Kleidung zwischen Konjunktur und Krise: Eine Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels 1914 bis 1961 351512702X, 9783515127028

Auf Basis bislang nicht herangezogener Quellen aus privaten und öffentlichen Archiven legt Uwe Balder eine umfassende Ge

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German Pages 726 [730] Year 2020

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Konzeption einer Branchengeschichte
1.2 Aufbau & Fragestellungen
1.3 Forschungsstand & Quellengrundlage
2 Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts
2.1 Handwerk, Industrie und Handel
2.2 Betriebe und Beschäftigte
2.3 Konkurrenzsituation innerhalb der Branche
2.4 Zersplittertes Verbandswesen
2.5 Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten
3 Erster Weltkrieg (1914–1918)
3.1 Kriegswirtschaft und Regulierung
3.1.1 Bestandserhebung, Beschlagnahme und Preisstopp
3.1.2 Reichsbekleidungsstelle und Bezugscheinsystem
3.2 Geschäfte im Krieg
3.3 Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen
4 Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)
4.1 Regulierung und staatliche Akteure
4.1.1 Textilmarkt
4.1.2 Notstandsware
4.2 Geschäftslage in den Unternehmen
4.2.1 Chancen und Risiken
4.2.2 „Der gerechte Preis“ – Inflation und Kalkulation
4.2.3 Wirkungen der Währungsreform
4.3 Zwischen Einheit und Konfrontation
4.3.1 Verbandsstrukturen
5 Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)
5.1 Scheinkonjunktur 1925 bis 1929
5.1.1 Branchenstrukturen
5.1.2 Geschäftslage in den Unternehmen
5.1.3 Konkurrenz der Betriebsformen
5.1.4 Einkaufsgemeinschaften, Konsumkredite und Reklame
5.2 Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932
5.2.1 Krisensymptome der Branche
5.2.2 Krisensymptome in Unternehmen
5.3 Umsätze und Marktanteile
5.4 Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb
6 Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)
6.1 Die verbandliche Gleichschaltung
6.1.1 Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels
6.1.2 Fachverbände
6.1.3 Wirtschaftsgruppe Einzelhandel
6.1.4 Fachgruppe Textil-Einzelhandel
6.2 Geschäfte im Frieden
6.2.1 Branchenstrukturen
6.2.2 Gesetzgebung und Regulierung
6.2.3 Geschäftslage
6.2.4 Umsätze und Marktanteile in der Vorkriegszeit
6.3 Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte
6.3.1 Unrechtsrahmen
6.3.2 Anfeindungen und Ausgrenzungen
6.3.3 „Arisierungen“
6.3.4 Arisierung vs. Liquidierung?
6.4 Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945
6.4.1 Regulierung des Mangels – Kleiderkarten & Ersatzstoffe
6.4.2 Kriegswichtig? – Fachkräftemangel, „Auskämmung“ und Stilllegung
6.4.3 Umsätze in Kriegszeiten
6.4.4 Textiler Zusammenbruch
7 Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)
7.1 Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)
7.1.1 Mangel und Improvisation
7.1.2 Regulierung und Bewirtschaftung
7.1.3 Währungsreform & Wachstumsimpulse
7.1.4 Lage in der Ostzone (SBZ)
7.2 Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)
7.2.1 Wiedergutmachung oder Wachstum?
7.2.2 Zurück zur Normalität (1949 bis 1952)
7.2.3 Zurück zur Konkurrenz (1953 bis 1961)
7.2.4 Strategien des Fachhandels
7.2.5 Aufstieg & Fall von Fachhändlern
8 Schlussfolgerungen
9 Abkürzungsverzeichnis
10 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
10.1 Tabellenverzeichnis
10.2 Abbildungsverzeichnis
11 Quellen- und Literaturverzeichnis
11.1 Quellen
11.2 Internetressourcen
11.3 Literatur
Unternehmensregister
Personenregister
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Kleidung zwischen Konjunktur und Krise: Eine Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels 1914 bis 1961
 351512702X, 9783515127028

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Uwe Balder

Kleidung zwischen Konjunktur und Krise Eine Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels 1914 bis 1961

Geschichte Franz Steiner Verlag

VSWG – Beiheft 252

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz Beiheft 252

Uwe Balder

KLEIDUNG ZWISCHEN KONJUNKTUR UND KRISE Eine Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels 1914 bis 1961

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Draiflessen Collection

Umschlagabbildung: Blick in den Verkaufsraum des Konfektionshauses Bamberger & Hertz, München, 1920er Jahre. Quelle: Firmenarchiv Hirmer Eckerle Service GmbH & Co. KG, München, Sig. 2015/10/0273 (Stempel: Leo Beck, Photographische Werkstätte, Ottostr. 5/1 Rg.) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 zugleich: Dissertation Universität Regensburg Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12702-8 (Print) ISBN 978-3-515-12706-6 (E-Book)

Vorwort

Für die meisten von uns ist Kleidung so selbstverständlich wie Nahrung: immer verfügbar, saisonal wechselnd, günstig bis hochpreisig, in vielen Geschmackrichtungen erhältlich, vieles annehmbar, manches ungenießbar. Denn Kleidung umgibt uns sprichwörtlich – daheim, in unseren Städten, in den Medien. Daher glauben wir die Geschichte von Kleidung zu kennen: Wer Rohstoffe liefert, wer sie zu Stoffen verarbeitet, wer daraus Bekleidung herstellt, wer Kleidung verkauft und wer diese schließlich konsumiert. Doch wir wissen erstaunlich wenig über die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung des Textilsektors und seiner Akteure im zurückliegenden 19. und 20. Jahrhundert. Im Jahr 2012 startete daher ein bemerkenswertes Projekt auf Initiative der Familie Brenninkmeyer, die hinter dem Modeunternehmen C&A steht: Neben einer eigenen Unternehmensgeschichte finanzierte die Familie drei Promotionsprojekte zur grundlegenden Erforschung von Bekleidungsindustrie, Textileinzelhandel und Marketing in Deutschland. Knapp acht Jahre begleitete mich die hier vorliegende „Geschichte des Textileinzelhandels“. Auch ich bewegte mich in dieser Zeit des Recherchierens, Analysierens, Schreibens, Verwerfens und Korrigierens des Öfteren zwischen Konjunktur und Krise. Nur dank der Unterstützung von Kollegen, Freunden und meiner Familie hat dieser Weg sein Ziel gefunden. Zunächst möchte ich mich bei Mark Spoerer bedanken. Seiner Initiative ist es maßgeblich zu verdanken, dass dieses Projekt diesen außergewöhnlichen Umfang erfahren hat. Ich konnte mir keine bessere Zusammenarbeit mit meinem „Doktorvater“ wünschen. Die Qualität dieser Arbeit ist auch maßgeblich sein Verdienst. Mein Dank gilt im Besonderen meinen beiden Kolleginnen im Projekt – Julia Schnaus (Bekleidungsindustrie) und Anna Pauli (Marketing). Der rege Austausch und die jederzeitige Hilfsbereitschaft regte nicht nur zu neuen Gedanken an, sondern lockerte auch etwaige Schreibblockaden. Weiter möchte ich dem gesamten Team des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Regensburg danken – unsere Kolloquien und Gespräche untereinander ließen mich jenseits der eigenen Projektgrenzen denken. Mein ausdrücklicher Dank gilt hier der guten Seele des Lehrstuhls Roswitha Geiger, die aus dem Elfenbeinturm Universität eine angenehme Arbeitsumgebung ge-

6

Vorwort

macht hat. Ein besonderer Dank gilt auch meinem Zweitkorrektor Reiner Liedtke, der trotz der langen Phase der Fertigstellung des Manuskriptes nie die Geduld verlor, sich immer hilfsbereit zeigte und wertvolle Hinweise für diese Arbeit lieferte. Ich möchte im Besonderen dem „History Gremium“ unseres Drittmittelgebers unter der Leitung von Herrn Joseph danken. Die enge Begleitung, der inhaltliche Austausch und das finanzielle Engagement waren beispiellos und müssen als Vorbild für derartige Projekte gelten. Vorbildlich war auch folgendes: Während der Projektphase hatte ich einen schweren Unfall, der die Fertigstellung des Manuskriptes zum vereinbarten Projektende unmöglich machte. Der Lenkungskreis, stellvertretend seien Herr Joseph und Herr Hillekamps genannt, ermöglichte unkompliziert eine Verlängerung um sechs weitere Monate – dies ist keine Selbstverständlichkeit und dafür bin ich bis heute voller Dankbarkeit. Eine solche Arbeit wäre ohne die Hilfe und Arbeit von Archivaren und Bibliothekaren nicht möglich gewesen. Ich möchte mich bei allen von mir besuchten Gedächtnisinstitutionen für die Beratung, Hilfestellung und das Verständnis für ungewöhnliche oder kurzfristige Anfragen bedanken. Stellvertretend und insbesondere gilt mein Dank Harald Müller (Bayerisches Wirtschaftsarchiv), Kai Bosecker (Draiflessen Collection Mettingen), Veronique Töpel (Sächsisches Wirtschaftsarchiv), Karl-Peter Ellerbrock (Westfälisches Wirtschaftsarchiv) sowie den Mitarbeitern des Sächsischen Staatsarchivs Chemnitz sowie der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt/ Main. Explizit erwähnen möchte ich die Bereitschaft des Münchner Familienunternehmens Hirmer sein Archiv für diese Arbeit uneingeschränkt zur Verfügung gestellt zu haben. Mein Dank gilt hier Ferdinand Hirmer, Hans-Diether Dörfler sowie dem Unternehmensarchivar Felix Holderer. Für die Aufnahme in die Reihe „Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte - Beihefte“ möchte ich mich bei Mark Spoerer, stellvertretend für die Herausgeber, bedanken. Die Betreuung durch Katharina Stüdemann und Andrea Walker vom Franz Steiner Verlag bei der Drucklegung ließ keine Wünsche offen. Am Ende verdanke ich es der langjährigen Unterstützung, dem unermüdlichen Engagement und fortwährenden Zuspruch von Freunden und Familie, dass ich dieses Buch in den Händen halten kann. Ich danke meinen Eltern und Großeltern, dass sie mir ein Studium als Grundstein ermöglichten. Ich danke meinen engen Freunden für die stete Nachfrage nach dem Ende des Projektes und die Versicherung, dass alles gut werden wird. Ich danke meinem Schwiegervater Günther für beneidenswert kompetentes Korrekturlesen durch das Buchstabenmeer an Fließ- und Fußnotentext. Alle verbliebenden Fehler sind die meinen. Zuletzt danke ich meiner Frau Lisa, ohne deren Unterstützung und Liebe dies all nicht möglich gewesen wäre. Meiner verstorbenen Großmutter Gitti, die bislang Bücher in meiner Familie veröffentlichte, ist dieses Buch gewidmet. Coburg, April 2020

Inhaltsverzeichnis

.........................................................

5

1 1.1 1.2 1.3

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption einer Branchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau & Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand & Quellengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 17 23 25

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handwerk, Industrie und Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe und Beschäftigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzsituation innerhalb der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zersplittertes Verbandswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten . . . . . . . . . . . . . .

47 47 54 59 76 83

3 3.1

Erster Weltkrieg (1914–1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegswirtschaft und Regulierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vorwort

3.2 3.3

96 99 Bestandserhebung, Beschlagnahme und Preisstopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Reichsbekleidungsstelle und Bezugscheinsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Textile Notstandsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Geschäfte im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen . . . . . . . . . . . . 131

4 4.1

Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24) . . . . . . . Regulierung und staatliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1.1 3.1.2 3.1.3

4.1.1 4.1.2 4.2

4.2.1 4.2.2 4.2.3

138 138 Textilmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Notstandsware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Geschäftslage in den Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 „Der gerechte Preis“ – Inflation und Kalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Wirkungen der Währungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

8

Inhaltsverzeichnis

4.3.1 4.3.2

180 Verbandsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Konditionenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

5 5.1

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932) . . . Scheinkonjunktur 1925 bis 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.3

Zwischen Einheit und Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.4

197 197 Branchenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Geschäftslage in den Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Konkurrenz der Betriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Einkaufsgemeinschaften, Konsumkredite und Reklame . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Krisensymptome der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Krisensymptome in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Umsätze und Marktanteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb . . . . . . . . . . . . . 290

6 6.1

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945) . . . . . . . . . . . . . Die verbandliche Gleichschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2

5.2.1 5.2.2 5.3

6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2

6.2.1 6.2.2 6.2.2.1 6.2.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3

6.3.1 6.3.2 6.3.2.1 6.3.2.2 6.3.2.3 6.3.2.4 6.3.3 6.3.3.1 6.3.3.2 6.3.3.3 6.3.4

298 298 Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Fachverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Wirtschaftsgruppe Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Fachgruppe Textil-Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Geschäfte im Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Branchenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Gesetzgebung und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Einzelhandelsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Preisüberwachung und Spinnstoffgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Geschäftslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Umsätze und Marktanteile in der Vorkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Unrechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Anfeindungen und Ausgrenzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Das „Warenhausproblem“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Antisemitismus gegen und in jüdischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Geschäftslage jüdischer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Adefa und die „Entjudung“ der Vorlieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 „Arisierungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Opfer I – Bamberger & Hertz-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Opfer II – Schocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Profiteure – Hettlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Arisierung vs. Liquidierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

Inhaltsverzeichnis

6.4

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437 6.4.1 Regulierung des Mangels – Kleiderkarten & Ersatzstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . 438 6.4.2 Kriegswichtig? – Fachkräftemangel, „Auskämmung“ und Stilllegung . . . . 461 6.4.3 Umsätze in Kriegszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 6.4.3.1 Hettlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 6.4.3.2 Hirmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 6.4.3.3 Merkur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 6.4.4 Textiler Zusammenbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 7 7.1

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.4.1 7.1.4.2 7.2

7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.1.4 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2 7.2.2.3 7.2.3 7.2.3.1 7.2.3.2 7.2.3.3 7.2.3.4 7.2.4 7.2.4.1 7.2.4.2 7.2.4.3 7.2.4.4 7.2.5 7.2.5.1 7.2.5.2

Mangel und Improvisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Regulierung und Bewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Währungsreform & Wachstumsimpulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Lage in der Ostzone (SBZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 J. G. Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Merkur AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961) . . . . . . . . . . . . . . 550 Wiedergutmachung oder Wachstum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Fall I – Schocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 Fall II – Hettlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Fall III – Bamberger & Hertz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Zurück zur Normalität (1949 bis 1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 Reorganisation der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Konsolidierung der Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Handel mit der SBZ/DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Zurück zur Konkurrenz (1953 bis 1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Expansion der Warenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Konsumvereine und Hausierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 Aufstieg des Versandhandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 Supermarkt und Shopping-Center . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Strategien des Fachhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Branchenstrukturen & Umsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 Eine Frage der Kondition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Selbstbedienung und Standardisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 Kooperationen – Reklame, Verbände, Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 Aufstieg & Fall von Fachhändlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Hirmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Hettlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638

9

10

Inhaltsverzeichnis

8

Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654

9

Abkürzungsverzeichnis

10 10.1 10.2

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668

11 11.1 11.2 11.3

Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Internetressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678

12 12.1 12.2

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664

717 717 723

1

Einleitung

Beim Schlendern durch deutsche Einkaufsstraßen ist der Textileinzelhandel – wie schon vor hundert Jahren – allgegenwärtig. Große Warenhäuser, internationale Modekonzerne, alteingesessene Bekleidungsfachgeschäfte und kleine Boutiquen ringen um etwa 1.300 Euro, die der deutsche Durchschnittshaushalt jährlich für Bekleidung und Schuhe bereit ist aufzuwenden.1 Abseits der Innenstädte shoppen die Deutschen Textilien in Lebensmittel-Discountern, Versandkatalogen, Fabrik-Outlets oder auf Home-Shopping-Kanälen. Und von der heimischen Couch lässt sich alles Textile online auf einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von E-Commerce-Plattformen kaufen. Der deutsche Einzelhandel – der täglich 50 Millionen Verbraucher versorgt und im Jahr 2016 knapp 482 Milliarden Euro umsetzte2 – befindet sich in einem andauernden durch Globalisierung und Digitalisierung ausgelösten Strukturwandlungsprozess. Stiegen die Einzelhandelsumsätze zwischen 2000 und 2014 moderat um sieben Prozent, so sank im selben Zeitraum der Anteil des Einzelhandels an den privaten Konsumausgaben von 35,8 auf 28,6 Prozent.3 Der mittelständische, stationäre Facheinzelhandel, aber auch das klassische Waren- und Kaufhaus sehen sich einem immen-

Angaben beziehen sich auf die Konsumausgaben privater Haushalte im Jahr 2014 (nach den Laufenden Wirtschaftsrechnungen LWR) unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/ EinkommenKonsumLebensbedingungen/Konsumausgaben/Tabellen/PrivateKonsumausgaben.html, 17.5.2016. 2 Präsentation „Der deutsche Einzelhandel“ (fortlaufend aktualisiert, Stand Februar 2016), unter http:// einzelhandel.de/images/presse/Graphiken/DerEinzelhandelJan2014.pdf, 8.4.2016, S. 7. Von 470 Milliarden Jahresumsatz für das Jahr 2015 spricht der Branchenreport Einzelhandel – Der Handel als Wirtschaftsfaktor (Stand: Dezember 2015), unter http://www.einzelhandel.de/images/publikationen/Branchen report-Wirtschaftsfaktor-Handel_2016.pdf, 8.4.2016, S. 5 bzw. von 469,1 Milliarden „Einzelhandelsumsatz im engeren Sinne“ (ohne Kfz, Tankstellen und Apotheken) der HDE-Geschäftsbericht 2015, unter http:// www.einzelhandel.de/images/publikationen/HDE_Geschaeftsbericht2015.pdf, S. 10. 3 Branchenreport Einzelhandel – Der Handel als Wirtschaftsfaktor (Stand: Dezember 2015), unter http://www.einzelhandel.de/images/publikationen/Branchenreport-Wirtschaftsfaktor-Handel_2016.pdf, 8.4.2016, S. 7; HDE-Geschäftsbericht 2015, unter http://www.einzelhandel.de/images/publikationen/ HDE_Geschaeftsbericht2015.pdf, S. 10. 1

Einleitung

sen Wettbewerbsdruck durch vertikal integrierte Handelskonzerne – auch aus dem Nicht-Textilbereich – und durch den fortschreitenden E-Commerce ausgesetzt. Zwischen 2003 und 2014 verlor der nicht filialisierte Fachhandel 7,5 Prozent Marktanteile, Kauf- und Warenhäuser 1,2 Prozent, während stark filialisierte Händler, Online-Händler sowie Discounter und Supermärkte bis zu 3 Prozent mehr Marktanteile eroberten.4 Der deutsche Textileinzelhandel ist von der skizzierten Entwicklung nicht ausgenommen. Wie das Branchenblatt „Textilwirtschaft“ im März 2016 meldete, verzeichnete der deutsche Einzelhandel mit Bekleidung (inkl. Haus- und Heimtextilien) im Jahr 2015 einen Gesamtumsatz von 62 Milliarden Euro. Wie Abbildung 1 zeigt, ist der Umsatz mit Textilien und Bekleidung deutlich konjunkturanfälliger als der Einzelhandelsumsatz insgesamt. Zwischen 2002 und 2015 lag die durchschnittliche Wachstumsrate des Textilumsatzes bei 0,36 Prozent, die des Einzelhandels um etwa das Doppelte höher. Den Umsatztiefpunkt erreichte der Textilhandel im Krisenjahr 2008/2009, sein 2008/2009, sein Anteil am Einzelhandelsumsatz fiel auf deutlich unter 13 Prozent. Seit 2012 Anteil am der Einzelhandelsumsatz deutlichwieder untermoderate 13 Prozent. Seit 2012 verzeichnet verzeichnet Handel mit Textilien fiel undauf Bekleidung Steigerungsraten. der Handel mit Textilien und Bekleidung wieder moderate Steigerungsraten. Abbildung 1 Einzelhandelsumsätze mit Bekleidung und Textilien, 2002 bis 2015

5

14,0

62 60 58 56

60,5

61,1

62,0

59,2 59,3

58,7

57,8

56,9 55,4

54,7

55,7

56,2

55,4 55,3

13,8 13,6 13,4 13,2 13,0 12,8

Anteil %

64

Umsatz Mrd.

12

12,6

54

12,4

52

12,2

50

12,0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Umsatz

Anteil am Einzelhandelsumsatz in %

Anmerkungen: lfd. Preise, in Mrd. EUR, Bruttoumsätze, vorläufige Zahlen für 2014. Abb. 1 Einzelhandelsumsätze mit Bekleidung und Textilien, 2002 bis 20155 Anmerkungen: lfd. erwirtschaftete Preise, in Mrd. EUR, Bruttoumsätze, vorläufige Zahlen für 2014. Jenes Umsatzplus allerdings nicht der mittelständische Fachhandel, sondern weltweit agierende Textilketten wie H&M, Zara, C&A oder Primark. Weitere Konkurrenten des stationären textilen Fachhandels, wie Lebensmittelhändler, Discounter oder Online- und 4 Zahlen basieren auf Erhebung der IFHebenfalls Retail Consultants, siehe Präsentation „Derund deutsche EinzelKataloghandel steigerten ihre Umsätze deutlich überdurchschnittlich vergrößerten 6 handel“ (fortlaufend aktualisiert, Stand Februar 2016), unter http://einzelhandel.de/images/presse/Gra ihren Anteil am Textileinzelhandelsumsatz auf jenseits von 20 Prozent. Damit treffen die phiken/DerEinzelhandelJan2014.pdf, 8.4.2016, S. 9. Einzelhandelstrends und Digitalisierung den Textileinzelhandel im e.besonderen 5 Daten beruhen aufVertikalisierung Meldungen des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels V. (BTE), Maße. Anlässlich Jahresumsätze des Jahres 2014 der „Deutschlandfunk“ treffend: Stand Januar 2016,der abrufbar (teils kostenpflichtig) unterformulierte http://www.handelsdaten.de/textilien-und-be kleidung/umsatz-im-einzelhandel-mit-bekleidung-und-textilien-deutschland-zeitreihe, 11.4.2016 sowie „Handelsketten gewinnen, die klassische Boutique verliert“. Nach einer BTE-Verbandsumfrage HDE-Geschäftsbericht 2015, unter http://www.einzelhandel.de/images/publikationen/HDE_Gescha gaben mehr als 50 Prozent der (mittelständischen) Mitglieder an, im Vergleich zum Vorjahr eftsbericht2015.pdf, S. 10; Umsatzzahlen für 2015 bei „BTE: Mode- und Textilhandel mit Umsatzplus“, in: Umsatzverluste zwischen ein und zwei Prozent verzeichnet zu haben. Etwa ein Drittel der Befragten – hauptsächlich Modeketten und Filialisten wie KiK und H&M – berichteten von einem Umsatzplus. Die Mehrheit sah eine zunehmende Konzentrationsbewegung infolge des ECommerce (etwa Zalando) und der Ausbreitung weltweit agierender Modehändler (Primark). Dieser intensivierte Preiskampf und mangelnde Investitionen (nur 12 Prozent der befragten Mitglieder betrieben einen Online-Shop) führten zu einer massiven Ausdünnung des stationären

Einleitung

Jenes Umsatzplus erwirtschaftete allerdings nicht der mittelständische Fachhandel, sondern weltweit agierende Textilketten wie H&M, Zara, C&A oder Primark. Weitere Konkurrenten des stationären textilen Fachhandels, wie Lebensmittelhändler, Discounter oder Online- und Kataloghandel steigerten ihre Umsätze ebenfalls deutlich überdurchschnittlich und vergrößerten ihren Anteil am Textileinzelhandelsumsatz auf jenseits von 20 Prozent.6 Damit treffen die Einzelhandelstrends Vertikalisierung und Digitalisierung den Textileinzelhandel im besonderen Maße. Anlässlich der Jahresumsätze des Jahres 2014 formulierte der „Deutschlandfunk“ treffend: „Handelsketten gewinnen, die klassische Boutique verliert“. Nach einer BTE-Verbandsumfrage gaben mehr als 50 Prozent der (mittelständischen) Mitglieder an, im Vergleich zum Vorjahr Umsatzverluste zwischen ein und zwei Prozent verzeichnet zu haben. Etwa ein Drittel der Befragten – hauptsächlich Modeketten und Filialisten wie KiK und H&M – berichteten von einem Umsatzplus. Die Mehrheit sah eine zunehmende Konzentrationsbewegung infolge des E-Commerce (etwa Zalando) und der Ausbreitung weltweit agierender Modehändler (Primark). Dieser intensivierte Preiskampf und mangelnde Investitionen (nur 12 Prozent der befragten Mitglieder betrieben einen Online-Shop) führten zu einer massiven Ausdünnung des stationären Fachhandels. Zählte der Bekleidungsfachhandel im Jahr 2000 noch 35.000 stationäre Geschäfte, waren es 2014 nur noch 21.000, damit verschwanden jährlich etwa 1.000 Geschäfte vom Markt.7 Tatsächlich gilt der deutsche Textileinzelhandel heute als verhältnismäßig konzentriert. Der Branchenverband BTE registrierte für das Jahr 2013 rund 34.500 Unternehmen, welche mit Bekleidung und Textilien handelten, sowie zum ersten Halbjahr 2015 knapp 225.000 Beschäftigte.8 Konkret dominieren rund 100 Unternehmen den Markt, die zwei Drittel des Umsatzvolumens auf sich vereinen.9 Die in Tabelle 1 aufgelisteten Top 50 Unternehmen generierten im Jahr 2014 einen Umsatz von 36,3 Milliarden Euro, also mehr als die Hälfte des gesamten Branchenumsatzes. Die Top 10-Unternehmen erwirtschafteten mit 21,6 Milliarden Euro knapp ein Drittel des Branchenumsatzes. Auffällig ist, dass unter den Top 50-Unternehmen der stationäre, mittelständische Fachhandel deutlich unterrepräsentiert ist. Stark vertikalisierte international agierende Konzerne wie H&M, C&A, Inditex (Zara), Bestseller und Primark, Großketten Textilwirtschaft (3.3.2016), unter http://www.textilwirtschaft.de/business/BTE-Mode--und-Textilhandelmit-Umsatzplus_101361.html, 8.4.2016. 6 Der Anteil der Haus- und Heimtextilien lag bei 5 Milliarden Euro (8 Prozent). 7 „Gedämpfte Stimmung trotz Wachstums“, in: Deutschlandfunk (23.2.2015), unter http://www.deutsch landfunk.de/textil-einzelhandel-gedaempfte-stimmung-trotz-wachstums.766.de.html?dram:article_ id=312444, 8.4.2016. 8 Unternehmen und Umsätze im Modehandel 2013 (auf Grundlage der amtlichen Umsatzsteuerstatistik), unter http://www.bte.de/Zahlen-und-Daten/Zahlen-und-Daten/UnternehmenundUmsaetze.jpg, 8.4.2016 sowie „Mehr Teilzeit im Modehandel“, in: Textilwirtschaft (11.2.2016), S. 43. 9 „Knapp 100 Unternehmen bestimmen den Modemarkt“, in: Textilwirtschaft (18.11.2015), unter http:// www.textilwirtschaft.de/business/Knapp-100-Unternehmen-bestimmen-den-Modemarkt_99905. html?a=11, 8.4.2016.

13

14

Einleitung

Tab. 1 Textileinzelhändler in Deutschland (2014)10 Rang

Unternehmen

Umsatz

Filialen

Rang

Unternehmen

Umsatz

Filialen

1

Otto Group

4.230

270

26

Bestseller

382

550

2

H&M

3.847

440

27

S. Oliver

370

155

3

C&A

2.923

505

28

NKD

357

1.373

4

Metro

2.247

518

29

HSE24

342

0

5

Karstadt

1.583

83

30

Gerry Weber

336

467

6

P&C, Düsseldorf

1.339

68

31

AWG

319

295

7

Tengelmann

1.313

2.531

32

QVC

318

0

8

Lidl

1.080

3.200

33

Tristyle

300

17

9

Aldi-Gruppe

1.042

4.200

34

Charles Vögele

293

282

10

Tchibo

1.010

8.730

35

Popken Fashion Group

292

521

10

Ernsting’s Family

1.010

1.800

36

Walbusch

290

39

12

Takko

819

1.111

37

Modepark Röther

253

30

13

Esprit

729

121

38

Rewe

246

64

14

Inditex

710

121

39

Görgens

240

100

15

Primark

698

16

40

The KaDeWe Group

230

3

16

Steilmann SE (K)

675

122

41

Hirmer

210

25

17

Wöhrl

600

59

42

Puccini Group (K)

207

40

18

New Yorker

600

298

43

Anson’s

194

21

19

TJX Deutschland

600

73

44

Orsay

187

209

20

Breuninger

554

11

45

Bader

174

2

21

Zalando

514

0

46

Edeka

173

4.530

22

Tom Tailor

464

875

47

Hugo Boss

172

18

23

Klingel

458

0

48

K&L Ruppert

171

67

24

P&C, Hamburg

455

23

49

Engelhorn

166

8

25

Amazon

385

0

50

MisterLady

158

268

Anmerkungen: in Mill. EUR, Umsätze beruhen auf Schätzungen; (K) Konkurs oder insolvent.

wie Ernsting’s Family, Takko, NKD, New Yorker und Tom Tailor, Lebensmittelriesen wie Metro, Tengelmann, Lidl, Aldi, Tchibo, Rewe und Edeka oder reine Online- und Versandhändler wie Klingel, Amazon, HSE24, QVC und Bader dominieren die Rangliste der umsatzstärksten Textilunternehmen. Unter den Top 50 finden sich nur wenige Fachhändler. Einige entwickelten sich vom mittelständischen Fachhändler zum

TW-Rangliste der größten Textileinzelhändler in Deutschland, unter: http://www.textilwirtschaft. de/business/pdfs/1247_org.pdf, 8.4.2016. 10

Großketten wie Ernsting‘s Family, Takko, NKD, New Yorker und Tom Tailor, Lebensmittelriesen wie Metro, Tengelmann, Lidl, Aldi, Tchibo, Rewe und Edeka oder reine Online- und Einleitung Versandhändler wie Klingel, Amazon, HSE24, QVC und Bader dominieren die Rangliste der umsatzstärksten Textilunternehmen. Unter den Top 50 finden sich nur wenige Fachhändler. Einige entwickelten sich vom mittelständischen Fachhändler zum Warenhaus oder Textilfilialisten wie Warenhaus oder etwa Karstadt, Wöhrl, S. Oliver, andere etwa Karstadt, P&C,Textilfilialisten Wöhrl, S. Oliver, wie andere wandelten sich P&C, vom reinen Bekleidungsproduzenten wandelten sich vom reinen zum wie zum Textileinzelhändler wie etwaBekleidungsproduzenten Gerry Weber oder Hugo Boss. NurTextileinzelhändler Breuninger (20), Walbusch etwa oder(41), Hugo Boss.(48) Nur Breuninger (20), Walbuschdem (36), Röther (37) (36), Gerry Röther Weber (37) Hirmer Ruppert und Engelhorn (49) entsprechen verbreiteten Bild Hirmer (41), RuppertMittelstandsbetriebs (48) und Engelhorn des (familiengeführten) noch (49) heute.entsprechen dem verbreiteten Bild

des (familiengeführten) Mittelstandsbetriebs noch heute.

11

Abbildung 2 Umsatz im Einzelhandel mit Bekleidung und Textilien nach Branchen, 2009 und 2014

2014

59,6

2009

59,9

0%

10%

20%

30%

7,9

17,4

11

40%

50%

60%

Textilfachhandel

Kauf- und Warenhäuser

Lebensmittelhandel

Sonstige

13,2

70%

80%

6,7

5,6

8,4

10,3

90%

100%

Versand- und Onlinehandel

Anmerkungen: „Sonstige“ sind Einrichtungsgeschäfte (2,0/2,1), Sportgeschäfte (2,4/2,5), Bau- und Abb. 2 Umsatz im Einzelhandel mit Bekleidung und Textilien(0,4/0,3), nach Branchen, 2009 und 201411 Heimwerkermärkte (1,7/1,7), ambulanter bzw. Markthandel andere Einzelhandelsbranchen (3,8/1,8). Anmerkungen: „Sonstige“ sind Einrichtungsgeschäfte (2,0/2,1), Sportgeschäfte (2,4/2,5), Bauund Heimwerkermärkte (1,7/1,7), ambulanter bzw. Markthandel (0,4/0,3), andere EinzelhandelsWie die aktuellsten Zahlen zur Umsatzverteilung nach Betriebs- und Vertriebsformen zeigen, branchen (3,8/1,8).

erwirtschaftet der Textilfachhandel noch 60 Prozent des gesamten Umsatzes in Textilien und Bekleidung. Die Zahlen unterscheiden allerdings nicht zwischen Großfilialisten wie C&A und Wie die aktuellsten Zahlen zur Umsatzverteilung nach Betriebs- und Vertriebsformen Fachhändlern wie Hirmer. Beide zählen hier zum textilen Fachhandel. Deutlich wird aber, dass im zeigen, erwirtschaftet Textilfachhandel 60 Prozent Umsatzes im in Zeitraum 2009 bis 2014der sowohl der Online- undnoch Versandhandel alsdes auchgesamten Lebensmittelhändler Textilien und Bekleidung. Die Zahlen unterscheiden allerdings nicht zwischen GroßTextileinzelhandel Marktanteile erobern konnten.

filialisten wie C&A und Fachhändlern wie Hirmer. Beide zählen hier zum textilen Fachhandel. wird aber, dass bisder2014 sowohl der OnlineDas EntstehenDeutlich neuer Betriebsformen und im der Zeitraum Umgang mit2009 ihnen, Wettbewerb zwischen den „großen Konzernen“ und dem „kleinen Händler um die Ecke“, die Frage des „gerechten Preises“ und Versandhandel als auch Lebensmittelhändler im Textileinzelhandel Marktanteile für Bekleidung angesichts der konjunkturellen Entwicklung, das Spannungsverhältnis zwischen erobern konnten. Das Entstehen neuer Betriebsformen und der Umgang mit ihnen, der Wettbewerb 11 zwischen denMeldungen „großendes Konzernen“ und des dem „kleinen Händler um die dieGrundlaFrage Daten nach Bundesverbandes Deutschen Textileinzelhandels e.V.Ecke“, (BTE) (auf ge der Umsatzsteuerstatistik und der Jahresstatistik im Handel); ohne Umsätze von Großhandel, Industrie und Handelsvertretern an Endverbraucher. Umsätze einschließlich Mehrwertsteuer zu Endverbraucherpreisen, Stand Januar 2016, abrufbar (teils kostenpflichtig) unter http://www.handelsdaten.de/textilien-und11 Daten nach Meldungen des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels e. V. (BTE) (auf bekleidung/umsatz-mit-bekleidung-und-textilien-im-einzelhandel-nach-branchen, 11.4.2016; leicht abweiGrundlage der Umsatzsteuerstatistik undHeimtextilien) der Jahresstatistik im Handel); ohne vonund Großhandel, chende Zahlen (unter Einbeziehung von bei Anteil am Umsatz vonUmsätze Bekleidung WohntexIndustrie an Endverbraucher. einschließlich Mehrwertsteuer zu Endtilien imund JahrHandelsvertretern 2014 nach Vertriebsformen, unter Umsätze http://www.bte.de/Zahlen-und-Daten/Zahlen-undverbraucherpreisen, Stand Januar 2016, abrufbar (teils kostenpflichtig) unter http://www.handelsdaten. Daten/UmsatzanteilnachVertriebsformen.jpg, 8.4.2016.

de/textilien-und-bekleidung/umsatz-mit-bekleidung-und-textilien-im-einzelhandel-nach-branchen, 10 11.4.2016; leicht abweichende Zahlen (unter Einbeziehung von Heimtextilien) bei Anteil am Umsatz von Bekleidung und Wohntextilien im Jahr 2014 nach Vertriebsformen, unter http://www.bte.de/Zahlen-undDaten/Zah len-und-Daten/UmsatzanteilnachVertriebsformen.jpg, 8.4.2016.

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Einleitung

des „gerechten Preises“ für Bekleidung angesichts der konjunkturellen Entwicklung, das Spannungsverhältnis zwischen Lieferanten, Handel und Kundschaft sowie das Selbstverständnis und die Fremdwahrnehmung des Textileinzelhandels in einer zunehmend arbeitsteiligen, internationalisierten Wirtschaftsordnung sind Themen, die nicht nur den Branchenverband BTE heute, sondern die Branche schon vor mehr als hundert Jahren umtrieben und seither beschäftigen.12 Besonders scharfsinnig formulierte Hanna Brandenfels bereits 1900 in der Modeund Satirezeitschrift „Moderne Kunst“ das Rollenverständnis eines Textilfachhändlers und dessen Umgang mit seinen Kunden: „Zwei Engländerinnen treten ein [ ] und der Chef bedient sie selbst. Sie wünschen eine Jacke, grau mit weißem Besatz, ‚etwas elegantes‘. Drei Jackets [ ] werden nacheinander anprobiert, zwei ‚zu simpel‘, das dritte [ ] passend wie für die Trägerin gearbeitet, ‚nett‘ befunden. Preis für letzteres 125 Mark. [Kundin:] ‚Oah! 125 Mark? Wo stecken die denn?‘ [Verkäufer:] ‚In der Facon, meine Gnädige, und in der Abarbeitung! [ ] In dunklen Farben ist sehr viel Auswahl! Sachen die sich wesentlich billiger stellen‘ [Kundin:] ‚Das graue ist sehr hübsch, doch will ich nur höchstens 50 Mark ausgeben‘, sagt sie auf Englisch zur ihrer Begleiterin, ‚wir wollen noch einmal zu Gerson!‘ [Verkäufer:] ‚Bei Gerson bekommen Sie so elegante Sachen auch nicht billiger meine Damen‘, gibt der Herr in tadellosem Englisch prompt zurück – und dann leise zu dem Fräulein [ ], das hinter den etwas verblüfft abziehenden Engländerinnen die Thür schliesst: [Verkäufer:] ‚Käsehändlertöchter aus Chester! Kenn ich die Sorte! Gross thun und nichts dahinter! Jetzt gehen Sie zu Wertheim und kaufen sich etwas für 20 Mark.‘ [ ] Im Laden ist es inzwischen leer geworden [und der] Chef stöhnt: ‚Herrgott! Herrgott! Das ist mal wieder ein Tag! Früher als Reisender bekam ich jährlich 6000 Mark und ging spazieren! Jetzt ärgert man sich die Galle ins Blut, fristet kaum sein Leben und muss Gott danken, wenn ‘ Das übrige verschlingt das Zufallen der Ateliertür“13

Wir betreten in dieser Episode ein inhabergeführtes Textilfachgeschäft in Berlin. Wie so viele seiner Kollegen sah sich der Inhaber als von der Moderne überfahrener Tra-

Ausgewählte BTE-Schlagzeilen aus den Jahren 2015 und 2016: „Modeeinkauf muss professioneller werden!“ (17.3.2016), „Erfolgreich mit Lieferanten verhandeln“ (25.2.2016), „Lagerabbau – Winterschluss-Verkauf nutzen!“ (21.1.2016), „Online- und Lieferanten-Konkurrenz belasten“ (11.2.2016), „Hochwertige Mode erfolgreich verkaufen“ (3.12.2015), „Mittelständischer Modefachhandel – nur mäßiger Gewinn“ (10.12.2015), „Neues Marketing für den Modehandel“ (30.7.2015), „Bedarfsorientierte Einkaufsplanung: Der Schlüssel zum Erfolg“ (16.4.2015), „Reklamationsmanagement im Modeeinzelhandel“ (14.5.2015), „Online die Gefühle der Kunden wecken“ (14.5.2015), „BTE-Betriebsvergleich 2014“ (25.6.2015), siehe Treffer der Suchanfrage „BTE“, unter http://www.textilwirtschaft.de/suche/index.php?OK=1&infashion=&a=1&i_search text=BTE&i_sort=news&currPage=1, 8.4.2016. 13 Untertitel: Hanna Brandenfels (Pseudonym, eigentlich Hanna Eichemeyer), Im Konfektionsgeschäft, 1900, vgl. Brandenfels (1900). 12

Konzeption einer Branchengeschichte

ditionalist. Zwar verwehrte er sich der Moderne nicht grundsätzlich. Der namenlose Händler hatte sein Geschäft bereits von einem reinen Stoffladen des 19. Jahrhunderts in ein Fachgeschäft für konfektionierte Damenkleidung gewandelt. Er parlierte fließend Englisch. Doch diese Anpassung erfolgte eher nicht aus Überzeugung, sondern angesichts der veränderten Wettbewerbs- und Konkurrenzsituation. Der Berliner Händler konkurrierte, anders als noch zur Mitte des 19. Jahrhunderts, nun einerseits mit alteingesessenen Traditionsfirmen um kaufkräftiges Publikum und andererseits bereits mit den neuen Warenhäusern, die konfektionierte Textilien kraft ihrer Einkaufsvolumina zu deutlich günstigeren Preisen anboten. Dazu gewann die Kundschaft ob ihrer gestiegenen Kaufkraft zunehmend an Selbstbewusstsein und stellte das über Jahrhunderte gewachsene Selbstverständnis des Textilfachhandels in Frage, denn der Verkäufermarkt stand – aus Sicht des Inhabers – mit einem Erstarken des Kunden deutlich zur Disposition. Im Folgenden möchte ich den methodischen und inhaltlichen Rahmen der vorliegenden Arbeit aufspannen, um die Erwartungshaltung des Lesers an eine „Branchengeschichte“ des Textileinzelhandels zu justieren und um das Notwendige vom Möglichen schärfer abzugrenzen. 1.1

Konzeption einer Branchengeschichte

Angesichts der Heterogenität der Akteure, des zunehmend globalisierten Wettbewerbs und der unscharfen Scheidung zwischen Produktion, Handel und Dienstleistung durch verstärkte Vertikalisierungstendenzen in den Unternehmen selbst widmete sich die wirtschaftshistorische Forschung seit den letzten Jahren neben der klassischen Einzel-Unternehmensgeschichte zunehmend ganzen Industriezweigen. In ihrer zeitlichen, räumlichen und thematischen Pionierstudie zur globalen Industriegaseindustrie sehen Banken/Stokes die Vorzüge einer Branchenperspektive nicht nur darin, das „Kräftespiel zwischen Wettbewerb und Kooperation, zwischen organisatorischem Experimentieren und Konsolidieren und zwischen technologischer Entwicklung und Innovation“ über einen langen Zeitraum zu rekonstruieren, sondern damit vor allem der „enormen Vielfalt und Komplexität der Verhältnisse“ gerecht zu werden.14 Es sind vor allem die Strukturbrüche und Kontinuitäten der deutschen und europäischen Kern- und Schlüsselindustrien nach 1945, die zum Gegenstand einer „neuen Branchengeschichte“ werden – so etwa die Automobilindustrie, der Bergbau, das Finanzsystem, der Agrarsektor, die Textil- und Bekleidungsindustrie, der Logistiksektor oder die Film- und Kinowirtschaft.15 Zeitlich das 19. und 20. Jahrhundert überspannende Stokes/Banken (2014), S. 10. Zur Automobilindustrie etwa Tilly (2013); zum Bergbau etwa Konferenz „Der Steinkohlenbergbau in Boom und Krise nach 1945. Das Ruhrgebiet als Vergleichsfolie für Transformationsprozesse in der 14 15

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Einleitung

Branchenstudien – zur britischen Verlagslandschaft, zur papierverarbeitenden Industrie, zur Rüstungsindustrie, zum Buchhandel oder zur Entstehung und Entwicklung des Marketing und der Marktforschung – sind einerseits rar, und andererseits – wie etwa am Beispiel der deutschen und europäischen (Rück-)Versicherungswirtschaft – fokussiert auf die beherrschenden Großunternehmen.16 Allen bisherigen Branchenstudien gemein ist eine methodisch bislang unzureichend reflektierte Verwendung der Untersuchungsebene „Branche“. Die Begrifflichkeit „Branche“ wird oftmals synonym austauschbar mit „Industrie“ oder „Sektor“ verwandt. Des weiteren konzentrieren sich empirische Branchenstudien vornehmlich auf marktbeherrschende Großunternehmen und Konzerne. Die Nichteinbeziehung von kleinen und mittleren (Familien-)Unternehmen ist dabei oft eine Konsequenz der unzureichenden, nicht vorhandenen oder nicht einsehbaren Archivbestände dieser oft öffentlichkeitsscheuen „hidden champions“. Durch die damit einhergehende Überbetonung der Großunternehmen büßt eine solche „Branchengeschichte der Großen“ immer dann ein Stück ihrer Repräsentativität ein, so die untersuchte Wirtschaftsgruppe eine mehrheitlich mittelständische Struktur aufweist. Darüber hinaus fassen viele historische Untersuchungen ihren Analyserahmen sehr eng und definieren Branche als den Raum einiger Unternehmen mit vergleichbaren Produkten, Dienstleistungen und Zielmärkten bzw. -gruppen. Somit unterbleibt eine mithin notwendige Verankerung der zu beschreibenden Branche in ihr ökonomisch-strukturelles Umfeld. Konkret fehlen die systematischen Verknüpfungen und Wechselwirkungen zu Vorliefer- und Zulieferindustrien und ausgewählten Interessengruppen, etwa politischen Akteuren, Kunden, Verbänden oder Gewerkschaften. Im Folgenden soll versucht werden, den Branchen-Begriff zu schärfen und für diese empirische Untersuchung methodisch besser nutzbar zu machen. Anders als die Wirtschafts- und Sozialgeschichte haben sich die Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften dem Begriff theoretisch bereits genähert, nicht zuletzt, weil in den Bereichen Markt-, Wettbewerbs- und Unternehmensanalyse die Branche zu den zentralen Untersuchungsebenen gehört. Dabei gilt bei allen definitorischen Unterschieden, dass „Branche eine dem einzelnen Unternehmen hierarchisch übergeordnete Einheit

Schwerindustrie“, 22. bis 24.3.2017, unter http://www.hsozkult.de/searching/id/termine-30534?title= der-steinkohlenbergbau-in-boom-und-krise-nach-1945-das-ruhrgebiet-als-vergleichsfolie-fuer-transfor mationsprozesse-in-der-schwerindustrie&q=branche&sort=newestPublished&fq=&total=726&recno =4&subType=event, 13.7.2016; zum Finanzsektor vgl. Cassis (2014) und Gonser (2014); zum Agrarsektor vgl. Spoerer (2014); zur Textil- und Bekleidungswirtschaft etwa Boldorf (2015) und Sywottek (2014); im Bereich Logistik vgl. Vahrenkamp (2011); im Bereich Mediensektor vgl. Segeberg (2007). 16 Zur britischen Verlagslandschaft vgl. Cox/Mowatt (2014); zur Papierindustrie etwa Schmidt-Bachem (2011); zum Unternehmen Rheinmetall und deutscher Rüstungsindustrie Leitzbach (2014); zum deutschen Buchhandel vgl. Jäger (2010); zur Evolution der Marktforschung vgl. Berghoff (2012); zur globalen Versicherungswirtschaft etwa Bähr/Kopper (2015); Borscheid et al. (2014); Pohl (2011).

Konzeption einer Branchengeschichte

ist“.17 Am weitesten verbreitet ist die Branchendefinition, wonach eine Branche jene Unternehmen erfasst, „die weitgehend substituierbare Produkte oder Dienstleistungen herstellen“. Nicht nur beschränkt sich diese verbreitete Zuschreibung vornehmlich auf das produzierende bzw. verarbeitende Gewerbe – und spart die Handelsstufe zunächst aus –, auch bleibt sie dahingehend ahistorisch, da es ein im Zeitverlauf statisches Produkt- und Dienstleistungsportfolio der Marktteilnehmer unterstellt.18 Schaefer und Hautzinger weisen zu Recht darauf hin, dass Branchen im Zeitverlauf „erodieren“, indem durch eine Angebots- oder Nachfrageänderung Unternehmen gezwungen werden, ihre angestammte Branche zu wechseln oder zu erweitern. Daran anschließend definiert Schaefer Branche als „eine Gruppe von Unternehmen, die aus Sicht des Individuums dieselben Kundengruppen mit denselben Technologien zur Erfüllung derselben Kundenfunktionen bedienen“.19 Zentral werden also nicht nur die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch die Herstellungstechnologie und die Zielgruppe. Neben der abstrahierenden Begriffsdefinition waren es ökonomische Teildisziplinen, die konkrete „Wettbewerbskräfte“ bestimmten, die schließlich Rückschlüsse auf die „Attraktivität“ einer Branche und ein Urteil über Erfolgs- bzw. Misserfolgsfaktoren erlauben.20 Über diesen Analyse-Umweg der Beschreibung ihrer Determinanten gewinnt „Branche“ in der ökonomischen Teildisziplin „Industrieökonomik“ und ihrer Untergruppe „Industrial Organisation“ klarere Konturen. Industrieökonomen beschäftigen sich heute im Kern mit dem Wechselspiel von Markt und Unternehmen, wobei sie sich meist auf einzelne Industrien bzw. Branchen fokussieren.21 Aufbauend auf empirische Untersuchungen werden Unternehmen nie isoliert betrachtet, sondern deren Marktverhalten anhand von Daten zu Organisation und Struktur einer Branche untersucht.22 Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen und das Verhalten der Marktteil-

Hautzinger (2009), S. 28 f. Wortlaut unter Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: „Branche“, unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/1210/branche-v9.html, 13.7.2016. Die Druckausgabe definiert Branche leicht abgewandelt als „Gruppen von wirtschaftlichen Institutionen mit gleicher oder ähnlicher wirtschaftlicher Tätigkeit“, siehe Sellien et al. (1988), S. 922. Die Definition beruht vermutlich auf Porter (1980, 1998, 2013). Porter beschreibt Branche als eine „Gruppe von Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen bereitstellen, die sich gegenseitig nahezu ersetzen können“. Ähnlich auch Branche als „Gruppe von Unternehmen, die dasselbe Kernprodukt oder dieselbe Kerndienstleistung anbieten“ oder die Produkte herstellen, die „leicht gegeneinander ausgetauscht werden können“, siehe Johnson et al. (2011), S. 85 ff. sowie Branche als „Gruppe von Unternehmen, deren offerierte Leistung prinzipiell austauschbar sind“, siehe Zentes/Swoboda (2001), S. 64. 19 Schaefers Beschreibung basiert auf der Definition von Abell (1980), S. 170 ff., der Branchen nach Kundengruppen, der Funktion der Produkte und Dienstleistungen für den Kunden und der dazu verwendeten Technologien definiert, siehe Schaefer (2006), S. 16 ff.; Hautzinger (2009), S. 28 f. 20 Johnson et al., S. 85 ff. 21 Im Folgenden vgl. Thomas (2008), S. 16 f.; Bester (2012), S. 1 ff. 22 Die historischen Wurzeln die Industrieökonomik reichen in die späten 1930er Jahre zurück, die zunächst rein beschreibend das Verhalten von Unternehmen in Bezug auf Preis- und Produktionsgestaltung 17 18

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Einleitung

nehmer zueinander, auch unter dem Eindruck exogener Eingriffe, mit dem Ziel, „die Marktstruktur empirisch zu beschreiben und Verhaltensweisen von [Unternehmen] [ ] zu erfassen“.23 Wie auch Marketing- und Managementtheorien unterscheiden diese Ökonomen zwischen angebots- oder nachfrageorientierten Perspektiven in Hinblick auf Branchen. Die einen betonen die Homogenität, Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit von Produktionsprozessen und eingesetzten Ressourcen, die anderen zielen auf die Ersetzbarkeit der Produkte und Dienstleistungen in den Augen der Kunden- bzw. Zielgruppe.24 Letztlich formulierte Porter eine heutige Selbstverständlichkeit – dass nämlich die Modellierung einer „Branche“ zwangsläufig beide Momente zu berücksichtigen habe, man jedoch innerhalb einer Branche gewisse „Segmente“ unterscheiden müsse, die sich heterogen zueinander verhielten.25 In der historischen Realität des Textileinzelhandels konkurrierten nicht alle Unternehmen einer Branche in allen Segmenten. So gehören Warenhäuser, Versandhandel, Textilfilialgeschäfte und Textilfachgeschäfte zwar der Branche „Textileinzelhandel“ an, nicht aber konkurrieren alle Versandhändler mit allen Fachgeschäften oder manch ein großer Fachhändler zwar in der Großstadt mit einem Warenhaus, nicht aber in einer Kleinstadt. Hier entscheidet die Wahrnehmung. Für den Kunden spielt die Betriebsform für die Zuordnung zu einer Branche womöglich eine untergeordnete Rolle. Das Warenhaus, die Boutique oder der Versandkatalog bieten Möglichkeiten, Textilien und Kleidung zu kaufen. Für Fachverbände, regulierende Behörden oder die Markt- und Konkurrenzanalyse eines Unternehmens selbst ist die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Branche „Textileinzelhandel“ deutlich differenzierter. Mal können Warenhäuser und Fachhändler Teil derselben Branche sein (Tarifvereinbarungen, Ladenschluss), mal unterscheiden Gesetzgeber reinlich zwischen Betriebsformen und fragmentieren (in Porters Sichtweise segmentieren) die Branche nach Fachhändlern, Filialisten oder Kauf- und Warenhäusern (etwa in Steuerfragen). Wie kann man dieses Verständnis von „Branche“ für eine wirtschaftshistorische Untersuchung des Textileinzelhandels operationalisierbar machen? In Porters klassi-

angesichts monopolistischer Wirtschaftsstrukturen untersuchten. Mit Beginn der 1970er Jahre arbeitete die „Neue Industrieökonomik“ verstärkt mit ökonometrischen Methoden und mit Querverbindungen zu anderen Unternehmenstheorien (Prinzipal-Agent, Transaktionskosten, Eigentumsrechte), siehe Blecker (1999), S. 71–73; Engelhard (2012), S. 6 ff.; Tirole (1995). 23 Schulz (2004), S. 8–16. 24 Zur Unterscheidung zw. anbieter- und nachfrageseitigen Definition, siehe Bester (2004), S. 20 ff. Als „anbieterorientiert“ gelten Definitionen von „Branche“ als „any grouping of firms which operate similar processes und could produce technically identical products“, siehe Nightingale (1978), S. 35. Als „nachfrageorientiert“ gelten Definitionen von „Branche“ als „a group of outputs (and often seller of those outputs) that are sold to a common group of buyers that are, to these buyers, close substitutes for each other“, siehe Bain (1968), S. 224. 25 Differenzierung nach „Segmenten“ bei Porter (2013). Hier Unterscheidung von „Branche“ und „Geschäft“ am Beispiel der Branche „Finanzdienstleistung“ mit ihren „Segmenten“ Banken, Versicherungen und Finanzberater.

Konzeption einer Branchengeschichte

scher Strukturanalyse definiert sich die Branchenattraktivität über das Wechselspiel folgender fünf Kräfte: den Wettbewerb zwischen Unternehmen, den Gefahren von Neueinsteigern oder Ersatzprodukten sowie dem Machtgefüge zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten bzw. Kunden.26 In Porters Modell verliert die Branche mit steigendem Wirkungsgrad dieser fünf Kräfte an Attraktivität für Unternehmen. Porters Beschreibung der Branche als Sphäre von konkurrierenden Unternehmen, als dynamischer Raum für Veränderung durch Markteintritte und Marktaustritte und nicht zuletzt als Ort der Verknüpfung von Vorlieferanten, Unternehmen und deren Kunden markieren meine Eckpfeiler einer wirtschaftshistorischen Betrachtungsweise des Textileinzelhandels. Wie in Abbildung 3 schematisch zu erkennen, beschreibt „Textileinzelhandel“ in dieser Arbeit einen Bezugsrahmen für verschiedene Analyseeinheiten, die in Wechselwirkungen mit externen Gruppen und Akteuren stehen (können). Auf der kleinteiligsten Ebene beschreibe ich konkrete Unternehmen. Diese sind in der Eigen- wie auch Fremdwahrnehmung Teil der Branche „Textileinzelhandel“. Weiter gleichen oder unterscheiden sich die untersuchten Unternehmen in ihrer Betriebsform oder Verbandszugehörigkeit. Das Warenhaus Schocken, die Konfektionsgeschäfte Bamberger & Hertz, Hettlage und J. G. Becker verstanden sich selbst als Textileinzelhändler und damit als Teile der gleichen Branche. Aus der Eigenwahrnehmung standen Bamberger & Hertz und Hettlage aufgrund ihres Sortiments, ihrer Kundengruppen und ihrer Betriebsform deutlicher in direkter Konkurrenz als etwa mit dem Warenhaus Schocken. Schocken sah sich auf Verbandsebene durchaus im Wettbewerb mit dem Fachhandel, doch der operative Konkurrent waren andere Kauf- und Warenhäuser mit textilem Schwerpunkt. Je nach Problemlage formierten sich Gegnerschaften und Allianzen. In Fragen der Besteuerung, Regulierung, Arbeitszeit oder Zahlungs- und Lieferkonditionen bestand zeitweise Interessengleicheit, oftmals erbitterte Gegensätzlichkeit zwischen Schocken und Becker (Unternehmensebene), zwischen Großbetrieb und Fachgeschäft (Ebene der Betriebsform) oder zwischen dem mittelständisch geprägten Dachverbänden und großbetrieblichen Fachverbänden (Verbandsebene). Die Frage nach Einheit oder Zersplitterung der Branche orientierte sich dabei – und hier kommen die modellierten Wechselwirkungen ins Spiel – nicht nur anhand selbstreferenzieller Problemlagen, sondern durch den Einfluss exogener Akteure. Das Verhalten seiner Vorlieferanten, der Behörden und letztlich seiner Kunden konstituierte den Zustand des Textileinzelhandels. Auch hier reichte das Spektrum von Einheit über Das sog. „Five-Forces-Modell“ definiert die Branchenstruktur über eine Evaluation der Branchenattraktivität, siehe Porter (2008), S. 3ff, v. a. Fig.1.1. Demnach hängt der Erfolg eines Unternehmens innerhalb seiner Branche von der „Wettbewerbsintensität“ der Branche ab. Den 5 Kräften „Wettbewerb zwischen bestehenden Unternehmen einer Branche“, „Bedrohung durch potenzielle neue Konkurrenten“, „Bedrohung durch Ersatzprodukte und –dienste“, „Verhandlungsstärke der Lieferanten“ und „Verhandlungsmacht der Abnehmer“ muss das Unternehmen eine Strategie entgegensetzen, um im Wettbewerb entweder zu bestehen, ihn zu beeinflussen oder dessen Grundlagen verändern, siehe Blum et. al (2006), S. 20 ff. 26

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22

als dynamischer Raum für Veränderung durch Markteintritte und Marktaustritte und nicht zuletzt als Ort der Verknüpfung von Vorlieferanten, Unternehmen und deren Kunden markieren meine Eckpfeiler einer wirtschaftshistorischen Betrachtungsweise des Textileinzelhandels. Einleitung Abbildung 3 Akteure und Verflechtungen der Branche (Schema)

Lieferanten

Unternehmen Betriebsform

Kunden

Verbände Gesellschaft/Politik

Textileinzelhandel Anmerkung: Eigene Abbildung Abb. 3 Akteure und Verflechtungen der Branche (Schema)

Wie in Abbildung schematisch zu erkennen, beschreibt „Textileinzelhandel“ in dieser Arbeit Anmerkung: Eigene3Abbildung

einen Bezugsrahmen für verschiedene Analyseeinheiten, die in Wechselwirkungen mit externen Gruppen und Akteuren stehen (können). Auf der kleinteiligsten Ebene beschreibe ich konkrete Unternehmen. bis Diese in der Eigenwie auch TeilEntscheidend der Branche Kooperation hinsind zu Zwietracht innerhalb desFremdwahrnehmung Textileinzelhandels. „Textileinzelhandel“. Weiter gleichen oder unterscheiden sich die untersuchten Unternehmen in hier war die Fremdwahrnehmung der Branche: Stiegen etwa die Preise unterschieden ihrer Betriebsform oder Verbandszugehörigkeit. Das Warenhaus Schocken, die Kunden nicht nach Betriebsformen innerhalb der Branche. Dagegen unterschieden Konfektionsgeschäfte Bamberger & Hertz, Hettlage und J. G. Becker verstanden sich selbst als Behörden in Fragen der Besteuerung reinlich zwischen Warenhaus und Fachbetrieb; Textileinzelhändler und damit als Teile der gleichen Branche. Aus der Eigenwahrnehmung standen und auch Lieferanten differenzierten stets nach Betriebsgröße und Sortimentsbreite. Bamberger & Hertz und Hettlage aufgrund ihres Sortiments, ihrer Kundengruppen und ihrer Damit standen Bamberger & Hertz und Schocken mal Seite an Seite, mal sich diametBetriebsform deutlicher in direkter Konkurrenz als etwa mit dem Warenhaus Schocken. Schocken ral gegenüber, gleiches giltdurchaus für Fachhändler wie Hettlage J. G. Becker. sah sich auf Verbandsebene im Wettbewerb mit dem und Fachhandel, doch der operative Dieser methodische will im der Komplexität OfKonkurrent waren andereZugriff Kauf- auf und„Branche“ Warenhäuser mit Kern textilem Schwerpunkt. und Je nach fenheit der Verhältnisse ebenso Rechnung tragen wie auchIndem konkreten Verhalten Problemlage formierten sich Gegnerschaften und Allianzen. Fragen der Besteuerung,

des Akteurs – ob Kunde oder Unternehmen – gerecht werden. Genau hier stößt eine Branchengeschichte an ihre offensichtliche Grenze. Denn die Zuschreibungen und 26 Das sog. „Five-Forces-Modell“ definiert die Branchenstruktur über eine Evaluation der BranchenattraktiviÜbergänge sind unscharf und fließend. Aufhängt derder Ebene tät, siehe Porter (2008), S. 3ff, v.a. Fig.1.1. Demnach Erfolgder einesEinzelunternehmen Unternehmens innerhalbwurde seiner Branche vonder der Repräsentativität „Wettbewerbsintensität“ der Branche ab. Den Kräften „Wettbewerb zwischen besteversucht, insofern gerecht zu 5werden, indem unterschiedliche henden Unternehmen einer Branche“, “Bedrohung durch potenzielle neue Konkurrenten“, „Bedrohung Betriebsformen Betriebsgrößen mit verschiedenen Sortimentsschwerpunkten durch Ersatzprodukteund und –dienste“, „Verhandlungsstärke der Lieferanten“ und „Verhandlungsmacht der Abnehmer“ muss das Unternehmen eine Strategie im Wettbewerb entweder zu besteund Zielgruppen herangezogen wurden.entgegensetzen, Andererseitsumbleiben Mittelund Großbehen, ihn zu beeinflussen oder dessen Grundlagen verändern, siehe Blum et. al (2006), S. 20ff. triebe ebenso überbetont, wie auch Konfektionsbetriebe anstatt der verbreiteteren 15 Stoffläden. Ebenso bleiben auch die regionalen Schwerpunkte auf Großstädte, Ballungsräume und Metropolregionen beschränkt. Die Untersuchungsebenen Verbände und Betriebsformen verstehen sich in erster Linie als Ergänzungsüberlieferungen, die für mehr Ausgewogenheit und Repräsentativität sorgen sollen – ohne eine irgendwie geartete „Geschichte der Verbände und Betriebsformen“ des Textileinzelhandels schreiben zu wollen. Auch die Wechselwirkungen mit externen Akteuren werden in einer Tiefe und Breite herangezogen, die der Eigenwahrnehmung des Textileinzelhandels entspricht. Dies gilt besonders für das Verhältnis zu Lieferanten und Kunden. Im besten Fall lotet dieser Ansatz die Potenziale einer Branchengeschichte für die wirt-

Aufbau & Fragestellungen

schaftsgeschichtliche Forschung insofern aus, als dass er Anstöße gibt, über Branche als Untersuchungsgegenstand noch weiter theoretisch nachzudenken. 1.2

Aufbau & Fragestellungen

Die vorliegende Arbeit ist Teil eines ambitionierten Forschungsprojektes, welches auf Initiative der Draiflessen Collection und der hinter ihr stehenden Familie Brenninkmeyer entstand.27 Kern des Projektes bildete die Erarbeitung einer transnationalen Unternehmensgeschichte von C&A. Eine der zentralen Bedingungen des beauftragten Autoren Mark Spoerer war die Ansiedlung von drei Promotionsprojekten, die die mit C&A verwobenen Branchen detaillierter in den Blick nahmen. Nicht nur um die Unternehmensentwicklung vielschichtiger einbetten zu können, sondern weil große Teile der Textilbranche des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts ein Desiderat der Forschung sind. Damit entstanden neben der Unternehmensgeschichte von C&A je eine Qualifikationsarbeit zur deutschen Bekleidungsindustrie, zum Marketing im Textileinzelhandel und eben diese zum Textileinzelhandel. Analog zur zeitlichen Eingrenzung der C&A-Studie sollten alle drei Arbeiten den Kernzeitraum zwischen dem Erstem Weltkrieg und dem Ende der Nachkriegszeit abdecken, sich jedoch ausschließlich auf deutsches Reichsgebiet bzw. nach 1945 auf das Gebiet der späteren Bundesrepublik erstrecken. Damit erschöpften sich die inhaltlichen Vorgaben und die Promovenden legten ihre eigenen analytischen, inhaltlichen und zeitlichen Schwerpunkte. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf der historischen Chronologie folgenden Großkapitel. Ihnen vorangestellt ist eine Verortung der Branche vor der „Urkatastrophe“ des Jahres 1914. Der Prolog ist als eine Art Charakterstudie angelegt. In ihr porträtiere ich die zentralen Bezugspunkte für die zu leistende Branchengeschichte. Wie entstand die Handelsstufe im Verlauf des 19. Jahrhunderts und wie grenzten sich Einzelhändler vom Handwerk und produzierenden Gewerbe ab? Vor dem Hintergrund der Entstehung einer Konsumgesellschaft zum Ende des 19. Jahrhunderts folgt eine quantitative Vermessung mit dem Ziel, die volkswirtschaftliche Bedeutung des Einzelhandels am Anfang des 20. Jahrhunderts mit Blick auf die Folgen des Ersten Weltkrieges besser einschätzen zu können. Abschließend folgt eine qualitative Beschreibung und Analyse der zentralen Akteure und Bezugspunkte der Branche. Gefragt wird nach den Formen und Ausmaßen des sich intensivierenden Konkurrenzkampfes zwischen sich ausdifferenzierenden Betriebsgrößen und -formen als gleichermaßen Ursache und Wirkung einer veränderten Wettbewerbsordnung, die sich besonders im Ver-

Nähere Informationen zu Draiflessen unter http://www.draiflessen.com/articles?a_type=muse um&locale=de, 13.7.2016 sowie zum Forschungsvorhaben im Allgemeinen bei Spoerer (2016), Vorwort, S. 17 ff. 27

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Einleitung

hältnis zwischen Händlern und deren Vorlieferanten anhand von Verbandsarbeit und Konditionenstreits zeigte. Die folgenden Großkapitel unternehmen den Versuch, Branchengeschichte mit konkreter Unternehmensgeschichte zu verweben. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, die konkrete Entwicklungsgeschichte meiner vier herangezogenen Unternehmen parallel zu einer übergeordneten Branchengeschichte zu erzählen. Die Gefahr der Wiederholungen einerseits, und die unterschiedliche Dichte der Überlieferung sprachen dagegen. Deshalb habe ich mich für eine integrierte Erzählstruktur entschieden, die zwischen mikrohistorischer Unternehmenserzählung und makrohistorischer Branchengeschichte wechselt. So gewinnt die Studie einerseits an Farbe und Tiefe, andererseits ist es für den Leser nicht möglich, die Unternehmensgeschichte eines Unternehmens „am Stück“ zu rezipieren. Die innere Struktur der Großkapitel folgt im Kern einem wiederkehrenden Schema, wobei sich die inhaltlichen Schwerpunkte in Kriegs- und Friedenszeiten unterscheiden. In Kriegs- und Krisenzeiten rücken Gesetzgebung und Regulierungsmaßnahmen verstärkt in den Mittelpunkt, während sich in Friedenszeiten der Blick zunächst auf die Branchen- und Betriebsstruktur richtet. Zentral bleibt immer die Analyse des eigentlichen Geschäftsganges, der Konkurrenzsituation und ab 1925 auch eine konkrete Untersuchung der Umsatz- und Marktanteilsbewegungen der Branche. Vor diesem Hintergrund fragen die Abschnitte zu den Verbandsaktivitäten zum einen nach dem Selbstverständnis der Branche und ihrem Verhalten nach innen, sowie nach dem Verhältnis zur Außenwelt, zu Lieferanten, Kunden und Behörden. Das Kapitel zum Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) beleuchtet zunächst die den Textileinzelhandel konkret betreffende Kriegsgesetzgebung. Welche Phasen durchlief die Regulierung und wie genau beeinflusste sie die Geschäftstätigkeit der Branche? Im Fokus steht die textile Versorgung der Zivilbevölkerung während der Kriegszeit – und damit nicht nur der private Textileinzelhandel, sondern auch staatliche Versorgungssysteme wie die Reichsbekleidungsstelle, deren Struktur, Aufgaben und Wirkungen eingehend analysiert werden. Abschließend untersuche ich die Rückwirkungen der kriegswirtschaftlichen Umstände auf die Verbandsstrukturen. Die Zeit der Weimarer Republik gliedert sich in zwei Phasen. Die Zwischenkriegszeit zwischen 1918 und 1923/24 interpretiere ich als Scharnierzeit zwischen Kriegsende, Übergangswirtschaft und der Inflation. Wie wirkten in dieser Zeit die Regulierungen nach? Wie begegnete die Gesellschaft der massiven textilen Unterversorgung und welche Rolle kam dem Textileinzelhandel dabei zu? Im Zentrum stehen die konkreten Unternehmensstrategien angesichts einer unsicheren und unsteten Marktentwicklung. Welche konkreten Erfahrungen machten Textilhändler in dieser Zeit, an deren Ende die Zusammenbrucherfahrung des Jahres 1923/24 stand? Wie beeinflusste dieses Umfeld die Verbandsstrukturen und vice versa? Das Kapitel zwischen 1924 bis 1932 nimmt die Phase zwischen Währungsreform und dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise in den Blick. Es fragt nach den Lehren

Forschungsstand & Quellengrundlage

der Branche und inwieweit sich die konkreten Strategien zwischen den sich weiter ausdifferenzierenden Betriebsformen glichen oder unterschieden? Wer profitierte bzw. litt in welchem Maße in Bezug auf Umsatz und Marktanteil in einer Zeit der Scheinkonjunktur und des sich anschließenden wirtschaftlichen Niedergangs? Und ebnete dieser verschärfte Wettbewerb um Kunden, Märkte und Umsätze den Weg zur sich anschließenden antisemitischen und antikapitalistischen Anfeindung von Mittel- und Großbetrieben? Das Kapitel Textileinzelhandel im Nationalsozialismus beginnt mit der Frage nach der Zielsetzung und Umsetzung der Gleichschaltung des Verbandswesens und nimmt damit die Branche als Gesamtheit in den Blick. Es folgt die Analyse des Geschäftsgangs der Textileinzelhändler vor Kriegsausbruch und die Frage nach den spürbaren Auswirkungen des „Systemwechsels“ auf die Unternehmen selbst und mit ihr die Analyse der Einzelmaßnahmen zur Bewirtschaftung und Regulierung. In der gebotenen Ausführlichkeit werden die Grundzüge als auch prägnante Einzelfälle von Diskriminierung, Verdrängung, Arisierung und Liquidierung dargestellt, um die Frage zu beantworten, ob der nationalsozialistische Antisemitismus den strukturell und ideologisch schärfsten Eingriff in das Gefüge des Textileinzelhandels darstellte. Abschließend wird die Kriegsphase als Weg von der Mangelverwaltung bis hin zum totalen textilen Zusammenbruch untersucht. Das Abschlusskapitel zu den Entwicklungslinien der Nachkriegszeit bleibt zwischen 1945 und 1949 zunächst eine gesamtdeutsche Beschreibung, die versucht, zentrale Entwicklungslinien in den Zusammenbruchsgesellschaften in West und Ost nachzuzeichnen. Nach 1949 beschränkt sich der Blick auf die Bundesrepublik. Hier fokussiere ich mich auf die zentralen Konfliktlinien – die Frage der Wiedergutmachung und des Wachstums, die Frage nach den Konkurrenzsituationen innerhalb der Branche und den entsprechenden Geschäftsstrategien verschiedener Betriebsformen und abschließend der konkreten Geschäftsentwicklung zweier Fachhändler bis Anfang der 1960er Jahre. 1.3

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Eine erste grundlegende Schneise schlug Spiekermann, der den deutschen Einzelhandel in seiner Gesamtheit für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges als „Basis der Konsumgesellschaft“ interpretierte, und so den deutschen Einzelhandel erstmals ins Zentrum einer empirisch fundierten wirtschaftshistorischen Darstellung deutscher Wirtschaftsgeschichte stellte.28 Bis zu diesem Punkt hatte die moderne deutsche Historiografie den Klein- oder Einzelhandel im

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Für eine ausführliche Bibliographie zur Einzelhandelsforschung siehe Spiekermann (1999), S. 16–25.

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Gegensatz zu den europäischen Nachbarn eher vernachlässigt.29 Bestimmend für die deutsche Interpretation blieben industrieorientierte Ansätze, die dem Distributionssektor (abgesehen vom Außenhandel) nachrangige Bedeutung – auch aus Mangel an einer breiten Quellengrundlage – einräumten und nur der Vollständigkeit halber erwähnten. Unter Textilbranche wurde vornehmlich die Geschichte der Textilindustrie und, wenn auch in weit geringerem Ausmaß, die Geschichte der Bekleidungsindustrie verstanden. Referenzwerke zur Geschichte der Vorlieferindustrien des Textileinzelhandels (und deren Zentrum Berlin) blieben hier bis 1945 die Darstellungen von Grandke, Loeb, Vier, Oppel und Wittkowski.30 Nach den Arbeiten von Dopp und Blumberg, widmete sich die deutsche Wirtschaftsgeschichte erst in den 2000er Jahren verstärkt der Bekleidungswirtschaft und ihren Unternehmen – wegweisend sind hier die Studien von Lindner, Höschle und zuletzt Köster und Schnaus.31 Die größeren Überblickswerke zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, unter Ihnen etwa Buchheim, Wehler oder Spoerer/Streb widmen dem Einzelhandel entweder keinen Raum oder weisen nur im Hinblick auf die Entwicklung einer Massenkonsumgesellschaft auf seinen generellen Strukturwandel hin.32 Gleiches gilt für wirtschaftsgeschichtliche Detailstudien zum Ersten Weltkrieg oder zur Zeit der Weimarer Republik, wie etwa zuletzt bei Obermaier, Broadberry oder Kruse.33 Bis zum Ersten Weltkrieg glichen die meist volkswirtschaftlichen Analysen eher politischen Kommentaren zur Bedrohung des Kleinhandels im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung. Dabei blieb der Einzelhandel in den Analysen und Interpretationen passiv – stets der Konkurrenz neuer Betriebsformen schutzlos ausgeliefert.34 Vor Im Gegensatz dazu ist die europäische Forschung zu „retail history“, speziell in Großbritannien deutlich ausgereifter als in Deutschland: Smith (1937); Briggs (1961); Jefferys/Knee (1962); Jefferys/Knee (1965); Davis (1967); Alexander (1970); Sibley (1975); Evans/Lawson (1981); Saint (1982); Winstanley (1983); Crossick/Haupt (1984, 1998); Benson/Shaw (1992); Alexander (1998); Alexander/Akehurst (1998, 1999); Shannon (2004); Stobart/Hann (2004); Jeacle/Walsh (2008); van den Heuvel (2008); Mitchell (2010); Dewilde/Poukens (2011); Hoof (2011); Godley/Hang (2012); Akehurst/Alexander (2013). 30 Vgl. Grandke (1899,1905), Loeb (1905); Vier (1910); Oppel (1912); Wittkowski (1928); daneben ebenso Schams (1891); Herzberg (1894); Mayer (1895); Rasch (1910). Einen geographisch-visuellen Überblick gibt die Standortkarte der deutschen Bekleidungsindustrie (1936). 31 Vgl. Dopp (1962); Blumberg (1965); Lindner (2001); Höschle (2004); Köster (2011); daneben Breitenacher (1971); Döring (1992); Luxbacher (2004); Ausführlicher Forschungsüberblick zur Bekleidungsindustrie bei Schnaus (2017). 32 Buchheim (1997); Wehler (2008, 2010a, 2010b); Spoerer/Streb (2013); daneben auch Sombart (1927); Pohle (1930); Hoffmann (1965, 1969); Cipolla et. al (1980); von Kruedener (1984); Berghoff (2004). 33 Ältere Studien vgl. etwa Kocka (1973); Feldman (1984, 1985); Erdmann/Grundmann (1999); Neue Studien vgl. Roth (1997); Winter (1999); Broadberry (2005); Kruse (2014). Zur Weimarer Republik siehe u. a.: Petzina (1977); Feldman (1984); Obermaier (2002). 34 Zeitgenösssiche Studien zur Struktur, Bedeutung und Bedrohung des deutschen Einzelhandels bzw. des Detail- und Kleinhandels vgl. etwa Schmoller (1870); Borgius (1899); Pohle (1900); van der Borght (1900); Haacke (1901); Hübner (1902); Kanter (1902); Engel (1905); Adlmaier/Zahnbrecher (1909); Beythien (1910); Landauer (1912); Büttner (1913); Reemtsen (1913). 29

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dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges geriet die Rolle des Distributionssektors für eine funktionierende Kriegs- und sich anschließende Übergangswirtschaft, besonders in Hinblick auf Preis-, Lohn- und Kaufkraftentwicklung in den Fokus.35 Mit dem Ausbau statistischer Erhebungen, der Diskussion um Rationalisierungspotenziale und den vielfältigen Mittelstandsfragen im Zuge wirtschaftlicher Krisen und zeitweiser Prosperität in der Weimarer Republik erfuhr die Einzelhandelsforschung entscheidende Impulse. Insbesondere der ehemalige Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium und spätere Professor an der Handelshochschule Berlin Julius Hirsch, der Begründer des Kölner Einzelhandelsinstitutes Rudolf Seyffert, die Verbandsfunktionäre Joachim Tiburtius und Leo Engel sowie erste großangelegte statistische Erhebungen wie die Handels-Enquete (1929) lieferten erstmals Analysen auf nie gekannter empirischer Grundlage und waren damit der Ausgangspunkt einer Renaissance der Einzelhandelsgeschichte durch eine geschichtsinteressierte Volkswirtschaftslehre.36 Während des Nationalsozialismus stellte sich die Einzelhandelsforschung in den Dienst der ideologischen Zielrichtung, den Einzelhandel auf seine Verteilerrolle zu reduzieren. Man konstruierte Kontinuitäten und zog lange Entwicklungslinien zu den mittelalterlichen Wurzeln des Handels. Ausnahmen blieben Bielschowsky, der den enormen Substanzverlust durch die Wirtschaftskrise dokumentierte oder die 1935 veröffentlichte Bibliographie zur Einzelhandelsforschung sowie institutseigene Festschriften.37 Mit dem Kriegsende 1945 erlebte die Einzelhandelsforschung einen dramatischen Rückgang des wirtschaftshistorischen Interesses. Für viele Jahrzehnte blieb die Untersuchung von Gartmayr der empirische Fixpunkt. Mit dem Aufbau des Statistischen Bundesamtes lagen für den Einzelhandel spätestens seit den 1960er Jahren von Behrens und Poenseler interpretatorisch durchdrungene Zahlenreihen vor, die jedoch kaum Eingang in wirtschaftshistorische Arbeiten fanden. Sozialgeschichtlich orientierte Forschungen nahmen den Einzelhandel spätestens in den 1970er und 1980er Jahren vermehrt in den Blickpunkt. Hier bleiben die Arbeiten von Gellately, Haupt und Tietz (1986) Referenzpunkte, während die auflagenstarke Arbeit von Berekoven stark populärwissenschaftlichen Charakter aufweist.38 Davon ausgehend etablierte sich eine intensive Beschäftigung mit der Konstituierung des „deutschen Mittelstandes“ und

Vgl. etwa Arnstadt (1916); Becker (1916); Deite (1916); Hirsch/Falck (1916); Schär (1916); Dresdner Bank (1917); Bur (1918); Hesse (1918); Lübbering (1919); Günther (1919a, 1919b); Bruck (1920); Bauer (1921); Kaeber (1921); Statistisches Reichsamt (1923); Delbrück (1924). 36 Vgl. Schindler (1920); Schmidt (1920); Hirsch (1925); Sieveking (1925); o. A., Ergebnisse (1929); Beckerath (1930); Deistler (1930); Lampe (1930); Meißinger (1931); Zahn (1931); Ludovici (1932); Seyffert (1932); zum Kölner Einzelhandelsinstitut vgl. Schmitz/Seyffert (1928); Seyffert (1929, 1939). 37 Bielschowsky (1933); o. A., Bibliographie (1935); Tiburtius (1935); Nemitz (1936); Splettstösser (1936); Seyffert (1939); Jessen (1940); Ossberger (1941). 38 Vgl. Behrens (1962a, 1962b); Poenseler (1964); Gellately (1974); Haupt (1986); Tietz (1966, 1973, 1983, 1986); Berekoven (1987); Haupt/Niermann (1988); weitere etwa Bohner (1954); Lampert (1956); Gartmayr (1964); Drechsel (1982) und Boelcke (1986). 35

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mit ihm des deutschen Einzelhandels und dessen ökonomisch-sozialer Rolle (sowie die Entwicklung seines Verbandswesens), vor allem im Hinblick auf den Aufstieg des Nationalsozialismus.39 Spiekermanns Pionierstudie regte in der Folge eine überschaubare Zahl historischer Detailstudien für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bzw. Überblicksarbeiten zum Einzelhandel nach 1914 an, wovon die Arbeiten von Pfister, Kopper, Haupt und Heimbüchel zu den Wichtigen gehören.40 Die Forschungsgeschichte zum deutschen Textileinzelhandel nimmt sich im Hinblick auf Überblicksdarstellungen deutlich bescheidener aus. Bis Ende der Weimarer Republik entstanden einige wenige Studien, teilweise anekdotischer Natur, über die Fabrikation und den Vertrieb von Textilwaren und Kleidung. Herausragend in Umfang und Detailtiefe sind Bischoff sowie Bötzkes und Brie/Schulze, deren Studien im Nachgang der 1907 erfolgten reichsweiten Betriebs- und Belegschaftszählungen entstanden waren. Bis Kriegsende blieben diese Monographien, abgesehen von der Spezialstudie von Tafelmeyer, die einzigen Überblicksdarstellungen zur historischen Entwicklung des Textileinzelhandels.41 Eine Ausnahme bildet eine im Jahr 1922 veröffentlichte eingehende Analyse der deutschen Spinnstoffwirtschaft, allerdings mit textilindustriellem Schwerpunkt.42 1951 veröffentlichte Haas seine volkswirtschaftliche Promotionsschrift über die (historische) Entwicklung des Textileinzelhandels seit den Anfängen menschlichen Wirtschaftens. Seitdem war die Branche vereinzelt in volkswirtschaftlichen Analysen über Strukturwandelprozesse, etwa bei Menge, Bittlinger oder Gühlert, von Interesse. Eine detailreiche Ausnahme bildete die wirtschaftshistorische Untersuchung des Textileinzelhandels in der Nachkriegswirtschaft bis 1923 von Kiehling.43 Eine kurze Episode blieb die wirtschaftshistorische Erschließung des alpenländischen Textilraumes.44 Wenn auch eine Branchengeschichte fehlt, so gibt es eine Fülle von Spezialliteratur zu ausgewählten Aspekten des Textileinzelhandels. Verhältnismäßig prominent ist der anfangs betriebswirtschaftlich etwa bei Sombert, Schellwien, Fitch oder Veblen, später

Die Beschäftigung mit der Mittelstandsbewegung reicht bis in die 1870er Jahre zurück, vgl. Schmoller (1897); Wernicke (1908,1922); Müffelmann (1913); neuere Studien etwa Wein (1968); Düding (1972); Saldern (1979, 1986); Hentschel (1983); Neebe (1983); Winkler (1986); Hardtwig (1990); Haupt (1990); Ditt (1994); Scheybani (1995, 1996); Vogt (1995); Hettling/Hoffmann (1997); Haupt/Crossick (1998); Wehler (2001). 40 Vgl. Pfister (2000); Kopper (2002); Haupt (2003, 2009); Heimbüchel/Geuenich (2004); weitere etwa Haverkamp/Teuteberg (2000) und Becker (2002). 41 Vgl. Bischoff (1869); Bötzkes (1909); Brie et al. (1909); Tafelmayer (1933); o. A, Der deutsche Textileinzelhandel (1936). 42 Bis vor wenigen Jahren als verschollen geglaubt: Goebel/Schloesser (1922); kommentierte Neuauflage Boldorf/Haus (2016). 43 Vgl. Haas (1951); Menge (1957); Bittlinger (1989); Gühlert (1990); Kiehling (1996). Die europäische Forschung zum Textileinzelhandel als Ganzes steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen: Adburgham (1967); Toplis (2011). 44 Für die Alpenregion vgl. Schirmer (1968); Greiner (1971); Niederwieser (1973). 39

Forschungsstand & Quellengrundlage

sozial- und kulturgeschichtlich untersuchte Einfluss der Mode auf die Branche, zuletzt bei Guenther, Ebner und Schmidt.45 Zum anderen dominiert eine seit den 1890er Jahren existente betriebswirtschaftliche Ratgeber- und Organisationshilfeliteratur, die Geschäftsinhabern, kaufmännischen Angestellten und Lehrlingen die Branchenstrukturen des Textileinzelhandels erläuterte. Dazu werden Warenkunde, Statistik- und Kalkulationsgrundlagen, Sortiments-, Absatz- und Einkaufshinweise sowie strategische Kooperationspotenziale beschrieben, in der jüngsten Zeit etwa bei Ross und Rietdorf.46 Basierend auf bestimmten Untergruppen betriebswirtschaftlicher Organisationsliteratur entstanden nach 1945 vermehrt sozial- und kulturhistorische Abhandlungen, die Entwicklungen aus dem Textileinzelhandel aufgriffen oder diesen zur empirischen Grundlage machten. So entstand ein Zweig, der den Einfluss von Kartellen und Verbänden auf die Organisationsstruktur und deren Auswirkungen – vor allem in Bezug auf Ein- und Verkaufspreise – auf die textile Wertschöpfungskette untersuchte, grundlegend dazu ist immernoch die Studie von Wein.47 Zu einem weiteren Untersuchungsgegenstand wurden, befeuert von den Rationalisierungs- und Modernisierungsprozessen, die Themen Reklame und Absatzforschung im (Textil-)Einzelhandel. Die ersten grundlegenden Arbeiten reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, etwa Cronau, Kellen, Lemcke und kulminierten in den 1920er Jahren mit den Studien von Paneth/Mataja, Nolte und Redlich. Die Arbeiten von Kleinschmidt/Triebel und Berghoff erschlossen diesen Teilaspekt für die moderne Wirtschaftsgeschichte neu.48

Vgl. Sombart (1902); Schellwien (1912); Fitch (1930); Veblen (1971); Guenther (2004); Ebner (2007); Schmidt (2007); weitere Untersuchungen zum Topos „Mode“ etwa Lessing (1884); Geszler (1895); Gaulke (1906, 1907); Troeltsch (1912); Neuburger (1913); Boehn (1916, 1918, 1925); Schmitz (1919); Müller-Freienfels (1940); Robinson (1963); Bovenschen (1986); Köhle-Hezinger/Baum (1993); Schnierer (1995); Sultano (1994, 1995); Krug (1998); König (1999); Gottfried (2012). 46 Vgl. Ross (2008); Rietdorf (2011); Erste Studien bereits um die Jahrhundertwende vgl. etwa Trempenau (1890); Heiden (1904); Kanter (1909); Dietze (1914); Studien v. a. die Regulierung betreffend vgl. Gebauer (1920); Kitzinger (1928); Marcus (1931); Stöhr (1936); Drahn/Hager (1940); Kayser (1940); Hajek (1941); Tripp (1941); Thiemann (1942); Weyhe (1942); für die Nachkriegszeit vgl. etwa Hosse (1951); Rösch (1956); Schweizerisches Institut für gewerbliche Wirtschaft (1967); Huxold (1971); Pinnekamp (1975); Sager/Röhm (1977); Steckenborn (1977); Brockdorff et al. (1986); Patt (1988); Wilke (1989); Grisar (1994). 47 Vgl. Wein (1968); ältere Literatur zu Kartellen, Konventionen und Verbänden der Textilbranche vgl. etwa Baier (o. D.); Lehmann (o. D.); Weishäupl (o. D.); Bonikowsky (1907); Stern (1909); Radványi (1910); Kaufmann (1922); Textil-Woche (1927a, 1927b); Meyer (1928); Schreiterer (1931). 48 Vgl. Cronau (1887); Kellen (1899); Lemcke (1901); Paneth/Mataja (1926); Nolte (1930); Redlich (1935, 1965); Kleinschmidt/Triebel (2004); Berghoff (2007); Arbeiten zu Einzelaspekten Markenartikel, Absatz, Gestaltung etc. vgl. etwa Schulte (o. D.); Vershofen (o. D.); Wadle (o. D.); Graef (1883); Fischer (1899); Clad (1913); Stahl (1915); Walter (1916); Bücher (1917); Frey (1920); Krohn (1926); Halbert (1927); Büttner (1932); Trost (1932); Wagenführ et al. (1933); Bergler (1934a, 1934b); Brose/Vershofen (1937); Kühn (1939); Schachtschabel (1939); Meyer (1941); Mangold (1968); Grub (1974); Pohl (1982); Parker (2003); Sanders (2006); Maciuika (2007); König (2009); Scott/Walker (2010). Ausführlicher Forschungsüberblick zur Reklame- und Marketinggeschichte bei Pauli (2017). 45

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Auf Aspekte der Verbrauchslenkung aufbauend widmete sich die Forschung auch dem Themenkomplex der historischen Entwicklungen von Preisen, Kaufkraft, Kundenbedürfnissen und der deutschen Konsumgesellschaft insgesamt. Auch hier liegen die Wurzeln bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit Arbeiten von Bayerdörffer oder etwa van der Borght. Mit den volkswirtschaftlichen Berechnungen von Haushaltsbudgets durch Fürth, Krziža oder Falck geriet der Einzelhandel in den folgenden Jahrzehnten in die wissenschaftliche Auseinandersetzung um seine Verantwortung für stabile, „gerechte“ Preise und seinen Einfluss auf die Kaufkraft der Verbraucher. Die modernen Untersuchungen von Pierenkemper, Hohls oder Ritschl zu Kaufkraftentwicklung schlossen daran an. Das Ende der 1990er Jahre aufkommende Interpretament der Massenkonsumgesellschaft, etwa bei Siegrist, Berghoff, Hilton, König, Zündorf, Reckendrees oder Haupt, erschloss zentrale Entwicklungsprozesse und betonte die maßgebliche modernisierende Rolle des Einzelhandels.49 Neben diesen binnenorganisatorischen Themen – Kartellen, Reklame oder Preisentwicklungen – wandte sich die Einzelhandelsforschung verstärkt Wettbewerbsthemen innerhalb der Branche zu. Einen breiten Raum nehmen die Abhandlungen über die geschichtliche Entwicklung der mit dem mittelständischen (Textil-)Einzelhandel konkurrierenden Betriebsformen ein. Zu diesen gehören die genossenschaftlich organisierten Konsumvereine, zuletzt untersucht durch Prinz und Torp.50 Diese wurden durch eine Fülle zeitgenössischer Untersuchungen über den zunehmenden Wettbewerbsdruck durch privatwirtschaftliche organisierte Neuformen des Einzelhandels – etwa Einheitspreis-, Abzahlungsoder Versandgeschäfte51 – und durch Publikationen über die Entstehung mittelständischer Abwehrreaktion auf diese Veränderungen (Einkaufsvereinigungen) ergänzt.52 Besondere Aufmerksamkeit erhielten die neuen großbetrieblichen Absatzformen Filialgeschäft und Warenhaus. Während die Untersuchungen zu Filialgeschäften den Blick auf organisatorische Neuerungen lenkte53, erwuchs seit den 1880er Jahren ein bis in die 1970er Jahren anhaltender Diskurs über die spezifisch deutsche „Warenhaus-Frage“.54 Ein Strang der Warenhaus-Historiographie, etwa Colze, Göhre, Hirsch und Lux, Vgl. Bayerdörffer (1878, 1888); van der Borght (1888); Fürth (1907, 1922); Krziža (1914, 1915); Tyszka (1916); Falck (1921); Simon (1922); Nathan (1923); Grünbaum (1928); Lederer (1928); Trost (1932); Hecht (1939); Walter (1940); Raab (1941); Gabriel (1943); Goldack/Vershofen (1952); Kocka (1973); Schramm (1976); Gömmel (1979); Hentschel (1983); Falter (1987); Gahlen (1987); Ehmer (1988); Pierenkemper (1988); Hohls (1989); Ritschl (1990); Kift (1992); Siegrist (1997); Berghoff (1999); Hilton (2000); König (2000); Spiekermann (2004); Zündorf (2006); Reckendrees (2007); Steiner (2007a); Haupt (2009). 50 Vgl. Prinz (1996); Torp (2011); besonders auf den Einzelhandel bezogen vgl. etwa Landwers (1906); Ortloff (1908); Hetz (1912); Rothschild (1912); Jöhlinger (1918); Wasmansdorff (1918); Kaufmann (1928); König (1938); Hasselmann (1971); Huß (1977); Glaeßner (1989); Aschhoff/Henningsen (1995). 51 Vgl. Grünfeld (1920); Koch (1931); Mutz (1932); Paneth (1932); Nieschlag (1949). 52 Vgl. Dursthoff (1903); Textil-Woche (1927a, 1927b); o. A., Handbuch (1937); Stern (2006). 53 Vgl. Dehn (1899); Hirsch (1913); Säuberlich (1913); Ehrlicher (1931); Vorberg (1971). 54 Ausführliche Bibliographie bei Briesen (2001). 49

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untersuchte im frühen 20. Jahrhundert die Genese und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Betriebsform Warenhaus auf den deutschen Einzelhandel.55 Diesen Untersuchungen zur Seite standen politische Kampfschriften zum „Warenhausproblem“56, deren Wirkungen zuletzt Briesen und Lenz einordneten.57 Neue Impulse erhielt die Warenhausforschung nach der ideologischen Vereinnahmung der NS-Zeit durch Pasdermadjian, Uhlig und Gerlach, bevor Homburg, Briesen und Banken sich dem Thema erstmals sozial- und unternehmenshistorisch fundiert näherten.58 Auch dank der breiten angelsächsischen Forschung etwa durch McBride, Coles, Tamilia, Whitaker und zuletzt Howard wurde Warenhausgeschichte (zusammen mit architekturgeschichtlichen Arbeiten) nahezu zum Synonym für die Modernisierungsgeschichte des (europäischen) Einzelhandels.59 Diese thematische Verengung von (textiler) Einzelhandelsgeschichte auf die „Geschichte des deutschen Warenhauses“ (oder genauer der Filialgroßbetriebe) hat verschiedene Ursachen. Zunächst liegt der Ursprung nahezu aller deutschen Großbetriebe in Textileinzelhandlungen. Zwischen 1890 bis in die 1960er Jahre hinein blieb die Unternehmensgeschichtsschreibung zu Textileinzelhandelsfirmen auf Jubiläums- und Festschriften mit teils populärwissenschaftlichem bis hagiographischem Charakter beschränkt, etwa zum Stuttgarter Modehaus E. Breuninger, dem Regensburger Kaufhaus Runtinger, dem Schuhhaus Leiser oder dem Modehaus Druffel.60 Nach 1945 befasste sich die Unternehmensgeschichtsschreibung nahezu ausschließlich mit großbetrieblichen Handelsunternehmen, Kauf- und Warenhäusern, Filialisten oder Versandhändlern. Der Pionierstudie von Reissner zum Berliner Traditionsunternehmen Nathan Israel folgten biographische Erinnerungen, etwa Knopf oder Grünfeld. Neben wenigen Untersuchungen zu Regionalkaufhäusern rückte Tietz die Bedeutung der jüdischen Warenhausunternehmen für den deutschen Einzelhandel und den in der NS-Zeit er-

Vgl. Colze (1905); Göhre (1907); Körner (1908); Hirsch (1910); Lux (1910); Wiener (1912); Buddeberg (1936). 56 Vgl. etwa Alexander-Katz (1892); Hauschildt (1897); Huber (1899); Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser (1905, 1928); Wernicke (1911, 1913); Hohl (1924); Rubens (1929); Buchner (1931); Kramer (1931). 57 Vgl. Briesen (2001), Lenz (2011). 58 Vgl. Pasdermadjian (1954); Uhlig (1956); Strohmeyer (1980); Gerlach (1988); Frei (1997); Homburg (1992, 2000); Briesen (2001); Lerner (2010); Banken (2007, 2012b). 59 Vgl. McBride (1978); Lancaster (1995); Coles (1999); Crossick/Jaumain (1999); Tamilia (2002); Lomax (2005); Lawrence (2006); Gardiner (2010); Whitaker (2011); Howard (2015); zur Architekturgeschichte von Warenhäuser vgl. Heilmann (1905); Schliepmann (1928); Erbstößer (1979); Grunsky (1979); Behn (1984); Krabbe (1989); Hocquél (1996); Bednarek/Treppe (2002); Proctor (2003); Meissner (2005); Scharnholz (2006); Uffelen (2008); Dörries/Brandt (2009); Hard/Wedel (2011). 60 Vgl. E. Breuninger (1911); Bastian (1920); Schulz (1929); Wagner (1934); o. A., Druffel (1946). Für den schweizerischen Raum erschienen eine Reihe von zeitgenössischen Jubiläumsschriften: o. A., Tuch AG (1892, 1922); o. A., Wormann Söhne (1905), o. A., Au Bon Marche (1915); o. A., Vier Jahreszeiten AG (1920); o. A., Fein-Kaller AG (1927); o. A., Merkur-Mode AG (1929; 1935); o. A., Wilhelm Wethli (1928); Nordmann (1936). 55

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littenen Substanzverlust des Distributionssektors ins Zentrum der wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Auseinandersetzung.61 Doch bis Anfang der 1980er Jahre unternahm die deutsche Unternehmensgeschichtsschreibung keine weiteren Versuche und überließ die Aufarbeitung der Warenhausgeschichte anderen.62 Ab den 1980er Jahren verschob sich der wirtschafts- und unternehmenshistorische Fokus auf die Aufarbeitung der NS-Zeit. Die mehrheitlich jüdischen Warenhauskonzerne63 boten sich als Chiffre an, den Umgang des Regimes mit der großkapitalistischen Privatwirtschaft sowie jüdischen Inhabern und Kunden im Zuge des mehrphasigen Diskriminierungs-, Verdrängungs-, Arisierungs-, Vernichtungs- und Restitutionsprozesses zu analysieren. Die Studie von Fuchs über den sächsischen Warenhaus Konzern Schocken setzte in den 1990er Jahren neue Impulse. Die Arbeiten von Homburg, Lenz, Ladwig-Winters und Heimbüchel rekonstruierten die Schicksale jüdischer Warenhäuser und ihrer Eigner Wertheim, Tietz, Karstadt oder Althoff. Die Studien, ergänzt etwa durch Jungbluth, Schmideder und Scholtyseck revitalisierten die Frage nach Schuld und Verantwortung des deutschen Einzelhandels an den antisemtischen Repressalien der NS-Zeit.64 Mit dieser „NS-Forschungskonjunktur“ und einer breiten Arisierungsforschung seit Ende der 1990er Jahre65 rückten neben den Großkonzernen durch verstärkt lokal- und regionalgeschichtliche Zugriffe auch mittelständische Unternehmen und mit ihnen der Textileinzelhandel als empirische Grundlage verstärkt in den Fokus, zuletzt etwa bei Schmideder, Janetzko und Steidle.66 Gleiches gilt für die im letzten Jahrzehnt intensivierte Aufarbeitung der Restitutionsprozesse im (westdeutschen) Nachkriegsdeutschland sowie im besetzten Europa. Maßgeblich hier sind die Untersuchungen von Stiefel, Goschler, Goschler/Andrieu, Vgl. Reissner (1958); Knopf (1963); Grünfeld (1967); Tietz (1965). Ausnahmen für die USA vgl. Tonning (1955); Porter (1971); für Europa etwa vgl. Miller (1981); Rains (2008); Schreiber (2010); Wemp (2011); Ashmore et al. (2012); Brachet Champsaur (2012). 63 Untersuchungen zum Aufstieg jüdischer Unternehmer (u. a. in der Textilbranche) etwa bei Marcus (1931); Mosse (1965, 1987); Prinz (1984); Toury (1984); Münzel (2003, 2006); Ramm (2012); Pust (2013). 64 Vgl. Fuchs (1988, 1990); Homburg (1992, 2003); Lenz (1995); Ladwig-Winters (1997); Richter (1998); Heimbüchel (2001, 2004); Jungbluth (2002); Schmideder (2004); Fischer/Ladwig-Winters (2005); Scholtyseck (2011). 65 Grundlegend und einen breiten Forschungsüberblick zur „Arisierung“ bieten Bajohr (2003a) und Janetzko (2012b); daneben u. a. Barḳai (1988, 1989, 1992); Wollenberg (1989); Ludwig (1992); Diekmann (1993); Etzersdorfer (1995); Fischer (1995); Dreßen (1998). Wichtige Impulse kamen aus der bankgeschichtlichen Forschung vgl. etwa James (2001); Jančík (2002); Lorentz (2002); Köhler (2008); Jančík et. al (2011); Möller (2015). Daneben weitere wichtige Studien etwa Bajohr (2000a, 2000b); Chesnoff (2000); Fiedler (2000); Wojak (2000); Mönninghoff (2001); Bopf (2002, 2004); Dreyfus (2003); Feldman (2000,2003, 2005); Baumann (2004); Felber (2004); Baresel-Brand (2004); Hödl (2006); Bajohr (2007a, 2007b); Dean (2000, 2007); Gibas (2007a, 2010); Hockerts/Kuller (2007); Jungius (2008); Schneider (2008); Pawlowsky (2012). 66 Vgl. Baerens (1998); Siebenrok (1998); Janetzko (2004, 2008, 2012b); Schmideder (2004); John (2005); Rüchel (2005); Born (2006); Ossmann (2007); Grübnau-Rieken (2008); Radlmaier (2012); Steidle (2014). 61 62

Forschungsstand & Quellengrundlage

Lillteicher oder Hense.67 Diskriminierungs-, Vernichtungs- und Wiedergutmachungsprozesse wurden besonders in lokal- und regionalgeschichtlichen Arbeiten untersucht. Hier konturierte sich die Rolle der mittelständischen Unternehmer als Täter, Mitläufer, Profiteure, Desinteressierte oder Opfer besonders scharf. Mittlerweile sind eine Reihe von Mittelstädten (Mönchengladbach, Oldenburg, Minden-Ravensburg, Oberhausen, Marburg, Göttingen, Bamberg, Münster, Freiburg, Fulda, Stralsund, Witten, Gelsenkirchen, Augsburg, Celle, Erfurt, Amberg, Lüneburg, Fürth, Mannheim)68 und Großstädten (Köln, Nürnberg, Bremen, Düsseldorf, Hamburg, München, Berlin, Leipzig)69 bzw. Metropolregionen (Mainfranken, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Westfalen, Rhein und Ruhr)70 in Deutschland ansatzweise bis umfassend erforscht. Für Deutschland trug Fritsche die Ergebnisse exemplarisch zusammen.71 Deutschsprachige Studien zu Arisierung und Restitution in besetzten Gebieten umfassen die Niederlande, das sog. Reichskommissariat Ostland, Osteuropa, Österreich oder Großstädte wie Breslau und Wien.72 Ergänzt werden diese Untersuchungen nach der Frage der unmittelbaren und mittelbaren Profiteure der Enteignungen jüdischen Besitzes und Vermögens, wobei konkurrierende Einzelhändler auch immer wieder in den Blick genommen werden, etwa bei Bajohr und Heusler, zuletzt bei Ziegler, Kopper und Kuller73 sowie die generelle Rolle von Unternehmern im nationalsozialistischen Wirtschaftssystem.74 Die Erforschung zur (Textil-)Einzelhandelsgeschichte in den beiden deutschen Staaten nach 1945 bleibt ein Desiderat75, wobei Banken für die Einzelhandels- und insVgl. Stiefel (2001); Goschler (1992, 2002a, 2002b); Goschler/Andrieu (2003); Lillteicher (2003, 2007); Winstel (2004); Stephan (2005); Bajohr (2007a); Hense (2008). 68 Vgl. Meynert (1988); Franzke (1991); Händler-Lachmann/Werther (1992); Bruns-Wüstefeld (1997); Fichtl (1998); Freund (1999); Ostendorf (1999); Krispin (2001); Brucher-Lembach (2004); Imhof (2004); Möller (2004); Dahlmann (2007); Priamus (2007); Wagner (2007); Gibas (2008); Janetzko (2008); Stiekel (2008); Wolf (2008); Hammer (2010); Balz (2011); Imholz (2012); Fritsche (2013). 69 Vgl. o. A., Arisierung in Köln (1988); Speichler (1989); Sparing (2000); Balz (2002); Bajohr (2003a, 2003b); Baumann (2004); Bopf (2004); Selig (2004); Baresel-Brand (2005); Biggeleben (2007); Gibas (2007a, 2007b, 2007c); Schreiber (2007a, 2007b); Kreutzmüller (2008); Tobias (2008); Wager (2012); Janetzko (2012a); Nentwig et. al (2013); Wildt/Kreutzmüller (2013a, 2013b). 70 Vgl. Schultheis (1980); Diekmann (1993); Rummel/Rath (2001); o. A., Arisierung in Thüringen (2006); Klatt (2009); Gibas (2010, 2011). 71 Vgl. Fritsche (2014). 72 Vgl. für Frankreich Audeval (2005); Audeval et al (2005); für Österreich: Witek (1988); Böhmer (1999); Baumgartner (2004); Baumgartner/Streibel (2004); Tanzer (2004); Venus/Wenck (2004); für die Niederlande: Aalders (1999, 2004); für Osteuropa: Dean (2000); Pohl (2003); Bräu (2008). 73 Vgl. Kratzsch (1989); Mohr (1996); Bräutigam (1997); Wurm (1999); Gruner (2000); Bajohr (2000a, 2001, 2003b); Weissberg-Bob et. al (2002); Schilde (2002); Ziegler (2002, 2010); Haerendel (2004); Heusler (2004); Kuller (2004, 2008, 2013); Modert (2004); Feldman (2005); Mecking (2005); Grübnau-Rieken (2008a); Friedenberger (2008); Kingreen (2010); Köhler (2010); Kopper (2010); Ziegler (2010); Braun (2012). 74 Vgl. zusammenfassend etwa Frei (2010); Banken (2012a). 75 Bis in die 1970er Jahre v. a. volkswirtschaftliche Untersuchungen, u. a. Poenseler (1964); Pinnekamp (1975). 67

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besondere Warenhausentwicklung seit 1945 erste Ergebnisse vorlegte76 und auch die in jüngster Zeit veröffentlichen Studien zur Unternehmens- und Familiengeschichte von Neckermann, Quandt, Wertheim und C&A Brenninkmeyer für die Bundesrepublik wichtige Hinweise lieferten.77 Der umfangreichste Quellenkorpus dieser Arbeit sind die überlieferten Fachzeitschriften der Textilbranche. Die Auswahl der Fachzeitschriften richtete sich nach dem zeitlichen Schwerpunkt der Überlieferung (Laufzeit zwischen 1900 und 1960), der Dichte der überlieferten Ausgaben (serielle, möglichst wöchentliche Überlieferung) sowie der thematischen Kongruenz zum Forschungsvorhaben („Textileinzelhandel“). Insgesamt wurden sieben Fachzeitschriften ausgewählt (Tabelle 2). Tab. 2 Ausgewertete Fachzeitschriften78 Zeitschrift

Abk.

Bemerkung

Laufzeit

Der Konfektionär/ Der Confectionär

Konf Beilage: Zeitschrift für Waren- und Kaufhäuser

28.1913 bis 51.1936

Deutsche Konfektion

DK

16.1914 bis 37.1935

Organ des Reichsbundes des TextilEinzelhandels

Deutsche Rundschau für DR Handel und Gewerbe

24.1914 bis 25.1916

Textil-Woche

TeW

vereinigt mit Deutsche Konfektion

27.1936 bis 50.1936

Textil-Woche

TeW

Einzelhandels-Fachzeitschrift für die Textilund Bekleidungswirtschaft

2.1937 bis 50.1940; 24.1942 bis 12.1943; 1951 bis 84.1961

Textil-Woche

TeW

In Kriegsgemeinschaft mit Manufakturist

Der Manufakturist

DM

1.1941 bis 50.1941

Textilwirtschaft

TW

1.1946 bis 84.1961

1943 bis 7.1945

Jede verfügbare Ausgabe dieser meist wöchentlich erscheinenden sieben Zeitschriften wurden in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt systematisch entsprechend festgelegter Themenschwerpunkte durchsucht.79 In einer entsprechenVgl. Banken (2007, 2012b). Vgl. Fischer/Ladwig-Winters (2005); Weiguny (2005); Veszelits (2005); Bosecker (2011); Scholtyseck (2011); Spoerer (2016); Pauli (2017). 78 Die im Folgenden zitierten Artikel der aufgeführten Fachzeitschriften werden abweichend vom Standard für Zeitungsartikel der Übersichtlichkeit halber wie folgt zitiert: Kürzel, Artikeltitel, Veröffentlichungsdatum (Konf, Kauft deutsche Waren, 9.8.1914), da nicht immer die Nummer der Ausgabe, des Jahrgangs oder einheitliche Seitenangaben vorliegen. Alle zitierten Artikel sind im Projektarchiv am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Regensburg hinterlegt. 79 Die Sachgebiete waren vorher festgelegt, aber – wo notwendig – der Berichterstattung angepasst. Die häufigsten Sachgebiete (alphabetisch): Arisierung/Juden, Ausland, Firmenportraits/Jubiläum, Geschäftslage, Kalkulation, Kredite, Krieg, lokale Nachrichten, innerbetriebliche Organisation, Personalangelegenheiten, Preise, Wettbewerbssituation, Verkaufsinstrumente (Werbung, Kredite, Rabatte, Umtausch), Ra76 77

Forschungsstand & Quellengrundlage

den Datenbank wurden Angaben zu Jahrgang, Heftnummer, Erscheinungsdatum, Artikel-Kurztitel und Seitenzahl aufgenommen.80 Die Datenbank verzeichnet über 1.800 Fundstellen auf etwa 2.500 Seiten.81 Entsprechend der Verteilung der Fundstellen sollen im Folgenden drei Fachzeitschriften – Der Konfektionär, Deutsche Konfektion und die Textilwirtschaft – vorgestellt werden. Zur Geschichte des bedeutendsten Branchenblattes des deutschen Textileinzelhandels bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme „Der Konfektionär“ liegt bisher keine Gesamtdarstellung vor. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf das frei zugängliche, unveröffentlichte Manuskript des ersten Geschäftsführers Erich Greiffenhagen, der vor den Nationalsozialisten floh und sich unter dem Namen Eric G. Hagen in den USA niederließ.82 Nachdem sich die Bekleidungsindustrie in den 1880er Jahren zu einem bedeutenden Industriezweig Berlins entwickelt hatte und auch reichsweit deutsche Konfektionsbetriebe, infolge der Schutzzölle auf französische und englische Importwaren, entstanden waren, fehlte es an einer reichsweiten Fachzeitung für Branchennachrichten und Anzeigen. Der aus einer in Bromberg/Posen (Bydgoszcz) alteingesessenen jüdischen Kaufmannsfamilie entstammende Leopold Schottländer hatte den Beruf des Textilkaufmanns erlernt und zog nach Berlin, um dort als Verkäufer zu arbeiten. Mit der Unterstützung seines Onkels Julius Wiesenthal, der eine Leipziger Druckerei betrieb, gründete Schottländer mit 300 Mark Kredit die branchenübergreifende Fachzeitschrift „Der Konfektionär“. Erster Redakteur und Mitinhaber der jungen Zeitschrift wurde der Berliner Journalist Siegfried Karo, der beste Kontakte in die Berliner Textilszene unterhielt. Die erste Ausgabe erschien am 20. Januar 1886 mit dem Untertitel „Fachblatt für die Damenmäntel und Konsumbranchen sowie für Konfektionsstoffe und Besatzartikel“. Sie verstand sich als Zeitschrift für den Textileinzelhandel und die Textilindustrie und erschien donnerstags und sonntags in gleichem Umfang und galt um 1914 – so die Eigenwerbung auf dem Titelblatt – als „verbreiteteste und gelesenste Zeitschrift der Textilindustrie“. Mit Ende des Ersten Weltkrieges orientierte man sich offensiv am textilen Weltmarkt.83 Der „Konf “ wurde in der Textilbranche zu einem geflügelten Wort. Während Karo den redaktionellen Nachrichtendienst organisierte, tionalisierung, Regulierung & Gesetzgebung, Statistik, Steuerangelegenheiten, Umsatzberichterstattung, Verbandspolitik und –aktivitäten, Sonstiges (Außenhandel, Textil- und Bekleidungsindustrie). 80 Da Seitenzahlen nicht durchgängig vorliegen, verzichte ich aus Konsistenzgründen auf die seitengenaue Angabe in den Fußnoten. 81 Gab es auf einer Seite mehrere „Treffer“ (Artikel) oder Artikel sind mehrseitig, zählt die Datenbank dies als eine Fundstelle. 82 Vgl. Hagen (1965). 83 Seit 1919 trug „Der Konfektionär“ den Zusatz „Führende Zeitschrift für Modewaren- und Konfektions-Geschäfte, Webereien/Spinnereien und Färbereien“ und warb in jeder Ausgabe „mit eigenen Büros in Breslau, Chemnitz, Danzig, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg, Königsberg, Leipzig, München; Ausländische Büros Niederlande, Rumänien, Schweden, Tschecheslowakei, Brasilien, Mexiko, Chile, Polen und Österreich“.

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baute Schottländer ein breites Anzeigennetzwerk auf, welches alle wichtigen Textilregionen (Rheinland-Westfalen, Süddeutschland, Sachsen) vertrat und in der Zeitschrift als renommierte „Fabrikantentafel“ veröffentlicht wurde. Anfangs nur auf die Bekleidungsindustrie beschränkt, wurde diese später auch auf die gesamte Textilindustrie ausgeweitet. Die Zeitschrift wurde über ihre täglich erscheinende „Fremdenliste von Einkäufern“ und der dahinterstehenden Kartothek zum unverzichtbaren Anlaufpunkt aller Einkäufer, die mit Fabrikanten in Kontakt treten wollten. Mit dem wachsenden Exportmarkt deutscher Konfektion erschienen „Exportausgaben“ (etwa für Exporte nach Großbritannien und Kanada) oder „Spezialausgaben“ anlässlich der Weltausstellungen. Im Jahr 1913 verkauften Schottländer und Karo, beide aus gesundheitlichen Gründen, ihren Verlag an die „Union Deutsche Verlags-Gesellschaft“. Geschäftsführer der neuen GmbH mit einem Kapital von einer Million Mark wurde Schottländers Schwiegersohn und Branchenkenner Erich Greiffenhagen. Greiffenhagen hatte als Auslandsvertreter und Einkäufer renommierter Textilfabrikanten beste Auslandskontakte, schrieb für das Feuilleton des Berliner Tageblatts und berichtete seit einigen Jahren auch für den „Konf “. Nachdem Schottländer am 12. Januar 1919 starb, übernahm Greiffenhagen das Blatt. In den Folgejahren musste das Blatt den Posten des Chefredakteurs mehrmals neu besetzen. Auf den plötzlich verstorbenen Kurt Weinberg (1919 bis 1921) folgten im Jahr 1922 kurz Leo Colze und Dr. Wertheimer, bis man in Benno Marcus (1922 bis 1932) eine Dauerlösung fand. Greiffenhagen modernisierte bis 1921 systematisch die Zeitung. Er ließ nun Mittwochs- und Sonntagsausgabe im Großformat erscheinen und gestaltete die Zeitung mit Hilfe bekannter Grafiker und Reklamefachleute wie Bernhard, Gipkins und Oppenheim. Besseres Druckpapier, eine moderne Titelmarke und moderne Drucktechniken für Abbildungen und Fotos verhalfen der Zeitschrift zu dauerhaftem Erfolg. Anlässlich des 40-jährigen Zeitungsjubiläums druckte der „Konf “ im Januar 1926 erstmals für deutsche Fachzeitschriften drei- und vierfarbige Anzeigenseiten. Auch inhaltlich stellte sich das Blatt nach dem Ersten Weltkrieg breiter auf. Es gelang, für Leitartikel Unternehmer, Politiker oder Wissenschaftler zu gewinnen. Seit 1902 erschien eine Sortimentsbeilage der Warenund Kaufhäuser, die seit 1920 dann als eigenständige Ausgabe auf den Markt kam. Der „Konf “ änderte, auch wegen seiner fast 15.000 Leser im In- und Ausland, seinen Untertitel in „Die Deutsche Textil-Zeitschrift von Weltruf “. Die Inflation zwischen 1921 und 1923 überstand der Verlag nur durch seine ausländischen Abonnenten, die Anzeigen und Ausgaben in „harten“ Devisen beglichen. Ab Mitte der 1920er Jahre stärkte das Blatt seine Reklame- und Fachbuchabteilung. Man intensivierte die Versorgung des Textileinzelhandels („tausende Firmen“) mit Reklameentwürfen, Katalogen und Anzeigenvordrucken. Da für Angestellte des Textileinzelhandels Fachschulen fehlten, gab die Zeitung seit ihrem Bestehen auch Fachbücher und Leitfäden zu den Themen Textiltechnik, Reklame, Organisation, Kunstoffe oder Schaufensterdekoration heraus. Besonders eng blieb Greiffenhagens Interesse an amerikanischer Konsumkultur und deren Warenhäusern. Im „Konf “ und dessen Beilage „Zeitschrift für Waren- und Kauf-

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häuser“ finden sich daher eine Reihe von persönlichen Berichten über Kreditsysteme, Organisation oder Reklame. Die Weltwirtschafts- und Bankenkrise ab 1929 brachte dem Verlag indes große Verluste ein. Der Eigner, die Stuttgarter Union Deutsche Verlagsanstalt, versuchte den „Konf “ zu verkaufen und fand in der „Sozialistischen Arbeiter Bank“ der SPD eine Käuferin. Mit der Machtübernahme wurden die mitgenutzten Druckereien des „Vorwärts“ beschlagnahmt und Vertrauensleute der NSDAP in Verlagsleitung und Redaktion des „Konf “ eingesetzt. Zum 1. März 1933 übernahm der Sportfunktionär Georg Evers84 die Leitung des „Konfektionärs“. Die Einsetzung von Evers beruhte auf seinem „umfassenden Wirken für die Popularisierung der Kunstseide“.85 Mit der Berufung von Evers und der Neubesetzung der Chefredaktion durch Dr. Paul Schleich und W. Evenius war der „Konf “ gleichgeschaltet und trat nun „für die deutschen Belange stets von einer nationalen Grundeinstellung aus ein“.86 Im Jahr 1937 wurde der „Konfektionär“ in „Vereinigte Textil- und Bekleidungszeitschrift“ umbenannt und sechs Jahre später (1943) eingestellt.87 Zwölf Jahre nach der Erstausgabe des „Konfektionärs“ erschien im Jahr 1898 mit der Fachzeitschrift „Deutsche Konfektion“ (DK) dessen langjähriger Konkurrent. Ebenfalls in Berlin beheimatet, verstand sich die DK als wöchentliches Branchenblatt des Textileinzelhandels. Ab 1922 erschien die DK für kurze Zeit zweimal in der Woche. 1927 wurde sie in „Zeitschrift für Textilwirtschaft. Deutsche Konfektion“ umbenannt. Später entfiel die Bezeichnung „Deutsche Konfektion“ ganz. Gründer und Verleger war der 1870 in Hildesheim geborene Bankkaufmann Ludwig Traube, dessen Vater ein kleines Mode- und Manufakturwarengeschäft im Ort betrieb. Nach Auslandsaufenthalten bei Bankhäusern in der Schweiz, Italien und Frankreich kehrte Traube kurz vor der Jahrhundertwende nach Berlin zurück und trat eine Redakteursstelle beim „Manufacturist“ an. Das später als „Textil-Woche – Manufacturist“ (TeW, DM) seit 1877

Georg Evers war von 1928 bis zur Eingliederung/Auflösung der deutschen Sportverbände 1937 der dritte Präsident des 1910 gegründeten Deutschen Hockey-Bundes (DHB). Der „Führer des deutschen Hockeysports“ wurde am 10. August 1936 zum ersten deutschen Präsidenten des Welt-Hockey-Verbandes FIH gewählt, siehe Berliner Hockey-Verband (2012); Hockey.de (2016). 85 Zitat bei Konf, Georg Evers, 1.2.1933. Georg Evers (1893 bis März 1953) war zwischen 1933 und 1945 u. a. für das Deutsche Mode-Institut (Berlin) als Beauftragter für den Einsatz von Kunstspinnfasern in der Damenmode tätig, siehe Bodenbender (1943), S. 584. Zwischen 1945 und 1948 war Evers für die Bielefelder Fa. Bekleidungs-Industrie Jobis GmbH (vermutlich) als Einkäufer tätig, siehe Findbuch Staatsarchiv Rudolstadt, 5-94-2580-3380. Evers veröffentlichte einige Schriften zur Entwicklung der Mode sowie der Seidenweberei, vgl. Evers (1949, 1952). Bis zu seinem Tod fungierte Evers als Chefredakteur des „Textil-Export-Journals“. Ein Nachruf betonte Evers „herausragendes Fachwissen“ und dessen „starke Begabung vor allem auf dem Gebiet der Mode“, siehe Nachruf „Georg Evers“ in Melliand Textilberichte International 34, Ausgabe 4/1953, S. 377. 86 Konf, Unsere Veröffentlichung, 8.4.1933. 87 Nach Greiffenhagens Erinnerungen fehlte nach dem Absprung der jüdischen Anzeigenkunden, „die Begabung und Erfahrung einen solchen großen Verlag aufrecht zu erhalten“. Greiffenhagen legte seine Ehrenämter (darunter Gründer und Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Zeitschriftenverleger) nieder und emigrierte 1933 nach Frankreich, von wo er und seine Familie 1937 in die USA gingen und fortan dort lebten. 84

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erscheinende Blatt galt als „älteste Fachzeitschrift des Textileinzelhandels“. Es erschien zunächst zweimal monatlich unter dem Namen „Der Manufacturist – Generalanzeiger und Offertenblatt für die Manufacturwaren-Branche und die damit verwandten Zweige“ und wurde kostenlos in einer Auflage von 13.000 Exemplaren an Fabrikanten, Großhändler und Einzelhändler abgegeben, da es sich als „Bindeglied zw. Textilproduktion und Textilhandel“ verstand.88 Hier, und später als Redakteur beim „Konfektionär“, lernte Traube die deutsche Textilbranche in all ihren Verästelungen kennen. Angesichts der Zersplitterung des textilen Einzelhandels – die sich auch in der Heterogenität der Fachzeitschriften widerspiegelte – entschied sich Traube zur Gründung eines Branchenblattes, welches die Einheit des Textileinzelhandels fortan am Entschiedensten propagieren sollte, ohne gewissen Partikularinteressen zu dienen, wie es in den Augen Traubes der „Konfektionär“ oder auch der „Manufacturist“ taten. Die im Eigenverlag geführte DK sollte als „unabhängige Fachzeitschrift“ zum „führenden Blatt der Branche“ werden, mit dem selbstformulierten Ziel, „dass der deutsche Detaillist nicht immer am Gängelbande „offizieller Organe“ wandeln, sondern seine Informationen über die Geschehnisse des kaufmännischen Lebens aus einem unabhängigen Blatte, das die Dinge nicht nur durch die Parteibrille von Verbandsvorständen betrachtet, schöpfen will“.89 Nach Traubes „Sprung ins Ungewisse“ entwickelten sich die Abonnentenzahlen derart positiv, dass die DK bereits sechs Jahre später (1904) in ein großes Verlagsgebäude in der Beuthstraße 7 in Berlin zog, in dem ab 1912 auch eine allen Fachhändlern offenstehende Einkaufszentrale untergebracht war. Aus den Erfahrungen der kriegswirtschaftlichen Restriktionen des Ersten Weltkrieges erkannte Traube die Chance, den Textileinzelhandel unter Führung seines Blattes zu einen. Ausgehend von Traubes starkem Engagement begründete die DK im Juli 1917 mit dem Reichsbund Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände den ersten textilen Dachverband (Kapitel 3.3). Seit Oktober 1918 übernahm die DK folgerichtig die Funktion des offiziellen Organs der beiden großen Konfektionsfachverbände der Damen- und Herrenkleidung und war damit zum „Sprachrohr des gesamten deutschen Bekleidungseinzelhandels“ geworden.90 Spätestens jetzt war die DK unter ihrem Chefredakteur Ernst Andreack91 in die Riege der einflussreichsten Textilzeitschriften aufgestiegen.92

TeW, 80 Jahre Manufakturist, 24.12.1957. DK, 15 Jahre Deutsche Confektion, 18.1.1914. DK, Ludwig Traube zum Gedächtnis, 18.5.1928. Einer der wenigen politischen Artikel von Andreack erschien am 1. Dezember 1919. Hierin geißelte er die politische und moralische Mitschuld der deutschen Kaufmannschaft am Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkrieges und mahnte zu einem politischen, demokratischen Bewusstsein des Einzelhandels: „Eure frühere Gleichgültigkeit hat den Krieg mit verschuldet. [ ] stellt eure Erfahrungen, Kenntnisse und Arbeitskraft dem neu entstehenden Gemeinwesen zur Verfügung, [um nur so eure] Mitschuld am Kriege zu sühnen“, siehe DK, Die Mitschuld des deutschen Kaufmanns am Kriege, 1.12.1918. 92 Selbstbewusst sah sich die DK als „unbestrittene führende Fachzeitschrift“ und erschien seit Dezember 1918 mit dem Untertitel „Unabhängige Fachzeitschrift für Konfektions-, Manufaktur- und Modewaren88 89 90 91

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Die nationalsozialistische Gleichschaltung überlebte das Blatt nicht und wurde de facto 1935 eingestellt. Ab 1936 erschien es als Verschmelzung und reines Verlautbarungsorgan unter dem Titel „Die Textil-Woche vereinigt mit „Deutsche Konfektion – Offizielles Organ des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels e. V. Die Fachzeitschrift mit der größten Auflage im Textil-Einzelhandel“. Mit dem Kriegsende 1945 verloren alle textilen Fachblätter ihre Lizenzen. Von den Traditionsblättern gelang es nur der Gemeinschaftspublikation Textil-Woche/Manufacturist als „vereinigte Fachzeitschriften für die Textil- und Bekleidungswirtschaft“ zwischen 1950 und Anfang der 1960er Jahre Fuß zu fassen. Allerdings konnte die Textil-Woche ihre Vorkriegsmarktposition nie wieder erreichen.93 Das bis heute unumstrittene textile Fachblatt war eine Neugründung. Am 10. Oktober 1946 erschien die erste Ausgabe der „Textil-Wirtschaft“ (TW). Sie war die erste Fachzeitschrift, die die amerikanische Militärregierung lizensiert hatte (US-W 1121), da sie erkannte, dass Informationen über die deutsche Textilwirtschaft von allen gesellschaftlichen Gruppen stark und nachdringlich nachgefragt wurden. Die TW erschien im „Neuen Fachverlag“ mit einer Auflage von zunächst 13.000 Exemplaren. Der Verleger Wilhelm Lorch hatte im September 1946 eigens für die TW den Stuttgarter Verlag gegründet. Lorch hatte nach 1933 für die „Textil-Zeitung“94 geschrieben und leitete nach 1939 die Presseabteilung der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie. Nach Kriegsende blieb Lorch Funktionär als Mitglied der vorläufigen Geschäftsführung der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie. Als Mitglied des Beratungsausschusses der Textil- und Bekleidungsindustrie erarbeitete Lorch für das amerikanische „Textile Office“ in Heidelberg Vorschläge für die Textilversorgung. Durch diesen engen Austausch gelang es ihm, eine Lizenz für eine entsprechende Zeitschrift zu erhalten. Die Chefredaktion der TW bildeten die diplomierte Volkswirtin Ruth von Forstner und der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Dr. Karl-Heinz Hilmer, die sich „praxisnah, unbestechlich, objektiv“ für die Interessen der deutschen Textilwirtschaft stark machten.95 Als „Fachblatt für die Textil- und Bekleidungswirtschaft“ sollte die TW zunächst nur in der amerikanischen Besatzungszone, später auch in allen anderen Westzonen erscheinen. Selbsterklärte Aufgabe war es, „von der Rohstoff-Industrie über die vielen Stufen und Zweige der Textilindustrie und der Bekleidungsindustrie bis zum Handel in allen seinen Formen“ dem Leser eine „erschöpfende Behandlung betriebswirtschaftlicher und

Geschäfte, für Spinnereien, Webereien und Appretur-Anstalten. Fachzeitschrift des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V. und des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung e. V.“. 93 Sie wurde daher im Rahmen dieser Arbeit nur stichprobenartig und themenergänzend zur „Textilwirtschaft“ ausgewertet. 94 Die „Textil-Zeitung“ erschien seit 1895 in Berlin und Mainz und richtete sich an die Textilindustrie, weitere Angaben zu Erscheinungsverlauf, Titel und Laufzeit unter http://d-nb.info/013044117, 15.7.2016. 95 Journalist, Netzwerker, Verleger, in: Textilwirtschaft (17.11.2011), unter: http://www.textilwirtschaft. de/suche/show.php?ids[]=844462&a=1; Deutscher Fachverlag trauert um Helene Winkler, in: Textilwirtschaft (16.5.2013), unter: http://www.textilwirtschaft.de/suche/show.php?ids[]=916022&a=0.

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kaufmännischer Fragen“ zu bieten. Dabei sollten Authentizität und Objektivität im Vordergrund stehen, indem man „der Praxis nahe, ein wirklich lebendiges Sprachrohr und ein echtes Bild“ vermittelte und „im Geist unbestechlicher Objektivität“ agiere und eine Schneise in die textile Informationsflut schlage – besonders in Hinblick auf die Zusammenfassung der amtlichen Regelungen. Bis Ende 1947 erschien die TW alle zwei Wochen, ab 1948 dann wöchentlich. Seit dem 1. Januar 1950 war sie zugleich das offizielle Organ des Hauptverbandes des Textileinzelhandels.96 Neben der systematischen Auswertung der Eigenwahrnehmung und -beschreibung der Branche in den Fachzeitschriften und Verbandsorganen bilden die überlieferten Bestände zur deutschen Textilbranche im Bundesarchiv Berlin einen weiteren Quellenschwerpunkt. Ziel war es, die regulativen Eingriffe der staatlichen Behörden in den Textileinzelhandel vor allem in Krisen- und Kriegszeiten zu rekonstruieren. Dazu war es stellenweise nötig, über den engen Bereich des Textileinzelhandels bis in den Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie hinaus zu greifen, da sich die Auswirkungen vieler Maßnahmen, die die Vorlieferindustrien des Handels betrafen, auch konkret auf den Einzelhandel auswirkten. Insgesamt wurden 24 Hauptbestände auf ihre Relevanz für diese Arbeit überprüft (Tabelle 3). Der erwartete Schwerpunkt der verwertbaren Überlieferung bildete die Zeit der Weimarer Republik sowie der nationalsozialistischen Herrschaft. Als außerordentlich dicht für diese Zeitabschnitte erwies sich die Überlieferung des Reichswirtschaftsministeriums (R3101). Für die Weimarer Republik finden sich hier Überlieferungen der Reichsbekleidungsstelle, des Kommissars für Textilnotstandsversorgung, Statistiken und Analysen zum Textilmangel der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie Untersuchungen zu Textilkartellen. Für die NS-Zeit sind die Gleichschaltung von Verbänden, Auskämmungs- und Stilllegungsaktionen von Einzelhandelsbetrieben sowie die Auswirkungen und Ausgestaltung der regulativen Praxis auf die Einzelhandelsstrukturen (Einzelhandelsschutzgesetz, etc.) dokumentiert. Der Bestand Wirtschaftsgruppe Einzelhandel (R13 XXIX) enthält für die Jahre 1935 bis 1945 nahezu sämtliche Rundschreiben der Abteilung Nachrichtenwesen und Werbung, die es möglich machen, Gesetze, Verordnungen und Erlasse, die den Textileinzelhandel betreffen, zu rekonstruieren. Die Überlieferung der Reichsstelle für Textilwirtschaft (R8-II) konnte für die letzten Kriegsjahre 1943 bis 1945 hinsichtlich der regulativen Praxis und der dokumentierten Textilnot genutzt werden. In den Beständen der Alten Reichskanzlei (R43) sowie des Pressearchivs des Reichslandbundes (R8034-II) fanden sich wertvolle Artikelsammlungen zu Einzelhandelsthemen. Diese sind oft nach Betriebsformen über einen langen Zeitraum (1900–1943) geordnet und erweitern die Berichterstattung der textilen Fachorgane um überregionale und lokale Tages- und Wochenzeitungen. Ergänzend zur regulativen Praxis im Textileinzelhandel

96

TW, Im Dienst am Textileinzelhandel, 22.12.1949.

Forschungsstand & Quellengrundlage

Tab. 3 Untersuchte Hauptbestände im Bundesarchiv Berlin Signatur

Bestand

Laufzeit

NS 19

Stab des Reichsführers SS

1943 bis 1945

R3

Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion

1944 bis 1945

R8–I

Reichsstelle für Textilwirtschaft

1934 bis 1945

R 8 – II

Reichsstelle für Textilwirtschaft

1943 bis 1945

R 13 XXIX

Wirtschaftsgruppe Einzelhandel

1937 bis 1945

R 43

Alte Reichskanzlei

1899 bis 1918

R 144

Haupttreuhandstelle Ost – Textilrohstoffe Lodz

1939 bis 1944

R 177

Feindvermögensverwaltung in den besetzten Niederlanden

1941 bis 1944

R 401

Vorläufiger Reichswirtschaftsrat

1920 bis 1933

R 3101

Reichswirtschaftsministerium

1917 bis 1945

R 3106

Reichskommissar für den Mittelstand

1925 bis 1938

R 8034 II

Pressearchiv Reichslandbund

1904 bis 1944

R 8067

Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband, Hamburg

R 8101

Verein der Handlungs-Commis

R 8102

Verein der Deutschen Kaufleute

1885 bis 1919

R 8105

Zentralverband der Handlungsgehilfen, Berlin

1897 bis 1912

R 8157

Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine mbH, Hamburg

1870 bis 1950

R 8723

Kommissar für die Textilnotstandsversorgung

R 8758

Reichsbekleidungsstelle

R 8766

Reichsstelle für Textilwirtschaft (Retex)

R 8790

Textilnotstandsversorgungs GmbH

RW 19

OKW/Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt

1937 bis 1945

Z4

Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes

1947 bis 1951

Z8

Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes

1946 bis 1948

konnte der Bestand des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates (R401) sowie der Bestand des Reichskommissars für den Mittelstand (R3106) für die Jahre 1920 bis 1936 genutzt werden. Alle anderen in Tabelle 3 aufgeführten Bestände wurden ausgewertet, oft aber aufgrund des unzureichenden Quellenwertes nicht systematisch herangezogen. Besonders die regulative Praxis im Ersten Weltkrieg und die Verdrängung und Verfolgung jüdischer Gewerbetreibender bleibt in den untersuchten Beständen außerordentlich unterrepräsentiert. Die dritte Säule bilden Unternehmensbestände. Der Projektplan sah vor, eine möglichst differenzierte Quellenbasis zu erschließen. Idealtypischerweise sollten dazu Unternehmen ausgewählt werden, die schwerpunktmäßig im Zeitraum 1914 bis 1960

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Einleitung

aktiv waren. Zudem galt es, charakteristische Betriebsformen des Textileinzelhandels zu finden – Fachgeschäfte, Kauf- und Warenhäuser, Filial- und/oder Versandgeschäfte. Um das Problem „Sieger schreiben die Geschichte“ zu kompensieren, sollten neben aktiven, am Markt noch existenten Unternehmen auch in den deutschen Wirtschaftsund Kommunalarchiven überlieferte Unternehmensbestände gesichtet werden. Zunächst wurden anhand der genannten Kriterien 75 heute noch aktive Textileinzelhändler identifiziert.97 Mehrheitlich sind dies regional verankerte mittelständische Fachgeschäfte oder größere Modegeschäfte mit einem Stammhaus und weniger als drei Filialen. In der Auswahl waren aber auch überregional bekannte Traditionshäuser wie etwa E. Breuninger (Stuttgart), Engelhorn (Mannheim), Galeria Kaufhof (Köln), Hirmer (München), Karstadt (Essen), Kaufhaus des Westens (Berlin), Peek & Cloppenburg (Berlin/Hamburg), SinnLeffers (Hagen), Rudolf Wöhrl AG (Nürnberg). An diese wurde ein Fragebogen versendet, verbunden mit der Anfrage, ob sich relevante historische Unterlagen im Unternehmensbesitz befinden und man zu einer entsprechenden Kooperation bereit sei. Der Rücklauf war enttäuschend. Von 55 Unternehmen, darunter fast allen Großunternehmen, erhielten wir keine Reaktion. Etwa 20 Unternehmen meldeten sich auf unsere Anfrage, von denen neun – mangels Unterlagen oder Ressourcen – eine Zusammenarbeit ablehnten. Elf Unternehmen konnten sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Nach eingehender Prüfung kam es zu einer Zusammenarbeit mit der Hirmer GmbH & Co. KG München.98 Die heutige Hirmer-Gruppe befindet sich in FamiAckermann Vertriebs AG; „Adalbert Breiter GmbH & Co. KG; ‚Der Hutmacher am Dom‘ – Seit 1863“; Anton Echter GmbH & Co. KG; Anton STORR GmbH; Behrens und Haltermann GmbH & Co. KG;„BekleidungFabrik Heiner Bessmann seit 1898 GmbH & Co. KG“; E. Breuninger GmbH & Co.; Engelhorn KGaA; Ernst Stackmann GmbH & Co. KG; F. Klingenthal GmbH; Galeria Kaufhof GmbH; Gebr. Leffers GmbH & Co. KG; Gerhard Bruns GmbH & Co. KG; Gustav Ramelow KG; Haffke; Henschel & Ropertz GmbH; Herrenausstatter Braun/Unger; Hettlage Fashion GmbH; Hirmer GmbH & Co. KG; Hunkemöller Deutschland GmbH; J. N. Oberpaur GmbH & Co. KG; Jakob Jost GmbH; Kammann KG; Karl Jung GmbH & Co. KG; Karl Manhenke GmbH & Co. KG; Karstadt Warenhaus GmbH; Kaufhaus des Westens; KONEN Bekleidungshaus KG; L+T Lengermann + Trieschmann GmbH + Co. KG ; Leffers & Co. GmbH & Co. KG; LODEN-FREY Verkaufshaus GmbH & Co. KG; LUDWIG BECK AG; M. Baltz GmbH; MAENDLER GmbH; Mäntelhaus Kaiser; Mensing Holding GmbH; Messler Mode GmbH; Mey & Endlich GmbH; Michael Mientus GmbH; „Mode- und Sporthaus Klingemann GmbH“; Modehaus Adolf Finck GmbH; „Modehaus Fischer Stammhaus Taucha“; Modehaus Garhammer GmbH; Modehaus Kögel GmbH & Co. KG; Modehaus M. Schneider Offenbach GmbH & Co. KG; Modehaus Marx; Modehaus Müller-Ditschler GmbH; Modehaus Zinser GmbH & Co. KG; Mühlhäuser GmbH & Co. Modehaus am Dom KG; Niebel KG; Olsen GmbH & Co. KG; Peek & Cloppenburg KG; Pollozek GmbH & Co. KG; Quelle GmbH; Reiner Appelrath-Cüpper Nachf. GmbH; Reischmann GmbH & Co. KGaA; Robert Ley Damen & Herrenmoden GmbH & Co. KG; Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG; Rudolf Wöhrl AG; Sauer Modehandels GmbH; Schlier GmbH; Schröder Mode KG; SinnLeffers GmbH; Strauss Innovation GmbH & Co. KG; Textilhaus Jacobi GmbH; „Textilhaus Kressmann GmbH & Co. KG“; Textilhaus Rübsamen GmbH & Co. KG; Theo Wormland GmbH & Co. KG; Ulla Popken GmbH; Walter Halbach Herren- und Damenbekleidung GmbH; Wille GmbH; Witt Weiden GmbH; WOOLWORTH GmbH. 98 Für die sehr fruchtbare, kollegiale und arbeitsintensive Zusammenarbeit möchte ich Dr. Hans-Diether Dörfler (Unternehmensarchiv) sowie Herrn Ferdinand Hirmer und Herrn Ulrich Hirmer stellvertretend 97

Forschungsstand & Quellengrundlage

lienbesitz und betreibt neben ihrem Münchner Stammhaus 26 Filialen in Deutschland und Österreich, in denen sie rund 1.000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Münchner Stammhaus gilt heute als größtes Männermodehaus weltweit.99 Relevant für die Auswahl von Hirmer waren zwei zentrale Aspekte. Zum einen ist die Geschichte des Hirmer-Stammhauses bis heute weitgehend unerforscht bzw. auf die Darstellung der Geschäftsübernahme durch Hans Hirmer im Jahr 1938 beschränkt.100 Der leitende Angestellte Hirmer hatte die Münchner Filiale der jüdischen Bamberger & Herz-Gruppe übernommen. Damit finden sich im heutigen Unternehmensarchiv umfangreiche und äußerst ergiebige Unterlagen nicht nur zur Geschichte des Münchner Hirmer-Hauses, sondern auch zur Geschichte des überregionalen Herrenmodekonzerns Bamberger & Hertz, dessen Ursprung bis ins Jahr 1876 zurückreicht. Damit bot sich hier eine bislang der Forschung nicht zugängliche Quellengrundlage, auf Basis derer sich nicht nur die Entwicklung eines der größten Konfektionsunternehmen zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts bis hinein in die NS-Zeit rekonstruieren ließ, sondern auch die Unternehmensentwicklung eines in der nationalsozialistischen Zeit neu gegründeten Geschäftes bis in die unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnte hinein. Der zur Verfügung stehende Quellenkorpus entstand in der Hauptsache im Zuge der vielfältigen Restitutionsauseinandersetzungen in der Nachkriegszeit zwischen den Familien Bamberger und Hirmer. Ergänzt wurde der Korpus durch den Zugang zur im Aufbau befindlichen konzerneigenen „Hirmerpedia“, über die wertvolle Archivalien zugänglich gemacht werden konnten (Plakate, Prospekte, Rundschreiben, Fotos). Zur besseren Rekonstruktion der Geschäftsentwicklung der Bamberger & HertzGruppe wurde die im Jüdischen Museum Berlin befindliche Sammlung „Bamberger & Hertz“ ausgewertet. Hier erwiesen sich die erhaltenen Umsatzbücher der einzelnen Filialen in Leipzig, München, Frankfurt/M., Köln, Stuttgart sowie Saarbrücken als äußerst wertvoll, ergänzend wurden auch überlieferte Werbematerialien, Geschäftsunterlagen und biographische Dokumente herangezogen. Als ungewöhnlich detailreich erwiesen sich die über das Centre for Jewish History frei zugänglichen autobiographischen Zeugnisse der emigrierten Bamberger-Familie, die bislang von der Forschung nicht ausgewertet worden sind. Darunter finden sich die Lebenserinnerungen von Fritz und Lotte Bamberger sowie Elisabeth Bamberger, dank deren Hilfe sich erhebli-

für die Familie Hirmer danken. Für wertvolle Hinweise und die umfangreichen Verzeichnungs- und Kopierarbeiten danke ich den Herren Beischel und Löffler. 99 Die Hirmer-Gruppe unter Leitung von Dr. Christian Hirmer und Ulrich Hirmer umfasst das Münchner Stammhaus, die Marken Hirmer Große Größen (15 Filialen in Deutschland und Österreich) und Eckerle (11 Filialen in Deutschland) sowie eine Immobilien- und Logistiksparte (Hirmer Immobilien, Hirmer Eckerle Service), siehe http://www.hirmer-gruppe.de/ueber-uns/profil, http://www.hirmer-gruppe.de/ hirmerpedia/hirmer-stammhaus, 2.3.2016. 100 Vgl. Selig (2004), S. 190–194; Spoerer (2017).

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Einleitung

che Lücken in der Geschichte der Münchner, Leipziger und Frankfurter Häuser schließen lassen konnten.101 Nach der Anfrage bei heute noch aktiven Unternehmen wurden vorhandene Bestände von Textileinzelhandelsunternehmen in Kommunal- und Wirtschaftsarchiven recherchiert. Ziel war es, neben einem überregional tätigen Mode-Konzern (Bamberger & Hertz/Hirmer) möglichst andere Betriebsformen und -größen (Waren- und Kaufhäuser, kleines lokales Fachgeschäft, etc.) auswerten zu können. Besonderes Augenmerk wurde auch auf die Recherche in ostdeutschen Kommunal- und Staatsarchiven gelegt, da durch die erfolgte Verstaatlichung privatwirtschaftlicher Betriebe nach 1945 hier umfangreiche Firmenbestände lagen.102 Insgesamt zeigte sich eine durchwachsene Überlieferungssituation deutscher Textileinzelhandelsunternehmen. Viele der recherchierten Bestände konnten aus verschiedenen Gründen nicht genutzt werden (bruchstückhaft, ungenügender Umfang, unpassender inhaltlicher oder zeitlicher Schwerpunkt). Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv fanden sich einzelne Bestände, die jedoch vornehmlich nicht durch Geschäftsunterlagen, sondern durch Zeitungsartikel und Werbematerialien dominiert waren.103 Eine entsprechende Anfrage an das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg zu den vorhandenen Beständen blieb unbeantwortet.104 Im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv zu Köln fanden sich interessante Bestände, die allerdings wegen ihres geringen Umfanges oder ihres zeitlichen Schwerpunktes keinen Eingang in diese Arbeit fanden: Etwa die Bestände der Textilhandlung F. W. Brügelmann & Söhne, Köln (Abt. 36), des Bekleidungshauses H. Dyckhoff, Köln (Abt. 161) und des Modehaus Johann Hillen, Oberpleis (Abt. 193). Der im Landesarchiv Berlin vorhandene Bestand zu Peek & Cloppenburg KG (A Rep. 250-04-14) wurde nicht herangezogen, da er sich nur auf den Ost-Berliner Standort bezog und schwerpunktmäßig die Zeit 1935 bis 1949 abdeckte. Im Hauptstaatsarchiv Dresden blieb der Bestand Kaufhaus Renner (11840) aus den gleichen Gründen unberücksichtigt. Die Bestände im Staatsarchiv Leipzig zur Filiale von C&A Brenninkmeyer (20975) wurden ausgewertet105, der Bestand zur Textilgroßhandlung Carl August Becker GmbH indes nicht. Im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt fanden sich umfangreiche Bestände zu

Im Centre for Jewish History finden sich ebenfalls die Erinnerungen emigrierter Textilhändler wie der Wronker-Familie (Frankfurt), Emil Sander (Stuttgart), Heinrich Kohn (Augsburg), Hermann Hamburger (Breslau) oder Isidor Hirschfeld (Hamburg). 102 Einen Überblick der Unternehmensbestände (Bereich Handel & Dienstleistungen) in sächsischen Staatsarchiven unter http://www.archiv.sachsen.de/cps/bestaende.html?oid=09.20, 15.7.2016. 103 Textilhaus Anton Kopfmiller, München-Pasing (F 001); Wäschehaus Rosner & Seidl, München (F 016); Ludwig Beck am Rathauseck Textilhaus Feldmeier (F 034). Zum Bekleidungshaus Konen/Isidor Bach existiert bereits eine knappe Darstellung, siehe Moser (2011). 104 Lt. Recherche-Tool vorhanden sind u. a.: Otto Kränzl (B 37); C. F. Braun GmbH (B 56); Salamander AG (B 150/Y110); Lennartz & Plein (Y 079). 105 Vgl. Spoerer (2016), S. 265 ff. 101

Forschungsstand & Quellengrundlage

Textileinzelhandelsunternehmen, die aus verschiedenen Gründen (Umfang, inhaltlicher und zeitlicher Schwerpunkt) nicht herangezogen werden konnten.106 Dennoch war die Recherche letztlich ertragreich. Das Staatsarchiv Chemnitz verwahrt einen äußerst umfangreichen und ergiebigen Bestand zum Warenhauskonzern Schocken und dessen Nachfolger Merkur AG (Bestand 31451). Das Material des zeitweise fünftgrößten Warenhauskonzerns mit 19 Filialen und 6.000 Angestellten (1931/32) erstreckt sich im Kern über einen Zeitraum von 1904 bis 1951. Besonders die Überlieferung für die Zeit der Weimarer Republik und das Dritte Reich erlaubten einen im höchsten Maße detaillierten Einblick sowohl in die binnenorganisatorische Arbeitsweise eines Großkonzerns sowie die Auseinandersetzung eines (jüdischen) Warenhauskonzerns mit mittelständischen Wettbewerbern sowie antisemitischer Agitation. Die Einbeziehung dieses Warenhauskonzerns in eine Branchengeschichte des deutschen Textileinzelhandels war umso mehr angezeigt, da dieser nicht nur in einer ausgewiesenen Textilregion agierte, sondern auch zwei Drittel seines Umsatzes mit Bekleidung und Textilien generierte. Die Auswertung des Bestandes gestaltete sich durch das exzellente Findbuch107 sehr effizient, zumal für die Unternehmensgeschichte schon eine substanzielle Darstellung – auf Basis des Familienarchives Schocken – vorlag.108 Eine substanzielle Ergänzung des Schocken-Bestandes bot der verwahrte Nachlass von Georg Manasse (Bestand 33309), einem der leitenden Direktoren des Konzerns. Der Schocken-Quellenkorpus wurde ergänzt durch die vom Leo Baeck Institute/Centre for Jewish History frei zugänglich gemachte „Manasse Collection“, „Manasse Daily Record“ und der „Schocken-Lewin Family Collection“.109 Das Sächsische Wirtschaftsarchiv Leipzig verwahrt zwei relevante Unternehmensbestände von kleineren Textilfachgeschäften. Eingang in diese Arbeit hat der Bestand des Bad Lausicker Traditionsunternehmens J. G. Becker KG (U 40) gefunden, da Betriebsgröße, Umfang und Laufzeit der Überlieferung sowie zeitlicher Schwerpunkt gut in diese Untersuchung integrierbar waren.110 Mit Bamberger & Hertz/Hirmer, Schocken/Merkur sowie J. G. Becker deckte das Sample drei unterscheidbare Betriebsformen ab, alle waren (zufälligerweise) familien106 Lt. Recherche-Tool u. a.: A. Rausch Nachf. (C 110 Halle, Nr. 831, Bl. 530–540); Brummer & Benjamin (C 110 Halle, Nr. 858, Bl. 34–74); Otto Dobkowitz (C 110 Halle, Nr. 952, Bl. 97–175); Erich Goldscheider (C 110 Halle, Nr. 828, Bl. 1–22); F. W. Simon (C 110 Halle, Nr. 843, Bl. 128–167); Bruno Freytag (C 110 Halle, Nr. 869, Bl. 114–143); Modehaus Herrmann (C 110 Halle, Nr. 882, Bl. 109–155); Heinrich Herpel (C 110 Halle, Nr. 939, Bl. 192–195); Gustav Immermann (C 110 Halle, Nr. 886, Bl. 506–510); J. Lewin (C 110 Halle, Nr. 897, Bl. 162–300); Wilhelm Rauchfuss (C 110 Halle, Nr. 963, Bl. 315–324); S. Weiss (C 110 Halle, Nr. 932, Bl. 483–513); Richard Uhlig (C 110 Halle, Nr. 833, Bl. 91–100); W. F. Wollmer (C 110 Halle, Nr. 935, Bl. 46– 122); Carl Winter (C 110 Halle, Nr. 965, Bl. 616–626). 107 Vgl. Scherf (2002). 108 Vgl. Fuchs (1990). 109 Georg Manasse Collection 1923–1989 (kurz: GMC), LBI AR 6379; Manasse Daily Record 1935–1936 (Kurz: MDR), LBI AR 5137; Schocken-Lewin Family Collection (kurz: SLFC), LBI AR 11188. 110 Nicht heran gezogen wurde hingegen B. Barth & Co., Textilwaren, Leipzig (U 43).

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geführte Unternehmen und agierten im Untersuchungszeitraum 1914 bis 1961. Andererseits waren zwei von drei Unternehmen jüdischen Ursprungs und damit nur mittelbar repräsentativ für den deutschen Textileinzelhandel. Andererseits deckten die Unternehmen nicht die nordwestdeutsche Region ab. Im Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund konnte hier Abhilfe geschaffen werden.111 Hier werden umfangreiche Geschäftsunterlagen der Gebr. Hettlage KG verwahrt, die bislang von der Forschung unbeachtet blieben.112 Das Textileinzelhandelsunternehmen, 1896 gegründet, war ebenfalls in Familienbesitz und expandierte von seinem Stammsitz in Münster zunächst im nordwestdeutschen Raum, in den 1930er Jahren dann nach München, Würzburg und Königsberg. Mit diesem bald reichsweit bekannten Herren- und Knabenkonfektionsgeschäft vereinigt das Sample nun nicht nur ein Traditionsgebiet des Textilhandels („Tödden-Handel“), sondern auch direkte Konkurrenten (Bamberger/ Hertz und Hettlage) und mutmaßliche Profiteure des antisemitischen Klimas. Da Bamberger & Hertz/Hirmer, Schocken/Merkur und Hettlage im bayerischen Raum handelten, wurden im Bayerischen Wirtschaftsarchiv die Überlieferungen zum regionalen Textileinzelhandel gesichtet und ausgewertet. Hier erwiesen sich die Bestände der IHK Coburg (K 6), IHK Aschaffenburg (K 5), IHK Oberfranken Bayreuth (K 8) und der IHK Schwaben (K9) als außerordentlich ergiebig. Die überlieferten Jahresberichte und Mitteilungsblätter gaben ein regional differenziertes Umsatzbild des (Textil-)Einzelhandels in Ergänzung zur reichsweiten Berichterstattung in den Fachzeitschriften. Daneben schärfte sich durch Materialien zum Handels-, Gewerbe- und Wettbewerbsrecht der Blick für die Qualität und Quantität der Auseinandersetzung zwischen den Fachverbänden einerseits und den Betriebsformen andererseits. Von unschätzbarem Wert waren die einzigartig detailliert dokumentierten Vorgangsakten zu Enteignungs-, Schließungs-, Konkurs- und Arisierungsprozessen von Textileinzelhandelsgeschäften, insbesondere für den Bezirk Schwaben/Augsburg.

Nicht berücksichtigt wurde der Bestand Manufaktur- und Herrenkleidungsgeschäft Remagen GmbH & Co. KG (F 154). 112 Ausnahme etwa Oberpenning (1996). 111

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

2 Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts 2.1 Handwerk, Handwerk,Industrie Industrie und und Handel 2.1 Handel Die Textilwirtschaft durchzieht eine Wertschöpfungskette „von der Fasererzeugung bis zum 113 Verkauf des textilen Endprodukts den Konsumenten“. Unter „von Textilwirtschaft subsummiert Die Textilwirtschaft durchziehtaneine Wertschöpfungskette der Fasererzeugung 113 sich der mehrstufige Wertschöpfungsprozess, der unternehmensund branchenübergreifend bis zum Verkauf des textilen Endprodukts an den Konsumenten“. Unter Textilwirtverläuft (Abbildung 4). sich der mehrstufige Wertschöpfungsprozess, der unternehmensschaft subsummiert

und branchenübergreifend verläuft (Abbildung 4). 114

Abbildung 4 Struktur des Marktes für Bekleidung und Textilien

Rohstoffe & Vorleistungen

Textilindustrie

Bekleidungsindustrie

(Groß- und) Einzelhandel

Konsument

114 Abb. 4 Struktur des Marktes für Bekleidung Textilien Bis zum verkaufsfertigen Kleidungsstück sindund sechs Stufen zu durchlaufen. Nach der Aufbereitung der natürlichen oder chemischen Spinnstoffe (Stufe 1) werden die Fasern zu Garnen versponnen Bis zum sind sechs(Stufe Stufen durchlaufen. Nach (Stufe 2) verkaufsfertigen und zu Geweben,Kleidungsstück Gewirken und Gestricken 3) zu weiterverarbeitet. Nachder der Aufbereitung der natürlichen oder chemischen Spinnstoffe (Stufe 1) werden die FaTextilveredlung (Stufe 4) werden die Textilien entsprechend ihrer Verwendung zu Bekleidung, sern zu Garnen (Stufe weiterverarbeitet 2) und zu Geweben, Gewirken und Gestricken Haustextilien oder versponnen technischen Textilien (Stufe 5). Hier überlappen sich Textilund Bekleidungsindustrie. Die Kernaufgabe der Bekleidungsindustrie bleibt die Verarbeitung der Textilien und Gewebe zum verkaufsfertigen Bekleidungsstück (Stufe 6).115 Das letzte Glied der Wertschöpfung bildet die Handelsstufe, die in Groß- und Einzelhandel zerfällt. 113 Im Folgenden vgl. Ahlert (2009), S. 41. 114 Eigene schematische Darstellung in verkürzter Form, nach ebd. (2009), S. 42. Im Folgenden soll unter „Handel“ der Binnenhandel, genauer der Einzelhandel, in Abgrenzung zum Großhandel, Außenhandel oder Kommissions- oder Speditionshandel verstanden werden. Die Abgrenzung zwischen Warenhandel, Kommissions- und Wechselgeschäften ist bis ins 19. Jahrhundert hinein uneindeutig. Bereits im 17. Jahrhundert unternahmen größere Städte wie Wien, Breslau oder Graz Versuche, den Handel und die Kaufleute in „en detail“ und „en gros“ zu unterscheiden. Kaufmannsgilden begannen vereinzelt, ihre Mitglieder als Detailhändler zu führen,

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

(Stufe 3) weiterverarbeitet. Nach der Textilveredlung (Stufe 4) werden die Textilien entsprechend ihrer Verwendung zu Bekleidung, Haustextilien oder technischen Textilien weiterverarbeitet (Stufe 5). Hier überlappen sich Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Kernaufgabe der Bekleidungsindustrie bleibt die Verarbeitung der Textilien und Gewebe zum verkaufsfertigen Bekleidungsstück (Stufe 6).115 Das letzte Glied der Wertschöpfung bildet die Handelsstufe, die in Groß- und Einzelhandel zerfällt. Im Folgenden soll unter „Handel“ der Binnenhandel, genauer der Einzelhandel, in Abgrenzung zum Großhandel, Außenhandel oder Kommissions- oder Speditionshandel verstanden werden. Die Abgrenzung zwischen Warenhandel, Kommissionsund Wechselgeschäften ist bis ins 19. Jahrhundert hinein uneindeutig. Bereits im 17. Jahrhundert unternahmen größere Städte wie Wien, Breslau oder Graz Versuche, den Handel und die Kaufleute in „en detail“ und „en gros“ zu unterscheiden. Kaufmannsgilden begannen vereinzelt, ihre Mitglieder als Detailhändler zu führen, so diese Waren absetzten, die „nach der Elle geschnitten“ oder „mit dem Pfunde gewogen“ waren. In ländlichen Gebieten existierte eine solche Scheidung nicht. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts vermehrten sich die Auseinandersetzungen über die funktionellen Unterschiede von Groß- und Einzelhandel: „Kaufleute, die ins Groß oder bey gantzen Stücken handeln, sollen sich soviel möglich hüten, ihre Waaren keinen anderen als denen Krämern, sonderlich aber nicht ins Kleine zu verkaufen, weil sonst solche Krämer, wann sie sehen, dass der Grossierer am anderen ins Kleine verkauffet und ihnen dadurch Profit des Hand-Kauffs entziehet, darüber mißvergnügt werden und ihm hinfüro nicht mehr abkaufen möchten.“116

Die Wertschöpfungskette war von einem „Übergangszustand“ geprägt. Der Großhändler wie auch der Einzelhändler kaufte bei Heimarbeitern oder Handwerkern, ließ Verleger für sich arbeiten oder beauftragte Kommissionäre. Der Kunden- und Lieferantenkreis beider Handelsformen überlappte sich. Die schärfere Trennung der Handelsstufen ging zwar mit der zunehmenden Spezialisierung und Ausdifferenzierung des Warensortiments im 19. Jahrhundert einher, doch blieben die Bezeichnungen uneinheitlich. Im 19. Jahrhundert sprach man vom Detail- bzw. Kleinhandel in Abgrenzung zum Engros- und Großhandel. Im Folgenden wird unter „Einzelhandel“ der „erwerbsmäßige Einkauf von Gütern zum Zwecke des Wiederverkaufs mit Gewinn, ohne dass eine Wesensänderung der Güter erfolgt“ verstanden. „Einzelhandel“ umfasst damit semantisch neutral auch Betriebsformen, die differenziert nach ihrer Größe (Warenhaus), ihrer Organisation (Konsumverein) oder den Vertriebswegen (Filialund Versandgeschäfte) Waren an den Endverbraucher absetzen.117

115 116 117

Ebd., S. 43 f. Zit. nach Kulišer (1929), S. 282. Haas (1951), S. 1, 8 f.

Handwerk, Industrie und Handel

Der ausdifferenzierte Einzelhandel, so wie wir ihn heute kennen, ist eine sehr junge Form der Distribution. Im 19. Jahrhundert liberalisierte sich das Wirtschaftssystem mit der schrittweisen Einführung der Gewerbe-, Tätigkeits- und Vertragsfreiheit. Preußen löste im November 1811 – nach französischem Vorbild – den Zunftzwang für Gewerbetreibende, die Zünfte blieben allerdings vorerst bestehen. Zunftmitglieder besaßen gegenüber Nichtmitgliedern keine Privilegien mehr. Seit dem 17. Januar 1845 galt in Preußen ein einheitliches Gewerberecht, welches es einer Person freistellte, ein Unternehmen zu gründen und zu betreiben. Noch vor der Gründung des Norddeutschen Bundes folgte die Mehrheit der deutschen Staaten dem Beispiel Preußens und führte die Gewerbefreiheit ein (1862 Sachsen, Württemberg, Baden; 1868 Bayern). Das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867 erlaubte jedem Bürger des Norddeutschen Bundes, innerhalb des Staatsgebietes einen Betrieb, eine Niederlassung oder eine Unternehmung zu gründen, und zwar unabhängig vom konfessionellen Bekenntnis. Nachdem der Norddeutsche Bund nach preußischen Vorbild am 21. Juni 1869 eine neue Gewerbeordnung (GO) verabschiedete, galt diese auch im Deutschen Reich und wurde bis 1873 von den süddeutschen Staaten eingeführt.118 Grundlage der GO blieb die Gewerbefreiheit – dieser waren jedoch eindeutige Schranken im Hinblick auf behördliche Genehmigungen, Arbeiter- und Kundenschutz sowie die Wettbewerbsordnung gesetzt. Während etwa Land- und Forstwirtschaft, Apotheken oder Anwälte nicht unter die Gewerbeordnung fielen, galt diese explizit für Industrie-, Handelsund Verkehrsgewerbe. In Bezug auf den Einzelhandel folgenreich waren die Bestimmungen, die „stehenden“ und „umherziehenden“ Gewerbebetriebe betreffend. Alle „stehenden“ Gewerbe mussten u. a. angemeldet, die Geschäftseröffnung per Anzeige bekanntgegeben und der Name des Geschäftes von außen sichtbar angebracht werden. Ein Ladenbesitzer war berechtigt, Hilfspersonen und Lehrlinge zu beschäftigen und auch Niederlassungen (Filialen) außerhalb der Gemeinde zu gründen. Während Handwerkern nun der Verkauf ihrer selbsthergestellten Waren gestattet war, konnten Kaufleute den Wareneinkauf auch außerhalb der Gemeindegrenze beauftragen – etwa durch besonders legitimierte Handelsreisende. Die GO regelte auch den „Gewerbebetrieb im Umherziehen“, der nun von den Hausierern einen Wandergewerbeschein verlangte. Dieser galt für ein Jahr, galt reichsweit und konnte auch abgelehnt werden (bei „abschreckenden Krankheiten“ oder „übelbeleumundeten“ Antragstellern). Generell konnten alle Waren gehandelt werden, bis auf explizite Ausnahmen wie Gold- und Silberwaren, Explosiv- und Giftstoffe oder „sittlich“ problematische Druckerzeugnisse. Beiden Berufsgruppen, den stationären wie den umherziehenden Kaufleuten, war es gestattet, Messen, Jahr- und Wochenmärkte zu besuchen. Neben detaillierten Ausführungen zu Handwerkergesetzgebung (Gründung von Innungen und Kammern) umfasste die GO umfassende Arbeiterschutzbestimmungen, die für alle gewerblichen

118

Ebd., S. 446 f.

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Arbeiter galten. Sie regelte die Sonntags- und Nachtarbeit, Schutzbestimmungen für weibliche und jugendliche Arbeiter, Arbeitsordnungen und die Lehrlingsausbildungen.119 Bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts blieb der Einzelhandel vom Gemischtwarengeschäft dominiert. Es war üblich, dass Gewürzhändler neben anderen Lebensmitteln auch Textilrohstoffe, Papier, Holz oder Metalle verkauften. Der Metallhändler verkaufte Galanteriewaren, verschiedene Textilstoffe und Kleidungsstücke, während der Textilhändler neben Strümpfen, Handschuhen und Seidenstoffen, auch Fette, Wein und Tabak absetzte. Abseits der großen Städte wurden die Landstriche weiterhin durch Hausierer (Herumträger, Landfahrer, Winkelkrämer oder Kolporteure), Märkte und Gemischtwarenhandlungen versorgt. Auf Druck und Klagen des sesshaften Handels erließen die Behörden zunehmend Verordnungen gegen das „Hausierunwesen“, welches sich aber nur geringfügig einschränken ließ.120 Fachgeschäfte für Warengruppen entstanden zunächst in den größeren Städten. Den Anfang machten Eisen-, Galanterie-121 Glas-, Porzellan- oder Kolonialwaren. Vor allem in verkehrsreichen Regionen differenzierte sich die Einzelhandelsbranche in Textilwaren, Eisen- und Metallwaren, Glas-, Porzellan- und Steingut sowie Galanterie- und Kurzwaren. Im Textilbereich war es vermögenden Kunden bereits möglich, Wäsche oder Schuhe nicht mehr handwerklich in Auftrag zu geben, sondern in durch Verleger betriebenen Geschäften zu erwerben. Ansonsten boten die Textilwarengeschäfte weiter alle Sorten Ellenwaren (Manufakturwaren, Ausschnittgeschäfte, Schnittwaren), unter Umständen differenziert nach Gewebe (Tuch-, Baumwoll- oder Leinwandhandlungen). Wollte ein Kunde ein Kleidungsstück, so kaufte er hier Stoffe und in speziellen Geschäften Zutaten und Besätze (Zwirnhandlungen, Posamentierer, etc.), um sie dann selbst zu Hause oder vom Lohnhandwerker zu fertigen. In Städten wie Leipzig, Breslau oder Aachen gründeten sich Schnittwarenhandlungen, Geschäfte mit Textilwaren, Tuchwaren-, Seiden- oder Posamentierläden. In der Folge definierten sich die Branchen nicht mehr nach dem „Rohstoff “ oder „Ursprung“, sondern nach dem „Bedarf “, also dem Gebrauchszweck der Waren. Die Eisenwarenbranche differenzierte sich in das Haus- und Küchenwarengeschäft, die Kolonialwarengeschäfte in Handlungen für Lebensmittel und Delikatessläden. Die Ausdifferenzierung im Einzelhandel stand in enger Wechselwirkung mit der Spezialisierung der Produktion. Spätestens seit den 1860er Jahren war der Einzelhändler wegen des massenhaften industriellen Angebotes auf die Großsortimenter angewiesen. Dieser stand – auch im Textilhandel – als Mittler zwischen Fabrikant und Kaufmann. Diese neue Art des Großhändlers erwuchs aus kapitalkräftigen Einzelhändlern mit guten Kontaktnetzwerken, die sich auf Lagerhaltung und Großverkauf Vgl. Lueger (1906). Vgl. Kulišer (1929), S. 286–297. Galanteriebranche umfasst den Handel verschiedener Luxusgegenstände aus Edelmetallen, Elfenbein, Leder oder Holz. 119 120 121

Handwerk, Industrie und Handel

spezialisierten. Geschäfte für Fertigkleidung, die sogenannte Konfektion, bildeten sich erst mit der (halb-)industriellen Herstellung von Damen- und Herrenkleidung zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Heimindustriell konfektionierte Wäsche und Schuhwaren fanden zunächst in Großmagazinen ihren Absatz, die der Bevölkerung erstmals fertige Bekleidung in großer Auswahl anboten. Die neugegründeten Konfektionsgeschäfte boten neben Kleidern, auch Wäsche, Hüte, Mode- und Galanteriewaren.122 Insgesamt differenzierten sich die Strukturen im Textileinzelhandel in dem Maße, wie billigere industriell gefertigte Fertigkleidung die privat gefertigten Kleidungsstücke schrittweise verdrängte. Die Mechanisierung der Textil- und Bekleidungsindustrie verstärkte den brancheninternen Konkurrenzkampf und erlaubte eine Ausweitung der binnenwirtschaftlichen Absatzmärkte. Kleidung wurde allmählich zur qualitativ gleichwertigen Massenware.123 Dazu bedurfte es im Laufe des 19. Jahrhunderts eines Transformationsprozesses in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Textilindustrie hatte im Laufe des 19. Jahrhunderts an wirtschaftlicher Bedeutung verloren. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch das größte Exportgewerbe, verlor die Branche durch die Kontinentalsperre, den Übergang vom Leinen zur Baumwolle und von handwerklicher zur maschinellen Verarbeitung den Anschluss an England und geriet nach Aufhebung der Exportsperren unter den Druck der britischen Überproduktion. Die heimische Leinenindustrie arbeitete zumeist als heimverarbeitendes Gewerbe in Westfalen mit Schwerpunkten in Bielefeld, Herford, Minden und Ravensberg, aber auch in Schlesien, dem Königreich Sachsen und den linksrheinischen Gebieten. Die ersten maschinell verarbeiteten Produkte kamen – verglichen mit England – spät auf den heimischen Markt. In Bielefeld fabrizierte die erste deutsche Textilfabrik 1850 mit Dampfmaschine, 1854 folgte die Ravensberger Flachsspinnerei. Viele Regionen verarbeiteten zunächst heimische Rohstoffe wie Flachs, Hanf oder Wolle zu groben Geweben. Ab 1850 ging man zu günstig importierter Baumwolle über und ließ diese im Verlagssystem weben. Dem Trend der Umstellung auf Baumwolle folgten viele textilindustrielle Standorte in Baden, Württemberg, Schwaben und Hessen. Baumwolle garantierte im Gegensatz zum Leinen eine einfache und modische maschinelle Verarbeitung für große Nachfrage und günstigere Preise.124 Im Jahr 1907 war Baumwolle zum Hauptimportartikel der deutschen Textilindustrie aufgestiegen. Deutsche Spinnereien und Webereien verarbeiteten Baumwolle, die zu zwei Dritteln aus den USA sowie zu einem Drittel aus Ostindien und Ägypten stammte. Die deutsche Textilindustrie war regional verteilt. Hauptsitz der meisten Baumwollspinnereien und Webereien war Bayern. Größere Zentren existierten zudem in Rheinland-Westfalen, Sachsen-Thüringen, dem Elsass, Schlesien sowie Baden und Württemberg.125 122 123 124 125

Vgl. ebd., (1929), S. 274–285, 511 f.; Haas (1951), S. 119. Vgl. Kulišer (1929), S. 512 f. Vgl. Treue (1999), S. 175–179. Vgl. Brie et al. (1909), S. 7–13.

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Die Bekleidungsindustrie – zeitgenössisch „Konfektion“ genannt – verarbeitete seit den 1830er Jahren die textilindustriellen Fabrikate der Webereien, Spinnereien und Veredler zu Bekleidungsgegenständen. Dabei unterschied sich die Konfektionsindustrie zunächst in voneinander abgegrenzte Bereiche.126 Brie (1909) sieht die Ursprünge der Konfektion in dem Bestreben der Manufakturwarenhändler, in Konkurrenz zu den Schneidern Paletots und Mäntel in eigenen Werkstätten auf Kundenwunsch und auf Lager zu produzieren. Zum Zentrum der Konfektion wuchs Berlin heran.127 Als erste kamen die Magdeburger Manufakturwarenhändler Gebrüder Manheimer in die preußische Hauptstadt, die 1837 ihre erste Konfektionsfabrik für Herrenmäntel und Schlafröcke gründeten, die sie später um Damen- und Kindermäntelkonfektion erweiterten.128 Es folgten ein Dutzend weitere Firmen – meist jüdische Auswanderer aus Posen –, die sich rund um die Jerusalemer Straße, den Hausvogteiplatz und den Werderschen Markt ansiedelten.129 Diese ersten Oberbekleidungsbetriebe waren im heutigen Sinne Großhändler, die Stoffe einkauften, Modelle und Schnitte entwarfen und diese dann mit entsprechenden Maßen und Anweisungen an Zwischenmeister und deren Hausarbeiterinnen weitergaben. Andere verzichteten auf die Zwischenmeister und arbeiteten direkt mit den Heimarbeiterinnen und Heimarbeitern zusammen.130 Die Berliner Konfektion entwickelte sich also nicht aus Handwerksbetrieben, sondern hauptsächlich aus dem Bekleidungshandel. Vor allem jüdische Unternehmer gingen zur innerbetrieblichen Integration von Fabrikation und Handel über, wie die Erweiterung der Modehäuser V. Manheimer, Hermann Gerson und Heinrich Jordan zu Konfektionsunternehmen zeigt. Zwischen den 1850er Jahren und 1880 entwickelte sich die Bekleidungsindustrie zur Vorzeigeindustrie der Stadt, die nach 1871 zur Exportindustrie aufstieg und mit Paris und London konkurrierte.131 Neben Kostümen, Blusen, Schürzen, Jacken und Wäsche verband sich mit dem Begriff „Berliner Konfektion“ vornehmlich die Produktion von Damenmänteln. Beeinflusst von der französiDamenmäntel, Mädchenmäntel und Backfisch, Herren und Knaben, Blusen, Kostüme, Jupons und Schürzen, Weißwaren und Pelze. Wäsche war eine eigene Kategorie neben der Konfektion, siehe ebd., S. 41–65. 127 Vgl. Loeb (1905); Wittkowski (1928); Dopp (1962); als weitere Zentren der Mäntelkonfektion galten Breslau und Erfurt, siehe Brie et. al. (1909), S. 45, 52. 128 Vgl. Jaeger (1990); Valentin (1963). 129 Zu den „Gründungsfirmen“ zählten D. Levin, Gebr. Singer, Hermann Bamberg, Basch & Bamberg, F.& S. Warschauer, Gebr. Ebenstein, Graumann & Stern, Markwald & Scheidemann, Seeler &Cohn, Krüger & Wolff, Kätscher & Krause, siehe Hagen (1965), p. 2. Zur Geschichte des schlesischen Unternehmers Falk Valentin Grünfeld und seinem Leinenhandelshaus, dem ersten großen Textilversandunternehmen, siehe Zabel (1966); Grünfeld (1967). 130 Vgl. Hagen (1965), p. 1 f. 131 V. Manheimer exportierte 1894 Waren im Wert von 100 Millionen Mark, davon rund 90 Prozent Mäntel. Nach Gerson war Manheimer der umsatzstärkste Konfektionär in Berlin und beschäftigte in Hochzeiten ca. 8.000 Menschen. Infolge der Weltwirtschaftskrise 1929/31 musste das Unternehmen liquidiert werden, siehe Jaeger (1990), S. 35. 126

Handwerk, Industrie und Handel

schen Modeindustrie hatten sich im Osten Berlins mehr als 50 Schal- und Tuchfabriken gegründet, die Waren für das In- und Ausland produzierten. Diesen nachgeordnet hatten sich eineinhalb dutzend Konfektionsgeschäfte in Berlin angesiedelt, die die Berliner Produkte auf Messen und im Einzelhandel en gros oder en detail vertrieben. Mit dem Übergang zur Nähmaschine in den 1860er Jahren verlagerte sich die Produktion von Schals auf Mäntel. Berlin erlebte einen Gründungsboom von Mäntelfabriken, die bald nach London, Paris und New York exportierten und in den Folgejahrzehnten Berlins Ruf als deutsches Konfektionszentrum festigten. Nach dem deutsch-französischen Krieg verlor Frankreich seine Vormachtstellung im Bereich Mäntelfabrikation an Deutschland und die Berliner Konfektion erlebte zwischen 1874 und 1886 einen enormen Aufschwung.132 In den 1890er Jahren entwickelte sich aus den als Berufskleidung genutzten Trikottaillen eine starke Nachfrage nach Blusen, sodass Berlin eine umfangreiche Blusenfabrikation aufbaute, die von der einfachen Arbeiter- bis zur hochpreisigen Seidenbluse produzierte. Die bald hunderten ansässigen Mäntel- und Blusenfabriken zogen auch andere Fabrikationen für Schürzen, Unterröcke ( Jupons) oder Wäsche ab den 1880er Jahren nach Berlin, wo sich etwa zeitgleich auch der Zweig der Weißwarenherstellung etablierte.133 Berlin nahm aber nicht nur eine führende Rolle in Bezug auf Qualität und Umsatz im Bereich der Damenkonfektion, sondern auch im Bereich der Herrenkonfektion ein. Die Herren- und Knabenkonfektion entwickelte sich analog aus Handelsgeschäften. Große Tuchgeschäfte gingen dazu über, ihre Schneider Anzüge und Paletots auf Lager produzieren zu lassen. Aus diesen entwickelten sich Großkonfektionäre, die ebenso exportorientiert aufgestellt waren. Bereits um die Jahrhundertwende differenzierte sich die Herrenkonfektion nach Qualität, Anlass und Mode ähnlich breit wie die Damenkonfektion, sodass Brie keinen Unterschied zu handwerklich hergestellter Kleidung bemerkte: „Der beste Beweis dafür, dass auch diejenigen Kreise der Herrenwelt, die bisher in altgewohnter Weise sich ihre Kleidung beim Maßschneider anfertigen Ließen, immer mehr dazu übergehen, fertige Konfektion zu kaufen. Man sieht jetzt in allen Spezialgeschäften, die überhaupt besseres Genre in fertiger Herrenkonfektion führen, so vorzügliche Arbeit, dass diese der Maßkonfektion in jeder Weise völlig ebenbürtig erscheint.“134

Vgl. Loeb (1905), S. 7 ff. Zur Blusen-, Kostüm-, Rock-, Jupon-, Schürzen-, Weißwaren- und Pelzkonfektion vgl. Brie et. al (1909), S. 59–65. Unter „Weißwaren“ verstanden die Zeitgenossen Artikel aus weißen Stoffen wie Leinen, Mull oder Spitze. Erzeugt wurden Schals, Schärpen oder Gürtel, die nicht unbedingt die Farbe Weiß haben müssen. Die Branche erzeugte keine Wäsche. Zeitgenossen unterschieden zwischen Wäschekonfektion (Herstellung von Damenwäsche) und Wäschefabrikation (Herstellung gestärkter Herrenwäsche). In beiden Bereichen war Berlin allerdings nicht führend, sondern hatte starke Konkurrenz in Sachsen oder Bielefeld, siehe Loeb (1905), S. 12 ff. 134 Zit. nach Brie et. al (1909), S. 56. 132 133

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Beharrlicher als in der Damenkonfektion konnte sich das Maßgeschäft für Herrenkleidung behaupten. Diese spezialisierten sich auf hochwertige, individuelle und standesgerechte Bekleidung, sodass die großen Ateliers bis zum Ersten Weltkrieg ihre Umsätze halten konnten. Manche erschlossen auch neue Kundengruppen, da die neue Gruppe der mittleren Beamten und Angestellten „viel mehr Sorgfalt auf gute Kleidung“ legten und sich vom Massenprodukt Fertiganzug für untere Einkommensschichten abzugrenzen versuchte. Industrielle Herrenkleiderfabriken fokussierten eher auf erschwingliche zweckmäßige, nicht modische Arbeiter- und Berufskleidung. Die Standorte der Herrenkonfektion unterschieden sich nach den Qualitäten und Zweck. Berlin galt als Zentrum der höherwertigen Konfektion, während für die Mittelgenres die Schwerpunkte in Stettin, Breslau, Aschaffenburg, Elberfeld oder Mönchengladbach lagen. Für Billigkonfektion galten das Rheinland und Süddeutschland als Zentrum.135 2.2

Betriebe und Beschäftigte

Nachdem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung der deutschen Einzelstaaten – besonders in Sachsen und im Rheinland – und den Städten Berlin, Hamburg, Bremen um knapp 50 Prozent auf 34,6 Millionen wuchs, setzte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch Zuwanderung, Geburtenüberschuss und wachsendes Gesundheitsbewusstsein eine enorme Verdichtung der Bevölkerung und deren Verschiebung weg von den Land- und Kleinstädten hin zu den Mittel- und Großstädten ein.136 Diese Entwicklungen stehen in einem engen Zusammenhang mit dem seit 1850 einsetzenden tiefgreifenden Wandel der Wertschöpfungs- und Beschäftigtenstruktur im deutschsprachigen Raum – dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Der Anteil der landwirtschaftlich Beschäftigten an der Wertschöpfung halbierte sich bis zur Jahrhundertwende. Hatte 1850 noch mehr als jeder zweite Erwerbstätige in der Landwirtschaft gearbeitet, war es um 1913 nur noch jeder Dritte. Die Arbeitskräfte zogen in die Ballungsräume und fanden in Industrie und Handel Arbeit (Tabelle 4). Das Wachstum des Volkseinkommens und der industriellen Produktionskapazitäten schuf im Bereich Textilwirtschaft neue Produktpotenziale und Konsumentenbedürfnisse. Der Verbrauch – also die Verarbeitung und der Konsum – der vormals teuren Baumwolle verdreißigfachte sich zwischen 1836 und 1900, während der Pro-Kopf-Verbrauch im selben Zeitraum um mehr als das 16-fache anstieg (Tabelle 5).

