Künstliche Intelligenz in der beruflichen Bildung: Zukunft der Arbeit und Bildung mit intelligenten Maschinen?! 3515130683, 9783515130684

Die Berufsbildung entwickelt sich kontinuierlich: Neue Berufe entstehen und bereits bestehende wandeln sich oder sterben

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German Pages 347 [350] Year 2021

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Table of contents :
Inhalt
Editorial
(SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER) Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen: Implikationen der Künstlichen Intelligenz für die Berufsbildung. Einleitung zum Beiheft
Teil A: Auswirkung künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder
(MATTHIAS BECKER / GEORG SPÖTTL / LARS WINDELBAND)
Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der
gewerblich-technischen Berufsbildung
(KARL WILBERS)
Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch.
Digitale Transformation im Zuge von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz
(FLORIAN WINKLER / HENRIK SCHWARZ) IT-Berufe im Wandel
(BIANCA SCHMITT / HENNING KLAFFKE / TORSTEN SIEVERS / KIRSTEN TRACHT /
MAREN PETERSEN)
Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien
in der industriellen Fertigung
(OLIVER BENDEL)
Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz
von Pflegerobotern
(HUBERT ERTL / JÜRGEN SEIFRIED)
Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder.
Ein Kommentar zu Teil A des Beihefts
Teil B: Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung
(MATTHIAS SÖLLNER / ANDREAS JANSON / ROMAN RIETSCHE / MARIAN THIEL DE GAFENCO) Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence. Potentiale und Grenzen
(SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS)
Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz
(DIRK IFENTHALER / JANE YIN-KIM YAU)
Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg.
Ausgewählte Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit
(FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT)
Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik.
Eine Simulationsstudie für die Anwendung überwachten maschinellen
Lernens für Inhaltsanalysen am Beispiel von Grundvorstellungen und
(Selbst-)Reflexionskompetenz
(SUSAN BEUDT / NIELS PINKWART)
KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation
Inklusionspotenziale und Herausforderungen
(MATTHIAS WÖLFEL)
Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und
Virtual Reality Lernanwendungen
(JÜRGEN SEIFRIED / HUBERT ERTL)
Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung.
Ein Kommentar zu Teil B des Beihefts
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Künstliche Intelligenz in der beruflichen Bildung: Zukunft der Arbeit und Bildung mit intelligenten Maschinen?!
 3515130683, 9783515130684

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Künstliche Intelligenz in der beruflichen Bildung Zukunft der Arbeit und Bildung mit intelligenten Maschinen?! Herausgegeben von Sabine Seufert, Josef Guggemos, Dirk Ifenthaler, Hubert Ertl und Jürgen Seifried

Berufspädagogik

ZBW – Beiheft | 31

Franz Steiner Verlag

31

Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Herausgegeben von Bernadette Dilger, Hubert Ertl, Jürgen Seifried, Peter F. E. Sloane, Ulrike Weyland und Birgit Ziegler Redaktion Ralf Tenberg Beiheft 31

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER BERUFLICHEN BILDUNG Zukunft der Arbeit und Bildung mit intelligenten Maschinen?! Herausgegeben von Sabine Seufert, Josef Guggemos, Dirk Ifenthaler, Hubert Ertl und Jürgen Seifried

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13068-4 (Print) ISBN 978-3-515-13075-2 (E-Book)

Inhalt

Editorial SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen: Implikationen der Künstlichen Intelligenz für die Berufsbildung

Einleitung zum Beiheft

9

Teil A Auswirkung künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder MATTHIAS BECKER / GEORG SPÖTTL / LARS WINDELBAND

Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der gewerblich-technischen Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

KARL WILBERS

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

Digitale Transformation im Zuge von Industrie 4 0 und künstlicher Intelligenz

55

FLORIAN WINKLER / HENRIK SCHWARZ

IT-Berufe im Wandel

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

BIANCA SCHMITT / HENNING KLAFFKE / TORSTEN SIEVERS / KIRSTEN TRACHT / MAREN PETERSEN

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

OLIVER BENDEL

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

HUBERT ERTL / JÜRGEN SEIFRIED

Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder

Ein Kommentar zu Teil A des Beihefts

153

Teil B Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz

in der beruflichen Bildung MATTHIAS SÖLLNER / ANDREAS JANSON / ROMAN RIETSCHE / MARIAN THIEL DE GAFENCO

Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence

Potentiale und Grenzen

163

SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

. . . . . . . . . . . 183

DIRK IFENTHALER / JANE YIN-KIM YAU

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

Ausgewählte Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit

215

FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Eine Simulationsstudie für die Anwendung überwachten maschinellen Lernens für Inhaltsanalysen am Beispiel von Grundvorstellungen und (Selbst-)Reflexionskompetenz

237

SUSAN BEUDT / NIELS PINKWART

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

Inklusionspotenziale und Herausforderungen

293

MATTHIAS WÖLFEL

Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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JÜRGEN SEIFRIED / HUBERT ERTL

Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung

Ein Kommentar zu Teil B des Beihefts

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Editorial

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen: Implikationen der Künstlichen Intelligenz für die Berufsbildung Einleitung zum Beiheft Sabine Seufert / JoSef GuGGemoS / Dirk ifenthaler

Future of work with smart machines: Implications of artificial intelligence for vocational education and training Introduction to the special issue Kurzfassung: Die Substitution von Arbeit durch Maschinen beherrscht die öffentliche Diskussion

verbunden mit der Frage, inwieweit Berufsprofile durch eine Automatisierung betroffen sind . Die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) sind erstaunlich, im Anwendungsfeld häufig aber (noch) sehr begrenzt und auf ein enges Umfeld ausgerichtet . Experten zufolge sollten demnach vielmehr neue Mensch-Maschinen Interaktionen im Vordergrund stehen, um den Nachteilen bzw . Gefahren der KI entgegenzuwirken . Ziel dieses Sonderhefts ist die kritische Reflektion der Auswirkungen der KI auf die berufliche Bildung . Hierzu gliedern sich die Beiträge in zwei Hauptteile: (A) Implikationen der KI auf ausgewählte Berufsfelder und (B) Forschungsrichtungen zur KI in der Berufsbildung . Schlagworte: Künstliche Intelligenz (KI), KI-Transformation, Augmentation, Fusion Skills Abstract: The substitution of work by machines dominates the public discussion combined with the

question of the extent to which occupational profiles are affected by automation . The developments in the field of artificial intelligence (AI) are astonishing, but the field of application is often (still) very limited and focused on a narrow scope . According to experts, the focus should rather be on new human-machine interactions in order to counteract the disadvantages or dangers of AI . The aim of this special issue is to critically reflect on the impact of AI on vocational education and training (VET) . To this end, the contributions are divided into two main parts: (A) Implications of AI on selected occupational fields and (B) Research directions on AI in VET . Keywords: Artificial Intelligence (AI), AI Transformation, Augmentation, Fusion Skills

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

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Einführung

Die Berufsbildung ist derzeit aufgrund technologischer Entwicklungen einer hohen Dynamik ausgesetzt: Tätigkeiten in bestehenden Berufen können sich mit einer hohen Geschwindigkeit verändern, neue Berufe entstehen und bestehende Berufe sterben aus . Berechtigt scheint der Verweis darauf zu sein, dass technologische Entwicklungen auch schon früher Berufsbilder stark verändert oder zu Rationalisierungen geführt haben (Ostendorf, 2019) . Allerdings liegen auch Hinweise vor, dass die digitale Transformation, insbesondere auch bedingt durch die Künstliche Intelligenz „andere und tiefere Einschnitte in Wirtschaft und Gesellschaft hervorbringen wird als das, was gemeinhin seit über eine Dekade als sog . Megatrends (Globalisierung, Automatisierung etc .) thematisiert wird“ (Ostendorf, 2019, S . 1) . Die Freisetzung menschlicher Arbeitsleistung durch intelligente Maschinen nahm als erstes die sogenannte Oxford Studie von Frey und Osborne (2017) in den Blick . Seither beherrscht die Substitution von Arbeit durch Maschinen die öffentliche Diskussion in Wissenschaft und Praxis und damit die Frage, inwieweit Berufsprofile durch eine Automatisierung betroffen sind . Inzwischen gibt es in diesem Bereich zahlreiche Studien, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen, insgesamt aber weniger dramatische Auswirkungen konstatieren (Dengler & Matthes, 2015; King & Grudin, 2016, Nedelkoska  & Quintini, 2018) . Trotz der Unterschiede in den Ergebnissen, ist der Kern aller Studien, dass ‚intelligente‘ Maschinen heute auch in Bereichen viel leisten können, die bislang eine Domäne von gut ausgebildeten Wissensarbeitern waren (Brynjolfsson & McAfee, 2014; Nedelkoska & Quintini, 2018) . Insgesamt bedarf der Begriff der Digitalisierung in seiner fortgeschrittenen Form jedoch einer Schärfung . Digitalisierung ist kein neues Phänomen, sondern wird seit mehr als 20 Jahren vor allem durch die Internettechnologien maßgeblich getrieben . Vor diesem Hintergrund kann in eine erste und zweite Welle der Digitalisierung unterschieden werden (Wahlster, 2017) . In der ersten Digitalisierungswelle steht im Vordergrund, dass alle relevanten Daten maschinenlesbar sind und damit auch digital verarbeitet werden können . Bei der zweiten Digitalisierungswelle geht es nicht mehr nur um die digitale Verarbeitung der Daten, sondern neu auch um das Verstehen dieser Daten mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) . Maschinen neuer Generation können digitale Daten nicht nur ‚lesend‘ bzw . ‚schreibend‘ verarbeiten, sondern auch ‚verstehen‘ und auf der Basis dieses Verständnisses Aktionen auslösen . Darüber hinaus sind sie in der Lage, auf verschiedene Weise zu lernen . Soziale Roboter lernen beispielsweise Mimik und Körpersprache des Menschen zu lesen, seine Alltagssprache zu verstehen und auf dieser Grundlage sinnvoll zu reagieren . Die Aufgabenbereiche, für die intelligente Systeme und Maschinen eingesetzt werden können, reichen von der Unterstützung bei der Versorgung von Patienten bis zur Unterstützung bei der Formulierung von Verträgen – und sie erweitern sich kontinuierlich . Die Entwicklungen im Bereich

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

der KI sind erstaunlich, dennoch aber auch im Anwendungsfeld häufig (noch) sehr begrenzt und auf ein enges Umfeld ausgerichtet . Experten zufolge (s . auch Stanford Panel führender KI-Forschender, Stanford University, 2016) sollten vor diesem Hintergrund neue Mensch-Maschinen Interaktionen im Vordergrund stehen, um den Nachteilen bzw . Gefahren der KI entgegenzuwirken . Nicht wenige Experten sehen in den technologischen Entwicklungen den Beginn einer KI-Revolution, welche die in den 1980er Jahren beginnende digitale Revolution zunehmend ablöst (Clark, 2015, Makridakis, 2017, Dellermann et al ., 2019) . Dieses Sonderheft soll die Auswirkungen der KI in der beruflichen Bildung beleuchten und gliedert sich in zwei Teile: (A) Implikationen der KI für ausgewählte Berufsfelder und (B) Forschungsrichtungen zur KI in der Berufsbildung . Umrahmt sind die Beiträge durch diesen Einleitungsartikel sowie Teil A und B jeweils durch zusammenfassende Kommentare zweier Mitherausgeber der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, nämlich Hubert Ertl und Jürgen Seifried . 2

Einordnung des Begriffs ‚Künstliche Intelligenz‘

2.1

Ansätze zur Definition Künstlicher Intelligenz

Über den Begriff der KI herrscht regelmäßig kein Konsens . Oftmals findet eine Annäherung über die beiden Elemente des Begriffs statt: ‚Intelligenz‘ und ‚Künstlich‘ . Unter Intelligenz werden kognitive Fähigkeiten verstanden, die helfen, den Alltag zu bewältigen und Probleme zu lösen . Definitionen beziehen sich dabei häufig auf Gottfredson (1997): „Intelligence is a very general mental capability that, among other things, involves the ability to reason, plan, solve problems, think abstractly, comprehend complex ideas, learn quickly and learn from experience . It is not merely book learning, a narrow academic skill, or test-taking smarts . Rather, it reflects a broader and deeper capability for comprehending our surroundings – ‚catching on‘, ‚making sense‘ of things, or ‚figuring out‘ what to do .“ (S . 13) . Ähnlich definieren Graf Ballestrem et al ., (2020, S . 5): „Künstliche Intelligenz (KI oder Artificial Intelligence, AI) bezeichnet Systeme, die intelligentes Verhalten zeigen, indem sie ihre Umgebung analysieren und – mit einem gewissen Grad an Autonomie – Maßnahmen ergreifen, um bestimmte Ziele zu erreichen .“ ‚Künstliche‘ Intelligenz würde demnach bedeuten, dass Denkprozesse, Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse durch technische Systeme übernommen werden . Häufig zitiert wird in diesem Kontext die Definition von Bellman, die bereits in den 80er Jahren entstanden ist . KI wird als Subgebiet der Intelligenz definiert, die sich auf Maschinen bezieht: „With this term, we mean systems that perform […] activities that we associate with human thinking, activities such as decision-making, problem solving, learning […]“ (Bellman 1978, p . 3) . Zusammenfassend geht es darum, Ma-

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schinen zu entwickeln, die komplexe Ziele erreichen können . Durch Anwendung von Techniken des maschinellen Lernens werden diese Maschinen in die Lage versetzt, die Umgebung zu analysieren und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen (De Maat et al ., 2020) . Ob KI mit menschlicher Intelligenz gleichgesetzt werden kann, ist kritisch zu hinterfragen . Eher handelt es sich um eine Nachahmung oder Simulation menschlicher Intelligenz (DFKI  & bitkom, 2020) . Letztlich sind jedoch damit philosophische Fragen verknüpft, da sie sich auf unser Menschenbild in der Entwicklung sozio-technischer Systeme beziehen . Die Entwicklungen im Bereich der KI sind zwar erstaunlich, dennoch aber auch im Anwendungsfeld derzeit häufig sehr begrenzt und – zumindest gegenwärtig – auf ein enges Umfeld ausgerichtet (Massmann & Hofstetter, 2020) . Während der Begriff der KI oft in öffentlichen Debatten verwendet wird, verzichten viele Experten gänzlich auf dessen Verwendung und reduzieren KI auf maschinelles Lernen (ML) (vgl . hierzu SBFI, 2019) . Im Gegensatz zu früheren, regelbasierten KI-Ansätzen versuchen die heutigen, statistischen Verfahren nicht mehr menschliche Regeln abzubilden, sondern ML-Entscheidungen werden durch Optimierung getroffen . ML-Algorithmen stellen zentrale Komponenten für gegenwärtige KI-Systeme in einem größeren Kontext dar (vgl . Abb . 1) . Neben Daten und ML-Algorithmen ist auch domänenspezifisches Wissen notwendig, „um die Struktur zu definieren, welche ein komplexes Problem in bearbeitbare Aufgaben unterteilt und welche das Zusammenspiel der einzelnen ML-Komponenten untereinander regelt“ (SBFI, 2019, S . 21) . Im Gegensatz zu den ML-Algorithmen (zunehmend universelle Technologie), wird dieses Wissen, das erforderlich ist, um ML-Komponenten in KI-Systemen zu einer Komplettlösung zu kombinieren, eher nicht automatisiert und erfordert i . d . R . noch einen erheblichen menschlichen Input . Zudem braucht es auch domänenspezifisches Wissen, da für praktische Probleme normalerweise nur sehr wenige Daten zum Erlernen des richtigen Modells vorhanden sind und die Fehlerraten zu hoch wären (SBFI, 2019) .

Daten

KI-Algorithmen (Maschinelles Lernen)

KI Systeme

Domänenspezifisches Wissen Abb. 1 Komponenten für komplexe KI-Systeme (SBFI, 2019, S. 22)

KIAnwendungsfelder

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

2.2

KI-Bausteine: Lernen, Wahrnehmen und Handeln

In vielen Bereichen des alltäglichen Lebens wird KI bereits eingesetzt . Beispiele sind: Mustererkennung, Bilderkennung, Spracherkennung, Autovervollständigung und Korrekturvorschläge bei Suchvorgängen . Da KI schwer zu definieren und häufig zu abstrakt bleibt, ist es für Unternehmen und Institutionen oft noch schwer, Themen rund um KI richtig einzuordnen und eine KI-Strategie festzulegen . Daher ist ein praktikabler Weg gefragt, um KI für den Einsatz in Unternehmen und Institutionen gangbar zu machen . Hammond (zitiert in bitkom, 2020) entwickelte einen Leitfaden, der helfen soll, die einzelnen Bausteine von KI besser zu verstehen . Die KI kann danach grob in die drei Gruppen unterteilt werden: 1) Wahrnehmen (Assess), 2) Lernen (Infer) und 3) Handeln (Respond) . In diesen Gebieten können wiederum weitere Teildisziplinen aufgefächert werden (vgl . Abb . 2, nach Bernecker, 2019): Natural Language Processing

Bildverarbeitung Spracherkennung

Expertensysteme

Predictive Analytics

Wahrnehmen

Handeln

Texterkennung

KI Gesichtserkennung

Robotik

Lernen Tiefgehendes Lernen

Abb. 2 KI-Elemente in drei Gruppen (Bernecker, 2019)

Crowdsourcing Maschinelles Lernen

Verstärkendes Lernen

Will man nun KI in der Organisation etablieren, tauchen diverse Fragen auf, zum Beispiel für welche Anwendungsfälle KI genutzt werden soll oder wie sich KI-Angebote vergleichen lassen . Als Strategie im Umgang mit KI schlägt Hammond (zitiert in bitkom, 2018) vor, eine gemeinsame Sprache, eine „Lingua Franca“, zu etablieren, die alle sprechen könnten . In Anlehnung an die Chemie nennt Hammond diesen Leitfaden das „Periodensystem der Künstlichen Intelligenz“ (ebenda) . Die einzelnen Bausteine werden – ähnlich wie Legosteine – zusammengesetzt . Insgesamt definiert Hammond 28 KI-Elemente (bzw . Funktionen), die untereinander kombiniert werden können

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(Bitkom, 2018) . Jedes Element fällt dabei in eine der oben genannten drei Gruppen (Assess, Infer, Respond) . Mithilfe eines derartigen Leitfadens zur Bestimmung von KI lässt sich das Verständnis von KI verbessern und er unterstützt dabei, Anwendungsfälle für KI zu finden sowie zielführende KI-bezogene Fragen (z . B . KI-Produkte miteinander vergleichen, Wert eines KI-Systems für die Digitalisierungsstrategie feststellen, organisationale Wirkung von KI eruieren etc .) zu formulieren (bitkom, 2018) . 2.3

Problemfelder der Künstlichen Intelligenz

Basierend auf der Fähigkeit, große und unstrukturierte Daten zu verarbeiten, daraus zu lernen und Vorhersagen zu treffen, entsteht die Fähigkeit, die Umwelt ‚wahrzunehmen‘ und mit ihr zu interagieren . Werden die verschiedenen KI-Elemente miteinander kombiniert, so können komplexere KI-Systeme von der Wahrnehmung über die Informationsverarbeitung bis hin zum Handeln und der automatisierten Interaktion mit der Umwelt (Mensch oder Maschine) eingesetzt werden . Allerdings sind dabei Problemfelder von KI-Systemen zu beachten, wie in Abb . 3 aufgezeigt . Interaktion mit Umwelt / Mensch

Perception Anwendungen

Bilder, Sprache, Text, Sensorendaten

Black Box

Reasoning Problemlösung, Planung, Diagnose, Entscheidung

Bias

Action Sprachausgabe, Empfehlungen, Robotik/Navigation

Funktionen

Clustering, Dimensionsreduktion, Klassifizierung, Regression, …

Grundlagen

Daten - Lernen - Prognosen

Abb. 3 Fähigkeiten von KI-Systemen zur Interaktion mit der Umwelt (in Anlehnung an SBFI, 2019, S. 30)

Black Box Problematik ‚Black Box‘ bedeutet, dass es in KI-Systemen nicht mehr erklärbar und nachvollziehbar ist, wie eine bestimmte Vorhersage oder ein bestimmtes Ergebnis zustande kommt oder wie ein KI-System bei einer konkreten Fragestellung zu einer spezifischen Antwort gekommen ist . In diesem Zusammenhang plädieren renommierte KI-Forschende

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

für eine ‚Explainable Artificial Intelligence‘, die auch als erklärbare oder transparente KI bezeichnet wird (Dellermann et al ., 2019) . Damit wird ein System beschrieben, in dem die KI-Aktivitäten für den Menschen nachvollziehbar sind . Bias Problematik Ein weiteres Kernproblem beim Einsatz von KI hängt mit Datenverzerrungen (Bias) zusammen . Es werden Muster erkannt, die lediglich auf Korrelationen in den Trainingsdaten beruhen . Das kann zu Einseitigkeiten oder Befangenheiten führen, die dann das Verhalten des Algorithmus prägen . Diese Aspekte werden oft im Hinblick auf Fairness und Diskriminierung von KI-Anwendungen diskutiert (z . B . bei der Verwendung eines algorithmischen Kandidatenauswahlsystems wurde festgestellt, dass das System auf der Grundlage verzerrter Lerndaten männliche Kandidaten bevorzugte, SBFI, 2019) . Stark umstritten ist folglich die Künstliche Allgemeine Intelligenz (Artificial General Intelligence [AGI]), die darauf abzielt, Maschinen mit menschlichen Intelligenzniveaus über ein breites Fähigkeitsspektrum zu schaffen . Die AGI und die Risiken, die sie mit sich bringt, indem sie in der Lage ist, sich schrittweise zu einer ‚Superintelligenz‘ zu entwickeln, sind in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt . Zahlreiche Wissenschaftler sind der Ansicht, dass AGI möglich ist . Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, wie und wann mit einer AGI zu rechnen ist (Makridaki, 2017) . Das Weltwirtschaftsforum (WEF, 2017) konstatierte in seiner globalen Risikobewertung im Jahr 2017 die von AGI ausgehenden Bedrohungen und adressierte Implikationen für Regierungen, insbesondere um KI Technologien durch ‚OpenAI‘ und effektive Regulierungen kontrollieren zu können (Markoff, 2016) . Die Anwendungsfelder, für die intelligente Maschinen eingesetzt werden können, erweitern sich kontinuierlich . Als sozio-technisches System unterliegen sie dabei allerdings der Evaluation der Gesellschaft (DeCanio, 2016) . 3

KI-Transformation: Augmentation als neues Paradigma der Beschäftigung

3.1

Augmentation und ‚augmented work‘

Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitsmarkt stehen an der Schwelle einer großen Übergangsphase . Weit verbreitete Bezeichnungen für diese Phase sind: die vierte industrielle Revolution (Schwab, 2017), das zweite Maschinenzeitalter (Brynjolfsson & McAfee, 2014), die zweite Welle der Digitalisierung (Wahlster, 2017), die KI-Revolution (Makridakis, 2017) oder ‚Globotics‘ (als Kunstwort aus Globalisierung und

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

Robotik, Baldwin, 2020) . Tab . 1 bietet eine kurze historische Perspektive, um die weitreichenden Veränderungen zu veranschaulichen . Sie dient als Orientierungskarte, um die enormen Auswirkungen der durch technologische Durchbrüche vorangetriebenen digitalen Transformation besser zu verstehen . Tab. 1 Bedeutende Transformationen durch technologische Durchbrüche (in Anlehnung an makriDakiS, 2017; balDwin, 2020) Faktoren

1. Revolution

2. Revolution

3. Revolution

4. Revolution

Industrielle Revolution

Mechanisierung Mechanischer Webstuhl

Massenproduktion, Fließband

Computer und Automatisierung der Produktion

Smart Factory: Cloud und CyberPhysischeSysteme (CPS)

Automatisierung

Ende 18. Jahrhundert

Ende 19. Jahrhundert

Ende 70iger Jahre

Heute seit ca. 2016

Globalisierung

Etwa 100 Jahre später

Ewa 50 Jahre später

Etwa 15–20 Jahre später

Gleiche Zeit?

Technologischer Durchbruch

Mechanische Kraft: Dampf- und Wasserkraft

Elektrizität

Computer; Plattformökonomie 1. Welle der Digitalisierung

KI und ML; 2. Welle der Digitalisierung

Maschinenzeitalter

Erstes Maschinenzeitalter: Physische Kraft

Zweites Maschinenzeitalter: Mentale Kraft

Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitswelt

-

-

Flexible Arbeit; hierarchische Strukturen; temporäre Arbeitskräfte

Remote, hybride Taskforce; Telemigration, Sharing economy

Verständnis von Räumen, Arbeitsumgebungen

Physische Räume/ Objekte

Physische Fabrik, nach standardisierten Prozessen

Analoge und digitale Realität, reale Objekte und virtuelle Prozesse

Mixed Realities: verbundene virtuelle und reale Objekte und Prozesse

Verschiebung der Beschäftigung

Handwerkliches Geschick: Handwerker mit einem breiten Aufgabenspektrum

Arbeitsteilung: spezialisierte Handwerker; automatisierte Arbeit von ungelernter körperlicher Arbeit

Substitution: Computerarbeit: Angestellte; Automatisierte Arbeit mit Roboter

Augmentation: Handwerker mit neuen Fähigkeiten; ‚white-collar and blue-collar robots‘

Funktion des Computers / Funktionale Allokation

-

-

Computer als Tool, „leftover“ Prinzip

Computer auch als Partner, kompensatorisches Prinzip

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

Während bisher die Substitution (der Ersatz von Arbeitsplätzen durch Automatisierung) im Vordergrund der Digitalisierung stand (Frey  & Osborne, 2017), ist die Steigerung der menschlichen Fähigkeiten (komplementäre Synergien zwischen Mensch und Maschine) eine der entscheidenden Herausforderungen in der gegenwärtigen Übergangsphase der digitalen Transformation geprägt durch die Entwicklungen der KI . Davenport und Kirby (2016) lenken die Aufmerksamkeit auf die Ergänzung und Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, die sie als Augmentation bezeichnen: Mensch und Maschine unterstützen sich gegenseitig bei der Erfüllung von Aufgaben (S . 2) . Nach Jarrahi (2018) kann Augmentation als eine ‚MenschKI-Symbiose‘ verstanden werden: „augmentation can be understood as a ‚human-AI symbiosis‘, meaning that interactions between humans and AI can make both parties smarter over time“ (S . 583) . Bisher wurde für die Funktionszuweisung des Computers oder der Maschine das (oft kritisierte) Resteprinzip ‚Leftover-Principle‘ angewandt (Wesche & Sonderegger, 2019) . Dieses Prinzip legt zugrunde, dass alles, was automatisiert werden kann, auch automatisiert werden soll und dass der Mensch nur die Funktionen ausführen soll, die nicht automatisiert werden können oder wo eine Automatisierung unwirtschaftlich ist (Hancock, 2014) . Gegenwärtig ist ein Paradigmenwechsel hin zum kompensatorischen Prinzip in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine festzustellen (Wesche & Sonderegger, 2019; Davenport & Kirby, 2016; Meier et al ., 2021) . Dieses Prinzip besagt, dass Funktionen auf der Grundlage der Stärken und Schwächen von Mensch und Computer zugewiesen werden sollten (Wesche & Sonderegger, 2019) . KI könnte diesen transformativen Prozess mit extrem hoher Geschwindigkeit vorantreiben . Das McKinsey Global Institute schätzt, dass bis 2030 etwa 70 Prozent der Unternehmen mindestens eine Art von KI-Technologie eingeführt haben: Computer Vision, Verarbeitung natürlicher Sprache, virtuelle Assistenten, robotergestützte Prozessautomatisierung und fortgeschrittenes maschinelles Lernen (Bughin et al ., 2018) . Augmentation bedeutet, dass sich das zugrundeliegende Paradigma für die MenschComputer-Interaktion radikal verändert: Das Paradigma ‚Computer as Tool‘ (Computer als Werkzeug) wandelt sich zunehmend und ergänzt sich hin zu ‚Computer als Partner‘ (Wesche & Sonderegger, 2019, S . 197, vgl . Abb . 4) . Hilfreich scheint, die Stärken von Menschen und intelligenten Maschinen herauszuarbeiten . Zahlreiche Tätigkeiten, die Wissensarbeitern heute viel Zeit rauben, z . B . eine aufwendige Recherche, können künftig von KI-Systemen übernommen werden . In der Zusammenarbeit mit der Maschine werden dadurch substantielle Qualitätssteigerungen möglich – gesammeltes Wissen wird neu, besser und deutlich ökonomischer nutzbar . Das erlaubt, Entscheidungen breiter abzustützen . Ohne den Menschen, der die Richtung vorgibt, liefern Maschinen aber weiterhin bruchstückhafte oder irrelevante Ergebnisse .

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

KI als Helfer: • Stark strukturierte Aufgaben • Routineentscheidungen • Nimmt dem Mensch Arbeit ab • Vollautomatisierung mit Stichprobenkontrolle • Schafft neue Ressourcen frei

Mensch behält Hoheit: • Übernahme durch Maschine ethisch unerwünscht • Unstrukturierte Aufgaben • Wenig Daten vorhanden • Einmalige Ad-hoc Entscheidungen

„Augmentation“: KI als Partner • Semi-strukturierte Aufgaben • Mensch und KI arbeiten zusammen, lernen auch voneinander • KI leitet objektiv Handlungsoptionen ab (abhängig von Güte von KI, entkräftet oder verstärkt „Biases“) • Mensch bringt Lebenserfahrung, nichtdigitale & kontextuelle Informationen, multiple Sichtweisen in diversen Wissensdomänen mit ein

Abb. 4 KI als Helfer, KI als Partner: Augmentation statt Substitution

Entscheidungen sind auf allen Management-Ebenen zunehmend sowohl unter Berücksichtigung von computergestützten Datenanalysen als auch intuitiv zu treffen . Abzuwägen wäre somit, in welchen Fällen Algorithmen oder der Rückgriff auf Intuition in Form von kondensierter Erfahrung geboten scheint . Dabei geht es darum, Entscheidungsprozesse flexibel gestalten zu können, die Rolle von digitalen Hilfsmitteln zu verstehen und diese versiert anzuwenden . Ein KI-basierter kognitiver Assistent kann auf der Basis riesiger Datenmengen statistisch fundierte Vorschläge unterbreiten . Nichtsdestotrotz sind diese Resultate eingeschränkt . Die Vorschläge beziehen sich nur auf einen spezifischen Bereich, der der Maschine vorgeben wird und auf Fragestellungen, für die das System trainiert wurde . Der Mensch dagegen ist in der Lage, eine holistische Einschätzung der Situation vorzunehmen . Wissen ist daher nötig zu den Kompetenzen und Begrenzungen von Maschinen einerseits und Menschen andererseits, um Entscheidungsprozesse adäquat gestalten zu können . Ferner scheint eine fachbezogene breite Grundbildung notwendig, um sachangemessenen und möglichst auf der Basis von unverzerrten Informationen zu entscheiden . Dazu wäre ein Verständnis für die der KI zugrundeliegenden informatischen Zusammenhänge und der von ihr bearbeiteten Fachinhalte bedeutsam . Neue Mensch-Maschine Interaktionen führen zu veränderten Kompetenzanforderungen beim Menschen im Hinblick auf die Kommunikation (DeCanio, 2016) . Bei der Nutzung eines Computers ist die Anpassung an dessen Funktionsweise nötig . KI ermöglicht hier einen radikalen Wandel . Die Interaktion mit dem System wird für den Menschen natürlicher . Eine Kommunikation ist über Sprache und Gesten möglich . Nichtsdestotrotz gibt es entscheidende Unterschiede in der Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen im Vergleich zur Kommunikation unter Menschen . Der Dialog ist rein sachbezogen und spezifisch in die Tiefe gehend . Ein Mensch würde

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

einen reichhaltigeren in die Breite gehenden Austausch initiieren – etwa mehr Kontext, Assoziationen und Metaphern einbringen . Für Menschen ist es wichtig, zwischen der Barrierefreiheit durch den sprachlichen Ausdruck und diesen Einschränkungen hinsichtlich der Kommunikationsebenen unterscheiden zu können . Es eröffnen sich zudem weitere Interaktionsmöglichkeiten mit der digitalen Welt, deren Chancen und Gefahren es zu ergründen gilt . Aufgabe von Entscheidungsträgern und Führungskräften wäre es, eine Vision für die gelungene Partnerschaft von Menschen und Maschinen zu entwickeln, die auf Synergie durch komplementäre Kompetenzen abzielt (Seufert et al ., 2020) . Gleichzeitig sind Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Gefahren der KI, die insbesondere im Bereich des Daten- und Persönlichkeitsschutzes begründet liegen, entgegenzuwirken (Stanford University, 2016) . 3.2

‚Fusion Skills‘ für die Zusammenarbeit mit intelligenten Maschinen

Aus der Perspektive der Berufsbildung und der Personalentwicklung sollte daher die Augmentation in der Wissensarbeit statt deren Substitution im Vordergrund stehen . Ziel wäre, ein Konzept für eine gelungene Partnerschaft von Mensch und Maschine zu entwickeln, in der beide ihre jeweiligen Stärken einbringen können (De Maat et al ., 2020) . Vor diesem Hintergrund werden die Implikationen für die vom Menschen geforderten Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit intelligenten Maschinen intensiv diskutiert . Daugherty und Willson (2018) sowie Meier et al . (2021) argumentieren, dass für eine komplementäre Zusammenarbeit zwischen Menschen und intelligenten Maschinen sogenannte ‚Fusion Skills‘ erforderlich sind (‚Augmented Work‘) . Diese visualisiert Abb . 5 .

Menschen helfen Maschinen Mensch haben drei wichtige Rollen zu erfüllen: 1. 2. 3.

Sie müssen Maschinen trainieren, gewisse Aufgaben zu erledigen die Ergebnisse dieser Aufgaben erklären, insbesondere wenn die Ergebnisse kontraintuitiv oder kontrovers sind den verantwortungsbewussten Umgang mit Maschinen fördern (z.B. durch Verhinderung, dass Roboter Menschen Schaden zufügen)

Maschinen helfen Menschen Intelligente Maschinen helfen dem Menschen auf drei Arten, seine Fähigkeiten zu erweitern: 1.

2.

3.

Sie können unsere kognitiven Stärken verstärken (insbesondere mit analytischer Entscheidungshilfe); interagieren mit anderen Menschen (Lernende, Kunden, Mitarbeitende), um uns für Aufgaben auf höherer Ebene freizusetzen; und menschliche Fähigkeiten verkörpern, um unsere physischen Fähigkeiten zu erweitern

Abb. 5 ‚Fusion Skills‘ für die Zusammenarbeit von Menschen mit intelligenten Maschinen (DauGherty & wilSon, 2018)

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

Diese sogenannten ‚Fusion Skills‘ sind somit notwendige Fähigkeiten, um das produktive Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Menschen und intelligenten Maschinen nutzbar zu machen . Beispiele hierfür sind das Training von KI-basierten Maschinen im Hinblick auf Leistung und Akzeptanz; algorithmisches Testen, Editieren und Interpretation der Ausgabe; Management des Betriebs und der Leistung intelligenter Maschinen (für weitere Beispiele siehe Daugherty & Wilson, 2018, S . 186–203) . Wie in Abb . 5 dargestellt, umfassen ‚Fusion Skills‘ die wechselseitige Ausbildung, d . h . einerseits das Ausführen von Aufgaben neben intelligenten Systemen, damit diese neue Fertigkeiten erlernen können (Menschen als Vorbilder, z . B . für einen Chatbot), und andererseits das Erlernen eines guten Umgangs mit diesen Maschinen (z . B . durch die Entwicklung mentaler Modelle ihrer Funktionsweise und Leistung) . Augmentation und Augmentationsstrategien sind relativ neue Denkansätze . Derzeit scheinen sie (noch) nicht sehr stark verbreitet und eher wenig bekannt zu sein . Sie stellen interessante Alternativen bzw . Ergänzungen dar, um von einem ‚statischen‘ Kompetenzverständnis wegzukommen und eine dynamischere Entwicklungsperspektive im Zusammenspiel mit intelligenten Maschinen aufzunehmen . Davenport und Kirby (2016) unterscheiden die in Tab . 2 dargestellten Augmentations- bzw . Entwicklungsstrategien für das Zusammenspiel neuer Mensch-Maschine Interaktionen . Tab. 2 Augmenationsstrategien (nach Davenport & kirby, 2016) Augmentationsstrategien

Bedeutung der Mensch-MaschineInteraktion

Beispiel in der Personalentwicklung

Step-In

Überwachung und Verbesserung der automatisierten Entscheidungen der Maschine

Überwachung von data analytics zur Verbesserung des algorithmen-gesteuerten Empfehlungssystems für digitale Inhalte

Step-Up

Sich eine Stufe über den Maschinen bewegen und Entscheidungen auf hoher Ebene über die Augmentation treffen (z. B. ethische Standards)

Managemententscheidungen über die ethische Nutzung personalisierter Nutzerdaten zur Verbesserung intelligenter Lernsysteme

Step-Forward

Beteiligung an der Entwicklung fortgeschrittener Technologien, die intelligente Systeme unterstützen

Einbringen von Fachexpertise für die Entwicklung einer neuen intelligenten Maschine, z. B. Chatbots für die Beratung zu Entwicklungsplänen

Step-Aside

Fokussierung auf Arbeitsaufgaben, die Maschinen unzureichend ausführen, bei denen aber eine Unterstützung durch KI-Systeme möglich ist, wie z. B. Lernbegleitung

Coaching für Lernen am Arbeitsplatz unterstützt durch entsprechende digitale Werkzeuge und KI-basierte (Lern-) Systeme

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

Augmentationsstrategien

Bedeutung der Mensch-MaschineInteraktion

Beispiel in der Personalentwicklung

Step-Narrowly

Suche nach einem Fachgebiet (Nische) in einer bestimmten Profession, in der intelligente Maschinen (vorerst) nicht wirtschaftlich eingesetzt werden können

Design thinking Moderationen, um Lösungen für eine zukunftsfähige Lernund Innovationskultur zu skizzieren

Für den Einsatz und die Zusammenarbeit mit KI-Systemen ist das Zusammenwirken der verschiedenen Strategien und Kompetenzbereiche notwendig . Das dfki und bitkom (2020) prognostizieren in ihrem Positionspapier: „Die intelligente Automatisierung und die stärker um sich greifende Teamarbeit zwischen Menschen und intelligenten Maschinen werden zu tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmen und staatlichen Institutionen führen . Bisher stark verbreitete hierarchische Strukturen werden zunehmend in Widerspruch geraten zu den Möglichkeiten der durch KI gestützten Projekt- und Teamarbeit über Struktur- und Organisationsgrenzen sowie über Zeitzonen hinweg“ (S . 14) . 4

Implikationen der KI auf die Berufsbildung: Aufbau des Beihefts

Das Beiheft gliedert sich in zwei Teile: (A) Auswirkung der KI auf wichtige Berufsfelder und (B) Forschungsrichtungen zur KI in der beruflichen Bildung . Vor dem Hintergrund dieses umfassenden Bezugsrahmens sollen die Beiträge den internationalen Stand der Forschung im Zusammenhang mit KI und beruflicher Bildung dokumentieren, unterschiedliche Forschungszugänge in diesem Bereich aufzeigen und einen kritischen Diskurs anregen sowie Desiderata und Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungsarbeiten aufzeigen . 4.1

Auswirkungen der KI auf wichtige Berufsfelder

Die Auswirkungen von KI auf die gewerblich-technische Facharbeit und Implikationen für die Berufsbildung untersuchen Matthias Becker, Georg Spöttl und Lars Windelband . Sie zeigen vier Felder auf, in denen sich KI-Anwendung finden: fertigkeitsbasierte, wissensbasierte, lernorientierte und simulationsorientierte Systeme . Die Autoren strukturieren die Industrieproduktion anhand von fünf Autonomiestufen von ‚keine Autonomie‘ (Mensch hat volle Kontrolle) bis zum autonomen Betrieb in allen Bereichen (Mensch kann abwesend sein) . Diese fünf Stufen können charakterisiert werden durch die Ausprägungen künstlicher Intelligenz, zentraler technologi-

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scher Merkmale, der Rolle der Fachkraft und Arbeitsanforderungen . Dadurch gelingt eine umfassende Beschreibung von Facharbeit . Bildungspolitische Implikationen und das Aufzeigen von offenen Fragen runden den Beitrag ab . Für die kaufmännische Aus- und Weiterbildung untersucht Karl Wilbers, wie sich in der Industrie aufgrund des Einsatzes von KI Kompetenzerwartungen verschieben (Mikroebene) und wie sich dies im System der Aus- und Weiterbildung widerspiegelt (Makroebene) . Auf der Mikroebene erörtert der Beitrag Veränderungen der Tätigkeiten in industriellen Prozessen . Hieraus lassen sich Kompetenzerwartungen ableiten, die der Autor in Fachkompetenz, Selbständigkeit, Sozialkompetenz und sprachliche Kompetenz gliedert . Die aufgezeigten veränderten Kompetenzanforderungen finden derzeit nicht vollumfänglich Niederschlag auf der Makroebene . Es zeigen sich Herausforderung hinsichtlich der vertikalen und horizontalen Strukturierung kaufmännischer Bildung . Die vier großen dualen IT-Berufe in Deutschland wurden im Jahr 2020 neu geordnet: Fachinformatiker/-in, IT-System-Elektroniker/-in, IT-System-Kaufmann/-frau und Informatikkaufmann/-frau . Diesen Neuordnungsprozess beleuchten Florian Winkler und Henrik Schwarz . Dabei gehen sie auf relevante technische und organisatorische Entwicklungen ein, die diesen Prozess beeinflussten . Das umfasst Entwicklungen auf dem Gebiet der KI . Als weitere wichtige Fragen thematisieren sie, wo potentiell Arbeitsplätze für die IT-Berufe angeboten werden und wie eine Kollaboration stattfindet . Für Industrieberufe zeigen Bianca Schmitt, Henning Klaffke, Torsten Sievers, Kirsten Tracht und Maren Petersen am Beispiel kollaborativer Roboter (Kobots) die Auswirkung auf die Aus- und Weiterbildung auf . Das Konzept der kollaborativen Robotik wird zunächst vorgestellt . Zur Förderung von Kompetenzen im Umgang mit Kobots dient ein Mixed Reality Ansatz . Auf diese Weise können ganze Montagestraßen virtuell abgebildet werden . Präsentiert werden Ergebnisse aus dem Projekt ‚Kompetenzentwicklung zur Gestaltung von Mensch-Roboter-Kollaboration unter Anwendung eines Mixed-Reality-basierten Lehr-Lernkonzeptes‘ (KoRA) . Datenbasis sind insgesamt 30 Interviews mit Ausbildungspersonen in Betrieben und überbetrieblichen Ausbildungsstätten sowie Lehrpersonen . Implikationen für Ausund Weiterbildung werden aufgezeigt . Im Kontext der Pflegeberufe untersucht Oliver Bendel, wie der Einsatz von Robotern als eine Manifestation intelligenter Maschinen gestaltet werden kann . Der Beitrag definiert den Begriff des Pflegeroboters und grenzt diesen ab . Die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen des Einsatzes von Pflegerobotern werden umfassend dargestellt und gewürdigt: wirtschaftliche, technische, räumliche, soziale, sowie ethische und rechtliche Aspekte . Hieraus leitet der Autor Schlussfolgerungen für die Praxis ab .

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

4.2

Forschungsrichtungen zur KI in der beruflichen Bildung

Die Beiträge in diesem Teil thematisieren unterschiedliche Forschungszugänge, welche auf die Forschung und Praxis der beruflichen Bildung übertragen werden . Der erste Beitrag in diesem Teil von Matthias Söllner, Andreas Janson, Roman Rietsche und Marian Thiel De Gafenco beschäftigt sich mit Hybrid Intelligence vor dem Hintergrund der beruflichen Bildung . Dazu werden aus primär informationstechnischer Perspektive die konzeptionellen Grundlagen von Hybrid Intelligence dargelegt und Herausforderungen der beruflichen Bildung diskutiert . Kern des Beitrags ist die Diskussion von Potenzialen und Grenzen von Hybrid Intelligence im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung aus eben jener technischen Perspektive mit besonderem Fokus auf die Individualisierung von Lehr-Lernprozessen . Der Beitrag von Sabine Seufert und Josef Guggemos adressiert, welche Möglichkeiten durch KI zur Stärkung der Lernortkooperation in der Berufsbildung entstehen . Im Mittelpunkt des Beitrags stehen eine theoretische Verortung für veränderte Paradigmen der Lernortkooperation und Zukunftsszenarien sowie Gestaltungsoptionen, indem auf die Nutzenpotenziale von KI für die Lernortkooperation eingegangen wird . Dirk Ifenthaler und Jane Yin-Kim Yau widmen sich der Frage, welche Potentiale Learning Analytics für die Unterstützung von Lernprozessen und Lernerfolg in der beruflichen Bildung entfalten können . In einer systematischen Übersichtsarbeit konnten aus über 6000 Studien belastbare Schlüsselstudien identifiziert werden, welche Learning Analytics Faktoren im Zusammenhang mit Lernerfolg im Fokus haben . Aus den Befunden werden acht Handlungsempfehlungen für zukünftige Forschung und Praxis um Learning Analytics in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik abgeleitet . Florian Berding, Heike Jahncke und Kathrin Holt untersuchen den Einsatz von Learning Analytics unter Nutzung von KI in zwei Bereichen . 1) Für das Rechnungswesen, einem Kernbereich kaufmännischer Curricula, zeigen sie, dass mit KI-Unterstützung eine zufriedenstellende inhaltsanalytische Auswertung von Texten von Lernenden zumindest teilweise möglich ist . Zur Anwendung kommen beispielsweise künstliche neuronale Netze . Als theoretischer Rahmen fungiert dabei das Konzept der Grundvorstellungen . 2) Für die (Selbst-)Reflexionskompetenz angehender Wirtschaftspädagogen zeigt eine KI-unterstützte Inhaltsanalyse ernüchternde Befunde . Eine Klassifikation verschiedener Ausprägungen von Selbstreflexion gelingt nicht zufriedenstellend . Im Beitrag von Susan Beudt und Niels Pinkwart werden Chancen und Herausforderungen beleuchtet, welche mit dem Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in der beruflichen Bildungspraxis und in betrieblichen Arbeitsprozessen verbunden sind . Hierzu werden Faktoren betrachtet, die beim Einsatz menschenzentrierter KI-Systeme insbesondere für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen eine Rolle spielen . Die Ausfüh-

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS / DIRK IFENTHALER

rungen des Beitrags bilden eine Basis für weiterführende Forschungen und Projekte im Bereich KI-basierter Unterstützung der heterogenen Zielgruppe Menschen mit Behinderungen . Die Besonderheiten von Augmented und Virtual Reality Anwendungen werden im Beitrag von Matthias Wölfel diskutiert . Diese immersiven Technologien heben die Kluft zwischen der digitalen und der analogen Welt auf und eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten in der Umsetzung von Lernanwendungen für die berufliche Bildung . Daraus leiten sich spezifische Anforderungen an Lernanwendungen ab und es wird der Versuch unternommen, entsprechende Handlungsempfehlungen zu geben . 5

Ausblick

Wichtige offene Fragen und Herausforderungen zur Förderung der Forschung im Bereich der KI im Zusammenhang mit der beruflichen Bildung sind die Entwicklung und Koordinierung einer Forschungsagenda, um Skalierbarkeit für zukünftige Anwendungen bereitzustellen . Eine solche Agenda sollte sich auf interdisziplinäre Forschung stützen und die Integration von menschlichem und künstlichem Lernen fördern, um Interaktion, Zusammenarbeit und Grundlage effektiver Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu erreichen . Eine Forschungsagenda sollte sich unter anderem diesen Perspektiven widmen: – Ethik, algorithmisches Vertrauen, Datenschutz und Datensicherheit zur Entwicklung offener vertrauenswürdiger KI- und Analysesysteme, mit denen die Benutzer ein Verständnis für ihre Fähigkeiten und Einschränkungen entwickeln können (Berberich, 2019) . – Transparente Datenverwaltung und -standards, um den Zugriff auf Daten zu steuern, größere Datensätze zu erstellen, um fragmentierte Forschung im kleinen Maßstab zu überwinden, kontextbezogene Verzerrungen zu verringern und die Forschungszusammenarbeit zu unterstützen (Luckin, Holmes, Griffiths & Pearson, 2016) . – Entwicklung einer Cloud-basierten Forschungsinfrastruktur, um den Zugang zu fortschrittlichen Techniken des maschinellen Lernens und Rechenkapazität zu ermöglichen (Finkel, 2016), um die kollektive Synthese und Analyse von Daten zur Beantwortung dieser komplexen Fragen und zur Transformation der Anwendung zu unterstützen . – Die Entwicklung gemeinsamer (Mensch-Maschine) „Theorien des Geistes“ und des Handelns, um die Stärken und Schwächen des jeweils anderen zu nutzen (De Laat, Joksimovic & Ifenthaler, 2020) . Während die KI dem Menschen in Kapazität und Geschwindigkeit bei Datenanalysen und -prognosen überlegen ist, überzeugt der Mensch aufgrund seiner Fähigkeit

Zukunft der Arbeit mit intelligenten Maschinen

zur Empathie bei ethischen Urteilen . Es gilt einen Konsens für die ethisch verantwortungsvolle Verwendung KI in der beruflichen Bildung zu etablieren . Dieser befindet sich zwischen übertriebener Vorsicht und unkalkulierbaren Risiken . Literatur

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Zur Person: Sabine Seufert ist Direktorin des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungs-

technologien an der Universität St .Gallen (IBB-HSG), Schweiz . Ihre Forschung befasst sich mit der digitalen Transformation im Bildungsmanagement und Personalentwicklung, Künstlicher Intelligenz und sozialen Robotern im Bildungsbereich . Prof. Dr. Sabine Seufert

Universität St .Gallen, Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien, St . Jakob-Strasse 21, 9000 St . Gallen, Schweiz, sabine .seufert@unisg .ch Zur Person: Josef Guggemos ist Assistenzprofessor für Bildungstechnologien und Informatisches Denken am Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien an der Universität St . Gallen (IBB-HSG), Schweiz . Seine Forschungsinteressen sind Informatisches Denken, Kompetenzen von Bildungsverantwortlichen im Kontext der digitalen Transformation und soziale Roboter im Bildungskontext . Prof. Dr. Josef Guggemos

Universität St .Gallen, Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien, St . Jakob-Strasse 21, 9000 St . Gallen, Schweiz, josef .guggemos@unisg .ch Zur Person: Dirk Ifenthaler ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes Instruktionsdesign an der Universität Mannheim und UNESCO Deputy Chair of Data Science in Higher Education Learning and Teaching an der Curtin University, Australien . Sein Forschungsschwerpunkt verbindet Fragen der Lehr-Lernforschung, Bildungstechnologie, Data Analytics und organisationalem Lernen . Prof. Dr. Dirk Ifenthaler

Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes Instruktionsdesign, L4, 1, 68131 Mannheim, Deutschland, ifenthaler@uni-mannheim .de

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Teil A Auswirkung künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder

Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der gewerblich-technischen Berufsbildung matthiaS becker / GeorG Spöttl / larS winDelbanD

Artificial intelligence and autonomy of technologies in industrial technical vocational education and training Kurzfassung: Wie wird sich die künstliche Intelligenz (KI) auf Wirtschaft, Gesellschaft und (Fach)

Arbeit auswirken? Darüber bestehen oftmals ganz unterschiedliche Einschätzungen . Die Auswirkungen auf die berufliche Bildung wird bisher noch wenig diskutiert und nur sehr selten erforscht . Dabei sind die technologischen Entwicklungen in bestimmten Bereichen (u . a . Expertensysteme, Ansätze maschinellen Lernens, digitaler Zwilling) schon so weit vorangeschritten, dass die Auswirkungen auf die Facharbeit zu spüren und damit ersichtlich sind . Viel wird von der Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle abhängig sein . Gegenstand des Beitrages sind die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die berufliche Facharbeit, die Veränderungen in der Rolle zwischen Mensch und Maschine und die Konsequenzen für die Berufsbildung . Schlagworte: Künstliche Intelligenz, berufliche Facharbeit; Mensch-Maschine-Schnittstelle, Expertensysteme, Autonomie, Humanisierung Abstract: How will artificial intelligence (AI) affect the economy, society and (skilled) work? There

are often very different assessments of this . The effects on vocational education and training have not been discussed very often thus far, and only rarely have they been researched . The technological developments in certain areas (e . g . expert systems, machine learning approaches, digital twins) have already progressed so far that effects on the skilled work can be felt as well as seen . Much will depend on the design of the human-machine interface (HMI) . The subject of this contribution are the effects of artificial intelligence on skilled work, the changes in the relationship between humans and machines and the consequences of these effects for Vocational Education and Training . Keywords: Artificial Intelligence, skilled work; Human-Machine Interface, expert systems, autonomy, humanization

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MATTHIAS BECKER / GEORG SPÖTTL / LARS WINDELBAND

1

Industrie 4.0 und die Autonomie der Technologien

Eine für die Berufsbildung zentrale und essenzielle Entwicklungsrichtung hängt mit einer grundlegenden Forschungsfrage zusammen: Kann Technologie menschliches Leistungsvermögen und menschliche Intelligenz ersetzen und führt dies zur Entwertung oder Ersetzung beruflicher Qualifikationen? Zweifelsohne ist die technische Entwicklung so weit vorangeschritten, dass große Teile einzelner Bereiche der Facharbeit durch Automatisierung beeinflusst oder gar ersetzt werden können: Schweißroboter fertigen Rohkarosserien beinahe ohne menschliche Beteiligung, Transportsysteme in der Produktion fahren fahrerlos und Produkte erhalten eine Anbindung an lokale (Datenbanken) oder gar globale (Internet) Informationsnetze und steuern dadurch eigenständig Produktionsabläufe (vgl . Schwab 2017, S .  2 ff .) . Während also die Entlastung des Menschen bzw . auch die Entwertung oder Ersetzung menschlichen Handelns durch maschinelles Handeln längst unser privates, gesellschaftliches und berufliches Leben durchdrungen hat (vgl . Pangalos u . a . 2005; Baukrowitz u . a . 2006; Brynjolfsson/McAfee . 2014), wird zunehmend deutlich, dass die so veränderten und neu entstehenden Lebens- und Arbeitswelten selbst zum Gegenstand von Facharbeit werden . Die Automatisierung von manuellen Aufgaben (vor allem der repetitiven Tätigkeiten durch Roboter) und zunehmend auch von stärker kognitiv geprägten Aufgaben führt zu teilweise weitreichenden Veränderungen in den Beschäftigungsstrukturen, den benötigten Qualifikationsprofilen und eventuell sogar Berufsstrukturen . Die dazu vorliegenden empirischen Untersuchungen der soziologischen Forschung bis hin zur Sozionik (vgl . Malsch 1998; Rammert 2016) und der Arbeitsmarktforschung (vgl . etwa Dengler/Matthes 2018; Frey/Osborne 2017) sind nicht Gegenstand dieses Beitrages; stattdessen wird ein genauer Blick auf die durch Automatisierung und Digitalisierung der Technik veränderten beruflichen Aufgaben in der Facharbeit geworfen . Dabei stellt sich den Autoren die Frage, wie Automatisierung, Digitalisierung oder gar die künstliche Intelligenz in der Technik den Charakter und die Anforderungen der beruflichen Facharbeit verändern werden? Zentraler Punkt bei der Betrachtung ist die Veränderung der Mensch-Maschine-Schnittstelle durch den Einsatz der künstlichen Intelligenz in der Facharbeit . Dies kann die Rolle der beruflichen Facharbeit und damit die gesamte berufliche Bildung massiv beeinflussen . 1.1

Industrie 4.0 und die Konnektivität

Wie genau hängen etwa die Entwicklungen der „künstlichen Intelligenz“ mit den Entwicklungen des „Internet der Dinge“ und „Industrie 4 .0“ zusammen? Kern von „Industrie 4 .0“ (I40) ist die Verknüpfung physischer Komponenten – zum Beispiel einer Werkzeugmaschine – mit über das Internet informatisierten oder digitalisierten Komponenten zur Einlösung der Vision einer selbstregulierenden Produktion . Solcher-

Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der gewerblich-technischen Berufsbildung

maßen mit Software verknüpfte Systeme werden als cyber-physische Systeme (CPS) oder unter direkter Bezugnahme auf die Produktion als cyber-physische Produktionssysteme (CPPS) bezeichnet . CPPS-Systeme lösen die hierarchischen Strukturen der Automatisierungspyramide auf (vgl . VDI 2013) und binden Menschen und Maschinen in einer auf flexibilisierte Produktionsstrukturen ausgerichteten Produktionsweise mit Hilfe von Standardisierungsansätzen (vgl . Becker 2019; Kellermann-Langhagen 2019) ein . Unabhängig vom industriellen Kontext werden Verbindungen zwischen Alltagsgegenständen und realen Welten einerseits und virtuellen Welten und Gegenständen andererseits als „Internet der Dinge“ (Internet of Things – IoT) konzipiert . Um dies zu erreichen, werden Gegenstände, Räume oder Maschinen mit Kommunikationsmodulen ausgestattet, die es erlauben, Informationen über das Netz zu senden und/oder zu empfangen . Das IoT wird dabei als Begriff für die Infrastruktur verwendet, in welcher unterschiedliche Gegenstände miteinander kommunizieren und Daten über eine Datenverarbeitung direkt verarbeitet werden (vgl . Windelband/Dworschak 2015, S . 26) . Es kommt zur Interaktion im Sinne der Datenerfassung, Datenverarbeitung und des Datentransportes zwischen technischen Systemen . Entscheidend ist dabei die Beeinflussung der Abläufe in den übergeordneten Handlungsstrukturen der berufsbestimmenden Arbeitsprozesse . Folgen diese determinierten sowie gut nachvollziehbaren Handlungsmustern (sowie Handlungsschritten) und führt dies nicht zu Wechselwirkungen mit anderen bzw . übergeordneten Handlungsstrukturen, so kennzeichnet das eher die mechatronische und informationstechnische Facharbeit der dritten industriellen Revolution, die durch die Einführung der Computertechnologien gekennzeichnet war . Gehen dagegen „Initiativen“ für die Kommunikation von den Geräten und Systemen oder aber auch Softwaresystemen selbst aus, so ist dieses für Industrie 4 .0 kennzeichnend . Die Ausprägungsstufen dieser Konnektivität können genutzt werden, um die Eigenschaften der entsprechenden Technologien und Prozesse zu charakterisieren, zu klassifizieren und Informationsverarbeitung, Energietransfer und Verortung der Intelligenz auf verschiedenen Ebenen zu kennzeichnen . Die Aggregation nimmt dabei von Stufe zu Stufe zu (vgl . Tabelle 1 und entsprechend detailliert auf I40 bezogen VDMA 2015) . Wie am Beispiel des Einsatzes von IoT in der Logistik gezeigt werden kann, sind die dargestellten Ausprägungsstufen (1 bis 3) zugleich Entwicklungsstufen und Referenzen hin zur Umsetzung der „Vision“ von Industrie 4 .01, nämlich der Übernahme von Entscheidungen für Handlungsabläufe, die die Systemgrenzen der Technik überschreiten . Wie aus der Tabelle hervorgeht, sieht die dritte Ausprägungsstufe über alle sechs Merkmale hinweg vor, dass die eingesetzten Technologien eigenständig Ent-

1 Es wird davon ausgegangen, dass I40 noch nicht das Niveau intelligenter Systeme und Anlagen erreicht, jedoch bereits traditionelle Systemgrenzen deutlich überschreitet .

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MATTHIAS BECKER / GEORG SPÖTTL / LARS WINDELBAND

Tabelle 1 Ausprägungsstufen am Beispiel des Internet der Dinge in der Logistik (Windelband/ Spöttl 2012; Windelband 2014, S. 149) Ausprägungsstufe Merkmal

Stufe 1 Maschinelle Kommunikation passiv

Stufe 2 Maschinelle Kommunikation situationsbezogen

Stufe 3 Maschinelle Kommunikation kontinuierlich

Konnektivität

Informationen werden manuell ausgelesen / Kommunikation passiv

System kommuniziert bei bestimmtem Ereignis

System kommuniziert ständig (aktiv)

Informationsverarbeitung

Informationsaufnahme und -speicherung (z. B. RFID)

Mitteilung: Info-Weitergabe und Verarbeitung (z. B. Statusmeldung)

Entscheidungsfähigkeit aufgrund Fähigkeit zur Informationsverarbeitung durch umfassende Logik, Sensorik und Aktorik

Technologie

(1) Einsatz von RFID

(2) Einsatz von Sensorik

(1) u. (2) m. Rechenkapazität ausgestattet

AggregationsEbene

Technologie auf Verpackungsebene

Technologie am Endprodukt (Objektebene)

Technologie an den Einzelteilen (Komponentenebene)

EnergieVersorgung

durch Induktion (z. B. bei Kontakt „Tag“ u. Lesegerät)

z. B. durch Akkumulator

autark (z. B. durch „Energy Harvesting“)

Verortung der Intelligenz (Entscheidungskomponente)

zentrale ‚Intelligenz‘ bzw. Entscheidungskomponente

‚Intelligenz‘ bzw. Entscheidungskomponente am Gegenstand

Entscheidung durch auf mehrere Gegenstände verteilte ‚Intelligenz‘

scheidungen treffen (System kommuniziert ständig, Entscheidungen finden eigenständig und autark statt) und sich selbständig optimieren können . Damit kommt diese Stufe der zukünftigen Entwicklung hin zu „Industrie 4 .0“ mit einem autonomen und selbstgesteuerten Prozess sehr nahe . Gerade die Merkmale Konnektivität (aktiv) und Informationsverarbeitung (Entscheidungsfähigkeit aufgrund Info-Verarbeitungsfähigkeit) charakterisieren sehr stark die Intelligenz technischer Systeme . 1.2

Intelligenz technischer Systeme als Arbeitsgegenstand

Die Eigenständigkeit der Systeme in Bezug auf Systemgrenzen überschreitende Wirkungen ist ein entscheidendes Merkmal zur Kennzeichnung der Intelligenz technischer Systeme und damit der künstlichen Intelligenz (KI) . Generell ist es sehr schwierig, den Begriff der Intelligenz präzise zu fassen . Die Charakterisierung von Turing

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(1950) bietet bis heute den solidesten Ansatz, um „Smart Systems“ oder intelligente Systeme zu identifizieren . Der sogenannte Turing-Test besteht darin zu prüfen, ob sich ein technisches System so verhält, dass einem Menschen bei entsprechendem Verhalten Intelligenz zugesprochen würde . Für diese Prüfung sind sieben Merkmale (vgl . Becker 2004, S . 169 f .) kennzeichnend: 1 . Fähigkeit zur Informationsaufnahme, -verarbeitung, und -umsetzung in situationsadäquates Verhalten . (Informieren) 2 . Fähigkeit zum Abspeichern von Funktionen im „Gedächtnis“; Wiederauffinden . (Vernetzen) 3 . Fähigkeit zum Lernen aus wechselnden System- und Umgebungszuständen . (Lernen) 4 . Fähigkeit, wechselnden System- und Umgebungszuständen entsprechende Entscheidungen zu treffen . (Entscheiden) 5 . Fähigkeit zum selbstständigen Planen von Aktionen auf Grund von Erfahrungen und Merkmalen von System- und Umgebungszuständen . (Planen) 6 . Zunehmende Kommunikationsfähigkeit zwischen Systemen und dem Komplex Mensch und System . (Kommunizieren) und 7 . Fähigkeit der Orientierung an der Umwelt bei der Handlung in Systemen (Interagieren) . Verbunden mit diesen sieben Merkmalen sind jeweils aktive Eingriffe in Lebens- und Arbeitswelten . Mit diesen wird generell Intelligenz verbunden, um die Wirkungen „intelligenten“ Handelns zu kennzeichnen . Dazu zählt auch das intelligente interagieren mit der Umwelt und die soziale & emotionale Intelligenz . In der Anwendung auf technische Systeme werden diese sieben Merkmale selten eineindeutig erfüllt . Sie sind daher als ein Kontinuum einzelner und doch zugleich zusammenhängender Elemente zu sehen, die im Vergleich zwischen technischem und menschlichem Verhalten bewertet werden . Zudem bieten diese Ansatzpunkte zur Untersuchung von Facharbeit in von KI durchdrungenen Technikfeldern . In der Technik lassen sich folgende Felder unterscheiden, in denen Ansätze der KI Anwendung finden: – Fertigkeitsbasierte Systeme: Robotik, Transportsysteme, Computer Integrated Manufacturing, Lagersysteme in der Logistik – Wissensbasierte Systeme: Expertensysteme, Assistenzsysteme und Agenten – Lernorientierte Systeme: Fuzzy-Logik, Neuronale Netze, Maschinelles Lernen und modellbasierte Verfahren – Simulationsorientierte Systeme: Digitale Zwillinge

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1 .2 .1

Fertigkeitsbasierte Systeme

Die „klassische“ Automatisierung im Sinne der Ausführung manueller Fertigkeiten durch Maschinen mit zunehmender Informatisierung prägte die ersten drei industriellen Revolutionen und damit verbunden die Arbeitswelt entscheidend (vgl . Braverman 1977; Röben 2019) . Diese Art der Automatisierung führt als Weiterentwicklung zur Klasse der fertigkeitsbasierten Systeme, in denen Ansätze der Informatisierung mit künstlicher Intelligenz verbunden werden . Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht, dass dieser Strang der Automatisierung in erster Linie zu einer Höherqualifizierung von Arbeitern (vgl . Haipeter/Slomka 2015) geführt hat . Heute sind dort etwa mit Mechatroniker/-innen und Fachkräften für Lagerlogistik ebenso gut angenommene Ausbildungsberufe wie Erwerbsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt vorhanden (vgl . auch Burstedde/Schirner 2019) . Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch viele niedrigqualifizierte Tätigkeiten weggefallen sind (vgl . Hirsch-Kreinsen 2009; Ittermann u . a . 2019); auch haben die Entwicklungen zu einer Verminderung körperlich stark belastender Tätigkeitsanteile geführt, so dass die Belastungs-BeanspruchungsSituationen des Menschen sich verbessert haben (vgl . Jeske/Terstegen 2017, S . 78) . Anders verhält es sich mit den drei anderen (wissensbasierte Systeme, lernorientierte Systeme, simulationsorientierte Systeme) Technikfeldern . Dort werden die Auswirkungen der Verbreitung der damit verbundenen Technologien auf die Facharbeit und Berufe erst jetzt nach und nach sichtbar . Jedoch lassen sich auch dazu bereits Veränderungen in den Aufgaben von Fachkräften ausmachen, die mit einem Fokus auf die KI charakterisiert werden können . Wie darauf in der Ausbildung von Facharbeitern reagiert werden soll, ist eine bisher nicht diskutierte Frage . Nachstehend werden diese Schwerpunkte inhaltlich charakterisiert, um einen ersten Überblick über mögliche Herausforderungen und deren Diversifizierung zu bekommen . 1 .2 .2

Wissensbasierte Systeme

„Expertensysteme sind Programme, mit denen das Spezialwissen und die Schlussfolgerungsfähigkeit qualifizierter Fachleute auf eng begrenzten Aufgabengebieten nachgebildet werden soll“ (Puppe 1988, S . 2) . Expertensysteme werden seit den 1970er Jahren in den verschiedensten Bereichen eingesetzt und verbreitet; etwa in der Medizin, aber auch in Servicebereichen der Produktion (vgl . Puppe et al . 2001), der Montage oder im Kfz-Service für die Diagnose (vgl . Schreier 2001; Rauner/Schreier/Spöttl 2002; Becker 2003; Karges 2017) . Der ursprüngliche Gedanke des expertenhaften Handelns technischer Systeme (die technischen Systeme ersetzen schwierigere Aufgaben der Facharbeit) ist im Zuge der Reifung dieser Systeme über die letzten 50 Jahre weitestgehend verworfen worden . Stattdessen überwiegt heute die Eingrenzung des Ansatzes auf sehr eng abgrenzbare Bereiche (Agenten) und die Unterstützung des

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Menschen (Assistenzsysteme) durch das Unterbreiten von Vorschlägen statt des Treffens von Entscheidungen . Deshalb hat sich hier der Oberbegriff der wissensbasierten Systeme weitestgehend durchgesetzt . 1 .2 .3

Lernorientierte Systeme

„Maschinelles Lernen (ML), als Kerntechnologie der Künstlichen Intelligenz, bietet eine Alternative zur herkömmlichen Programmierung . Statt eines Programms mit einer Berechnungsvorschrift gibt man dem Computer Beispieldaten . Lernmethoden oder -algorithmen extrahieren daraus statistische Regelmäßigkeiten, die sie in Form von Modellen darstellen . Diese Modelle können auf neue, zuvor noch nicht gesehene Daten reagieren, indem sie sie in Kategorien einordnen, Vorhersagen oder Vorschläge generieren“ (Fraunhofer Allianz 2017, S . 8) . Lernorientierte Systeme basieren auf Ansätzen, mit denen Lernvorgänge maschinell nachgebildet werden sollen . Da der Umgang mit Daten in den praktischen Anwendungen dabei im Mittelpunkt steht, entstehen automatisch ausgewertete Datenstrukturen, die in Produktionsanwendungen dazu dienen, Systeme und Anlagen – aber auch Produktionsprozesse – automatisch an veränderte Bedingungen anzupassen oder zu optimieren . Ein Beispiel ist die Bildund Mustererkennung, die dabei hilft, Bauteile zu sortieren oder die Roboter anleiten kann, Teile richtig zu greifen . Dieser „Lernvorgang“ wird durch neuronale Netze realisiert . Die in diesen Systemen verankerte Informationstechnik ist nicht Gegenstand von Facharbeit, sondern die damit realisierte Anwendung . Aus dieser heraus ist zum Beispiel auf der Facharbeitsebene durch die Fachkraft einzugreifen, wenn Muster falsch interpretiert werden oder Störungen von außen das maschinelle Lernen beeinflussen . 1 .2 .4

Simulationsorientierte Systeme

Während Simulationen in der dritten industriellen Revolution Hochkonjunktur in Form der Simulation von Zerspanungsprozessen bis hin zur Simulation des gesamten Fabrikgeschehens (digitale Fabrik) hatten, steht heute der digitale Zwilling im Mittelpunkt von Industrie 4 .0 (vgl . Hartmann et al . 2019; Kellermann-Langhagen 2019; Klostermeier/Haag/Benlian 2020, S . 3 ff .; Hirsch-Kreinsen/Itermann 2019) . Simulation als Arbeitsgegenstand diente dem Planen und Nachvollziehen von Fertigungs- und Produktionsvorgängen, um im Vorfeld Fehler auszumerzen und Vorgänge zu optimieren . Digitale Zwillinge sind dagegen digitale Repräsentationen des Objekts (Produkt, System, Prozess) und stellen die Realität softwaretechnisch dar . Meist wird in den Anwendungen dazu auch das originale Bedienterminal oder Human Machine Interface (HMI) genutzt (also im Gegensatz zur Simulation nicht ein separates Simulationsprogramm) und es lässt sich ein Umschalten zwischen realer Produktionsbeeinflussung

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und Simulationsvorgängen in Echtzeit realisieren . Genau in dieser Erscheinungsform werden digitale Zwillinge bereits von Fachkräften in Industrie 4 .0-Kontexten mit dem Ziel der Planung, Optimierung und Flexibilisierung der Produktion an der Maschine und im Produktionssystem eingesetzt . Im Zeitalter von „Industrie 4 .0“ spielt die Intelligenz der technischen Systeme in den skizzierten Technikfeldern eine immer größere Rolle . Dabei nimmt der Vernetzungsgedanke weiter zu, in dem der gesamte Wertschöpfungsprozess von der Planung bis zur Auslieferung zum Kunden innerhalb („intelligente“ Fabrik) und außerhalb des Unternehmens miteinander vernetzt werden . Basis für Industrie 4 .0 ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch eine Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Akteure, dies sowohl innerhalb der Unternehmen und auch außerhalb hin zu allen Zulieferern und Kunden . Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen (vgl . BMWi 2019c) . 1.3

Verbreitung von Industrie 4.0 Ansätzen in Betrieben

Um die Ausprägungsstufen von Technologien in der Industrie 4 .0 einschätzen zu können, wurde in der bayme vbm Studie (Spöttl u . a . 2016) ein Bewertungsinstrument entwickelt . Dieses beinhaltet sieben Technologiedimensionen von der Sensorik /Aktorik (Vernetzung CPS), Vernetzung (gesamte Wertschöpfungskette), Funktechnik (Kommunikation), Big-Data (Datenanalyse), Cloud Computing (Datenspeicherung, Datengeschwindigkeit), Arbeitsplatzintelligenz CPS (Anteil Mensch-Technik) bis zur Datensicherheit (Datenhoheit) . Im Vergleich mit empirischen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge (vgl . Tabelle 1) ist ein deutlich höherer Vernetzungsgrad in der dritten und vierten Stufe (Technologiedimensionen Vernetzung oder Sensorik/Aktorik) sowie eine zunehmende Bedeutung der Autonomie intelligenter Systeme feststellbar . So z . B . in der vierten Stufe bei Big Data: Hier wird auf Verfahren des maschinellen Lernens zurückgegriffen, um aus dem vorliegenden Datenbestand eine automatische und voraussehende Datenanalyse zu ermöglichen . Die Einschätzungen zum Einsatz von Technologien, die insbesondere durch die vierte Stufe gekennzeichnet sind, deuten auf eine durchwachsene und gewachsene Durchdringung hin; Technologien mit KI werden zwar als wichtig angesehen, breiten sich aber zum Erfassungszeitraum nur sehr moderat in Unternehmen (4,4 % aller Unternehmen im Maschinenbau und der Elektrotechnik; vgl . BMWi 2019b, S . 16) und insbesondere auf das Arbeitsumfeld von Fachkräften aus . Während Aspekte der Vernetzung und des Einsatzes von Sensorik und Aktorik in Netzwerken bereits weit ver-

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breitet sind (vgl . Spöttl et al . 2016, S . 59), ist insbesondere eine Arbeitsplatzintelligenz nur in geringem Umfang etabliert . Tabelle 2 Diffusionsstufen Industrie 4.0-kennzeichnender Technologien (Spöttl u. a. 2016, S. 56) Durchdringung

Diffusion Stufe 1

Diffusion Stufe 2

Diffusion Stufe 3

Diffusion Stufe 4

Sensorik/Aktorik verbaut im Bauteil

Sensorik/Aktorik verbaut in Maschine

Sensorik/Aktorik verbaut in Prozesskette

Sensorik/Aktorik verbaut und vernetzt in Prozesskette

Verknüpfung einzelner Maschinen

CAM (Computer Aided Manufacturing)

ERP (Enterprise Resource Planning)

Standards für Vernetzung, homogene Netze

keine

Punktuelle Kommunikation

Bedarfsorientierte Kommunikation

Durchgehende störungsfreie Kommunikation

Manuelle Fehleranalyse

Diagnostische Fehleranalyse

Data Mining / Data Warehousing

Vorausschauende Datenanalyse

Cloud Computing (Datenspeicherung, Datengeschwindigkeit)

Lokal

Unternehmensserver

Globaler Unternehmensserver

Zentraler Großrechner

Arbeitsplatzintelligenz CPS (Anteil Mensch-Technik)

Mensch

Mensch dominiert Technik

Balance MenschTechnik

Partizipation MenschMaschine

Keine Relevanz

Werden vom Unternehmen beherrscht

Web 2.0

Vernetzung CPS

Technologie dimensionen Sensorik/Aktorik (Vernetzung CPS)

Vernetzung (gesamte Wertschöpfungskette)

Funktechnik (Kommunikation)

Big-Data (Datenanalyse)

Datensicherheit (Datenhoheit)

2

Ein Modell für das Handeln im Rahmen der Facharbeit an und mit künstlicher Intelligenz

Die Weiterentwicklungen der Automatisierungsansätze hin zu technischen Realisierungen von Ansätzen künstlicher Intelligenz (KI) nähern sich immer mehr einer Serienreife und/oder einer Implementation in Arbeitsumgebungen . In Ansätzen können daher die Facharbeit und die Qualifikationsanforderungen in einem fortentwickelten Modell erfasst werden, welches das Handeln an und mit KI zu kennzeichnen vermag . Dabei ist zu beachten, dass künstliche Intelligenz das gesamte Kontinuum zwischen einfacher Informationsverarbeitung bis hin zu Denkprozessen (vgl . Minsky 1988;

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Newell/Simon 1972) einerseits und andererseits auch alle Transferproblematiken zwischen kognitiv geprägten und fertigkeitsbasierten Handlungen abdeckt (vgl . Dreyfus/ Dreyfus 1987) und damit höchst unterschiedliche berufliche Aufgaben verbunden sind . Die in der KI verankerten sogenannten lernenden Systeme finden selbständig Lösungsansätze für ihre definierten Aufgaben, u . a . durch das Beobachten ihrer Umgebung und das Ableiten von Regeln . Dabei wird zwischen starker und schwacher KI unterschieden . „Starke künstliche Intelligenz“ wird dabei verstanden als programmierter Computer, der wie ein Mensch denkt und handelt und letztlich sogar Bewusstsein haben kann, so die Auffassung der Entwickler (vgl . Molzow-Voit et al . 2016) . „Schwache KI“ sind darauf ausgerichtet, spezifische Aufgaben in einem vorher definierten Bereich zu lösen – und zwar nur in diesem Bereich (VDI 2018) . KI unterstützt hierbei weiter die Vernetzung von Prozessen (siehe Industrie 4 .0) und ermöglicht eine neue Form der intelligenten Planung und Steuerung von Produktionsanlagen durch neue Möglichkeiten der Datenauswertung und -interpretation; u . a . durch digitale Zwillinge, um reale Maschinen, Komponenten und Prozessabläufe virtuell abbilden zu können (vgl . Tao/Zang/Nee 2019) . Gewerblich-technische Berufe wie Industriemechaniker/-innen, Zerspanungsmechaniker/-innen, Mechatroniker/-innen bis hin zu Produktionstechnologen sind bereits mit Auswirkungen dieser Entwicklungen in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert (vgl . Spöttl u . a . 2016; Becker/Spöttl 2019) . Diese in Tabelle 3 dargestellten Entwicklungen können sehr gut als Weiterentwicklung der Modelle von IoT (Stufe 1–3) und Industrie 4 .0 (Stufe 1–4) auf der horizontalen Ebene hin zu einer fünften Stufe gesehen werden . Als Arbeitsgegenstand der Facharbeit ist jedoch eine Beschränkung auf die Technologiedimension nicht zielführend . Soziale, personale und ethische Komponenten sowie Werte und Fragen der Nachhaltigkeit müssen genauso mit integriert werden in die Überlegungen, denn diese nehmen Einfluss auf die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen und die durch Menschen gewollten wie auch handhabbaren Handlungsstrukturen . Ein Kern von KI ist die Veränderung der Autonomie-Stufen auf der vertikalen Ebene zwischen dem Menschen und dem autonomen System . In den Autonomie-Stufen 0 bis 2 des Modells der Plattform I40 besteht eine gewisse Fähigkeit zu autonomen (Teil-)Handlungen . Diese sind jedoch in ihrem Umfang begrenzt, und der Mensch hat jederzeit die aktive Kontrolle und trägt noch die zentrale Verantwortung . In den Stufen 4 und 5 übernimmt das System die Verantwortung – zunächst für Teilbereiche und Teilaspekte (vgl . Tabelle 3), dann für die komplette Anlage, und der Mensch spielt größtenteils eine passive Rolle (BMWi 2019a, S . 13) . Die Stufen vier und fünf könnten zu einem gravierenden Verlust an Arbeitsplätzen gerade auf der Facharbeitsebene führen; gleichzeitig stellt sich die Frage, ob mit der Übernahme von Entscheidungen durch die KI die Fähigkeit der Fachkräfte verschwindet, mit komplexen Situationen umzugehen . Stufe 3 kann als Übergang bewertet werden von „mehr Mensch“ zu „mehr Maschine“ .

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Tabelle 3 Übergeordnete Definition der von KI nicht/wenig- beeinflussten Autonomie-Stufen in der industriellen Produktion (Quelle: BMWi 2019a, S. 14). Stufe 0

Keine Autonomie, Mensch hat volle Kontrolle ohne Assistenz

Stufe 1

Assistenz bei ausgewählten Funktionen, Mensch ist stets verantwortlich und trifft alle Entscheidungen

Stufe 2

Zeitweise Autonomie in klar definierten Bereichen, Mensch ist stets verantwortlich und gibt (Teil-) Ziele vor

Stufe 3

Abgegrenzte Autonomie in größeren Teilbereichen, System warnt bei Problemen, Mensch bestätigt Lösungsvorschläge des Systems bzw. fungiert als Rückfallebene

Stufe 4

Das System arbeitet autonom und adaptiv in bestimmten Systemgrenzen, Mensch kann überwachen oder in Notfallsituationen agieren

Stufe 5

Autonomer Betrieb in allen Bereichen, auch in Kooperation und in sich ändernden Systemgrenzen, Mensch kann abwesend sein

Die große Herausforderung liegt am Ende in der Beherrschung der Komplexität dieser Systeme . Hier sind Daten und Informationen angemessen zu interpretieren und auszuwerten, wobei dies zusehends durch Verfahren maschinellen Lernens realisiert wird und dennoch Fachkräfte Entscheidungen treffen und komplexe Produktionsabläufe verantwortlich mitgestalten müssen . Die Schnittstelle zum Menschen wird also eine entscheidende Rolle spielen . Heute versuchen die Fachkräfte unter anderem bei der Instandhaltung ihre Entscheidungen erfahrungsbasiert zu treffen und nutzen dazu Intuition, Gefühl, Gespür und die Auswertung von unterschiedlichen Prozessdaten (vgl . Bauer u . a . 2002; Böhle 2017) . Ob die Fachkräfte dann im Mittelpunkt oder eher im Weg stehen, ist überwiegend eine Frage der Arbeitsgestaltung (vgl . Guhlemann/ Georg/Katenkamp 2018) . Offen bleibt auch, wie die Unterstützung für die Fachkräfte aussehen wird, wenn etwa über Ansätze maschinellen Lernens eine automatisierte Maschinenüberwachung stattfindet . Bei den KI-basierten Systemen steht die Frage im Raum, welche Eingriffsmöglichkeiten für Fachkräfte bestehen bleiben und welche (neuen) Aufgaben beim Einsatz solcher Systeme entstehen . Als Automatisierungsdilemma (vgl . Bainbridge 1983; Luedtke 2014, S . 78 ff .) ist bekannt, dass in immer stärker automatisierten Systemen ein Aufbau und die Nutzung von Expertenwissen auf Seiten des Menschen erschwert oder gar verhindert wird . Zugleich besteht jedoch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit durch Fachkräfte, um in entscheidenden Situationen Fehler zu identifizieren und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten . Gleichzeitig müssen Fachkräfte je nach Ausbildungsberuf lernen, diesbezügliche Daten zu analysieren sowie situationsbezogen auszuwerten und zu verarbeiten . Insofern ist ein Modell erforderlich, mit dem das Handeln der Fachkräfte in und an KI-beeinflussten Systemen beschreibbar wird . Dabei ist zu beach-

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ten, dass es „die KI“ nicht gibt, sondern dass diese in der Realität stets ein Kontinuum der analytisch beschriebenen fünf Stufen umfasst . Eine Erweiterung der Kennzeichnung einer Industrie 4 .0-Durchdringung in den zwei technologisch dominierten Perspektiven „Produkt“ und „Produktion“ (wie auch durch die VDMA-Klassifizierung in den Mittelpunkt gestellt) ist die Kennzeichnung von Arbeitsanforderungen in Hinblick auf diese beiden Aspekte . So werden Handlungsräume und veränderte Arbeitsprozesse aus Sicht der Fachkräfte deutlich (vgl . Becker 2016; Tabelle 4) . Dadurch entsteht eine Klassifizierung der Durchdringung von Handlungsräumen der Fachkräfte durch CPS und KI . Die fünf Stufen der Autonomie (vgl . Tabelle 3) werden verbunden mit dem Umgang durch Fachkräfte mit dem jeweiligen Grad der KI-Ausprägung und den konkreten Produkt- und Prozesstechnologien von Industrie 4 .0 . Ausschlaggebend ist dabei die Interaktion der Fachkräfte mit dem jeweiligen Grad der Ausprägung, der wiederum durch die entstehende Mensch-Maschine-Kollaboration gekennzeichnet ist . Denn es sind die Mechanismen der künstlichen Intelligenz, die einmal Fachkräfte-Handlungen automatisieren oder aber Abläufe verändern, so dass dann Fachkräfte genau mit diesen veränderten Abläufen umgehen müssen (Automation als Zielsetzung und Arbeitsergebnis und Automation als Einflussfaktor zur Veränderung von Prozessen) . Die Automation mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (vgl Hirsch-Kreinsen/Karačić 2019) wird so zum Handlungsgegenstand von Facharbeit, und zwar entweder die Realisierung der Automation selbst oder eben der durch Automation veränderte Arbeitsprozess Die Stufe 1 ist dadurch gekennzeichnet, dass Informationen zu einem Produkt oder einem Prozess einem Objekt angeheftet werden können und Fachkräfte genau damit konfrontiert sind . Bei automatisierten Montagesystemen sind sie z . B . herausgefordert, Auftragsdaten, Produktionsdaten und Lieferdaten zusammen mit dem Produkt zu betrachten und ggf . mit geplanten Produktionsabläufen in Beziehung zu setzen . Fachkräfte werden hier mit einer neuen Variante des Informationstransportes konfrontiert und müssen damit umgehen können, sowohl im Sinne der Verarbeitung der Informationen als auch durch Nutzung eines intelligenten Verfahrens im Transport von Daten und Informationen . Hat das Objekt bzw . Asset selbst eine Form künstlicher Intelligenz, ist es also mit einem Mikroprozessor und einem Programm mit entsprechender Logik ausgestattet, ergibt sich Stufe 2 der Ausprägung von CPS .  Eine solche Konstellation nennt man embedded system . Möglichkeiten der Stufe 1 werden in den Gegenstand selbst eingebettet und nicht mehr angeheftet . Industrielle Produkte auf der Basis von embedded systems können mit verschiedenen Daten versorgt werden und erhalten dadurch unterschiedliche Eigenschaften . Zusätzlich ergeben sich je nach vorhandenen Schnittstellen an den embedded systems Möglichkeiten der automatisierten Weitergabe von Informationen an andere Anlagenteile . Facharbeiter erledigen dann Aufgabenstellungen der Codierung (Anpassung in Bezug auf eine bestimmte Konfiguration), Parametrierung (Versehen des Objekts mit einer bestimmten Eigenschaft) oder Überwachung

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der Selbstregulierung (automatisierte Weitergabe der Information an ein anderes Anlagenteil) . Tabelle 4 Modell zur Beschreibung der Facharbeit an und in KI-beeinflussten (Produktions)systemen (in Anlehnung an Becker 2016, S. 74) Ausprägungsstufe künstlicher Intelligenz

Zentrales Technologie-Merkmal/ Beispiel

Rolle des Menschen / der Fachkräfte

Arbeitsanforderungen: Interaktion mit KI als Gegenstand von Facharbeit

1

Informationsspeicherung Informationsverarbeitung extern (Assistenz: DatenAutonomie)

Produkt mit Datenspeicher / RFID Chip

Operation mit extern verfügbaren Daten

Umgang mit unmittelbar mit dem Produkt verbundenen Auftragsdaten, Produktionsdaten, Lieferdaten, Servicedaten

2

Embedded System (Systemimmanente Autonomie: Informationsverarbeitung intern)

Informationsverarbeitung im Produkt und Prozess / Mikroprozessor im Teilsystem

Operation mit intern verfügbaren Daten

Realisierung von Codierung, Parametrierung und Selbstregulierung von Anlagenteilen

3

Kommunikation (Abgegrenzte Autonomie)

Internet-Schnittstelle/Feldbusse; OPC

Kommunikation über Schnittstellen und Disziplinen hinweg (bei Klärungsbedarf)

Auseinandersetzung mit der Informationsübertragung zwischen Sensoren, Aktoren, Werkzeugen, Computern und Anlagen

4

Interaktion (Systemübergreifende Autonomie)

Internetbasierte Kommunikation und Auslösen von „Aktionen“ / Smart Grids

Überwachung komplexer Prozesse, Eingriff bei Fehlfunktion und Kommunikation mit verschiedenen Funktionsstellen

Realisierung von und Umgang mit der Produkt- und Prozessbeeinflussung durch Maschinen, Anlagen und Produktionssysteme

5

Kooperation & Kollaboration (Autarke Autonomie)

Vision der selbstregulierenden Produktion / Digitale Fabrik

Rolle des Menschen noch offen – noch nicht geklärt, ob nur einfache Überwachung oder (Mit)Gestaltung der Prozesse

Gestalten der Formen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine

Stufe 3 der CPS-Ausprägung besteht in der Interaktion zwischen Werkzeugen, Computern und Anlagen . D . h ., „Dinge“ mit Eigenschaften der Stufe 2 geben in beide Richtungen in Abhängigkeit von Systemzuständen oder ausgelöst durch vordefinierte zeitliche Abstände bzw . „Jobs“ selbstständig Informationen weiter und verändern die Art des Funktionierens des Produktionssystems selbsttätig . Durch die Vernetzung zwischen Werkzeug und Anlage wird etwa eine Anlagenüberwachung, eine Störungs-

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diagnose oder eine Fernwartung möglich . Ein Beispiel ist die CAD-CAM-Kopplung in der Werkstattfertigung mit Anbindung an Qualitätssicherungssysteme, etwa um Verschleißdaten von Werkzeugen zu erfassen und zu dokumentieren . In Stufe 4 werden Produktionsdaten genutzt, um Produktionsprozesse zu beeinflussen . Ein smart meter speist etwa in Abhängigkeit des Strompreises elektrische Energie in das Netz ein oder eine erkannte Reduzierung des Abnutzungsvorrats (Verschleiß) einer Maschine veranlasst die Bestellung eines Werkzeuges automatisch . Solche Interaktionen sind durch Fachkräfte zu überwachen, zu installieren und zu konfigurieren und ggf . an veränderte Produktionsumgebungen anzupassen . Stufe 5 entspricht schließlich der eigentlichen Vision von Industrie 4 .0 . Unter Einschluss des Menschen werden den Dingen (Werkzeuge, Anlagen, Systeme) „intelligente“ Eigenschaften verliehen, so dass sich das Gesamtsystem bzw . der Prozess selbst reguliert soweit dieses technisch möglich ist . Inwiefern diese Stufe neue Aufgaben für Fachkräfte generiert und welche Rolle Fachkräfte noch wahrnehmen, ist derzeit noch am wenigsten absehbar und stellt eine unternehmensspezifische und auch gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe dar . Diese fünf Stufen des veränderten Umgangs von Fachkräften mit der vernetzten und CPS-basierten Produktion sind geprägt durch die Mensch-Maschine-Interaktion (M2M) und den Charakter der Herstellung von Verbindungen zwischen realen und virtuellen Welten als Arbeitsgegenstand . Sowohl die technologische Gestaltung der Gegenstände bzw . Objekte, als auch die über die Arbeitsorganisation definierte Nutzung von Anlagen bestimmen letztlich die Rolle der Fachkräfte . Die Entscheidung darüber ist wiederum eine Entscheidung der Unternehmen und damit des Menschen . Davon ist auch abhängig, wie weit das Vermögen der Maschinen zum Selbstlernen fortgeschritten sein muss und wie dieses „Lernen“ bewertet wird (vgl . Drösser 2020, S . 111 ff .) . Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei den im Kontext eines Internet of Things identifizierbaren drei Stufen der Ausprägung der Durchdringung durch Aspekte der KI eine vierte Stufe der Durchdringung hinzugekommen ist . Im Zuge der Einführung von CPS wird, die zunehmende Vernetzung von „Objekten“ über das Internet zum Ausdruck gebracht . Es zeigt sich auch die Notwendigkeit, eine technologielastige Betrachtung von Produkten und Prozessen deutlich zu erweitern, indem die Autonomie der resultierenden Mensch-Maschine-Systeme als solche und insbesondere als Arbeitsgegenstand beruflicher Facharbeit mit in den Blick genommen wird . Das resultierende Modell in Tabelle 4 bietet eine Grundlage zur Untersuchung und Charakterisierung beruflicher Kompetenzen, die über berufliche Aufgaben zum Ausdruck gebracht werden . International wird die Interaktion zwischen Menschen/ Fachkräften und Maschinen bereits als zentrales Merkmal einer fünften industriellen Revolution diskutiert (vgl . Pathak u . a . 2019) . Für die berufliche Bildung gewinnen da-

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her hybride Formen2 der Kollaboration von Menschen und Maschinen an Bedeutung . Hierbei, und das sollen einige bereits identifizierbare Beispiele zeigen, entstehen neue Aufgaben und damit verbundene Kompetenzanforderungen, die im Kern beruflicher Domänen verankert und nicht bloß durch die Beschreibung von Digitalisierungskompetenzen charakterisierbar sind . Die im Hauptausschuss des BIBB (vgl . BIBB 2020; BMBF 2020) derzeit für alle Berufe ab 2021 vorgesehenen Standardberufsbildposition „Digitalisierte Arbeitswelt“ wird daher bei Weitem nicht ausreichend sein . 3

Beispiele für berufliche Facharbeit an und mit künstlicher Intelligenz

3.1

Diagnosearbeit mit Expertensystemen

Fahrzeuge werden heute bereits in der Losgröße 1 produziert; d . h ., dass kein Fahrzeug dem anderen gleicht, weil Ausstattungsvarianten individuell vom Kunden festgelegt werden können . Dies führt zu einer nahezu unendlichen Variantenvielfalt und zugleich zu immer mehr Fehlerbildern, die in ihrer Individualität einzigartig sind, aber deren Anzahl sehr groß ist (sogenannte singuläre Fehlerbilder; vgl . Becker 2005, S .  481 f .; Richter 2020) . Schon in den 1990er Jahren wurden daher im Kfz-Service Expertensysteme für die Diagnose eingeführt, die von Fachkräften – i . d . R . Kfz-Mechatroniker/-innen  – einzusetzen und zu beherrschen sind . Eine Verlagerung der Aufgaben auf der Fachkräfteebene hin zu Diagnoseaufgaben war die Folge und dominiert heute die Anforderungen in Kfz-Werkstätten . In diesem Feld ist zu erkennen, dass der Einfluss der KI neue und stärker kollaborativ (vgl . Karges 2017) zu lösende Aufgaben nach sich gezogen hat . Trotz der Intensivierung der KI-Ansätze mittels Expertensysteme ist hier die Erkenntnis, dass einerseits eher auf akademischem Niveau verortete Technologien zu Werkzeugen auf der Facharbeitsebene werden und dass Aufgabenstellungen andererseits nicht einfach digitalisiert und automatisiert werden . Vielmehr wird durch den Einsatz von KI in eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Technik herbeigeführt . Dabei kommt es insbesondere zur Zusammenarbeit interdisziplinär aufgestellter Teams aus betrieblich-beruflich wie akademisch geprägten Berufsinhabern .3

2 Hybrid meint dabei nicht nur die Betrachtung der einzelnen Rollen von Mensch und Maschine, sondern die durch das systemische Zusammenwachsen resultierenden Aufgaben und Kompetenzen . 3 Tiefere Einblicke in diese Zusammenhänge wurden im dem Projekt KODIN-Kfz erarbeitet, das von den Autoren Spöttl und Becker geleitet wurde (vgl . Becker/Spöttl 2012) . Das Projekt KODIN-Kfz wurde gefördert mit Mitteln des BMBF und des ESF . Laufzeit: 01 .07 .2011 bis 30 .06 .2014 .

