Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schlösser 9783863127657

Unter einem »Schloss« versteht man im Allgemeinen den repräsentativen Wohnbau des Adels und des bürgerlichen Patriziats.

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German Pages 249 [248] Year 2011

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
I. Systematischer Teil
A. Die Typengliederung
1. Die Grundrißformen
2. Die Gliederung nach der Lage
3. Die Gliederung nach dem geschichtlichen Rang
B. Übersicht der Grundrißtypen
1. Der Einflügelbau ohne Türme
2. Der Einflügelbau mit Türmen
3. Der Einflügelbau mit Risaliten
4. Der Zweiflügelbau
5. Der Geviertbau
6. Zentrale Rund- und Mehreckanlagen
7. Der offene Dreiflügelbau
8. Der Dreiflügelbau mit Seitentrakten
9. Kompositanlagen
10. Unregelmäßige Grundrisse
C. Die Bestandteile des Bauorganismus Schloß
1. Der Repräsentations- und Wohnflügel (das Corps de Logis)
a) Der Saal
b) Bildergalerie und Bibliothek
c) Die Kabinette
d) Das Treppenhaus
e) Der Mittelrisalit
f) Turmarchitektur
g) Das Tor
h) Die Hoflauben
i) Erker, Balkone, Terrassen
k) Außenwände, Giebel und Zwerchhäuser
l) Türen, Fenster und Kamine
m) Decken, Fußböden und Wände
2. Die Schloßkapelle
3. Das Schloßtheater
4. Der Garten
a) Das italienische Konzept
b) Der französische Garten
c) Der englische Garten
d) Der Landschaftspark
5. Die Jagdschlösser und die Marställe
II. Historischer Teil: Geschichte des deutschen Schloßbaues
A. Italienische und französische Entwicklungen
1. Italien
2. Frankreich
B. Die deutschen Renaissanceschlösser
C. Das düstere Jahrhundert
D. Die Schlösser des Barockzeitalters
1. Italien und Frankreich
2. Deutschland
E. Klassizismus, Romantik und Historismus im 19. Jh.
Schrifttum
Register (A. Orte, B. Künstler)
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Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schlösser
 9783863127657

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Walter Hotz

Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schlösser Mit einem Vorwort von Matthias Müller 3. Auflage

Umschlagentwurf: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Saarbrücken, Schloss. Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650), spätere Kolorierung. © akg-images. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Sonderausgabe 2011 (3., unveränd. Aufl., Nachdruck des Textes der 2. Aufl.). © 1970 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1. Auflage 1970 2., veränd. Auflage 1974 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-24293-1 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagabbildung: Saarbrücken, Schloss. Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. (1593 –1650), spätere Kolorierung. © akg-images. www.primusverlag.de

ISBN 978-3-89678-762-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71836-8 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-71837-5 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-764-0 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-765-7 (Buchhandel)

INHALT Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Systematischer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Die Typengliederung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundrißformen . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gliederung nach der Lage . . . . . . . . . 3. Die Gliederung nach dem geschichtlichen Rang

. . . .

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5 5 6 6

B. Übersicht der Grundrißtypen . . . . . . 1. Der Einflügelbau ohne Türme . . . . 2. Der Einflügelbau mit Türmen . . . . 3. Der Einflügelbau mit Risaliten . . . 4. Der Zweiflügelbau . . . . . . . . . . 5. Der Geviertbau . . . . . . . . . . . 6. Zentrale Rund- und Mehreckanlagen 7. Der offene Dreiflügelbau . . . . . . 8. Der Dreiflügelbau mit Seitentrakten . 9. Kompositanlagen . . . . . . . . . . 10. Unregelmäßige Grundrisse . . . . .

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C. Die Bestandteile des Bauorganismus Schloß . . . . . 1. Der Repräsentations- und Wohnflügel (das Corps de Logis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Saal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bildergalerie und Bibliothek . . . . . . . . . c) Die Kabinette . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Treppenhaus . . . . . . . . . . . . . . e) Der Mittelrisalit . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Historischer Teil: Geschichte des deutschen Schloßbaues .

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A. Italienische und französische Entwicklungen . . . . . 1. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die deutschen Renaissanceschlösser . . . . . . . . . .

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C. Das düstere Jahrhundert

. . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Schlösser des Barockzeitalters . . . . . . . . . . 1. Italien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151 151 160

E. Klassizismus, Romantik und Historismus im 19. Jh.

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Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register (A. Orte, B. Künstler) . . . . . . . . . . . . . .

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2. 3. 4.

5.

VI

f) Turmarchitektur . . . . . . . . . . . . . g) Das Tor . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Die Hoflauben . . . . . . . . . . . . . . i) Erker, Balkone, Terrassen . . . . . . . . k) Außenwände, Giebel und Zwerchhäuser l) Türen, Fenster und Kamine . . . . . . . m) Decken, Fußböden und Wände . . . . . Die Schloßkapelle . . . . . . . . . . . . . . Das Schloßtheater . . . . . . . . . . . . . . Der Garten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das italienische Konzept . . . . . . . . b) Der französische Garten . . . . . . . . . c) Der englische Garten . . . . . . . . . . d) Der Landschaftspark . . . . . . . . . . Die Jagdschlösser und die Marställe . . . . .

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VORWORT von Prof. Dr. Matthias Müller Als vor mehr als 40 Jahren Walter Hotz’ „Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schlösser“ bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschien, war mit diesem Buch ein zweifaches Anliegen verbunden: Zum einen sollte der vom selben Autor verfasste und im Leserkreis positiv aufgenommene Band einer „Kleinen Kunstgeschichte der deutschen Burg“ eine Fortsetzung finden, und zum anderen sollte in einer klaren, schnörkellos-informativen Darstellung eine wissenschaftlich fundierte Überblicksdarstellung zum deutschen Schlossbau geliefert werden. Wer heute ein Exemplar der Erstausgabe von 1970 in die Hand nimmt, wird beim Anblick des zwar praktischen aber auch sehr einfachen, vollkommen unbedruckten Bucheinbandes zunächst den Eindruck eines im Wortsinn ,armen‘ Buches gewinnen, der nur schwer zu dem so sehr von Glanz und Pracht bestimmten inhaltlichen Gegenstand der Schlossbaukunst zu passen scheint. Wenn man sich aber nicht scheut, den Band aufzuschlagen und darin zu blättern, dann erblickt man ein durchaus anspruchsvoll gemachtes Buch, das nicht nur über instruktive Grundrisse und gezeichnete Ansichten einzelner Schlösser verfügt, sondern darüber hinaus auf 208 ganzseitigen Bildtafeln die wichtigsten Schlösser präsentiert. Die heute eher störende mangelhafte Brillanz der Schwarzweiß-Abbildungen schmälerte damals den hohen Gebrauchswert des Bandes für die Liebhaber deutscher Schlossbaukunst in keiner Weise. Wenn jetzt, nach mehr als 40 Jahren, dieses für die breite Wissensvermittlung über den deutschen Schlossbau so wichtige Buch von Walter Hotz einen Nachdruck erfährt, dann soll damit an eine Tradition der knappen und preiswerten Information angeknüpft werden. Zwar musste der Bildteil der Originalausgabe entfallen, da dafür kostspielige Neuaufnahmen notwendig gewesen wären, doch erhielt das Buch nun einen ansehnlichen, modern gestalteten Einband. Der VII

Text von Walter Hotz blieb unverändert und entspricht damit dem Stand von 1970. Ist er damit nicht längst veraltet und ein Wiederabdruck allenfalls von antiquarischem bzw. wissenschaftshistorischem Interesse? Natürlich ist die Forschung zur Schlossbaukunst in der Zwischenzeit nicht stehen geblieben, sondern hat im Gegenteil gerade in den letzten zwanzig Jahren einen geradezu explosiven Aufschwung erfahren. Denn anders als in den 1970er Jahren, als sich für Fragen der Schlossarchitektur zwar ein breites Publikum nicht aber die akademische, zunehmend soziologisch orientierte Kunstgeschichte interessierte, gehört das Thema heute zumindest in der Forschung zu den zentralen Gegenständen des Faches. Die dabei erhaltenen Erkenntnisse haben nicht nur unser Wissen über die formal-gestalterischen, funktionalen und semantischen, d. h. die Symbol- und Zeichenhaftigkeit betreffenden Aspekte des deutschen Schlossbaus beträchtlich vermehrt, sondern darüber hinaus dank einer intensiv betriebenen Bauforschung auch unseren Kenntnisstand zur Baugeschichte und Datierung zahlreicher Schlösser teilweise fundamental korrigiert. Während es für die Wissenschaftlergeneration von Walter Hotz ein vordringliches Anliegen war, die kunst- bzw. architekturgeschichtlichen Objekte zu sortieren und zu klassifizieren, um sie so in den vermeintlichen Entwicklungsgang einer übergeordneten Stil- und Typengeschichte einzuordnen, erkennt die jüngere und heutige Generation eher die Grenzen und nur bedingte Tauglichkeit eines solchen methodischen Ansatzes. Denn sowohl die realen historischen Verhältnisse der höfischen Gesellschaft als auch die realen Verhältnisse der Baugeschichte und Baupraxis der Schlösser selbst folgten allenfalls in Ansätzen den Prämissen einer von Architekten formulierten und von Architekturhistorikern gesuchten Theorie des Bauens. In der Regel verhinderte bereits der im Schlossbau notwendige Pragmatismus mit seinen rechtlichen und ökonomischen Zwängen aber noch mehr ein für die Adelsgesellschaft spezifisches ideelles Normensystem, in das besonders auch der Schlossbau eingebunden war, die kompromisslose Orientierung an architekturtheoretischen Normen, die dem adligen Normensystem teilweise sogar geradezu widersprachen. Wegen seiner großen Bedeutung wird auf dieses Thema im Folgenden nochmals zurückzukommen sein. VIII

Von alledem findet sich im vorliegenden Reprint selbstverständlich keine Spur. Wenn der Text von Walter Hotz dennoch auch heute noch von Nutzen sein kann, dann deswegen, weil er eine bestimmte wissenschaftliche Qualität besitzt, die auch nach Jahrzehnten nur wenige Alterungsspuren aufweist. Diese Qualität ist vor allem in der hohen Güte der Beschreibungen und formalen Charakterisierungen der vorgestellten Schlösser zu sehen. Es sind Beschreibungen, deren nüchterne, sachliche Sprache auch heute noch geeignet ist, dem interessierten Laien den oftmals komplexen Gegenstand der Schlossarchitektur näherzubringen und die durch die klare sprachliche Diktion, die nahezu ganz ohne Thesen und Spekulationen auskommt, eine erste, kenntnisreiche Annäherung an die deutschen Schlossbauten ermöglicht. Und es ist der weite geschichtliche Bogen, den Walter Hotz in seinem kleinen Buch vom ausgehenden Mittelalter bis zur ausgehenden Frühen Neuzeit spannt, sowie die Auswahl der dafür beispielgebenden Schlossbauten, die den Reprint auch heute noch nützlich erscheinen lassen. Dabei ist die Auswahl so glücklich gewählt, dass sie im Großen und Ganzen immer noch Gültigkeit beanspruchen darf. Nur für die Frühzeit des deutschen Schlossbaus sind bei Walter Hotz große Defizite festzustellen, die sich vor allem aus der Prämisse ergeben, dass erst die Rezeption von Elementen italienischer Renaissancearchitektur ein Kriterium für die Ablösung der wehrhaften Burgenarchitektur durch den repräsentativen Schlossbau liefert. Doch diese Annahme kann keine Gültigkeit mehr beanspruchen, weshalb hierzu weiter unten ein paar erklärende Hinweise gegeben werden. Wer sich darüber hinaus eine Vertiefung auf dem aktuellen Stand der Forschung wünscht, der muss auf die inzwischen reichhaltig erschienene und am Schluss in wenigen Hauptwerken genannte Spezialliteratur zurückgreifen, die jedoch wiederum selten einen so profunden Überblick über die Vielfalt der Erscheinungsformen deutscher Schlossarchitektur zu bieten vermag wie Walter Hotz’ „Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schlösser“. Um dennoch zu verdeutlichen, welches immense neue Wissen seit der Erstauflage dieses Buches über den Schlossbau nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hinzugewonnen werden konnte und wie sehr dabei eine zunehmend interdisziplinär arbeitende kulturwissenschaftliche Forschung die Schlossbauten wieder als Monumente IX

einer bestimmten kulturellen Praxis adlig-höfischen Lebens und Repräsentierens zu rekontextualisieren vermochte, sollen im Folgenden wenigstens einige Aspekte des aktuellen Wissensstandes angesprochen und auf einige wesentliche Studien hingewiesen werden. Einen wichtigen Grundstein für den Aufschwung der Schlossbauforschung hat nicht zuletzt die wegweisende Studie des Soziologen Norbert Elias über „Die höfische Gesellschaft“ des französischen Absolutismus gelegt, die zwar bereits 1969, nur ein Jahr vor Walter Hotz’ Buch zum deutschen Schlossbau, erschien, von der soziologisch orientierten Kunst- und Architekturgeschichtsschreibung aber erst beinahe zwanzig Jahre später, als das Interesse an der Erforschung höfischer Architektur wuchs, intensiv rezipiert wurde. Dabei sollte das von Elias vornehmlich am Beispiel von Versailles entwickelte Modell eines absolutistischen Hofes in seiner Prägnanz und Geschlossenheit für lange Zeit zum Leitbild der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Hofforschung werden und prägte auch den Blick auf die Verhältnisse im deutschen bzw. Alten Reich nachhaltig. Dies hatte zur Folge, dass die von Elias für Versailles beschriebenen Verhältnisse nahezu bruchlos auf die Situation in Deutschland übertragen wurden und sich auch für die Kunsthistoriker in jedem dreiflügeligen, axial ausgerichteten deutschen Barockschloss sogleich das Vorbild von Schloss Versailles spiegelte. Von daher ist es das Verdienst eines Teils der deutschen Geschichtswissenschaft, dieses geradezu hermetische Modell von Norbert Elias wieder aufzubrechen und vor allem für die deutschen Fürstenhöfe die besondere, viel stärker auf dem dynastischen Prinzip basierende und daher mit Frankreich nur bedingt vergleichbare Entwicklung der deutschen höfischen Gesellschaft von ihren Anfängen her differenziert zu untersuchen. Der maßgebliche Impuls ging dabei von der Residenzenkommission der Göttinger Akademie der Wissenschaften aus, die sich – anfangs unter der Führung von Hans Patze und, nach dessen frühem Ableben, dann von Werner Paravicini – zunächst den Fürstenhöfen und später auch den rangniederen Adelsgruppen widmete. Da sich der Residenzenkommission der Göttinger Akademie auch Kunsthistoriker (für die Anfangszeit sind hier vor allem Ulrich Schütte und Uwe Albrecht zu nennen) verbunden fühlten und entweder als Mitglied oder als Kooperationspartner die von den Historikern aufgeworX