Zentren der billigeren Qualitäten waren Mönchengladbach, Odenkirchen, Rheydt, Aschaffenburg, Speyer, Worms, Frankfurt/Main, Nürnberg und München, sowie vereinzelt in Rendsburg und Hamburg. Die Lodenfabrikation hatte ihren Mittelpunkt in Bayern mit dem Zentrum München. Gummimäntel wurden dagegen eher im Norden nachgefragt und in Berlin und Hamburg produziert, siehe ebd., S. 54 f., 56 ff. 136 Vgl. Treue, S. 10 ff. 135

Betriebe und Beschäftigte

Tab. 4 Anteil der Sektoren an Wertschöpfung und Beschäftigung, 1850 bis 1913137 1850

1870

1913

Wertschöpfungsstruktur Landwirtschaft

47

40

23

Produzierendes Gewerbe

21

28

45

Dienstleistungen

33

32

32

Beschäftigungsstruktur Landwirtschaft

56

49

35

Produzierendes Gewerbe

24

29

38

Dienstleistungen

20

22

28

Anmerkungen: in Prozent.

Tab. 5 Verbrauch von Baumwolle und Baumwollabfällen, 1836 bis 1910138 Jahresdurchschnitt

Verbrauch

1836–40

8.917

Pro-Kopf-Verbrauch 0,34

1856–60

46.529

1,39

1876–80

124.549

2,86

1896–00

302.316

5,53

1906–10

419.840

6,64

Anmerkungen: Verbrauch in t, Pro-Kopf-Verbrauch in kg.

Neben der Stoffqualität produzierte und fragte der Markt zunehmend nach Kleidung, die differenziert in Qualität, Funktion und Preis war. Der Textileinzelhandel hatte nun Industriearbeiter, werktätige Frauen, Beamte, aber auch die wachsende Zahl an Kindern und Jugendlichen zu versorgen. Mit dem neuen Mittelstand der unteren Beamten, Facharbeiter und Angestellten erwuchs dem Handel eine neue Kundengruppe, neben den einfachen Arbeitern und der Vermögenselite. Aus Industriearbeitern und Angestellten wurden Konsumenten des Einzelhandels, da für die Eigenproduktion von Kleidung die Zeit und Kraft fehlte. Das gestiegene Einkommen investierten die Konsumenten zunehmend in konfektionierte, fertige Textilprodukte. Neben dieser Nachfrage beeinflussten auch die voranschreitenden Produktionstechniken der Textil- und Bekleidungsindustrie die Struktur des Einzelhandels. Das in neue Maschinen investierte Kapital musste sich schnell amortisieren, die Warenproduktion, Warenarten und Qualitäten stiegen.139 137 138 139

Vgl. Buchheim (1997), S. 117. Vgl. Haas (1951), S. 120, Anm. 14. Vgl. Hirsch (1910), S. 8.

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56

Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Dem Handel boten sich diverse Entscheidungswege: Verharren im Gemischtwarengeschäft, Übergang vom Fabrikat- zum Fertigproduktgeschäft, Spezialisierung nach Art oder Qualität der Warengruppe, Zusammenfassung von Warengruppen und/ oder schließlich Expansion und Bildung neuer Betriebsformen. Meist vollzogen sich die Entscheidungen prozesshaft, gleichzeitig und evolutionär. Der Gemischtwarenladen entwickelte sich zu einem auf ein oder wenige Artikel basierenden Spezial- oder Fachgeschäft. Vorteilhaft gegenüber dem Gemischtwarenladen waren die größeren Ordervolumina, der billigere Einkauf, das tiefere Warensortiment und die exaktere Kundenberatung. Aus dem Manufakturwarengeschäft entstanden Spezialgeschäfte für Tuch, für Damenkleiderstoffe, für Hüte, für Handschuhe, für Kurzwaren und Wäsche. Neben der Spezialisierung kombinierten Fachgeschäfte bald Warengruppen anhand der Kundennachfrage, sog. Bedarfsartikelgeschäfte. Hier fand man neben Anzügen, auch Hüte und Spazierstöcke. Mit den produktionstechnischen Innovationen vollzog sich der Übergang zum Handel mit gebrauchsfertigen Gütern. Die sogenannten Konfektions- und Modewarengeschäfte entstanden oft aus ehemaligen Tuchhandlungen oder Garn- und Bandhandlungen. Diese Ausdifferenzierung nach Warenart, Konsumanlass oder Kundenkreis führte zu einer nahezu unüberschaubaren Vielfalt des Textileinzelhandels am Ende des 19. Jahrhunderts: Geschäfte für Oberbekleidung (Herren-, Damen- oder Kinderkonfektion), Trikot-, Wäsche-, Hut- und Schirmgeschäfte boten „gebrauchsfertige Waren“, die sowohl Luxusgüter als auch massentaugliche Ware sein konnten. Als gebrauchsreife Ware galt alles, was in Meter- und Kurzwarengeschäften angeboten wurde, etwa Tuche und Stoffe.140 Diese Vielfalt erschwerte die statistische Erhebung des Textileinzelhandels vor dem Ersten Weltkrieg. Zwischen 1875 und 1907 versuchten sich die Betriebs- und Gewerbezählungen des Deutschen Reiches an einer quantitativen Schätzung. Im Bereich „Warenhandel“ (Groß- und Einzelhandel) hatte sich die Zahl der Betriebe von ca. 483.300 (1875) auf 925.117 (1907) nahezu verdoppelt. Davon stieg die Zahl der Textileinzelhändler – „Handel mit Spinnstoffen, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppiche und Tapeten“ – etwas dynamischer von über 47.100 (1875) auf über 104.500 (1907). Die Beschäftigtenstruktur im Textileinzelhandel des ausgehenden 19. Jahrhunderts war ähnlichen Veränderungen wie die Betriebsanzahl unterworfen. Im Warenhandel verdreifachte sich die Zahl der Beschäftigten von über 606.000 (1875) auf über 1,7 Millionen (1907). Die Beschäftigtenzahl im Textilwarenhandel war seit 1875 noch dynamischer gewachsen als die durchschnittliche Beschäftigtenentwicklung im Warenhandel und die allgemeine Betriebsentwicklung. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1907) handelte jede neunte erfasste Einzelhandelsbetriebsstätte und jede(r) Sechste im Einzelhandel Beschäftigte mit Textilwaren (Tabelle 6).

Erste Konfektionsgeschäfte waren um 1840 im Konfektionszentrum Berlin entstanden; in München war der Konfektionshandel erst 1847 erlaubt worden, siehe Haas (1951), S. 121 ff. 140

Betriebe und Beschäftigte

Tab. 6 Betriebe und Beschäftigte (Textileinzelhandel), 1875 bis 1907141 Kategorie Warenhandel (B) „Textileinzelhandel“ (B) Warenhandel (P) „Textileinzelhandel“ (P)

1875

1882

483.300 47.128 606.129 86.757

1895

1907

1875 1882 1895

541.146

659.714

925.117

100

112

137

191

50.257

64.565

104.517

100

107

137

222

727.130 1.140.422 1.723.499

100

120

188

284

112.475

100

130

211

355

183.024

307.807

1907

Anmerkung: B = Betriebe, P = Personal; absolut und relativ, 1875 = 100; (1907) Reichsgebiet ohne Saarland; (Warenhandel) = Groß- und Einzelhandel; „Textileinzelhandel“ = Spinnstoffe, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppiche und Tapeten.

Seit 1875 hatte sich damit die Betriebsanzahl im Textileinzelhandel deutlich dynamischer als der Durchschnitt im Warenhandel entwickelt. Mit Blick auf die Steigerungsraten der Betriebsanzahl zwischen den vier Zählungen entwickelte sich die Periode von 1895 bis 1907 am dynamischsten. Während der Warenhandel um 31 Prozent zunahm, lag der Textileinzelhandel bei 62 Prozent. Damit lag der Textileinzelhandel deutlich vor dem Lebensmittel- und Kolonialwaren-, Holz- oder Buchhandel, aber auch deutlich hinter dem Tabak-, Chemikalien- und Metallhandel. Wie schon bei der Anzahl der Betriebe entwickelten sich auch die Beschäftigtenzahlen in Bezug auf den deutschen Einzelhandel seit 1875 deutlich überdurchschnittlich. Die spätestens seit 1875 beobachtbare Tendenz zum Großbetrieb zeigen auch die dynamischeren Steigerungsraten des Personals. Während die Anzahl der Textilhandelsbetriebe bis 1882 um 6,6 Prozent zunahm, wuchs die Beschäftigtenzahl in diesen Betrieben um knapp 30 Prozent. Bis 1907 lagen die Steigerungsraten in Bezug auf Personal höher als das Wachstum der Betriebsanzahl. Der Textileinzelhandel blieb bis 1907 attraktiv für kaufmännisch oder verkaufstechnisch ausgebildetes Personal, wie die Steigerungsraten zwischen 1875 und 1907 zeigen (Tabelle 7). Der Tendenz zum Spezial- und Fachgeschäft geschuldet, führte die Betriebsstatistik im Jahr 1907 erstmals eine Differenzierung im Textileinzelhandel ein. Jedes zweite Geschäft im Textileinzelhandel bezeichnete sich als Manufaktur- und Schnittwarenhändler. Jedes vierte Geschäft handelte mit konfektionierten Trikotagen-, Strumpf- oder Wäschewaren. Von über 100.000 in der Statistik erfassten Textileinzelhandelsbetrieben waren nur knapp 7 Prozent (6.853) reine Konfektionsgeschäfte für Oberbekleidung. Über 57 Prozent aller Beschäftigten im Textileinzelhandel arbeiteten in Manufakturund Schnittwarengeschäften. Jeder dritte Beschäftigte verkaufte konfektionierte Waren in Strumpf-, Trikotagen-, Wäsche- oder Konfektionshäusern (Tabelle 8).

141 Eigene Berechnung nach Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907, 16. Juni 1925 und 16. Juni 1933 – Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I.

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Tab. 7 Veränderung der Betriebs- und Beschäftigtenzahlen (Warenhandel), 1875 bis 1907142 Kategorien

1875 auf 1882

1882 auf 1895

1895 auf 1907*

Warenhandel (Betriebe)

12,0

21,9

31,8

Warenhandel (Personal)

20,0

56,8

45,6

Tiere (Betriebe)

13,4

9,8

16,4

Tiere (Personal)

8,9

20,5

15,3

„Lebensmittel“ (Betriebe)

25,9

30,8

37,3

„Lebensmittel“ (Personal)

27,9

70,6

45,8

Tabak (Betriebe)

30,4

53,7

126,5

Tabak (Personal)

32,2

50,4

104,3

Holz-, Bau- und Brennmaterialien (Betriebe)

9,5

16,0

26,9

Holz-, Bau- und Brennmaterialien (Personal)

18,3

59,4

36,5

„Metall“ (Betriebe)

6,2

61,5

127,5

„Metall“ (Personal)

8,0

132,0

104,6

Drogen, Chemikalien, Ölen, Fette (Betriebe)

0,0

0,0

345,3

Drogen, Chemikalien, Ölen, Fette (Personal)

0,0

0,0

145,0

„Textilien“ (Betriebe)

6,6

28,5

61,9

„Textilien“ (Personal)

29,6

62,7

68,2

„Möbel“ (Betriebe)

-2,2

3,5

-9,2

„Möbel“ (Personal)

7,2

25,9

13,0

Verlag und Buchhandel (Betriebe)

34,2

32,2

33,1

Verlag und Buchhandel (Personal)

55,3

65,3

80,3

Anmerkung: in Prozent; (*) Reichsgebiet ohne Saarland; (Warenhandel) Groß- und Einzelhandel; („Lebensmittel“) Handel mit landwirtschaftlichen u. verwandten Produkten, Kolonialwaren, Lebensmitteln und Getränken; („Metall“) Handel mit Bergwerks-, Hütten-, Salinenprodukten, Metallhalbzeug, Metallwaren, elektrischen Artikeln; („Textilien“) Handel mit Spinnstoffen, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppichen und Tapeten; („Möbel“) Handel mit Möbeln, Haus- und Küchengerätschaften, Lehrmitteln, Papier- und Schreibwaren, Galanterie-, Leder-, Schmuck- und sonstigen Waren.

Eigene Zusammenstellung aus: Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersichten: „Die Entwicklung des Warenhandels 1875–1925 (Betriebe)“ (prozentuale Veränderung berichtigt) und „Die Entwicklung des Warenhandels 1875–1925 (Personal)“ (prozentuale Veränderung berichtigt). 142

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Tab. 8 Betriebe und Personal (Textileinzelhandel), 1907143 Einzelhandel mit Handelsgewerbe

Betriebe

Personal

1.088.298

2.063.634

Groß- und Einzelhandel (mit Saarland)

925.117

1.723.499

Spinnstoffen, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppichen und Tapeten, davon:

104.517

307.807

Manufaktur-, Schnittwaren

51.801

176.187

Strümpfen, Trikotagen, Kurz- und Galanteriewaren

18.324

57.850

Wäsche

8.172

24.440

Männer-, Frauen- und Kinderkleidung

6.853

22.143

Hüten und Mützen

3.173

7.188

Putzwaren

3.055

11.145

Posamenten

2.432

9.420

2.3

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Neben der Ausdifferenzierung war die Entstehung der Großbetriebe – Konsumvereine, Filialisten, Versand- und Warenhäuser – eine organisatorische Konsequenz der Massenproduktion für einen Massenmarkt. Produzenten und Konsumenten verlangten nach Distributionsformen, die auf die Kaufkraft der Bevölkerung durch eine systematische „Bedarfserregung“ reagierten.144 Die Vorteile des Großbetriebes waren offensichtlich. Die großen Einkaufsvolumina ermöglichten den Direktbezug beim Fabrikanten unter Umgehung der Kosten für den Großhandel. Die Lieferanten garantierten Großbetrieben gute Bezugsbedingungen. Da sich Großbetriebe meist in der Angebotspalette beschränkten, gelangten diese Waren verhältnismäßig preiswert an den Konsumenten. Das Prinzip „Großer Umsatz, kleiner Nutzen“ ermöglichte einen hohen Lagerumschlag und damit ein flexibles Mitgehen mit dem Modewandel:145 „Daß die Konzentration, der Großbetrieb auch in das Gebiet des Kleinhandels einzieht, daß rührige Unternehmer sich die allgemeinen Vorteile der großen Organisation, den billigen Einkauf großer Mengen aus erster Hand, die bessere Ausnutzung der Arbeitskräfte, die Ersparnis an Generalunkosten, die Vorteile raschen Umsatzes zu Nutzen machen, ist nicht merkwürdig … In dem Massenabsatz liegt die Verminderung des Risikos: im großen Spezialgeschäft durch Konzentration auf wenige Branchen mit raschem Abstoßen von

Eigene Berechnung nach Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 12. Juni 1907, 16. Juni 1925 und 16. Juni 1933 – Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I. 144 Vgl. Troeltsch (1912), S. 31. 145 Vgl. Schellwien (1912), S. 24 f. 143

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Resten; im Warenhaus durch Beschränkung auf die gangbarsten Qualitäten. Die Verluste durch ‚Ladenhüter‘, die im kleinen Betriebe den Gewinn auffressen, werden so vermieden“.146

Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Konsumvereine waren neben den Warenhäusern der ideologische und ökonomische Wettbewerber des Fachgeschäftes.147 Die genossenschaftlichen Verbünde von Verbrauchern übernahmen die Verteilung von Waren in eigenen Verkaufsstellen unter Umgehung des Großhandels und teilweise durch Aufbau eigener Produktionskapazitäten. Zwischen 1900 und 1911 vervielfachten sich die Mitgliedszahlen des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine auf rund 1.500 Vereine mit zwei Millionen Mitgliedern und einem Gesamtumsatz von über 566 Millionen Mark (1911).148 Ökonomisch spielten die Konsumvereine bis in die 1920er Jahre für den Textileinzelhandel eine untergeordnete Rolle. Ihr Hauptgeschäft lag im Lebensmittelhandel. Doch die hier einsetzende Expansion der Filialen und Mitgliederzahlen ließ den Textilfachhandel befürchten, die Konsumvereinsbewegung würde auch den Handel mit Manufaktur- und Schnittwaren mittelfristig erfassen. Etwaige Verluste würden dann durch andere Abteilungen und die starke Kapitalbasis ausgeglichen werden, mit dem Ziel den Fachhandel auszuschalten. Auf Drängen des Fachhandels etablierten die Produzenten den Markenartikel, dessen standardisierte Verpackung und fester Preis keine Preis- und Qualitätsdifferenzierung erlaubte und nur über den Fachhandel vertrieben werden durfte. Diese Markenartikel-Strategie des Fachhandels war gegen die Konsumvereine gerichtet: „Das Publikum muss an den Markenartikel so gewöhnt bleiben, dass es sie auch im Konsumverein fordert, so fatal das der Leitung der Genossenschaft auch sein mag“.149 Neben den Konsumvereinen sah sich der Fachhandel auch durch die neuen Betriebs- und Absatzformen „Filiale“ und „Versand“ bedroht. Der Versandhandel war zunächst ein Weg der Produzenten, ihre Produkte direkt an den Verbraucher unter Umgehung des Fachhandels abzusetzen.150 In unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Distributionsmethode stand die Liberalisierung des Post- und Verkehrswesens. Zwischen 1880 und 1910 stieg die Zahl der Nachnahmesendungen von 3,9 auf 61,8 Millionen Stück. Die Summe der Nachnahmezahlungen erhöhte sich im selben Zeitraum von 57,1 auf 1.182,4 Millionen Mark.151 Etwa 3,5 Prozent aller offenen Verkaufsstellen im

Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben von Elster, Jena 1907, Bd. II. Artikel „Kleinhandel“ (Karl Rathgen), zit. nach Schellwien (1912), S. 24. 147 Vgl. Torp (2011); Prinz (1996); Hierholzer (2010); Glaeßner (1989); Huß (1977); Hasselmann (1971); Zeitgenössische Kommentare: Ortloff (1908); Hetz (1912); Kaufmann (1928). 148 Vgl. Hirsch (1913), S. 15 ff. 149 Zitat siehe DR, Die Gefahr der Konsumvereine für den Detailhandel!, 24.5.1914; vgl weiter DR, Mit der Mittelstandsbewegung des letzten Jahres, 11.1.1914; DK, Die Umgehung des Einzelhandel, 20.10.1920. 150 Vgl. Grünfeld (1920); Nieschlag (1939). 151 Vgl. Hirsch (1913), S. 17 ff. 146

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Einzelhandel waren im Jahr 1910 Filialen.152 Die deutlichste Expansion der Filialbetriebe fand in der Kaffee-, Schokoladen-, Kolonial- und Tabakbranche statt. Der Textileinzelhandel war zunächst nur im Bereich Schuhwaren betroffen. Während Filialen auf ein begrenztes Warensortiment setzten, gingen Waren- und Kaufhäuser dazu über, ein überregionales Filialsystem mit Vollsortiment aufzubauen. Seit den 1880er Jahren prägten Kauf- und Warenhäuser zunehmend die Innenstädte des Deutschen Reiches. Als Kaufhäuser galten Großbetriebe, die ausnahmslos Textilien und Bekleidung verkauften, die in Betrieb und Organisation dem Warenhaus jedoch glichen.153 Im Unterschied zu Kaufhäusern, machten Warenhäuser mindestens 60 Prozent ihres Umsatzes mit Textil- und Bekleidungswaren, da sich die Mehrheit aus Schnitt- und Manufakturwarengeschäften entwickelt hatte. Ihr Hauptpublikum entstammte dem Kleinbürgertum, dem unteren Beamtenstand und der Facharbeiterschaft.154 Die neue Betriebsform entwickelte sich zunächst aus Konsumvereinen und privaten Betrieben der Textil- oder Modewarenbranche in Frankreich, Großbritannien und den USA. In Paris entstanden ab Mitte der 1840er Jahre erste großbetriebliche Strukturen, von denen die bekanntesten der Bon Marchè (1852), Louvre (1855) oder Printemps waren. In Großbritannien waren die genossenschaftlichen Einkaufsvereinigungen der Beamten und Offiziere die Vorläufer der ersten Warenhäuser. Als die größten Privatbetriebe galten Whiteley und Selfridge & Co. Auch in den USA setzte die Errichtung in den 1850er Jahren ein, hier waren Häuser wie William Filene’s Sons & Co. (Boston), Marshall Field & Co. (Chicago), John Wannamaker (Philadelphia) oder Siegel Cooper & Co. (New York) in Bezug auf Umsatz und Sortiment absolut führend.155 Warenhäuser erkannten, dass sie durch entsprechende Betriebsorganisation preissenkend und bedarfsanregend wirken konnte. Im Wesentlichen folgten die deutschen Häuser amerikanischen Vorbildern.156 Die unterschiedlichen Abteilungen (Rayons) Ebd., S. 287, Tabelle II. Vgl. ebd., S. 197 f. Vgl. Troeltsch (1912), S. 32. Amerikanische Warenhäuser waren aus dem „Dry good Store“ hervorgegangen, der früher nur Bekleidung führte. Die USA waren führend in Bezug auf Komfort (Restaurant, Theater, etc.) und Absatzmethodik („Big Sale“). Das „Automatic Bargain Basement“ von William Filene’s Sons Co., Boston war besonders innovativ: Restposten wurden im Untergrundgeschoss verkauft, nach 12 Tagen um 25, nach 18 Tagen um 50, nach 24 Tagen um 75 Prozent reduziert, und nach 30 Tagen als Geschenk an die Wohlfahrt abgegeben, siehe DK, Die großen Warenhäuser in den Vereinigten Staaten, 18.4.1915; DK, Die großen Warenhäuser in den Vereinigten Staaten, 2.5.1915. In Italien entwickelten sich Warenhäuser aus Konsumvereinen. Dänemark, die Schweiz und Belgien kannten ebenfalls Warenhäuser, während es diese Betriebsform in Österreich vor dem Ersten Weltkrieg nicht gab, vgl. Hirsch (1910), S. 17 ff. 156 Vgl. Konf, Das amerikanische Warenhaus, 24.8.1913. Eher bewundernd berichteten deutsche Fachzeitschriften über den Aufbau von US-Warenhauses: I) Betriebs- und Verkaufs-Abteilung mit Engagement-Bureau (Personalabteilung), Rayon-Chefs (Oberaufsicht über Stockwerk oder Verkaufsabteilung), Verkaufs-Abteilung (Verkaufs-Persona, Lagergehilfen und „floor boys“), Belehrungsabteilung (erläutert Verkaufssystem den Verkäufern), Unkosten-Abteilung (Buchführung und Kontrolle der Unkosten), Ein152 153 154 155

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

eines Hauses unterstanden einem Abteilungsleiter (Rayonchef). Dieser verantwortete Einkauf, Verkauf, Kalkulation, Reklame und Lagerhaltung selbstständig für seinen Bereich und bilanzierte deren Erträge getrennt von den anderen Abteilungsleitern. Gehälter und Gratifikationen bemaßen sich an der Relation zwischen einem wöchentlich definierten Soll- und dem tatsächlichen Ist-Umsatz. Daraus entwickelte das Warenhaus eine meist tagesaktuelle statistische Grundlage für zukünftige Ausgaben.157 Die Geschäftsgrundsätze der Warenhäuser waren auf Umsatzmaximierung ausgerichtet. Neben der strikten Abkehr vom Kreditgewähren („Borgsystem“) und der Einführung des Barzahlungsprinzips bildeten feste und offen ausgewiesene Preise die Basis. Die günstigen Preise ließen die Akzeptanz für die Abkehr vom Preisfeilschen und Anschreiben bei der Kundschaft schnell steigen. Die Verkaufspreise waren mit minimaler Gewinnspanne kalkuliert, um möglichst hohen Umsatz und Lagerumschlag zu erreichen („Hoher Umsatz, kleiner Nutzen“). Für diesen brauchte es ausreichende Kundenzahlen, die durch ausgefallene Architektur und umfängliche Reklamemaßnahmen erreicht wurden. Warenhäuser investierten bis zu zwei Prozent ihres Umsatzes in Zeitungs-, Plakat-, Schaufenster- und Broschüren-Reklame. Um ausreichend Kundenverkehr zu gewährleisten, warben die Häuser gezielt mit Artikeln, die maximal zum Selbstkostenpreis verkauft wurden („Lockartikel“) und mit sog. „Ausnahmetagen“ (95pf-Woche, Weiße Wochen). Entscheidend für die Preisgestaltung blieb die Einkaufsorganisation, die meist innerhalb der Zentrale eine eigene Abteilung bildete (Einkaufshaus oder -zentrale). Einen Teil des Sortiments, etwa Stapelartikel, später auch Weißwaren, Wäsche oder Konfektion stellten die Hauser in Eigenfabrikation her. Für den größeren Teil der Waren bestellte das Warenhaus im Rahmen der „Ausmusterung“ Warenproben bei den Bekleidungsfabrikaten, die von den Rayonchefs geprüft und dann zu großen Aufträgen zusammengefasst wurden. Die großen Auftragsvolumina und die Garantie der schnellen Zahlung ermöglichten einen vergünstigten Einkaufspreis für Großbetriebe. Warenhäuser setzten zunächst auf ein möglichst breites Warensortiment, allerdings nur in wenigen oder einer einzigen Qualität (horizontale Ausdehnung). Bewährte sich das Angebot, ging man in die Sortimentstiefe und bot nach und nach größere Qualitätsvielfalt (vertikale Ausdehnung). Warenhäuser verkauften zunächst also weder die täglich gebrauchten, noch besonders hochwertige Artikel, sondern periodisch wiederkehrende „Massenartikel in wenigen Qualitäten“. Die

kaufsabteilung für Bedarfsartikel (Materialeinkauf für Geschäftsbetrieb), Postversand-Abteilung, Versandabteilung; II) Bureau-Abteilung mit Kreditabteilung (Aufsicht über Kreditvergabe an Kunden), Buchhaltung, Hauptkasse, Revision (verrechnet tägliche Einkäufe und schreibt Verkaufsabteilungen ihre Erlöse gut), Einkaufskontrolle (Kontrolle über Richtigberechnung der Preise durch Fabrikanten/Lieferanten; wählt Fabrikanten/Lieferanten aus) und Statistikbüro (statistische Aufstellungen über alle Geschäftsvorgänge); III) Reklameabteilung mit Reklamechef, Hilfsreklamechef, Chef der Kunstabteilung plus Assistent, Chefdekorateur und Dekorateure, Oberplakatschreibern und Gehilfen. 157 Hirsch (1910), S. 31 ff.

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Höhe des durchschnittlichen Kaufes bewegte sich in westdeutschen Warenhäusern 1910 zwischen 98 Pfennig und zwei Mark.158 Die Kostenstrukturen verhielten sich in Großbetrieben etwas verschieden von kleineren Handelsgeschäften. Auf der Ausgabenseite standen höhere Personalkosten (Rayonchefs, Filialleiter) und die abzuführende Warenhaussteuer. Die Barzahlung ermöglichte hingegen Zinsersparnisse und Risikominimierung. Die Einkaufsvolumina, die schnelle Regulierung und Eigenproduktion ermöglichten den Großbetrieben eine Kostenersparnis von 10 bis 15 Prozent im Einkauf, womit eine Umgehung des Großhandels in gewissen Sortimenten möglich war. Der durchschnittliche Handelsaufschlag lag bei Warenhäusern um die 20 bis 30 Prozent, wobei dieser je nach Sortiment schwanken konnte (Modewaren 100 Prozent, Lebensmittel 15 Prozent). Damit bewegten sich große Kauf- und Warenhäuser auf dem Niveau ihrer mittelständischen Konkurrenz.159 Unterm Strich blieben etwa vier bis sechs Prozent Gewinn am Gesamtumsatz bei Warenhäusern. Im Unterschied zum Ausland lagen die Ursprünge der deutschen Warenhäuser nicht in der Hauptstadt Berlin, sondern mehrheitlich in der Provinz. Im Jahr 1910 zählte der „Verband deutscher Waren- und Kaufhäuser“ 52 Warenhausunternehmen.160 Repräsentativ für diese Entwicklung ist die Gründungs- und frühe Expansionsgeschichte des Warenhauskonzerns Schocken. Moritz und Julius Ury hatten im März 1896 das erste Warenhaus in Leipzig eröffnet. Wenige Jahre später, am 18. März 1901, eröffneten die Brüder in Zwickau das „Warenhaus Gebrüder Ury“ und machten ihren Schwager Simon Schocken zu dessen Leiter und ein Jahr später zum Teilhaber in Zwickau (1902). Simons Bruder Salman Schocken trat ebenfalls in die Geschäftsführung ein. Zu den Geschäftsgrundsätzen, die das Chemnitzer Geschäft erfolgreich machten, gehörten das Umtauschrecht, Festpreise, das Barzahler-Prinzip und ein ungewöhnlich breites Sortiment. Das Haus Chemnitz startete bereits im Mai 1901 erste umfangreiche Werbemaßnahmen, etwa Couponaktionen in Tageszeitungen, die Kunden einen vierprozentigen Sonderrabatt sicherten. Großabnehmer wie Schneider oder Großhändler bekamen ab November 1901 ein Rabatt-Sparbuch mit bis zu sechs Prozent Preisnachlässen. Schocken zog auch die ländliche Kundschaft an, indem es nach der Eröffnung einer Damen-Konfektionsabteilung im Oktober 1902 modische Artikel zu günstigen Preisen verfügbar machte. Anders als der alteingesessene Konfektionseinzelhandel konnte Schocken ein breiteres Bekleidungssortiment anbieten. Der wirtschaftlichen Boomphase in Sachsen bis 1914 (Bevölkerungs-, Einkommens-, Vermögens- und Sparzuwächse) entsprach die bald einsetzende Expansion des Geschäftes. Drei Jahre nach der Gründung entschied sich Schocken in das nördliche Erzgebirge, mitten ins Steinkohlerevier nach Oelsnitz zu gehen. Am 21. Oktober 1904 eröffnete Salman Schocken 158 159 160

Vgl. Hirsch (1910), S. 34 ff., 49 ff. Vgl. ebd., S. 72–78. Vgl. Hirsch (1913), S. 196.

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

das 800qm große „Kaufhaus Schocken“ in Oelsnitz. Das Kaufhaus „Gebrüder Ury“ in Zwickau unter Simon Schocken war zunächst eine Art Zwilling zum Leipziger Kaufhaus Gebrüder Ury. Erst 1906 ging das Zwickauer Haus in den Besitz von Simon Schocken über. Die Gründung in Oelsnitz kann damit als eigentlicher Beginn des „Kaufhaus Schocken“ angesehen werden. Wie schon in Zwickau sollten auch die umliegenden Orte von Oelsnitz zum potenziellen Kundenstamm werden. Dazu gewährte das Haus Oelsnitz gegen Vorzeigen der Bahnfahrkarte eine Reisekostenerstattung ab einem Einkauf in Höhe von 20 Mark.161 Am 2. Januar 1907 gründeten die Brüder Salman und Simon die Dachgesellschaft I. Schocken Söhne, der die Kaufhäuser in Zwickau und Oelsnitz gehörten. Der Dachgesellschaft angegliedert war eine Einkaufszentrale mit Sitz in Chemnitz, die zentral für beide Häuser Waren einkaufte. Die Einkaufszentrale versorgte ab 1907 auch sogenannte „Anschlussgeschäfte“, die ansonsten rechtlich selbstständig vom Schocken-Konzern blieben. Die ersten solchen Geschäfte lagen in München, Bremerhaven und Gestemünde. Bis 1927 schwankte die Zahl solcher Anschlussgeschäfte. Als erste Expansionsphase kann der Zeitraum von 1907 bis Kriegsausbruch 1914 gelten (Tabelle 9). Tab. 9 Expansion des Schocken-Konzerns, 1901 bis 1914 (Stammhaus und 8 Filialen)162 Eröffnung

Ort

Einwohner

Region

18.3.1901

Zwickau

21.10.1904

Oelsnitz

20.000

Sachsen Sachsen

27.11.1907

Lugau

12.000

Sachsen

22.11.1909

Aue

25.000

Sachsen

8.10.1910

Planitz bei Zwickau

2.3.1912

Meißen

47.000

Sachsen

9.1.1913

Zerbst

18.000

Anhalt

30.9.1913

Cottbus

16.10.1913

Frankenberg

15.000

Sachsen

27.3.1914

Freiberg

36.000

Sachsen

Sachsen

Brandenburg

Im Jahr 1907 eröffnete Schocken ein Kaufhaus in Lugau, nordöstlich von Oelsnitz gelegen. Eröffnungen in Aue, Planitz und Meißen folgten. Damit expandierte Schocken in wirtschaftlich wachsende Städte, die vom Aufschwung der Steinkohle-, Eisen- und Textilindustrie profitierten. Im letzten Friedensjahr 1913 fanden die ersten Hauseröffnungen außerhalb Sachsens statt – in Zerbst, Cottbus und Frankenberg. Nach der Er-

161 162

Vgl. Fuchs (1990), S. 21 ff., 26 ff. Aufstellung nach Fuchs (1990), S. 26–48.

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

öffnung in Freiberg verfügte der Schocken-Konzern bei Kriegsausbruch 1914 neben dem Stammhaus und der Einkaufszentrale in Zwickau über weitere acht Häuser im Osten sowie drei Anschlussgeschäfte im Norden und Süden des Deutschen Reiches.163 Damit war Schocken kein Einzelwarenhaus, sondern eine Warenhauskette geworden, die vor 1914 als typisch und weit verbreitet gelten kann (Tabelle 10). Georg Wertheim hatte 1875 ein Stralsunder Manufakturwarengeschäft übernommen, in Rostock eine erste Filiale gegründet und war dann mit seinen Brüdern nach Berlin gegangen, um dort mehrere Häuser aufzubauen. Um die Jahrhundertwende beschäftigte der Berliner Wertheim-Konzern bereits über 3.000 Angestellte (1895) und erwirtschaftete 60 Millionen Mark Umsatz.164 In mittleren Städten dominierten Warenhausketten wie Schocken, Leonard Tietz oder Hermann Tietz, deren Häuser ganze Regionen versorgten. Leonard Tietz begann 1879 in Stralsund mit der Erweiterung seines Kurz-, Weißund Wollwarensortiments und gründete zwischen 1889 und 1895 neun Häuser in Westdeutschland. 1895 verlagerte Leonard Tietz seinen Stammsitz nach Köln und wandelte sich 1905 in eine Aktiengesellschaft mit einem Jahresumsatz von 28,61 Millionen Mark (1908) um. Unter der Führung von Oskar Tietz entwickelte sich die Warenhauskette Hermann Tietz zur umsatzstärksten im Deutschen Reich. Nach der Gründung in Gera (1882) folgte bis 1908 der Ausbau des reichsweiten Filialnetzes.165 Neben den Warenhausketten waren eine Reihe von kleineren Warenhausfirmen in Berlin, aber auch anderen kleinen und mittleren Städten aktiv.166 Anders als Karstadt, Hermann Tietz und Leonard Tietz blieb Schocken jedoch eine Warenhauskette „kleinen und mittleren Typs“.167

Vgl. Fuchs (1990), S. 36 ff. Vgl. Ladwig-Winters (1997); Fischer/Ladwig-Winters (2005). Im Januar 1923 starb Oscar Tietz. Seine Söhne Georg und Martin Tietz sowie sein Schwiegersohn Dr. Hugo Zwillenberg übernahmen „einen der größten und kaufkräftigsten Warenhauskonzerne der Welt“. Im Jahr 1932 gehörten zum Konzern 19 Warenhäuser (darunter 10 Riesenbetriebe in Berlin), und 20 Anschlussbetriebe in der Provinz, getragen von einer Einkaufsgemeinschaft, siehe DK, 50 Jahre Hermann Tietz, 1.4.1932. Zur Expansion der Leonard Tietz-Warenhauskette vgl. Hirsch (1910), S. 21 ff. 166 In Berlin etwa B. Feder, Hirschweh, K. Ignatowicz, Conitzer & Söhne, Graff & Heyn, Gustav Ramelow oder H. Greifenhagen Nachfl. Im ost- und mitteldeutschen Raum Ury Gebrüder A.-G. (Leipzig/ Berlin), Gebr. Barasch (Breslau), H. & C. Tietz (Chemnitz), Hermann Hertzfeld (Dresden) und Leopold Nußbaum (Halle/Saale). Warenhäuser finden sich auch in Rheinland Westfalen: Kander (Essen), Hammonia (Aachen), Hermann Baruch & Co. (Bochum), J. Koopmann & Co. (Bonn), Karl Peters (Köln) oder S. Löwenstein & Co. (Trier), siehe Handbuch der Aktiengesellschaften (1925), S. 2380 f., 2381 f., 2388, 4405, 4431, 6051 f., 6060 f.; DK, Ein längst erwarteter Warenhauszusammenbruch, 15.3.1914; DK, Zusammenschluss zum größten Textilkonzern Deutschlands, 3.3.1918; DK, Soll die 8stündige Arbeitszeit Gesetz werden?, 13.3.1920; DK, Umsatzsteuer, Fabrikatsteuer oder Konsumentensteuer?, 17.8.1921; DK, Das größte Textilunternehmen der Welt, 14.3.1930; Konf, Neubau des Warenhauses H. & C. Tietz, Chemnitz i. Sa., 14.12.1913; Konf, Eröffnung des Erweiterungsbaues des Warenhaus Herzfeld in Dresden; DK, 50 Jahre Hermann Tietz, 1.4.1932; TexW 10.12.1938; TexW 17.12.1938; TexW 20.8.1938; Hirsch, Julius (1910): Das Warenhaus in Westdeutschland. Seine Organisation und Wirkungen. Leipzig: Deichert, S. 24. 167 Warenhausketten charakterisierten die starke Zentralisierung der Planung und Ausführung von Einkauf, Verkauf, Statistik und Werbung. Im Schocken-Konzern waren Fabrikation, Großhandel und Vertrieb 163 164 165

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Tab. 10 Warenhausunternehmen im Deutschen Reich168 Unternehmen

Gründung

Gründungsort

Filialen

Umsatz*

13

120

5

100

Hermann Tietz***

1882

Gera

A. Wertheim

1875

Stralsund

Rudolf Karstadt**

1881

Wismar

19

93

Leonard Tietz

1879

Stralsund

16

80

Münster/Dülmen

10

57

Theodor Althoff** Gebrüder Ury

1896

Leipzig

A. Jandorf & Co.***

1896

Berlin

I. A. Schocken Söhne

1901

Zwickau

Gebrüder Barasch

1904

Breslau

5

9

Anmerkungen: Auswahl, Umsatz in Mill. M, lfd. Preise; alle aufgeführten Warenhäuser waren Textilund Manufakturwarenläden, (*) geschätzter Umsatz des Jahres 1917; (**) ab 1. Februar 1918 Zusammenschluss der Rudolf Karstadt AG und Theodor Althoff169; (***) 1926 übernahm Hermann Tietz die Jandorf-Gruppe.

Dieses deutsche Phänomen des Waren- und Kaufhauses in der Provinz aktivierte sowohl Modernisierungs- als auch Beharrungskräfte im Textilfachhandel. Aus Sicht von Großunternehmern wie Schocken war die Entstehung von Warenhäusern die betriebswirtschaftlich notwendige Konsequenz, um den Vorlieferanten endlich substanziell entgegentreten zu können, Einkaufspreise zu senken und damit einen textilen Massenmarkt schaffen zu können, bei zeitgleicher Eliminierung eigener hoher Kostenstrukturen: „Jedermann der in das kaufmännische Leben hineinsieht, weiß, dass die Hauptschwäche, die dem kleinen Betrieb des Detailhandels anhaftet, oft das mangelnde Verständnis, stets aber die mangelnde wirtschaftliche Kraft des kleinen Kaufmanns es ist, die ihn verhindert, seine Ware günstig einzukaufen und sich beim Einkauf alle Vorteile zunutze zu machen. [ ]“.170

integriert. Die Einkaufsgesellschaft arbeitete nicht nur für die eigenen Häuser, sondern disponierte und lieferte auch Waren an Dritte, die Schocken allerdings familiär oder freundschaftlich nahe standen, siehe Fuchs (1990), S. 47 f. 168 Eigene Auflistung nach Haas (1951), S. 124, Anm. 28; Bräu (2008), S. 41; (Geschätzte) Umsätze nach: DK, Zusammenschluss zum größten Textilkonzern Deutschlands, 3.3.1918; Hirsch (1913), S. 197. 169 Zum 1. Februar 1918 schlossen sich Rudolf Karstadt, Hamburg und Theodor Althoff, Münster „zum größten Textilkonzern Deutschlands“ im Rahmen einer Interessengemeinschaft zusammen. Karstadt nahm den persönlich haftenden Gesellschafter von Althoff, Herrn Friedrich Schmitz, als Kommanditist auf. Es erfolgte die Umbenennung in Rudolf Karstadt KG. Karstadt wollte mangels Nachfolger „sein Unternehmen [ ] für spätere Zeiten sichern“. Gemeinsam betrieb die Gruppe 35 Detailgeschäfte der Manufakturwarenbranche und 7 Warenhäuser. Zukünftige Neugründungen und Erweiterungen entschied die Gruppe gemeinsam. Die Firmennamen blieben in jeweiliger Region bestehen, siehe DK, Zusammenschluss zum größten Textilkonzern Deutschlands, 3.3.1918; Konf, Zusammenschluss von Theodor Althoff, Münster und Rudolf Karstadt, Hamburg, 24.2.1918; Konf, Konzentrationsbestrebungen im Detailhandel, 28.21918. 170 Zit. nach ebd., S. 32.

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Hirsch beschreibt die typische Kaufsituation um 1910 in einem kleinen Fachgeschäft so: „Trat man in den Laden, so fragte sofort der Nächststehende nach dem Begehr; er legte die verlangte Ware vor, nachdem er sich vorher vergewissert hatte, zu welchem Preise die Ware „ausgezeichnet“ war; jede Firma hatte ihre besonderen Geheimzeichen; fragte man nach dem Preise, so war dieser meist so eingerichtet, daß noch etwas „abgelassen“ werden konnte, und es begann ein oft recht lebhaftes Abhandeln. War man sich endlich handelseins geworden, so bezahlte man seine Ware dem Kaufmann oder seinem Angestellten oder ließ sie anschreiben, ließ sie verpacken und trug sie mit nach Hause. Der Detaillist führte eine Strazze, ein Hauptbuch und ein Kassenbuch; das Kopierbuch, in dem die wichtigsten Briefe kopiert wurden, vervollständigte die Verwaltungsorganisation des Betriebes“.171

Hirschs Beschreibung ist zwar recht grob, trifft aber für die Mehrheit der Textilhändler im deutschen Reich, besonders jenseits der Ballungsräume, zu. Dies heißt jedoch nicht, dass diese keinen geschäftlichen Erfolg verzeichneten. Gerade in strukturschwachen Regionen, in die die Sortimente der Großkonzerne nicht reichten, gab es ein ausreichendes Auskommen. Dies zeigt auch der Fall des Konfektionshändlers J. G. Becker in der sächsischen Kleinstadt Bad Lausick nahe Leipzig. Der Geschäftsgründer Johann Gottfried Becker war eines von zehn Geschwistern und wurde als viertes Kind am 21. April 1850 geboren.172 Der junge Johann Gottfried arbeitete schon in jungen Jahren für den Vater als Reisender und Verkäufer. Im Januar 1878 verunglückte der Vater tödlich und Johann Gottfried übernahm vorerst die Kalkbrennerei. Nachdem 1881 die städtische „Aktiengesellschaft Hermannsbad“ ins Leben gerufen wurde, um die Kuranlagen des Ortes umzubauen, musste die Kalkbrennerei den Plänen weichen und wurde abgerissen. Die junge Familie Becker – Johann Gottfried war mittlerweile mit Emma Fritzsche verheiratet und hatte mit ihr insgesamt sechs Kinder (Arthur, Elsa, Martha, Paul, Frieda, Erhardt) – versuchte sich fortan im Textileinzelhandel. Der Schwiegervater besaß ein Schnittwarengeschäft und hatte Emma dort angelernt. Am 10. Februar 1882 erwarb Johann Gottfried das zum Verkauf stehende Manufakturwaren-Geschäft samt dem Grundstück (Grimmaische Str. 52) von Carl Hornauer. Fortan betrieb Becker das „Ausschnitt- und Modewarengeschäft J. G. Becker“ im Erdgeschoss des Hauses. Die Familie bewohnte das Obergeschoss. Die Chronik schreibt vom „stetigen Wachstum der jungen Firma“ dank der „Erfahrung der jungen Frau und den günstigen Zeitumständen“. Trotz beschränktem Waren-Sortiment bot der Laden den 3.700 Einwohnern der Stadt qualitative Waren aus einheimischer Wolle und Leinen, billig importierter Baumwolle, und – für den anspruchsvollen Kunden – Ware aus Naturseide. Das GeVgl. Hirsch (1910), S. 25 f. Der Vater des Gründers kam nach Lausick, wo er eine Kalkbrennerei am Hermannsbade betrieb. Die zwölfköpfige Familie wohnte in der Bornaer Straße, siehe hier und im folgenden Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März 1957)“, SWA U40/F1152/2. 171 172

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

schäft verkaufte kaum fertige Bekleidung – die industrielle Herstellung von Trikotagen war erst in den Anfängen und ein Großteil der Kundschaft nähte ihre Kleidung selbst zuhause. Als konfektionierte Ware verkaufte Becker „Wintermäntel, Hosen, Joppen, Knaben-Anzüge, Frauenröcke, Hemden und Schürzen“.173 Das Geschäft war das führende Geschäft im Ort: „Ehe die Eisenbahn durch Lausick rollte [ab 1887], kaufte man schon bei J. G. Becker“.174 Und die Umsätze und Erträge waren auskömmlich: „Dem reellen Geschäftsgebaren ist es zu danken, dass das Geschäft seit langem in weitem Umkreise als erstes der Branche im Orte bekannt ist und sich sein Kundenkreis immer mehr vergrößerte“.175 Im Jahr 1889 war der Geschäfts- und Wohnraum zu klein geworden und Becker plante einen Abriss und kompletten Neubau. Dank einer Hypothek der städtischen Sparkasse gelang der Neubau, der nun im Erdgeschoss den Laden samt Kontor und Wohnzimmer beherbergte. Bereits 1895 erweiterte Becker den Laden auf das gesamte Erdgeschoss. Im ersten Obergeschoss wohnte die Familie, das zweite Obergeschoss wurde vermietet. Zum 25-jährigen Geschäftsjubiläum im Jahr 1907 stand das Geschäft „überall im besten Ruf “. Die erwachsenen Mädchen der Familie (Elsa, Martha und Frieda) arbeiteten als „Ladenmädchen“. Arthur arbeitete als selbstständiger Schneider in Leipzig. Paul und Erhardt waren für die spätere Geschäftsübernahme vorgesehen. Die erste Angestellte, Martha Gerhardt, stellte Becker 1909 ein, nachdem der Laden um eine Konfektionsabteilung im ersten Obergeschoss erweitert worden war. Die Familie zog in das zweite Obergeschoss. Der Laden hatte sieben Tage die Woche geöffnet, werktags stets von 7 bis 21 Uhr. An den beiden Jahrmärkten der Stadt im Sommer und Herbst beteiligte sich Becker rege mit „drei aneinandergereihten großen Buden“. Nach dem plötzlichen Tod Johann Gottfried Beckers am 31. März 1913 übernahmen seine beiden Söhne Paul und Erhardt das Geschäft.176 Der Wettbewerb der kleinen und mittleren Händler wie Becker mit Großbetrieben wie Schocken wurde in erster Linie von den mittelständischen Verbänden ideologisch als „Kampf “ aufgeladen. Alle Betriebsformen standen in Konkurrenz zueinander. Konsumvereine bauten warenhausähnliche Sortimente auf und ließen in der Folge immer größere Kundenkreise, später auch Nicht-Mitglieder zu. Filialbetriebe in ländlichen Gebieten konkurrierten mit dem expandierenden Versandhandel, der sich entweder tief spezialisierte oder auch ein Warenhaus „per Post“ wurde. Zeitgenössische Kommentatoren verwiesen immer auch auf die positiven Effekte des Wettbewerbs auf den Fach- und Spezialhandel. Rund um Großbetriebe etablierten sich Geschäftsgegenden und Einkaufsstraßen. Von diesem „Kundenmeer“ profitierte auch der spezialisierte Fachhandel mit seinen tieferen Sortimenten. Organisatorisch kopierten kleinere

Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März 1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 2. Anmerkungen zur Festschrift, o. D., SWA U40/15. Auszug aus den Nachrichten für Bad Lausick, 1.3.1932, in: Anmerkungen zur Festschrift, o. D., SWA U40/15. 176 Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 3–5 173 174 175

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Händler die Mechanismen des Großbetriebs durch Kooperationen untereinander. Um Einkaufs- und Absatzvorteile zu erreichen, entstanden eine Reihe von Einkaufsverbänden mittelständischer Betriebe sowie hunderte Rabattsparvereine.177 Damit intensivierte sich der Niedergang des Großhandels. Prinzipien wie Barzahlung, Kulanz, innerbetriebliche Statistik und systematische Reklame diffundierten zunehmend in den Mittelstand. Tatsächlich bestand der geschäftsorganisatorische Gegensatz zwischen kleinem „Detaillist“ und Großbetrieb zwar, doch durch das Entstehen der großen Fach- und Spezialhändler wurde dieser immer mehr eingeebnet. Die organisatorische Mittlerrolle im Textileinzelhandel zwischen „rückständigen“ Kleinhändlern und „modernem“ Warenhaus nahmen die unzähligen Modekaufhäuser im Deutschen Reich ein (Tabelle 11). Mittelständische Spezialgeschäfte nahmen großbetriebliche, konzernähnliche Strukturen an. Diese größeren Betriebe „gleichen Namens“ breiteten sich reichsweit aus. Rechtlich selbstständig, aber in innerer Organisation und äußeren Auftreten meist familiär verbunden, bauten die Gebrüder Kaufmann, Alsberg, Hettlage oder Bamberger & Hertz Einzelhandelskonzerne auf. Sie achteten dabei stets auf ihre Distanz zu Warenhäusern. Obwohl in Personal und Umsatz ähnlich, waren es meist ausschließlich textile Sortimente.178 Viele der großen Kaufhäuser waren Traditionsbetriebe mit Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert. Aus Schneiderwerkstätten und Groß- und Außenhandlungen für Textilstoffe hatten sich ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts Textilkaufhäuser entwickelt. Viele von denen unterhielten ein reichweites Netz an Filialen, teilweise sogar im Ausland (C. A. Herpich) sowie Abteilungen für Eigenfabrikation (Isidor Bach) und Großhandel. Die Geschäftsorganisation von Kaufhäusern wie H. & C. Tietz, Hettlage, Hermann Wronker, Bamberger & Hertz oder Alsberg unterschied sich eher von kleinen Inhabergeschäften als von großen Warenhäusern. So beschäftigte das Kölner Kaufhaus Michel ab 1907 ein fünfgeschossiges Kaufhaus mit 5000 qm Verkaufsfläche und 500 Angestellten. Der Alsberg-Konzern unterhielt neben 40 Textil-Einzelhandelsgeschäften auch eigene Einkaufshäuser an Konfektionsstandorten wie Berlin, Köln, Chemnitz, Plauen oder Apolda.179 Im Folgenden soll kurz auf die Gründungs- und frühe Expansionsgeschichte von Bamberger & Hertz sowie der Gebrüder Hettlage eingegangen werden. Die Familiengeschichte der Bambergers lässt sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Woher der Name „Bamberger“ stammt, ist unklar. Der älteste schriftlich belegbare Ahne ist der „Schutzjude“ Hiersch Bamberger, der im hessischen Eberstadt 177 Im Bereich Kleidung und Textilien existierten bis 1905 mehr als 23 Einkaufsvereinigungen, darunter der „Verband deutscher Kurzwaren- und Posamentengeschäfte, Weimar“, der „Verband mitteldeutscher Manufakturisten, Leipzig“, die „Einkaufsgenossenschaft m. b. H. für Konfektion, Köln“ oder die „Einkaufsgenossenschaft für Hüte und Mützen“. Im Deutschen Reich waren 325 (1905) Rabattsparvereine mit einem Jahresumsatz von 34 Millionen Mark aktiv, siehe Hirsch (1910), S. 98. 178 Hirsch (1910), S. 104 ff. 179 Vgl. Anmerkungen Tabelle 13.

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Tab. 11 Auswahl von Fach- und Spezialeinzelhändlern (Kaufhäuser) im Textileinzelhandel180 Unternehmen Gebr. Kaufmann Gebr. Tietz S. Adam Michel & Co. Hermann Herzfeld Hinrichs & Hollweg H. & C. Tietz Gebr. Alsberg Michel & Comp. N. Fuhrländer Nachf. Hermann Günsche David Löwenthal AG Gustav Ramelow E. E. Mezner M. Klein C. A. Herpich Söhne Basse & Uerpmann Hermann Wronker Joseph Levy Wwe E. F. Wittig Fischer-Riegel Isidor Bach Büsing & Zeyn Otto Straßburg Friedrich Meyer Nathan Sternfeld G. R. Müller Rudolph Hertzog

Gründung 1813 1863 1893 1869

Stammsitz Wuppertal-Barmen Berlin Berlin Köln Dresden Bremen

Filialen181

500 (1913) 500 (1913)

9 1875 1900 1860 1895 1877 1785 1897 1835 1872 1891 1853 1793 1886 1871 1889 1887 1845 1848 1913 1839

Hagen i. W. Elberfeld Frankfurt/Main Stendal Elbing Berlin Berlin Düsseldorf Berlin Iserlohn Frankfurt Dudweiler Braunschweig Mannheim München Hamburg Görlitz Zwickau Königsberg Frankfurt/Oder Berlin

Personal

850 (1913) 5000 (1925)

21

1000 (1925) 6 4 250 (1925) 550 (1925)

170 (1938)

Anmerkungen: nicht alphabetisch sortiert; die in dieser Arbeit beleuchteten Fallstudien Hirmer und Hettlage fehlen in dieser Aufstellung bewusst, da deren Entstehung im Folgenden ausführlich geschildert wird.

Stichprobe (Auswahl) von Artikel zu Eröffnungen, Erweiterungen und Jubiläen in den Textilfachzeitschriften, basierend auf folgenden Artikeln: Konf, Hundertjährige Jubiläumsfeier der Gebr. Tietz, Berlin, 17.8.1913; Konf, 50jähriges Jubiläum der Fa. S. Adam, Berlin, 31.8.1913; Konf, Das neue Geschäftshaus des Kaufhauses Michel & Co., Cöln, 28.9.1913; Konf, Eröffnung des Erweiterungsbaues des Warenhaus Herzfeld in Dresden, 23.11.1913; Konf, Der neue Geschäftspalast der Firma Hinrichs & Hollweg, Bremen, 30.11.1913; Konf, Neubau des Warenhauses H. & C. Tietz, Chemnitz i. Sa., 14.12.1913; DK, 50 Jahre Gebr. Alsberg, 20.2.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 3.4.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 10.4.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 17.4.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 24.4.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 8.5.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 15.5.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 29.5.1925; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 12.6.1925; DK, Ältestes Berliner Textilgeschäft insolvent, 23.10.1925; TexW, 25 Jahre G. R. Müller, Frankfurt/Oder, 9.3.1938; TexW, Ein Jahrhundert Rudolph Hertzog, 11.2.1939. 181 Vgl. Hirsch (1913), S. 198. 180

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(heute Darmstadt-Eberstadt) lebte.182 Der Großvater Siegfried Bambergers war eines von 10 Kindern Hierschs. Einige seiner Brüder emigrierten Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA und begründeten dort den amerikanischen Teil der weitverzweigten Bamberger-Familie. Am 7. April 1849 kam Jacob Bamberger als viertes von acht Kindern der Loebs in Eberstadt zur Welt.183 Eberstadt war im 19. Jahrhundert sichtbar jüdisch geprägt. Die Familie Bamberger zählte zu den rund 3.500 Juden im Großgebiet Darmstadt, sie galten als voll assimiliert.184 Jacob Bamberger war vermutlich als Handelsreisender und Hausierer tätig, kam daraufhin nach Worms und ließ sich hier nieder. Das genaue Gründungsdatum des Bambergerschen stationären Textilgeschäftes ist nicht belegbar, am ehesten ist die Geschäftsgründung um 1876 zu datieren.185 Bald nach Geschäftsgründung lernte Jacob Bamberger Karl Hertz kennen, den er zum 1. März 1880 bei sich anstellte.186 Doch beide überwarfen sich schnell und Hertz verließ Worms in Richtung München. Da Hertz dort aber keine Anstellung fand, kehrte er nach Worms zurück. Unter der Bedingung, dass Hertz Bambergers Schwägerin heiratete, machte Bamberger seinen Schwager am 1. Januar 1881 zum Geschäftspartner – die „Ur-Zelle“ der Bamberger & Hertz-Gruppe war somit entstanden. Die Partnerschaft dauerte nur wenige Jahre und wurde wohl 1888 gelöst, der Firmenname und die Freundschaft zwischen beiden Familien blieben aber bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten.187 Bamberger betrieb sein kleines Einzelhandelsgeschäft für Herren- und Knabenkleidung mit zwei Angestellten (er und Hertz, später seine Frau) in seinem eigenen Haus. Jenes hatte er mithilfe eines Kredites am gut besuchten Wormser Obermarkt erworben. Die Geschäfte gingen wohl zufriedenstellend. Wie viele Textileinzelhändler verkaufte Bamberger seine Waren nur knapp über dem Selbstkostenpreis, dafür aber an einen festen Kundenkreis. Neben den niedrigen Preisen und den vielfältigen Werbeaktionen, machte sich Bamberger mit ausgezeichneten Preisen, sprich Preisschildern, schnell einen Namen. Um 1890 waren derartig ausgezeichnete Waren eher eine Seltenheit. Diese Transparenz schuf Vertrauen bei der Kundschaft und sorgte für gut gehende Geschäfte und begründete somit einen der tradierten Kernwerte der späteren Unternehmens-Gruppe.188 Auch wenn keine konkreten Geschäftsergebnisse überliefert sind, ermöglichte das Wormser Geschäft den sieben Kindern Bambergers eine höhere Ausbildung. Alle Söhne besuchten das Gymnasium und gingen in die Lehre bei (Tex-

Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 59. Jacob Bamberger stirbt am 28. Dezember 1918 an Magenkrebs, siehe ebd., LBI ME 1403, S. 60, 63 f. Ebd., LBI ME 1403, S. 62 f. Lotte Bamberger erinnert sich an 1876, Fritz Bamberger dagegen an 1884; Lotte zitiert aus einem Brief von Hertz an Bamberger aus dem Jahr 1880, als dieser im Bambergerschen Geschäft anfängt, so dass 1876 plausibel erscheint: Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 65, 80; Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 8. 186 Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 65. 187 Lotte erwähnt das Jahr 1888 als das letzte, in dem die Hertz-Familie in Worms lebte, bevor sie nach Stettin zog, siehe Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 79 f., 81. 188 Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 8. 182 183 184 185

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

til)-Einzelhändlern oder kaufmännischen Großbetrieben im In- und Ausland. Auf diesen erworbenen Kenntnissen und mit der Verpflichtung, selbst kaufmännisch tätig zu werden, baute die zweite Generation unmittelbar mit Beginn des 20. Jahrhunderts Bamberger & Hertz von einer lokalen Institution zu einer überregional agierenden und reichsweit bekannten Gruppe auf.189 Der älteste Sohn Heinrich (geb. am 17. Januar 1877) gründete zusammen mit seinem Vater am 2. März 1904 das erste „Zweiggeschäft“ in Frankfurt am Main. Aus Sicht der Söhne war dies aber das erste Hauptgeschäft – das Wormser Geschäft galt den Brüdern im Rückblick stets als „Prototyp“. Spätestens 1906 war das Geschäft in der Hauptgeschäftsstraße Zeil eines der bekanntesten Herrenmodegeschäfte der Stadt.190 Anders als sein Vater verlegte Heinrich das Frankfurter Geschäft – für die Zeit unüblich – in das 1. Obergeschoss. Bis dahin waren Kunden gewöhnt, Schaufenster und Verkaufsräume im Erdgeschoss zu betreten. In regelmäßigen Zeitungsinseraten bewarb Heinrich Bamberger die „neue Idee“ eines mehrgeschossigen Verkaufslokals und propagierte auch eine neue Form des Verkaufspreises. Dazu erweiterte er das Konzept seines Vaters der „ausgezeichneten Preise“ um die Idee der nicht verhandelbaren, „festen Preise“. Dadurch konnte er exakter kalkulieren, den Lagerumschlag erhöhen, und am Ende Ware günstiger anbieten und dennoch seinen Gewinn steigern.191 Das Frankfurter Geschäft, welches Julius Piorkowski als „Mann vor Ort“ kaufmännisch leitete192, erwies sich 1910 als derart erfolgreich, dass die Gruppe nach Stuttgart und Leipzig expandierte. Mit dem Aufbau des Stuttgarter Geschäfts hatte Heinrichs jüngerer Bruder Gustav (geb. am 10. Juli 1880) im Jahr 1910 begonnen. Kurz vor Kriegsbeginn 1914 beorderte Heinrich seinen Bruder Max (geb. am 28. Januar 1878193), der als einziger der Brüder nach seiner Ausbildung in den USA geblieben war, nach Stuttgart, um das dortige Geschäft zusammen mit dem kaufmännischen Leiter Paul Österreicher weiter zu führen.194 Gustav stieg zunächst aus der Gruppe aus und widmete sich dem Automobilrennsport.195 Der neben Heinrich erfolgreichste Bamberger vor 1914 war zweifellos sein Bruder Ludwig (geb. am 14. November 1882), der 1911 im neuerbauten Königsbau am Augustusplatz das Bamberger & Hertz-Haus in Leipzig eröffnete, welches von Herrn Spitz geleitet wurde.196

Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 87. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 8. Ebd., S. 9. Piorkowsky wurde am 14. April 1943 im KZ Auschwitz ermordet, siehe Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 193; Sterbenachweis unter http://db.yadvashem.org/names/nameDetails.html?itemId=3888402& language=en. 193 Max starb 1928 bereits im Alter von 50 Jahren infolge einer Embolie, siehe ebd., S. 88. 194 Paul Österreicher kommt vermutlich im polnischen Durchgangslager Izbica um; siehe Sterbenachweis http://db.yadvashem.org/names/nameDetails.html?itemId=3834456&language=en#!prettyPhoto; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 88, S. 193. 195 Er umrundete 1926 einmal die Welt, siehe ebd., S. 88. 196 Vgl. ebd., S. 88 f., S. 193. 189 190 191 192

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Auch eine der beiden Töchter Jacob Bambergers trug zum Aufbau der Gruppe bei. Hella Bamberger (geb. am 3. Januar 1879) heiratete den im Saarland aktiven Kaufmann Leo Oppenheimer. Dieser hatte bereits ein großes Einzelhandelsgeschäft und errichtete im Namen von Bamberger & Hertz 1912 ein zweites unter seiner Leitung in Saarbrücken.197 Der Standort Saarbrücken spielte geschäftlich keine ausschlaggebende Rolle im Konzern. Das Verhältnis der Bamberger-Brüder zu Oppenheimer war stets ein enges, fast familiäres und doch ging dieser Standort oft – wohl auch der regionalen Eigentümlichkeiten geschuldet – seinen eigenen Weg. Nach dem Saarentscheid und der folgenden Wiedereingliederung des Saargebietes ins Deutsche Reich verließen die Oppenheimers Deutschland und gaben den Standort Saarbrücken auf. Anna Bamberger (geb. 20. September 1881) heiratete den Pfälzer Weinhändler Siegfried Sigel und blieb den geschäftlichen Aktivitäten fern.198 Fritz Bamberger kam am 6. Mai 1885 in Worms als jüngstes der sieben Kinder der Eheleute Jakob und Frieda Bamberger, geb. Strauss zur Welt. Getauft auf Siegfried nannte seine Familie ihn nur Fritz, enge Freunde riefen ihn Bambus und mit seiner US-Staatbürgerschaft nannte er sich Fred S.199 Nach dem Abitur 1901 verließ Fritz Worms in Richtung Bochum für seine dreijährige Lehrzeit im Kaufhaus Gebr. Kaufmann, die er 1904 abschloss. Noch im selben Jahr heuerte der 19-jährige Bamberger als Volontär bei einer der besten Adressen in Brüssel – dem Schnittwarenhaus Hirsch – an und ging auf eine angesehene Handelsschule.200 In dieser Zeit erwarb er sich seine ersten Sporen bei seinem ältesten Bruder Heinrich in Frankfurt, wo er regelmäßig aushalf.201 In Belgien weckten die metropolitanen Hirschs seine Leidenschaft für Amerika. Mit 50 Dollar seines Vaters reiste Fritz Bamberger im Oktober 1906 mit dem Schiff nach New York.202 Bamberger fand nach langer, schwieriger Suche seine erste Anstellung in der Myers „Großhandlung für Schnüre und Seile“. Nach einem halben Jahr wechselte er in die Firma von K. H. Pulaski, einem namhaften Hersteller für Herrenkleidung am Broadway. Hier bestand Bambergers Arbeit vorerst nur im Sortieren der Ware sowie der Reinigung der Räume.203 Fritz Bamberger gewann dort erstmals Einblick in einen der „Big Player“ für Herrenmode und lernte die damals führenden amerikanischen Methoden in Kalkulation, Reklame und Servicequalität kennen. Er bewährte sich schnell, stieg in der Hierarchie nach oben und wäre womöglich in New

Vgl. ebd., S. 88; Asper (1998), S. 13 f. Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 89. Vgl. ebd. S. 89. Vgl. ebd., S. 91; Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamtes vom 12.12.1957, HUA 2013/10/0004, S. 333 ff. 201 Vgl. Bamberger (1990), LBI, ME 1403, S. 91. 202 Vgl. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 5; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 91. 203 Vgl. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 6; diese Erinnerung scheint zu trügen, denn in einem Brief vom 22. Mai 1907 schreibt Bamberger, er würde jetzt für Rosenthal Manufacturing Co. arbeiten. Sein erster Arbeitgeber sei Scheuer & Co. gewesen, siehe Bamberger (1990) LBI, ME 1403, S. 91. 197 198 199 200

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

York geblieben. Doch nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1907 bat ihn sein Vater zurückzukehren. So war Bamberger zum Jahreswechsel 1908/1909 wieder in Deutschland.204 Der Vater wollte den talentierten Fritz unbedingt als Teil der B&H-Gruppe sehen und schrieb ihm: „Arbeite nicht so hart für Fremde, wenn du weniger hart für die Familie arbeiten kannst“.205 Nach seiner Rückkehr arbeitete er zwischen 1909 und 1914 in den drei Geschäften der Bambergers – in Frankfurt, Stuttgart und Leipzig. Ob als einfacher Angestellter, in leitender Position oder als Partner ist nicht eindeutig zu klären.206 Unter welchen Umständen und warum Fritz Bamberger genau nach München kam, ist aus den Quellen nicht rekonstruierbar. Wahrscheinlich ist, dass der B&H-Konzern kurz vor Kriegsbeginn 1914 aufgrund sehr guter Geschäftsergebnisse in Frankfurt, Stuttgart und vor allem Leipzig auf Expansion ausgerichtet war. München galt als hart umkämpftes Pflaster für Konfektionsgeschäfte, zumal für „Auswärtige“ wie die Bambergers. Vermutlich reizte Fritz Bamberger die Chance, sich gerade hier als selbstständiger Textilhändler auch gegenüber seinen älteren, erfolgreichen Brüdern zu beweisen und auch seine erworbene internationale Expertise gegenüber der bayerischen Kundschaft zu zeigen. Wohl schon länger beobachteten die Bambergers den Münchner Mietmarkt. Nachdem der Kaufmann Ludwig Basch einen modernen Neubau nach dem Abriss alter Geschäftshäuser für die „Einkaufsmeile“ Kaufingerstraße errichtete (das „Haus zum schönen Turm“), erhielt Fritz Bamberger den Zuschlag, neben einem Damenmodegeschäft (Neuner & Basch) ein Herrenmodegeschäft in der neuen Kaufingerstraße 22 zu betreiben.207 Trotz der aufgeheizten Stimmung gegen Warenhäuser, Großkonzerne und „Auswärtige“, die nach Meinung der Mittelstandsverbände den alteingesessenen Kleinhandel auszuschalten und zu ruinieren versuchten, gelang es Fritz Bamberger diese prominenten Geschäftsräume anzumieten. Die Münchner Detaillistenkammer und auch die städtischen Behörden, an deren Zustimmung ein Mietvertrag oft hing, müssen trotz der Schmähungen und Warnungen vom guten Ruf der Bamberger & Hertz-Gruppe Notiz genommen haben. Auch namhafte örtliche Konkurrenten wie Isidor Bach (später Konen) zogen gegen Bamberger den Kürzeren.208 Bamberger gelang es einen vorteilhaften, weil langjährigen Mietvertrag (der 1932 zu ähnlichen Konditionen verlängert wurde) zu einer günstigen Monatsmiete von 8666,70 Mark abzuschließen.209 Heinrich unterstützte seinen Bruder Fritz in den Anfangsjahren finanziell und mit organisatorischem Rat, wie es zwischen den

Vgl. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 7. Zit. und (frei) übersetzt nach Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 92. Vgl. Ebd., S. 92; Fritz Bamberger selbst beschreibt sich als „seit 1910 Geschäftsführer und Mitinhaber von Stuttgart, Leipzig, München und Köln“; Köln und München existieren vor 1914 aber noch nicht, deshalb bezieht sich diese Aussage wohl auf einen späteren Zeitraum, siehe Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamtes vom 12.12.1957, HUA 2013/10/0004, S. 333 ff. 207 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 4. 208 Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, ME 1403, S. 93. 209 Vgl. Mietvertragsnachtrag, o. D., HUA 2013/02/0013–2, S. 292 204 205 206

Konkurrenzsituation innerhalb der Branche

Brüdern in den Jahren zuvor bei jeder Geschäftsneugründung passiert war. Bis zu seinem Tod 1934 war Heinrich mit 20 Prozent am Betriebskapital in München beteiligt.210 Im Sommer 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. In einem Brief an die Familie schrieb Heinrich im Jahr 1916: „Ich hoffe und wünsche, dass dieser fluchwürdige Krieg unsere Familie keiner Gefahr aussetzt. Ich hoffe, dass auf den Ruinen der Zivilisation und der Kultur, die dieser Krieg hinterlässt, eine neue und bessere Welt entsteht, die frei von der Arroganz der Staaten, Länder und Religionen ist; eine Welt, in der die Völker einander verstehen, anstatt Hass und Verachtung füreinander zu zeigen“.211

Eine ganz ähnliche rasante Geschäftsentwicklung, wenn auch regional begrenzter, nahm die Familie Hettlage und ihr Geschäft bis zum Ersten Weltkrieg. Die kaufmännischen Wurzeln der Familie Hettlage lassen sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen.212 Ausgangspunkt einer händlerischen Tätigkeit war die Gründung der Firma Gebr. Boecker in Greifenhagen. Beteiligt an diesem Geschäft waren die Familien Boecker, Hettlage, Jasper und Schrameyer. Die neue Firma sollte die Hausieraktivitäten der Familien bündeln, die von Greifenhagen aus bis ins ausgehende 19. Jahrhundert betrieben wurden. Hermann Hettlage absolvierte seine kaufmännische Ausbildung bei Gebr. Boecker und gründete am 14. Februar 1896 das Konfektionsgeschäft für Herren- und Knabenbekleidung H. Hettlage in Münster. Bereits acht Jahre später, im Jahr 1904, verkaufte Hermann Hettlage das eigene Geschäft an August Hettlage.213 Die Gründe dafür sind unbekannt. Bis 1910 gründete Hermann Hettlage in der Folge eine Reihe neuer Textilgeschäfte in Westfalen und dem Rheinland, u. a. in Hamm, Hagen, Recklinghausen, Düsseldorf und Mönchengladbach, die nicht zur H. Hettlage-Gruppe gehören. Die sog. Hettlage-Gruppe hatte ihren Stammsitz in Münster und wurde von Hermanns Sohn August Hettlage als geschäftsführender Direktor geleitet. August war mit Auguste Brenninkmeyer verheiratet.214 Als die Gruppe 1913 in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt wurde, gehörten zur Hettlage oHG, Münster die Niederlassungen in Greifenhagen (Gebr. Boecker), Bielefeld (seit 1904) und Kassel (seit 1913) (Tabelle 12).

Vgl. Aufteilung des Kontos „Rückstellung auf Gewinn“, HUA 2013/02/0012–1, S. 36. Übersetzung aus dem Englischen durch den Autor, nach: Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 93. Vgl. im Folgenden zu Familien- und Unternehmensgeschichte die Notizen von Stremmel vom 9.8.1995 sowie „Unser Unternehmen, WWA F132–101. 213 Hermann Hettlage verkaufte es an seine Vettern August und Heinrich Hettlage sowie Georg, Julius und Heinrich Boecker. 214 Vgl. Testament der Eheleute Kaufmann August Hettlage zu Münster, 31.7.1896, WWA F132–145. 210 211 212

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Entwicklungslinien des 19. Jahrhunderts

Tab. 12 Niederlassungen der H. Hettlage oHG, Münster, 1896 bis 1913 Ort

Eröffnet

Münster (Stammhaus) Greifenhagen (Gebr. Boecker)

Geschlossen

1896 um 1750

1931

Bielefeld

1904

1926

Kassel

1913

1926

2.4

Zersplittertes Verbandswesen

Auch als Ausdruck der vielfältigen Konkurrenzsituation blieb der deutsche Einzelhandel wie auch der Textileinzelhandel bis zum Ende des Ersten Weltkrieges verbandlich zersplittert und reichsweit desintegriert.215 Die Heterogenität der textilen Verbandslandschaft ist eine unmittelbare Folge eines stark heterogenen Verbandswesens im Einzelhandel selbst, über die im Folgenden ein Überblick gegeben werden soll. Im Zuge der Gewerbefreiheit hatten sich die Innungen und Zünfte der örtlichen Krämer zu losen Vereinen transformiert, die sich im Zuge der Detailhandelsbewegung ab den späten 1860er Jahren zu Schutzvereinen selbstständiger Kaufleute entwickelten. Die reichsweite Durchdringung deutscher Städte erfolgte von unten. Händler schlossen sich auf lokaler Ebene – vereint in Abwehr und Schutz gegen neuartige Konkurrenz und staatliche Einflussnahme – zu Schutzvereinen zusammen. So kämpften Kaufleute in Groß- und Mittelstädten institutionell getrennt, aber ideell geeint zumeist gegen die Konzentration und Zentralisierung des Einzelhandels durch Konsum- und Beamtenvereine, die steuerrechtliche Bevorzugung der Warenhäuser in ihren Kommunen, dem „Überhandnehmen“ als „unlauter“ bezeichneter Werbung oder dem Eindringen irregulärer Standeselemente (Hausierer).216 Angesichts der lokalen Zersplitterung, die eine gemeinsame Willensbildung trotz häufig identischer Anliegen verhinderte, begann Mitte der 1880er Jahre die allmähliche Integration des Verbandwesens des Einzelhandels auf überregionaler Ebene. Von Mitteldeutschland ausgehend erfasste die verbandliche Integration der Anliegen ab den 1890er Jahren die Rheingebiete und Südwestdeutschland.217 Viele der bis 1895 ent-

Im Folgenden vgl. Wein (1968). Eine Auflistung der örtlichen Schutzvereine im Einzelhandel von 1865 bis 1898 in den Städten Guben, Zwickau, Gera, Berlin, Altona, Gifhorn-Ossenhagen, Cottbus, Leipzig, Dresden, Cannstatt, Breslau, Bielefeld, Bochum, Köln, Barmen, München, Würzburg, Stettin, Nürnberg, Münster, Frankfurt und Gelsenkirchen, vgl. ebd., S. 38. 217 Als erster regionaler Zusammenschluss gilt der „Verband Thüringischer Kaufleute“ (1884). Es folgten der „Verband der Kaufleute der Provinz Hannover und der angrenzenden Länder“ und der „Verband der Kaufleute der Provinz Sachsen, der Herzogtümer Anhalt und Braunschweig“ (1887). Diese drei Vereine bildeten 1888 in Hannover einen Zentralvorstand. Daraufhin entstanden in Sachsen und Schlesien der 215 216

Zersplittertes Verbandswesen

standenen mittel- und südwestdeutschen Regionalverbände und auch der Hamburger Einzelhandel schlossen sich einem in Hannover wirkenden Zentralvorstand an. Ihre Mitgliederstruktur war durchmischt, jedoch vom Kolonialwarenhandel dominiert. Der im Jahr 1894 in Barmen gegründete, mit Hannover kooperierende, aber organisatorisch emanzipierte „Detaillistenverband für Rheinland und Westfalen“ in Barmen darf durch sein Übergewicht an Textileinzelhändlern als Vorläufer des ersten regionalen Fachverbandes des Textileinzelhandels gelten. Zwischen 1900 und 1909 entstanden neben Hannover und Rheinland-Westfalen mit Leipzig und Berlin weitere Gravitationszentren der überregional agierenden Einzelhandelsverbände.218 Die Pläne für eine echte Dachorganisation des Einzelhandels reichen bis in die späten 1870er Jahre zurück.219 Einen ersten, erfolglosen Versuch unternahm der „Verein der Berliner Kaufleute“ im Jahr 1876. Angesichts der Bestrebungen der Reichsregierung, Getränke- und Tabaksteuern einzuführen, gelang es im September 1878 in Berlin 55 Vereine aus dem ganzen Reich zum „Zentralverband der Kaufleute Deutschlands“ mit Sitz in Berlin zu vereinen. In Leipzig entstand 1888 mit dem „Deutsche Zentralverband für Handel und Gewerbe“ der zweite große Dachverband des Einzelhandels. In diesem waren im Jahre 1901 rund 50 Vereine und zehn mehrheitlich preußische Landesverbände organisiert. Das entsprach rund 17.000 korporativ angeschlossenen Mitgliedern, die meist dem Kolonialwarenhandel entstammten. In Reaktion auf das reichsweite Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb hatte sich 1899 ebenfalls in Leipzig der „Deutsche Bund für Handel und Gewerbe“ gebildet, in dem bald 39 Vereine mit schätzungsweise 10.000 Mitgliedern organisiert waren. Im Jahr 1907 schlossen sich beide Leipziger Vereine unter dem Namen „Deutscher Zentralverband für Handel und Gewerbe“ mit rund 21.000 Mitgliedern zusammen. Die Einbeziehung der Berliner und schlesischen Kaufleute in die Leipziger Dachorganisation, die sich hauptsächlich gegen Konsumvereine und das Wandergewerbe „Verband Sächsischer Kaufleute und Gewerbetreibender“ in Leipzig und der „Verband der Vereine zum Schutze des Handels und Gewerbes für Schlesien“. Es folgten der „Verband von Kaufleuten der Provinzen Rheinland und Westfalen und der angrenzenden Länder“ (1891), der „Württembergische Schutzverein für Handel und Gewerbe“ (1892), der „Verband selbstständiger Kaufleute und Gewerbetreibender des Großherzogtum Badens“ (1893) und der „Detaillistenverband für Hessen und Waldeck“ (1895), siehe ebd., S. 40. 218 Der 1900 gegründete „Verband süd- und westdeutscher Detaillisten“ in Frankfurt musste 1907 die Abspaltung seiner Mitglieder im „Verband der Detaillistenvereine im Großherzogtum Hessen“ hinnehmen. Nach einem ersten Scheitern 1893 gründete sich in Nürnberg, später in München, der „Bayerische Verband der Vereine zum Schutz für Handel und Gewerbe“. Die überregionalen Verbände in Barmen, Frankfurt und München gaben mit dem „Detaillist“ eine einflussreiche Verbandszeitschrift heraus. Der „Verband der selbstständigen Kaufleute und Gewerbetreibenden der Pfalz“, Ludwigshafen nahm 1906 seine Arbeit auf. Erst 1898 gründete sich in Berlin der „Bund der Handel- und Gewerbetreibenden“ und im Jahr 1905 die „Zentralvereinigung preußischer Vereine für Handel und Gewerbe“. Im Nordosten setzte die Entwicklung angesichts der strukturschwachen Region und der schwächeren Bedrohung „von außen“ später ein, etwa „Kaufmännische Provinzialverband zu Stettin“ (1902), „Provinzialverband der Kolonialwarenhändler Ostpreußens“ (1907) und „Verband Mecklenburgischer Handelsvereine“ (1909), siehe ebd., S. 40 f. 219 Vgl. ebd., S. 44 ff.

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richtete, fiel zunehmend schwerer. In der Reichshauptstadt war die Bedrohung des „kleinen Kaufmanns“ durch die Warenhäuser und große Spezialgeschäfte deutlich schwerwiegender. Im Jahr 1905 spaltete sich der mitgliedsstarke „Bund der Handelsund Gewerbetreibenden Berlins“ vom Leipziger Zentralverband ab und verstand sich fortan unter dem Namen „Zentralvereinigung preußischer Vereine für Handel und Gewerbe“ als Dachverband aller Berliner Gewerbetreibenden. Der Leipziger Zentralverband blieb außer im Nordosten des Reiches dominierend und wies 1917 50.000 Mitglieder in 370 Vereinen aus. Im Zuge der Reform des Wettbewerbsgesetzes vereinbarten sechs überregionale Einzelhandelsverbände im November 1908 eine lose Interessengemeinschaft mit dem Ziel, Stellungsnahmen zu alle Verbände betreffende Fragen abzustimmen. Wein sieht in diesem Verbund den „ersten Spitzenverband des deutschen Einzelhandels“, wobei auch er konstatiert, dass das Nebeneinander zweier Dachverbände in Berlin und Leipzig und die Sezessionstendenzen der Berliner Vereine bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine strukturell homogene Einheitsorganisation im deutschen Einzelhandel verhinderte. Die Interessen der beteiligten Verbände lagen in vielen Streitfragen zu weit auseinander, als dass man bereit war, eigene Autorität einem neuen Gesamtverband zu überantworten.220 Während sich die Schutzverbände des mittelständischen Einzelhandels nicht auf eine Dachorganisation einigen konnten, begannen die Großbetriebsformen sich zielgerichteter unter Dachverbänden zu organisieren. Konsumvereine und Warenhäuser reagierten auf die ideologischen Anfeindungen des „alten Mittelstandes“ mit der Gründung eigener Interessenverbände, um auf die Gesetzgebung einzuwirken und auf die Anfeindungen reagieren zu können. Im Jahr 1903 gelang es der Konsumbewegung, den „Zentralverband deutscher Konsumvereine“ aufzubauen, dem im Jahr 1910 mehr als 1.000 Genossenschaften mit mehr als einer Million Mitglieder angehörten. Dem sozialistisch geprägten „Zentralverband“ erwuchs seit 1913 mit dem „Reichsverband deutscher Konsumvereine“ und seinen 159 Vereinen und 143.000 Mitgliedern eine unpolitischere Alternative.221 Die Verbandsbildung der Warenhäuser beschleunigte die Einführung der Warenhaussteuer in Sachsen im Jahr 1897. Erste Gespräche führte Oscar Tietz, der Inhaber der reichsweiten Warenhauskette Leonard Tietz, bereits 1898 angesichts der Bedrohung der Gewerbefreiheit und der Androhung von Sondersteuern. Doch erst vier Jahre später gelang es Tietz unter Mithilfe von Johannes Wernicke, einen Ausschuss Dazu gehörten der „Deutsche Zentralverband für Handel und Gewerbe“, die „Zentralvereinigung deutscher Vereine für Handel und Gewerbe“ in Berlin, der „Bayerische Verband der Vereine zum Schutz für Handel und Gewerbe“ in Nürnberg, der „Verband selbstständiger Kaufleute und Gewerbetreibender des Großherzogtums Baden“ in Mannheim, der „Württembergische Bund für Handel und Gewerbe“ in Stuttgart und der „Verband deutscher Eisenwarenhändler“ in Mainz, siehe ebd., S. 51 f. 221 Die Zahlen stiegen rasant an: 685 Genossenschaften mit 575.000 Mitgliedern (1903), 990 Vereine mit ca. 885.000 Mitgliedern (1907) bzw. 1151 Vereine über 1.181 Millionen Mitgliedern (1910), siehe ebd., S. 104 ff. 220

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von elf Warenhausvertretern zu bilden.222 In seinem Aufruf an über 120 Waren- und Kaufhäuser warb der Ausschuss für die Gründung eines Verbandes, der sich „gegen den Ansturm rückschrittlicher Elemente verteidigen“ sollte, in „ständiger Fühlung mit Regierungen und Behörden“ stehen sollte, um erfolgreich im Kampf gegen Sonderbesteuerung und gegen Einschränkung der Gewerbefreiheit bestehen zu können.223 Die Hälfte der Adressaten folgte dem Aufruf und gründete am 25. April 1903 den „Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser“ in Berlin (VdWK).224 Den Vorsitz übernahm Oscar Tietz. Die Versammlung wählte Theodor Althoff zu seinem Stellvertreter und Johannes Wernicke zum Generalsekretär des Verbandes.225 Nach dem Vorbild der Industrie schuf der VdWK feste Strukturen dank vergleichsmäßig hoher Mitgliedsgebühren in Höhe von mindestens 30 Mark bzw. einer Mark pro Angestelltem. Dies erlaubte ein festes Berliner Büro und die Publikation eigener Geschäftsberichte und einer Verbandszeitschrift. Der Verband verfügte im Jahr 1913 über 3.000 Mitgliedsfirmen und repräsentierte damit nahezu die gesamte Waren- und Kaufhauskultur im Reich.226 Der VdWK verstand sich in erster Linie als Interessenverband des gesamten Einzelhandels gegenüber Behörden und bemühte sich um Kooperation mit den mittelständischen Schutzverbänden etwa in Fragen der Reklame, während die Gemeinsamkeiten in Fragen der Sondergewerbesteuern endeten. Während des Ersten Weltkrieges und auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit vertrat der VdWK in Ermangelung einer reichsweiten Standesvertretung des Einzelhandels, die Interessen des (Textil-)Einzelhandels gegenüber den Militär- und Zivilbehörden.227 In vielen Fragen war der VdWK um enge Abstimmung mit anderen großbetrieblichen Verbänden bemüht, vor allem dem „Verband Deutscher Filialbetriebe“ (VDF) und dem „Verband Deutscher Versandhändler“ (VDV). Unter dem Eindruck der hessischen Besteuerung von Filialbetrieben und verschiedener polizeilicher Repressalien gegen Filialbetriebe entstanden 1910 zeitgleich in Frankfurt („Verband süddeutscher Großdetaillisten“) und Berlin („Vereinigung von Filialen aller Branchen“) Filialverbände, die sich im selben Jahr zum „Verband deutscher Filialbetriebe“ in Berlin zusammenschlossen. Der 1911 in Frankfurt gegründete „Verband Deutscher Versandhändler“

222 Die Gründungsmitglieder waren die Gebrüder Barasch (Breslau), Eduard Bormass (Hannover), M. Connitzer & Söhne (Marienwerder), Hermann Haas (Trier), Geschwister Knopf (Karlsruhe), Messow & Waldschmidt (Dresden), Wilhelm Stein (Berlin), Hermann Tietz (Berlin), H. Tietz & Co. (Nürnberg), Leonhard Tietz (Köln) und S. Wronker & Co. (Frankfurt a. M.), siehe ebd., S. 108, Anm. 12. 223 Vgl. ebd., S. 108. 224 Konf, Wirtschaftsfaktor Warenhaus, 12.5.1928; Leopold (1917). 225 Wernicke blieb bis 1916 und wurde von G. Bach Anfang 1917 abgelöst, der später auch Tietz als Vorsitzender folgte, siehe Konf, Zur Genesis des Warenhausverbandes, 12.5.1928. 226 Ausnahmen waren etwa die Berliner Firma W. Wertheim, die erst im Ersten Weltkrieg dem Verband beitrat, siehe Wein (1968), S. 110. 227 In Bezug auf die Warenbeschaffung während der Kriegszeit wurden dem VdWK „hoheitliche Funktionen“ übertragen, siehe Wein (1968), S. 115.

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war mit zwölf Mitgliedern der kleinste der großbetrieblichen Verbände – und schloss sich 1918 korporativ dem VdWK an.228 Eine Sonderposition nahm der mit 62 Mitgliedern im Oktober 1900 gegründete „Verband Berliner Spezialgeschäfte“ (VBS) ein. Auf Initiative von Fritz Guggenheim (Vorsitz bis 1911), Inhaber des Seidenhauses Michels & Co., und unter späterer Leitung von Heinrich Grünfeld verstand sich der Verband anfangs als Reaktion auf die Expansion der Warenhäuser. Da sich viele Mitgliedsfirmen selbst zu Großbetrieben entwickelten, wurde der Kontakt zum VdWK enger. Der Verband, der 1912 rund 250 Mitglieder zählte, war mehrheitlich durch Textildetaillisten geprägt, stand aber allen Kaufleuten offen und verstand sich nicht als reiner Fachverband.229 Bereits 1903 unternahm der VBS den Versuch, mit der Gründung des „Bundes der Kaufleute“, dem deutschen Einzelhandel unter Einschluss der Großbetriebe, der Großhändler und der Angestellten eine Dachorganisation zu geben. Die integrative, liberale Einstellung des „Bundes der Kaufleute“ traf auf starke Vorbehalte der Leipziger und Berliner Zentralverbände.230 Als Ausdruck heftiger Proteste gegen die geplante progressive Erbschaftssteuer hatte sich im Sommer 1909 unter Mitwirkung des VdWK der liberale „Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie“ als Interessengruppe gegen das „landwirtschaftliche Kartell“ gebildet. In ihm sollte sich der „neue Mittelstand“ als Brücke zwischen industriellem Gewerbe und Einzelhandel gegen „den alten Mittelstand“ artikulieren und behaupten können.231 Während der Hansa-Bund sich um die Integration des Einzelhandels bemühte, reagierten die Schutzverbände und Mittelstandsvereinigung mit Abspaltungen und Gegengründungen, sodass die Einheit der Anliegen immer mehr zersplitterten.232 Der vom Hansa-Bund gebildete „Zentralausschuss für die Gesamtinteressen des deutschen Einzelhandels“ stellte sich der von konservativen Schutz- und Mittelstandsvereinigungen geforderten Staatshilfe entgegen und befürwortete die Selbsthilfe der Mitglieder. Der Hansa-Bund definierte seine Ziele nicht anhand eines Gegners, sondern ermutigte seine Mitglieder zur Verbesse-

Vgl. ebd., S. 118. Der Verband der Filialisten war vom Lebensmittel- und Schuheinzelhandel dominiert. Im Jahr 1922 zählte der Verband 120 Mitglieder, davon: Kaiser’s Kaffee-Geschäft (Berlin), Emil Tengelmann (Mühlheim-Ruhr), Konrad Tack & Co. (Berlin), Salamander Schuh-Gesellschaft m. b. H. (Berlin), Reichardt Cacao (Wandsbeck), Loeser & Wolff (Berlin), Steigerwald & Kaiser (Leipzig) und A. Latscha (Frankfurt a. M.). 229 Auf Anregung des VBS wurde 1911 die Höhere Fachschule für Dekorationskunst und eine Fortbildungsschule für angehende Verkäuferinnen gegründet, siehe Artikel „Das Jubiläum des Einzelhandels“, 9.10.1925, BA R8034-II/3568, p. 115; Wein (1968), S. 115 f. 230 Der Bund der Kaufleute löste sich 1908 auf, siehe ebd., S. 116 f. 231 Zu den Gründern gehörten u. a. der „Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes“ (Berlin), der „Bund der Industriellen“ (Berlin), der „Verband Sächsischer Industrieller“ (Dresden), der „Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser (Berlin) und der „Verband Berliner Kaufleute und Industrieller“, siehe ebd., S. 123 ff. 232 Der Hauptausschuss des Hansa-Bundes umfasste im Jahr 1910 485 Mitglieder, davon: Industrie (189), Handel (124), Detailhandel (55), Handwerk (76) und Angestellte (41), siehe ebd., S. 126. 228

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rung der eigenen Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit. Gegen die Agitation der traditionell-ständischen Verbände vereinigte der Hansa-Bund im Jahr 1913 200.000 direkte Mitglieder, 830 korporative Verbände (mit 280.000 Mitgliedern) sowie eine ausgefeilte Struktur mit dutzenden Bezirksverbänden und hunderten Ortsgruppen. Letztlich verfehlte der Hansa-Bund sein Ziel, innerhalb der Organisation die Interessenkonflikte zwischen dem alten, besitzenden Mittelstand und dem neuen, unselbstständigen Mittelstand auszugleichen; dennoch gewannen die modern-liberalen, konstruktiven Kräfte im Detailhandel ein Ausdrucksmittel.233 Denn zeitgleich hatte sich der Bruch des Mittelstandes institutionalisiert. In Reaktion auf den Hansa-Bund hatte sich unter Führung des Leipziger Zentralverbandes und der Berliner Zentralvereinigung im September 1911 der „Reichsdeutsche Mittelstandsverband“ gegründet. Der neue korporative Dachverband vertrat, gestützt vom „Verband der Rabattsparvereine Deutschlands“ mit seiner ständisch-konservativen Haltung die quantitative Mehrheit des deutschen Einzelhandels, obwohl sich maßgebliche Verbände distanzierten.234 Auch diesem konservativen Gegenentwurf, der auf Mitteldeutschland beschränkt blieb, gelang es nicht, der Spitzenverband des Einzelhandels zu werden. Mit dem Nebeneinander von Hansa-Bund und Mittelstandsverband verfestigte sich damit die Spaltung des Einzelhandels. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die verbandliche Struktur des Textileinzelhandels beschrieben werden. Die Wurzeln der textilen Fachverbände liegen – wie bereits beschrieben – in den von Textilhändlern dominierten Einzelhandels-Schutzverbänden, etwa dem „Detaillistenverband für Rheinland und Westfalen“ (1894), dem „Verband süd- und westdeutscher Detaillistenvereine“ (1900) oder dem „Bayerischen Verband der Vereine zum Schutz für Handel und Gewerbe“ (1906). Die Textilkaufleute suchten hauptsächlich Schutz vor den Warenhäusern, die ihren Umsatz mehrheitlich mit Textilien machten. Anders als im Kolonialwarenhandel schwächte sich der Abwehrkampf gegen die Warenhäuser zunehmend ab und wurde durch einen gemeinsamen Kampf von Klein- und Großbetrieben des Einzelhandels gegen den Textilgroßhandel sowie die Textil- und Bekleidungsindustrie bestimmt. Hauptimpuls für die Verbandsorganisation im Textileinzelhandel um die Jahrhundertwende war der überaus hohe Grad der Kartellierung der deutschen Textilindustrie. Die Kartellabsprachen betrafen in der Hauptsache die Lieferungs- und Zahlungsmodalitäten und hatten kaum produktions- oder preisregulierende Absichten. Von den Kartellabsprachen, etwa in der Seidenweberei, waren anfangs nur Großabnehmer wie Warenhäuser und der Großhandel betroffen. Als der Großhandel seinerseits begann, die Lasten an den Einzelhandel weiterzureichen, betraf der Kampf um die VerVgl. Wein (1968), S. 131. So der „Detaillistenverband für Rheinland und Westfalen (Düsseldorf), der „Verband Deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche“ (Hamburg“), der „Verband Deutscher Eisenwarenhändler“ und der „Verband Deutscher Papier- und Schreibwarenhändler“, siehe ebd., S. 132. 233 234

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kürzung der Zahlungsziele und die „Exklusivklausel“ auch den Einzelhandel.235 Die kürzeren Zahlungsfristen belasteten die Barmittel der kleineren Geschäfte, Überbrückungskredite verteuerten sich und viele Geschäfte überschuldeten sich in der Folge. Während Großbetriebe des Einzelhandels mit verstärkter Eigenfabrikation begannen, startete der Textileinzelhandel mit dem Aufbau von Verbänden und Einkaufsgenossenschaften.236 Die ersten reinen textilen Fachverbände entstanden vor der Jahrhundertwende als Teil der meist überregionalen Schutzverbände in geographischer Nähe des Großhandels und der Textil- und Bekleidungsindustrie. Die ältesten derartigen Manufakturistenvereine finden sich daher in Eimsbüttel (1889), Altona (1890) und Wandsbek (1896) sowie ab 1896 auch vermehrt im westdeutschen Raum, etwa in Bielefeld und Dortmund.237 Mit dem Hamburger „Verband deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche“ (Hamburger Verband) entstand 1907 in Reaktion auf die Konditionenverschärfung der Krefelder Seidenfabrikanten der erste textile Fachverband auf Reichsebene mit 104 Ortsgruppen und 4.500 Mitgliedern (1918). Im selben Jahr entstanden angegliederte Ortsvereine etwa in Nürnberg, München, Würzburg und Bielefeld sowie Berlin. In letzterer Stadt entwickelte sich der vorerst wirkmächtigste Verein, der 1911 in „Verein der Textildetaillisten Groß-Berlin“ umbenannt wurde. Durch den Druck der Konventionen war der Textileinzelhandel zur Zusammenarbeit über Betriebsformen hinweg genötigt worden. Die Mitglieder betrieben mehrheitlich Manufakturwarenläden, waren aber durchaus offen für große Spezialgeschäfte, Großhändler und Fabrikanten. Die im Jahr 1907 vereinbarte und zwei Jahre andauernde Interessengemeinschaft mit dem VdWK gilt als erste strukturelle Zusammenarbeit zwischen den Betriebsformen im deutschen Einzelhandel.238 Die fortschreitende Spezialisierung des Textileinzelhandels beschleunigte die Ausbildung neuer Spezialfachverbände. Zunächst tangierte die Spezialisierung die verbandliche Integrität des Hamburger Vereins wenig, später entzogen sie ihm eine stabile Mitglieder- und damit Finanzierungsbasis. Zwischen 1898 und 1914 hatte sich eine Vielzahl regional aktiver Verbände der Spezialgeschäfte gebildet. Einen Schub löste 1912 die Abspaltung der Berliner Herrenausstatter aus dem Berliner Ortsverein des Hamburger Verbandes aus, dem sich während des Ersten Weltkrieges reichsweit Spezialgeschäfte, darunter viele Waren- und Kaufhäuser, zum „Reichsverband Deutscher Herren-Ausstattungs-Spezialgeschäfte“ angeschlossen hatten. Erstmals verpflichtete

Die „Exklusivklausel“ war die Forderung eines Lieferantenkartells, Waren ausschließlich über die Kartellorganisation zu beziehen. 236 Vgl. Wein (1968), S. 191 ff. 237 Vgl. Wein (1968), S. 193 f. 238 Vgl. ebd., S. 195 ff. 235

Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten

ein Einzelhandelsverband seine 400 Mitglieder (1921) auf eine Einheitsstrategie gegenüber Lieferanten und bildete damit erstmalig kartellartige Strukturen.239 2.5

Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten

Das zersplitterte Verbandswesen war Ausdruck zahlreicher politischer und geschäftlicher Konfliktfelder zwischen den mehrheitlich kleinbetrieblichen Mittelständlern und der wachsenden Zahl der Großbetriebe. Im Folgenden soll der Blick auf die Diskussion um die Warenhaussteuer, das Wettbewerbsgesetz, den Modeeinfluss und die Konventionen der Lieferanten geworfen werden. So wird das Spannungsverhältnis deutlich, indem sich die Branche mit ihren Lieferanten, Kunden und Konkurrenten befand. Mit dem Aufkommen der Großbetriebe seit den 1880er Jahren verschärfte sich der Kampf des Mittelstandes gegen das Warenhaus, welches stellvertretend für „den Großbetrieb“ stand. Die organisatorischen und innerbetrieblichen Neuerungen sowie die nominell hohen Umsätze und Gewinne zogen massive Lobbyarbeit der Mittelstandsverbände auf allen Ebenen nach sich, die schließlich in konkrete gesetzliche Regulierung mündete. Die erste Sonderumsatzsteuer auf Warenhäuser in Höhe von zwei Prozent erhob Sachsen. Ab 1899 besteuerte Bayern „Warenhäuser und Basare“ gestaffelt mit bis zu sieben Prozent. Preußen belegte auf Drängen der Kleinhandelsverbände Warenhäuser seit dem 18. Juli 1900 mit einer zweiprozentigen Sondersteuer. Bald folgten alle anderen deutsche Staaten, etwa Württemberg (1903). Der erhobene Warenhaussteuerbetrag durfte nicht mehr als 20 Prozent des gewerbesteuerpflichtigen Ertrages erreichen.240 Preußen definierte „Warenhäuser“ als Betriebe mit einem bestimmten Sortiment und Umsatz. Im Gegensatz zum „Kleinhandel“ generierte es großen Umsatz unter Zusammenfassung mehrerer Branchen. Im Unterschied zum Versandhandel war der Absatz lokal, und im Hinblick auf den Konsumverein stand das Gewinnstreben im Vordergrund. Um steuerpflichtig zu sein, musste das Unternehmen einen Jahresumsatz von mindestens 400.000 Mark erwirtschaften und Waren aus mindestens einer der folgenden Warengruppen verkaufen: Kolonialwaren, Lebens- und Genussmittel, Tabak, Farben, Drogen, Parfüm (A), Textilien und Bekleidungsgegenstände, Wäsche, Haushaltstextilien (B), Garten-, Haus- und Küchengeräte, Glas-, Porzellan- und Steingut-

239 Zu den Spezialgeschäfteverbänden gehörten etwa „Verband der Teppich-, Linoleum- und Möbelstoff-Händler-Deutschlands (e. V.) (1898, Cassel); Reichsverband der Hutdetaillisten Deutschlands e. V. (1908, Berlin); „Zentralausschuss der vereinigten Putzdetaillisten-Verbände Deutschlands (1909, Remscheid); Verband Deutscher Schirm-Spezialgeschäfte (1914, Dresden), siehe ebd., S. 197 f. 240 Konf, Das Ende der Warenhaussteuer, 8.1.1920.

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waren (C) sowie Kunst-, Luxus- und Galanteriewaren (D).241 Schon zeitgenössische Kommentatoren kritisierten das Gesetz als wenig zielgerichtet. Die Umsatzhöhe und die Sortimentsbeschreibung waren Ausdruck eines willkürlichen, weil nicht statistisch unterfütterten Kompromisses zwischen preußischem Abgeordneten- und Herrenhaus.242 Von den 126 Betrieben (1913) lagen 110 in Städten, 16 auf dem Land. In Berlin zahlten 18 Warenhäuser rund 2,275 Millionen Mark Steuern. Das preußische Gesetz traf damit wenige ländliche Gemischtwarenläden.243 Wie wirkte die Besteuerung? Die der Warenhaussteuer unterliegenden preußischen Betriebe erwirtschafteten bis 1913 einen Gesamtumsatz zwischen 180 und 300 Millionen Mark (Tabelle 13). Tab. 13 Umsatz, Gewinn und Steuereinnahmen der Warenhäuser in Preußen, 1901 bis 1913244 Jahr

Steuerpflichtige

Umsatz

1901

109

179,0

Gewinn

Gewinn*

Steuereinnahmen 3,07

1902

73

143,0

1,91

1903

73

143,0

1905

87

176,1

9,30

5,3

1906

98

195,9

10,00

5,1

1907

95

216,4

12,30

5,7

1910

109

270,5

13,00

4,8

1911

108

295,5

13,79

4,8

1912

121

325,0

14,50

4,8

1913

126

2,68

4,56

Anmerkungen: in Mill. Mark, lfd. Preise, (*) in Prozent vom Umsatz. Vom steuerpflichtigen Gewinn durften nicht Hypothekenzinsen, aber Mietkosten oder Managergehälter in Aktiengesellschaften und GmbHs abgezogen werden.

Damit lag ihr Anteil am reichsweiten Einzelhandelsumsatz bei ein bis eineinhalb Prozent. Die Steuer, die das Entstehen, die Ausbreitung und den Umsatz der Warenhäuser zugunsten des mittelständischen Einzelhandels zu begrenzen versuchte, wirkte nur

241 242

S. 80.

Ausführliche Aufstellung siehe Hirsch (1910), S. 4. Preußen ging von einem mindestens zehnprozentigen Reingewinn in Warenhäusern aus, siehe ebd.,

18 Warenhäuser in Berlin zahlten 2.275.654 Mark. Im Bezirk Potsdam zahlten 15 Unternehmen 190.928 Mark und im oberschlesischen Bezirk Oppeln zahlten 10 Betriebe 127.000 Mark. In den 11 Regierungsbezirken (Frankfurt/Oder, Stralsund, Bromberg, Lüneburg, Stade, Osnabrück, Aurich, Gumbinen, Allenstein, Kassel) gab es kein Warenhaus, siehe Konf, 126 Warenhäuser zahlen in Preußen 4 ½ Millionen Mark Warenhaussteuer, 29.12.1914. 244 Bayern meldete für seine steuerpflichtigen Warenhäuser einen Gesamtumsatz von 23,39 Millionen Mark, siehe Hirsch (1910), S. 81, 84; Konf, 325 Mill Mark Jahresumsatz der preußischen Warenhäuser, 19.4.1914; Konf, Was die Warenhäuser verdienen, 19.4.1914. 243

Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten

kurzfristig. Die Zahl der steuerpflichtigen Betriebe fiel von 109 (1901) auf 73 (1903). Der Rückgang erklärt sich jedoch weniger aus Geschäftsschließungen, sondern aus aktiv betriebenen Umstrukturierungen. Warenhauskonkurse blieben selten.245 Einige Warenhäuser gingen dazu über, teurere, ineffizientere Abteilungen zu schließen und wandelten sich im Steuersinne in Groß-Spezialgeschäfte um, die nun neben Textilien und Bekleidung auch Wohn- und Küchenbedarf führten. Damit verschärfte sich der Wettbewerb unter den größeren und mittleren Spezialgeschäften. Andere Warenhäuser versuchten die Steuer nicht an die Kunden, sondern an die Lieferanten weiterzugeben. So stieg die Zahl der steuerpflichtigen Betriebe bis 1907 wieder an. Die Einnahmen aus der Steuer beliefen sich zunächst auf 3,07 Millionen Mark (1901), brachen im Folgejahr um ein Drittel ein und erreichten bis 1907 nie wieder das hohe Anfangsniveau (2,68 Millionen Mark).246 Um die Steuereinnahmen zu steigern, plante der preußische Handelsminister im Frühjahr 1914 eine Erhöhung der Warenhaussteuer. Doch selbst der Mittelstand wandte sich nun gegen eine Verschärfung und warnte vor negativen Auswirkungen auf kleinere Händler. Die „Deutsche Konfektion“ beurteilte die Warenhaussteuer als „vollkommener Schlag ins Wasser“. Der kleinere Handel habe sowohl unter der Sortimentsumwandlung der Warenhäuser, der enormen Umsatzsteigerung (um die Steuer aufzufangen) und nicht zuletzt unter den durch die Steuer verschlechterten Einkaufskonditionen zu leiden.247 „Der Konfektionär“ sah in der steuerlichen Belastung der Großkonzerne zudem schon die Grenze erreicht.248 Erst mit der Einführung eines Umsatzsteuergesetzes Anfang 1920 wurde die Warenhaussteuer abgeschafft.249 Die Auswirkungen des Warenhauses auf den Einzelhandel beschrieb Hirsch so:

245 Vor 1914 waren einige Warenhäuser zusammengebrochen, darunter in Berlin etwa H. Greifenhagen Nachf., das Warenhaus Hirschweh und das Warenhaus Graff & Heyn. Daneben an anderen Orten etwa K. Ignatowicz in Posen und das Essener Warenhaus Kander. Konkursursache war in allen Fällen Eigenkapitalmangel infolge von Filialexpansion durch Fremdmittelaufnahme (Kredite). Der spektakulärste Zusammenbruch betraf W. Wertheim GmbH, Berlin. Diese schrieb in fünf Jahren 25 Millionen Mark Verlust durch den Erwerb des Passage-Kaufhaus. Es folgte die Liquidation der Firma und ihrer Häuser in Berlin. Das Warenhaus A. Wertheim übernahm die Lagerbestände, siehe umfassende publizistische Diskussion etwa Konf, 20 Millionen Mark Verlust bei der W. Wertheim GmbH., Berlin, 1.2.1914; Konf, Die Schwierigkeiten des Warenhauses W. Wertheim GmbH, Berlin, 5.4.1914; Konf, Herr Oscar Tietz über Warenhäuser, 26.7.1914; DR, Betrachtungen über den 25 Millionen-Konkurs, W. Wertheim, 19.4.1914; Konf, Vom Warenhaus zur Kaserne, 7.2.1915; DK, Ein längst erwarteter Warenhauszusammenbruch, 15.3.1914. 246 Vgl. Hirsch (1910), S. 90 ff. 247 Die Zeitschrift befürwortete stattdessen eine „progressive Umsatzsteuer für alle großen Betriebe und Errichtung einer Umsatzgrenze oder eine „Allgemeine Umsatzsteuer“, siehe DK, Liegt eine Erhöhung der Warenhaussteuer im Interesse des Detailhandels?, 15.3.1914. 248 Nach Einschätzung der Zeitschrift waren Warenhäuser neben der Warenhaussteuer mit der Einkommenssteuer (bis 15 Prozent) und der Vermögens- und Grundssteuer bereits stark belastet: „60 Prozent des Gewinns und 60–80 Prozent des Umsatzes wird bereits so weggenommen“, siehe Konf, Zur Warenhaussteuer-Bewegung in Preußen, 8.2.1914. 249 Immer wieder forderten mittelständische Verbände die Wiedereinführung. So im April 1926 in einer westdeutschen Großstadt für alle Geschäften mit einem Jahresumsatz über 1 Million Reichsmark, siehe DK, Gegensätzlichkeiten im Einzelhandel, 9.4.1926.

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„Die Zahl der mit dem Warenhaus direkt konkurrierenden Geschäfte ist stellenweise gewachsen, stellenweise stehengeblieben, in einigen Branchen, auch meist nur unwesentlich, zurückgegangen. Aber die Zahl der direkten selbstständigen Neugründungen ist in diesen Branchen verringert worden“.250

Rund um die Diskussion um die Warenhaussteuer entstand ein ideologischer Konflikt zwischen Spezial- und Fachhandel und Großbetrieben wie Filial- und Warenhäusern. Der Vorwurf: Die Sondersteuer verschärfe den Wettbewerb und das Wettbewerbsverhalten der Akteure. Warenhäuser konkurrierten nun mit Spezialgeschäften, unterböten sich zunehmend, um Umsätze zu forcieren („Preisdrückerei“, um die Steuerbelastung aufzufangen) und verschlechterten die Beziehung des Handels zu den Lieferanten durch den Versuch, die Steuerbelastung weiterzugeben.251 Die Mittelstandsbewegung propagierte hingegen die volkswirtschaftlichen Vorzüge der kleinen Fachgeschäfte: Hier behandle man den „Spezialartikel mit Sorgfalt“, den Kunden stünden anerkannte Fachleute zu Seite, und des Kunden Aufmerksamkeit werde nicht durch Nebenartikel oder „Lockartikel“ abgelenkt. Hier finde man nur qualitativ gute Ware zu angemessenen Preisen, da „große, erstklassige Fabriken den Vertrieb eher Spezialisten übertragen“.252 Die Warenhäuser argumentierten mit ihrem Preis-Leistungsverhältnis, welches zu einer „Demokratisierung“ des Warenverkaufs geführt und neue Käuferschichten erschlossen habe. Oder in den Worten von Oscar Tietz: „[Der Preis der Waren ist] durch die enorme Kaufkraft [des Warenhauses] volkstümlicher geworden“. Die überdurchschnittliche Ausbildung und Bezahlung der Warenhausangestellten führe zu einer volkswirtschaftlich nützlichen Kundenkonsumkraft, von der der gesamte Einzelhandel profitiere.253 Der Kampf einiger mittelständischer Verbände setzte sich in der Folge auf anderen Gebieten fort. Vereinzelt gelang es der „Mittelstandsbewegung“, Lieferantenverbände davon zu überzeugen, gewisse Waren nicht mehr an Warenhäuser und Großbetriebe zu liefern. Diese Boykotte waren aber nie dauerhaft und blieben auf Randsortimente wie Schreibwaren beschränkt. Streng hierarchische Vereine wie Angestellten-, Beamten- und Offiziersvereine verboten ihren Mitgliedern zeitweise den Einkauf in Warenhäusern. Neben der Forderung nach neuen Steuern für Großbetriebe254 traten die Verbände für eine Verschärfung des Wettbewerbsgesetzes in Hinblick auf warenhaustypische Vgl. Hirsch (1910), S. 98. Vgl. Konf, Unberechtigte Angriffe gegen die Warenhäuser, 19.10.1913. Vgl. Konf, Spezialgeschäft und Warenhaus, 21.12.1913. Vgl. Konf, Herr Oscar Tietz über Warenhäuser, 26.7.1914. Im Februar 1914 entstand die Vorlage zur Novelle zum Preußischen Kommunalabgabengesetz zur Besteuerung von Filialen. Die Handelskammer zu Berlin wandte sich jedoch gegen eine Sondersteuer von „Forensalfilialbetrieben“ (Filialen auswärtiger Stammhäuser): „[Sie] muss fair und weder bevor- oder benachteiligend sein. [ ] Steuerpflichtige müssen den einheimischen Betrieben steuerlich gleichgestellt wer250 251 252 253 254

Konfliktfelder mit Lieferanten, Kunden und Konkurrenten

„Lockartikel“ und Sonderverkäufe ein. Die Zunftordnungen des Mittelalters regelten bereits die Zurschaustellung der Waren. So mussten Schnittwaren in Regalen aufbewahrt werden, textile Accessoires dagegen in Kisten. Waren durften damit nicht in großer Zahl offen – etwa auf Tischen oder Schaufenstern – ausliegen und mussten „aus dem Gesichte und Augenschein“ des Kunden. Insgesamt schränkten die frühen Verordnungen der Gilden und Zünfte den Wettbewerb stark ein. Getreu dem Grundsatz der Nahrungsgerechtigkeit war jede Geschäftserweiterung deutlich erschwert.255 Auch in Bezug auf Werbung war die Kaufmannschaft bis in das 18. Jahrhundert sehr zurückhaltend. Während andere Gewerbe durch Plakate oder Marktschreier auf sich aufmerksam machten, war schon die gedruckte Geschäftsanzeige ein Verstoß gegen den kaufmännischen Anstand.256 Werbung im eigentlichen Sinn vollzog sich persönlicher und subtiler durch besonderen Kundendienst sowie die Lage und die Ausgestaltung des Geschäftsraumes. Bereits im 17. Jahrhundert, noch vor der Nummerierung der Häuser in Städten, gaben eigens gestaltete Ladenschilder dem Kunden Aufschluss, wo er welche Waren kaufen konnte.257 Mit der Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit des 19. Jahrhunderts verbanden sich naturgemäß gesetzliche Einschränkungen mit dem Ziel, Manipulationen der Ware, Täuschungen des Kunden sowie das systematische Herausdrängen des geschäftlichen Konkurrenten einzudämmen. Bis in die 1890er Jahre galt das Deutsche Reich – im Gegensatz zu Frankreich, Belgien oder England – als Raum „schrankenloser Konkurrenz“. Nachdem ab 1894 das Urheberrecht und der Schutz von Warenbezeichnungen den liberalen Wettbewerb einschränkten, trat zum 1. Juli 1896 das erste allgemeine deutsche Wettbewerbsgesetz als „Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs“ in Kraft. Reichsweit galten nun verbindliche Reklamerichtlinien. Die Denunzierung von Konkurrenten stand ebenso unter Strafe wie Firmenund Namenmissbrauch oder der Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen.258 Mit der Novelle zum 1. Oktober 1909 fand das Kriterium der „guten Sitten“ Eingang in den Wettbewerb. Die Novelle definierte konkrete Anlässe wie etwa Schmiergelder,

den“, siehe DK, Die schärfere Besteuerung der Filialen, 15.2.1914. Im April 1933 wurde die Besteuerung von Großfilialbetrieben durch das preußische Finanzministerium eingeführt. Diese erfasste aber nicht die kleineren Filialbetriebe, siehe Artikel „Die Besteuerung der Filialbetriebe“, 29.4.1933, BA R8034-II/3570. 255 Vgl. Haas (1951), S. 59 ff. 256 Als erstes Werbeinstrument kann womöglich die illustrierte Geschäftskarte gelten, mit der sich ein Kaufmann bei Kunden und Lieferanten in Erinnerung brachte, siehe Haas (1951), S. 111, Anm. 72. 257 Vgl. ebd., S. 110 ff. 258 „Strafen sind teils Geld-, teils Freiheitsstrafen, auch kann bei ihnen auf eine Buße bis zu 10,000 Mk. erkannt werden (§ 14); die Strafverfolgung tritt mit Ausnahme des Falles der Quantitätsverschleierung nur auf Antrag ein; die Verfolgung geschieht, soweit nicht ein öffentliches Interesse in Frage steht, im Wege der Privatklage. In den meisten Fällen der Verurteilung kann die öffentliche Bekanntmachung derselben angeordnet werden. Klageberechtigt ist jeder Mitbewerber, in den Fällen des § 1 (s. oben) sind auch Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen zur Anstellung der Unterlassungsklage legitimiert“, siehe Eintrag „Wettbewerb“, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon (Bd. 19), Leipzig 1909, S. 930–931, unter http:// www.zeno.org/nid/20007626606, 1.8.2016.

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Markenmissbräuche, „schwindelhafte Reklame“, Übertreibung bei Ausverkäufen oder Quantitäts- und Qualitätsverschleierungen. Daneben galt die Generalklausel der „guten Sitten“ für alle nicht definierten Vergehen, die „nach dem Urteil der billig Denkenden vom Standpunkt berechtigter Verkehrssitten anstößig sind“. Damit hatte die „Mittelstandsbewegung“ ein ausreichendes Kriterium, um gegen Großbetriebe und unliebsame Konkurrenz Klage zu führen. Gegen die Geschäftspraktiken der Kaufund Warenhäuser – systematische Reklame, Annoncenkampagnen, Ausverkäufe, Sonderangebote oder Fachkräfteabwerbung – zogen die mittelständischen Verbände nun unter den Klageüberschriften „Preisschleuderei“, „Rabatt- und Zugabeunwesen“, „Lockartikel“ oder „Weglocken von Kunden und Angestellten“ vor Gericht. Das Gesetz sanktionierte Vergehen mit bis zu einjähriger Freiheitsstrafe oder maximal 5.000 Mark.259 Das Wettbewerbsgesetz war jedoch vielmehr ein Symptom als eine Konsequenz eines sich verschärfenden Konkurrenzkampfes um die Gunst des Kunden. In dem Maße, wie Reklame die Warenqualität als das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen den Einzelhändlern ablöste, umso umstrittener waren die Methoden dieser Werbung für Produkte und um Kunden. Im Zuge der industriellen, massenhaften Herstellung der Waren rückten Verkaufsstrategie und Service deutlich in den Mittelpunkt der Geschäftsaktivitäten. Schon 1869 bemerkte Bischoff, dass das „nicht bemerkt werden für den Manufakturisten ein Unglück ist“. Das Kaufmannsideal, dass „gute Ware“ für sich selbst spräche, gelte immer dann weniger, wenn auch „für mittelmäßiges und schädliches“ stark geworben wird. Der „ehrbare Kaufmann“ müsse deshalb die „Posaune der Reklame“ bemühen – dies aber „mit würdiger Einfachheit, nur durch Nennung der Verkaufsgegenstände und der Preise“. Die Superlative der Anzeigen („das beste“, das feinste“) seien wahrheitsverzerrend und rufschädigend.260 Noch 1913 galt für den mittelständischen Textileinzelhändler der Grundsatz des Reklamewissenschaftlers Paul Reuben, dass Reklame als ethisches Verkünden der Wahrheit zu benutzen sei.261 Als traditionelle Mittel galten Zeitungs- und Drucksachenreklame, Plakate, Lichtreklame und interne Schaufensterreklame, innovative Ideen wie Kinematographen, Grammophone und mechanische Schaufensterreklame hielten erst ab 1914 vermehrt Einzug in den Handel.262 In einer historischen Rückschau auf das Berliner Reklamewesen resümierte die „Deutsche Konfektion“, dass die Einzelhändler bis Anfang der 1890er Jahre „keinen Pfenning für Zeitungsreklame“ ausgaben. Erst die Inserat-Kampagnen der großen Berliner Warenhäuser wie A. Wertheim, Jandorf und Tietz führten dazu, dass Spezialhäuser wie N. Israel, Michels & Cie. oder R. M. Maassen „aus dem Dornrös-

Vgl. Eintrag „Wettbewerb“, in: Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, (Bd. 8) Stuttgart/Leipzig 1910, S. 919, unter http://www.zeno.org/nid/20006148719, 1.8.2016. 260 Vgl. Bischoff (1869), S. 479 ff. 261 Vgl. Konf, Die Reklamemarke, 3.8.1913. 262 Vgl. Konf, Bessere Ausnutzung der Technik für die interne Reklame in Kaufhäusern!, 11.1.1914. 259

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chenschlaf geweckt“ wurden und Kunden seit 1900 täglich Inserate in Berliner Zeitungen lesen konnten. Fortan hielt es der Berliner Einzelhandel mit Oscar Tietz: „Man soll nicht erst dann inserieren, wenn das Geschäft schlecht geht, sondern mit dem steigenden Umsatz müßten auch die Reklamespesen wachsen. Zur Fortentwicklung des Umsatzes ist die Reklame unbedingt nötig und außerdem bildet sie das beste Schutzmittel gegen geschäftlichen Rückgang“.263

Das Wettbewerbsgesetz von 1909 beseitigte indes wenige Unklarheiten und schuf großen Spielraum für rechtliche Auseinandersetzungen. Es gab den mittelständischen Interessenverbänden einen weiten Interpretationsspielraum, Geschäftspraktiken der Großbetriebe als Verstoß gegen die „guten Sitten“ zu deklarieren und den ideologischen Graben zu vertiefen. Wettbewerbsbeschwerden wurden bis zu den höchsten Reichsgerichten getragen. So blieb der Form, Art und Umfang des „Ausverkaufs“ bis Kriegsbeginn hoch umstritten.264 Als zulässige Arten, so das Reichsgericht 1913, galt nur der Ausverkauf „wegen Beendigung des Geschäftsbetriebes“ (Todesfall, Liquidation, Konkurs) oder bei Aufgabe von Warengattungen, Räumung eines bestimmten Warenbestandes, Neubau, Umzug, Umbau oder der Aufgabe einer Filiale. Das Gericht zog hier erstmals die Grenze zwischen „wirklichen Ausverkäufen“ und „verschleierten Formen“ wie reichsweit inserierten „Räumungs- und Liquidationsverkäufen“. So war für das Weihnachtsgeschäft 1913 die Ankündigung „Weihnachts-Ausverkauf “ strengstens verboten. Händler sollten in ihrer Reklame auf einen „Großen Weihnachts-Verkauf “, „preiswerte Sonder-Angebote für den Weihnachtstisch“ oder „Weihnachts-Extrapreise nur in dieser Woche“ verweisen.265 Ein letztes Konfliktfeld blieb die Beziehung des Textileinzelhandels zu seinen Lieferanten aus der Textil- und Bekleidungsindustrie. Blieb der Einzelhandel zersplittert und zerstritten, zeigte die lange konventionslose Lieferindustrie nach 1900 eine starke Tendenz zu Kartellen und Konventionen.266 Die Textilindustrie sah sich einerseits der unsicheren Weltkonjunktur, andererseits vermehrt Arbeitskämpfen gegenüber. Darüber hinaus stiegen die Einkaufspreise für Rohstoffe deutlich dynamischer als die zu erreichenden Verkaufspreise bei den Abnehmern, deren Ansprüche an die Waren zeitgleich stiegen. Den Anfang machten die Spinnereien und Webereien, die begannen, ihren Abnehmern mit strengen Zahlungs- und Lieferungsbedingungen gegenüber zu treten. Dabei reichten die Vereinbarungen zwischen den Mitgliedsfirmen von einer losen Gemeinschaft zur Abwehr von Arbeiteranliegen bis zum Kartell mit obligatorischen Produktions- und Preisregulierungen für dessen Mitglieder. Da viele Kartelle nicht öffentlich agierten, sind keine verlässlichen Zahlen über Umfang und Erfolg der 263 264 265 266

Vgl. DK, Wie die Annoncenpropaganda des Berliner Einzelhandels entstand, 6.11.1924. Vgl. Konf, Ueber die Ausverkaufsentscheidungen des Reichsgerichts, 21.8.1913. Vgl. Konf, Wie dürfen die Detaillisten zu Weihnachten annoncieren?, 30.11.1913. Vgl. im folgenden Brie et. al. (1909), S. 32–40.

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Kartelle bekannt. Brie zählte mindestens 76 Konventionen bei Spinnereien, Webereien, Stickereien, in Hilfsbranchen und bei Großhändlern in über 30 Städten, darunter für die Zentren Berlin, Elberfeld, Bielefeld, Krefeld, Breslau, Chemnitz und Barmen. Für den Einzelhandel bedeutsam waren die Berliner Großhändler-Konventionen.267 Konventionen regelten Zahlungsziele, Skonto, Rabatte und Zahlungsarten zwischen zwei Vertragspartnern und verringerten damit die Transaktionskosten der Branche. Doch es gab auch weiter konventionsfreie Branchen wie Baumwollwaren, Weißwaren, Pelzwaren, Taschentücher und Wäsche. Andere kritisierten den hohen bürokratischen Aufwand für den Abnehmer: „Wer also mit zwanzig Lieferanten verschiedener Geschäftszweige arbeitet, [ ] hat zwanzig verschiedene Konditionen zu beachten“.268 Die Konventionen der Textilindustrie trafen also zunächst deren Abnehmer aus den Konfektionsbranchen und den Textilgroßhandel. Diese reagierten ihrerseits mit Kartellierung und eigenen Kauf- und Zahlungsbedingungen gegenüber dem Einzelhandel. Die Konfektionsindustrie bildete 1907 ihre erste kartellartige Struktur – der „Verband Deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten“, die ohne Absprache mit den abnehmenden Einzelhändlern einheitliche Verkaufs- und Lieferungsbedingungen für seine Mitglieder festsetzte. Der Textileinzelhandel gründete mit dem „Verband Deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche, Hamburg“ eine erste kartellartige Gegenorganisation. Damit hatte die Kartellspirale alle Wertschöpfungsstufen der Textilbranche innerhalb weniger Jahre erfasst. Durch gemeinsame Verhandlungen zwischen Textileinzelhandel und Bekleidungsindustrie gelang es jedoch bald, sich auf „Bestimmungen zu einigen, die sowohl den Lieferanten als auch den Abnehmern zusagen und ein gedeihliches Zusammenwirken dieser beiden aufeinander so eng angewiesenen Interessentengruppen verbürgen“.269 Auf Grundlage der zum 1. Dezember 1907 gültigen „Mäntelkonvention“270 schlossen sich die Fabrikanten und Abnehmer der Blusen- und Kostümbranche zum 1. Januar 1908 an. In anderen Konfektionsbranchen blieben Verhandlungsversuche entweder erfolglos oder wurden nicht unternommen,

Großhandelskonventionen mit Sitz in Berlin (1908): Verband Deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten; Vereinigung Deutscher Kleiderstoffgrossisten; Vereinigung Deutscher Samt- und Seidenwaren-Großhändler; Verband der Fabrikanten von Blusen, Kostümen und verwandten Artikeln; Vereinigte Großhändler in Damenkonfektionsstoffen; Konvention der Konfektionsstofffabrikanten und Grossisten; Verein Berliner Damenwäschefabrikanten; Großhändlerverband in Garnen, Besatz-, Kurz- und Wollwaren; Verband der Hutfabrikanten und Putzgroßhändler; Verein Deutscher Stickereiwarengroßfabrikanten, siehe auch für Konventionen und Kartelle der Textilindustrie, siehe Brie et al. (1909), S. 36 f. 268 Ebd., S. 38. 269 Ebd., S. 66. 270 Grundzüge der Vereinbarung: Es gab gestaffelte Zahlungziele mit entsprechenden Nachlässen (30 Tage/4 Prozent, 60 Tage/3 Prozent, 90 Tage/2 Prozent, 120 Tage/netto). Schecks sowie Giro- und Banküberweisungen galten als Barzahlung. Gültige Rabatte waren Umsatzprovisionen sowie Vergütungen an Warenhäuser, Verbände, Einzelfirmen oder Einkaufsvereinigungen. Porto und Versand ging zu Lasten des Empfängers. Retouren waren bis zu 20 Tage nach Empfang zulässig, siehe ausführlich ebd., S. 38 ff. 267

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da die Interessengegensätze zwischen Fabrikanten und Einzelhändlern als zu gravierend wahrgenommen wurden.271 Neben der „technischen Dimension“ von Zahlungs- und Lieferungsbedingungen, prägte ein neuartiger Impuls die Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen. Um 1900 wurde „die Mode“ zunehmend einflussreicher. Werner Sombart wies 1902 auf den Einfluss der Mode auf Angebot und Nachfrage hin. Nach Sombarts Analyse uniformierten sich eine Reihe von Gebrauchsartikeln ganz generell durch Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum zu Massenartikeln. Dies verstärke die „Demokratisierung“ der sog. Luxusartikel – etwa bei Seidenstrümpfen, die anfangs nur Adligen, nun auch breiten Bevölkerungsschichten zugänglich waren. Mit der Entstehung von Großbetrieben auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette (Produzent – Großhandel – Einzelhandel) vergrößerte und vereinheitlichte sich die Nachfrage. Im Textilsektor fragten nun Konfektionäre weit größere Mengen nach, die in Warenhäusern und Konsumvereinen größeren Absatz fanden. Im „Proletariat“, so Sombart, wuchs der „Massenmarkt“ als der natürliche Abnehmer dieser Massenware heran. Diese „Collectivierung des Consums“ führte zur Verlagerung von den privaten Einzelhaushalten in den öffentlichen Handel.272 Die Klagen über Sinn und Unsinn von Modeerscheinungen reichten bis in das 17. Jahrhundert zurück.273 „Mode“ war für viele Kritiker um 1900 ein Vehikel eines allgemeinen Kulturpessimismus. Für Johannes Gaulke vernichtete der Kapitalismus kulturelle und materielle Vielfalt: „Einheit der Form, Einheit der Bedarfsgestaltung, Einheit des Geschmacks! Das kapitalistische Wirtschaftssystem übt in jeder Beziehung nivellierende Wirkungen aus. Das gleichartige Milieu in Bezug auf die Wohnung und Produktionsstätte, die automatische, schablonenhafte Arbeit führt notwendig zu einer Schablonisierung der allgemeinen Bedürfnisse, des Denkens und des Geschmacks. Die Vereinheitlichung des Kostüms für alle Berufsstände und Klassen, arm und reich, jung und alt, ist durch den Kapitalisierungsprozeß der Kleiderindustrie bewirkt worden. Wie im Kostüm, so bilden sich aber auch in allen Gebrauchs- und Luxusartikeln infolge der gleichartigen Bedürfnisse der Menschen und der gleichartigen maschinellen Herstellung stetig festbegrenzte, allgemein anerkannte und gangbare Formen heraus“.274

Dabei blieb umstritten, wer der Urheber der Mode ist – der Konfektionär, der Einzelhändler oder Modezeitschriften. Vorbildcharakter hatten zweifellos die Kollektionen und Schnitte aus Paris, die über Messen und Handelsreisende Eingang in den deutschen Markt erhielten. Ausgangspunkt des Modewechsels waren die Pariser Schnei-

271 Die Herren- und Knabenkonfektion verhandelte intensiv über eine verbindliche „Tuchkonvention“ mit ihren Abnehmern, konnte sich allerdings nicht einigen, siehe Brie et al. (1909), S. 67. 272 Vgl. Sombart (1902), S. 2–5; Schellwien (1912), S. 6 ff. 273 Vgl. Lessing (1884). 274 Vgl. Gaulke (1906), S. 900.

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der, deren Muster durch die Pariser Großhändler („Maisons d’échantillonneurs“) nach der Propaganda in Modejournalen nach Wien, New York, London und auch Berlin gelangten, und dann nur geringfügig geändert als „Berliner Collectionen“ in die Provinzen des Deutschen Reiches geliefert wurden.275 Der Vorwurf, deutsche Konfektionäre und Schneider „äfften“ die französischen Vorbilder mangels eigener Kreativität nach, vermehrten sich zwar276, wurden aber immer wieder widerlegt.277 Dieser Modewechsel war ein Großstadtphänomen.278 Für Sombart waren die urbanen Zentren mit ihren Großbetrieben und ihrer proletarischen Abnehmerschaft der Mittelpunkt der „Mode“ – ein Ausdruck für Unbeständigkeit und Willkür – und damit der kontrastreiche Gegensatz zu ländlich-kleinstädtischen Regionen. Die „Rastlosigkeit des Menschen“ führe dazu, dass die Mode nicht nur nahezu alle Warengruppen erfasste, sondern auch immer schneller wechselte – etwa im Bereich der Damenmode, wo innerhalb einer Saison die Mode bis zu fünfmal wechselte: „Es macht uns nervös, wenn wir ewig ein und dasselbe Kleidungsstück an uns oder unserer Umgebung sehen sollen“.279 Damit veränderten sich, nach Sombart, die Anforderungen an die Textilprodukte vor allem in den Großstädten vom solide-dauerhaften zum gefällig-leichten: „Die Bauerndirne im schweren Faltenrock, den derben Rindslederschuhen, den bunten, dicken Wollstrümpfen, dem Mieder aus steifem Filz, dem groben Leinenhemd und dem plumpen Kopfschmuck, vielleicht gar mit Metallplatten, wie man es in Holland sieht, auf den festgeflochtenen Zöpfen, und dazu im Gegensatz die grossstädtische Confectioneuse in der hellen Battistblouse mit dem gelben Ledergürtel, den leichten Niederschuhen und den durchbrochenen Strümpfen, dem bunten Battisthemdchen und dem Matrosenhütchen auf dem Kopf mit der lose geschlungenen Haarlocke“.280

Alle Produktions- und Distributionsstufen versuchten vom Modewechsel zu profitieren und standen in einem neuen Wettbewerb um Kunden, Aufträge und Marktanteile. Kapitalismuskritische Kommentatoren identifizierten die Textil- und Bekleidungsindustrie als Urheber des Modewechsels. Während Sombart dem Konsumenten und

Während die Damenmode französischen Vorbildern folgte, blieben die deutsche Herrenmode von England und die Schuhmode durch die USA inspiriert, siehe Sombart (1902), S. 15–19; Schellwien (1912), S. 8 ff. 276 Besonders die „Selbstständigkeit des Berliner Marktes für Frauen-Mäntel, Mantillen und Jacken“ wurde zeitgenössisch bezweifelt. Aufgrund der starken Exportorientierung sei Berlin „notwendigerweise abhängig von den Pariser Ateliers“, siehe Lessing (1884), S. 40 f. 277 „In manchen Genres ist die Berliner Konfektion nahezu selbstständig, nur die Ideen und ersten Anregungen werden von Paris geschöpft; Ausbau und Ausführung derselben erfolgt ganz selbstständig durch die Berliner Konfektion. So z. B. hat Berlin [ ], ganz besonders auf dem Spezialgebiet der Damenmäntelkonfektion eine führende Stellung und versorgt den gesamten Weltmarkt“, siehe Schellwien (1912), S. 12. 278 Vgl. Gaulke (1906), S. 893–900; Sombart (1902), S. 9 f.; Schellwien (1912), S. 11 f.; Troeltsch (1912), S. 14. 279 Vgl. Sombart (1902), S. 9 f. 280 Vgl. ebd., S. 6. 275

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Handel noch eine maßgebliche Rolle im Modebildungsprozess zugesprochen hatte, sahen andere Beobachter die „Mitwirkung des Konsumenten auf ein Minimum beschränkt“, die Rolle der Fabrikanten dagegen als „außerordentlich groß“. Hier waren im Zuge der Mechanisierung und Investitionen gewaltige Produktionsanlagen entstanden, die die „Voraussetzung für eine Mode“ im Textilsektor schuf.281 So sah Loeb die Schuld für diese Entwicklung bei den Bekleidungsindustriellen, die wegen der verstärkten Konkurrenz untereinander „unaufhörlich neue Muster“ auf den Markt brachten, um sich voneinander zu unterscheiden und eine Saison von mehreren „Moden“ beherrscht wurde. Die aufgebauten Lager „unmoderner Mode“ schädigten den Einzelhandel. Diese Kleidung gelangte als „Ramschware“ zum Einkaufspreis auf den regulären Markt, und der Einzelhandel blieb auf den teuer eingekauften „modischen“ Waren sitzen und sah sich zu ihrer „Verschleuderung“ gezwungen. In der Konsequenz disponierte der Handel vorsichtiger und machte sich oft des „unlauteren Wettbewerbs“ schuldig.282 Für Gaulke produzierten die „Großindustriellen“, anders als das Schneiderhandwerk, nicht mehr für den individuellen Bedarf, sondern die Produktion war allein durch Absatzpotenziale bestimmt: „Ein Kostüm bleibt ‚modern‘, solange der Fabrikant an dem Artikel interessiert ist, das heißt solange er ein wesentliches Güterquantum auf Lager hat. Ist es abgesetzt, muß er schleunigst eine neue Mode propagieren, um dem Publikum ein neues Angebot machen zu können. Die Mode ist somit nicht der Ausdruck des Schönheits- und Abwechslungsbedürfnisses des einzelnen, des kaufenden Publikums schlechthin, sondern eine vom Fabrikanten willkürlich vorgenommene, meist geringfügige Änderung im Kostüm, um das Publikum immerfort zum Ankauf anzureizen“.283

Aus Sicht der industriellen Großbetriebe und ihrer Fürsprecher hatte in Bezug auf den Modewechsel der „Einfluss der Händler das größere Gewicht“.284 Bekleidungsindustrielle sahen sich vom Modewechsel hart betroffen. Sie empfanden die Herstellung von Bekleidung zunehmend als unberechenbares „Spekulationsgeschäft“: „Kein Konfektionär, der heute zu Beginn der Saison die ersten Musterungen, die er für die Kollektion der Reisenden fertiggestellt hat, kann sagen, ob diese neuen Modelle nach sechs Wochen, bei Beginn der Durchreise noch modern sind“.285 Der Bekleidungsindustrielle – etwa ein Großkonfektionär in Damenmode – hatte eine neue Kollektion erstellt und versuchte, diese über Musterreisende, Prospekte oder Stoffproben an Großhändler oder den Einzelhändler abzusetzen. Der durch die Mode verunsicherte Einzelhändler platzierte große Stammorders zunehmend selten auf Monate im Voraus, sondern bereiste kurz

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Vgl. etwa Schellwien (1912), S. 7, 12. Vgl. Loeb (1905), S. 45–48. Vgl. Gaulke (1907), S. 1364. Vgl. Troeltsch (1912), S. 18 f. Vgl. Loeb, S. 46.

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vor Saisonbeginn die Konfektionszentren. So waren Konfektionäre zur teuren Lagerhaltung gezwungen, waren so allerdings auch in der Musterverarbeitung unabhängiger von den Orders.286 In dieses Risiko traten Großhändler (Grossisten), die nicht nur die neuen Muster der Konfektionäre sichteten, sammelten und verkauften, sondern auch die Aufträge des Handels zu Mengen zusammenfassten, um eine billigere und ausgelastete Produktion zu ermöglichen. Letztlich verkannten die einseitigen Schuldzuweisungen, dass sich Industrie, Handel und Konsument wechselseitig beeinflussten und keiner ohne den anderen eine „Mode“ durchsetzen konnte. Unbestreitbar wurde die „Mode“ zu einem bestimmenden Faktor im Wirtschaftsleben, der Nachfrage und Preisgestaltung nachhaltig beeinflussen konnte. Disponierte der Bekleidungsindustrielle oder Einzelhändler zu vorsichtig, verlor er an Umsatz, disponierte er am Modewechsel vorbei, stand er vor „unmodernen“ Warenwerten und musste diese unter Verlust zu „Schleuderpreisen“ absetzen. Für den Konsumenten bedeuteten der Modewechsel und der wachsende Wettbewerb in Produktion und Handel, dass „Modewaren“ zunehmend preiswerter wurden: „Ein Winterüberzieher, welcher früher ein Jahrzehnt zu halten hatte, mußte naturgemäß aus einem sehr dauerhaften und infolgedessen teuren Stoffe hergestellt werden; heute berücksichtigt man bei der Produktion von vornherein, daß das betreffende Stück nicht für die Ewigkeit berechnet ist, sondern bestenfalls zwei Saisons standzuhalten hat [ ]; infolgedessen werden für derartige der Mode unterworfenen Waren heute lange nicht mehr so dauerhafte und auf jahrelanges Strapazieren eingerichtete Stoffe verwendet, die aus diesem Grunde sehr viel billiger sind, sodaß die fertige Ware sich schon infolge des geringeren Preises der Halbfabrikate billiger stellt. Dazu kommt dann noch der sehr wesentliche Faktor der Massenerzeugung, welcher eine weitere Herabsetzung der Herstellungskosten ermöglicht“.287

Der Einzelhandel sah sich damit einerseits mit emanzipierten und informierten Verbrauchern, zum anderen mit absatzstarken Fabrikanten und Vorlieferanten konfrontiert. Für den Einzelhandel gewannen damit der konzentrierte Einkauf, Marktbeobachtung, Kundenservice und Reklame zum Anfang des 20. Jahrhunderts entscheidend an Bedeutung. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann die skizzierte ideologische Frontstellung der Mittelstandsverbände gegenüber den Warenhäusern und Konsumvereinen zu bröckeln. Der Leipziger Zentralverband unternahm in Zusammenarbeit mit dem VdWK den Versuch, eine neue Spitzenorganisation des Einzelhandels zu gründen. Es entstand der „Bund deutscher Kleinhandelsverbände“. Doch der „Reichsdeutsche Mittel-

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Vgl. Troeltsch (1912), S. 25. Vgl. Schellwien (1912), S. 27.

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standsverband“ reagierte mit einer konservativen Gegengründung – dem „Reichsausschuss für den Kleinhandel“. So geriet der deutsche Einzelhandel zerfasert, gespalten und ungeeint in den Ersten Weltkrieg. Die Spitzenverbände der Großbetriebe und Konsumvereine hatten dank zahlungskräftiger und massenhafter Mitglieder schlagkräftige und robuste Strukturen geschaffen. Diese Strukturen halfen den öffentlichen Diskurs zulasten der mittelständischen Schutzvereine zu beeinflussen. Die Diskussion um Gewerbefreiheit, Steuern und Reklame versachlichte sich zunehmend und staatliche Stellen zögerten zunehmend in Hinblick auf Eingriffe zuungunsten kapitalistischer Großbetriebe, die immerhin die Zivilgesellschaft mit Arbeitsplätzen und Gütern versorgten. Liberale Einzelhandelskreise sahen in der verbandlichen Kommunikation und der Zusammenarbeit mit den Großbetrieben die Chance, ihre gemeinsamen Anliegen voranzubringen, um den Preis, alte Frontstellungen aufzugeben. Schutzverbände, die an den ideologischen Frontstellungen zwischen Klein- und Großbetrieben festhielten, wurden unter den Anforderungen der Kriegswirtschaft in die Belanglosigkeit entlassen. Der Leipziger Zentralverband gab 1917, die Berliner Zentralvereinigung kurz nach Kriegsende ihre Auflösung bekannt. Viele Schutzverbände wurden zu reinen Fachverbänden und schlossen sich den neuen Spitzenorganisationen an.288

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Vgl. ebd., S. 133 ff.

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Der ökonomische Zäsurcharakter der „Urkatastrophe“ ist unumstritten.289 Der Ausbruch des Krieges beendete eine stetige Wachstumsphase mit Raten von knapp zwei Prozent jährlich. Die mit Beginn der Mobilisierung eingeleiteten Umstellungs- und Anpassungsprozesse führten trotz Rationalisierungsmaßnahmen zu einem Einbruch bei Produktion und Produktivität. Dem Deutschen Reich gelang es über die gesamte Kriegsphase deutlich schlechter als seinen Kriegsgegnern, die eigenen Arbeitskräfte, Rohstoffe, Maschinen und Unternehmen zielgerichtet einzusetzen bzw. genügend auszulasten. Produktionssteigerungen in wenigen kriegsrelevanten Bereichen standen dramatische Produktionseinbrüche in vielen kriegsunwichtigen Bereichen entgegen.290 Der Kriegsausbruch hatte das Deutsche Reich unvorbereitet getroffen, es existierten keine ordnungspolitischen Konzepte einer systematischen Umstellung der Friedenswirtschaft auf die rüstungspolitischen Erfordernisse von Produktion, Konsum und Marktverhältnissen.291 Die Textilbranche, soviel war sicher, musste sich den militärischen Erfordernissen unterordnen. Das bedeutete Heereslieferungen vor zivilem Konsum – Uniformen statt Ulster. Die britische Seeblockade und die Mobilisierung trafen die arbeitsintensive, weltmarktorientierte und hochspezialisierte deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ins Mark. Um die textile Versorgung der Reichswehr angesichts des absehbaren Rohstoffmangels zu sichern, ging es zunächst darum, inländische und erbeutete Bestände für den Heeresverbrauch zu sichern, der Produktion für Truppenteile den Vorrang zu verschaffen und den zivilen Textilkonsum einzuschränken. Damit gerieten die Lieferanten des Einzelhandels, also die Textil- und Bekleidungsindustrie, zunächst in den Fokus der Regulierung. Unter dem Dach des preußischen Kriegsministeriums entstanden im August 1914 nach Ideen von Walther Rathenau

Sammelbände neueren Datums etwa Ziegler (2015b); Broadberry (2005). So ging das deutsche Sozialprodukt pro Kopf um 30 Prozent zurück, die Produktionsleistung der Textilindustrie brach um mehr als 80 Prozent ein, siehe Spoerer/Streb (2013), S. 29 f.; Ritschl (2005), S. 41– 76. 291 Vgl. Boldorf (2016). 289 290

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und Wichard von Moellendorff Kriegsrohstoffabteilungen (KRA) und deren operative Kriegsgesellschaften (KrG).292 Beide waren selbstverwaltende Körperschaften der Privatwirtschaft unter behördlicher Aufsicht, in denen sich die leistungsfähigsten Unternehmen der Branche zusammenschlossen. Diese meldeten Rohstoffbestände und den Bedarf in den Unternehmen, worauf die KRA wiederum Rohstoffkontingente zuteilte. Daneben überwachte man die Ein- und Ausfuhren, setzte Verkaufspreise fest, beschlagnahmte erbeutete Rohstoffe oder kaufte textile Bestände auf.293 Gerade im Textilbereich stieß das System an seine Grenzen. Die KrGs bevorzugten die eigenen oder nahestehenden Unternehmen bei der Rohstoffzuteilung oder der Vergabe lukrativer Heeresaufträge. Der behördlichen Aufsicht mangelte es an finanziellen, personellen und technischen Ressourcen, um Produktion, Bedarf, Absatz und Preisfestsetzung der hoch ausdifferenzierten Textil- und Bekleidungsindustrie sachgerecht einzuschätzen. Die Höchstpreise sollten übermäßige Gewinne verhindern. Die Großunternehmen sicherten sich dennoch eine solide Marktposition, indem sie vornehmlich zum eigenen Vorteil und weniger nach kriegswirtschaftlichen Erfordernissen agierten.294 Das Problem für den Einzelhandel war ein Doppeltes. Die militärischen Beschaffungsstellen sahen das produzierende Gewerbe als Lieferanten, der Einzelhandel sollte sich auf den (weniger lukrativen) Zivilmarkt beschränken. In den ersten Kriegswochen waren Lieferungen des Einzelhandels an das Militär noch zugelassen, spätestens zur Jahreswende 1914/15 gaben die Heeresversorgungsämter – wie in Friedenszeiten nach den „Normalbeschaffungsgrundsätzen für Heeresbedarf “ – ihre Anfragen direkt an die Erzeuger, also die Textil- und Bekleidungsindustrie.295 Gleichzeitig schmolzen die Lagerbestände des Handels. Dessen Bestellungen wurden von der durch Heeresaufträge ausgelasteten Bekleidungsindustrie hintenangestellt. Durch die intendierte Warenverknappung auf dem Zivilmarkt stiegen die 292 Zu den Kriegsgesellschaften im Textilbereich zählten u. a.: Außenhandelsstelle für Textilwirtschaft, Ausfuhr GmbH, Baumwollabrechnungsstelle, Ersatz-Sohlen GmbH, Faserstoff-Verstriebs GmbH, Kammwoll AG, Kommissar für die Textilnotstandsversorgung, Wolle und Wollgarnverwertungsstelle, Kriegsausschuss der Deutschen Baumwollindustrie, Kriegsausschuss für Textilersatzstoffe, Kriegsdeckenverband, Kriegsfell AG, Kriegsfilzverband, Kriegsgarn- und Tuchverband e. V., Kriegshanf GmbH, Kriegsleder AG, Kriegswirk- und Strickverband, Kriegswollfachverband, Kriegswollbedarf AG, Leingarnabrechnungsstelle, Papierholzbeschaffungsstelle GmbH, Reichsbekleidungsstelle, Reichslederstelle, Reichsschuhversorgungs-GmbH, Reichsstelle für Papierholz GmbH, Reichsstelle für Schuhversorgung, Reichsstelle für Textilwirtschaft, Reichstextil-AG, Reichswirtschaftsstelle für Wolle, Deutsche Rohhaut AG, Seidenverwertungs-GmbH, Spinnstoffeinfuhr-GmbH, Textilnotstandsversorgungs-GmbH, Überwachungsausschuss der Lederindustrie, Überwachungsausschuss der Schuhindustrie, Vereinigung des Wollhandels, Zentrale Wollhandels-GmbH. 293 Vgl. Feldman (1985), S. 52–58; siehe auch Wixforth (2010); Rohlack (2001); Roth (1997); van de Kerkhof (2010). 294 Boldorf (2016), S. 149 f. 295 Artikel „Detailhandel und Krieg“, 21.1.1915, in: BA R8034-II/3565, 103; Konf, Gegen die Ausschaltung des Detailhandels von Heereslieferungen, 24.1.1915.

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Verbraucherpreise. Folglich gerieten die Erträge der Händler unter Druck – durch sinkende Umsätze, höhere Einkaufspreise, gleichbleibende Betriebskosten. Zudem verschlechterte sich die Textilqualität durch den Einsatz von Ersatz- und Kunststofffasern enorm. Die textile Exportwirtschaft brach infolge mangelnder Absatzmärkte fast vollständig zusammen. Im Textilbereich wurden Import-Rohstoffe wie Baumwolle, Wolle und Seide durch minderwertige Ersatzstoffe ersetzt. Die Textilindustrie setzte neue Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren für Kautschuk, Textilfasern oder Textilabfälle ein. Der Importrückgang an Baumwolle und Wolle konnte bis Ende des Krieges, wie die Deutsche Faserstoff-Ausstellung im April 1918 propagandistisch zeigte, durch Torffaser, Typha-Fasern oder Mischungen von Papierwatte mit Baumwoll- und Wollabfällen ansatzweise aufgefangen werden. Kunstfasern wie Zellulon oder Kunstseide wurden in immer größeren Mengen zu Geweben jeder Farbe und Muster (etwa „Cheviotart“) versponnen. Von ausländischen Textillieferungen unabhängig machte sich das Deutsche Reich dadurch nicht.296 Zum Jahreswechsel 1914/1915 geriet der Textileinzelhandel seitens der Behörden und auch seiner Kunden zunehmend in die Kritik, Versorgungssicherheit und Preisstabilität nicht mehr gewährleisten zu können. Tatsächlich stand bereits Ende 1914 der Zusammenbruch der textilen Produktion und Versorgung im Deutschen Reich kurz bevor. Eine Textilkrise mit allumfassenden Beschlagnahmungen inländischer Bestände oder gar die Verstaatlichung deutscher Unternehmen konnte nur durch einen systematischen Textilraub in den besetzten Gebieten verhindert werden. Die textile Beutepolitik in Belgien (Verviers, Antwerpen, Gent) und Nordfrankreich (Tourtrai, Lille, Roubaix-Tourcoing) war überlebenswichtig für die deutsche Kriegs- und Zivilwirtschaft. Im gewissen Sinne verschafften also zunächst nicht die kriegswirtschaftliche Neuorganisation der Spinnstoffwirtschaft, sondern die Beutetextilien aus den besetzten Gebieten dem Deutschen Reich Ende 1914 eine „Atempause“ zur dringenden Erfassung und Koordinierung der eigenen inländischen Textilkapazitäten.297 Die folgende Analyse ist dreigeteilt. Kapitel 3.1 nimmt die Determinante allen wirtschaftlichen Handelns zwischen 1914 und 1918 in den Blick – die mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft geplante und realisierte Regulierung des Textilsektors. Dabei bleibt der Textileinzelhandel der Fixpunkt der Analyse, auch wenn immer wieder auch die Auswirkungen auf die gesamte textile Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden. Mit dem Primat der Politik in Folge der Kriegswirtschaft weitete sich die staatliche Einflussnahme auf die textile Verteilung und Versorgung aus – somit werden auch staatliche Akteure und Institutionen wie die Reichsbekleidungsstelle oder die Textil-Notstandsversorgung als Teil der Branche identifiziert und bewertet. Kapitel 3.2 widmet sich als Gegengewicht schwerpunktmäßig privaten Einzelunternehmen Konf, Die neuesten Textilersatzstoffe, 11.4.1918; DK, Qualitätsverschlechterung und Surrogate im Textilhandel, 22.2.1914 297 Vgl. Goebel (1922); Boldorf/Haus (2016b). 296

Kriegswirtschaft und Regulierung

und den Auswirkungen der beschriebenen Regulierung auf deren Geschäftsgang. Der äußerst lückenhaften Überlieferung geschuldet, bricht die Darstellung und Analyse im Jahr 1916 ab. Kapitel 3.3 widmet sich abschließend den Konsequenzen der Kriegswirtschaft mit Blick auf das textile Verbandswesen, welches entscheidende Lehren aus den Kriegsjahren zog und wichtige Weichen für die Zukunft stellte. 3.1

Kriegswirtschaft und Regulierung

3.1.1

Bestandserhebung, Beschlagnahme und Preisstopp

Wenige Tage nach Beginn des Krieges stimmte der Reichstag am 4. August 1914 für das „Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen“. Damit schuf das Parlament die Rechtsgrundlage für die kriegswirtschaftliche Gesetzgebung. In der Folge traten bis Kriegsende mehr als 800 Verordnungen der Reichsleitung und der ihr unterstehenden Ämter und Behörden in Kraft.298 Zunächst richteten sich die Verordnungen die Textilbranche betreffend hauptsächlich an die Ein- und Ausfuhr von Textilien sowie textilindustriell arbeitende Betriebe. Die ersten Regulierungen betrafen die rohstofflagernde und -verarbeitende Textilindustrie. Der Textileinzelhandel war anfangs nur mittelbar betroffen. Im Frühjahr 1915 erreichte die behördliche Regulierung den Textileinzelhandel. In einem ersten Schritt sollten unverarbeitete Bestände in den Handelsunternehmen erfasst und beschlagnahmt, also durch die militärischen Beschaffungsämter aufgekauft werden. Zum 1. Mai 1915 ordneten die Kriegsbehörden die Beschlagnahme von Stecknadeln, Druck- und Metallknöpfen, Haken und Ösen sowie Fingerhüten an. Unternehmen mussten alle unverarbeiteten Kupfergegenstände auf Lager melden und abgeben. Fertigfabrikate wie Kleidung waren ausgenommen.299 Ende Juli 1915 ergingen verschiedene Verordnungen der Kriegsrohstoffabteilungen des Kriegsministeriums. Diese betrafen in großen Teilen neben den Verarbeitungsindustrien nun auch den Textileinzelhandel, nämlich alle mit Manufakturwaren und Schnittwaren handelnden Betriebe. Fortan mussten Bestände an Baumwolle, Bastfaserstoffen, Militärtuche, Schlaf- und Pferdedecken per Meldeschein an die Kriegsrohstoffabteilungen bis Ende des Jahres gemeldet werden.300 Neben einer allgemeinen Beschlagnahme wurde dem Vgl. Huber (1978), S. 63 ff. Konf, Zur Beschlagnahme von Stecknadeln, Druck- und Metallknöpfen, Haken und Ösen, Fingerhüten, 22.8.1915. 300 Vgl. im Einzelnen: Baumwolle (Verfügung vom 20.7.1915, W.II.384/7.15 K. R. A.), Bastfaserstoffe (Verfügung vom 20.7.1915, W. I.621/7.15 K. R. A.), Militärtuche (Verfügung Nr. W.I.1.5.15 K. R. A), Militärtuche in Friedensfarben (W. I. 733/8.15 K. R. A.) und Schlafdecken und Pferdedecken (Verfügung W. I. Nr. 734/8.15-K. R. A), siehe Konf, Verzeichnis der für den Detailhandel in Frage kommenden Beschlagnahmen und Anmeldungen, 3.10.1915. 298 299

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Handel untersagt, Baumwolle sowie Wollstoffe zu verarbeiten oder frei zu verkaufen. Verkäufe durften nur noch gegenüber den Militärbehörden durchgeführt werden.301 Im November 1915 waren die ersten „Preisprüfungsstellen gegen den Warenwucher“ errichtet worden. Diese überwachten formal die Preisgestaltung und Kalkulation von „lebensnotwendigen Waren“, vornehmlich von Lebensmitteln. Obwohl Textilwaren von dieser Bundesratsverordnung de jure ausgenommen waren, häuften sich die Eingaben bei sog. Stapelwaren.302 Schwerer als der vereinzelte Eingriff in die Preisgestaltung wog das erlassene Ausverkaufsverbot vom 27. Dezember 1915. Der Textilhandel hatte an diesem Tag gerade mit den traditionellen Inventurausverkäufen begonnen, als die Anordnung bekannt wurde. In ihr verfügte das Preußische Kriegsministerium ein Ausverkaufsverbot auf „alle Web- und Wirkstoffe und hieraus konfektionierte Gegenstände sowie alle Strickwaren“. Bei allen bisherigen Anordnungen waren Modeartikel und konfektionierte Waren, da sie bereits verarbeitet waren, ausgespart worden – nun war auch Konfektionskleidung betroffen.303 Während die Kleinbetriebe das Ausverkaufsverbot weitgehend begrüßten, da sie nicht mehr in „Ausverkaufsschlachten“ mit den Großbetrieben verwickelt wurden, sah die Mehrheit des Textileinzelhandels das Gesetz als „beträchtliche Schädigung“ für den Absatz saisonaler Artikel, die bis Ende 1916 auch eintrat.304 Blieben die Eingriffe im Jahr 1915 noch punktuell auf Ausrüstungsgegenstände oder Halbfabrikate beschränkt, so weitete sich der Griff nun angesichts der eklatanten textilen Versorgungslücken vor dem Hintergrund eines andauernden Abnutzungskrieges auf konfektionierte Ware und Bekleidung aus. Das Kriegsministerium erweiterte die Meldepflicht und Beschlagnahme folgerichtig zum 1. Februar 1916. Die „Beschlagnahme und Bestandserhebung von Web-, Wirk- und Strickwaren sowie von Bekleidungsund Ausrüstungsstücken“ nach Menge, Gleichartigkeit und Gewicht sollte die Ausstattung von Heer, Marine und Feldpost sowie öffentlichen Einrichtungen wie Behörden, Feuerwehren oder Krankenhäusern gewährleisten. Im Fokus lagen demnach Stoffe zur Oberbekleidung, sämtliche Schlaf- und Pferdedecken sowie Männertrikotagen und Wäschestoffe. Die Verordnung benannte zudem fertige Kleidung, die ohne Rücksicht

Vgl. Verordnung betr. Veräußerung, Verarbeitung und Beschlagnahme von Baumwolle, Baumwollabgängen und Baumwollgespinsten vom 14. August 1915, siehe Konf, Veräußerung, Verarbeitung und Beschlagnahme von Baumwolle, Baumwollabgängen und Baumwollgespinsten, 15.8.1915 sowie Verordnung betr. Veräußerungs- und Verarbeitungsverbot von reiner Schafwolle und rein schafwollenen Spinnstoffen vom 14. August 1915, siehe Konf, Veräußerungs- und Verarbeitungsverbot von reiner Schafwolle und rein schafwollenen Spinnstoffen, 15.8.1915. 302 DK, Preisprüfungsstelle gegen den Warenwucher auch für Textilwaren, 14.11.1915. 303 Ein Antrag des detaillistenfreundlichen Zentrums auf Ausschluss von Modeartikeln und Damenkonfektion scheiterte, siehe DK, Das Ausverkaufsverbot, 9.1.1916. 304 DK, An der Jahreswende, 31.12.1916; Konf, Der Detaillistenverband von Rheinland-Westfalen im Kriegsjahr 1916, 25.3.1917. 301

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auf Rohstoff, Farbe oder Herstellung zu beschlagnahmen war.305 Da der Textilbranche Mindestvorräte gewährt und nur ab dieser Mindestgrenze beschlagnahmt wurde, war die Mehrheit des Textileinzelhandels, etwa die Damen-, Wäsche- und Herrenkonfektion, kaum betroffen. Einer Umfrage zufolge spürte ein Warenhaus „fast keine fühlbaren Nachteile“ und ein Textilspezialhaus bestätigte „keinen großen Einfluss auf Detailgeschäfte“. Die Verordnung zielte weniger auf Sommerstoffe (fehlendes Gewicht), sondern nahm schwere Textilien wie Winterstoffe ins Visier. All jene, die entsprechend disponiert hatten – Großhändler und einige große Einzelhandelsbetriebe – konnten diese Waren nicht mehr frei verkaufen. Auch wenn der Textileinzelhandel bislang ungleichmäßig von der Regulierung betroffen war, erkannten alle Betroffenen mittelfristig ein Problem in den Beschlagnahmungen zuungunsten des zivilen Konsums.306 Der folgende „Preisstopp“ traf indes den gesamten Handel. Infolge der Bestandserhebung und Beschlagnahme traten zum 1. Februar 1916 umfassende Preisbeschränkungen im Web-, Wirk- und Strickwaren-Handel in Kraft. Das Kriegsministerium sah in diesem Preisstopp eine provisorische Maßnahme „zur Vermeidung plötzlicher Preissteigerungen infolge der Beschlagnahme“.307 Damit war jede Preiserhöhung für Textilien und Bekleidungsgegenstände verboten. Die gesamte Textilbranche – vom Importeuer über den Fabrikanten bis hin zum Händler – hatte damit ihre Kalkulationshoheit verloren. Generell galt, dass der Gewinn aus dem Verkauf gleicher Waren im Krieg nicht höher sein durfte als zu Friedenszeiten, unabhängig davon, wie sich der Herstellungs- oder Einkaufspreis entwickelte. Als unmittelbarste Reaktion verhängte der „Verband Deutscher Herrenwäsche-Fabrikanten“ Verkaufssperren an den Einzelhandel, nachdem eine geplante Preiserhöhung gegenüber den Abnehmern nun nicht mehr durchsetzbar schien. Die der Textilindustrie nachgeordnete Bekleidungsindustrie und der Textileinzelhandel waren infolge des Preisstopps nach den Worten von Oscar Tietz anfangs „gelähmt“.308 Bald setzte aber eine breite Bewegung des organisierten Handels ein, die Behörden von der Undurchführbarkeit der Anordnung zu überzeugen. Denn trotz des verordneten Preisstopps gaben die Lieferanten Preissteigerung bis an den Einzelhandel weiter. Dieser wurde

305 Darunter fielen Uniformröcke, Feldblusen, Mäntel, Hosen, Feldmützen, Kriegsgefangenen-Anzüge, Drillichjacken, -röcke, -hosen, Männerhemden, Männerunterhosen, Helmbezüge, Zelte, Segeltuche und Sandsäcke. Ausgenommen waren alle gebrauchten Gegenstände, siehe DR, Beschlagnahme und Bestandserhebung von Web-, Wirk- und Strickwaren sowie von Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken, 13.2.1916. 306 DK, Für und wider die Preisbeschränkung vom 1. Februar 1916; Nachträgliches über die Verordnung vom 1. Februar,13.2.1916; DK, An der Jahreswende, 31.12.1916; DR, Beschlagnahme und Bestandserhebung von Web-, Wirk- und Strickwaren sowie von Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken, 13.2.1916. 307 Konf, Der Reichstag über die Abänderung der Preisbeschränkungsverordnung für Textilwaren, 26.3.1916. 308 Artikel „Preisbeschränkung und Kleinhandel“, April 1916, BA R8034-II/3565, p. 162.

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zunehmend scharf durch die Preisprüfungsstellen überwacht und konnte die gestiegenen Einkaufspreise nicht durch erhöhte Verkaufspreise ausgleichen.309 Die Proteste zeigten Wirkung und zum 30. März 1916 kam es zu einer Neuregelung. Alle Waren, die bis zum 1. Februar auf Lager waren, mussten zum Stopppreis verkauft werden. Ware, die nach dem 1. Februar fabriziert und eingekauft wurde, durfte zum Gestehungspreis zuzüglich der „Unkosten und angemessenen Gewinn“ verkauft werden. Was „angemessen“ war, klärte die Neuregelung nicht. Unangemessen, also strafbar, blieb das „willkürliche Heraufsetzen der Preise“.310 Trotz dieser Zugeständnisse hielt der Warenhausbesitzer und Verbandsfunktionär Oscar Tietz die neue Preisregelung weiterhin für nicht umsetzbar. Bevorteilt würden, in seinen Augen, Fabrikanten und Großhandel, während der Einzelhandel weiter mit der „Komplikation der Preisbemessung“ zu kämpfen habe. Der Verbraucher fühle sich, so Tietz weiter, „begreiflich betrogen“, wenn er für den gleichen Meter Stoff mal 1,25 Mark oder 2,50 Mark bezahlen musste. Das neue System führte nämlich dazu, dass gleichartige Ware zu unterschiedlichen Preisen verkauft werden konnte. Da für den Kunden nicht ersichtlich war, ob es sich um „alte“ (vor Februar 1916) oder „neue“ Ware (ab Februar 1916) handelte, musste sich der Textileinzelhandel den Vorwurf der Unlauterbarkeit und Überteuerung einhandeln und überdies bestand die Gefahr der Warenzurückhaltung bzw. des Warenhamsterns.311 3.1.2

Reichsbekleidungsstelle und Bezugscheinsystem

Mit der „Bekanntmachung über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung“ trat die Regulierung des Textilsektors in eine neue Phase ein. Zum 10. Juni 1916 schuf das Kriegsministerium mit der Reichsbekleidungsstelle (RBS) und dem Bezugschein (BS) die zentralen Merkmale der Textillenkung im Deutschen Reich.312 Nach den Worten des RBS-Aufsichtsratsmitglieds Hermann Jäckel war die RBS und das etablierte Bezugscheinsystem „in der Geschichte der erste Versuch, die Beschaffung und den Konsum eines 60-Millionen-Volkes an Kleidung und Wäsche von einer Zentralstelle aus durch die Staatsgewalt zu regeln“.313 Der erste Teil der Verordnung definierte die Aufgaben der RBS. Als Reichsstelle sollte DK, An der Jahreswende, 31.12.1916. Konf, Die endlich erfolgte Abänderung der Preisbeschränkung für Textilwaren, 2.4.1916; Konf, Der Detaillistenverband von Rheinland-Westfalen im Kriegsjahr 1916, 25.3.1917. 311 Artikel „Preisbeschränkung und Kleinhandel“, April 1916, BA R8034-II/3565, p. 162; Artikel „Preisbeschränkung und Kleinhandel“, 23.5.1916, BA R8034-II/3565, p. 182. 312 Die Idee einer Reichsbekleidungsstelle stammte, so mutmaßte „Der Konfektionär, „von einer leitenden Persönlichkeit der Kriegsrohtoffabteilung“, siehe Konf, Das Ende der Bezugscheinpflicht, 7.9.1919. 313 Konf, Die Reichsbekleidungsstelle, 4.2.1917. 309 310

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sie den Bedarf der Bevölkerung an Textilwaren und Bekleidung sicherstellen.314 Dazu mussten alle bis dahin erfassten Bekleidungsgegenstände, die nicht von der Militärbürokratie beansprucht wurden, verwaltet werden. Hauptzweck war die möglichst gleichmäßige Verteilung und der sparsame Verbrauch der vorhandenen Textilien. Priorität in der Verteilung der RBS sollten öffentliche Behörden sowie Krankenhäuser und deren Angestellte haben. Sparsamkeit sollte durch die Propagierung von Ersatzstoffen gefördert werden. Die RBS war wie die Mehrheit der etwa 90 Kriegsgesellschaften als Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 16 Millionen Mark in Berlin gegründet worden. Sie gliederte sich in eine Verwaltungs- und eine Geschäftsabteilung. Die Verwaltung, vertreten durch einen vom Reichskanzler berufenen Vorstand, war dem Reichsamt des Innern unterstellt. Dem Vorstand, dessen Vorsitzender der Reichskommissar für bürgerliche Kleidung Dr. Otto Beutler war315, stand ein Beirat zur Seite, zu dessen Mitgliedern auch Unternehmer aus der Textilbranche zählten, wobei die Textilindustrie überproportional vertreten war.316 Beutler betonte, die RBS sei keine reine Institution für die Kriegsdauer. Auch nach einem Friedensschluss müsse die RBS Vorräte an Textilien und Kleidung vorhalten, damit die Umstellung auf Friedenswirtschaft – Arbeitskleidung statt Militäruniformen – gelang. Neben dieser koordinativen Aufgabe, lag ein Aufgabenschwerpunkt in der Streckung der verfügbaren Vorräte. Dazu müsse der Textilhandel „beschränkt“ werden. Die RBS müsse dem freien Markt einfache, preiswerte Kleidung entziehen und unter ihre Kontrolle bringen. Auf dem freien Markt könne die teure Kleidung verbleiben. Die RBS habe also den Zweck, so Beutler „für die breite Masse, also für 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung, wie bisher für die ausreichende Kleidung, insbesondere Arbeitskleidung“ zu sorgen.317 Aus dieser Agenda der RBS erklärt sich der zweite Teil der Verordnung. Dieser bezog sich auf den Bezug, die Verteilung und den Verkauf von Textilien und Bekleidung und beendete endgültig die Reste des freien Marktes im Textilsektor. Erstmals waren

314 Im Folgenden vgl. Konf, Verordnung über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung vom 10. Juli 1916, 18.6.1916; DR, Bericht über die 28. Hauptversammlung des Deutschen Zentralverbandes für Handel und Gewerbe e. V., Sitz Leipzig, 2.7.1916. 315 Zu biographischen Informationen vgl. Barbara Hillen, Beutler, Gustav Otto, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V., bearb. von Martina Schattkowsky, unter http://www.isgv.de/saebi/, 12.5.2016. 316 Der Paragraph 5 regelte, dass der Beirat „aus dem Vorsitzenden des Vorstandes der Reichsbekleidungsstelle als Vorsitzenden, fünf Königlich Preußischen Regierungsvertretern und je einem [Vertreter aus Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Elsass-Lothringen] [ ] zwei Vertreter des Deutschen Städtetages, je ein Vertreter des Deutschen Handelstages, des Deutschen Landwirtschaftsrats, des Kriegsausschusses für die Deutsche Industrie, des Handwerks, der Verbraucher und drei weitere Vertreter [besteht]“, siehe Konf, Verordnung über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung vom 10. Juli 1916, 18.6.1916. 317 Konf, Geheimrat Beutler – der Leiter der Reichsbekleidungsstelle über die neue Verkaufs-Beschränkungsverordnung, 18.6.1916.

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alle Gewerbetreibenden im Einzelhandel angewiesen, ihre Lagerbestände zu inventarisieren und an die RBS zu melden. Bis zum Abschluss dieser Inventur durfte keine Ware verkauft werden. Erstmals verpflichtete der Gesetzgeber jeden Händler zur nachvollziehbaren Buchführung über Lagerbestand und Verkäufe.318 Doch nicht alle Textilartikel und Kleidungsgegenstände unterlagen der Regulierung. Eine sogenannte Freiliste bestimmte, über welche Textilien und Bekleidung die Händler weiter frei verfügen durften. Diese Artikel mussten nicht inventarisiert und gemeldet werden. Die Kunden konnten diese Waren wie in Friedenszeiten weiter frei erwerben. Die erste Freiliste zählte 30 Artikel. Dazu gehörte etwa die Gruppe der Natur- und Kunstseidenstoffe, Heimtextilien, Verbands- und Hygienestoffe, Säuglingswäsche und -bekleidung sowie gebrauchte Kleidung. Ebenfalls frei blieb hochpreisige Konfektion, da eine Um- und Aufarbeitung für militärische Zwecke ineffektiv gewesen wäre. Dazu gehörten konfektionierte Weißwaren, Herrenstoffe, maßgefertigte Herrenmode, Damenkleider oder Pelzstücke. Ausgenommen von der Regelung blieben auch alle lagernden Teile der fertigen Damenmäntel-, Kleider- und Blusen-Konfektion, die vor dem 6. Juni 1916 fertiggestellt worden waren (Tabelle 14).319 Hatte ein Händler die Inventur der bezugsbeschränkten Waren gemacht, durfte er bis zum 1. August nur maximal 20 Prozent seiner Lagerware zu dem in der Inventur benannten Verkaufspreis verkaufen. Waren also Strümpfe für 2.000 Mark am Lager, so durfte der Händler Strümpfe im Gegenwert von 400 Mark bis zum Stichtag verkaufen.

