßmann, JuS 1981, 731 (737). 24 Vgl. Ortloffy in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 173, der von einem "subjektiv-rechtlichen Anspruch auf Rücksichtnahme" im Sinne partiellen Drittschutzes spricht; Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29: Normen, denen über das Rücksichtnahmegebot "partiell Drittschutz" zuerkannt worden sei; in diesem Sinne unter Hinweis auf § 34 Abs. 1 BauGB Berg, WiVerw. 1990, 209 (224); zum partiellen Drittschutz C.m.6.b. 25 U.v. 5.3.1984 - 4 C 96.79, E 67, 334 (339). Ausschlaggebend ist, daß in diesem Urteil nicht auf S. 129 des Schweinemaster-Urteils (BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122) verwiesen wird, wo sich die entscheidende Passage zur quantifizierenden Abgrenzbarkeit befin Mit den zitierten S. 130/131 wird demgegenüber lediglich auf die näheren Ausfuhrungen zu den individualisierenden und qualifizierenden Ausnahmefallen der Handgreiflichkeit und der besonderen Rechtsposition verwiesen. Daß sich im übrigen auch auf S. 130/131 Passagen finden, welche die quantifizierende Abgrenzbarkeit betreffen (s. insoweit S. 130: der "... - enge - Kreis von Betroffenen als Adressaten der Rücksichtnahme"; S. 131: Ein aus der "Anonymitat des Kreises der Begünstigten" folgendes "Schutzbedürfnis des Bauherrn" könne verneint werden, "wenn wegen der
90
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
BauNVO zu nennen. Danach wird - zum ersten - das Element der auch zahlenmäßigen Begrenzung des begünstigten Personenkreises zumindest nicht mehr eigens erwähnt. Ohne daß dies durch den 4. Senat ausdrücklich ausgesprochen würde, kann davon ausgegangen werden, daß er hiermit von einem drittschutzbegründenden Kriterium der quantifizierenden Abgren2barkeit Abstand genommen hat. Diese Kurskorrektur war überfällig, weil die Tatbestände der in Betracht kommenden bauplanungsrechtlichen Ordnungsnormen ein solches Merkmal nicht aufweisen. 26 Die zweite Modifikation des HinterlandbebauungsUrteils besteht darin, daß die beiden Beispielsfälle subjektivierender Individualisierung und Qualifizierung nunmehr in umgekehrter Reihenfolge genannt werden: Die "Handgreiflichkeit" erscheint an erster und die besondere Rechtsposition an zweiter Stelle.27 Sachliche Bedeutung hat diese Umstellung, an der seitdem unverändert festgehalten wurde, nicht. Zum dritten wird die Abwägung der widerstreitenden Interessen von Bauherrn und Nachbarn nicht mehr vorab im Rahmen der rein objektiv-rechtlichen Proportionalitäts-Klausel, sondern nunmehr im subjektiv-rechtlichen Prüfungszusammenhang ausgewiesen.28 Die scharfe Trennung zwischen objektiv- und subjektiv-rechtlicher Unzumutbarkeit ist damit zwar zu Recht aufgegeben. An der kritisierten Doppelspurigkeit aber hat sich in der Sache nichts geändert. Dies ergibt sich daraus, daß die Abwägung erst an zweiter Stelle nach Bejahung von Individualisierung und Qualifzierung erfolgen soll. Da diese beiden Kriterien ihrerseits aber zumutbarkeitsbezogen sind, bleibt die Problematik der Maßstabsverdoppelung unbewältigt. Gerade in diesem Punkt zeigt sich, daß die Rücksichtnahme-Doktrin in ihrer konstruktiven Ausgestaltung nicht überzeugen kann. Hierauf wird insbesondere bei der Darstellung immissionsbezogener Baunachbarschaftskonflikte zurückzukommen sein.29 Dort wird deutlich werden, daß für eine zusätzliche Abgrenzbarkeit im Wege der Individualisierung und Qualifizierung unabhängig von der Abwägung kein Raum ist.
Sachlage ein derartiges Schutzbedürfnis offensichtlich nicht besteht"), fallt demgegenüber nicht ins Gewicht. 26 Bedenklich daher z.B. OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - I I A 3185/83, NVwZ 1988, 376 (377): "Das Gebot der Rücksichtnahme hat hier (ausnahmsweise) drittschützende Wirkung, weil der Kreis der Rücksichtnahmebegünstigten genügend sicher abgrenzbar ist. Im unmittelbaren Einwirkungsbereich der Stallanlagen ... befinden sich nur drei von Nichtlandwiiten bewohnte Gebäude, darunter das rund 30 m entfernte Wohnhaus der Kläger." 27 BVeiwG, U.v. 5.3.1984 - 4 C 96.79, E 67, 334 (339), im Gegensatz zu BVeiwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (131). 28 Die "dann" - nach Prüfung der Individualisierung und Qualifizierung - vorzunehmende gegenseitige Abwägung habe sich auf die "Schutzwürdigkeit des Betroffenen und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist" (S. 339), zu erstrecken. Auch diese Modifizierung ist bis heute beibehalten, s. das Pergola-Urteil des BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 18.87, E 82, 343 (347). 29 S. C.VI.2.b.
1.2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit
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cc) Im Dispens-Urteil vom 19.9.1986 30 nahm der 4. Senat des BVerwG eine weitere Modifizierung der Abgrenzbaikeits-Doktrin des Schweinemaster-Urteils vor. Sie betrifft vor allem die Komponente räumlicher Abgrenzung. Es könne nicht darauf ankommen, "daß die Norm ausdrücklich einen 'fest abgrenzbaren Kreis der Betroffenen 1 benennt", und insbesondere nicht darauf, daß "die Norm einen geschützten Personenkreis räumlich, etwa durch Bezeichnung eines Gebiets, abgrenzt". Dem ist zuzustimmen, da auch insoweit tatbestandliche Anhaltspunkte fehlen. In seinem Aussagegehalt weniger klar ist dagegen die weitere Feststellung des Dispens-Urteils, daß es als Drittschutzvoraussetzung genüge, wenn sich "aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet".31 Einerseits scheint der Senat damit dem allgemein-verwaltungsrechtlichen Grundsatz Ausdruck zu geben, daß die Gewährung subjektiver öffentlicher Rechte ein Mindestmaß an tatbestandlicher Aussagekraft und Bestimmtheit32 voraussetzt. Freilich ist dies etwas fast Selbstverständliches33 und bedürfte keiner eigenständigen Hervorhebung durch besondere Kriterien der Individualisierung und Qualifizierung. Andererseits aber deutet die Verwendung des Begriffs der "individualisierenden" Tatbestandsmerkmale darauf hin, daß sich der 4. Senat des BVerwG zu einer Aufgabe der rücksichtnahmerechtlichen Abgrenzbarkeits-Doktrin des Schweinemäster-Urteils nicht entschließen kann. Vielmehr hält er auch nach dem Dispens-Urteil im Kern weiterhin an ihr fest, wie sich aus dem Pergola-Urteil vom 6.10.198934 ergibt: Danach soll § 15 Abs. 1 BauNVO über das Gebot der Rücksichtnahme Drittschutz gewähren, "soweit
30 4 C 8.84, NVwZ 1986, 409 r.Sp. Nach Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 9 zu § 8 (S. 130), hat dieses Urteil - u.a. im Hinblick auf den "Kreis der Berechtigten" - die bisherige Rechtsprechung "grundsatzlich bestätigt, z.T. aber auch etwas anders akzentuiert und modifiziert"; vgl. auch Hoppe /Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 112zu§13(S. 222): "einiges klargestellt"; Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (60): Das BVerwG habe eine "quantitative und meist auch raumlich verstandene Abgrenzung ... aufgegeben"; nach Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 435, ist das BVerwG in puncto Abgrenzbarkeit des geschützten Personenkreises "ausdrücklich von seinem ursprünglichen Ansatz abgerückt"; s.' auch Goerlich, JZ 1988, 406 l.Sp. Dagegen "haftet" in der Sicht von Sening, NuR 1989, 325 (328 Fn. 15), das BVerwG "letztlich wie bisher am Formalelement des bestimmbaren Personenkreises. Nur die sprachliche Ausdrucksweise wechselt." Abgesehen davon, daß die Schutznormtheorie und die Rücksichtnahme-Rechtsprechung mit der Formel des "bestimmbaren" Personenkreises nicht ganzrichtigumschrieben werden, wäre dieses Merkmal jedenfalls nicht "formal". 31
BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp. S.o. C.I.2.a. 33 S. prägnant Gaentzsch, DÖV 1988, 891 (892), der in diesem Sinne im Rücksichtnahmegebot nur noch "eine andere - verbale - Umschreibung der Merkmale" sieht, "unter denen eine drittschützende Wirkung einer Norm anzunehmen ist". 34 4 C 14.87, E 82, 343 (347), kurs. v.Verf. Die ausdrückliche Verweisung auf E 67, 334 (339) und damit auf E 52, 122 (130 f.) beweist, daß die Abgrenzbarkeits-Formel - von den vorgenannten Modifizierungen abgesehen - nicht aufgegeben ist. 32
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist". Den Abgrenzbarkeitskriterien der Individualisierung und Qualifizierung als Instrumenten anspruchsbegründender 35 Abgrenzung in den alternativen Erscheinungsformen der Handgreiflichkeit und der besonderen Rechtsposition wird nach wie vor zentrale Bedeutung beigemessen. dd) Eine Kritik an der rücksichtnahmerechtlichen Abgrenzbarkeits-Doktrin muß von dem Grundsatz ausgehen, daß sich subjektive öffentliche Rechte in multipolaren Konfliktlagen nur nach Maßgabe des normativen Konfliktschlichtungsprogramms einer Ordnungsnorm begründen lassen. Für ein "vor die Klammer" der bauplanungsrechtlichen Einzelnormen gezogenes eigenständiges Abgrenzbarkeitskriterium ist damit kein Raum. Insofern kann auf das bereits oben zur Ablehnung der "dritten Ebene" Ausgeführte 36 verwiesen werden. Es kommt auf die Tatbestandsexegese im einzelnen an. §§35 Abs. 2 und 3, 34 Abs. 1, 31 Abs. 2 BauGB und § 15 Abs. 1 BauNVO ist ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Abgrenzbarkeit nicht zu entnehmen.37 Dies gilt nicht nur, wie die dargestellten Modifizierungen der Schweinemäster-Doktrin richtig zum Ausdruck brachten, unter dem Aspekt der quantifizierenden und der raumlichen Abgrenzbarkeit. Vielmehr ist auch in sonstiger Hinsicht ein zusatzliches tatbestandsunabhängiges Kriterium der Abgrenzbarkeit nicht nachweisbar. Im Dispens-Urteil 38 ist einerseits zwar klar hervorgehoben worden, daß ein Rücksichtnahmegebot nur nach Maßgabe der Einzelnormen in Betracht kommen könne. Inhaltlich wird dieses aber auf der anderen Seite dann durch eben die Abgrenzbarkeits-Kriterien der Individualisierung und Qualifizierung, die auch in bezug auf die sonstigen baurechtlichen Ordnungsnormen herangezogen werden, bestimmt. Daher bleibt das BVerwG in der Sache letztlich doch beim normunabhängigen Abgrenzbarkeits-Maßstab der (modifizierten) Schweinemäster-Formel. Das vom Dispens-Urteil ausgesprochene Bekenntnis zum Einzelnormbezug wird somit stark relativiert. Demgegenüber ist festzuhalten: Wie weit der Kreis der subjektiv-rechtlich Begünstigten reicht, bemißt sich durch die Auslegung des normativen Konfliktschlichtungsprogramm der jeweili-
Nach Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29, ist die Abgrenzbarkeit nicht ein den Drittrechtsschutz begründendes Element, sondern "ein ihn eingrenzendes Merkmal". 36 S. B.I.2. 37 S. insoweit die allgemeine Feststellung von Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 38 Voibem. zu den §§ 29 - 38; danachfindet sich "in Wahrheit so gut wie nie in einer Vorschrift eine genaue Abgrenzung der betroffenen und deswegen abwehrberechtigten Dritten". Etwas zu weit gehend demgegenüber Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rdnr. 125 zu § 34, der den begünstigten Personenkreis in § 34 Abs. 1 BauGB deshalb für abgegrenzt hält, weil sich der Tatbestand auf die Umgebungsbebauung beziehe. 38 BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410).
1.2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit
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gen multipolaren Ordnungsnorm. 39 Ein tatbestandsunabhängiges zusätzlichen Drittschutzkriterium verstieße gegen die Maßgeblichkeit der fachgesetzlichen Ordnungsnorm. 40 Eine an diesem Grundsatz orientierte Auslegung der §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1 und 2, 31 Abs. 2 BauGB und § 15 Abs. 1 B a u N V O wird anhand der Konfliktschlichtungsformel i m einzelnen weiter unten darzulegen sein. 41 Wenn i m übrigen nach dem Dispens-Urteil der Drittschutz einer Baurechtsnorm aus den "individualisierenden" Tatbestandsmeikmalen entnommen werden soll, fallt auf, daß hier das Element der Qualifizierung fehlt. I n der Rechtsprechung seither taucht es aber wieder auf. 4 2 Dies zeigt, daß trotz gewichtiger Beiträge zu ihrer Abgrenzung 43 das Verhältnis zwischen den "Schlagworten 'Individualisierung' und 'Qualifizierung'" (Schlichter)" weiterhin ungeklärt ist. 4 5 So ist es z.B. nicht überzeugend, wenn bei einer bloßen Erhöhung des allgemeinen Verkehrslärms mangels Geräuschkanalisierung gerade die Individualisierung entfallen soll, 4 6 während bei einer für ein zweigeschosssiges Wohnhaus optisch-ideell erdrückenden Wirkung eines 12-geschossigen Hoch-
in diesem Sinne ist Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40 Voibem. zu den §§ 29 - 38, zu verstehen, wenn er dafür plädiert, "aus der in den einfachrechtlichen Vorschriften geforderten Rücksichtnahme auf nachbarliche Interessen zu schließen, daß der Betroffene einen Anspruch auf Einhaltung dieser vom Gesetzgeber geforderten Bewertung der wechselseitigen Interessen hat". Die Forderung, eine Norm müsse "einen genau abgrenzbaren Kreis von Berechtigten bezeichnen, um drittschützend zu sein", könne "nicht aufrechterhalten werden", ibid., Rdnr. 39; vgl. auch Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 36 zu § 29, nach dem das Rücksichtnahmegebot insgesamt "kein eigenständiges, Drittschutz vermittelndes Institut" darstellt. 40 S. dazu B.I.l.a. Nach Breuer, DVBI. 1982, 1065 (1072), steht der von der Rspr. auf Grund einer "faktischen ... Betroffenheit" angenommene "Umschlag" vom objektiv-rechtlichen in das subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot in einem "unauflösbaren Widerspruch" zur Schutznormtheorie. 41 S. C.VI.2. 42 Vgl. z.B. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347). 43 Vgl. Schächter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40, 41 Vorbem. zu den §§ 29 - 38; Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38, 39 zu § 29. 44 DVBI. 1984, 875 (878); s. ders. NVwZ 1983, 641 (644). 45 Dabei läßt sich freilich das Handgreiflichkeitskriterium nicht damit widerlegen, daß es allein aus tatsachlichen Umstanden ein subjektives öffentliches Recht entnehme (so die Kritik von HJ. Müller, DVBI. 1978, 80 (81)). Das BVeiwG hat im Schweinemaster-UrteU vom 25.2.1977 -IV C 22.75, E 52, 122 (131), die einzubringende Position der bereits ansässigen Wohnnachbarn gem. § 35 Abs. 2 BBauG der Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 BBauG gegenübergestellt (zu den Gegenrechten s.u. C.m.l.b. Gegen die Handgreiflichkeits-Altemative auch VGH Kassel, B.v. 17.2.1984 4 TG 2545/84, ESVGH 35, 125 (129 f.)); Alexy, DÖV 1984, 953 (960). 46 So BVerwG, B.v. 5.10.1984 - 4 B 190/84, NVwZ 1985, 36 r.Sp., wonach es an der Individualisierung fehlen soll, wenn eine Anlage "nur allgemein zu einer Erhöhung der Verkehrsbelastung von Straßen im weiteren Umkreis" fuhren würde, vgl. BVerwG, B.v. 5.10.1984 - 4 B 190 - 192.84, NVwZ 1985, 38 r.Sp.
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C.I. Drittchutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
hauses in nur 15 m Entfernung Qualifizierung und Individualisierung offenbar Hand in Hand gehen.47 Schließlich bleibt das Verhältnis von Qualifizierung und Individualisierung zu den beiden Ausnahmefallen der Handgreiflichkeit und der besonderen Rechtsposition offen. 48 Auch diese kaum lösbar erscheinenden Abgrenzungsschwierigkeiten sprechen dafür, den im Dispens-Urteil eingeschlagenen Weg der Orientierung an der konfliktschlichtenden (Einzel-)Norm konsequent zu Ende zu gehen und Individualisierung sowie Qualifizierung als eigenständige Abgrenzbarkeits-Kriterien aufzugebenFür die Drittschutzfrage kommt es allein auf das Konfliktschlichtungsprogramm der jeweiligen Ordnungsnorm an. 50
c) Einwirkungsbezogene Abgrenzbarkeit im Immissionsschutz-, Atom-, Abfall-, Wasser- und Bergrecht Eine vergleichbare Rolle hat die Abgrenzbaikeits-Doktrin im Umweltrecht nie gespielt. Weder stand allgemein ein Kriterium der Abgrenzbarkeit zum Schutz des Vorhabenträgers vor einer unübersehbaren Zahl potentieller Kläger zur Debatte, noch wurden subjektive öffentliche Rechte nach Maßgabe von Individualisierung und Qualifizierung begründet. Vielmehr steht die tatbestandlich orientierte Einwirkungsanalyse als Grundlage der sachlich-personellen Rechtsmacht des einzelnen im Mittelpunkt. Dazu seien im folgenden einige beispiel-
47
BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (930). S. hierzu Schlichter, NVwZ 1983, 641 (644), der die Individualisierung dem Merkmal der besonderen Rechtsposition zuordnet und die Qualifizierung als "Handgreiflichkeit'" versteht; vgl. ders., DVB1. 1984, 875 (878); ebenso BVerwG, U.v. 5.8.1983 - 4 C 96.79, E 67, 334 (340 f.); s. ferner etwas abgeschwächt ders., in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40, 41 Vorbemerkung zu den §§ 29 - 38; für Handgreiflichkeit als Oberbegriff mit den Unterfallen der Rechtsposition und der tatsächlichen Betroffenheit Gaentzsch, BauGB, Rdrn. 39 zu § 29. 49 Vgl. allgemein gegen Bestimmbarkeit bzw. Individualisierbarkeit der "Abwehrberechtigten" Erbguth, Grundsatzfragen, S. 314 ff.; s. ders., in: Achterberg/Puttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, Rdnr. 394 zu 2/2; krit. auch Alexy, DÖV 1984, 953 (960), dessen "Subjektivierungsformel" ("intensiv in einer qualifizierten Rechtsposition getroffen", i.O. kurs.) allerdings kaum bestimmter ist als die von ihm beanstandete Rspr.; gegen das Abgrenzbarkeitskriterium unter primär prozessualem Aspekt Beckmann, Rechtsschutz, S. 183 (allerdings am Beispiel des Atomrechts). - Dagegen stark in die Richtung eines eigenständigen Abgrenzbarkeitskriteriums Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 41, 50; Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 29; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, Rdnr. 56 zu § 31; ausdrücklich für Abgrenzbarkeit im Rahmen der Schutznormtheorie Degenhart, JuS 1984, 187 (188): "fiir die Auslegungsfrage, ob der Schutz dea Dritten bezweckt ist, das wichtigste Kriterium". 48
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Tatsächliche Besonderheiten baunachbarlicher Konfliktlagen stehen dem nicht entgegen. Insoweit hatte BVerwG, U.v. 28.4.1967 - IV C 10.65, E 27, 29 (33), noch einen wesentlichen Unterschied des Baurechts zu anderen Materien sehen wollen; aufgegriffen von BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (129).
1.2. Separations-Doktrin und Abgrenzbarkeit
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hafte Hinweise gegeben, ohne schon hier mit der Drittschutzanalyse im Detail zu beginnen. aa) Im Imrmssionsschutzrechi hat das BVerwG "die Zuordnung von Immissionen zu bestimmten Emittenten" als Kernelement des drittschützenden § 5 Nr. 1 BImSchG (a.F.) genannt und dem das Vorsorgegebot der Nr. 2 gegenübergestellt51 Damit hat es Grund und Reichweite des Drittschutzes durch konkrete Einwirkungsanalyse bestimmt.52 Die sachlich-personelle Reichweite läßt sich z.B. bei beeinträchtigenden Luftschadstoffen im Normalbetrieb 53 regelmäßig unter Heranziehung des Beurteilungsgebiets der Nr. 2.6.2.2 T A Luft 1983/86 bestimmen. Der Mindestbezug zurrisikoverursachenden Emission verlangt in räumlich-zeitlicher Hinsicht, daß sich der beeinträchtigte Dritte nicht nur sporadisch im Einwiikungsbereich der Anlage aufhält. 54 Wenn das BVerwG im Azo-Urteil vom 22.10.198255 zur Bestimmung der Nachbarschaft in räumlicher und zeitlicher Hinsicht ein "qualifiziertes Betroffensein" fordert, "das sich deutlich von den Auswirkungen abhebt, die den einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können", dann entspricht dies der von § 5 Nr. 1 (a.F.) i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG geforderten einwirkungsbezogenen Ermittlung der Personen, die durch die risikobegründende Anlage gefährdet, erheblich belästigt oder erheblich benachteiligt werden können. Damit geht es dem BVerwG um eine tatbestandliche Drittschutzbegründung, die nicht an einem vorgegebenen Abgrenzfoarkeitspostulat orientiert ist. Keinen Beleg für eine immissionsschutzrechtliche Abgrenzbarkeit stellt das Urteil des OVG Münster vom 23.1.1986 56 dar, in dem es den Drittschutzcharakter des Gebots ordnungsgemäßer und schadloser Reststoffverwertung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG (a.F.) primär unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien verneint und lediglich ergänzend
51 BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (44); s. auch OVG Munster, U.v. 8.2.1990 - 21 A 2535/88, NVwZ-RR 1990, 545 (546). 52 Zum Begriff des Einwiikui^gsbereichs Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 24 2» § 5 (S. 266); zum Zusammenhang von Gefahrenquelle und zugemutetem Risiko des einzelnen vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG s. auch SeUner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 56 ff. 53 Vgl. OVG Lüneburg, B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (411); anders Jarass, BImSchG, Rdnr. 57 zu § 3. 54 Das BVerwG hatte im Dispens-Urteil v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp., "eine eindeutige raumliche Abgrenzung soweit es ... um Immissionsbelastungen geht, als praktisch nicht normierbar" angesehen. Wohl aber ist eine durch die Einwirkungsintensitat definierte Bestimmung des begünstigten Personenkreises möglich. Zur einwirkungsbezogenen Drittschutzkonzeption s. bereits Schrödter, DVB1. 1974, 362 r.Sp. 55
7 C 50.78, NJW 1983, 1507 (1508): "letztlich im Interesse der Rechtssicherheit"; im Anschluß hieran s. auch OVG Lüneburg, U.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (408). 56 21 aA 1517/84, NVwZ 1987, 146 (148), unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Schweinemaster-Urteil.
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
auch darauf hingewiesen hat, daß angesichts der "Vielgestaltigkeit der Reststoffverwertung innerhalb oder außerhalb der Anlage ... auch kaum ein bestimmter und abgrenzbarer Kreis von Berechtigten feststellbar" sei. Dogmatisch pragende Bedeutung kommt dem nicht zu. 57 bb) Auch im Atomrecht hat das Merkmal der Abgrenzbarkeit keine eigenstandige Funktion.58 So hat das BVerwG schon im Stade-Urteil die drittschützenden Dosisgrenzwerte des § 45 StrlSchV (a.F.) als das "Höchstmaß der Strahlenbelastung" bezeichnet, das der Verordnungsgeber "dem einzelnen, wo immer er sich ... aufhalten mag, an künstlicher, aus dem Normalbetrieb atomarer Anlagen herrührender Strahlenbelastung zumutet".59 Damit bestimmt sich der begünstigte Personenkreis aus dem verordnungsrechtlich vorgegebenen materiellen Beeinträchtigungsniveau 60, das seinerseits eine Konkretisierung tatbestandlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nach dem Stand von Wissenschaft und Technik darstellt. U m ein Abgrenzbarkeits-Postulat im Sinne primären Investitionsschutzes zugunsten des Vorhabenträgers geht es nicht. Dies zeigt sich auch am Beispiel des Auslegungsstörfalls. Die Bestimmung eines abgrenzbaren Personenkreises außerhalb der drittschützenden Störfallplanungsdosen des § 28 Abs. 3 S. 1 und 2 StrlSchV 61 stieße hier von vornherein an Grenzen. 62 Der tatbestandlichen Einwirkungsbezogenheit atomrechtlichen Drittschutzes steht nicht entgegen, daß das BVerwG im Stade-Urteil 63 den nur objektivVgl. ansonsten aus dem Immissionsschutzrecht die Begründung für die Ablehnung des Drittschutzes von § 50 BImSchG bei Jarass, Rdnr. 50 zu § 50: "Der Kreis der Berechtigten ist nicht abgrenzbar." 58 Damit nicht zu verwechseln ist die aus der gesetzgeberischen Perspektive getroffene Feststellung des BVerfG zur materiellen Präklusion im Atomrecht, wonach "der Kreis derjenigen Dritten, die von einer Genehmigung in subjektiven Rechten betroffen sein können, ... in aller Regel nicht zu überblicken" sei, B.v. 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80, E 61, 82 (114). 59 BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (264). 60 S. auch Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 24 zu § 5 (S. 266), nach dem an die Stelle einer raumlichen Festlegung des Einwirkungsbereichs "eine primär qualitative" getreten ist; s. auch Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 87. Vgl. unter prozessualem Aspekt Lerche, Kernkraft, S. 30; s. dazu auch E.U.2.a.bb. 61 Vgl. BVerwG, B.v. 17.4.1990 - 7 B 111.89, DVB1. 1990, 1167 (1169). 62 Vgl. zur Gesamtproblematik Breuer, DVB1. 1986, 849 (857), nach dem das qualifizierte Betroffensein im Umweltschutzrecht eine räumliche und eine sachlich-zeitliche Komponente umfaßt. Beim "Störfallrisiko kerntechnischer Anlagen" sprenge dagegen die "Weiträumigkeit eventueller Schadensfolgen das Vorstellungsbild eines überschaubaren Einwirkungsbereichs". S. auch Kloegfer, Umweltrecht, Rdnr. 24 zu § 5 (S. 266); Degenhart, Kernenergierecht, S. 82 f. 63 U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (268). Maßgeblich war jedoch die andere Überlegung, daß sonst das einzufordernde Drittschutzniveau von der jeweiligen Entfernung des Schutzsuchenden abhinge, dazu C.VI.4.C. Dem Bestimmbarkeitskriterium zu st. Marburger, Schadensvorsorge, S. 108.
1 . . Separations-Doktrin und
r e n a i t
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rechtlichen Charakter des Strahlenminimierungsgebots des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV in zweiter Linie auch damit begründet, daß der Kreis der geschützten Dritten mangels einerfixierbaren Risikogrenze "gänzlich unbestimmt" wäre. Es handelt sich um ein ergänzendes Begründungselement ohne dogmatisch prägende Kraft. Des weiteren ist der Drittschutzcharakter von § 9 a Abs. 1 AtG 64 (externe Entsorgung) sowie § 4 Abs. 2 AtG 65 (Transport) mangels bestimmbaren Personenkreises verneint worden. In beiden Fällen aber ist der Risikobezug - einmal in zeitlicher, das andere Mal in räumlicher - Hinsicht maßgeblich, so daß sich von einem tatbestandsunabhängigen AbgrenzbarkeitsKriterium nicht sprechen läßt. cc) Im Abfallrecht hat das OVG Lüneburg66 § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 a und b AbfG wegen fehlender Bestimmbarkeit des Kreises der Begünstigten nicht als drittschützend angesehen. Im Hinblick auf die Tatbestandsalternative des Buchstaben c hat das Gericht eingeräumt, daß der Versagungsgrund der Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit "auf ein Allgemeininteresse abhebt". Sodann hat es freilich, wie schon kritisch erwähnt, 67 keine Bedenken gehabt, im Wege verfassungskonformer Auslegung den Drittschutz für in "Grenznähe" lebende Personen zu bejahen. Entscheidungstragend war dabei eine Risikoerwägung zugunsten der in der Nähe der Mülldeponie wohnenden Menschen, wobei sich das OVG Lüneburg ausdrucklich auf das vorgenannte Azo-Urteil des BVerwG 68 bezog. Ohne der Drittschutzanalyse vorzugreifen, sei hier nur vermerkt, daß der VGH Mannheim69 auf Grund einer Auslegung nach Wortlaut und Systematik zum gegenteiligen Ergebnis gelangt ist, ohne dabei die AbgrenzbarkeitsFrage überhaupt zu thematisieren. dd) Im Wasserrecht hat das BVerwG mit seinen Urteilen vom 3. und 15.7.1987 in einer Gesamtschau der §§ 4 Abs. 1 S. 2, 1 a Abs. 1 und 18 WHG auch für die einfache Erlaubnis unter den Voraussetzungen der Individualisierung und Qualifizierung nach dem Vorbild der (modifizierten) Schweinemäster-
64 VGH Mannheim, B.. 27.10.1983 - 10 S 1102/83, DVB1. 1984, 880 r.Sp.: Es fehle "z.Zt. an einer Abgrenzung" des Kreises der Begünstigten. 65 OVG Lüneburg, B.v.13.9.1988 - 7 D 7/88, Ausfertigung, S. 3. 66 B.v. 21.4.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (419, 420); zum Meinungsstand s.u. C.VI.5.b.bb. 67 S.o. B.I.l.c. 68
U.v. 22.10.1982 - 7 C 50.78, NJW 1983, 1507 (1508). B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61). Die Frage einer eventuellen verfassungskonformen Auslegung konnte das Gericht offen lassen, da die antragstellende Gemeinde Grundrechte nicht in Anspruch nehmen kann. Zum abfallrechtlichen Drittschutz im einzelnen s. C.VI.5.a undb. 69
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Formel Drittschutz anerkannt und diese Bedingungen bei einem Eingriff "in die bestehende Verteilung des Wassers" zugunsten der beeinträchtigten übrigen rechtmäßigen Benutzer als in aller Regel erfüllt angesehen.70 In der Literatur ist diese Rechtsprechung wegen der Aufgabe des Abgrenzbarkeits-Kriteriums kritisiert worden. 71 In der Tat hat der 4. Senat des BVerwG in diesen Entscheidungen nicht mehr ausdrücklich das Merkmal des abgrenzbaren Personenkreises, das bislang fester Bestandteil wasserrechtlicher Drittschutzvoraussetzungen war, 72 erwähnt. Dies aber ist zu begrüßen, da die wasserrechtlichen Ordnungsnormen nicht anders als die des Baurechts derartige Tatbestandsmerkmale nicht aufweisen. Damit hat der - seinerzeit für das Wasserrecht noch zuständige - 4. Senat des BVerwG nur nachvollzogen, was im Baurecht das Hinterlandbebauungs-Urteil durch Aufgabe der quantifizierten Abgrenzbarkeit schon 1983 bewirkt hatte. Befürchtungen, die neue Rechtsprechung des BVerwG würde zu einer nicht absehbaren Öffnung des Drittschutzes fuhren, 73 erscheinen nach der bisherigen Judikatur unbegründet.74 Zu kritisieren ist freilich, daß das BVerwG auf das subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot mit den Abgrenzbarkeits-Kriterien der Individualisierung und Qualifizierung nach Maßgabe der modifizierten Schweinemäster-Formel zurückgegriffen hat. Gegen dessen baurechtsexterne Verwendung ist bereits oben75 Stellung bezogen worden; darauf wird ebenso verwiesen wie auf die vorstehende Kritik des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots.76
70
BVerwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 (338 ff.); U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (43 f.). Das als weiteres Beispiel für die erforderliche Qualifizierung genannte Kriterium der wasserwirtschaftlichen Bedeutung einer bestehenden oder beabsichtigten Nutzung betrifft vor allem Trager der öffentlichen Wasserversorgung und damit Fälle der hier nicht im Mittelpunkt des Interesses stehenden unechten Multipolarität. 71 S. Salzwedel, NVwZ 1988, 493 (498), sowie ders. y ZfW 1988, 341 (343); Kurvg, DVB1. 1988, 237 (239); s. auch Knauber, NVwZ 1988, 997 (999); dagegen unter dem Aspekt des mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnisses für die Neuorientierung durch das BVerwG H. Bauer, JuS 1990, 24 (29 f.); ferner positiv Ladeur, UPR 1992, 81 (85 ff.). 72 Vgl. BVerwG, U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (63), wo für den öffentlichrechtlichen Nachbarschutz im Wasserrecht Normen gefordert werden, die u.a. "den Kreis der unmittelbar geschützten Personen hinreichend deutlich klarstellen und abgrenzen". 73 S. Kurüg, DVB1. 1988, 237 (239); Salzwedel, NVwZ 1988, 493 (498): Mit der Annahme des BVerwG, daß rechtmäßige Benutzer durch Eingriffe in die bestehende Verteilung des Wassers i.d.R. "'qualifizierend und individualisierend'" betroffen würden, sei "zunächst einmal ein Wald von Klagen heraufbeschworen worden". 74 Vgl. OVG Münster, U.v. 19.8.1988 - 20 A 1017/87, ZfW 1990, 320 f., zur Erlaubnis nach § 7 WHG; OVG Münster, U.v. 21.8.1989 - 20 A 1629/88, ZfW 1990, 417 (419), für den Fall einer Bewilligung gem. § 8 WHG. 73 B.I.l.c. 16 C.I.2.b.
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ee) Ausdrücklich und zu Recht hat das BVerwG im Moers-Kapellen-Urteil 77 das Rücksichtnahmegebot im Bergrecht abgelehnt; stattdessen erkennt das Gericht Drittschutz einer Norm zu, wenn der Dritte "in den ... Interessenausgleich eine eigene schutzfahige Rechtsposition einbringen kann". Dieser begrüßenswerte Ansatz wird freilich wieder relativiert durch die Verwendung des Merkmals der "Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, d.h. sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises". Hier gilt das im Rahmen der baurechtlichen Darlegungen zum Dispens-Urteil des BVerwG Ausgeführte. 78 Sollte im Moers-Kapellen-Urteil nur ein Hinweis auf die selbstverständliche Voraussetzung eines Mindestmaßes inhaltlich-tatbestandlicher Bestimmtheit gegeben werden, wäre dem nicht zu widersprechen; freilich würde es sich erübrigen, insoweit eine besondere Rücksichtnahme bzw. Individualisierbarkeit zu fordern. Wäre in der Sache mehr gemeint, müßte dies als tatbestandsunabhängiges Abgrenzbarkeitsmerkmal abgelehnt werden. Diese Bemerkungen gelten auch für das OVG Berlin, 79 wenn es unter Bezugnahme auf das Moers-Kapellen- und das Dispens-Urteil des BVerwG feststellt, daß es für den Drittschutz einer Norm nicht darauf ankommt, "ob sie einen - z.B. räumlich oder zahlenmäßig - fest abgrenzbaren Kreis geschützter Drittbetroffener z.B. durch ausdrückliche Erwähnung von Anwohnern oder Nachbarn - benennt" .
d) Kapazitätsbezogene Abgrenzbarkeit aa) Gegenüber den bislang behandelten kehrseitigen Konfliktlagen weisen wechselbezügliche Kollisionen privater Interessen eine andersartige Struktur auf. Hier bestimmen die kapazitätsbezogenen Auswahl- und Verteilungsprogramme der Ordnungsnormen die Relationen zwischen den Konkurrenten. Bei schematischen Auswahl- und Verteilungsprogrammen in Gestalt des Prioritätsprinzips (§§ 6 Abs. 1 SchfG, 13 Abs. 5 S. 2 PBefG) stehen damit die Konkurrenzbeziehungen prinzipiell fest. Im Gegensatz zum Baurecht läge es daher hier sogar nahe, von "Abgrenzbarkeit" zu sprechen. In diesem Sinne ist im Schornsteinfegerrecht von "dem durch die Listeneintragung abgegrenzten Kreis von Bewerbern" gesprochen worden, denen § 6 Abs. 1 SchfG ein subjektives öffentliches Recht auf rangmäße Zulassung einräume.80 Im Falle qualitativer Auswahl- und Verteilungsprogramme, die sich leistungsbezogener Wertungsbegriffe
77 78 79 80
BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (338). S. C.I.2.b.cc. U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (211). BVerwG, U.v. 15.3.1988 - 1 C 69.86, E 79, 130 (131).
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
bedienen, besteht eine derartige Zuordnung allerdings nur im Rahmen von Beurteilungs- und Einschätzungsprärogativen der Behörde. 81 bb) In diesem Zusammenhang ist schließlich kritisch die Entscheidung des VG Hamburg 82 zu nennen, in der es Art. 2 Abs. 2 EinleitungsG mit der Begründung als drittschützend angesehen hat, die Zahl der als potentielle Kläger in Betracht kommenden Fischer sei "zwar recht groß, aber wiederum doch nicht so groß, daß die Abgrenzbarkeit und Überschaubarkeit verneint werden müßten". Das BVerwG 83 ist auf dieses Kriterium zu Recht nicht zurückgekommen.
e) Der begünstigte Personenkreis Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich nur durch Auslegung des Konfliktschlichtungsprogramms ermitteln läßt, ob eine Norm in multipolaren Konfliktlagen ein subjektives öffentliches Recht einräumt. Um von einem solchen sprechen zu können, ist selbstverständlich ein Mindestmaß an inhaltlicher, tatbestandlicher Aussagekraft erforderlich. 84 Dies hat aber nichts mit einem tatbestandsunabhängigen Abgrenzbarkeitskriterium zu tun, das quantitative, räumliche oder sonstige Drittschutzvoraussetzungen in Form von Individualisierungs- oder Qualifizierungsmerkmalen vorgäbe. Ein solches ist nicht nachweisbar.85 Im übrigen folgt umgekehrt nicht schon allein aus der quantitati-
81 Vgl. z.B. OVG Berlin, B.v. 16.8.1991 - 8 S 136.91, DVB1. 1991, 1265 (1268), sowie unten C.VI.ll. Ausdrücklich von Abgrenzbarkeit spricht OVG Münster, B.v. 12.6.1991 - 5 B 280/91, DVB1. 1991, 1320 r.Sp.: Die "Individualinteressen des hinreichend abgegrenzten Kreises von örtlichen Verlegern" seien vom Gesetz geschützt. 82 Zwischenurteil v. 4.7.1980 - VO 60/80, DVB1. 1981, 269 (270) mit abl. Anm. v. W. Peters, S. 271 (272). Das OVG Hambuig hat hier Individualisierung und Qualifizierung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots angenommen; dagegen zutr. Kunig, NuR 1982, 25 f., und BVerwG, U.v. 1.12.1982 - 7 C 111.81, E 66, 307 (308 f.), das freilich direkt auf Art. 14 GG durchgreift; dazu B.D.2.a.bb. 83 U.v. 1.12.1982 - 7 C 111.81, E 66, 307 (309 f.). 84 S. die Nachweise in Fn. 14. Nicht ganz überzeugend, wenn auch im Eigebnis zu Recht den drittschützenden Charakter von Art. 3 Abs. 1 S. 1 LV BW (Sonn- und Feiertage stehen "als Tage der Arbeitsruhe und Erhebung unter Rechtsschutz") verneinend VGH Mannheim, B.v. 15.11.1990 - 9 S 2512/90, VB1BW 1991, 99 (100): Die "völlige Offenheit des Kreises der angeblich Berechtigten, der nicht abgegrenzt ist", sei "mit dem Rechtsstaatsprinzip ... nicht zu vereinbaren ... Denn das Schutzgut der Norm - Arbeitsruhe und seelische Erhebung - würde jedermann Einwendungen ermöglichen, der sich durch Veranstaltungen in einer Gemeinde des Landes an einem Sonn- oder Feiertag in seiner 'Erhebung', einem notwendig seelischen Vorgang, beeinträchtigt sähe" (kurs. i.O.). Letztlich läßt sich das Gericht von quantitativen Überlegungen leiten, statt der konkreten Normauspragung selbst die Antwort auf die Drittschutzfrage zu entnehmen. 85 Nicht zugestimmt werden kann daher BVerwG, U.v. 4.10.1988 - 1 C 72.86, E 80, 259
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ven Umschreibung eines (kleine) Begünstigtenkreises der Drittschutzcharakter einer Norm. Insofern hat Bachof 86 zu Recht unterstrichen, daß eine quantitative Eingrenzung nicht nur keine Voraussetzung für Drittschutz ist, sondern "ein beschrankter Interessentenkreis nichts für den Schutz von Individualinteressen" beweist. Daß es hier an einer fachgesetzübergreifenden Linie fehlt, zeigt sich, wenn die Rechtsprechung dort, wo ein begünstigter - "abgegrenzter" - Personenkreis durchaus vorhanden ist, also etwa im Wohnungsbindungsrecht, Drittschutz ablehnt, obwohl ein höheres Maß an "Individualisenmg" und "Qualifizierung" als die quantitativ-exakte Festsetzung der Begünstigten in Form von Einkommensgrenzen kaum denkbar ist. Unter dem Aspekt einer allgemeinverwaltungsrechtlichen Dogmatik läßt sich dies mit der zentralen Bedeutung der Abgrenzbarkeit für die Drittschutzbestimmung im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots nicht vereinbaren.
J. Separations-Doktrin
und Mittelbarkeit
a) Separation und zivilrechtsbezogene Konflikte Als spezielle Variante der Separations-Doktrin erweist sich die Handhabung der Drittschutzproblematik durch die Judikatur in zivilrechtsbezogenen Konfliktlagen. Ausgangslage ist hier, daß die Ausübung eines (vertraglichen oder gesetzlichen) einseitigen Gestaltungsrechts oder der Abschluß eines (Änderungs-)Vertrages 87 als Wirksamkeitsvoraussetzung der vorherigen öffentlichrechtlichen Genehmigung bedarf. 88 Sieht der Vertragspartner seine Abwehrinteressen nicht als gewahrt an, stellt sich die Frage nach dem subjektiven öffentlichen Recht. Soweit es von der Rechtsprechung vor allem im Versicherungsaufsichts-, 89 Wohnungsbindungs-,90 Strompreis- 91 oder Personenbeforderungs-
(260), das § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG mangels Abgrenzbarkeit als nicht nachbarschützend abgesehen und dabei die in dieser - kumulativen - Form einzigartige Feststellung getroffen hat: "Einer Vorschrift kommt nur dann nachbarschützender Charakter zu, wenn sie nicht nur öffentlichen Interessen, sondern auch nachbarlichen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und einen deutlich abgegrenzten Kreis von hierdurch Berechtigten erkennen laßt" (kurs.v. Verf.). 86 In: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (297), kure. i.O. 87 Diese Fallgestaltung ist allerdings für multipolare Streitveihaltnisae eher atypisch, weil sie im Ausgangspunkt einen übereinstimmenden Willen der Vertragspartner voraussetzt. 88 Vgl. Keckebusch, VerwArch. 57 (1966), 17 (21 f., 39 ff.); Bullinger, DÖV 1957, 761 f. Zum Begriff des zivilrechtsbezogenen Verwaltungsaktes im Gegensatz zum privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt s. unten C.I.3.c.dd sowie C.VI.7.d. 89 BVerwG, U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (148 ff.). 90 BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 f. 91 VG Berlin, U.v. 24.2.1982 - 1 A 272/82, RdE 1982, 144 (145 f.). 9 Schmidt-Preuß
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recht 92 verneint wird, geht sie ausdrücklich von zwei separaten bipolaren Rechtsverhältnissen aus. Dabei besteht die Besonderheit, daß als (bipolares) Verwaltungsrechtsverhältnis nur eines von beiden - die Beziehung zwischen Genehmigungsempfänger und Staat - anerkannt wird, während das Verhältnis zwischen dem privaten Vertragspartner des Genehmigungsinhabers und der Behörde außerhalb rechtlicher Betrachtung bleibt: Insoweit liege nur "ein rein tatsächlicher Vorgang" 93 vor. Die Beziehung zwischen den privaten Vertragspartnern wird schließlich allein dem Zivilrecht zugeordnet.94
b) Die Mittelbarkeits-Doktrin in der Judikatur Vor diesem Hintergrund verneint die Rechtsprechung subjektive öffentliche Rechte des abwehrbegehrenden Dritten vor allem mit der Begründung, daß die Genehmigung nur mittelbar in seine zivilrechtlichen Vertragspositionen eingreife (Mittelbarkeits-Doktrin). So soll z.B. die Genehmigung der Erhöhung der Durchschnittsmiete gem. § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG 1974 "unmittelbare Rechtswirkungen allein im Verhältnis zwischen der Bewilligungsstelle und dem Vermieter" zeitigen, während für den Mieter eine "Rechtswirkung .. erst" eintrete, "wenn der Vermieter von seiner durch Mieterhöhungsgenehmigung freigegebenen Gestaltungsbefugnis Gebrauch macht und die Miete eihöht".95 Zu einer solchen einseitigen Erhöhung bis zur Kostenmiete durch Ausübung eines einseitigen Gestaltungsrechts ist der Vermieter gem. § 10 Abs. 1 S. 1 WoBindG berechtigt. Eine derartige "nur mittelbare Betroffenheit des Mieters" reiche aber - so das BVerwG - als "Verletzung in (Miet-)Rechten" nicht aus. Mit derselben Begründung hat das BVerwG einen Eingriff der Freistellung von Verwendungsbeschränkungen unter der Auflage von Ausgleichszahlungen gem. § 7 Abs. 1 und 3 WoBindG in Rechte des Mieters verneint. 96 Es werde lediglich dem Vermieter die Ausübung eines gesetzlich eingeräumten Gestaltungsrechts zur einseitigen Mieterhöhung eröffnet; sie wirke "nicht unmittelbar auf das Miet-
92
BVerwG, B.v. 5.10.1979 - 7 B 203.79, DÖV 1980, 416. BVerwG, U.v. 8.7.1977 - VII C 72.74, DÖV 1978, 619 (620): zur Genehmigung der Erhöhung bestimmter Nutzungsentgelte gegenüber dem Flughafenuntemehmer gem. § 43 LuftVZO im Hinblick auf Rechte privater Nutzer. 93
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Insoweit hat das BVerwG schon in seinem Krankenversicherungs-Uiteil vom 16.7.1968 I A 5.67, E 30, 135 (136), bündig festgestellt: "Die Genehmigung gestaltet nicht das Rechtsverhältnis des Versicherten zu dem Versicherungsunternehmen." 95 BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (227 ff.); das folgende Zitatfindet sich auf S. 229. 96 BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 l.Sp.; der Vermieter kann die Zahlungsauflage gem. § 10 Abs. 1 S. 1 WoBindG auf den Mieter abwälzen. Die folgenden Zitate finden sich auf S. 2830, 2829 bzw. 2830.
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rechtsverhältnis ein". Ein solches "nur mittelbares BetrofFensein des Mieters genügt nicht für die Annahme einer Verletzung von (Miet-)Rechten". Auch in auflagenrechtlicher Perspektive bleibt das BVerwG auf der Linie der Mittelbarkeits-Doktrin. Die Begünstigung eines nicht (mehr) wohnberechtigten Mieters bzw. Wohnungssuchenden durch den Freistellungstatbestand setze zwar dessen berechtigtes Interesse voraus, doch soll der Mieter nach Auffassung des BVerwG durch den Wegfall der Zahlungsauflage nur "mittelbar begünstigt" sein, ohne daß ihm hieraus ein subjektives Recht erwachse. Ein weiterer Hauptanwendungsbereich der Mittelbarkeits-Doktrin ist das Versicherungsaufsichtsrecht. So ist die Rechtsverletzung eines Versicherungsnehmers durch die Genehmigung von (beitragserhöhenden) Krankenversicherungs-Tarifen gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 13 VAG mangels Unmittelbarkeit verneint worden. 97 Ebenso stellt das BVerwG in seinem Kfz-Haftpflichtversicherungs-Urteil vom 25.11.19869* darauf ab, daß die individuell wirksame Tariferhöhung nicht unmittelbar durch die Genehmigung bewirkt werde, sondern auf § 9 a Abs. 1, 2 AKB beruhe. Wenn in dieser Entscheidung der Terminus der Mittelbaikeit nicht expressis verbis auftaucht, sondern nur davon die Rede ist, daß der Regelungsgehalt der Genehmigung das Versicherungsverhältnis nicht betreffe, ergeben sich hieraus in der Sache keine neuen Aspekte. Ansonsten hat die Mittelbarkeits-Doktrin plastischen Ausdruck in der Entscheidung des BVerwG zur Genehmigung der Erhöhung von Flughafentarifen gem. § 43 LuftVZO gefunden. 99 Hierauf wie auf die vorgenannte Krankenversicherungs-Entscheidung beruft sich das VG Berlin, 100 wenn es die Auswirkungen der Genehmigung erhöhter Strompreise gem. § 12 Abs. 1 und 2 a BTO Elt ( = § 12 Abs. 1 und 2 BTO Elt 1990) auf die Rechtsposition der Haushaltsstrombezieher nicht als "unmittelbare rechtliche Folge der Genehmigung", sondern als "einen bloßen Reflex" bezeichnet. Dem stehe nicht entgegen, daß die Genehmigung erhöhter Tarife "faktisch regelmäßig" zu einer Erhöhimg der Strompreise führe. Schließlich ist die Mittelbarkeits-Doktrin für den Bereich der Genehmigung von Beförderungsentgelten gem. § 39 Abs. 2 PBefG durch das VG Köln 101 bekräftigt worden.
97 BVerwG, U.v. 16.7.1968 - I A 5.67, E 30, 135 (136): Die Genehmigung wirke sich "nur mittelbar" auf den Versicherten aus. 96 1 A 20.82, E 75, 147 (151); s. auch Stiefel/Hojmann, Kraftfahrtversicherung, Rdnr.4 zu § 9 a AKB. S. auch Ehlers, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, Rdnr. 451 zu 1/2 (S. 165): Die Genehmigung einer Geschäftsplanänderung gestalte "nicht unmittelbar das Rechtsverhältnis des Versicherungsnehmers zu dem VU, sondern gibt dem VU nur die Möglichkeit, nach dem genehmigten Geschäftsplan Geschäfte zu tätigen". 99 BVerwG, U.v. 8.7.1977 - VD C 72.74, DÖV 1978, 619 (620). 100 U.v. 24.2.1982 - 1 A 272/80, RdE 1982, 144 (145); so auch Knöchel, Preisaufsicht, S. 158. 101 U.v. 19.4.1989 - 21 K 2969/87, NWVBL 1990, 128 (129): "Die Rechtsstellung des
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c) Die Unhaltbarkeit der Mittelbarkeits-Doktrin aa) Das Merkmal der Unmittelbarkeit ist - wie Ossenbühl 102 bemerkt - "im Grunde ein Verlegenheitsbegriff, der überall dort auftaucht, wo klare Grenzziehungen (noch) fehlen". Dies trifft auch hier zu. 1 0 3 Dabei ist es nicht einmal die Konturenlosigkeit dieses Kriteriums als solche, die auf Ablehnung stößt. Vielmehr setzt sich die Mittelbaikeits-Doktrin über die Maßgeblichkeit des normativen Konñiktsdilichtungsprogramms hinweg, indem sie als Kriterium der Drittschutzbegründung den unmittelbaren Eingriff in Privatrechtspositionen kreiert. Es wird sich zwar zeigen, daß im Ergebnis gegen die Rechtsprechung mit Ausnahme des Wohnungsbindungsrechts - nichts einzuwenden ist. 104 Zu widersprechen ist aber dem dogmatischen Grundansatz. Mit der apriorischen Verengung der Konfliktbeziehungen auf nur ein (bipolares) Verwaltungsrechtsverhältnis und der Anwendung des Kriteriums einer nur "mittelbaren" Einwirkung auf die Zivilrechtsposition des Vertragspartners wird nicht berücksichtigt, daß es um einen Konflikt zwischen Privaten im öffentlichen Recht geht und sich die Drittschutzfrage nur nach dem Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm bemessen kann. 105 Ob beispielsweise der "'Interessenausgleich* zwischen Verfügungsberechtigtem und Wohnungssuchendem" wirklich "ausschließlich im privatrechtlichen Verhältnis" 106 der Vertragspartner zu suchen ist, hängt nicht von der Mittelbarkeit eines Eingriffs in Mietrechtspositionen, sondern allein davon ab, ob der in der verwaltungsrechtlichen Ordnungsnorm geregelte Ausgleich kollidierender Privatinteressen subjektiv-rechtlich verfaßt ist. Daher überzeugt die Begründung einer Drittrechtsverletzung durch den VGH München107 nicht, der das Kriterium der Unmittelbarkeit zugrunde gelegt und bejaht hatte, weil der Vermieter durch Ausübung seines einseitigen Gestaltungsrechts gem. § 10 Abs. I S . 1 WoBindG, §§ 4 Abs. 1, 26 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4 N M V die Ausgleichszahlung als Zuschlag zur Deckung laufender Aufwendungen auf den Mieter
Verkehrsnutzers wird durch die Genehmigung nur mittelbar berührt" (kurs. i.O.). S. bereits BVerwG, B.v. 5.10.1979 - 7 B 203.79, DÖV 1980, 416 l.Sp. 102 Staatshaftungsrecht, §36 2b (S. 255 f.), zur Reichweite des Folgenbeseitigungsanspruchs. 109 Neben dem Hauptanwendungsbereich zivilrechtsbezogener Konfliktlagen taucht das Unmittelbarkeits-Kriterium auch bei Wechselbezüglichkeit auf, s. z.B. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow/ Beck/Lemhöfer, BBG, Rdnr. 14 zu § 23: Die "nachteilige Auswirkung" einer Ernennung auf den "'Bewerbungsverfahrensanspruch'" des unterlegenen Bewerbers sei "nur mittelbarer Art". 104 S. C.VI.7 und 8. 105
S. im einzelnen A.I und U; C.IV.3. BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 (2830). 107 U.v. 31.8.1984 - 25 B 82 A 1926, W&M 1985, 220 (221): vorinstanzliches Urteil zu der in Fn. 106 genannten Entscheidung des BVerwG. 106
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überwälzen könne und damit "den Inhalt des im übrigen vereinbarten Mietverhältnisses zum Nachteil des Mieters zu verändern" in der Lage sei. Mit dieser Argumentationslinie bewegt sich das Gericht - wenn auch mit im Ergebnis umgekehrtem Vorzeichen - in den Bahnen der Mittelbarkeits-Doktrin. Volle Zustimmung verdient dagegen das OVG Münster 108, wenn es - vor der Wende in der Rechtsprechung durch das Urteil des BVerwG vom 15.11.1985 109 - den Drittschutz des § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG nicht daran scheitern läßt, daß die Miethöhung als solche erst auf Grund zivilrechtlicher Umsetzung der Genehmigung wirksam wird. bb) Im übrigen weicht die Rechtsprechung trotz gegenteiliger Bekundung mit der Mittelbarkeits-Doktrin von der Schutznormtheorie ab. Dies zeigt sich, wenn im Wohnungsbindungs-110 oder Versicherungsaufsichtsrecht 111 völlig losgelöst von der Prüfung subjektiver Rechte anhand der Schutznorm zunächst die Frage gestellt und verneint wird, ob die Genehmigung in private Rechte des Vertragspartners eingreift. Damit werden unvermittelt zivilrechtliche Positionen als mögliche subjektive öffentliche Rechte eingeführt. Dies stellt einen Bruch mit der Schutznormtheorie dar. Wie oben112 dargelegt, können sich - abgesehen von der normexternen Funktion der Grundrechte - subjektive öffentliche Rechte nur aus der (verfassungsgemäßen) einfachgesetzlichen Ordnungsnorm ergeben. Zivilrechtliche Positionen als solche sind daher keine subjektiven öffentlichen Rechte.113 Anders ist es nur dann, wenn sie von der Ordnungsnorm tatbestand-
108
U.v. 24.6.1980 - 14 A 2496/79, BBauBl. 1981, 725 l.Sp. 8 C 43.83, E 72, 226 (227 ff.). 110 Vgl. BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829: "privates Recht des Mieters", in das die Genehmigung nach § 7 Abs. 1, 3 WoBindG nicht eingreife; entspr. für die Genehmigung nach § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG 1974 BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (227 ff.): kein Eingriff "in die aus den Mietverträgen folgenden privatrechtlichen Rechte der Klager". 111 BVerwG, U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (148 ff.), zu § 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 PflVG; das BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp., hat die Verfassungsbeschwerde hiergegen mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen, da ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG bzw. das Willkürveibot nicht vorliege; vgl. ferner BVerwG, U.v. 16.7.1968 - I A 5.67, E 30, 135 (136 f.), zu §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 13 VAG. 112 B.I.l und 2. 113 Zutr. Kopp, VwGO, Rdnr. 45 zu § 42; grds. Rupp y Gnmdfragen, S. 240, 245 (zum Eigentum); dagegen bejahend Schenke, Bonner Kommentar, Rdnr. 286 zu Art. 19 Abs. 4; Redeker/ von Oertzen, VwGO, Rdnr. 102 zu § 42; Jarass, DVB1. 1976, 732 (738); in diesem Sinne privatrechtliche Rechtspositionen in die Definition des Verwaltungsakts mit "Doppelwirkung" einbeziehend Ule/Laubinger 9 Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464). - Nicht eindeutig BVerwG, U.v. 18.12.1987 - 7 C 57.87, NJW 1988, 984 r.Sp. (insoweit nicht abgedr. in E 78, 357): Dem Drittanfechtungskläger wurde zwar kein subjektives öffentliches Recht aus § 14 Abs. 1 S. 2 HeimG zugestanden, seine Berechtigung gleichwohl nicht verneint, "mögliche nachteilige Wirkungen des angefochtenen Bescheids auf dem Gebiet des Privatrechts" abzuwehren; die Ge109
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
lieh in das öffentliche Recht transponiert werden; im Ausnahmefall normexterner Wirkung kann auch Art. 14 Abs. 1 GG auf diese Weise drittrechtsbegründend wirken. Ein unmittelbarer Durchgriff auf Zivilrechtspositionen verbietet sich hingegen. Auch in zivilrechtsbezogenen Konfliktlagen bestehen subjektive öffentliche Rechte nur nach Maßgabe des Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm. Auf das Kriterium der Mittelbarkeits-Doktrin, daß die Zivilrechtslage nicht durch die Genehmigung, sondern erst dadurch eine Änderung erfahre, daß der Genehmigungsinhaber von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch mache, kommt es somit nicht an. Bei einer immanenten Kritik der Rechtsprechung könnte ihr auch darin nicht gefolgt werden, daß sie einen Eingriff (in Zivilrechtspositionen) verneint, weil der Vertragspartner nicht Adressat der Genehmigung sei. 114 Von der Adressierung eines Verwaltungsakts hängt die Auslösung von (Dritt-)Rechtswirkungen 115 ebensowenig wie die Existenz subjektiver öffentlicher Rechte ab. Die Antwort auf die Frage, ob sich eine Genehmigung nach Maßgabe ihres Regelungsgehalts116 auf Rechte eines Dirtten auswirkt, setzt die Klärung voraus, ob der zugrunde liegenden Ordnungsnorm ihm zustehende subjektive öffentliche Rechte überhaupt zu entnehmen sind. 117 Dies läßt sich wiederum allein anhand des Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm beurteilen. Wenn das BVerwG in der genannten wohnungsbindungs- und versicherungsaufsichtsrechtlichen Judikatur nach (negativer) Prüfung der Drittschutzfrage anhand der Mittelbarkeits-Doktrin unter dem Aspekt der Schutznormtheorie isoliert noch auf die Genehmigungsnormen eingeht, kommt dem keine weichenstellende Bedeutung mehr zu. Die Wertungsfrage ist durch die Annahme der Mittelbarkeit präjudiziell. So rekurriert z.B. das Kfz-Haftpflicht-Urteil des BVerwG 118 im Rahmen der Schutznormprüfung in der Sache nur noch auf die Mittelbarkeits-Doktrin, wenn es betont, daß das Versicherungsverhältnis zwischen Genehmigungsempfanger und Versicherungsnehmer "nicht Regelungsgegenstand der Tarifgenehmigung" sei und "deshalb der Prüfbereich des § 8
nehmigung könne in die "erbrechtliche Stellung" (hier im Hinblick auf §§ 2174, 2176 und 2169 Abs. 1 BGB) eingreifen, "die ggf. dem Schutz des Grundrechts aus Art. 14 GG unterfallt". Hiermit bleibt die Möglichkeit offen, daß der Senat vom Fall normexterner Grundrechtswirkung ausgehen wollte. Eine unvermittelte Bezugnahme auf erbrechtliche Vorschriften des BGB zur Begründung subjektiver öffentlicher Rechte scheidet jedenfalls aus. 114 S. BVerwG, U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (148 f.), für § 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 PflVG. 115 Vgl. hier nur Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg. VerwR, § 18 Rdnr. 1. 116 S. BVerwG, U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (149). 117 So auch zutr. die Formel in BVerwG, B.v. 20.12.1989 - 7 B 188.89, NJW 1990, 930 r.Sp.; s. dazu D.n.2. 118 U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E75, 147 (153).
1 . . Separations-Doktrin und
itelait
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PflVG von vornherein nicht das individuelle Einzelinteresse des einzelnen Versicherungspflichtigen ... erfaßt". Entsprechendes gilt im Wohnungsbindungsrecht, wenn es im Rahmen der Ausführungen zur Schutznormtheorie unvermittelt heißt: "Gegenüber dem Wohnungssuchenden oder Mieter regelt die Freistellung ... unmittelbar nichts."119 Wo verwaltungsrechtlich keine Rechtsbeziehung besteht, läßt sich in der Tat auch kein subjektives öffentliches Recht des Dritten ausmachen. cc) Bei Zugrundelegung der Ordnungsnorm zur Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen würde auch der Widerspruch der zivilrechtsbezogenen Judikatur aus dem Bereich des Versicherungsaufsichts-, Wohnungsbindungs-, Stromversorgungs- und Personenbeforderungsrechts zur Rechtsprechung des 6. Senats des BVerwG zum öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutzrecht entfallen. Auch wenn die spezifischen Besonderheiten der jeweiligen fachgesetzlichen Ordnungsnorm ihre eigenständige Bedeutung behalten, so sind unter dem Aspekt allgemein-verwaltungsrechtlicher Dogmatik gleichgelagerte Konfliktsituationen einheitlich zu behandeln, wenn nicht Sonderfaktoren eine Abweichung zulassen oder erfordern. Hierfür bedarf es dann aber einer Begründung. Insoweit haben bereits Friauf 120 und Scholz 121 mit Recht auf den Widerspruch zwischen der Anwendung eines Mittelbarkeits-Kriteriums im Versicherungsaufsichtsrecht einerseits und der Bejahung des Drittschutzes im öffentlichen Kündigungsschutzrecht andererseits aufmerksam gemacht. In der Tat trifft die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eines Schwerbehinderten gem. § 15 SchwbG nach Maßgabe der Mittelbarkeits-Doktrin den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung ebensowenig "unmittelbar" wie die Genehmigung eines Tarifs den Versicherungsnehmer. In beiden Fällen ist die Genehmigung öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausübung eines zivilrechtlichen Gestaltungsrechts, die ihrerseits erst auf die Rechtsposition des Vertragspartners einwirkt. 122 Im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutzrecht aber hat die Frage eines Eingriffs in private Vertragsrechte mit Recht nie eine Rolle gespielt. Statt dessen wurde die subjektiv-öffentliche Abwehrposition des Gekündigten gegenüber der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gem. § 15 SchwbG ( = § 12 SchwbG a.F.) seit jeher im Wege einer
119
BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 (2830). Friauf; JurA 1969, 3 (16), und 1970, 652 (669). 121 Wirtschaftsaufsicht, S. 72 Fn. 85. 122 Richtig insofern die Feststellung des OVG Munster, daß das Arbeitsverhältnis durch die Zustimmung zur Kündigung "nicht unmittelbar geregelt" wird, "weil mit ihr keine verbindliche Gestaltung des Arbeitsvertragsverhältnisses erfolgt, sondern durch sie lediglich eine solche Rechtsfolge vorbereitet wird" (B.v. 4.4.1989 - 13 B 265/89, br 1990, 72 r.Sp.). Damit wird fast wörtlich zum Ausdruck gebracht, was im Rahmen der Mittelbarkeits-Doktrin von der Rspr. zum Versicherungsaufsichts- oder Wohnungsbindungsrecht zur Verneinung des Drittschutzes angeführt wird. 120
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
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klassisch multipolaren Abwägimg der kollidierenden Privatinteressen begründet. 123 Daher wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich das BVerwG in seinen vorgenannten Entscheidungen zu der gegensätzlichen Rechtsprechung im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz geäußert hätte. 124 Die Fragwürdigkeit der Mittelbarkeits-Doktrin zeigt sich schließlich auch, wenn man den allgemein-verwaltungsrechtlichen Strukturvergleich 125 noch erweitert und die Beeinträchtigungsnähe in kehrseitigen Konfliktlagen in den Blick nimmt. Im Atomrecht ist von jeher unbestritten, daß bereits die Errichtungsgenehmigung Gegenstand von subjektiv-öffentlichrechtlichen Abwehransprüchen sein kann, 126 auch wenn in natura eine - aus Sicht der Mittelbarkeits-Doktrin: "unmittelbare" - Gefahrdung erst vom späteren Betrieb her ausgehen kann. 127 Unter dem Aspekt der Mittelbarkeit wäre Drittschutz gegenüber (Teil-)Errichtungsgenehmigungen schon im Ansatz ausgeschlossen. dd) So wenig damit bloße "Mittelbarkeit" zur Verneinung subjektiver öffentlicher Rechte führt, so klar ist auch der ebenso rigorosen Gegenposition zu widersprechen. Nach ihrem Vorschlag soll - mit unterschiedlichen Akzenten in der Begründung - bei mittelbaren Beeinträchtigungen der hier in Rede stehenden Art stets ein Eingriff in Drittrechte zu bejahen sein. Insoweit ist Skouris m entgegenzuhalten, daß zwischen zivilrechtsbezogenen Verwaltungsakten im Sinne
123
Vgl. hier nur BVerwG, U.v. 5.6.1975 - V C 57.73, E 48, 264 (267); OVG Lüneburg, U.v. 12.7.1989 - 4 L 21/89, br 1990, 114 r.S.; Neubert/Becke, SchwbG, Rdnr. 9 zu § 15; s. im einzelnen C.VI.9. 124 Einer fachgesetzubergreifenden Sichtweise - wenn auch unter negativem Vorzeichen - ist Fromm (DVB1. 1969, 670 (671)) mit der Forderung gefolgt, in Anlehnung an die MittelbarkeitsBetrachtung im Krankenversicherungs-Urteil nun auch den Drittschutz im öffentlichen Kundigungsschutzrecht fallen zu lassen. Dem steht jedoch das Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnormen des SchwbG und MuSchG entgegen, s. dazu C.VI.9. 125 Zur fachübergreifenden Aufgabe der Dogmatik s. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 Fn. 3. 126 Dies hat in § 18 Abs. 1 AtVfV seine verfahrensrechtliche Ausprägung gefunden; danach ist der spatere Betrieb im Rahmen des vorläufigen positiven Gesamturteils in die Betrachtung einzubeziehen. Entsprechendes gilt im Immissionsschutzrecht (§ 22 Abs. 1 S. 2 BImSchG) und im Baurecht, wo anerkannt ist, daß die Baugenehmigung nicht nur die Errichtung, sondern auch die Nutzung des Bauwerks umfaßt. 127
Vgl. demgegenüber BVerwG, U.v. 16.3.1972 - I C 49.70, DVB1. 1972, 678 (679): "Eine genehmigungspflichtige Anlage wird - selbstverständlich - nur errichtet, um betrieben zu werden." Ferner BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (310). Eine ganz andere Frage ist die Interessenabwägung im Eilverfahren: Unter dem Aspekt der Interimslösung kommt es auf eine konkrete Risikobetrachtung an, so daß hier der Gesichtspunkt des noch nicht beginnenden Betriebs zu Lasten des Verschonungsinteressenten geht; s. VGH Kassel, B.v. 31.5.1990 - 8 R 3118/89, WUR 1990, 179 (180); grdl. BVerfG, B.v. 26.1.1988 - 1 BvR 1561/82, E 77, 381 (407); dazu E.V.4.a.bb und cc. 128 So Skourisy Verletztenklagen, S. 204 ff. S.u. C.VI.7.d.
1 . . Separations-Doktrin und
echtntang
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einer öffentlich-rechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzung und privatrechtsgistaltenden Verwaltungsakten zu unterscheiden ist. In den hier erörterten Fällen der ersten Art kann von einem automatischen Rechtseingriff nicht die Rede sein. Die generelle Befürwortung des Drittschutzes bei Mittelbarkeit durch Kopp 129 überzeugt deshalb nicht, weil gerade in den vielfach betroffenen regulierten Wirtschaftsbereichen das von ihm zur Begründung hervorgehobene "Recht ... auf freie Vertragsgestaltung" nicht besteht.
4. Separations-Doktrin
und Rechtsuntergang
a) Wechselbezügliche Konflikte und Separation
aa) Die Separations-Doktrin findet handgreiflichen Ausdruck in wechselbezüglichen Konfliktlagen vor dem Hintergrund staatlicher Auswahl- und Verteilungsentscheidungen. Hier stoßen konkurrierende private Zugangsinteressen angesichts zu geringer Kapazitäten derart aufeinander, daß ein Bewerber nur auf Kosten eines anderen zum Zuge kommen kann. 130 Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 8.2.1980 131 im hochschulzulassungsrechtlichen Kapazitätsstreit materiell-rechtliche Konkurrenzbeziehungen verneint und statt dessen jeweils separate bipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse zwischen einem Studienplatzbewerber und der Universität angenommen. Zwar würden sie "um dieselben freien Studienplätze" streiten, doch sei "nicht etwa ein Bewerber an dem streitigen Rechtsverhältnis eines anderen beteiligt, das durch den geltend gemachten Zulassungsanspruch begründet wird". Die "gleichartigen Ansprüche der Bewerber" seien "vielmehr selbständig und voneinander unabhängig". Dies gipfelt in der Feststellung: "Die Zulassung eines Bewerbers schließt nicht rechtlich, sondern nur tatsächlich die Zulassung eines weiteren Bewerbers auf demselben Platz aus." Diese Separierung der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Studienplatzbewerbern kann nicht überzeugen. Für die Verteilung der Studienplätze nach den §§ 25, 26, 27 und 28, 31 ff. VergabeVO ZVS 1985 (Besonderes Auswahlverfahren) widerspricht dem schon die Tatsache, daß diese Zugangsnormen nichts anderes darstellen als die normative Ausgestaltung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den Studienplatzbewerbern. 132 Die multipola Funktion dieser Vorschriften besteht in der Gewährleistung von Chancengleich-
129
DÖV 1980, 504 (511); s. im einzelnen C.VI.7, insbes. sub d. S. A.m.2. 131 7 C 93.77, E 60, 25 (30); dort befinden sich auch die folgenden Zitate. 132 Vgl. Reich, HRG, Rdnr. 10 zu § 33, der in bezug auf die Verteilung nach dem Auswahlgesprach gem. § 33 Abs. 2 Nr. 2 b HRG von einer erforderlichen "Konkurrenzentscheidung" spricht. 130
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
110
heit bei der Vergabe knapper Studienpätze nach Maßgabe von Leistungs- oder Wartezeit-Kriterien. bb) Was die Verteilung außerhalb der festgesetzten Kapazität anlangt, zeigt die Doktrin des ersten Zugriffs 9 m daß die Rechtsprechung die Separationslösung nicht durchhalten kann. So hat das BVerwG bereits in seiner Grundsatzentscheidung darauf hingewiesen, daß sich der vorläufig zugelassene und der im Hauptsacheverfahren klagende Studienplatzbewerber jeweils auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen können und ein Ausgleich zwischen dem " ' Beharrungsinteresse'" des vorläufig zugelassenen und den Interessen des Hauptsacheklägers im Wege einer "Abwägung der verfassungsrechtlichen Positionen" erforderlich sei. 134 Ohne die materiell-rechtliche Annahme verwaltungsrechtlicher Konkurrenzbeziehungen im Horizontalverhältnis wäre ein einheitliches, die Rangfolge der Bewerber auch für das Hauptsacheverfahren fixierendes (gerichtlich angeordnetes) Verteilungsverfahren ebensowenig denkbar wie die kapazitätsdeckende Wirkung einer realisierten vorläufigen Zulassung zu Lasten anderer - insbesondere im Hauptsacheverfahren klagender - Bewerber. Ohne rechtliche Konkurrenzverhältnisse zwischen den Studienplatzbewerbern ließe sich auch ein Anwartschaftsrecht 135 nicht begründen, das die (vorläufige) Rechtszuweisung definitiv gegenüber konkurrierenden Zugangsansprüchen absichert. Insgesamt fällt immerhin auf, daß das BVerwG jüngst selbst den Terminus der "Konkurrenzsituation" zwischen den Studienplatzbewerbern benutzt und die Rückabwicklung einer fehlerhaften (vorläufigen) Überbesetzung von dem relativen Rangverhältnis der Antragsteller zueinander abhängig macht.136 cc) Die Separations-Doktrin verkennt die rechtliche Ordnung der Konkurrenzbeziehungen.137 Der Feststellung von Brohm, 138 daß mit der Annahme "rechtlich selbständig und voneinander getrennt" zu bewertender Zulassungsansprüche die "eigentliche Problematik der (ausschließenden) Konkurrentenklage ... umgangen wird", kann ohne Einschränkung zugestimmt werden. In wechselbezüglichen Konfliktlagen läßt sich das individuelle Zugangsrecht nicht isoliert von der rechtlichen Ordnung der Konkurrenzbeziehungen insgesamt bestimmen. In
133
Vgl. BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 48.89, NVwZ-RR 1991, 362 l.Sp. BVerwG, U.v. 1.12.1978 - 7 C 34.78, E 57, 148 (150); bekräftigt in BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 48.89, NVwZ-RR 1991, 362 l.Sp. 135 Vgl. VGH Mannheim, B.v. U.v. 2.12.1986 - NC 9 S 526/86 u.a., KMK-HSchR 1987, 449 (450 f.). 136 BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 48.89, NVwZ-RR 1991, 362 r.Sp. 137 Vgl. Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt- Aß mann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (81): "Verteilungskämpfe zwischen Privatpersonen". 138 In: Festschrift f. Menger, 1985, S. 235 (250). 134
1 . . Separations-Doktrin und
echtntang
111
diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Berg 139 darauf hingewiesen hat, daß bei der "Verteilung des Mangels" die Problematik in der "Auswahl zwischen mehreren Inhabern von Rechtsansprüchen" liege und sich der "Verteilungsakt" für den Unterlegenen als "Eingriffsmaßnahme" darstellen könne.
b) Die Rechtsuntergangs-Doktrin
aa) Hält sich die staatliche Auswahl- und Verteilungsentscheidung an den normativen Konfliktschlichtungsmaßstab der Zugangsnorm, muß der erfolglose Bewerber hinnehmen, daß andere vor ihm zum Zuge kommen. Zwar kann er in diesem Fall sein prinzipielles Zugangsrecht,140 das sich bei qualitativen Auswahlkriterien als Anspruch auf beurteilungs- und ermessensfehlerfreie Entscheidung darstellt, gegenüber anderen Bewerbern nicht verwirklichen; doch handelt es sich insoweit nicht um einen Rechtsuntergang, weil ihm nichts genommen wird, was ihm nach dem Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm zustünde.141 Von besonderem Interesse ist dagegen die Frage, ob es bei zugangsnormwidriger Auswahl- und Verteilungsentscheidung zu einer subjektiv-rechtlichen Fehlerkorrektur unter Aufhebung der zunächst gewährten Begünstigung und anschließender "richtiger" Neuverteilung kommt oder ob der erfolglose Bewerber den Untergang seines "besseren" Rechts hinnehmen muß. Wenn Berg davon gesprochen hat, daß bei der "Auswahl zwischen mehreren Inhabern von Rechtsansprüchen" bloße Willkürfreiheit nicht genüge, um ein Verteilungskriterium zu rechtfertigen, das "zum Ausschluß Anspruchsberechtigter" 142 führt, stellt er zu Recht die Anwendung der Verteilungsnorm in den Mittelpunkt. Demgegenüber geht die Rechtsprechung auf der Grundlage separater bipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse stillschweigend und mit Selbstverständlichkeit vom Rechtsuntergang aus. bb) Dies zeigt zum einen die Judikatur zum beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit. Zwar spricht das BVerwG 143 nur davon, daß es sich bei der Ernennung
139
Der Staat 15 (1976), 1 (20). Vgl. BVerwG, U.v. 7.9.1989 - 7 C 44 und 45.88, E 82, 295 (298): "der giundrechtlich geschützte prinzipielle Zulassungsanspruch eines Bewerbers". 141 Dies gilt etwa auch für das "anspiuchsvernichtende" (plastisch BVerwG, U.v. 28.7.1989 7 C 39.87, E 82, 260 (262)) Ausgestaltungsrecht gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 c S. 1 PBefG. 142 Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (20). 143 U.v. 9.3.1989 - 2 C 4.87, DVB1. 1989, 1150 r.Sp.; U.v. 25.8.1988 - 2 C 62.85, E 80, 127 (130); ebenso VG Beiiin, U.v. 7.5.1982 - 5 A 232.80, ZBR 1983, 103 l.Sp. Vgl. auch Isensee, in: FG BVerwG, 1978, S. 337 (355), der eine für Verwaltungsakte mit Drittwirkung typische "Gunst-Last-Korrelation" verneint, weil "Einstellung und Abweisung ... rechtlich selbständige Entscheidungen über verschiedene Antrage" seien. S. auch oben A.I.2.b. 140
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
aus der Sicht des unterlegenen Bewerbers um einen "von der ablehnenden Entscheidung über seine Bewerbung rechtlich zu trennenden, ihn nicht betreffenden Verwaltungsakt" handele und sich die "Entscheidung, mit der die Bewerbung eines nicht berücksichtigten Beamten abschlägig beschieden wird", durch die Ernennung des Konkurrenten, "'erledigt'". 144 Da aber die Ablehnung der Bewerbung das Spiegelbild des Zugangsanspruchs darstellt, ist die Erledigungsthese des BVerwG in dem Sinne zu verstehen, daß der Anspruch auf beurteilungs- und fehlerfreie Berücksichtigung der Bewerbung145 ipso iure untergeht, 146 wenn der fehlerhaft ausgewählte Konkurrent erst ernannt ist. 147 Somit geht das BVerwG - bestätigt durch den Beschluß der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 19.9.1989 148 - von der Rechtsbeständigkeit der Ernennung aus, auch wenn es formaliter die Zulässigkeit der "beamtenrechtlichen Konkurrentenklage" noch offenhalten will. 149 Dieser Befund ergibt sich auch aus der vom BVerwG vorgenommenen Separierung der Verwaltungsrechtsverhältnisse. Bestdien keine Rechtsbeziehungen, kann auch keine /tec/zftbeeinträchtigung des erfolglosen Bewerbers mit "besserem" Recht angenommen werden. In der Sache läuft dies darauf hinaus, daß die Bewerberkonkurrenz nicht als verwaltungsrechtlich geordnet, sondern nur als tatsächliches Phänomen angesehen wird. Dies kann nicht überzeugen, weil mit den Art. 33 Abs. 2 GG, §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG und den entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze Ordnungsnormen vorliegen, deren wortgleiche Postulate der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung qualitative Auswahlprinzipien des Leistungs wettbewerbs normieren und damit im Sinne der Bestenauslese eine normative Ordnung im Horizontalverhältnis der Bewerber untereinander darstellen. Nur
144 BVerwG, U.v. 9.3.1989 - 2 C 4.87, DVB1. 1989, 1150 l.Sp.; U.v. 25.8.1988 - 2 C 62.85, E 80, 127 (129 f.); nicht widersprochen in BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, B.v. 19.9.1989 - 2 BvR 1576/88, DVB1. 1989, 1247 (1248). 145 Vgl. hier nur Lemhöfer, in: Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, BBG, Rdnr. 12 zu § 23; Niedermcder/H. Arndt, in: Fürst (Hrsg.), GKÖD I, Rdnr. 12 zu K § 23. 146 Vgl. Günther, NVwZ 1986, 697 (698), der vom "Untergang des Anspruchs auf Zugang zum öffentlichen Amt" spricht; s. ders., ZBR 1990, 284 (291). 147 Konsequent VGH Kassel, U.v. 27.2.1985 - 1 OE 58/80, ZBR 1985, 258 (259), der die Rechtsbestandigkeit allerdings aus dem numerus clausus der gesetzlichen Aufhebungsgründe ableitet (dazu C.Vm.5.a); in der Revisionsinstanz ist hierzu nur noch der Fortsetzungsfeststellungantrag mangels berechtigten Feststellungsinteresses abschlagig - beschieden worden; BVerwG, U.v. 25.8.1988 - 2 C 28.85, Ausfertigung, S. 5 f. 148 2 BvR 1576/88, DVB1. 1989, 1247 f. 149 In der Sache hat das BVerwG freilich mit der Separations-Doktrin und der Erledigungsthese keinerlei Spielraum mehr für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Aufhebung einer Ernennung; zutr. die Einschätzung von Schnellenbach y DÖD 1990, 153 (154); Weiß, ZBR 1989, 273 (275); vgl. auch BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, B.v. 19.9.1989 - 2 BvR 1576/88, DVB1. 1989, 1247 f., das die Rspr. des BVerwG unter dem Aspekt der Art. 19 Abs. 4 und 33 Abs. 2 GG nicht beanstandet hat; s. hierzu Schnellenbach, NVwZ 1990, 637 (638); Battis, NJW 1991, 1586 (1590). Zum multipolar-surrogativen Eilrechtsschutz im einzelnen C.Vffl.5.b.
1 . . Separations-Doktrin und
echtentang
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so können die Konkurrenzrelationen subjektiv-rechtlich ermittelt und der Rechtsuntergang zu Lasten der nicht erfolgreichen Bewerber legitimiert werden. Daher sollte sich die Rechtsprechung dazu entschließen, die These von der nur tatsachlichen Konkurrenz aufzugeben und die rechtliche Ordnung der Konkurrenzbeziehungen im Horizontalverhältnis zwischen den Bewerbern um ein öffentliches Amt anerkennen. Dies erscheint um so dringlicher, falls die späteren Erörterungen erweisen sollten, daß von der Rechtsbeständigkeit der Ernennung auszugehen ist und nunmehr auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen multipolar-surrogativer Eilrechtsschutz einsetzt.150 Der im Auswahlgespräch unterlegene Bewerber kann nach h.M. im Wege des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO die Ernennung des erfolgreichen Konkurrenten (vorläufig) verhindern. 151 Nur so vermag er, vollendete Tatsachen und damit den Untergang seines Zugangsrechts zu verhindern. Wollte man separate bipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse jeweils zwischen einem der Bewerber und dem Staat annehmen und die verwaltungsrechtliche Ordnung der Konkurrenzbeziehungen leugnen, würde einem solchen, den Zugangskonflikt einstweüen lösenden Eilrechtsschutz152 die erforderliche materiell-rechtliche Grundlage fehlen. 153 Dies gilt es insbesondere deshalb zu betonen, weil die Auswahlentscheidung nicht nur in verfahrensrechtlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht überprüft werden kann. 154 Stellt man statt dessen - im Gegensatz zur Separations-Doktrin - die normative Ordnung des beamtenrechtlichen Wettbewerbsverhältnisses in den Mittelpunkt, ist es möglich, die multipolare Funktion des Eilrechtsschutzes im Sinne präventiver Geltung des materiellen Zugangsrechts zu begreifen und dem Sicherungsbegehren seine materiell-rechtliche Grundlage zu geben.155 Wenn mit der einstweiligen Anordnung die (vorläufige) Unterlassung der Ernennung des ausgewählten Konkurrenten durch den Dienstherrn begehrt werden kann, so setzt dies den Konkurrenzbezug der materiellen Zugangsnorm voraus. 156 Vor diesem Hintergrund ist dem
150
s. c.vm.5.b. Die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG hat diesen Eilrechtsschutz als wesentliches Element eines auf der Rechtsbestandigkeit der Ernennung beruhenden beamtenrechUichen Rechtsschutzkonzepts angesehenen, B.v. 19.9.1989 - 1 BvR 1576/88, DVB1. 1989, 1247 (1248). 152 S. auch Lemhöfer, in: PlogAViedow/Beck/Lemhöfer, BBG, Rdnr. 15 zu § 23: "Bei Konkurrenzsituationen kommt daher dem vorbeugenden Rechtsschutz eine besondere Bedeutung zu" (kurs. i.O.), wobei auf § 123 VwGO hingewiesen wird. S. im einzelnen C.Vm.5.b. 153 Hierzu im einzelnen C.Vm. 154 Zutr. VGH Kassel, B.v. 27.2.1989 - 1 TG 4651/88, DÖD 1990, 65 r.Sp. 155 Isensee, FG BVerwG, 1978, S. 337 (356), lehnt - vom Ansatz getrennter Verwaltungsrechtsverhältnisse her konsequent - auch den Eilrechtsschutz ab. S. dazu C.Vm.5.b. 156 S. im einzelnen C.VÜI.5; zur prozessualen Problematik s. E.V.3.b.cc. 151
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
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V G H Kassel157 zuzustimmen, wenn er ein "'echtes' Konkurrentenverhältnis" zwischen den Bewerbern für "denkbar" hält. cc) Der Rechtsuntergang zu Lasten eines Bewerbers mit "besserem" Recht spielt - zum zweiten - auch im Hochschulzulassungsrecht eine bedeutende Rolle. So soll z.B. bei der Verteilung im Besonderen Auswahl verfahren in der Variante des Auswahlgesprächs der Zugangsanspruch nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 b HRG, §§ 28, 31 ff. VergabeVO ZVS 1985 158 untergehen, wenn ein anderer Bewerber auf Grund eines rechtswidrig durchgeführten Auswahlgesprächs von der Universität zugelassen worden ist. Dabei müßte Entsprechendes konsequenterweise auch für die übrigen Verteilungsverfahren nach den §§25, 26 und 27 VergabeVO ZVS 1985 gelten. Über den Hinweis hinaus, daß der Studienplatz nach Zulassung des Konkurrenten nicht mehr zur Verfugimg stehe,159 wird der Rechtsuntergang in der hier allein ergiebigen Judikatur zum Auswahlgespräch allerdings nicht näher erläutert, geschweige denn begründet. Sollte dabei an den Aspekt der tatsächlichen Unmöglichkeit gedacht sein, wäre dies nicht ausreichend. Es ist gerade die Frage, ob die Zulassung des Konkurrenten rechtsbeständig ist oder einer (subjektiv-rechtlichen) Fehlerkorrektur unterliegt. Ratio decidendi ist für die Rechtsprechung vielmehr auch hier die zum Kapazitätsrechtsstreit entwickelte - Separations-Doktrin. Wie dargestellt,160 soll danach keine rechtliche Ordnung der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Studienplatzbewerbern bestehen; der kapazitätsbedingte Ausschlußeffekt sei nur rein tatsächlicher Natur. Unter diesem Vorzeichen ließe sich der Rechtsuntergang zu Lasten des durch Vergabe nach fehlerhaftem Auswahlgespräch benachteiligten Bewerbers ohne weiteres erklären: Dort, wo nur tatsächliche Beziehungen zwischen Konkurrenten bestehen,161 kommt in der Tat eine Rechtsverletzung von vornherein nicht in Betracht. Das vom BVerfG aus Art. 12 Abs. 1 i. V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete "Recht ... auf Zulassung zum Hochschulstudium"162 liefe dann gegenüber zugangsnormwidrigen Verteilungsakten leer. Dem surrogativen Drittschutz auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen wäre der materiell-rechtliche Boden entzogen; insofern ergibt 157
B.v. 13.1.1989 - 1 TG 3873/88, NVwZ-RR 1989, 376 r.Sp.; s. auch C.VII.2. a und b. Vergabeverordnung ZVS v. 31.7.1985, GVB1. Bay, S. 294; zur Korrektivfunktion des Auswahlgesprachs s. Reich, HRG, Anm. IV. 1 zu § 33. 159 Vgl. exemplarisch VGH Mannheim, B.v. 26.6.1987 - 9 S 786/87, NVwZ 1987, 711 r.Sp.: "Ihren ursprunglichen, danach rechtsfehlerhaft abgelehnten Zulassungsantrag kann die Antragstellerin nicht weiterverfolgen, weil die Studienplätze nach der Auswahlquote spätestens im Nachrückverfahren nach § 24 Abs. 3 S. 2, Hs. 2 W O ZVS anderweitig rechtswirksam vergeben worden sind." 160 C.I.4.a.bb. 161 Vgl. BVerwG, U.v. 8.2.1980 - 7 C 93.77, E 60, 25 (30 f., 37 f.); in diesem Sinne (referierend) Bosch/Schmidt, Einfuhrung, S. 118. 162 BVerfG, U.v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71, E 33, 303 (331 f.). 158
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sich eine Parallele zum Beamtenrecht. Im Gegensatz zur Separations-Doktrin kommt es statt dessen hier wie auch sonst darauf an, ob sich einer Ordnungsnorm ein subjektives öffentliches Recht entnehmen läßt; nur so lassen sich Grund und Reichweite der Rechtsmacht des unterlegenen Bewerbers im Verletzungsfall bestimmen. Statt auf einer rein tatsächlichen Betrachtungsweise zu beharren, sollte die Rechtsprechung die rechtliche Ordnung der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Studienplatzbewerbern auf der Grundlage des materiellen Zugangsrechts anerkennen.163 dd) Welche praktische Bedeutung die Entwicklung der RechtsuntergangsDoktrin im Urteil des BVerwG vom 8.2.1980 164 für andere wechselbezügliche Konfliktlagen über den Bereich des Hochschulzulassungsrechts hinaus haben kann, zeigt - zum dritten - der Beschluß des VGH Mannheim vom 23.9.1983 165 zur Vergabe von Marktstandplätzen vor dem Hintergrund der Zugangsnorm des § 70 Abs. 1 GewO. 166 Unter ausdrücklicher Berufimg auf die vorgenannte Entscheidung des BVerwG nimmt das Gericht an, daß die gewerberechtlichen Zulassungsansprüche "rechtlich selbständig und voneinander unabhängig" seien, dem Ausschluß von Bewerbern "nicht rechtlich, sondern nur tatsächlich" Bedeutung zukomme und sich "aus dem Nebeneinander gleichartiger Ansprüche ... rechtlich keine Konkurrenzsituation" ergeben könne. Von der SeparationsDoktrin führt der Weg zur der Annahme, daß ein nicht zum Zuge gekommener Schausteller durch den Zuschlag an einen Konkurrenten auch nicht in seinen Rechten verletzt sein könne. Dies führt dann folgerichtig zum Untergang des
163 Auch im Versorgungsrecht läßt sich das Rechtsuntergangs-Kriterium als Spielart der Separations-Doktrin nachweisen. So hat das BSG, U.v. 25.11.1986 - IIa RA 18/85, BSGE 61, 27 (28), die Konkurrenz gegenläufiger Versorgungsansprüche gem. § 55 c Abs. 1 S. 2 SVG dadurch gelöst, daß es dem Versorgungsausgleichspflichtigen kein Recht gegenüber der Rentenfestsetzung zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau zuerkannte. Dies folge daraus, daß es sich um zwei getrennte Versoigungsverhältnisse handele: "Der Rentenbescheid hat nur Rechtsbeziehungen zwischen der Beigeladenen und der Beklagten geregelt, an denen der Kläger nicht beteiligt ist." Das Pensionisten-Privileg des § 55 Abs. c 1 S. 2 SVG verschaffe dem Begünstigten nicht das Recht, "nunmehr am Rentenverfahren des ausgleichsberechtigten Ehegatten beteiligt zu werden und insoweit Rechtsbehelfe zu betreiben" (S. 30). Das BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 ff.), hat diese Entscheidung - namentlich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG - bestätigt. Demgegenüber hat das BSG einer Witwe die Rechtsstellung im Hinblick auf die Rentengewährung an die geschiedene erste Frau zuerkannt, U.v. 25.10.1963 - 1 RA 181/62, SozR Nr. 3 zu § 1268 RVO. Da es sich im ersten Fall ebenso um konkurrierende Versorgungsansprüche wie im zweiten handelt, kann das Separations-Kriterium als solches die Differenzierung nicht begründen. 164 7 C 93.77, E 60, 25 (30 f., 37 f.). 165 6 S 2246/83, NVwZ 1984, 254 f. Vgl. OVG Münster, U.v. 12.11.1990 - 4 A 1151/89, DÖV 1991, 653 l.Sp., das von der "Ausübung des Verteilungs- und Ausschließungsermzssens" (kurs. v. Verf.) spricht. 166 Entsprechendes gilt für das kommunalrechtliche Recht auf Zugang zu Märkten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen (z.B. Art. 21 Abs. 1 BayGO); dazu C.VDI.7.
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
Zugangsrechts: Aus der angeblich rein tatsachlichen Konkurrenzsituation leitet das Gericht letztlich die Rechtsbeständigkeit einer zugangsnormwidrigen Marktplatzvergabe zu Lasten eines anderen, womöglich besser qualifizierten Bewerbers ab. Eine überzeugende dogmatische Begründung, die über den Hinweis auf die angeblich bloß tatsachliche Konkurrenzsituation oder die hilfsweise angesprochene "weitere Schwierigkeit" 167 der Behandlung bereits abgeschlossener zivilrechtlicher Vertrage hinausginge, erfolgt nicht. Damit aber wird die Maßgeblichkeit der Ordnungsnorm außer Acht gelassen und einer Fehlerkorrektur auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen die materiell-rechtliche Grundlage genommen. ee) Schließlich nimmt die Rechtsprechung - zum vierten - einen Rechtsuntergang in einem engen Teilbereich des Taxikonzessionsrechts an. Grundsatzlich garantiert das Prioritätsprinzip zwar eine multipolare Rangsicherung für die Bewerber mit besserer Placierung. Dennoch kann es bei isolierten Zugangsvornahmebegehren in einem noch zu erörternden Ausnahmefall zum Rechtsuntergang eines Bewerbers entgegen seiner Rangstelle auf der Vormerkliste kommen. 168 Insoweit besteht eine teilweise Parallele zu dem eben erörterten Ausschluß "rangbesserer" Bewerber im Kapazitätsrechtsstreit, auch wenn hier die Problematik zeitabhängiger Kapazität nicht besteht. Da das Prioritätsprinzip gem. § 13 Abs. 5 S. 2 PBefG jedoch nur als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, bleibt der Zusammenhang mit dem normativen Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm gewahrt.
c) Der Sonderfall des institutionalisierten Rechtsuntergangs im Kapazitätsstreit Auf einer ganz anderen Ebene liegt der institutionalisierte Rechtsuntergang bei der Verteilung von Studienplätzen außerhalb der in den Zulassungszahlenverordnungen 169 normativ festgesetzten Kapazität. Grundlage des Rechtsunter167
VGH Mannheim, B.v. 23.9.1983 - 6 S 2246/83, NVwZ 1984, 254 (255). S. im einzelnen C.Vffl.3.b. 169 Die maßgeblichen (regelmäßig abstrakten) Berechnungsmodalitatenfinden sich in den Kapadlätsverordnimgen, die dem Gebot der erschöpfenden Kapazitätsauslastung genügen müssen. Auf ihrer Grundlage erstellen die Universitätsverwaltungen die Kapazitätsberechnungen, die von den Wissenschaftsverwaltungen der Lander in den Zulassungszahlenverordnungen zugrunde gelegt werden; vgl. zum Verhältnis zwischen KapV und Zulassungszahlenverordnung im einzelnen Bahro, Hochschulzulassungsrecht, S. 251 ff.; zum Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers und den Möglichkeiten der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung s. BVerfG, B.v. 22.10.1991 - 1 BvR 393, 610/1985, NVwZ 1992, 361 (362 ff.); dazu Brehm/ZimmeHing, NVwZ 1992, 340 (341 f.). Damit ist die frühere Judikatur des BVerwG (U.v. 3.12.1984 - 7 C 3.83 u.a.a, E 70, 318 (332, 335)), das die Inhaltskontrolle lediglich am Maßstab der Willkürfreiheit vorgenommen hatte, obsolet; s. zu dieser Rspr. Dörr, JuS 1988, 96 (100 f.); Becker, NVwZ 1987, 653 (660 ff.). 168
1 . . Separations-Doktrin und
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gangs ist hier die sog. kapazitätsdeckende Wirkung realisierter einstweiliger Anordnungen, die dem i m Losverfahren erfolgreichen Bewerber die (vorläufige) Zulassung ermöglicht. Voraussetzung für einen derartigen ersten Zugriff war die Entkoppelung von Zugangsanspruch und Rangplatz, also die Annahme, daß die "Rangziffer nicht konstitutiver Bestandteil des Zulassungsanspruchs" 170 ist. Nach dieser vom B V e r f G 1 7 1 veranlaßten Abkehr des B V e r w G von seiner früheren strikt leistungswettbewerblichen Rechtsprechung 172 verlor das subjektive öffentliche Zugangsrecht - in sicherlich verständlichem Interessen an einer höchstmöglichen Kapazitätsausnutzung - die Fähigkeit zur Durchsetzung der relativen Konkurrenzposition nach Maßgabe des Leistungsrangs. D i e gerichtlich ermittelten zusätzlichen Studienplätze werden "'auf den ersten Zugriff hin' vergeben, d.h., sie stehen für weitere Zulassungen nicht mehr zur Verfügung, sobald sie durch - realisierte - einstweilige Anordnungen des Gerichts anderen Bewerbern zugewiesen sind". 1 7 3 W e r in einem vom Verwaltungsgericht angeordneten Losverfahren einen Rangplatz einnimmt, 1 7 4 der die
170
BVerwG, U.v. 8.2.1980 - 7 C 93.97, E 60, 25 (37): Der "Auswahlmodus" präge "nicht den Zulassungsanspruch, sondern bestimmt nur seine Realisierung"; hiermit begründet das Gericht die weitere Rechtshängigkeit der Streitsache eines Revisionsklägers, der gegen das ein Losverfahren anordnende erstinstanzliche Urteil keine Berufung eingelegt hatte. 171 B.v. 9.4.1975 - 1 BvR 344/73, E 39, 258 (270 ff.), wonach der "verfassungsrechtlich gewährleistete Zulassungsanspruch ... rechtlich unabhängig von dessen Rangstelle zu sehen" (S. 270) ist und die Rangziffer "nur das jeweilige Verhältnis eines Bewerbers zu seinen Mitbewerbern in einer Konkurrenzsituation" kennzeichnet, "nicht aber den Zulassungsanspruch gegenüber dem staatlichen Ausbildungsträger erst konstitutiert" (S. 271). Die Zulassung eines klagenden Bewerbers "mit ungünstiger Rangstelle" könne daher "die besser plazierten nicht-klagenden Bewerber nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzen". Mit Recht krit. zu diesem - nur einen Fall des Angebotsüberhangs betreffenden - Beschluß Schmidt-Aßmarm, WDStRL 34 (1976), 221 (262 f.): Die "Überspringung eines erneuten zusammenfassenden Verwaltungsverfahrens" bleibe grundsätzlich "bedenklich"; s. auch Sendler, in: FS f. Simon, 1987, 113 (123), unter Hinweis auf die vom BVerfG erstrebte höchstmögliche Kapazitätsausnutzung. Zust. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStrR VI, Rdnr. 82 zu § 147; Schuppen, in: FS f. M. Hirsch, 1981, S. 567 (577); Menger, VenvArch. 67 (1976), 419 (420 f.). 172
BVerwG U.v. 22.6.1973 - VD C 7.71, E 42, 296 (303 ff.). Dort hatte das BVerwG das Rangverhältnis als Ausdruck des Leistungsprinzips im Interesse der Chancengleichheit zugunsten der besser placierten nicht klagenden Bewerber konstitutiv berücksichtigt, da der rangschlechtere Bewerber bei ordnungsgemäß durchgeführtem Verfahren nicht zum Zuge gekommen wäre. Unter dem Aspekt der leistungswettbewerblichen Rangsicherung hatte diese Rspr. einiges für sich; vgl. auch Schmidt-Aßmarm, WDStRL 34 (1976), 221 (262 f.) Fn. 145; a.A. allerdings J. Schmitt, NJW 1974, 773 (777); Haas, DVB1. 1974, 22 (24); Czermak, NJW 1973, 1783 (1784)). 173 BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 48.89, NVwZ-RR 1991, 362 l.Sp. Stellt sich im Hauptsacheverfahren heraus, daß wegen zu großzügiger Einschätzung der zusätzlichen Kapazität zu viele einstweilige Anordnungen erlassen und damit Studienplatzbewerber (vorläufig) aufgenommen worden sind ("Überbesetzung"), erfolgt die "Auflösung der Bewerberkonkurrenz" primär nach dem Prioritätsgrundsatz. Die vorgenannte Entscheidung bestätigt das Grundsatzurteil zum "ersten Zugriff" in BVerwG, U.v. 1.12.1978 - 7 C 34.78, E 57, 148 ff. 174 Durchfuhrung der Verlosung und Herstellung der Rangfolge sind reine Verwaltungs10 Schmidt-Preuß
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
118
Zuordnung zu einem der zusatzlichen Studienplätze erlaubt, kommt in den Genuß eines Anwartschaftsrechts. Dieses verschaßt ihm eine gesicherte Rechtsposition zu Lasten aller Konkurrenten auch mit Wirkung für anschließende Hauptsacheverfahren. 175 Damit haben alle antragstellenden Bewerber, die im Losverfahren nicht zum Zuge gekommen sind, das Nachsehen, auch soweit sie im Hauptsacheverfahren klagen. Das Anwartschaftsrecht sichert dem durch Losglück begünstigten Bewerber den ersten Zugriff selbst dann, wenn er bei von vornherein richtig festgesetzter Kapazität in den vier ZVS-Verteilungsverfahren gar nicht zum Zuge gekommen wäre, sondern einem besser qualifizierten Bewerber den Vortritt hätte lassen müssen. Dessen "besseres" Recht geht unter. Dies ist gemeint, wenn hier vom institutionalisierten Rechtsuntergang zu Lasten aller Bewerber gesprochen wird, die nicht zu den im Losverfahren erfolgreichen Antragstellern gehören. Für die im Eilverfahren ihre Rechte verfolgenden Studienplatzbewerber hat das Losverfähren somit eine konfliktlösende Funktion. Da es an einer gesetzlichen Normierung der Verteilung "versteckter" Studienplätze fehlt, 176 kommt es zur Kollision der grundrechtlichen Zugangsrechte aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip.177 Obwohl das BVerwG auch die Berücksichtigung von ZVS-Kriterien für zulässig hält, 178 wird von der Rechtsprechung der Obergerichte ganz überwiegend die Anordnung des - von der Universität durchzuführenden - Losverfahrens präferiert. 179 Dem ist zuzustimmen. Trotz der nicht
tatigkeit und nicht Sache des Gerichts. Zur Kritik, die Gerichte würden die Rolle eines "Studienplatzverteilungsamtes* einnehmen, s. Püttner, in: Götz/Klein, H.H./Staick, (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung undrichterlicher Kontrolle. Göttinger Symposion, 1985, S. 131 (134)). 175 S. VGH Mannheim, U.v. 2.12.1986 - NC 9 S 526/86 u.a., KMK-HSchR 1987, 449 (451), wonach "der Losentscheid das Rangverhältnis unter den klagenden Studienplatzbewerbern für die Dauer des gesamten gerichtlichen Verfahrens" festlegt. Die damit begründete "Anwartschaft auf Zulassung gemäß der Rangfolge ... wirkt sich zu Lasten des nur im Hauptsacheverfahren mitkonkurrierenden Bewerbers aus" (kurs.i.O.). Voraussetzung istfreilich, daß nicht die Kapazitätsberechnung selbst zu beanstanden ist. S. auch oben C.I.4.a.bb bei Fn. 135. 176
Vgl. DalUnger/Bode/DelUan, HRG, Rdnr. 1 zu § 32 Fn. 2: "'Regelungslücke'"; s. auch oben B.n.2.c.aa. 177 S. hierzu BVerfG, B.v. 22.10.1991 - 1 BvR 393, 610/85, DVB1. 1992, 145 r.Sp., unter Bezugnahme auf BVerfG, U.v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71, E 33, 303 (332); dazu Häberle, DÖV 1972, 729 (732 ff.); von Mutius, VerwArch. 64 (1973), 183 (186 ff.); Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 80 zu § 147, und ders., in: FG BVerwG, 1978, S. 89 (114 ff.); s. auch Karpen, Berufslenkung, S. 58 f. 178 Vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1989 - 7 C 17.89, DVB1. 1990, 531 (532). 179 S. VGH Kassel, B.v. 3.2.1987 - Ga 42 G 7654/84 T, DVB1. 1987, 956; VGH Mannheim, B.v. 4.8.1980 - NC 9 S 1170/80, NJW 1980, 2773 r.Sp.; OVG Münster, U.v. 30.1.1981 13 A 559/80, Ausfertigung, S. 33; OVG Bremen, B.v. 6.1.1981 - 1 B 77/80, DVB1. 1981, 586 f.; VGH München, B.v. 11.3.1977 - Nr. 313 VD 76 u.a., VGH n.F. 30, 51 f. - Andere nur OVG Hambuig, U.v. 15.12.1986 - Bf m 154/86, Ausfertigung, S. 103 ff.: "Zulassungswahrscheinlich-
1 . . Separations-Doktrin und
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zu leugnenden Ambivalenz des Los-Kriteriums 180 stellt es doch im schmalen Anwendungsbereich des Kapazitätsrechtsstreits als Notordnung 181 das richtige Verteilungskriterium zur Bewältigung des Konkurrenzkampfs um gerichtlich eikannte zusätzliche Studiaiplätze dar. Angesichts der Zeitabhängigkeit verfügbarer Kapazität ist hier ein Verteilungsprinzip gefordert, das gerade im Interesse der effektiven Anspruchsverwiiklichung eine schnellstmögliche, "plausible" Entscheidung garantiert. Unter diesen Voraussetzungen erscheint das Losverfahren als das geeignetste Instrument. 182 Von daher kommt dem prinzipiellen grundrechtlichen Zugangsrecht nur der Charakter einer Loschance zu. 1 8 3 Zusammenfassend ist festzustellen, daß der institutionalisierte Rechtsuntergang im Kapazitätsrechtsstreit nicht zur Fehlerkorrektur auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen gehört. In der Konkurrenz zwischen den am Losverfahren teilnehmenden Bewerbern geht es um eine zeitgebundene Lösung der Grundrechtskollision. Der Rechtsuntergang derer hingegen, die es versäumt haben, einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung überhaupt zu stellen, rechtfertigt sich statt dessen aus der multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung in der Variante der materiellen Verwirkung. 184
keit", "Verteilung nach materiellen Kriterien", sowie OVG Koblenz, B.v. 18.3.1990 - 1 D 70/89, Ausfertigung, S. 17 ff.: Prioritatsprinzip und Sekundarauswahl nach ZVS-Kriterien, "Grenzrang"; vgl. zur Problemtik auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen C.Vm.6; zur multipolaren Obliegenheit einer rechtzeitigen Antragstellung bei Gericht s. C.n.2.b.bb. 180 Strikt abl. Dürig, in: Maunz/DQrig, Rdnr. 231 zu Art. 3 I GG: "Bankrotterklärung des Rechts" (kurs.i.O.); gegen ein reines Losverfahren Oppermann, WissR Beiheft 6/1978, S. 259 (269); differenzierend auch Berg, Die Verwaltung, 15 (1976), 1 (23); krit. zum früheren leistungsgesteuerten Losverfahren Neil, Wahrscheinlichkeitaurteile, S. 243 f. 181 S. hierzu unter dem Aspekt von "Wahrscheinlichkeiten ... auf der 'Rechtsfolgenseite'" Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 229: "Die rechtliche Bewertung endet ... in der Zuteilung einer Wahrscheinlichkeit; die eigentliche Entscheidung trifft dann eine Lotterie." 182 Für Losverfahren außer der in Fn. 179 nachgewiesenen Rspr. Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 82 zu § 147; Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (23), im Sinne einer " 'Restauslosung'"; Stumpe, VB1BW 1981, 65 (72); zutr. die Übereinstimmung des Losverfahrens mit den Grundsätzen des 1. mimeius-clauaua-Urteils (BVerfGE 33, 303) hervorhebend VG Gelsenkirchen, U.v. 6.2.1973 - 4 L 437/72, DÖV 1973, 679 f. (für Aufrahme von Fachwechslern durch die Universität nach damaligem Recht) mit zust. Anm. v. Lüthje, DÖV 1973, 680 l.Sp. - Für Prioritätsprinzip Schock, Rechtsschutz, S. 803, der aber selbst einräumt, daß bei Zeitgleichheit gelost werden muß, ibid., S. 804. - Ansonsten kennt die Rechtsordnung nur in Ausnahmefallen das Losverfahren, s. z.B. § 9 Abs. 5 S. 2 RFG Nds., das aber der Bedeutung der Konfliktlösung für die konkurrierenden Rundfunkanbieter nicht gerecht wird. 183 S. VG Köln, B.v. 26.1.1989 - 6 L 2266/88, Ausfertigung, S. 4: Anordnungsanspruch aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsprinzip, gerichtet auf Teilnahme am Losverfahren. 184 S. im einzelnen C.D.2.b.
120
C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
5. Separations-Doktrin
und zivilrechtliche
Konfliktschlichtung
a) Separation und Rechtsweg Bleibt der normativen Ordnung der Konfliktbeziehungen im Horizontalverhältnis die Anerkennung versagt, kann dies eine Verlagerung des Ausgleichs der kollidierenden Privatinteressen in das Zivilrecht zur Folge haben. Subjektive öffentliche Rechte wegen einer "Verdoppelung" des Rechtsschutzes zu verneinen, würde freilich bedeuten, daß man die Ordnungsnorm nicht als im Rahmen der Verfassung abschließende - subjektive öffentliche Rechte versagende oder gewährende - Konfliktregelung ansieht. Wenn die Bejahung oder Verneinung einer Drittrechtsposition nicht aus dem normativen Horizontalverhältnis abgeleitet wird, sondern lediglich die bipolare Beziehung zwischen Genehmigungsinhaber und Staat maßgeblich sein soll, dann liegt die Fragestellung in der Tat fast nahe, ob dem Dritten nicht außerhalb des öffentlichen Rechts "ausreichend" zivilrechtlicher Schutz zu Gebote steht. Dies ist die Position der Judikatur zu zivilrechtsbezogenen Konfliktlagen. Eine solche Argumentationslinie findet sich vor allem im Versicherungsaufsichts-, Wohnungsbindungs-, Strompreis- und Personenbeforderungsrecht. 185 So wird z.B. die Verneinung der Klagebefugnis hinsichtlich § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG 1974 durch das Urteil des BVerwG vom 15.11.1985 186 maßgeblich darauf gestutzt, daß es einen "zweigleisigen Rechtsschutz" zu vermeiden gelte und der Drittkläger seine Rechte vor den Zivilgerichten verfolgen könne.
b) Ablehnung der Zivilrechtsweg-Doktrin aa) Einer solchen funktionell-rechtlich begründeten Verneinung subjektivöffentlicher Drittrechte steht die Maßgeblichkeit des normativen Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm als Quelle subjektiver öffentlicher Rechte entgegen. Im Kern hat das BVerwG 187 gar nicht die Voraussetzungen eines subjektiven öffentlichen Rechts geprüft, sondern die Frage in den Mittelpunkt gestellt, ob der Kläger sein Drittabwehrbegehren dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung soll unterbreiten können, wenn er ohnedies im Zivilrechtsweg
185 Vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.88, E 72, 226 (231); U.v. 25.11.1986 1 A 20.82, E 75, 147 (154 f.); VG Berlin, U.v. 24.2.1982 - 1 A 272/80, RdE 1982, 144 (146); VG Köln, U.v. 9.5.1967 - 1 K 2187/66, VersR 1968, 462 f.; BVenvG, B.v. 5.10.1979 - 7 B 203.79, DÖV 1980, 416 r.Sp.; s. auch BVerwG, U.v. 8.7.1977 - VU C 72.74, DÖV 1978, 619 (620). Ebenso - allerdings nur im Rahmen einer Hilfserwägung - Dörschuck, Typengenehmigungen, S. 133 (zur Kfz-Haftpflichtversicherung). 186 8 C 43.83, E 72, 226 (230 f.). 187 Ibid., S. 230.
1.5. Separations-Doktrin und zivilrechtliche Konfliktachlichtung
121
"bereits angemessen" geschützt ist. Die Existenz eines subjektiven öffentlichen Rechts kann aber nicht davon abhängen, ob das zuständige Verwaltungsgericht parallelen Zivilrechtsschutz für ausreichend hält. Wenn auch das BVerwG in der genannten Entscheidung ausdrücklich die Schutznormtheorie anspricht, wendet es sie in der Sache doch nicht an, da es ein (schutzwürdiges) Interesse des Mieters wiederum deshalb verneint, weil dieser bereits im Zivilrechtsweg ausreichend geschützt sei. Demgegenüber ist festzuhalten: Bestand und Reichweite subjektiver öffentlicher Rechte sind unabhängig von den Möglichkeiten zivilrechtlicher Rechtsverfolgung in bezug auf denselben Sachverhalt.188 Prozessual lassen sich die Gesichtspunkte der Zweigleisigkeit nur beim allgemeinen Rechtsschutzfoedürfnis ansiedeln. Dies aber setzt voraus, daß die Klagebefugnis bejaht wird. Daher kann die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte nicht mit Rücksicht auf eine Zweigleisigkeit des Rechtsschutzes verneint werden. Unter allgemein-verwaltungsrechtlichem Aspekt ist noch hervorzuheben, daß etwa im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz die Möglichkeit subjektiver öffentlicher Drittrechte gem. § 15 SchwbG oder § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG niemals unter dem Aspekt in Frage gestellt wurde, daß gem. § 1 Abs. 2 KSchG im Rahmen der sozialen Rechtfertigung ausreichender arbeitsrechtlicher Rechtsschutz gewährt werden könne. 189 Diese Divergenz hätte einer näheren Begründung bedurft.
188 S. auch die treffende Kritik von Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 96 (kurs. i.O.), an der These "von der angeblichen Subsidiarität des kartellrechtlichen Konkurrentenschutzes gegenüber zivilrechtlichen Abwehransprüchen", wie sie der BGH, U.v. 14.11.1968 - KVR 1/68, Z 51, 61 (67), vertritt. Die materielle Ordnungsnorm des § 22 GWB kennt einen solchen Vorrang nicht. Der VGH München, U.v. 31.6.1967 - Nr. 162 Vffl 66, VerwRspr. 19 Nr. 73, S. 286 (289), führt im Gegenteil sogar aus, daß bei Verneinung subjektiver öffentlicher Rechte "immer wieder die Verwaltungsbehörden angerufen werden müßten und sich dann erneute Zivilklagen anschließen könnten"; der hierdurch entstehenden "Rechtsunsicherheit" werde begegnet, "wenn der Betroffene mit öffentlich-rechtlichen Mitteln sich zur Wehr setzen kann". 189 Gegen die hier vertretene Unabhängigkeit der Begründung subjektiver öffentlicher Rechte vom Zivilrecht laßt sich auch nichts unter dem Aspekt möglicher zeitlicher Diskrepanzen einwenden. So sind die §§ 15 ff. SchwbG sogar als Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gewertet worden (s. LAG Hamm, B.v. 19.12.1985 - 1 Ca 933/84, BB 1986, 670 f.; ArbG Siegen, 1 Ca 2204/87, BB 1988, 1608 (LS); ebenso Wenzel, ArbuR 1985, 326 (327 f.); dagegen Cramer, SchwbG, Rdnr. 21 zu § 15), weil der Kündigungsschutzprozeß für die Dauer des Verwaltungsgerichtsverfahrens blockiert sei und damit Nachteile des Schwerbehinderten z.B. im Hinblick auf die Verurteilung zu Lohnnachzahlungen entstünden. Dem kann nicht gefolgt werden. Die zeitliche Abhängigkeit des Kündigungsschutzes ist mit der Konstituierung eines vorgelagerten öffentlichrechtlichen Kontrollverfahrens notwendig verbunden. Damit soll die konkrete Dauer der Verwaltungsgerichtsverfahren nicht beschönigt werden. Dies aber ist eine Frage der personellen Ausstattung der Gerichte, die an der dogmatischen Grundlegung des subjektiven öffentlichen Rechts nach § 15 SchwbG nichts ändert.