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3.2

Asset-Management als neue Instandhaltungsarbeit

Im Kontext von Industrie 4 .0 werden alle Objekte (Maschinen, Werkzeuge; auch Software-Objekte) mit einer Verbindung zum Internet als Assets bezeichnet . Die dadurch sich verändernde Arbeit in den beruflichen Handlungsfeldern Industrie 4 .0 (vgl . Spöttl et al . 2016, S . 126 ff .) und hier vor allem in Aufgabengebieten der Instandhaltung und des Anlagenbetriebs in der Produktion führt dazu, dass Fachkräfte im Umgang mit „intelligenten“ Verfahren des Preventive Maintenance im betrieblichen Alltag gefordert sind . Dazu gehören in der Folge auf der Facharbeitsebene typische Aufgabenstellungen der Einschätzung von Verschleiß oder Feststellung von Unregelmäßigkeiten (z . B . an Werkzeugen einer Werkzeugmaschine), der Optimierung von Produktionsprozessen aus energetischer Sicht und Einsparung von Ressourcen bis hin zum Umgang mit neu entstehenden Normen wie der ISO 55000 . „Der Wandel des Instandhalters zum Asset Manager ist in vielen Unternehmen bereits vollzogen worden“ (Brumby 2018, S . 66; vgl . Márquez/Díaz/Fernández 2017) . Die Instandhaltungsfacharbeit kann zum Wettbewerbsvorteil in der Produktion werden, indem der gesamte Lebenszyklus eines Produktes und der Produktionsanlage in den Blick genommen wird . Auch hier zeigt sich, dass KI zur Vernetzung von Wissen aus den unterschiedlichsten Bereichen beiträgt, die lokal und global in den verschiedensten Formen (an und in der Maschine, in der Cloud, verteilt im Betrieb und beim Maschinenhersteller usw .) auf die Facharbeit Einfluss nimmt und zum Arbeitsgegenstand wird . 3.3

Facharbeit mit digitalen Zwillingen

Digitale Zwillinge finden sich bereits dort in der Produktion im Einsatz, wo sie als Weiterentwicklungen von Simulationsprogrammen ganzheitliche Abbildungen der Realität einschließlich aller physikalischen Eigenschaften darstellen können: Im Bereich der vorausschauenden Instandhaltung (Preventive Maintenance), beim Energiedatenmanagement, bei der Ressourcenoptimierung oder der Produktionsplanung zur störungsfreien Produktion . Fachkräfte arbeiten an der digitalen Kopie wie an der physischen Anlage, um diese in Betrieb zu nehmen, Wartungsbedarfe zu ermitteln sowie den Energie- und Materialverbrauch zu reduzieren . Ein Anwendungsbeispiel ist die weit verbreitete Automatisierungsumgebung von Siemens mit NX und dem TIA-Portal, in dem verschiedene Simulations- und Steuerungsprogramme für die Produktion zusammengeführt werden (vgl . Siemens 2018) . Zukünftig wird hier auch der Umgang mit „Internet-Betriebsumgebungen“ wie MindSphere mit zu den Aufgaben gehören . Bei den digitalen Zwillingen erreicht allerdings die Abstraktion und die theorieorientierte Vorgehensweise teilweise ein Niveau, welches jedenfalls zurzeit noch vorrangig den Einsatz akademisch ausgebildeter Fachkräfte erforderlich macht (vgl . Tao/Zang/ Nee 2019) .

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3.4

Humanisierung der industriellen Arbeit

Ein Schwerpunkt, der im Zusammenhang mit KI kontinuierlich in der Diskussion ist, ist die Rolle der Fachkräfte, letztlich also die Rolle der an den stark vernetzten, sich selbst steuernden Anlagen arbeitenden Menschen . Unter dem Stichwort Mensch-Maschine-Interaktion (vgl . Guhlemann/Georg/Katenkamp 2018, S . 213 ff .) werden verschieden Ansätze diskutiert wie z . B . „Mensch-Maschine als singuläre Produktionseinheit“, „Mensch-Maschine als Teil des automatisierten Prozesses“, der „Mensch als fester Teil des Prozesses“, der „Mensch, der bei Bedarf eingreift“ oder auch der „Mensch, der im vollautomatisierten Prozess nicht mehr vorhanden ist“ . Hier wird bereits deutlich, dass sich der Schwerpunkt der humanorientierten Arbeitsgestaltung noch in einem sehr dynamischen Entwicklungsstadium befindet . Die Ergebnisse der Diskussion werden zu einem erheblichen Teil Einfluss darauf haben, welche Rolle der Mensch und damit die Facharbeit zukünftig einnehmen werden . In der Ausgestaltung der cyber-physischen Produktionssysteme mit Hilfe von KI nimmt diese Debatte international einen großen Raum ein (vgl . Radanliev/De Roure/Van Kleek u . a . 2020), wobei berufliche Qualifikationen gegenüber Aspekten der technischen und ökonomischen Machbarkeit sowie psychologischer und physiologischer Wirkungen (vgl . Georg/Guhlemann/ Peter 2020; Krugh/Mears 2020) bislang eine untergeordnete Rolle spielen . 4

Fazit

Die in diesem Artikel vor allem analytisch und mit Rückgriff auf erste empirische Erkenntnisse angelegten Ausführungen münden letztlich in einem Model zur Beschreibung der Facharbeit an, in und mit KI-beeinflussten (Produktions)Systemen . Mit diesem Ansatz soll verhindert werden, dass die vieldimensionale KI-Thematik, die schon seit vielen Jahren diskutiert wird, aus der Sicht der Berufsbildung zu oberflächlich betrachtet wird und falsche Schlüsse für die Gestaltung von gewerblich-technischen Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen gezogen werden . Diese Herangehensweise macht deutlich, dass es nicht damit getan ist, Befragungen in Schulen oder Unternehmen durchzuführen, um zu erfahren, wie die Relevanz der KI für die Ausbildung von Befragten eingeschätzt wird . Es kommt vielmehr darauf an, neben den genaueren Betrachtungen bisheriger technologischer Entwicklungen unter der Rubrik KI präzise zu bestimmen, welche Rolle der Mensch, also die Fachkräfte bei diesen Systemen und Konzepten eingenommen haben und voraussichtlich einnehmen werden und mit welchen Weiterentwicklungen zu rechnen sein wird . Dafür sind die betrieblichen Einsatzfelder genauestens zu analysieren, um zu erfahren, wie sich konkret die beruflichen Aufgaben und Anforderungen verändern . Davon hängt die Rolle beruflich qualifizierter Fachkräfte zukünftig ab . Dabei kommt es nicht nur auf die Betrachtung technologischer Veränderungen an, sondern auch auf die Verschiebungen

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der Kommunikations-, Kooperations- und Kollaborationsstrukturen . Durch die KI beeinflusst entstehen veränderte Kompetenzanforderungen an beruflich Qualifizierte, die in teilweise vollständig veränderten Arbeitsorganisationsstrukturen Aufgaben bearbeiten . Das beschriebene Modell soll dabei helfen, die vielfältigen Facetten der künstlichen Intelligenz in Hinblick auf Wirkungen auf Facharbeit und Berufsbildung zu erfassen . Es sind zukünftig eindeutige Aussagen zu Fragen der Kompetenzstrukturen, Kompetenzniveaus und der sich neu entwickelnden Arbeitsfelder bis hin zu humanorientierten Zugängen notwendig, um Gestaltungsfragen nicht allein vor dem Hintergrund technologischer Realisierungsmöglichkeiten oder bildungsideologischer Ansichten zu beantworten . Für die Curriculumentwicklung und die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte warten hier noch vielfältige Aufgabenstellungen, um Aspekte der künstlichen Intelligenz angemessen zu berücksichtigen . Aus dem vorgelegten Modell und den Diskussionssträngen dieses Beitrags heraus lassen sich für die Berufsbildung einige offene Fragen ableiten, die zu einem Forschungsprogramm verdichtet werden könnten: – Wie bereits bei der Digitalisierung geschehen stellt sich die Frage, ob sich durch den Einfluss von KI eigenständige neue, oder eher integrative und veränderte Kompetenzanforderungen für die berufliche Facharbeit ergeben? Beispiel: Sollen für sich stehende Lerngegenstände wie etwa „maschinelles Lernen“ in der beruflichen Bildung bearbeitet werden oder die durch KI beeinflussten beruflichen Aufgaben im Zentrum des Lernens stehen? Die Beantwortung dieser Frage wird maßgeblich das berufliche Lernen und die Curriculumgestaltung beeinflussen . – Die zunehmende Autonomie der Technik auch mit Wirkung auf Handlungsstrukturen führt zur Ersetzung beruflicher Kompetenzen, bestimmter beruflicher Qualifikationen und ggf . gar ganzer Berufe . Wie bei der Frage des Automatisierungsdilemmas (vgl . Bainbridge 1983) steht nun unter dem Einfluss von KI die Frage des Autonomiedilemmas4 im Raum: Wenn Kompetenzen, Erfahrungen und Entscheidungsgrundlagen für bestimmte Handlungszusammenhänge in Maschinen „aufgehen“, wie können diese dann für Lernprozesse und die Überlieferung an nachfolgende (Fachkräfte)Generationen aufbereitet werden? – Entstehen durch den Einfluss von KI-gestützten Technologien neue Berufe oder neue Zuschneidungen wie bspw Hybridberufe? Nach der Einführung von Produktionstechnologen, die eher aus dem Gedanken einer optimierten Produktionsorganisation heraus entstanden sind, stehen nun Überlegungen zu einer Ablösung von Industriemechaniker/-innen durch Asset-Manager (zumindest 4 In Anlehnung an die Debatte um eine zunehmend auf Überwachungsaufgaben ausgerichtete Rolle von Fachkräften durch eine Zunahme an Automatisierung hat Ohno (1988) den Begriff „Autonomation“ für die entgegengesetzte Denkrichtung der zunehmenden Autonomie der Maschinen geprägt .

Künstliche Intelligenz und Autonomie der Technologien in der gewerblich-technischen Berufsbildung





für den Bereich der Instandhaltung) im Raum . Grundlage für ein solches Berufsprofil wäre ein empirisch identifizierbares Aufgabenspektrum, welches den Kriterien für einen Beruf standhalten würde . Die im Modell in Tabelle 4 dargestellten Arbeitsveränderungen sind auf konkrete Aufgabenzusammenhänge anzuwenden (sprich: muss empirisch berufsbezogen untersucht werden), um Erweiterungen wie auch notwendige Reduktionen bei den beruflichen Qualifikationen zu bestimmen . Dies ist für Neuordnungsverfahren und auch die kontinuierliche Modernisierung der Berufsausbildung von höchster Bedeutung . Zu untersuchen ist also, wie die konkreten Veränderungen in der Facharbeit aufgrund veränderter Rolle der Technik und daraus resultierende Qualifikationsanforderungen aussehen? Das Modell zur Beschreibung KI-beeinflusster Facharbeit legt neben dem Grad der Informationsverarbeitung von Maschinen, welche für die Digitalisierung kennzeichnend ist, eine Achse der Ausprägung der Autonomie nahe . Letztere wird meist zunächst aus technologischer Sicht auf „maschinelle Autonomie“ ausgerichtet (vgl . Ohno 1988), kann jedoch ebenso auf die Autonomie des Menschen ausgerichtet gesehen werden . Letzteres gilt nicht nur für die entlastende Wirkung bei einer Automatisierung manueller Tätigkeiten (Feld 1), sondern auch für die neu entstehenden Freiräume von Fachkräften bei der Automatisierung kognitiver Fähigkeiten . Wie sehen also die neuen und veränderten beruflichen Aufgaben und Kompetenzanforderungen durch KI-Beeinflussung in den vier Feldern (vgl Abbildung 1) aus, die durch die beiden Dimensionen „Informationsverarbeitung“ und „Autonomie“ aufgezogen werden? Und lassen sich die den Feldern zugeordneten Hypothesen bestätigen? Hypothese 1: Ein niedriger Grad der Informationsverarbeitung und eine geringe Autonomie der Technik führen zu einer Entlastung beruflicher Aufgaben durch Maschinen . Hypothese 2: Ein hoher Grad an Informationsverarbeitung und ein niedriger Grad an Autonomie der Technik führen zu einem Zuwachs an beruflichen Aufgaben . Hypothese 3: Ein niedriger Grad an Informationsverarbeitung und eine hohe Autonomie der Technik führen zu einer Ersetzung beruflicher Aufgaben durch Maschinen . Hypothese 4: Ein hoher Grad an Informationsverarbeitung und ein hoher Grad der Autonomie der Technik führen zu einem hohen Anspruch an beruflichen Aufgaben, wenn diese nicht algorithmischer Natur sind und zu einem geringen Anspruch an berufliche Aufgaben, wenn sie algorithmischer Natur sind .

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hoch

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Zunehmende Ersetzung beruflicher Aufgaben

Hoher Anspruch bei Unbestimmtheit beruflicher Aufgaben Niedriger Anspruch bei algorithmischer Struktur beruflicher Aufgaben

Autonomie der Technik

III

IV

Fachkräfte-Kompetenz

Zunehmende Entlastung beruflicher Aufgaben

Zuwachs an beruflichen Aufgaben

I

II

niedrig

50

niedrig

Grad der Informationsverarbeitung

hoch

Abb. 1 Veränderte Aufgaben und Fachkräftekompetenz durch KI-Einfluss (eigene Darstellung)

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Zur Person: Matthias Becker ist Professor für die Didaktik der Metalltechnik und Fahrzeugtechnik und Leiter des Instituts für Berufswissenschaften der Metalltechnik (IBM) der Leibniz Universität Hannover . Arbeitsschwerpunkte: Berufswissenschaftliche Forschung, Qualifikationsforschung zu Industrie 4 .0 und Handwerk 4 .0, künstliche Intelligenz in der Berufsbildung, Berufsbildgestaltung . Prof. Dr. Matthias Becker

Leibniz Universität Hannover, Institut für Berufswissenschaften der Metalltechnik (IBM), Appelstraße 9, 30167 Hannover, becker@ibm .uni-hannover .de . Zur Person: Georg Spöttl ist Leiter des Zentrums für Technik, Arbeit und Berufsbildung (TAB), vormals Leiter des Institut Technik und Bildung (ITB) und war Lehrstuhlinhaber für die Gewerblich-Technische Fachrichtung Metalltechnik . Arbeitsschwerpunkte: Berufswissenschaftlich ausgerichtete Forschung, Gestaltung von Berufsbildern und der Mensch-Maschine-Schnittstelle, Fachdidaktik, Curriculumentwicklung und Lehrerbildung . Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Spöttl

Universität Bremen / Uni Campus GmbH, Zentrum Technik, Arbeit und Berufsbildung (TAB), Universitätsallee 19, 28359 Bremen, spoettl@uni-bremen .de . Zur Person: Lars Windelband ist Professor für Technik und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd . Arbeitsschwerpunkte: Veränderungen in der Mensch-MaschineSchnittstelle, Digitalisierung der Arbeitswelt, Früherkennungs- und Berufsbildungsforschung . Prof. Dr. Lars Windelband

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd / Institut für Bildung, Beruf und Technik (IBBT), Oberbettringer Straße 200, 73525 Schwäbisch Gmünd, lars .windelband@ph-gmuend .de .

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch Digitale Transformation im Zuge von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz karl wilberS

The Change of Commercial Education and Training in Industry Digital transformation in line with Industrial IoT and Artificial Intelligence Kurzfassung: „Industrie 4 .0“ – oder im Englischen „Industrial Internet of things“ (IIoT) – bezeich-

net die Veränderung industrieller Prozesse durch die Integration von cyber-physischen Systemen (CPS) bzw . neuer Formen autonomer Prozesse, die erst durch künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht werden . Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich dadurch die Kompetenzerwartungen in der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung in der Industrie verschieben . Dazu werden drei Untersuchungsansätze (Substitution, Diffusion und Augmentation) zugrunde gelegt . Abschließend wird analysiert, wie sich diese durch CPS und KI induzierten Verschiebungen der Kompetenzerwartungen in der Struktur der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung in der Industrie niederschlagen . Dabei werden grundlegende Desiderate deutlich . Schlagworte: Ausbildung, Weiterbildung, kaufmännisch, Künstliche Intelligenz, Industrie 4 .0, Transformation Abstract: “Industry 4 .0”  – known as “Industrial Internet of Things” (IIoT)  – refers to the trans-

formation of industrial processes through the integration of cyber-physical systems (CPS) or new forms of autonomous processes that are only made possible by artificial intelligence (AI) . The article examines how this shifts the expectations for competence in commercial education and further training in the industry . Three approaches (substitution, diffusion, and augmentation) serve as a basis for this research . Finally, the paper analyses how these shifts in competence expectations induced by CPS and AI reflects in the structure of commercial education and further training in the industry . Thereby fundamental desiderata become apparent .

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KARL WILBERS

Keywords: VET, Vocational Education and Training, Industry 4 .0, Industrial IoT, commercial, Artificial Intelligence, Transformation, competencies

1

Die deutsche Industrie und ihre Aus- und Weiterbildung im Umbruch

Ein Industriebetrieb ist ein Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, das überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich Sachgüter produziert und vertreibt und zwar unter dem Einsatz maschineller Anlagen, bei weitgehender Arbeitsteilung und Spezialisierung der Beschäftigten (Voigt, 2008, S . 3) . Im verarbeitenden Gewerbe ohne Baugewerbe arbeiten etwa acht Millionen Menschen und erschaffen etwa ein Viertel der nominalen Bruttowertschöpfung in Deutschland (Statistisches Bundesamt, 2020) . Die deutsche Industrie steht vor mehreren Umbrüchen . „Industrie 4 .0“ bezeichnet dabei eine unscharfe, industriepolitische Veränderungsmetapher . Sie ist mit einer spezifischen Form der Digitalisierung industrieller Prozesse verbunden, nämlich der Integration von cyber-physischen Systemen (CPS), d . h . spezifische künstlich intelligente Systeme (Geisberger & Broy, 2012) . Der damit verbundene Transformationsprozess in der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung ist facettenreich (Wilbers, 2017) und betrifft die Mikroebene, die Mesoebene und die Makroebene (Wilbers, 2020a) . In diesem Beitrag wird aus forschungsökonomischen Gründen lediglich die Mikroebene und die Makroebene aufgegriffen und die Mesoebene ausgeblendet . Diese ist komplex: Es wären sowohl Institutionen der schulischen, betrieblichen als auch außerschulischen Bildung und zwar für fast alle Ebenen getrennt zu betrachten . Vor diesem Hintergrund stellt der Beitrag die Frage, wie sich Kompetenzerwartungen verschieben (Mikroebene) und wie sich dies im System kaufmännischer Aus- und Weiterbildung in der Industrie spiegelt (Makroebene) . 2

Kompetenzerwartungen in der Industrie im Umbruch

Auf der Mikroebene didaktischer Situationen wären die Veränderungen der Kompetenzerwartungen, der Bedingungen sowie der Methoden und Medien (Wilbers, 2020b) zu erörtern . Die Darstellung konzentriert sich wegen der systematischen Vorgängigkeit der Kompetenzerwartungen, manchmal auch missverständlich als „Primat der Didaktik“ bezeichnet, ausschließlich auf die Kompetenzerwartungen .

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

2.1

Ansätze zur Untersuchung der Veränderungen der Tätigkeiten in industriellen Prozessen

Zur Bestimmung von Kompetenzerwartungen sind sog . Arbeits- und Geschäftsprozesse ein zentraler, aber keineswegs ausschließlicher Referenzpunkt in der Berufsbildung . Das Konzept der Arbeits- und Geschäftsprozesse im Verständnis der Kultusministerkonferenz (KMK) ist unscharf, gleichwohl grundlegend für den Lernfeldansatz (Wilbers, 2020b) . Im Umfeld der Diskussion um die Transformation von Arbeits- und Geschäftsprozessen lassen sich drei verschiedene Untersuchungsansätze ausmachen: (a) Der Substitutionsansatz hebt vor allem auf Veränderungen in Tätigkeiten in Unternehmensprozessen ab, die sich durch die grundsätzlich möglich erscheinende Automatisierung von Tätigkeiten ergeben, (b) dem Diffusionsansatz unterliegt die Annahme einer zunehmenden Integration von Informationstechnik in industrielle Prozesse und (c) der Augmentationsansatz stellt auf das Zusammenwirken von technischen und sozialen Elementen in Unternehmensprozessen ab . 2.2

Veränderung der Tätigkeiten in industriellen Prozessen im Substitutionsansatz

Der Substitutionsansatz entstammt der arbeitsmarktökonomischen Diskussion und stellt vor allem die Frage nach den Wirkungen der Digitalisierung auf das Beschäftigungsvolumen . Dabei dominiert der sog . Task-Approach (Autor, 2013; Frey & Osborne, 2013) . Hier werden Routinetätigkeiten ermittelt, die für einzelne Berufe bzw . Qualifikationen typisch sein sollen und von denen auf der Grundlage von Tätigkeitsklassifikationen angenommen wird, dass diese automatisierbar sind . Die Studien werden in der Diskussion um die digitale Transformation immer wieder bemüht, kommen jedoch nicht zu einheitlichen Ergebnissen, bleiben für die Abschätzung von Kompetenzerwartungen  – aufgrund der Ausrichtung auf Arbeitsmärkte  – unspezifisch, verwenden im Detail unterschiedliche Daten und Methoden, unterstellen – gerade für den deutschsprachigen Raum – die Kodifikation von Tätigkeiten in offiziellen Beschreibungen, wie der berufenet-Datenbank, und fokussieren vor allem auf die Vernichtung von Arbeitstätigkeiten (Wilbers, 2017, 16 ff .) . Gleichwohl liefert der Substitutionsansatz durch seine Anlage einen wichtigen Impuls für die Diskussion um veränderte Kompetenzerwartungen, nämlich die Vorstellung, dass der Anteil von Routinetätigkeiten im Tätigkeitsprofil von kaufmännischen Tätigen sinken wird . Oder mit anderen Worten: Der Anteil anspruchsvoller kaufmännischer Aufgaben im Sinne einer erhöhten Selbständigkeit im Verständnis des Deutschen Qualifikationsrahmens DQR (AK-DQR, 2011) wird steigen . D . h . die Anforderungen an die Eigenständigkeit, die Verantwortung und die Reflexivität bei kaufmännischen Tätigkeiten erhöhen sich . Untersuchungen für den kaufmännischen

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Bereich (Sachs, Meier & McSorley, 2016; Seibold & Stieler, 2016) bestätigen dies . Dies gilt insbesondere auch für Ergebnisse aus dem Berufescreening des Bundesinstituts für Berufsbildung (Zinke, 2019) für Industriekaufleute ( Jordanski, 2017; Jordanski, Schad-Dankwart & Nies, 2019, 56 ff .; Jordanski, 2020) . 2.3

Veränderung der Tätigkeiten in industriellen Prozessen im Diffusionsansatz

Im Diffusionsansatz wird auf die Diffusion, also die „Verbreitung von Produkt- und Prozessinnovationen“ (Mann, 2011, S . 97), der Informationstechnik in Unternehmensprozesse abgehoben . Im kaufmännischen Bereich dominiert hier in Bezug auf industrielle Prozesse sowohl in der bildungspraktischen Diskussion als auch in wissenschaftlichen Untersuchungen ( Jordanski, 2017; Jordanski et al ., 2019, 56 ff .) der Einsatz von Enterprise-Resource-Planning-Software (ERP-Systemen), etwa der Einsatz von SAP . Diese sind inzwischen in so gut wie alle kaufmännisch relevanten Prozesse diffundiert . Weitere Technologien, die in diesem Zusammenhang genannt werden, entstammen den sog . Basistechnologien für Industrie 4 .0, vor allem beispielsweise Robotik, RFID (radio-frequency identification) oder 3D-Druck ( Jordanski et al ., 2019, 45 ff .) . Weitere Untersuchungen stellen vielfältige Anwendungen künstlicher Intelligenz in der Industrie (Acatech, 2020; Diemer & u . a ., 2020; Weber & Seeberg, 2020) heraus, wie Patent Mining, smarte Logistik oder vorausschauende Wartung und Beschaffung . Mit ERP-Systemen wird scheinbar ein ‚älteres‘ Forschungs- und Entwicklungsfeld in der Wirtschaftspädagogik (Frötschl, 2015; Pongratz, Tramm & Wilbers, 2010; Pongratz, 2012) aufgegriffen . In den letzten zehn Jahren haben ERP-Systeme einen grundlegenden Wandel erfahren . ERP-Systeme sind operative Anwendungssysteme, die routinemäßige Aufgaben, etwa in der Beschaffung oder der Lohnbuchhaltung, unterstützen . Davon sind traditionell die analytischen Anwendungssysteme getrennt, die vor allem die Planung, etwa die Sortimentsoptimierung, unterstützen und das Kerngebiet der sog . Business Intelligence (Schieder, 2016) darstellen . Durch die neuere technische Entwicklung bei ERP-Systemen – vor allem der sogenannten inmemory-Datenbanken in ERP-Systemen – kommt es jedoch zu einer Aufweichung der Trennung zwischen transaktions- und analyseorientierten Systemen, d . h . Analyse und Transaktion rücken näher zusammen (Knabke & Olbrich, 2016) . Das hat weitreichende Auswirkungen auf die betriebliche Informationslogistik bzw . das Rechnungswesen, etwa bezüglich der betrieblichen Informationsprozesse, der Produkte aus diesen Prozessen sowie den zugrundeliegenden Techniken wie ELT (Extract, Load, Transform bei Datenbanken), Data Warehouse, Data Mining oder Dashboard (Wilbers, 2019a, 26 ff .) . Die Kompetenzanforderungen in diesem speziellen Bereich werden inzwischen als Data-Science-Kompetenzen (Zschech, Fleißner, Baumgärtel & Hilbert, 2018) beschrieben: Dabei können aufgabenbezogene Kompetenzen, kon-

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

zeptbezogene Kompetenzen, systembezogene Kompetenzen und personenbezogene Kompetenzen abgegrenzt werden . Der Diffusionsansatz führt bezüglich den Kompetenzerwartungen allgemein zur Diskussion um Kompetenzen für die digitale Welt (KMK, 2016), Medienkompetenz (Rohs  & Seufert, 2018) oder informatorische Kompetenz (Gerner, 2019) . In dieser Diskussion werden allgemeine Modelle wie das DigComp-Modell (Carretero, Pope, Simons & Pozo, 1991; Ferrari, 2013) erörtert, aber auch Modelle für berufliche Digitalkompetenz, wie das Modell des Bundesinstituts für Berufsbildung (Härtel et al ., 2018, S .  16), sowie berufsfeldspezifische und berufsspezifische Modelle (Wilbers, 2019a, 26 ff .) . Für diese Digitalkompetenzen gibt es gemäß der Analyse von Stellenausschreibungen in der Industrie (O’Kane, Narasimhan, Nania  & Taska, 2020) einen erheblichen Bedarf . 2.4

Veränderung der Tätigkeiten in industriellen Prozessen im Augmentationsansatz

2 .4 .1

Skizze des Augmentationsansatzes

Bei dem Augmentationsansatz handelt es sich um einen relativ neuen und noch weniger als die anderen Ansätze elaborierten Untersuchungsansatz, der vor allem von der Arbeitsgruppe um Seufert (Meier, Seufert & Guggemos, 2019) für die deutschsprachige Diskussion nutzbar gemacht wurde . Der Ansatz grenzt sich vom Substitutionsansatz ab: „Augmentation … means starting with what humans do today and figuring out how that work could be deepened rather than diminished by a greater use of machines“ (Davenport & Kirby, 2015, S . 60) . Im Zentrum steht also die Erweiterung und Vertiefung des menschlichen Vermögens, nicht die Substitution . Dies grenzt ihn auch vom Diffusionsansatz ab . Für die weiteren Betrachtungen des Augmentationsansatzes wird hier das Modell soziotechnischer Systeme zugrunde gelegt . Das Konzept des soziotechnischen Systems war eine der Grundlagen der Diskussion um die Humanisierung der Arbeitswelt in den 1970er Jahren (Hartmann, 2015; Hirsch-Kreinsen & Hompel, 2017) . Die Technik hat in diesem Konzept nicht eindeutige soziale Auswirkungen im Sinne eines Technikdeterminismus, d . h . dass sich der Mensch der Technik anzupassen habe . Vielmehr wird die Entwicklung der Technik als eine gemeinsame Erschaffung – als KoKonstitution – von technischen und sozialen Elementen verstanden (Hirsch-Kreinsen, 2013), also im Sinne einer gegenseitigen Anpassung oder Befruchtung . In der Prozessorientierung können verschiedene Ebenen, zum Beispiel der Industriebetrieb als Ganzes, einzelne Unternehmensprozesse, aber auch Subprozesse als soziotechnische Systeme betrachtet werden .

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2 .4 .2

Verschiebungen des Zusammenwirkens von sozialem und technischem System im Augmentationsansatz

Bezüglich des Zusammenwirkens von sozialem und technischem System sind zwei Perspektiven zu unterscheiden . Die Perspektive „Tätigkeit im System“ beleuchtet Tätigkeiten in gestalteten soziotechnischen Systemen und bildet die Anwendung ab, beispielsweise das Buchen mit Hilfe eines ERP-Systems oder die technisch unterstützte Montage eines physischen Produkts . Die Perspektive „Tätigkeit am System“ fokussiert die Gestaltung ebendieses Systems, etwa die Pflege oder Feinjustierung eines Buchungsautomaten oder die Wartung eines teilautonomen Produktionssystems . Tätigkeiten am System können prinzipiell zeitlich der Anwendung vorgelagert sein (sog . Offline-Szenario der künstlichen Intelligenz) oder sich zeitlich mit der Anwendung überlagern, d . h . Gestaltung und Anwenden findet zeitlich (Online-Szenario) statt (Kirste & Schürholz, 2019, S . 25) . Erst cyber-physische Systeme (CPS) bzw . künstliche Intelligenz (KI) ermöglichen höhere Formen der Autonomie industrieller Prozesse . Dabei können nach dem Modell der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) mehrere Stufen der Autonomie unterschieden (Diemer & u . a ., 2020) werden, die von keiner Autonomie (Stufe 0) bis hin zum autonomen Betrieb in allen Bereichen (Stufe 5) reichen . Auf der Stufe 0 der Autonomie wird klassische Automatisierungs- und Steuerungstechnik eingesetzt, vor allem über speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS), d . h . die Steuerung erfolgt über programmierte Wenn-Dann-Routinen . In der Stufe 5 der Autonomie werden ‚eigentlich‘ keine Interaktionen mit dem sozialen System benötigt, d . h . das System arbeitet vollständig autonom und entwickelt adaptiv Lösungen . Die Modellierung derartiger Stufen hat eine längere Tradition . Die Soziologen Horst Kern und Michael Schumann unterscheiden in ihren bahnbrechenden Arbeiten verschiedene Mechanisierungsgrade in der Industrie: Diese reichen von der reinen Handarbeit bis hin zur automatisierten Produktion (Kern & Schumann, 1985) . In der Literatur wird eine Reihe ähnlicher Taxonomien für die Automatisierung, die Mechanisierung bzw . die Digitalisierung vorgeschlagen (Frohm, Lindström, Winroth & Stahre, 2008; Sheridan & Verplank, 1978) . In der neueren Literatur werden vor dem Hintergrund künstlicher Intelligenz verschiedene Autonomiestufen unterschieden (Ahlborn & u . a ., 2019; Diemer & u . a ., 2020) . In Abhängigkeit vom jeweiligen Autonomiegrad des technischen Systems übernehmen technisches und soziales System jeweils unterschiedliche Tätigkeiten . Die Überlegungen lassen sich in folgender Übersicht zusammentragen .

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

Tabelle 1 Stufen der Autonomie künstlich intelligenter Systeme in Zusammenspiel von Mensch und Maschine Tätigkeiten des technischen Systems (‚Maschine‘)

Tätigkeiten des sozialen Systems (‚Mensch‘)

5

Autonome Tätigkeit des technischen Systems

– Vollständig autonome Operation ohne Information des Menschen, eigenständige Überwachung des Betriebs mit ggf. Modifikation des Betriebs (adaptiv)

– Keine aktive Rolle, allenfalls Fehlerdiagnose, Erkennung von Interventionsnotwendigkeiten und ggf. Intervention durch Rückfall auf tiefere Ebene

4

Autonome Tätigkeit mit Ausnahmen

– Grundsätzlich autonome Operation mit eigenständiger Wahl von Alternativen, Information des Menschen und Monitoring von Eingaben des Menschen

– Bewertung der Ziele des technischen Systems, Erkennung von Interventionsnotwendigkeiten, ggf. Intervention durch Rückfall auf tiefere Ebene

3

Tätigkeit mit Zustimmung

– Eigenständige Wahl von Alternativen mit Notwendigkeit der Zustimmung durch den Menschen vor der Durchführung

– Bewertung und Auswahl von Alternativen

2

Tätigkeit nach Vorgabe

– Eigenständige Operation in klar definierten Bereichen aufgrund gegebener Teilziele

– Vorgabe von Teilzielen

1

Assistenz

– Keine eigenständige Operation, Assistenz bei ausgewählten Funktionen

– Vollständige Kontrolle des Prozesses (mit technischer Unterstützung)

0

Keine Autonomie

– Keine technische Unterstützung

– Vollständige Kontrolle (ohne technische Assistenz)

Die Rolle des Menschen kann innerhalb eines soziotechnischen Systems variieren . So wird ein Nothalt eines autonomen Systems zu einem Rückfall auf eine darunterliegende tiefere Stufe der Autonomie führen und entsprechend die Tätigkeitsstruktur im sozialen System, also des Menschen, ändern . In der Gestaltungsperspektive reichen auf niedrigen Stufen der Autonomie des technischen Systems klassische Formen der Programmierung . Höhere Formen der Autonomie verlangen jedoch fortgeschrittene Techniken der Programmierung, vor allem durch künstliche Intelligenz . Der Mensch übernimmt damit Aufgaben in der Gestaltung bzw . Regelgestaltung, und zwar durch die klassische oder durch KI-basierte Programmierung . Diese Zusammenhänge gelten keineswegs nur für ‚klassische‘ Maschinen und Anlagen in der Produktion, sondern auch für künstlich intelligente soziotechnische Systeme im kaufmännischen Bereich . Beispielhaft anzuführen ist die Buchführung (Hmyzo & Muzzu, 2020; Klein & Küst, 2020) . Basis fortgeschrittener Automatisierung der Buchführung sind Techniken der künstlichen Intelligenz, etwa in Form des

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überwachten Maschinenlernens (Alpaydin, 2019; Richter, 2019) . Beim überwachten Maschinenlernen (Supervised Learning) wird der Zusammenhang zwischen X (features) und Y (labels) gesucht, idealerweise in Form einer Funktion, die X auf Y abbildet . Diese Funktion wird durch eine Reihe von Beobachtungen von X mit dazugehörigem Y bestimmt . Dies sind die sogenannten Trainingsdaten . Zur Darstellung des Zusammenhangs kennt das maschinelle Lernen eine Reihe von Algorithmen . Die Trainingsdaten werden durch weitere Beobachtungen von X und dazugehörigen Y ergänzt, nämlich durch die Testdaten . Die Testdaten dienen dazu, die Genauigkeit des auf Basis der Trainingsdaten bestimmten Algorithmus einzuschätzen . Typisch ist heute, dass der Featurevektor X hochdimensional ist, d . h . er umfasst viele verschiedene Größen . Die eingehenden Datenbestände haben einen großen Umfang (big data) . Die Trainings- und Testdaten für Buchungsautomaten (Krug, 2018) bestehen in diesem Fall aus Belegen und Buchungssätzen . Der Einsatz von Buchungsautomaten zielt dabei keineswegs ‚nur‘ auf die Automatisierung von Buchungsvorgängen, sondern adressiert typische Probleme der Buchführung, vor allem eine tagesaktuelle Buchführung und damit zum Beispiel verlässlichere Liquiditätsprognosen . Die Automatisierung hebt also hier keineswegs nur auf die im Substitutionsparadigma dominante Rationalisierung ab . Vielmehr geht es um eine Erweiterung im Sinne des Augmentationsansatzes . Richins u . a . begründen, dass „Big Data analytics present opportunities for accountants to play a leading role in problem-driven analyses of structured and unstructured data and to support data scientists in exploratory analyses to create value“ (Richins, Stapleton, Stratopoulos & Wong, 2017, S . 76) . Die hier getroffenen Unterscheidungen zu Kompetenzerwartungen haben eine hohe Nähe zu den sog . Data-Science-Kompetenzen (Zschech et al ., 2018) . 2 .4 .3

Verschiebungen des Zusammenwirkens im sozialen System

Die Automatisierung im Zeitalter von Industrie 3 .0 ist gekennzeichnet durch die sog . Automatisierungspyramide (Gronau, 2016; Meudt, Pohl & Metternich, 2017) . In dieser Pyramide werden typische Anwendungssysteme in Unternehmen angeführt . Aus einer Berufsbildungsperspektive ist dabei bemerkenswert, dass die tiefen Ebenen Anwendungssysteme aufführen, die für die gewerblich-technische Berufsbildung kennzeichnend sind, zum Beispiel speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) oder Supervisory Control and Data Acquisition (SCADA) . An der Spitze der Pyramide stehen ERP-Systeme, die der kaufmännischen Domäne zugerechnet werden können . Die Anwendungssysteme – und damit auch die kaufmännische und die gewerblich-technische Domäne – sind hier hierarchisch strukturiert, klar voneinander getrennt und die Schnittstellen im soziotechnischen System relativ übersichtlich, d . h . sie beschränken sich im Wesentlichen auf Prozesse der technischen Übergabe von Daten . So wird ein Produktionsplan an eine tiefere Ebene übergeben und diese meldet den Abarbeitungs-

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

status der einzelnen Aufträge zurück . Mit der Integration von CPS wird jedoch die Erwartung verbunden, dass sich diese Automatisierungspyramide auflöst . Im Gegensatz zu früheren Formen der Digitalisierung der Produktion erfolgt die Steuerung nicht mehr zentral, sondern projektförmig, dezentral und in Echtzeit (Kleinemeier, 2017; VDI/VDE, 2013), und zwar in flexiblen, globalen Wertschöpfungsnetzwerken, beispielsweise durch die Verkettung von Zulieferbetrieben . Mit diesen Entwicklungen verändern sich die Tätigkeiten im sozialen System deutlich . Im Sinne der Sozialkompetenz im Verständnis des DQR (AK-DQR, 2011) verändern sich die Anforderungen an die Teamfähigkeit, die Führungsfähigkeit und die Fähigkeit der Mitgestaltung in interdisziplinären, länderübergreifenden, hierarchieübergreifenden Teams, die projektförmig organisiert werden . Eine wichtige Rolle in interdisziplinären Teams stellt das Zusammenspiel von gewerblich-technischem und kaufmännischem Handeln (Wilbers, 2019b) dar, die nach sog . Komplementär- bzw . Hybridkompetenzen fragen . Beispielsweise werden bei der Angebotserstellung sowohl kaufmännische Qualifikationen, etwa zur Kalkulation, als auch technische Qualifikationen, etwa zur Konstruktion, benötigt . Sogenannte „Hybridqualifikationen“ spielten schon früh im Umfeld der Verbreitung von Industrierobotern in der Ordnungsarbeit der dritten industriellen Revolution eine Rolle (Krischok, 1984) . Aus der Tätigkeit in länderübergreifenden Netzwerken ergeben sich erhöhte sprachliche Anforderungen . In der Praxis schlägt sich dies in zusätzlichen Qualifikationen wie „Fremdsprachenkorrespondent/in“ nieder . Die zunehmende Rolle des Projektmanagements als Anforderung an Industriekaufleute wird auch im Rahmen des Berufsscreenings herausgestellt ( Jordanski et al ., 2019) . 2.5

Zusammenfassende Übersicht der Kompetenzerwartungen

Die veränderten Kompetenzerwartungen lassen sich für die drei erörterten Ansätze zusammenfassen (Tab . 2) . Die in der Übersicht skizzierten Veränderungen der Kompetenzerwartungen für die kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie sind nur zum Teil neu . Zum Teil handelt es sich auch um verschleppte Innovationen (Wilbers, 2019a), zum Teil wurden sie bereits – wenn auch mit leichten Akzentverschiebungen – der letzten Novellierung der kaufmännischen Ausbildung in der Industrie zugrunde gelegt . Anzuführen ist hier vor allem der Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht .

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Tabelle 2 Skizze veränderter Kompetenzanforderungen in der Industrie DQR-Kompetenzdimension

Kompetenzerwartungen (Stichworte)

Fachkompetenz

– Kaufmännische Digitalkompetenzen im Umgang mit transaktionsund analyseorientierten Anwendungssystemen (z. B. Kompetenz zur Anwendung von ERP bei Beschaffung) – Data-Science-Kompetenzen (z. B. Kompetenz zur Nutzung von Dashboards) – Kompetenzen zur variablen Übernahme von Tätigkeiten im Zusammenspiel mit kaufmännischen Automaten in einer Anwendungsperspektive (z. B. Kompetenz zur Fehlerdiagnose, Erkennen von Interventionsmöglichkeiten) – Kompetenzen zur Gestaltung von kaufmännischen Automaten (z. B. Kompetenzen zur Modifikation von Buchungsautomaten) – ‚Hybridkompetenzen‘, z. B. grundlegende Kompetenzen in der Technik und der IT/Data Science – Kompetenzen zum Projektmanagement, z. B. Kompetenz bezüglich Verfahren der agilen Projektarbeit

Selbständigkeit

– Eigenständigkeit, Verantwortung und Reflexivität, z. B. Kompetenz aus Erfahrungen zu lernen

Sozialkompetenz

– Teamfähigkeit, Führungsfähigkeit und Fähigkeit zur Mitgestaltung von interdisziplinären, oft länder- und hierarchieübergreifenden Teams, z. B. Kompetenz zum verständigungsorientierten Austausch von Informationen in einer Arbeitsgruppe

Sprachliche Kompetenz

– Fremdsprachliche Kompetenz, z. B. Kompetenz zur Führung eines Kundengesprächs in einer ausgewiesenen Fremdsprache

3

Skizze des Systems kaufmännischer Aus- und Weiterbildung in der Industrie vor dem Hintergrund der durch CPS bzw. KI induzierten Verschiebungen

Im nächsten Abschnitt wird die Frage verfolgt, wie sich die im letzten Abschnitt skizzierten Kompetenzanforderungen im System kaufmännischer Aus- und Weiterbildung widerspiegeln . 3.1

Das System kaufmännischer Aus- und Weiterbildung in der Industrie

Ein systemisches Leitbild für die Gestaltung von Systemen beruflicher Bildung sind Berufslaufbahnkonzepte . Diese spannen für eine Branche eine Struktur für Bildungsabschlüsse bzw . Qualifikationen und ggf . auch Teile davon auf (Born, 2012; Dobischat, Schäfer, Schmidt, Wahle & Walter, 2016; Esser, 2009) . Sie strukturieren damit auch, aber nicht nur die aufstiegsorientierte Fortbildung gemäß BBiG . Geprägt wurde diese

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

Vorstellung vor allem durch die Arbeiten des ZDH (2007), der schon 2007 das Berufslaufbahnkonzept des Handwerks im Kontext der Diskussion um den Deutschen Qualifikationsrahmen (Esser, 2012) vorgestellt hat . Die vertikale Struktur ist gekennzeichnet durch eine möglichst lückenlose Integration der Berufsausbildungsvorbereitung, der Berufsausbildung und den drei Fortbildungsstufen der höherqualifizierenden Berufsbildung im Sinne des BBiG entlang des Deutschen Qualifikationsrahmens (siehe Tabelle 3) . Die vertikale Struktur dient vor allem der Transparenz über mögliche Karrierepfade . Sie dient der Signalisierung von Anschlussoptionen sowohl für Individuen bei Berufswahl- und Karriereentscheidungen als auch den Unternehmen bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften . Sie zielt auf die Attraktivität beruflicher Bildung, vor allem indem sie Aufstiegsperspektiven neben der akademischen Bildung herausstellt . Die horizontale Struktur stellt erstens ab auf die Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen bzw . Qualifikationen oder Teilen davon . Dabei geht es u . a . um die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung und führt zur Gestaltung der Durchlässigkeit im Sinne von einseitigen oder reziproken Wechselmöglichkeiten (Hemkes & Wilbers, 2019) . Die horizontale Struktur stellt zweitens ab auf den Aspekt des Zusammenwirkens wie er in § 2 BBiG kodifiziert wurde . Dieser Aspekt wird in der wissenschaftlichen Diskussion unter verschiedenen, bedeutungsähnlichen Bezeichnungen wie „Lernortkooperation“ (Faßhauer, 2018), „Alternance“ (Rothe, 2001), „Bildungsnetzwerke“ (Wilbers, 2004) oder „School-Workplace-Connectivity“ (Aprea, Sappa & Tenberg, 2020), aber auch „Durchlässigkeit“ im Sinne hybrider oder konvergenter Formate (Hemkes & Wilbers, 2019) adressiert . Ein Laufbahnkonzept für die kaufmännische Bildung in der Industrie lässt sich mit der folgenden Übersicht skizzieren . Die Stufen 1 bis 7 stellen die vertikale Struktur, die auf einer Stufe genannten Bildungsgänge die horizontale Struktur dar . Tabelle 3 Aktuelles Laufbahnkonzept für die kaufmännische Bildung in der Industrie 7

Betriebswirt/in (BBiG); Technische/r Betriebswirt (BBiG), Master (Hochschule)

6

Fachkaufmann/-frau (BBiG); Betriebswirt/in (Staatl. gepr./Landesrecht), Bachelor (Hochschule)

5

(unbesetzt)

4

Industriekaufmann/frau

3

(unbesetzt)

2

Berufsausbildungsvorbereitung

1

Berufsausbildungsvorbereitung

Die Berufsvorbereitung auf den DQR-Stufen 1 und 2 ist prinzipiell im Rahmen eines solchen Berufslaufbahnkonzepts zu verorten . Gleichwohl sind die Übergänge von der

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Berufsausbildungsvorbereitung in die Ausbildung zum Industriekaufmann/-frau faktisch zu vernachlässigen, denn der größte Teil der Auszubildenden hat – bundesweit gemäß Daten des Datensystem Auszubildende (Dazubi) des BIBB, aber mit regionalen Unterschieden – eine (Fach-)Hochschulreife . Die Ausbildung zum Industriekaufmann/-frau wurde erstmals 1936 als Lehrberuf verzeichnet . Sie hat gemäß Verordnung eine Ausbildungsdauer von drei Jahren und liegt damit auf dem DQR-Niveau 4 . Die Anzahl der Neuabschlüsse in 2018 ist nach Daten des Dazubi des BIBB etwa zehn Prozent geringer als vor zehn Jahren und etwa 18 Prozent geringer als vor zwanzig Jahren . Gleichwohl gehört die Ausbildung zu einem der großen Ausbildungsberufe in Deutschland . Der Ausbildungsberuf ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen beliebt, wobei Frauen leicht überwiegen . Eine Ausbildung mit einer nach Verordnung vorgesehenen Ausbildungsdauer von 2 Jahren, die auf dem DQR-Niveau 3 anzusiedeln wäre, existiert für die kaufmännische Bildung in der Industrie nicht und es erscheint zumindest fraglich, ob ein solcher Bildungsgang angesichts des Rekrutierungsverhaltens der Industrie sinnvoll wäre . Die Ausbildung zum Industriekaufmann/-frau ist generalistisch angelegt, bietet jedoch über die Einsatzgebiete Spezialisierungen in einzelnen Prozessen . Sie erfolgt in den verschiedenen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes ( Jordanski et al ., 2019, S . 22) . Die letzte inhaltliche Novelle liegt fast zwanzig Jahre zurück (Rein & Schamel, 2004, S . 97) . Das seitdem verfolgte Leitbild für die Arbeit an Ausbildungs- und Fortbildungsordnungen ist „der kundenorientierte Sachbearbeiter, der team-, prozess- und projektorientiert unter Verwendung aktueller Informations-, Kommunikations- und Medientechniken an der Erstellung kundengerechter Problemlösungen arbeitet“ ( Jordanski et al ., 2019, S . 97) . Die Aufstiegsfortbildung im BBiG-Bereich ist geprägt durch den auf spezifische Prozesse bezogenen Qualifikationstyp „Fachkaufmann/-frau“ (DQR-Niveau 6), den auf Branchen bezogenen „Fachwirt/in“ (DQR-Niveau 6) sowie den „Betriebswirt/in“ (DQR-Niveau 7) und „Technische/r Betriebswirt/in“ (DQR-Niveau 7) . Bei den Fachkaufleuten entfallen 2019 gemäß Fortbildungsstatistik (DIHK 2020) fast alle Prüfungsfälle auf „Bilanzbuchhalter/in“ sowie „Personalkaufmann/-frau“ . Bei den Fachwirten entfällt fast ein Drittel der Prüfungsfälle auf „Wirtschaftsfachwirte“ (8 .678 Prüfungsfälle) . Verbreitet sind vor allem auch der Industriefachwirt (1 .390 Prüfungsfälle) und der Technische Fachwirt (1 .918 Prüfungsfälle) . Die Fortbildung zum Technischen Fachwirt zielt gemäß Verordnung auf eine „Schnittstellenfunktion zwischen den betriebswirtschaftlichen und technischen Unternehmensbereichen“ (§ 1, 1, 2 TechFachwPrV) . Die Fachschulen führen als landesrechtlich geregelte Weiterbildung zum Abschluss „Betriebswirt/in (staatlich geprüft)“ (DQR-Niveau 6) . Die Fachschule im Fachbereich Technik, die sog . Technikerschule, führt zum Titel „Staatlich geprüfter Techniker  / Staatlich geprüfte Technikerin“ und im kaufmännischen Bereich zum Titel „Staatlich geprüfter Betriebswirt / Staatlich geprüfte Betriebswirtin“ . Dieser Abschluss liegt auf

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

der DQR-Stufe 6 . Eine schulische Weiterbildung mit Abschlüssen auf der DQR-Stufe 5 und der DQR-Stufe 7 gibt es zurzeit nicht . 3.2

Desiderate der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung in der Industrie

In horizontaler Hinsicht ist die Segmentierung der höherqualifizierenden Berufsbildung sowohl mit Blick auf die Durchlässigkeit als auch auf das Zusammenwirken auffällig . Lediglich mit Blick auf die einseitigen Wechselmöglichkeiten von der Berufsbildung in die Hochschulen hat es in den letzten Jahren einige Bewegungen gegeben (Frommberger, 2019) . Die Wechselmöglichkeiten in den BBiG-Bereich und den landesrechtlichen Bereich der Fachschulen sind kaum entwickelt . Insgesamt ist der Bereich der Fachschulen, der Bildungsträger der BBiG-Bildungsabschlüsse sowie der akademische Bereich segmentiert, d . h . die Durchlässigkeit bzw . das Zusammenwirken ist gering . In vertikaler Hinsicht fällt auf, dass die Ebenen nicht vollständig besetzt sind . Vor allem die erste Fortbildungsstufe auf der DQR-Stufe 5 ist vollständig unstrukturiert . International leistet diese Stufe einen wichtigen Beitrag für Zusammenwirken und Durchlässigkeit (Wilbers, 2015) . Mit der BBiG-Novelle wurde der Fortbildungsabschluss „Geprüfter Berufsspezialist“ bzw . „Geprüfte Berufsspezialistin“ (BBiG § 53b) verankert . Die praktische Implementierung steht ebenso wie deren Erforschung noch ganz am Anfang . Bisher sind in allen Branchen, nicht nur in der Industrie, Angebote beruflicher Bildung auf der korrespondierenden DQR-Stufe 5 in Deutschland noch vergleichsweise selten . Die höherqualifizierende Berufsbildung im Verständnis des BBiG oberhalb der EQF-Stufe 4 (Ulicna, Luomi Messerer & Auzinger, 2016) bzw . die Higher Vocational Education (HVE) ist unscharf definiert und hat große Überlappungen zur Weiterbildung (CVET) und zur akademischen Bildung (HE) . Bei der zukünftigen Strukturierung der drei Stufen beruflicher Fortbildung kann auf Modelle des Personalmanagements zurückgegriffen werden . Dort werden drei Laufbahnmodelle bzw . Karrieremodelle unterschieden: Die Führungskarriere, die Fachkarriere und die Projektkarriere (Stock-Homburg  & Groß, 2019, 313 ff .; Trost, 2018, 260 ff .) . Die Führungskarriere bedeutet dabei im Sinne der klassischen KaminKarriere die Zunahme an Budget- und Personalverantwortung bei gleichzeitiger Übernahme fachlicher Funktionen und ist stark an das Modell pyramidaler bzw . hierarchischer Organisationen gebunden, das unter dem Stichwort der Agilität, also der Beweglichkeit in Zeiten des beschleunigten Wandels, in die Kritik geraten ist (Laloux, 2015) . Die Fachlaufbahn bzw . die Laufbahn als Expertin bzw . Experte erlangt Bedeutung nicht aus der Stellung in einer pyramidalen Struktur, sondern aus der fachlichen Expertise . In der faktischen Konstruktion von Berufslaufbahnmodellen finden sich die Unterscheidungen teilweise wieder, vor allem, wenn ein durchgängiges Berufs-

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laufbahnmodell besteht wie etwa im Bereich der Kfz-Technik . Auch in der Definition der Fortbildungsniveaus durch den Hauptausschuss des BIBB (2014) bzw . der Legaldefinition der Fortbildungsstufen gemäß § 53b bis § 53d des BBiG finden sich ähnliche Unterscheidungen . Zusammenfassend lässt sich für die Konstruktion von Berufslaufbahnkonzepten ein Kompetenzbaukasten erstellen . Dieser zeigt Fachlaufbahnen (Prozesskompetenz, Generalisierende Kompetenz, Komplementäre Kompetenz), Führungslaufbahnen (Managementkompetenz, Personalführungskompetenz) sowie Projektlaufbahnen . In diese Struktur ließen sich auch die in Tabelle 2 ausgewiesenen Kompetenzen zuordnen .

Abb. 1 Kompetenzbaukasten für die Konstruktion von Berufslaufbahnmodellen (Auszug)

Fachlaufbahnen werden im Kompetenzbaukasten durch Prozesskompetenzen, generalisierende Kompetenzen und Komplementärkompetenzen ermöglicht . Prozesskompetenzen im Sinne dieses Kompetenzbaukastens heben auf die fachliche Vertiefung für Geschäfts- oder Supportprozesse ab . Dies sind wertschöpfende Aktivitäten, die sich als Geschäftsprozesse entlang des Supply Chain Operations Reference (SCOR) Modells (Bolstorff & Rosenbaum, 2012) in Aktivitäten des Plan (z . B . Lagerbestandsplanung), Source (z . B . Bezug von Waren), Deliver (z . B . Warenversand) und Return (z . B . Abwicklung von Rücklieferungen) begreifen lassen, aber auch Supportprozesse bzw . unterstützende Aktivitäten, wie zum Beispiel das Personalmanagement oder das Qualitätsmanagement . In den industriellen kaufmännischen Fortbildungsberufen spiegelt sich die Vertiefung von Prozesskompetenzen in den Abschlüssen „Fachkauffrau/-mann“ wider, wie zum Beispiel Fachkaufleute für Einkauf und Logistik oder

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

Personalfachkaufleute . Hier handelt es sich um eine funktionale Spezialisierung in der beruflichen Bildung für Tätigkeiten in spezifischen Geschäfts- oder Supportprozessen, zum Beispiel dem Einkauf und der Logistik . Generalisierende Kompetenzen zielen auf die Erweiterung branchenbezogener Kompetenzen . Der Branchenfokus spiegelt sich in den Fortbildungsberufen in den Abschlüssen „Fachwirt/in“ wieder . Nach der Ausbildung erfolgt eine generalisierte Vertiefung mit Blick auf alle Unternehmensprozesse, aber mit einem spezifischen Branchenfokus . Beispielhaft anzuführen ist der Abschluss „Industriefachwirt/in“ . Komplementäre Kompetenzen betonen grundlegende Kompetenzen aus benachbarten Expertisefeldern . Hier steht vor allem eine kaufmännische Grundlegung für gewerblich-technisch Ausgebildete oder aber eine technische Grundlegung für kaufmännische Ausgebildete im Vordergrund . Beispielhaft anzuführen ist der Abschluss „Technische/r Betriebswirt/in“ . Komplementäre Kompetenzen betreffen für Kaufleute vor allem die Technik und die IT . Führungslaufbahnen werden durch Management- und Personalführungskompetenzen im Kompetenzbaukasten unterstützt . Managementkompetenzen zielen auf die Bewältigung von Managementprozessen . Managementprozesse umfasst Prozesse des normativen, strategischen und operativen Managements (Wilbers, 2020b) . Dabei spielt das finanzielle Management im Sinne des betrieblichen Rechnungswesens eine exponierte Rolle . Beispielhaft für das finanzielle Management anzuführen ist der Abschluss „Bilanzbuchhalter/innen“ . Personalführungskompetenzen zielen auf einen spezifischen Managementprozess, nämlich die Personalführung . Die Personalführung ließe sich dem operativen Management zuordnen, wird jedoch eigenständig betrachtet . Personalführung meint hier die Übernahme von Personalverantwortung, auch für Auszubildende . Einen besonderen Stellenwert hat hier die Verankerung der Kompetenzanforderungen gemäß der AEVO (Ulmer, 2019) . Derartige Kompetenzerwartungen lassen sich auf verschiedene Weise in kaufmännischen Fortbildungsordnungen integrieren ( Jordanski, Kaiser  & Schwarz, 2014; Kaiser et al ., 2014) . Projektmanagementkompetenzen zielen – zur Unterstützung von Projektlaufbahnen bzw . der Projektkarriere – auf die Gestaltung von betrieblichen Projekten . Dabei kann es sich um klassisches Projektmanagement, aber auch um agiles Projektmanagements handeln, etwa SCRUM (Schwaber & Sutherland, 2017) . Eine besondere Rolle spielt auch die Gestaltung von Transformationsprojekten und den damit verbundenen Kompetenzen im Bereich der digitalen Transformation oder des Change Managements . Für die Konstruktion von Berufslaufbahnmodellen sind u . a . Sektoranalysen, betriebliche Fallstudien, Prozessanalysen oder Workshops (Becker  & Spöttl, 2008) durchzuführen, die darauf zielen, den Bedarf bei Unternehmen und beruflich Gebildeten zu analysieren . Hierfür kann der Kompetenzbaukasten genutzt werden . Dabei sind Kompetenzen und nicht nur Inhalte zu untersuchen, denn ein bestimmter Inhalt kann auf verschiedenen Niveaus erörtert werden, wie dies die folgende Übersicht zeigt .

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KARL WILBERS

Tabelle 4 Kompetenzen auf verschiedenen Niveaus am Beispiel des Themenfeldes „SCRUM“ 4

Gestaltungskompetenz

Gestaltung einer agilen Vorgehensmethodik, zum Beispiel durch Modifikation von SCRUM

3

Erweiterte Anwendungskompetenz

Arbeit als SCRUM-Master

2

Anwendungskompetenz

Regelgerechte Arbeit im SCRUM-Team

1

Wissen & Verstehen

Grundbegriffe von SCRUM kennen

0

Keine Kompetenz

Nicht berücksichtigt

In vertikaler Hinsicht zeigt sich die Notwendigkeit einer durchgängigen Strukturierung und einer systemischen Ergänzung des Systems kaufmännischer Aus- und Weiterbildung in der Industrie durch Angebote auf der DQR-Stufe 5, die mit dem durch die letzte BBiG-Novelle kodifizierten Abschluss „Berufsspezialist/in“ korrespondiert . 4

Fazit: Tiefgreifende Herausforderungen für die kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie

Die Diskussion um die mit „Industrie 4 .0“ bezeichnete Veränderungsmetapher ist facettenreich . In diesem Beitrag konnten lediglich einige Schwerpunkte auf der Mikroebene didaktischer Situationen und der Makroebene des Bildungssystems diskutiert werden . Schon in diesen Schwerpunkten werden tiefgreifende Herausforderungen zur Umgestaltung der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung in der Industrie deutlich . Der Beitrag skizziert Umbrüche in der deutschen Industrie und die damit verbundenen veränderten Erwartungen an Kompetenzen . Dabei zeigte sich, dass verschiedene Untersuchungsansätze für die Diskussion um veränderte Kompetenzerwartungen in der industriellen Aus- und Weiterbildung fruchtbar sind . Der Augmentationsansatz erscheint dabei besonders ergiebig . Für die durch CPS und KI induzierten Veränderungen lassen sich Verschiebungen in allen Kompetenzdimensionen des DQR aufzeigen . Diese spiegeln sich nicht bruchlos im System kaufmännischer Aus- und Weiterbildung . Die Analyse unter der Perspektive des Berufslaufbahnkonzepts zeigt hier deutliche Herausforderungen systemischer Gestaltung, d . h . Nachholbedarfe sowohl bezüglich der vertikalen als auch der horizontalen Strukturierung kaufmännischer Bildung .

Kaufmännische Aus- und Weiterbildung in der Industrie im Umbruch

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Zur Person: Karl Wilbers ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg (FAU) in Nürnberg . Prof. Dr. Karl Wilbers

Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo), Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg, Deutschland, karl .wilbers@fau .de

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IT-Berufe im Wandel florian winkler / henrik Schwarz

IT occupations in transition Kurzfassung: Die vier großen IT-Berufe des deutschen dualen Ausbildungssystems sind grundle-

gend überarbeitet worden und am 1 . August 2020 in Kraft getreten . Die bisherigen Ausbildungsberufe Fachinformatiker/-innen, IT-System-Elektroniker/-in, IT-System-Kaufmann/-frau sowie Informatikkaufmann/-frau wurden inhaltlich und strukturell überarbeitet und an die Herausforderungen der Digitalisierung und Industrie 4 .0 angepasst . Wohl kaum eine Berufsgruppe ist so stark mit diesen Themen verbunden wie die der IT-Berufe . Ein maßgeblicher Treiber für die Novellierung war somit der technologische Wandel . Der Beitrag zeichnet exemplarisch die Auswirkungen dieses Wandels auf das Ergebnis des Neuordnungsverfahrens nach und gibt somit Einblick aus der Perspektive der Ordnungsarbeit . Schlagworte: IT-Berufe, Neuordnung, Digitalisierung, Industrie 4 .0, Künstliche Intelligenz, Big Data Abstract: The four major dual IT occupations within the German dual system have been updated

and came into force on August 1, 2020 . The previous training occupations IT Specialist, IT System Electronics Technician, IT-system support specialist and Information technology officer have been revised in terms of content and structure and adapted to the challenges of digitization and Industry 4 .0 . Hardly any other occupational group is as strongly associated with these topics as IT occupations . Technological change was therefore a key driver for the amendment . This article describes the effects of this change on the outcome of the reorganization process and thus provides insight from the perspective of regulatory work . Keywords: IT occupations, Training Standards Revision, Digitalization, Industry 4 .0, Artificial Intelligence, Big Data

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FLORIAN WINKLER / HENRIK SCHWARZ

1

Einleitung

Die vier großen dualen IT-Berufe Fachinformatiker/-in, IT-System-Elektroniker/-in, IT-System-Kaufmann/-frau und Informatikkaufmann/-frau des deutschen Berufsbildungssystems wurden 2020 neu geordnet . Für das Beschäftigungssystem hat sich der Stellenwert dieser Berufe in nahezu allen Wirtschaftsbranchen in den letzten Jahren deutlich erhöht . Unter dem Schlagwort Digitalisierung sind hier u . a . technische Entwicklungen in den Bereichen der Hard- und Software, Datenspeicherung, Datenübertragung, IT-Sicherheit und insbesondere auch neue Integrationsansätze und Schnittstellen zwischen Informationstechnik, Produktionstechnik und Arbeit (Industrie 4 .0) als verantwortliche Faktoren zu nennen . Diese Faktoren bewirken aber ebenso eine fortschreitende Obsoleszenz von Inhalten bzw . teilweise auch von Berufsprofilen und führen gleichzeitig auch zu einem Veränderungsbedarf bestehender Strukturen . Die Überarbeitung der IT-Berufe umfasst die Modernisierung der Inhalte, strukturelle Änderungen sowie die Entwicklung neuer Berufsprofile . Aus einer gleichermaßen auf die Ordnungsarbeit als auf die technologische Entwicklung bezogenen Perspektive beschreibt der Beitrag die Genese der IT-Berufe bis hin zur kürzlich erfolgen Neuordnung . Zentrales Thema des Beitrages ist es, das Ergebnis der Neuordnung der IT-Berufe vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung und mit besonderem Bezug zur KI nachzuzeichnen . Dies geschieht unter Berücksichtigung der spezifischen Aspekte des berufsbildungspolitischen Prozesses zur Erarbeitung von Ausbildungsordnungen in Deutschland . Soll der Einfluss dieser – mit KI verbundenen – neuen Entwicklungen auf die Berufsgruppe und damit auch auf das Neuordnungsverfahren dargestellt werden, ist es sinnvoll, zunächst ein Begriffsverständnis dafür zu Grunde zu legen, das dem Gegenstand gerecht wird . Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich beim Thema KI um ein sehr komplexes handelt und dessen Einflüsse auf das hier betrachtete Berufsfeld mannigfaltig sind . Der vorliegende Artikel hat nicht den Anspruch, eine grundlegende Übersicht der Dependenzen zwischen diesen neuen Technologien und den IT-Berufen zu geben, sondern will solche exemplarisch anhand des Ergebnisses des Neuordnungsverfahrens nachzeichnen . Folgt man der Definition von KI aus der „Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung“ (Bundesregierung 2018, S . 4), lässt sich zunächst festhalten, dass der Begriff eine verbreitete – wenn auch sehr abstrakte – Differenzierung durch eine Zuordnung in zwei Richtungen erfährt: der „schwachen“ und der „starken“ KI . Während bei „starker“ KI davon ausgegangen wird, dass „KI-Systeme die gleichen intellektuellen Fertigkeiten wie der Mensch haben oder ihn darin sogar übertreffen können“, fokussiert „schwache“ KI „auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme auf Basis der Methoden aus der Mathematik und Informatik, wobei die entwickelten Systeme zur Selbstoptimierung fähig sind“ (ebd .) . Analog zur oben zitierten Strategie zur Bundes-

IT-Berufe im Wandel

regierung wird sich im Rahmen dieses Artikels an der Auslegung von KI für die Lösung von Anwendungsproblemen orientiert und damit an der Position der „schwachen“ KI . 2

Technischer Wandel und die Genese der IT-Berufe

Wandlungsprozesse der Berufsausbildung sind unmittelbar verbunden mit jenen der Arbeitswelt, insbesondere mit zwei wesentlichen Einflussfaktoren: der technologischen Entwicklung und dem Wandel der Arbeitsorganisation . Wie kaum eine andere ist die Entwicklung der Berufsgruppe der dualen IT-Berufe mit der technologischen Entwicklung verbunden . Zum Verständnis der jetzigen Weiterentwicklung der IT-Berufe soll ihre historische Genese nachvollzogen und dabei die Entwicklung der (jüngeren) historischen berufspädagogischen Diskussion berücksichtigt werden . Bereits vor dem Einsetzen der dritten industriellen Revolution, bei der der Einsatz von Elektronik und IT zu einer verstärkt automatisierten Produktion führte, entstanden mit den Ausbildungsberufen des mathematisch-technischen Assistenten/der mathematisch-technischen Assistentin (MaTA) und der Datenverarbeitungskauffrau/ des Datenverarbeitungskaufmanns (DV-Kaufleute) in den 1960er Jahren, also noch vor Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), die ersten dualen Ausbildungsberufe im Bereich der sich entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) . Der MaTA gilt als der erste nichtakademische Ausbildungsberuf im IKT-Bereich . Er wurde durch den Erlass seiner Prüfungsordnung im Jahr 1965 von der Industrie- und Handelskammer der Pfalz konstituiert . Der MaTa sowie der Nachfolgeberuf Mathematisch-technischer Softwareentwickler  / Mathematisch-technische Softwareentwicklerin (MATSE) aus dem Jahre 2007 sind nach der Zahl der Ausbildungsverhältnisse eher „Nischenberufe“ . Die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse lag im Durchschnitt bei etwa 200 . Der Ausbildungsberuf war von Anfang an sehr stark auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld fokussiert: er sollte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen darin unterstützen, die von ihnen entwickelten mathematischen Verfahren zu programmieren; dementsprechend wurde er in den Anfangsjahren zumeist an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen ausgebildet (Bundesagentur für Arbeit 2007) . Das Entstehen der DV-Kaufleute war insbesondere auf einen seit den 1960er Jahren stetig steigenden Einsatz von „Großrechneranlagen zur Massendatenverarbeitung“ zurückzuführen, der bei Industrieunternehmen und in der öffentlichen Verwaltung zu einem zunehmenden Bedarf an qualifizierten DV-Fachkräften führte, wobei das Berufsbild die „charakteristischen Funktionen des Programmierers, des Operators und des Datenverarbeitungssachbearbeiters“ umfasste (Häbler & Schwarz, 1996, S . 13) . Aus diesem Umstand heraus ist es auch nicht verwunderlich, dass dieser gegenüber dem MaTA stärker nachgefragte Vorläufer der heutigen IT-Berufe seine Schwerpunkte in erster Linie im kaufmännischen Feld hatte . Neben den o . g . informationstechnischen

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Inhalten orientierten sich die übrigen betriebswirtschaftlich-kaufmännischen Ausbildungsinhalte an den damaligen Anforderungen eines Industriebetriebs . Nachdem der Ausbildungsberuf im Jahr 1969 mit 44 Auszubildenden startete, stieg die Zahl der Ausbildungsverhältnisse bis auf den Höchststand im Jahr 1988 auf 5203 relativ konstant an . Häbler und Schwarz (1996, S . 3) stellen im Jahr 1996, also nach fast 30-jährigem – unverändertem – Bestehen fest, dass es „aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten, gerade durch die rasanten Veränderungen der elektronischen Datenverarbeitung mitverursachten technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen umso erstaunlicher erscheint, daß dieses Berufsbild in seiner Fassung von 1969 fortbesteht .“ Ähnlich ist die Entwicklung des mathematisch-technischen Assistenten zu bewerten, der erst im Jahr 2007 durch den MATSE abgelöst wurde . Aus der Perspektive der Ordnungsarbeit scheint hier ein Grundproblem auf, das in der berufspädagogischen Diskussion bereits ab den 1970er und 1980er Jahren identifiziert wurde ( Jenewein, 2012) und bis heute anhält: wie kann gerade in Berufsfeldern, die in einem sehr hohen Maße von technischen Entwicklungen betroffen sind, sichergestellt werden, dass im Ordnungsprozess einerseits die gegenwärtig und zukünftig relevanten Inhalte identifiziert werden (Prognosedefizit) und wie ist mit einer bereits zu antizipierenden, schnellen Überalterung dieser Inhalte (Obsoleszenzproblem) umzugehen? Obsoleszenzproblem Die in beruflichen Bildungsgängen vermittelten fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten unterliegen einem immer schneller werdenden Überalterungsprozess . Als Beispiel innerhalb der IT-Berufe denke man nur an die Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Programmiersprachen bzw . -paradigmen . Prognosedefizit Die zukünftige Entwicklung der fachlichen Anforderungen wird immer schwieriger prognostizierbar, da die technologischen Entwicklungsstränge und deren Auswirkungen auf die beruflichen Tätigkeitsfelder nur bedingt vorhersehbar sind . Für die IT-Berufe kann dies ganz gut anhand des Themas „Industrie 4 .0“ bzw . „KI“ verdeutlicht werden (vgl . Kapitel 3) . Die Reaktionen des Berufsbildungssystems auf die o . g . Problemlagen sind bekannt: von der Einführung des Konzepts der Schlüsselqualifikationen (Mertens, 1974) über die Implementierung des Konzepts der Handlungsorientierung und den Ansätzen der ganzheitlichen Berufsbildung (Arnold et al . 1995) bis hin zur Kompetenzorientierung, erfolgte ab den 1980er Jahren ein Paradigmenwechsel, der bis heute andauert und sich

IT-Berufe im Wandel

auf verschiedenen Ebenen (z . B . didaktisch, strukturell etc .) manifestiert . Ablesen lässt sich das auch an den Prämissen der Ordnungsarbeit . Um dem oben skizzierten Wandel Rechnung zu tragen und Berufe im System der dualen Berufsausbildung auch über einen längeren Zeitraum zukunftsfähig zu gestalten, indem auch die eben dargestellten Problemlagen berücksichtigt werden, ist es das Ziel der Ordnungsarbeit, „einerseits die Verbindlichkeit der angestrebten Rechtsnorm, die Inhalte und Ziele der Ausbildung festlegt, [zu] berücksichtigen und andererseits der Dynamik der technischenwirtschaftlichen-gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung [zu] tragen“ (BIBB 2017, S . 25) . Erreicht werden soll dieses Ziel, indem die zu erreichenden Lernergebnisse in den Ausbildungsrahmenplänen einerseits möglichst technikoffen und funktionsorientiert beschrieben werden, um so für neue Entwicklungen möglichst offen zu bleiben (ebd .) . Zum anderen legen die Ausbildungsrahmenpläne „nur“ Mindeststandards an Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten fest, so dass die Ausbildungsbetriebe eigene, betriebsspezifische Anforderungen unterbringen und auch neuere technologische Entwicklungen in die Ausbildung integrieren können . Dass einem solchen Anspruch genüge getan werden kann, zeigt gerade das o . g . Beispiel des historischen Berufs der DV-Kaufleute aber auch die jüngere Geschichte der vier großen dualen IT-Berufe . Technologietransfer und Standardisierung: Treiber für die Genese der IT-Berufe Die Ende der 1990er Jahre eingeführten vier dualen IT-Ausbildungsberufe – zwei technisch orientierte und zwei kaufmännisch orientierte IT-Berufe – deckten wesentliche Anforderungsbereiche der damals wachsenden Nachfrage nach IT-Fachkräften ab (vgl . Tabelle 1): Tabelle 1 Tätigkeitsschwerpunkte der vier großen dualen IT-Berufe Ausbildungsberuf

Anforderungsbereiche

Schwerpunkt

Branche

Fachinformatiker/-in der Fachrichtung Anwendungsentwicklung

Softwareentwicklung und Programmierung

techn. orientierte IT

branchenübergreifend

Fachinformatiker/-in der Fachrichtung Systemintegration

Betreuen und Verwalten von IT-Systemen

techn. orientierte IT

branchenübergreifend

IT-System-Elektroniker/-in

Installieren und Reparieren von IT-Systemen

techn. orientierte IT

branchenübergreifend

IT-System-Kaufmann/-frau

Angebot und Verkauf von IT-Lösungen

kaufm. orientierte IT

IKT-Branche

Informatikkaufmann/-frau

Betreuung und Verwaltung von IT-Systemen

kaufm. orientierte IT

branchenübergreifend

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Kennzeichnend für die IT-Berufe waren darüber hinaus folgende Merkmale (vgl . Tabelle 2): Tabelle 2 Kennzeichnende Merkmale der IT-Berufe Merkmal

Erläuterung

Gemeinsame Kernqualifikationen

Gemeinsame, berufsübergreifende Ausbildungsinhalte, die projektbezogen Informatik, Elektrotechnik und Betriebswirtschaft miteinander verbinden, die 50 Prozent der Ausbildungszeit umfassen und mit den jeweiligen Fachprofilen verknüpft sind

Wahlpflichtbereiche

Flexibel wählbare Ausbildungsinhalte in Form von Fachrichtungen, Einsatzgebieten und Fachbereichen

Betriebliche Projektarbeit als Prüfungsinstrument

Durchführung einer an konkreten Arbeitsaufträgen orientierten betrieblichen Projektarbeit sowie ganzheitliche Aufgabenstellungen als wesentliche Bestandteile der Abschlussprüfung

Neuer Typ von Dienstleistungsberufen

Kunden-, Geschäftsprozess- und Dienstleistungsorientierung, ganzheitliche Aufgabenwahrnehmung

Die vier großen dualen IT-Berufe sind seit ihrer Einführung im Jahr 1997 ein Erfolgsmodell . Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre wurden jährlich ca . 15 .000 neue Ausbildungsverträge in IT-Berufen abgeschlossen . Innerhalb der letzten vier Jahre ist diese Zahl auf über 20 .000 angestiegen . Mittlerweile wurden seit ihrer Einführung mehr als 300 .000 IT-Fachkräfte in diesen vier dualen Berufen ausgebildet . Quantitativ am häufigsten nachgefragt wird der Ausbildungsberuf Fachinformatiker/-in mit seinen beiden Fachrichtungen Anwendungsentwicklung und Systemintegration, der 2019 über 16 .000 Neuabschlüsse aufweisen konnte . Grundlage für die Entwicklung der IT-Berufe war ein technologischer Schub der Informationstechnologie, der Anfang der 1980er Jahre ganz wesentlich mit Einführung des ersten IBM-PC ausgelöst wurde . Die Einführung des „persönlichen Computers“ war ein Big Bang der Informationstechnologie, der eine Revolution auslöste (vgl . Abbildung 1) . Dieser Arbeitsplatzcomputer setzte mit offenen  – nicht lizensierten  – Hard- und Softwareschnittstellen einen inoffiziellen Industriestandard, der es vielen Drittanbietern ermöglichte, kostengünstig „IBM-kompatible“ Hardware und Softwareanwendungen zu entwickeln . Fallende Preise steigerten die Nachfrage nach PCs und immer neuen Anwendungsmöglichkeiten . Die Entwicklung objektorientierter Hochsprachen vereinfachte und modularisierte die Anwendungsentwicklung und die Einführung standardisierter Netzwerkprotokolle trieb das Verschmelzen von Informationsverarbeitung und Nachrichtentechnik zur Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) voran .

IT-Berufe im Wandel

Abb. 1 Technologie getriggerte Entwicklungsschübe der dualen IT-Berufe (eigene Darstellung)

Die sich entwickelnde IKT, die mittels Standardisierung die Entwicklungslabors der Ingenieure und Wissenschaftler verlassen hatte, erschloss nunmehr eine mittlere Ebene von Fachkräften, die anfangs von vielen Quereinsteigern besetzt wurde . Die berufliche Formalisierung des Feldes der Informations- und Kommunikationstechnologie führte im Ergebnis dazu, dass mit diesen vier „IT-Kernberufen“ auf der Ebene eines mittleren Qualifikationsniveaus wesentliche Anforderungsbereiche wie Anwendungsentwicklung, (Netz-)Administration, Planung, Installation und Verkauf von Hard- und Software, Reparatur und Service sowie Benutzerbetreuung und -schulung abgedeckt werden konnten . Derzeit vollzieht sich auf neuer Stufe das, was vor über 20 Jahren zur Entwicklung neuer Ausbildungsberufe im IT-Bereich beigetragen hatte: Technologietransfer mittels (offener) Standardisierung, „getriggert“ durch Innovationen insbesondere in den Bereichen Sensorik und „künstliche Intelligenz“ . Nach 50 Jahren KI-Forschung, vom Turing-Test 1950 über Weizenbaums ELIZAProgramm 1966, immer besseren Expertensystemen, dem IBM-„Schachweltmeister“ Deep Blue von 1996, dem interaktiven Web 2 .0, bis zu lernenden Maschinen, begann ab den 2000er Jahren eine neue Phase der umfassenden Digitalisierung aller Lebensund Wirtschaftsbereiche . Ob die „künstliche Intelligenz bahnbrechender wird als Elektrizität“, so Kai-Fu Lee, KI-Experte bei Google (vgl . Internet World 2019), oder wann wir erste Anwendungen einer „starken KI“ sehen werden, scheint gar nicht entscheidend zu sein . Schon jetzt könnte ein Kipppunkt erreicht sein, an dem die Zahl der marktreifen Anwendungen exponentiell wächst . Lernenden Algorithmen auf der

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Softwareseite, die eine zunehmende Flut unterschiedlichster Daten logisch miteinander verknüpfen und scheinbar vernünftig reagieren kann, stehen auf der Hardwareseite immer leistungsfähigere miteinander vernetze Maschinen gegenüber, die durch eine immer weiter verfeinerte Sensorik immer mehr Daten über maschinelle und soziokulturelle Umwelten in Echtzeit liefern können . 3

Neue Herausforderungen und Entwicklungen

Die Ordnungsmittel der IT-Ausbildungsberufe erwiesen sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten als relativ robust bzw . konsistent gegenüber den sich ändernden Anforderungen . Anders formuliert: Sie hielten über lange Zeit den Ansprüchen aus der betrieblichen Praxis stand und konnten diesen Genüge tun .1 Welchen neuen Herausforderungen diese Berufsgruppe durch die jüngeren Entwicklungen gegenübersteht und welche Folgen diese für deren Neuordnung hatte, soll in diesem Kapitel dargestellt werden . 3.1

Digitalisierung als Treiber des technologischen Wandels und als Herausforderung für die Ordnungsarbeit

„Bei der Festlegung der Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten […] ist insbesondere die technologische und digitale Entwicklung zu beachten“, wird in § 5 des BBiG vorgegeben, um gesetzlich zu regeln, was bei der Erarbeitung von Ausbildungsordnungen in Bezug auf die berufliche Handlungsfähigkeit in besonderer Weise zu beachten ist . Es sprechen einige Indizien dafür, dass sich die Veränderungen durch den technologischen Wandel insbesondere auf Fachkräfte der mittleren Qualifikationsebenen auswirken und somit für die Ordnungsarbeit von Berufen des Dualen Systems relevant werden . Unter Analyseansätzen, wie beispielweise solchen zum Substituierbarkeitspotenzial von Berufen (Dengler & Matthes, 2018) oder in gezielten Berufe- und Branchenscreenings (Zinke 2019), welche der Frage nach den „Fachkräftequalifikationen und -kompetenzen für die digitalisierte Arbeit von morgen“ auf den Grund gehen, liegen zum Teil zwar etwas unterschiedliche Ergebnisse zumeist aber ähnliche Prognosen vor . Das Substituierbarkeitspotenzial unterscheidet sich nach Anforderungsniveau bzw . Berufssegmenten und die Berufsbilder verändern sich (Dengler & Matthes, 2018) . Wie hat die Ordnungsarbeit mit diesen Entwicklungen umzugehen und welche Fragen sind dabei vordergründig, wenn eine so stark mit dem technologischen Wandel 1 Auch die quantitative Entwicklung der Ausbildungszahlen spricht dafür . Seit Ende der1990er Jahre sind in diesen Berufen mehr als 300 .000 IT-Fachkräfte ausgebildet worden und die Nachfrage ist gerade in den letzten Jahren stetig angewachsen . Für das Beschäftigungssystem hat sich der Stellenwert dieser Berufe in nahezu allen Wirtschaftsbranchen in den letzten Jahren deutlich erhöht .

IT-Berufe im Wandel

verbundene Berufsgruppe wie die der IT-Berufe novelliert werden soll? In der Arbeitshilfe (BIBB 2016) zur Hauptausschussempfehlung Nr . 160 des BIBB (HA 2016), die Empfehlungen zur Struktur und Gestaltung von Ausbildungsordnungen gibt, werden Punkte aufgeführt, die als Leitfaden zur Entwicklung und Schneidung berufsprofilprägender Inhalte (Berufsbildpositionen) zu verstehen sind (siehe Abbildung 2) . Gerade am Beispiel der für die Ordnungsarbeit als relevant erachteten Leitfragen zur Schneidung von Berufsbildpositionen lässt sich dies in Bezug zu den gewandelten Bedingungen in besonderer Weise verdeutlichen und gibt vielleicht – sozusagen retrospektiv – Aufschluss über das Zustandekommen einiger Neuerungen der Novellierung .

Abb. 2 Leitfaden zur Schneidung von Berufsbildpositionen. BIBB (2016, S. 2)

Die aufgeführten Punkte können sehr gut als Schablone dienen, um exemplarisch nachzuzeichnen, bei welchen Punkten das Thema Digitalisierung – und insbesondere das Thema KI  – im kürzlich abgeschlossenen Neuordnungsverfahren berücksichtig wurde bzw . aus welchen Fragestellungen heraus das Thema für die Neuordnung relevant wurde . 3.2

IT-Berufe als branchenübergreifende Querschnittsberufe

Bei den IT-Berufen handelt es sich um Querschnittsberufe . Die Antwort auf die erste Frage (a) ist also: Sie sind in allen Branchen vertreten . Aus der bereits weiter oben zitierten BIBB-Voruntersuchung (Schwarz et al, S . 2016, S . 14) lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie sich die IT-Berufe auf Branchen bzw . Wirtschaftsbereiche verteilen (siehe Abbildung 3):

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Gesamt (N=5617) Befragte: Auszubildende (N=1753), IT-Fachkräfte (N=1897), Ausbildungsverantwortliche (N=1223), Personalverantwortliche (N=744),

Information und Kommunikation

33,9%

Verarbeitendes Gewerbe

9,4%

Öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung

7,6%

Erbringung von sonstigen Dienstleistungen

7,0%

Finanz- und Versicherungs-Dienstleistungen

5,6%

Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen

5,5%

Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen

4,8%

Gesundheits- und Sozialwesen

4,2%

Erziehung und Unterricht

3,1%

Verteidigung

2,9%

Verkehr und Lagerei

2,2%

Energieversorgung

1,6%

Andere Wirtschaftszweige

5,1%

Weiß nicht

5,8%

Keine Angabe

1,2% 0%

10%

20%

30%

40%

Abb. 3 Verteilung der IT-Berufe auf Wirtschaftsbereiche (Eigene Darstellung nach Schwarz et al. 2016)

Etwa ein Drittel der IT-Fachkräfte arbeitet in der IKT-Branche, die übrigen zwei Drittel in allen anderen Branchen, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, im Öffentlichen Dienst und im Bereich der sonstigen Dienstleistungen . Der Großteil der Auszubildenden wird in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ausgebildet (ebd .) . Das Thema KI spielt in allen Branchen eine Rolle; Vorreiter ist aber die IKT-Branche (siehe Abbildung 4) . Welche Rolle spielt aus dieser Perspektive das Thema KI? Unternehmen der IKTBranche geben am häufigsten an, KI bereits derzeitig zu nutzen . Knapp 15 Prozent der befragten Betriebe aus dieser Branche nutzen diese Technologie bereits aktuell und fast jedes zweite Unternehmen prognostiziert eine Nutzung in zehn Jahren . In den anderen Branchen ist KI-Nutzung kein aktuelles Thema: In der Energie- und Wasserversorgung-, Chemie- und Pharma-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungsbranche und in Unternehmen des Gesundheitswesens gibt nicht einmal jedes zehnte Unternehmen (8 %) an, KI-Systeme bereits zu nutzen . Prognostiziert wird hier allerdings bei ca . einem Drittel bis zur Hälfte der befragten Unternehmen, dass eine Nutzung in zehn Jahren ansteht . Ein Trend, der auch beim Maschinenbau zutrifft; ca . 50 Prozent der

IT-Berufe im Wandel

Abb. 4 Implementierung von KI nach Branchen. (BMWI 2018)

Unternehmen erwarten eine Nutzung in zehn Jahren, wohingegen lediglich 3 Prozent angeben, KI aktuell zu nutzen (BMWI 2018) . Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass KI aus dieser Perspektive noch nicht in allen Branchen, in denen die IT-Berufe vertreten sind, als Gegenwartsthema wahrgenommen wird, das Thema aber als Trend durchaus antizipiert wird . Inwieweit es aus einer Entwicklungsperspektive relevant ist und welche Facetten von KI beispielsweise in Zukunft für IT-Berufe vordergründig werden, lässt sich allerdings nur abschätzen, indem eine differenzierte Betrachtung verschiedener Bereiche von KI als Ergebnis aktueller Entwicklungslinien erfolgt . 3.3

Zweite Welle der Digitalisierung

Weil das Thema KI stark in Verbindung mit dem technischen Wandel zu sehen ist, soll in Anlehnung an das Kapitel 2 als nächstes die Frage (Abbildung 2 | Frage c) nach den für eine Neuordnung als relevant erachteten technischen und organisatorischen Entwicklungen vertieft behandelt werden . Das zentrale Stichwort heißt hierbei „Digitalisierung“ . Eine gängige Differenzierung erfährt dieser Begriff, wenn zwischen

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einer ersten und einer zweiten Phase unterschieden wird (z . B . Hirsch-Kreinsen & ten Hompel, 2017; Wahlster, 2017) . Wahlster (2017) spricht beispielsweise von einer ersten Welle, bei der das digitale Erfassen, Speichern, Übertragen und Verarbeiten von Daten im Vordergrund stand . Abgelöst wurde diese erste Welle von einer zweiten, bei der es darum geht, Daten digital zu verstehen, zu veredeln, aktiv zu nutzen und zu monetarisieren: es erfolgt eine Transformation des Datenverarbeitungsprozesses von „maschinenlesbaren zu maschinenverstehbaren Daten“ (ebd .) . Eine Entwicklung, die diese Transformation in ganz besonderer Weise zu Tage fördert, ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz . Sie ist sozusagen ein Markenzeichen der zweiten Welle und geht über das Verständnis hinaus, wonach die vierte industrielle Revolution hauptsächlich geprägt ist durch den Einsatz cyber-physischer-Systeme . 3.4

Die Rolle des Themas KI aus Ordnungsperspektive

Eine Verbindung des Themas KI mit dem Neuordnungsverfahren der IT-Berufe liegt auf der Hand . Wie oben beschrieben, stellt es sozusagen einen Kulminationspunkt der zweiten Welle der Digitalisierung dar . Eine entscheidende Frage im Kontext der Ordnungsarbeit lautet, welche technischen Entwicklungen in diesem Kontext abzusehen bzw . zu identifizieren sind und wie diese die zukünftigen beruflichen Handlungsfelder prägen und verändern . Neben anderen Themen wurden in der Sachverständigenarbeit in diesem Zusammenhang auch das Thema KI und dessen Relevanz für die Berufsgruppe – mehr oder weniger explizit – diskutiert . Betrachtet man die „neuen“ IT-Berufe als Ergebnis des Neuordnungsprozesses, finden sich an einigen Stellen Belege dafür, dass dem Thema Rechnung getragen wurde (vgl . Kapitel 4) . Mit Hilfe einer weiterführenden theoretischen Einordnung soll zunächst der Fokus des Begriffs KI insbesondere auf solche Facetten verengt werden, die im Rahmen des Verfahrens bzw . für den Bereich der Facharbeit der IT-Berufe eine Rolle spielen . Wie bereits weiter oben beschrieben, liegt diesem Artikel ein Begriffsverständnis von KI im Sinne von „schwacher“ KI zu Grunde (vgl . Kap . 1) . Eine Eingrenzung des Begriffsverständnisses lässt sich weiterhin vornehmen, wenn der Begriff eine Konkretisierung hinsichtlich potenzieller Handlungsfelder erfährt, die für die dualen ITBerufe von Relevanz sind . Es hilft, dafür zunächst einen Blick auf eine mögliche Zuordnung von KI-Technologien zu KI-Anwendungen zu richten, um daraus potenzielle Handlungsfelder für IT-Berufe abzuleiten . Beispielhaft soll hier auf KI-Anwendungen im produzierenden Gewerbe verwiesen werden, da das produzierende Gewerbe auch in den Diskussionen im Neuordnungsverfahren eine Rolle gespielt hat . Unter KI-Anwendungen in diesem Bereich sind für die Wertschöpfung relevante Anwendungsfälle von KI zu verstehen, die auf mindestens einer KI-Technologie beruhen . KI-Technologien sind als Methoden und Verfahren zu verstehen, die es technischen Systemen ermöglichen, ihre Umwelt wahrzunehmen, das Wahrgenommene zu verarbeiten, und

IT-Berufe im Wandel

selbstständig Probleme zu lösen, Entscheidungen zu treffen, zu handeln und aus den Konsequenzen dieser Entscheidungen und Handlungen zu lernen (Seifert et al . 2018, S . 14 .) In Abbildung 5 sind spaltenweise sieben KI-Anwendungen dargestellt, die im Bereich des produzierenden Gewerbes identifizierbar sind . Analog dazu finden sich in den Zeilen sieben KI-Technologien, welche die Grundlagen für die jeweiligen KI-Anwendungen darstellen .

Abb. 5 Zuordnung von KI-Technologien zu KI-Anwendungen. In Anlehnung an Seifert et al. 2018, S. 26.