Nach Paragraph 14 waren „die Beauftragten der Reichsbekleidungsstelle und [ ] die mit der Überwachung der Vorschriften [ ] betrauten Personen befugt, in die Räume der [ ] Betriebe einzutreten, die Warenlager und die übrige Geschäftseinrichtung zu besichtigen, Auskunft einzuholen und die Geschäftsaufzeichnungen einzusehen [ ]“. Als Sanktion sah die Verordnung vor, dass „die zuständige Behörde Betriebe schließen [kann], [die] sich unzuverlässig zeigen“. Wurde keine Auskunft erteilt oder der Zutritt verweigert drohte „Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 15.000 Mark“, siehe Konf, Verordnung über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung vom 10. Juli 1916, 18.6.1916. 319 Ausführliche Freiliste: Stoffe aus Natur- und Kunstseide; Halbseidene Stoffe; Seidene und halbseidene Strümpfe; Bänder; Spitzen; Mützen, Hüte, Schleier; Schirme; Teppiche; Möbelstoffe; Gardinen; Wollene Damenkleider und Mäntelstoffe (10 M/m, 130 cm breit); Baumwollene Kleider- und Schürzenstoffe (6 M/m, 90 cm breit); Verbandstoffe und Damenbinden; Konfektionierte genähte Weißwaren; Herrenstoffe (14 M/m, 140 cm breit); Fertige Fracks, Militäruniformen, Uniformbesatz und Militärausrüstungsgegenstände (sofern über einer gewissen Preisgrenze); Alle Artikel der fertigen Damen- und Mädchenmäntel, Damen- und Mädchenkleider, Damen- und Mädchen-Blusen-Konfektion (sofern am 6. Juni fertiggestellt und über einer gewissen Preisgrenze); Mit Pelz gefütterte oder überzogene Kleidung; Fertige Damenwäsche aus Webstoffen (über einer gewissen Preisgrenze); Säuglingswäsche und -bekleidung; Korsetts; Wäschestoffe (2 M/m, 80 cm breit); Gemustertes weißes Tischzeug; Reinwollene Schlafdecken (über 30 M); Kragen, Manschetten, Krawatten und Schlafanzüge, fertige Herrennachthemden (über 7 M/Stk); Taschentücher; Hausschürzen (ab 4,50 M/Stk); Seidene Schuhe; Maßangefertigte Herren- und Damenober- und Unterkleider und getragene Kleidungsstücke, vgl. Konf, Bekanntmachung betreffend die von der Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung ausgeschlossenen Gegenstände vom 10. Juli 1916, 18.6.1916; Konf, Richtlinien für die neue Verkaufs-Beschränkungsverordnung, 18.6.1916. 318

Kriegswirtschaft und Regulierung

Tab. 14 Auswahl von bezugscheinfreier Herren- und Damenoberbekleidung Herrenoberbekleidung320

Damenoberbekleidung321

Damenwäsche aus Webstoffen

Rock- und Gehrockanzug (75)

Damenmantel (60)

Damenhemd (6,50)

Sack- und Sportanzug (60)

Jackenkleid (80)

Damennachthemd (10)

Rock und Gehrock (47)

Waschkleid (40)

Damenbeinkleid (5)

Sackjacke (32)

Wollende Bluse (15)

Untertaille (5)

Weste (10)

Waschbluse (12)

Frisiermantel (10)

Beinkleid (18)

Wollender Morgenrock (30)

Waschunterrock (12)

Winterüberzieher (80)

Waschmorgenrock (20)

Morgenjacke (10)

Sommerüberzieher (65)

Garniertes wollendes Kleid (100)

Nachtjacke (5)

Wettermantel aus Loden (40)

Kleiderrock (25)

Anmerkung: Preisgrenze in Klammern, Preise in Mark

Die Zeit vom 10. Juni bis 1. August 1916 kann als Übergangszeit zur angeordneten Bezugscheinpflicht gewertet werden, mit dem Ziel einen etwaigen Kaufandrang einzuschränken. Für die Händler blieb die Zeit bis August meist ohne Umsatzeinbuße, da auch in Friedenszeiten in diesen wenigen Wochen nie mehr als 20 Prozent des Lagerstandes verkauft wurden. Die Freiliste erhöhte zwischenzeitlich eher den Geschäftsgang, hauptsächlich bei großen Einzelhändlern mit viel lagernder Damenkonfektion. Neben der Einführung des Bezugscheins und der Freiliste sollten Händler wie Konsumenten auch durch andere Maßnahmen zum sparsamen Verbrauch von Textilien und Kleidung gebracht werden. Am 13. Juni 1916 verbot die RBS Betrieben der Industrie und des Handels, „auf Lager“ zu arbeiten. Die Herstellung durfte nun nur auf Bestellung oder festen Auftrag geschehen. So sollten die Vorräte gestreckt werden. Tatsächlich waren alle Werkstätten in den Einzelhandelsgeschäften damit stillgelegt.322 Bereits Ende Juni 1916 mehrte sich die Kritik an der Textilregulierung. Kleine und mittlere Geschäfte sahen den Bezugschein als Gefahr für ihr Geschäftsmodell. Die Freiliste war durchsetzt mit „Luxuswaren“ und bevorteile damit das breite Sortiment von Warenhäusern. Weiter würden die Kunden, so die Kritiker, durch die bürokratische Beantragung des Bezugscheines ihren Bedarf fortan vermehrt in Großbetrieben decken. Außerdem, so ein weiterer Vorwurf, hatten die Großkonzerne von den Regulierungsplänen frühzeitig erfahren, und sich vor dem 10. Juni verstärkt mit freier 320 Wortlaut (Freiliste): „Fertige Fracks, Militäruniformen, Uniformbesatz und Militärausrüstungsgegenstände“. 321 Wortlaut (Freiliste): „Alle Artikel der fertigen Damen- und Mädchenmäntel, Damen- und Mädchenkleider, Damen- und Mädchen-Blusen-Konfektion, sofern am 6. Juni fertiggestellt“. 322 DK, Wie wirkt die neue Verordnung auf das Geschäft, 9.7.1916.; Konf, Die neuen, am 13. Juni in Kraft tretenden Maßnahmen der Reichsbekleidungsstelle, 11.6.1916; Konf, Die neuen Erläuterungen der Reichsbekleidungsstelle über die Verkaufsbeschränkungs-Verordnung, 23.6.1916.

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Ware eingedeckt. Neben dem Informationsdefizit fehlte es den kleinen und mittleren Unternehmen zudem an genügend Kapital für solche Präventivstrategien. Die Detaillisten-Schutzverbände forderten daher vom Reichskanzler die Wiedereinführung der Vertragsfreiheit, den Fortfall der Ausnahmen für Luxuswaren und die Beschlagnahme aller Waren, um dem Einhamstern der Großkonzerne zu begegnen.323 Doch der größte Ärger der Kleinunternehmer richtete sich gegen den Paragraphen 7, Absatz 1 der Verordnung. Hier hatten die Behörden die Vertragsfreiheit zwischen Bekleidungsindustrie und Einzelhandel drastisch eingeschränkt. Fabrikanten durften nur noch solche Abnehmer beliefern, mit denen sie „vor dem 1. Mai dauerhaft in Geschäftsverbindung“ gestanden hatten. Neukundengewinnung war damit verboten. Die RBS versuchte damit, weitgehend fachfremde Personen und Unternehmen aus der Handelskette verschwinden zu lassen, die durch Spekulationsgeschäfte und mehrfache Zwischenverkäufe die Preise für Textilwaren hochtrieben. Der reguläre Textilhandel sah hier jedoch eine Vorschrift, die am Ende mehr Schaden als Nutzen stiftete. Der sog. preistreibende „Kettenhandel“ würde nur beschränkt, nicht aber gestoppt, da der Paragraph sich nur auf Kleidung, nicht aber Textilstoffe bezog. Dagegen benachteiligte die Aufweichung der Vertragsfreiheit die kleinen Unternehmen, die nicht über so ein weit verzweigtes Kontaktnetzwerk verfügten und sich regelmäßig an die leistungsfähigsten Lieferanten wandten – ihr Kundenkreis wurde deutlich eingeschränkt. Aus Sicht des Handels profitierten nur die Vorlieferanten von dieser Vorschrift, indem die RBS den Fabrikanten monopolartige Strukturen sichere – der Handel sei diesem Prozess „mit Haut und Haaren“ ausgeliefert.324 Die Kritikpunkte verhallten größtenteils ungehört, einzig die Eigenfabrikation „im bisherigen Umfang“ wurde erlaubt.325 Ab dem 1. August 1916 galt im Textileinzelhandel und Schneidereihandwerk, dass Bekleidung und Textilien nur noch gegen einen Bezugschein verkauft werden konnten. Aufgrund der Freilistenartikel und der ausgenommenen Luxuswaren traf die Bezugscheinpflicht die Händler in Herrenkonfektion zunächst ungleich härter als die Damenkonfektionshäuser, da für Kleider, Blusen, Mäntel, Jacken und Röcke auf Lager keine Inventurpflicht und Verkaufsbeschränkung galt. Nur neu hinzugekommene Damenmode unterlag den Beschränkungen. Dagegen galten für den Großteil der Herren- und Knabenkonfektion und der Trikotagenartikel die Inventarpflicht und eine Verkaufsbeschränkung.

DK, Der Detaillisten-Schutzverband über Maßnahmen der Reichsbekleidungsstelle, 18.6.1916. DK, Sturmlauf gegen den § 7 der neuen Verordnung, 25.6.1916. So erlaubte die Ermächtigung des Reichskanzlers vom 22. Juni 1916 über Ausnahmen des § 7, Absatz IV „die gewerbsmäßige Herstellung von Bekleidungsstücken für den eigenen Kleinhandel des Herstellers in dem bisherigen Umfang“, siehe DR, Erleichterungen der Verkaufsbeschränkungen im Textilgewerbe, 2.7.1916. 323 324 325

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Der Händler verkaufte weiterhin gegen Geld an seine Kunden. Doch die Kunden bekamen den Artikel nur gegen Vorlage eines Bezugscheins. Der Bezugschein wurde auf Antrag und nach Prüfung der Bedürftigkeit an die Bevölkerung ausgegeben.326 Des Weiteren waren Bezugscheine nicht übertragbar und es gab kein Recht auf Lieferung der ausgewiesenen Artikel. Zunächst waren Bezugscheine einen Monat, ab Ende März 1917 zwei Monate gültig.327 Stellvertretend für den Berliner Textilhandel wünschte sich der Kaufhausbetreiber Theodor Althoff ein einfaches und bequemes System ohne „überflüssige Scherereien und Schwierigkeiten“. Doch bis Ende Juli 1916 fehlten den kommunalen Ausgabestellen Vorschriften über den Ausgabeprozess. Die Reichshauptstadt Berlin startete mit 23 Ausgabestellen, die im Laufe des Jahres auf insgesamt 40 erhöht wurden.328 Aber Althoff problematisierte zu Recht die drohende Bürokratisierung und sorgte sich um eine ausreichende Zahl an Bearbeitern in den Ausgabestellen.329 Während in Leipzig die vorhandenen 44 Ausgabestellen für Lebensmittelkarten nun auch Textilbezugscheine ausgeben sollten330, errichtete München eine eigene Bekleidungsstelle, die dem „Städtischen Statistischen Amt“ unterstellt war. Auch in München entschied man sich für eine dezentrale Ausgabe an mehreren Orten, um den zu erwartenden Andrang gleichmäßig zu verteilen und bearbeiten zu können. Bezugscheine durften nur nach Einzelfallprüfung ausgegeben werden. Auf Plakaten warnte der Reichskommissar für bürgerliche Kleidung: „Wer einen Bezugschein fordert, ohne dringendste Notwendigkeit, versündigt sich gegen das Vaterland. Die Bezugscheinstellen sind verpflichtet, in jedem einzelnen Fall [rot markiert], den vorhandenen Bestand festzustellen und die Richtlinien der Reichsbekleidungsstelle genau zu beachten“.331

De facto verfuhren die Ausgabestellen wegen der Nachfrage und der Personalknappheit pragmatischer. In München etwa wurde im Fall von kleineren Beträgen und Anschaffungen der Bezugschein ohne Antrag gestempelt. Für einen gestempelten Bezugschein galt reichsweite Freizügigkeit – nun konnte der Kunde damit überall Ware kaufen, wo diese vorrätig war. Bei größeren Anschaffungen musste der Antragsteller die Notwendigkeit glaubhaft machen. Diese Bescheinigung stellten Gewerkschaften,

Mit Bekanntmachung dieser Regelung hatte die RBS jedoch noch keine Grundsätze zur Beurteilung der Bedürftigkeit ausgestellt. 327 Zusammenfassend und rückblickend: Konf, Das Ende der Bezugscheinpflicht, 7.9.1919. 328 Konf, Wie die Ausgabe der Bezugscheine in Groß-Berlin geregelt wird, 30.7.1916; Konf, Der Bezugschein in der Versammlung des Vereins der Textildetaillisten Groß-Berlins, 12.11.1916. 329 Nach Althoffs Berechnungen konnte ein Beamter pro Tag etwa 100 Bezugscheine (fünf Minuten Bearbeitungszeit pro Bezugschein) erteilen. Um an genügend Bearbeiter zu kommen, sollten die Verwaltungen auf die „Entlassenen der Detailgeschäfte“ zurückgreifen, siehe Konf, Anregungen für die Regelung der Bezugscheinausgabe, 30.7.1916. 330 Konf, Wie die Ausgabe der Bezugscheine geregelt wird?, 23.7.1916. 331 Vgl. Plakat „Wer einen Bezugschein fordert“, Oktober 1917, BA, Plakat 001-010-051. 326

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Erster Weltkrieg (1914–1918)

Beamtenvereine oder der Arbeitgeber aus. Nach der Prüfung durch einen Ausschuss konnte der Bezugschein gestempelt werden.332 Bis zum Jahresende 1916 dynamisierte sich die Regulierung, indem die Freiliste zum 1. November gekürzt wurde und ab dem 23. Dezember 1916 auch gebrauchte Kleidung und Schuhe der Obhut der RBS anvertraut werden sollten. Die regionalen Außenstellen der RBS begannen mit dem Einkauf, der Weitergabe und dem Verkauf von Gebraucht- und Altkleidern. Der Privatverkauf von gebrauchter Kleidung war fortan untersagt. Kommunen richteten reichsweit, zuerst in Leipzig und München, später in allen Groß- und Mittelstädten eigene Altkleidersammelstellen ein.333 Mit dem städtischen Auftrag, eine solche Verkaufsstelle für Altbekleidung zu organisieren und zu leiten, kehrte der eingezogene Fritz Bamberger im Jahr 1918 nach München zurück.334 In Berlin warb die Kleiderverwertungs-Gesellschaft (KVG) auf Plakaten unter dem Motto „Wer Kleidung abliefert, nützt dem Vaterlande“. Interessenten sandten eine Postkarte an die KVG und die schickte Boten zur kostenlosen Abholung. Im Gegenzug für die Ablieferung von gebrauchter Kleidung erhielten die Menschen für die Anschaffung neuer Kleidung entsprechende Bezugscheine ohne Bedarfsprüfung.335 Auch das Rote Kreuz startete breite Spendenaufrufe und forderte im Rahmen der „Reichswollwoche“ die „Berliner Hausfrauen“ auf, „alle entbehrlichen wollenen und baumwollenen Sachen (Männer- und Frauenkleider, Unterkleider, Tuche, Teppiche, usw.) freiwillig zu spenden“.336 Wie das Bezugscheinsystem auf die Geschäftswelt wirkte, zeigte das Ergebnis einer Umfrage des „Konfektionärs“ Anfang November 1916 unter Berliner Textilhäusern. So stellte das Damenkonfektionshaus R. M. Maassen ernüchtert fest, dass die Wirkungen auf den Geschäftsgang „außerordentlich einschneidend“ waren, da sich die Mehrheit der Kunden „immer noch nicht an Bezugscheine gewöhnt“ hatte. Das Berliner Modehaus S. Adam zeigte wenig Verständnis für die Textillenkung: „Für drei Saisons nur drei Herrenanzüge und zwei Überzieher zu bewilligen, ist allerdings für einen gut gekleideten Herrn ein recht geringes Zugeständnis“. Der Detaillistenverband Groß-Berlins beschrieb die Wirkungen des neuen Systems als ebenfalls „ungeheuer“, warb aber für Verständnis für die Regulierungsmaßnahmen.337 Die Reaktion des Vereins der Textildetaillisten Groß-Berlin fiel dagegen umso kritischer aus. Die Einführung des Bezugscheins sei „so einschneidend und unheilvoll für

Zweigstellen mussten entsprechende Listen über die ausgegebenen Bezugscheine (Kartothek) und die legitimierten Waren führen, siehe Konf, Wie die Ausgabe der Bezugscheine geregelt wird?, 23.7.1916. 333 München und Leipzig waren „mit der Organisation des Altkleiderhandels vorangegangen“. Leipzig errichtete etwa eine „ständige Kleiderstelle“ für 200.000 Mark, siehe Konf, Die Reichsbekleidungsstelle, 4.2.1917. 334 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 21. 335 Plakat „Wer Kleidung abliefert, nützt dem Vaterlande“, ca. 1914/18, BA, Plakat 001-010-023. 336 Plakat „Gebt für die Reichswollwoche“, Dezember Januar 1914/15, BA, Plakat 001-008-049. 337 Konf, Wie wird die erweiterte Bezugscheinpflicht das Detailgeschäft beeinflussen?, 5.11.1916. 332

Kriegswirtschaft und Regulierung

das Detailgeschäft, wie [ ] nie jemals irgendeine gesetzliche oder behördliche Maßnahme“. Die Ausgabestellen seien mit der Ausgabe überfordert und wenig sachkundig: „Wenn eine Dame sieben Meter Stoff für ein Kleid beantragt, so werden ihr fünf Meter bewilligt, obgleich sie doch naturgemäß mit diesen 5 Metern gar nichts anzufangen weiß“. Deshalb müsse das Ausgabesystem gründlich reformiert werden, indem mehr Ausgabestellen geschaffen, eine vereinfachte Bedarfsprüfung, längere Öffnungszeiten und unabhängige Beschwerdeinstanzen zugelassen werden.338 Die „Deutsche Konfektion“ zog am Jahresende 1916 ein negatives Fazit. Die regional unterschiedlichen Ausführungsbestimmungen stellten den Erfolg einer Streckung der Vorräte bei Vermeidung von Preissteigerungen in Frage. Das Fachblatt befürchtete einen deutlichen Umsatzeinbruch im Textileinzelhandel.339 Der „Konfektionär“ befragte nach einem Jahr praktiziertem Bezugscheinsystem erneut die Berliner Textildetaillisten. Einig waren sich die Befragten, dass der Bezugschein teilweise die beabsichtigte Wirkung – Streckung der Vorräte – zeigte, alle Geschäfte jedoch mit großen Umsatzeinbußen und Einkaufsschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Das altehrwürdige Berliner Damenkonfektionshaus V. Manheimer berichtete von Umsatzrückgängen, da die „Ausgabe der Bezugscheine sehr ungleich“ verlief. Zudem sparte sich die Kundschaft die raren Bezugscheine für Winterkleidung auf, sodass das Sommergeschäft nahezu brachlag. Das Wäschetraditionshaus Heinrich Jordan berichtete ebenfalls von einer „gewissen Willkür“ bei der Ausgabe, aber auch, dass die Kundschaft mit den neuen Regelungen „allmählich vertraut“ war. Die im Einzelhandel tätige Kleiderfabrik Baer Sohn berichtete Umsatzrückgänge. Zudem seien die Lagerbestände stark zurückgegangen und neue Ware war kaum mehr zu beschaffen. Einige Geschäfte hatten sonntags bereits geschlossen. Hugo Ahronfeld vom „Verein der Textildetaillisten Groß-Berlin“ sah die „Hoffnungen der Behörden erfüllt“. Der Bezugschein bringe „nur 40 Prozent der Kunden wie zu Friedenszeiten“ in die Geschäfte, wodurch Händler gezwungen waren, Artikel in höheren Preislagen zu verkaufen.340 Gegen genau jene preissteigernden Tendenzen richtete sich die Regulierung im Frühjahr 1917. Die Preisstoppverordnung wurde am 11. Februar 1917 verschärft und umfasste nun sämtliche tierische und pflanzliche Spinnstoffe sowie Textilersatzstoffe. Um den unlauteren Zwischenhandel einzudämmen, verschärften die Behörden die strafrechtlichen Konsequenzen.341 Ende März setzten die Behörden auf eine erneute Bestandsaufnahme für Textilwaren und Konfektion. Ab dem 26. März 1917 mussten nun Konf, Der Bezugschein in der Versammlung des Vereins der Textildetaillisten Groß-Berlins, 12.11.1916. DK, An der Jahreswende, 31.12.1916. Konf, Ein Jahr Bezugschein, 29.7.1917. Vgl. Verordnung betr. den Kettenhandel vom 11. Februar 1917: „Wer den Preis durch unlautere Machenschaften, insbesondere Kettenhandel, steigert, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe bis 10.000 M bestraft“. Daneben sah die Verordnung die „Entziehung der Vorräte“ und den „Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte“ vor, siehe Konf, Schwere Strafen gegen den Kettenhandel mit Textilwaren, 11.2.1917. 338 339 340 341

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Erster Weltkrieg (1914–1918)

nicht nur der Einzelhandel, sondern auch Fabrikanten und Großhändler ihre Bestände bis spätestens 7. April gemeldet haben. Damit verschaffte sich die RBS erstmals einen Überblick über den Bestand an Waren der Freiliste (Tischdecken, Matratzen, Möbelstoffe, etc.), die von nun an meldepflichtig waren. Diese Erhebungen waren die Voraussetzung für eine umfassende Beschlagnahme und Enteignung durch die RBS ab dem 4. April 1917. Im Falle der Beschlagnahme übernahmen die Besitzer die Warenlagerung auf eigene Kosten (Ware blieb an Ort und Stelle). Im Falle der Enteignung musste der Besitzer die Ware gegen einen von der RBS festgelegten Preis überführen. Der Pressesprecher beeilte sich zu versichern, dass letztere Maßnahme nur greife, wenn „der Allgemeinheit Waren unberechtigterweise vorenthalten werden sollen“ und sich ein Händler oder Fabrikant damit der Schieberei schuldig gemacht habe. Die Verordnung, so der RBS-Sprecher weiter, ziele nicht darauf, „in die Verbraucherkreise und den legitimen Handel einschneidend einzugreifen oder diesen gar lahmzulegen“.342 3.1.3

Textile Notstandsversorgung

Spätestens im April 1917 wandelte sich die Rolle der RBS von einem Kontroll- und Verwaltungsorgan zu einer unternehmerisch tätigen Institution. Die beschlagnahmten, enteigneten und aufgekauften Waren gingen über die RBS als sog. „Reichsware“ in den zivilen Textil- und Bekleidungsmarkt zurück. Prinzipiell gab die RBS über ihre Geschäftsabteilung Waren nur an Verbände ab, nicht an Einzelfirmen oder Einzelpersonen. Zunächst blieben die Detaillistenverbände vom Bezug ausgeschlossen. Die RBS lieferte Rohstoffe und Gewebe ausschließlich an die maßgeblichen Verbände der Textilindustriellen, der Großhändler und der industriell arbeitenden Bekleidungsindustrie.343 Aus Sicht der RBS waren die Detaillistenverbände reichsweit weniger gleichmäßig aufgestellt und strukturell weniger leistungsfähig, sodass die RBS eine „direkte Zuweisung [als] ungeheuer schwierig“ ansah. Dem deutschen Textileinzelhandel fehlte es bisher an einer reichsweiten Dachorganisation. Die Waren sollten daher an die etablierten Fabrikanten- und Großhandelsverbände gehen. Deren Mitglieder wurden verpflichtet, die zu Stoffen und Kleidungsstücken verarbeitete „Reichsware“ in möglichst kleinen Posten dem Einzelhändler zu verkaufen. Die RBS baute ein großflächiges Distributions- und Verkaufssystem neben dem regulären Einzelhandel auf. In sog. „Reichslagern“ wurde durch die RBS angekaufte oder

Konf, Neue Bestandsaufnahme für Textilwaren und Konfektion, 18.3.1917; Konf, Bekanntmachung über Beschlagnahme und Enteignungen durch die Reichsbekleidungsstelle, 15.4.1917; Konf, Unbegründete Angst vor den Maßnahmen der Reichsbekleidungsstelle, 22.4.1917. 343 „Gegenwärtig wird außerdem versuchsweise Verbänden der Konfektion Ware im Gesamtwert von 1,5 Mill. M[ark] zum Ankauf zur Verfügung gestellt“, siehe Konf, Die Reichsbekleidungsstelle, 4.2.1917; DK, Einzelfirmen erhalten keine Waren direkt von der Kriegswirtschafts-A.-G., 18.2.1917. 342

Kriegswirtschaft und Regulierung

beschlagnahmte Ware gelagert, in Sortimente geteilt und der Bevölkerung zugeführt. Die Ware, die eine Textilfabrik von der RBS erhielt, durfte diese nur an Groß- oder Einzelhändler verkaufen. Der Verkaufspreis und die etwaigen Zuschläge pro Verarbeitungsstufe waren durch die RBS festgelegt. Aus Sicht der RBS war damit gewährleistet, dass die „Reichsware“ zielgerichtet beim Einzelhandel ankam. Um die Versorgung der ärmeren Bevölkerung sicherstellen zu können, entschloss sich die RBS, vor allem Fertigkleidung über kommunale Einrichtungen zu verkaufen. Diese sog. „Kommunalware“ gelangte erst gar nicht in den regulären Einzelhandel, da aus Sicht der RBS nur die Kommunen den Bedarf ihrer Einwohnerschaft genau überblickten.344 Die RBS versuchte auf fünf Wegen die Notstandsversorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten zu gewährleisten (Abbildung 5). Neben der Zuteilung und Streckung im Inland ging das Deutsche Reich im Kriegsverlauf dazu über, Waren der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie des Einzelhandels aus den besetzten Gebieten Belgien, Niederlande und Polen zu beschlagnahmen. Militärisch untaugliche „Beuteware“ kaufte die Reichsbekleidungsstelle auf. Zum dritten beauftragte die RBS deutsche Bekleidungsindustrielle, vornehmlich die Breslauer Firma C. Lewin, ausgemusterte Uniformen und Heereswäsche in Arbeitskleidung umzuarbeiten.345 Ein vierter Weg war das systematische Einsammeln von Altkleiderbeständen aus Zivilhaushalten. Kommunen wurden zur Errichtung von Altstoffsammelstellen verpflichtet, an denen Bedürftige gegen wenig Geld und Bezugscheine Kleider bekamen. Die fünfte Maßnahme war die Förderung der Herstellung von Ersatzstoffen zur Substitution von Baumwolle und Leinen. Besonders ärmere Bevölkerungsschichten litten an einem großen Mangel von Leib- und Bettwäsche. Die RBS unterstützte daher die Verspinnung von Holzfasern mit chemischen Mitteln zu Zellstoffen. Diesen Stapelfasern wurden geringe Baumwoll-, Woll- und Leinenanteile beigemischt und daraus widerstandsfähige Wäscheartikel gefertigt. Die Anteile stammten aus einer reichsweiten Beschlagnahme- und Aufkaufaktion der RBS, die auf Heimtextilien wie Vorhangstoffe und Bett- und Tischwäsche zielte. Betroffen waren ausschließlich Gast- und Schankwirtschaften, Pensionen sowie öffentliche Gebäude, Schulen und Büros in Großstädten. Aus dem Erlös der Beschlagnahme war der Eigner gezwungen, Ersatz in Papiergewebe zu kaufen. Trotz all dieser Maßnahmen konnte die Reichsbekleidungsstelle den zivilen Notbedarf „bei weitem nicht decken“. Die Aktivitäten der RBS zielten zwar generell auf die „Ärmsten und Schwächsten“. Tatsächlich war die textile Versorgung des Staatsdienstes die oberste Priorität, die allgemeine Versorgung der Bevölkerung war nachgeordnet. Vorrangig blieben die Versorgung aller öffentlichen Anstalten der uniformierten Beamten (Polizei, Eisenbahn, Zoll, Forst) sowie der sog. „Heimarmee“, also den Arbeitern

Konf, Die Reichsbekleidungsstelle, 4.2.1917; DK, Warum keine „Reichsware“ für Detaillisten?, 30.9.1917. 345 Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 188. 344

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RBS, vor allem Fertigkleidung über kommunale Einrichtungen zu verkaufen. Diese sog. „Kommunalware“ gelangte erst gar nicht in den regulären Einzelhandel, da aus Sicht der RBS nur die Kommunen den Bedarf ihrer Einwohnerschaft genau überblickten.344 112

Erster Weltkrieg (1914–1918)

Abbildung 5 Der Weg der Ware zum Endverbraucher: Die Textile Notstandsversorgung bis 1922

Anmerkungen: Eigene Abb. 5 Der Weg der Darstellung Ware zum Endverbraucher: Die Textile Notstandsversorgung bis 1922 Anmerkungen: Eigene Darstellung

Die RBS versuchte auf fünf Wegen die Notstandsversorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten zu gewährleisten (Abbildung 5). Neben der Zuteilung und Streckung im Inland ging das Deutsche 346 Reich Kriegsverlauf dazu über, Waren derimTextilBekleidungsindustrie sowiesich des in denimkriegswichtigen Betrieben. Doch letztenund Kriegsjahr verschlechterte Einzelhandels aus den besetzten Gebieten Belgien, Niederlande und Polen zu beschlagnahmen. die Versorgungslage der Zivilbevölkerung durch die Kriegsrückkehrer zunehmend. In Militärisch untaugliche „Beuteware“ kaufte Reichsbekleidungsstelle auf. Bayerische Zum dritten einem Schreiben vom 24. Januar 1918 an diedieRBS beschrieb das Königlich beauftragte die RBS deutsche Bekleidungsindustrielle, vornehmlich die Breslauer Firma C. Lewin, Bezirkamt Stadtamhof die Notlage der heimkehrenden Soldaten eindringlich und ausgemusterte Uniformen und Heereswäsche in Arbeitskleidung umzuarbeiten.345 Ein vierter Weg warnte vor möglichen Unruhen, sollte die Grundversorgung an nötigster Kleidung war das systematische Einsammeln von Altkleiderbeständen aus Zivilhaushalten. Kommunen nicht gesichert werden: wurden zur Errichtung von Altstoffsammelstellen verpflichtet, an denen Bedürftige gegen wenig 344

„Unter [ ] den Kriegern herrscht eine schreiende Not an Kleidungsstücken [ ]. Nicht we-

Konf, Die Reichsbekleidungsstelle, 4.2.1917; DK, Warum keine „Reichsware“ für Detaillisten?, 30.9.1917. nige verfügen bei ihrer Entlassung über keinerlei bürgerliche Kleidungsstücke. Sie sind 345 Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o.D., BA R3101/6600, p. 188.

nicht selten nach 4 bis 6 jährigen Heeresdienstes ihren Anzügen entwachsen oder [ ] [ihre Anzüge sind] von ihren Verwandten [ ] aufgetragen oder aus Not veräußert worden. [ 90 ] Die Bekleidungsnot ruft unter der Schar der entlassenen Krieger große Unzufriedenheit und Gereiztheit hervor, welche die [ ] Missstimmung in hohem Masse steigert und zuweilen in bedrohlicher, die öffentliche Ruhe und Sicherheit gewährender Weise anwächst und auch auf die andere Bevölkerung übergreift. [ ] Ganz abzusehen von den unzureichenden Warenbeständen der Geschäfte, sind die [ ] Kriegsinvaliden in der überwiegenden

346

Vgl. ebd., p. 189–190.

Kriegswirtschaft und Regulierung

Mehrzahl völlig mittellos und ganz oder teilweise erwerbsunfähig, sodass sie sich neue Kleidungsstücke zu den derzeitigen handelsüblichen Preisen nicht zu erstehen vermögen [ ]“.347

Auch die Versorgung der arbeitenden Bevölkerung mit dem Notwendigsten gestaltete sich zunehmend schwierig. Im Februar 1918 musste die RBS die Versorgung der gegen Lohn in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen übernehmen. Insgesamt sollten 850.000 Herren- sowie 150.000 Frauenanzüge bereitgestellt werden. Analog zum Modell für Kriegsheimkehrer gab es verschiedene Qualitätsklassen, gestaffelt nach Gebraucht- und Neuware – allerdings sollten die Kleidungsstücke nur gegen (ein deutlich reduziertes) Entgelt an Verbraucher abgegeben werden.348 Die RBS erwarb die Neu- und Gebrauchtware ebenfalls von den kommunalen Kriegswirtschaftsämtern. Anfangs hatte der Reichskommissar für bürgerliche Kleidung verfügt, den Textileinzelhandel „bei Versorgung der landwirtschaftlichen Bevölkerung mit Kleidung auszuschließen“. Nach dem Protest vieler Einzelhandelsverbände im April 1918 lenkte die RBS ein und verteilte die „Reichsware“ ab Mai 1918 auch über Einzelhandelsgeschäfte. Damit kamen berechtigte Bevölkerungskreise auf drei Wegen an die verbilligte „Reichsware“: Direkt über die Kriegswirtschaftsämter, den örtlichen Einzelhandel oder andere Organisationen wie das Rote Kreuz.349 Im März 1918 war das Bezugscheinsystem für Arbeitskleidung nahezu zusammengebrochen. Arbeiter, Angestellte und die kriegswichtigen Industrieunternehmen konnten sich nur noch ungenügend mit Textilien und Kleidung versorgen. Der prognostizierte Bedarf lag bei circa drei Millionen Männeranzügen und 500.000 Frauenkleidern. Da die RBS nur über eine entsprechende Reserve von 500.000 Männeranzügen verfügte, griff sie über ihr Vorkaufsrecht auf den zivilen Textilmarkt zurück. So beabsichtigte sie den Bezug von 840.000 Anzügen aus den Lagerbeständen der Bekleidungsindustrie, dem Schneidergewerbe sowie dem Tuchgroßhandel. 750.000 Anzüge sollten über die Altkleidersammelstellen erworben werden. Und schließlich plante man mit 350.000 kunstwollenen Anzügen aus Beständen der Kriegsrohstoffabteilungen. Während die Militärbehörden und die USPD die völlige Beschlagnahme aller Bestände in Handel und Gewerbe forderten, sprach sich die RBS gegen diesen drastischen Eingriff in das Privateigentum aus, der nur zulasten der restlichen Konsumenten wirken würde. Stattdessen bemühte sich die RBS um einen regulären Aufkauf vorhandener Waren zu „erträglichen Preisen“. Gegen diesen „Warenentzug durch Kauf “ widersetzten sich Vgl. Anlage zum Bericht über die Versorgung der bedürftigen entlassenen Krieger mit Anzügen und Mänteln, 4.2.1918, BA R3101/7119, p. 93–95. 348 Die Anzüge für Männer bestanden aus Jacke, Weste und Hose. Anzüge für Frauen bestanden aus Bluse und Rock. Die RBS unterschied vier Klassen für Männer: Klasse I und II waren Neuware (100 bis 160 Mark), Klasse III und IV Gebrauchtware (40 bis 80 Mark), Frauenanzüge Klasse V und VI (Neukleidung zu 75 bis 160 Mark), siehe Schreiben an das Kriegsamt Stab ML, 15.2.1918, BA R3101/7119, p. 65–66. 349 Vgl. Schreiben an den Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes, 25.4.1918, BA R3101/6994, p. 71–78. 347

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Erster Weltkrieg (1914–1918)

anfangs größere Kommunen wie München.350 Im April 1918 sagte das Kriegsministerium nach langen Verhandlungen 500.000 getragene Uniformen zur Umarbeitung zu. Die Bekleidungsindustrie und Schneidereien versprachen, 840.000 Anzüge zu liefern. Die fehlenden eine Million Anzüge sollten durch Aufrufe an die wohlhabende Bevölkerung zur Altkleiderspende besorgt werden.351 Für den Zweck der Spende gebrauchter Männeranzüge an kriegswichtige Betriebe wurden ab Mai 1918 sog. „Reichskleiderlager“ unter Beteiligung des Textileinzelhandels errichtet. Die Lager kauften die gesammelten Anzüge von den kommunalen Sammelstellen. In den Reichslagern lagerte die Ware und wurde sortiert an Betriebe gegen „Ankaufsscheine“ weiterverkauft. Die Mehrheit der Lager wurde entweder direkt von einem Einzelhändler oder von mehreren Einzelhändlern genossenschaftlich betrieben. Aufnahmefähig waren nur geprüfte Kaufleute, die bereits vor Kriegsausbruch ein Textilgeschäft betrieben hatten. Reichsweit entstanden zunächst 54 solcher Reichslager.352 Im ersten Monat sammelten diese Stellen 43.000 Anzüge und 26.000 Mäntel von den Kommunalverbänden.353 Etwa einen Monat vor Unterzeichnung des Waffenstillstandes an der Ostfront hatte sich die RBS mit der Versorgung der rückkehrenden Soldaten ins Deutsche Reich und deren Versorgung mit der nötigsten Bekleidung beschäftigt.354 Die Behörde rechnete mit zwei Millionen Heimkehrern. Jeder sollte einen Anzug und – sofern notwendig – einen Wintermantel erhalten. Während die RBS die Beschaffung koordinierte, sollte die Verteilung dem Zentralkomitee des Roten Kreuz, dem Kriegsministerium und den Kommunalverbänden obliegen. Der enorme Bedarf an Kleidungsstücken wurde auf drei Wegen beschafft. 250.000 Anzüge (Klasse A) sollten neu angefertigt werden. 1,5 Millionen Anzüge und 350.000 Mäntel (Klasse B) sollten aus ausgemusterten, umgearbeiteten Uniformen entstehen. 250.000 Anzüge und 150.000 Mäntel sollten von den kommunalen Altbekleidungsstellen abgezogen werden (Klasse C). Nach dem internen Beschaffungsplan sollten damit 2,5 Millionen Kleidungsstücke, also 2 Millionen Anzüge und 500.000 Mäntel, bereitgestellt werden. Anzüge und Mäntel waren entwe-

Vgl. Schreiben an das Königlich Bayerische Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Aeussern, 20.3.1918, BA R3101/7119, p. 107–111. 351 Im Mai 1918 erhöhte das Kriegsministerium die Lieferung getragener Röcke und Hosen auf je 750.000 Stück, sodass das Spendenziel auf 750.000 ermäßigt werden konnte. Der neue Beschaffungsplan (Mai 1918) sah also nun 500.000 neue Anzüge (Klasse A), 750.000 umgearbeitete Militäruniformen (Klasse B) und 750.000 getragene Anzüge (Klasse C) vor, siehe Schreiben an die Landeszentralbehörden, 14.3.1918, BA R3101/7119, p. 115–117; Schreiben an den Herrn Vizepräsidenten des Kgl. Preuß. Staatsministeriums, 18.4.1918, BA R3101/7119, p. 163–164. 352 Vgl. Schreiben betr. Errichtung von Reichskleiderlägern unter Beteiligung des Webwaren-Kleinhandels, BA R3101/7119, p. 186–192. 353 Vgl. Schreiben betr. Versorgung der entlassenen Krieger mit Anzügen und Mänteln, 28.5.1918, BA R3101/7119, p. 212–218. 354 Vgl. im Folgenden Bericht über die Versorgung der bedürftigen entlassenen Krieger mit Anzügen und Mänteln, 4.2.1918, BA R3101/7119, p. 86–95. 350

Kriegswirtschaft und Regulierung

der neu angefertigt, umgearbeitet oder gebraucht. 200.000 Anzüge und 50.000 Mäntel, allesamt umgearbeitet, sollten die Heimkehrer kostenlos erhalten, für neue und gebrauchte Artikel verlangte die RBS zwischen 10 und 35 Mark. Da diese Verkaufspreise unter den Herstellungskosten lagen, subventionierte das Reich die Anschaffung mit insgesamt 30,75 Millionen Mark (Tabelle 15). Tab. 15 Beschaffungsplan der Reichsbekleidungsstelle355 Bekleidung

Stückzahl

Gestehungskosten

Verkaufspreis

Reichszuschuss (pro Stk)

Reichszuschuss (Summe)

Anzug A

250.000

50

35

15

3.750.000

Anzug B

1.300.000

20

10

10

13.000.000

Anzug B

200.000

20

Kostenlos

20

4.000.000

Anzug C

250.000

35

20

15

3.750.000

Mäntel B

300.000

20

10

10

3.000.000

Mäntel B

50.000

20

Kostenlos

20

1.000.000

Mäntel C

150.000

40

25

15

GESAMT

2.500.000

2.250.000 30.750.000

Anmerkungen: Preise in Mark; Gestehungspreise sind durchschnittliche Angaben; Verkaufspreise formal „Preise für Krieger“, also für Berechtigte.

Die umgearbeiteten Uniformen, die die RBS plante, kostenlos abzugeben, sollten aus den Beständen des Kriegsministeriums und anderer Militärbehörden stammen. Aber die vereinbarte unentgeltliche Überlassung der Uniformen stockte. Die Militärbürokratie sah die Bestände entweder anderweitig verplant oder nicht bezifferbar. Dabei waren die Zahlen des preußischen Kriegsministeriums alarmierend, wonach etwa jeder zehnte Soldat keine bürgerliche Kleidung besaß und jeder dritte musste dringend kostenlos versorgt werden. Die erforderlichen Subventionen verweigerte jedoch das Reichsschatzamt. Es sagte lediglich einen Zuschuss von 17,5 Millionen Mark für umgearbeitete und gebrauchte, aber nicht für Neuware zu.356 Die Zahlen und Absichten der RBS wurden im Angesicht der deutschen Kapitulation und der revolutionären Umstürze ab November 1918 Makulatur, da die textilen Zentralinstanzen kurzzeitig vollständig zusammenbrachen. Lokale Eliten „bemächtigten sich der Läger und schütteten sie nach Gutdünken aus“. So verfügten die bayerische und die sächsische Regierung, dass die gebildeten Bestände der RBS neu gebildeten Organen zugeführt wurden und untersagten jegliche Transporte außerhalb ihres Ein-

355 Aufstellung nach Versorgung bedürftiger entlassener Krieger mit bürgerlicher Kleidung – Beschaffungsplan, 1.12.1917, BA R3101/7119, p. 53. 356 Das Reichsschatzamt bezuschusste demnach 1,5 Millionen Anzüge (Klasse B, C) und 250.000 Mäntel (Klasse B), siehe Bericht über die Versorgung der bedürftigen entlassenen Krieger mit Anzügen und Mänteln, 4.2.1918, BA R3101/7119, p. 87–89.

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Erster Weltkrieg (1914–1918)

flussbereiches. Auf Druck revolutionärer Gruppen verkaufte etwa die badische Heeresführung ihre Bestände an die Badische Vertriebsgesellschaft, die aus „Textil-Interessenten“ gebildet worden war. Reichsweit verweigerten Soldatenräte, die nicht mehr benötigten Bestände herauszugeben und bestanden auf eine Verarbeitung und Verteilung durch und an die örtliche Arbeiterschaft.357 Der RBS und der Reichsregierung blieben bloß plakative Aufrufe, den Verkauf „unter der Hand“ zu unterlassen und die „Millionenwerte“ an Heerestextilien zu sichern.358 Einer späteren Analyse der RBS zufolge lagerten mit Kriegsende tatsächlich große Bestände an Kleidung und Textilien in Militärlagern. Schon etwa 15 bis 20 Prozent dieser Mengen hätte ausgereicht, „die bedürftige Bevölkerung genügend zu bekleiden“.359 Die Militärbehörden hatten Textilien und Kleidung gehortet und dem zivilen Markt entzogen, verweigerten dem Reichskommissar jedoch weiterhin konkrete Auskunft über die Lagerbestände und waren nur bereit, minderwertige Strümpfe und Trikotagen aus ihren Lagern abzugeben. 3.2

Geschäfte im Krieg

Das Jahr 1914 stand für den deutschen Textileinzelhandel unter keinen guten Vorzeichen. Umfragen unter Händlern zum Jahresende 1913 dokumentierten Kaufzurückhaltung und mit einem Konsumaufschwung rechneten mittelfristig die wenigsten.360 Auch „Der Konfektionär“ hatte zu Jahresbeginn reichsweit Geschäftsleute nach ihren Wünschen und Erwartungen an das Geschäftsjahr 1914 befragt. Viele wünschten sich ein politisch „ruhiges“ Jahr. Auf sozialpolitischem Gebiet empfanden die befragten Unternehmer sich durch einen „Wust von Gesetzen und Verordnungen“ behindert. In Fragen der Konkurrenzklausel und der umstrittenen Sonntagsruhe wünschten sich die Befragten innerbetrieblichen Frieden. Nach außen sollte weiter an einem Interessenausgleich mit Fabrikanten und Großhandel gearbeitet werden. Am Ende der Wunschliste für 1914 stand für die meisten Händler die Hoffnung auf passendes Wetter: „Innige Bitte an den launigen Wettergott: Es möge im Jahre 1914, wie es 1913 war, nicht immer zur Unzeit warm und zur Unzeit kalt sein“.361 In den Friedensmonaten des Jahres 1914 kurbelte zumindest das Wetter die Umsätze im Textileinzelhandel an. Ein mildes Frühjahr brachte bis Ostern überdurchschnittliche Umsätze in Kostümen und Sportjacken und auch die Sommersaison lag umsatzmäßig 10 bis 20 Prozent über dem Vorjahr.362

357 358 359 360 361 362

Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 193–194. Vgl. Plakat „Hütet das Heeresgut“, 1918, BA 002-002-008. Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 191. DR, Mit der Mittelstandsbewegung des letzten Jahres, 11.1.1914. Konf, Was die Geschäftswelt vom Jahre 1914 erwünscht und erwartet, 4.1.1914. Konf, Die allgemeine Wirtschaftslage im Jahre 1914, 4.4.1915.

Geschäfte im Krieg

Das Deutsche Reich befand sich formal ab dem 1. August 1914 im Kriegszustand. Die Textilgeschäfte registrierten nahezu unmittelbar die ersten Auswirkungen. Der „Konfektionär“ berichtete von einer „gewitterschwangeren Stimmung der letzten Juli-Woche“, die eine entschiedene Kaufzurückhaltung des breiten Publikums zur Folge hatte. In den Großstädten, hauptsächlich in Berlin, richtete sich die Mehrheit der Geschäfte nach der explodierenden Nachfrage im Zuge der militärischen Mobilmachung. Unterwäsche, Stiefel und Socken beherrschten die Schaufenster und Auslagen. Insgesamt blieb der August 1914 unter den Umsätzen des Vorjahres. Großbetriebe, die sog. Heereslieferungen ausführten, also Lieferungen an die Militärbehörden, erwirtschafteten gute Erträge. Im Zuge des wachsenden militärisch verwendbaren Bedarfs an Stoffen und Bekleidung gründeten sich neue Spezialgeschäfte für Heeresbedarfs-Artikel. In diesen konnten die Kunden bald auch die warme und wasserfeste „Kriegsweste“ Kaiser Wilhelms kaufen, welche reichsweit propagiert worden war.363 Während auf der einen Seite neue Geschäfte entstanden und einige wenige vom Mobilisierungsboom profitierten, konstatierte der Berliner Textileinzelhandel Mitte August 1914 eine „Lahmlegung der Wollwarenbranche“, nahezu „Stillstand“ in kleinen Textilgeschäften und eine „gähnende Leere in großen Berliner Warenhäusern“, deren Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat um die Hälfte einbrachen.364 In einer Umfrage der „Deutschen Konfektion“ sah der Vorsitzende des VdWK Oscar Tietz nach den Erfahrungen der Jahre 1870/71 nur eine langsame Belebung, da sich nach den „ersten Siegesbotschaften das Geschäft noch nicht wesentlich heben werde“.365 Das führende Stuttgarter Bekleidungshaus E. Breuninger zeigte sich in der dritten Augustwoche 1914 deutlich optimistischer: „Wenn nach einigen Wochen unsere Armee die Siege erzielt, die ihr gebühren, so wird auch das Geschäft, das in letzter Zeit in Militärartikeln gut ging, auch wieder für Modewaren etwas anziehen“. Doch wie auch andere litt Breuninger unter dem Personalmangel und den sinkenden Verkaufszahlen. Etwa die Hälfte seines männlichen Personals hatte sich freiwillig gemeldet oder war eingezogen worden und die eigenen Anlagen (Maßatelier, Schneiderei, Fabrik) produzierten vorerst ausschließlich auf Lager oder für den Großhandel.366 Das Kölner Warenhaus Leonard Tietz kämpfte ebenfalls mit den vielen eingezogenen Freiwilligen. Infolge des „sehr minimalen Geschäftsgangs“ musste die Belegschaft auf bis zu 50 Prozent ihres Gehalts verzichten, um Kündigungen zu vermeiden. Tietz hoffte indes, dass „die inzwischen bekanntgewordenen guten Erfolge der deutschen Waffen auf die Kauflust des Publikums anregend wirken“.367 Während Breuninger wenige Heeresaufträge für Lazarette

Konf, Ueber „Der Krieg und der Kleinhandel“, 13.12.1914; Konf, Kaiser Wilhelm in Feldgrau, 25.4.1915; Tagesneuigkeiten – Die „Kriegsweste“ Kaiser Wilhelms, in: Leibacher Zeitung vom 8.10.1914. 364 Konf, Die allgemeine Wirtschaftslage im Jahre 1914, 4.4.1915. 365 DK, Krieg und Detailhandel, 16.8.1914. 366 DK, Wie verhalten sich maßgebende Detailfirmen in der Kriegszeit?, 23.8.1914. 367 DK, Wie verhalten sich maßgebende Detailfirmen in der Kriegszeit?, 30.8.1914. 363

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118

Erster Weltkrieg (1914–1918)

ausführte, berichteten andere Kaufleute wie die Königsberger Textilhandlung Gebrüder Siebert von einer „sehr starken“ Auslastung infolge von Kriegslieferungen.368 Im zweiten Kriegsmonat, im September 1914, berichteten die Fachblätter von einer guten und nahezu normalen Geschäftslage. Der Handel im deutsch-französischen Grenzgebiet freute sich über das „lebhafte Geschäft“ durch die Käufe von französischen Kriegsgefangenen, denen es – wie bereits 1870/71 – erlaubt war, für eigenes Geld persönliche Anschaffungen zu machen wie etwa Wäsche und Kleidungsstücke.369 Vor allem die Großbetriebe profitierten nun einerseits von der Aufgabe der Kaufzurückhaltung des breiten Publikums („Gedränge wie in normalen Zeiten“) als auch von der Akquise großer Heeres- und Lazarettlieferungen.370 Doch die Warenhäuser beobachteten auch eine neue Sparsamkeit im Kaufverhalten vieler Konsumenten: „Man begnügt sich [heute] mit dem einfachen Stück und ist zufrieden, wenn es praktisch seinen Zweck erfüllt“.371 In Anbetracht der aufkommenden kalten Jahreszeiten unterstützte der Textileinzelhandel Mitte September 1914 einen Aufruf des Kronprinzen Wilhelm von Preußen, Unterwäsche und Socken aus Wolle zu sammeln. Unter dem Motto „Winterkleidung für Soldaten“ beabsichtigten zahlreiche Geschäfte, die im Feld stehende Bevölkerung mit winterfesten Sachen zu unterstützen. In den Auslagen dominierten nun Unterhosen, wollene Trikothemden, Lederwesten, wasserfeste Unterjacken, Schals, Handschuhe, Strümpfe, Schlafsäcke, Decken und Taschentücher.372 Auch Verbände und Vereinigungen riefen zur Sammlung von Winterkleidung auf. Der Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser etwa spendete Wolldecken an das Heer.373 Das Bild der Geschäftslage im Textileinzelhandel war nach zwei Kriegsmonaten regional und branchenmäßig uneinheitlich. Die Nachfrage, die vornehmlich von einer weiblichen Kundschaft für ihre im Feld stehenden Ehemänner, Söhne und Brüder ausging, stärkte den Einzelhandel mit praktischen, einfachen Artikeln. Strümpfe, Pulswärmer, Trikotstoffe, Unterwäsche, Lodenjoppen, Westen und Stiefel verzeichneten durch die zivile und militärische Nachfrage ein Umsatzplus. Auch Geschäftsgründungen waren in diesem Umfeld nicht abwegig. Zwei Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges warben Anzeigen am 1. bzw. 15. Oktober 1914 für die Neueröffnung von Bamberger & Hertz in München.374 Wie die überlieferten Umsatzzahlen für das Münchner Haus zeigen, profitierte das Herren- und Knabengeschäft von der entspre-

„Die Garnisionsverwaltung stempelt [die Lieferungen] und bescheinigt, dass die Ware für Kriegszwecke bestimmt ist“, siehe DK, Wie verhalten sich maßgebende Detailfirmen in der Kriegszeit?, 23.8.1914. 369 Konf, „Millionen“-Bestellungen französischer Gefangener, 4.10.1914. 370 Konf, Wie gehen die Geschäfte in Berlin, 20.9.1914. 371 Konf, Das Geschäft in den Waren- und Kaufhäusern, 27.9.1914. 372 Konf, Winterkleidung für unsere Soldaten, 20.9.1914. 373 Darüber hinaus zeichnete der Verband die Kriegsanleihe und setzte einen Kriegshilfefond für notleidende Mitglieder in Höhe von 25.000 Mark auf, siehe Konf, Die Kriegs-Generalversammlung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V., 7.3.1915. 374 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 19. 368

Lederwesten, wasserfeste Unterjacken, Schals, Handschuhe, Strümpfe, Schlafsäcke, Decken und Taschentücher.372 Auch Verbände und Vereinigungen riefen zur Sammlung von Winterkleidung 373 Geschäfte im Krieg auf. Der Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser etwa spendete Wolldecken an das Heer. Abbildung 6 Umsätze Bamberger & Hertz, Haus München, Oktober 1914 bis 1918

374

1.600.000

1.410.449

1.400.000 Umsatz Mark

1.200.000

1.083.677

1.000.000 800.000

640.925

600.000

552.563

400.000 200.000

149.140

0 1914

1915

1916

1917

1918

München Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise. Abb. 6 Umsätze Bamberger & Hertz, Haus München, Oktober 1914 bis 1918375

Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise. Das Bild der Geschäftslage im Textileinzelhandel war nach zwei Kriegsmonaten regional und branchenmäßig uneinheitlich. Die Nachfrage, die vornehmlich von einer weiblichen Kundschaft für ihre im spezifischen Feld stehenden Ehemänner, Söhne Brüder ausging,war stärkte mit chenden Nachfrage, denn derund Kriegsausbruch eherden eineEinzelhandel „Sortimentspraktischen, einfachen Artikeln. Strümpfe, Pulswärmer, Trikotstoffe, Unterwäsche, Lodenjoppen, krise“ als eine allgemeine „Absatzkrise“ (Abbildung 6). Westen und Stiefel verzeichneten durch die zivile und militärische Nachfrage ein Umsatzplus. Die Bamberger & Hertz-Gruppe – mit ihren Standorten in Leipzig, Frankfurt und Auch Geschäftsgründungen waren in diesem Umfeld nicht abwegig. Zwei Monate nach Ausbruch Saarbrücken – war zudem eng genug mit ihren Lieferanten vernetzt, um die Sortides Ersten Weltkrieges warben Anzeigen am 1. bzw. 15. Oktober 1914 für die Neueröffnung von

mentsumgestaltung zu vollziehen und in der Akquise staatlicher Großaufträge in Leipzig und Frankfurt erfolgreich zu sein. Fritz Bamberger eröffnete also im Oktober 1914 369 Konf, „Millionen“-Bestellungen französischer Gefangener, 4.10.1914. 370 zuKonf, keinem ungünstigen Zeitpunkt. Mit der starken Stellung seiner Brüder im Gewerbe Wie gehen die Geschäfte in Berlin, 20.9.1914. 371 und deren materieller finanzieller Unterstützung Konf, Das Geschäft in denwie Warenund Kaufhäusern, 27.9.1914. konnte er die angedeutete „Sorti372 Konf, Winterkleidung für unsere Soldaten, 20.9.1914. mentskrise“ vielleicht sogar schneller lösen als seine Münchner Konkurrenten. 373 Darüber hinaus zeichnete der Verband die Kriegsanleihe und setzte einen Kriegshilfefond für notleidende Ein ähnliches Bild zeigt auch der Blick auf und Reingewinn der HettMitglieder in Höhe von 25.000 Mark auf, siehe Konf, DieBilanzsumme Kriegs-Generalversammlung des Verbandes Deutscher Waren- und die Kaufhäuser e.V., 7.3.1915. lage-Gruppe, neben ihrem Stammhaus in Münster auch in Kassel, Greifenhagen 374 Darstellung nach Papiermark-Bilanzen der Bamberger & Hertz-Gruppe, o.D., JMB 2010/3/1. und Bielefeld aktiv war und ebenfalls Herren- und Knabenkleidung verkaufte. Beson96 ders in der ersten Kriegsphase 1914/1915 vervielfachte sich der bilanzierte Reingewinn, während die Bilanzsumme – in laufenden Preisen – zumindest stabil blieb (Abbildung 7). Der Einzelhandel mit modischer Bekleidung, teuren Stoffen und maßgefertigten Stücken erlebte dagegen ein Umsatzrückgang. Es gingen weniger Bestellungen hochwertiger Straßenkleidung und maßgeschneiderter Damenkleider bei den Konfektionshäusern ein. In Folge der Mobilisierung lag der Absatz an männliche Kundschaft schätzungsweise bei nur 60 Prozent des Herbstumsatzes aus dem Jahr 1913. Spezialhäuser wie kleine Herrenmodegeschäfte, Herrenschneidereien und Fachgeschäfte für

375

Darstellung nach Papiermark-Bilanzen der Bamberger & Hertz-Gruppe, o. D., JMB 2010/3/1.

119

3 3

40

37

2,19

2,24

2,50

2,63

2,60

2,87 30

2 22

20

2

22

1 1

5

20

10

Reingewinn Mark

4

376

x 10000

Millionen

Abbildung 7 Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1913 bis 1918

Bilanzsumme Mark

120

ebenfalls Herren- und Knabenkleidung verkaufte. Besonders in der ersten Kriegsphase 1914/1915 vervielfachte sich der bilanzierte Reingewinn, während die Bilanzsumme – in laufenden Preisen – zumindest stabil(1914–1918) blieb (Abbildung 7). Erster Weltkrieg

3 0

0 1913

1914

1915 Bilanzsumme

1916

1917

1918

Reingewinn

Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise, linke Achse: Bilanzsumme (gerundet), rechte Achse: Reingewinn Abb. 7 Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1913 bis 1918376 (gerundet). Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise, linke Achse: Bilanzsumme (gerundet), rechte Achse: Reingewinn (gerundet). mit modischer Bekleidung, teuren Stoffen und maßgefertigten Stücken erlebte Der Einzelhandel

dagegen ein Umsatzrückgang. Es gingen weniger Bestellungen hochwertiger Straßenkleidung und maßgeschneiderter Damenkleider bei den Konfektionshäusern In Erlahmen Folge der Mobilisierung lag bessere Herrenwäsche litten daher besonders stark unterein. dem der Kaufkraft der Absatz an männliche Kundschaft schätzungsweise bei nur 60 Prozent des Herbstumsatzes aus 377 des Publikums. dem Jahr 1913. Spezialhäuser wie kleine Herrenmodegeschäfte, Herrenschneidereien und

In Reaktion auf die Umsatzeinbrüche warben Fachzeitungen wie die „Deutsche Konfektion“ für die Vorzüge der sich etablierenden Kriegswirtschaft und deren Regulierung. Der Krieg mache eine deutliche Reduzierung der Fixkosten möglich, durch 375 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 19. die ein Umsatzrückgang ausgeglichen werden könnte. So sollte der Kaufmann „über376 Berechnungen nach Aufstellungen zu Bilanzsummen und Reingewinnen, o.D., F132-65, F132-66, F132flüssige Geschäftsspesen“ ebenso wie „lästige Gewohnheiten“ vermeiden. Dazu sollten 77. „Übertreibungen in der Reklame“ beendet und unrentable Geschäftszweige – wie vie97 le Ateliers, die Damenkonfektion kostenlos umarbeiteten – aufgegeben werden. Der Textilhändler könne sich, so die „Deutsche Konfektion“, endlich auf seine wesentlichen Funktionen beschränken – Verteilung und Vermittlung – und damit eine tragende Rolle in einer erfolgreichen Kriegswirtschaft einnehmen.378 Pessimistischer beurteilte der Verband Berliner Spezialgeschäfte die ersten Kriegsmonate. Dessen Mitglieder beklagten den schwindenden Gewinn, denn während Fixkosten wie Miete und Strom unverändert blieben, verringerte sich der Absatz. Tatsächlich reduzierten sich angesichts der eingezogenen Mitarbeiter auch die Personalkosten.

Berechnungen nach Aufstellungen zu Bilanzsummen und Reingewinnen, o. D., F132–65, F132–66, F132–77. 377 DK, Krieg und Detailhandel, 1.11.1914; Artikel „Krieg und Detailhandel“, BA R8034-II/3565, p. 96 f., 99 f. 378 DK, Welchen dauernden Nutzen können wir aus dem Kriege ziehen?, 6.12.1914; Konf, „Das Detailgeschäft im Kriege“, 17.1.1915. 376

Geschäfte im Krieg

Tatsächlich aber hatten sich die Einkaufsbedingungen verschlechtert. Die Preise für Rohmaterialien und Halbfabrikate stiegen infolge des Kriegsausbruchs, lagernde Waren wurden in den ersten Wochen von den Militärbehörden beschlagnahmt. Die Berliner Spezialgeschäfte kritisierten zudem die unzureichende Einbindung des Einzelhandels in die Heereslieferungen. Die Bestände der Militärbehörden an Textilien und Bekleidung waren infolge der freiwilligen Meldungen und Masseneinziehungen nach wenigen Wochen erschöpft gewesen. Der Textileinzelhandel konnte den gewaltigen Bedarf weitaus schlechter decken, zumal ein Bezug direkt vom Lieferanten den Beschaffungsprozess beschleunigte. In den ersten Kriegswochen waren Lieferungen des Einzelhandels an das Militär noch zugelassen, spätestens zur Jahreswende 1914/15 gaben die Heeresversorgungsämter – wie in Friedenzeiten nach den „Normalbeschaffungsgrundsätzen für Heeresbedarf “ – ihre Anfragen direkt an die Erzeuger, also die Textil- und Bekleidungsindustrie.379 Im Laufe des Jahres 1915 mehrten sich die regulativen Einschränkungen beim Einkauf von Stoffen wie Baumwolle, Wolle und Leinen. Der Umsatzrückgang verschärfte den Liquiditätsmangel. Der Einzelhandel bemühte sich daher um die Verringerung und Bereinigung der vorhandenen Lagerbestände. Damit gewannen die Preiskalkulation und das Verhältnis zu den Lieferanten an grundlegender Bedeutung. Für den Einzelhandel zeigte sich im Verhalten der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie des Großhandels nun der wahre Charakter der Lieferantenbeziehung.380 Der Textileinzelhandel geriet damit zunehmend in einen Rechtfertigungsdruck gegenüber drei Seiten. Bei den Lieferanten (Seite 1) stand der Einzelhandel in der Pflicht, vorausschauend zu disponieren und seine Außenstände fristgerecht zu begleichen. Die Verbraucher (Seite 2) wiederum erwarteten Preisstabilität und Versorgungssicherheit. Die zivilen und militärischen Behörden (Seite 3) erwarteten vom Einzelhandel die Erfüllung seiner Verteilungs- und Vermittlungsrolle zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Kriegswirtschaft. Bereits zum Jahresbeginn 1915 wehrten sich die Einzelhändler gegen „Angriffe“ auf ihr Geschäftsgebaren. Auf der gemeinsamen Tagung des „Verbandes Deutscher Rabattsparvereine“ und des „Deutschen Zentralverbandes für Handel und Gewerbe“ kritisierten die Kaufleute die „unerhörten verallgemeinerten Angriffe“ und widersprachen vehement den Vorwürfen, die „Kriegsangst“ der Bevölkerung durch Preistreiberei auszunutzen.381 Der Textilhandel rang mit der Frage, wann und wie viel von welcher Ware am besten, das heißt zu den günstigsten Preisen, zu disponieren war. Fest stand, dass vornehmlich Stapelware und „wirklich brauchbare Ware für unsere Krieger“ in mittlerer

379 Artikel „Detailhandel und Krieg“, 21.1.1915, BA R8034-II/3565, p. 103; Konf, Gegen die Ausschaltung des Detailhandels von Heereslieferungen, 24.1.1915. 380 DK, Inwiefern trägt der Krieg zur Gesundung des Detailgeschäfts bei?, 3.10.1915. 381 Vgl. Artikel „Außerordentliche Kriegs-Vertretertagung der größten Verbände des deutschen Kleinhandels und des Bäckergewerbes“, o. D., BA R8034-II/3565, p. 105 f.

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Erster Weltkrieg (1914–1918)

Preislage bestellt werden und auf Luxus- und Modewaren verzichtet werden sollte. Über der Disposition schwebte die Unsicherheit, ob der Krieg bis Ende 1915 anhalten würde.382 Zum anderen beeinflusste das Verhalten der Konsumenten, Lieferanten und der Militärbehörden die Preisgestaltung. Im Zuge der enormen Lebensmittelteuerung kaufte die breite Bevölkerung nur das Notwendigste an Textilien und Kleidung und dies zu möglichst billigen Preisen.383 Nach dem militärischen und zivilen Ansturm auf alle Artikel des Heeresbedarfs herrschte bereits Mitte April 1915 in diesen Sortimenten eine große Warenknappheit und Teuerung. Bis Herbst 1915 stiegen die Endverbraucherpreise für Nähgarn von 8 auf 15 Pfennig, der Preis für Kreuzspulgarn verdoppelte sich auf 30 Pfennig.384 Der Warenhauskonzern Schocken, der mit Kriegsausbruch begonnen hatte, wöchentlich Geschäftslageberichte zu erstellen, beobachtete zunächst deutliche Preisanstiege bei Maschinengarnen aus britisch-ägyptischer Baumwolle. Ende Oktober und Anfang November 1914 hatte sich schon die Belieferungslage bei Velour, Baumwolle und Leinenwaren verschärft. Mit Jahresbeginn 1915 geriet die Warenversorgung in nahezu jedem anderen Bereich unter Druck (Papier, Schokolade, Kerzen, Seife).385 Auch wenn Seide überteuert und Baumwolle nicht mehr verfügbar war, wehrte sich Schocken vehement gegen die Aufnahme von Papiergarnen: „Die Papiersachen sahen schön und brauchbar aus, trotzdem habe ich es durchgesetzt, keine zu kaufen“. Damit nahm man bewusst den Schaden an Ertrag und Reputation bei Lieferanten und Kunden in Kauf, denn „wenn wir solche Geschäfte machen, wäre unser guter Name verloren“.386 Schocken lehnte während des gesamten Krieges den Einkauf und Vertrieb von Textilsubstituten ab.387 Als überregionaler Konzern konnte sich der Kaufhaus-Konzern auf ein breites Netzwerk aus Produzenten, Großhändlern und Informationen stützen, die Kleinhändlern nicht in diesem Umfang zur Verfügung standen. So konnten Kunden noch im Juli 1915 allerorten vergriffene Baumwollwaren in begrenzten Mengen kaufen. Ein Jahr nach Kriegsausbruch war es auch für Schocken unmöglich geworden, etwa Bindfäden oder Baumwollwaren zu beziehen. Im Geschäftsbericht vom 6. Januar 1916 bemerkt Schocken, dass „jetzt die Zeiten beginnen, in denen einzelne Waren nicht mehr zu haben sind. Man muss zu sehr hohen Preisen und trotz des darin enthaltenen

DK, Soll die Geschäftswelt mit einem Winterfeldzug rechnen?, 18.4.1915; Konf, Ein Jahr Krieg in den Waren- und Kaufhäusern, 25.7.1915. 383 Aufstellung nach einer Veröffentlichung im „Reichs-Arbeitsblatt“ nach Angaben des Bremischen Lohnprüfungsamtes, siehe DK, Arbeitslohn und Kosten der Ernährung für eine Familie mit 2 Kindern 1913–1920, 20.7.1921. 384 Konf, Das Detailgeschäft in den Berliner Kauf- und Warenhäusern, 10.10.1915. 385 Vgl. Fuchs (1990), S. 60 ff. 386 Vgl. ebd., S. 112–113. 387 Eine Ausnahme war die Aufnahme von papiergeflochtene Schuhe oder schuhähnliche Waren aus Holzsohlen und Linoleum ins Sortiment ab Oktober 1917, siehe ebd., S. 61, Anm. 60. 382

Geschäfte im Krieg

Risikos kaufen“.388 Wo immer es qualitativ gute Ware zu erwerben gab, scheute man nicht, etwa ganze Jahresvorräte auf einmal zu kaufen. Ende 1916 musste Schocken dazu übergehen, eingekaufte Ware umzuarbeiten. So wurden in Chemnitz aus Socken nicht mehr erhältliche Füßlinge gefertigt. Ganze Zulieferindustrien, etwa die Strickereien, Wirkereien und Färbereien in Apolda oder Textilwarenlieferungen aus Mühlhausen, mussten im Laufe des Jahres 1917 infolge Rohstoffmangels geschlossen werden. Die Zulieferer und Lieferanten erhöhten angesichts der eigenen Notlagen – einer verschlechterten Rohstoffversorgung und der Preissteigerung von Rohmaterialien – und wegen Aufkäufen des Großhandels die Bezugspreise in allen Sortimenten um 50 bis 60 Prozent.389 Der Textileinzelhandel sah sich einem Preisdruck von Seiten seiner Lieferanten (Erhöhung) und einem Preisdruck seitens der Verbraucher und der Behörden (Verbilligung) ausgesetzt. Bereits am 30. August 1914 erging in Vorahnung des Kommenden ein Aufruf des Textileinzelhandels an die Textil- und Bekleidungsindustrie: „Greif an dein Herz und lass die Kleinen nicht zugrunde gehen“. Die Händler mahnten zu Verkaufskonditionen mit Augenmaß. Fabrikanten und Großhandel sollten mit Kriegsbeginn auf „verschärfte Bezugsbedingungen“ verzichten. In einer Kriegswirtschaft sei es schließlich die „Pflicht des Gläubigers, bis zur Grenze der Möglichkeit Nachsicht walten zu lassen“. Trotz eines entsprechenden Erlasses des Ministers für Handel und Gewerbe, nach dem Lieferungen gegen Barzahlungen zwar gestattet waren, aber „nicht zum allgemeinen geschäftlichen Grundsatz erhoben werden“ dürften, setzten die Textilfabrikanten eine schnellere Zahlung bis hin zur Vorauszahlung in bar kurz nach Kriegsbeginn und in Folge der zu erwartenden Regulierung und den Umsatzeinbrüchen durch.390 Gefälligkeiten, Absprachen und Korruption im Lieferanten-Abnehmer-Verhältnis hielten verstärkt Einzug. Während kleinere Fachgeschäfte vor allem Großbetrieben und Warenhäusern vorwarfen, wegen ihrer Finanzkraft, hoher Order-Volumina und ihrer guten Verbindungen nach Berlin derartige „Kriegsgeschäfte“ zum Schaden des Mittelstandes und der Kunden abzuschließen, zeigt das Beispiel Schocken, dass sich auch Großbetriebe dieser Entwicklung durchaus verwehrten. Während des Krieges änderte Schocken nichts Grundlegendes an seinem Einkaufssystem. Salman Schocken versuchte auch während der Kriegszeit nicht, von den Prinzipien des rationell kalkulierenden, „ehrbaren Kaufmanns“ abzuweichen. Dazu gehörte, dass Schocken gegenüber seinen Konkurrenten und Lieferanten keine „Gefälligkeiten“ und Absprachen leistete: „Wir hatten im letzten Jahre vor dem Kriege Cottbus, Freiberg und Meißen gegründet. Wir standen in der Periode, in der wir sagten: Das System ist fertig, wir können das Modell

388 389 390

Zitiert nach ebd., S. 57, Anm. 24. Vgl. Artikel „Kriegswünsche der Detaillisten“, 8.9.1915, BA R8034-II/3565, p. 126. DR, Der Kredit im Kriege, 30.8.1914.

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wiederholen. Für den Krieg waren wir nicht richtig. Wir haben kein einziges Kriegsgeschäft gemacht. [Im Verband der Waren- und Kaufhäuser], [ ] begannen schon gegenseitige Absprachen. Ich kam mir ganz klein und dumm vor, dass ich der Einzige war, der sich mit seinen Manufakturwaren beschäftigte“.391

Lieferanten benachteiligten Schocken daraufhin bei der Zuteilung vorhandener Lagerware oder bei der Zuteilung sog. Reichsware. Schon wenige Wochen nach Kriegsausbruch fand Schocken bei seinen liefernden Fabrikanten keine oder verteuerte Ware und musste teilweise zum ungeliebten Großhändler ausweichen. Die „Systemschwäche“, nur bei fair kalkulierenden Lieferanten zu beziehen und keine Nebenabsprachen zu treffen, verstärkte den Warenmangel in Schocken-Geschäften. Schocken konnte seiner Kundschaft manche Waren nicht oder nur zu einem teureren Preis bieten. In der Folge verzeichnete Schocken zwar Umsatzeinbußen, war seinen Lieferanten nach dem Krieg jedoch keinen Gefallen schuldig und blieb in der Einkaufsplanung unabhängig.392 Einige Händler erreichten die Stundung ihrer Verbindlichkeiten, andere organisierten in Selbsthilfe, wie in Hamburg und Berlin, eine genossenschaftliche Darlehenskasse für in Schwierigkeiten geratene Kaufleute, da die meisten deutschen Kreditbanken den Einzelhandel als nicht kreditfähig betrachteten.393 Auch in der Kriegswirtschaft blieben alle Verträge grundsätzlich bestehen. Alle Zahlungen für bereits gelieferte Ware waren bei Fälligkeit zu leisten, wiederum waren ausstehende Lieferungen zu erfüllen. Konnte ein Lieferant Rohstoff- oder Arbeitskräftemangel nachweisen, so durfte er von der Lieferung zurücktreten, der Besteller musste aber auch nicht zahlen. War ein Lieferant jedoch wieder lieferfähig, durfte der Auftraggeber die bestellte Ware nicht ablehnen. Zunächst behielten auch alle vereinbarten Zahlungsfristen ihre Geltung.394 Alle Zahlungs- und Lieferungsmodalitäten waren Gegenstand der sogenannten Konditionen bzw. Konventionen zwischen Lieferanten und Abnehmer. In der deutschen Textilbranche herrschten hunderte verschiedenartige solcher Konditionen. Die Mehrheit der Textil- und Bekleidungsindustrie war durch derartige Verträge verbunden. In Friedenszeiten unterstützten auch große Teile des Textileinzelhandels solche Konditionenkartelle, da sie die kleinen und mittleren Abnehmer vor der Einkaufsmacht der Konsumvereine und Warenhäuser schützte.395 Erzeugerbetriebe waren meist Mitglied in mehreren dieser kartellartigen Verbünde. Fast alle Textil- und Kleidungserzeugnisse hatten eigene Konditionen, die sich meist Zit. nach Fuchs (1990), S. 101, Anm. 111. Vgl. ebd., S. 109 ff. Die Hamburger Darlehnskasse für Detaillisten sammelte zwei Millionen Mark von Mitgliedern und erhielt drei Millionen Mark Steuergelder; einen ähnlichen Versuch gab es in Berlin durch die Preußische Central-Genossenschafts-Kasse, siehe DK, Kredithilfe für den Kleinhandel, 18.10.1914; Konf, Kredit, 18.10.1914. 394 DR, Die Rechtslage im Kriege für Handel- und Gewerbetreibende, 30.8.1914. 395 Konf, Die Wirkungen der Kartelle der Textil- und Bekleidungsindustrie auf die Abnehmer, 25.6.1916. 391 392 393

Geschäfte im Krieg

zudem regional differenzierten. Erst kurz vor Kriegsbeginn setzte der strukturell stark fragmentierte Textileinzelhandel den Fabrikantenkartellen eigene Einkaufsverbände entgegen. Zunächst waren diese Einkaufsverbände in Reaktion auf die Ausdehnung der Warenhäuser und Konsumvereine entstanden. Diese Großbetriebe erreichten gegenüber ihren Lieferanten wegen der Abnahme größerer Warenkontingente günstigere Konditionen. Den kleineren Betrieben blieb nur der meist genossenschaftliche Zusammenschluss zwecks Wareneinkaufs. Im Oktober 1913 entstand in Hamburg in Reaktion einer solchen Auseinandersetzung von Einzelhändlern mit Baumwollgroßhändlern und Warenhäusern der „Zentralverein deutscher Einkaufsvereinigungen der Textilbranche“. Die Verbund Hamburger Kaufleute sah sich als „Verteidigungsbündnis“ gegen „unberechtigte Maßnahmen“ der Lieferanten.396 Die Versuche, einheitliche Liefer- und Zahlungsmodalitäten für die Textilbranche zu definieren waren zahlreich, scheiterten aber bis Kriegsende immer wieder.397 Damit blieb über den gesamten Kriegsverlauf der Streit zwischen Erzeugern und Abnehmern über Preis und Lieferung ungelöst. Der Textileinzelhandel fühlte sich durch die Verträge der Kartelle in seinen Rechten stark beeinträchtigt und verlangte „Bedingungen aufgrund gegenseitiger Vereinbarungen und keine Zwangsformulierungen“.398 Bis Ende des Jahres 1917 hatte sich die Lieferanten-Abnehmer-Beziehung vollständig verkehrt. War der Lieferant zuvor von der „Gunst seiner Abnehmer“ abhängig, war der „Abnehmer nun von Gunst der Lieferanten abhängig“. Damit verbanden die Einzelhändler eine Reihe von Vorwürfen an ihre Lieferanten: Ausbeutung, Wucher („über Nacht Millionengewinne“) sowie Vertragsuntreue durch verteuerte, unvollständige oder zurückgehaltene Lieferungen.399 In Anbetracht der Verschlechterung der Einkaufskonditionen bei zeitgleichem Umsatzrückgang, konnte der Ertrag des Textileinzelhandels nur über einen Abbau der allgemeinen Betriebskosten erfolgen. In Reaktion auf die Vorwürfe der Preistreiberei und der Warenzurückhaltung durch den Textileinzelhandel begann ab 1915 eine lang-

Konf, Zur Aufklärung und Richtigstellung, 12.10.1913. Den letzten vor Kriegsausbruch unternahm im Dezember 1913 ein ungenanntes Mitglied „einer der größten Berliner Konventionen“. Immer wieder neue Lieferungsbedingungen seitens der Bekleidungsindustrie wie die Gera-Greizer Fabrikanten und die Krefelder Samt- und Seidenfabrikanten führten zu immer heftigeren Abwehrstrategien des Einzelhandels. Deshalb, so der Vorschlag, sollten reichsweit einheitliche Einkaufspreise bei Konfektions- und Stofffabrikanten etabliert werden. Eine Einheitskonvention für den Textilsektor würde die kleineren Fabrikanten und Abnehmer vor den Großbetrieben schützen und etwaige Ausgrenzungsmaßnahmen für Nicht-Konventionsmitglieder unnötig werden lassen, siehe Konf, Können wir ohne Konventionen auskommen?, 29.12.1913. 398 So formulierte es im Januar 1917 der Leiter des Einkaufsverbandes Rheinisch-Westfälischer Manufakturisten mbh in Köln, siehe DK, Die Notwendigkeit einer Zentralstelle für sämtliche TextildetaillistenVerbände, 18.2.1917. 399 Meldungen über Geschäftsschließungen der Seidengroßhandlung Gustav Cords durch das Oberkommando wegen nachgewiesenen 300 Prozent-Gewinnaufschlag waren Wasser auf die Mühlen der Kritiker, siehe DK, Treu und Glauben, 2.9.1917. 396 397

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anhaltende Diskussion um die Reduzierung und die Einsparung der geschäftlichen Ausgaben wie Personal-, Miet- und Stromkosten. Zum anderen standen die Geschäfte ab Sommer 1916 unter dem Eindruck des Bezugscheinsystems. Der Krieg wirkte sich zunächst äußerst negativ auf die Personaldecke – vom Inhaber bis hinab zum Hilfsangestellten – aus. Auch namhafte Firmen wie Bamberger & Hertz, Hettlage, Schocken oder auch kleine Fachhändler wie J. G. Becker trafen die Einberufungen. Anders als Industrieunternehmen galten Einzelhandelsbetriebe allgemein als nicht „kriegswichtig“, was eine Freistellung der Geschäftsinhaber, aber auch ihres Personals unmöglich machte. Bei Schocken wurde mit Ausbruch des Krieges Simon Schocken zum Militärdienst eingezogen, während Salman Schocken aufgrund eines Nierenleidens für untauglich erklärt worden war.400 Existenzbedrohend war die Lage bei Hettlage, Becker und Bamberger & Hertz. Deren Geschäftsinhaber wurden eingezogen. Bei Hettlage kam es während des Ersten Weltkrieges zum Generationenwechsel. Carl Hettlage wurde 1916 zur Reichswehr eingezogen und diente bis 1918. Aus dem Krieg zurückgekehrt, übernahm er die Firma.401 Nach dem plötzlichen Tod Johann Gottfried Beckers am 31. März 1913 übernahmen seine beiden Söhne Paul und Erhardt das Geschäft. Bereits im August 1914 wurden beide zum Militär eingezogen, Erhardt fiel im März 1915 in Frankreich. Das Geschäft leitete indes Martha Becker. Der zurückgekehrte Paul Becker war mit Kriegsende der alleinige Inhaber der Firma.402 Die Bamberger & Hertz-Häuser in Stuttgart, Leipzig und München waren mit der Einziehung der drei Brüder – Ludwig, Gustav und Fritz – ohne Führung.403 1917 wurde Fritz Bamberger zum 3. Bayerischen Feldartillerie Regiment eingezogen.404 Wie den anderen Geschäften fehlte in München nun Inhaber, Geschäftsführer und Chefeinkäufer in einer Person. Dass Bamberger & Hertz die Gefahr des Zusammenbruchs mangels Führung umging, lag an drei Gründen: Erstens leitete der älteste, erfahrenste Bruder und Familienoberhaupt Heinrich den ertragreichen Standort Frankfurt weiter und war an allen Standorten Mitinhaber; zweitens hatten die Brüder an allen drei Standorten kompetente, langjährige enge Mitarbeiter, die kaufmännisch leitend tätig waren und der Einberufung entgingen; und drittens bemühten sich diese Mitarbeiter Vgl. Fuchs (1990), S. 101, Anm. 107. Im Ersten Weltkrieg trat Augusts Hettlages Sohn Carl als Gesellschafter in die Firma ein. Carl wurde am 12. Juni 1893 geboren und besuchte die Oberrealschule in Münster. Zwischen 1910 und 1913 absolvierte er seine kaufmännische Lehre im Textilkaufhaus Julius Schreiber in Konitz/Westpreußen. Im Anschluss besuchte er einen einjährigen Ausbildungskurs an der Aachener Webschule. 1914 stieg er zur Unterstützung des Vaters in das Geschäft ein. Sein Vater, August Hettlage, starb 1920. Neben Carl Hettlage verblieben Clemens Hettlage und Richard Boecker als persönlich haftende Gesellschafter, siehe Anlage 2 zum Fragebogen des Gewerbeamtes München, betr. Carl Hettlage, Münster, o. D., WWA F132–145. 402 Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 5–6. 403 Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 93. 404 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 20. Fritz Bamberger spricht selbst vom 1. Bayerisches Feld-Artillerie-Regiment, siehe Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamtes vom 12.12.1957, HUA 2013/10/0004, S. 333 ff. 400 401

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erfolgreich, dass die Brüder nach weniger als einem Jahr unversehrt aus dem Krieg zurückkehrten. Die gleichen „Erfolgsgründe“ lassen sich auch im Fall Schocken, Hettlage und Becker anführen. Der Krieg machte jedoch nicht bei der Führungsebene halt, sondern bediente sich der personellen Substanz der Handelsunternehmen. Bereits vor Kriegsbeginn hatte der Einzelhandel vermehrt Rekrutierungsschwierigkeiten bei einfachem Verkaufspersonal. Der Beruf der Verkäuferin wurde zunehmend unattraktiv für immer besser ausgebildete junge Frauen. Lange Arbeitszeiten, wenig geregelte Urlaubszeiten und geringerer Lohn ließen viele Schulabgängerinnen eine besser bezahlte Ausbildung als Büroangestellte beginnen.405 Großbetriebe wie das Leipziger Warenhaus Gebrüder Ury oder das sächsische Kaufhaus Schocken setzten auf betriebsinterne Weiterbildungen für weibliche Angestellte. Hier erhielten die Teilnehmerinnen psychologische, rechtliche und kalkulatorische Grundkenntnisse des Textileinzelhandels. Alle ledigen Verkäuferinnen des Berliner Einzelhandels waren seit April 1914 verpflichtet, die „Berliner Verkäuferinnen-Schule“ zu besuchen. Ungelernte wie ausgebildete Verkäuferinnen erhielten hier wöchentlich Weiterbildungen in Fächern wie Warenkunde oder Dekoration. Die Prüfungen wurden in den Betrieben selbst oder Mustergeschäften abgenommen.406 Der Kriegsbeginn traf die Personaldecke des Textileinzelhandels in mehrfacher Weise. Es fehlten augenblicklich junge, männliche Arbeitskräfte – meist in leitenden oder geschäftsführenden Positionen. Damit alterte der Personalstand im Einzelhandel und wurde zugleich deutlich weiblicher: Die personelle Schichtung vieler Betriebe stand zunehmend unter Druck. Die „Deutsche Konfektion“ fragte daraufhin, ob der kriegsbedingte Personalmangel zu einem innerbetrieblichen Aufstieg älterer und weiblicher Fachkräfte im Textileinzelhandel geführt habe. Ein Teil der Unternehmer bekundete die praktizierte Gleichbehandlung aller Angestellten. Das große Berliner Wäscheausstattungshaus Heinrich Jordan sah keine Veränderung, da man immer schon viele Ältere beschäftigt habe und „ausgewählte weibliche Kräfte [ ] stets schon auch in gehobenen Stellungen“ arbeiteten. Gleiches galt für die Textilwaren- und Wollhandlung Gustav Hirsch. Im Berliner Traditionsunternehmen hatten, so teilte der Inhaber mit, weibliche, gut ausgebildete Angestellte „auch höhere Stellungen erworben und werden ebenso gut bezahlt wie männliche in ähnlicher Position“. Andere Betriebe konstatierten eine Veränderung, jedoch zum Vorteil ihrer Unternehmen. Breuninger in Stuttgart sah die Möglichkeit einer Reduzierung der Personalkosten durch den Einsatz älterer, weiblicher AngestellDie tägliche Arbeitszeit lag meistens von Montag bis Samstag zwischen 8 und 21 Uhr und Sonntag 8 bis 15 Uhr und so blieben „dem Detailhandel die gut erzogenen jungen Damen meistens geflissentlich fern“, siehe DK, Arbeitszeit und Personal, 8.2.1914. 406 Der Lehrplan 1914 sah vor: „psychologische Vorgänge beim Verkaufen“, einen Überblick über die wichtigsten Verkaufszeiten (Weihnachten, Inventur, Ausverkauf) sowie die „rechtlichen Seiten des Kaufes“. Die Lehreinheiten „Konkurrenz“, „Reklame“ und „Rechnen“ komplettierten den Lehrplan, siehe DK, Was eine Verkäuferin lernen soll, 24.5.1914; Konf, Bilder aus der Berliner Verkäuferinnenschule, 3.5.1914. 405

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te, schließlich haben sich diese „in Vertretung männlicher Kräfte seit Einberufung vorzüglich bewährt“. Der Kölner Warenhauskonzern Leonard Tietz musste mit Kriegsbeginn Führungspositionen mit Frauen besetzen, konnte sich aber noch zu keinem Urteil durchringen. Das Berliner Damenkonfektionshaus R. M. Maassen setzte wegen der Fachkenntnis und Erfahrung eher auf älteres Personal. Man habe bisher, so der Inhaber, keine Erfahrung mit weiblichen Leitungspositionen gesammelt, auch wenn manche Positionen „auch von entsprechenden weiblichen Kräften“ besetzt werden könnten. Gänzlich unbeeindruckt zeigte sich die Hamburger Textil- und Kurzwarenhandlung M. J. Emden. Zwar seien ältere Arbeiter wichtig, doch manche „verrichten ihre Arbeit mechanisch und folgen häufig neuen Anforderungen [ ] nicht immer“. Insgesamt seien „alle höheren Posten mit Männern besetzt“.407 Im Frühjahr 1917 löste eine österreichische Verordnung aus dem Frühjahr 1916 eine breite Diskussion über die Wiedereinstellung von Kriegsteilnehmern im Einzelhandel aus. Das österreichische Gesetz hatte die Arbeitgeber verpflichtet, Angestellte, die im Krieg dienten, für mindestens sechs Monate wieder einzustellen. Die deutschen Einzelhändler reagierten ablehnend, da eine gesetzliche Vorschrift eine „große Beschränkung der Bewegungsfreiheit des Kaufmanns“ bedeutete. Die Kaufleute setzten auf eine freiwillige Selbstverpflichtung. Bemerkenswerterweise argumentierten viele Kaufleute mit den positiven Erfahrungen mit weiblichen Angestellten. Diese dürften „nicht einfach auf die Straße gesetzt werden“. Zudem waren die oft gehandicapten Rückkehrer nur für Schreibarbeiten im Kontor oder als Dekorateure, weniger im Verkauf, brauchbar. Zur Lösung des Problems der Heimkehrer sahen die mittelständischen Verbände die größeren Betriebe in der Pflicht, denen Kriegsteilnehmerquoten auferlegt werden müssten.408 Im weiteren Kriegsverlauf verschlechterte sich die Personalsituation der Einzelhändler drastisch. Personal musste zumeist mit ungelernten Aushilfen aufgestockt werden, gut ausgebildete Frauen wurden mehrheitlich von Kriegsgesellschaften oder Industriebetrieben abgeworben. In den deutschen Waren- und Kaufhäusern arbeiteten Ende 1917 fast ausschließlich Frauen, bei einem gravierenden Mangel an Boten-, Hausdiener- und Packerpersonal.409 Um diesem Mangel zu begegnen, warben einige Verbände gegen Kriegsende für die Verkürzung der Lehrzeit von drei auf zwei Jahre. Die Befürworter, wie der Warenhauseigentümer Oscar Tietz, hielten eine zweijährige Lehrzeit für genügend. Ein Lehrling müsse schnell und zielgerichtet sein Aufgabengebiet finden und dann betriebsintern weitergebildet werden. Die Mittelposition, vertreten durch den Berliner Konfektionär Baer Sohn, plädierte für eine Verkürzung der

DK, Wandlung der Anschauungen in Personalfragen durch den Krieg, 11.7.1915. Konf, Wiedereinstellung der Angestellten nach dem Kriege, 25.3.1917; Konf, Die Wiedereinstellung von Kriegsteilnehmern in Handel und Industrie, 4.4.1918. 409 Konf, Wie kommen die Berliner Detailgeschäfte im vierten Kriegsjahre zu Weihnachten mit ihrem Personal aus?, 25.11.1917. 407 408

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Lehrzeit in Abhängigkeit von Alter und Vorbildung, schließlich brauche der Handel mit Konfektionsware „weniger Kenntnisse“ als der mit Manufakturwaren. Das Modehaus S. Adam widersprach einer generellen Verkürzung. Ein Ausbildungsbeginn mit 14 Jahren bedeutete einen zu jungen und unerfahrenen Verkäufer.410 Die hitzigen Diskussionen des Jahres 1915 um den „gerechten Preis“ und die Anfeindungen zwischen Kaufleuten und Lieferanten einerseits und zwischen Verbrauchern und Einzelhandel andererseits beruhigten sich im Folgejahr ein wenig, brachen aber nie ganz ab. Im Juni 1916 kritisierte ein Detaillistenverein die Ungleichbehandlung des Einzelhandels. Während viele Industrien Kriegsgewinne machten, hatte der „Detailhandel in der Mehrzahl unter dem Krieg zu leiden“. Aus Sicht des Verbandes konnten die Lieferanten dank dem „schützenden, undurchbrechbaren Wall der Konventionen“ mit den kriegsbedingten Preissteigerungen mitgehen. Dem Textileinzelhandel blieb nur die Rationalisierung und Kosteneinsparung aufgrund mangelnder Geschlossenheit und einem scharfen Wettbewerbs- und Verbraucherdruck. Die Bekleidungsindustrie, so der Jahresbericht, habe auf Monate volle Auftragsbücher, während der Händler in dieser Zeit das volle Mode- und Dispositionsrisiko zu tragen hatte.411 Optimistischer waren die Einschätzung aus Berlin. Der dortige Textileinzelhandel berichtete bereits Ende Februar 1916 von einer Gesundung der Kreditverhältnisse und einem weitgehend normalen Geschäftsgang. Textil- und Bekleidungsindustrie und der Großhandel in Berlin hatten durch die Versorgung des Heeres gute Gewinne verbucht und auch der örtliche Einzelhandel hatte seinen Arbeitskräfte- und Stoffmangel durch einen rationelleren Betrieb wettmachen können. Zudem profitierten die Berliner Bekleidungshäuser von der stabilen Kaufkraft der Landbevölkerung und den gestiegenden Einkommen der Frauen, sodass die Umsatzrückgänge des Vorjahres kompensiert werden konnten. Die Berliner Händler berichteten von einem regelrechten „Run“ der Kunden aus Angst vor einem längeren Krieg und der damit verbundenen Teuerung. Schnell waren die Lager auch von sog. „toter Ware“ geräumt. Da der Einzelhandel von den militärischen Beschlagnahmungen größtenteils verschont blieb, eröffneten sich hier Gewinnchancen. Die Berliner Geschäftsleute sahen sich zwar für die Frühjahrsaison 1916 „hinreichend mit Stoff und Rohmaterialen“ versorgt, doch ihre Sorge galt einer Weiterführung des Krieges und einem Wintereinbruch. In diesem Fall empfahlen Verbände und Fachblätter, die vorhandene Ware zu strecken, und mit weniger Umsatz gleichen Ertrag zu erzielen.412 Auf diese Bedrohung – Preissteigerung und Warenmangel – reagierten die Behörden am 10. Juni 1916 per Verordnung, die den Textilsektor unter Aufsicht der Reichsbekleidungsstelle stellte und ab 1. August 1916 den Bezugschein für Textilwaren einführte. Das „Gespenst des Bezugscheins“ zog in den sieben Wochen einen wahren 410 411 412

Zur Diskussion vgl. Konf, Dreijährige oder zweijährige Lehrzeit im Kaufmannsgewerbe?, 13.6.1918. Vgl. Artikel „Zur Geschäftslage des Detailhandels“, 30.5.1916, BA R8034-II/3565, p. 181 f. DK, Die Geschäftslage bei Beginn der neuen Saison, 27.2.1916.

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Käuferandrang und eine hohe Arbeitslast für die Geschäfte nach sich. Die Szenen erinnerten manche Geschäftsleute an Ausverkäufe. Einige Läden meldeten bereits den Verkauf des erlaubten Fünftels der Lagerbestände. Obwohl der Verkauf von Ware, die nach dem 10. Juni geordert worden war, verboten war, erlebte die Bekleidungsindustrie einen Ansturm an Bestellung. Der Textileinzelhandel versuchte schnellstmöglich Herbstware noch vor den Bezugscheinen zu erhalten und diese zu verkaufen.413 Von dem Kaufandrang profitierten Manufakturwaren-, Bekleidungs- und Warenhäuser. Viele dieser Betriebe hatten eine solche Konjunktur seit ihrem Bestehen nicht erlebt. Lobend äußerten sich die Behörden etwa über die innerbetriebliche Organisation des Warenhauses Schocken während der Einführung des Bezugscheines. So schrieb das Meißener Haus über die Inventurprüfungen der Reichsbekleidungsstelle an die Zentrale: „Soeben war ein Herr von der Reichsbekleidungsstelle hier, um die Inventur der einzelnen Läger und die 20 Prozent Verkäufe zu prüfen. [ ] [D]er Herr [sprach] sich sehr lobend über die korrekte Aufmachung der Inventur aus. Wörtlich sagte er: „Man geht ja in ein solches Geschäft wie das Ihrige mit dem Bewusstsein, eine korrekte Arbeit zu finden. Aber ihre Inventur – sowie Ihre Verkaufslisten sind nicht nur korrekt, sondern sind sehr schön ausgearbeitet“. Er hat sich dann längere Zeit mit uns unterhalten [ ], dass er bis jetzt sehr oft ein böswilliges Überschreiten des 20 Prozent Verkaufes wahrgenommen hat“.414

Damit verkehrte sich die Absicht der Regulierung ins Gegenteil. Die Verbraucher hatten sich auf Monate hinaus mit dem Nötigsten versorgt. Vermutlich lösten den Kaufandrang Fehlinformationen aus. Viele glaubten an Preissteigerungen und dass alle Textilien und Kleidung bezugscheinpflichtig werden würden. Mit dem 1. August 1916 kam es zu einem Geschäftsumschwung. Reichsweit berichtete der Textileinzelhandel von „sehr toten Geschäftstagen“. Auch Waren auf der Freiliste waren von der Kaufzurückhaltung voll getroffen.415 Während die Einführung in Großstädten wie Berlin, Leipzig oder München reibungslos verlief, kam es in den ländlicheren Gebieten zu erheblichen Verzögerungen. Die mit der Verteilung beauftragen Kommunen berichteten von teilweise chaotischen Zuständen. Viele Bezirke warteten tagelang auf die Auslieferung der Formulare und Bezugscheine. Viele Ausgabestellen hatten erst wenige Tage vor Beginn konkrete Durchführungsanweisungen der Reichsbekleidungsstelle erhalten. All dies zusammen führte abseits der Ballungszentren zur kurzzeitigen Lahmlegung der Textilgeschäfte. In Berlin brachen die Geschäfte mit beschränkten Waren in den ersten zwei Augustwochen ein. In einer ersten Bilanz berichtete eine Berliner Ausgabestelle die Registrierung von 50 bis 60 Bezug-

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DK, Wie wirkt die neue Verordnung auf das Geschäft?, 9.7.1916. Schreiben Kaufhaus Schocken, Meissen an I. Schocken Söhne vom 2.8.1916, StAC 31451–427. Artikel „Der Kleinhandel unter der Bezugscheinregelung“, 17.8.1916, BA R8034-II/3566, p. 12 f.

Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen

scheinen am Tag, mehrheitlich an männliche Antragsteller, die hauptsächlich Arbeitskleidung, Strümpfe, Wäsche und Kinderwäsche kauften.416 Das Jahr 1916 ging unter dem Eindruck des Bezugscheines zu Ende. Nach der sommerlichen „Kaufwut“ und der Zeit der „Angstkäufe“ hatte im August „Kirchhofsruhe“ geherrscht. Erst im Herbst setzte eine leichte Belebung der Geschäfte des Textileinzelhandels ein. Nach der Verkleinerung der Freiliste im November brachen die Umsätze erneut ein. Am Ende des Jahres sah sich der „Detaillistenverband aller Branchen Groß-Berlins“ zu einer Eingabe an den Reichskanzler gezwungen. Die Kaufleute baten um die Ausgabe zusätzlicher Bezugscheine für das Weihnachtsgeschäft ab dem 1. November. Der umsatzstärksten Hauptsaison des Einzelhandels drohe sonst die Gefahr, dass „Geldgeschenke verteilt werden“.417 Für die letzten zwei Kriegsjahre finden sich weder in den einschlägigen Fachzeitschriften noch in der Überlieferung der herangezogenen Fallstudien konkrete Anhaltspunkte für die Geschäftsentwicklung des privaten Textileinzelhandels. Dagegen vermehrten sich in diesen Jahren die Anstrengungen und Aktivitäten auf verbandlichem Gebiet. Gründe und Ziele sollen im Folgenden analysiert werden. 3.3

Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen

Die Bedingungen und Friktionen der Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg, besonders der Bedeutungsverlust des Einzelhandels bei der Warenverteilung, überwanden alle bis dahin existierenden Widerstände gegenüber einem Zusammenschluss des Einzelhandels einerseits und der Integration aller Textileinzelhandelsverbände zu einem reichsweiten Fachverband andererseits. Beide Entwicklungen sind untrennbar miteinander verwoben. Bereits vor 1914 waren sowohl die Lieferanten als auch die Großhandelsbetriebe verbandlich und kartellmäßig stark integriert. Diese strukturelle Größe vermochten sie im Zuge der Ausgestaltung der Kriegsgesetzgebung deutlich besser einzusetzen als die Mehrheit der Einzelhändler. Diese waren zu Kriegsausbruch zerstritten. Es fehlte ein reichsweit agierender und überbetrieblich akzeptierter Dachverband. Dieses Zerfasern schwächte die Meinungsbildung und Einflussnahme auf Reichsebene. Wie gezeigt, waren die Bestrebungen einer verbandlichen Integration des Textileinzelhandels spätestens seit 1907/08 mit dem Hamburger Verband existent. Bis zum Ersten Weltkrieg mahnten immer wieder prominente Vertreter, wie etwa Willy Falk vom

Konf, Wie beeinflusst der Bezugschein das Detailgeschäft?, 13.8.1916; DK, Die ersten Tage des Bezugscheins, 6.8.1916. 417 Konf, Der Detaillistenverband von Rheinland-Westfalen im Kriegsjahr 1916, 25.3.1917; Konf, Der Bezugschein in der Versammlung des Vereins der Textildetaillisten Groß-Berlins, 12.11.1916; DR, Wünsche und Abänderung der Kleiderverordnung, 22.10.1916 416

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Verband der Putz-Detaillisten, angesichts der Konditionenkartelle und dem mangelnden Einfluss des Textileinzelhandels eine Gesamtorganisation an. Aus den Ortsvereinen kamen vermehrt Forderungen, „im Konkurrenten nicht den Feind, sondern einen Kollegen zu erblicken“. Diese waren für den Reichstagsabgeordneten Jacob Astor, zugleich Vorsitzender der Detailhandels-Berufsgenossenschaft, und den Warenhausverbandsvorsitzenden Oscar Tietz Anlass im Jahr 1915, die einflussreichsten Verbände der Textilbranche an einen Tisch zu bringen und einen Arbeitsausschuss mit dem Ziel zu gründen, eine reichsweite Interessenvertretung aufzubauen. Astors und Tietz’ Pläne zerschlugen sich schnell am Widerstand der mittelständischen Schutzverbände, Warenhäuser mit aufzunehmen. Zudem stritten sich der Leipziger Zentralverband, der Hansa-Bund und der Reichsdeutsche Mittelstandsverband über die Grenzen des Verbandsauftrages. Sollte sich die Arbeit auf Wirtschaftspolitik beschränken oder sollte man auch zu parteipolitischen oder religiösen Fragen Stellung nehmen? Im Kern wehrten sich die Schutzvereine vor einer sozialistischen Ausrichtung und versuchten mit antisemitischen Argumenten, die Warenhäuser aus dem Verband herauszuhalten. Statt dem erhofften Ziel „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ blieb es beim „Getrennt marschieren, nacheinander schlagen“.418 Nach Kriegsausbruch unternahm Astor mit der Unterstützung der „Interessengemeinschaft großer Detaillistenverbände“ einen erneuten Versuch, Spezialgeschäfte und Warenhäuser des Einzelhandels zusammenzuschließen. Auf einer streng vertraulichen Versammlung am 6. Dezember 1915 bildete sich ein Zwölfer-Ausschuss. Nachdem man sich Mitte Februar auf den Namen „Bund deutscher Kleinhandelsverbände“ geeinigt hatte, trat der Ausschuss an die maßgeblichen Verbände heran.419 Am 6. April 1916 gründeten die „Interessengemeinschaft großer Detaillistenverbände“, der „Deutsche Zentralverband für Handel und Gewerbe“ (Leipzig), die „Zentralvereinigung deutscher Verbände für Handel und Gewerbe“ (Berlin) und der „Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser“ den neuen, reichsweit aktiven Bund. Astor war es somit gelungen, die Berliner und Leipziger Dachverbände und die Warenhausvertreter auf ein gemeinsames Ziel zu verpflichten, nämlich die Gesamtvertretung des deutschen Einzelhandels als politisch neutrale „wirtschaftliche Interessenvertretung“.420 Nachdem der von Oscar Tietz entworfene „Arbeits- und Organisationsplan“ verabschiedet worden war, verstärkten sich die Widerstände gegen eine Vereinnahmung der Einzelhandelsinteressen durch die Warenhäuser. Besonders der nationalistische „Verband Konf, Detaillistenorganisationen, 2.10.1919; Konf, Mehr Solidarität der deutschen Detaillisten! Ein Mahnruf, 21.12.1913; DK, Örtliche Detaillistenvereine und Fachzeitschriften, 8.8.1915; DK, Reichsbund Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 24.6.1917; DR, Zu den Einigungsbestrebungen, 1.2.1914. 419 Konf, Ein Reichsausschuss der Detaillistenverbände Deutschlands, 26.3.1916; DR, Bericht über die 28. Hauptversammlung des Deutschen Zentralverbandes für Handel und Gewerbe eV, Sitz Leipzig, 13.8.1916; Konf, Die Einigung des deutschen Detailhandels, 23.4.1916. 420 Konf, Aus dem Jahresbericht des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser, 11.3.1917; Artikel „Ein Bund deutscher Detailhandelsverbände“, 10.4.1916, BA R8034-II/3565, p. 162. 418

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der Rabattsparvereine“ widersprach der Integration der Warenhäuser in eine neue Gesamtorganisation. Hinter den Rabattsparvereinen versammelten sich völkisch-nationale Gruppen wie der „Verband deutscher kaufmännischer Genossenschaften“ und der „Reichsdeutsche Mittelstandsverband“, die mit dem Berliner „Reichsausschuss für den Kleinhandel“ am 25. April 1916 in Berlin eine Gegengründung vollzogen. Der „Reichsauschuss“ sah sich als notwendige Reaktion auf die „widernatürliche, unseren Stand schwer bedrohende Vereinigung“. Die Mehrheit des Textileinzelhandels kommentierte die Spaltung als „Kurzsichtigkeit ohne Gleichen“.421 Im Zuge des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst vom 6. Dezember 1916 wurden beide Verbände aufgelöst.422 Aus der Unzufriedenheit dieses Zwiespalts heraus und angesichts der Anforderungen der Kriegswirtschaft schlug Ludwig Traube, Herausgeber der „Deutschen Konfektion“, am 14. Januar 1917 eine „Zentralstelle für alle Textildetaillisten-Verbände“ vor. Die „Zentralstelle“ war als Verband der Verbände gedacht und sollte von einer „Persönlichkeit von hervorragender Bedeutung, Ansehen und Einfluss“ geführt werden. Dieser sollte Ansprechpartner der Regierung und Behörden in Fragen des Textileinzelhandels sein, auf Gesetzgebung Einfluss nehmen und sich den Lieferantenkartellen entgegenstellen. Die teilnehmenden Verbände sollten daher konventionsfreie Fabrikationsbetriebe („Außenseiter“) unterstützen. Zentral für Traube blieb die Einbindung der Waren- und Kaufhäuser, deren Ausschluss eine „große Torheit“ wäre.423 Traubes Pläne riefen reichsweit ein positives Echo im Textilhandel hervor. Heinrich Jordan aus Berlin hielt die Pläne für „dringend notwendig“, das Münchner Kaufhaus Otto Landauer fühlte sich „voll und ganz aus dem Herzen gesprochen“. Das Leipziger Modehaus Gustav Steckner begrüßte die Pläne „lebhaft“ und das Hannoveraner Geschäft Sternheim & Emanuel betonte, dass die „gesamte Detaillistenwelt das regste Interesse an einer Gesundung der bedeutenden Sache haben“ müsse und auch der RHK unterstützte die Pläne „einstimmig“ als „unbedingtes Erfordernis der Zeit“. Besonders im Kampf um Konditionen erhoffte sich der Textileinzelhandel durch die neue Zentralstelle Erleichterung. So sah das Hamburger Filialgeschäft Gebr. Alsberg eine Chance, das „unwürdige Joch ab[zu]werfen“. Das Kölner Haus Ferdinand Schindler begrüßte ein „wirksames Gegengewicht gegen die vielfache Willkür von Behörden, Lieferanten, Kundschaft und auch Personal“. Aber auch kritische Stimmen mischten sich unter die Reaktionen. Das Barmener Geschäft S. & R. Wahl identifizierte die vakante Leitungsposition als Hindernis, da es „vor allem [an einem] Hindenburg fehlt, der auch diese Sache leiten könnte“. Andere empfanden die Gründung der „Zentral-

DK, Zwiespalt in der neu angestrebten Vereinigung des Detailhandels, 4.6.1916; Konf, Aus dem Jahresbericht des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser, 11.3.1917. 422 Vgl. Wein (1968), S. 203. 423 DK, Zentralstelle für alle Textildetaillisten-Verbände, 21.1.1917. 421

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stelle“ als Entscheidung „über den Kopf der Fachverbände hinweg“, wobei ein Führungsanspruch automatisch abgeleitet werden würde.424 Nachdem sich der „Verband Deutscher Textilgeschäfte“ Mitte März 1917 für ein Zusammengehen ausgesprochen hatte und ein Geschäftsführer gefunden worden war, gründete sich die „Zentralstelle“ am 3. April 1917 in der Berliner Handelskammer und bildete einen Gründungsausschuss unter Vorsitz von Oscar Tietz zur Vorbereitung der Satzung. Einig war sich der Ausschuss über das generelle Ziel und die notwendige Finanzierung. Das oberste Ziel war die „scharfe Bekämpfung unberechtigter Forderungen seitens gewisser Lieferanten-Verbände“. Über einen Garantiefonds sollte sich die „Zentralstelle“ finanzieren. Der Beitrag bemaß sich nach der Größe der beitretenden Verbände, Einzelfirmen und Personen waren von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Ab Ende April traten im Ausschuss immer deutlicher die Differenzen zutage. Vor allem der innere Aufbau der Organisation und die Person des Vorsitzenden waren umstritten. Als Verband der Verbände musste es eine Person mit genügend Renommee, Sachkenntnis und Integrationskraft sein. Dazu blieben Uneinigkeiten über die strategische Ausrichtung der „Zentralstelle“. Sollte sie mehr „Kampforgan“ oder Vermittler gegenüber Fabrikanten und Grossisten sein?425 Schlussendlich verliefen die Verhandlungen im Sand und Traubes Projekt von einer „Zentralstelle“ musste begraben werden. Von der Integration zwei der größten textilen Fachverbände gingen 1916/1917 neue Impulse aus. Auf die Auseinandersetzungen über Liefer- und Zahlungsmodalitäten, in deren Zuge die Herrenkonfektionsindustrie Kartelle aufbaute, erweiterten die führenden Herrenkonfektionsgeschäfte ihre im Jahr 1912 gegründete „Vereinigung großer Spezialgeschäfte Deutschlands der Herren- und Knaben-Kleidung“ zum Anfang 1916 zum „Reichsverband für Herren- und Knaben-Kleidung“ (RHK). Dieser ebenfalls stark kartellierte Verband mit Sitz in Düsseldorf wurde unter Gustav Nahrhaft zu einem der einflussreichsten Textileinzelhandelsverbände, nachdem es ihm gelang, mit über 4.000 Firmen (1923) nahezu alle führenden Herrenmodegeschäfte und Textilkaufhäuser als Mitglieder zu gewinnen.426 Ab Juli 1917 gab es deutliche Bestrebungen, einen reichsweiten Fachverband auch für den „größten und reichsten Zweig“ des Textileinzelhandels zu schaffen. Auslöser war abermals die Kündigung der Konditionsvereinbarungen seitens des „Verbandes Deutscher Damen- und Mädchen-Mäntel-Fabrikanten“, die vertraglich zugesicher-

DK, Der Widerhall unseres Vorschlages zur Schaffung einer Zentralstelle für alle TextildetaillistenVerbände, 28.1.1917; DK, Die Notwendigkeit einer Zentralstelle für sämtliche Textildetaillisten-Verbände, 18.2.1917; DK, Die Zentralstelle aller Textildetaillisten-Verbände. Freunde und versteckte Gegner, 4.3.1917. 425 DK, Aufruf zur Gründung einer Zentralstelle für sämtliche Textildetaillisten-Verbände, 25.3.1917; DK, Die Zentralisierung aller Textil-Detaillisten-Verbände, 22.4.1917. 426 Nahrhaft formulierte das ambitionierte Ziel einer „Zusammenfassung der Herrenbekleidungs-Spezialgeschäfte zur Wahrung der Interessen dieses Wirtschaftszweiges“. Bis 1928 baute der Verband 17 Bezirksverbände mit 82 Ortsgruppen auf, siehe ebd., S. 198 f.; DK, Dem Andenken Ludwig Traubes, 18.5.1928. 424

Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen

ten Preise, im Nachhinein zu erhöhen versuchten.427 Zum 19. August 1918 schloss sich nach Vorbild der Herrenkonfektion die Damenkonfektion zum „Reichsverband für Damen- und Mädchenbekleidung“ (RDM) zusammen. Damit war eine „Lücke“ in der verbandlichen Fachorganisation geschlossen worden. Während im RHK zwar alle führenden Häuser präsent waren, repräsentierte der RDM mit seinen 1200 Mitgliedern jedes zweite Damenmodefachgeschäft des Reiches und erreichte damit den höchsten Organisationsgrad im Textileinzelhandel.428 Eine Sonderstellung nahm der am 1. Januar 1917 gegründete „Berliner Verband Deutscher Wäschegeschäfte und Wäschehersteller“ ein, da etwa die Hälfte der rund 2.000 Mitglieder (1928) Fabrikationsbetriebe waren. Ausschlag für die Gründung waren nicht Konditionsstreitigkeiten, sondern das Eindringen der Handelsreisenden während des Ersten Weltkrieges, wogegen sich die maßgeblichen Berliner Traditionsbetriebe, die meist Herstellung und Verkauf unter einem Dach vereinten, stellten.429 Auch die Idee eines Dachverbandes war vor Kriegsende nicht vom Tisch. Trotz des Scheiterns der Projekte Kleinhandelsbund (1914/16) und Zentralstelle (1917) blieben der Hamburger Verband, der VdWK und verschiedene Fachverbände über Astor, Tietz und Traube in stetem Kontakt. Die drei sahen zwar weiterhin starke Interessengegensätze, doch aus Sicht der Einheitsbefürworter waren diese „mit gutem Willen zu überbrücken“. Eine einheitliche, zentrale Vertretung gegenüber den Behörden und der Bekleidungsindustrie war Mitte Juli 1917 immer nötiger geworden. Die Probleme des Bezugscheinsystems, der Warenzuteilung und der eskalierende Konditionenstreit mit dem Berliner Verband Deutscher Damenwäsche-Fabrikanten führte zu einem neuen Anlauf des Zusammenschlusses des Einzelhandels unter dem Motto: zuerst Textileinzelhandel, dann der gesamte Einzelhandel. Anfang Juni 1917 gründete sich der „Reichsbund der Deutschen Textildetaillisten-Verbände“ (RDT) in Berlin. In seiner Eröffnungsrede formulierte Oskar Tietz das zentrale Anliegen des RDT, „erstmals die gesamte Berufsklasse gegenüber den Behörden“ zu vertreten. Allerdings müsse, so Tietz, als Endziel stehen, „dass aus diesem Zusammenschluss des Textilhandels später ein allgemeiner, sämtliche Branchen des Detailhandels umfassender zentraler Zusammenschluss erfolgen kann“.430 Der RDT setzte sich als Verband der Verbände aus Reichsverbänden, Fach-, Orts- und Bezirksverbänden sowie Einkaufsvereinigungen zusammen. Die stimmberechtigten Vertreter der Verbände bildeten die Vollversammlung, aus dem ein geschäftsführender AusDK, Die Bestrebungen zur Gründung eines Detaillisten-Verbandes für Damen- und Mädchenkleidung (Reichsverband), 1.7.1917. 428 Da sich der Chefredakteur der „Deutschen Konfektion“ Ludwig Traube über Jahre für die Bildung des RHK und RDM stark gemacht hatte, wurde seine Zeitung ab Oktober 1918 zum offiziellen Verbandsorgan beider Verbände, siehe DK, Dem Andenken Ludwig Traubes, 18.5.1928; DK, Welchen Verbänden muss der Detaillist angehören?, 1.9.1918; Wein (1968), S. 199 f. 429 Wein (1968), S. 200. 430 DK, Zur Gründung des „Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände“, 1.7.1917. 427

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schuss mit 13 Mitgliedern berufen wurde.431 Alle gültigen Beschlüsse erforderten eine dreiviertel Mehrheit. Wie schon bei Kleinhandelsbund und Zentralstelle folgte der Gründung ein Streit um Namen und inneren Aufbau.432 Die Aufnahme von Einzelfirmen war nach heftigen Diskussionen abgelehnt worden, da jeder Kaufmann vor 1917 bereits Mitglied in mindestens einer Organisation gewesen sein sollte.433 Dies untergrub jedoch von Anfang an die finanzielle Basis des RDT. Da der RDT aber nur korporierte Mitglieder besaß, war er von Zuwendungen der Verbände abhängig. So verfügte er über einen vergleichsweise bescheidenen Jahresetat von 90.000 Mark bei über 70 angeschlossenen Verbänden (1918).434 Darunter befanden sich nun auch solche, die der Integrationsidee von Mittelstand und Warenhaus zuletzt ablehnend gegenüberstanden.435 Der größte Streitpunkt war der Einfluss der Vertreter der verschiedenen Verbände auf die Geschäftsleitung. Der Hamburger Verband schloss sich nach langen Verhandlungen dem RDT an, zog nach Berlin und änderte seinen Namen in „Verband Deutscher Textilgeschäfte“. Kleinverbände waren im RDT nicht stimmberechtigt und waren daher zur gemeinsamen Stimmabgabe genötigt. Als Ausgleich setzten die Mitglieder eine Satzungsänderung durch, nach der die Vollversammlung und nicht der geschäftsführende Vorstand den Ersten Vorsitzenden des RDT bestimmte. Zum ersten Vorsitzenden bestimmten die Delegierten Jacob Astor. Trotz eines ungebrochenen Gegenwinds – der „Konfektionär“ schwieg die Gründung tot436 – gelang erstmals die vollständige Integration des VdWK in den RDT. Der VdWK stellte dem RDT Räumlichkeiten zur Verfügung. Oscar Tietz wurde zum ersten Stellvertreter ernannt.437 So waren die Warenhäuser Tietz, Althoff und Schocken ebenso in die Diskussion über die Satzung eingebunden wie auch Vertreter der Spezialfachgeschäfte, etwa des RHK und Jeder Verband entsandte pro 30–100 Mitglieder einen Vertreter, ab dem 31. bis 500. Mitglied einen Vertreter und dann je angefangenes 500. Mitglied einen weiteren Vertreter. Verbände unter 30 Mitgliedern waren nicht vertretungs- und stimmberechtigt. Sie konnten sich zusammenschließen und einen Stimmberechtigten entsenden. Der geschäftsführende Vorstand bestand aus 13 Mitgliedern, davon vier aus den Reichsverbänden, vier aus den Reichsfachverbänden, drei aus den Bezirks- und Ortsvereinen und zwei aus den Einkaufsvereinen, siehe DK, Reichsbund Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 24.6.1917. 432 Der Name „Zentralstelle“ wurde schnell verworfen. Nach intensiven Diskussionen verwarf man auch den Namen „Bund Deutscher Kleinhandelsverbände im Webstofffach“, siehe DK, Zur Gründung des „Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände“, 1.7.1917. 433 Vgl. Artikel „Reichsbund Deutscher Textil-Detaillistenverbände“, 20.6.1917, BA R8034-II/3566, p. 118. 434 Jeder Verband zahlte 100 Mark Grundgebühr. Je nach Anzahl der Stimmen erhöhte sich der Grundbetrag um 100 Mark (erste Stimme), 200 Mark (zweite Stimme) oder 300 Mark (dritte Stimme), siehe DK, Reichsbund Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 24.6.1917; Konf, Reichsbund deutscher Textil-Detaillistenverbände, 1.7.1917; Wein (1968), S. 202. 435 Etwa der Verband der Handelsschutz- und Rabattsparvereine mit seinen Textilgruppen und der Verband katholischer kaufmännischer Vereinigungen Deutschlands, siehe Wein (1968), S. 202. 436 Die „Deutsche Konfektion“ warf dem „Konfektionär“ daraufhin vor, ein „Fabrikantenblatt“ und ein „Feind der Detaillisten“ zu sein, siehe DK, Zur Gründung des „Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände“, 1.7.1917. 437 Vgl. Wein (1968), S. 201 f. 431

Verbandsstrukturen – Auf dem Weg zu Gesamtvertretungen

des Zentralausschusses der Vereinigten Putz-Detaillistenverbände Deutschlands. Der Reichskommissar der Reichsbekleidungsstelle Dr. Beutler bemerkte richtig: „Jetzt haben wir ja bald eine amtliche Vertretung aller Textildetaillisten“.438 Dass dieser Schritt längst überfällig war, zeigte auch die Berufung Astors in den Beirat der Reichsbekleidungsstelle und in deren Arbeitsausschuss. Im ersten Jahr kämpfte der RDT an zwei Fronten. Einerseits für einen Abbau der Zwangswirtschaft, andererseits gegen die Konventionen der Fabrikanten und für die Einführung einer Einheitskondition für den gesamten Textileinzelhandel. Im Jahr 1917 galt es zunächst, den Verband gegenüber den Behörden zu etablieren und geschlossen „gegen Übergriffe und Auswüchse der Konventionen“ zu agieren. Mit Kriegsende 1918 trat der Kampf gegen die Zwangsregulierung in den Vordergrund. Der RDT forderte den Abbau der Bezugscheinpflicht, das Ende der Beschlagnahmung von Textilien und die Aufhebung des Verbots der beschleunigten Ankündigung des Verkaufs von Textilwaren.439 Als „Verband der Verbände“ gelang es jedoch nicht, die Anliegen strukturiert und gewichtig den Behörden zu übermitteln. Der RDT scheiterte an den fehlenden Mechanismen des Interessenausgleiches innerhalb des Verbandes. Viele Einzelfirmen vertrauten auf die Spezialverbände, die ihrerseits oftmals ohne Abstimmung mit dem Dachverband ihr Anliegen öffentlich machten. Diese Vielstimmigkeit erzeugte statt Geschlossenheit eine wahrnehmbare Dissonanz im Textileinzelhandel. So blieben erfolgreiche Interventionen bei Behörden rar.440 Auch wenn der Interessenausgleich missglückte, so blieb der RDT Forum eines regelmäßigen Austausches von mittelständischen Kaufleuten und den großbetrieblichen Warenhäusern. In dieser „Normalisierung“ des Verhältnisses zueinander liegt einer der Verdienste des RDT. Dadurch legte der RDT den Grundstein für die Bestrebungen, den gesamten deutschen Einzelhandel zusammen mit den Großbetriebsformen verbandlich zu vereinen.441

DK, Reichsbund Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 24.6.1917. Konf, Reichsbund deutscher Textil-Detaillistenverbände, 1.7.1917; Konf, Die Forderungen der Detaillisten für die Uebergangswirtschaft, 10.11.1918. 440 Lediglich bei der Verteilung von „Reichswaren“ für die minderbemittelten Bevölkerungskreise wurde der RDT von der Reichsregierung eingeschaltet, siehe Wein (1968), S. 202, Anm. 47. 441 Der RDT begrüßte „mit Genugtuung den Gedanken eines Zusammenschlusses des gesamten Einzelhandels“, siehe DK, Ausschusssitzung des Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 21.4.1918. Der RDT war die einzige Organisation, in der der VdWK mit mittelständischen Einzelhandelsgruppen zusammenarbeitete, siehe Wein (1968), S. 202 f. 438 439

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Obwohl im November 1918 der Krieg beendet worden war, wirkten die innen- und außenwirtschaftlichen Folgen der Kriegswirtschaft noch jahrelang nach. Der deutsche Export blieb an den Zollmauern vieler seiner Nachbarstaaten hängen oder verlor ehemalige Wirtschaftspartner (Russland). Wirtschaftszweige, die unter der rüstungswirtschaftlichen Ausrichtung zurückgefahren wurden, mussten sich nun gegen erstarkte und junge Konkurrenten aus Südamerika oder Australien behaupten. Ähnlich wie auch die Landwirtschaft litt die exportorientierte, rohstoffverarbeitende, arbeitsintensive deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie unter wachsender Konkurrenz und eklatanter Überproduktion auf dem Weltmarkt. Im Folgenden beleuchtet Kapitel 4.1 die Nachwirkungen der kriegswirtschaftlichen Regulierung auf die Textilbranche und nimmt die wachsende Konkurrenz staatlicher Akteure im privaten Textilhandel im Bereich der Versorgung der bedürftigen Bevölkerung mit Textilien und Kleidung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Blick. Im Zentrum des Kapitels 4.2 steht die Wahrnehmung und Reaktion der textilen Geschäftswelt auf die Krisensymptome des Jahres 1920 und der Folgejahre bis zum Währungszusammenbruch Ende 1923. Vor diesem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwerfungen werden in Kapitel 4.3 die zunehmende Verbandsintegration des Textileinzelhandels sowie dessen Auseinandersetzung mit seinen Vorlieferanten in Bezug auf die Liefer- und Zahlungskonditionen interpretiert. 4.1

Regulierung und staatliche Akteure

4.1.1

Textilmarkt

Nach dem Ende der Kampfhandlungen zum 11. November 1918 gestaltete sich der Abbau der kriegswirtschaftlichen Regulierungen auf dem Textilsektor als schwierig. Der Warenmangel hatte sich trotz Kontingentierung und Bezugscheinsystem verstärkt, die

Regulierung und staatliche Akteure

deutsche Währung verlor immer mehr an Wert und die Demobilisierung brachte hunderttausende Soldaten zurück in die Unternehmen. Die etablierten Regulierungsinstitutionen für den Textilsektor blieben vorerst intakt. Nachdem im Sommer 1916 das „Reichskommissariat für Übergangswirtschaft“ gebildet worden war, folgten intensive Beratungen im „Reichstagsausschuss für Handel und Gewerbe“ unter Hinzuziehung der Branchenvertreter der Textilbranche. Eine Übergangslösung sollte die heimische Textilindustrie und die nachgeordneten Branchen vor den Unwägbarkeiten der neuen Friedensordnung schützen. Am Ende stand der Aufbau einer „Reichsstelle für Textilwirtschaft“ (Rf T), die mit Bundesratsverordnung vom 8. Mai 1918 ins Leben gerufen wurde.442 Die Rf T war ein Selbstverwaltungskörper der Textilbranche unter behördlicher Aufsicht. Sie unterstand dem Reichskanzler bzw. dem Reichswirtschaftsamt und überwachte neun Reichswirtschaftsstellen (RwSt) für die Textilstoffe Baumwolle, Wolle, Seide, Kunstspinnstoffe, Flachs, Hanf, Jute, Hartfaser und Ersatzstoffe. Die RwSt waren eine Art Vertreterversammlungen, deren Mitglieder die Textil- und Bekleidungsindustrie, das Handwerk, den Einzel- und Großhandel sowie die Arbeiter und Angestellten vertraten. Jede der Vertreterversammlungen umfasste bis zu 100 Personen. Die entsprechenden Verbände unterbreiteten dem Reichskanzler ihre Vorschlagslisten und dieser ernannte deren Vertreter, wobei die RwSt durch Industrievertreter dominiert waren. Von insgesamt 661 Vertretern kamen 475 aus der Industrie (72 Prozent). Von den 186 Restsitzen besetzte der Handel 117, wobei nur 26 Sitze an den Einzelhandel gingen (4 Prozent). Die Textileinzelhandelsverbände konnten mangels einheitlicher Vertretung ihr Gewicht weniger stark deutlich machen. Der Textilindustrie gelang es ihren im Krieg erworbenen Einfluss auf die regulierenden Stellen zu konsolidieren. So führte der norddeutsche Textilfabrikant Günther Quandt, eine der zentralen Personen der textilen Kriegswirtschaft, die neu geschaffene Reichsstelle für Textilwirtschaft. Den Plänen des „Rates der Volksbeauftragten“, die Schlüsselindustrien zu sozialisieren, konnte sich die Textil- und Bekleidungsindustrie erfolgreich widersetzen.443 Dennoch blieb die Textilindustrie vorerst unter Beobachtung der Reichsstelle. Die Reichsstelle und die ihr untergeordneten Reichswirtschaftsstellen sollten die wirtschaftlichen Schädigungen für die Textilindustrie infolge der Umstellung der Wirtschaft auf Friedensproduktion in Grenzen halten. Aus den kriegswirtschaftlichen Erfahrungen heraus sollten die Reichswirtschaftsstelle die Beschaffung, Verteilung, Lagerung, den Absatz und Verbrauch der einzelnen Rohstoffe durch Verordnungen überwachen. Nach der „Verordnung über wirtschaftliche Maßnahmen für die Über-

Konf, Der Textilhandel in der Übergangswirtschaft, 3.11.1918. Vgl. Jungbluth (2002), S. 41 ff.; DK, Textilwirtschaft und Einzelhandel, 5.4.1922; DK, Eine Zurücksetzung des Einzelhandels durch die Regierung, 20.10.1918; Konf, Reichsstelle für Textilwirtschaft, 25.4.1918; Konf, Der Reichsbund deutscher Textildetaillisten-Verbände gegen die Zurücksetzung des Detailhandels in den Reichswirtschaftsstellen, 20.10.1918; DK, Der Textilhandel in der Uebergangswirtschaft, 13.10.1918. 442 443

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gangswirtschaft auf dem Textilgebiet“ vom 27. Juni 1918 kontingentierten die RwSt den Außenhandel mit Rohstoffen und die zu diesem Zweck vorgehaltenen Devisen und Schiffskapazitäten. War das zugelassene Kontingent genehmigt, konnten die Unternehmen frei entscheiden, wo und zu welchem Preis verkauft wurde. Die Industriebetriebe erhielten auf Grundlage der Produktionsmengen der letzten drei Friedensjahre Bezugscheine für den Rohstoff. Diese Bezugscheine gingen an die Händler, die nun berechtigt waren, die genehmigten Mengen mit zugeteilten Devisen und Schiffsraum einzukaufen. Ähnliches galt auch für den Export von Fertigfabrikaten über den Großhandel, der bis zu 75 Prozent seines Friedensumsatzes tätigen durfte. Während die Zuteilung von Rohstoffen an Spinnereien und Webereien ebenfalls kontingentiert blieb, war der Verkauf von fertigen Waren an Webereien, Wirkereien, Strickereien, Bekleidungsindustrielle sowie Groß- und Einzelhandel frei. Schöpfte die Textilindustrie ihre Kontingente nicht aus, konnten diese an andere Betriebe verkauft werden. Insgesamt verlief diese Form der Produktionsregulierung nach dem Motto: „Die Arbeiterhose wird uns wichtiger sein, wie der leichte Damenstrumpf und die Mullgardine weniger wichtig, als das grobe Hemd“.444 Im März 1919 sah der neue Vorsitzende der Reichsstelle für Textilwirtschaft Otto Just die Kriegswirtschaft für das Textilwesen für beendet. Er räumte ein, dass dies „keineswegs die Wiederherstellung der ungebundenen Wirtschaft“ bedeute. Alle erlassenen Anordnungen, so Just, waren „einstweilen unverändert zu übernehmen“. Die Kriegsniederlage hatte zu einer „aufgezwungenen, überstürzten Demobilmachung“ geführt. Da sich die größten Textilbestände in Besitz des Militärs befänden, brauche es weiterhin staatliche Stellen zur Erfassung und Verteilung dieser Heeresbestände. Zudem stehe einem freien Markt die Lohnentwicklung, die Arbeitszeitverkürzung, der Währungsverfall und der Devisen- und Rohstoffmangel entgegen. Der Textilbranche verkündete Just: „Die alte Zeit mit allem drum und dran ist dahin, unwiderruflich dahin!“445 Während die Regierung die Maßnahmen als notwendige Schritte der Übergangswirtschaft charakterisierte, kritisierte der Textileinzelhandel das aufrechterhaltene System der Regulierung als Ausdruck einer Zwangswirtschaft. In einer Eingabe im Juni 1919 an den Reichswirtschaftsminister forderte der „Verband Deutscher Textilgeschäfte“ den umfassenden Abbau der kriegswirtschaftlichen Regulierungsmaßnahmen. Mit Verweis auf die gesamtwirtschaftliche Zwangslage antwortete das Ministerium: „Unter den obwaltenden Verhältnissen ist es unmöglich, den von Ihnen gewünschten Übergang zur völlig freien Wirtschaft schon heute vorzunehmen“.446

Konf, Reichsstelle für Textilwirtschaft, 25.4.1918; Konf, Die Organisation der Textilwirtschaft, 15.7.1920; DK, Der Textilhandel in der Uebergangswirtschaft, 13.10.1918; DK, Das Problem der Uebergangswirtschaft im Einzelhandel, 7.7.1918. 445 Konf, Die Zukunft unserer Textilwirtschaft, 2.3.1919. 446 Konf, Der Kampf um die Zwangswirtschaft, 1.6.1919. 444

Regulierung und staatliche Akteure

In der Tat hatten die Behörden schon wenige Wochen nach Kriegsende mit der schrittweisen Lockerung der Zwangsmaßnahmen begonnen. In der „Bekanntmachung über den Abbau der Bezugscheinpflicht“ vom 27. November 1918 wurde die Freiliste um eine Vielzahl von Artikeln erweitert, darunter Handschuhe, Schlafröcke für Männer und Herrenwesten. Das Arbeiten auf Lager und die Neukundenanwerbung waren ebenso wieder freigegeben. Die Bezugscheinregelung blieb jedoch in Kraft und wurde stellenweise erweitert, etwa für Bettwäsche, Handtücher, Badewäsche und Küchenhandtücher. Konsumenten erhielten angesichts des Wintereinbruchs für Mädchenund Damenkonfektion einmalig zwei Sonderbezugscheine – einen für Kleider, Röcke und Blusen, den zweiten für einen Mantel. Auch für Männer- oder Knabenwintermäntel wurde ein Sonderbezugschein durch die Reichsbekleidungsstelle ausgegeben.447 Die schrittweise Lockerung betraf auch die Aufhebung des Verbots für Inventur- und Ausverkäufe im Januar 1919. Diese Verfügung des Demobilmachungsamts wurde allerdings im April 1919 auf Antrag Jacob Astors in der Nationalversammlung durch die RBS gekippt.448 Auch in Bezug auf die Kalkulationsfreiheit waren die Verordnungen widersprüchlich. Zwar hoben die Behörden die Preisbeschränkungsverordnung vom 30. März 1916 im Frühjahr 1919 auf. Weiterhin gültig blieb jedoch die Preistreibereiverordnung vom 8. Mai 1918, die einen „übermäßigen Gewinn“ bei Gegenständen des täglichen Bedarfs unter Strafe stellte. Damit hatte sich an den Kriegsverhältnissen wenig geändert. Die Unternehmerverbände des Textileinzelhandels sahen die junge Republik auf dem Weg zur „gebundenen Planwirtschaft“ und interpretierten den Versuch der Reichsregierung, die Produktivität der Betriebe zu steigern, als unsägliche Zwangsmaßnahmen.449 Am 26. August 1919 fiel schließlich die allgemeine Bezugscheinpflicht für Web-, Wirk- und Strickwaren. Zwar begrüßte der Handel diesen Entschluss als einen „Schritt weiter zur freien Wirtschaft“. Andererseits berichteten die Unternehmen von keinen positiven Effekten, da die Preise derart hoch blieben, dass „ohnehin kaum jemand etwas anschaffen [wollte], was er nicht dringend notwendig brauchte“.450 Mit Jahresbeginn 1920 waren bis auf die Leinenindustrie alle textilen Industriezweige frei von staatlichen Zwängen. Die Textilunternehmen hatten Zugang zum ausländischen Rohstoffmarkt, sodass die Produktionskapazitäten teilweise nicht ausreichten, die Rohstofflieferungen zu verarbeiten. Die Hauptschuld lag in der mangelhaften Belieferung der produzierenden Betriebe mit Kohle. Damit einhergehend entwertete 447 Konf, Abbau der Bezugscheinpflicht, 28.11.1918; Konf, Wünsche und Forderungen der Detaillisten für die Uebergangs- und Friedenwirtschaft, 5.12.1918; Konf, Das Ende der Bezugscheinpflicht, 7.9.1919. 448 Konf, Wiedereinführung des Ausverkaufsverbotes, 17.4.1919. 449 Konf, Wie muss der Textildetaillist seine Waren kalkulieren?, 17.4.1919; DK, Die neue Zwangsjacke für den deutschen Kaufmann, 15.6.1919. 450 Dagegen blieben die kommunalen Berechtigungsscheine für den Bezug sog. Kommunalware für die Versorgung der wirtschaftlich Schwachen bestehen, siehe Konf, Das Ende der Bezugscheinpflicht, 7.9.1919; Konf, Die Aufhebung der Bezugscheinpflicht, 7.9.1919.

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sich die Mark zusehends, womit die Rohstoffpreise für Wolle, Baumwolle und Seide enorm stiegen. Kostete das Pfund Baumwolle vor dem Krieg 60 Pfennig, so waren es 1920 rund 20 Mark. Aufgrund des Devisenmangels wurden die produzierten oder verarbeiteten Textilien für den Exportmarkt bereitgestellt und dem zivilen Konsum entzogen, was zu inländischen Preissteigerungen führte. Die Behörden reagierten mit einem neuen „Wuchergesetz“, welches der Handel als „Ausnahmegesetz gegen den Einzelhandel“ kritisierte, ohne die wirklichen Schieber und Wucherer zu treffen.451 Der Einzelhandel sah sich infolge der Re-Liberalisierung des Marktes erneut als „Opfer“ der Gesetzgebungsmaßnahmen. So enttäuschten die Nationalversammlung und der vorläufige Reichswirtschaftsrat die Hoffnungen der Kaufleute – letzterer hatte sich am 4. Mai 1920 konstituiert. In diesem „Wirtschaftsparlament“ besetzte die Gruppe „Handel & Banken“ 44 von 326 Sitzen. Davon waren 36 Sitze dem eigentlichen Warenhandel vorbehalten. Zu diesem gehörten Vertreter aller Betriebsformen (Konsumvereine, Einkaufsgenossenschaften, etc.) und Wertschöpfungsglieder (Einzel-, Außen- und Großhandel). Dem Facheinzelhandel blieben damit drei Sitze.452 Die gefühlte Ohnmacht und der begrenzte Einfluss zeigten sich in der den Einzelhandel betreffenden Gesetzgebung. Seit Sommer 1919 beklagte der Verband Deutscher Textilgeschäfte die sogenannten Kompensationsgeschäfte der Lieferanten mit Ersatzstoffen. Fabrikanten und Großhandel waren dazu übergegangen, die Lieferung kunstfaserfreier Ware von der Verpflichtung der gleichzeitigen Abnahme von Ersatzstoffen, insbesondere Papiergeweben, abhängig zu machen. Der Handel fürchtete Verluste, da eine entsprechende Nachfrage nach Ersatzstoffen nicht gegeben war. Nachdem die Reichswirtschaftsstellen derartige Kompensationsgeschäfte zur Räumung der Lagerbestände für unerlässlich hielten, kalkulierte der Handel zunehmend verkaufsunfähige Ware unter Verletzung der Preistreibereiverordnung. An das Reichswirtschaftsministerium gerichtet, argumentierten die Textilhändler: „Es ist ein wirtschaftlicher Unsinn und eine nicht zu rechtfertigende Schädigung der großen Masse der Verbraucher, den Absatz solcher Waren durch unlautere Machenschaften gewaltsam zu erzwingen, lediglich, damit ein Teil der Arbeiterschaft eine letzten Endes unproduktive Beschäftigung findet“.453

Der inländische Konsumbedarf wurde vermehrt durch französische und holländische Importe, zunehmend illegaler Art, befriedigt – auf Kosten des heimischen Textileinzelhandels, der diese Entwicklungen als „Deutschlands Ausverkauf “ aufs Heftigste kritisierte, siehe Schreiben „Textilien“, o. D., BA R3101/6906, p. 57–60; DK, Detaillisten, tut eure Pflicht, 2.6.1920. 452 Im April 1933 löste sich der Reichswirtschaftsrat auf und wurde als NS-Reichswirtschaftsrat neu konstituiert. Die Sitze wurden von 326 auf 60 reduziert. Die Textilindustrie und der Einzelhandel entsandten jeweils einen Vertreter, siehe DK, Der Einzelhandel und der vorläufige Reichswirtschaftsrat, 22.5.1920; Konf, Ein „Provisorium“ stirbt, 1.4.1933. 453 Vgl. Schreiben betr. Kompensationsgeschäfte, 25.8.1919, BA R3101/6906, p. 6–7. 451

Regulierung und staatliche Akteure

Die Antwort des Reichswirtschaftsministeriums lehnte die Forderung mit dem Hinweis ab, dass die „gebundene Wirtschaft aufgehoben wurde, [und man damit] keine Möglichkeit mehr [habe] gegen Kompensationsgeschäfte vorzugehen“.454 Im Mai 1920 scheiterte aus denselben Gründen eine Eingabe des „Schutzverbandes der Detaillisten und Gewerbetreibenden Groß-Berlins“ an das Reichswirtschaftsministerium. Der Verband forderte ein Notgesetz „zum Schutze der kleineren und mittleren Existenzen im Textil-Detailhandel“ wegen „diktatorischer Stellung der Fabrikanten und Grossisten“ infolge des Warenmangels. Dieser führe reichsweit zu „gänzlich entrechtenden Konditionen“ und „verwerflichen Konjunkturgewinne[n] der Fabrikanten“. Das Ministerium teilte indes die vorgetragene Auffassung nicht, dass der kleine und mittlere Handel „unmittelbar vor dem Zusammenbruch“ stehe.455 Auch durch die seit Ende November 1919 in Kraft gesetzte Umsatz- und Luxussteuer fühlten sich Teile des Textilhandels überdurchschnittlich belastet. Während Oberbekleidungsstücke aus Rohseide oder anderen Seidenstoffen von der Luxussteuer befreit waren, traf die von 1,5 auf 15 Prozent erhöhte Luxussteuer Bekleidung, die mit oder aus Samt, Brokat, Velours und Velvet gearbeitet war. Daneben galt die Steuer auf Seiden- und Pelzschuhe.456 In der Reihe den Einzelhandel betreffenden Verordnungen bis 1923 fand nur die Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellung (Kartellgesetz) vom November 1923 die Unterstützung des Einzelhandels. Den Konventionen der Fabrikanten waren erstmals rechtliche Grenzen gezogen, nämlich dann, wenn diese den Abnehmer „ungebührlich belasten“. Das Gesetz legalisierte Abnahmesperren und einseitige Vertragskündigungen des Handels, wenn „eine Lieferungsbedingung des Fabrikantenverbandes wirklich zum mindesten den Absatz oder die Preisgestaltung unbillig einschränkt“.457 4.1.2

Notstandsware

Nach dem Kriegsende im November 1918 bestanden die Reichsbekleidungsstelle (RBS) und ihre Nachfolgeorganisationen mit ihren Aufgaben bis ins Jahr 1922 weiter fort, da der zivile Textilmarkt in Teilen zusammengebrochen war. Die Versorgung der zurückgekehrten Soldaten, des Beamtenapparates sowie notleidender Bevölkerungskreise musste weiter gewährleistet werden.

Vgl. Schreiben an den Verband Dt. Textilgeschäfte, September 1919, BA R3101/6906, p. 9. DK, Ein Notgesetz zum Schutze des Textil-Einzelhandels, 22.5.1920. Konf, Die neue Luxussteuer für Textil- und Konfektionswaren, 27.11.1919; DK, Nähere Erläuterungen über die luxussteuerpflichtigen Textilwaren, 21.1.1920. 457 Nach Paragraph 4 konnte der Reichswirtschaftsminister „Verträge und Beschlüsse, die die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl gefährden, entweder 1.) durch das Kartellgericht für nichtig erklären oder 2.) jedem Beteiligten das Recht geben, fristlos zu kündigen oder 3.) sich eine gewisse Überwachung solcher Beschlüsse vorzubehalten“, siehe DK, Das Kartellgesetz, 8.11.1923. 454 455 456

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Bis zum Kriegsende war es der RBS nicht gelungen, die Militärbehörden davon zu überzeugen, der deutschen Bekleidungsindustrie nennenswerte Bestände zu annehmbaren Preisen zu liefern, sodass man alte Militärkleidung auf- und umarbeiten hätte können. Die Bestände, über die die RBS verfügte, wurden über das Kriegsende hinaus an die Breslauer C. Lewin-Betriebe geleitet, in denen zeitweise 13.000 Arbeiter beschäftigt waren. Die umgearbeitete „Lewin-Ware“ war qualitativ gut, doch die bürokratischen Prozesse verschleppten die Produktion und Verteilung. Zum einen dauerte die Verteilung der Stoffe an Konfektionsverbände und deren Weiterverteilung über Bezirksverbände zu lang. Die Rücklieferung der fertigen Kleidung an die RBS brauchte ab der Stofflieferung bis zu einem halben Jahr. Zudem war der RBS eine Qualitätskontrolle der Waren personell und wirtschaftlich unmöglich, sodass sich die Verbraucherbeschwerden über die „Reichsware“ häuften. Bis Ende Oktober 1918 waren Notstandswaren im Wert von schätzungsweise 285 Millionen Mark verteilt worden. Bis zum Jahresende 1918 brachte die RBS über ihre Geschäftsabteilung (Kriegswirtschafts-AG) vier bis fünf Millionen Bekleidungs- und Wäschestücke und acht Millionen Paar Strümpfe zur Verteilung.458 Am 20. Januar 1919 kamen Vertreter der Reichsbekleidungsstelle, des Kriegsministeriums und des Reichswirtschaftsministeriums auf Einladung des Reichsschatzamts zusammen, um über die Frage zu beraten, wie die vorhandenen, lagernden Militärbestände an Bekleidung den bedürftigen Bevölkerungskreisen zugeführt werden können. Strukturell wurde die operative Abteilung der RBS, die Kriegswirtschafts-AG, in die Reichstextil-Aktiengesellschaft (Retag) umgewandelt. Die Verwaltung der Retag arbeitete in denselben Strukturen wie die RBS mit dem Ziel, Heerestextilien zu erheben, zu sortieren, zu verteilen und zu verwerten. Über diesen Prozess wachten das Reichsverwertungsamt bzw. das Reichsschatzministerium. Die Retag war satzungsgemäß bemächtigt, Heerestextilien selbstständig unternehmerisch zu verwerten, „soweit die Heerestextilien nicht für die Notstandsversorgung verwendbar“ waren.459 Im ersten halben Jahr ihres Bestehens zeigten sich die unternehmerischen Schwächen der Retag. Die meisten Mitarbeiter in der Zentrale hatten kaum kaufmännische Erfahrungen und wenig Berührungspunkte mit dem Textilmarkt, sodass sich die interne Organisation für die effiziente Verwertung nicht eignete. Hinzu kam, dass die Retag, wie auch die RBS zuvor, mit schleppenden Übernahmeprozessen kämpfte. Die Übernahme von Militärkleidung aus Garnisonen, Lazaretten und einzelnen Truppenteilen und Depots wurde immer wieder von den militärischen Bekleidungsinstandsetzungsämtern verzögert oder behindert. Zum 1. Juni 1919 reagierte ein gemeinsamer Erlass des Kriegsministeriums, des Reichsschatzministeriums und des Reichswirtschaftsministeriums auf diesen MissDK, Der Textilhandel in der Uebergangswirtschaft, 13.10.1918; Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 192 f. 459 Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 194. 458

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stand mit einer Reform des Bereitstellungs- und Verteilungsprozesses. Dem sog. „Dreiministererlass“ nach bildeten die Armeekorps Textilverteilungskommissionen nach Bezirken. Diese Ausschüsse sollten die vorhandenen Bestände erheben, bewerten und schließlich zur Verwertung freigeben. In jeder der 21 reichsweit aktiven Kommissionen gaben militärische Vertreter die „entbehrlichen Textilien“ frei, Retag-Vertreter klassifizierten die Bekleidung und Vertretern des Reichsverwertungsamts oblag die finanzielle Abwicklung.460 Das federführende Reichsverwertungsamt verband mit dieser Reform die Erwartung, alle in Frage kommenden Heeresbestände innerhalb von sechs bis zwölf Wochen, also möglichst bis Herbst 1919 zu verwerten. Die Retag warb für eine noch schnellere Verteilung. Zwar musste ein Teil der Heerestextilien für den zivilen Gebrauch umgearbeitet werden. Doch mit der anziehenden Produktion der Bekleidungsindustrie infolge des wachsenden Imports von Textilrohstoffen, bestand das Risiko, die Retag-Ware nur noch verlustbringend zu verwerten. Die Retag-Ware musste also so schnell wie nur möglich verwertet werden, da eine weitere Lagerung der Bestände den Verlust nur erhöhen würde. Für den gewerblichen Textileinzelhandel entstand so die konkrete Gefahr eines allgemeinen Absinkens der Marktpreise, da erhebliche Mengen an Kleidung auf den Zivilmarkt gelangen sollten. Das Reichswirtschaftsministerium votierte daher für eine maßvolle Ausschüttung der Bestände, um die Winterversorgung der ärmeren Bevölkerung sicherzustellen und die Marktpreise stabil zu halten.461 Die Auflösung der Heeresbestände an Bekleidung konnte nicht – wie geplant – zum Herbst 1919 abgeschlossen werden. Die Pläne scheiterten weniger an der Erfassung und Bereitstellung, zumeist aber an der Verteilung und Qualität der Waren. So fehlte es hauptsächlich an Transportkapazitäten. Das Reichswirtschaftsministerium sah durch den Mangel an entsprechenden Eisenbahnwaggons, die für den kommenden Winter „dringend notwendige Versorgung [ ] auf das Höchste gefährdet“.462 Aus der Industrie und dem Einzelhandel mehrten sich die kritischen Stimmen zur Retag-Ware. Der Verband Oberlausitzer Kleiderfabrikanten beklagte im Oktober 1919 neben der unzureichenden Verteilung die schlechte Qualität und unsachgemäße Lagerung der Ware sowie die preistreibenden Folgen.463 Nach den Vorgaben des Reichsverwertungsamtes bemaß sich der Verkaufspreis als Summe der Erwerbs- und Verwaltungskosten. Damit lag die Retag-Ware gemessen an ihrer Qualität meist über dem Marktpreis. Um die „Notstandsware“ konkurrenzfähig zu machen, bedurfte es eines zehnprozentigen Skontos.

Vgl. ebd., p. 195. Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 197. In Hamburg-Kuhwerder lagen etwa „30 Waggons Bekleidung, die nicht abtransportiert werden können“, siehe Schreiben an den Minister der öffentlichen Arbeiten, 15.9.1919, BA R3101/7044, p. 12. 463 Schreiben des Verbandes Oberlausitzer Kleiderfabrikanten, 9.10.1919, BA R3101/6599, p. 32 f. 460 461 462

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Damit gewann auch die Frage, wie lange eine staatliche Notstandsversorgung noch notwendig war, an Bedeutung, nachdem mehr und mehr qualitativ gute und preiswerte französische und niederländische Ware auf den deutschen Markt kam. Im Herbst 1919 stellte die operative Abteilung der Retag ihre Rolle in der Textil-Notstandsversorgung in Frage. Die Retag-Lager leiteten mehrheitlich Textilkaufleute, die mit ihren eigenen Geschäften nun schnellstmöglich zur Friedenswirtschaft zurückkehren wollten. Die Doppelbelastung und der mangelnde Erfolg schädigte zunehmend deren Ruf und sie forderten daher die Abwicklung der Retag.464 Um eine Mindestversorgung zu gewährleisten, entschloss sich das Reichsverwertungsamt, die Retag für die „Notstandsversorgung Winter 1919/1920“ zu reformieren. Dazu wurde die Retag aufgelöst und die Textil-Notstandsversorgung GmbH (TNV) gegründet, in die alle für die Notversorgung zuständigen RBS-Abteilungen eingingen. Laut Gesellschaftsvertrag vom 27. Oktober 1919 stammte das Kapital der TNV in Höhe von 100.000 Mark zu 90 Prozent aus der Staatskasse und zu zehn Prozent von der Reichsstelle für Textilwirtschaft. Einen Monat später löste das Reichswirtschaftsministerium per Bekanntmachung die Reichsbekleidungsstelle zum 1. Dezember 1919 auf. Damit übernahm die TNV die Textilnotstandsversorgung sowie die Altkleiderwirtschaft, während die Reichsstelle für Textilwirtschaft nun den Textilhandel überwachte.465 Die stark zentralisierte TNV arbeitete – wie auch die Retag – nicht auf Rechnung des Reiches, um den in der Bevölkerung und Privatwirtschaft kritisierten Behördencharakter zu vermeiden. Die einzige nach außen sichtbare behördliche Schnittstelle war der „Kommissar für Textilnotstandsversorgung“ Dr. Wolfgang Reichardt aus dem Reichswirtschaftsministerium, der als Bindeglied zwischen aufzulösender RBS, TNV und Reichswirtschaftsministerium agierte.466

Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 195 f., 200. Vgl. Monatsbericht, 8.12.1919, BA R3101/6906, p. 68; Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 201. 466 Für die TNV waren reichsweit zunächst 21, später 10 Bevollmächtigte eingesetzt, deren Autorität gegenüber den lokalen Heeresverwaltungen immer in Frage stand, siehe Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 219 f. Im März 1920 bestand das Kommissariat aus Dr. Reichardt (Kommissar), Stadtrat Zopff (1. Stellv.) und Assessor Dr. Kirmse (2. Stellv.). Zu den Aufgaben des Kommissariats gehörte neben der Verbindung von RBS, TNV und Reichswirtschaftsministerium die Oberaufsicht über die TNV, das Erlassen von Anordnungen, Richtlinien und Dienstanweisungen, die Überwachung der Kommunalverbände und allgemeine Verhandlungen mit den Zentralbehörden. Bei allen wichtigen Entscheidungen musste ein Beirat angehört werden, der wie folgt zusammengesetzt war: Kommissar, Reichswirtschaftsministerium, Reichsschatzministerium (je 1), Vertreter der: Länder (3), Städtetag (2), Reichsbund dt. Städte (1), Verband preußischer Landkreise (1), Reichsstelle für Textilwirtschaft (1), Textilindustrie (2), Textilarbeiterschaft (2), Landarbeiterschaft (1), Reichsausschuss für Konsumenteninteressen (2), Großhandel (1), TEH (1), Reichskleiderläger (1), Bekleidungsindustrie (1), siehe Schreiben an den Kommissar des Reichswirtschaftsministeriums für Textil-Notstandsversorgung, 17.11.1919, BA R3101/6599, p. 74 f.; Organisationsplan! Für das Kommissariat des Reichswirtschaftsministeriums für Textil-Notstandsversorgung, 26.3.1920, BA R3101/6599, p. 241–244. 464 465

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Die Reaktionen der Funktionäre der Textilwirtschaft auf die TNV waren zurückhaltend. Die Reichswirtschaftsstelle für Baumwolle unterstützte die Neugründung als „zentrale Einkaufsstelle“, die nun nach kaufmännischen Grundsätzen organisiert war. Doch die Textilindustrie sah auch eine kurzsichtige „Vergeudung von Reichsmitteln“. Die Winterplanungen waren aus Sicht der Baumwollindustrie illusorisch. Die inländische Produktion leide unter Kohlenmangel, während alle europäischen Exportländer selbst gegen Textilmangel vorgingen. Nicht ein preissteigender Markteintritt der TNV zulasten des Einzelhandels, sondern eine schnelle Ausweitung der inländischen Produktionskapazitäten könne die effiziente Versorgung der Bevölkerung gewährleisten.467 Die TNV verwies auf die Mitwirkung der Reichsstellen bei der Ausgestaltung der TNV und widersprach dem Vorwurf der Preistreiberei: „[E]s sei daran erinnert, dass die Versorgung der wirtschaftlich Schwachen mit Bekleidungsstücken zu einigermaßen erträglichen Preisen bei freien Spiel der Kräfte bisher nicht erreicht werden konnte, und dass alle Anzeichen dafür vorhanden sind, dass auf dem Textilmarkt eine Preissteigerung, nicht aber ein Preisrückgang eintreten wird“.468

Trotz dieser Vorwürfe und pessimistischen Einschätzungen nahm die TNV ihre Arbeit auf. Doch wie auch ihre Vorgängerinstitutionen litt die TNV an den ungelösten strukturellen Problemen im Beschaffungs- und Verteilungsprozess. Zwar lag erstmals die Zuteilung, Auswahl und Lieferung der Waren und ihre finanzielle Abwicklung in einer Hand. Doch die TNV hatte mit erheblichen binnenorganisatorischen Problemen zu kämpfen. Der als „geeignet, erfahren und sachverständig“ geltende TNV-Geschäftsführer Alfred Dauber trat am 30. September 1920 überraschend zurück und der Geschäftsführerposten wechselte bis 1922 dreimal.469 Zudem verhinderte die räumliche Verteilung der TNV auf fünf Standorte in Berlin und die zunehmenden Probleme, fachkundiges Personal anzuwerben, eine effektive Betriebsorganisation.470 Auch die Erfassungsschwierigkeiten der Heeresbestände blieben bestehen. Die militärischen Verwaltungen hielten angesichts der ungewissen Zukunft der Reichswehr mehr Bekleidungsgegenstände vor, als im „Dreiministererlass“ beschlossen. Während ihres Bestehens erhielt die TNV nie eine umfassende Auskunft über die Bestände und Mengen der Reichswehr. Damit mussten alle Versorgungspläne scheitern. So sah der

Vgl. Stellungnahme des geschäftsführenden Ausschusses der Reichswirtschaftsstelle für Baumwolle zur Frage der Notstandsversorgung, 31.10.1919, BA R3101/6599, p. 76–77. 468 Vgl. Schreiben an die Redaktion des „Konfektionärs“, 12.11.1919, BA R3101/6599, p. 78–80. 469 Dauber folgten der Kaufmann Robert Newes, Stadtrat Zopff und Conrad Richter. Zopff war der „bisherige Leiter der Notstandsversorgung bei der RBS“, siehe Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 237; Schreiben an den Herrn Schatzminister, 8.11.1919, BA R3101/6599, p. 67 f. 470 Der Personalstand schwankte zwischen 425 (Nov. 1919), 742 (Nov. 1920), 177 (Nov. 1921) und schließlich 65 Mitarbeiter in Berlin (Febr. 1922), siehe Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 202 f.; 207; 237 f. 467

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erste Versorgungsplan der TNV für den Winter 1919/20 vor, die wirtschaftlich Schwachen aus Heerestextilien und durch einen Einkauf von Textilien und Kleidung auf dem freien Markt in Höhe von 300 Millionen Mark zu versorgen. Tatsächlich musste auch dieser Plan wie alle folgenden immer wieder korrigiert und dem vorhandenen Material angepasst werden. Nachdem die Intendanturen und Garnisonsverwaltungen dem Reichsschatzministerium, die Lazarettverwaltung und die militärischen Versorgungsämter aber dem Arbeitsministerium unterstellt worden waren, verschärften sich die Zuständigkeits- und Kompetenzstreitigkeiten. Auch die Auflösung der RBS und die Verteilung der lagernden Ware vollzogen sich so langwieriger als zunächst erwartet. Gemäß ihrer drei Beschaffungsmärkte gliederte die TNV ihren Einkauf in drei Abteilungen. Abteilung S erfasste und kaufte Neuware aus Heeresbeständen. Abteilung U unterstanden die gebrauchten Heerestextilien und die Breslauer Wiederherstellungswerkstätten C. Lewin. Um den Warenankauf auf dem freien Markt und die Reichskleiderlager kümmerte sich die Abteilung T.471 Die TNV verfügte damit über Waren im Wert von 145 Millionen Mark (Heeresbestände, freier Einkauf), die vornehmlich aus den Bezirken Berlin, Hamburg, Bremen und Bielefeld stammten zuzüglich der Lewin-Ware im Wert von 100 Millionen Mark. Die Breslauer Wiederherstellungswerkstätte C. Lewin arbeitete seit 1916 im Auftrag der damaligen RBS ausgemusterte Militärsachen zu Arbeitskleidung für Landwirtschaft und Bergbau um.472 Gemäß dieser öffentlich-privaten Partnerschaft schrieb die TNV die Art, Menge, Muster und Kalkulation der Ware vor, die Lewin dann auf eigene Rechnung an den Endverbraucher verkaufte.473 Zum Lewin-Sortiment gehörten neben umgearbeiteten deutschen und erbeuteten russischen Uniformen auch die Konfektion von Ulstern, Mänteln und Joppen aus Decken. Lewin verarbeitete Zeltbahnen zu Arbeitskleidung für die Montan-, Metall- und Chemieindustrie und konfektionierte Wäsche und Trikotagen aus Zwiebackbeuteln, Leinensäcken und Schneehemden. Während der gesamten Vertragslaufzeit stellte „der regelmäßigste und zuverlässigste Lieferant der Textil-Notstandsversorgung“ Konfektion im Wert von 450 Millionen Mark her. Etwa 85 Prozent dieser Produktion entstand unter Aufsicht der TNV. Damit lieferte Lewin nahezu ein Drittel der gesamten verfügbaren Waren.474 Als durch die TNV versorgungsberechtigt galten „alle wirtschaftlich Schwachen ohne Rücksicht auf ihre soziale Stellung“. Damit konnten nicht nur Arbeiter, sondern

Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 216 f. Über die „C. Lewin – AG für Webwaren und Bekleidung“, Breslau ist wenig bekannt. Carl Lewin (1855–1926) gründete die Firma, sein Sohn Leo Lewin (1881–1965) führte sie fort. Man war auf Arbeitsund Arbeitsschutzkleidung spezialisiert, siehe Eintrag „Leo Lewin“ von Palica, Magdalena, in: Schlesische Sammlungen vom 13.12.2009, unter http://www.schlesischesammlungen.eu/Lesesaal/Aufsaetze/Samm lung-Leo-Lewin, 3.8.2016. 473 Lewins Monopol stammte aus einem Vertrag vor Kriegsbeginn mit dem Preußischen Kriegsministerium, der der Firma die Überlassung sämtlicher ausgemusterter Uniformen sicherte, siehe ebd., p. 228 f. 474 Vgl. ebd. 471 472

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auch Beamte, Angestellte und Selbstständige „Reichsware“ erhalten. Ebenso berechtigt waren Kriegsinvaliden, Hinterbliebene und kinderreiche Familien. Die Kommunen meldeten der zuständigen Abteilung J der TNV ihren Bedarf an Kleidung. Diese veranlasste die Reichskleiderlager, die Ware an den örtlichen Einzelhandel, Beamtenund Konsumvereine oder das Schneiderhandwerk auszuliefern. Dort wiesen die Verbraucher über einen Bezugschein, der Art und Menge vermerkte, ihre Berechtigung nach und kauften die Ware. Diese allgemeine Versorgung der Bevölkerung blieb das schwierigste Problem. Während in Großstädten das Bezugssystem funktionierte, gestand die TNV ihr Scheitern auf dem „platten Land“ ein. In den meisten Fällen fehlte es an leistungsfähigen Einzelhandelsstrukturen, die bereit waren, ein mögliches Verlustrisiko einzugehen. Hier mussten die Reichskleiderlager selbst die Lücke füllen.475 Ein Sonderfall war die Betriebs- und Anstaltsversorgung. Betriebe und öffentliche Behörden meldeten ihren Bedarf der Abteilung B (Anstalten) und Abteilung H (Betriebe). Daraufhin versorgten zwei Berliner Reichskleiderlager die Berechtigten mit Kleidung und Heimtextilien. Die durch die Lewin-Werke umgearbeitete Arbeitskleidung wurde weniger nachgefragt, da der freie Markt qualitativ bessere Ware zu günstigeren Preisen anbot.476 Während ihrer zweieinhalbjährigen Tätigkeit zwischen November 1919 und April 1922 kaufte die TNV Waren im Gesamtwert von 800 Millionen und verkaufte Waren im Wert von 900 Millionen Mark. Ab November 1921 erwirtschaftete die TNV Überschüsse. Abzüglich ihrer Betriebs-, Zins- und Versicherungskosten erwirtschaftete die TNV einen Gesamtüberschuss von 34 Millionen Mark. Positiv auf das Betriebsergebnis wirkte auch die einjährige Liquidationsphase ab April 1921, in der sich der „Geschäftsverkehr äußerst lebhaft“ entwickelte und der TNV der Verkauf von Waren im Wert von über 100 Millionen Mark gelang.477 In ihrem letzten Geschäftsbericht zog die TNV ein durchwachsenes Fazit. Die Textilnotstandsversorgung war nach Kriegsende als Übergangslösung weitergeführt worden mit dem Ziel, die Grundversorgung der Bedürftigen, der Industriearbeiter und der Staatsangestellten sicherzustellen. Bis zu ihrer Auflösung war es der TNV nicht gelungen, ihren Auftrag mit einem starken Mandat auszuführen. Dem Kommissar fehlte es Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 223 f. Vgl. Schreiben an die Zentralauskunftsstelle im Reichswirtschaftsministerium, 5.12.1919, BA R3101/6599, p. 109–110; Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 221 f. 477 Bei Gründung gewährten die staatliche „Reichs-Kredit- und Kontrollstelle“ und die „Bank für Handel und Industrie“ der TNV Betriebskredite in Höhe von 500 Millionen Mark, der ab Mai 1920 halbiert wurde. Die TNV musste diesen Kreditrahmen „nie voll in Anspruch“ nehmen. Zwischen Juli 1921 und Ende November 1921 fuhr die TNV ihren Kreditrahmen auf null zurück. Die Abschlussbilanz lautete nach Posten (in Millionen Mark): Einkauf (800), Provision und Vergütung von Maßdifferenzen an die Reichskleiderläger (13,5), Zinsenaufwand (7,5), Versicherungskosten (7), Generalunkosten (40), Vergütung an Kommunalverbände und Verschiedenes (2), Überschuss (34), Verkauf (904), siehe Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 231 ff. 475 476

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an praktischen Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Eigentümern der vorgesehenen Ware. TNV-Ware blieb angesichts ihrer Qualität nur dann vermittelbar, wenn die Verkaufspreise deutlich unter dem freien Marktpreis lagen. Damit lastete auf der TNV ein schwer kalkulierbares Risiko, da der Einzelhandel in seiner Kalkulation gebunden war. Lagen zwischen Wareneinkauf und Warenverkauf etliche Wochen, so beeinflussten Marktpreisänderungen sowie die Lager- und Zinskosten den Verkaufspreis für den Verbraucher erheblich. Mal lag der Verkaufspreis für „Reichsware“ 50 Prozent über dem Einkaufspreis und bescherte der TNV gute Erträge, mal mussten die Waren bis zu 75 Prozent unter ihrem Einkaufspreis abgegeben werden. In ihrer langen Liquidationsphase entschied sich die TNV für einen Warenabsatz deutlich unter Einkaufspreis. Nur die einsetzende mengenmäßige Nachfrage nach „Reichsware“ rettete der TNV ihren ökonomischen Erfolg. Sozialpolitisch gestand die TNV ein, „nicht in der Lage [gewesen zu sein], die Notlage der bedürftigen Bevölkerung in Bezug auf Kleidung und Wäsche vollständig zu beheben“. Obwohl dieser Anspruch an den Realitäten scheiterte, sicherte die Notstandsversorgung dem übergroßen Teil der Bedürftigsten ein textiles Existenzminimum und gewährleistete, dass der übergroße Teil der vorhandenen Warenbestände dem illegalen Handel entzogen wurde und in den regulären Einzelhandel gelangte. Zum 1. April 1922 löste sich die TNV auf und die verbliebenen neun zivilen Bekleidungsämter wurden in zwei private Aktiengesellschaften umgewandelt. Der Staat hielt 25 Prozent der Anteile und gewährleistete, dass Räumlichkeiten, Einrichtungen und Restbestände verwertet und die Arbeiter und Angestellten übernommen wurden.478 Dem deutschen Textileinzelhandel waren mit der staatlich koordinierten Versorgung der bedürftigen Bevölkerung durch RBS, Retag und später TNV Chancen und Risiken entstanden. Zum einen konnte ein Betriebsinhaber Teil des Verteilungs- und Verwertungsprozesses werden. Von den Berliner Zentralstellen gelangte die „Reichsware“ an die Kommunen, die sie entweder auf eigene Rechnung verkauften oder dem Einzelhandel weitergaben. Zur Bedarfserhebung, Sortimentsbestimmung und Verteilung bildeten sich reichsweit 57 Reichskleiderlager, die auf genossenschaftlicher Basis durch örtliche Textileinzelhändler betrieben wurden, sowie zwölf im Auftrag der TNV privat betriebene Lager.479 Weil der Einzelhändler hier aber das unternehmerische Risiko trug, scheute die Mehrheit der Händler davor zurück. Der Wiederaufbau und die Konsolidierung des

Vgl. Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 240–243. Es entstanden die „Allgemeine Schuhindustrie AG“ (Sigle-Korn, Wertheim „Salamander-Stiefel“) und die „Deutsche Kleiderwerke AG“, siehe Artikel „Die Verwertung der Reichsbekleidungsämter“, 25.1.1922, BA R3101/6891, p. 15; Artikel „Die Verwertung der Reichsbekleidungsämter“, 25.1.1922, BA R3101/6891, p. 15. 479 DK, Die Reichs-Kleiderläger, 30.6.1918; Verzeichnis aller 57 Reichskleiderläger, in: Anlage zu Neue Richtlinien und Lieferungsbedingungen für den Bezug von Kommunalware, o. D., BA R3101/6885, p. 12–15. Von den privaten Läger befanden sich drei Lager in Berlin, und jeweils eines in Bielefeld, Bremen, Breslau, Krefeld, Hamburg, Leipzig, Nordhausen, Plauen und Stuttgart, siehe Geschäftsbericht der Textil-Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 234. 478

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eigenen Geschäftes band Zeit, Kapital und Arbeitskraft. Mit der Notstandsversorgung erwuchs den Detailhändlern in den Kommunalverbänden und dem Reichkleiderlager ein neuer, direkter Konkurrent im Kampf um den übergroßen Teil der Arbeiterschaft. So mehrten sich die Vorwürfe, die Distribution der „Reichsware“ benachteilige den mittelständischen Einzelhandel. Durch die „Reichsware“ stärke der Staat die zentralistisch-sozialistischen Vertriebsformen wie Kommunalverbände, Beamten- und Konsumvereine, womit viele kleine und mittlere Händler latente sozioökonomische Abstiegsängste verbanden.480 Der Reichsbekleidungsstelle und ihrem nachgeordneten Verteilungsapparat unterstellten eine Vielzahl von Betriebsinhabern und deren kaufmännische Schutzvereine eine generelle „Detaillistenfeindlichkeit“. Tatsächlich waren die beratenden Gremien und Beiräte der RBS von Textil- und Bekleidungsindustriellen dominiert. Die Belange des Textileinzelhandels gegenüber der RBS vertraten Dr. Hermann Freudenberg und Oskar Heimann. Heimann war Geschäftsführer des Berliner Damenmodehauses R. M. Maassen und Vorsitzender des Vereins der Textildetaillisten Groß-Berlins, Freudenberg Inhaber des Berliner Traditionshauses Hermann Gerson. Die „Deutsche Konfektion“ sah den Berufsstand durch diese beiden nicht angemessen repräsentiert. Nicht nur unterstellte das Fachblatt eine Vorrangstellung von Berliner Interessen, es befand Freudenberg und Maassen auch als ungeeignet, als maßgebliche Kleidungsfabrikanten den Facheinzelhandel zu repräsentieren. Die Kritiker fühlten sich bestätigt, als die Reichsbekleidungsstelle Notstandsware für den Winter 1917/18 ausgeliefert hatte. 500.000 Blusen und 30.000 Kostüme waren in einer „vorsintflutlichen, einzigen Form“ dem Einzelhandel angeboten worden und die Fachwelt sah sich in ihrem Verdacht bestätigt: „Herren aus der Großkonfektion haben absichtlich zu unmodernen Formen geraten, um ihrer eigenen, viel teureren Ware keine Konkurrenz zu machen“. Die nicht konkurrenzfähigen Produkte waren tatsächlich eher Resultat der Beschaffungsschwierigkeiten. Doch dieses Teil des Problems übersahen viele Händler und kritisierten öffentlich die Preise und Angebotsbreite der Notstandsware. Seinem Geschäft, so die Beschwerde eines Händlers, habe der Kommunalverband seit 1918 insgesamt 57 „unverkäufliche“ Arbeitshosen angeboten. Obwohl er seit Kriegsende von jedem anderen Warenbezug abgeschnitten sei, „werde ich sie nicht einmal für die Hälfte des Preises los“. Im ostpreußischen Braunsberg (heute: Braniewo) klagte der Einzelhandel über minderwertige, teure und falsch konfektionierte Ware. Von den 660 zugeteilten Anzügen aus Militärbeständen, die für 28 Mark an Landarbeiter gehen sollten, fand sich „keine einzige Mannesgröße“.481

So richtete sich die Kritik des kleinen Einzelhandels etwa gegen die Stoffzuteilung für Männerkleidung zur Fabrikation und zum Verkauf, bei der Konsumvereine und Arbeitnehmerorganisationen bevorzugt würden, siehe DK, Wie der Textileinzelhandel vom Reich und von den Kleiderfabrikanten geschädigt wird, 28.9.1919. 481 DK, Ist die Reichsbekleidungsstelle detaillistenfeindlich, 13.1.1918; Konf, Die viel zu teuren Reichswaren, 9.1.1919; Konf, Die minderwertige Reichs-Konfektionsware, 12.1.1919; Geschäftsbericht der Textil480

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Während der ländliche Einzelhandel zumeist über Qualitäts-, Preis- und Versorgungsschwierigkeiten mit „Reichsware“ klagte, gelang die Eingliederung der Textileinzelhändler in Ballungsräumen besser. In München gelang es der Handelskammer und den Reichsministerien des Innern und Äußeren, eine Organisation für die Übernahme und Verteilung der in Bayern liegenden Reichsware zu bilden. Die in München ansässige „Bayerische Verteilungsstelle für Reichstextilwaren GmbH“ übernahm für München, Nürnberg, Bayreuth, Augsburg und andere Städte die Verteilung der gelieferten „Reichsware“ aus Berlin. Die GmbH wirtschaftete gemeinnützig, sodass ihr Gewinn aus dem Verkauf der Waren an das Schneiderhandwerk, Groß- und Konfektionshändler sowie Einkaufs- und Lieferungsgenossenschaften die Grenze von zehn Prozent nicht überstieg. Mitte März 1919 begann die Münchener Stelle mit der Auslieferung an den Handel. Wollte ein Händler „Reichsware“ erhalten, musste er Mitglied in einem der maßgeblichen Verbände der Textilbranche sein, da Einzelfirmen und Nicht-Mitglieder vom Bezug ausgeschlossen waren. War ein Händler berechtigter Bezieher, musste er die „Reichsware“ vor Lieferung zur Hälfte in bar oder in Kriegsanleihen zahlen. Auf den nicht verhandelbaren Einkaufspreis durfte der Einzelhändler maximal 25 Prozent zur Kalkulation des Endverbraucherpreises aufschlagen.482 Die Fachblätter kritisierten am Ende des Jahres 1919 die langen Lieferzeiten und den festgelegten Bezugspreis, der teilweise 40 Prozent über dem Marktpreis lag. Auch die Textilverbände wie der Verband Charlottenburger Bekleidungsgeschäfte wiesen darauf hin, dass bei dieser Preisgestaltung die Reichsware weder Kaufanreize setzte noch „Schnitt und Verarbeitung der Konfektion kundengerecht“ waren.483 Ganz ähnlich nahmen sich die Umfrageergebnisse zu den „Reichswaren“ unter Fachgeschäften aus. Besonders an der schleppenden Auslieferung störten sich die Händler. Die Münsteraner Warenhauskette Theodor Althoff forderte „größere Schnelligkeit“ bei der Auslieferung. Das Düsseldorfer Modehaus Goppel & Goldschmidt argumentierte mit enormen Zinsverlusten infolge der Verzögerungen: „Wir haben der Retag im Januar 1919 120.000 M[ark] eingezahlt [ ] und in den letzten 2 Monaten Warenlieferungen in Höhe von 33.000 M[ark] erhalten. Das übrige Kapital liegt zinslos rum“. Auch aus München kritisierte das Modekaufhaus Roman Mayr eine „Verteilung in lächerlich langsamen Tempo“. Andere Händler wie H. & L. Freudenberg aus Essen verzichteten aus Quali-

Notstandsversorgung GmbH, o. D., BA R3101/6600, p. 209, 225; Schreiben an Herrn Assessor Düring, 27.1.1920, BA R3101/6599, p. 171–174. 482 Waren wurden über folgende Verbände offiziell verteilt: Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser (Berlin); Verband Deutscher Textilgeschäfte (Berlin); Verband Deutscher Wäschegeschäfte (Berlin); Reichsverband für Herren- und Knabenkleidung (Düsseldorf); Reichsverband Deutscher Herrenausstattungsspezialgeschäfte (Berlin); Zentralverein Deutscher Einkaufsverbände der Textilbranche (Berlin), siehe Konf, Wie die Reichsware an Detaillisten verteilt wird, 13.2.1919; Konf, Verteilung von Reichstextilwaren in Bayern, 23.1.1919; Konf, Verteilung der Reichstextilwaren in Bayern, 16.3.1919; Konf, Wie die Reichsware an Detaillisten verteilt wird, 6.2.1919; Konf, Wie die Kommunalwaren jetzt verteilt werden sollen, 20.3.1919. 483 Konf, Die viel zu teuren Reichswaren, 8.6.1919.