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
Schließlich trifft auch die Prämisse der Zweigleisigkeit der Rechtsverfolgung oder - wie das BVerwG auch sagt - eines " 'verdoppelnden1 " 1 9 0 Rechtsschutzes nicht zu. Insofern fehlt es an der Identität der Streitgegenstände. 191 So muß z.B. zwar auch das ArbG bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft berücksichtigen,192 doch liegt dem öffentlich-rechtlich«! Kündigungsschutz trotz unverkennbarer Annäherung der Abwägungskriterien sowohl bei der ordentlichen wie der außerordentlichen Kündigung eine stärkere Orientierung am Fürsorgeprinzip zugrunde, als es beim arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz gem. § 1 Abs. 2 KSchG der Fall ist. 193 Beide Rechtsmaterien streben den Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen mit formell wie materiell unterschiedlichen Instrumenten an. Die "spezifische Wirkung des Sondeikündigungsschutzes"194 hegt nach dem SchwbG in der Nichtigkeit der Kündigung, was den Weiterbeschäftigungsanspruch zur Folge hat, während es einen "gleichwertigen Arbeitsplatzschutz" im Kündigungsschutziecht des KSchG nicht gibt. 195 Letztlich erweckt die Rechtsprechung mit dem Hinweis auf den im Zivilrechtsweg zu verfolgenden Rechtsschutz den Eindruck, als ob dort die Sachbitte des Klägers sogar eher erfüllt werden könnte, als dies im Verwaltungsrechtswege der Fall wäre. Gerade aber bei den Interessenkonflikten über die Höhe von Preisen, Tarifen etc. wird die Position der privaten Kunden von Anbietern derartiger Leistungen durch Verlagerung des Rechtsstreits in das Zivilrecht nicht gestäikt, weil es auch dort keine "Preiskontrolle" gibt. Das gilt sowohl für die Inhaltskontrolle gem. § 9 AGBG 196 wie für § 315 Abs. 3 BGB. 197
190
BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (231). Vgl. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 123; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 96; Mußgnug, in: FS zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 479 (490); Bartlsperger, DVB1. 1969, 265 (267); Cramer, SchwbG, Rdnr. 19 zu § 15; Roth, UTR 12 (1990), 329 (334 ff.), der zu Recht auch eine "Rechtskrafterstreckung kraft SinnZusammenhangs" verneint. Aus der Rspr. s. bereits BVerwG, U.v. 28.11.1958 - V C 32.56, E 8, 46 (49): Die Entscheidung der Hauptfuroorgestelle unterscheide sich "grundlegend" von der des Arbeitsgerichts; unterschiedliche Streitgegenstande räumt das VG Köln, U.v. 9.5.1967 - 1 K 2187/66, VersR 1968, 462 f., in bezug auf die Genehmigung einer Pramienerhöhung in der KfzHaftpflichtversicheiung ein, das dann aber vomrichtigenBegründungsweg abkommt und Drittschutz deshalb verneint, weil ausreichender Zivilrechtsschutz zur Verfugung stehe. S. noch unten E.V1.5. 192 Zur Sozialauswahl im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung s. Rieble, NJW 1991, 65 (67 ff.). 193 Vgl. Neubert/Becke, SchwbG, Rdnr. 10 zu § 15. 194 BVerwG, U.v. 15.12.1988 - 5 C 67.85, JZ 1989, 843 (845); dort befindet sich auch das folgende Zitat. 195 S. Etzel, in: GK-KSchG, Rdnr. 28 zu §§ 15 - 20 SchwbG. 196 Vgl. Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Rdnr. 7 vor § 1; Hühner, in: FS f. Steindorff, 1990, S. 589 (598 f.). 197 S. zum Primat des § 12 a BTO Eh (a.F.) im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB Luhes, BB 1985, 2258 (2260 ff., 2264 ff.). 191
1.5. Separations-Doktrin und zivilrechtliche Konfliktchlichtung
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bb) Konrad 198 hat aus der "Eigenverantwortung des jeweiligen Petenten" ableiten wollen, daß "für Leistungsansprüche einzelner auf nachbarschützendes Einschreiten der Verwaltung ... generell kein Raum" sei. Anstelle subjektiver öffentlicher Nachbarrechte gebe es hier allein Zivilrechtsschutz. Dabei könnten drittschützende Vorschriften des öffentlichen Nachbarrechts im Wege der §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB zum Zuge kommen. Einer solchen Verlagerung des Rechtsschutzes im gesamten Drittvornahmebereich vom öffentlichen Recht in das Zivilrecht ist zu widersprechen. Wie schon zur Ablehnung der Zweigleisigkeits-Rechtsprechung ausgeführt, bemessen sich subjektive öffentliche Rechte allein nach dem normativen Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm. Sie sind unabhängig von etwaigem Zivilrechtsschutz hinsichtlich desselben Lebenssachverhaltes. Eine funktionell-rechtliche Limitierung oder Verneinung subjektiver öffentlicher Rechte ist damit auch hier abzulehnen. Das schließt nicht aus, daß im Einzelfall in der Tat ein Interessenkonflikt zwischen Privaten bei klar erkennbar privat-nachbarlichem Charakter allein dem Zivilrecht überlassen sein kann. 199 Das aber ist - prozessual - ausschließlich eine Frage des Rechtsschutzbedürfhisses. 200 Auch in anderen fachgesetzlichen Bereichen bietet sich kein Ansatzpunkt für eine Verlagerung der Konfliktlösung in das Zivilrecht. Dies gilt z.B. für das öffentliche Wirtschaftsrecht. Hier kann nicht mit dem Hinweis auf Strukturprinzipien der freien Privatrechtsordnung a limine die Möglichkeit subjektiver
198 BayVBl. 1984, 70 (71 f.); wenn dort unter Hinweis auf die "Subjektstellung des einzelnen" die Existenz subjektiver öffentlicher Rechte im Baurecht bejaht wird, dann ist es unter dem Aspekt des Schutznorm-Konzepts nicht einleuchtend, wenn gleichzeitig (im Bereich nachbarlicher "Leistungsansprüche") die Durchsetzung nur über §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog im Wege des quasinegatorischen Stöningsbeseitigungs- und Unterlassungsanspruchs erfolgen soll. Zur Verneinung eines subjektiven öffentlichen Rechts s. ibid., S. 71: "kein Anspruch"; vgl. ferner S. 37: Der Gestörte erleide bei Verweisung auf den Zivilrechtsweg "keinerlei materiellen Rechtsverlust". Im übrigen ist zu bemerken, daß Konrad seine These auch mit einer Gleichwertigkeit von zivilrechtlichem und verwaltungsrechtlichem Nachbarschutz (S. 37) begründet, andererseits aber Unterschiede in den "Verfahrenswegen" einräumt, S. 71. 199 Vgl. z.B. OVG Berlin, B.v. 26.6.1989 - 2 S 7.89, UPR 1989, 400 r., unter dem Aspekt, daß der Antragsteller die begehrte Wohnungsräumung auf einfachere Weise im Zivilrechtswege erreichen könne; VGH Mannheim, U.v. 8.3.1990 - 8 S 169/90, NVwZ 1990, 1186 (1187). 200 Materiell-rechtlich kann, wie Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 276, zu Recht hervorhebt, die polizei- und ordnungsrechtlichen Subsidiaritätsklausel (s. z.B. Art. 2 Abs. 2 PAG; danach ist obliegt der "Schutz privater Rechte" der Polizei nur dann, "wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde") behördliche Passivität nicht rechtfertigen, "wenn die Anwendung öffentlich-rechtlichen Immissionsschutzrechtes in Betracht kommt". Insoweit kann aber in der Tat im Hinblick auf zur Verfügung stehenden Zivilrechtsschutz im Ermessenswege von einem Einschreiten abgesehen werden.
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C.I. Drittschutz-Doktrinen in multipolarer Perspektive
öffentlicher Rechte ausgeschlossen weiden. Umgekehrt fuhrt die Annahme eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB oder des § 35 GWB nicht automatisch zur Bejahung des Drittschutzcharakters einer verwaltungsrechtlichen Ordnungsnorm. So hat das BVerwG 201 etwa die Frage eines subjektiven öffentlichen Rechts auf ordnungsbehördliches Einschreiten wegen Verstoßes gegen das LadSchlG durch einen Konkurrenten zu Recht unabhängig davon geprüft, ob ein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Bestimmungen des LadSchlG besteht. Ebensowenig kann der bergrechtliche Drittrechtsschutz zugunsten des zivilrechtlichen Bergschadensrechts zurückgedrängt werden. 202 Schließlich besteht ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch auf Herausgabe der geräumten Wohnung nach Ende der Beschlagnahmefrist unabhängig davon, ob der Eigentümer über einen zivilrechtlichen Räumungstitel verfügt oder nicht. 203 cc) Ausnahmsweise tritt die öffentlich-rechtliche Konfliktschlichtung dann zurück, wenn spezialgesetzlich eine abschließende zivilrechtliche Schlichtungsordnung ausdrücklich vorgesehen ist. Dies ist beim WEG der Fall, das eine detaillierte und definitive Regelung für die Beilegung von Streitigkeiten im Verhältnis von Sondereigentümern untereinander wie auch im Verhältnis zwischen Sondereigentümer und Eigentümergemeinschaft 204 geschaffen hat. 203 § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG sieht ausdrücklich die Entscheidung des Amtsgerichts in den Fällen von Streitigkeiten über "Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander" vor, was sowohl die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums wie auch den Gebrauch des Sondereigentums betrifft (§ 15 Abs. 3 WEG). Es ist daher richtig, wenn das BVerwG 206 in diesen Fällen öffentlich-rechtlichen
201
B.v. 21.11.1967 - I B 91.67, Buchholz 451.25 LadSchlG Nr. 11, S. (3). Vgl. nachdrücklich Hoppe, Bergwerkseigentum, S. 11 ff.; nicht zu folgen dagegen H. Schuhe, NVwZ 1989, 1138 ff.; ders. 9 UTR 12 (1990), 101 (105 f.). 203 Insoweit zutr. VGH Mannheim, VGH Mannheim, B.v. 22.2.1990 - 1 S 151/90, DÖV 1990, 573 (574): Vollstreckungsschutz gem. § 765 a ZPO sei weder "vorrangig noch vorgreifich". Für Subsidiarität des polizeilichen Eingreifens zugunsten einer vollstreckungsrechtlichen Konfliktlösung Schlink, NJW 1988, 1689 (1693 f.). 204 S. BVerwG, B.v. 28.2.1990 - 4 B 32/90, NVwZ 1990, 655 r.Sp, bzw. U.v. 4.5.1988 4 C 20.85, DVB1. 1988, 851 f. 205 Allerdings können Wohnungseigentümer Vornahmeansprüche auf ein Einschreiten gegen außenstehende Dritte auf der Grundlage ihres Sondereingentums geltend machen, vgl. OVG Münster, B.v. 28.2.1991 - 11 B 2967/90, NWVBL 1991, 165 r.Sp. Der Mieter ist allerdings kein außerhalb der Eigentümergemeinschaft stehender Dritter, s. VGH Mannheim, B.v. 11.6.1991-8 5 1385/91, DÖV 1991, 896. 206 Vgl. U.v. 4.5.1988 - 4 C 20.85, DVB1. 1988, 851 (852): Anfechtungsklage eines Sondereigentümers im Hinblick auf eine der Wohneigentümergemeinschaft erteilte Baugenehmigung für Baumaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum. Es fehle "an der für die öffentlich-rechtliche Nachbarklage kennzeichnenden Dreiecksbeziehung". Dasselbe gilt für Abwehransprüche im 202
1.5. Separations-Doktrin und zivilrechtliche Konfliktchlichtung
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Nachbarschutz ausschließt und dabei hervorhebt, daß es hier an einem "Dreiecksverhältnis" fehlt. Dies schließt freilich Vornahmeansprüche eines Sondereigentümers auf Einschreiten gegen einen anderen Sondereigentümer wegen möglicher Gesundheitsgefahrdung nicht aus. 207 Ebenso bestehen öffentlichrechtliche Abwehrpositionen des Wohnungseigentümers bei Beeinträchtigungen seines Sondereigentums durch Dritte. 206 Schließlich existiert eine eigenständige, vorrangige zivilrechtliche Streitschlichtungsordnung auch für das Verhältnis zwischen Miteigentümern. 209
c) Bindung der Zivilgerichte an die öffentlich-rechtliche Konfliktschlichtung? Hat der Gesetzgeber zur Bewältigung multipolarer Konfliktlagen eine spezifische öffentlich-rechtliche Regelung eingeführt und subjektive öffentliche Rechte begründet, 210 kann es zu unterschiedlichen Zuständigkeiten und Entscheidungen von Verwaltungs- und Zivilgerichten hinsichtlich eines Lebenssachverhaltes kommen. Mögliche "Unzuträglichkeiten einer Doppelzuständigkeit" (W. Jellinek) 211 sind dabei nicht zu leugnen. Sie sind aber unvermeidbar, wenn nicht kraft Gesetzes ausnahmsweise zivilrechtliche Abwehrrechte wie im Fall des § 14 BImSchG ausgeschlossen sind. Eine derartige Hintanstellung der zivilrechtlichen Streitschlichtung kann allerdings nur der Gesetzgeber vornehmen. Daher ist dem BVersvG212 nicht zu folgen, wenn es mit der - dem Grunde nach begrüßenswerten - Anerkennung des Nachbarschutzes auch gegenüber einer einfachen wasserrechtlichen Erlaubnis eine Präklusion zivilrechtlicher
Verhältnis von Sondereigentümern untereinander, vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1988 - 4 C 1.86, NVwZ 1989, 250 (251), unter Hinweis auf §§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 3 WEG. Das BVerwG, B.v. 28.2.1990 - 4 B 32.90, NVwZ 1990, 655 f., schließlich verneint die Zulässigkeit der Klage eines Sondereigentümers gegenüber der einem außenstehenden Dritten erteilten, das Gemeinschaftseigentum betreffenden Baugenehmigung: Das Sachbescheidungsinteresse sei nicht drittschützend. 207 Insoweit offengelassen von BVerwG, B.v. 14.10.1988 - 4 C 1.86, NVwZ 1989, 250 (251). 208 Vgl. OVG Münster, B.v. 28.2.1991 - I I B 2967/90, NVwZ-RR 1992, 11 l.Sp. Bezüglich des gemeinschaftlichen Eigentums kann der Sondereigentümer nur unter der Voraussetzung des § 21 Abs. 2 WEG Rechte geltend machen. 209 Auf das fehlende Dreiecksverhältnis beruft sich das BVerwG im Fall des Streits zwischen Miteigentümern um eine Teilungsgenehmigung gem. § 19 BauGB in B.v. 27.4.1988 - 4 B 67.88, NJW 1988, 2056 l.Sp.; s. hierzu Streinz, JuS 1989, 106 (109). Insofern stellen die §§ 1008 ff. BGB eine vom Gesetzgeber eingeführte spezielle Streitschlichtungsordnung dar. 210 Vgl. Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59; speziell unter dem Aspekt der Vertragsfreiheit Hesse, Privatrecht, S.38, der vom "Verbund von Vorschriften des privaten und des öffentlichen Rechts" spricht. 211 Kündigungsschutz, S. 106. 212 U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (45 f.).
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Abwehr- und Unterlassungsansprüche postuliert. Eine solch einschneidende Begrenzung von Zivilrechtspositionen ist der Judikative versagt und allein dem Gesetzgeber vorbehalten.213 Sofern die Zivilgerichte Normen anwenden müssen, deren Tatbestandsvoraussetzungen auch Gegenstand von Genehmigungen sind oder deren Rechtsfolgen von der Erteilung wirksamkeitsbedingender Genehmigungen abhängen (zivilrechtsbezogene Verwaltungsakte), sind die Zivilgerichte nicht an den Inhalt des Verwaltungsakts gebunden.214 Vielmehr sind sie verpflichtet und befugt, über die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen in Zivilrechtsnormen in eigener Kompetenz zu entscheiden. Die Tatbestandswirkung bedeutet lediglich, daß die Existenz des (nicht nichtigen) Verwaltungsakts vom Zivilgericht nicht geleugnet werden kann, wenn die von ihm anzuwendende Norm seinen Erlaß voraussetzt.215 Daher ist dem Urteil des BVerwG vom 15.11.1985 216 darin zuzustimmen, daß das Zivilgericht im Streit um die Rechtswirksamkeit der einseitigen Mieterhöhung im Hinblick auf § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG 1974 zur eigenen Entscheidung darüber befugt ist, ob sich die laufenden Ausgaben erhöht haben bzw. ob die Erhöhung vom Vermieter nicht zu vertreten ist. Das OLG Hamm, 217 das demgegenüber eine inhaltliche Bindung an die Genehmigung vertritt, geht praktisch von einer Feststellungswirkung des § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG aus. Eine solche aber hat das Gesetz nicht vorgesehen. Bezieht sich damit die Tatbestandswirkung nicht auf den Inhalt des Verwaltungsakts,218 bleibt 213 Abi. auch Salzwedel, NVwZ 1988, 493 (498 f.); ders., ZfW 1988, 341 (343 f.); Knauber, NVwZ 1988, 997 (1000). 214 S. zum zivilrechtsbezogenen und privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt unten C.n.3.b.dd sowie C.VI.7.d; zur Bindungswirkung von Verwaltungsakten vgl. Jarass, WDStRL 50 (1991), 238 (268 f.). 215 Vgl. Jesch y Bindung, S. 64 f. Nicht im Widerspruch hierzu steht das Urteil des BGH, U.v. 17.11.1987 - IVa ZR 105/86, NJW-RR 1988, 339 (341): Zuerkennung der Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gefahrerhöhung als Grund für die Kündigung des Versicherungsvertrages allein an die Verwaltungsbehörde. Da im konkreten Fall das Rechtsbehelfsverfahren noch durchfuhrbar war, sah sich das Gericht an einer Sachentscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung des Versicherungsvertrages gehindert. Die Ausübung des Kündigungsrechts hing hier nach materiellem Versicherungsrecht vom Vorliegen der Gründe für die Ablehnung des Versicherungsschutzes gern § 10 PrFeuersocietatsG v. 25.7.1910 (PrGS S. 241) ab. In einem solchen Fall konstitutiver Inhaltsbestimmung besteht eine Bindung des Zivilgerichts. 216 217
8 C 43.83, E 72, 226 (230).
OLG Hamm, B.v. 10.9.1984 - 4 RE Miet 1/84, W&M 1984, 321 (323), zu § 72 Abs. 2 U. WoBauG. Das Gericht spricht zwar von Tatbestandswirkung, meint aber in der Sache Feststellungswirkung. 218 BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (230 f.); freilich ist dies für das BVerwG die einzig mögliche Auffassung, da es - im Gegensatz zur unten (C.VI.8.a) dargelegten Auffassung - § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG nicht als drittschützend ansieht. Nicht gefolgt werden kann BVerwG, U.v. 12.3.1987 - 3 C 2.86, NVwZ 1987, 970 (971), das die Bindungswirkung eines
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das Zivilgericht zur Entscheidung über die Voraussetzungen einer erhöhten Kostenmiete verpflichtet und befugt. 219 Ebenso richtig ist, daß die Genehmigung von Entgeltordnungen die zivilgerichtliche Überprüfung i m Rahmen einer Inhaltskontrolle nach § 9 A G B G oder § 315 Abs. 3 B G B 2 2 0 nicht ausschließt. Ferner wird der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht etwa durch die Zustimmung zur Kündigimg nach § 15 SchwbG eingeschränkt. Liegt diese vor, ist das Arbeitsgericht frei, gleichwohl die Kündigung etwa aus Gründen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) für ungerechtfertigt zu halten. Schließlich wird - i m Gegensatz zu Kopp 221 - die Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte nicht durch Genehmigungen eingeschränkt, mit denen die zuständigen Verwaltungsbehörden die Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Ausübung einseitiger Gestaltungsrechte oder für Vertragsanpassungen geschaffen haben. Anders wäre es nur, wenn das Gesetz eine solche Beschränkung der Vorfragenkompetenz der Zivilgerichte vorsehen würde. Auch i m Nachbarrecht bleibt das Zivilgericht zur Entscheidung kompetent. Namentlich ist es nicht an eine einfache Baugenehmigung gebunden. 222 Sie
verwaltungsgerichtlichen Urteils, das ein Vermarktungsverbot bestätigt, für das Zivilgericht annimmt, das anschließend über eine etwaige Schadensersatzklage des im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren einfach beigeladenen prasumptiven Verursachers zu entscheiden hat. 219 Decken sich die Tatbestandsvoraussetzungen der Genehmigungsnorm und der zivilrechtlichen Anspruchsnorm, ist das Zivilgericht im Rahmen der Vorfragenkompetenz zu selbständiger Prüfung und Entscheidung befugt und verpflichtet. So liegt es bei den §§ 10, 8 a WoBindG. Zum Begriff der Vorgreiflichkeit s. Baumbach/Lauterbach, ZPO, Anm. 1 zu § 148. 220 Vgl. BVerwG, B.v. 5.10.1979 - 7 B 203.79, DÖV 1980, 416 r.Sp.; U.v. 8.7.1977 - VH C 72.74, DÖV 1978, 619 (620); U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (154 f.); BGH, U.v. 27.10.1972 - KZR 1/72, DVB1. 1974, 558 (561); VG Berlin, U.v. 24.2.1982 - 1 A 272/80, RdE 1982, 144 (146). 221 DÖV 1980, 504 (506); and. dagegen BVerwG, U.v. 13.3.1957 - V C 222.55, E 4, 317 (329), anläßlich der Klage eines Kleingartenpächters auf Aufhebung der Genehmigung der Kündigung nach dem damaligen § 1 Abs. 2 KSchVO; s. ferner BVerwG, U.v. 23.11.1960 - V C 203.59, E l l , 249 (251); s. zum Begriff des zivilrechtsbezogenen Verwaltungsakts oben C.I.3.c.dd, C.n.3.b.dd und C.VI.7.d. 222 Vgl. BayObLG, U.v. 2.7.1990 - RReg. 1 Z 285/89, BayVBl. 1991, 28 r.Sp.; OssenbÜhl, DVB1. 1990, 963 (968), der den derivativen Nachbarschutz als Ausnahme nennt und hier nur den Dispens, nicht die einfache Baugenehmigung anführt; s. auch Papier, UPR 1985, 73 (81); Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201); G. Wagner, Rechtswidrigkeit, S. 231 f.; Kleinlein, System, S. 135 (allerdings auch für Präklusionswirkung); dagegen für Bindungswirkung auch der einfachen Baugenehmigung Breuer, DVB1. 1983, 431 (438); Bardsperger, DVB1. 1971, 745 (746), und den., VerwArch. 60 (1969), 35 (62 f.): öffentliche Baurechtsvorschriften als "leges speciales gegenüber den allgemeinen Nachbarrechtsvorschriften aus §§ 1004, 906 und § 823 Abs. 2 BGB"; Schmaltz, in: Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, Rdnr. 25 ff. zu § 72; Schrödter, in: ders. (Hrsg.), BBauG, Rdnr. 23 f. zu § 31; Arbeitskreis "Bauliches Nachbarrecht", Verhältnis vom öffentlich-rechtlichem und zivilrechtlichem Nachbarrechtsschutz gegen bauliche Anlagen und deren Nutzung, BBauBl. 1991, S. 10 (21 f.); Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr,
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ergeht nach den Landesbauordnungen unbeschadet privater Rechte Dritter, stellt die Vereinbarkeit mit dem einschlägigen öffentlichen Recht fest und gibt den Bau frei. Dies reicht nicht hin, um eine "Privatrechtsgestaltung" anzunehmen. Es ist daran festzuhalten, daß nur der "rechtsgestaltende" Dispens bei der Beurteilung von Ansprüchen etwa gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. öffentlichrechtlichen Schutznormen (derivatives privates Nachbarrecht) zu einer Bindung der Zivilgerichte führt, 223 weil er mit rechtsgestaltender Wirkung von der bauplanerischen Grundordnung abweicht und im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB den ursprünglich vorgesehenen Rechtskreis zugunsten des Bauherrn erweitert. Die bei einfachen Baugenehmigungen de jure nicht auszuschließende Möglichkeit divergierender Entscheidungen läßt sich durch eine aufeinander zugehende Rechtsprechung in vertretbaren Grenzen halten. Dies gilt insbesondere für das originäre Nachbarrecht (§§ 1004, 906 BGB). Hier bieten sich die Tatbestandsmerkmale der Wesentlichkeit oder der Ortsüblichkeit i.S.v. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB an, um sachgerecht auf öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen zu reagieren. Insofern ist der vom BVerwG 224 und namentlich von Gaentzsch 225 entwickelten These der Maßstabsidentität von §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG (Erheblichkeit = Unzumutbarkeit) und § 906 Abs. 2 S. 1 BGB (Wesentlichkeit, Ortsüblichkeit) beizupflichten. 226 Auf diese Weise können Wertungswidersprüche und Unzuträglichkeiten, die sich aus parallelen Konfliktschlichtungsordnungen und der Zuständigkeit verschiedener Gerichte ergeben mögen, vermieden werden. 227 Auch außerhalb des Baurechts kann der Weg einer solchen Harmonisierung 228 durch materiellrechtliche Konkretisierung beschritten werden. 229 Damit läßt sich trotz getrennBauGB, Rdnr. 54 zu § 31 (auch für §§ 1004, 906 BGB); Jäde, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. A 23; tendenziell auch Jarass, WDStRL 50 (1991), 238 (268 f.); Ortloff, in: Finkelnburg/ Ortlofif, Öffentliches Baurecht U, S. 99 mit Fn. 197. 223 Vgl. BGH, U.v. 21.12.1973 - V ZR 107/72, WM 1974, 572 (574). 224
U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (213). NVwZ 1986, 601 (603); dem folgend Ortloff, in: Finkelnburg/Oitloff, Öffentliches Baurecht, Bd. H, 1990, S. 99 Fn. 197. 226 Vgl. zutr. BGH, U.v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, NJW 1990, 2465 (2466): "Es besteht kein Anlaß, die grundlegenden Maßstabe, mit denen das private und das öffentliche Immissionsschutzrecht die Grenze für eine Duldungspflicht bestimmen, nämlich einerseits Wesentlichkeit und andererseits Erheblichkeit, unterschiedlich auszulegen." S. dazu auch Gerlach, JZ 1991, 94 f. 227 Nicht immer laßt sich auf diese Weise Eigebnisgleichheit herstellen. Das zeigt sich, wenn die Baurechtsnorm - wie im Fall der Beseitigung eines Bauwerks - Ermessen eingeräumt. Hier kann es dazu kommen, daß der Nachbar im Zivilrecht obsiegt, aber im Baurecht unterliegt, so zutr. VGH Kassel, B.v. 27.7.1983 - 3 TE 1829/88, BRS 48 Nr. 185, S. 446 (447). 228 Zu den Wertungsparallelen im Versicherungsaufsichtsrecht, wo der Maßstab des - freilich nur objektiv-rechtlich zu verstehenden - § 8 Abs. 1 Nr. 2 VAG (Wahrung der Belange der Versicherten) mit dem Maßstab von Treu und Glauben in § 9 Abs. 1 AGBG korrespondiert; vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1980 - 1 A 12.78, E 51, 59 (65), sowie Schirmer, ZVersWiss.1986, 509 (517, 567 ff.). 229 So allg. Ossenbühl, DVB1. 1990, 963 (966); für das Baurecht Ortloff| in: Finkelnburg/ 225
1.5. Separations-Doktrin und zivilrechtliche Konfliktchlichtung
129
ter fachgerichtlicher Zuständigkeiten von Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit 230 sowie der materiell-rechtlichen Eigenständigkeiten des öffentlichen und des Zivilrechts231 verhindern, daß es zu Wertungswidersprüchen kommt und das Recht "mit zweierlei Zunge"232 spricht. 233
Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 99 Fn. 197; zum Verhältnis des Bauleitplanung zur Ortsüblichkeit des § 906 BGB bereits BGH, U. 15.1.1971 - V ZR 110/68, DVB1. 1971, 744 f. mit krit. Anm. von Barüsperger, S. 745 f., der die "unmittelbare Wirkung" von Bauleitplänen und Baugenehmigungen "für den Nachbarrechtsstatus" befürwortet; BGH, U.v. 17.12.1982 - V ZR 55/82, NJW 1983, 751 f.; dazu Johlen, BauR 1984, 134 (135 ff.): für "vorrangige Inhaltskontrolle des Bebauungsplanes"; s. demgegenüber Säcker, in: Münchener Kommentar, Bd. 4, Rdnr. 80 zu § 906: Baugenehmigung "allenfalls ... ein Indiz für die Ortsüblichkeit". Speziell zum Primat des § 12 a BTO Eh (a.F.) im Rahmen des § 315 Abs. 3 BGB Lukes, BB 1985, 2258 (2260 ff., 2264 ff.). Vgl. auch W. Jeüinek, Kündigungsschutz, S. 99, der auf eine Indizfunktion der Genehmigung hingewiesen hat (für den Fall der "gebundenen" Kündigung), die aber keine Bindung des Zivilgerichts an die Verwaltungsentscheidung bedeute. Zur indiziellen Wirkung der Genehmigung s. auch Jarass, WDStRL 50 (1990), 238 (267). 230 Broß, VerwArch. 78 (1987), 91 (105 f., 111), will aus einer "interessenausgleichend und interessenentscheidend zwischen den Privaten" wirkenden Tätigkeit der Behörde auf eine Bindungswirkung für die Zivilgerichte schließen. In multipolaren Konfliktlagen geht es jedoch ohnehin sowohl im Verwaltungsrecht wie im Zivilrecht um den Ausgleich kollidierender Privatinteressen. 231 Vgl. allg. Ossenbühl, DVB1.1990,963 (968); Jarass, WDStRL 50 (1991), 238 (264 f.). 232 Ossenbühl, DVB1. 1990, 963 (967). 233 Verfahrensrechtlich steht das Instrument der Aussetzung gem. § 148 ZPO zur Verfügung; s. hierzu im Hinblick auf schwebende Verwaltungs- bzw. Verwaltungsgerichtsverfahren Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 1, Rdnr. 131 ff. zu § 148.
II. Rechtszuweisung im Horizontalverhältnis und streitschlichtender Verwaltungsakt 1. Rechtszuweisung und Anspruchsrichtung Die bisherigen Drittschutz-Doktrinen bieten, wie im einzelnen ausgeführt, 1 keinen geeigneten Ansatzpunkt für die Bewältigung des subjektiv-rechtlichen Ausgleichs kollidierender Privatinteressen. Namentlich die dominierende Separations-Doktrin hat die oben dargelegte Ausgangshypothese2 bestätigt, daß die Ausrichtung des Verwaltungsrechts auf die bipolare Staat-Bürger-Relation für eine dogmatische Erfassung des subjektiven öffentlichen Rechts in multipolaren Konfliktlagen nicht geeignet ist. Daher hat sich die Untersuchung im folgenden der Frage zuzuwenden, ob sich verwaltungsrechtliche Beziehungen zwischen den privaten Konfüktgegnem (Horizontalverhältnis) nachweisen lassen. Sollte dies der Fall sein, ließe sich in der normativen Ausprägung dieser Beziehungen die Basis der "Dreiecksverhältnisse" und damit der subjektiven öffentlichen Rechte im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis finden. Das wäre die dogmatische Weichenstellung für die Entwicklung der multipolaren Konfliktschlichtungsformel . 3 Grundlegend ist hierbei die Unterscheidung zwischen den Ebenen der Rechtszuweisung und der Anspruchsrichtung.
a) Rechtszuweisung durch normative Ordnung gegenseitigen freien Dürfens Auf der Ebene der Rechtszuweisung geht es um die normativ-sachliche Bestimmung, ob und in welchem Ausmaß ein Privater seine kehrseitigen oder wechselbezüglichen Interessen4 auf Kosten eines anderen verwirklichen darf. Im Blickpunkt steht damit das Horizontalverhältnis der Bürger-Bürger-Relation. Insoweit weist das Konfliktschlichtungsprogramm 5 einer öffentlich-rechtlichen Ordnungsnorm6 den privaten Konfliktgegnern Art und Maß gegensätzlichen
1 2 3 4 5
6
s.o. c.l. S. A.I.l.a-c, H.I.C. S. im einzelnen C .VI. 1. S. zu diesen Kategorien oben A.m.l und 2. S. hierzu A.I.l.c mit Fn. 45.
i
Zur Konfliktschlichtung durch Gesetz s. Lerche, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-
D l . Rechtszuweisung und Anspnichsrichtung
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freien Dürfens 1 zu (subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung). Demgegenüber hatte G. Jellinek? ganz i m Sinne der klassisch bipolaren Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts noch feststellen können: "Da es sich in der Beziehung des Individuums zum Staat erschöpft, ... ist in ihm kein Moment enthalten, welches unmittelbar ein Verhältnis zu anderen subjizierten Persönlichkeiten hervorrufen könnte." D i e Kategorie des Dürfens ist damit in das Zivilrecht verwiesen. 9 Bei dieser Problemsicht aber ließe sich die Verwirklichung eigener Privatinteressen auf Kosten des Konfliktgegners verwaltungsrechtlich nicht erfassen. Unabhängig von der multipolaren Fragestellung ist die Konzeption des Dürfens und Könnens bei G. Jellinek zu Recht kritisiert worden; 1 0 dies gilt nicht zuletzt für die Annahme, daß die Ausübung der Freiheit rechtlich irrelevant sei. 1 1 W i r d diese Betrachtungsweise schon i m bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis der Bedeutung freien Tuns und Lassens in Ausübung subjektiver öffentlicher Rechte nicht gerecht, 12 so tritt ihre Begrenztheit noch stärker zu Tage, wenn es um die Bewältigung der multipolaren Konfliktlage geht. 13 Hier wird den privaten Konfliktgegnern auf der Ebene der RechtsAßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (106 f.): "Gesetzgeber als Konfliktschlichter"; Schmitt Glaeser, Die Verwaltung 14 (1981), 277 (289): "Verantwortung" des Gesetzgebers "im Verfahren der Konfliktbewältigung". Vgl.auch C.V.l.a. 7 Der Begriff des Dürfens taucht bislang nur vereinzelt auf, ohne dogmatisch geklärt zu sein, vgl. z.B. VGH Mannheim, B.v. 19.1.1989 - 3 S 3825/88, BauR 1989, 697 (698), in bezug auf das "städtebauliche Austauschverhältnis des 'Duldens und Dürfens'". Zum Begriff der Duldung krit. unten C.U.3.C. 8
System, S. 51. G. Jellinek, System, S. 49: "Gedurft wird dem Nebengeordneten, gekonnt dem Staat gegenüber"; im Privatrecht seien "Dürfen" und "Können" stets verbunden (S. 51). 10 Gegen die Verwendung des Begriffs des Dürfens bei G. Jellinek (System, S. 49, 46 ff.) bereits Tezner, GrünhutsZ 21 (1894), S. 107 (108 ff., 115 ff.), der - auf der Basis der StaatBürger-Relation (s. S. 110 f.) - auch die Kategorie des Dürfens im öffentlichen Recht begründet; s. auch Somlöy Giundlehre, S. 457 ff.; femer Gluth, AöR 3 (1888), 569 (620 f.), der das "HandelnDürfen" als Ausdruck der Handlungsfreiheit und nicht als Gegenstand einer Genehmigung wertet. Allein auf das Dürfen stellt O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 129, ab, wenn er den Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts dahin umschreibt, "daß der einzelne etwas t u n d a r f , ohne daran gehindert zu werden" (gespr. i.O.). Das allerdings läßt den Aspekt der Anspruchsrichtung und damit das Können außer Acht. In seiner Kritik am Konzept des Dürfens bei G. Jellinek weist O. Bühler, ibid., S. 129 f. Fn. 215, auf Formulierungen seinerzeitiger Gesetze hin, in denen vom "Dürfen" die Rede ist; dagegen wiederum krit. W. Jellinek, AöR 32 (1914), 580 (584), der hervorhebt, daß G. Jellinek unter "Dürfen" nur die Freiheit verstanden habe, "die in die Rechtssphäre eines anderen eingreift". 9
11
S. G. Jellinek, System, S. 104: Die Ausübung der Freiheitsrechte ermangele "rechtlicher Relevanz". 12 S. Schmitt Glaeser, Mißbrauch, S. 87 f. 13 Vgl. grds. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 3 zu Art. 19 Abs. IV, mit der Hervorhebung, daß im "Nachbar- und Konkurrentenschutz" des Bau-, Umwelt-, Wirtschafts- und Subventionsrechts sowie des Beamtenrechts "die überkommenen Dogmen nicht passen". S. oben A.I, n.i.
C.II. Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
132
Zuweisung die Freiheit zur Verwirklichung kollidierender Interessen zugewiesen. Dabei findet, wie das O V G Munster 14 plastisch betont hat, "die Freiheit des einen ... ihre Grenze an der Freiheit des anderen". Ob und inwieweit z.B. der Betreiber eines Kohlekraftwerks seine unternehmerischen Gestaltungsinteressen auf Kosten des Immissionsbeeintrachtigten oder i m Gegenteil der Nachbar seine gegenläufigen Verschonungsinteressen zu Lasten des Betreibers verwirklichen darf, ist Gegenstand der Rechtszuweisung der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG. 1 5 Das normative Konfliktschlichtungsprogramm ordnet verwaltungsrechtliche Beziehungen 16 der Träger kollidierender Privatinteressen. geht um den "horizontalen Konflikt zwischen Privaten". 17 Beachtlicherweise hat
14
Es
U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415).
15
Als Beispiel einer Maßstabsnorm, die der polizei- bzw. ordnungsrechtlichen Generalklausel im Drittvornahmebereich sachinhaltlich das Gepräge gibt (s. C.V.l.b), seien die Vorschriften über die Lärmbegrenzung in den Landesimmissionsschutzgesetzen genannt; s. etwa Alt. 11 BaylmSchG, wonach Arbeiten zwischen 22 und 7 Uhr verboten sind, "die andere in ihrer Nachtruhe stören". 16 S. hierzu mit unterschiedlichen Akzenten Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (157), der davon gesprochen hat, daß sich zwischen den "von mehrseitig wirksamen Verwaltungsmaßnahmen betroffenen Bürgern ... verwaltungsrechtlich vermittelte Rechtsbeziehungen" entwickeln, "welche "die ... Staat-Bürger-Beziehung relativieren"; Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/SchmidtAßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (78 f.): "Büigerfeziehtmgen 'unter' der Verwaltung" (kurs. i.O.); Häberle, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 248 (251): "Beziehung zwischen (auch mehreren) Bürgeln) und Verwaltung"; Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (605): Der Betreiber habe "bestimmte, nämlich drittschützende" Anforderungen "auch gegenüber Dritten" einzuhalten; J. Martens, NJW 1985,2302 (2308): "Rechtsbeziehungen" zwischen Bauherrn und Nachbarn. S. femer Dürr, NVwZ 1985, 719 (723): Zwischen Bauherrn und Nachbarn bestünden "auch öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen, die eine Anwendung des § 242 BGB durchaus zulassen"; dieser Folgerung kann allerdings ebensowenig zugestimmt werden wie dem Postulat eines überwölbenden Rücksichtnahmegebots, s. dazu die Kritik oben B.I.2. Vgl. schließlich Konrad, BayVBl. 1984, 33 (36): Nachbarschutzvorschriften des öffentlichen Rechts wie z.B. Art. 13 Abs. 1 BaylmSchG hätten die Bedeutung "einer schlichten Verhaltensregel für die Beziehungen zwischen dem potentiellen Störer ... und dem Nachbarn ..."; zur Ablehnung der daraus gezogenen Konsequenz einer Verlagerung des Rechtsschutzes im Drittvornahmebereich (S. 37) in das Zivilrecht s. C.I.5.b.bb. 17 Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287), s. dort auch: "Ausgangskonfliktlage Privater-Privater"; ebenso Schmidt-Aßmann, VB1BW 1988, 381 (384): Verwaltungsrecht als "'Distributionsrecht' zwischen privaten Interessen unter öffentlicher Vermittlung"; Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (87): "Verteilungskämpfe zwischen Privatpersonen"; Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (6): "Anerkennung widersprüchlicher privater Interessen im Verwaltungsrecht"; Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59: Verlagerung "der zwischen Privaten bestehenden Konflikte in das öffentlich Recht"; Scheidng, AöR 112 (1987), 297 (301): das "den eigentlichen Entscheidungsgegenstand bildende Verhältnis zwischen den Privaten und ihren widerstreitenden Nutzungsinteressen"; Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (157): "verwaltungsrechtlich vermittelte Rechtsbeziehungen" zwischen Bürgern; Gaentzsch, NVwZ 1986,601
D.
Rechtszuweisung und Anspnichsrichtung
133
bereits der VGH Mannheim18 im Wyhl-Urteil davon gesprochen, daß die atomrechtliche Genehmigung ein Verwaltungsakt mit " DoppelWirkung" sei, "der die Rechtsbeziehungen zwischen dem Adressaten des Verwaltungsakts und dem Dritten auf Dauer regelt". Ahnlich ist unter Einbeziehung der Behörde in den Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und schwerbehindertem Arbeitnehmer im öffentlich-rechtlichen Kündigungsschutz vom "'Dreieck von Rechtsbeziehungen,M 1 9 die Rede gewesen. Aber nicht nur in kehrseitigen, sondern auch in wechselbezüglichen Konfliktfallen lassen sich verwaltungsrechtliche Beziehungen im Horizontalverhältnis nachweisen. So unterstellen z.B. § 6 Abs. 1 SchfG, § 10 Abs. 3 S. 3 GüKG, Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG oder §§ 25, 26, 27 sowie 28, 31 ff. VergabeVO ZVS 1985 die konkurrierenden Zugangsinteressen angesichts nicht ausreichender Kapazitäten einem schematischen oder qualitativ-leistungswettbewerblichen Verteilungskonzept und ordnen somit das Verhältnis der Wettbewerber zueinander Insoweit sei auf das zur Ausgangshypothese und zur Kritik der SeparationsDoktrin Ausgeführte verwiesen.21 Allerdings scheint die Kategorie verwaltungsrechtlicher Beziehungen zwischen Privaten auf der Ebene der Rechtszuweisung den Einwand hervorzurufen, daß es im öffentlichen Recht Ansprüche nur gegenüber dem Staat gibt. In diesem Sinne bringt z.B. Bothe 22 die allgemeine Auffassung zum Ausdruck, wenn er
(603): Der "materielle Kern des Interessenkonflikts liegt" auf der "'nachbarlichen' Ebene"; BVerfG, B.v. 19.6.1973 - 1 BvL 39/73 und 14/72, E 35, 263 (271): Beim Baunachbarstreit liege "eigentlich nur eine Auseinandersetzung zwischen Nachbarn" vor; s. schon für das Wasserrecht VGH Mannheim, U.v. 24.10.1977 - VU 39/76, RdL 1978, 107 (108), wo vom "erforderlichen Interessenausgleich zwischen den beiderseitigen Interessen" zweier privater Inhaber wasserrechtlicher Erlaubnisse die Rede ist. Vgl. zur Grundproblematik Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8); Brohm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (252); Ossenbühl, in: ders. (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 35 (36 f.), sowie oben A.I.l.a, bb. m.w.N. 18 U.v. 30.3.1982 - X 575/77 u.a., ESVGH 32, 161 (185), kure. v.Verf.; fieilich bleibt es bei dieser punktuellen Bemerkung, die sich im Rahmen der Erörterung des für die Entscheidung maßgeblichen Rechts findet. 19 OVG Lüneburg, U.v. 12.7.1989 - 4 L 21/89, br 1990, 114 r.Sp.; s. bereits BVerwG, U.v. 5.6.1975 - V C 57.73, E 48, 264 (266, 268), freilich jeweils ohne Problematisiemng des Horizontal Verhältnisses. 20 S. zur schematischen Konfliktschlichtung nur OVG Lünebuig, B.v. 16.1.1990 - 8 M 26/89, GewArch. 1990, 250 r.Sp.: Die "Bewerber werden durch die Aufnahme in die Bewerberliste in ein einheitliches Verwahungsrechtsverhähnis einbezogen..."; zur qualitativen Konfliktschlichtung am Beispiel der rundfunkrechtlichen Zugangskonkurrenz OVG Berlin, B.v. 16.8.1991 - 8 S 136.91, DVB1. 1991, 1265 (1268): Vergleich der Wertigkeit zweier Fernsehprogramme; zur horizontalen Wirkung s. auch VGH München, B.v. 18.8.1987 - Nr. 25 CE 86.03578, ZUM 1988, 417 (420), mit dem Hinweis, daß der Anspruch des abgelehnten Rundfunkanbieters, "selbst wenn er nur" gegen die Rundfunkanstalt "gerichtet ist, notwendig zur Folge" habe, "daß er auch die Rechtsstellung der übrigen Anbieter auf der Frequenz betrifft". 21 S. A.I und n sowie C.I, bes. 1. 11 Schmidt-Preuß
134
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
feststellt, daß im öffentlichen Recht "Rechtsbeziehungen, jedenfalls grundsätzlich, nur zwischen der Verwaltung und Privaten, nicht aber zwischen Privaten unmittelbar entstehen". Ebenso hat Maurer 23 festgestellt, daß das "verwaltungsrechtliche Baurecht ... grundsätzlich nur Rechtsbeziehungen zwischen dem Bauherrn und der Baubehörde, nicht zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn" begründet. Wie sogleich darzulegen sein wird, stehen diese Aussagen keineswegs im Widerspruch zu der hier vertretenen Annahme verwaltungsrechtlicher Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern.
b) Anspruchsrichtung gegen den Staat als Pflichtsubjekt Von der eben dargestellten Ebene der Rechtszuweisung ist nämlich die der Anspruchsrichtung streng zu unterscheiden. Während es jener um das rechtliche Dürfen im Horizontalverhaltnis zum privaten Konfliktgegner geht, betrifft diese das rechtliche KönnenDamit wird zum Ausdruck gebracht, daß in multipolaren Konfliktlagen stets der Staat materiell-rechtliches Pflichtsubjekt ist. Er muß die normative Rechtszuweisung durch konkret-individuelle Verwaltungsentscheidung umsetzen. In dieser Funktion bildet er - um das Bild des Dreiecks 25 aufzugreifen - dessen "Spitze".26 In multipolaren Konfliktlagen gibt es daher keine Pflichten im Horizontalverhältnis 27 zwischen den Privaten. Da ein An-
JZ 1975, 399 (400): Wenn man von "öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Privaten sprechen" wolle, "dann nehmen diese stets den Umweg über die Verwaltung". 23 Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 1 zu § 3 (S. 22); das Verwaltungsrecht begründe "Rechte und Pflichten für den Bürger, aber eben immer nur im Verhältnis zur Verwaltung". Vgl. auch Schwarzer, UPR 1990, 201 (202). 24 Vgl. insoweit G. JelUnek, System, S. 47 f., der allein hierin das öffentliche Recht charakterisiert sieht und - wie dargelegt (Fn. 9) - die Kategorie des Dürfens aus seinem Anwendungsbereich ausklammert. - Die oben A.I.l.a - c, II dargestellte bipolare Prägung des Verwaltungsrechts wie des Verwaltungsverfahrens- und -Prozeßrechts (s. hier nur Brehm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (252 f.)) besteht in der strikten Orientierung des subjektiven öffentlichen Rechts an dem rechtlichen Können auf der Ebene der Anspruchsrichtung. Dem entspricht es, wenn Scherzberg, DVB1. 1988, 129 (132), "Handeln-Dürfen" mit dem "'rechtlichen Können'" und damit "dem subjektiven Recht" gleichsetzt. 25 S.o. dazu oben A.I.3.b. 26 Wenn Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 817, allgemein betont, daß an einem Verwaltungsrechtsverhältnis eine Verwaltungsbehörde beteiligt sein muß, dann gilt dies freilich nicht ausnahmslos; das zeigt das Beispiel koordinationsrechtlicher Verträge. 27 Da der Ausgleich kollidierender Privatinteressen durch streitschlichtenden Verwaltungsakt im Mittelpunkt der Arbeit steht (s.o. A.I.2.a.cc), bleibt die Möglichkeit von verwaltungsrechtlichen Beziehungen zwischen Privaten auf der Grundlage koordinationsrechtlicher Verträge außer Betracht. Im Zusammenhang mit dem Rechtsverhältnis und zum Erfordernis, daß die Rechtsordnung ausnahmsweise die Dispositonsbefugnis zum Abschluß solcher Verträge vorsehen muß, s. Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 27 sowie § 25 Rdnr. 9. Zum Gesamtzusammenhang auch schon Lemor, Rechte, S. 39 f.
. Rechtszuweisung und Anspchsrichtung
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spruchr 28- also das Recht, von einem anderen ein Tun, Dulden oder Unterlassen fordern zu können 29 - ohne Pflicht nicht denkbar ist, 3 0 scheidet somit auch die Möglichkeit korrespondierender Ansprüche des einen Privaten gegen den anderen aus. 31 D i e Annahme verwaltungsrechtlicher Beziehungen zwischen den Trägem kollidierender Privatinteressen und ihre Ordnung i m Horizontalverhältnis führt daher nicht etwa zur Bejahung verwaltungsrechtlicher (Direkt-) Ansprüche (auf Unterlassung und Beseitigung) des einen gegen den ahderen Privaten. Der zunächst scheinbar naheliegende Einwand, die Anerkennung der Bürger-Bürger-Relation würde insoweit das dogmatische System des Verwaltungsrechts sprengen, erweist sich als unbegründet. Vielmehr ist nachdrücklich zu unterstreichen, daß in den hier interessierenden Fällen multipolarer Konfliktlagen Ansprüche i m Rahmen des einheitlichen multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen ausschließlich gegen den Staat als materiell-rechtliches Pflichtsubjekt gerichtet sind. Was die Ablehnung verwaltungsrechtlicher Direktansprüche i m Horizontalverhältnis angeht, ist deshalb dem Urteil des B V e r w G vom 29.4.1988 darin zuzustimmen, daß sich aus den §§ 4 ff. BImSchG "keine Duldungspflichten und Abwehransprüche i m unmittelbaren Nachbarschaftsverhältnis zwischen Störer
Er ist nur eine Erscheinungsform des subjektiven öffentlichen Rechts, das in Beherrschungsrechte, Ansprüche und Gestaltungsrechte unterteilt werden kann, s. Bachcf, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (293); Schmitt Glaeser, Mißbrauch, S. 84 Fn. 63. 29 Vgl. Bachofy in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (293); Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I a 3 P (S. 320); Rupp, Grundfragen, S. 147. 30 Zum Vorrang der Rechtspflicht nachdrücklich Rupp, Grundfragen, S. 163. Einen "Primat des objektiven Rechts" lehnt Robbers, Sicherheit, S. 144 ff., ab, um an dessen Stelle den "Primat des subjektiven Rechts" zu setzen; freilich lauft dies in der Sache auf eine generelle Subjektivierung mit Hilfe des Art. 2 Abs. 1 GG hinaus und kann deshalb nicht überzeugen; s. allg. B.II.2.d.aa. 31 Dem steht nicht BVerwG, B.v. 21.5.1980 - 4 C 80.79, VB1BW 1981, 114 r.Sp., entgegen, da dort Vorhabenträger der Staat war; mißverständlich daher Korbmacher, VB1BW 1981, 97 (99). Nicht die drittschutzrechtliche Problematik betrifft die von Ehlers, JZ 1990, 1089 (1099) Fn. 117, bejahte Frage, ob im Hinblick auf den Zugang zu gemeindlichen Einrichtungen im Falle zwischengeschalteter juristischer Personen des Privatrechts sogar eine "verwaltungsgerichtliche Klage" gegen das (private) Unternehmen in Betracht ziehen ist. - Ist ein Genehmigungsabwehranspruch mangels subjektiv-öffentlicher Rechte zu verneinen, so fehlt es auch an einem Rechtsverhältnis, das im Sinne des § 43 VwGO feststellungsfahig wäre. Es käme einer Umgehung gleich, wenn der Dritte auf dem Wege einer Feststellungsklage gegen den privaten Konfliktgegner seine Interessen durchsetzen wollte. Daher hätte das VG Köln (U.v.19.4.1989 - 21 K 2969/87, NWVBL 1990, 128 (129)) die Feststellungsklage eines Ruf-Taxi-Benutzers gegen den Beforderungsunternehmer (Genehmigungsinhaber) schon als unzulässig abweisen müssen. Nach § 39 Abs. 2 PBefG käme hier nur der Staat als materielles Pflichtsubjekt in Betracht. Erweist sich diese Ordnungsnorm aber als nicht drittschützend, kann der Dritte seine Interessen auch nicht im Wege der Feststellungsklage durchsetzen. Prozessual ist ihm verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz sowohl mangels Klagebefugnis bei der Anfechtungsklage als auch mangels feststellungsfahigen Rechtsverhältnisses bei der Feststellungsklage verschlossen.
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C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
und Gestörten" 32 ergeben. I n gleicher Weise hat der V G H Mannheim für das Baurecht zutreffend festgestellt: "Einen gegenüber privaten Bauherren durchsetzbaren öffentlich-rechtlichen Abwehranspnich kennt das öffentliche Baurecht ... nicht." 3 3 Daher ist die Auffassung von Schröer?* der einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruch des Nachbarn gegen den Bauherrn auf Abriß eines unter Verstoß gegen materielles Baurecht errichteten Bauwerks postuliert hat, abzulehnen. 33 Der Ausgleich kollidierender Privatinteressen i m Verwaltungsrecht begründet keine Direktansprüche zwischen den privaten Konfliktgegnern. 36 Unter diesem Aspekt kann es nicht überzeugen, wenn J. Martens im Rahmen seines schon angesprochenen rechtsverhältnistheoretischen Konzepts von Verhaltenspflichten auch zwischen Bauherrn und Nachbarn 37 ausgeht. 38 So sehr die
32
BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (257), zu einem Fall unechter Multipolarität. Vgl. auch BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (211), wonach "§ 25 BImSchG nicht das unmittelbare Nachbarschaftsverhältnis zwischen störender und gestörter Nutzung" regelt, "sondern die Befugnisse und Pflichten der für den Immissionsschutz zuständigen Behörde". Krit. zum Duldungsbegriff unten C.n.3.c. 33 VGH Mannheim, B.v. 26.3.1990 - 8 S 516/90, VB1BW 1990, 335 r.Sp. 34 DÖV 1966, 228 (231), für den Fall, daß die Baugenehmigung im Wege der Anfechtungsklage aufgehoben worden ist. An dem Verwaltungsstreitverfahren zwischen den beiden Privaten sei die Baubehörde "nicht beteiligt". 35 Abi. schon - wenn auch aus eher pragmatischen Gründen - H. Peters, DÖV 1968, 547 (549), der die These von Schröer aber immerhin als "interessant" bezeichnet. 36 Vgl. sehr klar von Türegg/Kraus, Lehrbuch, S. 170, die freilich über den genannten Bereich hinaus etwa auch den Streit zwischen zwei Privaten über den Gemeingebrauch an öffentlichen Gewässern dem Zivilrecht überlassen; s. insoweit auch schon Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 113 f., der die "Parteistreitigkeit" erörtert, aber im Sinne der Separations-Doktrin das Verhältnis zwischen den Privaten "als nur ein tatsächliches" bezeichnet und damit insoweit Rechtsbeziehungen verneint. Zur Ablehnung von Direktansprüchen auch Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (606). Daß subjektive öffentliche Rechte einen Hoheitsträger verpflichten, betont Obermayer, Grundzüge, S. 46: Das zuständige Organ habe die Verpflichtung "einzulösen". 37 NJW 1985, 2302 (2307): "öffentlichrechtlich normierte Verhaltenspflichten für N und B" (i.O. kurs.). S. hierzu bereits oben A.D.l.b. 38 Dies will J. Martens auch aus der Annahme ableiten, daß es sich bei den Verwaltungsgesetzen um Verhaltensnormen, nicht aber Beurteilungsnormen handelt (NJW 1985, 2302 (2303); s. auch ders., KritV 1986, 104 (114 ff.)); mit dem "Begriff der Beurteilungsnormen" sei eine "Sonderrolle der Exekutive" verbunden, die eine in der "Struktur der Verwaltungsrechtsverhältnisse" zum Ausdiuck kommende "rechtliche Gleichordnung von Bürger und Verwaltung" bislang veihindert habe. Hier wird deutlich, daß - wie bereits zu A.H.l.b dargelegt - die an der Gleichrangigkeitsthese orientierte rechtsverhältnistheoretische Betrachtungsweise der multipolaren Konfliktlage nicht gerecht wird, da sie das Horizontalverhältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern und die Pflichtenstellung des Staates nicht unterscheidet. Zum Gegensatzpaar von Verhaltens- und Beurteilungsnormen, das der Unterscheidung vom materiellem und Prozeßrecht zugrunde gelegt wird, s. Bettermann, WDStRL 17 (1959), 118 (120 f.); vgl. auch Hill, Verfahren, S. 223). Krit.
.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
137
Zielsetzung, in diesem Verhältnis Rechtsbeziehungen anzuerkennen, 39 zu begrüßen ist, so wenig kann man von Yerhaltenspflichten sprechen, an die hier angeknüpft werden könnte. 4 0 W i e soeben ausgeführt, gibt es i m Horizontalverhältnis keine Rechtspflichten der Privaten untereinander. 41 Damit besteht auch keine Möglichkeit, aus einem Konzept von Verhaltenspflichten auf Rechte zu schließen, wie es J. Martens bei ausdrücklicher Ablehnung der Schutznormtheorie 42 versucht. I m übrigen erscheint die Freiheit der Interessenverwirklichung der Privaten - das, was oben als freies "Dürfen" i m Horizontalveihältnis bezeichnet wurde - bei diesem Pflichtenansatz 43 als bloßer Nachvollzug des gesetzlich Gebotenen. 44 Bisweilen finden sich allerdings auch in der Rechtsprechung Formulierungen, die prima facie auf Pflichten zwischen Privaten i m Horizontalverhältnis hinzudeuten scheinen. Näheres Zusehen zeigt freilich, daß hiervon in der Sache keine
zu der Übertragung des Terminus der Verhaltensnorm auf Drittbeziehungen durch J. Martens oben A.H.l.b mit Fn. 129 - 132. Für die normative Regelung multipolarer Konflikte ist demgegenüber die von Bettermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR DI, Rdnr. 31 zu § 73, herausgestellte Funktion des Gesetzes als "Handlungsnorm" grundlegend; in diesem Sinne gibt die Ordnungsnorm dem Staat (der Behörde) das Mandat zur Streitbeilegung im Einzelfall. Vgl. C.V.l.a.aa; D.I. 39 S. /. Martens, NJW 1985, 2302 (2308): "Rechtsbeziehungen zwischen dem klagenden N und dem beigeladenen B"; s. noch S. 2303 Fn. 36: "Konflikte zwischen Privatpersonen". 40 S. auch schon die in A.ü.l.d bei Fn. 132 wiedergegebene kritische Bemerkung zum Stellenwert des Pflichtmoments in mehrseitigen Rechtsbeziehungen von W. Schmidt, Einführung, 1982, Rdnr. 343 (S. 251). 41 S. auch Berger, Nachbarklagen, S. 11 Fn. 146, nach dem sich drittschützende Normen und das Rücksichtnahmegebot "nicht an den privaten Bauherrn" richten. 42 Sie wird als untauglich bezeichnet und für eine "Schieflage" (NJW 1985, 2302 (2304, 2306, 2307)) zu Lasten des Dritten verantwortlich gemacht. Statt dessen soll es - "dem für zivilrechtliche Nachbarklagen üblichen Prüfungsschema" entsprechend - nur darauf ankommen, ob die Nutzung des Baugrundstücks durch den Bauherrn zu einer Beeinträchtigung einer Eigentümerposition des Nachbarn führt und ob diese "durch Normen des öffentlichen Rechts gedeckt ist", S. 2 (kurs. i.O.). Wenn es weiter heißt, daß "die im Baurecht berücksichtigten Interessen der Allgemeinheit ... keine abstrakten Staatsbelange" seien, sondern "die rechtlichen Gegebenheiten für die Mitglieder dieser Allgemeinheit, also der Bürger" widerspiegeln und es deshalb "um deren Rechte" gehe (ders. y KritV 1986, 104 (125)), dann läuft dies auf eine Korrespondenz von objektiver Rechtspflicht und entsprechendem subjektivem Recht hinaus. Eine solche Abkehr von der Schutznorm führt letztlich zur Aufgabe des Individualbezugs des subjektiven öffentlichen Rechts. 43 Vgl. NJW 1985, 2302 (2307): "Verhaltenspflichten ..., die sich vornehmlich an diese Grundstücksnachbarn richten".Entsprechendes gilt für Preu, JZ 1987, 354 (355), wenn er davon spricht, daß es sich bei dem "Vorsorgegebot des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG in seiner drittschützenden Dimension ... um Verhaltenspflichten eines Privatrechtssubjekts mit Rücksicht auf andere" handele. Abgeschwächt Hoffinarm-Riem, WDStRL 40 (1982), 187 (218) Fn. 74: "mehrpolige Rücksichtnahme" könnten sich in "entsprechenden Verhaltenspflichten ... niederschlagen". 44 Daß J. Martens (Praxis, Rdnr. 94; ders. y NJW 1985, 2302 (2308)) letztlich doch bei der Annahme zweier separater Verwaltungsrechtsverhältnisse stehen bleibt, ist bereits oben A.ü.l.b betont worden.
138
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
Rede sein kann. So hat z.B. das OVG Koblenz zwar davon gesprochen, daß die "Schutzpflicht" des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG dem Betreiber gegenüber dem Nachbarn "obliegt".45 Im Kern geht es dabei jedoch bereits um den Inhalt der rechtlichen Ordnung des Horizontalverhältnisses und damit um die von der Anspruchsrichtung strikt zu trennende Ebene der Rechtszuweisung. Um hier keine Unklarheiten aufkommen zu lassen, sollte jedoch terminologisch klargestellt werden, daß in multipolaren Konfliktlagen nur der Staat materielles Pflichtsubjekt ist. Dies hervorzuheben besteht im Hinblick auf das Urteil des 4. Senats des BVerwG vom 16.5.1991 46 besonderer Anlaß. In dieser Entscheidung hatte das Gericht eine Baunachbarstreitigkeit unter dem Aspekt materieller Verwirkung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben gewürdigt. Voraussetzung hierfür sei, daß der "Veipflichtete" infolge eines bestimmten Verhaltens des "Berechtigten" darauf vertrauen dürfe, daß dieser "nach so langer Zeit" von seinem Abwehrrecht nicht mehr Gebrauch machen werde. Da es, wie dargelegt, im Horizontalverhältnis keine Pflichten zwischen den Konfliktgegnern gibt, kann schon deshalb vom "Verpflichteten" nicht gesprochen werden. Zunächst hätte man vermuten können, das Gericht meine nur die unten noch aufzugreifende Obliegenheit zur Rechtswahrung im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Dem ist aber nicht so. Mit einiger Überraschung ist festzustellen, daß der 4. Senat den Terminus des "Verpflichteten" gerade nicht auf den Nachbarn, der nach Treu und Glauben Anlaß zur Geltendmachung seiner Abwehrrechte hat, sondern auf den Bauherrn bezieht. Schließlich sei betont, daß mit der Ablehnung von Pflichtbeziehungen im Horizontalverhältnis nicht etwa öffentlich-rechtliche Pflichten Privater 47 in
45 B.v. 11.6.1990 - 7 B 10811/90, Feldhaus § 5 - 34 S. (3); s. auch VG Gelsenkirchen, U.v. 5.5.1988 - 2 K 326/88, hr 1989 Sonderheft, 46 (47): "gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Schwerbehinderten". Auch hier ergibt sich aus dem Zusammenhang, daß in der Sache nur die Rechtszuweisung im Sinne des gegenseitigen Dürfens gemeint ist. Nicht eindeutig in der wechselbezüglichen Konfliktlage VGH München, B.v. 18.8.1987 - Nr. 25 CE 86.03578, ZUM 1988, 417 (420), wo nicht ausreichend zwischen den privatrechtlichen Verträgen zwischen Anbietern und Kabelgesellschaft sowie der Genehmigung durch die Landeszentrale gem. Art. 26 Abs. 1 MEG unterschieden und statt dessen nur umfassend auf "Rechte und Pflichten aller Beteiligten" abgestellt wird. - Wenn im Zusammenhang mit der Mittelwert-Rechtsprechung im Anschluß an das Tunnelofen-Urteil (BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (54 f.)) auch von einer "gegenseitigen Duldungspflicht" gesprochen wird (so in einem Fall der Gestahungsvomahme OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 21: "Pflichtigkeit dessen, der die Belästigungen verbreitet"), dann mag dies deshalb verständlich sein, weil es in beiden Entscheidungen nicht um eine Drittabwehrkonstellation ging und der multipolare Bezug deshalb nicht ins Auge fiel (s. insoweit auch A.I.l.d). Schließlich ist in BVerwG, B.v. 28.8.1987 - 4 N 3.86, E 78, 85 (89), offensichtlich die muhipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung gemeint, wenn von Verhaltenspflicht die Rede ist. 46 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 (1184). 47 S. allg. zur "verwaltungsrechtlichen Verpflichtung einer Zivilperson" (i.O. kurs.)
D l . Rechtszuweisung und Anspchsrichtung
139
Frage gestellt werden. Sie sind das Spiegelbild staatlicher Befugnisse* Im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ist dies ohne weiteres ersichtlich. So entspricht z.B. der behördlichen Befugnis zur (satzungsgemäßen) Erhebung eines Beitrags die Pflicht des Bürgers, ihn zu entrichten. In multipolaren Konfliktlagen liegen die Dinge komplizierter. Hier ergibt sich aus dem Gesetz einerseits die Ermächtigung der Verwaltung zur normgerechten Konfliktschlichtung im Einzelfall. Gleichzeitig weist die Ordnungsnorm den privaten Konfliktgegneni Grund und Ausmaß gegenseitigen freien Dürfens zu. Dies bedeutet aber keine Pflichten der Privaten im Horizontalverhältnis untereinander. Vielmehr ist nur der Staat materielles Pflichtsubjekt und damit gehalten, die normative Rechtszuweisung durch Streitschlichtung zugunsten des einen und zu Lasten des anderen umzusetzen. Die "Pflicht" des Privaten drückt nichts anderes aus, als daß er nach Maßgabe des Konfliktschhchtungsprogramms seine (Gestaltungs-, Verschonungs- oder Zugangs-)Interessen nicht auf Kosten des Berechtigten durchsetzen kann. Dies sei am Beispiel der sog. Betreiber#/Z/c/tf aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG49 anhand der Drittabwehr-Konstellation gezeigt. Es mag davon ausgegangen werden, daß z.B. Lärmimmissionen eines geplanten genehmigungsbedürftigen Vorhabens in concreto über die Erheblichkeitsschwelle hinausgehen. Dann besteht die materielle Pflichtigkeit des Staates (der Behörde) darin, die Verschonungsinteressen des Dritten durch normgerechte Streitschlichtung zu wahren.50 Die Schutz"pflicht" des Betreibers gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG spiegelt lediglich wider, daß er bei multipolarer Abwägung
Wolff/Bachof; VerwR I, § 42 I (S. 303 f.); vgl. speziell zur polizei- und ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 189; sie werde allein als "Maßnahmenvoraussetzung* geregelt, ohne daß "eine eigene polizei- und ordnungsrechtliche Pflicht" hervorgehoben werde; dennoch habe sie "den Charakter einer solchen Pflicht". Ebenso Pietzcker, DVB1. 1984, 457 (459). 48 Subjektive öffentliche Rechte sind dagegen Ausdruck von "Personalität und Individualität" (Schmidt-Aßmam, in: Maunz/Durig, Rdnr. 117 zu Art. 19 IV). Dies steht einer staatlichen Inhaberschaft entgegen, vgl. Krebs, in: FS f. Menger, 1985, S. 191 (209); s. auch P. Krause, WDStRL 45 (1987), 212 (222); anders Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg. VerwR, § 10 Rdnr. 64. 49 Jarass, BImSchG, Rdnr. 3 zu § 5, nach dem der Anlagenbetreiber "Adressat der Giundpflichten" ist (kurs. i.O.). Vgl. auch BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (257), wo das Gericht davon spricht, daß die §§ 4 ff. BImSchG "Rechte (Befugnisse) und Pflichten im Verhältnis einerseits zwischen der ... Behörde und dem Errichter und Betreiber der Anlage andererseits" begründen. 50 Dabei stehen der Behörde zur Durchsetzung ihrer streitschlichtenden Einzelfallentscheidung die Mittel staatlichen Zwangs zu Gebote. J. Martens, Praxis, S. 65 f. Fn. 27, weist zu Recht darauf hin, daß ein vollstreckbarer Verwaltungsakt in Gestalt einer Beseitigungsanordnung "keine rechtliche Grundlage für vom Nachbarn zu erwirkende Vollstreckungsmaßnahmen" darstellt, da "nur die Behörde ... in dieser Hinsicht von einem Verwaltungsakt Gebrauch machen" könne. Falls sich die Behörde "wirklich einmal weigern sollte, aus dem gegen sie mit einem Verpflichtungsurteil erstrittenen (und sodann womöglich erst im Wege der Vollstreckung gem. § 172 VwGO erzwungenen) Verwaltungsakt gegen einen Dritten zu vollstrecken", können "mehrere Prozesse hintereinander" erforderlich werden.
140
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
seine Gestaltungsinteressen nicht hat zur Geltung bringen können und nunmehr der Behörde keine Rechte entgegensetzen kann.51 Diese sieht sich als Pflichtsubjekt im Rahmai subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung dem Anspruch des Dritten ausgesetzt: Ist die Genehmigung unter Verstoß gegen die Ordnungsnorm erteilt worden, steht dem Nachbarn der Abwehranspruch zu. Da ein Anspruch auf Genehmigimg nicht besteht, muß der Betreiber ihre Aufhebung hinnehmen.
c) Weichenstellung für die Entwicklung der Konfliktschlichtungsformel Die Unterscheidung von Rechtszuweisung und Anspruchsrichtung gibt den Blick auf die normative Ordnung verwaltungsrechtlicher Konfliktbeziehungen zwischen Privaten frei. Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, um der Ausgangshypothese der Arbeit folgend - in der Ausgestaltung des rechtszuweisenden Konfliktschlichtungsprogramms die Basis des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis zu erkennen. Auf dieser Grundlage werden nach weiteren vorbereitenden Schritten die Kriterien subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im einzelnen zu bestimmen sein. Zugleich sind damit die Voraussetzungen für eine dogmatische Zusammenführung von subjektivem öffentlichem Recht und Verwaltungsrechtsverhältnis geschaffen. Auf deren allgemeine Bedeutung hatte schon L. Richter* 2 aufmerksam gemacht. Die normative Ausprägimg des Horizontalverhältnisses bildet nicht nur die Basis des Dreiecks, sondern auch die Grundlage der subjektiven öffentlichen Rechte im einheitlichen multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Dieses schließt das Horizontalverhaltnis zwischen den privaten Konfliktgegnern ebenso wie den Staat als materiell-rechtliches Pflichtsubjekt ein. 53 Gegen ihn richtet sich das Können, während in der Bürger-Bürger-Relation das Dürfen gilt. Damit bietet sich die Chance, die dogmatische Verzahnung von (multipolarem) Verwaltungsrechtsverhältnis und subjektivem öffentlichen Rechtherzu-
51 In diesem Sinn ist es zu verstehen, wenn der VGH München (U.v. 27.11.1990 - 22 A 89.40008, Ausfertigung, S. 14) vom - verneinten - "Pflichtenverstoß" des Betreibers eines Kernkraftwerks spricht. - Im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis, wo Anspruchsrichtung und Rechtszuweisung ohne weiteres einander entsprechen, ist die private Pflichtigkeit - wie das vorerwähnte Beispiel der Beitragspflicht zeigt - eine Selbstverständlichkeit. 52 AöR N.F. 8 (1925), 1 (74 ff.). 53 S. zutr. bereits BVerwG, U.v. 17.7.1980 - 7 C 101.78, E 60, 297 (306), mit dem Hinweis, daß man "bestehende Rechte nicht ohne jede Rücksicht auf die anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Personen ausüben darf* (kurs. v. Verf.); in terminologischer Hinsicht sollte allerdings der Eindnick vermieden werden, als ginge es hier um die Rücksichtnahme-Doktrin. Ferner auch sehr klar OVG Lüneburg, B.v. 16.1.1990 - 8 M 26/89, GewArch. 1990, 250 r.Sp.: Einbeziehung der konkurrierenden Bewerber "in ein einheitliches Verwaltungsrechtsverhältnis" (kurs. v. Verf.). S. im einzelnen unten C.VH.2.b.
.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
141
stellen.54 Im Gegensatz zum bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis, in dem sich "Staat und Bürger" - wie Brohm 55 kritisch hervorgehoben hat - "isoliert" gegenüberstehen mit der Folge, daß sich die Beurteilung "nur auf dieses Beziehungsverhältnis erstreckt", erfaßt damit das (einheitliche) multipolare Verwaltungsrechtsverhältnis die verwaltungsrechtlichen Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern im rechtszuweisenden Horizontalverhältnis ebenso wie den Staat als materiell-rechtliches Pflichtsubjekt. Die mit der Separations-Doktrin bezeichnete dogmatische Lücke56 kann geschlossen werden, ohne mit den Grundlagen der Verwaltungsrechtsdogmatik - namentlich dem Ausschluß von Abwehr- und Vornahmeansprüchen zwischen Privaten - brechen zu müssen.
2. Elemente des Horizontalverhältnisses
und multipolare Abwägung
a) Anspruchsbegründung und -maßstabsbildung durch multipolare Abwägung Auf der Grundlage der vorstehenden Darlegungen zur Rechtszuweisung läßt sich in einer ersten Bestätigung der Ausgangshypothese der Arbeit von der anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Funktion des Horizontalverhältnisses und dem Gebot multipolarer Abwägung nach Maßgabe der Ordnungsnorm sprechen. Dies gilt für die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte ebenso wie für die Ermittlung der Drittschutzschwelle im einzelnen. Daß die Rechtsprechung der Sache nach vielfach bereits in diesem Sinne verfahrt, mögen im folgenden einige Beispiele zeigen. Auf einem anderen Blatt steht, daß es durchweg noch an einer ausdrücklichen dogmatischen Anerkennung ver-
Vgl. unter diesem Aspekt von Turegg/Kraus, Lehrbuch, S. 117, mit der zutr. Feststellung, "daß an einem Rechtsverhältnis als solchem mehrere beteiligt sein können und zwar auch mit untereinander verschiedener Rechtsstellung und verschiedenen Ansprüchen". Für eine stärkere Verbindung von subjektivem öffentlichem Recht und Verwaltungsrechtsverhältnis auch SchmiätAßmann, VB1BW 1988, 381 (384); zutr. will />. Krause (WDStRL 45 (1987), 212 (221), nur bei Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts von einem Verwaltungsrechtsverhältnis sprechen; allerdings soll dieses auf Zweierbeziehungen beschränkt sein (S. S. 222), so daß gerade die multipolare Konfliktlage nicht erfaßt werden könnte. Vgl. auch noch zum Zusammenhang von subjektivem Recht und Rechtsverhältnis Nawiasky, Rechtslehre, S. 167. 55
In: FS f. Menger, 1985, S. 235 (252); s. auch Steinberg, NJW 1984, 457 (458), wonach sich das "zweipolige Rechtsverhältnis ... zum drei- oder mehrpoligen Rechtsverhältnis" weite, "in dem Rechte und Duldungspflichten des Dritten auszumachen sind". Krit. zur "Duldungsproblematik" sogleich unten C.ü.3.c; vgl. hier noch die Feststellung von Erichsen, DVB1. 1983, 289 (292), daß heute eine Betrachtungsweise, die "nur das bilaterale Verhältnis zwischen Verwaltung und einzelnen als erheblich begreift, ... allein nicht mehr ausreicht". S. ebenso Schmidt-Aßmann y DVB1. 1989, 533 (540), unter Hinweis auf Normsetzung und Planung als Beispiele für "Verwaltungsbereiche ..., die sich mit den Rechtsinstituten des Bürger-Staat-Verhältnisses nicht mehr erfassen lassen". S. insgesamt auch A.I.l.a - c sowie C.Vn.2. 56 S.o. C.I, bes. 1, sowie A.I, H.
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
142
waltungsrechtlicher Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern im Horizontalverhältnis fehlt. aa) Die Rechtsprechung des BVerwG zum Rücksichtnahmegebot ist zwar unter dem Aspekt der "dritten Ebene" 57 und der Abgrenzbarkeits-Doktrin 58 einer kritischen Betrachtung unterzogen und i m Hinblick auf ihre Tatbestandsunabhängigkeit abgelehnt worden. Dessenungeachtet kommt ihr aber für die multipolare Abwägung exemplarische Bedeutung zu. Nachdem das BVerwG die Verwendung der Proportionalitäts-Klausel 59 des Schweinemäster-Urteils modifiziert hat, sind - nach festgestellter Individualisierung und Qualifizierung - die "Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, ... gegeneinander abzuwägen". 60 Unabhängig von dem nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorwurf der Tautologie, 61 der aber nur für die konkrete Ausgestaltung dieser Formel gelten kann, ist der Abwägung 62 der
57
S.o. B.I.2. S.o. C.I.2. 59 S. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (126), dazu das Zitat oben C.I bei Fn. 19; seit BVerwG, U.v. 5.8.1983 - 4 C 96.79, E 67, 334 (339), erfolgt diese Abwägung im Rahmen der subjektiv-rechtlichen Prüfung, vgl. C.I.2.b. 60 BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347); s. auch BVerwG, B.v. 20.1.1989 - 4 B 116.88, NVwZ 1989, 666 (667): "Abwehranspruch eines konkret und in unzumutbarer Weise betroffenen Nachbarn"; dazu oben C.I.2.b. 61 Vgl. Wahl, JuS 1984, 577 (585), nach dem sich "das Gebot letztlich in der Aufforderung erschöpft, auf eine besondere Rücksichtnahmebedürftigkeit Rücksicht zu nehmen". Ferner ist - z.T. scharfe - Kritik an der Rücksichtnahme-Rspr. wegen mangelnder Bestimmtheit und Voraussehbarkeit geübt worden; vgl. bes. Breuer, DVB1. 1982, 1065 (1070 ff.). Freilich bleibt auch für die statt dessen vorgeschlagene und unten C.VI.2.a.bb und C.Vm.2.a.aa noch zu erörternde Konzeption, die den §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 2, 3 BBauG (BauGB) und § 15 Abs. 1 BauNVO drittschützenden Charakter beimißt und dann über das Merkmal der "konkreten Beeinträchtigung" korrigierend gegensteuert {Breuer, DVB1. 1983, 431 (437); Wahl, JuS 1984, 577 (586)), die Konkretisierung des begünstigten Personenkreises ein betrachtliches Problem. S. krit. zur Rspr. des BVerwG auch Friauf, in: von Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, S. 477 (492); Schenke, NuR 1983, 81 (83), die auf die Gefahr eines Abgleitens in eine reine Billigkeitsrechtsprechung hinweisen. Nicht gefolgt werden kann Peine, DÖV 1984, 963 (967), wenn er § 34 BBauG 1976 als "einer weiteren Konkretisierung nicht fähig" bezeichnet und hieraus ableiten will, daß es sich bei der Rücksichtnahme-Rspr. des BVerwG um einen Fall unzulässigen "gesetzeskonkretisierenden Richterrechts" handele. 58
62
Vgl. hier nur Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 36 zu § 31: Bei der Würdigung (auch) der nachbarlichen Interessen gem. § 31 Abs. 2 BauGB mußten die "Rechte und Interessen des Nachbarn gerecht abgewogen (abgewogen nicht i.S. des § 1 Abs. 6, sondern i.S. der Bewertung des nachbarlichen Belangs bei der Entscheidung des Einzelfalls durch Verwaltungsakt) werden"; dagegen den Unterschied zwischen Normgebung und administrativer Einzelentscheidung (s.u. C.n.3.a, C.V.l.a.aa sowie D.I) vernachlässigend Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 43: enger Zusammenhang zwischen Abwägung nach Maßgabe des
11.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
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kollidierenden Privatinteressen* beizupflichten. W a r n sich der 4. Senat davon leiten läßt, daß fUr den Bauherrn "nicht einstlich zweifelhaft sein kann, auf wen er (objektivrechtlich) Rücksicht zu nehmen hat" 6 4 , schlägt sich darin die anspruchsbegründende und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses nieder: Grund und Reichweite subjektiver öffentlicher Rechte ergeben sich i m Wege multipolarer Abwägung der Gestaltungsinteressen des Bauherrn und der gegensätzlichen Verschonungsinteressen des Nachbarn (Bürger-BürgerRelation). 65 Fällt die Rechtszuweisung zugunsten des Nachbarn aus, richtet sich sein Genehmigungsabwehranspruch gegen den Staat als Pflichtsubjekt auf der Ebene der Anspruchsrichtung. Dies erlaubt es, das Horizontalverhältnis als Basis des mDreiecks m und des subjektiven öffentlichen Rechts i m multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis anzusehen. 66 bb) Die anspruchsbegründende- und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses läßt sich auch für den "Interessenausgleich" 67 i m Immissionsschutzrecht nachweisen. Maßstab für die multipolare Abwägung 68 der kollidie-
Rücksichtnahmegebots und dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot; ebenso Jäde, BayVBl. 1985, 577 (580). 63 Vgl. BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 17.90, E 88, 191 (199 ff.), zur Ausübung des Dispensermessens in bezug auf Vorschriften des Abstandsflächenrechts. 64 BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (131); zwar heißt es in BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (930), der Baubehörde müsse sich die gleichsam erdrückende Wirkung aufdrängen, doch ist das BVerwG danach zur ursprünglichen Formel des Schweinemaster-Urteils zurückgekehrt, vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983 - 4 C 96.79, E 67, 334 (339); hierauf verweist wiederum BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347). Nach Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40 Vorbem. zu §§ 29 - 38, darf nicht zweifelhaft sein, "auf wen die Baugenehmigungsbehörde (und indirekt auch der Bauantragsteller) Rücksicht zu nehmen hat". S. zur Problematik auch Aiexy, DÖV 1984, 953 (960), der zur Berücksichtigung dessen, was in diesem Sinne der Bauherr an Interessen einbringen kann, auf das Kriterium der intensiven Beeinträchtigung abstellen will. 65 Zur zivilrechtlichen Abwägungsparallele s. Mühl, UTR 12 (1990), 317 (319 ff.), sowie schon ders., in: FS f. F. Baur, 1981, S. 83 (94 ff.); vgl. auch J.F. Baur, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 545 (550 ff.); s. hierzu C.I.5.C. 66
S.u. C.VH.2. BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 149/84, NVwZ 1985, 186 r.Sp., zum Konflikt zwischen Werftinhaber und Wohnnachbarn (Gestaltungsabwehr); im Anschluß daran z.B. VGH München, B.v. 21.11.1989 - 20 CS 89.1924, NVwZ-RR 1990, 549 (550), zum Streit zwischen Eigentümern von Wohn- und Betriebsgrundstücken und einem KunststofTspritzwerk. 68 Vgl. Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 31, nach denen es in jedem Einzelfall einer "wertenden Betrachtungsweise" bedarf, wie sie "aus der planerischen Abwägung geläufig ist". Vgl. auch Seilner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 27 ("Möglichkeit zur Abwägung", i.O. kursiv); Feldhaus, in: Umwelt Verfassung Verwaltung, 1982, S. 87, der angesichts der "Konfliktsituation ... zwischen dem Unternehmer und der Nachbarschaft" wegen "des engen Nachbarschaftsveihältnisses ... eine friedensstiftende Lösung" als besonders dringlich bezeichnet; Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 ( 605). Dagegen lehnt H.-J. Koch, in: ders. (Hrsg.), Schutz vor Lärm, 1990, S. 41 (42 ff.), 67
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C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
renden Privatinteressen ist hier die Erheblichkeit i.S.d. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG. Während diese Schwelle bei Gesundheitsgefahren stets erreicht ist, kommt es bei Sachgefahren, Nachteilen und Belästigungen auf eine Zuordnung und Abwägung der Gestaltungs- und Verschonungsinteressen unter Aspekten der Zumutbarkeit im einzelnen an. 69 Hierzu hat das BVerwG 70 mit Recht festgestellt: "Die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setzt eine Wertung voraus, die im Sinne einer ' Güterabwägung' die konkreten Gegebenheiten zum einen der emittierenden Nutzung, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht." Bei der gebotenen Abwägung der kollidierenden Privatinteressen sind maßstabskonkretisierende Elemente wie 11 Prioritäts-(Vorbelastungs-)Prinzip und - bei Zusammentreffen von Gebieten mit unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit - "Mittelwert "-Methode 72 von besonderer Bedeutung. So hat z.B. das OVG Lüneburg in einem Fall der Gestaltungsabwehr zugunsten der Anwohner eines faktischen reinen Wohngebiets in der Nachbarschaft einer lärmemittierenden Werft entschieden, daß der vom Gewerbeaufsichtsamt in einer Lärmschutzanordnung gem. § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG festgesetzte, nach Nr. 2.321 d) T A Lärm für allgemeine Wohngebiete vorgesehene Nachtrichtwert von 40 dB(A) "keinen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen"73 darstelle. Die Abwägung der Gestaltungsinteressen des Werftinhabers mit den Verschonungsinteressen der Wohnnachbarn führte das Gericht zur Festsetzung eines Zwischenwerts von 45 dB(A). Dabei schlug für die Nachbarn negativ zu Buche, daß sie sich in der Nähe einer bereits bestehenden Werft angesiedelt hatten und daher nicht nur mit den
eine Abwägung im Rahmen der lärmbezogenen Erheblichkeit ausdrücklich ab; allg. zur Güterabwägung Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 137 ff, 145 ff. - S. im Sinne der multipolaren Abwägung zu Anordnungen gem. §§ 22 Abs. 1, 24 BImSchG VGH München, B.v. 30.11.1989 22 B 88.2888, GewArch. 1990,143 (144): "'Güterabwägung'" zur Bestimmung der Erheblichkeit von Lärm im Sinne der Zumutbarkeit; femer VGH München, U.v. 28.9.1989 - Nr. 22 B 86.1060, VGH n.F. 42, 187 (189, 191): "Risikoverteilung", Aufgabe der Verwaltung, "einen gerechten Ausgleich zufinden"; s. auch VGH Mannheim, U.v. 5.9.1989 - 10 S 1712/88, NJW 1990, 1930 (1931), wonach der Behörde bei der Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle im Hinblick auf ein Drittvomahmebegehren gem. §§ 24 S. 1, 22 BImSchG eine "einfachgesetzlich gebotene güterrechtliche Abwägung" aufgegeben ist; freilich hat das Gericht insoweit einen Bogen zum Rücksichtnahmegebot geschlagen, dazu abl. oben B.I.2.b sowie C.I.2.c.aa. 69 Vgl. hier nur Jarass, BImSchG, Rdnr. 26 zu § 3, sowie unten C.VI.3.C. 70 U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (260), zu einem Fall unechter Multipolarität. 71 Vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (214 ff.), ebenfalls zu einem Fall unechter Multipolarität. 72 Vgl. grdl. BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (54 f.); richtigerweise ist von einem Zwischenwert zu sprechen, da es sich bei der TA Lärm um logarithmische Größen handelt und daher eine arithmetische Mittelung nicht in Betracht kommt. 73 OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 22 ff.; die Nichtzulassungsbescherde des Betreibers war erfolglos, s. BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 149/84, NVwZ 1985, 186 f.
n.2. Horizontalverhältnis und multipolare Abwägung
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seinerzeitigen Geräuschen, sondern auch damit rechnen mußten, "daß sich bei steigender Bedeutung des Hafens die Lärmimmissionen verstärken können".74 Wenn sich auch diese Vorprägung zugunsten der "Daseinsberechtigung der Werft" auswirkte, war nach Auffassung des OVG Lüneburg andererseits das "Gewicht" der "keineswegs unbedeutenden und in keiner Beziehung zum Betrieb" stehenden Wohnbebauung zu berücksichtigen; diesen Verschonungsinteressen trug nach Auffassung des Gerichts der für Betriebsinhaber oder -personal vorgesehene Wert von 50 dB(A) nicht hinreichend Rechnung. Insgesamt handelt es sich bei dem Werft-Urteil des OVG Lüneburg um ein Beispiel multipolarer Abwägung par excellence.75 cc) Ein geradezu klassisches - wenn auch leider wenig beachtetes - Gebiet multipolarer Abwägung ist das öffentlich-rechtliche Kündigungsschutzrecht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BVerwG, daß bei der (Ermessens-) Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung gem. § 15 SchwbG ( = § 12 SchwbG a.F.) "das Interesse des Arbeitgebers, die vorhandenen Arbeitsplätze wirtschaftlich zu nutzen, gegen das Interesse des betroffenen Schwerbehinderten, seinen Arbeitsplatz zu behalten, abgewogen wird". 76 Damit ergibt sich das subjektive öffentliche Recht des gekündigten Schwerbehinderten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus der anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Funktion des Horizontalverhältnisses. Das BVerwG und das OVG Lüneburg haben hier von einem "Dreieck von Rechtsbeziehungen"77 gesprochen, ohne freilich damit eine ausdrückliche Anerkennung der Bürger-BürgerRelation zu verbinden. dd) Auch in wechselbezüglichen Konfliktlagen wird der Sache nach das subjektive öffentliche Recht häufig bereits der anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Funktion des normativen Horizontalverhältnisses entnommen. Was die schematische Ordnung der Konkurrenzbeziehungen anlangt, hat z.B. das VG Ansbach78 plastisch davon gesprochen, daß die Behörde die Reihenfolge 74
OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 22; das folgende Zitat findet sich auf S. 24. 75 Daß sich das BVerwG trotz des soeben im Text wiedergegebenen Abwägungsansatzes gleichwohl nicht von der Separations-Dolctrin getrennt hat, zeigt sich, wenn es davon spricht, daß die §§ 4 ff. BImSchG "Rechte (Befugnisse) und Pflichten im Verhältnis einerseits zwischen der ... Behörde und dem Errichter und Betreiber der Anlage andererseits sowie - soweit die Vorschriften drittschützend sind - zwischen Behörde und Drittbetroffenen" begründen, BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (257), während das Horizontalveihältnis außerhalb der verwaltungsrechtlichen Betrachtung bleibt. 76 S. hier nur BVerwG, B.v. 12.11.1981 - 5 B 28.81, Buchholz 436,61 § 12 SchwbG Nr. 1, S. 1. 77 BVerwG, U.v. 5.6.1975 - V C 57.73, E 48, 264 (266); OVG Lüneburg, U.v. 12.7.1989 4 L 21/89, br 1990, 114 r.Sp. 78 U.v. 10.11.1988 - AN 4 K 88.01028, GewArch. 1989, 200 l.Sp. - Zur materiell-recht-
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auf der Rangliste gem. § 6 Abs. 1 SchfG "peinlich genau" einhalten müsse. Bemessen sich die Auswahl- und Verteilungsentscheidungen nach qualitativen Maßstaben des (Leistungs-)Wettbewerbs, ist eine wertende, die Beurteilungsspielräume und Einschätzungsprärogativen beachtende multipolare Abwägung erforderlich. 79 Auf diese Weise entnimmt die Rechtsprechimg schon derzeit subjektive öffentliche Rechte § 10 Abs. 3 S. 3 GüKG (Maßstab der besten Befriedigung des öffentlichen Verkehrsbedürfnisses) 80, den Zugangsnormen der Landesrundfunkgesetze 81 (Chancengleichheit und Leistungsfähigkeit) oder schließlich Art. 33 Abs. 2 GG, §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG bzw. den entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze82 (Prinzip der Bestenauslese). ee) Von Bedeutung ist die anspruchsbegründende und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses auch im Planfeststellungsrecht, das hier unter dem Aspekt privater Vorhabenträgerschaft interessiert. Dies betrifft namentlich das Wasser-, Abfall- und neuerdings - in bezug auf die Rahmenbetriebsplanzulassung - auch das Bergrecht. 83 Die klassischen Grundsätze des planungsrechtlichen Abwägungsgebots 34 führen bei der Ermittlung des subjektivrechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressai als Ausschnitt aus dem objektiv-rechtlichen Regelungskomplex der Planfeststellung zur multipolaren Abwägung 85 zwischen den Gestaltungsinteressen des Vorhabenträgers und
liehen Funktion des Prioritätsprinzips im Taxikonzessionsrecht gem. § 13 Abs. 5 S. 2 PBeflGr BVerwG, U.v. 7.9.1989 - 7 C 44 und 45.88, E 82, 295 (298). 79 Vg. hierzu Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (20): Die "Auswahl zwischen mehreren Inhabern von Rechtsansprüchen" bedeutet, daß sich "der - nicht für alle erfüllbare - Rechtsanspruch ... in einen Anspruch auf materiale Abwägung" umwandelt. 80 Vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 65.87, E 80, 270 (277 ff.). 81 Vgl. z.B. - zu § 7 LRG Rh-Pf - OVG Koblenz, B.v. 25.6.1990 - 2 B 11182/90, Ausfertigung, S. 9 ff., 12: "Konkurrenzvergleich" (insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 1990, 1087); s. im einzelnen C.VI.ll.d. 82 Vgl. VGH Kassel, B.v. 13.1.1989 - 1 TG 3873/88, NVwZ-RR 1989, 376 r.Sp. 83 Bei der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung handelt es sich regelmäßig um unechte Multipolarität, s. A.n.2. 84 Vgl. BVerwG, U.v. 29.1.1991 - 4 C 51.89, NVwZ-RR 1991, 601 (603); Schmitt Glaeser/König, JA 1980, 414 (418); Schechinger, DVB1. 1991, 1182 (1185 ff.). 85 Im Rahmen dieses Ausschnitts kommt der multipolaren Abwägung eher der Charakter der nachvollziehenden Abwägung zu (hierzu Weyreuther, BauR 1977, 293 (297); abl. Beckmann, DÖV 1987, 944 (948)), auch wenn sie Teil eines Gesamtentscheidungskomplexes ist, der von der für Fachplanungen typischen Interdependenz der Belange gekennzeichnet ist; insoweit hat das BVerwG (U.v. 30.4.1969 - IV C 6.68, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 12, S. 6 (10)) plastisch von der "Kettenieaktion" gesprochen. Zur Struktur der planungsrechtlichen Abwägung noch BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 18.90, Ausfertigung, S. 10 f.: Die Planungsentscheidung sei "gebunden nur durch einen gewissen gesetzlichen Rahmen und das Gebot gerechter Abwägung der von der Entscheidung berührten Belange"; U.v. 22.3.1985 - 4 C 15.83, E 71, 166 (170 f.); Schmitt Gtaeser, in: FS zum
.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
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den Verschonungsinteressen des beeinträchtigten Dritten. Dabei besteht ein Anspruch auf gerechte Abwägung eigener (nicht nur geringfügiger) Belange auch unterhalb der Schwelle subjektiver öffentlicher Rechte.86 Ist ein der abfallrechtlichen Planfeststellung unterliegendes Vorhaben zugleich immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig, kommt als Konfliktschlichtungsprogramm § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG (Erheblichkeitsmaßstab) zur Anwendung. Nach dem Prinzip der (nur) formellen Konzentration bleiben die materiellen Zulassungsanforderungen anderer Fachgesetze unberührt. 87 Multipolare Abwägung im Planfeststellungsrecht beläßt für die Planrechtfertigung keinen nennenswerten Spielraum.88 Ferner besteht für eine besondere abwägungsunabhängige Vorabprüfung der Zulässigkeits bei "privatnützigen" Planfeststellungen - wie noch im einzelnen darzulegen sein wird 89 kein Anlaß. 90 Die Frage, ob ein "privatnütziges" Vorhaben zulässig ist bzw. Eingriffe in Rechte Dritter rechtfertigt, ist allein im Wege des Ausgleichs der widerstreitenden Privatinteressen auf der Stufe multipolarer Abwägung zu beantworten. Der Verstoß gegen zwingende Zulassungsnormen führt (auch bei privaten Vorhaben) ohne weiteres zur materiell-rechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens. Daher ist dem BVerwG beizupflichten, wenn es im Urteil vom 9.3.199091 das Institut der privatnützigen Planfeststellung im Abfallrecht aufgegeben und - in einem Fall direkter Inanspruchnahme von Grundeigentum - die ausschlaggebende, man kann sagen: konfliktentscheidende Bedeutung der
hundertjährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, 1979, S. 291 (295 ff.); Wahl, NVwZ 1990, 426 (436 ff.); Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 190; Hoppe, DVB1. 1977, 136 (138 ff.). 86 Vgl. z.B. BVerwG, B.v. 10.2.1989 - 7 B 171.88, NVwZ-RR 1989, 619 (620), für die abfallrechtliche Planfeststellung. S. im einzelnen zu dieser ersten Stufe planfeststellungsbezogener multipolarer Abwägung C.VI.5.a.aa. 87 Vgl. OVG Münster, U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 l.Sp. 88 Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 166, der zu Recht auf das "Mißverhältnis zwischen theoretischem Aufwand und praktischem Nutzen" des Gebots der Planrechtfertigung hinweist. 89 S. am Beispiel der abfallrechtlichen Planfeststellung C.VI.5.a.dd; zum Wasserrecht C.VI.5.c.cc. 90 Dies gilt für sog. "mittelbare" Beeinträchtigungen ebenso wie für die Inanspruchnahme von Grundeigentum. S. im einzelnen C.VI.5.a.bb und cc. 91 7 C 21.89, E 85, 44 (46 ff.), für einen Fall der direkten Inanspruchnahme von Grundeigentum; der abfallrechtlichen Planfeststellung kommt nach den landesrechtlichen Vorschriften enteignungsrechtliche Vorwirkung zu. Entscheidend war für den 7. Senat der generell gemeinnutzige Charakter der abfallrechtlichen Planfeststellung. Im einzelnen sei dann noch die Abwägung zum Zweck der Feststellung erforderlich, ob die Anlage in concreto dem Allgemeinwohl dient. Sei dies der Fall, sei auch eine Enteignung zugunsten Privater zulässig. S. insoweit die bergrechtliche Parallele in BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 5.90, E 87, 241 (247 ff.). Zur Gemeinnützigkeit abfallrechtlicher Planfeststellung vgl. auch Schweriner, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. zu § 8.
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Abwägung herausgestellt hat. In ihrem Rahmen erfolgt der gebotene Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen nach Maßgabe der Ordnungsnorm. 92 Das Kriterium der Gewinnerzielung oder der privatrechtlichen Unternehmensform trägt hierzu nichts Entscheidendes bei. 93 Da diese Grundsätze nicht auf das Abfallrecht beschränkt sind, sollte sich das BVerwG dazu entschließen, auch im Wasserrecht die Kategorie der privatnützigen Planfeststellung ( § 3 1 Abs. 1, 2 WHG i.V.m. dem Landesrecht)94 aufzugeben. 95
b) Multipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung: Materielle Verwirkung aa) Im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis gilt der Grundsatz ausgewogener Risikoverteilung. Die normative Ordnung der kollidierenden Privatinteressen auf der Ebene der Rechtszuweisung begründet nicht nur Berechtigungen, sondern legt den Konfliktgegnern auch Obliegenheiten der Rechtswahrung auf. Das Konfliktschlichtungsprogramm hat damit nicht nur eine anspruchsbegründende und -maßstabsbildende, sondern auch eine rechtsbegrenzende Funktion. Kommt der Inhaber eines Gegenrechts der Obliegenheit zur Rechtswahrung nicht nach, muß er mit dem Rechtsverlust* rechnen. Dies gilt namentlich für den Bestand materieller Rechte. Die Rechtsprechung spricht hier von der Verwirkung materieller Nachbarrechte (materielle Verwirkung) und nimmt zutreffend den Rechtsverlust an, wenn der Genehmigungsinhaber darauf vertrauen durfte, daß der Dritte von seinem Abwehrrecht nach einer angemessenen Frist nicht mehr Gebrauch machen werde. 97 Wenn sich die Judikatur dabei im
92
Kühling, Fachplanungsrecht, S. 399; Paetow, in: FS f. Sendler, 1991, S. 425 (431,434). Vgl. Breuer, DVB1. 1981, 971 (974); sehr klar die Möglichkeit einer Enteignung auch zugunsten eines privatrechtlich organisierten Vorhabenträgers bejahend BVerfG, U.v. 24.3.1987 - 1 BvR 1046/85, E 74, 264 (284 ff.); hierzu Schmidt-Aßmann, NJW 1987, 1587 f., mit dem prägnanten Hinweis, daß Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG die Enteignung nicht durch die begünstigte Person, sondern durch den Zweck charakterisiere; Papier, JZ 1987, 619 r.Sp.; Böttcher, ZfW 1983, 129 (139 f.); damit kann dem Sondervotum von Böhmer, BVerfGE 56, 266 (269 ff.), nicht gefolgt werden. 94 Diesen Schritt hat das BVerwG, U.v. 18.5.1990 - 7 C 3.90, E 85, 155 (156 f.), trotz erkennbarer Skepsis noch nicht getan; maßgeblich ist daher im Kern noch BVerwG, U.v. 10.2.1978 - 4 C 25.75, E 55, 220 (226 ff.); aus der Lit. s. Wahl, DVB1. 1982, 51 (57 f.); Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, Rdnr. 2 zu § 31; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 703 f.; Seilmann, DVB1. 1987, 223 (225), der den Gemeinwohlbezug und damit die Gemeinnützigkeit von Sondermüllentsorgungsanlagen oder straßenbezogenen Auskiesungen bei privater Vorhabenträgerschaft für möglich hält. 95 So zutr. Kühling, in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (397 ff., 402); vgl. auch Paetw, ibid., S. 425 (433 f.); s. insgesamt unten C.VI.5.a.dd und c.cc. 96 Vgl. auch BVerwG, B.v. 18.3.1988 - 4 B 50/88, NVwZ 1988, 730 (731); für Ausübungsausschluß Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 73. 97 Vgl. BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 (1183 f.); B.v. 9.8.1990 93
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Baunachbarstreit auf den Grundsatz von Treu und Glauben beruft und ihn im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis verankert sieht,96 ist dies in der Sache nichts anderes als die soeben beschriebene multipolare Obliegenheit nach Maßgabe des Horizontalverhältnisses. Mit den Kategorien der bipolar orientierten Dogmatik konnte dagegen nicht erklärt werden, warum der materielle 99 Genehmigungsabwehranspruch allein infolge eines Verhaltens des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn untergeht. Erst der Grundsatz ausgewogener multipolarer Risikoverteilung legitimiert den Rechtsverlust, wenn z.B. der Nachbar gegenüber dem Bauherrn in zurechenbarer Weise einen Vertrauenstatbestand durch aktives Tun oder durch Unterlassung rechtzeitiger Gegenwehr schafft. Dies kann auch schon vor Erteilung der Baugenehmigung geschehen, wenn der Nachbar tatsächlich oder konkludent dokumentiert, daß er keine Einwände gegen das Bauvorhaben bzw. die Nutzungsänderung erhebt. 100 Es kommt entscheidend darauf an, "ob der Nachbar in Kenntnis der ihn beeinträchtigenden Baumaßnahmen widerspruchslos hinnimmt, daß der Bauherr weitere Investitionen tätigt."101 Der Begründung der Obliegengheit zur Rechtswahrung im Horizontalverhältnis entspricht es, daß es auf das Vertrauen des Bauherrn oder sonstigen Gestaltungsinteressenten ankommt und nicht auf die Sichtweise der Behörde. 102 Insoweit gilt nichts anderes als auf der Ebene der Rechtsbegrün-
4 B 95.90, BauR 1991, 73 (74); B.v. 18.3.1988 - 4 B 50.88, NVwZ 1988, 730 (731). S. demgegenüber zur verfahrensrechtlichen Venvirkung im Rahmen des multipolaren Verfahrensrechtsverhältnisses unten D.VI.l.a. 98 Vgl. auf der Grundlage des aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleiteten Grundsatzes von Treu und Glauben BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 (1184); U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (220 f.). 99 Demgegenüber ist die Zustimmung des Nachbarn gem. Art. 73 Abs. 1 S. 2 BayBauO eine Verfahrenserklärung (so VGH München, U.v. 21.12.1971 - Nr. 188 I 71, BayVBl. 1972, 635 (636)), die als solche keinen materiellrechtlichen Verzicht darstellt (a.A. Simon, BayBauO, Rdnr. 9 a zu Art. 73; s. hierzu auch Hartmann, DÖV 1990, 8 (10 f.)). 100 Dies kann dazu fuhren, daß im Verwaltungsprozeß Beweis über ausdrückliche oder konkludente (öffentlich-rechtliche) Willenserklärungen des Nachbarn erhoben wird; vgl. OVG Lüneburg, U.v. 26.3.1987 - 1 A 82.85, BRS 47 Nr. 184, S. 455 (457 f.). 101 BVerwG, B.v. 18.3.1988 - 4 B 50.88, NVwZ 1988, 730 (731), für den Fall einer nachträglichen Baugenehmigung, in dem eine als Einverständnis deutbare Äußerung des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn in Rede stand. Auch hier wird maßgeblich auf den Aspekt des Investitionsschutzes zugunsten des Bauherrn abgestellt; vgl. die vorinstanzliche Entscheidung OVG Münster, U.v. 1.12.1987 - 7 A 2660/85, Ausfertigung, S. 9: Der Nachbar habe durch sein Verhalten zugelassen, daß der Bauherr "bei späterer Geltendmachung von Nachbarrechten verlorene Investitionen ... tätigte, ohne daß dieser durch die Geltendmachung von Einwendungen auf dieses Risiko aufmerksam gemacht worden war". 102
Zutr. BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 (1184 f.), wenn auch unter abzulehnender Verwendung des Begriffs des "Verpflichteten" (s. dazu oben bei Fn. 46); nicht präzise VGH Mannheim, U.v. 28.8.1987 - 8 S 1345/87, NVwZ 1989, 76 (78), wo auf das Vertrauen sowohl der Behörde als auch des Bauherrn abgestellt wird. Dabei bleibt offen, ob es sich um die Verwirkung der Widerspruchsbefugnis oder des materiellen Abwehrrechts handelt. S. ferner H. 12 Schmidt-Preuß
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C . . Horizontalvehältnis und Streitschlichtung
dung.103 Schließlich hat das BVerwG 104 die Frage offengelassen, ob die aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitete materielle Verwirkung so weit geht, "daß ein Nachbar, der gegenüber der Genehmigung der ihn störenden Nutzung in seiner Nachbarschaft untätig bleibt, verpflichtet wäre, nunmehr seine Nutzung zwecks Rücksichtnahme auf den Nachbarn einzuschränken". Im Prinzip ist die Frage zu verneinen, weil Gegenstand der Verwirkung nur das multipolare Gegenrecht, also hier der Genehmigungsabwehranspruch ist. Demgegenüber besteht keine Obliegenheit, zum Schutz des eigenen Rechtsbestandes im übrigen tätig werden zu müssen. Die Ausnutzung der bereits vorhandenen Rechtsposition bleibt also unberührt. Daß der materiell-rechtlichen Verwirkung aus Gründen ausgewogener multipolarer Risikoverteilung bestimmte sachliche und zeitliche Grenzen gezogen sein müssen, ergibt sich aus ihrer einschneidenden Folge des Rechtsverlusts. Insofern sind hier die - miteinander kollidierenden - Interessen des Bauherrn, sich bei begründetem Anlaß darauf verlassen zu können, daß Dritte ihre Abwehrrechte nicht ausüben, wie auch des Nachbarn, seiner Rechte nicht auf Grund bloßer Untätigkeit als solcher verlustig zu gehen, abzuwägen. Für den Fall tatsächlicher Unkenntnis des Nachbarn mangels Präsenz am Standort kann zu seinen Lasten gehen, daß es nicht auf die subjektive Kenntnis, sondern die objektive Erkennbarkeit ankommt; daher verlangt die multipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung in diesem Fall, "sich ... Kenntnis von den wesentlichen Entwicklungen in der Nachbarschaft zu verschaffen, um einer möglichen Beeinträchtigung vorzubeugen".105 Andererseits schlägt es zum Nachteil des Bauherrn aus, wenn er seine Dispositionen gar nicht auf Grund eines Vertrauenstatbestandes getätigt, sondern bereits vor Ablauf der Frist vollendet hat, innerhalb derer der Nachbar seiner Obliegenheit zur Rechtswahrung nachkommen muß. Daher ist dem BVerwG zuzustimmen, wenn es - auf der Grundlage seines Konzepts von Treu und Glauben im "nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" - zum einen das Kausalitätserfordernis aufstellt und zum anderen einen Zeitraum verlangt, der "deutlich" länger als die Ein-Monats-Frist gem. §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 1 VwGO für die Widerspruchseinlegung ist. 106 Andererseits kann die Frist merklich unter dem für die verfahrensrechtliche Verwirkung
Bauer, Die Verwaltung 23 (1990), 211 (224 f.), der "zuallererst" bzw. "regelmäßig" auf die Zumutbarkeit für den Bauherrn abstellt. 103 Vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (131): Für den Bauherrn sei "nicht ernstlich zweifelhaft ..., auf wen er (objektivrechtlich) Rücksicht zu nehmen hat". 104 U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (220 f.). 105 Zutr. OVG Münster, U.v. 8.9.1987 - 7 A 755/86, Ausfertigung, S. 9, 10; bestätigt von BVerwG, B.v. 18.1.1988 - 4 B 257.87, NVwZ 1988, 532 l.Sp. 106 BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 4.89, NVwZ 1991, 1182 (1183).
.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
151
maßgeblichen Regelmaß von einem Jahr 107 liegen; dies gilt um so mehr, je starker sich dem Bauherrn die Untätigkeit des Nachbarn aufdrängen mußte. bb) Ein besonders einprägsames Beispiel des Rechtsuntergangs auf Grund der Verletzung einer multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung bietet auch der Kapazitätsrechtsstreit. Dabei steht hier nicht der oben108 dargestellte institutionalisierte Rechtsuntergang durch das Losverfahren in Rede. Vielmehr geht es um den Rechtsverlust zu Lasten jener passiven Studienplatzbewerber, die davon abgesehen haben, beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu stellen, um am Losverfahren überhaupt teilnehmen zu können. Sie haben nicht alles getan, was von ihnen im Rahmen der multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung hätte erwartet werden können. Daher gehen sie ihres prinzipiellen Zugangsrechts aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip109 verlustig. Anders als im vorhergehenden Beispiel kehrseitiger Konflikte ist Kennzeichen der hier in Rede stehenden wechselbezüglichen Konfliktlage die kapazitätsbezogene Verteilungsentscheidung mit Massencharakter. Insoweit gilt in besonderer Weise der Grundsatz: "Iura vigilantibus".110 Er spiegelt die normative (leistungswettbewerbliche) Ordnung der Konkurrenzbeziehungen zwischen den Studienplatzbewerbern wider. 111 Sie ist Grundlage der multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung und Legitimation für den Rechtsuntergang zu Lasten des passiven Bewerbers. 112 Wer den Weg zum Verwaltungsgericht nicht auf sich nimmt, um auf diese Weise in die Bewerberkonkurrenz einzutreten, kann sich nicht darüber beklagen, daß er schon deshalb seines Rechts auf Zuteilung eines zusätzlichen Studienplatzes verlustig geht und diesen Verlust auch im Wege eines späteren Hauptsacheverfahrens nicht wieder wettmachen kann: Er muß sich mit der kapazitätsdeckenden Wirkung der realisierten einstweiligen Anordnung ab-
107
S. hierzu vor dem Hintergrund der §§ 58 Abs. 2, 70 Abs. 1 und 2 VwGO D.VI.l.a. C.I.4.C. 109 BVerfG, B.v. 22.10.1991 - 1 BvR 393, 610/85, DVB1. 1992, 145 r.Sp.; U.v. 18.7.1972 1 ßvL 32/70 und 25/71, E 33, 303 (332); s. dazu die Nachweise in C.I Fn. 177. Vgl. zum Mangel einer einfach-gesetzlichen Regelung der Kapazitätsrechtsansprüche Dallinger/Bode/De llian, HRG, Rdnr. 1 zu § 32 Fn. 2: "'Regelungslücke'"; s. auch oben B.n.2.c.aa. 110 Schmidi-Aßmann, WDStRL 34 (1976), 221 (245), im Hinbück auf "große Verwaltungsverfahren" . 111 Vgl. auch OVG Hambuig, B.v. 24.6.1992 - Bs ffl 193/91, NVwZ-RR 1992, 22 (23), für den Fall, daß der "Studienbewerber selbst nicht mit der ihm möglichen Anstrengung dafür sorgt, daß er das Studium schon in dem Semester, für das er sich bewirbt, aufnehmen kann". Es lasse sich kein Grund dafür anfuhren, "daß auf eigenen Versäumnissen des Studienbewerbers beruhende Verzogerungen abgewandt werden"; dies gehe auch hinsichtlich der "Mitbewerber um Studienplätze, die den verfügbaren Rechtsbehelf rechtzeitig genutzt haben". 1,2 S. zum - hiervon zu unterscheidenden - Rechtsuntergang auf Grund der Rechtsbeständigkeit von Hochschulzulassungen C.Vm.6. 108
152
C.II. Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
finden. 113 Damit erfahrt die oben114 beschriebene Rechtsprechung zur Verteilung versteckter Studienplätze nach dem Prinzip des ersten Zugriffs ihre innere Legitimation aus der multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung. Angesichts der einschneidenden Folgen eines unterlassenen Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung 115 ist der Zeitpunkt, bis zu dem noch Anträge beim Verwaüungsgericht - ein vorheriger Antrag bei der Universität ist nicht erforderlich 116 - anhängig gemacht werden können, von entscheidender Bedeutung. Die Konkurrenzinteressen der frühzeitigen Antragsteller an einer baldigen Schließung der Bewerberkonkurrenz sind mit den Zugangsinteressen von "späteren" Studienplatzprätendenten in Einklang zu bringen. Insoweit verleiht das OVG Hamburg 117 dem wechselbezüglichen Charakter der kapazitätsrechtlichen Konkurrenzlage treffend Ausdruck: Wegen der Eigenart des Verfahrens, daß "ein jeder Antragsteller in Wettbewerb tritt mit einer geringeren oder größeren Zahl anderer Studienbewerber, ist einem jeden die Rücksicht auf berechtigte Belange anderer anzusinnen ...". Einerseits müssen die Zugangsinteressen von Studienplatzbewerbern im Kapazitätsrechtsstreit vor dem Hintergrund von Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip1 1 8 gesehen werden. Das schließt eine rigide Vorverlegung des Bewerbungsendtermins aus. Insbesondere ein Zeitpunkt, der noch vor dem Beginn des Semesters liegt, ist daher verfassungsrechtlich nicht akzeptabel. Hieran hat sich auch der (Landes-)Verordnungsgeber zu halten. Andererseits ist in Rechnung zu stellen, daß jenen Studienplatzbewerbern, die ihren Anspruch auf zusätzliche Kapazität - ggf. durch eigene Darlegung fehlerhafter Berechnung der Zulassungszahl - frühzeitig untermauert haben, nicht zugemutet werden kann, unbegrenzt mit weiteren, ihre Loschance verschlechternden Anträgen rechnen zu müssen. Dies spricht dagegen, den Zugangsanspruch zeitlich weithin in das Bewerbungsemester zu erstrecken. Insofern bietet sich für die materiellrechtliche Reichweite des kapazitätsbezogenen Zugangsanspruchs das Kriterium
113 Vgl. hier nur BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 48.89, NVwZ-RR 1991, 362 l.Sp.; s. im einzelnen C.I.4.a.bb, b.cc. 114 C.I.4.a.aa, bb. 115 Nach der ganz überwiegenden Praxis der Obelgerichte (s. die Nachweise in C.I Fn. 179) ist sie auf vorläufige Zulassung auf der Grundlage eines von der Universität durchzuführenden Losverfahrens gerichtet. 116 Maßgeblich ist hierfür, daß die Univeratatsverwaltung an die Zulassungszahlenverordnung gebunden ist und damit angesichts des Zeitfaktors eine Ausnahme vom Grundsatz primärer Befassung der Behörde gerechtfertigt ist, vgl. etwa VGH München, U.v. 27.4.1981 - 2372 VII 78 u.a., KMK-HSchR 1982, 384 (386); a.A. OVG Hantouig, B.v. 24.6.1991 - Bs m 193/91, NVwZRR 1992, 22 (23); Schock, Rechtsschutz, S. 764; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rdnr. 965; s. im einzelnen D.IV.2.d mit Fn. 133. 117 B.v. 24.6.1991 - Bs m 193/91, NVwZ-RR 1992, 22 (24). 118 S.o. Fn. 109 und B.n.2.c.aa.
.2. Multipolare Abwägung und Risikoverteilung
153
an, ob überhaupt noch mit einer sinnvollen Aufnahme und Durchführung des Studiums durch den "späten" Bewerber gerechnet werden k a n n . 1 1 9 Unabhängig von Unterschieden des Studienablaufs etwa zwischen Medizin und Zahnmedizin erscheint bei typisierender Betrachtung ein Zeitraum von zwei Wochen nach Vorlesungsbeginn im Bewerbungssemester als sachgerecht. 120 Berücksichtigt man den nicht zu unterschätzenden Zeitbedarf für die Entscheidungsfindung des Verwaltungsgerichts, dürfte mit der Zwei-Wochenfrist dem verfassungsrechtlichen Zulassungsanspruch "später" Bewerber ebenso wie den Interessen der Konkurrenten genügt sein. I n den Fällen, in denen der (Landes-)Verordnungsgeber die zeitliche Befristung für Kapazitätsanträge ausnahmsweise vorgesehen hat, überschreitet er seinen Gestaltungsspielraum dann, warn er sich von dieser Grenzziehung deutlich entfernt. Dies gilt sowohl für eine zu strikte Begrenzung 1 2 1 wie für eine zu weitgehende Ausdehnung der F r i s t . 1 2 2 Diesen materiellrechtlichen Überlegungen entspricht die prozessuale Verpflichtung des Gerichtsaus Gründen der Chancengleichheit die Bewerberkonkurrenz unter
119
Zu diesem Kriterium etwa OVG Lüneburg, B.v. 24.10.1977 - U B 249/77, NJW 1978, 1340 (1341 f.). 120 Die vom OVG Hamburg zunächst angenommene und dann aufgegebene (vgl. B.v. 29.3.1984 - Bsffl 675/83, KMK-HSchR 1985, 479 (480 f.) Zwei-Wochenfrist ist nicht vergleichbar, weil dieses Gericht die Antragstellung bei der Universität verlangt und damit auch den Fristlauf an diesen Zeitpunkt knüpft; noch strikter jetzt OVG Hamburg, B.v. 24.6.1991 - Bs ffl 193/91, NVwZ-RR 1992, 22 (23): Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht müsse spätestens am ersten Vorlesungstag des Bewerbungssemesters gestellt sein; hiernach ergibt sich eine entsprechende Vorverlegung des vom Gericht für erforderlich gehaltenen Antrags bei der Universität. Vgl. mit wiederum anderer Bezugsgröße die Frist von zwei Wochen (nach Abschluß des ZVS-Verfahrens) in OVG Münster, B.v. 11.5.1976 - XV B 204/76, DVB1. 1976, 879 (880) mit abl. Anm. von Wahrendorf, ibid., S. 880 f. 121 Nicht hinnehmbar vor allem die Frist in § 3 Abs. 1 Hochschul-Vergabe-VO BW i.d.F. des Artikel-Gesetzes v. 3.7.1986 (GBl. S. 213): Eingang bei der Hochschule bis zum 15.1. für das Sommer-, bis zum 15.7. für das Wintersemester; abzulehnen daher VGH Mannheim, U.v. 13.10.1987 - NC 9 S 247/87, DVB1. 1988, 406 r.Sp., der diese Fristen als verhältnismäßig ansieht, und nunmehr OVG Saarlouis, B.v. 11.9.1991 - 8 W 3/91, NWwZ-RR 1992, 247 (248), das die für das Wintersemester ebenfalls auf den 15.7. lautende Ausschlußfrist in § 3 Abs. 1 S. 2 der VergabeVO Saati. v. 16.6.1987 (ABl. S. 739), unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung des VGH Mannheim in Ansehung von "Veihältnismäßigkeitsgesichtspunkten" gleichfalls für unbedenklich hält; zu streng schließlich auch OVG Koblenz, B.v. 19.11.1984 - NC 1 B U/84, KMK-HSchR 1985, 686 (687). 122 Noch nicht zu beanstanden § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Hochschul-Vergabe-VO Nds. v. 25.6.1986 (GVB1. S. 191): Antrag bei der Hochschule bis zum 15.10. für das Winter-, bis zum 15.4. für das Sommersemester, das OVG Lüneburg, B.v. 12.10.1987 - 10 B 2291/86 u.a., KMKHSchR 1988, 68 ((73), hat hiergegen keine Einwendungen erhoben; zur Rechtslage vor Erlaß dieser Bestimmung OVG Lüneburg, B.v. 22.8.1985 - 10 B 1788//85 u.a., KMK-HSchR 1986, 515 (517 f.). Zu weitgehend Schoch, Rechtsschutz, S. 783: bis zum formellen Ende des Semesters; Bahro, Hochschulzulassungsrecht, S. 338. 123 Das OVG Hamburg, B.v. 24.6.1991 - Bs ffl 193/91, NVwZ-RR 1992, 22 (23), verneint hier den Anordnungsgrund.