Die dargestellte Matrix kann als Orientierungshilfe dienen, um nach verschiedenen Facetten von KI zu differenzieren und diese im Rahmen der hier aufgeworfenen Fragestellung (Rolle des Themas aus Ordnungsperspektive) einzuordnen . Der vorliegende Artikel wird exemplarisch für die Bereiche Predictive Analytics und Machine Learning einen Einblick geben, inwieweit dieses Anwendungsgebiet und damit auch Aspekte des Themas KI im Neuordnungsprozess Berücksichtigung fanden und sich im Ergebnis, d . h . auf der Ebenen von Inhalten und Kompetenzen manifestieren .2 Der Einsatz von Vergangenheitsdaten in Vorhersagen wird Predicitve Analytics genannt . Dabei handelt es sich um Verfahren, die immer häufiger zum Einsatz kom2 Selbstverständlich ergeben sich auch aus den verbleibenden KI-Anwendungen und deren damit verbundenen Technologien potentielle Handlungsfelder für die Berufsgruppe . Die Einschränkung auf die genannten Bereiche ist im Rahmen dieses Artikels an dieser Stelle lediglich analytischer Natur .

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men, was sich dadurch begründen lässt, dass in den Wertschöpfungsprozessen (z . B . technisch durch Sensoren und smarte Geräte oder auch durch Datenakkumulation in Kundeninteraktionen) mehr Daten als je zuvor gesammelt werden . Mit dem Begriff ist ein Anwendungsbereich umschrieben, durch den z . B . im Bereich der Wartung (Predictive Maintenance) oder für die Produktionsplanung Vorhersagemodelle erstellt werden können . Eine häufig zitierte Anwendung ist die Überwachung und Wartung von Produktionsanlagen, um mittels der Auswertung von Sensordaten auf kritische Zustände wie Überhitzung, Verschleiß etc . Rückschlüsse ziehen zu können und somit mögliche Ausfälle zu antizipieren . Produktionsmitarbeiter/-innen wissen im besten Fall genau, wann und warum eine Maschine ausfällt, bevor das überhaupt passiert und den Produktionsablauf stören könnte . Zugespitzt formuliert: früher kamen solche Prognosen von Fertigungsmittelplanern, (Produktions-)Manager/-innen und deren Intuition; heute können Vergangenheitsdaten und statistische Modelle (z . B . Regressionsanalysen) sowie in Echtzeit anfallende Sensordaten genutzt werden, um zukünftige Entwicklungen vorherzusagen . Beispielsweise können so feste Wartungsintervalle, die auf Berechnungen durchschnittlicher Verschleiß- und Toleranzgrenzen beruhen, durch maschinenindividuell optimierte und Kosten reduzierende Wartungs- und Stillstandzeiten ersetzt werden . Daten aus verschieden Quellen können mit moderner Analytik-Software einfach genutzt werden und sie können in Echtzeit erlangt, gelagert, analysiert und eingesetzt werden . Wie aus der Abbildung 5 ebenfalls hervorgeht, spielt das Thema „Machine Learning“ als KI-Technologie für fast alle identifizierten KI-Anwendung eine tragende Rolle und insbesondere der Bereich der Predictive Analytics basiert fast ausschließlich auf dieser KI-Technologie (vgl . ebd .) . Machine Learning (besser: dessen Teilgebiet Deep Learning) kann als eine Automatisierung von Predictive Analytics verstanden werden . Hier spielen insbesondere Methoden und Instrumente des Data Mining eine Rolle: mit Hilfe mathematischer und statistischer Verfahren (z . B . durch Algorithmen) werden verborgene Zusammenhänge und Muster aus großen Datenbeständen extrahiert und für eine weitere Verwendung zugänglich gemacht . Beispiele für klassische Data Mining Methoden sind Data-Clustering, Daten-Klassifizierung, Regressions- und Assoziations-Analysen . Mit diesen Verfahren einher gehen neue Aufgaben der Facharbeit im IT-Bereich, die durch neue Handlungsfelder vorgegeben werden, wofür auch neue Kompetenzen der Mitarbeiter/-innen vorauszusetzen sind . Das Anwenden mathematischer Analyseverfahren und der Umgang mit Methoden des maschinellen Lernens gehört zu den Kompetenzen, über die Fachinformatiker/innen in der neuen Fachrichtung Daten- und Prozessanalyse verfügen müssen (vgl . Kapitel 4) . Es zeigt sich an dieser Stelle deutlich, inwieweit sich durch Technologieentwicklung neue Handlungsfelder und somit neue berufsrelevante Arbeits- und Geschäftsprozesse für den/die Fachinformatiker/-in identifizieren lassen (Abbildung 2 | Frage b) .

IT-Berufe im Wandel

3.5

Auswirkungen auf typische Arbeitsplätze von IT-Fachkräften und neue Kooperationsformen

Für die Neuordnung war in diesem Zusammenhang eine weitere Frage (Abbildung 2 | Frage d) relevant: Wo befinden sich die typischen Arbeitsplätze? Diese Frage lässt sich konkretisieren, wenn sie im Zusammenhang mit dem Thema der Digitalisierung diskutiert wird . Die im vorherigen Punkt konstatierten Veränderungen, die sich durch technische und organisatorische Entwicklungen ergeben, haben zur Folge, dass sich die Verortung typischer Arbeitsplätze für die Gruppe der IT-Berufe verändert . An den Folgen der zunehmenden Implementierung von Industrie 4 .0 auf die Fachkräfte im produzierenden Gewerbe kann dies sehr gut abgelesen werden . In diesem Bereich wird eine deutliche Zunahme des Bedarfs an Fachkräften mit IT-Kompetenzen festgestellt . Spöttl und Windelband (2016, S . 6) fassen diese Kompetenzanforderungen durch eine Aufzählung domänenspezifischer Kompetenzen wie folgt zusammen: – „Produktionsnetzwerke und -systeme analysieren, optimieren und überwachen, – IT-gestützte Assistenz- und Diagnosesysteme anwenden und mitgestalten, – Daten aus der Produktion analysieren, interpretieren und dokumentieren, – Prozesszusammenhänge mit allen vor- und nachgelagerten Bereichen und deren Vernetzung verstehen und optimieren, – Anlageninbetriebnahme durchführen und Prozessoptimierung sicherstellen, – Störbehebungen durchführen und Anlagen in Stand halten“ Aus Sicht der Ordnungsarbeit haben in der jüngeren Vergangenheit zwei Verfahren diesen Entwicklungen und den sich daraus ergebenden neuen Kompetenzbedarfen für die Facharbeiterebene Rechnung getragen . Einerseits lässt sich hier die 2018er Teilnovellierung der industriellen Metall- und Elektroberufe (M+E Berufe) nennen, bei der die Aufnahme einer neuen, integrativen Berufsbildposition „Digitalisierung der Arbeit, Datenschutz und Informationssicherheit“ und zudem sogenannte kodifizierte Zusatzqualifikationen (z . B . bei den industriellen Elektroberufen und beim Mechatroniker: Digitale Vernetzung, Programmierung, IT-Sicherheit) eingeführt wurden (BIBB, 2018) . Zum anderen ist hier das Neuordnungsverfahren der IT-Berufe zu nennen . Bereits der oben zitierte Aufsatztitel „Industrie 4 .0 – Von der Software her denken“ von Spöttl und Windelband (2016) macht eine Entwicklung deutlich: die Herausforderungen, die mit der Implementierung von Industrie 4 .0 auf die Facharbeit im produzierenden Gewerbe einhergehen, sind insbesondere darin begründet, dass das „Zusammenwachsen von informationstechnischen Prozessen und Produktionsprozessen“ neue Anforderungen an die Facharbeit stellt, auf die die Fachkräfte vorzubereiten sind . Anders ausgedrückt, „dürften IT-Kompetenzen massiv an Bedeutung gewinnen und mit weiteren produktionstechnischen Kompetenzen verschmolzen werden“ (Hirsch-Kreinsen  &

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ten Hompel 2017, S . 374) . Das betrifft einerseits solche Berufe, die traditionell bereits in diesen Bereichen zu finden sind, aber davon sind auch andere Berufe betroffen . Diese Informatisierung von Produktionsprozessen überschneidet sich mehr und mehr mit den berufsfachlichen Anforderungen an die IT-Berufe, weshalb sie auch mehr und mehr auf der Shopfloor-Ebene der Produktion zum Einsatz kommen dürften . Ablesen lässt sich das an den oben angeführten Kompetenzanforderungen: während die letzten beiden Punkte in der Aufzählung weiter oben eher in Tätigkeitsfeldern der industriellen M&E-Berufe liegen, zeigt sich bei den ersten vier Punkten ein sehr starker Bezug zu Kompetenzfeldern der technischen IT-Berufe . Festzuhalten ist an dieser Stelle aber auch, dass es für IT-Berufe aus Sicht der an der Neuordnung beteiligten Sachverständigen eine deutlichere Zuschneidung auf die o . g . Entwicklungen bedurfte . Eine damit verbundene Erweiterung des Tätigkeitsprofils bedurfte allerdings Anpassungen bei der Neuordnung innerhalb der Berufsgruppe, wodurch u . a . zwei neue Fachrichtungen beim Ausbildungsberuf Fachinformatiker/-in entstanden sind . Betrachtet man die Tätigkeitsprofile der neuen Fachrichtungen „Daten- und Prozessanalyse“ bzw . „Digitale Vernetzung“ des Fachinformatikers, wird deutlich, dass diese den Großteil der o . g . domänenspezifischen Kompetenzen abdecken (vgl . dazu nächstes Kapitel) . Zur Beantwortung der Ausgangsfrage, wo sich die typischen Arbeitsplätze der IT-Berufe befinden, kann hier mit Blick auf das Beispiel des Fachinformatikers eine konkrete Antwort gegeben werden . Es findet eine deutliche Erweiterung statt, die sich – metaphorisch ausgedrückt – wie folgt manifestiert: der/die Fachinformatiker/ -in verlässt mit den neuen Fachrichtungen das Büro3, tauscht Turnschuhe gegen antistatische Sicherheitsschuhe, zieht sich einen Arbeitskittel an und gibt auf ShopfloorEbene den Facharbeiterkollegen/-innen die Hand, die bisher für die Betreuung der Fertigungslinien zuständig waren . Diese Erkenntnis ist vor allem in einem weiteren Zusammenhang interessant und gibt bereits eine mögliche Antwort auf die Frage aus dem oben zitierten Leitfragenkatalog und zwar auf die Frage (Abbildung 2 | Frage e), mit wem (zukünftig) gearbeitet wird? Einerseits kommt es durch die o . g . Verschiebung der typischen Arbeitsplätze zu neuen Berührungspunkten (und evtl . auch Verdrängungstendenzen4) zwischen Berufen auf mittlerer Qualifikationsebene . Anderseits kommt es durch das neue Organisationsmuster häufiger zu Kooperationen, bei dem sich das Arbeitskollektiv selbst organisiert sowie „hochflexibel und situationsbestimmt je nach zu lösenden Problemen

In den einschlägigen Portalen zur Profilbeschreibung des Berufsbilds waren bisher übereinstimmend solche oder ähnliche Beschreibungen zu den Arbeitsorten zu lesen, wie z . B . im Berufenet: „Fachinformatiker/ innen arbeiten in erster Linie in Büro- und Besprechungsräumen und beim Kunden“ . 4 Siehe hierzu beispielsweise die Ergebnisse des Berufsscreenings: Sie deuten darauf hin, dass durch eine Verlagerung von Tätigkeiten insbesondere die IT-Berufe profitieren und verdrängend wirken können (Zinke, 2019, S . 68) . 3

IT-Berufe im Wandel

im und am technologischen System“ arbeitet (Hirsch-Kreinsen & ten Hompel 2017) . In der Konsequenz finden somit vermehrt beispielsweise fachabteilungsübergreifende (z . B . IT und Produktion) wie auch qualifikationsübergreifende (z . B . zwischen Facharbeitern und Ingenieuren) Kooperationen statt .5 Eine wichtige Voraussetzung, die für solche „neuen“ Kooperationen gegeben sein muss, ist ein hohes Maß an sozialen Kompetenzen (Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit etc .) bei den handelnden Akteuren . Diese Kompetenzen haben bei der Novellierung der IT-Berufe eine stärkere Betonung in den Ordnungsmitteln erfahren . Fazit: IT-Berufe sind branchenübergreifende Berufe, die insbesondere durch den Einfluss der Digitalisierung einem Wandlungsdruck unterworfen sind, der es nötig macht, für neue Handlungsfelder – u . a . auch im Bereich von KI-Anwendungen – zu qualifizieren . Die Frage bleibt an dieser Stelle, inwieweit hierfür Mindestvoraussetzungen in den bestehenden Berufen, z . B . als Kernqualifikationen zu verankern sind oder ob ggf . neue Berufsstrukturen zu implementieren sind . Antworten auf diese Frage lassen sich am Ergebnis der Neuordnung, ablesen, das im nachfolgenden Kapitel dargestellt wird . 4

Die neu geordneten IT-Berufe

Die Neuordnung der IT-Berufe ist das Ergebnis eines längeren Aushandlungs- und Diskussionsprozesses der beteiligten Fachverbände und bildungspolitischen Akteure im Rahmen eines in Deutschland spezifischen Struktur- und Ordnungsrahmens der beruflichen Bildung . Um die Ergebnisse der Neuordnung, die weiter unten dargestellt werden, bewerten zu können, erscheint es uns notwendig, kurz auf die Rahmenbedingungen dieses Neuordnungsprozesses einzugehen . 4. 1

Der Prozess der Neuordnung der IT-Berufe

Die Neuordnung bestehender oder die Entwicklung neuer dualer Ausbildungsberufe erfolgt nach Maßgabe des BBiG, das hierfür einen Rahmen vorgibt und Mindeststandards festlegt . Neben der Bezeichnung des Ausbildungsberufes, der Ausbildungsdauer oder den Prüfungsanforderungen legen die Ausbildungsordnungen die Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten fest, „die mindestens Gegenstand der Berufsausbildung sind“ (BBiG § 5, Abs . 1) . Diese Mindestanforderungen sind Teil des bundeseinheitDiese Einschätzung lässt sich auch empirisch belegen . Siehe dazu die Voruntersuchung zur Neuordnung der IT-Berufe des BIBB aus dem Jahr 2016, bei der IT-Fachkräfte, Ausbildungsverantwortliche, Personalverantwortliche und Lehrkräfte (N=6160) u . a . zur Einschätzung der Wichtigkeit personaler und sozialer Kompetenzen für die IT-Berufe befragt wurden (Schwarz et al ., 2016, S . 33) .

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lichen Ausbildungsrahmenplans für die betriebliche Ausbildung, der die Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten sachlich und zeitlich gliedert, und im Rahmen von Neuordnungsverfahren einen wesentlichen Teil der Arbeit von Sachverständigen darstellt . Der schulische Rahmenlehrplan, der von einer Rahmenlehrplankommission der Länder organisiert wird, orientiert sich an dem Ordnungsmittel für die betriebliche Ausbildung und wird mit diesem während des Neuordnungsverfahrens abgestimmt . Die Erarbeitung der Verordnung inklusive des Ausbildungsrahmenplans erfolgt im Auftrag des zuständigen Ministeriums  – häufig das Wirtschaftsministerium  – unter Federführung des Bundesinstituts für Berufsbildung . Die nach BBiG geordnete duale Berufsbildung mit ihrer Erarbeitung und Abstimmung von Ausbildungsordnungen erfolgt ganz wesentlich im Konsens der beteiligten Akteure, den Vertretern der Sozialparteien (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen), dem Bund und den Ländern . Diese konsensorientierte Beteiligungsstruktur zwischen Staat und Wirtschaft füllt notwendig einen offenen „Verhandlungsspielraum“, den das BBiG durch das Setzen von Rahmenvorgaben und Mindeststandards eröffnet . Die konsensorientierte Beteiligung der gesellschaftlichen Akteure ist erwünscht und der offene Verhandlungsspielraum ermöglicht den unterschiedlichen Interessensverbänden, ihre „intermediären Funktionen“ zwischen Staat und Gesellschaft wahrzunehmen, so dass Gruppeninteressen organisiert und „inkorporiert“ werden können (vgl . Weber 1987) . Bezogen auf die Berufsbildung erfüllt diese Konsensorientierung darüber hinaus die Aufgabe, „die Arbeitsmarktnähe und Transparenz der Ausbildungsberufe und ihre breite Akzeptanz in der Wirtschaft“ zu gewährleisten (Deutscher Bundestag 2005, S . 2) . Neben der Organisation und Moderation der Arbeit von Sachverständigen zur Erarbeitung von Aus- und Fortbildungsregelungen gehört es zu den Aufgaben des BIBB, den Prozess der Konsensfindung u . a . durch die wissenschaftliche Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen zu unterstützen . Die Beauftragung des BIBB mit der Durchführung einer Evaluation der IT-Berufe im Jahre 2015 entsprang der Notwendigkeit, den Prozess der Entscheidungsfindung, der sich schon über einige Jahre hingezogen hatte, zu unterstützen . Ziel der im Jahr 2016 abgeschlossenen Untersuchung war es, den Novellierungsbedarf der IT-Berufe zu prüfen und Vorschläge für die zukünftige Gestaltung der IT-Berufe zu erarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Fortschreibung der Berufsprofile, die Struktur der Berufe sowie die künftige Gestaltung der Prüfung . Die Untersuchung bestätigte den Neuordnungsbedarf und machte eine Reihe von Vorschlägen zur Überarbeitung der IT-Berufe . Neben der dringenden Notwendigkeit, das Megathema IT-Security auf allen Ebenen stärker in allen IT-Berufen zu verankern, sollten bei einer Überarbeitung Themen wie Big Data, Cloud-Computing oder Mobile Computing stärker betont werden . Bezogen auf die Struktur der Berufe präferieren die Empfehlungen des Abschlussberichts eine Zusammenfassung der beiden kaufmännisch orientierten IT-Berufe, eine Trennung der beiden Fachrichtungen des Fachinformatikers in eigenständige Berufe sowie ein neues Differenzierungsmodell in

IT-Berufe im Wandel

Form von Wahlqualifikationen und Zusatzqualifikationen, das die Einsatzgebiete und Fachbereiche ersetzen sollte (vgl . Schwarz et al ., 2016, S . 110 f .) . Die Ergebnisse der BIBB-Untersuchung wurden im Rahmen von Workshops und anderen Veranstaltungen von den beteiligten Akteuren diskutiert und führten schließlich zu einem bildungspolitischen Kompromiss zwischen den anfänglich weit auseinanderliegenden Positionen . Grundlage der Arbeit der Sachverständigen im Neuordnungsprozess war die Vereinbarung, an vier getrennten Berufsprofilen und im Wesentlichen auch an der bisherigen Struktur festzuhalten, die einzelnen Profile und Inhalte der Berufe zu überarbeiten, dabei insbesondere die Themen IT-Security und Softskills zu stärken sowie die Einführung einer gestreckten Abschlussprüfung zu prüfen . Auch wenn bestimmte Empfehlungen, wie zum Beispiel eine größere Flexibilität der Ausbildungsordnungen durch die Einführung wähl- und kombinierbarer Wahlqualifikationen, nicht realisiert werden konnten, entwickelte das begonnene Neuordnungsverfahren nach anfänglichen Bedenken gegen eine zu umfassende Modernisierung eine Eigendynamik, die zu Beginn nicht vorhersehbar war . In einer Reihe von Diskussionsschleifen und Unterarbeitsgruppen erarbeiteten mehr als 40 Sachverständige aus der betrieblichen Praxis ein Ergebnis, das zwei Megatrends der digitalen Transformation folgte: Der entgrenzten Verfügbarkeit von Daten und der entgrenzten Vernetzung von cyber-physischen Systemen des Internet of Everything . Abbildung 6 zeigt das Bewährte und das Neue als Ergebnis des Neuordnungsprozesses .

Abb. 6 IT-Berufe – Das Bewährte und das Neue

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4.2

Kernpunkte der Neuordnung: Vernetzung, Big Data und Digitalisierung von Arbeits- und Geschäftsprozessen

Die „Digitalisierung“ ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Vernetzung bisher getrennter Anwendungsbereiche und die Entwicklung cyber-physischer Systeme, verbunden mit der Erzeugung, Übertragung und Speicherung immer größerer Datenmengen, deren Analyse und Nutzbarmachung durch Methoden des maschinellen Lernens wiederum die Digitalisierung durch neue Anwendungsszenarien und Produkte vorantreibt . Vernetzung, Big Data und Digitalisierung von Geschäftsprozessen sind auch die wesentlichen Treiber für die jetzt vorgenommenen Veränderungen in den neu geordneten IT-Berufen (vgl . Kapitel 3 .3) . Berufsübergreifend ist das Thema IT-Sicherheit (Datenschutz und Datensicherheit) umfassend implementiert worden . Die Explosion an digitalen, miteinander vernetzen Komponenten katapultiert die Anforderungen an die IT-Sicherheit auf eine neue Ebene und in ein kaum zu lösendes Dilemma: Fallende Stückpreise einer immer größeren Zahl vernetzter Komponenten potenziert den Aufwand und die Notwendigkeit regelmäßiger Sicherheitsupdates . Das Thema IT-Sicherheit wurde daher verstärkt in den Ausbildungsordnungen und den schulischen Rahmenlehrplänen verankert . Neben der Aufnahme in die berufsübergreifende Berufsbildposition „Umsetzen, Integrieren und Prüfen von Maßnahmen zur IT-Sicherheit und zum Datenschutz“ ist das Thema profilspezifisch unter technischen und rechtlichen Aspekten in den einzelnen Fachprofilen sowie in der Prüfung abgebildet . Ebenfalls berufsübergreifend erfolgte in den Ordnungsmitteln eine verstärkte Betonung sozialer Kompetenzen (Softskills), da die digital getriebene Integration bisher getrennter Fachdomänen, das Arbeiten in wechselnden Rollen und Projektzusammenhängen (vgl . Kapitel 3 .5) und die Nutzung digitaler Medien und Kommunikationstools neue Anforderungen insbesondere an Kommunikations- und Teamfähigkeit stellen . 4.3

Neujustierung der kaufmännischen IT-Berufe – Digitalisierungsmanagement

Durch eine Diskussion über die Neugestaltung des kaufmännisch orientierten IT-Berufs Informatikkaufmann/-frau, dessen erster Arbeitstitel zu Beginn der Beratungen „Datenkaufmann/-frau“ lautete, richtete sich der Fokus auf die Frage, wie die Themen „Daten getriebene Geschäftsmodelle“ und „Digitalisierung von Geschäftsprozessen“ im Rahmen der Neuordnung abgebildet werden könnten . Das bisherige Berufsbild der Informatikkaufleute war angesiedelt auf der Schnittstelle zwischen IT- und Fachabteilungen zur Unterstützung der Entwicklung, des Einsatzes und der Betreuung fachaufgabengerechter IT-Lösungen . Auch bei der Neuausrichtung dieses Berufsbildes mit dem neuen Titel Kaufleute für Digitalisierungsmanagement bleibt diese wichtige

IT-Berufe im Wandel

Integrationsfunktion zwischen IT und Fachaufgaben erhalten, erfährt aber durch die erweiterten Möglichkeiten der Digitalisierung einen neuen Stellenwert . Dieser neue Stellenwert resultiert im Wesentlichen aus der „neuen Rolle der IT“, die sich durch die „[…] Möglichkeiten der Vernetzung und dem sich offenbarenden Wert durch die Verarbeitung von Daten […]“ vom Kostenfaktor zum Wertschöpfungsfaktor wandelt (vgl . Bitkom 2016, S . 7) . Im Mittelpunkt des Berufsbildes stehen jetzt folgende Kompetenzen (vgl . BIBB 2020a, S . 8): – „digitale Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle; – verstärkter Fokus auf Kundennutzen und Wertschöpfung; – Mitwirkung bei der Wandlung analoger in digitale Prozesse; – Bewertung und Analyse bestehender kaufmännischer Systeme, Daten und Prozesse; – Konzeption und Mitwirkung an der digitalen Erweiterung bestehender ITSysteme; – betriebswirtschaftliche Bewertung digitaler Erweiterungsmöglichkeiten .“ Die Ausbildungsbetriebe können in folgenden Einsatzgebieten ausbilden: – Betriebliche Steuerung und Kontrolle, – Organisations- und Prozessentwicklung, – Produktentwicklung und Marketing sowie – Systemlösungen . 4.4

Fachinformatiker/-in neu: Daten- und Prozessanalyse sowie Digitale Vernetzung

Eine von Daten getriebene Digitalisierung (vgl . Kapitel 3 .3), die einerseits bestehende Geschäftsprozesse optimiert und andererseits im Rahmen von Product-Lifecycle-Management (PLM) mittels Aggregation und KI-gestützter Analyse von Maschinendaten, Produktdaten, Wartungsdaten, Nutzungs- und Kundendaten neue Geschäftsmodelle entwickelt, benötigt auf der technischen Seite IT-Fachkräfte, die in der Lage sind, „Daten zu identifizieren, zu klassifizieren, zu modellieren, unter Nutzung mathematischer Vorhersagemodelle und statistischer Verfahren zu analysieren und die Datenqualität sicherzustellen“ . Das sind Aufgaben von Fachinformatikern/Fachinformatikerinnen in der neuen Fachrichtung „Daten- und Prozessanalyse“, die dafür u . a . Methoden des maschinellen Lernens einsetzen, wie sie oben in Kapitel 3 dargestellt wurden . Siehe dazu insbesondere die Abschnitte im Ausbildungsrahmenplan – Analysieren von Datenquellen und Bereitstellen von Daten, – Nutzen der Daten zur Optimierung von Arbeits- und Geschäftsprozessen, – Optimierung digitaler Geschäftsmodelle

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sowie das Lernfeld 10c „Werkzeuge des maschinellen Lernens einsetzen“ (vgl . BIBB 2020b und 2020c) . Fachinformatiker/-innen der Daten- und Prozessanalyse „stellen die Verfügbarkeit sowie Qualität und Quantität von Daten sicher und entwickeln IT-Lösungen für digitale Produktions- und Geschäftsprozesse . Dafür sind sie in der Lage, unter Berücksichtigung der geltenden Gesetze, nutzbare Daten zu identifizieren, deren Plausibilität und Validität zu prüfen und sicherzustellen . Des Weiteren sind diese Daten so zusammenzufügen und auszuwerten, dass verwertbare und gut aufbereitete Unterlagen sowohl für Datenwissenschaftler (Data Scientists) als auch für Prozessverantwortliche verfügbar sind . Die Berücksichtigung von inhaltlichem und kausalem Kontext sowie das Verständnis über den jeweiligen Prozess sind für die Aussagekraft der Daten ein Schlüsselaspekt“ (BIBB 2020c, S . 8) . Die Ausbildung erfolgt in den betrieblichen Einsatzgebieten – Prozessoptimierung, – Prozessmodellierung, – Qualitätssicherung, – Medienanalyse sowie – Suchdienste . Die von immer mehr Sensoren in immer mehr Komponenten erfassten Daten müssen – zum Teil in Echtzeit – transportiert und verarbeitet werden . Über zunehmend standardisierte Schnittstellen und Protokolle werden immer mehr Geräte miteinander vernetzt (vgl . Heise online 2020) . Angesichts der zunehmenden Bedeutung cyberphysischer Systeme und einer IT-getriebenen Verschmelzung von Elektrotechnik und Informatik im Bereich der Automatisierungstechnik (vgl . Kapitel 3 .5) haben die Beratungen im Neuordnungsverfahren schließlich dazu geführt, entsprechende Inhalte in einer weiteren neuen Fachrichtung „Digitale Vernetzung“ aufzunehmen . Fachinformatiker/-innen der Fachrichtung Digitale Vernetzung arbeiten an den Schnittstellen zwischen Netzwerkkomponenten, cyber-physischen Systemen und dem Leitsystem . Sie bilden ein Bindeglied zwischen IT und Automation in Produktion und Fertigung . Ihre betrieblichen Einsatzgebiete sind – Produktionstechnische Systeme, – Prozesstechnische Systeme, – Autonome Assistenz- und Transportsysteme sowie – Logistiksysteme . Abbildung 7 fasst noch einmal die wesentlichen Profilausprägungen der neu geordneten IT-Berufe zusammen .

IT-Berufe im Wandel

Abb. 7 Profilschwerpunkte der IT-Berufe im Vergleich (eigene Darstellung)

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Fazit

Ob automatisierte Produktionssteuerungssysteme, Smart Home-Produkte oder (teil) autonome Transport- und Logistiksysteme, in immer mehr Bereichen gelangen Entwicklungen zur Anwendungsreife, die unter Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens und Formen künstlicher Intelligenz entwickelt wurden . In dem Maße, wie

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diese Anwendungen Marktreife erlangen, die Entwicklungslabore verlassen und durch ihre neuen Produkteigenschaften bestehende Anwendungen ersetzen oder neue Einsatzbereiche erschließen, werden auch – von der Entwicklung, über Produktion und Service  – neue Fachqualifikationen benötigt . Dadurch werden bestehende Berufe wegfallen und neue entstehen . Das geschieht immer schneller, aber nicht über Nacht . Duale Ausbildungsberufe sind so konstruiert, dass sie in einem Berufsfeld über ein breites Bündel an Qualifikationen verfügen, die für eine Vielzahl von Aufgaben sowie ein selbstgesteuertes lebenslanges Lernen befähigen . Die in den Ordnungsmitteln festgelegten Lernziele sind technikoffen formulierte Mindestanforderungen, die auf dem Fachkräftemarkt nachgefragt werden, die aber auch an betriebsspezifische Anforderungen und technologische Entwicklungen angepasst werden können . Die dargestellte Entwicklung der vier dualen IT-Berufe verdeutlicht, dass technologische Innovationen dann in den Canon der zu erlernenden Kompetenzen aufgenommen werden, wenn sie eine bestimmte Marktreife und „Prozessreife“ angenommen haben . Mit Prozessreife ist hier auch das spezifisch deutsche, konsensorientierte Verfahren zur Neuordnung von Ausbildungsberufen gemeint, das die beteiligten gesellschaftlichen und staatlichen Akteure an einen Tisch holt, um in einem – mal kürzeren, mal längeren – Dialogprozess eine möglichst große fachliche sowie wirtschafts- und bildungspolitische Akzeptanz zu erzielen . Die Neuordnung der IT-Berufe war mit einem langen Anlauf und vielen Diskussionen und Rückkoppelungsschleifen verbunden . Das Verfahren ähnelte ein wenig der Black Box von KI-Entscheidungssystemen . Das Ergebnis der Output-Seite war nur bedingt vorhersehbar, zeigt aber, dass menschliches Lernen möglich ist und maßgebliche Neuerungen, auch mit Bezug zum Thema KI aufgenommen werden konnten . Literatur

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Zur Person: Florian Winkler ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesinstitut für Berufsbil-

dung zuständig für die IT-Berufe . Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Analyse, Entwicklung und Evaluation der IT-Berufe und des IT-Weiterbildungssystems . Florian Winkler

Bundesinstitut für Berufsbildung, Arbeitsbereich 2 .4 „Elektro-, IT- und naturwissenschaftliche Berufe“, Robert-Schuman-Platz 3, 53175 Bonn, Deutschland, florian .winker@bibb .de Zur Person: Henrik Schwarz ist Leiter des Arbeitsbereichs 2 .4 „Elektro-, IT- und naturwissen-

schaftliche Berufe“ am Bundesinstitut für Berufsbildung . Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Berufsbildungsforschung sowie die Analyse, Entwicklung, Erarbeitung und Evaluation von Aus- und Fortbildungsordnungen . Henrik Schwarz

Bundesinstitut für Berufsbildung, Arbeitsbereich 2 .4 „Elektro-, IT- und naturwissenschaftliche Berufe“, Robert-Schuman-Platz 3, 53175 Bonn, Deutschland, schwarz@bibb .de

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung bianca Schmitt / henninG klaffke / torSten SieverS / kirSten tracht / maren peterSen

Changing competence requirements due to future technologies in industrial manufacturing Kurzfassung: In der industriellen Fertigung ist Wandel die einzige echte Konstante . Produktionsun-

ternehmen weltweit sind stets unter Druck, schnell Innovationen einzuführen, sich anzupassen und auf die ständig veränderten Anforderungen der Kunden zu reagieren . Künstliche Intelligenz wird zukünftig eine weitere Komponente in der digitalisierten Fertigung einnehmen . In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie Entwicklungen von Industrie 4 .0 und neue Technologien oder technologische Weiterentwicklungen für die Gestaltung von Bildungsprozessen mittels empirischer Datenerhebung erfasst sowie Aus- und Weiterbildungsbedarfe abgeleitet werden können . Als repräsentatives, technologisches Beispiel wird kollaborative Robotik in der Fertigung gewählt . Robotik besitzt bereits eine hohe Marktdurchdringung und wird in Zukunft durch Themen, wie autonome Systeme und künstliche Intelligenz stark beeinflusst . Schlagworte: Industrie 4 .0, Technologietransfer, Kobot, Arbeitsprozess, Aus- und Weiterbildung Abstract: Change is the only real constant in industrial production . Companies around the world

are under constant pressure to innovate quickly, adapt and respond to the ever changing demands of industry . Artificial intelligence will take on another component in digitized manufacturing in the future . This article shows how developments in Industry 4 .0 and new technologies or technological advancements for the design of educational processes can be recorded using empirical data collection . Also training needs can be derived as an approach to enhance TVET learning . As a representative example, collaborative robotics in manufacturing is chosen . Robotics has a high market

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impact and will be heavily affected in the future by topics such as autonomous systems and artificial intelligence . Keywords: Industry 4 .0, Technology transfer, Cobot, Work process, Vocational Education and Training

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Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz in der Fertigung

Mit dem Begriff „Industrie 4 .0“ wird das Szenario der vierten industriellen Revolution beschrieben, welches sich durch die Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung aller Akteure im industriellen Wertschöpfungsprozess auszeichnet und somit die Prozesse, Produkte sowie Geschäftsmodelle beeinflusst (Obermaier, 2016) . Zentrale Elemente in diesem Szenario sind die an den Kundenwünschen orientierten Produktlebenszyklen und die Optimierung der Wertschöpfungsprozesse durch Erfassung und Verarbeitung von Echtzeitdaten via cyber-physischer Systeme und die dazugehörigen Mensch-Maschine-Schnittstellen . (Plattform Industrie 4 .0, 2019; Obermaier, 2019) Laut Neuburger (2019) sind folgende vier Aspekte charakteristisch für Industrie 4 .0: – Modifizierte Arbeitswerkzeuge Hierunter fallen Werkzeuge, Anlagen und Hilfsmittel, die zunehmend mit oder durch digitale Systeme unterstützt oder durch digitalisierte Varianten ersetzt werden . Es ergeben sich drei Herausforderungen: Erstens sind die Prozesse entsprechend der modifizierten Arbeitswerkzeuge umzugestalten; zweitens benötigen Mitarbeiter*innen Kompetenzen im Umgang mit diesen Tools . Drittens ist eine Einstellungsanpassung der Mitarbeiter*innen Neuerungen und deren Potential gegenüber anzustreben und sie zu befähigen, wenn immer möglich neue Prozesse aktiv mitzugestalten . – Flexibilisierung von Ort und Zeit Die technologischen Entwicklungen ermöglichen bereits heute standortunabhängiges Monitoring sowie Steuerung von Anlagen bzw . Produktionsprozessen . Dies erfordert jedoch gänzlich neue und flexible Arbeitsformen und Organisationskonzepte . – Änderung der Arbeitsteilung Die Arbeitsteilung ändert sich im Zuge der Digitalisierung parallel auf drei Ebenen: 1 . Es findet eine stärkere Vernetzung zwischen Unternehmen insbesondere auch branchenübergreifend statt, um beispielsweise sogenannte hybride Produkte oder auch Smart Services (acatech, 2015; Noll et al ., 2016) herzustellen . Beispielhaft sind hier smarte Produktionsmaschinen zu nennen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ihre „Herstellungs- und Nutzungsgeschichte kennen“ (acatech, 2015) und basierend darauf eigenständig Prozesse initiieren können . (Neuburger, 2019)

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

2 . Doch auch die Arbeitsteilung innerhalb der Unternehmen verändert sich, indem klassische hierarchisch aufgebaute Unternehmensstrukturen vermehrt durch Arbeiten in interdisziplinären Teams ersetzt werden, da so komplexe Herausforderungen gemeinsam gelöst werden können . (Neuburger, 2019) 3 . Schließlich stellt auch die oben erwähnte Mensch-Maschine-Schnittstelle ein Indikator für die Änderung der Arbeitsteilung dar . Insbesondere kollaboratives Arbeiten wie beispielsweise mit kollaborativen Robotern (Kobots) (siehe Abbildung 1 u . 2) verändert die Arbeitsteilung . Die Herausforderung und gleichzeitig eine Chance liegt hierbei insbesondere in der effektiven Verbindung von Stärken und Schwächen sowohl von Mensch als auch Roboter zu einem effizienten Gesamtsystem . (Neuburger, 2019) In dem in Abbildung 2 dargestellten Einsatzszenario des Kobots wird ein Gestell aus Aluminiumprofilen montiert . Der Kobot hat hier die Aufgabe, das Gestell jeweils in der richtigen Orientierung und auf einer ergonomische Arbeitshöhe zu halten, sodass der Werker es verschrauben kann .

Abb. 1 Kobot (eigene Darstellung)



Abb. 2 Kobot mit Werkstück (eigene Darstellung)

Automatisierung Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit den Auswirkungen der zunehmenden Automatisierung in Verbindung mit Entstehung und Wegfall von Arbeitsplätzen beschäftigen . Zu nennen sind hier beispielhaft Frey und Osborne (2013), die prognostizieren, dass 47 % der US-Amerikaner*innen in Berufen arbeiten, die innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von über 70 % automatisiert werden könnten . Eine OECD-Studie dagegen ergab,

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dass in den untersuchten 21 OECD-Ländern 9 % der Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen (Arntz et al ., 2016) . Anzunehmen ist laut Neuburger (2019), dass durch zunehmend vernetzte und automatisierte Produktionsprozesse einfache ausführende Tätigkeiten wegfallen . Im Gegenzug steigt jedoch der Bedarf an Arbeitskräften für Steuerungs- und Überwachungstätigkeiten, welche schnelle Reaktionsfähigkeit und Problemlösekompetenzen erfordern . (Neuburger, 2019) 2

Künstliche Intelligenz in der Fertigung

Für die Industrieautomatisierung stellt Industrie 4 .0 den Beginn eines neuen Zeitalters dar . Gleichförmige, sich ständig wiederholende Arbeiten können durch selbstlernende, intelligente Maschinen in größerem Maße ausgeführt werden . Durch KI können riesigen Mengen komplexer Daten, die bei der Fertigung mittels vernetzter Maschinen erfasst werden, in wichtige, für Managerentscheidungen interpretierbare Informationen umgesetzt werden . Damit führt KI in diesem Bereich zu einem Wandel von personen- hin zu maschinengenutzten Daten . (Sundaram, Natarajan, 2018) Gerade bei der zukünftigen intelligenten Fertigung wird in dem Thema künstliche Intelligenz viel Potenzial gesehen, doch nur wenige Systeme kommen tatsächlich zum Einsatz . Dabei ließen sich Mithilfe der Kombination der KI-Technologie und dem industriellen Internet der Dinge (IIoF) unter Nutzung der in traditionellen Automatisierungssystemen eingebetteten Analytik Prozesse optimieren und Kosten sparen . Die Berechnung von zukünftigen Maschinenausfällen auf der Grundlage historischer Daten im Vergleich mit aktuellen Messwerten würde so z . B . dabei helfen, Maschinenausfälle zu vermeiden und die Qualität zu verbessern . Diese Möglichkeit, aus der eigenen Erfahrung zu lernen, wird in der Folge dazu führen, dass künftig keine spezifische Programmierung für Maschinen erforderlich sein wird und sich Programme und Produktionsabläufe kontinuierlich selbständig optimieren . Als Resultat können höhere Produktivität und Prozesseffizienz erreicht werden, außerdem können selbstlernende Maschinen flexibler eingesetzt werden und damit zu einer besseren Skalierbarkeit in der Produktion beitragen . (Sundaram, Natarajan, 2018) Auch die kollaborative Robotik spielt laut Sundaram und Natarajan (2018) im Kontext von KI in der Industrieautomatisierung eine entscheidende Rolle . Daher wird in diesem Beitrag die Integration der kollaborativen Robotik in der Fertigung und der daraus resultierende Aus- und Weiterbildungsbedarf näher betrachtet .

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

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Kollaborative Robotik

Die schon unter dem Charakteristikum Arbeitsteilung exemplarisch erwähnten Kobots sind Roboter, die dank integrierter Mechanismen zur Kraftmessung ohne zusätzliche Schutzeinrichtungen wie Schutzzäune verwendet werden dürfen . Menschen können sich mit diesen einen Arbeitsraum teilen und Prozesse teilweise automatisiert ablaufen . (Steil . J ., Maier, G ., 2020) Kobots zählen nicht per Definition zu intelligenten Systemen, sie können jedoch mit zusätzlichen Sensoren und Aktoren ausgestattet werden und somit in smarte, variable Produktionen integriert werden . Damit können die „intelligenten Kobots“ flexibel auf ungeplante Veränderungen im Prozess reagieren und beispielsweise Aufgabenabläufe anpassen (Bänziger, 2019) . Insbesondere in Bezug auf das Charakteristikum Automatisierung bieten Kobots nicht nur für die großindustrielle Produktion, sondern insbesondere auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in Deutschland Potenzial zur stärkeren Automatisierung (Müller et al ., 2019) . Bisherige Industrieroboter sind aufgrund der hohen Anschaffungskosten bei tendenziell geringen Losgrößen und einer hohen Anzahl an Produktvarianzen aus ökonomischer Sicht nicht rentabel . Dagegen sind kollaborative Roboter zu einem relativ günstigen Preis erhältlich und bieten somit die Möglichkeit, Arbeitsprozesse oder -schritte wie beispielsweise Montagearbeiten in größerem Maß wirtschaftlich zu automatisieren . (Wang, 2019) Somit stellen Kobots eine Technologie dar, an der beispielhaft drei der vier Industrie 4 .0-Charakteristika „modifizierte Arbeitswerkzeuge“, „Änderung der Arbeitsteilung“ und „Automatisierung“ verdeutlicht werden können . Deshalb wird an dieser Technologieentwicklung exemplarisch aufgezeigt, welche Herausforderungen für Industrieberufe durch den Einsatz von Kobots entstehen und inwieweit diese auf andere Technologien übertragen werden können . Weiter wird der Status Quo der Integration von Kobots in betriebliche Arbeitsprozesse sowie der Aus- und Weiterbildung dargestellt . Anhand dieser Ergebnisse werden Bedarfe der Ausbildungspartner hinsichtlich der Technologie Kobot identifiziert und Anforderungen an ein Lehr-Lernkonzept sowie eines Train-the-Trainer-Konzeptes für die Aus- und Weiterbildung abgeleitet . Im ersten Teil des Abschnitts wird hierzu ein empirischer Ansatz für die Erfassung der aktuellen Rolle von Kobots in Betrieben und Schulen aufgezeigt . Im zweiten Teil wird der Aufbau eines forschungsbegleitenden Vorgehensmodells für die übergeordnete strukturelle Weiterentwicklung entsprechend der Anforderungen an Unternehmen durch Industrie und Arbeit 4 .0 skizziert . Unter Arbeit 4 .0 wird hier die Entwicklung hin zu einer digitalisierten Arbeitswelt, jedoch nicht mit dem Fokus auf die Technologien, sondern auf Arbeitsformen und -verhältnisse verstanden (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2019) .

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Integration von kollaborativer Robotik als Zukunftstechnologie in Aus- und Weiterbildung

Wie die Aus- und Weiterbildung in Bezug auf kollaborative Robotik gestaltet werden kann, wird im Forschungsprojekt KoRA1 „Kompetenzentwicklung zur Gestaltung von Mensch-Roboter-Kollaboration unter Anwendung eines Mixed-Reality-basierten Lehr-Lernkonzeptes“ untersucht . Der Kobot wird in diesem Projekt exemplarisch im Kontext der Montagetechnik betrachtet, die zu entwickelnde Fach- und Methodenkompetenzen sind jedoch übertragbar auf weitere robotergestützte Prozesse . Der Fokus liegt auf der grundsätzlichen Gestaltung der kollaborativen Arbeit von Mensch und Roboter . Dafür wird im Rahmen von KoRA eine Lernsoftware auf Basis von Mixed Reality (MR) für die Ausund Weiterbildung im Bereich kollaborative Montage entwickelt und erprobt . In der Mixed Reality kann unter anderem die virtuelle Realität um weitere physische Objekte erweitert werden (Milgram und Kishino, 1994), wie beispielsweise Werkzeuge aus der realen Welt . Der Einsatz der Werkzeuge in der virtuellen Umgebung trägt dazu bei, die Arbeitswelt und Arbeitsprozesse realitätsnäher abzubilden . Übergeordnetes Ziel der KoRA-Lernsoftware ist die Erkennung des Potentials der Mensch-Roboter-Kollaboration und des bewussten, zielorientierten, gefahrlosen und optimierenden Einsatzes des Kobots im Montageprozess . Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sollen mittels komplexen Montage- und Planungsaufgaben in Form von Lern- und Arbeitsaufgaben die dafür notwendigen Kompetenzen gefördert werden . Die Verwendung eines Mixed-Reality-Ansatzes liegt darin begründet, dass insbesondere die Planung und Optimierung von (kobotgestützten) Prozessen sehr komplex sind und sie in der virtuellen Umgebung einfach simuliert, modifiziert und erfahrbar werden können (Pletz, Zinn, 2018) . So können beispielsweise ganze Montagestraßen in der virtuellen Welt „aufgebaut“ und die einzelnen Stationen mit notwendigen Materialien und beispielsweise Kobots ausgestattet werden und der Montageprozess anschließend virtuell durchgeführt werden . So können Fehler in der Planung erkannt und die Anlage modifiziert werden, was mit einer realen Anlage nur mit großem Aufwand zu bewältigen wäre . Doch auch die Visualisierung von Produktions- und Arbeitsabläufen kann mit VR simuliert und arbeitsweltnah visualisiert werden, was laut Thomas et al . (2018) insbesondere das Erlernen der Bedienung von neuen Anlagen für ältere Beschäftigte vereinfacht .

1 KoRA ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt (Förderkennzeichen: 01PV18009A) des Institut Technik und Bildung (ITB), des Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen (bime) und Salt and Pepper Software .

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Empirische Erhebung

Für die Gestaltung des Lehr-Lernkonzeptes im Projekt KoRA wird zunächst der Status Quo hinsichtlich des Einsatzes bzw . der Vorkenntnisse bezüglich Kobots und VR in Unternehmen und berufsbildenden Schulen erfasst, um entsprechende Bedarfe zu identifizieren . Untersucht werden in den Unternehmen die Einsatzszenarien in der Montage sowie die Arbeitsprozesse, in die die Kobots eingebettet sind und die Erfahrungen sowie die erworbenen Kompetenzen der Mitarbeiter*innen in Bezug auf die Inbetriebnahme und die Bedienung von Kobots . In den berufsbildenden Schulen wird dagegen die Rolle des Themenfelds Robotik allgemein sowie Kobots als Teilbereich in den als wichtig identifizierten Ausbildungsgängen erfasst und eine Einschätzung der Bedeutung der kollaborativen Robotik für die Betriebe der unterrichteten Schülerinnen und Schüler abgefragt . Außerdem wurden bisherige Erfahrungen der Teilnehmer*innen mit der Virtual-Reality-Technologie aufgenommen, um zum einen die Verfügbarkeit von Hardware in Schulen und Unternehmen zu erfassen . Zum anderen sollen hieraus positive wie auch negative Erfahrungen ermittelt werden, die für eine Gestaltung der Lernanwendung und insbesondere der dazugehörigen Schulung berücksichtigt werden sollen . Hierbei werden auch Anforderungen und Wünsche an eine virtuelle Lernanwendung, die sich mit kollaborative Robotik beschäftigt, gesammelt sowie, aus schulischer Sicht, wichtige Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Raumkapazitäten und -größen, die für eine VR-Anlage zur Verfügung stehen, erfasst . 6

Methodisches Vorgehen

Für die Untersuchung wird ein empirischer, explorativer Ansatz verwendet, in dem verschiedene Methoden miteinander verschränkt werden, um das bisher wenig erforschte Feld der virtuellen Lernwelten im Kontext von kollaborativer Robotik zu untersuchen . Im „Projektatlas Kompetenz Montage“ sind beispielsweise verschiedene didaktische Ansätze für die Aus- und Weiterbildung im Bereich Mensch-Roboter-Kollaboration zu finden, jedoch stützt sich keines der Konzepte auf VR (Hees et al . 2019) . Auch in der Datenbank des Projektes COPLAR, in dem bestehende didaktische Konzepte von Lernen mit AR und VR gesammelt werden, ist keine VR-Anwendung in Verbindung mit Kobots zu finden (Social Virtual Learning, 2020) . Die Daten wurden mittels leitfadengestützten Interviews erhoben, da dieses Vorgehen die notwendige Strukturierung der einzelnen definierten Themenbereiche des Projektes kollaborative Robotik, VR sowie Aus- und Weiterbildung bei gleichzeitiger notwendiger Offenheit innerhalb der einzelnen Bereiche gewährleistet (Helfferich, 2014) . Bei der Entwicklung des Erhebungsinstrumentes und der Kategorien wurden für die berufswissenschaftliche Betrachtung Elemente aus der Lernstationsanalyse (Institut Technik und Bildung et al ., 2018) genutzt und mit dem weiterentwickelten

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Technology-Acceptance-Modell (TAM2) von Venkatesh und Davis (2000) sowie dem Will-Skill-Tool-Modell nach Christensen und Knezek (2008) (siehe Abbildung  3) kombiniert . Die Lernstationsanalyse dient dazu, Arbeitsprozesse (inkl . Werkzeuge, Methoden, Organisation) und die Anforderungen an die Mitarbeiter zu identifizieren und das Potential des betrachteten Arbeitsprozesses für die Gestaltung von Lernprozessen in der Ausbildung zu erfassen und ggf . zu nutzen . Die theoretische Basis für die Analyse der Vorerfahrungen, die Anforderungen an das technische Konzept sowie die Gestaltung der Train-the-Trainer-Schulung stellt das TAM2 dar, welches unterschiedliche Einflussfaktoren auf die Akzeptanz und damit den Einsatz von Technologien abbildet . Dieses Modell hat sich in Akzeptanzuntersuchungen im Bildungsbereich bereits bewährt und berücksichtigt im Gegensatz zu anderen Modellen das im beruflichen Kontext bedeutende Kriterium „Job Relevanz“ (Wagner, 2016) . Das TAM2 wird in dieser Untersuchung sowohl in Bezug auf die Roboter- als auch die VR-Technologie genutzt . Ergänzt wird der theoretische Ansatz im Kontext dieser Untersuchung mit dem Will-Skill-Tool-Modell, um zusätzlich die Perspektive der Lehrkräfte und Ausbilder*innen und den Einsatz von „Information and Communication Technology“ (ICT) AUSBILDUNG, SCHULE, FÜHRUNGSEBENE SHOPFLOOR

Robotik / Kobot Motivation für den Einsatz / Einsatzgebiet in den Betrieben eingesetzte Berufsgruppen Rolle in der betrieblichen Ausbildung / im Unterricht

Lernstationsanalyse (Institut Technik und Bildung, 2018)

Geschäfts- und Arbeitsprozess Arbeitsplatz Gegenstände / Methoden der Facharbeit Werkzeuge / Arbeitsmittel der Facharbeit Organisation der Facharbeit Anforderungen an die Facharbeit

Virtual Reality

Schnittstellen Erfahrung mit der Ausbildung

Vorerfahrungen Erwartungen an die KoRA-Lernsoftware Verfügbarkeit von Equipment

Zielgruppenanalyse Hauptkategorien

Technology Acceptance Model (TAM2) (Venkatesh und Davis, 2000)

Kosten Subjektive Norm

Fort- und Weiterbildung

Image Job-Relevanz Output Qualität

Organisation von Fort- und Weiterbildung im Unternehmen

Nachweisbarkeit der Ergebnisse

Erfahrungen

freiwillige Nutzung

Gestaltungswünsche für Train-the-Trainer-Konzept

Erfahrung wahrgenommene Leichtigkeit der Nutzung wahrgenommene Nützlichkeit Absicht zur Nutzung

Ausbildung / Unterricht zu betreuende Ausbildungsberufe / Bildungsgänge Organisation / Aufbau Ausstattung Räumlichkeiten

Nutzungsverhalten

Will-Skill-Tool-Modell (Christensen und Knezek, 2008)

will: positive Einstellung ggü. ICT skill: Fähigkeit ICT zu nuzten tool: Zugang zu ICT-Geräten

Abb. 3 Hauptkategorien im Kontext der in KoRA verwendeten theoretischen Ansätze (eigene Darstellung)

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im Unterricht bzw . der Ausbildung spezifisch zu betrachten . In diesem Beitrag werden jedoch die Ergebnisse im Kontext des TAM2 nicht ausgeführt, da in diesem Beitrag die Veränderung der Arbeitswelt im Vordergrund steht . Auf dieser theoretischen Basis wurde der Leitfragenkatalog abgeleitet, wobei sich dieser in die vier Hauptkategorien Kobot, Virtual Reality, Fort- und Weiterbildung und Ausbildung/Unterricht unterteilt . Die Grundstruktur des Leitfadens wurde anschließend an den betrieblichen bzw . schulischen Kontext angepasst, um die individuellen Eigenschaften der beiden Lernorte zu berücksichtigen . Zudem erfolgte eine minimale Modifikation des betrieblich eingesetzten Leitfadens nach Ausbildung, Führungs- und Shopfloorebene, um hier auch die unterschiedlichen Funktionen, Aufgaben und Bedarfe zu berücksichtigen . Die Interviews wurden mit Beschäftigten und Ausbilder*innen aus Betrieben und überbetrieblichen Ausbildungsstätten (n=17), die bereits Kobots einsetzen, geführt (siehe Tabelle 1) . Daneben wurden zudem Lehrkräfte berufsbildender Schulen (n=23), die in Ausbildungsberufen der Zielgruppen unterrichten, befragt . Es wurden gezielt auch die direkten schulischen Ausbildungspartner der an der Befragung teilnehmenden drei Betriebe in die Untersuchung aufgenommen, um so umfassend die Ausbildungssituation der aktuellen Ausbildungskohorten sowohl von schulischer als auch betrieblicher Seite zu berücksichtigen . Bei der Auswahl der betrieblichen Interviewpartner wurde zudem darauf geachtet, dass sowohl die Situation der klein- und mittelständischen (1) als auch großindustriellen Betriebe (2) aufgenommen wird . Tabelle 1 Stichprobenzusammensetzung in Bezug auf Rolle/Funktion und Betriebs-/ Schulzugehörigkeit

Beschäftigte (n=17)

schulische Lehrkräfte (n=23)

Rolle/Funktion

Betriebs-/Schulzugehörigkeit (in Jahren)

Führungs-/Entwicklungsebene (n=9)

0,5–20

Shopfloorebene (n=4)

2–40

Ausbildung (n=4)

2–7

Lehrkraft

0,75–30

Die Interviews wurden mit einem Digitalrecorder aufgezeichnet und in der Reihenfolge der Durchführung transkribiert und durchnummeriert . Bei der Benennung der Interviews wurde jeweils vor der Nummerierung ein „B“ für Beschäftigte*r, „L“ für Lehrkraft und „Ü“ für überbetriebliche Ausbilder*in eingefügt . Die transkribierten Interviewdaten wurden softwaregestützt (MAXQDA) mittels qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) kategorienbasiert entlang der oben genannten Hauptkategorien ausgewertet . Diese Methode eignet sich in diesem Forschungsansatz, da sie im Gegensatz

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zu beispielsweise Mayring ein exploratives Vorgehen zulässt (Kuckartz, 2016), was wie oben bereits beschrieben für die Teilbereiche VR und Kobots notwendig ist . Zudem wird bei der qualitativen Analyse nach Kuckartz (2016) die individuelle und fallbezogene Betrachtung nicht bereits zu Beginn der Analyse außer Acht gelassen . Die Fallbezogenheit ist an dieser Stelle notwendig, um die individuellen organisatorischen Rahmenbedingungen der Schulen sowie der Betriebe oder Berufsbiografien berücksichtigen zu können wie zum Beispiel Erfahrung und Qualifikationen der Befragten, da diese zusätzliche Informationen für die Einordnung und Interpretation der Ergebnisse liefern können . Diese Ergebnisse sind notwendig für die zielgruppenspezifische Erfassung des Status Quo und der Ableitung eines adäquaten Lehr-Lern- sowie Train-the-TrainerKonzeptes . Zudem lässt Kuckartz‘ methodischer Ansatz die induktive Kategorienbildung zu, die hier aufgrund des explorativen Vorgehens notwendig ist . (Kuckartz, 2016) Der Leitfaden bildet gleichzeitig das Gerüst für die deduktive Kategorienbildung . Das deduktiv abgeleitete Kategoriensystem wurde während der Materialauswertung stärker ausdifferenziert hinsichtlich der Perspektive Schule und Betrieb, womit die Zahl der Subkategorien 1 . Ebene auf zehn gestiegen ist (siehe Tabelle 3) . Dies erleichtert die spezifische Betrachtung der jeweiligen Rahmenbedingungen und Bedarfe der einzelnen Lernorte . Des Weiteren wurde das Kategoriensystem um zwei induktiv gebildete Unterkategorien erweitert, und zwar die Aufgabenprofile Zertifizierung und Entwicklung . Beschäftigte mit diesen Aufgabenprofilen wurden kurzfristig in die Befragung aufgenommen, da sich im Rahmen der Interviews herausgestellt hat, dass dieser Bereich in dem Technologiefeld nicht vernachlässigt werden darf . Grundsätzlich zeigt sich damit, dass die identifizierten Teilbereiche bereits im Interviewleitfaden umfassend abgebildet waren und insbesondere der Status Quo in Bezug auf die Technologien Kobots und VR zielgerichtet mit dieser Untersuchung dargestellt werden kann . Nachfolgend ist beispielhaft die Kategoriendefinition (Tabelle 2) abgebildet . Tabelle 2 Darstellung der Kategoriendefinition am Beispiel der Kategorie „Kobot“ und Subkategorie „Motivation für Koboteinsatz“ Name der Kategorie

Kobot

Subkategorie 1. Ebene

Kobot im Arbeitsprozess

Subkategorie 2. Ebene

Motivation für Koboteinsatz

Inhaltliche Beschreibung

Alle Textabschnitte, die Aufschluss über die Ziele und Motive zum Einsatz von Kobots beinhalten

Anwendung der Kategorie

Bei Angabe von prozess- oder produktbedingten Gründen, die für den Einsatz von Kobots sprechen.

Beispiele für Anwendungen

Zur Unterstützung bei körperlich schwerer Tätigkeit

Abgrenzung zu anderen Kategorien

Die Kategorie wird nicht codiert, wenn … – der Einsatzbereich/Prozess detailliert beschrieben wird

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Ergebnisse

Nachfolgend wird die Auswertung der Erhebung im Kontext der Industrie-4 .0-Charakteristika entlang der dafür relevanten Hauptkategorien Robotik/Kobot, Virtual Reality und Fort-/ Weiterbildung dargestellt: 1)

Robotik/Kobot

Aus betrieblicher Perspektive wird stark betont, dass Kobots eine zentrale Technologie für die Produktion der Zukunft darstellen und bereits in den nächsten Jahren breitflächig eingesetzt werden (InterviewB_08, Z . 50–53) . Bisher finden sich in den befragten Betrieben nur prototypische Anwendungsfälle, aber die Kobots sind aufgrund der niedrigen Anschaffungskosten, der geringen erforderlichen Aufstellungsfläche und im Vergleich zu Industrierobotern einfachen Bedienung sehr attraktiv und sollen deshalb schon zeitnah vielfältige Aufgaben bzw . Tätigkeiten übernehmen, die nicht wertschöpfend oder für die Beschäftigten körperlich zu anstrengend sind (InterviewB_02, Z . 164–178; InterviewB_08, Z . 56–62, 84–86, 185–189; InterviewB_20, Z . 42–44) . Als „nicht wertschöpfende Tätigkeiten“ bezeichnet man die Tätigkeiten, die nicht direkt den Anforderungen des Kunden an das Produkt zugeordnet werden können, sondern beispielsweise nur einem produktionsinternen logistischen Zweck dienen (Bergmann und Lacker, 2009) . Dafür werden in einem der befragten Unternehmen bereits zahlreiche Projekte für unterschiedliche Einsatzszenarien entwickelt und erprobt (InterviewB_08, Z . 67–74) . Dort besteht demzufolge ein hoher Weiterbildungsbedarf, um diese Projekte im laufenden Betrieb zu implementieren und dauerhaft zu betreiben . Des Weiteren ergibt die Auswertung jedoch, dass die Kobots bisher nicht kollaborativ im eigentlichen Sinne, das heißt mit gemeinsamem Arbeitsbereich von Mensch und Kobot und parallelem Arbeiten am selben Werkstück, eingesetzt werden . In den aktuell umgesetzten Einsatzszenarien wurden immer noch getrennte Arbeitsbereiche realisiert (InterviewB_08, Z . 8–15) . Ursache dafür ist unter anderem, dass die für den Betrieb von Maschinen in der Produktion notwendige CE-Zertifizierung für kobotgestützte Prozesse sehr zeit- und kostenaufwändig ist, da den Verantwortlichen die Erfahrung mit dieser Technologie fehlt (InterviewB_09, Z . 37–38, 75–78) . Zudem wird von einem*r Befragten, der im Bereich der CE-Zertifizierung tätig ist, angeregt, dass in Bezug auf die Kobot-Technologie auch die Sicht auf die Mensch-Maschine-Schnittstelle und deren sicherheitstechnische Bewertung überdacht werden muss, da hier wesentlich sensiblere und zurückhaltendere Entscheidungen getroffen werden als bei anderen Maschinen oder auch risikobehafteten Alltagssituationen (InterviewB_10, Z .  62–82) . Der*die Interviewteilnehmer*in führt weiter aus, dass häufig argumentiert wird, dass bei den Gabelstaplern  – im Vergleich zu den Kobots  – ein Mensch die Kontrolle hat (InterviewB_10, Z . 51–54) . Daraus schließt der*die Interviewte, dass

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der Kobot bei der Bewertung des Restrisikos2 mit einer größeren Sensibilität betrachtet wird, weil das Restrisiko der Maschine und nicht dem Menschen zugeordnet wird (InterviewB_10, Z .  77–78) . Laut des*der Befragten fehlt es hier an einer für diesen Maschinentyp spezifisch angepassten Definition von vertretbarem Restrisiko (InterviewB_10, Z . 95–96) . Im exemplarischen Fall des Gabelstaplers wird der Aspekt Sicherheitsgefährdung durch vorgeschriebene Qualifikation und Sicherheitseinweisungen „ausgeglichen“ . Hier stellt sich die Frage, inwieweit ein entsprechender Ausgleich auch im Kontext von Kobots erfolgen kann und ob die Sicherheitsbewertung und dazugehörige Konzepte unter der Voraussetzung, dass Beschäftigte kobotspezifische Kompetenzen erworben haben, entsprechend modifiziert werden können . An diesen Ergebnissen wird deutlich, welche Veränderungen in der zukünftigen Arbeitswelt und Bedarfe in Bezug auf die Industrie-4 .0-Charakteristika bereits jetzt exemplarisch an der Technologie der Kobots aufgezeigt werden können: – Modifizierte Arbeitswerkzeuge: Umgang mit dem Kobot und dessen Potential (vgl . Neuburger (2019) im Absatz „Industrie 4 .0 und künstliche Intelligenz in der Fertigung“) – Änderung der Arbeitsteilung: Mensch-Roboter-Kollaboration (vgl . Neuburger (2019) im Absatz „Industrie 4 .0 und künstliche Intelligenz in der Fertigung“) – Automatisierung: Teilautomatisierung mit Hilfe von Kobots, Wegfall von körperlich anstrengenden und sich häufig wiederholenden Tätigkeiten (vgl . Neuburger (2019) im Absatz „Industrie 4 .0 und künstliche Intelligenz in der Fertigung“) In Bezug auf die Lernstationsanalyse lässt sich ableiten, dass die fehlende Integration in den regulären Betrieb die Identifikation von zielgruppenspezifischen Arbeitsprozessen sowie der Organisation, der Methoden und der Werkzeuge der (Fach-)Arbeit erschwert und weiterer Erhebungen bedarf . Doch die hohe Relevanz dieser Technologie für die berufliche Arbeitswelt ist wie oben beschrieben aus betrieblicher Sicht unumstritten . Die Betriebe benötigen für die Implementation jedoch Unterstützung, insbesondere in Bezug auf die Kompetenzentwicklung der Beschäftigten und einer Klärung des Umgangs mit Sicherheitsbewertungen für diese Technologien . Im schulischen und betrieblichen Ausbildungskontext spielen Kobots bisher kaum eine Rolle wohingegen Robotik im Allgemeinen zumindest teilweise theoretisch berücksichtigt wird (z . B . InterviewL_24, Z . 263–264; InterviewL_27, Z . 140–143) . Eine

2 Der Begriff „Restrisiko“ ist hier im Kontext von Gefährdungsbeurteilungen von Maschinen im Arbeitsumfeld zu sehen (DIN EN ISO 12100) . Mit dieser Beurteilung wird festgelegt, welche Schutzmaßnahmen z . B . für den Betrieb einer Anlage getroffen werden müssen und welche möglichen Gefahrensituationen man als akzeptables Restrisiko bewertet, die keine weiteren Sicherheitsmaßnahmen bedürfen (Berufsgenossenschaft RCI, 2019) .

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Ausnahme stellen einzelne Lehrgänge in der überbetrieblichen Ausbildung und der Fortbildung zum staatlich geprüften Techniker dar (z . B . Interview_06, Z . 118–119) . Als Gründe für die ausbleibende Integration dieser Themenbereiche in die Ausbildung wird – im Gegensatz zu den Betrieben – eine fehlende Relevanz für die Arbeitswelt aber insbesondere für das Prüfungswesen in der dualen Ausbildung genannt (z . B . InterviewL_24, Z . 265–266) . Daneben berichten die Befragten von nicht vorhandener, veralteter und zahlenmäßig unzureichender Ausstattung mit Robotern oder Kobots (InterviewL_26, Z . 108–110; InterviewL_33, Z . 129–130, 154) . Diese Aussagen werden noch verstärkt durch die Tatsache, dass die Lehrkräfte teilweise von Berührungsängsten mit der Technologie aufgrund von fehlenden Erfahrungen und Kompetenzen berichten oder aber Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Verwendung der Roboter durch Schüler*innen haben (InterviewL_34, Z .  229–231) . Ein*e Teilnehmer*in gibt an, an der Beschaffung von Kobots interessiert zu sein, jedoch fehle ein entsprechendes Angebot der Lehrmittelhersteller (InterviewL_35, Z . 74–84) . In Summe kann man hier von einer tendenziell eher geringeren Akzeptanz im Sinne der ausbildungsrelevanten Geschäfts- und Arbeitsprozesse bzw . relevanten Gegenstände und Methoden der Facharbeit aus Sicht der Lehrkräfte sprechen und damit sinkt potentiell auch deren Bereitschaft, Kobots als Lerngegenstand in die Ausbildung zu integrieren und die eigenen Kompetenzen im Hinblick auf diese Technologie zu erweitern . Diese Ausgangshaltung muss im Sinne des Will-Skill-Tool-Modells im Train-the-Trainer-Konzept besondere Berücksichtigung finden . All diese Aspekte zeigen exemplarisch an Kobots, welche Herausforderungen in Bezug auf technologische Neuerung und deren Integration in Aus- und Weiterbildung bestehen . Mit Lehr-Lern- sowie Train-the-Trainer-Konzepten können den schulischen Lehrkräften und dem betrieblichen Ausbildungspersonal auf Basis dieser Erhebung exemplarisch die Gestaltung von Lernsituationen unter Berücksichtigung neuer Technologien der Industrie-4 .0-Charakteristika (vgl . Abschnitt Industrie 4 .0 und künstliche Intelligenz in der Fertigung) zur Verfügung gestellt werden . 2)

Virtual Reality

Virtual Reality ist technologisch gesehen ein Teil der Digitalisierung (Hörmann, Rückert, 2020) und wird auch bereits in betrieblichen Kontexten wie zum Beispiel der Konstruktion eingesetzt . Für die konkrete Gestaltung der KoRA-Lernanwendung werden von den Befragten diverse inhaltliche Schwerpunkte aus dem Bereich Kobot genannt, wie die Darstellung von Koordinatensystemen und Ebenen im Raum, da diese Aspekte für die Lernenden in der zweidimensionalen Darstellung nur schwer zu erfassen sind (InterviewL_05, Z . 283–288) . In der VR könnten diese eingeblendet und im Raum betrachtet werden . Analog sind für die Teilnehmer*innen Visualisierungen von Bahnbewegungen/-beschleunigungen (InterviewB_01, Z . 266–268) und Ab-

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lagepositionen (InterviewB_12, Z . 208), denkbar . Zudem werden die Themengebiete CE-Zertifizierung (InterviewB_10, Z .  246–249), Sicherheitstechnik (InterviewB_11, Z . 285–287), vor- und nachgelagerte Prozessintegration (InterviewB_01, Z . 219–221), Mensch-Maschine-Kommunikation (InterviewL_35, Z .  120–125) sowie Möglichkeiten und Grenzen von kollaborativen Arbeiten mit Robotern (InterviewB_08, Z . 492– 496) gewünscht . Genannt wird auch der Aspekt der Verantwortung des Menschen für die Bewertung der Ergebnisse (InterviewB_02, Z . 140–142) . Bis auf die ersten beiden Nennungen sind alle genannten Inhalte wichtige Aspekte aller Industrie-4 .0-Entwicklungen und können exemplarisch an der kollaborativen Robotik aufgezeigt werden . Insbesondere die Einblendung von Informationen, die in der realen Arbeitswelt oder der realen Maschine nicht möglich ist  – wie die Bahnbewegung und Koordinatensysteme, die beispielsweise bei der Programmierung des Roboters und der Optimierung von Prozessen visuelle Unterstützung liefern – wird in der Konzeption der KoRA-Anwendung beachtet . Insgesamt geben die Befragten eher eine geringe Erfahrung im Umgang mit der VR-Technologie an und dementsprechend muss dieser Aspekt im Sinne des Will-Skill-Tool-Modells im Train-the-Trainer-Konzept Berücksichtigung finden . Hierbei geht es insbesondere darum, die Lehrkräfte und Ausbilder*innen im Umgang mit Hard- sowie Software zu schulen und damit zu befähigen, diese im eigenen Unterricht bzw . der eigenen Ausbildung einzusetzen . 3)

Fort-/Weiterbildung

Die befragten Beschäftigten aus den Betrieben haben teilweise bereits an Schulungen zum Einsatz von Kobots teilgenommen (z . B . InterviewB_02, Z . 52, InterviewB_22, Z .  71–74) . Der Nutzen und die erworbenen Kompetenzen wurden jedoch sehr unterschiedlich bewertet . Die besuchten Angebote wurden teilweise als nicht zielgruppenspezifisch (z . B . InterviewB_03, Z . 53–66) oder in Bezug auf die fachliche Qualität als unzureichend beschrieben (InterviewB_03, Z .  69–74) . Außerdem wird auch mehrfach die eigenständige Einarbeitung sowie Einweisung durch Kolleginnen und Kollegen genannt (InterviewB_17, Z . 38–41) . Auf schulischer Ebene sind, wie oben bereits beschrieben, kaum kobotspezifische Kenntnisse vorhanden, da bisher nur sehr wenige der befragten Lehrkräfte eine Schulung besucht haben . Das ist vermutlich mit den oben bereits skizzierten, fehlenden materiellen sowie zeitlichen Ressourcen und der teilweise als gering eingeschätzten Prüfungsrelevanz zu erklären . Damit wird nicht nur der bereits oben beschriebene Aus- und Weiterbildungsbedarf aus betrieblicher Perspektive noch weiter bestätigt, sondern auch ein Kompetenzentwicklungsbedarf bei Lehrkräften und Ausbildungspersonal in Bezug auf Industrie-4 .0-Entwicklungen offengelegt .

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Schlussfolgerung

Mit dem hier beschriebenen Ansatz wird am Beispiel Kobots gezeigt, wie eine neue Technologie mit komplexen Kompetenzanforderungen für die Aus- und Weiterbildung erschlossen werden kann . Mit der skizzierten Methode können notwendige Inhalte, kritische Aspekte und Rahmenbedingungen identifiziert werden, sodass eine Basis für eine zielgerichtete Entwicklung einer Aus- und Weiterbildung entsteht . Die Ergebnisse der hier vorgestellten Erhebung werden im weiteren Projektverlauf sowohl in der Gestaltung des KoRA-Lehr-Lernkonzeptes, der dazugehörigen MR-Anwendung sowie des Train-the-Trainer-Konzepts Berücksichtigung finden, um einen zielgruppenadäquaten Zugang zum Thema kollaborative Robotik sowohl für die Beschäftigten als auch für die Lehrkräfte zu schaffen . Die ersten Ergebnisse zeigen auf, welche Bedarfe sich aus Unternehmens- aber auch Bildungssicht ergeben, wenn mit Kobots produktiv und effizient gearbeitet werden soll . Es schließt sich aber die Frage an, wie Unternehmen und auch Bildungseinrichtungen mit dieser Feststellung umgehen . KMU sowie Bildungseinrichtungen müssen bei dem digitalen Strukturwandel zielgerichtet unterstützt werden, damit auch neue und zukünftige Technologien wie Kobots und KI-basierte Systeme gewinnbringend eingesetzt werden können . Bei den Empfehlungen von Sundaram und Natarajan (2018) für den Einstieg in die KI-basierte Industrieautomatisierung werden Unternehmen sowie Bildungseinrichtungen aber häufig allein gelassen und es werden nur sehr allgemeine Hinweise gegeben . Fertigungsunternehmen sollten z . B . schnell agieren und mit kleinen Pilotprojekten starten . In dem zuvor genannten Whitepaper von Frost  & Sullivan werden fünf große Anwendergruppen genannt in Bezug auf Implementierung von neuen Technologien in der Fertigung: „Innovatoren, frühe Anwender, frühe Mehrheit, späte Mehrheit und Nachzügler“ (Sundaram, K ., Natarajan, N ., 2018) . Es wird suggeriert, dass man, um Innovator zu sein, spezifische Voraussetzungen besitzen muss, „[…]um explorieren, implementieren und skalieren zu können […]“ (Sundaram, K ., Natarajan, N ., 2018) . KMU und Industrieunternehmen benötigen hier aber gezielte Unterstützung . Im Rahmen des Projektes DigiNet .AIR3 wurde daher beispielsweise ein Vorgehensmodell entwickelt, mit dem interdisziplinäre Teams in die Lage versetzt werden, den Bedarf des individuellen Unternehmens zu analysieren und darauf aufbauend spezifische sowie transferfähige Bildungsmodule zu entwickeln . Das Ziel ist es, Zulieferunternehmen auf dem Weg der digitalen Transformation zu begleiten, indem mit neuen Formaten und Inhalten ein nachhaltiger Wissens- und Technologietransfer zwischen Bildung und Wirtschaft aufgebaut wird (Klaffke, Päplow 2020) . Mit diesem DigiNet .Air ist ein Verbundprojekt, dass aus dem Hamburg Centre of Aviation Training – Lab (HCAT+ e . V .), der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg), den Verbänden HanseAerospace und HECAS, dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB), dem Nordbildung Bildungsverbund für die Metall- und Elektroindustrie sowie die Technische Universität Hamburg (TUHH) besteht . 3

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Vorgehensmodell werden vor allem KMU im Digitalisierungsprozess durch Ermittlung der individuellen arbeitsorganisatorischen Bedarfe, der Arbeitsprozesse und dafür notwendige Kompetenzen unterstützt . Diese Kompetenzen werden mit entsprechend nachhaltig gestalteten Lernangeboten adressiert . In einem solchen Vorgehen ist es möglich, mit KMU und Industriebetrieben zusammen gezielt und prototypisch eine strukturelle Entwicklung zu gestalten . 9

Ausblick

Die vierte industrielle Revolution wird neben cyberphysischen Systemen, kollaborativen Robotern und durch künstliche Intelligenz gestützte Prozesse noch weitere technologische Innovationen hervorbringen, die wiederum neue komplexe Anforderungen an die Beschäftigten stellen, Veränderungen von Berufen herbeiführen oder sogar gänzlich neue Berufsbilder erfordern werden . Um die Bedarfe von Unternehmen oder einzelnen Beschäftigtengruppen zu identifizieren und aufbauend darauf neue Curricula oder Konzepte für Aus-, Fort- und Weiterbildung zu entwickeln, ist, wie in diesem Beitrag dargestellt, eine Verzahnung von qualitativer empirischer Forschung in Verbindung mit Instrumenten zur Strukturentwicklung sinnvoll . Das liegt u . a . darin begründet, dass die empirisch erhobenen Ergebnisse den Status Quo und erforderliche Veränderungen aus technologischer Perspektive erfassen und entsprechende Schlussfolgerungen zulassen, jedoch noch kein konkretes Vorgehen für die Umsetzung bieten . Deshalb stellt die Verzahnung von Empirie und forschungsbegleitender Strukturentwicklung für die weiteren Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung (Industrie und Arbeit 4 .0) ein immenses Potential für die Forschung in der beruflichen Bildung und der zielgerichteten Unterstützung der einzelnen Bildungspartner und Unternehmen dar . Aufgrund der hohen Frequenz der technologischen Neuerungen und Weiterentwicklungen stellt sich die Frage, wie in der beruflichen Bildung zukünftig mit den sich schnell wechselnden Anforderungen und Bedarfen umzugehen ist . Dazu gehören die übergeordneten Fragen, welche Berufsbilder müssen sich wie weiterentwickeln, welche Berufsbilder werden langfristig keinen Bestand haben aber auch wie verändern sich Beschäftigungsmodelle . Doch auch auf der Ebene der Beschäftigten mit Blick auf das Individuum ist eine intensive Betrachtung und Unterstützung notwendig, um diese auch nachhaltig auf die Entwicklungen im Sinne von Arbeit 4 .0 vorzubereiten . Deshalb werden die hier vorgestellten Methoden zur Technologieanalyse sowie Strukturentwicklung perspektivisch in Verbindung mit dem Konzept des lebenslangen Lernens als neue Herausforderung betrachtet .

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

Literatur

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Becker, M .; Fischer, M .; Spöttl, G . (Hrsg .) (2010) . Von der Arbeitsanalyse zur Diagnose beruflicher Kompetenzen . Methoden und methodologische Beiträge aus der Berufsbildungsforschung, Verlag: Peter Lang Frankfurt a . M . u . a .

Zur Person: Bianca Schmitt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts Technik und Bildung (ITB) an der Universität Bremen . Die Forschungsinteressen liegen auf dem Einsatz digitaler Medien in der beruflichen Bildung und der Lehrkräfteausbildung . Bianca Schmitt

Universität Bremen, Instititut Technik und Bildung, Am Fallturm 1, 28359 Bremen, Deutschland, bschmitt@uni-bremen .de Zur Person: Henning Klaffke ist Oberingenieur am Institut für Technische Bildung und Hochschuldidaktik (iTBH) an der Technischen Universität Hamburg . Zu seinen Forschungsbereichen gehören Digitalisierung in der beruflichen Bildung und Hochschuldidaktik, berufliche Qualifikationsforschung und Lernen in digitalen Zeiten . Dr. Henning Klaffke

Technische Universität Hamburg, Institut für Technische Bildung und Hochschuldidaktik, Am Irrgarten 3–9, 21073 Hamburg, Deutschland, h .klaffke@tuhh .de Zur Person: Torsten Sebastian Sievers ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen (bime) der Universität Bremen . Seine Forschung befasst sich mit dem Thema der Mensch-Roboter-Kollaboration in virtuellen Umgebungen . Torsten Sievers

Universität Bremen, Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen, Badgasteiner Str . 1, 28359 Bremen, Deutschland, sievers@bime .de

121

122

BIANCA SCHMITT / HENNING KLAFFKE / TORSTEN SIEVERS / KIRSTEN TRACHT / MAREN PETERSEN

Zur Person: Kirsten Tracht ist als Professorin an der Universität Bremen für das Fachgebiet

Prozessgerechte Technologiegestaltung verantwortlich und leitet das Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen (bime) der Universität Bremen . Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Themengebieten Montagesysteme und Produktionsgestaltung . Prof. Dr.-Ing. Kirsten Tracht

Universität Bremen, Bremer Institut für Strukturmechanik und Produktionsanlagen, Badgasteiner Str . 1, 28359 Bremen, Deutschland, tracht@bime .de Zur Person: Maren Petersen ist Professorin am Institut Technik und Bildung (ITB) an der Uni-

versität Bremen . Ihr Forschungsschwerpunkt verbindet Fragen der Veränderung der Arbeitswelt durch neue Technologien und deren Auswirkungen auf die Gestaltung von Bildungsprozessen . Besondere Berücksichtigung findet dabei das digital gestützte Lernen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung . Prof. Dr.-Ing. Maren Petersen

Universität Bremen, Instititut Technik und Bildung, Am Fallturm 1, 28359 Bremen, Deutschland, maren .petersen@uni-bremen .de

x x

x x

x

x

x

Einsatzgebiet

Motivation für Koboteinsatz

tangierte Berufe

Vorteile

Nachteile

Integration in Unterricht/Ausbildung

Kobot in der VR

Kobot im Arbeitsprozess

Betriebe

Subkategorie 2. Ebene

Subkategorie 1. Ebene

x

x

Schulen +ÜBA

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit

Organisation der (Fach-)Arbeit

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit

Geschäfts- und Arbeitsprozess

Lernstations-analyse

Tabelle 3 KoRA-Kategoriensystem in Verbindung mit den theoretischen Ansätzen

Output Quality, Result Demon-strability

Output Quality, Result Demon-strability

Output Quality, Result Demon-strability

Job Relevance

Output Quality, Result Demon-strability

TAM2

Skill, Tool

Will/ Skill/ Tool Sonstige

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

Anhang

123

x x x x

Entwicklung

Zertifizierung

Ausbildungs-personal

x

Akzeptanz

Führungsebene

x

Kontakt zu Kobot seit

x

x

Schulung/ Einweisung

Shop-Floor

x

Sicherheit

Aufgabenprofil der Beschäftigten

x

Anforderungen an die Mitarbeiter/ Inhalte für Software

Kobot im Arbeitsprozess

Betriebe

Subkategorie 2. Ebene

Subkategorie 1. Ebene

x

x

x

Schulen +ÜBA

Geschäfts- und Arbeitsprozess, Organisation der (Fach-)Arbeit, Schnittstellen

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit, Anforderungen an die (Fach-)Arbeit

Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit

Anforderungen an die (Fach-)Arbeit

Lernstations-analyse

Job Relevance

Perceived Usefulness, Perceived Ease of Use, Intention to Use, Usage Behavior

Experience

TAM2

Skill

Skill

Will/ Skill/ Tool Sonstige

124 BIANCA SCHMITT / HENNING KLAFFKE / TORSTEN SIEVERS / KIRSTEN TRACHT / MAREN PETERSEN

Fort- und Weiterbildung

Virtual Reality

x

x

Anforderungen an Anwendung

Schulungserfahrungen Beschäftigte (außer Kobot)

x

Herausforder-ungen für Unterricht x

x

Raum

x

x

x

Vertretbare Kosten

x

x

x

VR-Brille vorhanden

x

Anzahl Brillen pro Klasse

x

x

Betriebszugehörigkeit

Vorerfahrung

x

Berufsbiografie

x

Schulzu-gehörigkeit

Berufserfahrung Beschäftigte

x

Berufsbiografie

Schulen +ÜBA

Berufserfahrung Lehrkräfte

Betriebe

Subkategorie 2. Ebene

Subkategorie 1. Ebene

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit

Lernstations-analyse

Perceived Usefulness

Output Quality, Result Demonstrability

Access

Job Relevance

Tool

Skill

Tool

Tool

Tool

Will

Will/ Skill/ Tool

Experience

TAM2

Ableitung von Kriterien für Train-theTrainer-Workshop

Zur Einordnung der Aussagen je nach individuellen Erfahrungen

Sonstige

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

125

Aufbau Ausbildung Schule

Aufbau Ausbildung Betrieb

x

Train-the-Trainer Schulungs-wünsche

x x

Räumliche Organisation

x

Ausbildung Organisation

Klassengröße

x

Anzahl Auszubildende

x

x

Schulungserfahrungen Lehrkräfte (außer Kobot)

Schulen +ÜBA

Fort- und Weiterbildung

Betriebe

Subkategorie 2. Ebene

Subkategorie 1. Ebene

Erfahrungen mit der Ausbildung

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit, Anforderungen an die (Fach-)Arbeit, Erfahrungen mit der Ausbildung

Lernstations-analyse

TAM2

Tool

Tool

Tool

Tool

Skill

Will/ Skill/ Tool

Ableitung von Kriterien für Train-theTrainer-Workshop

Sonstige

126 BIANCA SCHMITT / HENNING KLAFFKE / TORSTEN SIEVERS / KIRSTEN TRACHT / MAREN PETERSEN

x

x

Robotik negativ

x

Sonstige

x

x

x

Techniker*in

x

Roboter vorhanden

x

Industriemechaniker*in

x

x

x

Fachinformatiker*in

x

x

Schulen +ÜBA

Robotik positiv/Lerninhalte

x

Mechatroniker*in

Robotik als Lerninhalt

x

Elektroniker*in

Zu betreuende Ausbildungs-berufe

Betriebe

Subkategorie 2. Ebene

Subkategorie 1. Ebene

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Werkzeuge/Arbeitsmittel der (Fach-)Arbeit, Anforderungen an die (Fach-)Arbeit, Erfahrungen mit der Ausbildung

Gegenstände und Methoden der (Fach-)Arbeit, Organisation der (Fach-)Arbeit

Lernstations-analyse Job Relevance

TAM2

Skill, Tool

Will/ Skill/ Tool Sonstige

Veränderung der Kompetenzanforderungen durch Zukunftstechnologien in der industriellen Fertigung

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Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern oliver benDel

Structural and Organizational Framework Conditions for the Use of Care Robots Kurzfassung: Wenn Pflegeroboter in Zukunft im ständigen Einsatz sind, wenn es sich um mehrere

Geräte handelt und diese an unterschiedlichen Orten sind, stellen sich neue Fragen, die von der Literatur bisher kaum beantwortet werden . Der vorliegende Beitrag will die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen darlegen und auf dieser Grundlage Erkenntnisse für Gestaltung und Entwicklung der Pflegeroboter und ihre Einbindung in betriebliche Prozesse gewinnen . Ein wichtiges Ergebnis ist, dass bei einem standardmäßigen Einsatz in Einrichtungen der Pflegeroboter nicht als singuläres System begriffen werden sollte, sondern als Teil eines komplexen Systems, das es zu planen und zu formen gilt . Schlagworte: Robotik, Künstliche Intelligenz, Serviceroboter, Pflegeroboter, Pflegeheim, Gesundheitswesen Abstract: If care robots are in constant use in the future, if several devices are involved and if they

are at different locations, new questions arise which have hardly been answered by the literature so far . This paper aims to present the structural and organizational framework and, on this basis, to gain insights for the design and development of care robots and their integration into operational processes . One important result is that, when used as standard in institutions, the care robot should not be understood as a singular system, but as part of a complex system that needs to be planned and shaped . Keywords: Robotics, Artificial Intelligence, Service Robot, Care Robot, Nursing Home, Healthcare

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OLIVER BENDEL

1

Einführung

Pflegeroboter sind im 21 . Jahrhundert ein vielbeachtetes Thema geworden . Es wurden Studien verfasst, die auch rechtliche und ethische Implikationen nicht außer Acht ließen (Becker et al ., 2013; Bendel, 2020c), es fanden Fachgespräche und Anhörungen im Deutschen Bundestag (Bendel, 2019a), im Bundesministerium für Gesundheit und vor der Bioethikkommission in Österreich sowie zahlreiche einschlägige Veranstaltungen statt, etwa 2017 der Ladenburger Diskurs zu Pflegerobotern (Bendel, 2018) und 2019 das Berliner Kolloquium zu Robotern in der Pflege (Lossau, 2019) . Im selben Jahr versuchte sich der eher technikfremde Deutsche Ethikrat an einer Annäherung . Während Anhörungen und Veranstaltungen mehrheitlich durchaus praxisnah waren und Pflegewissenschaftler ebenso einbezogen wurden wie Heim- und Klinikleiter, fehlte in wissenschaftlichen Publikationen oft dieser Bezug . Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Pflegeroboter (anders als Therapieroboter und Operationsroboter) mehrheitlich als Prototypen vorliegen und es allenfalls Kleinserien gibt . Im besten Falle kann man mit einem Modell wie Zora (mit dem bekannten humanoiden Roboter Nao von SoftBank als Basis) oder Lio bestimmte Tests durchführen und Anforderungen und Auswirkungen erforschen (Melkas et al ., 2019; Bendel et al ., 2020) . Soll der Einsatz von Pflegerobotern aber eines Tages zum Standard werden, braucht es grundsätzliche Überlegungen zu den strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen . Dabei muss die Möglichkeit mitgedacht werden, dass mehrere Geräte an unterschiedlichen Orten einer Einrichtung im ständigen Einsatz sind . Es ist also die gegenwärtige Praxis (mit und ohne Roboter) ebenso zu betrachten wie die mögliche künftige, dies nicht zuletzt mit dem Anliegen, die Entwicklung und Gestaltung der Maschinen zu verbessern und diese als Teile eines Gesamtsystems zu begreifen . Der vorliegende Artikel skizziert die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen beim Einsatz von Pflegerobotern in Pflege- und Altenheimen und fragt nach den Auswirkungen für Pflegebedürftige (sowie ihre Angehörigen), Pflegekräfte und Management der Einrichtungen . Für alle drei Gruppen ergibt sich eine Veränderung von Pflege und Betreuung, entstehen neue Freiheiten und Abhängigkeiten, neue Verrichtungen und Tätigkeiten, neue Aufgaben und Verbindlichkeiten . Weitgehend ausgeklammert wird das betreute Wohnen, für das eigene Gesetzmäßigkeiten gelten (Giuliani et al ., 2005; Syrdal et al ., 2008) . 2

Der Begriff des Pflegeroboters

Im Gesundheitsbereich treten unterschiedliche Typen von Robotern auf (Bendel, 2018a) . Pflegeroboter sind Roboter, die in Pflege und Betreuung eingesetzt werden können . Sie helfen Pflegekräften und Pflegebedürftigen, durch Information, Kommunikation und Interaktion . Sie können beispielsweise Medikamente und Nahrungsmit-

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

tel holen und reichen, Dinge aufheben und abnehmen, Behälter und Flaschen öffnen oder Patienten zu einem Termin „einsammeln“ . Therapieroboter haben zum Teil andere Zwecke als Pflegeroboter, zum Teil ähnliche wie sie . Im Wesentlichen unterstützen sie eine physische oder psychische Therapie . In diesem Rahmen kann Betreuung notwendig sein . Während Pflege- und Therapieroboter (teil-)autonome Roboter sind, geschaffen für autarke Tätigkeiten und vor allem für Tätigkeiten im Tandem oder Team mit Fachkräften, sind Operationsroboter i . d . R . Teleroboter, von Ärzten für einen bestimmten Zeitraum gesteuert .

Abb. 1 Roboter in der Pflege und bei der Pflege (Bendel, 2016)

Zu den Robotern in der Pflege kann man nicht nur Pflegeroboter, sondern auch andere Serviceroboter zählen, die man aus Bereichen jenseits der Pflege kennt und die man nun im Pflege- und Altenheim oder im betreuten Wohnen mit gewissen Zielsetzungen und allenfalls gewissen Anpassungen ihren Dienst tun lässt . Serviceroboter leisten, wie der Name sagt, einen bestimmten Service, wiederum als teilautonome oder autonome Lösungen . Beispiele sind Sicherheits-, Transport- und Reinigungsroboter, zudem Desinfektionsroboter . Sicherheitsroboter, um einen Typ herauszugreifen, schauen üblicherweise auf Betriebsgeländen, in Shopping Malls und in öffentlichen Räumen nach dem Rechten . Man kann sie ebenso im Pflegeheim einsetzen, entweder mit ihren

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OLIVER BENDEL

Basisfunktionen (Erkennen von Auffälligkeiten aller Art) oder mit Spezialfunktionen, sodass sie etwa Rufe und Stürze von Patienten bemerken bzw . melden . Manche Pflegeroboter können die Aufgaben solcher spezialisierter Maschinen ganz oder teilweise übernehmen . Die hier vertretene Redeweise wird in Abb . 1 illustriert .