Regulierung und staatliche Akteure

tätserwägungen völlig auf den Bezug, denn die „Retag-Ware [ist] so geringfügig, dass es für uns nicht von Interesse ist“. Andere Häuser wie das Dresdner Modehaus Hirsch & Co. sahen in der „Qualität keinen Anlass zu klagen“.484 Im Frühjahr 1921 zog Gustav Nahrhaft, Vorstandsmitglied des Reichsverbandes Herren- und Knabenkleidung ein vernichtendes Fazit. In Nahrhafts Augen geriet die Verteilung zu einem „gänzlichen Fiasko“, in dem „unendliche Millionen Werte verdorben, verschleudert, gestohlen und geraubt und in unrichtige Hände“ kamen. Seit den Anfängen der RBS bis zur Liquidierung der TNV gelangte so oft qualitativ minderwertige oder unsachgemäß konfektionierte Kleidung in den Einzelhandel. Konfektionierte „Reichsware“ war, in Augen von Nahrhaft, oft „Einheitsware“, meist hochwertige Oberstoffe, die mit minderwertigen Futter- oder Papierersatzstoffen versetzt waren. Als Arbeitskleidung gelangten hochwertige Blusen, Röcke oder Männerjoppen in den Einzelhandel, die weder ihrem Zweck noch den Wünschen der Kunden entsprachen. Für den Textileinzelhandel, der sich mit der Textilnotstandsversorgung gemein gemacht hatte, warnte Nahrhaft vor einem gravierenden Vertrauensverlust beim Kunden.485 Die Enttäuschung der Kunden wegen schlechter Qualitäten und überhöhter Preise gegenüber dem Einzelhandel versuchten sich die Kommunen durch Direktverkäufe von „Reichsware“ zu Nutze zu machen. Den Kommunen war es gesetzlich freigestellt, ob sie „Reichsware“ direkt an die Bezugsberechtigten oder an den örtlichen Handel abgaben. Berechtigte erhielten oftmals direkt über kommunale Verwaltungsstellen Sonntags- und Werktagsanzüge, Jacken, Kleider, Blusen oder Hemden. Einige Kommunen warben bei der Bevölkerung für den Direktverkauf, da mit Ausschaltung des Einzelhandels eine „preistreibende“ Verteilungsstufe wegfiel. Tatsächlich war der Direktvertrieb für viele Kämmereien lukrativ. Bei kommunalen Direktverkäufen konnten fünf Prozent, bei einer Weitergabe an den regulären Handel nur zwei Prozent Gewinn in den Verkaufspreis kalkuliert werden. Diese Regelung machte die Kommunen zu einer „äußerst schädigenden Konkurrenz“ für den Textileinzelhandel.486 Auch im Ringen um die Lieferkapazitäten der Bekleidungsindustrie erwuchs den Händlern durch die Stadtverwaltungen Konkurrenz. Das seit Herbst 1919 einsetzende Werben der Bekleidungsindustrie um neue Aufträge für Fertigkleidung empfand der Textilhandel als zusätzlichen Affront: „Wie uns bekannt geworden ist, ist den Gemeinden die Beschaffung von Anzügen für Männer vom Reichsministerium empfohlen worden. Wir sind in der Lage, Ihrer Verwaltung fertige Kleidung und Stoffe in jeder Preislage und Menge zu liefern. Auch sind wir

Konf, Die Verteilung der Waren aus den Heeresbeständen, 30.11.1919. DK, Das Fiasko der Textilnotstandsversorgung, 2.3.1921. DK, Lieferung von Männer- und Frauenkleidern durch die Reichskleidungsstelle an die Kommunalverbände, 1.7.1917. 484 485 486

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befähigt, in unserer Kleiderfabrik jedes gewünschte Quantum in schnellster Zeit anzufertigen. Für tadellose Bedienung zeugt unser seit langen Jahren fest begründeter Ruf in der Bekleidungsbranche“.487

Die Verbände und Leitmedien des Einzelhandels versuchten die „kommunalen Bekleidungsstellen“ als „Volksbeglückungsmittel“ zu entlarven. Die geringen Preise für „Kommunalware“, so die „Deutsche Konfektion“, würden zulasten des Steuerzahlers erwirtschaftet. Die städtischen Einrichtungen würden steuerfrei und nahezu frei jeder Raum- und Nebenkosten betrieben. Der Warenabsatz unter marktüblichen Preisen führe nicht nur zu einem hochdefizitären Monopol. Gegen die zunehmenden „Kommunalisierungsgelüste“ müsse eine „Einheitsfront von Industrie und Handel“ kämpfen. Der „Konfektionär“ nahm den Entschluss der Stadt Königsberg, effiziente Reichsbekleidungsämter weiter zu betreiben (da sie Arbeitsplätze schufen und Millionen Umsatzsteuer einbrachten), als Anlass zur generellen Abrechnung: „Eine große soziale Fürsorge soll durchaus gepflegt werden, aber nicht durch amtliche Versorgungsstellen, die nur lediglich das Blut aus unserem Volkswirtschaftskörper saugen“.488 Tatsächlich häuften sich ab Herbst 1920 die Verlustmeldungen der kommunalen Einrichtungen in den Branchenblättern. So habe das Bekleidungsamt Köln mit seinen „hohen Ankäufen von Textilien und Schuhen“ im Wert von 80 Millionen Mark die Einkaufspreise in die Höhe getrieben, um dann in Erwartung hoher Verkaufspreise Ware solange zurückzuhalten bis die Ware entwertet und ein guter Verkaufspreis nicht mehr zu erzielen war.489 Der Vorwurf, nicht nach kaufmännischen Grundregeln zu spielen, unzureichenden Sachverstand zu haben und eine „Sozialisierung und Kommunalisierung“ des Einzelhandels zu betreiben, schien sich auch durch die veröffentlichten Verluste des Anschaffungsamtes Groß-Berlins im Oktober 1921 bestätigen. Die Textilabteilung musste knapp zehn Prozent der lagernden Waren als „unverkäuflich“ abschreiben, da „Anzüge mit Sackleinen gefüttert oder [ ] Schwesternkleider nicht waschecht waren“.490

DK, Wie der Textileinzelhandel vom Reich und von den Kleiderfabrikanten geschädigt wird, 28.9.1919. 488 DK, Der Mißerfolg der kommunalen Bekleidungsstellen, 14.7.1920; DK, Die Umgehung des Einzelhandels, 20.10.1920; Konf, Falsche soziale Rücksichten, 3.3.1921; Konf, Neue Wege für die Textilnotstandsversorgung, 2.6.1921; Konf, Umbildung oder Auflösung der textilen Wirtschaftskörper?, 8.12.1921. 489 Konf, Wenn Stadtgemeinden Konfektionsgeschäfte machen, 5.9.1920; DK, Das Fiasko des Kommunalhandels, 1.12.1920. 490 Das städtische Anschaffungsamt schloss das 1. Geschäftsjahr mit 285.000 Mark Verlust bei 39,1 Millionen Schulden. Die Zeitung sah als Ursachen „zuviel Personal und zu hohe Löhne. [ ] So erhält eine Frau, die nur abgetrennte Knöpfe sortiert 1100 Mark im Monat“, siehe DK, Wie Groß-Berlin wirtschaftet, 8.10.1921. 487

Geschäftslage in den Unternehmen

4.2

Geschäftslage in den Unternehmen

4.2.1

Chancen und Risiken

Nachdem das Deutsche Reich im November 1918 bedingungslos kapituliert hatte, belastete der Versailler Friedensvertrag den wirtschaftlichen und politischen Neustart. Die deutsche Wirtschaft – gerade auch auf dem Textilsektor – war weit von Friedensverhältnissen in Produktion, Distribution und Konsum entfernt. Tatsächlich fehlten den textilen Industrien bis zur Aufhebung der Blockade am 12. Juni 1919 nicht nur wichtige ausländische Rohstoffe. Es fehlte an Devisen, textile Produktionsgebiete im Westen und Osten waren verloren gegangen. Der Einzelhandel stand infolge des inflationären Preisanstiegs vor der Herausforderungen, Waren zu bezahlbaren Preisen verkaufen zu können. Waren die Reallöhne der einfachen Arbeiterschaft zwischen Mitte 1915 und Mitte 1917 gesunken, so erreichten sie bis 1921 in etwa wieder das Vorkriegsniveau. Dagegen sanken die Realwochenlöhne der gelernten Arbeiter sowie der Beamten. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein erheblicher Nachfragestau, den der Einzelhandel befriedigen musste.491 Zum Jahreswechsel 1918/1919 berichteten die Unternehmen von starken Beeinträchtigungen des Geschäftsbetriebes infolge von Unruhen und Plünderungen. Seit November 1918 hatten sich die Klagen über Einbrüche in Textilgeschäften gehäuft. Die Zahl der Diebstähle von bezugscheinpflichtiger Ware erreichte einen Höhepunkt und schädigte die unter Warenknappheit leidenden Händler erheblich. Bis in den Frühsommer 1919 hielten diese teilweise chaotischen Zustände an. Ende Juni 1919 verwüstete eine Menschenmenge in Berlin unter dem Eindruck steigender Lebensmittelpreise eine Reihe von Einzelhandelsgeschäften, darunter vier Konfektionsgeschäfte. Der Gesamtschaden belief sich auf 275.000 Mark. Die Polizei meldete drei Tote, vier Schwerverletzte und 31 Festnahmen.492 Nachdem die Bezugscheinpflicht durch die Erweiterung der Freiliste gelockert worden war, berichteten die Unternehmen im Januar und Februar 1919 von einem nachlassenden Andrang an den Ausgabestellen und gingen dazu über, bezugscheinpflichte Waren auch ohne Vorlage des Bezugscheins zu verkaufen. Der Bezugschein lag damit Anfang 1919 „auf seinem Totenbett“.493 Die Streikwellen, die Verkürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden und die allgemeinen Lohnerhöhungen im Frühjahr 1919 kritisierte die „Deutsche Konfektion“ etwa als Resultat der mangelhaften Vertretung Vgl. Fuchs (1990), S. 68 ff. Überlegungen zur Bildung einer „Versicherungsgemeinschaft“ im Textilwarenhandel kamen vorerst nicht zur Realisierung, siehe Konf, Versicherungsgemeinschaft im Textilwareneinzelhandel?, 16.1.1919; DK, An der Wende des Jahres, 4.1.1920; Konf, Wünsche und Forderungen der Detaillisten für die Uebergangsund Friedenswirtschaft, 5.12.1918; Konf, Plünderungen von Konfektions- und Modewarengeschäften im Norden Berlins, 26.6.1919. 493 Konf, Gesprengte Fesseln, 2.2.1919. 491 492

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in der Nationalversammlung. Anderseits begrüßte die Zeitschrift, dass die Gefahr der „Sozialisierung der Wirtschaft“ abgewendet worden war. Unternehmer wie etwa das Brüderpaar Schocken, standen dem wirtschaftspolitischen Kurs der jungen Weimarer Republik skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die von den Gewerkschaften erstrittenen Lohnerhöhungen und die neu gewählte sozialdemokratische Regierung galten beiden Brüdern als „Gefahr für das Wirtschaftsleben“.494 Insgesamt herrschte absoluter Warenmangel. Gerade kleinere Textilhändler wie J. G. Becker klagten, dass „der Laden so gut wie leer [war]“ und „ganz von vorn angefangen werden [musste]“, da ein Großteil der Waren aus minderwertigem Papiergewebe (etwa Zellwolle) war und „bald keinen realen Wert mehr dar[stellte]“.495 Dort wo Vorräte vorhanden waren, entwerteten sich zur Jahresmitte 1919 zunehmend die Lager. Denn aus den besetzten Rheingebieten kamen hochwertige Qualitäten auf den deutschen Markt, die guten Absatz beim deutschen Verbraucher fanden. Die Alliierten versuchten zunehmend, die deutsche Nachfrage mit eigenen Waren zu befriedigen. In England und den USA war die Friedensproduktion deutlich schneller angelaufen. So erreichten bereits unmittelbar nach Kriegsende – vor der offiziellen Aufhebung der Exportblockade – alliierte Waren deutschen Boden.496 Neutrale Staaten wie die Niederlande hatten im Krieg teure englische Waren gekauft, in der Hoffnung, diese auf einem leergefegten deutschen Markt nach Kriegsende verkaufen zu können. Nun aber blieben die Niederlande auf den teuren Artikeln sitzen, da England und die USA selbst den Deutschen Waren anboten. So schrieb Schocken zur textilen Versorgungssituation Anfang Mai 1919: „In einigen Artikeln werden riesige Lagerposten angeboten, die zu sehr günstigen Preisen herauskommen. Die Neutralen können ruhig mit ihren großen, teuren Lagern sitzen bleiben, z. B. werden Hemdentuche von Amerika 50 bis 60 Prozent billiger angeboten als von Holland, Strümpfe 70 bis 75 Prozent unter heutigen deutschen Preisen, Kleiderstoffe, Wollen lagern in unverkäuflichen Mengen in Holland, England bietet jetzt 50 Prozent billiger an [ ]“.497

Neben die Entwertung der eigenen Lager durch ausländische Ware trat die zunehmende Entwertung der Währung ab Herbst 1919. Einer großen Textilnachfrage standen keine Vorräte der Unternehmen gegenüber. Die Textilien und Kleidung aus Heeresbeständen empfanden die Händler als „Tropfen auf den heißen Stein“. Mit der hohen Nachfrage und dem Warenmangel verschärfte die Textil- und Bekleidungsindustrie ihre Zahlungs- und Lieferungsbedingungen und folglich stiegen die Einkaufspreise für den Einzelhandel, dessen Eigenkapitaldecke zusehends dahin schmolz. Denn obwohl 494 495 496 497

Vgl. Fuchs (1990), S. 76 f. Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 6. Vgl. Fuchs (1990), S. 71 f. Vgl. ebd., S. 72 Anm. 8.

Geschäftslage in den Unternehmen

viele Unternehmen es schafften, ihre Lagerbestände komplett abzusetzen und hoch liquide zu sein, bekamen sie für ihre Verkaufspreise zunehmend weniger Ware im Einkauf. Diese Rentabilitätsverluste trafen alle Unternehmen ungeachtet ihrer Branche oder Betriebsform. So berichtete ein großes Modespezialhaus: „Vor dem Kriege habe ich 21 Prozent Unkosten und 6 Prozent Gewinn berechnet, heute muss ich 50 Prozent Unkosten und 6 Prozent Gewinn berechnen. Die Machlöhne sind kolossal, [ ] die Lohnerhöhung [erklärt sich] durch die Aufnahme von Heimkehrern“.498 Andere Unternehmen beklagten den politischen Druck auf Textilhandelsunternehmen. Die Reichs- und Landesregierungen stellten öffentlich die „Verbilligung der Lebenshaltung“ in Aussicht und propagierten „sehr große Heeresbestände“ und eigene finanzielle Bemühungen zur Preissenkung für Kleider und Schuhe. Die Unternehmen bezweifelten nicht nur die Angaben über die verfügbaren Mengen von 41 Millionen Metern Kleiderstoffen aus Militärlagern, sondern rechneten vor, dass damit jedem Deutschen 60 cm Stoff bliebe. Statt einer Verteilung fiktiver Bestände solle sich die Regierung bemühen, Rohstoffe für die heimische Industrie einzuführen.499 Wie realistisch die Einschätzung der Unternehmen war, zeigt eine Stellungnahme der Württembergischen Landesbekleidungsstelle vom Oktober 1919: „Die Heeresbestände in Textil- und Schuhwaren sind größtenteils verwertet, d. h. an die Bevölkerung abgegeben, und Vorräte der Fabriken und des Handels an fertiger Ware fast nicht vorhanden. Rohstoffe stehen im Inland nur in sehr beschränkten Umfang zur Verfügung [ ]. [E]ine Behebung der Warenknappheit und eine Ermäßigung der Preise ist für den Winter 1919 nicht zu erwarten“.500

Im Sommer 1920 schilderte Direktor Manasse rückblickend die Einkaufssituation in der unmittelbaren Nachkriegszeit für den Schocken-Konzern.501 Der Krieg hatte alle normalen, also direkten Einkaufsbeziehungen zu Fabrikanten gekappt. Da man bis Kriegsende bei der Zuteilung von Alt- und Reichsware deshalb benachteiligt war, weil man das verbreitete „persönliche und gegenseitige Gefälligkeitsverhältnis zum Großhandel“ ablehnte, waren auch Schockens Warenlager nahezu leergefegt. Bis Herbst 1919 verzichtete man auf größere Bestellungen, da Fabrikanten und Großhandel „unverfroren“ nur mit hohen Aufschlägen kalkulierten. Angesichts der hohen Nachfrage disponierte der deutsche Textileinzelhandel – auch Schocken – ab Oktober 1919 riesige Warenmengen. Deutsche Textilwaren waren durch die Isolation gegenüber dem Weltmarkt günstig und mit der offenen Rheingrenze setzte ein starker Warenabfluss

Konf, Werden die Bekleidungsgegenstände bald billiger?, 19.6.1919. DK, Die allgemeine Geschäftslage, 31.8.1919. Konf, Keine Verbilligung der Textilwaren, 2.10.1919. Im Folgenden vgl. Die wirtschaftliche Situation der Firma I. Schocken Söhne, Zwickau im Jahre 1920, StAC 33309–25.

498 499 500 501

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Richtung Ausland ein. Der Handel befürchtete enorme Preissteigerungen infolge des sich abzeichnenden Warenmangels und bestellte in nie gekannten Ausmaßen. Die Vorlieferanten reagierten mit Konditionenverschärfung und Preiserhöhungen. Sie reagierten einerseits auf den Preisanstieg der Rohstoffe (besonders Baumwolle) und mangelnde Kapazitäten, andererseits benachteiligten sie die einheimischen Aufträge gegenüber den ausländischen Exporten. Die Konventionen der Textilindustrie zwangen viele Fabrikanten der Bekleidungsindustrie auf Linie. Der Handel als Abnehmer der Textil- und Bekleidungsindustrie musste erhebliche Anzahlungen leisten und volle Bezahlung bei Rechnungseingang garantieren. Die Lieferanten verweigerten ihrerseits Ersatzlieferungen, gaben erhöhte Herstellungskosten unvereinbart weiter, setzten die Liefermengen einfach herunter oder lieferten deutlich verspätet. Für Schocken waren dies „keine Verträge, sondern Abnahmeverpflichtungen des Käufers“. Schocken kritisierte diese Methode der „Fabrikanten, Grossisten und [ ] Schieber“, die jede „Gewinnchance im Ausland auf Kosten des Inlands“ nutzten, um die gestiegenen Produktionskosten im Inland zu kompensieren. Im Februar 1920 berichtete ein Schocken-Einkäufer: „Die Fabrikanten in Oberlugau-Biehlau, Reichenbach, Landeshut, Neustadt, Lauben machen heute nur noch Zuteilungen in ganz kleinem Maße. Nach Preis und Qualität darf überhaupt nicht gefragt werden. Konditionen bei den meisten Fabrikanten sind: Die Hälfte Anzahlung bei Auftragserteilung, Preis, Lieferung und Qualität vorbehalten“.

Was sollte ein Textilhändler tun? Sich dem Diktat ergeben, Order einstellen oder weiter Order geben, in der Hoffnung, irgendwann Ware zu erhalten? Schocken reagierte – in Erwartung steigender Preise, Warenmangel und Belieferungsunsicherheit – mit „dauernd hohen, den eigentlichen Bedarf überschreitenden Käufen“. Diese „Notmaßnahme“ sah vor, jede Ware doppelt zu bestellen, um überhaupt welche zu erhalten. Erstmals in seiner Geschichte war Schocken daher gezwungen, Bankkredite zum Wareneinkauf aufzunehmen. Im März 1920 überstiegen die täglichen Wareneingänge die täglichen Umsätze um etwa 500.000 Mark. Die Niederschlagung des Kapp-Putsches Mitte März 1920 stärkte die Regierung und das Vertrauen des Auslandes in eine wirtschaftliche Erholung. Der verbesserte Außenwert der Mark und die Lohnerhöhungen machten deutsche Textilien für den Export unattraktiver, und reservierte Exportwaren der Lieferanten wurden schlagartig für das Inland frei. Die Fabrikanten und Großhändler bedienten nun die aufgestauten Bestellungen des Handels. Diese waren jedoch zu alten, deutlich ungünstigeren Konditionen abgeschlossen wurden. Zudem hielt sich die Bevölkerung in Erwartung sinkender Textilpreise mit dem Konsum zurück. Die fallenden Verkaufspreise konnten die hohen Beschaffungskosten bei weitem nicht decken. Im Juni 1920 stand Schocken als Konsequenz seiner „Notmaßnahmen“ – Waren um jeden Preis – am Rande des Zusammenbruchs:

Geschäftslage in den Unternehmen

„Die heutige Konferenz kann als eine Konferenz des Zusammenbruchs bezeichnet werden. [ ] Wir haben im Laufe des letzten halben Jahres dauernd wilde hohe Käufe gemacht, weil wir dachten, Ware sei nicht zu haben und haben hierbei jeden Preis gebilligt. [ ] Jetzt ist der Zusammenbruch gekommen. [ ] Wenn wir noch sämtliche Waren, die wir gekauft haben, zu den teuersten Preisen bezahlen müssen [ ], sehe ich keine Möglichkeit, dass unser Geschäft für die Zukunft arbeitsfähig bleibt“.

Der Konzern steuerte massiv um. Seit Mai galt ein genereller Orderstopp. Eine neue Warenausgleichsstelle sollte vorhandene Warenbestände zwischen den Häusern verteilen.502 Intern erging die Weisung, Bezahlungen zu alten Konditionen zu verweigern: „Wir stehen vor einer korrumpierten Lieferantenwelt und haben keinen Anlass Rücksicht zu nehmen“. Dies galt für alle Aufträge vor April 1920 – hier sollten Lieferzeitüberschreitungen und nachträgliche Preiserhöhungen als Grund angeführt werden. Alle Lagerbestände waren auf „verdeckte Mängel“ zu überprüfen. In standardisierten Rundbriefen bat man alle Lieferanten um Preisnachlässe, Stundung oder Verlängerung des Zahlungsziels. Half dies nichts, erfolgte die einseitige Annullierung der Aufträge. Intern erging die Weisung, es auf die gerichtliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen und sich notfalls außergerichtlich zu vergleichen. Dazu nahm Schocken etwa zehn Millionen Mark neue Kredite auf. Damit folgte Schocken dem Vorgehen des Textildachverbandes. Dieser hatte mit dem „Verband Deutscher Damenwäsche Fabrikanten“ und dem „Verband der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten“ für alle Verträge vor dem 19. April (bei nichtgelieferter Ware) Neuaushandlung der Konditionen vereinbart. Eine Vielzahl schwieriger Streitfälle folgte, die meist ohne Verfahren außergerichtlich verglichen werden konnten. Mitte August 1920 zog Schocken eine positive Bilanz der drastischen Maßnahmen: „Es ist uns gelungen, bei vielen Fabrikanten starken Eindruck zu erwecken, sehr viele von den Aufträgen zu annullieren und zu verringern und für schon gelieferte Aufträge Preisermäßigungen zu erhalten“. Der Konzern sparte mindestens 350.000 Mark ein und profitierte von den allgemeinen Auflockerungen der Konditionen ab Herbst 1920. Nicht nur Schocken, sondern die gesamte Branche – quer über alle Betriebsgrößen – hatte mit niedrigen Verkaufspreisen zu kämpfen. Diese deckten nicht die steigenden Einkaufspreise – die Lager wurden qualitativ schlechter.503 Der von den Fachzeitschriften skizzierte Ausweg hieß „Großer Umsatz, kleiner Nutzen“. Den kleinbetrieblichen Textileinzelhandel dominierte in weiten Teilen das Prinzip „Kleiner

502 Die Anweisung der Einkaufszentrale an alle Geschäfte lautete, fehlende Waren nicht mehr vom Fabrikanten liefern zu lassen, sondern unter den Geschäften zirkulieren zu lassen. Alle direkten Lieferantenbestellungen waren nun ein „persönliches Geschäft eines Angestellten“ und wurden nicht bezahlt, siehe G. B. Nr. 356, 29.5.1920, StAC 31451–451. 503 DK, Welches Mindestziel erfordert die drohende Aufzehrung des Betriebs-Kapitals?, 21.1.1920; DK, Welches Mindestziel erfordert die drohende Aufzehrung des Betriebs-Kapitals?, 28.1.1920.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Umsatz, großer Nutzen“ – gerade aus den Erfahrungen der Warenmangelwirtschaft des Ersten Weltkrieges. Aus Sicht der Handelsexperten waren all jene, bei denen das „Prinzip der quantitativen Steigerung des Warenumsatzes bei bescheidenem Nutzen“ galt, im Vorteil. Betriebe sollten sich aus dem „Krämertum herauslösen [und] Freude gewinnen am Größerwerden“. Besonders problematisch war die Kaufzurückhaltung der Kundschaft. Im Verlauf des Jahres 1920 setzte der Textileinzelhandel mengenmäßig nur etwa 15 bis 20 Prozent des Vorkriegsvolumens ab. Dies galt insbesondere für den Handel mit Konfektionswaren. Die Steigerungsraten der Kaufkraft der Bevölkerung lagen deutlich unter den Steigerungsraten der Verkaufspreise. Daher beklagten die Händler gerade in der verhältnismäßig teureren Fertigkleidung im Herbst 1920 einen „Käuferstreik“. Da der Bedarf riesig sei, müsse der Handel die jeweilige Kaufkraft seiner Kundschaft mit einkalkulieren und „richtig“ disponieren – „wer gut kalkuliert und marktgängige Preise hat, erzielt einen Riesenumsatz“.504 Liquide Mittel- und Großbetriebe wie etwa Schocken begriffen diese Situation als große Expansionschance. Im Februar 1919 sprach Salman Schocken vor seinen Mitarbeitern: „Wir hatten [ ] Gelegenheit, in den schweren vier Kriegsjahren eine außerordentliche Menge von Erfahrungen zu sammeln, die man im Frieden nie hätte sammeln können. Wir haben die Möglichkeit gehabt, Verhältnisse zu sehen, die der Alltag nie bringt, und wir haben die Möglichkeit gehabt, zu sehen, wie sich unser System in ganz außergewöhnlichen Verhältnissen bewährt“.505

Warenmangel war nicht nur Gefahr, sondern unternehmerische Chance. Das Unternehmen galt in Liefer- und Kundenkreisen als nicht durch illegale Absprachen korrumpiert. Wenn es also gelang, dieses „bewährte System“ für die Nachkriegszeit weiterzuentwickeln und die wenige Ware für Schocken zu beschaffen, konnte es gelingen, Marktanteile deutlich auszubauen. Die eigene Einkaufszentrale trat in Disposition und Lagerhaltung quasi als Großhändler auf. Bestimmte Hauptartikel wurden in großen Mengen zentral und daher zu einem günstigen Preis eingekauft, um konkurrenzlos günstig weiter an die eigenen Häuser und Anschlussgeschäfte verteilt zu werden. Dazu stellte das Warenhaus erstmals in seiner Geschichte geschulte Einkäufer je nach Warenart an. Zum anderen stieg Schocken in die Eigenherstellung bestimmter Waren ein, um den verteuernden Zwischenhandel zu umgehen.506 Tabelle 16 zeigt die Expansion. Schocken eröffnete im November 1919 ein Kaufhaus in Auerbach i. Vogtland, einem Ort, bekannt für seine Gardinen-, Weißwaren- und Oberbekleidungsherstellung. Zum Jahresanfang 1920 eröffnete Schocken in Chemnitz DK, Die verfehlten Mittel der Konventionspolitik, 22.9.1920; DK, Lage und Aussichten im Konfektions-Einzelhandel, 11.8.1920. 505 Vgl. Fuchs (1990), S. 109. 506 Vgl. Fuchs (1990), S. 119. 504

Geschäftslage in den Unternehmen

Tab. 16 Expansion des Schocken-Konzerns, 1919 bis 1923 (Stammhaus und 12 Filialen)507 Eröffnungsdatum 1.11.1919

Geschäft

Ort

Filiale

Auerbach

Januar 1920

Spezialhaus

Chemnitz

Januar 1920

Textilwerkstätte

Zwickau

Filiale

Regensburg

6.5.1920

Einwohner

Region

Bemerkungen

18.000

Sachsen

übernommen

Sachsen Sachsen 90.000

Bayern

Hammer

ein Strumpfwaren-Spezialhaus.508 Mit der Übernahme der Zwickauer Textilfirma Tobias erwarb Schocken erstmals eine eigene Textilwerkstätte, die Gardinen und Strümpfe selbst herstellte. Im Mai 1920 ging Schocken wegen des günstigen Einzugsgebiets und des Wirtschaftsstandorts (Chemie, Elektrotechnik, Nahrungs- und Genussmittel) mit einem Kaufhaus nach Regensburg.509 Wie Tabelle 17 zeigt, entwickelte sich auch der Umsatz mittelgroßer Betriebe wie etwa die Erlöse der Bamberger & Hertz-Gruppe umgerechnet auf Goldmark und damit inflationsbereinigt im Verlauf der 1920er Jahre in der Tendenz positiv. Dem Frankfurter, Leipziger und Stuttgarter Haus gelang es, ihr Umsatzniveau zwischen 1919 und 1923 mit leichten Schwankungen zu halten, München baute seinen Umsatz deutlich auf über eine Million Goldmark aus. Tab. 17 Umsätze der Bamberger & Hertz-Gruppe, 1919 bis 1923510 Jahr

Frankfurt

Leipzig

München

Saarbrücken B&H

Saarbrücken Welthaus

Stuttgart

1919

1.578.520

857.174

830.167

328.977

1920

1.226.096

896.616

546.693

199.032

1921

1.172.587

1.167.136

926.486

275.012

1922

1.208.458

1.198.752

1.113.105

617.102

407.457

367.625

1923

1.373.534

808.377

1.126.268

376.659

206.779

348.355

Anmerkungen: in Goldmark.

Aufstellung nach ebd., S. 72 f.; Gründungsdaten abweichend und hier übernommen bei Aufstellung „Eröffnungen“, StAC 33309–33. 508 Im Jahr 1927 betrug die Monatsproduktion der Strumpffabrik, die exklusiv für Schocken produziert wurde, 15.000 Paar Herrensocken und 60.000 Paar Damenstrümpfe, siehe Broschüren „Kaufhaus Manasse“, GMC, LBI AR 6379. 509 Anlass zu dieser optimistischen Ausdehnung der Geschäftsaktivitäten gab eine Reise des Schocken-Direktors Spiro im Oktober 1919 in eines der Zentren der deutschen Bekleidungsindustrie nach Krefeld. Spiro berichtete von „stark beschäftigten“ Bekleidungsfabriken in Mönchengladbach und Krefeld und der Möglichkeit, wieder gute Qualität zu angemessenen Preisen zu beziehen, vgl. Fuchs (1990), S. 74 und S. 124. 510 Aufstellung nach überlieferten Bilanzen in Umsatzbuch Bamberger & Herz (1914–1935), JMB 2010/3/1 K 770; zudem Umsatzzahlen nach Schreiben an Fred S. Bamberger vom 8.5.1957, HUA 2013/10/0004, S. 325 f.; Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Leipzig vom 4. März 1938, HUA 2013/02/0008–1, S. 81. 507

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Doch für die übergroße Mehrheit des kleinunternehmerischen Textileinzelhandels blieb die Geschäftslage 1920/21 angespannt und regional uneinheitlich. Wie schwierig diese im Jahr 1920 war, zeigt der Bericht der IHK Bayreuth über den „Kleinhandel mit Textilien“. Der Bezirk Bayreuth litt seit Jahresbeginn unter Warenmangel und „dadurch bedingte Fantasiepreise“. Zwar blieb die Nachfrage nach Kleidung und Textilien bei den Verbrauchern hoch, doch die Kunden hofften auf sinkende Preise und stellten ihre Anschaffungen zurück. Dieser Konsumstau im Bezirk Bayreuth löste sich ab Herbst bis hinein ins Weihnachtsgeschäft auf. Die Unternehmen berichteten von „großer Kauflust und Kaufkraft der Landbevölkerung“. Angesichts der Verbilligung der Rohstoffpreise zum Jahresende 1920 rechneten Bayreuther Händler und Verbraucher „auf baldige Verbilligung der Preise für Fertigerzeugnisse“.511 Zum Jahresbeginn 1921 sahen die Textilhändler in Berlin, Köln, Stuttgart oder München die größte Herausforderung in der Deckung des zurückgestauten Bedarfes in der Bevölkerung. Das Berliner Modehaus Rudolf Hertzog erkannte einen „erheblichen Bedarf beim Publikum“, während der Geschäftsführer des Kölner Hettlage-Hauses eine Besserung der Auswirkungen des zurückliegenden Käuferstreiks und der rigorosen Liefer- und Zahlungsbedingungen erwartete. Das Stuttgarter Modehaus J. Mack konnte im Januar noch eine Kaufzurückhaltung feststellen. Der Münchner Modehändler Mayer Sundheimer hoffte auf einen „Nachholeffekt“ des Kleidungskonsums in 1921, der sich aber nur dann einstelle, sofern ein „durchgehender Abbau der Zwangswirtschaft“ erfolge.512 Die IHK Bayreuth berichtete im Februar von lähmender „Geschäftsstille“ trotz breit angelegter Inventur- und Saison-Ausverkäufe. Die teuer eingekauften Waren konnten infolge der Preisrückgänge im Verkauf vielfach nur mit Verlust abgesetzt werden.513 Von einer regelrechten Hochkonjunktur berichteten dagegen die Textilhändler im alliiert besetzten Rheinland. Angesichts einer drohenden Zollmauer, die zum 10. April 1921 um das besetzte Gebiet gezogen worden war, berichteten Händler von einem regelrechten Andrang in den Wochen vor dem Zollmauerbeschluss.514 Seit April bis Jahresende 1921 berichteten viele Händler von einer deutlichen Geschäftsbelebung. Die sinkenden Verkaufspreise und die anstehenden umsatzstarken Saisons Ostern und Pfingsten normalisierten den Geschäftsumsatz zunehmend.515 Da sich die Zahlungs-

Vgl. Wirtschaftslage Bayreuth 1920, BWA K8/2271. DK, Rück- und Ausblicke über Geschäftslage und Preisgestaltung, 1.1.1921. Mitteilungsblatt IHK Bayreuth 1921, BWA K8/2189. DK, Okkupation und Wirtschaftsleben, 19.3.1921; DK, Die neue Rheinzollgrenze und der Konfektions-Einzelhandel, 20.4.1921. Andererseits häuften sich die Ängste vor wirtschaftlicher Schlechterstellung infolge der Zollgrenzen. Der Einzelhandel rief deshalb zum Boykott von „Entente-Waren“ auf und forderte Solidarität der Lieferanten mit den „Kaufleuten im besetzten Gebiet“, Konf, Der Einzelhandel im besetzten Gebiet zu den Sanktionen der Entente, 10.4.1921. 515 In einem Kommentar zu den Berliner „Saison-Ausverkäufen“ berichtete der „Konfektionär“ von „außerordentlichen Preisermäßigungen“ bis zu 50 Prozent. Diese seien jedoch nicht charakteristisch für 511 512 513 514

Geschäftslage in den Unternehmen

und Lieferbedingungen ebenfalls normalisierten (30 Tage Zahlungsziel) häuften sich die Berichte über eine Zunahme von Geschäftsgründungen im Einzelhandel, besonders im Handel mit Konfektion.516 Ab Sommer hatte sich die Normalisierung zu einer verstärkten Nachfrage entwickelt. Unter der Erwartung, dass der Preisrückgang ein Ende gefunden haben könnte, zog die Kundschaft eine Reihe von Anschaffungen vor, sodass die Warenvielfalt in manchen Gebieten und Sortimenten bereits Ende August 1921 eingeschränkt war. Exemplarisch zeigte dies eine Umfrage der „Konfektionärs“ unter Dresdner Einzelhändlern, die dokumentieren sollte: „Der Warenhunger ist so groß wie jemals zuvor und es ist nicht zu befürchten, dass hierin in den allernächsten Jahren eine Wendung eintritt [ ]“. Nach Angaben des Kaufhauses Rudolph Renner lief der Absatz in Konfektion, Weißwaren und Wäsche besonders gut. Besonders Kunden aus dem Ausland – England, USA, Holland, Schweiz und Skandinavien – kämen nach Dresden zum Einkaufen. Dies bestätigte auch das Residenz-Kaufhaus Dresden und das Traditionshaus Hirsch & Cie, die „ungeheuer viel Fremde und gute Käufer“ feststellten, die sich besonders an hochwertiger deutscher Fertigkleidung interessiert zeigten.517 In einem Schreiben an alle Landesregierungen hatte das Reichswirtschaftsministerium am 11. November 1921 bereits vor einer bevorstehenden Konjunkturkrise analog zum Jahreswechsel 1919/1920 gewarnt. Die „gegenwärtig außergewöhnliche Wirtschaftslage“ führe, so das Ministerium, zu einem „Umschwung“, der Ähnlichkeiten mit der „Scheinkonjunktur“ Ende 1919/Anfang 1920 aufweise. Auch am Jahresende 1919 stand einer hohen Nachfrage ein ungenügendes Warenangebot gegenüber. Die anschließende „Flucht vor der Mark in die Ware“ führte damals zu „Spekulationskäufen neuer Käuferschichten“ und „Angstkäufen“ breiter Verbraucherschichten. Der Handel disponierte in dieser Phase wenig vorsichtig und bestellte „den gleichen Auftrag und die gleiche Menge“ bei mehreren Fabrikanten und Großhändlern, um irgendwo die nachgefragte Ware zu bekommen. Diese Entwicklung, so warnte das Ministerium, wiederholte sich nun. Die Mark entwertete sich immer rasanter und Handel wie Konsumenten „flüchteten sich in die Ware“.518 Auch in den Berichten des Textileinzelhandels über den Verlauf des Weihnachtsgeschäftes 1921 mehrten sich die Zeichen einer

das Preisniveau von Textilien, sondern „Sensationsmindestpreise“, um den Umsatz zu steigern. Vor allem der Bereich „Leib-, Bett- und Tischwäsche“ verzeichnete massive Umsatzsteigerungen, da der Bedarf „nach der knappen Zeit der Kriegs- und Revolutionsjahre in weiten Kreisen der Bevölkerung riesengroß ist“, siehe Konf, Das Ergebnis der Berliner Saison-Ausverkäufe, 30.6.1921. 516 Gründungen erfolgten zumeist durch Handelsvertreter von Konzernen, die zu Kriegszeiten Geld gemacht hatten. Nach angestellten Berechnungen kostete die Errichtung eines Konfektionsgeschäfts im Frühjahr 1921 zwischen 100.000 und 500.000 Mark, siehe Artikel „Was kostet jetzt die Gründung eines Geschäftes“, 14.5.1921, BA R8034-II/3567, p. 78. 517 Konf, Einzelhandel und Wirtschaftslage in Dresden, 22.9.1921. 518 Vgl. Schreiben betr. Beschränkung öffentlicher Aufträge und Arbeiten, 11.11.1921, BA R3101/6911, p. 187–189.

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konjunkturellen Abkühlung. In Berlin lagen die Weihnachtsumsätze quer über alle Betriebsformen – von Warenhaus Tietz, Kersten & Tuteur, Kornblum, Kaufhaus Kahn, Kaufhaus Hermann Engel, Stumpe & Jäger, Esders & Dyckhoff, F. V. Grünfeld oder Peek & Cloppenburg – deutlich hinter den Vormonaten zurück. Dem „wahnsinnigen Geschäft“ im Herbst folgte ein „sehr viel schlechteres“ im Dezember. Mitunter brachen die Umsätze um die Hälfte ein. Hannover berichtete von „nachgelassener Kauflust“ in hochwertiger Konfektion, und dass die Geschäfte allgemein „zum Teil wie abgeschnitten, zum Teil sehr flau“ geworden waren. In München war „die Kauflust völlig unbedeutend“. Ein dortiges Warenhaus zählte etwa 260 Besucher, von denen nur 24 tatsächliche Weihnachtseinkäufe tätigten. Selbiges wussten auch Kaufleute in Braunschweig, Frankfurt/Main oder Köln zu berichten. Die Kunden spürten die Geldentwertung bereits deutlich, hatten größere Anschaffungen in den Herbst vorverlegt und hatten keine Reserven für den Weihnachtseinkauf.519 4.2.2

„Der gerechte Preis“ – Inflation und Kalkulation

Die Inflationstendenzen beschäftigten den Textileinzelhandel bereits Ende 1921. Die Expansionsstrategie von Schocken im Zusammenspiel mit fortschreitender Inflation, hohen Wiederbeschaffungspreisen und zurückhaltender Kauflust der Kunden forderte vom Konzern einen starken finanziellen Tribut. Die teuer eingekauften Waren verloren am Lager zunehmend an Wert. Ende 1921 sah Schocken sein Betriebskapital zusammenschrumpfen und rechnete mit einer baldigen Illiquidität.520 Zur Stärkung der eigenen Kapitalbasis sah sich Schocken zum 23. Dezember 1921 gezwungen, den Konzern in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einem Stammkapital von 12 Millionen Mark umzuwandeln. Die Umwandlung der Gesellschaft gelang mithilfe der Vereinsbank Zwickau sowie der Darmstädter Bank. Salman und Simon Schocken blieben die persönlich haftenden Gesellschafter. Die Einkaufsgesellschaft I. Schocken Söhne blieb, mit den gleichen Aufgaben betraut, als offene Handelsgesellschaft verfasst.521 Die unternehmerische Leitung wurde erstmals verteilt.522 Konf, Das Weihnachtsgeschäft, 18.12.1921; Konf, Das Weihnachtsgeschäft, 22.12.1921; Konf, Wie war das Weihnachtsgeschäft?, 25.12.1921; Konf, Wie war das Geschäft 1921? Wie sind die Aussichten für 1922?, 25.12.1921. 520 Vgl. Fuchs (1990), S. 79 f. 521 Aufsichtsrat: RA Dr. Willy Kaufmann (Leipzig), Direktor Paul Gebhardt (Vereinsbank Zwickau), Direktor Kurt Kästner, Dr. Curt Calman (Darmstädter Bank), Dr. Max Jacusiel (Berlin) und Julius Schocken (Bremerhaven). Die Umwandlung betraf alle Häuser in Zwickau, Cottbus, Aue, Freiberg, Oelsnitz, Lugau, Auerbach, Planitz, Frankenberg, Zerbst, Regensburg und Chemnitz, vgl. ebd., S. 81 f. 522 Georg Manasse (1921) und der Rechtsanwalt Dr. Siegfried Moses (November 1923) wurden zu Direktoren und Prokuristen der Schocken KGaA und ihrer Einkaufsgesellschaft bestellt. Georg Manasse (*1893) arbeitete seit 1912 im Schocken-Konzern und war bis 1934 Direktor des Konzerns. Zudem war er Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte sowie Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Zwickau (1929–1934). 519

Geschäftslage in den Unternehmen

Und Schockens Probleme waren die der Branche. Die Handelskammer Mannheim bemängelte bereits im Januar 1922, dass der Einzelhandel gezwungen war „zu einem viel billigeren Preise zu verkaufen als Ihn der Fabrikant oder Grossist für seine Ware verlangt. Die Einnahmen reichen also nicht aus, um Ware in der gleichen Menge und gleichen Qualität wieder neu zu beschaffen. Die Lager werden bei den Einzelhändlern immer kleiner und kleiner und schließlich wird wohl kein Geld und keine Ware mehr da sein“.523

Der Leipziger Textilhändler H. Hollenkamp & Co. warb für frühzeitige, umfassende und vorausschauende Dispositionen: „Einen Gummimantel, den wir heute im Einzelhandel mit 490 Mark verkaufen, kostete bereits im November [1921] beim Fabrikanten 600 Mark, nach der Januarliste 710 Mark“. Für die Nordhorner Textilfabrik Ludwig Povel & Co. war momentan „jeder Einkauf [ ] eine Spekulation“ und auch das Berliner Modehaus Rudolph Hertzog mahnte zu „größter Vorsicht“ beim Disponieren.524 Bereits im März 1922 berichtete der Herrenkonfektions-Einzelhandel von nahezu leeren Auslagen und ausgekämmten Lagern. Dem Textileinzelhandel gelang es zur Frühjahrssaison 1922 nicht mehr, seine Warenbestände aufzufüllen, da seit Februar 1922 die Einkaufspreise um das Drei- bis Vierfache gestiegen waren und die Kreditbereitschaft der Banken äußerst zurückhaltend war.525 Schaut man auf die Preisentwicklung eines Herrenanzuges mittlerer Qualität zwischen 1914 und Ende Mai 1922, so werden die Auswirkungen der Preissteigerungen auf Produktion, Handel und Konsumenten deutlich. Derselbe Anzug kostete 1914 80 Mark, während er Ende Mai 1922 für 5.500 Mark zum Verkauf stand (Tabelle 18).

Manasse emigrierte nach Stockholm/Schweden und betrieb eine Fabrik für Ski- und Regenkleidung. Mitte 1940 wanderte er in die USA aus und baute eine kleine Fabrik für Herrenjacken und Kinderkleidung auf, siehe Biographische Auskunft von Georg Manasse, GMC, LBI AR 6379, p. 3 ff. Siegfried Moses hatte von 1916 bis 1919 in leitender Position im Ernährungs- und Wirtschaftsamt in Danzig gearbeitet. Danach arbeitete er kurz an der Spitze des Deutschen Städtetages, bevor er der Reichsstelle für Schuhversorgung vorstand. Danach arbeitete Moses als Syndikus verschiedener Verbände, bevor er zu Schocken kam, siehe Fuchs (1990), S. 95. Organisatorisch wurde der Konzern (Schocken KGaA und I. Schocken Söhne) nun zweigeteilt. Manasse unterstand das Geschäftsressort (Einkauf, Verkauf, Finanzen) und Moses das Verwaltungsressort. Damit straffte der Konzern seine Strukturen und zentralisierte Aufgabenbereiche, um der Hyperinflation begegnen zu können. 523 Konf, Der Einzelhandel und die Marktlage, 26.1.1922. 524 DK, Wie gestaltet sich die Wirtschaftslage?, 18.2.1922. 525 Industrie und Großhandel waren nicht durch die Preistreiberei- und Wuchergerichtsverordnungen gebunden und kalkulierten die steigenden Produktionspreise und steuerlichen Belastungen in ihre Verkaufspreise ein. Der Einzelhandel musste sich gesetzlichen Kalkulationsrichtlinien unterwerfen, die Lagerware entwerte sich daraufhin. Der Handel forderte den sich verändernden „Marktpreis“ oder „Wiederbeschaffungspreis“, nicht aber den starren „Anschaffungspreis“ als Kalkulationsgrundlage verwenden zu dürfen, siehe DK, Deroute in der Konfektionsbranche, 8.3.1922; Artikel „Geldknappheit und Kreditnot des Detailhandels“, 30.3.1922, BA R8034-II/3567, p. 125; Konf, Der Kampf um den gerechten Preis, 18.6.1922; Konf, Der Wiederbeschaffungspreis, 16. Juli 1923.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Tab. 18 Kosten eines Maßanzuges, 1914 bis 1922526 Jahr

Zutaten527

Stoffpreis

1914

8

25

Ende 1915

8

25

Januar – Juni 1916

10

30

Juli – Dezember 1916

14

45

Januar – Juni 1917

24

75

Juli – Dezember 1917

36

150

Januar – Juni 1918

45

165

Juli – Dezember 1918

55

180

Januar – Juni 1919

75

260

Verkaufspreis 80

Juli – Dezember 1919

110

400

Januar – Juni 1920

300

1000

Juli – Dezember 1920

275

775

Januar – Juni 1921

275

750

Juli – Dezember 1921

350

750

800

2.100

5.500

10.000

8.400

6.800

Ende Mai 1922 Steigerungen in Prozent Baumwollpreis 1914 – Juni 1922

33.500 Prozent

Inlandwollpreis 1914 – Juni 1922

9.710 Prozent

Arbeitslohn

3.650

Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise, mittlere Qualität.

Angesichts des Währungsverfalls brach jede Kalkulation von Einkaufs-, Verkaufs- und Wiederbeschaffungspreis zusammen – ein für den Einzelhandel und auch Schocken ruinöser Prozess. Alle versuchten Anpassungen des Kalkulationsschemas konnten mit der inflationären Preisentwicklung nicht Schritt halten. Das Statistische Reichsamt hatte im Juni 1922 erstmals die Preisentwicklung für Bekleidung anhand von 15 Bekleidungsgegenständen für eine Familie mit drei Kindern erfasst.528 Nach den offiziellen Reichsindexziffern hatte sich die Preissteigerung spätestens seit Juni 1922 intensiviert. Dabei lagen die Kosten für Bekleidung in etwa doppelt so hoch wie die Kosten für die restliche Lebenshaltung (Nahrung, Wohnraum, etc.) (Tabelle 19).

DK, Zur Aufklärung des Publikums in der Ortspresse, 8.7.1922. Zutaten sind Futterstoffe und Herrenstoffe. Der Fragebogen zur „Erhebung über Kosten der Bekleidung“ umfasste Oberbekleidung (je 1 Herren- und Knabenanzug, 1 Mädchenkleid, je 2 Frauenröcke und Blusen), Unterkleidung (je 6 Männer- und Frauenhemden, 6 Paar Männersocken, 6 Paar Frauenstrümpfe) und Schuhe (je 1 Paar Männer- und Frauenstiefel, 2 Paar Kinderstiefel, 8 Mal Besohlen von Männerstiefeln), siehe DK, Bekleidungskosten die höchste Indexziffer, 5.7.1922, Konf, Die neue Teuerungstabelle und der Einzelhandel, 6.11.1921. 526 527 528

Geschäftslage in den Unternehmen

Tab. 19 Lebenshaltungskostenindex und Großhandelsindex, 1920 bis 1923529 Jahr/Monat 1920*

Bekleidung (Reichsindex)

Lebenshaltung ohne Bekleidung (Reichsindex)

18,82

9,14

1921*

22,28

11,99

März 1922

45,68

26,39

April 1922

48,29

31,75

Mai 1922

56,88

34,62

Juni 1922

65,19

37,79

Juli 1922

80,16

49,9

August 1922

125,71

70,29

September 1922

260,00

113,76

Oktober 1922

386,64

195,04

November 1922

741,62

400,47

Dezember 1923

1.161,13

611,56

Januar 1923

1.681,73

1.033,59

4.164,00

2.408,00

11.995,00

6.979,00

Februar 1923 Juni 1923 Juli 1923 August 1923 September 1923

66.488,00

33.300,00

1.089.571,00

508.631,00

26,50

13,20

6.160,00

3.265,00

November 1923

816,00

633,00

Dezember 1923

1.662,00

1.182,00

Oktober 1923

Anmerkungen: Lebenshaltungskosten (Reichsindexziffern) 1913/14 = 1.

Zwischen Ende Januar 1922 und Ende Oktober 1922 hatte sich der Kurs der Mark zum Dollar von knapp 200 Mark auf knapp 4.400 Mark mehr als verzwanzigfacht. Die Reichsmark verkam zu einem „Etikett ohne Wert“. Der RHK forderte angesichts der massiven Preissteigerungen im August 1922 eine Neuregelung des Wuchergesetzes. Die Händler argumentierten, dass (hohe) Verkaufspreise keinen übermäßigen Gewinn und keine unzulässige Preissteigerung darstellten, sofern diese der Marktlage entsprächen. Der Verband empfahl seinen Mitgliedern, nicht mehr nach „Gestehungskostentheorie“ zu kalkulieren. Stattdessen sollten die Händler den tagesaktuellen Wiederbeschaffungspreis auf Grundlage der amtlichen Indexziffern zuzüglich eines Un-

Aufstellung nach Holtfrerich (1980), S. 31; Statistisches Reichsamt (1925), S. 33; DK, Bekleidungskosten die höchste Indexziffer, 5.7.1922. 529

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

kostenzuschlags kalkulieren. Damit rief der Verband als „Akt der Notwehr“ öffentlich zum Verstoß gegen die Preistreibereiverordnung vom 8. Mai 1918 auf. Fachzeitschriften wie die „Deutsche Konfektion“ veröffentlichten regelmäßig aktuelle Preisspiegel als Grundlage zur Kalkulation nach Wiederbeschaffungspreisen.530 Worin bestand genau der kalkulatorische Unterschied zwischen Gestehungskosten und Wiederbeschaffungskosten? Ende Juli 1918 beschrieb Walter Le Coutre, Referent in der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamtes die Grundzüge der Kriegswuchergesetzgebung – der Grundlage des Einzelhandels, seine Verkaufspreise zu kalkulieren.531 Grundgedanke war, übermäßige Gewinne in Krisenzeiten zu verhindern. Entscheidend für die Beurteilung durch die Wucherämter war der Gewinn pro verkauftes Stück und nicht der Gesamtgewinn eines Betriebes innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Vor 1914 kalkulierte der Textileinzelhandel bei Konfektionswaren des Mittelgenres mit einem Aufschlag von 50 Prozent auf den Einkaufspreis. Kostete also ein Anzug im Einkauf 40 Mark, so kalkulierte der Kaufmann mit 20 Mark Aufschlag und verkaufte den Anzug für 60 Mark. Im Krieg definierte die Preissteigerungsverordnung den Gewinn als Reingewinn, dies zwang den Kaufmann zu ungewohnter Kalkulation. Entscheidend war die Neuberechnung des Handelsaufschlages. Berechnete ein Händler diesen wie im Frieden durch Zuschlag des üblichen Prozentsatzes vom Einkaufspreis, machte er sich der übermäßigen Preisteuerung schuldig. Der nominale Friedensgewinn einer Bluse durfte den kalkulierten Kriegsgewinn nicht übersteigen. Dazu musste der Kaufmann die Zusammensetzung seiner Friedenskalkulation kennen und aufschlüsseln können. So betrug der Reingewinn einer Bluse (zu einem Einkaufspreis von fünf Mark) vor Kriegsausbruch 50 Pfennig. Dieser nominale „Friedensgewinn“ von 50 Pfennig musste unverändert in die Kriegskalkulation einer Bluse, unbeschadet ihres Einkaufspreises, einfließen. Zudem musste der Händler auf den Ansatz einer sog. Risikoprämie verzichten (Tabelle 20). Diese Neuregelung setzte eine detaillierte Buchführung voraus, um festzustellen, wie hoch der Friedensreingewinn eines Artikels war. Dazu war die übergroße Mehrheit der Textilhändler nicht in der Lage.532 Das starre „Kriegssystem“ der staatlich festgelegten Höchstpreise, der Preissteigerungsverordnung und der Preistreibereiverordnung waren auch nach Kriegsende wenig flexibilisiert worden. Der Einzelhandel forderte, den „Marktpreis“ wieder als Kalkulationsgrundlage nutzen zu können. Das Reichswirtschaftsministerium lehnte diese Forderungen mit dem Hinweis ab, dass eine „normale Marktlage“ als Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nicht existent war. Problematisch war, dass in den

Konf, Die Not des Einzelhandels, 27.8.1922; Konf, Die Kalkulation des Einzelhandels (Kommentar von Oscar Tietz, Warenhaus Hermann Tietz, Berlin), 23.2.1922; DK, Tagung des großen Ausschusses des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., Sitz Düsseldorf, 26.8.1922. 531 Im Folgenden vgl. Konf, Die Errechnung des angemessenen Verkaufspreises, 25.7.1918. 532 Konf, Die Errechnung des angemessenen Verkaufspreises, 1.8.1918. 530

Geschäftslage in den Unternehmen

Tab. 20 Friedens- und Kriegskalkulationen (Bluse) „Friedenskalkulation“

Betrag

„Kriegskalkulation“

Betrag

Einkaufspreis

5,00

Einkaufspreis

Handlungsunkosten (25 %)

1,25

Handlungsunkosten (25 %)

20,00 5,00

Unternehmerlohn (5 %)

0,25

Unternehmerlohn (5 %)

1,00

Risikoprämie (5 %)

0,50



Reingewinn (10 %)

0,50

Friedensreingewinn

Verkaufspreis

7,50

Verkaufspreis

0,50 26,50

Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise.

Vorlieferindustrien bereits auf Grundlage von Marktpreisen kalkuliert wurde, sodass der Währungsverfall den Einzelhandel substanziell schädigte. Ausgangspunkt einer jeden Kalkulation im Handel blieben also Anfang der 1920er Jahre zunächst die sog. „Gestehungskosten“. Diese berechnete der Kaufmann als Summe seines Einkaufspreises (Fakturenpreis) zuzüglich der Kosten für Fracht, Porto und Versicherung (Vorspesen). Diesem Teil des Verkaufspreises („Ware bis ins Haus“) durfte der Kaufmann einen prozentualen „Anteil an den allgemeinen Geschäftsunkosten“ aufschlagen. Um Währungsschwankungen oder Import- und Herstellungskosten auszugleichen, blieb es dem Händler frei, eine gesetzlich nicht weiter geregelte „Risikoprämie“ aufzuschlagen. Die zulässige Handelsspanne berechnete der Kaufmann also auf Grundlage seines Jahresumsatzes und seiner Geschäftskosten. Betrug der Jahresumsatz 100.000 Mark und die allgemeinen Betriebskosten 10.000 Mark, so durfte die Handelsspanne mit 10 Prozent angesetzt werden. Da sich die Berechnung für jedes Stück Ware als impraktikabel erwies, erlaubte die dahingehende reformierte Preistreibereiverordnung, sog. „Durchschnittspreise“ für Waren der gleichen Art und Qualität zu bestimmen. „Gleichartige Ware“ bedeutete Bekleidungsgegenstände gleicher Art, Stoff, Form, Ausführung und Verwendungszweck. Maßgeblich für die Berechnung des Durchschnittspreises war die Menge, und nicht der bloße Mittelwert des höchsten und niedrigsten Einkaufspreises (Tabelle 21).533 Der Textileinzelhandel berichtete der „Deutschen Konfektion“ im August 1922 von den Auswirkungen der fortschreitenden Inflation im Sommer 1922. Während das Berliner Damenkonfektionsgeschäft Kersten & Tuteur von einem „vollkommen toten Geschäft“ berichtete, meldete das Stuttgarter Modehaus E. Breuninger einen Kaufandrang auf Herbst- und Winterwaren. Das Kölner Kaufhaus Carl Peters beschrieb ein „Wettrennen“ zwischen Preisen und Löhnen. Während sich die wertmäßigen Umsätze im Handel inflationsbedingt erhöhten, sackten die Kundenzahlen und die men-

533 DK, Wie muss der Einzelhandel kalkulieren?, 3.12.1921; DK, Wie kalkuliere ich?,18.2.1922; Konf, Durchschnittskalkulation, 20.10.1921.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Tab. 21 Beispielkalkulation der Durchschnittspreise534 Stücke „gleicher Art“

Einkaufspreis je Stück

200

6

100

8

500

12

Durchschnittlicher Einkaufspreis

10

Handelsaufschlag (50 Prozent) Durchschnittsverkaufspreis pro Stück

5 15

Anmerkungen: in Mark, lfd. Preise.

genmäßigen Umsätze deutlich ab. Neben vereinzelten Hamsterkäufen teilte sich die Kundschaft nun in eine Mehrklassengesellschaft, in der wenige – „Kriegs- und Nachkriegsgewinner, Ausländer und Spekulanten“ – vorerst jeden Preis zahlen konnten. Nach Meldungen des Düsseldorfer RHK vollzogen Geschäfte im Besatzungsgebiet oder in allgemeiner Grenznähe totale Ausverkäufe an „valutastarke“ Ausländer. Das Koblenzer Modehaus Tapisser & Werner erwirtschaftete etwa 40 Prozent seines Umsatzes „durch Besatzungstruppen, deren Angehörige oder Ausländer, besonders Holländer“.535 Mit dem zunehmenden Verfall der Mark richtete sich der Zorn der Konsumenten auf die Handelsunternehmen. Die hatten ihre Kalkulation auf den „Wiederbeschaffungspreis“ angepasst. Dies stieß bei den Kunden zunehmend auf Unverständnis, da der Verkaufspreis nun unmittelbar am Dollarkurs hing. Während steigende Dollarkurse unmittelbar eingepreist wurden, sanken die Verkaufspreise auch nicht, als der Dollarkurs zeitweise fiel. Der Einzelhandel argumentierte mit dem erhöhten Preisdruck und seinen Abnahmeverpflichtungen gegenüber seinen Lieferanten. Insgesamt sah sich der Einzelhandel mit der Erosion der „Säulen des kaufmännischen Geschäftes“ konfrontiert: „Kaufvertrag, feste Abmachungen, fester Preis und die Zielgewährung haben keine Geltung mehr“.536 In den Fachzeitschriften kursierte der Bericht eines großen Berliner Textilhauses, das sich am Vormittag um 10 Uhr bei seinem Lieferanten nach dem Einkaufspreis erkundigte. Dieser wollte den Preis aber erst nach 11 Uhr mitteilen. Damit, so die Händler, war eine geordnete Geschäftsführung unmöglich geworden. Infolge der inflationären Entwertung musste der Einzelhandel im Januar bestellte Winterware im Oktober 1922 nun zum 20-fachen Preis abnehmen.537

Aufstellung nach DK, Wie kalkuliere ich?,18.2.1922. DK, Katastrophenhausse und Publikum, 12.8.1922; DK, Tagung des großen Ausschusses des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., Sitz Düsseldorf, 26.8.1922. 536 Konf, Produzenten, Händler und Verbraucher, 11.11.1922; Konf, Die Währungsreform und der Einzelhandel, 11.11.1922. 537 Vgl. Artikel „Der Einzelhandel zwischen zwei Feuern“, 19.10.1922, BA R8034-II/3567, p. 156. 534 535

Geschäftslage in den Unternehmen

Im November 1922 erkannte Salman Schocken einen „Prozess vollständiger Verarmung durch Deutschland“ gehen, in dem „jeder Betrieb, jede Wirtschaft, jeder Haushalt sich über Wasser zu halten [kämpft]“.538 Doch anders als seine Konkurrenten holte sich Schocken kein ausländisches Geld oder finanzkräftige Investoren ins Unternehmen, sondern versuchte, aus eigener Kraft zu agieren. Für Schocken blieb Warenversorgung der Kunden der Rentabilität vorrangig, da Schocken selbst mit einer baldigen Abschwächung der Inflation rechnete. Dieser Grundsatz war spätestens im Frühjahr 1923 nicht mehr zu halten, und man preiste die Inflation täglich ein. Schocken zahlte mittlerweile rund 30 Prozent mehr für dasselbe Stück im Einkauf als im Verkauf. Trotz des guten Einkaufsnetzwerkes litt auch Schocken unter den schlechten Konditionen. Im besten Fall konnte man folgende Absprachen treffen: „Wir werden versuchen, uns die Preise einige Tage fest an Hand geben zu lassen, damit Nachbestellungen auf gleicher Basis erfolgen können“.539 Im Sommer 1923 war „jeder Verkauf [ ] ein Verlust“ geworden.540 Ende Juli 1923 berichtete Schocken: „Die Waren aus allen Lägern unserer Häuser gehen augenblicklich zur Hälfte des Wiederbeschaffungspreises heraus, ohne dass Gewissheit dafür besteht, dass man schon hierfür die Ware wieder hereinbekommen kann“.541

Im Jahr 1923 beschleunigte sich der Verfall der Markwährung weiter. Die Lieferanten des Einzelhandels kalkulierten ihre Waren nur noch auf Gold- oder Valutabasis. Damit war der Einzelhandel gezwungen, seine Rechnungen nach dem jeweiligen Gold- oder Devisenkurs zu zahlen. Allein im Januar 1923 vervielfachten sich die Marktpreise. Die Preise für Herrensocken vervierfachten sich, die Preise für Arbeitshosen, Herrenanzüge, Kleider und Blusen verdoppelten sich (Tabelle 22). Alle textilen Verarbeitungsstufen versuchten Erlöse schnellstmöglich in neue Ware anzulegen – die Flucht aus dem „unsicheren Markbesitz in Sachwerte“ war in vollem Gange.542 Der Einzelhandel lebte von seiner Betriebssubstanz. Lag der Verkaufspreis für Herrenanzüge am 1. Juli 1923 bei bis zu 200.000 Mark, so musste der Händler denselben Artikel am 1. Juli für 900.000 bis 1,5 Millionen Mark beim Lieferanten einkaufen. Der Wiederbeschaffungspreis für einen Gummimantel lag mit bis zu 400.000 Mark etwa doppelt so hoch wie sein Verkaufspreis in Höhe von 200.000 Mark. Dem überliquiden Einzelhandel war es unmöglich, seine Lager gleichwertig oder überhaupt

Vgl. Herr Schocken jr. zum 10jährigen Dienstjubiläum des Herrn Manasse, 1.11.1922, StAC 33309–40. Vgl. Auerbacher Einkaufsbericht, 17.4.1923, StAC 31451–450, Schreiben an Abtl. Geschäftsführung, 15.3.1923, StAC 31451–450. 540 Vgl. Fuchs (1990), S. 84 ff. 541 Vgl. ebd., S. 88 Anm. 61. 542 Konf, Die große Frage, 5.5.1923. 538 539

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Tab. 22 Großhandelspreise für Textilien und Bekleidung, Januar 1923543 Gegenstände

Einheit

2. Januar

8. Januar

Hemdentuch

Meter

950

950– 980

1.100– 1.200

2.000

Damast

Meter

2.400– 2.600

2.500– 2.600

2.800– 2.900

4.500

Baumwoll-Flanell

Meter

890– 1.200

900– 1.300

1.100– 1.400

1.600– 1.800

Normalhemd

16. Januar

23. Januar

Stk.

3.200

3.250

3.750

5.500

Herrensocke (Baumwolle)

Dtzd.

8.200– 9.000

8.500– 11.000

10.000– 15.000

24.000

Damenstrümpfe (Baumwolle)

Dtzd.

6.800– 7.200

8.000– 8.400

108.000

12.000– 18.000

Bluse (Vollvoile)

Stk.

4.000

4.000

4.800

8.000– 12.000

Kleid (Vollvoile)

Stk.

11.500– 17.000

12.500– 17.000

14.500– 19.000

17.500– 25.000

Kostüm (Wolle)

Stk.

48.000– 250.000

55.000– 250.000

70.000– 325.000

120.000– 250.000

Herrenanzug (Forster Stoff)

Stk.

19.000– 35.000

19.000– 35.000

30.000– 68.000

32.000– 68.000

Gummimäntel (Köperstoff)

Stk.

19.000– 24.000

19.000– 24.000

23.000– 28.000

32.000

Arbeiterhosen (Pilot)

Stk.

4.500– 5.000

5.000– 6.000

6.500– 7.500

8.500– 12.500

Arbeiterhosen (Manchester)

Stk.

8.500– 10.000

10.000– 12.500

12.000– 14.000

15.000– 25.000

Anmerkungen: Zahlen der Einkaufszentrale der „Deutschen Konfektion“; in Mark, lfd. Preise.

aufzufüllen. So fasste der Verband der Waren- und Kaufhäuser Deutschlands die Situation im Juli 1923 resigniert zusammen: „Die Auffüllung des Lagers ist durch die Abwälzung des Repartierungsrisikos vollkommen unmöglich, weil der Lieferant sich wohl den Gegenwert des Tages überweisen lässt – aber nur so viel Ware effektiv liefert, als er in fremde Devisen einzudecken vermag, sodass sich die Lieferung unter Umständen um Wochen hinaus verschiebt, der Gegenwert in Papiermark immer größer wird und schließlich eine unerhörte weitere Verteuerung für das konsumierende Publikum eintritt“.544

543 544

Aufstellung nach DK, Wie ist der Marktpreis?, 11.1.1923; DK, Wie ist der Marktpreis?, 25.1.1923. Vgl. Artikel „Die Krisis des Einzelhandels“, 23.7.1923, BA R8034-II/3567, p. 188.

Geschäftslage in den Unternehmen

Die Bekleidungsindustrie war im Sommer 1923 dazu übergegangen, keine festen Umrechnungskurse, sondern nur noch sofortige Zahlung zu akzeptieren und bald auch nur noch gegen Devisen auszuliefern. Aus Schockens Sicht verdiente der Einzelhändler mit dem Verkauf zunehmend wertlose Papiermark und konnte nur noch gegen harte Währung einkaufen. Damit war der Produzentenwillkür Tür und Tor geöffnet und Schocken verhing eine komplette Auftragssperre, die man im Oktober 1923 nochmals erneuerte. Die meisten Textileinzelhändler lebten wie auch Schocken ab Anfang August 1923 einzig von ihren Warenreserven. Schocken erlitt damit den größten Substanzverlust innerhalb einer Woche in der Geschichte des Unternehmens.545 Viele andere Betriebe, wie etwa J. G. Becker berichteten, dass „große Teile des Vermögens und der Geschäftswerte [versanken], [ ] für eine gesamte Tageseinnahme bekam [man] am nächsten Tage gerade noch zwei Steppdecken“. Überleben sicherte nur die Einschränkung und Ablehnung von Krediten: „Kleine Päckchen und Pakete waren es, in denen die erste neue Ware eintraf – denn zu größeren Einkäufen war kein Geld da und fremdes sollte nicht geborgt werden“.546 Der Warenverkehr kam bis Anfang November 1923 vollständig zum Erliegen. In einem internen Schreiben berichtete die Geschäftsleitung Schockens von „Berliner Kreisen“, die sich die unterschiedliche Markbewertung zunutze machten.547 Manche Händler tauschten ihre Devisen nicht in Berlin, sondern in Wiesbaden oder Köln und überfluteten die Fabrikanten mit umgetauschter Papiermark, bis diese sich schließlich weigerten, Papiergeld anzunehmen. Ab Anfang November 1923 bis zur endgültigen Währungsreform zum 28. November 1923 und der Einführung der Rentenmark ergingen sich teilweise widersprechende Verordnungen zur Preisgestaltung und Bezahlung, die nur den Einzelhandel, nicht aber Industrie und Großhandel betrafen. Der Einzelhandel musste „Artikel des täglichen Bedarfs“ gegen Papiergeld verkaufen, durfte aber Devisen annehmen, ohne darauf aber ausdrücklich aufmerksam machen zu dürfen. Die Preisstellung durfte nicht in Auslandswährung, wohl aber in Goldmark geschehen. Die folgende Währungsreform verhinderte eine Umsetzung dieser Anordnungen. Für die Kunden ergab sich ein heilloses Durcheinander. So kalkulierten manche Händler nach Marktpreisen und mit einem Geldentwertungsfaktor. Betrug die Steigerung der Geldentwertung zwischen Einkauf einer Ware und deren Verkauf beispielsweise 50 Prozent, so schlug man auf 1.000 Mark Einkaufspreis zusätzlich 500 Mark auf. Dieser Kalkulationsgrundpreis von 1.500 Mark wurde mit einem Handelsaufschlag versehen und die Ware damit für 2.025 Mark verkauft.548 Spätestens ab Sommer 1923 kalkulierte die Mehrheit im Einzelhandel auf Basis des Indexsystems. Unterschiede ergaben sich aufgrund der unterschiedlichen Geldentwer545 546 547 548

Vgl. Fuchs (1990), S. 88 f. Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 7. Vgl. Fuchs (1990), S. 97, Anm. 93. DK, Wucherrecht, Geldentwertung und Kalkulation, 2.9.1922.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

tungsziffern bei Waren aus dem Ausland oder aus dem Inland. Die Verkaufspreise für ausländische Waren wurde auf Basis des einfachen arithmetischen Mittels aus Dollarmittelkurs der Woche, einem Goldzollaufgeld, der Großhandelspreis-Indexziffer der Industrie- und Handels-Zeitung und dem Arbeiterlohnindex gebildet. Inlandswaren wurden als arithmetisches Mittel aus Reichsteuerungsindexziffer, Arbeiterlohnindex, Beamtengehaltsindex und Wochenindex für Lebenshaltungskosten der Industrie- und Handels-Zeitung kalkuliert. Angesichts des Faktischen unterließen Staatsanwaltschaften, Wucherämter, Preisprüfungsstellen und Bezirksämter die strafrechtliche Verfolgung und erkannten die Indexkalkulation voll an.549 Auf Grundlage eines Notgesetzes vom 23. Juli 1923 traten zum 15. August 1923 acht weitreichende Preis- und Kontrollverordnungen in Kraft, die alle vorherigen aufhoben, ersetzten und für den Einzelhandel eine deutliche Verschärfung brachten. Weiterhin galt die erste Devisenverordnung vom Oktober 1922, nach der im Einzelhandel die Preisbildung auf Grundlage ausländischer Währungen verboten war. Ungeachtet der gesetzlichen Maßnahmen wurden die Verbände nicht müde, die Einführung der Goldmarkrechnung und die Beseitigung der Preisvorschriften zu fordern. Die Stimmung im Einzelhandel war im Spätsommer 1923 „geradezu verzweifelt“.550 Der Berliner Einzelhandel kündigte an, zum 9. August 1923 alle Geschäfte geschlossen zu halten und am 10. August nur verkürzt zwischen 11 und 17 Uhr zu öffnen. Dieser Protest richtete sich gegen die weiterhin geltenden Wucherbestimmungen – besonders den Zwang zur Auspreisung der Waren und die Preisüberwachung durch die sog. „Marktpolizei“.551 Die Berliner Händler forderten eine Kalkulation auf Grundlage ausländischer Devisenkurse und eine Preisauszeichnung in Goldmark, wie dies für ihre Vorlieferanten bereits galt. Das Reichswirtschaftsministerium und das Berliner Polizeipräsidium reagierten zunächst ablehnend und verschärften die Sanktionsmaßnahmen. Nach einer Notverordnung vom 15. August 1923 hatten Kommunen nun das Recht, nicht gesetzestreue Läden in Eigenregie zu übernehmen.552

DK, Die Anwendung des Indexsystems im Textil-Einzelhandel, 12.7.1923. Weiterhin war „Preiswucher“ im Einzelhandel verboten, d. h. Unternehmen durften „Gegenstände des täglichen Gebrauchs“ nur zu einem Preis verkaufen, der „die gesamten Verhältnisse berücksichtigte“ und keinen „übermässigen Gewinn“ erhielt. Damit scheiterte der Einzelhandel, den Kursverfall der Mark einzupreisen. Der Gesetzgeber erlaubte dem Händler nun offiziell, mit Kaufkraftindizes und Durchschnittskalkulationen zu arbeiten. Die Pflicht zur Preisschilderauszeichnung, die Kontrolle der Preisprüfungsstellen, die Offenlegungspflicht sämtlicher Geschäftsbücher sowie die Unmöglichkeit, in Berufung gegen Urteile der „Wuchergerichte“ zu gehen, blieben bestehen. Zu den Verordnungen zählten: PreistreibereiVerordnung, Verordnung über Handelsbeschränkungen, Verordnung über Notstandsversorgung, Verordnung über Preisprüfungsstellen, Verordnung über Auskunftspflicht sowie die Wuchergerichtsverordnung, siehe Konf, Die neuen Wuchergesetze, 4.8.1923; Konf, Die neue Wuchergesetzgebung, 18.8.1923; Konf, Zur schwierigen Lage des Einzelhandels, 1.9.1923; Konf, Die wirtschaftliche Lage des Einzelhandels, 8.9.1923. 551 Vgl. Artikel „Drohender Kleinhändlerstreik“, 5.8.1923, BA R8034-II/3567, p. 195. 552 Vgl. Artikel „Der Kampf des Einzelhandels“, 5.8.1923, BA R8034-II/3568, p. 5. 549 550

Geschäftslage in den Unternehmen

Ab Sommer 1923 mehrten sich die Berichte über panikartige Käufe der Verbraucher sowie Beschwerden, Geschäftsschließungen und gewalttätige Ausschreitungen. So berichtete der „Konfektionär“ am 4. August 1923 von Plünderungen von Geschäften in der Umgebung von Berlin, Breslau, Gleiwitz und anderen Orten. Überall dort, wo Winterware bereits verfügbar war, nahm – wie die „Deutsche Konfektion“ berichtete – das „Hamstern katastrophale Formen an“. Kunden führten gegenüber den Polizeibehörden vermehrt erfolgreich Beschwerde gegen Textileinzelhändler. In Köln etwa beschlagnahmte die Polizei bei einem Modehaus im Juni eingetroffene Winterbestände an Herrenkonfektion, nachdem sich das Geschäft weigerte, dem Kunden im Sommer bereits einen Winterulster zu verkaufen. Angesichts der angespannten Situation empfahlen die Einzelhandelsverbände ihren Mitgliedern, Winterware vor dem 1. September 1923 weder zu bewerben noch zu verkaufen.553 Anfang August 1923 mehrte sich die Zahl der bekannt gewordenen Ausschreitungen gegen Textileinzelhändler. Herrenkonfektionsgeschäfte in Herne, Krefeld, Andernach, Geldern, Hannover, Aachen und Breslau meldeten Einbrüche, Sachbeschädigungen und umfangreiche Warendiebstähle: „In Krefeld ist sogar die Polizei mit blanker Waffe gegen das Publikum in den Ladenlokalen vorgegangen, was große Entrüstung hervorrief, da die Leute sich berechtigt glaubten, Zwangsverkäufe vornehmen zu dürfen“.554

Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kunden und Händlern und den enormen Umsatzeinbrüchen wichen die Behörden im Oktober 1923 von ihren starren Wuchervorschriften ab und tolerierten die Kalkulation und Auszeichnung der Warenpreise im Einzelhandel in Goldmark.555 Tatsächlich war der Einzelhandel schon Monate vorher dazu über gegangen, auf Grundlage von Friedenspreisen, also Preisen vor 1914, zu kalkulieren (sog. „Goldgrundpreisen“). Doch das Geschäft blieb höchst ungleichartig, Umsätze stiegen sprunghaft am Tage der Lohnauszahlung und versiegten wieder.556 Mit der Möglichkeit der Kalkulation in Goldmark war es etwa den Händlern in Berlin möglich, deutliche Preisermäßigungen zu erreichen. Das Damenmodehaus R. M. Maassen reduzierte seine Verkaufspreise in allen Abteilungen um ein Drittel, zeichnete aber weiterhin in Mark aus. V. Manheimer erreichte ähnlich hohe Preisreduktionen und zeichnete Preise nun in Goldmark aus, etwa Flauschmäntel (10 bis 20 GM), Wollkleider (19 bis 49 GM) oder Kammgarnkostüme (49 GM). Die Mehrheit der Berliner Händler wie Rudolph Hertzog, H. Gerson, Kersten & Tuteur,

Konf, Vor dem Zusammenbruch, 4. August 1923; DK, Das Publikum hamstert Winterware, 2.8.1923. DK, Trümmerfelder des Einzelhandels, 13.8.1923. Im Oktober 1923 berichteten die Händler von „sehr stillen“ Tagen und dass die „Tageslosungen sehr niedrig [waren], oftmals kaum ausreichend, um die gewaltig gestiegenen Spesen zu decken“, siehe DK, Stagnation in der Herrenkonfektion?, 4.10.1923. 556 Konf, Abkehr von den Friedenspreisen, 29.8.1923. 553 554 555

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Gustav Cords, Arnold Müller, Emma Bette, Bud & Lachmann, Michels & Cie. sowie die Warenhauskonzerne A. Wertheim und Hermann Tietz verzichteten auf Preisauszeichnungen ihrer Ware. Während das Bild also in der Damenkonfektion uneinheitlich war, gingen die Händler in Herrenkonfektion fast vollständig zur Auszeichnung in Goldmark für Schaufensterware über. So bewarben Esders & Dyckhoff, Peek & Cloppenburg oder Bernward Leineweber Anzüge, Ulster, Winterpaletots, Mäntel, Hosen oder Anzüge in Goldmarkpreisen.557 Die niedrig klingenden Goldmarkpreise regten die Kauflust ein wenig an und brachten eine gewisse Stabilität der Umsätze, doch auch im Dezember hielten die Tumulte und Plünderungen infolge der steigenden Preise an.558 4.2.3

Wirkungen der Währungsreform

Die „Deutsche Konfektion“ interviewte zum Jahresende 1923 den Textilkaufmann Hans Holz, Inhaber des Stuttgarter Modehauses J. Mack zu den Geschäftsaussichten nach der Hyperinflation. Holz sah den Textileinzelhandel in einer dramatischen Situation. Zum einen hatte die Nachfrage infolge von Entlassungen und Gehaltskürzungen stark abgenommen, zum anderen war die Beschaffung von Textilien und Bekleidung von „überspannten“ Lieferungs- und Zahlungsbedingungen gekennzeichnet. Aus Sicht des Einzelhandels bevorzugte die deutsche Bekleidungsindustrie ihre ausländischen Kunden in Bezug auf Auswahl und Zahlungsziel. Zum anderen hatte die Hyperinflation einerseits die Wettbewerbssituation verschärft, da einige Textil-Konzerne Monopole errichtet hatten, und andererseits sämtliche Kalkulationsmethoden außer Acht gerieten. Erfolg für den Handel kehre dann zurück, so Holz abschließend, bei „freie[r] Konkurrenz“, solider Kalkulation und der Zerschlagung der Konzernmonopole. Dieser Einzelmeinung schloss sich die Fachpresse an. Sie sah die Wirtschaft „unproduktiv, unwirtschaftlich und unrentabel“ und forderte für das Jahr 1924 das Ende der „Zwangswirtschaft“ und das unbedingte Entgegenwirken jeder Art inflationärer Tendenzen.559 Bestimmend für den Geschäftsalltag des deutschen Textileinzelhandels nach 1923 blieben weiterhin die hohen Ein- und Verkaufspreise. Nach der Stabilisierung der

Esders & Dyckhoff pries Anzüge (44 bis 95 GM), Ulster (48 bis 98 GM), Winterpaletots (98 GM), Garbadine-Mäntel (77 GM) oder Cordhosen (30 GM) an. Peek & Cloppenburg warb in Schaufenstern für Hosen (8 bis 34 GM), Paletots (90 bis 125 GM), Ulster (50 bis 150 GM) oder Anzüge (50 bis 100 GM) und Bernward Leineweber bewarb Jünglings-Anzüge (32 bis 65 GM), Anzüge (42 bis 90 GM), Ulster (70 bis 90 GM), Winterpaletots (59 bis 120 GM) und Hosen (8 bis 34 GM), siehe DK, Wie sich der Berliner Einzelhandel der Geschäftslage anpasst, 8.11.1923. 558 DK, Zu langsamer Preisabbau, 13.12.1923. 559 DK, Rückblick und Ausblick im Einzelhandel, 27.12.1923; DK, Betrachtungen zum Jahresende, 27.12.1923; Konf, Einzelhandel und Reichstagswahl, 3.5.1924. 557

Geschäftslage in den Unternehmen

deutschen Währung durch die Einführung der Rentenmark im November 1923 bzw. deren Ablösung durch die Reichsmark im Sommer 1924 meldete der Herrenkonfektionseinzelhandel ein seit Jahresbeginn „geordnetes Vertragsverhältnis mit allen Lieferantenverbänden“ der Herrenkonfektion. Beide Vertragsparteien hatten zu einer einheitlichen Preisregelung zurückgefunden.560 Der Textileinzelhandel begann auf Verbandsempfehlung umgehend mit der Kalkulation seiner Verkaufspreise auf Basis der neuen Währung (auf Grundlage 1 Reichsmark zu 4,20 US-Dollar) unter dem Motto „friedensmäßige Zahlung = friedensmäßige Kondition“. Für den Einzelhandel trugen die Konditionen der Lieferanten Hauptschuld an den hohen Verkaufspreisen, die mancherorts dazu führten, dass Kunden ins benachbarte Ausland auswichen, um Textilwaren zu kaufen. Aus Sicht der Handelsunternehmen versuchten Textil- und Bekleidungsindustrie die in der Inflationszeit erzwungenen Konditionen – etwa eingepreiste „Risikoprämien“, Vorauszahlungen oder Rabatte bei Devisenzahlungen – weiter bestehen zu lassen und auf Kosten des Einzelhandels „möglichst große und umfangreiche Geschäfte zu machen“.561 Tatsächlich geriet die Bekleidungsindustrie ihrerseits seit 1923 durch die steigenden Rohstoffpreise der Webereien und Spinnereien, andererseits durch eigene Lohnabschlüsse unter Druck. Diesen Preisdruck gaben die Lieferanten – zum Teil mit Aufschlägen von bis zu 50 Prozent – an den Handel weiter. Der politische und gesellschaftliche Zorn des hohen Preisniveaus, so die Kritik des Handels, richtete sich damit ungerechtfertigt nur auf die Handelsstufe. Der Preis für einen Anzug hatte sich auf 80 Reichsmark verdoppelt, während ein Großteil der Kunden einkommensgeschwächt war.562 Die Einzelhandelsverbände sahen den Textileinzelhandel ab Frühjahr 1924 in einer „Stabilisierungskrise“. So berichtete der RHK von einem massiven Einbruch des Umsatzes in Herrenkonfektion auf 20 Prozent des „Friedensumsatzes“. Jegliches wirtschaftliches Risiko in der „Nach-Inflationszeit“ trage nun der Einzelhandel. Er sei Kreditgeber der schwächelnden Banken durch seine Einlagen und er trage sozialpolitische Verantwortung, indem er die Kundschaft zum Konsum reanimiere. Der RHK wies auf die „furchtbare Lage namentlich der Lohn- und Gehaltsempfänger [und] der Sozialund Kleinrentner [hin], die alle unter einer geradezu unglaublichen Bekleidungsnot“ zu leiden hatten. Die Bekleidungsindustrie, so der Vorwurf, arbeitete seit der Inflation nur noch auf Bestellung und verzichtete bewusst auf Lagerhaltung. Aus Sicht der

DK, Herrenbekleidungs-Einzelhandel während der Stabilisierungskrisis, 15.5.1924. Einer Umfrage zufolge waren die „Preise oft nicht nachvollziehbar“ (Gebr. Alsberg, Hagen-Dresden), es fehlte bei den Lieferanten „ein wenig guter Wille“ (Hollenkamp, Leipzig) oder die Steuerbelastung durch Umsatz- und Einkommenssteuer war zu hoch. Der Handel empfand seine Bezugspreise „ unverantwortlich“ hoch ( J. Mack Stuttgart) und kritisierte allgemein das Preisniveau: „Inlandspreise viel zu hoch“ (Gebr. Leffers AG Delmenhorst), siehe DK, Sind die heutigen Textilwarenpreise berechtigt?, 7.2.1924; DK, Herrenbekleidungs-Einzelhandel während der Stabilisierungskrisis, 15.5.1924. 562 DK, Die Preisbildung in der Herrenkonfektion, 17.4.1924; Die Kalkulation in der Herrenkonfektion. Eine Erwiderung, 8.5.1924. 560 561

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Einzelhandelsverbände wurde der Kaufmann „zum Volksbetrüger im Profitinteresse der Industrie“ gemacht. Der „Preiswucher“ der Inflationszeit habe die Grundsätze des „ehrbaren Kaufmanns“ aufgeweicht und „Geschäftemachern, Schiebern und Volksausbeutern“ in den Kaufmannsstand verholfen, die es nun gelte, wieder zurückzudrängen. Die „Ausnahmegesetzgebung“ zulasten des Einzelhandels – Preistreibereiverordnung, Handelserlaubnisbeschränkung und Preisauszeichnungszwang – gehörten abgeschafft.563 Tatsächlich warnte der vorläufige Reichswirtschaftsrat in einem Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium (RWM) vom 31. März 1924 vor einem „Wettrennen zwischen Preisen, Löhnen und Gehältern“ im Textilsektor. Besonders die Industrie müsse sich der „Verantwortung bewusst werden“ und der „Versuchung widerstehen“, ihre Preise weiter zu erhöhen, und zu regulären Kalkulationsgrundsätzen zurückkehren. Das Ministerium setzte zur Prüfung eine Textilenquete ein.564 Im Grunde versuchte die Enquete das Unmögliche, nämlich auf Basis wenig systematischer Zahlenreihen zu klären, ob, und wenn ja warum, das Preisniveau deutscher Textilien zu hoch war. Dazu klärte der eingesetzte „Ausschuss zur Untersuchung der Preisverhältnisse auf dem Textilgebiet“ die Preise einzelner ausgewählter Artikel im Vergleich zur Vorkriegszeit. Letztlich konnte die Untersuchung „keine absolut sicheren Schlüsse“ ziehen. Verantwortlich für die hohen Verkaufspreise waren, nach Meinung der Kommission, nur mittelbar die Lieferanten, sondern die verteuerten Rohstoffe, Steuerlasten sowie spezifische Einzelhandelsprobleme. Bis auf Jute und Kunstseide hatten sich die Preise für textile Rohstoffe und Halbfabrikate verdoppelt oder gar verdreifacht. So waren die Anteile der Textilrohstoffe (Baumwolle, Wolle und Leinengarn) am Fabrikpreis des Halbfabrikats zwischen 1914 und 1924 von 60 auf bis zu 80 Prozent angestiegen. Dies hatte naturgemäß Auswirkungen auf die Preisanteile des Rohstoffes am Endprodukt (Tabelle 23). Die Lohnsteigerungen der Textil- und Bekleidungsindustrie waren zwar erheblich, doch der Lohnanteil am Endpreis fiel gegenüber 1914 durch die Rohstoffpreisentwicklung. Preistreibend waren eher unproduktive Arbeitskräfte, steigende Frachtpreise oder die hohe Verzinsung fremder Gelder. Insgesamt vergingen zwischen sechs und zwölf Monate von der Lieferung des Rohstoffes aus Australien oder aus den USA bis zur Verarbeitung und Verkauf an den Verbraucher. Zudem verteuerte die auf allen Stufen anfallende Umsatzsteuer die Textilien um sechs bis zehn Prozent. Entgegen der DK, Herrenbekleidungs-Einzelhandel während der Stabilisierungskrisis, 15.5.1924; DK, Stellung des Einzelhandels im Wirtschaftsleben, 10.4.1924. Im April 1924 waren die sog. „Wuchergerichte“ aufgehoben worden und auch die sog. „Preisprüfungsstellen“ bestanden nur noch dem Namen nach, siehe Artikel „Schädlinge des Handels“, 15.4.1924, BA R8034-II/3568, p. 46; Konf, Einzelhandel und Reichstagswahl, 3.5.1924. 564 Vgl. Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium, 31.3.1924, BA R3101/6913, p. 192; Schreiben an den Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftspolitischen Ausschusses des vorl. Reichswirtschaftsrates, 8.4.1924, BA R3101/6913, p. 202–204. 563

Geschäftslage in den Unternehmen

Tab. 23 Anteil des (Roh-)Materials am Endproduktpreis, 1914 und 1924565 Fertigfabrikat

1914

1924

Futterhose

83,20

86,30

Billiger Herrenstoff

59,70

59,70

Gröberer Leinenstoff

60,00

70,32

Herrenkragen (besserer)

30,26

40,10

Herrenhemden (besserer)

38,08

43,33

Herrenanzug Cheviot

50,58

56,27

Anmerkungen: in Prozent.

Behauptung des Handels konnte der Bericht eine normale Gewinnspanne von fünf bis zehn Prozent bei den Konfektionären nachweisen. Die Verteuerung der Textilpreise war damit nicht eine Folge einseitig übersteigerter Gewinnspannen der Textil- und Bekleidungsindustrie, sondern Ergebnis mannigfaltiger Faktoren auf Seiten der Vorlieferanten, aber auch struktureller Probleme der Handelsstufe. Demnach waren weder Lohnhöhe noch Konditionen die eigentlichen Preistreiber der Lieferanten. Vielmehr war eine allgemeine Erhöhung des Betriebskosten, Frachten, Kohlenpreise und Fremdkapitalverzinsung ursächlich für die Preisanstiege. Der Enquete-Bericht attestierte dem Textileinzelhandel eine „Notwendigkeit zur Produktionssteigerung“. Die Branche leide unter einer Übersetzung, deren Folge Kapitalmangel und geringe Betriebsausnutzung sei.566 Diesen Vorwürfen traten die Einzelhandelsverbände vehement entgegen. Besonders der Herrenkonfektionseinzelhandel sah sich in erster Linie als Opfer steigender Löhne, Gehälter, Steuern und Bankzinsen, die die Betriebskosten am Umsatz im Vergleich zu 1913 um über 40 Prozent steigen ließen. Zudem arbeite die Herrenkonfektionsindustrie nicht mehr mit verlässlichen Stücklöhnen, sondern entlohne nach regional gestaffeltem Reichstarif, der die Kosten der Produktion in die Höhe treibe. Um die Frage der gestiegenen fixen Betriebskosten entwickelte sich ein statistischer Schlagabtausch zwischen Industrie und Handel. Nach offiziellen Angaben der Einzelhandelsverbände und meist anonymen Berichten aus den Handelsunternehmen selbst

Aufstellung nach DK, Die Ursachen der Textilwarenteuerung, 21.8.1924 Konkret leide der Handel unter dem Fehlen einheitlicher Kalkulationsmethoden. Die Handelsaufschläge schwankten je nach Artikel zwischen 13 und 34 Prozent. Diese „ganz eigenartigen Kalkulationsspannen“ waren selten transparent und unterschieden sich erheblich je nach Betriebsform und Sortiment. Generell wurde preiswerte Ware niedrig (bis zehn Prozent) und hochwertige höher (bis 100 Prozent) kalkuliert, um einen Ausgleich zwischen modischen Artikeln und Stapelware zu erreichen, siehe Bericht des Ausschusses zur Untersuchung der Verhältnisse in der Textilindustrie (Streng vertraulich!), 7.8.1924, BA R3101/6913, p. 259–364; DK, Die Ergebnisse der Textilenquete, 21.8.1924; DK, Die Ursachen der Textilwarenteuerung, 21.8.1924; Konf, Der Bericht der Textilenquete-Kommission (Sonderbeilage zu Nr. 66), 16.8.1924; Konf, Die Berliner Textilwirtschaft 1924, 7.3.1925. 565 566

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schwankte der Anteil der Betriebskosten am Umsatz im Textileinzelhandel zwischen 15 und 25 Prozent je nach Betriebsform bzw. -größe, wobei die Personal-, Miet- und Steuerausgaben die drei größten Posten waren.567 Die erste Bewährungsprobe – Ostern 1924 – meisterte der Textileinzelhandel indes besser als erwartet. In Berlin berichtete der Handel von einer guten Geschäftslage, hohen Umsätzen und einem insgesamt „kauflustigen Publikum“. Dieses bestand zunehmend auch wieder aus mittleren und unteren Einkommensschichten. Die Zahl der „Inflationsgewinnler und Ausländer“ in den Geschäften der Hauptstadt nahm spürbar ab. Im Juni 1924 veranstaltete Schocken nach zehnjähriger Unterbrechung wieder eine Sommermesse, um seine Lager abzubauen. Zum Jahresende 1924 berichteten die Textileinzelhändler reichsweit von einer stabilen Nachfrage nach Textilwaren, die in einem überdurchschnittlichen Weihnachtsgeschäft ihren Abschluss fand. Die Erwartungshaltung des Handels hieß für 1925 „Stabilität“ – nach einer langen Phase großer „Substanzverluste“. Das Jahr 1924 hatte ein enormer Nachfrageschub gekennzeichnet, den die Bekleidungsindustrie nicht imstande war, durch erhöhte Produktion zu befriedigen. So stiegen im Handel zwar die Umsätze, doch gleichzeitig schrumpften die Lager, die nur teuer wieder aufgefüllt werden konnten, da die Warenpreise um das Dreifache gestiegen waren.568 Eine Umfrage des „Konfektionärs“ zum Jahresende 1924 bestätigte dies. Das Kaufhaus Dold aus Dillingen berichtete zwar „von einer wahren Erlösung gegenüber der Inflationszeit“, doch kritisierte es auch die hohe Belastung durch Steuern und die Konkurrenz durch Hausierer. Von einem solchen „scharfen Konkurrenzkampf “ oder unfairen Konditionen der Lieferanten berichtete auch Kaufhauseigner Kurt Nathan aus Guben. Dagegen charakterisierte das Wäsche- und Bettengeschäft J. Erlenbach aus Nürnberg seine Beziehungen zu Lieferanten als „wieder befriedigend“, da einzelne zu den Vorkriegszahlungszielen übergegangen waren.569 4.3

Zwischen Einheit und Konfrontation

4.3.1

Verbandsstrukturen

Die organisatorische Struktur des RDT als „Verband der Verbände“ hielt nur wenige Jahre (bis 1921). Die Interessengegensätze innerhalb des Reichsbundes blieben ungelöst. Der Verband Deutscher Textilgeschäfte (VDT), der sich nur widerwillig integ-

DK, Zur Preisbildung für Herrenkleidung, 30.10.1925. Artikel „Die Geschäftsbelebung im Einzelhandel“, 26.4.1924, BA R8034-II/3568, p. 46; DK, Wie wird es 1925?, 31.12.1924. 569 Konf, Wie war das Jahr 1924? Wie sind die Aussichten für 1925?, 31.12.1924. 567 568

Zwischen Einheit und Konfrontation

riert hatte, drängte mit der Neugliederung des Einzelhandels auf eine Neubewertung seiner Rolle und suchte den Textileinzelhandel unter seiner Führung zu vereinen.570 Am 19. November 1918 war es mit der „Hauptgemeinschaft des Einzelhandels“ (HDE) erstmals gelungen, dem deutschen Einzelhandel einen Dachverband zu geben. Der Einladung von Heinrich Grünfeld an 42 Einzelhandelsverbände folgten 38, von denen schließlich 35 für einen Branchenverband stimmten. Damit war der Einzelhandel eine der letzten Branchen, die sich nun organisatorisch zusammengeschlossen hatten. Zwar war die Gründung „in Zeiten höchster Not“ und eher spontan passiert, doch zahlreiche Fachverbände und kaufmännische Organisationen traten in die HDE ein. Nach dem Vorbild im Textileinzelhandel war auch die HDE als „Verband der Verbände“ organisiert.571 Zum ersten Vorsitzenden der HDE wurde der Vorsitzende des Verbandes der Berliner Spezialgeschäfte, der Textilhändler Heinrich Grünfeld, gewählt. Insgesamt hatte der Textileinzelhandel überragendes Gewicht in der HDE – in deren ersten Vorstand zogen Oscar Tietz (VdWK, Berlin) und Gustav Nahrhaft (RHK, Düsseldorf) ein.572 Die Angaben zu Mitgliedszahlen und Mitgliederstruktur der HDE sind uneinheitlich (Tabelle 24). In der HDE waren im Oktober 1928 80 Verbände aller Branchen und 30 Industrie- und Handelskammern organisiert. Dies waren mehrheitlich Reichsfachverbände und Landes- bzw. Bezirksverbände. Die HDE sprach damit für etwa 400.000 bis 600.000 Einzelhandelsbetriebe im Deutschen Reich, von denen die übergroße Mehrheit kleinbetrieblicher Art war. Bis zu 278.000 Betriebe kamen aus dem Textileinzelhandel.573 Tab. 24 Mitglieder der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, 1924 bis 1928574 Jahr August 1924

Betriebe

Kfm. Betriebe

Kleinbetriebe

Industrie- und Handelskammern

400.000

Oktober 1926 Mai 1927 Oktober 1928

Verbände

72 623.000 80.000

320.000

30

80

Vgl. Wein (1968), S. 203. Konf, Öffentliche Vertretung des Einzelhandels, 20.2.1921; Konf, Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, 30.1.1921. 572 Heinrich Grünfeld wurde auf Lebenszeit gewählt. Als geschäftsführendes Vorstandsmitglied fungierte ab 1926 Dr. Joachim Tiburtius. Der Syndikus der HDE war Richard Wienecke, später Franz Esser, siehe DK, Bedeutung und Sorgen des Einzelhandels, 16.1.1925; Konf, Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, 30.1.1921; Konf, Führende Männer der HDE, 14.2.1925; Konf, Für die Einheit des deutschen Einzelhandels, 31.7.1926. 573 DK, Bilder von der Tagung des Einzelhandels in Düsseldorf, 13.8.1926; Artikel „Die Organisation des Einzelhandels“, 7.10.1927, BA R8034-II/3569, p. 60. 574 Aufstellung nach DK, Sorgen und Wünsche des Einzelhandels, 14.8.1924; Konf, Einzelhandelsprobleme der Gegenwart, 28.5.1927; Konf, Zehn Jahre Hauptgemeinschaft, 13.10.1928; DK, Bilder von der Tagung des Einzelhandels in Düsseldorf, 13.8.1926; Artikel „Die Organisation des Einzelhandels“, 7.10.1927, BA R8034-II/3569, p. 60. 570 571

181

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Motiviert durch die neue Einheit im Einzelhandel, versuchte der „Verband Deutscher Textilgeschäfte“ Ende September 1920 die strukturelle Schwäche des RDT zu überwinden und den Textileinzelhandel unter seiner Führung zu vereinen.575 Eine Reform des bestehenden Verbandes schlossen die Initiatoren aus. Die Neugründung eines Reichsbundes sollte mit den Fehlern der Vergangenheit aufräumen. Dem „neuen“ Reichsbund sollten nun Einzelfirmen beitreten können, damit jedes Mitglied auch eine Stimme bekommen konnte. Anders als im „alten“ Reichsbund sollte der geschäftsführende Ausschuss 25 Personen ohne Rücksicht auf Verband oder Ort wählen. Alle Verbände blieben in fachlichen Fragen ungebunden und müssten sich nur den allgemeinen „wirtschaftspolitischen“ Richtlinien verpflichten. Der „alte“ Reichsbund kämpfte dagegen für eine strukturelle Reform des Bestehenden. Ein Aufweichen des Prinzips „Verband der Verbände“ würde dem Ziel entgegenlaufen, dass jeder Händler obligatorisch einem Orts- und einem Fachverband angehörte.576 Die wichtigsten Mitgliedsverbände und auch die „Deutsche Konfektion“ sprachen sich Ende 1920 gegen eine Neugründung aus und begannen mit der Vorbereitung eines eigenen Zusammenschlusses zu einer Zentralorganisation.577 Auf seiner Delegiertenversammlung Mitte Dezember 1920 beriet der RDT Reformen seiner Satzung. Hier gelang es dem Verband deutscher Textilgeschäfte eine Abstimmung über das Ausscheiden der Ortsvereine zu erzwingen.578 Die Delegierten stimmten für den VDT-Vorschlag, wonach nur reichsweit aktive Verbände Mitglieder sein durften. Statt einer inneren Reform gelang es dem VDT, den „alten“ Reichsbund in seine Strukturen zu integrieren und einen „neuen“ Reichsbund, den „Reichsbund der Textildetaillisten“ auszurufen.579 Dieses Verhalten wurde von den Ortsverbänden als ungewollte, aufgezwungene „Einigung von oben“ empfunden. Die Magdeburger Kaufleute sahen in der Entscheidung „Sprengpulver“ und die „Unmöglichkeit, den Reichsbund auf Verbän-

Der „Verband Deutscher Textilgeschäfte e. V.“., Berlin wurde am 21.2.1911 in Hamburg als „Verband Deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche“ unter Vorsitz von Emil Feldberg, Hamburg und Hermann Wahl, Bremen gegründet. Der ursprünglich als Kartellverband gegen die Konditionen der Textilindustrie gegründete Verband kämpfte im Ersten Weltkrieg gegen die Bewirtschaftung der Textilien und verlagerte 1917 seinen Sitz nach Berlin und änderte im April 1917 seinen Namen in „Verband Deutscher Textilgeschäfte“, siehe TexW, Reichsbund des Textileinzelhandel nimmt Arbeit wieder auf, 27.8.1953. 576 Nach Worten des Vorstandsmitglieds des RDT widersprach die Einzelmitgliedschaft „dem Wesen eines Spitzenverbandes“, siehe DK, Ein neuer Reichsbund?, 20.11.1920; DK, Was soll aus dem Reichsbund deutscher Textildetaillisten-Verbände werden?, 25.9.1920. 577 Darunter die Reichsfachverbände für Männer- und Knabenkleidung, Damen- und Mädchenkleidung und Putzgeschäfte sowie Vertreter der Ortsverbände, siehe DK, Warum der neue „Reichsbund“ nicht lebensfähig ist, 8.1.1921. 578 Die Ortsvereine bemängelten das Fehlen dieses Punktes auf der Tagesordnung. Zudem hatten viele aufgrund der Nähe zu Weihnachten nicht erscheinen können. Der VDT gewann die Abstimmung mit 48 gegen 32 Stimmen, siehe DK, Die Gründung des neuen „Reichsbundes“ am 14. Dezember 1920, 25.12.1920. 579 DK, Ein verstümmelter Reichsbund, 18.12.1920; Der VDT beschloss seine Namensänderung zum 20.11.1920 in Reichsbund des Textileinzelhandels e. V., siehe TexW, Reichsbund des Textileinzelhandel nimmt Arbeit wieder auf, 27.8.1953. 575

Zwischen Einheit und Konfrontation

den und Einzelmitgliedern aufzubauen“. Die Handelskammer Bochum wertete das Verhalten als „Verbrechen an der Einigkeit des Textileinzelhandels“ und die „Deutsche Konfektion“ rief alle Ortsgruppen auf, nicht dem neuen Reichsbund beizutreten.580 Am 15. Januar 1921 rief Hermann Perl, Vorsitzender der Bekleidungsgeschäfte Berlin-West, zur Gründung eines „gesunden, freien, starken und lebensfähigen“ Zentralbundes deutscher Orts- und Reichsfachverbände des Textileinzelhandels auf.581 Der Aufruf richtete sich an „alle Mitglieder der Textil-Detaillisten-Verbände“ in Reaktion auf das „Beiseiteschieben der so wichtigen Ortsverbände“. Perl wandte sich auch dezidiert von der Integration verschiedener Betriebsformen unter einem Dach ab. Der Zentralbund stellte sich gegen das „Zusammenwürfeln so grundverschiedener Elemente wie Detaillisten, Warenhäuser, Rabattsparvereine und Einkaufsverbände [ ] unter Berliner Diktat“. Die wahren fachlichen Entscheidungen und der tägliche Kampf vollziehen sich auf lokaler Ebene. Aus Sicht der Initiatoren war nur eine „von unten“ durch Ortsverbände organisierte Spitzenorganisation „die Zukunftsorganisation des Textileinzelhandels“.582 Die Fachverbände, allen voran der Reichsverband für Herrenund Knabenkleidung (RHK) schlossen sich der Forderung nach einer Neugründung an, da sie die bestehenden Strukturen und Reformen des RDT (Zwangsmitgliedschaft und Nebeneinander von Einzel- und Korporativmitgliedern) ablehnten.583 Am 24. Januar 1921 gründeten der RHK, der RDM, der Reichsverband der Putzdetaillistenvereinigungen Deutschlands und verschiedene örtliche Textildetaillistenvereine den „Zentralbund der Fach- und Ortsverbände des Textil-Einzelhandels“ (ZTE).584 Zwei Tage später vereinigten sich formalrechtlich der ZTE, der „Verband Deutscher Textilgeschäfte“ und der „Reichsbund Deutscher Textildetaillisten“ zum „neuen“ „Reichsbund des Textil-Einzelhandels“ (RTE). VDT und ZTE lösten sich auf. Der RTE reagierte allerdings auf die harsche Kritik aus den Ortsverbänden mit erheblichen Satzungsänderungen. Das Einzelstimmrecht wurde abgeschafft und Fachverbände konnten sich ohne Zustimmung des RTE gründen. Orts- und Bezirksvereine blieben stimmberechtigt (eine Stimme pro 50 Mitglieder) und konnten Mitglied des RTE werden, sofern sie sich bis Ende des Jahres 1921 gründeten. Die mitgliederstärksten

580 Eine Einzelmitgliedschaft war aus Sicht der „Deutschen Konfektion“ „bei 40.000 Firmen unsinnig, wenn jeder eine Stimme haben soll“, denn „dort wo Versammlung stattfindet, seien Mitglieder stark vertreten“. Dies bedeutete eine Entrechtung sämtlicher Provinzen, siehe DK, Die Gründung des neuen „Reichsbundes“ am 14. Dezember 1920, 25.12.1920; DK, Zusammenschluß der Textil-Ortsverbände Deutschlands, 1.1.1921. 581 DK, Warum der neue „Reichsbund“ nicht lebensfähig ist, 8.1.1921. 582 Ortsvereine, so die Argumentation, „wehren Konventionsübergriffe ab, schützen vor Fabrikantenkonkurrenz, vermitteleln Notstandsversorgung, bekämpfen Kommunalbetriebe, führen Tarifverhandlungen, regeln Ausverkäufe und Reklameveranstaltungen, Geschäftszeit und Ladenschluss“, siehe DK, Aufruf „Zentralbund der Fach- und Ortsverbände“, 15.1.1921. 583 Konf, Die Zersplitterung im Textil-Einzelhandel, 23.2.1921. 584 Konf, Zentralbund der Fach- und Ortsverbände des Textil-Einzelhandels, 23.1.1921.

183

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Ortsvereine waren zudem berechtigt, Vertreter in den RTE-Gesamtvorstand zu entsenden. Damit war die befürchtete „Majorisierung der Provinz“ durch Berlin beseitigt. Letztlich beschloss die Mitgliederversammlung des RTE am 26. Januar 1921 eine „starke Einheitsvertretung“. Zum Ersten Vorsitzenden des RTE benannte die Versammlung Rudolph Hertzog, Jacob Astor und Oskar Tietz waren dessen Stellvertreter (Tabelle 25).585 Endlich hatte der Textileinzelhandel eine neue Dachorganisation, deren Gründung in der Fachpresse euphorisch als „historisch“ und „großer Tag“ begrüßt wurde.586 Tab. 25 Leitungsorgane des „alten“ und „neuen“ Reichsbundes587 Alter Reichsbund (RDT) 1917–1921

Neuer Reichsbund (RTE) ab 1921

Vorsitz

Jacob Astor

Rudolph Hertzog

Stellvertreter

Oscar Tietz Petzall

Jacob Astor Oscar Tietz

Geschäftsführer

Maximilian Wolter Dr. J. Kohlenberger (bis 1. Oktober 1918)

Mitglieder

50 Verbände, 24.000 Mitglieder (1917) 53 Verbände (1918) 61 Verbände (April 1918) 27.000 Mitglieder (September 1918) 94 Verbände, 30.000 Mitglieder (Juni 1919)

23.000 Mitglieder (Juni 1922)588

Ausschüsse589

14

14

Den vorläufigen Gesamtvorstand und Ausschuss besetzten Carl Sältzer, Hannover; Oscar Heimann, Berlin; Emil Grünebaum, Elberfeld; Jacob Astor, Berncastel; Oscar Tietz, Berlin; Hermann Behn, Lübeck; Heinrich Grünfeld, Berlin; Theodor Althoff, Münster, u. a.; Ausschussvorsitzender wohl Rudolph Hertzog, siehe DK, Der Sieg unserer Ideen, 29.1.1921; Vorgang „Gründung des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels e. V.“, Januar 1919, BA R3101/6918, p. 6–9. 586 Konf, Die Einigung des deutschen Textil-Einzelhandels, 30.1.1921. 587 Aufstellung nach DK, Der Reichsbund vor der Jahreswende, 23.12.1917; Konf, Ausschussitzung des Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillistenverbände eV, 10.2.1918; DK, Ausschusssitzung des Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände, 21.4.1918; Konf, Die große Versammlungswoche in Berlin, 29.9.1918; DK, An den gesamten Textileinzelhandel!, 22.6.1919; Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium, 6.6.1922, BA R3101/6916, p. 58; DK, Der Sieg unserer Ideen, 29.1.1921. 588 Zu den wichtigsten angeschlossenen Verbänden zählten: „Reichsverband deutscher Herrenausstattungs-Spezialgeschäfte“, „Reichsverband der Damen- und Mädchenbekleidungsgeschäfte“, „Reichsverband der Herren- und Knabenbekleidungsgeschäfte“, „Reichsverband der Putz- und Modewarenhändler“ und der „Verband der Waren- und Kaufhäuser“, „Reichsverband Deutscher Hutgeschäfte“, siehe Konf, Die Interessenvertretung des Einzelhandels, 30.3.1922. 589 Wirtschaftliche Gesetzgebung (Astor); Steuer- und Zollfragen (Astor); Kartellamt, Syndikate, Konventionen (Tietz); Reichskommissariat für die Übergangswirtschaft (Astor); Reichsbekleidungsstelle (Sälzer); Kriegswucheramt (Althoff); Kriegsamt (Ilgen); Angestellten-, und soziale Fragen (Grünfeld); Finanz- und Werbekommission (Nahrhaft); Tagesfragen (Sälzer); Reichs- und Kammergericht/Schiedsgericht (Syndicus); Presse (Tietz); Eigenkontrolle (Sleumer); Ausgleich innerhalb der Verbände und Mitglieder (Astor), siehe Konf, Beginn der praktischen Wirksamkeit, 30.9.1917. 585

Zwischen Einheit und Konfrontation

4.3.2

Konditionenstreit

Die Auseinandersetzung mit den Lieferanten der Textil- und Bekleidungsindustrie und in Teilen mit dem Großhandel um die Ausgestaltung der Zahlungs- und Lieferungsbedingungen war der Kristallisationspunkt, in dem sich die Interessen der mittelständischen Schutzverbände, der Fachverbände der Spezialgeschäfte und der großbetrieblichen Interessengemeinschaften trafen. Während sich Schutzverbände und Fachverbände größtenteils in Reaktion auf Lieferantenkartelle gegründet hatten, entstanden die Verbände der Großbetriebe anfangs in Reaktion auf die diskriminierende Steuergesetzgebung und die antikapitalistischen Angriffe seitens des mittelständischen Handels. Die Frage nach der Ausgestaltung der Liefer- und Zahlungsbedingungen – den Konditionen – war eine der virulentesten innerhalb des Einzelhandels. Denn mit ihr stand und fiel die Versorgungssicherheit, die Preisgestaltung und schließlich die Erträge des Textileinzelhandels. Folglich bildeten sich in dieser Frage mal unerwartete Koalitionen und Allianzen, mal tiefe Risse und Brüche zwischen den Verbänden und Betriebsformen des Textileinzelhandels. Im Folgenden soll der Konditionenstreit zwischen Lieferanten und Abnehmern bis zur Währungsreform von 1923 nachvollzogen werden – das Ringen um einheitliche und verbindliche Liefer- und Zahlungsbedingungen. Eine Art Einheitsfront gegen die Lieferanten bildete sich erstmals im Jahr 1907, nachdem die Seidenwarenfabrikanten ihre Konditionen zulasten des Handels verschärften. Warenhäuser, Versandhändler und Filialbetriebe hatten überaus starkes Interesse am Abbau der Kartelle ihrer Lieferanten, da sie durch diese Ihre Einkaufsposition gefährdet sahen. Zunächst ging es den Großbetrieben des Einzelhandels darum, unter dem Stichwort „freier Handel“ die Konventionen des Großhandels zu bekämpfen, die den Direkteinkauf des Händlers beim Fabrikanten untersagte. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges hatten Groß- wie Kleinbetriebe des Einzelhandels unter den permanenten Verschärfungen der Konditionen in Folge des Warenmangels, der Rationierung und der Transportschwierigkeiten gelitten. Die Industriebetriebe brachen mit den Vorkriegsvereinbarungen. Lieferungsverträge wurden dahingehend gebrochen oder umgestaltet, dass Lieferungen ausfielen oder unvollständig blieben. Infolge des Warenmangels und Preisanstiegs gewährten die Lieferanten keine langfristigen Zahlungsziele mehr und bestanden auf sofortiger Barzahlung oder Zahlung im Voraus. Diese Entwicklungen trafen alle Elemente des Textileinzelhandels gleichermaßen. Mit Kriegsende wuchs damit das gemeinsame Bestreben, für einheitliche Konditionen für den gesamten Textileinzelhandel unabhängig von Betriebsform und -größe zu streiten.590 Einen der ersten Versuche unternahm der „Reichsbund der Deutschen Textildetaillisten-Verbände“ (RDT) als neu gegründeter Spitzenverband des Textileinzel-

590

Vgl. Wein, S. 113 f.; DK, Die verfehlten Mittel der Konventionspolitik, 22.9.1920.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

handels. Nach Abstimmung unter den korporierten Verbänden leitete der RDT allen Lieferantenverbänden den Entwurf „Einheitsbedingungen für den Textilhandel“ zu. Die über hundert Lieferungsbedingungen sollten damit vereinheitlicht werden. Der Normalfall der Zahlung sollte bei 90 Tagen nach Schluss des Liefermonats liegen. Zahlte ein Händler schneller, gewährte ihm der Lieferant einen entsprechenden Nachlass (Skonto). Überschritt ein Händler die dreimonatige Zahlungsfrist, war der Rechnungsbetrag mit 6 Prozent jährlich zu verzinsen. Rechnungen nach dem 24. des Monats sollten für den folgenden Monat und Schecks und Giroüberweisungen sollten wie Bargeld gelten. Der Lieferant sollte die normalen Transport- und Verpackungskosten tragen. Die Einheitsbedingungen sahen eine gesetzliche Lieferungspflicht vor, die nur im Kriegs-, Katastrophen- oder Streikfall entfiel. Der Einzelhandel war nach sechs Wochen von der Abnahmepflicht entbunden. Zudem verpflichteten sich Fabrikanten und Großhändler, Ware nicht an den Endverbraucher direkt abzugeben.591 Dieser Vorschlag spiegelte die negativen Kriegserfahrungen des Einzelhandels wider. Die Vertragsbrüche und Zahlungsbedingungen der Kriegszeit sollten sich nicht verfestigen. Angesichts der unklaren wirtschaftlichen Entwicklung und der Ungewissheit über die Rücknahme staatlicher Zwangsmaßnahmen ignorierten die Lieferantenkartelle den aus ihrer Sicht einseitig ausgearbeiteten Vorschlag. Der Druck der Konventionen lastete damit auch im ersten Friedensjahr auf dem Textileinzelhandel. In einem Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium beklagte der „Verband der Spezial-Damenhutgeschäfte Groß-Berlins“ die Konventionen als „Zwangsmaßregeln und Privatgesetze“, die den Einzelhandel „auf das Unerträglichste“ belasteten. Die positive Grundidee der Konvention – Schutz vor schädigenden Preisunterbietungen – war, so der Verband weiter, zu Zwangsregeln verkommen, die festlegten, „wie, wann und zu welchem Preis bestellt werden darf “. Aus Sicht des Textileinzelhandels müssten die Konventionen nun verboten werden.592 Neben dem Ruf nach Staatshilfe standen auch intensive Bemühungen um Selbsthilfe in Form von Einkaufsverbänden. Über die Spitzen- und Fachverbände schlossen sich mehrere Unternehmen einer Branche oder Betriebsform zu Einkaufsverbänden zusammen, um nach Vorbild der Großbetriebe gegenüber den Lieferanten durch das erhöhte Einkaufsvolumen vorteilhaftere Konditionen zu bekommen. Die meisten Einkaufsverbände entstanden ab 1900 auf genossenschaftlicher Grundlage ohne Gewinnstreben. Bald bildeten die Einkaufsverbände kapitalkräftige Strukturen, die mit denen des Großhandels konkurrierten. Man unterhielt Großlager, orderte hohe Vo-

Die Zahlungsbedingungen sahen zwei Prozent Skonto bis 30 Tage nach Schluss des Liefermonats und ein Prozent bis 60 Tage nach Schluss des Liefermonats vor. Es sollten fünf Fristtage zur Überweisung und Schecks und Giroüberweisung als Bargeld und Eigenwechsel bis drei Monate Laufzeit gelten. Frachtgut sollte frachtfrei, Post und Eilgut halbfrei, Expresssendungen unfrei zum Empfänger gehen, siehe DK, Eine wichtige Tat des Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten Verbände, 30.6.1918. 592 Vgl. Schreiben an das Reichswirtschaftsamt, 28.2.1919, BA R3101/6917, p. 13–17. 591

Zwischen Einheit und Konfrontation

lumina, hatte Auslandsverbindungen und Importnetzwerke. Der „Zentralverein deutscher Einkaufsverbände der Textilbranche“ vereinigte 15 Einkaufsverbände mit 3.000 Mitgliedern und zwölf lose assoziierte Einkaufsverbände, deren Gesamtbedarf im Jahr 1919 bei rund 400 Millionen Mark lag.593 Zwischen Mai und Oktober 1919 eskalierte der Streit um die Belieferung dieser Einkaufsverbände durch den Großhandel und Fabrikanten. Verschiedene Großhandelsverbände versuchten, die Textilfabrikanten zu zwingen, ihre Waren entweder ausschließlich dem Großhandel zu verkaufen oder an andere nur mit Aufschlag zu verkaufen. Daneben gingen etliche Kartelle dazu über, mit Hilfe eines „Treuerabatts“ den Einzelhandel exklusiv auf bestimmte Konventionsmitglieder festzulegen. Dagegen wehrte sich der Textileinzelhandel mit einer koordinierten Aktion. Der RDT, der VdWK und der „Zentralverein deutscher Einkaufsverbände der Textilbranche“ intervenierten zeitgleich beim Reichswirtschaftsministerium. Die drei Verbände forderten, derartige Bestimmungen für rechtsunwirksam zu erklären. Ein Exklusivbezug oder preisliche Schlechterbehandlung des Einzelhandels verteuerten die Textilwaren unnötig. Im Kern forderte der Textileinzelhandel eine Ausschaltung des Großhandels. Die Großkonzerne und Einkaufsvereinigungen des Einzelhandels würden den Großhandel adäquat ersetzen.594 Gegen diese Argumentation liefen Fabrikanten- und Großhandelsverbände Sturm. Der „Zentralverband des Deutschen Großhandels“ hob die exklusiven Funktionen – Verteilung, Aufteilung, Sortierung, Kreditversorgung – des Großhandels hervor. Die Arbeitsteilung zwischen Groß- und Einzelhandel habe sich bewährt. Der Großhandel kenne den Weltmarkt und dessen Beschaffungsgrundsätze, man trage dessen Risiken und verschaffe dem Einzelhandel damit kaufmännische Freiheiten. Diese Funktionen, so der Großhandelsverband, könnten Einkaufsvereinigungen nicht übernehmen. Die kritisierten Absprachen beträfen nur einen „außerordentlich kleinen Teil“. Zudem setze man auf die bewährte Vertragsfreiheit. An dieses Plädoyer für die Vertragsfreiheit knüpfte auch der „Verband Deutscher Samtund Plüsch-Fabrikanten“ an. Der Großhandel sei unverzichtbar. Fabrikanten müssten weiter frei in Verträgen mit dem Großhandel sein, daher seien „gesetzliche Eingriffe grundsätzlich abzulehnen“. Der „Verband der Seidenbandindustrie Deutschlands“ argumentierte mit den langfristigen Großhandelsverträgen, die „für eine vernünftige, zweckmäßige und fortlaufende Beschäftigung der Fabrik notwendig“ war. Aus Sicht der Fabrikanten waren Einkaufsvereinigungen nicht fähig, „auf längere Zeit im Voraus Aufträge zu erteilen“. Nachdem sich auch der „Reichsverband der Deutschen Indus-

Allein der Umsatz des Einkaufsverband „Norden“ GmbH, Hamburg, betrug im Jahr 1919 (bis Oktober) 19,6 Millionen bei 270 Mitgliedern, siehe Schreiben an den Herrn Minister des Reichswirtschaftsministeriums, 15.10.1919, BA R3101/6917, p. 74–81. 594 Vgl. Schreiben an den Minister des Reichswirtschaftsministeriums, 3.5.1919, BA R3101/6917, p. 2–3; Schreiben des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V., 2.5.1919, BA R3101/6917, p. 6–8; Schreiben an den Minister des Reichswirtschaftsministeriums, 3.5.1919, BA R3101/6917, p. 9. 593

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

trie“ dieser Sichtweise anschloss, sah auch das Reichswirtschaftsministerium keine Notwendigkeit für einen Eingriff in die Vertragsfreiheit.595 Daraufhin differenzierte der RDT seine Forderungen. Ziel sei nicht die Ausschaltung des Großhandels, wohl aber müsste der Großhandel zulassen, dass Einkaufsvereinigungen direkt von Fabrikanten Waren beziehen.596 Mit am deutlichsten vertrat dieses Anliegen Theodor Althoff, der Chefeinkäufer der Warenhausgruppe Karstadt-Althoff. Für Althoff verantworte der Großhandel mit seinen Klauseln die „erhebliche Verteuerung des Konsums“. Konkret kritisierte er die Zurückweisung seiner Bestellungen beim „Verband der Seidenband-Industriellen Deutschlands“ unter Hinweis der exklusiven Belieferung des Großhandels.597 Aus Althoffs angefügter „Aufstellung der Lieferungsbedingungen der Mitglieder des Bergisch Sächsischen Fabrikantenverbandes in Barmen umgerechnet auf den Grundpreis von 1 Mark“ geht die Bevorzugung des Großhandels zu Lasten des großen wie kleinen Einzelhändlers und seiner Einkaufsverbände deutlich hervor (Tabelle 26). Großhändler erhielten dank dieser Konvention deutliche Preisnachlässe in Bezug auf bestimmte Umsatzmengen, Verbandsorganisation und Langfristigkeit. Damit lag der Einkaufspreis der Großhändler deutlich unter dem der Einzelhändler und ihrer Einkaufsverbände. Im Sinne dieser Ungleichbehandlung intervenierte der „Zentralverein deutscher Einkaufsverbände der Textilbranche“ erneut beim Reichswirtschaftsministerium. Die genossenschaftlich organisierten Einkaufsverbände seien nun zusammen mit den Warenhäusern die Garanten für eine Entmonopolisierung des Textilbezugsmarktes. Die Kartellabsprachen zwischen Großhandel und den Fabrikanten führten zu „ungeheuren Verteuerungen“ und „wucherischen Profiten“.598 Doch die Fabrikantenverbände und der Großhandel blieben bei ihrer Linie. Einflussreiche Industrie- und Handelskammern unterstützten den Status quo. Der IHK Schweidnitz war „kein Vergehen des Großhandels und der Fabriken gegen Einkaufsvereinigungen bekannt“. Die Handelskammer zu Berlin erkannte in den Konventionen des Großhandels „keinen Handlungsbedarf “, da sich das „beschriebene Problem gar nicht stellt“.599 Bis Mai 1920 hörte der Reichswirtschaftsminister Stellungsnahmen Vgl. Schreiben an den Herrn Reichswirtschaftsminister Schmidt, 17.9.1919, BA R3101/6917, p. 32–38; Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium, 4.10.1919, BA R3101/6917, p. 61; Schreiben an den Minister des Reichswirtschaftsministeriums, 17.9.1919, BA R3101/6917, p. 28–31; Schreiben betr. Belieferung von Einkaufsverbänden durch die Fabrik, 24.9.1919, BA R3101/6917, p. 41–43. 596 Vgl. Schreiben an das Reichswirtschafts-Ministerium, 23.9.1919, BA R3101/6917, p. 44–45. 597 Vgl. Schreiben an das Reichswirtschafts-Ministerium, 7.10.1919, BA R3101/6917, p. 64–72. 598 Der Fabrikantenverband verpflichtete den Großhandel zu 22 Prozent Teuerungsaufschlag (30.7.1919), später zu 36 Prozent (1.10.1919), 78 Prozent (18.10.1919) und schließlich 100 Prozent Teuerungsaufschlag (1.11.1919), siehe Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium Abt. für Textilwesen, 5.11.1919, BA R3101/6917, p. 85–86. 599 Vgl. Schreiben betr. Großhandel und Kleinhandel im Textilgewerbe, 12.9.1919, BA R3101/6917, p. 46; Schreiben betr. Beschwerde der Einkaufsverbände im Textilgewerbe betreffend bevorzugte Belieferung der Großhändler, 7.10.1919, BA R3101/6917, p. 53–60. 595

Zwischen Einheit und Konfrontation

Tab. 26 Lieferungsbedingungen der Textil- und Bekleidungsindustrie, Oktober 1919600 Kostenart

Detaillist

WH

EV

GH

V-GH

Grundpreis (Pfg.)

1

0,95

0,95

0,90

0,90

Schutzskonto (%)

20

20,00

20,00

20,00

20,00

Warenskonto (%)

2

2,00

2,00

2,00

2,00

Kassaskonto (%)

2

2,00

2,00

2,00

2,00

Umsatzvergütung (%)

1

1,00

1,00

1,00

6,00

Verbandsrabatt (%)









2,00

Abschlussrabatt (%)







5,00

5,00

Mindestmengenrabatt (%)





5,00

5,00

5,00

Einkaufspreis (Pfg.)

76

72,00

68,00

62,00

57,00

Herstellungspreis des Fabrikanten (Pfg)*

42

42,00

42,00

42,00

42,00

Gewinnaufschlag (%)*

80

71,00

62,00

48,00

35,00

Anmerkungen: Zahlen entstammen den Konditionen der Mitglieder des Bergisch Sächsischen Fabrikantenverbandes, Barmen; Grund-, Einkaufs- und Herstellungspreis in Pfennig, alles Sonstige in Prozent; * Schätzungen; WH = Warenhaus; EV = Einkaufsverbände; GH = Grossisten/Großhandel; V-GH = Verbandsgrossisten/-großhandel.

verschiedenster Seiten und entschied sich dann gegen den Antrag des RDT und damit gegen einen staatlichen Eingriff. Aus Sicht des Ministeriums gewährleisteten die bestehenden „Selbstverwaltungskörperschaften [eine] gerechte Preisbildung“.601 Damit waren die Warenhäuser und die Einkaufsvereinigungen des Textileinzelhandels ihrem Ziel einheitlicher Konditionen für alle Marktteilnehmer nicht nähergekommen. Anfang Juni 1919 kritisierte der Einzelhandel ein Urteil des Reichsgerichts zu den umstrittenen Lieferantenkonventionen. Das Gericht bestätigte das Recht der Lieferanten, Abnehmerverbänden selektive Vorteile zu garantieren und gegen andere auch Abnahmesperren zu errichten. Aus Sicht des Textileinzelhandels verfestigte sich damit der „Verbandsterrorismus“ in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Bestärkt durch das Urteil, passte der „Verband der Fabrikanten von Blusen-Kostümen und verwandten Artikeln“ seine Konditionen gegenüber dem Einzelhandel an. Die neue Konvention verbot den Fabrikanten unter Strafe die Umgehung. Die neuen Lieferungsbedingungen halbierten die Preisnachlässe bei frühzeitiger Barzahlung, verkürzten die Zahlungsfristen und stellten erstmals die Verpackungskosten dem Abnehmer in Rechnung. Der RDT reagierte mit seinem letzten verbleibenden Mittel. Er rief erstmals zum Lieferantenboykott auf. Gegen die „Konditionswillkür“ sollte eine sechswöchige Auf-

600 601

Aufstellung aus Schreiben an das Reichswirtschafts-Ministerium, 7.10.1919, BA R3101/6917, p. 64–72. Vgl. Schreiben des Reichswirtschaftsministers, 27.5.1920, BA R3101/6917, p. 126.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

tragssperre gelten. Doch hinter dieser Entscheidung standen nicht alle angeschlossenen Einkaufsvereinigungen und Fachverbände, sodass der Boykott verpuffte und der RDT mit dem Ausschluss nicht folgsamer Verbandsmitglieder drohen musste.602 Am Ende des Jahres 1919 resümierte der RDT die Notwendigkeit, „jene willkürlichen Bedingungen, die uns die Kriegszeit beschert hat, [nicht] zu dauernden Errungenschaften zu machen“. In Friedenszeiten gehörten die Kriegskonventionen abgeschafft, nicht ausgebaut. Daher strebe der Verband weiter nach einer „Vereinheitlichung des Konditionswesens“. Diese Forderung nach „Vereinheitlichung“ bedeutete für den Textilhandel unterschiedliches. Manche Händler wünschten eine „Rückkehr“ zu den Konditionen der Vorkriegszeit. In einer Umfrage der „Deutschen Konfektion“ befürworteten einige ein Netto-Rechnungsziel von 120 Tagen mit gestaffelten Nachlässen bei frühzeitiger Zahlung. Die Mehrheit befürwortete ein Rechnungsziel zwischen 30 und 90 Tagen mit entsprechenden Skonti. Viele Händler fürchteten wegen der Kriegskonditionen ein Abnehmen ihres Betriebskapitals, da der Einzelhandel mit der Preisbeschränkungsverordnung gezwungen war, zu Preisen zu verkaufen, für die er keine qualitativ gleichwertigen Waren beziehen konnte. Vereinzelte Stimmen wie das Leipziger Modekaufhaus August Polich oder das Münchner Damenmodehaus Mayer Sundheimer wandten sich gegen eine Rückkehr zu den „Vorkriegskonditionen“. Diese seien, so Polich, ungerecht gegenüber den Lieferanten, die ihrerseits Waren im Voraus oder sofort begleichen. Sundheimer mahnte zur besseren Kalkulation im Einzelhandel. Im Vergleich zum Lieferanten kalkuliere der Einzelhandel zu niedrig. Das Einpreisen der richtigen Risikoprämie baue stille Reserven auf und mache den Händler unabhängig von Krediten. Polich und Sundheimer blieben aber Außenseitermeinungen. Die Vorauszahlungen der Fabrikanten seien kein Grund, den Einzelhandel als Kreditgeber und „Prügelknabe für alle Sünden der Produzenten“ zu missbrauchen.603 Die zunehmende Warenknappheit und Preissteigerung des Jahres 1920 verschlechterte die Verhandlungsposition des Einzelhandels. Viele Händler waren durch langfristige Verträge an ihre Lieferanten gebunden. Die Konventionen, etwa die des „Zentralverbandes der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten“, verboten ihren Mitgliedern unter Strafe Preisnachlässe oder Auftragsminderungen. Aus Sicht des Einzelhandels lagen Lieferung, Lieferungszeit und Preisfestsetzung allein im Ermessen der Fabrikanten und aus den Konventionen ließe sich keine Sanktionsmöglichkeit für Einzelhändler ableiten. Obwohl sich die Rohstoffpreise erholten, verlangten viele Fabrikanten Am 23. Oktober 1919 fasste die Vollversammlung des RDT den Beschluss, wonach alle Verbandsmitglieder die Entscheidungen des RDT gegenüber Lieferantenverbänden durchsetzen, ansonsten drohe der Ausschluss mit Zweidrittelmehrheit, siehe Auszüge aus der Vollversammlung des Reichsbundes Deutscher Textil-Detaillisten-Verbände e. V., 17.10.1919, BA R3101/6917, p. 24; DK, Verbandsterrorismus und Reichsgericht, 2.6.1919; DK, An den gesamten Textileinzelhandel!, 22.6.1919. 603 Konf, Die Zahlungsbedingungen im Textilgewerbe, 6.11.1919; DK, Welches Mindestziel erfordert die drohende Aufzehrung des Betriebs-Kapitals?, 14.1.1920; DK, Welches Mindestziel erfordert die drohende Aufzehrung des Betriebs-Kapitals?, 21.1.1920; DK, Der Abnehmer als Bankier des Fabrikanten, 28.1.1920. 602

Zwischen Einheit und Konfrontation

die vereinbarten, höheren Preise. Durch diesen „doppelten Konjunkturgewinn“ der Lieferanten sah sich der Einzelhandel in seiner Existenz bedroht. Im Mai 1920 forderte der „Schutzverband der Detaillisten und Gewerbetreibenden Groß-Berlins e. V.“ das Reichswirtschaftsministerium zum Erlass eines „Notgesetz[es] zum Schutze der kleinen und mittleren Existenzen im Textilhandel“. Dieses sollte den nachträglichen Vertragsbruch und längere Zahlungsziele legitimieren sowie ungerechtfertigte „Konjunkturgewinne zulasten des Handels“ verbieten. Flankiert wurde diese Forderung durch einen Boykottaufruf des RDT im Sommer 1920 gegen die Damenkonfektions- und Herrenwäscheindustrie, der knappe acht Wochen aufrecht gehalten werden konnte.604 Nachdem sich auch die beiden einflussreichen Fachverbände RHK und RDM angesichts der Produktionssteigerung in der Textil- und Bekleidungsindustrie für einen Preisabbau, eine Verlängerung des Zahlungszieles und die Abschaffung des Preisvorbehalts einsetzten605, reagierte die Fachgruppe Textilindustrie des Reichsverbandes der Deutschen Industrie mit „lebhaftestem Befremden“. Die Krise des Einzelhandels sei selbstverschuldet und der Ruf nach Staatshilfe immer dann nutzlos „wenn sich der Kaufmann in seinen Dispositionen geirrt hat oder eine geschäftliche Krisis eintritt“. In den Augen der Fabrikanten waren die „schärferen Konventionen“ nur die Reaktion auf die „gewaltigen Bestellungen“ des Einzelhandels. Dieser habe noch zu Kriegszeiten ohne Rücksicht auf Preise geordert und auf eine „Waren-Hausse“ spekuliert. Die Konventionen schützten, nach Ansicht der Fachgruppe, die Bekleidungsindustrie vor dieser „stürmischen Nachfrage“, die ihrerseits mit Arbeitskräftemangel, Streiks und gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten kämpfen musste. Der Einzelhandel müsse für seine getätigten Bestellungen zahlen – und die Lieferantenverbände müssten autonom über Vertragsanpassungen entscheiden dürfen. Der „Verband deutscher Bundwebereien und verwandter Betriebe“ wies auf die Währungsentwicklung hin, die sämtliche Löhne und Preise im Inland beeinflusse. Die Preisvorbehaltsklausel sei also keine Willkür, sondern erzwungen durch die Verhältnisse. Auch der Verband Sächsisch-Thüringischer Webereien sah die Hauptschuld in den übermäßigen Dispositionen des Einzelhandels, der nun die „jetzige Lage nicht dazu benutz[en] [dürfe], einseitig einem Berufsstand auf Kosten des anderen Vorteile auf gesetzlichem Wege zu verschaffen“.606 Genau diesen gesetzlichen Weg beschritt der verbandliche organisierte Einzelhandel zunehmend. Der neu gebildete RTE sammelte eine Vielzahl von Eingaben über

604 Vgl. Schreiben an den Herrn Reichswirtschaftsminister, 19.5.1920, BA R3101/6906, p. 245–247; Artikel „Das Abwehrkartell im Textil-Einzelhandel“, 20.1.1922, BA R3101/6912, p. 9; DK, Lieferungs- und Nachforderungs-Politik, 21.10.1922. 605 DK, Die verfehlten Mittel der Konventionspolitik, 22.9.1920. 606 Nach den Worten der Fachgruppe hatten viele Lieferverbände bereits „unter Opfern“ Zahlungsfristen verlängert, siehe Schreiben betr. Eingabe des Schutzverbandes der Detaillisten und Gewerbetreibenden Groß-Berlins e. V., 22.7.1920, BA R3101/6908, p. 234–239; Schreiben betr. Eingabe des Schutzverbandes der Detaillisten und Gewerbetreibenden Groß-Berlins e. V., BA R3101/6908, p. 249–252; Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium, 17.7.1920, BA R3101/6908, p. 245–246.

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

„Auswüchse im Konditionswesen“.607 In einer Eingabe an den Reichstag im Oktober 1921 bat der RHK die Reichsregierung, „Maßnahmen zu treffen, durch welche eine preissteigernde Betätigung der Kartelle, Konventionen und ähnliche[r] Zweckverbände unterbunden wird“. Aus Sicht des Verbandes reagiere das Reichswirtschaftsministerium im Sinne der „Industrieinteressen“, welches notwendige Gesetze verhindere. Im Kern war die mangelnde Durchschlagskraft der fehlenden Geschlossenheit der Textilfachverbände geschuldet. Dem neuen Dachverband RTE gelang es nicht, eine schlagkräftige Allianz aller Spitzen- und Fachverbände gegen die Lieferantenkartelle zu formieren, es fehlte „die absolute Unterordnung des Einzelnen unter den Gemeinschaftswillen“.608 Vor dem Hintergrund der dynamischen Preisentwicklung einigte sich der „neue“ Reichsbund RTE zum 30. November 1921 mit den Lieferantenverbänden der Konfektionsindustrie auf den „Grundsatz der festen Preise“. Doch die Mark verlor zunehmend ihre Funktion als Wertaufbewahrungsmittel. Viele Unternehmen, auch in der Textilund Bekleidungsindustrie, begannen seit Herbst 1921 ihre Warenlieferung nicht mehr in Mark, sondern in Devisen in Rechnung zu stellen. Der Einzelhandel war seit dem Gesetz gegen Devisenspekulation vom November 1922 zur Preisauszeichnung in Mark verpflichtet. Später gingen die Händler dazu über, den fixen Mark-Preis mit einem vom Dollarkurs abhängigen Multiplikator zu multiplizieren und so den Verkaufspreis zu errechnen (siehe Kapitel 4.2.2.).609 Mit den Preissteigerungen und dem Währungsverfall verfestigten sich die Fronten zwischen Lieferanten und Abnehmern. Zu Jahresbeginn 1922 verstärkte der reformierte Dachverband RTE die Kartellierung der Einzelhandelsverbände, um endlich ein geschlossenes Gegengewicht zu bilden. Nach Vorschlägen der VdWK bildete sich eine „Gegenorganisation zur Abwehr von Übergriffen der Lieferantenkonventionen“ unter Führung der RTE und maßgeblicher Warenhauskonzerne wie Karstadt-Althoff, A. Wertheim, Schocken und Leonard Tietz.610 Dieses neue Einkaufskartell sah seine Bemühungen, zu verbindlichen Absprachen mit den Fabrikantenverbänden zu kommen, bereits im März 1922 „in Trümmer geschlagen“. Zweieinhalb Monate nach der Vereinbarung über feste Preise beabsichtigten die „Deutsche Tuchkonvention“ und maßgebliche Weberverbände, zu „gleitenden Preisen“ zu wechseln. Verkäufe an Großund Einzelhandel sollten nur noch auf Goldmark-Basis erfolgen. Zudem verschärften

Konf, Nachrichten des RTE – „Auswüchse im Konditionswesen“, 10.2.1921; Konf, Mtiteilungen des RTE – „Lieferungsbedingungen in der Blusenkonfektion“, 31.3.1921. 608 DK, Kartellgesetz oder Selbsthilfe?, 2.11.1921. 609 DK, Deroute in der Konfektionsbranche, 8.3.1922. 610 Das sogenannte „Abwehrkartell“ des Einzelhandels war als selbstständiger Verein geplant und ging auf Initiative des Warenhauskonzerns Schocken zurück, der auch die „Richtlinien“ erarbeiten sollte, siehe Konf, Verband deutscher Waren- und Kaufhäuser, 23.2.1922; Artikel „Das Abwehrkartell im Textil-Einzelhandel“, 20.1.1922, BA R3101/6912, p. 9. 607

Zwischen Einheit und Konfrontation

die Textilindustriellen den sog. „Verbandsvorbehalt“, der nachträgliche Preiserhöhungen legitimierte.611 Die zunehmende Fakturierung der Warenlieferung in Devisen ließ den RTE Ende Februar 1922 beim Reichswirtschaftsministerium intervenieren. In einem Brief des Vorstandsmitgliedes der Rudolf Karstadt AG Hermann Schlöndorff an den Referenten Hirsch kritisierte Schlöndorff Angebote und Lieferungen deutscher Seiden- und Buckskin-Fabrikanten in holländischen Gulden, Schweizer Franken oder US-Dollar. Dieses Modell würde seit wenigen Monaten immer größere Teile der Textilindustrie erfassen und „Schule machen“. So war der „Verband Sächsisch-Thüringischer Weber“ dazu übergegangen, „deutsche Kleiderstoffe nur noch gegen Zahlung von fremden Devisen an ihre deutsche Kundschaft zu offerieren bzw. zu liefern“. Schlöndorff fürchtete eine Überforderung des einzelnen Kaufmanns. Dieser hatte weder die Fähigkeiten noch die finanziellen Mittel, in Devisen zu handeln. Schlöndorff forderte daher ein Verbot derartiger Offerten und die Rückkehr zur Papiermark – letztlich erfolglos.612 Nachdem das RTE-Kartell zunehmend von den Interessen der Warenhäuser dominiert war und die seit Anfang 1922 eingerichtete „Kartelleinigungsstelle“ der HDE, des RDI und des „Zentralverband[es] des Deutschen Großhandels“ sich als weitgehend wirkungslos erwiesen hatte, gingen die Fachverbände des Textileinzelhandels zur aktiven Kartellpolitik über. Zum 21. März 1922 erweiterte der RHK seine Satzung zur „kartellmäßigen Bindung seiner Mitglieder“. Nach dem Vorbild der Bekleidungsindustrie konnte der Verband nun bindende Anordnungen für Mitglieder erlassen, deren Geschäftsbücher prüfen und hohe Konventionalstrafen verhängen.613 Nachdem die „Konventionsgemeinschaft der Webereiverbände“ im Juni 1922 ihren Preisvorbehalt nach oben frei gab614, reagierten alle Abnehmer mit einer Kauf- und Mustersperre. Der Textileinzelhandel befürchtete Nachahmungseffekte der Bekleidungsindustrie, deren Konditionsverträge seit Anfang März 1922 nicht verlängert worden waren. Daraufhin rief der am strengsten kartellierte RHK die Lieferantenverbände zu Verhandlungen auf, mit dem Ziel „neue Lieferungs- und Zahlungsbedingungen unter Berücksichti-

DK, Deroute in der Konfektionsbranche, 8.3.1922. Referent Hirsch reagierte zurückhaltend, denn das „Phänomen [sei] bekannt, aber erst [müsse eine] eingehende Prüfung und Beratung“ erfolgen, siehe Schreiben an Staatssekretär Prof. Dr. Hirsch, 23.2.1922, BA R3101/6912, p. 21–24; Antwort an die Zentrale der Rudolph Karstadt AG, 7.3.1922, BA R3101/6912, p. 26. 613 Erweiterung der Satzung am 21. März 1922 um die „unbedingte Gefolgschaft der Mitglieder“ als „Abwehr aufgezwungener Bedingungen der Industrie und des Großhandels“ [sicher zu stellen]. Zu den definierten Aufgaben gehörten: 1. Regelung der Kaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen im Geschäftsverkehr mit Lieferanten, 2. Stellungnahme zu den Arbeiten der Gesetzgebung und Verwaltung, Aufklärung der öffentlichen Meinung, Ermittlung von Handelsgebräuchen, Auskunftserteilung an Behörden und wirtschaftliche Körperschaften über Fachfragen, Einsetzung eines Schiedsgerichtes, Schutz der Mitglieder gegen Übergriffe durch Dritte, siehe DK, Das erste Einzelhandels-Kartell, 15.4.1922. 614 Preisvorbehalt von 30 Prozent bei Lieferzeit von drei Monaten und unbegrenzter Vorbehalt bei Lieferungen mit unbestimmter Frist; siehe DK, Tagung des großen Ausschusses des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., Sitz Düsseldorf, 26.8.1922. 611 612

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gung der Währungsverfälschung und Geldentwertung“ auszuhandeln. Während der „Zentralverband der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten“ auf das Angebot nicht einging, erreichte der RHK mit dem „Verband deutscher Kleiderfabrikanten“ ein Ergebnis. Um den Bekleidungsfabrikanten vom Risiko der Preisschwankung seines Wareneinkaufs zu entlasten, teilten sich Fabrikant und Einzelhandel das Währungsrisiko. Der Fabrikant verpflichtete sich dagegen zu vertragstreuen Lieferungen. Nachträgliche Preiserhöhungen sollten durch eine gemeinsame Kommission geprüft werden.615 Doch diese Vereinbarungen wurden von der Dynamik der Geldentwertung eingeholt. Damit waren alle Liefer- und Zahlungsvereinbarungen Makulatur geworden, auf dem Einkaufsmarkt für Textilwaren herrschten anarchische Zustände, aus Sicht des Einzelhandels bewahrheitete sich zunehmend die Befürchtung, Spielball einer radikalen Lieferungs- und Nachforderungs-Politik der Bekleidungsindustriellen zu werden.616 Nachdem die Textilindustrie Waren ausschließlich in Gulden fakturierte, schloss sich die Bekleidungsindustrie an. Und der Einzelhandel sah sich schutzlos dem „Guldendiktat“ und dem Währungsrisiko ausgesetzt. Daneben verschärften die Konfektionäre den Preisvorbehalt und verkürzten die Zahlungsziele. Seit dem 23. Oktober 1922 verkauften Mitglieder des „Verbandes deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten“ und des „Verbandes der Fabrikanten von Blusen, Kostümen und verwandten Artikeln“ nur über einen vorläufigen Grundpreis. Diesem lag ein Dollarpreis von 2.000 Mark zugrunde. In Abhängigkeit von der Entwicklung des Dollarkurses an der Berliner Börse änderte sich der Rechnungsbetrag um 2,5 Prozent je 100 Punkte Kursänderung. Eine ähnliche Reglung trafen auch die Herrenkonfektionäre. Aus Sicht des Textileinzelhandels versuchten Lieferanten und Vorlieferanten, das Währungsrisiko voll abzuwälzen. Jede Verschlechterung treffe den Abnehmer, selbst von Verbesserungen profitiere der Lieferant überproportional, da die Fakturierung zu einem festen Dollarbasispreis erfolge. Damit drohe der Zusammenbruch des Konfektionseinzelhandels. Erstmals berief sich der RHK auf seine kartellmäßigen Befugnisse und untersagte seinen Mitgliedern unter Geldstrafe jeden Bezug von Waren auf Basis von Devisen. Der RHK verstand diese Maßnahme nicht als „Kampfansage an die Konfektionsindustrie“, sondern als Zeichen, dass der Einzelhandel „nicht Alleinträger“ sein will.617 Diesem Beschluss folgte am 6. Dezember 1922 auch der RDM: „Der Einzelhandel ist nicht in der Lage, die von den Fabrikanten eingegangenen Risiken in der verlangten Weise auf sich zu nehmen, wenn er sich nicht selbst ruinieren will [ ]. Ein Entgegenkommen in der Begrenzung des Risikos wurde von den Lieferanten abgelehnt“.618

DK, Tagung des großen Ausschusses des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., Sitz Düsseldorf, 26.8.1922. 616 DK, Lieferungs- und Nachforderungs-Politik, 21.10.1922. 617 DK, Kein Einkauf in Edelwährung, 18.11.1922. 618 DK, Einkaufssperre, 2.12.1922. 615

Zwischen Einheit und Konfrontation

Eine Zuschrift des Essener Textilhändlers A. Grundmann an die „Deutsche Konfektion“ verdeutlicht die Zwangssituation des Einzelhandels. Für Grundmann waren die jetzigen Konditionen „Bankrottverträge“ für beide Seiten. Dem Einzelhandel fehle schlicht die Kaufkraft, um für ein einfaches Jackenkleid bis zu 250.000 Mark zu bezahlen. Die Bekleidungsindustrie, so Grundmann, sei in einer „sehr schwierigen Lage infolge der Valutaverpflichtungen, die sie selbst eingegangen ist“. Der Einzelhandel und seine Lieferanten müssten sich gemeinsam gegen die „Valutafakturierung“ wehren und „Dämme der Markwährung“ errichten. Sollte dies nicht gelingen, schade dies auch der Berliner Bekleidungsindustrie: „Die Berliner Konfektion soll sich hüten, den Bogen zu überspannen [ ]. Die Herren dürfen nicht glauben, dass nur in Berlin die allein selig machende Konfektion hergestellt werden kann [ ]. Es würde möglich sein, eine Dezentralisation herbei zu führen und auch an anderen Plätzen eine Konfektionsindustrie zu schaffen“.619

Nachdem erste Verhandlungen mit den Fabrikantenverbänden scheiterten, verlängerte der RDM seine Auftragssperre, der sich auch der RTE anschloss. Den Mitgliedern war nun ab dem 18. Dezember 1922 der Kauf in Papiermark zu festen Preisen gestattet.620 In der Herrenkonfektion erzielte der RHK zum 9. Dezember 1922 mit dem „Zentralverband der Herren- und Knabenkleider-Fabrikanten“ dagegen eine Einigung. Man einigte sich auf einen auf 25 Prozent begrenzten Preisvorbehalt und leicht verkürzte Zahlungsfristen. Dagegen erhielt der Einzelhandel die Zusage, dass alle Aufträge in Papiermark fakturiert werden und bis Ende Januar 1923 ausgeliefert werden würden. Die stabile Verkaufssperre des RHK hatte zu diesem Verhandlungserfolg beigetragen.621 Aber auch diese Einigung blieb infolge der voranschreitenden Inflation eine Absichtsbekundung. Die Kommission trat nie zusammen und die Konditionen wurden von der Lieferantenseite unabgesprochen verschärft. Der „Zentralverband der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten“ setzte im Februar 1923 einen „unbegrenzten Preisvorbehalt“, eine Verkürzung des Zahlungsziels, die Erhöhung der Verzugszinsen und eine Berechnung der Verpackungskosten zulasten des Abnehmers durch. Das Jahr 1922 war – trotz aller Bemühungen – weit weg von normalen Vertragszuständen. Doch die Position des Einzelhandels erodierte weiter. Bis Ende 1922 wehrte sich der Einzelhandel stellenweise erfolgreich gegen die Fakturierung in Fremdwährungen. Die anfangs „festen Preise“ wichen dem „begrenzten“, später dem „unbegrenzten Preisvorbehalt“. Das Jahr 1923 dagegen war ein Jahr des „vertragslosen Zustandes“.

DK, Durch Zwang zur Freiheit, 2.12.1922. Verboten war der Kauf „in fremder Währung“, „auf Dollarbasis (kursgesicherte Mark)“ und „in Papiermark mit Anzahlung oder gegen Hingabe von Akzepten“, siehe DK, An unsere Mitglieder, 9.12.1922. 621 Die Mehrheit der Mitglieder hielten sich an die Sperre. Die „Brecher“ wurden aufgefordert, den Verband zu verlassen und einen „Verband der Außenseiter“ zu gründen, siehe DK, Die Verständigung in der Herrenkonfektion, 16.12.1922; DK, Stagnation in der Herrenkonfektion?, 4.10.1923. 619 620

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Zwischen Übergangswirtschaft und Inflation (1918–1923/24)

Alle Verhandlungen zwischen Lieferanten und Abnehmern scheiterten an verhärteten Fronten. Der Herrenkonfektionseinzelhandel verzichtete auf Abnahmeverbote für seine Mitglieder und beschränkte sich auf passiven Widerstand. Der RHK empfahl den Verzicht auf Einkauf von Neuware und die Beschränkung auf Lagerverkäufe.622 Angesichts der desaströsen Auswirkungen im Textilhandel für beide Seiten erkannten die Gegner, dass der Gegensatz Bekleidungsindustrie und Herrenkonfektionshandel die „falsche Frontstellung“ war. In den Augen des Einzelhandels lag der „Kardinalfehler der Lieferanten“ darin, dass diese sich als Zwischenindustrie nicht stärker gemeinsam mit dem Handel gegen die Vorlieferanten gestellt hatten. Eine gemeinsame Allianz – von Bekleidungsindustrie und Textileinzelhandel – als Abnehmer gegen die Verbände der Textilindustrie hätte die Betriebe und Konsumenten besser vor dem Substanzverlust geschützt.623

„Wenn schon einer von uns beiden in den Orkus gehen muss, so wünschen wir (Lieferanten) naturgemäß, dass sie (die Abnehmer) es sind und nicht wir“, siehe DK, Stagnation in der Herrenkonfektion?, 4.10.1923. 623 Gemeint waren die Betriebe und Verbände der textilen Vorindustrien wie „Deutsche Tuchkonvention“, „Verband der Buntweber“, „Sächsisch-Thüringische Webereien“ und „Genua-Cordweber“, siehe DK, Die Herrenkonfektion am Jahresschluss 1923, 27.12.1923. 622

5

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

5.1

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Neben der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik ist die Weimarer Zeit seit der Währungsreform Ende 1923 wohl der am breitesten erforschte Abschnitt der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Gerade in Hinblick auf die Vorbedingungen, Ursachen, den Verlauf und die Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1932 ist die wirtschaftshistorische Forschung zu grundlegenden synthetisierenden Aussagen gekommen.624 Statt der vielzitierten „Goldenen Zwanziger“ beschreibt „Scheinkonjunktur“ den Zeitabschnitt zwischen 1924 bis 1928 deutlich genauer. Wie mit Blick auf den Textileinzelhandel gezeigt werden kann, war der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands – sinkende Arbeitslosenzahlen, gesteigerte Industrieproduktion, höheres Bruttosozialprodukt – von kurzer Dauer und schlug sich erst im Laufe des Jahres 1926 deutlich positiv auf die Branche nieder. Diese erlebte dann, befreit von regulativen Zwängen für wenige Monate eine dynamische Entwicklung, die die Themen der Vorkriegszeit – Konkurrenz und Wettbewerb innerhalb der Branche – wieder in den Vordergrund schob. Im Folgenden analysiert Kapitel 5.1.1 zunächst auf Grundlage der ersten systematischen statistischen Erhebungen die Strukturen des Textileinzelhandels, konkret die quantitativen und qualitativen Entwicklungen in Bezug auf Betriebsstätten, Belegschaft, Betriebsgröße und Umsätze. Ausgehend von dieser abstrakt-abstrahierenden Sicht beleuchtet Kapitel 5.1.2 knapp die allgemeine Geschäftslage der Händler, um in Kapitel 5.1.3 und 5.1.4 ausführlich auf konkrete Branchentrends und die Hauptmotive und großen Spannungslagen innerhalb der Branche zu blicken. Wie gezeigt werden kann, intensivierte sich der Konkurrenzkampf zwischen den Betriebsformen, entfacht

624 Vgl. für Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA Hesse et al. (2015), für Deutschland bes. S. 53–78; Spoerer/Streb (2013).

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

und befeuert durch die volatilen Konjunkturlagen in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Mit welchen Strategien mittelständische Textilfachhändler und Großkonzerne diesem beispiellosen Wettbewerbsdruck begegneten und wie man sich „erfolgreich“ behaupten konnte, zeigen die in diesen Kapiteln herangezogenen Analysen der Geschäftsentwicklungen der vier Fallstudien. 5.1.1

Branchenstrukturen

Zum 16. Juni 1925 veröffentlichte das Statistische Reichsamt eine neue Berufs- und Betriebszählung – die erste seit 18 Jahren. Seit der letzten Vorkriegserhebung waren der Erhebungsbereich und die Gewerbesystematik grundlegend geändert und erneuert worden. Als zentrale Erhebungseinheit galt nun die „örtliche Betriebseinheit“. Betriebe wurden nach „technischen Betriebseinheiten“ aufgegliedert und alle zu einem Unternehmen zugehörigen Niederlassungen zu einer „Wirtschaftseinheit“ zusammengefasst.625 Diese Neuerungen waren u. a. Konsequenz der veränderten Wirtschaftsstrukturen im Deutschen Reich. Für den Bereich des Einzelhandels gaben die Statistiker zu, dass besonders eine saubere Unterscheidung zwischen Handwerk und Handel einerseits, und zwischen Einzel- und Großhandel andererseits nahezu unmöglich war.626 Auf dem Gebiet des Deutsches Reichs (ohne Saargebiet) zählte man 3,489 Millionen gewerbliche Niederlassungen, in denen 18,75 Millionen Personen beschäftigt waren. Die Handelsstrukturen hatten seit 1907 eine gewaltige Umschichtung erfahren. Kamen 1907 auf 1.000 Deutsche im Schnitt zwölf Handelsbetriebe und 34 im Handel beschäftigte Personen, so erhöhte sich der Anteil 1925 auf 18 Betriebe und 51 Personen. Die relativ höchste Zunahme verzeichnete dabei der „Geldhandel“. Im Bereich des Einzelhandels waren die Handelsvolumen am stärksten bei Maschinen und Chemikalien (200 bis 300 Prozent) gestiegen. Der Umfang im Bereich Textileinzelhandel war doppelt so stark angestiegen (50 Prozent) als im Bereich Lebensmittel und Getränke (25 Prozent).627 Örtliche Betriebseinheit war jeder gewerbliche Betrieb, jedes Geschäft, jede Filiale. Diese mussten den Fragebogen (Gewerbebogen) ausfüllen. 1907 war die „technische Betriebseinheit“ (Einzel- und Teilbetrieb) die grundlegende Einheit. Als „technische Betriebseinheit“ galten nun alle gewerblichen Niederlassungen, die sich aus mehreren Teilbetrieben zusammensetzen (Kombinationen) und in ihre technischen Bestandteile (Gewerbezweige) zerlegt werden konnten. Als „Wirtschaftseinheit“ galten alle nach außen hin selbstständigen Firmen. 1907 meinte „Gesamtbetrieb“ nur die „örtlich zusammenliegenden Teile eines Unternehmens“, siehe Anmerkungen zur Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925. Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I, Bd. 413, S. 5 f. 626 Vgl. Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925. Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I, Bd. 413, S. 7; 67. 627 Vgl. Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925. Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I, Bd. 413, S. 235 ff. 625

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Schaut man auf die Entwicklung der absoluten Zahl der Gewerbebetriebe im Groß- und Einzelhandel, so wiesen alle Sparten – ausgenommen Tier- und Lebensmittelhandel – leichte bis enorme Steigerungsraten auf (Tabelle 27). Der Textilhandel (Groß- und Einzelhandel) hatte sich gegenüber 1907 auf knapp über 113.000 Betriebe gesteigert. Also jeder Achte der über 900.000 Einzelhandelsbetriebe verkaufte Textilwaren und Bekleidung. Obwohl die Steigerung durchschnittlich ausfiel, verteidigte der Textilhandel seinen dritten Platz hinter Lebensmittel und Hausrat. Tab. 27 Gewerbebetriebe (Einzelhandel), 1907 und 1925628 Handel mit

1907*

1907**

1925

1907* auf 1925

1907** auf 1925

Groß- und Einzelhandel

942.918

869.827

936.803

-0,65 %

7,70 %

Lebensmitteln

456.696

418.622

415.805

-8,95 %

-0,67 %

Möbel

175.505

164.450

166.368

-5,21 %

1,17 %

Textilwaren

114.122

104.517

113.114

-0,88 %

8,23 %

Kohle, Metall, Elektro

34.630

32.081

57.870

67,11 %

80,39 %

Tabak

29.487

28.245

56.239

90,72 %

99,11 %

Holz

40.543

37.788

40.446

-0,24 %

7,03 %

Tieren

44.596

39.549

36.494

-18,17 %

-7,72 %

Chemikalien

29.538

27.842

31.754

7,50 %

14,05 %

Bücher

17.801

16.733

18.713

5,12 %

11,83 %

Anmerkungen: (*) früheres Reichsgebiet, (**) jetziges Reichsgebiet ohne Saarland, (Waren) Groß- und Einzelhandel, (Lebensmittel) Handel mit landwirtschaftlichen u. verwandten Produkten, Kolonialwaren, Lebensmitteln und Getränken, (Tabak) Tabakhandel, (Holzhandel) Handel mit Holz-, Bau- und Brennmaterialien, (Kohle, Metall, Elektro) Handel mit Bergwerks-, Hütten-, Salinenprodukten, Metallhalbzeug, Metallwaren, elektrischen Artikeln, (Chemikalien) Handel mit Drogen, Chemikalien, Ölen, Fetten, (Textilwaren) Handel mit Spinnstoffen, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppichen und Tapeten, (Möbel) Handel mit Möbeln, Haus- und Küchengerätschaften, Lehrmitteln, Papier- und Schreibwaren, Galanterie-, Leder-, Schmuck- und sonstigen Waren, (Bücher) Verlag und Buchhandel.

Einen ähnlichen Befund zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Beschäftigung im Groß- und Einzelhandel. Auch hier lag der Textilhandel mit mehr als 451.000 Beschäftigten auf dem dritten Platz. Jeder sechste Beschäftigte im Groß- und Einzelhandel verkaufte Textilwaren und Bekleidung (Tabelle 28). Die Reichsstatistik unterschied erstmals Einzelhandel vom Großhandel und differenzierte den Einzelhandel nach seinen Branchen bzw. abgesetzten Warenschwerpunkten (Tabelle 29). Von 936.000 Groß- und Einzelhandelsbetrieben waren über 623.000 schwerpunktmäßig Einzelhändler (66,6 Prozent) mit über 1,453 Millionen Beschäftigten (58 Prozent). Von diesen Einzelhandelsbetrieben waren über 148.000 Betriebe

628 Eigene Berechnungen nach Betriebs- und Gewerbezählung (1925), Übersicht: „Die Entwicklung des Warenhandels 1875–1925 (Betriebe)“.

199

200

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Tab. 28 Beschäftigte (Einzelhandel), 1907 und 1925629 Handel mit Groß- und Einzelhandel

1907*

1907**

1.789.256 1.660.287

1925

1907* auf 1925

1907** auf 1925

2.494.051

39,39 %

50,22 %

Lebensmittel

743.181

683.262

856.037

15,19 %

25,29 %

Möbel

329.002

309.169

501.882

52,55 %

62,33 %

Textilwaren

330.941

307.807

451.925

36,56 %

46,82 %

84.811

78.682

253.136

198,47 %

221,72 % 63,17 %

Kohle, Metall, Elektro Bücher

65.757

63.098

102.960

56,58 %

100.971

93.770

102.140

1,16 %

8,93 %

Chemikalien

49.630

47.010

98.268

98,00 %

109,04 %

Tabak

37.007

35.375

83.746

126,30 %

136,74 %

Tieren

47.954

42.114

43.957

-8,34 %

4,38 %

Holz

Anmerkungen: (*) früheres Reichsgebiet, (**) jetziges Reichsgebiet ohne Saarland, (Waren) Groß- und Einzelhandel, (Lebensmittel) Handel mit landwirtschaftlichen u. verwandten Produkten, Kolonialwaren, Lebensmitteln und Getränken, (Tabak) Tabakhandel, (Holzhandel) Handel mit Holz-, Bau- und Brennmaterialien, (Kohle, Metall, Elektro) Handel mit Bergwerks-, Hütten-, Salinenprodukten, Metallhalbzeug, Metallwaren, elektrischen Artikeln, (Chemikalien) Handel mit Drogen, Chemikalien, Ölen, Fetten, (Textilwaren) Handel mit Spinnstoffen, Textilwaren, Bekleidung, Schuhwaren, Teppichen und Tapeten, (Möbel) Handel mit Möbeln, Haus- und Küchengerätschaften, Lehrmitteln, Papier- und Schreibwaren, Galanterie-, Leder-, Schmuck- und sonstigen Waren, (Bücher) Verlag und Buchhandel.

Tab. 29 Niederlassungen und Beschäftigte (Einzelhandel), 1925630 Gewerbearten

Betriebe*

Beschäftigte

Beschäftigte pro Betrieb

Frauenanteil

Gewerbe überhaupt

3.489.374

18.749.583

5,4

25,9 %

Handel & Verkehr

1.517.823

5.476.682

3,6

31,5 %

Handelsgewerbe

1.143.630

3.175.157

2,8

36,8 %

Einzelhandel

623.788

1.453.952

2,3

51,7 %

„Textileinzelhandel“

148.279

528.969

3,6

61,3 %

Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren

63.460

209.796

3,3

61,3 %

Waren aller Art

38.084

89.197

2,3

50,9 %

Schuhe und Schuhmacherbedarf

14.241

40.510

2,8

57,5 %

Wäsche und Weißwaren

10.733

31.132

2,9

69,2 %

Hüte, Pelze, Handschuhe, Schirme, Sport

8.220

24.572

3

67,1 %

Herren- und Knabenkleidung

5.237

23.327

4,5

36,1 %

Galanterie-, Leder- und Luxuswaren

4.857

12.862

2,6

55,7 %

Damen- und Mädchenkleidung

2.807

32.881

11,7

76,3 %

640

64.692

101,1

75,0 %

Warenhäuser

Anmerkungen: Angaben 5. Spalte in Prozent; (*) Gesamtzahl der gewerblichen Niederlassungen, (**) eigene Berechnungen („Textileinzelhandel“). Eigene Kategorie, die alle Branchen (mit Warenhäusern) umfasst, die Textilien, Bekleidungsgegenstände, Bekleidung und Schuhe verkaufen.

Eigene Berechnungen nach Betriebs- und Gewerbezählung (1925), Übersicht: „Die Entwicklung des Warenhandels 1875–1925 (Personal)“. 630 Eigene Berechnungen nach Betriebs- und Gewerbezählung (1925), Übersicht: „Gewerbliche Niederlassungen nach ihrer Ausstattung mit Personal“. 629

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

(23,75 Prozent) und knapp 529.000 Beschäftigte (36,4 Prozent) im Bereich „Textileinzelhandel“ tätig. Definiert man den Bereich „Fertigkleidung“ (Konfektionshandel) als Summe der Branchen „Wäsche und Weißwaren“, „Herren- und Knabenkleidung“, „Damen- und Mädchenkleidung“ und „Warenhäuser“, so fiel deren Anteil an Betrieben und Personal im Textileinzelhandel gering aus. 13 Prozent der Betriebe (19.417) und knapp 29 Prozent der Beschäftigten (152.032 Personal) verkauften Fertigkleidung. Der deutsche Textileinzelhandel war also im Jahr 1925 noch durch Schnitt- und Textilwarengeschäfte dominiert. Während der Textileinzelhandel, besonders die Warenhäuser, einen überdurchschnittlich hohen Anteil an weiblichen Beschäftigten aufzeigte, war der Textileinzelhandel von Kleinst- und Kleinbetrieben geprägt. Im Schnitt beschäftigte ein Textileinzelhandelsbetrieb drei bis vier Angestellte. Die Tendenz zu Mittel- und Großbetrieben war dagegen im Konfektionseinzelhandel spürbar ausgeprägt. Etwa jeder dritte Betrieb im Textileinzelhandel war ein sog. Alleinbetrieb, d. h. vom Inhaber persönlich samt seiner Ehefrau und einem Lehrling geführt. In manchen Branchen – wie Wäsche und Weißwaren oder Schnittwarengeschäfte – lag die Quote bei über 40 Prozent. Nimmt man die Betriebsgröße bis 10 Angestellte hinzu, so fielen hier 95 Prozent aller Textileinzelhandelsbetriebe hinein. Nur etwa drei Prozent waren mittlere Betriebe (ab 11 bis 50 Beschäftigte), der Rest „Großbetriebe“. Ausnahme bildeten hier die Herren- und Damenkonfektionsbranche sowie die Gruppe der Warenhäuser. Knapp jeder fünfte Damenkonfektionsbetrieb hatte mehr als 10 Angestellte, bei Herrenbekleidung lag der Anteil bei sieben Prozent. Nur vier Prozent aller Warenhäuser waren Alleinbetriebe. Etwa 60 Prozent aller Warenhäuser beschäftigte mehr als 10 Angestellte. Etwa 25 Warenhäuser beschäftigten mehr als 500 Personen und zählten damit zu den Großbetrieben im Textileinzelhandel (Tabelle 30). Die Verteilung der Betriebsgrößen schlug sich auch in der gewählten Rechtsform nieder. Knapp 90 Prozent der Textileinzelhandelsbetriebe waren Inhabergesellschaften, wobei die Konfektionshändler und Warenhäuser gegen den Trend lagen. Nur die Hälfte aller Warenhäuser war inhabergeführt. Der Rest agierte als offene Handelsgesellschaft (13 Prozent), haftungsbeschränkte Gesellschaft (sechs Prozent) sowie Kommandit- oder Aktiengesellschaft (vier Prozent). In der Herren- und Damenkonfektion war jeder vierte Betrieb keine Inhabergesellschaft (Tabelle 31).

201

202

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Tab. 30 Betriebe nach Betriebsgrößen (Einzelhandel), 1925631 Gewerbearten

GK0

GK1 GK2 GK3 GK4 GK5 GK6 GK7 GK8 GK9

GK10

Gewerbe überhaupt

38

8

9

5

4

1

0

0

0

0

0

Handel & Verkehr

36

43

7

5

3

0

0

0

0

0

0

Handelsgewerbe

40

40

6

4

3

0

0

0

0

0

0

Einzelhandel

36

48

6

3

1

0

0

0

0

0

0

„Textileinzelhandel“

34

45

9

6

3

0

0

0

0

0

0

Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren

42

37

9

6

4

0

0

0

0

0

0

Waren aller Art

22

61

8

3

1

0

0

0

0

0

0

Schuhe und Schuhmacherbedarf

34

43

10

7

3

0

0

0

0

0

0

Wäsche und Weißwaren

42

39

9

6

3

0

0

0

0

0

0

Hüte, Pelze, Handschuhe, Stöcke, Schirme, Sportgegenstände

29

48

12

7

3

0

0

0

0

0

0

Herren- und Knabenkleidung

26

43

13

10

6

1

0

0

0

0

0

Galanterie-, Lederund Luxuswaren

35

43

11

6

2

0

0

0

0

0

0

Damen- und Mädchenkleidung

23

33

12

13

15

3

1

0

0

0

0

4

16

8

11

29

17

10

3

1

0

0

Warenhäuser

Anmerkungen: prozentuale Verteilung; (GK0) Alleinbetriebe, (GK1) 1–3 Beschäftigte, (GK2) 4 bis 5, (GK3) 6 bis 10, (GK4) 11 bis 50, (GK5) 51 bis 200, (GK6) 201 bis 500, (GK7) 501 bis 1000, (GK8) 1001 bis 2000, (GK9) 2001 bis 5000, (GK10) über 5000.

Tab. 31 Betriebe nach Rechtsform (Einzelhandel), 1925632 Gewerbearten

E

M

neG

eV

eG

oHG

KG

AG

GmbH

A

KdöR

KGaA

Gewerbe überhaupt

79

2

0

0

1

2

0

0

1

0

1

0

Handel & Verkehr

83

2

0

0

2

2

0

0

1

0

1

0

Handelsgewerbe

82

2

0

0

2

3

0

0

2

0

0

0

Einzelhandel

88

2

0

0

0

1

0

0

1

0

0

0

„Textileinzelhandel“

86

3

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren

88

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Vgl. Betriebs- und Gewerbezählung (1925), Übersicht: „Gewerbliche Niederlassungen nach Größenklassen“. 632 Eigene Aufstellung nach Betriebs- und Gewerbezählung (1925), Übersicht: „Rechtsformen“. 631

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

E

M

neG

eV

eG

oHG

KG

AG

GmbH

A

KdöR

KGaA

Waren aller Art

Gewerbearten

87

2

0

0

2

1

0

0

0

0

0

0

Schuhe und Schuhmacherbedarf

84

2

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Wäsche und Weißwaren

86

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Hüte, Pelze, Handschuhe, etc

81

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Herren- und Knabenkleidung

76

4

0

0

0

6

0

0

2

0

0

0

Galanterie-, Lederund Luxuswaren

84

3

0

0

0

4

0

0

1

0

0

0

Damen- und Mädchenkleidung

73

5

0

0

0

8

1

0

3

0

0

0

Warenhäuser

46

4

0

0

0

13

1

3

6

0

0

0

Anmerkungen: prozentuale Verteilung; (E) Einzelinhaber, (M) mehrere Inhaber, (n. e. G) nicht eingetragene Genossenschaft, (e. V.) eingetragener Verein, (e. G.) eingetragene Genossenschaft, (o. H. G.) offene Handelsgesellschaft, (KG) Kommanditgesellschaft, (AG) Aktiengesellschaft, (GmbH) Gesellschaft mit beschränkter Haftung, (A) andere Vereinigungen, (KdöR) Körperschaften des öffentlichen Rechts, (KGaA) Kommanditgesellschaft auf Aktien.

5.1.2

Geschäftslage in den Unternehmen

Die Jahre nach der Währungsreform spiegeln die volatile Geschäftskonjunktur des Textileinzelhandels nieder, die sich keineswegs ab 1925 bis zur Wirtschaftskrise als durchweg positiv darstellte. Es war eher ein nervöses Schwanken zwischen konjunkturellen Einbrüchen und und kurzzeitigen Erholungen. Wie ein Bericht des „Konfektionärs“ aus dem Ruhrgebiet vermerkte, war der Textileinzelhandel dort umsatzmäßig gut in die ersten zwei Monate des Jahres 1925 gestartet. Doch bereits im März setzte eine Stagnation, eine „unheimliche Geschäftsstille“, ein.633 Das Kaufhaus Heinrich Feldmann & Co. in Gotha blickte im Jahr 1925 auf eine Geschäftsentwicklung zurück, die „einschließlich Oktober für uns sehr gut“ war. Auch die Umsätze des Barmener Textilhaus E. & R. Wahl hatten sich „in den ersten Monaten ausgezeichnet“ entwickelt, ab August setzte aber die „Flaute“ ein, die im Oktober „sehr stark wurde“. In Frankfurt/Main beklagten sich führende Händler über das Ausbleiben der Landkundschaft. Diese seien entweder verarmt, hätten Waren während der Inflationszeit „gehortet“ und keinen Bedarf oder kauften Waren durch das sich ausbreitende „Hausierunwesen“.634

633 634

Konf, Das Geschäft im Reiche, 25.3.1925. Konf, Wo bleibt die Landkundschaft?, 3.6.1925.