154
C.II. Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
Beachtung der genannten Frist zu schließen, um gleiche Wettbewerbsverhältnisse zu schaffen. 124 cc) Ein letztes Beispiel multipolarer Obliegenheit zur Rechtswahrung unter dem Aspekt materieller Verwirkung ist das bau- und immissionsschutzrechtliche Prioritätsprinzip. 125 Das Werft-Urteil des O V G Lüneburg 126 hat bereits gezeigt, daß bei der Bestimmung der Drittschutzschwelle die Vorbelastung von entscheidender Bedeutung sein kann. Allgemein gilt: W e r sich nicht fristgerecht gegen eine für ihn schutzniveauverschlechternde Ansiedlung wehrt, muß die Änderung des Gebietscharakters später gegen sich gelten lassen. 127
124 Hiervon zu unterscheiden (anders Sturnpe, VB1BW 1981, 65 (67)) ist der Grundsatz des prozessualen Bestandsschutzes, der eine Erledigung einer rechtzeitig erhobenen Klage verhindert, wenn die gerichtliche Entscheidung erst nach Ablauf des Bewerbungssemesters eigeht, vgl. BVerfG, B.v. 9.4.1975 - 1 BvR 344/73, E 39, 258 (274 ff.). 125 Vgl. Gaentzsck, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29; zurückhaltend Bartisperger, DVB1. 1971, 723 (726); aus der Rspr. BVerwG, U.v. 16.4.1971 - IV C 66.67, DVB1. 1971, 746 (747): "Grundsatz der Priorität"; BVerwG, U.v. 21.10.1968 - IV C 13.68, DVB1. 1969, 263 (264); s. näher C.VI.2.b.aa und 3.c. 126 U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 22 ff.; s. hierzu und zur Parallelentscheidung des OVG Lüneburg im Werft-Fall oben C.D.2.a.bb. 127 Vgl. BVerwG, U.v. 22.6.1990 - 4 C 6.87, NVwZ 1991, 64 (65), zu einem Fall der Gestaltungsvornahme; U.v. 23.5.1991 - 7 C 19.90, E 88, 210 (214 ff.), zu einer unecht multipolaren Konstellation; U.v. 12.6.1990 - 7 B 72.90, NVwZ 1990, 962 (963), zum Abwehrinteresse eines Wohneigentümers gegenüber dem Vorhaben der Errichtung von Schmelzöfen und Gießereimaschinen in einer ca. 80 m entfernten Aluminiumgießerei. Da hier die Situation bereits vorrangig durch gewerbliche Nutzung und gerade nicht ausschließlich oder auch nur vorwiegend durch Wohnnutzung geprägt war, hatte das Berufungsgericht die Erheblichkeit von Luft- und Lärmimmissionen verneint. S. auch BVerwG, U.v. 19.1.1989 7 C 77.87, E 81, 197 (206), wo die Frage offengelassen wurde, ob die Beeinträchtigungsschwelle höher liegt, wenn die Wohnbebauung nachträglich an die bereits bestehende Störquelle heranrückt; in BVerwG, U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (150), waren im Bebauungsplan Wohn- und Sportnutzung gleichzeitig nebeneinander ausgewiesen worden; beide Entscheidungen ergingen zu Fällen unechter Multipolarität, sind aber verallgemeinemngsfahig; s. schließlich schon BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 149/84, NVwZ 1985, 186 f. Vgl. femer hierzu - auf der Grundlage der Rücksichtnahme-Doktrin - BVerwG, U.v. 21.1.1983 - 4 C 59.79, NVwZ 1983, 609 (610); unter dem Aspekt der Priorität spricht das Gericht ausdrücklich davon, daß sich die "Schutzwürdigkeit" derer, die "zwar vor Ansiedlung des Betriebes" in dem immissionsbetroffenen Gebiet gewohnt hätten, "sich aber gegen die Betriebsansiedlung selbst nicht fristgerecht gewehrt haben", mit Unanfechtbarkeit der Genehmigung und Aufnahme der legalen gewerblichen Nutzung mindert (kurs. v.Verf.). Zur Kontrastkonstellation einer heranrückenden Außenbereichsbebauung, gegen die sich der Innenbereichsemittent zur Wehr setzt, s. VGH München, U.v. 21.6.1985 - 2 B 81 A.1805, UPR 1986, 32 (33 f.); dazu BVerwG, B.v. 25.11.1985 - 4 B 202.85, NVwZ 1986, 469.
n.3. Der streitschlichtende Verwaltungsakt
3. Der streitschlichtende
155
Verwaltungsakt
a) Normative und administrative Konfliktschlichtung D i e abstrakt-generelle 128 Ordnungsnorm gibt der Verwaltung das Mandat zur Konfliktschlichtung i m Einzelfall. W i e Lerche 129 hervorgehoben hat, ist der "Ausgleich grundrechtlich angelegter Positionen... normales gesetzgeberisches Geschäft". Demgegenüber geht es der administrativen Einzelentscheidung u m die Konfliktschlichtung in casu.13° Das Instrument, mit dem der Staat (die Behörde) den Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen vornimmt, ist der streitschlichtende Verwaltungsakt.
b) Dogmatische Einzelheiten des streitschlichtenden Verwaltungsakts aa) Es mag auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen, ob mit der Einführung eines neuen Begriffs des streitschlichtenden Verwaltungsakts viel gewon-
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Dies gilt auch für Festsetzungen eines Bebauungsplans. Diese müssen zwar in der Regel *'konkret-individuell'" sein, doch bedeutet dies "nur einen verbindlichen Rahmen für die rechtliche Beurteilung" im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens, in dem die "Konfliktlösung" durch die Behörde im Einzelfall erfolgt, vgl. BVerwG, B.v. 6.3.1989 - 4 NB 8/89, NVwZ 1989, 960 r.Sp. - Im übrigen bleibt hier der Ausnahmefall eines Maßnahme-(bzw. Einzelfall-)Gesetzes (dazu Menger, WDStRL 15 (1957), 3 (29 ff.)) außer Betracht, s. C.V.l.a. 129 In: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als Staat*- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (107); zum gesetzgeberischen Konfliktausgleich s. auch Schmitt Glaeser, Die Verwaltung 14 (1981), 277 (286 ff.). 130 Vgl. Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahrens als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (87): "Verteilungskampfe zwischen Privatpersonen" würden "in Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsentscheidungen geschlichtet" werden (s. auch S. 77); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, S. 22, und ders., DVB1. 1989,533 (536); Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59; ders., DVB1. 1983, 289 (292): "Entscheidungen der Verwaltung, die gemeinwohlgebunden konfligierende Rechtssphären der Bürger gegeneinander abgrenzen und gesetzesdirigiert sein müssen"; Isensee, Sicherheit, S. 34; Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 und 5; Brohm, DÖV 1982, 1 (4); Schetäng, AöR 112 (1987), 297 (301); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 44; / . Martens, NJW 1985, 2302 (2303 Fn. 36, 2304); Schopp, Nachbarrecht, S. 174 ff., der aber nicht ausreichend zwischen Norm und Verwaltungsentscheidung differenziert: "Konfliktentscheidung ... in einer als Einheit zu sehenden Entscheidungskette, die von den Normen des BImSchG und des BBauG über die Bauleitpläne ... bis zur Genehmigung nach BImSchG und BBauG reicht" (S. 33). - Zum Gesetz als "Handlungsnorm" s. Bettermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR HI, Rdnr. 31 zu § 73; Rupp, in: FS f. Zeidler, 1987, S. 455 (462, 466). In einem anderen Sinne spricht das BVerwG davon, daß § 12 SchwbG a.F. (= § 15 SchwbG 1986) "ausschließlich Handlungsnorm für den Arbeitgeber" (U.v. 15.12.1988 - 5 C 67.85, JZ 1989, 843 (846)) sei. Gemeint ist, daß es Sache des Arbeitgebers sei, die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle einzuholen. Da die Ordnungsnorm die Verwaltung zum Handeln ermächtigt, kann der Terminus der Handlungsnorm nicht auf einen Privaten bezogen werden. S. auch schon oben Fn. 38.
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
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nen ist, zumal er sich in die Kategorien der befehlenden (z.B. nachträgliche Anordnung gem. § 17 Abs. 1 BImSchG; bauordnungsrechtliche Abrißverfugung), der feststellenden (atomrechtlicher Standortvorbescheid) und der gestaltenden (Dispens nach § 31 Abs. 2 BauGB, Namensänderung oder beamtenrechtliche Ernennung) Verwaltungsakte einfugt. 131 Wenn hier dieser Begriff dennoch vorgeschlagen wird, dann deshalb, weil der Verwaltungsakt mit Drittwirkung wie ausgeführt 132 - bipolar geprägt ist und der multipolaren Dimension nicht gerecht zu werden vermag. Insoweit sei zusammenfassend daran erinnert, daß sich nach der Diagnose von Scholz 133 "Begriffsschöpfungen wie die vom Verwaltungsakt mit Doppelwirkung ... als begrifktheoretische Krücken" »weisen, die das "Gerüst" des "Relationsverständnisses" einer individualen Staat-BürgerBeziehung "nur mühsam aufrechterhalten". Wie dargelegt, ist der Verwaltungsakt mit Drittwirkung durch das materiell-rechtliche Konzept134 der Staat-BürgerRelation geprägt. 135 Die Einzelfallregelung mit Außenwirkung i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG altspricht ohne weiteres dem bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Dagegen ist für die Einbeziehung des Dritten in den Regelungsgehalt des Verwaltungsakts bei bipolarer Sichtweise kein Raum. 136 Namentlich fehlt dem Verwaltungsakt mit Drittwirkung die konzeptionelle Fähigkeit, die normative Rechtszuweisung des Horizontalverhältnisses auf der Ebene der Verwaltungsentscheidung widerzuspiegeln und die Rechtswirkungen für und gegen die privaten
131
Zu dieser Dreiteilung Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 11 Rdnr. 23; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 44 - 46 zu § 9 (S. 177 f.). Wolff/Bachof, VerwR I, § 47 I a und b (S. 390 f.), beschranken sich auf die Unterscheidung zwischen gestaltenden denen sie Verfugungen zuordnen - und feststellenden Verwaltungsakten. 132 S.o. A.I.2. 133 WDStRL 34 (1976), 145 (157); s. auch schon Badura, Veiwaltungsrecht, S. 24: "nur eine Verlegenheitslösung "; s. schon oben A.I.2.b. 134 Hierzu zutr. Ress, in: FS f. Winkler, 1989, S. 71 (78), wonach der Begriff des Verwaltungsakts allgemein durch den des subjektiven Rechts bestimmt wird; vgl. Kopp, VwGO, Rdm. 4 a.E. zu Anh. § 42. 135 S.o. A.I.2.b sowie zur Terminologie im Zusammenhang mit dem neuen § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO A.I.2.a. Die bipolare Begrenztheit des Verwaltungsakts mit Drittwirkung zeigt sich auch daran, daß die Einbeziehung des Dritten in seinen Regelungsgehalt mit so vagen Begriffen wie "betroffen", "tangiert" oder "berührt" umschrieben wird; s. krit. zum Terminus der "Betroffenheit" Schmidt-Aßmann, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (27). - Zur Problematik bei zivilrechtsbezogenen Verwaltungsakten unter dem Aspekt der Mittelbarkeita-Doktrin s. im einzelnen oben C.I.3.c.dd. 136 Vgl. Scheuing, AöR 112 (1987), 297 (301); / . Martens, NJW 1985, 2302 (2305).
.3. Der streitschlichtende Verwaltungsakt
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Konfliktgegner zu erfassen. 137 Dies aber ist es, was den streitschlichtenden Verwaltungsakt kennzeichnet. Sein Gegenstand ist die Schlichtung eines Streits zwischen Privaten 138 durch verbindliche Entscheidung der Behörde nach Maßgabe des Konfliktschlichtungsprogramms. Hierbei sind die kollidierenden Privatinteressen zu gewichten und auszugleichen. D a die Ordnungsnorm die administrative Konfliktschlichtung nicht absolut determiniert, 139 kommt der Verwaltung nach Maßgabe des Gesetzes ein multipolares Abwägungsmandat zur 1 4 0 Sie ist befugt und verpflichtet, das normative Konfliktschlichtungsprogramm i m Einzelfall "richtig" umzusetzen. 141 I n diesem Sinne regelt die Behörde mit dem streitschlichtenden Verwaltungsakt die verwaltungsrechtlichen Beziehungen 142 der privaten Konfliktgegner. Seinem Regelungsgehalt nach spricht er aus, welche Konfliktlösung fiir die am multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis beteiligten Träger kollidierender Privatinteressen in casu rechtens ¿st.143 So wie sich die Institute des Verwaltungsrechtsverhältnisses und des Verwaltungsakts i m allgemeinen nicht aus-
137
S. dazu bereits oben A.I.2.b; zur Wirkungsweise zutr. etwa VGH Kassel, B.v. 24.11.1989 - 8 TH 3414/89, NVwZ-RR 1990, 185 r.Sp., wonach die Sperrzeitverkürzung "eine zweifache Wirkung" hat: "Sie begünstigt die ... Gaststattenbetreiberin und belastet zugleich die Beigeladenen als Nachbarn." S. auch Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 18 Rdnr. 2 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 50 zu § 9 (S. 179); Vle/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464 f.). 138 Vgl. Wahl, in: Hoffman-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287), der von einem "horizontalen Konflikt zwischen zwei Privaten" spricht. 139 Vgl. grdl. Schmitt Glaeser, WDStRL 31 (1973), 179 (199 ff.). 140 Zum Gesetz als Grundlage staatlichen gestalterischen Handelns s. Badura, in: FS f. Bachof, 1984, S. 169 (184 ff.). Zur multipolaren Abwägung C.H.2.a. 141 S. auch D.I. 142 S. Isensee, Grundrecht, S. 34: "Die Verwaltung greift in einen Konflikt zwischen Privaten ein zugunsten der einen und zulasten der anderen Seite." Vgl. auch Badura, Verwaltungsrecht, S. 24: Regelung eines konkreten Sachverhalts, an dem "mehrere Verwaltungsunterworfene beteiligt" seien; ders., in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8 f.); Obermayer, VwVfG, Rdnr. 160 zu § 35, der den Verwaltungsakt mit Drittwirkung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgestaltung definiert und insofern eine "unteilbare" Regelung gegenüber Adressaten und Drittbetroffenen annimmt; s. ferner Rauschning, WDStRL 38 (1980), S. 167 (184): "Mit der Genehmigung einer Anlage ... regelt der Staat im Einzelfall die Beziehungen des Betreibers zu anderen Bürgern und zur Allgemeinheit". S. noch Schopp, Nachbarrecht, S. 177, der von der "Notwendigkeit einer Entscheidung des nachbarlichen Konflikts in engem Zusammenhang mit der Entscheidung des Konflikts Privater - Staat" (S. 177) spricht, in letzterer Hinsicht allerdings nur das Verhältnis Staat-Bauherr sieht, die Beziehung Staat-Nachbar dagegen nicht thematisiert (s. S. 32). Schenke, DVB1. 1986, 9 (10), will von einem dreipoligen Verwaltungsakt ausgehen; gegen den Begriff eines "'dreiseitigen'" oder "'mehrseitigen'" Verwaltungsaktes Laubinger, Verwaltungsakt, S. 4. 143 S. auch unter dem Aspekt des "Mitentscheidens" BVerwG, B.v. 20.12.1989 - 7 B 188.89, NJW 1990, 930 r.Sp.; dazu im einzelnen D.D.2.
C.II. Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
158
schließen, sondern einander ergänzen, so sind das multipolare Verwaltungsrechtsverhältnis und der streitschlichtende Verwaltungsakt komplementär. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob er in der Form des adressatbegünstigenden Verwaltungsakts mit belastender Drittwirkung oder umgekehrt des adressatbelastenden Verwaltungsakts mit begünstigender Drittwirkung ergeht.144 Auf die sachlich-personelle Geltungskraft des streitschlichtenden Verwaltungsakts i.V.m. § 43 VwVfG wird später einzugehen sein. 145 bb) Im folgenden seien beispielhaft einige Varianten des streitschlichtenden Verwaltungsakts hervorgehoben. Daß er das abstrakt-generelle Konfliktschlichtungsprogramm im Einzelfall umsetzt, zeigt sich im Bereich kehrseitiger Konfliktlagen besonders deutlich, wenn man sich den Erheblichkeitsmaßstab der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG einerseits und den quantitativen "Kompromiß 1 , 1 4 6 in Gestalt eines Lärmimmissionshöchstwerts in Form einer (Genehmigungs-)Inhaltsbestimmung oder einer echten Auflage vor Augen hält.147 Im Bereich kapazitätsbezogener staatlicher Auswahl- und Verteilungsentscheidungen ist streitschlichtender Verwaltungsakt die Zulassung des erfolgreichen Bewerbers. 148 Hiervon zu unterscheiden ist ein ggf. daneben ergangener gesonderter Ablehnungsbescheid gegenüber dem erfolglosen Bewerber. Wird ein solcher erlassen, kommt ihm für die Rechtsbeziehungen im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis keine konstitutive Rechtswirkung zu. Er hat nur insoweit eine komplementäre Funktion, als seine Bestandskraft der weiteren Rechtsverfolgung in Form eines Zugangsvornahmebegehrens des erfolglosen Konkurrenten entgegenstünde {Sperrwirkung). 149 Beschränkt sich der unterlegene Bewerber umgekehrt auf die Abwehr der Ablehnung, ist damit nicht
144
Zur Begriffsbildung Erichsen, in: Erichsen/Maitens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 18 Rdnr. 1 ff.; Knoke, Rücknahme, S. 64 ff., 68 f.; s. jetzt § 80 a Abs. 1 und 2 VwGO sowie oben A.I.2.a. 145 S.u. D.n. 146 So plastisch VGH München, B.v. 5.6.1990 - 22 CS 90.1522, NPW 1990, 2488 (2489). 147
Vgl. die (änderungs-)genehmigungsiechtliche Variante zum oben (C.U.2.a.bb) geschilderten Werft-Fall in OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 9/82, Ausfertigung, S. 14 ff.; zur Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde in dieser Sache s. BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 150/84, NVwZ 1985, 750 f. 148 In multipolarer Hinsicht handelt es sich um einen Verwaltungsakt; vgl. hierzu Ule/ Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 I 1 (S. 464): "ein einheitlicher Verwaltungsakt, der zwei oder mehr Betroffene hat". 149 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 284 zu Art. 19 IV Fn. 168 a.E.; Weyreuther, in: FS f. Menger, 1985, S. 681 (686); nach Firüelnburg, DVB1. 1980, 809 (811), "erlischt das Konkurrentenverhältnis" mit unanfechtbarer Ablehnung der Bewerbung; OVG Berlin, B.v. 16.8.1991 - 8 S 136.91, DVB1. 1991, 1265 (1266). Die Sperrfunktion übersieht VGH Mannheim, U.v. 12.7.1971 - VI 578/68, BWVB1. 1972, 453 (44). Bei erfolgreicher (primärer) Verpflichtungsklage erledigt sich die Ablehnung, was im Tenor des Leistungsurteils auch besonders ausgesprochen werden sollte; vgl. hierzu Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 291.
.3. Der streitschlichtende Verwaltungsakt
159
zugleich ein Angriff gegen die Zulassung verbunden. 150 Auf der materiellrechtlichen Ebene der Rechtszuweisung wird über die Konkurrenzbeziehung»! in der wechselbezüglichen Konfliktlage (notwendig) einheitlich entschieden. Fremdbegünstigung und Ablehnung sind insofern materiell verflochten. Als Verwaltungsakte (im verfahrensrechtlichen Sinne)151 sind sie aber nicht identisch. XS 1 Die vom VGH München153 und VGH Mannheim154 zur rundfunkrechtlichen Zugangskonkurrenz vertretene These einer Ablehnung und Zulassung identifizierenden "Gesamtentscheidung m ist daher nicht richtig. Der (verfahrens-)rechtlichen Selbständigkeit von Zulassung und Ablehnung im Sinne der wechselbezüglichen Konfliktlage bei qualitativen Auswahl- und Verteilungsprogrammen entspricht es hingegen, wenn das OVG Koblenz155 die rundfunkrechtliche Zugangskonkurrenz als Gegenstand sowohl des Aussetzungsverfahrens gem. § 80 Abs. 5 VwGO als auch des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO behandelt hat. 156 cc) Abzugrenzen ist der streitschlichtende noch vom streitentscheidenden Verwaltungsakt. Durch diesen wird von einer Behörde in einem gerichtsähnlichen Verfahren "eine zwischen zwei oder mehreren Personal streitige Rechtsfrage entschieden, insbes. ein streitiger Anspruch zuerkannt oder aberkannt". 157 150
Zur prozessualen Problematik s.u. E.IV.2.a. Zur Unterscheidung der Funktionen des Verwaltungsakts als Verfahrensrechtsmaßnahme und als materielle Regelung Bachof| in: FS f. W. Weber, 1974, S. 515 (520 f., 525). 152 Sehr klar VGH München, U.v. 22.7.1982 - Nr. 22 B 81 A.2506, DVB1. 1983, 274 (275), zu § 11 Abs. 1 ApoBetrO. Ablehnung und Erlaubnis werden danach zutr. als "in einem inneren Zusammenhang" stehend gesehen, da ihnen eine Auswahlentscheidung zugrunde liegt. Diese habe zwar in beide Entscheidungen "Eingang" gefunden, was "diese aber nicht zu einem einheitlichen, untrennbaren Verwaltungsakt verschmolzen hat". - S. insoweit auch Fromm, VerwAich. 56 (1965), 26 (38): Auswahlentscheidung als "materiell-rechtlich einheitlicher Akt" (kurs. i.O.). Richtig für die beamtenrechtliche Konkurrenzsituation in prozeßrechtlichem Zusammenhang Ronellenfitsch, VenvArch. 82 (1991), 121 (130). 153 B.v. 29.11.1989 - Nr. 25 CS 89.3171, BayVBl. 1990, 179 (180, kure. i.O.), zu Art. 25 Abs. 4, 26 Abs. 1 MEG; auf Verfassungsbeschwerde der Landeszentrale hat der BayVerfGH, E.v. 23.11.1990 - Vf. 116-VI-89, DVB1. 1991, 329 (330 ff.), diesen Beschluß aufgehoben. Zum Primat des Vornahmeanspruchs vor dem Aufhebungsbegehren bei qualitativer Konfliktschlichtung s. C.Vffl.4. 154 B.v. 14.12.1988 - 10 S 2426/88, NJW 1990, 340 (341), zu § 18 Abs. 2 LMG BW. Aus derrichtigenFeststellung des Gerichts, Ablehnung und Zulassung seien "in ihrem Bestand miteinander rechtlich verknüpft", ergibt sich allerdings nicht die Annahme einer Gesamtentscheidung. 155 B.v. 25.6.1990 - 2 B 11182/90, NVwZ 1990, 1087 r.Sp., sowie B.v. 25.6.1990 - 2 B 11300/90, Ausfertigung, S. 2 ff. (zu § 7 LRG RhPf). 156 Nicht zu folgen insoweit auch OVG Berlin, B.v. 16.8.1991 - 8 S 136.91, DVB1. 1991, 1265 (1226); OVG Bremen, B.v. 2.10.1991 - 1 B 42/981, DVB1. 1991, 1270 ( (1271), die - ohne Annahme einer Gesamtentscheidung - Eilrechtsschutz des unterlegenen Bewerbers nur nach §§80 a, 80 Abs. 5 VwGO gewähren; s. auch E.IV.2.a. 157 Wolff/Bachofy VerwR I, § 47 I b § (S. 392); s. ferner Stelkens/Sachs in: Stelkens/Bonk/ 151
160
C.II. Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
Unter dem Aspekt des Art. 92 G G sind in diesem Sinne streitentscheidende Verwaltungsakte nur bedenklich, wenn die Behörde an dem Entscheidungsgegenstand "unbeteiligt" 158 ist. D i e herkömmlicherweise hierunter verstandenen Verwaltungsakte weisen - bei aller Unterschiedlichkeit 159 untereinander - keine sachliche Verbindung zu den hier unter dem Aspekt kollidierender Privatinteressen i m Verwaltungsrecht in Rede stehenden Entscheidungen a u f . 1 6 0 dd) Schließlich kann ein streitschlichtender Verwaltungsakt zivilrechtsbezogen sein oder ausnahmsweise auch "privatrechtsgestaltenden" Charakter haben. Wie schon oben 161 dargestellt, ist ersteres ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt nur öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausübung eines zivilrechtlichen einseitigen Gestaltungsrechts - wie z.B. i m Falle der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eines Schwerbehinderten - oder für den
Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 131 zu § 35 sowie Rdrn. 9 zu § 43; Badura, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 41 Rdnr. 51; BVerfG, U.v. 1.7.1953 - 1 BvL 23/51, E 2, 380 (394): Feststellungsbeschlüsse der Haftentschädigungsbehörde. Dabei müssen streitentscheidende Verwahungsakte nicht unbedingt nur feststellender Natur sein; sie können auch gestaltenden Charakter haben, s. Bachof\ VerfR I, S. 12. - Wenn Fromm, WiVerw. 1989, 26 (28), im Hinblick auf die Zulassungsentscheidung gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 PBefG von einem "'streitentscheidenden'" Verwaltungsakt "in des Wortes ursprünglicher Bedeutung" spricht, kommt dies in der Sache eher dem streitschlichtenden Verwaltungsakt nahe. 158 Bettermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ffl, Rdnr. 42 zu § 73, der die Regelung des Vorbescheides nach § 35 BJagdG für verfassungswidrig hält; in diesem Sinne auch Wolff/ Bachof; VerwR I, § 47 I b 3 (S. 392). 159 S. den Überblick bei Andreae, Der streitentscheidende Verwaltungsakt, S. 15 ff., 81 ff., der im Bereich des Bundesrechts etwa auf folgende Fälle hinweist: § 8 Abs. 2 S. 2 EnWG (Entscheidung der Energieaufsichtsbehörde über den Übergang von Rechten und Pflichten aus Energieversorgungsverträgen von einem ehemaligen auf ein neu beauftragtes Unternehmen), § 47 Abs. 4 BBergG (Entscheidung über das Recht zur Benutzung fremder Grubenbaue); § 38 Abs. 1 StrdgsO (Entscheidung über Hilfs- und Bergungskosten bei Streit zwischen Helfer/Finder und Empfangsberechtigtem); § 7 Abs. 2 AEG (Streit öffentlicher Bahnen über Anschlußbedingungen). Die zahlreichen Entscheidungen des Landesrechts betreffen vor allem Kostenbeteiligungen und -aufteilungen, Entschädigungsfragen, Benutzungen von Wasserläufen, Notwegen und dgl. sowie etwa aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Gemeinde- und Verbandsrecht. Als inhaltlich geringsten Nenner kann man das Kriterium ansehen, daß "es aus praktischen, den jeweiligen Aufgaben der Verwaltung angemessenen Gründen zweckmäßig erscheint, einen Streit zunächst innerhalb der Verwaltung erledigen zu lassen", Schiile, in: Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge, hrsg. von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1957, S. 277 (294). 160 Ein Überschneidungsfall wäre nur bei § 11 Abs. 6 AMVOB denkbar gewesen, auf dessen Grundlage die Mietpreisstelle in Berlin "im Streitfalle" bei baulichen Verbesserungen "auf Antrag des Vermieters oder des Mieters über den zulässigen Mieterhöhungsbetrag" entschied; vgl. dazu BVerwG, U.v. 15.6.1967 - Vffl C 60.66, E 27, 202 (203 ff.), wonach das privatrechtliche Mietverhältnis nicht Gegenstand der behördlichen Entscheidung ist. Die AMVOB wurde aufgehoben durch das Gesetz zur dauerhaften sozialen Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin v. 14.7.1987, BGB1.IS. 1625. 161 C.I.3.c.dd; s. im einzelnen C.VI.7.d.
.3. Der streitschlichtende Verwaltungsakt
161
Abschluß eines zivilrechtlichen (Änderungs-)Vertrags ist. 1 6 2 V o n einem privatrechtsgestaltenden Venvaltungsakt empfiehlt es sich - insoweit im Gegensatz zur ganz überwiegenden Terminologie 163 - nur dann zu sprechen, wenn der Verwaltungsakt ipso iure die Begründung, Änderung, Übertragimg oder Aufhebung einer zivilrechtlichen Position bewirkt; dies ist z.B. bei der Änderung oder Aufhebung eines Geschäftsplans durch Anordnung gem. § 81 a S. 2 V A G der Fall.
c) D i e Duldungsproblematik Weit verbreitet ist der Begriff der "Duldungspflichten". 164 Angesichts seiner Vielschichtigkeit kann er in multipolaren Konfliktlagen zu Mißverständnissen führen. Von vornherein unproblematisch ist er freilich, wenn das Gesetz selbst eine solche ausdrücklich statuiert. 165 I m übrigen eignet sich der Begriff uneingeschränkt in bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen, wo die "Duldungspflichten des Bürgers" in der Tat nur "die Kehrseite eines Eingriffsrechts des Staates sind". 1 6 6 Problematisch aber wird der Begriff, wenn es in multipolaren Konfliktlagen um den Regelungsgehalt des streitschlichtenden Verwaltungsakts geht. 1 6 7 Freilich könnte man diese Fragestellung von vornherein als Gegenstand
162
Hieraufweist zu Recht Kieckebusch, VerwArch. 57 (1966), 17 (21 f.), hin. Vgl. Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), AllgVerwR, § 11 Rdnr. 17; Faber, Verwaltungsiecht, S. 137; Schwarze, in: Knack (Hrsg.), VwVfG, Anm. 5.2.5 zu § 35; Obermayer, VwVfG, Rdnr. 48 zu § 35; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 45 zu § 9 (S. 177 f.); Wertenbruch, in: FS f. Seidl, 1966, S. 89 (102); in diesem Sinne auch Jarass, WDStRL 50 (1991), 238 (253); Skouris, Verletztenklagen, S. 186 ff.; zu den Konsequenzen für das subjektive öffentliche Recht s.u. C.VI.7.d. 164 Vgl. hier nur Steinberg, NJW 1984, 457 (458), der davon spricht, daß sich das "zweipolige Rechtsverhältnis ... zum drei- oder mehrpoligen Rechtsverhältnis" weite, "in dem Rechte und Duldungspflichten des Dritten auszumachen sind". Aus der Rspr. BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (257). 165 S. z.B. in § 197 Abs. 1 S. 3 BauGB: "Eigentümer und Besitzer des Grundstücks haben zu dulden, daß Grundstücke ... betreten werden." Ein Gesetz kann auch implizit subjektive öffentliche Rechte ausschließen; vi. in bergrechtlichem Zusammenhang unter zutr. Ablehnung des herkömmlichen Dulde-und-Liquidiere-Prinzips Hoppe, Bergwerkseigentum, S. 15 ff. 166 Stelkens, NuR 1983, 261 (262); ebenso - ihm folgend - Erbgut*i, HdUR I (1986), Sp. 366 (367), die offensichtlich ein bipolares Verwaltungsrechtsverhältnis unterstellen. Wenn Hoppe/ Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 16 zu § 8 (S. 114), in bezug auf Verwaltungsakte mit Drittwirkung von "Duldungspflichten" sprechen, dann betrifft das nicht die im Text kritisierte Problemlage, da sie sich zum einen auf den Fall eines (für den Dritten) bestandskräftigen Verwaltungsakts und zum anderen auf den Ausschluß zivilrechtlicher Abwehr- und Beseitigungsansprüche durch die §§ 14 S. 1 BImSchG, 7 Abs. 6 AtG, 11 LuftVG, 8 Abs. 3 und 4 WHG i.V.m. dem Landesrecht beziehen. 167 Dies gilt auch für BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (44), wenn es davon spricht, daß § 5 Nr. 1 BImSchG a.F. im Sinne einer Abwägung und "Bewertung der widerstreiten163
162
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
einer bloßen façon de parier abtun, wenn man mit dem Begriff nicht mehr verbände als nur die sprachliche Umkehrung der Tatsache, daß dem einzelnen keine subjektiven öffentlichen Rechte zustehen.168 Dies dürfte regelmäßig gemeint sein, wenn von Duldungspflicht die Rede ist; insoweit wären in der Sache auch keine Bedenken zu erheben. Diese rühren aber daher, daß die Verwendung des Begriffs der Duldungspflicht in multipolaren Konfliktlagen auch den Eindruck hervorrufen kann, als sei der Dritte Adressat und damit womöglich über Art. 2 Abs. 1 CG - ohne weiteres im Besitz einer Rechtsposition, um deren Nachweis anhand der multipolaren Ordnungsnorm es in Wahrheit überhaupt erst geht. So will das schon oben169 erörterte, auf Schwabe 170 zurückgehende und von Murswiek 111 weiterentwickelte Eingriffskonzept in einer Genehmigung stets einen staatlichen Eingriff sehen und dies aus einer Duldungspflicht des Dritten begründen. Unabhängig von den dargestellten Einwänden gegen dieses Konzept in grundrechtlicher Hinsicht würde dies eine Verengung des Regelungsgehalts des Verwaltungsakts auf eine "bipolare Eingriffsbeziehung" 172 zwischen Staat und Drittem bedeuten. Auf der Grundlage eines solchen Eingriffskonzepts würde es dann nur noch eines kleinen Schrittes bedürfen, um jedweder Genehmigung einen duldungsgebietenden Charakter zuzumessen. Legt man dann noch Art. 2 Abs. 1 GG als Gewährleistung allgemeiner Handlungsfreiheit zugrunde, 173 ließe sich automatisch eine Rechts-
den Interessen ... bestimmte 'Duldungsgrenzen'" aufstelle (im Anschluß an Mettenheim, BB 1980, 1777 (1780)). 168 Rein formal-sprachlich läßt sich freilich jedes Nicht-Dürfen in ein Duldenmüssen umformen. 169 B.m.l.c. 170 Grundrechtsdogmatik, S. 212 ff., mit der Grundthese, daß all das, was nicht verboten ist, auch erlaubt und von den nachteilig Betroffenen hinzunehmen sei; während auf S. 16 dafür plädiert wird, den "Begriff der Duldungspflicht zu meiden", wird dann aber doch mit ihm operiert; s. z.B. S. 215 sowie insbes. ders. y NJW 1983, 523 (525): "der - eine Beeinträchtigung oder Gefahrdung von Grundrechtsschutzgütern genehmigende - und zur Duldung verpflichtende Staat"; s. auch S. 527: Die Genehmigung sei "in aller Regel mit einer Duldungsverpflichtung der Dritten verknüpft". Mit Recht kritisch zur Duldungspflicht unter dem Aspekt der allgemeinen Rechtslehre Alexy, Theorie, S. 418 ff. 171 Verantwortung, S. 91 ff., vor allem S. 93: Die "Erlaubnis privater Grundrechtseingriffe impliziert die Auferlegung einer entsprechenden Duldungspflicht für den Betroffenen". Bereits der These einer "Ermächtigung zu privaten Grundrechtseingriffen" kann nicht gefolgt werden. Die Annahme, daß Private in Grundrechte bzw. in das "grundrechtlich ... geschützte Gut" (S. 95 Fn. 19) eingreifen könnten, würde voraussetzen, daß Private Grundrechtsverpflichtete sein könnten. Hiervon abgesehen, ist Regelungsgehalt einer Genehmigung nicht die Beeinträchtigung Dritter, sondern die Konfliktschlichtung nach Maßgabe der Ordnungsnorm. S. unter dem Aspekt der exklusiven Eingriffsabwehr oben B.m.l.c. 172 Papier, in: 8. Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 173 (177). 173
So vor allem die Befürworter des direkten Grundrechtszugriffs, s. B Fn. 3 sowie im einzelnen C.IV.l.b.
II.3. Der streitschlichtende Verwaltungsakt
163
Stellung des Dritten, der nach diesem Ansatz eher als Adressat zu bezeichnen wäre, begründen. Prozessual wäre die Annahme der Klagebefugnis problemlos. 174 In der Tat kommt Winter* 15 - unter Postulierung einer Staat-BürgerBeziehung - zu diesem Ergebnis, wenn er dafür plädiert, atomrechtliche Genehmigungen gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG "primär als Duldungsverfugung an die Nachbarschaft und sekundär als begünstigende Verwaltungsakte" anzusehen.176 Ähnlich hat Baumann177 gemeint, daß die Genehmigung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nicht nur die begünstigende Gestattung, sondern "auch die belastende Regdung in Form einer Duldungsverfugung enthält". Allein mit Hilfe des Begriffs der Duldungspflicht wäre unversehens das Individualschutzprinzip aus den Angeln gehoben, ohne daß sich die Annahme subjektiver öffentlicher Rechte an den einschlägigen Ordnungsnormen hätte ausweisen müssen. Allerdings stimmen die Prämissen dieses Duldungs-Konzepts nicht. Wie oben gezeigt,178 bestdien im Horizontalveihältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern keine Pflichten. Für eine Duldungsverpflichtung des Dritten, die dann über Art. 2 Abs. 1 GG - dessen Anwendbarkeit einmal unterstellt 179 - den Schluß auf subjektive öffentliche Drittrechte rechtfertigen könnte, fehlt es daher an der rechtlichen Grundlage. Das BVerwG hat im Emsland-Urteil vom 17.12.1986"° mit all«- Klarheit hervorgehoben, daß eine atomrechtliche Genehmigung gem. § 7 Abs. 2 AtG einen Dritten "nicht zur Duldung in dem Sinne" verpflichte, "daß er nunmehr die mit der genehmigten Anlage verbundenen Gefahren und Immissionen hinnehmen müsse".181 Dem ist uneingeschränkt zuzu-
174 Umgekehrt hat Moramtz, BraunachwZ. 57 (1910), 2 (3), versucht, die Ablehnung des Drittschutzes damit zu begründen, daß er einer "Verfügung selber einen Zwang, etwa zu einer Duldung", absprach. So richtig letzteres ist, so wenig bedeutet dies freilich, daß dem Dritten deshalb kein subjektives öffentliches Recht zustehen könne. 175 NJW 1979, 393 (400), kurs. i.O.; dabei geht er von einer "Verflechtung von Staat und Betreiber" aus, welche die Annahme des Modells der "Eingriffsverwaltung" in bezug auf den Dritten rechtfertige. Dem sind Rspr. und Lit. zu Recht nicht gefolgt. 176 Auf der Ebene der hoheitlichen Planfeststellung entspricht dem der Vorschlag von Löwer, DVB1. 1981, 528 (533), Dritte als Adressaten des Planfeststellungsbeschlusses anzusehen; ebenso Kägel, Planfeststellungsbeschluß, S. 238. So richtig es ist, daß es sich bei der (hoheitlichen) Planfeststellung nicht um ein drittschutziechtliches Dreiecksverhältnis handelt, so wenig folgt daraus allerdings die Adressateneigenschaft des Dritten. 177 BayVBl. 1982, 292 (294).
178 179
C.H.l.b.
S. dazu B.H.2.d.aa. 180 7 C 29.85, E 75, 285 (287). 181 Nicht gefolgt werden kann freilich der weiteren Aussage, daß lediglich der feststellende Teil der Genehmigung Rechte des Nachbarn verletzen könne. Soweit es sich um (Teil-) Errichtungsgenehmigungen und nicht um Vorbescheide handelt, wirkt sich neben dem Feststellungsausspruch auch, ja im Grunde primär die Freigabe auf die Rechtsposition des Nachbarn aus. Insoweit ist die Aufhebung der präventiven Schranke das Entscheidende. Dies gilt auch für die (einfache) Baugenehmigung, wenngleich dem Dispens eine ungleich stärkere Gestaltungswirkung zu eigen ist, vgl.
164
C . . Horizontalverhältnis und Streitschlichtung
stimmen. Der Regelungsgehalt eines streitschlichtenden Verwaltungsakts umfaßt keine irgendwie geartete Duldungsverpflichtung zu Lasten des Dritten. 1 8 2 Aus Gründen der Klarstellung empfiehlt es sich daher, auf diesen Begriff zu verzichten, wenn es um den Regelungsgehalt streitschlichtender Verwaltungsakte geht. 1 8 3 Ob Rechte Dritter bestehen, kann sich nicht aus einer Duldungspflicht ergeben, sondern allein aus dem normativen Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm, das Grund und Reichweite gegenseitigen freien Dürfens bestimmt.
differenzierend Sanier, LBauO BW, Rdnr. 5 zu § 59, der bei der einfachen Baugenehmigung zwischen Gestaltungswirkung formeller und materieller Art unterscheidet; a.A. z.B. Ortlqff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 88. - Allg. zur Frage einer konstitutiven Wirkung von Verwaltungsakten s. Seibert, Bindungswirkung, S. 94 ff. 182 Wenn in der Rspr. bisweilen der Duldungsbegriff in multipolaren Konfliktlagen verwendet wird, dann ist in der Sache doch erkennbar die materielle Rechtszuweisung gemeint, vgl. VGH Mönchen, B.v. 5.6.1990 - 22 CS 90.1522, NJW 1990, 2488 (2489), wo einerseits zwar gefragt wird, ob den Wohnnachbarn "im Sinne eines wohlverstandenen Nachbarschaftsverhältnisses eine Duldungspflicht ... trifft"; andererseits nimmt das Gericht dann aber unter Berücksichtigung der Örtlichkeiten, der Häufigkeit der lärmemittierenden Veranstaltung und des Störungsgrads eine multipolare Abwägung vor und spricht insofern treffend von einem "Kompromiß". Dies zeigt, daß es dem VGH München trotz Verwendung des Begriffs der "Duldungspflicht" in der Sache um das freie Dürfen der privaten Konfliktgegner im Horizontalverhältnis geht; in diesem Sinne letztlich auch OVG Münster, U.v. 10.11.1988 - 21 A 1104/85, NVwZ-RR 1989, 638 (641): "ob der Kläger die Tl-Immissionen unter dem Gesichtspunkt der Ortsüblichkeit ... und der gegenseitigen Rücksichtnahme ... dulden muß". S. schon die Parallele bei C.n.l.b mit Fn. 44. 183
Dies sollte um so leichter fallen, als das Tunnelofen-Urteil des BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (55), das den Terminus der Duldungspflichten im Zusammenhang mit der Mittelwert-Methode begründet hat, anhand einer Gestaltungsvornahme-Konstellation erging und jedenfalls keine direkten - Rückschlüsse auf die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung erlaubt; s. ferner OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1984 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 21 (Gestaltungsabwehr einer nachträglichen Auflage gem. 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG); dazu C.n.2.a.bb.
m . Auslegungsinstrumente zur Ermittlung des multipolaren Konfliktschlichtungsprogramms Das Konfliktschlichtungsprogramm 1 der multipolaren Ordnungsnorm muß i m Wege der Auslegung2 ermittelt weiden. 3 "Begriffe, Konstruktionen, gedankliche Vorstellungen sind Hilfsmittel der Auslegung, nicht ihr praktisches Z i e l . " 4 D e m hierbei zur Verfugung stehenden Instrumentarium 5 soll - vor der eigentlichen Untersuchung der Voraussetzungen subjektiver öffentlicher Rechte i m multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis - zunächst das Interesse gelten.
i . Das multipolar-normative
Umfeld
a) Legislatorische Leitlinien Wenn von Auslegung einer Ordnungsnorm die Rede ist, bedeutet dies nicht die Beschränkung auf eine bestimmte Einzelvorschrift. Vielmehr ist das multipolar-normative "Umfeld" 6 in die Betrachtung einzubeziehen. 7 Z u nennen sind dabei zunächst legislatorische Leitlinien. 8 Hierunter sind gesetzliche Zielpostu-
1
S. zu diesem Begriff A.I.l.c mit Fn. 45. Zu den klassischen Auslegungsmethoden s. Wolff/Bachof\ VeiwR I, § 28 ffl c (S. 161 ff.); Säcker, in: Münchener Kommentar, Bd. 1, Einl. Rdnr. 105 ff. 3 Explizite gesetzgeberische Äußerungen zum Drittschutz einer Norm fehlen fast durchweg; vgl. hieizu Sendler, UPR 1981, 1 (5 ff.), unter Würdigung der spezifischen Problematik im Umwehrecht; eine Ausnahme stellt z.B. § 6 Abs. 5 S. 4 BauO BW dar, aus § 81 Abs. 1 S. 2 VAG, nach dem die Tätigkeit des BAV "nur im öffentlichen Interesse" wahlgenommen wird, kann nicht gefolgert werden, daß Drittschutz ausgeschlossen ist, vgl. C.VI Fn. 618. 4 Badura, in: Badura/Deutsch/Roxin (Hrsg.), Recht, 1987, S. 128 (136), gesp. und kurs. i.O. 5 S. hieizu Schmidt-Aßnum in: Maunz/Dürig, Rdnr. 128 zu Art. 19 Abs. IV: "nach heutigem Verständnis" sei die Schutznormlehre "eine Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektivrechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden soll" (kurs. i.O.). 6 Vgl. Schmidt-Aßmann, ibid.; s. auch Rdnr. 139. 7 Insofern ist der Forderung von H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (612), nach einer Orientierung an dem "gesamten, das jeweilige Rechtsverhältnis regelnden Normenmaterial m (kurs. i.O.) zuzustimmen, ohne daß sich aber daraus die Konsequenz ergäbe, die Schutznormtheorie aufzugeben; krit. zur rechtsverhältnistheoretischen Betrachtungsweise oben A.H.l.b. 8 Sie haben nichts mit den Planungsleitsatzen zu tun, die nach der fachplanungsrechtlichen 2
13 Schmidt-Preuß
166
C . .
Auslegungsinstrmente
late multipolarer Konfliktschlichtung zu verstehen, die den Schutz bestimmter Rechtsgüter des Menschen thematisieren. Insoweit sei beispielhaft auf § 1 BImSchG ("Menschen ... zu schützen"), § 1 Nr. 2 AtG ("Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie schützen"), § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AbfG ("Gesundheit der Menschen ... und ihr Wohlbefinden"), § 1 a Abs. 1 WHG ("auch dem Nutzen einzelner dienen") und § 1 Nr. 3 BBergG ("Vorsorge gegen Gefahren, die sich ... für Leben, Gesundheit und Sachgüter Drittoergeben") verwiesen. Der Rückgriff auf die naturgemäß allgemein gehaltenen Leitlinien kann die Drittschutzanalyse anhand des Konfliktschlichtungsprogramms der fachgesetzlichen Ordnungsnorm nicht ersetzen. Eine eigenständige dnttschutxbegründemie Funktion kommt legislatorischen Leitlinien nicht zu. Dafür ermangelt ihnen das Mindestmaß subjektiv-rechtlich zu Buche schlagender Aussagekraft. 9 So kann z.B. aus § 1 BImSchG, der den Schutz des Menschen als Ziel des Gesetzes nennt, nicht etwa auf einen drittschützenden Charakter des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG geschlossen werden. 10 Ebensowenig hätte das BVerwG in seinen Urteilen von 198711 den Drittschutz gegenüber der einfachen wasserrechtlichen Erlaubnis (§ 7 WHG i.V.m. dem Landesrecht) allein aus § 1 a Abs. 1 WHG entnehmen können. Allenfalls vermögen legislatorische Leitlinien, sofern sie mit Behutsamkeit gehandhabt werden, im Einzelfall eine klärende und bekräftigende Rolle im Rahmen der Drittschutzanalyse zu spielen. In diesem Sinne hat sich das BVerwG auf eine Gesamtschau der §§4 Abs. 1 S. 2, 18 und 1 a Abs. 1 WHG gestützt, dabei aber den Schwerpunkt der Begründung zu Recht auf § 4 Abs. 1 S. 2 W H G gelegt. Soweit es freilich aus § 1 a Abs. 1 WHG unter dem Aspekt der Individualisierung den "Schutzumfang" der wasserrechtlichen Gestattungstatbestände "ablesen"12 will, kann dem angesichts des Programmcharakters dieser Norm 13 nicht zugestimmt werden. 14
Rspr. des BVerwG durch Striktheit und Unuberwindbarkeit ausgezeichnet sind, vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1985 - 4 C 73.82, E 71, 163 (164); s. auch Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 233. 9 Nach Kloepfer, Systematisierung, S. 104, enthalten derartige Zielformeln oftmals nur "politische Prosa". S. auch Sendler, UPR 1981, 1 (9), der zu Recht manche Zielsetzung als "zu 'vollmundig'" bezeichnet und insofern von "verbalen Übertreibungen" spricht. - Das OVG Lüneburg hat sich in seinem - den drittschützenden Charakter des § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG im Wege der verfassungskonformen Auslegung bejahenden - B.v. 21.4.1986 - 7 B 39.85, DVBi. 1986, 418 (420), bemerkenswerterweise nicht auf § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AbfG berufen, sondern ihn sogar ausdrucklich als rein objektiv-rechtlich bezeichnet. 10 Zutr. Kunig, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 599 (603). 11 BVerwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 (339); U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (43). 12 BVerwG, U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (43). 13 S. Breuer, NuR 1987, 49 (50): § 1 a Abs. 1 WHG "vermag ... als programmatischer Formelkompromiß von außerordentlicher Weite und Offenheit nur eine bescheidene Direktivkraft zu entfalten" und "entbehrt auch eines drittschützenden Charakters". 14 Vgl. auch Kunig, DVBI. 1988, 237 (238), der den Hinweis auf § 1 a Abs. 1 WHG als "unergiebig" bezeichnet; klar abl. auch Salzwedel, ZfW 1988, 341 (342).
m . l . Das multipolar-normative Umfeld
167
Bis an die äußerste Grenze der Berücksichtigung legislatorischer Leitlinien ist das OVG Berlin15 gegangen, wenn es angesichts des nicht eindeutigen Wortlauts des § 55 Abs. I S . 1 Nr. 3 BBergG die Annahme seines Drittschutzcharakters in bezug auf Leben und Gesundheit als durch die Zielbestimmung des § 1 Nr. 3 BBergG "nahegelegt" angesehen hat. Im Hinblick auf den Schutz des Oberflächeneigentums schloß sich das OVG Berlin dagegen der Konstruktion des Moers-Kapellen-Urteils des BVerwG an. Dort hatte dessen 4. Senat den Weg einer drittschutzeröffnenden verfassungskonformen Auslegung des § 48 Abs. 2 BBergG gewählt, sich dabei aber vergewissert, daß dies auch dem Vorsorgezweck des § 1 Nr. 3 BBergG "entspricht".16 Der geringe subjektiv-rechtliche Stellenwert legislatorischer Leitlinien wird nicht zuletzt daran deutlich, daß auch dort Drittschutz anerkannt wird, wo das Gesetz auf sie verzichtet. So entbehrt z.B. das SchwbG einer derartigen gesetzlichen Zielbestimmung, ohne daß deshalb Drittschutz ausgeschlossen wäre. Die Rechtsprechung sieht im Weg der Auslegung im SchwbG "in erster Linie ein Türsorgegesetz', das die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will", 17 und geht hiervon im Rahmen der multipolaren Abwägung als "Leitlinie der Ermessensentscheidung" gem. § 15 SchwbG aus. Dies zeigt, daß legislatorische Leitlinien keine notwendige Bedingung für die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte sind.
b) Gegenrechte Vielfach finden sich multipolar-normative Wertungselemente außerhalb der Ordnungsnorm, auf der ein streitschlichtender Verwaltungsakt18 beruht. So hat Schlichter 19 zutreffend hervorgehoben, daß sich die Drittschutzproblematik
15 U.V. 23.3.1990 - 2 B 19/88, ZfB 131 (1990), 200 (212), wonach bei der Auslegung bestimmter "potentiell drittschützender" Normen "eine solche Zielsetzung indes ergänzend heranzuziehen ist". Zuvor hatte bereits das VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (136), § 1 Nr. 3 BBeigG als "gesetzliches Leitmotiv" apostrophiert und § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG als drittschützend angesehen; s. im einzelnen C.VI.5.d.aa. 16 BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (346); dagegen krit. Beckmann, DVB1. 1989, 669 (671). 17 OVG Lünebuig, U.v. 12.7.1989 - 4 L 21/89, br 1990, 114 r.Sp.; s. z.B. bereits zu § 12 SchwbG a.F. BVerwG, U.v. 28.2.1968 - V C 33.66, E 29, 140 (141), st.Rspr.
18
S. dazu im einzelnen C.U.3. In: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 12 Vorbem. zu den §§ 29 - 38 (i.O. teilweise kursiv), und ders. t NVwZ 1983, 641 (643), jeweils unter Hinweis auf Weyreuther, Außenbereich, S. 311. Weiterhin Schlichter, in: FS f. Scupin, 1983, S. 881 (887 f.); hieran anschließend VG Köln, U.v. 29.1.1985 - 2 K 1243/83, NVwZ 1985, 858 (859). Dagegen für 19
168
C . . Auslegungsinstrumente
"nicht nur im Wege einer einseitig-engen Betrachtung der die Genehmigung tragenden Norm beantworten" läßt, sondern zu fragen sei, "ob der Betroffene eine eigene Rechtsposition einbringt, die bei der Genehmigungserteilung zu berücksichtigen ist, also letztlich auch in die Prüfung der die Genehmigung tragenden Norm eingeht". Dem entspricht die Rechtsprechung. So kommt es nach dem BVerwG 20 darauf an, "ob der Drittbetroffene in den mit der behördlichen Entscheidung gestalteten Interessenausgleich eine eigene schutzfähige Rechtsposition einbringt". Als Beispiel ist die Berufung des im Außenbereich bereits privilegiert Ansässigen auf die ihm in § 35 Abs. 1 BauGB zuerkannte besondere Rechtsposition zu nennen, die er einem anderen Vorhaben im Außenbereich - einerlei, ob seinerseits privilegiert oder nicht - entgegenhalten kann.21 Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung, daß eine Genehmigungsbzw. oder Vornahmenorm 22 die materiell-rechtliche Gegenposition durch ausdrückliche Bezugnahme oder dadurch inkorporiert, daß sie durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe die Einbeziehung im Wege der Auslegung eröffnet. Hier läßt sich von gesetzlich eingeräumten "Gegenrechten"23 sprechen: Subjektive öffentliche Rechte des einen können durch "Gegenansprüche (Einreden)" des anderen "zurückgedrängt" 24 werden. Dies ist in der Tat der Fall, wenn ein gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Außenbereichsemittent seine Rechtsposition gegen eine gem. § 35 Abs. 2 BauGB einem heranrückenden Bauherrn erteilte Baugenehmigung mobilisiert. Im Sinne des Gegenrechts wird die Privilegierung über den Begriff der öffentlichen Belange in die Genehmigungsnorm des § 35 Abs. 2 BauGB inkorporiert und auf diese Weise Teilelement des Koniliktschlichtungsprogramms. Freilich bietet bereits § 35 Abs. 3 2. tiret, Fall 2 BauGB einen Ansatzpunkt, die Interessen eines bereits vorhandenen, im Sinne störungspräventiver Abwehr gegen heranruckende Bebauung25 vorgehenden Emittenten in die multipolare Abwägung26
Drittschutz allein aus der Norm, auf deren Grundlage die Genehmigung erteilt wird, Alexy, DÖV 1984, 953 (960); Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 198. 20 U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (334). 21 Vgl. bereits BVerwG, U.v. 21.10.1968 - IV C 13.68, DVB1. 1969, 263 (264): "Erhaltung der Privilegierung" aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG; s. auch VGH München, U.v. 28.7.1988 - Nr. 2 B 87.0365, BRS 48 Nr. 165, S. 408 (409 ff): Gestaltungsabwehrklage auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides; OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - I I A 1090/84, NVwZ 1988, 377 f.: Privilegierung des störungspraventiv gegen heranrückende Wohnbebauung vorgehenden Klagers. 22 Angesprochen sind damit kehrseitige Konfliktlagen; s. dazu oben A.m. 1. S. im übrigen zum Begriff der Kontrollerlaubnis Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 51 zu § 9 (S. 180), kurs.i.O. 23 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 144 zu Art. 19 Abs. IV (im Zusammenhang mit der Vermutungsproblematik). 24 Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 c 1 (S. 331).
m . l . Das multipolar-normative Umfeld
169
einzubringen. Danach kann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange auch dann vorliegen, wenn das nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wird. Kann sich der Emittent noch dazu auf die Privilegierung des § 35 Abs. 1 BauGB stutzen, verleiht dies seiner Gegenposition eine besondere Wertigkeit. 27 Bei dieser Sichtweise entfallt der Vorwurf, die Berücksichtigung einer aus § 35 Abs. 1 BBauG abgeleiteten Rechtsposition im Rahmen des § 35 Abs. 2 BBauG sei aus "rechtslogischen Gründen" unmöglich.28
c) Grundrechte in norminterner und -externer Funktion Zum normativen Umfeld der multipolaren Ordnungsnorm gehören selbstverständlich auch die Grundrechte. Das gilt zunächst für ihre norminterne Funktion. Ohne insoweit drittschutzbegrilndend zu wirken, können sie doch wichtige verdeutlichende und unterstützende Akzente für die einfachgesetzliche Konfliktschlichtung setzen.29 Hierzu sowie zur "verfassungskonformen Auslegung" wird auf das oben30 Ausgeführte verwiesen. Drittschutzfoegiündend wirken die Grundrechte in ihrer normexternen Funktion, wenn es an einer einfachgesetzlichen Regelung überhaupt fehlt oder aber diese den unabdingbaren grundrechtlichen Mindeststandard unterschreitet. 31 Enthält eine Norm wie § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG die Zulassungsvoraussetzung, daß "nachteilige Wirkungen auf das Recht eines anderen" nicht zu erwarten sind, ist hierin die (deklaratorische) Öffnung gegenüber Grundrechten Dritter zu sehen. Damit ist z.B. Art. 14 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht am eingerichteten und ausgeübte Gewerbebetrieb in den einfachgesetzlichen Tatbestand einbezogen.32
25
Vgl. Friauf, DVB1. 1971, 713 (714 ff.); Bartlsperger, Sendler, WiVenv. 1977, 94 (104 ff.). 26 27 28 29 30
DVB1. 1971, 723 (725 flf.);
S. dazu oben C.H.2.a. S. auch unten C.VI.2.f. So Schenke, NuR 1983, 81 (89). Grdl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 123 zu Art. 19 Abs. IV.
B.I.l.b, c. S.o. B.n.l.a. 32 S. dazu VGH Kassel, B.v. 14.3.1990 - 3 TH 2517/89, DÖV 1991, 118 (119), der die Verletzung des in Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch eine abfallrechtliche Plangenehmigung prüfte und - da es sich lediglich um markt- und standortbedingte Absatzeinbußen handelte - zu Recht verneinte. 31
170
C.ffl. Auslegungsinstrumente
2. Das legislatorische
Indiz
Von legislatorischem Indiz wird hier gesprochen, wenn die Ordnungsnorm Tatbestandsmerkmale enthält, deren Wortlaut typischerweise auf die Erfassung von Privatinteressen hindeutet. Beispielhaft sei hier der Begriff der "Würdigung nachbarlicher Interessen" ( § 3 1 Abs. 2 a.E. BauGB) genannt.33 Zwingend läßt sich aus solchen Formulierungen aber nicht auf Drittschutz schließen. Es ist Jarass 34 zuzustimmen, wenn er unterstreicht, daß der "Verweis auf die Nachbarschaft" dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen zwar "eine gewisse drittschützende Konnotation" gebe, "was allerdings nicht bedeutet, daß jede Vorschrift, die den Begriff benutzt, notwendig und in vollem Umfang drittschützender Natur ist". Von daher ist es kein Widerspruch, § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als drittschützend anzusehen, nicht dagegen Nr. 2, obwohl in beiden Fällen der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen verwendet wird und dies»1 seinerseits gem. § 3 Abs. 1 BImSchG auch den Terminus der "Nachbarschaft" umfaßt. 35 Ein und derselbe Begriff kann je nach normativem Regelungszusammenhang unterschiedliche Bedeutung haben.36 Diese Ambivalenz des legislatorischen Indizes zeigt sich auch in anderen fachgesetzlichen Materien. Einerseits kommt die Indizfunktion z.B. bei den Öffnungsklauseln des § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG ("nachteiligen Wirkungen auf das Recht eines anderen"), § 8 Abs. 3 W H G ("auf das Recht eines anderen einwirkt") 37 oder § 31 Abs. 2 W H G ("Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer") voll zum Tragen. 38 Andererseits ist auf die §§ 8 Abs. 1 Nr.
33 Vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8/84, NVwZ 1987, 409 r.Sp., wo in Abkehr von der bis dahin praktizierten Rspr. nunmehr Drittschutz über § 31 Abs. 2 BBauG auch dann anerkannt wurde, wenn die planerische Festsetzung, von der dispensiert wird, ihrerseits nicht nachbarschützend ist. 34 DVB1. 1983, 725 (728); zur unterschiedlichen Deutung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG s. BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (43); dagegen H.-J. Koch, UTR 9 (1989), 205 (207 ff.). S.u. C.VI.3.a und b. 35 Sehr klar zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG OVG Münster, U.v. 8.2.1990 - 21 A 2535/88, NVwZ-RR 1990, 545 (546); s. auch Kloepfer/Kröger, NuR 1990, 8 f.; R. Schmidt, Wirtschaftsrecht, S. 451 f., sowie im einzelnen C.VI.3.b. 36 Zur Begründung des Drittschutzes von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG mit dem Begriff der Nachbarschaft s. etwa Jarass, BImSchG, Rdnr. 45; Kunig, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 599 (604 ff.); Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 43; s. auch Giehl, Jura 1989, 628 (631). 37 Vgl. hierzu VGH Marnheim, U.v. 5.3.1981 - 5 S 1798/80, ZfW 1982, 240 (241), sowie C.VI.5.C. S. auch die landesrechtliche Erweiterung in Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayWG ("Nachteile"). 38 Zur Konstruktion der "fachplanungsrechtlichen Schutznormen" in Gestalt auflagenbezogener Nebenbestimmungen Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 422. Dem entspricht die Struktur bei der gehobenen wasserrechtlichen Erlaubnis (s. z.B. Art. 16 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 18 BayWG).
III.3. Allgemeinwohlklauseln
171
2, 13 VAG (ausreichende Wahrung der "Belange der Versicherten") oder die §§ 12 Abs. 1 und 1 Abs. 1 S. 3 BTO Elt 1989 (Erfordernis "einer möglichst sicheren und preisgünstigen Elektrizitätsversorgung", Ausrichtung auf die "Versorgungsbedürfhisse der Kunden in einem für das Elektrizitätsversorgungsunternehmen zumutbaren Maß") zu verweisen. In beiden Fällen wird Drittschutz zu Recht verneint, 39 obwohl - jedenfalls prima facie - das tatbestandliche Indiz für eine subjektiv-rechtliche Begünstigung zu sprechen scheint. Ein weiteres Beispiel stellt Art. 3 des 14. Gesetzes zur Änderung des ZollG als eine der Ermächtigungsgrundlagen für die Einfuhrmengen-VO mit der Klausel, daß "schutzwürdige Interessen der inländischen Wirtschaft nicht verletzt werden dürfen", dar. Hiermit wird lediglich der objektiv-rechtliche wettbewerbliche Ordnungsrahmen ausgeprägt, nicht aber die gegenseitige Verflochtenheit privater Konkurrenzinteressen normiert. Daher ist dem BFH 4 0 im Ergebnis beizupflichten, wenn er eine subjektive Berechtigung der inländischen Großund Einzelhändler im Hinblick auf die Zollabfertigung von Reedern, die auf sog. Butterfahrten abgabebegünstigt Waren verkaufen, verneint. Die Ambivalenz des legislatorischen Indizes wird schließlich in besonders markanter Weise anhand des Art. 3 LV BW deutlich, der den Sonntag und die anerkannten Feiertage sogar ausdrücklich "unter Rechtsschutz" stellt. Dennoch hat der VGH Mannheim41 hieraus zu Recht kein subjektives öffentliches Recht abgeleitet, sondern vor allem aus der Entstehungsgeschichte darauf geschlossen, daß nur der objektiv-rechtliche Schutz gemeint sei.
5. Allgemeinwohlklauseln Daß die Dogmatik des Verwaltungsrechts durch die bipolare Grundstruktur der Staat-Bürger-Beziehung geprägt und von daher nicht für die Erfassung multipolarer Konfliktlagen konzipiert ist, wurde bereits dargelegt.42 Maßgeblich hierfür ist nicht zuletzt der dogmatisch noch nicht voll bewältigte Gegensatz von öffentlichen und privaten Interessen.43 Eine solche Unterscheidung läßt sich keineswegs stets trennscharf vornehmen;44 es sind auch Teilüberschneidungen
39
S.u. C.VI.7.a.aa und b. B.v. 18.9.1984 - VH R 50, NVwZ 1985, 375 (376), anlaßlich einer (später für erledigt erklärten) Klage auf Unterlassung der - schlicht-hoheitlichen - Abfertigungspraxis. 41 B.v. 15.11.1990 - 9 S 2512/90, NVwZ 1991, 180. S.u. C.VI.5.f. 42 S.o. A.I.l.a-c. 43 S. hier nur die Feststellung von Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59, daß die "Gegenüberstellung öffentlicher und privater Interessen ... untauglich" sei "vor allem zur Lösung der Fälle, in denen der Gesetzgeber ... die Regelung der zwischen Privaten bestehenden Konflikte in das öffentliche Recht verlagert". 44 Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, S. 65 ff., 525 ff.; Schmitt Giaeser, in: Lerche/ 40
172
C . . Auslegungsinstrumente
denkbar. Diese Erkenntnis hat sich nunmehr der Gesetzgeber ausdrücklich zu eigen gemacht, indem er in § 48 Abs. 2 S. 2 BBergG 1990 für Rahmenbetriebsplanzulassungen ein Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen hat, soweit "die öffentlichen Interessen zugleich den Schutz von Rechten Dritter umfassen". 45 V o r dem Hintergrund potentieller (teilweiser) Deckungsgleichheit öffentlicher und privater Interessen hatte Scholz 46 als erster den Bogen zum subjektiven öffentlichen Recht geschlagen. Nach seinem Repräsentations-Ansatz kann dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht nicht nur dort zustehen, "wo eine Gesetzesnorm den Schutz des Privatinteresses willentlich und tatsachlich bewirkt ('bezweckt'), sondern auch dort, wo sich das von einer ('objektivrechtlichen') Gesetzesnorm tatsächlich begünstigte Privatinteresse auf eine grundrechtliche Wertentscheidung zu seinen Gunsten berufen kann und mit dieser privatnützigen Maßgabe das von der N o r m eigentlich oder zunächst bezweckte Öffentlichkeitsinteresse inhaltstypisch repräsentiert". Hiermit ist der Nachweis erbracht, daß Allgemeinwohlklauseln nicht schon per se nur objektivrechtlicher Natur sein müssen, sondern auch die Annahme subjektiver öffentlicher Rechte stützen können. I n diesem Sinne hat z.B. das B V e r w G in seinem
Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (59); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 87 ff.; s. unter dem Aspekt von Gemeinwohl und Partikularwohl Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 19 zu § 57; vgl. auch Kühiing, in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (395). Mit Erlaß der öffentlich-rechtlichen Ordnungsnorm halt der Gesetzgeber "die Verwirklichung einer Regelung für so wichtig, das öffentliche Interesse daran für so erheblich daß er ihre Durchfuhrung nicht der privatautonomen Entscheidung der betroffenen Einzelnen überlassen mag", Bachcf, in: FG BVerwG, 1978, S. 1 (16 f.). - Dagegen im Sinne einer Trennung privater und öffentlicher Interessen Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Rdnr. 176 zu § 35, im Zusammenhang mit § 35 Abs. 1 BauGB; Beckmann, DVB1. 1989, 669 (671), zu § 48 Abs. 2 BBergG. 45 In diesem Zusammenhang läßt sich auch auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG verweisen, nach dem die Erlaubnis u.a. dann zu versagen ist, wenn der Gewerbebetrieb "dem öffentlichen Interesse widerspricht, insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ... befurchten läßt". Damit sind in Form der "Nachbarschaft" auch subjektive öffentliche (Dritt-)Rechte in den Begriff des öffentlichen Interesses eingeschlossen, vgl. hierzu Mörtel/Metzner, GastG, Rdnr. 125 ff. zu § 4, sowie C.VL5.e. Ähnliches gilt, wenn ein Nachbar eine Sperrzeitverlangerung nach Maßgabe der auf Grund von § 18 Abs. 1 GastG erlassenen landesrechtlichen Gaststätten-Verordnungen begehrt. Hier kann mit dem Merkmal des "öffentlichen Bedürfnisses" auch der subjektiv-rechtliche Schutz von Nachbarinteressen abgedeckt sein, s. zu einem solchen Drittvornahmebegehren VGH Mannheim, U.v. 18.11.1988 - 14 S 2953/87, NVwz 1989, 574 (575), zu § 21 GastV BW. 46
WiR 1972, 35 (55), i.O. überwiegend kursiv; s. auch ders., WDStRL 34 (1976), 145 (203 f.); danach kann das subjektive öffentliche Recht "legitimerweise auch öffentliche Interessen repräsentieren und begrifflich aufnehmen, wenn diese Repräsentation als inhaltlich typische Rechtsfolge eines Gesetzes nicht nur Ausdruck faktischer Zufälligkeit, sondern Ausdruck grundrechtlichen Begünstigung des jeweils betroffenen Individuums ist" (kurs. i.O.); s. bereits Wirtschaftsaufsicht, S. 162 ff. Vgl. hierzu unter C.VI Fn. 626.
ffl.3. Allgemeinwohlklauseln
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Urteil vom 3.11.1988 47 § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TVG, der die Erteilung der Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse vorsieht, zugunsten der antragstellenden Tarifvertragsparteien dahin ausgelegt, daß sie "zugleich das Interesse des einzelnen an der Begünstigung rechtlich schützen" will, "so daß dieser eine rechtsfehlerfreie Entscheidung zu beanspruchen hat". Ebenfalls im Ergebnis zutreffend hat das BVerwG 48 hervorgehoben, daß durch die Verwendung des Begriffs des öffentlichen Interesses in § 69 a Abs. 1 Nr. 3 GewO "offensichtlich die subjektive Abwehrseite der öffentlich-rechtlichen Normen nicht ausgeklammert werden" soll. 49 Freilich läßt sich nicht darüber hinwegsehen, daß eine allein auf die Allgemeinwohlklausel angewiesene Auslegung von einer beträchtlichen Ambivalenz gekennzeichnet ist. Dies zeigt sich daran, daß z.B. der V G H Mannheim50 (he Ablehnung eines aus § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG abgeleiteten Drittschutzes auch damit begründet hat, daß der Begriff des Wohls der Allgemeinheit "typischerweise über die Summierung von Individualinteressen hinausgehende öffentliche Belange" bezeichne, "deren Beachtung objektivrechtlich den damit nach der Zuständigkeitsordnung betrauten staatlichen Instanzen obliegt". Demgegenüber war das OVG Lüneburg unter Bemühung verfassungskonformer Auslegung zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt.51
47
7 C 115/86, NJW 1989, 1495 (1498). U.v. 3.3.1987 - 1 C 15.85, E 77, 70 (74); nach zutr. Auffassung des Gerichts ist § 69 a Abs. 1 Nr. 3 GewO drittschützend, soweit die inkorporierten Normen - hier die §§ 17 GastV NW, 9 ImSchG NW - ihrerseits drittschützend sind. S. C.VI.5.e. 49 Auf zwei weitere Beispiele aus der Rspr. sei noch hingewiesen. Zum einen: Wie bereits oben B.I.l.c krit. dargelegt, hat das BVerwG die Einführung (begrenzten) Drittschutzes im Bergrecht zugunsten des Oberflacheneigentums im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 48 Abs. 2 BBergG ("überwiegende öffentliche Interessen") vorgenommen, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (339 ff.); dagegen Kühne, JZ 1990, 138 (139), nach dem sich der Begriff des öffentlichen Interesses "im Dunst völliger Unbestimmtheit" auflöst, "wenn man ihm auch private Eigentumsinteressen einverleibt"; abl. auch Beckmann, DVB1. 1989, 669 (671). Zur Befürwortung der direkten Anwendung des § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG s. unten C.VI.5.d.aa. Zum anderen ist die Rücksichtnahme-Doktrin zu nennen. Dies gilt für die Anerkennung subjektiv-rechtlicher Gegenpositionen als öffentlicher Belang im Rahmen der §§ 35 Abs. 1 (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (125); a.A. HJ. Müller, DVB1. 1978, 80 (81)) und 35 Abs. 2, 3 BauGB einerseits, für § 34 Abs. 1 BBauG andererseits, soweit im Merkmal "sonstige öffentliche Belange" bei innenbereichsüberschreitenden Konflikten der Schutz des außerhalb des unbeplanten Innenbereichs ansässigen Verschonungsinteressenten verankert wurde; vgl. hier nur BVerwG, U.v. 10.12.1982 - 4 C 28/81, NJW 1983, 2460 (2461), sowie zur neuen Rechtslage gem. § 34 Abs. 1 BauGB C.VI.2.c; zur Ablehnung der Rücksichtnahme-Doktrin im einzelnen B.I.2, C.I.2.b. 50 B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61): Eine "normative Hervorhebung und subjektiv-rechtliche Absicherung individueller Interessen" werde "damit i.d.R. selbst dann nicht zum Ausdruck gebracht, wenn sich innerhalb des vom Wohl der Allgemeinheit umfaßten Kreises von Interessen auch solche privater Interessentrager ausmachen lassen, wie das bei § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AbfG der Fall ist". 48
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C . .
Auslegungsinstrumente
Übereinstimmung herrscht lediglich darin, daß der ebenfalls an Beeinträchtigungen des "Wohls der Allgemeinheit" anknüpfende § 8 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AbfG nur objektiv-rechtlicher Natur ist. 52 Der sich damit aufdrängende Eindruck nur begrenzter Aussagekraft der Gemeinwohlklausel wird bestätigt, wenn man sich vor Augen hält, daß die Rechtsprechung § 13 Abs. 2 PBefG (Beeinträchtigung der "öffentlichen Verkehrsinteressen") für drittschützend hält, 53 während sie dies im Falles des § 39 Abs. 2 PBefG (Ubereinstimmung "mit den öffentlichen Verkehrsinteressen und dem Gemeinwohl") verneint. 54 Damit steht zwar die Verwendung des Begriffs der öffentlichen Interessen der Annahme des drittschützenden Charakters einer Norm nicht entgegen; die Grundproblematik einer allein am Allgemeinwohl orientierten Betrachtungsweise besteht jedoch in der Bestimmung, wann der einzelne als Individuum und wann er als Teil der Allgemeinheit angesprochen sein soll. Sicher ist nur, daß private Interessen nicht stets "'gewissermaßen gebündelt1 in dem öffentlichen Interesse aufgehen", sondern auch "als Eigeninteresse der individuell Betroffenen abwägungserheblich"55 sein können. Ob dies aber der Fall ist, hängt allein vom normativen Konfliktschlichtungsprogramm ab. 4. Verfahrenspositionen? Aus Verfahrensrechten lassen sich materielle Rechtspositionen nicht ableiten.56 Als Grundlage subjektiv-rechtlicher Konfliktschlichtung kommen sie 51 OVG Lüneburg, B.v. 24.1.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (420); abl. Breuer, DVB1. 1986, 849 (854) Fn. 59; Kunig, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 29 zu § 13 m.w.N. Näheres unten C.VI.5.b.bb. 52 Vgl. OVG Lüneburg, B.v. 24.1.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (419 f.); VGH Mannheim, B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61); VG Freibuig, B.v. 24.10.1986 - 6 K 123/86, UPR 1987, 358 (260). 53 Vgl. BVerwG, U.v. 25.10.1968 - VH C 90.66, E 30, 347 (348 f.); s.u. C.VI.ll.e sowie bereits B.m.2.b.bb. 54 Vgl. VGH München, B.v. 22.1.1980 - 11 CS 80 A.101, VRS 58 (1980), Nr. 92, S. 239 (250); a.A. Kopp, VwGO, Rdnr. 86 zu § 42; ders., DÖV 1980, 504 (511).S.u. C.VI.7.C. 55 BVerwG, U.v. 26.7.1989 - 4 C 35.88, E 82, 246 (250), zur Rechtsstellung eines Flughafenbenutzers (Charterunternehmens) gegenüber der Änderung der Flughafengenehmigung gem. § 6 Abs. 3 LuftVG (luftverkehrsrechtliche Genehmigung ohne nachfolgende Planfeststellung gem. § 8 LuftVG); a.A. noch VGH München, U.v. 26.4.1988 - 20 AS 88.40002 u.a., BayVBl. 1988, 594 (595). 56 Vgl. die Grundsatzposition von Schmids-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 151 zu Art. 19 Abs. IV; demgegenüber für eine Indizwirkung Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 325): allerdings "nicht mehr als ein Indiz"; der Schluß von der verfahrensrechtlichen auf die materiellrechtliche Position sei "nicht immer gerechtfertigt"; Menger, VerwArch. 51 (1960), 262 (268): "Indiz"; zurückhaltend BVerwG, U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (65): Die Verfahrensposition "mag als Indiz für eine im Gesetz angelegte materiell-rechtliche Schutzposition von
m . 4 . Verfahrenspositionen?
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daher nicht Betracht. Sicherlich ist die Eröffnung verfahrensrechtlicher Einflußnahme auf die Entscheidung der Verwaltung für die Rechtswahrung des einzelnen von größter Bedeutung.57 Richtig ist auch, daß der Begriff der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts seinem Stellenwert nicht in vollem Umfang gerecht wird. 58 Andererseits aber folgt hieraus nicht eine Identität Verfahrens- und materiell-rechtlicher Positionen. Ebenso wenig kann daran vorbeigegangen werden, daß der Gesetzgeber den Ausgleich kollidierender Privatinteressen durch Normierung sachlich-rechtlicher Konfliktschlichtungsprogramme vornimmt. Die schon erörterte frühere Rechtsprechung zum Personenbeforderungsrecht, nach der sich aus dem Anhörungsrecht materielle Rechtspositionen ergeben sollten,59 ließ sich deshalb nicht halten® und spielt heute auch zu Recht keine Rolle mehr. 61 Im Vergleich dazu hatte es die Rechtsprechung z.B. im Wasserrecht zu Recht abgelehnt, aus den Vorschriften zur Beteiligung Dritter im Bewilligungsverfahren auf eine materielle Rechtsposition zu schließen.62 Im übrigen kann - wie noch darzulegen sein wird - die Aufhebung eines streitschlichtenden Verwaltungsakts allein auf Grund von Verfahrensfehlern regelmäßig nicht begehrt werden. 63 Zu Recht geht die Rechtsprechung hiervon auch dort aus, wo sie - wie etwa im Atom- und Immissionsschutzrecht - Verfahrensvorschriften ihrerseits als drittschützend anerkennt.64
Bedeutung sein"; für Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 189, ergibt sich der materiell-rechtliche Sinn verfahrensmäßiger Konkurrentenbeteiligung im Kartellrecht auf Grund des RepräsentationsKriteriums. Zur Sonderproblematik sog. absoluter Vetfihrensfehler, die unabhängig vom materiellen Recht subjektive öffentliche Rechte begründen, s. D.V.l.a.aa. Von ihnen ist hier nicht die Rede. 57 Vgl. Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (53 ff.); Hill, Verfahren, S. 199 ff.; Hirfen, Fehler, Rdnr. 19 ff.; Schmidt-Aßmann y in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStRIE, Rdnr. 28 zu § 70. 58 S. hierzu Schmidt-4ßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 34 zu § 70; s. auch unten D.I. 59 Vgl. BVerwG, U.v. 2.6.1955 - I C 102.53, E 2, 141 f. (krit. zur Begründung Bachof, VerfR I, S. 64 f.); BVerwG, U.v. 20.11.1959 - VII C 12.59, E 9, 340 (241 f.): "schutzwürdige Rechtsposition" (abl. Menger, VerwArch. 51 (1960), 262 (267)); s. schon oben B.m.2.b.cc. 60 Zutr. W. Schmidt, Staats- und Verwaltungsrecht, Rdnr. 256. 61 S. BVerwG, U.v. 25.10.1968 - VII 90.66, E 30, 347 (348 f.); auch zur nunmehrigen Drittschutzableitung aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG abl. Friauf, DVB1. 1969, 368 (370). Zum Argumentationswandel der Rspr. s. Scholz, WiR 1972, 35 (44 f.); wie die frühere Rspr. Ehlers y in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, 1990, Rdnr. 661 zu 1/2 (S. 231): "Rückschluß auf ein materielles (Klage-)Recht der Alt-Unternehmer"; ebenso auf das Anhörungsrecht abstellend Stober, Handbuch, S. 746. S. im einzelnen unten C.VI.ll.e. 62 S. BVerwG, U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (64). 63 S.u. D.V. 64 Vgl. BVerwG, U.v. 7.6.1991 - 7 C 43.90, E 88, 286 (288): zum Atomrecht; BVerwG, U.v. 5.10.1990 - 7 C 55 und 56.89, NVwZ 1991, 369 (371): zum Immissionsschutzrecht, jeweils m.w.N. Unter prozessualem Aspekt s. z.B. BVerwG, U.v. 17.12.1986 - 7 C 29.85, E 75, 285
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C.ffl. Auslegungsinstrumente
Die Maßgeblichkeit des (sachlich-rechtlichen) Konfliktschüchtimgsprogramms verbietet es umgekehrt, den Drittschutzcharakter einer Norm deshalb zu verneinen 9 weil sie keine verfahrensrechtlichen Positionen einräumt. Dies tut freilich die Rechtsprechung bisweilen. So hat das BVerwG 65 den aus seiner Sicht nur objektiv-rechtlichen Gehalt von § 8 a Abs. 4 S. 1 sowie § 7 Abs. 1 S. 1 WoBindG auch damit begründet, daß der Mieter im Genehmigungsverfahren über keine verfahrensrechtliche Stellung verfüge. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da das subjektive öffentliche Recht allein aus dem normativen Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm zu begründen ist und nicht vom Vorliegen einer Verfahrensstellung abhängt. Das Fehlen einer derartigen Verfahrensposition hat z.B. im Mutterschutzrecht das BVerwG zutreffenderweise zu keiner Zeit davon abgehalten, § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG als drittschützend anzusehen.66 Ebenso hat die Rechtsprechung mit Recht § 6 SchfG unabhängig davon subjektiv-rechtliche Qualität beigemessen, daß im SchfG ein verfahrensrechtliches Erfordernis der Anhörung von Mitbewerbern bei der Festsetzung des Rangstichtags nicht besteht.67
5. Rücksichtnahme? Als allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen kommt das Rücksichtnahmegebot nicht in Betracht. Hierzu wird auf die ablehnenden Ausführungen unter dem Aspekt der "dritten Ebene"68 und der Abgrenzbarkeits-Doktrin 69 verwiesen. Danach ist ein (tatbestandsunabhängiges) Rücksichtnahmegebot weder im Baurecht noch gar
(291): Eine "Verletzung verfahrensrechtlicher Positionen" führe "nicht ohne weiteres zur Klagebefugnis." 65 U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (232), zu § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG 1974: In der mangelnden Gewährung einer verfahrensrechtlichen Beteiligung am Genehmigungsverfahren komme "eine gesetzgeberische Bewertung des Genehmigungsvorbehalts zum Ausdruck, die das Fehlen einer drittschützenden Funktion erhärtet". Entsprechend die Argumentation in BVerwG, U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 (2830), zu § 7 Abs. 1 und 3 WoBindG: keine Beteiligung am Freistellungsverfahren. 66 S. BVerwG, U.v. 18.8.1977 - V C 8.77, E 54, 276 (282 ff.). 67 Vgl. nur VGH München, U.v. 6.11.1990 - 22 B 90.1800, GewArch. 1991, 143 (144). 68 S.o. B.I.2. 69 S.o. C.I.2.b. 70 Unabhängig hiervon war oben C.ü.2.a.aa festzustellen, daß die Rücksichtnahme-Doktrin in ihrer Grundstruktur im Sinne imhipolarer Abwägung positiv zu bewerten ist. Hierauf bezieht sich die Prognose von Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 50 zu Vorbemerkung zu den §§ 29 - 38, das Rücksichtnahmegebot werde sich als "'Auslegungshilfe' einfachrechtlicher Vorschriften weiter bewähren ..., wenn der Drittschutz auf die Fälle tatsächlich unzumutbarer Beeinträchtigungen so beschränkt wird, wie dies der Intention der höchstrichteriichen Rechtsprechung entspricht".
I.6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz u.a.
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fachgebietsübergreifend nachweisbar.70 Quelle möglicher subjektiver Rechte kann nur das Konfliktschlichtungsprogramm der jeweiligen Ordnungsnorm sein.
6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller und Spürbarkeit
Drittschutz
a) Konkret-empirische im Gegensatz zur abstrakten Auslegung Zwischen Auslegung und Anwendung einer Norm ist zu unterscheiden. Wenn jene die Ermittlung des "allgemeinen Sinngehalts" der Norm betrifft, geht es bei dieser darum, sie "auf den konkreten Sachverhalt"71 zu beziehen. Dazu nicht im Widerspruch steht, "daß jede Interpretation eine antizipierte Subsumtion ist und daß umgekehrt jede Subsumtion zugleich eine Interpretation bedeutet, weil ein Begriff erst durch die Subsumtion individueller Fälle unter diesen Begriff konkretisiert wird". 72 Dies hat Bedeutung für die Ermittlung des Konfliktschlichtungsprogramms multipolarer Ordnungsnormen. So gibt es Normen, deren Inhalt sich ganz oder überwiegend mit den Mitteln der "rein" rechtlich-abstrakten Auslegung erschließen läßt, und solche, deren Sinnermittlung eine Berücksichtigung tatsächlicher Anwendungsfolgen verlangt. Im ersten Fall wird hier von abstrakter, im zweiten Fall von konkret-empirischer Auslegung gesprochen. aa) Als Beispiel für die abstrakte Auslegung sei einmal - im Bereich kehrseitiger Konflikte - die Beurteilung von bauplanerischen Festsetzungen anhand des Austauschverhältnisses73 genannt. So kann der Drittschutz von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung allein aus der konfliktlösenden Zuordnung von Vor- und Nachteilen der Grundstückseigentümer im Plangebiet durch den Satzungsgeber entnommen werden,74 ohne daß es auf konkrete Beeinträchti-
71
Bachof, DVB1. 1957, 788 (790). Ibid. Vgl. auch allg. BVerwG, B.v. 24.1.1990 - 7 B 14.90, Ausfertigung, S. 4, mit dem treffenden Hinweis, daß es nicht Sache des Sachverstandigen, sondern des Gerichts sei, einen "Rechtsbegriff... auszulegen". Die "Rechtsanwendung ... im konkreten Einzelfall" ist revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht zugänglich, s. BVerwG, B.v. 303.1990 - 4 B 16.90, WUR 1990, 36 (37). Dies gilt auch, wenn sie - wie bei der Beurteilung der Erheblichkeit von Belästigungen durch Geräusche - tatrichterliche Bewertungen enthält, s. BVerwG, U.v. 19.1.1989 -7 C 77.87, E 81, 197 (202). S. allg. zu Auslegung und Anwendung Badura, in: Badura/Deutsch/ Roxin, Recht, 1987, S. 128 (135 f.); Marburger, in: FG zum 10jährigen Jubiläum der Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, S. 275 (280 f.); Sendler, in: FS f. Ule, 1987, S. 337 (342 ff.). 73 Grdl. Sendler, BauR 1970, 4 (6); aus der Rspr. BVerwG, B.v. 11.7.1989 - 4 B 33.89, NJW 1989, 2766 l.Sp. 74 S. C.VI.2.m; vgl. hier nur OVG Berlin, B.v. 25.2.1988 - 2 S 1/88, OVGE Bln. 18, 105 (107); VGH Mannheim, U.v. 15.9.1986 - 3 S 2547/85, BRS 46 Nr. 174, S. 402 (404); s. auch 72
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gungen ankäme. 75 A u d i die Beurteilung sonstiger bauplanerischer Festsetzungen - etwa über das M a ß der baulichen Nutzung 7 6 - ist auf diese Weise mit den Mitteln der abstrakten Auslegung vorzunehmen. Z u erwähnen sind zum anderen die landesbauordnungsrechtlichen Vorschriften über Abstandsflächen. Deren Zielsetzung - die ausreichende Belüftung, Belichtung und Besonnung sicherzustellen sowie den Anforderungen des Brandschutzes zu genügen - ist ebenfalls i m Wege abstrakter Auslegung zu erschließen. 77 Als letztes Beispiel aus dem Bereich kehrseitiger Konfliktlagen sei auf das öffentliche Kündigungsschutzrecht hingewiesen. Der Ausgleich zwischen den arbeitgeberseitigen Gestaltungsinteressen und den Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes läßt sich als Sinngehalt der Ordnungsnorm der § § 1 5 SchwbG bzw. 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG mit Hilfe "rein" rechtlicher Erwägungen erkennen.
VG Gelsenkirchen, U.v. 22.11.1990 - 5 K 2716/88, NWVBL 1991, 131 r.Sp.; Sendler, BauR 1970, 4 (9 f.). - Dagegen gilt die abstrakte Auslegung nicht im Bauplanungsrecht, von dem das VG Freibuig, B.v. 24.10.1986 - 6 K 123/86, UPR 1987, 358 (359), kurs.i.O., zu Unrecht meint, daß es "eine abstrakte Wertung der Belange des Nachbarn in den Vordergrund" stelle. 75 Leider wird diese Frage weithin mit der ganz anderen Thematik der Verletzungsfolgen vermischt; vgl. z.B. OVG Berlin, B.v. 25.2.1988 - 2 S 1/88, OVGE Bln. 18, 105 (111), wenn es in der Sache richtig - ausfuhrt: "Bei Verletzung einer unmittelbar nachbarschützenden Norm ist eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbarn nicht erforderlich" (insofern nicht abgedruckt in NVwZ-RR 1989, 116); VGH Mannheim, B.v. 19.5.1989 - 8 S 555/89, NJW 1989, 2282 (2283): Bei Vorliegen nachbarschützender Festsetzungen "verletzt jede Abweichung den Nachbarn in seinen Rechten, auch soweit die Schwelle der Unzumutbarkeit im Sinne des Rücksichtnahmegebots nicht überschritten ist". Dies betrifft im wesentlichen den Grundsatz kategorischer Aufhebung auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen im Falle kehrseitiger Konflikte; dazu C.Vm.2.a. 76 S. hierzu VGH München, B.v. 17.9.1987 - Nr. 26 CS 87.01144, BayVBl. 1988, 369 (371); OVG Münster, U.v. 11.10.1977 - VH A 373/75, BRS 32 Nr. 156, S. 273 (279), das stark einzelfallbezogen - weil schon umfangreiche zwei- bis dreigeschossige Wohnbebauuqg bei Planaufstellung vorhanden war - unter Berufung auf Sendler* Konzept des Austauschverhältnisses den Drittschutzcharakter der in Rede stehenden Festsetzungen der Geschoß- und Geschoßflächenzahl bejahte; s. auch den Rechtsprechungs-Überblick zu Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche bei Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 57 Vorb. zu den §§ 29 - 38. 77 Vgl. zum Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften nach § 6 BauO BW VGH Mannheim, U.v. 22.2.1991 - 3 S 3059/90, Ausfertigung, S. 6, das vom "nachbarlichen Wohnfrieden" spricht; zum Schmalseitenprivileg nach Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBauO VGH München, U.v. 14.10.1985 - Nr. 14 B 85 A.1224, BayVBl. 1986, 143 (145), wonach die Abstandsflächen auf Grund der Zielsetzung der ausreichenden Besonnung, Belichtung und Belüftung sowie des Brandschutzes zugunsten des Nachbargrundstücks in ihrer Gesamtheit drittschützend sind; ebenso Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 42. Für die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 3 BauO Nds. OVG Lüneburg, B.v. 10.7.1980 - 6 B 60/80, Nds. Rpfl. 1980, 289 (291), unter dem Aspekt der "Schicksalsgemeinschaft" der Gmndstücksnachbarn: Zwar habe der Nachbar "keinen Einfluß auf die Wahl", wo der Bauherr sein Privileg ausnutzen wolle, und könne daher auch nicht verlangen, daß gerade an seiner Seite der Abstand von 1 H eingehalten werde. Eine Unterschreitung dieses Maßes brauche der Nachbar aber nicht hinzunehmen, wenn das Schmalseitenprivileg bereits an zwei anderen Grenzen des Baugrundstücks ausgenutzt worden ist. S. auch unten C.VI.2.n.
I . 6 . Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz u.a.
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Die abstrakte Auslegung begegnet schließlich auch in wechselbezüglichen Konfliktlagen, in denen konkurrierende Zugangsinteressen angesichts knapper Kapazitäten einer Verteilungsordnung unterstellt werden. Dies gilt einmal für das Prioritätsprinzip im Falle schematischer Konfliktschlichtung etwa bei der Vergabe von Schornsteinfegerkehrbezirken oder Taxikonzessionen. Aber auch im Bereich qualitativer Auswahl- und Verteilungsprogramme wie z.B. der Entscheidung über die Vergabe rundfunkrechtlicher Zulassungen oder der Beförderungen eines Beamten sind Leistungsprinzip und Chancengleichheit als Konfliktschlichtungsmaßstab allein mit Hilfe abstrakter Auslegung zu ermitteln. bb) Demgegenüber gibt es Normen, deren konfliktregelnder Sinngehalt nur mit Hilfe konkret-empirischer Auslegung zu erschließen ist. Das ist weithin, aber keineswegs nur im Umweltrecht und im immissionsbezogenen Baurecht der Fall. Gerade in den umweltrechtlichen Fachmaterien enthalten die Konfliktschlichtungsprogramme vielfach Begriffe wie "schädliche Umwelteinwirkungen" oder Schadensvorsorge, die auf komplexe, oft nur nach Maßgabe des Standes von Wissenschaft und Technik zu beurteilende Kausalverläufe Bezug nehmen. Hier sind Prognosen, Risikoabschätzungen sowie Wahrscheinlichkeitsaussagen78 erforderlich, um im Sinne der "Rechtsfolgenkonkretisierung" 79 den Maßstab der normativen Konfliktschlichtung zu entfalten. Im Hinblick auf die Abgrenzung von Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko hat Breuertreffend von einem n differenzierten und iterativen Prozeß der Normkonkretisierung" chen. Damit nähert sich die Auslegung notwendig ein Stück weit der Anwendung. Anders läßt sich nicht bestimmen, ob eine Norm unter dem Aspekt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung "einschlägig"* 1 ist. Als Hilfsmittel konkret-empirischer Auslegung stehen dabei vielfältige technische Regelwerke und Verwaltungsvorschriften zur Verfügung. U m das Beispiel der Lärmimmissicmen anzusprechen, kann hier zur Ermittlung immissionsbezogener Konfliktschlichtungsprogramme (vgl. etwa §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG, § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG, §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 2, 3 BauGB i.V.m.
78
gesp
Vgl. NeU, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 163 ff., 201 ff. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 235: "Je 'diffuser' der gesetzliche Tatbestand, je weniger das (einfache) Gesetz Individualbegünstigungen abgrenzt, desto mehr muß bei der Suche nach evtl. subjektiven Rechten auf die Rechtsfolgenkonkretisierung, auf die subjektiven Folgen der Gesetzesverwirklichung abgestellt werden" (kurs. i.O.). Vgl. auch Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 133, der den "definitiven Nachweis des subjektiven öffenüichen Rechts notwendig auf die Ebene der konkreten Fallentscheidung verlegt" (kurs. i.O.) sieht. 80 NVwZ 1990, 211 (214), kurs. i.O. 81 S. Bachof VerfR I, S. 221 (kurs.i.O.); vgl. auch Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 164. S. ferner Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (61), nach dem nicht nur zu prüfen ist, "ob eine Norm drittschützenden Charakter hat, sondern auch gegenüber welchen Beeinträchtigungen sie Drittschutz bieten soll". 79
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C.ffl. Auslegungsinstrumente
§ 22 Abs. 1 BImSchG) z.B. die T A Lärm oder die VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 herangezogen werden. I m Falle von Luftimmissionen läßt sich die Drittschutzreichweite unter dem Aspekt der "Nachbarschaft" nur anhand einer konkreten Einwirkungsprognose bestimmen, wobei sich die TA Luft mit dem Konzept des Beurteilungsgebietes82 und ihren Annahmen über das Ausbreitungsverhalten 83 als Hilfsinstrument anbietet84 Dabei geht es nicht schon um Rochtsanwerulung, sondern noch um (konkret-empirische) Auslegung. Außerhalb des Umweltrechts kommt ihr etwa im Subventionsrecht Bedeutung zu. Da sich Subventionen "über den Markt auswirken",85 bedarf es einer oft schwierigen Abschätzung ökonomischer Effekte und Interdependenzen. Ein subjektives öffentliches Recht des in der multipolaren Konfliktlage übergangenen Subventionsbewerbers setzt aber voraus, daß die Gefahrdung seiner unternehmerischen Existenz kausal durch die Subventionierung des Konkurrenten hervorgerufen wurde. 86
b) Partieller Drittschutz Es gibt Normen, die vollen Umfangs, d.h. für alle tatbestandlich erfaßten Anwendungsfalle drittschützend sind. Häufig enthält eine Ordnungsnorm jenseits des Drittschutzbereichs auch noch rein objektiv-rechtliche Regelungselemente.87 Geht der objektiv-rechtliche Anwendungsbereich der Norm über den
82 Vgl. OVG Lüneburg, B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (408 ff.), für die Gefahrenprognose im Hinblick auf Luftschadstoffe im Normalbetrieb. 83 Vgl. Anhang C der TA Luft 1986. 84
S. im einzelnen zur exekutivischen Auslegungsofferte C.V.4.b.
85
Brehm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (247), nach dem der Markt "eine monokausale Erklärung außerordentlich erschwert und einen Nachweis praktisch nicht ermöglicht"; daher seien "'prima facie'- oder 'Plausibilitats'-Erwägungen" ausreichend. 86 S. dazu B.ü.2.c.bb sowie C.VI.ll.h. 87 S. bereits grdl. Sendler, BauR 1970, 4 (11), zu Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung sowie ders., UPR 1981, 1 (7); ferner Schlichter, DVBI. 1984, 875 (878); Ortloff, in: Finkelnburg/Oitloff, Öffentliches Baurecht n, S. 172 f.; Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 115; vgl. auch BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp.: Danach kann sich im Wege der Auslegung ergeben, daß eine Norm "nicht in ihrer vollen Reichweite auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt ist", sondern Individualrechtsschutz erst ab einer bestimmten Beeinträchtigung gewährt. - Dagegen für die strikte Alternative zwischen generellem Drittschutz und rein objektiv-rechtlicher Regelung VGH Kassel, B.v. 18.10.1978 - IV TG 57/78, BauR 1979, 120 (121), und VG Köln, U.v. 19.8.1980 - 2 K 2171/80, NJW 1981, 1463 r.Sp.; H. J. Müller, DVBI. 1978, 80 (81). Die absolute Gegenposition im Sinne potentiellen Drittschutzes aller Nonnen des öffentlichen Baurechts wird vom OVG Münster, U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415), vertreten; abl. oben A.I.l.c; s. dort auch zur Position von Alexy, DÖV 1984, 953 (962), der "einen weiten Kreis potentiell drittschützender Normen" unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung des OVG Münster annimmt, aber einer restriktiven Interpretation zuneigt. Im Gegensatz zum OVG Münster hat das BVerwG, B.v. 16.8.1983 - 4 B 94.83, NVwZ 1984, 38
III.6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz u.a.
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Ausschnitt* subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung hinaus, ist von partiellem Drittschutz zu sprechen.» Wie Sendler» hervorgehoben hat, kann der subjektiv-rechtliche "Trennungsstrich durch eine N o r m wie § 7 Abs. 2 N r . 3 A t G gleichsam hindurchgehen, wenn er sich nur hinreichend deutlich markieren läßt". U m in diesem Sinne die Grenze zwischen drittschützendem und nur objektiv-rechtlichem Regelungsbereich atomrechtlich»' Schadensvorsorge ziehen zu können, bedarf es nicht zuletzt der konkret-empirischen Auslegung. 91 Ferner sei hier z.B. auf § 34 Abs. 1 BauGB hingewiesen, dessen Tatbestandselement des Einfügens über den subjektiv-rechtlichen Bereich hinaus auch eine rein objektiv-rechtliche Dimension aufweist und damit den partiellen Drittschutz der Norm bewirkt; dies wird i m einzelnen darzulegen sein. 92 Daß auch eine Norm, deren Sinngehalt mit Hilfe abstrakter Auslegung zu ermitteln ist, partiell drittschützend sein kann, 93 zeigt § 6 Abs. 5 S. 4 BauO B W . Danach ist ausdrücklich nur die halbe Tiefe der Abstandsflächen, mindestens jedoch eine Tiefe von
r.Sp., zu Recht klargestellt, daß es "zahlreiche Normen des öffentlichen Baurechts" gibt, die ausschließlich objektiv-rechtlicher Natur sind; s. aus dem Bereich des Berufszulassungsrechts auch BVerwG, B.v. 6.12.1988 - 1 B 157.88, GewArch. 1989, 172 (173). 88 Vgl. Medicus, BGB AT, Rdnr. 56; s. auch im Zusammenhang mit der Konfliktmittlung Schnädt-Aßmcm, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Konfliklbewiltigung durch Verhandlungen, Bd. n, 1990, S. 9 (20). Zur Ausschnittsbetrachtung schon oben A.ü.l.e sowie C.VI.5.a.aa - cc. 89 Vgl. Berg, WiVerw. 1990, 209 (224): Eine Norm sei drittschützend, wenn sie "der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dient - und sei es auch nur partiell..."; Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29, spricht im Hinblick auf die Rückachtnahme-Rspr. davon, daß die §§ 34, 35 BauGB und § 15 BauNVO "partiell Drittschutz" zusprechen; s. auch H.-J. Koch/Hosch, Baurecht, S. 288. Von einem vorgegebenen (abstrakten) Normcharakter ausgehend die Begriffsbildung bei Ordoff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht n, S. 171, der danach unterscheidet, "ob eine Norm in ihrer vollen Reichweite und damit generell-abstrakt alle von ihr betroffenen Dritten oder lediglich einen oder einige unter diesen partiell-konkret schützt" (kurs. i.O.); im Falle partiellen Drittschutzes werde die "Rücksichtnahme auf nachbarliche Belange ... aus der Ebene des Gesetzes in diejenige der konkreten Anwendung des Gesetzes verlagert" (S. 172). Ob eine Norm generellen oder partiellen Drittachutz bietet, kann jedoch nur die Auslegung ergeben. Ähnlich wie Ortloff auch Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 115. S. auch schon A.n.l.e. 90 UPR 1981, 1 (7), unter Bezugnahme auf die nuancierende Drittschutz-Passage im StadeUrteil, BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (264); danach vermittelt § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG Drittachutz "jedenfalls insoweit, als er nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch den einzelnen vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren will". Zu weitgehend dagegen Steinberg/Roller, in: Schneider, H.-P./Steinberg, Schadensvorsorge, S. 9 (80), mit der These, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG komme in vollem Umfang Drittschutz zu (S. 81 f.); s. dazu im einzelnen C.VI.4. 91 S. C.VI.4. 92 S.u. C.VI.2.a und b; dagegen für vollen Drittschutz der §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 2 und 3, 2. tiret BBauG 1976 Breuer, DVB1. 1983, 431 (437); Wahl, JuS 1984, 577 (586); Steinberg, NJW 1984, 457 (462); speziell für Drittschutz von § 34 Abs. 1 BBauG 1976 Erbguth y in: FS f. Ernst, 1980, S. 89 (100 ff.); s. dazu unten C.VI.2.a - c. 93 Diese Möglichkeit ist im Konzept von Ortloff,\ in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht H, S. 171 ff., nicht vorgesehen. 14 Schmidt-Preuß
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C . . Auslegungsinstrumente
2,5 m drittschützend. Partieller Drittschutz ist auch im Bereich des Planfeststellungsrechts nachweisbar, das hier unter dem Aspekt privater Vorhabenträgerschaft interessiert. Insoweit stellt die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung einen Ausschnitt aus einem weiterreichenden objektiv-rechtlichen (raumbeanspruchenden) Ordnungsgefüge dar (s. z.B. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG). Hierauf wird unten insbesondere am Beispiel abfallrechtlicher Planfeststellung eingegangen.94
c) Spürbarkeit und tatsachliche Beeinträchtigung aa) Das OVG Münster95 hat am Beispiel von Abstandsflächenvorschriften und bauplanerischen Festsetzungen eine tatsächliche spürbare Beeinträchtigung als Drittschutzerfordernis postuliert. Abgesehen von der uneinheitlichen, teilweise synonymen Verwendung dieser Begriffe 96 findet sich für ein solches Kriterium im Gesetz keine Stütze. Existenz und Ausmaß subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung ergeben sich allein aus den Tatbestandsvoraussetzungen der Ordnungsnorm. Diese können in Gestalt unbestimmter Rechtsbegriffe die Drittschutzschwelle durch Festlegung eines bestimmten Maßes der Störung oder Beeinträchtigung festlegen und insoweit der konkret-empirischen Auslegung fähig und bedürftig sein. Das hat aber nichts mit einem eigenständigen Spürbarkeitskriterium zu tun. Anderes gilt nur, wenn das Gesetz selbst ausnahmsweise ein solches Merkmal expressis verbis vorsieht,97 wie dies z.B. bei der Geringfugigkeitsschwelle des Art. 18 Abs. 1 S. 2 BayWG der Fall ist. Ein eigenständiges materiellrechtliches 98 (tatbestandsunabhängiges) Drittschutzerfordernis tatsächlicher spürbarer Beeinträchtigung gibt es aber nicht. 99 Deshalb ist der 94
C.VI.5.a; s. bereits A.H.l.e. U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415 f.), wo die Spüibarkeit der Beeinträchtigung in einer Minderung des Grundstückswertes gesehen wird; ferner OVG Münster, U.v. 4.6.1985 - 7 A 480/84, NVwZ 1986, 317; s. auch OVG Hambuig, U.v. 26.3.1983 - Bf ü 33/82, Ausfertigung, S. 9: "tatsächlich spürbar"; OVG Berlin, B.v. 7.9.1990 - 2 S 14/90, LKV 1991, 108 (109): strikter Drittvornahmeanspruch, wenn Verstoß gegen drittschützende Norm "spürbar und nachhaltig" sei; aus der Lit. s. Friauf\ in: v. Münch (Hrsg.), Bes.VerwR, 8. Aufl., 1988, S. 477 (587), mit positiver Einschätzung; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1005 f.; Giehl, Jura 1989, 628 (631); allg. zur Problematik P. Jacob, BauR 1984, 1 (3 ff.). 96 S. OVG Münster, U.v. 4.6.1985 - 7 A 480/84, NVwZ 1986, 317, mit den Variationen "tatsächlich spürbare Beeinträchtigung" und "tatsächliche Beeinträchtigung", wohii^egen an anderer Stelle wiederum von "einer (spürbaren) Beeinträchtigung" die Rede ist. 97 Unter diesen Voraussetzung kommt der tatsachlichen Beeinträchtigung durchaus "konstitutive Bedeutung für die Rechtsverletzung" zu, Löhr, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, Rdnr. 78 zu § 31); vgl. auch P. Jacob, BauR 1984, 1 (2 f.). 98 Zu den prozessualen Möglichkeit der Verneinung des Rechtsschutzbedürfhisses s. Jacob, BauR 1984, 1 (9 f.). 99 Ebenso abl. Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 21 (aber auch für das 95
I.6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz u.a.
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Feststellung des BVerwG zuzustimmen, daß - aus der Sicht des Bundesrechts baurechtlicher Nachbarschutz nicht deshalb ausscheide, weil der Nachbar nicht "tatsachlich spürbar" beeinträchtigt ist; wann eine Drittrechtsverletzung vorhegt, regelt in der Tat allein "das materielle Baurecht".100 Nicht zuletzt ist auch auf die außerordentliche Unbestimmtheit eines Kriteriums der Spürbarkeit hinzuweisen. Die dogmatische Unscharfe, die dieser Topos im Kartellrecht (§ 1 GWB) 1 0 1 aufweist, ist nicht ermutigend. Das Spürbarkeitskriterium des OVG Münster ist letztlich allein durch seine Grundthese vom potentiellen Drittschutzcharakter samtlicher Normen des öffentlichen Baurechts102 bedingt. Zur Vermeidung eines daraus folgenden uferlosen Drittschutzes benötigt das Gericht ganz offensichtlich ein eingrenzendes Korrektiv. Als solches dient ihm das Meikmal der Spürbarkeit. 103 Schon die Grundthese selbst aber ist nicht haltbar. Wie ausgeführt, gibt es eine Fülle öffentlich-rechtlicher Normen, die ausschließlich objektiv-rechtlicher Natur sind. 104 Mit der Ablehnung eines Spürbarkeits-Kriteriums steht nicht in Widerspruch, daß im Planfeststellungsrecht ein subjektiv-öffentliches Recht auf gerechte Abwägung eigener Belange von der Rechtsprechung zutreffend davon abhängig gemacht wird, daß diese nicht nur geringfügig sind. 103 Von einem tatbestandsunabhängigen Zusatzkriterium kann hier keine Rede sein. Wie spater darzulegen sein wird, ergibt sich das Erfordernis nicht ganz geringfügiger Eigenbelange aus dem Charakter der subjektiv-rechtlich verfaßten Konfliktschlichtung im
Erfordernis konkreter Beeinträchtigung, S. C 36); Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Rdnr. 56 zu § 31 (bezogen auf tatsächliche Beeinträchtigungen); Jacob, BauR 1984, 1 (6 f.). Demgegenüber positiv oder doch jedenfalls aufgeschlossen Wahl, JuS 1984, 577 (585 f.); Degenhart, JuS 1984, 187 (191 ff.); Schröer, DVBl. 1984, 426 f.; Alexy, DÖV 1984, 953 (962 mit Fn. 100). 100 BVerwG, B.v. 10.9.1984 - 4 B 147.84, NVwZ 1985, 39 l.Sp. 101 Hierzu allg. Immenga, in: Immenga/Mestmacker, GWB, Rdnr. 337 ff. zu § 1, unter Hinweis auf konkretisierende Faktoren; s. auch Langen/Niederleithinger/Ritter/Schmidt, GWB, Rdnr. 67 ff. zu § 1. 102 S. OVG Münster, U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415), sowie oben Fn. 87. 103 Vgl. OVG Münster, U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (415): Die Annahme des potentiellen Nachbarschutzes aller Normen des öffentlichen Baurechts führe "keineswegs zu einer Ausuferung des Nachbarschutzes, sondern zurück auf das letztlich entscheidende Kriterium des spürbaren negativen Betroffenseins des Nachbarn". 104 S.o. Fn. 84 sowie A.I.l.c. 105 Vgl. hier nur BVerwG, B.v. 10.2.1989 - 7 B 171.88, NVwZ-RR 1991, 619 (620); Johlen, DÖV 1989, 204 (205).
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C . . Auslegungsinstrumente
Planfeststellungsrecht. 106 Damit wäre es unvereinbar, dem Vorhabenträger zuzumuten, sich seiner Rechtsposition auch gegenüber solchen Einwendern erwehren zu müssen, deren Belange - warn diese schon unterhalb der Schwelle subjektiver öffentlicher Rechte angesiedelt sein dürfen - nicht ein Mindestmaß an Gewicht aufweisen. bb) Von der Spürbarkeitsproblematik zu trennen ist die Frage, ob die tatsächliche Beeinträchtigung zum Tatbestand einer Ordnungsnorm gehört. Multipolare Konfliktschlichtung bezieht sich auf den Streit zwischen Privaten. Dem würde es widersprechen, wollte man Drittschutz völlig losgelöst davon gewähren, ob überhaupt eine tatsächliche Beeinträchtigung vorliegt. 107 Eine ganz andere Frage ist es hingegen, in welcher Weise der Gesetzgeber die Konfliktlösung normiert. Ihm steht es frei, den Konfliktschlichtungsmaßstab so zu fassen, daß er sich nur im Wege konkret-empirischer Auslegung ermitteln läßt. Er kann aber auch die regelungsbedürftige Konfliktlage typisierend unterstellen und einen abstrakten Lösungsmaßstab vorsehen. 108 Hierbei ist allerdings Voraussetzung, daß der gewählte normative Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen sachlich so einleuchtend ist, daß eine Feinabstimmung am Maßstab konkreter Einwirkungsintensität entbehrlich erscheint. So liegt es bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung109 oder Abstandsflächenvorschrifiten. Streng genommen ist selbst bei Normen der letztgenannten Art noch ein minimaler Bezug im Sinne tatsächlicher Beeinträchtigung vorhanden, da sie selbstverständlich nur dem Grundstücksnachbarn ein Recht verleihen, zu dessen Lasten das Heranrücken des Baugrundstücks Besonnung, Belichtung und Belüftung einzuschränken droht. Dementsprechend kann ein Grundstücksnachbar die Überschreitung einer Abstandsflache auf der ihm nicht zugeordneten Seite eines Baugrundstücks nicht mit Erfolg ins Feld führen. 110 106
C.VI.5.a.aa. Insoweit etwas zu strikt, wenn Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Bau recht n, S. 172, als "(generell) drittschützend" Normen so definiert, daß sie den Nachbarschaftskonflikt regeln, "ohne daß im Einzelfall noch ein 'Blick auf die konkreten Verhältnisse des Nachbargrundstücks' erforderlich wäre". S. schon oben Fn. 89. 108 Vgl. OVG Berlin, B.v. 8.6.1989 - 2 B 9.88, DWW 1989, 271 (272), zu Art. 6 Abs. 5 S. 1 BauO Bln. 1985; anders noch OVG Berlin, U.v. 27.3.1987 - 2 B 56.86, BRS 47 Nr. 167, S. 408 (409), das ein Nachbarrecht aus einer Abstandsflächenvorschrift vom Vorliegen der Voraussetzungen des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots abhängig machen will; dagegen zu Recht Ortloffy in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 185. 109 S. z.B. VGH Mannheim, U.v. 15.9.1986 - 3 S 2547/85, BRS 46 Nr. 174, S. 402 (404), wonach sich die drittschützende Wirkung von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung daraus ergebe, daß der Plangeber insoweit "immer zugleich den Schutz vor Immissionen beabsichtigt". 110 Vgl. Läihr, in: Battis/Krautzberg/Löhr, BauGB, Rdnr. 56 zu § 31, für den Fall, daß der Bauherr die Abstandsfläche auf der dem Nachbarn abgewandten Seite nicht einhält; s. auch Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 116. 107
I.6. Abstrakte und konkret-empirische Auslegung, partieller Drittschutz u.a.