fenen Fragen mit denjenigen der Architekturgeschichte des Schlossbaus verknüpften, profitierte von diesem Aufbruch der Residenzforschung schließlich auch die akademische Kunstgeschichte und ihr Wissen über die Funktion und Bedeutung der Schlossarchitektur im Kontext höfischer Alltags-, Fest- und Zeremonialpraxis. Sie fand zudem eigene Foren des wissenschaftlichen Austausches, zu denen in Deutschland besonders der auf Schloss Heidecksburg in der ehemaligen thüringischen Residenzstadt Rudolstadt nach der deutschen Wiedervereinigung gegründete Rudolstädter Arbeitskreis für Residenzkultur sowie die Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern gehören. Durch die Vernetzung mit den inzwischen zahlreich gegründeten europäischen Forschungsinitiativen zur Residenzkultur war es zudem möglich, die Bedeutung der deutschen Schlossarchitektur auf internationaler Ebene zu diskutieren und manche bislang für typisch ,deutsch‘ gehaltene Besonderheit als durchaus europäisches Phänomen zu erkennen. Zu diesen vermeintlichen Besonderheiten gehört nicht zuletzt die regionalspezifische Rezeption der italienischen Renaissance- oder französischen Barockformen, die im deutschen Reich bis zum Dreißigjährigen Krieg zumeist nur in einer an einheimische Formtraditionen bewusst angepassten Weise übernommen wurden, und der im italienischen wie im französischen Palastbau entwickelten regelmäßigen Grundrisse. Die Ansicht, dass die Herausbildung des repräsentativen Schlosses auch in Deutschland unabdingbar mit der Übernahme von Formen und Elementen der italienischen Renaissance verbunden sei, gehört zu den nachhaltigen Irrtümern der Kunstgeschichtsschreibung. Denn wie die aktuelle, kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschung vielfältig zu belegen vermag, war die Kunstentwicklung der Frühen Neuzeit in Europa keinem gemeinsamen, vom italienischen Renaissancehumanismus her bestimmten Ziel verpflichtet, weshalb Stildifferenzen – z. B. zwischen der deutschen Spätgotik und der italienischen Renaissance – eher die Differenzen unterschiedlicher ,Sprachen‘ als unterschiedlich ,fortschrittlicher‘ Kulturentwicklungen anzeigen. Eine solche Erkenntnis ist wesentlich, ermöglicht sie doch zugleich eine Neubewertung des Regionalen oder gar ,Nationalen‘ in der Kunst und Kultur der frühneuzeitlichen Territorialherrschaften und damit auch in der Architektur der deutschen Schlossbauten. Vor diesem HinterXI

grund muss nun auch an der von Walter Hotz vorgenommenen Datierung des Beginns deutscher Schlossarchitektur eine wesentliche Korrektur vorgenommen werden: Nicht erst um 1550 (mit Schlössern wie Torgau, Berlin, Dresden oder Heidelberg) beginnt im deutschen Reich der Übergang von der befestigten Burg hin zum repräsentativen, nur noch bedingt wehrhaften Schloss, sondern bereits gegen 1471! Damals wurde oberhalb von Meißen mit der Albrechtsburg in Deutschland erstmals ein Fürstensitz errichtet, der im Außen- und im Innenbau die Funktionen des repräsentativen Wohnens, Verwaltens und des höfischen Festes eindeutig gegenüber den Wehrfunktionen betonte. Die für die Albrechtsburg durch den sächsischen Hofarchitekten Arnold von Westfalen entwickelten gestalterischen und funktionalen Lösungen lassen auf innovative Weise das Konzept eines modernen fürstlichen Residenzschlosses erkennen, wie es in dieser Zeit ansonsten nur in Frankreich und – in Grenzen – in Italien zu finden war. Zu diesem Konzept gehören das klar strukturierte, regelmäßige Fassadenbild unter einer einheitlichen Dachlandschaft, die wiederum mit französisch anmutenden Zwerchhäusern besetzt wurde, im Innenhof der spektakuläre filigran-offene Treppenturm mit Loggien oder – ganz wesentlich – die systematische Raumaufteilung in zweiräumige, ofen- und kaminbeheizte Appartements und die Einrichtung von separaten fürstlichen Speisezimmern („Tafelstuben“) sowie speziellen fürstlichen Rückzugsräumen in der Art französischer oder italienischer Studierstuben. Dass dieses außergewöhnliche Bauwerk von Walter Hotz weder als erstes voll ausgebildetes deutsches Schloss erkannt wurde noch überhaupt in seinem Buch Erwähnung fand, liegt einzig und alleine daran, dass es seine innovative, mit französischen oder italienischen Schlössern jener Zeit absolut konkurrenzfähige Architektur nicht in den Formen der italienischen Renaissance, sondern im Gewand der deutschen „Spätgotik“ präsentiert. Gotisch anmutende „Vorhangbögen“ und „Zellengewölbe“ (beides formal wie technisch hochkarätige Erfindungen bzw. Weiterentwicklungen des Baumeisters Arnold von Westfalen) passten einfach nicht zur idealtypischen akademischen Vorstellung eines renaissancezeitlichen Schlosses. Sie verstellten damit zugleich den offenen Blick auf die historische Tatsache, dass die um 1500 entwickelte deutsche „Spätgotik“ in ihrer konstruktiven Artifizialität im Wesentlichen als traditionsgeleitete, historisch beXII

gründete ,deutsche‘ Antwort auf die Antikenrezeption italienischer Architekten und als eigenständiger gleichsam ,nationaler‘ Beitrag im Umgang mit den kulturellen Herausforderungen des italienischen Renaissancehumanismus zu verstehen ist. Doch nicht nur das idealtypische Modell eines aus der italienischen Renaissancearchitektur abzuleitenden Beginns der deutschen Schlossbaukunst bedarf der Korrektur. Ebenso muss die Annahme, dass zu einem solchen Schloss idealtypisch auch ein regelmäßiger Grundriss gehört, nachdrücklich hinterfragt werden. Auch Walter Hotz bezeichnet regelmäßige Grundrisse, zu denen neben dem Kastelltypus die Drei- oder Vierflügelanlagen gehören, als anzustrebende Idealformen. In der gebauten Realität des deutschen Schlossbaus finden wir solche Grundrissformen jedoch bis zum Dreißigjährigen Krieg nur sehr selten. Und es darf bezweifelt werden, ob die fürstlichen oder gräflichen Auftraggeber überhaupt ein ebenso starkes Bedürfnis nach mathematisch klar geordneten Grundrisslösungen empfanden, wie es seit Dürers 1526 entworfenem Idealplan für eine königliche Residenz- und Festungsstadt, der strikt dem Prinzip des Quadrates folgt, immer mehr Architekten auch in Deutschland äußerten. Selbst in Italien, wo es seit Leon Battista Albertis Traktat „Über die Baukunst“ (1435) eine schriftliche Ausformulierung einer an der Antike orientierten, geometrisch regularisierten Baupraxis gab, finden wir im Schlossbau der zu Fürsten aufgestiegenen Markgrafen und Söldnerführer erstaunlich häufig ein Abweichen von der theoretischen Norm (vgl. z. B. den Palazzo Ducale in Mantua oder das Castello Estense in Ferrara). Von daher gilt es sauber zu unterscheiden und anzuerkennen, dass ein fürstlicher Schlossbau kein Florentiner oder römischer Stadtpalast und keine Villa sub urbana ist, sondern ein multifunktionaler, meist über Jahrhunderte gewachsener Bauorganismus mit spezifischen territorialrechtlichen und dynastischen Traditionen. Vergleichbar der vielgescholtenen ,mittelalterlichen‘ Baupraxis in den nördlichen Ländern bewahren diese italienischen Schlossanlagen in ihrem Zentrum gut sichtbar eine Vielzahl älterer Bauteile, deren offensichtlich unabänderliche Existenz auch noch die Planungen theoriegeleiteter Renaissancearchitekten zu respektieren hatten. Dies gilt im Prinzip selbst noch für die Zeit des barocken, ,absolutistischen‘ Schlossbaus, wobei hier im deutschen Schlossbau die XIII

kaiserliche Wiener Hofburg ein besonders extremes Beispiel darstellt. Das Äußere der Wiener Hofburg präsentiert sich bis auf den heutigen Tag als ein Konglomerat verschiedenster Bauten, deren Kern die noch aus dem 13. Jahrhundert stammende staufisch-babenbergische Kastellburg bildet. Mit diesem Kern wurden seit dem ausgehenden Mittelalter eine Reihe von selbständigen Gebäudeanlagen verbunden, von der Amalienburg des 16. Jahrhunderts über den Leopoldinischen Trakt des 17. Jahrhunderts bis hin zum Reichskanzleitrakt Fischers von Erlach aus dem 18. Jahrhundert und der Neuen Hofburg des 19. Jahrhunderts. Im Vergleich zu Versailles, dem neuen, glänzenden Residenzschloss des französischen Königs, aber auch im Vergleich zum Louvre musste das Schloss des Kaisers in Wien seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert jedenfalls als vollkommen veraltet gelten und kaum geeignet erscheinen, die kaiserlichen Würden auf angemessenem europäischen Niveau zu repräsentieren. Mit den hochmodernen Barockschlössern der Fürstbischöfe, Kurfürsten und Fürsten in Würzburg, Augustusburg, Stuttgart oder Rastatt drohten sogar die deutschen Fürsten dem Kaiser architektonisch die Schau zu stehlen. Der Eindruck, dass das kaiserliche Residenzschloss in Wien in seinem äußeren Erscheinungsbild den zeitgenössischen ästhetischen Standards nicht entsprach, gilt jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtungsweise. Denn überall dort, wo das Residenzschloss eine lange, traditionsreiche Baugeschichte besaß, blieben die Spuren dieser Geschichte in auffälliger Weise auch noch in der erneuerten Gestalt des Schlosses sichtbar. Nicht nur in Wien, auch in Berlin, Dresden, Paris oder Madrid wurden in die neuen barocken Anlagen der Residenzschlösser Teile der Vorgängeranlagen integriert. Selbst das von Ludwig XIV. errichtete Schloss von Versailles, dessen Baugestalt geradezu zum Prototyp des absolutistischen Herrschersitzes avancierte, birgt in seinem Kern bis heute das ältere Lustschloss Ludwigs XIII. Da sich diese Spuren aus der älteren Baugeschichte nicht plausibel als Folge ökonomischen Denkens oder als Laune des Zufalls erklären lassen, muss dem Vorzeigen von Bauteilen, die aus der Vergangenheit des Schlosses stammten, ein besonderer Wert zugemessen worden sein. Offensichtlich existierte in der höfischen Architekturästhetik ein Bereich, der vom Regelwerk der Architekturtheorie nicht unmittelbar erfasst wurde und dessen Normensystem und Wertemaßstab sich daXIV

her in den Traktaten nicht ohne weiteres dargestellt findet. Erst wenn über die Aussagen der Baumeister und Theoretiker hinaus auch anderes auf die Residenzschlösser bezogenes Quellenmaterial (wie Teilungsurkunden, Stammbücher, fürstliche Briefwechsel etc.) berücksichtigt wird, lassen sich aufschlussreiche Hinweise darauf finden, in welchem Maße die für die gesamte Adelskultur maßgeblichen Prinzipien der Tradition und der Altehrwürdigkeit auch für den Bereich der höfischen Baukunst Gültigkeit besaßen. Weil das Schlossgebäude von alters her als corpus principis, als architektonischer Körper des Fürsten und Königs verstanden wurde, musste dieser Körper – wenn irgend möglich – auch äußerlich Spuren seiner jahrhundertealten Lebensgeschichte aufweisen. Erst dadurch konnte der Baukörper des Schlosses tatsächlich zu einem Äquivalent des dynastischen oder monarchischen Körpers eines Adelsgeschlechts oder einer herrschaftlichen Institution wie des Königtums werden, mit dem das Schloss funktional oftmals über Jahrhunderte verbunden blieb. Mit ihrem solchermaßen begründeten ideellen Wert befindet sich die baustoffliche Materie eines solchen Schlosses im Übrigen in einer großen Nähe zu den anderen Zeugnissen adliger Altehrwürdigkeit und konkurriert auf dieser Ebene mit den vielbeachteten Altertumssammlungen, Haus- und Erbkleinodien oder Familienarchiven. So wird das Schloss selbst noch im 19. Jahrhundert gewissermaßen zu einem Gegenstand der auf einen dynastischen Personenverband bezogenen Memoria und – mit den illustrierten Stammbäumen vergleichbar – zu einem Monument für die über alle Epochen hinweg ununterbrochen bestehende Existenz und Herrschaft einer fürstlichen Dynastie oder adligen Familie.

Weiterführende Literaturhinweise: – Thomas Biller/G. Ulrich Großmann, Burg und Schloss. Der Adelssitz im deutschsprachigen Raum, Regensburg 2002. – Stephan Hoppe, Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland. Untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470 –1570, Köln 1996. – Stephan Hoppe, Was ist Barock? Architektur und Städtebau Europas 1580 – 1770, Darmstadt 2003, 2. Aufl. 2010.

XV

– Hellmut Lorenz, „… Im alten Style glücklich wiederhergestellt …“. Zur repräsentativen Rolle der Tradition in der Barockarchitektur Mitteleuropas, in: Wiener Hofburg. Neue Forschungen (Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1997, Heft 3/4), S. 475–483. – Matthias Müller, Spätmittelalterliches Fürstentum im Spiegel der Architektur, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter (Residenzenforschung, Bd. 14), Stuttgart 2002, S. 107–145. – Matthias Müller, Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470 –1618) (Historische Semantik, Bd. 6), Göttingen 2004. – Anke Neugebauer/Franz Jäger (Hgg.), Auff welsche Manier gebauet. Zur Architektur der mitteldeutschen Frührenaissance (Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 10), Bielefeld 2010. – Friedrich B. Polleroß, Tradition und Recreation. Die Residenzen der österreichischen Habsburger in der frühen Neuzeit (1490 –1780), in: Majestas, 6 (1998), S. 91–148. – Ulrich Schütte, Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit im alten Reich, Darmstadt 1994. – Ulrich Schütte, Das Fürstenschloß als „Pracht-Gebäude“, in: Die Künste und das Schloß in der frühen Neuzeit (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur, Bd. 1), München/Berlin 1998, S. 15–29.