203

204

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Diese regional uneinheitliche Erholung fand jedoch zwischen Herbst 1925 und Herbst 1926 in der sog. „Rationalisierungskrise“ ihr Ende. Der vermehrte Einsatz von automatisierten Arbeitsabläufen hatte zu massenweiser Entlassung von Industriearbeitern geführt.635 Diesen Ausfall an (männlichen) Arbeitskräften bekamen die Herrenkonfektionsgeschäfte am deutlichsten im schlechten Wintergeschäft zu spüren. Die Geschäfte kämpften um jeden Kunden: „Wenn die einfache Frau aus dem Volke für ihren Mann einen Paletot kauft und, obwohl der Verdiener der Familie schon wochenlang arbeitslos oder Kurzarbeiter ist, ihre letzten heimlich zurückgelegten Spargroschen opfert, um ein besseres Stück kaufen zu können, so spricht sehr viel gesunder Sinn und wertvoller Familienstolz daraus“.636

Insgesamt traf die Unternehmen reichsweit ab Herbst 1925 entweder ein „unerfreuliches Jahr erster Ordnung“ oder sogar der „totale Zusammenbruch“.637 So etwa in Berlin. Der dortige Einzelhandel meldete seit Oktober eine „Zeit schlechtesten Geschäftsganges“ infolge „katastrophalen Geldmangels in allen Schichten“. Der Berliner Weihnachtsumsatz brach um bis zu 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein, eine größere Zahl Händler ging insolvent und die Berichte über „fliegende Straßenhändler“ nahmen zu. Niedersachsen meldete „allzuhäufig Zahlungseinstellungen“. Andere Teile des Reiches meldeten dagegen gut gehende vorweihnachtliche Geschäfte. Aus Frankfurt/Main berichteten die Korrespondenten des „Konfektionärs“, dass „sich die Zahl der Kunden verringert hat“, aber „die Kauflust da ist, wo sich Lust und Können die Waage halten“. Hannover zeigte sich zumindestens mäßig zufrieden, denn „bisher konnte man wenigstens noch einigermaßen von einem Weihnachtsgeschäft sprechen“. Der „Silberne“ und „Goldene“ Sonntag (verkaufsoffene Adventssonntage) verliefen regional „nicht übermäßig, aber befriedigend“. In Breslau berichtete der Handel von einem „Leben und Treiben, wie man es selbst in der Vorkriegszeit größer nicht beobachtet hat“. Auch Kassel berichtete von „zufriedenstellenden“ Umsätzen – ausgenommen allerdings Fertigkleidung, da „für wertvollere Anschaffung das Geld nicht mehr langte“. Aus Dresden kamen ähnliche Eindrücke. Hier hatte die konsumstarke Beamtenschaft an Kaufkraft verloren, doch von der Prager Straße wurde von Kundenmassen und überfüllten Geschäften berichtet. In Köln zog es die Kundschaft eher in Warenhäuser als in Fachgeschäfte, während Kunden im Ruhrgebiert und in Köln preiswerte „Gegenstände des täglichen Bedarfs“ kauften und teure Anschaffungen mieden.638

Vgl. Pierenkemper (2009), S. 48; Kleinschmidt (1993); Feldman (1984), S. 187 f.; Hertz-Eichenrode (1982), S. 28 ff.; Blaich (1977). 636 DK, Stimmungsbilder aus der Herrenbekleidungsbranche, 18.12.1925. 637 Konf, Rückblick und Ausblick, 6.1.1926; Konf, Rückblick und Ausblick, 9.1.1926. 638 Artikel „Einzelhandel und Wirtschaft am Jahresende“, 25.12.1925, BA R8034-II/3568, p. 121; Konf, Die Geschäftslage im Reiche, 24.10.1925; Konf, Vorweihnachtliche Einzelhandelsberichte, 16.12.1925; Konf, Der Silberne Sonntag im Reiche, 19.12.1925; Konf, Der „goldene Sonntag“ im Reiche, 23.12.1925. 635

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Eine Umfrage bei Berliner Herrenmodegeschäften im Weihnachtsgeschäft 1925 zeigte ein pessimistisches Bild. Die Firma Heinrich Leineweber beklagte die „große Geldknappheit wegen Entlassungen in der Industrie“. Kunden kauften „hauptsächlich billige Gebrauchsartikel“. Manche, wie das Geschäft Hermann Hoffmann oder Peek & Cloppenburg senkten ihre Verkaufspreise und meldeten ein „gutes Geschäft gemessen an der Wirtschaftslage“. Andere wie das Modehaus S. Adam verstärkten ihre Reklameanstrengungen. Insgesamt blieb das Weihnachtsgeschäft im Deutschen Reich uneinheitlich. Die Kunden bevorzugten preisgünstige Textilwaren, mieden aber tendenziell die teurere Konfektion.639 Systematisiert wurden diese Anstrengungen, die Krise ökonomisch zu überstehen, durch den RHK, der seinen Mitgliedern in den „Zehn Lehren des Jahres 1925“ neue Leitideen empfahl. An erster Stelle standen der Lagerabbau und die Änderung des Einkaufssystems. Anstelle langfristiger, großer Stammorders für Winter und Sommer, sollte ein flexibleres, kurzfristiges, kleinvolumiges System entwickelt werden – „Vorsicht und Zurückhaltung“ wurden die neuen Säulen der Disposition. Die zweite große Neujustierung betraf die Bereiche Zentralisierung und Spezialisierung. Letzteres beuge Verlusten infolge schneller Modewechsel vor: „Die Meinung, allen extravaganten Kundenbedürfnissen entgegenzukommen und jede Modeneuheit in seinem Kundenkreis Verbreitung geben zu müssen, hat in manches Einzelhandelsgeschäft etwas Unsolides hineingetragen“. Die Spezialisierung führe automatisch zu einer Konzentration des Einkaufes. Zum dritten müsse die allgemeine Geschäftsorganisation modernisiert werden. Barzahlung, Buch- und Statistikführung sowie die Einrichtung eines festen Girokontos müssen unverhandelbare Geschäftsgrundsätze auch für den kleinsten Händler werden. Diese Empfehlungen zur Modernisierung blieben mehrheitlich unberücksichtigt.640 Bis in die zweite Jahreshälfte 1926 meldete der Bekleidungshandel starke Umsatzrückgänge.641 Besonders die Herrenkonfektion litt unter Verlusten zwischen 31 und 41 Prozent im zweiten Vierteljahr ggü. dem ersten Vierteljahr, während die Damenkonfektion um 28 Prozent einbrach. Diese Umsatzrückgänge zeigte auch der Textilwareneinzelhandel in Baumwoll- und Wollwaren sowie Wäsche.642 Der RHK bemängelte die „Gleichmäßigkeit und Schwerfälligkeit“ in der Herrenkonfektion. Diese sei oft an den

S. Adam: „Eine erstklassige Propaganda ist äußerst wichtig, planmäßige, dekorative Ausgestaltung der Schaufenster, v. a. persönliche Reklame via Zuschriften“, siehe DK, Weihnachtsgeschäft und Wirtschaftslage in der Herrenkonfektion, 31.12.1925; Vgl. zusammenfassenden Rückblick bei Konf, Rückblick auf das Weihnachtsgeschäft, 30.12.1925. 640 DK, 10 Lehren des Jahres 1925, 31.12.1925. 641 Im zweiten Quartal 1926 verringerte sich der Umsatz in Konfektion gegenüber dem ersten Quartal um 31 bis 41 Prozent (Herrenkonfektion) bzw. 28 Prozent (Damenkonfektion), siehe Konf, Der Umsatzrückgang im Textil-Einzelhandel, 13.10.1926. 642 Die Zahlen beschränkten sich auf westdeutsche Großunternehmen und liegen wohl leicht über dem Reichsdurchschnitt, siehe Konf, Der Umsatzrückgang im Textileinzelhandel, 13.10.1926. 639

205

206

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Ansprüchen vorbei produziert, es fehle ihr an Komfort und sie sei in Form und Muster zu konservativ. Die verlorene Kaufkraft des Mittelstandes erfordere universell einsatzbare Herrenmode.643 Dieser Abwärtstrend setzte sich fort. Die Umsätze in Herrenkonfektion lagen am Ende des 1. Halbjahres 1926 wert- und mengenmäßig unter denen des Vorjahres. Der RHK behauptete, dass sich die wirtschaftliche Not „in keinem anderen Berufsstande so dramatisch ausgewirkt“ hatte. Die „Geschäfte [standen] am Rand des Abgrunds“, denn „[d]as Publikum tätige seine Einkäufe statt zu Weihnachten erst während des Inventur-Ausverkaufs im Januar und gedulde sich mit dem Einkauf von Sommerware bis zum Saison-Ausverkauf, um von der Konkurrenz und Schleuderei zu profitieren“.644 Erst zwischen Herbst 1926 und Ende 1927 verzeichnete die Republik einen wirtschaftlichen Aufschwung, der bis in den Textileinzelhandel spürbar wurde. Dank guter Ernten, ausländischer Investitionen und dem Ausbau des Sozialversicherungswesens stabilisierte sich der Arbeitsmarkt. Die kurzfristigen Auslandskredite wurden von den deutschen Banken als Langfristkredite in private und öffentliche Bau- und Infrastrukturmaßnahmen gelenkt. Der Textileinzelhandel begann in Erwartung dauerhafter konjunktureller Erholung mit großzügigen, teilweise kreditfinanzierten Dispositionen. Besonders im Jahresverlauf 1927 überstiegen die vom Handel erteilten Aufträge die Leistungsfähigkeit der Textil- und Bekleidungsindustrie bei weitem. Schocken vermutete einen „fast doppelten Auftragseingang bei der Textilwirtschaft“. Ausgelöst war dieser maßgeblich durch Konzerne und den Großhandel, die mit der sinkenden Arbeitslosigkeit auf eine stärkere Konsumnachfrage spekulierten. Schocken disponierte für Herbst/Winter 1927 rechtzeitig im Voraus. Bereits im August 1927 stellte der Konzern fest: „Denn weder ist es jetzt möglich, auch nur annähernd zu den von uns angelegten Preisen zu disponieren, noch sind überhaupt die leistungsfähigen Industriefirmen für rechtzeitige Liefertermine aufnahmefähig“. Bald lagen die Verkaufspreise des Handels unter den steigenden Wiederbeschaffungskosten. Schuld daran waren die gestiegenen Rohstoffpreise. Für US-Baumwolle zahlte man im August etwa 77 Prozent mehr als noch zu Jahresbeginn. Auf diese gestiegenen Einkaufspreise reagierte Schocken nicht mit einer Erhöhung der Verkaufspreise, sondern mit einer systematischen Reduktion

Anstatt anlassbezogene, teure Maßanzüge müssten verstärkt billigere, robustere Sportanzüge gesetzt werden. Nach den Worten von Dr. Ley verzeichnete der RHK ein „außerordentlich steigendes Geschäft in Sportanzügen“. Der sog. Sportanzug war ein vierteiliger Anzug mit zwei Hosen (eine lange und eine als Knickerbocker verarbeitete Hose). Dieser konnte als Sport-, Wander- oder Straßenanzug getragen werden, siehe DK, Lebensfragen für den Herrenbekleidungseinzelhandel, 18.6.1926. Die Fachpresse diskutierte daraufhin die Wiedereinführung der Rabattgewährung bei Barverkäufen, welche von den befragten Händlern deutlich zurückgewiesen wurde. Manufakturwaren, Cottbus: „Wiedereinrichtung dieses Systems ist rückschrittlich“, „Verkauf auf Kredit ist völlig abgeschafft“; Hugo Landauer, Manufakturwaren, Karlsruhe: „nicht zwecksmäßig“; Michel & Comp., Modehaus, Elberfeld: „Jeden Skonto lehnen wir aufs Entschiedenste ab“, siehe Konf, Rabatte bei Barzahlung im Detailgeschäft, 2.6.1926. 644 DK, Die große Tagung des Einzelhandels in Düsseldorf, 13.8.1926. 643

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

der eigenen Betriebskosten in der Zentrale und koordinierterem Einkauf: „Grundsatz wird sein, dass der überwiegende Teil der Industrie-Preiserhöhungen ohne Auswirkung auf die Verkaufspreise sein wird und Korrekturen dort vorgenommen werden, wo sie unumgänglich sind“.645 Doch die kurze Zeit der „Dollar-Scheinblüte“ wurde durch die Stagnation des Jahres 1928 beendet, die eine „Selbstkostenkrise“ im Einzelhandel auslöste.646 Eine in Zusammenarbeit zwischen VdWK und If K veröffentlichte Untersuchung zeigte, dass sich der durchschnittliche Betriebskostenanteil am Umsatz (Löhne, Miete, Reklame, Steuern, etc.) von 21,5 Prozent (1927) auf 23,1 Prozent (1. Halbjahr 1928) erhöht hatte. Grund hierfür waren die allgemeinen Umsatzrückgänge in den 27 befragten Warenhäusern. Das If K rechnete im Sommer 1928 allerdings damit, dass der Absatz von Damen- und Herrenkonfektion infolge des Bevölkerungswachstums „langsam, aber gleichmäßig“ bis 1937 um fünf bzw. sieben Prozent wachsen würde. Mit Blick auf die Abschwächung des Beschäftigungsgrades prognostizierte das If K Ende Oktober 1928 einen mehrere Monate andauernden Umsatzeinbruch in der Herrenkonfektion.647 Dieses trat auch realiter ab Herbst 1928 ein (Tabelle 32). Tab. 32 Umsätze (Textileinzelhandel), Saison 1928648 Bekleidung

Einzelhandel

Mrz. – Mai (Frühjahr)

109,0

108,3

Jun. – Aug. (Sommer)

101,6

106,1

Sept. – Nov. (Herbst)

98,7

103,1

Dez. – Feb. (Winter)

98,1

99,1

100,6

103,0

Weihnachten*

Anmerkungen: in Prozent ggü. dem entsprechenden Vorjahreszeitraum; (*) Hier sind die Zahlen der Wintersaison nochmals enthalten.

In einem offenen Brief an den alliierten Reparationsagenten Seymour Parker Gilbert berichtete Arthur Heßlein, Präsidiumsmitglied des Bayerischen EinzelhandelsverVgl. G. B. Nr. 886B, 15.8.1927, StAC 31451–451; G. B. Nr. 887A, 3.9.1927, StAC 31451–451. Die angehäuften Lager des Textileinzelhandels waren infolge der ungünstigen Witterung im Frühjahr und Spätsommer 1928 deutlich schneller entwertet als erwartet. Die Zinsen bei Banken und Lieferanten im Zusammenspiel mit steigender Kaufzurückhaltung der Kunden führte zur „Selbstkostenkrise“ des Konfektionseinzelhandels und der abermalige Aufruf der Verbände zu strafferer Rationalisierung der Organisation, der Kalkulation und des Einkaufes durch Statistik und zusammengeschlossene Einkaufsaktivitäten, siehe Konf, Das „Annormaljahr“ 1928, 29.12.1928; DK, Jahresbericht des Reichsverbandes für Damen- u. Mädchenkleidung, 19.4.1929; Feldman (1984), S. 187 f.; Helmut Braun, Wirtschaft (Weimarer Republik), in: Historisches Lexikon Bayerns, unter http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/ artikel_44647, 11.10.2012. 647 Konf, Die Unkostenverteilung im Warenhaus, 15.12.1928; Konf, Bevölkerungsentwicklung und Textilkonsum, 14.7.1928; Konf, Die Umsatzdiagnose im Herren-Konfektionsgeschäft, 27.10.1928. 648 Aufstellung nach Konf, Der Einzelhandel um die Jahreswende, 7.12.1929. 645 646

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bands, über die „katastrophale Veränderung“ der Geschäftslage seit September 1928: „Ein Gang durch die kleinen und mittelgroßen Geschäfte [ ] würde Sie bald überzeugen, dass die Fassade nichts, die Armseligkeit hinter den Kulissen aber alles bedeutet. [ ] Seit September 1928 sind viele Betriebe des [ ] Mittelstandes illiquide, [ ] die Kaufkraft ist ungemein schwach geworden“.649 5.1.3

Konkurrenz der Betriebsformen

Eine der Haupterklärungen für die uneinheitlichen Berichte zur Geschäftslage und Umsatzentwicklung in dieser Zeit lag im deutlich intensivierten Konkurrenzkampf der Betriebsformen des Textileinzelhandels. Mit der Normalisierung der Versorgungslage trat anstelle des Kampfes mit den Lieferanten die Auseinandersetzung mit alten und neuen Konkurrenten. Neben der Konkurrenz „von oben“ durch Großkonzerne sah sich der mittelständische Einzelhandel auch mannigfaltiger Konkurrenz „von unten“ durch Hausierer, Markthandel, Beamten- und Konsumvereine und zuletzt detaillierende Fabrikanten und Großhändler gegenüber.650 Der Einzelhandel war seit seinem Entstehen hauptsächlich in Kleinstädten, Gemeinden und Dörfern der Konkurrenz der Hausierer, Wanderhändler und sonstigen „umherziehenden Händlern“ ausgesetzt. Der stationäre Händler unterschied dabei sinnvolles von schädlichem Hausieren. Existenzberechtigung hatten Wandergewerbetreibende, so sie die Versorgung in „abgelegenen Tälern, Gebirgen oder dem fernen Lande“ sicherstellten und dabei „zuverlässig und ehrlich“ agierten. Die Mehrheit der Hausierer wurde vom Einzelhandel allerdings als ökonomisch schädlich denunziert. Der Kunde bekäme schlechte, aber teure Waren, die aus „Ramschbazaren“ und Versteigerungen stammten. Anders als der Ladeninhaber habe der „fliegende Händler“ nur geringe Sachkenntnis und verfälsche daher „den Geschmack der Landbevölkerung“. Dem schlossen sich seit den 1880er Jahren stete Forderungen des Einzelhandels nach Sonderbesteuerung sowie Zugangs- und Sortimentsbeschränkungen an.651 Tatsächlich waren die „Hausierer“ oft der einzige Weg, die Distribution von modischen Waren zu großen Teilen der Landbevölkerung

Konf, Ein Textil-Einzelhändler schreibt an Parker Gilbert, 19.1.1929. Oft übersehen ist auch der konkurrierende „Bahnhofshandel“, der nicht den gewerbepolizeilichen Bestimmungen unterlag und viele internationale Kundschaft anzog. Die Textileinzelhandelsverbände standen auf dem Standpunkt, dass „Textilien, Schuhwaren, Haushaltungsgegenstände überhaupt nicht für den Bahnhofshandel in Frage kommen“, siehe Konf, Der Bahnhofshandel, 31.1.1925. Immer wieder berichtet wurde auch über spezielle „Schneeballsysteme“ im Raum Berlin (Spandau, Seegefeld). Kunden konnten Bekleidung für ein Achtel des Preises erwerben, so sie Ihrerseits weitere Kunden warben, siehe Konf, Volksbeglücker, 4.9.1926. 651 Exemplarisch: Konf, Wanderlager und Hausierer, 10.3.1921, Konf, Hausierhandel und Wanderlager, 24.3.1921; Konf, Die Bevorzugung der Wanderlager, 2.8.1924. 649 650

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schnell und günstig zu gewährleisten.652 In den 1920er Jahren revitalisierte sich das Ressentiment des gefährlichen Wanderlagerers. Die Verbände warnten vor „spekulativen, gewissenlosen Geschäftsleuten“, die hauptsächlich „Ausschussware an Minderbemittelte“ absetzten, und im Gegensatz zum regulären Handel, kaum Betriebskosten und Steuerlasten trugen. Der Ruf nach konsequenter Besteuerung, einem generellen Verbot oder einer allgemeinen Bedürfnisprüfung verstärkte sich.653 Neben diesen nichtstationären Handelsformen sah sich der Einzelhandel hauptsächlich durch die stark anwachsende Genossenschaftsbewegung und der Einrichtung von Konsum-, Beamten- und Gewerkschaftsvereinen bedroht. Genossenschaften, so der Haupttenor, verwalteten fremdes Geld, daher fehle „das gleiche Interesse am Geschäft“, „fachmännische Sachkunde“ oder jegliches „eigenes Risiko“. Konsumgenossenschaftliche Formen der Warendistribution lehnten die Einzelhandelsverbände ab, da sich das private Unternehmertum vor allem steuerrechtlich gegenüber den Konsumvereinen diskriminiert fühlte. Zwar konnte eine Umsatzsteuerbefreiung verhindert werden, doch waren die genossenschaftlichen Händler von der Entrichtung der „Rhein-Ruhr-Abgabe“, der „Brotversorgungsabgabe“, der „Arbeitgeberabgabe“ oder der Körperschaftssteuer befreit oder erhielten wie die „Warenversorgungsstelle Deutscher Gewerkschaften“ umfangreiche Reichskredite.654 Ende März 1924 warnte die „Deutsche Konfektion“ eindringlich vor genossenschaftlichen Einrichtungen, von denen zu erwarten sei, dass sie in naher Zukunft durch Fabrikanten bevorzugt würden oder aber zur Eigenfabrikation übergingen.655 Sorgen bereiteten dem Einzelhandel der Mitgliederzuwachs und die steigenden Umsatzzahlen der Konsumvereine. Allein zwischen 1924 und 1925 steigerten der „Zentralverband Deutscher Konsumvereine“ mit seinen 3,4 Millionen Mitgliedern seinen Umsatz auf 700 Millionen Reichsmark und die „Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine“ ihre Umsätze von 168,5 auf 228,7 Millionen Reichsmark. Der Wert der Eigenproduktion wuchs von 90 auf 160,6 Millionen Reichsmark. Die Reklame der Konsumvereine, so der Vorwurf, umwerbe besonders Arbeiter und Angestellte mit dem Versprechen besonders günstiger Waren-

„Sonderbarerweise [kommt der] Protest nur aus der Handelswelt, nicht aber auch von den Konsumenten“, siehe DK, Der Hausierer und seine Kundschaft, 14.6.1914. 653 Die Fachpresse beklagte ein „Überhandnehmen des Straßen- und Hausierhandels“ und das „Auftauchen von Wanderlagern mit minderwertiger Ware zu relativ hohen Preisen“. Weiter kritisierte man die mangelnde Erhebung von Umsatzsteuern infolge „mangelnder Buchführung und festen Örtlichkeit“, siehe Konf, Die Gefahren der Wanderlager, 12.9.1920; Konf, Merkblatt zur Abwehr der Wanderlager, 23.6.1921, DK, Irreguläre Konkurrenz des Einzelhandels, 27.3.1924; Konf, Libertè , Egalitè, 25.5.1929. 654 Konf, Konsumverein und Einzelhandel, 27.2.1921; Konf, Warenversorgungsstelle Deutscher Gewerkschaften, 18.8.1921; Konf, Erhöhung des der Warenversorgungsstelle deutscher Gewerkschaften gewährten Kredits, 25.8.1921. 655 So entstanden die genossenschaftlichen Eigenfabriken wie das „Sächsische Bekleidungswerk, Dresden“ oder Fabriken in Chemnitz. Die „Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine“ beschloss im Mai 1926 ein umfangreiches „Bauprogramm neuer Fabrikbetriebe“, siehe DK, Rattenfänger Konsum, 28.5.1926. 652

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preise. Die Einzelhandelspresse diffamierte die Konsumbewegung als „Rattenfänger“, die dem etablierten Handel „Milliardenumsätze“ kostete. Nahezu dialektisch versuchte die „Deutsche Konfektion“ aber ebenfalls die Gefahr der Konsumgenossenschaften für den Textilhandel zu verharmlosen. Zwar erweiterten die Konsumvereine ihre Sortimente seit Mitte der 1920er Jahre verstärkt mit Kleidung und Textilien, doch diese waren „in sehr vielen Fällen erheblich teurer“. Der Grund lag für die Fachpresse auf der Hand: „[Es ist ein] gewaltiger verkaufstaktischer Unterschied, ob man ein Pfund Kaffee verkauft oder einer Frau ein Kleiderstück. [ ] Bürokratismus ist im Modewarenbetrieb ein Ding der Unmöglichkeit“.656 Tatsächlich erwuchs dem Textileinzelhandel durch die Anziehungskraft des Genossenschaftsgedankens und dessen wachsender Einkaufskraft ein Konkurrent, aber kein existenzgefährdender. Zum einen erfolgte die Aufnahme von Textilwaren in die Sortimente tendenziell in Großstädten, in den Klein- und Mittelständen blieb der Textilhändler der Hauptverteiler für Kleidung an die Bevölkerung und kooperierte teilweise sogar mit Konsumgenossenschaften.657 Der Warenmangel des Ersten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte zur Bildung von eigenen Warenversorgungsstellen geführt, die sich ausschließlich an Staatsbedienstete oder Gewerkschaftsmitglieder richteten und von diesen betrieben wurden. Bereits zum Ende des ersten Kriegsjahres beteiligten sich Beamte am „geheimen Warenhandel“. „Der Konfektionär“ berichtete im Januar 1925 von einer Vielzahl behördlicher Einrichtungen, die „zum Zwecke eines gemeinschaftlichen Warenbezugs [missbraucht]“ worden waren.658 Diese in der Kriegszeit errichteten Warenversorgungsstellen wurden untersagt, bis Mitte der 1920er Jahre von den Ministerien und Behörden jedoch geduldet. Erst nach massiven Protest der Einzelhandelsverbände erging im Januar 1925 ein entsprechender Erlass des Reichsministeriums des Innern, nach dem die von Beamten unterhaltenen Warenversorgungsstellen ausdrücklich als „wirtschaftlich nicht mehr zweckmäßig und als eine nicht zu billigende Schädigung des Einzelhandels“ verurteilt wurden.659 Die Gewerkschaften hatten infolge der Warenunterversorgung ihrer Mitglieder im Januar 1922 erste Überlegungen in Richtung einer zentralen Warenversorgungsstelle angestellt. Demnach sollten der „Gesamtver„Der konsumgenossenschaftliche Gedanke besitzt gewaltige Zugkraft auf naive Gemüter und die Gefolgschaft, die hinter den Konsumvereinen und [ ] Gewerkschaft stehen“, siehe DK, Irreguläre Konkurrenz des Einzelhandels, 27.3.1924; DK, Die Offensive der Konsumgenossenschaften, 16.10.1925; DK, Rattenfänger Konsum, 28.5.1926. 657 Im Mai 1930 zählte vor allem Berlin konsumgenossenschaftliche Großwarenhäuser mit Textilwaren als Hauptartikel. Abseits der Großstädte entstanden Kooperationen, etwa des lokalen Einzelhandels mit der Konsum- und Produktivgenossenschaft „Niederrhein“: Hier bekamen die Genossenschaftsmitglieder bei ihrem Einkauf bei privaten Textilhändlern Warenumsatzmarken der Genossenschaft, siehe DK, Verblendeter Einzelhandel, 23.5.1930. 658 In Reaktion darauf erging am 30. Dezember 1914 eine Verfügung des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe, die den gemeinschaftlichen Einkauf untersagte, siehe Konf, Warenhandel der Staatsbeamten, 25.1.1915. 659 DK, Die Offensive der Konsumgenossenschaften, 16.10.1925. 656

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band christlicher Gewerkschaften“, der „Gesamtverband der Beamten- und Staatsangestelltengewerkschaften“, der „Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund“ und der „Deutsche Beamtenbund“ – die zusammen rund 20 Millionen Mitglieder vertraten – ein Netz von „Warenversorgungsstellen Deutscher Gewerkschaften“ aufbauen. Diese gewerkschaftlichen Selbsthilfe-Einrichtungen sollten durch den angestrebten Direktbezug vom Fabrikanten Bekleidung und Schuhe nicht nur preisgünstiger als der reguläre Handel anbieten, sondern die Auftragsvolumina sollten der hohen Arbeitslosigkeit der Fabrikarbeiterschaft entgegengewirken. Finanzielle Unterstützung fanden die Pläne im Reichsarbeits- und Reichsfinanzministerium.660 Kritik an den Plänen kam von den etablierten Konsumvereinen und den regulären Einzelhändlern. Beide Gruppen sprachen dem gewerkschaftlichen Modell eine ausreichende Qualität, Erfahrung und Organisationskompetenz ab.661 Die Bekleidungsfabrikanten begrüßten dagegen die gewerkschaftlichen Pläne einer Umgehung des Handels auf dem Weg zum Verbraucher. Bereits seit Herbst 1920 mehrten sich die Berichte über Personen, die Stoffe am Handel vorbei direkt aus den Herstellungsbetrieben absetzten. Aus Sicht des Einzelhandels begünstigten die Fabrikanten diesen „Hintertreppenhandel“ durch großzügige Personalkäufe, bei denen Arbeiter und Angestellte vergünstigt an Stoffe und Bekleidung gelangten, und diese teilweise weiter veräußerten. Nach der Hyperinflation intensivierte sich dieser Trend. Zum Weihnachtsgeschäft 1925 warben Fabrikanten verstärkt mit direkten Anzeigen: „Verkauf aus Kollektionen“ und „Abgabe zu Engros- und Fabrikpreisen“. Die Einzelhandelsverbände – allen voran der RHK und RDM – brandmarkten dieses Verhalten als, „Verstoß gegen den kaufmännischen Anstand“ und setzten detaillierende Fabrikanten auf „Schwarze Listen“. Zwar zeigte dies kurzfristige Erfolge, doch stoppen ließ sich der Direktabsatz nicht, da er nicht unter die Bestimmungen des Wettbewerbsgesetzes fiel.662 Die Konzernbildung im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie verschärfte den Direktabsatz bei Umgehung des regulären Handels. Beispielhaft ist das Geschäftsmodell des Zittauer Textilkonzerns Wagner & Moras.663 Im August 1931

Beide Ministerien unterstützten die Pläne mit einem Kredit in Höhe von 25 Millionen Reichsmark. Dieser stammte aus den Mitteln der produktiven Erwerbslosenfürsorge. Um günstige Preise zu erreichen sollte das Reich immer dann die Verluste ausgleichen, so die Ware wegen der Marktlage unter Einkaufspreis verkauft werden musste. Das Reichsdarlehen war jährlich mit 5,25 Prozent verzinst. 661 DK, Der Aufmarsch der Gewerkschaften gegen den Textil-Einzelhandel, 22.1.1921. 662 Im März 1926 kritisierten die Einzelhandelsverbände den Direktabsatz als „unfreundliche und illoyale Handlung“, die zwar nicht verboten war, aber „gegen Treu und Glauben“ verstieß. Die Einzelhandelsverbände riefen zu konsequenten Boykotten auf: „Jeder Fabrikant und Großhändler, der dem Einzelhandel illoyale Konkurrenz macht, ist als Belieferer des Einzelhandels auszuschalten“, siehe DK, Detaillierende Fabrikanten, 4.12.1925; DK, Detaillierende Fabrikanten, 26.3.1926. 663 1885 gründete Otto Moras, sen. in Zittau die Textilfabrik „Moras & Co“. Sein Sohn Otto Moras jun. gründete 1899 zusammen mit Friedrich Wagner die Textilfabrik „Wagner & Moras“, die 1924 nach Firmenzukäufen zum Textilunternehmen „Vereinigte Deutsche Textilwerke AG“ wurde. Das Unternehmen beschäftigte auf seinem Höhepunkt über 5.000 Arbeiter und Angestellte. Infolge der Wirtschaftskrise meldete 660

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empörte sich der Einzelhandel über dessen beispiellose „Fabrikantenattacke“. Wagner & Moras planten 60 „Direkt Stoffläden“ reichsweit zu eröffnen. Durch hohe Rationalisierung – Form- und Farbbeschränkungen sowie patentierte Verkaufs-, Pack- und Kassentische – sollten Stoffe vergleichsweise günstig verkauft werden. Infolge der Banken- und Wirtschaftskrise und durch forcierte Lobbyarbeit des organisierten Textileinzelhandels verwehrte die sächsische Landesregierung notwendige Kredite für die angestrebte Finanzierung der Expansion. Nicht nur Moras & Wagner, sondern eine Reihe Kettenläden von Fabrikanten – Strumpf-Metzger, Schuhfabrik M&L Hess AG, Erfurter Mechanische Schuhfabrik AG – gaben ihre Expansion auf oder mussten Konkurs anmelden. Aus Sicht des Einzelhandels bewies dies die Vorbehalte des Publikums für das „Direkt-System“. Der Einzelhandel sah sich im Vorteil, bot er doch größere Auswahl und niedrigere Preise infolge des höheren Lagerumschlags.664 Maßgeblich blieb aber die Bedrohungsperzeption durch Groß- und Warenhauskonzerne, die sich infolge der „Inflationskonjunktur“ durch Zukäufe, Fusionen, Kapitalerhöhungen und Zusammenschlüsse gebildet hatten. Die „Deutsche Konfektion“ kritisierte Konzernkonglomerate wie Stinnes-Schöndorff als „Kolosse auf tönernen Füßen“.665 Der Textileinzelhandel betrachtete die Warenhaus-Konkurrenz mit gemischten Gefühlen. Einerseits begrüßte er Sondersteuern und Wettbewerbseinschränkungen für Großbetriebe, andererseits trafen regulative Maßnahmen auch immer größere Fachgeschäfte. Zwar galten Warenhäuser weiter als verschwenderisch („hohe Spesen“) und Hort der „Massensuggestion“ (Reklame, „Lockartikel“), doch waren sie vielen Mittelständlern ein Vorbild in Bezug auf Ertragskraft, Organisation und Service.666 Der Textileinzelhandel beobachtete ab Mitte der 1920er Jahre mit zunehmender Sorge die Tendenz der Großbetriebe zur Konzentration, denn „Konzernbildung an sich [schaffe] noch keine zusätzliche Kaufkraft“.667 Vor allem der „Expansionsdrang“ der Rudolf Karstadt AG, von Hermann Tietz und der Schocken AG sowie die Bildung konzernähnlicher Einkaufsstrukturen bei größeren Spezialgeschäften rückten die Einzelhandelsstrukturen nach Auffassung der Fachpresse an die Strukturen der „Industrie-Aktiengesellschaften“ heran.668 Besonders der Kauf des Jandorf-Konzerns das Unternehmen 1932 Konkurs an, siehe Biographisches Lexikon der Oberlausitz, Eintrag „Moras, Otto“, http://wiki2.olgdw.de/index.php?title=Moras,_Otto, zit. nach Mälzer, Bernd: Die Unternehmerfamilie Moras im Zittauer Land. In: Zittauer Geschichtsblätter 31/2005. 664 DK, Fabrikantenattacke auf den Einzelhandel, 28.8.1931; DK, Das Ende der „Direkt-Geschäfte“, 20.5.1932; Konf, Wagner & Moras kapitulieren,18.6.1932. 665 DK, Stinnes – Schöndorff, 18.2.1922. 666 DK, Hier Warenhaus, hie Spezialgeschäft, 17.8.1926. 667 Konf, Leben und leben lassen!, 10.2.1926. 668 Allein im Jahr 1926 kaufte der Karstadt-Konzern die Geschäfte des Emden-Konzerns. Hermann Tietz bildete eine Gemeinschaft mit dem Conitzer-Konzern, kaufte das Warenhaus Wilhelm Stein, Berlin und übernahm schließlich die Jandorf ’schen Warenhäuser und stieg damit zum größten Warenhauskonzern Europas auf. Schocken eröffnete neue Filialen, darunter in Nürnberg, die Gebrüder Ury expandierten

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(„Kaufhaus des Westens“, Berlin) durch Hermann Tietz zum 1. Januar 1927 befeuerte die Diskussion um die Vertrustung des deutschen Einzelhandels. Hermann Tietz betrieb nun allein in Berlin zehn Warenhäuser und war mit 14.000 Angestellten der größte Berliner Warenhauskonzern.669 Die Konzernleitung bemühte sich, die Vorteile der Übernahme für den Einzelhandel und die Kundschaft zu betonen. Man habe, so der Mithinhaber Dr. Zwillenberg, das „Rationalisierungspotenzial“ genutzt. Äußerlich ergebe sich für die Kunden keine Änderung, preislich könne der Konzern nun erreichte Preissenkungen durch größere Einkaufspotenziale und Produkttypisierungen weiterreichen. Der Warenhauskonzern trete nicht in Konkurrenz mit gut sortierten Fachgeschäften und plane auch nicht die Errichtung von Einheitspreisgeschäften.670 Im Dezember 1925 hatte die Leonard Tietz AG die Kölner „Einheitspreishandelsgesellschaft GmbH“ mit zwei Geschäften gegründet und damit das Modell „Einheitspreisgeschäft“ nach Deutschland gebracht.671 Ziel war es – nach dem amerikanischen Vorbild Woolworth – durch größtmögliche Rationalisierung und Zusammenfassung des Einkaufs (Textil-)Artikel in nur zwei Preislagen – zu 20 und 50 Pfennig – abzusetzen.672 Bis ins Frühjahr 1926 hatten sich die neuen Tietz-Läden derart gut entwickelt, dass Warenhäuser, Spezialhäuser und auch Großhändler mit dem Aufbau eigener Einheitspreisgeschäfte und -abteilungen begannen.673 Auch mittelständische Händler nach Königsberg. Viele der großen Textil-Einzelhandelskonzerne errichteten Einheitspreisläden (Leonard Tietz, Karstadt, Ury). Spezialhäuser schlossen sich zu neuen Einkaufsorganisationen zusammen. So schloss sich etwa Gebr. Leffers AG, Delmenhorst der Westdeutschen Einkaufsgesellschaft mbH, Köln an. Auch eine Vielzahl an Interessengemeinschaften, etwa zwischen dem Alsberg-Konzern und der Elberfelder Textil-Handels-Aktiengesellschaft, Berlin, entstanden, siehe DK, Bilanz des Konzernjahres 1926, 23.12.1926. 669 Über die Höhe des Kaufpreises und die Finanzierung der Übernahme spekulierte die Fachpresse lebhaft. Tietz versicherte, dass der Ankauf „ausschließlich mit deutschen Geld“ geschehen war und dementierte den kolportierten Kaufpreis von 30 bis 40 Millionen Reichsmark. Der neue Konzern betrieb die Häuser unter deren alten Namen und Rechtsformen weiter. Tietz-Jandorf verfügte nun über fünf Einkaufszentralen (Berlin, Elberfeld, Chemnitz, Plauen, Offenbach), 18.000 Angestellten reichsweit und bewirtschaftete eine Grundstücksfläche von 53.000qm (Berlin) bzw. 83.000qm (Reich), siehe Konf, Hermann Tietz-Jandorf – der neue große Warenhaustrust, 4.12.1926. 670 „Ein Nebeneinanderbestehen [von Warenhaus und Fachgeschäft] ist möglich, nur die Einzelhandelsbetriebe mit Stapelartikeln werden kaputtgehen“, so die allgemeine Einschätzung der Fachpresse, siehe Konf, Die neue Expansion von Hermann Tietz, 8.12.1926. 671 Vgl. etwa Berghoff (2007), S. 140 f.; ältere Überblicksdarstellungen etwa Mutz (1932). 672 Zur Geschichte von F. W. Woolworth vgl. Pitrone (2003), v. a. S: 71–90; Das Woolworth-Einheitsverkaufssystem (5 bis 10 Cent-Artikel) hatte bereits „riesigen Erfolg“ in England und den USA: „Die Verkäuferinnen stehen in einem Karree und händigen dem Käufer die verpackt liegenden Waren sofort gegen Empfangnahme des Geldes aus“. Allein in Großbritannien existierten 300 solcher Läden und „jede Woche entsteht ein neuer Laden“. Die Fachpresse errechnete, dass sich die geplanten Einheitspreise nur über den Massenabsatz und Großeinkaufspreise kalkulieren lassen, siehe DK, Einheitlicher Detailverkauf zu 25 und 50 Pfennig, 31.12.1925. „Verkäufer sind weniger Verkäufer als Aushändiger der Waren und haben keinerlei warenkundliche oder psychologische Ausbildung notwendig“, siehe Konf, Warenhaus, Spezialgeschäft und Einheitspreisverkauf, 7.11.1928. 673 A. Wertheim und Hermann Tietz hatten sich bereits entsprechende Firmenamen gesichert. Spezialhäuser wie die Offenbacher S. Wronker & Co. hatten eigene Einheitspreisabteilungen eingerichtet. Die Leipziger Großhandelsgesellschaft Grohag eröffnete Einheitspreis-Häuser unter dem Namen „Wohlwert“-

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gingen in Reaktion auf die positive Entwicklung vereinzelt zu Einheitspreisgestaltung über. Das Mönchengladbacher Textilhaus Gebr. Abraham, das ein ähnliches „Kettenladensystem“ aufgebaut hatte, betonte allerdings die großen und langfristigen Einkaufsvolumina, nämlich eine „ganz gewaltige, äußerst kapitalkräftige Einkaufsorganisation, die in der Lage ist durch sicheren Absatz besonders für sie hergestellter Qualitäten die Fabriken so gut zu beschäftigen, dass der Fabrikant von langer Hand und rationell sich auf diese Massenerzeugung einstellen kann“.674

Die Tendenz der Großbetriebe der Textileinzelhandelsbranche zur Rationalisierung, Zentralisierung und Expansion zeigt ein genauer Blick auf die strategischen Entscheidungen des Schocken-Konzerns in den Jahren 1925 bis 1929. Bereits 1922 planten Salman Schocken und Georg Manasse, den Konzern auf den Wachstumskurs der Vorkriegsjahre zurückzuführen.675 Die Jahre 1924 bis 1931 gelten als die erfolgreichsten Geschäftsjahre des Konzerns. Entscheidenden Anteil hatte die strategische Neuausrichtung des Einkaufs und Verkaufs vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Jahre 1914 bis 1923. Georg Manasse formulierte im Februar 1924 und rückblickend im Mai 1926 die Beweggründe, Wege und Ziele dieser für den Konzern revolutionären Neuausrichtung in zwei Positionspapieren („Psychologie und Technik des Einkaufs“, „Unser Einkauf “).676 In der Vorkriegszeit vollzog sich der Einkauf „gleichmäßig“. Zu festgelegten Terminen im Juli bis September bzw. Februar bis März (Frühjahr- bzw. Herbstorders) wurden Lieferanten per Postkarte aufgefordert, Muster zu schicken. Diese prüfte Schocken, legte das Sortiment fest und bestellte die wichtigsten Artikel unter möglichst starker Reduktion des Einkaufspreises für ein halbes Jahr oder eine Saison. Dieses System hatte Schocken im März 1924 erneut in Existenznot gebracht. Die alten Bestellungen der Nachkriegszeit gelangten nun zur Auslieferung und überstiegen um ein Vielfaches die Umsätze. In Kombination mit kurzen Zahlungszielen schärfte sich

Handelsgesellschaft und verkaufte dort Modekollektionen. Im Februar 1932 beabsichtigte die Rudolph Karstadt AG „vorläufig sechs Geschäfte in sogenannte standardisierte Kaufhäuser umzuwandeln“. Diese Planungen bezogen sich auf die Vereinheitlichung der Preise, des Einkaufs, der Kalkulation, der Lagerhaltung und die äußere Aufmachung der Geschäfte. Ende März 1932 eröffnete die erste Filiale in Berlin („Karzentra“), dann folgten fünf weitere im Reich, darunter Hamburg. Das Sortiment umfasste „in erster Linie Textilien und Bekleidung“ siehe DK, Einheitspreissystem auf dem Vormarsch, 9.4.1926; DK, Der Einheitspreis auf dem Vormarsch, 18.6.1926; Konf, Warenhaus, Spezialgeschäft und Einheitspreisverkauf, 7.11.1928; Konf, Karstadt’s „standardisierte Kaufhäuser, 13.2.1932; Konf, Karstadts neuestes Experiment, 16.4.1932. 674 Konf, Gedanken zum Einheitspreissystem, 9.6.1926. 675 Nämlich „begünstigt [ ] durch die Auslese der wirtschaftlich leitenden Betriebe, die vor sich gehen wird, und die ein Zurücktreten der wirtschaftlich nicht leistungsfähigen Betriebe herbeiführen wird“., siehe Fuchs (1990), S. 107 f. 676 Im Folgenden vgl. Referate des Direktors Manasse „Psychologie und Technik des Einkaufs“, 23.2.1924 sowie „Unser Einkauf “, 6.5.1926, StAC 33309–33.

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das Liquiditätsproblem. Und so entschied man sich zur „lückenlosen Ordersperre“. Im Mai 1924 weichte man diese Sperre auf, unterließ jedoch sämtliche Vorausszahlungen und tätigte nur Einkäufe mit langem Zahlungsziel.677 Anders als noch 1919/1920 suchte Schocken die Schuld an der Ertragssituation nicht bei seinen Vorlieferanten (wie nun auch die Textileinzelhandelsfachverbände), sondern im eigenen Haus. Salman Schocken hielt die Konditionenverschärfung für „nicht unsachlich“, sondern Folge einer „Fieber-Hausse“ des Einzelhandels, der zu viel bestellt hatte.678 Diesen in weiten Kreisen des Textilhandels weiter praktizierten Prozess hielt Schocken aus mehreren Gründen für überholt. Unter der Kriegs- und Übergangswirtschaft hatte sich die Warenqualität deutlich verschlechtert. Daher müsse man sich vom Diktum „nicht billig, nur Qualitäten gehen“ trennen. Zugleich belieferten Großhandel und Fabrikanten den Einzelhandel – differenziert nach Betriebsgröße – mit gleichen Waren zu unterschiedlichen Preisen.679 Während Fabrikanten drei Preislisten führten – für Großhandel, große Einzelhändler und Kleingeschäfte (im Preis aufsteigend) – und der Großhandel gegenüber dem Einzelhandel zehn bis 40 Prozent Aufschlag kalkulierte, entschloss sich Schocken, den Großhandel beim Warenbezug weitgehend auszuschalten, indem man gegenüber den Lieferanten selbst als Großhändler auftrat.680 Dies erreichte man durch Typenreduzierung, Großdisposition und absolute Fachkenntnis. Danach etablierte sich der neue Grundsatz: „Je besser man einen Artikel kennt, desto weniger Ausführungen dieses Artikels benötigt man“. Schocken entschloss sich, sein Kleinartikelsortiment in Bezug auf Typen und Preislagen systematisch zu verknappen. Statt drei Sorten Kernseife nur noch eine, statt zehn Preislagen in einem Sortiment nur noch Preislagen von 10, 25 und 40 Pfennig. Damit dies gelang, wurde der Einkauf und die Betriebsstatistik noch strenger systematisiert, zentralisiert und professionalisiert. Zu jedem Artikel musste der „Friedenspreis“, der „Weltmarktpreis“, der „Fabrikantenpreis“ und der „Rohstoffpreis“ bekannt sein. Nur so war es möglich, den Lieferanten auf Augenhöhe zu begegnen und sich nicht übervorteilen zu lassen. Mit der Fokussierung auf enge Sortimente trat der Konzern durch großvolumige Orders überall als Großhändler auf und konnte die billigsten Preise verlangen. Sämtliche Dispositionen mussten für jeden einzelnen Artikel in Bezug auf Qualität und Preis schriftlich fixiert werden, um ggf. einklagbar zu sein. Durch die strafferen

Vgl. G. B. Nr. 707, 24.3.1924, StAC 31451–451; G. B. Nr. 714, 17.5.1924, StAC 31451–451. Schocken machte sich die Aussage des Textilindustriellen Abraham Frowein zueigen: „Die übermassig hohe Beschäftigung in der Textil-Industrie ist darauf zurückzuführen, dass besonders der Einzelhandel in ganz unsinniger Weise Bestellung auf Bestellung gehäuft hat, und dass die Industrie sich nunmehr schützen muss, um nicht unter dem Risiko zusammenzubrechen. Das Risiko müssen eben die Kreise tragen, die die Aufträge für die nicht zu übersehende Zukunft erteilt haben“., siehe G. B. Nr. 713, 13.5.1924, StAC 31451–451. 679 Damit konnte ein Handelsunternehmen wie Schocken Einkaufspreise nicht frei mit Lieferanten verhandeln, sondern war bemüht, in die „billigste“ Kategorie (Grossist) zu kommen, vgl. Fuchs (1990), S. 99. 680 Vgl. Ein Kapitel über den Einkauf, 22.5.1924, StAC 31451–452. 677 678

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Sortimente arbeitete Schocken fortan nur mit den leistungsfähigsten Fabrikanten zusammen und erwarb sich durch die schnelle Regulierung, Mengenabsatz, Fachkenntnis und Rechtssicherheit die Position, die günstigsten Preise einzufordern: „Alles in allem muss das Gefühl des Lieferanten, wenn man zum Abschluss gekommen ist, nicht sein, dass [ ] er übers Ohr gehauen ist; er muss sich sagen, dass er vor einem Kunden gestanden hat, der nicht nur verlangt, sondern auch Anspruch darauf hat, zum letzten Preis, der überhaupt möglich ist, eine richtige und [ ] verwendbare Ware zu erhalten“.681

Bis 1926 widersetzten sich einige Schocken-Häuser den strikten Sortimentsbeschränkungen. Zum einen lag deren Umsatzschwerpunkt in modischen Artikeln, Konfektion und Schreibwaren – Waren, die anders als Kernseife, Hemdenflanell oder Kaffee weniger geeignet waren, um die Auswahl zu begrenzen. Hauptsächlich befürchteten Häuser in Klein- und Mittelstädten, ihrem Ruf als „das Warenhaus am Orte“ nicht mehr gerecht zu werden. Im Jahr 1927 zog Schocken eine durchweg positive Bilanz der Neuausrichtung des Einkaufs von „frühzeitiger Disposition“ hin zu einer „Bedarfsdeckung bis unmittelbar vor Bedarfseintritt“. Zwar stand hinter dieser Neuausrichtung viel Organisation und Flexibilität, andererseits schützte die Strategie den Konzern „im Gegensatz zu den meisten anderen Großbetrieben“ und Fachhändlern vor Verlusten bei noch nicht belieferten Aufträgen der Industrie durch Preisrückgänge. Die Kunden vertrauten indes dem Namen Schocken („Immer die weitaus billigsten“) und ließen die Umsätze trotz Preisrückgängen „markmässig und [ ] mengenmäßig noch stärker [an]steigen“.682 Denn neben dem Einkauf richtete Schocken auch den Verkauf neu aus. Vor Führungskräften betonte Direktor Manasse im Sommer 1926 die Notwendigkeit geringer Einkaufspreise für den beabsichtigten Massenabsatz: „Wenn man in einem bestimmten Lager in einem Geschäft einen Umsatz von 100.000 RM erzielen will, so kann man sich entschließen, ob man 1) 10.000 Menschen veranlassen will zu 10 RM zu kaufen oder 2) 50.000 Menschen veranlassen will für 2 RM zu kaufen. [ ] Uns liegt der zweiter Weg aber näher“.683

Gegenüber Fabrikanten beschrieb Schocken eindeutig seine Leitlinien: „Bei der starken Disparität zwischen Industriepreisen einerseits, Lohn- und Gehaltshöhe = Kaufkraft der breiten Schichten andererseits, ist der Hauptwert auf richtige Gebrauchsware in billiger und mittlerer Qualität zu legen. Verzicht auf reichliche Sortimente, Konzentrierung auf wichtige Artikel und knappe Kalkulation sind die Voraussetzungen auch mengenmässig gesteigerten Umsatzes. [ ] Wir sind, teilweise zwangsläufig, dazu übergegangen, bei kleinen Spezial-Fabrikanten Standardartikel in großen Mengen anfertigen zu lassen und so ist es gekommen, dass der Hauptteil des Gesamtumsatzes in ganz wenigen Artikeln gemacht wird. [ ] Nur so ist es uns gelungen, den Umsatz unserer Häuser nicht nur goldmarkmässig, sondern, was allein wichtig ist, auch mengenmäßig wesentlich zu heben“, siehe Schreiben an Fa. J. Elsbach & Co. AG vom 18.5.1925, in: G. B. Nr. 795, 26.5.1925, StAC 31451–451. 682 Vgl. G. B. Nr. 886B, 15.8.1927, StAC 31451–451. 683 Vgl. Referat von Direktor Manasse zu der Sonntagstagung der Schocken KGaA, 6.6.1926, StAC 33309–33. 681

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Oberste Devise im Verkauf lautete: „Für jeden Kunden gibt es den gleichen Preis und gleiche Verkaufsbedingungen“. Handeln, Borgen oder Kundenkredite blieben absolutes Tabu. Im Gegensatz zum traditionellen Fachhandel sollte der Schocken-Verkäufer den Kunden nicht zum Kaufen drängen, wohl aber Kundenwünsche antizipieren. Dazu bedurfte es einer konsequenten Aus- und Weiterbildung des eigenen Personals. Bereits 1925 setzte Schocken auf interne Eignungsprüfungen in Sach- und Warenkunde für Lehrlinge und künftige Angestellte, während das Gehalt und der Urlaubsanspruch im Konzern deutlich über dem gesetzlich vorgeschriebenen Maß und auch über dem Niveau der Mitbewerber lagen.684 Eine eigene Abteilung für Berufsförderung sorgte ab 1926 für entsprechende Weiterbildungsangebote. Freiwillige Sozialleistungen wie Weihnachtsgeld (erstmals 1926), ein eigenes Erholungsheim (ab 1919 in Betrieb) und eine Pensions- sowie Personalunterstützungskasse machten Schocken zu einem attraktiven Arbeitsgeber. Zentral waren auch die Architektur, die Inneneinrichtung und die Ausgestaltung der Geschäftsräume, um gezielt Kaufanreize zu setzen: „[Das] Lokal muss überall das interessanteste der Stadt sein. [ ] Wenn eine Frau sich orientieren will, was die Mode bringt [ ] dann ist für sie der Besuch unseres Hauses das Gegebene. Sie kann sich zwanglos orientieren, kann schöne Sachen sehen und in aller Ruhe ihre Entschlüsse fassen“.685

Die Außenwahrnehmung sollte durch regelmäßige Sonderverkäufe definiert werden. Im Unterschied zu Wettbewerbern sollten diese aber nicht lautschreiend oder irreführend sein, sondern betriebswirtschaftlich „stille Monate“ ausgleichen.686 Alle zwei Monate sollten bestimmte Sortimente, die in ausreichenden Maße vorhanden waren, durch einheitlich günstige Preise beworben werden, um so den Lagerumschlag zu erhöhen und Platz für neue Dispositionen zu machen. Parallel zur Neuausrichtung des Ein- und Verkaufssystems entwickelte sich das durch die Warenhauskette Tietz etablierte Einheitspreismodell im Frühjahr 1926 zu einer Herausforderung für den Schocken-Konzern. Salman Schocken sah im April 1926 das Einheitspreismodell als eine Modernisierungschance für das gesamte Unternehmen: „[I]ch glaube, dass wir heute vor einer Situation stehen [ ] – um vielleicht mit einem großen Sprunge nach derselben Richtung wie bisher auf eine neue Ebene der Tätigkeit zu kommen. [ ] [Ich sehe, dass] aus Amerika kommend gewisse neue Formen gewollt werden; der Haupttypus sind die Ehape-Geschäfte in Köln. [ ] [I]ch [habe] auch gesehen

684 Etwa 2,50 Mark mehr Lehrlingsgehalt und 18 Urlaubstage für Lehrlinge und Angestellte sowie Urlaubsgeld für Angestellte (ab 1926). 685 Vgl. Referat von Direktor Manasse zu der Sonntagstagung der Schocken KGaA, 6.6.1926, StAC 33309–33. 686 „Wir rufen nicht, ohne zu wissen, dass wir etwas zu bieten haben“, siehe ebd.

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[ ], dass die Herren Tietz einen richtigen Schritt machen: Sie setzten neben ihr elegantes City-Geschäft [ ] eine Unmenge Geschäfte für den kleinen Konsum“.687

Nach einem persönlichen Besuch der Kölner Ehape-Geschäfte zeigte sich Salman Schocken von den Potenzialen der neuen Geschäftsform begeistert: „Ein elegantes Kaufhaus und kleiner Einheitspreis-Bazar. Mir ist [ ] klar geworden, dass wir Schritte tun müssen zu einer Typisierung des bei uns schon in der Entwicklung bestehenden: Schaffung einer Geschäftstype, die wir 50 mal in Deutschland hinsetzen können, aber nicht in hundert, sondern in wenigen Jahren, – die lediglich auf Stoßartikel aufgebaut ist und zu deren Leitung keine außergewöhnlichen unübersichtlichen Geschäftshandlungen nötig sind, sondern die von einer zentralen Verkaufsstelle aus geleitet werden können“.688

Schocken wollte sich also zunehmend am entstehenden Massenmarkt orientieren. Das größte Problem für Schocken war der passende Standort und die passende Ware solcher neuen Geschäfte. Reine Einheitspreisgeschäfte funktionierten nur in Großstädten. Hier waren die Kundenpotenziale groß genug. Zugleich brauchte es Waren, die sich nicht unmittelbar am konkreten Kundenwunsch orientierten, sondern durch ihre Preiswürdigkeit zum schnellen Kaufen motivierten: „Leider muss ich gestehen, dass ich selbst nicht in der Lage bin zu urteilen, [ ] ob es möglich ist, in der Großstadt Geschäfte aufzuziehen, die prinzipiell nach oben sich abgrenzen, – da wir bisher keine Sortimente, sondern nur Ware führen, die nicht unbedingt aufgrund eines Konsumwunsches des Kunden seinen Käufer findet, sondern die sich mehr an die Geschäftsart der Ehape-Geschäfte anlehnt. Wo niemand damit rechnet, einen bestimmten Artikel zu kaufen, sondern man geht hinein, nur um zu kaufen“.

Schocken formulierte damit erstmals den Anspruch, mit Einheitspreisgeschäften auch in Großstädten präsent zu sein und sich damit der direkten Konkurrenz anderer Großbetriebe auszusetzen. Das Risiko war Schocken bewusst: Erfolg würden diese Neugründungen aber nur haben, so man mehrere Häuser in derselben Stadt eröffnete, den Lagerumschlag drastisch erhöhe und trotzdem seine sozialen Pflichten gegenüber der Kundschaft und den Mitarbeitern erfülle – das bedeutete auch, sich nicht in ein anonymes Warenhaus zu wandeln: [ ] Will man nach der Großstadt gehen, und ich glaube wir wollen es, weil in der Kleinstadt die Ehape, die ich schilderte, nicht zu schaffen ist, sondern nur in der Großstadt [ ]: Den rechten Erfolg kann man erst dann haben, wenn man mehrere Geschäfte an einem Ort aufmacht [ ] Wie weit ist es da zu berücksichtigen, dass wir an unseren Standorten

Vgl. Auszug aus der Rede des Herrn S. Schocken jun. Auf der Direktoriums-Sitzung vom 28.4.1926, StAC 31451–427. 688 Vgl. ebd. 687

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

die soziale Pflicht haben, Warenhäuser a la Wertheim zu sein? [ ] Die Umwandlung muss in der Hauptsache darin bestehen, dass wir anstatt des vierfachen Umsatzes es auf einen achtfachen bringen“.689

Mit Salman Schockens Vorgaben machte sich die Geschäftsführung an die konkrete Konzipierung der Einheitspreis-Idee. Das Tietz’sche Ehape-System galt dabei als Schablone. Schocken plante, sog. „Typen-Kaufhäuser-Schocken“ (TKS) entweder neu zu errichten oder bestehende Häuser entsprechend umzustrukturieren. Neu war, dass hier nun nicht begrenzte Hauptwaren, sondern Waren aus allen Branchen zu einem Einheitspreis verkauft werden. Die Artikelauswahl im TKS sollte gegenüber normalen Schocken-Häusern bei 10:1 liegen. Die Artikelpreise sollten durchweg „Reklamepreisen“ entsprechen mit dem Ziel, dass die Kundin weiß, dass sie hier „gewisse Sortimentsartikel, die [die Kundin] immer braucht, besonders billig bekommt“. Rentabel, so diverse Gutachten, würden die TKS nur sein, wenn deren Umsatz etwa über 50 Prozent über den normalen Schocken-Häusern läge. Dazu müsse der jährliche Lagerumschlag auf den Faktor Acht steigen. Damit verbunden war ein hoher Verkaufspersonalaufwand. Alle anderen Fixkosten müssten dagegen drastisch reduziert werden. Dazu sollten die TKS-Häuser die „kürzeste Finanzdecke im Einzelhandel“ haben. Lokale und Grundstücke sollten fortan nicht mehr gekauft, sondern gemietet werden. Der Verwaltungsapparat sollte auf das Nötigste reduziert und auf das Engste durch ein formalisiertes Berichtswesen und Inspektionen an die Zentrale angebunden werden. Im Laufe der weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen kamen diese Ideen jedoch nicht weiter zur Verwirklichung.690 Die Überlegungen verdeutlichen aber, wie Schocken konzeptionell versuchte, den kurzen wirtschaftlichen Aufschwung durch Rationalisierung und Zentralisierung zu nutzen, neue Kundenpotenziale zu erschließen und sich nun dem Wettbewerb mit anderen Großbetrieben in den Großstädten zu stellen. Im November 1927 unterstrich Salman Schocken vor seinen Einkäufern zwar die bisherigen Erfolge der straff zentralisierten Organisation, nannte deren Nachteile aber auch beim Namen. Zum einen gebe es noch erhebliche Potenziale bei der Mengenund Lagerstatistik der einzelnen Häuser. Grundlegender waren jedoch die erheblichen Probleme im direkten Erfahrungsaustausch zwischen Häusern und Zentrale: „Eines ist bei uns schwer: die Filialen leisten so gut wie nichts in Bezug auf Anregung, Rügen, Berichtigung und Gestaltung der eigentlichen geschäftlichen Arbeit [ ] Sie sind alle zu stark eingebaut in die zentralen Direktiven – für die Dauer ist das nicht gut“.691

Vgl. ebd. Vgl. Abschrift „Punkt L der Tagesordnung: Die zukünftige Ausgestaltung unserer Häuser und Neugründungen, o. D., StAC 31451–427; Vorschlag zu der Frage einer „Type Kaufhaus Schocken“, 28.5.1926, StAC 31451–427. 691 Vgl. Referat des Herrn S. Schocken jun. Bei der Einkäufer-Konferenz, 28.11.1927, StAC 31451–449. 689 690

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In Hinblick auf die fortschreitende Expansion des Konzerns, sah Schocken überdies einen echten Mangel an geeigneten Fachkräften. Am 11. Oktober 1926 hatte das bis dahin größte Schocken-Kaufhaus in Nürnberg eröffnet.692. Im selben Jahr erfolgte ein Erweiterungsbau in Cottbus (20. Oktober 1926). Am 18. März 1927 gründete Georg Manasse das Kaufhaus Manasse in Mühlhausen, welches an den Schocken-Konzern angegliedert war.693 Die im März 1927 geplante Eröffnung des Stuttgarter Hauses musste wegen Personalmangels auf den Oktober 1928 verschoben werden (Tabelle 33), weil auch die interne Personalentwicklung an ihre Grenzen stieß: „Es ist Tradition gewesen, dass man den Substituten nicht mochte. Es gibt kaum einen Rayonchef, der eine fruchtbare Hand in Bezug auf Substituten hatte. Es ist so, dass ich seit 20 Jahren Beschwerde führe gegen diesen Tatbestand. [ ] Wenn die Erziehung von Substituten schlechte Ergebnisse hat, liegt dies in der Qualifikation der führenden Leiter, solche Erziehungsarbeit leisten zu können oder nicht. [ ] Wir können weder für Stuttgart noch für andere Gründungen uns die dortigen Kräfte durch die Zeitungen beschaffen; wenn diese Kräfte nicht durch Sie hervorgehen, haben Sie versagt. An Nürnberg gemessen sind unsere Ergebnisse sehr schlecht. Wir haben dorthin eine viel zu geringe und zu schwache Stammgruppe von erzogenen Angestellten geschickt. Wir von der zentralen Leitung sind angewiesen, die Qualifikation der Abteilungsleitungen daran zu messen, wie sie die erzieherische Arbeit an den Substituten leisten“.694 Tab. 33 Expansion des Schocken-Konzerns, 1926 bis 1928 (Stammhaus und 15 Filialen)695 Eröffnungsdatum

Ort

Region

Bemerkungen

11.10.1926

Nürnberg

Bayern

Neu

4.10.1928

Stuttgart

Württemberg

Neu

Crimmitschau

Sachsen

Neu

15.11.1928

Doch Schocken bekam die Personalprobleme in den Griff. Die Zahl der Festangestellten bei Schocken hatte sich in den Geschäften von 920 auf 3.600, in der Zentrale und Fabrikation von knapp 200 auf mehr als 540 erhöht. Insgesamt beschäftigte der Schocken-Konzern zum Jahresbeginn 1930 4.150 Angestellte (Tabelle 34).

Im „Bauhausstil“ vom Berliner Architekten Erich Mendelsohn erbaut. Dort arbeiteten 450 Angestellte und es bot den Kunden 6.000 Kollektionen mit 100.000 Artikeln von gut 2.000 Industriefirmen. 693 Die örtliche Geschäftsführung lag bei Withold Freudenheim und Albert Manasse. Der Manasse-Ableger entwickelte sich in den Folgejahren sehr erfolgreich, siehe Broschüren „Kaufhause Manasse“, GMC, LBI AR 6379; Sonderdruck „Kaufhaus Manasse“ vom 18.3.1927, StAC 31451–241. 694 Vgl. Referat des Herrn S. Schocken jun. Bei der Einkäufer-Konferenz, 28.11.1927, StAC 31451–449. 695 Aufstellung „Eröffnungen“, StAC 33309–33. 692

01.01.1926

1.077

195

1.272

01.01.1927

1.600

274

1.874

01.01.1928

1.799

339

2.138

01.01.1929

2.890

441

3.331

01.01.1930

3.607

543

4.150

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Tab. 34 Festangestellte, Schocken AG, 1924–1930696

Zur Jahreswende 1927/28 erweiterte der Konzern die Produktionskapazitäten seiner Chemnitzer Stichtag Gesamt aller Geschäfte Zentrale Berlin und Fabrikation Zusammen Strumpffabrik auf 57 Angestellte und einen monatlichen Ausstoß von 15.000 bzw. 60.000 Paar 01.10.1924 920 Es folgten ein Kaufhaus in Crimmitschau 196 1.116 Herrenund Damenstrümpfen. (15. November 1928) und 1.138 der01.01.1925 Ausbau des Kaufhauses942 Regensburg zum Jahresende 196 1928. In allen Häusern bemerkte der Geschäftsbericht 1928/29 eine „gesunde Aufwärtsentwicklung“ und „überall 01.01.1926 1.077 195 1.272 Umsatzsteigerungen“. Diese waren Ergebnis eines generellen Verzichts auf 01.01.1927 1.600 274 1.874 Sonderveranstaltungen und Saisonausverkäufe sowie einer ebenfalls im Sommer 1928 01.01.1928 1.799 339 2.138 beschlossenen Arbeitsteilung zwischen der I. Schocken Söhne OHG und der Einkaufszentrale I. 01.01.1929 2.890 441 3.331 Schocken Söhne GmbH. Diese Maßnahmen trugen zu einer günstigeren Kalkulation bei, die 01.01.1930 unnötig werden 3.607 ließ, und den Kunden jederzeit 543 niedrige Preise garantierte. 4.150697 Sonderaktionen

70

16 13,52

60 50

Umsatz

698

14

12,63 10,02

11,59

10,32

10

10,44

40

8

30

6

20

4

10 0

12

Umsatzrendite %

Millionen

Abbildung 8 Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1924 bis 1929

2 17

20

26

36

46

64

1924

1925

1926

1927

1928

1929

Umsatz in Mill. RM

0

Reingewinn einschl. Miete und Zinsen in % vom Umsatz

Anmerkungen: Umsatz in Millionen Reichsmark (gerundet), lfd. Preise; Umsatzrendite in Prozent. Abb. 8 Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1924 bis 1929697

Anmerkungen: Umsatz in der Millionen Reichsmark (gerundet), lfd. Preise; Umsatzrendite in1924 Prozent. Der Einzelhandelsumsatz Schocken AG hatte sich zwischen den Geschäftsjahren und 1929 von 17 Mrd. auf 64 Mill. Reichsmark knapp vervierfacht. Der Anteil des Reingewinns am Umsatz schwankte im1927/28 selben Zeitraum mit leicht sinkenderdie Tendenz zwischen zehn bis 14 Prozent Zur Jahreswende erweiterte der Konzern Produktionskapazitäten seiner (Abbildung 8). Chemnitzer Strumpffabrik auf 57 Angestellte und einen monatlichen Ausstoß von

15.000 bzw. 60.000 Paar Herren- und Damenstrümpfen. Es folgten ein Kaufhaus in Crimmitschau (15. November 1928) und der Ausbau des Kaufhauses Regensburg zum Jahresende 1928. In allen Häusern bemerkte der Geschäftsbericht 1928/29 eine 697 Sonderdruck „Kaufhaus Manasse“ vom 18.3.1927, StAC 31451-241; Jahresbericht der Schocken KGaA „gesunde und „überallderUmsatzsteigerungen“. Diese waren Er1928/29, StACAufwärtsentwicklung“ 31451-175; Schreiben betr. Durchführung Arbeitsteilung, o.D., StAC 31451-433. 698 Aufstellung Fuchs (1990), S. 258 (keine Angaben, auf welchem statistischen Material die Angaben gebnis einesnach generellen Verzichts auf Sonderveranstaltungen und Saisonausverkäufe beruhen).

182 Vgl. Statistisches Material „Schocken AG – Festes Personal“, StAC 33309–33. Aufstellung nach Fuchs (1990), S. 258 (keine Angaben, auf welchem statistischen Material die Angaben beruhen). 696 697

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sowie einer ebenfalls im Sommer 1928 beschlossenen Arbeitsteilung zwischen der I. Schocken Söhne OHG und der Einkaufszentrale I. Schocken Söhne GmbH. Diese Maßnahmen trugen zu einer günstigeren Kalkulation bei, die Sonderaktionen unnötig werden ließ, und den Kunden jederzeit niedrige Preise garantierte.698 Der Einzelhandelsumsatz der Schocken AG hatte sich zwischen den Geschäftsjahren 1924 und 1929 von 17 Mrd. auf 64 Mill. Reichsmark knapp vervierfacht. Der Anteil des Reingewinns am Umsatz schwankte im selben Zeitraum mit leicht sinkender Tendenz zwischen zehn bis 14 Prozent (Abbildung 8). 5.1.4

Einkaufsgemeinschaften, Konsumkredite und Reklame

Die mannigfaltige Konkurrenz durch neue Vertriebsformen wie dem Einheitspreisgeschäft und dem Erstarken der Großbetriebe wie Schocken zwang den Facheinzelhandel zu einer Reihe von Abwehrmaßnahmen, die von intensiver Lobbyarbeit bis zu aktiver Selbsthilfe reichten. Einer der ältesten Gedanken war der organisatorische Zusammenschluss einzelner Händler.699 Bereits um die Jahrhundertwende begegneten Einzelhändler dem Aufstieg der Berliner Warenhäuser mit der Eröffnung eines „Detaillisten-Kaufhauses“ – eine Art Prototyp für eine moderne Mall. In der Berliner Friedrichstraße investierten eine Reihe prominenter Einzelhändler 15 Millionen Mark in die Eröffnung des Passage-Kaufhauses, welches bereits ein Jahr später, 1907, Konkurs ging, durch W. Wertheim gekauft wurde und seine Türen mit Beginn des Ersten Weltkrieges endgültig schließen musste. Die hohen Investitionen hatten sich wegen der ungünstigen Geschäftslage nicht amortisiert.700 Die Idee des kooperativen Betriebs als Antwort auf Großbetriebe wurde immer wieder diskutiert. In München eröffnete im März 1930 ein Gemeinschafts-Kaufhaus im Freyberg-Palais mit 40 Spezialgeschäften verschiedenster Branchen. Doch auch hier scheiterte das Projekt an den hohen Mietpreisen, der Aufteilung der begrenzten Schaufensterfläche und fehlenden, koordinierten Werbemaßnahmen.701 Deutlich effizienter und durchsetzungsstärker war die konsequente Bildung von Einkaufsgemeinschaften, Einkaufskonzernen und Einkaufsverbänden des Fachhandels nach Vorbild, aber in Konkurrenz zu den Großbetrieben. Noch im Sommer 1921 war der mittelständische Textileinzelhandel zwiegespalten. Der neugebildete RTE hatte im Juni 1921 eine „zentrale Einkaufsstelle“ für seine Mitglieder eingerichtet, um

Sonderdruck „Kaufhaus Manasse“ vom 18.3.1927, StAC 31451–241; Jahresbericht der Schocken KGaA 1928/29, StAC 31451–175; Schreiben betr. Durchführung der Arbeitsteilung, o. D., StAC 31451–433. 699 Vgl. Hoschke (1916). 700 „Das Unternehmen siechte dahin, die Kundschaft blieb aus, herrliche Verkaufsräume verödeten, denn eine Detailfirma nach der anderen gab ihren Stand auf “, DK, Es war einmal, 20.9.1933. 701 DK, Detaillisten-Warenhaus redivivus, 7.3.1930. 698

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den Bezug von Waren durch Großaufträge zu verbilligen und so der „Einkaufsmacht“ der Kommunalverbände, Konsumvereine und Warenhäuser etwas entgegen zu setzen. Etablierte Einkaufsverbände warnten vor einer solchen reichsweit agierenden Einrichtung mit Hinweis auf die Organisationsschwierigkeiten, Kosten und Vielzahl von Konkursen großer Verbände.702 Doch Mitte der 1920er Jahre mehrten sich die Aufrufe zu Zusammenschlüssen kleinerer Händler zum Zwecke der Rationalisierung und Einsparung von Betriebskosten. Ein Artikel der „Deutschen Konfektion“ stellte fest: „Inhaber, häufig Mann und Frau mit einem mehr oder weniger großen Stab von Hilfskräften, leiten, disponieren, inserieren, dekorieren, regulieren, reisen zum Einkauf, kurzum sind mit der Arbeit so überlastet, dass sie keine Zeit finden, sich auf das Studium jeder dieser Arbeiten einzustellen“. Der Artikel rief zu mehr „Konzerngedanken“, zu Zusammenschlüssen, mehr Offenheit und Transparenz zwischen den Einzelhändlern untereinander.703 Diesem Aufruf folgten im Januar 1927 zwanzig Unternehmen des Herrenkonfektionseinzelhandels unter der Koordination des Berliner Fachhändlers Heinrich Esders. Hier liefen die Orders zusammen und von hier aus wurde die Ware an die Mitglieder geliefert.704 Diesem Zusammenschluss folgte im Sommer 1927 der Damenkonfektionshandel mit Bildung der „Indako“. Hier schlossen sich reichsweit zehn führende deutsche Damenkonfektions-Spezialgeschäfte in einer losen Interessengemeinschaft zusammen, mit dem Ziel des gemeinsamen Einkaufs von Damen- und Kinderkonfektion sowie Stoffen aller Art. Zudem vereinbarte die Indako gegenseitigen Informationsaustausch über die allgemeine Marktlage, Absatzverhältnisse und Konjunktur.705 Angesichts der zunehmenden Bedrohung der eigenen Vormachtstellung durch den Konfektionsfachhandel reagierten die „Big Five“ der deutschen Warenhaus-Konzerne im Oktober 1928 mit der Gründung eines gemeinsamen Textil-Einkaufkartells. Gemeinsam mit Verbänden des Leinen- und Baumwollgroßhandels sicherten sich die Rudolf Karstadt AG, Hermann Tietz, Leonard Tietz sowie Wertheim und der Als702 „Die Sammlung von Aufträgen [ ] ist schwierig, umständlich und dauert zu lange, um so mehr, je größer die Teilnehmerzahl“, siehe Konf, Einkaufsstelle im Reichsbund, 9.6.1921. 703 DK, Der Einzelhandelskonzern, 17.8.1926. 704 Zu den Gründungsmitgliedern gehörten: C. Artmeier, Barmen; C. Artmeier, Solingen; J. Dein, Krefeld; Heinrich Esders, Dresden; J. Fischer, Dortmund; J. Fischer, Bochum; J. Fischer, Herne; J. Fischer, Buer; H. & L. Fritzsche, Elberfeld; Hettlage GmbH, Düsseldorf; Hettlage o. H., Köln; Hettlage, o. H. Duisburg; H. Hettlage, Cassel; H. Hettlage, Münster; H. Hettlage, Bielefeld; Hettlage & Lampe, Kiel; Hettlage & Lampe, Osnabrück; H. Hollenkampf & Co., Leipzig; Overbeck & Weller, Essen; Overbeck & Weller, Gelsenkirchen. Damit war die Einkaufsgemeinschaft vorerst auf das Rheinland, Westfalen und Mitteldeutschland beschränkt, richtete sich potenziell aber reichsweit aus, siehe DK, Einkaufsgemeinschaft im Herrenkonfektions-Einzelhandel, 21.1.1927. 705 Gründungsmitglieder waren Leopold Simon, Düsseldorf/Elberfeld; Geschw. Alsberg, Köln; Fischer-Riegel, Mannheim; Mayer Sundheimer, München; Gebr. Wertheimer, Chemnitz; I. V. Wagner, Würzburg; Kahn & Samuel, Nürnberg; S. Sichel, Frankfurt/Main; Gebr. Nassau, Dortmund; Sigmund Bein, Oberhausen; Hermann Weilheimer, Wilhelmshaven, siehe DK, Zusammenschluss im Damen- und KinderKonfektions-Einzelhandel, 3.6.1927.

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berg-Konzern Preisvorteile gegenüber anderen Konzernen und Vereinigungen wie etwa Schocken, Lindemann, Grohag, Mitex oder Michel-Katz. Die Textilfachverbände kritisierten den Alleingang der Warenhäuser. Damit würde die Unterscheidung in Großabnehmer, Großhandel und Einzelhandel seitens der Fabrikanten eher zementiert, da nur für dieses Einkaufskartell eine Gleichbehandlung erreicht worden war. Der Einzelhandelsverband befürchtete zum einen eine Preisspirale nach unten zu Lasten der kleinen Textilhändler, zum anderen aber auch eine mögliche Ausweitung auf andere Sortimente und Branchen wie Spinnereien, Webereien, Trikotagen, Wäsche oder Konfektion.706 Ende des Jahres 1928 blickte der Berliner Ökonom Dr. Werner Levie auf die „Lichtund Schattenseiten“ von Einkaufsgemeinschaften. Allein der reguläre Einzelhandel – ohne Waren- und Kaufhaus-Konzerne – hatte bereits mehr als 30 Einkaufsvereinigungen mit einem Verbandskapital von über sieben Millionen Reichsmark aufgebaut. Die Vorteile der Einkaufsgemeinschaft lagen in der Umgehung des Großhandels, der größeren Mengendisposition und des daraus resultierenden geringeren Einkaufs- und Verkaufspreises. Aus Sicht von Levie brachte die Ausschaltung des gut sortierten Großhandels jedoch gravierende Nachteile für Fabrikant, Handel und Kunden. Die zentralen Einkaufsstellen verzichteten meist auf gut sortierte Lager und konnten damit langsamer und verlustbringender auf Modewechsel reagieren. Die geringere Verlässlichkeit der Abnahme belastete den Fabrikanten, der mit Stillstandskosten rechnen musste. Jene Zwischenhandelskosten, die ein Einkaufsgemeinschaftsmitglied umlief, bezahlte es mit seinen Beiträgen an die eigene Einkaufszentrale. Mit der Ausschaltung der Mittlerfunktion des Großhandels, der Konjunkturen ausglich und Waren vorsortierte, so Levie, war die „Gleichförmigkeit von Produktion und Absatz gefährdet“.707 Der Textileinzelhandel als Branche blieb in der Frage der Einkaufsgemeinschaften zumindestens gespalten. Viele Textilhändler wie die Berliner Firma Gebr. Simon kritisierten zunehmend die „Konzernpsychose“. Diese war, wie sich herausstellte in übereilter Reaktion auf die Warenhauskonzerne entstanden. Vielen schnell gebildeten Gemeinschaften fehlte es an Eigenkapital. Denn kleine Einkaufsgemeinschaften boten am Ende zu wenig Preisvorteile: Bezugsaufschläge, Versandspesen, Bankzinsen und Umsatzsteuer egalisierten die bei Fabrikanten zu realisierenden Rabatte.708 Andere forcierten die Konzentration. Anfang April 1932 schlossen sich drei überregionale Textil-Einkaufsgemeinschaften – die Erwema AG, Stuttgart/Köln, „Atex“, Frankfurt/ Main und „Bayritex“, München – zur I. G. Textil-Einkaufsverbände zusammen.709 Vgl. Artikel „Die Big Five des Einzelhandels“, 27.10.1928, BA R8034-II/3569, p. 117; Konf, „Big Five und der Textileinzelhandel“, 17.11.1928. 707 Konf, Schematismus – oder Einkaufsfreiheit?, 12.12.1928. 708 DK, Wettstreit der Handelsformen, 8.3.1929. 709 Die Interessengemeinschaft wahrte die volle Selbstständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit der beteiligten Verbände. Man verabredete gleiche, günstige Preis- und Lieferungsbedingungen gegenüber den Produzenten. Der Gesamtumsatz der beteiligten Verbände lag 1931 bei 23 Millionen Reichsmark. Den Ver706

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Waren Einkaufsgemeinschaften eine unmittelbare Reaktion auf die Einkaufsmacht der Großbetriebe und der Versuch der Umgehung des Großhandels, so brach der Textileinzelhandel ab Mitte der 1920er Jahre zunehmend mit einem seiner ehernsten Geschäftsgrundsätze gegenüber seinen Abnehmern – der zwingenden Barzahlung. Spätestens seit Ende des Ersten Weltkrieges löste die Barzahlung in den Großstädten vermehrt das „Anschreiben“ und den Ratenkauf „auf Pump“ zunehmend ab. Geschäfte gewährten meist nur Beamten oder leitenden Festangestellten Kredite. Allerdings beklagte die „Deutsche Konfektion“ noch im Frühjahr 1914 die „leider allzu gebräuchliche“ Kreditgewährung auf dem Land und kleineren Städten, und riet eindringlich zum Barverkauf, um dem drohenden Zinsverlust infolge der fehlenden Zahlungsmoral vieler Kunden vorzubeugen.710 Diese betriebswirtschaftliche Erkenntnis reifte zunächst in den Großbetrieben und diffundierte bis in den kleineren Einzelhandel, immer begleitet von großen Propagandafeldzügen der Einzelhandelsverbände. Tatsächlich existierten in Einzelhandelsbranchen wie Möbel oder Auto diverse Konsumfinanzierungsmöglichkeiten – über private Geldgeber, Bankinstitute, Pfandleihinstitute oder Automobilkreditbanken. Nur im Textileinzelhandel blieb die Konsumfinanzierung unüblich und auf Beamte, gutsituierte Bürger und Hausbesitzer beschränkt.711 In einer der Hyperinflation unmittelbar folgenden Umfrage der „Deutschen Konfektion“ im August 1924 lehnte die Mehrheit der befragten Händler Rabatte bzw. Kundenkredite zur Konsumsteigerung ab. Die Mannheimer Firma Geschw. Alsberg litt etwa unter zu starken Betriebskapitalverlusten, um Kredite zu gewähren. Das Kölner Haus Hettlage kritisierte jede Form der „Kreditgewährung an das Publikum, Rabatt und der Zugaben“. Dem stimmte auch J. Mack aus Stuttgart zu, der auf die mangelnde Rückzahlung der Kundschaft hinwies: „Unter hundert Fällen kann man heute mit Bestimmtheit rechnen, dass 99 Mal der Betrag eben nicht sofort bezahlt wird“, schließlich habe der „Kaufmann nichts zu verschenken“. Doch abhängig von den erlittenen Verlusten, der Betriebsgröße, den regionalen Besonderheiten oder entsprechenden Kundenwünschen zeigten sich einige Einzelhändler offen für entsprechende Kaufanreize durch Rabatte oder Kredite. Das Stendaler Textilhaus Hermann Günsche vergab „leider [ ] in beschränktem Maße Kredit“, da sein Geschäft zu 80 Prozent von bäuerlicher Landbevölkerung abhing. Diese verzichtete sonst vor der Ernte auf jegliche Anschaffungen: „Wir müssen mit der Eigenart der Landbevölkerung rechnen [ ] [und] Zugabeartikel „gerade für Kinder werden von Kunden verlangt“. Auch das Berliner Handelshaus Peek & Cloppenburg war offen für eine „in ganz vereinzelten Fällen [mögliche] Stundung“. Der Koblenzer Händler Tapisser & Werner sah sich sogar „gebänden gehörten rund 800 Textileinzelhändler an, siehe Konf, Zusammenschluss von Textil-Einkaufsverbänden, 9.4.1932. 710 DK, Die Kreditgewährung im Detailhandel, 8.3.1914. 711 Konf, Konsumfinanzierungswege, 16.10.1926.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

zwungen, Kredite [und kleinere Rabatte] zu gewähren“ um entsprechende Umsätze zu erreichen.712 Mit der Erholung der innerdeutschen Wirtschaft, der Stabilisierung der Währung und der guten Produktionslage entwickelte sich der Textileinzelhandel zu einem Angebotsmarkt, dessen Warenfülle keine entsprechende Kaufkraft der Bevölkerung gegenüberstand. Im Februar 1926 betonte der RHK als einer der ersten der textilen Fachverbände die Notwendigkeit von Privatkrediten: „Das Publikum hat Hunger nach Ware und es kauft in der Regel nicht erst dann, wenn es das Geld gespart hat, sondern, wenn [ ] die Anschaffung notwendig ist, und vertagt die Sorge um die Bezahlung auf spätere Zeit“. Der Verband empfahl eine vorsichtige Öffnung des Handels mit der Maxime, das Eigenkapital der Betriebe nicht unnötig zu strapazieren. Kredite sollten nur an bestimmte Käufergruppen (Beamte) ausgegeben, und entsprechende Verkaufspreisunterschiede (Bar- und Kreditpreise) bestehen.713 Tatsächlich blieben die Händler in der Kundenkreditfrage gespalten wie eine Umfragereihe der „Deutsche Konfektion“ Anfang Februar 1926 zeigte. Die eine Gruppe sah eine unmittelbare Notwendigkeit und Geschäftschance aufgrund der starken Kundennachfrage. Das Rostocker Geschäft Rudolf Schlüter „[kam] nicht umhin, da heute Kredite außnahmslos von allen Schichten nachgefragt“ und das Breslauer Geschäft Adolf Kreutzberger hielt Kreditgewährung für „absolut notwendig“. Eine zweite Gruppe fühlte sich, wider besseren Wissens, zum Kreditgeben genötigt, um keine Marktanteile an Mitbewerber zu verlieren. Die Filialisten Gebr. Alsberg sahen sich „gezwungen, Kredite zu vergeben“ und das Stuttgarter Modehaus J. Mack vergab die „meisten Kredite nicht freiwillig“. Eine dritte und letzte Gruppe verweigerte sich dem Wunsch nach Kundenkrediten. So vergab das Lübecker Geschäft Spille & v. Lühmann „eigentlich und nach Möglichkeit [keine Kundenkredite]“, der Erfurter Textilhändler J. Leschiner vergab „im Prinzip“ keine Darlehen und das Bremer Modehaus H. Dykhoff antwortete: „In meinem Geschäft werde ich kein Kreditsystem einführen“.714 Allerdings setzte das Erstarken der Teilzahlungsgeschäfte im Verlauf des Jahres 1926 den Textileinzelhandel dergestalt unter Druck, dass die Wiedereinführung von Barzahlungsrabatten offen diskutiert wurde. Nach einer Umfrage des „Konfektionärs“ lehnten die befragten Händler solche Rabatte ab. Eine „Wiedereinrichtung dieses Systems [sei] rückschrittlich“, denn alle größeren Häuser hätten „den Verkauf auf Kredit völlig abgeschafft“.715

DK, Wie stellt sich der EH zu Kredit, Rabatt und Zugaben?, 21.8.1924. DK, Über Kredit-Nehmen und Kredit-Geben des Einzelhandels, 5.2.1926. Auch das Recklinghausener Geschäft David Cosmann jun. antwortete mit einem „glatte[n] Nein“ und der Erlangener Händler Hans Frohberger reagierte mit „entschieden – nein“, siehe DK, Kreditgewährung und Kreditbeschaffung im Einzelhandel, 5.2.1926; DK, Kreditgewährung und Kreditbeschaffung im Einzelhandel, 12.2.1926. 715 Konf, Rabatte bei Barzahlung im Detailgeschäft, 2.6.1926. 712 713 714

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Neuen Auftrieb erhielt die Diskussion im Fachhandel mit der Gründung der Königsberger Kundenkredit GmbH zum 30. August 1926. In dieser hatten sich 23 Einzelhandelsgeschäfte zusammengeschlossen und vergaben Kundenkredite. Ziel war es, das Eigenkapital der Mitglieder unbelastet zu lassen. Die Kreditgewährung erfolgte über Warenkreditbriefe, welche die Geschäfte wie Bargeld in Zahlung nahmen. Gläubiger des kreditnehmenden Kunden war nicht das Geschäft, sondern die Kundenkredit GmbH, an die der Kunde die wöchentlichen bzw. monatlichen Raten richtete. Die Geschäfte unterschieden dabei in der Preisgestaltung nicht zwischen Bar- und Kreditkunden. Die Kreditbriefe der Kundenkredit wurden täglich unter Zinsnahme von einer Vertragsbank diskontiert und auf das Konto des Mitgliedsgeschäftes der Kundenkredit überwiesen. Dazu hatte Königberg eine „kapitalkräftige Lokalbank“ gefunden, die bereit war, den Einzelhandel durch Diskontierung zu bevorschussen, damit der Handel über sein Kapital verfügen konnte.716 Das „Königsberger Modell“ ging auf eine Initiative eines Herrenbekleidungsgeschäftes zurück und provozierte im November 1926 heftige Kritik des RHK, der davor warnte, dass der Einzelhandel Gefahr lief, von einer „Konsumfinanzierungs-Psychose befallen“ zu werden. Aus Sicht des Geschäftsführers Dr. Tewes dürfe der Handel die „Nerven nicht verlieren“, denn der Fall Königsberg „braucht nicht ohne weiteres für alle Geschäfte und Plätze das Heilmittel sein“. Nach Verbandsauffassung waren Konsumkredite weiterhin ein „Sprung ins Dunkle“, wie eine veröffentlichte Umfrage des Verbandes für August 1926 zeigte. Demnach lehnten mehr als ein Viertel der 211 befragten Firmen jeglichen Kundenkredit ab und die Mehrheit bevorzugte die Barzahlung (Tabelle 35). Noch Mitte Oktober 1926 sahen viele die Konfektion von der Konsumfinanzierung eher nicht betroffen, da durch „Inbrauchnahme [ ] eine sofortige Wertminderung des Neuwertes auf unverhältnismäßig geringen Altwerts eintrat“ und Kreditverkäufe nur an Beamte und vermögende Kunden in Frage käme.717 Doch die Kundenkreditbewegung fand ihren Weg in die Reichshauptstadt – auch weil Großbetriebe den Konsumentenkredit für sich entdeckten und den Fachhandel damit unter Zugzwang setzten. Drei Systeme hatten sich in Berlin etabliert. Zunächst entstand die Kundenkredit AG des Berliner Warenhauses Hermann Tietz (Kundenkredit AG bzw. Kaufkredit AG), Anfang November baute der „Verband Berliner Spezialgeschäfte“ die „Citag“ auf (Commercial Investment Trust AG) und schließlich war dem „Reichsverband der Putzdetaillistenvereinigungen Deutschlands“ die Kunden-

716 DK, Wie der Einzelhandel ungefährdet Kredit geben kann, 1.10.1926; Konf, Konsumkreditbanken, 20.10.1926; vgl. auch eine Fülle zeitgenössischer Literatur, meist kurze, volkswirtschaftliche Betrachtungen zum Thema „Konsumfinanzierung“ etwa Groth (1927), S. 13 ff.; Graner (1928); Eckert (1931), S: 2 ff.; Koch (1931), S. 76 f.; Wickum (1960), S. 10 f.; neue Betrachtungen etwa Torp (2011), S. 292 ff. 717 Konf, Konsumfinanzierungswege, 16.10.1926.

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Tab. 35 Umfrage zu Kundenkrediten, August 1926718 Bezirk

Firmen

Kreditvolumen* 0

Ostdeutschland

10

Schlesien

10 3

Berlin/Brandenburg NW-Deutschland

Bis 5 Bis 10 Bis 15 Bis 20 Bis 30 Bis 50 Über 50 2

3

3

1

2

1

1

11

1

5

4

1

23

5

7

4

3

3

Mitteldeutschland

23

8

3

4

3

4

Sachsen

17

5

5

2

Westfalen

19

3

7

5

1

Rheinland

37

12

9

11

3

Hessen (Nassau)

14

4

2

1

Baden und Pfalz

15

5

Mecklenburg

Württemberg Bayern GESAMT

2

1

57 48

45

16

1 2

4,50 1

1

5,00 5,00 4,00

2

6

– 10

2 1

1

5

5

211

2

3

24

Kreditdauer**

1

4,00 1

3,00

3

2,50

3

2,50

1

1

2,50

4

3

3,50

2

3,50

2

19

1

2

1

1

3

2,50 5,00

17

4

5

3,25

Anmerkungen: Umfrage des RHK unter seinen Mitgliedern; Angaben in Prozent; *von diesen Firmen geben Kredit (im Verhältnis zum Umsatz in Prozent); ** in Monaten.

kreditgesellschaft Deutscher Einzelhändler eG mbH mit „mehreren hundert Händlern“ angeschlossen, finanziert durch die Dresdner Bank.719 System 1 wie die Citag, der über 300 Berliner Einzelhändler angeschlossen waren, arbeitete mit amerikanischem Kapital. Kundengläubiger war die Citag, wobei sich die Kreditkosten (5 Prozent) Käufer und Verkäufer teilten. System 2 (Tietz-System) bediente sich Schweizer Kapitals und sah eine 25-prozentige Baranzahlungspflicht für

DK, Kreditverkäufe in der Herrenkonfektion und das Problem der Konsumfinanzierung, 5.11.1926. Besonders die Citag war als Vorbild für den Berliner Einzelhandel gedacht. Das neue Unternehmen übernahm die Versicherung, Geldbeschaffung, Prüfung der Kreditwürdigkeit und Rateneinziehung für den Händler. Der Kunde zahlte für einen Jahreskredit 7 Prozent. Von jedem Scheck, den ein Händler an die Citag zum Diskontieren einreichte, behielt sich die Citag 7 Prozent des Wertes ein. Der Händler band sich über mindestens 5 Jahre an die Citag. Die Grundzüge der Kunden-Kredit-Gesellschaft Deutscher Einzelhändler e. G. mbH (gegr. am 9.11.1926 mit mehreren hundert Firmen in Berlin, Expansion in Provinzstädte): Kunden hatten gleiche Zinsen wie bei Citag, der Einzelhändler führte an die Bank 4 Prozent und 3 Prozent an die Genossenschaft ab (soll Ausfälle decken). Überschüsse flossen an die Mitglieder zurück. Die Genossenschaftseinlage betrug 200 Reichsmark, siehe Artikel „Gründung einer neuen KundenkreditGesellschaft“, 11.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 160 f.; Artikel „Kundenkredit-Gesellschaft des Einzelhandels gegründet“, 10.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 161; DK, Stellungnahme des Berliner Herren- und Damenkonfektionseinzelhandels zur Konsumfinanzierung, 12.11.1926; Konf, Kaufkraftsteigerung durch Konsumfinanzierung, 6.11.1926; Konf, Organisierte Kreditgewährung im Einzelhandel, 17.11.1926. 718 719

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Waren durch den Kunden vor. Die Höhe und Verteilung der Kreditkosten war analog zu System 1. Das Kreditgenossenschaftssystem (System 3) verwandte dagegen nur inländisches Kapital, genau wie das „Königsberger Modell“ (System 4) (Tabelle 36). Tab. 36 Konsumfinanzierungssysteme, November 1926 Faktoren

Initiator

System 1 – Citag

Verband Berliner Spezialgeschäfte

Angeschlossene Händler

107720

Stammkapitalin Mill. RM



Kapitalherkunft

System 2 – Kaufkredit AG

System 3 – Kundenkreditgesellschaft e. G.

Hermann Tietz Reichsverband der Putzdetaillistenvereinigungen Deutschlands (Birnbaum-Modell)

System 4 – Kundenkredit GmbH, Königsberg Königsberger Einzelhandel

3000

23

50

50



USA

Schweiz

Dresdner Bank

Stadtbank Königsberg

Institut

Institut

Institut

Institut

5

5

7

5

Kreditkosten Käufer/ Verkäufe in %

50/50

50/50





Baranzahlungspflicht

nein

ja (25 %)

nein



Gläubiger Kreditkosten in %

Damit unterschieden sich die Kreditsysteme hauptsächlich durch die Verteilung des „Kreditrisikos“, der Kapitalherkunft und der Anzahlungspflicht. Der Zinssatz war bei allen identisch. Für den Einzelhändler war das Citag-System am günstigsten: Hier übernahm der Geldgeber das Risiko. Die Kreditgenossenschaften bestanden dagegen auf Anzahlungspflicht, Einlagen des Händlers und Abgaben zum Aufbau eines Reservefonds.721 Doch im organisierten Handel formierte sich erbitterter Widerstand gegen eine Ausweitung der Konsumfinanzierung. Auf ihrer gemeinsamen Versammlung in Berlin am 8. November 1926 erneuerten die Konfektionsfachverbände RHK und RDM ihre strikte Ablehnung. In einer gemeinsamen Erklärung erklärten die Verbände, dass „Barzahlung allen Arten der Konsumfinanzierung vorzuziehen [ist]“ und dass Händler trotz der neuen Finanzierungsinstitute „ruhig Blut halten und nicht Hals über Kopf ein Experiment“ mitmachen müssten. Besonders die Zinskosten empfanden die Verbände als zu drückend, fürchtete der Fachhandel doch, durch die Konsumfinanzie720 Eröffnung der Citag, Abteilung für Anschaffungskredite (107 angeschlossene Firmen), siehe Artikel „Zwei Jahre Konsumfinanzierung“, 8.11.1928, BA R8034-II/3569, p. 119. 721 DK, Der Aufbau der verschiedenen Konsumfinanzierungs-Systeme, 19.11.1926.

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rung die einfache Arbeiterschaft als Kunden zu verlieren. Daher beschloss man, die Reklame für das Barzahlungssystem zu intensivieren. Bemerkenswerterweise kritisierte auch der Warenhausverband VdWK Kundenkredite als „Vowegnahme eines späteren Arbeitsverdienstes“ und mahnte, an der „Errungenschaft“ und der „Erziehung des Kunden“ zur Barzahlung unbedingt festzuhalten.722 Während die breite Öffentlichkeit die neuen Finanzierungsmöglichkeiten begrüßte, blieb die Unternehmerschaft gespalten und tendenziell eher ablehnend. Konsumkredite würden zwar den Kundenkreis erweitern, doch nicht Kredite, sondern Preissenkungen sollten die Verkäufe treiben.723 Unter den Stichworten „Konsumfinanzierungs-Taumel“ und „vorbehaltlose Kopierung amerikanischer Verhältnisse“ rückten alle maßgeblichen Verbände bereits Ende November 1926 von den Königsberger und Berliner „Experimenten“ ab, unter dem Hinweis, dass Konsumfinanzierung die Waren „ganz erheblich verteuere“.724 In Berlin, dem Zentrum der Konsumfinanzierung, sprachen sich nach eingehenden Beratungen namhafte Berliner Warenhäuser und Spezialgeschäfte gegen eine Mitgliedschaft aus. Konsumfinanzierung schaffe, aus Ihrer Sicht, keine neue Kaufkraft, überfordere die Kreditnehmer und dränge sie in Verschuldung und verteuere die Waren um bis zu 25 Prozent.725 Die „Deutsche Konfektion“ befragte daraufhin reichsweit Textileinzelhändler zu Ihrer Meinung nach dem umstrittenen „Borgsystem“. Das Meinungsbild war unter den 13 antwortenden Firmen heterogen. Nur zwei Stimmen waren dem Kundenkredit aufgeschlossen, jedoch weniger aus Überzeugung, sondern als erzwungene Reaktion auf die Großkonzerne. So urteilte das Regensburger Textilhaus Gebr. Manes: „Wir halten es für notwendig, dem von den Warenhäusern begonnenen Abzahlungssystem seitens der Spezialgeschäfte mit einer gleichartigen Maßnahme entgegenzutreten“. Und das Mannheimer Haus Geschw. Alsberg sah die Einführung von Kundenkrediten „nicht zweckmäßig, aber unvermeidlich durch Zeitverhältnisse“. Die Mehrheit hielt den Kundenkredit für eine „direkte Gefahr“ (Gebr. Alsberg, Hagen/Dresden),

Artikel „Gründung einer neuen Kundenkredit-Gesellschaft“, 11.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 160 f.; Artikel „Kundenkredit-Gesellschaft des Einzelhandels gegründet“, 10.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 161.; Konf, Gegen die Konsumfinanzierungen, 24.11.1926; Konf, Konsumfinanzierung und Warenhäuser, 20.11.1926. 723 Artikel „Seine Majestät, der Kunde“, 14.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 164. 724 Darunter der Dachverband HDE, der Reichsbund des Textileinzelhandels, der Reichsverband für Herren- und Knabenkleidung, der Reichsverband der deutschen Hutgeschäfte sowie die mächtigen Einzelhandelsverbände Frankfurt und Köln, siehe Artikel „Gefahren der Konsumfinanzierung“, 16.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 164; Konf, Gegen die Konsumfinanzierung, 24.11.1926; Konf, Organisierte Kreditgewährung im Einzelhandel, 17.11.1926. 725 Unter Ihnen Gustav Cords, Rudolph Hertzog, Arthur Jacobi, Emil Jacobi AG, Jandorf & Co., Kaufhaus des Westens GmbH, Kersten & Tuteur, Bernward Leineweber, Leiser, R. M. Maassen, Michels & Co, Peek & Cloppenburg, Carl Stiller, Conrad Tack & Co., Wertheim GmbH, siehe Artikel „Die Konsumfinanzierung wird abgelehnt“, 17.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 165; Artikel „Die Kehrseite der Konsumfinanzierung“, 17.11.1926, BA R8034-II/3568, p. 164. 722

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ein „untaugliches, unzweckmäßiges Mittel“ (Gebr. Rothschild, Mannheim), für „verfehlt“ (Gebr. Karger, Stettin), „volkswirtschaftlich nicht notwendig“ (Hermann Wronker AG, Frankfurt) oder „total verkehrt“ (Kaufhaus Carl Peters, Köln). Ein nicht näher genannter Warenhauskonzern verstieg sich zum biologistischen Kommentar, der Kundenkredit sei „eine Modekrankheit, ein Bazillus, der anscheinend zu einer Epidemie führt“. Interessanterweise spiegelte die Umfrage aber auch die Unentschlossenheit der regionalen Marktführer mit Blick auf die „Berliner Entwicklung“ wider. Das Stuttgarter Haus E. Breuninger lehnte Kredite nur dann ab, wenn sie fremdfinanziert waren, schloss eine Finanzierung aus „eigenen Mitteln“ aber nicht aus. Der Münchner Textilhändler Mayer Sundheimer sah noch „keine direkte Notwendigkeit“ und eine nicht näher genannte Leipziger Warenhausfirma sah sich „von dem Projekt geradezu überrumpelt“. Sogar die verschwiegendste aller Textilfirmen, C&A Brenninkmeyer, bezog Stellung und zeigte sich unentschlossen: „Wir nehmen zu dem Problem der Abzahlungsverkäufe eine abwartende Stellung ein“. Regionale Marktführer waren wohl weniger auf eine schnelle Einführung auf Kundenkredite angewiesen, anders als etwa die Spezialhäuser in umkämpften Märkten wie Berlin. Zudem sträubten sich Familienunternehmen wie Brenninkmeyer oder Breuninger gegen einen zunehmenden Einfluss von Kreditinstituten und blieben daher abwartend.726 Die erste Bilanz nach einem Vierteljahr Konsumfinanzierung fiel im April 1927 unscharf aus, da die Kundenkreditinstitute keiner Publizitätspflicht unterlagen und damit nicht über den genauen Umfang der gegebenen Kredite berichtet wurde. Die Branche sah jedoch eine „kräftige Entwicklung“ bei geringen Verlusten von 0,75 Prozent, vor allem im Bereich Kleidung, der gut drei Viertel aller kreditfinanzierten Käufe ausmachte.727 Dass diese Auskunft allzu optimistisch war, zeigte das Fazit im November 1928. So hatte die Citag, nach einem halben Jahr, im Juni 1927 ihr Geschäft aufgegeben. Der Aufbau, Unterhalt und die Reklame der Institute war deutlich teurer als vermutet, zudem stiegen die Abschreibungen aufgrund der unzureichenden Prüfung der Kreditanträge. Aus den Erfahrungen der Citag entwickelte sich Mitte 1927 ein ausführliches Prüfungssystem. In Kooperation der Berliner Electricitätswerke (Bewag), der Tietz-Kaufkredit AG (Hermann Tietz) und dem Verband Berliner Spezialgeschäfte entstand die „Schutzgemeinschaft für Absatzfinanzierung“ (Schufa), an die sich bald alle größeren Berliner Firmen anschlossen. Auf Basis der Konsumkreditanträge des Einzelhandels entstand ein riesiges Auskunftsarchiv mit über einer Million Einträgen über Privatpersonen und Unternehmen aus dem Raum Groß-Berlin.728

Das Stendaler Traditionshaus Hermann Günsche prophezeite dem Kundenkredit „nur in Großstädten Erfolg, [ ] weil dort die Käuferschichten wesentlich mannigfaltiger sind als an kleineren Plätzen“, siehe DK, Wie stellt sich der Einzelhandel zum Borgsystem, 19.11.1926. 727 Artikel „Ein Vierteljahr Konsumfinanzierung“, 13.4.1927, BA R8034-II/3569, p. 35. 728 Die Karteikarten verzeichneten Höhe und Art der Kredite, Zahlungsbefehle, Klagen, Pfändungen, Zahlungseinstellungen, Konkurse, Haftbefehle, Offenbarungseide, strafrechtliche Verurteilungen, War726

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Das Königsberger Modell und auch das Tietz-Kreditinstitut blieben im Markt.729 Doch die Konsumfinanzierungsbewegung ebbte ab. Erst zum Jahresbeginn 1929 revitalisierte sich das Bestreben nach Kundenkreditsystemen, da infolge der wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen ein „großes Verlangen der Kundschaft nach Kredit“ entstanden war.730 Im Januar 1929 schlossen sich 16 renommierte Berliner Firmen zu einer Kreditgemeinschaft zusammen, um „eine einheitliche Regelung der bisher angewandten Zahlungserleichterungen herbeizuführen“. Am Barzahlungsprinzip wurde zwar offiziell festgehalten, doch Kreditgewährung gehörte nun zu den Geschäftspraktiken. Hinter der „Allgemeinen Betriebskredit gmbH“ stand die Frankfurter Allgemeine Versicherungs-AG (FAVAG).731 Nach dem Zusammenbruch der FAVAG im August 1929 war das Vertrauen in die Konsumfinanzierung nur kurzzeitig erschüttert, neue Wege mussten gefunden werden, um den Warenabsatz vor dem Hintergrund enormer Kaufkraftverluste der Bevölkerung sicherzustellen. Unter der Führung der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft und den bei der FAVAG engagierten Banken gründete sich die „Gesellschaft für Finanzierung von Kreditgemeinschaften mbH“ (Gefi), quasi als Kreditabteilung der beteiligten sieben Banken für den Einzelhandel. Die Kredite betrugen im Schnitt 110 Reichsmark und hatten eine Laufzeit von viereinhalb Monate. Entscheidend war hier die Kreditwürdigkeit des teilnehmenden Händlers, nicht des Kunden.732 Mit der Gefi und den Kreditgemeinschaften versuchte man den Konsumkredit einzudämmen. Teilnehmende Händler waren verpflichtet, nach einheitlichen

nungen vor Schwindlern, gegebene Sicherungen, etc., siehe Artikel „Der organisierte Kunden-Kredit“, 11.7.1929, BA R8034-II/3569, p. 146. 729 Hier zahlte sich die Anzahlungspflicht, die große Kapitaldecke und ein gut situierter Kundenkreis aus Festangestellten, mittleren und höheren Staatsbeamten und Kommunalbeamten aus, siehe Artikel „Zwei Jahre Konsumfinanzierung“, 8.11.1928, BA R8034-II/3569, p. 119; Konf, Organisierter Kundenkredit oder Kassegeschäft, 19.1.1929. Mitte 1930 hatte die Kundenkredit Königsberg rund 20.000 Kunden, die Verlustquote betrug nur 0,5 Prozent, siehe Koch (1931), S. 77. 730 Vgl. auch Koch (1931), bes. S. 77 ff. 731 Mitglieder des Textileinzelhandels waren Gustav Cords, Hermann Gerson, F. V. Grünfeld, C. A. Herpich Söhne, Rudolph Hertzog, Max Kühl, W.&G. Neumann, Quantmeyer&Eicke und Gebr. Manes. Angeschlossen waren ferner Belmonte & Co., Max Busse, Alfred Elsner & Co., Conrad Felfing, Friedmann&Weber, Albert Rosenhain und F. A. Schumann. Die angeschlossenen Geschäfte gaben selbst Kundenkredite für 1 Prozent Monatszins, bei 10 Prozent Baranzahlung und einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Kredite wurden von der Bank „Allgemeinen Betriebskredit gmbH“ zu 75 Prozent bevorschusst, 25 Prozent trug der Händler. Die Bank betrieb das Inkasso. Das Stammkapital der Bank betrug 500.000 Reichsmark, davon kamen 450.000 von der Frankfurter Versicherungs-AG, siehe Artikel „Der organisierte Kunden-Kredit“, 11.7.1929, BA R8034-II/3569, p. 146; Konf, Der neue Berliner Kundenkredit, 6.2.1928. 732 Die Gefi („Berliner System“) unterstützte Kreditgemeinschaften in zehn Städten: Berlin, Köln, Frankfurt/Main, Stettin, Hannover, Braunschweig, Dessau, Elberfeld, Düsseldorf, Dortmund. Grundsatz war die Mitgliedschaft einer sehr begrenzten Zahl ausgesuchter Einzelhandelsfirmen mit sehr guter Bonität. Diese bekamen von der Gefi ein festes Kreditkontigent, was sie an Kunden weitergaben. Die Gefi war an die Schufa (mittlerweile zwei Millionen Einträge) angeschlossen, siehe Artikel „Kreditfinanzierung im Einzelhandel“, 9.5.1930, BA R8034-II/3569, p. 195; DD-Bank-Riese und Handel, 2.10.1929.

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

Grundsätzen Kredit zu gewähren, sie sollten „erzieherisch auf Kreditnehmer einwirken“ und nicht gesicherte Kreditanträge ablehnen, um das eigene Betriebskapital zu schonen. Zudem ermutigte die Gefi den Handel, sich nicht vollständig vom Barzahlungsgrundsatz abzuwenden. Während das „Berliner System“ (Gefi) eher Angestellte, höhere Beamte und freie Berufe ansprach, richtete sich das „Königsberger System“ an Arbeiter und weniger kapitalkräftige Schichten.733 Im Oktober 1930 resümierte der „Reichsverband des kreditgebenden Einzelhandels“, dass das Teilzahlungsgeschäft (notgedrungen) Teil des deutschen Einzelhandels geworden war. Etwa zehn Prozent des Betriebskapitals im Einzelhandel, also etwa 800 bis 900 Millionen Reichsmark, wurden 1929 an Kundenkrediten gewährt.734 Mit Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärfte sich der Kampf gegen das „Borgunwesen“. Gemäß der Vorgabe „kein Kredit an zahlungsfähige Kunden“ hatten Händler und Kunden die Pflicht, die Barzahlung dem Kundenkredit vorzuziehen („Barzahlung soll Regel, Kreditverkäufe die Ausnahme bilden“). Im Sommer 1938 waren Kreditvermittlungsinstitute nahezu verschwunden.735 Das Problem der Kredite stellte sich für den Textilhandel allerdings nicht nur gegenüber seinen Kunden, sondern auch gegenüber seinen Lieferanten und den Banken. Die Frage der Kondition, genauer die Zahlungs- und Lieferungsbedingungen der Textil- und Bekleidungsindustrie gegenüber dem Einzelhandel rückten in den Fokus. Der Einzelhandel sah sich im Sommer 1924 als der „Prügelknabe“ der deutschen Wirtschaft. Mit der Kriegsniederlage des Deutschen Reiches sei die „staatliche Zwangswirtschaft“ durch eine „Kartelldiktatur“ der Industrie ersetzt worden. Anstelle staatlich verordneter Höchstpreise seien die „Mindestkonditionen und Preise der Konventionen und Verbände“ getreten. Beseitigt geglaubte Missstände wie Rabatte, Zugaben, „Schleuderpreise“, „marktschreierische“ Reklame, Kundenkredite oder detaillierende Fabrikanten und Grossisten waren wieder Teil des Marktes.736 Wie sollte der Textileinzelhandel reagieren? Der RHK lehnte im August 1925 eine Nachfragestärkung („Lohnerhöhung“) ab, sondern forderte einen Abbau der Preise. Dieser Preisabbau sei aber nur möglich, wenn Handel und Industrie zu den „Vorkriegskonditionen“

DK, Kreditgeben im Einzelhandel, 9.5.1930. Artikel „Eine Milliarde Kundenkredite“, 10.10.1930, BA R8034-II/3569, p. 187. Entsprechende Regelung und Gesetze bzw. Vorgaben des gleichgeschalteten Verbandes trockneten das Kundenkreditgeschäft aus. Kredite durften ausschließlich durch Finanzinstitute (Banken), nicht durch den Handel selbst vergeben werden, um barzahlende Kunden nicht zu belasten. Ab Mai 1938 mussten alle Kreditgeschäfte erfasst und gemeldet werden, es bestand Anzahlungspflicht, eine Trennung von Bar- und Kreditpreisen, eine Begrenzung der Höchstlaufzeit auf 24 Monate, die Kreditkosten hatte ausschließlich der Käufer zu tragen und alle Werbung, die „anreizend zum Kreditkauf “ wirkt, war verboten, siehe Vorbemerkung über die erste Sitzung des Ausschusses der Sachbearbeiter , 27.5.1938, BWA K9/282; Bericht über die Tagung der Sachbearbeiter für Einzelhandelsfragen, 21.7.1938, BWA K9/282. 736 DK, Prügelknabe in Krieg und Frieden, 31.7.1924. 733 734 735

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zurückkehrten.737 Im Sinne des Einzelhandels waren das die Konditionen vor 1913 mit Zahlungszielen von bis zu 90 Tagen und mehr.738 Der Textileinzelhandel stand vor dem klassischen Problem, den Wareneingang Wochen oder Monate vor dem Verkauf der Ware an den Kunden beim Lieferanten zahlen zu müssen. Den Finanzinstituten und staatlichen Krediten standen die Händler traditionell skeptisch gegenüber. Anlässlich des Bankiertages 1926 in Köln kritisierte der Textileinzelhandel die Kreditvergabe als zu „mechanisch und bürokratisch“. Banken würden übertriebene Sicherheiten verlangen und den Personalkredit zunehmend vernachlässigen. Entgegen der Beteuerung der Finanzwirtschaft sei das Geschäft mit dem überwiegenden Teil des Einzelhandels für Groß- und Privatbanken viel zu kleinlich, sodass der Handel auf öffentliche Institute oder Eigenmittel zurückgreifen müsse.739 Die „Mittelstandskredite“ der Regierung in Höhe von 1.000 RM waren für die Ordervolumina unbrauchbar, die Großbanken engagierten sich dagegen nur bei „potenten“ Firmen, also die mit genügend Eigenkapital oder Eignern mit großem sozialen Prestige.740 Aus Sicht des Handels waren Kredite an Kaufleute weniger riskant als Industriekredite, da Kaufleute gute Sicherheiten wie eine tägliche Kasse und erhebliche Realwerte boten. Tatsächlich flossen Bankkredite eher spärlich an kleinere und mittlere Handelsunternehmen.741 In einer Umfrage der „Deutschen Konfektion“ beschrieben die befragten Mittelständler die Kreditvergabe als „außerordentlich schwierig“ (S. Weiß, Halle/Saale) und ein „ungelöstes Problem“ ( J. Mack, Stuttgart). Viele Befragte brachten die Idee einer genossenschaftlichen Einzelhandelsbank ins Spiel, die allerdings nie realisiert wurde.742 So versuchte der Handel die durch den Krieg und Inflation verschärften ZahlungsForderung von Theodor Frenkel (Mitglied des Großen Ausschuss Reichsverband Herren und Knabenkleidung): „Nicht eine Erhöhung der Löhne kann uns helfen, sondern nur ein Abbau der Preise [ ] [D] er Kredit muss von der Stelle gegeben werden, die ihn auch früher gegeben hat – von unseren Lieferanten. [ ] Wir müssen Vorkriegskonditionen haben!“, siehe DK, Was haben wir zu tun?, 14.8.1925. 738 Der Handel forderte den „Abbau des bisherigen Konditionensystems“ und „friedensmäßige Zahlungsziele“: Rohware (3 Tage), Spinner (7 Tage), Weber (14 Tage), Konfektionär oder Grossist (30 Tage) und Einzelhändler (60 bis 90 Tage), siehe Konf, Probleme des Einzelhandels, 15.3.1924. 739 Konf; Banken und Bankkunden, 22.9.1928. 740 Die Commerz- und Privatbank machte zur Bedingung für einen Kredit die „Persönlichkeit des Kreditnehmers [und] seine Sicherheiten“. Die Dresdner Bank engagierte sich nur bei „gesunden Warengeschäften“, und gab keinen Kredit als „Ersatz für verlorenes Betriebskapital, sondern nur als Saisonkredit“. Das Privatbankhaus Bett, Simon & Co. vergab Kredite an „potente Firmen“, siehe DK, Die Banken zur Wirtschaftslage und zu Krediten für den Einzelhandel, 5.2.1926. 741 DK, Über Kredit-Nehmen und Kredit-Geben des Einzelhandels, 5.2.1926; Beschwerde über „Benachteiligung in der Kreditgewährung“, siehe Konf, Forderungen des Einzelhandels an die Parlamente, 14.2.1925; Konf, Banken und Bankkunden, 22.9.1928. 742 DK, Kreditgewährung und Kreditbeschaffung im Einzelhandel, 5.2.1926, 12.21926. Mit dem Scheitern einheitlicher Konditionen und der Indienstnahme der Lieferanten als Kreditgeber des Einzelhandels revitalisierten sich Ende 1928 die Ideen einer Kreditgenossenschaft des Einzelhandels mit Anlehnung an eine deutsche Großbank, ohne dass diese Pläne in die Tat umgesetzt wurden, siehe Konf; Banken und Bankkunden, 22.9.1928; Konf, Wo bleibt die Einzelhandels-Zentralbank?, 14.11.1928. Das Reichswirtschafts737

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und Lieferungsbedingungen der Vorlieferanten dahingehend zu reformieren, dass der Lieferant wieder Vorkriegszahlungsziele akzeptierte und damit zum Kreditgeber des Einzelhandels transformierte. Hier zeigten Kooperationen der Fachverbände über die Betriebsformen hinweg durchaus Erfolge. Im März 1926 forderte der Warenhausverband (VdWK) entsprechende Konditionen gegenüber seinen Lieferanten.743 Nachdem sich der Reichsverband für Herren- und Knabenkleidung (RHK) diesen Forderungen angeschlossen hatte, wurden die Verhandlungen kurz darauf abgebrochen. Daraufhin beschloss der RHK, bis Pfingsten „überhaupt keine Winterkollektionen anzusehen und in keinem Falle Aufträge für die Wintersaison bei Mitgliedern des Zentralverbandes zu den alten Konditionen, sondern nur zu den vom Reichsverband aufgestellten Mindestkonditionen“ zu erteilen. Diese angedrohte Auftragssperre zeigte Wirkung. Mit dem 21. Mai 1926 galt zwischen dem RHK und maßgeblichen Lieferanten (u. a. „Zentralverband der Herren- und Knabenkleiderfabrikanten Deutschlands“, „Verband der Gummimäntelfabrikanten“) eine gegenüber der Kriegs- und Krisenzeit günstigere „Übergangskondition“. Der Handel konnte nun seine Warenbestellungen für die Wintersaison unter „wesentlich günstigeren Bedingungen“ vornehmen. Zudem vereinbarte der RHK stillschweigend mit dem „Verband deutscher Kleiderfabrikanten“ (Reydter Verband) eine bis zum 30. September 1926 geltende, günstigere Kondition. Doch die hier getroffenen Verkaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen empfand der Handel immer noch als einseitig und unfair, da sie nicht der konjunkturellen Erholung entsprachen und kündigte die Vereinbarungen Ende September einseitig auf.744 Insgesamt resümierte der RHK zum Jahresende 1926, dass die Verhandlungen mit den Lieferanten „im Großen und Ganzen“ erfolgreich waren und damit das am 8. August beschlossene Programm „Für Herrenbekleidungsbranche die Friedenskondition!“ erfolgreich verwirklicht werden konnte.745 Diese Einigung betraf allerdings nur die Herrenbekleidungsbranche und umfasste nicht alle Handels- und Fabrikationsbetriebe. Bis Sommer 1928 scheiterten alle Versuche des Einzelhandels, sich auf eine Einheitskondition in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu einigen. Zum einen scheiterte es an dem Wunsch des Einzelhandels die Vorkriegsbedingungen eins zu eins (Verlängerung der Zahlungsziele, Erhöhung ministerium sah allerdings „keine Notwendigkeit einer Zentralbank des Einzelhandels“, siehe Konf, Keine Einzelhandelszentralbank, 3.7.1929. 743 Konkret: Zahlungsziel ab Schluss des Liefermonats stellen sowie die Wiedereinführung einer Dreistaffelung der Zahlungsziele: (30 Tage/2 Prozent Warenskonto/2 Prozent Kassenskonto; 60 Tage/2 Prozent Warenskonto/1 Prozent Kassenskonto; 90 Tage/2 Prozent Warenskonto), siehe Konf, Konjunktur und Konditionen, 17.3.1926. 744 Im September 1926 erreichte der RHK eine Verlängerung des Zahlungsziels der deutschen Tuchkonvention um zwei Wochen mit nun zwei Zahltagen im Monat. Dadurch ermutigt, verhandelte der RHK, allerdings ergebnislos, über eine „Aufweichung des Konditionenpanzers“ mit diversen Zentralverbänden der Bekleidungsindustrie, siehe Der Herrenkonfektionseinzelhandel muss längere Ziele haben, 25.9.1925; DK, Aus dem Inhalt, 4.12.1925, DK, Die große Tagung des Einzelhandels in Düsseldorf, 13.8.1926. 745 DK, Wo steht der Herrenbekleidungseinzelhandel Ende 1926?, 31.12.1926.

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der Skontosätze, Frage der Verpackungsberechnung) umzusetzen. Die Fabrikanten lehnten Einheitsbedingungen aufgrund der „Verschiedenartigkeit der bestehenden Produktions- und Absatzverhältnisse“ ab. Der Einzelhandel war mit mehreren Konditionsabkommen konfrontiert. Statt einer gemeinsamen Aktion der Textilwirtschaft herrschte „Kleinkrieg zwischen einzelnen Lieferanten und ihren Abnehmern“. Besonders die Bevorzugung der Großkonzerne und Warenhäuser durch die Lieferanten (Verzugszinsen, Preisnachlässe) führten zu massiver Kritik der mittelständischen Handelsverbände, die verstärkt die Einführung einer Meistbegünstigten-Klausel (der Garantie, keinen anderen Abnehmer günstigere Konditionen zu gewähren) forderten.746 In Reaktion auf die gescheiterten Bestrebungen des Einzelhandels, eine Einheitskondition mit seinen Lieferanten herbeizuführen, rückte die Frage der vertikalen Integration von Handelsbetrieben in den Fokus. Handelsbetriebe gingen dazu über, vorgelagerte Wertschöpfungsbereiche, Produktion und Großeinkauf, in Umgehung der Fabrikanten und des Großhandels, in Handelsbetriebe zu integrieren oder gemeinsame Strukturen auszubauen. Waren die Einkaufsgemeinschaften eine direkte Reaktion auf großkapitalistische Handelsbetriebe aus den eigenen Reihen, richtete sich der Trend zur Umgehung des Großhandels und zur „Eigenfabrikation“ bei kleinen und mittleren Händlern gegen den „verteuernden“ Großhandel und die „willkürliche“ Textil- und Bekleidungsindustrie. Nicht zuletzt, da der Handel dadurch die Bruttoallphasenumsatzsteuer einsparen konnte. In seinen Beziehungen zum Großhandel war dem Textileinzelhandel die Zeit der Inflation noch in Erinnerung. Produzenten und Großhandel war es erlaubt gewesen, ihre Waren in Devisen oder auf Basis der Goldmark zu kalkulieren. Während sich die Lieferanten des Handels dadurch berechtigterweise vor drohenden Verlusten schützten konnten, musste der Einzelhandel zu Papiermarkpreisen ein- und verkaufen – streng überwacht von Preisprüfungsstellen und den entsprechenden „Wuchergesetzgebungen“. Mit der wirtschaftlichen Rekonstruktionsphase ab 1924 begannen Handel und Industrie einen Preisabbau durch Umgehung des Großhandels. Die Frage blieb, wer die kostspielige Lagerhaltung der produzierten Ware anstelle des Großhandels übernehmen sollte. Der Handel sah hier die Produzenten als Lagerhalter in der Pflicht: „Es ist ein grundlegender, aber weitverbreiteter Irrtum, der Konsument und der Händler

Die Sächsisch-Thüringischen Weber hatten ihre Zahlungsziele am 15.7.1928 um je 14 Tage verlängert. Die deutsche Konfektionsindustrie stellte dem Reichsverband für Damen- und Mädchenkleidung (RDM) gleiches in Aussicht. Doch die Verhandlungen mit dem Lieferantenverband deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten scheiterte am 14.11.1928. Es folgte ein vertragsloser Zustand. Während dieser Zeit empfahl der RDM seinen Mitgliedern, den Bezug zu Konfektionsverbandsbedingungen abzulehnen und forderte einen „Meistbegünstigtenschein“, der den Verkauf „ zu den günstigsten Zahlungs- und Lieferungsbedingungen“ attestierte und mit Konventionalstrafe (mindestens 1000 RM) drohte, siehe DK, Jahresbericht des Reichsverbandes für Damen- u. Mädchenkleidung, 19.4.1929; Konf, Schafft Meistbegünstigung beim Einkauf!, 13.6.1928. 746

Scheinkonjunktur 1925 bis 1929

seien dazu da, die Fabriken in Gang zu halten; umgekehrt, Diktator ist der Konsument, der das auch ganz genau weiß, und ihm in bester Weise zu dienen, ist unsere Pflicht“.747 Die ersten „Drohgebärden“ gegen Fabrikanten gingen im Sommer 1920 von Berlin aus. Als Reaktion auf die „Schuld der Lieferanten“ während der Kriegszeit rief Moritz Licht, Inhaber eines Berliner Herren- und Knabenkonfektionsgeschäftes, den deutschen Einzelhandel zur Gründung eigener Kleiderfabriken auf. Diese sollten reichsweit an bedeutenden Plätzen wie Berlin, Stettin, Breslau, München, Frankfurt/Main und Mönchengladbach in Form einer Aktiengesellschaft oder GmbH entstehen. Jeder Anteilseigener müsse 25 Prozent seines Jahresumsatzes in die neue Fabrik einbringen. Die Kollektionen sollten in drei Qualitätsstufen produziert und nur in Städte über 100.000 Einwohner geliefert werden und auch Nicht-Mitgliedern zur Verfügung stehen. Zwar wurde der Vorschlag als „wirkliches Licht in der Finsternis“ begrüßt und die ökonomischen Vorteile anerkannt (Preisabbau, Konkurrenzfähigkeit), doch die Idee blieb unverwirklicht.748 Die Erfahrungen der Notstandsversorgung mit Textilwaren, die Hyperinflation, der Warenmangel und der Preisaufstieg hielten die Idee der Eigenfabrikation virulent. Im Oktober 1924 kommentierte das Herrenkonfektionsgeschäft J. Hertz, Steele die „Selbstanfertigung als einzig rechten Weg“. Hertz beschrieb den Weg zur Fabrikation pragmatisch als „dornig und schwer“, da vielen Kleinbetrieben mangels Kapital und Know-How nichts weiter blieb als „in eigener Hauswerkstatt [die] Ware handwerksmässig [zu] fertigen“. Eigenfabrikation lohne sich immer dann, wenn es gelingt, den „Großhandel und kleine Fabrikanten“ zu umgehen. Problematisch blieben der günstige Bezug der Materialien und die Finanzierung. Die Frühjahrsproduktion musste Mitte Januar, die Herbstproduktion Mitte Juli beginnen, sodass die bezogenen Stoffe bis zum Warenverkauf zahlungsfällig geworden waren.749 Letztlich beschritten ab Mitte der 1920er Jahre nur kapitalkräftige genossenschaftliche Verbände kleiner Einzelhändler und finanzstarke Handelskonzerne den Weg der Selbstfabrikation (Tabelle 37). Der Textileinzelhandel unterschied nach einer Aufstellung von Alfred Bach (Isidor Bach, München) drei Kategorien von Eigenherstellern: Selbstherstellung in eigener Kleiderfabrik (immer dann, wenn großer Warenumsatz), Selbsthersteller-Gemeinschaft (mehrheitlich im Bereich Herren- und Knabenkleidung) sowie die Herstellung „gewisser Kategorien von Bekleidungsstücken“ mittels Lohnarbeit.750 Kleine und mitt-

Konf, Lieferfristen!, 9.6.1927. DK, Eigene Kleiderfabriken der Detaillisten, 2.6.1920. Grund für die Selbstfabrikation waren nicht nur die schlechte Qualität nach dem Krieg, sondern überhaupt Ware zu bekommen und das zu sehr hohen Preisen. Dem Kaufmann drohte eine große finanzielle Belastung, da Produktionsinfrastruktur sehr kapitalintensiv war (Zuschneidetische, Maschinen, Werkzeuge, etc.) sowie neue Zahlungen für Stoffe, Futter, Arbeitslöhne, Gehälter, etc mitkalkuliert werden mussten, siehe DK, Selbstanfertigung im Herrenkonfektions-Einzelhandel, 9.10.1924; DK, Zur Selbstanfertigung im Herrenkonfektions-Einzelhandel, 9.11.1924. 750 DK, Hat die Selbstfabrikation von Herrenkonfektion Vorteile?, 13.9.1929. 747 748 749

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Tab. 37 Textileinzelhändler mit Eigenfabrikation (Stichprobe)751 Firma A. Wertheim GmbH, Berlin

Warenhaus

Kaufhaus

Einzelhändler

x

Basse & Uerpmann AG, Iserlohn

x

Berhag Berliner Handels-AG für Textilwaren AG, Berlin

x

C&A Brenninkmeyer, Berlin Gebr. Alsberg AG, Köln

Filialbetrieb

x x

Gebr. Baumann & Co., Stettin

x

Gebr. Grumach AG, Berlin

x

Gebr. Ìkle AG, Berlin

x

Gebr. Leffers AG, Delmenhorst

x

Gebr. Robinsohn AG, Berlin

x

Hermann Tietz & Co. AG, Berlin

x

Hermann Wronker AG, Frankfurt/Main I. A. Schocken Söhne KGaA, Zwickau

x x

Isidor Bach, München

x

Köhler & Priebatsch AG, Berlin Leonard Tietz AG, Köln

x

Mohr & Speyer AG, Berlin Rudolf Karstadt AG, Hamburg

x x

Textilhaus Schneider & Hauschild AG, Berlin

x

W. Jacobsen AG, Kiel

x

Westdeutsche Handelsgesellschaft AG, Köln

x

lere Firmen, die den Alleingang wagten, mussten erkennen, dass es „viele Jahre [dauert], bis ein Selbstkonfektionsbetrieb so organisiert ist, dass er mit den Leistungen der großen Konfektionsfirmen konkurrieren kann, [ ] [denn] Selbstanfertigung ist ein teurer Weg“.752 Eigenfabrikation stärkte also großbetriebliche Strukturen wie Spezialhäuser mit mehreren Filialen oder Warenhauskonzerne. Einkaufsverbände kleinerer Einzelhändler scheiterten an gemeinsamen Produktionsstätten immer wieder an der Verschiedenartigkeit ihrer Mitglieder. Kleine und mittlere Einzelbetriebe blieben

Stichprobenartige Zusammenstellung aus: HdAG 1925, S. 1587; 2377 f.; 2380 ff.; 3241; 3247 f.; 3251; 3255; 3258; 3262; 4431; 5311; 6051 f.; 6060 f.; DK, Zusammenschluss zum größten Textilkonzern Deutschlands, 3.3.1918; DK, Deutsche Kaufhäuser und ihre Uranfänge, 17.4.1925;24.4.1925; 15.5.1925; DK, Bilanz des Konzernjahres 1926, 23.12.1926; DK, Das größte Textilunternehmen der Welt, 14.3.1930; DK, 50 Jahre Hermann Tietz, 1.4.1932; TexW 17.9.1938; TexW 10.12.1938. 752 Konf, Das Problem der Selbstanfertigung im Herrenkonfektions-Einzelhandel, 6.3.1929.

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beim Bezug über die Konfektionsindustrie. Denn wie sich zeigte, bot die eigene Herstellung nicht nur finanzielle Risiken, sondern der Bezug bei etablierten Kleiderfabrikanten hatte für einzelne Händler entscheidende Vorteile. Er konnte aus einem großen Sortiment wählen, hatte Reklamations- und Rückgaberechte, und blieb in Bezug auf Disposition flexibel.753 Einzelhandelsbetriebe erfasste Mitte der 1920er Jahre auch die von Industrievertretern und Regierung angestoßene Debatte über Rationalisierungspotenziale in der deutschen Wirtschaft, an deren Spitze sich zunächst die Handelsgroßbetriebe wie Schocken setzten, und an der sich später auch die Einzelhandelsverbände rege beteiligten.754 Bis Dezember 1927 war der Textileinzelhandel von einer regelrechten „Rationalisierungswelle“ erfasst. Die Betriebe verloren ihre Öffentlichkeitsscheu und der „kleine Kaufmann“ sollte nun „Fortschrittsträger“ sein, um Voraussetzungen für das „Obenbleiben“ zu schaffen. Mehr Publizität, größere Betriebstransparenz, Verbandsstatistiken und exakte Kalkulations- und Rentabilitätsberechnungen hielten Einzug in die Unternehmen und drangen auch an die Öffentlichkeit. Dabei vollzog sich die Rationalisierung in mehrere Richtungen: Organisation, Reklame, Kundendienst und Personal.755 Entscheidenden Anstoß gab Alfred Leonard Tietz. Der Konzernlenker argumentierte ab Sommer 1926 in einer überregional verbreiteten Artikelserie über „Wege zur Rationalisierung“, dass die Rationalisierungsbestrebungen der Großindustrie „sehr wohl auf [den] Handel zu übertragen“ seien. Der Textileinzelhandel leide unter einem Mangel an Übersicht und Kontrolle. Der Handel könne besser kooperieren und dadurch Kosten und Risiken in Bezug auf Kapitalbeschaffung und Einkauf senken, sei 753 So zählte ein Zeitungsartikel zu den Nachteilen der Eigenfabrikation für den Einzelbetrieb: „Zinsverlust durch Festlegung der Kapitalien, Schematisierung des Lagers, Moderisiko, Allgemeines Einkaufsrisiko, da langfristige Festlegung, Lieferungsverzögerungen, große Lager in schwerverkäuflicher Ware, Illiquidität“. Der traditionelle Bezug über Konfektionsbetriebe versprach dagegen „Vorteile bei Bezug von Kleiderfabrikanten, Vielseitigkeit, Günstige Zahlungsbedingungen, Reklamationsrecht/Warenrückgabe, Von Hand in den Mund kaufen, Herabsetzung der Vordisposition, Kulanz der Fabrikanten größer als die der Textilindustrie“, siehe DK, Eigenfabrikation oder Pieceneinkauf, 17.5.1929. Alfred Bach (Isidor Bach, München mit Eigenfabrikation) warnte ebenfalls vor Nachteilen: „Geringe Auswahl an Designs, Überdisposition, Einseitigkeit der Formen und Schnitte, höhere Einkaufspreise bei Stoffen, Unmöglichkeit des gesteigerten Saisonbedarfs, mangelnde Kritik an selbsthergestellter Ware“, siehe DK, Hat die Selbstfabrikation von Herrenkonfektion Vorteile?, 13.9.1929. 754 Rationalisierungsmethoden wurden schon früh rezipiert und eingeschätzt. Im September 1921 kommentierte ein süddeutsches Konfektionshaus die Vor- und Nachteile des „Taylorsystems“ im Textileinzelhandel. In Hinblick auf Personal, Büro- und Arbeitsmethoden bescheinigte der Autor dem amerikanischen System große Potenziale: Man werde befähigt „alle Arbeiten in systematischer Weise und mit dem geringsten Aufwand an Arbeitszeit, Unkosten und Raum zu erfüllen“, siehe Konf, Das Taylorsystem im Einzelhandel, 29.9.1921. Allgemein zur Rationalisierungsdiskussion vgl. Spoerer/Streb (2013), S. 60 ff.; Longerich (1995), S. 167. Im Einzelhandel ab Mitte der 1920er Jahre vgl. Langer (2013), S. 62 ff., für den Einzelhandel S. 68, Anm. 89.; Torp (2011), S. 318 f. 755 Konf, Der „kleine Kaufmann“, 21.5.1927; Artikel „Rationalisierungswille des Einzelhandels“, 9.12.1927, BA R8034-II/3569, p. 84.

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es durch eigene Fabriken oder Einkaufsvereinigungen. Besonders der Einkauf könne stärker konzentriert und Zwischenhändler ausgeschaltet werden.756 Die Anregungen von Tietz lösten eine lebhafte Diskussion über Potenziale der Rationalisierung im Textileinzelhandel aus. Soziologen diskutierten die Vor- und Nachteile der Mechanisierung und Automatisierung des Verkaufsprozesses. Kaufleute lehnten den Automatenverkauf – bis auf die Süsswarenbranche („Stollwerck-Automaten“) – als „undurchführbar“ ab, sahen jedoch in der vergleichenden Betriebsstatistik einen Schritt hin zu einer „automatischen Auslese“ schwacher Einzelhandelsbetriebe.757 Einer der zentralen Punkte der Rationalisierungsbestrebungen war die professionelle Ausbildung und Arbeitsorganisation in den Einzelhandelsbetrieben.758 Nach den Kriegsfolgen mit Hyperinflation mehrten sich die Beschwerden der Inhaber über die Qualität ihrer Auszubildenden und Angestellten. So attestierte im März 1924 Jacob Tuteur (Kersten & Tuteur, Berlin): „Der Nachwuchs lässt außerordentlich zu wünschen übrig. [ ] [Der] männlichen Nachkriegsjugend fehlt Ernst und Pflichtbewusstsein, während die weibliche Jugend in dieser Hinsicht gefestigter ist“. Tuteur forderte eine „angemessene Schulbildung“, Tugendhaftigkeit, Pünktlichkeit und streng apolitisches Auftreten: „Politik gehört nicht ins Geschäft. [ ] Wer sich berufen fühlt, Deutschland im deutschvölkischen oder kommunistischen Sinne zu retten, mag das außerhalb der Arbeitsstunden tun“.759 Der Beruf des Kaufmanns hatte nach den Anfeindungen der Kriegs- und Nachkriegszeit deutlich an Attraktivität verloren und der Handel stand vor einem gewichtigen Nachwuchsproblem. Um genügend Personal zu bekommen, stieg etwa der Anteil weiblicher Auszubildender, während eine „höhere Schulbildung“ nicht mehr verlangt werden konnte. Das oberste Ziel der Ausbildung – ausreichende Warenkenntnis – blieb bescheiden.760 Mit den steigenden Anforderungen (teils maschinelle Buchführung- und Rechnungslegung) entwickelte sich der Kaufmannsberuf für die Jugend Anfang der 1930er Jahre zu einem Verlegenheitsberuf.761 Vgl. Artikel „Wege zur Rationalisierung“, 5.5.1926, BA R8034-II/3568, p. 130 f. Mit Blick auf die USA erkannten einzelne die Potenziale der Selbstbedienung im Textileinzelhandel, siehe Konf, Selbstbedienung – Der Verkauf der Zukunft, 30.1.1929, Konf, Kauf telephonisch und brieflich!, 9.2.1929, Artikel „Die Rationalisierung im Einzelhandel“, 3.5.1926, BA R8034-II/3568, p. 136–138. 758 DK, Probleme der Arbeitsrationalisierung im Einzelhandel, 20.7.1928. 759 DK, Unser kaufmännischer Nachwuchs, 13.3.1924. 760 Die dreijährige Lehrzeit im Textileinzelhandel teilte sich auf in die Themenkomplexe Lager, Wareneingang, Hilfe beim Verkauf, Kassablock-Übertragung, kleiner selbstständiger Verkauf, schriftliche Arbeit, eigenes Lager, Verkauf, Anwesenheit bei Durchsicht der Kollektionen, Orderbücher, Lagerkontrolle, Kalkulation und Dekoration, siehe DK, Das Problem des kaufmännischen Nachwuchses, 14.8.1925. Die HDE richtete 1926 eine zentrale Verkaufsberatungsstelle ein, die Angestellte wie Inhaber in den Bereichen Kundenservice, Kalkulation und Statistik schulen sollte, siehe Konf, Einzelhandelstagung 1927, 8.10.1927. Bereits seit 1924 unterhielt die Leonard Tietz AG, Köln nach amerikanischen Vorbild eine „Education-Abteilung“ („Tietzschulen“). Hauseigene Instruktoren sorgen in allen Filialen für Weiterbildungsangebote, auch für ausgelernte Verkäuferinnen, siehe Konf, „Education“ und „Service“ in der deutschen Praxis, 1.6.1929. 761 „Wer nur als Durchschnittsmensch Recht und schlecht seine Pflicht tun vermag, dem wird in jedem anderen Berufe ein leichteres Los blühen“, siehe DK, Arbeitslosigkeit im Kaufmannsberuf, 5.2.1932. 756 757

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Neben geeignetem Personal sah der RHK Mitte der 1920er Jahre die größten Rationalisierungspotenziale in der Typisierung und Normierung der Produktion, um so die Lager des Groß- und Einzelhandels zu verkleinern. Als Beispiel verwies der Verband auf erste erfolgreiche Versuche der „Vertikal-Textil-Aktiengesellschaft“, in der Herrenkonfektion eine Normung herbeizuführen. Bereits Mitte März 1926 hatte der Krefelder Kaufmann Michael Levy auf die „Schattenseiten der übertriebenen Auswahl“ hingewiesen und eine Beschränkung – auch im Sinne der kaufkraftschwachen Kundschaft – gefordert: „Was also die [!sic] Bekleidungsbranche nottut, ist eine völlige Umstellung in der Ausmusterung, eine weise Beschränkung auf das unbedingt Notwendige; es ist nicht nötig, dass dem laufenden Kunden, der doch immer nur ein Teil wählt, hunderte Muster und Farbenstellungen vorgelegt werden [ ]. Es ist nicht nötig, dass die Mode immer etwas Neues, noch nicht Dagewesenes herausbringt [ ]. Der Tag kommt, wo sich der Geschmack des Publikums an all den phantastischen Gebilden übersättigt haben wird und den Weg frei macht für eine ganz einfache Moderichtung [ ]. Das Publikum muss die Einsicht wieder gewinnen, dass bei den Bekleidungsfragen zunächst der praktische Gesichtspunkt geltend zu machen ist, dass die Dauerhaftigkeit, die Haltbarkeit der Ware das erreicht, was bei dem kärglichen Einkommen nottut, nämlich die Schonung des Geldbeutels“.762

Die Fabrikantenseite widersprach aufs Heftigste und sah die Lagerhaltung des Handels in der Pflicht. Der Textilindustrielle Bernhard Eidmann763 widersprach der Sinnhaftigkeit einer Normierung der Bekleidungsproduktion. Keiner kenne schließlich „die Kundenwünsche von vornherein“ – entscheidender sei die Frage, so Eidmann, wer als Lagerhalter fungiere – „Einzelhandel, Großhandel oder Fabrikant?“ Rationalisierung sollte also die Lagerhaltung, nicht den Produktionsprozess betreffen.764 Viele Kaufleute sahen den Handel dagegen in der Pflicht, als „Schrittmacher“ auf eine Typisierung von Kleidung, besonders Massenartikel des täglichen Bedarfs, hinzuwirken: „Es gibt Unmengen von Textilien, die der Standardisierung fähig sind, Vereinheitlichung von Mustern, Farben, Maßen, Materialzusammensetzung“.765 Angesichts sinkender Preise und Kundennachfrage verstärkten sich ab 1929 die Forderungen nach Normierung

Konf, Die Schattenseiten der übertriebenen Auswahl, 17.3.1926. Eidmann war Inhaber eines Textil-Einkaufshauses und u. a. Inhaber einer Stettiner Herrenkleiderfabrik, vgl. biographische Angaben zu Bernhard Eidmann in: Aly/Heim (2008), S. 559, Dok. 226, Anm. 2. 764 Eidmann formulierte das Rationalisierungsziel klar: „Hat der Verbraucher in einem Modeheft einen Ulster ohne Rückengurt gesehen, und kapriziert sich darauf, dann geht er eben, wenn er nicht bei Leineweber das richtige Stück findet, zu Peek&Cloppenburg, und findet er es dort auch nicht, dann geht er zu einem der mehreren tausend Schneider. [ ] Rationalisierung nicht durch Typisierung, sondern durch vernünftige Lagerhaltung, das ist das Richtige“, siehe DK, Normung, Typisierung und Rationalisierung in der Herrenkonfektion. Eine Erwiderung, 1.10.1926. 765 DK, Der Einzelhandel als Schrittmacher sinngemäßer Normung, 1.10.1926. 762 763

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und Begrenzung der Typenzahl. Der Hamburger Kaufmann Otto Lippmann etwa forderte im Juli 1929: „Es ist doch grober Unfug, von einer Ware dutzende Qualitäten und Preislagen zu führen, anstatt in bestimmten Genres richtig sortiert zu sein. Schluß mit der chronischen Verzettelung und dem „Allesführenwollen“, denn nichts ist verderblicher, als alle Waren führen zu müssen, deshalb machen wir uns frei von diesem alten Zopf. Seiner jeweiligen Kundschaft entsprechend, führe man lieber sog. Stamm-Qualitäten [ ]“.766

Die Umsatzeinbrüche, Kostensteigerungen und Sparzwänge machten die Beschränkung der Kollektionen nun sinnvoll. Zudem sollte sie preismindernd wirken. Konfektionierte Kleidung, allen voran Herrenbekleidung – sollte für Arbeiter erschwinglich bleiben und sich an dem veränderten Konsumverhalten (einfach, qualitativ gut und preiswert) orientieren.767 Der Handel fokussierte seine Rationalisierungsbestrebungen damit auch auf seine Kundschaft und richtete seinen Blick auf die Möglichkeiten der Verbrauchssteigerung, besonders durch Markenbildung und Professionalisierung von Reklamestrukturen und -elementen.768 Zu Zeiten der Hyperinflation Ende 1923 waren die Werbemöglichkeiten des Handels durch die Währungs- und Preisturbulenzen bestimmt. So verzichtete der Handel größtenteils auf Preisauszeichnungen. Der Berliner Warenhauskonzern Tietz berichtete etwa: „Den einzigen Anziehungspunkt für die Vorübergehenden bilden die in jedem Fenster befindlichen Plakate mit der Ankündigung, dass Goldanleihe und Dollarschatzanweisungen mit Wertbeständigkeits-Rabatt in Zahlung genommen werden“.769 Noch im Januar 1926 waren für den deutschen Einzelhandel folgende Reklameinstrumente untersagt: „Alle unwahren Ankündigungen“, Hinweise auf Konkurrenzpreise, Vergleiche mit höheren Preisen („früher – jetzt“), Gewähren von Zugaben und Sondervergütungen sowie Rabattangebote und Ankündigungen von Ermäßigungen

Konf, Warenhaus, Spezialgeschäft, Konsumverein, 6.7.1929. Der Kölner Herrenkonfektionshändler Oppenheimer forderte „Konfektion für die große Masse der Verbraucher“, lehnte aber „Einheitskleidung oder Qualitätsverschlechterung“ ab. Dazu sollte, nach seiner Meinung, „zweckentsprechende gute Kleidung möglichst durch Fortfall vieler Nebenarbeiten verbilligt werden“, damit ein Arbeiter „zu einem Wochenlohn einen tragfähigen Anzug kaufen kann“. Oppenheimer schlug vier Verbraucherklassen vor: „Klasse 1“ (20 Prozent des Konsums) entsprach höchsten Ansprüchen, musste aber „billiger als Schneiderei sein, damit man zur Fertigkleidung abwandert“. „Klasse 2“ (45 Prozent des Konsums) enstprach einem „guten Mittelgenre“, „Klasse 3“ (30 Prozent des Konsums) sollte „Kleidung für einen Wochenlohn“ sein, und 5 Prozent des Konsums sollte ein sehr einfaches Genre bedienen. Dabei müssten sich die „Vorstufen auf mehr Mechanisierung und geringeren Verdienst einstellen“, siehe DK, Steigert den Konsum in Herrenkonfektion, 28.2.1930; Konf, Beschränkt die Kollektionen!, 18.9.1930. 768 Vgl. ausführlich zum Thema Werbung, Marketing und Marktforschung in der Weimarer Republik bis 1929 Pauli (2017). 769 Dieser Rabatt lag üblicherweise bei fünf Prozent, bei manchen Händlern bei zehn Prozent. Ausreißer nach oben waren A. Wertheim (15 Prozent) und Hermann Tietz (25 Prozent), siehe DK, Wie sich der Berliner Einzelhandel der Geschäftslage anpasst, 8.11.1923. 766 767

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(„um die Hälfte“).770 Doch diese offiziellen Verbote verhinderten keineswegs ein intensiviertes Werben um Kunden. Auf ihrer Tagung kritisierte die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE) den ausufernden „Verzweifelungskampf “ der Händler und verurteilte die „Auswüchse“ bei Sonderveranstaltungen oder „große Ramschverkäufe“. Diese hatten, so die HDE, dazu geführt, dass die Bevölkerung auf die Ausverkäufe (Inventurverkäufe) im Januar und Juli sowie „Totalausverkäufe“ aus Konkursbetrieben spekuliere, und das traditionelle Oster- und Weihnachtsgeschäft dauerhaft schwäche.771 Den Kampf gegen den Umtausch als Form des Kundenservice hatte die HDE Anfang 1928 aufgegeben. Zu viele Händler waren trotz Warnungen vor einer Belastung des Betriebskapitals und des Warenlagers erfolgreich dazu übergegangen, sodass sich der Dachverband eher für eine „organisierte Umtausch-Kontrolle“ stark machte.772 Ganz allgemein gehörte Einzelhandelswerbung Mitte der 1920er Jahre zu den Eckpfeilern jeder erfolgreichen kaufmännischen Tätigkeit. Allerdings wollten die Verbände Reklame als „planmäßige, kaufmännische Angebotsarbeit im Dienste der Allgemeinheit“ sehen und nicht als aggressives, gegen die Konkurrenz gerichtetes Wettbewerbsinstrument.773 Als akzeptierte „zugkräftige“ Instrumente galten Zeitungsinserate, Werbetafeln, Schaufensterdekorationen und Plakate (indirekte Kundenwerbung), Werbebriefe und Prospekte (direkte Kundenreklame), Messe- und Ausstellungsbesuche, Vertreterstrukturen sowie innovative und technisch aufwändige Rundfunk-, Film-, Flugzeug- und Lichtwerbung.774 Einer Analyse der RHK nach dominierte während der Weimarer Republik jedoch die Zeitungsreklame als „unerläßlich tägliche Kost“ – 90 Prozent aller Werbeaktivitäten fanden sich in Inseraten.775 Neben den technischen Neuerungen gewann die Reklame an Professionalisierung und Systematisierung. Reklame war nicht mehr notwendiges, den Ertrag belastendes Übel, sondern „jede systematische Reklame zeitigt im Laufe der Jahre einen vermehrten Verkaufserfolg“. Reklamenutzen war nicht mehr Glaubenssache, sondern durch Prüf- und

Konf, Haltet Maß bei der Reklame!, 23.1.1926. Die HDE kritisierte die „Regelung des Ausverkaufswesens [als] total veraltet und für die jetzigen Verhältnisse einfach unbrauchbar“ und forderte eine grundlegende Reform des „Ausverkaufsgesetzes“, siehe Konf, Für die Einheit des deutschen Einzelhandels, 31.7.1926. 772 Konf, Der Umtausch, ein notwendiges Übel, 4.2.1928. 773 Verboten waren „unwahre Ankündigungen“, Verweise auf Konkurrenzpreise, Vergleiche mit höheren Preisen („Früher – jetzt“), prozentuale Rabattangebote („um die Hälfte“) sowie Zugaben oder Sondervergütungen, siehe Konf, Haltet Maß bei aller Reklame!, 10.2.1926. Die HDE forderte v. a. ein Verbot der Ankündigung von Zugaben. Zugaben sollten weiterhin von der Höhe des Einkaufs abhängen, siehe Konf, Notwege und Irrwege der Absatzförderung, 22.5.1926. 774 Vorreiter war hier der VdWK, der diverse Reklameveranstaltungen abhielt, auf denen sich die Mitglieder durch Reklamefachleute (Verein Deutscher Reklamefachleute, Berliner Reklamemesse) über die neuesten Entwicklungen infomieren ließen, siehe Konf, Von den Waren- und Kaufhäusern, 4.3.1925. 775 DK, Einzelhandel, Presse und Kundenwerbung, 9.5.1930. 770 771

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Kontrollstrukturen der Betriebsstatistik mess- und belegbar.776 So entstand beispielsweise eine systematische Kosten- und Erfolgskontrolle von Schaufensterwerbung.777 Zweifellos war dies eine „Amerikanisierung“ der deutschen Reklamelandschaft, auch ausgelöst durch eine Reihe von Auslandsbesuchen deutscher Kaufleute und Verbandsfunktionäre in den USA. Im Mai 1928 beschrieb Rudolf Engelhorn, Inhaber des Mannheimer Textilhauses Engelhorn & Sturm, seine Eindrücke. Dabei beeindruckte ihn neben dem hohen Werbekostenanteil am Umsatz (mindestens fünf Prozent), der Aufbau einer typischen amerikanischen Zeitungsanzeige. Diese bewerbe „nur Spezialangebote für eine Qualität, eine Form [und] einen Preis“. Zudem nutzten die amerikanischen Kaufleute seit längerer Zeit konsequenter die Potenziale von Gemeinschaftsreklame.778 Wie schon im Einkauf verstärkte sich auch in der Reklame der Ruf nach Kooperation zwischen einzelnen Fachhändlern. Bereits nach Kriegsende machte sich „Der Konfektionär“ im Jahr 1919 für gemeinschaftliche Werbeanstrengungen von Handel und Lieferanten stark. Die Grundidee war, dass der Händler nicht mehr sein Geschäft oder eine einzelne Warenart bewarb, sondern in Absprache mit dem Fabrikanten „ein bestimmtes Fabrikat oder eine Marke“. Der Fabrikant würde seine Ware mit entsprechenden Plakaten (von der Reklameabteilung des „Konfektionärs“ hergestellt) ausliefern. Der Händler könne so effizient mit Plakaten, anstatt der Ware selbst werben und zugleich die Ware schonen. Die Idee scheiterte allerdings an der Kostenverteilung, der unzureichenden Markenbildung und der notwendigen Aufgabe der Reklamehoheit des Einzelhandels.779 Anfang 1929 startete der RHK angesichts der Absatzschwierigkeiten und der höheren Fixkosten (Lohnsteigerungen) einen neuen Anlauf für Gemeinschaftsreklame für Fertigkleidung nach US-Vorbild, die zum Ostergeschäft 1929 anlief.

So veröffentliche die „Deutsche Konfektion“ im Sommer 1926 eine detaillierte Aufstellung über eine (mögliche) Gewinnsteigerung durch den Einsatz regelmäßiger Reklame, siehe DK, Was ist und wie treibe ich Reklame, 11.6.1926. Reklame, so der Tenor, war immer dann nützlich, wenn sie Umsatz und Gewinn des Geschäfts steigerte und damit die Mehrausgaben überkompensierte, siehe Konf, Wer trägt die Kosten der Reklame?, 14.2.1925. 777 Im April 1932 veröffentliche die „Deutsche Konfektion“ eine Untersuchung zur durchschnittlichen Betrachtungszeit von Schaufenstern, der über 6.000 Einzelbeobachtungen zu Grunde lagen. Zusammenfassend waren die zentralen Ergebnisse: Bücher (Männer) und Schmuck (Damen) hatten die längsten Betrachtungszeiten (ca. 30 Sekunden). Die kürzesten Betrachtungszeit (ca. 10 Sekunden) hatten Damenhutfenster (Herren) bzw. Herrenhutfenster (Damen). Männer, Frauen und Paare betrachteten etwa 18 Sekunden lang ein Schaufenster, siehe DK, Das Schaufenster als Magnet für den Kunden, 1.4.1932. Bis dahin war eine Kosten- und Erfolgskontrolle der Schaufensterwerbung kaum möglich, da der Kostenanteil im Textileinzelhandel kaum bekannt war. Mit der Durchsetzung der Betriebsstatistik (so waren nun die Kosten je Schaufensteranlage bei Schuhwaren je nach Stadt bekannt, die etwa bei 7.405 bis 9.420 RM lagen) konnte der Handel die Rentabilität und Werbewirksamkeit prüfen. Dies gelang durch Ansprechen der Kundschaft (Wie wirkt das Schaufenster auf Sie?), die Erfassung des Umsatzes der im Schaufenster beworbenen Waren, etc., siehe DK, Was kostet-was bringt das Schaufenster, 29.4.1932. 778 DK, Amerikanische Reklame, 4.5.1928. 779 Konf, Reklamegemeinschaft von Fabrikant und Detaillist, 30.1.1919. 776

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Darin propagierten über 2.000 angeschlossene Firmen den „Kauf und [das] Tragen von Fertigkleidung“. Der Erfolg blieb allerdings bescheiden und zeitlich begrenzt.780 Der Fertigkleidung fehlte es jedoch an einem Markenkern. Der Anteil der Markenartikel im Textileinzelhandel war bis Mitte der 1930er Jahre statistisch unzureichend erfasst. Erste Zahlen lieferten die Berichte des Reichswirtschaftsrates (1931) und entsprechende Untersuchungen der Forschungsstelle für den Handel. Demnach waren sieben Prozent der verkauften Textilwaren Markenartikel. Die höchste Markenbildung hatten Herrenkragen (35 Prozent), Wäsche und Trikotagen (zehn Prozent), Schuhe (fünf Prozent) sowie Sportartikel, Strümpfe oder Teppiche (je ein Prozent). Bis Mitte der 1930er Jahre verstärkte sich im Textileinzelhandel eher die Tendenz zur Handelsmarke, bei der gängige, beliebte Ware unter einem eigenem Label zusammengefasst und verkauft wurde.781 5.2

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

Die gesamtwirtschaftlichen Probleme, die seit Kriegende bestanden, hatten sich weiter verstärkt. Deutschland war es nicht gelungen – wie angestrebt – durch Handelsüberschüsse seine Reparationsschulden zu tilgen, sondern es verschuldete sich zur Begleichung weiter im Ausland. Ausländische Gläubiger „schmierten“ mit ihrem kurzfristig angelegten Geld (im Gegenzug für hohe Zinsen) bis 1929 die deutsche Konjunktur. Der wiederetablierte Goldstandard verband Gläubiger und Schuldner ab Mitte der 1920er Jahre dabei auf schicksalhafte Weise. Jeder Abzug von Kapital reduzierte 780 Die Idee reifte auf der Jahresversammlung des RHK am 8. Mai 1928. Dazu wurde der Mitgliedsbeitrag verdoppelt. „Es ist beabsichtigt, u. a. je einen Fabrikantenvertreter aus Stettin, Aschaffenburg, Breslau für die Gemeinschaftsreklame für Herrenkleidung materiell und moralisch zu interessieren. Die Kollektivreklame in Gestalt in Feuilletons usw. soll namentlich von den Ortsgruppen ausgehen“, siehe Konf, Mehr statistische Durchleuchtung!, 12.5.1928; Konf, Fertigkleidung muss Qualitätskleidung sein!, 20.4.1929. Über die Erfolge berichtete die „Deutsche Konfektion“: „Nie ist so viel über Fertigkleidung gesprochen und geschrieben worden wie in der zweiten Märzhälfte. [ ] Die Ansager in Varietes und Kabaretts haben die Begriffe „Huk“ und „Fertigkleidung“ zum Gegenstand ihrer Konferenzen gemacht“. Der RHK forderte nach der Aktion, dass „Plakatierung, Prospektverteilung, Inserate, [und der] Begriff „Fertigkleidung“ nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden [soll]“ und „daß darauf die Reklame nicht beschränkt sein darf, sondern durch ständiges, systematisches Bearbeiten des deutschen Publikums der Gedanke – Tragt Fertigkleidung –Gemeingut des Volkes wird“, siehe DK, Gemeinschaftsreklame für Fertigkleidung. Rückblick und Ausblick, 19.4.1929; DK, Gemeinschaftsreklame der vollkommene Ausdruck der Kooperation, 8.2.1929. 781 Erste Artikel in der textilen Fachpresse zum „Markenartikel“ lassen sich Mitte der 1920er Jahre nachweisen. Erste öffentlichkeitswirksame Diskussionen um Marken begannen im Januar 1935 etwa im „Konfektionär“ („Der Kampf um die Marke“) über die Sinnhaftigkeit von Marken in der Textilbranche. Darin wurde die Marke definiert als in „Form, Aufmachung, Umfang, Güte und Preis gleichbleibender Ware“. Die Marke war demnach „Gütesiegel und Bürgschaft für Qualität“ mit dem Nachteil der Preisbindung. Der Handel nutzte Marken zur Bildung und Bindung von Stammkundschaft, siehe Konf, Der Markenartikel im Detailgeschäft, 17.6.1925; Konf, Der Kampf um die Marke, 30.1.1935; Konf, Der Sinn der Marke, 30.1.1935; Konf, Die Stellung des Einzelhandels zur Markenartikelfrage, 30.1.1935.

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zeitgleich die Menge an Gold und Devisen eines Landes. Doch indem Handelsbeziehungen frei jeglichen Währungsrisikos wurden, öffneten die Zinsdifferenzen der Teilnehmerländer das Tor für große Kapitalbewegungen und Spekulationen. Deutschland reagierte auf die Kapitalflucht, die die Gold-Devisendeckung unter die gesetzliche 40 Prozent-Grenze fallen ließ mit einer strikten Austeritätspolitik. Die Regierung Brüning fuhr ein umfassendes Programm zur Senkung der Staatsausgaben, einhergehend mit staatlich verordneten Herabsetzungen von Löhnen und Preisen. Diese Deflationspolitik – sinkende Löhne, Gehälter, Steuern – sollte deutsche Produkte im Ausland verbilligen und wiederum Gold-Devisen ins Land holen. Doch diese Maßnahmen schlugen angesichts protektionistischer und ebenfalls geldmengenreduzierender Maßnahmen der europäischen Nachbarn fehl und verkehrten sich ins Gegenteil. Das deutsche Sparprogramm führte zu sinkenden Unternehmensgewinnen. Die Unternehmen reagierten darauf wiederum mit Entlassungen, die enorme Kaufkraftverluste nach sich zogen. Die europäische Bankenkrise 1931 verschärfte die Situation, die mit der Insolvenz des Nordwolle-Konzerns und der fünftgrößten deutschen Bank im Juli 1931 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Mit der nun eingeführten Devisenbewirtschaftung war die Reichsmark nicht mehr ohne Genehmigung umtauschbar und Deutschland damit nicht mehr Teil des Gold-Blocks. Die realwirtschaftlichen Folgen dieser Entwicklung waren dramatisch. Das deutsche Nettosozialprodukt verlor zwischen 1929 und 1932 rund ein Viertel seines realen Wertes, die deutsche Wirtschaft schrumpfte in dieser Zeit jährlich um etwa 7 Prozent. Zu spüren bekam dies auch der Einzelhandel. Die Verbraucher hatten weniger in der Lohntüte und büßten deutlich an Kaufkraft ein.782 5.2.1

Krisensymptome der Branche

Wie nahm die textile Geschäftswelt die konjunkturellen Einbrüche der Jahre 1929 bis 1932 wahr und mit welchen Strategien versuchte sie darauf zu reagieren? Fest stand, dass sich mit dem verschärften Wettbewerb um Kunden und Kaufkraft die Brüche und Konflikte innerhalb der Branche (zwischen den Betriebsformen) und zwischen Öffentlichkeit und Lieferanten verschärfen würden. Doch niemand ahnte, dass der Substanzverlust den des Ersten Weltkrieges und der Hyperinflation von 1923 noch deutlich übertreffen sollte. Anfang März 1929 warnte der Geschäftsführer des Leipziger Einzelhandels davor, dass angesichts der „ausgesprochenen Finanznot das Jahr 1929 ein Notjahr allerersten Ranges“ zu werden drohe.783 Nach Berechnungen des If K waren die Umsätze in den

782 783

Vgl. Hesse et al. (2015), S. 39–45, S. 55 ff. Konf, Zukunftsaussichten des Einzelhandels, 16.3.1929.

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

Monaten Januar und Februar zum Vorjahreszeitraum in der Damenkonfektion um 15 Prozent, in der Herrenkonfektion um acht Prozent gesunken, während die Umsätze in Wäsche stabil blieben. Die Umsätze brachen in jenen Regionen stark ein, die über einen hohen Anteil an Industriearbeiter- und Angestelltenschaft verfügten (Rheinland-Westfalen, Sachsen, Hessen), während die ländlichen Umsätze stabiler lagen (Mecklenburg, Brandenburg, Schleswig-Holstein). Bereits Ende April 1929 portraitierte die „Deutsche Konfektion“ den Handel mit Damenmoden als unrentabel, da den geringen Umsätzen immer höhere Ausgaben gegenüberstünden. Die Zeitschrift sah einen „Kampf aller gegen aller“ auf dem Textilmarkt entbrannt.784 Offiziell riefen die Einzelhandelsverbände ihre Mitglieder auf, sich am ruinösen Unterbietungswettbewerb nicht zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund fragte im August 1929 die „Deutsche Konfektion“ führende Textileinzelhändler, ob sich deren Preisgestaltung an denen der Konkurrenz orientiere. Tatsächlich beteiligten sich alle Befragten am Preiskampf. Das Münchner Haus Isidor Bach „richtet[e] sich nicht nach Konkurrenten [ ], [doch] ausgenommen sind gleiche Artikel des gleichen Lieferanten“. Das Modekaufhaus Fischer-Riegel aus Mannheim versuchte sich „möglichst wenig nach der Konkurrenz zu richten“, andere gaben zu, „stets“ die Preise der Konkurrenz zu beobachten und gegebenenfalls darauf zu reagieren. So bejahten die Ludwigshafener Händler Gebr. Rothschild, immer dann „wohl oder übel“ Preise zu senken, „wenn jedoch die Konkurrenz einen Markenartikel oder gleichen Artikel [ ] verschleudert“. Besonders die großen Kauf- und Warenhäuser sahen keinen Spielraum, nicht auf Preisbewegungen zu reagieren. So mahnte die Leonard Tietz AG: „Es dürfte kein moderner Kaufmann die Preise der Konkurrenz unbeobachtet lassen“, und auch das Frankfurter Warenhaus Hermann Wronker richtete sich „selbstverständlich“ nach den Konkurrenzpreisen. Wie ein anonymes „großes Kaufhaus“ aus Düsseldorf berichtete, war Preissenkung immer eine Reaktion auf Kundenwünsche, da „das Publikum sehr genau auf diese Dinge achtet“. Am klarsten drückte es ein ebenfalls nicht näher genanntes „führendes Kaufhaus in Köln“ aus: „[Wir verkaufen] unter keinen Umständen teurer als die Konkurrenz. Ist dies nicht möglich, so lassen wir die Posten aufkaufen. Als Konkurrenzfirmen betrachten wir nur größere angesehene Firmen, um kleine Außenseiter kümmern wir uns nicht immer“.785 Bis August 1929 hatten über 11.000 Unternehmen aller Branchen Konkurs- und Verglichsverfahren beantragt. An der Spitze dieser Entwicklungen standen Konkurse (3.342) und Vergleiche (1.376) von Einzelhandelsunternehmen. Hier wirkte sich die Bankenpolitik der stark eingeschränkten Vergabe von Personalkrediten besonders negativ aus. Im Vergleich zum Textileinzelhandel waren besonders die textilindustriellen

784 785

Konf, Einzelhandel und Volkseinkommen, 13.4.1929; DK, Sorgen des Textil-Einzelhandels, 26.4.1929. DK, Der Einzelhandel ergreift das Wort, 23.8.1929 und 30.8.1929.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

und bekleidungsgewerblichen Betriebe von dieser Insolvenztendenz betroffen.786 Die Herrenausstatter zeigten sich noch im Herbst 1929 sehr erstaunt über die erhebliche Umsatzverschlechterung: „Die für den Sommer gekaufte Ware wurde vom Publikum weitergetragen, während eine Bedarfsdeckung für die Herbstkleidung nicht stattfand“. Gefragt waren nur noch billige Qualitäten. Reichsweit meldeten Herrenausstatter einen Umsatzrückgang zum Vorjahr von 10 bis 30 Prozent.787 Dies deckte sich auch mit den Umsatzrückgängen ab Herbst 1929 im gesamten Textileinzelhandel (Tabelle 38). Tab. 38 Umsätze (Textileinzelhandel), Saison 1929788 Saison 1929

Bekleidung

Einzelhandel

Mrz. – Mai (Frühjahr)

98,5

98,5

Jun. – Aug. (Sommer)

99,3

97,6

Sept. – Nov. (Herbst)

91,8

92,8

Anmerkungen: in Prozent ggü. dem entsprechenden Vorjahreszeitraum; (*) Hier sind die Zahlen der Wintersaison nochmals enthalten.

Das If K sah die Textilumsätze in seiner Prognose für den Jahreswechsel 1929/1930 weiter sinken, die Umsatzmenge sich stabilisieren. Kunden würden auf preiswerte Waren ausweichen – dadurch würde die Konfektion sowie Kultur- und Luxusartikel überdurchschnittlich leiden. Hoffnung machten den Statistikern die sinkenden Textilpreise.789 Infolge wachsender Aktienspekulationen an der US-Börse sanken bald die amerikanischen Kapitalexporte nach Europa. Die Börsencrashs am 24./25. und 29. Oktober 1929 initialisierten eine mehrjährige US-Bankenkrise und führten zum Abzug der amerikanischen Kurzfristkredite aus Europa. Das deutsche Bruttosozialprodukt sank 1930 im Vergleich zum Vorjahr um real 6,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote lag Ende 1929 mit knapp zehn Prozent erneut auf ihrem Höchststand von 1926 und sollte sich bis Ende 1932 auf knapp 31 Prozent dramatisch erhöhen.790 Auf die Frage des „Konfektionärs“ nach den Geschäftsaussichten für das Jahr 1930 äußerten sich die anonym Befragten zurückhaltend bis pessimistisch. Die Mehrheit beurteilte „die Lage [als] unsicher“, es gebe „keine Anzeichen der Besserung“ und die Umsätze seien „nicht verheißungsvoll“, „ungünstig“ oder „sehr schlecht“. Nur einer

Seit Juli 1927 gab es die Möglichkeit gerichtlicher Vergleichsverfahren. Insgesamt belief sich die Zahl auf 8.120 Konkurse und 3.147 Vergleiche. In der Textilindustrie wurden 23 Konkurse (K) und 18 Vergleiche (V), im Bekleidungsgewerbe 40 Konkurse und 32 Vergleiche gezählt. Der Bekleidungseinzelhandel meldete 24 Konkurse und 37 Vergleiche, siehe DK, Hochflut der Insolvenzen. Erscheinungen und Ursachen, 2.8.1929; Konf, Eingefrorene Einzelhandelskredite 27.7.1929. 787 Konf, Der September war eine Niete, 16.10.1920. 788 Aufstellung nach Konf, Der Einzelhandel um die Jahreswende, 7.12.1929. 789 Konf, Der Einzelhandel um die Jahreswende, 7.12.1929. 790 Vgl. Spoerer/Streb (2013), S. 87 ff.; Hesse te al. (2015), S. 57 f. 786

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

hoffte auf eine „Überwindung der Krise vor Ostern und eine bessere Entwicklung“.791 Im Spätsommer 1929 wuchs die Unsicherheit, denn die Lieferanten verschärften ihre Konditionen drastisch.792 Im September 1929 veröffentlichte der „Verband Deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten“ eine Anweisung, die es seinen Mitgliedern verbot, ab der Sommersaison 1930 auf Lager zu produzieren. Diese Vorgabe verstand der Verband als „letzten Versuch, die Branche zu retten“. Die Bekleidungsindustrie übertrug damit ihren Abnehmern – dem Einzelhandel – zeitlich befristet und einseitig das Lagerrisiko. Die Fabrikanten wollten das für sie teure Moderisiko damit ausschalten: „Das Publikum wird sich daran gewöhnen müssen, beim Einzelhändler das zu kaufen, was ihm die Industrie nach sorgfältiger und rechtzeitiger Vorbereitung des Saisonfeldzuges anbietet [ ]. In allen anderen Ländern liegt zu Saisonbeginn die Mode fest, kein anderes Land ist so wahnwitzig, erst zur zweiten Saisonhälfte eine endgültige Mode stabilisieren zu wollen“.793

Die Lieferanten, die analog zu voran gegangenen Konjunktureinbrüchen reagierten, stellten sich damit erneut diametral gegen die Vorstellungen und Erwartungen der Einzelhandelsverbände. Diese hatten sich zunehmend von langfristigen, großen Orders gelöst, und ihrerseits das „Moderisiko“ an den Großhandel und die Bekleidungsindustrie weitergegeben. Die Dispositionen des Handels waren stellenweise derart kurzfristig, dass noch Mitte September Bestellungen eingingen, obwohl die Saison nur bis Oktober lief. Aus Sicht der Lieferanten begünstigte dieses Dispositionsverhalten die Rentabilitätseinbußen der Fertigungsbetriebe: „Ist es nicht ein Wahnwitz, zu glauben, dass diese paar Wochen ausreichen, um die Rentabilität einer ganzen Saison sicherzustellen [ ]. Wenn der Einzelhandel gezwungen ist, frühzeitig zu bestellen [ ], dann wird auch das Publikum gezwungen sein, das zu kaufen, was ihm angeboten wird“.794

Damit verschärfte sich der Konflikt zwischen Fabrikanten und Einzelhändlern. Aus Sicht der Lieferanten kaufe der Handel „von der Hand in den Mund“ und würde kleine Lager halten. Im Gegenzug erwarte der Händler von seinem Lieferanten günstigste Einkaufspreise und eine Lagerhaltung aller Größen, Formen und Preise. Der Einzelhandel verwies dagegen auf den „verwöhnten Geschmack selbst der einfachsten Schichten“, mit dem ein immer schnellerer Modewechsel einher gehen würde. Dieser von den Kun-

Konf, Werden die 1930er Trauben besser?, 11.1.1930. Noch im Juni 1929 forderte Bach (VdWK) die Bekleidungsindustrie auf, den „vertragslosen Zustand“ zu beenden und „gemeinsame Kauf-, Zahlungs- und Lieferungsbedingungen“ zu vereinbaren, siehe Konf, Kartellgesetz und Bekleidungsindustrie, 5.6.1929. 793 DK, S. O. S., 13.9.1929. 794 DK, S. O. S., 13.9.1929. 791 792

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den initialisierte „Schrei nach billiger Ware“ nähme den Einzelhandel in Geiselhaft.795 Letztlich wiederholte sich erneut der klassische Konflikt – welche Wertschöpfungsstufe haftete für eine veränderte Kundennachfrage. In einer Umfrage der „Deutschen Konfektion“ zu Jahresbeginn 1930 bestätigten die befragten Händler den Konflikt zwischen Kunden- und Lieferantenanspruch. Der Textilhandelskonzern Gebr. Alsberg kritisierte die Vielzahl der Kollektionen: „Früher genügten zwei Musterungen, während es heute erforderlich ist, viermal, und sogar noch zwischenzeitlich, die Kollektionen durchzusehen“. Auch das Magdeburger Textilhaus Lange & Münzer sah sich dem Druck der „Modehetze“ und dem „unberechenbar schnellen Wechsel der Mode“ ausgesetzt. Die Handelskammer Mannheim bestätigte eine „Vertrauenskrise“ zwischen Handel und Kundschaft auf der einen, und Handel und Lieferanten auf der anderen Seite.796 Tab. 39 Entstehungs- und Verkaufspreis eines Herrenanzugs, 1913 und 1930797 Jahr

Stpr

LoZu

Stp

GF

EKP Handel

Ladenpreis

1913

9,0

7,8

16,8

33

22,35

33

Steigerung zu 1913

1928

18,0

18,0

36,0

25

45,00

63

90 %

1929

16,5

17,o

33,5

25

42,00

60

80 %

1930

15,0

15,5

39,5

25

37,65

52

57 %

Stpr = Stoffpreis in RM; LoZu = Lohn und Zutaten in RM; Stp = Stückpreis; GF = Gewinnaufschlag Fabrikant; EKP Handel = Einkaufspreis Handel.