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Damit aber ist der Streitfrage, ob die tatsächliche Beeinträchtigung als Drittrechtsvoraussetzung anzusehen111 oder ohne Belang ist, 112 die Schärfe genommen. Auch wenn der VGH Kassel neben der verletzten Schutznorm als eigenständiges Kriterium eine tatsächliche Beeinträchtigung verlangt, begnügt er sich zu Recht mit einer abstrakten Betrachtung. So soll das Merkmal der tatsächlichen Beeinträchtigung im Fall des Verstoßes gegen die Grenzabstandsvorschrift des § 7 HBO (a.F.) "wegen der durch das nahe Heranrücken eines Bauwerks an die Grundstücksgrenze" bedingten "optischen und unter Umständen auch psychisch belastenden Einengung generell zu vermuten" 113 sein. Die Anerkennung der abstrakt-typisierenden Konfliktregelung durch den Gesetzgeber bedeutet, daß der Nachbar ein Recht auf zentimetergenaue Einhaltung der Abstandsflächen hat. Gleiches gilt für Baulinien und -grenzen, sofern diesen drittschützender Charakter im Einzelfall zuzumessen sein sollte.114 Der Nachbar braucht sich nicht entgegenhalten zu lassen, es bedürfe noch einer ausdrücklichen Feststellung, daß er nennenswert, spürbar, tatsächlich oder sonstwie beeinträchtigt ist. 115
111
So VGH Kassel, U.v. 15.12.1988 - 4 UE 2318/86, ESVGH 39, 130 (134). So OVG Lüneburg, U.v. 18.2.1985 - 1 A 44/84, Nds. Rpfl. 1985, 152 (153), für das Abstandsflächenrecht der BauO Nds.; ferner Menzel, BauR 1985, 492 (496). 113 U.v. 15.12.1988 - 4 UE 2318/86, ESVGH 39, 130 (134); s. ferner B.v. 17.5.1990 - 4 TG 510/90, Ausfertigung, S. 9, für einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1, 4 HBO (Verbot einer Sichtschutzwand in der Abstandsflache); s. z.B. auch VGH Kassel, B.v. 18.9.1989 - 4 TG 2261/89, ESVGH 40, 39 (40). Gegen das Kriterium tatsächlicher Beeinträchtigung Jacob, BauR 1984, 1 (7). S. allerdings auch VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 3 TG 1866/89, BauR 1989, 721 (722), der bei einem Verstoß gegen eine Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung in einem einfachen Bebauungsplan das Vorliegen eines Nachbarrechts von einer unzumutbaren Störung abhängig macht. Auf Grund der Vorbelastung sei der Nachbar im konkreten Fall nicht schutzwürdig. Dies läßt sich negativ im Sinne einer Sperrwirkung akzeptieren: Steht hinreichend fest, daß keine tatsachlichen Beeinträchtigungen für den Nachbarn zu besorgen sind, läßt sich von einem subjektiven öffentlichen Recht nicht sprechen. 112
114
S. im einzelnen C.VI.2.m. S. Sendler, BauR 1970, 4 (11); Ordcff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 175 Fn. 35; P. Jacob, BauR 1984, 1 (7); LÖhr, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, Rdnr. 56 zu § 31 Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarrecht, Rdnr. E 42; Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 37; OVG Saariouis, U.v. 6.3.1987 2 R 180/84, BRS 47 Nr. 100, S. 261 (264 f.): ggf. unzulässige Rechtsausübung; offengelassen in OVG Münster, B.v. 14.5.1991 - I I B 246/91, NVwZ 1991, 1001 r.Sp. (Abstandsflächen), während derselbe Senat zu Planfestsetzungen das Erfordernis tatsächlicher (spürbarer) Beeinträchtigungen verneint, U.v. 18.4.1991 - I I A 696/87, BauR 1992, 60 (64). 115
IV. Interessenschutzformel, Vennutungsthese und die multipolare Konfliktsituation i. Die bipolare Prägung der Schutznormtheorie a) Inhalt, Verwirklichung und Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts aa) Über das, was den Inhalt eines subjektiven öffentlichen Rechts ausmacht, besteht kaum Streit. Nach wie vor wird es in Anlehnung an die Lehren von Windscheid 1 und Jhering 2 als die vom öffentlichen Recht dem einzelnen zur Verfolgung seiner Interessen eingeräumte Willens- oder Rechtsmacht verstanden. 3 D i e oben 4 dargelegte strukturelle Prägung des Verwaltungsrechts durch die bipolare Staat-Bürger-Relation gilt nicht zuletzt für den Zentralbegriff des subjektiven öffentlichen Rechts. 5 Insoweit sei hier nur i n Erinnerung gerufen, daß es sich nach G. Jellinek? "in der Beziehung des Individuums zum Staate erschöpft". Demgegenüber steht in multipolaren Konfliktlagen ein Streit
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Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 155 f. mit Fn. 3. Geist des römischen Rechts, S. 339 ff.; s. hierzu Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, 1959, S. 7 (21). 3 Vgl. mit z.T. unterschiedlichen Akzenten Bachtf, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (292): dem "'Inhalt* nach ... 'Willensmacht' oder 'Rechtsmacht'", dem "'Zweck' nach" Mittel zur Interessenbefriedigung (kurs. i.O.); ders., Vornahmeklage, S. 63, 65 ("Wesen") m.w.N. zum historischen Ursprung der - die Willens- bzw. Interessentheorie Windscheids bzw. Jhering* miteinander verbindenden - Kombinationsformel; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 2 zu § 8 (S. 124); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 118 zu Art. 19 IV, sowie ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. II, 1990, S. 9 (11); Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 157; in grundrechtlicher Perspektive Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 17 (S. 76). Zur Kombinationstheorie M. Rehbinder, Einführung, S. 101; ferner - krit. - Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 m 2 a (S. 556 f.); ganz abl. Schopp, Das subjektive Recht, S. 86 ff. 4 S. A.I.l.a-c, C.H.I. 5 Vgl. Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (199), der das subjektive öffentliche Recht als "Ausfluß und Vermittler" der "grundsätzlichen Dichotomien" namentlich zwischen öffentlichem und privatem Interesse bezeichnet. S. grds. zur Orientierung des subjektiven öffentlichen Rechts an "Zweierbeziehungen" Brohm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (238); vgl. auch Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59. 6 System, S. 51; s. auch O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 224: "rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat". 2
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zwischen Privaten in Rede. Um der Schlichtung kollidierender Privatinteressen im Verwaltungsrecht Rechnung zu tragen, wurde oben7 die Unterscheidimg zwischen den Ebenen der Rechtszuweisung im Sinne gegenseitigen freien Dürfens auf Kosten des privaten Konfliktgegners und der Anspruchsrichtung gegen den Staat als materielles Pflichtsubjekt eingeführt. Damit ließ sich die normative Ordnung verwaltungsrechtlicher Beziehungen zwischen den Privaten (Bürger-Bürger-Relation) ohne Bruch mit der Verwaltungsrechtsdogmatik als mögliche Basis subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung kennzeichnen. Vor diesem Hintergrund ist das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis seinem Inhalt nach als rechtliche Fähigkeit zu definieren, die eigenen Privatinteressen auf Kosten des privaten Konfliktgegners verwirklichen zu dürfen und gegen den Staat als Pflichtsubjekt durchsetzen zu können. Dies gilt in kehrseitigen wie wechselbezüglichen Fallkonstellationen.8 Grundlage des subjektiv-rechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen ist das Konfliktschlichtungsprogramm. 9 Da dieses regelmäßig keine "eindeutigen" Aussagen enthält,10 bedarf es je nach fachgesetzlicher Ausprägung der Auslegung mit Hilfe des im einzelnen dargestellten Instrumentariums.11 Für eine Unterscheidung zwischen einem subjektiven öffentlichen Recht i.e.S. und rechtlich geschützten Interessen besteht somit keine Veranlassimg.12 Bisweilen wird ein Verwaltungsakt wie z.B. eine Konzession13 als subjektives öffentliches
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C.n.l. S.o. A.m.l und 2. 9 s.o. A.I.l.c Fn. mit Fn. 45. 10 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt- Aß mann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. ü, 1990, S. 9 (12): Das subjektive Recht könne nur unter mKonkretisierungsvorbehält" gedacht werden (kurs. i.O.). 11 S.o. c.m. 12 Für den Verzicht auf den Begriff der rechtlich geschützten Interessen Scholz, WiR 1972, 35 (51), und bereits Menger, VerwArch. 50 (1959), 193 (200): der "recht verschwommene" Ausdruck; ferner Laubinger, Verwaltungsakt, S. 15; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 119 zu Art. 19 Abs. IV, der zu Recht zwischen "ausdrücklichen Berechtigungen und Fallen" unterscheidet, "in denen sich der Rechtssatz verschlüsselt den individualisierend-berechtigenden Ausgleich von Interessen hat angelegen sein lassen: rechtlich geschützte Individualinteressen" (kurs. i.O.); Huber, Konkurrenzschutz, S. 103 f., nach dem sich das rechtlich geschützte Interesse als "der kleinste gemeinsame Nenner" erweist. S. in diesem Zusammenhang Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 m c 1 (S. 331): Ausübungsberechtigung als "volles subjektives öffentliches Recht" fi.e.S.) entweder (1) in Form der "Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes" oder (2) kraft besonderer "Einräumung". Ausnahmsweise verwendet § 8 Abs. 3 S. 1 WHG den Begriff des (subjektiven öffentlichen) Rechts in diesem engeren Sinne (vgl. Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, Rdnr. 41 zu § 8: "Bestandsschutz, und nicht Erweiterung vorhandener Positionen"). Hiervon geht auch das in Ausfüllung des § 8 Abs. 4 S. 1 WHG ergangene Landesrecht aus; s. Art. 18 Abs. 1 S. 1 a.E. BayWG: "Nachteile ..., auch ohne daß dadurch ein Recht beeinträchtigt wird" (vgl. dazu Sieder/ Zeitler/Dahme, BayWG, Rdnr. 1 und 2 zu Art. 18). 8
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Recht (i.e.S.) bezeichnet. 14 Dieser Sprachgebrauch orientiert sich allerdings bereits an der Verwaltungsaitscheidung als Ergebnis der Umsetzung normativer Rechtszuweisung; ein rechtmäßiger streitschlichtender Verwaltungsakt muß seinerseits auf einem Konfliktschlichtungsprogramm beruhen, das allein die Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte ist. Was des weiteren das Verhältnis zwischen dem subjektiven öffentlichen Recht und dem Belang angeht, so ist dieser der Oberbegriff, der auch private Interessen ohne Rechtsqualität umfaßt. 1 3 Insoweit ist wiederum zu differenzieren: Einmal kann es sich um Interessen handeln, die - wenn auch nur objektiv-rechtlich - Gegenstand normativer Konfliktschlichtung sind, und zum anderen um solche, die keinerlei rechtlichen Schutz genießen (rein tatsächliche Reilexe). I m Planfeststellungsrecht besteht die Besonderheit, daß sich hier das Recht auf fehlerfreie Abwägung der kollidierenden Privatinteressen auch auf (nicht nur geringfügige) Eigenbelange unterhalb der Schwelle subjektiver Berechtigung beziehen kann. 1 6 Welche "Rechtsmacht" schließlich dem subjektiven öffentlichen Recht effektiv innewohnt, erweist sich in letzter Konsequenz erst auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen. 17 13 Vgl. Wolff/Baehof, VerwR I, § 43 I c, ffl c (S. 327, 331), die auch in diesem Fall von Ausübungsberechtigung sprechen. 14 In diesem Sinne wird auch der Verwaltungsakt als "Rechtssatz" bezeichnet, vgl. Erichsen, in: Erichsen/Maitens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr, 57 (Fn. 236); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Rdnr. 131 zu Alt. 19 IV. 15 Vgl. BVeiwG, B.v. 14.2.1991 - 4 NB 25.85, BauR 1991, 435 (436); U.v. 3.7.1987 - 4 C 12.84, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 72, S. 1 (3 f.); VGH München, U.v. 11.8.1987 - Nr. 20 B 86.02982, BayVBl. 1988, 147 (148), mit zutr. Differenzierung zwischen den Rechten i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG und den Belangen unterhalb dieser Schwelle, für die "lediglich die allgemeinen Anforderungen an die Abwägung maßgebend seien"; hierzu C.VI.5.a.aa. - Zur verwaltungsverfahrensrechtlichen Unterscheidung zwischen Betroffenen-, Interessenten- und Jedermann-Einwendungen s. Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (57 ff.), sowie unten D.I, IV.l. 16 Vgl. im einzelnen C.VI.5.a.aa sowie neben der in Fn. 15 genannten Rspr. vor allem BVerwG, U.v. 14.2.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (66); gegen diese im Straßenrecht entwickelte Rspr. Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. 203 ffl; Schwabe, NJW 1976, 159; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 236 ff.; Ladeur, UPR 1984, 1 (4 ff., 7), der hieraus die Ablehnung der Schutznonntheorie ableiten will; wenn das BVerwG in der vorgenannten Entscheidung davon spricht, daß sich das subjektive öffentliche Recht auf gerechte Abwägung "nur auf die rechtlich geschützten eigenen Belange des Betroffenen" bezieht, dann wird damit lediglich das Kausalitätserfordernis zum Ausdmck gebracht; s. auch BVerwG, U.v. 4.3.1983 - 4 C 74.80, DÖV 1983, 676 (677). Zum Anspruch auf Abwägung eigener Belange s. auch Badura, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, S. 423 (513); Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 70 zu § 8; Johlen, in: FS f. Geizer, 1991, S. 65 (72 f.). Anders liegt es, wenn Grundeigentum in Anspruch genommen werden soll; in diesem Fall kann der Grundeigentümer auch den Verstoß gegen Vorschriften rügen, die allein im öffentlichen Interesse bestehen, vgl. BVerwG, U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.79, E 67, 74 (75, 77), sowie im einzelnen unten C.VI.5.a.cc anhand der abfallrechtlichen Planfeststellung. 17 S.u. c.vm.
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bb) V o m Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts in multipolaren Konfliktlagen ist die Frage nach seinen Voraussetzungen zu trennen. Nach der in der Rechtsprechung absolut herrschenden 18 und in der Literatur 19 trotz vielfacher Kritik nach wie vor bevorzugten Schutznormtheorie wird ein subjektives öffentliches Recht dann angenommen, wenn eine N o r m nicht nur verpflichtenden Charakter hat, sondern zumindest auch den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmt ist. Das damit umschriebene Prinzip des Individualrechtsschutzes 20 schließt einen allgemeinen materiell-rechtlichen Gesetzesvollziehungsanspruch aus. Dies findet in den §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 und 5 V w G O seine prozeßrechtliche Entsprechung. 21 Zur Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte geht die Schutznormtheorie zu Recht vom Gesetz aus. Dies entspricht dem oben 22 dargelegten Grundsatz der Konfliktschlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und der
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S. BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194); 1. Kammer des 1. Senats, B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp.; BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (344); B.v. 20.12.1989 - 7 B 188/89, NJW 1990, 930 r.Sp.; U.v. 163.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (334); U.v. 3.11.1988 - 7 C 115.86, NJW 1989, 1495 (1497 f.); U.v. 4.10.1988 - 1 C 72.86, E 80, 259 (260); U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NVwZ 1987, 2829 r.Sp.; U.v. 25.4.1989 - 5 C 24.86, NVwZ 1990, 366 (367); VGH Mannheim, B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61); BSG, U.v. 15.5.1991 - 6 RKa 22/90, DVB1. 1315 (1316); VGH Mannheim, U.v. 7.2.1991 - 5 S 2929/90, NJW 1991, 3050 l.Sp.; OVG Münster, U.v. 25.4.1989 - 13 A 2399/87, NVwZ-RR 1990, 573 (574); VG Schleswig, B.v. 2.10.1986 - 12 D 43 und 72/86, UPR 1987, 77 (78 f.). S. ferner zur wasserrechtlichen ("privatnützigen") Planfeststellung BVerwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 12.84, Buchholz 406.19 Nachbarachutz Nr. 72, S. 1 (3 f.); zur abfallrechtlichen Planfeststellung im Hinblick auf § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG s. VGH Mannheim, U.v. 10.11.1988 - 10 S 758/86, NVwZ 1989, 276 (277); vgl. zur rechtstechnischen Ausgestaltung der Schutznorm als Auflagenvorbehalt insoweit Kühiing, Fachplanungsrecht, Rdnr. 422. 19 Vgl. Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (296 f.); Wolff/Bachtf, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322); Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (9); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 8 zu § 8 (S. 127); Schmdt-Aßnum, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 128 zu Art. 19 Abs. IV; Rupp, Grundfragen, S. 245 f.; Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (58, 60); Kopp, VwGO, Rdnr. 48 zu § 42; ßoepfer, Umweltrecht, Rdnr. 16 zu § 5 (S. 261); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 72 zu § 40 sowie Rdnr. 15 zu § 50; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 189; mit ergänzenden Akzenten ebenfalls Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 60; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 157 ff.; Scholz, WDStRL 34 (1976), 145 (199, 203 ff.); sowie speziell für das Baurecht Krebs, in: von Münch (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 265 (383 ff.); vonMutius, Jura 1989, 297 (301). 20 Vgl. Wofff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 1 (S. 322); Schmidt-^ßmann, in: FS f. Menger, 1985, S. 107 (109); Krebs, Kontrolle, S. 60, 88; Lonnz, in: FS f. Menger, 1985, S. 143 (148 f.); J. Ipsen, Jura 1987, 123 (124); Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 39 zu § 154. Nicht zu folgen dagegen Mayer-Tasch, NuR 1991, 153 (158), der für eine Aufgabe der Schutznormtheorie plädiert. 21 Vgl. insoweit Krebs, Die Verwaltung 21 (1988), 155 (164flf.).; Schnüdt-Aßmann, in: FS f. Menger, 1985, S. 107 (109 f.); Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 41 f. zu § 154. S. im einzelnen E.U.l.a. 22 B.I.l.a.
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sich daraus ergebenden Maßgeblichkeit der einfach-gesetzlichen Ordnungsnorm im Rahmen der Verfassung. Daß es dabei weder auf den historischen "Willen" des Gesetzgebers23 noch auf eine verengte Betrachtung anhand einer Einzelnorm ankommt24 und daß schließlich auch die Grundrechte i h r » fest» Platz in diesem Konzept haben, ist bei der Darstellung der normintern» und -externen Grundrechtsfunktion und des Instrumentariums zur Auslegung konfliktschlichtender Ordnungnorm» im einzeln» betont w o r d » . 2 5 Insoweit wird von der Literatur bisweil» ein zu restriktives Bild der Schutznormtheorie gezeichnet; dies kann dazu führen, daß die Kritik ihr entweder nicht (voll) gerecht wird 26 oder aber daß sich kritische Forderungen durchaus mit Anliegen decken, die sich die Schutznormtheorie bereits zu eigen gemacht hat. 27
b) Die drei Kategori» der Kritik in der Literatur Es bedarf hier nicht einer Wiederholung der vielfach dargestellten, mit unterschiedlichen Ansatz» vorgetragen» Versuche, die Schutznormtheorie zu widerlegen. Es genügt, auf drei Kategorien der Kritik in der Literatur hinzuweisen. Eine erste Gruppe erhebt grundsätzliche Einwände gegen die Schutznormtheorie unter dem Aspekt der Gesetzesabhängigkeit. So w»det sich Henke?* g e g » eine Begründung subjektiver öffentlicher Rechte nach "Belieben des Gesetzgebers" und votiert stattdessen für das Kriterium der tatsächlichen Betroffenheit des Bürgers in seinen "privaten eigenen Angelegenheit»". In derselben Richtung betont Bartlsperger ™ daß subjektive öffentliche Rechte
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Vgl. Wolff/Bachof, VeiwR I, § 43 I b 2 (S. 322). Vgl. Schmidt-Aßmam, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 128 und 138 zu Art. 19 Abs. IV; s. auch Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 166; Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322). 25 S. B.I.2 und n sowie C.m.l.c. 26 S. z.B. Alexy, DÖV 1984, 953 (961): Die Schutznormtheorie mache Drittschutz "ausschließlich vom Willen des einfachen Gesetzgebers" abhangig. S. auch Peine, DÖV 1984, 963 (969), unter dem Aspekt des Grundiechtsschutzes. - Auch der vielfach gegen die Schutznormtheorie erhobene Vorwurf der Unbestimmtheit überzeugt nicht, vgl. zutr. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Rdnr. 130 zu Art. 19 Abs. IV. 27 Dies gilt - wie oben A.H.l.b erwähnt - etwa auch für die von H. Bauer (AöR 113 (1988), 582 (612 ff.)) und R. Schmidt (Wirtschaftsrecht, S. 453 ff.) an der Schutznormtheorie geübte Kritik und die daraus abgeleiteten Forderungen im Rahmen des reclitsverhältnistheoretisehen Ansatzes. 28 Das subjektive öffentliche Recht, S. 60 f.; mit der Klarstellung, daß es dabei nicht "rein faktisch" auf die Betroffenheit "losgelöst und unabhängig von jedem Gesetz" ankomme, sondern auf die objektive Interpretation des einschlägigen Gesetzes, ders., in: FS f. W. Weber, 1974, S. 495 (510 f.); s. zu Modifikationen auch ders., DÖV 1980, 621 (622 Fn. 4, 623 Fn. 11). 29 VerwArch. 60 (1969), 35 (49); danach liegt ein subjektives öffentliches Recht dann vor, wenn "ein Gewaltunterworfener von einer staatsrechtlichen Norm konkret betroffen ist" (ibid.); s. 24
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"nicht Ergebnis einer Gesetzesauslegung, sondern nur einer Bewertung der tatsachlich» Auswirkung» öffentlich-rechtlicher N o r m » auf individuelle Angeleg»heit» sein" könnt». Ähnlich hatte Bernhard? 0 (im Rahm» der Klagebefugnis) eine Rechtsverletzung des Bürgers von einem Eingriff "in seinen Interess»bereich" abhäng» lass». Diese Vorschläge haben zu Recht Defizite einer verengt» Schutznormtheorie deutlich gemacht und e i n » maßgeblich» Anstoß zu ihrer Fortentwicklung unter Berücksichtigung der normintern» und extern» Grundrechtsfunktion 31 gegeb». Andererseits gibt es aber auch Fälle konkreter Betroffenheit in e i g » » Interess» bzw. Angelegenheit», in d » » eine Rechtsmacht zu ihrer Durchsetzung nicht besteht.32 Hierzu ist mit Recht darauf hingewies» word», daß "erst das Gesetz die Qualifizierung als eig»e Angelegenheit bewirk» kann". 33 Insofern ist an der Maßgeblichkeit der einfachgesetzlich» Ordnungsnorm im Rahm» der Verfassung 34 festzuhalten. Eine zweite Gruppe von Kritikern - u.a. Zuleeg, 35 Lorenz? und Sening* 7 - w » det sich geg» die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte nach Maßgabe der Schutznormtheorie und plädiert statt dess» für d » direkten Rückgriff auf die Grundrechte, wobei regelmäßig Art. 2 Abs. 1 GG eine besondere Rolle spielt.38 Auch der von H. Bauer und R. Schmidt vorgeschlagene rechtsver-
auch ders. y DVBl. 1970, 30 (32 f.). Die damit vertretene "Gesetzesunabhängigkeit des subjektiven öffentliches Rechts" wird dabei nicht so verstanden, "daß die öffentlichrechtlichen Normen als Grundlage der subjektiven öffentlichen Rechte außer Betracht bleiben" (ders., DVBl. 1971, 723 (731)). 30 JZ 1963, 302 (306), unter Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 1 GG. 31 S. dazu oben B.I.l.b und Q.l; C.DI.l.c. 32 Zu denken ist hier z.B. an die Beseitigung einer Fernsicht durch Bebauung; vgl. das Beispiel bei Bachof, WDStRL 33 (1975), 312 f. 33 Friauf, JurA 1969, 3 (11); ebenso Wolff/Bachof \ VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323), sowie Bachof, WDStRL 33 (1975), 312 ff.; Breuer, DVBl. 1983, 431 (436); Koppe, DVBl. 1969, 246 (247 f.). 34 S. dazu oben B.I.l.a. 33 DVBl. 1976, 509 (514 ff.). 36 Rechtsschutz, S. 60 ("Berührung des individuellen Lebenskreises ..., die nach der Verfassungsentscheidung ... zu einer subjektiven Stellung fuhren muß"), was auch für Drittschutzfalle gelten soll (S. 68). Freilich schränkt Lorenz den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ein (S. 65 f.) und konzediert, daß der (einfache) Gesetzgeber über den Minimalstandard hinaus subjektive öffentliche Rechte einräumen könne (S. 66); dies stehtfreilich einer giundrechtlichen Begründung des subjektiven öffentlichen Rechts im Prinzip entgegen; vgl. auch noch Wofff/Bachof\ VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323). 37 NuR 1980, 102 (105). 38 S. auch schon Bernhardt, JZ 1963, 302 (308), krit. zur Darstellung als Problem der Klagebefugnis Bachof, AöR 88 (1963), 424 (425); ferner - mit unterschiedlichen Akzenten R. Schmidt, NJW 1967, 1635 (1639 ff.); M. Hoffinann, Abwehranspruch, S. 53 f.; s. auch Bothe, JZ 1979, 399 (401); W. Baumm, BayVBl. 1982, 292 (293 f.); Blecknumn, VB1BW 1985, 361 (363 ff.), im Zusammenhang mit der Klagebefugnis; s. insoweit die Feststellung von Barüsperger, DVBl.
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hältnistheoretische Ansatz greift letztlich auf die Grundrechte zurück. 39 Daß demgegenüber ein direkter Grundrechtszugriff der Konfliktschlichtungsprärogative des - seinerseits an die Verfassung gebundenen - demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgebers widerspricht und der erforderlichen konkretisierenden Sachmaßstäbe zur Bestimmung der gegenläufigen Rechtspositionen in der Kollisionslage entbehrt, wurde schon oben ausgeführt. 40 Für die vorliegende Untersuchung ist die erst in jüngerer Zeit vorgetragene dritte Kategorie kritischer Äußerungen zur Schutznormtheorie von entscheidender Bedeutung. Sie zielt auf die strukturelle Prägung des subjektiven öffentlichen Rechts durch die Staat-Bürger-Relation ab. Hierzu sei auf die oben dargestellten Problemdiagnosen von Schmidt-Aßmann, Scholz, Erichsen und Brohm verwiesen.41 Ohne daß damit notwendig die Schutznormtheorie als solche in Frage gestellt wäre, 42 rückt die Problematik der Funktionsfahigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts in multipolaren Konfliktlagen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Wurde bei der Umschreibung der Ausgangshypothese43 bereits allgemein hervorgehoben, daß die Verwaltungsrechtsdogmatik nicht auf die Erfassung kollidierender Privatinteressen ausgelegt ist, gilt es nunmehr, den dogmatischen Ursachen anhand der eingliedrigen Interessenschutzformel nach-
1970, 30 (32), daß Art. 2 Abs. 1 GG "kein Recht zur Beanstandung objektiver Gesetzmäßigkeit einräumt". Brehm, WDStRL 30 (1972), 245 (273 ff.), stellt zwar die Frage, ob "die Entgegensetzung von objektivem und subjektivem Recht in einem demokratischen Rechtsstaat überhaupt noch ihren Platz hat", und sieht jedenfalls die Unterscheidung als durch die Grundrechte - insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG - "wesentlich relativiert" an. In die Reihe der Befürworter eines reinen grundrechtlichen Direktzugriffs ist er gleichwohl nicht einzuordnen, weil er - zu Recht - am einfachen Gesetz als prinzipieller Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte festhält, s. ders., in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (240). Vgl. differenzierend auch Huber, Konkurrenzschutz, S. 193 ff., der zwar einen direkten Zugriff auf Grundrechte ablehnt (S. 191 ff.), andererseits aber den subjektivrechtlichen Gehalt "einfachgesetzlicher Schutzvorschriften" ausdrücklich "aus den normimmanenten Wirkungen der Grundrechte" (S. 204) entnehmen will. 39 Vgl. H. Bauer, AöR 113 (1988), 582 (592 ff.), für den sich subjektive öffentliche Rechte "dem Grunde nach" aus den Grundrechten ergeben (S. 628, kurs. i.O.); R. Schmidt, Wirtschaftsrecht, S. 448 ff.; vgl. oben A.H.l.b. 40 B.I.l.a; vgl. hier noch Wolff/Bachof, VetwR I, § 43 I b 2 (S. 323); Breuer, DVB1. 1983, 431 (436); Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (139 f.); Krebs, Kontrolle, S. 87 f.. 41 S.o. A.I.3.a m.w.N. 42 Vgl. z.B. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 118 zu Art. 19 Abs. IV: "Rechtssatzabhängigkeit" des subjektiven Rechts; auch die von Breuer, DVB1. 1983, 431 (437), am "spekulativen Ansatz" der Schutznormtheorie unter dem Aspekt des Rücksichtnahmegebots geübte Kritik weist lediglich auf Korrekturbedarf hin, ohne sie jedoch selbst zu verwerfen, ders., DVB1. 1986, 849 (854). S. in diesem Sinne auch die eingehende kritische Darstellung und Würdigung der Schutznormtheorie bei Huber, Konkurrenzschutz, S. 100 ff., 153 ff. 43 A.I.l.a - c, H.l.c.
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zugehen, um sodann Konsequenzen für die Ermittlung des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ziehen zu können.
c) Das Merkmal "des einzelnen" als Problem der eingliedrigen Interessenschutzformel Die eingliedrige Interessenschutzformel 4 bemißt das subjektive öffentliche Recht danach, ob eine Norm zumindest auch den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmt ist. Profitiert der einzelne von den Auswirkung» einer Norm, soll es darauf ankommen, ob die Begünstigung zufällige Nebenfolge oder bewußter und gewollter Nonninhalt ist; während im ersten Fall ein bloßer Reflex vorliegen soll, wird im zweiten ein subjektives öffentliches Recht im Sinne zumindest auch geschützter Interessen des einzelnen angenommen.43 Die Interessenschutzformel gründet auf zwei Polen: Der einzelne möchte seine Interessen durchsetz» und trifft dabei auf den Staat, der seinerseits das öffentliche Interesse zur Geltung bringen will. Somit spiegelt die Schutznormtheorie in Form der eingliedrigen Interessenschutzformel die Staat-Bürger-Relation wider. Sie ist daher ohne weiteres einleuchtend und uneingeschränkt anwendbar in bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen. Dies gilt zum einen im Abwehrbereich, wenn auch eine unbesehene Funktionalisierung von Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne einer Freiheit von ungesetzlichem Zwang zu einer Subjektivierung des gesamten objektiven Rechts fuhren würde und damit nicht in Betracht kommen kann. 46 Ebenso ist die Interessenschutzformel anwendbar bei positiven staatlichen Leistungen im Staat-Bürger-Verhältnis. Schließlich hat sie ihren Platz, wenn es um die Abwehr von dinglichen Verwaltungsakten in bipolaren Beziehungen geht. Daß die Schutznormtheorie nur in Drittschutzfallen von Bedeutung wäre, 47 kann demnach nicht bestätigt werden. 48 44
S.o. Fn. 18 und 19 sowie unten C.IV.2.a. S. hierzu Bachof, in: GS f. W. Jellinek, S. 287 (299), sowie zur Differenzierung zwischen Rechtsreflex und bloß tatsachlichem Reflex Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 1 (S. 322). 46 Vgl. hier nur Erichsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VI, Rdnr. 43 ff. zu § 152; Rupp, DVB1. 1982, 144 (148) Fn. 27, sowie - zur "Adressatentheorie" - unter E.ü.l.b mit Fn. 24; femer Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 159 zu Art. 19 Abs. 4 ("Rechtswidrigkeitszusammenhang"); Krebs, Kontrolle, S. 83 ff.; auf der Grundrechtsebene Schwabe, DVB1. 1984, 140 (141 f.). - Selbst bei der Ausdehnung des Abwehrrechts im Falle der direkten Inanspruchnahme von Grundeigentum und der daraus folgenden Möglichkeit, auch die Verletzung rein objektiver Belange rügen zu können, bleibt ein Individualkonnex bestehen. Auch hier ist eine subjektiv-rechUiche Kausalität zu fordern. Dem entspricht es, daß bei der straßenrechtlichen Trassenführung sich örtlich entfernt niederschlagende Fehler nur gerügt werden können, wenn im Wege der sog. Zwangspmktbildung eine Beeinträchtigung eigener Belange notwendig vorgegeben ist; vgl. z.B. VGH Mannheim, U.v. 15.10.1990 - 5 S 197/90, NVwZ-RR 1991, 399 r.Sp. 47 So Zuleeg, DVB1. 1976, 509 (515). 48 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 159 zu Art. 19 Abs. IV Fn. 24, und 45
194
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
Dagegen ist die eingliedrige Interessenschutzformel der Schutznormtheorie in ihrer Ausrichtung auf die bipolare Staat-Bürger-Relation nicht darauf ausgelegt, die Problematik subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung in multipolaren Konfliktlagen zu bewältigen. Dies zeigt sich bereits, wenn man das Kriterium der zumindest auch geschützten Individualinteressen in diesen Fällen anwendet. Dann kann bei unbefangener Betrachtung von bloß zufalligen Begünstigungen vielfach nicht die Rede sein und ein gewollter Interessenschutz des einzelnen gerade auch dort nicht in Abrede gestellt werden, wo in Rechtsprechung und Literatur Drittschutz verneint wird. Erstes Beispiel: Legt man allein den Maßstab der Interessenschutzformel zugrunde, so erschiene es nicht als ausgeschlossen, in § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG den Schutz des einzelnen im Rahmen der Nachbarschaft als zumindest auch bezweckt anzusehen. Wenn Vorsorge zur Minimierung der Schadstoffbelastung unterhalb der Schwelle des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch den Schutz der "Nachbarschaft" vor Femauswirkungen einschließt,49 dann soll sie dem einzelnen - so ließe sich folgern - sicherlich auch zugute kommen und nicht ein bloß zufalliges Nebenprodukt einer Emissionsminderung darstellen. Da es im übrigen auf die Zahl der Begünstigten nicht ankommt,50 wäre auf diese Weise die Brücke zum Drittschutz geschlagen. Gleichwohl ist § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG mit der h.M. nicht als drittschützend anzusehen.51 Zweites Beispiel: Ebenso konnte man mit Hilfe des eingliedrigen Interessenschutzkriteriums geltend machen, daß das Strahlenminimierungsgebot des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV Dritten im Einwirkungsbereich des Kernkraftwerks zugute kommen soll. Nach Lukes/Richter* 2 ist diese Vorschrift "ausschließlich auf den Schutz des einzelnen Menschen, nicht aber eines Kollektivs bezogen". Dennoch gewährt § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV nach herrschender und zutreffen-
VGH Mannheim, U.v. 18.3.1980 - IV 1631/79, NJW 1980, 1868 f. (keine Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf fehlerfreie Ermessensausübung bei Ablehnung der Ernennung unter Angebot einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis); a.A. Skouris, NJW 1981, 2727 (2728 f.). 49 Vgl. hierzu fOoepfer/Kröger, NuR 1990, 8 (13 f.). Wenn nach Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (62), die Differenzierung zwischen drittschützenden Immissionsbegrenzungen und nur objektiv-rechtlichen Emissionsbegrenzungen "den Vorgaben der Schutznonntheorie" entspricht, "da eine Emissionsminderung unabhängig von eventuellen Gefahren für Dritte eben nicht auf deren Interessen abstellt", dann setzt dies in der Sache an die Stelle der bloßen Interessenschutzformel bereits eine Konzeption über die Zuordnung von Emission und Immission; s. dazu C.VI.3.a. 50 Vgl. oben C.I.2.a und e. 51 S.u. C.VI.3.b. 52 NJW 1981, 1401 (1405), die § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV freilich nicht als drittschützend ansehen (S. 1407).
I V . 1. Die bipolare Prägung der Schutznormtheorie
195
der Auffassung keine subjektiven öffentlichen Rechte.53 In welchem Maße hier Klärungsbedarf besteht, zeigt sich, wenn die Interessenschutzformel in Anspruch genommen wird, um unter Berufung auf den Schutz des Menschen gem. § 1 Nr. 2 AtG die Genehmigungsnorm des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG insgesamt als drittschützend anzusehen.54 Drittes Beispiel: Anhand des Interessenschutzkriteriums ist kaum zu bestreiten, daß § 8 Abs. 1 Nr. 2, Fall 1 VAG, der die ausreichende Wahrung der "Belange der Versicherten" ausdrücklich als Genehmigungsvoraussetzung für die Erlaubnis der Aufnahme des Geschäftsbetriebs eines Versicherungsunternehmens sowie - über § 13 Abs. 1 S. 2 VAG - der Änderung von Geschäftsplänen nennt, auch den Schutz der Versicherungsnehmer bezweckt.55 Noch deutlicher wird dies bei § 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 PflVG, wonach das "Interesse der Versicherungspflichtigen an der Gewährung des Versicherungsschutzes zu einem angemessenen Beitrag" hinreichend gewahrt sein muß. Es überrascht daher nicht, wenn Erichsen 56 sein Kriterium der "Zuweisung eines Interesses zur eigenen Wahrnehmung" gerade auch an dieser Vorschrift exemplifiziert. Wenn sich aber sowohl der Versicherer wie der Versicherungsnehmer auf dieselbe Norm zur Durchsetzung ihrer kollidierenden Privatinteressen berufen könnten, schwindet die Überzeugungskraft der Interessenschutzformel. Das richtige - Ergebnis der h.M., beiden Normen Drittschutz zu versagen,57 läßt sich ihnen allein mit Hilfe des Interessenschutzkriteriums nicht entnehmen. Viertes Beispiel: § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG, der die Erhöhung der Durchschnittsmiete bei Steigerung der laufenden Aufwendungen von einer voiherigen Genehmigung abhängig macht, dürfte bei Zugrundelegung allein der Interessenschutzformel durchaus mindestens auch den Interessen der Sozialmieter zu dienen bestimmt sein. Das BVerwG 58 selbst hat eingeräumt, daß "die Vorschriften in § 8 WoBindG 1974 über die Bindung des Vermieters an die Kostenmiete grundsätzliche eine ... Schutzfunktion zugunsten des Mieters haben". Gleichwohl hat es § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG - in kritisch zu erörternder Weise59 - Drittschutz versagt. Noch stärker drängt sich die Annahme eines zumindest auch bezweckten Interessenschutzes bei der Genehmigung einer
53
S.u. C.VI.4.C.
54
So Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 9 (81 ff.), "Auslegung ... anhand des objektivierten Normzwecks" (S. 82). 55 Zur sog. "Schutztheorie" s. hier nur Prölss/Schmidt/Frey, VAG, Rdnr. 40, 41 Vorbem. 56 In: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 60; s. auch C.VI.7.a mit Fn. 635. 57 S. C.VI.7.a. 58 59
U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (230). S. im einzelnen unten C.VI.8.a.
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
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Freistellung von der Wohnungsbindung gem. § 7 Abs. 1 S. 1, Hs. 2 WoBindG auf. Wenn das BVerwG hier einräumt, daß die Genehmigung "wegen eines überwiegenden berechtigten Interesses eines Dritten erteilt werden" kann, "um die Berücksichtigung subjektiver Belange zu ermöglichen", erscheint es mehr als naheliegend, den Schutz eben dieser Interessen als zumindest auch bezweckt anzusehen. Obwohl er sich ausdrücklich zur Schutznormtheorie bekennt, lehnt der 8. Senat des BVerwG 60 hier Drittschutz gleichwohl ab. Fünftes Beispiel: Auch im Arbeitszeitschutzrecht spräche bei Anwendung der eingliedrigen Interessenschutzformel Überwiegendes dafür, Drittschutz anzunehmen. Wem anders als den Arbeitnehmern - so ließe sich fragen - sollen die Arbeitszeitvorschriften zugute kommen? So hat denn auch schon O. Bühler "Arbeiterschutzbestimmungen" ausdrücklich bescheinigt, dem Schutz von Individualinteressen zu dienen.61 Danach erschiene ein Arbeitnehmer z.B. als berechtigt, gegen die behördliche Genehmigung einer Ausnahme vom Beschäftigungsverbot für Handelsgewerbe an Sonn- und Feiertagen gem. § 105 e Abs. 1 i.V.m. § 105 b Abs. 1 S. 1 GewO vorzugehen.62 Ähnliches gilt für die Frage, ob der einzelne Arbeitnehmer bei Wechselschicht einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einführung von Kurzpausen i.S.d. § 12 Abs. 2 S. 3, Hs. 2 AZO hat. 63 Sechstes Beispiel• Will ein Haushalts-Stromabnehmer die Genehmigung von Preiserhöhungen zugunsten des Energieversorgungsunternehmens abwehren, ließe sich bei unvoreingenommener Zugrundelegung des Interessenschutz-
60
U.v. 6.3.1987 - 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 f. S. hierau krit. C.VI.8.b.aa sowie unter dem Aspekt der Mittelbarkeits-Doktrin C.I.3. 61 Vgl. O. Biihler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44: Die "Arbeiterschutzbestimmungen" haben "die Wirkung ..., jedem einzelnen der von ihnen betroffenen Arbeiter und Arbeiterinnen nicht zu lange Arbeitszeit zu sichern. Das Resultat und auch der Zweck derselben ist also der Schutz von Individualinteressen ..." Ob dagegen auch das Rechtsmachtelement erfüllt und damit ein subjektives öffentliches Recht anzunehmen ist, bezeichnet O. Bühler als "zweifelhaft" und neigt wohl dazu, dies auszuschließen (ibid., S. 44, 55). In der Sache handelt es sich um einen multipolaren Konfliktfall; daher ist es von um so größerem Interesse, daß die von O. Biihler angesprochene "Präsumtion" für die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechts ihn hier nicht zur Annahme eines solchen veranlaßt. Wenn diese "jedenfalls" (S. 55) in den Fallen Anwendung finden soll, in denen das Gesetz "der Behörde ein Verhalten dem geschützten Interessenten selber gegenüber vorschreibt", also bei bipolaren Beziehungen, dann deutet dies darauf hin, daß sie in den multipolaren Konfliktlagen (denen die Ausführungen bei O. Biihler, ibid., S. 52, zugeordnet werden können) offenbar auch für möglich gehalten werden; bedauerlicherweise wird dieser Gedanke nicht weiter gefuhrt. 62
S. C.VI.lO.a. S. in der Konstellation einer Gestaltungsabwehr OVG Münster, U.v. 25.5.1984 - 4 A 1334/82, Ausfertigung, S. 4: Zweck der Kurzpausenregelung sei es auch, den Arbeitnehmer "vor einer Gesundheitsschadigung zu schützen". 63
I V . 1. Die bipolare Prägung der Schutznormtheorie
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kriteriums kaum leugnen, daß § 12 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1, 1. tiret BTO Bit 1990 den Schutz auch seiner Interessen bezweckt.64 Hiernach muß die Genehmigung auch die Zielsetzung einer preisgünstigen Versorgung berücksichtigen. Siebtes Beispiel: Wenn Art. 33 Abs. 2 GG, §§ 8 Abs. 1 S. 2, 23 BBG bzw. die entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze das Prinzip der Bestenauslese gewährleisten, läßt sich daraus schließen, daß hiermit Chancengleichheit und Zugangsinteresse jedes einzelnen Bewerbers geschützt werden sollen. Daß ein entsprechendes subjektives öffentliches Recht bei Ernennung eines Konkurrenten jedoch untergeht, kann anhand der Interessenschutzformel nicht erklärt werden; ebensowenig ist sie auf Grund ihrer Bipolarität in der Lage, die (sachliche) Überprüfung der Auswahlentscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung vor einer solchen Ernennung zu rechtfertigen. 65 Diese Beispiele, die sich ohne Mühe erweitern ließen, belegen, daß die Interessenschutzformel in ihrer bipolaren Ausrichtung auf den von der Norm bezweckten Schutz des (isolierten) einzelnen im Verhältnis zum Staat die Rechtszuweisung im Horizontalverhältnis der privaten Konfliktgegner 66 nicht zu erfassen vermag. 67 Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß die Schutznormtheorie auch in den genannten Beispielsfallen durchaus anwendbar sei, da der von ihr gemeinte Interessenschutz des einzelnen eben nicht vorliege, wenn dieser nur als Teil der Allgemeinheit erscheine. Hiermit wäre man nur wieder bei der Problematik der Abgrenzbarkeit angelangt, die ihrerseits als Ausdruck der Bipolarität und damit als ein Spezialfall der Separations-Doktrin gekennzeichnet wurde. 68 Die Dichotomie zwischen einem drittgeschützten einzelnen einerseits und der Allgemeinheit andererseits, als deren (bloßer) Teil er keinen
Im Ergebnis zu Recht Drittschutz verneinend Knöchel, Preisaufsicht, S. 158, der freilich § 7 Abs. 1 EnWG als Ermachtigungsgrundlage zugrunde legt und die Interessenschutzformel anwendet. 65 Vgl. insoweit zur Separations- und Rechtsuntergangs-Doktrin C.1.1. und 4; zur Rechtsbestandigkeit der Ernennung C.Vin.5.a. 66 S.o. C.n.l.a. 67 Demgegenüber trägt nach Löwer, DVB1. 1981, 528 (533), die Schutznormtheorie der Tatsache Rechnung, "daß eine eindimensional auf den Nachbarn fixierte Blickrichtung der rechtlichen Zweipoligkeit des Verwaltungsaktes mit Drittwirkung nicht gerecht würde"; sie sei in der Lage, "einerseits berechtigtes Vertrauen des Adressaten in den Bestand des Verwaltungsaktes zu schützen und andererseits zugleich zu verhindern, daß ein Dritter dort in seinen Rechten verletzt wird, wo die Rechtsordnung die Rechtsbeeinträchtigung gerade des Dritten ausdrücklich verbietet, also die Interessenzuordnung von Begünstigung des einen und Belastung des anderen selbst vorgezeichnet hat"; so auch Berger, Nachbarklagen, S. 99. Wie die genannten Beispiele zeigen, kann dieser Würdigung der Schutznormtheorie nicht gefolgt werden. 68 S.o. C.I.2. 15 Schmidt-Preuß
C . I V . Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
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Drittschutz genießen soll, spiegelt das bipolare Staat-Bürger-Verhältnis wider. Die Fragestellung, ob der Bürger "als einzelner*' oder nur als Teil der Allgemeinheit geschützt sei, läßt die multipolare Problematik außer Acht. Im übrigen ist diese Alternative ohnehin nicht plausibel, da drittschützende Normen - vom Ausnahmefall des Maßnahmegesetzes abgesehen69 - abstrakt-generell sind und deshalb nie "den" einzelnen schützen.70 Der Kern des Problems liegt denn auch nicht darin, wie die Ungenauigkeit des Begriffes des geschützten einzelnen in seinem Verhältnis zur Allgemeinheit etwa sprachlich präziser abgegrenzt werden kann. Vielmehr steht der Bewältigung des subjektiv-rechtlich verfaßten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen die bipolare Prägung der Interessenschutzformel im Wege. Dies führt zur Frage nach ihrer Struktur im einzelnen, der im folgenden näher nachzugehen ist.
2. Die Bachofsche Vermutungsthese als Grundlage der eingliedrigen Interessenschutzformel a) Die Vermutung der Rechtsmacht O. Bühler hatte bekanntlich dann ein subjektives öffentliches Recht bejaht, wenn ein Rechtssatz "1. zwingenden Charakter trägt ..., 2. zugunsten bestimmter Personen ... zur Befriedigimg ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen ist, und wenn er 3. im Interesse dieser Personen mit der Wirkung erlassen ist, daß sie sich auf ihn sollen berufen, mittels desselben ein bestimmtes Verhalten von der Verwaltungsbehörde sollen herbeiführen können".71 Von diesen drei Elementen ist in der eingliedrigen Interessenschutzformel der Schutznormtheorie, wie sie heute Allgemeingut ist, nur noch das zweite Merkmal übrig geblieben. Dies ist die Folge davon, daß es Bachof gelang, die Bühlersche Formel an die Erfordernisse des GG anzupassen. Das (erste) Element des zwingenden Rechtssatzes erwies sich deshalb als entbehrlich, weil auch eine Ermessensvorschrift in der Statuierung der Ermessensgrenzen zwingender Natur ist72 und insoweit einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung begründen kann. 73 Darauf ist an dieser Stelle nicht
69
Vgl. C.V.l.a.aa. S. auch W. Schmidt, Staats- und Verwaltungsrecht, Rdnr. 255 Fn. 1: Bei dieser Unterscheidung könne es im Falle allgemein gefaßter Vorschriften (zugunsten aller gleich betroffenen Dritten) "nie zur Schutzwirkung für einzelne Dritte kommen". 71 Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21; vgl. zu den einzelnen Elementen S. 21 ff., 42 ff., 47 ff., sowie zusammenfassend S. 224; bestätigend ders., in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 269 (275 ff.). 72 S. Bachofi GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (295). 73 Vgl. Bachof, WDStRL 12 (1954), 37 (76). 70
IV.2.Bachofsche Vermutungsthese und Interessenschutzformel
199
weiter einzugehen.74 Von zentraler Bedeutung ist hingegen das Zurücktreten des - die Rechtsmacht betreffenden - dritten Kriteriums. 7 5 A u f der Grundlage des Bühlersch&n Konzepts schloß Bachof Anfang der 50er Jahre i m Wege einer Vermutung vom zweiten Merkmal auf das dritte, also von der (mindestens auch) bezweckten Individualbegünstigung auf die Rechtsmacht. 76 Dies führte ihn zu der bahnbrechenden These, daß "alle durch das öffentliche Recht objektivrechtlich geschützten Interessen echte Berechtigungen des Begünstigten, subjektive Rechte i m Sinne einer zustehenden Willensmacht, sind". 77 Zur Begründung der Vermutung hatte sich Bachof zunächst auf Art. 19 Abs. 4 G G 7 8 gestützt, u m diesen Ansatz aber später zu erweitern: Danach sollte "zwar nicht aus Art. 19 I V allein, wohl aber aus der Gesamtkonzeption des GG mit seinem Bekenntnis zum Primat der menschlichen Persönlichkeit und der menschlichen Freiheit, zu ihrem Vorrang vor den Staatsinteressen, mit seiner Sozialstaatserklärung, sowie schließlich mit seiner Tendenz einer durchgängigen Beschränkung und Kontrolle
74
S.u. C.V.2.a. Inhaltlich bleibt dieses dritte Merkmal bei O. Bühler (Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47 ff.) vergleichsweise blaß. Wie die von ihm genannten Beispiele zeigen, schließt er im wesenUichen von verfahrensrechtlichen Beteiligungsrechten auf die Rechtsmacht (ibid., S. 49 ff.; dagegen oben C.m.4), ohne dagegen eigenständige materiell-rechtliche Kriterien zu entwickeln, s. z.B. S. 52 für das Baurecht, ferner S. 347 (zum Dispens) und S. 437 ff., 448, wo sich Bühler für das Erfordernis einer materiellen "Beteiligung" ausspricht; S. 54 für das Arbeitsschutzrecht; S. 53 für das klassische Schutzzollbeispiel. 76 Dabei versteht er es in dem Sinne, daß die Rechtsmacht nicht meffektuierbar m, sondern "interzonal derrechtlichenPosition zu eigen ist", Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (300) Fn. 51 (kurs. i.O.). Deshalb kann ihm ein Zirkelschluß in Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 4 GG (Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, 3 f.: "Tautologie") nicht voigeworfen werden; vgl. auch Lorenz, Rechtsschutz, S. 56 mit Fn. 6; Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 U 3 c ß und y (S. 536 f.): unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Eigenständigkeit des Rechtsmachtelements, sowie ders., NVwZ 1988, 127 (129), dazu aber krit. Fn. 81; s. auch Rott, Recht, S. 65. Anders vom Standpunkt der Trennung von Status und subjektivem öffentlichem Recht Rupp, Grundfragen, S. 170 f. - Zur Problematik der Klagbarkeit als Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts s. auch Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 187, sowie schon Thoma, HdbDStR II, S. 607 (619 f.), und G. Jeüinek, System, S. 70 f.; vgl. unter diesem Aspekt dezidieit Nawiasky, Rechtslehre, S. 159: Entscheidend sei, daß eine "Zwangssanktion zur Verfugung eines Subjektes" gestellt sei. 77 Bachof WDStRL 12 (1954), S. 37 (73); vgl. auch O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 55: Es sei "jedenfalls ... in all den Fällen, in denen die zwingende Rechtsnorm der Behörde ein Verhalten dem geschützten Interessenten selber gegenüber vorschreibt, davon auszugehen, daß der Interessent sich auf diese Norm der Verwaltung gegenüber soll berufen können". S. auch Fn. 61 und 135. 78 Anders als die Prozeßrechtsordnungen sei Art. 19 Abs. 4 GG nicht so zu verstehen, daß "ein außerhalb seiner selbst begründetes subjektiven Recht verlangt" wird, sondern so, daß "dem Interessenten die bisher vielleicht fehlende Willensmacht" verliehen und ein subjektives Recht eingeräumt wird, Bachof, Vornahmeklage, S. 84 f. (kurs. i.O.). 75
C.IV. Interesse nschutzformel und multipolare Konfliktsituation
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staatlicher Machtäußerung, auf einen Rechtsschutz aller bislang nur objektivrechtlich geschützten Individualinteressen zu schließen" 79 sein. D a die Vermutung praktisch unwiderlegbar ist, 8 0 war dem RechtsmachtKriterium seine eigenständige Funktion genommen. 81 Damit hatte Bachof die Bühlersehe, aus drei Elementen bestehende Definition des subjektiven öffentlichen Rechts zur eingliedrigen Interessenschutzformel umgeformt, wie sie bis heute in der Rechtsprechung 82 absolut herrschend und in der Literatur - trotz der oben 83 geschilderten Kritik an der Schutznormtheorie - weithin anerkannt ist. 8 4 Das Merkmal der mindestens auch dem Interesse des einzelnen zu dienen
79
Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (301), kurs.i.O. Vgl. Bachof, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. II, 1963, S. 3 (11): Die gesetzlich gewollte Individualbegünstigung bedeute "stets auch die Rechtsmacht zur Durchfuhrung jenes objektiv-rechtlich geschützten Interesses". S. auch die Definition in Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323). Unter den von Bachof in bezug auf eine eventuelle Widerlegbarkeit der Vermutung erörterten Fallen ist unter multipolarem Vorzeichen nur die Thematik der Einräumung subjektiver Rechte an Ausländer einschlägig. Zwar hält es Bachof für möglich, daß sich der Staat Ausländern gegenüber auf objektiv-rechtliche Begünstigungen beschränkt, "ohne ihnen korrespondierende Rechte einzuräumen" (in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (306)). Dennoch müsse man "erwägen ..., ob und inwieweit gewisse grundlegende rechtsstaatliche Gewährleistungen nicht auch auf Ausländer angewandt und diesen echte Rechte auf Einhaltung jener Gewährleistungen zuerkannt werden müssen". Dem ist zuzustimmen; s. hierzu unter B.U.2.d.bb und C.Vn.3. 80
81
S. Bachof, Vornahmeklage, S. 85: Die Frage, "ob der Interessent, wenn sein Interesse als durch einen Rechtssatz geschützt anzuerkennen ist, auch die Willensmacht zur Geltendmachung dieses Interesses habe, wird man heute als ein für alle Male beantwortet anzusehen haben". Vgl. Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 72 zu § 40: Das Rechtsmachtelement sei "heute durchweg ohne praktische Bedeutung", s. auch Rdnr. 15 zu § 50. Dagegen will Sachs, BayVBl. 1986, 193 (194); ders., NVwZ 1988, 127 129); Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 n 3 c y,6 (S. 538 f.), an dem dogmatischen Erfordernis der Rechtsmacht als solchem festhalten. Dabei beruft er sich u.a. auf BVerwG, U.v. 13.11.1984 - 2 C 74.81, ZBR 1985, 108 r.Sp., und § 7 S. 1 Nr. 7 SonderurlaubsVO v. 18.8.1965 (BGBl. I S. 902); danach wird Sonderurlaub mittelbar auch im Interesse der Kirchen gewährt, ohne daß diesen aber ein subjektives öffentliches Recht zusteht. Die Eigenständigkeit des Rechtsmachtelements folgt daraus jedoch nicht, da Sonderurlaub als höchstpersönliches Recht von vornherein ohnehin nur zugunsten des Beamten selbst in Betracht kommt, so daß ein subjektives öffentliches Recht der Kirchen bereits aus diesem Grund nicht bestehen kann. Die Problematik, daß eine nach Maßgabe der Interessenschutzformel bestehende Begünstigung mangels Rechtsmacht nicht zum Recht erstarken kann, stellt sich damit nicht. 82 S. Fn. 18 sowie unter dem Aspekt der Vermutung BVerfG, B.v. 5.2.1963 - 2 BvR 21/60, E 15, 275 (281 f.); B.v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65, E 27, 297 (308), jeweils unter ausdiücklicher Berufung auf Bachof; BVerwG, U.v. 21.10.1986 - 1 C 44/84, NJW 1987, 856 (857). 83 C.IV.l.b.
84 S. Fn. 19. Zum Stellenwert des Rechtsmacht-Kriteriums Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Rdnr. 118 zu Art. 19 Abs. IV (Rechtsmacht als Inhaltsbestimmung); Schenke, Bonner Kommentar, Rdnr. 288 f. zu Art. 19 Abs. 4, der zwar für den rechtstheoretischen Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts das " Vorliegen eines Rechtsmachtelements unverzichtbar m (kurs. i.O nennt, aber - unter Bezugnahme auf Bachof - betont, daß es mit dem rechtlich geschützten Interesse "regelmäßig" einhergehe.
IV.2.Bachofsche Vermutungsthese und Interessenschutzformel
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bestimmten Norm war somit zum archimedischen Punkt der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts geworden. Eine besondere Ausprägung, um der Problematik von Drittschutzfallen Rechnung zu tragen, war nicht vorgesehen. Die Rechtsprechung praktiziert denn auch seit jeher in multipolaren Konfliktlagen - in jüngster Zeit sogar wieder starker hervortretend - die eingliedrige Interessenschutzformel mit Selbstverständlichkeit.85
b) Die Evidenz der Vermutungsthese im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis Tragendes Fundament der Bachoßchen Vermutungsthese ist die "Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des Einzelnen zum Staat".86 Vermutungsbasis ist dabei die Staat-Bürger-Relation. 87 Soweit es um die Abwehr von Eingriffen in Freiheitsrechte des einzelnen geht, soll die Maxime gelten, daß die "Freiheit ... niemals bloßer Reflex objektiven Rechts sein"88 dürfe. Was staatliche "Leistungen" angeht, wäre - so Bachof 89 - der einzelne "bloßes Objekt* > wenn der Staat zwar Vergünstigungen einräumen würde, sie aber "nach seinem Belieben zu bloßen Reflexen objektiven Rechts erklären" kramte. Die Evidenz des Schlusses von der gewollten Individualbegünstigung auf die Rechtsmacht im Wege der "Vermutung" ergibt sich damit aus der Stellung des einzelnen zum Staa? 0, also aus dem Blickwinkel des "Staat-Bürger-Veibältnisses
85
Vgl. BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194), zum versorgungsrechtlichen Konflikt; BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp., zu § 8 Abs. 2 PflVG; BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (344); •• «uch BVerwG, U.v. 6.3.1987, 8 C 1.85, NJW 1987, 2829 (2830 l.Sp.), wo zwar im Hinblick auf § 7 Abs. 1 S. 1, Hs. 2 WoBindG vom "berechtigt interessierten Dritten" (Mieter bzw. Wohnungssuchenden) die Rede ist, eine subjektive Berechtigung aber verneint wird, weil die Begünstigung nur "mittelbar" wirke. Die Begründung überzeugt freilich nicht: Auf die Adressatenstellung kommt es ebenso wenig wie auf eine Verfahrensposition (krit. C.I.3) oder die "Unmittelbarkeit" einer Belastung an; auch hier wird deutlich, daß die Interessenschutzformel den multipolaren Konflikt nicht bewältigen kann. S. ferner BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (230), mit der Trennung von drittschützender Kostenmiete und Genehmigungsvorbehalt; s. dazu krit. C.VI.8.a. Wenn der VGH Mannheim, U.v. 9.10.1989 - DVB1. 1990, 60 (61), von der "Rechtsmacht" des einzelnen spricht, dann ist damit der Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts gemeint, nicht aber ein Element seiner Voraussetzungen. 86 Wotf/Bachof VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322). 87 Zu dieser schon oben A.I.l.a. 88 Bachof; in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (301). 89 Ibid., S. 302; s. auch den., WDStRL 12 (1954), 37 (73 f.). 90 Vgl. Bachof in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (306): "Verhältnis des Staates zum einzelnen"; ders., WDStRL30 (1972), 193 (206): "... veränderte Sicht des Staat-Bürger-Verhältnisse8 (Subjektstellung, nicht mehr Objektstellung des Bürgers)".
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
202
(Subjektstellung, nicht mehr Objektstellung des Bürgers)". 91 Die grundgesetzliche Wertung dieses bipolaren Verhältnisses macht den Vermutungsinfcz/f aus. Dies wird besonders deutlich am Fürsorge-Urteil des BVerwG vom 24.6.1954. 92 Hier ging es um Existenz und persönliche Würde des Fürsorgebedürftigen in der Staat-Bürger-Relation. Die Vermutung 93 eines subjektiven öffentlichen Rechts bezog ihre Evidenz daraus, daß die Verweigerung der Leistung den einzelnen in seiner existentiellen Hilfsbedürftigkeit traf. Insoweit kann er in der Tat nicht darauf verwiesen werden, daß der Staat nur objektivrechtlich verpflichtet sei. Ebenso evident ist die Vermutung, wenn es um die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einbürgerungsbegehren gem. § 8 RuStAG geht.94 Im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis kann daher mit rechtslegitimierender Evidenz vom normintendierten Interessenschutz auf die Rechtsmacht als "drittem" Element der Bühlersdhen Formel und somit auf das subjektive öffentliche Recht geschlossen werden. In dieser Hinsicht ist die Vermutungsthese von uneingeschränkter Bedeutung und Aktualität.93 Dem steht auch nicht entgegen, daß Art. 19 Abs. 4 GG - eines der von Bachof genannten Begründungselemente der Vermutungsthese - selbst keine
91
Bachof; WDStRL 30 (1972), 193 (206). BVerwG, U.v. 24.6.1954 - V C 78.54, E 1, 159 (160 ff.); maßgeblich für die Entscheidung war die "Auffassung über das Verhältnis des Menschen zum Staat: Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. Darum darf er in der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handelns sein" (S. 161); s. unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung auch BVerwG, U.v. 16.9.1980 - 1 C 89.79, E 61, 40 (42). Vgl. zur Problematik des Fürsorgerechts bereits O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 51, der insoweit vom "Verhalten des Staats 211 dem geschützten Privaten selber" spricht und eine "Präsumtion" zugunsten eines subjektiven öffentlichen Rechts angenommen hätte, wenn nicht das seinerzeitige Recht einen solchen Anspruch ausgeschlossen hätte. 93 So Bachof; VerfR I, S. 10. 94 BVerwG, U.v. 21.10.1986 - 1 C 44.84, NJW 1987, 856 (857). 95 S. Schmidt-Aßmarm, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 145 zu Art. 19 Abs. IV (für bipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse); Menger/Erichsen y VerwArch. 61 (1970), 274 (289), stimmen Bachof zu; dagegen grds. abl. Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (543). - In bipolarer Hinsicht s. schon O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 54: "Präsumtion für die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechts ..., wenn ein Gesetz zwingend und zum Schutz von Individualinteressen erlassen ist, weil das Nächstliegende doch ist, daß Wahrer der geschützten Interessen der Interessent selber sein soll". In der Sache beschränkt O. Bühler die Präsumtion aber auf die Fälle, in denen der "Interessent von selbst mit dem Staat in Berührung" (S. 51) kommt, also die bipolaren Staat-Bürger-Verhältnisse (s. schon oben Fn. 61). Im übrigen sei es "in jedem Fall ... auch möglich, daß der Gesetzgeber Ausnahmen hiervon macht". Damit bleibt es bei der Aussage, daß "jedenfalls ...in all den Fällen", in denen die Rechtsnorm der Behörde "ein Verhalten dem geschützten Interessenten selber gegenüber vorschreibt", davon auszugehen sei, daß "der Interessent sich auf diese Norm der Verwaltung gegenüber soll berufen können" (S. 55). 92
IV.2.Bachofsche Vermutungsthese und Interessenschutzformel
203
subjektiven öffentlichen Rechte gewährleistet, sondern diese voraussetzt.96 Diesem Bedeutungsgehalt des Art. 19 Abs. 4 GG läßt sich durchaus eine weitere allgemeine Funktion im Sinne Bachofe zur Seite stellen.97 Damit ist der Beitrag seiner Vermutungsansatz für die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts und die Rechtsstellung des einzelnen kaum zu überschätzen. Mit der Anerkennung der durchgängigen Subjektstellung des Individuums auf der Grundlage (gewollter) Begünstigungen98 war Bachof nicht weniger als die "' Subjektivierung' des Staat-Bürger-Verhältnisses " w gelungen. In anderem Licht erscheint die Vermutungsthese jedoch, wenn es um die Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen geht. Bevor dem nachgegangen wird, ist kurz auf einen weiteren Anwendungsbereich der Vermutung einzugehen, der die Bachoßche Konzeption vervollständigt.
c) Die Vermutung der gewollten Individualbegünstigung Wenn das Rechtsmacht-Kriterium der Biihlerschen Formel im Wege der unwiderleglich«! Vermutung im Bachofichen Konzept praktisch entfallt, kommt alles um so mehr darauf an, unter welchen Voraussetzungen die Interessenschutzformel bejaht werden kann. Zur Bestimmung der (zumindest auch) den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmten Rechtsnorm wendet Bachof was bislang weniger Aufmerksamkeit gefunden hat - ebenfalls die Vermutung an. Es geht dabei um die Grenzziehung zwischen bloß faktischer (zufalliger) Begünstigung und dem gewollten Schutz eines Individualinteresses,100 also um die Unterscheidung zwischen rein tatsächlichen (ungewollten) und beabsichtigten Reflexen. 101 Letztere sollen bei Schutzwürdigkeit kraft Vermutung zu geschützten Interessen werden. Auf dieser - dem Rechtsmachtkriterium vorgelagerten - Stufe bedeutet die Vermutung, daß "ein Rechtssatz, der einem Interesse faktisch zugute kommt, diesem Interesse auch zugute kommen, es schützen soll, sofern es als rechtsschutzvvtf/rög zu erachten ist". 102 Obschon
96
S. BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 f.). S. Bachof, Vornahmeklage, S. 85. 98 S. Wolff/Bachof VerwR I, § 43 I b 2 s (S. 323). 99 Bachof in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. H, 1963, S. 3 (11). 100 Dieses wird als "unmittelbares Eigeninteresse" (Wolff/Bachof VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322)) bezeichnet; es kehrt allerdings nicht in der Formel auf S. 323 wieder: "nicht nur tatsachlich begünstigt wird, sondern auch begünstigt werden soll". S. auch Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 60; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 158; sowie unten C.VI.7.a mit Fn. 635. 101 Vgl. Bachof in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (299); Wolff/Bachof VerwR I, § 43 I b 1 (S. 321 f.). 102 Bachof in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (296), kurs. i.O; s. auch Bachof DVB1. 97
204
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
grundsätzlich die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit von Interessen dem Gesetzgeber zustehe, sei i m Wege der Vermutung von einem rechtlich geschützten Interesse auszugehen, "wenn ein faktisch begünstigtes Interesse ... nach allgemeiner Auffassung als schutzwürdig angesehen w i r d " . 1 0 3 Inhaltlich folgert Bachof 104 diese Vermutung auch auf dieser Stufe aus "der jeweiligen Verfassungsordnung . . . , und hier wieder insbesondere ihrer Sicht des Verhältnisses von Mensch und Staat, wie sie i m Grundgesetz in der Betonung der Menschenwürde als des zentralen Wertes seiner Rechtsordnung einerseits, in der Sozialstaatserklärung andererseits zum Ausdruck gelangt ist". V o r diesem Hintergrund hat Bachof z.B. in kritischer Würdigung des Bandsäge-Urteils des B V e r w G 1 0 5 aus der Schutzfoedürftigkeit gewichtiger Individualinteressen i m Hinblick auf das "Menschenbild des Grundgesetzes" und das Verhältnis von "Staat und Bürger" darauf geschlossen, "daß die Ermächtigung der Polizei zum Tätigwerden auch dem Schutz dieser Interessen z u dienen bes t i m m t i s t " . 1 0 6 Vermutungs/nfaz/i ist damit genau die "Gesamtsicht des Grundgesetzes v o m Einzelnen zum Staat", 1 0 7 deren Bedeutung auf der Ebene des Rechtsmacht-Kriteriums vorstehend dargestellt wurde. 1 0 8 Damit gilt das dort zu Evidenz und Legitimationswirkung Ausgeführte hier entsprechend. 1961, 128 (130): Anknüpfung an die Schutzbedürftigkeit. Vgl. ferner Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 45, 347. 103 Bachof; in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (296), kurs. i.O.; so nicht wiederholt in Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322 f.). S. auch schon O. BOhler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. S. 45, wonach "im Zweifel wohl anzunehmen" sei, daß ein Rechtssatz, der "faktisch Individualinteressen zugute kommt, mindestens dann, wenn dies ohne weiteres vorauszusehen war, auch den Zweck hat, ihnen zu dienen". Vielfach wird es allerdings gerade in den strittigen Fallen an einer Voraussehbarkeit in diesem Sinne fehlen. S. zur Schutzwürdigkeit auch Rupp, Grundfragen, S. 249. Dieses Merkmal taucht namentlich in der Rücksichtnahme-Doktrin des BVerwG auf, vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347); des weiteren Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40 zu Vorbem. zu den §§ 29 - 38. 104 In: GS f. W. Jellinek, S. 287 (297), kurs. i.O.; s. auch ders., DVB1. 1961, 128 (130). 105 U.v. 18.8.1960 - I C 42.59, E 11, 95 (98 ff.), sowie C.V.2.b.cc. 106 Bachof, DVB1. 1961, 128 (130), gespr. i.O. 107 Wolff/Bachof VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322). 108 Vgl. Bachof; DVB1. 1961, 128 (130); s. auch ders., in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. II, 1963, S. 3 (12 f.); ders., in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (296 f.). Zur Vennutuqgsthese auf dieser Stufe - unter Bezugnahme auf Bachof - Rupp, Grundfragen, S. 246 ff., bes. S. 248, wonach "geradezu eine 'Vermutung' dafür" spricht, "daß dann, wenn eine gesetzliche Regelung bestimmte Interessen, sei es im Wege einer Anerkennung, Einschränkung oder sonstigen Ausgestaltung, ausformt, die in Bezug genommenen Interessen mit dieser Ausformung einen rechtlichen status genießen". Damit baut auch der rechtliche "status", dessen Verletzung nach Rupp den Reaktionsanspruch als das subjektive öffentliche Recht erst auslöst (s. C.Vm.l.b), konzeptionell auf der Vermutungsthese auf. S. speziell zu Drittvornahmebegehren auf behördliches Einschreiten Rupp, ibid., S. 271 f.; ders., DVB1. 1982, 144 (147 f.); vgl. ferner Friauf, in: von Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, S. 201 (229); demgegenüber will Erichsen dem verfassungsrechtlichen Staat-Bürger-Verhältnis eine subjektivierende Vermutung nur auf der Stufe der Rechtsmacht zuerkennen, WDStRL 35 (1977), 171 (213, 215).
IV .3. Ziel multipolarer Fortentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts
3. Die Notwendigkeit
205
einer Anpassung der Voraussetzungen des subjektiven
öffentlichen
Rechts an die multipolare
Konfliktlage
a) Interessenschutzformel und Vermutung i n horizontaler Perspektive Wahrend die Vermutungsthese i m bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis zu der geschilderten Stärkung der Subjektstellung des einzelnen gegenüber dem Staat geführt hat, sieht sie sich ganz anderen Fragestellungen gegenüber, wenn es u m die Bewältigung muttipolarer Verdienst von Schmidt-Aßmann,
109
Konfliktlagen
geht Es ist insbesondere das
sich als erster unter dem Aspekt der M u l t i -
polarität mit der Vermutungsthese auseinandergesetzt zu haben. 1 1 0 Dabei hat er nachdrücklich auf ihre Problematik
"in mehrpoligen
Rechtsverhältnissen"
hingewiesen und die Frage gestellt, "für welchen der miteinander streitenden Bürger . . . eine solche Vermutung Platz greifen" 1 1 1 sollte. 1 1 2 D e m entspricht in
109 Erstmals WDStRL 34 (1976), 221 (236), mit dem Hinweis auf polygonale Rechtsverhältnisse, "in denen subjektive Rechte auch untereinander in Frontstellung stehen". S. ferner ders., Ordnungsidee, S. 23: beim "drei- und mehrpoligen Rechtsverhältnis" schwinde die "Eindeutigkeit der Ausrichtung, die Großzügigkeit des 'in dubio pro cive'"; dersin: Maunz/DQrig, Rdnr. 3, 144 zu Art. 19 Abs. IV; a. auch Rdnr. 124 in bezug auf die norminterne Wirkkraft der Grundrechte: "Sind an mehrpoligen Rechtsverhältnissen... einander widerstreitende Interessen beteiligt, die sich Grundrechten zuordnen lassen, so streitet keinerlei abstrakte Vermutung für eine Subjektivierung der einen Seite" (kurs. i.O.). Werde "ein grundrechtlich abgesichertes Interesse durch die Subjektivierung eines schwächeren Gegeninteresses ... um seine Verwirklichung gebracht", so stehe dies einer Subjektivierung - etwa im Sinne einer "uferlosen und undifferenzierten Ausmünzung" des § 34 BBauG zur nachbarschützenden Vorschrift - entgegen. Dem ist nachdrücklich zuzustimmen. 110 S. im übrigen aus der Diskussion der Vermutungsthese außerhalb der multipolaren Problematik einerseits abl. oder mit krit. Akzent Naumann, WDStRL 12 (1954), 114 (115): Kritik an der Formulieningsschärfe in praktischer Hinsicht; Bettermann, AöR 96 (1971), 528 (543), mit dem Vorwurf, eine so generell konzipierte Vermutung könne nicht die Drittachutzfrage für jedes einzelne Fachgesetz entbehrlich machen; Friattf, JurA 1969,3 (12): Vermutung sei nur Regel "für die (verfassungskonforme) Auslegung", nicht aber "Rechtserzeugungsregel"; Schmitt Glaeser, Mißbrauch, S. 56 Fn. 151; Scholz, Wirtachaftsaufeicht, S. 129 f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 H 3 5 (S. 537 f.); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 72 zu 5 40: Vorwurf "zu weitgehender Verallgemeinerung". Andererseits befürwortend Rupp, Grundfragen, S. 246; ders., DVB1. 1982, 144 (147 f.); Menger/Erichsen, VerwAreh. 61 (1970), 274 (289); Erichsen, WDStRL 35 (1977), 171 (215): für Anwendung auf der Ebene der Rechtamacht; Forsthoff; Verwaltungarecht, S. 187; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr.274; Ress, in: Ermacora/Winkler/Koja/Rill/Funk (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 105 (121 ff.); Kopp, VwGO, Rdnr. 48, 48 a (hier bereits aus "Pflichten der Behörde" auf das Recht schließend), 68 zu 5 42; von Mutius, VerwAreh. 69 (1978), 103 (106 f.); Zuleeg, DVB1. 1976, 509 (519): für den Bereich des status positivus unter Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip. 111 Schmdx-Aßmcnx, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 3 zu Art. 19 Abs. IV. Dem hat er in prozessua-
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
206
grundrechtlicher Hinsicht die Feststellung von Isensee, 113 die Formel des in dubio pro libertate sei "nur anwendbar auf ein bipolares Spannungsverhältnis ¿wischen einem Grundrechtssubjekt ... und dem Staat", nicht aber dort, "wo die grundrechtlichen Beziehungen polygonal ausdifferenziert sind". Diese Diagnose erweist sich als richtig. In multipolaren Konfliktlagen geht die Verwirklichung der Privatinteressen des einen notwendig zu Lasten des anderen.114 Dies gilt fur kehrseitige Konflikte, in denen es zur Kollision privater Gestaltungs- und Verschonungsinteressen kommt, wie fur wechselbezügliche Konstellationen, die durch den Kampf der Konkurrenten um (zu) knappe Kapazitäten gekennzeichnet sind. In diesem Sinne kollidieren Genehmigungsanspruch und Genehmigungsabwehranspruch115 bzw. - im Rahmen kapazitätsbezogener Verteilungs- und Auswahlentscheidungen - konkurrierende Zugangsansprüche.116 In der multipolaren Fallkonstellation berufen sich die Konfliktgegner zur Begründung ihrer kollidierenden Privatinteressen auf dieselbe Norm. Wie anhand der obigen117 Beispiele dargelegt, kann in diesen Fällen das Kriterium der zumindest auch geschützten Interessen des einzelnen gerade dort kaum verneint werden, wo nach weithin vertretener Auffassung gleichwohl Drittschutz zu verneinen ist; in diesen Fällen dagegen die Begünstigung nur als zufallige Nebenfolge anzusehen, würde der normativen Konfliktschlichtung kaum entsprechen, da das Gesetz durchaus - wenn auch nur objektiv-rechtlich - begünstigen will. Die Vermutung, die im bipolaren Staat-Bürger-Verhältnis ohne weiteres den subjektiv-rechtlichen Charakter gewollter Begünstigungen legiti-
ler Blickrichtung die Bemerkung hinzugefugt, daß die Vermutungsthese in "mehrpoligen Rechtsverhältnissen ... zu einer einseitigen Begünstigung dessen fuhrt, der gerade als erster den Prozeßrechtsweg beschreiten mochte", Rdnr. 144 (kurs. i.O.). 112 Im Anschluß an Schmidt-Aßmann ebenso gegen die Vermutungsthese "in mehrpoligen Rechtsverhaltnissen" Schmitt Glaeser, Verwakungsprozeß recht,Rdnr. 168; femer Wahl, JuS 1984, 577 (578). S. auch Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (65, 67 f.); Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200), mit der zutr. Bemerkung, daß sich die Rspr. des BVerfG (B.v. 5.2.1963 - 2 BvR 21/60, E 15, 275 (281 f.) sowie B.v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65, E 27, 297 (307)) nicht auf "Dreiecksverhaltnisse" übertragen lasse; daher erscheint die Bezugnahme auf diese Judikatur in BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (128), als nicht gerechtfertigt. Entsprechendes gilt für BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp., zur Tarifgenehmigung gem. § 8 PflVG; s. hierzu Fn. 121. Abzulehnen ist vor diesem Hintergrund Mayer-Tasch, NuR 1991, 153 (158): Daß "objektives Umweltrecht im subjektiv-öffentlichen Interesse eines jeden einzelnen Rechtssubjekts erlassen worden ist", müsse ... "unwiderlegbar vermutet werden", was sich aus der "sozioökologischen Situation" ergeben soll. 1,3
Sicherheit, S. 47.
114
Vgl. A . I . l . a - c , ffl; C.Ü.2.
115
Zu dieser multipolaren Gnindkonstellation s. Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8); dazu im einzelnen A . m . l sowie A.I.l.d. 116 Vgl. hier nur Berg, Der Staat 15 (1976), 1 (18); s. im einzelnen A.m.2 sowie A.I.l.d. 117
C.IV.l.c.
IV.3. Ziel multipolarer Fortentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts
207
miert, würde in den Fällen des Streits zwischen Privaten dazu führen, daß sich m alle beteiligten Privatpersonen auf ihr gutes Recht stützen"118 könnten. Entgegen der Rechtszuweisung des Konfliktschlichtungsprogramms würde dies weithin zu subjektiv-rechtlichen Drittposition führen, obwohl der Wermutungsinhalt nicht am Ausgleich kollidierender Privatinteressen, sondern an der bipolaren Staat-Bürger-Relation orientiert ist. Eine an ihr ausgerichtete Legitimationswiikung vermag daher die Subjektivierung in multipolaren Konfliktlagen nicht zu begründen. Dies mögen drei Beispiele aus der Rechtsprechung verdeutlichen. 119 So wird der bipolare Charakter der Vermutung im schon erwähnten Beschluß des OVG Lüneburg vom 21.4.1986 120 deutlich, in dem das Gericht § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG im Wege verfassungskonformer Auslegung als (auch) drittschützend angesehen hat. Das Gericht entnimmt die Rechtsmacht aus Art. 19 Abs. 4 GG - der frühen Variante der BachoJsehen Vermutungsthese entsprechend, ohne sich allerdings auf ihn zu bezidien - und stellt zusätzlich fest, daß überall dort, "wo eine Norm grundrechtlich geschützte Positionen eines bestimmbaren Kreises von Dritten berührt, ... im Zweifel die Annahme des auch - drittschützenden Charakters einer Norm geboten" sei. Daß es sich hierbei um einen Fall kollidierender Privatinteressen handelt, bleibt unberücksichtigt. Die gegenläufigen Interessen des Transportunternehmers, der sich bei der Verteidigung seiner Genehmigung seinerseits auf die Ordnungsnorm berufen
118
Schmidl-Aßmann, EuGRZ 1988, 577 (585), kurs. i.O.
119
S. noch BVerwG, U.v. 3.11.1988 - 7 C 115/86, NJW 1989, 1495 (1498): Anwendung der Vermutungsthese im Hinblick auf § 5 Abs. 1 TVG mit der Folge eines subjektiven öffentlichen Rechts der den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklarung stellenden Tarifvertragspartei; freilich trat hier der multipolare Charakter nicht hervor, weil offensichtlich keine Konkurrenzgewerkschaft vorhanden war, s. dazu C.VI.lO.b. - In diesem Zusammenhang sei auch noch ein Beschluß des VGH Mannheim (B.v. 5.3.1971 - V I 87/71, DVB1. 1972, 586 (587 f.)) erwähnt, in dem die begrenzte Aussagekraft der Vermutungsthese zum Ausdruck kommt; in dieser Entscheidung zu einem Nachbarantrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einer Sperrzeit-Verfugung fuhrt das Gericht aus, es gehe bei § 80 Abs. 2 Nr. 4, Fall 2 VwGO "nicht um das Primat des Individuums vor dem Staatsinteresse", sondern "vielmehr um den Ausgleich gleichwertiger Interessen zweier Individuen im Bereich des öffentlichen Rechts, wobei der Behörde die Rolle eines 'Schiedsrichters' zufallt" (S. 588); wie Schmaltz (DVB1. 1972, 588 r.Sp.) zutreffend hervorhebt, läßt das Gericht zu Unrecht das dem Sofortvollzugsbegehren gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4, Fall 2 VwGO analog zugrunde liegende materielle Rechtsverhältnis außer Acht und stößt auf diese Weise zu der eigentlich entscheidenden materiell-rechtlichen Frage nicht mehr vor. - S. schließlich noch VGH München, U.v. 20.2.1961 - Nr. 80 VI 59, VerwRspr. 13 Nr. 158, S. 529 (530), wonach bei "einem Mietpreisbescheid mit Doppelwirkung der Beseitigung der Belastung in der Regel Vorrang vor der Aufrechterhaltung der Begünstigung zukommt" (kurs. v. Verf.). 120
7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (420); s. im Anschluß hieran auch VG Oldenburg, B.v. 17.9.1990 - 1 B 2435/90, Ausfertigung, S. 8, 13; vgl. zur Problematik Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (67 f)-> der Art. 19 Abs. 4 GG mit der h.M. keinerechtsbegründende Funktion zuerkennt; ebenso Kunig, NuR 1986, 212 (213).
208
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
kann, kommen nicht zu Sprache. Die Vermutung geht einseitig zugunsten des einen und zu Lasten des anderen. Derselbe Befund ergibt sich etwa anhand des zivilrechtsbezogenen Konflikts zwischen Versicherer und Versichertem in bezug auf die Genehmigung von Tariferhöhungen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gem. § 8 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 PflVG. Auf diese Norm werden sich Versicherungsnehmer ebenso wie Versicherer zur Begründung ihrer kollidierenden Privatinteressen stützen wollen. Wenn die 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG 121 in diesem Zusammenhang davon spricht, daß "im Zweifel diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug verdient, die dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumt," wird es der multipolaren Problematik nicht gerecht; wie oben122 dargelegt, ist es hier gerade die Frage, für welchen der privaten Konfliktgegner die Vermutung streiten soll. Im Gegenteil hätte sie sogar dafür sprechen können, dem Versicherungsnehmer den vom BVerwG 123 versagten Rechtsschutz zuzuerkennen. Schließlich sei noch auf den Versuch des VG Hamburg 124 hingewiesen, den drittschützenden Charakter von Art. 2 Abs. 2 EinleitungsG125 mit Hilfe der Vermutungsthese auf der Grundlage von Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Hier hätte es der Erklärung bedurft, warum die Vermutung einseitig zugunsten des Abwehrinteressenten und nicht (auch) des Genehmigungsinhabers ausschlagen soll. Das BVerwG 126 hat diesen Ansatz zu Recht nicht aufgegriffen.
b) Die begrenzte Legitimationswirkung der Vermutung in multipolaren Konfliktlagen aa) Damit zeigt sich, daß sich die Evidenz der Vermutungsthese nicht ohne weiteres auf multipolare Konfliktlagen erstreckt. 127 Hier geht die Stärkung der
121
B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp., wo es um eine multipolare Konfliktlage ging (Tarifgenehmigung nach § 8 PflVG); damit wird zur Vermutungsthese in BVerfG, B.v. 5.2.1963 - 2 BvR 21/60, E 15, 275 (282); ebenso BVerfG, B.v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65, E 27, 297 (307 f.); s. dazu oben C.IV.3.a. mit Fn. 112, zurückgekehrt. Im Gegensatz zum vorgenannten Kammerbeschluß ging es in diesen beiden Fällen allerdings um bipolare Streitigkeiten. Zur zwischenzeitlichen Praxis, auf den Subjektivierungs-Hinweis zu verzichten (s. BVerfG, B.v. 8.5.1979 - 2 BvR 782/78, E 51, 176 (185)), Schmidt-Aßmann y in: Maunz/Dürig, Rdnr. 143 zu Alt. 19 Abs. IV. 122 S.o. C.IV.l.c. 123 U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (148 ff.). 124 U.v. 11.4.1980 - VU 60/80, NuR 1980, 174 (176). 125
V. 11.2.1977 (BGBl, ü S. 165).
126
U.v. 1.12.1982 - 7 C 111.81, E 66, 307 (308 ff.); s. dazu B.H.2.a.bb.
127
Auch das von Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 351, 353, in die Diskussion eingeführte Schutzzoll-Beispiel offenbart die Ambivalenz des Interessenschutzkriteriums; vgl. einerseits O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 53, der hier den Interessenschutz
IV.3. Ziel multipolarer Fortentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts
209
Position des einen im Wege der Vermutung notwendig zu Lasten des privaten Konfliktgegners, der sich zur Begründung seiner Rechtsposition ebenso auf sie beruft, um zu seinen Gunsten den Schritt vom Interessenschutz zur Rechtsmacht zu legitimieren. Im Drittabwehrfall sieht sich z.B. der Genehmigungsinhaber nunmehr gezwungen, sein Recht gegenüber dem Angriff eines Dritten verteidigen zu müssen, obwohl weder die Vermutungsbasis noch der Vermutungsinhalt auf die multipolare Konfliktlage, d.h. die notwendige Ausbalancierung der Rechtszuweisung im Horizontalverhältnis, ausgerichtet ist. Wenn die Verwirklichung der Interessen des einen notwendig auf Kosten des anderen geht, kann eine Vermutung nicht die Interessen dieses anderen Privaten außer Acht lassen. Insoweit ist die Evidenz der Bachofsch&n Vermutungsthese in ihrer Orientierung am Staat-Bürger-Verhältnis begrenzt. Ihre Legitimationswirkung erstreckt sich auf das Verhältnis des einzelnen Bürgers zum Staat, nicht aber auf den Ausgleich kollidierender Privatinteressen. 128 In multipolaren Konfliktlagen kann nicht ohne weiteres aus der "Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des Einzelnen zum Staat"129 gefolgert werden, daß "im Zweifel diejenige Interpretation den Vorzug verdient, die dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumt". 130 Das hat der vorgenannte Kammerbeschluß des BVerfG vom 6.7.1989 131 nicht gewürdigt, wenn er in einem typischen zivilrechtsbezogenen Drittabwehrkonflikt ohne weiteres von der Vermutungsthese ausging. Demgegenüber muß hervorgehoben werden, daß bereits das verdienstvolle Urteil des BVerwG vom 14.6.1968 zu einem Fall kehrseitiger Multipolarität mit Recht auf die Implikationen multipolarer Konflikte hingewiesen hat, indem es gegen die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf der Grundlage der Vermutungsthese in einer Baunachbarstreitigkeit "Bedenken" erhoben und statt dessen in "einer solchen Fallgestaltung ... eine differenzierende Betrachtungsweise gegenüber den Normalfallen des Verhältnisses Bürger und
bejaht (und erst die Rechtsmacht verneint), andererseits Bachcf, GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (293), der ihn verneint. 128 Dies zeigt sich auch daran, daß die Begründung der Drittschutzrichtung der polizeilichen Generalklausel nur aus dem Verhältnis des (ein Einschreiten begehrenden) Nachbarn zum Staat hergeleitet wird, während die Gestaltungsinteressen des Emittenten nicht zur Sprache kommen; s. Bachoj\ DVB1. 1961, 128 (130); auch die Erwägungen zur Eingrenzung der objektiv-rechtlichen Verpflichtung der Polizei zum Einachreiten beziehen sich allein auf den Dritten ("Schwere der Verletzung", "Gewicht der Interessen des Verletzten"), ibid., S. 131. 129 Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 322). 130 So für eine bipolare Fallgestaltung BVerfG, B.v. 5.2.1963 - 2 BvR 21/60, E 15, 275 (282), unter Berufung nxtBachtf, DVB1. 1961, 128 (131). S. auch BVerfG, B.v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65, E 27, 297 (308), unter Berufung auf Bachcf, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (300, 304). S. zur Beschränkung der Rspr. auf das Staat-Bürger-Verhältnis auch den zutr. Hinweis bei Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200); ferner oben Fn. 112. 131 BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, B.v. 6.7.1989 - 1 BvR 290/87, NJW 1990, 2249 r.Sp.; zur Vorinstanz s. BVerwG, U.v. 25.11.1986 - 1 A 20.82, E 75, 147 (148 ff.).
C . I V . Interesenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
210
Staat im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG verlangt"132 hat. In der Tat ist hier so viel festzuhalten, daß eine Vermutung der notwendigen Balance der Rechtszuweisung im Horizontalverhältnis zwischen den Privaten Rechnung tragen muß, wenn sie ihre Legitimationswirkung auch in multipolaren Konfliktlagen entfalten soll.
bb) Entsprechendes gilt für das eingliedrige Interessenschutzkriterium, dessen Alleinstellung als Drittschutzvoraussetzung die Vermutungsthese begründet. In multipolaren Konfliktlagen ausschließlich danach zu entscheiden, ob eine Norm (zumindest auch) den Interessen eines einzelnen zu dienen bestimmt ist, 133 ließe die Interessen des Gegenspielers außer Acht. 134 Der gewollte Schutz der Interessen reicht in multipolaren Konfliktlagen für die Begründung eines subjektive öffentlichen Rechts deshalb nicht aus, weil dem der prinzipiell gleichermaßen bezweckte Schutz kollidierender Privatinteressen eines anderen entgegensteht.135 Erst die Abwägung der kollidierenden Privatinteressen nach Maßgabe des Konfliktschlichtungsprogramms der Ordnungsnorm kann Auskunft über die Zuweisung der Rechtsmacht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis geben. Insofern wurde von der anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Funktion des Horizontalverhältnisses zwischen den privaten Konfliktgegnern gesprochen.136
132
BVerwG, U.v. 14.6.1968 - IV C 44.66, NJW 1968, 2393 (2394). Zutr. hat es das BSG (U.v. 22.10.1986 - 9 a RVs 3/84, NJW 1987, 2462 r.Sp.) daher abgelehnt, aus Art. 19 Abs. 4 GG eine subjektive Berechtigung des Arbeitgebers gegenüber der versoigungsamtlichen Feststellung des Schweibehindertenstatus nach § § 1 , 3 Abs. 1 und 3 SchwbG 1979 ( = §§ 1 und 4 Abs. 1 und 3 SchwbG 1986) abzuleiten. Das BSG weist auf die "stärkere Rechtsstellung des Schwerbehinderten'' hin, die einer Klagebefugnis der Arbeitgeberin entgegenstehe. - Allerdings hat das BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 207/87, E 83, 182 (194 f.), in einer multipolaren Konfliktlage die Schutznormtheorie zugrunde gelegt. Zur Minderung eines rechtlich geschützten Interesses durch "Subjektivierung eines schwächeren Gegeninteresses" und die daraus folgende "Prozeßanfalligkeit" s. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 124 zu Art. 19 Abs. IV. 134 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 144 zu Art. 19 Abs. IV: In Fallen der Muhipolarität sei "ohne eine materielle Weitung aller beteiligten Interessen privater Inteiessenträger nicht auszukommen". 135 Bemerkenswerterweise hat bereits O. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 52, 55, seine oben in Fußnote 61, 92 und 95 erwähnte "Präsumtion" auch auf die Fälle bezogen, in denen "Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts wäre, daß der Berechtigte ein bestimmtes Verhalten D r i t t e n g e g e n ü b e r soll verlangen können" (S. 52, gespr. i.O.); wenn er hierzu namenUich § 16 GewO zählte und ihm ein subjektives öffentliches Recht des Anliegers entnahm, begründete er dies freilich allein mit verfahrensrechtlichen Beteiligungsrechten und der Möglichkeit der "Beschwerde", also gerade nicht aus der "Präsumtion". 136 S.o. C.D.2.a. 133
IV.3. Ziel multipolarer Fortentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts
211
c) Notwendigkeit der multipolaren Fortentwicklung des subjektiven öffentlichen Rechts Dagegen geht es bei der Bewältigung multipolarer Konflikte nicht um das Verhältnis des einzelnen in seiner (isolierten) Position gegenüber dem Staat, sondern um die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung auf der Grundlage verwaltungsrechtlicher Ordnungsnormen mit dem Staat als materiellem Pflichtsubjekt. Das subjektive öffentliche Recht ist hier - im Gegensatz zu den bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen - nicht durch die Interessen des einzelnen gegenüber dem Staat definiert, sondern maßgeblich durch den "horizontalen Konflikt zwischen zwei Privaten". 137 Die Ausgangshypothese der Arbeit, daß die bipolare Prägung des subjektiven öffentlichen Rechts 138 auf die multipolare Konfliktstruktur der Bürger-Bürger-Relation nicht zugeschnitten ist, hat sich in den vorstehenden Darlegungen bestätigt.139 Die Grundkomponenten des subjektiven öffentlichen Rechts - Interessenschutzformel und Vermutung - bedürfen somit einer Anpassung an die multipolare Konfliktlage. Grundlage wird dabei die verwaltungsrechtliche Ordnungsnorm und das in ihr enthaltene KonfliktsdiUditungsprogramm sein müssen. Vor dem Hintergrund der Ausfuhrungen zum Horizontalverhältnis zwischen den Privaten140 läßt sich sagen, daß dabei die anspruchsbegründende und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses als Basis des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis eine entscheidende Rolle spielen wird. Um eines der oben genannten Beispiele141 herauszugreifen: Der mangelnde Drittschutzcharakter von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG beruht
137
Wahl, in: Hoflmann-Riem/Schmkft-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, S. 283 (287), sowie im einzelnen A.I.l.a - c, C.H.l. 138 Vgl. die klassische Formulierung von G. Jelünek, System, S. 51, daß sich das subjektive öffentliche Recht "in der Beziehung des Individuums zum Staat erschöpft" und in ihm kein Moment enthalten sei, "welches unmittelbar ein Verhältnis zu anderen subjizierten Persönlichkeiten hervorrufen könnte". 139 S. Erichsen, in: Erichsen/Martens, Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 59), wonach sich die "Gegenüberstellung Staat - Individuum zu einem mindestens dreiseitigen ... Verhältnis unter Beteiligung einer Reihe von gegenläufigen Privatinteressen" entwickelt; Brohm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (252): Der "Notwendigkeit, mehrpolige, komplexe Beziehungen zu regeln, trägt das überkommene Verwaltungsrecht wenig Rechnung". S. auch Schmidt-Aßmaroi, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 3, 22, 124, 144 zu Art. 19 Abs. IV, sowie (Urs., DVB1. 1989, 533 (540); Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (55); Breuer, DVB1. 1986, 849 (854); Isensee, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 3 (S. 5 f.); Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3(14); s. insgesamt oben A.I.I., 3.a. 140 S. bes. C.H.2. 141 C .IV.I.e.
212
C.IV. Interessenschutzformel und multipolare Konfliktsituation
nicht darauf, daß nicht zumindest auch die Interessen eines Nachbarn im Verhältnis zum (genehmigenden) Staat geschützt werden sollten, sondern weil es an der für die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung erforderlichen normativen Zuordnung der kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinte essen fehlt. Bevor sich die Untersuchung damit den Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis im einzelnen zuwendet, sind zunächst noch einige Strukturprobleme der Ordnungsnorm zu klären.
V. Die Ordnungsnorm i . Strukturmerkmale
der Ordnungsnorm
a) Systematik und Funktion der Ordnungsnorm aa) Voraussetzung des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ist zunächst eine materielle Ordnungsnorm. Da dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber die Konfliktschlichtungsprärogative im Rahmen der Verfassung zusteht,1 kommt hierfür vor allem das einfache Gesetz in Betracht. 2 Dieses erfüllt mehrere Funktionen. Zum einen wird die Verwaltung je nach normativem Handlungsmodus strikt, im Ermessenswege oder unter Zuweisung von Beurteilungs- bzw. planungsrechtlichen Abwägungsspielräumen zum Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen durch streitschlichtenden Verwaltungsakt* ermächtigt und verpflichtet. Unter dem Aspekt materieller Pflichtsubjektivität des Staates läßt sich von "Verpflichtungsnorm" 4, im Hinblick auf das Mandat zur administrativen Streitschlichtung von "Handlungsnorm" 5 sprechen. Erfüllt die Ordnungsnorm die Voraussetzungen subjektivrechtlich verfaßter Konfliktschlichtung, ist sie aus der Sicht der privaten Konfliktgegner eine "Berechtigungsnorm".6 Sieht man einmal vom hier nicht weiter interessierenden Ausnahmefall des Maßnahmegesetzes7 ab, hat die Ordnungs-
1
S.o. B.I.l.a. Die "konfliktlosende Abgleichung gegenläufiger Interessen" durch das Gesetz beschreibt Lerche, in: Leiche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 97 (105 ff.); zur "Verantwortung" des Gesetzgebers "im Verfahren der Konfliktbewältigung" Schmitt Gtaeser, Die Verwaltung 14 (1981), 277 (289); zum Begriff des Konfliktachlichtungsprogramms s.o. A.I.l.c mit Fn. 45. 2 Keine Quelle subjektiver öffentlicher Rechte sind Präambeln von Staatsverträgen; vgl. z.B. für den Rundfunk-Staatsvertrag von 1987 Hartstein/Ring/Kreile y Kommentar zum Rundfunkstaatsvertrag, Rdnr. 19 zur Präambel; Lerche, AöR 115 (1990), 337 (339). 3 S.o. C.H.3. 4 Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (289, 299). 5 Bettermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 31 zu § 71; Rupp, in: FS f. Zeidler, 1987, S. 455 (462, 466). S. krit. zur Verwendung des Begriffs der Handlungsnorm in BVerwG, U.v. 15.12.1988 - 5 C 67.85, JZ 1989, 843 (846), oben C.H.3.a mit Fn. 130 sowie D.I. 6 Bachof, in: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (289). 7 Dazu Menger, WDStRL 15 (1957), 3 (18 ff.); Mößle, Regierungsfunktionen, S. 216 ff.; Roneüerfitsch, DÖV 1991, 771 (772 ff.). 16 Schmidt-Preuß
C.V. Die Ordnungsnorm
214
norm abstrakt-generellen* Charakter. Sie bedient sich typisierender Tatbestandsmerkmale unabhängig davon, ob sie konkret-empirischer oder abstrakter Auslegung bedarf. 9 Der Gesetzgeber kann im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 GG die Exekutive zur abgeleiteten Konfliktschlichtung durch Rechtsverordnung ermächtigen. Hierauf ist sogleich gesondert einzugehen. bb) Soweit die Grundrechte in ihrer norminternen Funktion zum Zuge kommen, bleibt die einfachgesetzliche Ordnungsnorm Quelle subjektiver öffentlicher Rechte.10 Nicht befriedigen kann insofern die vielfach zu beobachtende Praxis der Rechtsprechung, namentlich im Rahmen der Klagebefugnis Ansprüche kumulativ sowohl auf Vorschriften einfachen Rechts als auch auf Grundrechte zu stützen.11 Ausnahmsweise kommen Grundrechte in normexterner Funktion als Ordnungsnorm in Betracht, wenn entweder - wie weithin im Subventionsrecht bzw. im Kapazitätsrechtsstreit - eine einfachgesetzliche Regelung von vornherein nicht vorhanden ist oder den grundrechtlichen Mindeststandard definitiv verfehlt. 12 Zur Problematik einer gesetzgeberischen "Lücke", die das BVerwG im Ahaus-Urteil 13 verneint und der V G H Kassel14 im Hoechst-Beschluß angenommen hat, wird auf das bereits Ausgeführte verwiesen.15 cc) Für die gewohnheitsrechtliche Begründung subjektiver öffentlicher Rechte16 bleibt angesichts weitreichender Kodifizierungen kaum noch Raum. 17 8
S. BVerwG, U.v. 3.11.1988 - NJW 1989, 1495 (1496). S. noch C.VI.l.b.dd.
9
S. dazu oben C.m.6.a.
10
S.o. B.I.l.b.
11
Vgl. z.B. zu § 10 Abs. 3 S. 2 und 3 GüKG und Art. 12 GG VG Gießen, U.v. 20.4.1988 - n/1 E 7/86, Ausfertigung, S. 12; zu § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und Art. 2 Abs. 2 GG OVG Lüneburg, B.v. 23.3.1990 - 7 M 10/90, Ausfertigung, S. 14; zu § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG und Art. 2 Abs. 2 GG VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (137); zu § 8 Abs. 1 BG Nds. und Art. 33 Abs. 2 GG (als grundiechtsgleiches Recht) BVerwG, U.v. 25.8.1988 2 C 62.85, E 80, 127 (131); entspr. VGH Kassel, 12.10.1987, RiA 1989, 274 (276), zu § 8 Abs. 1 BG Hess, und Art. 33 Abs. 2 GG; zu § 5 Abs. 1 S. 1 TVG und Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG BVeiwG, U.v. 3.11.1988 - 7 C 115.86, NJW 1989, 1495 (1498). Zur Problematik im Rahmen der Klagebefugnis s. E.n.6. 12 Vgl. Bachof; WDStRL 33 (1975), 312 (313):"Selbstverständlich sind auch die Grundrechte - genauer: nicht auch, sondern sogar in erster Linie - ... Schutznormen." S. im einzelnen B.n.l.a. 13 U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (63 ff., 68 ff.). 14
B.v. 6.11.1989 - 8 TH 685/89, DVB1. 1990, 63 (64 ff.).
15
B.m.l.b.
16
Hierfür Kopp, VwGO, Rdnr. 43, 51 zu § 42; zur Problematik aber auch Ossenbühl, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 7 Rdnr. 72 ff., mit dem Hinweis, daß es in der Judikatur "beliebter" sei, "(lediglich) von allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts auszugehen" (Rdnr. 76). 17 In bipolarer Hinsicht ist der Aufopferungsgrundsatz von praktischer Bedeutung, s. Wolff/Bachof, VerwR I, § 61 1 a (S. 534).
V . l . Strukturmerkmale
215
In drittschutzrechtlicher Hinsicht ließe sich hier im wesentlichen der Folgenbeseitigungsanspruch nennen, der in § 3 des vom BVerfG für nichtig erklärten Staatshaftungsgesetzes eine einfachgesetzliche Ausprägung erfahren sollte. Seine multipolare Bedeutung wird etwa am Beispiel des Obdachlosenrechts deutlich, wenn man an das Begehren des Wohnungseigentümers denkt, nach Ablauf der Einweisungsfrist die Wohnung in geräumtem Zustand zu Lasten des sein Verbleiben erstrebenden Eingewiesenen zurückzuerhalten. Macht man mit der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Folgenbeseitigungsanspruchs ernst, schließt er die Befugnis der Verwaltung zum "Eingriff" gegenüber Dritten ein, so daß es darüber hinaus einer gesetzlichen Ermächtigung nicht bedarf. 18 Die Gegenmeinung fordert eine Ermächtigungsnorm, die sie freilich ohne weiteres in der polizei- bzw. ordnungsrechtlichen Generalklausel sieht, deren Ermessen insbesondere mit der Annahme einer Folgenbeseitigungslast eingegrenzt wird. 19 Von daher sind die praktischen Unterschiede geringer, als auf den ersten Blick vermutet werden kann. 20 Wo freilich der Gesetzgeber die Konfliktschlichtung an sich gezogen hat, wie dies z.B. in den bauordnungsiechtlichen Tatbeständen der Nutzungsuntersagung, Baueinstellung und Beseitigung (s. z.B. Art. 81 Abs. 1, 82 S. 1 und 2 BayBauO) der Fall ist, wird der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch verdrängt. 21
S. bereits Bachof, Vornahmeklage, S. 135, da sonst der rechtswidrig begünstigte Dritte in seinem unrechtmäßigen Besitzstand stärker geschützt wäre als der rechtswidrig Belastete in seinem rechtmäßigen Besitzstand; vgl. auch Wolff/Bachof, VerwR I, § 54 n h (S. 480); ebenso Schenke, DVB1. 1990, 328 (331 f.); Götz, VB1BW 1987, 424 (425); Horn, DÖV 1989, 976 (982). Dagegen für das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage Weyreuther, Gutachten für den 47. DJT, 1968, S. B 106 ff., 111; Knemeyer, JuS 1988, 696 (698), der zwar einen Folgenbeseitigungsanspruch annimmt, zu seiner "Realisierung ... gegenüber dem für den polizeirechtswidrigen Zustand Verantwortlichen" aber "nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes eine besondere gesetzliche Befugnis" für erforderlich hält; Kopp, VwGO, Rdnr. 39 zu § 113; zurückhaltender Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 38 (S. 273): Die polizeiliche Generalklausel komme "als letzte Möglichkeit" in Betracht; aus der Rspr. VGH Mannheim, B.v. 20.1.1987 - 1 S 2817/86, VB1BW 1987, 423 (424 f.); vgl. krit. unter dem Aspekt der Separations-Doktrin oben C.I Fn. 4; s. auch OVG Münster, U.v. 17.5.1983 - 7 A 330/81, NJW 1984, 883 f. 19
S. Weyreuther, Gutachten für den 47. DJT, 1968, S. B 116. Zutr. Wolff/Bachof, VerwR I, $ 54 h (S. 480); nach Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, § 37 2 b (S. 268 f.), besteht ein praktischer Unterschied zwischen beiden Auffassungen in der ermessensbedingten Flexibilität des polizeirechtlichen Ansatzes, während der Folgenbeaeitigungsanspruch strikter Natur sei. 21 Mit anderem Ansatz, aber gleichem Ergebnis Schenke, DVB1. 1990, 328 (336 f.), der einen Anspruch des Nachbarn auf Abbruch nach erfolgreich betriebener Aufhebung der Baugenehmigung als Folgenbeseitigungsanspruch bejaht und die Interessen des Bauherrn mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt. Das entspricht der hier vertretenen (ermessensbezogenen) multipolaren Abwägung. Im übrigen erreicht Schenke die Gleichbehandlung des Schwarzbaus durch eine entsprechende Reduzierung des Ermessens im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Eingriffsnorm. S. auch noch Kreßel, Haftungsrecht, S. 72 f., der grds. einen Folgen20
216
C . V . Die Ordnungsnorm
b) Strukturelemente der Ordnungsnorm aa) In gesetzestechnischer Hinsicht kann sich die multipolare Ordnungsnorm als selbständige Handlungsnorm darstellen, die das Konfliktschlichtungsprogramm 22 unmittelbar enthält. Hingewiesen sei beispielhaft auf die Ermessensvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB, der - ohne daß es auf die nachbarschützende Funktion der Festsetzung ankommt, von der dispensiert worden ist - den Sachmaßstab der Konfliktschlichtung ("Würdigung nachbarlicher Interessen") und den administrativen Handlungsmodus ("kann") enthält. Die Ordnungsnorm kann jedoch auch in dem Sinne unselbständig sein, daß sie den bloßen Handlungsmodus im Rahmen des Kontroll- bzw. Vornahmetatbestandes statuiert und damit die materielle Pflichtigkeit des Staates (der Behörde) begründet, das materielle Konfliktschlichtungsprogramm aber im Wege der Inkorporation aus externen Sachnormen bezieht. Sachmaßstab und Handlungsmodus ergeben hier erst in ihrer Kombination den maßgeblichen Komplex der Ordnungsnorm. Prototyp hierfür ist der (strikte) Genehmigungstatbestand der Landesbauordnungen (z.B. Art. 74 Abs. 1 BayBauO), der die Übereinstimmung mit den gesamten einschlägigen öffentlich-rechtlichen Normal als Genehmigungsvoraussetzung nennt und damit die Konfliktschlichtungsmaßstäbe in der Bauordnung selbst, aber auch im Bauplanungsrecht sowie in allen einschlägigen baurechtsexternen Fachgesetzen inkorporiert. 23 Gleiches gilt für §§ 4, 6 BImSchG in bezug auf immissionsschutzrechtliche Maßstäbe (§ 6 Nr. 1 BImSchG) sowie auf das sonstige relevante materielle Recht (§ 6 Nr. 2 BImSchG). Eine fachgesetzüberschreitende Kombination von Sachmaßstab und Handlungsmodus im Wege der Inkorporation ergibt sich auch bei § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG, der auf die schädlichen Umwelteinwirkungen des § 3 Abs. 1 BImSchG24 und damit den Maßstab der Erheblichkeit Bezug nimmt. Ferner kann auch eine Maßstabsnorm auf eine andere verweisen, wie dies etwa bei § 35 Abs. 2 und 3, 2. tiret BauGB hinsichtlich des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen des § 3 Abs. 1 BImSchG der Fall ist Speziell aus dem Drittvoinahmebereich seien beispielhaft die Sollvorschrift des § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG25 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1
beseitigungsanspnich des Nachbarn annimmt, der das der Behörde gem. Art. 81 S. 1 BayBO zustehende Ermessen aufhebe; vgl. im einzelnen C.VI.2.1. 22
23
S.o. A.I.1.C mit Fn. 45.
Ist dagegen die Baugenehmigung im Wege der (formellen) Konzentration in einer anderen - etwa der immissionsschutzrechtlichen (§13 BImSchG) - Genehmigung eingeschlossen, gilt das Gesagte mutatis mutandis: Das materielle Baurecht muß dann - etwa bei der Genehmigung nach §§ 4, 6 BImSchG - ohne Abstriche angewendet werden. 24 Vgl. etwa VGH Kassel, B.v. 18.5.1990 - 8 TH 362/90, GewArch. 1990, 330 (331), wo der drittschützende Charakter des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG mit der ausdrücklichen Erwähnung der Nachbarschaft begründet wird; dieser Begriff findet sich jedoch nur in dem in bezug genommenen terminu8 technicus der schädlichen Umweltauswirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG).
V . l . Strukturmerkmale
217
BImSchG oder - im Bereich der nicht-genehmigungspflichtigen Anlagen - der Normkomplex des § 24 i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG genannt, die ebenfalls auf § 3 Abs. 1 BImSchG (schädliche Umwelteinwirkungen) verweisen.26 Im übrigen gehört in diesen Zusammenhang die polizei- bzw. ordnungsbehördliche Generalklausel, die im Hinblick auf die "öffentliche Sicherheit" zwar Leben, Gesundheit und Eigentum schützt, vielfach aber ihre spezielle inhaltliche Ausrichtung erst im Wege der Inkorporation externer Sachnormen erfahrt. 27 Insofern kann auch hier von einer unselbständigen Ordnungsnorm gesprochen. In diesem Sinne ist es auf Grund der sich immer mehr ausdehnenden Spezialgesetzgebung "ohne Zweifel zu einem Bedeutungsverlust der Generalermächtigung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts"28 gekommen. Bei der Streitschlichtung durch Planfeststellungsbeschluß, die unter multipolarem Aspekt im Falle privater Vorhabenträgerschaft interessiert, ergibt sich aus der (nur) formellen Konzentration, 79 daß die materiellen Anforderungen der einschlägigen Fachgesetze - auch in subj ektiv-rechtlicher Hinsicht - unberührt bleiben und beachtet werden müssen. Dies führt zu einer Kombination verschiedener fachgesetzlicher Entscheidungskriterien, die erst in ihrer Gesamtheit - ohne die Möglichkeit gegenseitiger Saldierung - das normative Konfliktschlichtungsprogramm ausmachen. Anders liegt es nur im Ausnahmefall des § 38 S. 1 BauGB, der den Vorrang etwa einer abfallrechtlichen Planfeststellung vor entgegenstehenden bauplanungsrechtlichen Einwänden absichert, was auch den Verlust subjektiv-rechtlicher Baurechtspositionen zur Folge haben kann. 30
25 Dazu Seltner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 465: "stark - ggf. auch auf Null - reduziert". Ebenfalls als Soll-Vorschrift ist § 25 Abs. 2 BImSchG ausgestaltet. 26 Demgegenüber handelt es sich bei § 25 Abs. 2 BImSchG um eine selbständige Ordnungsnonn. 27 Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 91 ff., 94 ff., entnimmt der Aufgabenzuweisungsnorm (s. z.B. Art. 2 Abs. 1 PAG) eine Pflicht der Polizei, "Schutz zu gewähren, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen" (Rdnr. 91). Abi. Isensee, Sicherheit, S. 53 Fn. 125 ("contra legem"); W. Martens, DÖV 1982, 89 (97); Gallwas/Mößle, Polizei- und Sicherheitarecht, Rdnr. 233; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 142, 266 ff., wobei auf das Opportunitätsprinzip, wie es in der Ermessenseinräumung der Beüignisnormen (Generalklausel, Spezialermächtigungen) zum Ausdruck kommt, hingewiesen wird. 28 Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 159. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man einmal von der aktuellen Problematik der Altlasten absieht. 29 Vgl. eingehend Laubinger, VerwArch. 77 (1986), 77 (88 ff.). 30 Zutr. VG Freiburg, B.v. 24.10.1986 - 6 K 123/86, UPR 1987, 358 (359); Schweriner, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 63 zu § 7. Daß sich das "nur privatnützigen Zwecken dienende Vorhaben nicht so leicht gegen die in den bebauungsrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck kommenden öffentlichen Belange durchzusetzen vermag wie ein einem öffentlichen Zweck dienendes Vorhaben", betont Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 2 zu § 38.
218
C . V . Die Ordnungsno
bb) Die Komponenten des Konfliktschlichtungsmaßstabs und des Handlungsmodus entsprechen den Ebenen der Rechtszuweisung und der Anspruchsrichtung.31 Auf jener werden die verwaltungsrechtlichen Beziehungen der privaten Konfliktgegner geordnet (Bürger-Bürger-Relation), auf dieser wird der normative Interessenausgleich durch gebundene, ermessens- oder abwägungsbezogene Streitschlichtung umgesetzt. Erst beide Elemente zusammen machen das oben32 definierte subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis aus. Die materielle Drittschutzfirage entscheidet sich aber allein nach Maßgabe des Konfliktschlichtungsprogramms. 33 Damit ist es ausgeschlossen, den Drittschutzcharakter der Genehmigungsvoraussetzungen einer Norm zu bejahen, die subjektiv-rechtliche Qualität der Norm in ihrer Gesamtheit jedoch mit der Begründung in Abrede zu stellen, das Genehmigungserfordernis seinerseits sei nur objektiv-rechtlicher Natur. 34 Vielmehr dient das Instrument des Kontrolltatbestands35 nur der Umsetzung des normativen Konfliktschlichtungsprogramms. Für den berechtigten Privaten stellt er im Sinne der Anspruchsrichtung das Können gegenüber dem Staat sicher und befähigt ihn, das auf der Ebene der Rechtszuweisung eingeräumte Dürfen anspruchsweise auch durchzusetzen.