Abb. 2 Fünf Dimensionen sozialer Roboter (Bendel 2020b)

Roboter in der Pflege gehören zu den Servicerobotern, manche von ihnen, vor allem Pflege- und Therapieroboter, auch zu den sozialen Robotern . Soziale Roboter sind für den Umgang mit Menschen (oder mit Tieren) gedacht, sind in deren unmittelbarer Nähe und simulieren soziale Fähigkeiten wie Emotionen und Empathie, um als soziale Partner anerkannt zu werden bzw . psychische Reaktionen und Modifikationen hervorzurufen . Zudem sind sie zuweilen wiederum zu Dienstleistungen fähig, was sie zu Servicerobotern macht, so wie einige Serviceroboter als soziale Roboter aufzufassen sind . Abb . 2 zeigt die fünf Dimensionen sozialer Roboter, nämlich die Interaktion mit Lebewesen, die Kommunikation mit Lebewesen, die Nähe zu Lebewesen und die Abbildung von (Aspekten von) Lebewesen . In der Mitte ist der Nutzen für Lebewesen angesiedelt, ohne den soziale Roboter keinen Sinn ergeben, der also zentral bei ihrer Entwicklung ist . 3

Der Einsatz von Pflegerobotern in Pflege- und Altenheimen

Pflegeroboter haben unterschiedliche Formen, Funktionen und Schwerpunkte . Manche werden als Spezialisten für Aufgaben wie das Umbetten und Aufrichten geschaffen, andere als Generalisten, die vielseitige Tätigkeiten übernehmen können oder können sollen . Bendel (2019a, b) hat mehrere Modelle analysiert und kompiliert . Diese haben eine menschen- oder tierähnliche Gestaltung, die Fähigkeit zur Bewegung (mit Rollen, in einem Fall mit ausfahrbaren Beinen, die dem Stützen dienen),

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

ein oder zwei Arme (z . B . zum Aufheben und Herumtragen), ein umfangreiches Arsenal an Kameras, Mikrofonen und Sensoren, Möglichkeiten zur Gesichts-, Sprachund/oder Stimmerkennung, Möglichkeiten zur Interaktion und Kommunikation und Unterstützungsfunktionen für Pflegebedürftige und -kräfte, wobei die Letzteren eher ergänzt als ersetzt werden . Pflegeroboter sind einigen Anforderungen in Pflege und Betreuung bis heute nicht gewachsen . Das liegt zum einen an ihren eingeschränkten motorischen Fähigkeiten . Sie sind oft schwerfällig, langsam, nicht stark genug, nicht genau genug, und da sie sich meist auf Rollen bewegen, stellen Treppen für sie ein Problem dar . Zum anderen sind im Pflegebereich viele Aufgaben, wenn sie sich nicht gerade auf Reinigung und Transport beziehen, nicht ohne weiteres automatisierbar und nur individuell bewältigbar . Machine Learning, also eine Form künstlicher Intelligenz, kann hier in Zukunft Abhilfe schaffen, wobei leistungsfähige Systeme außerhalb des Pflegeroboters, nämlich in der Cloud, betrieben werden können . Insbesondere geht es um eine einwandfreie Identifizierung, ein Tracking des Verhaltens des Patienten (samt Analysen und Konklusionen) und eine immer bessere Erkennung von Situationen und Festlegung von Prioritäten . Pflege- und Altenheime sind Einrichtungen, die für Alte, Behinderte, Versehrte und Erkrankte ein geeignetes Umfeld schaffen . Diese sollen dort sicher und geschützt sein, eine zu ihrem Fall passende Behandlung erfahren und soziale Bedürfnisse befriedigen, zum einen durch die Zuwendung des Personals, zum anderen durch Besuchsmöglichkeiten von Verwandten, Freunden und Freundinnen oder professionellen Dienstleistern . Die technischen und sanitären Einrichtungen sind auf die spezifischen Anforderungen ausgerichtet, ebenso die räumlichen Gegebenheiten, was sich in Standardisierung und Barrierefreiheit ausdrückt . Pflegeroboter sind in Pflege- und Altenheimen zunächst Fremdkörper, doch sie lassen sich durch Anpassungen auf allen Seiten durchaus einfügen . Dieses Kapitel entwickelt die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen für Pflegeroboter, die die genannten Eigenschaften aufweisen . Dabei fokussiert es auf wirtschaftliche, technische, räumliche und soziale Aspekte, die insgesamt noch wenig thematisiert wurden, zumindest in ihrem Zusammenhang, und die für den Einsatz der Pflegeroboter besonders relevant zu sein scheinen . Es werden Themen herausgegriffen, die in der Literatur im Ansatz behandelt werden und in der Praxis angegangen werden müssen . Ethische und rechtliche Herausforderungen wurden bereits in mehreren Abhandlungen diskutiert (Becker et al ., 2013; Becker, 2018; Kreis, 2018; Bendel, 2018a) – auf sie wird hier dennoch ein Stück weit eingegangen, um eine Gesamtschau der Anforderungen zu erhalten .

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OLIVER BENDEL

Wirtschaftliche Aspekte

Zu den wirtschaftlichen Aspekten von Pflegerobotern sind kaum Erkenntnisse vorhanden, zumal diese vor allem als Prototypen vorliegen und über Effekte vornehmlich spekuliert werden kann . Einerseits erhofft man sich durch Automatisierung im Gesundheitsbereich bestimmte Einsparungen und Optimierungen (Hasenauer et al ., 2019), andererseits ist die Auswahl begrenzt, der Kostenrahmen schlecht abschätzbar . Anschaffungskosten, laufende Kosten und Kostenersparnis Pflege- und Altenheime verspüren immer mehr den Druck, wirtschaftlich zu arbeiten . Sie haben mit Einsparungen aller Art zu kämpfen . Anschaffungskosten und Betriebskosten müssen in den Einrichtungen vom Management ständig geplant und berücksichtigt werden . Manche Leistungen werden aus Kostengründen nicht mehr erbracht, wobei dies nicht zuletzt von den Versicherungen der Pflegebedürftigen abhängt . Pflege- und Altenheime werden mit Blick auf robotische Systeme nicht bloß Hardund Software, sondern auch Dienstleistungen aller Art einkaufen müssen, damit reibungsloser Betrieb, regelmäßige Wartung und notwendige Aktualisierungen gesichert sind . Damit fallen Investitionskosten und laufende Kosten an . Schulungen der Mitarbeiterschaft sind ebenfalls unabdingbar und kostspielig . Nimmt die Komplexität des Robotereinsatzes zu, etwa indem man mehrere Geräte gleichzeitig und an mehreren Orten betreibt, wächst die Komplexität der Überwachung und Steuerung, und die Kosten können sich durch Beratungsleistungen und Personal erhöhen . In bestimmten Bereichen, etwa wo durch Roboter eine standardisierte Automatisierung geleistet werden kann, sollte sich nach einiger Zeit ein wirtschaftlicher Vorteil ergeben . Nach den jetzigen Erkenntnissen trifft das bereits in einigen Einrichtungen auf Roboter in der Pflege wie Reinigungs- und Transportroboter zu, aber noch nicht auf Pflegeroboter, die z . T . höchst individuelle Leistungen erbringen müssen und an individuelle Anforderungen (oft einfach an bestimmte Personen) gebunden sind (Schulze et al ., 2021) . Abhängigkeit von Firmen Die Gesundheitseinrichtungen sind in Bezug auf Standardsoftware, Branchensoftware, Cloud-Computing-Lösungen sowie Hardware (wie Computerterminals und Notebooks) seit der zweiten Hälfte oder dem letzten Drittel des 20 . Jahrhunderts von IT-Firmen abhängig . Diese können zum Teil die Preise und die Wechsel auf neue Softund Hardware diktieren . Eine Grundsatzentscheidung des Managements bezieht sich

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

auf Individual- vs . Standardsoftware für den Betrieb der Informations-, Analyse-, Diagnose- und Entscheidungsunterstützungssysteme . Nun werden Gesundheitseinrichtungen von Herstellern von Robotern und Entwicklern und Dienstleistern (von Softwarelösungen und Einsatzplanungen) abhängig . Da es sich im Bereich der Pflegeroboter selten um etablierte Konzerne, eher um Startups, Spin-offs und KMUs handelt, deren Existenz nicht durchweg als gesichert angesehen werden kann, besteht sowohl ein finanzielles als auch ein generelles Risiko – im schlimmsten Falle bleibt man auf Robotern sitzen, die nicht weiter unterstützt werden . Es lohnt sich eine gründliche Evaluierung in Frage kommender Firmen . Bekämpfung des Pflegenotstands Der Pflegenotstand ist ein vieldiskutiertes Problem in Deutschland . Die Gehälter für Pflegekräfte sind gering, es findet sich zu wenig Nachwuchs für Pflegeberufe, und es müssen Kräfte aus dem Ausland beschäftigt werden, die nicht alle über die gewünschten Fach- und Sprachkenntnisse verfügen . Durch die Alterung der Gesellschaft und andere Faktoren wird sich das Problem ständig verschärfen . Manche Vertreter von Politik und Wissenschaft sowie Managerinnen und Manager sehen Pflegeroboter als eine Möglichkeit, den Pflegenotstand zu bekämpfen und die Betreuung von Alten und Pflegebedürftigen sicherzustellen (Beck et al ., 2013) . Bis dahin wäre es allerdings ein langer Weg, und es müssten in den Pflege- und Altenheimen ganze Kohorten von Robotern aufmarschieren, um zu messbaren Effekten zu kommen – was in diesem Beitrag freilich eines der Szenarien ist . Bis auf weiteres wären respektvolle Behandlung und angemessene Bezahlung der Pflegekräfte und insgesamt die Aufwertung der Arbeit eine wirkungsvollere Möglichkeit . Es können nach und nach Maßnahmen ergriffen werden, um Pflegeroboter als Unterstützung und Begleitung zu etablieren, wozu politische Entscheidungen (Ausweitung der Forschungsförderung, Förderung eines Probebetriebs, gesetzliche Grundlagen) und Entscheidungen des Managements gehören . Werden schwere Verrichtungen automatisiert, ergonomische Anforderungen mehr beachtet und zentrale Laufwege reduziert, erhöht sich die Attraktivität des Berufs . Technische Aspekte

Pflege- und Altenheime haben in Mitteleuropa eine mehr oder weniger ausgereifte technische Infrastruktur, zu der W-LAN, Cloud-Computing-Anwendungen und Informationssysteme sowie die Stromversorgung gehören . Zudem ist Medizintechnik mitsamt Therapie- und Diagnosegeräten vorhanden .

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Neue Kompetenzen Viele Mitarbeitende am Empfang und im Management sind die Arbeit am Computer gewöhnt . Pflegekräfte sind ebenfalls häufig technologieaffin, wenn man einschlägige Weiterbildungen mit dem Schwerpunkt der Digitalisierung als ein Indiz wertet (Busse et al ., 2020) . Im Privaten werden bei der Mehrheit ebenfalls ein Rechner oder sogar mehrere Computer vorhanden sein . Einige Pflegeheime bieten Videotelefonie per WhatsApp für die Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen an, wobei die Pflegekräfte z . T . die Einweisung übernehmen . Der Betrieb von Pflegerobotern stellt womöglich eine neue Kategorie dar . Kaum jemand im Pflegebereich dürfte weitergehende Erfahrungen mit diesen haben . Die Mitarbeitenden müssen, wie gesagt, geschult werden, zum einen natürlich in Bezug auf den Betrieb im Tandem, zum anderen in Bezug auf das Erkennen möglicher Fehlfunktionen, die kritisch werden können und die zu melden sind . Dies verschafft ihnen nebenbei neue Kompetenzen und Skills im Kontext der Digitalisierung, die sie womöglich auch anderenorts anwenden können (etwa mit Blick auf auditive Schnittstellen) . Datenerhebung und -speicherung Bereits heute sind in Pflege- und Altenheimen installierte oder mobile Überwachungssysteme verbreitet . Man experimentiert mit Smart Watches, intelligenten Armbändern und speziellen Überwachungskameras . Der Kostendruck und der Pflegenotstand sowie die Technologieaffinität und Besorgtheit der Angehörigen dürften die Automatisierung in diesem Bereich fördern . Durch Pflegeroboter können persönliche Daten aller Art (Bild-, Stimm-, Standortdaten etc .) erhoben werden . Es ist wichtig, dass die Daten nicht in einer Public Cloud landen, wo sie missbraucht werden können (etwa durch Befugnisse der Behörden in den USA, wenn man auf Konzerne wie Google, Amazon oder Microsoft setzt) . Vielmehr ist vom Management eine Private Cloud einzurichten, allenfalls in Kombination mit einer Public Cloud und einem entsprechenden Datenkonzept für die entstehende Hybrid Cloud (Reinheimer, 2018) . Mit Hilfe der Hybrid Cloud wird systematisiert und priorisiert . Weniger wichtige Daten können in der Public Cloud gespeichert werden, vertrauliche Informationen zu Patienten, Personal und Betrieb in der Private Cloud . Nur befugte Personen wie Manager, Pflegekräfte und Ärzte und allenfalls Patienten oder Angehörige selbst sollten sich Zugriff verschaffen können . Insgesamt geht es sowohl um Datensicherheit (Sicherheit der Daten) als auch um Datenschutz (Schutz von Personen) . Das Management ist wie das Personal für diese Thematik zu sensibilisieren .

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

Contenterstellung und -nutzung Content, also digitaler Inhalt, wurde in verschiedenen Anwendungsbereichen immer wieder als zentral erkannt . So fokussierte man im E-Learning-Bereich am Anfang – gerade wenn Beratungs- und Internetfirmen sowie Start-ups die Treiber waren – auf die Technik, konkret auf Lernplattformen, bis man die Wichtigkeit von „Semantik“ und Didaktik entdeckte (Back et al ., 2001) . Auch bei Suchmaschinen waren nach einer Zeit der Einführung und Gewöhnung bald Content-Produzenten und -Kuratoren gefragt . Ein Problem von Chatbots, Sprachassistenten und sozialen Robotern bzw . Servicerobotern ist der oft zu wenig spezifische Content, den sie bei Information und Kommunikation nutzen . Zwar kann über die Anbindung von Wikipedia sozusagen auf Weltwissen zugegriffen werden, und Sprachmodelle wie GPT-2 und GPT-3, die künstliche Intelligenz verwenden, erlauben das Generieren von neuartigem Content (Coursey, 2020) – aber zuweilen braucht es Wissen über die Organisation, über Rollen und Rechte etc . Pflegeroboter können zudem Erkenntnisse über Pflegebedürftige benötigen, die Grundlage für Vertrauen und Akzeptanz und das Führen von Gesprächen über einen längeren Zeitraum hinweg sind . Mögliche Quellen für spezifischen Content sind Leitung und Pflegepersonal . Die Private Cloud als Teil der Hybrid Cloud kann in der Zukunft für dieses Anliegen herangezogen werden . Es werden systematisch spezifische Begriffe erfasst, Ontologien erstellt und Stamm- und Bewegungsdaten eingespeist . Eine ständige Qualitätskontrolle ist ebenso unabdingbar wie ein transparentes Rollen- und Rechtekonzept . Der Roboter bzw . das mit ihm verbundene KI-System soll über die Organisation und die Personen dazulernen, dieses Wissen jedoch – dafür muss das Management sorgen – nicht unkontrolliert weiterverbreiten können . Robot2Robot und Robot2X Communication Beim automatischen und künftig beim autonomen Fahren kommt der Car2Car Communication (Fahrzeuge kommunizieren untereinander) und der Car2X Communication (Fahrzeuge kommunizieren mit einer Infrastruktur oder mit intelligenten Dingen in einem Internet der Dinge) eine Schlüsselfunktion zu . Man findet die schnellste Verbindung, vermeidet Staus und Unfälle, etwa beim Überholen (Cara et al ., 2016) . Auch in anderen Bereichen ist eine solche Kommunikation mehr und mehr von Bedeutung, etwa bei Weltraumsatelliten und -fahrzeugen . Wenn in einem Pflege- oder Altenheim mehrere Roboter unterwegs sind, sollten sie aus verschiedenen Gründen miteinander kommunizieren können, etwa um bei einem Notfall möglichst schnell zur Stelle zu sein oder sich bei mehreren Anfragen oder in mehreren Gebäuden in passender Weise aufteilen zu können . Dafür sind u . a . Funkstandards, Kommunikationsprotokolle und Ansätze wie 5G, Objektorientierung

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und dezentrale Intelligenz verteilter Systeme zu nutzen (Bruce-Boye et al ., 2020) . Man kann von einer Robot2Robot Communication sprechen . Diese ist vom Management und der IT-Abteilung (bzw . Externen) mitzugestalten . Manche Produzenten beziehen Sensoren und Kameras mit ein . Der Roboter kann im Rahmen einer solchen Robot2X Communication eine Kamera kontaktieren, um sich einen visuellen Eindruck von einer räumlich weit entfernten Situation zu verschaffen oder um die eigene Position und Ausrichtung noch besser erfassen zu können . Auch der eigene Zustand kann auf diese Weise überwacht werden, ein Verfahren, das man von Weltraumrobotern kennt, die Selfies für die Ingenieure schießen (Bendel, 2014b) . Insgesamt spielen wieder 5G, Objektorientierung und dezentrale Intelligenz eine Rolle . Stromversorgung und -bedarf Pflege- und Altenheime sind voll von Geräten, die Strom benötigen . Manche von ihnen sind überlebenswichtig für die Bewohner oder sehr wichtig für den Betrieb der Einrichtung . Eine Notstromversorgung ist in manchen Fällen – wie bei Krankenhäusern – gegeben . Bei neuen Gebäuden wird auf eine genügende Anzahl von Steckdosen in verschiedenen Höhen geachtet . Zuweilen sieht man USB-Anschlüsse für die Versorgung von Smartphones und Fotoapparaten vor . Pflegeroboter haben einen Strombedarf, der in einem Pflege- und Altenheim i . d . R . gut abgedeckt werden kann . An den Steckdosen können auf Weisung des Managements Ladestationen eingerichtet werden, zu denen die Maschinen selbstständig rollen . Allerdings fallen diese während des Aufladens aus . Eine Lösung sind hier wiederum mehrere Geräte, die füreinander einspringen . Man darf freilich nicht vergessen, dass Benutzer zu sozialen Robotern individuelle Beziehungen entwickeln können und nicht ohne weiteres einen Ersatz akzeptieren werden . Räumliche Aspekte

Pflege- und Altenheime sind durchaus unterschiedlich in ihren Lagen, ihrer Architektur und ihrer Ausstattung, was u . a . an den unterschiedlichen Trägern und Zielgruppen liegt . Dennoch existieren gewisse Gemeinsamkeiten . Sie haben oft mehrere Stockwerke, um eine gewisse Kapazität sicherzustellen, und mehr oder weniger standardisierte Zimmer, zumindest in Bezug auf bestimmte Anspruchsgruppen . So wird ein betagtenund behindertenfreundliches Bad angeboten, und es liegt ein Sicherheits- und Notfallkonzept vor . Die Gebäude sind mehrheitlich barrierefrei, zumal Rollstühle bei den Bewohnern keine Seltenheit sind . Einige räumliche Aspekte hängen mit technischen zusammen .

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

Platzbedarf Platz war häufig ein Privileg der Reichen . Für sie standen schon in Jahrhunderten, in denen die Menschen wesentlich kleiner waren, enorme Zimmergrößen und Deckenhöhen zur Verfügung, in Villen und Palästen, die auf großzügigen Grundstücken und ausufernden Ländereien zu finden waren . Armut ging oftmals mit Platzmangel einher, was sich bis dato kaum geändert hat . Pflege- und Altenheime bieten häufig begrenzten Platz . Insbesondere die Zimmer der Pflegebedürftigen sind, außer in Luxusresidenzen mit ihrem etwas anderen Geschäftsmodell, wenig geräumig und beherbergen einen Bruchteil persönlicher Habseligkeiten und Möbelstücke . Die Pflegekräfte sind in ihren Rückzugs- und Entfaltungsmöglichkeiten ebenfalls beschränkt . Zudem benötigen sie Platz für die Ausübung ihrer Tätigkeit, ob auf den Fluren oder in den Zimmern . Der Pflegeroboter nimmt zusätzlich Platz weg, und wenn er nicht gerade als ein Companion Robot konzipiert ist, also als ein digitaler, mechanischer Freund, mit dem eine regelrechte (wenngleich einseitige) Beziehung geführt wird, sollte er sich nach Erledigung seiner Aufgaben an einen separaten Ort begeben, in eine Robotergarage oder einen -aufenthaltsraum . Die Bedingungen dafür werden vom Management geschaffen . Manche Exemplare (etwa solche, die auf Co-Robot-Technologie beruhen) sind in der Lage, ihre Arme einzuziehen und zeitweilig ihre Höhe oder Breite zu verringern (Bendel, 2018c) . Das Problem mildert sich freilich ab, wenn sie für mehrere Patienten zuständig sind und sich lediglich für kurze Zeit bei ihnen befinden . Barrierefreiheit Barrierefreiheit in und bei Gebäuden wurde im 20 . Jahrhundert vielerorts durchgesetzt . Man schuf einen einfach zugänglichen Eingangsbereich, baute im Inneren Aufzüge ein, rüstete mit Treppenliften nach, ergänzte Treppen mit Schanzen und Rampen . Rollstühle und Rollatoren bzw . Gehbehinderte sollten ungehindert alle Bereiche erreichen . Bei Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen wurde Barrierefreiheit zum Standard, der vom Management zu beachten war . Barrierefreiheit schafft ideale Voraussetzungen für Pflegeroboter mit Rollen . Diese profitieren von ebenmäßigen Wegen, Rampen mit geringen Steigungen etc . Manche Serviceroboter können einen Lift bedienen und damit in andere Stockwerke gelangen, etwa über eine Funkverbindung und ein damit einhergehendes virtuelles Drücken der Tasten; auch ein physisches Drücken ist im Prinzip möglich, das allerdings wegen motorischer Schwächen z . T . langsam vonstattengehen würde . Separate Wege und Durchgänge für Roboter und Personen können zu mehr Sicherheit beitragen . Überdies sind von der Leitung der Einrichtung separate Aufzüge, Schanzen und Rampen in Erwägung zu ziehen . Manche Pflegeroboter nehmen recht

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viel Platz weg und drängen auf kleinem Raum den Menschen an die Seite . Dies kann sogar ein Problem auf engen Fluren sein, oftmals selbst im speziell bemessenen Aufzug, wenn dieser bereits andere Geräte aufgenommen hat . Pflegeroboter mit Beinen, die heute eine Ausnahme bilden, könnten Wege z . T . schneller bewältigen, zudem noch gehfähige Patienten beim Treppensteigen unterstützen . Zudem könnten sie Pflegekräften flexibler folgen und vorangehen . Entsprechend wäre eine Strategie in Pflege- und Altenheimen, nicht bloß mehr Barrierefreiheit – Maschinen und Menschen umfassend – durchzusetzen, sondern auch den Kauf und Betrieb von Robotern mit Beinen bzw . zwei oder vier Gliedmaßen zu fördern (wobei solche kaum auf dem Markt sind) . Schutz und Sicherheit Privatwohnungen und -häuser sind, bei allem Konformismus, etwas Individuelles geblieben . Wenn dies nicht äußerlich zum Ausdruck kommt, dann meist „innerlich“, durch Raumkonzepte, Möbelstücke und Wandschmuck . Es entstehen komplexe, schon für die Bewohner im besten Alter nicht immer überschau- und beherrschbare Strukturen . Bei Vergesslichkeit oder in der Dunkelheit mag es zu Unfällen kommen . Roboter aller Art können für zusätzliche Unwägbarkeiten sorgen . Pflegeroboter rollen üblicherweise durch den Raum . Sie müssen vor Hindernissen und Menschen rechtzeitig stoppen oder um sie herumfahren, zudem vor Treppen und Abgründen halten (Kantenerkennung), denn ein Sturz könnte sie selbst und andere schädigen . Sensoren und Software ermöglichen das Einschätzen von Gefahren, nachgiebige Kunststoffe und weiche Ummantelungen mindern die Verletzungsgefahr (Pfeifer et al ., 2013) . Nicht zuletzt hilft die Anwendung von technischen Standards und Normen, etwa von ISO/TS 15066, einer Spezifikation speziell für die Zusammenarbeit von Mensch und Co-Robot (Buxbaum, 2020) . Es ist überdies das Gebäude selbst ins Visier zu nehmen . So kann es etwa umgerüstet werden . Denkbar sind eigene Bahnen für die Roboter, eigene Aufzüge etc . Ferner mögen in Zukunft Bauwerke geschaffen werden, die nicht allein an Menschen, sondern auch an Maschinen angepasst sind, indem sie deren Bewegung, Betrieb, Zusammenarbeit, Wartung und Unterbringung unterstützen . Damit kann nicht zuletzt das Miteinander von Pflegekräften und -robotern optimiert werden . Wenn mehrere Roboter ins Spiel kommen, wächst die Komplexität . Sie können zusammenprallen oder sich durch Umkippen bzw . einen Sturz gegenseitig beschädigen . Eine Lösung liegt in der bereits beschriebenen Robot2X Communication . Die Roboter können sich entsprechend verteilen, Wege bevorzugen oder vermeiden oder zeitversetzt in Aktion treten . Sie können sich in Zukunft im Prinzip auch gegenseitig stützen, aufheben usw .

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

Soziale Aspekte

Pflegeroboter sind, wenn sie als soziale Roboter konzipiert sind, zur Interaktion mit Menschen und Tieren und zur Kommunikation mit ihnen fähig, als wären sie selbst Lebewesen (Bendel, 2020) . Sie haben eine große Nähe zu ihnen, werden Teil ihres Alltags, Teil einer Beziehung oder eines Beziehungsgeflechts . Selbst wenn sie klassische Serviceroboter bleiben, hat dies Auswirkungen für das soziale Gefüge . Akzeptanz gegenüber Pflegerobotern Akzeptanz gegenüber Informations- und Kommunikationstechnologien und Informationssystemen, gegenüber Hard- und Software, ist ein wesentlicher Punkt für eine dauerhafte, erfolgreiche und befriedigende Nutzung . Sie wird u . a . dadurch erreicht, dass man Benutzer aufklärt, sie ausprobieren und hinterfragen lässt, sie einbezieht und mitgestalten lässt und sie Bereicherung und Freude erfahren . Zudem sind Hilfe- und Lernfunktionen wichtig (Back et al ., 2001) . Pflegeroboter werden in Pflege- und Altenheimen durchaus ambivalent aufgenommen, wie andere Roboter im Gesundheitsbereich (Broadbent et al ., 2009) . Wenn die Pflegebedürftigen in ihnen einen Nutzen für sich entdecken, steigt die Akzeptanz (Früh & Gasser, 2018; Wirth et al ., 2020; Niemelä & Melkas, 2019) . Dieser kann darin bestehen, dass der Roboter etwas aufhebt, etwas bringt oder einen unterhält . Die Angehörigen reagieren zuweilen skeptischer, da sie sich Sorgen machen, die Pflegekräfte ebenfalls, da sie neben der Möglichkeit der Unterstützung (Niemelä & Melkas, 2019) die der Ersetzung sehen (Chen et al ., 2019) . Sollen Pflegeroboter im Pflegeheim Akzeptanz erfahren, ist von der Leitung entsprechend darauf hinzuwirken, mit aufklärerischen Maßnahmen, einer schrittweisen Einführung mit Mitsprachemöglichkeiten und dem Angebot von speziellen Patientenverfügungen (Bendel, 2018) . Natürlichsprachliche Fähigkeiten Auditive Schnittstellen und natürlichsprachliche Fähigkeiten von Systemen sind Thema der Stunde . Man plaudert mit Siri und Alexa, man steuert mit ihnen Dienste auf den Smartphones und Einrichtungen des Smart Home, über Sprachassistenten aller Art sogar Funktionen des Autos . Dort lenken auditive Schnittstellen weniger als optische (wie Displays und Touchscreens) ab . Grundsätzlich ist die Bedienung intuitiv, denn sie erfolgt eben in natürlicher, menschlicher Sprache . Manche Pflegeroboter wie Lio haben natürlichsprachliche Fähigkeiten (Früh  & Gasser, 2018) . Es muss überlegt werden, ob die Stimme männlich, weiblich oder neutral und nach welchem Alter sie klingen soll . Ein sozialer Roboter wie Pepper, der im-

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mer wieder in Pflegeheimen zu sehen ist, u . a . weil er einfach beschafft werden kann, ist in diesem Kontext mit seiner standardmäßig gesetzten kindlich-robotischen Stimme kaum ein vertrauenswürdig wirkendes Gegenüber . In einer Befragung gab eine Frau an, sie würde mit einem Roboter durchaus über Frauenthemen sprechen, aber bloß, wenn er eine weibliche Stimme hätte (Fahlberg, 2017) . In der Schweiz wuchs die Akzeptanz, wenn der Roboter einen passenden Dialekt gesprochen hat – was man in den Tests über Konserven realisiert hat, da keine entsprechenden Text-to-speech-Engines verfügbar waren (Früh & Gasser, 2018) . Das Management muss hier sozusagen den richtigen Ton treffen . Wenn mehrere Roboter im Pflegeheim unterwegs sind, müssen sie Pflegebedürftige individuell erkennen und die Gespräche allenfalls untereinander weiterleiten, um auf dem neuesten Stand zu sein – oder dies gerade nicht tun, um Geheimnisse zu bewahren . In einem Test haben Bewohner befürchtet, dass der Roboter etwas weitererzählt, was man ihm mitgeteilt hat (Bendel et al ., 2020) . Eine andere Herausforderung ergibt sich, wenn sich mehrere Personen gleichzeitig an einen Roboter wenden (Bendel et al ., 2020) . Dieser ist kaum in der Lage, ihnen adäquat zu antworten und ihre Bedürfnisse zu befriedigen . Einige Roboter können überhaupt nur mit einer Person kommunizieren, wenn sie auf diese fixiert sind . Emotionen und Empathie Emotionen entwickeln wir grundsätzlich schnell gegenüber Dingen und Maschinen aller Art, insbesondere wenn sie eine große Bedeutung für uns haben, wenn sie uns eine Zeitlang durchs Leben begleiten und wir sie durch Gebrauch (mit Gebrauchsspuren), durch Aufkleber und Farbaufträge, durch Accessoires und Kleidungsstücke (oder Perücken) markiert haben, sodass sie als unsere persönlichen Gegenstände zu erkennen sind . Als soziale Roboter unterhalten sich Pflegeroboter mit Pflegebedürftigen oder -kräften, zeigen und wecken Emotionen, zeigen Empathie (Menne et al ., 2016) . Da sie in Wirklichkeit weder Emotionen noch Empathie haben, ist die (vor allem aus der Philosophie heraus gerne gestellte) Frage, ob es sich um Betrug und Täuschung handelt (Schulze et al ., 2021) . Auf jeden Fall handelt es sich um einseitige Beziehungen, und sehr junge und sehr alte Menschen drohen in eine Scheinwelt abzugleiten . Es werden flankierende Maßnahmen benötigt, Aufklärung und Begleitung, etwa durch das Management und von ihnen Beauftragte, damit die Pflegebedürftigen wie die Pflegekräfte die simulierten Emotionen als solche zu erkennen und einzuschätzen vermögen . Pflegebedürftige müssen begreifen – es sei denn, die simulierte Emotion ist wesentlicher Teil einer Therapie –, dass sie es lediglich mit Artefakten zu tun haben, Pflegekräfte, dass hier keine Konkurrenz in emotionaler Hinsicht zu ihnen vorliegt bzw . man ihre Zuwendung nach wie vor benötigt .

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

Mittlerfunktion Menschen sind Mittler und Medien aller Art gewohnt . Sie kommunizieren mit Standund Bewegtbild und gesprochener Sprache miteinander, obwohl sie weit entfernt voneinander sind, können andere Sprachen verstehen, ohne diese erlernt zu haben, erhalten Informationen aus den entlegensten Flecken der Welt, ob von Massenmedien oder über soziale Medien . Pflegeroboter können Mittler sein zwischen Menschen und zwischen Menschen und Umgebung . Beispielsweise sieht eine Person schlecht, und der Roboter kann ihr Mimik und Gestik der anderen schildern, oder eine Person hört schlecht, und der Roboter kann ihr das, was die andere gesagt hat, laut wiederholen oder in Gebärdensprache übersetzen . Telepresence Robots wie Double 3 oder KUBI können Angehörige und Pflegekräfte auf ihrem Display erscheinen und deren Stimme über den Lautsprecher erklingen lassen (Niemelä et al ., 2019) . Der Pflegeroboter ist ferner in der Lage, auf Gefahren in der Umwelt aufmerksam zu machen und Bilder und Gegenstände zu beschreiben, wenn diese nicht mehr voll wahrgenommen werden können . Ethische und rechtliche Aspekte

Die ethischen und rechtlichen Aspekte des Einsatzes von Pflegerobotern und Robotern in der Pflege wurden in Büchern, Artikeln und Studien gesammelt (Becker et al ., 2013; Bendel, 2018b; Niemelä et al ., 2019) . Zudem hat sich der Deutsche Bundestag darüber informiert, und das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat einen einschlägigen Bericht herausgebracht (Bendel, 2019a) . Dennoch soll hier kurz auf ausgewählte Punkte eingegangen werden . Ausgeblendet wird aus Platzgründen die Maschinenethik, die Serviceroboter und soziale Roboter, mithin Pflegeroboter, mit moralischen Regeln ausstattet (Bendel, 2019b) . Menschenwürde Menschenwürde kann als unverlierbarer, geistig-sittlicher Wert eines jeden Menschen um seiner selbst willen begriffen werden (Duden Recht A–Z, 2015) . Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird ausgesagt, dass die Würde des Menschen unantastbar sei (Art . 1 Abs . 1 GG) . Sie zu achten und zu schützen sei Verpflichtung aller staatlichen Gewalt . Die Grundrechte sind mit der Menschenwürde verbunden . Hin und wieder wird in der Debatte auf die Menschenwürde verwiesen (Sharkey, 2014), und es wird behauptet bzw . nahegelegt, dass diese durch Roboter im Gesundheitsbereich oder Pflegeroboter verletzt werde (Laitinen et al ., 2016) . Die Frage ist, inwiefern das der Fall sein soll und ob es der Fall ist bei einem Einsatz, der heute in Tests

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üblich ist und wo vor allem eine Assistenzfunktion vorherrscht, wo keine Menschen ersetzt werden und das Werkzeug, das in den Händen der Zuständigen liegt, klar und deutlich erkennbar ist . Grundsätzlich gilt es im Detail zu klären, was Menschenwürde überhaupt ist . Da dieser Beitrag auch in die Zukunft schaut, soll der Einwand dennoch nicht abgetan werden . Theoretisch möglich wäre ca . 2040 eine Maschinerie, in der Pflegebedürftige gewaschen, gewindelt, an- und ausgezogen, mit Nahrung versorgt, gestreichelt etc . werden . Eine solche – betrieben von einem verantwortungslosen Management – könnte tatsächlich gegen die Menschenwürde verstoßen . Wenn man glaubt, dass es so weit nicht kommen wird, mag man eine andere, bereits heute realistische Situation beurteilen: Ein Patient, der Angst vor Robotern hat oder diese ablehnt, wird dazu gezwungen, sich von diesen betreuen zu lassen . Obwohl man im Pflege- und Altenheim in vielen Dingen keine Wahl hat, könnte hier letztlich die Menschenwürde angegriffen werden . Privat- und Intimsphäre Mobile Roboter verfügen über Sensoren wie Radar und Lidar oder Ultraschall- und Infrarotsysteme, zuweilen 2D- und 3D-Kameras, um sich sicher im (bekannten oder unbekannten) Raum und an den richtigen Ort bewegen zu können . Dadurch nehmen sie auch ihre Umwelt wahr, gewinnen Daten in Bezug auf Gegenstände und Personen, wobei die Aussagekraft von Anwendung zu Anwendung stark variiert . Manche Pflege- und Sicherheitsroboter sind darauf spezialisiert, ungewöhnliche Bewegungen oder Zustände von Patienten wie Stürze zu erkennen . Es findet also eine sinnvolle und im Kontext zielführende Überwachung statt . Eine solche, die man vielleicht besser Monitoring nennt, kann freilich einen Eingriff in Intim- und Privatsphäre bedeuten und die informationelle Autonomie (ein moralisches Konzept, mit dem die informationelle Selbstbestimmung aus dem Recht korreliert) verletzen (Bendel, 2018a) . Ganz konkret kann der Pflegeroboter je nach Modell Stand- und Bewegtbilder aufnehmen, Gesichts- und Stimmerkennung sowie Emotionserkennung betreiben, den Standort von Anwesenden feststellen und die Daten zu Profilen verknüpfen (Bendel, 2014a) . Die Daten können gespeichert und weitergereicht werden . Wenn es sich um Cloud-Computing-Anwendungen handelt, haben potenziell Fremde darauf Zugriff . Die Bilder selbst können nackte Personen, Personen bei intimen Tätigkeiten etc . zeigen . An dieser Stelle muss bemerkt werden, dass in einem Pflegeheim Personen aller Art untergebracht sind, Junge und Alte, Unbekannte und Bekannte . Es würde bei Prominenten ein erhebliches Interesse von Medien und Crackern (kriminellen Hackern) bestehen, an Aufnahmen und O-Töne heranzukommen, um damit den Boulevard an-

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zureichern und die Betroffenen bloßzustellen und zu erpressen . Schädlich kann die Datenerhebung und -verbreitung freilich für alle Menschen sein . In erster Linie müssen bestehende Datenschutzverordnungen eingehalten werden, etwa die DSGVO (Bendel, 2020c) . Weiter ist wieder auf die Hybrid Cloud zu verweisen, die über die Private Cloud eine gewisse Sicherheit bieten kann . Auch kann man die Daten bereits am Gerät entweder in reduzierter Form anfallen lassen (z . B . Umrissstatt Gesichtserkennung) oder direkt dort verschlüsseln oder löschen . All dies liegt in der Hoheit von Management und IT-Abteilung . Verantwortung und Haftung Ein Computer oder ein Roboter kann, wie in der wissenschaftlichen Literatur seit den 1970er-Jahren (in der fiktionalen bereits früher) vielfach dargelegt, keine Verantwortung im moralischen Sinne übernehmen, etwa wenn Unfälle geschehen und Schäden und Verletzungen entstehen, auch wenn einzelne Autoren nach Bedingungen und Möglichkeiten gefragt haben (Bechtel, 1985) . Es wird beim Einsatz von autonomen Robotern freilich schwierig sein, die Frage zu beantworten, wer die Verantwortung trägt . Die Verantwortungsfrage stellt sich bei Pflegerobotern in besonderer Weise – sie wird dort sozusagen zum Alltag gehören . Der Hersteller, seine Mitarbeiter, die Entwickler und Dienstleister, die Krankenhausverwaltung, die Pflegekräfte und die Pflegebedürftigen sind je nach Situation und Fall in die Verantwortung zu nehmen . Dies können indes hunderte Personen sein, und es ist häufig unklar, wer zu welchem Grad bestimmte Folgen verursacht hat . Dazu kommt, dass Roboter oft keine singulären, sondern vernetzte Systeme sind . Es wären also weitere Maschinen, Unternehmen und Personen einzubeziehen . Aus rechtlicher Sicht werden ähnliche Fragen zu Verantwortung und Haftung aufgeworfen . Allerdings kann man hier eine Lösung in Erwägung ziehen, zumindest im Zivilrechtlichen . So wie juristische Personen konstruiert wurden, könnte man elektronische Personen konstruieren (Beck, 2013) . Man könnte diese mit einem Budget ausstatten oder einem Fonds verbinden und die geschädigte Partei sich daraus bedienen lassen . Hier resultiert wiederum das Problem, dass Roboter oft keine singulären, sondern vernetzte Systeme sind . Der Schaden könnte also im Prinzip von einer anderen Maschine oder einem Ereignis in der Cloud verursacht werden, und es ist die Frage, welches Budget angetastet werden soll .

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Ethische Beiräte und Leitlinien Ethische Beiräte und Kommissionen und Ethikräte existieren in Organisationen aller Art . In Staatsgebilden obliegt ihnen die Beratung der Politik . Ein Manko vieler dieser Gruppen besteht darin, dass in ihnen nur wenige Ethiker sind und moralische Fragen eher aus Fach- oder aber Laienperspektive beurteilt werden . Beim Deutschen Ethikrat kommt hinzu, dass er theologisch dominiert und damit einem bestimmten Menschenbild verpflichtet ist, was das Ergebnis einer Diskussion voraussehbar macht . Zuweilen wird im wirtschaftlichen Kontext einfach Greenwashing angestrebt . Ähnliches gilt für ethische Leitlinien und Berufskodizes, die sich im 20 . und 21 . Jahrhundert geradezu explosionsartig vermehrt haben und die z . T . wiederum von ethischen Kommissionen (oder von den Berufsorganisationen) stammen . Albert Einstein und Max Born diskutierten schon zu ihrer Zeit über die Sinnhaftigkeit solcher Regeln, und der weltberühmte Physiker und Philosoph aus Ulm konstatierte, dass diese letztlich wenig nutzen (Einstein und Born, 2005) . Der Hippokratische Eid ist längst Geschichte, die Genfer Deklaration des Weltärztebundes immerhin Teil der Berufsordnung für die deutschen Ärzte . In Pflegeheimen sind ethische Beiräte und Leitlinien, wenn sie mit ernsthaften Absichten angelegt sind, durchaus von Bedeutung (Bendel, 2018b) . Sie können dazu beitragen, jenseits von rein wirtschaftlichen Fragen die gegebenen und künftigen Strukturen in moralischer Hinsicht zu bewerten, und den Mitarbeitenden und den Kunden eine gewisse Sicherheit geben . Wenn mit den Leitlinien klar formulierte Sanktionen verbunden werden, werden aus zahnlosen plötzlich bissige Tiger, ähnlich wie im Anwaltsbereich, wo man die Zulassung verlieren kann . Wenn dies aber nicht der Fall ist, werden sie, wie in vielen anderen Fällen, zum überflüssigen Ärgernis . Patientenverfügung Patientenverfügungen können es Personen ermöglichen, noch bevor sie zu Patienten werden oder wenn sie bereits Patienten sind, ihre Versorgung und Behandlung in Krankenhaus und Pflegeheim ein Stück weit zu beeinflussen . Pflegekräfte und Ärzte werden, gerade in Notsituationen, nicht jeder Entscheidung folgen können und wollen, und neben wirtschaftlichen gibt es rechtliche Punkte, denen Rechnung getragen werden muss . Dennoch ist die Patientenverfügung eine wichtige Möglichkeit, über sein eigenes Leben zu bestimmen . Bendel (2018a) hat einen Vorschlag für eine (Ergänzung einer) Patientenverfügung entwickelt . Man kann eintragen, ob und in welcher Weise man von einem Operations-, Therapie- oder Pflegeroboter berührt, behandelt oder betreut werden will . Es ist sinnvoll, eine solche Verfügung auszufüllen, solange man bei klarem Verstand ist, und sie

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

regelmäßig zu überprüfen . Das Management eines Pflege- oder Altenheims kann dafür Sorge tragen, dass den Pflegebedürftigen ein Formular ausgehändigt wird . 4

Schlussfolgerungen für die Praxis

Der Betrieb von Pflegerobotern wird Pflege- und Altenheime vor erhebliche Herausforderungen stellen, vor allem wenn mehrere Roboter zur gleichen Zeit an mehreren Orten eingesetzt werden, was unter bestimmten Bedingungen fast notwendig erscheint . − Der Einsatz von Pflegerobotern hat betriebswirtschaftlich durchdacht und geplant zu sein . Es müssen finanzielle Ressourcen und Reserven vorhanden sein . Das Management der Einrichtungen muss nicht nur den benötigten und gewünschten Bestand sicherstellen, sondern auch dessen Verwendung allen Interessengruppen erläutern, etwa dem Träger, der Mitarbeiterschaft und der Kundschaft . Zudem hat es dafür Sorge zu tragen, dass Hersteller und Entwickler sorgfältig ausgewählt werden . − In Bezug auf technische Aspekte ist zu sagen, dass neue Kompetenzen der Mitarbeitenden unabdingbar sind . Es gilt, diese nicht zu überfordern, mit ihnen die jetzigen und künftigen Rollen zu diskutieren und sie in ihrer Gesamtheit – mit entsprechender Aufgabenverteilung – zu involvieren . Nicht jeder Pfleger kann und will zum Robotercrack werden, nicht jede Pflegerin zur KIExpertin . Interne oder externe IT-Spezialisten müssen sich um Datensicherheit und -schutz und um geeignete Cloud-Computing-Lösungen kümmern . − In Bezug auf räumliche Aspekte ergibt sich die Notwendigkeit von Anpassungen, die zum Teil mit organisatorischen, zum Teil mit architektonischen Mitteln vorgenommen werden können . Robotertechnisch sind ebenfalls Lösungen sichtbar, etwa wenn die Roboter sich zurückziehen oder ihre Arme platzsparend einziehen können . So oder so teilen sich nun Menschen und Roboter den begrenzten Raum, was zu psychischen und physischen Risiken bei Pflegebedürftigen wie bei Pflegekräften führen kann . Für die einen wie die anderen ergeben sich ebenso Chancen, denn Kooperation und insbesondere Kollaboration, die Nähe erfordert, kann Überlastung und -anstrengung vermeiden helfen . − Die sozialen Aspekte betreffen alle Anspruchs- und Interessengruppen im Pflege- und Altenheim . Die Pflegeroboter verändern als soziale Roboter oder als klassische Serviceroboter das soziale Gefüge, sind neue Akteure und Subjekte, die Menschen beeinflussen, und neue Objekte, über die man spricht . Sie sind Mittler zwischen Menschen und zwischen Menschen und ihrer Umgebung . Sie werden zu neuen, erst künstlich, dann natürlich wirkenden Mit-

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bewohnern, die das Management (und das Pflegepersonal) in die Prozesse einbeziehen kann und muss . Die ethischen und rechtlichen Überlegungen zeigen auf, dass Grundsätzliches wie die Menschenwürde und die Persönlichkeitsrechte bedacht werden muss, sowohl bei den Pflegebedürftigen als auch bei den Pflegekräften . Zudem ist die Verantwortungs- und Haftungsfrage zu klären, was aber bis heute in Roboterethik und -recht nicht wirklich gelungen ist . Ethische Beiräte und Leitlinien als regulierende Maßnahmen nutzen Pflegekräften und -bedürftigen, wenn sie in seriöser Weise betrieben werden . Zusammenfassung und Ausblick

Wenn Pflegeroboter im regulären ständigen Einsatz sind, wenn es sich um mehrere Geräte handelt und diese an unterschiedlichen Orten sind, stellen sich andere Fragen als bei einem zeitlich begrenzten Test eines Prototyps oder Produkts . Der vorliegende Beitrag spürte diesen Fragen nach, und zwar im Bestreben, die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen einerseits überzeugend darzulegen, andererseits daraus wiederum Erkenntnisse für Gestaltung und Entwicklung der Pflegeroboter und ihre Einbindung in betriebliche Prozesse zu gewinnen . Es dürfte nun ein klareres Bild von den heutigen und künftigen Herausforderungen vorhanden sein, wobei man berücksichtigen muss, dass durch technologische Disruptionen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen die Geschwindigkeit des Umbruchs zunehmen (oder abnehmen) und sich die Gesamtlage ändern kann . Überdies beeinflussen Krisen und Katastrophen den Einsatz von Pflegerobotern . Durch die COVID-19-Pandemie haben diese einen Schub bekommen – so wurden etwa mehreren Projekten kurzfristig bereitgestellte EU-Fördergelder zugesprochen (Bendel, 2020a) . Auf jeden Fall zeigt sich, dass es nicht genügt, einen Pflegeroboter, der ein paar hilfreiche Funktionen hat, in ein Pflegeheim abzukommandieren und zu hoffen, dass sich ein Mehrwert ergibt . Es bedarf umfangreicher Abklärungen im Vorfeld, es bedarf der Kooperation mit anderen Einrichtungen, die bereits über gewisse Erfahrungen verfügen oder bestimmte Überlegungen angestellt haben, und man muss die Kompetenzen der Mitarbeitenden stärken, um einen erfolgreichen Betrieb zu gewährleisten . Notwendig ist nicht zuletzt, wie gesagt, die Verbesserung der Pflegeroboter selbst . Diese sind für etliche Aufgaben in Pflege und Betreuung nicht geeignet, aufgrund mangelhafter motorischer Fähigkeiten oder einfach aufgrund des geringen Gewichts (sodass z . B . ein Hochheben und Umbetten bei den meisten Modellen kaum möglich ist) . Daneben müssen Sensorik und KI-Systeme optimiert bzw . überhaupt erst integriert werden, für eine risikofreie Medikation ebenso wie für eine risikofreie Bewegung und Betätigung der sozialen Roboter zwischen Menschen und am Körper von Menschen .

Strukturelle und organisationale Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern

Die Ergebnisse des vorliegenden Beitrags tragen ebenfalls zu einer Verbesserung bei, da die vorhandenen und erwartbaren Rahmenbedingungen deutlicher werden . Die Forschung kann weiterhin von Hochschulen und KMU ausgehen, aber eine größere Beteiligung von Konzernen wäre mit Blick auf die technische Entwicklung wünschenswert . Ob diese den sozialen und ethischen Ansprüchen genügen können, ist im Einzelfall zu überprüfen . Literatur

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Zur Person: Prof . Dr . Oliver Bendel lehrt und forscht an der Hochschule für Wirtschaft FHNW und an der Hochschule für Technik FHNW mit den Schwerpunkten Wissensmanagement, Informationsethik und Maschinenethik . Prof. Dr. Oliver Bendel

Hochschule für Wirtschaft FHNW, Institut für Wirtschaftsinformatik, Bahnhofstrasse 6, 5210 Windisch, Schweiz, oliver .bendel@fhnw .ch

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Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder Ein Kommentar zu Teil A des Beihefts hubert ertl / JürGen SeifrieD

Impact of artificial intelligence on important occupational fields A comment on Part A of the special issue

Im Mittelpunkt von Teil A dieses Beihefts stehen die Implikationen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) in der gewerblich-technischen Facharbeit, der kaufmännischen Bildung, den IT-Berufen, der industriellen Fertigung sowie in Pflegeeinrichtungen . Nach Wesche und Sonderegger (2019) wird der zunehmende Einsatz von KI in der Arbeitswelt die Interaktion zwischen Menschen und computergestützter Technologie grundsätzlich verändern . Die sich entwickelnden Interaktionsmuster werden von Experten gemeinhin als „Augmentation“ beschrieben, die in verschiedenen Stufen auftritt und von der Überwachung von technologiegesteuerten Abläufen durch den Menschen bis hin zur vollautonomen Prozessdurchführung durch intelligente Maschinen reicht, in die der Mensch nur eingreift, wenn Prozesse unzureichende Ergebnisse erbringen (Davenport & Kirby, 2016) . Die Beiträge in Teil A können in der Zusammenschau als Einschätzungen der Autorinnen und Autoren gelesen werden, inwieweit diese Augmentation in den untersuchten Berufsfeldern bereits vorangeschritten ist bzw . welche Augmentationsstufen in Zukunft erreicht werden könnten . Zudem werden neben den Potenzialen des zunehmenden Einsatzes von KI im jeweiligen Berufsfeld auch die sich abzeichnenden Probleme skizziert und Auswirkungen auf die berufliche Bildung diskutiert . Im ersten Beitrag stellen Matthias Becker, Georg Spöttl und Lars Windelband die Frage, wie KI die Anforderungen der gewerblich-technischen Facharbeit verändern werden . Charakteristisch für den Einsatz von KI-Technologien ist die Autonomie der technischen Systeme: sie agieren über ihre Systemgrenzen hinweg, treffen

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eigenständige Entscheidungen und können sich selbstständig optimieren . Die Autoren betonen, dass eine Betrachtung von Produkten und Prozessen allein aus technologischer Sicht zur Beschreibung der Facharbeit mit KI nicht ausreicht . Zu berücksichtigen ist darüber hinaus vielmehr, welche Rolle die Fachkräfte bei diesen Systemen und Konzepten eingenommen haben und bei Weiterentwicklung der Systeme einnehmen werden . Hierbei sind insbesondere Veränderungen in den Kommunikations-, Kooperations- und Kollaborationsstrukturen relevant . Anhand einer fünfstufigen Skala werden die Ausprägungen künstlicher Intelligenz mit Blick auf die Autonomie der Systeme definiert, wobei eine Zunahme hin zu Stufe 5 zu einer Abnahme der Verantwortung des Menschen führt . Diesen fünf Stufen werden zentrale technologische Merkmale, die Rolle der Fachkraft sowie die an diese gestellte Arbeitsanforderungen zugeordnet . Ob sich dieses Modell in der Empirie behauptet, müsste noch belegt werden . So weisen die Autoren darauf hin, dass die dargestellten Änderungen der Arbeitsanforderungen auf konkrete Aufgabenzusammenhänge anzuwenden sind, um es für die Ordnung der Berufsbildung zu nutzen . Der Beitrag konzentriert sich im Wesentlichen auf die Technologieentwicklung und ihre Auswirkungen auf berufliche Facharbeit . Ein wichtiger Beitrag zukünftiger Forschungsarbeiten muss es sein, Technologieentwicklung im Zusammenhang mit einer Organisationsentwicklung zu sehen, weil diese letztendlich die Arbeitsaufgaben einzelner Arbeitsplätze und damit die Verfasstheit von Facharbeit deutlich beeinflusst . Sie bildet für eine systematische Ableitung von Aufgabenprofilen und Qualifikationsanforderungen eine bedeutende Grundlage . Dass die KI neue Anforderungen insbesondere an Kommunikations- und Teamfähigkeit der Fachkräfte stellt, steht außer Zweifel . Bereits in der Neuordnung der IT-Berufe (siehe hierzu den Beitrag von Winkler und Schwarz) wurde die Vermittlung sozialer Kompetenzen, insbesondere die Kommunikations- und Teamfähigkeit, hervorgehoben . Zu diskutieren ist jedoch die Aussage der Autoren, dass sich die Ordnungsarbeit nur auf eine Beschreibung von Digitalisierungskompetenzen bezieht . Zwar werden seit 2021 in allen Ordnungsverfahren Aspekte der digitalisierten Arbeitswelt in einer Standardberufsbildposition aufgenommen, die für alle Berufe gilt . Diese kann aber in Abhängigkeit von berufs- oder branchenspezifischen Besonderheiten in den berufsprofilgebenden Inhalten ergänzt werden . Karl Wilbers blickt in seinem Beitrag zur kaufmännischen Facharbeit in der Industrie nicht nur darauf, wie sich die Kompetenzanforderungen unter dem Einfluss von KI verändern, sondern er verbindet dies mit Konsequenzen, die sich für die Struktur der Aus- und Fortbildung ergeben . Dazu werden zunächst grundsätzliche Fragen wie die Ausprägungen von KI im Kontext industrieller Prozesse und sich daraus ergebender Kompetenzanforderungen aufgegriffen . Wie schon im Beitrag von Becker, Spöttl und Windelband wird KI über die fünf Stufen der Autonomie definiert . Ergebnisse der Veränderungen von Tätigkeiten in industriellen Prozessen werden vor

Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder

dem Hintergrund des Substitutions-, Diffusions- und Augmentationsansatzes entlang der Dimensionen des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR) (Fachkompetenz, Selbständigkeit, Sozialkompetenz und sprachliche Kompetenz) erörtert, wobei der Autor die Stärken des Augmentationsansatzes für die Erklärung digitaler und technologischer Transformationen überzeugend darlegt . So wird durch den Ansatz der Prozess der „Ko-Konstitution“ von Produktionsabläufen aus technischen und sozialen Elementen aufgezeigt . Hieraus ergibt sich ein Interaktionsverhältnis von Mensch und Maschine, das relevanter erscheint als bisherige Annahmen einer einseitigen Anpassung des Menschen an die Maschine . Es entstehen Wechselwirkungen auf System- und auf Steuerungsebene, die zukünftig Veränderungen in der Industrie mit sich bringen werden, z . B . die Notwendigkeit von projektbezogenen und dezentralisiert gesteuerten Prozessabläufen in Echtzeit und deren Auswirkungen auf die Kompetenzen von Fachkräften . Dem insbesondere in frühen Arbeiten zu Industrie 4 .0 häufig präferierten Substitutionsansatz wird mit dem Augmenationsansatz eine technologiesoziologische Perspektive entgegengestellt, die für Transformationsprozesse in der Industrie wesentlich erkenntnisreicher und plausibler erscheint . Mit der Skizzierung des Laufbahnkonzeptes für die kaufmännische Bildung in der Industrie nach den Niveaus des DQR (Stufe 1 bis 7, vertikal) und entsprechenden Bildungsgängen (horizontale Struktur) zeigt der Autor die gegenwärtig auszumachenden Brüche auf . Für die zukünftige Strukturierung der Stufen beruflicher Fortbildung schlägt er einen Kompetenzbaukasten vor, der auf Modelle des Personalmanagements zurückgreift und verschiedene Laufbahnen und zugehörige Kompetenzen den Niveaus des DQR zuweist . Dieser Struktur könnten auch die Kompetenzanforderungen zugeordnet werden, die sich durch den Einfluss der KI ergeben . Der Autor wirft in seinem Beitrag die – auch für die Ordnungsarbeit – aktuelle Frage nach der Rolle der Fortbildung Geprüfte Berufsspezialistin / Geprüfter Berufsspezialist auf, die mit der Novellierung des BBiG 2020 eingeführt wurde, und ordnet sie dem im Laufbahnkonzept unbesetzten DQR-Niveau 5 zu . Da Fortbildungsstufen nicht gleichzusetzen sind mit den Niveaus des DQR, müsste erörtert werden, welche Kompetenzerwartungen auf der ersten Fortbildungsstufe im Laufbahnkonzept abgedeckt werden sollen, insbesondere in Abgrenzung zu bereits erworbenen Kompetenzen in Erstausbildung und Fortbildung . Das vorgestellte Kompetenzbaukastenmodell könnte einen Ansatzpunkt zur Klärung bieten . Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang, zum einen die Bedeutung des DQR-fremden Kriteriums „Lernumfang“, das für die Konstruktion der Berufslaufbahnkonzepte und für die Inhalte der Niveaus seit 2020 entscheidend ist . Zum anderen müssten die Bewertung und Zuordnung von fremdsprachlichen Kompetenzen erörtert werden . Hier scheinen die aktuellen Entwicklungen in der Ordnungsarbeit bereits sowohl in struktureller Hinsicht, wie die Entwicklung von Zusatzqualifikationen und Neuordnung existierender fremdsprachiger Fortbildung, als auch in inhaltlicher Hinsicht, wie die Einbeziehung internationaler Berufskompetenzen und interkultureller Kompetenzen, weiter fortgeschritten zu sein .

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Insgesamt ist die Fokussierung auf Industriekaufleute für den Argumentationsgang des Beitrages zielführend . Für grundlegende Debatten zu Implikationen von Kompetenzerwartungen und für die notwendige Ordnungsstruktur der Aus- und Weiterbildung, wie sie im Beitrag angestoßen werden, wäre die Ausweitung der Untersuchungsperspektive auf weitere kaufmännische Berufe wünschenswert . Während die ersten beiden Beiträge von Teil A die Auswirkungen der KI auf die Ordnung der Berufe aus theoretischer Sicht beleuchten, stellen Florian Winkler und Henrik Schwarz die praktische Ordnungsarbeit in den Mittelpunkt ihres Beitrages . Anhand der Ausbildungsberufe Fachinformatiker/-in, IT-System-Elektroniker/-in, IT-System-Kaufmann/-frau sowie Informatikkaufmann/-frau werden der Neuordnungsprozess und die damit verbundenen Herausforderungen aufgezeigt, die sich aufgrund der technologischen Entwicklung und insbesondere durch den Einsatz von KI ergeben . Die IT-Berufe gehören zu den sogenannten Querschnittsberufen, d . h . sie sind branchenübergreifend vertreten, und in einem hohen Maß von technischen Entwicklungen betroffen . Es wird herausgearbeitet, in welcher Weise IT-Berufe branchenübergreifende Querschnittsanforderungen bündeln und welche Herausforderungen dies für die Ordnungsarbeit stellt . Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie im Ordnungsprozess die gegenwärtig und zukünftig relevanten Inhalte identifiziert werden und wie mit einer antizipierten Überalterung der Inhalte umgegangen werden kann . Die Neuordnung muss sich somit zwei Herausforderungen stellen: dem Prognosedefizit und dem Obsoleszenzproblem . Den beiden ausgemachten Herausforderungen wird Rechnung getragen, indem in den Ausbildungsrahmenplänen die Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten möglichst technikoffen und funktionsorientiert beschrieben werden . Es handelt sich dabei um Mindeststandards, die von den Ausbildungsbetrieben entsprechend den betriebsspezifischen Anforderungen angepasst werden können . Nach den Autoren erwiesen sich die Ordnungsmittel der IT-Ausbildungsberufe in den vergangenen sechs Jahrzehnten als relativ robust gegenüber den sich ändernden Anforderungen . Dies hat mit dem Prinzip der „Technikoffenheit“ der Ordnungsmittel ebenso zu tun wie mit dem branchenübergreifenden Charakter der Berufe, der es erschwert, Anforderungen detailliert zu beschreiben . Die Neuordnung von Berufen ist ein Aushandlungsprozess, an dem Fachverbände und bildungspolitischen Akteure beteiligt sind . Auf Grundlage einer Voruntersuchung des BIBB (Schwarz et al ., 2016), die den Ordnungsbedarf bestätigte, wurden Empfehlungen formuliert, die aber nur teilweise in den Prozess mit einbezogen wurden . Für den Querschnitt der relevanten Unternehmen stellen KI-gestützte oder -gesteuerte Prozesse im Moment noch die Ausnahme dar; von einer zunehmenden Bedeutung ist aber auszugehen . Die Ergebnisse des Neuordnungsverfahren verdeutlichen den Einfluss der KI auf die Arbeitsprozesse . So sind aufgrund der Kompetenzanforderungen zwei neue Fachrichtungen beim Ausbildungsberuf Fachinformatiker/-in entstanden, nämlich für „Daten- und Prozessanalyse“ und „Digitale Vernetzung“ . Zudem wurden

Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder

die kaufmännisch orientierten IT-Berufe neu gestaltet in Kaufleute für Digitalisierungsmanagement und Kaufleute für IT-System-Management . Berufsübergreifend wurde das Thema IT-Sicherheit und der Erwerb sozialer Kompetenzen, z . B . Kommunikations- und Teamfähigkeit, hervorgehoben . Die Autoren legen detailliert den Aushandlungsprozess dar, der der Entwicklung von Ausbildungsordnungen zugrunde liegt . Zu berücksichtigen ist, dass die Ordnung von Berufen nach dem Konsensprinzip erfolgt, so dass nicht alle Einflüsse der KI in den Ordnungsmitteln aufgrund unterschiedlicher technologischer Ausrichtung der Branchen und Interessen der Beteiligten berücksichtigt werden können . Zudem scheint das Prinzip der „Technikoffenheit“ von Ordnungsmitteln gerade in Bezug auf die Berücksichtigung von KI von besonderer Bedeutung, weil die technologische Basis von KI-Prozessen schnellen Veränderungsprozessen unterliegen kann . Bianca Schmitt, Henning Klaffke, Torsten Sievers, Kirsten Tracht und Maren Petersen fokussieren in ihrem Beitrag den Einsatz kollaborativer Robotik in der industriellen Fertigung . Hierbei stellen sie die Fragen, wie sich die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ändert und wie sich die Änderungen empirisch erfassen lassen, so dass Bedarfe für die Aus- und Weiterbildung abgeleitet werden können . Hierfür werden im Rahmen eines Projektes in einer explorativen Untersuchung der Einsatz kollaborativer Robotik analysiert und ein Lehr-Lernkonzept für die Ausund Weiterbildung im Bereich kollaborativer Montage unter Nutzung einer MixedReality-Technologie entwickelt und erprobt . Vier charakteristische Aspekte von „Industrie 4 .0“ stellen den Ausgangspunkt der Betrachtungen dar: Technologisch modifizierte Arbeitsmittel, örtlich und zeitlich flexibilisierte Arbeitsprozesse, intern und extern veränderte Arbeitsteilung sowie die weitgehende Automatisierung von Prozessen . KI ist im industriellen Bereich dadurch gekennzeichnet, dass Daten nicht vorrangig von Menschen, sondern von Maschinen genutzt und interpretiert werden . Eine Programmierung zur Nachsteuerung der Maschinen wird nicht mehr erforderlich sein, da sich Programme und Produktionsabläufe selbständig optimieren . Mit Blick auf die aktuelle Arbeitswelt ist insgesamt festzustellen, dass KI in der industriellen Produktion heute noch wenig zum Einsatz kommt . Allerdings sind für die Zukunft vielfältige und weitreichende Einsatzgebiete abzusehen, eines davon ist die kollaborativen Robotik . Die Autorinnen und Autoren berichten über ein Projekt, in dem der Einsatz kollborativer Robotik explorativ untersucht und begleitet wird . Mit Hilfe von semi-strukturierten Interviews mit Auszubildenden, Ausbildungspersonal und Lehrkräften wurden Erkenntnisse zum Einsatz dieser KI-gestützten Technologie und deren Relevanz für Bildungsmaßnahmen gewonnen . Ebenso werden Erkenntnisse zum Einsatz von Technologien virtueller Realitäten dargestellt . Zudem wurde in diesem Projekt ein Lehr-Lernkonzept entwickelt und zum Einsatz gebracht . Der Beitrag berichtet von den Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang gemacht wurden .

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Erste Ergebnisse der Untersuchung weisen auf Schulungsbedarfe sowohl aus Sicht der Unternehmen und der Bildungseinrichtungen hin . Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) müssen unterstützt werden, um kollaborative Robotik produktiv und effizient einzusetzen . Die Autorinnen und Autoren konstatieren, dass aufgrund der ständigen Weiterentwicklung der Technologien, auch neue Schneidungen von Berufen in Erwägung gezogen werden müssen, auf die jedoch nicht weiter eingegangen wird . Damit auf die sich ändernden Anforderungen und Bildungsbedarfe reagiert werden kann, empfehlen sie Technologieanalysen und Strukturentwicklungen mit Ansätzen des lebenslangen Lernens zu verknüpfen . Dies ist ein Gedanke, der auch in der Ordnung von Berufen verfolgt wird: innerhalb eines Berufsfeldes sollen Qualifikationen vermittelt werden, die für vielfältige Aufgaben einsetzbar sind und ein selbstgesteuertes lebenslangen Lernen ermöglichen (s . Beitrag von Winkler und Schwarz) . Im letzten Beitrag des Teils A stellt Oliver Bendel die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Robotern in Pflegeberufen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen . Er fokussiert hierbei wirtschaftliche, technische, räumliche, soziale sowie ethische und rechtliche Aspekte . Aus wirtschaftlicher Sicht werden Anschaffungskosten, laufende Kosten und mögliche Kostenersparnis diskutiert . Aus technischer Sicht rückt zum einen der Umgang mit Pflegerobotern, die Mensch-Maschine-Kommunikation, als auch die Interaktion zwischen den Robotern und die Maschine-Maschine-Kommunikation in den Vordergrund . Es werden die Schulungen der Mitarbeitenden, Datenerhebung und -speicherung, Informationserstellung und -nutzung sowie die Energieversorgung thematisiert . Weiterhin werden räumliche Aspekte wie Platzbedarf, Barrierefreiheit, Arbeitsschutz und Sicherheit besprochen . Zu den sozialen Aspekten gehören Themen der Akzeptanz gegenüber Pflegerobotern, ihre natürlich-sprachlichen Fähigkeiten, Emotionen und Empathie sowie ihre Mittlerfunktion . Die ethischen und rechtlichen Aspekte beinhalten folgende Punkte: Menschenwürde, Privat- und Intimsphäre, Verantwortung und Haftung, die Rolle von ethischen Beiräten, Leitlinien und Patientenverfügungen . Aus den Analysen leitet der Autor die Empfehlungen ab, den Einsatz von Pflegerobotern betriebswirtschaftlich zu planen und transparent unter Berücksichtigung sozialer, ethischer und rechtlicher Aspekte mit allen Beteiligten zu kommunizieren . Schulungsbedarfe sollen mit den Mitarbeitenden abgesprochen und ihnen IT-Experten und -Expertinnen zur Seite gestellt werden; die räumlichen Gegebenheiten sind zu berücksichtigen oder entsprechend anzupassen . Der Beitrag bietet einen Überblick über die bestehenden Diskurse zum Einsatz von Robotik in der Pflege . Wie bereits beschrieben, werden in diesem Beitrag die strukturellen und organisationalen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Pflegerobotern fokussiert; eine Beschreibung der Auswirkungen auf die Aus- und Weiterbildung von Pflegenden steht nicht im Vordergrund . Die abgeleiteten Empfehlungen zur Anschaf-

Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf wichtige Berufsfelder

fung und zum Einsatz von Pflegerobotern richten sich an die Leitungen von Pflegeeinrichtungen . Interessant wäre in diesem Zusammenhang gewesen, den Einfluss und die Gestaltungsmöglichkeiten von Pflegebedürftigen und beruflich Pflegenden beim Einsatz von Pflegerobotern zu diskutieren . Zudem sollte in zukünftigen Untersuchungen die große Bandbreite von robotischen Systemen bei der Analyse von Einsatzmöglichkeiten im Pflegebereich systematisch berücksichtigt werden . Dies könnte als Grundlage für Einschätzungen zu zukünftigen Kompetenzanforderungen in der Pflege dienen . Die aufgeführten Beiträge zeigen, wie sich die Digitalisierung auf verschiedene Berufe auswirkt . Durch die Interaktion von Mensch und Maschine ändern sich Arbeitsprozesse, Aus- und Fortbildungsbedarfe entwickeln sich, Berufsbilder verändern sich und auch neue Berufe entstehen . Aber was ist das besondere beim Einsatz von KITechnologien? Auch wenn unterschiedliche Definitionen gegeben werden, von einem Stufenmodell (Becker, Spöttl und Windelband; Wilbers in diesem Beiheft) über eine binäre Kategorisierung von schwacher KI und starker KI (Winkler und Schwarz in diesem Beiheft) bis hin zu Beschreibungen bezogen auf konkrete Technologie (Schmitt et al .; Bendel in diesem Beiheft), so ist ein Charakteristikum für KI entscheidend: die Ausprägung der Autonomie von Maschinen . Damit einher geht die Veränderung der Interaktion zwischen Mensch und (teil-)autonomen Maschinen . Die Beiträge attestieren zudem allesamt, dass der Einsatz von KI in der Arbeitswelt noch wenig verbreitet ist . Um auf zukünftige Entwicklungen reagieren zu können, müssen relevante Ausbildung- und Fortbildungsbedarfe jedoch frühzeitig erkannt und gedeckt werden . Aus Sicht der Ordnung von Aus- und Fortbildungsberufen haben digitale Transformationsprozesse immer schon für kontinuierliche Anpassungen und Weiterentwicklungen gesorgt . Ähnliche Entwicklungen werden daher auch mit dem Einzug von KI erwartet . Da diese Entwicklungsprozesse unterschiedliche Relevanz, Reichweiten und Geschwindigkeiten aufweisen, sind jedoch keine disruptiven Veränderungen zu erwarten . Stattdessen sind differenziert Anpassungsprozesse von Unternehmen und deren Aus- und Fortbildungspraxis zu vermuten . Es scheint wahrscheinlich, dass diese vergleichbar mit den für die fortschreitende Digitalisierung festgestellten Entwicklungen verlaufen werden (vgl . Zinke, 2019) . Während in diesem Teil des Beiheftes vor allem die Auswirkungen der KI auf die Arbeitswelt betrachtet wurde, rücken im zweiten Teil Fragen der Anwendung von KI in der beruflichen Aus- und Weiterbildung in den Vordergrund . Untersucht wird, wie KI-Technologien zur Individualisierung von Lehr-Lernprozessen beitragen und Lernortkooperationen sowie Menschen mit Behinderung unterstützen können .

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Zur Person: Hubert Ertl ist Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten im

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn sowie Professor für Berufsbildungsforschung im Department 5 Wirtschaftspädagogik an der Universität Paderborn . Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Übergänge zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung, die international vergleichende Forschung zur Hochschulbildung, die europäische Bildungs- und Ausbildungspolitik sowie die Einführung und Umsetzung von Bildungsreformen . Prof. Dr. Hubert Ertl

Bundesinstitut für Berufsbildung, Robert-Schuman-Platz 3, 53175 Bonn, ertl@bibb .de Zur Person: Jürgen Seifried leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen an der Universität Mannheim . Zentrale Forschungsschwerpunkte sind fachdidaktische Fragestellungen, die Forschung zur Kompetenzentwicklung von Lehr- und Ausbildungspersonen, Lernen am Arbeitsplatz sowie Verfahren der Kompetenzdiagnostik in der beruflichen Bildung . Prof. Dr. Jürgen Seifried

Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen, L 4,1, 68131 Mannheim, seifried@bwl .uni-mannheim .de

Teil B Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung

Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence Potentiale und Grenzen matthiaS Söllner / anDreaS JanSon / roman rietSche / marian thiel De Gafenco

Individualization of Professional and Vocational Education and Training through Hybrid Intelligence Potentials and Limitations Kurzfassung: Künstliche Intelligenz durchdringt immer stärker verschiedene Lebensbereiche und

macht auch vor der beruflichen Bildung nicht halt . In diesem Zusammenhang gibt es derzeit vielfältige Diskussionen zur Rolle der menschlichen Intelligenz in zukünftigen Arbeitsprozessen und damit verknüpft Fragen zur Auswirkung auf die Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften . Ziel dieses Beitrags ist es darzulegen, warum in den kommenden Jahrzehnten die effektive Kombination der komplementären Stärken von menschlicher und künstlicher Intelligenz im Sinne des Hybrid Intelligence (HI)-Gedankens im Vordergrund stehen wird . Anschließend werden Potentiale und Grenzen von HI im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung mit besonderem Fokus auf die Individualisierung von Lehr-/Lernprozessen diskutiert . Schlagworte: Künstliche Intelligenz, Hybrid Intelligence, Hybride Intelligenz, Individualisierung, Lehr-/Lernprozesse, Potentiale und Grenzen Abstract: Artifical Intelligence increasingly pervades various areas of life including professional and

vocational education and training . In this context, numerous discussions emerge about the future role of human intelligence in work processes and the resulting implications for education and training of employees . The goal of this paper is to outline why Hybrid Intelligence, understood as the effective combination of artificial and human intelligence, will play a major role in the forthcoming centuries . Furthermore, we discuss potentials and limitations of Hybrid Intelligence in the context of professional and vocational education and training with a special focus on individualization of teaching and learning processes .

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Keywords: Artifical Intelligence, Hybrid Intelligence, Individualization, Teaching and Learning Processes, Potentials and Limitations

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Einleitung

Die Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen ist bereits seit Beginn der industriellen Revolution ein zentrales Thema im praktischen und wissenschaftlichen Diskurs . Auch existierende Berufsbilder und die Anforderungen an die Tätigkeiten unterschiedlicher Arbeitskräfte hat sich seither regelmäßig stark verändert . Bislang jedoch war ein zentrales Charakteristikum stets, dass Maschinen typischerweise Tätigkeiten von menschlichen Arbeitskräften übernommen haben, die entweder auf Dauer körperlich sehr belastend oder allein mit körperlicher Kraft gar nicht oder nicht so effizient hätten durchgeführt werden können . Zudem wurden repetitive Arbeitsabläufe mit der Zeit zunehmend von Maschinen übernommen . Obwohl jede dieser Entwicklungen mit starken Veränderungen bzw . gar dem Wegfall verschiedener beruflicher Tätigkeiten und damit dem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden war, entstanden gleichermaßen neue Aufgabenbereiche, denen sich der Mensch widmen konnte . Ein Ergebnis dieser langfristigen Entwicklung ist die heutige Wissensgesellschaft, in der die menschlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend Tätigkeiten wahrnehmen, die primär kognitive statt körperlicher Anstrengung erfordern . Die Rollen zwischen Menschen und Maschinen in der Wissensgesellschaft schienen relativ klar verteilt: Einfache, repetitive und auf körperlicher Anstrengung basierende Aufgaben werden soweit möglich an Maschinen ausgelagert, die diese Tätigkeiten über einen sehr langen Zeitraum hinweg ohne Qualitätsverlust sehr zuverlässig ausführen können . Anspruchsvollere Aufgaben, die häufig das Abwägen verschiedener Handlungsoptionen und das Treffen einer Entscheidung auf Basis unvollständiger Informationen (die wiederum teilweise von Maschinen bereitgestellt werden) umfassen, werden von Menschen übernommen . Mit dem dritten Frühling der künstlichen Intelligenz (KI) wird diese etablierte Aufgabenteilung zwischen Menschen und Maschinen in der Wissensgesellschaft nun in Frage gestellt, da KI-Systeme, zumindest in einigen Bereichen und in gewissem Umfang, Tätigkeiten übernehmen können, die vorher klar der menschlichen Intelligenz zugeschrieben wurden . Zu Beginn dieser Entwicklung wurde häufig die Metapher Mensch gegen Maschine (Brynjolfsson & McAfee, 2011) verwendet und die Befürchtung war, dass KI-Systeme durch die rasante technologische Entwicklung bald auch die meisten der kognitiv anspruchsvollen Tätigkeiten übernehmen würden, die bislang für die menschliche Intelligenz reserviert waren . In den letzten Jahren wurde jedoch zunehmend klarer, dass dieses Szenario als unwahrscheinlich einzustufen ist . So zeigt eine aktuelle Delphi-Studie, dass selbst KI-Forschende – die wahrscheinlich eher eine optimistische Einstellung zu den Potentialen von KI aufweisen – nicht daran

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glauben, dass KI-Systeme innerhalb der nächsten 100 Jahre in der Lage sein werden, sämtliche menschliche Tätigkeiten zu übernehmen (Grace, Salvatier, Dafoe, Zhang & Evans, 2018) . Entsprechend ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahrzehnten das Zusammenspiel menschlicher und künstlicher Intelligenz, und deren Orchestrierung zur Bewältigung unterschiedlichster Aufgaben, im Vordergrund stehen wird (Dellermann, Ebel, Söllner & Leimeister, 2019; McAfee & Brynjolfsson, 2017; McKinsey Global Institute, 2018) . Dieses Zusammenspiel zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz wird in der wissenschaftlichen Literatur unter dem Schlagwort Hybrid Intelligence diskutiert (Akata et al ., 2020; Dellermann et al ., 2019; Kamar, 2016) . Hybrid Intelligence ist hierbei definiert als die Fähigkeit komplexe Ziele durch die Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz erreichen zu können und dabei bessere Resultate zu erzielen als es bei exklusivem Einsatz menschlicher oder künstlicher Intelligenz möglich gewesen wäre . Ein Hauptaspekt, der dies ermöglicht, ist der Gedanke, dass menschliche und künstliche Intelligenz stetig voneinander lernen und somit von den Stärken der jeweils anderen Intelligenzform profitieren können (Dellermann et al ., 2019) . In diesem Prozess ist davon auszugehen, dass im Laufe der Zeit unterschiedliche existierende berufliche Tätigkeiten, die heute von Menschen ausgeführt werden, von KI-Systemen übernommen werden, was dazu führt, dass Menschen darauf vorbereitet werden müssen, sich – der Logik des lebenslangen Lernens folgend – stetig weiterzubilden und neue berufliche Tätigkeiten auszuüben . Ziel dieses Beitrags ist es aufzuzeigen, welche Potentiale und Grenzen Hybrid Intelligence in der beruflichen Bildung haben kann . Insbesondere soll hierbei darauf eingegangen werden, wie der intelligente Einsatz von Hybrid Intelligence menschlichen Arbeitskräften eine individuelle Unterstützung im Prozess des Lernens ermöglichen kann . Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Artikel im Weiteren wie folgt gegliedert . Im nächsten Abschnitt wird das Konzept von Hybrid Intelligence noch einmal vertiefend dargestellt, bevor im darauffolgenden Abschnitt ausgewählte Herausforderungen in der beruflichen Bildung thematisiert werden . Ein Fokus liegt hierbei auf der Individualisierung von Lehr-/Lernprozessen . Anschließend werden zuerst die Chancen des Einsatzes aktueller Hybrid Intelligence-Lösungen für die berufliche Bildung diskutiert, bevor auf die Grenzen aktueller Systeme eingegangen wird und der Beitrag mit einem Fazit schließt . 2

Hybrid Intelligence

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es schon länger Debatten darüber, ob statistische Methoden oder das menschliche Gehirn besser darin sind, gewisse Ergebnisse oder Ereignisse vorherzusagen (Dellermann et al ., 2019) . Durch bedeutende Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz in den vergangenen Jahren ist diese Dis-

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kussion erneut aufgeflammt . Basis für diese Fortschritte bilden die stetig wachsende Rechenleistung von Computern sowie, insbesondere in den letzten Jahren, Erkenntnisse im Bereich des Deep Learning in neuronalen Netzen (für tiefergehende Details sei an dieser Stelle auf Schmidhuber, 2015 verwiesen) . Beispiele, die diese Fortschritte verdeutlichen, sind unter anderem der Sieg von Deep Blue über Schachgroßmeister Kasparov im Jahr 1997 (Campbell, Hoane & Hsu, 2002), der Sieg von Google’s Alpha Go über den Go-Weltmeister Lee Sedol im Jahr 2016 (Silver et al ., 2016) sowie der Sieg von IBM Watson im Duell mit Jeopardy!-Champions im Jahr 2011 (Ferrucci, 2012) . Während beim ersten Beispiel diskutiert werden kann, ob Deep Blue, durch die klaren Spielregeln, die immer stärker wachsende Rechenleistung und der damit verbundenen Möglichkeit alle denkbaren Optionen und Spielverläufe in Echtzeit zu berechnen, verglichen mit dem menschlichen Gehirn, einen klaren und unfairen Vorteil hätte (Campbell et al ., 2002), so stellt sich dies bei den beiden anderen Beispielen anders dar . Durch die Größe des Spielfelds, der Vielzahl möglicher Züge und dem damit verbundenen exponentiellen Wachstum aller möglicher Spielverläufe, verfolgt Alpha Go nicht den Ansatz alle möglichen Optionen vorab zu berechnen und sich für die „optimale Lösung“ zu entscheiden . Vielmehr entscheidet Alpha Go auf Basis von Mustern in Spielabläufen, die mit Hilfe einer sehr umfangreichen Datenbank an früheren Spielen menschlicher Go-Spieler sowie einer Vielzahl simulierter Spiele gegen sich selbst identifiziert wurden, welcher Zug als nächstes durchgeführt werden sollte . Dadurch kamen teilweise sogar Züge zu Stande, die menschliche Go-Profis als ungewöhnlich bezeichneten, die sich im Nachhinein jedoch als wirksam erwiesen, was als Anzeichen von Kreativität gedeutet werden kann (Silver et al ., 2016) . Ähnlich verhält es sich mit der Aufgabe im Spiel Jeopardy!, wo auf Basis eines geäußerten Satzes die passende Frage unter Zeitdruck formuliert werden muss . Dies stellt damit ebenfalls eine kreativere Aufgabe dar, als die Vorabberechnungen möglicher Optionen aus einem endlichen Raum an Lösungen wie beim Schach (Ferrucci, 2012) . Auf Basis der zuvor skizzierten und weiteren Beispiele wurde oft das Bild einer nicht allzu fernen Zukunft gezeichnet, in der sich der Mensch im Wettlauf mit KI-Systemen befindet und im Begriff ist von ihnen ersetzt zu werden (siehe bspw . Brynjolfsson & McAfee, 2011) . Im Gegensatz zu Beispielen, in denen KI-Systemen übermenschliche Leistungen erzielen (siehe Brown  & Sandholm, 2019 für weitere Beispiele), finden sich jedoch auch Beispiele, die Schwächen oder Probleme zumindest aktueller KI-System aufzeigen . Eine der bekanntesten Klassen von Problemen sind sogenannte Biases also Verzerrungen, in den Entscheidungen oder Empfehlungen von KI-Systemen, die aufgrund von Verzerrungen in den Daten, die für das Trainieren der Systeme verwendet werden, an die KI-Systeme weitergegeben oder sogar durch sie verstärkt werden . Beispiele reichen hier von leichter zu erkennenden bzw . einfacheren Problemen, wie dem fehlerhaften Klassifizieren von Tierbildern sobald sich minimale Veränderungen im Bildhintergrund ergeben (Azulay & Weiss, 2019), bis hin zu diskriminierendem Verhalten von KI-Systemen . So wurden bspw . bei Amazon Bewerberinnen auf Informa-

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tikerstellen von einem Auswahlalgorithmus benachteiligt, weil in der Vergangenheit vorwiegend männliche Bewerber eingestellt wurden und der Algorithmus mit diesen Daten trainiert wurde (Dastin, 2018) . Ein weiteres Beispiel ist ein Algorithmus, der afro-amerikanische Angeklagte doppelt so häufig falsch als Hochrisiko-Klienten klassifizierte wie weiße Angeklagte (Manyika, Silberg & Preston, 2019) . Eine weitere Problemquelle sind sogenannte „Adversarial Examples“, mit denen KI-Systeme manipuliert oder ausgetrickste werden können . So kann beispielweise ein zu klassifizierendes Bild so manipuliert werden, dass diese Manipulation zwar für das menschliche Auge nicht ersichtlich ist, bei der Verarbeitung durch die KI jedoch dazu führt, dass eine falsche Klassifikation des Inhalts vorgenommen wird (Beispiel für „Adversarial Noise“, Finlayson et al ., 2019) . Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass heutige KI-Systeme eine Reihe von Potentialen bieten, aber ebenso gewisse Grenzen beim Einsatz zu beachten sind, um ungewünschte Effekte zu vermeiden . Entsprechend gehen auch führende KI-Forscher nicht davon aus, dass eine generelle künstliche Intelligenz – also eine mit der menschlichen Intelligenz vergleichbare künstliche Intelligenz  – in absehbarer Zeit Realität werden wird (Grace et al ., 2018) . Auf Basis dieser Erkenntnisse ist in der wissenschaftlichen Literatur auch ein Wechsel weg vom Kampf Mensch gegen Maschine (Brynjolfsson & McAfee, 2011) hin zum Zusammenspiel von künstlicher und menschlicher Intelligenz (McAfee & Brynjolfsson, 2017) und der Metapher einer sich daraus ergebenden hybriden Intelligenz (Dellermann et al ., 2019, wir verwenden in der Folge den etablierteren englischen Begriff Hybrid Intelligence) zu beobachten . Hybrid Intelligence (HI)-Systeme haben das Ziel komplexe Probleme zu lösen, indem die Stärken menschlicher und künstlicher Intelligenz so miteinander kombiniert werden, dass bessere Ergebnisse erzielt werden können, als es mit der Verwendung nur einer Intelligenzform möglich gewesen wäre (Dellermann et al ., 2019) . In diesem Zusammenarbeitsprozess lernen die beiden Intelligenzformen zudem stets voneinander . In dieser Klasse von Systemen wird grundsätzlich zwischen zwei Archetypen unterschieden, die jedoch je nach Problemstellung flexibel miteinander kombiniert werden können (siehe Abbildung 1) . Der erste Archetyp erweiterte menschliche Intelligenz beschreibt Situationen, in denen die menschliche Intelligenz im Mittelpunkt steht und von der künstlichen Intelligenz unterstützt wird, um bspw . bessere Entscheidungen zu treffen . Beim zweiten Archetyp erweiterte maschinelle Intelligenz hingegen steht die künstliche Intelligenz im Vordergrund und wird durch die menschliche Intelligenz unterstützt, z . B . indem fehlerhaft Klassifikationen durch einen Algorithmus vom Menschen korrigiert werden und sich das KI-System so für zukünftige Klassifikationen verbessern kann (Dellermann et al ., 2019) . Oftmals werden beide Archetypen jedoch auch miteinander kombiniert, bspw . indem ein KI-System einen menschlichen Entscheider zuerst unterstützt (erweiterte menschliche Intelligenz) und im Anschluss dann bspw . durch Feedback von den Be-

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Abb. 1 Verteilung der Rollen bei Hybrid Intelligence (in Anlehnung an Dellermann et al., 2019)

troffenen der Entscheidung wiederum Input zur Verbesserung der Algorithmen erhält (erweiterte maschinelle Intelligenz) . Bei der Gestaltung von HI-Systemen ist es konsequenterweise wichtig, sich der Stärken beider Intelligenzformen bewusst zu sein, um sie bestmöglich miteinander kombinieren zu können . Hierbei gilt es zu beachten, dass die Arten von Aufgaben, die sehr einfach von menschlicher und künstlicher Intelligenz übernommen werden, teilweise sehr stark auseinanderfallen . Dieser Umstand ist als Paradoxon von Moravec bekannt, welches besagt: „it is comparatively easy to make computers exhibit adult level performance on intelligence tests or playing checkers, and difficult or impossible to give them the skills of a one-year-old when it comes to perception and mobility“ (Moravec, 1988, S . 15) . Menschen haben bspw . Vorteile gegenüber KI-Systemen, wenn es um Eigenschaften und Fähigkeiten wie Flexibilität, Kreativität, Empathie, das Anpassen an unterschiedliche Kontexte und Domänen sowie das sinnvolle Füllen von Lücken in präsentierten Daten geht (whrschnlch glngt s hnn rltv schnll dsn Txt z ntzffrn) . Das ermöglicht es menschlicher Intelligenz, bspw . durch Analogieschlüsse, Wissen, welches in einer Domäne erworben wurde, adäquat auf ein vergleichbares Problem in einer anderen Domäne zu übertragen und stellt auch die Grundlage dessen dar, was häufig als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird . KI-Systemen hingegen verfügen typischerweise über ein enormes Maß an Expertise in einem bestimmen Bereich (bspw . Schach), büßen jedoch oftmals sämtliche Expertise ein, sobald sich die Domäne leicht ändert (bspw ., wenn anstatt von Schach plötzlich Mühle gespielt wird) . Dafür haben KI-Systeme Vorteile, wenn es um das schnelle, effiziente und konsistente Lösen klar definierter Probleme geht, während es für Menschen bspw . sehr aufwändig oder für einige sogar

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unmöglich wäre, eine Rechenaufgabe wie 2 .217 .459 .095 .662 .177 geteilt durch 8 .598 .427 zu lösen (das Ergebnis ist 257 .891 .251) . Darüber hinaus können KI-Systeme sehr gut eventuell bestehende Muster in großen Datenmengen identifizieren . Abbildung 2 fasst die komplementären Stärken von menschlicher und künstlicher Intelligenz noch einmal kurz zusammen .