XVI

E I NLE ITUNG Unter einem " Schloß " verstehen wir heute den repräsentativen Wohnbau des Adels und des bürgerlichen Patriziats. Ein Schloß ist etwas anderes als eine Burg. Die Burg zählt jedoch zu seinen Vorfahren. Die Burg war stets in erster Linie ein Wehrbau, das Schloß hingegen ein Wohnbau. Es konnte wehrhaft sein, aber es bedurfte der Befestigung nicht zu seiner Rechtfertigung. Die erste bewußte Ausformung des Schlosses geschah aus einem neuen Weltverständnis im Zeichen der Renaissance. Ihr Ergebnis war das " feste Schloß " , die zum Schloß umgewandelte Burg. In ihm macht sich eine grundsätzlich andere Auffassung geleend. Im Laufe der Entwicklung gerät die militärische Note völlig in den Hintergrund. Doch tritt, als der Schloßbau längst seine eige­ nen burgenfernen Formgesetze sich geschaffen hatte, immer wieder einmal die " Festung", und sei es nur in einzelnen Bauteilen, in Erscheinung. Ganz zu verleugnen war die Herkunft des Schlosses von der Burg nie. Das " Schloß" hat jedoch noch eine tiefere Wurzel. Das ist ganz schlicht die menschliche Behausung, wie sie im Rechteckbau des " Hauses " im deutschen Volks- und Sprachraum und überhaupt im Abendland Gestalt angenommen hatte. Aus dem " Haus" konnte eine "Burg" werden - manche Burgen werden so genannt : " hohes Haus" oder " festes Haus" sind Synonyma für "Burg" oder auch ein " Schloß " . Schon die staufische Dichtung nennt den Palas einer Burg einfach das "Ms " . Das englische Sprichwort "My house is my castle" kann auch bezüglich der Bauform inter­ pretiert werden. Das Haus ist das eigentliche Anliegen des Schloßbaus, wie es der Turm für die Burg war. Nun werden freilich schon im späten Mittelalter die meisten deutschen Burgen " Schlösser" genannt. Die Bezeichnung " Schloß" hat sich im Volksmunde und auch in der Kartographie bis heute für zahlreiche Anlagen erhalten, die kein schloß artiges Gepräge 1

tragen. Selbst Ruinen, Ringwälle, Burgställe und, im über­ tragenen Sinne, Felsenpartien werden als »Schlösser" bezeichnet. In den romanischen Sprachen und im Englischen sind die Worte »castello ", »chateau" oder »castle" vom lateinischen »castellum" abgeleitet. Sie bedeuten sowohl »Burg" als auch »Schloß " , be­ tonen aber gerade die Herkunft vom römischen Wehrbau, die für den eigentlichen Schloßbau nicht mehr gilt. Allerdings spielt der italienische Kastelltypus eine wichtige Rolle für die architek­ tonische Auffassung des Schlosses. Mit dem Schloß lebt auch eine Bezeichnung wieder auf, die schon in der Burg für das repräsentative Gebäude gebraucht wurde ; das Palatium, der Palas, die Pfalz werden nun als der Palast, il palazzo, le palais abermals gebräuchlich. Viele deutsche Stadtschlösser heißen einfach »Palais " . Es ist daran zu erinnern, daß der Ursprung dieses Namens auf dem römischen Hügel Pala­ tin zu suchen ist, wo die Kaiserhäuser der Hauptstadt des Impe­ rium Romanum standen. Zwei französische Sonderbezeichnungen bedürfen noch einer Er­ läuterung : das »Manoir" hat keine Entsprechung im Deutschen ; man versteht darunter ein ländliches Kleinschloß. " H6tel" ist der Name für die Stadtresidenzen des Adels ; er kommt dem deutschen " Hof" mit der Angabe des Besitzers gleich. Auch die italienische »Villa« der Renaissance ist ein Landschloß, das in dieser Eigenart im deutschen Kulturgebiet nur vereinzelt begegnet. Die Zahl der Schlösser im deutschen Volks- und Kulturraum darf (nach Curt Tillmann) auf rund 6600 beziffert werden. Viele davon sind an der Stelle und unter Benutzung von älteren Burganlagen erbaut worden. Es bleiben etwa 3 5 00 Neuschöp­ fungen. Die Zeit des Schlösserbaus kann man von etwa 1 5 50 bis zum Ersten Weltkrieg rechnen. Oder, um es mit regierenden Persön­ lichkeiten zu kennzeichnen : von Kar! V. bis zu Franz ]oseph oder zu Wilhelm I I . Die Stile pochen der Renaissance, des Barocks, des Klassizismus und des Historismus mit all ihren Nuancierungen sind in diesem 1 1 Generationen umfassenden Zeitraum enthalten. In der Betrachtung der Schlösser werden Glanz und Tragik des habsburgischen Reiches, in dem die Sonne nicht unterging, ebenso

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sichtbar wie der Konfessionshader und die Verheerungen des 30jäh­ rigen Krieges, die Partikularisierung des Duodez, die durch den französischen Zungenschlag barocker Universalkultur gemildert wurde, die Freiheitskriege, die Revolutionen und Restaura­ tionen, die Entdeckung der eigenen Vergangenheit und die Er­ neuerung des Reiches in Versailles 1 87 1 . Viele entscheidende Ereignisse spielten sich dabei in Schlössern ab. Im Unterschied zu den Burgen, wo wir zwischen gewollten und gewordenen Kunstwerken unterscheiden mußten, ist im Schloß­ bau immer von Anfang an der schöpferische Wille der Bauherren und Baumeister tätig gewesen. Eine Adelsfamilie des 1 8 . Jahr­ hunderts, die zahlreiche Schlösser und Kirchen errichten ließ, die Schönborn, bekannte von sich selbst, daß sie der "Bauwurmb" plage.

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I. SYSTEMATIS C H E R TE I L

A . D IE 1.

TYPENGLIEDERUNG

Die Grundrißformen

Es liegt in der Natur der Sache, nämlich des kultivierten Woh­ nens und repräsentativen Bauens, daß der Schloßbau eine große Mannigfaltigkeit der Grundrißformen gezeitigt hat. Sie lassen sich jedoch in eine bestimmte Reihe einordnen. Am Anfang sind es, zugleich den Axialbau und den Zentralbau verkörpernd, das rechteckige Haus und das quadratische oder oblonge Kastell, die am meisten die eigentliche Schloßbaukunst darstellen. Daraus entwickelt sich später der Bau auf hufeisen­ förmigem Grundriß. Man kann einfach von offenen oder ge­ schlossenen Mehrflügelbauten sprechen. Die Mehrzahl der Schlös­ ser sind Axialanlagen. Doch ist auch der Zentralbau durch eine Reihe origineller Werke vertreten. Es bilden sich folgende Typen heraus : 1 . der Einflügelbau ohne Türme, 2. der Einflügelbau mit Türmen, 3. der Einflügelbau mit Risaliten, 4. der Zweiflügelbau mit und ohne Türme, 5. der Geviertbau mit und ohne Ecktürme, 6. zentrale Rund- und Mehreckanlagen, 7. der offene Dreiflügelbau, 8. der Dreiflügelbau mit Seitentrakten, 9. Kompositformen, 1 0. unregelmäßige Anlagen.

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2.

Die Gliederung nach der Lage

Nach ihrer Lage wären zu unterscheiden : 1 . Schlösser in der Stadt (Stadtschloß, Adelshof ["H6tel"], Palais) . 2. Schlösser auf dem Lande. Letzterer Typus ist im Berg-, Tal-, Wasser-, Wald-, Wiesen- oder Parkschloß gegeben. Er erreicht im Parkschloß seine künstle­ rische Vollendung. Die Landschaft wird in das Schloß einbezogen und darauf ausgerichtet. 3.

Z 89

Die Gliederung nach dem geschichtlichen Rang

Die geschichtliche Qualität eines Schlosses richtet sich nach seiner Aufgabe, für die es gebaut wurde. Sie hat die sich in den drei Jahrhunderten von der Reformation bis zur Französischen Revolu­ tion immer mehr auffächernden Hoheitsbefugnisse der Fürsten und privilegierten Stände zur Voraussetzung. Andererseits tritt im 1 9. Jahrhundert, das im europäischen Drama die Rolle eines retardierenden Moments spielt, eine stärkere Betonung sowohl des überregionalen oder gar Zentralen als auch des Nationalen in Erscheinung. Wir erhalten dann folgende Gliederung : 1 . Residenzen (Regierungssitz des Landesherrn oder Sitz der Regierung) , 2. Wohnschlösser des Adels, 3. Jagd- und Lustschlösser, 4. !(losterschlösser. Die barocken !(löster folgen ohne Ausnahme den Gedanken der Schloßbaukunst, gelegentlich sogar unter Betonung der Wehrhaftigkeit (Gättweig). Ihrer !(onzeption nach sind diese !(loster­ anlagen Schlösser. Die !(irchen geben ihnen reizvolle Akzente. Im landläufigen Sprachgebrauch tragen diese klösterlichen Herren­ sitze bis zum heutigen Tage die Bezeichnung " Schloß" .

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B. ÜBERSICHT

DER GRUNDRISSTYPEN

Anhand einiger charakteristischer Anlagen sollen die Grund­ rißformen der deutschen Schloßbaukunst erörtert werden. 1.

Der Einflügelbau ohne Türme

Das mehrstöckige, meist steinerne Haus ist der einfachste Adels­ sitz. Es leitet sich vom mittelalterlichen Wohnturm ab. über dem Achener Bachtal bei Weidesheim unweit der lothringischen Saar steht neben dem hübschen Schlößchen aus dem beginnenden 19. Jahrhundert ein ernstes rechteckiges Turmhaus mit großem Walmdach. Die drei Stockwerke des Inneren sind durch einen angebauten Turm mit Wendeltreppe zugänglich. Der teilweise erhaltene Handlauf der Spindel weist ihn dem 16. Jahrhundert zu. Der Turm selbst ist älter. Doch wurde er durch den Treppen­ turm als " Schloß " adaptiert. Drei Säle mit mächtigen Balken­ decken, deren Unterzüge auf Mittelpfosten ruhen, füllen ihn aus. Dieses schlichte Turmhaus verkörpert die Urform des Schlosses, wie der benachbarte, dreifach zu je drei Achsen gegliederte Bau auf das Ende der Entwicklung verweist. In diesem Nebeneinander sind alle ihre Möglichkeiten enthalten. Ein solcher Einflügelbau inmitten eines Teiches ist die Holz­ hausensche ade in Frankfurt am Main, in seiner heutigen Gestalt ein viergeschossiger, von Louis Remy Delafosse 1727-1729 er­ richteter Rechteckbau. Daneben dürfen wir ein anderes Schloß aus dem 18 . Jahrhundert stellen, nämlich das Schlößchen Schönbusch bei Aschaffenburg, von Josef Emanuel d'Herigoyen 1778 -178 2 als Park­ schloß geschaffen. Ein einfacher zweieinhalbstöckiger, durch sieben Fensterachsen mit kaum vortretendem dreiachsigem Mittelrisalit gegliederter und in seinen sparsam verteilten Schmuckformen sehr distinguierter Bau. Den oberen Abschluß bildet eine Attika-Ba­ lustrade, hinter der das flach geneigte Dach ansteigt.

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Z 1 Schönbusch, Grundrisse nach lnv. Aschaffenburg 2 70

Z 2 Kißlegg, Aufriß und Grundriß nach Inv. Wangen 2 1 5 t.

2.

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Der Einflügelbau mit Türmen

1 4 71 erbaute die ortsansässige Adelsfamilie im Donauried bei Plohren ein "Weiherhaus" , einen Rechteckbau mit vier runden, heute gekappten Ecktürmen. Kaiser Maximilian 1. nannte es scherzhaft " die Entenburg" . So heißt es jetzt noch. Das "Weiher­ haus" als Bautyp ist seinem Herkommen nach gotisch. Es war ein Lust- und Jagdschloß, wie der Name sagt, inmitten eines Weihers gelegen. Der Hausbuchmeister hat ein solches Weiherhaus mit Steg und Zugbrücke und eckturmbewehrt, samt dem bunten Leben und Treiben, das sich dort abspielte, gezeichnet. Den Typus des mit runden Eck- und Mitteltürmen versehenen Einflügelbaus vertritt das Schloß Friedrichsburg in Vohenstrauß, das 1 5 8 6-1 590 von Leonhard Greineisen erbaut worden ist. Die Türme bleiben einfach, was dem Volumen des Hauses und seiner geschweiften Giebellinie zugute kommt. Aufwendiger ist das 1 68 9 und dann wiederum im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Schloß Gottesau in Karlsruhe. Der ursprünglich dreigeschossige Bau wurde mit sechs über die Dach­ traufe hinaufgeführten Rundtürmen besetzt. Die Außenwände sind in gleichmäßig eingeteilte Fensterfelder zwischen Pilastern aufgelöst. Schloß Kißlegg im Allgäu wirkt zwar in der Gesamterscheinung als Einflügelbau mit Ecktürmen. Vom Grundriß her erweist es sich aus zwei gegeneinander verschobenen und jeweils mit Eck­ türmen versehenen Baukörpern zusammengesetzt. Auch das elsässische Schloß Birkenwald der Herren von Ingenheim, 1 562 erbaut, auf der Talseite ein geschlossener Bau mit Ecktürmen (oder Rondellen) und hohem Walmdach, stellt sich auf der Dorfseite wesentlich komplizierter dar. Der westliche Teil ist mittels eines Treppenturms zurückgesetzt und endet in einer Art Apsis. Daraus ergibt sich eine reizvolle Dreiturmgruppe. Der Ost­ teil enthält zwei nebeneinander liegende Querflügel. 3.

Der Einflügelbau mit Risaliten

Häufig kommt es im einflügeligen Schloßbau nicht zur Aus­ bildung von Türmen. Das " Haus" wird nur durch Risalite belebt, 10

Z 3 Vohenstrauß, Grundriß nach Kreisel, Altbayern 3 3

Z 4 Birkenwald, Grundriß nach Will, Le dteau d e Birkenwald e t son histoire (Zabern) 1 1

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die als Mittel- oder Seitenrisalite oder als beide zugleich be­ gegnen. Das von Frans;ois Cuvillies 1 729-1 730 bei Brühl errichtete Jagdschloß Falkenlust ist in seinen noblen Formen " ein Schul­ beispiel der ,mais on de plaisance', wie die französischen Bauregeln es forderten« (Dehio 1967). Auf der Ostseite des zweistöckigen Rechteckbaus springt der Risalit ovalförmig vor, den Salon gleich­ sam in den Garten ausweitend, während die Eingangsseite nur beiderseits des Portals durch Pilaster betont und damit als Risalit herausgehoben wird. Etwas später hat, gleichfalls im Rheinland, der Lothringer Nicolas de Pi gage im Hauptbau des Jagdschlosses Benrath bei Düsseldorf für den Kurfürsten Karl-Theodor den Typus des Einflügelbaus mit Risaliten auf einem geistvollen Grundriß ver­ wirklicht. Die dreiachsige Eingangsseite hebt sich nur wenig ab, dafür tritt die Gartenseite als Abschluß des Kuppelsaals um so mehr hervor. Neu ist im Inneren des Gebäudes die symmetrische Anordnung zweier ovaler Lichthöfchen beiderseits des Vestibüls in der Längsachse. Das Neue Schloß zu Meersburg, welches der Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn gegenüber dem Alten Schloß hoch über dem Bodensee aufführen ließ, stellt einen langgestreckten Einflügelbau mit Mittel- und Seitenrisaliten dar. Im Mittelrisalit findet auch das Treppenhaus Platz. Die Umbaupläne hat Baltha­ sar Neumann bearbeitet. Auch das Herrenhaus zu Borstel in Schleswig-Holstein vertritt unseren Typus in ansprechender Weise. Der rechteckige Bau lädt an den Ecken und in der Mitte der Gartenseite in polygonalen Risaliten aus. Er wurde 1 75 1 vollendet. 4.

Der Zweiflügelbau

Der Winkel als Schloßgrundriß ist nicht oft verwendet worden. Als Möglichkeit bot er sich aber an, auch als Fragment einer größeren Anlage. Letzteres ist vermutlich bei dem westfälischen Wasserschloß Hovestadt der Fall. Es wurde unter den Herren von Ketteler 12

Z 5 Falkenlust, Grundriß nach Dehio-Handbuch 1 0 3

-t Z 6 Benrath, Grundriß nach D ehio-Handbuch 1 3 8

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1 563-1 5 72 anstelle einer Landesburg der Erzbischöfe von Köln durch Laurenz von Brachum errichtet. Am rechtwinkligen Zu­ sammentreffen der bei den zweigeschossigen Flügel erhebt sich ein mächtiger, in den Graben vorspringender dreistöckiger Turm mit Kuppelhaube und Laterne ( 1 9. Jahrhundert) . Die Außenwände der Gebäude sind in Ziegel ornamentik behandelt. Sie verleihen dem Schloß, dessen Vorburg um 1 73 3 durch Johann Conrad Schlaun erneuert wurde, eine eigentümliche Note. Ein schlichter Zweiflügelbau ist das niedersächsische Wasser­ schloß GÖdens. Von der Wandfläche zeichnen sich ein mächtiges Portal und ein im inneren Winkel angesetzter Treppenturm mit Baroekhaube ab. Ein weiterer gestufter und durchbrochener Turmhelm krönt den Dachfirst. Im oberschwäbischen, nach 1 622 aufgeführten Schloß warthausen stößt an den Hauptbau ein schmaler niedriger Flügel an. Die drei Außenecken sind mit Rundtürmen besetzt ; zwei von ihnen besitzen achteckige Obergeschosse. Der Gedanke des Zweiflügelbaus lag auch dem Markgräflichen Palais in Karlsruhe zugrunde, das Friedrich Weinbrenner am Rondellplatz 1 803-1 8 1 4 aufgeführt hat. Die beiden symmetrisch angeordneten Flügel werden durch eine Vestibülhalle mit monu­ mentaler Säulenfassade getrennt. Diese Fassade ist als einziger Bestandteil des Palais erhalten geblieben. 5.