2. Subjektives öffentliches
Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
a) Subjektives öffentliches Recht und Ermessen Das erste Element der von O. Bühler 36 entwickelten Definition des subjektiven öffentlichen Rechts verlangte einen zwingenden Rechtssatz. Hierzu hat Bachof 37 klargestellt, daß Ermessen nur pflichtgemäß ausgeübt werden darf und Vgl. im einzelnen oben C.n.l. C.IV.l.a.aa. 33 Vgl. Jarassy in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (63 f.), der zu Recht hervoihebt, daß es für den Drittschutz allein "auf Normen mit sachlichem Regelungsgehalt" ankommt. S. speziell für § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Hinblick auf die §§ 6, 17, 24 BImSchG ders., BImSchG, Rdnr. 27 zu § 6; allg. ders. y Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rdnr. 48 zu § 13 (S. 181). Von einem anderen Gesamtansatz ausgehend unterscheidet Knemeyer (DVB1. 1978, 37 (38 f.), sowie ders., WDStRL 35 (1977), 221 (225 ff.)), zwischen Aufgabenzuweisungsnorm - die als Grundlage einer allgemeinen Schutzpflicht dient - und Anlagennorm. 34 So aber BVerwG, U.v. 15.11.1985 - 8 C 43.83, E 72, 226 (230), in bezug auf § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG, wo das Gericht zwar ausdrucklich der Kostenmiete die "Schutzfunktion zugunsten des Mieters" zubilligt, dann aber mit der Begründung, daß gerade die Genehmigungspflicht nicht drittschützend sei, ein subjektives öffentliches Drittrecht verneint; abl. unten C.VI.8.a. 35 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 51 zu § 9 (S. 180). 36 Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21 ff., 224. 37 In: GS f. W. Jellinek, 1955, S. 287 (295 f.), mit Hinweis zum Beuiteilungsspielraum; s. auch schon C.IV.2.a. 32
V.2. Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
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durch "Rechtssätze höherer Ordnung" begrenzt ist. Angesichts dieser Vorgaben ist in der Tat auch eine Ermessensvorschrift zwingender Natur. Insofern besteht - wenn die Norm selbst drittschützend ist - ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ein eigenständiges Drittschutzelement stellt das Ermessen damit nicht dar. Es bezeichnet lediglich den Handlungsmodus, dessen sich die Verwaltung bei der Umsetzung des normativen Interessenausgleichs durch streitschlichtenden Verwaltungsakt zu bedienen hat.
b) Drittschutzcharakter der Ermessensnorm und ermessensdirigierende Ausstrahlungswirkung aa) Der Drittschutzcharakter einer Ermessensnorm bemißt sich danach, ob die Norm - wäre sie strikt ausgestaltet - als Grundlage subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung dienen könnte. "Der Gegensatz zum Ermessen ist nicht das subjektive Recht, sondern die objektivrechtliche Gebundenheit.m3* Maßgeblich für den Drittschutzcharakter der Ermessensvorschrift ist das normative Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm. Daher scheidet namentlich ein allgemeiner Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus.39 In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen bipolaren und multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen. Erfüllt eine (ermessensbezogene) Ordnungsnorm die im einzelnen noch zu entwickelnden Voraussetzungen der Konfliktschlichtungsformel, 40 haben die privaten Konfliktgegner einen Anspruch auf fehlelfreie Ermessensausübung . Somit können sie eine gerechte Berücksichtigung ihrer Interessen in der konkreten Konfliktsituation im Wege multipolarer (Ermessens-)Abwägung verlangen. 4I Im Fall der Drittabwehr bzw. -vornähme
38
Bachof WDStRL 12 (1954), 37 (75); s. auch (Urs., Vornahmeklage, S. 71; vgl. weiterhin Jarass , in: FS f. Lukes, 1989, 57 (63). 39 Vgl. Schmitt Glaeser , Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 159; Maurer , Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 15 zu § 8 (S. 133); W. Martens , JuS 1962, 245 (248); s. auch Pietzcker, JuS 1982, 106, 108 f.); vgl. aus der Rspr. BVerwG, U.v. 7.1.1972 - IV C 49.68, E 39, 235 (237), abzulehnen freilich hinsichtlich des Ausschlusses eines Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung, da die multipolare Konkurrenzsituation übersehen wird; mit anderer Begründung gegen die Ablehnung eines Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung Morner , NJW 1973, 1207 f.; Hoffinann-Becking, JuS 1973 , 615 (616 ff.), dessen Ableitung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung jedoch nicht gefolgt werden kann, s. oben B.U.2.d.bb. 40
S.u. C.VI.l. Vgl. aus der Rspr. insbes. VGH Mannheim, B.v. 5.9.1989 - 10 S 1712/88, NJW 1990, 1930 f., wo der Behörde bei der Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle, welche die Drittschutzrichtung des Ermessens in §§ 24 S. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG begründet, eine "einfachgesetzlich gebotene güteirechtliche Abwägung" zugestanden wurde; für einen Drittabwehrfall zur Ermessensnorm des § 12 GastG s. VGH München, B.v. 5.6.1990 - 22 CS 90.1522, NJW 1990, 2488 (2489); für die Gestaltungsvornahme-Konstellation BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 17.90, E 41
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C . V . Die Ordnungsnorm
kann der Nachbar auf diese Weise seine Verschonungsinteressen in die Ermessensentscheidung einbringen. bb) Klärungsbedürftig ist noch, an welchen Maßstaben sich eine streitschlichtende Ermessensentscheidung orientieren muß. Nach § 40 VwVfG hat die Behörde "ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessais einzuhalten". Bezugspunkt ist hier - will man sich nicht auf den allgemeinen Gesetzeszweck beschränken - die Ordnungsnorm selbst. Damit kommt dem Verhältnis zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite, zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen (ggf. mit Beurteilungsspielraum) und (volitivem) Ermessen entscheidende Bedeutung zu. So richtig es ist, die Annahme eines unvermittelten Nebeneinander dieser Normelemente in Zweifel 'zu ziehen, so wenig kann auf der anderen Seite die Vorstellung eines einheitlichen Ermessenstatbestandes42 überzeugen. Das würde die unbestimmte RechtsbegriiTe zu bloß berücksichtigungsfahigen Elementen der streitschlichtenden Ermessensentscheidung abwerten. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgeermessen stehen in enger Beziehung zueinander, haben aber unterschiedliche Funktionen. Die jeweils beachtlichen Sachgesichtspunkte können zwar deckungsgleich sein; dies muß jedoch keineswegs stets der Fall sein.43 Unter diesem Vorzeichen läßt sich bei einer Kombination unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite mit einem Rechtsfolgeermessen von einer Koppelungsnorm sprechen. Anders als ein einheitlicher Ermessenstatbestand stellt sie lediglich eine rechtssatzmäßige Verbindung von unbestimmten Rechtsbegriffen im Bereich der Tatbestandsvoraussetzungen und dem Ermessen auf der Rechtsfolgeseite her. 44 Diese konstruktive Verbindung 45 rechtfertigt es,
88, 191 (199 fT.), zur Ausübung des Dispensermessens in bezug auf Vorschriften des Abstandsfiachenrechta. Zu § 20 Abs. 1 BImSchG s. Vallendar, in: Feldhaus, BImSchG, Anm. 15 zu § 20. 42 So der Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, B.v. 17.10.1971 GmS-OGB 3/70, BVerwGE 39, 355 (366 ff.), zu § 131 Abs. 1 S. 1 AO a.F.; dazu Bachof, JZ 1972, 641 (644 f.), mit der Hervorhebung, daß der Gemeinsame Senat "so sehr auf die Besonderheiten" dieser Vorschrift abgestellt habe, "daß sein Beschluß Rückschlüsse auf die Auslegung anderer Koppelungsvorschriften kaum zulaßt" (S. 641 r.Sp.). S. auch noch BVerwG, U.v. 5.7.1985 - 8 C 22.83, E 72, 1 (5), sowie grdl. zur Problematik Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 24; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 24 ff. zu § 7 (S. 115 ff.). 43 Vgl. grdl. Bachof, JZ 1972, 641 (645). 44 Entsprechendes gilt für den Terminus des Mischtatbestandes; s. dazu BVerwG, U.v. 14.11.1989 - 1 C 29.88, E 84, 86 (89); Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 20 zu § 40. 45 Insoweit ergibt sich eine Parallele zur planerischen Geataltungsfreiheit; s. dazu Badura, in: FS f. Bachof, 1984, S. 169 (180): "... juristische Konstruktionszeichnung eines Brückenschlages zwischen Rechtsanwendung und Ermessen". Für Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite und dem Rechtsfolgeermessen s. Wolff/Bachof, VerwR I, § 31 H a (S. 195); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 17 zu § 7 (S. 108); Erichsen, in:
V.2. Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
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den Tatbestandsvoraussetzungen ermessensdirigierende Funktion zuzuerkennen. Sofern die Ermessensnorm selbst - wie z.B. i m Fall des § 31 Abs. 2 BauGB das Konfliktschlichtungsprogramm enthalt, ergibt sich hieraus das Richtmaß der Ermessensausübung unmittelbar. Ansonsten ist auf legislatorische Leitlinien, ggf. inkorporierte Sachmaßstabe sowie nicht zuletzt die Grundrechte i m Rahmen norminterner Wirkung zurückzugreifen. 46 In all diesen Fällen kommt es zur ermessensdirigierenden Ausstrahlungswirkung des Konfliktschlichtungsprogramms. 41 So mag z.B. eine Norm wie § 24 S. 1 BImSchG zunächst einmal "einen weiten Ermessensspielraum" 48 einräumen. Doch strahlt das Konfliktschlichtungsprogramm der §§ 22 Abs. 1 N r . 1 und 2, 3 Abs. 1 BImSchG (schädliche Umwelteinwirkungen, Erheblichkeit), das § 24 S. 1 BImSchG inkorporiert, auf das Ermessen aus. 49 Die Ausstrahlungswirkung des tatbestand-
Erichsen/Martens, § 10 Rdnr. 14 sowie 16: "Ermessensausübung darf nur stattfinden, wenn der Tatbestand der Ermächtigungsnorm erfüllt ist"; BVerwG, U.v. 14.11.1989 - 1 C 29.88, E 84, 86 (89), das zu Recht zwischen Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessen unterscheidet ("Mischtatbestand") und insoweit von BVerwG, U.v. 29.3.1966 - I C 8.65, E 24, 15 (22), zu % 105 e GewO, abweicht; unter dem Aspekt der Kombination spezialgesetzlicher Ge- und Verbote mit der polizeiund ordnungsbehordlichen Generalklausel s. von Mutius , Jura 1986, 649 (652). Dagegen prinzipielle Gemeinsamkeiten von Tatbestands-und Rechtsfolgeseite betonend bzw. für einheitliches Ermessen Scholz , WDSlRL 145 (164 ff., 167); Schmidt-Aßmann , ibid., S. 221 (252 f.); Rupp, in: FS f. Zeidler, 1987, S. 455 (459): "Ermessen und gebundene Gesetzesanwendung unterscheiden sich nicht prinzipiell, sondern nur graduell"; Höberle , Öffentliches Interesse, S. 604 f., 611; Obermayer , VwVfG, Rdnr. 39 zu § 40; Starck, in: FS f. Sendler, 1991, S. 167 (170); Bulänger, JZ 1984, 1001 (1006); Herdegen , JZ 1991, 747 (749 ff.). 46 S.o. c.m. 47
Treffend Obermayer , VwVfG, Rdnr. 39 zu § 40, wonach die Bejahung eines durch einen unbestimmten Rechtsbegriff geprägten Tatbestands "auf die Anordnung der Rechtsfolge ausstrahlt". Richtig auch die Erwägung des OVG Münster, U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 19S8, 173 (174 f.), daß die Behörde es "zumindest ohne Ermessensfehler" habe ablehnen können, gem. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG auf entsprechendes nachbarliches Drittbegehren gegen den Betreiber eines Kraftwerks widerrufsweise vorzugehen, weil die Tatbestandsvoraussetzung eines Verstoßes gegen die drittschützende Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht erfüllt sei. S. ferner BVerwG, U.v. 15.2.1990 - 4 C 39.86, NVwZ 1990, 857 f.: Gestaltungsabwehr gegen die baubehördliche Rücknahme eines Bauvorbescheids auf Grund eines Nachbarwiderspruchs; zu Recht betont der 4. Senat, daß ein u.U. aus einer drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans oder aus § 31 Abs. 2 BBauG/BauGB folgendes Drittabwehnecht auch im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme gem. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG i.V.m. § 50 Abs. 1 VwVfG berücksichtigt werden müsse; dazu noch D.VD. In bipolarer Beziehung s. auch BVerwG, U.v. 4.2.1982 - 3 C 19.81, E 65, 19 (22). 48 BVerwG, B.v. 21.10.1988 - 7 B 154.88, UPR 1989, 224 l.Sp. 49 Wie Maurer , Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 27 zu § 7 a.E. (S. 117), feststellt, hat die "Vorstellung, daß die Ermessensausübung durch bestimmte Leitgesichtspunkte gelenkt und determiniert wird, durchaus eine gewisse Berechtigung". S. in drittschutzrechtlicher Hinsicht auch Stelkens/Sachs , in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 78 zu § 40, die den "Individualbegünstigungszweck der Ermessensermächtigung" als Voraussetzung des subjektiven Rechts betonen; zur Ermessensausübung beim Zugang zu Anstaltsnutzungcn s. Erichsen , VerwArch. 64 (1973), 299 0US t.).
222
C . V . Die Ordnungsnorm
liehen Konfliktschlichtungsprogramms einer drittschützenden Ordnungsnorm führt zu einer (Dritt-)Schutzrichtung des Ermessens. Dies gilt auch dann, wenn sich ordnungsbehördliche Eingriffsnormal - ob in Form der Generalermächtigung oder einer Spezialregelung - mit externen Maßstabsnormen verbinden. 50 Vor diesem Hintergrund läßt sich auch zum Konzept des sog. intendierten Ermessens51 Stellung beziehen. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der multipolaren Ordnungsnonn vor, entfällt nicht etwa (partiell) die Notwendigkeit der ermessensbezogenen Abwägung; einer solchen Automatik läge letztlich ein Regel-Ausnahme-Prinzip zugrunde, das in multipolaren Konfliktlagen nicht paßt. Die Austarierung der kollidierenden Privatinteressen bleibt unverzichtbar. Ebensowenig kann der - früher vom 1. Senat des BVerwG vertretenen 52 und jetzt aufgegebenen53 - Auffassung gefolgt werden, allein aus dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen sei auf die Reduzierung des Ermessens zu schließen. Der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensaitscheidung bezieht sich auf die Entscheidung über das Einschreiten überhaupt wie auch auf die Art und Weise des Vorgehais im einzelnai. 54 Die abwägungsbedürftigen Verschonungs- und Integritätsinteressen des Dritten und das Maß ihrer Beeinträchtigung können in concreto zu einer subjektiv-rechtlich bewehrten Verengung des Ermessens führen. 55 I m äußersten Fall ergibt sich dabei im Wege der Reduzierung des Ermessens auf Null ein strikter Anspruch. Aus Sicht der Behörde bedeutet in diesem Fall ein nominelles Können ein rechtliches Müssen.56 Ob dies der Fall ist und sich in Drittvornahmekonstellationen ein Anspruch auf behördliches Einschreiten ergibt, hängt von don Gewicht der kollidierenden Privatintoessen
S.o. C.V.l.b; vgl. für die Kombination der eimessensbezogenen Eingriffsnorm des § 64 S. 1 BauO BW mit drittschützenden Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans VGH Mannheim, U.v. 8.5.1985 - 3 S 63/85, VB1BW 1986, 23 (24). 51 Dazu BVerwG, U.v. 5.7.1985 - 8 C 22.83, E 72, 1 (6); krit. Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdnr. 396. 52 U.v. 29.3.1966 - I C 8.65, E 24, 15 (22), zu § 105 e GewO. 53 U.v. 14.11.1989 - 1 C 29.88, E 84, 86 (89). 54 Vgl. Wolff/Bachof, VerwR m, Rdnr. 40 zu § 126 (S. 60): Verdichtung zu einem "Anspruch auf Einschreiten, ggf. sogar in bestimmter Weise". 55 S. hierzu Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (14, 16). 56 Vgl. hieizu die treffende Feststellung von Bachof, JZ 1972, 641 (645): Die "geläufige Formulierung 'kann, wenn ...'ist mitunter nur eine mißverständliche Ausdrucksweise für 'darf nur, wenn ..., muß dann aber auch'"; die Ermessensermächtigung sei in diesem Fall nur eine "scheinbare". Li diesem Sinne BVerwG, U.v. 29.4.1964 - I C 30.62, E 18, 247 (250 f.), zu § 35 Abs. 2 BBauG in einer bipolaren Fallgestaltung; dazu Bachof, VerfR II, S. 247 f.; Obermayer, VwVfG, Rdnr. 47 zu § 40 mit Fn. 22; Faber Verwaltungsrecht, S. 107 f.
V.2. Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
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i m Rahmen multipolarer Abwägung ab. 5 7 Dabei kommt es vor allem auf die Tragweite des Rechtsverstoßes, die Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung, die Belastung des privaten Konfliktgegners sowie die Verfügbarkeit anderweitiger und gleichwertiger Abhilfe an. 5 8 Überwiegen nach diesem Maßstab die Verschonungsinteressen in nachhaltiger Weise und sind keine Alternativen erkennbar, besteht ausnahmsweise ein strikter Anspruch auf Einschreiten zu Lasten des "Störers". 59 Daß die verletzte N o r m drittschützend ist, reicht für sich allein dafür nicht aus; hieraus folgt nur der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung, nicht aber auch die Reduzierung des Ermessens auf Null. A u f die Sonderproblematik i m Baurecht wird sogleich gesondert einzugehen sein. D i e Schwelle zum strikten Drittvornahmeanspruch kann sich auch durch Heranziehung einer Vergleichsnorm ergeben: So besteht ein Anspruch auf vorläufige Stillegung gem. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der "erheblichen Gefahrdung ... Dritter", die § 17 Abs. 5 A t G für den obligatorischen Widerruf vorsieht. 60 Eine atypische Normausprägung weist in diesem Zusammenhang § 7 Abs. 2 N r . 3 A t G auf. Formell ist er zwar als Ermessenstatbestand ausgestaltet.61 Z u Recht aber hat das BVerwG 6 2 festgestellt,
57 S. OVG Berlin, B.v. 7.9.1990 - 2 S 14/90, LKV 1991, 108 (109), unter Verwendung des Spurbarkeits-Kriteriums, dazu krit. C.III.6.C.; s. ferner - wenn auch zu einem Fall unechter Multipolaritat - VG Stade, U.v. 8.2.1988 - 1 A 91/87, NVwZ 1989, 497 (499): Ansprach auf fehlerfreie Ermessensausübung bei einer "handgreiflichen Betroffenheit"; im Falle erwiesener Gesundheitsgefahrdung sei die Schwelle zum strikten Anspruch erreicht. S. auch SteUcens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 77 zu § 40: Bei Steigerung der "Verpflichtungswirkung der Ermessensermachtigung" bis zur Ermessensreduzierung auf Null bestehe "ein ebenso strikter Anspruch auf den Erlaß dieser Entscheidung"; dies setzt allerdings die Drittschutzrichtung der Ermessensermächtigung voraus, von der in Rdnr. 78 die Rede ist. Für Ableitung des Anspruchs auf polizei- bzw. ordnungsbehördliches Einschreiten aus Art. 19 Abs. 4 GG im Sinne der Vermutungs-Doktrin Dietlein, DVB1. 1991, 685 (689). - Zur Unterscheidung des Anspruchs auf ein behördliches Tätigwerden einerseits und die Auswahl einer bestimmten Maßnahme andererseits s. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 401 f., 403. Zur planfeststellungsrechtlichen multipolaren Abwägung vgl. bereits C.n.2.a.ee sowie C.VI.5.a.aa - cc. 58 Vgl. OVG Berlin, B.v. 7.9.1990 - 2 S 14/90, LKV 1991, 108 (109): "Verdichtung des Eingriffsermessens ... zu einem strikten Anspruch auf Untersagung", weil die Störungen der Wohnruhe eine "Intensität" erreichten, die der Verschonungsinteressent auf Grund der planungsrechtlichen und baulichen Situation "nicht hinzunehmen verpflichtet ist". S. femer VGH München, B.v. 20.2.1990 - 22 CE 89.2818, GewArch. 1990, 255 r.Sp., wo das Nachbarbegehren auf Vorverlegung der Sperizeit gem. § 11 GastV Bay. wegen Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigungen ohne Erfolg blieb; vgl. auch Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 270. 59 Dies gilt auch schon vor Rechtskraft eines Urteils über das Aufhebungsbegehrens, vgl. OVG Saarlouis, U.v. 22.10.1982 - 2 R 209/81, NVwZ 1983, 685. 60 Zutr. VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 f., unter Bezugnahme auf OVG Lüneburg, B.v. 23.9.1986 - 7 D 7/86, OVGE 39, 468 ff. Im übrigen ergibt sich aus § 17 Abs. 5 AtG der Schwellenwert fur eine Schrumpfung des Ermessens auf Null im Rahmen des fakultativen Widerrufs gem. § 17 Abs. 3 AtG (Drittvornahmefall); vgl. C.VI.4.i. 61 Zu diesem Genehmigungstatbestand sui generis s. Breuer, in: von Münch/Schmidt-
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C . V . Die Ordnungsnorm
daß der Drittschutz abschließend in den Tatbestandsmerkmalen konzentriert ist Für ein drittschützendes Ermessen besteht daher kein Raum mehr.® cc) Vor dem Hintergrund des Bandsage-Urteils des B V e r w G 6 4 hatte Bachof 65 betont, daß es für einen Anspruch des Nachbarn auf behördliches Einschreiten darauf ankomme, ob gerade die ermessenseinräumende Norm selbst drittschützend ist. D e m wurde entgegengehalten, daß auch eine nachbarschützende sonstige N o r m genüge, die "der Eingriffsnorm ihren subjektiv-rechtlichen Gehalt" mitteile und dadurch "deren Rechtscharakter" verändere. 66 Letztlich liegen beide Auffassungen sehr viel näher beisammen, als der erste Eindruck dies erwarten läßt. Sofern die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel, wie oben 67 bereits angesprochen, als unselbständige Ordnungsnorm Drittschutz
Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (431); BVerfG, B.v. 8.8.1978 - 2 BvL 8/77, E 49, 89 (145 ff.). Für strikten Ansprach des Betreibers Schmitt Glaeser, der landkreis 1976, 442 (443); im Ergebnis ebenso Roneüeqfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 357, der allerdings - im Gegensatz zu dem im Text dargestellten Verhältnis zwischen Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessen - eine Ermächtigung der Exekutive, die "Genehmigungsvoraussetzungen zu ergänzen", annimmt; zur Ermessensschrumpfung auf Null insbesondere durch das positive vorläufige Gesamturteil der ersten Teilerrichtungsgenehmigung s. Ossenbühl, et 1983, 665 (671); ders. y NJW 1981, 375 (377). Im Rahmen von Vorüberlegungen für die AtG-Novelle ist dafür plädiert worden, das Ermessen in § 7 Abs. 2 AtG entfallen zu lassen; s. Papier, in Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (123 f.). 62
U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (318). S. dazu unten C.VI.4.e.dd. 64 U.v. 18.8.1960 - I C 42.59, E 11, 95 (96 ff.). 65 DVB1. 1961, 128 (130), mit der Betonung, daß gerade "diejenigen Normen, welche das E i n s c h r e i t e n der Polizei gegen polizeiwidrige Zustande oder gegen polizeiwidriges Verhalten regeln", zumindest auch den "Individualinteressen des durch ein Einachreiten Begünstigten zu dienen bestimmt" (gespr. i.O.) sein müssen; ebenso - allerdings für einen bipolaren Fall - z.B. VGH Kassel, B.v. 4.5.1979 - Vffl TG 1/79, ESVGH 29, 175 (177); nicht präzise das Bandsage-Urteil des BVerwG, U.v. 18.8.1960 - I C 42.59, E 11, 95 (97); dieses ist bestätigt worden durch BVerwG, B.v. 24.5.1988 4 B 93.88, NVwZ 1988, 824 r.Sp., ohne daß es in diesem Punkt zu einer Klärung gekommen ist; s. auch schon BVerwG, U.v. 22.1.1971 - VU C 48.69, E 37, 112 (113 ff.). - Zur Kritik unter dem Aspekt der bipolar geprägten Vermutungsthese s.o. 63
C.IV.2.C. 66
S. Wilke, in: FS f. Scupin, 1983, S. 831 (836), für den "bereite die Kombination von nachbarschützender Vorschrift und Eingriffsnorm ... zur Bejahung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung" führt. S. im übrigen die Kritik von Döijfler, NJW 1963, 14 (18); Witten, NJW 1961, 753 (755) Fn. 24 (der Drittschutz im Bandsäge-Urteil des BVerwG (Fn. 63) habe sich aus nicht-revisiblem Bauordnungsrecht) und mit gleichem Akzent - Heinrich, DVB1. 1966,425 (432), die aber wie das VG Minden, U.v. 13.5.1964 - 3 K 34/63, DVB1. 1965, 780 (782 f.), die richtungweisende Bedeutung des Urteils verkennen, die in der Bejahung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde liegt; hierzu grdl. Bachof, DVB1. 1961, 128 (129 f.); B. auch Rupp, Grundfragen, S. 271 f.; Henke, DVB1. 1965, 783 (784); Steinberg, NJW 1984, 457 (462 r.Sp.). 67 C.V.l.b.
V . 2 . Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
225
bietet, dient der Begriff der öffentlichen Sicherheit als "Transformationstatbestand".68 Externe Sachnormen werden auf diese Weise als spezieller Konfliktschlichtungsmaßstab inkorporiert. Daneben vermag die Generalklausel insbesondere mit dem Merkmal der öffentlichen Sicherheit aber auch isoliert Drittschutz zu vermitteln, sofern es an derartigen anderweitigen Normen fehlt. 69 Eine solche Drittschutzfunktion ist sogar Voraussetzung für die Inkorporation externer Maßstabsnormen.70 Wäre die polizei- bzw. ordnungsrechtliche Generalklausel selbst nur rein objektiv-rechtlicher Natur, könnte sie spezielle Drittschutznormen nicht in sich aufnehmen (Kombination von Sachmaßstab und Handlungskomponente).71 Die Handlungsnorm muß drittschutzoffen sein, wenn sie externe Sachnormen inkorporieren soll. Richtig spricht daher z.B. das OVG Münster72 davon, daß als Grundlage für den - im Ergebnis zu Recht verneinten - Nachbaranspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten wegen Verstoßes gegen das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot "§ 3 S. 1 NRWFeiertagsG i.V.m. § 14 NRWOBG in Betracht" kommt.
c) "Vollendete Tatsachen" und Ermessensnorm: Inkonsequenz des Nachbarschutzes? Hat ein Nachbar mit Erfolg die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung vor Gericht angefochten und ist das Bauvorhaben zwischenzeitlich auf Grund einer Sofortvollzugsanordnung vollendet worden, scheint es in der Konsequenz
Schmidt-Aßmann, in: FS der Juristischen Fakultat zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-KarlsUniversitat Heidelberg, 1986, S. 107 (132). S. auch Schenke, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, 1990, S. 433 (451 f.), Rdnr. 448 ff., 452 zu 2/3 (S. 451 f.), zu Art. 3 MBauO; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 189. 69 Vgl. VG Freiburg, U.v. 26.3.1987 - 4 K 6/86, VB1BW 1987, 349 ((350). Zum Individualschutz durch die polizei- und ordnungsbehördliche Generalklausel s. Erichsen, WDStRL 35 (1977), 171 (210 ff.): "rVeröffentlichung' des ehedem privatrechtlichen Güterschutzes und zudem ... Verlagerung von Aufgaben von der Judikative auf die Exekutive", wobei die Rechtsmacht aus der verfassungsrechtlichen Staat-Buiger-Beziehung abgeleitet wird; Friauf, in: von Münch/SchmidtAßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 97 (124 f.), unter Betonung des vom GG geprägten Staat-BürgerVerhaltnisses; auf den Gedanken der Schutzpflicht abstellend Gallwass/Mößle, Bayerisches Polizeiund Sicherheitsiecht, Rdnr. 465; s. auch Franßen, in: FG BVerwG, 1978, S. 201 (215 f), der den Grundrechtsbezug von im öffentlichen Interesse geschützten Individualpositionen betont. 70 Nach Wilke, in: FS f. Scupin, 1983, S. 831 (836), "teilt" die nachbarschützende Vorschrift im Fall der "Kombination" mit einer "EingrifFsnorm" dieser "ihren subjektiv-rechtlichen Gehalt mit und verändert dadurch deren Rechtscharakter". 71 Vgl. hierzu auch VGH Kassel, U.v. 15.12.1988 - 4 UE 2318/86, ESVGH 39, 130 (137 f.), der als Grundlage einer (Dritt-)Rechtsverletzung unter dem Aspekt beeinträchtigten Eigentums ausschließlich auf die bauordmqgsiechtliche Generalklausel des § 83 Abs. 1 HBO rekurriert, in die er zutr. die Anforderungen des § 3 HBO inkorporiert. 72 U.v. 15.4.1987 - 4 A 1527/86, NJW 1987, 2603 l.Sp., kurs. v. Verf.
226
C.V. Die Ordnungsnorm
multipolarer Konfliktschlichtung zu liegen, den status quo ante vollends wieder herzustellen und dem Nachbarn deshalb einen Anspruch auf Beseitigung des Baukörpers einzuräumen. I n der Tat wäre die Effektivität des Drittschutzes in Frage gestellt, wenn man hier die Bestandsinteressen des Bauherrn gegenüber dem Beseitigungsbegehren stärker schützen wollte als seine Gestaltungsinteressen i m Vergleich mit den Verschonungsinteressen vor der Errichtung. 73 Allerdings ist auch im baunachbarlichen Folgekonflikt allein die Ordnungsnorm maßgeblich. D i e bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Beseitigungsanordnung sind als Ermessensnormen ausgestaltet (vgl. z.B. Art. 82 S. 1 BayBauO). Auch wenn der tatbestandliche Widerspruch des Bauwerks zum materiellen Baurecht - womöglich auf Grund rechtskräftigen Urteils - feststeht, bleibt doch das Ermessen, das die Notwendigkeit der multipolaren Abwägung zwischen den Bestandsinteressen des Bauherrn und den Beseitigungsinteressen des Nachbarn erforderlich macht. 7 4 Auch wenn es rein statistisch mehrheitlich zu einem Obsiegen des Nachbarn kommen mag, ist rechtlich jede Art von Automatik oder "Regel" 75 ausgeschlossen. Das gilt zum einen für die Konstruktion eines Folgenbeseitigungsanspruchs. 76 Gleichfalls scheidet der vom O V G Münster 7 7 praktizierte quasi-automatische Beseitigungsanspruchs aus;
S. Ossenbühi, Staatshaftungsrecht, § 38 (S. 272): Die Frage, ob der Nachbar von der Baubehörde "Beseitigung des nunmehr als illegal erkannten Bauvorhabens verlangen" könne, sei "gewiß im Grundsatz zu bejahen"; Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 88 Vorbem. zu den §§ 29 - 38: Dem Nachbarn sei nicht mit der Aufhebung der Baugenehmigung gedient, sondern "nur mit der Beseitigung des Gebäudes". Vgl. zur Problematik OVG Münster, U.v. 17.5.1983 - 7 A 330/81, NVwZ 1984, 883 (884). Eine andere Frage ist es fieilich, ob in diesen Fallen das öffentliche Baunachbarrecht reagieren oder ob die Streitschlichtung dem Zivilrecht übertragen sein soll; in letzterem Sinn Schmidt-Aßmann, FS der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 107 (133). S. im übrigen C.I.5.b.bb. 74 S.fieilich auch das obiter dictum in BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, DVB1. 1989, 1055 (1060), insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 82, 61, wonach "ein etwaiger Abriß eines nutzlos errichteten Gebäudes regelmäßig vom Nachbarn nicht zu erzwingen sein" wird, "sondern im Ermessen der Behörde" steht. 75 Das gilt auch für die Regelableitung aus einem letztlich übergeordneten Belang der "'Wiedergutmachung der Nachbarrechtsverletzungwie sie von Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 202, vorgeschlagen wird; ausdrücklich offengelassen von BVerwG, U.v. 19.6.1991 - 4 C 52.89, NVwZ 1992, 165 r.Sp. 76 Dafür OVG Lüneburg, U.v. 22.3.1962 - I A 96/61, DÖV 1962, 467 (469); ebenso Schenke, DVB1. 1990, 328 (336), der im Fall des Schwatzbaus zutr. für die Abwägung der gegenseitigen Privatinteressen plädiert. Auf den vom OVG Münster, U.v. 17.5.1983 - 7 A 330/81, NJW 1984, 883, angeführten Wertungswiderspruch mit dem Schwatzbau kommt es damit in diesem Zusammenhang in der Tat nicht an. 77 B.v. 14.5.1991 - I I B 246/91, NVwZ 1991, 1001 r.Sp.; s. auch schon OVG Münster, U.v. 17.5.1983 - 7 A 330/81, NJW 1984, 883 (884); dazu abl. Schmidt-Aßmann, in: FS der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität, 1986, S. 107 (132 f.). Zuzustimmen ist der Entscheidung aber in der Ablehnung des Konzepts der Folgenbeseitigungslast.
V . 2 . Subjektives öffentliches Recht, Ordnungsnorm und Ermessen
227
wenn dessen 11. Senat seine Regelannahme zugunsten eines Anspruchs auf Einschreiten daraus ableitet, daß "durch die Baurechtswidrigkeit ... zugleich Nachbarrechte verletzt" 78 werden, steht dem bereits die oben angesprochene Tatsache entgegen, daß der Drittschutzcharakter der Ermessensnorm nur die Drittschutzrichtung des Ermessens begründet und nicht noch einmal dessen Schrumpfung auf N u l l bewirken kann. 7 9 Schließlich überzeugt der Gedanke einer - das Ermessen bindenden - Folgeribeseitigungslasf* nicht: Wenn damit mehr gemeint sein sollte als die Notwendigkeit der multipolaren Abwägung, dann fehlt es dafür an einem tatbestandlichen Anhaltspunkt. D e m stünde i m übrigen auch der sonst entstehende Wertungswiderspruch mit dem Fall des Schwarzbaus entgegen. 81 Damit kommt alles auf die konkrete Abwägung der kollidierenden Privatinteressen an. 8 2 Hierbei kann der Nachbar seine Verschonungsinteressen, namentlich Art und Intensität der Beeinträchtigung 83 einbringen, wahrend auf der Seite des
Wie die in dieser Fn. erstgenannte Entscheidung des OVG Münster hat bereits das OVG Saarlouis, U.v. 22.10.1982 - 2 R 209/81, NVwZ 1983, 685 l.Sp., aus dem Drittschutzcharakter der (Ermessens-)Norm auf den strikten Anspruch auf Einschreiten schließen wollen. 78 OVG Münster, U.v. 27.11.1989 - 11 A 195/88, BauR 1990, 341 (342), zur erstrebten Beseitigungsanordnung gem. § 58 Abs. 1 S. 2 BauO NW 1984 im Fall der Abweichung von einer Baugenehmigung. 79 C.V.2.b.bb. 80 Dafür Weyreuther, Gutachten für den 47. DJT, 1968, S. B 116; unter dem Aspekt der * ermessensbindenden Funktion" soll der Behörde die "Möglichkeit und die Pflicht" bleiben, "auch die Interessen des Dritten zu berücksichtigen" (kurs. i.O.); OVG Lüneburg, U.v. 16.5.1988 - 1 A 23/87, BauR 1989, 188 (189), für den Fall vorheriger gerichtlicher Aufhebung der Baugenehmigung. 81 Insoweit zutr. OVG Münster, U.v. 17.5.1983 - 7 A 330/81, NJW 1984, 883 (884); s. dazu aber auch Schenke, DVB1. 1990, 328 (336). 82 Vgl. VGH München, U.v. 12.11.1987 - Nr. 2 B 86.01596, BRS 48 Nr. 175, S. 427 (428): Abwägung zwischen den Interessen des Nachbarn und des Bauherrn unter Berücksichtigung der Intensität der Störung (nach gerichtlicher Aufhebung der Baugenehmigung); s. auch schon BVerwG, U.v. 18.8.1960 - I A 42.59, E 11, 95 (97): bei "hoher Intensität der Störung und Gefahrdung"; s. ferner OVG Lüneburg, U.v. 16.5.1988 - 1 A 23/87, BauR 1989, 188 (190 f.), unter Abwägung möglicher Schäden für den Bauherrn mit den Nachteilen der Lärmbeeinträchtigung für den Nachbarn; dogmatisch allerdings nicht befriedigend die Anknüpfung an die Folgenbeseitigungslast. Demgegenüber im Abwägungsansatz richtig OVG Lüneburg, U.v. 4.10.1985 - 1 A 34/85, BRS 44 Nr. 195, S. 453 (454), dem aber nicht darin gefolgt werden kann, daß bei Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot "grundsätzlich" ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null gegeben sei. Zur Abwägung selbst s. Fiiaujj\ in: von Münch (Hrsg.), Bes.VerwR, 8. Aufl., 1988, S. All (565); Schenke, DVB1. 1990, 328 (337), unter Betonung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Zur Ermessensreduzierung ferner - jedoch ohne Drittbezug - Gern, DVB1. 1987, 1194 (1198). 83 S. z.B. OVG Berlin, B.v. 7.9.1990 - 2 S 14.90, LKV 1991, 108 (109); s. auch Wilke, in FS f. Scupin, 1983, S. 831 (838 f.); s. auch Obermayer, JuS 1963, HO (113), mit dem Hinweis,
228
C . V . Die Ordnungsnorm
Bauherrn vor allem die Verfügbarkeit anderweitiger Abhilfe oder besondere persönliche Umstände84 bis hin zu den finanziellen Belastungen im Verhältnis zu der Intensität der Beeinträchtigung des Dritten Berücksichtigung finden können.85 Insoweit ist freilich derftlr alle kehrseitigen Konfliktlagen geltende Grundsatz vorrangig, daß die Verwirklichung eines Vorhabens nach Maßgabe der Sofortvollzugsanordnung auf eigenes Risiko «folgt 8 6 Vollendete Tatsachen können daher nicht schon als solche zu Lasten des gestörten Konfliktgegners gehen. Alles andere wäre in der Tat nur als Inkonsequenz des Nachbarschutzes zu bezeichnen. Wenn der Baukörper als solcher keine relevanten Beeinträchtigungen verursacht, kann im Einzelfall auch eine Nutzungsuntersagung als das mildere Mittel in Betracht kommen. Diese Möglichkeit scheidet freilich in den Fällen intangibler Beeinträchtigungen aus.87 Insgesamt reduziert sich das Ermessen auf Null nur dann, wenn den Verschonungsinteressen des Nachbarn erkennbar der Vorrang gegenüber den Bestandsinteressen gebührt und Alternativen nicht verfügbar sind.88
3. Konkretisierung
durch Rechtsverordnung
a) Maßgeblichkeit der Ermächtigungsnorm Die Ordnungsnorm als Grundlage des subjektiven öffentlichen Rechts muß die Qualität eines materiellen Gesetzes aufweisen. 89 Das Haushaltsgesetz (nebst dazugehörigem Haushaltsplan) reicht als rein formelles Gesetz nicht aus (vgl. § 3 Abs. 2 BHO). Insoweit können sich subjektive öffentliche Rechte in multipolaren Subventionskonflikten aber aus Art. 12 Abs. 1 GG - ggf. i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG - ergeben.90 Im übrigen kann die Ausprägung
daß "bei einer Gefahrdung des Nachbarn durch das illegale Bauwerk" ein strikter Anspruch auf Erlaß einer Beseitigungsanordnung bestehe. 84 Vgl. VGH Mannheim, U.v. 9.11.1990 - 8 S 1013/90, Ausfertigung, S. 11 f., in einem bipolaren Fall. 85 Dazu VGH Mönchen, U.v. 12.11.1987 - Nr. 2 B 86.01342, BRS 48 Nr. 174, S. 425 (426). 86 S. BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, DVB1. 1989, 1055 (1060), insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 82, 61; dazu Schmidt-Preuß, DVB1. 1991, 229 (238 f.); demgegenüber will Schwarzer, Handbuch, Rdnr. 134 IV, zwischen dem unter Verstoß gegen formelles und materielles Recht und dem "legal" auf Grund einer Sofortvollziehbarkeitserklarung errichteten Bauwerk differenzieren. Auch im letzten Fall aber wird auf eigenes Risiko gebaut. 87 Vgl. dazu C.VI.2.b. 88 S.o. C.V.2.b.bb. 89 Vgl. Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323). 90
S. H. /> Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hreg.), HdbStR IV, Rdnr. 76 zu § 92: Art. 12 Abs. 1 GG, daneben Art. 14 und 2 Abs. 1 GG; Friarf, Referat, 55. DJT, Bd. n, 1984, S. M 8 (M 24):
V.3. Konkretisierung durch Rechtsverordnung
229
subjektiver Drittberechtigungen auch durch eine Rechtsverordnung erfolgen, die dann das rahmenmäßige einfachgesetzliche Konfliktschlichtungsprogramm der Ermächtigungsnorm konkretisiert. 9I Beispiele hierfür sind die schon erwähnten §§ 45 Abs. 1 und 28 Abs. 3 StrlSchV, deren Grenzwerte die atomrechtliche Schadaisvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 2 AtG in strahlenschutzrechtlicher Hinsicht ausfüllen. So hat das BVerwG zum einen die Dosisgrenzwerte des § 45 S. 2 StrlSchV a.F. 9 2 als eine nicht zu beanstandende Konkretisierung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG qualifiziert, 93 da sie auf Grund pessimistischer Annahmen festgesetzt worden seien und innerhalb der regionalen Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition lägen.94 Dem derivativ-konfliktschlichtenden Verordnungsgeber obliegt freilich eine Nachbesserungspflicht, wenn die bisherigen Annahmen auf Grund des Fortschritts von Wissenschaft und Technik nicht mehr zutreffen. Maßgeblicher Konfliktschlichtungsmaßstab bleibt stets das (einfache) Gesetz. In diesem Sinne hat das OVG Berlin 95 die Dosisgrenzwerte des § 45 StrlSchV anhand des - seinerseits verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden96 - § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG überprüft und die Beibehaltung des 30-mrem-Konzepts auch in Anbetracht neuerer Forschungsergebnisse zur Niedrigstrahlenbelastung zu Recht nicht als Ver-
Art. 3 Abs. 1 GG. S. hierzu im einzelnen oben B.ü.2.c.bb sowie unten C.VI.ll Ji, jeweils m.w.N. und auch mit Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Vergabepraxis bei wettbewerbsneutralen Subventionen (s. dazu auch B.II.2.f). Der tatsachlichen Subventionierung kommt der Primat gegenüber Subventionsrichtlinien zu. Dies wird deutlich, wenn sich die Behörde nicht an die Richtlinien halt. Maßgeblicher Bezugsrahmen der beanspruchten Gleichbehandlung ist dann nur das tatsachliche Verhalten der Behörde. - Zur Problematik der (ermessensbezogenen) Subventionsrichtlinien s. Tettinger, GewArch. 1981, 105 (112): "kein Rechtssatzcharakter"; ihre Eigenständigkeit starker betonend Henke, Wirtschaftssubventionen, S. 106 f., 128 ff. Zu Rechtsfolgen ihrer Veröffentlichung s. Schwerdtfeger, NVwZ 1984, 486 (487 ff.), der daraus unter dem Aspekt des Rechtsgeschäfts bzw. des Vertrauensschutzes einen Anspruch auf Subvention ableitet. 91
Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit gem. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG s. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, S. 59 ff. 92 Die neue StrlSchV von 1989 hat die Grenzwerte des 30-mrem-Konzepts - nunmehr in Sievert ausgedrückt - beibehalten; s. hierzu und zur Einführung der "effektiven Dosis" Czajka, NVwZ 1989, 1125 f. 93 Vgl. zum Verhältnis von § 45 StrlSchv (a.F.), § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und Art. 2 Abs. 2 GG Pietzcker, in: FS f. Bachof, 1984, S. 131 (141); Pieroth/SchUnk, Gmndrechte, Rdnr. 281, 289 sowie schon B.I.l.a. 94 Vgl. BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (265). Zur Veifassungsmaßigkeit der Dosisgrenzwerte s. bereits Götz, in: 4. Deutsches Atomrechts-Symposium, 1976, S. 177 (180 ff.), auf der Grundlage des damaligen Entwurfs der (seinerzeitigen) SSVO, der bereits das 30mrem-Konzept enthielt; a.A. Roßnagel, UPR 1990, 86 (88 ff.), dessen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Dosisgrenzwerte des § 45 StrlSchV aber nicht mit seiner These begründet werden können, daß diese "nicht identisch mit der Grenze des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG" seien. 95 U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (181 ff.). S. im einzelnen C.VI.4.b. 96
Vgl. BVerfG, B.v. 8.8.1978 - 2 BvL 8/77, E 49, 89 (133 ff.).
17 Schmidt-Preuß
C.V. Die Ordnungsno
230
letzung einer Nachbesserungspflicht gewertet. Die - gleichfalls im Rahmen der StrlSchV-Novelle von 1989 unverändert gebliebenen - Störfallplanungsdosen des § 28 Abs. 3 StrlSchV i.V.m. Anlage X Spalte 2 (5 rem) hat das BVerwG 97 nicht beanstandet. Ihre Maßgeblichkeit entfaltet die (ermächtigende) Ordnungsnorm nicht nur als Grenze der Verordnungsgebung, sondern auch als Maßstab der Auslegung. Die Verordnung ist - wie es das OVG Lüneburg98 in bezug auf § 3 Abs. 3 StörfallV und §§ 7 Abs. 1, 5 Nr. 1 BImSchG a.F. ausgedruckt hat gesetzeskonform' H auszulegen. Demzufolge hat das Gericht § 3 Abs. 3 StörfallV zu Recht als drittschützend qualifiziert 99 und damit zu erkennen gegeben, daß dem Verordnungsgeber mit der Verwendung des Begriffs der Vorsorge einefalsa demonstratio unterlaufen ist. 100
b) Die Zielsetzung normativer Konkretisierung Der Gesetzgeber101 darf sich nicht der Aufgabe entziehen, im Rahmen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung subjektive öffentliche Rechte selbst zu definieren. Allenfalls unter gehöriger Maßstabsvorgabe vermag er dem Verordnungsgeber die Befugnis zu derivativer Konkretisierung zu überlassen.102 Insoweit kann von einer Maxime normativer Konkretisierung der KonfliktSchlichtungsprogramme gesprochen werden. Es ist daher zu begrüßen, wenn die neue StrlSchV Expositionspfade und Lebensgewohnheiten der Referenzperson sowie übrige Angaben (Anlage X I zu § 45 Abs. 2 StrlSchV), die bislang lediglich in Verwaltungsvorschriften enthalten waren, nunmehr selbst festgelegt hat. Ebenso verdient es Beifall, wenn die neue SportanlagenlärmschutzV 103 die Schlichtung des Nutzungskonflikts zwischen "Sport" und "Wohnen" normativ bewältigt. Bekanntlich mußte bislang auf konkretisierende Regelwerke zurückgegriffen werden, die - wie die TA Lärm oder die VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 gewerblichen Lärm zum Gegenstand hatten oder wie die LAI-Hinweise 104 zwar von sachnäheren Beurteilungsgrundlagen ausgingen, aber noch unterhalb der
97
B.v. 17.4.1990-7 B 111.89, DVB1. 1990, 1167 (1169). B.v. 6.4.1984 - 7 B 16/83, DVB1. 1984, 890 (893). 99 S. C.VI.3.e.bb. 100 Vgl. Breuer, NVwZ 1990, 211 (221). 101 Vgl. hierzu Ossenbühl, in: Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 99 (101 ff. zu Verordnungen, S. 105 ff. zu Verwaltungsvorschriften). 102 Breuer, NVwZ 1988, 104 (110), bezeichnet die "Scheu vor Rechtsverordnungen" zu Recht als "bedenklich"; vgl. zur Problematik auch Sendler, UPR 1981, 1 (13). 103 18. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (SportanlagenlärmSchutzverordnung - 18. BImSchV) vom 18.7.1991, BGBl. I, S. 1588. 104 Dazu BVerwG, U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (149); zuvor distanzierter im U.v.19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (204). 98
V.4. Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschriften?
231
Ebene von Verwaltungsvorschriften angesiedelt sind. Als Beispiel derivativer verordnungsrechtlicher Konfliktschlichtung sei hier noch die Konkretisierung der bergrechtlichen Schadensvorsorge durch die Regelung von Sicherheitsabständen in § 30 BVOT Bin 105 genannt. So sehr einerseits eine möglichst weitreichende formell-gesetzliche oder doch wenigstens verordnungsrechtliche Regelung zu fordern ist, 106 so wenig kann andererseits bestritten werden, daß der ständige, z.T. rasante Fortschritt von Wissenschaft und Technik eine zeitgerechte und ausreichend flexible Fixierung detaillierter Anforderungen selbst im Verordnungswege nicht immer zuläßt. Daher ist es z.B. nicht zu beanstanden, daß auch nach der Novellierung der StrlSchV 1989 die sog. "weiteren Annahmen" zur Berechnung der Strahlenexposition als allgemeine Verwaltungsvorschrift ausgestaltet sind. 107 Gleiches würde gelten, wenn auch in Zukunft das Regelwerk zur Bewältigung des Lärmkonflikts (außerhalb des Sportlärms) in Form einer Neufassung der TA Lärm auf der Ebene der Verwaltungsvorschrift angesiedelt sein sollte.106 Es bleibt der Konfliktschlichtungsprärogative des Gesetzgebers109 überlassen, jederzeit die normative Festlegung von Berechnungswerken und Grenzwerten bis ins Detail vorzunehmen. Verfassungsrechtlich gezwungen ist er hierzu nicht.
4. Normkonkretisierung
durch Verwaltungsvorschriften?
a) Ablehnung der Verwaltungsvorschriften als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte Verwaltungsvorschriften können nicht Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte sein.110 Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um qualifizierte,
105 Bergverordnung für Tiefbohrungen, Tiefspeicher und für die Gewinnung von Bodenschätzen durch Bohrungen im Land Berlin - Tiefbohrverordnung - , v. 1.12.1981, GVB1. S. 1498. 106 Sehr strikt freilich die Forderung von 7. Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177 (189), Sicherheitsstandards seien "zumindest durch untergesetzliche Rechtsnormen festzulegen" (kurs. i.O.). 107
"Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 Strahlenschutzverordnung: Ermittlung der Strahlenexposition durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen oder Einrichtungen" v. 21.2.1990, BAnz. Nr. 64 a. Gesetzliche Gnindlage hierfür ist der 1989 neu geschaffene § 45 Abs. 2 S. 2 StrlSchV. Im übrigen sind die Freigrenzen und die Grenzwerte der Jahres-Aktivitatszufuhr ebenso wie die in der StrlSchV nicht aufgeführten Dosisfaktoren unter dem 5.9.1989 im BAnz. Nr. 185 a veröffentlicht; s. hierzu die Bezugnahmen in Eingangssatz zu Anlage IV 1 sowie in Nr. m . l zu Anlage X I zur StrlSchV 1989. 108
Vgl. zu den Novellierungsüberlegungen Feldhaus, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, 1990, S. 153 (155 ff.). 109 S.o. B.I.l.a. 110
Vgl. Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 57 Fn. 236;
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C . V . Die Ordnungsnorm
auf der Grundlage spezialgesetzlicher Ermächtigung nach Anhörung der beteiligten Kreise zu erlassende Verwaltungsvorschriften wie z.B. die T A L u f t 1 1 1 (vgl. §§ 48, 51 BImSchG), um sonstige allgemeine i.S.v. Art. 84 Abs. 2 G G 1 1 2 oder schließlich um einfache Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) 1 1 3 handelt. Auch die Qualifizierung als normkonkretisierend verhilft ihnen nicht dazu, als Grundlage subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung in Betracht kommen zu können. Insoweit wird zwar unter Berufung auf das Wyhl-Urteil des B V e r w G 1 1 4 vielfach von einem eigenständigen Typus gesprochen, dem Bindungswirkung auch für die Gerichte zukommen soll. 1 1 5 D i e Konsequenz dieser These wäre für den hier interessierenden Zusammenhang, daß sich z.B. ein Nachbar unmittelbar auf Immissionswerte der N r . 2 . 5 . 1 der T A Luft (Schutz vor Gesundheitsgefahren) berufen könnte, um einen Genehmigungsabwehranspruch zu begründen. Hiervon kann aber keine Rede sein. D i e Konflikt-
Wolff/Bachofy VerwR I, § 43 I b 2 (S. 324), mit dem Hinweis auf einen eventuellen Gleichbehandlungsanspruch. A.A. Brohm, in: FS f. Menger, 1985, S. 235 (243 f.): Der Dritte habe ein Recht auf "Einhaltung von Verwaltungsvorschriften"; Jarass, NJW 1983, 2844 (2847); s. auch ders., in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (62): Drittschutzend seien § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG "sowie die diese Grundpflicht konkretisierenden Immissionsgrenzwerte der TA Luft"; nicht ausdrucklich wiederholt in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (385 f.). 111 "Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BImSchG (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft)" v. 27.2.1986, GMB1. S. 95, ber. S. 202; s. auch die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift Ober genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung GewO. Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)" v. 16.7.1968, Beilage zum BAnz. Nr. 137 v. 26.7.1968, die auf der Grundlage von § 16 GewO a.F. erlassen worden war. 112 Diese werden von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, s. dazu Lerche, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 96 ff. zu Art. 84. An der Zustimmung durch den Bundesrat gem. Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG fehlt es bei den Störfall-Leitlinien von 1983 ("Leitlinien zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren gegen Störfalle im Sinne des § 28 Abs. 3 Strahlenschutzverordnung - Störfall-Leitlinien - " vom 18.10.1983, BAnz. Nr. 245 a vom 31.12.1983). Sie können danach nicht als innenrechtliche Verwaltungsvorschrift mit Bindungswirkung für die Amtswalter der atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Lander angesehen werden. Vgl. hierzu Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformuberiegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (390 ff.); s. unter Hinweis u.a. auf "Leitlinien" auch Greipl, Art. 19 Abs. IV, S. 47. 113 Vgl. insgesamt mit vielfaltigen Differenzierungen Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 250 ff., 282 ff., 362 ff., unter organisationrechtlichen, verhaltenslenkenden sowie föderalinneradministrativen Aspekten; s. auch ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR HI, Rdnr. 3 ff. zu § 65. 114 BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (320). 115 Vgl. aus der Lit. Ossenbühl, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 7 Rdnr. 53; Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformuberiegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (380,385); Papier, in: FS f. Lukes, 1989, S. 159 (162); Hill, NVwZ 1989, 401 (409); Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2238 ff.); Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 22 zu § 3 (S. 45); Erbguth, DVB1. 1989, 473 (477 f.); zurückhaltender die These eines administrativen Standardisierungsspielraums von Breuer, NVwZ 1988, 104 (111): "sekundärer Vorgang der Korrektur und Eigänzung". S. aus der Rspr. OVG Lünebuig, U.v. 28.6.1989 - 7 A 106/86, Ausfertigung, S. 25; OVG Münster, U.v. 9.7.1987 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 r.Sp.
V.4. Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschriften?
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schlichtungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers 116 weist nicht nur der Judikative, sondern auch der Exekutive Grenzen, die nicht überschritten werden können. 1 1 7 Rechtsquellentheoretisch bedeutet dies, daß subjektive öffentliche Rechte - sieht man vom Ausnahmefall des Gewohnheitsrechts ab - nur durch das materielle Gesetz geschaffen werden können. 1 1 8 Rechtsnormqualität aber kommt Verwaltungsvorschriften nicht zu. Anderes ergibt sich i m übrigen auch nicht aus der Passage i m Wyhl-Urteil des B V e r w G 1 1 9 , in der das Gericht der seinerzeitigen, das 30-mrem-Konzept enthaltenden Allgemeinen Berechnungsgrundlage 120 "im Gegensatz zu lediglich norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften" eine "normkonkretisierende Funktion" zuerkannte. Der Versuch, hieraus eine Bindungswirkung abzuleiten, würde den ausdrücklichen Zusatz mißachten, daß die Verbindlichkeit für die Verwaltungsgerichte nur "innerhalb der von der N o r m gesetzten Grenzen" gelte. Dies wird bestätigt, wenn das B V e r w G 1 2 1 in einem immissionsschutzrechtlichen Drittabwehrfall die
116
S.o. B.I.l.a. Das spricht auch gegen Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2234 ff.), der sich zur Legitimation der Bindungswirkung namentlich darauf beruft, daß verfahrensmäßige Sicherungen und Vorkehrungen nach dem Vorbild der §§ 48, 51 BImSchG auch sachliche Richtigkeit gewährleisten würden. Dem läßt sich entgegenhalten, daß gerade im AtG eine derartige "Ermächtigung" fehlt, so daß es in der Tat insoweit auf die "materiellrechtlichen Vorgaben" (ibid., S. 2238) des Atomrechts ankommen müßte. Gerade wenn man aber entscheidend auf die verfahrensmäßige Legitimationsgrundlage von normkonkietisierenden Verwaltungsvorschriften abstellt, erscheint die Ausgangsthese angesichts der Divergenz zwischen § 48 BImSchG und § 4 Abs. 5 AbfG auf der einen Seite und dem Fehlen entsprechender "Ermächtigungen" im AtG (dazu Breuer, NVwZ 1988, 104 (111); Papier, in: FS f. Lukes, 1989, S. 159 (162); Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (383)) auf der anderen Seite als nicht überzeugend. Dies wird auch nicht dadurch entkräftet, daß nunmehr § 45 Abs. 2 S. 2 StrlSchV 1989 bezüglich der sog. "weiteren Annahmen" die Bundesregierung zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates - freilich ohne Anhörung der beteiligten Kreise - ermächtigt. 117
118 Abi. auch - unter dem Aspekt der Gewaltenteilung - Bachof \ VVDStRL 47 (1989), 232 (233 f.); s. ferner Breuer, NVwZ 1988, 104 (112), der auch auf der Grundlage des von ihm entwickelten exekutivischen Standardisierungsspielraums eine Außenwirkung verneint. S. aus anderem Blickwinkel einschränkend Fiedler, in: Ress (Hrsg.), Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1990, S. 315 (333): Eine "'gerichtsfreie' Letztverbindlichkeit ... wäre ... nur zu verantworten, wenn ... auf der Seite der Exekutive bestimmte organisatorische Mindesterfordernisse erfüllt wären". 119 U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (320); im U.v. 19.1.1989 - 7 C 31.87, E 81, 185 (190), spricht der 7. Senat des BVerwG in bezug auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG von "Beuiteilungsspielraum". 120 "Allgemeine Berechnungsgrundlage für die Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässer (Richtlinie zu § 45 StrlSchV)" v. 15.8.1979, GMB1. 1979, S. 371. Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (391 f.), weist daraufhin, daß die Richtlinie mangels Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 85 Abs. 2 GG keine Verbindlichkeit für die in Bundesauftragsverwaltung tätigen (Landes-)Behörden hätten und damit "erst recht nicht außenwirksam" sein könnten; vgl. auch Greipl, Art. 19 IV GG, S. 47.
C . V . Die Ordnungsnorm
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Frage offen gelassen hat (und offen lassen konnte), ob - wie das OVG Münster 122 annimmt - die TA Luft 123 als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift 124 zu bezeichnen sei, und dem klärend die Bemerkung hinzugefügt hat, daß dieser Terminus nicht bedeute, sie sei "vom Gericht ohne Rücksicht auf Erkenntnisfortschritte 'originär' wie ein Gesetz anzuwenden".125 Stattdessen bleibt es bei der oben dargelegten Maßgeblichkeit des Konfliktschlichtungsprogramms des (materiellen) Gesetzes. l2 Ä
b) Die exekutivische Auslegungsofferte Dieses Ergebnis scheint auf den ersten Blick an der praktischen Bedeutung von ("nonnkonkretisierenden'') Verwaltungsvorschriften 127 vorbeizugehen. In der Tat ist die Rechtsanwendung gerade in multipolaren Konfliktlagen des Umweltrechts und des immissionsbezogenen Baurechts, das der konkret-empirischen Auslegung bedarf, 128 in besonderem Maße auf Verwaltungsvorschriften als Erkenntnismittel angewiesen. Sie als Quelle subjektiver öffentlicher Rechte abzulehnen, führt denn auch keineswegs zu ihrer rechtlichen Irrelevanz. 129 Vielmehr kommt ihnen die Funktion einer exekutivischen Auslegungsofferte zu. 1 3 0 Dies bedeutet, daß sich die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung 121
Zitat.
B.v. 15.2.1988 - 7 B 219/87, NVwZ 1988, 824 (825); dort befindet sich auch das nächste
122
U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 r.Sp.; ebenso U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 l.Sp. 123 S.o. Fn. 111; in der Fassung v. 23.2.1983 (GBM1. S. 94) waren u.a. die Immissionagrenzwerte mit den dazu gehörenden Berechnungsverfahren neu festgelegt worden; dazu Kutscheidt, NVwZ 1983, 581 ff., 583 f.; Feldhaus/Ludwig, DVB1. 1983, 565 (566 ff.). 124 Das OVG Lüneburg sprach zunächst weiterhin noch von "norminterpretierenden" Verwaltungsvorschriften (B.v. 29.9.1986 - 7 D 4/86, NVwZ 1987, 342 (344)), hat jetzt aber die Terminologie der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift übernommen, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 25: in bezug auf die Störfall-Leitlinien von 1983. 125 S. jetzt auch BVerwG, U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (149): Vorrang der "Bewertungen" des BImSchG vor technischen Regelwerken; B.v. 13.7.1989 - 7 B 50.89, Ausfertigung, S. 4 (zur TA Luft). 126 B.I.l.a. 127 S. hierzu Ossenbühl, in: Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 99 (109) mit der Feststellung, daß die "eigentlichen, praktisch bedeutsamen Entscheidungen nicht im förmlichen Gesetz, sondern in den das Gesetz begleitenden Verwaltungsvorschriften getroffen werden". 128 129
S.o. C.m.6.a.
In diesem Sinne außerordentlich weitgehend / . Ipsen, WDStRL 48 (1990), 177 (191); hierzu krit. Badura, ibid., S. 266 (267 f.). 130 Im Gegensatz zur Kategorie des Beurteilungsspielraums, die sich auf die Rechtsanwendung bezieht (vgl. Bachof, JZ 1955, 97 (99); Papier, DÖV 1986, 621 (624)), geht es hier um (typisierende) Auslegung. Der Hinweis von Jesch, AöR 82 (1957), 163 (186 ff., 220 ff.), daß eine
V.4. Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschriften?
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der Ordnungsnorm die technisch-wissenschaftlichen Aussagen und Wertungen131 der Verwaltungsvorschrift zu eigen machen dürfen. Der vom BVerfG zur richterlichen Kontrolle von Steuerrichtlinien im Beschluß vom 31.5.1988 132 entwickelte Gedanke einer Heranziehung derartiger Vorschriften "aus eigener Überzeugung" kann verallgemeinert werden. Die Übernahme der exekutivischen Auslegungsofferte erfolgt damit in freier Kognition. In diesem Sinne kommt es darauf an, daß - wie der 7. Senat des BVerwG 133 prägnant formuliert hat - das Gericht die "Regelwerke nicht wie Normal" anwendet, "sondern in ihnen nach kritischer Überprüfung Hilfen für die tatrichterliche Würdigung" sieht. Auf diese Weise bleibt die Maßgeblichkeit der Ordnungsnorm gewahrt; gleichzeitig ist die notwendige Einheitlichkeit von Rechtsauslegung und -anwendung sichergestellt, ohne auf die erforderliche Flexibilität insbesondere zur Erfassung atypischer Fälle verzichten zu müssen. Eine rechtliche Bindung strictu sensu besteht nicht. Dies bedeutet freilich, daß Verwaltungsvorschriften für die Umsetzung von grenzwertbezogenen EG-Richtlinien nicht in Betracht kommen. Insofern gilt für die beiden Urteile des EuGH vom 30.5.1991 134 das, was Rupp 135 wie folgt umschrieben hat: "Mehr und Besseres läßt sich zum Thema 'Außenwirkung' von Verwaltungsvorschriften eigentlich nicht sagen." Die Entscheidungen des EuGH sind nur ein äußeres Indiz dafür, daß an der bisher weithin vertretenen Meinung von der gerichtsbindenden Wirkung "normkonkretisierender" Verwaltungsvorschriften nicht festgehalten werden kann. 136
"grundsatzliche Trennung von Interpretation und Subsumtion nicht möglich" sei, trifft insoweit zu, als beide in einem inneren Zusammenhang stehen. An der prinzipiellen Unterscheidung kann das aber nichts ändern; vgl. Bachof, DVB1. 1957, 788 (790). 131 Die Tatsache, daß Verwaltungsvorschriften Wertungen enthalten, spricht gegen das Konzept des antizipierten Sachverständigengutachtens, das im Zusammenhang mit dem VoerdeUrteil (BVerwG, U.v. 17.2.1978 - 1 C 102.76, E 55, 250 (258); dazu Breuer, DVB1. 1978, 28 (33 ff.); ders.y DVB1. 1978, 598 (599)) vorherrschend war; krit. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ffl, Rdnr. 60 zu § 65; für nach wie vor aktuell hält es Vallendar, UPR 1989, 213 (215). 132 1 BvR 520/83, E 78, 214 (229), kurs.i.O., zur Auslegung von §§ 33 a Abs. 1, 33 Abs. 2 EStG; die Passage zum "Sonderfall der atomrechtlichen Genehmigung" bezieht sich auf die vom BVerwG im Wyhl-Urteil v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 70, 300 (316 f.), angenommene Verantwortung der Exekutive für die "Risikoermittlung und -bewertung"; wie im Text dargelegt, gilt die Auslegungsofferte auch im Atomrecht. Zu dem Beschluß des BVerfG Streinz, BayVBl. 1989, 550 (552). 133 B.v. 7.8.1991 - 7 B 48.91, BayVBl. 1992, 58 r.Sp. 134
Rs. C-361/88, NVwZ 1991, 866 (867), und Rs. C-59/89, NVwZ 1991, 868 f.; vgl. auch H.-J. Koch, WUR 1991, 350 (351), der es als "geradezu selbstverständlich" bezeichnet, "daß der EuGH zwingende Grenzwertfixierungen in der Bundesrepublik nicht zu erkennen vermochte"; s. ferner positiv Steiling, NVwZ 1992, 134 (137 f.); dagegen teilweise krit. A. Weber, UPR 1992, 5
(8 f.). 135
JZ 1991, 1034 (1035).
136
Bemerkenswerterweise räumen Erbguth/Schink,
die durchaus die auch für Gerichte
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C . V . Die Ordnungsnorm
Es kann damit gerechnet werden, daß sich die Gerichte die Konfliktlösungskonzepte von Verwaltungsvorschriften auch tatsächlich zu eigen machen werden, wenn sie nicht erkennbar auf falschen Annahmen beruhen, durch hinreichend sichere neue Erkenntnisse überholt sind oder in ihrer Generalisierung den Besonderheiten eines zu entscheidenden atypischen Einzelfalles nicht entsprechen. Eine pauschale und schematische "Anwendung" - namentlich von Grenz- bzw. Richtwerten und den ihnen zugeordneten Meßverfahren - wäre aber nicht zulässig. So ist unter dem Aspekt einzelorientierter Flexibilität137 bei der Ermittlung der konfliktschlichtenden Erheblichkeitsschwelle darauf zu achten, daß die bauplanungsrechtlichen Gebietskategorien der Nr. 2.321 TA Lärm nicht zu starr gehandhabt werden und damit einer gerechten "Zwischenwertbildung" im Wege stehen.138 Andererseits darf der stabilisierende Effekt der Verwaltungsvorschriften nicht durch einen Einzelfalldezisionismus gefährdet werden. 139 Trotz verschiedenen Ausgangspunktes besteht damit eine Parallele zu dem von Scholz 140 vorgeschlagenen Konzept gesetzlich implizierter Vermutungen. Auch diese respektieren die Maßgeblichkeit des Gesetzes, wirken aber nach Maßgabe richterlicher Einschätzung ihrer sachinhaltlichen Richtigkeit. Sind die Verwaltungsvorschriften sachgerecht, kann erwartet werden, daß die Gerichte sie sich aus eigener Verwantwortung zu eigen machen werden. Der Gesetzgeber kann dies in Rechnung stellen und sich deshalb dazu entschließen, von normativ-bindenden Einzelvorgaben abzusehen. Diese
verbindliche Wirkung von " normkonkretisierenden" Verwaltungsvorschriften bejahen, nunmehr unter Hinweis auf die beiden vorgenannten Urteile des EuGH ein, daß das "Europarecht" dazu nötige, "die bisherige Dogmatik zur Verbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften zu überdenken", UVPG, Rdnr. 10 a.E. zu § 20 137 Sie erweist sich etwa darin, daß das Gericht von dem 16stündigen Bezugszeitraum der TA Lärm und der VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 abgehen kann, wenn die lärmverursachenden Voigänge in einem kürzeren, z.B. von Ladenöffnungszeiten abhängigen Turnus anfallen, s. OVG Lüneburg, B.v. 30.9.1987 - 1 VB 63/87, DWW 1988, 218 (220); in diesem Sinne hat das OVG Münster, U.v. 10.11.1988 - 21 A 1104/85, NVwZ-RR 1989, 638 (641), die Fälle der in Nr. 2.2.1.3 TA Luft 1986 vorgesehenen Sonderprüiung zu Recht nicht als abschließend angesehen. 138 Zu stark an einer rein gebietsspezifischen Zumutbarkeit orientiert H.-J. Koch, in: ders. (Hrsg.), Schutz vor Lärm, 1990, S. 41 ( 42 ff.), unter Bezugnahme auf den Schießplatz-Beschluß des BVerwG vom 6.8.1982 - 7 B 67.82, NVwZ 1983, 155 r.Sp.; die Aussagen dieser Entscheidung relativiert Gaentzsch, ibid., S. 31 (22). In der Sache kommt es auf eine "situationsbezogene Abwägung und auf einen Ausgleich widerstreitender Interessen an" (BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (200)); zur multipolaren Abwägung s.o. C.n.2.a.bb. 139
Dazu VGH München, U.v. 18.12.1986 - 22 B 84 A.1252, NVwZ 1988, 175 r.Sp.; einschränkend Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (198 f.), der für eine Berücksichtigung der Vermeidbarkeit im Rahmen der Zumutbarkeit gem. § 22 Abs. 1 BImSchG plädiert. - Z.T. beziehen die Verwaltungsvorschriften selbst Sonderfaktoren ein, s. z.B. Nr. 2.422.3 TA Lärm (Zuschlag zur Berücksichtigung von Einzeltönen). 140
In: Der Bundesminister für Wirtschaft (Hrsg.), Sicherheitstechnische Rechtsvorschriften im deutschen und europäischen Recht, 1984, S. 140 ff., 142.
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Betrachtungsweise gilt nicht nur für Verwaltungsvorschriften, sondern auch für Regelwerke privater Gremien (z.B. VDI-Richtlinien, KTA-Regeln) oder in staatlichem Auftrag tatiger Kommissionen, deren Äußerungen vielfach amtlich bekanntgegeben werden (z.B. RSK-Leitlinien).141 Die Rechtsprechung verfahrt weitgehend im Sinne der "exekutivischen Auslegungsofferte". So hat das BVerwG z.B. im Hinblick auf Geräuschimmissionen eines Getränkemarkts die T A Lärm zu Recht an § 34 BBauG/ BauGB gemessen und betont, daß deren Richtwerte dann nicht eine normgerechte Festlegung der Zumutbarkeitsgrenze darstellen, wenn "die besondere Lästigkeit von bei der bestimmungsgemäßen Nutzung plötzlich auftretenden, besonders intensiven Geräuschen ... in ihrer spezifischen Störqualität nicht zutreffend erfaßt" 142 werde. Das OVG Lüneburg 143 hat die Auslegungsofferte des Beurteilungsgebiets nach Nr. 2.6.2.2 TA Luft 1983 als Konkretisierung der Nachbarschaft gem. § 5 Nr. 1 BImSchG a.F. ( = § 5 Abs. 1 Nr. BImSchG) akzeptiert und die Immissionsgrenzwerte der T A Luft als Konkretisierung der drittschutzauslösenden Erheblichkeitsschwelle zugrunde gelegt. Da nach der Definition des Beurteilungsgebiets in Nr. 2.6.2.2 TA Luft 1983 i.V.m. der Ausbreitungsberechnung der Anlage D darüber hinaus anfallende relevante Immissionen nicht mehr zu erwarten seien, "deckt es sich in aller Regel mit dem raumlichen Bereich der Nachbarschaft" 144 i.S.d. § 5 Nr. 1 BImSchG ( = § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Außerhalb des Beurteilungsgebietes lebende Personen könnten "nur unter Darlegung besondere Umstände" geltend machen, als Nachbar beeinträchtigt zu werden. Nach Auffassung des OVG Lüneburg 145 legen zwar die Immissionsgrenzwerte der T A Luft "trennscharf fest, welche Umwelteinwiikungen dem einzelnen noch zuzumuten sind, welches verbleibende Risiko er mithin nach der Wertung des Gesetzes zu tragen hat". Dies gilt aber eben nur insoweit, als diese Aussage auch als sachautoritative Konkretisierung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG angesehen werden kann. In diesem Sinne
141
S. hierzu überzeugend VG Oldenburg, U.v. 14.12.1989 - 3 OS A 20/87, Ausfertigung,
S. 39 ff. 142
Vgl. BVerwG, B.v. 20.1.1989 - 4 B 116.88, NVwZ 1989, 666 (667). S. auch VGH München, U.v. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 (200): Zuschlage von 6 dB(A) und Anwendung des Taktmaximalverfahrens bei Sportlärm (Tennisplatz); zu Impulshaltigkeit und Lärmspitzen Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (198); Umweltgutachten 1987, Rdnr. 1418 ff. 143 B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (409 ff.). 144 Ibid., S. 411; s. auch Junker/de la Riva/Schwarz, Genehmigungsverfahren und Umweltschutz, Anm. 7 zu Nr. 2.6.2.2 TA Luft (S. 17); anders Jarass, BImSchG, Rdnr. 57 zu § 3. 145 B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (410); s. auch OVG Lüneburg, B.v. 16.8.1985 - 7 B 15/85, Ausfertigung, S. 25 (insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 1986, 671).
C . V . Die Ordnungsnorm
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hat das OVG Lüneburg 146 z.B. auch die IrrelevanzzifFer von 1 % des IW1Wertes zu Recht nicht einfach hingenommen, sondern erst nach eigener Würdigimg als "rechtlich nicht zu beanstanden" akzeptiert. Das entspricht voll dem Konzept der exekutivischen Auslegungsofferte, demzufolge sich der Richter im Rahmen der Ordnungsnorm aus eigener Überzeugung die Konfliktregelung der Verwaltungsvorschrift zu eigen machen kann und dies bei Sachgerechtigkeit im zu entscheidenden Fall auch tun wird. So gesehen ist auch dem OVG Koblenz147 zuzustimmen, wenn es die TA Luft als eine "geeignete, wenn nicht optimale Erkenntnisquelle auch für das Gericht" bezeichnet, "sofern sich nicht aufgrund neuer gesicherter Erkenntnisse ergibt, daß die Grenze zwischen schädlicher und unschädlicher Umwelteinwirkung in davon abweichender Weise verläuft". Der V G H 1 4 8 Kassel hat schließlich bei der Auslegung des § 17 Abs. 5 AtG die Frage, ob den Störfall-Leitlinien die Qualität normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im Sinne der Verbindlichkeit für das Gericht zukomme, ausdrücklich offen gelassen und zutreffend betont, daß sie "jedenfalls geeignet" seien, dem Senat "als Hilfe bei einer zwangsläufig lediglich typisierenden Betrachtung von Risikofaktoren zu dienen".
c) Verwaltungsvorschriften außerhalb technisch-wissenschaftlicher Konkretisierung Verwaltungsvorschriften spielen auch außerhalb konkret-empirischer Auslegung eine bedeutende Rolle bei der Sinnermittlung normativer Konfliktschlichtungsprogramme. Erwähnt sei hier z.B. die "administrative Konkretisierung" 149 durch Verwaltungsvorschriften zu § 10 Abs. 3 S. 3 GüKG 150 sowie Regelweike zu § 12 a BTO EU a.F. 151 und zu § 3 Abs. 1 NÄG. 1 5 2 Die besondere Bedeutung
146 147
B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (412 f.).
B.v. 11.6.1990 - 7 B 10811/90, Feldhaus - BImSchG § 5 -3, S. (3). 148 B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1187), unter Hinweis auf den Steuerrichtlinien-Beschluß des BVerfG (s.o. Fn. 132). 149 BVerwG, U.v. 7.10.1988 - 7 C 65.87, E 80, 270 (279); s. auch OVG Münster, U.v. 13.6.1988 - 13 A 1775/87, NWVBL 1989, 143 (144 ff.), das eine Veröffentlichungspflicht ablehnt, dazu D.IV.2.C. 150 S. z.B. den Kriterienkatalog der das Prinzip der Bestenauslese des § 10 Abs. 3 S. 3 GüKG für die einzelnen Bewerbergruppen ausfüllenden "Kriterien" in Ziff. 5 der Bekanntmachung des Regierungspräsidenten von Düsseldorf über die "Öffentliche Ausschreibung von Genehmigungen für den grenzüberschreitenden Güterfernverkehr..." v. 5.2.1987, Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf v. 5.2.1987, S. 31 ff. 151 "Arbeitsanleitung zur Darstellung der Kosten- und Erlösentwicklung in der Stromversorgung (nach dem Erhebungsbogen K)", abgedr. bei Obernolte/Dartner, Energiewirtschaftsrecht (Anhang 5 zu Energiepreisrecht in). S. hierzu VGH München, U.v. 12.1.1989 - Nr. 22 B 82 A.1318, DVB1. 1989, 524 (525 f.), wo das Gericht § 12 a Abs. 2 BTO Eh 1980 einen Auftrag der
V.4. Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschriften?
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von Verwaltungsvorschriften im Subventionsbereich bedarf keiner besonderen Hervorhebung. 153 Bisweilen hat der Vorschriftengeber von einer ausdrücklich eingeräumten Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften keinen Gebrauch gemacht. So hat etwa der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bislang keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates gem. § 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG zur Konkretisierung des besonderen Falls, in dem einer Frau während der Zeit der schwangerschaftsbedingten Kündigungssperre ausnahmsweise gekündigt werden darf, erlassen. Insoweit können die zu § 18 BerzGG ergangenen Verwaltungsvorschriften 154 wegen der andersartigen Konfliktlage nur begrenzt herangezogen werden. 1 5 5 Wenn der Gesetzgeber selbst ausdrücklich zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften ermächtigt, sollte die Exekutive diese Möglichkeit i m Interesse sachbezogener und einheitlicher Gesetzesauslegung nutzen. In wechselbezüglichen Konfliktlagen kann Art. 12 Abs. 1 G G normative konfliktlösende Auswahl- und Verteilungsmaßstäbe verlangen. 1 5 6 Dies ist dort
Preisbehörde zur "Normkonkretisierung" entnimmt, dem diese durch Erstellung der "Arbeitsanleitung" mit Verbindlichkeit auch für das Gericht nachgekommen sei; gegenüber einem derartigen "Beurteilungs- und Konkretisierungsspielraum" deutlich distanziert BVerwG, B.v. 28.6.1991 - I C 15.89, Ausfertigung, S. 3. 152 "Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 11.8.1980 i.d.F.v. 18.4.1986 (NamÄndVwV)", BAnz.-Beilage 26/80; s. u.a. deren Nr. 62, wonach Vornamen von Kindern im Alter zwischen eins und sechzehn "nur aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Kindes geändert werden" dürfen; es handelt sich hierbei um einen klassischen Fall norminterpretierender Verwaltungsvorschriften; dazu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 56 ff. zu § 65. Zur multipolaren Abwägung in der namensrechtlichen Judikatur vgl. VGH Mannheim, U.v. 9.7.1991 - 13 S 395/90, NJW 1991, 3297 f., das aus dem Beschluß des 1. Senats des BVerfG v. 5.3.1991 - 1 BvL 83/86, 24/88, DVB1. 1991, 485 (486 ff.), eine "Verschiebung der Gewichte der - ohnehin im Einzelfall zu bewertenden ... - Belange" bei Aufrechterhaltung der Abwägungsformel des BVerwG (s. vor allem U.v. 10.3.1983 - 7 C 58.82, E 67, 52 (53 ff.): Die Namensänderung müsse für das Wohl des Kindes "erforderlich" sein) annimmt; hierüber noch hinausgehend OVG Schleswig, U.v. 26.11.1991 - 4 L 19/91, NJW 1992, 331 ff., das die Namensänderung schon dann für zulässig hält, wenn sie dem Wohl des Kindes förderlich ist; ebenso OVG Lüneburg, U.v. 7.11.1991 - 10 L 278/89, NJW 1992, 997 f. 153 S. zu den Richtlinieninhalten H. P. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR IV, Rdnr. 41 ff. zu § 92; zur Klassifizierung als "gesetzesunabhängige Verwaltungsvorschriften" Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR m, Rdnr. 62 zu § 65; aus der Rspr. BVerwG, U.v. 6.11.1986 - 3 C 72/84, NVwZ 1987, 315 (316). Die Praxis der Subventionsvergabe auf Grund des (formellen) Haushaltsgesetzes ist trotz gewichtiger Bedenken nicht zu beanstanden; s. dazu B.H.2.c.bb. 154 "Allgemeine Verwaltungsvorschriften zum Kündigungsschutz bei Erziehungsurlaub (§18 Abs. 1 Satz 3 des Bundeserziehungsgeldgesetzes)" v. 2.1.1986, BAnZ. Nr. 1 v. 3.1.1986, S. 4. 155 S. hierzu Meisel/Sowka, Mutterschutz, Rdnr. 109, 113 zu § 9; und unten C.VI.9.b. 156 Zur Notwendigkeit gesetzlicher Regelung der Vergabegrundsätze Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR UI, Rdnr. 41 zu § 65; s. die seinerzeitige Mahnung des BVerwG, U.v.
240
C . V . Die Ordnungsnorm
besonders wichtig, wo der Markzutritt reguliert ist. Für den Fall, daß Vorbehaltsprinzip und Wesentlichkeitstheorie eine gesetzliche Regelung zwingend gebieten, können Verwaltungsvorschriften für eine Übergangszeit als im Sinne einer "Notkompetenz"157 bis zum Erlaß eines Gesetzes hingenommen werden.158
5. Exkurs: Ordnungsnormen des EG-Rechts a) Primärrecht am Beispiel des Beihilfenverbots Schließlich bleibt zu fragen, ob auch Vorschriften des primären und sekundären EG-Rechts als Ordnungsnormen, auf die sich Private vor den nationalen Verwaltungsgerichten zur Begründung subjektiver öffentliche Rechte in multipolaren Konfliktlagen berufen können, in Betracht kommen.159 Was das primäre EG-Recht betrifft, sei dies am Beispiel des Subventionskonflikts vor dem Hintergrund des Beihilfenverbots der Art. 92 f. EWGV erörtert. Der EuGH1® hat ausgeführt, daß die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts "unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen," sein können, "einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen". Voraussetzung unmittelbarer Anwendbarkeit sind Bestimmtheit und Unbedingtheit der Regelung. Insoweit hat Oppermann 161 von der "Schaffung subjektiv-öffetulicher Rechte und Pflichten" durch "alle Normal des Gemeinschaftsrechts" gesprochen, "die der Sache nach abschließend,
3.11.1976 - v n C 60.74, E 51, 235 (238 ff.), dem der Gesetzgeber 1979 mit der Änderung des § 10 Abs. 3 GüKG gefolgt ist. 157 So VGH Mannheim, B.v. 31.8.1988 - 9 S 2624/88, NVwZ 1990, 87 (89). 158 S. BVerfG, B.v. 18.7.1986 - 1 BvR 787/89, E 73, 280 (297), zum AuswaWverfahren für den Zugang zu Notarstellen, s. insoweit S. 296: "rechtssatzförmiger Regelungsbedarf nicht nur hinsichtlich der Auswahlgesichtspunkte, sondern auch hinsichtlich des Auswahlverfahrens"; s. jetzt § 6 Abs. 3 BNotO i.d.F.d. Gesetzes v. 29.1.1991 (BGBl. I S. 150). Demgegenüber hat das BVerwG, U.v. 6.11.1986 - 3 C 72.84, NVwZ 1987, 315 ff., einer Klage auf Unterlassung wettbeweibswidriger Ausschließung vom Zugang zu (geforderter) Beratung auf Grund von Verwaltungsvorschriften ohne weiteres stattgegeben. Nicht in Frage gestellt wurde eine Warteliste für Lehramtsbewerber, wobei die Aufnahme in diese nicht Voraussetzung für eine Ernennung war, BVerwG, U.v. 22.2.1990 - 2 C 13.87, NVwZ-RR 1990, 619 f. 159 Hiervon zu trennen ist die Frage der Anrufung des EuGH durch einen Konkurrenten gem. Ait. 173 Abs. 2 EWGV; danach kann jede natürlich oder juristische Person auch gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, "die, obwohl sie ... als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen." S. hierzu die Ausgangslage in EuGH, U.v. 10.12.1969 - Rs. 10 und 18/68, Slg. 1969, 459 ff., sowie J. Schwane, in: GS f. W. Martens, 1987, 819 (844); von Burchard, EuR 1991, 140 (145 ff.). 160 U.v. 9.3.1978 - Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 (643 f.). 161 Europarecht, Rdnr. 536 (kurs. i.O.); s. auch Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 829 ff.
V.5. Ordnungsnormen des EG-Rechte
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vollständig, rechtlich perfekt sind". Daß sich in diesem Sinne der einzelne auf das (primäre) Gemeinschaftsrecht zur Begründung eines subjektiven Rechts berufen kann, hat der EuGH bereits im "van Gend & Loos"-Urteil vom 5.2.1963 1 6 2 unterstrichen. Zuleeg stellt unter kritischer Erörterung des Merkmals der den Interessen des einzelnen zu dienen bestimmten Rechtsnorm entscheidend auf die gesetzlich eingeräumte Rechtsmacht10 ab. Insbesondere soweit die (unbedingten) " Staatenverpflichtungen der Ermöglichung und Erhaltung der fünf Grundfreiheiten" des EWGV dienen, entspreche es der "Zielrichtung des Gemeinsamen Marktes", subjektive Rechte auf Grund klarer und uneingeschränkter Vertragsbestimmungen zuzuerkennen.164 Die damit konzipierte rechtsbegründende Funktion der Freiheit des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft läßt die Parallele zur Vermutungsthese deutlich werden. 165 Daher kann diesem Ansatz fur bipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse zugestimmt werden. In multipolaren Konfliktlagen muß jedoch auch für die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte aus EG-Recht die Tatsache berücksichtigt werden, daß es dabei um einen Streit zwischen Privaten geht. Dies bedeutet, daß der sachliche Aussagegehalt der Norm des primären (oder sekundären) EGRechts hinreichend genau den rechtszuweisenden Ausgleich kollidierender Privatinteressen erkennen lassen muß. Hierfür ist auf die noch zu entwickelnde Konfliktschlichtungsformel 166 zu verweisen. Für den Fall der Subventionskonkurrenz muß zunächst festgehalten werden, daß Art. 92 Abs. 1 EWGV im Hinblick auf den Konkretisierungsvorrang zugunsten der Kommission der unmittelbaren Anwendbarkeit entbehrt. Erst wenn die Feststellung der Kommission gem. Art. 93 Abs. 2 1 6 7 erfolgt oder die Sperrwirkung nach Art. 93 Abs. 3 S. 3 EWGV 1 6 8 eingetreten ist, 169 sind die Voraussetzungen direkter Anwendbarkeit gegeben. Soll sich ein Unternehmen, das von einer Subvention ausgeschlossen ist, im Rahmen eines subventionsrechtlichen Abwehrbegehrens vor dem deutschen Verwaltungsgericht auf Art.
162
Rs 26/62, Slg. 1963, 1 (25), zu Art. 12 EWGV. S. dazu oben C.IV.2.a. 164 Recht der Europaischen Gemeinschaften, S. 180 ff. 165 Dazu oben C.IV.2 und 3. 166 S.u. C.VI.l. 167 S. hierzu EuGH, U.v. 22.3.1977 - Rs. 78/76, Slg. 1977, 595 (610); Schwarze, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 819 (840); Papier, ZHR 152 (1988), 493 (501). Nach v. Wallenberg, in: Grabitz (Hrsg.), EWGV, Rdnr. 27 zu Art. 93, kann sich der einzelne auf die Kommissionsent8cheidung berufen; diese konkretisiert freilich nur das Beihilfenveibot des Art. 92 EWGV; vgl. auch VG Mainz, U.v. 7.6.1990 - 1 K 103/89, EuZW 1990, 389 (390). 168 S. EuGH, U.v. 11.12.1973 - Rs. 120/73, Slg. 1973, 1471 (1483). 169 Die unmittelbare Geltung des Art. 92 EWGV ohne diese Konkretisieiungen hat der EuGH, U.v. 9.10.1984 - Rs. 91 und 127/83, Slg. 1984, 3435 (3451 ff.), verneint. 1 0
C.V. Die Ordnungsno
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93 Abs. 2 EWGV oder Eintritt der Sperrwirkung gem. Art. 93 Abs. 3 S. 3 EWGV vorausgesetzt - als subjektives Recht berufen können, muß sich eine solche Rechtszuweisung dem Normgehalt entnehmen lassen.170 Im Hinblick auf Art. 92 Abs. 1 EWGV ist insoweit bemerkenswert, daß mit dem Begriff der drohenden Verfälschung des Wettbewerbs zunächst nicht der einzelne Wettbewerber angesprochen ist. Andererseits ist von der "Begünstigung bestimmter Unternehmen" die Rede. Dies rechtfertigt den Schluß, daß angesichts der typischen multipolaren Konfliktlage des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfs auch die Belastung bestimmter Unternehmen als Verfälschung des Wettbewerbs unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommen kann. 171 Damit umfaßt Art. 92 Abs. 1 EWGV im Sinne partiellen Drittschutzes172 den Ausgleich des Konkurrenzkonflikts zwischen dem begünstigten und dem von der Subvention ausgeschlossenen Unternehmens. Freilich kommt nur ein Ausschnitt subjektivrechtlich verfaßter Konfliktschlichtung aus dem weiterreichenden objektivrechtlichen Ordnungsgefüge der Vermeidung von Wettbewerbsverfalschungen im Gemeinsamen Markt in Betracht. Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts auf der Grundlage des Beihilfenverbots ist damit, daß durch die Subvention kausal die unternehmerische Existenz des Konkurrenten gefährdet wird. 173 Bloße Gewinn- oder Umsatzeinbußen oder lediglich Marktanteilsverluste genügen nicht. Dies entspricht sachlich dem deutschen Recht, wie es oben174 für Art. 12 Abs. 1 GG dargelegt wurde. Unter diesen Voraussetzungen kommt das EG-Primärrecht des - durch Kommissionsentscheidung gem. Art. 93 Abs. 2 EWGV oder durch Eintritt der Sperrwirkung gem. Art. 93 Abs. 3 S. 3 EWGV konkretisierten - Art. 92 Abs. 1 EWGV immittelbar zur Anwendung, ohne daß Art. 12 Abs. 1 GG heranzuziehen wäre.
170
Demgegenüber behandeln Schwarze, in: GS f. W. Martens, 1987, S. 819 (840 ff.), und Papier, ZHR 152 (1988), 493 (501 f.), diese Frage primär unter verwaltungsprozessualem Aspekt; so auch Huber, EuR 1991, 31 (48 ff.). Der EuGH hat zwar im Hinblick auf die Durchsetzung unmittelbar geltender Verbotsnormen betont, daß "sich die rechtstechnischen Voraussetzungen für die Erreichung dieses Ziels nach dem internen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates" bestimmen. Dies betrifft sicherlich die Voraussetzungen der Klagebefugnis wie etwa die Anforderungen an die Substantiierungspflicht. Materiell setzt die Klagebefugnis freilich das subjektive öffentliche Recht voraus. Soweit sich dieses auf primäres EG-Recht stützen läßt, bedarf es keiner zusätzlichen Konkretisierung durch nationales Recht. 171 Vgl. zum Stellenwert der Marktzutrittschancen potentieller Konkurrenten Magiera, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar, Rdnr. 24 zu Art. 92; Wenig, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV, Rdnr. 19 zu Art. 93; Hoischen, Beihilferegelung, S. 59. 172 C.III.ö.b. 173 Der EuGH, U.v. 28.1.1986 - Rs 169/84, Slg. 1986, 319 Tz. 25, spricht insoweit von Spürbarkeit; gegen dieses Kriterium C.III.6.C. 174 B.II.2.c.bb.
V.5. Ordnungsnormen des EG-Recht
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Hat das nationale Gericht Zweifel, ob die Kommission die Feststellung gem. Art. 93 Abs. 2 EWGV zu Recht getroffen hat oder ob die Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 3 S. 3 EWGV vorliegen, muß es (als letztinstanzliches) Gericht die Sache dem EuGH gem. Art. 177 Abs. 3 EWGV zur Vorabentscheidung vorlegen. Hat es diese Zweifel nicht und sind die vorgenannten konkretisierenden Voraussetzungen erfüllt, kann sich das Unternehmen zur Begründung etwa eines (isolierten) Genehmigungsabwehranspruchs vor dem deutschen Verwaltungsgericht mit Erfolg auf das direkt anzuwendende subjektive Recht aus dem EG-Primärrecht berufen. Geht es um eine unter Verstoß gegen das Vollzugsverbot des Art. 93 Abs. 3 S. 3 EWGV gewährte Subvention, ist Streitgegenstand freilich nicht die materielle Zulässigkeit der Beihilfe; daher dürfte sie bei späterer Bestätigung durch die Kommission wieder bewilligt werden. Sollte die Beihilfe bereits ausgezahlt sein, käme hier ein Anspruch auf Rückzahlung gem. § 48 Abs. 2 S. 5 VwVfG in Betracht; schutzwürdiges Vertrauen ist i.d.R. zu verneinen. Aus dem Bereich des primären Gemeinschaftsrechts ist ferner auf das Subventionsverbot des Art. 4 c EGKSV hinzuweisen. Hier gilt das zu Art. 92 Abs. 1 EWGV Ausgeführte entsprechend.175
b) EG-Sekundärrecht aa) Unter den Voraussetzungen unmittelbarer Geltung sowie hinreichend klarer Rechtszuweisung ergeben sich subjektive Rechte in multipolaren Konfliktlagen auch aus dem sekundären EG-Recht.176 Dies gilt namentlich für EGVerordnungen. Sie haben generell-abstrakten Charakter und gelten direkt (Art. 189 Abs. 2 EWGV). 1 7 7 Läßt sich ihnen ein klarer Maßstab für den Ausgleich kollidierender Privatinteressen entnehmen,178 kann sich der Marktbürger vor den nationalen Gerichten auf sie zur Begründung subjektiver Rechte berufen. 179
175 Zu Art. 4 c EGKSV skeptisch in praktischer Hinsicht Zideeg, Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 201 f. 176 Vgl. Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 843; s. auch Zuleeg, Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 184 f. 177 Vgl. Oppermam, Europarecht, Rdnr. 448; Ehlers, DVB1. 1991, 605 (607); zur individuellen und direkten Betroffenheit i.S.d. Art. 173 Abs. 2 EWGV gegenüber EG-Verordnungen s. EuGH, 14.3.1990 - Rs C - 133/87 und Rs C - 150/87, EuZW 1990, 161 f.; grdl. EuGH, U.v. 20.3.1985 - Rs. 264/82, Slg. 1985, 849 (865); Ress, in: FS f. Winkler, 1989, S. 71 (81 ff.). Zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Behörden der Mitgliedstaaten s. Streinz, Die Verwaltung 23 (1990), 153 (156). Zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts s. bereits H.P. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, Rdnr. 10/36 ff. 178 S.u. C.VI.l. 179 S. Oppermarm, Europarecht, Rdnr. 454: "Adressaten der VOen ... " seien u.a. auch die
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C . V . Die Ordnungsnorm
Insofern gilt nichts anderes als im Primärrecht; freilich werden sich im starker durchnormierten Verordnungsrecht Ansatzpunkte für die Annahme subjektiver Rechte leichter finden lassen. So weist z.B. Art 5 Abs. 2, 2. tiret der Rats-VO EWGV Nr. 60/85 180 einem deutschen Stahlexporteur das Recht zu, vor deutschen Gerichten die Aufstockung einer bislang zu geringen Ausfuhrquote verlangen zu können (wechselbezügliche Konfliktlage). 181 Subjektiv-rechtlich wirkt etwa auch Art. 12 Rats-VO 1612/68; 182 insoweit wird auf das oben Ausgeführte 183 verwiesen.
bb) Von aktueller Bedeutung ist die Frage, ob und unter welchen Umstanden bei zeitlich nicht fristgerechter oder sachlich nicht hinreichender Umsetzung durch innerstaatliches Recht eine EG-Richtlinie unmittelbar gilt und subjektive Rechte begründen kann. 184 Anerkannt ist, daß eine Direktgeltung im Falle der Überschreitung einer Umsetzungsfrist unter der Voraussetzung in Betracht kommt, daß die Bestimmungen "inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen".185 Dies gilt aber nur in bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnissen. Anders sieht es in den hier interessierenden multipolaren Konfliktlagen aus, in denen es um einen Streit zwischen Privaten im Verwaltungsrecht geht. 186 Hier würde die Begünstigung, die sich der eine durch unmittelbaren Zugriff auf die Richtlinie erhofft, notwendig auf Kosten des privaten Konfliktgegners gehen, diesen also eine Belastung darstellt. Dies würde bedeuten, daß den Gerichten des Mitgliedstaats allein auf Grund seiner Untätigkeit Befugnisse zu Lasten von Privaten zuwachsen würden. Dann träte die Situation ein, die der EuGH 1 8 7 zu
natürlichen und juristischen Einzelpersonen innerhalb der EG ('EG-Bürger' oder ' Marktbürger')", kurs. i.O. 180 Danach ist die Lizenzerteilung für Stahlexporte u.a. auch unter Berücksichtigung der Lage "neuer Stahlrohrhersteller" vorzunehmen. 181 S. hierzu BVerwG, Voriagebeschluß v. 17.3.1988 - 7 C 44.87. Buchholz 451.90 Nr. 75, S. 27 (30 ff.); zuvor VGH Kassel, U.v. 9.3.1987 - 8 UE 1311/86, RIW 1987, 954 (956 ff.), wo die Klage bereits auf Fortsetzungsfeststellung umgestellt worden war. Der EuGH hat in Beantwortung der Vorlagefragen mit U.v. 19.10.1989 - Rs. 142/88, EuZW 1990, 59 ff., den Begriff des "neuen Stahlrohrherstellers" definiert. Zur Problematik der Stahlquotenregelung Streinz, Grundrechtsschutz, S. 463 ff. 182 V. 15.10.1968, ABl. Nr. L 257, S. 2; s. hierzu zutr. VGH Kassel, B.v. 25.8.1987 - 6 TG 1888/87, ESVGH 38, 1 (4 f.). 183 B.II.2.d.bb. 184 Diese Problematik würde z.B. aktuell werden, wenn man im UVPG keine ausreichende Umsetzung der UVP-Richtlinie sehen wollte; in diesem Sinne Erbguth/Schink, UVPG, Rdnr. 93 zur Einl. 185 Vgl. EuGH, U.v. 22.6.1989 - Rs 103/88, DVB1. 1990, 689 (690); s. hieizu Jarass, NJW 1990, 2420 (2422 ff.), sowie zur verfassungsrechtlichen Beurteilung BVerfG, B.v. 8.4.1987, E 75, 223 (235 ff.). Grds. Zuleeg, Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 299 ff. 186 S.o. A.I.l.a - c, II.l.c; C.II.l. 187 U.v. 26.2.1986 - Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Tz. 49, unter Hinweis auf Art. 189 Abs.
V.5. Ordnungsnormen des EG-Recht
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Recht verhindern will, daß nämlich "der Staat aus seiner Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen kann". Eine solche horizontale (Direkt)Wirkung haben nicht oder nicht ausreichend umgesetzte Richtlinien keinesfalls. Zutreffend hat daher der EuGH 1 8 8 unterstrichen, daß sie nur zur Berechtigung der Marktbürger, nicht aber zu Belastungen fuhren können: Eine Richtlinie kann "nicht selbst Verpflichtungen für einen einzelnen begründen". 189 In multipolaren Konfliktlagen kommt damit eine Direktwirkung von Richtlinien (bei fehlender Umsetzung) nicht in Betracht. Schon aus diesem Grunde scheidet die subjektive Berechtigung eines Nachbarn, der in einer kehrseitigen Konfliktlage 190 vor einem deutschen Gericht im Wege des Drittabwehrbegehrens z.B. die Aufhebung einer Anlagengenehmigung wegen Unterschreitung von Anforderungen in einer nicht fristgerecht umgesetzten EG-Richtlinie vorgehen will, aus. Dies wäre nichts anderes als die Belastung des privaten Betreibers/Vorhabenträgers, die nicht Folge der Direktanwendung einer Richtlinie sein kann. 191 Selbst wenn man aber dem nicht zustimmen würde, bleibt als Mindestanforderung die hinreichend klare Rechtszuweisung in der multipolaren Konfliktlage. Die dem Richtlinientext vorangestellten, allgemein gehaltenen Erwägungen können für sich allein ebenso wenig rechtsbegründend wirken wie die oben beschriebenen legislatorischen Leitlinien. 192 Für einen direkten Drittabwehranspruch ist die subjektiv-rechtliche Qualität der Richtlinien Voraussetzung.193 Diese bemißt sich nach der unten zu 3 EWGV, der nur den Mitgliedstaat verpflichte. S. gegen die Direktwirkung von sog. horizontalen Richtlinien EG-Richtlinien auch Herber, EuZW 1991, 401 (402 ff.). 188 U.v. 8.10.1987 - Rs 80/86, EuR 1988, 391 (392); a.A. Richter, EuR 1988, 394 (398 ff.); krit. ferner Winter, DVB1. 1991, 657 (665); s. hierzu auch Ehlers, DVB1. 1991, 657 (661, 663), der einerseits im Hinblick auf die Festsetzung von Immissionsgrenzwerten in Art. 3 (mit Anhang I Tabelle A) der EG-Richtlinie 80/779/EWGV v. 15.7.1980, ABl. L 229, S. 30, eine Drittberechtigung annimmt, da der Grenzwert der Nr. 2.5.1 TA Luft den Richtlinienwert unterschreite, andererseits betont, daß auf der Basis der EuGH-Doktrin das "Dilemma kaum lösbar" sei. 189 EuGH, U.v. 26.2.1986 - Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Tz. 48. In diesem Sinne Ehlers, DVB1. 1991, 605 (607); Breuer, WiVerw. 1990, 79 (96 f.); Bleckmann, Europarecht, Rdnr. 845; BVerfG, B.v. 8.4.1987 - 2 BvR 687/85, E 75, 223 (240 ff.); BVerwG, U. 23.8.1984 - 3 C 42.82, E 70, 41 (48 f.). 190 S.o. A.in.l. 191 Vgl. VGH München, U.v. 24.8.1990 - 8 A 89.40037 u.a. NVwZ 1991, 490 (491): Es bestunden "ganz erhebliche Zweifel" daran, daß der einzelne sich auf die UVP-Richtlinie berufen könne; so auch schon VG München, B.v. 21.2.1989 - M 16 S 88.5501, NVwZ 1990, 287 (289); Steinberg/Müller, NuR 1989, 277 (278): Schutzbestimmungen des einzelnen ließen sich "nur schwer vorstellen" und seien im übrigen "zu unbestimmt"; positiv dagegen Erbguth, Die Verwaltung, 24 (1991), 283 (323); Erbbuth/Schink, UVPG, Rdnr. 109 f. zur Einl.; Beckmann, DVB1. 1991, 358 (364): "nicht nur unmittelbar verbindlich", sondern "zumindest teilweise ... auch drittschützend"; Winter, NuR 1989, 197 (204); Krämer, WiVerw. 1990, 138 (157 f.). 192 C.ffl.l.a. 193 Pernice, NVwZ 1990, 414 (425 f.), hat einen innerstaatlich berechtigenden Schutznorm18 Schmidt-Preuß
246
C.V. Die Ordnungsnorm
entwickelnden Konfliktschlichtungsformel. 194 Daher können z.B. rein emissionsbezogene Richtlinienbestimmungen keine subjektiven Rechte begründen. 195 I m übrigen bleibt die Frage, ob Richtlinien mit rein verfahrensrechtlichem Charakter, wie dies bei der Rats-Richtlinie über die Umweltvertraglichkeitsprüfung 196 der Fall ist, zur Verdrängung sachlichen Rechts der Mitgliedstaaten fuhren kann. Soweit nicht ausnahmsweise von absoluten Verfahrensrechten auszugdien ist, was bei der UVP-Richtlinie nicht angenommen werden kann, muß die Frage verneint werden; insofern ist auf die Parallelproblematik i m deutschen Recht zu verweisen. 1 9 7 cc) Zu nennen bleibt noch die individuelle Entscheidung gem. Art. 189 Abs. 4 E W G V , die bei "Vollziehbarkeit" auch für Privatpersonen unmittelbar vor nationalen Gerichten einklagbare Berechtigungen gewähren kann. 1 9 6
Charakter der Art. 12 der Rats-Richtlinie 89/369 v. 8.6.1989 (ABl. Nr. L 163, S. 32) und Art. 10 der Rats-Richtlinie v. 21.6.1989 (ABl. Nr. L 203, S. 50), die Luftverunreinigungen durch Siedlungsmüll-Verbrennungsanlagen betreffen und inzwischen durch die am 1.12.1990 in Kraft getretene 17. BImSchV vom 23.11.1990 (BGBl. I S. 2545) umgesetzt sind, für nicht ausgeschlossen gehalten; ihm folgend Jarass, NJW 1991, 2665 (2668). Da diese Richtlinien nur Emissionswerte enthalten, sind die Voraussetzungen des subjektiven Rechts nach der Konfliktschlichtungsformel nicht erfüllt: Es fehlt an der kausalen Zuordnung zwischen Emission und Immission; dazu anhand des BImSchG unten C.VI.3.a. Andernfalls würde das auch im EG-Recht geltende (s. unter dem Aspekt der Klagebefugnis nach Art. 173 Abs. 2 EWGV Everling, NVwZ 1987, 1 (6); Oppermann, Europarecht, Rdnr. 648; speziell am Beispiel des EG-Antidumping-Rechts Ress, in: FS f. Winkler, 1989, S. 71 (81 ff.)) Prinzip des Individualrechtsschutzes verlassen. 194 C.VI.l. 195 A.A. Winter, NuR 1991, 453 (455). S. zur Parallele im deutschen Recht C.VI.3.a. 196 Vom 27.6.1985 (85/337/EWG), ABl. Nr. L 175, S. 40. 197 S.u. D.V.l. 198 Vgl. Oppermann, Europrarecht, Rdnr. 476; s. auch Ehlers, DVB1. 1991, 605 (607 f.): Die Entscheidung entfalte "nicht nur Rechtswirkungen für ihre Adressaten, sondern auch für sonstige Personen (z.B. Nachbarn und Konkurrenten), die von der Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen werden". Für die Ableitung subjektiver Rechte aus Entscheidungen Ztäeeg, Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 302.
VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts im normativen Konfliktschlichtungsprogramm der Ordnungsnorm 1. Die Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte auf der Grundlage der multipolaren Konfliktschlichtungsformel a) Die Konfliktschlichtungsfonnel Das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsveifaältnis ist seinem Inhalt nach als die rechtliche Fähigkeit definiert worden, die eigenen Privatinteressen auf Kosten des privaten Konfliktgegners verwirklichen zu dürfen und gegen den Staat als Pflichtsubjektiv durchsetzen zu können.1 Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungsergebnisse lassen sich nunmehr die Entstehungsbedingungen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung stimmen. Erforderlich ist zunächst eine Rechtsnorm des öffentlichen Rechts, die den dargelegten Kriterien einer Ordnungsnorm entspricht.2 Sodann stellt sich die Kernfrage nach ihren rechtserzeugenden Merkmalen. Von weichenstellender Bedeutung ist hier die Unterscheidung zwischen den Ebenen der Rechtszuweisung und der Anspruchsrichtung.3 Sie legt den Blick für die anspruchsbegründende und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses4 frei. Grund und Reichweite subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen ergeben sich im Wege der Abwägung der kollidierenden Privatinteressen nach Maßgabe der Ordnungsnorm.5 Der tatbestandlichen Ausgestaltung der verwaltungsrechtlichen Beziehungen zwischen den privaten Konfliktgegnern im normativen Konfliktschlichtungsprogramm 6 kommt damit rechtsbegründende Bedeutung zu. Hiernach läßt sich die Konfliktschlichtungsformel wie folgt umschreiben: Notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung 1 für das
1 2 3 4 5
S.o. s.o. s.o. Vgl.
C.IV.l. c.v. c.n.i. C.n.2.a.
S. im einzelnen C.Ü.2.& für strikte Entscheidungen und planerische Gestaltung, C.V.2.b.aa für Ermessensentscheidungen. 6 S.o. A.l.l.c mitFn. 45. 7 Zur Unterscheidung von Inhalt und Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts s. mit unterschiedlichen Akzenten - Lorenz, Rechtsschutz, S. 55 f. mit Fn. 6; Sachs, in: Stern,
be
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
248
Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsveihaltnis ist, daß eine Ordnungsnorm die kollidierenden Privatinteressen in ihrer Gegensätzlichkeit und Verflochtenheit wertet, begrenzt, untereinander gewichtet und derart in ein normatives Konfliktschlichtungsprogramm einordne daß die Verwirklichung der Interessen des einen Privaten notwendig auf Kost des anderen geht. Ob die kollidierenden Privatinteressen in diesem Sinne einer normativen Ausgleichsordnung unterstellt werden, ist mit Hilfe der oben8 beschriebenen Auslegungsinstrumente zu ermitteln. Mit dem Begriff der Gegensätzlichkeit werden die Fälle gleichgerichteter Inteiessenkonflikte9 aus der Formel ausgeschieden. Die (normative) Verflochtenheit umfaßt die Konflikttypen der Kehrseitigkeit und der Wechselbezüglichkeit. 10 Weiterhin bezieht sich das Element der Wertung auf die Bedeutung der kollidierenden Privatinteressen je fur sich, während das Merkmal der Begrenzung zum Ausdruck bringt, daß keiner der privaten Konfliktgegner seine Interessen voll zum Tragen bringen kann. Die multipolare Abwägung im Rahmen des anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Horizontalverhältnisses wird schließlich durch den Begriff der Gewichtung angesprochen. Ihr Bezugsrahmen ist das Konfliktschlichtungsprogramm, das den Sachmaßstab für den Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen darstellt. Es «ithalt die rechtsbegrimdende normative Regdung der verwaltungsrechtlichen Konfliktbeziehungen und wird durch den Kompromißcharakter gekennzeichnet: Jeder der privaten Konfliktgegner muß Abstriche von seiner Freiheit (unbegrenzten) Dürfens zugunsten des anderen zum Zwecke einer gerechten - fachgesetzlich ausgeprägten - Gesamtlösung machen. Werden die kollidierenden Privatinteressen einer solchen Ausgleichsordnung unterstellt, steht ihren Trägern auch die Rechtsmacht zu, die Einhaltung der normativ vorgesehenen ("richtigen") Konfliktschlichtung für sich beanspruchen zu können.11
b) Strukturmerkmale und Zielsetzung der Konfliktschlichtungsformel aa) Die Zielsetzung der Konfliktschhchtungsformel ist es, im Sinne allgemeinverwaltungsrechtlicher Dogmatik das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis für alle in Betracht kommenden Fachgesetze
Staatsrecht m/1, § 65 II 3 c ß, y (S. 536 f.); vgl. auch Bachof, Vornahmeklage, S. 63, 65 (Wesensbestimmung) sowie Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 I b 2 (S. 323), wo ein Rechtsmachtelement als Voraussetzung für das subjektive Recht nicht genannt wird. S. auch C.IV.l. 8
c.m.
9
S.o. A.H.l.d. S. A.m.l und 2. S. zur Legitimationsproblematik im einzelnen C.VII.l.
10 11
V I . l . Die multipolare Konfliktschlichtungsformel
249
sowie sämtliche Konfliktkonstellationen (Drittabwehr und -vornähme, Gestaltungsabwehr und -vornähme, Zugangskonkurrenz)12 und -typen (Kehrseitigkeit, Wechselbezüglichkeit)13 zu erfassen. Ihr gemeinsames Strukturmerkmal ist die normative Ordnung der kollidierenden Privatinteressen im Horizontalverhältnis der Verwaltungsrechtsnorm, wie sie im Konfliktschlichtungsprogramm zum Ausdruck kommt. Sie muß ihre Anwendbarkeit im Hinblick auf so unterschiedliche Fachmaterien wie etwa das Baurecht, das Atomrecht, das öffentlichrechtliche Kündigungsschutzrecht, das Rundfunkrecht oder das Hochschulzulassungsrecht beweisen. Auf der anderen Seite erkennt sie die Bedeutung der spezifischen Ausprägung der fachgesetzlichen Konfliktschlichtungsprogramme an. Sie ist auf die Anreicherung durch die Ordnungsnormen des Besonderen Verwaltungsrechts geradezu angewiesen. Den Anspruch, ein Patentrezept für die Lösung der Drittschutzproblematik zu bieten, erhebt die Konfliktschlichtungsformel nicht; die oft mühselige Exegese der Fachgesetze bleibt unverzichtbar. bb) Normiert das Konfliktschlichtungsprogramm auf der Ebene der Rechtszuweisung Grund und Reichweite gegenseitigen freien Dürfens, bildet es die Basis des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Gleichzeitig ist der Staat materiell-rechtliches Pflichtsubjekt; gegen ihn richtet sich das Können auf der Ebene der Anspruchsrichtung. Im Bild des Dreiecks14 wird auf diese Weise die dogmatische Verbindung der offenen Endpunkte hergestellt und gleichzeitig der Staat als materielles Pflichtsubjekt in das einheitliche multipolare Verwaltungsrechtsverhältnis einbezogen. Die Separations-Doktrin, die Drittbeziehungen nur als jeweils getrennte bipolare Rechtsbeziehungen würdigt, 15 ist damit überwunden. Unter den Voraussetzungen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung stehen Dürfen und Können als öffentlich-rechtliche Kategorien in einem Ergänzungsverhältnis. Wer von den privaten Konfliktgegnern seine Interessen16 auf Kosten des anderen ver-
12
s. A.I.l.d. S. A.m.l und2. 14 S.o. A.I.3.b. 15 S.o. C.I. 16 Zum Interesse als Teilelement der Begriffsbestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts grdl. Bachofy Vornahmeklage, S. 63: "Eine Eliminierung des Interesses würde dem Wollen die Richtung nehmen." Daher kann die kategorische Ablehnung des Begriffs der Individualinteressen als Bestimmungsmerkmal des subjektiven öffentlichen Rechts durch L Richter AöR N.F. 8 (1925), 1 (67 f.), nicht uberzeugen. Das Element des Eigeninteresses heben hervor Wolff/Bachof \ VerwR I, § 43 I b 1 (S. 321); Erichsen, in: Erichsen/Martens (Hrsg.), Allg.VerwR, § 10 Rdnr. 60; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 158. S. hierzu auch Rupp, Grundfragen, S. 248, mit dem Hinweis, daß "jedes Eigeninteresse ... in einem dauernden Spannungsfeld mit den Interessen anderer und der Gemeinschaft" steht. Vgl. aus der Rspr. BVerwG, U.v. 26.7.1989 - 4 C 35.88, E 82, 246 (250), gegen VGH München, U.v. 26.4.1988 - Nr. 20 AS 88.40002 u.a., BayVBl. 1988, 594 13
250
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
wirklichen darf und sie gegenüber dem Staat als Pflichtsubjekt durchsetzen kann, bestimmt sich nach dem Konfliktschhchtungsprogramm. So beruhen z.B. in der kehrseitigen Konfliktlage das Gestaltungsvornahme- ebenso wie das Genehmigungsabwehrbegehren auf der einen multipolaren Ordnungsnorm. 17 Dasselbe gilt für konkurrierende Zugangsbegehren in wechselbezüglichen Konfliktlagen, in denen sich die " Anspruchskonkurrenz" 18 auf ein und dieselbe Auswahl- und Verteilungsnorm bezieht. Damit bestätigt sich die Ausgangshypothese der Arbeit, daß der normativen Ausgestaltung der kollidierenden Privatinteressen die Schlüsselrolle für die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung zukommt. 1 9 Hatte sich bei G. Jellinek 20 das subjektive öffentliche Recht noch "in der Beziehung des Individuums zum Staate erschöpft", sind es in der multipolare Konfliktlage gerade die verwaltungsgesetzlich geordneten Beziehungen zwischen den Privaten, die das subjektive öffentliche Recht begründen. cc) Die Voraussetzung«! der Konfliktschlichtungsformel sind vielfach nur für einen Ausschnitt
21
subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung i m Rahmen
eines weiterreichenden objektiv-rechtlichen Ordnungsgefüges erfüllt (partieller Drittschutz). 22 I n diesen Fällen läßt sich von einem Konfliktschlichtungs(595). Abi. gegenüber dem Interessenmerkmal als Abgrenzungskriterium Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, § 65 n 4 c (S. 547 f.). 17 Vgl. zu Genehmigungs- und Genehmigungsabwehranspruch Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 (8); s. auch C.Vn.2.a. Sendler, UPR 1981, 1 (5), weist daraufhin, daß die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte für den Betreiber keine besonderen Schwierigkeiten bereite, da Mim Zweifel" Art. 12 und Art. 14 GG dafür sorge; zum einfachen Gesetz als Grundlage des Gestaltungsvomahmeanspruchs s. Bachoj\ NJW 1959, 548 r.Sp. Vgl. auch - subjektive öffentliche Rechte für Reeder wie für konkurrierende Handelsunternehmen auf der Grundlage der EinreisefreimengenVO (i-d.F.v. 18.5.1970, BGBl. I, S. 529) verneinend - BFH, B.v. 18.9.1984 - VH R 50 - 51/82, NVwZ 1985, 375 (376). - Liegen die Voraussetzungen der Konfliktschlichtungsformel nicht vor, kann der Dritte entweder gewollt von einer objektiv-rechtlichen Regelung profitieren oder auch nur zufallig in den Genuß einer rein tatsächlich-reflexhaften Begünstigung kommen; vgl. Wolff/Bachof\ VerwR I, § 43 I b (S. 321): Soweit es um die "Aufrechterhaltung und Verbesserung der öffentlichen Ordnung selbst" gehe, seien "die Zivilpersonen nur mittelbar, wenn schon manchmal (z.B. am Zollschutz) sehr erheblich, interessiert ..., ohne daß dieses Interesse rechtlich als ihr (unmittelbares) Eigeninteresse anerkannt wird". Demgegenüber würden lediglich faküsche Interessen "vom objektiven Recht so gering bewertet, daß sie weder als Rechtsreflexe noch gar als bloße Tatsachenreflexe Berechtigungen auf Gewährungen darstellen" (S. 327). 18 OVG Lüneburg, U.v. 13.10.1954 - IV A 77/54, OVGE 8, 493 (494). 19 Vgl. oben A.1.1 .a, A.n. 1 .c. Daß mit der hier vertretenen Differenzierung zwischen den Ebenen der Rechtszuweisung und der Anspruchsrichtung das Horizontalverhältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern verwaltungsrechtlich anerkannt werden kann, ohne damit Direktansprüche zwischen ihnen bejahen zu müssen, ist oben C.U.l dargelegt worden; darauf kann hier verwiesen werden. 20 System, S. 51, sowie oben C.n und IV.1 und 3.c. 21 S. A.n.l.e. 22 S.o. C.m.6.b; vgl. Sendler, BauR 1970, 4 (11); ders. y UPR 1981, 1 (7); Berg, WiVerw.
V I . l . Die muhipolaie Konfliktschlichtungsformel
251
programm nur hinsichtlich des Teilbereichs einer Norm oder auch nur eines begrifflichen Tatbestandsmerkmals sprechen. Die Grenze zwischen objektivrechtlichem und subjektiv-rechtlichem Gehalt kann dann "durch eine Norm ... gleichsam hindurchgehen".23 dd) Die abstrakt-generelle 24 Ordnungsnorm kann die kollidierenden Privatinteressen nur typisierend erfassen. Eine individuell-konkrete normative Konfliktschlichtung wäre lediglich im Ausnahmefall eines Maßnahmegesetzes denkbar, der hier außer Betracht bleibt 25 Sind damit Normgegenstand typisierte kollidierende Privatinteressai, 26 dann kann es nicht auf die Abgrenzung zwischen dem Bürger als Einzelperson und als Teil der Allgemeinheit ankommen. Entscheidend ist statt dessen, ob die gesetzliche Konfliktregelung den Anforderungen des (typisierenden) Konfliktschlichtungsprogramms genügt. ee) Die Konfliktschlichtungsformel umschreibt die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Kann von subjektiv-rechtlich verfaßter Konflitkschlichtimg ausgegangen werden, ist damit noch nichts über die Folgen eines Verstoßes gegen eine Ordnungsnorm gesagt. Hierauf wird unter dem Aspekt der Sekundärebene der Verletzungsfolgen angegangen.27 Zunächst ist im folgenden die Konfliktschliditungsformel
1990, 209 (224); Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 28 zu § 29; H.-J. Koch/Hasch, Baurecht, S. 288. Ein anderer Sprachgebrauch findet sich bei Ortioff, in: Finkelnburg/Ortloflf, öffentliches Baurecht n, S. 172 f., der unter partiell drittachützenden Normen solche versteht, die eine "konkrete EinzelfallBerücksichtigung notwendig" machen; ahnlich Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 115. - Partiellen Drittschutz einer Norm abl. VGH Kassel, B.v. 18.10.1978 - IV TG 57/78, BauR 1979, 120 (121); VG Köln, U.v. 19.8.1980 - 2 K 2171/80, NJW 1981, 1463 f., wobei allerdings primär Bedenken gegen eine allein aus tatsachlichen Verhältnissen abgeleitete Grenzziehung erhoben werden. S. oben C.m.6.c. 23 Treffend Sendler, UPR 1981, 1 (7), am Beispiel des § 7 Ab». 2 Nr. 3 AtG; vgl. auch Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (61): Es sei nicht nur zu prüfen, "ob eine Norm drittachützenden Charakter hat, sondern auch gegenüber welchen Beeinträchtigungen sie Drittachutz bieten soll". S. ferner oben C.m.6.b. 24 S. BVerwG, U.v. 3.11.1988 - 7 C 115/86, NJW 1989, 1495 (1496); zutr. auch VGH München, U.v. 18.12.1986 - Nr. 22 B 84 A.1252, VGH n.F. 40, 24 (25). Eist auf der Ebene des streitschlichtenden Verwaltungsakts (C.H.3) geht es im Wege von Auslegung und Anwendung um den konkret-individuellen Konflikt. 25 Dazu Menger, WDStRL 15 (1957), 1 (18 f.), wobei hier insbesondere das "'Einzelpersonengesetz'" von Bedeutung ist; s. auch C.V.l.a.aa. 26 Zur Berücksichtigung der Spezifika des Einzelfalles vor dem Hintergrund sog. "normkonkretisierender" Verwaltungsvorschriften s. OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 45 ff.; VGH München, B.v. 5.6.1990 - 22 CS 90.1522, NJW 1990, 2488 (2489), wonach "die besondere körperliche Verfassung" des gestörten Nachbarn "rechtlich nicht erheblich" sei, "weil ein objektivierter Maßstab zu gelten hat". S. C.V.4.b sowie anhand von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und dem Dosisgrenzwertkonzept C.VI.4.f. 27
s.u. c.vn.i.