Arbeitslosigkeit und schwindende Kaufkraft machten über den Jahresverlauf 1930 vor allem Textilien und Kleidung des niedrigen Genres attraktiv. Der Einzelhandel war zu Preissenkungen gezwungen. Zwischen 1928 und 1930 waren allerdings auch die Einkaufspreise des Einzelhandels für Konfektionsware gesunken. Die Bekleidungsindustrie hatte ihre Preise durch Rationalisierungen und und staatlich verordnete Lohnreduzierungen gesenkt (Tabelle 39). Zum 16. Juni 1930 passten Teile der Bekleidungsindustrie ihre Verkaufs- und Lieferungsbedingungen an. Sie enthielten nun die sog. „Warenübereignungsklausel“, die den Eigentumsvorbehalt unter bestimmten Bedingungen möglich machte.798 Wie schon 1922/1923 nahm die Öffentlichkeit vornehmlich den Einzelhandel in die Preissenkungspflicht. Der Breslauer Einzelhandelsverband warnte im April 1930 vor einer verhängnisvollen Spirale:

Aus diesem Kreislauf der Schuldzuweisungen auszubrechen, konnte nach Ansicht der Fachpresse nur mit Hilfe umfangreicher Rationalisierungsmaßnahmen gelingen. Die „Deutsche Konfektion“ empfahl im September 1929 eine Normung des Größensystems, ein Einheitspreissystem mit maximal zwei Preislagen und mehr Gemeinschaftsarbeit, siehe DK, Dramatische Rhapsodie am Hausvogteiplatz, 13.9.1929. 796 DK, Sorgen, Nöte und Wünsche, 17.1.1930. 797 Aufstellung nach DK, Der Reichsverband klärt die Presse auf, 21.11.1930. 798 Zu den ersten gehörten Konfektionsverbände wie der „Verband Deutscher Damen- und Mädchenmäntelfabrikanten und der „Verband Deutscher Fabrikanten von Blusen, Kostümen und verwandten Artikeln“, siehe Konf, Neue Verkaufs- und Lieferungsbedingungen in der Damenkonfektion, 7.6.1930. 795

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„Fängt die Konkurrenz zu schleudern an, drückt sie auch die richtig kalkulierenden Kollegen bis zu einem gewissen Grade. Die Kundschaft liest die Schleuderankündigungen und verlangt vom Konkurrenten denselben Preis. Oft wird diese Katastrophe noch verstärkt durch die Presse mit ihrem Gerede vom Preissturz, oft durch Regierungs- und Parlamentsauslassungen, oft durch den Wahn, wenn in einer Stadt einige neue Geschäfte eröffnet haben, müsste die Kaufmannschaft sofort die Preise erniedrigen“.799

Nach Angaben des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung verstärkte die mangelnde Nachfrage der Händler die Überproduktion der Textil- und Bekleidungsindustrie, während der verstärkte Einsatz von Kunstfasern in Fertigkleidung den Preisverfall der Textilien beschleunigte. Zeitgleich intensivierte sich der Konkurrenzkampf um die verbliebene Kaufkraft.800 Die Wirtschaftsberichte der bayerischen IHK-Bezirke bestätigten die Befunde.801 Der Coburger Textileinzelhandel zeigte sich enttäuscht über den Geschäftsverlauf: „Das Publikum ging immer mehr und mehr zu Kreditkäufen über. Eine außerordentliche Preissenkung, die der Einzelhandel vornahm [ ] belebte zwar die Umsätze, doch waren dem einheimischen Handel die Förderung, die der auswärtige Handel durch wilde Vermittler in Beamten- und Angestelltenkreisen erfuhr, sowie die gerade im Coburger Bezirk unverhältnismäßig große Arbeitslosigkeit sehr abträglich“.802

Reichskanzler Heinrich Brüning war seit dem 30. März 1930 im Amt. Hauptziel der Brüning’schen Wirtschaftspolitik war der Abbau des Haushaltsdefizits als Voraussetzung zur Erfüllung bzw. Minderung der Reparationsleistungen. Zunächst erhöhte die Regierung die Staatseinnahmen durch Steuererhöhungen auf Bier, Tabak und Zucker und Sonderabgaben, etwa für Warenhäuser. Seit Juli 1930 regierte Brüning ohne parlamentarische Mehrheit mit Hilfe von Notverordnungen. Die erste Notverordnung vom 26. Juli 1930 betraf die Erhöhung der Einkommenssteuer. Bald verlegte sich die Regierung Brüning, auch auf Druck von Teilen der Arbeitgeberschaft, auf systematische Sparprogramme nach innen wie der Senkung von Löhnen, Gehältern, Gebühren und Steuern, um die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Mit der Not-

Konf, Strukturwandlungen unter Steuerdruck, 26.4.1930. Nach Verbandszahlen verfügten zwei Drittel aller Erwebstätigen über ein Monatseinkommen von unter 1.500 Reichsmark. Daher forderte der Verband, dass die „Produkte sich der Kaufkraft der Bevölkerungsmasse anpassen [müssen]!“, siehe DK, Die Probleme des Jahres 1930, 17.1.1930. 801 Zwischen April und August 1930 meldete etwa der IHK-Bezirk Bayreuth für den Textileinzelhandel zwar ein Umsatzplus (zum Vorjahr) zu Ostern und Pfingsten. Dem folgte aber ein Umsatzrückgang im Mai und ein allgemein „ flauer Geschäftsgang“. Der Handel litt unter „weniger Umsatz [und] allenthalben Überfluss an Waren. Die saisonale Nachfrage nach Herbst- und Winterartikeln, so der Bericht, „litt unter der Arbeitslosigkeit und der Not der Landwirte“, siehe Wirtschaftslage Bayreuth 1930, BWA K8–2272. 802 Jahresbericht 1930, o. D., BWA K6/846. 799 800

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verordnung vom 1. Dezember 1930 wurden Vermögens-, Umsatz-, Grund- und Gewerbesteuer gesenkt und eine strikte Kürzung aller öffentlichen Ausgaben forciert.803 Mit dem Brüning’schen Sparprogramm verband sich auch die Forderung der Politik (und der Bevölkerung) nach sinkenden Verbraucherpreisen in Zeiten der Krise. Der Einzelhandel befand sich damit zum Jahresende 1930 in jener Spirale, vor der die Breslauer Händler im Frühjahr gewarnt hatten. Eine „Preisabbau-Psychose“ und die Frage der volkswirtschaftlichen Rolle des Handels – vor allem der sichtbaren Großbetriebe – dominierten den Diskurs. Die Reichsregierung forderte in Anbetracht der Steuererleichterungen für Unternehmen Senkungen der Verbraucherpreise durch den Einzelhandel. Der Textileinzelhandel wies auf erhebliche Vorleistungen hin. Durch Rationalisierung und Einsparungen profitiere der Kunde bereits von Verbilligungen. Nach internen Untersuchen des RTE hatten sich die Verkaufspreise für Textilwaren zwischen 1928 und 1930 im Schnitt um 21 Prozent verringert. Doch Presse und Regierung, so der Vorwurf der HDE, würden durch Forderungen weiterer Senkungen einen „Käuferstreik auf ganzer Linie“ provozieren, da die Kundschaft auf weitere Preisreduzierungen warte.804 Tatsächlich kam es im November 1930 zu dem befürchteten „Käuferstreik“, nur das Weihnachtsgeschäft besserte die Situation. Insgesamt lagen die Umsätze im Textileinzelhandel zehn Prozent unter den Vorjahreswerten (bei gleichbleibenden Kosten), wobei die Damenkleidung (minus 7,2 Prozent) nur halb so stark wie Herrenkleidung (minus 14,2 Prozent) nachgab.805 Anfang Dezember 1930 richtete die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels ein dringliches Schreiben an die Reichsregierung sowie die Preußische Staatsregierung. In diesem Schreiben schilderte Verbandsgeschäftsführer Tiburtius die „Notlage des Einzelhandels“ in dramatischen Worten. Die steigende Arbeitslosigkeit rufe einen „ständig wachsenden Käuferstreik“ hervor. Substanziellen Umsatzverlusten zwischen 15 und 40 Prozent im Vergleich zum Vormonat stünden unvermindert hohe oder steigende Betriebsausgaben durch Steuererhöhungen und wachsende Ladenmieten gegenüber. Dem deutschen Einzelhandel drohe, so Tiburtius, ein Substanzverlust und der Republik entstünden damit erhebliche Steuerausfälle. Tiburtius schloss den Brief mit der Bitte, „vor dem Erlass gesetzlicher Vorschriften [ ] der HDE Gelegenheit zur Anhörung und zur Darlegung etwaiger Besorgnisse und Einwendungen zu geben“.806 In einem erneuten Treffen von Brüning mit der Spitze des HDE am 30. Januar

Vgl. Hesse et al. (2015), S. 71 ff.; Spoerer/Streb (2013), S. 95 f. Konf, Ist Fortschritt strafbar?, 27.11.1930; Konf, Kampf der Preisabbau-Psychose!, 27.11.1930; Konf, 21 Prozent Preisabbau im Textileinzelhandel, 3.2.1931. 805 Konf, Die Umsatznot des Einzelhandels, 21.2.1931; Konf, Umsatzrückgang bei stabilen Kosten, 21.2.1931; Konf, Überhohe Ladenmieten – aber gedrosselter Umsatz, 24.2.1931; Konf, Die „Unkostenstarre“ im Einzelhandel, 21.3.1931. 806 Der HDE empfahl im selben Schreiben seinen Mitgliedern die Stundung der Einkommens- und Gewerbesteuern, siehe Schreiben an die Reichsregierung und die Preußische Staatsregierung betr. Notlage des Einzelhandels, 6.12.1930, BA R3106/94, p. 338–340. 803 804

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

1931 kritisierte der Verband die eingeleitete Preisabbau-Aktion als schädlich, Brüning erkannte jedoch keine Schädigung und hob die Bedeutung des Einzelhandels für die deutsche Volkswirtschaft hervor.807 Bei der Verabschiedung der ersten gesetzlichen Maßnahmen hatten die Einwände des Einzelhandels vor zu hoher steuerlicher Belastung der Unternehmer und Konsumenten kein Gehör gefunden. In einem Schreiben der HDE vom 2. Juni 1931 an Brüning und Reichsfinanzminister Dietrich sprach sich der Einzelhandelsdachverband gegen Lohn- und Gehaltskürzungen und für mehr öffentliche Sparmaßnahmen aus:808 „Ernste Gefahren weiterer Einkommensbelastungen, die etwa auf längere Frist Kapitalbildung und trostlos abgesunkene Umsätze noch mehr schädigen könnte, sind der Reichsregierung bekannt. [ ] Ohne organische Begrenzung öffentlicher Aufgaben und Ausgaben ist kein erträgliches Ausmaß des Steuerdrucks, also auch keine gerechte und volkswirtschaftlich vernünftige Verteilung von Lasten und Kaufkraft zu erreichen“.809

Wenige Tage nach diesem Schreiben erging die Notverordnung vom 5. Juni 1931. Nach dieser wurden die Einkommen mit einer bis zu fünfprozentigen Krisensteuer zur Finanzierung der staatlich gelenkten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen belastet, während die Beamtengehälter erneut gekürzt wurden. Die HDE kritisierte das „Missverhältnis der Ausgabenkürzungen zu den Einnahmeerhöhungen. [ ] Die Notverordnung vermehrt die politische Not im Innern, [ ] die viele Existenzen im Einzelhandel [ ] vernichten wird“.810 Im ersten Halbjahr 1931 lagen die Umsätze im Textileinzelhandel um 16,1 Prozent unter denen des Vorjahres. Verantwortlich dafür waren Preisrückgänge, während die Mengen und der Einkaufswert pro Kunde relativ stabil blieben. „Die ganze Wucht der Ersparnisbestrebungen“ der Bevölkerung richtete sich nun auf Textilien und Kleidung.811 Nach einer Studie der Forschungsstelle für den Handel (Ff H) reagierte der Einzelhandel auf den Umsatzeinbruch mit erheblichen Kostensenkungsmaßnahmen. Die Notverordnungen bezüglich Mietpreisbremse und Deckelung der Personalkosten wirkten tatsächlich kostensenkend. Die größte Umstellung betraf die Lagerhaltung. Nach der „Boomphase“ zwischen 1925 und 1929 hatte der Textileinzelhandel große Lager aufgebaut, die nun infolge des Umsatzrückgangs Ballast waren und durch Preisrückgang, Modeentwertung, Qualitätsrückgang und Zinsverluste auf den Ertrag

Konf, Der Einzelhandel beim Reichskanzler, 31.1.1931. Beamtengehälter sanken bis Ende 1931 um durchschnittlich 25 Prozent, die Gehälter privater Arbeitnehmer um durchschnittlich 10 bis 15 Prozent („Notopfer der Beamten“ vom 26. Juni 1930; Notverordnung vom 1. Dezember 1930; 2. und 4. Notverordnung Juni/Dezember 1931). Mit der Notverordnung vom 26. Juli 1930 mussten „gebundene Preise für Markenwaren“ ab dem 16. Januar 1931 mind. 10 Prozent unter den Preisen vom 1. August 1930 liegen, vgl. Mommsen (1973). 809 Telegramm an Reichskanzler Dr. Brüning et al., 2.6.1931, BA R3106/94, p. 416. 810 Not und Notverordnung, 16.6.1931, BA R3106/94, p. 401–406. 811 Konf, Prognose zweifelhaft – Therapie notwendig, 3.9.1931; Konf, Pufferstaat Textilwelt, 10.9.1931. 807 808

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drückten. Der Handel begann mit der Abschreibung aller Anlagewerte – dies betraf den Mietwert des Ladens, den Unternehmerlohn und Reklame. Entlassungen betrafen vorerst geringqualifiziertes und -entlohntes Personal.812 Eine kurze Umsatzbelebung brachten die Tage vor und nach der Notverordnung über Bankfeiertage vom 13. Juli 1931. Aus Angst vor einem Währungsverfall infolge der Zahlungsunfähigkeit deutscher Banken, hatten die Kunden die Bankschalter gestürmt und ihr Bargeld in Ware investiert. Diese Angstkäufe im Juli setzten besonders in hochwertigen Qualitäten von Möbel, Kleidung, Schuhen und Teppichen ein. Kunden erwarben in Berlin etwa Winterkleidung und andere hochwertigere Bekleidung. Auch mit dem Verlauf des dritten Quartals 1931 zeigte sich der Einzelhandel relativ zufrieden, da auch er vom Vorgriff der Verbraucher auf Herbst- und Winterware profitierte.813 Mit der Bankenkrise im Sommer 1931 gingen Teile der Bekleidungsfabrikanten wie bereits 1922/23 dazu über, Rechnungen in Goldmark oder ausländischen Devisen und nicht mehr in Reichsmark auszustellen.814 Daraufhin forderte der Textileinzelhandel unter Führung des VdWK im August 1931: „Wir erkennen Fakturierung in Goldmark nicht an. Wir berufen uns auf den Beschluss des VdWK, nach dem die Verbandsmitglieder verpflichtet sind, jedes Warenangebot im innerdeutschen Verkehr, das nicht auf Reichsmark gemacht wird, zurückzuweisen und keine Aufträge anders als auf Reichsmark lautend zu erteilen“.815

Das wichtigste Einzelhandelsproblem blieb weiter das ungünstige Verhältnis von Ausgaben zu Einnahmen in Anbetracht sinkender Umsätze.816 Letzlich sanken die Umsätze schneller als die eigenen Fixkosten gesenkt werden konnten. Damit erhöhte sich der Anteil der festen Ausgaben am Umsatz noch (Tabelle 40). Der Einzelhandel sah sich jedoch nicht in der Lage, seine Fixkosten noch weiter senken und forderte daher immer wieder gesetzgeberische Maßnahmen in Bezug auf Ladenmieten und Hauszinssteuern.817 So plädierte der Einzelhandel für Staatsinterventionismus und Schutz vor dem ruinösen Preiswettbewerb: „Die Einschränkung der Sonderverkäufe und die rücksichtslose Bekämpfung aller verschleierten Ausverkäufe wird daher das einzige Mittel sein, um den Einzelhandel vor dem Untergange und vor Proletarisierung zu schützen“.818 Angesichts der Entlassungen, Konkurse und sinkenden Löhne und Gehälter verschärfte sich das Absatzproblem. Die breite Masse der Kundschaft brachte ihre schwindende Kaufkraft nahezu ausschließlich in Sonderveranstaltungen und Ausverkäufe ein, in der 812 813 814 815 816 817 818

DK, Der deutsche Einzelhandel in der Krise, 6.5.1932. Konf, Flucht in die Ware: Angstkäufe, 18.7.1931; Konf, Die Umsätze im Einzelhandel, 5.12.1931. Konf, Reichsmark, Goldmark, 25.7.1931. Konf, Aufträge nur in Reichsmark, 25.8.1931. Konf, Die Tragödie der Handelskosten, 12.9.1931. Konf, Endlich: Hoffnung auf Segen?, 28.10.1931. Konf, Handelsspanne und fixe Kosten, 20.1.1931.

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

Tab. 40 Anteil der Fixkosten am Umsatz (Textileinzelhandel), 1930 und 1931819 Branche

1930

1931

Textilwaren insgesamt

26,6

29,8

Textilkaufhäuser

29,6

31,7

Schnittwaren

25,6

28,1

Wäsche

26,7

29,3

Schuhe

23,3

24,2

kreditgebender Einzelhandel

33,0

36,0

Anmerkungen: Anteil am Umsatz, in Prozent.

Hoffnung, das „beste Schnäppchen“ zu machen. Die Hauptversammlung der RDM nahm ihre Mitglieder in die Pflicht, preiswertere Qualitäten anzubieten: „Ein Mantel mit Pelzbesatz [ ] sei ein Hohn auf die Lage eines Volkes mit 4 Millionen Arbeitslosen [ ]“.820 Diese wirtschaftliche Not spiegelt auch der Wirtschaftslagebericht der IHK Bayreuth für das Jahr 1931 wieder. Im ersten Quartal berichteten die Unternehmen von „wenig Nachfrage“ infolge „hoher Arbeitslosigkeit“. Die vollen Lager führten so zu immerwährenden „Schleuderpreisen“ und der Entwertung der vollen Lager. Das wichtige Ostergeschäft blieb „unbefriedigend [ ] aus Angst vor weiteren Notverordnungen“. Die Herbstumsätze lagen teilweise zwischen 20 und 30 Prozent unter denen des Vorjahres. Insgesamt resümierte der Bericht, dass der „Geschäftsgang nicht mehr lohnend [ist], da kein Sinken der Regiekosten erreicht wurde und gleichen Spesen verminderter Umsatz gegenüberstand“.821 Das Jahr 1932 stand unter dem Eindruck einer erneuten Notverordnung „zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ vom 8. Dezember 1931. Die Regierung Brüning forcierte weiter einen ausgeglichenen Haushalt und erhöhte die Einnahmen und senkte die Ausgaben. Kommunen konnten Gewerbeund Grundsteuern flexibler gestalten und die „Reichsfluchtsteuer“ sollte die Kapitalflucht ins Ausland eindämmen. Die allgemeine Umsatzsteuer war im April 1930 noch leicht von 0,75 auf 0,85 Prozent angehoben worden. Nun belegte die Regierung alle Unternehmen mit einer zweiprozentigen Umsatzsteuer, sofern ihr Jahresumsatz über 5.000 Reichsmark lag. Eine neue Einfuhrsteuer belegte fortan importierte Waren mit einer Umsatzsteuer. Für Großbetriebe mit einem Jahresumsatz von einer Millionen Reichsmark galt bereits eine Sondersteuer von 1,35 Prozent und nun eine leicht höhere Umsatzsteuer von 2,5 Prozent. Zeitgleich traten weitere Kürzungen der Beamtengehälter sowie gesetzlich verordnete Preissenkungen in Kraft. Damit griff der Staat erstmals in Friedenszeiten in das Preisgefüge ein. Markenartikel und „gebundene Preise“ muss819 820 821

Aufstellung nach DK, Der deutsche Einzelhandel in der Krise, 6.5.1932. Konf, „Billig und gut“ in der Damenkonfektion, 24.1.1931. Wirtschaftslage Bayreuth 1931, BWA K8/1377.

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ten um zehn Prozent gegenüber dem 30. Juni 1931 sinken. Die Regierung installierte den „Preiskommissar“ Goerdeler zum „Schutz der Bevölkerung gegen Überteuerung von Preisen für lebenswichtige Gegenstände des täglichen Bedarfs“.822 Die Notverordnung griff ebenfalls in alle gültigen Tarifverträge der freien Wirtschaft ein und senkte Löhne und Gehälter auf den Stand von 1927 und vereinbarte einen „Tariffrieden“ bis zum 30. April 1932. Vorteilhaft für den Einzelhandel erwiesen sich die Zinssenkungen auf Hypothekarkredite sowie staatlich verordnete Mietsenkungen und Sonderkündigungsrechte. Die Notverordnung griff mit einem generellen Uniformverbot erstmals seit dem Ersten Weltkrieg in die Sortimentsgestaltung des Textilhandels ein.823 Die HDE kommentierte die Notverordnung zwiegespalten. Sie bewertete das Maßnahmenpaket einerseits als „beispiellosen Eingriff in die Wirtschaft“, attestierte Brüning aber andererseits „seltenes Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein“. Problematisch blieben der Zeitpunkt des Erlasses, der mitten in das Weihnachtsgeschäft fiel, und die Gefahr einer Deflationsspirale: „Heute glaubt ein sehr großer Teil der Bevölkerung fester als je, dass neben einem 20-prozentigen Abbau aller Tarife, Gebühren, Löhne, Gehälter, Mieten, Zinsen, usw. auch ein staatlich dekretierter 20-prozentiger Preisabbau bevorsteht. [ ] Bitter wird die Enttäuschung sein, wenn der Preisabbau ausbleibt [ ]. Was hat zuerst nachzugeben? Preise oder die Löhne, Antwort: Entweder keines oder beide“.824

Auch die Textileinzelhandelsverbände sahen die neue Notverordnung Brünings kritisch, aber notwendig. Otto Kitzinger vom RDM bewertete die Deflationspolitk als letzten Versuch „die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Deutschland in eine bessere Zukunft hinüber zu retten“. Zwar seien Notverordnungen „das Gegenteil einer freien Wirtschaft“, doch der Staat war gezwungen, „uneingeschränkte Herrschaft über Banken und Großindustrien“ ausüben. Für Kitzinger war der Textileinzelhandel nicht Hauptziel der Verordnung, eher mittelbarer Leidtragender. So seien Textilhändler von den staatlichen Preissenkungen für „gebundene Preise“ und Markenartikel weniger betroffen als die Lebensmittel-, Chemie- oder Elektrobranche. Die Zinssenkungen betrafen langfristige Darlehen und Schulden, nicht aber kurzfristige Bank- oder Lieferantenschulden. Mit dem staatlich verordneten Abbau der Beamten-, Arbeiter- und An-

Die Aufgaben und Rechte des „Preiskommissars für Preisüberwachung“ sahen „unumschränkte Vollmachten“ vor: „Die in den einzelnen Wirtschaftsstufen vorhandenen Preisspannen oder Zuschläge ständig zu überwachen. Hält der Preiskommissar Preise, Preisspannen oder Zuschläge für überhöht, so trägt er für ihre Senkung Sorge“, siehe DK, Gefahren der Notverordnung, 18.12.1931. 823 „Für Einzelhändler und Fabrikanten, die Uniformen führen, ist es wesentlich zu wissen, dass das Tragen von Abzeichen oder einheitlicher Kleidung, die die Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung kennzeichnen, außerhalb der eigenen Wohnung verboten wird. Das Verbot gilt für jedermann und alle Parteien, also ebenso für Reichsbanner wie Stahlhelm, Nationalsozialisten, Rotfront, etc“., siehe DK, Im Schatten der Notverordnung, 11.12.1931. 824 DK, Im Schatten der Notverordnung, 11.12.1931. 822

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

gestelltentarife sah Kitzinger den Willen des Unternehmertums zwar „durchgesetzt“, durch die verminderte Kaufkraft bleibe ein gravierendes Problem: „Es erscheint sehr fraglich, ob die vorgesehene Senkung der Lebensmittelpreise, der Gas-, Wasser- und Electricitäts-Tarife sowie der Wohnungsmieten die Senkung der Einkommen so weit wettmachen kann, dass für Textilien dieselbe Kaufkraft übrigbleibt wie bisher“.

Den neuralgischen Punkt der Verordnung sah Kitzinger im Preiskommissar. Der Textilhandel zeigte sich zwar vorerst beruhigt mit der offiziellen Ankündigung, dass im Bereich Textilien und Schuhe kein weiterer Handlungsbedarf bestehe. Doch für Kitzinger hatte das neue Amt des Preiskommissars das Potenzial, den „Auftakt zu einer Zwangswirtschaft für den Einzelhandel [zu sein], die über all das hinausgeht, was wir in dieser Beziehung in Kriegs- und Inflationszeit erlebt haben“.825 Auf Brüning folgte ab Juni 1932 das sechsmonatige Präsidialkabinett unter Franz von Papen und ab Dezember 1932 die für zwei Monate amtierende Regierung unter Kurt von Schleicher. Deren wirtschaftspolitische Programme unterschieden sich nur graduell von denen Brünings. Beiden war gemein, dass die bereitgestellten Investitionen angesichts der strukturellen Krise zu gering ausfielen (Arbeitsbeschaffungs- und Bauprogramme) oder zu langsam wirkten (Steuergutscheine und Beschäftigungsprämien). Die Arbeitslosenquote lag im Februar bei 34 Prozent, etwa 40 Prozent der deutschen Bevölkerung erhielten staatliche Zahlungen. Die wirtschaftliche Not befeuerte die politische Radikalisierung und verschärfte die gewalttätigen Auseinandersetzungen der politischen Kampforganisationen der extremen Linken und Rechten. Der Textilumsatz im Jahr 1932 stockte nicht mengen- aber wertmäßig. Dem gegenüber standen weiter relativ hohe Unkosten und verminderte Gewinnspannen. Der RHK-Vorstand Paul Carsch beschrieb die Situation wie folgt: „Die Steigerung der Stückzahl erfolgt dadurch, dass Herren statt einem Maßanzug nun konfektionierte Anzüge kaufen. Vor 1931 kostete ein Fertiganzug im Schnitt 110 Reichsmark. Im Sommer 1932 musste der Kunde zwischen 38 und 48 Reichsmark zahlen, wobei Anzüge auch mal für unter 10 Reichsmark verkauft werden“.826

Dieser „ungesunde Preiskampf “ war nicht nur aus Sicht von Carsch das vielbeschworene Ergebnis eines jahrelangen „übersteigerten Wettbewerbs“, der gerade in der Textilbranche mit „ungeheurer Schwere“ tobte. Spätestens jetzt richteten sich die Schuldzuweisungen nicht mehr vornehmlich an den Staat oder die Lieferanten, sondern es revitalisierten sich die jahrzehntealten Ressentiments zwischen den Betriebsformen. Schuld daran trügen die Warenhäuser und kapitalistischen Großbetriebe, so der Vorwurf großer Teile des verbandlichen Mittelstandes, artikuliert etwa durch die „Deut-

825 826

DK, Gefahren der Notverordnung, 18.12.1931. DK, Äußerungen führender Einzelhändler zu heutigen Problemen, 17.6.1932.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

sche Konfektion“. Nun „rächen sich die Sünden der Vergangenheit, die maßlose Expansion, die kostspieligen Bauten, das übermäßig ausgedehnte Filialsystem und die von der Großfinanz für alle diese Zweige oft allzu bereitwillig gewährten Kredite“.827 Neben den Warenhäusern richtete sich der Zorn der Fachhändler auch wieder gegen Hausierer und Markthandel: „Es werden oft zehn und noch mehr Hausierer gezählt, die an einem Tag die Dörfer abgrasen und die Bauern mit allerlei Ware versehen, während der Krämer zusehen muss, wie alles ins Dorf getragen wird und er selbst auf seinen Waren sitzenbleibt“.828

Der Textileinzelhandel in den Mittel- und Großstädten sah sich weniger mit Hausierern als mit dem zunehmenden Markthandel konfrontiert. 1930 hatte in Berlin die erste „Privatmarkthalle“ eröffnet, im nächsten Jahr waren zwei weitere hinzugekommen und im Jahr 1932 machten allein in Berlin 1.850 solcher privat betriebenen Markthallen dem lokalen Handel Konkurrenz. Etwa 80 Prozent dieser Märkte handelten mit Textilwaren. Neben Privatleuten, die Waren aus Garagen und Fabriken heraus verkauften, betrieben auch kommunale Behörden einen solchen Markthandel. Die Städtischen Markthallen Berlin boten im Jahr 1932 Waren an über 3.600 Ständen – allein 120 verkauften nur Textilien und Bekleidung. Neben dieser „modernen“ Form der Markthalle vergrößerten sich angesichts der sinkenden Kaufkraft auch die großen Wochenmärkte. Allein Berlin zählte Ende 1931 60 öffentliche und 89 private Märkte mit über 2.200 Ständen. Hier dominierten „Kurzwaren, Krawatten, Wäsche, v. a. Damen- und Herrenunterwäsche, Wollund Strickwaren, Handschuhe, Schürzen und billige Kinder- und Damenkleider“. Die Kritik des stationären Ladenhandels bezog sich zum einen auf die „unsorgfältige Lagerhaltung“ der Textilwaren zum Schaden der Kunden. Zudem waren die Preise dieser Wochenmärkte verhandelbar und die Kritiker sahen die „Kunden übervorteilt“. Auch hier erhoben die Verbände die Forderung nach konsequenterer Besteuerung und einer Reform der Gewerbeordnung.829 Tatsächlich sorgten diese Distributionsformen dafür, dass einkommensschwache Schichten erschwingliche Kleidung erwerben konnten. Eine Besonderheit der Zeit mit negativen Auswirkungen auf den Konfektionshandel war die Massenuniformierung der jungen (männlichen) Kundschaft. Nur zehn Prozent der Geschäfte lieferten Uniformen, ca. 25 Prozent verkauften uniformähnliche Bekleidung. Die Hauptversorgung erfolgte zum Großteil direkt über die Zeugmeistereien oder Einzelfirmen, die der jeweiligen Partei nahestanden oder direkt vom Fabrikanten, vereinzelt auch über Schneidereien. Wegen des schlechten Umsatzes bemühte sich der Textileinzelhandel, für Uniformlieferungen herangezogen zu werden, doch ca. 80 Prozent der Bewerbungen blieben erfolglos. Nach einer Umfrage des RHK DK, Textilwaren im heutigen Wirtschaftskampf, 17.6.1932. In einem rückblickenden Bericht boten die Hausierer „Messerwaren, Herrenstoffe, Kunstseidenkupons, Arbeiterwäsche, Kattunartikel“ an, siehe DK, Der ambulante Warenhandel, 16.10.1936. 829 DK, Markthandel gefährdet umliegende Ladengeschäfte, 10.3.1933. 827 828

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

meldeten die Herren- und Knabenkonfektionshändler daher Umsatzrückgänge zwischen fünf und 25 Prozent.830 Auch im ländlichen Raum verschärften sich der Konkurrenzkampf und die Anfeindungen. Der IHK-Bezirk Bayreuth meldete stark gesunkene Textileinzelhandelsumsätze. Hier wirkten die vorgenommenen Senkungen der Verkaufspreise um bis zu 50 Prozent nach. Der Bericht machte für die Preisspirale zum einen die Kundenansprüche, zum anderen den Wettbewerb mit den Großbetrieben verantwortlich: „Das Publikum stellt in Fachgeschäften höchsten Anspruch an Auswahl und Bedienung, aber vergleicht Preise mit den Warenhäusern, Einheitspreisgeschäften und Versandgeschäften“.831 Dieser Argumentation – an den Umsatzrückgängen und am Preisverfall seien großbetriebliche Handelsunternehmen und Warenhäuser schuld –, schlossen sich auch viele mittelständische Einzelhandelsverbände an. Aus ihrer Sicht missbrauchten die im Zuge der Rationalisierung entstandenen Großkonzerne und Warenhäuser ihre starke Einkaufs- und Reklamemacht. Gerade infolge der zahllosen Konkurse, so der Vorwurf, hatten Konzerne große Lager aufgekauft und deren Waren in Ausverkäufen zu Tiefpreisen abgesetzt: „Wohin man gegenwärtig blickt, sieht man Ankündigungen von Totalausverkäufen“. Diesen „Preisschleuderkämpfen“ sei der Mittelstand schutzlos ausgeliefert. Das Wettbewerbsgesetz, so die einhellige Forderung, müsse reformiert werden. Ausverkäufe sollten meldepflichtig, zeitlich begrenzt und zu definierten Verkaufspreisen stattfinden. In seinem Jahresbericht sah der RDM im Jahr 1932 „zum größten Teil ein verlorenes Jahr geschäftlichen Missvergnügens und Misserfolges“. Wie dramatisch die Lage war, zeigt die interne Verbandsstatistik zur Geschäftslage 1932 gegenüber dem Vorjahr. Die Betriebe der Damenkonfektion, besonders die kleineren, büßten etwa ein Viertel des Umsatzes ein. Dieser Umsatzrückgang erklärt sich durch massive Preissenkungen. Die Zahl der Kunden stieg zwar, deren Kaufkraft schwand jedoch (Tabelle 41). Vor dem Weihnachtsgeschäft lagen die Umsätze des Fachhandels in Damenmode knapp 40 Prozent unter denen des Jahres 1929. Der Umsatz der Verbandsmitglieder sank im Vergleich zu 1931 um 23 Prozent, wobei die Umsätze der kleineren Betriebe leicht stärker nachgaben. Die Statistik zeigte auch, dass die Mitgliedsfirmen ihre Betriebsausgaben um 16 Prozent gesenkt hatten. Diese Einsparungen betrafen besonders Verkaufspersonal und Reklame. Interessanterweise stieg die Kundenzahl in den Ge-

830 „In erster Linie nationalsozialistische Organisationen: SS, SA, Hitler Jugend; danach Stahlhelm, Reichsbanner, Bismarckbund, Kampfring der Deutschnationalen, Pfadfinder, Werwolf, Jungdeutsche Orden, Bayernwacht, Jungbayernwacht, Bayerischer Heimat- und Königsbund; zudem katholische und evangelische Jugendverbände, Sturmschar katholischer Jungmänner, Deutsche Jugendkraft, Sozialistische Kinderfreunde, Roter Falke, Roter Adler, usw“. Die Uniformen prägten nicht nur Demonstrationen, sondern auch den Alltag: „[Sie sind] nicht nur Kleidung für Demonstrationen, [sondern auch] Kleidung für Sonntag und Wochenende, für Erwerbslose das ständige Kleidungsstück!“, siehe DK, Massenuniformierung, 14.10.1932. 831 Wirtschaftslage Bayreuth 1932, BWA K8/1378.

259

260

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Tab. 41 Geschäftslage (DOB), 1931 und 1932832 Kategorie

1932 (im Vgl. 1931)

Umsatz aller Betriebe

-23,0 %

Betriebe mit Umsatz unter 200.000 RM

-26,0 %

Betriebe mit Umsatz über 200.000 RM

-22,0 %

Wareneingang

-21,0 %

Kundenzahl

6,0 %

Gesamtkosten

-15,9 %

Reklame

-23,7 %

Verkaufskräfte Umsatz je Verkaufskraft Kundenzahl je Verkaufskraft

-9,0 % -15,0 % 13,0 %

Anmerkungen: basiert auf Meldungen der Mitglieder des Reichsverbandes Damen- und Mädchenkleidung im Jahr 1932; prozentuale Veränderung im Jahr 1932 im Vergleich zum Vorjahr (1931).

schäften, während der Umsatz pro Kunde fiel. Auch hier zeigte sich die Tendenz zu billigen Qualitäten in der Konfektion. Die Weimarer Republik endete mit der Reichskanzlerschaft Adolf Hitlers am 30. Januar 1933. Die Wünsche des Hannoveraner Textilhändlers Elsbach & Frank markierten die Spannungsfelder dieser bewegten Zeit. Auf die Frage der „Deutschen Konfektion“ nach den Wünschen an die neue Regierung gefragt, antwortete der Kaufmann: Die „Regierung muss Arbeit schaffen“, daneben „Hand in Hand mit dem Ausland“ gehen, um für einen „guten Warenaustausch“ zu sorgen. Zentral war der Wunsch nach einer „Rückkehr zu Anstand und guten Sitten“ und dem „Wiederaufbau einer gemeinsamen Front des gesamten deutschen Einzelhandels“. Diese bedeutete für den Mittelständler einen Kampf gegen kapitalistische Großbetriebe. Daher forderte er die „Rückkehr zu Qualitätsware“, das „Verschwinden von Schleuderangeboten, Lockvogelartikeln [und] Preisunterbietungen“ sowie die „Regelung der Zugabefrage und der Sonderveranstaltungen“.833 5.2.2

Krisensymptome in Unternehmen

Im Folgenden soll die Geschäftsentwicklung und -strategien von vier Unternehmen – Hettlage, J. G. Becker, Schocken und Bamberger & Hertz – im Mittelpunkt stehen, um die Auswirkungen der konjunkturellen Krise zu konkretisieren. Anders als bei den zu-

832 833

Aufstellung nach DK, Jahresbericht 1932,12.5.1933. DK, Was war, was wird?, 30.12.1932.

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

rückliegenden ökonomischen Englagen wird im Fall der letzten zwei Unternehmen nun eine neue Qualität in der Auseinandersetzung deutlich – die immer weiter umgreifenden antisemitischen Anfeindungen gegen „jüdische“ Händler, Geschäfte und Konzerne. In der Gegenüberstellung zweier nicht-jüdischer und zweier jüdischer Handelsgeschäfte wird diese Negativdynamik besonders sichtbar. Im Verlauf der 1920er Jahre erarbeitete sich H. Hettlage einen überregionalen Ruf als führendes Konfektionsfachgeschäft. Neben dem Stammhaus in Münster betrieb man Zweighäuser in Greifenhagen, Bielefeld und Kassel. Eine grundlegende Umstrukturierung erfuhr das Unternehmen, als im Jahr 1926 alle Anteilseigner der Familie Boecker bis auf Franz Boecker aus dem Unternehmen H. Hettlage oHG ausschieden und als Abgeltung die Häuser in Kassel und Bielefeld erhielten.834 Nun war Firmeninhaber Carl Hettlage gezwungen, sein Unternehmen neu zu formieren, indem er zwischen 1929 und 1934 seine drei Brüder als neue Gesellschafter – Werner (1929), Benno (1932) und Fritz Hettlage (1934) – in das Unternehmen holte. Zu Umsatz und Gewinn des zunächst auf das Münsteraner Stammhaus geschrumpften Geschäftes während der Weltwirtschaftskrise ist nur Bruchstückhaftes überliefert. Klar ist, dass Hettlage unter der sinkenden Kaufkraft der Kunden zu leiden hatte. Hettlage reagierte mit Investitionen – ein Umzug des Stammhauses in Münster in einen modernen Neubau und einer Sortimentserweiterung. Man bot nun auch Kleidung für Frauen und Mädchen an. Das Geschäft entwickelte sich aufgrund der hohen Unkosten und Einkaufspreise im Verhältnis zu den erzielten Verkaufspreisen zunehmend unrentabel. Besonders das Weihnachtsgeschäft 1930/31 und 1932/33 entwickelte sich im gesamten Sortiment verlustbringend.835 Schaut man auf die überlieferten Umsatzzahlen für das Haus Münster, so erwirtschaftete das Geschäft im Jahr 1930 noch knapp zwei Millionen Reichsmark. Dieser brach bis 1932 auf knapp über 1,5 Millionen Reichsmark ein. Bis 1933 halbierte sich der Jahresumsatz wohl auf um eine Million Reichsmark (Abbildung 9). Während das Stammhaus die Wirtschaftskrise deutlich spürte, entschieden sich die Gesellschafter zur kreditfinanzierten Expansion. Am 19. März 1930 erteilten Carl und Werner Hettlage dem damaligen Mitgesellschafter Franz Boecker Vollmacht, eine Hettlage GmbH in Würzburg zu gründen, die „Fabrikation und Handel von Konfektionen aller Art“ zum Zweck hatte.836 Carl Hettlage wurde zum Geschäftsführer des Geschäftes bestimmt. Anteile an der neuen GmbH hielten neben Carl auch Werner Hettlage, Franz Boecker und zwei niederländische Geschäftspartner.837 Zum 1. April 834

burg.

Franz Boecker verließ 1933 das Unternehmen und übernahm das zuvor errichtete Geschäft in Augs-

Detaillierte Aufstellung zu Betriebskennzahlen unter WWA F132–68. Vgl. Vollmacht vom 19.3.1930, WWA F 132–99. Gesellschafter waren Carl Hettlage, Münster (Geschäftsführer); Franz Boecker, Münster (Geschäftsführer); Werner Hettlage, Münster; Anton Dreesmann, Nymegen (10.000 RM) und Gerrit de Gruyter, s’Hertogenbisch (Schwager von Benno Hettlage, siehe Gesellschaftsvertrag Hettlage GmbH Würzburg, o. D., WWA F 132–99. 835 836 837

261

Abbildung 9 Umsatz und Gewinn, Hettlage, Haus Münster, 1930 bis Juni 1933

836

2.500.000

125.000 106.369 100.000

87.192

1.500.000

75.000

79.175 67.490

1.000.000

50.000

500.000

25.000

0

1.977.065

1.886.007

1.560.194

520.470

1930

1931

1932

1933 (Juni)

Umsatz

Gewinn

2.000.000

Umsatz

262

Haus Münster, so erwirtschaftete das Geschäft im Jahr 1930 noch knapp zwei Millionen Reichsmark. Dieser brach bis 1932 auf knapp über 1,5 Millionen Reichsmark ein. Bis 1933 halbierte der Jahresumsatz wohl auf um eine (1925–1932) Million Reichsmark (Abbildung 9). Zwischen sich Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise

0

Reingewinn

Anmerkungen: linke Achse: Umsatz; rechte Achse: „Reingewinn“; in Reichsmark, lfd. Preise; Gewinn ist in Abb. 9 Umsatz und Gewinn, Hettlage, Haus Münster, 1930 bis Juni 1933838 Quelle als „Reingewinn“ ausgewiesen. Ob dieser „Reingewinn“ wirklich Netto-Gewinn meint, ist nicht abschließend zu klären. Anmerkungen: linke Achse: Umsatz; rechte Achse: „Reingewinn“; in Reichsmark, lfd. Preise; Gewinn ist in Quelle als „Reingewinn“ ausgewiesen. Ob dieser „Reingewinn“ wirklich Netto-Gewinn meint, ist nicht abschließend zu klären. 834

Franz Boecker verließ 1933 das Unternehmen und übernahm das zuvor errichtete Geschäft in Augsburg. Detaillierte zu Betriebskennzahlen unter WWA F132-68. 1930 mieteteAufstellung die Hettlage GmbH ein ebenerdiges Geschäftslokal mit Büro und Kel836 Berechnungen nach F132-68. 835

lerräumen. Das Geschäft lag an der Ecke Schönbornstraße/Dominikanergasse und 216 war Teil des „Kontorhaus Zentral“. Dieses Gebäude gehörte Bernard Joseph Brenninkmeyer. Da ein Umbau der Räume notwendig war, gewährte B. J. Brenninkmeyer der Hettlage GmbH ein Darlehen über 160.000 Reichsmark zum Instandsetzen der Räume.839 Hettlage unterschrieb im Gegenzug einen zehnjährigen Mietvertrag.840

Berechnungen nach F132–68. Bernard Joseph Brenninkmeyer wohnte in Baden/Schweiz und gab ein Darlehen über 160.000 Reichsmark bzw. 94.400 hfl., verzinst zu 4,5 Prozent/Jahr, auf zehn Jahre unkündbar, siehe Darlehensvertrag vom 1.1.1935 sowie Zusatzvertrag zum Darlehensvertrag vom 3.8.1935, WWA F 132–99. Der Mietvertrag wurde am 1. Februar 1935 über zehn Jahre erneuert, siehe Mietvertrag vom 1.4.1930, WWA F 132–99; Mietvertrag vom 1.2.1935, WWA F 132–99. Zu Bernard Joseph Brenninkmeyer siehe auch Spoerer (2016), S. 86 f. 840 Im Spätsommer 1935 schieden die ausländischen Teilhaber Anton Dreesmann und Gerrit de Gruyter sowie Boecker aus der Hettlage GmbH, Würzburg aus. Deren Gesellschaftsanteil wurde auf B. J. Brenninkmeyer übertragen. Nach dem Ausscheiden von Franz Boecker gingen dessen Anteile und Schulden auf Benno und Fritz Hettlage über. Im September 1935 übergab B. J. Brenninkmeyer die von ihm gehaltenen Anteile „Gruyter“ und „Dreesmann“ an Benno und Fritz weiter. Die Gesellschaftsanteile an der Hettlage GmbH, Würzburg verteilten sich danach wie folgt: Carl Hettlage (20.000 RM), Werner, Benno und Fritz (je 10.000 RM) und Fa. Hettlage Würzburg, ehemals Franz Boecker (20.000 RM), siehe Schreiben an die Anmeldestelle für Auslandsschulden, Berlin vom 27.7.1935; Notarielle Ausfertigung vom 7.9.1935, WWA F 132–99; Vertrag vom 10.9.1935 und Schreiben an das Amtsgericht Registergericht, o. D., WWA F 132–99. 838 839

Während das Stammhaus die Wirtschaftskrise deutlich spürte, entschieden sich die Gesellschafter zur kreditfinanzierten Expansion. Am 19. März 1930 erteilten Carl und Werner Hettlage dem damaligen Mitgesellschafter Franz Boecker Vollmacht, eine Hettlage GmbH in Würzburg zu 8371932 gründen, die „Fabrikation und Handel von Konfektionen aller Weltwirtschaftskrise Art“ zum Zweck 1929 hatte.bis Carl Hettlage wurde zum Geschäftsführer des Geschäftes bestimmt. Anteile an der neuen GmbH hielten neben Carl auch Werner Hettlage, Franz Boecker und zwei niederländische Die Hettlage oHG besaß nun zwei Häuser. Der Traditionsstandort Greifenhagen Geschäftspartner.838 Zum 1. April 1930 mietete die Hettlage GmbH ein ebenerdiges Geschäftslokal musste aus nicht dokumentierten Gründen, wahrscheinlich aber aufgrund sinkenmit Büro und Kellerräumen. Das Geschäft lag an der Ecke Schönbornstraße/Dominikanergasse der Rentabilität, 1931 schließen. Schaut man auf die überlieferte Bilanzsumme und und war Teil des „Kontorhaus Zentral“. Dieses Gebäude gehörte Bernard Joseph Brenninkmeyer. den Gewinn der Hettlage-Häuser, so muss der Geschäftsgang des Würzburger Haus Da ein Umbau der Räume notwendig war, gewährte B. J. Brenninkmeyer der Hettlage GmbH ein sich nochmal positiver als der des entwickelt haben, da Darlehen über 160.000 Reichsmark zumMünsteraner Instandsetzen Stammhauses der Räume.839 Hettlage unterschrieb im 840 und der dokumentierte Reingewinn zwischen die kombinierte Bilanzssume stabil war Gegenzug einen zehnjährigen Mietvertrag.

1931 und 1933 deutlich anstieg (Abbildung 10). Tausende

Abbildung 10 Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1928 bis 1933

841

1.200 1.000

1.003,41

974,47

991,34

920,45

870,86

866,16

800 600 400

269

200

79

56

296

66

0 1928

1929

1930 Bilanzsumme

1931

1932/1933

1933

Reingewinn

Abb. 10 Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1928 bis 1933841 Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise, Gewinn ist in Quelle als „Reingewinn“ ausgewiesen. Ob Vgl. Vollmacht vom 19.3.1930, WWA F 132-99.meint, ist nicht abschließend zu klären. dieser „Reingewinn“ wirklich Netto-Gewinn Gesellschafter waren Carl Hettlage, Münster (Geschäftsführer); Franz Boecker, Münster (Geschäftsführer); Werner Hettlage, Münster; Anton Dreesmann, Nymegen (10.000 RM) und Gerrit de Gruyter, s`Hertogenbisch (Schwager von Benno Hettlage, siehe Gesellschaftsvertrag Hettlage GmbH Würzburg, o.D., Vergleichbar in der geschäftlichen Entwicklung, wenngleich auf bescheidenerem NiWWA F 132-99. 839 veau, warJoseph das Bad Lausickerwohnte Textilfachgeschäft J. G. Das Geschäft überstand Bernard Brenninkmeyer in Baden/Schweiz undBecker. gab ein Darlehen über 160.000 Reichsmark 94.400 hfl., verzinst 4,5 Prozent/Jahr, auf Geschäft zehn Jahre unkündbar, vom die bzw. Hyperinflation 1923 zu unbeschadet. Das profitiertesiehe vonDarlehensvertrag seinem textilen 1.1.1935 sowie Zusatzvertrag zum Darlehensvertrag vom 3.8.1935, WWA F 132-99. Der Mietvertrag wurde Monopol in der sächsischen Kleinstadt mit seinen knapp 5.000 Einwohnern. Es bot am 1. Februar 1935 über zehn Jahre erneuert, siehe Mietvertrag vom 1.4.1930, WWA F 132-99; Mietvertrag neben Bekleidung und Wäsche weiter Stoffe an und zog damit(2016), auchS.86f. umliegenvom 1.2.1935, WWA F 132-99. Zu Bernardauch Joseph Brenninkmeyer siehe auch Spoerer 840 Spätsommeran. 1935 schieden die ausländischen Teilhaber Anton Dreesmann und Gerrit de Gruyter deImKundschaft Die Belegschaft beschränkte sich weiterhin auf Familienangehörige sowie Boecker aus der Hettlage GmbH, Würzburg aus. Deren Gesellschaftsanteil wurde auf B.J. Brenninkund eine Handvoll Verkäuferinnen sowiegingen einendessen Buchhalter. NurSchulden während meyer übertragen. Nachangestellter dem Ausscheiden von Franz Boecker Anteile und auf Benno und Fritz Hettlage über. Im– September 1935und übergab B.J. Brenninkmeyer–die von ihm gehaltenen der Geschäftshöhepunkte Jahrmärkte Vorweihnachtszeit wuchs die BelegAnteile und „Dreesmann“ und Fritz weiter. Die Gesellschaftsanteile an der Hettlage schaft„Gruyter“ durch Aushilfen auf bisanzuBenno 20 Personen. Gewinne wurden auch hier während GmbH, Würzburg verteilten sich danach wie folgt: Carl Hettlage (20.000 RM), Werner, Benno und Fritz (je der 1920er Jahre reinvestiert. Bis zum Sommer 1923 konnte der Durchbruch 10.000 RM) und Fa. Hettlage Würzburg, ehemals Franz Boecker (20.000 RM), siehe Schreiben zum an dieGeAnmeldestelle für Auslandsschulden, Berlin vom 27.7.1935; Notarielle Ausfertigung vom 7.9.1935, WWAsoF bäude auf dem erworbenen Nachbargrundstück erreicht werden. Der Laden wurde 132-99; Vertrag vom 10.9.1935 und Schreiben an das Amtsgericht Registergericht, o.D., WWA F 132-99. vergrößert und durch zwei große Schaufenster und eine neue Inneneinrichtung mo841 Berechnungen nach WWA F132-65, F132-66, F132-67. 837 838

217 841

Berechnungen nach WWA F132–65, F132–66, F132–67.

263

Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise, Gewinn ist in Quelle als „Reingewinn“ ausgewiesen. Ob dieser Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932) „Reingewinn“ wirklich Netto-Gewinn meint, ist nicht abschließend zu klären.

Die Hettlage oHG besaß nun zwei Häuser. Der Traditionsstandort Greifenhagen musste aus nicht dokumentierten Gründen, wahrscheinlich aber aufgrund sinkender Rentabilität, 1931 schließen. dernisiert. Amdie 14.überlieferte SeptemberBilanzsumme 1923 feierteund derden neue Gebäudeteil Neueröffnung – hier Schaut man auf Gewinn der Hettlage-Häuser, so muss der war nun die Konfektionsabteilung Geschäftsgang des Würzburger Hausuntergebracht. sich nochmal positiver als der des Münsteraner Zum Endeentwickelt des Geschäftsjahres 1924kombinierte wies man Bilanzssume einen Reingewinn vonund 20.486 Stammhauses haben, da die stabil war der Reichsmark aus. Die Bilanzsumme des Geschäftes verdoppelte sich nahezu von 96.834 dokumentierte Reingewinn zwischen 1931 und 1933 deutlich anstieg (Abbildung 10).

(1924) auf 172.083 Reichsmark (1929). Die Ertragsverhältnisse blieben jedoch volatil.

Vergleichbar in derReingewinn geschäftlichenerlebte Entwicklung, auf bescheidenerem Niveau, das Der bilanzierte nach wenngleich einem kurzen Anstieg 1925/1926 amwar Ende Bad Textilfachgeschäft J. G. Becker. Das die Hyperinflation 1923 des Lausicker Geschäftsjahres 1927 einen Einbruch. DerGeschäft negativeüberstand Trend konnte dank der kurunbeschadet. Das Geschäft profitierte im vonJahr seinem textilen Monopol in der sächsischen Kleinstadt zen wirtschaftlichen Hochphase 1928 kurzzeitig gestoppt werden. Wie auch mit seinen knapp 5.000 Einwohnern. Es bot neben Bekleidung und Wäsche auch weiter Stoffe an Hettlage erweiterte man das Sortiment. Becker richtete in den zusammengelegten Parund zog damit auch umliegende Kundschaft an. Die Belegschaft beschränkte sich weiterhin auf terre-Räumen der beiden Geschäftshäuser eine großzügige Herren-Abteilung und ein Familienangehörige und eine Handvoll angestellter Verkäuferinnen sowie einen Buchhalter. Nur neues Kontor ein.842 Die 1930er Jahre standen im Zeichen ständiger Modernisierung. während der Geschäftshöhepunkte – Jahrmärkte und Vorweihnachtszeit – wuchs die Belegschaft Der Laden erhielt Glasschränke, Vitrinen, Einbauschränke und Schiebekästen. Die durch Aushilfen auf bis zu 20 Personen. Gewinne wurden auch hier während der 1920er Jahre elektrische Registrier-Kasse erleichterte die alltägliche Buchführung. Kunden konnreinvestiert. Bis zum Sommer 1923 konnte der Durchbruch zum Gebäude auf dem erworbenen ten ihre Bettfedern ab 1932 in eine elektrische Reinigungsmaschine geben.843 Diese Nachbargrundstück erreicht werden. Der Laden wurde so vergrößert und durch zwei große notwendigen Investitionen drückten im Zuge der Wirtschaftskrise umso1923 mehrfeierte auf den Schaufenster und eine neue Inneneinrichtung modernisiert. Am 14. September der Gewinn, auch weil die Bilanzsumme zwischen 1929 und 1932 deutlich nachgab. neue Gebäudeteil Neueröffnung – hier war nun die Konfektionsabteilung untergebracht. Für die

Geschäftsjahre 1931 und 1932 wies Becker erstmals einen Verlust aus (Abbildung 11). 172,08 166,54 164,51 168,83

180 160

100

149,26

123,51 154,43

140 120

30 25 142,62 146,93

20 15 10

96,83

5

80

0

60 40

-5

20

-10

0

Reingewinn

200

842

Tausende

Tausende

Abbildung 11 Bilanzsumme und Reingewinn, J. G. Becker, 1924 bis 1933

Bilanzsumme

264

-15 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 Bilanzsumme

Reingewinn

Anmerkungen: linke Achse: Bilanzsumme; rechte Achse: Reingewinn; in Reichsmark, lfd. Preise. Abb. 11 Bilanzsumme und Reingewinn, J. G. Becker, 1924 bis 1933844

Zum Ende des Geschäftsjahres 1924 wies man einen Reingewinn vonin20.486 Reichsmark aus. Die Anmerkungen: linke Achse: Bilanzsumme; rechte Achse: Reingewinn; Reichsmark, lfd. Preise. Bilanzsumme des Geschäftes verdoppelte sich nahezu von 96.834 (1924) auf 172.083 Reichsmark (1929). Die Ertragsverhältnisse blieben jedoch volatil. Der bilanzierte Reingewinn erlebte nach einem kurzen Anstieg 1925/1926 am Ende des Geschäftsjahres 1927 einen Einbruch. Der negative Trend konnte dank der kurzen wirtschaftlichen Hochphase im Jahr 1928 kurzzeitig gestoppt werden. Wie auch Hettlage erweiterte man das Sortiment. Becker richtete in den 842 Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März 1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 7. 843 Seit 1935 bildete das Geschäft auch regelmäßig junge Mädchen und vereinzelt junge Herren für die 842 Herrenabteilung aus, nach sieheBilanzen ebd., S. 8.1919 bis 1962, SWA U40-41, U40-42. Eigene Aufstellung 844 Eigene Aufstellung nach Bilanzen 1919 bis 1962, SWA U40–41, U40–42. 218

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

Wie entwickelten sich die Geschäfte jüdischer Textileinzelhändler, die nicht nur auf den deutlichen konjunkturellen Einbruch, sondern auf bislang unbekannte antisemitische Anfeindungen zu reagieren hatten? Der sächsische Warenhauskonzern Schocken setzte seine überregionale Expansionsstrategie auch nach 1928 zunächst unbeeindruckt von den am Horizont sich andeutenden konjunkturellen Eintrübungen fort (Tabelle 42). Schocken eröffnete im erbst 1929 Filalen in Augsburg und im niederschlesischen Waldenburg. Unmittelbar danach, am 24. Oktober 1929, verunglückte Simon Schocken bei einer Autofahrt tödlich. Salman Schocken übernahm die Anteile seines Bruders und führte den Konzern fortan weiter. Der Geschäftsbericht 1929/30 meldete eine „günstige Entwicklung“. Die Expansion des Konzerns kam mit der Eröffnung der größten Schocken-Filiale, dem Kaufhaus in Chemnitz am 15. Mai 1930, zum vorläufigen Höhepunkt. Tab. 42 Expansion des Schocken-Konzerns, 1929 bis 1932845 Eröffnungsdatum 12.9.1929

Ort

Region

Bemerkungen

Augsburg

Bayern

Übernommen

Waldenburg

Schlesien

Neu

15.5.1930

Chemnitz

Sachsen

Neu

24.9.1931

Pforzheim

Baden

Übernommen

23.10.1929

Der Konzern meldete zunächst eine „erhebliche mengenmäßige und trotz Rückgang der Warenpreise in sämtlichen Geschäften markmäßige Umsatzsteigerung“.846 Der ausgewiesene Reingewinn lag 1929/30 bei über 1,35 Millionen Reichsmark und das Aktienkapital konnte von 6,4 auf zehn Millionen Reichsmark erhöht werden. Die nichtnationalsozialistische Presse zeigte sich beeindruckt vom Geschäftsergebnis und bescheinigte Schocken, ein „berufener Gegner der Syndikate, Kartelle und Trusts“ zu sein, der „völlig durch Selbstfinanzierung aufgebaut“ war.847 Dank der hohen Eigenkapitalquote konnte Schocken, trotz Wirtschafts- und Bankenkrise, weiter konsequent in den Ausbau seines Standortnetzes investieren. Doch die Expansion erfolgte mit Vorsicht und Augenmaß. Seit Dezember 1930 stand Schocken in intensiven Verhandlungen um die Übernahme der (jüdischen) Hermann Wronker AG in Frankfurt. Diese scheiterte letztlich an der hohen Verschuldung und dem schwer verkäuflichen Sortiment („Lagerrisiko“) des Wronker-Konzerns. Schocken kaufte zum 1. Mai 1931 lediglich das Wronker-Haus in Pforzheim und übernahm das Inventar sowie Teile des

845 846 847

Aufstellung „Eröffnungen“, StAC 33309–33. Vgl. Jahresbericht der Schocken KGaA 1929/30, StAC 31451–175. Vgl. Artikel aus Fränkische Tagespost vom 29.12.1930, StAC 31451–423.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Warenlagers und 90 Prozent des Personals.848 Nach Umbauarbeiten eröffnete Schocken in Pforzheim am 24. September 1931 seine 19. Filiale.849 Die 19 Häuser, allen voran die neuen Häuser in Chemnitz und Pforzheim entwickelten sich laut Jahresbericht 1930/31 „gut“ und verzeichneten einen „zufriedenstellenden Erfolg“.850 Zu den konkreten Umsätzen und Gewinnen zwischen 1929 und 1933 liegen voneinander abweichende Zahlen vor, die jedoch im Trend den gleichen Entwicklungsverlauf beschreiben. Nach Fuchs – dessen Angaben ohne Verweis auf konkretes Quellenmaterial auskommen – stieg der Umsatz der Schocken AG zwischen 1929 und 1931 um knapp 47 Prozent und erreichte im Jahr 1931 ein Allzeithoch von 94 Millionen Reichsmark. Diese Umsatzsteigerungen waren nicht nur Ausdruck eines soliden Geschäftsganges, sondern vornehmlich auf die Filialneugründungen und Übernahmen zurückzuführen. Zwar stieg der ausgewiesene Reingewinn (einschl. Miete und Zinsen) im selben Zeitraum von 6,7 auf 9,2 Millionen Reichsmark. Aufgrund der steigenden Bezugspreise, Investitionskosten und Personalausgaben verringerte sich dessen Anteil am Umsatz bis 1931 jedoch auf unter zehn Prozent (Abbildung 12). Die von Direktor Manasse geführte ausführliche Betriebsstatistik für die Betriebsjahre 1929/30 bis 1932/33 zeichnet ein ähnliches Bild. Die Schocken AG erreichte im Geschäftsjahr 1931/32 ihren absoluten Umsatzhöhepunkt – sowohl im Einzelhandelsgeschäft als auch im Fabrikationsbereich. Die Finanzierung der Expansion gelang durch eine nahezu Verdopplung des Aktienkapitals auf 5,2 Millionen Reichsmark und eine zeitgleiche Verringerung des Fremdkapitalanteils von 25 auf 15 Prozent. Der von Manasse dokumentierte Gewinn der Schocken AG schwankte zwischen 1929 und 1932 zwischen vier und fünf Millionen Reichsmark. Damit liegt der Anteil des Gewinns am Umsatz mit fünf bis sieben Prozent deutlich unter den Angaben von Fuchs. Bereits zum Geschäftsjahr 1930/31 hatte Schocken die ausgeschüttete Dividende von acht auf fünf Prozent gekürzt (Tabelle 43). Anders als nichtjüdische Wettbewerber wie Hettlage oder Becker waren Großbetriebe wie Schocken spätestens seit 1931 vom aufgeheizten politischen Klima unmittelbar betroffen. Der Schocken-Konzern bekam die zunehmend aufgeheizte antisemitische Stimmung und die politische Agitation der extremen rechten und linken Parteien Zwischen Dezember 1930 und Mai 1931 verschaffte Schocken sich einen Überblick über die geschäftliche Lage der Wronker AG, Frankfurt. Deren Gesamtumsatz (Februar bis Oktober 1930) lag bei 18,5 Millionen Reichsmark (ggü Vj. 21,8 Mill), davon Frankfurt (2 Geschäfte zusammen 9,5 Millionen), Nürnberg (3,8), Mannheim (2,1), Pforzheim (1,5), Hanau (1,3), Hockenheim (0,5). Schocken ging von voraussichtlich 25 bis 27 Millionen Reichsmark Jahresumsatz der Gruppe aus, siehe Ergebnis der Besprechung des Herrn Schocken jun. Nr. 11 vom 22.12.1930, StAC 31451–386; Bericht zum Wronker-Konzern vom 19.1.1931, StAC 31451–386; Ergebnis einer Besprechung vom 1. Mai 1931 (=Kaufvertrag) vom 1.5.1931, StAC 31451–386. Zur Geschichte des Warenhauses und der Familie Wronker, Frankfurt siehe Lily Wronker Family Collection 1842–2002, LBI AR 25255; Nietzel (2012), S. 36. 849 Vgl. Ansprache des Herrn Direktor Manasse an das gesamte Personal, 24.9.1931, GMC LBI AR 6379; Zeitungsartikel „Georg Manasse – 70 Jahre“, o. D. [1963], GMC LBI AR 6379. 850 Vgl. Jahresbericht der Schocken KGaA 1930/31, StAC 31451–175. 848

Zinsen) im selben Zeitraum von 6,7 auf 9,2 Millionen Reichsmark. Aufgrund der steigenden Bezugspreise, Investitionskosten und Personalausgaben verringerte sich dessen Anteil am Umsatz bis 1931 jedoch auf unter zehn Prozent (Abbildung 12). Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

100 90

12 10,32

80

9,81 9,88

70 Umsatz

851

10 7,55

8

60 50

6,76

40

4

30 20 10

6

Rendite

Millionen

Abbildung 12 Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1929 bis 1932

64

88

94

83

71

1929

1930

1931

1932

1933

0

2 0

Umsatz in Mill. RM

Reingewinn einschl. Miete und Zinsen in % vom Umsatz

Anmerkungen: linke Achse: Umsatz; rechte Achse: Rendite (Reingewinn in Prozent vom Umsatz); in Abb. 12 Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1929 bis 1932851 Reichsmark, lfd. Preise. Anmerkungen: linke Achse: Umsatz; rechte Achse: Rendite (Reingewinn in Prozent vom Umsatz); Reichsmark, lfd. Preise. Zwischen Dezember 1930 und Mai 1931 verschaffte Schocken sich einen Überblick über die geschäftliche

848 in

Lage der Wronker AG, Frankfurt. Deren Gesamtumsatz (Februar bis Oktober 1930) lag bei 18,5 Millionen Reichsmark (ggü Vj. 21,8 Mill), davon Frankfurt (2 Geschäfte zusammen 9,5 Millionen), Nürnberg (3,8), 852 Tab. 43 Betriebskennzahlen, Schocken AG, 1929/30–1932/33 Mannheim (2,1), Pforzheim (1,5), Hanau (1,3), Hockenheim (0,5). Schocken ging von voraussichtlich 25 bis 27 Millionen Reichsmark Jahresumsatz der Gruppe aus, siehe Ergebnis der Besprechung des Herrn Schocken Jahr U(D) U(GF) KAG G UR D EK-Anteil jun. Nr. 11 vom 22.12.1930, StAC 31451-386; Bericht zum Wronker-Konzern vom 19.1.1931, StAC 314511929/30 669.000 2.700.000 4.081.000 6,3 % StAC 8% 75,3Zur % Ge386; Ergebnis 65.283.000 einer Besprechung vom 1. Mai 1931 (=Kaufvertrag) vom 1.5.1931, 31451-386. schichte des Warenhauses und der Familie Wronker, Frankfurt siehe Lily Wronker Family Collection 1930/31 69.525.000 732.000 5.200.000 4.964.000 7,1 % 5% 77,3 %18422002, LBI AR 25255; Nietzel (2012), S. 36. 8491931/32 91.211.000 1.126.000 5.200.000 4.586.000 5,0 % 5 % LBI AR 83,6 % ZeiVgl. Ansprache des Herrn Direktor Manasse an das gesamte Personal, 24.9.1931, GMC 6379; tungsartikel „Georg Manasse – 70 Jahre“, o.D. [1963], GMC LBI AR 6379. 1932/33 79.463.000 1.016.000 5.200.000 3.868.000 4,9 % 5% 85,5 % 850 Vgl. Jahresbericht der Schocken KGaA 1930/31, StAC 31451-175. 851 Anmerkungen: Angaben in Reichsmark, lfd. Preise: U(D) – Jahresumsatz Detailgeschäft, U(GF) JahresAufstellung nach Fuchs (1990), S. 258 (keine Angaben, auf welchem statistischen Material die– Angaben umsatz Engros/Fabrikation, KAG – Aktienkapital, G – Gewinn; Angaben in Prozent: UR – Umsatzrendiberuhen). te, D – Dividende, EK-Anteil – Eigenkapitalanteil.

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deutlich zu spüren. Antisemitische Anfeindungen waren für den Konzern nicht neu, aber bis 1930 eher Ausnahmeerscheinungen, denen durch Beschwerde bei amtlichen Stellen erfolgreich begegnet werden konnte.853 Spätestens zum Jahresbeginn 1931 ver851 Aufstellung nach Fuchs (1990), S. 258 (keine Angaben, auf welchem statistischen Material die Angaben beruhen). 852 Aufstellung nach Statistischem Material „Schocken (Konzern)“, StAC 33309–33. 853 Im Sommer 1920 berichtete das Kaufhaus Meißen über antisemitische Inserate des Meissner Tageblatts und überlegte, eigene Inserate dort nicht mehr zu schalten („Der neue Inserate-Redakteuer hat einen sehr beschränkten Gesichtskreis“), denn „die hiesigen jüdischen Geschäftsinhaber sind alle dafür, nicht zu inserieren“, siehe Schreiben an Salman Schocken vom 12.6.1920, StAC 31451–446. Im Jahr 1927 prozessierte das Schocken-Kaufhaus Regensburg erfolgreich gegen die Zeitschrift „Natalboten“ in Schwandorf wegen

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

schärften sich die nationalsozialistischen Angriffe auf Konsumvereine, kapitalistische Großbetriebe und Warenhäuser. Die „Zeitschrift der Waren- und Kaufhäuser“ zitierte in ihrer ersten Ausgabe 1931 ein NS-Flugblatt anlässlich der Eröffnung eines genossenschaftlichen Warenhauses in Bremerhaven, welches auch von Schocken rezipiert wurde: „Am heiligen Weihnachtsabend werden in eurer armen Hütte Not und Tränen sein; in den Prunkwohnungen der Konsumvereinsdirektoren und Warenhausjuden wird man sich aber bei gebratenen Gänsen und Rotweinen die Hände reiben, weil man durch sogenannte „Verkaufskanonen“ seine Läger gräumt und der „liebe Jude“ seinen dünnen Tinnef und seine „vornehme“ Konfektion an den Mann gebracht hat. Deshalb, deutsche Männer und Frauen, Schluss mit dem Einkauf in Warenhäusern und Konsumvereinen! Schafft euer Weihnachtsgeld nicht zum Kaufhausjuden! [ ] Keinen Pfennig aber den Warenhäusern!“854

Die Verbandszeitschrift kommentierte diese hetzerische Agitation mit bemerkenswerter Gelassenheit und deutlichem Fortschrittsoptimismus: „Die Nationalsozialisten werden aber auf Dauer nicht vermögen, den Forderungen der modernen Wirtschaft entgegen zu handeln. [ ] Die Warenhäuser können einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Ruhe entgegensehen, weil sie nicht Ramsch, sondern gute Ware an den Konsumenten verkaufen [ ]“.855

Diese Gelassenheit machte sich auch der Schocken-Konzern zum Jahresbeginn 1931 zu eigen und stand damit stellvertretend für die Mehrheit der Großbetriebe. Auf der Geschäftsführerkonferenz Ende Januar 1931 wurden die „politischen und proletarischen Elemente im Hause und auf der Straße“ erörtert und vorerst um „Vorschläge zur Beseitigung“ gebeten.856 Die politische Stimmung gegen Warenhäuser hatte sich bis Herbst 1931 dramatisch verschlechtert. Zunächst erteilte Schocken umlaufenden Gerüchten eine Absage, wonach man beabsichtigte, den Stammsitz von Zwickau nach Berlin zu verlegen.857 Diese waren aufgetaucht, nachdem der Warenbezug sich immer schwieriger gestaltete und die Verkaufspreise mit den Wiederbeschaffungspreisen nicht in Einklang zu bringen waren. Auf den Geschäftsführerkonferenzen im Oktober 1931 beurteilte Schocken

antisemitischen Verleumdungen. Das Schocken-Kaufhaus Oelsnitz beschwerte sich 1930 über tendenziöse Berichte des „Oelsnitzer Volksboten“ über „auffallend viel Versammlungen der NSDAP“, siehe Schreiben an Fa. Kaufhaus Schocken Regensburg, 18.8.1927 sowie Schreiben betr. National-Soz. Versammlungen, 8.5.1930, StAC 31451–446. 854 Vgl. Zitat in Artikel „Nationalsozialismus und Warenhaus“ vom 3.1.1931, StAC 31451–423. 855 Ebd. 856 Vgl. Protokoll der G. F.-Konferenz vom 27.1.1931, StAC 31451–273. 857 Nach Worten von Direktor Manasse solle der Stammsitz in Zwickau bleiben, da dies „ein ideal gelegener Einkaufsplatz“ sei und dort Verbindungen „zu den für uns wichtigsten Industrien“ vorlägen, Ansprache des Herrn Direktor Manasse an das gesamte Personal, 24.9.1931, GMC LBI AR 6379.

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

die Aussichten „optimistisch“ und erklärte: „[Wir] wollen uns im Allgemeinen um die politischen Vorgänge nicht kümmern“. Schocken interpretierte die „ungewöhnlich nervöse Stimmung“ in Berlin als „Schwarzseherei“ und beschloss: „Wir können uns darum nicht kümmern, wir können nur unseren eigenen Weg gehen“. Schocken sah zwar zunehmend Bezugsprobleme („in manchen Bezirken in großer Unordnung“, „nicht lieferfähig“) und Lieferanten, die zunehmend in Goldmark fakturierten und die Konditionen einseitig verschärften. Doch – auch aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der Hyperinflation heraus – gab sich Schocken selbstbewusst: Man verfügte über überdurchschnittlich hohe liquide Mittel: „Wir sind flüssig und können Ware kaufen“. Lieferungen konnten in Voraus gezahlt werden, um den Fabrikanten das Risiko zu nehmen und sie zur Fakturierung in Reichsmark zu bewegen. Vor dem Hintergrund des Währungsverfalls plante Schocken, möglichst viel „Liquidität in Ware einzulösen“, auch auf die Gefahr hin, Ware „auch einmal ein paar Monate“ zu lagern. Sollte dies nicht gelingen, wollte Schocken eigene Einkaufshäuser in England oder Paris zu eröffnen. Im Außenauftritt sollte gezielte Reklame antisemitischen Anfeindungen vorbeugen: „Es soll eine Kampagne durchgeführt werden, wo – mit Rücksicht auf die allgemeine politische Situation – unsere Bezeichnungen, insbesondere unser Signet auf den Packungen etc. wegfallen können“.858 Doch spätestens im Verlauf des Weihnachtsgeschäfts 1931 zeigten sich ernste Auswirkungen der Wirtschaftskrise einerseits und der NS-Propaganda gegen Warenhäuser andererseits. Der Geschäftsbericht 1931/32 erkannte erstmals „Auswirkungen der allgemeinen Wirtschaftskrise in erhöhtem Umfang“. Wohl verzögert zu Kleingeschäften, aber unvermindert hart traf der Konjunktureinbruch nun auch Großbetriebe. Schocken beobachtete enorme Kaufkrafteinbußen seiner Kunden infolge von Arbeitslosigkeit und den Gehalts- und Lohnkürzungen. Zudem verlangte die höhere Steuerlast (Umsatzsteuer zum 1.1.1932) eine weitere Reduktion der Betriebsausgaben – jedoch sah man von innerbetrieblichen Gehaltssenkungen ab. Substanziell bedrohlicher schienen Schocken nun erstmals die systematischen Kundenbelästigungen und zunehmenden öffentlichen Anfeindungen des Konzerns. Anfang Dezember 1931 wies die Zentrale alle Häuser an, jegliche Maßnahmen zu ergreifen, die eigenen Kunden vor Übergriffen zu schützen: „Unsere Geschäfte sind neutral, und wir haben die Pflicht, jedem Kunden Schutz zu gewähren“.859 Das so wichtige Weihnachtsgeschäft lief unter den gegebenen Umständen gut – im Verhältnis zu jüdischen Warenhäusern in Großstädten wie etwa Berlin:

858 Vgl. WP-Konferenz, 7.10.1931, StAC 31451–449; Protokoll der G. F.-Konferenz vom 19.10.1931, StAC 31451–273. 859 Vgl. Protokoll der Konferenz vom 1.12.1931, StAC 31451–273; Protokoll der Konferenz vom 7.12.1931, StAC 31451–273.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

„[So] können wir sagen, unser Geschäft ist in Ordnung, wir haben eine Kundschaft, die gerne bei uns kauft, und wenn wir Minus gemacht haben, dann liegt das daran, dass die Preislagen sich verschoben haben, oder müssen wir sagen, es gibt eine Kundschaft, die nicht zu uns kommt, die aber früher bei uns gewesen ist“.860

Aber die Anfeindungen waren in ihrem Ausmaß enorm und in ihrer Qualität neuartig. Salman Schocken zeigte sich fassungslos angesichts des Rückfalls in überwunden geglaubte Gegensätze: „Wir haben noch niemals eine so scharfe gegnerische Propaganda gegen uns gehabt wie jetzt. Es gibt jetzt in einzelnen Bezirken (Augsburg, Regensburg, Breslau) wieder die Reklame mit dem Christentum gegen die Juden, das hat es, seitdem wir Geschäfte haben, noch nicht wieder gegeben. [ ] Wir müssen selbstverständlich damit rechnen, dass besonders ein Teil Männer nicht zu uns ins Geschäft kommt“.861

Doch Schocken generierte im Gegensatz zu kleineren jüdischen Einzelhändlern an den Standorten noch verhältnismäßig guten Umsatz. Teils zehrte das Unternehmen von seinem erarbeiteten Ruf, aber auch seinem günstigen, gut sortierten Sortiment und der strikten Vermeidung jeglichen Hinweises auf jüdische Wurzeln oder ausländische Waren.862 Die Ausgaben für Personal, Reklame und Einkauf blieben stabil. Der Preis- und Umsatzrückgang drückten allerdings erstmals Gewinn und Umsatzrendite, obwohl Schockens Betriebskostenanteil am Umsatz deutlich unter Branchenschnitt lag.863 Die Geschäftsführung blickte nichtsdestotrotz noch im April 1932 vorsichtig optimistisch in die Zukunft. In seiner Ansprache vor Lehrlingen rief Direktor Manasse zur Geschlossenheit und Zuversicht auf: „Es gibt viele Leute, die infolge mangelnden Fleißes oder in Folge mangelnder Vorbildung oder infolge unvorsichtigen Arbeitens, aber auch infolge der Wirtschaftskrise nicht vorwärts kommen; es gibt weiter nicht selbstständige Leute, die eines Tages ihre Stellung verlieren [ ] und es ist ganz klar, dass in der heutigen Zeit, wo es vielen Menschen schlecht geht, von einem Unternehmen, das gesund ist, und das sich offensichtlich ausgedehnt hat im Laufe der letzten Jahre, oftmals mit der Stimme des Neides gesprochen wird und dazu kommt, dass wir in Deutschland in einem Ausmaß politisch verhetzt sind, verhetzt von

Vgl. Protokoll der Konferenz vom 29.12.1931, StAC 31451–273. Vgl. Protokoll der Konferenz vom 29.12.1931, StAC 31451–273. Ausspruch eines Konkurrenten: „Wenn etwas zu tun war, dann war es bei Schocken“. Schocken wollte den Umsatzrückgang bei jungen Männern mit einem Katalog „Fernverkauf für Herrenmode“ kompensieren. Zudem war „es notwendig, dass wir unbedingt dafür sorgen, dass jeder fremde Aufdruck auf den Waren vermieden wird [ ] [und] möglichst [wollen wir] keine ausländischen Waren führen“, siehe Protokoll der Konferenz vom 29.12.1931, StAC 31451–273. 863 Die Umsatzsteigerung kam vermutlich wegen der Sortimentserweiterungen „Sport“ und „Optik“. Schocken lag mit 23,5 Prozent Kosten am Umsatz deutlich unter dem If K-Branchendurchschnitt von 25,27 Prozent, siehe TexW, Der Schocken-Abschluß, 11.11.1932, StAC 31451–175. 860 861 862

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

rechts und von links, wie es wahrscheinlich noch niemals da gewesen ist. [ ] Wir können aber hoffen, dass wir diesen Tiefpunkt überschritten haben, dass es [ ] Deutschland und Europa darüber hinaus besser gehen wird. [ ] Es gibt kaum ein Land, wo die politischen Leidenschaften so arg aufeinander losgehen wie gerade in Deutschland“.864

Doch diese Zuversicht zerschlug sich im Jahresverlauf. Trotz der Bezugsschwierigkeiten gelang es Schocken weiterhin frühzeitig und zu günstigen Einkaufspreisen zu disponieren. Bereits im September 1932 hatte Schocken günstige Rohstoffpreise genutzt und 60 Prozent des Textilbedarfs und 50 Prozent des Konfektionsbedarfs für das Weihnachtsgeschäft fest geordert.865 Doch die steigenden Arbeitslosenzahlen, schwindende Kaufkraft und wachsende politische Durchschlagskraft der nationalsozialistischen Propaganda verstärkten die negativen Effekte in der Betriebsbilanz. Der Geschäftsbericht 1932/33 konstatierte die Auswirkungen der „politischen Spannungen“ und stellte eine „Einstellung von Teilen der Bevölkerung gegen die Warenhäuser“ fest. Erstmals in der Unternehmensgeschichte sank der Jahresumsatz.866 Wie erging es anderen jüdischen Textilhändlern, die eine gewisse Größe erreicht hatten, reichsweit Waren verkauften, sich aber unterhalb der Schwelle zum Warenhaus bzw. Großbetrieb befanden? Sich einen Überblick über die konkrete geschäftliche Entwicklung der Bamberger & Hertz-Gruppe während der Weimarer Republik zu machen, ist schwierig. Formalrechtlich waren alle Standorte eigenständig arbeitende und abrechnende Entitäten, die in Form des Einzelunternehmens, einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft betrieben wurden. Eine einheitliche Konzernbilanzierung existierte nicht, obwohl alle Häuser schon seit Ende der 1920er Jahre über eine gemeinsame Reklamezentrale in Köln und die Frankfurter Einkaufszentrale verbunden waren und auch in Gänze steuer- und sachrechtlich durch den Rechtsanwalt Dr. Werner Hilpert vertreten wurden. Gegenüber den Steuerbehörden, die sich vor allem an den Kapitaltransfers innerhalb der „Gruppe“ störten, bestritt man unisono die „Konzerneigenschaft“. De facto sprachen alle Brüder, gerade im Kreis der Familie immer von der „Bamberger & Hertz“-Gruppe. Da nun die Inhaber und Geschäftsführer eng miteinander verwandt waren, waren alle mehr oder weniger stark von der Geschäftsentwicklung des jeweils anderen unterrichtet. Auch halfen sich die Brüder gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten durch Kapital-, Wissens- und Warentransfers. Man tauschte Tagesumsätze und monatliche Unkosten, die sog. „Lo-

Vgl. Ansprache von Herrn Direktor Manasse an die Lehrlinge, 5.4.1932, GMC LBI AR 6379. „Somit ist der ausschlaggebende Teil des Bedarfs bis Weihnachten gedeckt zu Preisen, die günstig sind und zu genügend frühzeitigen Terminen“, siehe G. B. Nr. 1125a, 15.9.1932, StAC 31451–451. 866 Der Jahresbericht 1932/33 spricht von einem Minus von 13 Prozent „auf unter 80 Millionen Reichsmark“; vorliegende Zahlen bei Fuchs und hier in Abb. 12 weisen einen Jahresumsatz für 1932 von 83 Mill. RM aus. Der erstmalige deutliche Umsatzrückgang ist jedoch unstrittig, vgl. Jahresbericht der Schocken KGaA 1932/33, StAC 31451–175. 864 865

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

sung“, die nur verschlüsselt als Code transferiert wurde. Der Standort Saarbrücken war jedoch nie Teil dieses Agreements.867 Über die Geschäftsentwicklung der Bamberger & Hertz-Gruppe in den 1920er Jahren liegen daher nur bruchstückhafte Zeugnisse vor. Konsistent sind die überlieferten Hausbilanzen über den Zeitraum 1919 bis 1932 (Tabelle 44). Der Umsatz der Häuser im Zeitverlauf war in der Tendenz positiv. Dem Frankfurter, Leipziger und Stuttgarter Haus gelang es, ihr Umsatzniveau zwischen 1919 und 1923 mit leichten Schwankungen zu halten, München baute seinen Umsatz deutlich auf über eine Million Goldmark aus. Tab. 44 Umsätze, Bamberger & Hertz-Gruppe, 1919 bis 1931868 Jahr

Frankfurt

Leipzig

München

Saarbrücken

Saarbrücken „Welthaus“

Stuttgart

Köln

1919

1.578.520

857.174

830.167

328.977

1920

1.226.096

896.616

546.693

199.032

1921

1.172.587

1.167.136

926.486

1922

1.208.458

1.198.752 1.113.105

617.102

407.457

367.625

1923

1.373.534

808.377 1.126.268

376.659

206.779

348.355

1924

3.194.531

2.464.968 2.880.328

679.518

320.521

849.938

1925

3.319.867

2.418.402 2.988.852

601.540

316.038

1.039.184

1926

3.119.737

2.549.594 2.740.823

510.998

239.344

832.160

1927

4.103.022

3.175.791 3.638.754

582.020

270.056

1.040.869

1928

4.116.449

4.122.026

1.136.765

548.293

1929

3.948.476

3.804.778

1.142.078

2.611.404

1930

3.405.433

3.000.000 3.505.381

1.014.110

2.612.278

1931

3.101.522

2.600.000 3.127.131

781.249

2.554.933

275.012

Anmerkungen: Umsätze 1919 bis 1923 in Goldmark, ab 1924 in Reichsmark; lfd. Preise.

Nach der Währungsreform 1923/24 setzten sich die größten Häuser (Frankfurt, Leipzig und München) umsatzmäßig ab. Frankfurt blieb bis zur Wirtschaftskrise 1929 mit etwa vier Millionen Reichsmark das umsatzstärkste Haus. Die dynamischste Entwicklung machte München. Es schob sich umsatzmäßig ab 1927 an Leipzig vorbei auf den zweiten Platz und überflügelte sogar kurzzeitig Frankfurt. Stuttgart und Saarbrücken gelang es dagegen nicht, ihre Umsatzhöhen über die 1920er Jahre zu halten. Nimmt man die Jahre 1922 bis 1927, in denen alle aktiven Häuser Zahlen übermittelten, so ge-

Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 127. Aufstellung nach überlieferten Bilanzen im Umsatzbuch Bamberger & Herz (1914–1935), JMB 2010/3/1 K 770; zudem Umsatzzahlen nach Schreiben an Fred S. Bamberger vom 8.5.1957, HUA 2013/10/0004, S. 325 f.; Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Leipzig vom 4. März 1938, HUA 2013/02/0008–1, S. 81. 867 868

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

lang es der Gruppe, den Konzernumsatz von knapp fünf Millionen (1922) über die Hyperinflation hinweg auf über zehn Millionen Reichsmark zu steigern und diesen auf knapp 13 Millionen (1927) auszubauen. Am 20. Oktober 1928 eröffnete Bamberger & Hertz den größten und modernsten Standort der Gruppe in Köln. Doch wie schon im Jahr 1914 in München fiel die Eröffnung in politisch wie wirtschaftlich schwierige München fiel die Eröffnung in politisch wie wirtschaftlich schwierige Zeiten. Die hohe Zeiten. Die hohe Arbeitslosigkeit und der aufkeimende Antisemitismus drückten auf Arbeitslosigkeit und der aufkeimende Antisemitismus drückten auf den Umsatz des Kölner den Umsatz des Kölner Standortes. Die durchschnittlichen Jahresumsätze beliefen Standortes. Die durchschnittlichen Jahresumsätze beliefen sich dort ab 1929 auf um die 2,5 sich dort ab 1929 auf869um die 2,5 Millionen Reichsmark.869 Millionen Reichsmark. Zum Jahresende 1929 erwirtschaftete die Gruppe – schätzt man Leipzig auf rund drei zwischen 14 und 15 Reichsmark Jahresumsatz. Schaut man– ZumMillionen Jahresende–1929 erwirtschaftete dieMillionen Gruppe – schätzt man Leipzig auf rund drei Millionen zwischen 14 und 15 Millionen Reichsmark Jahresumsatz. Schaut man die teilweise Belegschaftszahlen, auf die Belegschaftszahlen, die für München, Frankfurt, Kölnaufund Leipzig die für München, Frankfurt, Köln und man teilweise Leipzig 1930 vorliegen 13), so muss man vorliegen (Abbildung 13), so muss zwischen und (Abbildung 1936 von mindestens 500 zwischen 1930 und 1936 von mindestens 500 bis 700 Beschäftigten (Angestellte und Arbeiter) in bis 700 Beschäftigten (Angestellte und Arbeiter) in allen Häusern ausgehen. Nach der allen Häusern ausgehen. Nach der Betriebsund Gewerbezählung von 1933 gehörte die Betriebs- und Gewerbezählung von 1933 gehörte die Firmengruppe reichsweit damit Firmengruppe reichsweit damit zu den fünf Spezialhäusern (mit einer Belegschaft zwischen 201 zu den fünf Spezialhäusern (mit einer Belegschaft zwischen 201 und 1000), die Herrenund 1000), die Herren- und Knabenkleidung verkauften.870 Es ist daher sicher keine Übertreibung, und Knabenkleidung verkauften.870 Es ist daher sicher keine Übertreibung, wenn Fritz wenn Fritz Bamberger sich selbst zu den „progressivsten [und] führendsten Großkaufleuten der Bamberger sich selbst zu den „progressivsten [und] führendsten Großkaufleuten der Herrenbekleidungsbranche“ zählte.871 Herrenbekleidungsbranche“ zählte.871 Abbildung 13 Belegschaft, Bamberger & Hertz-Gruppe, 1930 bis 1936

872

500 400 300 200 100

120

99

112

48

96

49

46

165

149

139

122

114

144

133

125

139

147

108

100

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

49

107

0 München

Frankfurt

Leipzig

Fa. Max Braunthal, Frankfurt

Köln

Anmerkungen: Jahresdurchschnitte, ohne Saarbrücken und Stuttgart, Max Braunthal zwischenzeitlich eine Abb. 13 Belegschaft, Bamberger & Hertz-Gruppe, 1930 bis 1936872 Zweigstelle der Filiale Frankfurt.

Anmerkungen: Jahresdurchschnitte, ohne Saarbrücken und Stuttgart, Max Braunthal zwischenNachdem der Stuttgarter Max Bamberger unerwartet starb, übernahm zeitlich eine1928 Zweigstelle der FilialeGeschäftsinhaber Frankfurt.

Fritz Bamberger die Stuttgarter Angelegenheiten und war nun (Mit-)Inhaber der Geschäfte in München, Köln und Stuttgart. Nach dem Tod des Frankfurter Inhabers Heinrich Bamberger Anfang 1934Aufstellung übernahm nach Fritz Bamberger, derBamberger Erbengemeinschaft – bis auf Leipzig 869 überliefertenteilweise Bilanzen ininVollmacht Umsatzbuch & Herz (1914–1935), JMB und Saarbrücken – die Inhaberschaft aller Standorte und die Rolle des Familienoberhauptes. 2010/3/1 K 770. 870 Vgl. Betriebsundder Gewerbezählung 1933; Bambergerab(1990), S. 95. Mindestens ab Ende 1920er- Jahrevon und spätestens 1934 LBI lässtME sich1403, damit von einem „de871 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 20; Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamts betr. Entschäfacto-Konzern“ mit Zentrum München sprechen. digung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen (Rente), HUA 2013/10/0004; Eidesstattliche Erklärung Werner Hilpert vom 27.11.45, siehe HUA 2012/11/0001, S. 50. 872 Vgl. diverse Buchprüfungsberichte im HUA [ohne Signatur]. 869

Aufstellung nach überlieferten Bilanzen in Umsatzbuch Bamberger & Herz (1914-1935), JMB 2010/3/1 K 770. 870 Vgl. Betriebs- und Gewerbezählung von 1933; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 95. 871 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 20; Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamts betr. Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen (Rente), HUA 2013/10/0004; Eidesstattliche Erklärung Werner Hilpert vom 27.11.45, siehe HUA 2012/11/0001, S. 50.

273

274

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Nachdem 1928 der Stuttgarter Geschäftsinhaber Max Bamberger unerwartet starb, übernahm Fritz Bamberger die Stuttgarter Angelegenheiten und war nun (Mit-)Inhaber der Geschäfte in München, Köln und Stuttgart. Nach dem Tod des Frankfurter Inhabers Heinrich Bamberger Anfang 1934 übernahm Fritz Bamberger, teilweise in Vollmacht der Erbengemeinschaft – bis auf Leipzig und Saarbrücken – die Inhaberschaft aller Standorte und die Rolle des Familienoberhauptes. Mindestens ab Ende der 1920er- Jahre und spätestens ab 1934 lässt sich damit von einem „de-facto-Konzern“ mit Zentrum München sprechen. Anders als im Fall Schocken, wo sich Umsatzeinbrüche erst im Jahresverlauf 1932 einstellten, verzeichneten die drei größten Bamberger & Hertz-Häuser Frankfurt, Leipzig und München bereits zum Ende des Geschäftsjahres 1929 erste leichte Umsatzrückgänge, die sich wie auch bei Hettlage und Becker im Verlauf des Jahres 1930 deutlich verschärften. Anders als ein Warenhaus konnten Textilfachhändler ihre Umsatzeinbußen in hochwertiger Kleidung nicht durch nicht-textile Verbrauchsartikel wie Seife oder Schokolade kompensieren. Von den Kaufkrafteinbußen der Kunden waren zudem hochwertige Segmente wie Bamberger & Hertz stärker betroffen, als niedrig- und Mittelpreissortimente von Kauf- und Warenhäusern. Allein zwischen 1928 und 1931 verloren die Hauptstandorte der Bamberger & Hertz-Gruppe – ohne Köln – bis zu 25 Prozent ihrer Umsätze. Ein tiefenschärferes Bild erlauben die Münchner Ergebnisse in Bezug auf Umsatz, Gewinn und Kundenzahl (Tabelle 45). Fritz Bamberger hatte Ende der 1920er Jahre den Grundstein für die erfolgreiche Bewältigung der Wirtschaftskrise gelegt. Auch wenn die inflationären Preissteigerungen die Umsatzsteigerungen beeinflussen, gelang es doch, zwischen 1926 und 1929 fast achtmal mehr Kunden zu gewinnen. Dies war auch wegen des schrumpfenden Budgets des Verbrauchers notwendig, denn der Umsatz pro Kunde verringerte sich auf knapp ein Drittel des Niveaus der „Goldenen Zwanziger“. Trotz des anhaltenden Umsatzrückgangs seit 1930 gelang es München bis 1933, einen gleichmäßigen Bruttogewinn zu erwirtschaften, der sich in der für Textilhändler verhältnismäßig hohen Umsatzrendite von über sieben Prozent ausdrückte. Dieses konnte nur gelingen, indem zeitweise rigoros an Personal gespart und Lohnund Gehaltskosten gekürzt wurden. München beschäftigte 1930 52 Arbeiter und 92 Angestellte. 1931/32 reduzierte Bamberger seine Belegschaft, um sie seit 1933 wieder deutlich aufzustocken. Im Jahr 1934 beschäftigte er wieder 52 Arbeiter und 95 Angestellte. Zeitgleich reduzierte Bamberger seine Unkosten und kürzte Ausgaben für Löhne und Gehälter um circa 23 Prozent.873 Wie Abbildung 14 zeigt, halbierte sich also zwischen 1931 und 1933 in München der Geschäftsgewinn – wie wohl auch an den übrigen Traditionsstandorten. Die teure In-

Vgl. Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, München vom 21. Oktober 1936, HUA 2013/02/0008– 1, S. 2 f. 873

Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932

Tab. 45 Umsatz, Gewinn & Kunden, Bamberger & Hertz, Haus München, 1929 bis 1932874 Jahr

Umsatz

V. z. Vj.

Gewinn

UR

Spesen

Kunden

1926

K. z. Vj.

UpK

12.194

1929

3.803.698

1930

3.505.827

-8 %

1931

3.131.159

-9 %

229.910

7%

25 %

95.070

25 %

106.228

90

37 12 %

29

aus eigenen Mitteln entgegen zu setzen. Hier erwies sich die Konzernstruktur des Schocken1932 2.773.898 -11 % größeren 214.429 8 % als deutlich 27 % robuster. 114.122 Seit seiner 7 % Gründung 24 Konzerns und dessen weitaus Reserven Anmerkungen: Umsatz, steuerpflichtiger Gewinn (Gewinn) und Umsatz pro Kunde (UpK) in Reichsmusste die Gruppe die anfallenden Verluste des Standortes Köln ausgleichen. Der Neubau war mit mark; Veränderung zum Vorjahr (V. z. Vj., gerundet), Veränderungen Kunden zum Vorjahr (K. z. Vj., geAbstand der teuerste und repräsentativste in der Firmengeschichte und zudem kreditfinanziert, rundet), Bruttoumsatzrendite (UR) und Anteil der Unkosten am Umsatz (Spesen) in Prozent; Kunden = wodurch hohedie Zinsen anfielen. Erst haben; 1934 wies erstmals einen schmalen Gewinn aus. Anzahl jener, tatsächlich gekauft lfd. Köln Preise.

Tausende

Ergebnis in Reichsmark

Abbildung 14 Gewinn und Verlust, Bamberger & Hertz, Haus München und Haus Köln, 1931 bis 1934 250 200 150 100 50 0 -50 -100 -150 -200

1931

1932

1933

1934

München

229.910

214.429

115.859

204.655

Köln

-173.407

-125.145

-92.581

15.953

875

Anmerkungen: Berichtigter steuerpflichtiger Geschäftsgewinn bzw. –verlust nach jeweiligen Buchprüfungsberichten Standorte, in Reichsmark; lfd.Haus Preise. Abb. 14 Gewinn undder Verlust, Bamberger & Hertz, München und Haus Köln, 1931 bis 1934875

Anmerkungen: Berichtigter steuerpflichtiger Geschäftsgewinn bzw. –verlust nach jeweiligen 5.3 Umsätze und Marktanteile

Buchprüfungsberichten der Standorte, in Reichsmark; lfd.Umsatzentwicklung Preise. Im Folgenden soll ein kompakter Überblick über die der Branche, ihrer Sparten und der unterschiedlichen Betriebsformen gegeben werden, um anschließend die umsatzmäßige Geschäftsentwicklung von Hettlage, Becker, Schocken und Bamberger & Hertz vestition in Köln erwies sich als der eindeutige Verlustbringer des Konzerns. Dies lag eingebettet in die Branchenentwicklung besser bewerten zu können.

zum einen an der im Nachhinein ungünstigen Neueröffnung im Oktober 1928 – nur Monate vor dem wirtschaftlichen Abschwung. Diesem hatte das junge Geschäft, welNach der Hyperinflation gingen die Verbände des Textileinzelhandels erstmals systematisch dazu ches sich nicht etablieren wenig aus eigenen Mitteln entgegen zu setzen. über, ihrenoch Umsätze, Mengen konnte, und Betriebskennzahlen statistisch in Verbandsund 876 Hier erwies sich die Konzernstruktur des Schocken-Konzerns und dessen weitaus gröBranchenstatistiken zu erfassen und auszuwerten. Die erste Einzelhandelstagung im Juni 1926 ßeren Reserven als deutlich robuster. Seit seiner Gründung musste die Gruppe die ansah in der Offenlegung der Betriebsverhältnisse eine Möglichkeit, den Einzelhandel als „Prellbock“ fallendenProduzenten Verluste des Standortes Köln Der Angriffen“ Neubau war mit Abstand der zwischen und Konsumenten vorausgleichen. „unberechtigten in Schutz zu nehmen. Die „wirklichen“ Einzelhandelsverhältnisse seien durch die „unfruchtbare, althergebrachte Geheimniskrämerei“ der Kaufleute der Öffentlichkeit vorenthalten worden. Statistik habe den Vorteil, „Reorganisationsnotwendigkeiten im eigenen Geschäft“ zu erkennen und zu nutzen. Der 874 Vgl. Zusammenstellung nach HUA 2012/09/0035, HUA 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039. RTE damit im Sommer 1926 erstmals Umsätze und deren Anteile an den Betriebsausgaben 875 erhob Vgl. diverse Buchprüfungsberichte im HUA [ohne Signatur]. der Jahre 1924 bis 1926 im Vergleich zu 1913.877 Damit folgten die Verbände der statistischen Durchdringung der Gesamtwirtschaft. Das im Juli 1925 gegründete Berliner Institut für Konjunkturforschung (IfK) veröffentlichte seit Ende 1925 vierteljährliche Konjunkturberichte (und ab 1928 Wochenberichte) zur volkswirtschaftlichen

275

276

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

teuerste und repräsentativste in der Firmengeschichte und zudem kreditfinanziert, wodurch hohe Zinsen anfielen. Erst 1934 wies Köln erstmals einen schmalen Gewinn aus. 5.3

Umsätze und Marktanteile

Im Folgenden soll ein kompakter Überblick über die Umsatzentwicklung der Branche, ihrer Sparten und der unterschiedlichen Betriebsformen gegeben werden, um anschließend die umsatzmäßige Geschäftsentwicklung von Hettlage, Becker, Schocken und Bamberger & Hertz eingebettet in die Branchenentwicklung besser bewerten zu können. Nach der Hyperinflation gingen die Verbände des Textileinzelhandels erstmals systematisch dazu über, ihre Umsätze, Mengen und Betriebskennzahlen statistisch in Verbands- und Branchenstatistiken zu erfassen und auszuwerten.876 Die erste Einzelhandelstagung im Juni 1926 sah in der Offenlegung der Betriebsverhältnisse eine Möglichkeit, den Einzelhandel als „Prellbock“ zwischen Produzenten und Konsumenten vor „unberechtigten Angriffen“ in Schutz zu nehmen. Die „wirklichen“ Einzelhandelsverhältnisse seien durch die „unfruchtbare, althergebrachte Geheimniskrämerei“ der Kaufleute der Öffentlichkeit vorenthalten worden. Statistik habe den Vorteil, „Reorganisationsnotwendigkeiten im eigenen Geschäft“ zu erkennen und zu nutzen. Der RTE erhob damit im Sommer 1926 erstmals Umsätze und deren Anteile an den Betriebsausgaben der Jahre 1924 bis 1926 im Vergleich zu 1913.877 Damit folgten die Verbände der statistischen Durchdringung der Gesamtwirtschaft. Das im Juli 1925 gegründete Berliner Institut für Konjunkturforschung (If K) veröffentlichte seit Ende 1925 vierteljährliche Konjunkturberichte (und ab 1928 Wochenberichte) zur volkswirtschaftlichen Entwicklung mit den Schwerpunkten Handel, Verkehr, Dienstleistungen und Einkommen.878 Bis 1940 veröffentlichten die Einzelhandelsverbände ihre Statistiken entweder selbst oder in Kooperation mit dem If K oder der Handelshochschule in Berlin.879 Die offizielle Reichsstatistik veröffentlichte erstmals im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934 (Band 1933) Umsatzindizes zu den Einzelhandelsumsätzen basierend auf den Erhebungen des If K und der

Konf, Statistik im Einzelhandel, 9.12.1925. Konf, Einzelhandel und Statistik, 25.8.1926. Vgl. Krengel (1986); Artikel „Geschichte des DIW Berlin“ unter http://www.diw.de/de/ diw_02.c.1023 49.de/ueber_uns/das_diw_berlin/geschichte/aufbauphase/aufbauphase.html, 6.8.2016. 879 Im Jahr 1935 berichteten 1800 Firmen des RTE monatlich ihre Umsätze, einmal jährlich ihre Unkosten. Die Auswertung erfolgte durch die Forschungsstelle für den Handel. Trotzdem herrschte noch große Scheu vor Mitarbeit und Preisgabe von absoluten Zahlen, siehe Konf, Statistische Selbsterkenntnis im Einzelhandel, 29.1.1930; Konf, Die Statistik des Textileinzelhandels, 27.6.1935. 876 877 878

Umsätze und Marktanteile

Forschungsstelle für den Handel, differenziert nach Hauptbranchen – in der Folge jährlich bis zum letzten Band 1943.880 Diese Erhebungen – ob von Verbänden, Instituten oder Reichsstatistikern – unterschieden sich zum Teil hinsichtlich der Erhebungsmethode, Zählung und Branchendefinition. Dies resultiert in einem bis heute unübersichtlichen Bild der erzielten Umsätze des Textileinzelhandels. Im Folgenden soll versucht werden, zunächst für die Weimarer Zeit 1924 bis 1932, eine Schneise hinsichtlich der Entwicklung der absoluten und relativen Umsätze der Branche zu schlagen, um Großtrends – Kontinuitäten und Brüche – besser sichtbar werden zu lassen. Zunächst betrachten wir die Entwicklung der absoluten Umsätze des deutschen Einzelhandels sowie des Einzelhandels mit Bekleidung und Textilien bzw. Bekleidungsgegenständen (Tabelle 46). Herangezogen werden die Angaben bei Tiburtius (1935/1949), in den Vierteljahresheften für Konjunktur- bzw. Wirtschaftsforschung (1929–1931; 1939/1940), in den Mitteilungen der Forschungsstelle für den Handel (1934) sowie in einem Sonderheft zu den Umsätzen im Einzelhandel von Keiser/Ruhberg (1930).881 Bei abweichenden Angaben für das betreffende Jahr wird der einfache (ungewichtete) Mittelwert gebildet, alle Werte werden auf eine Nachkommastelle gerundet. 880 Für die Jahre 1928 bis 1932 (Monatsdurchschnitte) siehe monatliche Aufstellungen Januar 1930 -Juli 1933, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934 (Band 1933), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1933 (MD) und Jan 1931 -Juli 1934, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935 (Band 1934), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1934 (MD) und Jan 1932 -Juli 1935, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936 (Band 1935), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 343–344; 1931 bis 1935 (MD) und Jan 1935 -Juni 1936, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1937 (Band 1936), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 362 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1933 bis 1936 (MD) und Jan 1936 -Juni 1937, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938 (Band 1937), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 374–375 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1935 bis 1937 (MD) und Jan 1937 -Juni 1938, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1939 (Band 1938), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 394– 395 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1936 bis 1939 (MD) und Juli 1938 -Juni 1940, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1940 (Band 1939), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 413–414 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftslichkeit); 1937 bis 1940 (MD) und Juli 1939 -Juni 1941, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1943 (Band 1941/42), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 453–454 (nach Zahlen des Institutes für Wirtschaftsforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftslichkeit), alle abgerufen unter https://www.digizeit schriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303 [Stand: 8.2.2016]. 881 Vgl. Keiser/Ruhberg (1930), S. 42; Tiburtius (1935), S. 579 f.; Tiburtius (1949), S. 108–110; Symptome der Verbrauchsentwicklung, Viertejahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 13. Jg. 1938/39, S. 39; Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 14. Jg. 1939/40, S. 19; Gewichtung der Umsatzziffern der Einzelhandelsumsätze (Auszug), Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, 5. Jg. 1930, Heft 2, Teil B, S. 47; Umsätze im Einzelhandel 1929 bis 1931 in Mrd. RM, Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, 6. Jg. 1931, Heft 4,

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278

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Tab. 46 Umsatzentwicklung (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1924 bis 1932 Jahr

Einzelhandel

Bekleidung & Textilien

Anteil

1924

25,8

6,6

25,6 %

1925

30,0

8,4

28,0 %

1926

30,4

8,2

27,0 %

1927

33,7

8,5

25,2 %

1928

35,8

10,1

28,2 %

1929

35,9

9,8

27,3 %

1930

31,5

8,8

27,9 %

1931

26,9

7,5

27,9 %

1932

21,7

5,4

24,9 %

Anmerkungen: in Mrd. Reichsmark, lfd. Preise; Anteil = Anteil Bekleidung und Textilien am Einzelhandel; die Angaben zum Einzelhandel umfassen (vermutlich) sämtliche Betriebsformen, die Angaben zum Textileinzelhandel umfassen (vermutlich) nur den Fachhandel, also keine Großbetriebsformen (Warenhaus, Konsumverein) oder neue Absatzformen (Versandhandel, Hausierhandel, Einheitspreisgeschäft).

In laufenden Preisen ergibt sich demnach folgendes Bild: Der betrachtete Zeitraum zerfällt deutlich in zwei Konjunkturen. Zwischen 1924 und 1928 steigen die Einzelhandels- und Textilumsätze deutlich. Der Einzelhandel steigert seine Erlöse von 25,8 auf 35,8 Mrd. (plus 39 Prozent), während die Textileinzelhandelsumsätze von 6,6 auf 10,1 Mrd. Reichmark anstiegen (plus 53 Prozent). Der Textileinzelhandel profitiert deutlich überdurchschnittlich und steigerte seinen Umsatzanteil am Einzelhandelsumsatz von 25,6 auf 28,2 Prozent. Die Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1932 würgte diesen bis dato unbekannten Umsatzaufschwung nicht nur abrupt ab, sondern ließ das wertmäßige Umsatzniveau wegen der deflationären Entwicklungen deutlich unter das Niveau von 1924 sinken. Die Umsätze sanken daher sowohl preis- als auch mengenmäßig. Die Einzelhandelsumsätze schmolzen von knapp 36 auf unter 22 Mrd. Reichsmark (minus 39,6 Prozent), der Textileinzelhandel brach von knapp zehn auf 5,4 Mrd. Reichsmark ein (minus 44,9 Prozent). So überdurchschnittlich Textilien und Bekleidung bis 1928 profitiert hatten, so überdurchschnittlich litt die Branche unter dem Konjunktureinbruch. Der Umsatzanteil am Einzelhandel sank auf unter 25 Prozent. Aufschlussreich ist der Vergleich der absoluten Umsätze mit der Entwicklung des deutschen Bruttosozialproduktes in laufenden Preisen (Abbildung 15). Während der gleichmäßigen gesamtwirtschaftlichen Aufwärtsbewegung zwischen 1924 und 1928 verzeichnete der Einzelhandel bzw. der Textilhandel kurzzeitig dynamischere WachsTeil B, S. 40; Volkswirtschaftliche Umsätze 1925–1931, Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung, 4. Jg. 1929, Heft 3, Teil A, S. 25; 4. Jg. 1929, Heft 4, Teil A, S. 25; 6. Jg. 1931, Heft 1, Teil A, S. 60; 6. Jg. 1931, Heft 4, Teil A, S. 49; Einzelhandelsumsätze insgesamt und je Kopf der Bevölkerung in Deutschland 1925 bis 1933, Ff H-Mitteilungen (1934), 5. Jg Nr. 5/6, S. 42.

Abschwung anbahnte, verzeichnete der Handel, insbesondere der Textileinzelhandel, eine starke Umsatzsteigerung, die erst um etwa 12 Monate verzögert sich dem konjunkturellen Niedergang anglich. Während die deutsche Konjunktur bereits Ende 1932 leichte Aufwärtstendenzen zeigte, setzten sich die Umsatzeinbrüche im Einzelhandel indes unvermindert fort. Umsätze und Marktanteile Abbildung 15 Bruttosozialprodukt und Umsätze (Einzelhandel, Textileinzelhandel), 1924 bis 1932 160 150

1924 = 100

140 130 120 110 100 90 80 1924

1925 BSP

1926

1927 Einzelhandel

1928

1929

1930

1931

1932

Bekleidung & Textilien

Anmerkungen: Anmerkungen: lfd. Preise; Indexbildung (1924=100) für Einzelhandel und Bekleidung & Abb. 15nach Bruttosozialprodukt Umsätze (Einzelhandel, bis 1932(1976). Textilien Tabelle 46. Für dasund Sozialprodukt des Deutschen Textileinzelhandel), Reiches nach Deutsche1924 Bundesbank 1924 bis 1932: Bruttosozialprodukt zuPreise; Marktpreisen, Berechnungen Statistischen Bundesamtes (1925 Anmerkungen: Anmerkungen: lfd. Indexbildung (1924 =des 100) für Einzelhandel und Bekleibis 1939 auf der Basis von Angaben des Statistischen Reichsamtes); Reichsgebiet: 1935 bis 1939 dung & Textilien nach Tabelle 46. Für das Sozialprodukt des Deutschen Reiches nach Deutsche Gebietsstand vom 31.12.1937. Bundesbank (1976). 1924 bis 1932: Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen, Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (1925 bis 1939 auf der Basis von Angaben des Statistischen ReichsamWie genau wirkten sich Positiv- und Negativkonjunkturen auf die Marktverhältnisse in der tes); Reichsgebiet: 1935 bis 1939 Gebietsstand vom 31.12.1937.

Textilbranche aus, die neben dem bereits erfassten Fachhandel auch andere Betriebs- und Vertriebsformen kannte? Zunächst hilft die Rekonstruktion der absoluten Umsatzentwicklung der Warenhäuser, die im Reichsdurchschnitt etwaEinbrüche drei Viertel ihres Gesamtumsatzes tumsraten (1924/25), aber auch leichte (1925/26). Währendmit sichBekleidung gesamtund Textilien erwirtschafteten (Tabelle 47). Ähnlich wie im Bereich Einzelhandel und Fachhandel wirtschaftlich bereits 1927/28 der Abschwung anbahnte, verzeichnete der Handel, insmit Bekleidung und Textilien liegen die Angaben verstreut und weichen teils voneinander besondere der Textileinzelhandel, eine starke Umsatzsteigerung, die erst um etwaab. 12 Herangezogen werden die Erhebungen der Forschungsstelle für den Handel (1931, 1934), der Monate verzögert sich dem konjunkturellen Niedergang anglich. Während die deut„Textilwoche“ (1938) sowie das Sonderheft zu den Umsätzen im Einzelhandel von Keiser/Ruhberg sche Konjunktur bereits Ende 1932 leichte Aufwärtstendenzen zeigte, setzten sich die (1930).882 Bei abweichenden Angaben für das betreffende Jahr wird der einfache (ungewichtete) Umsatzeinbrüche im Einzelhandel indes unvermindert fort. Mittelwert gebildet, alle Werte werden auf zwei Nachkommastellen gerundet. In laufenden Wie genau wirkten sich Positiv- und Negativkonjunkturen auf die MarktverhältnisPreisen ergibt sich demnach folgendes Bild: Die Umsatzentwicklung der Warenhäuser zwischen se in der Textilbranche aus, indiezwei neben dem bereits erfassten Fachhandel 1924 und 1932 zerfällt nicht Konjunkturperioden, sondern beschreibt auch einenandere steten Betriebsund Vertriebsformen kannte? Zunächst hilft die Rekonstruktion der absoluAufwärtstrend, der mit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht abrupt abgebrochen wird, sondern ten erst Umsatzentwicklung derdann Warenhäuser, die im Reichsdurchschnitt etwa drei Viersich 1930/31 abdämpft und im Geschäftsjahr 1932 deutlich abfällt.

tel ihres Gesamtumsatzes mit Bekleidung und Textilien erwirtschafteten (Tabelle 47). Ähnlich wie im Bereich Einzelhandel und Fachhandel mit Bekleidung und Textilien 882 liegen Angaben und weichenInteils ab. Herangezogen werden Vgl. die Entwicklung desverstreut Einzelhandelsumsatzes den voneinander deutschen Warenhäusern 1925 -1930., FfHMitteilungen, 2. Jg., Nr. (1931), S. 14; Umsatzentwicklung im gesamten Einzelhandel und bei einigen die Erhebungen der3Forschungsstelle für den Handel (1931, 1934), der „Textilwoche“ Großbetriebsformen seit 1925, FfH-Mitteilungen, 1934, 5. Jg Nr. 5/6, S. 50; Keiser/Ruhberg (1930), S. 42; (1938) sowie das Sonderheft zu den Umsätzen im Einzelhandel von Keiser/Ruhberg Mitglieder der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel in den Fachgruppen für 1937 (Deutsches Reich ohne Ost882 (1930). Bei abweichenden für das15.10.1938; betreffende Jahr wirdund derWarenhausumsätze einfache (ungemark), in: TexW, Größengliederung Angaben des Einzelhandels, Einzelhandels-

in wichtigen europäischen Ländern und In Amerika (1928), FfH-Mitteilungen, 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 11.

231 882 Vgl. Entwicklung des Einzelhandelsumsatzes In den deutschen Warenhäusern 1925–1930., Ff H-Mitteilungen, 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 14; Umsatzentwicklung im gesamten Einzelhandel und bei einigen Großbetriebsformen seit 1925, Ff H-Mitteilungen, 1934, 5. Jg Nr. 5/6, S. 50; Keiser/Ruhberg (1930), S. 42; Mitglieder

279

280

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Tab. 47 Umsatzentwicklung (absolut), Warenhäuser, 1924 bis 1932 Jahr

Warenhaus

Anteil (Einzelhandel)

Anteil (Bekleidung & Textilien)

1924

0,99

3,9 %

15,0 %

1925

1,24

4,4 %

14,8 %

1926

1,14

4,2 %

13,9 %

1927

1,28

5,1 %

15,1 %

1928

1,50

5,3 %

14,9 %

1929

1,65

6,0 %

16,8 %

1930

1,88

6,7 %

21,4 %

1931

1,83

6,6 %

24,4 %

1932

1,50

6,0 %

27,8 %

Anmerkungen: in Mrd. Reichsmark, lfd. Preise; Als Warenhäuser gelten Betriebe mit einem Jahresumsatz von mind. 1 Million Reichsmark und drei voneinander abgegrenzten Warengruppen bzw. Unternehmen in entsprechenden Fachverbänden (Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser, Arbeitsgemeinschaft der Groß- und Mittelbetriebe).

wichtete) Mittelwert gebildet, alle Werte werden auf zwei Nachkommastellen gerundet. In laufenden Preisen ergibt sich demnach folgendes Bild: Die Umsatzentwicklung der Warenhäuser zwischen 1924 und 1932 zerfällt nicht in zwei Konjunkturperioden, sondern beschreibt einen steten Aufwärtstrend, der mit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht abrupt abgebrochen wird, sondern sich erst 1930/31 abdämpft und dann im Geschäftsjahr 1932 deutlich abfällt. Lag der Umsatz der Warenhäuser 1924 noch knapp unter einer Mrd. Reichsmark, so stieg dieser bis 1928 auf 1,5 Mrd. Reichsmark. Dieses Umsatzplus von 51,1 Prozent lag zwar überdurchschnittlich zu der Steigerung der Einzelhandelsumsätze, doch es deckte sich nahezu mit dem des textilen Fachhandels. So bauten die Warenhäuser ihren Anteil am Einzelhandelsumsatz von 3,9 auf fünf Prozent aus, der Anteil an Bekleidung und Textilien schwankte jedoch stabil um 15 Prozent. Der konjunkturelle Einbruch ab 1929 wirkte sich jedoch – anders als im Einzelhandel und textilen Fachhandel – nicht unmittelbar negativ auf die wertmäßigen Umsätze aus. Sie erreichten 1930/1931 mit 1,8 bis 1,9 Mrd. Reichsmark ihren Höhepunkt und sanken bis Ende 1932 relativ leicht auf 1,5 Mrd. Reichsmark. Die relativ bessere Performance ließ den Anteil der Warenhausumsätze am Einzelhandel auf sechs bis sieben Prozent ansteigen, ihr Anteil an Bekleidung und Textilien lag zum Jahresende 1932 auf einem Allzeithoch von knapp 28 Prozent.

der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel in den Fachgruppen für 1937 (Deutsches Reich ohne Ostmark), in: TexW, Größengliederung des Einzelhandels, 15.10.1938; Einzelhandels- und Warenhausumsätze in wichtigen europäischen Ländern und In Amerika (1928), Ff H-Mitteilungen, 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 11.

Umsätze und Marktanteile

Wie entwickelten sich die Umsätze und Marktanteile der anderen Wettbewerber und Betriebsformen gegenüber dem textilen Fachhandel (Tabelle 48)?883 Zwischen 1924 und 1927 entwickelten sich Gemischtwarenläden und Konsumvereine – vornehmlich in Klein- und Mittelstädten sowie ländlichen Gebieten – zu ernsthafteren Konkurrenten des textilen Fachhandels, während die Umsatzentwicklung des als „irregulär“ diffamierten Trödel-, Straßen- und Hausierhandels keine ökonomische Bedrohung darstellte. Tab. 48 Umsatzentwicklung nach Betriebsformen, Textileinzelhandel, 1924 bis 1927, 1924 = 100 Einzelhandel

Bekleidungsfachhandel

Warenhaus

ländliche Gemischtwaren

Trödel-/Straßen-/ Hausierhandel

Konsumvereine

1924

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

1925

118,2

116,2

114,1

126,1

110,0

120,0

1926

117,9

107,4

115,2

137,4

114,4

132,1

1927

130,0

116,6

126,7

149,8

120,1

153,1

Anmerkung: Zahlen entstammen Keiser/Ruhberg (1930), S. 42; Angaben für Bekleidungsfachhandel sind summierte Einzelergebnisse, die deutlich unter dem errechneten Mittelwert liegen (z. B. 7,6 gegenüber 8,5 Mrd. für 1927).

Noch im Jahr 1924 erwirtschaftete der Fachhandel mit Bekleidung mehr Umsatz als die Betriebsformen Warenhaus, Gemischtwarenladen, Konsumverein sowie Straßenund Hausierhandel zusammengenommen. Im Jahr 1927 erzielten die konkurrierenden Betriebsformen schon einen Gesamtumsatz von über sechs Mrd. Reichsmark und lagen damit deutlich knapper hinter dem Bekleidungsfachhandel. Wie eine Erhebung aus dem Jahr 1928 zeigt, war der deutsche Textilfachhandel allerdings noch deutlich von den durch den Mittelstand propagierten bzw. befürchteten amerikanischen Verhältnissen entfernt (Abbildung 16). Über 80 Prozent des Einzelhandelsumsatzes floss in die Kassen des deutschen Facheinzelhandels. Der Umsatzanteil der Warenhäuser und Großfilialbetriebe in den USA war um ein Vierfaches bzw. Sechsfaches höher als in der Weimarer Republik. Und auch der deutsche Versandhandel vereinte nur geringe Umsatzanteile auf sich. Die Zahlen der Umsatzsteuerstatistik aus dem Jahr 1928 zeigen eine wichtige strukturelle Verschiebung, die sowohl Impuls als auch Konsequenz des Konkurrenzkampfes zwischen Fachhandel und großbetrieblichen Absatzformen war (Tabelle 49). Immer noch 62 Prozent der 108.000 veranlagten textilen Fachhändler galten als Kleinst- und Kleinbetriebe mit einem Jahresumsatz von bis zu 20.000 Reichsmark. Auf diese entfielen jedoch nur 8,3 Prozent des Branchenumsatzes. Das Rückgrat des textilen Fachhandels waren die mittleren bis mittelgroßen Betriebe geworden, deren

883

Eigene Berechnungen nach Keiser/Ruhberg (1930), S. 42.

281

282

Kassen des deutschen Facheinzelhandels. Der Umsatzanteil der Warenhäuser und Großfilialbetriebe in den USA war um ein Vierfaches bzw. Sechsfaches höher als in der Weimarer Republik.Scheinkonjunktur Und auch der deutsche Versandhandel vereinte nur geringe Umsatzanteile auf sich. Zwischen und Weltwirtschaftskrise (1925–1932) Abbildung 16 Umsatz der Betriebsformen, Einzelhandel Deutsches Reich und USA, 1928

USA

56,7

Deutsches Reich

2,3

16

80,6 0%

10%

20%

30%

40%

884

18

6,3 4,3 50%

60%

70%

80%

90%

Selbstständiger Einzelhandel

Hausier-, Straßen- und Trüdelhandel

Warenhäuser

Konsumgenossenschaften

Kettenläden (Großfilialbetriebe)

Versandhäuser

3,4 100%

Werkskonsumanstalten

Abb. 16 Umsatz der Betriebsformen, Einzelhandel Deutsches Reich und USA, 1928884

Die Zahlen der Umsatzsteuerstatistik aus dem Jahr 1928 zeigen eine wichtige strukturelle Verschiebung, die sowohl Impuls als auch Konsequenz des Konkurrenzkampfes zwischen Tab. 49 Umsatz Größenklasse,Absatzformen Textileinzelhandel, 192888549). Fachhandel undnach großbetrieblichen war (Tabelle Umsatzgrößenklasse** Veranlagte Veranlagte Umsatz in Mill. RM Umsatz 885 Tabelle 49 Umsatz nach Größenklasse, Textileinzelhandel, 1928 Bis 5.000 34.432 31,9 % 74,6 1,4 % Umsatzgrößenklasse** Veranlagte Veranlagte Umsatz in Mill. RM Umsatz 5.000–20.000 33.57034.432 31,1 % 31,9 % 371,7 6,9 % Bis 5.000 74,6 1,4 % 5.000 – 20.000 33.570 31,1 % 371,7 6,9 % 20.000–50.000 19.866 18,4 % 638,9 12,0 % 20.000 –50.000 19.866 18,4 % 638,9 12 % 50.000–100.000 10.05610.056 9,3 % 9,3 % 706,1 13,313,3 % % 50.000 – 100.000 706,1 100.000 – 500.000 8.656 8% 1.685,4 31,7 % 100.000–500.000 8.656 8,0 % 1.685,4 31,7 % 500.000 – 1.000.000 857 0,8 % 590 11,1 % 500.000–1.000.000 857 468 0,8 % 0,4 % 590,0 11,115,9 % % 1.000.000 – 5.000.000 849,7 5.000.000 – 10.000.000 23 0,1 % 226,4 4,3 % 1.000.000–5.000.000 468 0,4 % 849,7 15,9 % Über 10.000.000 10 0,0 % 182,5 3,4 % 5.000.000–10.000.000 23 0,1 % 100 % 226,4 5.325,3 4,3 %100 GESAMT 107.948 Anmerkungen: Schichtung des Umsatzes lfd. Preise. Über 10.000.000 10 und der Veranlagten 0,0 % nach Umsatzgrößenklassen; 182,5 3,4 % GESAMT 107.948 100,0 % 5.325,3 100,0 884 Darstellung nach Einzelhandels- und Warenhausumsätze in wichtigen europäischen Ländern und in AmeAnmerkungen: Schichtung des Umsatzes und der Veranlagten nach Umsatzgrößenklassen; lfd. Preise. rika (1928), FfH-Mitteilungen, 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 11. 885 Aufstellung nach DK, Der Umsatz im Textileinzelhandel, 4.9.1931.

233 Jahresumsatz zwischen 20.000 und 1 Million Reichsmark lag. Mehr als jeder dritte Textilfachhändler fiel in diese Kategorie, die mehr als zwei Drittel des Branchenumsatzes beisteuerten. Am anderen Ende des Spektrums standen 501 Großbetriebe (0,5 Prozent) mit einem Jahresumsatz ab einer Million Reichsmark, die 23,6 Prozent des Branchenumsatzes erwirtschafteten. Der Konkurrenzkampf mit den großbetrieblichen Vertriebsformen hatte das strukturelle Manko des textilen Fachhandels vor dem Hintergrund des entstehenden Massenmarktes gezeigt. Einzelne Branchen des Textil-

Darstellung nach Einzelhandels- und Warenhausumsätze in wichtigen europäischen Ländern und in Amerika (1928), Ff H-Mitteilungen, 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 11. 885 Aufstellung nach DK, Der Umsatz im Textileinzelhandel, 4.9.1931. 884

Umsätze und Marktanteile

einzelhandels waren übersetzt und damit unrentabel geworden. Diese Unrentabilität zeigen die ermittelten Durchschnittsumsätze je Branche. Diese lagen in den von Mittel- und Großbetrieben dominierten Bereich der Fertigkleidung in etwa dreimal so hoch wie in den von Kleinst- und Kleinbetrieben dominierten Branchen (Tabelle 50). Tab. 50 Durchschnittsumsätze je veranlagten Betrieb, Textileinzelhandel, 1928886 Branche

Umsatz

Herren-, Damen- und Kinderbekleidung

120,4

Pelze

52,1

Herrenausstattungen

51,0

Putz- und Modewaren

50,3

Weiß- und Wollwaren, Wäsche, Kurzwaren

43,4

Tuche, Korsetts, Schirme, Strumpfwaren, Trikotagen

40,4

Schuhe

39,3

Hüte und Mützen

27,3

Anmerkungen: auf Grundlage der Umsatzsteuerstatistik, in Tsd. Reichsmark, lfd. Preise.

Angesichts dieser strukturellen Veränderungen soll abschließend ein Blick auf die Umsatzentwicklung innerhalb des textilen Fachhandels geworfen werden. Für den Zeitraum 1924 bis 1932 sind absolute Umsatzwerte deutlich schlechter überliefert. Grundlage der nachfolgenden Aufstellung sind zwei Berechnungen des Institutes für Konjunkturforschungen aus dem Jahr 1930. Dort, wo sich abweichende Angaben fanden, wurde der (ungewichtete) Mittelwert gebildet und auf ganze Werte aufgerundet (Tabelle 51).887 Tab. 51 Umsatzentwicklung (absolut), Textilfachhandel, 1924 bis 1927 Jahr

DOB

HAKA

WW

WWS

Schuhe

Sonstige

1924

602

492

551

3.413

804

692

1925

815

727

716

4.189

1.126

866

1926

754

685

683

3.854

1.059

850

1927

844

762

731

4.060

1.212

929

Anmerkungen: in Mill. Reichsmark, lfd. Preise; DOB Damen- und Mädchenbekleidung; HAKA Herrenund Knabenbekleidung; WW Wäsche und Weißwaren; WWS Web-, Wirk- und Strickwaren; Sonstige Bekleidung umfasst Herrenartikel, Herren- und Damenmützen, Stöcke, Handschuhe und Pelze.

Ebd. Vgl. Gewichtung der Umsatzziffern der Einzelhandelsumsätze (Auszug), Vj-Hefte zur Konjunkturforschung, 5. Jg. 1930, Heft 2, Teil B, S. 47; Keiser/Ruhberg (1930), S. 42. 886 887

283

284

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Definiert man den Bereich Konfektion (Fertigkleidung) als Summe der Branchen Damen- und Mädchenkleidung, Herren- und Knabenkleidung sowie Wäsche und Weißwaren und vergleicht diese mit den textilen Schnittwarenbranchen Web-, Wirk- und Strickwaren und Sonstige Bekleidung, so gewannen Konfektionsgeschäft umsatzmäßig zwischen 1924 und 1927 leicht, aber stetig an Gewicht. Für die Jahre 1928 bis 1932 liegen keine absoluten Umsatzwerte für die Damen- und Herrenkonfektionsbranche vor. Angesichts der fehlenden Transparenz und dem oft mangelnden Willen zur Offenlegung der Geschäftsbücher basieren die meisten Angaben zu Umsätzen auf Indizes, bezogen auf die Referenzjahre 1925, 1928, 1932 und 1933. Für die Branchen Herren- und Knabenkleidung sowie Damen- und Mädchenkleidung wird im Folgenden versucht, ausgehend von den bekannten Umsatzwerten für das Jahr 1925, die entsprechenden absoluten Umsätze für die Jahre 1924 bis 1932 zu berechnen (Tabelle 52). Tab. 52 Umsatzentwicklung (absolut), Herren- und Damenbekleidung (Fachhandel), 1924 bis 1932 Zeit

Bekleidung & Textilien

Damenbekleidung

Herrenbekleidung

Anteil DOB

Anteil HAKA

1924

6,6

0,602

0,492

9,1 %

7,5 %

1925

8,4

0,774

0,685

9,2 %

8,2 %

1926

8,2

0,713

0,639

8,7 %

7,8 %

1927

8,5

0,802

0,715

9,4 %

8,4 %

1928

10,1

0,679

0,630

6,7 %

6,2 %

1929

9,8

0,604

0,595

6,2 %

6,1 %

1930

8,8

0,548

0,519

6,2 %

5,9 %

1931

7,5

0,465

0,433

6,2 %

5,8 %

1932

5,4

0,362

0,341

6,7 %

6,3 %

Anmerkung: in Mrd. Reichsmark, lfd. Preise; Anteil DOB = Prozentualer Anteil von Damenbekleidung an Bekleidung & Textilien (gerundet), Anteil HAKA = Prozentualer Anteil von Herrenbekleidung an Bekleidung & Textilien (gerundet); Zahlen für Bekleidung und Textilien siehe Tabelle 46.

Herangezogen werden die Angaben bei Tiburtius (1949), Tiburtius/Schmidt (1937), im Sonderheft zu den Umsätzen im Einzelhandel von Keiser/Ruhberg (1930) sowie die Angaben in den Statistischen Jahrbüchern für das Deutsche Reich.888 Anschließend Vgl. Keiser/Ruhberg (1930), S. 80–81; Tiburtius/Schmidt (1937), S. 22; Tiburtius (1949), S. 16 f.; für die Jahre 1928 bis 1932 (Monatsdurchschnitte) siehe monatliche Aufstellungen Januar 1930-Juli 1933, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934 (Band 1933), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1933 (MD) und Jan 1931 -Juli 1934, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935 (Band 1934), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1934 (MD) und Jan 1932 -Juli 1935, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936 (Band 1935), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 343–344; 1931 bis 1935 (MD) und Jan 1935 -Juni 1936, Statis888

Umsätze und Marktanteile

wird ein gerundeter (ungewichteter) Mittelwert gebildet. So ergibt sich folgendes Bild: Die Umsätze im Bereich Damenbekleidung liegen über den gesamten Zeitraum über denen der Herrenbekleidung, wobei der Abstand sich ab 1928 stark verkleinert. Im Vergleich zur Branche entwickeln sich die Konfektionsbranchen um etwa ein Jahr zeitversetzt. Krisenhafte Einbrüche erleben die Konfektionsbranchen deutlich früher und teilweise schärfer. Die Konjunktureinbrüche 1925/26 trifft Damen- und Herrenkonfektion schärfer, und ihren Umsatzhöhepunkt erreichen die Konfektionsbranchen bereits 1927. Bis 1932 sind beide Branchen im selben Maße von Umsatzrückgängen betroffen wie der gesamte textile Fachhandel. Neben den Trends, die aus den absoluten Umsatzentwicklungen ablesbar sind, erlauben die veröffentlichen Indizes der Umsatzentwicklungen weitere Einblicke in die Entwicklung anderer Fachbranchen und Betriebsformen. Für die Zeit vor der Weltwirtschaftskrise geben die Indizes bei Keiser/Ruhberg Aufschluss über die Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels. Der Konfektionseinzelhandel profitierte im Vergleich zum Warenhaus deutlich unterdurchschnittlich von der konjunkturellen Erholung zwischen 1924 und 1928. Während die Warenhäuser ihre Umsätze (auf 1925 bezogen) um knapp 28 Prozent steigern konnten, gelang es dem Konfektionshandel gerade so, sein Umsatzniveau von 1925 zu halten. Besonders die Dynamik der Damenkonfektion war deutlich negativ, sodass diese deutlich geschwächt in die Zeit der Weltwirtschaftskrise ging (Abbildung 17). Für den Zeitraum 1929 bis 1932 veröffentlichte das Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich erstmals die Umsatzbewegungen im Textileinzelhandel nach einzelnen Branchen differenziert im Verhältnis zum Referenzjahr 1928. Der textile Fachhandel (BuT) verlor zwischen 1928 und 1932 deutlich stärker als der Einzelhandel insgesamt oder etwa die Textilabteilungen in den Warenhäusern. Innerhalb des Fachhandels verloren die Konfektionshändler (DOB, HAKA) deutlicher als die Textil- und Manufakturwarengeschäfte (Tabelle 53). tisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1937 (Band 1936), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 362 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1933 bis 1936 (MD) und Jan 1936 -Juni 1937, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938 (Band 1937), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 374–375 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1935 bis 1937 (MD) und Jan 1937 -Juni 1938, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1939 (Band 1938), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 394–395 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1936 bis 1939 (MD) und Juli 1938 -Juni 1940, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1940 (Band 1939), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 413–414 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftslichkeit); 1937 bis 1940 (MD) und Juli 1939 -Juni 1941, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1943 (Band 1941/42), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 453– 454 (nach Zahlen des Institutes für Wirtschaftsforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftslichkeit), alle abgerufen unter https://www.digizeitschriften.de/dms/ toc/?PID=PPN514401303, 8.2.2016.

285

Abbildung 17 Umsatz Herren- und Damenkonfektion sowie Warenhäuser, 1924 bis 1929, 1925=100

1925=100

286

Umsätze (auf 1925 bezogen) um knapp 28 Prozent steigern konnten, gelang es dem Konfektionshandel gerade so, sein Umsatzniveau von 1925 zu halten. Besonders die Dynamik der Damenkonfektion war deutlich negativ, sodass diese deutlich geschwächt in die Zeit der Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932) Weltwirtschaftskrise ging (Abbildung 17).

130 125 120 115 110 105 100 95 90 85 80

127,6 116,8

114,4 102,7

100 90,9

98,7

91,7

100

98,1

96,4

86 89,9

90,2 1924

104,4

100,1

1925

87,3

1926

Warenhäuser

1927 RHK

1928

1929

RDM

Anmerkungen: Diese Angaben wurden auf Grundlage der Verbandsmeldungen des RHK (Männer- und Abb. 17 Umsatz Herren- und Damenkonfektion sowie Warenhäuser, 1924 bis 1929, 1925 = 100 Knabenkleidung) sowie RDM (Damen- und Mädchenkleidung) errechnet und mit den Verbandsmeldungen der WarenhäuserDiese vergleichend aufgeführt; Umsätze für Warenhäuser erfasst des (vermutlich) Anmerkungen: Angaben wurden auf Grundlage der Verbandsmeldungen RHK (Män-den Gesamtumsatz in allen Sortimenten nicht nur denund Umsatz in den Textilabteilungen; Angaben fürden 1929 ner- und Knabenkleidung) sowie und RDM (DamenMädchenkleidung) errechnet und mit nur von Januar bis Oktober. Verbandsmeldungen der Warenhäuser vergleichend aufgeführt; Umsätze für Warenhäuser erfasst (vermutlich) den Gesamtumsatz in allen Sortimenten und nicht nur den Umsatz in den Textilabteilungen; Angaben für 1929 nur von Januar bis Oktober. das Deutsche Reich 1940 (Band 1939), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S.413-414 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung sowie der Tab. 53 Umsätze, 1928 bis 1932,für 1928 = 100 Forschungsstelle für Textileinzelhandel, den Handel beim Reichskuratorium Wirtschaftslichkeit); 1937 bis 1940 (MD) und Juli 1939 -Juni 1941, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1943 (Band 1941/42), X. Verbrauch, Jahr EH TM im Binnenhandel, HAKA DOB WH (nach Wirtschaftsrechnungen, Umsatz,BuT C. Umsatz, Umsätze b. Einzelhandel, S.453-454 Zahlen des Institutes für Wirtschaftsforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskura1928 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 torium für Wirtschaftslichkeit), alle abgerufen unter 1929 100,4 97,4 97,2 93,0 97,7 https://www.digizeitschriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303 , 94,7 8.2.2016. 1930

92,1

88,0

87,6

82,1

83,1

89,9

1931

79,2

74,2

73,8

69,9

70,1

76,0

1932

63,9

57,6

57,1

54,4

54,1

61,5

236

Anmerkungen: EH Einzelhandel; BuT Bekleidung & Textilien; TM Textil- und Manufakturwarengeschäfte; HAKA Herren- und Knabenkleidung; DOB Damen- und Mädchenkleidung; WH Abteilung für Kleidung und Textilien in Warenhäusern.

Folgten die in dieser Arbeit untersuchten Unternehmen Schocken, Bamberger & Hertz, Hettlage und J. G. Becker dem Branchentrend oder liefen sie ihm zuwider? Abbildung 18 zeigt die Umsatzentwicklung des Einzelhandelsumsatzes der Schocken AG zwischen 1924 und 1932 in Bezug auf das Jahr 1924 und im Vergleich zur Umsatzentwicklung des Einzelhandels, des Textileinzelhandels sowie der deutschen Waren- und Kaufhäuser. Deutlich wird, dass in den Jahren 1924 bis 1926 Schockens Umsatzentwicklungsdynamik identisch mit der der drei Referenzbranchen war. Ab 1927 koppelt sich Schockens Umsatzentwicklung nicht nur sehr deutlich von der des Textilfachhandels, sondern auch von der der Warenhäuser insgesamt ab.

wird, dass in den Jahren 1924 bis 1926 Schockens Umsatzentwicklungsdynamik identisch mit der der drei Referenzbranchen war. Ab 1927 koppelt sich Schockens Umsatzentwicklung nicht nur sehr deutlich von der des Textilfachhandels, sondern auch von der der Warenhäuser insgesamt Umsätze und Marktanteile ab. Abbildung 18 Branchenvergleich Schocken, 1924 bis 1932, 1924=100 600 500 Schocken AG

1924=100

400 300 200 100 0 1924

1925

Einzelhandel

1926

1927

Bekleidung

1928

1929

Warenhäuser

1930

1931

1932

Schocken AG

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924=100 für Einzelhandel und Abb. 18 Branchenvergleich Schocken, 1924 1932, = 100 Bekleidung nach Tabelle 46, für Warenhäuser nachbis Tabelle 471924 und für Schocken AG nach Abbildung 8 und Abbildung 12. Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924 = 100 für Einzelhan-

del und Bekleidung nach Tabelle 46, für Warenhäuser nach Tabelle 47 und für Schocken AG nach 237 Abbildung 8 und Abbildung 12.

Gelang es Warenhäusern im Branchenschnitt bis 1931 ihr Umsatzniveau zu verdoppeln, so verfünffachte sich Schockens Umsatz im Betrachtungszeitraum. Schocken gelang es, dank seines breiten Warenhaussortiments mit textilem Schwerpunkt von der zwischenzeitlichen hohen textilen Nachfrage der Verbraucher zu profitieren, aber auch in Zeiten textiler Zurückhaltung Käufer dank nicht-textiler Sortimente ins Geschäft zu ziehen und so zu einem regionalen Marktführer aufzusteigen. Im Fall Bamberger & Hertz ist die Umsatzentwicklung deutlich näher am Branchentrend. Zwischen 1924 und 1927 entwickelte sich der Konzern deutlich unterdurschnittlich zum Branchentrend. Die Erlöse des Einzelhandels, des Textileinzelhandels und auch der Herrenbekleidungsgeschäfte entwickelten sich mindestens bis 1926 deutlich dynamischer. Erst in der Phase 1926 bis 1929 gelingt es Bamberger & Hertz, mit Umsatzsteigerungen von bis zu 40 Prozent Anschluss zu finden. Interessanterweise erwies sich der Konzern nach 1929 – dank seiner Größe und regionaler Differenziertheit – widerstandsfähiger als viele seiner mittelständischen Fachhändlerkonkurrenten. Bis 1931 verloren Einzelhandelsgeschäfte bzw. Herrenbekleidungsfachgeschäfte 40 bis 50 Prozent ihres Umsatzvolumens, während die Einbußen – auch durch die Gründung des Kölner Hauses im Oktober 1929 – bei Bamberger & Hertz etwa 20 Prozent betrugen (Abbildung 19). Für die Zeit der Weimarer Republik weisen J. G. Becker und Hettlage nur Bilanzsummen und Reingewinne, nicht aber absolute Umsätze aus. Ab 1932 sind Buchprüfungsberichte von J. G. Becker überliefert, die zeigen, dass sich die Bilanzssumme im

287

Abbildung 19 Branchenvergleich Bamberger & Hertz, 1924 bis 1932, 1924=100 160

1924=100

140 120 100 Bamberger & Hertz

80 60 1924

1925

Einzelhandel

1926

1927

Bekleidung

1928

1929

Herrenbekleidung

1930

1931

1932

Bamberger & Hertz

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924=100 für Einzelhandel und Abb. 19 Branchenvergleich & Hertz, bis 52 1932, = 100 & Hertz nach Tabelle Bekleidung nach Tabelle 46, fürBamberger Herrenbekleidung nach1924 Tabelle und1924 für Bamberger 44 (für Jahr 1928 und 1929Umrechnung Umsatz für Haus auf 3Umsätze Mill. Reichsmark geschätzt). Anmerkungen: Eigene derLeipzig absoluten auf Index 1924 = 100 für Einzelhandel und Bekleidung nach Tabelle 46, für Herrenbekleidung nach Tabelle 52 und für Bamberger

Für die Zeit Weimarer J. G.Umsatz Beckerfürund Hettlage und & Hertz nachder Tabelle 44 (fürRepublik Jahr 1928weisen und 1929 Haus Leipzig nur auf 3Bilanzsummen Mill. Reichsmark Reingewinne, nicht aber absolute Umsätze aus. Ab 1932 sind Buchprüfungsberichte von J.G. geschätzt). Becker überliefert, die zeigen, dass sich die Bilanzssumme im Trend identisch zum Umsatz 889 entwickelte. Abbildung 20 legtentwickelte. den Schluss 889nahe, dass sich das den Textilfachgeschäft Trend identisch zum Umsatz Abbildung 20 legt Schluss nahe,Becker dass zwischen und 1930 dynamischer die Konkurrenten wobei zuals beachten ist, sich das1924 Textilfachgeschäft Becker als zwischen 1924 undentwickelte, 1930 dynamischer die Kondass Becker ab 1931 einen Verlust vor Steuern auswies. kurrenten entwickelte, wobei zu beachten ist, dass Becker ab 1931 einen Verlust vor

Steuern auswies.

Abbildung 20 Branchenvergleich J. G. Becker, 1924 bis 1932, 1924=100 889

180 170 Vgl. Betriebsprüfungsergebnisse J. G. Becker 1932 bis 1939, SWA U40-59. 160 150 140 130 120 110 100 90 80 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930

J. G. Becker

238

1924=100

288

ten Herrenbekleidungsfachgeschäfte 40 bis 50 Prozent ihres Umsatzvolumens, während die Einbußen – auch durch die Gründung des Kölner Hauses im Oktober 1929 – bei Bamberger & Hertz etwa 20 Prozent betrugen (Abbildung 19). Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Einzelhandel

Bekleidung

1931

1932

J. G. Becker (Bilanzsumme)

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924=100 für Einzelhandel und Abb. 20 Branchenvergleich J. G. Becker, bis 1932,nach 1924 = 100 11. Bekleidung nach Tabelle 46 und für J. G. Becker1924 (Bilanzsumme) Abbildung

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924 = 100 für Einzelhan-

Gleiches für die Hettlage-Gruppe, für die und Reingewinn überliefert11. sind. del und gilt Bekleidung nach Tabelle 46 und für nur J. G.Bilanzsumme Becker (Bilanzsumme) nach Abbildung Da Angaben für das Jahr 1924 fehlen, wurde 1928 als Referenzjahr des Branchenvergleichs gewählt. Bis 1928 entwickelte sich Hettlage, wie Abbildung 21 zeigt, in Bezug zu den gewählten Referenzbranchen unterdurchschnittlich. Erst mit der konjunkturellen Krise ab 1929 konnte 889 Vgl. Betriebsprüfungsergebnisse Hettlage seinen Marktanteil ausbauen.J. G. Becker 1932 bis 1939, SWA U40–59. Abbildung 21 Branchenvergleich Hettlage, 1924 bis 1932, 1928=100 120 110

1924

1925

1926

Einzelhandel

1927

1928

Bekleidung

1929

1930

1931

1932

J. G. Becker (Bilanzsumme)

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1924=100 für Einzelhandel und Umsätze und Marktanteile Bekleidung nach Tabelle 46 und für J. G. Becker (Bilanzsumme) nach Abbildung 11.

Gleiches fürfür diedie Hettlage-Gruppe, für diefür nurdie Bilanzsumme und Reingewinn überliefert sind. Gleichesgiltgilt Hettlage-Gruppe, nur Bilanzsumme und Reingewinn überDa Angaben für das Jahr 1924 fehlen, wurde 1928 als Referenzjahr des Branchenvergleichs liefert sind. Da Angaben für das Jahr 1924 fehlen, wurde 1928 als Referenzjahr des Brangewählt. Bis 1928 entwickelte sich Hettlage, wie Abbildung 21 zeigt, in Bezug zu den gewählten chenvergleichs gewählt. Bis 1928 entwickelte sich Hettlage, wie Abbildung 21 zeigt, in Referenzbranchen unterdurchschnittlich. Erst mit der konjunkturellen Krise ab 1929 konnte Bezug zu den gewählten Referenzbranchen unterdurchschnittlich. Erst mit der konHettlage seinen Marktanteil ausbauen.

junkturellen Krise ab 1929 konnte Hettlage seinen Marktanteil ausbauen.

Abbildung 21 Branchenvergleich Hettlage, 1924 bis 1932, 1928=100 120 110

1928=100

100

Hettlage

90 80 70 60 50 40 1924 Einzelhandel

1925

1926

Bekleidung

1927

1928

Damenbekleidung

1929

1930

1931

Herrenbekleidung

1932 Hettlage

Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1928=100 für Einzelhandel und Abb. 21 Branchenvergleich Hettlage, 1932, 1928 = 100 Bekleidung nach Tabelle 46, für Damen-1924 und bis Herrenbekleidung nach Tabelle 52 und für Hettlage 890 (Bilanzsumme) nach Abbildung 10. Anmerkungen: Eigene Umrechnung der absoluten Umsätze auf Index 1928 = 100 für Einzelhan-

del und Bekleidung nach Tabelle 46, für Damen- und Herrenbekleidung nach Tabelle 52 und für Hettlage (Bilanzsumme) nach Abbildung 10.890 890

Für Jahre 1926 und 1927 vgl. Berechnungen nach Konzernbilanz Hettlage 1920 bis 1936, WWA F132-65, Mit allen genannten Einschränkungen sei abschließend die Umsatz- bzw. BilanzentF132-66, F132-67.

wicklung der vier Unternehmen der Umsatzentwicklung im Textileinzelhandel 239gegenübergestellt. Abbildung 22 fasst die bisher beschriebenen Entwicklungslinien des Textileinzelhandels und seiner Unternehmen in der Weimarer Zeit anschaulich zusammen. Zwischen 1924 und 1928 verzeichnete die Branche eine ihrer dynamischsten Umsatzbelebungen von gut 35 Prozent. Von dieser Aufwärtsbewegung profitierten alle Textileinzelhändler, unabhängig von ihrem Sortimentsschwerpunkt, Betriebsform oder Betriebsgröße. Doch wie das Unternehmenssample zeigt, profitierte man unterschiedlich stark. Textile Fachgeschäfte wie Hettlage und Bamberger & Hertz spürten konjunkturelle Eintrübungen wie etwa 1925/26 deutlich stärker als Großkonzerne wie Schocken. Das Warenhaus profitierte deutlich überdurchschnittlich von der textilen

Für Jahre 1926 und 1927 vgl. Berechnungen nach Konzernbilanz Hettlage 1920 bis 1936, WWA F132– 65, F132–66, F132–67. 890

289

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Abbildung 22 Branchenvergleich, Fallstudien und Branche, 1924 bis 1932, 1928=100 200 180 160 1928=100

290

140 120 100 80 60 40 1924 Bekleidung

1925

1926 Hettlage

1927 Schocken

1928

1929

1930

Bamberger & Hertz

1931

1932

J. G. Becker

Abb. 22 Branchenvergleich, Fallstudien und Branche, 1924 bis 1932, 1928 = 100

Mit allen genannten Einschränkungen sei abschließend die Umsatz- bzw. Bilanzentwicklung der vier Unternehmen der Umsatzentwicklung im Textileinzelhandel gegenübergestellt. Abbildung 22 fasst die bisher beschriebenen Entwicklungslinien des Textileinzelhandels und seiner UnternehNachholkonjunktur und legte umsatzmäßig kontinuierlich um schließlich mehr als 60 men in der Prozent zu.Weimarer Zeit anschaulich zusammen. Zwischen 1924 und 1928 verzeichnete die Branche eine fand ihrer die dynamischsten Umsatzbelebungen angesichts von gut 35 Prozent. Von dieserund AufwärtsAb 1929 textile Nachholkonjunktur der WirtschaftsBanbewegung profitierten alle Textileinzelhändler, unabhängig von ihrem Sortimentsschwerpunkt, kenkrise, der steigenden Arbeitslosigkeit und dem Kaufkraftrückgang der breiten BeBetriebsform oder Betriebsgröße. Doch wie das Unternehmenssample zeigt, profitierte unvölkerung ihr Ende. Der Textileinzelhandel – als Branche – verlor innerhalb derman nächsterschiedlich stark. Textile Fachgeschäfte wie Hettlage und Bamberger & Hertz spürten konjunktuten vier Jahre nicht nur jene Substanz, die er zuvor erwirtschaftet hatte. Die Umsätze relle Eintrübungen wie etwa 1925/26 deutlich stärker als Großkonzerne wie Schocken. Das Walagen 1932 im Vergleich zum Jahr 1928 sogar unter jenen des Jahres 1923 (in Goldmark). renhaus profitierte deutlich überdurchschnittlich von der textilen Nachholkonjunktur und legte Alle hier näher betrachteten Unternehmen konnten sich diesem Sog nicht entziehen, umsatzmäßig kontinuierlich um schließlich mehr als 60 Prozent zu.

auch wenn ihre Resilienz größer als im Branchenschnitt war. Alle erreichten ihren Ab 1929 fand die textile Nachholkonjunktur angesichts dersich Wirtschaftsund Bankenkrise, der Umsatzhöhepunkt 1929, Schocken gar erst 1931. Der anschließende Niedergang steigenden Arbeitslosigkeit undweit demweniger Kaufkraftrückgang derBranche breiten Bevölkerung ihr Ende. Der erfasste die Unternehmen stark als die als solche. Die UmsatzTextileinzelhandel – als Branche – verlor innerhalb&der nächsten vier Jahre fielen nicht nur jene rückgänge der jüdischen Händler Bamberger Hertz und Schocken im VerSubstanz, die er zuvor erwirtschaftet hatte. Die Umsätze lagen 1932 im Vergleich zum Jahr 1928 gleich zu Hettlage und J. G. Becker deutlich schärfer aus – ein eindeutiges Zeichen für sogar unter jenen desAuswirkungen Jahres 1923 (inder Goldmark). Alle hierantisemitischen näher betrachteten Unternehmen die unmittelbaren zunehmenden Anfeindungen, konnten sich diesem Sog nicht entziehen, auch wenn ihre Resilienz größer als im Branchenschnitt die sich ab 1933 zur Staatsräson und damit zur direkten Bedrohung auswachsen sollten. war. Alle erreichten ihren Umsatzhöhepunkt 1929, Schocken gar erst 1931. Der sich anschließende Niedergang erfasste die Unternehmen weit weniger stark als die Branche als solche. Die Umsatzrückgänge der jüdischen Händler Bamberger & Hertz und Schocken fielen im 5.4 Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb Vergleich zu Hettlage und J.G Becker deutlich schärfer aus – ein eindeutiges Zeichen für die unmittelbaren Auswirkungen der zunehmenden antisemitischen Anfeindungen, die sich ab 1933 DerStaatsräson textile Facheinzelhandel hatteBedrohung sich in den Dachverbänden zur und damit zur direkten auswachsen sollten. des Einzelhandels, der

Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE) und dem Reichsbund des Textil-Einzelhandels (RTE), sowie in den größeren Branchen- und Betriebsformverbänden – darunter im Reichsverband der Herren- und Knabenkleidung (RHK), im Reichsver-

240

Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb

band der Damen- und Mädchenkleidung (RDM) oder im Verband der Waren- und Kaufhäuser Deutschlands (VdWK) – organisiert. Den Verbänden oblag einerseits eine Schutzfunktion, etwa geschäftliche Benachteiligung von Mitgliedern durch Dritte zu unterbinden oder einheitliche Kauf-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen im Geschäftsverkehr mit Lieferanten zu erreichen. Zum anderen beeinflussten die Verbände Gesetzgebung, Verwaltung und öffentliche Meinung durch eine Vielzahl von Stellungnahmen und öffentlichkeitswirksamer Aufklärung.891 Problematisch für eine durchschlagende, erfolgreiche Lobbyarbeit blieb die mangelnde Verankerung der HDE in der Einzelhandelsbranche. Viele Händler waren Teil lokaler oder regionaler Verbände, die ihrerseits allerdings nicht unter dem Schirm der HDE agierten. Im Januar 1925 musste die HDE daher öffentlich darum werben, dass örtliche Verbände über fachliche (Reichsfachverbände) oder regionale (Landesverbände) Zusammenschlüsse Teil der HDE werden sollten.892 Dennoch hatte die Politik in der HDE erstmals eine branchenübergreifende Ansprechpartnerin für Fragen den deutschen Einzelhandel betreffend. Im Dezember 1925 empfing Reichskanzler Luther erstmals die Spitze der HDE.893 Vom 4. bis 6. August 1926 folgten rund 5.000 Händler der Einladung der HDE zum ersten Einzelhandelstag nach Düsseldorf. Der RTE betonte, dass er „die bedeutendste Wirtschaftsgruppe“ und „die weiteste Spanne [ ] vom Großkaufhaus und vom Warenhaus bis zum kleinsten Spezialgeschäft in der Vorstadt“ innerhalb der HDE repräsentierte.894 Hauptanliegen der Tagung war eine effektivere, zielgerichtete Lobbyarbeit. Der Einzelhandel sollte von nun an deutlich stärker ins öffentliche Bewusstsein dringen. Die HDE erhoffte sich damit die Überwindung der „starken Gleichgültigkeit, wenn gar Abneigung gegen den Handel“.895 Diese Hoffnung richtete sich sowohl nach innen wie nach außen. Politik und Bevölkerung musste deutlich gemacht werden, dass der Einzelhandel „kein überflüssiger Zwischenhandel“ war und den Handelsunternehmen sollte wieder „Berufsfreude und Berufsstolz“ vermittelt werden. Dies sollte durch verstärkt offene ApelNach der überstandenen Hyperinflation forderte die HDE etwa den „Abbau oder gänzliche Aufhebung des Preisprüfungswesens“ und die Schließung der 1.400 Preisprüfungsstellen. Daneben müsse die Politik, so die HDE, die „Kreditnot“ beseitigen und Steuern senken, siehe DK, Sorgen und Wünsche des Einzelhandels, 14.8.1924. Im Sommer 1926 beschloss die HDE die Einrichtung eines „Versicherungswerks“, um „für den Einzelhandel den Abschluss von Lebensversicherungen möglichst zu verbilligen“. Damit sollte dem stark von Familienbetrieben dominierten Einzelhandel die Nachfolgeregelung im Todesfall erleichtert werden, siehe Konf, Das Versicherungswerk der HDE, 12.6.1926. 892 DK, Die Organisation des Einzelhandels, 16.1.1925. 893 Die HDE-Verbandsspitze betonte „die ungünstige Entwicklung der steigenden Unkosten und des sinkenden Absatzes“. Auch sei der Einzelhandel „nicht übersetzt“, sondern leide unter der „Konkurrenz mit den Konsumvereinen und den Handelsbetrieben öffentlich-rechtlicher Körperschaften“. Der Reichskanzler betonte den Grundsatz der „freien Konkurrenz unter gleichen Bedingungen“, siehe Artikel „Die Vertreter des Einzelhandels beim Reichskanzler Dr. Luther“, 15.12.1925, BA R8034-II/3568, p. 121; Konf, Der Einzelhandel beim Reichskanzler, 16.12.1925. 894 Konf, Für die Einheit des deutschen Einzelhandels, 31.7.1926. 895 DK, Deutscher Einzelhandelstag in Düsseldorf, 6.8.1926. 891

291

292

Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

le und Forderungen an Behörden und Gesetzgeber passieren. Die HDE positionierte sich in Düsseldorf als Gegner „jeglicher staatlicher Subventionspolitik“ und forderte, die „letzten Reste jeglicher Zwangswirtschaft“ zu beseitigen. Andererseits sollte die Tagung auch „Gelegenheit zur Selbstbesinnung“ geben, um den Status quo des Einzelhandels als „Staatsbürger minderen Rechts“ zu reflektieren und sich daneben auch konkreten geschäftlichen Alltagsproblemen wie Steuerbelastung, geschickter Kalkulation, Gemeinschaftseinkauf und Rationalisierungspotenzialen zu widmen.896 Es folgten regelmäßig stattfindende Jahrestagungen, von denen aus die HDE konkrete Forderungen an Politik und Branche stellte.897 Besonders sensibel blieb die Integration der Großbetriebe in die mittelständisch geprägte Hauptgemeinschaft. Zentrale Fragen zu Besteuerung, Preisgestaltung, Konditionen oder Reklameaktivitäten bargen nicht nur Spannungspotenzial zwischen Handel und vorgelagerten Industriezweigen, sondern auch innerhalb des Einzelhandels, zwischen Waren- und Kaufhäusern und Filialgroßbetrieben auf der einen, und kleineren und mittleren Spezialhäusern auf der anderen Seite. Im Frühjahr 1926 forderten einzelne regionale Einzelhandelsverbände die Wiedereinführung einer Sondersteuer auf Warenhausumsätze, die eine Million Reichsmark überschritten. Neben der „Warenhaussteuer“ entzweite auch die Forderung nach Verbot von „Zugabeartikeln“ die HDE. Vor allem die Rabattschutzvereine machten gegen die „berühmten Luftballons der Warenhäuser“ Stimmung und agierten gegen die Großkonzerne innerhalb der HDE. Die „Deutsche Konfektion“ befürchtete bereits ein Auseinanderbrechen und mahnte zur Einigkeit.898 Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks brachen nun die alten Konfliktlinien, die bereits schon zur Jahrhundertwende diskutiert worden waren, auf. Die Frage war, wie sich die HDE als Dachorganisation aller Betriebsformen in dieser Frage verhielt. Stellte man sich schützend vor die Großbetriebe und beschwor die Einheit oder gab man den Forderungen der mittelständischen Mehrheit nach „Reinheit“ – also einer Sonderbehandlung oder einem Ausschluss der Großbetriebe – nach? Im Vorfeld des ersten Einzelhandelstages gewann die Kernfrage „Warenhaus oder Einzelhandel?“ innerhalb der HDE an Dynamik. Im mittelstandsfreundlichen Einzelhandelsorgan „Deutsche Handelswarte“ hatte sich der preußische Landtagsabgeordnete Wilhelm Jaeger (DNVP), zugleich Vorstandsmitglied des Verbandes der Handelsschutz- und Rabattsparvereine Deutschlands, für den Ausschluss der Waren-

DK, Bilder von der Tagung des Einzelhandels in Düsseldorf, 13.8.1926; DK, Was will der Einzelhandel in Düsseldorf?, 6.8.1925. 897 Etwa auf dem 2. Einzelhandelstag im Oktober 1927 mit folgenden Forderungen: günstige Gestaltung der künftigen Steuerpolitik, Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (um gegen das Ausverkaufswesen vorgehen zu können), Reformen der Gewerbeordnung, die Arbeitszeitfrage und das Problem der Verkaufsberatung, siehe Konf, Einzelhandelstagung 1927, 8.10.1927. 898 „Niemals hat der Einzelhandel in höherem Maße besonnene Führer nötiger gehabt als im Augenblick“, denn der „Schaden wäre unberechenbar“ und „nur vereinte Kraft [schafft] Erfolge“, siehe DK, Gegensätzlichkeiten im Einzelhandel, 9.4.1926. 896

Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb

häuser aus der HDE stark gemacht. Jaeger forderte eine „reine Standesorganisation des schicksalverbundenen Einzelhandels“. Anders als die HDE-Statuten, die Warenhäuser aufgrund ihres „äußeren Merkmals“ der Warenverteilung als zugehörig definierten, sah Jaeger die „innere Eigenschaft des Einzelhändlers“ bei Warenhäusern nicht gegeben. Jaeger revitalisierte damit ein älteres Ressentiment, nachdem Warenhäuser durch Ihre „Verkaufsmethoden“ als irreguläre Konkurrenz des Einzelhandels gelten mussten. Die HDE kanzelte den Jaeger-Vorstoß ab und sah die angeführten „Auswüchse“ (Konzernbildung, Reklame, Verkaufspreise, etc.) in der gesamten Branche existent und hielt den Wettbewerb der Betriebsformen für gesund und notwendig.899 Die Angriffe auf Großbetriebe – insbesondere Warenhäuser – deckten sich nur teilweise mit der ökonomischen Realität. Bezogen auf die Einzelhandelsumsätze verloren die Warenhäuser relativ weniger als der Facheinzelhandel. Bezogen auf den Textileinzelhandel verloren die Warenhäuser allerdings deutlich stärker. Ihr Anteil am Textileinzelhandelsumsatz war 1929 gegenüber dem Vorjahr auf 13,5 Prozent gesunken. Schaut man nur auf textile Warengruppen – konkret auf die Konfektion – so lagen Warenhäuser bei Damen- und Mädchenkleidung (minus 11,2 Prozent) sowie Herrenund Knabenkleidung (minus 32 Prozent) unter ihrem Umsatzniveau von 1925. Währenddessen konnte der Konfektionsfachhandel sein Niveau von 1925 mit nur leichten Verlusten behaupten.900 Hier lag der Kern der Anfeindung gegen Großbetriebe und den „irregulären“ Handel. Der mittelständische Handel hatte im Verhältnis zu Großbetrieben an Boden verloren. Im Textileinzelhandel zeigte sich jedoch eine selektive Wahrnehmung. Man nutzte die Stimmung des gesamten Einzelhandels für die eigene Agenda. Warenhausumsätze bedrohten den textilen Fachhandel viel weniger als propagiert. Der Zorn richtete sich gegen das Auftreten und die Preisgestaltung der Warenhäuser, die damit den Rationalisierungs- und Modernisierungsdruck auf den kleinen Fachhändler erhöht hatten. Im Laufe des Krisenjahres 1929 brachen auf dem Hamburger Einzelhandelstag die alten Konfliktlinien wieder auf. Anlass der Diskussion waren die Sonderveranstaltungen der Großbetriebe gewesen. Wie der „Konfektionär“ berichtete, verliefen die Diskussionen „äußerst stürmisch“. Der angegriffene Warenhausverband VdWK betonte, unbeschadet einer Entschließung gegen Großbetriebe, auch weiterhin „im Interesse des gesamten Einzelhandels zu wirken“. Damit war die drohende Spaltung der HDE mit 135 gegen 18 abgewendet. Die HDE richtete einen „Sonderausschuss zur Regelung von Wettbewerbsfragen“ ein, der als Schiedsgericht Streitfragen regeln und „Richtlinien ehrbaren Verhaltens“ aufstellen sollte.901

„Wettbewerb mit erlaubten Mitteln muss in jeder Form erlaubt sein. [ ] Nur so ist der Mittelstand lebensfähig“, siehe DK, Um die eigentliche Standesorganisation des Einzelhandels, 9.7.1926. 900 Vgl. Umsatzentwicklung der wichtigsten Warengruppen in deutschen Warenhäusern und Fachgeschäften (1925 = 100), Ff H-Mitteilungen 2. Jg., Nr. 3 (1931), S. 16. 901 Konf, Einzelhandelsfront bleibt fest!, 21.9.1929; Konf, Warenhausverband über 1929, 18.12.1929. 899

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

Doch die Anfeindungen verschärften sich im Laufe des Jahres 1930. Mehrere Länder und Gemeinden prüften auf Druck lokaler Einzelhandelsverbände die Wiedereinführung von Sondersteuern auf Warenhäuser und Konsumvereine. Auf dem Hamburger Einzelhandelstag 1930 drohten die Warenhäuser mit ihrem Austritt aus der HDE, der jedoch dank einer „Wettbewerbsabrede“ verhindert werden konnte. Doch der Streit um eine „Sonderumsatzsteuer“ hatte einen Keil in den Einzelhandel getrieben. Auf der Mitgliederversammlung der HDE am 31. Mai in Berlin hatten Parteigänger der „Reichspartei des deutschen Mittelstandes“ erneut einen Ausschluss der Großbetriebe aus der HDE gefordert. Der Klein- und Mittelhandel sollte sich der parteieigenen „Reichsvereinigung des deutschen Mittelstandes“ anschließen. Nur noch mit Mühe konnte die HDE ihre Spaltung verhindern, indem ihr Geschäftsführer Tiburtius betonte, dass alle Gruppen „aufeinander angewiesen seien“, um in den „großen, gemeinsamen Fragen“ in Politik und Wirtschaft Gehör zu finden.902 Doch der Zusammenhalt begann angesichts der ökonomischen Verhältnisse und der zunehmenden politischen Ideologisierung spürbar zu erodieren. In einer Umfrage aus dem Mai 1930 bezweifelten die mittelständischen Händler in Herrenkonfektion den positiven Effekt von Großbetrieben, konkret Einheitspreisgeschäften, auf die allgemeine Verbilligung von Textilwaren zum Zwecke einer Konsumsteigerung. Sie lehnten die neue Betriebsform als wirtschaftlich nicht notwendig und höchstens als vorübergehende Zeiterscheinung in deutschen Großstädten ab.903 Im Jahresverlauf 1931 versuchten die Gegner der Großbetriebe den politischen Druck außerhalb der HDE zu erhöhen. Ausgehend vom sächsischen Landtag forderten mehrere Kommunen, Abgeordnete und Kaufleute das Reichswirtschaftsministerium auf, die Eröffnung von Warenhäusern vom „Bedürfnis“ des örtlichen Handels abhängig zu machen. Das RWM lehnte ein derartiges Sondergesetz gegen Großbetriebe mit dem Hinweis auf die existierende hohe Umsatzbesteuerung seit dem 15. April 1930 für Großbetriebe und die geplante Filialsteuer ab.904 Als Folge der sich verstärkenden Agitation gegen Großbetriebe erließ die Reichsregierung – auch angesichts der politischen Radikalisierung – am 9. März 1932 eine

Konf, Verfassungswidrige Warenhaussteuern, 30.4.1930; Konf, Der Keil im Einzelhandel, 3.6.1930; Konf, Die Einheit des Einzelhandels, 5.6.1930. Bei einem Wegfall der Mitgliedsbeiträge der Warenhäuser wäre die HDE nicht lebensfähig gewesen, siehe Artikel „Regelung des Wettbewerbs zwischen Einzelhandel und Warenhaus“, 24.2.1930, BA R8034-II/3569, p. 186. 903 Zwar sei „Verbilligung“ möglich und steigere den Konsum, doch sei das „Einheitspreissystem [dafür] nicht geeignet“ (S. Adam, Berlin). Engelhorn & Sturm aus Mannheim betonte, dass eine Umsatzsteigerung durch Preissenkung „erheblich überschätzt“ werde, denn ein „Großbetrieb kommt mit wenigen Preislagen nicht zurecht, um Kundenansprüchen gerecht zu werden“. Der Pforzheimer Händler Adolf Moser sah im Einheitspreissystem eine „Gegenwartserscheinung“ und „keine dauernde Zukunft“, denn „der Preis der Herrenkleidung lässt sich nicht ohne weiteres in 3 Preislagen zusammendrängen“. Julius Ziegler aus Ludwigshafen ergänzte: „Einheitspreissysten mag in einzelnen Großstädten erfolgreich sein“, doch echte „Verbilligung“ erreiche der Handel nur durch Rationalisierung, siehe DK, Ist Konsum in der Herrenkonfektion zu steigern?, 9.5.1930. 904 Konf, Kein Reichs-Warenhausgesetz, 31.1.1931. 902

Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb

Notverordnung „gegen unlauteren Wettbewerb und das Zugabewesen“. Der Erlass kann einerseits als großer Erfolg der Lobby der Mittelständler in der HDE gelten. Die Änderungen das Zugabewesen betreffend waren zwar unerheblich, dagegen wurde der Ausverkauf nach den Vorstellungen des mittelständischen Textilhandels grundlegend reformiert. Bis hier hatte die HDE die Unterstützung des VdWK. Der eigentliche Kern der Verordnung, den der Warenhausverband nicht mittrug, war ein auf zwei Jahre befristetes Errichtungsverbot von Einheitspreisgeschäften in Städten unter 100.000 Einwohnern. Die HDE versuchte ausgleichend zu wirken und nahm diese massive Einschränkung der Gewerbefreiheit mit dem Hinweis hin, dass dies ein „Ausnahmegesetz vorübergehender Natur“ sei. Zudem richte es sich gegen einige wenige Firmen einer bestimmten Betriebsform (Woolworth, Epa, Ehape, Wohlwert) und nicht gegen Textilhändler mit Einheitspreisabteilungen.905 Trotz des errungenen Erfolges forderte die HDE bereits Mitte März, das Errichtungsverbot von Einheitspreisgeschäften auf Orte mit mehr als 100.000 Einwohnern auszudehnen.906 Deutlicher Widerspruch kam erwartungsgemäß von den Großbetrieben selbst. Der Präsident der Kölner Warenhauskette Leonard Tietz AG, Dr. Alfred Tietz, wies auf die negativen Konsequenzen für den Einzelhandel im ländlichen Raum infolge von zu erwartenden Kundenabwanderungen hin: „Dann können aus den kleinen Städten, in denen solche Betriebe nicht mehr eröffnet werden können, die Leute scharenweise zu ihrem Einkauf in die Mittel- und Großstädte abwandern. Die kleinen Städte also, die man schützen will, werden durch diese sog. Schutzmaßnahme geschädigt. [ ] Der deutsche Handel sollte deshalb bemüht sein, die Notlage, in der er sich befindet, nicht noch durch eigene Dummheiten, wie es die Einführung der Konzessionspflicht wäre, zu vermehren, sondern versuchen, durch Verständigung der Großen mit den Kleinen, die gar nicht so unmöglich ist, die Schärfen im Konkurrenzkampf zu vermeiden“.907

Die Notverordnung verfehlte allerdings ihre Wirkung, da die Unternehmen die Bestimmungen mit der Errichtung von „Kleinpreiswarenhäusern“ umgingen.908 Mit dem Rückenwind einer gesetzlichen Maßnahme gegen Großbetriebe und angesichts des 905 „Das Wort Ausverkauf darf in Zukunft nur noch bei Veranstaltungen benutzt werden, deren Grund in der Aufgabe des gesamten Geschäftsbetriebes oder einer Zweigniederlassung (Filiale) ist [ ] Es ist nicht daran gedacht, etwa diejenigen Konfektionsfirmen [ ], welche einen großen Teil ihrer Artikel, z. B. Anzüge und Mäntel oder Blusen und Röcke, in Einheitspreislagen führen, unter diese Ausnahmeregelung fallen zu lassen“, siehe DK, Reform des Wettbewerbsgesetzes, 11.3.1932. 906 Konf, Klarheit im Einzelhandel!, 23.3.1932. 907 DK, Warenhaus-Zwiegespräch, 18.3.1932. 908 Im Jahr 1938 waren nur noch drei Einheitspreiskonzerne aktiv (Ehape, Epa, Woolworth). Diese unterhielten 212 Verkaufsstellen in 105 Groß- und Mittelstädten (82 Woolworth, 74 Rheinische Kaufhalle/ Ehape, 56 Kepa/Epa), siehe BA, Das überwundene Einheitspreisgeschäft, 26.1.1938, BA R8034-II/3574. Erst die nationalsozialistische Gesetzgebung verbot die Neuerrichtung und Erweiterung von Warenhaus-, Einheits-, Kleinpreis- und Filialgroßunternehmen.

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Zwischen Scheinkonjunktur und Weltwirtschaftskrise (1925–1932)

polemischen Wahlkampfes zur Reichstagswahl Ende Juli 1932 erhoben süd- und mitteldeutsche Verbände wiederholt die Forderung, Warenhäuser und Filialbetriebe aus der HDE auszuschließen. Nun begann die Fürsprache für die Großbetriebe auch innerhalb der HDE zu schwinden. Zwar forderte der RDM „Hände weg von der Hauptgemeinschaft!“ und warnte vor der Gefahr einer „Sprengung der Spitzenvertretung“. Doch die starken Fachverbände fassten am 11. Juli 1932 den schwachen Beschluss, dass sie „jede Spaltung im jetzigen Augenblick ablehnt[en] und die Hauptgemeinschaft als Gesamtvertretung des deutschen Einzelhandels unter allen Umständen erhalten wissen will“. Die NSDAP erreichte indes bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 mehr als jede dritte Wählerstimme (37,2 Prozent). Zählt man die Stimmen für die KPD dazu, votierte jeder zweite Wähler für die politischen Ränder, die gegen kapitalistische Großbetriebe agitierten. Mit diesem politischen Rückenwind beantragten die süddeutschen Landesverbände auf der Mitgliederversammlung der HDE, Großbetriebe auszuschließen. Die Unterstützer sahen in der HDE eine Mittelstandsorganisation, die seit Gründung keine Konsumvereine vertrete, und daher auch auf Großbetriebe wie Warenhäuser verzichten könne. Die Fachpresse und die großen Fachverbände konnten eine Spaltung verhindern. Die Verbandsspitze betonte, dass die HDE „niemals die Berufsvertretung des gesamten Einzelhandels gleich welcher Art“, sondern „der Spitzenverband des sesshaften auf privatwirtschaftlicher Grundlage geführten Einzelhandels“ war und ist. Eine Spaltung würde den Alleinvertretungsanspruch der HDE gegenüber der Politik und den Behörden desavouieren. Auch die „Deutsche Konfektion“ warnte vor den „gefährlichen Spaltungsbestrebungen“ und sah in den Großbetrieben vielmehr „Kollegen als Gegner“, denn ohne diese wäre die HDE nicht lebensfähig.909 Ende November 1932 – nach fast sechsjährigem Ringen – wurde die Spaltung der HDE Tatsache. Diesmal reichte die „Frankfurter Front“ einen Antrag auf Sonderbesteuerung für Warenhäuser und Filialbetriebe ein. Der Antrag fand keine Mehrheit. Doch nachdem 40 Prozent der Mitglieder für den Antrag gestimmt hatten, entschloss sich der Warenhausverband VdWK, freiwillig aus der HDE auszutreten. Nach den Worten eines ungenannten Warenhausbesitzers „[empfand es der] Warenhausverband als unter seiner Würde“, dass derart viele Berufskollegen für den Antrag stimmten. Dies habe „dem Fass den Boden ausgeschlagen“. Die Fachverbände ließen dieses Mal nicht viel Bemühen erkennen, den VdWK umzustimmen. Der westdeutsche Einzelhandelsverband hielt die Entscheidung der Warenhäuser für „überstürzt“, andere wie die Düsseldorfer Hettlage GmbH zeigten sich unbeeindruckt und rieten der HDE, sich „mit der Lage ab[zu]finden“. Auch die großen textilen Fachverbände verzichteten auf die wiederholten Treueschwüre. Der RHK zeigte sich trotzig: „Von einer Sprengung der HDE kann keine Rede sein [ ]. Die HDE bleibt weiter [die] Spitzenver-

DK, Hände weg von der Hauptgemeinschaft!, 22.7.1932; DK, Der Kampf um die Hauptgemeinschaft, 2.9.1932; DK, Einzelhandel ohne Spitzenorganisation?, 30.9.1932. 909

Verbandsstrukturen zwischen Mittelstand und Großbetrieb

tretung.910 Tatsächlich endete im November 1932 die Einheit von Großbetrieben und Mittelstand. Gemeinsam hatte man seit 1919 die Belange des Handels gegenüber der Politik vertreten, nun entschied sich die HDE, die Speerspitze des mittelständischen Einzelhandels im Kampf gegen kapitalistische Großbetriebe zu sein.911 Angesichts der Reichskanzlerschaft von Adolf Hitler zum 30. Januar 1933 sahen sich die HDE und ihre textilen Fachverbände in diesem Verhalten bestätigt.912

DK, Was sagt der westdeutsche Einzelhandel zur Trennung der Hauptgemeinschaft, 25.11.1932. Im Mittelpunkt sollten die „Reform des Zugabegesetzes“ und die „Ausdehnung des Verbots von Einheitspreisgeschäften auf alle Orte“ sein. Zu ihren Erfolgen zählte die „Deutsche Konfektion“: „Regelung der Arbeitszeit (erfolgreich gegen die Sonntagsruhe)“, „Kampf gegen Inflation“, „Preissenkungsaktionen infolge der Notverordnungen (wissenschaftliche Begründung für Preise)“, „Wettbewerbsregelungen“, „Kredite für Mittelstand“, „Recht auf vorzeitige Kündigung der Mieträume“, siehe DK, Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels. Werden und Wirken, 18.11.1932. 912 DK, Jahresbericht 1932,12.5.1933. 910 911

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Die verbandliche Gleichschaltung des Textileinzelhandels steht nicht nur am Anfang des Kapitels, sondern am Anfang der nationalsozialistischen Diktatur selbst. Kapitel 6.1 beschreibt und beurteilt die Hintergründe, Ziele und Auswirkungen der verbandlichen Umstrukturierungen der Branche. Diese waren tiefgründig, umfassend, aber wie zu zeigen sein wird, auch zu großen Teilen hilflos und improvisiert – vom Dachverband HDE bis hinab in die Fachgruppe des Textileinzelhandels. Ausgehend von den Verbandspolitiken wirft Kapitel 6.2 Licht auf die Frage, wie sich die Branche bis zum Kriegsausbruch im Spannungsfeld von Wirtschaftsaufschwung, Regulierung und Indienststellung für den nationalsozialistischen Staat strukturell wie ökonomisch entwickelte. Schwerpunkt der Betrachtung sind hier die nicht-jüdischen bzw. als nicht-jüdisch betrachteten Geschäfte und Betriebsformen. Kapitel 6.3 setzt im Anschluss den bewussten Kontrapunkt zur Erzählung des vermeintlichen Aufstiegs des Textileinzelhandels „aus den Ruinen der Weltwirtschaftskrise“. Das Jahr 1933 markierte für die große jüdische oder als jüdisch diffamierte Minderheit von Textileinzelhändlern den Auftakt zu einer in der deutschen Wirtschaftsgeschichte beispiellosen Kaskade von Ausgrenzung, Diskriminierung und Verdrängung. Eine besondere Rolle spielt hier der Prozess der „Arisierung“, der den deutschen Textileinzelhandel in seiner (Eigentümer-)struktur für immer verändern sollte. Abschließend analysiert Kapitel 6.4 die Herausforderungen, Spielräume und Konsequenzen für den Textileinzelhandel angesichts eines tobenden Weltkrieges – an dessen Ende der Zusammenbruch des Textilhandels als Branche stand. 6.1

Die verbandliche Gleichschaltung

Die Gleichschaltung der Verbände vollzog sich nicht nur sehr zügig, sie setzte auch unmittelbar mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein. Hier wurden die Grundlagen und Strukturen gelegt, über die die Politik Einfluss bis in den kleinsten

Die verbandliche Gleichschaltung

Betrieb gewann. Bevor also die konkrete Regulierungspraxis und Geschäftsentwicklung der Branche in den Blick genommen wird, beleuchtet dieses Kapitel die verbandliche Gleichschaltung der Branche. Zentral ist die Frage, wie die Branche dem Prozess begegnete. Wer verhielt sich opportun? Gab es Widerstände? Welchen Verbänden erwuchsen Chancen und wer musste um seine Existenz fürchten? Da Gleichschaltung auf allen Ebenen wirkte und sich teilweise zeitgleich vollzog, fokussiere ich zunächst auf den Einzelhandelsdachverband (HDE), dann auf dessen Fachverbände. Schließlich richtet sich die Analyse auf die neue Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sowie die entsprechende Textil-Fachgruppe. Vorweggenommen sei, dass die Gleichschaltung der Branche den ökonomischen Maßgaben der geplanten Aufrüstung folgte und das NS-Regime weniger den ideologisch-antikapitalistischen Absichtsbekundungen aus Wahlkampfzeiten folgte. Dass die vollständige Umgestaltung des Weimarer Wirtschaftsaufbaus betrieben werden sollte, stand für die NSDAP vor 1933 außer Frage. Eine konkrete Programmatik, wie dies, fernab kapitalistischer oder sozialistischer Organisationsformen, geschehen sollte, existierte nicht. Ab Februar 1933 vollzog sich der Umbau der deutschen Wirtschaft unter der Maßgabe, einen direkten Kontroll- und Einflussmechanismus auf Unternehmen zu vermeiden, diese aber mittelbar über Gruppen und Gliederungen eng mit der Partei- und Staatsführung zu verzahnen. Wie zu zeigen ist, stieß dieser Prozess bei „traditionellen Unternehmerverbänden und Kammerorganisationen auf relativ geringen Widerstand“.913 Die Umorganisation folgte im Allgemeinen dem Ziel, die verbandliche Konkurrenz auf einem Fachgebiet auszuschalten. Die demokratische Interessenpluralität sollte einer behaupteten ständischen Interessenkongruenz weichen. Alle bis Ende Februar 1934 initiierten Gleichschaltungs-, Ausschaltungs- und Umgestaltungsprozesse in der gewerblichen Wirtschaft beruhten auf Eigeninitiative und wurden erst nachträglich mit dem „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft“ legitimiert. Es bevollmächtigte das Reichswirtschaftsministerium zur Gleichschaltung der Wirtschaftsverbände. Der Federsche Plan einer reinen berufsständischen, vertikalen Wirtschaftsorganisation scheiterte am massiven Widerstand der Parteiführung, des Reichswirtschaftsministeriums und der Fachverbände. Sie sahen die kriegswirtschaftlichen Vorbereitungen, die etablierten horizontalen Strukturen aus Industrie- und Handelskammern und auch die Autorität der NSDAP in Gefahr.914

913 Vgl. Einleitung zum Online-Findbuch Bundesarchiv, Deutscher Industrie- und Handelstag/Reichswirtschaftskammer, unter http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/R-11–76167/index.htm?kid=b3672d8a31ea-4af3-b9cc-611d0ca7c0e1, Stand: 1.11.2014. 914 Vgl. Köhler (2008), S. 75; Bräutigam (1997), S. 78 f. Der Reichswirtschaftsminister konnte nun legal Wirtschaftsverbände anerkennen, errichten, auflösen oder fusionieren. Zudem hatte er Kontrolle über deren Verbandsspitzen (Berufung, Absetzung), Satzung (Führerprinzip) und Mitglieder (Pflichtmitgliedschaft).