Abb. 2 Komplementäre Stärken von Menschen und Maschinen (Dellermann et al., 2019)

Abschließend kann festgehalten werden, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz in vielen Bereichen diverse Potentiale aufweist . Gleichzeitig gilt es jedoch immer, die Grenzen der eingesetzten Systeme zu beachten, um ungewünschte Ergebnisse zu vermeiden . Hierbei kann die systematische komplementäre Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz, im Sinne des Gedankens der Hybrid Intelligence, helfen, die Potentiale von KI-Systemen hervorzuheben und gleichzeitig den negativen Effekten des KI-Einsatzes entgegenzuwirken . 3

Herausforderungen in der beruflichen Bildung

Technologischer Fortschritt schlägt sich in vielen Bereichen der Gesellschaft in digitalen Transformationsprozessen, oder konkreter, der Implementation von Technologien wie Robotik und künstlicher Intelligenz unter einem Automatisierungsparadigma, nieder (Spöttl & Schulte, 2019, o . S .) . Insbesondere die Einflüsse auf industrielle Produktionsprozesse, für die Sammelbegriffe wie vierte industrielle Revolution oder Indus-

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trie 4 0 stehen, haben weitreichende Folgen für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber . Dabei konnte die Polarisationsthese, wie sie von Frey und Osborne (2013, 2017) vertreten wird und in einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen mündet, inzwischen weitestgehend relativiert werden: Regionale Besonderheiten von Arbeitsmärkten, die hohe Komplexität ansässiger Wertschöpfungsketten und die Frage, was berufliche Handlungen beinhalten, erschweren die Übertragung von Prognosen zur Automatisierung auf deutsche Verhältnisse (Tiemann, 2016) . Darüber hinaus wird Kritik am methodischen Vorgehen von Frey und Osborne sowie den daraus getroffenen Vorhersagen laut (Coelli & Borland, 2019; Naudé, 2019) . Trotz einem tatsächlich geringen Bedrohungspotential, welches aus der Intransparenz einer zunehmenden Automatisierung erwächst und auf Arbeitsplätze wirkt, hegt zumindest in Europa ein beträchtlicher Teil der Arbeitnehmer die Befürchtung, dass KI und Roboter ihre Position einnehmen könnten (CEDEFOP, 2019) . Insofern der Arbeitsplatz erhalten bleibt, sind die Folgen der Automatisierung durch die Möglichkeiten von KI für die intrinsische Qualität von Arbeit, die Autonomie der Arbeitnehmer und die work-life balance schwierig abzuschätzen und im Zweifelsfall Individualmerkmale der eigenen Tätigkeit (Peruffo, Schmidlechner, Contreras  & Molinuevo, 2017) . Neben den oben genannten Herausforderungen im Bereich der Arbeit, beeinflussen die technischen Fortschritte in der KI-Entwicklung auch die Ausgestaltung von Bildungsprozessen, für die sich durch die Generierung von Daten und teils intransparenten Datenverarbeitungsmechanismen genuin neuen Probleme ergeben, derer man sich bisher vor allem in begrenzten, experimentellen oder lokalen Kontexten annimmt (Vincent-Lancrin & Vlies, 2020) . Die Diskrepanz in der wahrgenommenen und tatsächlichen Fremd- und Selbstbestimmung in einem von KI geprägten Arbeitsumfeld findet sich analog in Lernkontexten der Berufsbildung wieder . Das Potential der Individualisierung von Lehr-/Lernprozessen mittels KI, in diesem Beitrag am Beispiel selbstgesteuerten bzw . selbstorganisierten Lernens näher mit konkreten Lösungsvorschlägen behandelt, bringt nun zwangsläufig Herausforderungen im Aushandlungsprozess der Verantwortlichkeiten (Lang & Pätzhold, 2006) mit sich, wenn mit KI als ein weiterer Beteiligter am Lehr-/Lernprozess mitwirkt . Mit dem Schlagwort Individualisierung ist die gesellschaftliche Forderung verbunden, Flexibilität, Eigeninitiative und die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbststeuerung von Arbeitnehmern zu erhöhen, was u . a . durch selbstgesteuertes bzw . selbstorganisiertes Lernen eingelöst werden soll (Lang & Pätzhold, 2006) . Individualisierung in Lehr-/Lernprozessen, auch wenn diese auf Basis von Gruppenbildung und deren Adressierung stattfindet, ist mit dem Ziel der Ermöglichung selbstgesteuerten Lernens weniger auf zeitliche Grenzen oder Grenzen der didaktisch-pädagogischen Befähigung zurückzuführen, als vielmehr auf die Generierung der hierfür notwendigen Informationen über Lernende, sowie deren Verarbeitung zu konkretem didaktischem Handeln (Acemoglu  & Restrepo, 2020) . Dem Einsatz von KI im Kontext von Unterricht bzw . der Instruktion wird dem-

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entsprechend eine außerordentliche Bedeutung in der Individualisierung von Lehr-/ Lernprozessen beigemessen, die sich in Prognosen und Empfehlungen für individuelles Lernen auf Seiten der Lernenden wie Lehrenden manifestiert (Vincent-Lancrin & Vlies, 2020) . Für Lehrkräfte bedeutet dies jedoch auch, dass sich an die generelle, aus den digitalen Transformationsprozessen abgeleitete und affirmative Grundeinstellung zu technologischen und sozioökonomischen Entwicklungen (Schröder, 2019), der Erwerb eines breiten Spektrums an spezifischen KI-Kenntnissen reihen muss, die als komplementär zu den Möglichkeiten der Algorithmierung zu sehen sind (Acemoglu & Restrepo, 2020) . 4

Chancen für die berufliche Bildung durch Hybrid Intelligence

Um die oben skizzierten Herausforderungen bei der Individualisierung in der beruflichen Bildung hinsichtlich Lernenden und Lehrkräfte anzugehen, wollen wir im Folgenden die Chancen durch Einsatz von Hybrid Intelligence-Ansätzen a) für selbstgesteuerte bzw . selbstorganisierte Lernprozesse in der Gesamtheit, sowie b) in seinen Einzelkomponenten Vorbereitung (Forethought Phase), Durchführung (Performance Phase) und Nachbereitung (Self-Reflection Phase) skizzieren . Diese zugegeben

Abb. 3 Zyklisches Modell selbstregulierten Lernens nach Zimmerman und Campillo (2003)

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pragmatische Unterscheidung von Phasen des Lernprozesses dient vor allem dazu, die Breite an KI-spezifischen Erkenntnissen angemessen berücksichtigen zu können, für die eine passende theoretische Linse in der Berufsbildungsforschung nicht identifiziert werden konnte . Definitorisch beziehen wir uns im Zuge dessen auf das in Abbildung 3 dargestellte zyklische Modell selbstregulierten Lernens nach Zimmerman and Campillo (2003) . Die Vorbereitungsphase (Forethought Phase) im Lernprozess spielt eine besondere Rolle . Sie geht den konkreten Lernaktivitäten voraus und dient deren Aufwertung (Zimmerman, 2006) . Sie beinhaltet die Wiederholung und Aktivierung des vorherig erlernten Wissens und der Fähigkeiten, um eine Verknüpfung zwischen dem neu zu erlernende und dem bestehenden Wissen zu schaffen . Darüber hinaus beinhaltet die Vorbereitung maßgebliche Elemente der Planung des zu Erlernenden . Konkret bedeutet dies, z . B ., welche Elemente in welcher Reihenfolge erarbeitet/bearbeitet werden sollten oder wie die eigenständige Zielsetzung von Lernenden abläuft . Dabei haben Lernende oft unterschiedliche Herangehensweisen und eine der Hauptherausforderungen ist zu erkennen, wie Lehrkräfte und Vertreter der Betriebe, Lernende individuell unterstützen können . Dabei ist insbesondere die Selbstmotivation ein wichtiger Punkt im Rahmen der Individualisierung und stark abhängig vom Individuum . Im Rahmen der Vorbereitung von Lernprozessen sind HI-Ansätze dadurch gekennzeichnet, dass historische Daten von Lernprozessen genutzt werden können, bspw . Daten aus Learning Management Systemen ( Janson, Söllner & Leimeister, 2017) . Dies ermöglicht den Vergleich und Ermittlung von individuellen Bedürfnissen und Herausforderungen in den einzelnen Berufsgruppen . Mittels HI können somit diese Lernpfade, z . B ., nach ihren Stärken und Schwächen für die Lernende klassifiziert werden, es können aber auch individuelle Unterschiede in der Selbstmotivation berücksichtigt werden . Diese Charakteristika von Lernenden können dann wiederum als Input für Lernprozesse und Interventionen mittels HI sein . Somit können Lernende auf Basis dieser Daten und mittels HI, die Lernprozesse und Lernpfade möglichst optimal konfiguriert, und durch Experten, also bspw . Ausbildende und Lehrkräfte, im Rahmen der Schaffung eines angemessenen Kontextes für Selbstlernphasen berücksichtigen . Die Chancen von HI-Ansätzen liegen dabei insbesondere in der Erkennung von erfolgreichen Mustern und Lernpfaden, die sonst unentdeckt geblieben wären . Lehrkräfte und Ausbilder können auf vorhandenem und automatisiert aufbereitetem Wissen aufbauen und dabei gemeinschaftlich Lernprozesse stetig weiterentwickeln und verbessern . Die HI-Ansätze unterstützen Lernende somit individuell ihren persönlichen Lernprozess zu gestalten und zu verbessern, bspw . durch die kuratierte Auswahl geeigneter Lernstrategien und Lerntaktiken . Gleichzeitig kann dieser aber durch Lehrkräfte sowie Ausbilder überwacht und betreut werden . Wenn Lernende selbst betrachtet werden, kann HI für eine Klassifizierung von Lernenden, wie man es z . B . in Universitäten durch Vorkurse kennt, erfolgen, um möglichst schon am Anfang von Lernprozessen diejenigen Lernenden zu identifizieren, die möglichst viel Unterstützung während der

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Lernprozesse benötigen . Auf Basis dieser Klassifizierung könnten dann auch – je nach verfolgtem Ansatz – Tandems aus Auszubildenen oder Mitarbeitenden gebildet werden, die bspw . aus einem fortgeschrittenem und einem weniger fortgeschrittenem Lernenden bestehen . So könnten die fortgeschrittenen Lernenden durch das Einnehmen der Rolle des Mentors und dem Fokus auf dem verständlichen Erklären ihres Wissens weitere Fortschritte erzielen, während die weniger fortgeschrittenen Lernenden durch die kollegiale Unterstützung weiterkommen würden . Durch Sammlung entsprechender Daten (Lernerfolg, Feedback der Tandem-Partner, etc .) könnte der Algorithmus für die Klassifizierung über die Zeit stetig verbessert werden . Weiterhin könnte die Lehrkraft bzw . die Ausbilderin oder der Ausbilder vom Algorithmus auf Tandems bzw . einzelne Lehrende hingewiesen werden, die weniger gut vorankommen und diesen dann mehr Aufmerksamkeit widmen . Innerhalb der Durchführungsphase (Performance-Phase) finden Prozesse der Selbstkontrolle und -beobachtung statt, mit denen das weitere Vorgehen zur Bewältigung der Aufgaben optimiert werden soll (Zimmerman, 2006) . Dabei spielt das Wissen über den derzeitigen Lernstand eine große Rolle . Dies bedeutet konkret, Lernende müssen in der Lage sein ihren derzeitigen Lernstand zu ermitteln und diesen mit ihren Zielen zu vergleichen (Rietsche, Duss, Persch & Söllner, 2018) . Anschließend gilt es die ermittelte Lücke zwischen dem derzeitigen Lernstand und den Zielen möglichst klar zu erkennen und zu schließen . Das Schließen kann mittels Scaffolding (Wood, Bruner & Ross, 1976) der Lernenden unterstützt werden, insbesondere wenn Probleme wie Lernhindernisse erkannt und anschließend überwunden werden können . Die Individualisierung spielt hierbei eine große Rolle, im Besonderen bei der Unterstützung zur Einschätzung des Lernstands sowie der Entwicklung von Scaffolds . Durch die passgenaue Unterstützung im Lernprozess und eine dynamische Anpassung desselbigen können Potentiale individueller Unterstützung gehoben werden, die nicht durch Lehrkräfte allein aber auch nicht durch reine KI-Systeme gewährleistet werden kann . So eignen sich bspw . Ansätze des Scaffolding ( Janson, Söllner  & Leimeister, 2020), um durch HI-Systeme unterstützt zu werden . Dies kann durch das dynamische „Sensing“ der Zone der proximalen Entwicklung (Vygotsky, 1978) geschaffen werden und das entsprechende Entfernen von unnötigen Scaffolds oder eben dem gezielten Entgegensteuern, z . B . auch durch Lehrkräfte . Solche hybriden Ansätze können dabei nicht nur die Technologie als Scaffolding-Quelle miteinbeziehen, sondern eben auch im Zweifel die Lehrkräfte oder andere Lernende (siehe beispielsweise Kim & Hannafin, 2011), wenn Lernprozessinterventionen durch die Technologie selbst vom System als eher unwirksam eingeschätzt werden . Hiermit wird es Lehrkräften dann auch ermöglicht, genauer auf die Lernenden einzugehen, die nicht mit dem Lerntempo mitkommen . Dies wäre auch immer dann denkbar, wenn Lehrkräfte bei der Vertiefung von bestimmten Lerninhalten unterstützt werden, bspw . wenn digitale Lernprozessinterventionen nicht greifen (An, Holstein, d’Anjou, Eggen & Bakker, 2020) .

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In der Nachbereitungsphase (Self-Reflection Phase) des Lernprozesses spielt die Selbsteinschätzung und die Überprüfung beziehungsweise Festigung des zu Erlernenden eine wichtige Rolle (Zimmerman, 2006) . Ziel ist zum einen die Gegenüberstellung der Selbsteinschätzung des derzeitigen Lernstands der Lernenden und der Fremdeinschätzung des aktuellen Lernstands z . B . durch den Ausbilder, die Lehrkräfte oder andere Lernende . Die Gegenüberstellung dieser beiden Komponenten dient zur Initiierung von Selbst-Reflexions-Prozessen (Rietsche & Söllner, 2019) . Zum anderen steht gerade in der Berufsbildung die Anwendung und die Umsetzung des erlernten Wissens im Vordergrund . Dies bedeutet, dass Lernende die Möglichkeit haben müssen das Erlernte tatsächlich anzuwenden und darauf Feedback zu erhalten . Eine der Hauptherausforderungen in dieser Phase ist dabei, wie Ausbilder und Lehrkräfte dieses Feedback den Lernenden individuell zu Verfügung stellen können . Eine Möglichkeit spielt hier der Einsatz von HI in Kooperation mit Peer-Feedback . Lernende haben die Aufgabe, das erlernte Wissen auf ein Problem anzuwenden . Dabei erhalten sie von drei anderen Lernenden Feedback zu ihrer erarbeiteten Lösung . Dieses Feedback beinhaltet die menschlichen Komponenten des HI-Ansatzes . Die KI analysiert die Qualität des geschriebenen Feedbacks und gibt individuelle Hilfestellung, wie die Feedbacks verbessert werden können . Durch die automatisierte Analyse der Feedbackqualität mittels KI kann den Lehrkräften zurückgemeldet werden, welche Lernenden kein qualitativ hochwertiges Feedback erhalten haben . In diesem Fall können die Lehrkräfte zum einen die Lernenden, welche schlechte Feedbacks geschrieben haben, bei der Verbesserung deren individueller Fähigkeiten unterstützten . Zum anderen können die Lernenden, die qualitativ schlechtes Feedback erhalten haben, nochmals durch zusätzliches Feedback der Lehrkräfte unterstützt werden . Der HI-Ansatz bietet somit die Chance, dass die Lehrkräfte ihre knappe Ressource Zeit bestmöglich für die Lernenden einzusetzen können, die den größten Bedarf an Hilfe haben . 5

Grenzen beim Einsatz aktueller Hybrid Intelligence-Lösungen

Wie im vorhergehenden Abschnitt dargestellt, ergeben sich aus der Entwicklung und Implementierung von HI-Ansätzen für berufliche Bildungsprozess erhebliche Chancen, gleichzeitig sind aber hier auch einige Grenzen zu bedenken und entsprechend zu adressieren . Hierzu zählen Aspekte wie die Erklärbarkeit, unterschiedliche Biases als auch der inhaltlichen und datenschutzrechtliche Grenze von HI-Systemen . Hybrid Intelligence hat insbesondere bei der Individualisierung von Lernprozessen große Potentiale . Bei dieser Individualisierung ist es aber besonders wichtig, dass diese Lernprozessinterventionen auch vom Lernenden angenommen werden, damit sich eine entsprechende Wirkung entfaltet . Dabei zeigt sich in der Forschung zu ITSystemen im generellen, aber insbesondere auch bei KI-Systemen, dass Aspekte wie

Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence

Vertrauen in die Entscheidungen solcher Systeme kritisch sind (Glikson & Woolley, 2020), damit Individuen diese akzeptieren . Eine wichtige Rolle nimmt hier die systemseitige Erklärbarkeit ein, die sog . Explainability, welche in einer Vielzahl von Forschungsvorhaben untersucht wurde (Wang, Yang, Abdul & Lim, 2019), unter anderem im Bereich des Lernens mit HI-Systemen (An et al ., 2020) . Dies bedeutet, Systeme sollen sowohl den Lernenden als auch den Lehrenden Informationen zur Verfügung stellen, die erklären, warum eine Entscheidung genau getroffen wurde oder wie eine Empfehlung zu Stande kam . Hierbei ist eine Vielzahl von Fragestellungen relevant, denn die Erklärbarkeit von Entscheidungen kann bezugnehmend auf die zugrundeliegenden Algorithmen sehr komplex oder vielleicht auch gar nicht dargestellt werden . Hier benötigt es nutzerzentrierte Ansätze (Wang et al ., 2019), um Entscheidungen eines Systems einerseits erklärbar aber auch andererseits verständlich für den Nutzenden darzustellen (Liao, Gruen & Miller, 2020) . Dies ist insbesondere auch für die Lehrenden wichtig, die im Rahmen des Einsatzes durch HI-Systeme in der beruflichen Bildung unterstützt werden . Nur wenn Lehrende auch verstehen, welche Entscheidungen auf Systemebene getroffen werden, kann eine Akzeptanz sichergestellt werden . Dies muss einerseits bei Einführung als auch bei der Nutzung der Systeme sichergestellt werde . Damit wird dann auch eine Grundprämisse des HI-Ansatzes unterstützt, indem Individuen ermächtigt werden, im Sinne von Human-in-the-Loop, Entscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn diese bspw . nicht adäquat die Ergebnisse von Lernprozessen widerspiegeln . Dies kann zudem auch wiederum die Akzeptanz der Systeme stärken . So zeigt die Forschung rund um KI-basierte Forecasting-Systeme, dass Nutzende eher bereit sind diese Systeme zu nutzen, wenn sie die Vorhersagen des Systems, welche nicht perfekt sein müssen, selbst modifizieren können (Dietvorst, Simmons & Massey, 2018) . Neben der Erklärbarkeit von HI-Systemen nehmen auch die Aspekte der Biases eine prominente Rolle im Rahmen der derzeitigen wissenschaftlichen (Green & Chen, 2019) als auch praktischen Diskussion ein (Cramer, Garcia-Gathright, Springer  & Reddy, 2018; Zweig, 2019) . So könnten Daten, mit denen die Systeme trainiert werden, von bestimmten Biases, also Verzerrungen, betroffen sein . Hier könnten Systeme, die auf historischen Daten basieren, Ungleichheiten im beruflichen Bildungssystem verschärfen und weiter zur Benachteiligung von bestimmten Lernenden beitragen . Somit müssen HI-Systeme Maßnahmen zum De-Biasing der zugrundeliegenden Algorithmen anbieten . Dies können z . B . wiederum Human-in-the-Loop-Ansätze sein, welche Lehrende, Lernende und andere Stakeholder-Gruppen eines Systems miteinbeziehen und zum systematischen De-Biasing von Algorithmen beitragen . Die Grenzen von KI zeigen sich ebenfalls maßgeblich bei der Verfügbarkeit von Daten und deren Qualität . Dies bringt derzeitige KI-Systeme z . B . beim Einsatz für automatisierte inhaltliche Bewertungen an ihre Grenzen . Gerade bei kreativen Aufgaben, wo es keine eindeutigen Lösungen gibt, im Gegensatz zu vielen Aufgaben in der Mathematik, benötigt eine KI enorm viele Daten mit hoher Datenqualität, um gehalt-

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volle Aussagen zur inhaltlichen Qualität liefern zu können . Wenn Lernende innovative, aber dennoch passende Lösungen entwickeln, die die KI nicht in ihrem Datensatz findet, führt dies meist fälschlicherweise zu einer schlechten Bewertung . Ein Ziel in den nächsten Jahren wird daher sein, entsprechend umfangreiche Datensätze zu entwickeln, die es ermöglichen dieses Problem zu adressieren . Daneben können auch hier Human-in-the-Loop-Ansätze helfen, um effektive HI-Systeme aufzubauen, die auch die wahrscheinlich selten auftretenden, aber inhaltlich sehr spannenden Fälle, in denen Lernende innovative und inhaltlich hochwertige Lösungen erstellen, korrekt bewerten können . Da hier in der nächsten Zeit noch einige Herausforderungen gemeistert werden müssen, werden vermutlich in den nächsten Jahren HI-Systeme, die sich stark auf die Potentiale derzeitiger KI verlassen, sich meist auf Prozessunterstützung konzentrieren anstatt auf eine tiefe inhaltliche Unterstützung der Lernenden . Zuallerletzt sind im deutschen als auch im europäischen Raum juristische Grenzen durch die Datenschutzgrundverordnung vorgegeben, welche beim Trade-off zwischen Qualität und rechtlicher Verträglichkeit (siehe bspw . Knote et al ., 2020) eines HI-Systems zu beachten sind . So realisiert aktuell eine große Zahl von Lehrenden in unterschiedlichen Domänen, dass selbst einfache Cloud-basierte Systeme wie ZOOM rechtliche Schwierigkeiten bereiten können, insbesondere durch die Form der Verarbeitung und hierdurch bereits umfangreiche Anpassungen für die rechtskonforme Implementation notwendig sein können (siehe bspw . Roßnagel, 2020) . Diese Probleme nehmen bei komplexen HI-Systemen natürlich zu, insbesondere durch Maßnahmen der Individualisierung von Lernprozessen, aber auch durch adaptives Verhalten im Sinne der Lernfähigkeit eines HI-Systems . Dem entgegen stehen rechtliche Vorgaben wie die Prämisse der Datensparsamkeit, aber natürlich auch Kriterien wie die informationelle Selbstbestimmung (siehe zur rechtlichen Evaluation von KI-Lernassistenten Thies et al ., 2020) . Hier sind entsprechend geeignete Maßnahmen in der Gestaltung von HI-Systemen zu treffen, um diese Konflikte bereits vor Einführung eines Systems aufzulösen (siehe Dickhaut, Thies & Janson, 2020 für Gestaltungsvorschläge zur Auflösung solcher Konflikte) . Nur so lassen sich bei der Einführung und dem Betrieb solcher Systeme Schwierigkeiten vermeiden, die im schlimmsten Fall die Nutzbarmachung der Chancen von HI-Systemen unmöglich machen . 6

Fazit

KI-Systeme durchdringen immer stärker verschiedene Lebensbereiche und machen auch vor der beruflichen Bildung nicht halt . In diesem Zusammenhang gibt es derzeit vielfältige Diskussionen zur Rolle der menschlichen Intelligenz in zukünftigen Arbeitsprozessen und damit verknüpft Fragen zur Auswirkung auf die Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften . Ziel dieses Beitrags ist es darzulegen, warum in den kommenden Jahrzehnten die effektive Kombination der komplementären Stärken von menschli-

Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence

cher und künstlicher Intelligenz im Sinne des Hybrid Intelligence-Gedanken im Vordergrund stehen wird . Die Anwendung von HI im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung birgt viele Potentiale, die im Beitrag mit besonderem Fokus auf die Individualisierung von Lehr-/Lernprozessen und vor dem Hintergrund des zyklischen Modells selbstregulierten Lernens von Zimmerman und Campillo (2003) dargelegt werden . Diese liegen insbesondere in der Klassifizierung der Lernenden, Individualisierung der Lernpfade, der Unterstützung von Lehrkräften bei der Zeitallokation, der Realisierung von individuellem und dynamischen Scaffolding und der Unterstützung beim Fremd-/Eigenbild-Abgleich des Lernstandes . Gleichzeitig müssen beim Einsatz von HI jedoch auch immer die Grenzen, insbesondere der KI-Komponente beachtet werden, um kontraproduktive Effekte verschiedenster Art zu vermeiden . Hier sind insbesondere die teilweise fehlende Erklärbarkeit KI-basierter Entscheidungen oder Empfehlungen, mögliche Biases durch nicht-repräsentative oder überholte Trainingsdaten und Einschränkungen bei der inhaltlichen Beurteilung kreativer Lösungen von Lernenden zu nennen . Abschließend gilt es festzuhalten, dass aufgrund der stetig steigenden Rechenleistung sowie immer größeren Datenmengen, die zum Trainieren von KI-Systemen verwendet werden können, die Potentiale und Grenzen dieser Systeme sich regelmäßig verändern . Aus unserer Sicht bietet sich hierdurch besonderes Potential für interdisziplinäre Forschungsarbeiten an der Schnittstelle beruflicher Bildung und technischeren Disziplinen wie der Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Human-Computer Interaction . Danksagung

Dieses Papier wurde teilweise im Rahmen des Projekts „KoLeArn“ (Förderkennzeichen: 01BE17008A) unter der Projektträgerschaft des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erarbeitet und mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert . Der zweite Autor bedankt sich zudem für die Förderung des Grundlagenforschungsfonds der Universität St . Gallen . Literatur

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Individualisierung in der beruflichen Bildung durch Hybrid Intelligence

Zur Person: Matthias Söllner, Universität Kassel, leitet das Fachgebiet Wirtschaftsinformatik und

Systementwicklung und ist zudem Direktor am interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrum für IT-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel . Arbeitsschwerpunkte: Vertrauens- und akzeptanzfördernde Technikgestaltung, Digitale Lehr-/Lerninnovationen und Hybrid Intelligence . Prof. Dr. Matthias Söllner

Universität Kassel, Henschelstraße 4, 34127 Kassel, soellner@uni-kassel .de Zur Person: Andreas Janson, Universität St . Gallen, ist PostDoc und Projektleiter am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI-HSG) der Universität St . Gallen und zudem Gastwissenschaftler am Fachgebiet Wirtschaftsinformatik der Universität Kassel . Arbeitsschwerpunkte: Gestaltung smarter Dienstleistungen, Entscheidungsverhalten in digitalen Umgebungen und digitales Lernen . Dr. Andreas Janson

Universität St . Gallen, Müller-Friedberg-Strasse 8, 9000 St . Gallen (CH), andreas .janson@unisg .ch Zur Person: Roman Rietsche, Universität St . Gallen, ist PostDoc und Projektleiter am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI-HSG) an der Universität St .Gallen . Arbeitsschwerpunkte: digitales (Peer) Feedback, Entwicklung und Evaluation digitaler Lehr-/Lerninnovationen und künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung . Dr. Roman Rietsche

Universität St . Gallen, Müller-Friedberg-Strasse 8, CH-9000 St . Gallen, roman .rietsche@unisg .ch Zur Person: Marian Thiel de Gafenco, Universität Kassel, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Berufsbildung (IBB) der Universität Kassel . Arbeitsschwerpunkte: Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Internationalisierung in der beruflichen Bildung . Marian Thiel de Gafenco

Universität Kassel, Henschelstraße 2, 34127 Kassel, thiel .de .gafenco@uni-kassel .de

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Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz Sabine Seufert / JoSef GuGGemoS

New forms of learning location cooperation using artificial intelligence Kurzfassung: Lernortkooperation zwischen schulischen und praktischen Ausbildungseinheiten gilt

als ein zentraler Erfolgsfaktor in der Berufsbildung . Ein Forschungsdesiderat in diesem Zusammenhang ist die Veränderung der Lernortkooperation aufgrund der digitalen Transformation . Dieser Beitrag adressiert die Forschungsfrage, welche (neuen) Möglichkeiten entstehen, die Lernortkooperation in der Berufsbildung durch eine fortgeschrittene Digitalisierung, insbesondere durch Künstliche Intelligenz (KI), zu stärken . Der Beitrag legt das theoretische Fundament für veränderte Paradigmen der Lernortkooperationen . Aufbauend hierauf werden die Lernenden in den Mittelpunkt einer lernortintegrierenden Kompetenzentwicklung gestellt . Weiterhin entwirft der Beitrag Zukunftsszenarien sowie Gestaltungsoptionen, indem auf die Nutzenpotenziale von KI für Lernortkooperation eingegangen wird . Ein Reifegradmodell zeigt Entwicklungsstufen hin zu einem digitalen Ökosystem auf . Schlagworte: Künstliche Intelligenz (KI), Lernortkooperation, Schule-Arbeitsplatz Konnektivität, Grenzobjekte, Digitales Ökosystem, Digitales Reifegradmodell Abstract: Cooperation between learnings locations, i . e ., between school-based and practical train-

ing units, is regarded as an important factor for successful vocational education and training (VET) . A research desideratum in this context is the changes in learning location cooperation due to the digital transformation . The paper at hand addresses (new) opportunities to strengthen learning location cooperation in VET by means of advanced technology, in particular artificial intelligence (AI) . To this end, it lays the theoretical foundation for a paradigm shift in learning location cooperation . Based on this, the learner is put in the center of the competence development across learnings locations . Furthermore, the article outlines future scenarios and design options by considering the potential benefits of AI for learning location cooperation . A maturity model shows development stages towards a digital ecosystem .

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS

Keywords: Artificial Intelligence (AI), cooperation of locations of learning, School-Workplace-Connectivity, Boundary Objects, Digital Ecosystem, Digital Maturity Model

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Einführung

Die Corona-Pandemie hat die berufliche Bildung hart getroffen, wie die Oecd Studie „Bildung auf einen Blick“ aufzeigt (Oecd, 2020, S . 12) . Praktische und betriebliche Ausbildungseinheiten konnten häufig aufgrund von Lockdown-Bestimmungen nicht durchgeführt werden . Auch gegenwärtig sind diese aufgrund von Hygiene-Vorschriften und Abstandsregelungen nur unter erschwerten Bedingungen möglich . In berufsbildenden Schulen konnten zudem häufig Qualifikationsverfahren nicht stattfinden, da Kompetenzen zur Realisierung digitaler Prüfungen fehlen . Während des Lockdowns wurde zudem deutlich, wie stark die Gesellschaft von Sektoren wie dem verarbeitenden Gewerbe und dem Gesundheitswesen abhängig ist, die sich maßgeblich auf berufliche Ausbildung stützen . Die Oecd Studie (2020) zeigt ferner auf, dass leistungsstarke Berufsbildungssysteme ein wirksames Instrument sein können, um die Lernenden in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die Voraussetzung für eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit zu schaffen und somit Entwicklungsperspektiven für erfolgreiche Berufsbiographien bieten . Im Gegensatz zu rein schulischen Ausbildungen bieten kombinierte schulische und betriebliche Bildungsgänge den Lernenden intensive Einblicke in die Arbeitswelt . Sie ermöglichen den Erwerb zukunftsbefähigender Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden (Wettstein, Schmid  & Gonon, 2014) . In dualen Berufsbildungssystemen, wie sie in den DACH Ländern (Deutschland, Österreich und Schweiz) eine lange Tradition haben, gilt eine gelingende Lernortkooperation (LOK) als eine wesentliche Voraussetzung für eine hohe Ausbildungsqualität (Wenner, 2018; Dehnbostel, 2020) . Das umfasst Lernorte in verschiedenen Erfahrungsbereichen – Betrieb, Unternehmen sowie (Hoch-)Schulen (aprea, Sappa  & Tenberg, 2020) . Erforderlich ist die Koordination, Integration und Zusammenarbeit aller Akteure in der Berufsbildung (Lernende, Berufsbildner*innen, Lehrpersonen etc .), was jedoch bislang nicht einfach zu realisieren war (vgl . Gessler, 2017; Rauner & Pienig, 2015; Euler, 2004) . Insgesamt vermitteln Forschungsbefunde zur LOK (Pätzold, 1995, Pätzold  & Walden, 1995, Euler, 2004; Euler, 2015) sowie zu „School-Workplace Connectivity“ (aprea, Sappa & Tenberg, 2020) ein eher ernüchterndes Bild, inwiefern eine intensive Kooperation zwischen Schule und Betrieb in der Berufsbildungspraxis überhaupt gelingen kann . Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation sind daher auch die Veränderungen der Gelingensbedingungen der LOK kritisch zu hinterfragen (Rohs, 2020; Dehnbostel, 2020) . Bereits vor der Pandemie beherrschte der technologische Wandel viele öffentliche Debatten (Seufert, 2018) . Es scheint mittlerweile kaum eine Branche zu geben, die

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

nicht von der digitalen Transformation betroffen ist oder zumindest sich darauf vorbereitet, tiefgreifend davon betroffen zu sein . In der heutigen Diskussion werden allerdings die Begriffe Digitalisierung und digitale Transformation als Synonyme und inflationär verwendet (Surma & Kirschner, 2020) . Die beiden Termini sind voneinander abzugrenzen und zunächst grundzulegen . Die Digitalisierung beschreibt einen Veränderungsprozess von analogen hin zu digitalen Daten . Nach Wahlster (2017) wird diese Veränderung als erste Digitalisierungswelle bezeichnet . Demgegenüber geht die digitale Transformation als zweite Digitalisierungswelle einen Schritt weiter und bezeichnet einen weitreichenden Veränderungsprozess in sämtlichen Gesellschaftsbereichen . Treiber ist hierbei insbesondere die künstliche Intelligenz (KI) . Es geht nicht mehr nur um die digitale Verarbeitung der Daten, sondern neu auch um das Verstehen und Verwerten dieser Daten . Durch KI-Technologien wie Deep Learning werden unstrukturierte digitale Daten strukturiert und verwertbar gemacht . Diese maschinelle Datenanalyse und -auswertung kann Entscheidungs-, Optimierungsoder eben auch Lernprozesse unterstützen . Da selbstlernende Systeme völlig neue und disruptive Dienste sowie Geschäftsmodelle ermöglichen, spricht Wahlster (2017) dieser zweiten Digitalisierungswelle im Sinne einer digitalen Transformation ein hohes Potenzial für Innovationen zu . Damit handelt es sich, präziser formuliert, um eine KI-Transformation, wie Makridakis (2017) betont . Unter KI soll hierbei bezugnehmend auf Bellman (1978) verstanden werden, dass technische Systeme Problemlösungs-, Entscheidungs- und Lernprozesse übernehmen können . In Bezug auf Bildungsprozesse ist Kern dieser Diskussion, dass es nicht mit einem additiven ‚Ergänzen‘ von Lernangeboten um soziales und mobiles Lernen getan ist . Vielmehr seien neue Geschäftsmodelle, ein Kulturwandel und veränderte Leistungsprozesse nötig (Seufert, Guggemos & Meier, 2019; Dittler, 2017; Hofhues & Schiefnerrohs, 2017) . Dem Beitrag liegt die Begriffsdefinition dieser umfassenden digitalen Transformation zugrunde (Seufert, Guggemos & Sonderegger, 2020): 1) Organisationsentwicklung bezogen auf die gesamte Wertschöpfung in der Berufsbildung, um in Kooperation Bildungsprozesse zu organisieren . 2) Befähigung der Akteure der Berufsbildung, insbesondere Lernende, Lehrende sowie Berufsbildner*innen, diesen digitalen Wandel aktiv mitgestalten zu können . Einen Schwerpunkt im vorliegenden Beitrag nimmt folglich die KI-Transformation ein, um mittel- und langfristige Optionen für die Gestaltung der LOK zu explorieren und Entwicklungslinien zur Diskussion zu stellen . 2

Forschungsfrage und Methode

LOK hat eine lange Tradition in der Berufsbildungsforschung (Gessler 2017, S . 15) . Aufgrund der aufgezeigten Veränderungen ergeben sich allerdings veränderte Rah-

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menbedingungen . Es besteht somit ein Forschungsdesiderat zu den Veränderungen der LOK im Zuge der digitalen Transformation (Fasshauer, 2018) . Dabei wird „die Rolle der lernortintegrativen Kompetenzentwicklung in einer vernetzten (Arbeits-) Welt immer zentraler“ (Roll & Ifenthaler, 2020, S . 205) . Die Forschungsfrage des vorliegenden Beitrages lautet folglich: Welche (neuen) Möglichkeiten entstehen im Kontext der digitalen Transformation, Lernortkooperation, insbesondere durch künstliche Intelligenz, zu stärken?

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird im ersten Schritt geklärt, was unter Lernort in der Berufsbildung zu verstehen ist . Darüber hinaus sollen zentrale Erkenntnisse der beiden Forschungsstränge zu LOK sowie School-Workplace-Connectivity herausgearbeitet werden, um eine Synopse zur normativen Ausrichtung der digitalen Transformation der LOK zu liefern . In einem weiteren Schritt wird ein Rahmenkonzept für Modelle einer LOK unter Nutzung von KI aufgezeigt . In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie ein Entwicklungspfad hin zu einem angestrebten Grad an LOK aussehen kann . Hierzu werden in Anlehnung an Reifegradmodelle zwei Entwicklungsstufen der digitalen Transformation abgegrenzt, die sich auf eine Literaturanalyse sowie Expertenbefragungen stützen (Seufert, Guggemos & Tarantini, 2018) . Fluchtpunkt ist ein digitales Ökosystem im rechtlich geschützten Datenraum (Seufert, 2018; Ostendorf, 2019) . Basierend auf Expertenworkshops im Projekt „FUTURE MEM“ mit dem Schweizer Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) sowie dem vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekt „Zukunftsmodelle der Lernortkooperation“ wurden erste Handlungsempfehlungen entwickelt, um die digitale Transformation der LOK mit dem Zukunftsbild eines digitalen Ökosystems für die Berufsbildung zu gestalten . In einer ersten Konzeptionsphase des geförderten Projektes wurde eine intensive Literaturstudie zu theoretischen Ansätzen und empirischen Befunden zur LOK sowie zu KI und Learning Analytics im Bildungsbereich durchgeführt . Der vorliegende Beitrag liefert Einblicke in diese umfassende Literaturstudie und den konzeptionellen Überlegungen zur Gestaltung der LOK im Rahmen der KI-Transformation . Der vorliegende Beitrag ist folgendermaßen strukturiert: – Kapitel 3 dient als theoretisches Fundament, um die Veränderungen und das Funktionieren der Lernortkooperation in der Berufsbildung grundzulegen: 1) verändertes Verständnis von pluralistischen Lernorten und von Lernortkooperation, in der die Lernenden ins Zentrum einer integrierenden Kompetenzentwicklung gerückt werden (insbesondere relevant für personalisierte, KI-basierte Bildungsprozesse), 2) empirische Befunde zur Lernortkooperation im dualen Berufsbildungssystem, die insbesondere die institutionelle Zusammenarbeit der beteiligten Akteure (Berufsbildner*innen und Lehrkräfte) beleuchtet sowie 3) empirische Befunde zur international ausgerichteten

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz







Forschung der School-Workplace-Connectivity, die eine integrative, lernortübergreifende Pädagogik konzipiert . Damit wird besonders die Konnektivität zwischen Arbeits- und Lernkontexten herausgestellt . Interessant an diesem Forschungsansatz ist, dass digitale Tools eine Mediatorenrolle zur Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten einnehmen können . 4) In einem Zwischenfazit liefert ein mehrperspektivischer Bezugsrahmen (Makro-, Mesound Mikroebene) den institutionellen Rahmen und integriert das konnektive Modell der Lernortkooperation . Dieser Bezugsrahmen dient als normative Orientierung und als Leitbild für die digitale Transformation der Lernortkooperation, ohne bereits spezifisch auf die Nutzenpotenziale der KI einzugehen . Kapitel 4 stellt die Ergebnisse der Literaturstudie zu KI und insbesondere Learning Analytics, Educational Data Mining und neue Mensch-Maschinen Interaktionen vor, um die Nutzenpotenziale für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung aufzuzeigen . Am Ende des Kapitels liefert ein Bezugsrahmen die Synopse für eine KI-basierte Lernumgebung zur wirksamen Gestaltung der lernortintegrierten Kompetenzentwicklung . Kapitel 5 liefert mit dem Konzept des Digitalen Ökosystems in der Berufsbildung die notwendige Rahmung für eine KI-basierte Lernortkooperation in der Berufsbildung . Dabei werden analog zur ersten und zweiten Digitalisierungswelle (Wahlster, 2017) Entwicklungsstufen für die digitale Transformation konkretisiert . Kapitel 6 liefert eine Zusammenfassung über den mehrperspektivischen Bezugsrahmen zu einer KI-basierten Lernortkooperation sowie Perspektiven für weiterführende Forschungsfragen .

Die Ergebnisse sollen dazu dienen, a) einen orientierenden Beitrag zur aktuellen Diskussion in der Forschung zu leisten und b) mittel- sowie langfristige Potenziale für die Entwicklung einer KI-basierten Lernortkooperation in einem digitalen Ökosystem zu identifizieren und Gestaltungsmaßnahmen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene der Berufsbildung abzuleiten . 3

Theoretischer Hintergrund und Ergebnisse der Literaturanalyse

3.1

Zum Begriffsverständnis „Lernort“ und „Lernortkooperation“

Lernorte können, je nach Verständnis, als institutionelle oder räumliche Orte aufgefasst werden . Institutionelle Lernorte wären hierbei insbesondere der Lehrbetrieb, die Berufsschule und überbetriebliche Ausbildungsstätten . Der Lernort kann als eine im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens anerkannte Bildungseinrichtung definiert

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werden, welche systematisch organisierte Lehrangebote anbietet (Tippelt & ReichClaassen 2010, S . 11–19) . Nach Tippelt und Reich-Claassen (2010, S . 11) sind Lernorte in einem weiteren Sinne alle räumlichen Einheiten, die Lernende pädagogisch stimulieren – sowohl im Kontext formal-organisierter Einrichtungen als auch im Rahmen informeller Lernprozesse . Insbesondere geprägt durch die Rhetorik des Lebenslangen Lernens und die Bedeutung des informellen Lernens gewinnt die Pluralität der Lernorte eine neue Dimension (Jung, 2010, S . 5) . Bereits in den 1990er Jahren stellte Tully (1994) eine Kompetenzentwicklung im Wandel und eine neue Lernkultur fest, welche die informelle Bildung durch Computer und digitale Medien bei Jugendlichen stark ins Zentrum rückt . Beck (1984, S . 258 f .) kritisierte am Lernortkonzept, der allein interessierende „Ort des Lernens“ seien die Auszubildenden und daher wäre der Begriff ‚Lehrorte‘ geeigneter . Nach Achtenhagen, Bendorf und Weber (2004, S . 77) können Lernorte des beruflichen Lernens als organisatorische Einheiten betrachtet werden, in denen mit oder ohne Anleitung Lernprozesse stattfinden . Das würde auch selbstorganisiertes Lernen in informellen Kontexten inkludieren . Euler (2004, S . 13) erweitert den Lernortbegriff um pädagogisch gestaltete Einheiten in den Institutionen; so lassen sich beispielsweise Lehrwerkstatt, Übungsfirma oder neuerdings Lernfabriken 4 .0 in unterschiedlichen Institutionen finden . Auch die Verlagerung spezifischer Lernphasen in Formen des online Lernens oder hybride Lernformen lassen sich mit einem solchen Zugang leichter erfassen . Der Begriff „Lernort“ kann daher auf drei Ebenen verankert werden (vgl . auch Euler, 2004, S .  13): 1) Institution: Lehrbetriebe, überbetriebliche Bildungsanbieter, Berufsschule; 2) pädagogisch gestaltete Einheiten in den Institutionen, in online Lernphasen, Hybride Lern- oder Präsenzformen; 3) Person des Lernenden zur Verbindung von formal organisiertem, non-formalem (z . B . integriertes Dialog- und Trainingssystem im Geschäftsprozess der Arbeit) und informellem Lernen (z . B . Videotutorials in der Freizeit) . Auch die soziale Vernetzung mit Lernenden in Praxisgemeinschaften nimmt eine hohe Bedeutung ein und erweitert das Verständnis von Lernorten . Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie konstatiert Rohs (2020, S .  10): „Der physische Lernort verliert einerseits an Bedeutung, andererseits werden wir uns aber auch seiner spezifischen Vorzüge bewusst . Damit verbunden ist eine bewusstere Abwägung, zu welchen Zwecken welche Lernorte genutzt und wie sie gestaltet werden .“ Auch Dehnbostel (2020, S . 13) plädiert dafür, Lernorte neu zu definieren: „Lernorte sind örtlich und räumlich zusammenhängende Einheiten, in denen in formalen, nicht formalen und informellen Lernkontexten gelernt wird .“ Abb . 1 veranschaulicht dieses veränderte Verständnis .

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

Physischer Lernort

Physischer Lernort

Lernort: Online, Hybrid, Präsenz

Lehrbetriebe

Überbetriebliche Kurse

Überbetriebliche Kurse

Lernort: Online, Hybrid, Präsenz Lehrbetriebe Peers Lernende

Berufsschule

Berufsschule Formal

Physischer Lernort

Lernort • Formal • Non-formal • Informell

Lernort: Online, Hybrid, Präsenz

Traditionelles Verständnis «Lernort» Abb. 1 Wandel des Verständnisses von Lernort und Lernortkooperation

Unter LOK wird originär ein kooperatives Bildungsmanagement verstanden, welches „das technisch-organisatorische“ und „das pädagogisch begründete Zusammenwirken des Lehr- und Ausbildungspersonals, der, an der beruflichen Bildung beteiligten Lernorte“, bezeichnet (Pätzold 2003, S .  72) . Als normative Orientierung für die integrierende Kompetenzentwicklung im Rahmen der Lernortkooperation ist dabei der Lernende zusammen mit seinem sozialen Netzwerk ins Zentrum zu rücken, um eine integrierende Kompetenzentwicklung an unterschiedlichen Lernorten und zur Verbindung von formalem, non-formalem und informellem Lernen im Kontext des lebenslangen Lernens zu organisieren (Seufert, 2018) . 3.2

Forschung zur Lernortkooperation in der dualen Berufsbildung

In der Berufsbildungsforschung hatte der vorwiegend auf das Duale System in Deutschland fokussierte Forschungsstrang zur LOK in den 1990er Jahren eine Hochphase und flachte spätestens Mitte der 2000er Jahre wieder ab (aprea, Sappa  & Tenberg, 2020) . Im Modell der „dual-kooperativen Berufsbildung“ wurde als Kooperationsgrundlage das Konzept der integrierten Berufsbildungspläne entwickelt (Rauner, 1998; Eder & Koschmann, 2011) . Damit einher geht die Einführung von Lernfeldern bei der Strukturierung von Rahmenlehrplänen (Rauner, 1998) . Die Leitidee beruflicher Bildung, anhand bedeutsamer Arbeitssituationen gleichzeitig ein Bildungsziel und die Realität der Arbeitswelt zu erfassen, bestimmt seither die Programmatik in der Berufsbildung in Deutschland, um eine neue Qualität der LOK zu etablieren (Rauner  & Piening, 2015) . Um die Qualitätsausprägung der LOK zu präzisieren und empirisch erfassen zu können, liegen verschiedene Typologisierungen vor:

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Typisierungsmodell nach Intensität (Euler, 2004, S .  14 f .) der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren: 1) Informieren der Bildungspartner: auf der niedrigsten Intensitätsstufe ist Austausch möglich sowohl im direkten Kontakt der Ausbilder*innen und Lehrkräfte als auch über die Auszubildenden oder die Berichtshefte . 2) Abstimmen zwischen den Bildungspartnern als zweite Intensitätsstufe, wobei Lehrkräfte und Ausbilder*innen hier ihre Unterrichtsinhalte zwar koordinieren, jedoch unter ihren eigenen Rahmenbedingungen und Zeitplänen durchführen . 3) Zusammenwirken als dritte und höchste Intensitätsstufe . Dabei werden gemeinsame Projekte durchgeführt, welche durch die Bildungspartner Berufsschule und Betrieb arbeitsteilig organisiert und umgesetzt werden . Typisierungsmodell nach Kooperationsverständnis (Pätzold, 1990, S .  75 f .) . Die Grundhaltungen, mit denen die Akteure einer LOK gegenüberstehen, lassen sich in vier Kategorien einordnen: 1) Pragmatisch-formales Kooperationsverständnis, das ausschließlich auf äußere Einflüsse zurückgeht, wie beispielsweise die Teilnahme an Prüfungsausschüssen . 2) Pragmatisch-utilitaristisches Kooperationsverständnis, als ein problemorientiertes Interesse an Kooperation, um Probleme am eigenen Lernort zu lösen . 3) Didaktisch-methodisches Kooperationsverständnis, als eine Kooperation, die auf didaktischen und methodischen Überlegungen basiert . 4) Bildungstheoretisch-begründetes Kooperationsverständnis, welches das didaktisch-methodische Kooperationsverständnis beinhaltet, erweitert um eine gesellschaftliche Komponente . Typisierungsmodell nach Häufigkeit, Intensität und Inhalten der Kooperationsaktivitäten (Berger  & Walden, 1995, S .  415–421) zwischen den Akteuren einer Lernortkooperation in fünf Stufen: 1) Keine Kooperationskontakte der Bildungspartner . 2) Sporadische Kooperationsaktivitäten gehen auf äußere Einflüsse zurück, beispielsweise auf die Teilnahme an Prüfungsausschüssen . 3) Kontinuierlich-probleminduzierte Kooperationsaktivitäten finden nur aufgrund einzelner wahrgenommener Probleme in der Ausbildung statt . 4) Kontinuierlich-fortgeschrittene Kooperationsaktivitäten finden aufgrund der Klärung von zeitlicher und/oder organisatorischer Abstimmung statt, bzw . auch, um methodisches und didaktisches Vorgehen abzustimmen . 5) Kontinuierlich-konstruktive Kooperationsaktivitäten bauen auf den kontinuierlich-fortgeschrittenen Kooperationsaktivitäten auf, beinhalten aber auch Absprachen der Methoden und Inhalte . Die Kooperationsaktivitäten auf dieser Stufe können über das Informieren und Abstimmen hinaus

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

gehen bis hin zum Zusammenwirken in gemeinsamen Ausbildungsprojekten . Eine Kombination der Typologisierungen liefern Berger und Walden (1994), indem sie in einer Matrix das Kooperationsverständnis von Pätzold (1990) den Kooperationsaktivitäten nach Berger und Walden (1994) gegenüberstellen, s . Abb . 2 .1 Für die Beurteilung der praktischen Umsetzung werden drei Stufen unterschieden: wahrscheinlich, möglich und unwahrscheinlich (vgl . Berger & Walden, 1994, S . 8) . Kooperationsverständnis Kooperationsaktivität

Pragmatischformal

Pragmatischutilitaristisch

Didaktischmethodisch

Kooperationsabstinenz

**

0

0

Sporadisch

**

**

0

Kontinuierlich-probleminduziert

*

**

0

Kontinuierlich-fortgeschritten

0

**

*

Kontinuierlich-konstruktiv

0

**

*

0 = unwahrscheinlich

* = möglich

** = wahrscheinlich

Abb. 2 Kooperationsaktivitäten und -verständnisse in der Berufsbildung (berGer & walDen, 1994, S. 8)

Nach Pätzold (2003, S . 76) herrschen in der Ausbildungspraxis eher die niedrigschwelligen, pragmatischen Kooperationsverständnisse vor . Das wird durch zahlreiche empirische Studien bestätigt . Rauner und Piening (2015) untersuchten die Bewertung der Qualität der LOK durch die Auszubildenden, um zu überprüfen, inwieweit die Lernfelddidaktik eine neue Qualität der Lernortkooperation etablieren konnte . An der Befragung nahmen über 3000 Auszubildenden aus über 70 Berufen in Sachsen teil . Mit neun Items wurde die Qualität der LOK erfasst . Davon beziehen sich vier auf die Struktur der LOK, wie ‚mein Ausbildungsbetrieb und die Berufsschule stimmen die Ausbildung miteinander ab‘, ‚zwischen unserem Betrieb und der berufsbildenden Schule werden gemeinsame Projekte durchgeführt‘ . Fünf Items erheben die Qualität der Inhalte, wie ‚das Lernen in der Berufsschule und im Betrieb passt gut zusammen‘, ‚der Berufsschulunterricht orientiert sich an der betrieblichen Praxis‘, ‚die Inhalte, die ich in der Berufsschule lerne, kann ich in der Arbeit anwenden‘ . Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Lernenden die Qualität der LOK als sehr gering einschätzen .

1 Berger und Walden (1994) berücksichtigen den bildungstheoretischen Verständnistyp nach Pätzold nicht, da dieser idealtypisch und nicht in der Praxis anzutreffen sei .

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Besonders ausgeprägt zeigt sich das in kleinen und sehr kleinen Betrieben, denen die personellen Ressourcen fehlen, sich an der Gestaltung und Organisation der Zusammenarbeit mit der Berufsschule aktiv zu beteiligen (Rauner & Piening, 2015, S . 19) . Interessant erscheint der Befund, dass die Qualität der Lernortkooperation kritischer bewertet wird, wenn die Lernenden über ein hohes Kompetenzniveau verfügen und sie die Ausbildungsqualität insgesamt (sehr) positiv bewerten . Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt die Studie von Wenner (2018) auf Grundlage einer Befragung von über 1 .300 Auszubildenden . An den Intensitätsstufen nach Euler (2004) orientiert, beinhaltet das Erhebungsinstrument acht Items (4 Item Stufe des Informierens, 3 Items Stufe des Abstimmens, 1 Item Stufe des Zusammenwirkens) . Insgesamt ist die Intensitätsstufe des Informierens am stärksten ausgeprägt, wenngleich auch diese nur ungefähr dem Skalenmittelwert entspricht . Schwächer schneidet die Stufe des Abstimmens ab . Aus Sicht der Lernenden gibt es kaum ein Zusammenwirken der beiden Lernorte . Die Aussage „Meine Berufsschule und mein Ausbildungsbetrieb führen gemeinsame Ausbildungsprojekte durch“ wurde als (eher) nicht zutreffend bewertet . Werden Lehrbetriebe befragt, ergibt sich im Vergleich zu den Auszubildenden kein abweichendes Bild . Gessler (2017) befragte 326 Bildungsverantwortliche aus Lehrbetrieben in Bremen . Im Fragebogen waren Intensitätsstufen nach Koordination, Kooperation und Ko-Konstruktion mit insgesamt 24 Items enthalten (s . Tab . 1) . Der Wert (Value) setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: Erstens, inwieweit eine Maßnahme bereits existiert (von „1 = existiert vollständig“ bis „4 = existiert nicht“), was die Notwendigkeit in der gelebten Praxis anzeigt, zweitens die Bedeutung einer Maßnahme (von „0 = unwichtig“ bis „2 = wichtig“) . Die Werte wurden miteinander multipliziert, um eine Rangfolge der notwendigen und gewünschten kooperativen Maßnahmen zu erhalten . Aufgrund der Bewertungen der Berufsbildner*innen ergibt sich die in Tab . 1 gezeigte Rangfolge der notwendigen und gewünschten kooperativen Maßnahmen (Gessler, 2017, S . 189) . Tab. 1 Bedeutung von kollaborativen Aktivitäten (GeSSler, 2017) Collaborative Measures

Value

Coordination-Level Exchange of information on the social behavior of apprentices

4.65

Exchange of information on the professional performance of apprentices

4.52

List of contact persons of the vocational school

4.39

Defined time slots of the availability of the contact persons of the vocational school

4.31

Exchange of information on the personal engagement of apprentices

4.25

Exchange of information on discipline and punctuality of apprentices

4.24

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

Collaborative Measures

Value

Teachers visit the training companies (exploration of the companies)

3.91

Clarification of organizational issues (e. g., examination dates)

3.23

The vocational school invites the trainers yearly to an open consultation day

3.13

Cooperation-Level Tuning of company training plan and school curriculum

4.12

Carry out cross-institutional learning projects

3.68

Carry out cross-institutional learn and work assignments (exploration tasks)

3.10

Joint development of training and teaching material

3.00

Conduct joint events in the vocational school

2.54

Conduct joint events in the company

2.45

Co-Construction-Level Internships of student teachers in the companies

3.91

Participation of company practitioners in vocational school teaching

3.33

Trainers (instructors) and teachers take part in further joint training courses

2.90

Internships of teacher in the companies

2.84

Supervising and supporting team of instructors and teachers who initiate and coordinate cooperative activities with a view to vocational school classes

2.78

Institutionalised joint working teams / joint task forces

2.73

Teachers discuss the apprentices’ self reports (reports abouts the learning outcomes in the company) with the apprentices

2.52

Coordinators for cooperation at the vocational schools

2.44

Fundamental questions of cooperation are clarified in a cooperation agreement

2.28

Die Ergebnisse zeigen auch hier, dass mit zunehmender Intensitätsstufe die Werte der Aktivitäten abnehmen . Gessler (2017, S . 189) konstatiert, dass das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen den Akteuren – Berufsbildner*innen und Lehrkräfte – nicht ausgeschöpft ist, und sich die Zusammenarbeit in den letzten Jahren nicht wesentlich verbessert hat . Die beiden Mesosysteme Schule und Betrieb scheinen in parallelen Tätigkeitsbereichen und separater Funktionsweise ausreichend zu funktionieren . Im Rahmen einer umfangreichen Evaluationsstudie zur Einführung der IT-Berufe untersuchten Petersen und Wehmeier (2001), inwieweit sich die Einführung einer Abschlussprüfung an Berufsschulen und die Beteiligung an den Abschlussprüfungen auf die Qualität der Lernortkooperation und die Qualität der Ausbildung auswirken . Die empirischen Befunde der Studie zeigen, dass sich eine lernortübergreifende Prü-

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fungspraxis positiv auf die Lernortkooperation auswirkt . D . h . werden also Organisationslogiken verändert, ist die Notwendigkeit zur Kooperation systembedingt und nicht vom Engagement einzelner Individuen abhängig . Im Zuge der digitalen Transformation unterstreicht Fasshauer (2018) die Notwendigkeit, das Potenzial der LOK stärker zu nutzen, um innovative und anspruchsvolle didaktische Lernkonzepte berufs- und lernortübergreifend zu entwickeln, wie z . B . mithilfe von Learning Analytics oder die Möglichkeiten ‚Cyber-Physischer-Systeme‘ (CPS) als Kooperationsgrundlage zu nutzen (vgl . hierzu näher Kapitel 4) . Fundamentale Veränderungen aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung bedingen, dass kaum auf elaborierte Konzepte zurückgegriffen werden kann und dass das notwendige fachliche und fachdidaktische Wissen an unterschiedlichen Lernorten vorliegt . Eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Berufsschulen erscheint deshalb dringend nötig (ebenda, vgl . hierzu ebenso Ertl, 2020) . 3.3

Forschung zu School-Workplace-Connectivity

Mitte der 2000er Jahre formierte sich ein im deutschen Sprachraum bislang wenig rezipierter international ausgerichteter Forschungsstrang zur School-Workplace-Connectivity (Griffiths & Guile, 2003; Tynjälä, 2008; Billet, 2014) . Während LOK institutionell ausgerichtet und die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsakteur*innen wie Lehrkräften und betrieblichen Ausbilder*innen untersucht, setzt dieser Forschungsstrang breiter an (Aprea, Sappa  & Tenberg, 2020) . Der Schwerpunkt liegt dabei vermehrt auf der theoretischen Fundierung und empirischen Untersuchung von Lehr-Lern-Prozessen zur lernortintegrierenden Kompetenzentwicklung (Baartman  & De Bruijn, 2011) . Der Begriff „connectivity“ (Konnektivität, vgl . Stenström & Tynjälä, 2009) bezieht sich dabei auf unterschiedliche Formen der Integration von Praxisphasen und schulischen Bildungsangeboten . Tynjälä (2009, S . 11) verweist darüber hinaus auf den transformativen Charakter: „Connectivity refers to processes that contribute to close relationships and connection between different elements of learning situations, contexts of learning and systems to promote learning . Transformation refers to the changes and developmental processes to be achieved through connecting different elements of learning“ . Um die Verknüpfung von Lern- und Arbeitskontexten analytisch zu untersuchen, entwickelten Griffiths und Guile (2004, S . 20) fünf Modelle im Vergleich zu einem idealtypischen konnektiven Modell: – Modell 1: Im traditionellen Modell besteht die Annahme, dass der Kompetenzerwerb im Betrieb nebenbei und von selbst stattfindet . Die Abstimmung der Lernorte ist minimal . Schulen stellen formale Bildungsprogramme bereit und haben keinerlei Einblick, ob ihr Bildungsauftrag von Bedeutung ist .

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz



– –



Modell 2: das erfahrungsbasierte Modell adressiert die Notwendigkeit, dass die Lernenden spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten sowie allgemeinere Kenntnisse und ein besseres Verständnis über den Inhalt der Arbeit erwerben müssen . Modell 3: im generischen Modell wird der Fokus auf ‚Schlüsselkompetenzen‘ gelegt . Der Schwerpunkt liegt auf der Nutzung von arbeitsbasierter Erfahrung zum Erwerb und zur Anerkennung von Lernergebnissen . Modell 4: Das Arbeitsprozess-Modell ist ein Versuch, die Schnittstelle zwischen der Berufsschule und dem Arbeitsplatz weiterzuentwickeln . Dabei soll ein ganzheitliches Bild der Arbeitsprozesse und -inhalte erzeugt werden . Ziel ist die Verbindung von fachtheoretischem und fachpraktischem Wissen . Die Schule fördert den Wissenstransfer, z . B . durch handlungsorientierte Unterrichtsmethoden . Modell 5: das konnektive Modell geht über die Prinzipien dualistischer Modelle hinaus und vertritt eine grundlegend andere Annahme über Lernen und Entwicklung . Danach sind alle Formen des Lernens ‚situiert‘ und Wissen wird in Interaktion zu einer sozialen Umwelt konstruiert und transformiert (Griffiths & Guile, 2003; Tynjälä, 2009) . Der Transfergedanke im Sinne eines Anwendens von Theoriewissen in der Praxis („Paketmodell“: Hautz & Ostendorf, 2020, S . 116) wird abgelehnt . Vielmehr geht es um eine „Rekontextualisierung von Wissen aus beiden Tätigkeitssystemen, um die Betrachtung von Wissen als kritisch zu hinterfragendem Werkzeug, um die beidseitige Gestaltung von Übergängen“ (ebenda) .

Einen weiteren Schwerpunkt im Forschungsstrang School-Workplace-Connectivity bilden die wissenschaftlichen Ansätze zu ‚Boundary Crossing‘ (Star & Griesemer, 1989; Akkerman & Bakker, 2011) . Ziel ist es hierbei, eine integrative Pädagogik an verschiedenen Lernorten zu unterstützen . Mit dem Aufbau von sogenannten ‚Boundary Crossing Skills‘ ermutigen Lehrkräfte und Berufsbildner*innen die Lernenden, theoretisches Wissen, Erfahrung und Selbstregulierung beim Lernen zu kombinieren (Aprea  & Sappa, 2020) . Im Kontext dieser Überlegungen bieten digitale Technologien wie Apps, Blogs und Videos das Potenzial, den Lernenden dabei zu helfen, Lernen in der Schule sowie am Arbeitsplatz zu verbinden und somit mittels ‚Boundary Objects‘ (Caruso, Cattaneo & Gurtner, 2020) zur Förderung von Konnektivität und integrativer Kompetenzentwicklung beizutragen (Kilkbrink, Enochsson  & Söderlind, 2020; Aprea et al ., 2012) . Nach Star und Griesemer (1989, S . 393) sind diese ‚Boundary Objects‘ (Grenzobjekte) diejenigen Objekte, die mehrere sich überschneidende Welten betreffen und den Informationsbedürfnissen jeder dieser Welten entsprechen . Typisch für Grenzobjekte ist, dass sie in der gemeinsamen Nutzung schwach strukturiert und in der individuellen Nutzung der Standorte stark strukturiert sind (Akkerman & Bakker, 2011,

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S . 141) . Grenzobjekte können als „ein Mittel zur Übersetzung“ (Star & Griesemer, 1989, S .  393) innerhalb einer Situation von lernortübergreifenden Aktivitätsbeziehungen und Anforderungen betrachtet werden . Grenzobjekte können daher auch als Mediatoren betrachtet werden (ebenda) . So können beispielsweise digitale Lern- und Leistungsdokumentation darin unterstützen, an unterschiedlichen Lernorten erworbene Wissensbestände zu verknüpfen (Cattaneo & Aprea, 2018; Aprea, Cattaneo & Sappa, 2015) . Weitere interessante Perspektiven zur Stärkung der Konnektivität zwischen den Lernorten können sich mit Mediatoren in Form von smarten Lernräumen (z . B . Augmented Reality, Virtual Reality oder Mixed Realities) sowie auch in Form von smart machines (z . B . virtuelle Assistenten, intelligente chatbots oder soziale Roboter) ergeben (Seufert, Guggemos & Sonderegger, 2020) . Auf diese KI-basierten Entwicklungen wird im Kapitel 4 näher eingegangen . Das Modell der integrativen Pädagogik der Forschergruppe um Tynjälä (2008; Tynjälä et al ., 2016) knüpft daran an und verbindet die Kombination von theoretischem Wissen und praktischem Erfahrungslernen mittels Mediationstools und -prozessen . Kontextualisierung, Mediation, Partizipation in Praxisgemeinschaften und Konstruktion von Wissen werden dabei als wichtige Aspekte des beruflichen Kompe-

Sociocultural knowledge Transformation Explication / Conceptualization

Mediating Tools and Boundary Objects: Personalized digital portfolios integrating knowledge gained from different learning sites, AI-based tools for feedback, adaptive learning support Mediating Processes: Adaptive coaching, mentoring, discussions, collaborative learning

Reflection

Mediating Learning Spaces as Pedagogical Agents: Augmented Reality, Virtual Reality, Mixed Realities, „Learning Factory 4.0“

Self-regulative knowledge

Emotional level

Reflection

Mediating Teaching Assistants/ Learning Partners as Pedagogical Agents: Virtual assistants, intelligent chatbots, social robots

Abb. 3 Das Modell der integrativen Pädagogik (in Anlehnung an tynJÄlÄ, 2008; tynJÄlÄ, et al., 2016).

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

tenzerwerbs betrachtet (Ostendorf, 2020, S . 116) . Da heute sowohl in der Schule als auch im Lehrbetrieb konzeptionelles, theoretisches Wissen erworben wird (vgl . hierzu Wettstein, Schmid & Gonon, 2014), eignet sich dieses Modell der integrativen Pädagogik in besonderem Maße für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung . Abb . 3 verdeutlicht die Zusammenhänge im Modell der integrativen Pädagogik . Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Konnektivität zwischen den Lernorten eine enge Kooperationsgrundlage benötigt (Roll & Ifenthaler, 2020) . Lernortübergreifende Lernräume (z . B . Lernfabriken 4 .0) sowie KI-basierte pädagogische Agenten bieten neues Potenzial, um eine Basis für die intensive Zusammenarbeit zwischen den Lernorten zu liefern sowie die Konnektivität zwischen Arbeits- und Lernkontexten zu erhöhen . 3.4

Zwischenfazit: Mehrperspektivischer Bezugsrahmen und konnektives Modell zur Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten

Beide Forschungsstränge, zu LOK in der dualen Berufsbildung sowie zur SchoolWorkplace-Connectivity, betonen die Bedeutung, einen mehrperspektivischen Bezugsrahmen für die Analyse und Gestaltung der LOK heranzuziehen: – Auf der Makroebene bzw Systemebene bezieht sich diese Verknüpfung auf die Passung zwischen Bildungsinstitutionen und Arbeitswelt; diese Ebene fokussiert vor allem auf die Gestaltung der Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik . Die Konnektivität bezieht sich auf eine systemische Einbettung in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt . – Die institutionelle Ebene (Mesoebene) betrifft die Organisation und Koordination der Interaktion und Kommunikation zwischen den Akteuren in Schule bzw . Hochschule und Betrieb . Zudem werden auf dieser Ebene die curricularen Regelwerke in den Blick genommen . Die Konnektivität zwischen den beiden Tätigkeitssystemen bezieht sich dabei auf die organisationalen Strukturen und Bedingungen von Lernumgebungen in Schule und Betrieb, um eine integrierende Kompetenzentwicklung zu gestalten . – Auf der instruktionalen Ebene (Mikroebene) wird der Schwerpunkt auf die Verknüpfung von (hoch-)schulischen und betrieblichen Lehr-Lern-Prozessen gelegt . Hier geht es vorrangig darum, wie (hoch-)schulische und betriebliche Lernarrangements gestaltet werden müssen, um die integrative Kompetenzentwicklung der Lernenden (und auch des Berufsbildungspersonals) optimal zu fördern . Die Konnektivität bezieht sich dann auf den individuellen Lehrund Lernprozess . Inwieweit Schwierigkeiten bei der Lernortkooperation von unterschiedlichen Systemen auf der Makroebene abhängen, wird in der Literatur diskutiert . Rauner (2017)

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sieht in der Trennung auf der Makroebene in Deutschland (Bund zuständig für berufliche Bildung, Länder zuständig für schulische Bildung) einen maßgeblichen Grund fehlender Grundlagen für eine intensive Lernortkooperation auf der Meso- und Mikroebene . Im Vergleich dazu wird das duale Berufsbildungssystem in der Schweiz auf der Makroebene zentral gesteuert und nimmt daher nach Ansicht von Rauner (2017) eine Vorbildfunktion ein . Es gibt allerdings auch Studien, die Schwächen der LOK, konkret der Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Schulen, auch dem Schweizer Berufsbildungssystem attestieren (Sappa & Aprea, 2014) . Im Zuge der digitalen Transformation sind daher notwendige Kooperationsgrundlagen auch auf der Makroebene zu überdenken, um die eher separat agierenden Mesosysteme Lehrbetrieb und Schule mit einer Organisationslogik für eine integrierende Kompetenzentwicklung zu unterstützen . Für ein gemeinsames Kooperationsverständnis liefert das konnektive Modell zur Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten eine geeignete Basis für Transformationsprozesse . Die Rollen der Lernorte ändern sich dabei, da transformationales Lernen sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene stattfindet . In der beruflichen Bildung rücken veränderte Praktiken in interprofessionellen Arbeits- und Lernprozessen in den Vordergrund . Der Lernort Schule erhält dabei eine neue und starke Positionierung, um Partnerschaften mit Anwendung von theoretischem Wissen in Arbeitspraxis

Interprofessionelles Arbeiten und Lernen Transformationales Lernen

Lehrbetriebe Überbetriebliche Kurse

Lehrbetriebe Überbetriebliche Kurse

Peers Lernende

Berufsschule

Erwerb und Transfer von theoretischem Wissen

Traditionelles Modell der Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten ▪ Separate Tätigkeitssysteme ▪ Wissensvermittlung und Transfer von Wissen ▪ Individuelles Lernen, Fokus auf Schlüsselkompetenzen ▪ Synchronizität nach Arbeitsprozessen, standardisierte Bildungsprozesse

KI-basierte Mediatoren

Boundary Objects

Berufsschule

Partnerschaften mit Arbeitsplätzen zur Schaffung von Lernumgebungen Transformationales Lernen

Konnektives Modell der Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten ▪ Integrierende Kompetenzentwicklung ▪ Mediation, Kontextualisierung, Partizipation und Konstruktion von Wissen ▪ Transformationales Lernen auf individueller und systemischer Ebene ▪ Flexibilisierung von Bildungsprozessen, personalisiertes Lernen

Abb. 4 Traditionelles vs. konnektives Modell der Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

Arbeitsplätzen zur Schaffung von Lernumgebungen einzugehen . Abb . 4 zeigt das konnektive Modell in Abgrenzung zum traditionellen Modell . Dieses konnektive Modell dient als normative Orientierung für die Gestaltung der Lernortkooperation und insbesondere für die lernortintegrierende Kompetenzentwicklung . Im folgenden Abschnitt wird auf die Nutzenpotenziale der KI eingegangen, um dieses konnektive Modell zur Verknüpfung von Arbeits- und Lernkontexten in der Berufsbildung auszudifferenzieren . 4

Nutzenpotenziale der künstlichen Intelligenz für die lernortintegrierende Kompetenzentwicklung

4.1

Überblick: Paradigmenwechsel in der Organisationslogik

Bereits in den 1990er Jahren ist die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Berufsbildung intensiv diskutiert worden (vgl . hierzu Arnold, 2020 sowie Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007) . Brater (1992, S . 85) konstatierte, dass die Berufsausbildung einen Paradigmenwechsel benötigt: „Während sie sich nämlich bisher vor allem an dem orientieren konnte, was ‚Bedarf ‘ des Beschäftigungssystems war, und ihre Aufgabe hauptsächlich darin bestand, Wege zu finden, wie der einzelne an diesen Bedarf anzupassen war, so muss sich nun ihr Blick primär auf die Person des Lernenden und ihre je spezifischen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten richten .“ Berufliche Bildung vermittelt nicht nur Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern stiftet auch Haltungen und fördert Offenheit, Flexibilität und Wirksamkeit im gestaltenden Umgang mit neuen Anforderungen . Neben der fachlichen Kompetenzentwicklung steht zunehmend die Stärkung der ‚Persönlichkeiten‘ der Auszubildenden im Vordergrund . Komplementäre Kompetenzen zu (intelligenten) Maschinen und digitalen Systemen wie etwa Kreativität, kritisches Denken, Erfindergeist oder Empathie werden an Bedeutung gewinnen (Seufert, 2018) . Das Verfolgen dieser strategischen Leitlinien für die Berufsbildung erfordert einen Paradigmenwechsel in der Organisationslogik . Das umfasst die Planung, Durchführung, Evaluation und Steuerung von Bildungsprozessen . In diesem Kapitel wird demnach der Frage nachgegangen, wie die Entwicklungen im Bereich KI für diesen Paradigmenwechsel genutzt werden können . Drei Entwicklungslinien sollen dabei im Vordergrund stehen: 1) Learning Analytics zur wirksamen Gestaltung der lernortintegrierenden Kompetenzentwicklung, 2) Educational Data Mining zur Gestaltung von (teil-)automatisierten Bildungsprozessen sowie 3) neue Formen zur Förderung der Konnektivität durch KI-basierte Arbeits- und Lernumgebungen sowie KI-basierte Mediatoren .

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4.2

Learning Analytics zur Unterstützung der Lernortkooperation

Als Learning Analytics wird die Interpretation verschiedenartiger Daten bezeichnet, die von Lernenden produziert oder für sie erhoben werden, um Lernfortschritte zu messen, zukünftige Leistungen zu prognostizieren und potenzielle Problembereiche aufzudecken (Ferguson et al ., 2014; Ifenthaler, 2017; Seufert et al ., 2019) . Im Vordergrund steht hierbei, die Logik von Data Science auf die Organisation von Bildungsprozessen zu übertragen (Dillenbourg, 2017) . Mithilfe der Auswertung der Daten sollen die Lernenden wirksamer und damit auch besser in ihren Lernprozessen unterstützt und dadurch der Erfolg der Berufsbildungsprozesse insgesamt gesteigert werden (Ifenthaler, 2017; Buckingham Shum & Deakin Crick, 2012) . Durch individuelle, zeitnahe, präzise sowie auch kompakte Feedbacks für alle Beteiligten der Lernortkooperation ergeben sich neue Chancen für eine wesentliche Qualitätsverbesserung der Bildungsprozesse im Rahmen der Lernortkooperation (Seufert, 2018) . Dabei ist zu betonen, dass die Interpretation der lernerspezifischen Daten bzw . die notwendige Intervention i . d . R . nicht automatisiert abläuft, sondern auf die Erfahrung von Lehrenden (Lehrpersonen, Berufsbildner*innen) zurückgreift . Greller und Drachsler (2012, S .  46) zeigen die Informationsflüsse auf verschiedenen Systemebenen auf . Damit verbunden sind Handlungsoptionen von Akteuren auf verschiedenen Ebenen . Auf der Mikro-Ebene sind das in erster Linie die Lernenden, Lehrpersonen sowie Berufsbildner*innen . Diese können auf Grundlage solcher Informationen ihr lehr-/lernbezogenes Handeln überprüfen, reflektieren und gegebenenfalls anpassen (Dillenbourg, 2017) . Andererseits ergeben sich damit auch grundsätzlich neue Möglichkeiten der empirischen Bildungsforschung . Eine offene Frage stellt sich, welche Auswertungen lernortübergreifend nutzenbringend sein könnten und so die Aktivitäten von, beziehungsweise die Herausforderungen für verschiedene Institutionen in der Berufsbildung besser in den Blick zu nehmen (Learning Analytics auf der Meso- sowie Makro-Ebene der Berufsbildung) . 4.3

Educational Data Mining zur Gestaltung von (teil-)automatisierten Bildungsprozessen

Mit Educational Data Mining können auf der Basis von Machine Learning Algorithmen Lernsysteme entwickelt werden, die künftig immer mehr Aufgaben in Bildungsprozessen übernehmen können (Aldowah, Al-Samarraie & Fauzy, 2019) . Damit kann einerseits eine Entlastung bei den Lehrpersonen geschaffen (z . B . weniger Korrekturarbeiten) sowie auch eine Qualitätsverbesserung von Lehr-Lernprozessen (z . B . automatisiertes Feedback bei Aufgaben auf einer höheren Lernziel-Taxonomiestufe) erzielt werden (Seufert, Guggemos  & Sonderegger, 2020) . Um derartige KIbasierte Lernsysteme zu entwickeln, sind große Datenmengen für eine kontinuierliche

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

Weiterentwicklung der Systeme notwendig (Ferguson, 2014; Ifenthaler, 2017; Renz & Hilbig, 2020) . Für die Berufsbildung können hier beispielsweise KI-basierte Feedbacksysteme, adaptive Lernsysteme oder KI-basierte Empfehlungen zu Lerninhalten/-wegen interessante Einsatzmöglichkeiten bieten . Wie die aktuelle Metastudie von Zawacki-Richter et al . (2019) allerdings aufzeigt, steht die Forschung zu KI im Bildungsbereich erst am Anfang; es liegen erst sehr wenig Forschungsbefunde vor . 4.4

Neue Formen der Konnektivität durch KI-Systeme

Mit der zunehmenden Verbreitung von Augment Reality (AR) und Virtual Reality (VR), d . h . immersiven Arbeits- und Lernumgebungen, werden neue, flexibel einsetzbare Formen für Trainingsprogramme direkt am Arbeitsplatz ermöglicht (Seufert, 2018) . Auch in berufsbildenden Schulen sind bereits Projekte entstanden, welche die Potenziale dieser Lernumgebungen in konkreten didaktischen Szenarien explorieren und damit auch neue Formen der LOK erproben . Wenn AR- oder VR-Technologien intelligenzbasierte Elemente einbinden, so können personalisierte Rückmeldungen und Empfehlungen in einer Simulationsumgebung einen didaktischen Mehrwert für ein intensives Coaching der Lernenden bieten . Im Kontext von Industrie 4 .0 begründen CPS die technische Basis für Industrie 4 .0, welche auch eine Kooperationsgrundlage zwischen den Lernorten bieten können . Als integrierte und vernetzte Systeme können sie über entsprechende Benutzerschnittstellen auch mit Menschen interagieren, so dass selbstorganisierte, effiziente und flexible Produktionsprozesse intelligent umgesetzt werden können (Scheid, 2018) . In diesem Zusammenhang könnten Lernfabriken 4 .0 als modellhafte Industrie 4 .0 Produktionsanlagen und didaktische CPS fungieren . Einerseits kann dadurch die Kooperation zwischen gewerblichen Schulen und Betrieben, andererseits aber auch zwischen gewerblichen und kaufmännischen Schulen gestärkt werden, um berufsfeldübergreifende Kompetenzen zu fördern (Scheid, 2018) . Darüber hinaus können neue Formen der Mensch-Maschine Interaktion die Konnektivität zwischen den Lernorten fördern . Virtuelle Assistenten, intelligente Chatbots oder soziale Roboter (Guggemos, Seufert & Sonderegger, 2020) können als KI-basierte Mediatoren zwischen Arbeits- und Lernwelten fungieren . Als unermüdliche Trainingspartner können sich Lernende beispielsweise direkt mit den Lerninhalten am Arbeitsplatz ‚unterhalten‘ . Chatbots sind in vielen Bereichen wie der Finanzbranche und auch im Bildungswesen eine zunehmend eingesetzte Technologie, mit der viele Organisationen den Einstieg in KI-Entwicklungen wagen (Seufert et al ., 2020) . Dabei wird die Konversation mit menschlichen Nutzer*innen, insbesondere über das Internet, in Form von auditiven oder textuellen Gesprächen simuliert (Winkler & Söllner, 2018) . KI-basierte Mediatoren bieten daher neues Potenzial für eine gemeinsame Entwicklung und Zusammenarbeit über die Lernorte hinweg

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und somit auch für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung (Renz, Krishnaraja & Gronau, 2020) . 4.5

Synopse: Bezugsrahmen einer KI-basierten Lernumgebung für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung

Für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung in der Berufsbildung können KI-basierte Lernumgebungen, wie beispielsweise ‚Learning Experience Plattformen‘, dabei unterstützen, stärker den Lernenden von der Organisationslogik her in den Mittelpunkt zu stellen . International wird als eine der bedeutendsten Vorteile des Einsatzes der KI im Bildungsbereich die Unterstützung personalisierten Lernens gesehen (Stanford University, 2016) . Für die Berufsbildung ist aufgrund der systemischen Einbettung in den Arbeitsmarkt ein zunehmender Druck zu beobachten, sich intensiv mit den Entwicklungen und Implikationen der digitalen Transformation zu beschäftigen . Rohs (2020, S . 9) macht in diesem Zusammenhang auf das Spannungsfeld zwischen Personal- und Persönlichkeitsentwicklung aufmerksam: „Die Herausforderung besteht dabei darin, nicht nur die notwendigen Kompetenzen zur Ausführung einer gerade notwendigen Tätigkeit im Blick zu haben, sondern Überblickwissen zu generieren, Zusammenhänge herzustellen, die Verbindung zu den theoretischen Grundlagen deutlich zu machen und Reflexionsprozesse in Gang zu setzen . Darüber hinaus geht es weiterhin darum, Freiheiten für die individuelle Entwicklung zu schaffen, d . h . nicht nur an den Anforderungen im Arbeitsprozess anzusetzen, sondern sich auch gezielt davon zu entfernen .“ Aus didaktischer Sicht zieht Rohs (2020, S . 9) weiters den Schluss, dass es folglich der „selbstgesteuerten Konfiguration der Lernorte“ bedarf . Das bedingt Veränderungen in den Prozessen, Strukturen und Kulturen, um mittels KI eine stärkere Personalisierung der Berufsbildungsprozesse zu erreichen . Entlang der didaktischen Wertschöpfungskette von der Ausbildungsplanung, über Maßnahmen zum Erwerb von Handlungskompetenzen bis hin zum abschließenden Qualifikationsverfahren können personalisierte Bildungsprozesse bezogen auf Ziele, Inhalte, Methoden sowie Lernbegleitung berücksichtigt werden . Handlungsleitend sind dabei die curricularen Vorgaben zur Erzielung eines Kompetenzprofiles, das in einem Baukastensystem nach Basis- und Wahlqualifikationen zur Vertiefung sowie berufs(feld-) und berufsspezifischen Handlungskompetenzen unterscheiden kann . Eine derartige Lernumgebung würde alle relevanten Inhalte und Informationen von den verschiedenen Lernorten über eine entsprechende Schnittstelle erhalten . Personalisiertes Lernen orientiert sich dann konsequent an den Bedürfnissen der Lernenden in Abstimmung mit den Berufsbildner*innen im Ausbildungsbetrieb sowie den Lehrpersonen . Sie definieren selbstorganisiert ihre Lernziele aufgrund aktueller Herausforderungen, planen ihre Lernprozesse eigenverantwortlich und optimieren sie laufend auf Basis der Ergebnisse und Rückmeldungen im Arbeitsprozess und

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

zunehmend auch auf der Basis von KI-basierten Empfehlungen (z . B . personalisierte Lernwege in adaptiven Lernsystemen, Vernetzungsvorschläge mit Peers, Prognosen bzgl . Lernzeit, -tempo, Angaben zum Kompetenzfortschritt etc .) . Die Lehrkräfte werden dabei nicht überflüssig, sie begleiten nunmehr die individuellen Lernprozesse, beraten im Hinblick auf Lernstrategien sowie Lerntechniken und unterstützen bei Bedarf unter Rückgriff auf KI-basierte Instrumente . KI-basierte Arbeits- und Lernumgebungen sowie Mediatoren bieten das Potenzial, eine Kooperationsgrundlage für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung zur Verfügung zu stellen . Auch die selbstgesteuerte Konfiguration der Lernorte wird darüber hinaus im Bezugsrahmen einer KI-basierten Lernumgebung unterstützt . In Abb 5 . sind die Zusammenhänge abschließend visualisiert . Learning Analytics zur Weiterentwicklung der lernortintegrierten Kompetenzentwicklung • Makro-Ebene / System –Ebene: «Smart Governance» • Meso-Ebene für Bildungsorganisationen insbes. Lehrbetriebe, Schulen • Mikro-Ebene für Lernende, Lehrende Berufsbildner*innen

Beispiele: − KI-basierte Empfehlungen − Evaluation der Lernressourcen − Vernetzung/ Kontakte − Scaffolding / Micro-Coaching − Kompetenzfortschritt −…

* Educational Data Mining (EDM): Lernen aus grossen Datenmengen (Machine Learning): Unstrukturierte Daten, multimodale Daten, Daten aus traditionellen Lernsystemen und KI-Systemen

Personalisierte, KI-basierte Kompetenzentwicklung EDM*

Planung Personalisierte Ausbildungsplanung - Struktur / Zeit - Inhalte

Knowledge Engines: - Inhalte der Lernorte - Offene Inhalte (OER) - Nutzer-generierte Inhalte - … Algorithmenbasiertes Kuratieren von Inhalten (z.B. Videolernen, MOOCs), Automatisiertes Übersetzen von Inhalten

Kompetenzprofil nach Baukastensystem

Validierung Zertifizierung

Massnahmen zur Förderung der Handlungskompetenzen Mastery Learning (Basale Kompetenzen) Adaptive, personalisierte Lernbegleitung

Lernen am Arbeitsplatz

Aneignung von handlungsleitendem Wissen

(teil-)automatisiertes Feedback

Simulation der Praxis

Reflexion/ Lerndokumentation

AR-/VR-Mixed Realities Arbeits- und Lernumgebungen

EDM*

Qualifikationsverfahren (z.B. Portfolio-, Abschlussprüfungen)

KI-basierte Assessments, Personalisierte Portfoliosysteme

(Mobile) Adaptive Lernsysteme

KI-basierte Feedbacksysteme

KI-basierte Mediatoren, Chatbots, Virtuelle Assistenten, (social) Robots

Lernfabrik 4.0, CPS KI-basierte Simulationen

Einsatz von KI-Systemen als Kooperationsgrundlage zur höheren Konnektivität der Lernorte

Abb. 5 Konzept einer KI-basierten Lernumgebung für eine lernortintegrierte Kompetenzentwicklung in der Berufsbildung

5

Digitales Ökosystem für neue Modelle der Lernortkooperation

Fluchtpunkt der Überlegungen für neue Modelle der LOK stellt der Aufbau digitaler Ökosysteme für die Berufsbildung dar . Digitale Ökosysteme bieten in Form von offenen Lernsystemen einen neuen Gestaltungsrahmen, um die Chancen der KI in einer Netzwerkökonomie nutzen zu können (Seufert, Guggemos & Moser, 2019) . Für die Entwicklung und kontinuierliche Weiterentwicklung von KI-Systemen sind gro-

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ße Datenmengen erforderlich, die auf der Basis von Plattformökonomien gewonnen werden können . Offene Lernökosysteme können in diesem Zusammenhang auch als Bindeglied zu Open Education im digitalen Bildungsraum aufgefasst werden . Kerrres und Heinen (2015) stellen diesen Zusammenhang explizit mit dem Konzept des „Informational ecosystem“ her . In Anlehnung an Reifegradmodelle können drei Entwicklungsstufen der digitalen Transformation gebildet werden, die sich auf eine Literaturanalyse sowie Expertenbefragungen stützen (Seufert, Guggemos & Tarantini, 2018) . Damit kann ein Entwicklungspfad hin zu einem normativ erwünschten Grad an Lernortkooperation beschrieben werden . Bei der digitalen Transformation der Berufsbildung geht es darum, diese Entwicklungsstufen zu verstehen und für die Qualitätsentwicklung der Berufsbildung zu nutzen . Mithilfe von Reifegradmodellen können die Entwicklungen fassbar und dadurch besser plan- und steuerbar gemacht werden, während gleichzeitig die langfristigen Entwicklungsziele im Blick behalten werden (Schallmo et al ., 2017) . Bisherige Reifegradmodelle beziehen sich auf die digitale Transformation einer Organisation (vgl . hierzu die systematischen Reviews von Ifenthaler & Egloffstein, 2020 sowie Thordsen, Murawski & Bick, 2020) . Die digitale Transformation der Lernortkooperation als Zusammenspiel von Netzwerkpartnern zur gemeinsamen Er-

Ausgangspunkt Digital effizient / explorierend

Entwicklungsstufe I

Entwicklungsstufe II

Digital transformierend

Im digitalen Ökosystem

Betriebliche Bildung Lehrbetriebe Überbetriebliche Kurse

Lehrbetriebe Überbetriebliche Kurse

Peers Lernende

Berufsschule

Berufsschule

Lehrbetriebe Überbetriebliche Kurse

NetzwerkPartner KI-basierte Mediatoren

Peers Lernende

Boundary Objects

Berufsschule

Schulische Bildung Anwendung etablierter, Exploration neuer digitaler Technologien auf bestehende Prozesse, isolierte Veränderungen in den Lernorten

Umfassende und koordinierte Veränderungen bei Prozessen, Organisation und Geschäfts- bzw. Betriebsmodellen

Gemeinsame Entwicklung mit Partnern, wechselseitiges Ermöglichen von neuen Aktivitäten/ Bildungsleistungen zur Nutzung von KI

Makro-Ebene: Kaum Rahmenbedingungen für die lernortintegrierende Kompetenzentwicklung (curriculare Strukturen) Punktuelle Ansätze eGovernment

Makro-Ebene: Aufbau von Rahmenbedingungen (z.B. Nationale Plattform, OER Strategie) eGovernment: agilere Steuerungsprozesse

Makro-Ebene: Rahmenbedingungen für den Aufbau eines Ökosystems (Plattformökonomie), Smart Government: KI-basierte Beratungs-, Entscheidungsunterstützungssysteme

Meso-/Mikro-Ebene: Digitale Technologien als Basis für eine Lernortkooperation (eher punktuelle Projekte, ohne Prozess-, Kulturveränderung)

Meso-/Mikro-Ebene: Veränderung der Organisationslogik für eine lernortintegrierende Kompetenzentwicklung (z.B. Blended Learning, hybride Lernräume in flexibleren Strukturen und Kulturen)

Meso-/Mikro-Ebene: Effektivitätsmessung und –verbesserung: Learning Analytics zur Weiterentwicklung der lernortintegrierenden Kompetenzentwicklung, Entwicklung von KI-basierten Lernräumen und Mediatoren als Kooperationsbasis

Abb. 6 Reifegrademodell der KI-Transformation der Lernortkooperation (in Anlehnung an Seufert, 2018).

Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

bringung und kontinuierlichen Weiterentwicklung von Bildungsdienstleistungen ist bislang noch nicht erforscht . Die Entwicklungsstufen in Abb . 6 basieren auf der empirischen Arbeit zuhanden des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation [SBFI] (Seufert, 2018) und der differenzierten anschließenden Deliberation (Seufert, Guggemos & Tarantini, 2018; Seufert, Guggemos & Sonderegger, 2020) . Durch diese Entwicklungsstufen wird der Prozess hin zu einem Ökosystem aufgezeigt, das ein personalisiertes, KI-unterstütztes Lernen für eine integrierende Kompetenzentwicklung in verschiedenen Lernorten organisiert . Ausgangspunkt: Digital effizient/explorierend Derzeit findet die betriebliche Bildung in Lehrbetrieben und überbetrieblichen Kursorten einerseits und die schulische Bildung andererseits jeweils in eigenen Organisationslogiken statt, was zu eher starren Rahmenbedingungen führt . Die Koordination und Synchronisierung der Ausbildungsinhalte sind schwer umsetzbar (Aprea & Sappa, 2015) . So befassen sich beispielsweise die Lernenden mit Inhalten in der Schule, die erst sehr viel später relevant in ihrem Lehrbetrieb werden . Auch sind die Grundverständnisse in den Lernorten Schule und Betrieb häufig sehr unterschiedlich . Hinsichtlich der Organisationslogik bewegen sich Schulen meist in einem Kohortensystem im Klassenverbund, was den Lehrkräften das individualisierte Unterrichten in zunehmend heterogenen Klassen erschwert . Starre Rahmenbedingungen in Schulen erschweren zudem häufig den Einsatz digitaler Medien im Unterricht (z . B . fragmentierter Unterricht im 45-Minuten-Takt) . Regelmäßig werden auch verschiedene Lernplattformen in den unterschiedlichen Lernorten eingesetzt . Darüber hinaus bestehen häufig große Unsicherheiten und Unklarheiten in Bezug auf rechtliche Rahmenbedingungen (z . B . Datenschutz und Persönlichkeitsrechte) . Entwicklungsstufe I: Digital transformierend Zunächst besteht die Herausforderung, die LOK flexibler zu gestalten . Ertl (2020, S . 3) betont, dass aufgrund der derzeitigen Erfahrungen mit der Pandemie didaktische Konzepte für das Lernen in hybriden Lernräumen zu entwickeln seien: „Im Mittelpunkt muss dabei die Befähigung der Lernenden und des Bildungspersonals stehen, Lernumgebungen sinnvoll zu gestalten und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen . Hierfür bietet das Lernen am Arbeitsplatz vielfältige Anknüpfungspunkte . Denn die Gestaltung lernförderlicher Arbeitsprozesse verbindet berufliches Handeln und Kompetenzentwicklung, wie es auch für die lernortübergreifende Entwicklung von Lernprozessen notwendig ist .“

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Auf Makroebene fokussiert eGovernment zunächst vor allem auf die Sicherstellung eines rechtlich geschützten Datenraums (Seufert, 2018) . Sie trägt zur Lösung der Herausforderungen bei, denen sich das Bildungssystem im Bereich von Datenschutz und -sicherheit, Infrastruktur sowie digitalen Inhalten zu stellen hat . Der Zugriff auf individuelle Daten des Einzelnen kann damit transparent gestaltet werden und die Entscheidungsgewalt über die Nutzung der Daten bleibt bei den Lernenden . Lernorte können um Netzwerkpartner (z . B . Testcenter) ergänzt werden, die effektiv und effizient Aufgaben übernehmen können und dadurch Entlastung für die Schulen bringen . Diese Freiräume sind nötig, um sich auf neue Inhalte zu spezialisieren . Im Mittelpunkt der Bildungsorganisation steht der Lernende, der seinen Kompetenzerwerb anhand eines breit definierten Kompetenzprofils in einem Berufsprofil mit personaler Lernbegleitung plant und umsetzt . Digitale Lehr-Lernformen richten sich auf integrierendes Lernen (z . B . Blended Learning, Flipped Classroom) aus, um den Kompetenzerwerb mit authentischen Aufgabenstellungen am Arbeitsplatz zu verknüpfen . Neue Organisationslogiken für das Gestalten von Bildungsprozessen liefern flexiblere Rahmenbedingungen, um die Individualisierung von Bildungsprozessen zu fördern . Entwicklungsstufe II: Im digitalen Ökosystem Da Plattformökonomien eine essentielle Voraussetzung für die Implementierung und kontinuierliche Verbesserung von KI (insbesondere das systematische Trainieren der KI-Systemen) darstellen, sind die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen dafür auf Systemebene zu schaffen . Die gemeinsame Entwicklung mit Partnern und ein wechselseitiges Ermöglichen von neuen Aktivitäten sowie Bildungsleistungen in einem digitalen Ökosystem stehen dabei im Vordergrund . Der Aufbau eines Ökosystems könnte neue Optionen bieten, mit zertifizierten Netzwerkpartnern tragfähige Geschäftsmodelle im Bildungswesen zu etablieren, wie z . B . zur Entwicklung von KI-Systemen sowie auch um Daten für Learning Analytics nutzbar machen zu können . Heute wird Learning Analytics eher zur Vorhersage im Rahmen eines Online-Kurses genutzt (wie hoch ist das Risiko, dass der Lernende den Kurs abbrechen wird?) . Ein Lehrabbruch hat in der Regel weitreichende Folgen für den Lernenden . Inwieweit hier Voraussagen mit KI-basierten Verfahren getroffen werden können, untersucht beispielsweise Dillenbourg (2017) . Im Rahmen von Smart Government eröffnen vernetzte Informations- und Kommunikationstechniken neue Möglichkeiten zur Analyse, Automation und Organisation von Bildungsprozessen (Seufert, 2018) . So können KI-basierte Verfahren automatisch neue Bedarfe im Bereich der Berufsbildung aufspüren, indem sie Stellenangebote, gestellte Fragen sowie neue Normen und Regeln etc . analysieren (Dillenbourg, 2017) . Dazu wäre die den ‚Data Sciences‘ eigene Denkweise in das Management der Berufsbildung zu integrieren (ebenda) .