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Der Geviertbau

Der Vierflügelbau mit Ecktürmen will uns als die frühe klas­ sische Form des Schlosses erscheinen. Er bringt den antiken Kastelltypus wieder zu Ehren. In der Geschichte der Burgen ist diese Form nie vergessen worden, wenn sie auch auf deutschem Boden im Mittelalter nur selten rein angewendet wurde. In Italien hat sich die Kastellform stets gehalten. Von dort kam sie in der Renaissance nach Frankreich und auch nach Deutschland. Der turmbewehrte Vierflügelbau hat oft etwas von einer Zwingburg an sich. Das gilt etwa von der noch ganz gotisch verstandenen Moritzburg in Halle an der Saale, welche der Erz­ bischof an der Nordwestecke der unterworfenen Stadt errichtete. 14

Z 7 Warthausen, Grundriß nach Gradmann, Kunstwanderungen 435

Z 8 Karlsruhe, Markgräfliches Palais, Grundriß nach ]oseph, Gesch. d. Baukunst 50

Der verschobene Grundriß ist geländebedingt. Die imposanten Ecktürme sind Ausdruck des Herrschens. Sie verkörpern Macht. Dürer hat das Königsschloß inmitten seiner Idealstadt als Vier­ flügelbau verstanden. Er umgab es aber mit einer Befestigung. Z 10 Das " Schloßkastell" von Horst bei Gelsenkirchen, 1 5 52 für den kur köln ischen 'Statthalter Rütger von der Horst begonnen, zeigt in seinem Grundriß die vollendete Form des Geviert­ schlosses mit Ecktürmen. Im Aufbau waren allerdings nur zwei Flügel in ganzer Höhe vorhanden (heute ist es bis auf einen Rest abgebrochen). Als Architekt wird Arndt Johannsen, Stadtbau­ meister von Arnheim genannt, der 1 56 7 durch den französischen Meister Joist de la Court abgelöst wurde. In Oberdeutschland ließen die Grafen von Zimmern 1 5 5 7 zu Meßkirch eine Vierflügelanlage, wahrscheinlich nach Plänen von Jörg Schwartzenberger, beginnen. Ausgeführt wurden nur drei Flügel, den Platz des vierten Flügels nimmt der ältere, in den Hofraum eingreifende spät gotische Bau ein. Als Wahrzeichen und Siegesdenkmal ließ Kurfürst August von Z 1 1 Sachsen 1 5 67 die Augustusburg bei Chemnitz aufführen. Der Bau wurde durch Hieronymus Lotter begonnen und von seinem Mit­ arbeiter und Nachfolger Erhard van der Meer 1 5 73 vollendet. Die Anlage bildet ein Quadrat von 86 m Seitenlänge. Vier qua­ dratische Eckhäuser springen in den Hof ein, so daß dieser die Form eines griechischen Kreuzes erhält. Die Ecken des Schlosses sind als gedrungene Türme ausgebildet. Im ganzen wirkt die massige Anlage nach Minderung der Zierglieder heute nüchterner als es der ursprünglichen Absicht entsprach. Z 12 Das Aschaffenburger Schloß, die von Erzbischof und Kurfürst Johann Schweickhard von Kronberg, einem Nachkommen Franz von Sickingens, erbaute Johannesburg, verwirklicht den Typus des Geviertbaus mit Ecktürmen in vollendeter Weise. Nachdem die Wiederherstellung des 1 945 durch Bomben und Artilleriefeuer schwer angeschlagenen Schlosses fast abgeschlossen ist, thront es wieder, von fünf Türmen überragt (der mittelalterliche Bergfried wurde übernommen) , als mächtiges sandsteinrotes Kastell über dem Fluß, die Stadt ebenso beherrschend wie die weite Landschaft zu Füßen des Spessarts. Der Baumeister, Georg Riedinger, war 16

Z 9 Moritzburg in Halle, Grundriß nach Mrusek, Burgen 41

Z 10 Horst, Grundriß nach Haupt I I , 200

Z 1 1 Augustusburg bei Chemnitz, Grundriß nach Dehio-Handbuch 20

Z 1 2 Aschaffenburg, Grundriß nach lnv. Aschaffenburg 230

Z 1 3 Ancy-le-Franc, Grundriß nach Haupt I, 24

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gebürtiger Straßburger. Bevor er 1 605 in mainzische Dienste trat, war er für die Markgrafen von Ansbach tätig gewesen, vermutlich an der Wülzburg. Später arbeitete er für Hessen und für Kurtrier und errichtete gegenüber Koblenz unterhalb des Ehrenbreitsteins die Philippsburg, die aber vollständig untergegangen ist. Zur Beurteilung seines Könnens sind wir auf das Schloß Aschaffen­ burg angewiesen. Es weist ihn als einen der bedeutendsten deut­ schen Baumeister aus. Riedinger muß die dort vollbrachte Leistung bewußt gewesen sein, denn er hat 1 6 1 6 zu Mainz ein groß­ formatiges Kupferstichwerk über das Schloß veröffentlicht : " Ar­ chitektur des Maintzischen Churfürstlichen newen Schloßbaws St. Johannspurg zu Aschaffenburg, sampt dessen gründen, aufzügen, gehenkewerks, gibeln und figuren von alten Römischen Kaysern innerhalb des Bawes, beneben einem ufzug der Statt Aschaffen­ burg und ganzen Schloßbaws. « Es ist wie das Schloß selbst, ein ansehnlicher Beitrag zur deutschen Architekturgeschichte. Daß Riedinger französische Renaissance-Schlösser kannte, und daß er auch die theoretischen Werke, etwa von Ducerceau, studiert hatte, darf vorausgesetzt werden. Das Musterschloß von Ancy-le-Franc hat manche Khnlichkeit in der Auffassung mit Aschaffenburg. Rie­ dinger hat indes diese Gedanken sehr selbständig verarbeitet und in einem nicht nur äußerlich größeren Format vorzutragen ge­ wußt. Aber auch seines Straßburger Landsmanns Wendel Diet­ terlin 1 598 erschienene " Architectura « hat er gekannt, feiern doch die phantasiereichen Zeichnungen Dietterlins in der Aschaffen­ burger Bauplastik fröhliche Urständ. Der Geviertbau stellte auch für Wasserschlösser neben der Rund­ anlage eine ideale Bauform dar. Als Beispiel sei das Schloß Westerwinkel genannt. Als kompakter Baublock liegt es inmitten einer Parklandschaft. Die Dachgesimse der Häuser und Türme haben die gleiche Höhe. Aber gerade die hohen Turmhelme, durch die Abwalmung der übrigen Dächer an den Ecken noch stärker distanziert, geben der Anlage ihre eigene Note als Adelssitz. Das Schloß wurde 1 663-1 668 für den Grafen von Merveldt erbaut. Das 1 8 . Jahrhundert bevorzugt die offene Bauweise der Schlös­ ser. Die Vierflügelanlagen werden vor allem vom Klosterschloß übernommen und bilden dort geradezu den Standardtyp. An das 20

Z 14 Kloster Obermarchtal, Grundriß nach Dehio-Handbuch 355

Z 15 Kloster Sießen, Grundriß nach Gradmann, Kunstwanderungen 415

Z 14 Z 15 Z 16

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Geviert der ehemaligen Klostergebäude von Obermarchtal ( 1 686/ 1 702, jetzt Schloß der Thurn und Taxis) und ebenso an das frühere Dominikanerkloster Sießen ( 1 70 1 von Christi an Thumb) muten die jeweiligen Klosterkirchen wie angehängt an. Ein barocker Geviertbau ist auch das neue Schloß Tettnang. Es wurde 1 71 2 durch den Benediktinerfrater Christian Gessinger aus Isny für die Grafen Montfort errichtet (nach einem Brand 1 75 3 durch Jakob Emele erneuert) . Die vier Flügel mit übereck gestellten pavillonartigen Erkertürmchen gruppieren sich um einen Innenhof, dessen vier Ecken von Treppentürmen ausgefüllt werden. Auch die romantische Architektur greift auf den Geviertgrund­ riß mit Ecktürmen zurück. Im Schloß der Fürsten von Putbus zu Granitz auf Rügen errichtete 1 8 3 6 der Berliner Architekt Stein­ meyer nach Plänen von Schinkel ein zweigeschossiges Gebäude. Es diente als Jagdschloß. Die Ecken haben runde Türme, die mit Zinnen bekrönt sind. Die Flucht der Außenwände wird nur auf der Südseite durch einen Apsisausbau unterbrochen. Im Hof steht ein hoher, runder Turm. 6.

Z 18

Zentrale Rund- und Mehreckanlagen

Eines der interessantesten Schlösser der deutschen Renaissance ist das Schloß Stern in Prag. Trotz Verunstaltung seines Äußeren vermag der originelle Grundriß noch die geistreiche Ursprungs­ form zu erschließen. Sein Bauherr war Erzherzog Ferdinand, Sohn Kaiser Ferdinands I. Er hat es auch selber entworfen. Aus­ geführt wurde der Bau 1 5 55 ff. von den Italienern Paolo della Stella, Hans de Spatio und Zoan Maria, von denen auch der Prager Belvedere Kaiser Ferdinands I. errichtet wurde. Als weiterer Meister wird am Schloß Stern Ferrabosco di Lagno genannt. Die persönliche Note, welche Erzherzog Ferdinand dem Ganzen zu geben wußte, war auch in der Gestaltung der Räume zu erkennen. Sie bildeten Rauten, die durch Korridore getrennt waren. Fünf enthielten gewölbte Säle, in der sechsten war das Treppenhaus untergebracht. Wände und Decken trugen Stuck­ ornamente und Fresken. Die Anregungen für die Stuckverzierungen könnte der Erzherzog aus römischen Grabkammern empfangen 22

Z 16 Tettnang, Grundriß nach Gradmann, Kunstwanderungen 45C

Z 1 7 Granitz, Grundriß nach Dehio-Handbuch 30

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haben, die damals im Zeichen der Begeisterung für die Antike neu entdeckt wurden. Domenico Egidio Rossi entwarf um 1 690 für den Markgrafen von Baden ein Lustschloß auf dem Grundriß eines Andreaskreuzes. Der Plan blieb unausgeführt. Reizvolle Zentralanlagen schuf sowohl im kleinen wie im großen Format das 1 8 . Jahrhundert. 1 723 ließ Kardinal Damian Hugo von Schön born z u Waghäusel durch Michael Ludwig Rohrer eine Eremitage erbauen. Das Gebäude ist als Rotunde angelegt, aus der auf vier Seiten achteckige Pavillons, "Kavaliershäuschen" , aus­ laden. In der Hauptachse liegen das Vestibül, zwei rautenförmige Mittelräume, "Glaszimmer" genannt, ein Vorsaal und ein "Be­ suchszimmer" . Entsprechend sind in der Querachse zwei " Sa­ lettel" und zwei herrschaftliche Zimmer sowie dazwischen andreas­ kreuzartig auf die Mitte zulaufende Nebenräume angeordnet. Gleichfalls als Eremitage - der Zeitströmung entsprechend wurde in Bayreuth das Neue Eremitageschloß 1 749-1 753 gestaltet. Sein Architekt, Joseph Saint-Pierre, errichtete einen achteckigen Mitteltempel, der mit einer Kuppel abgedeckt war. Von hier schwangen sich zwei Flügel nach vorne und bildeten einen großen Halbkreis. Die Anlage wurde 1 945 zerstört. Das Poppelsdorfer Schloß in Bann war von dem Pariser Architekten Robert de Cotte 1 7 1 5 als Zentralbau mit mittlerer Ro­ tunde entworfen worden. Darum legten sich vier Flügel. Der Bau gedieh unter Guillaume d'Hauberat nur in seinen Anfängen. Erst 1 744 wurde er durch Balthasar Neumann fortgeführt und 1 756 vollendet. Eine Zentralanlage besonderer Art ist das 1 722-1726 durch Pierre Etienne Monnot erbaute " Marmorbad" der Karlsaue zu Kassel. In den würfelförmigen, vornehm gegliederten Baukörper ist ein achteckiger Binnenraum mit Badebassin einbeschrieben, gewissermaßen ein säkularisiertes Baptisterium, das von Statuen und Reliefs aus der antiken Göttersage umgeben ist. Eine gesteigert monumentale Verwirklichung fand der Zentral­ baugedanke im Oktogon des Riesenschlosses von Kassel-Wilhelms­ höhe. Diese gigantische Ruinenarchitektur wird gekrönt von dem Bronzestandbild des Herkules Farnese. Sie umschließt einen 24

Z 1 8 Schloß Stern in Prag, Grundriß nach Haupt Ir, 2 1 8

Z 1 9 Waghäuse1, Eremitage, Grundriß nach Lacroix/Niester, Kunstwan­ derungen 296

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Z 20 B ayreuth, Eremitage, Grundriß des Neuen Schlosses nach Kreisel, Franken 49

Z 21 Bonn, Schloß Poppelsdorf, Grundriß nach Koepf, Baukunst 628

Z 22 Maisons, Grundriß nam Brinkmann 1 74

Z 23 Bürgeln, Grundriß nam Lacroix/Niester, Kunstwanderungen 1 1 3

Grottenhof, aus dem das Wasser zum Kopf des von Herkules erschlagenen Riesen Enkelados geleitet wird, um dann in Kas­ kaden hinabzufließen. 7.