252
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
anhand dogmatisch und praktisch wichtiger fachgesetzlicher Ordnungsnormen zu exemplifizieren.
2. Konfliktschlichtungsprogramme
im Baunachbarrecht
a) Der partielle Drittschutz des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB aa) Nach § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der zu überbauenden Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Im kehrseitigen Baunachbarschaftskonflikt nimmt das Merkmal des "Einfügens" für die normative Ordnung der kollidierenden Interessen von Bauherrn und Nachbarn die Schlüsselrolle ein. Der Bauherr darf seine Gestaltungsinteressen nicht unbegrenzt auf Kosten von Nachbarn verwirklichen, sondern nur insoweit, als er den Maßstab des bereits Vorhandenen beachtet. Entscheidend ist dabei der Rahmen, der unter Außerachtlassung von "Fremdkörpern" aus dem Bestand der tatsächlich vorhandenen Bebauung28 zu bilden ist und das "Ortsübliche"29 repräsentiert.30 Umgekehrt dürfen die Nachbarn ihre gegenläufigen Verschonungsinteressen zu Lasten des Bauherrn verwirklichen, wenn er diese Grenze überschreitet.31 Keiner der privaten Konfliktgegner kann seine Interessen im Sinne freien Dürfens unbegrenzt verwirklichen. 32 Der Zugewinn des einen geht notwendig auf Kosten des anderen et vice versa. Damit werden die gegensätzlichen Gestaltungs- bzw. Verschonungsinteressen durch das Merkmal des Einfugens in die nähere Umgebung dem Konfliktschlichtungsprogramm harmo-
28
Vgl. BVerwG, B.v. 24.5.1988 - 4 CB 12.88, BauR 1988, 574 (575); das schließt eine begrenzte Nachwirkung nicht mehr vorhandener Bebauung ein. 29 Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 14 zu § 34 (i-O. kurs.). 30 Vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77, E 55, 369 (380 ff.). Bei der Bestimmung der Reichweite der näheren Umgebung sind die Auswirkungen des Vorhabens ebenso zu berücksichtigen wie die Prägung des Baugrundstücks durch seine Umgebung. Auf der Grundlage der Rücksichtnahme-Doktrin, an der die Rspr. festhält (s.o. C.I.2.b), soll ein Vorhaben auch bei Einhaltung des Rahmens rücksichtslos sein können, vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85, NVwZ 1987, 128 (129), wie auch umgekehrt ohne Einhaltung des Rahmens das Vorhaben iür zulassig gehalten wird, wenn es zu keinen Spannungen führt, vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 15.84, E 74,34 (41 ff.). 31 Hat die nähere Umgebung z.B. den Charakter einer Gemengelage, kann ein Gewerbebetrieb im Wege des störungspräventiven Abwehrbegehrens nicht verlangen, daß der heranrückende Wohnbauherr mehr an Belastungen hinnimmt, als der bereits vorhandenen Wohnbebauung abverlangt wird. Ebensowenig kann der Wohnbauherr ein lärmminderndes Schutzniveau einfordern, das dem Emittenten stärkere Einschränkungen auferlegt, als er sie bislang im Rahmen des Ortsüblichen schon tragen muß. 32 S. hierzu oben CJI.l.a.
VI.2. Baurecht
253
3 3 nischer Beziehungen im Baunachbarschqftsveritititnis ' unterstellt. Diese Grenze kann nur durch multipolare Abwägung ermittelt werden. Verschonungsinteressen, die unterhalb des Ortsüblichen nur noch ruhigere Wohnverhältnisse erstreben, weisen nicht das erforderliche Gewicht auf, 34 um sich i m Rahmen der Konfliktschlichtungsformel durchsetzen zu können. Ihr Schutz ist allerdings bezweckt und nicht nur zufallige Nebenfolge des Gesetzes. Somit stellt das Konfliktschlichtungsprogramm des Einfugens einen Ausschnitt subjektiv-rechtlieh verfaßter Konfliktschlichtung? 5 innerhalb eines weitergehenden rein objektiv-rechtlichen Ordnungskomplexes dar. 3 6 Daher ist § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB partiell drittschätzend. 37
Soweit § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB nicht - wie vielfach in der Literatur befürwortet 3 8 - i m vollem Umfang Drittschutz zuerkannt werden kann, besteht i m
33 Vgl. in objektiv-rechtlicher Hinsicht BVerwG, B.v. 4.2.1986 - 4 B 7-9.86, NVwZ 1986, 740 l.Sp.: Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben sei nur ausnahmsweise zulassig, "nämlich dann, wenn es in eine 'harmonische' Beziehung zur vorhandenen Bebauung tritt" (kurs. v.Verf.). 34 Vgl. aus dem Immissionsschutzrecht BVerwG, U.v. 18.5.1982 - 7 C 42.80, E 65, 313 (320), wonach die Risikovorsoige gem. § 5 Nr. 2 BImSchG a.F. nicht bezweckt, "an sich zumutbare Lebensverhältnisse für die Nachbarnrisikoloser oder angenehmer zu machen". 35 S. A.H.l.e, VI.l. 36 Dies zeigt das Beispiel der aus Wohnbebauung und Gewerbebetrieben bestehenden Gemengelage. Hier können etwa diejenigen Wohneigentümer, die auf Grund eines großen Abstandes zu lärmemittierenden Betrieben nur geringen Belastungen unterhalb des Ortsüblichen ausgesetzt sind, auch dann noch von einer lärmbegrenzenden (drittschutzrelevanten) Immissionsschwelle (bebauungsrechtlich sind die Immissionen der Art der baulichen Nutzung zuzuordnen, s. Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 14 zu § 34) im Sinne des "Mittelwerts" profitieren, wenn ihre eigene Lärmbeeinträchtigung unter diesem Niveau liegt. Insoweit wird man nicht sagen können, daß der Schutz dieser gering belasteten Nachbarn nicht gewollt und nur zufalliger Natur ist. Auch sie prägen den Rahmen der vorhandenen Bebauung; dann sollen sie auch in den Genuß des sich hieraus ergebenden Immissionsniveaus kommen. Sofern ihr Lärmpegel aber unterhalb der drittschutzrechtlich maßgeblichen Immissionsschwelle liegt, kommt ihnen das Merkmal des "Einfugens" nur objektiv-rechtlich zugute. 37 Vgl. Berg, WiVerw. 1990, 209 (224): § 34 Abs. 1 BauGB als Beispiel für Normen, die "der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander ... nur partiell" dienen; Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29: Die Rücksichtnahme-Rspr. des BVerwG gewähre "partiell Drittschutz"; Ortloff y in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht II, S. 172 f.: "Partiell nachbarschützende Normen" (i.O. kurs.) als Synonym für das subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot; nicht ausdrücklich, aber in der Sache mit ähnlicher Tendenz Schächter, in: Schlichter/ Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 38 ff. Vorbem. zu den §§ 29 - 38; s. auch Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 115; speziell zu § 34 Abs. 1 BauGB Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/ Lohr, BauGB, Rdnr. 87 zu § 34. - Zum Begriff des partiellen Drittschutzes (Überschuß des objektiv-rechtlichen über den subjektiv-rechtlichen Bereich einer Norm) s.o. C.m.6.b. Gegen die Annahme eines teilweisen Drittschutzes nach der Rücksichtnahme-Doktrin VGH Kassel im U.v. 18.10.1977 - IV TG 57/78, BauR 1979, 120 (121); VG Köln, U.v. 19.8.1980 - 2 K 2171/80, NJW 1981, 1463 f. 38 Dafür mit unterschiedlichen Akzenten und Begründungen Breuer, DVB1. 1982, 1065
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
praktischen Ergebnis Übereinstimmung mit der Rücksichtnahme-Doktrin der Rechtsprechung. 39 Sie erkennt Drittschutz nur im Ausnahmefall an und entnimmt ihn der Sache nach im Wege multipolarer Abwägung dem Horizontalverhältnis. 40 Freilich war die Rücksichtnahme-Doktrin hinsichtlich ihres tatbestandsübergreifenden dogmatischen Ansatzes ("dritte Ebene") 41 und unter dem Aspekt der Abgrenzbarkeit-Doktrin ("Individualisierung und Qualifizierung") oben 42 kritisiert worden. Darauf sei hier verwiesen. Bemerkenswerterweise war es gerade § 34 Abs. 1 BBauG, anhand dessen der 4. Senat des BVerwG den ersten und bereits entscheidenden Schritt zur "tatbestandsübergreifenden" Anwendung der Schweinemäster-Doktrin im Sinne eines normunabhängigen umfassenden (subjektiv-rechtlichen) Rücksichtnahmegebots tat. 43 Audi wenn das
(1072), sowie ders., DVB1. 1983, 431 (437), auf der Grundlage des Kriteriums der Nachbarrelevanz mit der Restriktion über das Merkmal der konkreten Beeinträchtigung, dazu sogleich bei Fn. 52; im Anschluß daran Wahl, JuS 1984, 577 (585 f.); s. auch Erbguth, in: FS f. Ernst, 1981, S. 89 (102 f.); ders., Grundsatzfragen, S. 332; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Rdnr. 85 f. zu § 34: Annahme eines Austauschverhältnisses; Pagenkopf, BauR 1977, 155 (159 f.), unter Hinweis auf den Gesetzesbegriff "gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse" sowie § 34 Abs. 3 BBauG (a.F.); Menger, VerwArch. 69 (1978), 313 (319 ff.): § 34 Abs. 1 BBauG 1976 erfülle das Erfordernis der Bestimmbarkeit; s. femer auch Peine, DÖV 1984, 963 (969 f.), nach dessen Auffassung § 34 Abs. 1 BBauG aber Nachbarschutz nur bezuglich der Art der baulichen Nutzung gewähren soll; Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 36. Aus der Rspr. vgl. OVG Saarlouis, B.v. 15.7.1977 - n W 98/77, NJW 1977,2093 (2094 f.), für die Art der baulichen Nutzung. 39 Vgl. zu § 34 Abs. 1 BBauG BVenvG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (930): Drittschutz nur in "bestimmten (Ausnahmefällen"; allg. im Sinne der RücksichtnahmeJudikatur etwa Ortbff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht n, S. 172 f.; Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E44, 194, 196; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Rdnr. 78 zu § 31; Kraunberger, ibid., Rdnr. 87 zu § 34; s. auch Alexy, DÖV 1984, 953 (962); Wasmuth, NVwZ 1988, 322 (324 f.). 40 Vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (131), wonach der Drittschutz dort beginnt, wo für den Bauherrn "nicht ernstlich zweifelhaft sein kann, auf wen er (objektivrechtlich) Rücksicht zu nehmen hat". Speziell zu § 34 Abs. 1 BBauG s. z.B. BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85, NVwZ 1987, 128 f.; OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - 11 A 3185/83, NVwZ 1988, 376 f. S. im einzelnen C.n.2.a.aa. 41 B.I.2.a. 42 C.I.2.b. 43 Vgl. BVerwG, B.v. 31.10.1977 - IV B 185.77, Ausfertigung, S. 3, wo das BVerwG es für selbstverständlich gehalten hatte, die zu § 35 BauGB entwickelte Drittschutzbegründung auch auf den tatbestandlich ganz anders ausgeprägten § 34 Abs. 1 BBauG zu übertragen. Nicht erst das Urteil des BVerwG v. 13.3.1981 - 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (929), war damit die Geburtsstunde des rücksichtnahmerechtlichen Drittschutzes im Rahmen des § 34 Abs. 1 BBauG 1960; vgl. B.I.2.a. S. ursprünglich Drittschutz des § 34 Abs. 1 BBauG voll verneinend BVerwG, U.v. 13.6.1969 IV C 234.65, E 32, 173 (175 ff.). Vgl. im Sinne der Tatbestandsunabhängigkeit (s. B.I.2.a, C.I.2.a) jetzt wieder VGH Mannheim, U.v. 17.11.1989 - 8 S 1172/89, Ausfertigung, S. 10, wo unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das - vor allem zu § 15 Abs. 1 BauNVO ergangene - Pergola-Urteil des BVerwG vom 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347), offengelassen wird, ob § 34 Abs. 1 oder § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO anwendbar ist, da der Erfolg der Klage in beiden Fällen
VI.2. Baurecht
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BVerwG i m Dispens-Urteil vom 19.9.1986 4 4 klargestellt hat, daß nur die Tatbestande der Einzelnormen das Rücksichtnahmegebot enthalten könnten, läßt die Rechtsprechung auch weiterhin eine tatbestandsspezifische Begründung nicht erkennen. Stattdessen spielen - wie oben 43 i m einzelnen dargestellt - die Abgrenzbarkeitskriterien der Individualisierung und Qualifizierung mit den beiden Varianten der besonderen Rechtsposition und der Handgreiflichkeit trotz verschiedener Modifikationen unverändert die zentrale R o l l e . 4 6 Ob sich hier mit dem Getränkemarkt-Beschluß des B V e r w G 4 7 vom 20.1.1989 eine vorsichtige Auflockerung der Rücksichtnahme-Rechtsprechung jedenfalls hinsichtlich § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB andeutet, wenn vom "Abwehranspruch eines konkret und in unzumutbarer Weise betroffenen Nachbarn" gesprochen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin hatte das O V G Münster 4 8 als Vorinstanz - der bisherigen Rechtsprechung altsprechend 49 - noch ausdrücklich vom Vorliegen "besonderer, die Pflicht zur Rücksichtnahme qualifizierender und zugleich individualisierender Umstände" gesprochen. bb) D i e Konfliktschlichtungsformel stimmt i m Ausgangspunkt mit dem für den Bereich des Bau- und Umweltrechts entwickelten Ansatz von Breuer
davon abhänge, "ob das Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist". S. auch VGH München, U.v. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 (100), wo unentschieden bleibt, ob § 34 Abs. 1 BauGB oder § 35 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 1 BImSchG anwendbar ist. - Im übrigen veitritt der VGH Kassel, U.v. 27.2.1987 - 4 OE 56/83, ESVGH 37, 161 (165 f.), einen ganz anderen Ansatz, wenn er im Sinne einer bauplanerischen Parallelwertung (Planungsfiktion) prüft, ob in einem vergleichbaren Planbereich eine durchsetzungsfahige, jedenfalls nicht entschädigungslos entziehbare Position bestünde. Die Frage, wann eine solche Position vorhanden ist, fuhrt freilich auf die Entstehungsvoraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts zurück. 44 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410). 45 C.I.2.a. 46 S. speziell zu § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB aus der obergerichtlichen Rspr. VGH München, U.v. 20.6.1988 - Nr. B 87.02191, BayVBl. 1989, 755 (756). Der VGH Kassel hatte es zunächst abgelehnt, § 34 Abs. 1 BBauG nach Maßgabe der Schweinemaster-Doktrin im Rahmen eines subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots Drittschutz zu entnehmen, s. B.v. 18.10.1978 - IV TG 57/78, BauR 1979, 120 ((121 f.); im Beschluß v. 17.12.1984 - 4 TG 2545/84, ESVGH 35, 125 (129 f.), hat er dann aber die erste Variante der Individualisierung und Qualifizierung - die besondere Rechtsposition - übernommen, während er die Handgreiflichkeit (zu diesen beiden Elementen s.o, C.I.2.a) nach wie vor ablehnt. 47 4 B 116.88, NVwZ 1989, 666 (667), zu § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB bzw. § 34 Abs. 3 BBauG/§ 34 Abs. 2 BauGB. - S. auch VGH Mannheim, B.v. 24.1.1991 - 8 S 112/91, VB1BW 1991, 297 (298), wonach "'schlichte Situationsveränderungen'" infolge der Wohnbebauung eines Nachbargrundstücks nicht als "unzumutbare Nachteile zu bewerten" sind. 48 U.v. 6.4.1988 - 7 A 2830/87, Ausfertigung, S. 7. 49 Vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85, NVwZ 1987, 128 (129). 50 DVB1. 1986, 849 (854); ebenso schon ders., DVB1. 1983, 431 (437); ihm folgend Wahl, JuS 1984, 577 (585 f.); Steinberg, NJW 1984, 457 (460); unter Berufung auf Breuer ferner Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 17 zu § 5 (S. 261): "Faustregel"; Fickert/Fieseler, BauNVO, Rdnr.
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
überein. Um dem "spekulativen"51 Ansatz des Rücksichtnahmegebots zu entgehen, hat er vorgeschlagen, subjektive öffentliche Nachbarrechte solchen Vorschriften insbesondere des öffentlichen Baurechts zu entnehmen, "die den nachbarlichen Interessenkonflikt durch Postulate der Zuordnung, Vertraglichkeit und Abstimmung aufeinandertreffender Nutzungen und Einwirkungen regeln und zu einem Ausgleich bringen". Mit diesem Ansatz entnimmt Breuer zu Recht das subjektive öffentliche Recht aus der normativen Ordnung des Horizontalverhältnisses zwischen Bauherrn und Nachbarn. Insofern wird vorbildlich den Anforderungen der (kehrseitigen) multipolaren Konfliktlage im Bereich des Bau- und Umweltrechts entsprochen. Allerdings stellt Breuer entscheidend auf das Kriterium der "objektiven Nachbarrelevanz" ab und gelangt so zum (vollen) Drittschutz u.a. auch des § 34 Abs. 1 BBauG. Von daher wird verständlich, daß er das "hinzutretende Merkmal einer konkreten Beeinträchtigung" des Nachbarn als Voraussetzung des negatorischen Anspruchs entwickelt, um dafür Sorge zu tragen, daß "der Kreis der subjektiv berechtigten Nachbarn und die Abwehrmacht subjektiver öffentlicher Nachbarrechte auf ein überschaubares Maß beschränkt bleiben".52 Dies bedeutet konstruktiv, daß die Verletzung einer drittschützenden Norm des Bauplanungsrechts nicht ipso iure zum Genehmigungsabwehranspruch fuhrt. Die Abwägung wird damit im Ergebnis auf die Sekundärebene der Verletzungsfolgen verlagert, während sie nach der hier vertretenen Auffassung auf der "Tatbestandsseite" des subjektiven öffentlichen Rechts ihren dogmatischen Platz hat. 53
31.2 Voibem. § § 2 - 9 , 12 - 14 BauNVO; s. auch Oldiges, in: Steiner (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 449 (562); differenzierend Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 35; krit. Dolde, NJW 1984, 1713 (1727); VGH Kassel, B.v. 17.12.1984 - 4 TG 2545/84, ESVGH 35, 125 (129); auf der Grundlage des Maßstabs, ob sich das private Interesse auch im Rahmen eines - fiktiven - Bebauungsplans durchsetzen könnte und müßte; s. auch VGH Kassel, U.v. 31.5.1985 - IV OE 55.82, NVwZ 1986, 315 (316), und oben Fn. 44. 51 Breuer, DVB1. 1983, 431 (437); s. auch dem., DVB1. 1982, 1065 (1070): "fatale 'Offenheit' des praeterlegalen Rücksichtnahmegebotes". 52 Breuer, DVB1. 1983, 431 (437); im Anschluß daran Wahl, JuS 1984, 577 (586): Der Verstoß gegen die nachbarschützende Norm "reicht nicht aus", es müsse die "konkrete Beeinträchtigung" hinzukommen; Steinberg, NJW 1984, 457 (462); Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 36. Erbguth, Grundfragen, S. 332, will in Verallgemeinerung des Gedankens des planungsrechtlichen Austauschverhältnisses §§ 34, 35 Abs. 2 und 3,31 Abs. 1 und 2 BBauG als drittschützend ansehen, allerdings ohne ausdrückliches Korrektiv im Sinne der konkreten Beeinträchtigung. S. zum kategorischen Aufhebungsanspruch im Drittabwehrfall C.Vm.2.a bei Rdnr. 48 ff. 53 S. im einzelnen zum Grundsatz kategorischer Aufhebungsansprüche bei kehrseitigen Konfliktlagen C.Vffl.2.a.
V I . 2 . Baurecht
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b) Die Drittschutzschwelle des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB bei Immissionen und intangiblen Störungen aa) Bei der Bestimmung der Drittschutzschwelle im Rahmen des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist zwischen immissionsbezogenen Konflikten und intangiblen Beeinträchtigungen zu unterscheid». In immissionsbezogenen Konfliktsituationen kommt dem Immissionsschutzrecht die Führungsrolle zu. Wertungsmaßstab ist die noch zu erörternde 54 inmrissionsschutzrechtliche Eiheblichkeit ( = Zumutbarkeit i.S.d. § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG).55 Zur Ermittlung der Erheblichkeitsschwelle stehen dabei im Rahmen der konkret-empirischen Auslegung exekutivische Auslegungsofferten wie die TA Lärm oder technischen Regelwerke privater Gremien wie die VDIRichtlinie 2058 Bl. 1 oder die VDI-Richtlinie 3471 zur Verfugung. Derartige Regelwerke dürfen nicht schematisch angewandt werden. 56 Für die Ermittlung der Drittschutzschwelle kommt es auf "eine situationsbezogene Abwägung und auf einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen"57 an. Namentlich geht es bei der "Mittelwertmethode",5* die im Fall des Zusammentreffens von Gebieten mit unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit von Bedeutung ist, nicht um eine mathematische Interpolation 59 oder gar arithmetische Mittelung. Vielmehr bedarf die Konfliktschlichtung der flexiblen Abwägung der kollidierenden Interessen im Einzelfall.® Dies gilt verstärkt in Gemengelagen. Andererseits ist
S. dazu im einzelnen unten C.VI.3.C und h. 55
Zur Maßgeblichkeit für das Baurecht vgl. z.B. BVerwG, B.v. 20.1.1989 - 4 B 116.88, NVwZ 1989, 666 (667), zu § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB; VGH München, U. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 f., zu § 34 Abs. 1 (und alternativ zu § 35 Abs. 2) BauGB. 56 S. hierzu und zur exekutivischen Auslegungsofferte C.V.4.b. 57
BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (200), zum Immisaionaachutzrecht; ». auch VGH München, U.v. 31.10.1989 - 20 B 85 A.2535, NVwZ-RR 1990, 529 (530), in bezug auf § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO bzw. § 35 Abs. 2, 3 S. 1, 2. tiret BauGB; vgl. bereits BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 2.75, E 52, 122 (126 f.). 58 S. - allerdings zu § 35 Abs. 2, 3 BauGB - BVerwG, U.v. 22.6.1990 - 4 C 6.87, NVwZ 1991, 64 (65), unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (54 f.); vgl. auch C.ü.2.a.bb; nach Sendler, UFR 1983, 73 Fn. 109, dürften mit der Mittelwertmethode "im allgemeinen angemessene Ergebnisse zu erzielen sein"; ferner differenzierend zwischen bereits bestehender und durch das Hinzutreten des immissionsempfindlichen Vorhabens geschaffener Gemengelage VGH Mannheim, B.v. 4.10.1991 - 3 S 2087/91, BauR 1992, 45 (47); s. auch - allein objektiv-rechtlich - Lenz, BauR 1990, 15 ff. Da es nicht um ein arithmetisches Mittel geht, ist zweckmaßigerweise von Zwischenwerten zu sprechen; s. C.n Fn 72. 59 60
S. BVerwG, B.v. 29.10.1984 - 7 B 149.84, NVwZ 1985, 186 r.Sp.
Zu strikt daher H.-J. Koch, in: den. (Hrsg.), Schutz vor Lärm, 1990, S. 41 (42 ff.), der unter Berufung auf den Schießplatz-Beschluß des BVerwG (B.v. 6.8.1982 - 7 B 67.82, NVwZ 1983, 155 r.Sp.) für eine rein gebietsspezifische Zumutbarkeit plädiert. Demgegenüber darf diese Entscheidur^ - deren Aussagen "etwas zu apodiktisch" geraten sind (>Gaentzsch, ibid., S. 31 (38)) nicht überbewertet werden. S. schon oben C.V Fn. 138.
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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ein Mindestmaß an Standardisierung und Rechtssicherheit erforderlich, da es um den Ausgleich typisierter Interessen geht. Eine zu starre Ausrichtung auf die Baugebietskategorien von TA Lärm und VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 und die ihnen zugeordneten Richtwerte wird diesen Erfordernissen nicht gerecht. Insofern hat das BVerwG 61 in einem Fall des § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB zutreffend die Richtwerte der TA Lärm als nicht abschließende Konkretisierung der Erheblichkeitsschwelle i.S.d. § 22 Abs. 1 BImSchG angesehen, da sie die spezifische Lästigkeit von Spitzenwerten sehr informationshaltiger Geräusche nur unzureichend erfassen. Unter dem Aspekt der erforderlichen Flexibilität sollte auch nicht von vornherein die Festlegung erfolgen, daß - wie vom VGH München62 vorgeschlagen - "graduell" die jeweils "störende Nutzung der angrenzenden schutzwürdigen Nutzung die ... nächsthöhere Stufe des Lärmschutzes zugestehen, die gestörte Nutzung diese Stufe aber auch dann hinnehmen muß, wenn sie für sich gesehen ihrem Charakter nicht entspricht". Danach könne für ein reines Wohngebiet, das an ein Gewerbegebiet angrenze, "nicht der Mittwert der für beide Gebiete geltenden Regelwerte, sondern nur der im Verhältnis zu Gewerbegebieten nächsthöhere Wert" verlangt werden.63 Was die Vermeidbarkeit im Falle von Lärmimmissionen angeht (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), kann sie im Rahmen der multipolaren Abwägung zur Ermittlung der konfliktschlichtenden Erheblichkeitsschwelle berücksichtigt werden. 64 Neben technischen Regelwerken und Zwischenwertmethode hat vor allem das baurechtliche Prioritätsprinzip 65 Bedeutung für die Bestimmung der Drittschutz-
tl
B.v. 20.1.1989 - 4 B 116.88, NVwZ 1989, 666 (667); s. bereits OVG Munster, U.v. 6.4.1988 - 7 A 2830/87, Ausfertigung, S. 6 ff. 62 U.v. 21.11.1989 - 20 CS 89.1924, NVwZ-RR 1990, 549 (550), zu § 34 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO;richtigheißt es dort: "Der erforderliche Interessenausgleich darf ... nicht schematisch im Sinne einer rechnerischen Interpolation vorgenommen werden". Dann aber verfahrt das Gericht zurigide,wenn nur der "nächsthöhere Wert" einer Gebietskategorie zugelassen wird; abl. in diesem Punkt auch Schenk, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, F Rdnr. 82. 63 Die Richtwerte in Nr. 2.321 TA Lärm und Nr. 3.3.1 VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 gehen von baugebietsspezißschen Kategorien aus. 64 S. Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (198 f.). 65 Vgl. Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 38 zu § 29, hat zu Recht daraufhingewiesen, daß das BVerwG bereits in den Urteilen zum Abwehranspruch des im Außenbereich Privilegierten (BVerwG, U.v. 21.10.1968 - IV C 13.68, DVB1. 1969, 263 (264) m. abl. Anm. Bartlsperger, S. 265 ff.; U.v. 16.4.1971 - IV C 66.67, DVB1. 1971, 746 (748): "Grundsatz der Priorität", dazu Friauf.\ DVB1. 1971, 713 (716)) die "Prämisse der Abgrenzbarkeit des geschützten Personenkreises aufgegeben" und statt dessen das "Prinzip der Priorität" (kurs. i.O.) anerkannt habe. Der Konflikt wird dadurch gelöst, daß die Ausnutzung einer prioritären Privilegierung gesichert wird, die durch ein hinzukommendes - privilegiertes oder auch nicht privilegiertes - Vorhaben gefährdet wäre. Zurückhaltend Bartlsperger, DVB1. 1971, 723 (725), dereinen "generellen Prioritätsschutz gegenüber rechtmäßigen Planungen und Vorhaben" verneint und das "Prioritätsprivileg der Außenbereichsvorhaben ... lediglich" als "ein gesetzliches Rechtmaßigkeitskriterium unter vielen anderen"
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schwelle. Es ist bereits als Ausdruck multipolarer Obliegenheit zur Rechtswahrung im Baunachbarschaftsverhältnis gekennzeichnet worden. 66 Hiernach müssen Abwehrinteressent wie Bauherr eine prägende Umgebungssituation als maßstabsbildende Vorbelastung hinnehmen, wenn sie zuvor gegen die ihr zugrunde liegenden Vorhaben nicht oder nicht mit Erfolg vorgegangen sind. Wer sich gegen eine schutzniveauverschlechternde Ansiedlung nicht "fristgerecht" wehrt, muß die negativen Auswirkungen auf den Gebietscharakter zu seinen Lasten hinnehmen.67 Ist z.B. ein Wohngrundstückseigentümer in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gegenüber einer Gewerbeansiedlung passiv geblieben, kann er anläßlich eihes Erweiterungsvorhabens nicht das ursprüngliche Schutzniveau reklamieren. 68 Die nicht abgewehrte Vorbelastung geht zu seinen Lasten. Umgekehrt muß ein Gewerbebetrieb seiner Anfechtungsobliegenheit genügen und störungspräventiv gegen heranrückende Wohnbebauung vorgehen, will er sich nicht späteren immissionsschutzrechtlichen Auflagen ausgesetzt sehen oder bei betrieblichen Erweiterungsvorhaben in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt sein; ein Bauherr könnte ihm später entgegenhalten, nicht mehr an Schutz zu reklamieren, als die zwischenzeitliche Veränderung der Umgebungssituation ihm - dem Emittenten - ohnehin abverlange.69 In diesem Sinne muß sich ein Gewerbebetrieb die Priorität einer störempfindlichen Wohnbebauung vorhalten lassen.70 Die Vorbelastung zu Lasten des einen wirkt sich als Anspruchsniveau zugunsten des anderen aus. Wer schließlich sehenden Auges selbst an eine faktische oder plangegebene 71 Störquelle heranrückt, hat
ansieht, das "keine prinzipiell hervoigehobene Stellung beanspruchen kann". S. auch oben C.n.2.b.cc. 66 S.o. C.n.b.aa. 67 BVerwG, U.v. 22.6.1990 - 4 C 6.87, NVwZ 1991, 64 (65 f.), zu § 35 Abs. 2, 3 BauGB, wo im Fall einer Gestaltungsvornahme ein "Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen einer Verschlechterung der Immissionslage" zu Lasten der benachbarten Wohnbebauung in einer Interessenabwägung nach der Tunnelofen-Doktrin (BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 59, 49 (54 f.» verneint wuide; zu § 34 Abs. 1 BBauG BVeiwG, B.v. 2.12.1985 - 4 B 189.85, UPR 1986, 142 (143), sowie als Vorinstanz VGH Kassel, U.v. 31.5.1985 - IV OE 55/82, NVwZ 1986, 315 f., wo das Wohnvorhaben auf dem Nachbargrundstück erstmalig das Entstehen einer Kleingemengelage zur Folge gehabt hätte, so daß dem klägerischen Betrieb die Emission von Lärm in diese Richtung unmöglich geworden wäre. S. schon C.n.2.b.cc. 68 Vgl. - für § 35 Abs. 2, 3 BauGB i.V.m. § 22 BImSchG - BVerwG, U.v. 22.6.1990 - 4 C 6.87, NVwZ 1991, 64 (65). 69 S. hierzu BVerwG, B.v. 2.12.1985 - 4 B 171.83, NVwZ 1984, 646 (647). 70 Vgl. - im Rahmen der Rücksichtnahme-Doktrin - BVerwG, B.v. 12.6.1990 - 7 B 72.90, NVwZ 1990, 962 (963), wonach "ein Vorhaben auf bereits vorhandene Nutzungen, die die örtliche Situation prägen, Rücksicht zu nehmen hat, und ... für die Erheblichkeit von Geräuschimmissionen einer neu hinzukommenden Nutzung die vorgegebene Situation von Bedeutung sein kann". 71 Vgl. VGH München, U.v. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 (200), wo der angegriffene (dritte) Tennisplatz bereits in einem Flächennutzungsplan dargestellt war, bevor der Kläger sein Wohnhaus in der Nachbarschaft errichtete; hier wurde bei alternativer Prüfung der
260
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
spater - z.B. bei einer Änderungsgenehmigung - kein Recht auf eine Revision dieser Belastung. D i e multipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung hat besondere praktische Bedeutung, wenn nicht nur eine Verschlechterung der Immissionslage, 72 sondern ein "Umkippen" des Gebietscharakters zu erwarten wäre. 7 3 Ist mit Hilfe technischer Regeln und unter Berücksichtigung des Prioritatsgrundsatzes die konkrete Erheblichkeitsschwelle i m Sinne multipolarer Abwägung der kollidierenden Verschonungs- und Gestaltungsinteressen ermittelt worden, steht dem Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht zu, vor darüber hinausgehenden Immissionen bewahrt zu b l e i b » . Für das Erfordernis einer zusätzlichen Individualisierung und Qualifizierung nach dem Vorbild der Abgrenzbaikeits-Doktrin ist dann kein Raum mehr. 7 4 I n den Fällen immissionsbezogener Baunachbarschaftskonflikte ist die Eibeblichkeitsschwelle i m Sinne der §§ 5 Abs. 1 N r . 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i . V . m . § 3 Abs. 1 BImSchG mit der Drittschutzschwelle des § 34 Abs. 1 BBauG identisch. Dabei ist es nicht v o n Bedeutung, ob es sich u m immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Vorhaben handelt oder nicht; das materielle Baurecht bleibt maßgeblich. 75
§ 34 Abs. 1 BauGB und § 35 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 1 BImSchG eine unzumutbare Beeinträchtigung verneint. 72 Vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1984 - 4 B 171.83, NVwZ 1984, 646 (647). 73 So in VGH Kassel, U.v. 31.5.1985 - IV OE 55/82, NVwZ 1986, 315 (316): nicht nur "Verstärkung", sondern "Schaffung einer Kleingemengelage"; s. dazu auch BVerwG, B.v. 2.12.1985 - 4 B 189.85, UPR 1986, 142 (143). 74 S. bereits C.I.2.b.dd; daher abzulehnen - zu § 34 Abs. 1 BBauG - OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - 11 A 3185/83, NVwZ 1988, 376 (377), wo nach dem Vorbild der objektiv-rechtlichen Proportionalitätsklausel des Schweinemaster-Urteils anhand der VDP-Richtlinie 3471 die Zumutbarkeitsgrenze bestimmt und dann in einem zusätzlichen Schritt gefragt wird, ob der Kreis der Rücksichtnahmebegünstigten "genügend sicher abgrenzbar" ist (s. insoweit C.I.2.b); VGH München, U.v. 21.6.1985 - Nr. 2 B 81. A.1805, BRS 44 Nr. 175, S. 409 (411 f., 414), wo nach der Feststellung, daß die Lärmbelastui^ von 60 dB(A) nach Maßgabe der TA Lärm unter Berücksichtigung der vorhandenen Gemengelage "die Grenze des immissionsschutzrechtlich allenfalls Zumutbaren überschreitet" (S. 412), zusatzlich noch eine eigenständige Prüfung anhand der SchweinemasterFormel mit dem Ergebnis erfolgt, daß dem Rücksichtnahmegebot hier drittschützender Charakter zukomme, weil auf die Interessen des störungspräventiv vorgehenden Klägers "erkennbar in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise Rücksicht zu nehmen ist". S. dazu auch BVerwG, B.v. 25.11.1985 - 4 B 202.85, NVwZ 1986, 469. 75 Im Fall der genehmigungsbedürftigen Anlage ist die Baugenehmigung zwar gem. § 13 S. 1 BImSchG in der immissionaschutzrechtlichen Anlagengenehmigung eingeschlossen, doch bleibt das materielle Baurecht uneingeschränkt anwendbar (§ 6 Nr. 2 BImSchG); vgl. hierzu BVerwG, U.v. 30.9.1983 - 4 C 74.78, E 68, 58 (59 f.); Seltner, Immisaionsschutzrecht, Rdnr. 66. Ist das Vorhaben immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftig, darf die Baugenehmigung (auch) nicht gegen baurechtsexterne Vorschriften - und damit nicht gegen § 22 Abs. 1 BImSchG - verstoßen. In beiden Fällen liegt es nahe, daß bereits bei der Auslegung der Baurechtsnorm die immissionsschutzrechtlichen Maßstäbe und Konkretisierungsinstrumente zur Geltung kommen.
VI.2. Baurecht
261
bb) Unter dem Begriff der intangiblen Störungen sind optisch-ideelle Beeinträchtigungen der Harmonie im Baunachbarschaftsverhältnis zu verstehen. Kann z.B. die Eigenart der näheren, einer der Baugebietsarten der BauNVO nicht entsprechenden Umgebung durch den Rahmen einer Wohnbebauung mit zwei bis drei Geschossen beschrieben werden, ist zu fragen, wie ein Wohnvorhaben mit z.B. vier oder - um ein weiteres Beispiel zu bilden - mit zehn Geschossen zu beurteilen ist. Objektiv-rechtlich verstößt das Vorhaben gegen § 34 Abs. 1 BauGB. Stehen hier aber dem Grenznachbarn Rechte zu? Die Bestimmung der Drittschutzschwelle bei derartigen intangiblen Beeinträchtigungen bleibt mangels empirisch greifbarer Regeln und sonstiger Beurteilungsinstrumente auf Zumutbarkeitserwägungen 76 der optisch-ideellen Harmonie angewiesen. Dies betrifft vor allem Konflikte, die durch eine extrem disproportionale Nachbarbebauung ausgelöst werden. So kann ein im Hinblick auf die Geschoßzahl krass unverhältnismäßiges Bauwerk ein angrenzendes Wohnhaus "gleichsam 'erdrücken'". 77 Gleiches gilt für die Einkesselung eines Wohnhauses durch Silos. 78 Schließlich lassen sich auf diese Weise auch Störungen durch Fremdeinblicke auf Grund einer Aufschüttung erfassen. Hier zeigt sich eine Maßstabsparallele zu dem Kriterium der optischen, ggf. psychischen Einwirkung, das der V G H Kassel79 unter dem Aspekt der tatsächlichen Beeinträchtigung namentlich in bezug auf Abstandsflächenvorschriften praktiziert. An einer entsprechenden Augenfälligkeit intangibler Störung wird es vielfach dann fehlen, wenn das Wohnhaus des Beeinträchtigten zwar in der näheren Umgebung, aber doch in beträchtlicher Entfernung von dem störenden (überproportionalen) Vorhaben belegen ist. Hier wird man zögern, ein subjektives öffentliches Recht zuzuerkennen, da die optisch-ideelle Beeinträchtigung mit wachsendem Abstand erheblich abnimmt. Als Hilfskriterium kann dann der Sichtwinkel herangezogen werden, der einen Vergleich mit dem Grenznachbarn
Vgl. hierzu - unter dem Aspekt der tatsachlichen Beeinträchtigung - Friauf, in: von Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 1988, S. 477 (588), der mit Recht darauf hinweist, daß "oftmals nicht ohne eine wertende Betrachtung auf dem Hintergrund des als normal und angemessen angenommenen Zustands auszukommen sein" wird. 77 Vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78, DVB1. 1981, 928 (930); vgl. ferner - zu § 34 Abs. 1 BauGB - VGH Mannheim, U.v. 27.4.1990 - 8 S 2188/89, RdL 1990, 229 f., wo der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für acht Getreidesilos mit einer Traufhöhe von 23 m und dominierender optischer Wirkung für die Wohnbebauung mangels Rücksichtslosigkeit zu Lasten der Nachbarn bejaht wurde. 78 BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85, NVwZ 1987, 128 (129): Die Feststellung des Berufungsgerichts, drei Düngekalksilos "'erdrückten und erschlügen'" das Grundstück des Nachbarn mit einem Wohnhaus in sechs Meter Entfernung, begründe bundesrechtlich keine Zweifel. 79 B.v. 23.4.1982 - IV TG 23/82, BauR 1982, 369 (371): "optisch und unter Umstanden psychisch belastende Einengung des Grundstücks". Vgl. C.ni.6.c.bb. 19 Schmidt-Prcuß
262
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
erlaubt. Zu fragen bleibt noch, ob dieser auch dann in seinen Rechten verletzt wäre, wenn im genannten Beispiel das Vorhaben nicht zehn, sondern vier Geschosse aufweisen würde. Freilich ließe sich hier schon die Rechtswidrigkeit in Zweifel ziehen, wenn keine bodenrechtlichen Spannungen entstehen und damit trotz Rahmenüberschreitung ausnahmsweise vom Einfügen auszugehen ist.®0 Im Falle eines sechsstöckigen Vorhabens wäre die objektiv-rechtliche Zulässigkeit jedenfalls zu verneinen. Bei einer solchen Überschreitung des Rahmens um das Doppelte ist auch die Drittschutzschwelle baunachbarschaftlicher Harmonie des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB überschritten.
c) Innenbereichsüberschreitende Konflikte gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB Der Gesetzgeber hat bei Verabschiedung des BauGB die im bisherigen § 34 Abs. 1 BBauG enthaltene Einschränkung, daß sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen dürfen, ersatzlos gestrichen. Damit ist der bisherigen Rechtsprechung zu innenbereichsüberschreitenden Konflikten der Boden entzogen, die das (ausnahmsweise) subjektiv-rechtliche Rücksichtnahmegebot im Begriff der öffentlichen Belange verankert hatte.81 Allerdings dürfte der Gesetzgeber kaum die Absicht gehabt haben, den Drittschutz des störungspräventiv vorgehenden Außenbereichsemittenten gegenüber einem Innenbereichswohnvorhaben auszuschließen. Daß es sich vielmehr um ein redaktionelles Versehen gehandelt hat, ergibt sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs. Er geht davon aus, daß dem Merkmal der öffentlichen Belange neben dem Erfordernis des Einfügens in umweltschutzrechtlicher Hinsicht "keine selbständige Bedeutung zukommt".82 Die bisherigen Lösungsvorschläge bemühen sich denn auch, den alten Rechtszustand dogmatisch abzusichern.83 Wie oben ausgeführt, erfahren die kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen im Baunachbarschaftskonflikt
80
Dazu BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77, E 55, 369 (386); Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 20 ff. Voibem. zu den §§ 29 - 38. Umgekehrt kann ein Vorhaben im Einzelfall trotz Einhaltung des Rahmens unzulässig sein, wenn es - so die Rspr. - die Rücksichtnahme auf die Bebauung insbesondere in seiner unmittelbaren Nähe vermissen läßt. S. schon oben Fn. 30. 81 Vgl. grdl. BVerwG, U.v. 10.12.1982 - 4 C 28.81, NVwZ 1983, 2460 (2461); im Anschluß daran BVeiwG, B.v. 25.4.1985 - 4 B 48.85, UPR 1985, 340 f. 82 BT-Drcks. 10/4630, S. 87. 83 So hat Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40 zu § 34, die Möglichkeit erwogen, auf das Merkmal "gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse" zurückzugreifen; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Rdnr. 78 zu § 31, will ggf. auf die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 2 oder Festsetzungen eines angrenzenden Bebauungsplans rekurrieren ("gemeinsame Gmndlage für das Rücksichtnahmegebot"); Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 198, nimmt schließlich einen "ungeschriebenen öffentlichen Belang im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB" an.
V I . 2 . Baurecht
263
durch das Merkmal des Einfugeos in die Eigenart der näheren Umgebung derart ihre gegenseitige Gewichtung und Zuordnung, daß beide Seiten Einschränkungen hinnehmen müssen, um jeweils das Höchstmaß an Interessenverwiiklichung im Rahmen harmonischer baunachbarschaftlicher Beziehungen zu erreichen. Das normative Konfliktschlichtungsprogramm des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB enthalt keinen Hinweis, daß die gestörten Verschonungsinteressen nicht außeihalb des Bebauungszusammenhangs belegen sein dürften. Im Gegenteil ist das Merkmal des "Einfugens" in die Eigenart der näheren Umgebung einwirkungsbezogen; es schließt damit auch den Konflikt zwischen Innenbereichsbauherrn und dem störungspräventiv vorgehenden Außenbereichsemittenten ein. Von daher ist dar bisherige Grundsatz, daß der im Außenbereich angrenzenden Bebauung keine rahmenbildende Bedeutung zukommen könne,84 in Fällen innenbereichsüberschreitender Konflikte zu modifizieren.* 5 Demgegenüber läßt der Begriff der "Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse" (§ 34 Abs. 1 S. 2, Hs. 1 BauGB)86 eine Zuordnung der Gestaltungsinteressen zu den Verschonungsinteressen des Nachbarn im Sinne der Konfliktschlichtungsformel nicht erkennen.
d) Planfeststellungsbedingter Verlust baurechtlicher Drittrechte gem. § 38 S. 1 BauGB Eine planfeststellungsrechtlich bedingte Einschränkung subjektiv-rechtlichen Baunachbarschutzes erfahrt das Konfliktschlichtungsprogramm des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB durch § 38 S. 1 BauGB. Diese Vorschrift hat auch den unter multipolarem Aspekt hier zu behandelnden Konflikt zwischen den Gestaltungsinteressen des privaten Vorhabenträgers und den Verschonungsinteressen des Dritten zum Gegenstand, der sich auf bauplanungsrechtliche Gegenpositionen beruft. Selbst warn hier die baurechtliche Drittschutzschwelle bei isolierter Betrachtung überschritten wäre, ginge der Nachbar seiner subjektiv-rechtlichen bauplanungsrechtlichen Position verlustig.87 Die baurechtlichen Aspekte kramen z.B. im Fall einer abfallrechtlichen Planfeststellung nur noch über § 8 Abs. 3
84
Vgl. BVerwG, U.v. 10.12.1982 - 4 C 28.81, NJW 1983, 2460 (2461). S. die Erwägung bei Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 11 zu § 34. 86 Hierfür Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 40 zu § 34; s. auch Pagenkopf, BauR 1977, 155 (159). 87 So ausdrücklich VG Freiburg, B.v. 24.10.1986 - 6 K 123/86, UPR 1987, 358 (359 f.), zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die gem. § 13 BImSchG eine abfallrechtliche (F\an-)Genehmigi*ig einschließt, die ihrerseits über den hier anwendbaren § 38 S. 1 BauGB die eben geschilderte Entwertung der baurechtlichen Gegenrechte auslöst. Ebenso VGH Mannheim, B.v. 28.9.1990 - 8 S 1847/90, NVwZ-RR 1991, 140; Schweriner, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 63 zu § 7. 85
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
264
S. 1 Nr. 1 (Gemeinwohl) i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AbfG als Abwägungsmaterial in Gestalt eines überwindbaren städtebaulichen Belangs berücksichtigt werden. § 38 S. 1 BauGB stellt damit eine objektiv-rechtliche Eingrenzung des materiellen Baurechts und damit auch seiner subjektiv-rechtlichen Gewährleistungen dar.
e) § 34 Abs. 2 BauGB Falls die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht, hängt die Zulässigkeit eines Vorhabens hinsichtlich seiner Art gem. § 34 Abs. 2 BauGB allein davon ab, ob es nach den Vorschriften der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. 88 Insoweit scheidet im Gegensatz zum früheren Recht89 ein Rückgriff auf § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB aus.90 Da im Plangebiet nur die Festsetzungen des Bebauungsplans Nachbarrechte begründen, nicht etwa die §§ 2 - 11 BauNVO selbst, kommt als Konfliktschlichtungsprogramm lediglich der von § 34 Abs. 2 BauGB inkorporierte § 15 Abs. 1 BauNVO91 in Betracht.92 Wird eine dem fiktiven Baugebiet der Art nach widersprechende Nutzung ohne erforderlichen Dispens zugelassen, gilt dasselbe für § 31 Abs. 2 BauGB ("Würdigung nachbarlicher Interessen"),93 den § 34 Abs. 2, Hs. 2 BauGB in seinen Tatbestand einbezieht.
88
Vgl. BVerwG, B.v. 12.12.1990 - 4 B 240.89, NVwZ 1990, 557 (558). So konnte nach § 34 Abs. 3 BBauG über § 15 Abs. 1 BauNVO kein Drittschutz gewählt weiden, den nicht auch schon § 34 Abs. 1 vermittelt hatte, vgl. BVerwG, U.v. 18.10.1985 - 4 C 19.82, DVB1. 1986, 187 (188). 90 Dagegen stand nach dem früheren Recht auch im Falle der Zulässigkeit gem. § 34 Abs. 3 BBauG der Rückgriff auf § 34 Abs. 1 BBauG offen. Insofern ergibt sich nach Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 48 zu § 34, durch die Neuregelung eine "Lücke", die auch § 15 BauNVO "wohl nicht ausfüllen" könne, weil sich § 34 Abs. 1 BauGB und § 15 BauNVO "zwar in ihrer Tendenz, aber nicht im Detail decken". In subjektiv-rechtlicher Hinsicht wird aber in beiden Fallen über das Rücksichtnahmegebot dasselbe Schutzniveau angenommen, ibid., Rdnr. 77. 91 Vgl. z.B. zu § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO VGH München, B.v. 21.11.1989 - 20 CS 89.1924, NVwZ-RR 1990, 549 f.; VGH München, U.v. 31.10.1989 - 20 B 85 A.2535, NVwZ-RR 1990, 529 (530), in bezug auf § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO bzw. § 35 Abs. 2 und 3 S. 1, 2. tiret BauGB. S. zu § 15 BauNVO unten C.VI.2.i. 92 S. die zweite Erwägung in BVerwG, U.v. 18.10.1985 - 4 C 19.82 - 4 C 19.82, DVB1. 1986, 187 (188), die insoweit auch nach Einführung von § 34 Abs. 2 BauGB maßgeblich ist; s. auch Gaentzschy BauGB, Rdnr. 38 zu § 34; weitergehend Geizer/Birk, Rdnr. 1233 ff. 93 S. hierzu unten C.VI.2.h. 89
VI.2. Baurecht
265
f) § 35 Abs. 1 BauGB § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert bestimmte Vorhaben, indem er sie wegen ihres Störpotentials in den Außenbereich verweist, der anderen Vorhaben grundsätzlich verschlossen ist. Dies verleiht den Abwehrinteressen des Privilegierten ein besonderes Gewicht, das er den gegenläufigen Interessen derer, die ihn in der Ausnutzung seines Bestandes94 aktuell oder potentiell einschränken, entgegensetzen kann. Die kollidierenden Privatinteressen werden daher einem Konfliktschlichtungsprogramm unterstellt, das von der besonderen Beachtlichkeit der Privilegierung gekennzeichnet ist. § 35 Abs. 1 BauGB ist somit drittschützend95 und kann im Fall der störungspräventiven Abwehr gegen heranrückende Bebauung vom Privilegierten im Rahmen multipolarer Abwägung auf der Grundlage der Genehmigungsnorm als Gegenrecht eingebracht werden. 96 Unterläßt er dies, käme er seiner multipolaren Obliegenheit zur Rechtswahrung nicht nach97 und würde sich immissionsschutzrechtlichen Anordnungen ebenso ausgesetzt sehen können wie einer verschärften Vorbelastung im Hinblick auf mögliche - betrieblich veranlaßte - Erweiterungsinvestitionen. 98 Freilich bedeutet die Privilegierung nur einen besonders beachtlichen Abwägungsposten, keinen absoluten Vorrang. Bringt z.B. der Außenbereichsemittent seine Privilegierung als Gegenrecht gegenüber einer Innenbereichswohnbebauung ein, darf dies nicht zur "Unbebaubarkeit des Innenbereichsgrundstücks" führen. 99 Geht es umgekehrt um die Genehmigung eines landwirtschaftliches Betriebs gem. § 35 Abs. 1 BBauG, können Außenbereichs-Wohnnachbarn § 35 Abs. 2 BauGB als
94
Vgl. hierzu Friauf, DVB1. 1971, 713 (715); gegen die "generelle Anerkennung einer störungspraventiven Baunachbarklage" Bardsperger, DVB1. 1971, 723 (725 ff., 727). 95 Ebenso Breuer, DVB1. 1983, 431 (437): "nachbarrelevant". 96 C.m.l.b. 97 Zum bauplanungsrechtlichen Prioritatsprinzip im Hinblick auf § 35 BBauG s. BVenvG, U.v. 21.10.1968 - IV C 13.68, DVB1. 1969, 263 (264): "Erhaltung der Privilegierung" aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG; U.v. 16.4.1971 - IV C 66.67, DVB1. 1971, 746 (748): "Grundsatz der Priorität"; vgl. dazu die Nachweise oben in Fn. 65. S. ferner OVG Münster, U.v. 21.10.1987 - 11 A 1090/84, NVwZ 1988, 377 f., das ein "über das Gebot der Rücksichtnahme wehrfähiges Interesse" eines Landwirts annimmt, "den Siedlungsdruck im Außenbereich ... schon in den Ansätzen abzuwehren", um die "'Einkesselung'" mit Wohnbebauung" zu verhindern; die Beeinträchtigung der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG/BauGB widerspreche dem "in § 35 m 1 BBauG/ BauGB enthaltenen, jedoch nicht ausdrucklich benannten Gebot der Rücksichtnahme"; s. auch VGH München, U.v. 28.7.1988 - Nr. 2 B 87.0365, BRS 48 Nr. 165, S. 408 (409 ff.): Privilegierung als "Abwehrrecht" gegenüber einer heranrückenden Gaststatte (Gestaltungsabwehr gegenüber dem die Baugenehmigung gem. § 35 Abs. 2 BauGB aufhebenden Widerspruchsbescheid). S. auch C.n.2.b.cc. 98 99
Vgl. VGH Kassel, B.v. 2.9.1980 - IV TG 52/80, GewArch. 1981, 31 (32). Zutr. BVerwG, B.v. 25.4.1985 - 4 B 48.85, UPR 1985, 340 (341).
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Gegenrecht in die multipolare Abwägung einbringen, um ihren Abwehrinteressen Nachdruck zu verleihen. 100
g) § 35 Abs. 2 und 3, 2. tiret BauGB Nach § 35 Abs. 2 BauGB sind sonstige Außenbereichsvorhaben zulässig, wenn ihre Ausfuhrung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt; nach Abs. 3, 2. tiret liegt ein solcher Fall vor, wenn das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird. Dies sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren oder erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizufuhren. Da § 3 Abs. 1 BImSchG bereits geltendes Recht war, als § 35 Abs. 3 BBauG 1976 den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen übernahm, ist davon auszugdien, daß er diese Legaldefinition inkorporiert hat. Der normative Ausgleich der Gestaltungsinteressen des Bauherrn und der immissionsbezogenen Verschonungsinteressen des Nachbarn erfolgt insoweit am Maßstab der Erheblichkeit ( = Zumutbarkeit), wie er unten in immissionsschutzrechtlichem Zusammenhang noch darzulegen ist. 101 § 35 Abs. 2 und 3, 2. tiret BauGB stellt daher ein Konfliktschlichtungsprogramm dar und ist drittschützend. 102 Dies gilt auch für außenbereichsüberschreitende Konflikte. 103 Zur Bestimmung der Drittschutzschwelle mit Hilfe der Instrumente des Zwischenwerts und der Priorität im einzelnen wird auf oben104 verwiesen.
h) § 31 Abs. 2 BauGB Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von Festsetzungen eines Bebauungsplans im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen befreit werden, "wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen
100
So die Konstellation im Schweinemaster-Urteil v. 25.2.1977 - IV C 22.75, E 52,
122 (131). 101
102
C.VI.3.C und h.
Vgl. Breuer, DVBI. 1983, 431 (437); Gaentzsch, BauGB, Rdnr. 69 zu § 35; s. zur Tatbestandsvariante des § 35 Abs. 3, 2. tiret, Fall 2 BauGB, bei der das Bauvorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wird, C.UI.l.b. 103 Vgl. zur heranrückenden Außenbereichsbebauung, gegen die sich der Innenbereichsemittent zur Wehr setzt, auf der Grundlage der Rücksichtnahme-Doktrin BVerwG, U.v. 21.1.1983 4 C 59.79, NVwZ 1983, 609 (610); BVerwG, B.v. 25.11.1985 - 4 B 202.85, NVwZ 1986, 469; VGH München, U.v. 21.6.1985 - 2 B 81 A.1805, UPR 1986, 32 (33 f.). 104 C.VI.2.b.aa.
VI.2. Baurecht
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Belangen vereinbar ist". Auf den Drittschutzcharakter des § 31 Abs. 2 BauGB deutet bereits das legislatorische Indiz der "nachbarlichen Interessen"; dem kann aber - wie oben105 dargelegt - keine konstitutive, sondern nur eine stützende Bedeutung zukommen. Wenn das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB dem Bauherrn eine Erweiterung seiner Gestaltungsinteressen über den Bebauungsplan hinaus ermöglicht, koppelt er dies folgerichtig an das Erfordernis, daß hierbei entgegenstehende nachbarliche Verschonungsinteressen gewürdigt werden. Die kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen werden damit dem Gebot eines einzelfallbezogenen nachbarlichen Interessenausgleichs unterstellt. Das qualifiziert § 31 Abs. 2 BauGB als Konfliktschlichtungsprogramm und begründet seinen Drittschutzcharakter. 106 Die Ausstrahlungswirkung des tatbestandlichen Konfliktschlichtungsprogramms gibt dem Ermessen seine Drittschutzrichtung.107 Darauf, ob die bauplanerische Festsetzung, von der dispensiert wird, ihrerseits drittschützend ist, kommt es nicht an. Wie das BVerwG 108 im Dispens-Urteil treffend hervorgehoben hatte, sieht § 31 Abs. 2 BauGB vor, daß "an die Stelle der festgesetzten eine konkrete andere bebauungsrechtliche Ordnung gesetzt und damit ein anderer Interessenausgleich vorgenommen wird". Nur die Befreiungsnorm kann insoweit Grundlage subjektiv-öffentlicher Abwehrrechte sein. Dies gilt entsprechend für die Dispensnormen der § 34
105
s.o. c.m.2. S. BVerwG, U.v. 15.2.1990 - 4 C 39/86, NVwZ 1990, 857 (858): § 31 Abs. 2 BBauG/ BauGB sei "mit dem in ihm enthaltenen Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen nachbarschützend"; grdl. zuvor das Dispens-UiteU, BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp.: Der Senat hält "§ 31 Abs. 2 BBauG insoweit für drittschützend, als diese Vorschrift das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde dahin bindet, daß die Abweichung 'auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen' mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muß". Im Sinne uneingeschränkten Drittschutzes die Inteipretation der Entscheidung durch Koch/Hosch, Baurecht, S. 286.; femer in diese Richtung Löhr, in: Battis/Krautzbeiger/Löhr, BauGB, Rdnr. 40, 76 zu § 31; s. auch Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 45 zu § 31; demgegenüber die Entscheidung im Sinne partiellen Drittschutzes deutend Ortlqff,\ in: Finkelnburg/ Ortloff, Öffentliches Baurecht n, S. 180; insgesamt abl. Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, Rdnr. 15 zu § 15 mit Fn. 40. Der VGH Kassel, B.v. 18.9.1989 - 4 TG 2261/89, ESVGH 40, 39 (41 f.), wendet auch hier seine als-ob-Formel an; s. dazu Fn. 43. 107 S.o. C.V.2.b. Vgl. hier nur BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 (410); Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.), Berliner Kommentar, Rdnr. 45 zu § 31 sowie Rdnr. 59 Vorbem. zu den §§ 29 - 38. Im voigenannten Dispens-Uiteil wird auf die Propoitionalitätsklausel des Schweinemaster-Urteils ebenso bezug genommen wie auf die Grundsatze "zur erforderlichen Qualifizierung und Individualisierung", während die Ausnahmefalle der Handgreiflichkeit oder der besonderen Rechtsposition nicht erwähnt werden; daß sie allerdings unverändert Bestandteil der Rücksichtnahme-Doktrin sind, zeigt BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (345); s. zur Kritik oben C.I.2.b. 108 U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp. Nicht zutr. daher OVG Bremen, B.v. 5.4.1989 - 1 B 10/89, BauR 1989, 456 l.Sp. 106
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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Abs. 3 BauGB 109 und § 4 Abs. 2 BauGB-MaßnahmenG, die ebenfalls die Würdigung nachbarlicher Belange erfordern. 110
i) § 15 Abs. 1 BauNVO aa) Nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO 1990 sind Vorhaben im Einzelfall unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugepiets selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen ^Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Die Ergänzung des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO um die "passive Verursachung" durch die BauNVO-Novelle bezieht sich vor allem auf den Fall der heranrückenden Wohnbebauung und stellt damit eine Anerkennung der Abwehrinteressen des störungspräventiv vorgehenden Emittenten dar. 111 § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO knüpft mit dem Begriff der Zumutbarkeit an den Erheblichkeitsmaßstab des § 3 Abs. 1 BImSchG an. 112 Damit werden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen gewichtet und dem Konfliktschlichtungsmaßstab gegenseitiger Zumutbarkeit unterstellt. Der Bauherr darf selbst bei Einhaltung des Bebauungsplans seine Gestaltungsinteressen nicht auf Kosten der Verschonungsinteressen des Nachbarn verwirklichen, wenn sich anhand multipolarer Abwägung ergibt, daß dieser unzumutbar beeinträchtigt wird. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO erfüllt damit die Voraussetzungen des Konfliktschlichtungsprogramms und ist drittschützend. Für die Konkretisierung der Drittschutzschwelle gelten die Grundsätze für immissionsbezogene und intangible Beeinträchtigungen.113 Ob etwa eine nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässige Tankstelle in einem Mischgebiet unzumutbare Störungen für Wohnnachbarn in einem angrenzenden reinen Wohngebiet verursacht, 114 ist unter Berücksichtigung technischer Regelwerke und unter Beachtung der Priorität zu bestimmen.115 Bei intangiblen Beeinträchtigungen gelten die schon zu § 34 Abs. 1 BauGB erörterten Kriterien
109
Vgl. VGH München, U.v. 20.6.1988 - Nr. 14 B 87.02191, BayVBl. 1989, 755 (756); VGH Mannheim, B.v. 25.8.1988 - 3 S 2452/88, BauR 1989, 186 r.Sp.: "der Sache nach eine Befreiung". 110 Auf die Schließung der Regelungslücke einer Baugenehmigung, die ohne den erforderlichen Dispens erlassen wird, ist sogleich unter C.VI.2.i.dd einzugehen. 111 Vgl. hierzu Gaentzsch, BauNVO, Anm. 3 zu § 15. 112 S. Fickert/Fieseler, BauNVO, Anm. 12. zu § 15. Hieran ändert § 15 Abs. 3 BauNVO nichts. 113 Vgl. C.VI.2.b. 114 115
S. hierzu unter Drittschutzaspekten Gaentzsch, BauNVO, Anm. 3 zu § 15.
Vgl. - auf der Grundlage der Rücksichtnahme-Doktrin - BVerwG, U.v. 7.2.1986 - 4 C 49.82, BauR 1986, 414 (416).
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optisch-ideeller Zumutbaikeit. Die Rechtsprechung gewährt auch hier Drittschutz nur über das Rücksichtnahmegebot.116 bb) § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO enthält zwar anders als S. 2 keinen immissionsbezogenen Abwägungsmaßstab im Sinne der Erheblichkeit oder Zumutbaikeit. Wenn er die Zulässigkeit danach bemißt, ob das Vorhaben "nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung" der Eigenart des Baugebiets widerspricht, bedeutet dies aber nichts anderes, als daß es sich an den vorhandenen Bestand anpassen muß, um die Gebietsstruktur nicht zu stören. 117 Der Nachbar kann folglich seine Verschonungsinteressen in die von § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO im Sinne einer Einzelfallkorrektur vorgesehene Abwägung einbringen, während der Bauherr seinerseits seine Gestaltungsinteressen verwirklichen darf, solange sein Vorhaben nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung den Anforderungen der § § 2 - 1 4 BauNVO Genüge tut. 118 Damit umschließt § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO den Konfliktschhchtungsmaßstab harmonischer baunachbarlicher Beziehungen im Sinne der subjektiv-rechtlichen Ausschnittsbetrachtung.119 Der objektiv-rechtliche Regelungsgehalt der Norm geht über den Bereich subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung hinaus. § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO ist damit partiell drittschützend. cc) Im genannten Umfang gilt der Drittschutz aus § 15 Abs. 1 BauNVO auch im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB. 120
116
S. insoweit vor dem Hintergrund von § 15 Abs. 1 BauNVO BVerwG, U.v. 5.8.1983 4 C 96.79, E 67, 334 (339); U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347); U.v. 7.2.1986 - 4 C 49.82, BauR 1986, 414 (416); OVG Münster, U.v. 23.1.1991 - 10 A 2111/87, NWVBL 1991, 163 (264); die beiden letztgenannten Urteile sind seltene Beispiele der Rspr. dafür, daß nicht nur von § 15 Abs. 1 BauNVO in seiner Gesamtheit die Rede ist, sondern die Entscheidung richtigerweise auf einen der beiden Sätze - hier § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO - gestützt wurde. - Im Sinne der Rücksichtnahme-Rspr. Ortloff, in: Finkelnburg/Oitloff, Öffentliches Baurecht II, S. 180, der hier für § 15 Abs. 1 BauNVO in seiner Gesamtheit partiellen Drittschutz annehmen will; Fickert/Fieseler, BauNVO, Anm. 6zu § 15;Löhr, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, Rdnr.40zu § 31. 117 Fickert/Fieseler, BauNVO, Anm. 9.1 zu § 15, sprechen sogar in deutlicher Parallele zu § 34 Abs. 1 BauGB davon, daß sich die "Nichteinfugung der baulichen Anlage oder Nutzung in die Eigenart des Baugebieta ... offensichtlich aufdrangen" müsse. 118 S. zu Einzelheiten Fickert/Fieseler, BauNVO, Rdnr. 8 ff. Vgl. hierzu auch die unter dem Aspekt des § 15 Abs. 1 BauNVO (in seiner Gesamtheit vorgenommene) Feinsteuerung der Abwägung in BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (347, 349 f.): "Bloße Lästigkeiten" wie eine verstärkte Einsichtnahme durch den Oberlieger seien für die Annahme der (subjektivrechtlichen) Unzumutbarkeit nicht ausreichend. 119 S. demgegenüber Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rdnr. 994, nach denen § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO "Erwägungen" enthalte, "die für den Nachbarschutz nichts bringen"; anders allerdings Rdnr. 589, wo betont wird, § 15 Abs. 1 BauNVO (insgesamt, also auch S. 1) habe zwar unmittelbar keinen nachbarschützenden Charakter, könne aber als Ausprägung des RücksichtnahmegeboU im Ausnahmefall drittschützend sein.
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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dd) Für den Fall, daß die Baugenehmigung ohne einen erforderlichen Dispens rechtswidrig erteilt wird, besteht eine Regelungslücke. § 31 Abs. 2 BauGB kommt nicht in Betracht, weil er die gewährte Befreiung voraussetzt. Darüber hinaus läßt eine Abweichung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans ohne Dispens für eine (unmittelbare) Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO keinen Raum. Das BVerwG 121 hat im Pergola-Urteil vom 6.10.1989 diese Lücke in analoger Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO und unter Beachtung der Wertung des § 31 Abs. 2 BauGB geschlossen. Dem ist im Ergebnis voll zuzustimmen. Der Bauherr kann hier nicht besser stehen, als er stünde, wenn die Baugenehmigung zusammen mit dem erforderlichen Dispens erteilt worden wäre. Allerdings ist die Heranziehung des Gedankens des § 31 Abs. 2 BauGB auf Grund der Überlegung, daß deijenige, der sich auf den Bebauungsplan "berufen kann, bei der Interessenabwägung grundsätzlich einen gewissen Vorrang" 122 genieße, nicht ganz überzeugend. Die Festsetzung war im konkreten Fall nicht nachbarschützend und konnte deshalb auch keinen subjektivrechtlichen Vorrang zugunsten des Nachbarn begründen.
j ) § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO Nach § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO sind u.a. großflächige Handelsbetriebe, die sich nicht nur unwesentlich auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung auswirken können, außer in Kemgebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Dabei sind nach S. 3 Auswirkungen dieser Art in der Regel bei einer Überschreitung der Geschoßfläche um 1200 qm anzunehmen, wenn nicht gegenteilige Anhaltspunkte bestehen, die u.a. auch die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung einschließen (S. 4). Die Frage stellt sich, ob hieraus ein subjektives öffentliches Recht eines ansässigen Einzelhändlers gegenüber der Ansiedlung eines großflächigen Konkurrenzbetriebs folgt, dem unter Verstoß gegen die vorgenannte Vorschrift eine Baugenehmigung erteilt wird. Da § 11 Abs. 3 BauNVO allein städtebauliche Belange ordnet, liegt ein derartiger Konkurrenzschutz außerhalb des Verordnungszwecks. 1 2 3 Auch das Merkmal der verbrauchernahen Versorgung der Bevölke-
120
Auf der Basis der Rücksichtnahme-Doktrin z.B. VGH München, U.v. 31.10.1989 - 20 B 85 A.2535, NVwZ-RR 1990, 529 (530 f.). 121 4 C 14.87, E 82, 343 (346 f.), mit Klarstellung im Hinblick auf die "möglicherweise mißverständliche Formulierung" in BVerwG, B.v. 16.8.1983 - 4 B 94.83, NVwZ 1984, 38 r.Sp., und B.v. 20.9.1984 - 4 B 181.84, NVwZ 1985, 37 (38). - Einen anderen dogmatischen Weg hatte zuvor das OVG Bremen, B.v. 21.10.1987 - 1 B 78/87, BRS 47 Nr. 97, S. 256 (257 f.), beschritten, indem es § 31 Abs. 2 BauGB direkt auch im Fall des "heimlich" erteilten Dispenses angewendet hat. 122 BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 14.87, E 82, 343 (348). 123 Zutr. Schenke, in: Dichtl/Schenke, Einzelhandel und Baunutzungsverordnung, 1988, S.
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rung ist nicht geeignet, im Städtebaurecht subjektiv-rechtlichen Schutz vor Wettbewerbern zu begründen.
k) Grundeigentum als Strukturmerkmal bauplanungsrechtlichen Drittschutzes Ein ungeschriebenes objektiv-rechtliches Strukturmerkmal bauplanungsrechtlichen Drittschutzes ergibt sich aus der Tatsache, daß sich die kollidierenden Privatinteressen auf Grundstücke und ihre Nutzung beziehen. Wenn es im Baunachbarschaftskonflikt um Maß und Grad gegenseitigen freien Dürfens geht, 124 dann setzt dies die Eigentümerposition voraus, die im Rahmen der Baufreiheit 123 allein dazu befähigt, mit dem Grundstück "nach Belieben" umzugehen. Damit ist dem BVerwG beizupflichten, wenn es auch weiterhin an seiner Rechtsprechung festhält, daß Mieter und Pächter keinen bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz genießen.126 Dies gilt auch, wenn z.B. eine dem Lärmschutz dienende bauplanerische Festsetzung in Rede steht. Insofern kann der Erwägung des V G Berlin, 127 aus der "Nähe der Mieter zu den Folgen" rechtswidriger Baugenehmigungen und "wegen des oft fehlenden Interesses der Eigentümer größerer Mietobjekte" ergebe sich die Erstreckung des bauplanungsrechtlichen Nachbarschutzes auf den obligatorisch Berechtigten, nicht gefolgt werden. Auch die weitere Äußerung des VG Berlin, die Begrenzung auf den Grundstückseigentümer im Bauplanungsrecht sei angesichts der Regelung im BImSchG "nicht einzusehen", kann nicht überzeugen. Die Konfliktschlichtungsprogramme des BImSchG knüpfen gerade nicht an das Eigentum, sondern vor allem an den Maßstab schädlicher Umwelteinwirkungen an. Dagegen aktualisiert das Bauplanungsrecht die Baufreiheit für den Grundstückseigen-
13 (64); Beckmann, VR 1990, 152 (158); s. auch OVG Münster, B.v. 12.2.1976 - X B 820/75, BRS 30 Nr. 150, S. 272 (274), wo es um eine "unter Verletzung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 BauNVO" erteilte Baugenehmigung für einen Verbrauchermarkt ging. 124
125
S.o. C.n.l.a.
Vgl. Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Bau- und Bodenrecht, Rdnr. 160 ff. 126 Vgl. BVerwG, B.v. 11.7.1989 - 4 B 33/89, NJW 1989, 2766, zu einem Fall der Betriebsaufspaltung; s. zuvor bereits BVerwG, U.v. 11.5.1989 - 4 C 1.88, E 82, 61 (74 ff.), das sich zur Begründung auf den Gedanken des "wechselseitigen Austauschverhältnisses" beruft. Danach sind dem Eigentümer gleichgestellt der Inhaber eines Erbbaurechts, der Nießbraucher und der Grundstückskäufer, auf den Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen sind und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen worden ist. Die Vorinstanzen hatten in diesem Fall, in dem der Kläger lediglich Pächter und eingesetzter Hoferbe war, ohne weiteres bauplanungsrechtlichen Drittschutz in Betracht gezogen hat (bejahend VG Münster, U.v. 11.12.1986 - 2 K 782/84, Ausfertigung, S. 16 ff.; verneinend OVG Münster, U.v. 22.10.1987 - 21 A 330/87, NVwZ 1988, 554 (558 f.)). 127 B.v. 9.6.1978 - Xm A 112/78, NJW 1978, 1822 (1823); dort befindet sich auch das folgende Zitat.
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tümer. I m übrigen kann der Mieter versuchen, den untätig» Vermieter-Eigentümer mit den Mitteln des Zivilrechts zum Handeln zu veranlassen. Dieser mag sogar mit der Baumaßnahme einverstanden sein und bewußt auf die Wahrnehmung von Drittrechtsbehelfen verzichten. Eine solche Eigentümerentscheidung kann nicht durch Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte an den Mieter unterlaufen werden. 128 Ganz anders können die Dinge dagegen im Bauordnungsrecht lieg», wo es nicht um die Losung von Bodennutzungskonflikten, sondern primär um Gefahrenabwehr geht. Soweit hier Normen speziell sicherheitsbezogen - wie z.B. zur Vermeidung von Brandschutzgefahien - sind, können auch dem Mieter subjektive öffentliche Rechte zustehen. Zur Sonderproblematik des Wohneigentums wird auf bereits Ausgeführtes verwiesen. 129
1) Drittvornahmebegehren Bauordnungsrechtliche Drittvornahmeansprüche können sich aus den ermessensbezogenen Spezialvorschriften über Baueinstellung, Nutzungsuntersagung und Beseitigung in den Landesbauordnung» ergeben (vgl. z.B. Art. 81 Abs. 1, 82 S. 1 und 2 BayBauO). Diese (Handlungs-)Normen inkorporieren mit der Anknüpfung an den "Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften" die materiell-rechtlichen Maßstabsnormen des gesamten Baurechts wie auch der einschlägigen Fachgesetze. So verweisen etwa die Art. 81, 82 BayBauO130 auf Art. 3 BayBauO. Danach sind bauliche Anlagen u.a. so zu errichten, zu ändern oder zu unterhalten, daß die öffentliche Sicherheit 131 nicht gefährdet wird. Sofern beispielsweise Risiken für "Leben oder Gesundheit" zu besorgen sind, weist die Norm auf die Notwendigkeit, die kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen im Wege multipolarer Abwägung zu einem baunachbarschaftlichen Ausgleich zu bringen. Insofern ist von einem Ausschnitt subjektivrechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen eines weiterreichenden obj ektiv-rechtlichen Ordnungsgefüges auszugehen. Daneben werden mit dem Begriff der öffentlichen Sicherheit externe (spezielle) Konfliktschlichtungsprogramme inkorporiert. In beiden Fällen kommt es zur subjektiv-rechtlichen Ausstrahlungswirkung auf das Ermessen der bauordnungsrechtlichen Handlungsnorm», das hierdurch die konkrete Drittschutzrichtung «fahrt. Hierzu wird auf oben132 verwiesen.
128
In diesem Sinne auch OVG Berlin, B.v. 1.11.1988 - 2 S 8/88, NVwZ 1989, 267 (268). S.o. C.I.5.cc. 130 Entsprechendes gilt für die vergleichbaren Normen der übrigen Landesbauordnungen, s. hier nur §§ 74, 75 i.V.m. § 3 Musterbauordnung 1990. 131 So wohl auch im Fall der Baueinstellung OVG Münster, B.v. 2.10.1987 - 11 B 1594/87, NVwZ 1988, 369 (370); insoweit für öffentliche Ordnung dagegen Otücff, in: Finkelribuig/Oitloff, Öffentliches Baurecht U, S. 121. 129
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Was die Voraussetzungen formeller und/oder materieller Illegalität angeht, so schlägt in multipolaren Konfliktlagen zu Buche, daß es um Grund und Reichweite gegenseitigen freien Dürfens geht. Für den Fall des ermessensbezogenen Drittvornahmebegehrens 133 auf Beseitigung (z.B. Art. 82 S. 1 BayBauO) gilt der allgemeine Grundsatz, daß das Bauwerk formell und materiell illegal sein muß. 134 Hier ergibt sich in der multipolaren Konfliktlage nichts anderes als im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis. Demgegenüber verlangt das Drittvornahmebegehren auf Nutzungsuntersagung 135 (z.B. Art. 82 S. 2 BayBauO) eine differenzierende Betrachtung. Sofern hier vielfach eine bloß formelle Illegalität für ausreichend gehalten wird, 136 ist dem im Drittvomahmefall zu entgegnen, daß im Rahmen der gebotenen (Ermessens-)Abwägung nicht nur die Verschonungsinteressen des Nachbarn, sondern auch die Gestaltungsinteressen des Bauherrn zu berücksichtigen sind. Beachtung verdient, daß z.T. eine Ausnahme von der formellen Betrachtungsweise für den Fall nachträglich eintretender Illegalität oder evidenter Rechtmäßigkeit anerkannt wird. 137 Dies mag für die bipolare Fallgestaltung ausreichen. In der multipolaren Konfliktlage ist aber darüber hinaus vom grundsätzlichen Erfordernis formeller und materieller Illegalität auszugehen, soll ein Drittvornahmebegehren auf Nutzungsuntersagung Erfolg haben. Es verstieße gegen das Gebot des gerechten Ausgleichs kollidierender Privatinteressen im Baunachbarschaftsverhältnis, wenn der Nachbar die Zurücksetzung der Nutzungsinteressen des sich auf eine Genehmigung stützenden Bauherrn verlangen und damit z.B. die Entwertung von In-
132 C.V.2.b sowie im Zusammhang mit der Thematik des Folgenbeseitigungsanspruchs C.V.l.a.cc und der Problematik "vollendeter Tatsachen" C.V.2.C. 133 Zur Problematik der Ermessensreduzierung s. C.V.2.b.bb. 134 Vgl. Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 132; Sauter, LBauO BW, Rdnr. 13 zu § 64. Dabei genügt es, wenn das Bauvorhaben zu einem beliebigen Zeitpunkt zwischen seiner Errichtung und der letzten mundlichen Veihandlung vor Gericht materiell rechtmäßig war, vgl. hieizu Sauter, ibid., Rdnr. 19 zu § 64. 135 So u.a. für den Fall bereits ausgeübter Nutzung und offensichtlicher materieller Rechtmäßigkeit Schenke, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, 1990, Rdnr. 623 zu 2/3 (S. 514 f.); ausdrücklich auch Ortloff, in: Finkelnburg/Oitloff, Öffentliches Baurecht n, S. 152 f.; vgl. VGH Mannheim, U.v. 6.3.1985 - 3 S 1606/84, VB1BW 1985, 457 (458); OVG Koblenz, B.v. 31.1.1967 - 1 B 52/66, BRS 18 Nr. 145, S. 234 f., mit der ausnahmsweisen Zulassung eines vorläufigen Nutzungsverbots im Falle von Sicherheitsmängeln; a.A. Schwarzer, Handbuch Rdnr. IV 131; VGH Kassel, B.v. 13.6.1986 - 3 TH 2033/86, BauR 1987, 192 r.Sp.; VGH München, B.v. 10.2.1988 - Nr. 2 CS 88.00208, BayVBl. 1988, 436 (437); dabei beziehen sich die vorgenannten Äußerungen im wesentlichen auf das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis. 136
S. z.B. Sauter, LBauO BW, Rdnr. 74 zu § 64; VGH Mannheim, B.v. 16.2.1987 - 3 S 261/87, VB1BW 1987, 342 (343); VGH München, B.v. 6.2.1980 - Nr. 14 CS - 1776/79, BayVBl. 1980, 246 (247). 137 Vgl. zutr. Schenke, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, Rdnr. 623 zu 2/3 (S. 515).
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vestitionen bewirken könnte, wenn diesem mangels materiell-rechtlicher Einwände ein Rechtsanspruch auf die nachträgliche Legalisierung zusteht.138 Das Erfordernis bloß formeller Illegalität bei der Baueinstellung (z.B. Art. 81 Abs. I S. 1 BayBauO) entspricht allgemeiner Auffassung. 139 Das ist iur das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse richtig. Demgegenüber steht in der multipolaren Konfliktlage dem Dritten kein Anspruch auf Baueinstellung allein wegen formeller Illegalität zu. Da der Nachbarkonflikt nicht um die Einhaltung des Verfahrens geht und der Bauherr ohnehin einen Anspruch auf "Legalisierung" hätte, ginge es einseitig zu seinen Lasten, wollte man die bloß formelle Illegalität ausreichen lassen. Daher ist auch hier im Rahmen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung materielle Illegalität zu verlangen. Ohne die normative Zuweisung der Rechtsmacht durch das Konfliktschlichtungsprogramm des materiellen Rechts fehlt daher dem Ermessen der Handlungsnorm die Drittschutzrichtung. 140 Dies ist bei § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, Fall 2 AtG deshalb anders, weil dort der Fall einer nicht erteilten, aber erforderlichen Genehmigung als tatbestandliche Voraussetzung für eine (endgültige) Anordnung der Einstellung ausdrücklich genannt ist. 141 Was die Frage der Ermessensreduzierung auf Null angeht, müssen die Verschonungsinteressen des Nachbarn im Hinblick auf die durch den Baukörper verursachte Störung bzw. Gefahrdung mit den Bestandsinteressen des Bauherrn abgewogen werden. Dabei können auch persönliche wie finanzielle Gesichtspunkte auf Seiten des Bauherrn beachtlich sein, wenn auch nicht außer acht gelassen werden darf, daß er auf eigenes Risiko handelt.142 Wie beim Schwarz138 In dem vom BVerwG, U.v. 19.6.1991 - 4 C 52.89, NVwZ 1992, 165 f., entschiedenen Fall eines auf Nutzungsuntersagung zielenden Drittvornahmebegehrens war die Nutzung formell und materiell rechtswidrig; so auch in OVG Berlin, B.v. 7.9.1990 - 2 S 14/90, LKV 1991, 108 (109); vgl. ferner in einem Fall unechter Multipolaritat VG Braunschweig, U.v. 24.6.1991 - 9 A 9014/91, NVwZ 1991, 1211 r.Sp. 139 Vgl. VGH Kassel, B.v. 20.3.1991 - 4 TH 877/90, Ausfertigung, S. 20 (Fall der Gestaltungsabwehr); Steinberg, NJW 1984, 457 (463) Fn. 92; Schwarzer, Handbuch, Rdnr. IV 130; Ortloff; in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht ü, S. 121. Der durch Einlegung des Nachbarwiderspruchs ausgelöste Eintritt des Suspensiveffekts fuhrt zur formellen Illegalität, vgl. Ortloff, ibid.; in der Sache auch Schwarzer, Handbuch, Rdnr. m 346; OVG Bremen, B.v. 2.4.1984 - 1 B 27 und 28/84, NVwZ 1986, 59 (60); anders BVenvG, B.v. 15.8.1988 - 4 B 89.88, NVwZ 1989, 48 (49); VGH Kassel, B.v. 16.12.1991 - 4 TH 1814/91, DVB1. 1992, 780 (781); ferner für § 20 Abs. 2 BImSchG VGH Kassel, B.v. 14.6.1991 - 14 UE 1162/85, GewArch, 1992, 113 (114). 140 Vgl. in diesem Sinne VGH Mannheim, B.v. 14.1.1991 - 3 S 3127/90, VB1BW 1991, 219 (220); VGH Kassel, U.v. 5.6.1975 - IV TG 21/75, BRS 29 Nr. 147, S. 276 (277 f.); Sauter, LBauO BW, Rdnr. 22 zu § 63. Aus der Perspektive der Gestaltungsabwehr s. OVG Bremen, B.v. 2.4.1984 - 1 B 27 und 28/84, NVwZ 1986, 59 (60). Vgl. auch C.V.2.b. 141 S. zum Drittschutz des § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG BVeiwG, U.v. 7.6.1991 - 7 C 43.90, E 88, 286 (288), sowie unten C.VI.4.i. 142 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Mauier/Hendler (Hrsg.), Baden-Württembeigisches Staats- und
V I . 2 . Baurecht
275
bau ist auch bei einem Beseitigungsbegehr» nach erfolgreich betriebener Aufhebung der Baugenehmigung143 allein die den Abbruch in das Ermessen der Behörde stellende Ordnungsnonn entscheidend.144 Insoweit wird zur Ablehnung eines Folgenbeseitigungsanspruch, einer Folgenbeseitigungslast und eines quasiautomatisch» Beseitigungsanspruchs einerseits sowie zur Ermessensproblematik andererseits auf frühere Ausführungen verwiesen. 145
m) Bauplanerische Festsetzungen Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung in qualifizierten Bebauungsplanen146 stellen ein Ordnungsprinzip dar, das im Sinne des von Sendler 141 grundlegend entwickelten Austauschverhältnisses die geg»seitige Gewichtung und Zuordnung von Verschonungs- und Gestaltungsinteressen deutlich macht. Der Bauherr muß sich zwar Begrenzung» in Form bauplanerischer Festsetzungen namentlich über die Art der baulichen Nutzung gefallen lassen und dem nachbarlichen Verschonungsinteresse insoweit nachkommen, kann aber seinerseits davon ausgehen, daß er selbst diesen Schutz genießt, wenn von anderer Seite »tsprech»de Beeinträchtigung» droh». Somit lass» sich Festsetzung» über die Art der baulich» Nutzung im Wege abstrakter Auslegung als Konfliktschlichtungsprogramm kennzeichnen. Deshalb ist i h n » - mit der ganz herrschenden Meinung - Drittschutzqualität zuzuerkennen.148 Dabei kann auch
Verwaltungsrecht, 1990, S. 310 (339), im Hinblick auf Abbruch und endgültige Nutzungsuntersagung. 143 In diesem Fall für eine regelmäßige Reduzierung des Ermessens Schlichter, in: Schlichter/Stich (Hrsg.)» Berliner Kommentar, Rdnr. 88 Vorbem. zu den §§ 29 - 38. Für Abwägung etwa auch der Kosten eines Abbruchs im Rahmen der Verhältnismäßigkeit VGH München, U.v. 12.11.1987 - Nr. 2 B 86.01342, BRS 48 Nr. 174, S. 425 (426). S. C.V.2.b, c. 144 Für gleichartige Behandlung von Schwarzbau und der Errichtung eines Bauwerks auf Grund einer später aufgehobenen Baugenehmigung Schenke, DVB1. 1990, 328 (336 f.), auf der Basis eines Folgenbeseitigungsanspruchs bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung, den er in Bagatellfällen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz restringiert; s. auch - unter dem Aspekt der "'Wiedergutmachung einer Nachbarrechtsverletzung" - Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht n, S. 202. 145
S.o. C.V.2.C.
146
Auch bei einfachen Bebauungsplänen ist zunächst von der Festsetzung auszugehen und nur subsidiär auf § 34 oder § 35 BauGB zurückzugreifen, vgl. Gaent&ch, BauGB, Rdnr. 13 zu § 30. Der VGH Kassel legt in seinem B.v. 28.6.1989 - 3 TG 1866/89, BauR 1989, 721 f., allein die Festsetzung eines einfachen Bebauungsplans zugrunde. 147 BauR 1970, 4 (6). 148
Vgl. VGH Mannheim, U.v. 15.9.1986 - 3 S 2547/85, BRS 46 Nr. 174, S. 402 (404): Der Plangeber beabsichtige "mit der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung immer zugleich den Schutz vor Immissionen"; s. auch OVG Berlin, U.v. 21.6.1991 - 2 B 7/89, NVwZ-RR 1992, 121 (123): Mischgebiet; B.v. 25.2.1988 - 2 S 1/88, NVwZ-RR 1989, 116 r.Sp., für die Zahl der
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C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
einem außerhalb des Plangebiets ansässigen Verschonungsinteressenten ein Drittabwehr- oder -Vornahmeanspruch zustehen (plangebietsüberschreitender Nachbarschutz). 149 Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung können ausnahmsweise drittschützend sein. Dies hangt davon ab, ob ihnen - nicht zuletzt auf der Grundlage der Planbegründung - der Zweck entnommen werden kann, die kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen i m Sinne der Konfliktschlichtungsformel gegenseitig zu begrenzen und einander zuzuordnen. 130 Das gilt auch für Festsetzungen über die Überbaubare Grundstücksfläche wie Baulinien oder Baugrenzen. 151
n) Abstandsflächen D i e Abstandsflächenvorschriften der Landesbauordnungen zielen auf die ausreichende Besonnung, Belichtung und Belüftung sowie auf die Sicherstellung des Feuerschutzes. 152 D i e gegenläufigen Gestaltungs- und Verschonungsinter-
Wohnungen; VGH Mannheim, B.v. 6.2.1987 - 8 S 1920/86, BRS 47 Nr. 60, S. 165 (166), für die Festsetzung als Grünfläche; VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 3 TG 1866/89, BauR 1989, 721 (722), zur Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung in einem einfachen Bebauungsplan; VG Gelsenkirchen, U.v. 22.11.1990 - 5 K 2716/88, NWVBL 1991, 131 r.Sp. Aus der Lit. grdl. Sendier, BauR 1970, 4 (9 f.); ferner Ortloff, in: Finkelnbucg/Oitloff, Öffentliches Baurecht n, S. 177 f. 149 Vgl. z.B. VGH Mannheim, U.v. 12.10.1988 - 3 S 1379/88, BRS 49 Nr. 26, S. 54 (56). 150 Drittschutz verneint - für Geschoßzahl, Geschoßflachenzahl und Gnindflachenzahl - OVG Lüneburg, B.v. 28.12.1968 - I B 50/66, BRS 17 Nr. 120, S. 120 f.; s. ferner zurückhaltend OVG Bremen, B.v. 1.3.1989 - 1 B 5/89, NVwZ-RR 1990, 293 r.Sp., für Gnindflachenzahl bezüglich eines Innengevierts; ferner VGH München, B.v. 17.9.1987 - Nr. 26 CS 87.01144, BayVBl. 1988, 369 (371), für die Festsetzung "kein Dachausbau"; dagegen Drittschutz bejahend OVG Münster, U.v. 18.4.1991 - 11 A 696/87, BauR 1992, 60 (61), für die Festsetzung eingeschossiger Bauweise bei höchstens zwei Wohnungen pro Wohqgebiude; U.v. 10.9.1982 - 10 A 2296/79, NVwZ 1983, 414 (416), für Geschoßzahl und Geschoßflachenzahl; s. auch OVG Münster, U.v. 11.10.1977 - VH A 373/75, BRS 156 Nr. 156, S. 273 (279). 151 Für die hintere Baulinie bejahend OVG Bremen, U.v. 21.4.1976 - I BA 26 - 27/76, BRS 30 Nr. 155, S. 290 (291); ebenso für seitliche Baugrenzen VGH Marnheim, B.v. 23.7.1991 - 8 S 1606/91, NJW 1992, 1060 f.: seitliche und hintere Baugrenzen in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet; U.v. 4.10.1983 - 5 S 933/83, BRS 40 Nr. 182, S. 405 (408): Drittschutz folge aus einem "eindeutig abgrenzbaren Schutzbereich" zugunsten des "an derselben Grundstücksseite liegenden Nachbarn"; verneinend VGH Kassel, B.v. 18.9.1989 - 4 TG 2261/89, ESVGH 40, 39 (41 f.); VGH Mannheim, U.v. 15.9.1986 - 3 S 2547/85, BRS 46 Nr. 174, S. 402 (404 ff.); differenzierend je nach Sinn und Zweck der Festsetzung VGH Mannheim, U.v. 7.2.1979 - ED 1261/78, BRS 35 Nr. 178, S. 322 f., zur hinteren Baugretxze; im Prinzip Nachbarschutz verneinend Fickert/Fieseler, Rdnr. 6 zu § 23. 152 Vgl. § 6 MusterbauO 1990, dem - mit der bekannten Ausnahme der BauO BW - die Landesbauordnungen im wesenüichen entsprechen.
VI.2. Baurecht
277
essen lassen sich i m Wege abstrakter Auslegung 153 in das Konfliktschlichtungsprogramm gedeihlichen Miteinander im kleinräumigen baunachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis 154 einordnen. Das freie Dürfen des einen hört dort auf, wo die Freiheit der Gestaltung eigenen Wohnens fur den anderen beginnt. 155 Zu Recht bejaht daher die Rechtsprechung der Obergerichte 156 - von der Sondersituation in Baden-Württemberg abgesehen - den Drittschutz der Abstandsflächenvorschriften "in ihrer jeweils konkreten Tiefe". 1 5 7 In Baden-Württemberg hat der Gesetzgeber in einem der seltenen Fälle expliziter Drittschutznormierung - zudem noch in Form quantitativ-partiellen Drittschutzes 158 - bestimmt, daß nur die halbe Abstandsfläche subjektiv-rechtlicher Natur ist (§ 6 Abs. 5 S.
153
Zur Problematik der zentimetergenauen Regelung s. C.III.6.c.bb. Vgl. im Ergebnis auch BVerwG, U.v. 16.5.1991 - 4 C 17.90, E 88, 191 (195): "Verbesserung insbesondere der Arbeits- und Wohnverhältnisse"; OVG Lüneburg, B.v. 10.7.1980 - 6 B 60/80, NdsRpfl. 1980, 289 (291): "Schicksalsgemeinschaft"; VGH Mannheim, U.v. 26.11.1986 3 S 1723/86, VB1BW 1987, 465 r.Sp.: Neben ausreichender Besonnung, Belüftung und Belichtung würden die Abstandsflächenvorschriften "auch ein störungsfreies Wohnen zur Wahrung des Nachbarfriedens gewährleisten". 155 Vgl. auch hier das - vor allem anhand bauplanerischer Festsetzungen und der Vorschriften des Bauplanungsrechts - entwickelte Austauschverhältnis von Sendler, BauR 1970, 1 (6): "Ausbalancierung und die damit verbundene gegenseitige Abhängigkeit von Vor- und Nachteilen". 156 Vgl. VGH München, U.v. 14.10.1985 - Nr. 14 B 85 A.1224, BayVBl. 1986, 143 (145), wonach die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBauO insgesamt nachbarschützend sind; ebenso Schwaner, in: FS f. Geizer, 1991, 231 (247); Geiger, in: Birkl (Hrsg.), Nachbarschutz, Rdnr. E 42; dagegen für Nachbarschutz nur in Höhe von 1/2 H vor Außenwänden mit bis zu 16 m Lange H. König, BayVBl. 1986, 147 (148); gegen Nachbarschutz der vollen Tiefe von 1 H Allesch, BayVBl. 1986, 146 f. - Vgl. femer VGH München, U.v. 20.2.1990 - Nr. 14 B 88.02464, BayVBl. 1990, 500 l.Sp.: Ausnahmetatbestand für den Fall der Änderung eines die heutigen Abstandsflächenvorschriften nicht einhaltenden Altbestandes verneint; ferner OVG Münster, BauR 1985, 664 (666), zu § 6 Abs. 5 BauO NW 1984; OVG Koblenz, B.v. 15.10.1987 - 1 B 54/87, BRS 47 Nr. 168, S. 410 (411), zu § 8 BauO RhPf n.F.; nicht eindeutig zu § 6 Abs. 5 BauO Bln. 1985 OVG Berlin, B.v. 8.6.1989. - 2 B 9.88, DWW 1989, 271 (272): Nachbarschutz "zumindest" für die Tiefe von 3 m. - Anders OVG Saarlouis, B.v. 28.6.1982 - 2 W 1827/82, NVwZ 1983, 230 (231) zu § 8 Abs. 2 BauO Saarl. 1965: Drittschutz der Mindestabstände, nicht der Abstandsflächen. 157 Ortlqff,; in: Finkelnburg/Oitloff, Öffentliches BauorUnungsrecht II, S. 184. 158 Dazu VGH Mannheim, U.v. 22.2.1991 - 3 S 3059/90, Ausfertigung, S. 7, 11 ; U.v. 7.3.1990 - 8 S 3031/89, NVwZ-RR 1991, 233 (234). Krit. zum partiellen Ausschluß des Nachbarschutzes unter verfassungsrechtlichen Aspekten Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht D, S. 185. Nicht angesprochen hat der VGH Mannheim in der voigenannten Entscheidung die Frage, ob § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauO BW, der Ausnahmen von der Abstandsflächenregelung vorsieht und eine Abwägung der kollidierenden Privatinteressen verlangt, auch dann seinerseits Nachbarschutz vermittelt, wenn von der vorgeschriebenen Abstandsfläche im nicht drittschätzenden Bereich abgewichen werden soll. M.E. ist dies aus den zu § 31 Abs. 2 BBauG im Urteil des BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 r.Sp., genannten Gründen zu bejahen, weil die landesbauordnungsrechtliche Ausnahmevorschrift ihrerseits ein eigenständiges Konfliktschlichtungsprogramm enthält. 154
20 Schmidt-Preuß
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
278
4 BauO BW). Was das sog. Schmalseitenprivileg (z.B. Art. 6 Abs. 5 BayBauO) im einzelnen angeht, hat der Nachbar keinen Anspruch darauf, daß der Bauherr gerade auf der ihm zugewandten Seite von seinem Vorrecht Gebrauch macht; eine Unterschreitung dieses Maßes braucht der Nachbar aber nicht hinzunehmen, wenn der Bauherr das Schmalseitenprivileg bereits an zwei anderen Grenzen des Baugrundstücks verbraucht hat. 159 Die normative Konfliktschlichtung durch das Abstandsflächenrecht ist für seinen sachthematischen Anwendungsbereich auch im Hinblick auf das Bauplanungsrecht abschließend.160
3. Subjektiv-rechtlich
verfaßte
Konfliktschlichtung
im Immissionsschutzrecht
a) Die Zuordnung von Emission und Immission bei § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, "daß schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, eihebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für ... die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können". § 3 Abs. 1 BImSchG beschreibt schädliche Umwelteinwirkungen als Immissionen, die geeignet sind, "Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die ... Nachbarschaft herbeizuführen". I m kehrseitigen Immissionskonflikt prallen die emissionsbedingenden Gestaltungsinteressen des Betreibers und die Verschonungsinteressen des Nachbarn aufeinander. § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG ordnet die kollidierenden Betreiber- und Nachbarinteressen anhand des Maßstabs der Erheblichkeit, der auch für den Gefahrbegriff maßgeblich ist. 161 Damit legt er die Annahme eines Konfliktschlichtungsprogramms nahe. Im einzelnen verlangt die Konfliktschlichtungsformel zunächst, daß die kollidierenden Privatinteressen gewertet, begrenzt und gewichtet werden. Das Element der Wertung setzt voraus, daß die Emission als schadensstiftendes Ereignis hinreichend sicher prognostiziert werden kann. Das ist im Normalbetrieb ohne große Schwierigkeiten festzustellen, während im Storfall 162 Aussagen über die 159 Zutr. OVG Lüneburg, B.v. 10.7.1980 - 6 B 60/80, NdsRpfl. 1980, 289 (291): Zwar habe der Nachbar "keinen Einfluß auf die Wahl", wo der Bauherr sein Privileg ausnutzen wolle, und könne daher auch nicht verlangen, daß gerade an seiner Seite der Abstand von 1 H eingehalten werde. Die Unterschreitung des Abstands von 1 H setze voraus, daß "sämtliche Voraussetzungen" des § 7 Abs. 3 BauO Nds. "vorliegen". 160 S. BVerwG, B.v. 18.12.1985 - 4 CB 49 und 50.85, UPR 1985, 183: Bei Einhaltung des Abstandsflächenrechts sei im Hinblick auf die ausreichende Besonnung, Belichtung und Belüftung kein Raum mehr für eine nachbarliche Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 1 BBauG; s. schon B.v. 22.11.1984 - 4 B 244.84, NVwZ 1985, 653 (654). 161 Vgl. Schmitt Glaescr/Meins, Immissionsschutz, S. 29; Jarass, BImSchG, Rdnr. 26zu § 3. 162
Im Immissionsschutzrecht wird im Gegensatz zum Atomrecht nicht zwischen Stör- und Unfall unterschieden.
V I . 3 . Immissionsschutzrecht
279
Eintrittswahrscheinlichkeit erforderlich s i n d . 1 0 Wertung, Begrenzung und gegenseitige Gewichtung der Betreiber- und Nachbarinteressen erfolgen anhand des Ausgleichsmaßstabs der Erheblichkeit (Zumutbarkeit) gem. § 5 Abs. 1 N r . 1 i . V . m . § 3 Abs. 1 BImSchG i m Wege multipolarer Abwägung. 1 6 4 Des weiteren verlangt die Konfliktschlichtungsformel eine normative Ordnung der kollidierenden Privatinteressen in der Art, daß der eine der Konfliktgegner seine Interessen nur auf Kosten des anderen verwirklichen kann. Dies bedeutet in der immissionsschutzrechtlichen Konfliktlage 1 6 5 zweierlei. Zum einen bedarf es der kausalen Zuordnung von Emission und Immission. 166 Insofern spricht das B V e r w G 1 6 7 zu Recht von "Konfliktlösungen", die eine "Abwägung und damit eine Bewertung der widerstreitenden Interessen", namentlich eine "Zuordnung von Immissionen zu bestimmten Emittenten" voraussetzen. I n diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn das O V G Münster 168 gefordert hat, daß "die Kausalität des Immissionsbeitrages der Anlage für die ... gerügten schädlichen U m welteinwiikungen festgestellt wird". Zum anderen verlangt die Konfliktschlichtungsformel, daß auf der Grundlage von feststellbarer Emission und Immission ein kausaler Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit 169 prognostiziert
163
S. dazu sogleich C.VI.3.e. S. oben C.n.2.a. 165 § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG bezieht sich im Gegensatz zu Nr. 2 neben Immissionen auch auf sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen. 166 Vgl. hierzu OVG Münster, U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 (174); U.v. 10.11.1988 - 21 A 1104/85, NVwZ-RR 1989, 638 (640) r.Sp., zu einer Änderungsgenehmigung; zur Kausalität insbes. Feldhaus/Schmitt, WiVerw. 1984, 1 (12 ff.); s. auch Lukes/Feldmann/ Knüppel, in: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil II, 1980, S. 71 (127). 167 U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (44), zu ubiquitaren Luftschadstoffen; in bezug genommen von OVG Münster, U.v. 8.2.1990 - 21 A 2523/88, NVwZ-RR 1990, 545 (546), mit der zutreffenden Hervorhebung, daß diese Möglichkeit der Zuordnung für die Schutzpflicht kennzeichnend sei; VGH München, U.v. 18.12.1986 - Nr. 22 B 84 A.1252, NVwZ 1988, 175 r.Sp., für § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. mit der TA Lärm: "konkrete Immissionsprognose im Einwirkungsbereich der Anlage", also "konkrete Zuordnung von Anlage und Immissionsbetroffenheit"; das Gericht spricht auch vom "Immissionsverhältnis"; s. insoweit noch C.Vn.2. Allg. zur Zuordnungsproblematik Feldhaus/Schmitt, WiVerw. 1984, 1 (21 f.). 168 U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 (174), zu einem Drittvomahmebegehren gem. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG (Widerruf einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) bzw. § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG (nachträgliche Anordnung); im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren war der rechtliche Ausgangspunkt des OVG Münster, "daß eine Erhöhung des Umweltrisikos der betreffenden Anlage kausal zuzuordnen sei", unter dem Aspekt der Grundsatzbedeutung von den Beschwerdeführern nicht in Frage gestellt worden, so daß eine Sachaussage des BVerwG unterbleiben mußte, vgl. BVerwG, B.v. 15.2.1988 - 7 B 219/87, NVwZ 1988, 824 (825). 164
169
Vgl. allg. zur Wahrscheinlichkeitsprognose im Immissionsschutzrecht Lukes/Feldmann/ Knüppel, in: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil U, 1980, S. 71 (161): "Soweit keine gesetzlich festgelegte Wahrscheinlichkeitsprognose besteht, muß die rechts-
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C.V
Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
werden k a n n . 1 7 0 Damit werden die Fälle ausgeschlossen, i n denen noch keine abgesicherten, durch empirisch-statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen belegbaren Erkenntnisse über die negativen Folgen bestimmter Immissionen verfugbar sind (Schädlichkeitsschwelle). D e m steht nicht entgegen, daß sich § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG von dem engen polizeirechtlichen Gefahrenbegriff 171 gelöst 172 und sich einem - wie das B V e r w G formuliert hat - "vorbeugenden Gefahrenschutz" 173 geöflnet hat. Damit wird der "Gefahrenverdacht", also eine Situation, in der sich "Ursachenzusammenhänge i m einzelnen noch nicht eindeutig feststellen lassen", 174 nicht erfaßt. Insoweit muß zudem beachtet werden, daß der Gesetzgeber mit der Vorsorge des § 5 Nr. 2 BImSchG a.F. ( = § 5 Abs. 1 Nr.
anwendende Behörde bzw. das Gericht die Eintrittswahrscheinlichkeit von Rechtsgutverletzungen im Einzelfall ermitteln. Dazu kann sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten neben dem Erfahruqgswissen statistische, technisch-wissenschaftliche und mathematische Untersuchungen vornehmen oder durch Sachverständige vornehmen lassen." S. auch zur Risikobewertung Kloepfer, UTR 5 (1988), 31 (34). 170 Ob es an der Kausalität kleinster zusätzlicher Immissionsbeiträge fehlt, wenn sie auf e bereits hohe Vorbelastung stoßen, hängt von der Dosiswirkungskurve für den jeweiligen Schadstoff ab, vgl. hierzu Feldbaus/Schmitt, WiVerw. 1984, 1 (6, 18 ff.). Die sog. Sanierungsklausel der Nr. 2.2.1.1 b) TA Luft läßt, obwohl die Vorbelastung die zulässigen Grenzwerte auf einer Beurteihingsfläche überschreitet, eine Zusatzbelastung von bis zu 1 % des IW1-Wertes zu, wenn Kompensationsmaßnahmen des Betreibers zu einer Immissionsminderung auf dieser Beurteilungsfläche fuhren. Damit werden die Elemente einer "irrelevant" geringen, nicht •kausalen m Zusatzbelastung und der Kompensation verbunden. Dies erscheint als akzeptable exekutivische Auslegungsofferte und kann daher bei Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG im Sinne eines ausgewogenen Konfliktausgleichs zugrunde gelegt werden. Das OVG Berlin (U.v. 5.4.1984 - 2 B 35.82, OVGE Bln. Bd. 17, S. 78 (84 f.)) und das VG Berlin (U.v. 17.12.1981 - 13 A 18.81, Feldhaus § 6 - 2, S. 1 (12 ff.)) haben zwar die Irrelevanz der Zusatzbelastungen von Schwefeldioxid-Immissionen bis zu 1 % des IW1-Wertes im Hinblick auf die mögliche Verursachung von schädlichen Umwelteinwirkungen verneint, aber die Kompensation auf der Grundlage der TA Luft 1974 anerkannt; a.A. VG Düsseldorf, U.v. 14.7.1981 - 3 K 2922/77, Feldhaus, § 5 - 12, S. 1 (14 f.). - Wenn Winter, in: ders. (Hrsg.), Grenzwerte, 1986, S. 127 (133), die Kompensation für "gesetzlich nicht zugelassen" erklärt und im übrigen Zusatzbelastungen nur bei Werten "weit unter 1 % "des Immissionswertes" akzeptieren will, wird dies in tatsächlicher Hinsicht der Dosiswirkungskurve nicht gerecht. 171 Vgl. PrOVG, Erkenntnis v. 15.10.1894 - Nr. m 1115, PrVBl. 16 (1894/95), 125 (126 f.); BVerwG, U.v. 26.2.1974 - I C 31.72, E 45, 51 (58); Scholz, VerwArch. 27 (1919), 1 (20 ff.); Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 115, 117. 172 Vgl. Jarass, BImSchG, Rdnr. 22 zu § 3. Dagegen für eine extensive, insbesondere den "Gefahrverdacht" einbeziehende Sicht des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs unter Betonung seiner auch vorbeugenden Komponente Hansen-Dix, Gefahr, S. 172 ff.; Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 94 ff.; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 176 Fn. 56; krit. Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 128; ausdrücklich gegen eine Einbeziehung des Gefahrenverdachts in den Gefahrbegriff Rid/Hammann, UPR 1990, 281 (284). 173 BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (42); s. auch Seilner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 60: "Der Vorsorgegrundsatz bringt eine 'Vorverlegung' des auch nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geltenden Vorbeugeprinzips." S. auch OVG Münster, U.v. 8.2.1990 - 21 A 2535/88, NVwZ-RR 1990, 545 (546); U.v. 7.6.1990 - 21 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 (1202). 174 BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (43).
V I . 3 . Immissionsschutzrecht
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2 BImSchG) ein Instrument vorgesehen hat, das gerade "dort einsetzt, wo für einen vorbeugenden Gefahrenschutz i m Sinne von § 5 N r . 1 BImSchG kein Raum mehr ist". 1 7 5 Der für die Annahme des Konfliktschlichtungsprogramms erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad i m Hinblick auf Emission, Immission und Schaden bestimmt sich nach dem Grundsatz der umgekehrten Proportionalität von Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeit: Je hochwertiger die Rechtsgüter und j e größer der Schaden, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit zu stellen. 176 Angesichts des auf Ausgleich angelegten Konfliktschlichtungsprogramms des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i . V . m . § 3 Abs. 1 BImSchG 1 7 7 kann die Ermittlung der erheblichkeitsrelevanten Wahrscheinlichkeitsschwelle prinzipiell nicht eindimensional verlaufen. 178 Daher kommt es i m Rahmen der gebotenen multipolaren Abwägung 179 nicht nur auf die Beeinträchtigung des Nachbarn, sondern auch auf die Belastungen des Gestaltungsinteressenten i m Verhältnis zu der dadurch erreichten Risikominderung a n . 1 8 0 Zutreffend hat daher das O V G Münster 181 davon gesprochen, daß da* Begriff der Erheblichkeit auch für die Gefahr gelte und eine "Abwägung und damit die Bewertung der
175
Ibid., S. 42. Vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1974 - I C 31.72, E 45, 51 (61); Gallwas/Mößle, Polizei- und Sicherheitsrecht, Rdnr. 277; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 169, spricht treffend vom "Grundsatz der umgekehrten Proportionalität zwischen Schadensausmaß und -Wahrscheinlichkeit". 177 Zur multipolaren Abwägung anhand des Erheblichkeitsmaßstaba s. C.n.2.a.bb. 178 Vgl. Neü, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 184 ff., S. 191 ff., u.a. unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 12.7.1973 - I C 23/72, MDR 1974, 165 (166), wo in die Überlegungen zum juristisch relevanten Grad der Wahrscheinlichkeit nicht nur auf die Hochwertigkeit des Rechtsguts Menschenleben mit der Folge einer geringeren Eintrittswahracheinlichkeit hingewiesen wurde, sondern auch darauf, daß die Sicherheitsmaßnahmen unter Kostenaspekten für den Betreiber der Anlage "wirtschaftlich vertretbar" waren; s. auch Franßen, in: FG BVerwG, 1978, S. 201 (213), der die Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrads im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr zu Recht auch "vom Rang des Rechtsguts" abhängig macht, "in das eingegriffen werden soll"; zutr. die durch das polizeiliche Einschreiten beeinträchtigten Interessen berücksichtigend bereits Scholz, VerwArch. 27 (1919), 1 (29). Gegen Neils Konzept der wahrscheinlichkeitsgewichteten Abwägung Murswiek, HdUR I (1988), Sp. 615 (622), der aber zu wenig berücksichtigt, daß es sich bei der Wahrscheinlichkeit als Element des Gefahrbegriffs um eine normative Größe handelt, die eine Abwägung mit gegenläufigen Rechtsgütern nicht ausschließt. 179 S. C.H.2.a. 176
180 Vgl. Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 31 f.: "Schließlich muß auch - wenngleich mit geringerem Gewicht als der Lebens- und Gesundheitsschutz - die Rechtsposition des Unternehmers in die Überlegungen einbezogen werden (Bedeutung der Anlage für den Betreiber, für die Betätigung seiner Freiheitsrechte u.a.)"; Feldhaus, DVB1. 1979, 301(305); Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 183 ff.; a.A. Jarass, BImSchG, Rdnr. 34 zu $ 3: Die Zumutbarkeit beziehe sich "auf die Wirkungen der Immissionen für die Betroffenen, nicht auf die Belastung des Anlagenbetreibers"; Murswiek, HdUR I (1986), Sp. 615 (622). 181 U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 (1202).
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widerstreitenden Interessen" voraussetze. Eine Gesundheitsgefahr ist freilich stets erheblich und setzt sich daher gegenrisikoverursachende Gestaltungsinteressen durch. 182 Insgesamt ist festzuhalten, daß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG die kollidierenden Privatinteressen von Betreiber und Nachbarn im Wege wahrscheinlichkeitsgewichteter multipolarer Abwägung** 3 in das Konfliktschlichtungsprogramm der Erheblichkeit einordnet. Somit bestätigt sich anhand der KonfliktschUditungsformel, daß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG drittschützend ist.
b) Die fehlende Voraussetzung geordneter Konfliktbeziehungen bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Während § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verlangt, daß "schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können", ist nach Nr. 2 "Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen" zu treffen "insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung". Daß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwiikungen auch den Terminus der Nachbarschaft inkorporiert, kann allein nicht drittrechtsbegründend wirken. Insoweit wird auf das zur Ambivalenz des legislatorischen Indizes Ausgeführte verwiesen. 184 Entscheidend ist, daß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ein von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG abweichendes gesetzgeberisches Konzept enthält.185 Breuer m hat insoweit vom "Gebot einer gefahrenunabhängigen Risikovorsorge im Sinne eines verschärften sicherheitstechnischen Postulats" gesprochen, das einerseits unterhalb der Schädlichkeitsschwelle, andererseits jenseits der Grenze einer unter Schutzaspekten relevanten Eintrittswahrscheinlichkeit eines möglichen Schadensereignisses angesiedelt sei. 187 Die für die subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung konstituie-
182
Vgl. Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 31; Jarass, BImSchG, Rdnr. 26 zu § 3; Stüter, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 93. Nach Nr. 2.2.1.3 Abs. 3 a) TA Luft sind Gefahren für die menschliche Gesundheit stets erheblich. S. zum Vorrang des Gesundheitsschutzes auch Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 33 zu § 25 (S. 408). 183 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 164, spricht von der "'wahrscheinlichkeitsgewichteten Abwägung'". 184 S.o. c.m.2. IOC
Entscheidend ist nicht die Differenzierung zwischen Emissionen und Immissionen, sondern die (hinreichend) wahrscheinliche Kausalität. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG schließt -freilich seltene Fälle der immissionsbezogenen Vorsorge nicht aus, s. Kloepfer/Kröger, NuR 1990, 8 (15 f.); Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (63) mit Fn. 30, hält insoweit bei "Immissionsvorsoigewerten" Drittschutz für "durchaus vorstellbar"; diese seien "bisher allerdings noch kaum bedeutsam geworden". 186 In: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (485). 187 Zu den beiden Grundvarianten der Vorsorge - geringe Eintrittswahrscheinlichkeit und
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reiide Zuordnung von Emission und Immission bzw. von Immission und Schaden ist kein Wesensmerkmal des § 5 Abs. 1 N r . 2 BlmSchG. E r setzt unterhalb dieser Schwelle an, wo Kausalitäten nicht hinreichend sicher prognostizierbar sind. Wenn der zuzuordnende kausale Handlungsbeitrag des Gestaltungsinteressenten wie i m Falle ubiquitärer Luftschadstoffe oder sonstiger Synergieeffekte nicht zu ermitteln ist, 1 8 8 fehlt es an dem Erfordernis der Konfliktschlichtungsprogramms, daß die Verwirklichung der Interessen des einen notwendig auf Kosten des anderen geht. Das B V e r w G hat sich zwar noch nicht zu einem der Vorsorgekonzepte bekannt, aber in seinem Urteil v o m 1 8 . 5 . 1 9 8 2 1 8 9 unterstrichen, daß es beim " ressourcenökonomischen und beim (auch) ökologisch begründeten Verständnis des Vorsorgeprinzips ... nicht u m Belange individualisierbarer Dritter geht," und insofern Drittschutz ausgeschlossen. I n diesem Sinne hat das O V G Münster 1 9 0 zu Recht hervorgehoben, daß § 5 Abs. 1 N r . 2 BlmSchG u.a. "auch den Restrisiken Rechnung tragen soll, die auf den noch lückenhaften Kenntnissen über die Schädlichkeit bestimmter Immissionen, ihre Langzeitwirkung sowie mögliche synergistische Effekte beruhen". Damit bestätigt sich anhand der Konfliktschlichtungsformel die h . M . , 1 9 1 daß § 5 Abs. 1 N r . 2 BlmSchG nicht drittschützend ist.