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Zusammenfassung und Ausblick

Für eine gelingende Berufsbildung ist eine erfolgreiche Kooperation der Lernorte Betriebe, Berufsschulen und überbetriebliche Ausbildungszentren nötig . Die Verbesserung der Lernortkooperation ist somit ein bildungspolitischer Dauerbrenner und es verwundert nicht, dass hierzu zahlreiche konzeptionelle und empirische Arbeiten vorliegen (vgl . Kapitel 3 .2 und 3 .3) . Kernbotschaft kann sein, dass Lernortkooperation systematisch von den Lernenden her zu denken ist . Die Aktivitäten der Akteure der dualen beruflichen Bildung wären zu bündeln, um optimale Lernprozesse für die Lernenden zu ermöglichen . Wie derartige Lernprozesse aussehen können, die schulische und betriebliche Inhalte integrieren, zeigen Stenström und Tynjälä (2009) . Hierzu sind Koordination und Abstimmung von Einzelaktivitäten nötig . Die gegenwärtige Ausprägung der Lernortkooperation kann als ein Gleichgewicht gesehen werden, in der die Grenzkosten der Koordination dem Grenznutzen durch höhere Lernerfolge entsprechen . Die fortgeschrittene Digitalisierung beeinflusst sowohl die Kosten- als auch auf Nutzenseite . Zum einen verringert die fortgeschrittene Digitalisierung die Koordinationskosten . Zum anderen steigt der Druck, flexiblere, agilere und stärker digitalisierte Arbeits- und Lernformen in der Berufsbildung zu entwickeln, zu erproben und deren Qualität nachhaltig sicherzustellen . M . a . W . der Nutzen aus kooperativem Lernen steigt . Ein wesentliches Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, Zukunftsszenarien und Gestaltungsoptionen zu entwerfen, um die digitale Transformation der Lernortkooperation in der Berufsbildung gestalten zu können . Im Vordergrund steht dabei, KI-basierte Prozesse vor allem für das personalisierte Lernen der Individuen im Rahmen der Lernortkooperation nutzen zu können . Darüber hinaus liegt der Konzeption zugrunde, die Organisationslogik der Lernortkooperation flexibler und digital, zunehmend auch KI-basiert, zu unterstützen . Die beiden Mesosysteme Schule und Lehrbetrieb sind somit in Kernprozessen vernetzt und Planungs-, Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse können vereinfacht werden . Digitale Ökosysteme sind generell in der Bildung hierfür eine notwendige Voraussetzung . Zwar gibt es Forschung zu Ökosystemen im Bildungsbereich (s . zum Überblick Seufert, Guggemos & Moser, 2019), allerdings wären hier weitere Arbeiten nötig, um ein besseres Verständnis für deren Funktionsweise und Etablierung zu gewinnen . Gerade in föderalistisch geprägten Bildungssystemen scheinen sich derartige Ökosysteme schwer umsetzen zu lassen . Vielversprechend kann sein, sich an bereits existierenden Ökosystemen im Bildungsbereich zu orientieren . Hier kann die Initiative digital Israel ein Vorbild sein (Ibl, 2018) . Hierbei handelt es sich um eine open edX basierte Plattform, auf der Personen ihren lebenslangen Lernprozess gestalten können . Wie aufgrund der skizzierten Überlegungen deutlich wird, ist Lernortkooperation nicht nur auf der Mikroebene zu verorten . Dennoch kann es sich anbieten, erste Use Cases zu entwickeln und zu evaluieren . Hierfür bieten sich Bereiche an, in denen kei-

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ne hohen Anforderungen an die verfügbaren Datenmengen bestehen . Denkbar sind Anwendungen im Bereich Virtual Reality zur Simulation betrieblicher Realität als Kooperationsgrundlage und zur Verbindung von Arbeits- und Lernkontexten . Strategisches Ziel der Use Cases und Evaluationen sollte es sein, das Verständnis für die digitale Transformation im Allgemeinen und die Rolle der Datennutzung im Speziellen zu fördern . Dabei wären auch kritische Aspekte zu berücksichtigen: – Privatsphäre: Was geschieht mit den Daten der Lernenden? – Ethik: Was sind mögliche Folgen einer Fehlinterpretation der Daten? – Normen: Ist der soziale Vergleich bei Lernenden (z . B . Vergleich mit anderen Lernenden im gleichen Berufsfeld oder unterschiedlichen Berufsfeldern) opportun? – Zeitskala: Sollen Analysen innerhalb oder außerhalb des Unterrichts durchgeführt werden? Im Zusammenhang mit Learning Analytics sind somit die Gefahren und eine Reihe ethischer Fragestellungen zu berücksichtigen . Insbesondere das Anwendungsfeld der präskriptiven Analyse ist in diesem Zusammenhang als kritisch einzuschätzen . Datenverzerrungen und Fehlinterpretationen von Daten bergen Gefahren, weil diese zu suboptimalen Handlungen führen können . Daher bieten Reifegradmodelle für die digitale Transformation besonderes Potenzial, da evolutionär zunächst in Bereichen Erfahrungen gesammelt werden kann, die relativ unproblematisch erscheinen . Ein Beispiel wäre die Evaluation und Optimierung von Lernmaterialien mittels Learning Analytics . Literatur

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Neue Formen der Lernortkooperation mithilfe Künstlicher Intelligenz

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SABINE SEUFERT / JOSEF GUGGEMOS

Zur Person: Sabine Seufert ist Direktorin des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungstech-

nologien an der Universität St . Gallen (IBB-HSG), Schweiz . Ihre Forschung befasst sich mit der digitalen Transformation im Bildungsmanagement und Personalentwicklung, Künstliche Intelligenz und soziale Roboter im Bildungsbereich . Prof. Dr. Sabine Seufert

Universität St . Gallen, Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien, St . Jakob-Strasse 21, 9000 St . Gallen, Schweiz, sabine .seufert@unisg .ch Zur Person: Josef Guggemos ist Assistenzprofessor für Bildungstechnologien und Informatisches Denken am Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien an der Universität St . Gallen (IBB-HSG), Schweiz . Seine Forschungsinteressen sind Informatisches Denken, Kompetenzen von Bildungsverantwortlichen im Kontext der digitalen Transformation und soziale Roboter im Bildungskontext . Prof. Dr. Josef Guggemos

Universität St .Gallen, Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien, St . Jakob-Strasse 21, 9000 St . Gallen, Schweiz, josef .guggemos@unisg .ch

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg Ausgewählte Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit Dirk ifenthaler / Jane yin-kim yau

Learning Analytics for Supporting Study Success Selected Findings from a Systematic Review Kurzfassung: Learning Analytics verwenden statische Daten von Lernenden und dynamische in

Lernumgebungen gesammelte Daten über Aktivitäten (und den Kontext) des Lernenden, um diese in nahezu Echtzeit zu analysieren und zu visualisieren, mit dem Ziel der Modellierung und Optimierung von Lehr-Lernprozessen und Lernumgebungen . Potenziale von Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg konnten einzeln identifiziert werden, jedoch liegen keine systematische Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Learning Analytics und Lernerfolg vor . Aus über N = 6,000 Studien konnten Schlüsselstudien identifiziert werden, welche Learning Analytics Faktoren im Zusammenhang mit Lernerfolg im Fokus haben . Die Befunde zeigen, dass Learning Analytics vordergründig als datengestützte Methoden zur Erkennung von Risikosituationen in Verbindung mit Lernerfolg eingesetzt werden . Jedoch konnten nur wenige effektive Interventionsstrategien in Verbindung mit Learning Analytics und Lernerfolg identifiziert werden . Post-hoc Analysen der Schlüsselbeiträge identifizierten weitere Forschungsstränge, welche in enger Verbindung mit Gelingensbedingungen für Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg in der beruflichen Bildung stehen . Aus den Befunden werden acht Handlungsempfehlungen für zukünftige Forschung und Praxis um Learning Analytics in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik abgeleitet . Schlagworte: Learning Analytics; Lernerfolg; Lernprozess; Intervention; Handlungsempfehlung Abstract: Recent developments in learning analytics, which are a socio-technical data mining and

analytic practice in educational contexts, show promise in enhancing study success, through the collection and analysis of data from learners, learning processes, and learning environments in order to provide meaningful feedback and scaffolds when needed . This research reports a systematic re-

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DIRK IFENTHALER / JANE YIN-KIM YAU

view focusing on empirical evidence, demonstrating how learning analytics have been successful in facilitating study success . Using standardised steps of conducting a systematic review, an initial set of more than 6,000 articles was identified . The findings obtained in this systematic review suggest that there are a considerable number of learning analytics approaches which utilise effective techniques in supporting study success . However, rigorous, large-scale evidence of the effectiveness of learning analytics in supporting study success is still lacking . The tested variables, algorithms, and methods collected in this systematic review can be used as a guide in helping researchers and educators to further improve the design and implementation of learning analytics systems for vocational education and training . Keywords: Learning analytics; study success; learning process; intervention; guiding principles

1

Einleitung

Seit Anfang der 2010er Jahre kann eine rasante Entwicklung von Forschungsbeiträgen zu Learning Analytics in den Bereichen Pädagogik, Psychologie sowie Informatik festgestellt werden (Prieto, Rodríguez-Triana, Martínez-Maldonado, Dimitriadis  & Gašević, 2019) . Der Forschungsbereich weist zugleich ein Diversifizierung auf, wobei sich eine Fülle konzeptioneller Variationen entwickelt haben, darunter School Analytics (Sergis & Sampson, 2016), Teacher Analytics (Sergis & Sampson, 2017) Akademic Analytics (Long & Siemens, 2011), Assessment Analytics (Nouira, Cheniti-Belcadhi & Braham, 2019), Social Learning Analytics (Buckingham Shum & Ferguson, 2012) oder Multimodal Learning Analytics (Blikstein & Worsley, 2016) . Nach Ifenthaler (2015) verwenden Learning Anlytics statische Daten von Lernenden und dynamische in Lernumgebungen gesammelte Daten über Aktivitäten (und den Kontext) von Lernenden, um diese in nahezu Echtzeit zu analysieren und zu visualisieren, mit dem Ziel der Modellierung und Optimierung von Lehr-Lernprozessen und Lernumgebungen . Empirische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Learning Analytics sind jedoch nur vereinzelt verfügbar (Lodge & Corrin, 2017) . Bisherige Forschungsarbeiten fokussieren den Einsatz unterschiedlicher Werkzeuge (Atif, Richards, Bilgin & Marrone, 2013), reflektieren internationale Praxiserfahrungen (Sclater, Peasgood & Mullan, 2016), analysieren institutionelle Rahmenbedingungen (Buckingham Shum  & McKay, 2018) und empfehlen administrative Regularien (Tsai et al ., 2018) . Erste systematische Übersichtsarbeiten zu Learning Analytics formulieren Gelingensbedingungen zur Organisationsentwicklung (Ferguson et al ., 2016), identifizieren offene Forschungsbereiche (Papamitsiou & Economides, 2014) und prüfen die Effizienz von Learning Analytics Interventionen (Larrabee Sønderlund, Hughes  & Smith, 2018) . Eine systematische Übersichtsarbeit zur Unterstützung von Lernerfolg durch Learning Analytics im Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik liegt bislang nicht vor . Als Lernerfolg kann im größten Umfang der erfolgreiche Abschluss eines Bildungsgangs und im kleinsten Umfang die erfolgreiche Bewältigung individueller Lernauf-

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

gaben verstanden werden (Sarrico, 2018) . Als beeinflussende Faktoren des Lernerfolgs werden individuelle Merkmale wie Alter, Geschlecht, Motivation oder frühere akademische Leistungen sowie Merkmale des Bildungsumfelds wie die Verfügbarkeit von Lernmaterialen, die Gestaltung von Lernaufgaben und -rückmeldungen oder soziale Komponenten genannt (Bijsmans & Schakel, 2018; Tinto, 2005) . Pistilli and Arnold (2010) gehörten zu den ersten Forschern, die die Potenziale von Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg identifiziert und evaluiert haben . Trotz dieser frühen Bemühungen liegen noch keine systematische Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Learning Analytics und Lernerfolg vor (Gašević, Dawson, Rogers & Gašević, 2016) . Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Mittels einer systematischen Übersichtsarbeit (systematic review) sollen die Potentiale von Learning Analytics für den Lernerfolg exploriert werden (Ifenthaler & Yau, 2020) . Vor dem Hintergrund der Befunde sollen Implikationen für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik abgeleitet werden . 2

Theoretischer Hintergrund Lernerfolg

Faktoren, welche zum Erfolg von Lernenden beitragen sowie die Entscheidung eines Lernenden, einen Lernprozess abzubrechen, sind vielfältig und komplex (Tinto, 1997, 2005) . Es liegen mehrere theoretische Ansätze und Modelle zur Erklärung des Erfolgs von Lernenden vor (Bean & Metzner, 1985; Rovai, 2003; Tinto, 1982) . Als Gemeinsamkeiten zur Erklärung von Lernerfolg lassen sich soziodemographische Faktoren der Lernenden (z . B . Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, familiärer Hintergrund), kognitive Fähigkeiten und frühere akademische Leistungen (z . B . Notendurchschnitt), individuelle Eigenschaften (z . B . Persönlichkeitsmerkmale), aktives Lernen und Aufmerksamkeit sowie Umweltfaktoren im Zusammenhang mit Unterstützungsmaßnahmen identifizieren (Bijsmans  & Schakel, 2018; Brahm, Jenert  & Wagner, 2017; Mah & Ifenthaler, 2020; Remedios, Clarke & Hawthorne, 2008; Tinto, 2017) . In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik werden weitere Konzepte analysiert wie zum Beispiel Gründe für einen Abbruch der Berufsausbildung (Beinke, 2011; Schöngen, 2003; Schuster, 2016) . Die Möglichkeit, umfassende Daten für die oben genannten Faktoren zu sammeln und zu speichern und sie in einer (nahezu) Echtzeitanalyse zu kombinieren eröffnet neue Möglichkeiten der empirischen Bildungsforschung . Neben einer präziseren Analyse der genannten Faktoren entstehen weitere technologische Möglichkeiten um adaptive Interventionen zur Unterstützung des Lernerfolgs umzusetzen (Fuchs, Henning & Hartmann, 2016; Pistilli & Arnold, 2010) .

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DIRK IFENTHALER / JANE YIN-KIM YAU

Learning Analytics

SAKI (Self-Adaptive Keyboard Instructor aus dem Jahr 1956), das erste bekannte adaptive Lehrsystem (Pask, 1982), konnte die Aufgabenschwierigkeit der Lerninhalte an den Lernenden anpassen . Die rasche technologische Weiterentwicklung führte zu intelligenten oder adaptiven Lernsystemen (u . a . adaptive learning systems; intelligent tutoring systems), welche aus Daten individueller Lernenden (z . B . Ziele, Präferenzen, Vorwissen) ein Lernendenmodell generierten und damit die Lernumgebung an die Bedürfnisse des Lernenden anpassten (Brusilovsky, 1996) . Die Prinzipien adaptiver Lernsysteme lassen sich in Learning Analytics Anwendungen wiederfinden . Die seit Anfang des 21 . Jahrhunderts verfügbaren Lernplattformen (Learning Management System; LMS) bilden eine weitere Grundlage für erste Learning Analytics Anwendungen . Frühe Learning Analytics Ansätze beschränkten sich auf die Analyse von TraceData (Logfiles) oder Web-Statistiken, um das Verhalten von Lernenden in OnlineLernumgebungen zu beschreiben (Veenman, 2013) . Inzwischen konnten die methodologischen Perspektiven von Learning Analytics erweitert werden (Berland, Baker & Bilkstein, 2014; Prieto et al ., 2019) . Somit reichen die Datenanalysen um Learning Analytics weit über die Standardmethoden der Lern-Lehr-Forschung (z . B . Regressionsanalyse, Faktorenanalyse, Clusteranalyse, usw .) hinaus . Dabei kommen Variationen von Regressionsanalysen (u . a . logistische Regression, Hierarchisch-Lineare-Regression) zum Einsatz (da Silva, Caeiro, Natário  & Braumann, 2013) . Vor dem Hintergrund unstrukturierter Daten und großer Datenmengen werden jedoch zunehmend Machine Learning Ansätze wie zum Beispiel Support Vector Machines (Christmann & Steinwart, 2008), Random Forest (Breiman, 2001) und Decision Tree (Quinlan, 1986) verwendet . Zusätzlich werden Netzwerkanalysen für die Identifikation sozialer Interaktionen (Gašević, Joksimović, Eagan & Shaffer, 2019) oder zur Optimierung curricularer Planungen (Ifenthaler, Gibson & Dobozy, 2018) herangezogen . Auch semantische Analysen (Natural Language Processing; NLP) und damit verbundenes informatives Feedback in Echtzeit finden zunehmend mehr Anwendung im Kontext von Learning Analytics (Gurevych & Kim, 2013; Ifenthaler, 2014) . Aktuelle Entwicklungen um Learning Analytics fokussieren auf (a) die Verbesserung des Lernens und der Motivation der Lernenden und damit verbunden die Reduktion von Abbrecherquoten (oder deren Inaktivität) (Colvin et al ., 2015; Glick et al ., 2019; Hinkelmann & Jordine, 2019; Mah, 2016) und auf (b) die Unterstützung bzw . Optimierung von Lernprozessen, indem adaptive Lernpfade sowie -hilfen zur Erreichung bestimmter, vorgegebener oder selbstgesetzter Ziele bereitgestellt werden (Dawson, Tan & McWilliam, 2011; Gašević, Jovanović, Pardo & Dawson, 2017; Ifenthaler, 2011; Ifenthaler, Mah & Yau, 2019) . Nur vereinzelte Studien berichten jedoch robuste Erkenntnisse hinsichtlich der Effektivität und Wirksamkeit von Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg (Suchithra, Vaidhehi & Iyer, 2015) .

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

Keine der zuvor zitierten Studien beinhaltet eine vollständige und detaillierte Übersicht zu Learning Analytics im Zusammenhang mit Unterstützungsmöglichkeiten des Lernerfolgs . Es gilt weiterhin anzumerken, dass keine belastbare Befunde um Learning Analytics mit speziellem Fokus auf den Kontext der Berufs- und Wirtschaftspädagogik vorliegen . Folglich ist das Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit, empirische Belege dafür zu finden, wie Learning Analytics erfolgreich dazu beitragen können, den Lernerfolg zu unterstützen . Aus den Befunden sollten Implikationen für die Berufsund Wirtschaftspädagogik abgeleitet werden . Insbesondere werden folgende Forschungsfragen untersucht: 1 . Welche Learning Analytics Faktoren können zur Unterstützung von Lernerfolg identifiziert werden? 2 . Welche Learning Analytics Interventionen tragen zum Lernerfolg bei? 3

Methode

Eine systematische Übersichtsarbeit hat das Ziel vorhandene Forschungsbeiträge hinsichtlich spezifischer Forschungsfragen mittels eines festgelegten Verfahrens auszuwerten und zu synthetisieren . Für die vorliegende systematische Übersichtsarbeit wurden acht Schritte nach Okoli und Shabram (2010) als wesentlich bestimmt und umgesetzt: 1) Identifizierung des Zwecks der systematischen Übersichtsarbeit; 2) Entwurf des Protokolls und Schulung des Forschungsteams; 3) Anwendung des praktischen Screenings; 4) Suche nach Literatur; 5) Extraktion von Daten; 6) Bewertung der Qualität der gesichteten Studien; 7) Synthese der Studien; 8) Verfassen der Übersicht . Abbildung 1 zeigt das Ablaufdiagramm zur Durchführung der systematischen Übersichtsarbeit . Grundlage für die Literatursuche waren internationale Datenbanken (GoogleScholar, ACM Digital Library, Web of Science, Science Direct, ERIC (Education Resources Information Center), DBLP (Informatik-Bibliographie)) sowie relevante Fachzeitschriften mit Fokus auf Bildungstechnologien: Computers & Education, British Journal of Educational Technology, The International Review of Research in Open and Distributed Learning, The Internet and Higher Education, Journal of Educational Technology & Society, Journal of Computer Assisted Learning, Education and Information Technologies, Educational Technology Research and Development, Language Learning & Technology, Interactive Learning Environments, TechTrends, The Turkish Online Journal of Educational Technology, Learning@Scale, Learning, Media and Technology, International Journal of Artificial Intelligence in Education Computer Assisted Language Learning, IEEE Transactions on Learning Technologies, International Conference on Technological Ecosystems for Enhancing Multiculturality, Australasian Journal of Educational Technology, Journal of Learning Analytics, Computers in Human Behavior, und Technology, Knowledge and Learning .

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Forschungsfragen

Forschungsprotokoll und Training

a) b) c) d) e) f)

Formale Kriterien

Datenbasis Google Scholar, ACM Digital Library, Web of Science, Science Direct, ERIC, DBLP Specific journals

Literatursuche

Einschlusskriterien Bildungskontext Publiziert zwischen 2013 und 2019 Publiziert in Englisch Abstract verfügbar Datenbasiert Peer-reviewed

Titelsuche (N = 6,220) Einschluss

unklar

Ausschluss

Publikationen ausgeschlossen N = 3,057

Ausschluss

Publikationen ausgeschlossen N = 2,789

Suche in Abstracts (N = 3,163) Einschluss

unklar

Volltextsuche (N = 374) Einschluss

unklar

Ausschluss

Publikationen ausgeschlossen N = 328

Schlüsselbeiträge (N = 46) Interpretation Synthese der Schlüsselbeiträge Veröffentlichung

Abb. 1 Flussdiagramm der systematischen Übersichtsarbeit

Insgesamt konnten N = 6 .220 Publikationen identifiziert werden . Die Analyse aller gesichteten Publikationen führte zum Ausschluss von Duplikaten oder Beiträgen mit irrelevanten Themen (N = 3 .057) . Die detaillierte Suche in Abstracts (mit Fokus auf relevante Konzepte, z . B . Learning Analytics Faktoren in Kombination mit Lernerfolg) führte zu einem reduzierten Datensatz mit N = 374 Publikationen . Als nächster Schritt wurde eine Volltextanalyse von zwei unabhängigen Inhaltsexperten des Forschungsteam durchgeführt . Die Inhaltsexperten des Forschungsteam verwendeten Kriterien mit Fokus auf die theoretische Stringenz der Schlüsselkonzepte (d . h . Learning Analytics, Faktoren des Lernerfolgs), die Zusammensetzung der Stichproben und das methodische Design der Studien sowie auf die Robustheit der empirischen Befunde und pädagogischen Implikationen . In gemeinsamem Diskurs der Inhaltsexperten des For-

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

schungsteam konnten vor dem Hintergrund der Ausschlusskriterien eine endgültigen Stichprobe mit N = 46 Schlüsselbeiträgen bestätigt werden . 4

Ergebnisse Zusammenfassung der Schlüsselbeiträge

Die N = 46 Schlüsselbeiträge in dieser systematischen Übersichtsarbeit sind in den USA (n = 13), Australien (n = 5), Großbritannien (n = 3), Spanien (n = 3), Brasilien (n = 3), Irland (n = 2), Taiwan (n = 2) und den Niederlanden (n = 2), Südkorea (n = 2), China (n = 1), Kolumbien (n = 1), Tschechische Republik (n = 1), Frankreich (n = 1), Griechenland (n = 1), Indien (n = 1), Israel (n = 1), Japan (n = 1), Pakistan (n = 1), Saudi-Arabien (n = 1) und Schweden (n = 1) situiert . Die meisten Beiträge wurden 2017 (16) veröffentlicht, gefolgt von acht Artikeln in den Jahren 2018, 2016 (5), 2015 (6), 2014 (8) und drei im Jahr 2013 . Die berichtete durchschnittliche Stichprobengröße der Schlüsselbeiträge betrug M = 15 .981,74 (SD = 67 .388,72; Min = 29; Max = 447 .977) . Die Schlüsselbeiträge berichten unterschiedliche Methoden zur Datenanalyse: Dazu zählen Decision Tree, Support-Vector-Machine sowie logistische Regressions- und Klassifikationssysteme . Viele der Schlüsselbeiträge verwenden mehrere statistische Methoden, um zu bestimmen, welche die genaueste Vorhersage der beabsichtigten Ergebnisvariablen erzielen würde . Eine umfassende Übersicht der Schlüsselbeiträge mit Informationen zu Autoren, Herkunftsland, Stichprobenmerkmalen, Operationalisierung der Konstrukte und verwendeten Interventionen wird in Ifenthaler und Yau (2020) berichtet . Das Forschungsteam bewertete auch die allgemeine Studiengüte (kategorisiert als schwach; mäßig; stark) der Schlüsselbeiträge im Hinblick auf Definition von Lernerfolg und Learning Analytics (theoretische Güte), die getestete Stichprobe, Variablen und Methoden (methodische Güte), die Ergebnisse und Implikationen (Güte der Befunde) . Keine der Schlüsselbeiträge wurde als stark eingestuft (11 schwach; 35 mäßig), hauptsächlich aufgrund der fehlenden Operationalisierung der zentralen Konstrukte, des Mangels an präzisen methodischen Ansätzen oder der begrenzten Stichprobengröße (Ifenthaler & Yau, 2020) . Learning Analytics Faktoren im Zusammenhang mit Lernerfolg

Eine Gruppe von Learning Analytics Faktoren im Zusammenhang mit Lernerfolg basiert auf Daten, die durch Online-Verhalten gesammelt wurden, hauptsächlich Logfiles und Trace-Data . Dies sind Forumsinteraktionen (z . B . Beiträge, Antworten, Länge der Beiträge) (Andersson, Arvemo & Gellerstedt, 2016; Cambruzzi, Rigo & Barbosa,

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2015; Guerrero-Higueras, DeCastro-Garci, Matellan  & Conde-Gonzalez, 2018; Seidel & Kutieleh, 2017), der Zugriff auf Lernartefakte (z . B . ePortfolio, Vortragsfolien, Videos, Aufgaben, Selbsteinschätzungen) (Aguiar, Chawla, Brockman, Ambrose  & Goodrich, 2014; Carter, Hundhausen  & Adesope, 2015; Conijn, Van den Beemt  & Cuijpers, 2018; Gong, Liu & Zhao, 2018; Okubo, Yamashita, Shimada & Ogata, 2017) und die allgemeine Interaktion mit einer digitalen Lernumgebung auf der Grundlage von Logfiles (Hu, Lo & Shih, 2014; Labarthe, Bouchet, Bachelet & Yacef, 2016) . Zum Beispiel verwenden Chai und Gibson Chai and Gibson (2015) die Anmeldehäufigkeit, den Zugriff auf Materialien, die Einreichung von Aufgaben und die Einschreibungsdaten zur Vorhersage des Abbruchs von Lernaktivitäten . In ähnlicher Weise werden Daten von Websites oder Lernmanagementsystemen (z . B ., ereignisbasierte Zeitstempel) in Kombination mit Noten zur Vorhersage des Abbrecherrisikos von Lernenden verwendet (Cohen, 2017; Conijn, Snijders, Kleingeld & Matzat, 2017; Elbadrawy, Studham & Karypis, 2015; Jo, Yu, Lee & Kim, 2014; Manrique, Nunes, Marino, Casanova & Nurmikko-Fuller, 2018; Nespereira, Vilas  & Redondo, 2015; Nguyen, Rienties, Toetenel, Ferguson & Whitelock, 2017; Saqr, Fors & Tedre, 2017), wobei die detaillierte Analyse von Clickstream- oder Trace-Daten auch zur Vorhersage von Studienabbruch (Whitehill, Mohan, Seaton, Rosen & Tingley, 2017), Lernprozessen (Wolff, Zdrahal, Andriy & Pantucek, 2013) oder Lernleistungen (Yang, Brinton, Wong & Chiang, 2017) verwendet wird . Weitere Faktoren, welche für die Identifikation und Vorhersage von Lernerfolg verwendet werden basieren auf Informationen über die Lernenden wie z . B . demografische Daten (z . B . Alter, Geschlecht), sozioökonomischer Status (z . B . Familieneinkommen, Hintergrund, Ausgaben) oder vorherige akademische Erfahrung und Leistung (Daud et al ., 2017; Djulovic & Li, 2013; Guarrin, 2013) . Beispielsweise verwenden Lacave, Molina und Cruz-Lemus (2018) das Einschreibungsalter, die vorherige Wahl des Studienfachs und Informationen über Stipendien, um den Lernerfolg vorherzusagen . Zusätzlich zu demographischen Variablen (Aulck et al ., 2017; Sarker, 2014) werden das akademische Selbstkonzept von Lernenden, die akademische Historie und arbeitsbezogene Daten zur Vorhersage der Lernleistung verwendet (Mitra & Goldstein, 2015) . Andere analysieren den Notendurchschnitt (GPA), die akademische Belastung und den Zugang zur Beratung (Rogers, Colvin & Chiera, 2014), den finanziellen Hintergrund der Lernenden (Thammasiri, Delen, Meesad & Kasap, 2014) oder vorhergehende akademische Leistungen (Bydzovska & Popelinsky, 2014; Sales, Balby & Cajueiro, 2016; Srilekshmi, Sindhumol, Chatterjee & Bijani, 2016) . Andere Faktoren konzentrieren sich auf Daten, die durch Umfragen erhoben wurden, wie z . B . die Selbstauskunft der Lernenden über erwartete Noten (Zimmerman & Johnson, 2017), die (Lern-)Motivation sowie die akademische und technologische Kompetenz (Bukralia, Deokar & Sarnikar, 2014) . Schließlich konnten Faktoren identifiziert werden, welche auf multimodaler Basis gebildet werden (Blikstein & Worsley, 2016), d . h . sie verwenden Daten aus verschie-

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

denen Quellen, wie z . B . Logfiles oder Trace-Data (nicht reaktive Datenerhebung), Bewertungen und Umfragedaten (reaktive Datenerhebung), sowie aus aggregierten Informationen oder historischen Daten . Learning Analytics Interventionen zur Unterstützung des Lernerfolgs

Eine kürzlich erschienene systematische Übersicht mit elf Schlüsselstudien zur Wirksamkeit von Learning Analytics Interventionen im Hochschulbereich dokumentiert visuelle Signale und andere Dashboard-Merkmale als dominierende Elemente (Larrabee Sønderlund et al ., 2018) . Über diese Ergebnisse hinaus bietet die vorliegende systematische Übersichtsarbeit weitere Einblicke hinsichtlich Learning Analytics Interventionen zur Unterstützung des Lernerfolgs . Beispielsweise ermöglichen Hinweise und Warnungen, welche an die Lehrperson gerichtet werden, den Lernenden mehr individuelle Aufmerksamkeit zu schenken (Darlington, 2017; Dawson, Jovanović, Gašević & Pardo, 2017; Gkontzis, Kotsiantis, Tsoni & Verykios, 2018; Lu, Huang, Huang & Yang, 2017; Yang et al ., 2017) . Andere Interventionen fokussieren die Unterstützung von Peer-to-Peer-Kommunikation (Cohen, 2017; Seidel & Kutieleh, 2017) sowie auf Empfehlungen für adaptive Lernmaterialien, den Aufbau von Vorwissen, den Abbau von Prüfungsangst oder die Wahrnehmung von Schülern und Lehrern (Zimmerman & Johnson, 2017) . Zusammenfassend konnten in den Schlüsselbeiträgen nur wenige effektive Interventionsstrategien identifiziert werden (Cambruzzi et al ., 2015; Carroll & White, 2017; Casey & Azcona, 2017) . Als Limitationen der Learning Analytics Interventionen zur Unterstützung von Lernerfolg werden verzerrte Effekte berichtet, welche sich aus umfassenderen Veränderungen von Lernumgebungen und daraus resultierenden Gesamteffekten entstammen können (Gašević et al ., 2016) . 5

Diskussion

Ohne dass dies größere Beachtung gefunden hätte, werden seit nahezu einer Dekade Data Analytics Ansätze im Bildungskontext als Werkzeuge zum Verständnis sowie zur Optimierung von Lern- und Lehrprozessen sowie Lernumgebungen genutzt . Zum einen fehlen Bildungseinrichtungen noch immer die organisatorischen, technischen und personellen Kapazitäten für eine nachhaltige und effektive Implementierung von Learning Analytics Systemen (Ifenthaler, 2017; Leitner, Ebner  & Ebner, 2019), zum anderen existieren nur sehr wenige empirisch erprobte Learning Analytics Systeme (Buckingham Shum & McKay, 2018; Rienties et al ., 2016) . Für den Kontext der Berufsund Wirtschaftspädagogik konnten keine belastbaren Befunde für Learning Analytics im Zusammenhang mit Lernerfolg identifiziert werden .

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Dennoch zeigen die Befunde der vorliegenden systematischen Übersichtsarbeit, dass Learning Analytics als datengestützte Methoden zur Erkennung von Risikosituationen in Verbindung mit Lernerfolg eingesetzt werden können (Chai & Gibson, 2015; Hinkelmann & Jordine, 2019; Okubo et al ., 2017; Rogers et al ., 2014) . Trotz robuster analytischer Befunde fehlen an den betreffenden Bildungseinrichtungen umfassende pädagogische Unterstützungssysteme, um auf die individuellen Bedarfe der durch Learning Analytics Systeme identifizierten Lernenden einzugehen (Mah, 2016; Viberg, Hatakka, Bälter & Mavroudi, 2018) . Als Interventionsstrategien konnten lediglich visuelle Signale und andere Dashboard Merkmale in den Schlüsselbeiträge identifiziert werden . Aus pädagogischer Sicht sind jedoch diese Dashboard Elemente nur eingeschränkt wirkungsvoll (Bodily, Ikahihifo, Mackley  & Graham, 2018; Schumacher  & Ifenthaler, 2018a; Sedrakyan, Mannens & Verbert, 2018) . Demzufolge sollten Learning Analytics Dashboards informative Rückmeldefunktionen enthalten und durch Lernende selbst personalisierbar sein (Kokoç & Altun, 2019; Roberts, Howell & Seaman, 2017) . Auch werden Learning Analytics Interventionen gefordert, welche adaptive Lernpfade empfehlen und ermutigende Interventionen vorschlagen, um Lernende zum Lernerfolg zu führen (Howell, Roberts, Seaman & Gibson, 2018; Schumacher & Ifenthaler, 2018b; Tinto, 2005) . Post-hoc Analysen der Schlüsselbeiträge identifizierten weitere Forschungsstränge, welche in enger Verbindung mit Gelingensbedingungen für Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg stehen . (1) Ein ethisch verantwortungsvoller Umgang von Learning Analytics Daten und damit verbundenen Systemen (Ifenthaler & Tracey, 2016; Scholes, 2016; Slade & Prinsloo, 2013; West, Huijser & Heath, 2016) . (2) Berücksichtigung aktueller Datenschutzbestimmungen (z . B . EU-GDPR) und der Datenschutzgrundsätze aller beteiligten Akteure (Pardo & Siemens, 2014) . Folglich müssen sich Bildungseinrichtungen der Datenschutzthemen annehmen, die in Verbindung mit Learning Analytics stehen, wie Zugriffsrechte, Speicherdauer, Analysen und davon abgeleitete Schlussfolgerungen (Heath, 2014; Ifenthaler, 2020b; Ifenthaler & Schumacher, 2019) . (3) Letztlich werden systemweite Strategien für die Implementierung von Learning Analytics Systemen gefordert (Ifenthaler, 2020a) . Handlungsempfehlungen

Aus den Befunden relevanter Studien zu Learning Analytics im Zusammenhang mit Lernerfolg wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet und mittels Stakeholderinterviews validiert (Ifenthaler & Yau, 2019) . Diese Handlungsempfehlungen können auf den Kontext der beruflichen Bildung übertragen werden und bilden somit eine fundierte Ausgangslage für Maßnahmen und Interventionen in der Aus- und Weiterbildung . Die Implementation der folgenden Handlungsempfehlungen im Kontext der Berufs- und Wirtschaftspädagogik erfordert umfassende Veränderungsprozesse in den

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

entsprechenden Organisationen . Eine veränderte Lernkultur bildet dabei die Grundlage für diese Veränderungsprozesse (Dehnbostel, 2009) . Die Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung werden im Folgenden aufgeführt: 1 . Entwicklung von flexiblen Learning Analytics Systemen, die Bedarfe einer Organisation mit Fokus auf Aus- und Weiterbildung hinsichtlich spezifischer Anforderungen an Lernkultur und pädagogischem Konzepten, die Lernenden und Lehrenden sowie die technische und administrative Organisationsstruktur und den erweiterten Kontext der Organisation berücksichtigen . 2 . Aufbau organisatorischer, technologischer und pädagogischer Strukturen und Prozesse zur Nutzung von Learning Analytics Systemen sowie Unterstützung der Stakeholder bei Konzeption, Implementation und nachhaltigem Betrieb . 3 . Einbindung aller Stakeholder einer Organisation in die Entwicklung von Learning Analytics Systemen . 4 . Definition der Anforderungen an Daten und Algorithmen für Learning Analytics Systeme . Wie werden Daten und Algorithmen verfügbar gemacht, wie, wo und für wie lange werden die Daten gespeichert, in welchen Formaten müssen die Daten vorliegen und mittels welcher Algorithmen werden diese Anwendung finden sowie wer hat auf welche Daten, Algorithmen und Analyseergebnisse Zugriff? 5 . Information sowie Aus- und Weiterbildung aller Stakeholder über ethische und datenschutzrechtliche Bedingungen und Hintergründe bei der Verwendung von Daten, Algorithmen und Analyseergebnisse aus Learning Analytics Systemen . Es werden Standards zur Sicherung der Privatsphäre, zum Datenschutz sowie der Einhaltung von ethischen Gesichtspunkten unter Einhaltung der EU-DSGV für Einzelpersonen als auch für die Institution benötigt . 6 . Entwickeln eines robusten Qualitätssicherungsprozesses, um die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Learning Analytics Systeme sicherzustellen . Neben der internen Qualitätssicherung kann zudem eine Akkreditierung für Learning Analytics Systeme die Akzeptanz bei den Stakeholdern erhöhen . 7 . Forschungsförderung im Bereich von Learning Analytics mittels interner Finanzierungsmodelle einer Organisation, der Etablierung von Forschungsverbünden und bundesweiten Forschungsprogrammen . 8 . Aufbau von lokalen, regionalen und nationalen Learning Analytics Gremien mit Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik mit Fokus auf adäquate Entwicklung und Implementation (sowie Akkreditierung) von Learning Analytics Systemen .

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Limitationen

Systematische Übersichtsarbeiten synthetisieren Erkenntnisse aus quantitativer und qualitativer Forschung zu einem Forschungsthema, können jedoch nicht die Ergebnisse aller verfügbaren Forschungsarbeiten einbeziehen . Die Forschungsmethodik dieser systematischen Übersichtsarbeit folgte den acht von Okoli (2015) vorgeschlagenen Schritten . Trotz intensiver Recherche in einschlägigen Datenbanken und Zeitschriften können einige zentrale Forschungsstudien vernachlässigt worden sein . Wie aus dem ursprünglichen Datensatz hervorgeht, wurden zwar mehr als 6 .000 Beiträge identifiziert, doch nicht alle qualifizierten sich für die Aufnahme in diese systematische Übersichtsarbeit . Daher spiegeln die Schlüsselstudien nicht die gesamte Forschung zu Learning Analytics im Zusammenhang mit Lernerfolg wider . Darüber hinaus enthielt diese systematische Übersichtsarbeit nur englischsprachige Beiträge . Daher wurden möglicherweise wichtige Erkenntnisse aus Beiträgen, die in anderen Sprachen veröffentlicht wurden, übersehen . Es wird jedoch erwartet, dass mit zunehmendem Reifegrad der Forschung um Learning Analytics Metaanalysen entstehen werden, die weitere empirische Evidenz liefern können, einschließlich Schätzungen der Effektgröße in Bezug auf den Einfluss von Learning Analytics auf den Lernerfolg . Eine weitere Limitation, welche sich in den Schlüsselbeiträgen dieser systematischen Übersichtsarbeit findet, ist die theoretische Fundierung der zentralen Konstrukte . Wenn klare Definitionen fehlen, werden Operationalisierungen dieser Konstrukte unscharf und ihre gültige Messung wird unmöglich . Diese Einschränkung wurde durch die durch das Forschungsteam bewertete allgemeine Studiengüte (kategorisiert als schwach; mäßig; stark) evident . Zukünftige Forschung muss nicht nur die zentralen Konstrukte klar definieren, sondern auch Standards der empirischen Lern-LehrForschung berücksichtigen, um valide Ergebnisse zu erzielen (Campbell & Stanley, 1963) . Verallgemeinerbare und übertragbare Befunde erfordern eine stärkere methodische Ausrichtung auf systemweit implementierte Learning Analytics Systeme sowie längsschnittliche und experimentelle Forschungsdesigns . Letztlich muss der Mangel an robusten Befunden aus dem Kontext der Berufs- und Wirtschaftspädagogik erwähnt werden . Erst wenn entsprechende Learning Analytics Systeme in der beruflichen Bildung Einzug nehmen, können empirische Studien zur Effektivität und Effizienz von Learning Analytics im Zusammenhang mit Lernerfolg realisiert werden . Die oben genannten Handlungsempfehlungen bilden dabei eine fundierte Ausgangslage für Learning Analytics in der Aus- und Weiterbildung . 6

Ausblick

Learning Analytics sind eine sozio-technologische Data-Mining-, Analyse- und Interventionspraktiken in Bildungskontexten . Diese systematische Übersichtsarbeit konn-

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

te nur wenige Studien identifizieren, welche robuste Belege für die Wirksamkeit von Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg dokumentieren . Die Befunde können auf den Kontext der beruflichen (formalen) Bildung übertragen werden, wobei auch Anwendungsfelder für informelle Lernprozesse in der beruflichen Bildung möglich sind (Schumacher, 2018) . Wie von Larrabee Sønderlund et al . (2018) und in dieser systematischen Übersichtsarbeit dokumentiert, müssen Learning Analytics Interventionen für die berufliche Bildung aktives Lernen ermöglichen, z . B . durch adaptive Unterstützungsmöglichkeiten oder durch die Unterstützung von Lehrpersonen, Mentoren oder Coaches beim Kuratieren und Bearbeiten von Daten über die Lernenden (Arthars et al ., 2019; Darlington, 2017; Dawson et al ., 2017; Mah, Yau & Ifenthaler, 2019) . Dazu zählt auch ein besseres Verständnis der Erwartungen der Stakeholder an Learning Analytics Systeme, um Lernprozesse zu unterstützen und den Lernerfolg zu sichern . Während weitere Fortschritte in der Forschung um Learning Analytics erzielt werden, müssen sich sowohl Bildungsorganisationen als auch Betriebe und Unternehmen mit den erforderlichen Veränderungsprozessen befassen, die die Einführung und nachhaltige Verwendung von Learning Analytics ermöglichen . Literatur

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Zur Person: Dirk Ifenthaler ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik – Technologie-

basiertes Instruktionsdesign an der Universität Mannheim und UNESCO Deputy Chair of Data Science in Higher Education Learning and Teaching an der Curtin University, Australien . Sein Forschungsschwerpunkt verbindet Fragen der Lehr-Lernforschung, Bildungstechnologie, Data Analytics und organisationalem Lernen . Prof. Dr. Dirk Ifenthaler

Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes Instruktionsdesign, L4, 1, 68131 Mannheim, Deutschland, ifenthaler@uni-mannheim .de

Learning Analytics zur Unterstützung von Lernerfolg

Zur Person: Jane Yau ist PostDoc am Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes

Instruktionsdesign an der Universität Mannheim . Ihre Forschungsschwerpunkte sind mobiles Lernen, Learning Analytics und Bildungstechnologie . Dr. Jane Yin-Kim Yau

Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Technologiebasiertes Instruktionsdesign, L4, 1, 68131 Mannheim, Deutschland, jyau@mail .uni-mannheim .de

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Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik Eine Simulationsstudie für die Anwendung überwachten maschinellen Lernens für Inhaltsanalysen am Beispiel von Grundvorstellungen und (Selbst-)Reflexionskompetenz florian berDinG / heike Jahncke / kathrin holt

Learning Analytics in business education A simulation study for the application of supervised machine learning for content analysis using the example of basic concepts and (self)reflection skills Kurzfassung: Learning Analytics bietet das Potential, Lehrkräfte bei der Gestaltung eines auf die

individuellen Voraussetzungen der Lernenden abgestimmten Unterrichts zu unterstützen . Erforderlich ist dafür der Einsatz künstlicher Intelligenz, denn nur damit lassen sich z . B . von den Lernenden verfasste Texte analysieren und didaktisch einordnen . Bislang ist jedoch wenig bekannt, in welchem Ausmaß künstliche Intelligenz bei der Auswertung solcher Daten unterstützen kann . Vor diesem Hintergrund vergleicht der Beitrag verschiedene Ansätze künstlicher Intelligenz anhand von realem Datenmaterial aus berufs- und wirtschaftspädagogischen Studien . Auf der Basis der schriftlichen Lösungen von 450 Lernenden zu den Grundvorstellungen im Rechnungswesen und 275 schriftlichen Reflexionen von angehenden Wirtschaftspädagog(inn)en kommt der Beitrag zu dem Schluss, dass künstliche Intelligenz einen wertvollen Beitrag zur Auswertung binärer Kategorien leisten kann, jedoch noch nicht geeignet ist, Meta-Konstrukte wie die (Selbst-)Reflexionsfähigkeit aus Texten zu erschließen . Der Beitrag leitet als Empfehlung für den Einsatz in Learning AnalyticsAnwendungen die Verwendung von Bagging, GLMNET und Tree als Algorithmen ab . Diese sollten mit der Oversampling-Methode MWMOTE kombiniert werden . Die Verwendung des Naive Bayes ist hingegen nicht zu empfehlen . Der Beitrag stellt den ersten Prototypen einer Learning AnalyticsAnwendung für den Rechnungswesenunterricht vor . Schlagworte: Learning Analytics, RedKI, maschinelles Lernen, Inhaltsanalyse, Professionalität, Rechnungswesen

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FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Abstract: Learning Analytics offers the potential to support teachers in designing lessons that are

tailored to the individual requirements of the learner . This requires the use of artificial intelligence, because only with this e . g . texts written by the learners can be analyzed and classified didactically . So far, however, little is known to what extent artificial intelligence can support the analysis of such data . Against this background, the article compares different approaches of artificial intelligence using real data from vocational and business education studies . Based on the written solutions of 450 learners concerning basic concepts in accounting and 275 written reflections by prospective vocational teachers, the article concludes that artificial intelligence can make a valuable contribution to evaluate binary categories but is not yet suitable to analyze meta-constructs like (self-) reflective capabilities from texts . The article recommends the use of Bagging, GLMNET and Tree as algorithms for application in Learning Analytics . These should be combined with the oversampling method MWMOTE . In contrast, the use of the Naive Bayes is not recommended . The article introduces the first prototype of a learning analytics application for accounting classes . Keywords: Learning Analytics, RedAI, Machine learning, content analysis, professionalism, accounting

1

Einleitung

Meta- und Meta-Meta-Studien belegen, dass durch die Integration von digitalen Technologien die Effizienz und Effektivität von Lehr-Lern-Prozessen verbessert werden kann (Bernard et al ., 2014; Kulik & Kulik, 1991; Means et al ., 2010; Tamim et al ., 2011) . Auch zur konkreten Gestaltung multimedialer Lernumgebungen liegen bereits zahlreiche Meta-Studien vor (Alpizar et al ., 2020; Brom et al ., 2018; Mayer, 2019; Mayer & Fiorella, 2019; Mayer  & Pilegard, 2019; Schneider et al ., 2018) . Das mit diesen Forschungsarbeiten dokumentierte Potential für die Weiterentwicklung von Unterricht kann durch den Einsatz von Learning Analytics noch weiter gesteigert werden, indem die generalisierten Erkenntnisse aus empirischen Studien mit Informationen zu den individuellen Bedingungen der Lernenden kombiniert und daraus pädagogische und didaktische Entscheidungen für Lehr-Lern-Prozesse gewonnen werden . Larusson und White (2014, S . 1–2) definieren Learning Analytics als „the collection, analysis, and application of data accumulated to assess the behavior of educational communities . Whether it be through the use of statistical techniques and predictive modeling, interactive visualizations, or taxonomies and frameworks, the ultimate goal is to optimize both student and faculty performance, to refine pedagogical strategies, to streamline institutional costs, to determine students’ engagement with the course material, to highlight potentially struggling students (and to alter pedagogy accordingly), to fine tune grading systems using real-time analysis, and to allow instructors to judge their own educational efficacy .“

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Mit Bezug auf die Gestaltung von Unterricht lassen sich die Ziele von Learning Analytics weiter konkretisieren und bestehen darin, (1) Handlungen und Ergebnisse von Lernenden frühzeitig zu prognostizieren, um rechtzeitig Verbesserungsmaßnahmen einleiten zu können, (2) Empfehlungen für didaktische Entscheidungen abzuleiten, (3) Lernprozesse zu individualisieren und zu personalisieren, (4) Reflexionsprozesse anzustoßen und (5) verschiedene Lehr-Lern-Methoden zu vergleichen (Grandl et al ., 2017) . Allerdings zeigt ein erstes Literaturreview von 401 Forschungsbeiträgen von Jaakonmäki et al . (2020, S . 10), dass Learning Analytics aktuell im Wesentlichen zur Überwachung der Leistungen von Lernenden, zur visuellen Aufbereitung von Daten zur Unterstützung von Entscheidungen sowie zur Vorhersage von Leistungen und zur Gruppierung von Lernenden eingesetzt wird . Die Erfassung situativer Kognitionen und Emotionen sowie die Anpassung der Inhalte, Methoden und des Materials an die Voraussetzungen und den Fortschritt der Lernenden sind hingegen deutlich seltener verfolgte Ziele . Dabei ist gerade die Individualisierung und Personalisierung von LehrLern-Prozessen ein grundlegendes pädagogisches und didaktisches Prinzip, welches sich in empirischen Studien aus der pädagogischen Diagnostik nachweislich vorteilhaft für die Lernenden auswirkt (Anders et al ., 2010; Karst et al ., 2014; Schrader, 1989) . In der Konsequenz befinden sich Learning Analytics-Anwendungen eher auf den unteren Integrations- und Entwicklungsstufen des Modells von Siemens et al . (2013, S . 27), welches in Abbildung 1 dargestellt ist . Learning Analytics Sophistication Model Integrated

Sector Transformation

Students

- Predictive models - Personalized learning - Measured by impact & organization strategy

-

Data sharing capabilities Innovation Open data Sector-wide agility

Faculty Experimentation

Limited

Team / Organizational Impact

Organization

Organizational Transformation

Aware

- Drill down reports - Sample dashboards

-

Students dashboards Teaching dashboards BI reporting tools Cross-system data integration

- Basic reports - Log data Beginning

Maturity of Learning Analytics Deployment

Abb. 1 Learning Analytics Sophistication Model (Siemens et al., 2013, S. 27)

Advanced

239

240

FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Zur Erreichung der höheren Entwicklungsstufen aus dem Learning Analytics Sophistication Model ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz notwendig, die sich mit der Simulation menschlichen Verhaltens durch Computer beschäftigt (Kleesiek et al ., 2020, S . 24) . Einen Teilbereich von künstlicher Intelligenz stellt das maschinelle Lernen dar (Lanquillon, 2019, S . 90) . Mit maschinellem Lernen ist gemeint, dass Computer ein Problem lösen, indem sie das dafür notwendige Programm selber entwickeln bzw . weiterentwickeln, d . h . den dafür notwendigen Algorithmus eigenständig erzeugen (Alpaydin, 2019; Lanquillon, 2019, S . 91) . Dabei lassen sich nach Lanquillon (2019, 96 ff .) im Wesentlichen drei verschiedene Arten des maschinellen Lernens unterscheiden: – Überwachtes Lernen: Bei diesem Verfahren liegen für den Computer sowohl die Ausgangsdaten (z . B . Texte) als auch die Zieldaten vor (z . B . die Zuordnung eines Textes zu einer Kategorie) . Ziel ist es nun, aus dem Zusammenhang zwischen Ausgangs- und Zieldaten ein Vorhersagemodell zu entwickeln, mit dem sich für neue, unbekannte Ausgangsdaten (z . B . neue Texte) die richtigen Zieldaten generieren lassen (z . B . Zuordnung eines Textes zu einer Kategorie) . – Unüberwachtes Lernen: Bei diesem Verfahren liegen nur Ausgangs-, aber keine Zieldaten vor . Ziel ist hier die Herausarbeitung von Strukturen und Mustern in den Daten . – Bestärkendes Lernen: Bei diesem Verfahren stehen keine Ausgangsdaten als Trainingsdaten zur Verfügung, sondern die Trainingsdaten werden erst aus der Interaktion des Computers mit seiner Umwelt und den entsprechenden Reaktionen der Umwelt auf die Handlungen des Computers generiert . Durch Versuch und Irrtum versucht der Computer, die optimalen Handlungen zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels zu erlernen . Insbesondere mit Hilfe des überwachten maschinellen Lernens wird es möglich, Daten von Lernenden zu analysieren und in wissenschaftlich fundierte Begriffe, Modelle und Kategorien einzuordnen . Durch diese Subsumtion, d . h . durch die Einordnung von einzelnen Lernenden in wissenschaftliche Theorien und Modelle, lassen sich individuelle Empfehlungen ableiten, um die Lernenden mit „maßgeschneiderten“ Lehr-LernProzessen optimal zu fördern . Als Datenquellen kommen dafür neben Informationen aus standardisierten Messinstrumenten der pädagogischen Psychologie vor allem von den Lernenden individuell erstellte Texte in Betracht, die sich z . B . über Diagnoseaufgaben in den alltäglichen Unterricht integrieren lassen (Berding, 2019) . Die künstliche Intelligenz hat hier die Aufgabe, eine Lehrkraft bei der Gestaltung des Unterrichts zu unterstützen, indem sie die Daten der Lernenden analysiert, zu wissenschaftlichen Kategorien verdichtet und der Lehrkraft Interventionsmaßnahmen für die einzelnen Lernenden vorschlägt . Der Nutzen für eine Lehrkraft liegt bei diesem Szenario darin, dass sie keine Zeit für die Analyse der Lernenden-Daten investieren muss und diese in bereits validierte wissenschaftliche Modelle eingeordnet werden . So können sich

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Lehrende auf die Interpretation der Daten und die Gestaltung der pädagogisch-didaktischen Intervention konzentrieren . Insbesondere der Rechnungswesenunterricht könnte von einem solchen digitalen Werkzeug profitieren, denn Studien zeigen eine hohe Anfälligkeit für Lernschwierigkeiten in diesem Bereich (Tramm et al ., 1996; Türling, 2014) und belegen, dass Lehrkräfte die Bedeutung individueller Lernprozesse und die Anwendung von Buchführungsinhalten als eher nachrangig für den Unterricht einschätzen (Berding & Jahncke, 2020; Seifried, 2009) . Zudem stellt die Studie von Türling (2014, S . 184 f .) zum Umgang mit Fehlern fest, dass Wirtschaftspädagog(inn)en bevorzugt eine Einschränkung der Lösungsmöglichkeiten, das Einbringen von Leitfragen und die Evaluation der Lösungen vornehmen . Andere Strategien zum Umgang mit Fehlern, wie z . B . Visualisierungen, ein Wechsel der Symbol- bzw . Objektebene, die Einbindung von Vorwissen oder das Herstellen von Lebensweltbezügen kommen hingegen überwiegend selten zum Einsatz . Die Studie von Findeisen (2017, 238, 275 f .) zeigt weiter, dass es Masterstudierenden der Wirtschaftspädagogik nur in geringem Maße gelingt, in ihre Erklärungen angemessene Repräsentationen für die Symbole und Zusammenhänge des Rechnungswesens einzubringen . Damit liegen tendenziell problematische Bedingungen für die Entwicklung eines tragfähigen inhaltlichen Verständnisses abstrakter Rechnungswesenkonzepte vor, wie sie sich mit dem Konstrukt der Grundvorstellungen beschreiben lassen (Berding, 2019) . Eine Learning Analytics Anwendung könnte hier einer Lehrkraft eine Rückmeldung geben, welches Verständnis, d . h . welche Grundvorstellungen, die Lernenden entwickelt haben und welche Folgen daraus für den Lernprozess zu erwarten sind, sodass sie auf dieser Grundlage ihren Unterricht anpassen kann . So könnte das System Vorschläge für den Einsatz von Inhalten und Methoden geben . Gleichzeitig stellen die Informationen einen Anlass dar, das eigene didaktische Handeln zu reflektieren und weiterzuentwickeln . Die Ergebnisse von KI-basierten Learning Analytics-Anwendungen können aber nicht nur Anlass zur (Selbst-)Reflexion sein, sondern die (Selbst-)Reflexion einer Lehrkraft selbst in den Blick nehmen und die Entwicklung dieser Kompetenz, z . B . im Studium, Referendariat oder Beruf, offenlegen . Beispielsweise könnten im Studium über ein Portfoliokonzept integrierte Reflexionsanlässe (vgl . z . B . Jahncke, 2019) automatisch ausgewertet und die Kompetenzstufen der (Selbst-)Reflexion zusammen mit Vorschlägen für die weitere Ausgestaltung des Studiums den angehenden Lehrkräften präsentiert werden . Die Messung von komplexen Konstrukten, wie z . B . den Grundvorstellungen und der (Selbst-)Reflexionskompetenz, setzt nach aktuellem Forschungsstand jedoch die Anfertigung von schriftlichen Texten der Lernenden voraus, sodass die künstliche Intelligenz vor allem für die Auswertung dieser Texte und für die Einordnung der Ergebnisse in wissenschaftliche Begriffe und Modelle geschult werden muss . Methodisch bedeutet dies, eine inhaltsanalytische Auswertung vorzunehmen .

241

242

FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Früh (2011, S . 27) definiert eine Inhaltsanalyse als „eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen, meist mit dem Ziel einer darauf gestützten interpretativen Inferenz auf mitteilungsexterne Sachverhalte [kursiv im Original]“ . Im Regelfall erlaubt die Inhaltsanalyse die Bearbeitung von Kommunikationsinhalten in Form von Texten, ist in der dargestellten Definition aber nicht darauf beschränkt, sondern ermöglicht es auch, nicht-sprachliche Bedeutungsträger zu analysieren (Friedrichs, 1990, S . 315; Kromrey, 2009, S . 301) . Sie kann zudem nicht nur explizit und unmittelbar in den Bedeutungsträgern feststellbare Aussagen verarbeiten (manifeste Inhalte), sondern auch Bedeutungen aus den Informationsträgern mittelbar erschließen (latente Inhalte) (Kromrey, 2009, 301 f .) . Dabei zeichnen sich wissenschaftliche Inhaltsanalysen durch eine regelgeleitete, intersubjektiv nachvollziehbare, systematische und an Gütekriterien orientierte Vorgehensweise aus, welche auf verallgemeinerbare Aussagen abzielt (Früh, 2011, 27 f ., 39 ff .; Kromrey, 2009, 303 f .; Mayring, 2010a, 602 ff .) . Für die Anwendung in einem Learning Analytics-System eignet sich vor allem die deduktive Variante der Inhaltsanalyse, bei der auf der Grundlage bestehender Theorien und Modelle entwickelte Kodiersysteme an das Material herangetragen werden, um zu klären, in welchem Ausmaß das Material den einzelnen Kategorien entspricht (Kuckartz, 2016; Mayring, 2010b), da auf diese Weise eine explizite Verbindung zu wissenschaftlichen Theorien und Modellen möglich wird . Die Kategorien dienen hier als Bindeglied zwischen individuellen Informationen bzw . Daten einerseits und den wissenschaftlichen Modellen und Theorien andererseits . Die technische Umsetzung erfolgt mit Hilfe des überwachten maschinellen Lernens und setzt für die Anwendung in der Praxis voraus, dass die Informationen der Lernenden verlässlich durch die künstliche Intelligenz in wissenschaftliche Kategorien eingeordnet werden . Dazu kann mittlerweile auf eine ganze Reihe an Algorithmen und Techniken, wie z . B . neuronale Netze oder Entscheidungsbäume, zurückgegriffen werden . Auch liegt bereits eine große Anzahl an Studien vor, welche die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Verfahren und Techniken vergleichen (Lorena et al ., 2011; Scharkow, 2012) . Speziell für die Analyse von Texten, wie z . B . SMS, Amazon Kundenrückmeldungen oder Kommentaren bei Facebook, kommt beispielsweise die Studie von Hartmann et al . (2019) zu dem Ergebnis, dass Random Forest sowie Naive Bayes am besten klassifizieren . Generell nutzen die Vergleichsstudien jedoch in der Regel Texte, die nicht aus dem Bildungsbereich stammen und wenden zudem Maße zur Validierung der Leistungsfähigkeit an, die eher weniger geeignet für den Einsatz im Bildungsbereich sind . So verwenden die Studien z . B . die prozentuale Übereinstimmung als Gütemaßstab, welche jedoch keine Beurteilung zulässt, wie gut ein Verfahren seltene Phänomene erkennt (Kotsiantis et al ., 2006; Probst et al ., 2019; Scharkow, 2012, S . 175) . Gerade die korrekte Ermittlung selten auftretender Kategorien kann jedoch von entscheidender Bedeutung sein, wenn damit weitreichende Folgen verbunden sind (Haixiang et al ., 2017,

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

S . 220) . So wäre es beispielsweise im pädagogisch-didaktischen Bereich wichtig, dass extrem leistungsschwache bzw . leistungsstarke Lernende ermittelt werden können, damit diese eine passende Förderung erhalten . Einen Gütemaßstab, der diese Beurteilung erlaubt, bislang aber in den Vergleichsstudien kaum eine Rolle spielt, stellt Krippendorffs Alpha dar . Im Gegensatz zur prozentualen Gesamtübereinstimmung rückt Krippendorffs Alpha die Wahrscheinlichkeit in den Fokus, die seltenste Kategorie korrekt zu ermitteln (Scharkow, 2012, S . 175) und erlaubt darüber hinaus einen Vergleich mit der Qualität von Inhaltsanalysen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die von Menschen durchgeführt wurden . Für Learning Analytics in der Praxis bedeutet dies, dass die elaborierten Systeme nur dann sinnvoll eingesetzt werden können, wenn sie mindestens akzeptable Werte für Krippendorffs Alpha erzielen, da sie nur dann zuverlässig die Informationen einzelner Lernender in wissenschaftliche Begriffe einordnen können . Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie gut können verschiedene künstliche Intelligenzen die Texte von Lernenden zu den Grundvorstellungen und zur (Selbst-)Reflexionskompetenz analysieren und in wissenschaftliche Kategorien einordnen?

Die Beantwortung dieser Frage hilft dabei zu klären, ob künstliche Intelligenz für den Einsatz in anspruchsvollen Learning Analytics-Anwendungen bereit ist, und gibt Hinweise, welche künstliche Intelligenzen genutzt werden sollten . Der Beitrag stellt hierfür zunächst die Grundvorstellungen zum Rechnungswesen und die (Selbst-) Reflexionskompetenz sowie das verfügbare Datenmaterial in Kapitel 2 vor . Dabei werden insbesondere die Erhebung und die Verteilung der Daten dargestellt und die erzielten Inter-Koder-Reliabilitätswerte der manuellen Auswertungen beschrieben, die eine Vergleichsbasis für die computergestützte Kodierung bilden . Im Anschluss werden die verfügbaren Verfahren zur KI-gestützten Inhaltsanalyse am Beispiel der Grundvorstellungen und der (Selbst-)Reflexionskompetenz erläutert (Kapitel 3) . Es folgen Erläuterungen zum Forschungsdesign (Kapitel 4) und die Ergebnisdarstellung (Kapitel 5) . Der Beitrag endet mit einer Diskussion über den Einsatz von KI in der Wirtschaftspädagogik (Kapitel 6) . Dabei wird mit der Rechnungswesendidaktischen Künstlichen Intelligenz, kurz RedKI, der Prototyp einer konkreten Learning AnalyticsAnwendung vorgestellt . 2

Erläuterung der betrachteten Modelle

2.1

Grundvorstellungen im Rechnungswesen

In den Rahmenlehrplänen und den Ausbildungsordnungen kaufmännischer Berufe entfallen ca . 38 % der curricularen Inhalte auf das Rechnungswesen (Brötz et al ., 2015,

243

FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

S . 93) . Der Grund für diesen hohen Anteil liegt darin, dass „erst die Verfahren und Begriffe des Rechnungswesens [es] erlauben (…), die beobachtbaren Vorgänge im Unternehmen in ihrem ökonomischen Sinngehalt zu interpretieren und sie letztlich auf die Zielebene wirtschaftlichen Handelns zu beziehen [kursiv im Original]“ (Preiß & Tramm, 1996, S . 229) . Die Nutzung der Rechnungswesenbegriffe und -verfahren zur Lösung praktischer Probleme lässt sich dabei als ein Modellierungsprozess beschreiben, wie er exemplarisch in Abbildung 2 dargestellt ist . verarbeiten Modell

Ergebnisse

Kasse an Umsatzerlöse an Umsatzsteuer

Soll 52,18 €

Haben 43,85 € 8,33 €

Deckungsbeitrag 10 €

Rechnungswesen

Grundvorstellungen

Situation

interpretieren

formalisieren/ mathematisieren

244

Welt

Grundvor-

Zufluss von Geld

Zuflüsse größer

stellungen

aus Verkauf

Abflüsse

Konsequenzen

Steigerung des Erfolgs

validieren

Abb. 2 Modell der Grundvorstellungen und des Modellierens im Rechnungswesen in Anlehnung an Berding, 2019, S. 148; vom Hofe, 2003, S. 5; Schupp, 1988, S. 11)

Im Rahmen eines solchen Modellierungsprozesses stellen Grundvorstellungen fachwissenschaftlich orientierte Konzepte von Individuen dar und beschreiben die inhaltlichen Vorstellungen einer Person von abstrakten Begriffen, Objekten und Verfahren (Berding, 2018, S . 7, 2019) . Sie bilden das Scharnier zwischen abstrakten Objekten und Regeln einerseits und realen Phänomenen andererseits (vgl . z . B . vom Hofe, 2003, S . 5), denn um abstrakte Begriffe und Verfahren als Werkzeug zur Lösung realer Probleme einzusetzen, „braucht man eine Vorstellung davon, welche (abstrakten) Inhalte oder Verfahren zu einer bestimmten Sachsituation passen könnten und umgekehrt, welche Sachsituationen sich mit bestimmten (abstrakten) Inhalten modellieren lassen .“ (vom Hofe, 2003, S . 5) . Bisherige Studien konnten einen Zusammenhang zwischen den Grundvorstellungen zu den Begriffen Aufwand und Ertrag einerseits und dem Kompetenzerleben, der selbstbestimmten Motivation, den Noten und der Modellierungsfähigkeit andererseits herausarbeiten (vgl . z . B . Berding, 2019; Berding & Jahncke, 2020; Berding, Riebenbauer & Slepcevic-Zach, 2019) . Die Studien basieren dabei auf bis zu acht Vorstellungen zum Begriff Ertrag und zwölf Vorstellungen zum Begriff Aufwand, die aus Texten der Teilnehmenden erschlossen werden . Tabelle 1 gibt eine kurze Charakterisierung der potentiellen Vorstellungen .

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Tabelle 1 Kurzbeschreibung der Grundvorstellungen zum Aufwand und Ertrag (Berding, 2019; Berding, Riebenbauer & Slepcevic-Zach, 2019) Ertrag – Prozessaspekt Liquiditätszuflussvorstellung

Ertrag als Zufluss von Zahlungsmitteln (z. B. Überweisung von Geld).

Liquiditätsforderungsvorstellung

Ertrag als Recht auf den Erhalt einer Zahlung bzw. als Warten auf eine Zahlung.

Wertabflussvorstellung

Ertrag als Abgang von Werten aus dem Unternehmen (z. B. Lieferung eines Tisches).

Bleibevorstellung

Ertrag als etwas, das dem Unternehmen bleibt und über das ein Unternehmen entscheiden kann (z. B. in Abgrenzung zur Umsatzsteuer, die abzuführen ist).

Umsatzerlösvorstellung

Ertrag als Umsatzerlös des Unternehmens.

Ertrag – Erfolgsaspekt Differenzvorstellung

Ertrag als Differenz aus Leistung und Gegenleistung bzw. als etwas, das dem Unternehmen aus seiner Tätigkeit übrig bleibt (ähnlich wie bei einem Gewinn).

Erfolgssteigerungsvorstellung

Ertrag als Steigerung des Unternehmenserfolgs.

Eigenkapitalsteigerungsvorstellung

Ertrag als Steigerung des Eigenkapitals.

Aufwand – Prozessaspekt Beschaffungsvorstellung

Aufwand als die Beschaffung von Werten (z. B. Holzplatten) von außerhalb des Unternehmens.

Inputvorstellung

Aufwand als Werte, die in die Herstellung eingehen und notwendig zur Erbringung der Unternehmenstätigkeit sind.

Verbrauchsvorstellung

Aufwand als der Verbrauch von Werten (z. B. Holzplatten) im Produktionsprozess.

Zerstörungsvorstellung

Aufwand als Zerstörung von Werten (z. B. Holzplatten, Benzin) im Produktionsprozess.

Umwandlungsvorstellung

Aufwand als Veränderung der Form von Werten in der Produktion (z. B. Überführung von Holzplatten in einen Tisch).

Liquiditätsabflussvorstellung

Aufwand als Abfluss von Zahlungsmitteln (z. B. das Überweisen von Geld).

Lagerentnahmevorstellung

Aufwand als die Entnahme von Werten vom Lager.

Materialentnahmevorstellung

Aufwand als die Entnahme von Werten.

Lagerbewertungsvorstellung

Aufwand als bewerteter Lagerabbau zum Geschäftsjahresende.

245

246

FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Aufwand – Erfolgsaspekt Eigenkapitalminderungsvorstellung

Aufwand als Reduktion des Eigenkapitals eines Unternehmens.

Erfolgsminderungsvorstellung

Aufwand als Minderung des Unternehmenserfolgs.

Neutralitätsvorstellung

Aufwand als Werte, die im Unternehmen nicht verloren gehen und sich folglich weder positiv noch negativ auf den Erfolg auswirken.

Für die Erhebung der Grundvorstellungen wurden spezielle Diagnoseaufgaben entwickelt, wofür Abbildung 3 ein Beispiel zeigt .

Abb. 3 Diagnoseaufgabe zur Erhebung der Grundvorstellungen zum „Aufwand“

Bei den Diagnoseaufgaben handelt es sich um Aufgabenstellungen, welche die Lernenden zu der Formulierung eines freien Textes auffordern . Dies ist nach dem aktuellen Forschungsstand notwendig, da Grundvorstellungen individuelle Erklärungsmodelle darstellen (Blum & vom Hofe, 2003, S . 14; vom Hofe, 1992, S . 358) und die Bandbreite möglicher Vorstellungen empirisch noch nicht umfassend abgesichert ist . Durch die offene Aufgabenstellung können die Teilnehmenden ihre individuellen Erklärungsmodelle zum Ausdruck bringen . Darüber hinaus fordern die Aufgaben dazu auf, einen Wechsel zwischen abstraktem Rechnungswesen einerseits und den konkreten Situationen andererseits vorzunehmen, da Grundvorstellungen dem Wechsel dieser Ebenen dienen und so die Chance steigt, tatsächlich die relevanten Vorstellungen der Teilnehmenden zu aktivieren und zu erfassen . Für die Auswertung der Texte wird auf die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) zurückgegriffen . Die Vorstellungen werden durch manuelles Kodieren mit Hilfe eines Kodierleitfadens von Berding (2019) bzw . Berding, Riebenbauer und Slep-

0

50

100

150

200

250

Abb. 4 Absolute Häufigkeiten und Gleichgewichtsfaktor (Wert in Klammern) der Grundvorstellungen und formalen Strategien im Datensatz von Berding und Jahncke (2020) (N = 450)

Lagerbewertungsvorstellung (0,007)

Zerstörungsvorstellung (0,016)

Materialentnahmevorstellung (0,051)

Eigenkapitalminderungsvorstellung (0,1)

Eigenkapitalsteigerungsvorstellung (0,119)

Neutralitätsvorstellung (0,139)

Differenzvorstellung (0,163)

Verbrauchsvorstellung (0,172)

Bleibevorstellung (0,22)

Wertabflussvorstellung (0,253)

Erfolgsminderungsvorstellung (0,261)

Liquiditätsabflussvorstellung (0,264)

Beschaffungsvorstellung (0,278)

Umwandlungsvorstellung (0,471)

Lagerentnahmevorstellung (0,471)

Umsatzerlösvorstellung (0,557)

Liquiditätszuflussvorstellung (0,731)

Inputvorstellung (0,837)

Erfolgssteigerungsvorstellung (0,915)

Liquiditätsforderungsvorstellung (0,837)

300

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

247

89

Lagerentnahmevorstellung

100

Lagerbewertungsvorstellung

-/-

-/-

96,30

96,30

98,15

90,74

79,63

85,19

98,15

98,15

81,48

87,04

%2

93,75

96,88

93,75

93,75

100

96,88

93,75

81,25

100

96,88

93,75

90,63

%3

-/-

-/-

.887

.894

.792

.815

.524

.706

.660

.960

.620

.697

α2

.638

.914

.820

.820

1.00

.938

.719

.629

1.00

.914

.798

.676

α3

Umsatzerlösvorstellung

Eigenkapitalsteigerungsvorstellung

Erfolgssteigerungsvorstellung

Differenzvorstellung

Bleibevorstellung

Wertabflussvorstellung

Liquiditätsforderungsvorstellung

Liquiditätszuflussvorstellung

Grundvorstellungen

Kategorien für den Begriff „Ertrag“

Hinweis: %1: Prozentuale Übereinstimmung aus der Studie von Berding und Jahncke (2020) %2: Prozentuale Übereinstimmung aus der Studie von Berding (2019) α2: Krippendorffs Alpha aus der Studie von Berding (2019) %3: Prozentuale Übereinstimmung aus der Studie von Berding, Riebenbauer und Slepcevic-Zach (2019) α3: Krippendorffs Alpha aus der Studie von Berding, Riebenbauer und Slepcevic-Zach (2019) Die Kodierungen wurden in allen drei Studien jeweils von unterschiedlichen Kodierteams mit zwei Personen durchgeführt.

100

78

Neutralitätsvorstellung

Materialentnahmevorstellung

94

Erfolgsminderungsvorstellung

100

94

Liquiditätsabflussvorstellung

Eigenkapitalminderungsvorstellung

94

Umwandlungsvorstellung

100

Zerstörungsvorstellung

77

Inputvorstellung 100

94

Beschaffungsvorstellung

Verbrauchsvorstellung

%1

Grundvorstellungen

Kategorien für den Begriff „Aufwand“

Tabelle 2 Überblick über die erzielten Werte für die Inter-Koder-Reliabilität zu den Grundvorstellungen

78

100

94

89

100

83

83

89

%1

70,59

100,00

79,41

91,18

76,47

91,18

79,41

97,06

%2

.386

-/-

.564

.747

.535

.784

.496

.941

α2

248 FLORIAN BERDING / HEIKE JAHNCKE / KATHRIN HOLT

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

cevic-Zach (2019) ermittelt . Dabei ist für jede Lösung und jede Grundvorstellung zu entscheiden, ob sich die Vorstellung in dem Text zeigt (Wert 1) oder nicht (Wert 0), sodass eine binäre Kodierung vorliegt . In der Studie von Berding und Jahncke (2020), welche dieser Simulationsstudie zu Grunde liegt, konnte auf diese Weise für 450 Lernende die in Abbildung 4 dargestellte Verteilung der Vorstellungen ermittelt werden . Um die Qualität der manuellen Analysen beurteilen zu können, berichtet Tabelle 2 die bislang vorliegenden Werte für die Inter-Koder-Reliabilität . Damit Lehrkräfte einen Unterricht gestalten, der die Entwicklung tragfähiger inhaltlicher Vorstellungen bei den Lernenden unterstützt, sollten Lehrende über eine ausgeprägte (Selbst-)Reflexionskompetenz verfügen, denn gerade der Rechnungswesenunterricht zeichnet sich durch ein hohes Maß an Konservatismus aus, d . h . Veränderungen werden kaum diskutiert oder aufgegriffen . Durch (Selbst-)Reflexion kann jedoch die Chance gesteigert werden, dass Lehrkräfte aus sich heraus Änderungen anstoßen . 2.2

(Selbst-)Reflexionskompetenz von Lehrkräften

Eine (selbst-)reflektierende Lehrkraft kann als Innovatorin für Unterricht angesehen werden, denn sie ist sich ihrer Handlungen sowie deren Wirkungen bewusst . Sie besitzt die Fähigkeit, ihre Alltagspraxis zu entschleunigen, und kann aus Handlungen in der Gegenwart Schlüsse für weitere Handlungen in der Zukunft ziehen (Berkemeyer et al ., 2011, S . 227) . Die reflektierende Lehrkraft ist gleichzeitig auch in der Lage zum reflektierten Umgang mit Lernenden, der dazu führen kann, eine differenzierte Personenwahrnehmung zu gewährleisten und eigene Überzeugungen gegenüber einzelnen Schüler(inne)n zu überdenken sowie Wahrnehmungsfehler zu minimieren . Die Modellierung von (Selbst-)Reflexion bietet die Chance, ein Verständnis zu entwickeln, aus dem sich Verbesserungen für die allgemeine Praxis wie auch die individuelle und persönliche Entwicklung einer Lehrkraft ergeben . Sie knüpft an die Standards der Kultusministerkonferenz (2019) an, die von Lehrenden eine aktive gestalterische Rolle für Lehr-Lern-Prozesse, aber auch vom Bildungssystem insgesamt einfordern . Besonders der Kompetenzbereich „Innovieren“ beinhaltet die Bereitschaft von Lehrkräften, ihre Fähigkeiten ständig zu prüfen und weiterzuentwickeln, um so einen Beitrag zur Verbesserung von Lehr-Lern-Prozessen zu leisten . Damit nimmt dieser Kompetenzbereich einerseits den eigenen Unterricht jeder Lehrkraft in den Blick, verlangt andererseits aber auch die Mitgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen einer Schule, in denen diese Lehr-Lern-Prozesse eingebettet sind (Kultusministerkonferenz, 2019) . Jahncke (2019) hat die aktuellen Forschungsergebnisse zu den Konstrukten „Reflexion“ und „Selbstreflexion“ gesichtet und zu einem Kompetenzstruktur- und -stufenmodell der (Selbst-)Reflexion zusammengefasst . Dieses Modell beinhaltet vier

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Dimensionen, die in der Literatur immer wieder implizit und explizit zu finden sind (vgl . z . B . Nguyen et al ., 2014; Schön, 1983) . Die vier Dimensionen bieten eine klare und trennscharfe Struktur und schaffen Ansatzpunkte für die Lehrerbildung, (selbst-) reflektiertes Handeln zu befördern (vgl . Abbildung 5) .

Blick nach innen

Gegenständliche Facetten

0 1 2 3

A: Nach innen gerichteter Blick zurück

B: Nach innen gerichteter Blick nach vorne

0 1 2 3

Dimensionen Blick nach außen

250

0 1 2 3

C: Nach außen gerichteter Blick zurück

D: Nach außen gerichteter Blick nach vorne

Blick zurück

Blick nach vorne

0 1 2 3 Zeitliche Facetten

Abb. 5 Kompetenzstruktur- und -stufenmodell der (Selbst-) Reflexionskompetenz (vgl. Jahncke 2019, S. 94)

Der nach innen gerichtete Blick zurück (A) bietet Pädagog(inn)en die Chance, ihr eigenes Handeln in Lehr-Lern-Situationen zu analysieren . Somit können sie ihr Handeln bilanzieren, Stärken und Schwächen identifizieren und ihr Entwicklungspotential einschätzen . Die Dimension des nach außen gerichteten Blicks zurück (C) bedeutet die Befassung mit den äußeren Rahmenbedingungen beruflicher Tätigkeiten . Pädagog(inn)en können so z . B . ermitteln, welche Rahmenbedingungen gelungenen LehrLern-Prozessen entgegenstehen oder wo Bedarfe für Innovationen in Bildungseinrichtungen vorliegen . Die beiden Blicke zurück beschreiben somit die Fähigkeit von Lehrenden, aktuelle und vergangene Situationen zu analysieren, d . h . eine Ist-Analyse durchzuführen . Ergänzt werden die Blicke zurück durch die Blicke nach vorne . Diese Dimensionen beschreiben die Fähigkeit einer Lehrkraft, aus der Ist-Analyse Konsequenzen für das eigene Handeln, aber auch für eine Veränderung der Rahmenbedingungen von LehrLern-Prozessen zu ziehen . Der nach innen gerichtete Blick nach vorne (B) führt dazu, dass sich aus den generierten Erkenntnissen tatsächliche Konsequenzen für das eigene Handeln ergeben . Der nach außen gerichtete Blick nach vorne (D) bezieht sich auf die Konsequenzen, die nicht auf das eigene Handeln gerichtet sind, sondern auf die Rahmenbedingungen, in denen sie sich bewegen .

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Diese rein analytische Trennung in die vier Dimensionen soll sichtbar machen und sicherstellen, dass aus der Analyse der Vergangenheit Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden können . Dies setzt notwendigerweise eine Analyse des Ist-Zustandes und einen Blick in die Zukunft voraus . Die (Selbst-)Reflexion entlang dieser vier Dimensionen kann mit unterschiedlicher Güte erfolgen . Im entwickelten Niveaustufenmodell liegen vier Niveaustufen vor: (0)  deskriptive Darstellung, (1) deskriptive (Selbst-)Reflexion, (2) begründete (Selbst-)Reflexion und (3) verknüpfende (Selbst-)Reflexion . Diese Niveaustufen wurden ebenfalls aus einem Literatur-Review entwickelt und empirisch erprobt ( Jahncke, 2019) . Für den Blick zurück geht es bei der deskriptiven Darstellung um eine reine Beschreibung der eigenen Handlung (Blick nach innen) oder der Rahmenbedingungen (Blick nach außen) . Diese ist als „Vorstufe“ zu bezeichnen und stellt noch keine (Selbst-)Reflexion im engeren Sinne dar . Darauf aufbauend wird bei der deskriptiven (Selbst-)Reflexion neben der Beschreibung eine erste Bewertung der eigenen Handlung oder Rahmenbedingungen vorgenommen . Bei der begründeten (Selbst-)Reflexion führt das Individuum zusätzlich Ursachen für die Bewertung des eigenen Handelns bzw . der äußeren Rahmenbedingungen an . Die höchste Stufe der verknüpfenden (Selbst-)Reflexion zeichnet sich dadurch aus, dass Verknüpfungen zu vergangenen Erfahrungen hergestellt oder wissenschaftliche Theorien für die Modellierung des Problems verwendet werden . Im Blick nach vorne stellt die (0) deskriptive Darstellung ebenfalls eine Vorstufe dar, bei der die zukünftigen eigenen Handlungen oder Rahmenbedingungen lediglich beschrieben werden . Darauf aufbauend nimmt die (1) deskriptive (Selbst-)Reflexion eine Anpassung der eigenen Handlungen oder Rahmenbedingungen in den Blick . Bei der (2) begründeten (Selbst-)Reflexion werden zusätzlich Gründe für die Anpassung eingeführt . Die (3) verknüpfende (Selbst-)Reflexion gibt zusätzlich konkrete Umsetzungsmöglichkeiten . Studien, welche die (Selbst-)Reflexionsfähigkeit messen, stützen sich überwiegend auf die Auswertung schriftlich verfasster (Selbst-)Reflexionen von (angehenden) Lehrkräften, die als valideste Variante zur Erfassung des Konstrukts gelten (vgl . z . B . Bain et al ., 1999; Bühler et al ., 2016; Kember et al ., 2000; Sparks-Langer et al ., 1990; Wyss, 2013) . Den in der Studie von Jahncke (2019) verwendeten Reflexionsanlass zeigt Abbildung 6 . Die von den Studierenden erarbeiteten Texte zur Aufgabe 5 aus Abbildung 6 wurden mit der skalierenden Inhaltsanalyse von Mayring (2010b) ausgewertet und erzielten die in Abbildung 7 dargestellte Verteilung an Daten für 265 angehende Wirtschaftspädagog(inn)en .

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Reflexionsanlass „Grundlegende Vorstellungen von Lernen“ Aufgabe 1: Lernvorstellungen Erinnern Sie sich an ihre eigenen Lernerfahrungen, die Sie in der Ausbildung, im Betriebspraktikum oder auch im schulischen Lernen gesammelt haben: Wie sieht nach Ihrer bisherigen Erfahrung ein Lernprozess aus? Beschreiben Sie Ihre Vorstellungen bitte grafisch (z. B. in Form einer Abbildung, eines Bildes oder eines Schemas). Aufgabe 2: Lernen und Arbeiten mit dem Portfolio Beschreiben Sie literaturgestützt die allgemeinen pädagogischen Ziele und die Vorgehensweise der Portfoliomethode. Maximaler Textumfang: 350 Wörter, Literaturverzeichnis nicht mitgerechnet. Aufgabe 3: Eigene Lernziele Erläutern Sie, welche individuellen Lernziele Sie persönlich im Modul pB24 – unter Berücksichtigung der allgemeinen Lernziele laut Modulbeschreibung und der Arbeit mit der Portfoliomethode – erreichen möchten. Benennen Sie auf dieser Grundlage dann ihre individuellen Lernziele so, dass sie überprüfbar und zugleich knapp und präzise formuliert sind. Formulieren Sie diese kompetenzorientiert. Maximaler Textumfang: 350 Wörter. Aufgabe 4: Kommentar Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Gelegenheit in einer Radiosendung des Deutschlandfunks „Wissenschaft trifft Praxis“ einen exklusiven Kommentar zu folgender Fragestellung zu geben: Welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen können Sie für Lehrkräfte in der beruflichen Bildungspraxis (BBS und/oder Betrieb) aus folgender These ableiten: Aus einer konstruktivistischen Sichtweise bedeutet Lernen, dass wir (1) etwas wahrnehmen und Erfahrungen machen und (2), dass wir das, was wir wahrnehmen, auch in uns aufnehmen und dadurch Wissen erzeugen. Erstellen Sie ein schriftliches Manuskript und eine eigene Tonbandaufnahme Ihres Kommentars zu dieser Fragestellung. Maximaler Textumfang: 350 Wörter, Literaturverzeichnis nicht mitgerechnet. Aufgabe 5: Bilanz Ziehen Sie Bilanz! Inwieweit haben Sie die in Lernaufgabe 3 formulierten Lernziele erreicht? Und welche weiteren Lernfortschritte können Sie für sich beanspruchen? Erläutern Sie, inwiefern sich Ihre Lernvorstellungen zu Beginn der Vorlesung (Lernaufgabe 1) zu heute unter Bezugnahme auf die in der Vorlesung behandelten Erklärungsansätze für Lernen und Lehren verändert haben. Maximaler Textumfang: 1.000 Wörter, Literaturverzeichnis nicht mit eingerechnet. Abb. 6 Reflexionsanlass zur Erfassung der (Selbst-)Reflexionskompetenz (vgl. Jahncke 2019, S. 201).

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300

250

200

150

100

50

0

0

1

2

Nach innen gerichteter Blick zurück (0,061)

Nach innen gerichteter Blick nach vorne (0,693)

Nach außen gerichteter Blick zurück (0,046)

Nach außen gerichteter Blick nach vorne (0,004)

3

Abb. 7 Absolute Häufigkeiten und Gleichgewichtsfaktor (Wert in Klammern) der (Selbst-)Reflexionskompetenz im Datensatz von Jahncke (2019, S. 232) (N = 265)

Bei der Kodierung der Texte durch zwei menschliche Kodierer/-innen wurden für Krippendorffs Alpha Werte zwischen .92 und .98 für die Inter-Koder-Reliabilität erzielt ( Jahncke, 2019) . Nach Darstellung der Modelle, Daten und der Inter-Koder-Reliabilitäten der menschlichen Kodierungen als Vergleichsstandard beschreibt das folgende Kapitel, wie die Auswertungen auf der Basis künstlicher Intelligenz für Learning Analytics-Anwendungen durchgeführt werden können . 3

Künstliche Intelligenz als Baustein von Learning Analytics-Anwendungen

3.1

Überblick

Damit eine Learning Analytics-Anwendung Lehrkräfte darin unterstützen kann, die Lehr-Lern-Prozesse auf die individuellen Voraussetzungen abzustimmen, ist es notwendig, dass die Anwendung ermittelt, über welche Ausprägung die Lernenden von relevanten Konstrukten, wie z . B . den Grundvorstellungen oder der (Selbst-)Reflexionskompetenz, verfügen . Erst auf dieser Basis können der weitere Verlauf des individuellen Lernprozesses abgeschätzt und pädagogisch-didaktische Maßnahmen ergriffen werden .