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Der offene Dreiflügelbau

Der offene Dreiflügelbau war eine beliebte Grundrißform namentlich der Barockzeit. Sie läßt sich aus dem Geviertbau, dessen eine Seite offen bleibt, ableiten, aber auch aus dem Risalit­ schloß. Entscheidend für ihre Aufnahme in der deutschen Schloß­ baukunst waren wohl die französischen Vorbilder. Hier spielen die Schlösser, die Fran�ois Mansart in Blois ( 1 63 5 ff.) im Anschluß an das alte Schloß und in Maisons ( 1 642/50) erbaute, eine wichtige Rolle. Dort wird der von der Renaissancetradition wegführende neue Weg eingeschlagen, "da nun der festumhegte Bezirk auseinanderbricht, die Flügelbauten zu abgesprengten Wirtschaftsbauten werden, der zentralisierende Hof seine Kraft verliert und der befreite Mitteltrakt in ganz anderer Weise gegen den Vorplatz - die Cour d'honneur - und den Garten räumlich und plastisch sich einzustellen vermag. Während also das Stadt­ Mtel die (Vier-) Flügelanlage bewahrt, entwickelt der Schloßbau den freien, nach allen Seiten sichtbaren Baukörper" (Brinckmann). Das Schloß Altenburg in Thüringen, auf einem Porphyrfelsen im Nordosten der zugehörigen Stadt gelegen, war einst Mittel­ punkt eines staufischen Reichsgaus. Es kam 1 328 an die Wettiner. Seit 1 706 wurde es als Residenz der Herzöge von Sachsen­ Altenburg ausgebaut. Die alte Randhausburg war schon 1 5 1 8 unter Friedrich dem Weisen umgestaltet worden. I m späten 1 6. und 1 7. Jahrhundert erhielt die Anlage weitere renaissancehafte Züge. Das 1 8 . Jahrhundert vergrößerte das Schloß durch eine mächtige Dreiflügelanlage. Architekt war Gottfried Samuel Vater. Das hauptsächlich zwischen 1 723 und 1 730 errichtete Corps de Logis ist im Äußeren ganz schmucklos geblieben. Nur die Ecken wurden oberhalb der Dachtraufe durch turm artige Aufbauten betont. Die Verbindung einer mittelalterlichen Burg mit einem spät­ barocken Schloß nimmt in einzigartiger Weise Hirschberg im 28

Z 24 Hirschberg, Grundriß nach Mader, Hirschberg 7

Z 25 Altenburg, Grundriß nach Ebhardt I, 394

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Altmühltal wahr. Die Burg der Grafen von Hirschberg aus dem beginnenden 1 3 . Jahrhundert mit zwei mächtigen Türmen war mit der Zeit in den Besitz der Bischöfe von Eichstätt gelangt. Sie wurde 1 760/64 unter Fürstbischof Raimund Anton Graf von Strasoldo in ein Sommerschloß verwandelt. Leiter der Bauarbeiten war der aus Oberitalien stammende Moritz Pedetti. Er fügte der mittelalterlichen Anlage, deren Schild mauer er durch ein Gitter­ tor ersetzte, und deren Türme er als monumentale Pylonen benützte, einen langgestreckten, 1 50 m tiefen Ehrenhof an, den er mit drei Flügeln umgab. Der Mitteltrakt, der auch den Saal enthielt, bildete zugleich den Zielpunkt einer langen Achse, die aus der Berglandschaft heraus, zuletzt als " Fürstenstraße" durch einen Park auf das Schloß zuführt. In einfacher, aber gediegener Weise werden die Gedanken des Dreiflügelbaus im Zwiefaltener Prälatenschloß zu Mochental durch Hans Martin und Joseph Schneider 1 730/34 verwirklicht. Als hübscher Dreiflügelbau gibt sich das schön gelegene Propstei-Schloß des Klosters St. Blasien oberhalb von Bürgeln zu erkennen. Der Baudirektor des Deutschen Ordens, Johann Caspar Bagnato und sein Sohn Franz Anton, denen eine Reihe von Schloßbauten zu danken sind, haben es 1 762 errichtet. Die Flügel schaffen einen Hof, aus dem eine doppelläufige Freitreppe zum Eingang emporführt. Die Flügelenden sind risalitartig nach außen um eine Fensterachse verstärkt. Das Beispiel eines großen Barockpalastes in Dreiflügelanlage aus der Blütezeit des Schloßbaus liefert Pommers/elden. Es war keine Residenz, sondern Schönbornscher Privatbesitz. Die Pläne lieferte unter Beteiligung des Bauherrn, des Mainzer Kurfürsten und Bamberger Bischofs Lothar Franz von Schönborn, Johann Dientzenhofer. Die Ausführung erfolgte 1 71 1-1 7 1 6. Drei Flügel, die in turmartigen Eckpavillons enden, umschlossen einen Ehren­ hof, in den das Glanzstüd{ der Anlage, der Mittelpavillon mit dem Treppenhaus und den bei den Sälen " sehr ungestüm und sehr kolossal vorsprang. Das mußte er, denn es sollte sich ja ein gewaltiges, bisher noch nie erdachtes, ganzes Treppenhaus ein­ verleiben, von dem der Bauherr immer wieder betonte, daß es ,von seiner Invention und sein Meisterstück' sei" (Kreisel). Die 30

-t-' 5

so

Z 26 Pommersfelden, Grundriß nach Kreisel, Franken 4 1

zentrale Rolle des Ehrenhofes wird 1 7 1 8 verstärkt durch die Anlage eines von Maximilian von Welsch entworfenen Marstalls auf segmentförmigem Grundriß mit Flügelansätzen. Dieser Bin­ nenraum läßt die Masse des Schlosses noch bedeutender erschei­ nen, weil alle Gebäudeteile in der Nähe des Beschauers bleiben. Die Gartenseite dagegen, mit drei Pavillonvorsprüngen in der Mitte und an der Seite, wirkt als breit hingelagerte Baumasse und Abschluß weiter Wiesenflächen. 8.

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Der Dreiflügelbau mit Seitentrakten

Das offene Quadrat oder Rechteck eines Ehrenhofes enthielt stets die Möglichkeit zu Erweiterungen. Sie mußten nicht im Bauver­ band bleiben, sondern konnten auch in Form verselbständigter Flügel und Pavillons geschehen. Diese Tendenz machte sich im ausgehenden 1 8 . Jahrhundert fast allenthalben bemerkbar, vor­ ausgesetzt, daß die Mittel dafür vorhanden waren. Sie setzt sich auch in zahlreichen Parkbauten des 1 9. Jahrhunderts fort. Die Anlage des westfälischen Wasserschlosses Nordkirchen durch den Fürstbischof von Münster, Friedrich Christi an von Pletten­ berg, erfolgte zwischen 1 703 und 1 730 auf einer rechteckigen Insel, die zuvor die zum Schlosse umgebaute Burg der Herren von Morrien getragen hatte. Von dieser wurde nur die Konzeption der vier Ecktürme übernommen. Alles übrige, im wesentlichen nach Plänen von Gottfried Laurenz Pictorius, ist eine riesige, in die Tiefe auf den beherrschenden Mittelbau zu gestaffelte Anlage, die unter Johann Conrad Schlaun durch zusätzliche Bauten erweitert wurde. Damit verbunden ist ein ausgedehnter Park, in dem noch ein anderes Schloß, die 1 705/07 errichtete Oranienburg, steht. In der Rheinebene bei Bruchsal konnte sich auch die Schloßplanung entfalten, die Kardinal Damian Hugo von Schönborn dort für die Residenz der Fürstbischöfe von Speyer hegte. 1 720 fertigte Maximilian von Welsch die ersten Pläne für die groß­ zügig gegliederte Anlage, die sich rechtwinklig zur alten Straße nach Heidelberg aufreiht und durch das Damianstor abgeschlossen wird. 1 722/25 entstand, wesentlich unter Franz von Ritter zu Grünstein, das Corps de Logis, ein rechteckiger Baublock mit zwei 32

Z 27 Bruchsal, Gesamtanlageschema nach Lacroix/Niester, Kunstwande­ rungen 28 1

Z 28 Würzburg, Grundriß nach Kreisel, Franken 45

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Lichthöfen und betonten Mittelrisaliten, der das 1 73 1 von Bal­ thasar Neumann geschaffene Treppenhaus enthält, während die seitlichen Risalite nur wenig hervortreten. Der Ehrenhof wird von zwei Seitenflügeln, dem Kammerflügel im Norden ( 1 723 von Johann Seitz) und dem Kirchenflügel im Süden ( 1 725 von Michael Ludwig Rohrer) gerahmt, die durch Zwischengalerien mit Tordurchgängen an das Corps de Logis angeschlossen sind. Der Ehrenhof ist von der Straße her durch einen Torbau, in dem die Wache untergebracht war, zugänglich. Beiderseits stehen kleinere Amtsbauten. Ostwärts der Straße findet man, im Dreieck auf­ einander bezogen, die Gebäude der Kommandantenwohnung und des Forstamtes sowie in der Mitte den Kanzleibau. Der Stadt zu wird die Straße im Osten von dem großen Dienerbau gesäumt, ihm gegenüber liegen weitere, um einen großen Hof gruppierte Gebäude. Dort wurde, um die Symmetrie der Hauptbauten nicht zu stören, auch der elegante Schloßturm 1 73 8 nach Balthasar Neumanns Plänen errichtet. Im Westen des Schlosses wurde zu beiden Seiten der Mittelachse eine Gartenanlage geschaffen, die, begleitet von Bassins und Figuren, in die Weite der Landschaft führt. Auf dem Grundriß einer Dreiflügelanlage entwickelte sich der bedeutendste deutsche Schloßbau des 1 8 . Jahrhunderts, die Residenz der Fürstbischöfe von Würzburg. An ihrer Gestalt sind unter der Leitung von Balthasar Neumann u. a. Welsch aus Mainz, Hildebrandt aus Wien, de Cotte und Boffrand aus Paris beteiligt. Es ist Neumann gelungen, die verschiedenen Auffassungen für die Gesamterscheinung des Schlosses fruchtbar zu machen. Das war auch eine menschlich anerkennungswerte Leistung, die Takt und viel Selbstlosigkeit erforderte, zumal ihm auch der Bauherr oft genug nicht nur hineinredete, sondern sogar in seinen Plänen mit dem Stift herumkorrigierte. Die dilettierende Beschäftigung mit der Architektur galt damals im Adel als standesgemäß. Den Schön­ borns darf man freilich einräumen, daß sie etwas vom Bauen verstanden. Die Residenz ist an der Stelle eines von Petrini erbauten Schlößchens axial auf die nahe Bastion der Stadtbefestigung aus­ gerichtet. Der Kernbau umschließt einen Ehrenhof, der einst 34

durch ein schwungvolles Gitter abgeschirmt war, und je zwei Lichthöfe, das heißt die Seitenflügel sind zu einmal unterteilten, rechteckigen Geviertanlagen erweitert. Auf der langen Gartenfront und in der Mitte der beiden äußeren Seitenflügel befinden sich ovale Pavillons. Der Mitteltrakt umschließt außer Vestibül und Gartensaal den eindrucksvollen Kaisersaal, eine der überzeugend­ sten Raumschöpfung des deutschen Barocks. Das Treppenhaus ist seitlich untergebracht (wie zu Schleißheim), so daß das Ober­ geschoß in der Mitte noch einen weiteren Saal, den » Weißen Saal" erhalten konnte, der als Vorraum mit seinem einfarbigen Stuck­ dekor den kontrapunktischen Auftakt zum Kaisersaal bildete und auch den Zugang zu den einstigen Paradezimmern des Corps de Logis eröffnete. Vor der Stadtseite wurde ein geräumiger Platz geschaffen, den zwei Gebäude, der noch von Petrini stammende Rosenbachhof auf der Nordseite und diesem entsprechend der 1 76 7 im Süden errichtete Gesandtenbau nebst anschließenden Kolonnaden und hohen Säulen, flankieren. 9.

Kompositanlagen

Wir verstehen darunter solche Schlösser, die sich aus mehreren Grundrißelementen zusammensetzen. Sie gehören fast ausschließ­ lich dem 1 8 . und 1 9 . Jahrhundert an. Je mehr sich die Schloß­ bauzeit ihrem Ende zuneigt, desto stärker tritt die eklektische Note in Erscheinung. Das Hauptwerk des " friderizianischen Rokoko" , das Schloß Sanssouci bei Potsdam, wurde von seinem Bauherrn skizzenhaft konzipiert, bevor es 1 744/4 7 durch Knobelsdorff ausgeführt wurde. Das Schloß selbst, ein einstöckiger Bau mit kuppel­ gekröntem Mittelpavillon, wird durch diesen in die Königswohnung und den Kavaliersflügel unterteilt. Während sich die Südseite über Terrassen mit verglasten Gewächshäusern aufbaut, deren Mittelachse eine große Treppe bildet, die auf den zentralen Pavillon zuführt, ist der Nordseite ein offenes Halbrund von Kolonnaden mit korinthischen Doppelsäulen vorgelagert. Von hier ist die Hauptachse auf einen mit künstlichen Ruinen aus35

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Z 30 Z 46

staffierten Berg bezogen. Die Terrassenfront des Schlosses besitzt hohe rundbogige Fenster, die bis zum Boden herabreichen. Zwi­ schen ihnen tragen Atlantenpaare, als vergnügte Bacchanten dar­ gestellt, das Gebälk. Wesentlich strenger gibt sich die Nordseite. Sie behält nur das Motiv der Fenstertüren bei. Die trennende Funktion üben Halbsäulen aus. Dort befand sich die Auffahrt und der Eingang für die Besucher. Ihnen trat das Wohnschloß des Königs bei aller Gelöstheit mit feierlicher Repräsentation ent­ gegen. Entsprechend waren die Innenräume angelegt und gestaltet. Die Gartenseite indes, wo auch der Schloßname angeschrieben ist, ist eine geistvolle und glückliche monumentale Verdichtung des dem musischen Leben aufgeschlossenen Kultur- und Naturbewußtseins, wie es dem persönlichen Stil Friedrichs des Großen entsprach. Die ausgedehnte Schloß anlage der bayrischen Kurfürsten zu Nymphenburg am Stadtrande von München erstreckt sich über einen beträchtlichen Raum. Auch hier sind verschiedene Grundriß­ formen aufeinander bezogen und miteinander verbunden. Vor der 605 m breiten Gesamtfront dehnt sich eine halbrunde, nur wenig unterteilte Rasenfläche, deren Peripherie mit "Rondell"-Häusern besetzt ist. Das eigentliche Schloß besteht aus einem kubischen Mittelbau, dem sich seitlich, durch Galerien verbunden, je zwei in die Tiefe gestaffelte, im Grundriß quadratische Pavillons zu­ ordnen. An diese schließen sich in großen rechten Winkeln die übrigen Bauten, teilweise mit Flügeln an. Der Mittelbau ist noch ein Werk des 17. Jahrhunderts, von der Kurfürstin Adelaide von Savoyen als Lustschloß erbaut. Der Um- und Ausbau unter ihrem Sohn Max Emanuel (1679 -1726) begann 1702. Die Mitte des Lustschlosses erhielt einen durch vier Pilaster und große Bogen­ fenster kenntlich gemachten Saal. Pläne für den Ausbau lieferte Enrico Zuccalli, die örtliche Bauleitung hatte Antonio Viscardi. Die Beteiligung des Kurfürsten am Spanischen Erbfolgekrieg auf Seiten Frankreichs legte die Bauarbeiten 1704 vorläufig still. Erst zehn Jahre später wurden sie wieder aufgenommen. Maßgebender Architekt war jetzt der während des Pariser Aufenthaltes des Kurfürsten bei Germain Boffrand ausgebildete Joseph Effner. Er trat die Nachfolge Zuccallis an. Damit wurde die bisherige ita­ lienische Richtung durch den französischen Geschmack abgelöst.