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Exemplarisch hierfür ist der Umgang und letztlich die Auflösung des „Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes der NSDAP“ (Kampfbund). In dem sich seit Februar 1933 vollziehenden Gleichschaltungsprozess des gewerblichen Mittelstandes und seiner Verbände positionierte sich der „Kampfbund“ in den ersten Wochen am Klarsten. Führung und Mitglieder sahen sich einzig dem 25-Punkte-Wahlprogramm der NSDAP verpflichtet, welches die Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen zulasten der großkapitalistischen Betriebe wie Warenhäuser, Filialisten und Konsumvereine propagierte. Entsprechend kompromisslos forderte der Kampfbund mit antisemitischer Stoßrichtung die Auflösung, ein Verbot oder eine Radikalbesteuerung jener als jüdisch diffamierten Betriebsformen. Das Instrument konkreter Aktionen reichte ab März 1933 von Boykottaufrufen gegen Geschäfte bis zu Rücktrittsforderungen gegen Verbandsspitzen. Entgegen den Erwartungen des Kampfbundes verhielten sich die Parteispitze, das Reichswirtschaftsministerium und die Deutsche Arbeitsfront (DAF) einer radikalen Lösung gegenüber zurückhaltend. Mit der Auflösung der Gewerkschaften zum 2. Mai 1933 vollzog sich die Gleichschaltung der sozialdemokratischen, kommunistischen und konservativen Konsumgenossenschaften, deren Zentralverband nun durch einen vom DAF-Führer Robert Ley bestimmten „Reichsbeauftragten für die Konsumvereine“ geleitet wurde. Mit der Eingliederung der Konsumvereine und der gewerkschaftlichen Handelsstrukturen in die DAF scheiterte der parteieigene Kampfbund an seinem Ziel, jene Verbände und Distributionssysteme aufzulösen bzw. zu verbieten. Der Kampfbund wurde auf Betreiben Görings im Juli 1933 aufgelöst, nachdem die NSDAP-Führung ein allzu scharfes und schnelles Vorgehen gegen Großbetriebe mit Verweis auf die Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation vermeiden wollte.915 Im August 1933 ging die „Konkursmasse“ des Kampfbundes zunächst zu zwei Teilen in der „Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation“ (NS-Hago) und im „Gesamtverband der Handwerker, Kaufleute und Gewerbetreibenden“ (GHG) als Teil der Deutschen Arbeitsfront (DAF) auf. In der NS-Hago waren nun alle Alt-Kampfbundmitglieder (Eintritt bis 1. Mai 1933), in der GHG alle Neu-Kampfbundmitglieder (Eintritt ab 1. Mai 1933) organisiert.916 Der neue Führer der NS-Hago und der GHG Dr. Adrian von Renteln begründete die Auflösung des Kampfbundes lapidar mit einer veränderten Erwartungshaltung der Parteiführung: „Ändert sich der Zweck, für den eine Organisation geschaffen wurde, so muss sich die Organisation und ihre Form ändern [ ]. Seine Aufgabe war es, den Nationalsozialismus in die Reihen des Handwerks, der Kaufleute und Gewerbetreibenden hereinzutragen und Vgl. Kopper (2002), S. 36 f.; Benz (2000), S. 47 ff. Der GHG vertrat in der DAF alle mittelständischen Berufe. Innerhalb der NS-Hago bestanden zukünftig keine Fachgruppen oder Zünfte mehr. Zudem erging die „Anordnung für beide Organisationen in Bezug auf die Reinigung von unerwünschten Elementen“, siehe DK, Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation auf neuer Grundlage, 18.8.1933. 915 916

Die verbandliche Gleichschaltung

sie zu organisieren, die Einrichtungen des öffentlichen Lebens auf dem Gebiete des Handwerks, Handels und Gewerbes zu erobern, um auch von dieser Seite her das alte System zum Sturze zu bringen“.917

Der Kampfbund, so Renteln weiter, war nie mehr als eine „Hilfsorganisation der NSDAP“, dessen Aufgabe mit der Machtergreifung weggefallen sei. Mit der Umstrukturierung in NS-Hago und GHG verbanden sich für die NSDAP-Führung unterschiedliche Absichten. Die NS-Hago war bewusst der NSDAP-Parteileitung direkt unterstellt. Hier hatte man den radikalen „harten Kern“ des „Kampfbundes“ unter direkter Aufsicht und Kontrolle, und damit ruhiggestellt. Der GHG als Untergliederung der DAF organisierte dagegen Arbeiter, Angestellte und industrielle Unternehmer und vermittelte die ideologische Neujustierung der Partei.918 Mit der Übernahme des Reichswirtschaftsministeriums durch Hjalmar Schacht Ende August 1934 wurden alle Pläne einer ständischen Ordnung – so wie sie die Führung des „Kampfbundes“ noch im Sommer 1934 forderte – aufgegeben. Ende November 1934 revidierte Schacht diese durch eine „Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft“. Schacht installierte nun eine sogenannte Reichswirtschaftskammer, die dem Reichswirtschaftsministerium unmittelbar unterstellt war. Dieses Organ bildete die fachliche und bezirkliche Struktur auf Grundlage der bestehenden Organisation der Industrieund Handelskammern, der Handwerks- und Gewerbekammern und der gewerblichen Wirtschaft ab. Für Schacht war die Reichswirtschaftskammer die Schnittstelle staatlicher Behörden mit Privatunternehmen, deren Einfluss und Machtbefugnis mit dem sogenannten Reformerlass vom 7. Juli 1936 wuchs. Die beibehaltenen Strukturen der gewerblichen Wirtschaft wurden zu reinen Erfüllungsgehilfen staatlicher Politik bei rein formal erhaltener Selbstverwaltung.919 Im Sommer 1938 war die Organisation der nationalsozialistischen Wirtschaft abgeschlossen. Dem Reichswirtschaftsministerium unterstand die gesamte gewerbliche Wirtschaft. In der Reichswirtschaftskammer waren die fachlichen und überfachlichen Gliederungen der Wirtschaft vertreten, darunter die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und die sechs Reichsgruppen der gewerblichen Wirtschaft. Für die Textilwirtschaft zuständig waren in der „Reichsgruppe Industrie“ die Hauptgruppe 6 (Wirtschaftsgruppe Textilindustrie, Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie und Wirtschaftsgruppe Lederindustrie). Die „Reichsgruppe Handel“ umfasste

DK, Die Neuorganisation des Handels, Handwerks und Gewerbes, 18.8.1933. Renteln beschrieb die NS-Hago übertreibend als „Rückgrat der GHG“. Die tatsächlichen Aufgaben beschränkten sich aber auf Propaganda wie Schulungen, Lehrbriefe, Kurse, Aufführungen und Kundgebungen, siehe DK, Die Neuorganisation des Handels, Handwerks und Gewerbes, 18.8.1933. 919 Vgl. „Reformerlass“ vom 7. Juli 1936, BA R 43 II/324 b; Bräutigam (1997), S. 78 ff.; Kahn (2006), S. 293 ff.; TexW, Neue Organisation und Aufgaben der gewerblichen Wirtschaft, 17.7.1936. 917 918

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

ebenfalls mehrere Hauptgruppen – darunter Großhandel, Ein- und Ausfuhrhandel und den Einzelhandel. Bis Mai 1938 hatte Dr. Carl Lüer die „Reichsgruppe Handel“ geführt. Ab Mai 1938 war Dr. Franz Hayler zeitgleich Führer der Reichsgruppe Handel und Wirtschaftsgruppenführer Einzelhandel. In der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel repräsentierte die Fachgruppe 3 mit ihren 17 Fach- und 18 Bezirksfachabteilungen den Textileinzelhandel des Deutschen Reiches.920 6.1.1

Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels

Als erste aller Wirtschaftsorganisationen wurde die 1918 gegründete Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE) gleichgeschaltet und nach Vereinbarung mit dem Kampfbund unter nationalsozialistische Führung gestellt.921 Der 1918 auf Lebenszeit gewählte Erste Vorsitzende des Verbandes Heinrich Grünfeld legte zum 1. Februar 1933 sein Mandat nieder. Vordergründig war es ihm nicht gelungen, den Verbleib des Verbandes der Deutschen Waren- und Kaufhäuser (VdWK) im Spitzenverband zu sichern – de facto schied er aus politischen Gründen aus. Auf Grünfelds Nachfolge bewarben sich namhafte Kandidaten, darunter der Vorsitzende des Reichsbundes des deutschen Textileinzelhandels (RDT) Rudolf Herzog. Vor den Augen der 400.000 Mitglieder des HDE konnte sich zunächst keiner der Kandidaten durchsetzen.922 Ende März 1933 war die Gleichschaltung des Verbandes nach intensiven Verhandlungen mit der Reichsleitung des Kampfbundes formal abgeschlossen. Auf einer Vorstandssitzung am 25. März 1933 stellten HDE und Kampfbund fest, dass „in sachlicher Beziehung kaum noch ein Unterschied zwischen den Arbeiten des Kampfbundes und der Hauptgemeinschaft bestehe“. Die „Deutsche Konfektion“ kommentierte euphorisch: „Damit hat sich eine der größten Spitzenorganisationen des Mittelstandes unter

Der Reichswirtschaftskammer unterstanden 18 Wirtschaftskammern, 90 Industrie- und Handelskammern, 59 Handwerkskammern, 6 Reichsgruppen der gewerblichen Wirtschaft und die Organisation des Verkehrsgewerbes. Die Reichsgruppe Industrie bestand aus 7 Hauptgruppen. Die WG Textilindustrie, WG Bekleidungsindustrie und WG Lederindustrie bildeten die Hauptgruppe 6. Die WG Textilindustrie bestand aus 15 Fachgruppen, die WG Bekleidungsindustrie aus 7 Fachgruppen. Daneben noch die Hauptgruppen Gaststätten, Beherbergung, Ambulantes, Vermittler und acht selbstständige Fachgruppen. Die Wirtschaftsgruppe Großhandel bestand aus 36 Fachgruppen. Die Fachgruppe 28 „Textilien und Bekleidung“ umfasste 20 Fachuntergruppen, siehe TexW, Die Organisation der Wirtschaft, 25.6.1938. 921 Vgl. Artikel „Entwicklungsgeschichte des Einzelhandels“, 29.10.1935, BA R8034-II/3572; Konf, Neue Einzelhandelspolitik, 29.4.1933. 922 Die Nachfolgekandidaten waren: Rudolf Hertzog, Berlin („Persönlichkeit ist wohl umstritten“), Dr. Neuendorf, Berlin, Curt Ramdohr, Magdeburg (Vorsitzender der IHK Magdeburg) und Handelsrichter Heinrich, Dresden. „Der Konfektionär“ stellte fest, dass die Verbandsfunktionäre in der Provinz keinen guten Ruf genossen, da sie nicht wissen, „wo den kleinen Leuten der Schuh drückt“, siehe Konf, Wer wird Vorsitzender der Hauptgemeinschaft, 1.2.1933. 920

Die verbandliche Gleichschaltung

nationalsozialistische Führung zum Neuaufbau der Nation zur Verfügung gestellt“.923 Die HDE hatte sich damit Ende März 1933 aller „alten“ Vorstandsmitglieder entledigt und verpflichtet, 51 Prozent der Vorstandssitze sowie den Ersten Vorsitzenden mit einem Parteimitglied zu besetzen (Tabelle 54). Tab. 54 Gleichschaltung der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, Frühjahr 1933924 Vorstand

Name

Erster Vorsitzender

Paul Freudemann

1. stellv. Vorsitzender

Kalbfuß (bis 4.5.1933) Herbert Tengelmann (ab 4.5.1933)

2. stellv. Vorsitzender

Herbert Tengelmann (bis 4.5.1933) Walther Spiecker (ab 4.5.1933)

Geschäftsführung und Presse

Joachim Tiburtius (bis 4.5.1933) Paul Hilland (ab 4.5.1933)

Reichskampfbund

Erich Wildt

Ordentliche Vorstandsmitglieder

Dr. v. Poll Rudolph Hertzog G. Heinrich Dr. van Norden Dr. Neuendorf Schmitter R. Wilser

Senator May Adolf Mayer Grunwaldt Franz Hayler Molt

Anfang Mai 1933 wurden alle Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände des Handels zusammengefasst und ständisch gegliedert. Dem Reichsstand Handel gehörten die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, der Reichsverband des Deutschen Großund Überseehandels, der Reichsverband ambulanter Gewerbetreibender Deutschlands, der Zentralverband der Handelsvertretervereinigungen Deutschlands und der Reichseinheitsverband des deutschen Gaststättengewerbes an. Vorläufig außerhalb des Reichsstandes blieben die Verbände der Großbetriebe (Waren- und Kaufhäuser, Filialbetriebe und Konsumvereine). Zum obersten Führer der beiden Reichsstände – Handwerk und Handel – wurde Dr. Adrian von Renteln berufen.925 Durch

923 Aus gegebenen Anlass „hatte das Haus des Einzelhandels am 28. März 1933 die Schwarz-Weiß-Rote und die Hakenkreuzfahne gehisst, siehe DK, Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels auf nationalsozialistischer Grundlage, 31.3.1933; Konf, Hauptgemeinschaft auf neuer Grundlage, 29.3.1933. 924 Aufstellung nach Konf, „Reichsstand des deutschen Handels“, 6.5.1933. 925 Dr. Adrian von Renteln promovierte 1924 in Wirtschafts- und Staatswissenschaften, danach freier Journalist, seit 1929 Wirtschaftsreferent in der Reichsleitung der NSDAP. Er übernahm dann die Leitung der Abteilung für Wirtschaftspolitik und die Leitung der Hauptabteilung IV (Wirtschaft) der Reichsorganisationsleitung der NSDAP; im Dezember 1932 Umorganisation der Hauptabteilung. Ernennung durch Hitler zum Reichsführer des Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes und Wirtschaftsbeauftragter der Reichsleitung, siehe Konf, Die Führer des mittelständischen Einzelhandels, 26.4.1933.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

seine in Personalunion verkörperte Führerschaft des Kampfbundes konsolidierte die nationalsozialistische Führung damit ihren Einfluss auf den deutschen Mittelstand. Die Reichsstände Handel und Handwerk waren im Kern eine ideologische und organisatorische Klammer mit der Aufgabe, ihre Mitglieder „standes- und staatspolitisch im Geiste der nationalsozialistischen Erhebung zu erziehen“. Das HDE-Vorstandsmitglied Erich Wildt arbeitete nun als „Reichskommissar des deutschen Handels“ zusammen mit Karl Zeleny (Reichskommissar des deutschen Handwerks), der rechten Hand von Rentelns. Aus Sicht der Hauptgemeinschaft war die Schaffung des Reichsstandes für den Handel der Garant dafür, dass „alle Teile des deutschen Handels, die bisher teilweise noch auseinanderstrebten, nunmehr in ernster und sachlicher Arbeit zusammenstehen werden“. Auf einer Mitgliederversammlung am 4. Mai 1933 stimmte die HDE für ihre Einfügung in den neuen Reichsstand. Vorteilhaft erschien der HDE die Chance, durch den Reichsstand die Berufsorganisationen des Handels zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und zusammenzufassen – immerhin umfasste die HDE allein über 1.300 Vereinigungen und Verbände. Die Interessengegensätze zwischen Einzel- und Großhandel oder stationärem und ambulantem Handel könnten nun besser und nicht wie bisher in „sehr scharfem Kampf in der Öffentlichkeit und über die Ministerien ausgetragen“ werden. Dies würde, so die Hoffnung der HDE, zur „völligen Gesundung und Erstarkung des deutschen Mittelstandes“ führen.926 Zwar scheiterte die neue Führung mit der Einführung einer Zwangsmitgliedschaft aller Einzelhändler und doch war aus einem „Verband der Verbände“ eine zentrale Organisation mit ca. 650.000 Betrieben geworden.927 6.1.2

Fachverbände

Als Verband der Verbände hatte die HDE bis 1933 eher koordinierende Aufgaben inmitten autonomer Mitgliedsverbände. Nun sollte die gleichgeschaltete HDE federführend bei der „beschleunigten, gleichgearteten Umorganisation der der HauptgemeinDK, Auf dem Weg zum Ständestaat, 12.5.1933; Artikel „Der Reichsstand des Deutschen Handels“, 5.5.1933, BA R8034-II/3570. 927 Im Mai 1933 plante die HDE, eine „Zwangsorganisation des gesamten deutschen Einzelhandels“ zu werden. Allen bis dahin unorganisierten Unternehmen und Kaufleuten drohte die HDE nun offen mit „Überraschungen und Enttäuschungen“. Im Oktober 1933 rückte die HDE von dem Ziel der Zwangsmitgliedschaft ab, unterstrich aber den „organisierten und straffen Verbandsaufbau“. Demnach sollte jeder Einzelhändler sowohl im Orts- oder Bezirksverband und im zuständigen Fachverband organisiert sein. Am 20. November 1933 verabschiedete die HDE eine neue Satzung, nach der die Mitgliedschaften der Einzelfirmen in bezirklichen/fachlichen Verbänden direkt in eine HDE-Mitgliedschaft überführt wurden; zugleich wurden Reichsfachverbände und Landes- und Bezirksverbände in Fach- bzw. Bezirksgruppen der HDE umgewandelt, siehe Konf, Beitritt zu den Einzelhandelsverbänden, 17.5.1933; Konf, Keine Zwangsmitgliedschaft, 18.10.1933; Konf, Die neue Satzung der Hauptgemeinschaft, 29.11.1933. 926

Die verbandliche Gleichschaltung

schaft angeschlossenen Reichsfach-, Landes- und Bezirksverbände“ sein. Neben der Gleichschaltung, so die zentrale Aufgabe, müssten die jüdischen Mandatsträger aus den Führungsgremien der Untergliederungen des Textileinzelhandels entfernt werden. Daher forderte Hilland am 8. April 1933 in einem Rundschreiben alle Verbände auf, auf die „beschleunigte Amtsniederlegung aller jüdischen Vorstandsmitglieder der Verbände [ ] hinzuwirken. Auch Geschäftsführer jüdischer Abstammung sollen ihr Amt zur Verfügung stellen, soweit es ohne Gefährdung des Geschäftsbetriebes möglich ist. [ ] Bei den Neuwahlen muss die Mehrheit der Vorstandssitze in nationalsozialistische Hände überführt und zum ersten Vorsitzenden ein Nationalsozialist gewählt werden. Auch die Geschäftsführung soll nationalsozialistisch oder aber von nationalsozialistischer Seite kontrolliert sein“.928

Neben den Führungsgremien gab es aber auch eine Reihe einfacher jüdischer Mitglieder und Beitragszahler in den Verbänden. Noch Mitte April 1933 kritisierte die HDE diese „störenden Elemente, die die organisatorische Abwicklung erschweren“.929 Einerseits sollten sie in den Verbänden verbleiben, um sich nicht der staatlichen Kontrolle entziehen zu können, andererseits sollte kein jüdischer Einzelhändler eine gewichtige Rolle in der Verbandsarbeit spielen dürfen. So forderte der HDE-Presseleiter Hilland, dass „jüdische Geschäftsinhaber wohl in den Verbänden bleiben [sollen], aber nicht in den Vorständen und Ausschüssen. Denn auch sie müssten der Kontrolle des Verbandes unterliegen. Das große Ziel sei, die Hauptgemeinschaft zu einer ständischen Zwangsorganisation auszubauen. [ ] Es bestehe nicht die Absicht, den EH als Zunft aufzuziehen [ ]“.930

Die ersten dieser „erfolgreichen“ Gleichschaltungsprozesse durchliefen der Reichsverband der Herrenausstattungsgeschäfte sowie der Einzelhandelsverband der Provinz Sachsen. Unter den gleichen Bedingungen erfolgte in Berlin die Zusammenlegung der Einzelhandelsgemeinschaft Groß-Berlin mit dem Bund der Handels- und Gewerbetreibenden e. V.931 Bemerkenswert ist die personelle Verquickung bei der Gleichschaltung von Verbänden während der Amtsperiode des Reichskommissars für Wirtschaft Dr. Wagener. Der von Wagener mit der Gleichschaltung der Handelsverbände betraute Dr. Walther Spiecker hatte vor 1933 als Wageners Referent gearbeitet und war erst im April 1933 in

928 929 930 931

Konf, Die Gleichschaltung der Einzelhandelsverbände, 8.4.1933. Konf, Die neue Leitung der Hauptgemeinschaft, 13.4.1933. Konf, Die Umgestaltung der Hauptgemeinschaft, 13.4.1933. Konf, Die Gleichschaltung der Einzelhandelsverbände, 8.4.1933.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

die NSDAP eingetreten. Durch Wageners Fürsprache bekleidete Spiecker bald hohe Ämter in den maßgeblichen Verbänden des Textileinzelhandels.932 Spiecker war Inhaber des Berliner Textilkaufhauses Gustav Cords, welches seit 1933 durch eine Reihe von Arisierungen seinen Geschäftskreis erweiterte.933 Von diesen Geschäftsausweitungen profitierten wiederum die Ehefrau Wageners und das Präsidiumsmitglied des Reichsverbandes Groß- und Überseehandel von Sellner, die ebenfalls am Geschäft Gustav Cords beteiligt waren.934 Die beiden größten Fachverbände für konfektionierte Kleidung – der Reichsverband für Herren- und Knabenkleidung (RHK) sowie der Reichsverband für Damenund Mädchenkleidung (RDM) – wurden Ende April/Anfang Mai 1933 erfolgreich gleichgeschaltet. Die langjährigen Verbandsvorsitzenden Gustav Nahrhaft (RHK) und Jacob Tuteur (RDM) waren gezwungen worden, ihre Ämter niederzulegen. Auf der „Gleichschaltungs-Tagung“ vom 20. April 1933 bestätigte die außerordentliche Generalversammlung des RHK in Berlin die schon vollzogene Neubesetzung und Ausrichtung des Verbandsvorstandes, der schon seit einigen Wochen kommissarisch im Amt war (Tabelle 55). Zum Ersten Vorsitzenden wurde Ludwig Fritzsche gewählt, der sich im Namen des Verbandes in den Dienst Adolf Hitlers stellte und das Ziel ausgab, sämtliche Textilfachverbände in einem großen Gesamtverband zu vereinen. Vorstandsmitglied Ley betonte allerdings auch den Willen – trotz eines zu schaffenden Dachverbandes – „das Eigenleben der Fachverbände in vollem Umfang“ zu wahren. Entsprechend fasste der RHK einen entsprechenden Überführungsbeschluss.935 Zwei Wochen später, am 9. Mai 1933, hielt auch der traditionsreiche RDM eine sog. „Gleichschaltungs-Tagung“ im Rahmen einer ordentlichen Generalversammlung in „Dr. Spiecker erschien im Anfang seiner Tätigkeit in Uniform als stellv. Gauleiter und trug das große Parteiabzeichen, was ihm inzwischen verboten worden ist“. Spiecker bekleidete u. a. folgende Ämter: Präsident des Reichsverbandes der Mittel- und Großbetriebe; Vorstandsmitglied der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels, Berlin; Vorstandsmitglied des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels, Berlin; Vorstandsmitglied des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung, Berlin; Vorsitzender des Arbeitgeber-Verbandes, Berlin, siehe Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 6–8. 933 Vgl. Balz (2004), S. 94. Hinweise auf reichsweite Arisierungen der Firma Gustav Cords: Kaufhaus Gerson (Berlin), siehe NARA M1923. OMGUS Finance Division Records Regarding Investigations and Interrogations, 1945–1949 | Records Regarding Bank Investigations | Commerzbank Report: Principal Documents Nos 62–90, unter http://www.fold3.com/image/269886405/, 12.8.2016; Artikel zu Leo Neumann und Kaufhaus Heymann & Neumann (Bremen), unter www.spurensuche-bremen.de/wp-content/ uploads/2011/02/Neumann.pdf, 12.8.2016. 934 Vgl. Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 6–8. 935 Die Zahl der Vorstandsmitglieder wurde von 9 auf 12 erhöht. Der neue geschäftsführende Vorstand bestand aus dem Vorsitzenden und seinen beiden Stellvertretern. Der große Ausschuss verkleinerte sich von vormals 70 auf ca. 40. Der Vorstand erhielt die Generalvollmacht, um „ je nach Gutdünken die bevorstehenden Organisationsverhandlungen zu führen“. Zentraler Beschluss war die „Überführung unseres Reichsverbandes in die Dachorganisation unter Wahrung der Selbstständigkeit“, siehe DK, Gleichschaltungs-Tagung des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., 12.5.1933. 932

Die verbandliche Gleichschaltung

Tab. 55 Gleichschaltung des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung, 20. April 1933936 Vorstand

Name

Firma

1. Vorsitzender

Gustav Nahrhaft, seit 1922 Ludwig Fritzsche ab 20.4.1933

Hettlage o. H., Köln H. & L. Fritzsche, Wuppertal-Elberfeld

1. stellv. Vorsitzender

Herbert Tengelmann

Bernward Leineweber, Berlin

2. stellv. Vorsitzender

Eberhard Ley

Hettlage o. H. Köln

Schatzmeister

Heinrich Leineweber

Bernward Leineweber, Berlin

Syndicus

Dr. Hellmann, Berlin

Ordentliche Vorstandsmitglieder (Altmitglieder)

G. Leimbach Johann Haller Herr von der Aa J. Bersch Julius Huberti Otto Töpler August Haas Dr. Pfeiffer

Leimbach & Klein, Saarbrücken J. Haller, Tuttlingen Heinrich von der Aa, Bremen Bersch, Marburg Heinrich Esders, Dresden Otto Töpler, München Hettlage, Düsseldorf Lois Pfeiffer, Tuttlingen

Berlin ab. Der gesamte Vorstand (bis auf Pfeiffer) legte seine Ämter nieder (Tabelle 56). Auf Antrag des neuen Vorstandes unter Leitung des Vorsitzenden Walther Spiecker beschlossen die Delegierten ebenfalls durch Satzungsänderung die Überführung in einen Dachverband des Textileinzelhandels.937 Tab. 56 Gleichschaltung des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung, 9. Mai 1933938 Vorstand

Name

Firma

1. Vorsitzender

Jacob Tuteur, 1920–1933 Walther Spiecker ab 9.5.1933

Kersten & Tuteur, Berlin Gustav Cords, Berlin

stellv. Vorsitzender

Gustav Adolf Pfeiffer

Pauly & Pfeiffer, Bremen

Geschäftsführer

Ernst Schroeder

Ordentliche Vorstandsmitglieder (Altmitglieder)

Klapp Max Brunotte Paul Lietsch Otto Heutelbeck Karl Stier G. R. Müller Hermann Möller

A. Kieper, Nowawes Brunotte, Leipzig Paul Lietsch, Schweidnitz Basse & Uerpmann, Iserlohn Wagener & Schlötel, Frankfurt/Main G. R. Müller, Frankfurt/Oder Hermann Möller, Bad Hersfeld

936 Aufstellung nach DK, Gleichschaltungs-Tagung des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung e. V., 12.5.1933. 937 DK, Gleichschaltungs-Tagung des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung e. V., 12.5.1933; DK, Jahresbericht 1932, 12.5.1933. 938 Aufstellung nach DK, Gleichschaltungs-Tagung des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung e. V., 12.5.1933.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Während die Gleichschaltung der mittelständisch geprägten Textilfachverbände größtenteils ohne nennenswerte Widerstände verlief, verband sich mit der Eingliederung der Verbände der großbetrieblichen Unternehmen die Frage des Umgangs und der Einbeziehung von Großkonzernen in die NS-Wirtschaft. Konkret ging es für den Textilhandel um die Behandlung und Gleichschaltung von drei Verbänden: Der Verband der Waren- und Kaufhäuser, der Verband Berliner Spezialgeschäfte und die Schutzgemeinschaft der Großbetriebe des Einzelhandels. Die Auflösung der beiden letzteren Verbände war bereits im März 1933 erfolgreich abgeschlossen worden.939 Für den Verband der Deutschen Waren- und Kaufhäuser (VdWK) – einem der ältesten und einflussreichsten Fachverbände im Deutschen Reich – stand die Liquidierung ebenfalls im Raum. Der VdWK hatte dank seiner ökonomisch potenten Mitglieder, die gut vier Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes im Reich auf sich vereinten, neben der HDE das größte Gewicht im Textileinzelhandel.940 Die gleichgeschaltete HDE sah im VdWK die Verkörperung des „Warenhausproblems“, welches es für den Einzelhandel zu lösen galt. Bereits Mitte März 1933 startete die HDE in ihrem „Sofortprogramm“, das im Wesentlichen die Hauptforderungen aus dem Sommer 1932 umfasste, einen Frontalangriff gegen die Großbetriebe. Neben der Abschaffung sozialer Errungenschaften wie des Achtstundentags oder der Sonntagsruhe müsse die Branchenstatik entscheidend zugunsten des Mittelstandes und zulasten der Großbetriebe verändert werden. Die NS-Regierung müsse in Form von Gesetzen und Verordnungen die Neuerrichtungen von Großbetrieben generell verbieten, zeitlich begrenzt Neuerrichtungen anderer Betriebsformen „erschweren“, Betriebseröffnungen mit Sondersteuern belegen, das Umsatz- und Einkommensteuersystem reformieren, öffentliche Subventionen zurückfahren und Kredite für Mittelständler leichter zugänglich machen. Diese Staatshilfe sollte die „eigenen Bemühungen um berufsständische Selbsthilfe stärken“.941 Als Zeichen des guten Willens und in vorbeugender Reaktion auf die Anfeindungen der HDE war das gesamte jüdisch geprägte Präsidium des VdWK eine Woche nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 zurückgetreten (Tabelle 57) und hatte die Geschäftsführung an ihren Vertrauensmann Rudolf Hartmann abgegeben. Im April 1933 geriet der VdWK in den Fokus der sich vollziehenden Gleichschaltung. Der jüngst ernannte Reichskommissar für die Wirtschaft Otto Wilhelm Wagener hatte Walther Spiecker mit der Gleichschaltung Hauptmann Munzinger wurde als Kommissar eingesetzt. Er kündigte den Geschäftsführern der Verbände und dem Personal. Munzinger oblag nun die Finanzverwaltung beider Verbände, siehe Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 4. 940 Der Verband hatte 120 Mitgliedsfirmen (Warenhauskonzerne, Einzelwarenhäuser, Kaufhäuser und Einheitspreiskonzerne) und galt im HDE als „eine kleine, aber mächtige Gruppe“, deren Warenhausabsatz zu 60 Prozent aus Textilien bestand, siehe Konf, Wirtschaftsfaktor Warenhaus, 12.5.1928. 941 DK, „Sofortprogramm“ der Hauptgemeinschaft, 17.3.1933. 939

Die verbandliche Gleichschaltung

Tab 57 Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V., Frühjahr 1933942 Vorstand

Name

Firma

Vorsitzender

Oscar Tietz, 1902 bis 1923 Theodor Althoff 1924 bis 1933 Walther Spiecker, ab Mai 1933

Hermann Tietz Theodor Althoff, Münster

1. stellv. Vorsitzender

Fritz Jacobsen, ab Mai 1933

Fritz Jacobsen, Kiel

2. stellv. Vorsitzender

Adolf Feldmann, ab Mai 1933

Adolf Feldmann, Gotha

Geschäftsführer

Johannes Wernicke, 1903 bis 1916 G. Bach, 1917 – März 1933 Bernhard, bis März 1933 Rudolf Hartmann, ab März 1933

Protokollleiter

Willy Wolf, ab Mai 1933

Schatzmeister

Hans Krüger, ab Mai 1933

Ordentliche Vorstandsmitglieder (Altmitglieder bis März 1933)

Moritz Ury Heinrich Hirschfeld Georg Tietz Max Grünbaum Salman Schocken jun.

Ury Gebrüder, Leipzig Messow & Waldschmidt, Dresden Hermann Tietz, Berlin Leonard Tietz AG, Köln J. Schocken Söhne, Zwickau

des Verbandes beauftragt.943 In einer Besprechung am 11. April skizzierte Spiecker sein Vorhaben, den Warenhausverband analog zur „Schutzgemeinschaft der Großbetriebe des Einzelhandels“ sowie dem „Verband Berliner Spezialgeschäfte“ umzugestalten. Obwohl Spiecker kein Verbandsmitglied war, übernahm er im Mai 1933 die Leitung des Warenhausverbandes.944 Anfang Mai 1933 waren nun alle drei maßgeblichen Verbände der Großbetriebe des Einzelhandels gleichgeschaltet. Nun machte die HDE ihren Alleinvertretungsanspruch für den deutschen Einzelhandel geltend. Die Verbände der Großbetriebe

Das alte Präsidium hatte neun Mitglieder (davon zwei Angestellte). Sieben von neun Mitgliedern waren jüdischen Glaubens. Aufstellung nach Konf, Wirtschaftsfaktor Warenhaus, 12.5.1928; Konf, Zur Genesis des Warenhausverbandes, 12.5.1928; Anlage 3 und Anlage 5 zur Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 2–22, bes. 14, 17. 943 Wagener war seit 1931 Leiter der wirtschaftspoltischen Abteilung in der Reichsorganisationsleitung der NSDAP, siehe Winkler (1969), S. 356 f.; Feldman (2001), S. 105. 944 Bei der Vorbesprechung am 11. April 1933 waren anwesend: Walther Spiecker (Beitritt zum neuen Verband erst am 30.8.1933), Hauptmann Munzinger, Assessor Lippert, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Cohn, Dr. Rudolf Hartmann (Geschäftsführer des Verbandes). Munzinger wurde als Kommissar für den Verband bestimmt und nahm am 13. April 1933 Einsicht in sämtliche Bücher (Finanzen, Geschäftsführung). Munzingers Ziel, den Warenhausverband als Präsident zu übernehmen, wurde vom kommissarischen Vorstand widersprochen. Daraufhin übernahm Spiecker die Leitung des Verbandes, siehe Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 2–4. 942

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

konnten nicht gleichberechtigt neben der HDE bestehen, sondern sollten „restlos in die allein maßgebende Spitzenorganisation zurückfinden“. Um in die HDE aufgenommen zu werden, sollten sich alle Kauf- und Warenhäuser sowie Großfilialisten verpflichten, ihre Unternehmen in „Großspezialgeschäfte“ umzuwandeln und damit den Charakter eines Großbetriebes aufgeben.945 Mit dieser Forderung scheiterte die HDE. Die Großbetriebe blieben in ihrer Form bestehen und konnten vorerst weiterhin außerhalb der HDE agieren. Ihr Spielraum war jedoch deutlich eingeschränkt. Denn der letzte verbandspolitische Schritt war die Zusammenfassung der Großbetriebsverbände, zu denen auch die Verbände der Versandgeschäfte und Filialbetriebe zählten, zum „Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe des Deutschen Einzelhandels“ (RMG). Am 26. Mai 1933 stimmte der Warenhausverband der Eingliederung und damit seiner faktischen Auflösung zu.946 Es blieb ein schwacher Trost, dass der RMG, anders als die HDE, nur als „mässig politisiert“ galt.947 6.1.3

Wirtschaftsgruppe Einzelhandel

Das Jahr 1934 bedeutete eine weitere Zäsur für die Verbandsstruktur im Einzelhandel. Am 6. August 1934 fusionierte die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels (HDE) mit dem Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe (RMG) zum Gesamtverband des deutschen Einzelhandels, der durch Anordnung des Reichswirtschaftsministeriums seit dem 18. September 1934 als Wirtschaftsgruppe Einzelhandel (WG EH) firmierte. Die WG EH umfasste damit alle Betriebsgrößen des Einzelhandels und beendete damit den seit Mai 1933 bestehenden Dualismus von HDE und RMG. Der langjährige Geschäftsführer der Hauptgemeinschaft Tiburtius948 begrüßte getreu die Vereinigung beider Verbände: Hilland betonte, dass „es im nationalsozialistischen Sinn [sei], dass sich Warenhäuser „nach und nach ihrer den Spezialhandel am meisten schädigenden Betriebszweige“ entledigen und die Betriebe in Großspezialgeschäfte für Bekleidung oder Möbel oder Küchengeräte umwandeln. Hilland sah Vorzeigebeispiele wie die Defaka, Deutsches Familienkaufhaus (früher Debewa), die sich verpflichtete „alle ihre Abteilungen außer Bekleidung und Möbel zu beseitigen“, siehe DK, Neue Einzelhandelspolitik, 5.5.1933. 946 Ende Juni 1933 betonte Spiecker auf der letzten Mitgliederversammlung des „Verbandes deutscher Filialbetriebe e. V. Berlin“, dass der „Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe des deutschen Einzelhandels“ die „ausschließliche berufsständische Organisation [ist]“. Der Verband deutscher Filialbetriebe wurde daraufhin aufgelöst, siehe Konf, Programmatische Erklärungen des Präsidenten Dr. Walther Spiecker, 1.7.1933; Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 5–6. 947 Vgl. Briesen (2001), S. 170. 948 Dr. Joachim Tiburtius (*11.8.1889) studierte Rechtswissenschaft, Nationalöokonomie, Geschichte und Philosophie und promovierte im Juli 1914. Nach einer Tätigkeit im Preußischen Kriegsministerium und Reichsinnenministerium war er Referent im Reichsarbeitsministerium (bis Anfang 1925) und seit Februar 1925 geschäftsführendes Mitglied der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, siehe Konf, Die Füh945

Die verbandliche Gleichschaltung

„Die Reichsregierung [ ] wird in dem Gesamtverband des Deutschen Einzelhandels ein Instrument zur Durchsetzung ihres Willens im Einzelhandel und in der Verbrauchswirtschaft haben. [ ] Auf dem Markte wie im Betriebe ist vieles zu ordnen, was weder der einzelne Kaufmann noch gar der Staat regeln kann und will. Der deutsche Sozialismus setzt hierfür Verbände als die rechten Mittler ein [ ], dass sie nicht den Markt, sondern die Sitten ordnen sollten“.949

Zum Führer der WG EH wurde Dr. Franz Hayler bestimmt (Tabelle 58). Der Münchner Kaufmann und SS-Standartenführer hatte seit 1933 als Reichsbeauftragter des deutschen Einzelhandels die Gleichschaltung der Fachverbände und deren Überführung in die Wirtschaftsgruppe begleitet.950 Im Mai 1935 formulierte Hayler vier Hauptziele seiner Tätigkeit: „Bereinigung“ und „Auslese“ des deutschen Einzelhandels durch Effizienzsteigerung, Rationalisierung, „Ausmerzung der Entartungserscheinungen“ und „gründliche Aus- und Fortbildung“.951 Tab. 58 Präsidium der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel952 Position Leitung

Name Dr. Franz Hayler, 1934–28.1.1944 Paul Kretzschmann, ab 28.1.1944

Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Wieser Präsidium

Dr. Lüer*, Paul Freudemann**, Herbert Tengelmann***, Dr. Fritz Jacobsen****

Anmerkungen: weitere Mandate: * Reichsführer des Handels, **Präsident der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, *** Präsident des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels, Leiter der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie, **** Präsident des Reichsverbandes Groß- und Mittelbetriebe.

Anders als die HDE hatte die Wirtschaftsgruppe einen umfänglicheren Vertretungsanspruch. Sie repräsentierte

rer des mittelständischen Einzelhandels, 26.4.1933; Eintrag „Tiburtius“, unter http://www.munzinger.de/ search/go/document.jsp?id=00000006229, 12.8.2016. 949 Konf, Äußere und innere Ordnung des Einzelhandels, 10.10.1934. 950 Dr. Franz Hayler (*29.8.1900 in Schwarzenfeld/Bayern) war nach einem bejubelnden Portrait der Textil-Woche, „Freiwilliger im Ersten Weltkrieg“, „aktiver Mitkämpfer bei der Niederwerfung der Räteregierung in München“ und Teilnehmer an der „Erhebung des 9.11.1923“ sowie „Inhaber des Blutordens, des Schlesischen und Tiroler Adlers sowie Annaberg-Kreuz“. Hayler übernahm nach seinem Studium die Leitung der Fa. Florian Silberbauer, München (Lebensmittelgeschäft). Bald stieg er ins Verbandswesen ein und führte zunächst den deutschen Lebensmittelhandel. Ab 1934 wurde er Reichsbeauftragter für den deutschen Einzelhandel, ab Mai 1938 Leiter der Reichsgruppe Handel, siehe TexW, Dr. Franz Hayler, 28.5.1938. 951 Die vier Ziele im Wortlaut: „Auslese der Besten durch wirkliche Leistungssteigerung“, „Reinigung des Wettbewerbs von allen Entartungserscheinungen und Umgehungsversuchen“, „gründliche Aus- und Fortbildung“, im „ehrlichen Leistungswettberb“ müsse „derjenige ausscheiden, der [ ] nicht durchhalten könne“, siehe Konf, Der Sprecher des Einzelhandels, 30.5.1935. 952 Aufstellung nach Konf, Königsberger Ergebnisse, 3.10.1934.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

„nicht nur eine Gruppe der Wirtschaft von der Warenseite her, sondern [ ] von der Funktion her [ ] – sie fasst eine bestimmte Gruppe von Betrieben nach ihrer Wirtschaftsfunktion zusammen, nämlich alle die Betriebe, die Ware an den letzten Verbraucher abgeben“.953

Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel gliederte sich in anfangs 31 Fachgruppen, die aus 56 gleichgeschalteten Fachverbänden gebildet worden waren. Daneben gehörten vier selbstständige Fachabteilungen, drei Zweckvereinigungen und 18 Bezirksgruppen der Wirtschaftsgruppe an. Vom 1. April 1937 an wurde die Zahl der Fachgruppen zum Zwecke der Rationalisierung auf zehn verkleinert – diese blieb bis Kriegsende unverändert.954 Eine Zwangsmitgliedschaft bestand zunächst für die Einzelhändler nicht, wurde ab November 1934 allerdings eingeführt.955 Der Organisationsgrad stieg dadurch aber nur unerheblich. Im Juni 1935 waren von den 91.000 gewerblichen Textileinzelhändlern nur etwa 46.000 (50,5 Prozent) in der Wirtschaftsgruppe gemeldet. Ein großer Teil galt als „unauffindbar“ oder konnte statistisch schwer erfasst werden.956 Der Organisationsgrad stieg in den Folgejahren dennoch an. Im Mai 1936 zählte die Fachgruppe 3 bereits über 60.000 Betriebe (Tabelle 59). Bis zum 1. April 1938 registrierte die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel 538.668 Mitglieder. Die Belange des Textileinzelhandels vertrat fortan die Fachgruppe 3 („Textileinzelhandel“) innerhalb der neuen Wirtschaftsgruppe, deren Träger der „Reichsbund des Textileinzelhandels“ unter Führung von Herbert Tengelmann war. Tengelmann war damit ab 1934 in Personalunion Leiter der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie sowie Leiter der entsprechenden Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel.957

TexW, Strukturelle Änderung des Einzelhandels?, 20.1.1942. TexW, Die Neugliederung der Wirtschaftsgruppe, 3.4.1937. Im September 1934 verschickte die Wirtschaftsgruppe Meldebögen an alle Einzelhandelsbetriebe im Deutschen Reich. Bis zum 31. März 1936 hatten sich allerdings nur 523.000 Betriebe freiwillig gemeldet. Nach den Schätzungen der Wirtschaftsgruppe hatten sich 80.000 bis 100.000 Unternehmen noch nicht gemeldet, siehe Konf, Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel berichtet, 21.5.1936; Konf, Einzelhandel jetzt meldepflichtig, 31.10.1934. 956 „Vermutlich Einmannbetriebe, kleine Hausierer, Händler im Nebenberuf “ und auch die Selbstangabe war oft irrtümlich, siehe Konf, Die Statistik des Textileinzelhandels, 27.6.1935. 957 Herbert Tengelmann, Jahrgang 1896, war Reichsführer des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels, ab 1934 Leiter der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie und Leiter der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel. Zudem fungierte er als Vizepräsident der IHK Berlin und Präsident des Deutschen Modeinstituts und gehörte dem Vorstand der Vereinigung Berliner Kaufleute und Industrieller an. Tengelmann selbst war gelernter Kaufmann und ab 1923 Geschäftsführer und Inhaber der Tengelmann & Co. GmbH, Essen. Vermutlich 1935 arisierte er die Bernward Leineweber KG, Herford-Berlin. Nach 1945 blieb Tengelmann Komplementär und Hauptinhaber der Bernward Leineweber KG, Herford/Westfalen, Bielefeld und (West-)Berlin sowie der Tengelmann & Co KG, Herford und auch Geschäftsführer und Gesellschafter der Herbert F. W. Tengelmann GmbH, Herford. Er gehörte dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer e. V., Bonn an und war Ehrenmitglied des Bundesverbandes der Bekleidungsindustrie, Bonn, und bis 1959 Vorstand und Ehrenmitglied des Bundes953 954 955

Die verbandliche Gleichschaltung

Tab. 59 Fachgruppen und Mitgliedszahlen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, Mai 1936958 Fachgruppe

Mitglieder

FG 1 Nahrungs- und Genussmittel

245.045

FG 2 Tabak

33.241

FG 3 Bekleidung, Textil und Leder*

53.391 (+12.883**)

FG 4 Raumgestaltung

(6.564 + 2.124***)

FG 5 Eisen, Stahl, Elektro, Sport/Jagd, Beleuchtung, Sanitär FG 6 Gesundheits- und Körperpflege

24.288

FG 7 Kraftfahrzeuge, Bedarf, Tankstellen FG 8 Maschinen, Fahrräder FG 9 Kohlen

53.685

FG 10 Papier Fachabteilungen (Juwelier, Zoologen, Rundfunk, Bestattungen) Zweckvereinigung I (Warenhäuser, Einheitspreisgeschäfte)

1.422****

Zweckvereinigung II (Filialbetriebe) Zweckvereinigung III (Versandgeschäfte) * Ab 1. April 1937 Zusammenlegung der alten Fachgruppen 3 (Textil-Einzelhandel), 4 (Schuheinzelhandel), 5 (Leder- und Schuhbedarf) und die Hälfte der 9 (Sportartikel, aus: Sport- und Jagdartikel) zur neuen FG 3 „Bekleidung, Textil und Leder“; ** Mitglieder der alten FG 4 Schuheinzelhandel; *** Mitglieder der zwei alten Fachgruppen Möbel und Tapeten; **** Mitglieder aus allen drei Zweckvereinigungen.

6.1.4

Fachgruppe Textil-Einzelhandel

Im Februar 1934 wurde mit dem Reichsbund des Textil-Einzelhandels (RTE) die zentrale Zwangsorganisation des deutschen Textileinzelhandels gegründet. Ende Juli ging der RTE als Fachgruppe Textil-Einzelhandel, später umbenannt in FG Bekleidung, Textil und Leder in die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel ein. Propagandistisch war die Gründung des RTE ein Erfolg. Erstmals war es gelungen, eine „Gesamtvertretung des Textileinzelhandels“ zu etablieren. Bis dato hatten unüberwindliche Interessengegensätze innerhalb des Textileinzelhandels geherrscht, da verschiedene Fachverbände einzelne Sparten repräsentierten – etwa die beiden Reichsverbände für Herren- wie für Damenmode. Die „Deutsche Konfektion“ interverbandes des Deutschen Textileinzelhandels, Köln, siehe Konf, Königsberger Ergebnisse, 3.10.1934; Eckert (1979/1980), S. 243 ff. 958 Aufstellung nach TexW, Die Neugliederung der Wirtschaftsgruppe, 3.4.1937; Konf, Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel berichtet, 21.5.1936.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

pretierte den Reichsbund als Versuch der „Zertrümmerung aller künstlich konstruierten Gegensätze zwischen Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben des Textileinzelhandels“, sofern diese nach den „Grundsätzen des Spezialgeschäftes“ wirken und „nicht Betriebsformen aufweisen, die dem Gedanken eines Einzelhandelsgeschäftes oder der Wirtschaftsauffassung des nationalsozialistischen Staates entgegenlaufen“.959 Nach der Ende Februar 1934 verabschiedeten Satzung verwirklichte auch der Reichsbund das Führerprinzip, wonach dem Führer des Verbandes Herbert Tengelmann „die letzte Entscheidung in allen Verbandsangelegenheiten“ oblag. Die fachliche Arbeit sollten die bestellten Reichsfachgruppenführer und die ihnen nachgeordneten Landesfach-, Bezirksfach- und Ortsfachgruppenführer übernehmen. Tatsächlich zählten die Mitglieder der Fachgruppe 3 als Mitglieder des RTE. Mit 56.000 Mitgliedsfirmen am Jahresanfang 1933 war der Reichsbund/Fachgruppe 3 der zweitgrößte Verband der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel.960 Ein halbes Jahr später, im September 1933, war der organisatorische und personelle Aufbau des Reichsbundes abgeschlossen. Die Struktur unterschied regionale und fachliche Zuständigkeiten, zwischen denen es Querverbindungen gab (Tabelle 60). Tatsächlich war die Fachgruppe Textil-Einzelhandel nur nach außen ein effizientes Gebilde. Unterhalb der obersten Führungsebene herrschte eine weitverzweigte Ämterhierarchie. Die vom Reichsführer ernannten Landesführer hatten die Durchführung aller Anordnungen der Reichsführung in einem Landesgebiet zu überwachen. Die Bezirksführer hatten die Belange des regionalen Textileinzelhandels bei den Industrie- und Handelskammern zu vertreten. Die Grundlage der Reichsbund-Organisation bildeten die Ortsgruppen. Sie waren die Zentren des lokalen Textilhandels und die erste Anlaufstelle für Mitgliedsbetriebe. Jeder Betrieb, der Mitglied wurde, konnte einer oder mehreren Reichsfachgruppen zugeordnet werden. Parallel zu diesen regionalen Kompetenzträgern waren neun Fachverbände in den Reichsbund inkorporiert worden und wirkten nun in 14 Reichsfachgruppen. Konkret wurden die gleichgeschalteten Fachverbände in diese Fachgruppen überführt und praktisch aufgelöst. Der Vorsitzende des Reichsverbandes Herren- und Knabenkleidung Dr. Eberhard Ley wurde ebenso zum Reichsfachführer wie sein Amtskollege G. R. Müller vom Reichsverband Damen- und Mädchenkleidung. Unter ihnen fächerte sich ein weites Netz der Verbandsbürokratie auf.961 Die strukturelle Querverbindung zwischen regionalen und fachlichen Kompetenzträgern bildete der „Hauptausschuss des Reichsstandes“, in dem unter Leitung des Reichsführers die Landesführer und Reichsfachgruppenführer zusammentrafen.

DK, Der Reichsbund als Gesamtvertretung des deutschen Textil-Einzelhandels, 21.2.1934. Die Fachgruppe 3 berichtete im Dezember 1935 von 55.000 Textileinzelhändler, die nun Fachgruppenmitgliederwaren, siehe Konf, Vom Interessenverband zur Fachorganisation, 5.12.1935; TexW, Aus dem Arbeitsprogramm 1937, 9.1.1937. 961 G. R. Müller unterstanden im Jahr 1938 18 Bezirkswalter und 500 Ortswalter. 959 960

Die verbandliche Gleichschaltung

Tab. 60 Aufbau der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder962 Fachgruppe 3 – Bekleidung, Textil und Leder (3) Leiter

Herbert Tengelmann, Berlin (bis 1943) Franz Ortner, Dortmund (ab 1943)

Geschäftsführung

Dr. W. Hellmann, Dr. Dinger, Dr. Rusche

Präsidialsyndicus

Dr. Helmut Zwickel

Inkorporierte Fachverbände

Reichsverband für Damen- und Mädchenkleidung; Reichsverband für Herren- und Knabenkleidung; Verband deutscher Wäschegeschäfte und Wäschehersteller; Zentralverband der Bettengeschäfte Deutschlands; Reichsverband Deutscher Herrenausstattungs-Geschäfte; Reichsverband deutscher Hutgeschäfte; Verband Deutscher Schirm-Spezialgeschäfte; Verband Deutscher Teppich- und Möbelstoffhändler; Reichsarbeitsgemeinschaft zugelassener Verkaufsstellen der Reichszeugmeisterei

Fachuntergruppen der FG 3

Reichsfachgruppenführer

Landesgruppen Landesgruppenführer

Herren- und Knabenkleidung

Dr. E. Ley, Köln

Hessen

W. Köhler

Damen- und Mädchenkleidung G. R. Müller, Frankfurt/ Oder

Niedersachsen

Gg. Budde

Uniformen und Gleichtrachten

W. Baumgarten, Th. Diesing

Nordmark

J. Hamann

Wäsche

k. A.

Ostpreußen

H. Jasching

Wirk- und Strickwaren

W. Kühl, Berlin

Rheinland

W. Halbreiter

Herrenausstattungen

O. Blankenstein, Halle*

Sachsen

O. Salzmann

Korsettwaren

k. A.

Schlesien

W. Kunz

Herrenkopfbekleidung

O. Schäfer, Berlin

Thüringen

E. Brauer-Hoch

Schirme und Stöcke

M. Schönherr, München* Westfalen

Teppich, Möbelstoffe, Gardinen k. A. Bettwaren

k. A.

Schnittwaren

k. A.

Handarbeiten und Kurzwaren

Schwabe, Hannover

Sportartikel

k. A.

Schuhe

k. A.

Württemberg

F. Ortner O. Hambrecht

Leder- und Schuhbedarfsartikel k. A. Anmerkungen: Fachgruppe des Reichsbundes Textil-Einzelhandel, seit 1936 Fachgruppe Textil-Einzelhandel, später Fachgruppe 3 – Bekleidung, Textil und Leder; * kommissarische Leitung.

Das eigentliche Entscheidungsgremium, der Führerbeirat, bestand aus sechs Personen dieses Hauptausschusses.963 Im Spätsommer 1935 übernahm der RTE offiziell die

962 Aufstellung nach Rundschreiben o. D., Punkt „Franz Ortner“, BA R13/XXIX 6; DK, Der Aufbau der Reichsbund-Organisation, 19.9.1934. 963 DK, Der Aufbau der Reichsbund-Organisation, 19.9.1934.

315

316

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Geschäftsführung der Fachgruppe 3.964 Damit war die nationalsozialistische Gleichschaltung des Textileinzelhandels endgültig vollzogen. In der Praxis übernahm die Fachgruppe die Betreuung und Beratung der Mitglieder. Der RTE blieb formal weiter bestehen und setzte die konkreten Vereinbarungen und Anordnungen um, etwa die Festsetzung von Mindestpreisen, neue Konditionen oder veränderte Kontingentierungen. Während die Mitgliedschaft in der Fachgruppe verpflichtend war, blieb die RTE-Mitgliedschaft den Betrieben freigestellt.965 Im April 1934 formulierte der Präsidialsyndicus des RTE Helmut Zwickel die verbandspolitische Stoßrichtung des neu gegründeten Reichsbundes. Der deutsche Textileinzelhandel sei verkommen zu einem „Tummelplatz unkontrollierbarer Elemente, die das Textilgewerbe auf die rascheste und einfachste Ausbeutung eines daniederliegenden Volkes betrachten“. Für Zwickel waren es die (jüdischen) Großkonzerne, „die wie ein Heuschreckenschwarm die Branche überfielen und bei ihrem Weggang ein verwüstetes, aufgezehrtes Feld zurückließen“. Die demokratischen Regierungen der Weimarer Republik hatten sich der Pflichtverletzung schuldig gemacht, als sie sich nicht „schützend für den eingesessenen Handel“ eingesetzt hatten. Zwickel sah in der Vertikalisierung, Rationalisierung und Konzernbildung den „Krankheitsstoff “, den „auch ein großer Teil des deutschen Kaufmanntums im Textileinzelhandel [ ] in sich aufgenommen“ hatte. Darum müsse es dem neuen Reichsbund um die Bekämpfung der (jüdischen) Feinde und deren „vergiftete“ Betriebslehre gehen. Dem Interesse der Volksgemeinschaft sei, so begründete Zwickel, nur durch eine Zwangsorganisation „auch gegen den Willen des einzelnen“ gedient. Damit verbanden sich nach Zwickel für den Reichsbund drei Ziele: Kampf den jüdischen Betrieben, Verbraucherlenkung hin zum Spezialgeschäft und die Etablierung einer „deutschen Mode“ basierend auf Ersatzstoffen.966 Gerade im verbandlich organisierten Textileinzelhandel hatten sich die antisemitischen Stereotype verfangen und tief Wurzeln geschlagen. Die Gleichschaltung wurde nicht nur als Akt der Befreiung bejubelt und opportunistisch vorangetrieben, sondern auch als Chance interpretiert, im Konkurrenzkampf mit den großbetrieblichen Wettbewerbern durch staatliche Einflussnahme Marktanteile zurückzugewinnen. Im Oktober 1934 kamen die Delegierten des Reichsbundes zu ihrer ersten Tagung nach Königsberg. Der „Konfektionär“ bejubelte in seinem ausführlichen Bericht die

Mitte August 1935 trat die Satzung der „Fachgruppe Textil-Einzelhandel der WG Einzelhandel“ in Kraft. Die Anordnungen und Verbote der Leiters WG EH waren verbindlich, siehe Satzung der Fachgruppe Textil-Einzelhandel, 19.8.1935, BA R13/XXIX 17. 965 Konf, Die Selbstverwaltung des Textileinzelhandels, 8.8.1935. 966 Wörtlich definierte Zwickel folgende Ziele: Die „Überfremdung der Anschauungen und Methoden aus[zu]merzen“, das „Vertrauen des Käufers wieder ausschließlich dem guten deutschen Spezialgeschäft zuzuführen“ und die „Aufgabe auf dem Gebiet Volksmode und Rohstoffversorgung“ durch Schaffung eines deutschen Modeinstitutes. „Nicht die Schaffung einer deutschen Mode, sondern deutsche Modeschaffung ist das Ziel“, siehe DK, Der deutsche Textileinzelhandel im Zeitalter des Nationalsozialismus, 25.4.1934. 964

Die verbandliche Gleichschaltung

Überwindung der „unfruchtbaren, zeitraubenden Debatten früherer Zeiten“ und feierte die ersten Erfolge wie die Einführung der Einheitskonditionen und die Gemeinschaftswerbung der Reichsbundmitglieder.967 Im selben Bericht lassen sich aber erhebliche Dissonanzen erkennen. Reichsbundführer Tengelmann musste sich in seiner Rede vor den 300 Teilnehmern für den Zwangscharakter des RTE rechtfertigen. Die Vereinigung des Textileinzelhandels wäre sonst wieder, so Tengelmann, an den vielen „Abseitsstehenden“ und deren „Krämergeist“ gescheitert: „Leider ist immer noch festzustellen, dass in manchen Teilen unseres Vaterlandes auch heute noch Männer am Werk sind, [ ] die eine mißgünstige Gesinnung nicht verbergen können. Es muss die Aufgabe des Reichsbundes sein, solche Leute rücksichtslos auszuschalten [ ] Es geht nicht an, dass die Männer, die sich rückhaltlos für unsere gemeinsame Arbeit einsetzen, in unanständiger Weise beschimpft werden“.968

Bis Ende 1935 hatte der Reichsbund diesen internen Widerspruch scheinbar überwunden. Alle Reichsbundmitglieder hatten sich auf eine Einheitsbuchführung verständigt. Damit erleichterten die Betriebe dem Verband den Zugriff auf betriebswirtschaftliche Daten zur Erstellung einer nun regelmäßigen Gemeinschaftsstatistik. Neben der entsprechenden Auswertung („Betriebsvergleich“) überprüfte die neu geschaffene Materialprüfstelle des Reichsbundes den Wareneinkauf und Absatz der Mitglieder. All dies diente dem öffentlich wiederholt erklärten Ziel, etwa von RTE-Syndicus Dinger, die „organische Auslese [zu] fördern. [ ] Wenn eine Armee marschiert, kann man auf die Fußkranken nicht Rücksicht nehmen. [ ] Wir haben zu viel und zu wenige Betriebe: zu viel Betriebe, die nicht leben und nicht sterben können [ ] – zu wenig Betriebe, denn es bestehe nach Ausschaltung der nichtarischen Unternehmen vielfach ein bitterer Mangel an gut geleiteten größeren Spezialgeschäften, so z. B. in Frankfurt/Main“.969

Anfang 1937 konstatierte der Verbandsbericht ein „in überwiegender Mehrheit reges, pulsierendes Leben“ bis zur kleinsten Ortsfachgruppe. Das Ziel des Jahres müsse sein, dass es „keinen Textil-Einzelhändler mehr geben [darf], der nicht in dauernder Fühlungnahme mit seiner Fachgruppe oder deren Untergliederungen steht“. Denn nach wie vor, so stellte das Arbeitsprogramm nüchtern fest, herrschte in weiten Kreisen des Textileinzelhandels „Gleichgültigkeit und Interessenlosigkeit“.970

967 Konf, Königsberger Ergebnisse, 3.10.1934. Zur Gleischaltung der Fachpresse Deutsche Konfektion und Der Konfektionär wären weitere Forschungsarbeiten dringend angeraten. 968 DK, Die Tage von Königsberg, 3.10.1934. 969 Konf, Vom Interessenverband zur Fachorganisation, 5.12.1935. 970 TexW, Aus dem Arbeitsprogramm 1937, 9.1.1937.

317

318

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

6.2

Geschäfte im Frieden

6.2.1

Branchenstrukturen

In welcher „Verfassung“ begegnete der deutsche Textileinzelhandel – in Hinblick auf Betriebsanzahl, Beschäftigte und Betriebsformen – dem nationalsozialistischen Apparat? Anhand der Betriebs- und Gewerbezählungen im Juni 1933 lassen sich die strukturellen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf den Einzelhandel und den Textileinzelhandel gut ablesen. Während die Zahl aller Einzelhandelsbetriebe zwischen 1925 und 1933 um gut ein Drittel auf 843.000 zugenommen hatte, verringerte sich die Zahl der Betriebe im Textileinzelhandel deutlich. Den stärksten Rückgang zählten die Konfektions- und Accessoiregeschäfte. Damenmode war hier deutlich stärker betroffen als Herrenmode. Deutlich dem Schrumpfungsprozess entgegen entwickelten sich die Gemischtwarenläden (+49 Prozent) und Großbetriebe. Die Zahl der Waren- und Kaufhäuser hatte sich innerhalb von acht Jahren von 640 auf 1.414 mehr als verdoppelt (Tabelle 61). Tab. 61 Gewerbebetriebe (Einzelhandel), 1925 und 1933971 Branche Gewerbe Handel & Verkehr Einzelhandel Damen- und Mädchenkleidung Herren- und Knabenkleidung Waren aller Art Waren- und Kaufhäuser Wäsche und Weißwaren Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren Hüte, Handschuhe und Stöcke

1925 3.489.374 1.517.823 623.788 2.807 5.237 38.084 640 10.733 63.460 8.220

1933 3.541.809 1.613.945 843.611 1.709 4.133 56.714 1.414 9.003 56.663 5.135

Veränderung 1,5 % 6,3 % 35,2 % -39,1 % -21,1 % 48,9 % 120,9 % -16,1 % -10,7 % -37,5 %

Eine ähnliche Entwicklung zeigen die Beschäftigtenzahlen. Während das gesamtdeutsche Gewerbe im Zuge der Wirtschaftskrise jeden fünften Beschäftigten verlor, erhöhten sich die Beschäftigtenzahlen im Einzelhandel um ein Drittel. Verantwortlich dafür waren die Zunahmen in den Gemischtwarenläden (+187 Prozent) und den Warenund Kaufhäusern (+78 Prozent). In allen anderen textilen Fachbereichen sanken die Beschäftigtenzahlen. Besonders betroffen war hier ebenfalls der Handel mit Damenund Mädchenkleidung sowie Manufaktur- und Accessoiregeschäfte (Tabelle 62). Schaut man auf das Gewicht des Textileinzelhandels im Einzelhandel in Bezug auf Betriebe und Beschäftigte im Jahr 1933 ergibt sich folgendes Bild: Knapp 13 Prozent aller Einzelhandelsbetriebe handelten mit Textilien und Bekleidungsgegenständen.

Aufstellung Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925 und 16. Juni 1933 – Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I. 971

Geschäfte im Frieden

Tab. 62 Beschäftigte, Einzelhandel, 1925 und 1933972 Branche Gewerbe Handel & Verkehr Einzelhandel Damen- und Mädchenkleidung Herren- und Knabenkleidung Waren aller Art Waren- und Kaufhäuser Wäsche und Weißwaren Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren Hüte, Handschuhe und Stöcke

1925 18.749.583 5.476.682 1.453.952 32.881 23.327 89.197 64.692 31.132 209.796 24.572

1933 14.574.587 5.518.203 1.916.863 13.761 18.076 255.347 115.375 22.298 135.424 13.855

Veränderung -22,3 % 0,8 % 31,8 % -58,2 % -22,5 % 186,3 % 78,4 % -28,4 % -35,5 % -43,6 %

Jeder fünfte Beschäftigte des Einzelhandels war im Textileinzelhandel beschäftigt. Gemessen an Gewerbebetrieben und Beschäftigten lag der Textilhandel zwar weiter an zweiter Stelle aller Einzelhandelsbranchen. Doch das relative Gewicht der Branche nahm im Vergleich zu 1925 ab. Während etwa der Handel mit Maschinen und Fahrzeugen, mit Körper- und Gesundheitspflege und auch der Lebens- und Genussmittelhandel in Bezug auf Betriebe und Beschäftigte deutlich zwischen zehn und 50 Prozent zulegen konnten, stiegen (Betriebe) oder sanken (Personal) die Zahlen im Textileinzelhandel um zwei Prozent. Einzig der Hausierhandel verlor im Vergleich zu 1925 deutlicher – nämlich knapp jeden zweiten Betrieb und Beschäftigten (Tabelle 63). Tab. 63 Betriebe und Beschäftigte (Einzelhandel), 1925 und 1933973 Branche Waren aller Art Lebens- und Genussmittel Bekleidungsgegenstände Haus- und Küchengeräte Maschinen und Fahrzeuge Körper- und Gesundheitspflege Sonstiger Facheinzelhandel Hausierhandel Gesamt

Betriebe 56.714 432.031 107.138 29.462 23.069 42.139 86.270 52.731 829.554

B1 6,7 % 51,2 % 12,7 % 4,3 % 2,6 % 5 ,0% 11,2 % 6,3 % 100,0 %

Beschäftigte 255.347 780.765 356.080 84.934 54.008 101.559 199.026 58.931 1.890.650

B2 13,3 % 40,7 % 18,5 % 5,5 % 2,3 % 5,3 % 11,3 % 3,1 % 100,0 %

V1 16,7 % 12,7 % 2,3 % 4,3 % 27,5 % 35,0 % 27,7 % -44,0 % 6,9 %

V2 49,8 % 15,4 % -2,1 % -8,2 % 16,8 % 28,5 % 22,8 % -48,4 % 10,9

Anmerkungen: B1 – Prozentualer Anteil am gesamten Einzelhandel (Betriebe); B2 – Prozentualer Anteil am gesamten Einzelhandel (Betriebe); V1 – Prozentuale Veränderung zum Jahr 1925 (Betriebe); V2 – Prozentuale Veränderung zum Jahr 1925 (Beschäftigte).

Aufstellung nach: Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925 und 16. Juni 1933 – Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I. 973 Aufstellung nach Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht: „Hauptzweige des Einzelhandels“. 972

319

320

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Die Betriebs- und Gewerbezählung von 1933 ergab damit knapp 844.000 Einzelhandelsbetriebe mit gut 1,9 Millionen Beschäftigten, wovon jeder zweite Beschäftigte weiblich war. Die Statistik unterschied den Handel mit Waren aller Art und den Handel mit Bekleidungsgegenständen. Es ist plausibel in Bezug auf den „Textileinzelhandel“, beide Gruppen einzubeziehen. Damit handelten im Jahr 1933 knapp 164.000 Betriebe und 609.000 Beschäftigte schwerpunktmäßig mit Textilien und Bekleidung. Bezogen auf eine solche Kategorie „Textileinzelhandel“ handelten 60 Prozent aller Betriebe entweder mit Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren (35 Prozent) oder existierten als ländliches Gemischtwarengeschäft (25 Prozent). Nur zweieinhalb bzw. ein Prozent aller Betriebe handelten mit Herren- bzw. Damenkleidung. Sechs Prozent aller Betriebe waren konsumgenossenschaftlich organisiert, nur ein Prozent gehörte der Klasse Warenund Kaufhäuser oder Einheitspreisgeschäfte an. In Bezug auf die Zahl der Beschäftigten veränderte sich das Bild. Allein 19 Prozent aller Beschäftigten im „Textileinzelhandel“ arbeitete in Waren- und Kaufhäusern. Immer noch knapp zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiteten in kleinen und mittleren Fachgeschäften (Tabelle 64). Tab. 64 Gewerbliche Niederlassungen und Beschäftigte (Textileinzelhandel), 1933974 Branche Textileinzelhandel** Waren aller Art, davon: Waren- und Kaufhäuser Konsumgenossenschaften Einheitspreisgeschäfte Gemischtwarengeschäfte Trödelhandel Bekleidungsgegenstände, davon: Textilwaren aller Art Damen- und Mädchenkleidung Herren- und Knabenkleidung Wäsche und Weißwaren Web-, Wirk-, Strick-, Kurz-, Besatzwaren Herrenartikel Hüte, Handschuhe und Stöcke Kürschnerwaren Schuhwaren Leder

Betriebe* 163.852 56.714 1.414 9.633 375 40.470 4.822 107.138 8.650 1.709 4.133 9.003 56.663 2.304 5.135 1.054 13.757 4.730

Beschäftigte 609.132 255.347 115.375 32.794 16.573 84.064 6.541 353.785 87.449 13.761 18.076 22.298 135.424 6.022 13.855 2.625 45.083 9.192

Betriebe 100,0 % 34,6 % 0,9 % 5,9 % 0,2 % 24,7 % 2,9 % 65,4 % 5,3 % 1,0 % 2,5 % 5,5 % 34,6 % 1,4 % 3,1 % 0,6 % 8,4 % 2,9 %

Beschäftigte 100,0 % 41,9 % 18,9 % 5,4 % 2,7 % 13,8 % 1,1 % 58,1 % 14,4 % 2,3 % 3,0 % 3,7 % 22,2 % 1,0 % 2,3 % 0,4 % 7,4 % 1,5 %

Anmerkungen: * In Betrieb befindliche Niederlassungen (einschl. ruhende Saisonbetriebe), ** eigene Berechnung/Kategorie (Summe Waren aller Art und Bekleidungsgegenstände).

Im Hinblick auf die Betriebsgröße lässt sich eine weiterhin starke Dominanz der Kleinbetriebe attestieren, wie auch die prozentuale Verteilung der gezählten Betriebe und Aufstellung nach Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht: „Gewerbliche Niederlassungen nach ihrer Ausstattung mit Personal“. 974

Geschäfte im Frieden

des Personals zeigt. 84 Prozent aller Betriebe im Textileinzelhandel waren Kleinst- und Kleinbetriebe mit bis zu drei Beschäftigten (Größenklasse 0 bis 1). Der Rest der Betriebe beschäftigte zwischen vier und 50 Personen (Größenklasse 2 bis 5). Großbetriebe mit mehr als 50 Beschäftigten (ab Größenklasse 6) waren im Textileinzelhandel die Ausnahme. Selbst mehr als die Hälfte aller Waren- und Kaufhäuser (55 Prozent) beschäftigte weniger als 20 Personen. Nur jedes vierte Warenhaus war ein Großbetrieb mit mehr als 50 Beschäftigten. Und lediglich dreizehn Warenhausunternehmen hatten mehr als 1.000 Beschäftigte. Fachgeschäfte tendierten in den Bereichen Wäsche und Weißwaren sowie Web-, Wirk- und Strickwaren mehrheitlich zum Kleinstbetrieb. Manufakturwaren- sowie Konfektionsgeschäfte waren mehrheitlich Kleinbetriebe mit bis zu 10 Beschäftigten. Nur neun (Herren) bzw. 15 Prozent (Damen) der Konfektionsgeschäfte waren mittelbetrieblicher Struktur. Die Herren- und Damenkonfektion zählte fünf bzw. zwei Betriebe mit bis zu 1.000 Beschäftigten (Tabelle 65). Tab. 65 Betriebe nach Betriebsgrößen (Textileinzelhandel), 1933975 Textileinzelhandel* Waren aller Art, davon: Waren- und Kaufhäuser Konsumgenossenschaften Einheitspreisgeschäfte Gemischtwarengeschäfte Trödelhandel Bekleidungsgegenstände, davon: Textilwaren aller Art Damen- und Mädchenkleidung Herren- und Knabenkleidung Wäsche und Weißwaren Web-, Wirk-, Strick-, Kurzund Besatzwaren Herrenartikel Hüte, Handschuhe und Stöcke Kürschnerwaren Schuhwaren Leder

GK0 42 33 0 23 2 33 71 46

GK1 42 53 0 57 8 58 28 36

GK2 9 8 0 13 6 7 1 9

GK3 5 3 31 5 3 2 0 6

GK4 2 1 24 1 9 0 0 2

GK5 1 1 18 1 34 0 0 1

GK6 0 1 10 0 34 0 0 0

GK7 0 0 6 0 5 0 0 0

GK8 0 0 10 0 0 0 0 0

GK9 0 0 1 0 0 0 0 0

17 31 32 52 54

40 28 41 34 33

14 13 12 8 7

14 13 8 4 4

7 7 4 1 1

5 6 2 1 1

2 2 1 0 0

1 1 0 0 0

1 0 0 0 0

0 0 0 0 0

30 35 44 38 47

50 47 38 39 43

14 11 10 11 7

5 6 6 7 2

1 2 2 3 0

0 0 0 1 0

0 0 0 0 0

0 0 0 0 0

0 0 0 0 0

0 0 0 0 0

Anmerkungen: Prozentuale Verteilung (*) Eigene Berechnung/Kategorie (Summe Waren aller Art und Bekleidungsgegenstände); (Gesamt) Gesamtzahl aller Betriebe, (GK0) Alleinbetriebe, (GK1) 2 bis 3 Beschäftigte, (GK2) 4 bis 5, (GK3) 6 bis 10, (GK4) 11 bis 20, (GK5) 21 bis 50, (GK6) 51 bis 100, (GK7) 101 bis 200, (GK8) 201 bis 1000, (GK9) 1001 bis 5000, (GK10) über 5000 (ist hier nicht aufgeführt); Werte sind gerundet; Eigene Klassifikation: Kleinstbetriebe (GK0, GK1), Kleinbetriebe (GK2, GK3), Mittelbetriebe (GK4, GK5, GK6), Großbetriebe (ab GK7).

975 Berechnungen nach Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht: „Gewerbliche Niederlassungen nach Größenklassen“.

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322

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Während 84 Prozent der Betriebe im Textileinzelhandel Kleinstbetriebe waren, arbeitete nur knapp jeder dritte Beschäftigte in diesen Betrieben. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitete in Kleinbetrieben. Etwa 45 Prozent aller Beschäftigten im Textileinzelhandel waren in Mittel- oder Großbetrieben tätig. Zwei Drittel der in Waren- und Kaufhäusern Beschäftigten arbeitete in Großbetrieben ab einer Belegschaft von 200 Personen (Tabelle 66). Tab. 66 Beschäftigte nach Betriebsgrößen (Textileinzelhandel), 1933976 GK0

GK1

GK2

GK3

GK4

GK5

GK6

GK7

GK8

GK9

11

26

10

9

7

8

7

6

13

4

Waren aller Art, davon:

7

27

7

5

3

6

8

6

22

9

Waren- und Kaufhäuser

0

0

0

3

4

7

9

11

48

19

Konsumgenossenschaften

7

39

16

11

6

8

6

5

3

0

Einheitspreisgeschäfte

0

0

1

1

3

27

52

13

2

0

Gemischtwarengeschäfte

16

62

15

6

0

0

0

0

0

0

Trödelhandel

52

44

3

1

0

0

0

0

0

0

Bekleidungsgegenstände, davon:

14

25

12

12

9

9

6

6

6

1

Textilwaren aller Art

2

9

6

10

10

14

13

16

18

3

Damen- und Mädchenkleidung

4

8

7

12

14

23

14

14

5

0

Herren- und Knabenkleidung

7

22

12

14

11

12

7

6

8

0

Wäsche und Weißwaren

21

32

14

13

8

6

3

1

4

0

Web-, Wirk-, Strick-, Kurzund Besatzwaren

23

32

13

11

8

7

4

2

1

0

Herrenartikel

11

45

23

14

6

1

0

0

0

0

Hüte, Handschuhe und Stöcke

13

40

18

15

8

5

0

1

0

0

Kürschnerwaren

18

35

18

17

10

2

0

0

0

0

Schuhwaren

12

28

15

17

13

9

4

1

1

0

Leder

24

50

16

7

2

0

0

0

0

0

Textileinzelhandel*

Anmerkungen: Prozentuale Verteilung; (*) Eigene Berechnung/Kategorie (Summe Waren aller Art und Bekleidungsgegenstände); (Gesamt) Gesamtzahl aller Beschäftigten, (GK0) Alleininhaber, (GK1) 2–3 Beschäftigte, (GK2) 4 bis 5, (GK3) 6 bis 10, (GK4) 11 bis 20, (GK5) 21 bis 50, (GK6) 51 bis 100, (GK7) 101 bis 200, (GK8) 201 bis 1000, (GK9) 1001 bis 5000, (GK10) über 5000 (ist hier nicht aufgeführt); Werte sind gerundet, für Werte = 0 siehe Tab. X.a im Anhang mit absoluten Werten; Kleinstbetriebe (GK0, GK1), Kleinbetriebe (GK2, GK3), Mittelbetriebe (GK4, GK5, GK6), Großbetriebe (ab GK7).

Berechnungen nach Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht: „Gewerbliche Niederlassungen nach Größenklassen“. 976

Geschäfte im Frieden

Schaut man nur auf den Anteil der Alleinbetriebe im Textileinzelhandel – also Betriebe, die ohne Angestellte und Arbeiter durch Inhaber und dessen Familienmitglieder geführt wurden – so lag die Quote unter der der gesamten Wirtschaft und auch des Einzelhandels. Etwa 40 Prozent der gezählten Betriebe im Textileinzelhandel waren Alleinbetriebe. Verantwortlich dafür waren hauptsächlich die Geschäfte mit Wäsche und Weißwaren sowie Web-, Wirk- und Strickgeschäfte. Großbetriebe wie Warenund Kaufhäuser oder Einheitspreisgeschäfte kannten keinen Alleinbetrieb mehr, und die Quote bei Herren- und Damenkonfektionsgeschäften lag bei rund 30 Prozent (Tabelle 67). Tab. 67 Alleinbetriebe (Textileinzelhandel), 1933977

Gewerbe

Niederlassungen

Alleinbetriebe

Anteil

3.541.809

1.789.660

50,5 %

Einzelhandel

843.611

416.644

49,4 %

Textileinzelhandel*

163.852

67.931

41,5 %

Waren aller Art, davon:

56.714

18.926

33,4 %

Waren- und Kaufhäuser

1.414

0

0,0 %

Konsumgenossenschaften

9.633

2.179

22,6 %

375

8

2,1 %

40.470

13.321

32,9 %

Einheitspreisgeschäfte Gemischtwarengeschäfte Trödelhandel

4.822

3.418

70,9 %

107.138

49.005

45,7 %

Textilwaren aller Art

8.650

1.439

16,6 %

Damen- und Mädchenkleidung

1.709

529

31,0 %

Herren- und Knabenkleidung

4.133

1.333

32,3 %

Wäsche und Weißwaren

9.003

4.668

51,8 %

56.663

30.669

54,1 %

Bekleidungsgegenstände, davon:

Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren Herrenartikel

2.304

685

29,7 %

Hüte, Handschuhe und Stöcke

5.135

1.780

34,7 %

Kürschnerwaren Schuhwaren Leder

1.054

463

43,9 %

13.757

5.205

37,8 %

4.730

2.234

47,2 %

Anmerkungen: * Eigene Berechnung/Kategorie (Summe Waren aller Art und Bekleidungsgegenstände).

977 Aufstellung nach Statistik des Reiches, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1933 – Gewerbliche Betriebsstatistik. Abteilung I, „Gewerbliche Niederlassungen nach Größenklassen“.

323

324

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Folgerichtig zu den Zahlen der Alleinbetriebe wurde im Textileinzelhandel – wie in der deutschen Wirtschaft und im Einzelhandel insgesamt – der überwiegende Teil der Betriebe in der Rechtsform der Einzelinhaberschaft geführt. Ausnahmen dieser Regel waren der Konfektionshandel sowie die Warenhäuser. Begründet in der Tendenz zum Klein- und Mittelbetrieb, verfassten sich einige Konfektionshändler als Mehrinhabergeschäft oder offene Handelsgesellschaft. Immerhin knapp zwei Drittel aller Warenhäuser waren von Einzelinhabern geführt. Das restliche Drittel verteilte sich auf offene Handelsgesellschaften und GmbHs. Nur vier Prozent (17) waren Aktiengesellschaften (Tabelle 68). Tab. 68 Rechtsformen nach Anzahl der Betriebe (Textileinzelhandel), 1933978 E

M

neG

eV

eG

oHG

KG

AG

GmbH

A

KdöR KGaA

Gewerbe

92

2

0

0

1

2

0

0

1

0

1

0

Einzelhandel

95

2

0

0

0

2

0

0

1

0

0

0

Warenhäuser

62

6

0

0

0

18

2

4

9

0

0

0

Waren aller Art

95

2

0

0

2

1

0

0

0

0

0

0

Damen- und Mädchenkleidung

81

6

0

0

0

9

1

0

3

0

0

0

Herren- und Knabenkleidung

85

5

0

0

0

7

0

0

2

0

0

0

Wäsche und Weißwaren

92

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Web-, Wirk-, Strick-, Kurz- und Besatzwaren

92

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Hüte, Pelze, Handschuhe, Stöcke, Schirme, Sportgegenstände

91

4

0

0

0

3

0

0

1

0

0

0

Schuhe und Schumacherbedarfsgegenstände

92

3

0

0

0

3

0

0

2

0

0

0

Galanterie-, Lederund Luxuswaren

91

3

0

0

0

4

0

0

1

0

0

0

Anmerkungen: Prozentuale Verteilung, (E) Einzelinhaber, (M) mehrere Inhaber, (n. e. G.) nicht eingetragene Genossenschaft, (e. V.) eingetragener Verein, (e. G.) eingetragene Genossenschaft, (o. H. G.) offene Handelsgesellschaft, (KG) Kommanditgesellschaft, (AG) Aktiengesellschaft, (GmbH) Gemeinschaft mit beschränkter Haftung, (A) andere Vereinigungen, (KdöR) Körperschaften des öffentlichen Rechts, (KGaA) Kommanditgesellschaft auf Aktien; Werte sind gerundet.

978

Aufstellung nach Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht: „Rechtsformen“.

Geschäfte im Frieden

Ab Mitte der 1930er Jahre lassen sich erstmals belastbare Aussagen zur regionalen Verteilung des Textileinzelhandels treffen. Von 107.129 erfassten Textilbetrieben der Umsatzsteuerstatistik von 1935 befand sich mehr als jeder Dritte entweder in Sachsen (13,5 Prozent), der Rheinprovinz (11,4 Prozent) und Bayern (9,6 Prozent). Setzt man die Anzahl der Betriebe mit der Einwohnerzahl ins Verhältnis, so waren die Flächenstaaten im Nordosten (Ostpreußen, Mecklenburg), Süden (Bayern und Pfalz) und Osten (Schlesien) am geringsten vom Textileinzelhandel durchdrungen. Verhältnismäßig überbesetzt waren hingegen die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie die textilindustriellen Traditionsstaaten Sachsen und Thüringen (Abbildung 23). Ostpreußen Mecklenburg Bayern und Pfalz Hannover, Braunschweig, Lippe, Oldenburg Lübeck Schlesien Westfalen Schleswig-Holstein Brandenburg Baden Rheinprovinz Provinz Sachsen-Anhalt Württemberg Hohenzollern Freistaat Hessen, Hessen-Nassau Bremen Thüringen Hamburg Groß-Berlin Freistaat Sachsen 0

100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000

Einwohner pro Betrieb Anmerkungen: Grundlage ist die Umsatzsteuerstatistik aus dem Jahr 1935 Abb. 23 Regionale Verteilung der Betriebe (Textileinzelhandel), 1935979

6.2.2 Gesetzgebung Regulierung Anmerkungen: Grundlageund ist die Umsatzsteuerstatistik aus dem Jahr 1935 6.2.2.1 Einzelhandelsschutzgesetz Auch vor dem Hintergrund der Betriebs- und Beschäftigtenstrukturen versuchten die Nationalsozialisten dem Umsatzrückgang im Textileinzelhandel mit einer Doppelstrategie zu begegnen. Einerseits befeuerten Sie den ideologischen Kampf gegen unerwünschte Betriebsformen und Marktteilnehmer, andererseits drängten Sie auf eine rational-ökonomische Ausdünnung des Geschäftsstellennetzes. Dieses galt seit langem als „übersetzt“ – der geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage standen reichsweit zu viele Verteilungsstellen gegenüber. Dies ließ die Rentabilität des Einzelnen schrumpfen. Und es band personelle Ressourcen, die im Sinne der Mobilisierung der deutschen Wirtschaft zielgerichteter eingesetzt 979 Übersicht nach und Konf,Wehrhaftmachung Die Statistik des Textileinzelhandels, 27.6.1935; eine noch ausführlichere Aufwerdenfür sollten. Diese lag der stellung das Jahr 1933 auf Doppelstrategie Grundlage der Betriebsund nationalsozialistischen Gewerbezählung von 1933:Regulierungspraxis Betriebs- und Gewerbezählung (1933), Übersicht:durch Die regionale Verteilung wichtiger überwiegend für den örtlichen Bedarf zugrunde, die im Folgenden eine Analyse des sog. „Einzelhandelsschutzgesetz“ (EHSG) und arbeitender Gewerbezweige (Einzelhandel mit Bekleidungsgegenständen). der ersten Stilllegungsaktion beleuchtet wird. Der „Kampf gegen die Übersetzung“ begann bereits unter dem Kabinett Brüning. Dessen Preiskommissar sah im März 1932 manche Einzelhandelsbranchen als übersetzt und daher preissteigernd an. Die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE) widersprach der Übersetzung nicht, berief sich aber auf deren preissenkende Wirkung. Bald kursierten Gerüchte, dass die

325

326

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

6.2.2

Gesetzgebung und Regulierung

6.2.2.1 Einzelhandelsschutzgesetz Auch vor dem Hintergrund der Betriebs- und Beschäftigtenstrukturen versuchten die Nationalsozialisten dem Umsatzrückgang im Textileinzelhandel mit einer Doppelstrategie zu begegnen. Einerseits befeuerten Sie den ideologischen Kampf gegen unerwünschte Betriebsformen und Marktteilnehmer, andererseits drängten Sie auf eine rational-ökonomische Ausdünnung des Geschäftsstellennetzes. Dieses galt seit langem als „übersetzt“ – der geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage standen reichsweit zu viele Verteilungsstellen gegenüber. Dies ließ die Rentabilität des Einzelnen schrumpfen. Und es band personelle Ressourcen, die im Sinne der Mobilisierung und Wehrhaftmachung der deutschen Wirtschaft zielgerichteter eingesetzt werden sollten. Diese Doppelstrategie lag der nationalsozialistischen Regulierungspraxis zugrunde, die im Folgenden durch eine Analyse des sog. „Einzelhandelsschutzgesetz“ (EHSG) und der ersten Stilllegungsaktion beleuchtet wird. Der „Kampf gegen die Übersetzung“ begann bereits unter dem Kabinett Brüning. Dessen Preiskommissar sah im März 1932 manche Einzelhandelsbranchen als übersetzt und daher preissteigernd an. Die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE) widersprach der Übersetzung nicht, berief sich aber auf deren preissenkende Wirkung. Bald kursierten Gerüchte, dass die Regierung eine Notverordnung plante, die Geschäftsneugründungen zeitlich befristet für einzelne Branchen untersagte. Tatsächlich blieb die Reichsregierung Eingriffen in die allgemeine Gewerbefreiheit abgeneigt.980 Diese Vorbehalte hatte die Hitler-Regierung nicht. Zum 12. Mai 1933 erging das Gesetz zum Schutz des Einzelhandels (Einzelhandelsschutzgesetz, EHSG). Kernpunkt der Verordnung war ein Errichtungs- und Übernahmeverbot. Dieses galt zunächst unbefristet für Einheitspreisgeschäfte, Konsumvereine und Werkskonsumanstalten. Für alle anderen Betriebsformen sollte es nur ein halbes Jahr gültig sein, wurde dann aber im Dezember 1934 unbefristet gültig. Die weiteren Regelungen zielten auf eine Abschwächung der Expansion von Großbetrieben wie Warenhäusern, Filialbetrieben und Versandhändlern. Durch das EHSG musste jede Erweiterung der Verkaufsräume behördlich genehmigt werden. Das Gesetz erschwerte zudem die Umwandlung einer Verkaufsstelle in eine Filiale, ein Warenhaus oder Klein- und Serienpreisgeschäft. Der Unternehmer war ebenfalls nicht mehr frei in seiner Entscheidung, welches Sortiment er führen wollte. Die Aufnahme von Arznei-, Lebens- oder Genussmittelabteilungen sowie der Betrieb von Handwerksbetrieben in Warenhäusern waren fortan untersagt. Gänzlich unberührt vom Errichtungsverbot blieben der ambulante Stra-

980

Vgl. Abschrift „Kampf um die Übersetzung im Einzelhandel, 16.3.1932, BA R3106/95.

Geschäfte im Frieden

ßen-, Markt- und Wanderhandel – für letztere sah die novellierte Gewerbeordnung jedoch eine Bedürfnisprüfung vor, die den örtlichen Berufsvertretungen oblag. Etwa ein Jahr lang blieben die Textilversandgeschäfte von den Regelungen ausgenommen. Seit dem 4. Juli 1934 galt auch für diese ein unbefristetes Errichtungs- und Erweiterungsverbot.981 Die Ausführungsbestimmungen zum EHSG definierten Ausnahmen vom Regelfall der Errichtungssperre. Lag ein Bedürfnis durch „besondere Umstände“ vor – etwa neue Wohnsiedlungen, Kur-, Bade- und Ausflugsorte oder leerstehende Ladenflächen – und betrug die Einwohnerzahl mehr als 30.000 Personen, so durften Geschäfte weiterhin aufgebaut oder erweitert werden. Eine erhebliche Durchlöcherung des Errichtungsverbotes erwirkte die Württembergische Landesregierung zugunsten der Metallwaren-Fabrik Geißlingen. Die „lex Geißlingen“ ermöglichte eine Geschäftsausdehnung, wenn das Unternehmen nicht unter den Preisen der örtlichen Fachhändler lag. Letztlich war der Kabinettsbeschluss der Öffentlichkeit seit dem 5. Mai 1933 bekannt. Da das Gesetz erst eine Woche später in Kraft trat und nicht rückwirkend galt, nutzten Unternehmen die Zeit, entsprechende bauliche Veränderungen, Neugründung und Umwandlungen vor dem Inkrafttreten vorzunehmen. Paul Hilland (HDE)982 interpretierte das EHSG als Ergebnis des stetigen Betreibens des Verbandes, „eine völlige Sperre für die Errichtung von Warenhäusern und ähnlichen Institutionen [ ] zu erreichen“. Dies sei nun über den „Umweg der allgemeinen Sperre“ gelungen. Das EHSG, so Hilland, sollte jedoch nur der Anfang im Prozess des „Abbau[s] der Warenhäuser und ihre[r] Rückführung in Spezialgeschäfte“ sein.983 Kritik am EHSG kam indes von den Händlern selbst. In einer Eingabe an das Reichswirtschaftsministerium sah der Bad Harzburger Kaufmann Karl Wimmelmann nicht ein Errichtungsverbot, sondern den fehlenden Sachkundenachweis als Hauptgrund für die Misere im Textileinzelhandel. Ähnlich dem Handwerk, so Wimmelmann, müsse das Geschäft von geprüften Kaufmännern betrieben werden.984 Diese Position machte sich ab Oktober 1933 die HDE zu Eigen. Zum einen trat der Spitzenverband für eine Verlängerung des EHSG über den 1. November 1933 hinaus ein, da der Einzelhandel – durch die sog. „Vorratsgründungen“ in der ersten Mai-Woche – weiterhin überbesetzt sei. Zum zweiten solle die provisorische Regelung einer

TexW, Einzelhandelskonzession, 25.6.1938. Paul Hilland studierte Jura, Volkswirtschaft, Geschichte und Philosophie. Von 1921 bis 1925 arbeitete er als Handelsredakteur und Hauptschriftleiter von Fach- und Verbandszeitschriften. Hilland war vor 1933 in die NSDAP eingetreten und dort als Wirtschaftsreferent tätig. Nach seinem Eintritt in die Gaukampfbundleitung Berlin, wurde er Beauftragter von Adrian v. Renteln für die Neuorganisation der mittelständischen Verbände, siehe Konf, Die Führer des mittelständischen Einzelhandels, 26.4.1933. 983 DK, Einzelhandelsschutz und Zugabenverbot, 19.5.1933; Konf, Das Gesetz zum Schutz des Einzelhandels, 17.5.1933; DK, Das Gesetz zum Schutze des Einzelhandels vom 12. Mai 1933, 26. Mai 1933. 984 Vgl. Eingabe von Karl Wimmelmann, Bad Harzburg, an das Reichswirtschaftsministerium, 26.5.1933, BA R3106/95, p. 151–153. 981 982

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

völligen Neuordnung der Gewerbeverhältnisse weichen. Diese Neuordnung solle die vernachlässigte Nachwuchsförderung in den Mittelpunkt rücken. Ein Ladeninhaber müsse zukünftig eine kaufmännische Ausbildung und Erfahrung für die Erteilung einer Lizenz nachweisen. Nur so könnten „berufsfremde Elemente“ ferngehalten und dem Einzelhandel eine auskömmliche Existenz gewährleistet werden.985 Tatsächlich erfuhr das EHSG zwischen Sommer 1933 und Sommer 1935 eine Reihe von Ergänzungen.986 So knüpfte eine Durchführungsbestimmung zum Gesetz vom 23. Juli 1934 eine Geschäftsneugründung oder Übernahme künftig an die erwiesene Fachkenntnis des Antragstellers.987 Damit entwickelte sich die „Schutz- und Sperrvorschrift“ de facto zu einer Berufsordnung des Einzelhandels.988 Die „Sachkundeprüfung“, die den Industrie- und Handelskammern oblag, umfasste die ordentliche kaufmännische Betriebsführung (Buchführung, Kapital-Umsatz-Kosten; Briefwechsel, Finanzierung, Rechtsfragen) sowie Waren- und Gesetzeskenntnis (Einkauf, Lagerung, Pflege, Gesetze zu Werbung und Gewerberecht, Kundenservice). Daneben galten politisch-subjektive Kriterien wie die „charakterliche und persönliche Eignung“ des Bewerbers, die durch Kenntnisse der politischen und beruflichen Pflichten nachzuweisen war. Sachkundeprüfungen durften entfallen, wenn der Bewerber eine ordentliche Lehre nachweisen konnte, fünf Jahre im Einzelhandel tätig war oder ein erwiesen erfolgreicher selbstständiger Kaufmann war.989 Dass ein Kenntnisnachweis berechtigt war, zeigten die ersten Prüfungen mit einer Durchfallquote von 75 bis 80 Prozent.990 Wie die Zahlen aus dem IHK-Bezirk Halle/Saale zeigen, entwickelte sich das EHSG – welches ursprünglich den Kleinhändler vor dem Großbetrieb schützen sollte – zu einem Hemmschuh für die geschäftliche Expansion des kleinbetrieblichen Mittelstandes. Da vielen die nun erforderliche Sachkenntnis fehlte oder die NS-Behörden kein Bedürfnis für weitere Geschäfte am Ort bescheinigten, gelang es ihnen nicht, zu expandieren, und damit in die Gruppe der Mittelbetriebe aufzusteigen. Damit waren es gerade die kleinen Händler, die deshalb später viel häufiger von den Stilllegungsaktionen betroffen waren als die ideologisch bekämpften, aber volkswirtschaftlich leistungsfähigeren Mittel- und Großbetriebe (Tabelle 69).

DK, Das Gesetz zum Schutze des Einzelhandels, 13.10.1933. Gesetz zum Schutz des Einzelhandels vom 12. Mai 1933, mit Ergänzungsgesetz vom 15. Juli 1933 und Änderungsgesetzen vom 25. Oktober 1933, 27. Juni 1934, 13. Dezember 1934 und den Durchführungsverordnungen vom 12. Mai 1933, 28. November 1933 und 23. Juli 1934 und weiteren ergangenen Erlassen. 987 DK, Einzelhandelsschutzgesetz und Nachwuchserziehung, 10.2.1935. 988 Konf, Vom Schutzgesetz zum Berufsgesetz, 11.6.1936. 989 Richtlinien für die Sachkundeprüfung, o. D., BWA K9/282. 990 Der IHK Berlin zufolge waren 600 von 800 Prüflingen den Anforderungen nicht gewachsen. Die Handelskammernebenstelle Heilbronn meldete, dass 80 Prozent „vollständig ungeeignet“ waren, siehe Konf, Das Fachwissen des Einzelhändlers, 18.4.1935. 985 986

Geschäfte im Frieden

Tab. 69 Prüfungen nach Einzelhandelsschutzgesetz, Halle/Saale, 1938991 Geschäftszweig

Anzahl der Ablehnungen

Sachkunde

Unzuverlässigkeit

Übersetzung

Kein Bedürfnis

48

70,3 %

6,3 %

4,2 %

18,8 %

Hüte, Mützen

1

100,0 %

0,0 %

0,0 %

0,0 %

Lederwaren, Galanteriewaren

3

33,3 %

0,0 %

66,6 %

0,0 %

Gemischtwaren (ländliche Geschäfte)

32

90,6 %

0,0 %

0,0 %

9,4 %

Nahrungs- und Genussmittel

96

87,5 %

2,0 %

5,2 %

5,2 %

Möbel- und Polsterwaren

15

73,3 %

0,0 %

26,7 %

0,0 %

Brennstoffe

22

90,9 %

0,0 %

9,1 %

0,0 %

Schuhe

20

75,0 %

5,0 %

0,0 %

20,0 %

Tabak

41

80,5 %

4,9 %

7,3 %

7,3 %

Textilien, Pelzwaren

Anmerkungen: Ablehnungen der Anträge nach Einzelhandelsschutzgesetz und deren Gründe im Jahr 1938, Bezirk IHK Halle/Saale.

Wie enttäuscht kleine Einzelhändler vom EHSG waren, zeigt eine Zuschrift an den Reichskommissar für den Mittelstand Dr. Wienbeck: „Fast in jeder Versammlung vor dem Umsturz ist uns versprochen worden, dass dem Mittelstand geholfen werde [ ]. Außerordentlich viel Stimmen hat die Partei auf Grund dieses Versprechens aus unseren Reihen erhalten [ ] Aber nach der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung ist es ein Unding, dass ein Mann 400–500 Filialen besitzt und wie ein Fürst lebt. [ ] In Wahrheit geht der vom System beliebte Modus, die Unterdrückung des Mittelstandes, nach dem alten Rezept weiter [ ] Es muss ferner darauf hingewiesen werden, dass trotz des laut Presse „wirtschaftlichen Aufschwunges“ die mittelständischen Geschäfte schlechter wie jemals gehen [ ]. Eine zweckentsprechende Tat der Regierung wäre die beste Reklame für die Partei, deren Ansehen darunter leidet, weil so Vielen, das versprochen war, was nicht gehalten wurde. [ ] Heil Hitler!“992

Dass das EHSG spätestens ab Mai 1935 auch als Instrument für die Ausgrenzung und Entfernung jüdischer Bürger aus dem Wirtschaftsleben dienen sollte, zeigte der Wunsch des Leiters der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Dr. Franz Hayler nach Gesetzesnachbesserungen. Hayler sah durch die Berufsverbote für jüdische Beamte und Selbstständige die Gefahr, dass diese in den Einzelhandel „drängen“. Das EHSG sollte

Aufstellung der IHK Halle/Saale der bearbeiteten Anträge nach Einzelhandelsschutzgesetz im gesamten Jahr 1938, siehe Wirtschaftszahlen des Bezirkes der Industrie- und Handelskammer zu Halle (Saale) 1939, o. D., BWA K9/2009 und eigene Berechnungen. 992 Vgl. Schreiben an Ministerialrat Dr. Wienbeck, 7.6.1935, BA R3106/96, p. 47–49. 991

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

dahingehend abgeändert werden, dass nur so viele jüdische Kaufleute einen Laden führen durften, wie es ihrem Anteil an der örtlichen Bevölkerung entsprach.993 6.2.2.2 Preisüberwachung und Spinnstoffgesetz Neben der Beseitigung der „Übersetzung“ geriet die „Preisfrage“ in den Fokus der NS-Regulierung. Mit der Verordnung gegen Preissteigerungen vom 16. Mai 1934 etablierte die nationalsozialistische Wirtschaftsbürokratie eine zentrale Preisüberwachung für lebensnotwendige Waren. Dies betraf zunächst nur Artikel, deren Preise „gebunden“ waren, also durch kartell- oder verbandsmäßige Absprachen fest und unverhandelbar gegenüber dem Einzelhandel durchgesetzt werden konnten. Preise für diese Artikel durften nun nicht mehr erhöht werden. Darüber wachten die sog. Preisüberwachungsstellen. Bereits im August 1934 wurde der behördliche Preisstopp auf alle anderen Güter und Dienstleistungen ausgedehnt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits sämtliche Preise für Rohstoffe und Halbfabrikate vor dem Hintergrund des „Neuen Plans“ unter staatlicher Aufsicht der Preisüberwachungsstellen (den späteren Reichsstellen). Da Textilien und Kleidung zu den sensiblen Grundgütern gehörten, ergingen hier bereits früh erste Preisverordnungen.994 Grundlegend für die Preisbildung in der deutschen Textilbranche war die sog. „Faserstoffverordnung“ (FStV) vom 19. Juli 1934. Nach diesem Erlass durften Waren aus textilen Stoffen nicht über ihrem Referenzverkaufspreis vom 21. März 1934 liegen. Damit galt ein Preisstopp für alle Textilwaren und die Preisbemessung nach dem sog. „Wiederbeschaffungspreis“ wurde verboten. Textilhändler durften ihre lagernde Ware nun auch dann nicht mehr zu einem höheren Preis kalkulieren und verkaufen, wenn sich der Einkaufspreis der Ware beim Großhändler oder Fabrikanten erhöhte. Die einzig gebliebene Möglichkeit der Preisanpassung war der sog. „Mischpreis“ von Lagerware gleicher Art. Mischpreiskalkulationen wurden behördlich überwacht und verlangten zum Zwecke der Nachprüfbarkeit nach genauer Buchführung und Kalkulationsbelegen.995 Für den deutschen Textileinzelhandel ein bekanntes déjà-vu. Waren die autonomen Verbände noch vor zehn Jahren angesichts solcher Eingriffe in die Kalkulationsfreiheit auf die Barrikaden gegangen und hatten die Zwangs- und Planwirtschaft angeprangert, tat die erfolgte Gleichschaltung des Verbandswesens nun ihr Übriges. Konf, Verschärfung der Einzelhandels-Schutzgesetzgebung, 30.5.1935. Vgl. Höschle (2004), S. 33 ff.; zeitgenössische Analyse bei Kayser (1940). Nach alter Regelung („Wiederbeschaffungspreis“) verkaufte der Textilhändler z. B. ein Hemd auf Lager nach folgender Kalkulation: Das Hemd hatte den Händler im Einkauf 4 Reichsmark gekostet und er verkaufte es mit 50 Prozent Aufschlag für 6 Reichsmark an den Verbraucher. Erhöhte sich der Einkaufspreis auf 4,50 Reichsmark, konnte der Händler auf den erhöhten Einkaufspreis 50 Prozent aufschlagen und vom Kunden 6,75 RM verlangen, siehe Konf, Preisregelung im Textileinzelhandel, 3.1.1935. 993 994 995

Geschäfte im Frieden

Im November 1934 wurde Carl Friedrich Goerdeler zum Reichskommissar für Preisüberwachung bestimmt. Die Berufung des DNVP-Mitgliedes und späteren Mit-Verschwörers des 20. Juli 1944 beruhte auf dessen Erfahrung als Preiskommissar unter Reichskanzler Brüning. Goerdeler stand für eine einheitliche und verbindliche Preisüberwachung. Einzel- oder Sonderaktionen von örtlichen Parteistellen oder nicht legitimierten Parteiorganisationen wie der DAF in Bezug auf die Preisgestaltung in Industrie und Handel sollten unterbunden und einzig das Preiskommissariat zuständig sein.996 Der Textileinzelhandel bescheinigte Goerdeler weitgehendes Verständnis für die Belange des Handels. Vor den Reichsfachverbänden für Damen- und Mädchenkleidung sowie Herren- und Knabenkleidung erläuterte Goerdelers Referent Sternberg-Raasch Mitte Januar 1935 die Absichten der FStV und die Ziele des Preisstopps. Nach Sternberg-Raasch ziele die FStV auf einen „gerechten Preisausgleich“. Textilwaren sollten durch Mischpreise kalkuliert werden, um genügend „billige Gebrauchsware“ bereitstellen zu können. Die Opfer, die auch der Textileinzelhandel zu bringen habe, würden der wirtschaftlichen Erholung Deutschlands dienen, da nur eine „konstante Lohnhöhe“ eine „erfolgreiche Arbeitsbeschaffung“ ermögliche. Dazu müsse der Handel gegenüber dem Verbraucher ein „bestimmtes Preisniveau halten“. Die Rolle des Kommissariats beschrieb Sternberg-Raasch gerade im Textilhandel als „außerordentlich wichtig“. Hier müsste der Handel „für die weniger kaufkräftige Bevölkerung genügend preiswerte Waren zur Verfügung halten“ – besonders in Hinblick auf Arbeiterkleidung. Die erlassenen Berechnungsvorschriften sollten, so Sternberg-Raasch, „unzeitmäßige Gewinne“ verhindern. Den Befürchtungen des Handels vor einer undurchsichtigen Kalkulationsbürokratie und hohen Strafen widersprach der Referent, wenn die Kalkulation nachweislich „unwesentliche Abweichungen“ enthalte und nach „beste[m] Wissen und Gewissen“ erfolge.997 Doch anders als von Sternberg-Raasch vorgebracht, waren die neuen Kalkulationsvorschriften keineswegs leicht verständlich, sondern überaus kompliziert. Darüber hinaus kritisierte selbst der gleichgeschaltete „Konfektionär“ offen den Zwang der FStV, der die kaufmännische Kalkulationshoheit begrenzte. Bereits im Dezember 1934 mussten neue Richtlinien für Preiserrechnung, Lieferungsbedingungen und Beschwerdeverfahren die FstV vom Juli ergänzen und vereinfachen. Ziel war eine höhere Rechtssicherheit für die Kaufleute. Weiterhin blieben die Märzpreise 1934 die Berechnungsgrundlage mit den Ausnahmen Rohstoffpreiserhöhung oder „unvermeidbare Selbstkostenerhöhung“. Der Händler sollte weiter seine Waren nach Mischpreisen kalkulieren – also einem gewogenen Durchschnittspreis der lagernden Waren gleicher Art, die zu verschiedenen Zeiten und Preisen eingekauft Goerdeler hatte dieses Amt zeitweise ab Dezember 1931 inne. Am 5. November 1934 übernahm er dieses Amt erneut. Er gab es bereits am 1. Juli 1935 ab, siehe Ritter (1984), S. 75 ff.; Meyer-Krahmer (1998), S. 133 ff. 997 DK, Mitgliederversammlung der Reichsfachgruppen, 25.1.1935. 996

331

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sein konnten. Die Neuerung bestand in der Einführung einer sozialen Komponente, um wirtschaftlich schwache Konsumenten mit billiger Kleidung zu versorgen. Mischkalkulationen waren nun auch für Gebrauchtware verschiedener Art und Güte zulässig. Somit ermäßigten sich die Preise von Gebrauchtware zu Lasten der besseren Ware. Die neue Verordnung stärkte die Rechte der Abnehmer im Einzelhandel, da nun Industrie und Großhandel zu absoluter Vertragstreue bezüglich Preisen und Lieferbedingungen für Verträge bis zum 19. Dezember 1934 verpflichtet wurden. Ebenfalls durften künftige Lieferverträge keine Preis- oder Lieferungsvorbehalte mehr enthalten.998 Für den Textileinzelhandel galt dies jedoch nur eingeschränkt. Nach der FstV oblag dem Erzeuger die Preisregelung. Die durchschnittlichen März-Preise 1934 waren die Grundlage des Verkaufspreises. Zwar durfte der Verkaufspreis erhöht werden, so sich Rohstoffe oder Steuern erhöhten – doch dies galt nur für Neuware. Wurde Neuware gleicher Qualität im Einkauf um 40 Pfennig teurer, durfte der Verkaufspreis um 40 Pfennig steigen. Die Preise der gelagerten Waren durften bei Strafe nicht heraufgesetzt werden. Die einzige Alternative waren die Mischpreise bei gleicher Ware. Hier durfte lagernde Altware und hereinkommende Neuware zu einem gemeinsamen Preis verkauft werden. Je höher die Preisunterschiede jedoch waren, desto schwieriger war die gemischte Kalkulation. So gingen viele Händler dazu über, Lagerware zum Lagerpreis und Neuware zum Neupreis zu verkaufen.999 Damit wurden Produzenten und Verteiler ungleich behandelt – zugunsten der Erhaltung der Kaufkraft der Konsumenten. Der Einzelhandel war damit auf fair kalkulierende Zulieferbetriebe aus der Textil- und Bekleidungsindustrie angewiesen. Auf beiden – Lieferanten und Abnehmern – lastete damit enormer politischer Druck, sich in der Frage der Einheitskonditionen nach jahrzehntelangem Streit anzunähern. Den ersten Schritt machte der im Oktober 1933 zwangsfusionierte „Reichseinheitsverband der Deutschen Tuchindustrie“, der sich auf ein einheitliches Konditionenkartell festlegte.1000 Den entscheidenen Impuls gab die Vereinigung der Leitung der Bekleidungsindustrie und des Textileinzelhandels in der Hand von Herbert Tengelmann zum Oktober 1933. Nach den Worten Tengelmanns dokumentiere diese Personalunion, „dass Lieferanten und Abnehmer nicht nur aufeinander angewiesen, sondern auch in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden sind“. Tengelmann kritisierte in militärischer Diktion die Weimarer Verhältnisse, in der sich die Beziehungen zu „Gefechtshandlungen auswuchsen“, denn nur „um Mitglieder bei der Stange zu halten, mussten Vorteile herausgeholt bzw. Forderungen abgewehrt werden, auch dann, wenn

Die Ergänzungen erfolgten am 21. Dezember 1934, eine Erweiterung am 26. April 1935, siehe Konf, Die neuen Bestimmungen Dr. Goerdelers für die Textilwirtschaft, 3.1.1935; Konf, Preisgestaltung im Textileinzelhandel, 23.1.1935. 999 Konf, Die Preisregelung im Einzelhandel, 12.12.1934. 1000 DK, Reichseinheitsverband der deutschen Tuchindustrie, 13.10.1933. 998

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man jene für unbillig oder diese für vertretbar hielt“. Tengelmann diktierte ein Ende dieser „vertragslosen Zustände“, in dem eine „für den Lieferanten notwendige und für den Abnehmer tragbare Kondition“ vereinbart werden sollte, „mit dem Ziel, diese so vereinbarte Kondition dann aber auch durch beide Teile mit allen Mitteln zu schützen“. Konkret forderte Tengelmann „Einheitsbedingungen für die gesamte Bekleidungsindustrie“, ferner die Abschaffung aller Sonderrabatte zulasten der Kleinbetriebe sowie die „Bekämpfung der Preisschleuderei und des unlauteren Wettbewerbs“.1001 Implizit sollte letztlich die Vertragsfreiheit der Textilbranche erheblich beschnitten werden. Doch den Worten folgten zunächst wenige Taten. Noch im Frühjahr 1934 hatte jeder Verband seine eigenen Liefer- und Zahlungsbedingungen, deren Zahl in die hunderte ging. Im April einigte sich der Reichsbund des Textil-Einzelhandels nach sehr schwierigen Verhandlungen auf reichsweit geltende „Einheitsbedingungen der Deutschen Bekleidungsindustrie“. Damit endete eine fortdauernde Auseinandersetzung seit der Industrialisierung der Lieferantenbetriebe. Die Regelungen basierten auf den Einheitskonditionen der Textilindustrie und definierten nun einheitliche „Rahmenbedingungen für alle Sparten der Bekleidungswirtschaft“. Für eine Übergangszeit und für einzelne Sparten galten daneben noch Übergangs- und Zusatzbedingungen, da es auch den gleichgeschalteten Verbänden nicht gelang, eine schematische Regelung für die streng heterogene Branche zu finden. Insgesamt konnte sich der Einzelhandel nicht beschweren. Insbesondere in der Frage der Verpackungskosten musste die Bekleidungsindustrie zurückstecken, die auf die vielen Einzelbestellungen des Handels verwies. Auch konnte der Handel durchsetzen, dass nun auch Wechsel als Barzahlung bei Zahlungsziel I (Eilskonto) anerkannt wurden, allerdings durfte der Lieferant entscheiden, ob und wieviele Wechsel er anahm. Nicht durchsetzen konnte sich der Handel bei den Zahlungszielen. Hier trat für die Mehrheit der Branchen eine Verkürzung ein. Letztlich empfanden Industrie und Handel die politisch verordneten „Einheitskonditionen“ mehr als Fluch denn als Segen.1002 So sah sich Tengelmann gezwungen, öffentlich zu versichern, dass „an diesen Konditionen nicht gerüttelt wird“ und drohte im Oktober 1934 offen: „Ich muss mit Besorgnis feststellen, dass es in der Industrie Kreise gibt, die der Auffassung sind, dass aus der Einheitskondition der Industrie nur Rechte zustehen [ ]. Ich möchte in aller Freundschaft warnen, die Einheitskondition umzubiegen. Es kommt auch einmal die Zeit, in der die Industrie in der Hinterhand ist. Sie können sich darauf verlassen, dass der Reichsbund es niemals zulassen wird, dass EH die Industrie ausnutzen. Darum wollen wir auch hoffen und dafür sorgen, der der EH sich nicht vergewaltigt vorkommt“.1003

1001 1002 1003

DK, Industrie und Handel in der Bekleidungswirtschaft, 10.11.1933. DK, Neuordnung der Deutschen Bekleidungswirtschaft, 25.4.1934. DK, Die Tage von Königsberg, 3.10.1934.

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Tatsächlich brach das oktroyierte Kunstprodukt „Einheitskondition“ bereits ein Jahr später in sich zusammen – konnte es doch die jahrzehntealten Grabenkämpfe zwischen Zulieferer und Abnehmer nicht einfach per Dekret beenden. Anfang Mai 1935 kündigte der Reichsbund des Textileinzelhandels Teile des Abkommens über die Einheitskonditionen der Bekleidungsindustrie einseitig auf. Hintergrund war die durchgesetzte Zahlungszielverkürzung auf 60 Tage. Die Einzelhändler forderten angesichts eigener Liquiditätsengpässe und des schlechten Wintergeschäftes eine Rückkehr zum 90-Tage-Zahlungsziel. De facto waren die Einheitskonditionen damit gebrochen. Bemerkenswerterweise sprang der gleichgeschaltete „Konfektionär“ der Bekleidungsindustrie in dieser Frage zur Seite und verlautbarte den behördlichen Standpunkt, dass die Misere des Einzelhandels nicht Ausdruck der Konditionen, wohl aber der eigenen Strukturen sei, da diese „qualitativ reinigungsbedürftig und quantitativ übersetzt seien“. Sich der politischen Unterstützung gewiss, regierte der Reichsverband Bekleidungsindustrie mit dezidierten Abwehrmaßnahmen, etwa der Veröffentlichung einer schwarzen Liste und damit einer öffentlichen Ächtung des Händlers, der sich auf den vertragslosen Zustand berief. Zwischen Frühjahr und Sommer 1936 einigten sich Abnehmer und Lieferanten unter massivem politischem Druck auf eine „Neufassung“ der Einheitsbedingungen. Tatsächlich blieben die Regelungen, die für Abschlüsse ab dem 27. April 1936 galten, die vom April 1934: Preisvorbehalte, Preisänderungen und Sonderrabatte blieben unzulässig, das maximale Zahlungsziel lag bei 60 Tagen. Im Juli 1936 legten Bekleidungsindustrie und Handel ihre letzten Streitigkeiten bei – übergroße Preisunterschiede zwischen Abnehmern wurden beseitigt und die mittelständischen Einkaufsvereinigungen waren nun dem Großhandel gleichgestellt.1004 Letztlich blieben die Kondition ein „heißes Eisen“ und ein immerwährender Schwelbrand zwischen Lieferanten und Abnehmern, der sich je nach konjunktureller Lage entzünden konnte. Auch gleichgeschaltete Verbände oder die Personalunion Tengelmanns konnten hier nur maßregelnd eingreifen. Noch im Juli 1939 berichtete die „Textil-Woche“ eher verklausulierend über die „erfolgreiche und reibungslose Zusammenarbeit“ zwischen den Wirtschaftsgruppen Bekleidungsindustrie und Einzelhandel, um schließlich einzugestehen, dass eine „gewisse Anspannung und Erschwerung“ durch „Hast und Nervosität“ auf beiden Seiten weiter bestehe.1005 Anders als Lieferanten waren Einzelhändler hinter ihren Ladentischen direkt den Kunden und damit der Öffentlichkeit ausgesetzt. Nicht Lieferantenpreise, sondern Verbraucherpreise waren sichtbar und gerieten damit in die Kritik. Bereits im Frühjahr 1935, in der Phase der brüchigen Einheitskonditionen, standen die Händler im wiederkehrenden Dilemma zwischen „Schleuderpreis und Wucher“, zwischen der Erwartungshaltung der Politik, den Kunden sowie ihrer Lieferanten. Der „Konfektionär“ Konf, 60 oder 90 Tage, 16.5.1935; Konf, Einheitsbedingungen der deutschen Textilindustrie, 30.4.1936; Konf, Was hat sich geändert?, 7.5.1936; Konf, Rabatte und Zahlungsziele, 23.7.1936. 1005 TexW, Zwischenbilanz der Herrenkleidung, 29.7.1939. 1004

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beschrieb die Zwangslage: Etweder kalkuliere der Händler zu niedrige Warenpreise zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung (Umsätze für hohe Löhne) oder er kalkuliere zu hohe Preise zu Lasten der konsumierenden Bevölkerung (niedrige Verkaufspreise). In der Praxis war der „angemessene“ oder „gerechte“ Preis jedenfalls nicht einfach der niedrigste Preis als Ergebnis der „richtigen Kalkulation“. Im Sinne der HDE sollte der Einzelhandel „nur in folgerichtiger Betriebswirtschaft den Waren [geringe Kosten zurechnen], die geringe Ansprüche an die Verkaufsleistung stellen und geringere Mode- und Geschmacksrisiken tragen, den anspruchsvolleren Waren aber höhere Kosten [zurechnen]“.1006

Mit dem Spinnstoffgesetz vom 6. Dezember 1935 (SpG) ersetzte die Preisüberwachungsbürokratie die bisher geltende Faserstoffverordnung. Die Kalkulations- und Preisvorschriften für den Einzelhandel blieben durch die neue Grundlage im Kern unverändert. Mit dem Aufbau der Vierjahresplanbürokratie ab Oktober 1936 wurden die Befugnisse und die Reichweite der Preisüberwachungsbürokratie zentralisiert und erweitert. Hatte der „alte“ Reichskommissar das Mandat, Preissteigerungen zu überwachen, so bekam das neue Reichskommissariat unter dem schlesischen Gauleiter Josef Wagner Ende Oktober 1936 preisbildende Kompetenzen. Wagner war für die gesamte Preisbildung im in- und ausländischen Waren- und Güterverkehr zuständig mit dem Ziel der „Sicherung volkswirtschaftlich gerechtfertigter Preise“.1007 Bestimmend für die Arbeit von Wagner war seine Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen vom 26. November 1936. Dieser allgemeine „Preisstopp“ bezog sich auf Preiserhöhungen aller Art auf allen Gebieten und galt ab dem 1. Dezember 1936. Die Durchführungsbestimmungen regelten wiederum Ausnahmen, die im Falle „volkswirtschaftlicher Notwendigkeit“ oder zur „Vermeidung von Härten“ vorgesehen waren. Ein Preisüberwachungsapparat prüfte sämtliche Preisbindungen zwischen Abnehmern und Lieferanten, indem dieser detaillierte Untersuchungen über Produktion und Absatz eines jeden Gewerbezweiges anstellte. Daraufhin konnten konkrete Preis- und Kalkulationsvorschriften für jedes Gewerbe erlassen werden. Waren Preiserhöhungen unvermeidlich, musste sich die Wertschöpfungskette die Erhöhung teilen oder durch angeordnete Rationalisierung die Geschäftskosten versuchen zu senken.1008 Für den Textileinzelhandel galt der „Preisstopp“ ebenfalls ab dem 1. Dezember 1936 rückwirkend zum 18. Oktober 1936. Alle Textilwarenpreise, die den Preisstand vom 1. Dezember 1936 überschritten, mussten auf diesen Stand gesenkt werden. Weiter war eine Umgehung des Preiserhöhungsverbots durch Qualitätsverschlechterung untersagt, ebenso wie eine Veränderung der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen zum Konf, Zwischen Schleuderpreis und Wucher, 6.3.1935. Blank, Ralf: Gauleiter der NSDAP im Ruhrgebiet – Josef Wagner (1899–1945), unter http://www. historisches-centrum.de/index.php?id=282, Stand: 5.11.2014. 1008 Konf, Das Preis-Provisorium, 11.12.1936. 1006 1007

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Nachteil des Abnehmers.1009 Die Kalkulationsvorschriften des Spinnstoffgesetzes blieben in Kraft. Weiterhin galt der Referenzpreis vom März 1934. War kein Referenzpreis mangels Aufzeichnung oder Buchhaltung ermittelbar, durfte als Verkaufspreis nur der Selbstkostenpreis zuzüglich einer Kapitalverzinsung kalkuliert werden. Preiserhöhungen waren nur zulässig, wenn der Händler eine Erhöhung der Rohstoffpreise oder seiner Lohnkosten (Lohn, Gehalt, Sozialversicherung) nachweisen konnte. Alle Einzelhandelbetriebe wurden erneut zur Buchhaltung und Kostenrechnung gesetzlich verpflichtet – vermutlich weil die Branche weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war.1010 Einschneidend für Textilverkauf waren die Anpassungen der Bezeichnungsgrundsätze für Wolle und Baumwolle vom 9. Oktober 1936. Im Zuge der Vierjahresplanziele Mobilisierung und Aufrüstung hielten Ersatz- und Kunstoffe verstärkt Einzug in die Textilwirtschaft. Um der gesteigerten Produktion an textilen Kunstfasern einen entsprechenden Verbrauch zu sichern, sollte der Textileinzelhandel diese „neuen Spinnstoffe“ in Werbung, Beratung und Service gegenüber der Kundschaft propagieren. Fabrikanten und Händler hatten bis dahin Stoffe und Kleider aus „reiner“ Wolle oder Baumwolle als Qualitätsmerkmal beworben. Die Verbände sahen dadurch die Gefahr, „dass die unter Verwendung von Kunstseide und Zellwolle hergestellten Stoffe in ihren guten Qualitätseigenschaften herabgesetzt werden und die Durchführung des nationalen Spinnstoffplanes erschwert werden könnte“. Künftig waren Bezeichnungen wie „rein“, „garantiert“ oder „verbürgt“ werbemäßig untersagt. Hinweise, die auf ausländische Rohstoffe hindeuteten (wool, cotton, laine, englische Ware, usw.), waren gegenüber dem Verbraucher zu unterlassen. Die neuen Bezeichnungsgrundsätze definierten Woll- und Baumwollwaren einfach neu. Als Woll- und Baumwollwaren konnte nun auch Kleidung verkauft werden, die einen Anteil von bis zu 20 Prozent (Wolle) bzw. 25 Prozent (Baumwolle) an künstlichen Spinnstoffen (Kunstseide, Zellwolle) enthielt.1011 6.2.3

Geschäftslage

Wie wirkten sich Konjunktur und Regulierung bis 1939 auf den konkreten Geschäftsalltag nicht-jüdischer Geschäfte im Textileinzelhandel aus? Im Folgenden soll versucht werden, anhand der Berichterstattung in den Fachzeitschriften und den MonatsberichTexW, Das Preiserhöhungsverbot für Textilwaren, 11.12.1936. Bei Nichtbefolgung drohten zwei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe bis zu 10.000 RM oder ultimativ der Lizenzentzug, siehe TexW, Richtig kalkulieren!, 20.11.1936; TexW, Grundsätze der Preisbildung, 25.6.1938. 1011 Vgl. Rundschreiben an alle Mitgliedsfirmen des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels betr. Bezeichnungsgrundsätze der Spinnstoffwirtschaft für Wolle und Baumwolle und Waren vom 9. Oktober 1936, o. D., abgedruckt in TexW, Neues Warenbild – neue Warenbezeichnung, 9.10.1936; TexW, Bezeichnung von Spinnstoffen, 9.10.1936. 1009 1010

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ten der bayerischen Industrie- und Handelskammern Branchentrends zu identifizieren und miteinander abzugleichen. Diese Berichte sind trotz ihrer gleichgeschalteten Redaktionen nicht zu unterschätzen, denn fernab offizieller Verlautbarungen finden sich implizite wie explizite Hinweise auf detailliertes Geschäftsgebahren und -verläufe. Im Frühjahr 1932 stellten sich Paul von Hindenburg, Ernst Thälmann und Adolf Hitler der Reichspräsidentenwahl. Für Otto Kitzinger, den Syndikus des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung, war die bevorstehende Wahl eine mit eindeutig wirtschaftspolitischem Schwerpunkt. Hindenburg, so mutmaßte Kitzinger, stehe für eine „Fortsetzung der Wirtschaftspolitik auf dem Wege der Notverordnungen“, während Hitler für eine „Wandlung der Wirtschaftspolitik auf noch unbekannten Wegen zu unbekannten Zielen“ eintrete und der dritte Kandidat Thälmann die „Umstellung zum kollektivistischen Staatskapitalismus“ bedeute.1012 Die Fachorgane des Textileinzelhandels spürten spätestens nach den deutlichen Stimmengewinnen der NSDAP bei der bayerischen Landtagswahl im April 1932 ein wachsendes Bedürfnis nach wirtschaftlicher Radikalität im Wahlvolk. Die „Deutsche Konfektion“ zeigte Verständnis für das mittelständische Unternehmertum. Dessen „Schwenk nach rechts“ sei Folge „demagogische[r] Versprechungen“. Diese fielen auf fruchtbaren Boden, da „weite Kreise des Einzelhandels durch die wirtschaftliche Entwicklung in schwere Sorgen gestürzt worden [sei]“. Die „maßlose Expansion der Großkonzerne“ habe „viel Verbitterung“ hervorgerufen. Dem Fachblatt zufolge hatten „zahllose kleine Einzelhändler, die mit Frau, Kindern und Anverwandten ein Millionenheer bilden, rechtsradikal gestimmt, nicht eben weil ihre politische Weltanschauung sie dahin zog, sondern weil sie hier Schutz gegen eine weitere Ausdehnung der Riesenbetriebe zu finden hoff[t]en“. Trotz all dem gelte für den Textileinzelhandel, dass trotz der radikalen politischen und wirtschaftlichen Programmatik der NSDAP „nichts so heiß gegessen wie gekocht“ werde. Nach dem Ende des Kabinetts Brüning und der Einsetzung der Regierung Papen am 1. Juni 1932 warnte die „Deutsche Konfektion“ die Textilbranche trotz der „politischen Vertrauenskrise“ vor einer „nervösen Überschätzung politischer Vorgänge“. Vielmehr sei nun eine „Entpolitisierung notwendig“, denn sonst führe die „wirtschaftliche Hypochondrie“ zu einem „Selbstmord aus Furcht vor dem Tode“. Man beruhigte sich in Fachkreisen damit, dass jede Regierung schließlich dem Mittelstands-Artikel der Reichsverfassung (§ 164) verpflichtet sei.1013 Mit dem Reichskabinett Adolf Hitlers verbanden sich für die „Deutsche Konfektion“, wie für weite Teile der Bevölkerung, zwei Wünsche – dem nach „Stetigkeit“ und Ruhe in der Politik und Wirtschaft und der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Dem 25-Punkte-Programm der NSDAP maß das Blatt allerdings wenig Durchschlags-

1012 1013

DK, Verschärfte Sicherung gegen unlauteren Wettbewerb, 18.3.1932. DK, Schwenkung nach rechts, 29.4.1932; DK, In der Furcht liegt die Gefahr, 3.6.1932.

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kraft im politischen Prozess bei. Denn „wenn man in Versammlungen spricht oder am Schreibtisch sitzt, lassen sich leicht Pläne zur Weltverbesserung schmieden. Aber wenn man zur Macht gelangt, gilt das Wort: Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“. Mit dem überragenden Sieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 gab die Textil-Fachpresse abrupt ihre Zurückhaltung gegenüber den Nationalsozialisten auf. So atmete der „Konfektionär“ auf, dass nun „mit klarer Mehrheit das politische System der Vergangenheit liquidiert“ war und rief seine Leser auf, „etwaige Ressentiment[s] nun beiseite zu stellen“ und „auf das Kanzlerwort [zu] vertrauen“. Fortan sollten sich „alle Einzel- und Gruppeninteressen dem großen Ziel [der Arbeitsbeschaffung und des organischen Aufbaus einer gesunden deutschen Gesamtwirtschaft] unterordnen“. Die „Deutsche Konfektion“ vertraute der Regierung Hitler, dass „alle rigorosen Eingriffe [in die Wirtschaft] unterbleiben“ und rief ihre Leser auf, nun „großzügig zu planen“ und sich so der „wärmsten moralischen Unterstützung der Reichsregierung“ sicher zu sein. So zeigte sich das gleichgeschaltete Fachblatt vom ersten Regierungsjahr unter nationalsozialistischer Führung begeistert. Durch „Disziplin, Treue, Pflicht, Kameradschaft“ habe die Regierung den schädlichen „Kampf aller gegen alle in verblüffend kurzer Zeit“ überwunden. Die aufgesetzten Arbeitsbeschaffungsprogramme wirkten und in deren Folge sank die Arbeitslosigkeit und die Industrieproduktion stieg. Im Bereich des Handels, so kommentierte die Zeitschrift, hatte sich in den letzten Jahren „der freie Unternehmer selbst des Rechts eigener Verantwortung und eigener Initiative entäußert“. Die neue „Wettbewerbsmoral“ des Nationalsozialismus sollte an die Stelle einer freien Wirtschaft treten und der „Übermacht der Warenhäuser“ Grenzen ziehen. So schloss die „Deutsche Konfektion“ mit dem Versprechen: „Die gefährlichsten Klippen liegen hinter uns, die Fahrt geht ins Freie [ ] Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag“.1014 Tatsächlich konnte der Reichsverband Herren- und Knabenkleidung im Juni 1933 von ersten Umsatzsteigerungen berichten, nachdem sich die Umsätze sowohl wertwie mengenmäßig seit dem Sommer 1930 ununterbrochen auf Talfahrt befunden hatten. Diese Entwicklung war regional uneinheitlich – der Norden, Nordwesten und Sachsen entwickelten sich deutlich positiver als etwa Berlin und der Osten des Reiches. Der Verband sah den Grund dieses partiellen Aufwärtstrends zum einen als einen Vertrauensbeweis des Publikums in die „Tatkraft der Reichsregierung“, zum anderen als Ausdruck des Nachholbedarfes der verarmten Bevölkerung in Folge der Weltwirtschaftskrise. Viele besaßen nur einen Anzug, der oftmals eher einem „geflickten Fetzen“ gleichkam. Der Verband kam zu dem Schluss: „Der Kleiderschrank von Millionen erwerbsloser Volksgenossen steht leer!“. Damit bestand die Aufgabe des

DK, Einzelhandel und Regierung, 3.2.1933; Konf, Mitarbeiten!, 15.3.1933; DK, Jahresbericht 1932,12.5.1933; DK, Ein Jahr Nationalsozialismus, 31.1.1934. 1014

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Handels darin, die neu eingegliederten Arbeiter und Angestellten mit qualitativ guten Waren zu versorgen.1015 Dieser beobachtete überregionale Aufwärtstrend – Umsatzsteigerungen und hoher Bedarf – zeigte sich auch in den Berichten der Industrie- und Handelskammern. Die IHK Bayreuth berichtete nach einem mäßigen ersten Quartal 1933 von deutlichen Umsatzsteigerungen im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch im IHK-Bezirk Bayreuth lag die Besserung darin begründet, dass die Bevölkerung an eine Besserung der Lebensverhältnisse glaubte. Entscheidend war auch die systematische antisemitische Stimmung, die seit März 1933 zur Kundenwanderung von jüdischen zu christlichen Geschäften führte. Dieser Trend setzte sich auch im dritten Quartal fort. Die Umsatzsteigerungen der „arischen“ Firmen waren auf Kosten der jüdischen Geschäfte entstanden.1016 Dies spiegeln auch die ersten offiziellen Meldungen über das Weihnachtsgeschäft 1932 und 1933 wider, die einen Umsatzeinbruch bei (oft jüdischen) Warenhäusern und Großbetrieben gegenüber mittleren (meist nicht-jüdischen) Fachgeschäften dokumentieren (Tabelle 70). Der Rückgang im Textileinzelhandel war weniger eindeutig und stark als in anderen Branchen. Die Textilabteilungen der Warenhäuser meldeten vergleichsweise geringe Verluste (minus 4,5 Prozent), während Kaufhäuser ihr Umsatzniveau halten konnten. Textilfachgeschäfte profitierten deutlich (plus 15 Prozent). Tab. 70 Umsätze nach Betriebsform (Einzelhandel), Dezember 1932 und Dezember 19331017 Fachgeschäfte

Warenhäuser

Kaufhäuser

Textilien & Bekleidung

15,0 %

-4,5 %

0,6 %

Hausrat & Möbel

25,0 %

-7,8 %

3,0 %

Nahrungs- und Genussmittel

-3,6 %

-22,2 %

k. A.

Anmerkungen: Angaben als Veränderung zwischen Jahren 1933 und 1932.

Das Jahr 1934 stand zum Jahresanfang im Zeichen der bereits im Vorjahr prognostizierten Nachholkonjunktur. Bis 1933 lagen die Umsätze in Damenmode stets höher als in Herrenmode. Dieser Trend kehrte sich infolge der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erstmals 1934 um. Die Herrenkonfektion meldete eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr von 24 Prozent, die Umsatzsteigerung der Damenkonfektion betrug elf Prozent. Dabei blieben die regionalen Unterschiede bestehen. Während sich der Textileinzelhandel vor allem in Süddeutschland gut entwickelte, meldete der Osten schlechtere Ergebnisse. Im Herbst 1934 mehrten sich Berichte über eine sechswöchige „Hamsterwelle“ oder „Hamsterlawine“. Der Einzelhandel zeigte sich von der naDK, Umsatzentwicklung in der Herrenkonfektion, 25.8.1933. Vgl. Wirtschaftslage Bayreuth 1933, BWA K8/1379. Aufstellung nach DK, Warenhäuser und Fachgeschäfte vor und nach der nationalsozialistischen Revolution (Veröffentlichung Pressestelle NS.HAGO), 4.4.1934. 1015 1016 1017

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hezu ungebremsten Nachfrage beunruhigt. Immer wieder begründeten Verbraucher ihre umfangreichen Einkäufe mit der Sorge vor einer Verknappung der Rohstoffe und der Notwendigkeit, „sich vorher rechtzeitig mit genügend Ware zu versorgen“. Die Leistungsfähigkeit der Bekleidungsindustrie erreichte in diesen Wochen ihre Grenze. Über das gesamte Jahr gesehen stiegen die (mengenmäßigen) Umsätze des Textileinzelhandels deutlich gegenüber 1933. Der Textileinzelhandel setzte etwa zehn Prozent mehr Waren als im Vorjahr ab. Die über das Jahr gestiegenen Rohstoffpreise belasteten allerdings die Erträge des Handels deutlicher als im Vorjahr. Die Geschäfte meldeten zudem nur eine leichte Zunahme der Kundenzahlen (+4,7 Prozent), die deutlich hinter der Umsatzsteigerung zurückblieb. Der Kaufbetrag pro Kunde hatte sich durch die Nachfrage nach besseren Qualitäten erhöht, wovon besonders Kleiderstoffgeschäfte profitierten.1018 Zu Jahresbeginn 1935 hielten die neu gebildeten Reichsfachgruppen Herren- und Knabenkleidung sowie Damen- und Mädchenkleidung eine gemeinsame Mitgliederversammlung ab. In seiner Rede betonte der Damenmodefachgruppenführer G. R. Müller die ausreichende Warenversorgung des Handels mit „genügend guten Qualitäten“ bis in die Wintermonate hinein. Der Fachgruppenführer der Herrenkonfektion Dr. Ley bescheinigte ebenfalls „keine akuten Rohstoffschwierigkeiten“ und „teilweise übergroße Lagervorräte“. Der Textil- und Bekleidungsindustrie war es zum Jahresende 1934 gelungen, über Kompensationsgeschäfte die Rohstoffbeschaffung zu forcieren – so gelangten südafrikanische Wollwaren im Wert von 30 Millionen Reichsmark zum Import ins Deutsche Reich.1019 Das Frühjahr 1935 stand reichsweit im Zeichen der Rückgliederung der saarländischen Textilbranche. Nachdem das Saargebiet zum 1. März 1935 dem deutschen Staatsgebiet beigetreten war, stießen ca. 3.500 Arbeiter in die Textil- und Bekleidungsindustrie hinzu und erhöhten vor allem den Produktionsausstoß in den Bereichen Wäsche sowie Herren- und Knabenkonfektion. Der saarländische Textileinzelhandel war infolge der jahrelangen Zollschranken, der Einfuhrverbote und Kontingentierung vom deutschen Textilmarkt nahezu abgeschottet gewesen. Damit waren saarländische Erzeugnisse vorerst verhältnismäßig teuer für die Verbraucherschaft im Altreich.1020 Zur Jahresmitte 1935 sah das Institut für Konjunkturforschung den Geschäftsgang im Textileinzelhandel infolge der „Hamsterwelle“ im Herbst 1934 als „gehemmt“. Diese Angstkäufe der Bevölkerung nahmen den Bedarf auf Monate vorweg und waren zum größten Teil kreditfinanziert. Der Handel litt daher unter verzögerten Zahlungseingängen und geriet gegenüber seinen Lieferanten in „erschreckendem Ausmaß“ in Zahlungsrückstand. Die saisonuntypische Witterung („verregnetes Frühjahr“) belastete zudem die Dispositionen. Hier entsprang der Streit um die Einheitskonditionen. Die Berliner Damenkonfektion meldete einen 1018 1019 1020

DK, Der Textil-Einzelhandel im Jahre 1934, 10.2.1935; TexW, Der gute Mittelweg, 30.10.1936. DK, Mitgliederversammlung der Reichsfachgruppen, 25.1.1935. Konf, Willkommen im Reich!, 16.1.1935; DK, Deutscher Textileinzelhandel an der Saar, 10.3.1935.

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20-prozentigen Umsatzrückgang im Mai 1935 im Vergleich zum Vorjahresmonat. Insgesamt hatte sich die Rohstoffversorgung infolge der gestiegenen Einfuhren „leicht entspannt“. Die Textilproduktion war größer als die Nachfrage. Die besseren Baumwollgewebe verkauften sich allerdings deutlich schlechter als erwartet. In Reaktion darauf sah der Bericht das Produktionspotenzial an „einheimischen Kunstfasern [ ] nicht im vollen Umfang umgesetzt“.1021 Zum Jahresende 1935 zog „Der Konfektionär“ eine durchmischte Bilanz der Zeit von 1933 bis 1935. Die Zufuhr ausländischer Rohstoffe war durch Zahlungs- und Clearingsabkommen teilweise stark beeinträchtigt und die Importe aus den USA und Großbritannien massiv eingebrochen. Der NS-Staat musste zunehmend auf Peripheriestaaten wie Südafrika (Wolle), Brasilien, Peru oder die Türkei (Baumwolle) ausweichen. Infolge der neuen Bezugsquellen war der Großhandelspreisindex für Textilwaren (1913 = 100) von 60,1 (1933) auf 86,1 (1935) Punkte angestiegen. Der Handel sah sich mit zunehmend steigenden Einkaufspreisen konfrontiert. Die Behörden verlangten Preisstabilität gegenüber den Konsumenten und schränkten die freie Kalkulation des Verkaufspreises zunehmend ein.1022 Der Devisenmangel forcierte die Förderung der Erzeugung heimischer Spinnstoffe – etwa durch die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Textilstoffe“ (1934/1935).1023 Der Geschäftsgang ab 1936 war zunächst – besonders in Berlin – durch die Olympischen Spiele, danach hauptsächlich durch den Aufbau der Vierjahresplanbürokratie und deren Zielen bestimmt. Obwohl auf den Großraum Berlin beschränkt, bot das Olympiajahr dem NS-Regime die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit des deutschen Einzelhandels vor der Weltöffentlichkeit zu beweisen. Die Aufbauleistungen des nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms sollten dabei auch am Beispiel des Textileinzelhandels propagandistisch inszeniert werden. Ziel war es, „der deutschen Ware eine Steigerung ihrer Weltgeltung zu sichern“ und, dass „hunderttausend von Ausländern sich mit eigenen Augen überzeugen können, dass nicht nur an den Greuelmärchen kein wahres Wort ist, sondern dass das neue Deutsche Reich vielmehr ein Hort des inneren und äußeren Friedens, ein Land von gewaltiger wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und wachsendem Wohlstand ist“.1024

Die Olympischen Spiele fanden vom 1. bis zum 16. August 1936 statt. Im Juli verhängten die Berliner Behörden ein allgemeines Verbot von Preissteigerungen. Für die Monate Juli und August galten in der Reichshauptstadt die Preise mit Stand vom 30. Juni 1936. Alle Einzelhandelsgeschäfte der Stadt mussten zwischen sieben und 21 Uhr ge-

Konf, Halbjahresbilanz der deutschen Textilwirtschaft, 4.7.1935. Etwa durch die Faserstoffverordnung vom 19. Juli 1934, die Preiserrechnungsvorschriften vom 26. April 1935 und das Spinnstoffgesetz vom 6. Dezember 1935 (löst Faserstoffverordnung ab). 1023 Konf, Die Textilwirtschaft im Jahre 1935. 1024 Konf, Prophezeiungen, 28.12.1935; TexW, Nur teilweise Umsatzsteigerungen während der OlympiaWochen, 28.8.1936. 1021 1022

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

öffnet haben, ohne die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden zu überschreiten. Die Sonntagsruhe blieb für Bekleidungsgeschäfte bestehen.1025 Der Berliner Einzelhandel profitierte sehr uneinheitlich von der Großveranstaltung. Die Berliner Händler berichteten mit Beginn der Spiele von einem starken Zustrom ausländischer Gäste. Vor allem Händler in den bekannten Einkaufsstraßen Unter den Linden und Tauentzienstraße berichteten von kräftigen Umsatzsteigerungen von 20 bis 30 Prozent. Die Großwarenhäuser im Berliner Westen und auf der Leipziger Straße übten eine hohe Anziehungskraft auf die Besucher aus. Manche Warenhäuser setzten in ihren Verkaufsabteilungen eigens Dolmetscher für Englisch und Französisch ein. Das Preisniveau deutscher Textilwaren war aus Sicht der ausländischen Kundschaft im Vergleich zu deren Heimatmarkt gering. Die Textilhäuser registrierten die höchsten Umsätze in mittleren Preislagen, da Ausländer nur über begrenzte Sperrmarkguthaben verfügen konnten. In der ersten olympischen Woche zahlten diese Kunden ausschließlich in Reichsmark, in der zweiten Woche dann auch in Devisen. Neben Sommer- und Sportbekleidung waren Mode- und Lederwaren sehr nachgefragt. Warenhäuser meldeten sehr gute Umsätze in „Krawatten, sportlichen Sachen und Westen“. Aufgrund des Regenwetters zogen auch die Verkäufe von Regenmänteln und Schirmen deutlich an. Insgesamt lief in Berlin die Damenmode besser als Herrenmode, wohl weil die Damenkonfektion mit raffinierter Werbung (Schaufenstergestaltung, Modeschauen) zielgerichteter auf die neugierige Kundschaft reagierte. Die „Olympiakonjunktur“ erfüllte sich allerdings nur für wenige große, namhafte und günstig gelegene Geschäfte. Weniger verkehrs- und besucherstromgünstige Berliner Stadtteile meldeten einen „lauen Geschäftsgang und eine Umsatzabschwächung“. Die umliegenden Gebiete Groß-Berlins profitierten so gut wie gar nicht durch Olympia. Ihnen blieb nur die Hoffnung auf die „olympische Nachkonjunktur“, bei der jene, die mit Olympia gut verdient hatten, sich in den Folgemonaten etwas leisteten.1026 Für den deutschen Einzelhandel bedeutete das Jahr 1936 letzlich eine Indienststellung gemäß der Ziele und Aufgaben der Vierjahresplanbürokratie, deren erste Grundzüge im Frühjahr 1936 bekannt wurden. Der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Dr. Fritz Wieder beschrieb den zukünftigen Beitrag eines jeden Einzelhändlers zur Planerfüllung: „Dem Handel als naturgegebener Vermittler zwischen Erzeugung und Verbrauch fällt von selbst eine überaus wichtige Aufgabe zu. [Er] hat den Strom der Erzeugung aufzufangen und zu lenken, seine Rückwirkungen aufzunehmen und wieder an die Erzeugung zurückzuleiten“.1027 TexW, Preissteigerungen während der Olympischen Spiele in Berlin verboten, 10.7.1936; TexW, Ladenschluss während der Olympischen Spiele, 31.7.1936. 1026 TexW, Nur teilweise Umsatzsteigerungen während der Olympia-Wochen, 28.8.1936; TexW, Der Aufschwung im Textilgeschäft, 21.8.1936. 1027 Vgl. Artikel „Der Einzelhandel im Vierjahresplan“, o. D., BA R8034-II/3573. 1025

Geschäfte im Frieden

Für diese Konsumlenkung im nationalsozialistischen Sinne sollte der Einzelhändler als „geborener Propagandist“ die Kunden aufklären und deren Nachfrage in Zusammenarbeit mit den Vorlieferanten „von knappen Gütern zu Überflussgütern“ lenken. Verbrauchslenkung und Rohstoffersparnis standen im Mittelpunkt des Beratungsund Verkaufsgespräches. Einheimische Textilrohstoffe und Kunstfasern wie Zellwolle und Kunstseide sollten den Ruf von bloßen „Ersatz-Waren“ loswerden. Der Handel sollte den Verbraucher vor dem Hintergrund der angespannten Devisen- und Rohstofflage zur Sparsamkeit und dem Recycling von Altmaterial ermutigen. Zellwollhaltige Gewebe oder Kunstfasertextilien machten ab Herbst 1936 einen immer größeren Teil der Musterungen und Dispositionen im Textilhandel aus, auch weil Textil- und Bekleidungsindustrie die Fabrikation der Kunstfasergewebe und die Stoffbeimischungen professionalisierten.1028 Das Bild der offiziellen Statistik stellte sich also derart da: Mit dem konjunkturellen Aufschwung in Bezug auf Arbeit und Einkommen und der „Hamsterwelle“ setzte im Jahr 1934 ein signifikanter Aufschwung ein. Dieser Aufschwung verlor 1935 an Dynamik. Der Umsatz im Textileinzelhandel stagnierte. Diese „Absatzstockung“ betraf alle Branchen – konfektionierte Ware lag „wie Blei im Lager“. Mit Ende des Olympiajahres 1936 steigerten sich die Einzelhandels- und Bekleidungsumsätze wieder. Der Einzelhandelsumsatz und der Umsatz im Konfektionshandel lagen 1936 wieder knapp auf dem Niveau von 1931. Bis 1939 stiegen die Umsätze stetig. Einschränkend ist zu bemerken, dass die Umsätze seit Ende 1936 zwar wertmäßig wegen der erhöhten Kaufkraft und der höheren Preise angestiegen waren, die Umsätze mengenmäßig dahinter aber zurückblieben. Denn zwischen 1936 und 1938 stiegen die Einzelhandelspreise für Bekleidung und Textilien überdurchschnittlich um drei bis vier Prozentpunkte an, da sich die Großhandelspreise für Konfektionswaren im selben Zeitraum deutlich verteuerten.1029 Schaut man auf die Verbraucherpreise für Textilien und Bekleidung von April 1933 bis April 1939, so stiegen diese im Vergleich zu Nicht-Textilien (Maschinen, Hausrat) stark überdurchschnittlich. Während die Verkaufspreise für Wäschestoffe zwischen 1933 und 1938 um etwa 15 Prozent stiegen, mussten die Verbraucher für Kleidung, Schuhe und Wirkwaren mehr als ein Drittel mehr zahlen als noch fünf Jahre zuvor (Tabelle 71).

TexW, Der Aufschwung im Textilgeschäft, 21.8.1936; Artikel „Verbrauchslenkung und Rohstoffersparnis im Einzelhandel“, 9.6.1937, BA R8034-II/3573. 1029 Genaue Aufstellung der Großhandelspreise und Einzelhandelspreise, 1936 bis 1938 unter „Das deutsche Preisgefüge unter dem Einfluß der Weltmarktschwankungen“, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 13. Jg. 1938/39, Heft 3, S. 338; siehe ansonsten TexW, Der gute Mittelweg, 30.10.1936; TexW, Lernt aus der Statistik, 2.10.1936; Konf, Der Einzelhandel unter dem Spinnstoffgesetz, 27.11.1936; TexW, Fünfjahresbilanz des Textil-Einzelhandels, 5.2.1938. 1028

343

344

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 71 Preisentwicklung in industriellen Fertigwaren, April 1933 bis April 19391030 Gruppen

April 1933

April 1938

April 1939

Maschinen

123,2

121,1

121,2

Hausrat

103,5

113,3

113,9

Gardinen

118,3

148,1

151,2

Hauswäsche

124,1

139,2

138,9

Kleidung und Schuhzeug

112,2

147,8

147,4

Textilwaren mit Stoffen

115,8

153,9

153,4

Männeroberbekleidung

126,9

174,3

173,7

Frauenoberbekleidung

105,1

143,2

145,3

Stoffe

118,0

156,3

152,4

Leibwäsche

111,2

125,0

127,0

Wirkwaren

113,0

148,6

146,4

Schuhzeug

90,4

110,4

110,4

Anmerkungen: 1913 = 100, lfd. Preise.

Dieser Preisanstieg in Textilien und Bekleidung drückte sich auch in der Entwicklung der Lebenshaltungskosten aus. Während die Lebenshaltungskosten zwischen 1933 bis 1938 um 6,4 Prozentpunkte stiegen, stiegen die Ausgaben der Bevölkerung für den Posten „Bekleidung“ um 14 Prozentpunkte, und damit noch dynamischer als die Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel. Selbst als die Lebenshaltung zwischen 1938 und 1939 in allen erhobenen Bereichen stabil blieb, stiegen die Bekleidungskosten für die Verbraucher um zwei Prozentpunkte (Tabelle 72). Tab. 72 Lebenshaltungskosten, 1933 bis 19391031 Lebensbereich

1933

1938

1939

Gesamt

76,6

83,0

83,2

Ernährung

72,3

80,7

80,7

Wohnung

95,5

95,5

95,5

Heizung und Beleuchtung

91,0

89,8

89,6

Bekleidung

62,7

76,7

78,8

Verschiedenes

82,5

83,0

82,7

Anmerkungen: aus 72 Gemeinden, jeweils April, 1928/30 = 100, lfd. Preise.

Aufstellung nach „Preisentwicklung der industriellen Fertigwaren“, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 14. Jg. 1939/40, S. 62. 1031 Aufstellung nach Lebenshaltung in 72 Gemeinden, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 14. Jg. 1939/40, S. 63. 1030

Geschäfte im Frieden

6.2.4

Umsätze und Marktanteile in der Vorkriegszeit

Analog zu Kapitel 5.3 soll im Folgenden versucht werden, die Umsatzbewegungen des Textileinzelhandels zusammenfassend darzustellen. Für die Zeit des „Dritten Reiches“ sind absolute Angaben zu Umsätzen sehr verstreut und uneinheitlich und spätestens mit Kriegsbeginn kaum verlässlich darzustellen. Die meisten Aufstellungen nutzen Umsatz-Indizes, etwa die Statistischen Jahrbücher für das Deutsche Reich für die Jahre 1933 bis 1935 (Indexjahr 1928 = 100) sowie für die Jahre 1936 bis 1940 (Indexjahr 1932 = 100).1032 Ausgehend von den absoluten Umsatzwerten für den Einzelhandel und dem textilen Fachhandel für die Jahre 1928 und 1932 wurden die Indizes der Jahrbücher für dieses Kapitel umgerechnet. Absolute Angaben zu Umsätzen des Einzelhandels und des Handels mit Bekleidung und Textilien (Fachhandel) finden sich bei Tiburtius (1935) für die Jahre 1933 und 1934 sowie in den Vierteljahresheften für Wirtschaftsforschung für die Jahre 1933 bis 1938.1033 Bei abweichenden Angaben für das betreffende Jahr wird der einfache (ungewichtete) Mittelwert gebildet, alle Werte werden auf eine Nachkommastelle gerundet. In laufenden Preisen ergibt sich demnach folgendes Bild für den Einzelhandel und textilen Fachhandel (Tabelle 73): Der betrachtete (Friedens-)Zeitraum zeigt ein starkes Anwachsen der Umsätze. Die Zeit zwischen 1933 und 1939 kann als RekonstrukFür die Jahre 1928 bis 1932 (Monatsdurchschnitte) siehe monatliche Aufstellungen Januar 1930 -Juli 1933, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1934 (Band 1933), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1933 (MD) und Jan 1931 -Juli 1934, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1935 (Band 1934), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 333–335; 1930 bis 1934 (MD) und Jan 1932 -Juli 1935, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1936 (Band 1935), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 343–344; 1931 bis 1935 (MD) und Jan 1935 -Juni 1936, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1937 (Band 1936), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 362 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1933 bis 1936 (MD) und Jan 1936 -Juni 1937, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1938 (Band 1937), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 374–375 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1935 bis 1937 (MD) und Jan 1937 -Juni 1938, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1939 (Band 1938), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 394– 395 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung); 1936 bis 1939 (MD) und Juli 1938 -Juni 1940, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1940 (Band 1939), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 413–414 (nach Zahlen des Institutes für Konjunkturforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit); 1937 bis 1940 (MD) und Juli 1939 -Juni 1941, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1943 (Band 1941/42), X. Verbrauch, Wirtschaftsrechnungen, Umsatz, C. Umsatz, Umsätze im Binnenhandel, b. Einzelhandel, S. 453–454 (nach Zahlen des Institutes für Wirtschaftsforschung sowie der Forschungsstelle für den Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftslichkeit), alle abgerufen unter https://www.digizeit schriften.de/dms/toc/?PID=PPN514401303, 8.2.2016. 1033 Vgl. Tiburtius (1935), S. 579 f.; Symptome der Verbrauchsentwicklung, VjHefte zur Wirtschaftsforschung, 13. Jg. 1938/39, S. 39; VjHefte zur Wirtschaftsforschung, 14. Jg. 1939/40, S. 19. 1032

345

346

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 73 Umsatzentwicklung (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1933 bis 1940 Jahr

Einzelhandel

Bekleidung & Textilien

Textil am Einzelhandel

1933

21,7

5,8

26,4 %

1934

24,1

6,7

27,9 %

1935

25,2

6,8

27,1 %

1936

27,8

7,6

27,2 %

1937

30,6

8,7

28,3 %

1938

33,5

9,8

29,3 %

1939

37,0

10,7

28,9 %

1940

34,9

9,9

28,4 %

Anmerkungen: in Mrd. Reichsmark, lfd. Preise; Die Angaben zum Einzelhandel umfassen (vermutlich) sämtliche Betriebsformen, die Angaben zum Textileinzelhandel umfassen (vermutlich) nur den Fachhandel, also keine Großbetriebsformen (Warenhaus, Konsumverein) oder neue Absatzformen (Versandhandel, Hausierhandel, Einheitspreisgeschäft).

tionsphase gelten, in der es dem Einzelhandel und dem textilen Fachhandel gelang, seine Umsatzhöhe von 1928 zum Jahresende wieder zu erreichen und sogar leicht zu übertreffen. Die Einzelhandelsumsätze steigen bis 1939 um knapp 71 Prozent auf 37 Mrd. Reichsmark, während die Textileinzelhandelsumsätze im selben Zeitraum um 84 Prozent auf knapp elf Mrd. Reichsmark steigen. Erst der Kriegsbeginn wirkte deutlich negativ auf die Umsatzentwicklung. Bereits 1937 hatte der Textileinzelhandel mit einem Umsatzanteil von über 28 Prozent sein Gewicht innerhalb des Einzelhandels wiederhergestellt und konnte dieses bis Kriegsbeginn auf knapp unter 30 Prozent ausweiten. Wie Abbildung 24 zeigt, lag die Dynamik der Umsatzentwicklung im Einzelhandel jedoch unter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In den Friedensjahren zeigte sich bereits deutlich, dass der Konsumgüterbereich schwächer von der nationalsozialistischen Rüstungs- und Mobilisierungskonjunktur profitierte. Der Textileinzelhandel konnte im Vergleich zum gesamten Einzelhandel deutlich stärker vom konjunkturellen Aufschwung profitieren, und zeigte stetig höhere Umsatzzuwächse – abgesehen von der Eintrübung 1934/35. Wie verlief die Entwicklung im textilen Fachhandel? Hier liegen uns verschiedene Indices mit den Basisjahren 1932 (Statistische Jahrbücher für das Deutsche Reich), 1933 (Tiburtius/Schmidt, 1937) sowie 1938 (Tiburtius, 1949) vor. Mit den errechneten absoluten Werten stellt sich für die Bereiche Herren- und Damenkonfektion unter Umrechnung der Indizes und Mittelung der Werte folgende absolute Umsatzentwicklung dar (Tabelle 74): Herren- und Damenkonfektion erreichten ebenfalls zum Ende der Friedensjahre ihre höchsten Umsätze der 1930er Jahre. Die Damenkonfektion steigerte ihre Umsätze zwischen 1933 und 1939 um 60 Prozent, die Herrenkonfektion sogar um 113 Prozent. Ihren Weimarer Umsatzhöhepunkt von über

Geschäfte im Frieden

Abbildung 24 Bruttosozialprodukt, Einzelhandels- und Textilumsätze, 1933 bis 1940 200 190 180 1932=100

170 160 150 140 130 120 110 100 1932

1933

1934

BSP

1935 Einzelhandel

1936

1937

1938

1939

1940

Bekleidung & Textilien

Anmerkungen: lfd. Preise; Indexbildung (1932=100) für Einzelhandel und Bekleidung & Textilien nach Abb. 24 Bruttosozialprodukt, Einzelhandels- und Textilumsätze, 1933 bis 1940 Tabelle 73. Für das Sozialprodukt des Deutschen Reiches nach Deutsche Bundesbank (1976). Anmerkungen: lfd. zu Preise; Indexbildung = 100) Einzelhandel Bekleidung & TextiBruttosozialprodukt Marktpreisen auf (1932 der Basis vonfürAngaben des und Statistischen Reichsamtes); lien nach Tabelle 73.1939 Für Gebietsstand das Sozialprodukt des Deutschen Reiches nach Deutsche Bundesbank Reichsgebiet: 1935 bis vom 31.12.1937. (1976). Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen auf der Basis von Angaben des Statistischen Reichsamtes); Reichsgebiet: 1935 im bis textilen 1939 Gebietsstand Wie verlief die Entwicklung Fachhandel?vom Hier31.12.1937. liegen uns verschiedene Indices mit den

Basisjahren 1932 (Statistische Jahrbücher für das Deutsche Reich), 1933 (Tiburtius/Schmidt, 1937) sowie 1938 (Tiburtius, 1949) vor. Tab. 74 Umsatzentwicklung (absolut), Herren- und Damenkonfektion, 1933 bis 1939 Mit den errechneten absoluten Werten stellt sich für die Bereiche Herren- und Damenkonfektion Jahr Bekleidung Damenbekleidung DOB Anteil HAKA unter Umrechnung der Indizes und Mittelung Herrenbekleidung der Werte folgende Anteil absolute Umsatzentwicklung 1933 5,8Herren- und Damenkonfektion 0,350 0,340 ebenfalls zum 6,1Ende % 5,9 % dar (Tabelle 74): erreichten der Friedensjahre 1934 0,390Jahre. Die Damenkonfektion 0,420 5,8 ihre % Umsätze6,2 % ihre höchsten 6,7 Umsätze der 1930er steigerte zwischen 1933 die Herrenkonfektion sogar um 113 5,7 Prozent. Ihren 6,4 Weimarer 1935und 1939 6,8um 60 Prozent, 0,390 0,435 % % Umsatzhöhepunkt von über 800 Mill. Reichsmark erreichte die Damenkonfektion indes 1936 7,6 0,420 0,500 5,6 % 6,6 %nicht, während es der Herrenkonfektion im Jahr 1939 gelang, ihren Weimarer Umsatzhöhepunkt von 1937 8,7 0,460 0,575 5,3 % 6,6 % über 700 Millionen Reichsmark einzustellen. Vor dem Hintergrund der Deflation sind diese 1938 9,8 0,500 0,670 5,1 % 6,8 % absoluten Umsätze nur ein Gradmesser der Entwicklung. 1939

10,7

0,560

0,725

5,2 %

6,8 %

Tabelle 74 Umsatzentwicklung (absolut), Herrenund Damenkonfektion, 1933 bis 1939 Anmerkungen: in Milliarden Reichsmark, lfd. Preise; * in Prozent. Jahr Bekleidung DamenHerrenAnteil Anteil bekleidung bekleidung DOB HAKA 1933 5,8 0,350 6,1 % 5,9 %indes nicht, während 800 Mill. Reichsmark erreichte die0,340 Damenkonfektion

es der im von über 1935 0,390 0,435 % 6,4 % 700 Millionen6,8Reichsmark einzustellen. Vor 5,7 dem Hintergrund der Deflation sind die1936 7,6 0,420 0,500 5,6 % 6,6 % se absoluten Umsätze nur ein Gradmesser der Entwicklung. 1937 8,7 0,460 0,575 5,3 % 6,6 % Stellvertretend für diese Entwicklung ist das kleine6,8Fachgeschäft J. G. Becker in Bad 1938 9,8 0,500 0,670 5,1 % % Lausick. Der Laden verkaufte „Herren-, Damenund Kinderkonfektion, Wäsche und 1939 10,7 0,560 0,725 5,2 % 6,8 % Kurzwaren“ und beschäftigte im Jahr 1934 sechs Angestellte. Der Buchprüfung vom Anmerkungen: in Milliarden Reichsmark, lfd. Preise; * in Prozent. Februar 1937 zufolge gelang es Becker, deutlich vom Aufschwung zu profitieren. Das Stellvertretend für diese ist das kleine Fachgeschäft J. G. Becker in Bad Lausick. und Der Sortiment wurde um Entwicklung Herrenausstattung sowie Weiß- und Wollwaren erweitert 1934 6,7 Herrenkonfektion

0,3901939 Jahr

0,420ihren 5,8Weimarer % 6,2 %Umsatzhöhepunkt gelang,

Laden verkaufte „Herren-, Damen- und Kinderkonfektion, Wäsche und Kurzwaren“ und

288

347

geringen Teil gegen sofortige Bezahlung“.1034 348

Hatte sich die Betriebsstruktur des textilen Fachhandels während des Dritten Reiches gravierend verändert? Hinweise gibt die für 1937 veröffentliche Umsatz- und Betriebsstruktur ausgewählter Mitglieder der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder (Abbildung 25). Im Jahr 1928 entfielen lt. Umsatzsteuerstatistik Prozent des Umsatzes Kleinst- und mit einem man beschäftigte bald8,3einen Arbeiter und sechsauf Angestellte. DieKleinbetriebe verkauften ErzeugnisJahresumsatz von bis zu 20.000 Reichsmark (62 Prozent der erfassten Betriebe). Knapp zehn Jahre se bezifferte der Bericht auf 213.600 (1934), 206.300 (1935) und 227.300 (1937) Reichsspäter entfielen 8,1 Prozent des Branchenumsatzes auf diese Gruppe, die nun nur noch 47 mark. Ab dem Geschäftsjahr 1937 beschäftigte Becker sieben Angestellte und steigerte Prozent aller Betriebe ausmachte. Während der Weimarer Republik entfielen zwei Drittel des seinen Umsatz auf 272.300 (1937) und 294.600 (1938) Reichsmark. Allerdings spürte Branchenumsatzes auf mittelgroße Betriebe mit einem Umsatz zwischen 20.000 und 1 Million auch das kleine Fachgeschäft zunehmende Probleme bei der Warenbeschaffung. So Reichsmark (ein Drittel der erfassten Betriebe). Im Jahr 1937 entfielen knapp 92 Prozent des bemerkte der Prüfer: „Innerhalb des Lagers ist eine Umschichtung eingetreten. Der Branchenumsatzes auf nunmehr jeden zweiten Betrieb. Die Tendenz weg vom Kleinst- und Bestand an habe sich erheblichhatte vermindert und der an Modewaren Kleinbetrieb Wäsche zu mittelgroßem Fachhandel sich, entgegen der Bestand NS-Propaganda, eindeutig entsprechend erhöht“ und der Warenkauf beim Lieferanten erfolge „zum größten Teil verstärkt. Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

auf Ziel, und nur zu einem geringen Teil gegen sofortige Bezahlung“.1034 Abbildung 25 Textileinzelhandel nach Umsatzklassen, 1937

1035

2,7 Umsatz

3,5 4,6 4,9 5,9

14,8

61,7

1,9 Betriebe

22,4

0%

10%

12,9

20%

12

30%

40%

11,5

50%

8,7

60%

8,1

70%

13

80%

bis 10.000

bis 16.000

bis 20.000

bis 30.000

bis 40.000

bis 50.000

bis 100.000

über 100.000

11,4

90%

100%

Anmerkungen: Zahlen der Mitglieder der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder, erfasst wurden 72.233 Abb. 25 Textileinzelhandel nach Umsatzklassen, 19371035 Betriebe mit einem Gesamtumsatz von 4.505 Millionen Reichsmark. Anmerkungen: Zahlen der Mitglieder der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder, erfasst wurden 72.233 Betriebe mit einem Gesamtumsatz von 4.505 Millionen Reichsmark. 1034 Vgl. Bericht des Buch- und Betriebsprüfers Dietel über die […] vorgenommene Buch- und Betriebsprüfung, 17.2.1934, SWA U40/59; Bericht des Betriebsprüfers Dietel über die […] vorgenommene BetriebsprüHatte sich dieSWA Betriebsstruktur desBetriebsprüfers textilen Fachhandels während des Dritten Reiches fung, 6.3.1937, U40/59; Bericht des Dietel über die Betriebsprüfung bei der Firma I. G. Becker in Bad Lausick, 8.12.1939, SWA U40/59. gravierend verändert? Hinweise gibt die für 1937 veröffentliche Umsatz- und Betriebs1035 Abbildung nach TexW, Größengliederung des Einzelhandels, 15.10.1938.

struktur ausgewählter Mitglieder der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder (Ab289 bildung 25). Im Jahr 1928 entfielen lt. Umsatzsteuerstatistik 8,3 Prozent des Umsatzes auf Kleinst- und Kleinbetriebe mit einem Jahresumsatz von bis zu 20.000 Reichsmark (62 Prozent der erfassten Betriebe). Knapp zehn Jahre später entfielen 8,1 Prozent des Branchenumsatzes auf diese Gruppe, die nun nur noch 47 Prozent aller Betriebe ausmachte. Während der Weimarer Republik entfielen zwei Drittel des Branchenumsatzes auf mittelgroße Betriebe mit einem Umsatz zwischen 20.000 und 1 Million

Vgl. Bericht des Buch- und Betriebsprüfers Dietel über die [ ] vorgenommene Buch- und Betriebsprüfung, 17.2.1934, SWA U40/59; Bericht des Betriebsprüfers Dietel über die [ ] vorgenommene Betriebsprüfung, 6.3.1937, SWA U40/59; Bericht des Betriebsprüfers Dietel über die Betriebsprüfung bei der Firma I. G. Becker in Bad Lausick, 8.12.1939, SWA U40/59. 1035 Abbildung nach TexW, Größengliederung des Einzelhandels, 15.10.1938. 1034

Geschäfte im Frieden

Reichsmark (ein Drittel der erfassten Betriebe). Im Jahr 1937 entfielen knapp 92 Prozent des Branchenumsatzes auf nunmehr jeden zweiten Betrieb. Die Tendenz weg vom Kleinst- und Kleinbetrieb zu mittelgroßem Fachhandel hatte sich, entgegen der NS-Propaganda, eindeutig verstärkt. Wie entwickelten sich die Umsätze der Großbetriebsformen während des Dritten Reiches? Hier ist die Datenlage am schwierigsten. Die Erhebungen der Statistischen Jahrbücher für das Deutsche Reich sind bezüglich der Branchen und Betriebsformen uneinheitlich. Für „Warenhäuser“ und „Kaufhäuser“ existiert ein Umsatzindex (1932 = 100) für die Jahre 1933 bis 1936. Für diesen Zeitraum liegt für „Einzelhandel“ und „Bekleidung und Textilien“ ein nicht vergleichbarer Umsatzindex (1928 = 100) vor. Erst für die Jahre 1936 bis 1940 wird die Umsatzentwicklung hier zum Basisjahr 1932 aufgeführt, hier liegen dann jedoch keine Zahlen für die Großbetriebe vor. Um diese Lücken zu füllen, ist auf Grundlage der eigenen Berechnungen zu den absoluten Umsätzen ein eigener Index (1932 = 100) für die lückenhaften Zeiträume errechnet worden (kursive Angaben). Tab. 75 Umsatzentwicklung nach Betriebsformen, 1933 bis 1940, 1932 = 100 Jahr

Einzelhandel

Bekleidung und Textilien

Warenhäuser

Kaufhäuser

1933

98,6

106,9

81,4

86,5

1934

109,6

120,6

83,6

94,1

1935

113,9

121,7

79,1

89,4

1936

122,2

127,0

85,8

97,8

1937

133,4

144,0

88,1

1938

146,0

162,9

1939

163,0

181,4

1940

153,8

168,0

Anmerkungen: 1932 = 100, lfd. Preise. Die Umsatzrückgänge für Waren- und Kaufhäuser von 1932 auf 1933 scheinen nach den eigenen Befunden wenig plausibel. Der Vollständigkeithalber sind sie hier dennoch aufgeführt.

Die nationalsozialistische Agitation gegen (jüdische) Warenhäuser, Kaufhäuser und sonstige Großbetriebe zeigte Wirkungen (Tabelle 75). Während die Umsätze des deutschen Einzelhandels insgesamt und des textilen Fachhandels bezogen auf das Jahr 1932 bis 1939 deutlich um bis zu zwei Dritteln oder vier Fünfteln anzogen, blieb den Warenund Kaufhäusern nicht das Jahr 1932 als überragendes „Krisenjahr“ in Erinnerung. Bis zum Jahresende 1935 brachen die Warenhausumsätze – vor allem infolge der antisemitischen Agitation, Verfolgung und Arisierungen von jüdischen Großunternehmen und Inhabern – nochmals um etwa 15 Prozent ein und stabilisierten sich danach auf sehr niedrigem Niveau. Die Gruppe der Kaufhäuser zeigte ebenfalls eine deutlich negativere Umsatzentwicklung als der textile Fachhandel oder der Einzelhandel. Doch können die im Vergleich zu den Warenhäusern weniger stark gesunkenen Umsätze als

349

Angaben).

350

Tabelle 75 Umsatzentwicklung nach Betriebsformen, 1933 bis 1940, 1932=100 Textileinzelhandel im Nationalsozialismus Jahr Einzelhandel Bekleidung (1933–1945) Warenhäuser Kaufhäuser und Textilien 1933 98,6 106,9 81,4 86,5

1934 dafür interpretiert 109,6 120,6 dass gerade 83,6Kaufhäuser 94,1auch von den KundenabwanIndiz werden, 1935 113,9 121,7 79,1 89,4 durch Sortimentsbeschränderungen profitierten oder ehemalige Warenhäuser nun 1936 122,2 127 85,8 kungen oder Arisierung in die Gruppe der Kaufhäuser97,8 fielen. Dies bestätigte auch der 1937 133,4 Umsatzindex der Statistischen144Jahrbücher88,1 für das Deutsche Reich für die Jahr 1933 bis 1938 146 162,9 1936 (Abbildung 163 26). Die Umsatzbewegungen der einzelnen Branchen waren im Trend 1939 181,4 ähnlich. Zwischen 1933 und 1934 erlebten die Textilabteilungen der Waren- und Kauf1940 153,8 168 häuser ein (bescheidenes) Umsatzplus. Der eigentliche Tiefschlag Anmerkungen: 1932=100, lfd. Preise. Die Umsatzrückgänge für Waren- und Kaufhäuser setzte von 1932zwischen auf 1933 scheinen nach den eigenen Befunden wenig plausibel. Der Vollständigkeithalber sind sie hier 1934 und 1935 ein, wo sich die Textilumsätze der Waren- und Kaufhäuser vondennoch denen aufgeführt. des textilen Fachhandels entkoppelten Abbildung 26 Umsätze nach Betriebsformen, 1933 bis 1936 150 140

Textil- und Manufakturwarengeschäfte

130

Herren- und Knabenkleidung

120 110

Damen- und Mädchenkleidung

100

Abteilung für Kleidung und Textilien in Warenhäusern

90

Abteilung für Kleidung und Textilien in Kaufhäusern

80 1933

1934

1935

1936

Anmerkungen: 1932=100, lfd. Preise; Zahlen des textilen Fachhandels und der Textilabteilungen in WarenAbb. 26 Umsätze nach Betriebsformen, 1933 bis 1936 und Kaufhäusern.

Anmerkungen: 1932 = 100, lfd. Preise; Zahlen des textilen Fachhandels und der TextilabteilunDie innationalsozialistische Agitation gegen (jüdische) Warenhäuser, Kaufhäuser und sonstige gen Waren- und Kaufhäusern.