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Für den Einsatz einer künstlichen Intelligenz, welche Erkenntnisse auf der Basis von Texten generieren soll, sind dazu mehrere aufeinander aufbauende Entscheidungskomplexe zu bearbeiten, bevor die Intelligenz in die eigentliche Anwendung integriert werden kann . Zunächst sind erstens die Texte mit Hilfe verschiedener Verfahren für eine Auswertung durch eine künstliche Intelligenz aufzubereiten . In einem zweiten Schritt muss die künstliche Intelligenz die Auswertung der Texte und die Zuordnung der Texte zu Kategorien lernen . Erst danach lässt sich die trainierte Intelligenz in eine Learning Analytics-Anwendung integrieren, um neue Texte von Lernenden zu bearbeiten und in wissenschaftliche Kategorien einzuordnen, die dann Grundlage für didaktische Entscheidungen sein können . Jeder der Schritte beinhaltet eine ganze Reihe von Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die so getroffen werden müssen, dass sie ein möglichst optimales Ergebnis erzielen . Diese werden mit dem Blick auf den Forschungsstand in den folgenden Abschnitten genauer dargestellt . 3.2

Entscheidungsblock I – Aufbereitung der Daten für das Training der Künstlichen Intelligenz

Die Anwendung einer computergestützten Inhaltsanalyse mit Hilfe des überwachten maschinellen Lernens setzt voraus, dass bereits ein Kodiersystem vorliegt und dieses dazu genutzt werden soll, einzelne Dokumente einer Kategorie zuzuordnen . Ebenso müssen bereits mit dem Kodiersystem kodierte Texte vorliegen . Diese werden als Lernmaterial für die Maschine benötigt . Die Aufbereitung der Texte basiert dabei oft auf dem sog . Bag-of-Words-Ansatz, bei dem für die Dokumente nur festgehalten wird, welche Wörter in welcher Häufigkeit auftreten . Die Reihenfolge und die Struktur der Sätze in den Dokumenten gehen verloren (Rahnenführer & Jentsch, 2019, S . 191) . Der Grund für diese Vorgehensweise besteht in einer einfacheren computergestützten Weiterverarbeitung (Rahnenführer & Jentsch, 2019, S . 191) . Eng damit verbunden ist auch die Bereinigung der Texte, d . h . die Reduzierung auf die wesentlichen inhaltstragenden Wörter . Diese Reduktion in der Anzahl der Wörter wird vorgenommen, um die Anzahl der Parameter in den weiteren Analysen zu reduzieren und die Stabilität der Schätzungen zu steigern (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 30) . Die Struktur der Sätze kann bei diesem Vorgehen jedoch indirekt mit Hilfe des Natural Language Processing (NLP) berücksichtigt und die Wortbereinigung verbessert werden . NLP ist ein Sammelbegriff für computergestützte Verfahren, die eine Analyse und Repräsentation der menschlichen Sprache erlauben (Chowdhary, 2020, S . 604) . Diese Verfahren ermöglichen es beispielsweise, die Wortarten innerhalb von Sätzen automatisch zu bestimmen (sog . Part-of-Speech-Tagging, POS), sodass für die Analyse eine Beschränkung auf bestimmte Wortarten erfolgen kann (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 32) . Dabei gelten Verben, Adjektive, Adverbien und vor allem Substan-

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tive als Wortgruppen, die besonders viel inhaltliche Bedeutung besitzen (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 32) und für die Analyse beibehalten werden sollten . Darauf aufbauend stellt die sog . Lemmatisierung eine weitere Möglichkeit dar, die Anzahl der Wörter zu reduzieren und auf den wesentlichen Inhalt zu beschränken, die durch NLP möglich ist . Lemmatisierung bedeutet, dass Wörter auf ihre Grundform transformiert werden (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 33) . So lässt sich beispielsweise das Verb aus dem Satz „Er erstellt einen Buchungssatz“ auf „erstellen“ zurückführen . Auf diese Weise werden verschiedene Wörter wie z . B . „Er erstellt …“, „Ich erstelle …“ auf eine einheitliche Grundform reduziert („erstellen“), was die Anzahl der Wörter verringert, ohne wesentlich den Inhalt zu verändern (statt „erstellt“ und „erstelle“ wird für die Dokumente nur „erstellen“ verwendet . Die Anzahl der Wörter hat sich von zwei auf eins reduziert .) . Für die Aufbereitung der Texte liegen Verfahren vor, die ihrerseits als Teil künstlicher Intelligenz anzusehen sind . Hierzu gehört beispielsweise das von Google entwickelte neuronale Netz mit der Bezeichnung Bidirectional Encoder Representations from Transformers (BERT), welches als besondere Stärke die Berücksichtigung des Kontextes von Wörtern aufweist (Nayak, 2019) . Die Simulationsstudie von Sur (2020) sowie Devlin et al . (2019) können für dieses System zudem eine hohe Leistungsfähigkeit nachweisen . Ein anderes Verfahren stellt der Generative Pre-trained Transformer 3 (GPT-3) dar (Brown et al ., 2020) . Eine etwas ältere und weniger umfassende Lösung stellt hingegen das Projekt Universal Dependencies mit UDPipe zur Verfügung, welches 50 Sprachen unterstützt (Straka & Straková, 2017; Wijffels et al ., 2019) . Obwohl diese Lösung nicht so leistungsfähig ist wie BERT oder GPT-3, hat sie den Vorteil, dass sie mit der kostenlosen Statistiksoftware R verwendet werden kann und die zu analysierenden Textdaten auf lokalen Systemen von Universitäten und Schulen verbleiben und dort analysiert werden können . Mit diesen Prämissen lässt sich die Inhaltsanalyse wie folgt vorbereiten (vgl . Abbildung 8) . Schritt 1 – Analyse der Texte: Zunächst erfolgt die Analyse der Texte in den Dokumenten auf ihre Satzstruktur, um die Wortarten der Wörter für die weitere Analyse zu bestimmen . Schritt 2 – Erstellung der Document-Term-Matrix (DTM): Die Dokument-Term-Matrix strukturiert die Texte so, dass sich diese weiterverarbeiten lassen . Dabei handelt es sich im Grunde um eine Tabelle, welche in den Zeilen einen Identifikationsschlüssel für die Analyseeinheiten (hier die Dokumente bzw . die Texte der Teilnehmenden), in den Spalten die Wörter und in den Zellen zunächst die Worthäufigkeiten erfasst (Manderscheid, 2019, S . 1108) . Schritt 3 – Reduktion der Document-Term-Matrix auf die inhaltstragenden Wortarten: Auf der Grundlage der DTM lassen sich die Texte nun auf die wesentlichen inhaltstragenden Wörter reduzieren, wobei Verben, Adjektive, Adverbien und vor allem Substantive als Wortgruppen gelten, die besonders viel inhaltliche Bedeutung besitzen (Papilloud &

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Abb. 8 Schritte zur Aufbereitung der Texte

Hinneburg, 2018, S .  32) . Andere Wortarten, wie z . B . Hilfsverben, Artikel, Pronomen und Präpositionen, übernehmen vor allem grammatikalische Funktionen und tragen hingegen kaum zur inhaltlichen Bedeutung bei, obwohl sie in Texten in großer Anzahl zu finden sind (Manderscheid, 2019, S . 1107; Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 30) . Schritt 4 – Lemmatisierung: Nach der Reduktion auf die wesentlichen Wortarten ist zudem eine Lemmatisierung sinnvoll . Hierdurch wird die Anzahl der Spalten in der DTM verringert, indem verschiedene Wörter auf ihre Grundform reduziert und zusammengefasst werden (vgl . Abbildung 8) . Schritt 5  – Weitere Textbereinigung: Je nach Programmierung kann es notwendig sein, noch einen weiteren Bereinigungsschritt vorzunehmen und sog . Stopwords zu entfernen . Hierzu zählen alle Wörter, die keine wesentliche inhaltliche Bedeutung tragen . Neben den in Schritt 3 genannten Wortarten zählen hierzu z . B . auch „äh“ oder „hmm“ aus Transkripten von Interviews, Sonderzeichen, Symbole oder Zahlen (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 30) . Zudem sollten die Wörter in der Regel in Kleinbuchstaben umformatiert werden (Manderscheid, 2019, S . 1107) . Durch diese Schritte wird die Anzahl der Spalten in der DTM weiter reduziert und diese auf das Wesentliche beschränkt . Zudem empfiehlt es sich, Wörter, die nur sehr selten in den Texten vorkommen, ebenfalls zu entfernen, da von diesen keine sinnvolle statistische Inferenz

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möglich ist . Hier reichen schon niedrige Grenzen aus, um die Wörter in der DTM deutlich zu reduzieren (z . B . jedes Wort muss in mindestens drei Dokumenten auftauchen) (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 30) . Schritt 6 – Gewichtung der Häufigkeit: Eine weitere Möglichkeit, das Vokabular der DTM auf die wesentlichen Informationen zu beschränken, ist der sog . Term-FrequencyInverse-Document-Frequency-Score (TF-IDF) . Dabei wird ein heuristischer Wert berechnet, der die Bedeutung eines Wortes widerspiegeln soll . Der Wert ist umso höher, je häufiger das Wort in einem Dokument auftaucht . Zudem ist der Wert ebenfalls hoch, wenn das Wort nur in wenigen Dokumenten auftaucht, und der Wert ist gering, wenn das Wort in fast allen Dokumenten zu finden ist (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 31) . Mit dieser Transformation erhalten sehr häufige und sehr seltene Wörter niedrigere Werte zugewiesen (Papilloud & Hinneburg, 2018, S . 30) . Nach diesen ersten Schritten der Datenbearbeitung kann es notwendig sein, dass die in der DTM verfügbaren Wörter noch weiter reduziert werden . Hierzu stehen verschiedene Filtermethoden zur Auswahl, über deren Leistungsfähigkeit ebenfalls eine Reihe von Simulationsstudien Auskunft geben, die im Rahmen dieses Beitrages aber nicht mehr dargestellt werden können (z . B . Bennasar et al ., 2015) . Nach Abschluss des sechsten Schrittes ist es möglich, die eigentliche Analyse des Textes auf der Grundlage der bereinigten und gewichteten DTM vorzunehmen . 3.3

Training der künstlichen Intelligenz

Für die automatisierte Textauswertung gilt es in einem nächsten Schritt, den Computer mit Textmaterial für die eigenständige Auswertung zukünftiger Texte anzulernen . Dazu stehen eine Reihe von Algorithmen zur Verfügung, die in R z . B . über das Paket RTextTools ( Jurka et al ., 2020) sowie über quanteda textmodel (Benoit et al ., 2020) verfügbar sind . Beispiele der in diesem Beitrag verwendeten Algorithmen werden im Folgenden kurz charakterisiert: – Naive Bayes: Dieser Algorithmus ist mathematisch relativ einfach und wird z . B . für das Filtern von Spam-Mails, die Ermittlung unerwünschter Internetseiten oder die Suche nach Informationen in Datenbanken und Literatur verwendet (Ertel, 2016, S . 240) . Die Grundidee hinter diesem Ansatz ist es, dass aus den Wörtern des Textes die Wahrscheinlichkeit bestimmt wird, mit der der Text zu einer bestimmten Kategorie gehört . Die Kategorie mit der höchsten Wahrscheinlichkeit wird dem Text zugeordnet (Ertel, 2016, S . 241) . Der Algorithmus arbeitet sehr effizient, basiert aber auf der problematischen Annahme, dass die erklärenden Merkmale unabhängig voneinander sind (Lanquillon, 2019, S . 127) . – Support-Vector-Methode (Support-Vector-Machine; SVM): Bei diesem Algorithmus wird versucht, durch die Daten Hyperebenen zu legen, die die ver-

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schiedenen Kategorien voneinander trennen (Ertel, 2016, S . 298) . Die die Hyperebenen definierenden Punkte werden dabei als Stützvektoren bezeichnet (Lanquillon, 2019, S . 127f .) . Durch die Trennung der Ausgangsdaten durch die Hyperebenen wird die Zuordnung des Textes zu einer Kategorie möglich, je nachdem in welchem Bereich sich die Daten befinden . Neuronale Netze: Die Idee und Funktionsweise neuronaler Netze orientiert sich am menschlichen Gehirn (Ertel, 2016, S .  265) . Lernen in neuronalen Netzen bedeutet, dass Verbindungen zwischen verschiedenen Synapsen bzw . Neuronen hergestellt werden und zwar in Abhängigkeit davon, wie häufig zwischen den Neuronen kommuniziert wird (Ertel, 2016, S . 268ff .) . Während des Lernprozesses werden diese Verbindungen so optimiert, dass möglichst die vorgegebenen Zieldaten repliziert werden (Lanquillon, 2019, S . 128) . Werden besonders viele Schichten genutzt, wird auch von Deep Learning Ansätzen gesprochen (Lanquillon, 2019, S . 128) . Entscheidungsbäume: Entscheidungsbäume eignen sich sehr gut für Klassifikationsaufgaben, lassen sich schnell berechnen und haben darüber hinaus den weiteren Vorteil, dass sie eine hohe Verständlichkeit des erzeugten Modells bieten (Lanquillon, 2019, S . 127; Richter, 2019, S . 163) . So lässt sich das generierte Modell nicht nur als mathematische Funktion darstellen, sondern auch als Entscheidungsbaum visualisieren, wodurch ein Mensch die Entscheidungen der Software nachvollziehen, davon lernen und die Entscheidungen kontrollieren kann (Ertel, 2016, S . 217) . Neben diesen Basis-Algorithmen lassen sich noch sogenannte Model Ensembles anwenden . Hierbei werden mehrere Algorithmen zu einem neuen Algorithmus kombiniert, um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen (Lanquillon, 2019, S . 128) . Sie werden im Folgenden kurz charakterisiert: Bagging: „Bagging ist eine Abkürzung für ‚Bootstrap Aggregating‘ .“ (Richter, 2019, S . 184) . Die Grundidee bei diesem Ansatz ist es aus den Trainingsdaten sog . Bootstrap-Stichproben zu ziehen, auf diese den Trainingsalgorithmus anzuwenden und die resultierenden Ergebnisse zu einem neuen, stabileren Algorithmus zusammenzufassen (Richter, 2019, S . 184) . Das Verfahren eignet sich vor allem für Entscheidungsbäume (Richter, 2019, S . 184) . Boosting: Hierbei handelt es sich um eine Technik, bei der aus einem bestehenden Algorithmus schrittweise ein neuer Algorithmus hergeleitet wird, der einen geringeren Fehler aufweist (Richter, 2019, S .  191) . Im Gegensatz zum Bagging, wo alle Modelle parallel entwickelt werden können, ist die Vorgehensweise beim Boosting seriell, da die Fehler der vorausgehenden Modelle berücksichtigt werden (Lanquillon, 2019, S . 129) . Auch dieses Verfahren eignet sich vor allem für Entscheidungsbäume (Richter, 2019, S . 191) . Random Forest: Dieses Verfahren stellt eine Weiterentwicklung der BaggingMethode dar (Richter, 2019, S . 216), die auf den Entscheidungsbäumen basiert .

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Dabei werden mehrere Entscheidungsbäume generiert und deren Ergebnisse miteinander verglichen . Die Kategorie, welche die meisten Bäume einem Text zuordnet, wird für den Text verwendet (Lorena et al ., 2011, S . 5270) . Mittlerweile liegen in unterschiedlichen Disziplinen Erkenntnisse über die Güte der verschiedenen Verfahren vor . So kommt beispielsweise die Vergleichsstudie von Lorena et al . (2011) für biologische Daten zu dem Ergebnis, dass Random Forest gute Klassifikationsergebnisse liefert . Speziell für die Analyse von Texten, wie z . B . SMS, Amazon-Kundenrückmeldungen oder Kommentaren bei Facebook, kommt die Studie von Hartmann et al . (2019) zu dem Ergebnis, dass Random Forest sowie Naive Bayes am besten klassifizieren . Weiterhin zeigt die Studie, dass mit steigender Anzahl der Kategorien die Klassifikationsgüte der Verfahren abnimmt (Ausnahme k-nearest neighbour) . Die Studie zeigt auch, dass die Verfahren generell eine geringere Genauigkeit bei Kategorien erzielen, die viel Kontextwissen erfordern, im Vergleich zu Kategorien, die stärker an den direkten Wortinhalt gebunden sind . Neuronale Netze scheinen zudem bei längeren Texten zu schlechteren Ergebnissen zu gelangen als bei kürzeren . In welchem Ausmaß dies auf die neuen Ansätze von Google Bert und GPT-3 zutrifft, ist aktuell aber noch ungeklärt . 3.4

Optimierung des Trainingsprozesses der künstlichen Intelligenz

Nach der Auswahl des Verfahrens zur Textklassifikation kann eine weitere Aufbereitung der Trainingsdaten notwendig sein . Dies ist der Fall, wenn ein großer Unterschied in der Häufigkeit der am geringsten vertretenen Kategorie und der am häufigsten vertretenen Kategorie vorliegt (sog . Imbalanced Data) . Dies ist beispielsweise bei den Grundvorstellungen aus Abbildung 4 für die Verbrauchsvorstellung der Fall, wo das Verhältnis der seltensten zur häufigsten Kategorie 0,172 beträgt . Bei der (Selbst-)Reflexionskompetenz sind diese Ungleichgewichte noch deutlicher . So liegt beispielsweise das Verhältnis bei dem Blick nach innen und zurück bei 0,061 (vgl . Abbildung 7) . Gerade die korrekte Ermittlung selten auftretender Kategorien kann jedoch von entscheidender Bedeutung sein, wenn damit weitreichende Folgen verbunden sind (Haixiang et al ., 2017, S .  220) . So wäre es beispielsweise im pädagogischen Bereich wichtig, dass extrem leistungsschwache bzw . leistungsstarke Lernende ermittelt werden können, damit diese eine passende Förderung erhalten . So stellen Haixiang et al . (2017, S . 221) zusammenfassend fest, dass die klassischen Verfahren bei der häufigsten Kategorie zu guten Ergebnissen gelangen, die seltenen Kategorien aber übersehen . Zudem neigen die Lernalgorithmen dazu, sich bei der Optimierung des Modells auf die häufigsten Kategorien zu konzentrieren, mit der Folge, dass die Genauigkeit insgesamt hoch ist, die seltenen Kategorien aber dennoch verborgen bleiben .

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Zur Lösung dieser Problematik existieren nach Krawczyk (2016, S . 222) zwei Gruppen von Maßnahmen . Zum einen Maßnahmen auf der Ebene der Daten, welche die Trainingsdaten anpassen, quasi didaktisch aufbereiten . Zum anderen Maßnahmen auf Ebene der Algorithmen, welche die Verzerrung zur häufigsten Kategorie reduzieren sollen . Auf Ebene der Daten wird im Wesentlichen zwischen Undersampling- und Oversampling-Methoden unterschieden . Beim Undersampling werden aus der häufigsten Kategorien Datensätze weggelassen, um die Verteilung der Kategorien anzugleichen . Hierbei wird auf die Random Undersampling-Technik (RUS) zurückgegriffen, die hierfür am wirksamsten ist (Haixiang et al ., 2017, S . 222) . Beim Oversampling werden hingegen zusätzliche Datensätze der geringsten Kategorien generiert und in den Trainingsdatensatz eingefügt . Dafür wird vor allem auf eine zufällige Vervielfältigung der Datensätze der kleinsten Kategorie und auf die Synthetic Minority Oversampling Technique (SMOTE) zurückgegriffen (Haixiang et al ., 2017, S . 222; Krawczyk, 2016, S . 222) . Das Review von Haixiang et al . (2017, S . 222) zeigt, dass RUS verwendet werden sollte, wenn die Häufigkeit der kleinsten Kategorien mehrere hundert beträgt . Ist dies nicht der Fall, sollte auf die Oversampling-Strategie SMOTE zurückgegriffen werden . Technisch lassen sich diese Techniken in R mit dem Paket imbalance von Cordón et al . (2018) umsetzen . Aufgrund der in der Regel eher geringen Fallzahlen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik sowie der hohen Gefahr von unbalancierten Daten, wie Kapitel 2 exemplarisch für die Grundvorstellungen und die (Selbst)-Reflexionsfähigkeit verdeutlicht (vgl . Abbildungen 4 und 7), kommen insbesondere die Oversampling-Strategien für eine „didaktische Aufbereitung“ der Daten in Betracht . Die konkrete Umsetzung im Rahmen dieser Studie beschreibt der nachfolgende Abschnitt . 4

Design der Studie

Ziel der Studie ist es zu klären, welche Verfahren überwachten maschinellen Lernens geeignet für die Auswertung von Texten in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik sind, um Empfehlungen für zukünftige Studien abzuleiten . Zu diesem Zweck werden die im Paket RTextTools ( Jurka et al ., 2020) verfügbaren Verfahren sowie der Naive BayesKlassifizierer aus quanteda textmodel (Benoit et al , 2020) auf die Daten der Grundvorstellungen von Berding und Jahncke (2020) sowie Jahncke (2019) angewandt (insgesamt acht Verfahren) und mit den Einschätzungen menschlicher Kodierer/-innen verglichen . Zur Analyse der Texte in der Vorbereitungsphase wird auf UDPipe (Wijffels et al ., 2019) zurückgegriffen, da es für R implementiert ist und alle Analysen auf lokalen Rechnern durchgeführt werden können . Auf diese Weise lassen sich im Falle einer zukünftigen Anwendung in der Praxis Datenschutzproblematiken aus dem Versenden von Texten reduzieren . Das verwendete Design zeigt Abbildung 9 .

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Abb. 9 Design der Studie

Zunächst wird aus dem Datensatz eine Zufallsstichprobe im Umfang von n1 als Trainingsdaten gezogen . Die restlichen Datensätze im Umfang von n2 dienen als Testdatensatz, um beurteilen zu können, wie gut das Verfahren fremde Texte übereinstimmend mit menschlichen Kodierer(inne)n einschätzen kann . Das Ausmaß der Übereinstimmung wird anhand der prozentualen Übereinstimmung und Krippendorffs Alpha gemessen und mit Hilfe des Pakets irr (Gamer et al ., 2019) berechnet . Beide Maße werden hier als Indikatoren für die Inter-Koder-Reliabilität verwendet . Alpha sollte einen Mindestwert von .67 erreichen (Krippendorff, 2004, S . 241) . Dabei wird der Stichprobenumfang für die Trainingsdaten variiert, um Empfehlungen für den Mindeststichprobenumfang für das Trainingsmaterial ableiten zu können . Die Analyse beginnt bei einem Umfang von 50 Einheiten, die von Früh (2011, S . 189) als kleinster Umfang für einen menschlichen Pretest empfohlen werden . Für jedes Verfahren werden die Berechnungen einmal ohne Oversampling und dann mit den beiden Oversampling-Strategien RWO (Random Walk Oversampling) sowie MWMOTE (Majority Weighted Minority Oversampling Technique) aus dem Paket imbalance (Cordón et al ., 2018) für die Grundvorstellungen aufbereitet, um die Klassifikationsgüte vergleichen zu können . Diese Verfahren sind aktuell nur für binäre Daten wie bei den Grundvorstellungen implementiert und können daher nicht auf die Daten der (Selbst)-Reflexion angewandt werden . Alle Berechnungen für alle Kombinationen werden auf der Basis von insgesamt 1 .000 zufällig gewählten Kombinationen aus Trainings- und Testdaten durchgeführt, um die Ergebnisse um Effekte aus der Wahl der konkreten Trainings- und Teststichprobe zu bereinigen . Die Stichproben werden als proportional geschichtete Stichproben gezogen, damit das Verhältnis der Kategorien im Trainingsdatensatz dem Verhältnis im gesamten Datensatz entspricht und jede Kategorie für das Training des Computers zur Verfügung steht . Die auf dieser Grundlage erarbeiteten Ergebnisse stellt das folgende Kapitel dar .

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5

Darstellung der Ergebnisse

5.1

Ergebnisse für die Grundvorstellungen

Die erzielten Ergebnisse fassen die Abbildungen 10 bis 13 zusammen, indem sie für die verschiedenen Konstrukte und für verschiedene Umfänge des Trainingsdatensatzes darstellen, wie hoch die Übereinstimmung mit den menschlichen Kodierungen ausfällt . Die dicke Linie in den Abbildungen gibt als Vergleichswert an, welche Übereinstimmungen menschliche Kodierer/-innen erreichen konnten . Die durchgezogene Linie beschreibt die Werte für den Algorithmus ohne Aufbereitung der Trainingsdaten . Die gepunktete Linie verdeutlicht die Werte für eine Aufbereitung mit MWMOTE und die gestrichelte für die Technik RWO . Eine Schätzung mit neuronalen Netzen konnte für keine Grundvorstellung erfolgreich durchgeführt werden . So zeigt Abbildung 10 zunächst, dass die prozentuale Übereinstimmung über alle Auswertungen bei mindestens 64 % und im Mittel bei 87 % liegt (SD = 0,07 %-Punkte) . Somit liegt insgesamt eine hohe Übereinstimmung zwischen den Kodierungen durch die KI und den menschlichen Kodierungen vor . Wie Abbildung 10 aber zeigt, wird nur in wenigen Fällen die Genauigkeit der Menschen erreicht oder übertroffen . Dies ist z . B . bei der Zerstörungsvorstellung für alle Algorithmen (Ausnahme Bayes), der Lagerentnahme- sowie Liquiditätsabflussvorstellung mit Random Forest, der Lagerbewertungs- sowie der Neutralitätsvorstellung mit Tree der Fall . Aus Abbildung 9 wird auch ersichtlich, dass die prozentuale Übereinstimmung mit steigendem Umfang des Trainingsdatensatzes in der Regel zunimmt . Deutliche Zuwächse durch einen steigenden Stichprobenumfang sind aber übergreifend nicht zu erkennen . Bezüglich der verschiedenen Techniken deutet eine erste Inspektion der Abbildung 10 an, dass durch die Verwendung von MWMOTE und RWO eine leichte Steigerung der Übereinstimmung im Vergleich zu der Anwendung der Algorithmen ohne Aufbereitung erreicht werden kann . Gerade RWO erlaubt es, vereinzelt die KI anzuwenden, wo MWMOTE oder eine ausbleibende Aufbereitung keine Schätzung der Parameter ermöglichten (vgl . z . B . die Zerstörungsvorstellung) .

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Abb. 10 Ergebnisse für die Grundvorstellungen zum Aufwand (prozentuale Übereinstimmung)

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Die erzielten Ergebnisse mit Bezug auf Krippendorffs Alpha zeigt Abbildung  11 . Erneut wird deutlich, dass mit steigendem Umfang des Trainingsdatensatzes die Werte für Alpha zunehmen . Im Vergleich zur prozentualen Übereinstimmung sind jedoch teilweise deutliche Steigerungen zu erkennen . So verbessern sich die Werte bei GLMNET für die Beschaffungsvorstellung von .53 bei n = 50 auf .71 bei n = 400 . Ähnliches gilt generell für Random Forest und Tree sowie SVM und GLMNET . Bagging und Boosting scheinen hingegen weniger von einem steigenden Umfang der Trainingsdaten zu profitieren . Der mittlere Wert für Krippendorffs Alpha über alle Analysen aus Abbildung 11 beträgt .42 (SD =  .35) . Dabei fällt vor allem der Bayes-Algorithmus auf, der im Gegensatz zu den anderen Verfahren durchweg negative Werte für Alpha erzielt und die Statistik nach unten drückt . Ohne diesen Algorithmus liegt der mittlere Wert bei .46 (SD =  .27) . Auch hier erreicht die KI nur vereinzelt die Vergleichswerte menschlicher Kodierer/-innen oder übersteigt diese . Dies ist beispielswiese bei der Beschaffungsvorstellung mit GLMNET, SVM und RF sowie der Liquiditätsabflussvorstellung mit GLMNET, RF und Tree der Fall . Bezüglich der verschiedenen Techniken der Datenaufbereitung zeigt sich, dass diese im Vergleich zu keiner Aufbereitung zu einer Steigerung der Alpha-Werte beitragen können, z . B . bei der Eigenkapitalminderungsvorstellung mit RF oder der Beschaffungsvorstellung mit Tree . Die Ergebnisse für die prozentuale Übereinstimmung bei den Grundvorstellungen zum Ertrag dokumentiert Abbildung  12 zusammenfassend . Im Wesentlichen lassen sich die Aussagen zu den Vorstellungen zum Aufwand bestätigen mit dem Unterschied, dass bei der Bleibevorstellung, der Liquiditätsforderungsvorstellung sowie der Umsatzerlösvorstellung eine bessere Übereinstimmung zwischen menschlichen und computergestützten Kodierungen feststellbar ist . Die mittlere Übereinstimmung beträgt 83 % (SD = 0,07 %-Punkte) und die geringste Übereinstimmung über alle Analysen aus Abbildung 12 beträgt 66 % .

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Abb. 11 Ergebnisse für die Grundvorstellungen zum Aufwand (Krippendorffs Alpha)

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Abb. 12 Ergebnisse für die Grundvorstellungen zum Ertrag (prozentuale Übereinstimmung)

Die erzielten Ergebnisse für Krippendorffs Alpha zeigt Abbildung 13 . Erneut ist festzuhalten, dass der Bayes-Algorithmus durchweg negative Werte erzielt . Im Gegensatz dazu erzielen einige andere Algorithmen sogar Werte, die über den Vergleichswerten menschlicher Kodierungen liegen . Dies ist beispielsweise bei der Bleibevorstellung mit Bagging, Boosting, GLMNET, Random Forest sowie Tree der Fall . Ähnliches gilt

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für die Liquiditätsforderungsvorstellung sowie stellenweise für die Umsatzerlös- und die Erfolgssteigerungsvorstellung . Ein klarer Vorteil für die Alpha-Werte aus der Anwendung der Techniken RWO und MWMOTE lässt sich aus der Abbildung nicht unmittelbar erkennen .

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Abb. 13 Ergebnisse für die Grundvorstellungen zum Ertrag (Krippendorffs Alpha)

Um den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Werte für Krippendorffs Alpha genauer bestimmen zu können, wird über die generierten Daten eine Varianzanalyse gerechnet . Dabei gehen der Stichprobenumfang, die Algorithmen, die Techniken zur Behandlung unbalancierter Datensätze sowie das Ausmaß des Ungleichgewichts der Ausprägungen als Faktoren in die Analyse ein . Eine Trennung zwischen dem Grad der

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fehlenden Balance und der Konstrukte ist im Rahmen dieser Analyse nicht möglich, da beide Kategorien fast vollständig zusammenfallen . Das so geschätzte Modell erklärt insgesamt R2 = 78,7 % der Varianz . Der Gesamtmittelwert für Alpha liegt bei .429 . Die Bedeutung der Haupt- und Interaktionseffekte für die erzielten Alpha-Werte zeigt Tabelle 3 mit η2 . Tabelle 3: Stärke der Einflüsse auf Krippendorffs Alpha mit η2 in Prozent Einflussfaktor

Balance/Konstrukt n * Balance/Konstrukt

η2 in Prozent 46,15

12,35

Algorithmus * Balance/Konstrukt

4,42

n

3,88

Algorithmus

1,45

n * Algorithmus * Balance/Konstrukt

1,34

Algorithmus * Technik * Balance/Konstrukt

0,73

n * Algorithmus

0,34

n * Algorithmus * Technik * Balance/Konstrukt

0,32

Technik * Balance/Konstrukt

0,13

Algorithmus * Technik

0,11

Technik

0,10

n * Technik * Balance/Konstrukt

0,08

n * Algorithmus * Technik

0,06

n * Technik

0,00

Deutlich wird mit Tabelle 3 zunächst, dass die Bearbeitung des jeweiligen Konstruktes ca . 46 % der Varianz erklären kann . Damit hängt die Qualität der Verfahren aktuell stärker von den zu bearbeitenden Inhalten als vom konkreten Algorithmus bzw . der konkreten Technik ab, die als Hauptfaktoren nur 1,45 % bzw . 0,1 % der Varianz erklären . Auf den Stichprobenumfang entfallen ca . 3,9 % . Abbildung 14 zeigt den Einfluss der Konstrukte bzw . das Ausmaß an Ungleichheit auf die Alpha-Werte . Die Werte sind aufsteigend so sortiert, dass das Gleichgewicht der Kategorien zunimmt . Es ist deutlich zu erkennen, dass die Alpha-Werte mit steigendem Gleichgewicht im Trend besser werden . Dies zeigt, dass die Algorithmen (noch) Schwierigkeiten haben, die seltenen Kategorien aus einem Trainingsdatensatz

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so zu lernen, dass die seltenen Kategorien auch zuverlässig in neuen Daten erkannt werden . Die Verfahren tendieren zu einer Bevorzugung der häufigeren Kategorien .

Abb. 14 Einflüsse der Hauptfaktoren auf die Alpha-Werte

Weiterhin zeigt die Abbildung 14, dass mit steigendem Umfang des Trainingsdatensatzes die Alpha-Werte besser werden . Die deutlichsten Zuwächse sind in einem Bereich von 50 bis 150 und 300 bis 400 zu verzeichnen . Bezüglich der Algorithmen lassen sich nur geringfügige Unterschiede feststellen . Im Mittel erreichen diese jeweils Werte um .50 . Dabei schneiden Bagging, GLMNET und Tree am besten ab . Bei den verwendeten Techniken zeigt sich, dass die Nutzung von Aufbereitungsverfahren für die Trainingsdaten zu etwas besseren Werten führt als keine Aufbereitung . Dabei schneidet MWMOTE relativ betrachtet am besten ab . Zum Abschluss der Analyse soll auf die beiden stärksten Interaktionseffekte eingegangen werden, die Abbildung 15 veranschaulicht . Bei dem Interaktionseffekt aus Balance und Stichprobenumfang lässt sich erkennen, dass Kategorien mit extremem Ungleichgewicht (gepunktete Linien) zunächst kaum von einem Zuwachs der Stichprobe profitieren, dann aber plötzlich deutlich ansteigen . Die Alpha-Werte sind bis zu diesem Steigungspunkt eher gering . Dies kann auf Probleme bei der Verarbeitung solcher Konstrukte hindeuten . Alle anderen Konstrukte zeigen Verbesserungen durch einen Anstieg im Stichprobenumfang, die zunächst stark, dann aber immer schwächer ausfallen . Hier zeigen die Algorithmen ein normales Verhalten für den Anstieg des Stichprobenumfanges .

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Interaktionseffekt aus Balance und Stichprobenumfang

Interaktionseffekt aus Algorithmus und Balance/Konstrukt

1 -0,3

0,9

Abweichung vom durchschnittlichem α -0,2 -0,1 0 0,1 0,2

0,8

Bagging

0,7 Boosting

Randmittelwert α

276

0,6 0,5

GLMNET

0,4 0,3

RF

0,2 0,1 0

SVM 50 100 150 200 250 300 350 400

Tree

,007

,016

,051

,100

,119

,139

,163

,172

,220

,253

,261

,264

,007

,016

,051

,100

,119

,139

,278

,471

,557

,731

,163

,172

,220

,253

,261

,264

,837

,915

,278

,471

,557

,731

,837

,915

Abb. 15 Interaktionseffekt aus Balance und Stichprobenumfang sowie Balance und Algorithmus

Auf der rechten Seite von Abbildung 15 ist zu sehen, wie ein Algorithmus vom Durchschnittswert für Alpha von allen Algorithmen beim jeweiligen Ungleichgewicht abweicht . Bagging und GLMNET zeigen bei allen Graden von Ungleichgewicht im Vergleich zu den anderen Verfahren höhere Werte für Krippendorffs Alpha . Das Entgegengesetzte gilt für SVM, welches durchgehend eher geringere Werte erzielt . Bei den verbleibenden Verfahren kommt es hingegen auf das Ausmaß des Ungleichgewichts an . So können Boosting und Tree Kategorien mit einem hohen Ungleichgewicht besser verarbeiten als Kategorien, wo die Ausprägungen relativ ausgewogen sind . Bei Random Forest ist die Situation genau umgekehrt . Dieser Algorithmus arbeitet besser mit ausgewogenen Daten als mit unbalancierten Kategorien .

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Mit den Erkenntnissen aus diesen Analysen im Hintergrund stellt Tabelle 4 dar, ab welchem Stichprobenumfang die Verfahren den Standardvergleichswert von .67 bzw . das Niveau menschlicher Kodierungen erreichen . Tabelle 4 Schwellenwerte für den Stichprobenumfang

Konstrukt

αS

Beschaffungsvorstellung

.663| .680| .673

Bleibevorstellung

.593| .59| .587

Differenzvorstellung

.078| .123| .082

Eigenkapitalminderungsvorstellung

.604| .573| .595

Eigenkapitalsteigerungsvorstellung

.642| .601| .665

Erfolgsminderungsvorstellung

.535| .565| .547

Erfolgssteigerungsvorstellung

.597 | |

Inputvorstellung

.522| .527| .527

Lagerbewertungsvorstellung

1| | 1

Lagerentnahmevorstellung

.748| .753| .746

Liquiditätsabflussvorstellung

.547| .573| .582

Liquiditätsforderungsvorstellung

.824| .822| .821

αM

Stichprobenumfang, bei dem mindestens der Vergleichswert αM erreicht wird (1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

| |

| |

300| 250| 250

| |

300| 300| 350

| |

100| 200| 100

150| 200| 150

150| 100| 100

250| 200| 200

| |

150| 150| 150

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

100| |

| |

150| |

100| |

| |

350| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

350| | 350

350| | 350

350| | 350

350| | 350

350| | 350

350| | 350

350| | 350

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| 400| 350

| |

| |

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

0.687

0.535

Stichprobenumfang, bei dem mindestens der Standardwert von .67 erreicht wird (1)

(2)

(3)

(4)

(5)

250| 200| 200

350| 350| 300

300| 300| 300

(6)

0.747 350 | |

0.896

-/-

100| 100| 100

100| | 150

200| 150| 200

| | 300

350| | 350

350| | 350

350| | 350

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

100| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

100| 100| 100

0.857

0.564

0.709

0.638

0.877

0.622

0.496

350| | 350

350| | 350 50| 50| 50

200| 200| 200

50| 50| 50

277

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Konstrukt

αS

Liquiditätszuflussvorstellung

.523| .525| .525

Materialentnahmevorstellung

.112| .273| .161

Neutralitätsvorstellung

.175| .192| .233

Umsatzerlösvorstellung

.534| .545| .542

Umwandlungsvorstellung

.473| .491| .500

Verbrauchsvorstellung

.762| .723| .754

Wertabflussvorstellung

.222| .303| .294

Zerstörungsvorstellung

1| | 1

αM

Stichprobenumfang, bei dem mindestens der Vergleichswert αM erreicht wird (1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

50| 50| 50

50| 50| 50

50| 50| 50

100| 50| 100

100| 100| 100

100| 100| 100

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

| |

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

Stichprobenumfang, bei dem mindestens der Standardwert von .67 erreicht wird (1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

100| 100| 100

150| 150| 150

100| 50| 100

300| 300| 200

200| 250| 350

150| 100| 100

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

400| | 400

0.941

0.914

0.854

0.386

0.668

0.937

0.784

0.83

(1) = Bagging, (2) = Boosting, (3) = GLMNET, (4) = RF, (5) = Tree, (6) = SVM αM = Vergleichswert menschlicher Kodierer/-innen αS = Vergleichswert als Mittelwert über die Resultate aller Algorithmen für n = 400 Der Erste Wert gibt die Alpha-Werte ohne Aufbereitungstechnik, der zweite mit RWO und der dritte mit MWMOTE an.

Deutlich wird mit Tabelle 4, dass die Beschaffungs-, Bleibe-, Eigenkapitalsteigerungs-, Lagerentnahme-, Umsatzerlös- und Verbrauchsvorstellung die Vergleichsstandards zum Teil schon bei geringen Umfängen für den Trainingsdatensatz erreichen . Der nachfolgende Abschnitt stellt die Ergebnisse zur (Selbst-)Reflexion dar . 5.2

Ergebnisse für die (Selbst-)Reflexion von angehenden Wirtschaftspädagog(inn)en

Im Gegensatz zu den Abbildungen zu den Grundvorstellungen stellt Abbildung 16 die Werte für Krippendorffs Alpha (gepunktete Linie) und die prozentuale Übereinstimmung (gestrichelte Linie) für die vier Dimensionen der (Selbst-)Reflexionskompetenz dar .

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Abb. 16 Prozentuale Übereinstimmung und Krippendorffs Alpha für die Dimensionen der (Selbst-) Reflexionskompetenz

Zu erkennen ist zunächst, dass Bagging und GLMNET die Dimensionen mit dem Blick nach außen und nach innen aufgrund der extremen Ungleichverteilung der Häufigkeit der Ausprägungen nicht verarbeiten konnten . Deutlich wird zudem, dass mit Ausnahme des Blicks nach innen und nach vorne die prozentuale Übereinstimmung

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280

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nahe bei 100 % liegt, während Krippendorffs Alpha nahezu genau bei null verbleibt . Bei Naive Bayes sind die Alpha-Werte sogar negativ . Die Erklärung für dieses Phänomen besteht darin, dass bei diesen drei Dimensionen der (Selbst-)Reflexion die Ausprägungen sehr ungleich verteilt sind (vgl . dazu Abbildung 7) . Die Algorithmen konzentrieren sich hier auf die häufigste Kategorie und erzeugen so insgesamt den geringsten Fehler, weswegen die prozentuale Übereinstimmung hoch ist . Allerdings übersieht die KI so die anderen Ausprägungen, was zu den geringen Werten für Alpha führt . Interessant ist nun vor allem die Dimension „Blick nach innen und nach vorne“, da hier die Ausprägungen relativ ausbalanciert sind (vgl . Abbildung 7) . Hier liegt die prozentuale Übereinstimmung deutlich geringer bei ca . 29 % über alle Algorithmen und Stichprobenumfänge . Krippendorffs Alpha verbleibt ebenfalls bei Werten um Null . Damit gelingt es der KI nicht, die verschiedenen Ausprägungen der Selbstreflexion zuverlässig voneinander zu trennen . Verbesserungen durch eine Steigerung des Umfangs der Trainingsstichprobe lassen sich ebenfalls nicht erkennen . Der nachfolgende Abschnitt diskutiert die Ergebnisse . 6

Diskussion der Ergebnisse

6.1

Methodische Implikationen

Die Integration künstlicher Intelligenz in Learning Analytics-Anwendungen hat das Potential, von Lernenden erarbeitete Texte unter didaktisch-pädagogischen Aspekten zu analysieren und Lehrkräften wichtige Informationen und Empfehlungen für ihre Unterrichtsplanung zur Verfügung zu stellen . Dazu ist es aber notwendig, dass die verfügbaren künstlichen Intelligenzen eine hohe Qualität in der Analyse erzielen . Im Rahmen dieser Studie dient als Maßstab für die Qualität der Analyse die Übereinstimmung mit menschlichen Analyseergebnissen . (Selbst-)Reflexionskompetenz: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass über beide betrachteten Konstrukte die KI eine hohe prozentuale Übereinstimmung mit menschlichen Kodierungen erreichen konnte . Inhaltlich bedeutet dies, dass die KI nur selten zu anderen Ergebnissen gelangt als menschliche Kodierer/-innen . Gleichzeitig bedeutet eine hohe prozentuale Übereinstimmung aber nicht, dass auch hohe Werte für Krippendorffs Alpha erzielt werden . Dies zeigt sich vor allem bei der (Selbst-)Reflexion, wo Übereinstimmungen um 90 % erzielt werden, der Alpha-Wert aber um 0 schwankt . Ein vergleichbares Ergebnis berichtet auch Scharkow (2012, S . 173) . Die Abweichungen in beiden Kennzahlen sind darin begründet, dass bei der prozentualen Übereinstimmung danach gefragt wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit insgesamt korrekt klassifiziert wird, während bei Krippendorffs Alpha die Wahrscheinlichkeit im Fokus steht, die seltenste Kategorie korrekt zu ermitteln (Scharkow, 2012, S . 175) . In der Folge ist Krippendorffs Alpha eine Kennzahl, die besser die Qualität

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eines Verfahrens charakterisieren kann, da ein hoher Wert hier impliziert, dass das Verfahren auch seltene Ausprägungen erkennt . Gemessen an dem Alpha-Wert eignen sich die in diesem Beitrag getesteten Verfahren somit noch nicht, um (Selbst-)Reflexionsanlässe von Studierenden auszuwerten . Dieses Ergebnis fügt sich in die Resultate der Studie von Hartmann et al . (2019) ein, die feststellen, dass die Qualität der Auswertungen schlechter ausfällt, wenn für die Klassifikation Kontextwissen notwendig ist und die Anzahl der Kategorien steigt . Gerade bei der Beurteilung der Qualität einer (Selbst-)Reflexion ist dieses Wissen aber notwendig, denn die Einschätzung muss auf der Argumentation im Text basieren und kann nicht notwendigerweise an einzelnen Wörtern festgemacht werden . Zudem stellt (Selbst-)Reflexion ein Meta-Konstrukt dar, welches Individuen zum Nachdenken über andere Konstrukte befähigen soll . Erschwerend kommt hinzu, dass die Qualität der (Selbst-)Reflexionen auf einer vierstufigen Skala einzuschätzen ist, sodass die KI eine geringere Chance hat, die korrekte Kategorie zu ermitteln als bei wenigen Kategorien . In Zukunft können hier möglicherweise die großen künstlichen Intelligenzen Google BERT und GPT-3 bessere Resultate erzeugen . Allerdings ist dabei zu beachten, dass sie zunächst der Analyse und dem Verstehen der Texte dienen . In welchem Ausmaß sie auch für die Ermittlung eines Zusammenhangs zwischen Texten und pädagogischen-didaktischen Kategorien wie der (Selbst-)Reflexionskompetenz genutzt werden können, ist fraglich und sollte in weiteren Studien untersucht werden . Grundvorstellungen: Anders sieht die Situation hingegen bei den Grundvorstellungen aus, die stärker an einen konkreten Wortlaut gekoppelt werden können und wo durch die KI nur zwischen zwei Ausprägungen zu entscheiden ist . Hier erreichen die Algorithmen einen Gesamtmittelwert für Alpha von .429, der damit von der in der Psychologie geforderten Grenze von mindestens .700 noch etwas entfernt liegt (Adams & Lawrence, 2015) . Die Auswertung hat aber gezeigt, dass die Güte der Kodierungen stark von dem jeweiligen Konstrukt abhängig ist, sodass für jede Vorstellung im Einzelfall zu klären ist, ob sie durch eine KI ausgewertet werden kann . Erleichternd kommt bei den Grundvorstellungen zum Tragen, dass für binäre Kategorien weitere Aufbereitungsverfahren in Software implementiert sind . Bei den Techniken zur Aufbereitung des Trainingsdatensatzes zeigt sich, dass die Qualität der Klassifikation durch MWMOTE stärker gesteigert werden kann als durch RWO . Dies stützt grundsätzlich die Empfehlungen von Haixiang et al . (2017, S . 222) . So zeigt die Studie, dass die Beschaffungs-, Bleibe-, Eigenkapitalsteigerungs-, Lagerentnahme-, Liquiditätsforderungs-, Umsatzerlös- und Verbrauchsvorstellung gut durch eine KI bearbeitet werden können . Diese Vorstellungen brauchen nicht mehr durch Menschen kodiert werden, was Zeit und Ressourcen sparen kann, die für die Analyse der schwierigeren Kategorien zur Verfügung stehen . Bei den anderen Konstrukten ist hingegen eine Betrachtung im Einzelfall bzw . Kodierung durch Menschen notwendig .

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Generalisierung und Empfehlungen für die Praxis: Die Analyse hat gezeigt, dass die Höhe der Alpha-Werte vor allem von der Natur des zu kodierenden Konstrukts abhängt . Dies bedeutet, dass die KI-Algorithmen entweder bereits bei geringen Stichprobenumfängen für das Training gute Werte erzielen oder eine Steigerung des Stichprobenumfangs oder eine Variation des Algorithmus nicht viel bringt . Somit lässt sich in der Praxis relativ leicht und kostengünstig abschätzen, ob eine Auswertung durch KI in Betracht kommen kann . Hierzu reicht schon ein Trainingsumfang von 50 bis 150 Einheiten aus . Nach den Ergebnissen dieser Studie sollte aus methodischer Sicht für die Anwendung einer KI die Anzahl der Ausprägungen der Kategorien nicht zu hoch, am besten binär sein . Für optimale Ergebnisse in der Praxis sind die folgenden Einstellungen zu empfehlen: – Auf das Naive Bayes-Verfahren sollte wegen geringer Alpha-Werte verzichtet werden . – Für die KI kommen alle anderen Verfahren in Betracht, vor allem Bagging, GLMNET und Tree . – Bagging und GLMNET können dabei ausbalancierte als auch Daten mit einem großen Ungleichgewicht verarbeiten . Tree eignet sich eher für unausgewogene statt für ausgewogene Daten . – Eine Aufbereitung der Trainingsdaten mit MWMOTE sollte erfolgen . Eine Kalkulation des notwendigen Stichprobenumfanges für die Trainingsdaten für binäre Kategorien kann auf der Grundlage der Daten dieser Studie zu den Grundvorstellungen mit der Formel a = 0,055 * log (n) + 0,221 durchgeführt werden . Es handelt sich bei dieser Formel aber nur um eine grobe Faustregel . Insgesamt deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass Konstrukte mit einer binären Ausprägung das Potential besitzen, durch eine KI ausgewertet zu werden, da für binäre Kategorien auch Over- und Undersampling-Verfahren zur Verfügung stehen . Für Kategorien mit mehr als zwei Ausprägungen sind solche Verfahren noch nicht breitflächig in Software implementiert . Sollte KI häufiger zum Einsatz in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik kommen, lassen sich diese Aussagen weiter verfeinern . Die Ergebnisse zeigen, dass KI (noch) nicht in der Lage ist, das manuelle Kodieren komplett vom Menschen zu übernehmen . Sie ist aber so weit entwickelt, dass sie ein nützliches und hilfreiches Werkzeug für die Analyse von Texten von Lernenden darstellt . Ausblick auf weitere Studien: Im Rahmen dieser Studie konnte eine Kombination von verschiedenen Algorithmen nicht mehr getestet werden . Ebenso wäre es denkbar, dass sich die Qualität der Kodierungen durch die Nutzung von Informationen aus zusätzlichen Quellen (z . B . Geschlecht der Teilnehmenden, Schulform der Teilnehmenden, bereits kodierte Vorstellungen) noch weiter verbessern lässt . Zudem entwickelt die Gruppe Lang et al . (2019) aktuell eine neue Umgebung für R, die tiefergehende

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Einsatz- und Analysemöglichkeiten für den Einsatz überwachten maschinellen Lernens bereithält und verschiedene Technologien zur praktikablen Anwendung zusammenführt (z . B . Hyperparameter Tuning, Filtermethoden) . Das Potential von KI in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist damit noch lange nicht ausgeschöpft . 6.2

Inhaltliche und praktische Implikationen

Die Analysen in diesem Beitrag zeigen, dass die Möglichkeiten maschinellen Lernens bereits soweit ausgereift sind, dass sie mit allen oben dargestellten Limitationen in der Praxis in Learning Analytics-Anwendungen integriert werden können . Eine konkrete Umsetzung für den Rechnungswesenunterricht stellt beispielsweise die Rechnungswesendidaktische Künstliche Intelligenz RedKI dar . Einen Einblick in den ersten Prototyp gibt Abbildung 17 . Die App ist frei im Internet zugänglich . Es handelt sich um eine Anwendung, die auf der Statistiksoftware R basiert . Schülerinnen und Schüler können Diagnoseaufgaben mit freien Antworttexten bearbeiten, die sodann durch eine trainierte künstliche Intelligenz auf die Grundvorstellungen der Lernenden hin analysiert werden . Als Ergebnis wird den Lernenden bzw . der Lehrkraft angezeigt, über welche Grundvorstellungen der jeweilige Lernende verfügt, welche durch wissenschaftliche Studien nachgewiesenen Folgen das Vorhandensein oder Fehlen der jeweiligen Grundvorstellung für den Lernprozess erwarten lässt und wie der oder die jeweilige Lernende im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern einzuordnen ist . Schließlich gibt die Anwendung Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung des Lernprozesses . Zukünftige Weiterentwicklungen dieser Anwendung könnten den Lehrkräften bzw . den Lernenden im Anschluss konkrete Lehr-Lern-Materialien für den weiteren Unterricht vorschlagen . Künstliche Intelligenz kann somit für Lehrende ein hilfreiches Werkzeug darstellen, das unterstützt, wissenschaftliche Erkenntnisse mit individuellen Gegebenheiten zu kombinieren und maßgeschneiderte Lehr-Lern-Prozesse zu ermöglichen . Die Durchführung weiterer Studien dieser Art könnte ermitteln, welche weiteren Konstrukte für die Einbindung mittels künstlicher Intelligenz in Learning AnalyticsSysteme geeignet sind . Denkbar wäre die Analyse von Fehlern zur Vorbereitung auf Abschlussprüfungen ebenso wie die Analyse der Berufswahlreife . Bei der konkreten Gestaltung der Anwendungen sollte aber nicht automatisch auf den Algorithmus zurückgegriffen werden, der die höchste Übereinstimmung mit menschlichen Einschätzungen liefert, oder bei zu geringen Genauigkeitswerten auf die Nutzung einer KI generell verzichtet werden . So wird in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik schon lange festgehalten, dass eine hohe Genauigkeit nur dann notwendig ist, wenn es sich um die Vergabe von Qualifikationsnachweisen handelt, wie sie z . B . mit Abschlussprüfungen erbracht werden, da hiermit weitreichende Konsequenzen für den weiteren Lebensweg der Lernenden verbunden sind (Helmke, 2015,

283

284

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Einführung

analysieren lassen können.

Möglichkeit: • • einordnen lassen. •

-Lern-Prozess zu erwarten sind.

• individuellen Analyseergebnisses zu erhalten.

Informationen können Sie in der letzten Spalte finden. Verfügung steht. Die Analysen dieser Anwendung basieren u. a. auf folgenden Beiträgen: • • -

–602.



- und 5(3), 363–398.





– – Eine Mehr-Ebenen-

-Lern-Prozessen von

praktischer Perspektive (S. 225–256). Wiesbaden: Springer.

Abb. 17 RedKI als Beispiel für eine Anwendung künstlicher Intelligenz im Rechnungswesenunterricht

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

S . 124) . Für die Optimierung individuellen Lernens ist zwar auch eine hohe Genauigkeit anzustreben, allerdings ist hier eine hohe Präzision nicht immer notwendig, da die schnelle Schaffung einer Orientierung für weitere Unterrichtsmaßnahmen und Unterrichtsaktivitäten wichtiger ist als die Optimierung der Genauigkeit . Dies lässt sich weiter damit begründen, dass erst eine sich ständig wiederholende Fehleinschätzung zu gravierenden Konsequenzen für die Lernenden führt (Helmke, 2015, S . 124) . Weinert und Schrader (1986) knüpfen an diese Überlegungen an und formulieren vier alternative Richtlinien: – Lehrerdiagnosen müssen sich nicht durch eine hohe Präzision auszeichnen, da eine höhere/gesteigerte Genauigkeit nicht zu einer entsprechenden Verbesserung der getroffenen didaktischen Maßnahmen führt . Wichtiger ist die stetige Überprüfung der gewonnenen Urteile . – Diagnosen während des Unterrichts sollten auf Veränderungen im Verhalten der Lernenden abzielen und sensibel auf diese reagieren . – Lehrerdiagnosen sollten vor allem auf einer individuellen Bezugsnorm basieren, d . h . die jeweils individuelle Merkmalsausprägung als Bezugspunkt wählen . – Lehrerdiagnosen müssen nicht objektiv sein, sondern sollten eine pädagogisch vorteilhafte Voreingenommenheit aufweisen . In der Praxis ist demnach im Einzelfall abzuwägen, ob trotz ggf . geringer Übereinstimmungen zwischen menschlichen und künstlichen Einschätzungen nicht doch der Einsatz einer Learning Analytics-Anwendung sinnvoll ist . Neben der Genauigkeit spielt aber auch die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse eine wesentliche Rolle . So zeichnet sich z . B . gerade Tree dadurch aus, dass es im Gegensatz zu vielen anderen Verfahren zu Resultaten gelangt, die durch Menschen nachvollzogen werden können (Ertel, 2016, S . 217) . Gerade im Bildungsbereich, wo Entscheidungen durchaus den weiteren beruflichen Weg beeinflussen können, ist es notwendig, die Ergebnisse einer künstlichen Intelligenz nachvollziehen zu können, um Vertrauen in die Technologie zu schaffen (Samek & Müller, 2019, S . 6) . Die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse erlaubt es erst, inhaltlich fehlerhafte, aber scheinbar gute Vorhersagen künstlicher Intelligenz im Trainingsprozess zu überprüfen, neue Einsichten für die Weiterentwicklung von Lehr-Lern-Prozessen zu entwickeln sowie datenschutzrechtliche und ethische Anforderungen an künstliche Intelligenz umzusetzen (Samek  & Müller, 2019, S .  6–9) . Vor diesem Hintergrund wäre auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse der Algorithmus Tree für Learning Analytics zu empfehlen . Insgesamt zeigen die Analysen, dass der Einsatz künstlicher Intelligenz mittlerweile relativ niedrigschwellig für Learning Analytics Anwendungen auf der Grundlage von OpenSource wie z . B . R umgesetzt werden kann . Weitere Studien sollten daher insbesondere klären, wie solche Systeme konkret gestaltet sein müssen, damit sie von den Akteuren an berufsbildenden Schulen auch gewinnbringend eingesetzt werden kön-

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nen . Wenn der Einsatz von Learning Analytics gelingt, bietet dies die Chance, wissenschaftliche Konzepte mit der Praxis zu verknüpfen sowie medien- und fachdidaktische Erkenntnisse auf individuelle Lernende zugeschnitten zu kombinieren . Danksagung

Die Simulationen dieser Studie wurden auf dem HPC-Cluster CARL der Universität Oldenburg durchgeführt . Die Bereitstellung von CARL wird durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst und die DFG (INST 184/157–1 FUGG) gefördert . Literatur

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Zur Person: Florian Berding ist Privatdozent an der Universität Oldenburg am Fachgebiet für

Berufs- und Wirtschaftspädagogik . Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Rechnungswesendidaktik, Lehr-Lern-Prozessen für nachhaltige Innovationen sowie im Bereich künstlicher Intelligenz und digitalen Arbeitsblättern . PD Dr. habil. Florian Berding

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät II, Fachgebiet für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Ammerländer Heerstraße 114–118, 26129 Oldenburg, Deutschland, florian .berding@uni-oldenburg .de

Learning Analytics in der Wirtschaftspädagogik

Zur Person: Heike Jahncke ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachgebiet für Berufs- und

Wirtschaftspädagogik der Universität Oldenburg . Sie forscht und lehrt zu Themen der Lehrerprofessionalisierung, Rechnungswesendidaktik und Nachhaltigkeit . Dr. Heike Jahncke

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät II, Fachgebiet für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Ammerländer Heerstraße 114–118, 26129 Oldenburg, Deutschland, heike .jahncke@uni-oldenburg .de Kathrin Holt ist Studentin im Studiengang Master of Education (Wirtschaftspädagogik) an der

Universität Oldenburg und Stipendiatin der Anna-Magull-Stiftung .

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KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation Inklusionspotenziale und Herausforderungen SuSan beuDt / nielS pinkwart

AI Applications in Vocational Rehabilitation Inclusion Potentials and Challenges Kurzfassung: Digitale Assistenzsysteme auf Basis von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI)

bieten Inklusionspotenziale, die im Bereich der beruflichen Bildung und speziell im Bereich der beruflichen Rehabilitation noch vergleichsweise wenig ausgeschöpft werden . Mit dem Einsatz von KI-basierten Assistenzsystemen zur Unterstützung von Menschen mit Schwer-/Behinderung in Arbeits- und Qualifizierungskontexten sind Chancen verbunden, ihre Teilhabe am Arbeitsleben sowie den Übergang von der beruflichen Rehabilitation auf den ersten Arbeitsmarkt zu verbessern . Die erfolgreiche Einführung und nachhaltige Implementierung solcher Systeme in der beruflichen Rehabilitation bringen jedoch einige Herausforderungen auf individueller und organisationaler Ebene mit sich . Bisherige Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung sowie deren Transfer in die Anwendung bieten für den Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme zwar erste richtungsweisende Ansätze für die erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation . Allerdings weist dieses Anwendungsfeld einige Besonderheiten in Bezug auf die Ausgangslage auf . Es müssen hierin sowohl unterschiedliche Zielgruppen (etwa mit Blick auf Alter und Behinderungsarten) und Reha-spezifische Akteure als auch unterschiedliche Bildungs- und Arbeitskontexte in den verschiedenen Rehabilitationseinrichtungen berücksichtigt werden . Damit sind komplexe Anforderungen verbunden, die teils neue Ansätze und Lösungen erfordern . Zudem ergeben sich besondere ethische, soziale und rechtliche Fragen beim Einsatz von KI-Anwendungen für die Zielgruppe Menschen mit Schwer-/Behinderung . Dieses Konzeptpapier befasst sich mit den aufgeführten Chancen und Herausforderungen und zeigt erste Lösungsansätze auf . Schlagworte: Berufliche Rehabilitation, Menschen mit Behinderung, Teilhabe am Arbeitsleben, digitale Transformation, KI-basierte Assistenzsysteme, Digitale Ethik

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SUSAN BEUDT / NIELS PINKWART

Abstract: Artificial intelligence-based digital assistance systems offer inclusion potentials that are

still relatively under-utilized in vocational training, especially in vocational rehabilitation . The use of AI-based assistance systems to support persons with severe/disabilities in work and qualification contexts is associated with opportunities to improve their participation in working life and the transition from vocational rehabilitation to the primary labor market . Yet, the successful introduction and sustainable implementation of such systems in vocational rehabilitation bring several challenges at individual and organizational levels . Previous findings from research, development, and their practical application offer first promising approaches for the use of AI-based assistance systems for the successful design and implementation in the context of vocational rehabilitation . However, this application field has some special characteristics concerning the initial situation . For example, different target groups (e . g ., regarding age and types of disability) and rehabilitation-specific actors, as well as different educational and working contexts in the various rehabilitation facilities, must be considered . This involves complex requirements, some of which call for new approaches and solutions . In addition, the use of AI applications for the particular target group of people with severe/disabilities raises certain ethical, social, and legal questions, which are also addressed in this contribution . This concept paper focuses on the above-mentioned opportunities and challenges and presents first approaches to address them . Keywords: vocational rehabilitation, persons with disability, participation in working life, digital transformation, AI-based assistance systems, digital ethics

1

Einleitung

Die deutsche Bundesregierung hat mit dem Nationalen Aktionsplan 2 .0 (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016) Maßnahmen zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK1, 2006; Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, 2017) beschlossen, um den Rechten von Menschen mit Behinderungen unter anderem in Bezug auf Bildung (UN-BRK, Art . 24) sowie Arbeit und Beschäftigung (UN-BRK, Art . 27) Geltung zu verschaffen und mittels konkreter Maßnahmen (z . B . im Bereich beruflicher Rehabilitation) deren Umsetzung zu verbessern . In Deutschland lebten 2017 rund 10,2 Mio . Menschen mit Behinderungen in Privathaushalten2 (Statistisches Bundesamt [Destatis], 2017) . Von den im September 2020 gemeldeten 2,85 Mio . Arbeitslosen in Deutschland sind 6,14 % Menschen mit Schwerbehinderung (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2020) . Obwohl der Erwerbslosenanteil bei Menschen mit Schwerbehinderung in den letzten Jahren zurückging, ist 1 Streng genommen im Deutschen VN-BRK, in diesem Text wird jedoch die weitaus verbreitetere Variante UN-BRK verwendet . 2 Ausgenommen Menschen in Einrichtungen/Gemeinschaftsunterkünften, da diese Zahlen seit Mikrozensus 2017 nicht mehr erfasst werden .

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

ihre Arbeitslosenquote (2018: 11,2 %) im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich höher (z . B . 2018: 11,2 % vs . 6,5 %; Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2018; Deutscher Gewerkschaftsbund [DGB], 2018) . Der Gesetzgeber hat einige Maßnahmen ergriffen, um dieser Situation zu begegnen . So sind Arbeitgeber ab 20 Angestellten verpflichtet, mindestens 5 % ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen3 (SGB IX, § 154 Abs . 1 Satz 1; Sozialgesetzbuch Neuntes Buch  – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, 2016) . Während im Jahr 2019 öffentliche Arbeitgeber die Mindest-Beschäftigungsquote übererfüllten (6,5 %) lag sie bei privaten Unternehmen unter dem gesetzlich Geforderten (4,1 %; im Vgl .: Beschäftigungsquote Schwerbehinderte insgesamt 4,63 %; (Aktion Mensch e . V ., 2019) . Von den 165000 Unternehmen mit Beschäftigungspflicht fielen 2300 auf kleine Unternehmen (Aktion Mensch e . V ., 2019) . Diese nutzten deutlich weniger staatliche Fördermöglichkeiten als größere oder mittelständische Unternehmen und benötigen entsprechende Beratung und Unterstützung in Bezug auf staatliche Förderungen (Aktion Mensch e . V ., 2019) . Leistungen im Bereich der beruflichen Rehabilitation, welche die Teilhabe am Arbeitsleben (wieder) ermöglichen oder erleichtern sollen (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA), gem . §§ 49 SGB IX), umfassen Angebote zum Arbeitsplatzerhalt, Vermittlung behindertengerechter Arbeitsplätze, unterstützende Leistungen wie etwa technische und persönliche Hilfsmittel sowie Angebote zur Qualifizierung und Umschulung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2020) . Für verschiedene Lernund Arbeitskontexte in der beruflichen Rehabilitation besteht großes Potential durch KI-getriebene digitale Transformation, die Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und zu erweitern . Die Entwicklungen im Bereich KITechnologien sind von hoher Dynamik gekennzeichnet . Es gibt einige Branchen und Unternehmensbereiche in denen über die letzten Jahre das Potenzial von KI-Systemen als Assistenten am Arbeitsplatz zunehmend genutzt wurde (Logistik, Produktion, Pflege, Medizin; z . B . Weidner, Redlich & Wulfsberg, 2015) . Insbesondere KI-basierte Assistenzsysteme bieten enorme Potenziale für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen4, um ihre Teilhabechancen am Arbeitsleben und ihre Möglichkeiten für Qualifizierung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zu fördern . Im Gegensatz zu herkömmlichen digitalen Assistenzsystemen, die eine lange Tradition im Bereich Inklusion haben, sind KI-basierte Assistenzsysteme in der Lage, personalisierte Unterstützung zu bieten, da sie sich an die individuellen Nutzerbedarfe und den jeweiligen Kontext adaptieren und passende Empfehlungen für Arbeits- und Für jeden unbesetzten Pflichtplatz ist eine monatliche Ausgleichsabgabe zu entrichten (§ 77 Abs .1 SGB IX) . 4 Im Laufe des Textes wird – wo keine weitere Ausdifferenzierung notwendig ist – die Bezeichnung Menschen mit Behinderungen verwendet . Diese schließt Menschen mit verschiedenen Arten und Graden der Behinderung (GdB) ein, darunter Menschen mit Schwerbehinderung (ab einem GdB = 50) . 2019 lebten etwa 7,9 Mio . Schwerbehinderte in Deutschland, dies entsprach 9,5 % der Gesamtbevölkerung (Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020) . 3

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Lernprozesse geben können . So kann zwar ein klassisches Assistenzsystem über fest vorgegebene Schritt-für-Schritt-Anleitungen das Erlernen und Durchführen idealer Arbeitsprozesse unterstützen (sei es mit Datenbrille oder Tablet) . Allerdings sind erst über Erweiterung durch KI-Komponenten bestimmte nutzeradaptive Unterstützungsleistungen möglich . Beispielsweise könnte das System zusätzlich zu einer manuellen Steuerung auch eine Sprach-Steuerung bereithalten um mehr Flexibilität beim Erlernen des Arbeitsprozesses für Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen zu ermöglichen . Zudem könnte das System über Sensoren (und Bilderkennung) Arbeitsfortschritte und mögliche Fehler erfassen, hierzu Feedback geben und aus der Interaktion mit dem Nutzenden individuelle Unterstützungsbedarfe erkennen, um die Schritt-für-Schritt-Anleitungen durch passgenaue Hilfen und zeitliche Anpassung zu erweitern und auf den/die NutzerIn zuzuschneiden . Damit bieten diese Systeme nicht nur Möglichkeiten für die Unterstützung verschiedener Arbeits- und Lernorte, sondern können insgesamt dazu beitragen Barrieren am Arbeitsplatz zu verringern, welche etwa durch herkömmliche one size fits all5-Technologien auftreten können . Dieses Potenzial wird jedoch für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen noch wenig ausgeschöpft (Kunze, 2018) . Hierfür wäre einerseits der verstärkte Transfer von bereits existierenden Forschungserkenntnissen in die Praxis der beruflichen Rehabilitation erforderlich . Zudem bedarf es weiterer Forschungsvorhaben, die sich mit den Potenzialen, Risiken und Grenzen von KI-basierten Assistenzsystemen für Menschen mit Behinderungen allgemein, sowie mit dem konkreten Nutzen für bestimmte Personengruppen und sinnvollen Anwendungsgebieten auseinandersetzen . Über bestehende Tätigkeiten hinaus können über den Einsatz von KI-Systemen auch neue Ausbildungsmöglichkeiten (Höherqualifizierung) und Tätigkeiten für Menschen mit Behinderungen erschlossen werden . Dadurch entsteht bestenfalls mehr Flexibilität beim passgenauen Matching von Interessen und Kompetenzen der durch Unfall oder Krankheit beeinträchtigten Menschen und den Bedarfen und Anforderungen des Arbeitsmarktes und konkret der Arbeitgeber . Im digital getriebenen Wandel der Arbeitswelt mit sich verändernden Berufsbildern und Tätigkeitsprofilen (OECD, 2019a) bestehen dadurch Möglichkeiten für mehr Teilhabe am Arbeitsleben . Übergeordnetes Ziel ist ein verbesserter Übergang von der beruflichen Rehabilitation auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unter Nutzung eines menschenzentrierten Ansatzes, eines partizipativen Vorgehens und der gemeinsamen praktischen Erprobung und Bewertung von KI-Systemen .

5 Beschreibt in diesem Fall Technologien, die entsprechend traditioneller Massenproduktion gleiche Funktionsweisen und Unterstützung für alle Nutzenden unabhängig von ihren individuellen Bedarfen und Voraussetzungen sowie der jeweiligen Nutzungssituation bieten . Im Bildungskontext lassen sich damit beispielsweise Technologien beschreiben, die individuelle Voraussetzungen von Lernenden nicht berücksichtigen und für alle Lernenden das gleiche Tempo, Lernfortschritt, Lernpfade etc . vorsehen .

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

In diesem Beitrag sollen die Chancen und Herausforderungen beleuchtet werden, welche mit dem Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in der beruflichen Bildungspraxis und in betrieblichen Arbeitsprozessen verbunden sind . Hierzu werden einerseits individuelle Faktoren (siehe 2 .2 zu Kompetenzen, Akzeptanz und Motivation, Datensouveränität, Selbstbestimmung und Teilhabe) betrachtet, die beim Einsatz menschenzentrierter KI-Systeme insbesondere für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen eine Rolle spielen . Hierbei liegt der Fokus nicht nur auf den Nutzenden der Systeme selbst sondern auch auf den zahlreichen weiteren Akteuren in der beruflichen Rehabilitation (Fachkräfte, Ausbildende/Lehrkräfte, Betreuungspersonen), die einerseits entscheidende Rollen für die Förderung der betrachteten Faktoren spielen, andererseits selbst im Fokus zum Beispiel von Qualifizierungen und Maßnahmen zur Akzeptanzförderung stehen sollten . Wie in anderen Bereichen auch, bringt der Einsatz von KI-Systemen deutliche Veränderungen auch für bestehende Strukturen und Prozesse der beruflichen Rehabilitation mit sich . Daher beleuchtet dieser Beitrag im zweiten Teil organisationale (siehe Technologie Scanning6 und Bewertung, rechtlich-regulatorische Rahmenbedingungen, vorhandene Infrastruktur, Risikoanalyse, Datenschutz) und gesellschaftliche Faktoren (siehe ethische Herausforderungen) . Im dritten Teil des Beitrags werden einige erste Lösungsansätze für die zuvor beschriebenen Herausforderungen auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene beschrieben . Die Betrachtungen dieses Beitrags sollen eine Basis für weiterführende Forschungen und Projekte im Bereich KI-basierter Unterstützung der heterogenen Zielgruppe Menschen mit Behinderungen bieten sowie essenzielle Handlungsfelder im Kontext des KI-getriebenen digitalen Wandels der beruflichen Rehabilitation aufzeigen . 2

Besonderheiten und Herausforderungen KI-getriebener digitaler Transformation in der beruflichen Rehabilitation

2.1

KI-basierte Assistenzsysteme

Der demographische und digital getriebene Wandel der Arbeitswelt ist mit sich verändernden Arbeitsorganisations- und Wertschöpfungsprozessen sowie damit einhergehenden veränderten und neuen Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmende und

Technologie Scanning umfasst die Suche u . a . nach neuen Technologien . Technologie Scanning sowie Technologie Monitoring (welches die kontinuierliche Betrachtung und Bewertung von Technologien und Technologie-Trends umfasst, später im Text verwendet) sind Methoden der Technologiefrüherkennung, die zur systematischen Beobachtung existierender und frühzeitigem Erkennen neuer Technologien dienen . Siehe z . B . Gassman und Kobe (2006) .

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Führungskräfte verbunden . In diesen Veränderungsprozessen können digitale und insbesondere KI-basierte Assistenzsysteme entscheidende Rollen einnehmen, beispielsweise für die Unterstützung bei der Ausbildung von Menschen (Ersteingliederung), die mit einer oder mehreren Behinderungen geboren wurden . Diesen kann durch technische Unterstützung eine breitere Auswahl erlernbarer Berufe (und damit potenziell eine bessere Passung zu eigenen Wünschen) sowie qualitativ bessere Arbeit ermöglicht werden . Menschen, die aufgrund von Unfall oder Krankheit eine Änderung ihrer Leistungsfähigkeit erfahren haben, können etwa beim Aufbau neuer, durch den Arbeitsmarkt nachgefragter, Kompetenzen unterstützt werden (Wiedereingliederung) . Zudem können solche Systeme Menschen mit Behinderungen bei monotonen Tätigkeiten entlasten und potenziell gesundheitsgefährdende Tätigkeiten übernehmen um somit entscheidend zu nachhaltig gesundem Arbeiten beizutragen (Apt, Bovenschulte, Priesack, Weiss & Hartmann, 2018) . So kann etwa ein intelligenter, kollaborierender Roboter ohne Schutzraum direkt mit den Rehabilitanden zusammenarbeiten und sie beispielsweise bei sensitiven Montagearbeiten unterstützen . Dabei kann dieser durch Sensoren in den Gelenken leichte Berührungen erkennen, sofort und ohne Verletzungsgefahr auf Bewegungen, die der Mensch vorgibt, reagieren und bei verschiedenen Anwendungen unterstützen, die monotone Abläufe oder ergonomisch ungünstige Bewegungsabfolgen erfordern (Apt et al ., 2018) . Aufgrund der Adaptivität an die Bewegungen und Vorgaben des Menschen können solche Mensch-Roboter-Kollaborationen gleichzeitig sowohl für Menschen mit als auch ohne Behinderung eine sinnvolle Unterstützung beim Erlernen von Tätigkeiten in der Montage und Produktion sein und hier langfristig gesünderes, sicheres Arbeiten fördern . Dabei sollen die eingesetzten Technologien Menschen mit Behinderungen nicht ersetzen, sondern im Gegenteil diese für innovative Lern- und Arbeitsprozesse befähigen, indem ihre Fähigkeiten (wie Flexibilität und adaptives Reagieren auf sich ändernde Situationen und gestellte Anforderungen) mit technischen Fähigkeiten (wie Kraft, Ermüdungsfreiheit, Präzision) optimal kombiniert und so Synergieeffekte erzeugt werden (Apt et al ., 2018) . Im Rahmen einiger Förderprogramme (national und europäisch) wurden digitale Assistenzsysteme entwickelt und erprobt, vor allem für den Bereich Unterstützung in der Pflege und im Alter (für eine Übersicht siehe z . B . Weiß et al ., 2013; Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2020) . Die Sichtung bisheriger digitaler Assistenzsysteme (ob Forschungsprojekte oder fertige Produkte) verdeutlicht, dass es sich bei der überwiegenden Zahl um physische oder sensorische Unterstützungssysteme handelt . Da die Veränderungsraten mit Blick auf Behinderungsarten in den letzten 10  Jahren eine zunehmende Zahl psychischer sowie geistiger und Lernbehinderungen aufzeigen7, Zwischen den Jahren 2007 und 2019 ist ein stetiger prozentualer Anstieg mit Blick auf die Art der schwersten Behinderung wie folgt zu verzeichnen: Neurosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen von 2,2 % auf 5,3 %, Störungen der geistigen Entwicklung z B Lernbehinderung oder geistige Behinderung von 3,9 % auf 4,2 %, Quelle: https://www .destatis .de . 7

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

steigt auch in der beruflichen Rehabilitation und dem Arbeitsleben der Bedarf an technischen Hilfsmitteln für diese Zielgruppen . Solche Systeme können etwa Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen dabei helfen, den Alltag zu strukturieren, Stress zu reduzieren oder Emotionen zu regulieren . Menschen mit Autismus können beispielsweise über ein Trainingsprogramm einüben, Emotionen zu verstehen und auszudrücken und erfahren damit Unterstützung für interaktive Sozialkontexte und bei der Nutzung von Kommunikationstechnologien, wie sie auch im Arbeitsleben zunehmend genutzt werden (Lucke, 2019; Schneider, Dziobek & Weigand, 2019) . Herkömmliche digitale Assistenzsysteme bieten im besten Fall eine Personalisierung für den/die NutzerIn über adaptierbare Funktionen an (Sprachauswahl, manuelle Anpassung an körperliche Voraussetzungen, Einstellung von Kontrasten und Interfaces) . Komplexen und sich ändernden Situationen und Anforderungen am Arbeitsplatz sowie in der arbeitsplatznahen Qualifizierung können diese Systeme nur bedingt gerecht werden . Auch sind die Voraussetzungen bei Menschen mit Behinderungen aufgrund von Mehrfach-Beeinträchtigungen unterschiedlicher Grade sehr individuell, sodass „one-size-fits-all“-Ansätze für diese Zielgruppe zusätzlich wenig sinnvoll erscheinen . Ein großer Vorteil KI-basierter Assistenzsysteme für die Unterstützung von Arbeitsund Lernprozessen ist deren zusätzliche Personalisierung durch Adaptivität . Adaptive Assistenzsysteme sind in der Lage, sich automatisiert auf Umgebungsfaktoren und deren Änderungen im sozio-technischen Raum einzustellen (z . B . Voranschreiten im Arbeitsprozess, Montage- oder Materialfehler bei cyber-physischen Systemen, Erkennen von Arbeitsschutzrisiken) und ihre assistiven Funktionen an unterschiedliche Voraussetzungen (z . B . vorhandenen Kompetenzen) sowie Entwicklungswünsche der Nutzenden (z . B . durch passgenaue Empfehlungen und Hilfsangebote) anzupassen . Eine systematische, wissenschaftlich fundierte Übersicht existierender und in Entwicklung befindlicher KI-basierter Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderungen, welche nutz- und mehrwertig für die Unterstützung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation sein können, fehlt bislang . Somit fehlt nicht nur für Unterstützungen im Einzelfall die notwendige Orientierungs- und Entscheidungsgrundlage, sondern auch auf organisationaler Ebene ergeben sich dadurch enorme Herausforderungen (siehe Abschnitt 2 .3 .) . Die menschenzentrierte Gestaltung und Entwicklung sozio-technischer Systeme geht mit vielfältigen ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen einher (ELSI, siehe Abschnitt 2 .3 zu ethischen Herausforderungen von KI beim Einsatz für Menschen mit Behinderungen) . Ein entsprechendes Scanning von KI-basierten Assistenzsystemen für Menschen mit Behinderungen sollte daher (neben technischen Mindestanforderungen wie z . B . Robustheit der Systeme, Interoperabilität) insbesondere menschenzentrierte Merkmale und Anforderungen in den Mittelpunkt rücken, die in den folgenden Abschnitten (2 .2) näher beleuchtet werden . Da die Entwicklungen von KI-Technologien und deren Einsatz in Arbeits- und Lernräumen sehr agil ist, ist es zudem notwendig, nicht nur regelmäßig neue Technologien zu scannen und mit Blick auf ihren kurz-, mittel- und langfristigen Mehrwert für die verschiedenen An-

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wendungsfelder und Zielgruppen in der beruflichen Rehabilitation zu bewerten . Es ist darüber hinaus wichtig, regelmäßig technologische Entwicklungstrends und prognostische Bedeutungen der Technologien für Arbeits- und Qualifizierungsprozesse von Menschen mit Behinderungen zu erfassen . 2.2

Personenzentrierte Faktoren

Die Zielsetzung KI-Technologien in den verschiedenen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation8 nutz- und mehrwertig zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen einzusetzen erfordert in besonderem Maße einen menschenzentrierten Ansatz . Entsprechende robuste und vertrauenswürdige KI-Systeme (High-Level Expert Group on AI, 2019), die den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, sollen individuelle und gesellschaftliche Mehrwerte erzeugen (z . B . höherer Grad der Teilhabe am Arbeitsleben für alle Teile der Bevölkerung), Autonomie und Selbstbestimmung respektieren (und im Fall von Menschen mit Behinderungen idealerweise auch befördern), sowie europäischen ethischen Werten und Normen entsprechen (siehe Abschnitt 2 .3) . Die in diesem Beitrag betrachteten Anwendungsfelder werfen vor diesem Hintergrund ein komplexes Fragenspektrum auf . Bislang steht eine systematische, evidenzbasierte Untersuchung zu spezifischen Zielgruppen sowie konkreten Arbeits- und Lernorten in der beruflichen Rehabilitation, welche vom Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme profitieren könnten, aus . In diesem Zusammenhang spielen Fragen mit Blick auf vielfältige personen- und verhaltensbezogene Aspekte wie notwendige Kompetenzen, Akzeptanz und Motivation, Datensouveränität sowie Selbstbestimmung und Teilhabe eine besondere Rolle . Beim Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme im Rahmen der beruflichen Rehabilitation, mit dem Ziel verbesserter Qualifizierungsmöglichkeiten und Teilhabe am Arbeitsleben, müssen erforderliche Kompetenzen verschiedener Anwenderkreise berücksichtigt werden . Hierbei sind sowohl notwendige Qualifikationen der Menschen mit Behinderungen als auch der betreuenden und ausbildenden Fachkräfte der Leistungserbringer9 zu berücksichtigen . Fragen, die sich mit Blick auf die Anpassung inklusiver Bildungsarbeit in diesen Kontexten ergeben, lassen sich entlang des Dagstuhl- (Gesellschaft für Informatik e . V ., 2016) bzw . des erweiterten Frankfurt-Dreiecks (Gesellschaft für Informatik e . V ., 2019) strukturieren (siehe Abb . 1) . Etwa Berufsförderungswerke (BFW), Berufsbildungswerke (BBW) und Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) . 9 Leistungserbringer haben eine entscheidende Bedeutung für das Gelingen des Reha-Prozesses und das Erreichen individueller Teilhabeziele . Anbieter von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) sind z . B . Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke, Werkstätten für behinderte Menschen und vergleichbare Einrichtungen, weitere Bildungseinrichtungen und Integrationsfachdienste (IFD) . Quellen: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (2020a, 2020b) . 8

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

Eine erfolgreiche Bedienung von und Interaktion mit Technologien erfordert zum einen ein breites Spektrum kognitiver und sozioemotionaler Kompetenzen (OECD, 2016, 2019a) sowie körperliche Grundvoraussetzungen . Um digitale Selbstbestimmung zu fördern bedarf es zudem digitaler Kompetenzen, wie sie etwa auf europäischer Ebene für die fünf Kompetenzfelder Datenverarbeitung, Kommunikation, Erstellung von Inhalten, Sicherheit und Problemlösung mit insgesamt 21 Einzelkompetenzen auf 8 Kompetenzstufen beschrieben sind (Carretero, Vuorikari & Punie, 2017) . Das Kompetenzraster des DigComp-Modells ermöglicht eine EU-weite Vergleichbarkeit zwischen Beschäftigten und Organisationen und unterstützt die Verbesserung digitaler Fähigkeiten und Kompetenzen . Es bietet damit eine Grundlage für lebenslanges Lernen und Beschäftigung in zunehmend digitalisierten Arbeitswelten . Jedoch werden darin keine Besonderheiten von Menschen mit Behinderungen adressiert . In der österreichischen Adaptation ist diese Zielgruppe zumindest im Zusammenhang mit der Teilkompetenz „inklusive Formen des Zugangs zu digitalen Angeboten kennen, nutzen bzw . bereitstellen“ angesprochen (Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Österreich, 2018) .

Abb. 1 Perspektiven und Dimensionen von Bildung für den Betrachtungsgegenstand KI-basierter Assistenzsysteme in Qualifizierungs- und Arbeitskontexten der beruflichen Rehabilitation (personenzentrierte Faktoren kursiv; Darstellung in Anlehnung an Dagstuhl-Dreieck, Gesellschaft für Informatik e. V., 2016; eingebundene Dagstuhl-Grafik: CC-BY-SA Beat Döbeli Honegger und Renate Salzmann)

Lehrkräfte sehen sich durch ubiquitäre digitale Technologien in Lern- und Arbeitskontexten ebenfalls mit schnellen Änderungen von Anforderungen konfrontiert und sie benötigen daher zunehmend breitere und anspruchsvollere digitale Kompetenzen . Im

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europäischen Rahmenwerk für digitale Kompetenzen von Lehrkräften DigCompEdu werden konkret Kompetenzen und Aktivitäten (z . B . Einsatz digitaler Technologien und Strategien für Lernende mit Beeinträchtigungen) aufgeführt, die barrierefreie Zugänge und inklusive Bildung für alle Lernenden, auch für jene mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen, gewährleisten sollen (Redecker, 2017) . In Bezug auf die souveräne Nutzung KI-basierter Assistenzsysteme sind insbesondere Kompetenzentwicklungen im Bereich Datensouveränität essenziell . Datensouveränität geht über bloße Datenschutzthemen hinaus (Hummel, Braun, Augsberg & Dabrock, 2018) und bezieht sich auf die Kontrollierbarkeit der Datenverwendung durch den Menschen/Nutzenden während des gesamten Datenverarbeitungszyklus (Deutscher Ethikrat, 2018) . Menschen sollten darüber informiert werden, wer, wann, wie, welche Daten über sie zu welchem Zweck erfasst und miteinander verknüpft, damit sie selbstbestimmt und umfassend über die Verwendung ihrer Daten entscheiden können . Neben der Vermittlung digitaler Kompetenzen und Sicherung von Datenschutz sind hierfür auch geeignete Instrumente zur Verfügung zu stellen . Bereits für Menschen ohne Behinderungen kann der Umgang mit Datenschutzthemen sowie das Verstehen entsprechender Erklärungen von Technologieanbietern über die Erfassung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten mit Herausforderungen verbunden sein . Mit Blick auf die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen können sich im Bereich Datensouveränität damit einige potenzielle Herausforderungen ergeben, insbesondere in Bezug auf angemessenes Maß, Tiefe und Art der Vermittlung der angesprochenen Informationen zur Befähigung von Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen . So könnten beispielsweise bei Menschen mit kognitiven Behinderungen Untersuchungen zu ihrem Verständnis von Datenschutzthemen und die Erhebung ihrer Bedarfe (mit dem Ziel Maßnahmen zur Förderung von Datensouveränität zu entwickeln) mit Herausforderungen einhergehen . Hierbei sind etwa Besonderheiten bei der Befragung (Hinweise z . B . in Moisl, 2017; Schäfers, Schachler, Schneekloth  & Wacker, 2016), bei der barrierearmen Gestaltung von Inhalten (z . B . durch Nutzung Leichter Sprache10), in Bezug auf Digitale und Medienkompetenz sowie Zugang und Nutzungsverhalten von Technologien (Bosse, Lampert  & Zaynel, 2017; Heitplatz, 2020; Khanlou, Khan, Vazquez & Zangeneh, 2020) zu berücksichtigen . Datensouveränität im Kontext von KI-Technologien steht in engem Zusammenhang mit Themen digitaler Ethik und der Gestaltung und Entwicklung vertrauenswürdiger KI (Datenethikkommission der Bundesregierung, 2019; High-Level Expert Group on AI, 2019) . Jüngste Forschungstrends befassen sich inzwischen damit die Wirkweise von KI-Technologien zu erklären (explainable AI) und Ansätze für die wirksame Anwendung von KI-Ethik-Leitlinien in der Praxis zu entwickeln . Eine ent-

Erste Angebote in Leichter Sprache zu Datenschutzthemen existieren bereits, siehe z . B . https://deine datendeinerechte .de/leichte-sprache/ .

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sprechende Orientierung an ethischen Werten und Prinzipien bei der Gestaltung und Entwicklung der Systeme kann das Vertrauen in KI-Technologien und die Akzeptanz der Technologien bzw . die Motivation diese zu nutzen maßgeblich stärken (Datenethikkommission der Bundesregierung, 2019) . Im Bereich der Technologieakzeptanzforschung existieren einige theoretische Modelle (vgl . Übersichten und Diskussionen z . B . im Bereich Bildung: Teo, 2011, oder spezifischer für assistive Technologien für Ältere: Shore, Power, Eyto & O’Sullivan, 2018), welche neben technischen Faktoren verschiedene physische, psychologische und soziale/Umgebungsfaktoren als Einflussgrößen beschreiben . Bislang wurden nur wenige Studien konkret zur Akzeptanz von assistiven Technologien für spezifische Zielgruppen durchgeführt (z . B . Unterstützung unabhängiger Mediennutzung für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Dirks & Bühler, 2018) . 2.3

Organisationale Faktoren

2 .3 .1

Digitale Transformation in den Strukturen der Beruflichen Rehabilitation

Die Einführung innovativer Technologien, insbesondere auf Basis von KI, in der beruflichen Rehabilitation kann in dessen Strukturen und Prozessen eine grundlegende digitale Transformation anstoßen und befördern . Für eine erfolgreiche Einführung und nachhaltige Implementierung und Nutzung von KI-Technologien (wie etwa KIbasierten Assistenzsystemen) in den Unternehmen und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ist eine ganzheitliche Betrachtung unter Berücksichtigung aller für die Rehabilitationsstrukturen und -prozesse verantwortlichen Akteure aus Politik, Leistungsträgern und Leistungserbringern, Leistungsberechtigten und Sozialverbänden einzunehmen . Eine starke Kooperation und Vernetzung zwischen diesen Akteuren sowie mit Betrieben und Verwaltungen ist für die zukünftige Weiterentwicklung der Strukturen des beruflichen Rehabilitationssystems, welche sich an den dynamischen Anforderungen des Arbeitsmarktes orientieren und Innovationspotentiale heben soll, erforderlich (Deutsche Akademie für Rehabilitation, 2009) . Durch die fortschreitende Digitalisierung verändert sich die Arbeitswelt auf unterschiedlichen Ebenen . Internet- und darauf aufbauende Cloud-Technologien, die Daten digital erfassen, speichern, übertragen und verarbeiten können, sind seit über 20 Jahren Treiber der ersten Welle der Digitalisierung (Wahlster, 2017) . Zusätzlich rückt im Zuge der nunmehr zweiten Welle der Digitalisierung das automatisierte Verstehen, inhaltliche Beschreiben und aktive Nutzen digitaler Daten mittels KI und Maschinellem Lernen in den Vordergrund (Wahlster, 2017) . Mit letzteren Entwicklungen ist eine weit größere Innovationskraft und Disruption bestehender Strukturen und Prozesse verbunden (Wahlster, 2017) . Das Internet der Dinge sowie der massive Einsatz von KI-Technologien ist zudem Voraussetzung für die vierte industrielle Revolution . Mit

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diesen Entwicklungen sind tiefgreifende Veränderungen der bisherigen Arbeitsorganisation und -prozesse, von Tätigkeitsprofilen sowie von Anforderungen an berufliche Handlungskompetenz verbunden (Engels, 2016; Nedelkoska & Quintini, 2018; Steil & Wrede, 2019) . So erfordert die zunehmende Relevanz von Daten in allen Berufen und Berufsfeldern beispielsweise den Aufbau guter Datennutzungskonzepte und die Förderung von Datensouveränität . Hierdurch ergeben sich wiederum notwendige Anpassungen bei Unternehmen und Mitarbeitenden auf allen Ebenen, von der Fachkraft bis zum Management . Fragestellungen zu Datenethik und Datenrecht sollten daher „[…] bei einer breiten Palette akademischer und beruflicher Ausbildungswege sowie in der betrieblichen Fortbildung berücksichtigt werden“ (Datenethikkommission der Bundesregierung, 2019) . Damit werden auch veränderte Anforderungen und neue Herausforderungen an Aus- und Weiterbildung in der beruflichen Rehabilitation gestellt . Hinsichtlich möglicher Effekte der Digitalisierung auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen konnten laut Expertenbefragungen zwar einerseits vereinzelt neue Arbeitsmöglichkeiten beobachtet werden (z . B . in Spedition, Logistik, Call-Centern aufgrund von steigendem Internet-Versandhandel; Engels, 2016) . Andererseits wird damit gerechnet, dass aufgrund zunehmender Komplexität von Arbeitsprozessen höhere Hürden für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen einhergehen könnten (Engels, 2016) . Eine weitere Abnahme des erwerbsfähigen Bevölkerungsanteils im Zuge des demographischen Wandels wird den bereits existierenden Fachkräftemangel in bestimmten Berufen (z . B . im Handwerk, der Metall- und Elektroindustrie, dem MINT-Bereich) voraussichtlich weiter verstärken .11 Die Bedeutung der Erst- und Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt sollte vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen umso mehr Gewicht erhalten . Bisher zeigte sich jedoch, dass dies trotz Fachkräfteengpässe nicht zutrifft, bessere Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderungen kein Selbstläufer sind (v . a . in KMU) und auch geförderte Einzelprojekte12 keine durchschlagende Wirkung zeigten (Engels, 2016) . Der bloße Einsatz digitaler Technologien in Organisationen ist nicht ausreichend, sondern muss durch eine adäquate Gestaltung der Veränderungsprozesse mit Blick auf Strukturen, Prozesse und Organisationskultur unter rechtzeitiger Einbindung aller relevanten Stakeholder begleitet werden . Somit stellen sich für die Institutionen und Leistungserbringer der beruflichen Rehabilitation vielfache Herausforderungen durch den KI-getriebenen digitalen Wandel . Einerseits sind sie als Unternehmen selbst von den digitalen Transformationsprozessen betroffen .

11 Siehe z . B . https://www .bmwi .de/Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung .html und https:// www .bpb .de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/147368/themengrafik demografischer-wandel . 12 Für eine Übersicht geförderter Projekte aus den Mitteln des Ausgleichsfonds siehe etwa: https://www . rehadat-forschung .de/suche/index .html?lq=Ausgleichsfonds&reloaded=&q=Ausgleichsfonds&facet_ global_type=fordb&sort=score+desc .