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'"'7 _."�uf. �,,--7 Z 29 Sanssouci, Planskizze Friedrichs d. Gr., nach Rokoko 1 9

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Z 30 Nymphenburg, Schloß und Rondell nach Kreisel, Altbayern 5 2

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Unter dem Kurfürsten Karl Albrecht ( 1 726-1 745), der 1 742 als Karl VII. den deutschen Kaiserthron bestieg, wurde auch Nymphenburg weiter ausgebaut. Er ließ den schon von seinem Vater geplanten großen Halbzirkel vor dem Schloß ausführen. Damit sollte eine neue Stadtanlage, die " Karlstadt" eröffnet wer­ den, deren Straßen strahlenförmig auf das Schloß zugeführt hätten. Die Stadtplanung blieb in den kriegerischen Verwick­ lungen der Regierungszeit Karl Albrechts stecken. Nur das Schloß­ rondell wurde in den 60er Jahren ausgeführt. Der Gedanke einer Residenzstadt mit radialen Straßen und Alleen wurde in Karlsruhe 1 71 5/ 1 8 verwirklicht. Voraus ging ein Jagdschloß, von dem die Idee des Sterns herrührt. Im Mittel­ punkte des Sterns entstand ein massiver runder, im Obergeschoß achteckiger Turm, auf den nicht nur die Straßen des im Süden rechtwinklig anschließenden Stadtsektors und die Alleen des Parks sowie die Schneisen des Hardtwaldes ausgerichtet sind, son­ dern auch die Schloß flügel und die diesen angegliederten Neben­ gebäude. Sie begrenzen ihrerseits wieder gegen die Stadt, den Schloß hof und den Lustgarten. Das Schloß selbst ist dreiteilig angelegt mit dem Corps de Logis in der Mitte vor dem isolierten Schloß tor und zwei im stumpfen Winkel anstoßenden Flügeln. Der Eingang ist durch Eingangshalle, Wandpilaster und Giebel hervorgehoben. Die " Gelenke" zu den Seitenflügeln sind ebenfalls durch Risalite betont. Diese Form des Schlosses ist das Ergebnis längerer Planungen, an denen vor allem Leopold Retti, Philippe de la Gu�piere und Balthasar Neumann mitwirkten. Die Ausführung stammt hauptsächlich von Friedrich von Kesslau in enger Anlehnung an den dritten Entwurf Neu­ manns. Das im Zweiten Weltkrieg ausgebrannte Schloß ist in­ zwischen wiederhergestellt. Eine Kompositanlage ist auch das Klosterschloß zu St. Blasien im Schwarzwald. Das alte Kloster war 1 742 abgebrochen und durch einen Neubau, der als rechteckiger Geviertbau zwei Höfe umschloß, durch Johannes Michael Beer neu errichtet worden. Nach einem Brand im Jahre 1 76 8 wurden die Konventsgebäude wieder­ hergestellt und durch eine Rundkirche bereichert. Sie nimmt auch die architektonische Mitte des Komplexes ein und bringt den 38

Z 3 1 Karlsruhe, Grundriß nach Götz, Marställe 56

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Z 32 St. Blasien, Klosteranlage nach Lacroix/Niester, Kunstwanderun­ gen 98

Zentralbaugedanken an entscheidender Stelle zur Geltung. Ihre strenge klassizistische Form und die überragende Kuppel treten in Beziehung zu den weitläufigen dreigeschossigen Klostertrakten mit Eck- und Mittelrisaliten. Die Kirche wurde von Pierre Michel d'Ixnard, der in Oberschwaben und Freiburg verschiedentlich im Schloßbau tätig war (Königseggwald, Auendorf, Freiburg), unter Mitarbeit von Joseph Salz mann und Nicolas de Pigage erbaut. 10.

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Unregelmäßige Grundrisse

Soweit die Schlösser umgebaute Burgen sind, wird sich ihr Grundriß oft als unregelmäßig erweisen. Der Plan einer Burg folgt eigenen Gesetzen. Die Unregelmäßigkeit und Asymmetrie widersprach jedoch den Auffassungen, die seit der Renaissance verbindlich geworden waren. Von der Planung her unregelmäßige Schloßanlagen sind daher sehr selten. Häufiger ist die Unregelmäßigkeit Ergebnis einer bau­ geschichtlichen Entwicklung oder besonderer Geländeverhältnisse. Als einziges Beispiel darf hier die Bamberger fürstbischöfliche Residenz genannt werden. An einen älteren, 1 605/06 von Jakob Wolf d. A. und von Gebsattel erstellten dreiflügeligen Bau wurden 1 699-1 704 durch Leonhard Dientzenhofer zwei im rechten Winkel aneinanderstoßende Bauten errichtet. Daraus ergibt sich ein eigenartig geknickter Grundriß. Er ermöglichte jedoch einen Auf­ bau, der dem Schloßganzen " ein Gesicht, eine Front und eine Hauptschauseite schenkte" (Kreisel) . Die Architektur gipfelt sich in dem ostwärtigen, der Stadt zugekehrten Flügel mit einem vier­ geschossigen Eckpavillon auf.

C. D IE B ESTANDTEILE DES B AUORGANISMUS S CHLOSS 1.

Der Repräsentations- und Wohnflügel (das Corps de Logis)

Der Hauptbau eines Schlosses enthielt die Repräsentationsräume und die Wohnzimmer des Schloßherrn. In Anlehnung an die fran­ zösische Schloß architektur heißt dieser Teil " Corps de Logis" . Be40

Z 33 Bamberg, Residenz, Grundriß nach Kreisel, Franken 3 7

Z 3 4 Heiligenberg, Grundriß nach Lacroix/Niester, Kunstwanderungen 5 6

nachbarte Flügel wurden entsprechend benannt. So gibt es den Küchenflügel und, falls eine Verwaltung im Schlosse ihren Sitz hatte, den Kammerflügel. Bei Residenzen waren auch Wach­ gebäude vorhanden.

Z 34

a) Der Saal In den deutschen Kaiserpfalzen des Mittelalters stellte der Palas­ saal den eigentlichen Repräsentationsraum dar. Die Bezeichnung " Saal " als pars pro toto kennzeichnete eine kaiserliche Residenz. Man sprach zu Gelnhausen von " des riches sal" ( 1 4 3 1 ) , zu Frank­ furt hieß die Burg der " Saalhof" und noch Justinus Kerner besingt die Fürstenversammlung des Reichtags von 1 495 zu Worms " im Kaisersaal " . In der Linie dieser Tradition wurde der Saal von der Frühzeit des Schloßbaus an bevorzugtes Objekt künstlerischer Gestaltung. Die Burgenarchitektur des ausgehenden 1 5 . Jahrhunderts hatte den Renaissance-Saal vorbereitet. Der gewölbte Saal des Königs Wladislaw auf der Prager Burg, 1 49 3 von Benedikt Ried erbaut, war mit 62 X 16 X 13 m noch auf lange Zeit hinaus der größte Saalbau des deutschen Kulturraums. An diese Raumschöpfung schließt sich 1 564 der Spanische Saal auf Schloß Amras in Tirol a n . Zusammen m i t den Sälen von Weikersheim, Heiligenberg und Wolfegg vertritt er ein neues Raumbewußtsein. Diese Renaissancesäle sind sämtlich flachgedeckt. Die in der Gotik vorgeformte Kassettendecke kommt, verbunden mit italienischen Elementen, jetzt zur vollen Wirkung und gibt den Räumen ein neues Gepräge. Dabei wird die Decke des öftern durch Spielarten des Vielecks plastisch-geometrisch durchgestaltet, so daß sie, wie im Truchsessenzirrimer von Schloß Zeil oder auf Schloß Vel­ thurns, ein eigenes Leben zu führen scheint. Die Kassetten des mächtigen Audienzsaals im Schloß Jever sind aufs reichste 1 560/64 mit Ornamentfiguren aus der Werkstatt des Cornelis Floris geschmückt worden. Kassetten oder Felder eigneten sich auch zur Aufnahme von Bil­ dern. Weikersheim kennt nebeneinandergesetzte gemalte Felder, die durch profilierte Stege geschieden werden. Auf Wolfegg ist die geometrische Einteilung bereits aufgegeben. Die Mitte der Decken42

fläche füllt ein großes Historienbild, das schon im Sinne einer barocken Hypäthraldecke verstanden ist. Die zahlreichen Festsäle des 18 . Jahrhunderts, die mit Bildern und plastischem Schmuck oft genug die Geschichte beschwören, vollenden diese Entwicklung. Die Klöster haben daran einen hervorragenden Anteil. Der von Tiepolo ausgemalte Würzburger Kaisersaal mit der Darstellung der Hochzeit Barbarossas .ist eines der besten Beispiele für die historische Bewußtheit dieses Vorgangs. Das gilt auch von dem 1 775/76 unter Maria Theresia vollendeten Riesen­ saal der Hofburg zu Innsbruck. An seiner Hypäthraldecke führen die Fresken von Franz Anton Maulpertsch die Ver­ einigung von Habsburg mit Lothringen und die Reichtümer Tirols vor Augen. Die in eigenen Gebäuden eingerichteten Garten- oder Musiksäle verselbständigen den Saalgedanken. Bis zum Klassizismus und Historismus nimmt der Saal in der Raumplanung der Schlösser eine zentrale Stellung ein. Dem Festsaal, oft " Marmorsaal" genannt, entsprach auf vielen Schlössern der Gartensaal. Man konnte beide Räume übereinander anlegen, auch für die Führung der Treppe war, wie Pommers- Z 26 leiden zeigt, diese Disposition von Bedeutung. Die " Sala terrena" war erdnah, den chtonischen Kräften verhaftet und darum häufig " grottiert" , das heißt mit Muscheln und Kieseln belegt. Aber auch der bukolischen Heiterkeit wandte sich die Thematik dieser Gartensäle zu. Die schweratmenden Sklaven, die als Pfeiler in der Sala terrena des Oberen Belvedere zu Wien die Gewölbe tragen, bilden einen eigentümlichen Kontrast zu der Beschwingtheit des Grotesken­ saals im Unteren Belvedere. Im Neuen Palais zu Potsdam grün­ det sich der riesige Marmorsaal auf dem Muschelsaal des Erd­ geschosses. Im Schlosse zu 'Weimar, dessen Neugestaltung unter den Augen Goethes erfolgte, schufen Nikolaus Friedrich Thouret, Heinrich Gentz und der Bildhauer Friedrick Tieck einen säulenumgebenen Festsaal von hoher Reinheit der Form und des Empfindens. Noch auf Neuschwanstein sind der Sängersaal und der Thronsaal das Z 1 1 3 eigentliche repräsentative Anliegen des Schlosses. 43

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b) Bildergalerie und Bibliothek Daß Antiquitäten- und Kuriositätenkabinette eingerichtet und besondere Bibliotheksräume geschaffen wurden, war nicht nur ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack, sondern elementare Auße­ rung des aristokratischen Selbstbewußtseins, das sich den Bildungs­ gütern des Humanismus verpflichtet wußte. Noch Kurfürst Fried­ rich der Weise von Sachsen und vor allem Kardinal Albrecht von Brandenburg hatten Reliquien in kostbaren Fassungen gehortet. Jetzt sammelte man Bilder, edle Steine, Antiquitäten, Fossilien und Geschmeide. Zu den großen Sammlern des 1 6 . Jahrhunderts zählte Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz. Er sammelte Waffen, Teppiche, die nach seinen Angaben hergestellt wurden, und Bücher. Er gehörte auch zu den großen Schloßbauherren. Das zeigen seine Werke in Neuburg und Grünau, vor allem aber der Palast, der im Residenzschloß der Pfalzgrafen zu Heidelberg seinen Namen trägt, und den man seinem künstlerischen Range nach an die Spitze der deutschen Renaissancebauten stellen muß. Das Antiquarium der Münchner Residenz, 1 569 durch Wilhelm Egckl für Herzog Albrecht V. zur Unterbringung seiner Antiken­ sammlung erbaut, ist mit seinem riesigen Klostergewölbe zugleich eine der eindrucksvollsten Raumschöpfungen der Renaissance, in der ein italienischer Vorentwurf des Jacopo della Strada deutsch interpretiert wird. "Was für eine einmalige, großartige Sache war doch diese . . . Halle, in der ein Wittelsbacher Herzog durch Aufstellung antiker Büsten unter zweimal sechzehn Bögen der Längswände monumental den Geist der Antike beschwor ; nach­ dem diese Skulpturen meist (wirkliche oder vermeintliche) Kaiser­ büsten, also Symbole der Herrschaft waren, wurde dabei gleich­ zeitig der jahrtausendealte Anspruch zum Herrschen gefeiert" (Kreisel) . Das Antiquarium war ein regelrechter Museumsbau, wie ihn Herzog Albrecht bereits 1 563/64 im Münchner "Münzhof" (ehe­ dem Marstall und Kunstkammer) durch den gleichen Baumeister hatte errichten lassen. Der dreigeschossige Arkadenhof gibt dem äußerlich schlichten Gebäude ein schloßartiges Gepräge. Einen Museumsbau, der im Zusammenhang mit einem Schloß entstand, besaß auch die Residenz der württembergischen Herzöge 44

zu Stuttgart. Es war der von Heinrich Schickhardt 1 599- 1 609 aufgeführte "Neue Bau " , ein großes, vierstöckiges Gebäude, in dem außer der Rüstkammer auch das Kunst- und Raritäten­ kabinett des Herzogs untergebracht waren. Der 1 75 8 durch Brand zerstörte und 1 780 abgebrochene Bau ist uns nur noch aus alten Bildern bekannt. " Seine Architektur war das durchaus indi­ viduell verarbeitete Ergebnis einer Italienreise seines Erbauers" (R. Schmidt) . Gemäldegalerien waren in vielen Schlössern (und Klöstern) ein­ gerichtet. Meist waren es einseitig beleuchtete Korridore oder in­ einanderführende Zimmerfluchten, die dafür ausersehen waren. Der Barock liebte es, die Bilder Rahmen an Rahmen zu hängen, so daß die Wände mit den mannigfachsten Motiven tapeziert waren. Diese erste Anordnung ist nur in wenigen Fällen erhalten geblieben, so im Schloß Mosigkau, das Anna Wilhelmine (t 1 780) von Anhalt-Dessau erbauen und mit dem " Oranischen Bilder­ schatz" ausstatten ließ. Auch eigene Galeriebauten, etwa im Park von Sanssouci, wurden geschaffen. Zu den Voraussetzungen des neuen Verhältnisses des Menschen zur Weit, das die Renaissance unter Berufung auf die Antike verwirklichen wollte, gehört die Buchdruckerkunst. Das Streben nach Wahrheit, die Bemühung um Erkenntnis fand im Buch ent­ scheidende Hilfe. Die humanistische Wißbegierde brauchte das Buch. Der gebotene Umgang mit Büchern forderte ihre sinnvolle Unterbringung. So wird die Bibliothek ein wichtiger Teil des Raumprogramms für den Schloßbau. Es war ein bezeichnender Vorgang, daß die Bücher aus der Enge von Turmstuben, Ge­ wölben und Klosterzellen umzogen in festliche Säle. Einer der bedeutendsten fürstlichen Büchersammler des 1 6. Jahr­ hunderts, der Pfalzgraf Ottheinrich, hat schon in seiner Neu­ burger Zeit eine große Bibliothek besessen, die er in Heidelberg mit der Schloß bibliothek und der Stiftsbibliothek zum Hl. Geist vereinigte und ständig weiter ergänzte. Im Heidelberger Schloß war bereits unter Ludwig V. ein eigener Bibliothekbau errichtet worden, der freilich dank seines hofseitigen Erkers noch sehr gotisch anmutet. Die barocken Bibliotheksräume werden namentlich durch die 45