Beeinträchtigungen unterhalb der Schädlichkeitsschwelle - s. Breuer, Prinzipien, S. 24; Rehbinder, in: FS f. Sendler, 1991, S. 269 (276). 188 Vgl. in diesem Zusammenhang Breuer, DVB1. 1986, 849 (855), der die immissionsschutzrechtliche Vorsorge "angesichts der schwindenden Individualisierbarkeit der Ursache-WirkungsBeziehungen" als adäquates Instrument bezeichnet. S. auch Träte y Vorsorgestrukturen, S. 40 ff. 189 7 C 42.80, E 65, 313 (320); die Differenzierung ist zwar im Ergebnisrichtig,aber mit dem Interessenschutzkriterium nicht zu begründen; s. schon C.IV.I.e. Dies gilt auch für die weitere Überlegung des Gerichts, daß die "gefahren- und lästigkeitsunabhängige Risikovorsorge" dem Allgemeininteresse diene und nicht bezwecke, "an sich zumutbare Lebensverhältnisse für die Nachbarnrisikoloser oder angenehmer zu machen". - Aus der Lit. Jarass, BlmSchG, Rdnr. 46 zu § 5, der zur Verneinung des Drittschutzes der Nr. 2 anführt, daß die Vorsorge "auch konkurrierenden Unternehmen und anderen, an der Flachennutzung interessierten Personen zugute" komme und sich "der Kreis der Begünstigten ... schwerlich abgrenzen" lasse. Da die genannten anderen Personen nicht nur als zufällig begünstigt angesehen werden können, vermag das InteressenschutzKriterium hier nicht zu überzeugen; vgl. im einzelnen C.IV.l; krit. unter dem Aspekt der Abgrenzbarkeits-Doktrin oben C.I.2.c.aa. 190 U.v. 7.6.1990 - 21 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 (1202). 191 Vgl. Jarass, BlmSchG, Rdnr. 46 zu § 5; Rengeling, Vorsorge, S. 84; Marburger, in: Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 62; Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 45; R. Schmidt, Einfuhrung, Rdnr. 19 zu § 3; Stich/Porger, BlmSchG, Rdnr. 32 zu § 5; Seltner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 61; BVerwG, B.v. 13.7.1989 - 7 B 50.89, Ausfertigung, S. 4; U.v. 18.5.1982 - 7 C 42.80, E 65, 313 (320); OVG Lüneburg, B.v. 28.2.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 407 (415). S. im übrigen zur fehlenden Kausalität bei ubiquitären Luftschaftstoffen BVerwG, U.v. 17.2.1984 - 7 C 8.82, E 69, 37 (44); OVG Münster, U.v. 8.2.1990 - 21 A 2535/88, NVwZ-RR 1990, 545 (546).
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c) Die Drittschutzschwelle nach Maßgabe der Erheblichkeit Ausdruck der anspruchsbegründenden und -maßstabsbildenden Funktion des Horizontalverhältnisses ist auch die Bestimmung der konfliktschlichtenden Schwelle der Erheblichkeit ( = Zumutbarkeit) 192 des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG im einzelnen. Wie schon oben ausgeführt, handelt es sich hierbei um multipolare Abwägung par excellence.193 Das BVerwG hat zu Recht von einer "' Güterabwägung'" gesprochen, die "die konkreten Gegebenheiten zum einen der emittierenden Nutzung, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht". 194 Vielfach stehen exekutivische Auslegungsofferten wie etwa die T A Luft oder die T A Lärm oder Regelwerke außerstaatlicher Gremien wie die VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 zur Verfügung. Nach dem oben Ausgeführten kann (und wird) sich der Richter derartige Regelwerke aus freier Überzeugung zu eigen machen, wenn sie sachgerecht sind und nicht ein atypischer Einzelfall vorliegt. 195 Dort wurde betont, daß dies bei aller Bedeutung eines einheitlichen Gesetzesvollzugs nicht zu einer schematischen Anwendung und damit zu einer unvertretbaren Einbuße an Flexibilität führen darf; darauf wird ebenso verwiesen wie auf die Ausführungen zur Bedeutung der konkret-empirischen Auslegung.196 Zwar vermag das Baurecht, das im Falle genehmigungsbedürftiger Vorhaben nach § 13 S. 1 BImSchG materiell beachtlich bleibt, in Immissionskonflikten keine eigenständige Konfliktlösung anzubieten. 1 9 7 Andererseits ist das Immissionsschutzrecht bei Lärmimmissionen seinerseits auf das Baurecht zurückverwiesen. So bedienen sich die sich als exekutivische Auslegungsofferte anbietenden Richtwertfestsetzungen der Nr. 2.321 T A
192 Vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (144); s. auch S. 151: "Grenze der Zumutbarkeit"; U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (200); BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (260 f.); Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (603); Jarass, BImSchG, Rdnr. 27 zu § 3; anders Murswiek, Verantwortung, S. 301 ff., 323 ff., 347 ff., der die Erheblichkeit als bloße Bagatellgrenze versteht, damit aber der ausgleichenden Funktion des Konfliktschlichtungsprogramms nicht gerecht wird. 193 Vgl. Schmitt GlaeserfMeinSy Immissionsschutz, S. 31, die ausdrucklich von "Abwägung" sprechen; Seilner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 27; Jarass, BImSchG, Rdnr. 26 zu § 3; ders., DVB1. 1983, 725 (729); s. im einzelnen oben C.II.2.a.bb. 194 BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (260); bestätigt in BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (200), zu Lärmimmissionen; daß es dort um einen Fall unechter Multipolarität ging, ändert an der Struktur der multipolaren Abwägung nichts. S. C.n.2.a.bb. 195 S. zur praktischen Bedeutung von TA Luft und TA Lärm für die Konkretisierung der Erheblichkeitsschwelle Feldhaus, Anm. 5 zu § 5, sowie im einzelnen oben C.V.4.b. 196 Zu dieser C.m.6.a. 197 Namentlich könnte das von der Rspr. vertretene, oben (B.I.2.a, C.I.2.b) kritisierte baurechtliche Rücksichtnahmegebot keinesfalls mehr an Drittschutz gewähren, als § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG selbst hergibt; insoweit ist BVerwG, U.v. 30.9.1983 - 4 C 74.78, E 68, 58 (60), voll beizupflichten.
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Lärm stark generalisierender baugebietsspezifischer Gebietskategorien; ebenso geht die Nr. 3.3.1 VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 vor. Dies darf der gerechten Konfliktschlichtung im Einzelfall nicht im Wege stehen.198 Namentlich können Zwischenwerte 199 geboten sein, die der jeweiligen Vorbelastung und sonstigen Umstanden des Einzelfalles angemessen Rechnung tragen. 200 Insbesondere gilt der Grundsatz der immissionsschutzrechtlichen Priorität: Der Gestaltungs- wie der Verschonungsinteressent muß zeitlich vorrangige Nutzungen, die für die örtliche Situation prägend sind, im Rahmen der Vorbelastung beachten. Andernfalls hätte er sich rechtzeitig gegen die seinerzeitige Genehmigung derartiger situationsbestimmender Vorhaben oder Nutzungen wehren müssen.201 Hier handelt es sich, wie ausgeführt, um einen Fall multipolarer Obliegenheit zur Rechtswahrung. 202 Wer nicht fristgerecht gegen eine Verschlechterung des Schutzniveaus vorgeht, muß dies gegen sich gelten lassen. Daß schließlich die Nachbarschaft ein Mindestmaß an Nähe zur Immissionsquelle in räumlicher und zeitlicher Hinsicht aufweisen muß, 2 0 3 entspricht dem Gebot multipolar ausgewogener Konfliktschlichtung.
d) Die Drittschutzproblematik von Emissionsgrenzwerten aa) Die Emissionsgrenzwerte der §§ 3 ff. G F A V 2 0 4 sind Ausdruck des Vorsorgegebots des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; hierauf weist § 1 Abs. 1 S. 2 G F A V ausdrücklich hin. Sie entbehren einer Zuordnung von Emission und
198
S.o. C.V.4. FGr Flexibilität im Lärmschutz durch Berücksichtigung der Vermeidbarkeit bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze i.S.d. § 22 Aba.l Nr. 1 BImSchG Kutscheidt, NVwZ 1989,193 (199),gegenüberVGHMünchen, U.v. 18.2.1986 - 22 B84A.1252,NVwZ 1988,175 f. 199 Der Begriff des Zwischenwertes empfiehlt sich, da es sich bei den Richtwerten der TA Lärm um logarithmische Größen handelt, die eine arithmetische Mittelung nicht zulassen; vgl. VG München, U.v. 26.3.1981 - M 71 XVI78, UPR 1982, 100 (101); zur "Mittelwertmethode" grdl. BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73, E 50, 49 (54 f.). 200 Vorbildlich OVG Lüneburg, U.v. 17.4.1982 - 7 A 8/82, Ausfertigung, S. 15 ff., zu einem Fall der Gestaltungsabwehr hinsichtlich der Erweiterung einer lärmintensiven Werft in einer kortfliktträchägen Gemengelage von Wohnen und Industrie; s. dazu BVerwG, B.v. 29.10.198 B 149/84, NVwZ 1984, 186 f., sowie im einzelnen oben C.n.2.a.bb. 201 Vgl. B.v 12.6.1990 - 7 B 72.90, NVwZ 1990, 962 (963), dazu C.n.2.b.cc; s. grdl. BVerwG, U.v. 23.5.1991 - I C 19.90, E 88, 210 (214 ff.), zu einem Immissionskonflikt zwischen hoheitlichen Immissionen und privaten Außenbereichanutzungen. 202 S. BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (206); U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (150), sowie CJL2.b.cc. 203 Zutr. BVerwG, U.v. 22.10.1982 - 7 C 50.78, NJW 1983, 1507 (1508), das insoweit vom "Nachbarschaftsverhältnis" spricht; s.u. C.VU.2. 204 13. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (VO über Großfeuerungsanlagen) vom 22.6.1983, BGBl. I, 719.
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Immission und genügen daher nicht den Anforderungen der Konfliktschlichtungsformel. Drittschutz scheidet aus. 205 Dies gilt auch für die Emissionsgrenzwerte in § 5 der Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfalle (17. BImSchV). 206 § 2 Abs. 4 17. BImSchV steht dem nicht entgegen. Danach enthält die Verordnung Anforderungen, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BImSchG zu erfüllen sind. Aus dieser Bezugnahme auf die - drittschützende Nr. 1 ergibt sich nicht der Drittschutz der Emissionsgrenzwerte.™ 7 Vielmehr bestimmt § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG seinerseits den Rahmen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung; er vermag daher den Drittschutz nur solcher Anforderungen der Verordnung abzudecken, die den Kriterien der Konfliktschlichtungsformel genügen.208 bb) Auch bei der Berücksichtigung von Verwaltungsvorschrifien müssen die für § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG maßgeblichen Entstehungsbedingungen subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung beachtet werden. Das schließt es prinzipiell aus, mit Hilfe von emissionsbezogenen Regelwerken dort Drittschutz einräumen zu wollen, wo sich das gebotene Mindestmaß an Kausalität zwischen Emission und Immission nicht prognostizieren läßt. Deshalb kann dem Urteil des 20. Senat des V G H München209 vom 30.11.1988 nicht gefolgt werden, in dem das Gericht Emissionsgrenzwerte der TA Luft § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zuordnet und damit subjektive öffentliche Rechte Dritter anerkennt, die im Beurteilungsgebiet ansässig sind, obwohl es an der gebotenen Zuordnung von Emission und Immission fehlt. Einer solchen drittschutzbegründenden "Überlappung" von Schutz und Vorsorge im Sinne eines prinzipiellen dritten Bereichs zwischen klassischem Schutzprinzip und "'reiner'" Vorsorge, der weit über die präventiv-vorbeugende Komponente des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG210
205
Zutr. OVG Lüneburg, B.v. 6.3.1985 - 7 B 64/84, OVGE 38, 419 (424 f.). V. 23.11.1990, BGBl. I, 2545. 207 In der Begründung des Verordnungsentwurfs war die Nr. 1 von § 5 Abs. 1 BImSchG rächt enthalten, BR-Drcks. 303/90, S. 6. Keinen näheren Aufschluß ergibt § 1 Abs. 2 S. 2 17. BImSchV, der den Anwendungsbereich für wärmeerzeugende Anlagen regelt, bei deren Betrieb (auch) Abialle verbrannt werden. Übersteigt der Abfallanteil nicht 25 % der Verbrennungseinheit, gilt danach nur die Emissionsbegrenzung des § 5 17. BImSchV. 208 Die Begründung des Verordnungsentwurfs hatte hervorgehoben, daß die Möglichkeit der zustandigen Behörde, Anforderungen zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen auch im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu stellen, unberührt bleibe; BR-Drcks. 303/90, S. 42. 209 20 A 86.40030 u.a., BayVBl. 1989, 530 (532 ff.): Nachbarklage gegen einen abfiülrechtlichen Planfeststellungsbeschluß; das nachfolgende Zitat befindet sich auf S. 533. Die Drittschutzerweitemng soll dabei den Nachbarn innerhalb des Beurteihingsgebiets im Hinblick auf Gesundheit und (Wald-)Grundstückseigentum zugute kommen; referierend hierzu Bier, ZfBR 1992, 15 (18). Das BVerwG konnte mangels aufgeworfener Grundsatzfragen keine Klärung herbeifuhren, s. B.v. 13.7.1989 - 7 B 50.89, Ausfertigung, S. 3 f. 210 Vgl. oben C.VI.3.a mit Fn. 172 und 173; s. auch Feldbaus, DVB1. 1980, 133 (137): Im 206
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hinausginge, kann nicht zugestimmt werden. Sie genügt nicht dem Erfordernis der Konfliktschhchtungsformel, die einen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostizieibaren kausalen mTatbeitrag m des Gestaltungsinteressenten verlangt. Daß dies rechtspolitisch im Hinblick auf Summationsschäden als Folge ubiquitarer Luftschadstoffe unbefriedigend erscheinen mag, 211 kann de lege lata nichts an dem oben entwickelten Erfordernis der Kausalität zwischen Emission und Immission als Voraussetzung der Einordnung kollidierender Privatinteressen in das normative Konfliktschlichtungsprogramm des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ändern. Da hier der konkrete "Tatbeitrag" namentlich zu der vom 20. Senat des V G H München in den Mittelpunkt gestellten Gefahrdung (von Pflanzen) angesichts der in Betracht kommenden Synergieeffekte nicht identifizierbar ist, hegt kein Fall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG vor. Auch der Hinweis des Gerichts auf Nr. 2.3 TA Luft 212 ist nicht tragfahig. Wie sogleich noch näher zu erörtern ist, geht es dort um die Frage der Zuordnung von Immission und Schaden, während es hier bereits an der Kausalität zwischen Emission und Immission fehlt. Daher ist der Auffassung des 22. Senats des V G H München213 beizupflichten, "daß der Einzelne nur ihm zugeordnete Rechtspositionen, d.h. im Immissionsschutzrecht durch Immissionswerte definierte Nachbarrechte geltend machen kann". cc) Nr. 2.2.1.5 TA Luft sieht die Begrenzung der Emission krebserzeugender Stoffe gem. Nr. 2.3 TA Luft zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen vor. Nach Nr. 2.3 Abs. 1 T A Luft sind im Abgas enthaltene Emissionen krebserzeugender Stoffe unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes "so weit wie möglich zu begrenzen", während in Abs. 3 Emissionshöchstwerte für Massenkonzentrationen von 21 krebserzeugenden Stoffen im Abgas festgesetzt sind, die nicht überschritten werden dürfen. Das OVG Münster 214 hat
"unteren Grenzbereich des § 5 Nr. 1 BImSchG, wo es um den vorbeugenden Immissionsschutz geht", könne es zu "Überlagerungen" kommen. Werde er "weit nach vorn verlagert", könne er "in den Bereich der 'echten' Vorsorge vordringen". Vgl. ferner Seltner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 58. 211 Vgl. Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 62 f.; weitergehend schon nach geltendem Recht in bezug auf Waldschäden den Drittschutz bei einem "gesteigerten Gefahrenverdacht" befürwortend Breuer, DVB1. 1986, 849 (855 f.); diese Linie fortführend ders., in: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (487 f.). 212 VGH München, U.v. 30.11.1988 - 20 A 86.40030 u.a., BayVBl. 1989, 530 (533). 213 U.v. 8.6.1988 - 22 B 83 A.1681, NVwZ 1989, 482 (484); während das Gericht allerdings von einem "Grundsatz des Verwaltungsprozeßrechts" spricht, geht es hier um die Bestimmung der Reichweite des materiellen (subjektiven) Rechts; vgl. auch E.I. 214 U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 l.Sp., aber ohne nähere Begründung. Das BVerwG, B.v. 24.5.1991 - 7 B 148/90, NVwZ 1991, 1187 f., hat die Nichtzulassungsbeschwerde in dieser Sache zurückgewiesen, ohne auf die Frage der Zuordnung der Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG eingehen zu müssen. Ohne Problematisierung dieser Thematik Hofinann-Hoeppel, NVwZ 1991, 1144 l.Sp.
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Nr. 2.3 TA Luft 1986 bemeikenswerterweise in einer multipolaren Konfliktlage § 5 Abs. Nr. 1 BImSchG zugeordnet. Leider hat es dies nicht im einzelnen begründet, wie es auch nicht zwischen den Absatzen 1 und 3 der Nr. 2.3 TA Luft differenziert hat. Zuvor hatte bereits das V G Berlin 215 - ebenfalls in einer abfallrechtlichen Planfeststellungssache - Nr. 2.3 T A Luft 1974 durch Zuordnung zu § 5 Nr. 1 BImSchG (a.F.) als drittschutzwirksam angesehen, davon aber das damals erst in den TA-Luft-Entwürfen von 1979 und 1981 enthaltene Minimierungsgebot ausdrücklich unterschieden und betont, daß es sich hierbei "nicht um eine nachbarschützende Vorschrift" handelt. Insoweit übereinstimmend siedelte das OVG Koblenz216 - im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Entscheidungen in einer bipolaren Fallkonstellation - Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft dem Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu. Klarzustellen ist zunächst, daß nach den obigen Ausführungen 217 eine Verwaltungsvorschrift ohnehin nicht Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte sein kann. In der Sache selbst scheint auf den ersten Blick die Tatsache, daß es sich hier um Emissionsgrenzwerte handelt, dafür zu sprechen, daß der von Nr. 2.3 Abs. 3 TA Luft bezeichnete Sachverhalt nicht dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zugerechnet werden kann. Nach der Konfliktschlichtungsformel kommt es aber nicht auf das Vorliegen emissionsseitiger Grenzwertregelungen an, sondern auf die kausale, wahrscheinlichkeitsgewichtete Verknüpfung von Emission, Immission und Schaden. Bei der Würdigung von Nr. 2.3 Abs. 3 TA Luft geht es um die Wahrscheinlichkeit eines kausal durch die Immission verursachten Schadens (Schädlichkeitsschwelle). Die Ermittlung des fachgesetzlichen Konfliktschlichtungsmaßstabs ist deshalb außergewöhnlich schwierig, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand der Wirkungsforschung für karzinogene Stoffe Schwellendosen nicht definiert werden können. Daher mußte der Vorschriftengeber von einem Immissionswert absehen, weil "noch keine Konzentrationen oder Mengen" angegeben werden können, "bei deren Unterschreitung die Emission und Immission krebserzeugender Stoffe unbedenklich ist". 218
215
U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1981, 101 (104); bestätigt von OVG Berlin, B.v. 26.3.1982 - 2 B 169.81, Ausfertigung, S. 1 f. 216 B.v. 7.3.1989 - 7 B 79/88, DVB1. 1989, 831 f. Die Anordnung gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BImSchG gab dem Antragsteller auf, die im Abgas enthaltenen partikelförmigen Emissionen so weit wie möglich zu begrenzen, wobei eine Konzentration von weniger als 5mg/qm erreichbar sei. Dieselmotor-Emissionen sind unter Teil III A 2 der MAK-Werteliste (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte, 1989, S. 75) auf Grund von Tierversuchen als "eindeutig ... krebserzeugend" aufgeführt. Auf diese Liste verweist Nr. 2.3 Abs. 2 - nicht Abs. 3 - TA Luft. Damit kam von vornherein nur das Minimierungsgebot der Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft in Betracht. 217 C.V.4.a. 218 Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Rdnr. 1 zu Nr. 2.3 TA Luft; s. auch Feldhaus/Ludwig/Davids y DVB1. 1986, 641 (651).
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Bereits geringste Dosen können Gesundheitsschäden verursachen. D i e Emissionsgrenzwerte der 21 i n N r . 2.3 Abs. 3 T A Luft genannten Stoffe sind daher nur ein Hilfsmittel. 2 1 9 Sie sind so gewählt, daß ihre Überschreitung jedenfalls zu Immissionen führt, die ein beachtliches Besorgnispotential darstellen, ohne daß dies für darunter liegende Werte ausgeschlossen werden könnte. N r . 2.3 Abs. 3 T A Luft zielt daher auf Gesundheit&fcAitfz i m Wege gesundheitsgefahrbezogener Emissionsgrenzwerte. Genau genommen geht es insoweit nicht u m Vorsorge i.S.d. § 5 Abs. 1 N r . 2 BImSchG, sondern u m Schutz mit Hilfe eines vorsorgetypischen Instruments. 220 D a sich auf Grund plausibler wissenschaftlicher Annahmen und Berechnungen die Möglichkeit auch großer Schäden für Leib und Leben infolge kleinster Dosen nicht ausschließen läßt, rechtfertigt der Höchstrang des geschützten Rechtsguts Leben eine Reduzierung der Anforderungen an die (statistisch-empirische) Wahrscheinlichkeit eines durch die Immissionen kausal verursachten Schadens. 221 Daher vermag § 5 Abs. 1 N r . 1 BImSchG Schutz zu gewähren, wenn die Gesundheit Dritter durch Emissionen unter Überschreitung der in Nr. 2.3 Abs. 3 T A Luft 1986 festgesetzten Massenkonzentrationen gefährdet w i r d . 2 2 2 dd) Demgegenüber scheidet eine Zuordnung von N r . 2.3 Abs. 1 T A Luft (Minimierungsgebot) zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG aus. Das - für alle karzino-
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Hierauf lauft auch das von einer Arbeitsgruppe des Landerausschusses für Immissionsschutzrecht vorbereitete Risikokonzept hinaus, das Breuer, in: Neuere Entwicklungen im Immissionsschutzrecht, 1991, S. 158 (175 f.), dem drittschützenden Schutzprinzip zuordnet. 220 Insofern bezeichnen Feldhaus/Ludwig/Davids (DVB1. 1986, 641 (651)) zu Recht die für die 21 in Nr. 2.3 Abs. 3 TA Luft enumerativ aufgeführten krebserzeugenden Stoffe festgesetzten höchstzulässigen Massenkonzentrationen als "Vorsorgewerte mit zugewiesener Schutzfunktion". Hiervon abzugrenzen sind die in Teil 3 der TA Luft enthaltenen Emissionsgrenzwerte für besondere krebserzeugende Stoffe; sie sind als echte Vorsorgewerte anzusehen. Vgl. auch Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (62 f.), der neben Nr. 2.3 TA Luft noch von "Immissionavorsorgewerten" spricht. 221 S. zur Problematik der "Schadenseignung" im Hinblick auf die Dosis-Wirkungs-Beziehung auch Hansen-Dix, Gefahr, S. 71 ff. 222 Richtig VG Berlin, U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1982, 101 ((103), anhand des Änderungsentwurfs TA Luft 1979 und 1981. Allerdings wird in der Lit. unter dem Aspekt des Drittschutzes nicht zwischen Nr. 2.3 Abs. 1 und 3 TA Luft differenziert; s. Jarass, in: FS f. Lukes, 1989, S. 57 (62); Seltner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 56; Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Rdnr. 1 zu Nr. 2.2.1.5 (TA Luft 3.2); vgl. auch Breuer, in: Neuere Entwicklungen im Immissionsschutzrecht, 1991, S. 158 (170), der die Emissionsbegrenzung gem. Nr. 23 TA Luft insgesamt dem Schutzgrundsatz zuordnet; ferner Bender/Sparwasser, Umweltrecht, S. 105 Fn. 78 ("zumindest für Nr. 2.2.1.5 TA Luft sinnvoll"). S. aus der Rspr. noch OVG Lüneburg, U.v. 3.10.1979 - VE A 39/78, GewArch. 1980, 203 (205); die dortigen Ausführungen stehen zwar im Zusammenhang mit dem damals vom Gericht noch für drittschützend erachteten Vorsoigegebot des § 5 Nr. 2 BImSchG a.F., dem es den Gefahrenverdacht zugeordnet hatte; sie haben aber in der Sache unter dem Aspekt von Wahrscheinlichkeit und Kausalität auch für die hier bejahte teilweise Erfassung des Krebsrisikos im Bereich des drittschützenden Schutzgebots Bedeutung.
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C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
genen Stoffe geltende 223 - Minimierungsgebot enthält keinerlei Anhaltspunkt für eine Kausalbeziehung zwischen Emission, Immission und Schaden. 224 Selbst bei Berücksichtigung des Hochstrangs der Rechtsgüter Menschenleben und Gesundheit verlangt § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ein Mindestmaß an - wenn auch nicht streng empirisch-statistisch untermauerter - Wahrscheinlichkeit eines Schadens. Während dies soeben für die 2 1 in N r . 2.3 Abs. 3 T A Luft genannten Stoffe und die für sie festgesetzten Massenkonzentrationen i m Abgas noch angenommen werden konnte, erscheint dies für das umfassende Minimierungsgebot nicht mehr gerechtfertigt. N r . 2.3 Abs. 1 T A Luft hat damit keine drittschutzverdeutlichende (Auslegungs-)Funktion. 225 Der gegenteiligen, auf diese Frage aber nicht eingehenden Auffassung des O V G Münster 2 2 6 kann daher nicht gefolgt werden. e) D i e Störfallproblematik aa) § 3 Abs. 1 StörfallV legt dem Betreiber einer Anlage die Pflicht auf, die "nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen zu treffen". Damit ordnet die Vorschrift die kollidierenden Privatinteressen von
223 Nr. 2.3 Abs. 2 TA Luft 1986 verweist insoweit auf Teil HI A 1 und A 2 der MAKWerte-Liste; dort werden eindeutig als krebserzeugend ausgewiesene Arbeitsstoffe aufgelistet. Das Argument, daß eine drittschutzrelevante Zuordnung des Minimierungsgebots der Nr. 23 Abs. 1 TA Luft daran scheitern mußte, weil andernfalls die Grenzwerte funktionslos würden (vgl. sogleich zum Atomrecht unter C.VI.4.c), würde nur für 21 in Nr. 2.3 Abs. 3 TA Luft genannten Stoffe gelten können. 224 Demgegenüber wäre der Hinweis, daß Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft ausdrücklich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erwähnt, nicht entscheidend. Das Erfordernis, die Angemessenheit einer Schutzmaßnahme zu beachten, schließt Drittschutz nicht von vornherein aus. Mit z.T. anderem systematischen Ansatz Breuer, NVwZ 1990, 211 (213): Gefahrenabwehr sei "kategorisch geboten" und schlage sich im Rechtsschutz nieder. Risikovorsorge stehe demgegenüber "unter dem Vorbehalt der technischen Möglichkeit sowie der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen"; in dieser Funktion diene sie "prinzipiell nicht dem Drittschutz". 225 Letztlich offengelassen von VG Berlin, U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1982, 101 (104), zum Änderungsentwurf TA Luft 1979 bzw. 1981; im übrigen ist der Sprachgebrauch des Gerichts (" ... nicht um eine nachbarschützende Vorschrift...") angesichts des Stellenwerts der Verwaltungsvorschrift nicht zutreffend; s. C.V.4.a. Drittschützend kann allein § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sein. Ohne Differenzierung zwischen Abs. 1 und Abs. 3 der Nr. 2.3 TA Luft 1986 Seltner, in: Verh. des 56. DJT, Bd. U, 1986, S. L 8 (L 29): Die "Einhaltung dieser Wette" (der Nr. 2.3 TA Luft) sei "mindestens teilweise dem Schutzgrundsatz ... zuzurechnen". 226 U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 (1201 f.); mangels grundsätzlicher Bedeutung brauchte das BVerwG in dem die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschhiß v. 24.5.1991 - 7 B 148/90, NVwZ 1991, 1187 r.Sp., hierauf nicht einzugehen. Zuzustimmen ist dem OVG Koblenz insofern, als es - freilich in einem bipolaren Konfliktfall - hinsichtlich der Nr. 2.3 Abs. 1 TA Luft eine Zuordnung zum Vorsoigegebot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG angenommen hat; insofern kann der Kritik von Pudenz, DVB1. 1990, 832 f., der Nr. 2.3 TA Luft insgesant dem § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zuweisen will, nicht gefolgt werden.
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Betreiber und Nachbarn im Gefahrbereich subjektiv-rechtlicher Konfliktschlichtung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. In Störfallkonstellationen gewinnt die Eintrittswahrscheinlichkeit des schadensstiftenden Ereignisses entscheidende Bedeutung. Wenn nach § 3 Abs. 2 StörfallV bestimmte Gefahrenquellen oder Eingriffe nicht berücksichtigt werden müssen, falls sie als Störfallursache "vernünftigerweise ausgeschlossen werden können", dann entspricht dies der wahrscheinlichkeitsgewichteten Konfliktschlichtung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG.227 Wie das OVG Lüneburg zu Recht hervorgehoben hat, ist z.B. nicht schon die Tatsache des Flugverkehrs als eine theoretische Möglichkeit eines Schadenseintritts zu berücksichtigen, wohl aber eine insoweit "ungünstige Lage der Anlage", welche die bloße Möglichkeit "zu einer zwar entfernten, aber im Hinblick auf die Folgen eines solchen Ereignisses nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit verdichten".228 Daher ergibt die Formel der umgekehrten Proportionalität für den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit: Je weitreichender und schwerwiegender der aus dem Störfall resultierende Schaden, desto geringer die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts zu stellen sind (wahrscheinlichkeitsgewichtete multipolare Abwägung).229 § 3 Abs. 1 StörfallV ist damit drittschützend.230 bb) Anders scheinen die Dinge bei § 3 Abs. 3 StörfallV zu liegen. Danach ist vom Betreiber einer Anlage über Abs. 1 hinaus "Vorsorge zu treffen, um die Auswirkungen von Störfällen so gering wie möglich zu halten". Auf den ersten Blick scheint hier eine Zuordnung zum rein objektiv-rechtlichen Vorsorgegebot sachgerecht und damit wie im Falle des - sogleich zu behandelnden atomrechtlichen Strahlenminimierungsgebots (§§ 28 Abs. 1 Nr. 2, 46 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV) Drittschutz auszuscheiden. Dem steht allerdings bereits die Ermächtigungsnorm des § 7 Abs. 1 BImSchG entgegen, die auf die Grundpflüchten des § 5 Abs. 1 BImSchG verweist; dort aber sind "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen" - allein hierunter sind Störfalle zu subsumieren - nur in § 5 Abs. 1 Nr. 1, Fall 2 BImSchG genannt. Von daher ist eine Zuordnung auch des spezifischen Vorsorgegebots des § 3 Abs. 3 StörfallV zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geboten.231 In diesem Zu-
227
Vgl. oben C.VI.3.a bei Fn. 175 ff. OVG Lüneburg, B.v. 6.4.1984 - 7 B 16/83, DVB1. 1984, 890 (892), unter Bezugnahme auf OVG Lüneburg, B.v. 28.12.1976 - VH B 78/75, OVGE 32, 444 (457 flf.). 229 Vgl. OVG Münster, B.v. 18.7.1988 - 21 B 1092/88, NVwZ 1989, 172 (173). 230 S. OVG Lüneburg, B.v. 6.4.1984 - 7 B 16/83, DVB1. 1984, 890 (891); OVG Münster, B.v. 18.7.1988 - 21 B 1092/88, NVwZ 1989, 172 (173). Aus der Lit. Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Rdnr. 34 zu § 3 12. BImSchV; Feldhaus, WiVerw. 1981, 191 (194). 231 Zutr. Breuer, NVwZ 1990, 211 (220 f.); Seltner, Immissionsschutaecht, Rdnr. 26 a, 56; OVG Lüneburg, U.v. 6.4.1984 - 7 B 16/83, DVB1. 1984, 890 (893), das - im Anschluß an Breuer, WiVerw. 1981, 219 (239 f.) - maßgeblich darauf abstellt, daß sich die Eimachtigungsnorm des § 7 228
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sammenhang hat Breuer m mit Recht von einer "falsa demonstratio" gesprochen. Richtigerweise ist der Begriff der "Vorsorge" in § 3 Abs. 3 StörfallV im Sinne von "Vorkehrungen" 233 zu verstehen. Aber auch von dieser ermächtigungsrechtlichen Argumentation abgesehen, laßt sich § 3 Abs. 3 StörfallV anhand der Konfliktsdüichtungsformd als partiell drittschützend qualifizieren. Es geht hier um die "keineswegs der menschlichen Vernunft widersprechende Möglichkeit, daß - durch menschliches Versagen, unerkannte (aber erkennbare) Mängel der Anlage o.ä. - im Einzelfall das Ziel der Störfallverhinderung durch die konkret getroffenen Maßnahmen nicht erreicht worden ist". 234 Damit werden Fälle erfaßt, in denen die Eintrittswahrscheinlichkeit des schadensstiftenden Ereignisses einen Grad erreicht, der die Zuordnung von Risikoverursachung und Risikotragung im Sinne der Konfliktschlichtungsformel erlaubt. 235 Auch hier gilt der Grundsatz der umgekehrten Proportionalität. 236
f) § 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BImSchG Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG müssen "Reststoffe vermieden werden, es sei denn, sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet". Soweit Vermeidung oder Verwertung "technisch nicht möglich oder unzumutbar sind", sind die Reststoffe "als Abfalle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit" zu beseitigen. Daß hier nicht die "Nachbarschaft" tatbestandlich genannt ist, kann nach dem oben Ausgeführten 237 nicht von vornherein Drittschutz ausschließen. Entscheidend ist, daß das Vermeidungs-, Verwertungs- und Beseitigungsgebot tatbestandlich nicht als Ausgleich der Gestaltungsinteressen des Betreibers und der ihnen zuwiderlaufenden Nachbarinteressen ausgestaltet
Abs. 1 BImSchG auf § 5 Nr. 1 BImSchG a.F. beschrankt; offen lassend OVG Münster, U.v. 18.7.1988 - 21 B 1092/88, NVwZ 1989, 172 (174). 232 NVwZ 1990, 211 (221); s. auch schon ders. y WiVerw. 1981, 219 (240): "redundante Gefahrenabwehr in zweiter Linie". Vgl. auch Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Rdnr. 34 zu 12. BImSchV, der keinen Drittschutz gewähren will, wenn lediglich "allgemeine schadensmindernde Maßnahmen ... erleichtert" werden. 233 K. Schäfer, Störfall-Verordnung, Rdnr. 29 zu § 3; im Anschluß hieran ebenso Sellner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 26 a. 234 OVG Lüneburg, B.v. 6.4.1984 - 7 B 16/83, DVB1. 1984, 890 (893); Wenn das Gericht freilich von einer "abstrakten Gefahrgeneigtheit" spricht, entfernt es sich zu weit von dem vorbeugenden Gefahrensc/iwlz. 235 Voraussetzung ist weiter die Kausalität des (schadensstiftenden) Ereignisses für einen entsprechenden Schaden. 236 Vgl. die Begründung im Regierungsentwurf zu § 3, BR-Drcks. 108/80, S. 31. 237
c.m.2.
V I . 3 . Immissionsschutzrecht
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ist. Es fehlt an einem Konfliktschlichtungsprogramm, das im Horizontalverhältnis Grund und Maß gegenseitigen Dürfens festlegen würde (Ebene der Rechtszuweisung). Statt dessen formuliert § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG prinzipielle entsorgungsbezogene Sollanforderungen zu Lasten des Betreibers. Insoweit hilft auch das Tatbestandsmerkmal der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung nicht weiter, da es lediglich die Selbstverständlichkeit ausdrückt, daß nicht jedwede technisch mögliche Maßnahme den Vorrang vor der Beseitigung auslöst.238 Das Erfordernis einer Beseitigung der Reststoffe als Abfall ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit führt nicht zum Drittschutz, weil Allgemeinwohlklauseln allein nicht rechtsbegründend wirken. 239 Damit ist das Vermeidungs-, Verwertungs- und Beseitigungsgebot des § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG nicht drittschützend.240 Dies bedarf zweier Ergänzungen. Erfolgt die Verwertung oder die Beseitigung anlagenintern, gilt - im Rahmen des Genehmigungsgegenstandes - ohne weiteres § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG; ist dagegen die anlagenexterne Verwertung oder Beseitigung vorgesehen, handelt es sich bei der Entsorgung nur um eine Gen&hmigungsvoraussetzung, nicht aber um den Gegenstand der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung.241 Drittschutzfragen werden dann erst im Rahmen der Folgegenehmigungen relevant. Dies gilt nicht nur für etwaige - ohnehin durch § 13 BImSchG nicht eingeschlossene - wasserrechtliche Gestattungen, sondern auch für spätere abfallrechtliche Zulassungen. Schließlich ist die Pflicht des Betreibers zur Abwärmenutzung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG eine umweit- und z.T. auch energiepolitische Maxime, die keine normative Schlichtung eines Streits zwischen Trägern kollidierender 238 Zutr. - noch zu § 5 Nr. 3 BImSchG a.F. - OVG Münster, U.v. 23.1.1986 - 21 aA 1517/84, NVwZ 1987, 14*5 (148); zur Abgrenzbarkeits-Problematik oben C.I.2.c.aa. 239 S.o. c.m.3. 240 S. zum Reststoffverwertungsgebot Drittschutz verneinend OVG Münster, U.v. 6.4.1989 - 21 A 952/88, NWVBL 1990, 91 (92), das damit sein in Fn. 238 genanntes Uiteil auch für die Rechtslage nach der BImSchG-Novelle von 1985 bekräftigt; ebenso ferner VG Stade, B.v. 9.6.1989 - 3 D 63/88, Feldhaus § 5 - 30, S. 1 (8), zum Reststoffvermeidungs- und -Verwertungsgebot, allerdings ohne Begründung. - Insgesamt Drittschutz abl. Kutscheidt, NVwZ 1986, 622 (624); differenzierend Jarass, BImSchG, Rdnr. 47 zu § 5, der das "Ob der Reststoffverwertung" dem Vorsorgeprinzip zuordnet und daher nicht als drittschützend ansieht, es aber bei der "Art und Weise ... auf den Charakter der dafür einschlagigen Vorschriften" ankommen laßt. Im Hinblick auf die Abfallbeseitigung sei entscheidend, ob die "entsprechenden Vorschriften des Abfallbeseitigungsrechts i.w.S. bzw. des Abwasserrechts" drittschützend seien oder nicht. Etwas anders Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 63 f., der das Vermeidungs- und Verwertungsgebot nicht für drittschützend halt, hinsichtlich der Art und Weise der Reststoffverwertung allerdings mit Jarass übereinstimmt; der Abfallbeseitigungspflicht komme dagegen Drittschutz zu. Wie hier im Anschluß an das OVG Münster zwischen anlageninternen und -externen Vorgangen differenzierend SeUner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 65, der sich allerdings nicht zur Abfallbeseitigungspflicht äußert. 241 So zutr. für die Verwertungspflicht OVG Münster, U.v. 23.1.1986 - 21 aA 1517/84, NVwZ 1987, 146 (147), sowie SeUner, Immissionsschutzrecht, Rdnr. 65. 21 Schmidt-Preuß
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Privatinteressen darstellt. Drittschutz scheidet aus. 242 Zur subjektiv-rechtlichen Problematik im Zusammenhang mit der 17. BImSchV wird auf die obigen Ausfuhrungen zu Emissionsgrenzwerten verwiesen. 243
g) Drittvornahmebegehren Im Drittvornahmebereich knüpfen die regelmäßig Ermessen einräumenden Handlungsermächtigungen - wie etwa § 17 Abs. 1 BImSchG oder § 24 S. 1 BImSchG - an den normativen Konfliktschlichtungsmaßstab der Sachnormen an. 244 Dies gilt namentlich für die § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG. Ihr subjektiv-rechtlicher Gehalt gibt dem Ermessen der Handlungsnormen die Drittschutzrichtung (tatbestandliche Ausstrahlungswirkung). Das trifft im Bereich genehmigungsbedürftiger Anlagen etwa für § 17 Abs. 1 S. 2 ("soll") oder § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG ("darr) zu. Ein subjektives öffentliches Recht auf Erlaß einer nachträglichen Anordnung oder auf Widerruf einer Genehmigung setzt damit u.a. die eben beschriebene Kausalität vom Emission und Immission voraus. 243 Liegen die Tatbestandsmerkmale der Ordnungsnorm vor, kann es zu einer Ausstrahlung auf die Ermessensausübung - im äußersten Fall bis hin zur Reduzierung auf Null - kommen, wobei § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG bereits als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist. Freilich ergänzt der 1985 im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geänderte Abs. 2 von § 17 BImSchG246 das normative Konfliktschlichtungsprogramm und räumt den Bestandsinteressen des Betreibers bei sonst drohender Existenzgefährdung letztlich Vorrang gegenüber den Verschonungsinteressen des Nachbarn ein; gleichzeitig weist er allerdings den Weg zu dem dann in Betracht kommenden Widerruf. 247 Im Bereich nicht genehmi-
242
Vgl. Marburger, Gutachen für den 56. DJT, 1986, S. C 64. C.VI.3.d. 244 S.o. C.V.l.aundb. 245 Richtig OVG Münster, U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1988, 173 (174), mit Hinweis auf Nr. 4.1.1 TA Luft, wonach u.a. nachtragliche Anordnungen getroffen werden sollen, wenn die Immissionswerte auf einer Beurteilungsfläche überschritten werden. S. auch allg. VGH München, U.v. 8.6.1988 - 22 B 83 A.1681, NVwZ 1989, 482 (483 f.), zu § 17 BImSchG: "durch Immissionswerte definierte Nachbarrechte". Zur Reduzierung des Vertrauensschutzes im Rahmen der §§21,17 BImSchG s. Maurer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR in, Rdnr. 82, 84 zu § 60. 246 Vgl. hierzu Hoppe, et 1984, 49 (55 ff.), und Sendler, UPR 1983, 33 (39 fF.), sowie zur Neufassung durch die Novelle von 1985 Friaitf, WiVerw. 1989, 121 (174 f., 181 ff.); Sendler, UPR 1990, 41 (45 f.); Feldhaus, UPR 1985, 385 (390); Maurer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR in, Rdnr. 84 zu § 60.. 247 Zur Abgrenzung zwischen nachträglicher Anordnung, Stillegung und Widerruf vgl. OVG Münster, U.v. 9.7.1987 - 21 A 1556/86, NVwZ 1987, 173 l.Sp.; die Nichtzulassungsbeschwerde hat das BVerwG, B.v. 15.2.1988 - 7 B 219/87, NVwZ 1988, 824 (825 f.), zurückgewiesen. 243
VI.3. Immissionsschutzrecht
295
gungspflichtiger Anlagen gewährt § 24 S. 1 ("kann") i.V.m. dem Konfliktschlichtungsprogramm des § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG248 einen Drittvornahmeanspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich eines nachbarlichen Schutzbegehreais.249 Zur Ermessensproblematik bei Drittvornahmebegehren im einzelnen wird auf das oben Dargelegte verwiesen. 250
h) § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG sind vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern, nach dem Stand der Technik unvermeidbare auf ein Mindestmaß zu beschränken.231 Dabei geht es in beiden Fällen um die gegenseitige Zuordnung der kollidierenden Gestaltungsinteressen des Betreibers (einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage) und der Verschonungsinteressen des Nachbarn anhand des Konfliktschlichtungsmaßstabs der Erheblichkeit ( = Zumutbarkeit).252 Als Kernelement des Begriffe der schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) prägt er auch hier das anspmchsbegrimdende und -maßstabsbildende Horizontalverhältnis. Die Anforderungen der Konfliktschlichtungsformel sind damit erfüllt. § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG verleiht in beiden Alternativen Drittschutz. 233 In diesem Sinne hat der V G H Mannheim254 im Hinblick auf den Drittvornahmeanspruch aus §§ 24 S. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG zu Recht den Begriff der Erheblichkeit bzw. der Zumutbarkeit als "Grenze" im Sinne einer "einfachgesetzlichen Güterabwägung" bezeichnet, "jenseits deren nachteilige Einwirkungen nicht
248
s. C.VI.3.h. Zutr. VGH Mannheim, U.v. 5.9.1989 - 10 S 1712/88, NJW 1990, 1930 r.Sp. 230 C.V.2. 231 Damit unterscheidet § 22 Abs. 1 BImSchG nicht wie § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG zwischen Schutz- und Vorsorgeprinzip. 232 Richtig BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 7 C 33.87, E 79, 254 (260), mit der Gleichsetzung von Erheblichkeit und Zumutbarkeit; ebenso BVerwG, U.v. 4.7.1986 - 4 C 31.84, E 74, 315 (326 f.). Zur grundsätzlichen Ablehnung dieses Konzepts durch Murswiek, JZ 1989, 240 (241), s. oben Fn. 192 m.w.N. Zu § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG erkennt Jarass, BImSchG, Rdnr. 7 zu § 22, ausdrücklich die Berücksichtigungsfahigkeit des Aufwands von Abwehrmaßnahmen im Falle von Belästigungen und Nachteilen an; insoweit anders seine Stellungsnahme zur Erheblichkeit im Rahmen von §§ 5 Abs. 1, 3 Abs. 1 BImSchG (s. ibid., Rdnr. 34 zu § 3). 233 Vgl. Breuer, in: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (496); Jarass, BImSchG, Rdnr. 11 zu § 22; Schmitt Glaeser/Meins, Immissionsschutz, S. 72; auch für Nr. 3 Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 70 f.. 234 B.v. 28.6.1988 - 10 S 758/87, VB1BW 1989, 104 r.Sp.: prozessuale Einkleidung in eine Anfechtungsklage des Nachbarn auf Aufhebung eines Widerspruchsbescheides, mit dem die ursprüngliche, auf sein Betreiben ergangene Lärmschutzauflage nach Widerspruch des Betreibers aufgehoben worden war. S. zu den fünf multipolaren Fallkonstellationen A.I.l.d. 249
296
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
mehr zugemutet werden können und daher nicht mehr hingenommen zu werden brauchen". Nichts anderes gilt für § 22 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG. Wenn dieser im übrigen davon spricht, daß die unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen "auf ein Mindestmaß" zu beschränken seien, dann ist diese Grenze stets erreicht, wenn konkrete Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachwerte drohen. 253 Von einem ganz anderen Ansatz geht Murswiek 256 aus, der die Wertung der Erheblichkeit im Sinne der Unzumutbarkeit ablehnt, ja sogar für verfassungswidrig hält, und statt dessen "erheblich" nur als Kennzeichnung einer Bagatellschranke versteht. Dem kann nicht gefolgt werden. Nicht zuletzt wird ein derartiger Ansatz dem multipolaren Charakter des Konfliktschlichtungsmaßstabs der Erheblichkeit, der auf "eine situationsbezogene Abwägung und auf einen Ausgleich widerstreitender Interessen"237 abzielt, nicht gerecht. Die Auslegung der (einfachgesetzlichen) Erheblichkeit im Sinne der Zumutbarkeit hat das BVerwG 258 zu Recht bestätigt. Eine Vorsorgepflicht - die ohnehin nicht drittschützend wäre - enthält § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BlmSchG nicht. 239 Schließlich sei noch bemerkt, daß § 22 Abs. 1 BlmSchG seine Drittschutzwirkung im Fall der Drittabwehrkonstellation nur unselbständig bei Anfechtung etwa einer Baugenehmigung oder einer bergrechtlichen Betriebsplanzulassung entfaltet. Dagegen kommt er in Drittvornahmefallen - etwa über § 24 S. 1 BlmSchG - direkt zur Anwendung. Im Bereich des Sportlärms sieht § 2 Abs. 2 der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BlmSchV)2® Immissionsgrenzwerte nebst dazugehöriger Ermittlungs- und Meßverfahren vor. 261 Damit werden die emissionsbedingenden Gestaltungsinteressen des Verursachers und die Verschonungsinteressen der Nachbarn den Grenzwerten des § 2 18. BImSchV unterstellt. Hierbei handelt es sich um ein quantifiziertes Konfliktschlichtungsprogramm> das die Eiheblichkeit von Belästigungen i.S.d. § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BlmSchG gesetzeskonform konkretisiert.™ 1 Die Zuordnung gegenseitigen freien Dürfens wird numerisch bestimmt. Insoweit besteht eine Parallele zu den weiter unten zu erörtern-
233 236 257
Zutr. Jarassy BlmSchG, Rdnr. 7 zu § 22. Verantwortung, S. 330 f.; ders. y JZ 1989, 240 (241). BVerwG, U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (200); s. auch Gaentzsch, NVwZ 1986,
601 (603). 238
U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (144). Vgl. VGH München, U.v. 18.12.1986 - 22 B 84 A.1252, NVwZ 1988, 175 f.; Jarass 9 BlmSchG, Rdnr. 4 zu § 22; anders Hansmann, NVwZ 1991, 829 (831 ff.). 260 V. 18.7.1991, BGBl. I, 1588. 261 S.o. C.V.3.b. 262 Die vom Verordnungsgeber gewählten Grenzwerte sind nicht so konservativ gewählt, daß sie sich von der gesetzlichen Drittschutzschwelle der Erheblichkeit entfernen; zu diesem Kriterium in bezug auf die Gefahrengrenze s. Sendler, UPR 1981, 1 (5). 239
VI.4. Atomrecht
297
den Dosisgrenzwerten des § 45 StrlSchV oder zur Kostenmiete im Rahmen des § 8 a Abs. 4 S. 1 WoBindG. Es ist zu begrüßen, daß mit der Statuierung von § 2 18. BImSchV die subjektiv-rechtlich verfaßte Schlichtung des Konflikts zwischen Sport und Wohnen auf eine normative Grundlage gestellt ist. 2 0 Die bisherige Rechtslage bereitete Probleme, weil die zur Konkretisierung des Eiheblichkeitsmaßstabs zur Verfügung stehenden Regelwake wie die TA Lärm und oder die VDI-Richtlinie 2058 Bl. 1 auf gewerblichen Lärm zugeschnitten sind. 264 Die Hinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz265 enthielten demgegenüber zwar sachgerechtere Kriterien zur Erfassung von Sportlärm. 266 Audi sie konnten jedoch die Rechtsprechung nicht der Prüfung entheben, ob die gesetzliche Erheblichkeitsschwelle richtig wiedergegeben ist. 267
4. Subjektiv-rechtliche Konfliktschlichtung Schadensvorsorge
und atomrechtliche
a) Atomrechtliche Schadensvorsorge und wahrscheinlichkeitsgewichtete Abwägung aa) Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG darf eine Genehmigung nur erteilt werden, "wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden" getroffen ist Die Konfliktschhchtungsformel verlangt für die Entstehung subjektiver öffentlicher Rechte die oben268 dargestellte normative Ordnung der kollidierenden Privatinteressen. Bei § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG geht es um den Ausgleich der risikoverursachenden Gestaltungsinteressen des Betreibers und der kehrseitigen Verschonungsinteressen des Dritten. Jener muß seine Gestaltungsinteressen zurückstellen, wenn nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht von dem gebotenen Höchstmaß an Sicherheit ausgegangen werden kann. Dieser kann seine Verschonungsinteressen nicht mit Erfolg gegen
263
S. zur Grundsatzproblematik C.V.3. Vgl. zur Problematik Papier, in: HJ. Koch (Hrsg.), Schutz vor Lärm, 1990, S. 129 (135 ff.); Battis/Hütz, UTR 12 (1990), 133 (136 ff.); Gaentzsch, in: FS f. Geizer, 1991, S. 29 (38 ff.); dersUPR 1985, 201 (202 ff.); Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (197 f.). 265 NVwZ 1988, 135. 266 S. insoweit zur Problematik von Zuschlägen für Impuls- und Informationshaltigkeit von Spottgeräuschen hinsichtlich der - deutliche Pegeländeningen berücksichtigenden - Mittelung nach dem Takt-Maximal-Verfahren Papier, in: FS f. Geizer, 1991, S. 93 (101 f.); vgl. auch BVerwG, B.v. 7.8.1991 - 7 B 48.91, LKV 1991, 411 r.Sp.; VGH Mannheim, U.v. 14.5.1991 - 5 S 1827/90, NVwZ 1992, 389 f. 267 S. BVerwG, U.v. 24.4.1991 - 7 C 12.90, E 88, 143 (148 ff.); U.v. 19.1.1989 - 7 C 77.87, E 81, 197 (205 f.); vgl. auch OVG Münster, U.v. 23.1.1991 - 10 A 2111/87, NWVBL 1991, 263 (264 f.); VGH München, U.v. 18.9.1989 - Nr. 15 B 88.00189, BauR 1990, 199 f.; VGH Kassel, B.v. 9.3.1990 - 4 TG 1478/89, BauR 1990, 709 (711). 268 C.VI.l.a. 264
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
298
Errichtung und Betrieb der Anlage zur Geltung bringen, sofern die erforderliche Schadensvorsorge getroffen ist. Damit werden die kollidierenden Privatinteressen gewertet, begrenzt, gewichtet und am Maßstab atomrechtlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. AtG ausgeglichen. Hierbei verlangt das Merkmal der Wertung, daß die Emission als schadensstiftendes Ereignis hinreichend sicher prognostiziert werden kann; außerhalb des Normalbetriebs bedingt dies Aussagen über die Eintrittswahrscheinlichkeit.
Für die Annahme eines Konfliktschlichtungsprogramms müssen aber darüber hinaus die kollidierenden Privatinteressen derart einer normativen Ausgleichsordnung unterstellt sein, daß die Interessenverwirklichung des einen notwendig auf Kosten des anderen geht. Dies verlangt eine Kausahtat zwischen Eintritt des schädigenden Ereignisses, entsprechender Exposition und dadurch verursachtem Schaden. Damit hängt die Bestimmung der gebotenen Schadensvorsorge zunächst von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der schadensstiftenden Strahlenexposition ab. I m Normalbetrieb wirft dies keine besonderen Probleme auf. Im Hinblick auf das Risiko von Stör- und Unfall ergibt sich hieraus aber das Erfordernis eines Mindestmaßes der Eintrittswahrscheinlichkeit. Andernfalls ließe sich nicht von der Kausalität der risikobegrimdenden Handlung des Gestaltungsinteressenten ausgehen. Maßgebend ist dabei der Grundsatz der umgekehrten Proportionalität von Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeit. 270 Es bedarf der wahrscheinlichkeitsgewichteten Abwägung, um die konkrete Drittschutzschwelle zu ermitteln. Nicht jede auch noch so entfernte Möglichkeit eines (nur theoretisch) schadensstiftenden Ereignisses erfüllt das Erfordernis der Kausalität im Rahmen des Konfliktschlichtungsprogramms. Allerdings reduzieren der Höchstrang der Rechtsgüter Leben und Gesundheit und das hohe Gefährdungspotential die Anforderungen an das Wahrscheinlichkeitsurteil. Insoweit können z.B. schadensstiftende externe Ereignisse wie Flugzeugabsturz oder Erdbeben je nach standortabhängigem Risiko zur tatbestandlich-drittschützenden oder zur rein objektiv-rechtlichen Schadensvorsorge oder auch nur zur ermessensabhängigen Restrisikominimierung gehören.271 Entscheidend ist die konkrete Eintrittswahrscheinlichkeit ; eine apriorische Zuweisung ist nicht möglich. I m Fall des Normalbetriebs kommt es entscheidend darauf an, ob sich hinreichend sicher prognostizieren läßt, daß es zu einem strahlungsbedingten Schaden kommt (,Schädlichkeitsgrenze). Die von § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG eröff-
269
Die besondere Problematik der Störfalle liegt gegenüber dem Normalbetrieb darin, daß "die Weitraumigkeit eventueller Schadensfolgen das Vorstellungsbild eines überschaubaren Einwirkungsbereichs sprengt" (Breuer, DVB1. 1986, 849 (857)). S. zur Abgrenzbarkeita-Doktrin C.I.2.c.bb. 270 S.o. C.VI.3.a bei Fn. 176 ff.; zur konkret-empirischen Auslegung s.o. C.m.6.a. 271 Vgl. zu dieser Systematik C.VI.4.e.
VI.4. Atomrecht
299
nete wahrscheinlichkeitsgewichtetete multipolare Abwägung beschränkt sich dabei nicht notwendig auf statistisch-empirische Wahrscheinlichkeitsaussagen. Das besondere Risikopotential der hier in Frage stehenden Anlagen läßt eine derartige Begrenzung nicht zu. Dem entspricht es, daß im Unterschied zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG, wo der Gesetzgeber dem subjektiv-rechtlichen Schutzkonzept ausdrücklich die nur objektiv-rechtliche Vorsorge komplementär zur Seite gestellt hat, eine solche Zweiteilung im ("älteren") Atomgesetz fehlt. Deshalb steht einer Erstreckung des Konfliktschlichtungsprogramms des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG über den (engen) polizeirechtlichen Gefahrenbegriff 2 7 2 hinaus auch auf den Gefahrenverdacht bzw. das Besorgnispotential273 nicht etwa der tatbestandlich-systematische Einwand entgegen, der Gesetzgeber habe diesen Sachkomplex bereits anderweitig (rein objektiv-rechtlich) geregelt. Mit Recht spricht daher das Wyhl-Urteil des BVerwG 274 in einer zentralen Passage davon, daß die atomrechtliche Schadensvorsorge nicht auf die Gefahrenabwehr im klassischen polizeirechtlichen Sinne beschränkt ist, sondern "auch solche Schadensmoglichkeiten in Betracht" ziehen müsse, "die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursadienzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder 'Besorgnispotential' besteht". Einen besonderen Anwendungsfall stellt insoweit das unterhalb der Gefahrenschwelle angesiedelte - Dosisgrenzwertkonzept des § 45 Abs. 1 StriSchV dar, auf das sogleich noch gesondert einzugehen ist. Es beruht nicht auf empirisch-statistischen Wahrscheinschlichkeitsaussagen, sondern auf Extrapolationen und Risikoannahmen über die Wirkung von Niedrigdosen. Insofern ist ein Höchstmaß an Plausibilität anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Annahmen und Berechnungen erforderlich, aber auch aus-
272 Als Gefahr wird im Polizei- und Ordnungsiecht ein Zustand bezeichnet, aus dem sich bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden ergibt, vgl. bereits PrOVG, Erkenntnis v. 15.10.1894 - Nr. m 1115, PrVBl. 16 (1894), 125 (126 f.); Scholz, VerwArch. 27 (1919), 1 (20 f.), der im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht an ein "bestimmtes zahlenmäßiges Verhältnis" denkt, sondern "an eine im praktischen Leben übliche und unentbehrliche ungefähre Schätzung der Häufigkeit der Schadensfalle". S. ferner Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 115; Friauf, in: von Münch/ SchmidtAßmarm (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 97 (117 ff.); Gallwas/Mößlc, Polizei- und Sicheiheitsrecht, Rdnr. 277. In Kurzform wird von Gefahr als Produkt von Wahrscheinlichkeit und Schadensumfang gesprochen; s. auch oben C.VI.3.a mit Fn. 171. 273 Vgl. hierzu nur BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (315 f.), sowie unten C.VI.4.b; s. auch BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (267); Rauschring, WDStRL 38 (1980), 167 (193) mit Fn. 78: Bei der Beurteilung des Risikos von Niedrigdosen handle es sich mangels empirischer Basis nicht um Wahrscheinlichkeiten im juristischen Sinne; s. ferner unter dem Aspekt der Dosis-Wirkungs-Beziehung Hansen-Dix, Gefahr, S. 71 ff., die aber den von ihr vorgeschlagenen weiten Gefahrenbegriff auch im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG zugrunde legt (S. 219). 274 U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 70, 300 (315); vgl. SendUr, NVwZ 1990, 231 (234).
300
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
reichend. Des weiteren hat das BVerwG betont, daß "bei der Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten nicht allein auf das vorhandene ingenieurmäßige Erfahrungswissen zurückgegriffen werden darf, sondern Schutzmaßnahmen auch anhand 'bloß theoretischer' Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müssen, um Risiken aufgrund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken hinreichend zuverlässig auszuschließen".275 Unter Hinweis auf diese Anforderungen an die Abschätzung von Schadenswahrscheinlichkeiten zog der 7. Senat zu Recht die subjektiv-rechtlich entscheidende Konsequenz, daß es im Atom- und Strahlenschutzrecht "nicht nur ... 'unerwünscht', sondern im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG auch unerlaubt" sei, "'exakt bis an die Gefahrengrenze zu gehen'", was "sowohl für den Kollektiv- als auch für den Individualschutz" gelte. Insoweit hat Breuer 276 plastisch davon gesprochen, daß das BVerwG "über die Gefahrenabwehr hinaus eine ihrerseits begrenzungsbedürftige 'Pufferzone' der Risikovorsorge in den kategorischen Gebotsinhalt des § 7 I I Nr. 3 AtomG sowie in den Drittschutz einbeziehen" will.
Im Normalbetrieb wie im Stör- und Unfall spielt - so läßt sich zusammenfassend feststellen - die wahrscheinlichkeitsgewichtete Abwägung die entscheidende Rolle für die Ermittlung der Drittschutzschwelle im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Übersteigt das Risiko die Schädlichkeitsschwelle bzw. die relevante Eintrittswahrscheinlichkeit, sind die Voraussetzungen des Konfliktschlichtungsprogramms erfüllt. Andernfalls ist die gebotene atomrechtliche Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik rein objektivrechtlicher Natur. Hieraus folgt, daß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG einen Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen des weiterreichen den objektiv-rechtlichen Ordnungsßges atomrechtlicher Schadensvorsorge um schließt und damit partiell drittschützend ist. 277 bb) Wenn eben die Bedeutung der wahrscheinlichkeitsgewichteten Abwägung hervorgehoben wurde, ist allerdings zur Kenntnis zu nehmen, daß insbesondere Breuer™ nachdrücklich die Grenzen der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung aufge-
275 Vgl. BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 3200 (315); dort befindet sich auch das nachfolgende Zitat. Speziell zur Kausalität Seltner, NVwZ 1986, 616 (618); unter dem Aspekt der Typisierung der Schadensvorsoige s. grdl. Breuer, DVB1. 1978, 829 (836). 276 NVwZ 1990, 211 (214); s. auch die Würdigung der Wyhl-Passage durch RengeUng, DVB1. 1986, 265 (267 f.), und ders. t Probabilistische Methoden, S. 88 ff.; Seilner, NVwZ 1986, 616 (618): "Für das Atomrecht reicht der Drittschutz in den Vorsorgebereich hinein ..." 277 Vgl. Sendler UPR 1981, 1 (7); Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (169 f.); s. auch Rengeling, DVBi. 1986, 265 (268); Seltner, NVwZ 1986, 616 (618); a.A. Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsoige, S. 9 (81), die § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als in vollem Umfang drittschützend ansehen. Allg. zum partiellen Drittschutz oben C.m.6.a. 278 DVBI. 1978, 829 (835); dersNVwZ 1990, 211 (214).
V 4 . Atomrecht
301
zeigt und statt dessen für den Maßstab der praktischen Vernunft plädiert hat. In der Tat können Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht die juristische Entscheidung ersetzen, ob ein Risiko hinnehmbar ist oder nicht.279 Das gilt auch für die probabilistische Methode, deren "Eikenntniswert" für die Risikobewertung und -ermittlung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG das BVerwG 280 hervorgehoben hat. Andererseits kann die Entscheidung, wann ein Ereignis zwar noch theoretisch möglich, aber praktisch ausgeschlossen ist, nicht ohne ein Wahrscheinlichkeitsurteil getroffen werden. 281 Als Hilfsmittel vermag die Wahrscheinlichkeitsbetrachtung wertvolle Dienste zu leisten.282 Wie Kloepfer 2* 3 pointiert hervorgehoben hat, werden mit dem Begriff der Gefahr "letztlich dezisionistisch aus dem Gesamtbereich aller Risiken (nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts i.V.m. dem möglichen Schadensumfang) die 'größeren1 Risiken ausgegrenzt, die von der Rechtsordnung als nicht mehr hinnehmbar bewertet werden und gegen die deshalb von den Polizei- und Sicheiheitsbehörden eingeschritten werden kann". In diesem Sinne ist die "praktische Entwicklung eines bestimmten Akzeptanzniveaus für bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten"284 auch bei der Ermittlung der Drittschutzschwelle im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG eine unabweisbare juristische Aufgabe. Da der Gesetzgeber selbst keine normativen Risikoschwellen statuiert hat, 285 um die Grenzlinie zwischen rein objektiv-rechtlicher Schadensvorsorge und dem Bereich subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung selbst zu ziehen, und
279 Zu den Beiträgen deterministischer und probabilistischer Risikoanalysen s. Hauptmanns/ Herttrich/Wemer, Technische Risiken, S. 13 f., 185 ff., 206 ff.; Gesellschaft für Reaktorsicheiheit, Deutsche Risikostudie. Phase B, S. 143 ff. S. auch Lukes/Feldmann/Krutppel y in: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil II, 1980, S. 71 (205), nach denen die probabilistische Methode die Möglichkeit eröffnet, "in einem exakteren und rationaleren Rahmen die Erforderlichkeit zusätzlicher Sicherheitseinrichtungen zu diskutieren". In diesem Sinne wird von der "Entwicklung eines gewissen Niveaus für die Akzeptanz bestimmter Eintrittswahrscheinlichkeiten" gesprochen. 280 B.v. 13.7.1989 - 7 B 188.88, NVwZ 1989, 1169 r.Sp. 281 S. hierzu Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 180: "Wenn der Jurist die Verwendung quantifizierter Wahrscheinlichkeitsurteile ablehnen würde, hätte dies den Effekt, daß der Sachverständige die Quantifizierungen, zu denen er kommt, nicht mehr mitteilt, sondern selbst entscheidet, von welchem Wahrscheinlichkeitsgrad ab er dem Gericht gegenüber ein Ereignis als 'praktisch ausgeschlossen' bezeichnen will. Damit würde der Sachverständige anstelle des Gerichts die normative Frage nach dem hinnehmbaren Restrisiko beantworten." Daher kann auf Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht verzichtet werden, wenn auch mit Breuer (DVB1. 1978, 829 (835)) einzuräumen ist, daß "jede Grenzzahl auf der gleitenden, nie Null erreichenden Skala der Eintrittswahrscheinlichkeit willkürlich gegriffen erscheint." S. auch Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 26. 282 So auch Breuer, DVB1. 1978, 829 (835). 283 UTR 5 (1988), 31 (34). 284 Lukes/Feldmann/Knüppel, in: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teil U, 1980, S. 71 (206). 285 S. hierzu Ossenbahl, DÖV 1982, 833 (837).
302
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
dies wohl auch in der anstehenden AtG-Novelle nicht tun wird, 2 8 6 bleibt diese Aufgabe letztlich den Gerichten überlassen. Bei aller Betonung der Verantwortung der Exekutive für die Risikoermittlung und -bewertung 287 im übrigen können sie sich ihr nicht entziehen.
b) Dosisgrenzwerte als normative Drittschutzschwelle (§ 45 StrlSchV) Strahlenschutzrechtlich konkretisiert § 45 Abs. 1 StrlSchV 1989 ( = § 45 S. 1 StrlSchV a.F.) einen Teilbereich atomrechtlicher Schadensvorsorge i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG für den Normalbetrieb; 288 er verlangt, eine kemtechnische Anlage so zu planen, daß die durch Ableitung radioaktiver Stoffe auf dem Luftoder Abwasserpfad bedingte Strahlenexposition bestimmte Grenzwerte für Körperdosen im Kalendeijahr - z.B. 0,3 mSv ( = 30 mrem) pro Jahr für die effektive Dosis - nicht überschreitet. Damit werden die emissionsbedingenden Gestaltungsinteressen und die - kehrseitigen - integritatsbezogenen Verschonungsinteressen in ein quantifiziertes Konfliktschlichtungsprogramm einbezogen.289 Der normative Ausgleich kollidierender Privatinteressen durch Zuordnung gegenseitigen freien Dürfens hat hier numerische Form angenommen. Der Betreiber darf seine Gestaltungsinteressen bis zur Schwelle der Dosisgrenzwerte verwirklichen; insoweit hat der Verordnungsgeber bestimmt, welche Strahlenbelastung er dem einzelnen "zumutet".290 Andererseits darf der Verschonungsinteressent seine Abwehrinteressen auf Kosten des Betreibers zur Geltung bringen, wenn diese Grenzwerte überschritten sind. Der von der
286 Vgl. zur Grundproblematik Luhes, BB 1978, 317 (321): "Gesetzliche Festlegungen der Einzelheiten von Risikobeuiteilungen in Genehmigungstatbestanden insbesondere im Kernenergierecht - z.B. die gesetzliche Festlegung, daß bei der Risikobeuiteilung die Eintrittswahrscheinlichkeit von 10 * die Grenze für die Genehmigungsfahigkeit bilden soll - können wohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden." 287 Dabei tragt die Exekutive das Ermittlung- und Bewertungsrisiko, s. grdl. BVeiwG, U.v. 9.9.1988 - 7 C 3.86, E 80, 207 (217); U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (316). S. aber auch C.V.4.b. 288 Vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 AtG sowie grds. zur abgeleiteten Konfliktschlichtung durch den Verordnungsgeber oben C.V.3.a. 289 Damit hat der Verordnungsgeber keineräumliche- etwa nach Entfernungskilometern bemessene - Abgrenzung gewählt, sondern die materielle EinwirkungsintensiUU als quantifizierten Konfliktschlichtungsmaßstab definiert. Entscheidend ist allein, ob der einzelne an dem für ihn relevanten Aufenthaltsort einer Überschreitung der Grenzwerte ausgesetzt ist; a.A. W.-E. Sommer, DÖV 1983, 754 (760), der die "Schutzwirkung" des § 45 StrlSchV auf den "Kreis deijenigen" erstrecken will, "deren Strahlenbelastung durch die Überschreitung der Dosisgrenzwerte nennenswert berührt wird". Dem steht die numerische Grenzziehung des Verordnungsgebers entgegen. 290 BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78. E 61, 256 (264). Zum Charakter des Dosisgrenzwerts als Ausdruck eines Immissionsschutzkonzepts s. W.-E. Sommer, DÖV 1983, 754 (755 f.); Kramer/Zerletty Strahlenschutzverordnung, Anm. 1 zu § 45.
VI.4. Atomrecht
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h.M. 2 9 1 angenommene Drittschutz des § 45 S. 1 StrlSchV a.F. ( = § 45 Abs. 1 StrlSchV 1989) ist damit auf der Grundlage der Konfliktschlichtungsformel zu bestätigen. Freilich bedeutet allein die Tatsache einer quantifiziert-normativen Grenzziehung noch nicht notwendig Drittschutz. Insofern hat Sendler 292 mit Recht daraufhingewiesen, daß Grenzwerte prinzipiell nicht nur "'scharf und 'risikofreudig'" und damit nahe an einer "Gefährdung'', sondern "'konservativ', d.h. mit so vielen Sicherheitsreserven festgelegt" sein können, "daß selbst ihre erhebliche Überschreitung noch keine Gefahren für den Dritten mit sich zu bringen braucht". Für die Beurteilung der Schädlichkeit kleinster Strahlendosen lassen sich empirisch gesicherte Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht treffen. 293 Daher hat der Verordnungsgeber 294 unter pessimistischen Annahmen wie der Zugrundelegung einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung einen Grenzwert für die effektive Ganzkörperdosis von 0,3 mSv ( = 3 0 mrem) gewählt, der weit unterhalb der regionalen Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition hegt. Der Konfliktschlichtungsmaßstab der Dosisgrenzwerte unterschreitet somit die Schwelle der polizeirechtlichen Gefahr 295 auf Grund erheblicher Sicherheitsreserven beträchtlich und reicht in den Bereich des Gefahrenverdachts. 296 Hierbei bleibt der für die Annahme eines Konfliktschlichtungsprogramms erforderliche Risikozusammenhang jedoch gewahrt. § 45 Abs. 1 StrlSchV erweist sich daher als drittschützend.
291 Vgl. BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (264), mit der alleinigen Begriindung, daß die Dosisgrenzwerte "die äußerste, weil nicht mehr überschreitbare Grenze der gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG erforderlichen Schadensvorsorge" darstellen würden; seither bezieht sich die Rspr. auf diese Feststellung des Stade-Uiteils, s. nur OVG Berlin, U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (181 f.); VG Oldenbuig, U.v. 14.12.1989 - 3 OS A 20/87, Ausfertigung, S. 31. Vgl. aus der Lit. z.B. Haedrich, AtG, Vorbem. vor § 3 Anm. 12 d. 292 UPR 1981, 1 (5); dem hat er die Bemerkung angeschlossen, daß es sich einem festgesetzten Grenzwert "im allgemeinen nur eben leider nicht ansehen" ließe, ob es sich um die eine oder die andere Alternative handelt. 293 Daher bleibt nur der Weg einer Risikoabschätzung u.a. mittels Extrapolation von Untersuchungsergebnissen für hochdosige Expositionen; vgl. Kaid, in: Nicklisch (Hrsg.), Prävention im Umweltrecht, 1988, S. 71 (72 ff., 82).
7Q4
Die StrlSchV hält sich im Rahmen der Ermächtigung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 AtG, die den Maßstab atomrechtlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG vorschreibt; zur derivaten Konfliktschlichtung durch Verordnung s.o. C.V.3.a. 295 Diese liegt dann vor, wenn von einemrisikobegründenden Sachverhalt auf Grund hinreichender empirischer Wahrscheinlichkeit oder genügend gesicherter Lebenserfahrung auf einen Schadenseintritt geschlossen werden kann. S.o. Fn. 272 sowie C.VI.3 mit Fn. 171 m.w.N. 296 Vgl. BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (315).
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Allerdings müssen die Dosisgrenzweite des § 45 Abs. 1 StrlSchV die Schädlichkeitsgrenze 2* 1 zutreffend wiedergeben. Ansonsten konnten sie nicht als Konkretisierung des Ausschnitts subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Ordnungsgefüge atomrechtlichen Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG anerkannt werden. Insofern steht die abgeleitete Konfliktschlichtung durch den Verordnungsgeber unter dem Vorbehalt einer Nachbesserungspflichtj 298 hierzu wird auf das oben bereits Ausgeführte verwiesen. 299 Die neuen Erkenntnisse über Auswirkungen von Niedrigdosen andern nichts daran, daß weiterhin eine empirische Basis der Risikoabschatzung fehlt. 300 Mit der Zugrundelegung einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung beruht § 45 Abs. 1 StrlSchV - wie schon betont - auf konservativen wissenschaftlichen Annahmen.301 Der Grenzwert von 30 mrem/a 302 für die effektive Dosis hegt weit unterhalb der Variationsbreite der natürlichen Strahlenexposition.303 Er ist erheblich strenger als der von der Internationalen Strahlenschutz-Kommission 1977 empfohlene Wert von 500 mrem/a für die Ganzkörperdosis, der 1990 auf 100 mrem/a abgesenkt wurde. 304 Mit dem OVG Berlin 305 ist deshalb festzustellen, daß von einer Verletzung der Pflicht zur
297 Breuer, DVB1. 1978, 829 (835 f.), hat frühzeitig daraufhingewiesen, daß die gefahrenunabhängige atomrechtliche Schadensvorsorge sowohl den Aspekt der Schädlichkeitsprognose wie den der extrem geringen Eintrittswahrscheinlichkeit umfaßt. 298 Zutr. OVG Berlin, U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (181 f.). 299 C.V.3.a. 300 Demgegenüber beachtet Roßnagel, UPR 1990, 86 (89), zu wenig den Unterschied zwischen dem - derzeit noch nicht nachweisbaren - tatsächlichen Strahlenkrebsrisiko und berechneten Risikowerten, um die es bei § 45 StrlSchV geht (dazu zusammenfassend Strahlenschutzkommission, Strahlenexposition, S. 176). Dies gilt auch für Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/ Steinberg, Schadensvorsorge, S. 9 (71). 301 Vgl. Strahlenschutzkommission, Strahlenexposition, S. 19 ff., bes. 44. 302 Trotz der nunmehr eingeführten Maßeinheit mSv (1 mSv = 100 mrem), ist zu erwarten, daß die bisherige Bezeichnung als mrem-Konzept weiter gebräuchlich bleibt; s. Czajka, NVwZ 1989, 1125 (1126). 303 Zu dieser Bezugsgroße s. Strahlenschutzkommission, Strahlenexposition, S. 69 f. und S. 171. Zur erheblichen Unterschreitung der Gefahrenschwelle s. soeben bei Fn. 295 304 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection, 1977 Recommendations, Tz. 119. Dieser Wert ist in die Europa-Normen übernommen worden, s. Art. 11 a der Rats-Richtlinie 76/579/Euratom v. 1.6.1976, ABl. EG Nr. L 187, S. 1 sowie Art. 8 Abs. 1 der Rats-Richtlinie 80/836/Euratom v. 15.7.1980, ABl. EG Nr. L 246, S. 1, mit Änderungen in der Rats-Richtlinie 84/467/Euratom v. 3.9.1984, ABl. EG Nr. L 265, S. 4. Zur Neufestsetzung der Empfehlung der ICRP auf eine effektive Dosis von 1 mSv (= 100 mrem)/a s. International Commission on Radiological Protection, 1990 Recommendations, Tz. 40. Dabei wird die Möglichkeit einer Erhöhung eingeräumt, falls über 5 Jahre im Jahresdurchschnitt dieser Wert nicht überschritten wird. 305 U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (181 ff.).
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Nachbesserung der Dosisgrenzwerte durch den Verordnungsgeber 306 - zumal einer evidenten307 - keine Rede sein kann. Die Spezialfrage, ob eine Einbeziehung von Vorbelastungen aus Unfällen oder Auslandsvorgängen in Betracht kommt, ist zu verneinen.306 Das galt schon nach bisherigem Recht und ist jetzt durch § 45 Abs. 3 StrlSchV 1989 klargestellt. Mit dem Begriff der "Ableitungen aus anderen Tätigkeiten nach den §§ 6,7, 9 oder 9 b des Atomgesetzes ..." werden Expositionen aus dem Betrieb kerntechnischer Anlagen bezeichnet, soweit sie nach dem AtG genehmigt sind. Die Kontroverse zwischen dem OVG Lüneburg und dem VG Regensburg zu § 45 S. 3 StrlSchV a.F., 3 0 9 in der sich zuletzt das BVerwG 310 zu Recht zugunsten der erstgenannten Auffassung ausgesprochen hat, ist damit erledigt.
c) Strahlenminimierungsgebot (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV) Anders als beim Dosisgrenzwert-Konzept hegen die Dinge beim Strahlenminimierungsgebot des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV. 311 Danach ist "jede Strahlenexposition oder Kontamination" von Personen und Sachgütern "unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch unterhalb der ... festgesetzten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten". Aus § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV kann die erforderliche normative Ordnung der kollidierenden Privatinteressen nicht
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Vgl. die Erwägungen in BR-Drcks. 149/89, S. 116. - Im übrigen hat die effektive Dosis die bisherige Ganzkörperdosis abgelöst, s. dazu Czajka, NVwZ 1989, 1125 (1126). Die damit eingeführte Gewichtung der Einzeldosen kann im Ergebnis dazu führen, daß der Grenzwert von 30 miem auch dann erreicht ist, wenn dies bei Zugrundelegung der Ganzkörperdosis noch nicht der Fall gewesen wäre. 307 Zum Evidenzkriterium s. nur BVerfG, B.v. 14.9.1983 - 1 BvB 920/83, NJW 1093, 2931 (2934); Badura, in: FS f. Eichenberger, 1982, S. 481 (490 ff.), sowie ders. y Staatsrecht, Rdnr. C 20; s. auch oben B.m.l.a. 308 Vgl. ebenso in bezug auf Auslandsvotgänge Kramer/2Zerlett y Strahlenschutzverordnung, Anm. 9 zu § 45 a.E. (keine Stellungnahme zu Stör- bzw. Unfällen); in der Tendenz für Beschränkung auf Inlandsvorgänge - wenn auch die Frage letztlich offen lassend - OVG Berlin, U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (183). Die Beschränkung der Neufassung des § 45 StrlSchV auf Inlandsvorgänge heben auch Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 69 Fn. 308, hervor. 309 Vgl. OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 41 f.; B.v. 23.9.1986 - 7 D 7/86, OVGE 39, 466 (469), einerseits, VG Regensburg, U.v. 13.3.1989 - 5K 88/274, NVwZ 1989, 1195 (1196 f.), andererseits; in letzterem Sinne zur § 45 S. 3 StrlSchV a.F. auch Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 69. 310 B.v. 23.5.1991 - 7 C 34.90, Ausfertigung, S. 12 ff. 311 Die Streichung in § 45 StrlSchV hat keine materielle Bedeutung;richtigBegründung des Regierungsentwurfs, BR-Drcks. 149/89, S. 116 f.
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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entnommen werden. Es fehlt bereits an der von der KonflikischUchtungsformel vorausgesetzten Wertung, Begrenzung und Gewichtung der Gestaltungs- und Verschonungsinteressen, da die Formel "soweit wie möglich" keinerlei Rückschlüsse darauf zuläßt, wie Risiken bewertet werden und in welchem Maß hingenommen werden sollen. Darüber hinaus laßt sie jegliche Anhaltspunkte für Einflußfaktoren, Schadensauswirkungen und Ursachenzusammenhänge vermissen, so daß von der Einordnung der kollidierenden Privatinteressen in ein normatives Konfliktschlichtungsprogramm nicht gesprochen werden kann. Vielmehr handelt es sich bei der Formel "so weit wie möglich" um die besondere Ausprägung einer legislatorischen Leitlinie, die - wie ausgeführt 312 - eines rechtsbegründenden Charakters entbehrt. Schließlich kann - was die möglichen Folgen der Strahlenexposition infolge des Normalbetriebs angeht - nicht daran vorbei gegangen werden, daß bereits bei der Festsetzung der drittschützenden Dosisgrenzwerte des § 45 Abs. 1 StrlSchV die unterste Grenze der für eine Risikozuordnung noch beachtlichen - empirisch nicht begründeten - "Wahrscheinlichkeit" im Sinne des Gefahrenverdachts erreicht ist und eine erheblich unterhalb der Gefahrengrenze liegende Drittschutzschwelle gilt. Damit ist die Untergrenze subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung bezeichnet. Insgesamt ergibt sich, daß § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV nicht die Voraussetzungen eines Konfliktschlichtungsprogramms erfüllt. Rechtsprechung und h.M. gehen im Ergebnis zu Recht313 davon aus, daß diese Vorschrift rein objektivrechtlicher Natur ist. 314 Die Befürworter eines drittschützenden Strahlenminimierungsgebots in der Literatur 315 messen dagegen nicht zuletzt dem Zusammenhang mit dem Dosisgrenzwertkonzept nicht genügend Bedeutung bei. Es überrascht daher nicht, daß ein wichtiges Folgeproblem unerörtert bleibt. Wollte man dem Strahlenmini-
312 313
s.o. c.m.i.a.
Wie oben C.IV.l.c ausgeführt, stellen sich der (bipolaren) Interessenschutzformel hier große Schwierigkeiten, da kaum anzunehmen ist, daß der durch das Strahlenminimierungsgebot erreichte objektive Schutz für Dritte unbeabsichtigt und nur zufalliger Natur sein soll; vgl. LuJces/ Richter, NJW 1981, 1401 (1404 f.): "auf den Schutz des einzelnen Menschen ... ausgerichtet". 314 Vgl. BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (267 ff.); VGH München, U.v. 27.11.1990 - 22 A 89.40008, Ausfertigung, S. 6 f.; OVG Berlin, U.v. 6.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (183). Aus der Lit. Breuer, in: von Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, S. 391 (504 f.); Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 77 f.; Lukes/ Richter, NJW 1981, 1401 (1407); Degenhart, Keroenergierecht, S. 82; den., et 1983, 230 (232); Rengeling, DVB1. 1986, 265 (268); Seilner, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 357 (376); H. Hofinann, UPR 1984, 73 (82). 315 S. Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 9 (81 ff., 85 f.); Roßnagel, UPR 1990, 86 (91 f.); Baumann, BayVBl. 1982, 292 (294 ff.), die den Drittschutz des Strahlenminimierungsgebots (auch) mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründen wollen; s. ebenso Theuerkaufer, Klagebefugnis, S. 165 ff., 173.
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mierungsgebot Drittschutz zuerkennen, würde dies zu unterschiedlichen subjektiv-rechtlichen Schutzniveaus der Bärger je nach ihrer Entfernung von der kerntechnischen Anlage führen. Da die tatsachliche Strahlenexposition mit wachsender Distanz abnimmt, könnte ein Distanzanwohner weniger Schutz beanspruchen als ein Standortnachbar. Je weiter entfernt vom Kernkraftwerk der relevante Standort des einzelnen, desto geringer wäre ein subjektiv-rechtlicher "Nutzen" des Strahlenminimierungsgebots. Die normative Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte schließt aber unterschiedliche Schutzniveaus der begünstigten Personen aus. 316 Das BVerwG 317 hat daher zu Recht den Drittschutz des Strahlenminimierungsgebots wegen der sonst unvermeidbaren "Relativierung des Rechtsschutzes nach Maßgabe der Entfernung vom Kernkraftwerk" verneint. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß sich für die Gegenauffassung auch nicht die frühere, Drittschutz des Strahlenminimierungsgebots bejahende Rechtsprechung des OVG Lüneburg 318 anführen läßt. Diese bezog sich auf § 21 Nr. 2 und 3 der seinerzeitigen 1. SSVO, 319 der in zwei entscheidenden Punkten gänzlich anders als § 45 StrlSchV konzipiert war: Zum einen enthielt er immerhin ein legislatorisches Indiz, 320 indem er ausdrücklich das Merkmal "zum Schutz einzelner" aufwies. Vor allem aber kannte die 1. SSVO keinen dem jetzigen § 45 Abs. 1 StrlSchV bzw. § 45 S. 1 StrlSchV a.F. vergleichbaren Grenzwert. Das gravierende Problem einer Entwertung einer quantifizierten Grenzziehung durch Gewährung von Drittschutz auch unterhalb einer solchen Schwelle hätte sich damals nicht gestellt.
316 So die driue Erwägung des Stade-Urteils, s. BVerwG, U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (268); demgegenüber geht der erste Ablehnungsgrund von der Einbuße an Rechtssicherheit aus (S. 267 f.), während der zweite auf die Abgrenzbarkeitsproblematik hinweist (S. 268), dazu krit. allerdings C.I.2, insbes. c.bb. 317 U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (268). Damit ist auch seineizeitigen Uberlegungen des OVG Lüneburg, U.v. 24.11.1982 - 7 A 257/80, DÖV 1984, 34 (35), ob man den Dosisgrenzwerten einen "überregionalen Schutz vor einer quantitativ unzuträglichen Emission langlebiger radioaktiver Stoffe" entnehmen könne, nicht zu folgen. Im übrigen hat sich die Prognose von Winter, DÖV 1984, 36 r.Sp., daß diese Äußerung "einige Sprengkraft" in sich berge, nicht bestätigt. 318 B.v. 17.10.1977 - Vn B 22/77, DVB1. 1978, 67 (69), und OVG Münster, U.v. 20.2.1975 - Vn A 911/69, et 1975, 220 (224 f.). 319 I.d.F.v. 15.10.1965, BGBl. I, S. 1653. 320 Diesem kommt freilich keine rechtsbegründende Wirkung zu; s.o. C.m.2.
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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d) Konfliktschlichtung durch Störfallplanungsdosen (§ 28 Abs. 3 S. 1 und 2 StrlSchV) § 28 Abs. 3 S. 1 und 2 StrlSchV setzt Störfallplanungsdosen fest, die bei der Auslegung einer kerntechnischen Anlage zu beachten sind. 3 2 1 Hiermit werden Grenzen - z.B. für die effektive Dosis 50 mSv ( = 5 rem) - festgelegt, innerhalb derer der Betreiber i m Auslegungsstörfall 322 seine expositionsbedingenden Gestaltungsinteressen verwirklichen und bei deren Überschreitung der Dritte seine Verschonungsinteressen auf Kosten des Betreibers zur Geltung bringen darf. Damit liegt - parallel zu den Dosisgrenzwerten - ein quantitifziertes Konfliktschhchtungsprogramm vor, das auf Verordnungsebene einen Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G festlegt und dem einzelnen das Recht einräumt, gegen eine Überschreitung des ihm zugemuteten Individualrisikos 323 vorzugehen. Die Festsetzung bewegt sich unterhalb der nachweisbaren Schädlichkeitsgrenze und kann als normative Konfliktschlichtungsschwelle - auch i m Hinblick auf die Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers - nicht beanstandet werden. 3 2 4 Damit ist § 28 Abs. 3 S. 1 und 2 StrlSchV drittschützend. 325
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Danach dürfen bei der Planung von Schutzmaßnahmen gegen Störfalle "in oder an einem Kernkraftwerk ... als Körperdosen in der Umgebung der Anlage im ungünstigsten Störfall höchstens die Werte der Anlage X Tabelle X 1 Spalte 2" - für Schilddrüsen dagegen höchstens eine Teilkörperdosis von 150 mSv - zugrunde gelegt werden. 322 Anders als das Immissionsschutzrecht unterscheidet das Atomrecht zwischen "Störfall" und "Unfall". Legt man die Legaldefinition der Anlage I zur StrlSchV 1989 zugrunde, dann ist unter "Störfall" ein Ereignisablauf zu verstehen, bei dessen Eintritt der Betrieb aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage auszulegen ist, während es sich beim "Unfall" um einen Ereignisablauf handelt, "der für eine oder mehrere Personen" eine die Grenzwerte der Kategorie B für beruflich strahlenexponierte Personen (Anlage X, Tabelle X 1, Spalte 2) übersteigende Strahlenexposition zur Folge haben kann. 323 Daß auch beim Störfall nur das Individualrisiko in Betracht kommt, hat richtig das BVerwG im Krümmel-I-Uiteil vom 9.7.1982 - 7 C 54.79, NVwZ 1982, 624 (627), hervorgehoben; das OVG Lüneburg, U.v. 22.12.1978 - VU A 61/74, DVBl. 1979, 686 (692), hatte insoweit das Kollektivrisiko eines Auslegungsstörfalls als maßgeblich erachtet. S. hierzu z.B. Marburger, Gutachten für den 56. DJT, 1986, S. C 78; gegen eine Trennung von Individual- und Bevölkerungsrisiko beim Störfall H. Hoßnann, UPR 1984, 73 (82); ders., Entsorgung, S. 321. 324 Vgl. implizit BVerwG, B.v. 17.4.1990 - 7 B 111.89, DVBl. 1990, 1167 (1169); Marburger, Gutachten fur den 56. DJT, 1986, S. C 78. 325 Vgl. VGH Mannheim, U.v. 21.4.1989 - 10 S 492/87, VB1BW 1989, 453 (454); in diesem Sinne ohne weiteres auch BVerwG, B.v. 17.4.1990 - 7 B 111.89, DVBl. 1990, 1167 (1169); U.v. 11.1.1985 - 7 C 74.82, E 70, 365 (368 f.); OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 20 f.; B.v. 23.3.1990 - 7 M 10790, Ausfertigung, S. 20; Breuer, WiVeiw. 1981, 219 (227); Marburger, Gutachten fur den 56. DJT, 1986, S. C 78; Haedrich, AtG, Anm. 12 d) zu "Überwachungsvorschriften - Vorbemerkung".
VI.4. Atomrecht
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Nach § 28 Abs. 3 S. 3 StrlSchV kann die Genehmigungsbehörde die Vorsorge nach S. 1 und 2 insbesondere dann als getroffen ansehen, wenn der Betreiber bei der Auslegung der Anlage die Störfalle zugrunde gelegt hat, die nach den "Sicherheitskriterien" 326 und "Leitlinien"327 des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Auslegung eines Kernkraftwerks bestimmen müssen.328 Dies ist deshalb bemerkenswert, weil - wie dargelegt329 - derartige Richtlinien wie namentlich die Störfall-Leitlinien mangels Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG schon für den Amtswalter der atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Lander der Verbindlichkeit entbehren.330 Einei rechtliche Bindung der Gerichte scheidet in jedem Falle aus.331 Hieran kann auch die Verweisung in § 28 Abs. 3 S. 3 StrlSchV nichts ändern. Maßgeblich für die subjektiv-rechtliche Konfliktschlichtung ist das Konfliktschlichtungsprogramm des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Wenn die Störfall-Leitlinien z.B. das Ereignis Flugzeugabsturz wegen eines "geringen Risikos" generell ausklammern,332 heißt dies daher nicht, daß derartige Risiken a priori von der atomrechtlichen Schadensvorsorge ausgenommen wären. 333
e) Die drei Bereiche tatbestandlicher atomrechtlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG und die ermessensbezogene Restrisikominimierung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG einen Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen des weiterreichenden objektiv-rechtlichen Ordnungsgefüges atomrechtlicher
326
"Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke", Bekanntmachung vom 21.10.1977, BAnz. Nr. 206 v. 3.11.1977. 327 "Leitlinien zur Beurteilung der Auslegung von Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren gegen Störfalle im Sinne des § 28 Abs. 3 StrlSchV", Bekanntmachung vom 18.10.1983, BAnz. Beilage 59/83. 328 Insoweit hat das OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 27, zu Recht die Willkürfreiheit der Rechenannahme in Nr. 4.3.3.2 der Storfall-Leitlinie bestätigt, wonach 24 Stunden nach Störfalleintritt die Aufnahme von Nahrungsmitteln, die im Umkreis von 2 km vom Kernkraftwerk direkt kontaminiert wurden, eingestellt wird. Wer sich in diesem Falle entgegen dieser Annahme verhalte, "setzt die wesentliche Ursache für zusatzliche Gefährdungen durch sein eigenes Verhalten". S. auch unten Fn. 367. 329 S.o. C.V.4.b mitFn. 112. 330
Vgl. Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (391); Greipl, Art. 19 IV, S. 47. 331 S. Jarass, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 (391); allg. zur Problematik "normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften" oben C.V.4.b. 332 S. Vorwort, 1. tiret. Dagegen umfassen die Sicherheitskriterien von 1977 auch den Flugzeugabsturz. 333 S.o. C.VI.4.a. 22 Schmidt-Preuß
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Schadaisvorsorge enthalt und damit partiell drittschützend ist Die ursprünglich verbreitete Auffassung zur Normstruktur des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, die eine Aufteilung in (drittschützende) Gefahrenabwehr und ermessensbezogene Restrisikominimierung 334 vorsah, ließ sich nach der Anerkennung des Gefahrenverdachts bzw. des Besorgnispotentials durch das Wyhl-Urteil des BVerwG 335 und der daraus ableitbaren Einteilung in Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und Restrisiko 336 nicht mehr aufrechterhalten. Freilich können auch dieser wegweisenden Entscheidung, der bedeutende Hinweise auf die Notwendigkeit einer über den engen Gefahrenbegriff hinausweisenden Betrachtung voraufgegangen waren, 337 keine näheren Differenzieningskriterien für die Bestimmung subjektivrechtlicher Schwellenwerte innerhalb des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG entnommen werden. 338 Nach den bisherigen Darlegungen kann von der folgenden viergliedrigen, nach objektiv- und subjektivrechtlichen Bereichen abgestuften Norm struktur des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ausgegangen werden: aa) An erster Stelle ist der Normbereich drittschützender Gefahrenabwehr zu nennen. Es handelt sich um einen Teilausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen tatbestandlicher Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Er ist durch Risikolagen gekennzeichnet, die auf Grund empirisch-statistischer Wahrscheinlichkeit bei ungehindertem Geschehensablauf erkennbar zu einem Schaden für Leben und Gesundheit bzw. Eigentum des Verschonungsinteressenten führen würden. 339 Dies betrifft den Eintritt eines schadensstiftenden Ereignisses (Stör- und Unfall) ebenso wie die Prognose eines Schadens in Folge von Strahlenexpositionen im Normalbetrieb (Schädlichkeitsschwelle). Ist die Gefahrengrenze überschritten, können sich die Verschonungsinteressen zu Lasten der Gestaltungsinteressen durchsetzen.340
334
Z.B. Höhlefelder , et 1983, 392 (394 ff.): Gefahrenwabwehr (drittschützend), Risikominimierung (Ermessen, kein Drittschutz), Restrisiko; s. auch ders. y et 1985 , 709 (710). 335 U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (315 f.). 336 Vgl. Rengeling, Probabilistische Methoden, S. 88 ff.; ders. y in: FS f. Fabricius, 1989, S. 291 (295); Ossenbühl, DVB1. 1990, 600 (601); Papier, in: Lukes (Hrsg.), Refomüberlegungen zum Alomrecht, 1991, S. 111 (166 ff.); s. auch - unter Berufung auf Bender DÖV 1988, 813 (814 f.) - VGH Kassel, 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1184 f.). 337 Vgl. Breuer, DVB1. 1978, 829 (836 f.): gefahrenunabhangige Risikovorsorge; Marburger, Schadensvorsorge, S. 71 ff., 74: "Gefahrenvorsorge". 338 Vgl. Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (166 ff.); 8. auch die Zweifel an der bisherigen Sicht der Normstruktur bei Rengeling, in: FS f. Fabricius, 1989, S. 291 (295); Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 31 f. zu § 8 (S. 486 f.). 339 Dabei wird freilich die Erwägung, ob nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf zu schließen ist, daß bei ungehindertem Geschehensablauf ein Schaden für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit entsteht, allein nicht ausreichen; vielmehr wird sich die Wahrscheinlichkeit nur anhand komplizierter Annahmen und Berechnungen ermitteln lassen; vgl. treffend Sendler, UPR 1991, 241 (246).
VI.4. Atomrecht
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bb) Hiervon zu unterscheiden ist als zweiter Normbereich der weitere Teilausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung innerhalb der atomrechtlichen Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 N r . 3 A t G , der sich als drittschützende tatbestandliche Schadensvorsorge i.e.S. bezeichnen läßt. Damit ist vor allem der Gefahrenverdacht bzw. das Besorgnispotential gemeint, das sich i m Rahmen wahrscheinlichkeitsgewichteter multipolarer Abwägung nicht mehr statistisch-empirisch nachweisen, aber auf Grund plausibler wissenschaftlicher Risikoabschätzung hinreichend sicher prognostizieren läßt. 3 4 1 Insoweit kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. 3 4 2 Auch schadensstiftende Ereignisse wie z.B. Flugzeugabsturz und Erdbeben sind von einer - allerdings ausnahmsweisen - Zuordnung zu dieser Kategorie nicht a priori ausgeschlossen. Entscheidend ist die konkrete Risikolage; dabei ist die Wahrscheinlichkeit standortabhängig zu ermitteln. 3 4 3 So ist es denkbar, daß die konkrete Nähe einer Flugschneise oder besondere geologische Verhältnisse eine Eintrittswahrscheinlichkeit begründen, 344 die das vom Konfliktschlichtungsprogramm geforderte M a ß erreicht. 345
340
Insofern spricht Breuer, NVwZ 1990, 211 (213), davon, daß Gefahrenabwehr "kategorisch geboten" sei. 341 S. Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (169 ff.); Breuer, NVwZ 1990, 211 (217); Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, Rdnr. 31 zu § 29 (S. 511 f.); Seilner, NVwZ 1986, 616 (618); s. auch Rengeling, DVB1. 1986, 265 (267 f.). Anders das Konzept von Hansen-Dix, Gefahr, S. 67, 181, die auch den Gefahrenverdacht als Gefahr im polizeirechtlichen Sinne begreift. 342 C.VI.4.a. 343 Vgl. die Auslegung von Kernkraftwerken auch im Hinblick auf Risiken aus Flugzeugabstürzen oder Erdbeben nach Ziff. 19 bzw. 18.1 der "RSK-Leitlinien für Druckwasserreaktoren", 3. Ausgabe v. 14.10.1981, Bekanntmachung v. 1.3.1982, BAnz. Beilage 19/82. - S. speziell für Flugzeugabstürze zutr. Steinberg/Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 9 (75), die damit freilich unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit die Annahme vollen Drittschutzes verbinden (S. 83 ff.). 344 S. hierzu Gesellschaft für Reaktorsichheit, Deutsche Risikostudie. Phase B, S. 488 ff. (Erdbeben), S. 492 ff. (Flugzeugabstürze). 345 Vgl. OVG Berlin, U.v. 5.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (184): "konkrete Risikobeurteilung" der Behörde im Hinblick auf Flugzeugabstürze; damit hat es inzident die Zuordnung zum Bereich subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG für möglich gehalten, da im Rahmen einer Drittanfechtungsklage diese Überlegungen sonst keinen Platz gehabt hätten. Im Ergebnis hat das Gericht die Risikoermittlung und -bewertung durch die Behörde nicht beanstandet. Diese hatte das Risiko aus Flugzeugabstürzen anhand von Gutachten als extrem gering angesehen. S. auch an der grundsätzlichen Zuweisung des Risikos eines Flugzeugabsturzes zum Restrisiko zweifelnd, wenn auch letztlich offen lassend VGH München, U.v. 7.2.1985 - Nr. 22 B 81 A.957, Ausfertigung, S. 38, 42 (insoweit nicht abgedruckt in NVwZ 1985, 761); sehr deutlich auch OVG Lünebuig, U.v. 20.1.1982 - 7 A 119/76, et 1982, 949 (959); s. femer in diesem Sinne im Rahmen des § 17 Abs. 5 AtG VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1187 f.).
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
cc) Den dritten Normbereich des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG stellt die rein objektiv-rechtliche tatbestandliche Schadensvorsorge dar. Hier läßt sich von der Einordnung der kollidierenden Gestaltungs- und Verschonungsinteressen in ein Konfliktschlichtungsprogramm nicht sprechen. Dabei kann es schon an der Wertung, Begrenzung und Gewichtung der emissionsbedingenden Betreiberinteressen fehlen. Insoweit sei auf die verordnungsrechtliche Konkretisierung dieses tatbestandlichen Segments durch das Sti^enminimierungsgebot des § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV verwiesen. 346 Es geht hier zwar um - auch gewollten Schutz, aber nur in objektiv-rechtlicher Hinsicht.347 Unter dem Aspekt von Störund Unfallrisiken sind in dieser! Kategorie auch schadensstiftende Ereignisse wie Flugzeugabsturz oder Erdbeben zu nennen,348 wenn weder - im Ausnahmefall die für den Drittschutz relevante Eintrittswahrscheinlichkeit erreicht wird, noch eine bloße Berücksichtigung im Rahmen des Ermessens zu rechtfertigen ist. In der Sache gehen die Gerichte insoweit vielfach von einer Zugehörigkeit zur Kategorie der tatbestandlich-objektiven Schadensvorsorge aus. 349 Besteht ein derartiges standortbedingtes Risiko, ist die Genehmigung mangels tatbestandlicher Schadensvorsorge zu versagen, nicht aber aus Ermessensgründen. Schließlich gehören zur rein objektiv-rechtlichen Schadensvorsorge auch Risikolagen unter dem Aspekt der Schädlichkeitsgrenze, die zwar nicht die Schwelle relevanter theoretischer Überlegungen im Sinne des Wyhl-Urteils erreichen, andererseits aber nicht als bloßes Restrisiko angesehen werden können. Wenn sich Steinberg/Roller 350 demgegenüber für einen uneingeschränkt drittschützenden Bereich der Schadensvorsorge aussprechen und sich dabei letztlich auf den in § 1 Nr. 2 AtG enthaltenen Gesetzeszweck, "Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie ... zu schützen", berufen, dann kann dem nicht gefolgt werden. Eine solche Sichtweise würde die Funktion legislatorischer Leitlinien überbewerten, die nur stützenden, aber nicht rechtsbegründenden Charakter haben können.351 Zum anderen wurde schon
346 Zu Recht fur Zugehörigkeit zur tatbestandlichen Schadensvorsorge Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformuberiegungen zum Atomrecht, 19991, S. 111 (170); Ktoepfer, Umweltrecht, Rdnr. 32 zu § 8 (S. 486 f.). 347 S.o. dazuC.IV.l.c, 3. 348 S. OVG Berlin, U.v. 5.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (184), das im Rahmen einer Drittanfechtungsklage der Frage nachgeht, ob die Sicherheitskriterien 1973 ein bestimmtes Containment verlangen oder ob nach Maßgabe der Störfall-Leitlinien der Flugzeugabsturz generell dem Bereich des Restrisikos zuzuweisen ist; insofern weist es auf eine "konkrete Risikobeurteilung" der Genehmigungsbehörde mit dem Ergebnis der Zuweisung des Flugzeugabsturzrisikos zum Bereich des Restrisikos wegen einer "extrem geringen Eintrittswahrscheinlichkeit" hin. Ähnlich VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1187). 349 S. OVG Berlin, U.v. 5.6.1990 - 2 A 2/85, NVwZ-RR 1991, 180 (184 f.). 350 In: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 81. 351 S.o. C.m.l.a.
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ausgeführt, daß die eingliedrige Interessenschutzformel - auf die sich Steinberg/Roller stützen - mit dem Kriterium, ob der Schutz Dritter zumindest auch bezweckt sei, multipolaren Konfliktlagen nicht gerecht wird; 352 hierauf wird verwiesen. Eine Gleichsetzung von Schadensvorsorge und Drittschutz ließe sich schließlich auch nicht aus dem Wyhl-Urteil ableiten, das namentlich von der Beurteilung des Strahlenminimierungsgebots im Stade-Urteil 353 keine Abstriche gemacht hat. 354 dd) Der vierte und letzte Normbereich des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ist die ermessensabhängige Restrisikominimierung jenseits tatbestandlicher Schadensvorsorge. Für einen solchen "'vorsorgefreien Restrisikobereich'" 355 bleibt angesichts der außerordentlich weitreichenden tatbestandlich-objektiven Schadensvorsorge356 jedenfalls für das anlageninterne Risiko praktisch kaum noch Raum. Das gilt auch für die vom BVerfG 357 im Kalkar-Beschluß dem Ermessen unter Hinweis auf § 1 Nr. 2 AtG zuerkannte Schutzfunktion. Da die Koppelung eines Kontrolltatbestandes mit einer Ermessenseinräumung ohnehin atypisch ist 358 und jedenfalls nach der 1. Teilerrichtungsgenehmigung das Ermessen praktisch auf Null schrumpft, 359 spräche sogar einiges dafür, im Rahmen einer Novellierung auf das Ermessen in § 7 Abs. 2 AtG ganz zu verzichten.360 Angesichts der umfassenden Berücksichtigung subjektiver öffentlicher
352
S.o. C.IV.l.c. U.v. 22.12.1980 - 7 C 84.78, E 61, 256 (267 ff.); dort wird das Strahlenminimieningsgebot nicht als Gegenstand des Ermessens, sondern als tatbestandliche Genehmigungsvoraussetzung behandelt. 354 Anderes ergibt sich auch nicht aus der Aussage des Wyhl-Urteils, daß dem Besorgnispotential sowohl für das Kollektiv- wie auch für das Individualrisiko Bedeutung zukomme, s. BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 70, 300 (315). 355 Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (168). 356 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 36 zu § 8 (S. 488): Auch bei einer "statistisch minimalen Eintrittswahrscheinlichkeit" bleibe "eine Risikovorsorge geboten". 357 B.v. 8.8.1978 - 2 BvL 8/77, E 49, 89 (144 ff.); insoweit ist die Ausrichtung des Ermessens insbesondere auf den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtG hervorzuheben. 358 Zu § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG als Genehmigungstyp sui generis s. Breuer, in: von Münch/ Schmidt-Aßmann, Bes.VerwR, S. 391 (431, ferner 504, 506); Fischerhof, Atomgesetz, Rdnr. 25 zu § 7; s. auch C.V Fn. 61 m.w.N. 359 Zur abschnittsweisen Ermessensreduzierung im gestuften Genehmigungsverfahren Ossenbühl, et 1983, 665 (667 ff.). 360 In diesem Sinne Papier, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 111 (123 f., 127 ff.). Zum geltenden Recht einschränkend Kloepfer, Umweltrecht, Rdnr. 25 zu § 8 (S. 483): Versagung aus Ermessensgründen "nur in Ausnahmefallen"; de lege lata im Sinne der gebundenen Genehmigung bereits Schmitt Glaeser, der landkreis 1976, 442 (443); mit praktisch ähnlichem Eigebnis Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, S. 357; vgl. ferner Greipl, DVB1. 1992, 598 (600 f.), der keinen Anwendungsbereich für einrisikominderndes Versagungsermessen sieht. 353
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C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Rechte im Rahmen der beiden Teilausschnitte subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung bietet sich für eine Drittschutzrichtung des Ermessens keine Handhabe.361 Hauptanwendungsfall der ermessensbezogenen Restrisikominimierung sind Maßnahmen in bezug auf das anlagenexterne Entsorgungsrisiko. 362 Darüber hinaus kommen - sofern nicht die Risikoschwelle zur tatbestandlichen Schadensvorsorge überschritten ist 363 - Vorkehrungen des anlageninternen Notfallschutzes als Ermessensmaßnahme in Betracht. 364 Schließlich ist an die Restrisikominimierung gegenüber externen Schadensereignissen wie Flugzeugabsturz oder Erdbeben zu denken, sofern der Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit derart gering ist, daß eine Zuordnung zum dritten oder - im Ausnahmefall zum zweiten Normbereich ausscheidet. Im einzelnen hängt dies von der konkreten Risikoanalyse ab.
f) Individualität oder Typizität? Ein Grenzwert hat nur Bedeutung im Zusammenhang mit seinen Berechnungssgrundlagen. Nach § 45 Abs. 2 S. 1 StrlSchV ist die Strahlenexposition "für eine Referenzperson an den ungünstigsten Einwirkungsstellen unter Berücksichtigung der in Anlage X I genannten Expositionspfade, Lebensgewohnheiten der Referenzperson und übrigen Annahmen zu ermitteln". Dieses Tatbestandssegment ist integraler Bestandteil der drittschützenden Ordnungsnorm des § 45 StrlSchV. 365 Die Behörde kann nach § 45 Abs. 2 S. 3 StrlSchV 1989 361 Vgl. BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (318). Aus der Lit. ebenso Papier, in: Lukes (Hrsg.), Refoimüberiegui^en, 1991, S. 111 (133); Rengeling, DVB1. 1988, 257 (258 f.); Seltner, NVwZ 1986, 616 (618). 362 Dazu OVG Lüneburg, B.v. 30.12.1982 - 7 A 7/80 und 62/80, DVB1. 1983, 187 (188), für das anlagentranszendente Risikopotential; VGH Mannheim, B.v. 27.10.1983 - 10 S 1102/83, DVB1. 1984, 880 r.Sp.; s. hieizu Breuer, VerwArch. 72 (1981), 261 (286), und RengeUng, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen, 1991, S. 215 (227); ferner Winters, DÖV 1978, 299 r.Sp. Auch § 9 a AtG könnte dem Ermessen keine Drittschutzrichtung verleihen, da er seinerseits - wie sogleich auszufuhren ist - nicht drittschützend ist; s.u. C.VI.4.j. 363 Vgl. auch Luhes, 8. Deutsches Atomrechts-Symposium, 1989, S. 63 (74), der die Zuordnung zum "Vorsorgebereich" oder zum Restrisikobereich vom Grad der "Eintrittswahrscheinlichkeit des auslegungsüberschieitenden Ereignisses" abhangig macht; ihm folgend Steinberg/ Roller, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, 1991, S. 9 (77); unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes differenzierend Steinkemper, in: 9. Deutsches AtomrechtsSymposium, 1991, S. 255 (262). 364 Vgl. hieizu VGH München, U.v. 27.11.1990 - 22 A 89.40008, Ausfertigung, S. 11 ff., 14: Das Gericht hatte anerkannt, daß die Ereignisabläufe, die eine solche Maßnahme als sinnvoll erscheinen lassen, bestandskräftig dem Restrisiko zugeordnet worden waren. Hieran wurde im Rahmen der streitbefangenen (späteren) Genehmigung von Notfallschutzmaßnahmen gem. § 7 Abs. 1 AtG festgehalten. Die Zuordnung zur Schadensvorsoige verneint auch BVerfG, U.v. 22.5.1990 2 BvG 1/88, E 81, 310 (344). S. zuvor Rengeling, DVB1. 1988, 257 (258 f.). 365 Wie schon C.V.3.b bemerkt, ist es zu begrüßen, daß der Verordnungsgeber der StrlSchV
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davon ausgehen, daß die Dosisgrenzwerte eingehalten sind, wenn dies unter Zugrundelegung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift 366 über nähere Einzelheiten der Berechnungsmodalitäten nachgewiesen wird. Damit stellt sich die Frage, ob ein einzelner Bürger eine Überschreitung der Dosisgrenzwerte nach Maßgabe seiner individuell berechneten Daten geltend machen kann. Sie wurde in ersten Entscheidungen hierzu durch das O V G Lüneburg und - ihm folgend das O V G Berlin verneint. 3 6 7 § 45 Abs. 2 StrlSchV sieht mit dem Konzept der " Referenzperson" ein mit hohen Sicherheitsmargen versehenes pauschaliertes Berechnungsverfahren vor, das auch atypische Lebensbedingungen berücksichtigt und in der Gesamtheit seiner Einzelelemente ein zutreffendes Bild der zu erwartenden Strahlenexposition abgibt. Insoweit ist es von Bedeutung, wenn Ziff. m . 4 Anlage X I StrlSchV 368 eine Festsetzung der Parameterweite "in Verbindung mit den Berechnungmodellen" fordert, so "daß bei dem Gesamtergebnis eine Unterschätzung der Strahlenexposition nicht zu erwarten ist". Entspricht das Berechnungssystem diesen Anforderungen, kann der einzelne nicht beanspruchen, einzelne Parameter eines in sich abgestimmten Gesamtrechen-
1989 in § 45 Abs. 2 i.V.m. Anlage XI die Berechnungsmodalitäten in ihren radioökologischen Grundsätzen normativ vorgegeben hat (vgl. BR-Drcks. 149/89, S. 117). Freilich werden auch weiterhin zahlreiche Parameter in Form einer Verwaltungsvorschrift geregelt bleiben; insoweit ermächtigt § 45 Abs. 2 S. 3 StrlSchV die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrates eine allgemeine Verwaltungsvorschrift "über die zu treffenden weiteren Annahmen" zu erlassen; s. dazu die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 StrlSchV: Ermittlung der Strahlenexposition durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen oder Einrichtungen" vom 21.2.1990, BAnz. 64 a. Nach Ziff. UI.l zu Anlage XI StrlSchV 1989 "sind" bei der Ermittlung der Strahlenexposition die im Bundesanzeiger (v. 30.9.1989, Nr. 185 a) bekanntgemachten Dosisfaktoren zu verwenden. 366 S. den Nachweis in der voihergenden Fn. 367 S. sehr dezidieit OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 46; OVG Berlin, U.v. 6.6.1990 - 2 A.85, Ausfertigung, S. 45 ff. (insoweit nicht abgednickt in NVwZRR 1991, 180); W.-E. Sommer, DÖV 1983 , 754 (757 f.). - Im übrigen muß der einzelne in einem zumutbaren Umfang auch bereit sein, seine Lebensgewohnheiten - wie etwa einen ausschließlichen und dauerhaften Verzehr von Lebensmitteln eines bestimmten landwirtschaftlichen Betriebs - auf die Risikolage einzustellen; andernfalls ist er es, der seinerseits das Strahlenrisiko mitverursacht, so bereits OVG Lüneburg, U.v. 21.12.1979 - 7 A 113/77, OVGE 35, 426 (430); s.o. Fn. 328. Ebenso in immissionsschutzrechtlichem Zusammenhang Ule, in: FS f. Frohler, 1980, S. 349 (351); zur Durchschnittsbetrachtung in baurechtlichen Immissionskonflikten s. z.B. OVG Berlin, B.v. 2.6.1987 - 2 S 38.87, OVGE E Bln. 18, 50 (51): " ... das Maß dessen ..., womit ein nicht überdurchschnittlich empfindlicher Bewohner der näheren Umgebung aufgrund der in diesem Baugebiet planungsrechtlich zulässigen Nutzungsarten üblicherweise rechnen muß". S. entsprechend im gaststättenrechtlichen Immissionskonflikt etwa VGH München, B.v. 5.6.1990 - 22 CS 90.1522, NJW 1990, 2488 (2489), wonach "die besondere körperliche Verfassung" des gestörten Nachbarn "rechtlich nicht erheblich" sei, "weil ein objektivierter Maßstab zu gelten hat". Zusammenfassend zur Typisierung durch die Ordnungsnorm s.o. C.V.l.a.aa, Vl.l.b.dd. 368
S. auch Nr. III.l zu Anlage XI StrlSchV, die Berechnungsmodelle verlangt, die einen "Gleichgewichtszustand" beschreiben.
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C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
werks herausgreifen und durch tatsächlich-individuelle Daten ersetzen zu dürfen. Es ist daher richtig, wenn der 7. Senat des BVerwG in seinem Brokdorf-Beschluß vom 23.5.1991 3 " festgestellt hat, daß es bei der Ermittlung der Strahlenexposition "auf eine 'Referenzperson'" ankommt, "die durch Aufenthalt an den - in bezug auf Ableitungen in die Umwelt - ungünstigsten Stellen oder durch Verzehr dort erzeugter Lebensmittel Strahlenbelastungen ausgesetzt ist. Außergewöhnliche individuelle Verhaltensweisen, wie ein extrem überdurchschnittlich hoher Milchkonsum, sind bei dieser 'Referenzperson' berücksichtigt." Dennoch überrascht es etwas, wenn der 7. Senat des BVerwG die Bemerkimg folgen läßt, daß dies der bisherigen Rechtsprechung entspreche. Ganz so klar war dies nicht, betrachtet man zwei - zugegebenermaßen kurze und nicht eindeutige - Äußerungen des 7. Senats im Wyhl- bzw. im MülheimKärlich-Urteil zur Beachtlichkeit individueller Dispositionen.370
g) Personell-organisatorische Schadensvorsorge (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG) Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG setzt die Genehmigungserteilung die Zuverlässigkeit des Antragstellers und die Sachkunde des Personals voraus. Bekanntlich werden Genehmigungstatbestände, die an die persönliche Zuverlässigkeit anknüpfen, durchweg als nur objektiv-rechtlich angesehen.371 Diese Auffassung, der prinzipiell zuzustimmen ist, hat sich der V G H Mannheim372 auch für § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG zu eigen gemacht, während das OVG Lüneburg 373 in einer früheren Entscheidung den gegenteiligen Standpunkt vertrat. Die Besonderheit des § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AtG besteht in dem engen Sachzusammenhang mit der Schadensvorsorge gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Die Sicherheit des Anlagenbetriebs und der Anlagenteile hängt nicht nur von der technisch-wissenschaftlichen Konzeption und dem verwendeten Material, sondern zu einem wesentlichen Teil auch von der Zuverlässigkeit und Fachkunde der verantwortlichen Personen und des Betriebspersonals ab. Soweit daher die Schadensvorsorge vom personell-organisatorischen Zugriff der Leitungs- und Betriebspersonen abhängt, kommt auch § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2
369 7 C 34.90, NVwZ 1991, 1185 (1186); damit bestätigte er das OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 45 ff. 370 BVeiwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (321), und U.v. 9.9.1988 - 7 C 3.86, E 80, 207 (219 f.). S. den Hinweis des OVG Lüneburg, U.v. 28.6.1989 - 7 A 108/86, Ausfertigung, S. 47. 371 Vgl. z.B. zu § 35 Abs. 1 GewO VGH Kassel, B.v. 28.9.1990 - 8 TH 2071/90, GewArch. 1991, 28 (29); s. auch OVG Lüneburg, U.v. 11.12.1984 - 9 A274/82, GewArch. 1985, 95 (96). 372 U.v. 21.4.1989 - 10 S 492/87, VBIBW 1989, 453 (455). 373 B.v. 18.7.1980 - 7 B 15/79, et 1980, 694 (698).