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

Andererseits müssen sie geänderte Anforderungen des Arbeitsmarktes frühzeitig erkennen und ihr Angebotsportfolio zur Unterstützung der beruflichen Re-/Integration von Menschen mit Behinderungen an diese sich stets ändernden Anforderungen anpassen . In diesem Zuge stellen sich für sie ähnliche Herausforderungen wie für Bildungsorganisationen außerhalb des Feldes der beruflichen Rehabilitation: sie müssen auf geänderte Anforderungen etwa an Qualifizierung von Lehrkräften und des rehabilitationspädagogischen Fachpersonals, an curriculare Inhalte und Gewichtungen, an Lehr-Lern-Prozesse (z . B . unter Nutzung innovativer Bildungstechnologien) sowie in Bezug auf die Befähigung zur (Zusammen-)Arbeit mit KI-Technologien und Robotik reagieren . In diesen Handlungsfeldern bestehen durch innovative Technologien jedoch auch enorme Potenziale, auf die in diesem Beitrag ebenfalls exemplarisch eingegangen wird . Modelle der digitalen Transformation sowie des Change-Managements in Organisationen liegen zahlreiche vor (z . B . in Bumann & Peter, 2019; Galli, 2018; Hanelt, Bohnsack, Marz & Antunes Marante, 2020) . Jedoch existieren bislang keine wissenschaftlich fundierten und systematischen Untersuchungen zu ganzheitlichen Ansätzen in Bezug auf digitale Transformationsprozesse (insbesondere KI-getriebene) und ihre Erfolgsfaktoren unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen der verschiedenen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation . Erste Ansätze für das Anwendungsfeld der beruflichen Rehabilitation beziehen sich auf konkrete Fragestellungen etwa zur Qualifizierung der  – mit Blick auf Profession und Berufsbiographie – sehr heterogenen Gruppe des Berufsbildungspersonals in der beruflichen Bildung von Menschen mit Behinderungen (Vollmer, Laakmann, Weiser, Schlieck & Metzler, 2020), der Förderung einer digitalen Lernkultur und rehabilitationsspezifischer Medien- und medienpädagogischer Kompetenzen bei Fachkräften bestimmter Leistungserbringer (Kohl, Kretschmer & Wester, 2019) oder zu digitalen Transformationsprozessen anhand von Fallstudien einer bestimmten Einrichtung der beruflichen Rehabilitation (z . B . Werkstatt für behinderte Menschen, WfbM: Richter, 2019) . 2 .3 .2

Herausforderungen für Organisationen bzgl . Auswahl und Anwendung KI-basierter Assistenztechnologien

Damit innovative Technologien wie KI-basierte Assistenzsysteme erfolgreich in der beruflichen Rehabilitation eingeführt und nachhaltig implementiert und genutzt werden können, gilt es deren mögliche Innovationspotenziale zu identifizieren sowie etwaige Besonderheiten in Bezug auf die Akteure, ihre Rahmenbedingungen und mögliche Risiken durch den Technologie-Einsatz zu berücksichtigen . Der rechtliche Kontext zu Regelungen der beruflichen Rehabilitation, in dem sich Leistungserbringer bewegen, ist durch hohe Komplexität gekennzeichnet . Die rechtlich-regulatorischen Rahmenbedingungen umfassen ein Mehrebenensystem aus Völker-

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recht (Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen13, Europäische Menschenrechtskonvention14, Europäische Sozialcharta15, Empfehlungen und ratifizierte Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation16), Unionsrecht (Grundrechtecharta17) und nationalem Recht (Grundgesetz18, Sozialgesetzbuch I, IV und IX19, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz20, Berufsbildungsgesetz21) die in komplexen Verhältnissen zueinander stehen (Zusammenfassung der umfassenden Übersicht von Kalina, 2019) . Im nationalen Teilhaberecht besteht ein komplexes Zusammenspiel zwischen den Leistungsgesetzen und dem SGB IX (Kalina, 2019) . Zudem sind mit der DS-GVO22 rechtlich-regulatorische Vorgaben zur Einhaltung des Datenschutzes formuliert worden, die nur bei bestehender Rechtsgrundlage (z . B . Einwilligung oder Vertrag) vorsieht, dass Daten gespeichert, übermittelt oder anderweitig verarbeitet werden dürfen . Die DS-GVO beinhaltet neben einer deutlichen Stärkung von Betroffenenrechten (vgl . Art . 12–23) auch deutliche Änderungen in Bezug auf die Ausweitung von Dokumentationspflichten (vgl . Art . 5 Abs . 2), Pflichten der Auftragsverarbeiter (Art . 28), Verhaltensregeln (Art . 40), Zertifizierungen (Art 42), Risikobeurteilungen und Folgenabschätzung (Art . 35–36), Verbindlichkeit in Bezug auf privacy by design und privacy by default23 (Art . 25) . KI stellt eine besondere Form der Verarbeitung personenbezogener Daten dar und unter den zuvor benannten wesentlichen Änderungen befinden sich einige besonders relevante für die Verwendung von KI-Verfahren . Insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI-TechnoUN-BRK (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (2017) . EMRK: Gewährleistung bürgerlicher Menschenrechte; relevanter Art . 14 zu Diskriminierungsverbot, jedoch ohne explizite Benennung von Behinderung als Diskriminierungsmerkmal ( ) . 15 ESC: Gegenstück zur EMRK mit Niederlegung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Grundrechte, 1 . Fassung 1965 von Deutschland ratifiziert, 2 . Fassung von 1996 bisher nicht ratifiziert (https://www .sozial charta .eu/europaeische-sozialcharta-revidiert-9162/) . 16 ILO, relevante Empfehlungen Nr . 99 + Nr . 159 (https://www .ilo .org/dyn/normlex/en/f?p=1000:11200 :0::NO:11200:P11200_COUNTRY_ID:102643), Nr . 168 (https://www .ilo .org/dyn/normlex/en/f?p=100 0:11210:0::NO:11210:P11210_COUNTRY_ID:102643) . 17 GRC: Art . 21 + Art . 26 (https://www .europarl .europa .eu/germany/resource/static/files/europa_grund rechtecharta/_30 .03 .2010 .pdf) . 18 https://www .bundestag .de/gg . 19 Diverse relevante, v . a . SGB IX, Benachteiligungsverbote § 33c SGB I und § 19a SGB IV, Leistungen im Rahmen der betrieblichen Ausbildung nach SBG III (https://www .sozialgesetzbuch-sgb .de/) . 20 AGG: mit weiterentwickeltem Behinderungsbegriff unter § 1 (maßgeblich ist jedoch der Begriff aus dem Unionsrecht und Benachteiligungsverbot unter § 7 (https://www .antidiskriminierungsstelle .de/ SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz .pdf) . 21 BBiG: relevante §§ 64–66 (https://www .bmbf .de/upload_filestore/pub/Das_neue_Berufsbildungs gesetz_BBiG .pdf) . 22 https://dsgvo-gesetz .de/ . 23 Sind wesentliche Konzepte der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) . Privacy by design bezieht sich auf Datenschutz durch Technik, bei deren Entwicklung bereits der Schutz von Daten Berücksichtigung findet . Privacy by default beschreibt datenschutzfreundliche Voreinstellungen . Diese können jedoch oft durch Nutzende geändert werden (z . B . um zusätzliche Funktionen freizuschalten im Gegenzug für die Preisgabe personenbezogener Daten) . 13 14

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logien, die mit automatisierten Entscheidungen arbeiten, ergeben sich einige Herausforderungen, wenn diese für Betroffene nicht einsehbar und nahvollziehbar sind (als sog . Black Box) und es somit für die Verantwortlichen teils schwierig wird, Anforderungen der DS-GVO mit Blick auf Transparenzgebote, Informations- und Dokumentationspflichten sowie Auskunftsrechte zu erfüllen (Hoeren & Niehoff, 2018) . Für die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen können bei Nutzung KI-basierter Assistenzsysteme zudem besonders schützenswerte Daten (z . B . Gesundheitsdaten) anfallen . Dabei handelt es sich um eine besondere Kategorie personenbezogener Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit beziehen, aus denen Informationen über den Gesundheitszustand hervorgehen, etwa durch Kombination von bestimmten Daten, und die gesteigerten datenschutzrechtlichen Anforderungen unterliegen können (Artikel 4 Nr . 15 DS-GVO; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [BMWi], 2018) . Diese potenziellen Risiken auch Menschen mit kognitiven Behinderungen zu vermitteln, sie zu befähigen, Risiken und Potenziale abzuwägen und eigene Entscheidungen in Bezug auf die Nutzung solcher Technologien zu treffen, kann ihre Autonomie und Selbstbestimmung fördern (Tanis & Lewis, 2020) . Für die Akteure der beruflichen Rehabilitation stellen sich im Zuge einer Risikoanalyse und Folgenabschätzung zum potenziellen Einsatz bestimmter KI-basierter Assistenzsysteme bei Nutzenden mit individuellen Beeinträchtigungen somit weitere Herausforderungen, die auch die Auswahl und die DS-GVO-konforme Nutzung KIbasierter Assistenztechnologien beeinflussen . Wie groß die Herausforderungen für die jeweiligen Leistungserbringer und ihre Mitarbeitenden im Zuge der Gestaltung der digitalen Transformation sind, wird auch von der vorhandenen technischen Infrastruktur und den vorhandenen digitalen Kompetenzen und Erfahrungen mit ähnlichen Systemen abhängen . Umfassende empirische Untersuchungen zum Digitalisierungsgrad der verschiedenen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation oder aber für Teilbereiche der Bildungswirtschaft (Legler, Hofmann, Seibert & Laukhuf, 2018) existieren bislang nicht, was möglicherweise auf ungenügende Übertragbarkeit existierender Modelle und Instrumente zur Messung des Digitalisierungsgrades in diesem Kontext zurückzuführen sein könnte (für eine Übersicht zu digitalen Reifegradmodellen siehe z . B . Egloffstein, Heilig & Ifenthaler, 2019) . Mit dem Digitalisierungsgrad steigt auch die Weiterbildungsaktivität von Unternehmen (Seyda, Meinhard & Placke, 2018) . Die Befähigung der Mitarbeitenden und Entscheidungsträger, Bewertungen und informierte Entscheidungen in Bezug auf die Auswahl von KI-basierten Assistenzsystemen und eine erfolgreiche Gestaltung ihrer organisationalen Einführung und Implementierung vorzunehmen, ist vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen essenziell . Zudem gehen mit der Anwendung solch innovativer Technologien neben zahlreichen rechtlichen und sozialen auch ethischen Fragen (ELSI) einher, die es zu berücksichtigen und soweit möglich zu beantworten gilt . In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl ethischer Richtlinien für das Design, die Entwicklung und Anwendung von KI entwickelt (z . B . durch OECD, 2019b; High-Level Expert Group on AI,

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2019; Datenethikkommission der Bundesregierung, 2019; sowie auch durch Unternehmen, Wissenschaft und NGOs; für eine Übersicht siehe Hagendorff, 2020) . Menschen mit Behinderungen sind in den bisherigen ethischen Diskursen und Richtlinien zu KI noch unterrepräsentiert (siehe Vergleiche wie z . B . Hagendorff, 2020) . Sie befinden sich jedoch häufig in der Situation, über assistive Systeme hinaus auch KI-Technologien nutzen zu müssen, welche für weniger diverse Zielgruppen entwickelt wurden . Neben den damit einhergehenden bekannten Barriere-Problemen entstehen somit potenziell zusätzliche Risiken durch die Nutzung von KI-Technologien, bei deren Entwicklung und Anwendung in sozio-technischen Kontexten ELSI-Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt werden . 3

Lösungsansätze für aufgezeigte Herausforderungen

In diesem Abschnitt werden ausgewählte Lösungsansätze in Bezug auf eine erfolgreiche Einführung und nachhaltige Implementierung KI-basierter Assistenzsysteme skizziert . Hierbei wird der Fokus auf Themen gelegt, welche als zentrale Herausforderungen für Einrichtungen in der beruflichen Rehabilitation identifiziert wurden . Die vorgestellten Ansätze und Methoden werden im Rahmen des Projektes KI .ASSIST24 in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxispartnern aus der beruflichen Rehabilitation umgesetzt, evaluiert und für den Transfer aufbereitet . Systematische Sichtung, Bewertung und Trendanalyse KI-basierter Assistenzsysteme Um das Potenzial von KI-Anwendungen für die Unterstützung von Lern- und Arbeitsprozessen von Menschen mit verschiedenen Behinderungen (oder Mehrfachbehinderungen) in den unterschiedlichen Lern- und Arbeitsorten der beruflichen Rehabilitation zu bewerten, wird ein umfassendes, systematisches und wissenschaftlich fundiertes Scanning und Monitoring25 existierender und in Entwicklung befindlicher KI-basierter Assistenzsysteme erarbeitet, welche nutz- und mehrwertig für die Unterstützung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation sein können . Hierfür werden entsprechende Technologien über ein eigens entwickeltes Such-, Beschreibungs- und Bewertungs24 Das Projekt KI ASSIST – Assistenzdienste und Künstliche Intelligenz für Menschen mit Schwerbehinderung in der beruflichen Rehabilitation wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aus Mitteln des Ausgleichsfonds gefördert . 25 Technologie Monitoring umfasst die kontinuierliche Betrachtung und Bewertung von Technologien und Technologie-Trends und ist ein Verfahren der Technologiefrüherkennung, das zur systematischen Beobachtung existierender und frühzeitigem Erkennen neuer Technologien dient . Siehe z . B . Gassman und Kobe (2006) .

KI-Anwendungen in der beruflichen Rehabilitation

system26 via Desk Research gezielt gescannt und in bestimmte Unterstützungskategorien geclustert . Über eine qualitative Inhaltsanalyse der gescannten Technologien (basierend auf Bewertungskriterien von sieben personenzentrierten Faktoren, die den kursiv gedruckten Faktoren in Abschnitt 2 .2 sowie zusätzlich Diversität entsprechen), Leitfadeninterviews mit Inklusions- sowie KI-Experten und eine standardisierte Online-Umfrage wird die Eignung der gesammelten Technologien für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz validiert . Das Feld der KI-Technologien ist sehr agil und erfordert neben regelmäßigem Scanning und Monitoring neuer Technologien (mit Blick auf ihren kurz-, mittel- und langfristigen Mehrwert für die verschiedenen Anwendungsfelder und Zielgruppen in der beruflichen Rehabilitation) auch die regelmäßige Analyse und Bewertung technologischer Entwicklungstrends und prognostische Bedeutungen der Technologien für Arbeits- und Qualifizierungsprozesse von Menschen mit Behinderungen . Daher wird zusätzlich mit Hilfe der Foresighting-Methodik27 beurteilt, welche Trends und zukünftigen Entwicklungen erwartbar oder wahrscheinlich sind und welche gewünscht werden . Ziel ist es, mittels validierter Technologieliste sowie mittels Handlungsempfehlungen (abgeleitet aus Monitoring und Foresighting) Orientierungs- und Entscheidungsgrundlagen für relevante Stakeholder der beruflichen Rehabilitation zu bieten . Menschenzentrierte KI mit co-kreativer und partizipativer Gestaltung Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus dem Monitoring werden mit weiteren Maßnahmen zu Kompetenzaufbau, Agenda Setting28 und Sensibilisierung zu KI über verschiedene Dialog- und Informationsformate sowie durch frühzeitige Einbindung relevanter Akteure (Fachkräfte, rehabilitationspädagogisches Fachpersonal, Leistungsempfänger, Führungskräfte) kombiniert . Durch diese kombinierten Qualifizierungs-, Informations- und Mitgestaltungsangebote sollen relevante Stakeholder (Mitarbeitende, Entscheidungsträger) dazu befähigt werden, eine adäquate Auswahl 26 Die Kriterienentwicklung für das Bewertungssystem erfolgt dabei im Rahmen des Projektes, orientiert sich an den personenzentrierten Faktoren sowie an Kriterien, die bereits in der empirischen Betrachtung von digitalen Assistenzsystemen etwa durch Apt et al . (2018) Verwendung fanden (z . B . Schwerpunkt der unterstützten Tätigkeit, Handlungs- bzw . Entscheidungsspielraum, Individualisierbarkeit, etc .) . 27 Foresight (auch Vorausschau) stellt neben Technologiefrüherkennung und Technikfolgeabschätzung eine der drei Säulen der Zukunftsforschung dar und dient dazu, forschungs- und innovationsstrategische Entscheidungen vorzubereiten . Im Kern soll es sozioökonomische Trends vor dem Hintergrund erwarteter technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen erfassen, die durch relevante AkteurInnen reflektiert werden (Popp (2012) . Häufige Verwendung finden dabei Methoden wie Szenario-Technik und Delphi-Befragungen (Popper (2008) . 28 Agenda Setting beschreibt als Phase des Politikzyklus im Bereich der Politikwissenschaften das Setzen von Themen auf die politische Tagesordnung durch verschiedene Maßnahmen und Akteure . Siehe z . B . Jann und Wegrich (2003) .

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und Bewertung von Potenzialen und Risiken KI-basierter Assistenzsysteme vorzunehmen, entsprechende KI-getriebene Transformationsprozesse vor dem Hintergrund sich ändernder Arbeitsmarktanforderungen rechtzeitig aktiv zu gestalten und zu einem souveränen Umgang mit eingeführten KI-Systemen zu gelangen . Zudem soll die frühzeitige Einbindung von Fachkräften und LeistungsempfängerInnen sowie deren KI-Sensibilisierung positive Effekte auf individuelle Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen ausüben, bestehende Fehlannahmen in Bezug auf KI korrigieren und entsprechende Ängste (etwa vor Arbeitsplatzverlust, eingeschränkter Entscheidungsautonomie) abbauen . Modelle und Instrumente der digitalen Transformation in der beruflichen Reha Damit KI-basierte Assistenzsysteme erfolgreich bei den Leistungserbringern und in den Strukturen der beruflichen Rehabilitation eingeführt sowie nachhaltig implementiert und genutzt werden können, ist es zudem erforderlich, die Besonderheiten in Bezug auf die unterschiedlichen Akteure, Einrichtungen und ihre Rahmenbedingungen systematisch zu erfassen und zu berücksichtigen . Über den Entwicklungsprozess von Modellen digitaler Transformation für die berufliche Rehabilitation sollen im Projekt KI .ASSIST notwendige Strukturen und Prozesse sowie individuelle Voraussetzungen für KI in der beruflichen Rehabilitation identifiziert werden . KI-getriebene digitale Transformationsprozesse und deren Rahmenbedingungen sowie Faktoren für die erfolgreiche Gestaltung und Umsetzung der Entwicklungs- und Veränderungsprozesse sollen erfasst, beschrieben und in ergebnisoffenen Lern- und Experimentierräumen begleitet werden . Gewonnene Erkenntnisse aus den betrieblichen Erprobungen von KI-basierten Assistenztechnologien in verschiedenen Einrichtungsarten und -häusern werden in Kombination mit Experteninterviews und Workshops zur Entwicklung und Validierung der digitalen Transformationsmodelle in der beruflichen Rehabilitation beitragen . Ziel ist eine Systematik und die Ableitung von Handlungsempfehlungen für Einrichtungen, Arbeitgeber und Institutionen im System der beruflichen Rehabilitation, wie sie den KI-getriebenen digitalen Wandel gestalten können sowie damit verbundene Chancen gewinnbringend nutzen und Risiken vermeiden können . Empfehlungen für Anpassungen existierender Ethischer Leitlinien Für die Einschätzung von Chancen und Risiken von KI-Technologien für die Unterstützung beruflicher Rehabilitationsprozesse sind Betrachtungen ethischer, rechtlicher und sozialer Natur essenziell . Über diese Themen wird eine eigens dafür gegründete Arbeits- und Expertengruppe mit Experten aus den Bereichen Inklusion, KI, Arbeit, Qualifizierung, darunter VertreterInnen aus der Praxis des Reha-Systems sowie aus

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Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, diskutieren und Handlungsempfehlungen erarbeiten . Die Experten werden zusammen mit dem Projektteam und unter Einbindung von Erkenntnissen aus den praktischen Erprobungen Chancen und Risiken von KITechnologien für Menschen mit Behinderungen identifizieren und diskutieren . Darüber hinaus werden bestehende Leitlinien (siehe u . a . Abschnitt 2 .3) mit Blick auf die sehr heterogene Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen analysiert und gegebenenfalls Empfehlungen zu potenziellem Anpassungsbedarf und Operationalisierungen abgeleitet . Daher sollen auch Arbeiten aktueller Initiativen zu Normierung und Standards im Bereich KI (z . B . Steuerungsgruppe KI-Normungsroadmap, DIN e . V ./ DKE, 2020; AI standardization roadmap for Europe, CEN-CENELEC Focus Group on Artificial Intelligence, 2019) mit berücksichtigt werden . Handlungsempfehlungen zu digitaler Verantwortung der Institutionen des Reha-Systems runden die Arbeit der Arbeitsgruppe ab . 4

Fazit und Ausblick

Mit dem Einsatz KI-basierter Assistenzsysteme zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in der beruflichen Rehabilitation sind große Potenziale für verbesserte Teilhabechancen am Arbeitsleben sowie für einen verbesserten Übergang von der beruflichen Rehabilitation auf den ersten Arbeitsmarkt verbunden . Digitale Assistenten auf Basis von KI können personalisierte Unterstützung für Menschen mit Behinderungen durch Adaptivität an individuelle Nutzerbedarfe- und -aktionen sowie an kontextuelle Änderungen bieten . Die passgenaueren Unterstützungsleistungen für Arbeitsund Lernprozesse können dazu beitragen, existierende Barrieren an verschiedenen Arbeits- und Lernorten abzubauen und beispielsweise eine größere Bandbreite von Ausbildungen und beruflichen Handlungskompetenzen (z . B . bei der Ersteingliederung) ermöglichen . Auch können solche adaptiven Assistenzsysteme die Wiederaufnahme des ursprünglich gelernten Berufs ermöglichen oder bei (neuen oder anderen, passgenaueren) Arbeits- und Lernprozessen unterstützen . In der Praxis der beruflichen Rehabilitation werden vereinzelt bereits innovative Technologien auf Basis von KI erprobt und eingesetzt . Eine systematische und flächendeckende Einführung und Implementierung in den unterschiedlichen Einrichtungen des Reha-Systems mit ihren vielfältigen Arbeits- und Lernorten blieb jedoch bislang aus . KI-Technologien können den notwendigen Anstoß für eine entsprechende digitale Transformation der beruflichen Rehabilitation geben . Hierfür bedarf es jedoch noch einiger Forschungsund anwendungsbezogener Projektarbeit . So stellt die momentane Marktsituation KIbasierter Assistenzsysteme die Leistungserbringer vor enorme Herausforderungen, da beispielsweise (verbindliche) Standards zu Mindest-Kriterien und deren Beschreibung mit Blick auf technische (z . B . Interoperabilität), personenzentrierte (z . B . notwendige Kompetenzen, Datensouveränität, Selbstbestimmung) sowie organisationale

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(z . B . vorhandene Infrastruktur der Leistungserbringer, Datenschutz, Risikoanalyse) und gesellschaftliche Aspekte (ethisch vertretbare und vertrauenswürdige KI) fehlen . Dieser Beitrag stellt einen umfassenden Ansatz für ein systematisches Scanning, Monitoring und Foresighting KI-basierter Assistenzsysteme vor, der im Rahmen des Projektes KI .ASSIST unter anderem den Akteuren aus dem Reha-System einen Überblick sowie Orientierungshilfe bieten soll . Weitere Herausforderungen ergeben sich in Hinsicht auf Modelle und Umsetzungen digitaler Transformationsprozesse . Das System der beruflichen Rehabilitation weist einige Besonderheiten auf  – etwa die vorhandenen Strukturen und Prozesse mit einer Vielzahl beteiligter Akteure im RehaProzess, unterschiedliche Bildungs- und Arbeitskontexte in den verschiedenen Rehabilitationseinrichtungen, komplexe rechtlich-regulatorische Rahmenbedingungen und im Transformationsprozess einzubindende vielfältige Zielgruppen (Lehrkräfte, rehabilitationspädagogisches Fachpersonal, Leistungsempfänger, Führungskräfte) . Zudem ist die Zielgruppe der Leistungsempfänger sehr heterogen mit Blick auf die individuellen (kombinierten) Beeinträchtigungen und beim Einsatz von KI zu ihrer Unterstützung sind unter anderem besondere ethische, rechtliche und soziale Fragen zu berücksichtigen . Der Beitrag stellt den Ansatz des Projektes KI .ASSIST vor, der diesen komplexen Anforderungen durch die Entwicklung und Validierung von umfassenden Modellen digitaler Transformation begegnen will und Handlungsempfehlungen für relevante Stakeholder zur co-kreativen und partizipativen Gestaltung der Entwicklungs- und Veränderungsprozesse erarbeiten soll . Dabei wird eine Brücke zwischen Forschung und (betrieblicher) Bildungspraxis geschlagen, um einerseits existierende Forschungserkenntnisse praxisorientiert aufzubereiten und andererseits neue Erkenntnisse gemeinsam mit den Akteuren vor Ort zu generieren . Die dargestellten Herausforderungen und Chancen für KI in der beruflichen Rehabilitation sollen zudem eine Basis für weiterführende Forschungen und Projekte zur Unterstützung von beruflicher Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bieten sowie essenzielle Handlungsfelder im menschenzentrierten, KI-getriebenen digitalen Wandel der beruflichen Rehabilitation aufzeigen . Literatur

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Zur Person: Susan Beudt ist Researcherin und Projektleiterin im Forschungsbereich Educational

Technology Lab im DFKI in Berlin . Susan Beudt

Deutsches Forschunsgzentrum für Künstliche Intelligenz, Educational Technology Lab, Alt-Moabit 91 C, 10559 Berlin, susan .beudt@dfki .de Zur Person: Niels Pinkwart ist Wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Educational

Technology Lab im DFKI in Berlin . Zudem ist er Professor für Informatik an der HumboldtUniversität zu Berlin und Principal Investigator am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft (Deutsches Internet-Institut) . Prof. Dr. Niels Pinkwart

Deutsches Forschunsgzentrum für Künstliche Intelligenz, Educational Technology Lab, Alt-Moabit 91 C, 10559 Berlin, niels .pinkwart@dfki .de

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Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen matthiaS wölfel

Practical Aspects of Deploying Immersive Augmented and Virtual Reality Learning Applications Kurzfassung: Immersive Technologien heben die Kluft zwischen der digitalen und der analogen

Welt auf . Diese eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten in der Umsetzung von Lernanwendungen . Jedoch fördert der Einsatz von diesen Technologien den Lernerfolg nicht automatisch . Um zu identifizieren, welche Faktoren und Strategien für den Lernerfolg entscheidend sind, ist ein besseres Verständnis für diesen neuen Medientyp zwingend . Dabei gilt es technologiebedingte, konzeptionelle und didaktische Aspekte zu berücksichtigen . Daraus leiten sich spezifische Anforderungen an Lernanwendungen ab und es wird der Versuch unternommen, entsprechende Handlungsempfehlungen zu geben . Schlagworte: Immersive Lernanwendungen, Mentale Model, Unterschiede Realität und Virtualität Abstract: Immersive technologies eliminate the gap between the digital and analog worlds . This

offers numerous novel possibilities in the implementation of learning applications . However, the use of these technologies does not automatically promote learning success . To identify which factors and strategies are crucial for learning success, a better understanding of this new type of media is essential . In this context, technology-related, conceptual, and didactic aspects have to be considered . This leads to specific requirements for learning applications which are identified and the attempt is made to derive recommendations for them . Keywords: immersive learning applications, mental model, differences reality and virtuality

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MATTHIAS WÖLFEL

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Einleitung

Der Einsatz von virtuellen Welten für Lehr-/Lernzwecke wurde bereits seit den 90er Jahren untersucht . Während zu Beginn primär Anwendungen im Fokus standen, die Menschen auf Situationen vorbereiten sollten, die noch nicht existieren oder ein hohes Gefahrenpotential bergen und dafür ein hoher Aufwand vertretbar war, hat sich der Fokus inzwischen weitestgehend auf alltäglichere Situationen hin verändert . Diese Umorientierung und neuer Aufschwung sind insbesondere auf die technologische Weiterentwicklung und Verbilligung der Geräte sowie die Vereinfachung der Entwicklungstools, getrieben von der Spieleindustrie, zurückzuführen . Neue Endgeräte, die sich grob in „der Hand gehalten“ (Handheld AR mit Smartphones und Tablets) und „am Kopf befestigt“ (Head-Mounted AR, z . B . Microsofts HoloLens) einteilen lassen, erlauben dabei die Verschmelzung der analogen und der digitalen Welt . Bleibt dabei ein Teil der Umgebung sichtbar, spricht man von Augmented Reality (AR), ansonsten von Virtual Reality (VR) . Bei Lern- und Schulungsanwendungen kommen dabei laut Radianti et al . (2020) überwiegend (76 %) hochwertige Head-Mounted Displays (HMD) wie Oculus Rift oder HTC Vive zum Einsatz, während nur ca . ein Fünftel der Lern- und Schulungsanwendungen auf einfache HMDs wie Smartphone plus Cardboard zurückgreifen . Der Einsatz von hoch-immersiven Medien, bei denen HMDs durch zusätzliche Komponenten wie z . B . haptische Handschuhe mit ForceFeedback Verwendung finden, bleibt gering . Die Immersion beschreibt dabei den Grad des „Eintauchens“ in die Inhalte . Der Grad der Interaktion, die Abdeckung des Sichtbereichs durch das Display und die kontinuierliche Anpassung der angezeigten Information in Abhängigkeit der aktuellen Position und Ausrichtung sind dabei entscheidende Kriterien, welche insbesondere von hochwertiger Aktorik und Sensorik sowie deren Auswertung zur Erfassung der Umgebung bzw . der Aktion der Nutzer abhängen . Diese neuen Endgeräte heben die Kluft zwischen der digitalen und der analogen Welt auf (siehe Abbildung 1) und eröffnen somit zahlreiche neue Möglichkeiten in der Mensch-Maschine Interaktion . Neben der sich dynamisch anpassenden Ausgabe verändert sich auch die Eingabe, hier wird nicht über ein klassisches Interface (Maus, Tastatur oder Touchscreen) mit den Inhalten interagiert, sondern der menschliche Körper dient direkt als Interface (unsere Körperbewegungen werden übertragen und interpretiert) . Dafür sind Verfahren in der Mustererkennung (einem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz) nötig, deren Weiterentwicklung neben der Aktorik und Sensorik einen signifikanten Anteil an der Verbesserung von AR/VR hat . Warum gemischte und virtuelle Realitäten so interessant für Lernanwendungen sind, kann kaum besser ausgedrückt werden als in dem Spruch des Chinesischen Philosophen Konfuzius: „Sage es mir, und ich werde es vergessen . Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten . Lass es mich tun, und ich werde es können .“ Denn fortschrittliche AR und VR-Technologien verfügen über multisensorische Schnittstellen, die es dem Lernenden ermöglichen, Umgebungen nicht nur zu beobachten, sondern

Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen

Abb. 1 Durchmischung von analogen und digitalen Inhalten in Abhängigkeit des verwendeten Interfaces: zwei Welten beim klassischen Interface, eine Mischwelt bei Mixed Reality und eine Kunstwelt bei Virtual Reality

auch zu erforschen und mit ihnen zu interagieren  – auch wenn die virtuelle Nachahmung nicht genau dem wirklichen Handeln entspricht . Allerdings verbessert der Einsatz von immersiven Technologien den Lernerfolg nicht automatisch . Dieser hängt von der Einstellung des Lernenden zur Technik ab (Wong et al . 2017), von der didaktischen als auch technischen Umsetzung und der generellen Eignung des Lernstoffes für die Nutzung von immersiven Medien . Doch welche Faktoren sind entscheiden für den Lernerfolg in solchen Umgebungen? Um diese Frage zu beantworten untersuchten Chavez und Bayona (2018) 24 Eigenschaften von virtuellen Welten und kommen zu dem Schluss, dass sich 17 dieser Eigenschaften positiv auswirken . Zu nennen sind hier insbesondere die Verbesserung der Lernergebnisse und Fähigkeiten, Lebenserfahrungen, die näher an der Realität sind, sowie eine höhere intrinsische Motivation und ein zunehmendes Interesse am Lernen . Da Chavez und Bayona leider keine spezifische Unterscheidung getroffen haben, ob ein HMD oder ein Monitor zur Anzeige der Inhalte verwendet wurde, bleibt offen, welchen Einfluss das Eingabe- bzw . Anzeigemedium spielt . Jensen und Konradsen (2018) sowie Kaplan et al . (2020) identifizierten in Metaanalysen eine Reihe von Situationen, in denen HMDs für den Erwerb von Fähigkeiten nützlich sind . Dabei zeigt sich, dass erweiterte Realitäten oft zeit- und kostensparende Schulungsmechanismen sein können . Insbesondere eignen sich hier immersive Medien zum Trainieren von – kognitiven Fähigkeiten im Zusammenhang mit dem Erinnern und Verstehen von räumlichen und visuellen Informationen und Wissen; – psychomotorischen Fähigkeiten im Zusammenhang mit Kopfbewegungen, wie z . B . dem visuellen Scannen (die Fähigkeit, effizient und schnell relevante Information in der Umgebung zu finden), oder Beobachtungsfähigkeit;

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affektiven Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Kontrolle von emotionalen Reaktionen auf stressige oder schwierige Situationen .

Außerhalb dieser Situationen hatten die HMDs laut Jensen und Konradsen keinen Vorteil im Vergleich zu weniger immersiven Technologien oder traditionellem Unterricht . In einigen Fällen erwiesen sich HMDs als kontraproduktiv durch das Auftreten von Cyberkrankheit oder weil die immersive Erfahrung von der eigentlichen Lernaufgabe ablenkte . Während diese Ergebnisse eventuell nicht überraschen, gibt es aber auch andere Inhalte, bei denen der Mehrwert nicht sofort offensichtlich ist . So haben Godden und Baddeley bereits 1975 den Einfluss der Umgebung auf das Erinnerungsvermögen festgestellt: Taucher, die Wörter auf Land auswendig gelernt haben, konnten sich an diese dort besser erinnern als im Wasser . Zwar konnte diese Beobachtung durch Vázquez et al . (2018) für VR Umgebungen nicht direkt bestätigt werden, jedoch zeigte ihre Arbeit auf, dass das Erlernen von Wörtern einer Fremdsprache in VR durch explizite kinästhetische Elemente profitieren kann . Der aktuelle Hype um gemischte und virtuelle Realitäten führt zu der Neuentwicklung oder Adaption einer großen Anzahl an Anwendungen . Allerdings sind einige Anwendungen noch experimentell und es ist unklar, wie sich die Lernanwendungen durch das eingesetzte Medium unterscheiden oder unterscheiden sollten und welche Veränderungen sich dadurch ergeben . Dabei ist gerade die Adaption vorhandener Anwendungen problematisch, da vorhandene Interaktionsstrategien von monitorbasierten Anwendungen nicht unreflektiert übernommen werden können . Durch das Ansprechen mehrerer Sinne und die größere Abdeckung des visuellen Sichtfeldes können AR/VR Lernerlebnisse bei der Veranschaulichung realweltlicher Informationen intensiver als mit nicht-immersiven Medien wahrgenommen werden . Eben so wenig können hier ausschließlich Erfahrungswerte aus realen Umgebungen mit einfließen, da es zu viele Abweichungen zwischen der realen und der virtuellen Umgebung gibt . Immersive Medien sind somit eine neue Klasse von eigenständigen Medien, die auch als solche verstanden werden müssen . Ein Verständnis für diesen neuen Medientyp ist zwingend, um hier den bestmöglichen Lernerfolg zu erzielen . Neben spezifischen Anforderungen an die Interaktionsgestaltung, Didaktik etc . für augmentierte oder virtuelle Lernwelten fehlen insbesondere auch aussagekräftige Studien zu Lerneffekten – dies gilt nicht nur in Bezug aufs Lernen, sondern ganz allgemein auch für andere Bereiche, in denen AR oder VR zum Einsatz kommt . 2

Erweitertes Virtualitätskontinuum

Zur Einordnung der Realitätsebenen wird sich oft auf das von Milgram und Kishino (1994) eingeführte Virtualitätskontinuum bezogen, welches die Elemente Real Environment, Augmented Reality, Augmented Virtuality und Virtual Environment

Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen

enthält . Diese Einordnung der Realitätsebenen ist jedoch technikzentriert und greift daher für unsere Betrachtungen zu kurz: so stimuliert die physische Realität – gefiltert über unsere Sinneseindrücke – doch nur unsere innere Vorstellung von Realität, von der wir wissen, dass diese nicht eine absolute Realität widerspiegelt (z . B . ist das Farbempfinden bei jeder Person anders, das was wir als Materie empfinden, ist eigentlich weitestgehend nicht materiell) . Ohne Sonderformen, wie die Cinematic Reality oder Substitutional Reality, lassen sich, in Ergänzung zu dem von Milgram und Kishino definierten Virtualitätskontinuum, die vier grundlegenden Realitäten unterscheiden: Die physische Realität ist der Zustand der Dinge, wie sie als materielle Verkörperung existieren und von der Physik beschrieben werden . Die gemischte Realität (engl . Mixed Reality, welche Augmented Reality und Augmented Virtuality beinhaltet) ist die Verschmelzung von realen und virtuellen Welten, in denen physische und digitale Objekte miteinander existieren . Die virtuelle Realität (engl . Virtual Reality) ist die Illusion einer Umgebung, die durch externe simulierte Stimuli ausgelöst wird . Diese kann beobachtet, erforscht oder manipuliert werden und diese fühlt sich so an, als ob sie existiert Die mentale Realität basiert auf dem inneren Zustand des Geistes einschließlich Erinnerungen, Tagträume und geplante Aktivitäten . Sie kann durch äußere oder innere Reize ausgelöst werden und existiert nur in unseren Phantasien und Träumen . Das Mentale Model

Wir erfassen unsere Umwelt durch ein vereinfachtes Modell – das mentale Model . Dieses erlaubt uns realweltliche Sachverhalte und Abläufe als modellhafte Vorstellung aufzubauen und in Gedanken zu simulieren . Die gemischte und virtuelle Realität wird mit dem, durch die Realität gebildeten, mentalen Modell abgeglichen . Stimmen diese

Abb. 2 Dimensionen der Realitäten und deren Zusammenhang mit dem mentalen Modell

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überein, wird die Simulation akzeptiert . Bei größeren Abweichungen kann es zu Irritationen kommen, die jedoch durch andere Effekte wie z . B . die ‚willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit‘ kompensiert werden können . Wenn wir träumen, ermöglicht das mentale Modell die Generierung einer mentalen Realität . Der Zusammenhang der verschiedenen Modalitäten und die Verknüpfung mit dem mentalen Modell ist in Abbildung 2 dargestellt . Bei unserer bisherigen Betrachtung des mentalen Modells wurde dieses, durch die gemischte bzw . virtuelle Realität, als unveränderbar angenommen . Diese Betrachtung ist natürlich nicht vollständig, da mit jeder Erfahrung, unabhängig davon, ob diese in der physischen, gemischten oder virtuellen Realität gemacht wird, auch das mentale Modell angepasst wird . Eine klare Trennung zwischen den Welten existiert nicht und so gibt es keinen Schalter im Gehirn, in dem hinterlegt wird, dass es sich um reale oder virtuelle Erfahrungen handelt . Bei anderen Medien ist man sich dessen eher bewusst: Eine Geschichte, die man im Kino sieht, wird eher nicht als selbst durchlebte Handlung gespeichert . Eine Metaanalyse von Parsons und Rizzo (2008) zeigt, dass VR, ähnlich wie reale Ereignisse, Schrecken auslösen kann . In einem Vergleich zwischen den zwei Sehbedingungen, HMD und Display, zeigten Kim et al . (2018), dass die Zuschauer, die den Horrorfilm mit HMD sahen, mehr Angst empfanden als die Zuschauer ohne HMD . Da die Veränderung im mentalen Modell oft unterbewusst

Abb. 3 Lernen in gemischten und virtuellen Realitäten anhand einer Abbildung und deren späteren Verwendung in der realen Anwendung

Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen

oder zumindest nicht beabsichtigt erfolgt, kann dies auch negative Langzeitauswirkungen haben . Beim Lernen soll diese Veränderung oder Erweiterung des mentalen Modells kontrolliert herbeigeführt werden . Das Ziel dabei ist in der virtuellen Umgebung für eine bestimmte Anwendung oder Aufgabe ein mentales Modell aufzubauen, welches dann in der physikalischen Umgebung, mit möglichst wenig Transferleistung, angewendet werden kann . Die spannende Frage ist nun, wie eine virtuelle Umgebung gestaltet sein muss, um die Bildung des mentalen Modells einer Anwendung, die in der physikalischen Umgebung angewendet werden soll, möglichst gut zu unterstützen . Hier gilt: gemischte und virtuelle Realität ist nicht gleich Realität! Und wie wir später noch ausführen werden, sollte diese Angleichung auch nicht zwingend das Ziel einer Lernanwendung sein . Wie in Abbildung 3 dargestellt, verändern sich beim Lernen in virtuellen Welten die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Realitäten und dem mentalen Modell . Während das mentale Modell zum Abgleich der Glaubwürdigkeit der virtuellen Inhalte dient, wird es durch die virtuelle Welt – gewollt oder ungewollt – auch angepasst . Das so veränderte mentale Modell wird nun auf die physische Realität angewendet . Oft wird dabei jedoch vernachlässigt, dass zwischen der virtuellen Abbildung und der realen Anwendung diverse Unterschiede existieren und somit das gebildete mentale Modell aus immersiven Umgebungen nicht direkt in der physischen Realität angewendet werden kann . Während wir in der bisherigen Argumentation noch keine Unterscheidung getroffen haben, ob das mentale Model für eine Aufgabe in der physikalischen oder virtuellen Umgebung gebildet und angewendet wird, wollen wir diese Unterscheidung jetzt einführen: Das mentale Model der virtuellen Abbildung wird anhand der virtuellen Umgebung gebildet und dort angewendet . Das mentale Model der realen Anwendung wird anhand der physischen Umgebung gebildet und dort angewendet . Soll über die virtuelle Abbildung Gelerntes in der Realität angewendet werden, so leitet sich das mentale Model der realen Anwendung aus dem mentalen Modell der virtuellen Abbildung und aus den bisherigen Erfahrungen realer Umgebungen ab und ist somit eine Interpolation und Interpretation . Gedanklich wird zum Bilden des mentalen Models der realen Anwendung z . B . die Bedienung über einen VR Controller in der virtuellen Umgebung in Handgesten übersetzt . Die virtuelle Abbildung stellt die reale Anwendung nicht eins-zu-eins dar und die gedankliche Transferleistung von den mentalen Modellen der virtuellen Abbildung auf das mentale Model der realen Anwendung ist nicht perfekt . Daher ist es unwahrscheinlich, dass das gebildete mentale Model der realen Anwendung a-priori hinreichend gut die Anwendung abdeckt . Aus diesem Grund muss das mentale Model der realen Anwendung während der anfänglichen Interaktion mit der Anwendung noch entsprechend adaptiert werden, um diese Differenzen auszugleichen . Die Überlappung zwischen den Umgebungen und den mentalen Modellen ist in Abbildung 4 dargestellt . Die beiden mentalen Modelle werden nicht komplett der Realität entsprechen, weshalb die Kreise auch hier nicht deckungsgleich und kleiner

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sind . Es gibt Bereiche einer Anwendung, die nie vollständig in einem mentalen Modell abgebildet werden . Auch gibt es Bereiche, in denen das mentale Modell von der Anwendung abweicht . Jedoch ist eine gewisse Überlappung ausreichend, um sinnvoll – anhand vom mentalen Modell – mit der Anwendung agieren zu können . Je nach Umsetzung einer Lernanwendung wird die korrekte Modellbildung begünstigt . Ist die Lernaufgabe z . B . raumzeitlicher Natur, können durch eine AR/VR Anwendung Raumkonstellation und deren Zusammenhänge relativ leicht in semantische Relationen eines mentalen Modells überführt werden (Schnotz, 2002) . Welche Auswirkungen die Abweichungen zwischen Realität und Virtualität haben könnten, zeigt sich z . B . in der Studie von Sportillo et al . (2015) . Hier wurde zwar die Leistung der Teilnehmer innerhalb des VR Trainings besser, aber nicht in der realen Welt .

Abb. 4 Überlappung zwischen den beiden mentalen Modellen sowie der realen Anwendung und der virtuellen Abbildung

Eine einfache Interpretation des in Abbildung 4 gezeigten Venn-Diagramms könnte nun bei virtuellen Lernanwendungen dazu führen, dass alle vier Kreisflächen (Anwendung, virtuelle Abbildung, mentales Model der realen Anwendung und mentales Model der virtuellen Abbildung) möglichst deckungsgleich sein sollten . Dies trifft sicher auf die beiden mentalen Modelle zu, jedoch gibt es Anwendungen, in denen gerade der Vorteil einer virtuellen Umgebung darin besteht, dass diese nicht identisch mit der Realität sind . So kann z . B . visuelle Ablenkung durch die Umgebung vermieden, eine Perspektive eingenommen, die in der Realität nicht möglich ist, oder Gefahrensituationen erlebt werden, ohne dass diese eine reale Gefährdung bedeuten . Welche Teile der AR/VR Anwendung mit der Realität übereinstimmen und welche davon abwei-

Besonderheiten beim Einsatz von immersiven Augmented und Virtual Reality Lernanwendungen

chen sollten, hängt natürlich von der Anwendung und dem Lernziel ab . Die Aufgabe sollte jedoch immer darin bestehen, durch die virtuelle Abbildung die Ausprägung des mentalen Modells der virtuellen Abbildung so zu gestalten, damit sich daraus ein möglichst gutes mentales Modell der Realität ableiten lässt . Da Abweichungen zwischen den beiden mentalen Modellen und der Realität nicht vermieden werden können, stellt sich die Frage, wie groß diese Abweichungen sein dürfen, um nicht zu Irritationen oder zum Zwang des Umlernens (was bekanntlich höheren Aufwand erfordert) zu führen . Diese sind natürlich nicht identisch in Bezug auf die Interaktion, Darstellung, Grad der Immersion, etc ., sondern müssen einzeln, in Abhängigkeit der Aufgabe, bestimmt werden . Hamstra et al . (2014) stellen in Bezug auf den in diesem Zusammenhang häufig verwendeten Begriff „Treue“ (engl . fidelity) fest, dass hier in der Literatur oft verschiedene zugrundeliegende Prinzipien gemeint sind, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Effizienz des Lernens haben können: So fanden sie z . B . heraus, dass die Art der visuellen Darstellung (Realitätstreue) i . d . R . geringen Einfluss, aber die Art der funktionellen Korrespondenz (Simulatortreue) einen unmittelbaren Einfluss auf das mentale Modell hat . Ist die Überlappung zwischen dem mentalen Modell der Virtualität und dem mentalen Modell der Realität zu klein, muss die Information einer Transformation unterworfen werden – entweder gedanklich (man weiß aus Erfahrung, dass das Objekt schwerer ist als in VR) oder erst in der Anwendung durch Abgleich mit der Realität . Problematisch wird dies, wenn wir uns in AR/ VR Umgebungen nicht mehr bewusst sind, dass es sich um eine Simulation handelt, denn hier kann es keine gedankliche Transformation mehr geben . Ein zu hohes Präsenz- bzw . Immersionsgefühl könnte sich somit, bei Abweichungen zwischen AR/VR und der Realität, somit sogar negativ auf den Lerneffekt auswirken . Im Kino oder vor dem Fernsehen sind wir uns eher bewusst, wo wir uns befinden und dass das Präsentierte nur eine Abbildung einer Fiktion oder der Wirklichkeit ist . In VR geht dieses verloren, man spricht hier von Präsenz – also dem Gefühl an einem anderen Ort zu sein . Gemessen werden kann dieser Transfer durch die Transfer Effectiveness Ratio (Roscoe 1971): TER=(XS-XR)/XS . Dabei wird bestimmt, inwiefern die in einem Simulator verbrachte Trainingszeit das Training verkürzen kann, wobei XS die Zeit oder die Anzahl der Versuche angibt, die erforderlich sind, um eine Person auf eine bestimmte Aufgabe zu trainieren . Der Parameter XR gibt die Zeit oder die Anzahl der Versuche an, die erforderlich sind, um eine Person, die bereits an einem Simulator trainiert hat, so zu trainieren, dass sie dieselbe Aufgabe auf dem gleichen Kompetenzniveau abschließt . Ein Transfer Effectiveness Ratio-Wert von 50 % zeigt also an, dass ein Training in der Simulation die Trainingszeit in der Realität um die Hälfte reduzieren kann . Um so höher dieser Wert liegt, um so „besser“ ist das virtuelle Training . Der Nachteil dieses Faktors ist, dass nicht alle Vergleiche in Zeit oder Turns sinnvoll oder möglich sind . Der möglichst genauen Abbildung der Realität widerspricht z . B . der höhere Freiheitsgrad, die ständige Anpassung des Ansichtsfensters aber auch die bewusste Reduzierung von Reizen in VR, um somit die kognitiven Ressourcen gezielt auf die

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Lernaufgabe zu lenken . Trotz zusätzlicher Transferleistung und höherer Abweichung zwischen Realität und Virtualität wäre so gegebenenfalls ein schnellerer Lernerfolg erreichbar . Die Argumentation hierfür liegt in dem Limited Capacity Modell begründet, wonach das Enkodieren, Speichern und Abrufen von Informationen simultane Prozesse sind, die kognitive Ressourcen benötigen, die dem Rezipienten aber nur begrenzt zur Verfügung stehen (Lang 2000) . Besteht somit eine zu hohe Reizdichte (visuelles Rauschen) oder werden die relevanten Informationen mit nicht relevanten Informationen überlagert, stehen nicht mehr ausreichende Ressourcen zum Speichern der Information zur Verfügung, da diese bereits an anderer Stelle belegt sind . Um Reibungsverluste möglichst zu minimieren ist ein Verständnis über mögliche Unterschiede und deren Auswirkungen unerlässlich . Stimmen die in der gemischten und virtuellen Realität gelernten Dinge nicht mit der physischen Realität überein, kommt es zu Irritationen, das mentale Modell muss abgeglichen und an die physische Realität angepasst werden . Diese möglichen Unterschiede wollen wir als nächstes behandeln . 3

Unterschiede zwischen der realen Anwendung und virtuellen Abbildung

In diesem Abschnitt gehen wir auf Unterschiede ein, die zwischen der realen Anwendung und der virtuellen Abbildung existieren . Dabei unterteilen wir technologiebedingte, konzeptionelle und didaktische Unterschiede . Während technologiebedingte Unterschiede durch Limitierungen vorhanden sind, die durch die technische Weiterentwicklung in den meisten Bereichen in naher Zukunft signifikant reduziert werden, bestehen konzeptionelle und didaktische Unterschiede, weil sie bewusst inszeniert sind . Technologiebedingte Unterschiede

Während die visuelle und auditive Wahrnehmung heute durch entsprechende Aktorik hinreichend gut getäuscht werden kann, ist dies in naher Zukunft weder bei der taktilen und olfaktorischen Wahrnehmung noch bei der Eigenwahrnehmung (Propriozeption, Gleichgewicht und Beschleunigung) ohne erheblichen Aufwand (z . B . physikalischer Nachbau der Umgebung, Bewegungsplattformen) möglich . Aus diesem Grund lassen sich aktuell nur bedingt realistische AR/VR Erfahrungen ermöglichen, bei denen Differenzen zwischen den Informationen der einzelnen Sinnesorgane nicht überwunden werden können . Solche Differenzen führen zu Irritationen und im ungünstigsten Fall zu Unwohlsein (Cyberkrankheit) . Um Irritationen vorzugreifen gilt es bestimmte Punkte in der Konzeption der AR/VR Anwendung zu beachten; z . B .

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Einschränkung des Gesichtsfeldes, Limitierung der Bewegungsrichtung und Bewegungsgeschwindigkeit . Große Differenzen zur Realität ergeben sich insbesondere in der fehlenden Haptik . Dadurch ist keinerlei physikalische Einschränkung möglich, Objekte können nicht gefasst werden und haben kein Gewicht, auch sind die Oberflächenstrukturen von Gegenständen nicht ertastbar (Hepperle und Wölfel 2017) . Der Einsatz von hand-hold Controllern oder fehlerhafter Freihandinteraktion durch trackingbedingte Einschränkungen (Finger sind je nach Position nicht für Sensorik sichtbar) verhindert eine natürliche Interaktion . Die Positions- und Lagebestimmung ist ungenau, hat eine hohe Latenz und Jitter (Louis 2019) . Bei erweiterten Realitäten kommen erschwerend die semantische Auswertung der Umgebung und die ungenaue Registrierung von virtuellen Objekten hinzu, welche neben Latenz und Jitter auch Verdeckung, Schatten und Farbverschiebung beinhalten . Konzeptionelle Unterschiede

Die Interaktion in virtuellen Umgebungen erfordert Strategien, die in der Realität entweder nicht benötigt werden oder nicht möglich sind . Zu den ersten zählt die Navigation in Menüs, etc ., um z . B . den aktuellen Systemzustand zu speichern . Zu Strategien, die nicht möglich sind aber die Bedienung in virtuellen Umgebungen erleichtern, gehören insbesondere die sogenannten „super-human“ Fähigkeiten . Hierzu gehören die Teleportation, das Fliegen oder das Manipulieren von Objekten über die Armreichweite hinaus . Auch die Steuerung über Sprachkommandos, die für bestimmte Interaktionen einen Vorteil gegenüber realistischeren 3D Freihandgesten haben, fällt in diesen Bereich (Hepperle et al . 2019) . In Situationen, die potentiell gefährlich sind, sollte das Verletzungsrisiko in virtuellen Umgebungen entsprechend verringert sein (warum Schmerz in manchen Situationen trotzdem sinnvoll ist, soll später noch ausgeführt werden) . Weitere Kriterien betreffen die Art der Visualisierung (Low Poly vs . High Poly, Realistisch vs . Comic-Stil, 360° vs . 3D) und die damit einhergehende Präsenzwirkung . Didaktische Unterschiede

Durch gemischte und virtuelle Realität können didaktische Konzepte umgesetzt werden, die in anderen Formen des analogen oder computergestützten Lernens, anhand eines 2D-Bildschirms, nicht realisierbar sind . Diese Unterschiede betrifft die Einbindung von Illusionen, die erst durch den Einsatz von AR/VR hervorzurufen werden können . Diese sind z . B . die Überlagerung von Informationen im Realraum, Perspektivenwechsel durch „body ownership illusion“ (Bertrand et al . 2018), Auswirkungen,

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die durch das Einnehmen einer bestimmten Distanz zu anderen Personen entstehen (Proxemik), durch Distanzillusion, Fokussierung der Aufmerksamkeit oder Reduzierung der Ablenkung durch Hervorheben oder Reduzierung bestimmter Bereiche der Umgebung . Des Weiteren gibt es Konzepte, die sich gut adaptieren lassen, aber auch in nicht immersiven Medien gut funktionieren . Neben den „Multimedia Principles“ von Mayer (2002) sind diese z . B . eine nicht egozentrische Perspektive (bird eye view), die Veränderung des Abbildungsmaßstabes, um z . B . durch die Blutbahnen des menschlichen Körpers zu fliegen, oder die bewusste Anpassung des Grads der Interaktivität, damit der Lernende nicht alle Handlungsschritte selbst durchführen muss und sich somit auf die Lernaufgabe konzentrieren kann, ohne dass der Kontext verloren geht (Zhang et al . 2019) . 4

Konsequenzen für AR/VR Lernanwendungen

Nachdem mögliche Unterschiede zwischen der realen Anwendung und virtuellen Abbildung herausgestellt wurden, gilt es einzelne Faktoren zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Aufgabenleistung, den Ausbildungstransfer und den Lernerfolg haben . Im Folgenden wollen wir uns die Intrinsische Motivation, Simulatortreue & Validität, Realitätstreue & Informationsdarstellung, Immersion & Präsenz, Verkörperungsillusion sowie Verletzungsrisiko  & Gefahrensituation und Tracking genauer anschauen und den Versuch unternehmen, daraus Handlungsempfehlungen für AR/VR Lernanwendungen abzuleiten . Die Ableitung von Handlungsempfehlungen ist insofern problematisch, da einzelne Faktoren nicht komplett unabhängig betrachtet werden können und sich somit in der Literatur viele Studien finden, die sich widersprechen oder zu widersprechen scheinen . So beeinflussen z . B . inhärente individuelle Fähigkeiten der Lernenden den Transfer der Lernanwendung stark, unabhängig davon, ob sie aus realen oder simulierten Quellen stammen (Blume et al . 2010) . Darüber hinaus sind die Modalitäten der Bereitstellung der virtuellen Ausbildung stark variierend in Bezug auf verwendete Technologie, mögliche Interaktionsgrade, Eingabe- und Ausgabemodalität und unterscheiden sich erheblich im didaktischen Konzept . Intrinsische Motivation

Lernerfolg wird signifikant durch die intrinsischen Faktoren des Individuums, wie Offenheit für IT, wahrgenommener Nutzen von AR/VR-Training und die Einstellung zum Lernen, beeinflusst (Wong et al . 2017) . Wie sich die Einstellung der Lernenden gegenüber immersiven Technologien, unabhängig von den gezeigten Inhalten, beurteilen lässt, ist eine schwierige Frage . Der aktuelle Forschungsstand (Chavez und

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Bayona 2018) benennt zwar zahlreiche Anwendungen, in denen die Verwendung von immersiven Technologien positive Auswirkungen auf die intrinsische Motivation der Probanden nachgewiesen sind, jedoch bleibt zumeist offen, ob die Immersion oder die hohe Attraktivität der Inhalte dafür verantwortlich ist . Auch bleibt unklar, ob die Motivation dem Neuigkeitswert des Mediums geschuldet ist und ob diese über die Zeit nachlässt . Da negative Erfahrungen in immersiven Umgebungen die Absicht reduzieren, solche Technologien auch zukünftig zu verwenden (Chun-Chia et al . 2020), ist es wichtig, dass mögliche Barrieren bei der Nutzung und negative AR/VR Erfahrungen – auch in anderem Kontext – sowie der übermäßige Einsatz von VR-Technologie vermieden werden . Die Umgebung und Technik sollten so gestaltet sein, dass sie als sicher empfunden werden, die Vielfalt der Nutzer berücksichtigt wird und körperliche Beschwerden vermieden werden . Dies kann z . B . erreicht werden, indem das HMD für die Nutzergruppe geeignet oder angepasst ist (gängige HMDs sind i . d . R . nicht für Kinder geeignet, da zu schwer und für größere Gesichtsformen optimiert), die Anwendung auf ungewohnte Körperhaltung überprüft und gegebenenfalls umgestaltet wird (Gorilla Arm Syndrom, siehe Hansberger et al . 2017) und auf schnelle Kamerafahrten verzichtet wird . Im (semi) öffentlichen Raum kann das Sicherheitsgefühl erhöht werden, indem auf eine Abgrenzung des Raums oder Einschränkung der Sicht von Zuschauern geachtet wird . Auch sollten keine Kabel herumliegen oder hängen . Durch einen zusätzlichen Monitor, durch den zuvor verfolgt werden kann, was man in AR/VR erleben wird, reduziert man das Gefühl, in das Unbekannte gestürzt zu werden . In Anlehnung an Erfahrungen aus immersiven Unterhaltungsmedien (Wölfel et al . 2020) kann die Transition ‚zwischen den Welten‘ durch ein entsprechendes Onboarding und gegebenenfalls Offboarding, auch außerhalb der simulierten Welt, die Gesamterfahrung verbessern . Simulatortreue & Validität

Oft gelingt es Simulationen nicht, die Interaktion eins-zu-eins in die virtuelle Umgebung zu übertragen . Die Simulatortreue (engl . simulator fidelity) definiert den Grad, in dem die Interaktion durch die Simulation nachgebildet wird . Dabei ist es schwer abzuschätzen, wie sich eine geringe Simulatortreue, z . B . durch die Verwendung von Controller oder Freihandinteraktion ohne Haptik auf die spätere Anwendung in der Realität auswirkt . Probleme, die in der Realität auftreten können, sind eine falsche Einschätzung des Angebotscharakters (engl . affordance), Gewichtsdifferenzen oder Abweichungen der eintrainierten Bewegungsabläufe . Daher können sich Differenzen zwischen der Validität, hier definiert als die Wirksamkeit des Wissenstransfers einer Lernanwendung, innerhalb der virtuellen Umgebung und der späteren Anwendung in der Realität ergeben . Daher sind zu unterscheiden die interne Validität, d . h . die Wirk-

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samkeit der Verwendung innerhalb der immersiven Umgebung während des Lernvorgangs, als auch die externe Validität, d . h . die Fähigkeit der Teilnehmer, die erworbenen Fähigkeiten in einer realen Anwendung zu reproduzieren . Dass die Verbesserung der Leistung innerhalb einer AR/VR Lernanwendung nicht zwangsläufig auch zu einer Verbesserung in der realen Anwendung führt, wurde z . B . in der Studie von Sportillo et al . (2015) belegt: Versuchsteilnehmer konnten zwar anhand der virtuellen Abbildung in der immersiven Umgebung ihre Leistung bei einer Montageaufgabe verbessern, jedoch kam es dadurch nicht zu einer besseren Leistung der gleichen Montageaufgabe in der realen Welt . Welchen Einfluss das Eingabegerät in VR auf das Erlernen einer Umgebung haben kann, verglichen Larrue et al . (2014): bei ihrer Evaluation einer Wegfindungsaufgabe in der realen Umgebung konnte kein signifikanter Unterschied zwischen dem VR Training am Laufband mit Rotation und realer Umgebung festgestellt werden, jedoch waren die Ergebnisse von Joystick sowie Laufband ohne Rotation schlechter . Jung und Ahn (2018) untersuchten die Übertragbarkeit von zwei Aspekten von Fertigkeiten: prozedurales Wissen und technische Fertigkeiten . Während das Interface beim prozeduralen Wissen keinen signifikanten Unterschied machte, gab es einen signifikanten Effekt für technische Fertigkeiten bei einer post-hoc Evaluation in der realen Umgebung: Hier war ein HMD mit Freihandgesteninteraktion einem HMD mit Joystickinteraktion überlegen . Wie gerade dargelegt, hat die Simulatortreue einen entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg der realen Anwendung . Um so geringer die Simulatortreue ist, um so unwahrscheinlicher ist die externe Validität gegeben . Somit sollte, insbesondere bei geringer Simulatortreue, der Nachweis geführt werden, dass die AR/VR Anwendung zum gewünschten Effekt in der realen Anwendung führt . Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Maßnahme wertlos ist oder im ungünstigsten Fall sogar einen negativen Effekt haben kann . Realitätstreue & Informationsdarstellung

AR/VR ermöglicht eine erweiterte bzw . veränderte Darstellung von Informationen, Sachverhalten und Umgebung . Die Repräsentation kann auf verschiedene Weisen und Modalitäten erfolgen und unterscheidet sich in ihrer Effizienz . Die Realitätstreue definiert den Grad, in dem die auditive und (in Lernanwendungen primär) visuelle Darstellung der Realität nachempfunden ist . Eine realitätsgetreue Darstellung erscheint zunächst naheliegend . So wird für Trainingssimulatoren oft argumentiert, dass eine verbesserte Realitätstreue zu besseren Lernergebnissen führt . Jedoch gibt es auch Argumente dagegen: so können abstraktere Darstellungen oder die Reduzierung vom Detailgrad unter Umständen die bessere Wahl sein, beispielsweise indem ein hoher Realismusgrad nur auf ausgewählte Elemente angewendet wird . Studien zeigen, dass schematisierte Illustrationen verständlicher sein können als Fotografien (Dwyer,

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1978) . Eine zu realistische Darstellung komplexer Umgebungen kann den Lernenden verwirren (National Research Council 1994) oder von der eigentlichen Aufgabe ablenken . So berichteten Teilnehmer der Studie von Moesgaard et al . (2015), dass sie von der virtuellen Umgebung so begeistert waren, dass sie relevante Informationen, die ihnen präsentiert wurden, nicht wahrgenommen haben . Auch existieren in 3D Darstellungsprobleme, die in 2D nicht vorkommen, diese sind z . B . Verdeckung, Verzerrung oder Skalierung – diese wirken sich insbesondere auf die Lesbarkeit von Schrift negativ aus . Eventuell ist es sogar sinnvoll, teilweise auf eine visuelle Darstellung zu verzichten . So verglichen Moesgaard et al . (2015) zwei Varianten einer HMD-basierten Lernerfahrung, einmal als Voice-Over vorgetragen und zum anderen als Dialog . Ihre Ergebnisse deuteten darauf hin, dass Voice-Over besser für die Erinnerung an Faktenwissen ist, während der Dialog besser für das Verständnis von Verbindungen zwischen Phänomenen geeignet scheint . Lee et al . (2019) verglichen Texte und Objekte mit einem Avatar, um Anweisungen zu beschreiben bzw . zu demonstrieren . Je nach Aufgabe unterscheiden sich hier die Ergebnisse . Die Präsentation von Informationen durch Texte und Objekte schnitt im Durchschnitt besser ab . Somit ist abzuwägen, in welcher Form Informationen präsentiert werden und ob teilweise auf eine 3D Darstellung verzichtet werden sollte . Bei der Einblendung von Zusatzinformationen, die sich nicht nahtlos in die 3D Umgebung integrieren (z . B . in Form eines Overlays von Text oder Grafik), sollte darauf geachtet werden, dass diese nicht immersionshindernd wirken, relevante Information nicht verdeckt und gute Lesbarkeit (Größe, Kontrast, Orientierung) gegeben ist . Eine höhere Realitätstreue unterstützt nicht zwingend das Lernen und es sollte vermieden werden, dass dadurch keine zusätzliche Ablenkung entsteht . Eine höhere Realitätstreue mag aber durchaus zu einer höheren intrinsischen Motivation beitragen . 5

Immersion & Präsenz

Interaktivität und Echtzeit sind innerhalb von virtuellen (nicht immersiven) Lernumgebungen gut erforschte Faktoren . Inwieweit Immersion und Präsenz den Lernerfolg unterstützen, ist weitaus seltener erforscht . Jedoch werden sie als lernbegünstigender Faktor angesehen . So argumentierte Dede bereits 2009, dass das Eintauchen in den Inhalt einer Erfahrung starke semantische und psychologische Assoziationen auslöst und Lernen auf mindestens drei Arten verbessert: die Möglichkeit mehrere Perspektiven einzunehmen, das situierte Lernen und der Transfer . Innerhalb einer Metaanalyse konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den Leistungsniveaus nach dem Training und der Immersion nachgewiesen werden (Kaplan et al . 2020) . Jedoch deuten Ergebnisse von Pollard (2020) darauf hin, dass verschiedene Stufen der Immersion für mehr oder weniger kognitiv komplexe Arten des räumlichen Lernens besser geeignet sein könnten . Grassini et al . (2020) verglichen das

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Lernen durch Schauen eines Videos am Monitor mit dem Nachbauen in einer virtuellen Umgebung unter Verwendung von Joypads und HMD . Nach der Schulungssitzung führten die Teilnehmer die trainierte Aufgabe in einer realen Umgebung aus, wobei die Aufgabenleistung gemessen wurde . Hier war der gemessene Unterschied nicht signifikant, jedoch weisen die Autoren darauf hin, dass ein hohes Präsenzgefühl während der VR-Simulation zum verstärkten Erlernen von Fähigkeiten beitragen könnte . Ob jedoch die aktivere körperliche Tätigkeit hier der maßgebende Ausschlag ist, bleibt ungewiss, diese trägt i . d . R . auch zu einer höheren Präsenzgefühl bei . Das Argument gegen eine hohe Immersion für Lernanwendungen liegt in dem Nachteil begründet, dass die immersive Darstellung auch erhöhte Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis des Lernenden stellt, indem interessante, aber für das Lernen unwichtige (visuelle) Informationen mit einbezogen werden (Schrader und Bastiaens 2012) . Die Lernenden müssen somit ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Handlungsablauf und den zu lernenden Informationen aufteilen . Ein weiterer positiver Effekt von Immersion könnte sein, dass Studienteilnehmer im immersivsten System freiwillig mehr Zeit für die Lernaufgabe investieren, siehe z . B . die Studie von Alhalabi (2016), in der HMD, CAVE und Desktop miteinander verglichen wurden . Eine pauschale Einordnung fällt somit schwer, da es letzten Endes darauf ankommt, was und mit welcher Strategie gelernt werden soll . Daraus leitet sich ab, dass eine möglichst hohe Immersion nicht zwingend angestrebt werden sollte, sondern andere Faktoren wahrscheinlich entscheidender für den Erfolg der Lernanwendung sind . Verkörperungsillusion

Slater (2017) untersuchte, wie die Verkörperungsillusion (body ownership illuison) für die Anwendung von VR in der Bildung nützlich sein kann . Diese kann auftreten, wenn der Teilnehmer aus der Ego-Perspektive einen lebensgroßen virtuellen Körper sieht, der seinen eigenen ersetzt und sich synchron mit dem realen Körper des Teilnehmers bewegt . Diese Illusion, dass der virtuelle Körper der tatsächliche Körper ist, kann genutzt werden, um implizit zu Veränderungen von Einstellungen, Wahrnehmung und Kognition sowie zu Verhaltensänderungen zu führen . Dieser Effekt tritt auf, weil man sich in der Simulation selbst betroffen fühlt, z . B . man sitzt selbst in der immersiven Umgebung im Rollstuhl und hat Probleme sich in der Umgebung wegen Barrieren fortzubewegen oder man wird von anderen Menschen diskriminiert . Durch diese Erfahrung kann die Empathie für diskriminierte Gruppen nachhaltig wachsen . Die Verkörperungsillusion als didaktisches Mittel ist immer dann in Betracht zu ziehen, wenn Effekte vermittelt oder erfahrbar gemacht werden sollen, die aufgrund von Aussehen, Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Behinderung auftreten .

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Verletzungsrisiko & Gefahrensituation

Wie zuvor beschrieben, ermöglichen virtuelle Umgebungen Situationen zu durchleben, ohne die Gefahr einzugehen, sich zu verletzen oder sogar sein Leben zu riskieren . Die Bedeutung von potentiellen Gefahrensituationen in VR zur Behandlung von verschiedenen Arten von Phobie ist anerkannt (Parsons und Rizzo 2008) . Dabei wird realer Schrecken in einer simulierten VR-Umgebung ausgelöst, jedoch ohne tatsächlich einer Bedrohung ausgesetzt zu sein . Dies birgt jedoch das Risiko in der virtuellen Welt risikobehaftetere Strategien einzugehen und zu verinnerlichen, die dann in der Realität Anwendung finden . So zeigten Wölfel und Schubert (2018), dass Entscheidungen innerhalb von VR unterschiedlich getroffen werden, wenn man sich einer potentiellen Gefahr (realer Stromschlag) aussetzt oder die Gewissheit besteht, dass diese Gefahr in der Simulation nicht existiert . Wie bildet sich ein mentales Modell aus, wenn z . B . in einer Dachdeckersimulation X-mal vom Dach gefallen wird, ohne dabei Schmerzen zu empfinden? Verhält man sich dann gegebenenfalls auf einem realen Dach leichtsinniger oder weniger risikobewusst als wenn die Simulation schmerzhaft gewesen wäre? Für solche Anwendungen, die in der Realität zu einem Verhalten anregen könnten, die zu potentiellen Verletzungen führen, sollte zwingend überprüft werden, ob in der simulierten Welt keine falschen Strategien gelernt werden, die in der realen Welt zu einem risikobehafteteren Verhalten verleiten . Tracking

Der Zusammenhang der Latenz zwischen der Eingabe eines Benutzers und dem visuellen Feedback in der VR-Umgebung ist bereits gut untersucht . So hat eine zu hohe Latenz erheblichen Einfluss auf das Benutzererlebnis, das Wohlbefinden und die erbrachte Leistung . So zeigen Caserman et al . (2019), dass eine End-zu-End-Latenzzeit von über 63 ms signifikante Symptome der Cyberkrankheit hervorruft und die Benutzerleistung mit zunehmender Verzögerung abnimmt . Bei einer Latenz von über 69 ms benötigen die Benutzer deutlich länger, um die Aufgabe in VR zu erledigen . Nabiyouni et al . (2017) untersuchten den Einfluss der Latenz auf die Aufgabenausführung bei AR-Trainingsaufgaben . Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Anwender deutlich besser abschneiden, wenn die Latenzen von virtueller und realer Welt aufeinander abgestimmt sind . Toothman und Neff (2019) untersuchten den Trackingfehler des Anwenders . Sie stellten fest, dass bestimmte Formen von Fehlern sich stark auf die wahrgenommene Nutzbarkeit auswirken . Es sollte somit darauf geachtet werden, ob die Genauigkeit des Trackings für die Lernanwendung hinreichend gut ist und die Systemlatenz von 60 ms zu keiner Zeit überschritten wird . Im Idealfall ist die Systemlatenz kleiner als 20 ms .

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Zusammenfassung

Gemischte und virtuelle Realitäten sind inzwischen ein häufig verwendetes Werkzeug in der Aus- und Weiterbildung . Dennoch ist die Effizienz von solchen Anwendungen nicht systematisch getestet worden . Dies betrifft insbesondere die interne und externe Validität, die evaluiert werden sollte, bevor eine virtuelle Umgebung im Lernen verwendet werden kann, um sicherzustellen, dass die Lerninhalte auch richtig vermittelt und verinnerlicht werden . In zahlreichen Studien aus unterschiedlichen Bereichen ist jedoch bestätigt worden, dass erweiterte und virtuelle Realitäten oft zeit- und kostensparende und auch ebenso wirksame Schulungsmechanismen sein können wie allgemein anerkannte Methoden . Dies bedeutet, dass immersive Medien bereits heute die reale Umgebung „ähnlich genug“ abbilden, so dass der Transfer effektiv stattfinden kann . Es kann daher abgeleitet werden, dass eine negative Transferleistung nach einem AR oder VR-basierten Training nicht prinzipiell auf das Medium selbst zurückzuführen ist, sondern auf eine nicht optimale Umsetzung oder die Bereitschaft des Lernenden . Die bestehenden Vorteile von AR/VR-Trainings überwiegen bereits heute die potenziellen Nachteile in vielen Anwendungsbereichen . Eine weitere Steigerung der Effektivität ist möglich, wenn ein besseres Verständnis für die Wirkungsweisen entwickelt wird . Diesem stehen sich wiedersprechende Resultate bei bereits evaluierten AR/VR Lernanwendungen gegenüber, weshalb offen bleibt, welche Faktoren in welchem Maß für den Wissenstransfer entscheidend sind . Dies weist auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hin, die Faktoren identifiziert und didaktische Konzepte entwickelt, um die Effizienz von AR/VR Anwendungen für einen authentischen Bildungs- oder Ausbildungskontext zu begünstigen . Lernende denken sehr positiv über den Einsatz von AR/VR, jedoch gibt es immer noch erhebliche Barrieren für den Einsatz, insbesondere im Hinblick auf das Wohlbefinden, technische Einschränkungen von Peripheriegeräten und didaktische Konzepte . Aus den gerade erörterten Gründen ist die Frage also nicht, ob AR/VR nützlich für Lernanwendungen sein kann, sondern ob eine bestimmte Lernaufgabe durch diese Technologie nutzbringend umgesetzt werden kann und ob sich der Aufwand und die Kosten für die Umsetzung rechtfertigen lassen . Da das letztendliche Ziel einer Ausbildung im virtuellen Raum ist das dort erworbene Wissen in der realen Welt anzuwenden, sollte insbesondere das Lernen von falschen Strategien vermieden werden . Um dies zu vermeiden, wurden Faktoren analysiert, auf die bei immersiven Lernanwendungen geachtet werden sollte .

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Zur Person: Matthias Wölfel ist Professor für Intuitive und Perzeptive Benutzungsschnittstellen

an der Hochschule Karlsruhe und Assoziierter Professor an der Universität Hohenheim . Seine Forschungsinteressen umfassen die Mensch-Maschine und Mensch-Maschine-MenschInteraktion, Künstliche Intelligenz, Augmented- und Virtual Reality sowie Digitale Kultur . Prof. Dr. Matthias Wölfel

Hochschule Karlsruhe, Fakultät Informatik und Wirtschaftsinformatik, assoziiert an der Universität Hohenheim, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Moltkestraße 30, 76133 Karlsruhe, Deutschland, matthias .woelfel@h-ka .de

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Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung Ein Kommentar zu Teil B des Beihefts JürGen SeifrieD / hubert ertl

Directions of research on artificial intelligence in vocational education and training A comment on Part B of the special issue

Die Arbeitswelt und damit auch die Berufsbildung sind aktuell starken Veränderungen ausgesetzt, die durch die Covid19-Pandemie und deren Folgen noch verschärft bzw . beschleunigt werden . Als zentraler Treiber der Entwicklung kann dabei die Digitalisierung gelten . Dabei ist die Digitalisierung kein neues Phänomen, die technologische Entwicklung hat allerdings deutlich an Fahrt aufgenommen . Hinzu kommt, dass Unternehmen zunehmend bereit sind, ihre Unternehmenskultur zu modifizieren, so dass die Arbeitswelt sich in vielfältiger Weise verändert . Einig ist man sich darin, dass im Zuge der technologischen Entwicklungen (1) neue Anforderungen an Mitarbeitende gestellt werden und sich somit Berufe/Berufsbilder verändern sowie (2) veränderte Qualifikationsprozesse notwendig sind, um die für die Bewältigung und Mitgestaltung der zukünftigen Anforderungen notwendigen Kompetenzen zu fördern . Im reichen Spektrum der technologischen Änderungen wird insbesondere KI-Anwendungen Potenzial beigemessen . Im produzierenden Gewerbe verändert die Integration von cyber-physischen Systeme industrielle Prozesse in fundamentaler Weise und eröffnet vielfältige Möglichkeiten bezüglich der Generierung von Produkten und Dienstleistungen (Becker, Spöttl  & Windelband, in diesem Band; Wilbers, in diesem Band) . Und nicht nur im Pflegesektor setzt man u . a . auf humanoide Roboter (Bendel, in diesem Band), die soziale Interaktionen simulieren und zwischenmenschliche Kontakte ersetzen können . Allerdings stecken KI-Anwendungen – mit Blick auf die Berufsbildung – noch in den Kinderschuhen . In ihrem Editorial bescheinigen Seufert, Guggemos und Ifenthaler diesen ein „eng begrenztes Anwendungsfeld“ . Vor diesem Hintergrund

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JÜRGEN SEIFRIED / HUBERT ERTL

verfolgt das hier vorliegende Beiheft der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik die Zielsetzung einer kritischen Reflektion der Auswirkungen der KI auf die berufliche Bildung, und zwar in zweierlei Hinsicht: (1) Analyse der Auswirkung der KI auf Berufsfelder und -bilder (siehe den Kommentar von Hubert Ertl und Jürgen Seifried am Ende von Teil A des Beihefts) sowie mit Blick auf verschiedene Forschungsrichtungen in der beruflichen Bildung . In diesem Kommentar wenden wir uns nun den Beiträgen des Teils B des Beihefts zu, in denen verschiedene Forschungsansätze zu KI-Anwendungen in der beruflichen Bildung thematisiert werden . In Tabelle 1 listen wir mögliche Kriterien auf, anhand derer sich die Beiträge prinzipiell verorten lassen . Dies sind im Einzelnen: – Die Art der thematisierten KI-Anwendung (Bitkom, 2018, siehe auch das Editorial von Seufert, Guggemos und Ifenthaler in diesem Band); – die Domäne bzw . das Berufsfeld; – der Lernort (bzw . eine Kombination der Lernorte) sowie die Thematik der Lernortkooperation; – die Ebene des Bildungssystems (Mikro, Meso- und Makroebene, siehe z . B . Gonon, 2008) sowie – die Verortung der Thematik innerhalb der C-I-A-Triade (Curriculum, Instruction, Assessment) (Pellegrino, 2010, siehe auch Achtenhagen, 2012) bzw . der Komponenten des Constructice Alignments (Biggs & Tang, 2011; Trigwell & Prosser, 2014) . Tabelle 1 Kategorien zur Verortung der Beiträge KI-Anwendung − Assess/ Wahrnehmen (u. a. Erkennen, Analysieren) → Diagnose − Infer/Lernen (u. a. Vorher-sagen, Erklären, Planen, Entscheidungen treffen) → Lernwege planen − Respond/Handeln (u. a. Steuern von Systemen und Maschinen) → Steuern/Ausführen von didaktischen Handlungen

Domäne/Sektor

Lernort

− Kaufmännischverwaltend − Gewerblichtechnisch − Pflege/personenbezogene Dienstleistungen

− Schule − Betrieb − Überbetriebliche Lernorte

Systemebene − Mikro − Meso − Makro

C-I-A/Constructive Alignment − Curriculum/ Lernziele − Lehr-Lernprozesse − Assessment/ Evaluation

Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung

Im Folgenden nehmen wir auf der Folie der in Tabelle 1 aufgezeigten Kategorisierung kurz Stellung zu den verschiedenen Beiträgen . Matthias Söllner, Andreas Janson, Roman Rietsche und Marian Thiel De Gafenco beschäftigen sich mit der Kombination menschlicher und maschineller Intelligenz (Hybrid Intelligence: HI) . Aus einer vornehmlich technischen sowie domänenübergreifenden Perspektive wird der Versuch unternommen, HI für die berufliche Bildung nutzbar zu machen, und zwar im Hinblick auf die Individualisierung der Lehr-Lernprozesse beim selbstgesteuerten Lernen (Mikroebene) . Die Grundthese ist, dass Lernende durch HI individuell in ihren Lernprozessen unterstützt werden können . Allerdings verweisen die Autor*innen auf bisher fehlende Erfahrungen aus der beruflichen Bildung . In Analogie zu den Möglichkeiten, KI- und HI-Anwendungen zur Unterstützung von Mediziner*innen bei der Diagnose einzusetzen, sollte es auch möglich sein, entsprechende Systeme zur Lerndiagnose und darauf aufbauend zur Unterstützung des Lernens zu nutzen . Scaffolding/Coaching und Fading sollten so passgenau erfolgen können, und zwar unabhängig von der Anzahl der Lernenden, die eine Lehrperson betreut . Zudem könnten mittels Sensoren auch Befindlichkeiten der Lernenden erfasst werden, die der menschlichen Wahrnehmung nicht oder nur schwer zugänglich sind . Vor diesem Hintergrund versprechen Ansätze, die KI-Elemente in die Lernprozesse integrieren, einen Mehrwert . Die Autor*innen konzentrieren sich in ihren Ausführungen auf den berufsschulischen Unterricht; allerdings können u . E . die Darstellungen für viele Lehr-Lernsettings Gültigkeit beanspruchen . Dabei beziehen sie ihre Analyse auf die Potenziale von HI bei der Generierung von Informationen über Lernende sowie die Vorbereitung von didaktischen Handlungen der Lehrperson . Die Analyse erfolgt unter Zugrundelegung des Modells des selbstregulierten Lernens von Zimmerman und Campillo (2003) . Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass HI in den unterschiedlichen Phasen des Lernprozesses (Forethought, Performance, Self Reflection) dienlich sein kann . In der Vorbereitungsphase leisten Daten der Vergangenheit über individuelle Bedürfnisse und Herausforderungen sowie die Erfassung der emotionalen Befindlichkeit sowie der Lernmotivation gute Dienste, um individuelle Lernpfade anzulegen sowie Lerngruppen zu bilden . In der Durchführungsphase kann dann beispielsweise – datengestützt – „just-in-time“ individuell passend eine Hilfestellung gegeben (Scaffolding) oder zurückgefahren (Fading) werden . Die individualisierte, graduelle Übergabe der Lernverantwortung an die Lernenden ist – die Verfügbarkeit von zuverlässigen Daten zu den Lernprozessen sowie Lernfortschritten vorausgesetzt  – bei entsprechender technischer Unterstützung daher einfacher realisierbar als in klassischen Settings . In der Nachbereitungsphase eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für zeitnahes und individuelles Feedback . Neben den skizzierten Potenzialen verweisen die Autor*innen auch auf die Grenzen entsprechender Technologien . Hier sind u . a . das Vertrauen in die Nachvollziehbarkeit der vom

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JÜRGEN SEIFRIED / HUBERT ERTL

System getroffenen Entscheidungen sowie die Qualität der verfügbaren Daten zu nennen . Der Beitrag von Sabine Seufert und Josef Guggemos fokussiert den Einsatz von KI bei der Zusammenarbeit der verschiedenen Lernorte in der beruflichen Bildung . Unumstritten ist, dass eine gelungene Lernortkooperation als ein zentraler Erfolgsfaktor der dualen Erstausbildung (aber auch anderer dualer Bildungsgänge) gilt (siehe hierzu u . a . Aprea, Sappa & Tenberg, 2020) . Die Autor*innen erörtern in ihrem Beitrag, wie die Implementation von KI Lernortkooperationen unterstützen kann . Hierzu berichten sie über Erkenntnisse, die in zwei Projekten – FUTURE MEM und Zukunftsmodelle LOK – gewonnen wurden . Analysiert wird der Einsatz von KI auf Makro- (Fokus: Arbeitsmarkt und Bildungspolitik), Meso- (Fokus: Akteure der Berufsbildungssystems) und Mikroebene (Fokus: schulische und betriebliche LehrLernprozesse) und unter Bezug auf die DACH-Staaten (vornehmlich die Schweiz und Deutschland) . Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Mikroebene . Hier wird ein sogenanntes „konnektives Modell der Verknüpfung von Lern- und Arbeitskontexten“ vorgeschlagen, das den Autor*innen als normative Grundlage dient . Im weiteren Verlauf des Beitrags stehen dann drei Entwicklungslinien im Mittelpunkt: (1) Learning Analytics zur Unterstützung der lernortintegrierenden Kompetenzentwicklung; (2) Educational Data Mining zur Gestaltung von (teil-)automatisierten Bildungsprozessen sowie (3) KI-basierte Arbeits- und Lernumgebungen sowie KI-basierte Mediatoren . Die drei Entwicklungslinien thematisieren bekannte Ansätze, bieten mit Blick auf die LOK aber vielfältige Anknüpfungspunkte . Interessant sind hier insbesondere Überlegungen dazu, wie die diskutierten Perspektiven zusammenwirken und in ein digitales Ökosystem überführt werden können . Dirk Ifenthaler und Jane Yin-Kim Yau verfolgen in ihrem Beitrag die Frage, welche Effekte Learning Analytics für die Unterstützung von Lernprozessen und Lernerfolg in sich bergen . Hierzu werden aus insgesamt 6 .200 gesichteten Studien 46 Untersuchungen ausgewählt, die die Thematik mit Blick auf den Lernerfolg fokussieren . Es erscheint zielführend, dass (1) Lernerfolg umfassend interpretiert wird und (2)  die Autor*innen zudem Möglichkeiten von Learning Analytics zur Unterstützung von Lernprozessen thematisieren . Es werden somit Aspekte der formativen und summativen Evaluation angesprochen . Das Verhältnis der Anzahl der Beiträge der Grundgesamtheit zu den „Schlüsselbeiträgen“ lässt vermuten, dass in den Arbeiten zu Learning Analytics selten Daten zum Lernerfolg erfasst werden bzw . erfasst werden können (u . a . aus Gründen des Datenschutzes) . Zudem heben die Autor*innen hervor, dass die Thematik in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik noch nicht vertieft verfolgt wurde . Dies verweist auf einen weiterhin hohen Forschungsbedarf, um hier insbesondere für die Berufsbildung mehr Evidenz zu erzeugen, von der wiederum zu erwartende Entwicklungen und wirkungsvolle Handlungsempfehlungen abgeleitet werden könnten . Etwas unbefriedigend ist in diesem Kontext insbesondere, dass zu den Effekten von Learning Analytics Interventionen noch wenig bekannt ist . Es ist

Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung

daher unmittelbar nachvollziehbar, dass auf dieser Basis lediglich recht allgemein gehaltene Handlungsempfehlungen gegeben werden können (die sicher nicht nur für die Berufsbildung Gültigkeit beanspruchen können), die sich in erster Linie auf den Auf- und Ausbau von Learning Analytics-Systemen beziehen . Florian Berding, Heike Jahncke und Kathrin Holt untersuchen den Einsatz von Learning Analytics unter Nutzung von KI exemplarisch für zwei Bereiche, nämlich (1) zu Grundvorstellungen im Rechnungswesen sowie (2) zur (Selbst-) Reflexionskompetenz . Dafür greifen die Autor*innen auf Datenmaterial vergangener Studien zurück (450 schriftliche Ausarbeitungen von Lernenden zu rechnungswesenbezogenen Grundvorstellungen sowie 275 schriftliche Reflexionen von Studierenden der Wirtschaftspädagogik) und überprüfen, inwiefern sich mittels Learning Analytics Texte analysieren und didaktisch einordnen lassen . Die KI-unterstützte Inhaltsanalyse zeigt insbesondere für das zweite Anwendungsbeispiel ernüchternde Befunde . Nach Aussage der Autor*innen ist es derzeit (noch) nicht möglich, Konstrukte wie Reflexionskompetenz im Rahmen von Inhaltsanalysen hinreichend genau zu erfassen . Hier gelingt es bei maschinellen Verfahren nicht hinreichend gut, Kontextinformationen zu verarbeiten . Besser fallen die Ergebnisse für das Rechnungswesen (Grundvorstellungen) aus, da hier die Auswertung stärker an den konkreten Wortlaut ausgerichtet werden kann . Aber auch hier wird selten die Güte eines menschlichen Ratings erreicht oder übertroffen . Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Beitrag einen vertieften Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der KI-Anwendung in diesem Segment gibt . Er enthält viele Detail-Informationen, die sich als hilfreich für weiterführende Studien in diesem Bereich erweisen sollten . Insbesondere die Diskussion der Befunde liefert hier wichtige Ansatzpunkte für weiterführende Forschungsarbeiten . Auch die Empfehlungen für die Forschungs- sowie Lehrpraxis sind lesenswert . Susan Beudt und Niels Pinkwart beleuchten in ihrem Beitrag Chancen und Herausforderungen des Einsatzes KI-basierter Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderung . Mit Blick auf die berufliche Rehabilitation werden die Potenziale menschenzentrierter KI-Systeme für die spezifische Zielgruppe herausgearbeitet . Hier wird insbesondere auf die durch KI-Anwendungen realisierbare nutzeradaptiven Unterstützungsleistungen abgehoben . Neben individuellen Dispositionen werden auch organisationale Faktoren in die Analyse einbezogen, so dass der Beitrag einen fundierten Überblick über das dynamische Feld möglicherweise geeigneter KI-Technologien bietet . Teil B des vorliegenden Beihefts wird durch einen Beitrag von Matthias Wölfel abgeschlossen, der sich der Diskussion der Potenziale von Augmented und Virtual Reality-Anwendungen widmet . Der Autor stellt heraus, dass ein besseres Verständnis für immersive Technologien benötigt wird, um diese letztlich auch lernwirksam einsetzen zu können . Insbesondere wird hervorgehoben, welche Lernziele mit AR und VRTechnologien erreicht werden können (und welche eben nicht) . Zudem werden auf die Möglichkeit des Misslingens des Lerntransfers von der virtuellen in die reale Welt

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JÜRGEN SEIFRIED / HUBERT ERTL

verwiesen und aus drei Perspektiven (technologiebedingt, konzeptionell und didaktisch) Unterschiede zwischen der realen Anwendung und der virtuellen Abbildung herausgearbeitet . Mit Blick auf die Gestaltung von Lernumgebungen sind dann insbesondere jene Ausführungen hilfreich, die sich mit den Bedingungen für Lernerfolg befassen (u . a . intrinsische Motivation, Validität, Art der Informationsdarstellung) . Besonderer Stellenwert wird dabei der Frage nach der Bedeutung von Immersion und Präsenz für den Lernerfolg (leider wird nicht näher spezifiziert, wie Lernerfolg gefasst wird) eingeräumt . Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die im Teil B des vorliegenden Beihefts versammelten Beiträge decken ein breites Spektrum ab und geben vielfältige Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen von verschiedenen KI-Anwendungen in der (Berufs-)Bildungspraxis . Sie ergänzen die in Teil A diskutierten Aspekte in vielfältiger Weise und zeigen auf, wie die (Berufs-)Bildung den veränderten Qualifikationsanforderungen begegnen kann . Erfreulich ist zudem, dass man einiges über das Potenzial von KI für die Gestaltung der Lehr-Lernprozesse erfährt . Kritisch könnte man jedoch anmerken, dass Beiträge überwiegend als Überblicksarbeiten ausgestaltet sind . Damit wird den Leser*innen zwar durchaus eine gute Übersicht über die jeweilige Thematik geboten . Wichtig wäre es jedoch, die jeweils thematisierten KI-Anwendungen auf ganz konkrete Anwendungsfelder herunterzubrechen . Zweifelsohne ist dies angesichts der noch geringen Verbreitung der KI-Anwendungen in der Berufsbildungspraxis zum aktuellen Zeitpunkt noch schwer zu leisten . Aus unserer Sicht muss der Hebel aber genau hier ansetzen, um den Transfer in die Berufsbildungspraxis zu befördern . Wir benötigen neben konzeptionellen Übersichtsbeiträgen zukünftig vermehrt fundierte Studien zu den Einsatzmöglichkeiten bzw . Grenzen sowie zum didaktischen Mehrwert von KI-Anwendungen in der Berufsbildung . Zudem gilt es, eine entsprechende Didaktik zu entwickeln . Nur so kann es perspektivisch gelingen, das Lehren und Lernen in der Berufsbildungspraxis durch KI-Anwendungen evidenzbasiert und nachhaltig anzureichern . Literatur

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Forschungsrichtungen zur künstlichen Intelligenz in der beruflichen Bildung

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Zur Person: Jürgen Seifried leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen an der Universität Mannheim . Zentrale Forschungsschwerpunkte sind fachdidaktische Fragestellungen, die Forschung zur Kompetenzentwicklung von Lehr- und Ausbildungspersonen, Lernen am Arbeitsplatz sowie Verfahren der Kompetenzdiagnostik in der beruflichen Bildung . Prof. Dr. Jürgen Seifried

Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen, L 4,1, 68131 Mannheim, seifried@bwl .uni-mannheim .de Zur Person: Hubert Ertl ist Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn sowie Professor für Berufsbildungsforschung im Department 5 Wirtschaftspädagogik an der Universität Paderborn . Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Übergänge zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung, die international vergleichende Forschung zur Hochschulbildung, die europäische Bildungs- und Ausbildungspolitik sowie die Einführung und Umsetzung von Bildungsreformen . Prof. Dr. Hubert Ertl

Bundesinstitut für Berufsbildung, Robert-Schuman-Platz 3, 53175 Bonn, ertl@bibb .de

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z e i t s c h r i f t f ü r b e ru f s u n d w i rt s c h a f t s pä dag o g i k



beihefte

Herausgegeben von Bernadette Dilger, Hubert Ertl, Jürgen Seifried, Peter F. E. Sloane, Ulrike Weyland, Birgit Ziegler

Franz Steiner Verlag

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ISSN 0174–0830

Ute Clement / Antonius Lipsmeier (Hg.) Berufsbildung zwischen Struktur und Innovation 2003. 182 S., kt. ISBN 978-3-515-08335-5 Peter Dehnbostel / Günter Pätzold (Hg.) Innovationen und Tendenzen der betrieblichen Berufsbildung 2004. 277 S., kt. ISBN 978-3-515-08553-3 Günter Pätzold / Felix Rauner (Hg.) Qualifikationsforschung und Curriculumentwicklung 2006. 258 S., kt. ISBN 978-3-515-08711-7 Dieter Euler / Martin Lang / Günter Pätzold (Hg.) Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung 2006. 188 S., kt. ISBN 978-3-515-08970-8 Dieter Euler / Günter Pätzold / Sebastian Walzik (Hg.) Kooperatives Lernen in der beruflichen Bildung 2007. 248 S., kt. ISBN 978-3-515-09082-7 Friederike Behringer / Bernd Käpplinger / Günter Pätzold (Hg.) Betriebliche Weiterbildung Der Continuing Vocational Training Survey (CVTS) im Spiegel nationaler und europäischer Perspektiven 2009. 216 S. mit 11 Abb. und 33 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09367-5 Jürgen Seifried / Eveline Wuttke / Reinhold Nickolaus / Peter F. E. Sloane (Hg.) Lehr-Lern-Forschung in der kaufmännischen Berufsbildung – Ergebnisse und Gestaltungsaufgaben 2010. 219 S. mit 30 Abb. und 13 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09697-3 Dieter Euler / Ulrich Walwei / Reinhold Weiß (Hg.) Berufsforschung für eine moderne

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Berufsbildung – Stand und Perspektiven 2010. 298 S. mit 25 Abb. und 33 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09707-9 Reinhold Nickolaus / Günter Pätzold (Hg.) Lehr-Lernforschung in der gewerblich-technischen Berufsbildung 2011. 250 S. mit 34 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09844-1 Reinhold Nickolaus / Jan Retelsdorf / Esther Winther / Olaf Köller (Hg.) Mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen in der beruflichen Erstausbildung Stand der Forschung und Desiderata 2013. 237 S. mit 30 Abb. und 16 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10399-2 Dieter Euler / Peter F. E. Sloane (Hg.) Design-Based Research 2014. 247 S. mit 20 Abb. und 20 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10838-6 Jens Siemon / Birgit Ziegler / Nicole Kimmelmann / Ralf Tenberg (Hg.) Beruf und Sprache Anforderungen, Kompetenzen und Förderung 2016. 202 S. mit 11 Abb. und 14 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11438-7 Carmela Aprea / Viviana Sappa / Ralf Tenberg (Hg.) Konnektivität und lernortintegrierte Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung / Connectivity and Integrative Competence Development in Vocational and Professional Education and Training (VET/PET) 2020. 251 S. mit 14 Abb. und 18 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12687-8 Katja Driesel-Lange / Ulrike Weyland / Birgit Ziegler (Hg.) Berufsorientierung in Bewegung Themen, Erkenntnisse und Perspektiven 2020. 245 S. mit 25 Abb. und 19 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12771-4

Die Berufsbildung entwickelt sich kontinuierlich: Neue Berufe entstehen und bereits bestehende wandeln sich oder sterben sogar aus. Der technologische Fortschritt verstärkt diese Dynamik: Durch die Digitalisierung und insbesondere die Künstliche Intelligenz (KI) erleben viele Berufsfelder weitreichende Veränderungen. Intelligente Systeme und Maschinen können so unter anderem die Versorgung von Patienten oder die Formulierung von Verträgen unterstützen. Zwar ist die Anwendung von KI häufig noch sehr begrenzt und auf ein enges Umfeld ausgerichtet, ihre Entwicklung aber ist erstaunlich. Um ihren Gefahren und Nachteilen entgegenzu-

ISBN 978-3-515-13068-4

9 783515 130684

wirken, sollten Mensch-Maschine-Interaktionen in den Vordergrund gestellt werden. Die Autorinnen und Autoren reflektieren kritisch die Auswirkungen der KI auf die berufliche Bildung. In einem ersten Teil untersuchen sie die Implikationen von KI auf gewerblich-technische Berufe, Industrieberufe, IT-Berufe und Pflegeberufe. In einem zweiten Teil widmen sie sich Forschungsrichtungen zur KI in der Berufsbildung – von der Individualisierung durch Hybrid Intelligence über Learning Analytics, Augmented Reality und Virtual Reality bis zur beruflichen Rehabilitation und Lernortkooperation.

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