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Klöster in einzigartiger Weise zu wahren Prunksälen ausgestaltet. Sie treten ebenbürtig neben die Festsäle. Zu Melk münden die Gebäudetrakte des von Jakob Prandtauer 1 702-1 726 völlig neu gebauten Stiftes in den einander entsprechenden repräsentativen Sälen, dem " Festsaal" im Süden und dem "Bibliotheksaal" im Norden. In Altenburg im Waldviertel ist der zweistöckige Bibliotheksaal mit drei Kuppeln ein gewölbt und ausgemalt. Die Wandgliederun­ gen in farbigem Stuckmarmor und das umlaufende kräftige Hauptgesims unterstreichen den festlichen Charakter des Raums. Mit farbengeschmückten Kuppeln ist auch die Klosterbibliothek zu Admont eingewölbt. Heiter und beschwingt ist die Welt der Barockbibliotheken in oberschwäbischen Klöstern, etwa in Wiblingen oder Schussenried. Die Bibliothek im Schlosse Sanssouci wirkt im Vergleich dazu bescheiden. Doch atmet dieser vornehme Raum dank seiner ge­ schmackvollen Intimität die Atmosphäre eines der Lektüre und dem geistvollen Gespräch aufgeschlossenen Philosophen. Recht bemerkenswert ist der mit der Wiener Hofburg verbun­ dene Bau der Nationalbibliothek ( 1 723/37) , deren großer Saal " als der schönste Bibliotheks raum der Welt gilt" (Hootz) . ) Die Kabinette Die Mannigfaltigkeit der Schloßkonzeption bekundet sich in einer Unzahl kleinerer Raumschöpfungen, die wir unter der überschrift " die Kabinette" zusammenfassen wollen. Ihr Spiel­ raum reicht von phantasievollen exotischen Dekorationen über die Verwendung seltener Materialien bis zu verschwenderisch aus­ gestatteten Boudoirs, Empfangs-, Tee- und Konferenzzimmern, auch " zwecklosen" Räumen, die nur dem Schmuckbedürfnis oder der Sucht nach Originalität ihre Entstehung verdanken. Im Jagdschloß Grünau, das 1 5 30/3 1 von Hans Knotz erbaut wurde, befand sich eine " Flohstube" , deren verblaßte Wandbilder bekleidete und nackte Frauen zeigen, " die auf mancherley art und an mancherley orten die flöhe fangen " . Das war ehrliche Weltlichkeit mit einer lauthals schallenden Freude an derben Späßen. Als Graf Kasimir von Erbach zu Beginn des 1 7. Jahrc

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hunderts auf dem Breuberg neue Bauten errichten ließ, die der Burg schloßartiges Aussehen verleihen, erhielt der nach ihm benannte Bau einen " Rittersaal ", dessen reiche Stuck decke neben einer Ahnenprobe auch sechs große Medaillons mit Gestalten der antiken Mythologie, Begebenheiten aus Tierfabel und Volksleben, zeigte. Jedoch huldigte man nicht nur einer sinnenfrohen Ausgelassen­ heit. Der kultivierte Geschmack der Barockzeit fand noch andere Themen, die ihm für die Ausschmückung von Schloßräumen geeignet schienen. Der preußische König Friedrich 1. gab bald nach seiner Krönung zu Königsberg 1 70 1 ein Zimmer aus Bernstein in Auftrag, das die Danziger Meister Ernst Schacht und Gottfried Tornow zusammen mit dem dänischen Bernsteinschneider Gottfried Wolffram ausführten. König Friedrich Wilhelm 1. hat dieses Zimmer 1 71 6 zur Bekräftigung des Bündnisses mit Rußland dem Zaren Peter 1. geschenkt. 1 755 wurde es im Schloß Zarskaje Sela eingebaut, wo es 1 9 4 1 herausgenommen und nach Königsberg gebracht wurde. Dort ist es 1 945 verschollen. Es war eines der kostbarsten Interieurs, die je geschaffen wurden. Friedrich der Große verehrte seiner in Bayreuth verheirateten Schwester vier japanische Lackreliefs, die dort für das Alte Schloß der Eremitage in einem "Lackkabinett" zusammen mit eigenhän­ digen Arbeiten der Markgräfin Wilhelmine verwendet wurden. Chinesisches Porzellan war ein begehrter Sammelgegenstand. Um seine chinesischen Vasen besser präsentieren zu können, ließ Graf Johann Ernst von Nassau-Weilburg im Schloß Weilburg 1 695 ein samtbespanntes chinesisches Kabinett einrichten. China war überhaupt zeitweilig die große Mode. Eine hübsche Tapete mit chinesischen Motiven ist im Hermannsbau zu Memmingen erhalten. Das Schloß Weikersheim besitzt ein chinesisches Zimmer, an dessen Verschnörkelungen der Künzelsauer Bildschnitzer Jo­ hann Jakob Sommer mit Söhnen sowie der Kunstschreiner Johann Heinrich Vogt aus Langenburg arbeiteten. Beliebt waren die Spiegelsäle oder Spiegel galerien, deren Wände aus Spiegeln bestanden, auf die Ornament und Gliederung auf­ getragen waren. Das mit großer Pracht ausgestattete Spiegel­ kabinett im Residenzschloß zu Ansbach entstand 1 739/40. Gerade 47

in solchen Spiegelzimmern vermochte der mit dem Illusionären kokettierende Stil des Rokoko sich auszuleben. Eines der reichsten befand sich in der Würzburger Residenz. Es ist 1 945 zugrunde gegangen. Ebenfalls ein Opfer des Krieges wurde das entzückende Watteau-Kabinett des Schlosses zu Bruchsal. Im Herrenhaus Ludwigsburg in Schleswig-Holstein wurde die "Bunte Kammer" mit einer Holztäfelung versehen, auf der in eckigen Rahmen 1 80 Sprichwörter in verschiedenen Sprachen mit dazugehörigen Bildchen aufgemalt sind. Ausgekachelte Räume sind etwa in Oranienbaum, wo der Sommerspeisesaal des 1 6 8 3/89 erbauten Schlosses Delfter Kacheln aufweist, welche große figür­ liche Darstellungen enthalten, oder in Nymphenburg, im Bade­ zimmer der Badenburg und in der Küche der Amalienburg zu finden. In der Münchner Residenz wurden unter Kurfürst Kar! AI­ brecht 1 73 3 die " Reichen Zimmer" nach Plänen von Fran�ois Cuvillies eingerichtet. Das "Porzellankabinett" und die benach­ barte " Ahnengalerie" sind als einzige von Cuvillies ausgestattete Räume der Residenz im Zweiten Weltkrieg erhalten geblieben. Unter zahlreichen Beispielen aus dem österreichischen Gebiet seien im Schloß Schönbrunn in Wien als repräsentative Kabinette genannt: das "Millionenzimmer" , das M�ria-Theresia 1 760 ein­ richten und mit 260 persisch-indischen Miniaturen in vergoldeten Rocaille-Rahmen ausstatten ließ, und das " Vieux-Laque" -Zim­ mer, dessen Wandvertäfelung aus chinesischer Lackmalerei besteht. Schloß Liriderhof entwickelte schon aus seinem Grundriß eine Raumfolge von Kabinetten, die reizendsten unter ihnen werden nach den Farben ihrer Wandbezüge genannt. d ) Das Treppenhaus Hatten sich die meisten Renaissanceschlösser noch mit Treppen­ türmen begnügt, deren Spindel und Trittführung freilich des öfteren recht einfallsreich waren - wie die Schloßtreppe zu Mergentheim von Blasius Berwart oder die Rebentreppe zu Göp­ pingen von dessen älterem Bruder Martin Berwart -, so war doch schon bald das Treppenhaus als eigenwillige Bauform in Erscheinung getreten. Auf Burg Trausnitz bei Landshut ist es in die 48

selbstsichere Bogenstellung der Hoflaube eingefügt, während die verborgene "Narrentreppe" mit burlesker Malerei aufwartet. Ein Glanzstück ist der Große Wendelstein des Schlosses Harten­ /eis zu Torgau, vergleichbar dem Treppenturm des Schlosses Blois. Er wurde 1 53 4 von Konrad Krebs auf rechteckigem Sockel als polygonaler, in Pfeiler aufgelöster Bau bis zum Dach empor­ geführt. Ein ähnlicher Turmbau dürfte auch im Hof des alten Berliner Schlosses gestanden haben. Im Barockschloß vollends sind die Treppenhäuser besondere Baukörper. Ihre konstruktiv bedingten Schrägen und Knicke er­ möglichten eine neue Aufschlüsselung und Aufteilung des Rau­ mes. Man gewann mit ihrer Hilfe Durchblicke, die mit Gewänden, Säulen und Geländern gerahmt wurden. D ie Treppenhäuser von Pommers/eiden und Würzburg, vom Wiener Belvedere, von Brühl und Bruchsal sind monumentale Steigerungen einer nützlichen und notwendigen Einrichtung, die an sich keinen künstlerischen Eigenwert besaß, die aber nun geradezu in die Mitte der Anlage rückte. Die Klöster standen den Schlössern nicht nach, wenn man an Schöntal, an Ebrach, an Gött­ weig und besonders an St. Florian denkt. Das schönste unter den barocken Treppenhäusern entstand in Bruchsal. In den ovalen Mittelpavillon hatte Balthasar Neumann ein zweites Oval eingebaut und damit "eine der Umfassungsmauer konzentrische, inselartige Plattform" (Dehio) geschaffen, zu der die Treppe der Außenwand entlang zweiläufig emporführte. Die Treppengeländer, welche Lukas von Hildebrandt im Palais Daun-Kinsky zu Wien oder im Schloß Mirabell zu Salzburg anbrachte, " besitzen die altdeutsche Phantastik der Einzelform, sie bringen das alte deutsche Steinbandwerk ins Rollen, so daß die Formen klettern, sich krümmen und in den Putten, die sie hinaufschaukeln, das tatsächliche Ansteigen der Treppe zu einem lustigen Schauspiel vermenschlichen" (Pinder) . Das Treppenhaus des Oberen Belvedere in Wien wird zuerst mit einem mittleren Aufgang eingeleitet, um sich an einem Podest zu gabeln und in zwei Armen das Obergeschoß zu erreichen. Dem gleichen Prinzip folgt das Stiegenhaus des Landschlosses Heiligenkreuz-Gutenbrunn. Die Wände sind durch Nischen mit 49

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Vasen gegliedert, oberhalb des Hauptgesimses sind Ovalfelder eingelassen, die teilweise Büsten enthalten. Das absmließende Deckenbild stammt von Paul Troger. An der Auszeichnung der Treppenhäuser nehmen auch kleinere Schlösser teil (Wurzach, Neues Schloß) . Ein interessantes hand­ werkliches Seitenstück, auch ein Zeugnis der Verwandtschaft mit dem bodenständigen Bauerntum ist das um 1 680 gearbeitete höl­ zerne Treppenhaus des westfälischen Wasserschlosses Eringerfeld. Korkziehersäulen tragen die Zwischendecken und gliedern den Treppenaufgang, dessen Handläufe auf schönen Balustern ruhen. e) Der Mittelrisalit Die Schloßbaukunst war im allgemeinen sehr auf Symmetrie be­ dacht. Das hatte zur Folge, daß die Mittelachse des Gebäudes betont wurde. Es geschah durch das Hauptportal, häufig einen darüber angebrachten Balkon, entsprechend reicher behandelte Fen­ ster und vor allem einen die Dachlinie unterbrechenden Giebel. Dieser Mittelteil trat im Laufe der Entwicklung immer stärker rechteckig oder halbrund, seltener polygonal aus der Wandflucht heraus, manchmal mehrere Fensterachsen tief, er erhielt eigene turmartige Bedachung und oft üppigen plastischen Schmuck. Der Mittelrisalit erwies sich damit als wichtiger und sehr bezeichnen­ der Bestandteil der spezifischen Schloßarchitektur. Ihm gegenüber blieben die Seitenrisalite zurückhaltender, so­ weit sie sich nicht mit eigenen Flügeln verselbständigten. Der auf der Südseite gelegene Eingang zum Kurmainzischen Schloß Aschaffenburg ( 1 607/ 1 4) ist durch die kräftige Umrah­ mung des Portals mittels beringter Säulenpaare, einer wenig vor­ tretenden, durch Pilastergliederungen akzentuierten Balustrade im ersten Stock und einen prächtigen dreigeschossigen Giebel mit ausladendem Rollwerk gekennzeichnet. Die Giebel wiederholen sich auf allen vier Außenseiten der Schloßflügel. Gegen Ende des Jahrhunderts besitzt das Schloß Eringerfeld der Herren von Hörde ( 1 676/80) einen als Ganzes gegen die Seitenflächen abgegrenzten Risalit mit Portal und Giebel. Das gleiche Motiv begegnet uns an dem 1 68 9 durch Ambrosius von Oelde erbaute Schloß des Fürstbischof von Münster zu Ahaus 50

Z 35 Berlin, Altes Schloß, Rekonstruktion nach GaU, Das Schloß in Berlin 5

auf der Hofseite, während die Gartenseite 1 766/67 durch Johann Conrad Schlaun eine Treppe mit Risalit erhielt, die diese Bau­ elemente meisterhaft miteinander verbindet. Eine Reihe schöner Beispiele für die Ausbildung des Mittel­ risalits finden wir in der süddeutschen Barockarchitektur. An dem von Franz Keller 1 7 1 7/20 erbauten Deutschordensschloß zu Ellingen überragt der Mittelrisalit des Südflügeis um ein Halb­ geschoß das Dachgesims. ' Dort sind die Seitenrisalite turmartig ausgebildet und mit mächtigen geschweiften Dachhauben gedeckt. Schloß Weißenstein in Pommersfelden betont die Mittelrisalite der Garten- und besonders der Hofseite und steigert sie zum entscheidenden Baukörper der ganzen Anlage. Das Gegenüber des Marstalls schafft hier ein ausgewogenes Platzbild. In Würzburg entspricht dem strengen Ehrenhofrisalit der ele­ gante, polygon vor die Gartenfront tretende Mittelbau, die ver­ wandte Lösung der Gartenseite von Werneck vorbereitend. Dort sind die Seitenrisalite wieder turmartig behandelt. Der halbrunde oder ovale Mittelrisalit begegnet uns zu Anfang des 1 8 . Jahrhunderts, ausgefüllt vom Mittelsaal, im Schloß zu Alteglofsheim. Die württembergischen Schlösser Monrepos und Solitude weisen dem ovalen Mittelbau eine zentrale Stellung zu. Der Mittelbau wird zu Nymphenburg und ebenso im alten Corps de Logis von Ludwigsburg als eigener Baukörper, auch im Maß­ stab, gegen die Seitenflügel abgesetzt. Das Schloß zu Schleißheim verbreitert den Mittelbau der Gartenseite auf elf Fensterachsen und erhöht ihn um ein Stock­ werk gegenüber den Seitenflügeln. Schloß Schönbrunn in Wien, das Meisterwerk Johann Bernhard Fischers, während dessen Bau ihm das Adelsprädikat " von Erlach" verliehen wurde, hat schon 1 695 bis 1 700 den Gedanken der Mittelrisalite auf Hof- und Garten­ seite in dieser Horizontalverbreiterung verwirklicht. Zugleich do­ miniert die große Achse des Schloßterrains, die von dem obelisken­ flankierten Ehrenhof hinauf zur Gloriette verläuft, in dieser Schloß mitte und den von ihr beherbergten Räumen. Eine große Anzahl nord- und ostdeutscher Herrenhäuser ist durch schöne Mittelrisalite ausgezeichnet, für die etwa das Palais Goerz in Hamburg, 1 7 1 0 von Johannes Nikolaus Kuhn