VI.4. Atomrecht
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Drittschutz zu. Insofern hat das BVerwG 374 mit Recht auf die Sicherheit durch "organisatorische Maßnahmen" hingewiesen und - bei Offenlassung der Frage im einzelnen - doch eine deutlich Drittschutz befürwortende Tendenz erkennen lassen. Dem ist jetzt der V G H München375 gefolgt. In der Sache kann schließlich auch der V G H Kassel nicht anders verstanden werden, wenn er zwar im Biblis-Beschluß vom 28.6.1989 376 "regelmäßig" den Drittschutzcharakter des § 7 Abs. 2 Nr. 1 AtG verneint, ihn aber annimmt, soweit der Zuverlässigkeitsmangel "zugleich zu einer anlagenbezogenen Gefahrdung Dritter i.S.d. § 17 Abs. 5 AtomG führen würde".
h) § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG Wie schon § 7 Abs. 2 Nr. 6 a.F. 3 7 7 vermittelt auch die Neufassung keinen Drittschutz. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die fachgesetzlichen Zulassungstatbestände durch das UVP-Gesetz keine materielle Änderung erfahren haben.378
i) Drittvornahmebegehren Nach § 17 Abs. 5 AtG sind Genehmigungen zu widerrufen, wenn dies "wegen einer erheblichen Gefahrdung ... Dritter ... erforderlich ist" und nachträgliche Auflagen keine Abhilfe ermöglichen. Die emissionsbedingenden Bestandsinteressen des Betreibers und die Verschonungsinteressen Dritter werden anhand des Maßstabs erheblicher Gefahrdung ausgeglichen. § 17 Abs. 5 AtG ist somit als Konfliktschlichtungsprogramm anzusehen und daher drittschützend.379 Die Risikoschwelle der erheblichen Gefahrdung i.S.d. § 17 Abs. 5 AtG ist im Vergleich zu den Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG durch einen gesteigerten Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gekennzeichnet.380 Muß von diesem Schwellenwert ausgegangen werden, gewährt § 17 Abs. AtG einen strikten Drittvornahmeanspruch. 381
374 375 376 377
B.v. 17.4.1990 - 7 B 111.89, DVBI. 1990, 1167 (1168). U.v. 27.11.1990 - 22 A 89.40008, Ausfertigung, S. 14 f. 8 Q 2809/88, NVwZ 1988, 1183 (1186). Vgl. BVerwG, U.v. 19.12.1985 - 7 C 65.82, E 72, 300 (331); Haedrich, AtG, Rdnr. 122
zu §7. 378 379
Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drcks. 11/3919, S. 27 ff. Vgl. Seltner, in: FS f. Sendler, 1991, S. 339 (350 f.).
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
318
Im Bereich des fakultativen Widerrufs besteht ein Drittvornahmeanspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG, sofern sich die weggefallenen "Voraussetzungen" auf einen Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG beziehen. In diesem Fall kommt es zur Drittschutzausstrahlung der Tatbestandsvoraussetzungen.382 Werden danach die tatbestandlich in Bezug genommenen subjektiv-rechtlich relevanten Risikoschwellen des ersten und zweiten Normbereichs atomrechtlicher Schadensvorsorge erreicht, gewährt § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG einen Anspruch des Dritten auf fehlerfreie Ermessensausübung. Muß von der Risikoschwelle erheblicher Gefährdung im Sinne des § 17 Abs. 5 AtG ausgegangen werden, wird das Ermessen auf Null reduziert. In Ausnahmefallen ist noch unterhalb dieser Grenzlinie eine solche Ermessensschrumpfung denkbar. 383 Nachträgliche Auflagen sind nach § 17 Abs. 1 S. 3 AtG zulässig, soweit ihr Erlaß zur Erreichung der in § 1 Nr. 2 und 3 AtG genannten Ziele erforderlich ist. Von Bedeutung ist hier die Zielsetzung des Schutzes von Leben, Gesundheit und Sachgütern vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen. Da jedoch legislatorischen Leitlinien keine drittschutzbegründende Funktion zukommt,384 kann eine subjektiv-rechtliche Ausrichtung des Ermessens nur im Wege der Ausstrahlungswirkung des tatbestandlichen Konfliktschlichtungsprogramms des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG begründet
380
Vgl. OVG Münster, U.v. 19.12.1988 - 21 AK 8/88, Ausfertigung, S. 9 f.; zum dort verwendeten, etwas mißverständlichen Begriff der unmittelbaren Gefahrdung klarstellend BVerwG, B.v. 5.4.1989 - 7 B 47.89, NVwZ 1989, 1170 (1171); s. ferner VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1184 f.); OVG Lünebuig, B.v. 23.9.1986 - 7 D 7/86, OVGE 39, 466 (471): höheres Maß an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts oder des Schadensumfangs als im Falle der Überschreitung der Dosisgrenzwerte; Ossenbiihl, DVB1. 1990, 600 (601); Schattke, atw 1988, 411 (416): "drastisch höhere Eintrittswahrscheinlichkeit"; Bender, DÖV 1988, 813 (817); a.A. H.-P. Schneider, in: H.-P. Schneider/Steinberg, Schadensvorsorge, S. 115 (173 ff.). 381 Vgl. VGH München, U.v. 27.11.1990 - 22 A 88.40108, NVwZ 1991, 903 (904), und VGH Kassel, B.v. 28.6.1989 - 8 Q 2809/88, NVwZ 1989, 1183 (1184 f.). S. auch Schattke, atw 1988, 411 (416), der einen Fall des § 17 Abs. 5 AtG angesichts neuer Erkenntnisse, die zu einer Neubewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit in Höhe von 10'3 bis 10-* statt 10'7 im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung führen, für theoretisch denkbar hält. 382 S.o. C.V.2.b. 383 Zutr. Seltner, in: FS f. Sendler, 1991, S. 339 (351): Ob eine Ermessensschrumpfung auf Null bei § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG "jemals ... gegeben sein kann, ist zweifelhaft, aber nicht vollkommen auszuschließen". 384 S.o. C.m.l..a.
VI.4. Atomrecht
319
werden. Unter der Voraussetzung, daß die Risikoschwellen erreicht werden, die den Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung bestimmen,385 ist § 17 Abs. 1 S. 3 AtG drittschützend. Auch hier wird die Grenze zwischen dem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung und der Ermessensreduzierung auf Null primär durch den Risikograd erheblicher Gefahrdung gem. § 17 Abs. 5 AtG markiert. Sofern nachträgliche Auflagen von Gesetzes wegen vor einem fakultativen Widerruf gem. § 17 Abs. 3 Nr. 2 AtG oder einem obligatorischen Widerruf gem. § 17 Abs. 5 AtG als "mildere" Abhilfemaßnahme anzuwenden sind, 386 gilt das zu diesen Vorschriften soeben Ausgeführte entsprechend. Nach § 19 Abs. 3 S. 1 AtG kann die Aufsichtsbehörde Anordnungen wie z.B. eine einstweilige Einstellung des Betriebs erlassen, um einen Zustand zu beseitigen, "aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können". Diese Risikoschwelle entspricht dem Kernbereich der Gefahrenabwehr im Rahmen drittschützender tatbestandlicher Schadensvorsorge. Sind diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, besteht ein Drittvornahmeanspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung.387 Zur Ausstrahlungswirkung des Tatbestandes und zur Drittschutzrichtung des Ermessens sei auf das oben Ausgeführte verwiesen. 388 Auf einer ersten Stufe kommt nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, Fall 1 AtG eine einstweilige Einstellung in Betracht. Bei gesteigertem Risiko kann das Ermessen mit der Folge eines strikten Drittvornahmeanspruchs auf Null reduziert sein. Dies ist stets der Fall, wenn die Risikoschwelle des § 17 Abs. 5 AtG erreicht ist. 389 Im Einzelfall kann ein solcher Anspruch aber auch unterhalb dieser Grenze nicht ausgeschlossen werden. 390 Entsprechendes gilt für ein Begehren auf endgültige Stillegung bei fehlender Genehmigung gem. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, Fall 2 AtG. 3 9 1
385
S.o. C.VI.4.e.aa und bb. Vgl. Seltner, in: FS f. Sendler, 1991, S. 339 (351). 387 Vgl. BVenvG, U.v. 7.6.1991 - 7 C 43.90, E 88, 286 (289). 388 C.V.2.b. 389 BVenvG, B.v. 5.4.1989 - 7 B 47.89, NVwZ 1989, 1170 r.Sp. 390 Vgl. VGH Mannheim, U.v. 23.5.1990 - 10 S 2495/89, NVwZ-RR 1990, 535 (536): Reduzierung auf Null in Betracht gezogen, "wenn der Betrieb den materiellen Schutzvorschriften des Atomgesetzes erkennbar zuwiderlauft"; das BVerwG, U.v. 7.6.1991 - I C 43.90, E 88, 286 (292 ff.), hat dieses Urteil aus anderen - den Regelungsgehalt der 2. TBG betreffenden - Gründen aufgehoben. 391 Vgl. hierzu BVerwG, U.v. 7.6.1991 - 7 C 43.90, E 88, 286 (288 f.). 386
320
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
j ) Entsorgung Die anlagenexterne Entsorgung radioaktiver Reststoffe durch schadlose Wiederverwertung oder geordnete Beseitigung als Abfall gem. § 9 a Abs. 1 AtG betrifft Risiken, die insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht keinen Zusammenhang mit dem risikoverursachenden Anlagenbetrieb aufweisen. Damit fehlt es an einem Konfliktschlichtungsprogramm, so daß dieser Norm mit der Rechtsprechung kein subjektiv-rechtlicher Gehalt zu entnehmen ist. 392 Eine Berücksichtigung erfahrt die Sicherstellung der Entsorgung nur über das restrisikominimierende Ermessen im oben393 genannten vierten Normbereich des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. Selbst wenn man nicht mit dem BVerwG einen subjektiv-rechtlichen Charakter des in § 7 Abs. 2 AtG enthaltenen Ermessens verneinen wollte, böte § 9 a Abs. 1 AtG keine Grundlage für eine tatbestandliche Ausstrahlungswirkung zugunsten einer Drittschutzrichtung. Damit kommt es - unter dem Aspekt ausreichender Entsorgungsvorsorgenachweise394 - in subjektiv-rechtlicher Hinsicht auf die Frage einer Bindungswirkung der sog. Entsorgungsgrundsatze395 nicht an. 396
5. Kehrseitige
Konflikte insbesondere im AbfallWasserBergrecht im Gaststätten- und Gewerberecht
sowie
a) Die drei Stufen planfeststellungsbezogener subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung am Beispiel des Abfallrechts aa) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 AbfG bedürfen Errichtung und Betrieb ortsfester Abfallentsorgungsanlagen sowie ihre wesentliche Änderung der Planfeststellung. Dabei stehen sich in der kehrseitigen Konfliktlage die Gestaltungsinteressen des
392 OVG Lüneburg, B.v. 3.6.1988 - 7 D 2/88, RdE 1988, 222 (223): Es sei "offen, ob und ggf. wo Gefahren durch ... Vorsorgedefizite auftreten können". Dagegen auf der Grundlage der Abgrenzbarkeits-Doktrin VGH Mannheim, B. 27.10.1983 - 10 S 1102/83, DVB1. 1984, 880 r.Sp.: es fehle "z.Zt. an einer Abgrenzung" des Kreises der Begünstigten; s. krit. dazu C.I.2.c.bb. 393 C.VI.4.e.dd. 394 Vgl. dazu Breuer, VerwArch. 72 (1981), 261 (274 ff., 285 f.). 395 "Grundsatze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke, Bekanntmachung vom 19.3.1980, BAnz. Nr. 58 vom 22.3.1980, S. 2; dem liegt der "Beschluß der Regierungschefs von Bund und Landern zur Entsorgung der Kernkraftwerke" vom 28.9.1979, abgedr. im Entsorgungsbericht der Bundesregierung 1988, BT-DRcks. 11/1632, S. 21, zugrunde; zur rechtlichen Qualifizierung der Entsorgungsgrundsatze s. Ossenbühl, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 27 (56 ff.), mit dem zutreffenden weiteren Hinweis, daß im Rahmen der sog. Wiederanfahrgenehmigung nur die betriebsbezogene Sicherheit, nicht die Entsorgungsfrage als solche Regelungsgegenstand sein kann (S. 67). 396 Vgl. hierzu VGH Mannheim, B.v. 27.10.1983 - 10 S 1102/83, DVB1. 1984, 880 f.
VI.5. Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
321
privaten Vorhabenträgers 397 und die Verschonungsinteressen des privaten Dritten gegenüber. Der Normtext selbst bietet zunächst nur geringe Anhaltspunkte für die Ermittlung eines Konfliktschlichtungsprogramms. Die klassische fachplanerische Abwägungsformel, die z.B. in § 17 Abs. 1 S. 3 FStrG n.F. i m Fall der hoheitlichen Planfeststellung enthalten ist, fehlt in § 7 Abs. 1 AbfG. Rechtsprechung 398 und Literatur 3 9 9 entnehmen aber allgemein der gesetzlichen Planungsermächtigung unabhängig von einer positiv-rechtlichen Regelung das "Gebot gerechter Abwägung aller von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange". 4 0 0 Nach der von der Rechtsprechung entwickelten und von der Literatur weitgehend akzeptierten Abwägungsfehler-Doktrin sind Abwägungsausfall (1), Abwägungsdefizit (2), Fehlgewichtung der Belange (3) sowie schließlich Abwägungsdisproportionalität (4) zu vermeiden. 401 Dabei entsprechen die beiden letztgenannten Elemente i m wesentlichen den Kriterien der Wertung und gegenseitigen Gewichtung der kollidierenden Privatinteressen, wie sie in der oben 4 0 2 zur Bestimmung subjektiver öffentlicher Rechte in multipolaren Konfliktlagen vorgeschlagenen Formel zum Ausdruck kommen. A u f die
397
Unter dem Aspekt der Multipolarität (A.II.2) interessiert hier nur dieser Fall. Nicht dazu gehört die Einschaltung privater Entsoigungsuntemehmen, die als Dritte gem. § 3 Abs. 2 S. 2 AbfG nach außen hoheitlich tatig werden; vgl. in diesem Sinne - allerdings nur "u.U." - König , in: Kunig/Schwermer/Verstey 1, AbfG, Rdnr. 32 zu § 3. 398 Vgl. z.B. BVerwG, U.v. 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., E 56, 110 (122 f.). 399 S. Kopp, VwVfG, Rdnr. 20 zu § 74: Das "Gebot gerechter Abwägung" als "ungeschriebener Rechtsgrundsatz, auch wenn das Gesetz ... darüber nichts sagt"; Schmitt Glaeser/König , JA 1980, 414 (418); Bonk , in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 23 zu § 74. 400 BVerwG, U.v. 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., E 56, 110 (122); gnil. zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials und zur Einstellung der Belange in die Abwägung Hoppe, DVB1. 1977, 136 (138 ff.). 401 Vgl. exemplarisch - unter Zusammenfassung des dritten und vierten Kriteriums BVerwG, U.v. 29.1.1991 - 4 C 51.89, E 87, 332 (341), zur luftverkehrsrechüichen Planfeststellung; danach muß (1) eine Abwägung überhaupt stattfinden, (2) in die Abwägung an Belangen eingestellt werden, "was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß", und (3) das Erfordernis erfüllt sein, daß "weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise voigenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht". Zur Grundproblematik s. Hoppe, DVB1. 1977, 136 (137 ff.); Schmitt Glaeser , in: FS zum hundertjährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, 1979, S. 291 (295 ff.); Wahl, NVwZ 1990, 426 (436 ff.). Dabei beziehen sich diese Abwägungselemente bis auf den Abwägungsausfall sowohl auf den Abwägungsvorgang wie auf das Abwägungseigebnis, vgl. Bender/Sparwasser, Umweltrecht, Rdnr. 193; gegenüber diesem Abwägungskonzept abl. H.-J. Koch, DVB1. 1983, 1125 (1128 ff.); ders., DVB1. 1989, 399 (400 ff.); dagegen wiederum Erbguth, DVB1. 1986, 1230 (1232 f.), und Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 178. Von der materiellen Inhaltskontrolle des Abwägungsgebots sind die Erfordernisse des planungsrechtlichen Verfahrens und die sich aus seiner Verletzung ergebenden Folgen zu unterscheiden, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 210, 214 zu Art. 19 Abs. IV. S. dazu D.V. 402
C.VI.l.a.
C.V
322
Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
kehrseitige Konfliktbeziehung im Horizontalveihältnis zwischen Vorhabenträger und Drittem bezogen, bedeutet das Abwägungsgebot, daß die emissionsbedingenden Gestaltungsinteressen des Betreibers mit den auf Abwehr des Vorhabens gerichteten Verschonungsinteressen des Dritten abzuwägen und einem gerechten Ausgleich im Sinne höchstmöglichen gegenseitigen freien Dürfens zuzuführen sind. Insoweit handelt es sich um multipolare Abwägung. 403 Die für das Fachplanungsrecht typische Konstellation, daß die Bevorzugung des einen Belangs zwingend die Zurücksetzung eines anderen zur Folge hat, 404 stellt im Horizontalveihältnis zwischen den privaten Konfliktgegnern genau das dar, was die Einordnung der kollidierenden Privatinteressen in ein Konfliktschlichtungsprogramm ausmacht: Die Verwirklichung der Interessen des einen geht notwendig auf Kosten des anderen.405 Damit liegen alle Voraussetzungen der Konfliktschlichtungsformel vor. Allerdings ist zu beachten, daß sich die planfeststellungsrechtliche Abwägung über den Konflikt zwischen Vorhabenträger und einem privaten Dritten hinaus auf alle durch das raumbeanspruchende Vorhaben berührten relevanten Belange erstreckt. Daher umschließt § 7 Abs. 1 AbfG einen Ausschnitt subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung im Rahmen eines weiterreichenden rein objektiv-rechtlichen komplexen Ordnungsgefüges. § 7 Abs. 1 AbfG ist somit partiell drittschützend. Dies bedarf noch der Differenzierung. Im einzelnen lassen sich drei Stufen planfeststellungsbezogener subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung unterscheiden. Auf der ersten Stufe sind Gegenstand des Rechts auf gerechte Abwägung solche Belange,406 die unterhalb der Schwelle subjektiver öffentlicher Rechte angesiedelt sind. Insofern braucht der Verschonungsinteressent in der Drittabwehikonstellation kein subjektives öffentliches Recht einzubringen.407 Als
403
C.n.2, bes. sub a.ee. Zur Abgrenzung der sogleich zu erörternden weiteren Stufen planfeststellungsbezogener Konfliktschlichtung läßt sich hiervon einfacher multipolarer Abwägung sprechen. 404 Vgl. BVerwG, U.v. 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., E 56, 110 (126): Kennzeichen der planerischen Gestahungsfineiheit sei es, daß sich die Planfeststellungsbehörde "in der Kollision verschiedener gegenläufiger Interessen für die Bevorzugung der einen und damit notwendig für die Zurückstellung anderer Belange entscheidet". 405 S. zur Konfliktschtungsformel im einzelnen oben C.VI.l .a. 406 Wie schon oben (C.IV.l.a.aa) daigelegt, sind die Belange der Obelbegriff für subjektive öffentliche Rechte und bloße Interessent die wiederum in Reflexe ausschließlich objektiv-rechtlicher (gezielter) Begünstigungen oder rein tatsachliche (objektiv-rechtlich ungewollt begünstigende) Interessen unterteilt werden können. 407 Aus der Rspr. BVeiwG, U.v. 11.11.1983 - 4 C 82.80, DÖV 1984, 426 (427 f.): Schutz nicht durch ein "Abwehrrecht, sondern durch den Anspruch auf ... rechtmäßige Abwägung"; BVerwG, U.v. 14.12.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (66), jeweils zum Fernstraßenrecht; vgl. Obermayer, VwVfG, Rdnr. 203 zu § 74; Johlen, DÖV 1989, 204 (205); Kühüng, Fachplanungsrecht, Rdnr. 438; Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 55; a.A. Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. III 325.
VI.5. Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
323
abwägungserheblicher Belang genügt auch ein Interesse von geringerem Gewicht. D e m Beschluß des BVerwG vom 10.2.1989** ist daher zuzustimmen, wenn es in einem Fall abfallrechtlicher Planfeststellung hervorgehoben hat, daß die Berücksichtigung von immissionsbedingten Beeinträchtigungen auch unterhalb der subjektiv-rechtlichen Zumutbaikeitsschwelle (§ 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG) verlangt werden kann. Ähnlich hat der V G H München 4 0 9 ebenfalls zu einer abfallrechtlichen Planfeststellung mit Recht einen Anspruch auf gerechte Abwägung der eigenen Belange des Dritten zuerkannt, "die zwar nicht zu einer Rechtsposition ausgestaltet, gleichwohl aber bei der Planfeststellung zu berücksichtig»! sind". Auch wenn insoweit kein Recht auf strikte Durchsetzung dieser abwägungserheblichen Verschonungsinteressen besteht, fordert § 7 Abs. 1 S. 1 AbfG doch, daß sie gegenüber den Gestaltungsinteressen des Vorhabenträgers überhaupt beachtet, in die Abwägung eingestellt und angemessen berücksichtigt werden. 4 1 0 I n diesem Sinne hat Kühling AU zutreffend festgestellt, daß der "Schutzbereich des Abwägungsgebotes ... über den der planungsspezifischen Schutznormen" hinausreicht. Gleichzeitig ist die Durchschlagskraft derartiger
408 7 B 171.88, NVwZ 1989, 619 (620); BVerwG, U.v. 4.5.1988 - 4 C 2.85, NVwZ 1989, 151 r.Sp.; dazu Kiihling , DVB1. 1989, 221 (228 f.); s. ferner Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 55 zu § 8; Kopp , VwVfG, Rdnr. 22 zu § 73, spricht zwar davon, daß sich das subjektive öffentliche Recht auf gerechte Abwägung nur auf "Rechte, berechtigte Interessen oder rechtliche Interessen" (i.O. kurs.) beziehe, weitet aber ggf. auch Interessen nur wirtschaftlicher oder ideeller Art als "berechtigtes Interesse" (Rdnr. 23). 409 U.v. 11.8.1987 - Nr. 20 B 86.02982, BayVBl. 1988, 147 r.Sp. Ebenso für die wasserrechtliche Planfeststellung schon VGH München, U.v. 26.6.1979 - Nr. 440 Vffl 73, BayVBl. 1979, 632 (633). Die Formulierung im (zur fernstraßenrechtlichen Planfeststellung ergangenen) B 42Uiteil des BVerwG vom 14.12.1975 - IV C 21.74, E 48, 46 (66), das subjektive öffentliche Recht auf gerechte Abwägung beziehe sich "immer nur auf dierechtlichgeschützten eigenen Belange des Betroffenen", soll lediglich den Anspruch darauf ausschließen, "daß die Belange anderer Beteiligter gerecht abgewogen sind oder daß die Planung insgesamt und in jeder Hinsicht auf einer fehlerfreien Abwägung beruht". Sie steht damit nicht einer Absenkung der Anforderungen an die Belange im Sinne tatsächlicher (nicht geringfügiger) Interessen entgegen. In der Formulierung nicht eindeutig BVerwG, U.v. 4.3.1983 - 4 C 74.80, DÖV 1983, 678 (679): Das subjektiv öffentliche Recht auf Abwägung habe "nicht alle Interessen und Erwartungen" zum Gegenstand, "sondern nur bestimmtere festere Rechtspositionen". 4,0 Vgl. BVerwG, U.v. 29.1.1991 - 4 C 51.89, E 87, 332 (342): Die von einer Lärmbeeinträchtigung unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 9 Abs. 2 LuftVG i.V.m. § 74 Abs. 2 BayVwVfG Betroffenen hätten "zwar keinen Rechtsanspruch auf eine Verpflichtung des Vorhabenträgers zur Vornahme von Schutzmaßnahmen, wohl aber das allen von einer Planung Betroffenen zustehende Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen rechtlich geschützten Belange"; s. auch Johlen , in: FS f. Geizer, 1991, S. 65 (72 f.); ders ., DÖV 1989, 204 (205): Die "erforderliche 'Erhöhung* des Belanges zum Recht erfolgt... durch das planerische Abwägungsgebot". Dies gilt auch für die abfallrechtliche Planfeststellung; s. dazu BVerwG, B.v. 10.2.1989 - 7 B 171.88, NVwZ 1989, 619 (620); Schwermer , in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 70 zu § § 8. 411 Fachplanungsrecht, Rdnr. 438.
324
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Belange unterhalb der Ebene des subjektiven Rechts im Rahmen multipolarer Abwägung vergleichsweise gering. Ihre charakteristische Schwäche liegt darin, daß der Voihabenträger um so weniger seine Gestaltungsinteressen hintanstellen bzw. einen Angriff auf die ihm zuerkannte Planfeststellung hinnehmen muß, je mehr sich die Belange von der Schwelle des subjektiven öffentlichen Rechts entfernen. 412 Entsprechend kann er dem Recht auf Berücksichtigung eines bloßen Belangs unterhalb der Schwelle subjektiver öffentlicher Rechte sein Recht auf fehlerfreie Ausübung der planerischen Entscheidungsfreiheit 413 der Fachbehörde414 unter Beachtung seiner Gestaltungsinteressen entgegensetzen. Hieraus folgt zugleich, daß die Verschonungsinteressen ein sachliches Mindestgewicht aufweisen müssen. Da der private Vorhabenträger sich seinerseits auf § 7 Abs. 1 S. 1 AbfG berufen kann, muß er sich nicht jede auch noch so geringfügige Beeinträchtigung415 des Dritten entgegenhalten lassen. Sonst wäre das Gleichgewicht der kollidierenden Privatinteressen gestört, von dem die planungsrechtliche Ordnungsnorm ausgeht. Dies entspricht der Konfliktschlichtungsformel, wenn dort vorausgesetzt wird, daß kollidierende Privatinteressen bewertet, begrenzt und untereinander gewichtet werden, um dann der Ausgleichsordnung unterstellt zu werden. Dem vorgenannten Beschluß des BVerwG vom 10.12.1989416 zur abfallrechtlichen Planfeststellung ist daher auch insoweit zuzustimmen, als er hervorgehoben hat, daß die eigenen Belange des Dritten unterhalb der subjektiv-rechtlichen Zumutbarkeitsschwelle "nicht nur geringfügig" sein dürften. 417 Damit hat der Verschonungsinteressent ein subjektives öffentliches Recht auf gerechte Abwägung auch hinsichtlich eigener Belange
412 Vgl. im bipolaren Veiwahungsrechtsverhahnis BVerwG, U.v. 14.12.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (67); dazu aber auch Kühling, DVBi. 1989, 221 (228), nach dem die Rapr. nur prüft, ob die Belange "überhaupt berücksichtigt und - für sich genommen - angemessen gewichtet worden sind"; eine "generelle Überprüfung des Abwägungsergebnisses" könne nicht beansprucht werden. 413 Vgl. Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 10, 69 zu § 8; Frarfien, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 399 (435 f.), der von einem Anspruch auf Planfeststellung oder Genehmigung ausgeht, wenn die Versagungsgründe des § 8 Abs. 3 AbfG nicht vorliegen; dabei geht es um den "Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Planungsermessens". 414 Tatsächlichfindet die Planung im wesentlichen beim Voihabenträger selbst statt, während sich die Behörde auf den abwägenden Nachvollzug beschränkt; vgl. hierzu Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 13 ff. 415 Vielfach werden solche Positionen als Vollrechtsbetroffenheiten reklamiert; krit. hierzu Schmidt-Aßmarm, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (26 f.). 416 7 B 171.88, NVwZ-RR 1989, 619 (620), zur sog. mittelbaren Beeinträchtigung. 417 Im abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren hat der Einwender die Stellung eines Interessenten-Beteiligten; s. hierzu Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (72), sowie unten D.V.l.a.bb mit Fn. 149.
VI.5. Abfall-, Wasser-, Begrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
325
unterhalb der Schwelle einer Berechtigung, sofern ein Mindestmaß an sachlicher Beeinträchtigung vorliegt. 4 1 8 I m übrigen besteht kein Widerspruch zu der obigen Ablehnung eines eigenständigen Spürbarkeits-Kriteriums, 419 da sich hier das Erfordernis nicht nur geringfügiger Belange auf die Ordnungsnorm selbst zurückfuhren läßt. I m Rahmen der Konfliktschlichtungsformel ist für die Berücksichtigung fremder Belange - seien es öffentliche 420 oder Belange fremder Dritter - kein Raum, da die anspruchsbegründende und -maßstabsbildende Funktion des Horizontalverhältnisses als Basis subjektiver öffentlicher Rechte 421 nur den privaten Konfliktgegnern zugute kommt. 422 Audi bei Anerkennung einer prinzipiellen Interdependenz aller (privaten und öffentlichen) Belange untereinander und in Würdigung der literarischen Kritik 4 2 3 am B 42-Urteil des B V e r w G 4 2 4 bleibt eine Ausschnittsbetrachtung im Sinne subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung innerhalb eines weiterreichenden objektiv-rechtlichen Ordnungsgefüges möglich. 4 2 3 Die für planfeststellungsbedürftige Sachverhalte typische
418
In diesen Fällen wird die den Dritten treffende multipolare Obliegenheit zur Rechtswahrung vielfach von Bedeutung sein, die trotz der nach § 73 Abs. 6 S. 1, Hs. 2 VwVfG nur formellen Präklusion dazu fuhrt, daß innerhalb der Einwendungsfrist nicht erhobene und sich der Behörde nicht aufdrängende Belange vor Gericht nicht mehr geltend gemacht werden können; s. dazu D.VI.3. 419 C.m.ó.c. 420 A.A. Schechinger , DVB1. 1991, 1182 (1186), ohne damit aber einen Auftiebungsanspmch zu verbinden. 421 S.o. c.n.i, 2. 422 Vgl. in der Sache VGH Mannheim, U.v. 10.11.1988 - 758/86, NVwZ 1989, 276 (277), zur abfallrechtlichen Planfeststellung in einem Fall unechter Multipolarität. S. auch BVerwG, U.v. 26.7.1989 - 4 C 35.88, E 82, 246 (250), mit Recht gegen VGH München, U.v. 26.4.1988 - Nr. 20 AS 88.40002 u.a., BayVBl. 1988, 594 (595), zum Luftverkehrsrecht; BVeiwG, B.v. 27.1.1988 4 B 7.88, NVwZ 1988, 534 (535), wonach der Grundwasserschutz keinen privaten Belang eines Anwohners im Hinblick auf die Planungsentscheidung nach § 28 Abs. 1 PBefG darstellt; im Ergebnis auch Schechinger , DVB1. 1991, 1182 (1186 ff.), da er das Abwägungsgebot als "unvollständige Schutznorm" ansieht, die der "Koppelung mit einer in der Abwägung gestalteten Rechtsposition" bedürfe. 423 Vgl. Hoppe, in: FS f. Menger, 1985, S. 747 (775 f.); Steinberg , Nachbanecht, Rdnr. ffl 200 ff., 203; Ramsauer , DÖV 1981, 37 (40 f.); Blümel, DVB1. 1975, 695 (707); Papier , NJW 1977, 1714 (1719 f.); Schwabe, NJW 1976, 159 r.Sp.; Wahl, NVwZ 1990, 923 (925) Fn. 42; H.-J. Koch/Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 197 f.; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 236; s. aber auch Kiihling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 447 f.; Weyreuther , DÖV 1977, 419 (424 ff.); im Anschluß an ihn Löwer, DVB1. 1981, 528 (532). 424 U.v. 14.2.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (66 ff.). 425 S.o. A.U.l.e sowie - auf die unbestreitbaren Schwierigkeiten hinweisend - SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 160 zu Art. 19 Abs. IV: Die "planungstypischen materiellen Abwägungsklauseln" würden eine "Vielzahl von Interessen ins Spiel bringen und in einer Weise miteinander verweben, die eine Separierung der Schutzaufträge erschwert". 23 Schmidt-Preuß
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"Kettenreaktion" 426 der Belange schließt eine subjektiv-rechtliche Lokalisierung 4 2 7 eines Immissionsbeeinträchtigten nicht aus. Dies zeigt ein Blick auf die straßenrechtliche Planfeststellung. Trotz der wechselseitigen Abhängigkeit aller Belange untereinander läßt sich auch hier die einfachgesetzliche 428 ebenso wie die eigentumsrechtliche 429 Zumutbarkeitsschwelle i m Hinblick auf einen lärmbeeinträchtigten privaten Anlieger bestimmen. A u f der ersten Stufe der planfeststellungsbezogenen multipolaren Abwägung kann nichts anderes gelten. bb) A u f einer zweiten Stufe planfeststellungsrechtlicher Konfliktschlichtung sind Gegenstand des Rechts auf gerechte Abwägung solche Belange, die ihrerseits die Qualität subjektiver öffentlicher Rechte aufweisen. I m Abfallrecht ist es § 8 Abs. 3 S. 2 N r . 3 A b f G , nach dem die Planfeststellung 430 (§ 7 Abs. 1 A b f G ) zu versagen ist, 4 3 1 wenn "nachteilige Wirkungen auf das Recht eines anderen zu erwarten sind, die durch Auflagen und Bedingungen weder verhütet noch ausgeglichen werden können,
und der Betroffene
widerspricht". 4 3 2
Bereitete der Nachweis eines Konfliktschhchtungsprogramms als Ausschnitt des § 7 Abs. 1 A b f G hinsichtlich der einfachen multipolaren Abwägung angesichts seines kargen Wortlauts einige Schwierigkeiten, erfahrt es nunmehr durch die
426 So die plastische Umschreibung in BVerwG, U.v. 30.4.1969 - IV C 6.68, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 12, S. 6 (10). 427
Vgl. aus der Sicht des Partizipationsverhältnisses Schmitt Glaeser, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als Staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 (86), nach dem als "Bezugsrahmen ... ein Verfahrenssachverhalt" fungiert, "der Bürger untereinander sowie Bürger und Verwaltung im Hinblick auf ein gemeinsames Vorhaben zusammenführt, das Feld der Interessenverflechtung 'lokalisiert' und je unterschiedlich strukturiert sowie intensiviert, je nach Ausprägung der partizipativen Einflußnahme" (kurs. i.O.). 428 S. hierzu z.B. BVerwG, U.v. 20.10.1989 - 4 C 12.87, E 84, 31 (38 ff.); zur Zumutbarkeitsgrenze im Hinblick auf § 17 Abs. 4 S. 1 FStrG a.F.; sie sei für die jeweiligen Klager "nach Maßgabe des Einzelfalls situationsbedingt und damit bewertend" unter Berücksichtigung von Gebietscharakter und tatsachlichen oder plangegebenen Vorbelastungen zu bestimmen. Damit erweist sich die Ausschnittsbetrachtung im Bereich der hoheitlichen (bipolaren) Fachplanung ohne weiteres als praktikabel. Zur normativen Vorgabe von (Straßenverkehrslärm-)Immissionsgrenzwerten s. § 2 VerkehrslarmschutzV v. 12.6.1990, BGBl. I S. 1036. 429 Hierzu etwa BVerwG, U.v. 23.1.1981 - 4 C 4.78, E 61, 295 (300 ff.). 430 Gleiches gilt für die (Plan-)Genehmigung gem. § 7 Abs. 2 AbfG. 431
Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 422, der von "fachplanungsspezifischen Schutznormen" spricht, die "nicht als Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Vorhaben formuliert" seien, "sondern zu ergänzenden Nebenbestimmungen ... führen". 432 S. auch die nicht überschreitbare Schranke, die § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG mit dem Gebot der Auferlegung von Schutzmaßnahmen zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf "Rechte anderer" statuiert. Vgl. dazu Badura, in: FS f. Lukes, 1989, S. 3 ( 14 f.): Unzumutbare Beeinträchtigungen mußten durch "Regelungen oder Nebenbestimmungen der Genehmigung oder Planfeststellung ausgeglichen werden", wenn nicht andernfalls als Folge der "'Störung'" der "Abwehr- und Schutzanspruch" ausgelöst werden soll (kurs. i.O.).
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Sachnorm des § 8 Abs. 3 S. 2 N r . 3 AbfG eine inhaltliche Anreicherung. Sie markiert eine äußerste, prinzipiell nicht mehr überschreitbare Grenze multipolarer Abwägung eigener Belange. 4 3 3 § 8 Abs. 3 S. 2 N r . 3 AbfG stellt den Gestaltungsinteressen des Betreibers die Verschonungsinteressen des "mittelbar" (nicht durch Inanspruchnahme von Grundeigentum) beeinträchtigten Dritten gegenüber. 434 Ihre Qualifizierung als Recht verleiht ihnen besonderes Gewicht. Die subjektiv-rechtliche Maßgeblichkeit des § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG erfahrt allerdings eine Ausnahme im Fall des § 8 Abs. 4 AbfG, wenn das Vorhaben dem "Wohl der Allgemeinheit" dient. Freilich steht insoweit das "Recht eines anderen" nicht schon a limine zurück. Auch hier gilt das Gebot der Abwägung. 4 3 5 Dies zeigt sich daran, daß Gemeinwohlerwägungen sich nicht durchsetzen können, wenn das Vorhaben zu Gesundheitsschäden fuhren würde. 4 3 6 D a § 8 Abs. 3 S. 2 N r . 3 AbfG somit die kollidierenden Privatinteressen von Vorhabenträger und Dritten im Sinne der Konfliktschlichtungsformel ausgleicht, kommt ihm drittschützende Wirkung z u . 4 3 7
433 Vgl. zu abfallrechtlichen Planfeststellung BVerwG, U.v. 9.3.1990 - 7 C 21.89, E 85, 44 (49): § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG solle die "Planbetroffenen vor negativen Auswirkungen, vor allem vor Immissionen schützen oder ihnen zumindest zum Ausgleich einer auferlegten Duldungspflicht eine angemessene Entschädigung in Geld zubilligen". Als "spezifische Ausprägung des Abwägungsgebotes" bestimme § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG "die Grenzen, die durch eine Abwägung nicht mehr überwunden werden können". S. auch die Differenzierung zwischen "zwei Entscheidungsebenen" der abfallrechtlichen Planfeststellung durch das VG Berlin, U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1981, 101 (102): Auf der ersten - drittschutzrelevanten - Ebene "geht es um die Vereinbarkeit des geplanten Vorhabens mit den zwingenden, nicht dem Planungsermessen der Behörde unterliegenden Vorschriften des § 8 Abs. 3 AbfG. Auf einer zweiten Entscheidungsebene hat die Behörde sodann ihr Planungsermessen auszuüben." Allerdings ist nur S. 2 Nr. 3 des § 8 Abs. 3 AbfG drittschützend. 434 BVerwG, U.v. 9.3.1989 - 7 C 21.89, E 85, 44 (49); Schwermer, in: Kurag/Schwermer/ Versteyl, AbfG, Rdnr. 54 zu § 8; Franßen, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 399 (440); a.A. VGH München, U.v. 20.12.1988 - 20 A 88.40072, DÖV 1989, 401 (402), sowie VGH Kassel, U.v. 24.6.1986 - 5 UE 704/85, NVwZ 1987, 993 (989), unter Hinweis auf § 18 Nr. 2 WaStrG. Der erstgenannten Auffassung ist zuzustimmen, da von nachteiligen Wirkungen (§ 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG) nur gesprochen werden kann, wenn das Recht nicht entzogen wird. 435 Vgl. Hoppe/Beckmann, Planfeststellung, S. 105. 436 Zutr. Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 57 und 59 zu § 8; Franßen, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 399 (441). 437 Im Ergebnis ebenso BVeiwG, B.v. 20.7.1979 - 7 CB 21.79, DÖV 1980, 133 (135); OVG Münster, U.v. 11.6.1987 - 20 A 2044/85, Ausfertigung, S. 8; VGH Kassel, B.v. 28.8.1986 - 5 TH 3071/84, NVwZ 1987, 987 (989), im Falle unechter Multipolarität (Gemeindeeigentum); aus der Lit. Hoppe/Beckmann, Planfeststellung, S. 75; Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 53 zu § 8; Hösel/von Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Rdnr. 28 zu § 8 Abs 3; Franßen, in: Salzwedel (Hrsg.), Umweltrecht, 1982, S. 399 (440). S. zur Problematik auf der Sekundarebene der Verletzungsfolgen C.Vin.2.a.bb.
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Soweit immissionsbezogene Beeinträchtigungen in Rede stehen, ist der Konfliktschlichtungsmaßstab der Erheblichkeit im einzelnen durch multipolare Abwägung zu ermitteln. Dabei ist § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG mit Hilfe des Instrumentariums zu konkretisieren, das bereits im Rahmen des Immissionsschutzrechts dargestellt wurde (z.B. T A Lärm). Die Annahme eines Konfliktschlichtungsprogramms verlangt auch hier, daß sich Emissionen und Immissionen einander zugeordnen lassen.438 Daher können die sog. Zuordnungskriterien der T A Abfall 439 nicht zur Bestimmung der Gefahren- oder Zumutbarkeitsschwelle im Rahmen des § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG herangezogen werden; sie weisen keinen ausreichenden Immissionsbezug auf. Ist das Vorhaben immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtig, muß wegen der nur formdien Konzentrationswirkung des § 75 Abs. 1 S. 1, Hs. 2 VwVfG bzw. der entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze die materielle Maßstabsnorm der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 , 3 Abs. 1 BImSchG angewandt werden. 440 § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG tritt insoweit zurück. 441 Dies entspricht der Führungsrolle des BImSchG in immissionsbezogenen Konfliktlagen. Die subjektiv-rechtliche Erheblichkeitsschwelle bemißt sich in diesem Fall durch multipolare Abwägimg gem. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG. 442 Insbesondere sei hier auf das oben 443 zur Zwischenwert-Methode und zum Prioritätsgrundsatz Ausgeführte verwiesen. Was Störungen durch An- und Abfahrt von Lastkraftwagen angeht, gelten die Grundsätze verursachungsgerechter Zuordnung: Sofern der Verkehr durch Errichtung und Betrieb der Entsorgungsanlage bedingt ist, sind die daraus resultierenden Lärm- und Luftbelastungen dem Vorhaben zuzurechnen. 444 Des weiteren werden etwaige baurechtliche Drittschutzpositionen auf der Grundlage von § 38 S. 1 BauGB durch die abfall-
438
Vgl. zur Parallelproblematik bei § 5 Abs. 1 BImSchG oben C.VI.3.a. S. die in Anhang D der auf Gmnd von § 4 Abs. 5 AbfG erlassenen TA Abfall ("Gesamtfassung der Zweiten allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Abfall)", Bekanntmachung v. 12.3.1991, GMB1. S. 139) enthaltenen sog. "Zuordnungskriterien fur oberirdische und untertägige Ablagerung". Sie bewirken, daß "eine Reihe von Abfallen zukünftig nur noch nach einer chemisch/physikalischen Behandlung abgelagert werden dürfen", BR-Drcks. 482/90, S. 4. 440 Vgl. VGH Mannheim, U.v. 10.11.1988 - 10 S 758/86, NVwZ 1989, 276 (277); OVG Münster, U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 l.Sp. 441 S. OVG Münster, U.v. 7.6.1990 - 20 AK 25/87, NVwZ 1991, 1200 l.Sp. 442 Für die hoheitliche, also das Staat-Bürger-Veihähnis betreffende Planung vertritt Kühäng, Fachplanungsrecht, Rdnr. 252, dagegen, daß die Zumutbarkeit nicht durch das Gewicht der für das Vothaben sprechenden Belange bestimmt wird, sondern allein durch die "individuelle Betroffenheit des Dritten". 443 C.VI.3.a.c; s. auch C.n.2.a.bb. 444 Allg. zum Erfordernis eines adäquaten Ursachenzusammenhangs Mößle, BayVBl. 1982, 231 (233); s. auch Kopp, VwVfG, Rdnr. 45 zu 3 § 74; Bork, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, Rdnr. 32 zu § 74. 439
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rechtliche Planfeststellung derogiert. 445 Schließlich läßt § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG für eine nonninterne Wirkung von Art. 14 Abs. 1 GG Raum, wie sie etwa im Fall des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb denkbar ist. Damit wird freilich kein Schutz vor markt- und standortbedingten Absatzeinbußen gewährt. 446 Auch gehört es nicht zum Inhalt des Art. 14 Abs. 1 GG, von der Nachbarschaft einer Deponie verschont zu bleiben.447 Was sog. schwere und unerträgliche Beeinträchtigungen außerhalb unmittelbarer Inanspruchnahme von Grundeigentum angeht, greift bereits § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG ein, so daß es eines Rückgriffs auf Art. 14 GG nicht bedarf. 448 Insofern gilt das zum Baurecht Ausgeführte entsprechend.449 cc) Auf der dritten Stufe planfeststellungsbezogener subjektiv-rechtlicher Konfliktschlichtung ist die Position des Dritten besonders stark ausgeprägt. Dabei geht es um die unmittelbare Inanspruchnahme von Grundstückseigentum, wobei der abfallrechtlichen Planfeststellung enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt (z.B. Art. 15 BayAbfAlG = Art. 12 BayAbfG). Hier tritt Art. 14 Abs. 1 und 3 GG in norminterner Wirkung 450 § 7 Abs. 1 AbfG zur Seite und stärkt die Drittposition im Rahmen des Rechts auf fehlerfreie Abwägung: Der Grundstückseigentümer kann in diesem Fall auch rein öffentliche Belange oder Belange Dritter zu seinen Gunsten in die multipolare Abwägung einbringen. Dies ergibt sich daraus, daß sich der private Vorhabenträger auf das Allgemeinwohl beruft, um zur Verwirklichung seiner Gestaltungsinteressen Zugriff auf das Grundstückseigentum des privaten Konfliktgegners nehmen zu können (Enteignung zugunsten Privater). 451 Aus Gründen multipolarer Gleichgewichtigkeit nach Maßgabe der Konfliktschlichtungsformel muß es dann aber dem privaten Eigentümer gestattet sein, sich seinerseits gegen eine solche Rechtseinbuße mit der Rüge zu wehren, daß eben diese Voraussetzungen des Allgemeinwohls nicht vorlägen. Das ist dann der Fall, wenn die Planfeststellung nicht in jeder Hinsicht rechtmäßig ist. 452 Insoweit kann sich der Verschonungsinteressent 445
Zutr. VG Freiburg, B.v. 24.10.1986 - 6 K 123/86, UPR 1987, 358 (359). Vgl. VGH Kassel, B.v. 14.3.1990 - 3 TH 2517/89, DÖV 1991, 118 f.; zur einfechgesetzlichen Inkorporierung des Art. 14 GG s.o. B.n.2.a.bb. 447 S. OVG Münster, U.v. 11.6.1987 - 20 A 2044/85, Ausfertigung, S. 9. 448 Dazu BVerwG, B.v. 3.9.1987 - 7 B 179.87, UPR 1988, 147 f.; s. aber auch Schechinger, DVB1. 1991, 1182 (1185); Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 397. 449 S.o. B.n.2.a.aa. 450 Dazu B.I.l.b. Demgegenüber will das BVerwG, U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.79, E 67, 74 (76), Art. 14 Abs. 1 und 3 GG im Rahmen fernstraßenrechtlicher Planfeststellung unmittelbar anwenden. 451 S.o. oben A.n.2, m.2. 452 Vgl. Schmidt-4ßmann, in: Maunz/Dürig, Rdnr. 163 zu Art. 19 Abs. IV, nimmt insoweit ein "eigenes subjektiv-rechtliches Entscheidungsprogramm neben dem Abwägungsgebot" an. S. hierzu oben C.IV.l.a.aa. 446
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dem Zugriff des privaten Gestaltungsinteressenten auch mit dem Hinweis auf objektiv-rechtliche Gesetzesverstöße (z.B. gegen naturschutzrechtliche Vorschriften) entziehen.453 Bei der Aufopferung von Grundeigentum zugunsten eines privaten Vorhabenträgers eröffnet das Allgemeinwohl-Kriterium zwar die Zulässigkeit des Vorhabens. Hand in Hand damit stärkt es aber auch die Abwehrposition des Eigentümers. Mit Recht hat daher der V G H Mannheim454 die zum Straßenrecht entwickelten Grundsätze455 auf die abfallrechtliche Planfeststellung bei direkter Inanspruchnahme von Grundeigentum übertragen. Auch auf dieser Stufe wird der Boden subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung nicht verlassen. Auch wenn sich der Dritte rein objektive Belange zunutze machen kann, muß doch eine Kausalität 456 (Erheblichkeit) des objektiven Abwägungsmangels für die Beeinträchtigung seiner Grundeigentümerstellung bestehen. Sonst wäre das Erfordernis notwendiger Einbeziehung eigener Verschonungsinteressen in das Konfliktschlichtungsprogramm nicht erfüllt. Hierzu sei beispielhaft auf die Teilbarkeit von Planungsabschnitten in sachlich-örtlicher 457 (z.B. Zwangspunktbildung458) und zeitlicher 459 Hinsicht im Bereich hoheitlicher Planfeststellung verwiesen.
453 S. grdl. - zur fernstraßenrechtlichen Planfeststellung - für den Fall der Inanspruchnahme von Grundeigentum BVerwG, U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.97, E 67, 74 (75 ff.); krit. dazu Schwabe, DVB1. 1984, 140 (141 ff.), der dem BVenvG entgegenhalt, nicht jede rechtswidrige Grundrechtsbeeinträchtigung sei eine Grundrechtsverletzung. 454 U.v. 27.3.1984 - 10 S 1985/83, DÖV 1984, 896 (897); ebenso VGH Mannheim, U.v. 24.11.1987 - 10 S 1044/84, VB1BW 1988, 337 f. 455 BVerwG, U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.79, E 67, 74 (75 ff.). 456 Vgl. Obermayer, VwVfG, Rdnr. 203 zu § 74 Fn. 159. Das BVerwG spricht davon, daß bestimmte formelle oder materielle Fehler "für die Rechtsbetroffenheit des klagenden Grundeigentümers unerheblich" bzw. "unbeachtlich" sein können, vgl. U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.79, E 67, 74 (77). Vgl. zur Problematik auf der Sekundärebene der Verletzungsfolgen C.Vm.2.b.bb a.E. 457 Vgl. BVerwG, U.v. 18.3.1983 - 4 C 80.79, E 67, 74 (78), mit der zutr. Erwägung, daß der in Anspruch genommene Grundstückseigentümer nichts daraus herleiten könnte, daß eine Straßentrasse unter Verstoß gegen Vorschriften des Landschafts- und Naturschutzes geplant ist, dies aber nicht die Trassenführung in dem Bereich betrifft, in dem sein Grundstück liegt. - Unter dem Aspekt der Teilbarkeit räumt auch Ramsauer, DOV 1981, 37 (43), ein, daß eine Begrenzung der subjektiv-rechtlichen Reichweite des Abwägungsgebots trotz "des grundsätzlich bestehenden inneren Planungszusammenhangs und der Interdependenz aller betroffenen Belange" möglich ist. - Zur multipolaren Ausschnittsbetrachtung s.o. auch A.I.l.a sowie vor allem A.H.2.e. 458 Vgl. BVenvG, U.v. 24.11.1989 - 4 C 41.88, DVB1. 1990, 424 r.Sp. (insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 84, 123); VGH Mannheim, U.v. 15.10.1990 - 5 S 197/90, NVwZ-RR 1991, 399 r. Sp. 459 Zur Reichweite einer entsprechenden Rüge mangelhafter Abwägung BVerwG, B.v. 7.12.1988 - 7 B 98.88, DVB1. 1989, 510 (511).
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dd) Der planfeststellungsbezogene Ausgleich der kollidierenden Privatinteressen vollzieht sich im Wege multipolarer Abwägung. 4* 0 Somit besteht für eine vorgeschaltete Prüfung, ob einem Vorhaben zwingende Gründe von vornherein entgegenstehen stehen, keine Veranlassung. Wenn das BVerwG daher in seinem Urteil vom 9.3.1990 461 in einem Fall direkter Inanspruchnahme von Grundstückseigentum die Kategorie der privatnützigen Planfeststellung im Abfallrecht aufgegeben hat, ist dem zuzustimmen.462 Neben dem Hinweis auf die formelle Konzentration sieht der 7. Senat des BVerwG die abfallrechtliche Planfeststellung als "prinzipiell gemeinnützig" an. Ob des weiteren die konkrete Anlage dem Allgemeinwohl dient, könne nur "aufgrund einer Abwägung der von dem Vorhaben betroffenen Öffentlichen und privaten Belange beantwortet werden", was eine "gleichsam vor die Klammer gezogene, abwägungsunabhängige Feststellung der Privatnützigkeit" ausschließe. Die sich im Abfallrecht in der Tat aufdrängende Gemeinwohlnähe ist dogmatisch nicht einmal ausschlaggebend für die Aufgabe der Kategorie privatnütziger Planfeststellung. Entscheidend ist vielmehr, daß sich der Ausgleich der kolliderenden Privatinteressen von Vorhabenträger und Drittem als multipolare Abwägung darstellt und eine - isolierte - Vorabprüfung nicht nur nicht erforderlich ist, sondern der gebotenen einheitlichen Gesamtbilanzierung sogar im Wege steht. Auch kann von einer materiell-rechtlichen Lücke keine Rede sein. 463 Selbstverständlich muß die ("enteignende") Inanspruchnahme von Grundeigentum dem Allgemeinwohl dienen. 464 Ob dies der Fall ist, wenn Vorhabenträger ein Privater ist, dessen betriebswirtschaftliche Zielsetzung auf Gewinnerzielung gerichtet ist, läßt sich ohne weiteres im Rahmen der konkreten multipolaren Abwägung klären. Vor diesem Hintergrund trifft auch der Satz, "privatnützige Planungen vermögen Eingriffe in Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen", 465 nicht den Kern des Problems. Es kommt darauf an, ob das Konfliktschlichtungsprogramm in der kehrseitigen Konfliktlage dem privaten Vorhabenträger den Zugriff auf das Grundstückseigentum des privaten Verschonungsinteressenten erlaubt. Daß die Ordnungsnorm ihrerseits Art. 14 GG entsprechen muß, versteht sich dabei von selbst. Damit kann es zur Rechtszuweisung zugunsten der Gestaltungsinteressen nur unter den Voraussetzungen des Allgemeinwohls kommen, dessen positive
460
Vgl. im einzelnen oben C.II.2.a.ee. 7 C 21.89, E 85, 44 (46); and. noch die Vorinstanz VGH München, U.v. 20.12.1988 20 A 88.40072, DÖV 1989, 401 (402 f.). 462 Ebenso Schweriner, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 5 zu § 8; Kühling, in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (397 ff.); Paetow, ibid., S. 425 (437 ff.); Weidemann, DVB1. 1990, 592 f.; dagegen Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, Rdnr. 27 zu § 15 mit Fn. 86. 463 So zu Recht Kühling, in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (398 f.). 464 Vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 BayEG; Art. 15 BayAbfAlG = 12 BayAbfG. Vgl. auch Beckmann/Appold/Kuhlmann, DVB1. 1988, 1002 (1007). 465 BVerwG, U.v. 7.7.1978 - 4 C 79.76 u.a., E 56, 110 (119). 461
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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Feststellung zum Regelungsgehalt des streitschlichtenden Planfeststellungsbeschlusses gehört. Letztlich ergibt sich hieraus auch, daß für eine eigenstandige Prüfungsstufe der Planrechtfertigung unter dem Aspekt privatnütziger Planfeststellung kein Raum ist. 466 Die Zulässigkeit des privaten Abfallentsorgungsvorhabens ist objektiv- und subjektiv-rechtlich allein auf der Stufe der (multipolaren) Abwägung zu prüfen und zu entscheiden.467
b) Einzelfragen abfallrechtlicher Konfliktschlichtung (§§ 7 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c, 8 Abs. 3 S. 1 und 7 a Abs. 1 AbfG) aa) Das soeben zum Anspruch auf gerechte Abwägung eigener Belange und zu § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG Ausgeführte gilt prinzipiell auch für die abfallrechtliche (Plan-)Genehmigung gem. § 7 Abs. 2 AbfG. 468 Sie verfugt ihrerseits über eine planerische Dimension. Diese kommt namentlich dann zur Geltung, wenn das Vorhaben zugleich immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig ist. 469 Dann umschließt die Genehmigung gem. § 6 BImSchG auf Grund der (formellen) Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG auch die abfallrechtliche Genehmigung. Materiell-rechtlich bleiben die abfallrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen aber uneingeschränkt beachtlich. Dies gilt auch für den Planungscharakter der Genehmigung.470 Damit erleidet bereits nach geltendem Recht die allgemeine Auffassung, daß die immissionsschutzrechtliche Genehmigung strikter Natur, also bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf ihre Erteilung besteht, eine dogmatisch bedeutsame Einschränkung. Der Dritte kann in diesen Fällen schon de lege lata gegenüber der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auch das subjektive öffentliche Recht auf abwägungsfehlerfreie Entscheidung geltend machen.471 Ist dagegen das Vor-
466
Abi. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 166 (zu hoheitlichen Planungen). Offengelassen in BVerwG, U.v. 9.3.1990 - 7 C 21.89, E 85, 44 (51). 468 Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß es ferner zu dem oben C.VI.2.d schon erwähnten Verlust bauplanungsrechtlicher Drittrechtspositionen kommen kann, da § 38 S. 1 BauGB auch im Falle einer gem. § 13 BImSchG eingeschlossenen abfalliechtlichen Plangenehmigungen Anwendung findet. 469 Hoppe/Beckmann, Planfeststellung, S. 114, sprechen insoweit von "Ausnahmefällen". 470 S. Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 10 a zu § 8; Wahl, NVwZ 1990, 426 (428). 471 Aus der Sicht des Unternehmens führt dies dazu, daß es sein Gestaltungsvornahmebegehren nicht mehr auf einen strikten Anspruch stützen kann, sondern nunmehr mit der für die abfallrechtliche Plangenehmigung charakteristischen planerischen Gestaltungsfreiheit konfrontiert wird. Sowohl § 7 Abs. 1 als auch Abs. 2 AbfG gewähren prinzipiell nur einen Anspruch auf planabwägungsgerechte Entscheidung über das Vorhaben; vgl. Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 10 zu § 8; Hoppe/Beckmann, Planfeststellung, S. 120 f.; in der Sache auch Franßen, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 399 (440). 467
VI.5. Abfall-, Wasser-, Begrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
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haben immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftig, wird sich regelmäßig die Notwendigkeit von Parallelgenehmigungen neben der Plangenehmigung gem. § 7 Abs. 2 AbfG ergeben. Deren Anwendungsbereich ist dabei auf den abfallrechtlichen Sachgegenstand beschränkt.472 Drittpositionen können daher insoweit auch nur in bezug auf den spezifisch abfallrechtlichen Kernbereich der Zulassungsvoraussetzungen bestdien. Insgesamt bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber im Zuge der geplanten Novellierung des AbfG dazu entschließt, für immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtige Entsorgungsanlagen nur noch die abfallrechtliche Plangenehmigung vorzusehen.473 bb) Nach § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG darf eine abfallrechtliche Transportgenehmigung u.a. nur dann erteilt werden, wenn von der Entsorgung im Empfängerstaat "keine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit" im Geltungsbereich des AbfG ausgeht. Die Gemeinwohlklausel mag in der Tat zunächst für eine rein objektiv-rechtliche Funktion der Norm sprechen,474 wenn sie auch - wie oben475 dargestellt - keineswegs Drittschutz per se ausschließt. Allerdings ist zu beachten, daß Nr. 4 c nicht allein vom Wohl der Allgemeinheit spricht, sondern die Entsorgung im Empfangerstaat zu den sich daraus ergebenden Risiken für Anwohner im Geltungsbereich des AbfG in Beziehung setzt. Damit sind die Verschonungsinteressen dieser Personen angesprochen, die sich im Einwirkungsbereich der Entsorgungsanlage aufhalten und gem. § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG drittberechtigt wären, wenn sich die Anlage im Geltungsgebiet des AbfG befände. 476 Da der Gesetzgeber aus Gründen der Extraterritorialität in diesen Fällen keinen Drittschutz gegenüber Errichtung und
472 Vgl. hierzu Schmidt-Preuß , DVB1. 1991, 229 (235 ff.): Gnindsatz komplementärer Parallelgenehmigungen. Zu den denkbaren Regelungsmodellen Hoppe/Beckmann, Planfeststellung, S. 115 f. 473 So die Empfehlung des BT-Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicheiheh, BX-Drcks. 11/6633, S. 4. Demgegenüber hatte der Bundesrat angeregt, ganz auf die Zulassung nach § 7 Abs. 1 und 2 AbfG zu verzichten, BT-Drcks. 11/4909, S, 39 f. Unter der Prämisse, daß sich am materiell-rechtlichen Zulassungsmaßstab nichts andern soll, wären dann allerdings erhebliche Folgeanderungen einschließlich einer "Art Bedürfnisprüfung" im BImSchG kaum zu vermeiden; vgl. Versteyl , in: Kunig/Schwermer/Versteyl, Rdnr. 45 b zur Einl. 474 So sehr deutlich VGH Mannheim, B.v. 9.10.1989 - 10 S 1073/89, DVB1. 1990, 60 (61), wenn auch die Frage letztlich offen lassend; VG Schleswig, B.v. 2.10.1986 - 12 D 43 und 72/86, UPR 1987, 77 (78), unter Hinweis auf § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AbfG und in Abgrenzung zu § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG; VG Hamburg, B.v. 18.9.1986 - 18 2970//86, NVwZ 1987, 354 (355). Ferner gegen Drittschutz Kunig , NuR 1986, 212 f.; sowie ders., in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 29 zu § 13; Breuer , DVB1. 1986, 849 (854) Fn. 59; Pietwer/Ronellenfitsch, Assessorexamen, Rdnr. 27 zu § 15 Fn. 85; Haschützky/Kreft , Recht der Abfallwirtschaft, Anm. 1.3 zu § 13; auf Bedenken hinweisend Gerhardt , DVB1. 1989, 125 (135). 475 Dazu C.m.3. 476 Vgl. die überzeugende Erwägung des OVG Hamburg, B.v. 25.8.1987 - Bs VI 31/87, DVB1. 1987, 1017 (1019).
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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Betrieb der Anlage selbst gewähren kann, knüpft er an den Vorgang der Verbringung an. Entscheidend ist, ob kausal zuzuordnende Immissionen - etwa über Wasserläufe und Gnindwasseiverunreinigungen - die Gesundheitsinteressen der im (inländischen) Einwirkungsbereich der Anlage wohnenden Personen beeinträchtigen. Auf diese Weise werden die Gestaltungsinteressen des Transportunternehmers mit den Verschonungsinteressen immissionsbetroffener Inlandsnachbarn einem Konfliktschlichtungsprogramm unterstellt und - im Rahmen eines weitergehenden objektiv-rechtlichen Ordnungsgefüges - zum Ausgleich gebracht. Damit ist § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 c AbfG partiell drittschützend.477 cc) Nach § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG sind Planfeststellung oder Genehmigung zu versagen, warn das Vorhaben den für verbindlich erklärten Feststellungen eines Abfallentsorgungsplans 478 zuwiderläuft. Dem ist eine normative Einordnung kollidierender Privatinteressen in ein Konfliktschlichtungsprogramm nicht zu entnehmen. Über die "Richtigkeit" einer Standortausweisung sagt die Vorschrift nichts. Vielmehr ist Normgegenstand allein das Verhältnis zwischen Vorhaben und einem für verbindlich erklärten Entsorgungsplan, d.h. die Wahrung dieses Planungsinstruments gegenüber der nachfolgenden Einzelzulassung durch Planfeststellung oder Genehmigung; insoweit bleibt der Behörde das Konfliktschlichtungsmandat für die - auch standortbezogene - planerische Feinsteuerung.* 19 Da die Voraussetzung»! der Konfliktschlichtungsformel nicht vorhegen,
477
Über den Weg der verfassungskonformen Auslegung anhand von Art. 19 Abs. 4 GG im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg, B.v. 21.4.1986 - 7 B 39/85, DVB1. 1986, 418 (420); im Anschluß daran VG Oldenburg, B.v. 17.9.1990 - 1 B 2435/90, Ausfertigung, S. 13 ff.; sich auch auf verfassungskonforme Auslegung stutzend, aber kaum nachvollziehbar VG Darmstadt, B.v. 10.11.1986 - HI/2 H 1677/86, NVwZ 1987, 350 (351 f.); s. demgegenüber die soeben erwähnte Entscheidung des OVG Hambuig, B.v. 25.8.1987 - Bs VI/87, DVB1. 1987, 1017 (1019). Aus der Lit. wie das OVG Lüneburg Hösel/von Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Rdnr. 6 zu § 13 Fn. 29; K. Becker, DVB1. 1986, 421 (422). 478 Zur Rechtsqualität des Abfallentsorgungsplans s. BVerwG, B.v. 20.12.1988 - 7 NB 2.88, NVwZ 1989, 458 (460); aus der Bemerkung, daß bei mangelhafter Abwägung hinsichüich des Entsorgungsplans in einem Zulassungsverfahren von seiner Teilnichtigkeit auszugehen wäre, ergibt sich nur, daß der Dritte ein Recht auf fehlerfreie Abwägung seiner Belange hat, nicht aber, daß ihm § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG bei einer Divergenz zwischen Zulassungsentscheidung und Abfallentsorgungsplan ein subjektives öffentliches Recht auf Planeinhaltung einräumt. - Ob ein Nachbar gegen die Standortausweisung in einem Entsorgungsplan nach Maßgabe einer landesrechtlich eröffneten Normenkontrolle gem. § 47 VwGO vorgehen kann, ist eine andere Frage; s. insoweit zur Problematik der Zweigleisigkeit des Rechtsschutzes Hoppe/Beckmann, DÖV 1990, 769 (773 f.); dagegen ohne Bedenken Peine, JZ 1989, 541 f.; zu den Anforderungen des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO BVerwG, B.v. 18.12.1990 - 7 NB 4.90, NVwZ 1991, 235 f. In diesen Fällen geht es um den Angriff auf die Festsetzung der Anlage an dem ausgewiesenen Standort. Demgegenüber würde ein Drittabwehrbegehren unter Zuhilfenahme des § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG den Fall einer Abweichung von der Ausweisung betreffen. 479
Insoweit hat das BVerwG, B.v. 20.12.1988 - 7 NB 2.88, NVwZ 1989, 458 (460), zu
VI.5. Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
335
ist § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG nicht drittschützend.480 Dies gilt auch für den Fall, daß es an einer für verbindlich erklärten Feststellung eines Abfallentsorgungsplans überhaupt fehlt. 481 dd) Nach § 7 a AbfG kann in einem Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren die Behörde unter Widerrufsvorbehalt den vorläufigen Beginn der Ausfuhrung zulassen. Voraussetzung dafür ist u.a., daß mit einer Entscheidung zugunsten des Trägers des Vorhabens gerechnet werden kann und ein öffentliches Interessen an dem vorzeitigen Beginn besteht. Die Vorschrift deckt nicht nur die vorläufige Errichtung, sondern ggf. auch den Betrieb ab. 482 Die vorläufige Zulassung stellt weder ganz noch teilweise die (endgültige) Hauptentscheidung über das Vorhaben dar und kann ebenso wenig als erste Teilgenehmigung, Vorbescheid oder auch nur als ein vorläufiges positives Gesamturteil angesehen werden. Regelungsgegenstand sind lediglich abtrennbare Teilakte des Vorhabens, die einer isoliert-vorläufigen Zulassung ohne Bindungswirkung für die Hauptentscheidung zugänglich sind. Daraus ergibt sich, daß sich die vorläufige Zulassung qualitativ und quantitativ immer nur auf ein deutliches Minus gegenüber dem Gegenstand der Hauptentscheidung beziehen und dieser nicht vorgreifen darf. Wenn § 7 a AbfG die Prognose der Immissionen des Anlagenbetriebs erfordert, wird damit nicht der normative Ausgleich kollidierender Privatinteressen im eigentlichen Streitfall herbeigeführt. Insoweit sind Gestal-
Recht von dem "uberörtlichen Charakter" des (seinerzeitigen) Abfallbeseitigungsplans und der "Notwendigkeit" gesprochen, "die Standorteignung im nachfolgenden Zulassungsverfahren abschließend zu prüfen". Daher kann ihm in der Tat "noch keine endgültige, alle konkreten, auch kleinraumigen Standortelemente berücksichtigende Abwägung zugrunde liegen". Für eine strikte "Sperrwirkung" Schwermer , in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 52 zu § 6; dagegen für einen verbleibenden Spielraum im Rahmen des "Zuwiderlaufens" i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG Ronellenfitsch , DVB1. 1989, 737 (745). 480 Vgl. BVerwG, B.v. 10.2.1983 - 7 B 21.83, ZfW 1983, 188; VGH Mannheim, B.v. 25.6.1974 - DC (I) 848/73, RdL 1976, 35 (37), zu § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG a.F. im Falle eines privaten Dritten; OVG Münster, U.v. 24.11.1982 - 20 A 49/81, ZfW 1983, 184 (185); VG Berlin, U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1982, 101 (102); Drittschutz nur zugunsten der Gemeinde nimmt das OVG Lüneburg, B.v. 19.6.1987 - 7 B 20/87, NVwZ 1987, 997 (999), in ausdrücklicher Abgrenzung zu Abwehrrechten Privater an. Aus der Lit. Hoppe/Beckmann , Planfeststellung, S. 42; Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, Rdnr. 38 zu § 8; Pietzner/Ronellenßtsch, Assessorexamen, Rdnr. 27 zu § 15 (S. 158); Hösel/von Leisner, Recht der Abfallbeseitigung, Rdnr. 20 zu § 8 Abs. 3 AbfG; für Drittschutz Privater dagegen Ibler , DVB1. 1989, 639 (646); ohne eigene Stellungnahme Weidemann, NVwZ 1989, 1033 (1035). 481 § 8 Abs. 3 S. 1 trifft bereits objektiv-rechtlich keine Aussage zu diesem Fall; vgl. zutr. BVerwG, B.v. 10.2.1983 - 7 B 21.83, ZfW 1983, 188; s. auch VG Berlin, U.v. 18.9.1981 - 13 A 405/79, UPR 1982, 101 (102). 482 S. BVerwG, B.v. 30.4.1991 - 7 C 35.90, DVB1. 1991, 877 (879); VGH Kassel, B.v. 6.4.1989 - 3 TH 503/89, NVwZ-RR 1989, 635 (637); Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 8 zu § 7 a.
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
tungsinteressen des Vorhabenträgers und Verschonungsinteressen des Dritten allein dem Konfliktschlichtungsprogramm des § 7 Abs. 1 AbfG i.V.m. § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AbfG unterstellt. Unter diesem Aspekt ist § 7 a AbfG nicht drittschützend.483 Daher ist dem BVersvG zuzustimmen, wenn es namentlich die gem. § 7 a Abs. 1 Nr. 1 AbfG gebotene Prognose einer positiven Hauptentscheidung nicht als drittschützend ansieht. Demgegenüber umschließt § 7 a AbfG mit der Formulierung "bereits vor Feststellung des Plans ... mit der Ausfuhrung begonnen" eine auf die Einhaltung der Grenzen vorläufiger Zulassung bezogene normative Ordnung der kollidierenden Interessen von Betreiber und Dritten: Jener darf seine Gestaltungsinteressen vorläufig verwirklichen, dieser aber seine Abwehrinteressen auf Kosten des Vorhabenträgers dann zur Geltung bringen, wenn unter dem Vorwand der Vorläufigkeit in Wahrheit bereits das endgültige Vorhaben realisiert wird und die Schaffung vollendeter Tatsachen droht. In einem solchen Umgehungsfall ist § 7 a AbfG drittschützend.484
c) Subjektiv-rechtlich verfaßte Konfliktschlichtung im Wasserrecht (§§ 7, 8 und 31 Abs. 1 und 2 WHG) aa) Ist zu erwarten, daß eine Gewässerbenutzung "auf das Recht eines anderen nachteilig einwirkt", und erhebt dieser Widerspruch, darf nach § 8 Abs. 3 S. 1 WHG eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die nachteiligen Wirkungen durch Auflagen verhütet oder ausgeglichen werden. 485 Der Begriff des Rechts i.S.d. § 8 Abs. 3 S. 1 WHG betrifft Ausübungsberechtigungen wie "ältere" Bewilligungen486 oder Fischereirechte nach den Landesgesetzen.487 Im
483 Vgl. BVerwG, U.v. 30.4.1991 - 7 C 35.90, DVB1. 1991, 877 (878); Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 37 zu § 7 a; a.A. Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. IV 2; Hoschützky/Kreft, Recht der Abfallwirtschaft, Bern. 1.5 zu § 7 a. 484 Vgl. hierzu die Erwägung des BVerwG, U.v. 30.4.1991 - 7 C 35.90, DVB1. 1991, 877 (879); ferner VGH München, B.v. 14.11.1989 - 20 AS 89.40007, NVwZ 1990, 990 (991); s. auch Schwermer, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, Rdnr. 37 zu § 7 a, der Rechtsschutz zugunsten Dritter "in unmittelbarer Nachbarschaft des Vorhabens" bejaht. 485 Ist dies nicht möglich, darf die Bewilligung gleichwohl aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit erteilt werden, sofern der Betroffene entschädigt wird (§ 8 Abs. 3 S. 2 WHG). 486 Allerdings schrankt § 2 Abs. 2 S. 1 WHG die Rechtsposition einesfrüheren Bewilligungsinhabers stark ein; vgl. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 450: "endogene Schwäche", da kein Recht auf Zufluß von Wasser bestimmter Menge und Beschaffenheit bestehe; gleichwohl verhindere Art. 14 Abs. 1 GG eine "völlige 'Blutleere* des Grundeigentums in wasserwirtschaftlicher Hinsicht" (ibid., Rdnr. 453). 487 Ausnahmsweise wird hiermit das subjektive öffentliche Recht i.e.S. bezeichnet; das ergibt der Vergleich mit den Nachteilen unterhalb der Schwelle des Rechts, wie sie in Art. 18 Abs. 1 S. 1 a.E. BayWG in Ausfüllung der Ermächtigung des § 8 Abs. 4 S. 1 WHG statuiert sind; zum Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts i.e.S Wolff/Bachof, VerwR I, § 43 II c (S. 327) sowie m c 1 (S. 331); ferner bereits oben C.IV.l mit Fn. 12.
VI.5. Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
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übrigen öffnet sich hier das einfachgesetzliche Fachrecht dem Grundstückseigentum488 oder dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG), das freilich nur eine Mindestgewährleistung enthalt.489 § 8 Abs. 3 S. 1 WHG läßt eine Verwirklichung der Gestaltungsinteressen des Gewässerbenutzers nur bis zur Grenze nachteiliger Einwirkungen auf das "Recht" des Verschonungsinteressenten zu und unterstellt damit die kollidierenden Privatinteressen dem Konfliktschlichtungsprogramm einer auf Interessenausgleich angelegten Wasserbewirtschaftsordnung. Der Dritte hat damit ein subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Berücksichtigung seiner Verschonungsinteressen bei der Ausübung des behördlichen Bewirtschafiungsermessens.490 Gleiches gilt, soweit die Landesgesetzgeber von der Ermächtigung des § 8 Abs. 4 S. 1 WHG Gebrauch gemacht und weitere Fälle bestimmt haben, "in denen nachteilige Wirkungen einen anderen zu Einwendungen berechtigen". Dies ist in der Regel in enumerativ aufgeführten Fällen unterhalb der Ebene des (subjektiven) "Rechts"491 in den Landeswassergesetzen geschehen.492 Dabei ist die Ermächtigung des § 8 Abs. 2 S. 2, Hs. 2 WHG ebenfalls weithin in Anspruch genommen und die Erteilung der Bewilligung auch für den Fall zugelassen worden, daß "der aus der ... Benutzung zu erwartende Nutzen den für den Betroffenen zu erwartenden Nachteil erheblich übersteigt".493 Mit dieser Formel wird die multipolare Abwägung in geradezu klassischer Weise durch den Gesetzgeber umschrieben. Breuer 494 ist zuzustimmen, wenn er insoweit auf die erforderliche "Abwägung der privaten Interessen des Bewilligungs- oder Erlaubnisadressaten und des betroffenen Nachbarn" hinweist und von einer "Nutzenbilanz" spricht. Die Verschonungsinteressen des bereits vorhandenen Gewässerbenutzers oder sonstigen Dritten und die Gestaltungsinteressen des Bewilligungspetenten werden gewichtet und der Ausgleichs-
488
Zu den Grenzen s. VGH München, U.v. 23.4.1985 - Nr. 8 B 84 A.972, NuR 1989, 40 f.; Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 453. 489 Zutr. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 456, 457, 459 ff.; aus der Rspr. BVerwG, U.v. 11.11.1970 - IV C 102.67, E 36, 248 (249 ff.); VGH Mannheim, U.v. 5.3.1981 - 5 S 1798/80, ZfW 1982, 240 (241 f.). Allg. zur einfachgesetzlichen Inkorporierung des Art. 14 GG s.o. B.II.2.a.bb. 490 Zur "Bewirtschaftungskonzeption" s. Salzwedel, in: FS f. Sendler, 1991, S. 321 (326 f.). 491 S.o. Fn. 486. 492 Hierzu Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 464 ff.; vgl. etwa Art. 18 Abs. 1 BayWG: Nachteile durch die Benutzung, "auch ohne daß dadurch ein Recht beeinträchtigt wird"; s. dazu Sieder/Zeitler/Dahme, BayWG, Rdnr. 1 f. zu Alt. 18. 493 Vgl. z.B. Art. 18 Abs. 2 BayWG. S. auch die ausdrückliche gesetzliche Bestimmung im dortigen S. 2, wonach geringfügige Nachteile außer Betracht bleiben; zur Spürbarkeitsproblematik C.m.6.c. 494 Wasserrecht, Rdnr. 485; in dem "ausgewogenen Ausgleich der nachbarlichen Interessen und Rechtspositionen" sei eine nicht zu beanstandende gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung zu sehen.
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C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Ordnung ressourcenschonender und nutzenstiftender Wasserbewirtschaftung unterstellt. Damit sind die Voraussetzungen der Konfliktschlichtungsformel erfüllt. Dem Anspruch des Betreibers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Bewilligungsantrag entspricht daher der ebenso ermessensbezogene Anspruch des Dritten auf Berücksichtigung seiner Verschonungsinteressen. Dabei vermag er im Falle der "Rechts" inhaberschaft eine stärkere Position in die multipolare Ermessensabwägung einzubringen als bei Geltendmachung der landesrechtlich enumerativ aufgeführten Fälle unterhalb der Schwelle der Ausübungsberechtigung. Dagegen kann die Übertragung der schon für den Anwendungsbereich des Baurechts abgelehnten Rücksichtnahme-Doktrin495 auf das Wasserrecht durch das BVerwG 496 im Rahmen seiner alle wasserrechtlichen Gestattungstatbestände umfassenden Drittschutzkonzeption nicht überzeugen.497 Wie oben498 dargelegt, zeigt sich gerade im Wasserrecht, daß die Rechtsprechung weiterhin das tatbestandsunabhangige Rücksichtnahme-Konzept auch baurechtsextern praktiziert. Allgemein wird hierzu auf das zur "dritten Ebene" und zur "AbgrenzbarkeitsDoktrin" Ausgeführte verwiesen. 499 Stattdessen sollte die Rechtsprechung den Drittschutz gegenüber Bewilligungen aus § 8 WHG selbst entnehmen, wie sie das früher auch durchaus getan hat. 500 bb) Was die wasserrechtliche Erlaubnis angeht, so ist zu differenzieren. Sofern das Landesrecht - wie z.B. Art. 17 BayWG - die Erlaubnis durch Bezugnahme auf § 8 Abs. 3 WHG formalisiert, werden auch die gegenläufigen Verschonungsinteressen in den derart angereicherten normativen Konfliktausgleich tatbestandlich einbezogen.501 Insoweit gilt das soeben zur Bewilligung
495
s.o. C.I.2.b. u.V. 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 ff.; U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (41 ff.); übernommen für die Bewilligung vom OVG Münster, U.v. 21.8.1989 - 20 A 1629/88, ZfW 1990, 417 (418 f.), im Anschluß an die für alle wasserrechtlichen Gestattungen postulierte Einheitsbegründung eines drittschützenden Rücksichtnahmegebots. 497 Zutr. gegen die Rücksichtnahme-Doktrin im Rahmen des § 8 Abs. 3 WHG bereits Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 463. 498 S.o. C.I.2.c.dd. 499 S. B.I.2.a bzw. C.I.2.b. 500 Vgl. BVerwG, U.v. 7.6.1967 - IV C 208.65, E 27, 176 (180): "... das in § 8 Abs. 3 ('... Betroffene ...') ... zum Ausdruck gekommene zugleich nachbarschützende Wesen der wasserrechtlichen Vorschriften" (zur Bewilligung nach dem damaligen BayWG). S. im übrigen die Hinweise auf Nachbarschutz unterhalb der Schwelle des Art. 14 GG in BVerwG, B.v. 29.7.1980 4 B 218.79, ZfW 1981, 38 (39), wonach auch "aufgrund einfach-gesetzlicher Regelung erwachsende Rechte nachbarschützenden Charakters in Frage kommen" (kuro. i.O.); ferner BVerwG, U.v. 20.10.1972 - IV C 107.67, E 41, 58 (67). 501 Zur Gleichbehandlung beider unter dem Aspekt des Drittschutzes s. Breuer, Wasserrecht, 496
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Ausgeführte entsprechend. Schwieriger hegen die Dinge bei der sog. einfachen Erlaubnis. § 7 WHG selbst enthält auf den ersten Blick im Gegensatz zur Bewilligung und zur gehobenen Erlaubnis keinen Anhaltspunkt, der auf einen Ausgleich kollidierender Privatinteressen bei der Ausübung des wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens hindeuten könnte. Dies gilt aber nur bei isolierter Betrachtung. Dagegen war bereits oben502 ausgeführt worden, daß als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte nicht nur eine Einzelnorm in Betracht kommt, sondern das Konfliktschlichtungsprogramm vielfach erst aus dem normativen Umfeld erschlossen werden kann. Wenn die Urteile des BVerwG vom 3. und 15.7.1987 503 für die Begründung des wasserrechtlichen Drittschutzes den Ausgangspunkt einer Rechtsanalogie zu den §§ 4 Abs. 1 S. 2, 1 a Abs. 1 und 18 WHG gewählt haben, ist ihnen trotz der z.T. nachhaltigen Kritik, die diese Rechtsprechung insgesamt erfahren hat, 504 in diesem Punkte zuzustimmen. Entscheidende Bedeutung hat dabei § 4 Abs. 1 S. 2 WHG, der ausdrücklich im Fall der Erlaubnis Auflagen für zulässig erklärt, wenn auf diese Weise "nachteilige Wirkungen für andere" verhütet oder ausgeglichen werden. Damit ist auch für die einfache Erlaubnis die Ermessensdirektive maßgeblich, daß die Verschonungsinteressen des Dritten den Gestaltungsinteressen des Erlaubnispetenten gegenüberzustellen und durch multipolare Abwägung auszugleichen sind. 505 § 7 i. V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 W H G enthält damit ein Konfliktschlichtungsprogramm und gewährt nicht nur den Anspruch des Benutzungswilligen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sondern auch das
Rdnr. 89, 224 und 485 (zur Abwägung nach dem Modell des § 8 Abs. 4 S. 2, Hs. 2 WHG). Vgl. hierzu auch VGH Mannheim, U.v. 24.10.1977 - VD 39/76, RdL 1978, 107 f. (dazu unter dem Aspekt multipolarer Abwägung oben A bei Fn. 39). 502 503
c.m.i.
U.v. 3.7.1987 - 4 C 41.86, ZfW 1988, 337 ff.; U.v. 15.7.1987 - 4 C 56.83, E 78, 40 (41 ff.); ebenso jetzt VGH Mönchen, U.v. 22.5.1990 - 22 B 89.1111, NVwZ-RR 1991, 22 r.Sp. 504 S. Salzwedel, ZfW 1988, 341 ff., mit der Befürchtung, daß die Rspr. "einen Wald von Klagen" (343) heraufbeschwöre; ders. t NVwZ 1988, 493 (498 f.); Kimig, DVB1. 1988, 237 ff.; Knauber, NVwZ 1988, 997 (999 f.), die allesamt die prinzipielle Zuerkennung der individualisierten und qualifizierten Betroffenheit rechtmäßiger Benutzer bei einem Eingriff in die bestehende Verteilung des Wassers als Aufgabe des Abgrenzbarkeits-Kriteriums kritisieren (s. hierzu aber schon C.I.2.c.dd); dagegen im Sinne der neuen Rspr. des BVerwG Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, Rdnr. 29 zu § 4. Positiv - aus iechtsveihältnistheoreüscher Sicht - auch H. Bauer, JuS 1990, 24 (29 f.), der die Judikatur als Abkehr von der Schutznormtheorie deutet (s. dazu C.IV 27 sowie insgesamt A.H.l.b; C.IV.l.b); vgl. ferner befürwortend Ladeur, UPR 1992, 81 (85 ff.); ohne eigene Stellungnahme Burgi, ZfW 1990, 245 (255). 505 Vgl. bereits VGH München, U.v. 25.3.1980 - Nrn. 91 und 92 Vffl 76, ZfW 1981, 41, Dagegen Drittschutz bei der einfachen Erlaubnis abl. Breuer, Wassenecht, Rdnr. 496: Im Veigleich zu den einen "ausgefeilten, wenn auch dosierten" Drittschutz gewährenden Schutznormen des § 8 Abs. 3 und 4 WHG und des ausfüllenden Landesrechts entbehre die einfache Erlaubnis "eines solchen Schutznormgerüstes". S. auch Peine, in: Achterberg/Püttner (Hrsg.), Bes.VerwR I, Rdnr. 892 zu 2/5 (S. 606).
340
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
Recht des Dritten auf eine Ermessensentscheidung, die seine Verschonungsinteressen im Hinblick auf nachteilige Wirkungen angemessen berücksichtigt.506 Die Leitlinie des § 1 a Abs. 1 WHG und die ausgleichsorientierte Spezialvorschrift des § 18 WHG brauchen damit nicht einmal bemüht zu werden. 507 Zu kritisieren bleibt an der Rechtsprechung des BVersvG allein die Anwendung der Rücksichtnahme-Doktrin.508 cc) § 31 Abs. 1 WHG enthält als Ermächtigung zur wasserrechtlichen Planfeststellung für den Konflikt zwischen privatem Ausbauunternehmer und privatem Dritten ein Konfliktschlichtungsprogramm, das nach dem oben509 zum Abfallrecht Ausgeführten das subjektive öffentliche Recht auf gerechte Abwägung eigener (nicht ganz geringfügiger) Belange umfaßt (erste Stufe planfeststellungsbezogener Konfliktschlichtung). Hierzu ist mit dem VGH München zu unterstreichen, daß auch rein tatsächliche Interessen Gegenstand des subjektiven öffentlichen Rechts auf gerechte Berücksichtigung der eigenen Belange des Verschonungsinteressenten sein können.510 Freilich gilt - nicht anders als sonst das Erfordernis, daß diese Belange ein sachliches Mindestgewicht aufweisen müssen, wenn sie dem Konfliktgegner vorgehalten werden sollen. Wie oben511 zum Abfallrecht dargestellt, braucht sich der Vorhabenträger nur dann eine Einschränkung seiner Gestaltungsinteressenten gefallen zu lassen, wenn die Beeinträchtigung nicht ganz geringfügig ist. In diesem Sinne hat der Dritte einen Anspruch auf fehlerfreie Abwägung seiner Belange.512 Wie bei der 506 Zur Struktur der ermessensbezogenen Ordnungsnorm mit ihren Elementen des Handlungsmodus und des Sachmaßstabs s.o. C.V.l.b. 507 S.richtigOVG Münster, U.v. 19.8.1988 - 20 A 1017/87, ZfW 1990, 340. 506 S. bereits Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 463; s. auch oben B.I.2.b (zum tatbestandsübergreifenden - hier baurechtsexternen - Ansatz der Rücksichtnahme-Doktrin) sowie C.I.2.c.dd (unter dem Aspekt der Abgrenzbarkeit). 509 C.VI.5.a.aa. 510 Vgl. in der Sache VGH München, U.v. 11.8.1987 - Nr. 20 B 86.02982, BayVBl. 1988, 147 r.Sp.; U.v. 26.6.1979 - Nr. 440 Vffl 73, 441 Vffl 73, BayVBl. 1979, 632 (633), zur waaserrechtlichen Planfeststellung; dagegen Steinberg, Nachbarrecht, Rdnr. IV 38; Kopp, VwVfG, Rdnr. 22 zu § 73; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, Rdnr. 25 zu § 15; Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, Rdnr. 21 c zu § 31; in diesem Sinne auch Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, Rdnr. 62, 63 d zu § 31 ("besonders schweiwiegende private Interessen"). S. schon oben zur Parallelproblematik der abfallrechtlichen Planfeststellung C.VI.5.a. 511 C.VI.5.a.aa. 512 Vgl. BVeiwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 12.84, Buchholz Nachbarschutz 406.19 Nr. 72, S. 1 (3 f.), für den Fall eines privaten Vorhabenträgers; das Gericht bezieht sich auf das B 42-Urteil (BVerwG, U.v. 14.12.1975 - IV C 21.74, E 48, 56 (66)); im übrigen läßt es die Frage nach dem Kreis der Betroffenen zwar ausdrücklich offen, wenn auch der Hinweis auf sein Urteil vom 15.7.1987 (4 C 56.83, E 78, 40) deutlich macht, daß auch hier das Rücksichtnahmegebot Platz greifen soll. Zum Recht mittelbar betroffener Dritter auf gerechte Abwägung ihrer Belange im Rahmen wasserrechtlichen Planfeststellung s. auch VGH Mannheim, U.v. 22.2.1985 - 5 S 2330/84, NVwZ 1986, 233 r.Sp.; allg. Johlen, DÖV 1989, 204 (205 f.).
VI.5. Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
341
abfallrechtlichen Planfeststellung besteht auch hier das subjektive öffentliche Recht im Kern darin, daß diese Belange übeihaupt in die multipolare Abwägung eingestellt werden, auch wenn in der Sache kein Anspruch auf ihre unbedingte Verwirklichung besteht. Je mehr sie sich von der Schwelle subjektiver öffentlicher Rechte entfernen, desto weniger werden sie sich den Gestaltungsinteressen des Konfliktgegners widersetzen können. Auf der zweiten Stufe der planfeststellungsrechtlichen Konfliktschlichtung 513 stärkt § 31 Abs. 2 W H G 5 1 4 die Drittposition durch Anerkennung von Verschonungsinteressen als "Rechte"; in typischer Ausprägung der fachplanerischen Abwägung markiert § 31 Abs. 2 W H G damit die Grenze überwindbarer Belange. Die landesrechtliche Ausgestaltung der wasserrechtlichen Planfeststellung sieht vor, daß der Ausbau auch bei nachteiligen Auswirkungen für "rechtlich geschützte Interessen" dann zulässig ist, wenn er dem Wohl der Allgemeinheit dient oder der zu erwartende Nutzen den für den Betroffenen zu erwartenden Nachteil erheblich übersteigt (Art. 58 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 BayWG). Schließlich gilt auf der dritten Stufe planfeststellungsrechtlicher Konfliktschlichtung im Grundsatz das oben zum Abfallrecht Ausgeführte. 515 Im Zusammenhang mit dem zur abfallrechtlichen Planfeststellung Ausgeführten ist zu bedauern, daß der inzwischen für das Wasserrecht zustandige 7. Senat des BVerwG die Abkehr von der privatnützigen Planfeststellung nicht auch in diesem Sachgebiet vollzogen hat. 516 Die Erwartung, dies würde in dem Urteil vom 18.5.1990 517 geschehen, hat sich nicht bestätigt. Immerhin läßt aber der Hinweis, daß sich die Notwendigkeit der Prüfung etwaiger Versagungsgründe
513
S. - am Beispiel der abfallrechtlichen Planfeststellung - oben C.VI.5.a.bb. Hierzu VGH München, U.v. 5.12.1987 - Nr. 1 Vffl 74, BayVBl. 1979, 178 (180 f.). 515 S.o. anhand der abfallrechtlichen Planfeststellung C.VI.5.a.cc. Zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung im Wasserrecht vgl. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 681. 516 Nach der Doktrin privatnütziger Planfeststellung im Wasserrecht soll - vor die Klammer gezogen - eine Prüfung erfolgen, ob die Ausbaumaßnahme unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt zu einer Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit (§ 6 WHG) führt. Liegt ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften vor, werde die Stufe der Abwägung gar nicht erreicht; ein rein privatnütziges Vorhaben könne einen Eingriff in Rechte Dritte nicht rechtfertigen (vgl. grdl. BVerwG, U.v. 10.2.1978 - 4 C 25.75, E 55, 220 (226 ff.)). Diese Doktrin hat - trotz gelegentlicher Kritik (s. Stortz, ZfW 1979, 47, der von "den im Gesetz nicht angelegten, rechtlich wenig ergiebigen Manierismen" spricht; weiterhin Selbrunx, DVB1. 1987, 223 (224 ff.), der für die Anerkennung einer "gemeinnützigen Planfeststellung ... zugunsten Privater" plädiert) - sowohl die Rspr. (s. VGH Mannheim, B.v. 7.8.1989 - 5 S 999/89, ZfW 1990, 430 (432); VGH München, U.v. 6.3.1990 8 B 87.2925, NVwZ 1991, 391 (393)), wie auch die Lit. (vgl. Breuer, Wasserrecht, Rdnr. 703 ff.; Wahl, DVB1. 1982, 51 (58) und ders., NVwZ 1990, 426 (430); Viertel, ZfW 1990, 432 ff.) geprägt. 517 7C3.90, E 85, 155 (156). 514
24 Schmidt-Preuß
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
342
bereits aus dem Aspekt bloß formeller Konzentration "unabhängig von der Privatnützigkeit" ergebe, eine gewisse Skepsis erkennen. Die Darlegungen zur Ablehnung der privatnützigen Planfeststellung im Abfallrecht 518 gelten auch im Wasserrecht. 519 Der Grundstruktur multipolarer Abwägung wird die vorgezogene Prüfung etwaiger entgegenstehender zwingender Versagungsgründe ebensowenig gerecht wie die Annahme, daß privatnützige Vorhaben als solche keine Eingriffe in Rechte Dritter rechtfertigen. Das externe Fachrecht ist angesichts der nur formellen Konzentration, die auch im Recht der wasserrechtlichen Planfeststellung gilt, voll anzuwenden. Der dogmatischen Figur der privatnützigen Planfeststellung bedarf es daher nicht. 520 Sie sollte auch im Wasserrecht aufgegeben werden. Ob auch eine Enteignung zugunsten Privater im Zuge eines wasserrechtlichen Ausbauvorhabens zulässig ist, hängt davon ab, ob das Vorhaben nach Maßgabe einer Abwägung der kollidierenden Interessen in concreto dem Allgemeinwohl dient. Unter dieser Voraussetzung kann der wasserrechtlichen Planfeststellung enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommen (vgl. Art. 72 Bay WG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayEG). Private Gewinnerzielung des Ausbauvorhabenträgers steht dem nicht von vornherein entgegen.521 Schließlich ist auch hier für eine eigenständige Prüfungsstufe der Planrechtfertigung unter dem Aspekt "privatnütziger" Planfeststellung kein Raum. 522
d) Konfliktschlichtung im Bergrecht: Partieller Drittschutz des § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG aa) § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG nennt als Voraussetzung für die Erteilung bergrechtlicher Betriebsplanzulassungen einschließlich der neuen Rahmenbetriebsplanfeststellung, daß die "erforderliche Vorsorge gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und zum Schutz von Sachgütern, Beschäftigter und Dritter im Betrieb" getroffen ist. Diese Vorschrift ist redaktionell mißglückt.523 Das
518
S.o. C.VI.5.a.dd. Vgl. Kühling, DVB1. 1990, 221 (229); s. ders., in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (400 (f.). 520 In diesem Sinne auch Kühling, in: FS f. Sendler, 1991, S. 391 (397 ff.). Zur Parallelproblematik der Enteignung zugunsten Privater s. - sehr stark an der Zuweisung einer öffentlichen Aufgabe orientiert - BVerfG, B.v. 20.3.1984 - 1 BvL 28/82, E 66, 248 (257); weitergehend, weil den Nutzen für das Allgemeinwohl als "mittelbare Folge der Unternehmenstatigkeit" anerkennend, BVerfG, U.v. 24.3.1987 - 1 BvR 1046/85, E 74, 264 (284 ff.): "Interessendreieck GemeinwohlEnteigneter-Begünstigter" (S. 286); s. dazu A.m.2 mit Fn. 202. 521 Vgl. - anhand der bergrechtlichen Grundabtretung - BVerwG, U.v. 14.12.1990 - 7 C 5.90, E 87, 241 (247 f f . ) . 522 S. dazu oben C.VI.5.a.dd bei Fn. 466 und 467. 523 Vgl. z.B. Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, Rdnr. 25: "sprachlich restlos mißlungen". 519
V 5 . Abfall-, Wasser-, Bergrecht sowie Gaststtten- und Gewerberecht
343
Verhältnis der Rechtsgüter zueinander ist schon sprachlich kaum zu erschließen. Insofern ist ein Vergleich mit anderen bergrechtlichen Ordnungsnormen hilfreich. So nennt § 7 1 Abs. 1 BBergG für die Drittvornahmekonstellation in seinem S. 2 den "Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern Beschäftigter oder Dritter". Des weiteren spricht die legislatorische Leitlinie des § 1 N r . 3 BBergG 5 2 4 von der "Vorsorge gegen Gefahren ... für Leben, Gesundheit und Sachgüter Dritter". Angesichts dieses Befundes ist es gerechtfertigt, § 55 Abs. 1 S. 1 N r . 3 BBergG i m Wege berichtigender Auslegung so zu lesen, daß die gebotene bergrechtliche Vorsorge auch hier die Schutzgüter Leben, Gesundheit und Eigentum gleichermaßen erfaßt und namentlich der Schutz des privaten Oberflächeneigentums nicht ausgeklammert w i r d . 5 2 5 I n diesem Sinne enthalt § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG eine Wertung, Begrenzung und Gewichtung der kollidierenden Betriebsinteressen des Bergbauunternehmens einerseits und der kehrseitigen Verschonungsinteressen privater Dritter andererseits; 526 dies betrifft Leben und Gesundheit ebenso wie das Oberflächeneigentum. 527 Dement-
524
Hieraufhat das VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (136), mit Recht verwiesen: "gesetzliches Leitmotiv"; s. auch OVG Berlin, U.v. 23 J.1990 - 2 B 19/88, ZfB 131 (1990), 200 (212). 525 Damit ist § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG folgendermaßen zu verstehen: Die Zulassung ist zu erteilen, wenn der erforderliche Schutz für Leben, Gesundheit und Sachgüter Beschäftigter oder Dritter sichergestellt ist; in diesem Sinne VG Berlin, U.v. 18.5.1988 -19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (135 ff.), das aber die Frage im Hinblick auf das Oberflächeneigentum letztlich offen läßt und seine Entscheidung allein auf die Vorsorge gegen Gefahren für Leben und Gesundheit stützt. Anders als hier Boldt/Weller, BBergG, Rdnr. 14 zu § 55, die den Sachgüterschutz nur Beschäftigten und Dritten im Betrieb zukommen lassen wollen und das Komma zwischen "Sachgütern" und "Beschäftigter" als unbeachtlich ansehen; Piens/Schulte/Graf Vitzthum, BBergG, Rdnr. 33 zu § 55, die aber konzedieren, daß eine Auslegung unter Berücksichtigung des Kommas und damit unter Einbeziehung des Oberflächeneigentums Dritter als mögüch erscheine; wenn diese Auslegungsmöglichkeit dennoch abgelehnt wird, ist dafür die Annahme maßgeblich, daß der außerbetriebliche Sachgüterschutz "traditionell schadensersatzrechtlich ... geregelt" wird. Im MoersKapellen-Urteil hat das BVerwG - wenn auch auf dem Umweg über § 48 Abs. 2 BBergG und noch dazu mit Hilfe verfassungskonformer Auslegung - mit dieser Tradition gebrochen. Dem ist der Gesetzgeber der BBergG-Novelle von 1990 in verfahrensrechtlicher Hinsicht gefolgt; s. § 48 Abs. 2 S. 2 BBergG; dazu schon oben C.m.3. Nicht zugestimmt werden kann Kühne, JZ 1990, 138 (139), wenn er meint, daß der "Norminhalt" des § 55 Abs. 1 S. 1 BBergG "nach Entstehungsgeschichte und Systematik zu eindeutig" sei, um einen Drittschutz für den Grundeigentümer namentlich im Wege der Schutznormtheorie abzuleiten. Angesichts des oben wiedergegebenen Wortlauts kann von Eindeutigkeit keine Rede sein. 526 Die Tatsache, daß der Schutz Beschäftigter und Dritter im Betrieb in § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG eigens genannt ist, kann damit erklärt werden, daß der Gesetzgeber das Gewicht dieser Schutzinteressen besonders hervorheben wollte; in diesem Sinne VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (135 f.), gegen Piens/Schulte/Grqf Vitzthum, BBergG, Rdnr. 33 zu §55. 527 Ebenso VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (136 f.), unter Berufung auf § 1 Nr. 3 BBergG als "gesetzliches Leitmotiv"; im Hinblick auf das Oberflächeneigentum läßt das Gericht die Frage aber letztlich offen. Insoweit verneint das BVerwG den
344
C . V I . Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
sprechend werden die kollidierenden Privatinteressen in das Konfliktschlichtungsprogramm bergrechtlicher Schutzgewährung eingeordnet Da die gesetzlich vorgegebene Vorsorge hierüber objektiv-rechtlich hinausgeht, ist § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG partiell drittschützend. In die multipolare Abwägung kann das Bergbauunternehmen seine Gestaltungsinteressen auf der Grundlage der sog. Rohstoffsicherungsklausel des § 48 Abs. 1 S. 2 BBergG mit besonderem Gewicht einbringen und den Verschonungsinteressen der Anwohner entgegensetzen.528 Für die Bestimmung der bergrechtlichen Vorsorge im Storfall kann hier auf das oben529 zur Risikobewertung Ausgeführte verwiesen werden. Damit sind die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schadensprognose für die Reichweite des Drittschutzes von entscheidender Bedeutung.530 Das BVerwG hat dagegen in seinen Urteilen vom 16.3.1989 531 den drittschützenden Charakter des § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG im Hinblick auf das Oberflächeneigentum verneint und statt dessen für Drittabwehr wie Drittvornahme den Weg über § 48 Abs. 2 BBergG (a.F.) beschritten, nach dem die Behörde eine Aufsuchung oder Gewinnung untersagen kann, "soweit ihr überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen". Dabei hat das BVerwG die verfassungskonforme Auslegung bemüht (Art. 14 Abs. 1 GG). Wie schon oben532 angesprochen, kann dies nicht überzeugen. Strukturell stellt § 48 Abs. Nachbarschutz aus § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG, den es im Hinblick auf Leben und Gesundheit nicht völlig ausschließt, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (346 einerseits, 335 ff. andererseits); ebenso OVG Berlin, U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (212): "keine Bedenken dagegen," im Hinblick auf Leben und Gesundheit "unmittelbar an ... § 55 Abs. 1 Nr. 3 BBergG ... anzuknüpfen". 528 S. BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 25.86, DVB1. 1989, 672 (673): "weitgehender Vorrang"; s. auch Heitmann, ZfB 131 (1990), 179 (181), der im übrigen dem Moers-KapellenUrteil zustimmt. 529 C.VI.3.a und e. 530 § 30 BVOT Bin (Bergverordnung für Tiefbohningen, Tiefspeicher und für die Gewinnung von Bodenschätzen durch Bohrungen im Land Berlin - Tiefbohrverordnung - BVOT Bin - v. 1.12.1981, GVB1. S. 1498) ist mit der Forderung nach hinreichendem Sicherheitsabstand zwischen Betrieb und Wohnnachbarschaft seinerseits als Konfliktschlichtungsprogramm anzusehen, das auf Verordnungsebene § 55 Abs. 1 S. Nr. 3 BBergG konkretisiert; vgl. in der Sache zutr. VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (139), zum Risiko einer Edgaaspeicheranlage für ein 100 m von der Speicherbetriebszentrale entferntes Wohngrundstück des Klagers; das OVG Berlin hat dieses Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben, U.v. 233.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (212 ff.); die Revision von Behörde und Vorhabentrager führte wiederum zur Aufhebung dieser Entscheidung, s. BVerwG, U.v. 13.12.1991 - 7 C 25.90, Ausfertigung, S. 7 ff. 531 4 C 36.85, E 81, 329 (336 ff.); 4 C 25.86, DVB1. 1989, 672 f.; eine Abkehr von dieser Rspr. hat auch das Gasag-Uiteil des BVerwG vom 13.12.1991 - 7 C 25.90, Ausfertigung, S. 9, nicht gebracht: Der 7. Senat laßt die Frage offen, weil sich die Kläger neben dem Eigentum auch auf "die Rechtsgüter Leben und Gesundheit berufen". 532 B.I.l.c. S. insoweit auch die distanziert referierende Darstellung des Moers-KapellenUrteils durch Boidt/Weller/Mäßenhausen, BBergG, Ergänzungsband, Rdnr. 15 zu § 48 sowie Rdnr. 89 zu § 57 a.
VI.5. Abfall-, Wasser-, Begrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
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2 BBergG 533 einen Eingriffstatbestand dar, nicht aber ein Element der Zulassungsnorm des § 55 Abs. 1 BBergG. 534 Die Einfuhrung des § 52 Abs. 2 a S. 3 BBergG durch die Novelle von 1990 hat daran nichts geändert; mit dieser Vorschrift wurde allein das Ziel verfolgt, Anforderungen aus der Umweltverträglichkeitsprüfung auch im Zulassungsverfahren Niederschlag finden zu lassen.535 Damit hätte im Kalle-Tinholt-Urteil vom 16.3.1989, 536 das einen Drittabwehrfall betraf, § 48 Abs. 2 BBergG nicht herangezogen werden dürfen. Das gilt erst recht für das Moers-Kapellen-Urteil, soweit das BVerwG für das dort in Rede stehende Drittvornahmebegehren auf § 71 Abs. 1 BBergG abhebt. Dessen S. 2 stellt eine Ordnungsnorm mit eigenem normativen Konfliktmaßstab dar. 537 Schon insoweit war ein Rückgriff auf § 48 Abs. 2 BBergG ausgeschlossen. Schließlich räumt das BVerwG selbst ein, daß der Drittschutz des § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG hinsichtlich der Schutzgüter Leben und Gesundheit § 1 Nr. 3 BBergG "entspricht" 538. Da dort auch der Sachgüterschutz genannt ist, hätte es nahegelegen, von dieser Sichtweise - trotz der genannten tatbestandlich-sprachlichen Unebenheiten der Zulassungsnorm - auch hinsichtlich des Oberflächeneigentums auszugehen.539
533
Der konstruktive Ansatz des § 48 Abs. 2 Abs. 2 BBergG lag bereits dem Bensbeig-Urteil des BVerwG, U. 4.7.1986 - 4 C 31.84, E 74, 315 (322 ff.) zugrunde. - Im übrigen sei betont, daß nach den obigen Ausführungen zur Allgemeinwohlklausel (C.m.3) allein die Verwendung des Begriffs des öffentlichen Interesses in § 48 Abs. 2 BBergG als solche nicht schon in jedem Fall das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts ausschließen müßte; a.A. Kühne , JZ 1990, 138 (139) und Beckmann , DVB1. 1989, 669 (671). 534 Vgl. Piens/Schulte/Graf Vitzthum , BBergG, Rdnr. 3 zu § 55; a.A. Tettingen ZfW 1991, 1 (2), der den Gedanken der "Einheit der Rechtsordnung" heranzieht und im übrigen keine Ermessenseinräumung, sondern eine Befugnis annimmt; Kühne y DVB1. 1984, 709 (713); Rausch, Bergbau, S. 213 ff.; für die Berücksichtigung von Denkmalschutzbelangen im Rahmen des § 48 Abs. 2 BBergG Hoppe /Beckmann, Grundeigentumsschutz, S. 109 ff. 535 Dazu oben C.V.l.b. In der Sache wie im Text Gaentzsch , in: FS f. Sendler, 1991, S. 403 (412). Freilich differenziert die Begründung des Regierungsentwurfs wiederum zwischen § 55 Abs. 1 BBergG und § 48 Abs. 2 BBergG, BT-Drcks. 11/4015, S. 10. Zur Überlappung von Zulassung und Beschränkung bzw. Untersagung gem. § 48 Abs. 2 BBergG s. auch § 57 a Abs. 5, Hs. 2 BBergG. 536 4 C 25.86, DVB1. 1989, 672 f. 537 Ebenso kam auch eine nachträgliche Anordnung gem. § 56 Abs. 1 S. 2 BBergG in Betracht, die aber im Gegensatz zu § 71 Abs. 1 S. 2 BBergG den konfliktschlichtenden Sachmaßstab nicht enthält, sondern auf § 55 Abs 1 BBergG verweist. 538 U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (346); dagegen krit. Beckmann , DVB1. 1989, 669 (671). 539 Das BVerwG, U.v. 13.12.1991 - 7 C 25.90, Ausfertigung, S. 9, schließt diese Möglichkeit nicht aus, hat aber die Frage aber letztlich offengelassen.
C.VI. Die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts
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Im übrigen werden in der Argumentation des BVerwG die bereits oben540 dargelegten Bedenken gegen eine allzu schnelle Verwendung des Instituts der verfassungskonformen Auslegung bestätigt. Wie gezeigt, läßt sich § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG ein Konfliktschlichtungsprogramm durchaus entnehmen. Im übrigen muß auch bezweifelt werden, ob wirklich verfassungskonformer Schutz des privaten Dritten durch die Konstruktion des BVerwG sichergestellt wird. Insofern sagt das Urteil selbst, daß, die "Beeinträchtigung eines einzelnen Oberflächeneigentümers durch Maßnahmen des Bergbaus ... - auch wenn sie im Einzelfall erheblich ist ? ... für sich gesehen kein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne des § 48 Abs. 2 BBergG" darstellt. 541 Der - allerdings in rein verfahrensrechtlichem Zusammenhang zu findende - Hinweis auf die Bestimmung schwerwiegender Eigentumsbeeinträchtigungen in Anlehnung an das Ausmaß eines Gemeinschadens gem. § 55 Abs. 1 Nr. 9 BBergG kann schon deshalb nicht überzeugen, weil diese Vorschrift nicht drittschützend ist. 542 Damit ist die Schlußfolgerung von Hoppe 543 zu unterstreichen, daß die MoersKapellen-Doktrin eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Drittschutzes von Oberflächeneigentümem nicht gewährleistet. Trotz dieser Kritik sei aber betont, daß den beiden Urteilen des BVerwG vom 16.3.1989 deshalb bleibende Bedeutung zukommt, weil sie überhaupt erst die Vorstellungen eines "dulde-undliquidiere" im Bergrecht überwunden haben, demzufolge "Bergschäden - bis zur völligen Entwertung und Vernichtung - ... eine notwendige Folge des Bergbaus"544 waren. Ebenso ist die Ablehnung eines bergrechtlichen Rücksichtnahmegebots zu begrüßen. 545
540
B.I.l.c. BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (345 f.). Dies sei erst dann der Fall, wenn der "gebotene Schutz des Grundrechts des Oberflächeneigentümers aus Art. 14 Abs. 1 GG generell hintangestellt werden dürfte und ohne die Möglichkeit der abwägenden Prüfung auch unverhältnismaßige Eigentumsbeeinträchtigungen durch die Zulassung von beigbaulichen Tätigkeiten zu gestatten wären." 542 § 55 Abs. 1 Nr. 9 BBergG, nach dem die Zulassung eines Betriebsplans zu erteilen ist, wenn "gemeinschädliche Einwirkungen der Aufsuchung oder Gewinnung nicht zu erwarten sind", entbehrt im Gegensatz zu § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG der Einbeziehung von privaten Verschonungsinteressen in ein Konfliktschlichtungsprogramm und ist daher nicht drittschützend. Insoweit zutr. OVG Lüneburg, U.v. 18.12.1985 - 7 A 2/85, ZfB 127 (1986), 358 (366 f.); richtig auch BVerwG, U.v. 16.3.1989 - 4 C 36.85, E 81, 329 (337); unter diesem Aspekt überzeugt es freilich nicht, wenn das Gericht zur Konkretisierung der Schwelle des erheblichen Schadens dann doch wieder auf § 55 Abs. 1 Nr. 9 BBergG rekurriert (S. 345). 543 Spannungsverhältnis, S. 19 ff.; s. auch Hoppe /Beckmann, DÖV 1988, 893 (901). Keine Einwände gegen die Konstruktion des BVerwG dagegen bei Tettinger y ZfW 1991, 1 (2); Heitmcm, ZfB 131 (1990), 179 (183 ff.). 544 OVG Lüneburg, U.v. 18.12.1985 - 7 A 2/85, ZfB 127 (1986), 358 (367), unter Berufung auf BGH, U.v. 16.2.1970 - UI ZR 136/68, Z 53, 226 (233). 545 S. hierzu oben B.I.2.b. 541
VI.5. Abfall-, Wasser-, Beigrecht sowie Gaststatten- und Gewerberecht
347
bb) In den §§ 52 Abs. 2 a, 57 a BBergG ist das PlanfeststeUungsverfahren für Rahmenbetriebspläne in das Bergrecht eingeführt worden. Insoweit ist hinsichtlich des Anspruchs auf gerechte Abwägung eigener Belange auf das oben zur abfallrechtlichen Planfeststellung Ausgeführte zu verweisen. 546 Nach altem Recht wurde die Rahmenbetriebsplanzulassung z.T. als ein "isoliertes positives vorläufiges Gesamturteil" 547, Z.T. auch als Vorbescheid548 qualifiziert. Am ehesten läßt sich von einem feststellenden Verwaltungsakt sprechen, der den (weit gefaßten) Rahmen für die nachfolgenden Betriebspläne bestimmt und dessen Bindungwirkung unter dem Vorbehalt gleichbleibender Sach- und Rechtslage steht. Mit der Einführung der Rahmenbetriebsplanfeststellung hat sich hieran nichts geändert. Freilich hat die Bindungswirkung nunmehr auf Grund der erweiterten Konzentration gem. § 57 a Abs. 5 BBergG unter Einschluß späterer Haupt-, Sonder- und Abschlußbetriebspläne eine ausdrückliche Regelung erfahren. 549 Aus der gesetzlichen Ermächtigung zur Planfeststellung folgt das subjektive öffentliche Recht des Dritten auf gerechte Abwägung seiner eigenen (nicht ganz geringfügigen) Belange {erste Stufe planfeststellungsbezogener subjektiv-rechtlich verfaßter Konfliktschlichtung); hierzu wird auf die Ausführungen zum Abfallrecht verwiesen. 550 Gem. § 57 a Abs. 4 S. 1 und 2, Hs. 1 BBergG gilt materiell das jeweilige Recht, das für die eingeschlossene Genehmigung maßgeblich ist. Für das Bergrecht maikiert § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG eine äußerste Grenze der Abwägung.551 cc) Nach den §§ 77, 79 BBergG ist eine Grundabtretung als bergrechtliche Spezialform einer Administrativenteignung zulässig, wenn sie dem "Wohl der Allgemeinheit", u.a. der Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, dient. In der multipolaren Konfliktlage stellt die Grundabtretung einen Sonderfall der Enteignung zugunsten Privater und damit eine enteignungsrechtliche Variante des
546
S. C.VI.5.a. Eine enteignungsiechtliche Vorwirkung kommt der bergrechtlichen Betriebsplanzulassung allerdings nicht zu, s. Gaentzsch, in: FS f. Sendler, 1991, S. 403 (406). 547 OVG Berlin, U.v. 23.3.1990 - 2 B 19.88, ZfB 131 (1990), 200 (216); s. auch schon VG Berlin, U.v. 18.5.1988 - 19 A 88.87, ZfB 130 (1989), 127 (131 .: Die Gemeinde als 'Drittbetroffener', DVB1. 1976, S. 732 - 740 - Bundes-Immissionsschutzgesetz, 1983, zit.: BImSchG - Der Rechtsschutz Dritter bei der Genehmigung von Anlagen - Am Beispiel des Immissionsschutzrechts, NJW 1983, S. 2844 - 2849 - Schädliche Umwelteinwirkungen - Inhalt und Grenzen eines Kernbegriffs des Immissionsschutzrechts DVB1. 1983, S. 725 - 732 - Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl., 1984, zit.: Wirtschaftsverwaltungsrecht - Grundrechte als Wertentscheidungen bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR HO (1985), S. 363 - 397 - Einsatzfelder und Strategien regulativer Politik. Am Beispiel der Energie- und der Arbeitsmarktpolitik in sechs europaischen Landern, Die Verwaltung 20 (1987), S. 413 - 435 - Drittschutz im Umweltrecht, in: Festschrift f. Lukes, 1989, S. 57 - 72 - Voraussetzungen der innerstaatlichen Wirkung des EG-Rechte, NJW 1990, S. 2420 - 2425 - Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht, WDStRL 50 (1991), S. 238 - 270 - Folgen der innerstaatlichen Wirkung von EG-Richtlinien, NJW 1991, S. 2665 - 2669 - Das untergesetzliche Regelwerk im Bereich des Atom- und Strahlenschutzrechts, in: Lukes, Rudolf (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 367 - 435 Jarass, H