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erbaut, mit seiner Pilastergliederung und dem Segmentgiebel sowie der polygone Mittelrisalit des Herrenhauses von Borstel in Schleswig-Holstein ( 1 75 1 ) als Beispiele stehen können. Das Motiv des über mehrere Stockwerke hochgeführten Tors ist klas­ sizistisch formuliert im schlesischen Schlosse Romberg ( 1 790/95) anzutreffen. Drei Mittelachsen, durch Wandpilaster begrenzt, hat Lukas von Hildebrandt bald nach 1 700 am Schloß von Halbturn im Burgenland zu einem Risalit zusammengefaßt und unter einen geschwungenen figuren gekrönten Giebel gesetzt. Im Giebelfeld prangt der plastisch ausgeführte kaiserliche Doppeladler. Die klassizistischen Mittelrisalite haben oft die Gestalt von Tempelfassaden, wie die Schlösser Scharnhausen ( 1 784) oder Rosenstein ( 1 824/28) in Württemberg anschaulich machen. f) Turmarchitektur Wenn der Turm das auffallendste Kennzeichen der Burg war, so ist er im Schloßbau keineswegs die Regel. Er tritt, je stärker man sich auch geistig von der Burgenauffassung gelöst hat, mehr und mehr zurück. Im 1 8 . Jahrhundert sind Schloßtürme selten geworden. Aber sie werden noch gebaut, nicht nur in der Erinne­ rung an frühere, wehrhafte Zustände der Residenz oder des Adels­ sitzes, sondern auch als bewußte Neuschöpfungen. Eine Reihe von Renaissanceschlössern, die im Geviert angelegt sind, kennen Ecktürme. Sie können rund, quadratisch oder mehreckig sein. Sie beherrschen die Baurnasse. Schloß Glücksburg in Schleswig-Holstein besteht aus drei parallelen Häusern, die sich zu einem quadratischen Block zusammenschließen. Die Ecken sind von je einem achteckigen Turm bewehrt. Die ganze Anlage wirkt nur durch ihre einfache, klare Form. Sie wurde 1 5 82/8 7 von Nikolaus Karies anstelle eines Klosters errichtet. Die Ecktürme des Aschaffenburger Schlosses sind im Vergleich dazu erheblich prächtiger beschaffen. Jede Turmseite hat zwei Fen­ sterachsen, die Ecken sind betont, die Fenstergewände hervorgehoben, das vorletzte Stockwerk wird mit einer steinernen Galerie über Maskenkonsolen umgürtet. Dann ist der Turmkörper ins Achteck überführt und mit einem geschweiften Helm samt durchbrochener Laterne gekrönt. In den Komplex des Schlosses hat man den 53

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mittelalterlichen Bergfried übernommen, aber durch Anbringung von langen Fensterachsen dem Gesamtbau angeglichen. Nach Riedingers ursprünglichem Plan sollte er auch ein geschweiftes Dach, wie die übrigen Türme, erhalten. Doch hat man es bei dem gotischen Walmdach und den (in der Wiederherstellung nach dem Zweiten Weltkrieg) spitz behelmten Ecktürmchen belassen. Z 37 Schloß Seehof bei Bamberg, nach 1 6 8 7 durch Antonio Petrini für den Bamberger Fürstbischof Marquart Schenk von Stauffen­ berg errichtet, ist noch einmal eine solche Anlage, in der das Schema des viertürmigen Schlosses angewendet wird. Die Türme überragen das Dachgesims um ein Stockwerk. Ihr achteckiger Ober­ bau trägt schwere, geschweifte Kuppeldächer. Dasselbe Prinzip, doch leichter und beschwingter, begegnet uns am Wasserschloß O/fenstetten. Hier umgeben vier Rundtürme mit originellen Zwie­ beldächern den im Kern noch dem 1 6 . Jahrhundert angehörenden, aber im 1 8 . erneuerten Bau. Zahlreiche Schlösser haben den einstigen Bergfried der Vor­ gängerburg dem neuen Bauorganismus einverleibt und ihn ent­ sprechend umgestaltet. Vor allem erhielten die Dächer eine zeit­ gemäße Form (Gemen, Detmold, Bernburg). Eines der schönsten Werke dieser Art ist die barocke Bedachung des mittelalterlichen runden Bergfrieds von Jever ( 1 736). Als Fassadentürme geben sich heute die beiden Türme an der Schmalfront des 1 654 durch Meister Valentin von Zittau erbauten Bürgermeisterschlosses Althörnig. Ursprünglich war nur ein Eckturm vorhanden, der zweite Turm wurde erst 1 8 5 3 zu­ gefügt. Doch bildet das Turmpaar im Ganzen eine gefällige Gruppe. Als einer der wenigen Reste des Schlosses Graz in der Steier­ mark hat sich der bereits 1 56 1 errichtete Uhrturm mit einer Riesenuhr und origineller Bedachung erhalten. Uhrtürme waren auch als Träger von Glockenspielen ausersehen wie am Schlosse zu Darmstadt aus dem Jahre 1 670. Am Schloß zu Bergzabern hatte Herzog Johann von Zweibrücken einen hohen Glockenturm erbauen lassen. Die Inschrifttafel, die die große Uhr erläuterte, ist, in schönem Renaissanceornament ausgeführt, noch vorhanden, Uhr und Turm dagegen sind zugrunde gegangen.

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Z 36 Glücksburg, Grundriß nach Hootz, Deutsche Kunstdenkmäler 368

Z 3 7 Seehof, Grundriß nach Kreisel, Franken 3 5

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Der Eckturm des Wasserschlosses Raesfeld in Westfalen ist mit seinem schlanken Dachhelm ein Wahrzeichen der Landschaft. Der Umbau einer mittelalterlichen Anlage zu Klein-Kotzenau in Schlesien durch Martin Frantz hat ein sehr geschlossenes Architekturbild geschaffen. Der rechteckige Geviertbau wird von einem Turm überragt, dessen oberer Teil über einem achteckigen Sockel in zwei säulengegliederten Geschossen mit jeweils ge­ schweiften Dächern aufsteigt. Im Schloßbau des 1 8 . Jahrhunderts werden Türme selten. Andreas Schlüter entwarf 1 702 für das Berliner Schloß den Münz­ turm. Er sollte fast 1 00 m hoch werden und sich als selbständiger Baukörper, mit einer Brunnenanlage versehen, neben dem Schloß erheben. Der begonnene Bau erwies sich als ungenügend funda­ mentiert. Der Baumeister versuchte zwar, den Untergrund zu verbessern und die Stützen zu verstärken, aber er mußte das begonnene Werk 1 706 niederreißen ; auch ein neuer Entwurf hat den Turm nicht zu retten vermocht. Die Münzturmkatastrophe wird auch zum künstlerischen Schicksal Schlüters. Die bereits ge­ gossene bronzene Fortuna, die er ' auf den Münzturm setzen wollte, erhält später ihren Platz auf der Kuppel des Schlosses zu Charlottenburg. Der Neubau des hessischen Landgrafenschlosses zu Darmstadt, der unter Ernst Ludwig 1 71 5 begonnen, aber nur zu einem kleinen Teil ausgeführt wurde, sah einen Schloßturm vor, der im Schnitt­ punkt dreier Höfe errichtet werden sollte. Es kam nicht dazu. Die Funktion des Turmes im Darmstädter Schloß übernahm der erwähnte Turm des Glockenbaus. Ein Schloßturm entstand auch in Bruchsal, doch wurde er um die Horizontallinien des Ehrenhofs nicht zu stören, etwas abseits errichtet. Hier führte Johann Georg Stahl 1 73 8/40 einen Entwurf Balthasar Neumanns aus. Er versah den Turm mit einer eleganten Zwiebelhaube und vier Lukarnen. Daß man den Turm auch in die symmetrische Entfaltung eines Schlosses als dessen Mitte ein­ beziehen konnte, zeigt der ansehnliche Schloßturm von Zerbst in Anhalt. Als Beispiel eines Schloßturms aus dem 1 9 . Jahrhundert darf der von Schloß Granitz auf Rügen genannt werden, den Friedrich

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Z 3 8 Darmstadt, geplanter Schloßturm nach Inv. Darmstadt 223

Wilhelm Schinkel entworfen hat. Daß die romantischen Schlösser, welche mittelalterliche Burgen in ihre Stil gesinnung übertragen, Türme besitzen, ist selbstverständlich. g) Das Tor Die künstlerische Ausbildung des Tors gehört zu den der Schloßarchitektur von Anfang an, gestellten Aufgaben. Das Tor nahm den Besucher auf, die Wappen, die es schmücken, machten auf den Besitzer des Anwesens aufmerksam. Trophäen und Sym­ bole ließen erkennen, wes Geistes Kind er war. In einmaliger Weise haben die Grafen Erbach zu Fürstenau bei Michelstadt im Odenwald aus einer mittelalterlichen Wasserburg durch Umbau der Toranlage ein Schloß geschaffen. Das alte gotische Tor wurde beseitigt und an seiner Stelle 1 5 8 8 ein monu­ mentaler Bogen errichtet, der von einem durchbrochenen Stein­ geländer und einigen Statuen gekrönt wird. Ein Renaissancetor am Zeughaus der Plassenburg bei Kulm­ bach vom Jahre 1 60 7 und das Eingangstor der von dem gleichen Bauherrn ausgeführten Wülzburg zeigen bereits einen barocken Einschlag. Die mächtigen Dreiergruppen gebänderter Säulen am Wülzburgportal von Blasius Berwart, 1 600, sind beiderseits zweier flankierender Nischen wiederholt. So nimmt das Portal die Gestalt eines Riegels an und trägt damit auch der Festungsaufgabe des Schlosses Wülzburg Rechnung. Das Tübinger Schloß, von Herzog Ulrich von Württemberg in der Mitte des 1 6. Jahrhunderts ausgebaut, besitzt zwei pracht­ volle Portale, in denen der Gedanke des Tors mit dem einer Triumphpforte verbunden ist. Dasselbe ist vom Tor des Schlosses Brieg in Schlesien zu sagen, nur daß dort das Tor bereits am Baukörper des Schlosses teilhat. Das Schloßtor in Liegnitz trägt demgegenüber geradezu festungsartiges Gepräge zur Schau. In Mittelfranken wurde eine Burg der Grafen und späteren Für­ sten von Schwarzenberg, welche in der Geschichte des Schloßbaus auch an ihrem späteren Wohnsitz zu Wien begegnen, zu Anfang des 1 7. Jahrhunderts durch Elias Holl ausgebaut. Es ist das Schloß Schwarzenberg bei Scheinfeld. Der Um riß einer Burg ist ihm geblieben. Der eigenartigste Bau des Schlosses ist der Turm, der zu-

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Z 39 Berlin, Entwurf zum Münzturm, nach GaU, Das Schloß in Berlin 8

gleich als Torturm zum inneren Hof dient. Seine Außenwand ist als Schauseite ausgebildet. Das Erdgeschoß ist in die Breite gedehnt, über die Wandfläche laufen Horizontalbänder, die als Motive auch die oberen Stockwerke gliedern. Die Gesimse der beiden Unterge­ schosse sind auffallend betont. Offenbar war über der Torzone ein plastisch geschmücktes Gebälk vorgesehen, das nicht zur Ausführung gelangte. Das stark ausladende obere Gesims ist mit einer in Volu­ ten endenden Steinleiste abgedeckt. Sie bildet das Fußstück des Wappengeschosses, das wiederum mit drei -Reliefkandelabern über einem Steinwulst schließt. Der geschweifte Turmhelm mit vier Gau­ pen hat wahrzeichenhafte Bedeutung. Am Deutschordensschloß zu Mergentheim hat 1 626 Jörg Ernst aus Gundelsheim einen Torturm aufgeführt, dessen kräftiges Por­ tal samt dem Wappenfeld darüber von Säulenpaaren flankiert wird. Die Wände enden in rollwerkverzierten Giebeln, während das etwas gebauchte Dach eine runde Laterne trägt. Ein wuchtiger, der Hauptfront vorgesetzter Torturm gewährt Einlaß zum Schloß Greillenstein in Niederösterreich. Es ist als Vierflügelbau im 1 6. und 1 7. Jahrhundert aus einer mittelalter­ lichen Burg der Grafen von Kuefstein entstanden. Der Turm ist mit großen bossierten Eckquadern versehen und trägt einen von vier runden Ecktürmchen begleiteten kuppelartigen Helm und eine Aussichtsplattform. Das Tor als Ehrenpforte wird durch die Elisabethenpforte des Heidelberger Schlosses vertreten, welche Friedrich V., der spätere "Winterkönig" , in einer Nacht zum Geburtstag seiner englischen Gemahlin 1 6 1 5 errichten ließ. Auch die von Bückeburg nach Baum versetzten Portale ( 1 60 1 /22) gehören ihrem heutigen Charakter nach zu dieser Gattung. Der 1 68 3 erbaute Torturm der Rosenburg über dem Kamptal ist achteckig und mit einer vorgekragten Galerie umgürtet. Eine Anzahl rheinischer und westfälischer Wasserburgen haben eigene Torhäuser und Tortürme entwickelt. Das mächtige drei­ gliedrige Rustikator des Schlosses Föhren bei Trier ist um 1 600 entstanden. Die Hauptachse des Schlosses Frens bei Horrem ver­ läuft durch das von Schilderhäusern flankierte Außenportal - zu dem ursprünglich ein Turm gehörte - zum inneren Portal, und 60

zur Pforte des Herrenhauses, die in einem eigenen, von einem Giebel gekrönten Mittelrisalit eingefügt ist. In klarer Durchbin­ dung, von einem Giebel mit Doppelwappen überdacht, tritt uns das 1 667 errichtete, rustizierte Vorburgtor von Kendenich ent­ gegen. Der kraftvolle Torturm des Wasserschlosses Lembeck ist 1 692 entstanden. Ein ansehnlicher Torturm mit dreigliedriger Fassade, die in der Mitte überhöht und mit einem halbkreis­ förmigen, gebrochenen Giebelfeld für die Wappen ausgestattet ist, wurde 1 7 1 9 für das Schloß Stapel im Münsterland errichtet. Ein reizendes Türmchen von der Gelöstheit des bayrischen Rokoko krönt das Tor des Schlosses Sandizell südwestlich von Ingolstadt. Es wurde 1 763 von dem Ingolstädter Stadtbaumeister Veit Haltmayr erbaut. Von Haus Palant bei Weis weiler ist zwar nur noch die Vorburg übrig, aber gerade ihr Torhaus ist besonders schön gestaltet. Der mit flachen Pilastern belegte Torpavillon wirkt durch waagrechte Farbschichtung von Blaustein und Backstein und das hohe " 1an­ sarden dach recht anziehend. Im frühen Klassizismus entstand ein höchst eindrucksvoller Schloßtorbau, das äußere Burgtor der Hofburg zu Wten. Es wurde 1 82 1 /24 nach einem Entwurf von Peter Nobile als dorischer dreiflügliger Portikus erbaut. Es bildete den monumentalen Auftakt des Hofburgbereiches vom alten Mauerring her und hat seine Bedeutung auch nach dem Ersatz der Befestigungen durch die Ringstraße behalten. Das Innere ist seit 1 9 3 3/34 zum Helden­ denkmal umgestaltet. h) Die Hoflauben Laubengänge kommen schon in vielen spätmittelalterlichen Burghöfen vor. Aber gerade die Renaissance hat sie mit beson­ derer Hingebung gestaltet und gepflegt. Eines der frühesten Beispiele sind die schon 1 5 3 3 entstandenen zweigeschossigen Lauben am Herrenhaus zu Bins/eld bei Düren. Die Bogen sind mit spätgotischen Maßwerknasen verziert. Vor dem Obergeschoß zieht sich eine durchbrochene Brüstung entlang, reliefiertes Maßwerk ist auch unterhalb des Dachgesimses ange­ bracht.

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Während hier doch die Gotik stark nachwirkte, begegnen wir am Schloß zu Spittal an der Drau in Kärnten der von Italien beeinflußten Renaissance. Der Kanzler und Schatzmeistergeneral Gabriel von Salamanca, Graf von Ortenburg, ließ es wohl bald nach seiner 1 53 3 erfolgten zweiten Eheschließung mit Elisabeth von Baden beginnen. Der quadratische Vierflügelbau enthält auf drei Seiten des Hofes dreigeschossige Säulen arkaden mit sparsam verteiltem Reliefschmuc\