Großbetriebe zeigte Wirkungen (Tabelle 75). Während die Umsätze des deutschen Einzelhandels insgesamt und des textilen Fachhandels bezogen auf das Jahr 1932 bis 1939 deutlich um bis zu

6.3

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

6.3.1

Unrechtsrahmen

290

„Arisierung“ ist kein originär in der Zeit zwischen 1933 und 1945 entstandener Begriff, sondern tauchte bereits im völkisch-nationalen Umfeld der 1920er Jahre in Deutschland auf.1036 Als Reaktion auf die verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftsund Bankenkrise, der damit einhergehenden Deflation und der Massenarbeitslosigkeit kamen Forderungen des rechten politischen Randes nach einer „Arisierung der

1036

Vgl. Benz (2002), S. 17 f.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Wirtschaft“ in Umlauf. Der ab 1933 zunehmend nationalsozialistisch durchsetzte Verwaltungs- und Behördenapparat griff auf diese Semantik (neben der „Entjudung“) im Zusammenhang mit der Verdrängung und Vernichtung jüdischer Wirtschaftsexistenzen zurück. Neben der wirtschaftlichen Komponente bekam „Arisierung“ nach 1933 auch eine zweite, umfassendere Bedeutung zugeschrieben, nämlich das Herausdrängen jüdischen Lebens und Arbeitens aus der deutschen „Volksgemeinschaft“ insgesamt. Diese allumfassende „Säuberung“ sieht die Forschung heute als einen mehrstufigen, dynamischen Prozess. Zwischen 1933 und 1935 ging es um die soziale, ethnische und rechtliche Definition, welche Staatsbürger zur Volksgemeinschaft zu zählen seien und welche nicht. Begleitet wurde sie unmittelbar nach Machtantritt mit einer gesellschaftlichen „Stigmatisierungspraxis“, die Berufsverbote, Aufenthaltsverbote in öffentlichen Einrichtungen oder Besuchsverbote in Hotels für Juden umfasste. Am Ende dieser ersten Phase stand im Herbst 1935 mit den „Nürnberger Gesetzen“ die entsprechende diskriminierende Rechtsnorm, die vorhergehendes Verhalten im Nachgang „legitimierte“.1037 Die sich anschließende Phase zwischen 1935 und 1938 interpretiert die Forschung als sukzessive „Entrechtungsphase“, die eine „direkte materielle Ausplünderung, [durch] Sondersteuern und Zwangsabgaben“ für als Juden definierte Deutsche bedeutete.1038 Bajohr sieht in diesem Zeitraum fünf entscheidende Radikalisierungsstufen: (1) Die Einschaltung der NSDAP-Gauwirtschaftsberater 1935/36, die Arisierungsverträge zu genehmigen hatten, (2) die Verschärfung der Devisengesetzgebung und –überwachung (1936/37), (3) die antijüdischen Aktivitäten des Reichswirtschaftsministeriums (1937/38), (4) die strengere Verordnung über Arisierungen seit Mai 1938 und letzlich (5) die „offene Zwangsarisierung“ seit dem Novemberpogrom 1938.1039 Der Entzug der materiellen Lebensgrundlage wurde in einem behördlichen Wechselspiel quer durch verschiedene Verwaltungsebenen administriert. Neben der zentralen Instanz des Reichsfinanzministeriums oblag es insbesondere den Landesfinanzämtern, den regionalen Devisenstellen sowie den lokalen Zollämtern, für eine reibungslose und geräuscharme Entrechtung der jüdischen Deutschen zu sorgen. Besonders die den Finanzämtern untergeordneten Devisenstellen kam eine zentrale Bedeutung im Arisierungsprozess zu, da sie im unmittelbaren Kontakt mit den Betroffenen standen. Sie trieben die Devisenabgaben, die sog. „Reichsfluchtsteuer“ (ab Mai

Auswahl an ersten Gesetzen zur Verdrängung der deutschen Juden aus dem gesellschaftlichen Leben: „Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (Beamtenverbot für Juden, Entlassung von Beamten in „Misch-Ehen“, 7.4.1933); Reichsgesetz über die Begrenzung der Nicht-Arier an deutschen Schulen und Hochschulen (25.4.1933); Reichserbhofgesetz (Bauer darf nur derjenige sein, der eine arische Abstammung bis zum 1.1.1880 nachweisen kann, 29.9.1933); Reichsgesetz betr. „Vorkehrungen gegen Schädigung der deutschen Blutsgemeinschaft durch Missbrauch der Eheschließung und der Annahme an Kindes statt“ (23.11.1933). 1038 Vgl. Gibas (2007b), S. 23, S. 26. 1039 Vgl. im Folgenden Bajohr (2002), bes. S. 39–49. 1037

351

352

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

1934), die „Judenvermögensabgabe“ (ab November 1938) sowie Abgaben auf Umzugsgut ein. Das Reichsinnen- und das Reichswirtschaftsministerium vertraten gegenüber NS-Parteistellen und dem organisierten deutschen Mittelstand die diplomatische Formel „der freien wirtschaftlichen Betätigung“, die auch für Juden gelten sollte: Die Diplomaten scheuten nagative Publicity und einen Boykott deutscher Waren im Ausland. Wurden Privatpersonen unmittelbar nach 1933 schikaniert und materiell ausgeplündert, so zögerte das Regime, nichtarische Betriebe und Betriebsvermögen in gleicher systematischer Weise zu liquidieren. De jure zwang kein Gesetz bis 1938 Inhaber, ihre Geschäfte aufzugeben oder einem „Arier“ zu übertragen. De facto waren als Juden betrachtete Unternehmer seit 1933 einem stetig steigenden ökonomischen und psychischen Druck ausgesetzt. Die deflationären Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die geringe Nachfrage hinterließen in ihrer Kapitalbasis geschwächte Unternehmen – arische wie nicht-arische. Diese Schwächung überwanden infolge der entfachten (Rüstungs-)Konjunktur als „deutsch“ definierte Geschäfte deutlich schneller. Jüdische Gewerbetreibende sahen sich dagegen fortdauernden behördlichen wie zivilen Boykott- und Denunziationskampagnen ausgesetzt. Dieser Prozess verlief meist „bottom-up“, wenn Konkurrenten, Kunden oder eigene Mitarbeiter jüdische Firmen oft grund- und haltlos wegen vermeintlicher Vergehen denunzierten. Die damit verbundenen Geschäftsaufgaben bis 1938 waren mehrheitlich weder „freiwillig“ noch ökonomisch zwangsläufig aus der Weltwirtschaftskrise begründbar, sondern vielmehr gezielte Folge des legalen wie psycho-sozialen Drucks. Kam es bis 1938 zu einer Arisierung, so konnte wegen der skizzierten rechtlichen Spielräume ein vor dem Hintergrund eines feindlich gesellschaftlich-politischen Klimas verhältnismäßig „angemessener“ Verkaufspreis erzielt werden, sofern der arische Käufer dazu bereit war. Das Textil-Fachblatt „Der Konfektionär“ gab arischen Käufern im November 1934 praktische Tipps zur Geschäftsübernahme. Zunächst sollte der Käufer den „materiellen und ideellen Geschäftswert“ prüfen. Doch das Blatt warnte vor der „Gefahr einer subjektiven Überschätzung eines Geschäfts“. Käufer sollten den Firmenwert also ausschließlich anhand der Faktoren „Lager, Inventar, Kundschaft, Leistung (Reklame, Personal, Stadtgegend)“ bemessen. Der immatrielle Firmenwert (good-will) konnte also zunächst zuerkannt werden und den Verkaufspreis positiv beeinflussen.1040 Ab 1935 versuchte die NSDAP über ihre Gauwirtschaftsberater Einfluss auf die Kaufverträge zu nehmen. Diese neuen Genehmigungsinstanzen waren von der Kommission für Wirtschaftspolitik entsandt, um die Übertragung von Unternehmen in arische Hände rasseideologisch einwandfrei zu gestalten und die jüdische Vertragsfreiheit zu beenden. Käufer mit Parteibuch wurden bevorzugt, Existenzgründer bevorteilt, Konzernbildung entgegengetreten und jüdische Firmennamen verbannt.

1040

Konf, „Dieses Geschäft ist zu verkaufen!“, 21.11.1934

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Dem Kaufpreis wurde durch die „Berater“ der good-will entzogen, Waren und Inventar unterbewertet – auch im Sinne der Käufer. Der Einfluss der Berater war reichsweit unterschiedlich – von omnipotent (Hamburg) bis beratend (Westfalen-Süd, Baden). Eine „zentrale Genehmigungsinstitution“ existierte nicht. Es waren regionale Entscheidungsstrukturen, in denen sich die Arisierung von Unternehmen radikalisierte. Das Reichswirtschaftsministerium entzog sich dem Prozess weitgehend und fungierte als scheinbar „neutrale“ Beschwerdeinstanz, die sich nur bei „systemrelevanten“ Unternehmen ab 1000 Beschäftigten zur Intervention genötigt sah. Bis 1938 vollzog sich die angestrebte Arisierung des jüdischen Einzelhandels nicht immer problemlos. Im Mai 1936 vermeldete die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, die „Überführung nichtarischer Betriebe in den Besitz deutscher Unternehmer“ sei zwar „durch die Nürnberger Gesetze gefördert“ worden, „vollziehe sich [ ] [aber] nicht ohne Schwierigkeiten, weil es sich vielfach um Großbetriebe handelt [ ]“. Eine Arisierung und erfolgreiche Geschäftsentwicklung würde nur mit „außerordentlichen und nicht immer einwandfreien Mitteln der Reklame“ erfolgen und die Konkurrenz im Mittelstand weiter verschärfen.1041 Das Jahr 1938 markiert den Beginn der nun systematischen Ausschaltung jüdischer Wirtschaftsakteure per Gesetz. Die „Arisierung“ nahm nun „gleichförmige, bürokratisch-systematische Züge“ an.1042 Grundlegend für das Wirtschaftsleben war die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938. Demnach musste „jeder Jude sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen nach dem Stande vom Tage des Inkrafttretens [ ] anmelden und bewerten“. Diese Anmeldung, die für Vermögen über 5.000 Reichsmark galt, hatte bis zum 30. Juni 1938 zu erfolgen und betraf auch nichtjüdische Ehepartner. Mit dieser verpflichtenden Vermögensaufstellung ging auch die Genehmigungspflicht für Veräußerungsgeschäfte mit Juden einher. Alle Rechtsgeschäfte – Verkauf und Verpachtung von Immobilien, Geschäftseröffnung oder Erweiterung – mit und von Juden mussten nun behördlich genehmigt werden.1043 Die 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 schuf erstmals die legal-verbindliche Trennung zwischen dem deutschen Mittelstand und dem „jüdischen Gewerbebetrieb“. Demnach galt ein Unternehmen als „jüdisch“, wenn der Inhaber (Einzelbetrieb), die persönlich haftenden Gesellschafter (oHG, GmbH) oder die Mehrheit der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (Aktiengesellschaft) als „jüdisch“ galten. Nach der Verordnung galten auch Filialbetriebe, die von jüdischen Angestellten geleitet wurden, als „jüdisch“, auch wenn das Stammhaus formal „arisch“ Konf, Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel berichtet, 21.5.1936. Vgl. Bajohr (2002), S. 39. „Veräußerung und Verpachtung eines gewerblichen [ ] Betriebes sowie die Bestellung eines Nießbrauchs an einem solchen Betrieb zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung, wenn an dem Rechtsgeschäft ein Jude als Vertragsschließender beteiligt ist. [ ] Die Neueröffnung eines jüdischen Gewerbebetriebes oder der Zweigniederlassung eines jüdischen Betriebes bedarf gleichfalls der Genehmigung“, siehe TexW, Inventur des jüdischen Kapitals – Genehmigungspflicht für Veräußerungsgeschäfte mit Juden, 30.4.1938. 1041 1042 1043

353

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

war. Alle jüdischen Gewerbebetriebe mussten in einer Liste eingetragen werden, die den Verwaltungsbehörden, den Gauleitungen und der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Diese Liste enthielt Angaben über die Gewerbeart, Rechtsform, Grund der Eintragung, Größe des Betriebs, Belegschaftszahl und Anzahl der Filialen. Betriebe dieser Gewerbeliste sollten ein „besonderes Kennzeichen führen“.1044 Damit waren alle Juden gezwungen, privates und geschäftliches Vermögen deutschen Behörden und der Öffentlichkeit offenzulegen. Der Staat verschaffte sich so Einblick in den letzten Hoheitsbereich jüdischer Firmen wie Geschäftsbücher, Bilanzen und sonstige Interna. Mit diesem betriebswirtschaftlichen Überblick konnten Arisierungen nun behördlich gelenkt und administriert werden. Der Typus der Erwerber reichte dabei vom skrupellosen Profiteur (drückt unterbewerten Kaufpreis durch persönliche Angriffe auf Verkäufer) über den stillen Teilhaber (keine persönliche Initiative) bis zum gutwilligen Erwerber (angemessene Entschädigung, auch illegale Wege).1045 Nachdem infolge des Novemberpogroms vom 9. auf den 10. November jüdische Geschäftsinhaber verhaftet und interniert waren, führten deren Geschäfte Treuhänder oder vielmehr Liquidatoren bis zum Verkauf weiter. Verkauft wurde nach dem 10. November 1938 nur noch zu Symbolpreisen. Nur einige Tage nach den Pogromen erging die „Verordnung zum Ausschalten der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ (12. November 1938). Kernstück war das Berufsverbot für Juden im Einzel-, Versand- und Großhandel sowie dem Handwerk vom 1. Januar 1939 an. Juden wurden vom nicht-stationären Handel ausgeschlossen, sie durften keine Waren auf Märkten, Messen oder Ausstellungen bewerben oder verkaufen. Darüber hinaus mussten jüdische Genossenschaftsmitglieder aus Beamten-, Militär- und Konsumvereinen ausscheiden. Weiter vereinfachte es die Verordnung, Juden in leitender Position aus den Unternehmen zu entfernen. Der Betriebsführer musste nun zwingend „arisch“ sein und leitende Angestellte konnten anspruchslos binnen sechs Wochen gekündigt werden. Ausnahmen vom Gesetz waren nur zulässig, sofern eine Geschäftsübernahme oder Liquidierung sicherzustellen war. Die „Textil-Woche“ begrüßte die „endgültige Lösung der Judenfrage in Deutschland“ als einen „Trennungsstrich zwischen Juden und dem deutschen Kultur- und Wirtschaftsleben“, sodass kein Kunde mehr „gezwungen [wird], in jüdischen Geschäften kaufen zu müssen“. Das Fachblatt empfahl sogleich seinen Lesern,

Verordnung 3, Artikel 1: „Ein Gewerbebetrieb gilt als jüdisch, wenn der Inhaber Jude ist [ ] Der Gewerbebetrieb einer oHG oder einer KG gilt als jüdisch, wenn ein oder mehrere persönlich haftende Gesellschafter Juden sind [ ] Wenn bei einer AG oder KGaA am 1. Januar 1938 kein Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrates war, so wird vermutet, dass Juden nach Kapital und Stimmrecht nicht entscheidend beteiligt sind. Ein Gewerbebetrieb gilt auch dann als jüdisch, wenn er tatsächlich unter dem beherrschenden Einfluss von Juden steht“. Nicht eingetragen wurden Betriebe bei „Beteiligung jüdischer Mischlinge und jüdisch versippter [ ]“, siehe TexW, Welcher Betrieb ist jüdisch?, 25.6.1938 und TexW, Die Verzeichnisse jüdischer Gewerbebetriebe, 30.7.1938. 1045 Vgl. Bajohr (2002), S. 48. 1044

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

diese Zwangslage der jüdischen Konkurrenz auszunutzen und günstig auf Kosten der Juden den eigenen Betrieb zu erweitern.1046 Entscheidend für den weiteren Verlauf der Vernichtung jüdischer Gewerbeexistenzen war nun die Frage, wie mit den betroffenen Läden umzugehen war. Sollten diese durch „arische“ Konkurrenten übernommen werden, sollten die Geschäfte durch arbeitslose Kaufleute oder Quereinsteiger „arisiert“ werden oder blieb nur die Liquidierung der Betriebe, um eine drohende Übersetzung und schädigenden Konkurrenzkampf zu vermeiden? Anfang Dezember 1938 sah ein Gutachten des Reichswirtschaftsministeriums in einer hauptsächlichen Liquidierung der jüdischen Betriebe die Lösung: „Mit Rücksicht auf die allgemeine Übersetzung im Einzelhandel werden etwa nur 1/3 der noch bestehenden jüdischen Geschäfte für die Arisierung in Frage kommen“. Damit sollte die übergroße Mehrheit (2/3) liquidiert werden.1047 Ministerialdirektor Krüger vom Reichswirtschaftsministerium betonte in der „Textil-Woche“, „dass das, was für die deutsche Volkswirtschaft notwendig sei, erhalten bleiben müsse“. Welcher jüdische Betrieb zu erhalten war, sollte „nicht wahllos“ geschehen. Damit sah Krüger den Staat in der Verantwortung zu „entscheiden, was [ ] erhalten bleibt und was zu verschwinden hat“. Alle für die Übernahme in Frage kommenden Betriebe müssten, so Krüger weiter, „fachlich arisiert werden“. Prinzipiell dürfe die Arisierung nicht zu einer „Ausbreitung der Großfilialbetriebe, [dem] Eindringen Unkundiger, [dem] Eindringen von Industrie in den Handel oder [zur] Übernahme durch ausländische Konzerne“ führen.1048 Die Durchführungsverordnung zum „Ausschaltungsgesetz“ vom 23. November 1938 bestimmte folgerichtig, dass jüdische Geschäfte „grundsätzlich aufzulösen und abzuwickeln“ seien. Ausnahmen, also die Überführung in nichtjüdisches Eigentum, war unbedingt genehmigungspflichtig. Zu prüfen war, inwieweit eine Arisierung der „Sicherstellung der Verbraucherversorgung“ diente. Im Falle einer Liquidierung waren Verkäufe oder Versteigerungen zugunsten des Alteigentümers verboten. Das Warenlager musste der örtlichen Fachgruppe der WG Einzelhandel angeboten werden. Die TexW, Die deutsche Wirtschaft ohne Juden!, 19.11.1938. Die Zeitschrift empfahl „Kredite durch Reichs-Kreditgesellschaft bei Grundstücken, nicht aber bei Ladengeschäften“, hier müssten die Privatbanken einspringen. Obacht sollte der Ariseur walten lassen in Bezug auf den vertraglich vereinbarten Kaufpreis. Insgesamt, so das Fachblatt, sei der Umsatz der jüdischen Geschäfte zwischen 1933 und 1938 „erfahrungsgemäß auf 1/3 abgesunken“ und zudem waren „jüdische Inhaber bestrebt, schon immer soviel Barkapital wie möglich aus den Betrieben herauszuziehen, was übrigblieb, war weniger gängige Ware“. Das Warenlager entspreche damit allgemein nur der Hälfte des kalkulierten Verkaufswertes“, siehe TexW, Was ist bei Übernahmeverträgen von jüdischen Geschäften zu beachten?, 3.12.1938. 1047 Artikel „Schutz des arischen Einzelhandel“, 1.12.1938, BA R8034-II/3574. 1048 Krüger führt als vorbildliches Beispiel die Fachgruppe „Schnittwaren“ in Frankfurt/Main an. Hier hatten acht „arische“ Firmen 35 Angestellte und 270.000 RM Lager von einem liquidierten jüdischen Betrieb übernommen. Damit, so Krüger, sei „Arisierung und Übersetzung“ erfolgreich verhindert worden, siehe TexW, Was wird mit den jüdischen Geschäften?, 26.11.1938. 1046

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

sog. „Arisierungskommissionen“ der Industrie- und Handelskammern bewerteten das Warenlager und erzwangen so die Übergabe weit unter Wert an die Fachgruppenmitglieder, also direkt an arische Konkurrenten.1049 Eine weitere Durchführungsverordnung, die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ (3. Dezember 1938), konkretisierte die Modalitäten des Verkaufs und der Abwicklung von Gewerbebetrieben und Grundbesitz. Die Liquidierungsund Arisierungsfrist zum 1. Januar 1939 wurde aufgegeben und der jüdische Inhaber hatte nun innerhalb einer unbestimmten Frist die Auflage, seinen Besitz zu veräußern oder zu liquidieren. Damit lag der Schwerpunkt eher auf „Versorgungssicherheit“, ermöglichte es doch unter Umständen die Weiterführung (jüdischer) Großbetriebe. 6.3.2

Anfeindungen und Ausgrenzungen

Die journalistischen Fachorgane des Textileinzelhandels berichteten über konkrete antisemitische Anfeindungen erstmals Ende Januar 1932. Die „Deutsche Konfektion“ zeigte sich empört über die „terroristische Einschüchterung“ von Kunden jüdischer Textilgeschäfte in Sachsen. Die Namen der Kunden des Leipziger Warenhauses Brühl („Judenunterstützer“) tauchten in der nationalsozialistischen Propagandazeitung „Die braune Front“ auf. Auf die Drohung der Nationalsozialisten, Fotos, Namen und Anschriften anderer Kunden zu veröffentlichen, reagierte die Redaktion schockiert: „Gegen diese Methode, den politischen Kampf auf das wirtschaftliche Gebiet zu übertragen, indem man den Einzelhandel nach Rasse und Konfessionen unterscheidet, muss auf das Entschiedenste Verwahrung eingelegt werden“.1050 Wie die Analyse des Geschäftsganges bei Schocken im Kapitel 5.2.2. zeigt, sah sich das jüdische Warenhaus bereits zum Weihnachtsgeschäft 1931 massiven Anfeindungen ausgesetzt. Doch wie auch Schocken interpretierten die teils jüdischen Chefredaktionen der Textilfachblätter die Anfeindungen als vorübergehenden Ausdruck wirtschaftlicher Unzufriedenheit, nicht aber als ideologischen Rassenhass. Im Sommer 1932 verschärften sich die Boykottbewegungen, zu denen die Parteien des linken wie rechten Spektrums aufriefen und die sich nicht nur gegen Warenhäuser und jüdische Geschäfte richteten, sondern auch gegen Filialbetriebe, Konsum- oder Beamtenvereine. Die politische Gesinnung des Ladeninhabers oder des Betriebstyps spielte für die Konsumentenschaft eine deutlich stärkere Rolle als Jahre zuvor. Konsumvereine galten als sozialistische Alternative zu den großkapitalistischen Filial- oder Warenhausbetrieben. Boykottaufrufe gegen Läden jüdischer Inhaber oder gegen „jüdische Ware“ im

TexW, Die Abwicklung der jüdischen Einzelhandelsgeschäfte, 3.12.1938; DK, Jüdische Geschäfte sind sofort zu schließen, 3.12.1938; Bajohr (2002), S. 48. 1050 DK, Terroristische Einschüchterung, 22.1.1932. 1049

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Allgemeinen verhallten im August 1932 noch als „abstruser Unsinn“. So kommentierte die „Deutsche Konfektion“ scharf: „Verkauft der jüdische Detaillist jüdische Ware? Hat er etwa nur jüdische Lieferanten und beschäftigen diese nur Juden? Kauft er seine Stoffe vom jüdischen Weber und bezieht er seine Stoffe vom jüdischen Spinner? Geht also nur jüdisches Geld verloren, wenn infolge des Boykotts jüdische Firmen zusammenbrechen? [ ] Nein! [denn] jüdische Ware gibt es nicht, ebenso wie es katholische oder evangelische Ware gibt“.1051

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten bekam die Ausgrenzungsideologie neues Feuer und politischen Willen. Grundlage bildete das seit 1920 gültige 25-Punkte-Programm der NSDAP. Besonders drei Forderungen betrafen die Belange des Einzelhandels. Zum einen sollten Großbetriebe verstaatlicht (Punkt 13), eine Gewinnbeteiligung an Großbetrieben eingeführt und Wucher und Schiebereien begegnet werden (Punkt 18). Im Punkt 16 bekannten sich die Nationalsozialisten zum Schutz des gewerblichen Mittelstandes und zum Kampf gegen Warenhäuser: „(16.) Wir fordern die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seiner Erhaltung, sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende, schärfste Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lieferung an den Staat, die Länder oder Gemeinden“.1052

6.3.2.1

Das „Warenhausproblem“

Das „Warenhausproblem“ der Nationalsozialisten war kein ökonomisches, sondern ein sozial-ideologisches Problem.1053 Der Anteil der Warenhäuser am Einzelhandelsumsatz im Deutschen Reich bewegte sich seit 1925 auf einem Niveau zwischen vier und sechs Prozent. Die massive Agitation gegen die Betriebsform „Warenhaus“ seit der Wirtschaftskrise 1929 zeigte bereits deutliche wirtschaftliche Auswirkungen. Nach dem 30. Januar 1933 richtete sich auch der politische Wille gegen diese Betriebsform, die quer zur ideologischen Romantik vom nationalsozialistischen Mittelstand lag. Das Warenhaus galt als kapitalistischer Großbetrieb, dessen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit erwirtschaftet wurden und den „jüdischen“ Inhabern, Anteilseignern und Managern zuflossen. Für die bald gleichgeschaltete Fachpresse war das Warenhaus nicht mehr wie jahrzehntelang der Motor des Fortschritts und der Modernisierung, sondern lediglich eine vorübergehende Zeiterscheinung. So befand der „KonfekDK, Boykott und Tränengas, 26.8.1932. „Das 25-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ vom 24. Februar 1920, siehe http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html, 8.8.2016. 1053 Vgl. dazu grundlegend Briesen (2001), bes. 178–194. 1051 1052

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

tionär“, das Warenhaus sei das „folgerichtige Ergebnis [ ] [der] Spezialisierung und Mechanisierung“, gleichwohl aber das „Staubecken der Massenproduktion“. Diese Betriebsform stünde für den Sittenverfall. Das schändliche Symbol der Preisschleuderei, so die Fachzeitschrift, sei der „Wühltisch“, der im Widerspruch zur „pompösen luxuriösen Aufmachung der Häuser“ stehe.1054 Ende April 1933 forderte die gleichgeschaltete Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE) die Unterwerfung der Großbetriebe. Da die HDE zukünftig den gesamten mittelständischen und größeren Facheinzelhandel als alleinige Spitzenorganisation vertrete, müssten „alle Großbetriebe restlos in die allein maßgebende Spitzenorganisation zurückfinden“. Dazu müssten Warenhäuser in Großspezialgeschäfte umgewandelt werden, indem sie „nach und nach ihre den Spezialhandel am meisten schädigenden Betriebszweige entäußern“. Dieser Rückbau der Warenhauskonzerne zu mittelständischen Kaufhäusern sollte nicht ad hoc – aus Rücksicht vor der hohen Belegschaft und enormen Warenkredit- und Hypothekenverpflichtungen – aber konsequent erfolgen.1055 Zugleich forderte die HDE im Juni 1933 beim Reichsfinanzminister Sondersteuern für Warenhäuser, Einheitspreis- und Kleinpreisgeschäfte, Großfilialunternehmungen und Großversandgeschäfte ein. Im Gegenzug sollten Spezialgeschäfte von der bisherigen erhöhten Umsatzsteuer für Großbetriebe freigestellt werden.1056 Im Juli 1933 erfolgte der Strategiewechsel der HDE. Nun argumentierte Paul Hilland (Pressestelle der HDE) gegen einen stufenweisen Abbau der Warenhäuser und für deren schnelle Zerschlagung. Entgegen aller Kampagnen der „Vertreter, Freunde und Gönner“ der Warenhäuser sei deren Abbau „unaufhaltsam“, auch wenn sich „einige dieser führenden Warenhauskonzerne ein christliches oder arisches Mäntelchen umgehängt haben“.1057 Das vom Reichswirtschaftsministerium erlassene Einzelhandelsschutzgesetz (EHSG) vom Mai 1933 hatte zwar die Voraussetzungen für einen stufenweisen Abbau der Warenhausbetriebe gelegt. Sämtliche Neuerrichtungen waren untersagt, Warenhäuser hatten ihre eigenen Handwerksbetriebe aufzulösen und auch die Schankerlaubnis für Erfrischungsbetriebe konnte entzogen werden. Die HDE sah darin jedoch nun eine potenzielle Gefahr. Warenhäuser würden verbliebene Ressourcen in den Aufbau der verbliebenen Abteilungen stecken und sich zu potenten Groß-SpezialhäuDK, Warenhäuser und Fachgeschäfte vor und nach der NS-Revolution, 4.4.1934.; Konf, Zeiterscheinung Warenhaus, 14.6.1935. 1055 Konf, Neue Einzelhandelspolitik, 29.4.1933; Konf, „Reichsstand des deutschen Handels, 6.5.1933. 1056 Die „Warenhaussteuer“ sollte Betriebe ab 200.000 RM Jahresumsatz und mehr als drei Filialen treffen. Ländliche Gemischtwaren sollten erst ab 500.000 RM Jahresumsatz besteuert werden; Der Zuschlag war bis 10 Prozent gestaffelt (0,5 Prozent bis 500.000 RM; 10 Prozent ab 25 Mill RM), siehe Konf, Sondersteuer zum Schutze mittelständischen Einzelhandels, 3.6.1933. 1057 Hilland betonte: „Es hilft auch nichts, dass man Nationalsozialisten als Schutzschild in die Verbände und Vereinigungen hereinholt“. Hilland zeigte sich weiter „völlig verständnislos“, dass Warenhäuser versuchen, noch Kredite „hereinzuholen“. Hilland bezog sich hierbei auf den 15-Millionen-Reichskredit an den Konzern Hermann Tietz und stellte klar, dass dieser nur „zur reibungslosen Abwicklung und völligen Liquidation des bestehenden Warenhauses diene“, siehe DK, Um die Lösung des Warenhausproblem, 14.7.1933. 1054

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

sern wandeln. Dadurch würde, so Hilland, der Wettbewerb etwa im mittelständisch geprägten Textileinzelhandel zuungunsten des kleineren Kaufmanns verzehrt. Die einzige Lösung liege darin, die Warenhäuser „völlig und ohne stufenweisen Abbau [zu] beseitigen, allerdings unter gleichzeitiger Beschaffung von Sicherheiten dafür, dass weder die Angestelltenschaft noch die Bankwelt, noch die Lieferanten ernsten Schaden erleiden“.1058 Dafür musste einerseits das Problem der Bankschulden von Warenhäusern, andererseits das Problem der entlassenen Angestellten gelöst werden. Die Bankschulden der Warenhäuser sollte der Einzelhandel – zur Entlastung der Banken – übernehmen und dazu eine 30jährige Anleihe zeichnen. Herbert Tengelmann, von dem die Idee stammte, sah darin eine „verhältnismäßig geringfügige Sonderbelastung“ vor dem Hintergrund, dass der Einzelhandel sich so „von seinen schärfsten Gegnern und Bedrückern für alle Zeit freikaufen“ könne. Die freigesetzten Angestellten sollten über einen Pflichtschlüssel, gestaffelt nach Umsatz und Betriebsgröße, auf die verbliebenen Betriebe verteilt werden.1059 Anfang 1934 drängte das Reichwirtschaftsministerium auf eine Lösung der Warenhausfrage, um die „wesensfremde Güterverteilung [zu] unterbinden und [den] Wettbewerb mit mittelständischem Gewerbe [nicht] unnötig [zu] verschärfen“. Konkret setzte sich das Ministerium für den erreichten status quo ein und warnte vor einer Zerschlagung der Warenhausbetriebe. Diese hätte dramatische Rückwirkungen auf das Finanzsystem und die guten Warenbeziehungen zu Industrie und Landwirtschaft, und letztlich negative Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung.1060 Weder politisch noch verbandlich existierte also eine konsistente Strategie im Umgang mit der dämonisierten Betriebsform. Wie erlebte das jüdische Warenhaus Schocken die anfänglichen Anfeindungen, die behördlichen und verbandlichen Kurswechsel und wie positionierte es sich zur „Warenhausfrage“? Zum 31. Januar 1933 befanden sich alle Gesellschaftsanteile sowie der übergroße Teil der Häuser und Grundstücke im Familienbesitz, zum größten Teil bei Salman Schocken.1061 Mit knapp 80 Millionen Reichsmark Jahresumsatz, etwa 5.300 Angestellten, 19 Zweigniederlassungen sowie vier verwandten bzw. befreundeten Anschlussgeschäften1062 gehörte der Schocken-Konzern zu den fünf größten WarenhausDK, Warenhäuser und Fachgeschäfte vor und nach der NS-Revolution, 4.4.1934. DK, Um die Lösung des Warenhausproblems, 14.7.1933. Demnach waren die Warenhäuser den deutschen Banken drei bis vier Milliarden Reichsmark Kredite schuldig. Um „Forderung des nationalsozialistischen Parteiprogramm“ zu erfüllen, setzte das Reichswirtschaftsministerium eine Sachverständigenkommission ein, um die Frage zu klären, ob ein Kreditausfall eine Bankenkrise nach sich ziehen könnte, siehe Schreiben an den Herrn Direktor Beeleitz (Reichs-KreditGesellschaft), 27.2.1934, GMC LBI AR 6379. 1061 Anteile hielten auch die Direktoren Carl Lewin, Siegfried (Fritz) Jacobsohn, Georg Spiro und die Einkaufszentrale I. Schocken Söhne Gmbh, an der Salman Schocken mehrheitlich beteiligt war, siehe Notarielles Protokoll zur Elften ordentlichen Generalversammlung vom 21.7.1933, StAC 31451–175. 1062 Dazu zählten Kaufhaus Schocken GmbH, Bremerhaven, Kaufhaus Schocken KGaA, Wesermünde, Kaufhaus Adolf Karseboom, Wismar, Kaufhaus Manasse GmbH, Mühlhausen, siehe Schreiben an den Ver1058 1059 1060

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konzernen im nationalsozialistischen Deutschland und musste wegen seiner jüdischen Inhaber und Führungskräfte sowie seiner Konzernstrukturen mit massiven Eingriffen der Staats- und Parteistellen rechnen. Wie ein Unternehmen die behördliche und verbandliche Meinungsbildung in der Anfangsphase noch beeinflussen konnte, zeigen die Anstrengungen Schockens eindrucksvoll. Schocken intensivierte unmittelbar zum Jahresbeginn 1933 seine seit 1929 laufenden Aufklärungs- und Informationskampagnen in der Fachpresse und den überregionalen Zeitungen. Schocken machte hier Geschäftszweck und Geschäftspraktiken transparent. Man diene dem wirtschaftlichen „Neuanfang“ und unterscheide sich deutlich von den luxuriösen Warenhäusern in Berlin und anderen Großstädten. Das „Schocken-System“, so die Argumentation, unterschied sich demnach fundamental in den Bereichen Geschäftsräume, Reklame, Warenauswahl, Kunden- sowie Personalbehandlung. Selbstbewusst informierte Schocken, dass alle Häuser „ohne unnötigen Luxus auskamen, sauber und zweckmäßig“ waren. Anders als die Berliner Warenhäuser verzichtete Schocken bereits seit 1927 auf die viel kritisierten Saison-, Inventur- oder Sonderveranstaltungen.1063 Das Sortiment („Schockenware“) richte sich, so Schocken, in Preis und Qualität an „den Arbeiter und den kleinen Mittelstand“. Kundenkredite, Zugaben und Rabatte waren seit 1914 in Schocken-Häusern nicht mehr statthaft.1064 Schocken rückte zudem geschickt seine überdurchschnittlichen Personal- und Sozialleistungen ins Licht.1065 Letztlich, so die Hauptaussage, diente der Schocken-Konzern in seiner jetzigen Ausprägung seit Bestehen immer der Allgemeinheit („völlige Einstelband Deutscher Waren- und Kaufhäuser betr. Rundfrage wegen fachlicher Gliederungen, 27.5.1933, StAC 31451–438. 1063 „[ ] we decided not to make any promotion sales. All the other department stores in Germany thought that it was impossible to carry through this policy and have not tried it. However, we stuck to this method and we found that the main reason for such promotion sales, namely to promote sales during the slow months, did not really exist. It seems that our policy of has been unique“, siehe Draft from April 19, 1944, GMC LBI AR 6379, p. 11. 1064 Waren, die zu Einheitspreisen in wenigen Qualitäten angeboten werden, wurden in „Hausmarken“ umgewandelt: „So hat man z. B. einmal vier Preisgruppen von Herrenanzügen, Herrenmänteln und Damen-Wintermänteln angeboten, fünf Preislagen von Damen-Sommerkleidern, vier Preisgruppen von Damenschuhen“. Kundendienst bedeutete für Schocken, Aufrichtigkeit der Verkäuferinnen, denn eine „schmeichlerische Haltung ggü. Kunden ist alte Schule und ohne Wert für uns“. Schocken zeigte „keine falsche Großzügigkeit“. Man zahlte keine Verkaufs-Prämien, damit Kunden „keine ungeeignete Ware aufgeschwatzt“ wurde, siehe Artikel „Neue Warenhaus-Typen. II. Das Schocken-System“, 20.5.1932, StAC 31451–427. 1065 50 Prozent aller Angestellten hatten als Lehrlinge im Unternehmen begonnen. Das Personal wurde an verschiedenen Standorten eingesetzt, Fortbildungen erfolgten durch Informationskurse. Schocken gewährte Angestellten zwei Tage längeren Urlaub und Urlaubsgeld (max. 12 Tage à drei Reichsmark). Innerhalb der Berufsschulen (etwa Zwickau) wurden sog. „Schockenklassen“ gebildet. Zudem bezahlte Schocken mehrheitlich übertariflich und zahlte allen Angestellten (einschl. Lehrlinge) seit 1925 20 bis 75 Reichsmark „freiwillige Jahresvergütung“. Schocken unterhielt daneben soziale Einrichtungen (Erholungsheim, Unterstützungskasse) und unterstützte die öffentliche Wohlfahrtspflege in Ballungsräumen mit 300.000 (1931/32) bzw. 150.000 Reichsmark (1932/33) sowie Lebensmittelpaketen, Gutscheinen für Bedürftige sowie Winter- und Weihnachtshilfsaktionen, siehe Artikel „Zwickau – die Stadt der Schocken-

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lung auf das Kundeninteresse“). Neben der Öffentlichkeit versuchte Schocken, sein Unternehmen auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern und auch den Partei- und Regierungsstellen aus dem Schussfeld der „Warenhausfrage“ zu nehmen. Die neuen Lehrlinge schwor Direktor Manasse im April 1933 auf die Einzigartigkeit ihres Arbeitgebers ein und versprach überdurchschnittliche Entlohnung für die Leistungsstärksten.1066 Im Juni und September 1933 ging das Unternehmen angesichts der Boykotte und Anfeindungen gegenüber den Behörden in die Offensive. In einer Stellungnahme zum „Warenhaus-Problem“ betonte Schocken seine regionale Verankerung und überregionale Bedeutung.1067 Die 19 Standorte seien über Sachsen (11), Bayern (3), Preußen (2), Württemberg, Baden, Anhalt (je 1) verteilt, wobei Sachsen seit jeher und in Zukunft Fixpunkt jeder unternehmerischen Aktivität sein werde. Über 50 Prozent aller Angestellten seien in Sachsen beschäftigt. Schocken war mit Abstand das „bedeutendste Handelsunternehmen“ und größter Steuerzahler in Sachsen. Die durch den Schocken-Konzern ausgelösten Aufträge beschäftigten 40.000 Arbeiter (1931), davon gingen etwa 30 Prozent aller Aufträge nach Sachsen. Schocken betonte, auch während wirtschaftlich schwieriger Zeiten „frühzeitig, geschlossene Aufträge“ zu disponieren, eine „schnelle Bezahlung“ zu garantieren. Tatsächlich erreichten den Konzern im Juni 1933 viele entsprechende Dankesschreiben aus der Textil- und Bekleidungsindustrie für die frühzeitigen, umfangreichen Bestellungen: So schrieb die Weißwaren-Fabrik Gebr. Wagner, Rodewisch i. Vogtland an Schocken nach der Bestellung von 2.000 Damen-Schlafanzügen: „[ ], als gerade ihre geschätzten Aufträge die ersten Orders waren, welche uns dieses Jahr für die kommende Winter-Saison erfreulicherweise von ihrem bedeutenden Unternehmen überschrieben wurden. Durch diese sehr frühzeitige und bedeutende Disponierung ihrerseits ist uns erfreulicherweise die Möglichkeit gegeben, unsere gesamten Arbeiterinnen für längere Zeit wieder voll zu beschäftigen, bez. auch mit unseren Lieferanten größere Abschlüsse in Roh-Gewebe zu tätigen, wodurch somit gegen die Arbeitslosigkeit positiv gesteuert werden konnte“.1068

Auch die Unitas Wirkwaren-Gesellschaft mbH, Chemnitz dankte für die Orders von 2.150 Paar Winter-Damenstrümpfen:

zentrale“, 31.8.1929, StAC 31451–427; Abschrift „Gepflogenheiten der Kaufhäuser Schocken“, 16.9.1933, StAC 31451–427. 1066 Unterdurchschnittliche Lehrlinge wurden nach Reichstarif, überdurchschnittliche Lehrlinge nach Haustarif bezahlt, siehe Ansprache von Herrn Direktor Manasse an die Lehrlinge, 19.4.1933, GMC LBI AR 6379. 1067 Vgl. im Folgenden „Warenhaus-Problem. B. Schocken-Konzern“ vom 8.6.1933, StAC 31541–170. 1068 Vgl. Schreiben an I. Schocken Söhne betr. Aufträge vom 9.6.1933, StAC 31451–427.

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„Wir freuen uns, dass sie sich entschlossen haben, uns die Ordre bereits jetzt zu geben, wodurch wir in der Lage sein werden, unsere Belegschaft auch während der stillen Sommermonate voll zu beschäftigen und unsere Maschinen für die Saison für andere kurzfristige Bestellungen freizuhalten. [ ] Stets mit Vorliebe für sie beschäftigt, begrüssen wir sie“.1069

98 Prozent aller Aufträge gingen ins Inland, wobei man keine „Unterpreisangebote“ oder Konkursware akzeptierte. Schocken unterstrich offensiv den „arischen“ Charakter seiner Belegschaft und deren „recht gutes Verhältnis“ zur Geschäftsführung.1070 Ausdruck des eigenen Selbstbewusstseins war die im April 1933 formulierte Bitte an die Behörden, eine baldige „Klärung der Steuerfrage für Warenhäuser“ zu erreichen und verwies selbstbewusst auf die „bisher vorsichtige Disposition“, wobei „sofort große Aufträge an Industrie“ möglich seien.1071 Die Strategie Schockens war klar: Man positionierte den Konzern als dem Allgemeinwohl, der Belegschaft, den Kunden und der Zulieferindustrie dienend und als maßgeblichen Träger einer wirtschaftlichen Gesundung der Region Sachsen.1072 Dafür grenzte man sich scharf von der Berliner Warenhauskonkurrenz ab. Anders als die Konkurrenz war das Unternehmen seit 1922 unabhängig von fremden Geldgebern, auf Grundstücken und Gebäuden lasteten keine Hypotheken und sämtliche Expansion war aus eigenen Mitteln finanziert worden.1073 Damit beschrieb sich Schocken nicht als großkapitalistisches Warenhaus, sondern als Kaufhausunternehmen in Klein- und Mittelstädten, welches primär nicht profitorientiert, sondern als leistungsfähiger „Warenverteilungsapparat“ funktionierte und damit bereit war, eine zentrale Aufgabe im nationalsozialistischen Wirtschaftssystem zu übernehmen.1074

Vgl. Schreiben an I. Schocken Söhne betr. Abt. 35 vom 10.6.1933, StAC 31451–427. Man meldete 5.700 Angestellte, davon 180 Juden. Insgesamt [kann] das „Verhältnis der Firma zu den Angestellten [ ] als recht gut bezeichnet werden“, siehe „Warenhaus-Problem. B. Schocken-Konzern“ vom 8.6.1933, StAC 31541–170. 1071 Vgl. „Warenhaus-Problem. B. Schocken-Konzern“ vom 8.6.1933, StAC 31541–170. 1072 Schocken erklärte das wertvolle Kreuzverhältnis zwischen Unternehmen, Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden: „Mitarbeiter [seien] Voraussetzung erfolgreicher Arbeit“ („Begeisterung, Harmonie, Gerechtigkeit, sozialer Wille“) „Unternehmen und die Lieferanten“ arbeiteten gewinnbringend zusammen („planvolle Vorarbeit, langfristige Disposition, präzise Einhaltung der Regulierung“). Schocken hatte sich einen „fast sprichwörtlich gewordenen Ruf innerhalb der deutschen Wirtschaft geschaffen“. Die Beziehung „Unternehmen und Konsumenten“ war intakt („immer im Kundeninteresse, Kunden brauchen nicht vergleichen, knappes, wohlüberlegtes Sortiment“), siehe Memorandum des Herrn Georg Manasse, niedergelegt zum Zeitpunkt seines Ausscheidens als Generaldirektor, 15.6.1934, GMC LBI AR 6379. 1073 Finanzierung der Expansion „were only taken from profits of existing stores“. Die Erfahrungen mit Bankkrediten zwischen 1920 und 1922 „led to the policy of remaining all times independent from the Banks“. Davon ausgenommen waren Warenkredite zur Finanzierung der Einkäufe. Gebäude waren aus eigenen Mitteln finanziert und nicht belastet, siehe „Draft from April 19, 1944, GMC LBI AR 6379, p. 11; Schreiben betr. Besonderheiten des Schocken-Konzerns gegenüber anderen Konzernen, 21.4.1934, GMC LBI AR 6379. 1074 Vgl. Abschrift „Gepflogenheiten der Kaufhäuser Schocken“, 16.9.1933, StAC 31451–427. 1069 1070

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6.3.2.2 Antisemitismus gegen und in jüdischen Unternehmen Das anfängliche Selbstbewusstsein und der Optimismus jüdischer Einzelhändler in den ersten Wochen und Monaten war nicht ungerechtfertigt. Aus ihrer Warte heraus, hatten jüdische Mittel- und Großbetriebe ihren Teil dazu beigetragen, die wirtschaftliche Krisen seit 1914 zu überwinden, sie fühlten sich als Teil, nicht als Fremdkörper des deutschen Wirtschaftslebens. Der Mehrheit fehlte es an Vorstellungskraft, dass den entgrenzten Worten und Absichten tatsächlich auch systematisch Taten folgten. Die überlieferten Einstellungen von Bamberger & Hertz sind hier symptomatisch. Obwohl die Bamberger & Hertz-Gruppe seit 1933 als „jüdisch“ gebrandmarkt wurde, hatte das Judentum bei den Bambergers nachrangigen Stellenwert. So hatte das Geschäft an jüdischen Feiertagen geöffnet und man feierte Weihnachten – gerade auch in der Werbung und der Dekoration.1075 Nach den Erinnerungen von Heinrich Bambergers Frau Elisabeth waren die Bambergers insgesamt „taub und blind“, um die „Sturmanzeichen richtig zu deuten“. Zwar gab es schon vor 1933, besonders in der Frankfurter Belegschaft wahrnehmbare nationalistisch-antisemitische Stimmen, doch die Bambergers hielten die Nationalsozialisten für eine kurzzeitige, wenn auch ärgerliche Bewegung. Später erklärte Elisabeth Bamberger im Exil ihre Haltung: „Wir hätten nicht immer dieselbe Presse lesen sollen, sondern auch die Zeitungen, die wir mit Verachtung straften oder lächerlich machten“.1076 Anders als viele jüdische Industrielle und Unternehmerfamilien transferierten die Bambergers – gegen den Rat ihrer Geschäftskollegen und Freunde – weder Firmengewinne noch Privatbesitz ins Ausland. Familienoberhaupt Heinrich stand auf dem Standpunkt: „Ich verdiene mein Geld in Deutschland, also will ich es auch hier verbrauchen“.1077 Selbst nach den April-Boykotten und massiven Anfeindungen durch die NSBO-Zellen bewerteten die Bamberger-Brüder die Lage als vorübergehend brenzlig und vertrauten auf Besserung. Warnungen von emigrierten Freunden schenkte man keinen Glauben, denn dies seien „Greuelmärchen“. Sie waren sich sicher, dass „dies das Ausland nicht zulasse, [dass] der Spuk vorübergehe und [dass] wir die besseren Nerven haben“.1078 Gustav Bamberger suchte sich immer neue Rettungsanker, die dem Spuk ein Ende bereiten sollten – das Militär, Schacht und sogar Göring. Die Diskussionen über Emigration versus Ausharren trieben die Bambergers um. Doch letzlich, so entschied man, sei Flucht das falsche Signal an die eigenen Kunden, die Zulieferer und die eigene Belegschaft. Man könne nicht aufgeben.1079 Ab Februar 1933 agitierten die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), der Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand und verschiedene

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Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 96. Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 1. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 115. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 14; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 119.

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SA-Gruppierungen gegen jüdische Mittel- und Großbetriebe: Von außen gegen Geschäftsführung, Mitarbeiter und Kunden, aber auch aus den Betrieben selbst heraus. Der Schocken-Konzern geriet trotz der groß angelegten Aufklärungskampagne wegen der „nichtarischen Abstammung“ seiner Eigner und einiger Führungskräfte und aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe in das Kreuzfeuer der gleichgeschalteten Wirtschaftsverbände, der lokalen NSDAP-Gliederungen sowie des NS-Kampfbundes. Diese forderten flächendeckende Boykotte von Lieferanten und Kunden, eine hohe (existenzbedrohende) Sondersteuer für Warenhäuser sowie die Liquidierung oder Übernahme jüdischer Großbetriebe. Bereits Ende März 1933 warnte Direktor Manasse vor den negativen Folgen eines Boykottes gegen Schocken für die gesamtdeutsche Wirtschaft. Schocken vertreibe knapp 98 Prozent deutsche Waren und beschäftige im Konzern und dank Industrieaufträgen mehr als 100.000 Arbeiter. Ein Zusammenbruch hätte einen massiven Steuer- und Kreditausfall, Störungen in der Versorgung und steigende Arbeitslosigkeit bei einem gleichzeitigen massiven Preisanstieg für Alltagswaren zur Folge.1080 In Fragen der Besteuerung zeigte sich Schocken taktisch kompromissbereit, um Anfeindungen abzuschwächen. Statt einer Warenhaussteuer unterstützte man eine „Mittelstands-Schutzsteuer“ für alle Betriebe über 100.000 Reichsmark Jahresumsatz.1081 Doch bereits Ende März 1933 begannen die persönlichen Repressalien gegen die Führungsriege der Zentrale. Die Zwickauer Polizei erschien etwa am 27. März 1933 im Büro von Direktor Manasse „und erklärte, den Auftrag zu haben, mich in Schutzhaft zu nehmen, sie geben an, dies geschehe zu meiner eigenen Sicherheit“. Auf seinen Einspruch beim sächsischen und reichsdeutschen Wirtschaftsministerium und auf den Hinweis hin, ohne ihn sei der Konzern führerlos, ließ man Manasse am selben Tag frei.1082 Anfang Mai verweigerten dann die NS-Behörden Manasse wegen angeblicher „marxistischer Verbindungen“ den Ausreise-Sichtvermerk im Pass. Tatsächlich lagen die Gründe in dem Spendenverhalten des Konzerns, der die NSDAP nicht berücksichtigte.1083 Vgl. Exposè betr. Boykott-Aufruf gegen Betriebe in jüdischen Händen, 20.3.1933, GMC LBI AR 6379. Manasse bezog sich auf die programmatische Erklärung von Tiburtius (HDE) vom 30.5.1933: „Der schärfste Konkurrent des kleinen Betriebes im Kampf um die Erhaltung des Umsatzes ist hier also nicht der typische Großbetrieb, sondern der nur etwas größere, immer noch dem Mittelstand zuzurechnende Betrieb“, siehe „Warenhaus-Problem. A. Allgemein“ vom 20.3.1933, StAC 31541–170. 1082 Manasse erklärte, dass Schocken der sächsischen Industrie Aufträge im Wert von 20 Millionen Reichsmark pro Jahr erteile und „keine Aufträge können ohne meine Unterschrift herausgehen“. Auch gebe es ohne ihn „keine Bezahlung gegenüber den Banken“. Mit der Freilassung musste Manasse eine Erklärung gegenüber der Polizei abgeben: „Ich verzichte [ ] [auf den] besonderen Schutzes durch die Polizei [ ]“). Lakonisch fügte Manasse hinzu: „Die Erklärung ist wohl gleichbedeutend mit „vogelfrei“ erklärt zu werden“, siehe Schreiben an die Polizeidirektion Zwickau, 27.3.1933, GMC LBI AR 6379. 1083 Am 5. Mai 1933 beschwerte sich Manasse telefonisch über den verweigerten „Ausreise-Sichtvermerk“. Die Polizeibehörde argumentiert mit „ rein sicherheitspolizeilichen Gründen“, da Manasse mit „marxistischen Parteien in Verbindung“ stehe und diese mit Geld unterstütze. Manasse bestritt dies und verwies auf die erhebliche Rufschädigung für Schocken-Konzern („größter Handelsbetrieb und Steuerzahler in Sachsen“). Nach Manasses Angaben spendete der Schocken-Konzern „für rechte wie linke Parteien, 1080 1081

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Im Sommer 1933 erhöhten die NS-Behörden den Druck auf die jüdischen Inhaber, Anteilseigner und Führungspersönlichkeiten der deutschen Warenhäuser. Mitte Juli 1933 gab die Leonard Tietz AG vor dem Hintergrund eines Umsatzrückgangs von über 30 Prozent ihre Namenänderung in Westdeutsche Kaufhof AG und die Neuwahl des Aufsichtsrates bekannt.1084 Auch die jüdischen Mitglieder der Geschäftsführung und die persönlich haftenden Gesellschafter bei Hermann Tietz & Co. wie Dr. Hugo Zwillenberg mussten auf Druck der Nationalsozialisten ihre Posten räumen.1085 Wohl auch unter diesem Eindruck beschloss die Schocken KGaA Ende Juli 1933 entscheidende Satzungsänderungen, nach der Einstimmigskeitsbeschlüsse durch eine dreiviertel Majorität abgelöst wurden und es den persönlich haftenden Gesellschaftern erleichtert wurde, schneller auszuscheiden. Die Aktien des Unternehmens blieben vorerst in den Händen des Inhabers Schocken und seiner Geschäftsführer, doch ein schnelles Ausscheiden konnte nun reibungsloser erfolgen.1086 Während die Zentrale in Sachsen gegenüber den dortigen Lokalinstanzen mit einigem Erfolg auf ihre wirtschaftliche Bedeutung für die Region verweisen konnte, gerieten die Filialen jenseits von Sachsen massiv unter Druck, besonders im NS-Vorzeigegau Franken unter Julius Streicher. Detailliert überliefert sind die Vorgänge für das Haus Nürnberg. Der (jüdische) Geschäftsführer Jacobsohn hatte nach massiven Drohungen der SA Nürnberg verlassen, worauf die Konzernleitung den Geschäftsführer der Häuser Waldenburg und Regensburg Alfred Bauer kommissarisch einsetzte. Am 27. März 1933 trat auf Druck der örtlichen NSBO-Zelle der Betriebsrat zurück. Der daraufhin eingesetzte kommissarische Betriebsrat verfolgte rein politische Zwecke und vernachlässigte zunehmend seine geschäftlichen Aufgaben. Diesem „politischen“ Betriebsrat gehörten der Konditor Alois Immerz (Vorsitzender), Karl Kroner (Stellvertreter), die Hausdiener Franz Müller und Wilhelm Schütte sowie die kaufmännischen

ohne die Extremisten, auch nicht an die NSDAP“. Die Spenden reichten von der DNVP bis zur SPD. Der angerufene Amtshauptmann Dr. Kirschner bemerkte dazu: „Ich habe selbst Bedenken, dass die DNVP etwa zugeben wird, von einer jüdischen Firma Unterstützungsgelder erhalten zu haben [ ] Von der DNVP heraus ist es mit dem Prinzip unvereinbar, dass eine konfessionell festgelegte Firma die sie bekämpfende Konfession unterstützt“. Darauf erwiderte Manasse: „Die Leute auch dort denken wirtschaftlich“, siehe Protokoll eines Telefonsgesprächs, 5.5.1933, GMC LBI AR 6379. 1084 Die Gesellschafterversammlung wählte Abraham Frowein, Wuppertal, Björnsen-Schaar (NSDAP) und Alfred Tietz in den neuen Aufsichtsrat. Neuer Generaldirektor wurde Dr. Baier, der zur Namensänderung bemerkte: „Zur Vorbereitung und Dokumentierung der Umstellung bei Tietz muss die Firma ihren Namen ändern [ ], dass in einer hoffentlich bald eintretenden Zukunft die Inseratenfrage zu unseren Gunsten geklärt werden kann“, siehe Artikel „Leonard Tietz künftig “, 14.7.1933, StAC 31451–446. 1085 Im September 1933 hielt die Hertie Kaufhaus-Beteiligungsgesellschaft (durch Großgläubiger mit Zustimmung des Reichswirtschaftsministeriums gegründet) 60 Prozent der Tietz-Anteile. Damit galt das Unternehmen als „arisiert“, da nun „überwiegend arischer Einfluss in unserer Firma [herrsche]“. Nun ergriff Hertie „Maßnahmen zur Angleichung unserer Betriebsführung an die Grundsätze nationaler Wirtschaftsführung“, siehe Artikel „Hermann Tietz & Co“., 6.9.1933, StAC 31451–446. 1086 Vgl. Notarielles Protokoll zur Elften ordentlichen Generalversammlung vom 21.7.1933, StAC 31451– 175.

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Angestellten Frieda Haas und Paula Sack an, die 460 NSBO-Mitglieder im Nürnberger Haus vertraten. Besonders der Vorsitzende Immerz galt der Zentrale als fanatischer Scharfmacher, der sich von seiner Aktivität politischen Aufstieg versprach, auch wenn dies den Zusammenbruch des Nürnberger Standortes zur Folge hatte.1087 Der neue Betriebsrat schürte sofort das Misstrauen zwischen Betriebsleitung und Angestellten. Die Geschäftsleitung interpretierte die Rolle des neuen Betriebsrates ganz nüchtern: „Die politischen Forderungen entspringen dem [ ] vorhandenen Unsicherheitsgefühl gegenüber den im Personal bisher stark vertretenen gewerkschaftlichen Organisationen. Der neue Betriebsrat fühlt sich bespitzelt [ ]. Daraus ergeben sich [ ] ständig vorgetragene Drohungen gegen angeblich anti-nationalsozialistisch orientierte Angestellte, insbesondere gegen das jüdische Personal. Die Beunruhigung steigerte sich kurz vor dem Boykott zu der Forderung der Entlassung sämtlicher jüdischer Angestellten“.1088

Betriebsratsmitglieder wie Frau Haas beschwerten sich öffentlich gegenüber leitenden jüdischen Angestellten: „Es würde den jüdischen Herren nichts schaden, wenn sie mal ein paar Ohrfeigen bekommen“. Derartige Meinungen wurden vom Betriebsrat in Schutz genommen mit dem Hinweis, einige jüdische Angestellte hätten sich „provokant benommen“.1089 Die Forderungen des Betriebsrates betrafen nur oberflächlich den Betriebsalltag (genauere Erfassung der Arbeitszeit, tarifliche Bezahlung von Mehrarbeit für gewerbliche Angestellte). Die erste Kampagne richtete sich gegen die jüdischen Angestellten, die elf „Doppelverdienerinnen“ sowie gegen alle, die „über die Regierung [ ] abfällige Bemerkungen machen“. Um den Betriebsfrieden zu wahren, änderte Schocken die Zeiterfassung und Überstundenentlohnung und versuchte bei den Entlassungen auf Zeit zu spielen.1090 Mit Verweis auf eine geplante gesetzliche Regelung ließ der Betriebsrat daraufhin die Forderung nach Entlassung der jüdischen Kollegen vorerst fallen. Auch bei Bamberger & Hertz spitzte sich die Situation im Frühjahr 1933 zu. Heinrich Bamberger entging in Frankfurt nur knapp einer Verhaftung. Am 29. März 1933

„Immerz ist ein halbgebildeter, außerordentlich ehrgeiziger Mann, der sich in seiner Tätigkeit als Träger einer politischen Aufgabe fühlt. Er glaubt, eine große politische Karriere vor sich zu haben, und ist deshalb [ ] rücksichtslos in der Wahl seiner Mittel und unsachlich [ ]. Über die [ ] Funktionen und Aufgaben ist er sich nicht voll im Klaren, so dass er sich über die unwichtigen Fragen mit der Leitung der NSBO berät [ ] Auf diese Weise ist bei der NSBO der Eindruck entstanden, dass im Kaufhaus Schocken besonders zahlreiche Missstände bestehen“. Gegenüber Zeugen äußerte sich Immerz über seinen Arbeitgeber: „Ich habe noch nie im Hause für mich gekauft, wir führen nur Schund“, siehe Protokoll „Nürnberg“, 4.5.1933, StAC 31451–428, vgl. weiter Protokoll „Geschäftsführung“, 23.7.1934, StAC 31451–428; Geschäftliche Tätigkeiten der Herren Immerz und Kroner, o. D. [ Juli 1934], StAC 31451–428; Abschrift „Bestätigung von Betriebsratsmitgliedern“, 12.6.1933, StAC 31451–428. 1088 Vgl. Protokoll „Nürnberg“, 4.5.1933, StAC 31451–428. 1089 Vgl. Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden Herrn Immerz, 30.3.1933, StAC 31451–428. 1090 Der Betriebsrat forderte die Kündigung von 11 Angestellten. Schocken kündigt zunächst nur 5, da für alle anderen „erst Ersatz gefunden“ werden musste, siehe Protokoll „Der kommissarische Betriebsrat in den ersten 4 Monaten“, 31.7.1933, StAC 31451–428. 1087

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hatte der Frankfurter Detaillistenverband alle jüdischen Mitglieder an einen Ort gerufen, um zu den geplanten Boykotten Stellung zu nehmen. Kurz darauf stürmte die SS den Saal, prügelte und verhaftete alle jüdischen Anwesenden. Heinrich, obwohl Vorsitzender des Verbandes, war nicht anwesend gewesen. Dafür vertrat der kriegsversehrte Mitarbeiter Piorkowsky das B&H-Geschäft. Alle Festgenommenen wurden, öffentlichkeitswirksam umrahmt von der örtlichen Polizei, „durch die bekanntesten Geschäftsstraßen“ getrieben und nach einer Woche in Polizeigewahrsam wieder auf freien Fuß gesetzt. Das Leipziger wie auch das Frankfurter Geschäft berichteten keine Verwüstungen, es „blieb“ bei Drohungen und Schmierereien.1091 Am 1. April 1933 erreichte der antisemitische Druck der Nationalsozialisten seinen vorläufigen Höhepunkt, als der sog. „Judenboykott“ ausgerufen, mangels Unterstützung aber bereits drei Tage später wieder beendet wurde.1092 Die lokal initiierten April-Boykotte gefährdeten aus Sicht der Reichsbehörden den einsetzenden Wirtschaftsaufschwung und beunruhigten die Bevölkerung ebenso wie das Ausland. Das Reichswirtschaftsministerium warnte im September 1933 die einzelnen Länder vor weiteren Boykottaktionen einzelner, örtlicher Parteiorganisationen: „[ ] sind Boykotts und andere Maßnahmen, die sie [Läden] im Geschäftsverkehr mit ihren Lieferanten oder ihren Abnehmern behindern (z. B. Aufstellung von schwarzen oder weißen Listen, Nichtaufnahme in Bezugsquellenregister, Aufschrecken der Kundschaft durch Postenstehen, Flugblätter, Plakate, Warnungen, photographische Aufnahmen der Käufer oder deren Belästigung in anderer Form) oder eine Einflussnahme im Sinne der Aufgabe bestimmter Warenarten und Betriebszweige von jedermann zu unterlassen“.1093

Für Bamberger & Hertz und auch Schocken waren die April-Boykotte zwar nicht existenzgefährdend, aber sie verdeutlichten die antisemitische Härte und Beharrlichkeit. Das Geschäft der Bambergers in München wurde mit Parolen „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei(m) Juden!“ beschmiert und Kunden sowie Personal durch SA-Leute am Zutritt behindert. Das Frankfurter Geschäft hatte am 1. April – trotz sog. Boykottwachen der SA – geöffnet – „ein paar Beherzte und auch Juden trauten sich doch herein“. Die April-Boykotte des Jahres 1933 beschrieb Elisabeth als rein „äußerliche Protestaktionen“ – gemessen an den späteren Ausschreitungen im November 1938. In der Frankfurter Belegschaft rumorte es hörbar. Zwei leitende Angestellte – Herr Schmidt und Herr Wolfram – legten Fritz und Heinrich Bamberger noch am selben Tag nahe,

Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 6. Studien zum Thema Boykott und Antisemitismus in Deutschland vgl. etwa Bark¢ai (1988); Ludwig (1992); Genschel (2001); Münzel (2006); Friedländer (2007); Brügmann (2009); Ahlheim (2011). 1093 „Eingriffe dieser Art sind im Übrigen allen Angehörigen, Dienststellen und Einrichtungen der NSDAP und den ihr nahestehenden Organisationen [ ] ausdrücklichst untersagt worden“, siehe Abschrift eines Schreibens des Reichswirtschaftsministers an die Landesregierungen u. a. vom 1.9.1933, BA R8034II/3570. 1091 1092

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ihre Geschäfte zu verkaufen, da die „Ausmerzung der jüdischen Geschäfte beabsichtigt sei“.1094 Am 1. April 1933 empfahl der „Verband der Waren- und Kaufhäuser Deutschlands“ seinen Mitgliedern per Rundschreiben „Geschäftsschließungen von Samstag bis Montag“. Schocken entschloss sich daraufhin, die Geschäfte aufzulassen und je nach Lage gegebenfalls zu schließen.1095 Es bleibt unklar, wie schwer der Schocken-Konzern von den April-Boykotten getroffen wurde. Frankenberg, Freiberg und Zwickau meldeten entsprechende Beeinträchtigungen. Das Nürnberger Geschäft überstand den April-Boykott der SA im Ganzen unbeschadet und meldete ab 3. April „keine Störungen mehr“.1096 Doch die Anfeindungen und Einschüchterungen verlagerten sich von „offiziellen“ Boykotten zunehmend hinein in die Betriebe und richteten sich in der Folge vor allem gegen Mitarbeiter und Kunden jüdischer Geschäfte. Dabei kam der NSBO eine entscheidende Rolle zu. Jeder Betrieb hatte eine sog. „Betriebszelle“ gründen müssen, die der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) – einer gewerkschaftsähnlichen Körperschaft der NSDAP – angehörte. Innerhalb des Betriebes agierte die Zelle als eine Art Ausschuss, der die „Angelegenheiten des Personals“ gegenüber der Betriebsführung vertreten sollte. Laut Elisabeth Bamberger bestand deren Aufgabe realiter darin, die „Abgewandten und Lauen [zu] bespitzeln und den jüdischen Chefs die Hölle heiß [zu] machen“. Im Frankfurter Haus von Bamberger & Hertz taten dies die überzeugten Nationalsozialisten und langjährigen Mitarbeiter Engelke und Vogel. Die Zelle sorgte für Zwietracht zwischen jüdischen und „arischen“ Mitarbeitern. Besonders die Denunziation enger Mitarbeiter gegenüber ihren jüdischen Kollegen und Chefs wirkte sich negativ auf das Geschäft aus. Man verlor durch erzwungene Entlassungen (über die auch die NSBO-Zelle befand) Lehrlinge, Verkäufer und leitende Angestellte wie etwa den langjährigen jüdischen Leiter der Einkaufszentrale. Gegen den ausdrücklichen Willen der Geschäftsleitung in Frankfurt wurde ein Zimmer mit Hitler-Portraits und Hakenkreuz-Fahnen geschmückt und zum Personal-Versammlungsort erklärt, in dem Parteilieder gesungen und NS-Propaganda über das Radio gehört wurde. Bis zum Sommer 1933 wurden „die Hitleranhänger [unter der Belegschaft] immer mehr, die Wohlgesinnten immer weniger“.1097 Auch bei Schocken verstärkten sich die Einschüchterungsversuche der NSBO und der örtlichen Polizeidienststellen nach den April-Boykotten gegen die Geschäftsleitung. Am 19. April 1933 wurden die Räume der Geschäftsleitung durch die Polizei durchsucht, um vermeintliche Beweise für eine Reichsbanner-Unterstützerschaft zu 1094 1095

6379.

Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 5, S. 8. Vgl. Rundschreiben wegen Schließungen anlässlich der Boykotte, o. D. [1.4.1933], GMC LBI AR

Der Boykott der SA setzte am 31. März 1933 ab 16.30 Uhr ein, und setzte sich am 1. April 1933 ab 9 Uhr vor den Eingängen fort. Schocken schloss ab 10 Uhr das Geschäft und öffnete ab 14 Uhr wieder. Jedoch betrat kein Kunde das Geschäft, siehe Boykott in und vor dem Hause, 20.7.1934, StAC 31451–428. 1097 Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 9–12. 1096

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finden. Eine Woche später besetzte die Nürnberger NSBO-Leitung den Betrieb in der Absicht, Direktor Jacobsohn festzunehmen. Dies scheiterte, da Jacobsohn sich in Zwickau aufhielt. Ersatzweise wurde die anwesende Geschäftsleitung in „Schutzhaft“ genommen unter dem Vorwurf, das Personal zu „schikanieren“ und „gegen den Betriebsrat zu arbeiten“. Obwohl die Geschäftsleitung der Forderung nach Entlassung aller jüdischen Angestellten nicht entsprach, ließ man sie wieder frei.1098 Daraufhin richtete sich die Schikane des Betriebsrates gegen einzelne jüdische Angestellte.1099 Die Auswirkungen auf den Betriebsfrieden waren desaströs. Die Geschäftsleitung berichtete der Zentrale am 4. Mai, dass im Haus Nürnberg eine „Atmosphäre des Misstrauens“ herrsche, in der „sich die Angestellten beobachtet und bespitzelt fühlen“. Selbstkritisch reflektierte man über die erzwungene „häufige Abwesenheit der Geschäftsleitung“, die zu einer „starken Aufteilung der Kompetenzen“ geführt habe. Da der „Weg zur Geschäftsleitung weit ist“, genoss deren „Vertretung [ ] weder Vertrauen noch Autorität“. Neben den internen Problemen blieb die besondere Nähe des Nürnberger Betriebsrates zu „zentralen Parteiinstanzen, die lokal großen Einfluss haben“. Aus Sicht Schockens handelte es sich bei Nürnberg um eine „politische Sonderaktion“. Im Mai 1933 steigerten sich die verbalen Angriffe des Betriebsrates in körperliche Auseinandersetzungen innerhalb des Betriebes. Anfang Mai hatte der Betriebsrat auf einer Versammlung seine Loyalität zur Geschäftsleitung aufgekündigt.1100 Am 19. Mai kam es zu einem körperlichen Übergriff der Betriebsratsmitglieder Müller und Schütte auf den kommissarischen Geschäftsleiter Bauer. Auf Einspruch des Treuhänders der Arbeit werden beide Angreifer lediglich für acht Wochen beurlaubt. Bauer wurde hingegen durch die SA in „Schutzhaft“ genommen unter dem Vorwand, das Personal habe um „Sicherheit der Geschäftsleitung bei Betriebsversammlung gefürchtet“. Bauer verbrachte eine Nacht in Haft und durfte „auf polizeilichen Rat“ das Geschäft nicht mehr betreten. Da sich kein geeigneter Nachfolger fand, setzte die Zentrale zum 1. Juni Direktor Jacobsohn formell wieder ein, wobei Direktor Manasse das Gespräch mit dem Betriebsrat suchte. Hier zeigte sich der Betriebsrat strikt ablehnend: „Bei dem ganzen Personal besteht augenscheinlich eine ausgesprochene Stimmung gegen Jacobsohn“. Die Belegschaft sei „entfremdet“, das Haus Nürnberg habe Die NSBO hatte zur Entlassung aus der „Schutzhaft“ gefordert, alle jüdischen Angestellten „innerhalb 8 Tagen zu entlassen“ und mit unbefristeter Haft gedroht. Die Geschäftsleitung berichtete der Zwickauer Zentrale weiter, dass „sämtliche Eingänge des Büros besetzt“, „sämtliche Telefonate abgehört“ und alle Personalakten durch die SA zum Betriebsrat zur Abschrift gebracht wurden, siehe Protokoll der Vorgänge am 24. April 1933, 26.4.1933, StAC 31451–428; Protokoll von Bremser an Schäfer, Zentrale, Personalabteilung, 2.7.1933, StAC 31451–428. 1099 Ende April 1933 gerieten die jüdischen Angestellten Gorski und Freimark ins Visier. Der Betriebsrat forderte entweder Samstagarbeit oder Entlassung der beiden. Zudem sollte die jüdische Betriebspflegerin Stoll durch die nicht ausgebildete Frau Haas (Betriebsrat) ersetzt werden, siehe Protokoll „Nürnberg“, 4.5.1933, StAC 31451–428. 1100 „Die Zeiten seien vorbei, wo judenhörige Knechte und Bonzen die deutschen Angestellten terrorisieren könnten“, siehe Belegschafts-Versammlungen, 20.7.1934, StAC 31451–428. 1098

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„von aussen her [mit] einer besonders ausgeprägten antisemitischen Stimmung“ zu kämpfen und der Betriebsrat fühle sich als „Kapitän eines führerlosen Schiffs“.1101 Die Zentrale ließ sich davon zunächst nicht beeindrucken, doch im Verlauf des Juni 1933 häuften sich Schikane, Schmähungen und persönliche Angriffe auf Jacobsohn seitens des Betriebsrates.1102 Schockens Beschwerden über die politische Agitation des Betriebsrates verhallten. Der gleichgeschaltete Reichsverband Mittel- und Großbetriebe gab beiläufig die Empfehlung „solche Anschläge zu übersehen“ und sah darüber hinaus judenfeindliche Anschläge als gerechtfertigt, da „es eine Frage des Taktes ist, dass jüdische Angestellte nur mit ihresgleichen verkehren“.1103 Höhepunkt waren die unverhohlenen Drohungen des „Stürmers“: „Vor wenigen Tagen [ ] erschien der Jude Jacobsohn wieder im Warenhaus. Er grinste über das ganze Judengesicht und sprach von einer schweren Krankheit [ ] Wir empfehlen ihm, sich unverzüglich wieder „krank“ zu melden. [ ] Ist [er] nicht bald außer Sicht, so kann es ihm passieren, in ein Sanatorium gebracht zu werden. [ ] Es ist das Sanatorium Dachau“.1104

In augenscheinlicher Lebensgefahr übergab Jacobsohn am 3. Juli 1933 an Georg Spiro, der die Geschäfte in Nürnberg zunächst vertretungsweise, ab 1. Oktober 1933 hauptamtlich führte. Spiro hatte zuvor den Standort Regensburg geleitet und versuchte mithilfe der Zentrale und dem Gesamtbetriebsrat des Schocken-Konzerns die Nürnberger Atmosphäre zu beruhigen. Der Gesamtbetriebsrat verurteilte am 8. Januar 1934 das Verhalten seiner fränkischen Kollegen: „Nürnberg geht dem Ende entgegen. Das Personal ist zum größten Teil selbst daran schuld“. Auch in einem jüdischen Betrieb müsse jeder seine Pflicht erfüllen und sich seinem Arbeitgeber gegenüber loyal verhalten. Die Betriebsräte dürften sich nicht gegeneinander ausspielen lassen und es müsse das Ziel sein, „für Aufrechterhaltung des Betriebes zu arbeiten, bis es von oben herab anders bestimmt wird“.1105 Doch diese Zurechtweisungen und Absichtsbekundungen gerieten angesichts der permanenten Anfeindungen zur Makulatur. Vgl. Schilderung von Bauer an Zentrale, Abt. Geschäftsführung in Zwickau, 24.5.1933, StAC 31451– 428; Schreiben an Pressler, 29.5.1933, StAC 31451–428; (Unvollständiges) Protokoll der Ereignisse, 22.5.1933, StAC 31451–428; Protokoll „Geschäftsführung“, 23.7.1934, StAC 31451–428; Besprechung vom 1.6.1933, StAC 31451–317. 1102 So sollte die hauseigene Bibliothek mit NS-Schriften bestückt werden. Der Betriebsrat forderte überdies Informationen über Neueinstellungen und Kündigungen und installierte ein „besonderes Schwarzes Brett“ für antisemitische Anschläge (auf Befehl der Gauleitung). Hierin sah Jacobsohn eine deutliche „Kränkung“, siehe Protokoll „Der kommissarische Betriebsrat in den ersten 4 Monaten“, 31.7.1933, StAC 31451–428. 1103 Schreiben des Reichsverbands der Mittel- und Großbetriebe des Deutschen Einzelhandels, 27.6.1933, StAC 31451–428. 1104 Protokoll „Geschäftsführung“, 23.7.1934, StAC 31451–428; Anlage 3 zu „Georg Spiro“, 1.10.1933, StAC 31451–428. 1105 Gesamtbetriebsratsvorsitzender Bieber erzählte, in Nürnberg „vom Personal am Kaufen gehindert“ worden zu sein. Betriebsratsvorsitzender Immerz verbot ihm persönlich das Kaufen. Bieber stellte daraufhin klar: „ Wir arbeiten, damit unser Arbeitsplatz erhalten bleibt und dass wir unsere Pflicht tun bis zum 1101

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Die April-Boykotte bedeuteten also nicht das Ende, sondern den Auftakt einer systematischen Ausgrenzungs- und Einschüchterungsphase, die sich gegen Geschäftsleitung, führende Mitarbeiter und auch Kunden richtete. Spätestens ab Herbst 1933 wurden systematisch Schocken-Kunden durch SA, NSBO und eigene Angestellte eingeschüchtert, drangsaliert, am Betreten oder Kauf gehindert, mit körperlicher Gewalt bedroht oder ihr ausgesetzt. Zum Ostergeschäft 1934 wurde das Geschäft durch SA völlig abgesperrt, Kunden wurden beschimpft („Sie kaufen beim Juden. Sie sind ein gemeines, ehrloses Frauenzimmer“) und verprügelt. Der Betrieb war damit „systematisch gestört“ und erlitt „schwere Umsatzeinbußen“.1106 Schockens Einsprüche auf Kommunal-, Landes- und Reichsebene führten ins Leere.1107 Neben dem äußeren Druck agitierte der Betriebsrat auch massiv gegen den neuen Leiter Spiro. Auf einer Belegschaftsversammlung am 12. März 1934 hetzte der Nürnberger Betriebsrat unermüdlich gegen den „bisherigen jüdischen Geist [ ] verkörpert durch die jüdischen Geschäftsführer und deren Handlanger. [ ] Gegen die, die noch zum Juden stehen, wird in nächster Zeit auf das schärfste vorgegangen werden. [ ] Betriebsführer könne niemals ein Jude sein. [ ] Für die jetzt herrschenden Juden komme der Tag, an dem sie verschwinden müssten und mit ihnen ihre Helfer und Helfershelfer“.1108

Im Frühjahr 1934 forderte der Betriebsrat (erneut erfolglos) Spiros Rücktritt („Nichtarier“) und die Entlassung der verbliebenen jüdischen Angestellten.1109 Angesichts der ungebrochenen inneren und äußeren Spannungen wies der Konzern am 14. April 1934 gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium auf die massiven Widersprüche in den politischen Aktionen der Gauleitung Franken hin, die den Reichsanordnungen strikt letzten Augenblick“, siehe Besprechung der Betriebsratsmitglieder mit dem Betriebsratsvorsitzenden Bieber in Cottbus, 8.1.1934, StAC 31451–428. 1106 Unter dem Druck des von der NSDAP entsandten Schocken-Vorstands Köhler diskutierte der Konzern Ende März die Abspaltung des Hauses Nürnberg und dessen Umwandlung in ein selbstständiges Spezialtextil-Haus. Diese Pläne erwiesen sich aber als unrentabel und wurden abgelehnt, siehe Titelloses Dokument (IV/4, S. 2), o. D., StAC 31451–428; Abschrift „An das Schwarze Brett“, 21.3.1934, StAC 31451–428. 1107 „Nürnberg sei nun einmal die Hauptstadt des Antisemitismus“ (Reichswirtschaftsministerium), und die „Behinderungen vor dem Hause seien nicht organisiert“, teilweise durch jüdische Angestellte provoziert und überdies dulde die Gauleitung diese Boykotte nicht (NSBO Nürnberg), siehe Boykott in und vor dem Hause, 20.7.1934, StAC 31451–428. 1108 Belegschafts-Versammlungen, 20.7.1934, StAC 31451–428. 1109 Die Zentrale sah für Spiros Entlassung keine gesetzlichen Vorgaben und für die Entlassung der jüdischen Belegschaft keine politische Notwendigkeit, da ihr Anteil an der Nürnberger Belegschaft bei 0,2 Prozent lag, siehe Protokoll Besprechung mit Gaubetriebszellenleitung Nürnberg, o. D. [März 1934], StAC 31451–428; Jüdische Angestellte in Nürnberg, 21.3.1934, StAC 31451–428. Mitte April 1934 lehnte der Betriebsrat eine gemeinsame Aufstellung der Vertrauensliste (Vertrauensrat) ab. Spiro schickte daraufhin eine eigene Liste an den Treuhänder der Arbeit Bayern Dr. Frey. Dieser lehnte Spiros Liste allerdings ab und nahm den Vorschlag des Betriebszellenobmanns Immerz an, siehe Schreiben an Dr. Gundermann, Nürnberg (Gewerbeaufsicht), 21.4.1934, StAC 31451–428; Protokoll „Vertrauensrat“, 23.4.1934, StAC 31451–428; Schreiben an das Reichsarbeits-Ministerium in Berlin, 19.5.1934, StAC 31451–428.

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zuwiderliefen. Durch die „täglichen Boykotte“ stand Nürnberg „kurz vor dem Konkurs“ und die „Existenz von 465 Angestellten [war] schwer gefährdet“.1110 Doch auch hier blieben die Klagen ungehört. Bis Ende Juni 1934 blieb Nürnberg massiven Anfeindungen ausgesetzt.1111 Am 1. Mai 1934 besuchte Gauleiter Streicher die Schocken-Belegschaft und warb für Unterstützung seines Kampfes gegen Schocken: „Im letzten Jahr sind viele jüdische Geschäfte in Nürnberg in deutsche Hände gekommen, ich muss offen sagen, dass mich das freut. [ ] Dass die Umsätze der jüdischen Geschäfte zurückgehen, ist mein Wille. [ ] Je weniger jüdische Geschäfte zu tun hätten, umso besser ginge es den arischen. [ ] Auch sie werden wieder Arbeit finden, wenn sie vorübergehend etwa ohne Arbeit sein würden“.1112

Am 2. Juni 1934 sprach dessen Stellvertreter Holz vor der Schocken-Belegschaft und ermunterte zur Gehorsamsverweigerung gegenüber der Geschäftsleitung mit dem Hinweis, dass in Franken kein Nichtarier Führer eines Betriebes sein könne.1113 Davon ermutigt, forderte der Betriebsrat erneut die Entlassung der verbliebenen jüdischen Angestellten und von Spiro selbst.1114 Von den insgesamt 16 Angestellten gelang es Schocken zwischen März 1933 und Ende Juni 1934, neun Angestellte intern zu versetzen. Sieben Nürnberger Angestellten musste gekündigt werden.1115 Schocken führte die Reichsverordnung an, nach der ein „Nichtarier“ Betriebsführer sein konnte. Dies bestritt die Gauleitung Mittelfranken öffentlich („Nürnberg ist eben immer etwas voraus“). Schocken schilderte auch die schweren Oster-Boykotte am 5. und 9. April 1934: „sämtliche Eingänge [waren] von 50–60 Mann bewacht“, „[das] Kaufende Publikum [wurde] mit Gewalt aus dem Haus heraus geholt und zum Teil misshandelt“, gestoßen, bespuckt, Abzeichen wurden abgerissen, wobei die „Polizei völlig machtlos“ war. Dieser „Ostererfolg“ ermutigte, Boykotte wiederholen sich nun „täglich“. Betriebszellenobleute standen, nach Schockens Schilderung, selbst am Eingang und drohten NSBO-Mitgliedern beim Eintritt (Fotografieren, namentliche Nennung in Tageszeitungen), siehe Schreiben an Reichswirtschaftsministerium, 14.4.1934, StAC 31451–428. Weitere Beschwerden über massive Kundenbehinderungen am 5., 9., 17., 23. und 28. April: Eingänge wurden besetzt mit „Zivilisten mit Parteiabzeichen“ und einigen SA-Leuten. Diese klebten Kunden rote Zettel auf Rücken „Kauft nicht im Warenhaus, kauft nicht beim Juden“, Schreiben an Reichswirtschaftsministerium, 30.4.1934, StAC 31451–428. 1111 Der Zentrale wurde berichtet: Eine „Reihe von Kunden halten ihre Einkäufe möglichst versteckt – in Aktentaschen, unter dem Mantel“. Die Boykott-Posten drohten den Angestellten (sogar einem SA-Mitglied und einem Schwerkriegsbeschädigten): „Erlaube dir ja nicht, am Montag deine Stelle hier wieder antreten zu wollen. Falls wir dich wieder hier sehen, nehmen wir dich mit, wohin weißt du; aber nicht nur auf drei Wochen“, siehe Bericht über die Vorgänge in Nürnberg, 5.5.1934, StAC 31451–428. 1112 Vgl. Belegschafts-Versammlungen, 20.7.1934, StAC 31451–428. 1113 „Die Ausschaltung des Juden könne nicht von heute auf morgen gelöst werden. In erster Linie gelte es, das Volk aufzuklären. Der Kreis Hersbruck sei bereits judenfrei; man hoffe, dass es bald in ganz Franken soweit kommt“, siehe ebd. 1114 Die Betriebszelle diffamierte Spiro gegenüber der Zentrale Zwickau. Spiro habe Luxusarmbanduhren unter Preis gekauft und Mitarbeiter grundlos angeschrien. Dieser kann Vorwürfe als haltlos entkräften, siehe Schreiben an Direktor Schäfer, Zwickau, 30.6.1934, StAC 31451–428; Schreiben an Direktor Schäfer, 3.7.1934, StAC 31451–428. 1115 [Name, Vorname Entlassen E/Versetzt V]: Friedmann, Pepi (E 30.4.1933); Heilbrunn, Siegfried (V 16.5.1933,später ausgetreten); Schiften, Lothar (V 16.5.1933, später ausgetreten); Koplowitz, Richard (E 31.5.1933); Gorski, Salo (E 30.6.1933); Freimark, Adolf (E 30.6.1933); Stoll, Rosa (E 30.6.1933); Goldfinger, 1110

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Nach der „Röhm-Affäre“ und der Zurücksetzung der SA und deren antikapitalistischem Kampfprogramms blieb der Geschäftsführer Spiro im Amt. Nürnberg erlebte danach keine systematischen Boykotte mehr und überlebte betriebswirtschaftlich um Haaresbreite. Allerdings blieb die Stimmung der NSBO gegen das Nürnberger Haus höchst feindlich1116 und diverse Übernahmegerüchte kursierten weiter.1117 Auch Bamberger & Hertz sah sich ununterbrochenen Anfeindungen ausgesetzt. Das Jahr 1935 markierte sowohl einen neuen Höhepunkt antisemitischer Anfeindungen von innen wie von außen als auch die zunehmende Machtlosigkeit der Bambergers im Angesicht der Gleichgültigkeit der Behörden – in der Dynamik, wenn auch nicht in der Intensität vergleichbar mit den Nürnberger Vorgängen bei Schocken. Am 24. Januar 1935 beobachtete der Chefeinkäufer Hans Hirmer in München, dass einige Personen direkt vor dem Eingangsbereich neue Ausgaben des Propagandablattes „Der Stürmer“ verteilten. Hirmer intervenierte sofort und erfolglos beim Verteiler und legte Beschwerde bei der Bayerischen Politischen Polizei gegen diese Aktion „von unteren Stellen“ ein. Der dortige Verantwortliche verwies darauf, dass „Zettel auf öffentlichem Boden verteilt werden“ und dies genehmigt sei, damit „der Stürmer Abonnenten gewinne“. Als Hirmer einwandte, dass vor wenigen Tagen eine solche „Abonnentengewinnung“ zu massiven Schwierigkeiten und Ausschreitungen im Frankfurter Geschäft geführt hatte, erwiderte Uhlsenmeier: „Das glaube ich nicht und es sei bestimmt nicht so schlimm gewesen [in Frankfurt], wie berichtet. Man müsse natürlich den Deutschen das Recht einräumen, dass sie ihren deutschen Volksgenossen sagen, sie sollen nicht bei Juden kaufen“.1118

Ernst (V 1.1.1934, später ausgetreten); Elias, Herbert (V 14.1.1934); Lewin, Erich (V 15.1.1934); Hermann, Joseph (V 16.1.1934); Steinbach, Heinz (E 31.1.1934); Hermann, Bernd (V 11.6.1934); Wolfromm, Herbert (V 11.6.1934); Czarlinski, Erich (V 12.6.1934); Margoniner, Ludwin (E 30.6.1934), siehe „Jüdische Angestellte“, 24.7.1934. Noch im Sommer 1934 bemühte sich die Zentrale (erfolglos), den Betriebsratsvorsitzenden Immerz und dessen Stellvertreter Kroner zu entlassen, siehe Besprechung vom 28.9.1934, StAC 31451–317; Notiz zu Kroner und Immerz vom 10.7.1934, StAC 31451–317; Schreiben betr. Nürnberg vom 2.8.1934, StAC 31451–317; Jüdische Angestellte (13), 11.6.1934, StAC 31451–428. 1116 NSBO – Gaubetriebszellenobmann Pessler betonte: „Der Kampf gegen die Juden könne nicht aufgegeben werden. Es würde weitergepredigt: die Juden sind unser Unglück [ ] Es komme nicht in Frage, dass dieser Kampf aufgegeben wird“. Schocken werde keinen „Aufstieg in Nürnberg je mehr erleben“. Er glaube aber auch nicht, dass es zu einem Zusammenbruch des Unternehmens kommen wird, siehe Besprechung vor dem Beauftragten des Treuhänders der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Bayern, 20.6.1934, StAC 31451–428. 1117 Die Firma Witt, Weiden hatte (gerüchteweise) die Absicht, Schocken, Nürnberg und Joel, Nürnberg komplett zu übernehmen. Dieses Vorhaben scheiterte am Einspruch des Nürnberger Detaillistenvereins. Dieser (in Person Warmann, Herrenkonfektionsgeschäft) unterbreitete Schocken, Nürnberg den Vorschlag, Schocken, Nürnberg zu zerschlagen und durch einzelne Einzelhändler zu übernehmen, als Art Gemeinschaftskaufhaus. Allerdings bestritt Spiro öffentlich jede Verkaufsverhandlungen mit Witt und wies den Vorschlag ab, siehe Schreiben an Zentrale (GL), 27.6.1934, StAC 31451–428. 1118 Vgl. Bericht wegen Verteilung der Stürmer-Propaganda-Blätter vom 24.1.1935, HUA 2013/02/0012– 1, S. 277.

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Die befürchteten Tumulte in München blieben aus, doch die immer wieder aufgebrachten Schmierereien („Jude“) an Bambergers Schaufenstern führten im Mai 1935 zu einer ersten offiziellen Beschwerde beim zuständigen Referenten im Reichswirtschaftsministerium Dr. Baetzgen. Hirmer und Bamberger argumentierten, dass diese Schäden ihre „Kundschaft [ ] außerordentlich verunsichert“ hätten und zu schwerer „wirtschaftlicher Schädigung“ führten.1119 Zu einem abermaligen persönlichen Protest beim Ministerium kam es anlässlich eines schweren Überfalls auf das Bamberger’sche Geschäft am Abend des 18. Mai 1935. Den Tag über hatten „mehrere besser gekleidete Herren in Civil, [ ] die Aus- und Eingehenden scharf fixiert und zum Teil, besonders Angehörige des Reichsheeres und Leute mit Parteiabzeichen, zu Rede gestellt“. Am Abend bildete sich ein wütender Mob von 20 Leuten und drang in den Empfangsraum ein mit dem Ruf: „In 5 Minuten muss der Laden zu sein, sonst gibt’s Kleinholz“. Ein Kunde wurde auf die Straße gezerrt und verprügelt. Die Angreifer verließen das Geschäft „und zogen Gitter [ ] eigenmächtig hoch, [ ] das Geschäft blieb dann geschlossen“. Nachdem Hirmer um Polizeischutz bat, empfahl die Polizei, „das Geschäft heute geschlossen zu halten [ ]. Nach der Beruhigung und der Verstärkung der Polizei durch SA und SS-Streifen [sei] nichts mehr zu befürchten“.1120 Hirmer beschwerte sich abermals erfolglos bei Baetzgen, der „aufs Äußerste entrüstet“ schien, aber sich ebenso nicht zuständig fühlte. Ende 1935 häuften sich die Beschwerden über die „neuerdings an Ortseingängen von München angebrachte[n] Schilder[n] – Juden sind hier nicht erwünscht“.1121 Die Buchhalterin Plötz notierte ganz außer sich vor Ärger, dass bei ihrer Fahrt von München nach Gauting insgesamt 19 solcher Schilder (60×40 cm, schwarz angestrichen mit weisser Großschrift) an Ortseingängen angebracht seien.1122 Die Vorgänge bei Bamberger & Hertz am Standort München waren ab Mitte der 1930er eher die Regel als die Ausnahme. In den anderen Bamberger & Hertz-Häusern kamen die Anfeindungen eher von innen. Hier sabotierten die eigenen Mitarbeiter den Geschäftsgang oder diffamierten die Geschäftsleitung. In Frankfurt verwickelten sich NSBO-Betriebsrat und Geschäftsführung in einen regelrechten Kleinkrieg.1123 So lag „Der Stürmer“ im Frühstücksraum aus. Auch steckten Angestellte Zettel in gekaufVgl. Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium vom 20.5.1935, HUA 2013/02/0012–1, S. 260. Vgl. Bericht über den Überfall vom 18.5.1935, HUA 2013/02/0012–1, S. 258; Der Kunde galt zunächst als Angehöriger der S. A. Wie sich später herausstellte, handelte es sich nicht um einen SA-Mann, „sondern um einen seit langen in München lebenden Italiener“, siehe Streng vertraulicher Bericht an Fritz Bamberger vom 24.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 54 ff. 1121 Vgl. Niederschrift über die Besprechung im Reichswirtschaftsministerium vom 27.5.1935, HUA 2013/02/0012–1, S. 244 ff. 1122 Vgl. Bericht über eine Fahrt nach Tutzing am Starnbergsee, HUA 2013/02/0012–1, S. 248 f. 1123 Vgl. Akten-Notiz beim Treuhänder der Arbeit in Frankfurt vom 28.2.1934, HUA 2013/02/0016, S. 305; Akten-Notiz über die Besprechung beim Treuhänder der Arbeit in Frankfurt vom 6.3.1934, HUA 2013/02/0016, S. 304; Akten-Notiz über Verhandlungen in Frankfurt vom 13.3 bis 15.3.1934, HUA 2013/02/0016, S. 291 ff.; Niederschrift über die Besprechung in Frankfurt vom 26.3.1934, HUA 2013/02/0016, S. 285 f.; Liste des Führers des Betriebes, o. D., HUA 2013/02/0016, S. 296 ff. 1119 1120

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

te Anzüge mit der Aufschrift „Wer beim Juden kauft, ist Volksverräter“ oder Angestellte fotografierten „arische“ Kunden beim Kauf und taten die Abzüge in die örtlichen Schaukästen des „Stürmers“.1124 Am Kölner Standort spielten sich die gleichen Szenen ab. Die Behörden erließen gegen den massiven Einspruch des Unternehmens ab 1935 ein Plakatierungsverbot für das Oster- und Pfingstgeschäft1125 und untersagten, Gutscheine der Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene einzulösen.1126 Auch auf Kölner Straßen erreichte die Hetze immer neue Höhepunkte. Transparente überspannten die wichtigsten Einkaufsstraßen („Wer beim Juden kauft ist ein Volksverräter“, „Aufgepasst! Viele jüdische Geschäfte!“, „Deutsche, kauft in deutschen Geschäften“, „Die Juden sind unser Unglück“, „Wer beim Juden kauft, schließt sich selbst aus der Volksgemeinschaft aus“).1127 In immer mehr Stadtteilen sah man Schilder mit „Juden sind unerwünscht“ und „Juden betreten [Stadtteil] nur auf eigene Gefahr“. Zudem hingen Verzeichnisse jüdischer Geschäfte aus, mit der abschließenden Parole „Wie retten wir [den Stadtteil] vom Juden? Kauft nicht beim Juden!“ Auch fotografierten uniformierte Personen laufend Kunden in jüdischen Geschäften.1128 Die Aufnahmen wurden „teilweise im Westdeutschen Beobachter veröffentlicht mit der Bemerkung: Er kaufte beim Juden, wer kennt ihn?“1129 Diese massive Einschüchterung Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 20. Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium zu Hd. Dr. Bätzgen vom 22.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 63 f.; Schreiben an Konzern-Verteiler vom 16.5.1935, HUA 2013/02/0017, S. 100; Schreiben an Fritz Bamberger vom 19.6.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 9. 1126 Das Wohlfahrtsamt bemerkte hierzu: „Da sie zur Entgegennahme von Gutscheinen für Sachleistungen nicht zugelassen sind, bedaure ich, die Gutscheine nicht einlösen zu können. [ ]“, siehe Schreiben an Bamberger & Hertz vom 17.4.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 99. Hilpert schrieb an Köln zur Situation in Leipzig: „Hier in Leipzig, das sich im übrigen doch sonst ganz vorteilhaft von anderen Großstädten unterscheidet, ist der Ausschluss der nichtarischen Firmen bei der Entgegennahme von Gutscheinen des Fürsorgeamtes schon seit 1,5 Jahren durch Verfügung des Wohlfahrtsamtes erfolgt“, siehe Schreiben an Gumpertz vom 20.4.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 98. 1127 Etwa Ehrenstraße (Verbindungsstraße Breite Straße-Ring), siehe Niederschrift betr. Stand der Propaganda gegen den Kauf in jüd. Geschäften vom 20.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 66.: „Heute befinden sich in der Hohe Straße [ ] 4 über die Straße gespannte Transparente mit der Aufschrift: „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 24.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 53.; „Heute im Laufe des Nachmittags 4 weitere Transparente in unserer unmittelbaren Nähe angebracht sind, [ ] in Zeppelinstr, Richmodsstr., am Berlich und Breitestrasse, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 5.6.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 29; Neue Transparente in Köln-Lindental, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 24.6.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 3. 1128 „Die Tafel mit den Photos der Kölner, die bei Juden gekauft haben, befindet sich noch an der Geschäftsstelle der Ortsgruppe Richmodis in der Mittelstr“., siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 24.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 53.; Niederschrift betr. Stand der Propaganda gegen den Kauf in jüd. Geschäften vom 20.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 66. „An der Geschäftsstelle der Ortsgruppe Richmodis zu der wir bekanntlich auch gehören, ist eine Tafel angebracht mit der Überschrift „Deutsche kauft nur in deutschen Geschäften“. Darunter befindet sich eine mit Schreibmaschine geschriebene Liste von 146 Firmen mit Angabe der Adresse und des Handelszweiges, darunter auch B&H“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 21.6.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 8. 1129 Vgl. Niederschrift betr. Propaganda gegen den Kauf in nicht arischen Geschäften in Köln, HUA 2013/02/0004–1, S. 40. 1124 1125

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traf an allen Standorten die jüdische wie auch die „arische“ Kundschaft.1130 Diejenigen Kunden, die weiter beim Bamberger & Hertz kauften, taten dies unter dem Deckmantel der Anonymität: „Nach unseren eigenen Erfahrungen im Geschäft sind große Teile unserer Kundschaft durch diese Propaganda derart eingeschüchtert, dass sie sich nicht in unser Geschäft hineinwagen. [ ] In steigendem Maße verlangt die Kundschaft neutrale Verpackung, Versand nach auswärts unter anderem, neutralem Namen. Es wird verlangt, dass unser Lieferwagen nicht vor der Wohnung vorfährt“.1131

Das Jahr 1935 hatte dem Ansehen und dem Markenkern von Bamberger & Hertz substanziell geschadet. Kunden wurden eingeschüchtert, öffentliches Plakatieren wurde dem Unternehmen untersagt. Und jene Kunden, die kauften, wollten nicht als „Bamberger & Hertz-Kunden“ erkennbar sein. Das Unternehmen verschwand in der öffentlichen Wahrnehmung – für ein marketing- und werbeorientiertes Geschäft ein schwerer Schlag. Im Jahr 1936 blieb nur noch die Diapositiv-Reklame in Kinos mit Plakatmotiven. Bis Januar 1937 nahmen etwa in Köln nur noch zwei Lokalzeitungen (Stadtanzeiger und Neuer Tag) Anzeigen des Unternehmens an. Nach der Übernahme des „Neuen Tag“ durch eine gleichgeschaltete Firmengruppe erreichte Bamberger & Hertz über den Stadtanzeiger nur noch knapp 75.000 Leser. Im August 1937 wurde Bamberger von der Deutschen Städte-Reklame GmbH im Auftrag des Stadtrates München mitgeteilt, dass „[ ] [der Stadtrat] es nicht für tunlich hält, dass wir [Städte-Reklame GmbH] weiterhin Plakate nichtarischer Firmen an den öffentlichen Straßen und Plätzen ankleben“. Wie auch zuvor in Köln und Frankfurt blieb Bamberger „machtlos gegen diese Verfügung“, zumal das Reichswirtschaftsministerium auf seine Nichtzuständigkeit verwies.1132 Wie auch schon in Frankfurt war das Kölner Haus nicht nur von außen bedroht, auch die Belegschaft war von überzeugten Nationalsozialisten unterwandert. Im Oktober 1934 trat – wie in allen Geschäften, auch im gesamten Bamberger & Hertz-Konzern die neue Betriebsordnung gem. § 26 des „Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit“ in Kraft. Darin hieß es: „Gegenseitiges Vertrauen bildet die Grundlage der Gemeinschaft; in ihr sollen Quertreibereien, Missgunst und Nörgeleien keinen Raum haben, dagegen ist jeder Mitarbeiter zu freimütiger, sachlicher Kritik [ ] verpflichtet. [ ] Vertrauensvolle Zusammenarbeit und

Vgl. Streng vertraulicher Bericht an Fritz Bamberger vom 24.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 54 ff. Vgl. Niederschrift betr. Stand der Propaganda gegen den Kauf in jüd. Geschäften vom 20.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 66. 1132 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 17.6.1936, HUA 2013/02/0004–2, S. 299; Schreiben an Dr. Hilpert vom 2.1.1937, HUA 2013/02/0004–2, S. 159; Schreiben an Bamberger & Hertz, München vom 12.8.1937, HUA 2013/02/0012–2, S. 4; Schreiben an Bamberger & Hertz, München betr. Deutsche Städte-Reklame vom 16.8.1937, HUA 2013/02/0012–2, S. 2. 1130 1131

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

selbstlose Hingabe jedes Einzelnen an seiner Stelle bedarf es, um eine gedeihliche Entwicklung des Unternehmens zu fördern“.1133

Doch entgegen dieser Verlautbarungen agitierte die NSBO-Zelle im Kölner Haus gegen die jüdische Leitung und das nichtarische Geschäft als solches. In einer Betriebsversammlung betonte die Zelle, dass „der Kampf keiner einzelnen Person [gelte], sondern der Gesamtheit und [der Kampf] werde unerbittlich fortgesetzt. Es sei selbstverständlich, dass kein Deutscher in einem jüd[ischen] Geschäft kaufen dürfe“.1134 Auch Konkurrenten erwiesen sich zunehmend als Belastung für das Unternehmen. Das Kölner Haus von Bamberger & Hertz war für seine hervorragend geschulten Verkaufskräfte und die professionelle Änderungsabteilung stadtweit bekannt. Die Umsatzeinbrüche, der Schwund des Kundenstammes und die Unzufriedenheit der eigenen Belegschaft blieben anderen Textileinzelhändlern nicht verborgen. Im Sommer 1936 begann der schärfste Konkurrent Esders & Dyckhoff Bamberger-Angestellte gezielt abzuwerben. Besonders herb traf Bamberger & Hertz die Abwerbung des langjährigen Zuschneiders Adolf Keppler, der „seinen“ Kunden nun die Maßabteilung von Esders & Dykhoff weiterempfahl. Nach Ansicht von Bamberger & Hertz war dieses „Anreißen der alten Kundschaft“ ein Vergehen nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und drohte (vergeblich) mit Klage. Über seinen Schwager James Cloppenburg ließ Dyckhoff mitteilen, dass „es sich um ca. 3–4 Leute nach seiner Schätzung [handle]. Von einer planmäßigen Einstellung unserer Leute in seinem Geschäft könne keine Rede sein“. Tatsächlich waren insgesamt 16 Mitarbeiter aus dem Bamberger & Hertz-Konzern von Esders & Dyckhoff abgeworben worden. Dykhoff bestritt energisch „eine planmäßige, ihre Firma schädigende Handlung“. Seine Geschäftsentwicklung erzwinge hundertfache Neu-Einstellungen, der Arbeitsmarkt sei schwierig und Fachkräfte wie die von Bamberger & Hertz sehr begehrt. Das Verhalten des „Anreißers“ Keppler verurteilte Dykhoff „auf das Schärfste [ ] Mir liegt im Gegenteil viel daran, dass das Verhältnis unserer Firmen in Köln sich in absolut fairen und loyalen Bahnen bewegt“.1135

Vgl. Entwurf einer Betriebs-Ordnung für Köln vom 2.9.1934, HUA 2013/02/0004–1, S. 209 ff. Vgl. Niederschrift betr. Stand der Propaganda gegen den Kauf in jüd. Geschäften vom 20.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 66. 1135 Vgl. Schreiben an Haller vom 2.6.1936, HUA 2013/02/0004–2, S. 345; Schreiben an Esders & Dyckhoff, Juni 1936, HUA 2013/02/0004–2, S. 332 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 12.6.1936 mit Liste der Engagements, HUA 2013/02/0004–2, S. 316 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 15.6.1936, HUA 2013/02/0004–2, S. 308; Schreiben an Fritz Bamberger vom 17.6.1936, HUA 2013/02/0004–2, S. 297. 1133 1134

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6.3.2.3 Geschäftslage jüdischer Unternehmen Der Grund für den leichten Optimismus jüdischer Mittel- und Großbetriebe auf wirtschaftliche Besserung nach der Wirtschaftskrise war auch deshalb nicht unbegründet, weil man hoffte, von der sich bessernden Konjunktur zu profitieren, wie man es schon nach 1924 getan hatte. Aus der Perspektive des Jahres 1938 erzählen die Geschäftszahlen natürlich eine eindeutige Niedergangsgeschichte, aus der Perspektive des Jahres 1933 erzählen die überlieferten Zahlen eine differenzierte Geschichte. Wie Tabelle 76 zeigt, halbierte sich der Umsatz von Schocken zwischen 1932 und 1937, wobei besonders die Geschäftsjahre 1932/33 und 1936/37 ursächlich für diesen Einbruch waren. Interessanterweise gelang es in den Jahren 1933 bis 1936, das Umsatzniveau und zum Teil auch die Umsatzrendite zu stabilisieren. So scheint der Konzern trotz aller Anfeindungen von der NS-Konjunktur profitiert, Kunden in sein Geschäft geholt und Waren zu konkurrenzfähigen Preisen angeboten zu haben. Tab. 76 Umsatz und Gewinn, Schocken AG, 1932 bis 19371136 Jahr

Umsatz

1932

82.631.000

6.238.641

Gewinn

Umsatzrendite 7,55 %

1933

70.965.000

4.797.234

6,76 %

1934

73.428.000

5.690.670

7,75 %

1935

64.148.000

1936

68.928.000

1937

41.173.000

Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise; Gewinn meint Reingewinn inkl. Miete und Zinsen; Umsatzrendite = Reingewinn in Prozent vom Umsatz.

Neben der beschiebenen Aufklärungskampagne zum Jahresanfang 1933 bot die sächsische Zentrale im Herbst 1933 ganz konkrete Hilfe zur Bewältigung der Arbeitslosenkrise an, die die nationalsozialistischen Behörden – trotz vordergründiger antisemitischer Einstellung – gerne anzunehmen bereit waren. Schocken plante, sich angesichts der massiven Anfeindungen und dem immensen Druck der Landesarbeitsämter an den kommunalen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu beteiligen. Auf einer gemeinsamen Sitzung des Konzerns mit dem sächsischen Arbeitsministerium und dem sächsischen Treuhänder der Arbeit betonte der Konzern abermals seinen Vorbild-Charakter. Schocken trat als zentraler Wirtschaftsfaktor Sachsens auf, denn jeweils die Hälfte der Umsätze und der Gesamtbelegschaft waren hier verortet. Trotz eines bisherigen Umsatzrückganges von 16 Prozent im Jahr 1933 habe man, so das Argument, auf Entlassungen verzichtet und beschäftigte „800 Angestellte – mehr als eigentlich benötigt“.

1136

Aufstellung nach Fuchs (1990), S. 258.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Darüber hinaus sagte Schocken nun die Weiterbeschäftigung der 800 Arbeiter bis Dezember 1933 zu. Zudem hatte Schocken bereits umfangreiche Herbst- und Winterdispositionen sowie Frühjahr- und Sommeraufträge an die sächsische Industrie im Wert von 5,5 Mill. Arbeitsstunden vergeben. Innerbetrieblich forcierte Schocken eine Umstellung von Frauen- auf Männerarbeit (200 Personen), etwa in den Abteilungen Herrenkonfektion, Möbel, Druckerei oder Polsterei. Zudem gab das Unternehmen (wie schon 1932) Warenbezugscheine an Bedürftige in Schocken-Kaufhäusern im Wert von 150.000 Reichsmark aus und gewährte Heiratszuschüsse an männliche Angestellte. Damit – so betonte Schocken gegenüber den Parteistellen – entlaste das Unternehmen den Arbeitsmarkt „um mehrere tausend Personen bei Mehrkosten von ca. 1,8 Millionen Reichsmark“.1137 Alle Anwesenden, besonders der Arbeitgeberpräsident der sächsischen Textilindustrie Dr. Bellmann, begrüßten das „ausgreifende Programm“ von Schocken. Der sächsische Arbeitsminister Dr. Schmidt versprach als Gegenleistung, „einen ungestörten Geschäftsverlauf sicherzustellen“, der sächsische Treuhänder der Arbeit Hoppe sicherte ebenfalls zu, die „Störungen der Warenhäuser zu unterbinden“, da alle Fragen „hinter der Hauptfrage der Erhaltung der Wirtschaftsunternehmungen, der Beschäftigung der Angestellten und der Möglichkeit der Schaffung neuer Arbeitsplätze“ zurückstehen müssten. Der Bezirksleiter der DAF Stiehler sah die „bestehenden Differenzen“ zwischen Betriebsrat und Betriebsführung „zweifellos auf Missverständnissen“ beruhend und der Schocken-Gesamtbetriebsrat sicherte eine „erspriessliche Zusammenarbeit“ mit der Betriebsführung zu. Manasse nahm daraufhin den Gesamtbetriebsrat in die Pflicht, sich gegen lokale Betriebsräte, etwa Nürnberg, durchzusetzen.1138 Der „Erfolg“ des Schocken-Vorstoßes war durchwachsen. Diese umfassende Vereinbarung mit den sächsischen Wirtschaftsinstanzen nutzte der Konzern in den kommenden Monaten, um Angriffe gegen ihn reichsweit als unberechtigt und schädlich für die Gesamtwirtschaft zu kritisieren.1139 Zwar reichte dies nicht für Nürnberg, aber diese Verteidigungsstrategie zeigte im Dezember 1933 in Waldenburg überraschende Wirkung. Hier wurde das Schocken-Kaufhaus durch die örtliche NS-Hago und örtliche Händler massiv unter Druck gesetzt. Am 10. Dezember besetzten 200 Händler Vgl. Sitzung betr. Arbeitsbeschaffungs-Programm des Schocken-Konzerns vom 10.10.1933, StAC 31451–280. 1138 Vgl. ebd. 1139 Im Frühjahr 1934 rief der Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe seine Mitglieder zur „Arbeitsschlacht“ und „langfristiger und großzügiger Disposition“ auf. Schocken verwies auf das beschlossene Arbeitsbeschaffungs-Programm und stellte klar: „Ein derartiger Entschluss ist natürlich nur zu verantworten, wenn man die berechtigte Auffassung haben kann, dass der Verkauf in unseren Häusern nicht Behinderungen unterworfen wird bzw. Einschränkungen wie sie jetzt noch durch die Unmöglichkeit die von offiziellen Stellen ausgegebenen Scheine (Bedarfsdeckungsscheine für Ehestandsdarlehen [ ], für Wohlfahrtsempfänger, etc.) anzunehmen, bestehen [ ]“, siehe Schreiben des Reichsverbandes der Mittel- und Großbetriebe des Deutschen Einzelhandels e. V. betr. Arbeitsschlacht vom 19.3.1934 sowie Antwort der Schocken AG betr. Arbeitsschlacht vom 4.4.1934, StAC 31451–415. 1137

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das Geschäft und forderten die NSDAP-Kreisleitung und Polizei auf, es zu schließen. Daraufhin protestierten die Betriebsräte des Waldenburger Bergbaureviers erfolgreich beim Treuhänder der Arbeit.1140 Die Arbeiter beschuldigten die NS-Hago, „bewusst falsche Angaben“ über Schocken zu verbreiten. Das Kaufhaus sei, aus ihrer Sicht, Garant für niedrige Preise und trete mit guter Ware gegen die großen Einkaufsvereinigungen wie Edeka oder Konsum an. Die NS-Hago und die opportunistischen Händler zielten mit Ihren Angriffen also direkt gegen die Arbeiterschaft: „Die Arbeiterschaft steht doch in erster Linie der größte Verdienst zu, dass wir heute einen Reichskanzler Adolf Hitler haben. In Waldenburg erleben wir aber täglich, dass die Geschäftsleute, welche früher in allen unseren Parteien zu finden waren, aber am wenigsten bei den Nationalsozialisten, sich einbilden, schon länger Nationalsozialisten zu sein, als Adolf Hitler selbst“.1141

Während der Druck „von oben“ – auch in der allgemeinen „Warenhausfrage“ – im Sommer 1933 nachließ, blieb der „Druck von unten“ – von den Straßen und in den Betrieben selbst – hoch. Am Ende des Geschäftsjahres 1933 war der Umsatz auf knapp 71 Millionen geschrumpft. Der Gewinn brach ein, auch infolge der hohen Ausgaben infolge des Arbeitsprogramms und der nun geltenden sächsischen Warenhaussteuer.1142 Diese betriebswirtschaftliche Entwicklung und der fortdauernde Vorwurf, ein „nichtarisches“ Unternehmen zu sein, führten zur Umwandlung der Schocken KGaA in eine Aktiengesellschaft und den Rücktritt von Salman Schocken von allen Ämtern. Dies sollte den Anfeindungen ihr „jüdisches“ Gesicht nehmen, de facto behielt Salman Schockens Wort Gewicht. Er blieb dem Unternehmen „freundschaftlich verbunden“ und stand jederzeit „mit Rat zur Seite“. Alle Aktien blieben im Familienbesitz, mit Salman Schocken als Hauptaktionär. Auch den Vorstand und Aufsichtsrat verließen prominente jüdische Mitglieder. Der Anteil „nichtarischer“ Führungskräfte in den Aufsichtsgremien und in der Geschäftsführung war damit deutlich geringer geworden, zumal der „nichtarische“ Anteil an der Belegschaft verschwindend war. Von 18 Zentraleinkäufern waren nur zwei jüdische Deutsche. Zum 1. Februar 1934 zählte Schocken 5.293 Personen, von denen 196, also 3,7 Prozent, als „nicht arisch“ galten.1143 Daraufhin verurteilten die NSBO-Gauleitung, die Arbeitsfront und die örtliche Betriebszellenleitung das Vorgehen der NSDAP-Kreisleitung, siehe Bericht über die Vorgänge in Waldenburg/Schlesien, 3.1.1934, GMC LBI AR 6379. 1141 Vgl. Schreiben an den Treuhänder der Arbeit für Schlesien, RA Dr. Nagel, 13.12.1933, GMC LBI AR 6379. 1142 Vgl. Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1933/34, o. D. StAC 31541–174 sowie Jahresbericht der Schocken KGaA 1933/34, StAC 31451–175. 1143 Aus dem Aufsichtsrat schieden dessen Vorsitzender Dr. Willi Kaufmann, Direktor Carl Levin und Direktor Fritz Jacobsohn aus. Der neue Aufsichtsrat bestand aus Direktor Belitz, den Rechtsanwälten Dr. Siegfried Moses und Dr. Hermann Münch sowie Julius Schocken (bis zu dessen Tod am 4. November 1934). Im Mai 1934 traten Kurt Wutzler und Karl Krüger in den Aufsichtsrat ein. Den Vorstand bildeten Generaldirektor Georg Manasse (1934/35 ausgeschieden), Direktor Georg Spiro sowie der neu gewählte 1140

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Der Taktik der Aufklärung des Publikums, der Zusammenarbeit mit Behörden und des „arischen“ Auftretens nach außen blieb sich der Schocken-Konzern auch zwischen 1934 und 1937 treu. Das 1933 beschlossene Arbeitsprogramm von Schocken fand zwar Anerkennung in der sächsischen Industrie, doch der Konzern hatte weiter mit politischen Anfeindungen und gesetzlichen Zwangsmaßnahmen (Entzug der Bezugscheine für sozial Schwache, Schließung der Erfrischungsräume, Warenhaussteuer, etc.) zu kämpfen. Die „Warenhausfrage“ blieb das bestimmende Thema und Schocken warnte unablässig vor negativen Folgen – Bankverluste, teurer Großhandel, langsamer Lagerumschlag, Kaufkraftverluste – für die Gesamtwirtschaft. Das „Gesetz zum Schutz des Mittelstandes“ unterstützte Schocken insoweit, als man Zustimmung für eine Verlängerung der Errichtungssperre für Großbetriebe bis 30. Juni 1935 bekundete und generelle Verbote von Sonderverkäufen, Preisunterbietungen, Kundenkrediten, Abzahlungsgeschäften, irreführender Reklame oder Handwerksbetrieben in Warenhäusern öffentlich unterstützte. Damit reagierte der Konzern auf immer wiederkehrende Vorwürfe der Konkurrenz, man würde systematisch „Preisunterbietungen“ gegen den Kleinhandel betreiben.1144 Immer wieder betonte Schocken seine „Ausnahmestellung“ innerhalb der Betriebsform „Warenhaus“: „Der Schocken-Konzern steht heute umsatzmäßig an vierter Stelle, der inneren Kraft und Unabhängigkeit nach an erster Stelle unter den Warenhaus-Konzernen Deutschlands. [ ] Überall in Industrie- und Fachkreisen, wo unser Betrieb genannt wird, geht man davon aus, dass er eine Ausnahmeerscheinung ist. Wir werden nicht zusammengeworfen mit der Betriebsform-Gruppe, der wir angehören“.1145

Während politische Agitation allgegenwätig blieb, zeigte die weiter umfassende Warenversorgung und konkurrenzfähige Preisgestaltung des Konzerns, dass man so gut wie gar nicht unter Lieferantenboykotten litt wie andere (kleinere) jüdische Einzelhändler: „Wir können zu unserer Freude feststellen, dass sich unsere Dispositions-Methode auch diesmal bewährt hat, Die Waren sind aufgrund unserer großen Dispositionen bei den für

Dr. Wilhelm Fonk, siehe Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1933/34, o. D. StAC 31541–174; vgl. weiter Fuchs (1990), S. 212; Aufstellung „Personal“, StAC 33309–33. 1144 Vgl. Bericht von Georg Manasse, „Warenhäuser und Mittelstand“, 3.3.1934, StAC 31451–170. Schocken erklärte: „Preise [sind] Resultat einer sachlichen und sorgfältigen Kalkulation“ und „für alle Schwestergeschäfte einheitlich“, Preise seien ggü. Konkurrenz billiger durch „unsere geschlossene, frühzeitige und langfristige Disposition und durch Beschränkung auf ein zwar vollständiges Sortiment [welches] [ ] Schund ebenso wie teure Luxuswaren ausschließt. [ ] Wir lehnen jede Preisverschleierung, jede Preischleuderei und jede Preisverteuerung durch Lockartikel, Sonderveranstaltungen, Rabatte, Zugaben usw. grundsätzlich ab“, siehe GB-Notiz betr. Gibt es bei uns „Unterbietung“, 8.1.1934, GMC LBI AR 6379. 1145 Vgl. Memorandum des Herrn Georg Manasse niedergelegt zum Zeitpunkt seines Ausscheidens als Generaldirektor, 15.6.1934, GMC LBI AR 6379; Ansprache an die Mitarbeiter, o. D. [1934], GMC LBI AR 6379.

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jeden Artikel leistungsfähigsten deutschen Industriefirmen auf günstiger Preisbasis eingekauft, fast ausschließlich unberührt von Preiserhöhungen durch Rohstoff-Steigerung oder Kartell-Entschlüsse. Große Abschlüsse – getätigt in einem Ausmaß wie noch nie zuvor – sichern auf vielen Gebieten auch weiterhin Belieferung zu günstigen Preisen. Wir haben den vielfachen Bemühungen, uns zu höherer Kalkulation bezw. zu höheren Preisen zu veranlassen, nicht Folge geleistet. [ ] Wer seinen Bedarf in unseren Häusern deckt, kann gewiss sein, den größten Gegenwert für sein Geld zu bekommen“.1146

Das Problem blieb der Warenabsatz. Im März 1934 beklagte Schocken einen „starken uns auferlegten Umsatzrückgang“. Dieser verband sich mit relativ steigenden Betriebsausgaben, da man aufgrund der Vereinbarungen auf Entlassungen verzichtete und sogar 100 Arbeitslose und 200 Lehrlinge neu eingestellt hatte. Darüber hinaus verpflichtete sich Schocken zu 500 Millionen Reichsmark an freiwilligen sozialen Leistungen und plante Dispositionen im Umfang von 9 Millionen Arbeitsstunden für März bis Dezember 1934.1147 Tatsächlich entwickelte sich das Verhältnis von Umsatz zu Kosten und damit der Ertrag in den Jahren 1934 bis zum 1. Halbjahr 1936 weiter negativ. Der Umsatz brach auf um die 65 Millionen Reichsmark ein. Die Ausgaben belasteten aufgrund der hohen Löhne und der gestiegenen gesetzlichen Abgaben und Steuern den Konzernertrag. Der Geschäftsbericht 1934/35 wies einen Gewinn von knapp 600.000 Reichsmark aus. Gegenüber 1933/34 bedeutete dies einen Einbruch um 40 Prozent. Der Konzern musste die Dividende von fünf auf vier Prozent senken.1148 Der Schocken-Konzern musste reagieren. Die Einkaufs- und Warensituation waren weiter gut1149, doch Schocken galt der Öffentlichkeit (weniger seinen Lieferanten) als „nichtarisch“, was sich negativ auf den Verkauf auswirkte – durch stete Boykottaktionen, Rufschädigungen und Anfeindungen durch die eigene Belegschaft oder lokale Parteistellen. Am 15. Juni 1934 trat Salman Schockens rechte Hand Georg Manasse als Generaldirektor des Konzerns, Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft und Geschäfts-

Vgl. G. B. Nr. 1196B, 12.3.1934, StAC 31451–451. Etwa 80 Prozent des Vorjahresbedarfs waren bis Ende des Jahres 1934 disponiert: „Weit höhere Dispositionen – wie sie viele Kaufleute aus einer gewissen Unklarheit heraus gegenwärtig vornehmen, ohne sich Gedanken zu machen, wie die Ware später bezahlt werden soll – halten wir [ ] [nicht] für ratsam“, siehe G. B. Nr. 1206A, 5.7.1934, StAC 31451–451. Ab November 1934 nahm die Einkaufszentrale Aufträge nur noch als „Agent“, nicht mehr im eigenen Namen entgegen, um nach dem neuen Umsatzsteuergesetz nicht steuerpflichtig zu werden, siehe Nachtrag zum B. f. Z, Nr. 238, 14.12.1934, StAC 31451–451; Ansprache des Herrn Generaldirektors Manasse an die Belegschaft in Zwickau, 21.3.1934, GMC LBI AR 6379; Fuchs (1990), S. 213. 1148 Vgl. Geschäftsbericht für das Jahr 1935/36, StAC 31451–175; Artikel „Schocken-Umsätze um 10 Prozent gewachsen“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 30.10.1937, StAC 31451–175. 1149 Es herrschte bei vielen Textilien keine Warenknappheit. Die Berliner Konfektion meldete „Knappheit in Gabardine-Mänteln (Rohware für Kammgarne fehlt)“, zudem wurden „Leinjacken und Mäntel groß propagiert“. Insgesamt beobachtete Schocken „keine Knappheit in Herren-Herbst- und Wintermänteln“, siehe Übersicht über die Einkaufs-Situation, Anlage zum G. B. Nr. 1237A, 22.5.1935, StAC 31451–451. 1146 1147

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

führer der Konzerngesellschaften zurück.1150 Damit verlor der Schocken-Konzern nach dem Firmengründer die maßgeblichste und am längsten aktive Führungskraft. Für die Belegschaft war dieser Rückzug ein Schock. Während sich auch der Gesamtbetriebsrat ungewöhnlich emotional von „seinem Betriebsführer“ verabschiedete1151, fand Mitarbeiter Fritz Weickert in einem persönlichen Brief an Manasse bewegende Worte über einen „Führer und Freund“: „So habe ich um Sie gelitten, als die Zeitenwende durch Rassenfragen das Gute und Gerechte mit zu verdammen drohte [ ] und ein jeder fühlt, dass wir einen unersetzbaren Führer und Freund verloren haben. Viel bitterer ist, dass man so ohnmächtig diesen Geschehen und Wandlungen gegenüber steht [ ] Bleiben sie stark auch an diesen Tagen wie so oft, auch wenn sich alles in uns aufbäumt, wenn die Macht über die Gerechtigkeit unbarmherzig hinwegschreitet. Vielleicht wird doch noch alles sein gutes Ende finden [ ] Man braucht nicht allzu klug zu sein, um von der Erfolglosigkeit [nach ihrer Entlassung] schon jetzt überzeugt zu sein“.1152

Im Sommer 1936 veränderte der Schocken-Konzern grundlegend und nachhaltig seine Inhaber- und Führungsstruktur. Im Juni 1936 erwarb „eine englische Gruppe eine maßgebliche Kommanditbeteiligung an der Einkaufszentrale“, die wiederum die Aktienmehrheit an der Schocken AG besaß.1153 Alleininhaber der Einkaufszentrale GmbH war bis Juni 1935 Salman Schocken gewesen. Zum 1. Juni 1935 wurde aus der GmbH eine Kommanditgesellschaft mit Salman Schocken als einzigem Kommanditisten und seinem Sohn Theodor Schocken als alleinigem Komplementär. Salman Schockens Kommanditeinlage (5,3 Millionen Reichsmark) ging zum Teil (zwei Millionen Reichsmark) im Juni 1936 über ein sog. „Treuhandverhältnis“ an ein englisches Bankenkonsortium über. Schocken überließ damit der sogenannten „englischen Gruppe“ die formale Mehrheit der Aktienanteile am Unternehmen. Tatsächlich blieb ein Teil der Aktien und der größte Teil des Grundbesitzes in den Händen Salman Schockens – der

Vgl. Memorandum des Herrn Georg Manasse niedergelegt zum Zeitpunkt seines Ausscheidens als Generaldirektor, 15.6.1934, GMC LBI AR 6379. 1151 Reaktion des Betriebszellenführers Friedrich: „Wir wissen, dass Sie in guten und schlechten Tagen berufen waren, sehr schwierige Probleme für unsere Firma zu lösen und auch zum Wohle der Gefolgschaften und des gesamten Unternehmens gelöst haben [ ] Die besten Wünsche aller Gefolgschaftsmitglieder begleiten Sie auf ihrem ferneren Lebenswege“, siehe Schreiben „Mein Betriebsführer – Herr Generaldirektor Manasse!“, 15.6.1934, GMC LBI AR 6379. 1152 Vgl. Brief an Georg Manasse, 25.6.1934, GMC LBI AR 6379. 1153 Die Einkaufszentrale hielt 82,5 Prozent der Anteile der Schocken AG (4,2 Millionen Reichsmark Grundkapital). Die Liga AG hielt 4,76 Prozent der Aktien. 12,74 Prozent der Anteile hielten die Vorstände Lewin, Jacobsohn und Spiro. Im Folgenden vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin VG 4 K 389.12, 8.3.2013, unter: https://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/justiz/gerichte/vg2/ entscheidungen2/04_k_0389_12___130308___urteil___anonymisiert.pdf ?start&ts=1404987212&file=04_k_0389_12___130308___urteil___anonymisiert.pdf, 8.8.2016. 1150

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

im Dezember 1934 nach Jerusalem emigriert war.1154 Dort hatte er Kontakt zum britischen Diplomaten und Vorstandsmitglied der 1934 gegründeten britischen Privatbank S. G. Warburg & Co. Sir Andrew McFadyean geknüpft, der jene „englische Gruppe“ zum Ankauf von Schocken-Anteilen gegründet hatte.1155 Während sich die englischen Anteilseigner stark im Hintergrund hielten, wurde der neue Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Fonk das „arische“ Gesicht der Schocken AG, die er zusammen mit Georg Spiro im Vorstand operativ leitete. Die Generalversammlung am 1. Juli 1936 beschloss zudem die Aufnahme von McFadyean (stv. Vorsitzender) und Nigel Law in den Aufsichtsrat, dessen Vorsitz der Münchner Franz Belitz behielt. Fonk versuchte die Boykotterscheinungen und deren Auswirkungen auf den Umsatz weitgehend zu minimieren.1156 Der Geschäftsbericht 1936/37 konnte tatsächlich von einer Umkehr des negativen Trends berichten. Der Umsatzrückgang konnte gestoppt, und in der zweiten Jahreshälfte 1936 konnte der Umsatz erstmals wieder gesteigert werden. Zum Jahresende wurde der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent erhöht, blieb jedoch weiter unter den Höchstständen der Jahre 1930 bis 1932. Der Gewinn stieg, auch aufgrund der starken Exportabteilung, und brachte den Aktionären wieder fünf Prozent Dividende. Doch dieser kleine Aufwärtstrend wurde bereits 1937 wieder erstickt. Eine Betriebsprüfung brachte deutlich höhere Steuerbelastungen für den Konzern und auch die Umsatzentwicklung war nur „mäßig“.1157 Erschwerend hinzu kam die seit Juli 1934 betriebene Rohstoffbewirtschaftung, die nun auch den Einkauf ab Herbst 1937 zunehmend schwieriger werden ließ.1158 Schocken beobachtete erstmals im Oktober 1937 Beschaffungsschwierigkeiten bei Textilien. So betrug die Zuteilung an Baumwolle in Vgl. Schaeper, Silke, „Schocken, Shelomoh Salman“ in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 352–354, unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118609890.html, 8.8.2016. 1155 Andrew McFadyean (1887–1974) war britischer Diplomat, der seit 1910 für das britische Finanzministerium (Treasury) arbeitete. Während des Ersten Weltkriegs (1913–1917) war er Privatsekretär des Finanzministers. Zwischen 1919 und 1920 nahm er als Vertreter des britischen Finanzministeriums bei den Pariser Friedensverhandlungen teil und agierte von 1920 bis 1924 als britisches Mitglied der Alliierten Reparationskommission (sowie seit 1922 als deren Generalsekretär). Zwischen 1940 und 1941 wechselte er ins Home Office. Seit 1946 arbeitete er für die „Royal Society for International Affairs“. Zwischen 1952 und 1967 war er Direktor der S. G. Warburg and Co., siehe Eintrag „McFadyean, Sir Andrew“ unter: http://www. bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0000/adr/getPPN/127447954/, 8.8.2016. Informationen zur Geschichte der S. G. Warburg & Co. Ltd, vgl. Pohl (1994), S. 1271 f. Autobiographisches bei McFadyean (1964). 1156 Vgl. Geschäftsbericht für das Jahr 1935/36, StAC 31451–175; Artikel „Schocken-Umsätze um 10 Prozent gewachsen“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 30.10.1937, StAC 31451–175. Fonk: „Ausdrücklich möchten wir bemerken, dass wir trotz der Boykotterscheinungen in den letzten Monaten unsere Dispositionen im normalen Umfang getroffen und durchgeführt haben“, siehe Abschrift 311/6–582/80, 16.9.1935, StAC 31451–451. Der Volkswirt und Rechtsanwalt Fonk hatte für die katholische Zentrumspartei im Reichstag gesessen und war 1933 Mitglied des „Arbeitsausschuss in der Reichskanzlei“, siehe Eintrag „Fonk, Wilhelm“, unter https://www.munzinger.de/search/portrait/Wilhelm+Fonk/0/7539.html, 8.8.2016. 1157 Vgl. Schocken AG – Zwickau – Geschäftsbericht für das Jahr 1936/37, StAC 31451–175. 1158 Vgl. Höschle (2004), S. 32 ff. 1154

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

diesem Jahr nur 36 Prozent des Bezugs von 1933. Probleme bei Baumwollwaren bekam Schocken deswegen, da man bis 1936 keine Spekulationskäufe tätigte und den Einkauf von Roh- auf Fertiggewebe umgestellt hatte. Die Lieferanten begannen Schocken nun auch deshalb zu meiden, weil man anders als die Konkurrenz auf die „peinliche Befolgung von Spinnstoffgesetz und Preisstoppverordnung“ achtete. Nicht zuletzt benachteiligten die Zuteilungsrichtlinien das Unternehmen. Die Zuteilung bemaß sich an den sog. „Baumwoll-Referenzjahren“ (1933 bis 1935) – eine Zeit, in der Schocken kaum „wertvolle Baumwollwaren“ bezog, da man das eigene Berliner Baumwollwarenlager liquidiert hatte.1159 Ab Herbst 1937 stellte sich Schocken zwangsläufig in den Dienst der NS-Verbrauchslenkung und propagierte gegenüber seinen Geschäftsführern zunehmend Kunst- und Ersatzstoffe: „Die Verbrauchslenkung ist ein besonders wichtiges Kapitel für uns. Hier sind wir direkt angesprochen. [ ] Die knappen [Waren] müssen zurücktreten und gerecht auf unsere Kunden verteilt werden. Die reichlich angebotenen [Waren] müssen in den Vordergrund treten. Es ist alles zu tun, ihren Verkauf zu fördern. [ ] Unsere bisherigen Bemühungen sind anerkannt worden. Im Arbeitsbericht der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sind unsere Erfolge (wenn auch nicht unser Name) ausdrücklich erwähnt. Außerdem haben wir Lob des Beauftragten für den Vierjahresplan erhalten. Wir müssen unsere Kunden beraten, welche Ersatzmöglichkeiten es für knappe Artikel gibt. [ ] Auch der Fabrikant bedarf unserer Beratung. Besondere Kundenberatung ist notwendig bei Artikeln aus neuen Stoffen. Aufgrund unserer Sach- und Fachkenntnisse müssen wir dem Kunden Vertrauen in die neue Ware geben. Vorführungen und Austellungen, wie wir sie gemacht haben, sind ein gutes Mittel dafür. Insbesondere ist die Betonung der Behandlung notwendig, um den Gebrauchswert der Waren voll ausnützen zu können. In Bezug auf Verpackung müssen wir den richtigen Weg gehen. Der von uns geförderte Verkauf loser Waren liegt in dieser Linie“.1160

Wie erging es jüdischen Textilfachgeschäften in den Anfeindungs- und Verdrängungsphasen bis 1938? Lassen sich im Vergleich zu Großkonzernen wie Schocken Unterschiede erkennen? Hierzu richten wir den Blick auf die Geschäftsentwicklung des Bamberger & Hertz-Hauses in München. Unstrittig bedeutete die Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Zäsur für die geschäftlichen Aktivitäten von Bamberger & Hertz, die neben München auch Häuser in Leipzig, Frankfurt, Köln und Stuttgart unterhielten. Fritz Bamberger zufolge brach der Gesamtumsatz der Firmengruppe zwischen 1933 und 1937 reichsweit von zwölf auf sieben Millionen Reichsmark ein.1161 Doch dieser Einbruch vollzog sich regional höchst unterschiedlich. Dass der Konzern durch antisemitische Anfeindungen, diskriminierende Gesetzgebung und durch gewalttätige 1159 1160 1161

Vgl. G. B. Nr. 1313, 29.10.1937, StAC 31451–610. Vgl. G. B. Nr. 1313 (= GF-Konferenz vom 11.10.1937), 29.10.1937, StAC 31451–427. Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 20.

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Maßnahmen wie Brandstiftung und Verhaftungen „arisierungsreif “ gemacht, d. h. in seiner geschäftlichen Substanz erheblich geschwächt wurde, steht außer Frage. Doch wie die Umsatzentwicklung in München zeigt, hatte Bamberger wie auch schon Schocken Grund zur Annahme, dass die antisemitischen Anfeindungen vorübergehend waren und man das Geschäft durch die turbulenten Zeiten bringen könnte. Den Umsatzeinbrüchen 1933 und 1935 – als Folge der massiven Anfeindungen – folgten 1934 und 1936 jeweils stabilisierende Geschäftsjahre, in denen das Umsatzniveau leicht ausgebaut oder zumindestens in der Tendenz gehalten werden konnte (Tabelle 77). Das Geschäft profitierte in vollem Maße von den klaren Aufwärtsbewegungen im Bereich Herren- und Knabenkleidung. Tab. 77 Umsatz, Gewinn und Kundenzahlen, Bamberger & Hertz, Haus München, 1932 bis 19381162 Jahr

Umsatz

V. z. Vj.

Gewinn

UR

Spesen

Kunden

K. z. Vj.

1932

2.773.898

-11,4 %

214.429

7,7 %

27 %

114.122

7,4 %

UpK 24

1933

2.357.902

-15,0 %

115.859

4,9 %

27 %

109.424

-4,1 %

22

1934

2.829.232

20,0 %

204.655

7,2 %

23 %

101.889

-6,9 %

28

1935

2.264.892

-20,0 %

27 %

80.496

-21,0 %

28

1936

2.558.202

13,0 %

25 %

80.967

0,6 %

32

1937

2.571.323

0,5 %

24 %

74.975

-7,4 %

34

bis 1.11.1938

2.408.816

-6,3 %

24 %

53.313

-28,9 %

37

Anmerkungen: Umsatz, steuerpflichtiger Gewinn (Gewinn) und Umsatz pro Kunde (UpK) in Reichsmark, lfd. Preise; Veränderung zum Vorjahr (V. z. Vj., gerundet), Kunden zum Vorjahr (K. z. Vj., gerundet), Bruttoumsatzrendite (UR, gerundet) und Anteil der Unkosten am Umsatz (Spesen, gerundet) in Prozent; Kunden = Anzahl jener, die tatsächlich gekauft haben.

Es sind vor allem Preisvorteile gegenüber Konkurrenten, die zur Konsolidierung 1934 beitrugen. Fritz Bamberger organisierte 1934 den Einkauf der Gruppe neu und verlegte die Einkaufszentrale des Konzerns nach München. Diese Nähe erlaubte es, besonders auf die Münchner Bedürfnisse hin einzukaufen und zu disponieren. Im sog. „cash and carry“-System wurden fortan die Bedürfnisse aller Häuser noch effizienter erfasst, um möglichst große Warenbestände nachzufragen. Der dadurch verringerte Einkaufspreis wurde an den Kunden weitergegeben. In Lieferantenkreisen genoss die Gruppe den Ruf, georderte Ware schnell zu regulieren.1163 Einen Einblick in die starke geschäftliche Stellung, die die Gruppe noch 1934 genoss, liefern die Verhandlungen mit einem ehemaligen Hauptlieferanten Ende November 1934. Der Geschäftsführer der Deutschen Kleiderwerke AG (DKW) Dr. Körner wies

1162 1163

Aufstellung nach HUA 2012/09/0035, HUA 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039. Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 127.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

auf Bambergers Schwierigkeiten hin, gute Ware frühzeitig und günstig zu beschaffen und machte dessen ineffizient arbeitende Einkaufszentrale für diesen Umstand verantwortlich. Die DKW wäre daher stark an einem Wiederaufleben der alten Geschäftsverbindung interessiert. Diese Verbindung war von Fritz Bamberger nämlich bewusst 1933 getrennt worden, nachdem die DKW Mitglied der nationalsozialistischen Adefa wurde und begann, vornehmlich arische und offen antisemitische Konkurrenzfirmen in München (etwa Knagge & Peitz) zu beliefern.1164 Körner rechtfertigte diese Mitgliedschaft im Verband der „arischen Bekleidungshersteller“ mit dem Hinweis, dass es „unter den heutigen Verhältnissen [ ] unmöglich sei, die Aufnahme von Verbindungen mit arischen Firmen konsequent abzulehnen. Er (Körner) würde dadurch in Schwierigkeiten kommen [ ]“. Fritz Bamberger betonte den Widerspruch für seine Firma ganz offen, dass „es [ ] etwas Ungesundes [sei], wenn wir einerseits dahin wirken sollten, die Verbindung mit der DKW und dadurch den Umsatz mit Ihnen enger resp. höher zu gestalten, während sie andernseits einer Organisation angehörten, die die nichtarischen Geschäfte und damit uns bekämpfen und evt. auch nicht beliefern wollten“.

Offensichtlich war hier Körner der Bittsteller, der einen potenten Abnehmer seiner Ware suchte, denn er betonte, dass „die Bedeutung der Adefa gering sei“ und die Mitgliedschaft der DKW schließlich die „Gewähr dafür sei, dass künftighin Übertreibungen unterbleiben würden“ durch das „persönliche Dazwischentreten“ Körners. Die DKW bot Fritz Bamberger im Zuge der Verhandlungen eine Art privilegierte Partnerschaft an, wonach Bamberger als Erster die Kollektion zu sehen und gewichtigen Einfluss auf die Produktion „bezüglich der Formen, Ausstattung, Verarbeitung und sonstiger Wünsche“ versprochen bekam. Bamberger schätzte das Angebot realistischerweise als „sehr schwierig angesichts der heutigen Verhältnisse“ ein und verhandelte Spezial-Artikel heraus, um diese groß zu bewerben und damit ein Alleinstellungsmerkmal zu haben.1165 Mit solchen Verhandlungen versuchte er, exklusive, hochwertige Produkte zu günstigen Preisen einzukaufen und mit gutem Gewinn zu verkaufen, ohne dass diese preislich als Luxusartikel wahrgenommen wurden. Doch dass das Jahr 1934 nur ein „Aufflackern“ in einer steten Abwärtsspirale sein konnte, zeigte sich schon im Vertrag mit der DKW. Körner konnte seine eigenen Versprechungen nicht halten, denn die versprochene Qualität und Lieferfristen wurden seitens der DKW nicht eingehalten. Bamberger bat oft vergeblich, „[dass] die Rückstände unserer Aufträge vom Mai 1934 (Saison-Artikel Winter-Ulster, Hausjacken und Schlafröcke) endlich in unseren Besitz kommen [ ] Oft erhalten wir die

Zur Adefa siehe Kapitel 6.3.2.4. Vgl. Schreiben an Gustav Bamberger betr. Deutsche Kleider-Werke vom 24.11.1934, HUA 2013/02/0012–1, S. 304 ff. 1164 1165

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Waren 10 bis 12 Tage später wie die Rechnungen, umgekehrt aber sehr oft Rechnungen 3 bis 5 Tage später als die Ware. Die Bezahlung der Rechnung ohne Prüfung der Ware führt zur mangelhaften Kontrolle“.1166

Den Umsatz von 1934 konnte das Haus München bis zur Auflösung am 1. November 1938 nie mehr erreichen. Wie Abbildung 27 zeigt, verlor Bamberger & Hertz ab 1935 den Anschluss an die positive Branchenentwicklung. Abbildung 27 Index-Umsätze, Textileinzelhandel, Bamberger & Hertz, Haus München, 1933 bis 1938

1167

200 180 160 1932=100

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140 120 100 80 60 1933

1934

1935

Herren- und Knabenkleidung

1936

1937

1938

Bamberger & Hertz, München

Anmerkungen: 1932=100; lfd. Preise. Abb. 27 Index-Umsätze, Textileinzelhandel, Bamberger & Hertz, Haus München, 1933 bis

Den Umsatz von 1934 konnte das Haus München bis zur Auflösung am 1. November 1938 nie 19381167 mehr erreichen. Wie Abbildung 27 zeigt, verlor Bamberger & Hertz ab 1935 den Anschluss an die Anmerkungen: 1932 = 100; lfd. Preise. positive Branchenentwicklung. Diese Umsatzeinbrüche trafen nicht nur München, sondern auch die Häuser in Frankfurt, Leipzig, Diese Umsatzeinbrüche trafen nicht nur München, sondern auch die Häuser in FrankStuttgart und besonders massiv in Köln. Ab Herbst 1934 versuchten die Häuser die furt, Leipzig, Stuttgart und besonders massiv in Köln. Ab Herbst 1934 versuchten die Gruppenorganisation zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, die Umschlaggeschwindigkeit zu Häuser die Gruppenorganisation zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, die Umerhöhen und die Betriebsstatistik massiv auszubauen, um so Kosten zu sparen und die schlaggeschwindigkeit zu erhöhen und die Betriebsstatistik massiv auszubauen, um Umsatzeinbrüche zu kompensieren.1168 Ungeachtet der Anfeindungen zeigte sich Bamberger & 1168 so Kosten zu sparen und die Umsatzeinbrüche zu am kompensieren. Ungeachtet der Hertz überzeugt, durch vorbildliches Auftreten und Service Kunden zu bestehen – gerade auch ein Hinweis, dass sich bis 1938 Kunden trauten, jüdische Geschäfte zu betreten: „Wir haben eine anspruchsvolle und HUA vielleicht auch verwöhnte Schreiben an Fritz Bamberger vom 28.11.1934, 2013/02/0012–1, S. 290 ff. Kundschaft. Eine Eigene Berechnungen zu HirmerIndex Zusammenstellung 2012/09/0035, HUA Kundschaft, die gerade heute von unsnach erwartet, dass alles bisnach auf HUA die geringste Kleinigkeit 2012/09/0036, sowie den Bänden des Statistischen Jahrbuchs passt. HUA Diese2012/09/0039 Kundschaft will einZusammenstellung peinlich sauberes,nach tadellos aufgeräumtes Lokal sehen, sie des Deutschen Reiches, Jahrgänge 1880–1942. will weder im Verkaufsraum noch am Packtisch warten. Sie verlangt, dass unvermeidliche 1168 Die neuen Vereinbarungen sahen viermal pro Jahr eine Lageraufnahme nach Fakturen- und VerÄnderungen sorgfältig und möglichst rasch erledigtsein.werden. verlangt wurdie kaufspreisen vor. Alle Jahresberichte sollten an München zu schicken SämtlicheSie Tagesberichte gewissenhafte Einhaltung aller versprochenen Termine. Und sie nun erwartet allem eine den zukünftig von allen Häusern einheitlich geführt. Die Tagesberichte hatten täglichvor nach München und einmal pro Woche nach Leipzig zu gehen. München sendete nun regelmäßig einen Tagesbericht an Leipzig. Ein regelmäßiger Bericht der Verbindlichkeiten und Orders ging fortan wöchentlich nach Frankfurt. Alle Häuser verzichteten auf Prämien für Zusatzverkäufe, außer Leipzig. Hirmer stellte das sog. Mus1166 1167

1167

Eigene Berechnungen zu Hirmer- Index nach Zusammenstellung nach HUA 2012/09/0035, HUA 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039 sowie Zusammenstellung nach den Bänden des Statistischen Jahrbuchs des Deutschen Reiches, Jahrgänge 1880 – 1942. 1168 Die neuen Vereinbarungen sahen viermal pro Jahr eine Lageraufnahme nach Fakturen- und Verkaufspreisen vor. Alle Jahresberichte sollten an München zu schicken sein. Sämtliche Tagesberichte wurden zukünftig von allen Häusern einheitlich geführt. Die Tagesberichte hatten nun täglich nach München und ein-

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Anfeindungen zeigte sich Bamberger & Hertz überzeugt, durch vorbildliches Auftreten und Service am Kunden zu bestehen – gerade auch ein Hinweis, dass sich bis 1938 Kunden trauten, jüdische Geschäfte zu betreten: „Wir haben eine anspruchsvolle und vielleicht auch verwöhnte Kundschaft. Eine Kundschaft, die gerade heute von uns erwartet, dass alles bis auf die geringste Kleinigkeit passt. Diese Kundschaft will ein peinlich sauberes, tadellos aufgeräumtes Lokal sehen, sie will weder im Verkaufsraum noch am Packtisch warten. Sie verlangt, dass unvermeidliche Änderungen sorgfältig und möglichst rasch erledigt werden. Sie verlangt die gewissenhafte Einhaltung aller versprochenen Termine. Und sie erwartet vor allem eine freundliche Bedienung. Nicht nur im Verkauf, auch im Fahrstuhl, an der Kasse, am Telefon oder bei der Ablieferung in der Wohnung will sie auf freundliche Bereitschaft [stoßen]“.1169

Doch der Ertrag der Gruppe schrumpfte weiter. Und anders als Schocken hatte Bamberger & Hertz spätestens ab 1935 immer größere Probleme – nicht mit dem Absatz – sondern mit dem Wareneinkauf.1170 Seit der Machtübernahme 1933 hatte sich der Warenbezug für Textilhäuser erschwert und verteuert. Die deutsche Textilindustrie konnte nur noch gegen Devisen Rohstoffimporte (Baumwolle, Wolle, Seide) durchführen. Große Teile der Bekleidungsproduktion exportierte ihre Waren gegen Devisen ins Ausland. Das verknappte das Warenangebot im Inland und verteuerte die Waren.1171 Daneben wollten die Behörden wegen der angespannten Rohstofflage den Verkauf von Bekleidung nicht unnötig durch Sonderaktionen wie „Inventur-Ausverkäufe“ beschleunigen. De jure war der Inventurverkauf für unkurante Ware weiter zulässig. Lokale Behörden hatten jedoch Spielraum und wandten die Vorschrift von Geschäft zu Geschäft unterschiedlich an und hatten hier Diskriminierungsspielraum. Fritz Bamberger beschwerte sich etwa bei der Münchner Industrie- und Handelskam-

terbuch des Münchner Hauses vor, worauf hin alle Häuser künftig Musterbücher führen wollten, siehe Besprechung in München vom 13. und 14.9.1934, HUA 2013/02/0016, S. 118 ff.; Ansprache vom 9.9.1935, HUA 2013/02/0004–2, S. 432 ff. 1169 Vgl. „Auf jeden kommt es an“ vom 14.11.1936, HUA 2013/02/0009, S. 3. 1170 Der Wareneinkauf war seit Mitte der 1920er in der Einkaufszentrale in Frankfurt am Main für alle Häuser zusammengefasst. Die Einkaufszentrale wurde 1936 nach München verlegt. Alle entstandenen Kosten wurden anteilig von allen Schwesternhäusern übernommen: Köln, Leipzig und München je 29 Prozent und Stuttgart 13 Prozent, siehe Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Leipzig vom 4. März 1938, HUA 2013/02/0008–1, S. 81; Brief betr. Waren-Dispositionen vom 13.12.1936, HUA 2013/02/0012–1, S. 50; Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Frankfurt vom 11. Oktober 1935, HUA 2013/02/0008–1, S. 48; Schreiben betr. Umlage der Kosten der Einkaufszentrale, 6.4.1936, S. 188. 1171 Im April 1936 bemühte sich die Einkaufszentrale Bamberger & Hertz für die Häuser München, Köln, Leipzig und Stuttgart um Einfuhr englischer Stoffe von Semler und Dormeuil Freres. Diese Bitten wurden durch die staatliche Überwachungsstelle für Wolle und andere Tierhaare abgelehnt, siehe Schreiben betr. Einfuhr englischer Stoffe vom 21.4.1936, HUA 2013/02/0012–1, S. 172 ff.; Höschle (2004), S. 35.

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mer, dass „kein verantwortungsvoller Kaufmann Bescheid [wisse], welche Waren er dem Inventurverkauf zu unterstellen habe und welche nicht“.1172 Doch inmitten von Umsatzrückgängen und steigenden Einkaufspreisen offenbarten sich die Defizite des gemeinsamen Einkaufs. Denn ein „gemeinsamer“ Einkauf und eine sinnvolle Koordinierung der Aufträge existierten de facto nie. Jedes Haus stand durch eigene Disposition und Bestellung in Konkurrenz zur eigenen Einkaufszentrale. Statt Synergien waren teure, ineffiziente Doppelstrukturen entstanden. So befragte Fritz Bamberger im Herbst 1934 in einem Rundschreiben die übrigen Geschäftsführungen um Alternativen, da „die E. Z. zur Zeit mehr als je „schwimmt“. Wir hören nun, dass fast in allen Schwesterhäusern mehr oder weniger disponiert wird und dass kein Haus richtig orientiert ist, ob und welche Bestellungen es gegeben hat. Diese Systemlosigkeit kann unter Umständen zu einer Katastrophe führen“.1173

Als Konsequenz verlegte man die Einkaufszentrale nach München, doch die Häuser behielten ihre starke Selbstständigkeit in Fragen des Wareneinkaufs. Noch im April 1937 appellierte die Einkaufszentrale angesichts des schwieriger werdenden Warenbezugs an die Häuser: „Die E. Z. muss wiederholt die Wahrnehmung machen, dass Ihrerseits Dispositionen während der Saison getätigt werden, ohne sich dieserhalb vorher mit ihr in Verbindung zu setzen“.1174 6.3.2.4 Adefa und die „Entjudung“ der Vorlieferanten Erschwerend für jüdische Händler wie Schocken und Bamberger & Hertz in Bezug auf Lieferanten und den Wareneinkauf war die fortschreitende „Arisierung“ der Textil- und Bekleidungsindustrie.1175 Im Folgenden soll auf die – bislang in der Forschung wenig be-

Vgl. Schreiben an Emil Haller vom 14.1.1935, HUA 2013/02/0017, S. 296 f. Fritz Bamberger formulierte die Position der Gruppe in der „festen Überzeugung, dass es ein großer Fehler wäre den Inventur-Ausverkauf aufzugeben [ ]. Mit dem Verzicht auf den Ausverkauf würden wir logischerweise dazu beitragen, dass das im Januar ersparte Geld zum großen Teil in die Damenkonfektion wandert. Ganz abgesehen von Konkurrenzfirmen wie Lodenfrey, Hettlage, C&A usw., die für die Damenkonfektion selbstverständlich Ausverkäufe veranstalten werden und bei dieser Gelegenheit auch das Herrenkonfektionsgeschäft steigern können. Gegen eine Eindämmung von Auswüchsen des Inventur-Verkaufes haben wir gar nichts einzuwenden. [ ] Wir müssen aus dieser Überzeugung heraus in den Verbänden [ ] unbedingt für den Ausverkauf eintreten, also auch dann, wenn die Mehrzahl der Konkurrenz anderer Meinung ist“., siehe Schreiben an alle Häuser, die Einkaufszentrale und Hilpert vom 15.12.1934, HUA 2013/02/0016, S. 13 f. 1173 Vgl. Brief betr. Einkaufs-Zentrale vom 4.10.1934, HUA 2013/02/0016, S. 77. 1174 Vgl. Schreiben an Fritz Bamberger vom 6.10.1934, HUA 2013/02/0016, S. 75.; Schreiben betr. Dispositionen vom 6.4.1937, HUA 2013/02/0012–1, S. 1; siehe ähnliche Aussage bei Schreiben betr. Waren-Dispositionen vom 13.12.1936, HUA 2013/02/0012–1, S. 50. 1175 Vgl. für die Textilindustrie Höschle (2004), S. 305–310, für die Bekleidungsindustrie Schnaus (2017).

1172

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

achtete und wie gezeigt werden kann – überschätzte Rolle der sogenannten Adefa eingegangen werden.1176 In die Verwertung- und Verarbeitungskette des Textilrohstoffes zur fertigen Kleidung und deren Absatz an den Verbraucher trat mit der „Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie“ (kurz: Adefa) am 4. Mai 1933 ein neuer, der nationalsozialistischen Ideologie entsprechender Akteur ein. Der Verein verstand sich als „junge Gemeinschaft arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie“.1177 Umfasste die Adefa 50 Gründungsmitglieder im Mai 1933, so verzehnfachte sich ihre Zahl innerhalb von fünf Jahren auf 550 Mitgliedsfirmen (Tabelle 78). Tab. 78 Mitgliedszahlen Adefa, 1933 bis 1938 Stichtag

Mitglieder

4. Mai 1933

50

Ende 1934

200

Anfang 1936

375

März 1938

550

Anmerkungen: Mitglieder waren nur Textil-Fabrikanten.

Die amtlichen Statistiker zählten knapp 550.000 bis 600.000 Betriebe der Bekleidungsindustrie (inklusive Handwerksbetriebe).1178 Damit war der Durchdringungsgrad der Adefa mit 0,09 Prozent verschwindend gering. Schaut man nur auf die Konfektionäre, also die Hersteller von Fertigkleidung, gewinnt die Adefa leicht an Gewicht.1179 Hier waren jeweils zwei Prozent der Betriebe in der Adefa organisiert.1180 Das erklärte Doppel-Ziel der Adefa war die „Ausschaltung des jüdischen Einflusses aus der deutschen Bekleidungswirtschaft“ sowie die „Abkehr vom jüdischen Lieferanten wie vom jüdischen Händler durch bewußte und betonte Pflege deutscher Kleidkultur“.1181 Die Adefa sollte der deutschen Bekleidungsindustrie helfen, „die jüdische

Vgl. Schnaus (2017), S. 112 ff. Über die personelle Besetzung der Gremien der Adefa ist nur bruchstückhaftes bekannt. Bis 1937 lag die Geschäftsführung bei Dr. E. Heller (1933–1937), ab 1938 bei Hans Müller (1938). Die operative Leistung lag 1936/37 bei Willy Rollfinke. 1178 540.505 (1933) bzw. 589.044 (1939), siehe Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich (1938), Gliederung der Gewerbebetriebe 1925 und 1933, S. 144; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich (1941/42), V. Gewerbe, A. Gliederung der Gewerbebetriebe, S. 181. 1179 28.927 Betriebe (Herrenfertigkleidung) bzw. 27.281 Betriebe (Damenfertigkleidung), siehe Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich (1941/42), V. Gewerbe, A. Gliederung der Gewerbebetriebe, S. 181. 1180 Mitglieder waren etwa die Aschaffenburger Herrenkleiderfabriken Anzmann & Weiss; Gebr. Hock; Reichert & Aschenbach; Aulbach & Hohenberger; Holländer & Kimmich; Schwab & Stühler; J. Desch; Körber & Sauer; Staab & Co.; Michael Eitel; Kullmann & Franz; August Vordemfelde; Favorit-Kleidung GmbH; Fritz Marburg; Hellmuth Weidenmann; Hugo Giegerich; Münch & Söhne; Adam Zinn; siehe TexW, Bekleidungs-Einzelhandel und Adefa, 30.10.1936. 1181 TexW, Fünf Jahre Adefa, 7.5.1938. 1176 1177

391

392

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Konkurrenz zurückzudrängen, bis sie reibungslos und endgültig liquidiert hat“. Somit trage die Adefa zum „langsamen und geräuschlosen Entjudungsprozess in der Textilund Bekleidungswirtschaft“ bei.1182 Dies implizierte die Propagierung und Forcierung der „Arisierung“ und Liquidierung jüdischer Herstellungs- und Fabrikationsbetriebe sowie den Einsatz „deutscher“ Textil(ersatz)stoffe wie Jute, Zellwolle oder Kunstfasern anstatt teurer Rohstoffimporte. Am Ende stand das „Adefa“-Siegel in der Fertigkleidung. Dieses „bürgte“ für eine rein „arische“ Wertschöpfung vom Rohstoff bis zum Verkauf an den Verbraucher. Der Anspruch der Adefa reichte damit bis in die Welt des Textileinzelhandels und des kaufenden Publikums. Der Händler sollte einerseits ausschließlich von Adefa-zertifizierten Herstellern Ware beziehen und andererseits durch gezielte Reklame und Beratung Adefa-konforme Konfektion dem Verbraucher vermitteln. Damit versuchte die Adefa, angebots- und nachfrageregulierend auf den Textilmarkt zu wirken. So hetzte die „Textilwoche“ im April 1939 ganz in der Diktion der Adefa: „Der Jude bediente sich, weil er selbst ideenarm und phantasielos ist, des deutschen Modekünstlers. Er gestattete ihm kein freies Arbeiten. Die Tendenz bestimmte der Jude. [ ] Das Ziel des Juden bestand nicht darin, den Menschen arischer Rasse gut und geschmackvoll zu kleiden. [ ] Er spekulierte oft auf niedere Instinkte [ ] Die Jüdin mochte seine Modeprodukte als artgemäß empfinden, nicht aber der arische Mensch. [Es ist die] Unverschämtheit des Juden, der [ ] behauptet, auf dem Gebiete des Modeschaffens unentbehrlich zu sein, [ ] [denn] gute Modelle jüdischer Häuser waren stets nur das Werk arischer Modekünstler“.1183

Die Nationalsozialisten definierten die deutsche Bekleidungs- und Modeindustrie demnach als „verjudet“. In ihr wären jüdisches Kapital und Einfluss derart dominant, dass von jüdischen Deutschen geführte Betriebe in dieser Branche tonangebend waren – also die Kleidung und den Modegeschmack der Deutschen insgesamt prägten. Einer Erhebung aus dem Juni 1933 zufolge lag der Anteil jüdischer Erwerbspersonen – Geschäftsinhaber, Angestellte bis hin zum Lehrling und Hilfsarbeiter – in der Bekleidungswirtschaft (1,49 Prozent) mehr als dreimal über dem in Industrie und Handwerk insgesamt (0,43 Prozent) (Tabelle 79). Der jüdische Volkswirt, Kaufmann und Journalist Alfred Marcus untersuchte im Jahr 1930 die deutsche Textilwirtschaft auf den Anteil jüdischer Fabrikationsbetriebe und Großhandlungen (Tabelle 80). Schaut man auf die engen Bereiche der Damenund Herrenkonfektion – also jene Betriebe, die Fertigkleidung produzierten und direkt an den Groß- und Einzelhandel lieferten – so fällt ein Übergewicht an „jüdischen“ Betrieben auf. Reichsweit lag der Anteil jüdischer Unternehmer im Bereich der Fabri-

1182 1183

TexW, „Deutsche Menschen-Deutsche Kleider!“, 4.9.1937. TexW, Der Jude als „Modeschöpfer“, 29.4.1939.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Tab. 79 Jüdische Erwerbspersonen, Textil- und Bekleidungswirtschaft, Juni 19331184 Jüdische Erwerbspersonen

Anteil*

Industrie und Handwerk

Wirtschaftsabteilung

55.655

0,43 %

Bekleidungsindustrie

22.024

1,49 %

Schneiderei, Näherei, Kleider, Wäsche

14.823

1,71 %

3.517

0,31 %

Textilindustrie Schuhmacherei, Schuhindustrie

2.262

0,62 %

Handel und Verkehr

147.314

2,48 %

Handelsgewerbe

137.048

4,25 %

Waren- und Produktenhandel

114.659

4,21 %

Hausier- und Straßenhandel

2.196

3,99 %

Mützen, Hut und Putz

1.962

2,65 %

Rauchwaren, Kürschnerei

1.735

5,28 %

Anmerkungen: * Anteil jüdischer Erwerbspersonen an Gesamtzahl der Erwerbspersonen der Branche

Tab. 80 Jüdische Betriebe in der Bekleidungsindustrie, 19301185 Zweige

Ort

F/G

HAKA

Deutsches Reich

F

HAKA

Deutsches Reich

G

Damenmäntel

Deutsches Reich

F/G

DOB

Deutsches Reich

DOB

Firmen

davon jüdische Firmen

Anteil*

661

390

59,0 %

86

44

51,2 %

259

185

71,4 %

F

1.349

579

42,9 %

Deutsches Reich

G

133

81

60,9 %

HAKA

Berlin

F

264

160

60,6 %

HAKA

Berlin

G

28

17

60,7 %

Damenmäntel

Berlin

F/G

200

143

71,5 %

DOB

Berlin

F

1.312

563

42,9 %

DOB

Berlin

G

79

54

68,4 %

Anmerkungen: HAKA = Herren- und Knabenkonfektion; DOB = Damen- und Mädchen-Konfektion; F = Fabrikation, G = Großhandel; Anteil* = Anteil jüdischer Firmen an Gesamtzahl der Firmen.

kation deutlich unter dem Bereich der Großhandlung. Der „jüdische“ Anteil in der Damenmode war im Großhandel deutlich höher als in der Fabrikation. Umgekehrtes galt für die Herrenmode. Hier überwog der Anteil jüdischer Betriebe in der Fabrikation. Im Bereich der Damenmäntel waren mehr als zwei von drei Betrieben jüdisch. Entscheidend für das nationalsozialistische Diktum von der „Dominanz“ des jüdischen

Zitiert nach Aufstellung „Wirtschaftliche Gliederung der jüdischen Erwerbspersonen in Deutschland nach Wirtschaftsabteilungen Juni 1933“ nach Bennathan, Esra: Die demographische und wirtschaftliche Struktur der Juden, in: Mosse (1965), S. 106–107. 1185 Auswahl aus: „Untersuchung der Textilwirtschaft Anfang 1930“ in: ebd., S. 72–92. Als jüdisch galt für Marcus ein Betrieb, der sich selbst als „jüdisch“ bezeichnete oder dessen Inhaber oder Geschäftsführer Mitglied der jüdischen Gemeinde war. 1184

393

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Einflusses war die überproportionale Repräsentanz jüdischer Fabrikation und Großhandelsbetriebe in der Reichshauptstadt Berlin. Knapp 40 Prozent aller deutschen Fabriken für Herrenfertigkleidung und über 97 Prozent aller deutschen Fabriken für Damenkleidung waren in Berlin ansässig. Im Großhandel war die Tendenz ähnlich. Doch die Adefa war nicht die erhoffte Erfolgsgeschichte. Bereits drei Jahre nach Gründung der Adefa mussten die Verantwortlichen „zahlreiche Schwierigkeiten“ und „viele Kinderkrankheiten“ der jungen Gemeinschaft eingestehen.1186 Die Mitgliederzahl ließ zu wünschen übrig und die Mitgliedsfirmen selbst waren entweder zu unerfahren, um den Einkaufswünschen des Einzelhandels zu entsprechen oder zu jung und wenig vernetzt, um genügend Leistungsfähigkeit aufzubringen, die die Massen-Orders erforderten. Mit aufwändigen Mode- und Leistungsschauen in Berlin, Düsseldorf, Leipzig und Frankfurt versuchte die Adefa ab 1936 den Groß- und Einzelhandel von der Qualität und Gangbarkeit der neuen „deutschen Mode“ zu überzeugen. Im enteigneten Berliner Kaufhaus Gerson fanden die aufwendigsten Fachschauen mit bis zu 200 Mitgliedsfirmen statt, die hier erstmals Kontakt zum Handel knüpfen konnten, da viele Firmen „Neugründungen [waren] [ ], die aus bekannten nichtarischen Häusern hervorgegangen sind“.1187 In der Bekleidungsindustrie selbst überwog die Skepsis eines Beitritts zur Adefa. So musste Adefa-Geschäftsführer Heller Ende Oktober eingestehen, dass „eine ganze Reihe arischer Fabrikanten in der Bekleidungsindustrie heute den Arbeiten der Adefa noch fernsteht“. Die Umsetzung des Vierjahresplanes erfordere, so Heller, aber die „sinnvolle und den modischen Belangen der deutschen Frauen- und Herrenwelt gerecht werdende Verwendung heimischer Rohstoffe“ und damit den vermehrten Einsatz von Ersatzstoffen wie Zellwolle, dem sich die Adefa verpflichtete.1188 Im Einzelhandel stießen die „arischen“ Kollektionen auf deutliche Vorbehalte. Die „Textil-Woche“ betonte, dass sich der Einzelhandel mit den „neuesten Kollektionen der Fabrikanten-Gemeinschaft vertraut zu machen“ hatte. Es war nicht, wie das Fachblatt vermutete, ein „Misstrauen des Einzelhandels zu Fertigkleidung“, sondern vielmehr ein Misstrauen in die Leistungsfähigkeit der Adefa-Produzenten. Aus Sicht der Adefa war der Einzelhandel bisher weniger ein „Mitkämpfer bei dem gemeinsamen Werk“ als ein Raum „früherer, überkommener Anschauungen, die wohl bequem sein mögen, aber heute nicht mehr zu rechtfertigen sind“.1189 Aus Sicht des Textileinzelhandels waren die Adefa-Mitglieder unbeschriebene Blätter. Lieferaufträge waren oft Folge langfristiger Partnerschaften zwischen Fabrikationsbetrieb und Handel. Die Übernahme angesehener und wichtiger deutsch-jüdischer Kleidungsbetriebe durch „arische“ einfache Ange-

TexW, Bekleidungs-Einzelhandel und Adefa, 30.10.1936. Konf, Ausstellungserfolge der „Adefa“, 16.1.1936; Zum Kaufhaus Gerson, siehe Spiekermann (1999), S. 226 ff. 1188 TexW, Bekleidungs-Einzelhandel und Adefa, 30.10.1936. 1189 TexW, Adefa und Einzelhandel, 9.1.1937. 1186 1187

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

stellte, Quereinsteiger oder Konkurrenten führte meist zu einem Abbruch dieser langjährigen Lieferantenbeziehungen. Großabnehmer wie Warenhäuser, Konsumvereine oder Filialbetriebe waren nicht bereit, das „Arisierungsrisiko“ zu tragen und Einbußen in Qualität, Lieferzeit oder gefertigter Menge hinzunehmen. Der Adefa blieb nur der verzweifelte Aufruf, „die Angebote dieses neuen, bisher unbekannten Mannes mit allem Wohlwollen zu prüfen und ihm eventuell mit aller Offenheit zu sagen, woran es mangelt“. Das Adefa-Zeichen für Fabrikationsbetriebe war also eher ein Hindernis – der Handel reagierte mit Absagen und Vertröstungen. Nach außen lobte man pflichtgemäß die Adefa-Ware und „klopft [sich] freundlich auf die Schulter, aber die Aufträge wandern [an der Adefa] vorbei“.1190 Die Aufbauzeit bis 1937 kann daher als Phase der Enttäuschungen und Rückschläge in Bezug auf den selbstformulierten Anspruch gelten. Im September 1937 hielt der geschäftsführende Direktor des Reichsverbandes der Deutschen Bekleidungs-Industrie e. V. Otto Jung eine programmatische Rede zum Wirken und den Absichten der Adefa.1191 Der Gauwirtschaftsberater der NSDAP sah in der „Verjudung“ der deutschen Mode das Hauptproblem, das es zu lösen galt. „Jüdische Mode“ war für Jung per se „nicht geschmackvoll“, sondern „fremder Modewahn“, eine „Frechheit“ und diene nur „spekulativen Zwecken“. Die Methoden der jüdischen Bekleidungsfabrikanten hatten, so Jung, durch die „jüdische Modepresse und Modegesetze“ die „arische“ Konfektion, das deutsche Handwerk und den Einzelhandel „vergiftet“. Diesen jüdischen „Geschäftstricks“ und dem „Umsatzfimmel“ begegne die Adefa durch die „Ausrottung dieser Manieren“. Das Bemerkenswerte an dieser Rede waren die offenen Drohungen an die Teile der Textil- und Bekleidungswirtschaft, die die Zusammenarbeit mit der Adefa bis zu diesem Zeitpunkt zu vermeiden suchten. Die Adefa wurde im Herbst 1937 von Jung als Instrument zur Verwirklichung eines politischen Endziels deklariert. Wer sich von nun an gegen die Adefa stellte, so machte Jung deutlich, stelle sich böswillig gegen den Nationalsozialismus: „Wehe wer sie [Generallinie] verletzt, um jüdischen Einflüsterungen zu folgen und die Unentbehrlichkeit der Juden im deutschen Wirtschaftsleben weiterzuschwätzen! Ob das einer aus reiner Profitgier, aus Trägheit, Untüchtigkeit oder aus geistiger Verwandtschaft des weißen Juden mit den Rassejuden tut, ist nur wichtig für den Grad des Urteils. [ ] Kompromisslos muss in der ganzen Wirtschaftsfront und im Volke der Grundsatz eingepaukt werden: Wer beim Juden kauft, geht an ihm zugrunde“.1192 TexW, Adefa und Einzelhandel, 9.1.1937. Otto Jung (1896–1942) war eine der einflussreichsten Figuren der deutschen Textilwirtschaft. Zwischen 1934 und 1942 war er geschäftsführender Direktor des Reichsverbandes der Deutschen Bekleidungsindustrie sowie Hauptgeschäftsführer der WG Bekleidungsindustrie sowie 1938(?)/1939 Leiter der WG Textilindustrie. Jung bekleidete auch etliche Mandate in Vorständen und Aufsichtsräten von Textilunternehmen in Berlin, etwa Gödecke & Co., Chemische Fabrik AG, Berlin. Jung bekleidete auch prominente Parteiämter, etwa bis 1942 als Gauwirtschaftsberater des Gaues Schwaben in Augsburg sowie als Referent für die Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP, vgl. Angaben bei Eckert (1979/1980), S. 243 ff. 1192 TexW, „Deutsche Menschen-Deutsche Kleider!“, 4.9.1937 1190 1191

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Jung forderte den Einzelhandel ultimativ zur Revision seiner Lieferantenlisten und den Verzicht auf jüdische Vertragspartner auf – nur so sei eine Leistungssteigerung der Adefa-Mitglieder möglich. Einen deutlichen Schritt auf die Adefa zu ging die Reichsfachgruppe Damen- und Mädchenkleidung der Fachgruppe „Textil-Einzelhandel“. Deren Leiter G. R. Müller (Inhaber eines gleichnamigen Modegeschäftes in Frankfurt/Oder und NSDAP-Parteimitglied) zeigte sich von Jungs Rede während der Adefa-Leistungsschau in der Berliner Krolloper derart begeistert, dass er versprach, die Fachgeschäfte für Damenoberbekleidung würden fortan der „deutschen Kleidkultur“ zum Durchbruch verhelfen und das „Genre der jüdischen Fabrikanten ersetzen“. Müller war der Adefa der vielen „Arisierungen“ wegen dankbar, da nun „viele junge Kräfte, die bisher in nichtarischen Betrieben tätig waren, gestützt auf Zusagen maßgeblicher arischer Abnehmer sich selbstständig machen konnten“. Umso mehr müssten die Mitglieder der Fachgruppe dafür werben, dass der Textileinzelhandel seinen „ganzen Bedarf bei arischen Fabrikanten kauft“. Deutlich zurückhaltender äußerte sich der Fachgruppenleiter Herren- und Knabenkleidung Eberhard Ley (Geschäftsführer der Hettlage o. H., Köln). Zwar bestätigte Ley der Adefa „fachliches Können“ und eine stetige Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit, doch vermied er verbindliche Zusagen und wünschte der Adefa im Namen der deutschen Fachgeschäfte für Herren- und Knabenkleidung knapp „viel Glück und Erfolg“.1193 Das Jahr 1938 markierte mit der politischen Verschärfung die Phase der Konsolidierung und Durchsetzung des Adefa-Gedankens in der deutschen Bekleidungswirtschaft. Wirkte die Adefa bisher vornehmlich nach innen über Schulungen, Messen und Modeschauen für ein Fachpublikum aus Groß- und Einzelhandel, so setzte sie Anfang 1938 auf die Unterstützung des Konsumenten. Diese konnten ab dem 1. April 1938 Textilien und Bekleidung mit einem Adefa-Qualitätssiegel („Adefa – Ware aus arischer Hand“) kaufen. Das Siegel versprach, dass ein Kleidungsstück in seiner Entstehung und im Verkauf – vom Rohstoffimport bis zum Ladenvertrieb – „nur durch arische Hände“ gegangen war. Flankiert wurde die Einführung von einer sechswöchigen Anzeigenkampagne in der NS-Presse und überregionalen Tageszeitungen. Das Siegel erzeugte Druck nach zwei Seiten. Zum einen durften nur die eingetragenen Mitglieder die Marke verwenden. Damit stieg der Druck für die nichtteilnehmenden Bekleidungsindustriebetriebe, der Adefa beizutreten, sofern Adefa-Produkte ein Kundenerfolg werden sollten. Zum anderen war es der visuelle Aufruf zum Boykott jüdischer Waren aus zwei Richtungen. Nicht nur Kunden, auch der Einzelhandel sollten „jüdische Waren“ vermeiden. In den Schaufenstern des Textileinzelhandels konnte man nun einfacher ausmachen, wie „arisch“ die Ware des Händlers und damit seine

1193

TexW, Der Einzelhandel hilft mit, 4.9.1937; TexW, Die Herbstmodenschau der Adefa, 11.9.1937.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Einstellung war. Es war nun, so die Leitung der Adefa, kein Akt „kaufmännischer Klugheit, weiterhin beim Konfektionsjuden zu kaufen“.1194 Zum fünfjährigen Jubiläum im Mai 1938 hatten sich die Jahresumsätze der Adefa-Mitglieder in der Herrenmode verdoppelt, im Bereich der Damenoberbekleidung verzehnfacht. Auch wenn diese Steigerungen den großen Propagandaanstrengungen der letzten Monate und gezielter Schaufensterwettbewerbe im Textileinzelhandel zu verdanken waren, bezog sich die Steigerung auf das niedrige Niveau der Jahre 1933 bis 1937. Zwar dürfte das „Adefa-Zeichen fast jeder deutscher Mann und jede deutsche Frau“ gekannt haben, doch gekauft haben werden es weit weniger als erhofft.1195 Der Erfolg der Adefa, das Bekleidungsgewerbe zu „entjuden“, war noch im Oktober 1938 sehr bescheiden – die Adefa selbst sprach von einem „schwierigen Kampf “. Und weite Teile der Konfektion und des Einzelhandels waren immer noch nicht bereit, diesen Kampf öffentlich vor den Augen der Kunden mit dem Adefa-Siegel auszutragen. So warnte die Adefa: „Wer im Einzelhandel das Adefa-Zeichen nicht zeigen wolle, der hat etwas zu verbergen und wer die Bestrebungen der Adefa nicht unterstützt oder sogar sabotiert, der sabotiert die nationalsozialistischen Zielsetzungen“.1196

Anfang November 1938 meldete das Institut zum Studium der Judenfrage den Stand in der Frage der „Arisierung“ in der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie. Zwei von drei Mitgliedsunternehmen waren Anfang 1938 bereits „arisch“ gewesen. Von den 2.000 „jüdischen“ Betrieben waren innerhalb des Jahresverlaufes 1938 „weitere 900 in arischen Besitz überführt worden“. Die verbliebenen 1.100 jüdischen Betriebe sollten zum übergroßen Teil liquidiert werden (Tabelle 81).1197 Tab. 81 „Entjudung“ in der Bekleidungsindustrie, 19381198 Kategorie

Stand

Mitglieder

Arisch

Jüdisch

Anteil*

WG Bekleidungsindustrie

Anfang 1938

6.500

4.500

2.000

30,8 %

WG Bekleidungsindustrie

Oktober 1938

6.500

5.400

1.100

16,9 %

Damenkonfektion

Anfang 1938

850

300

550

64,7 %

Anmerkungen: WG = Wirtschaftsgruppe; *Anteil der jüdischen Mitglieder an Gesamtzahl.

TexW, Das Zeichen für Waren aus deutscher Hand, 9.3.1938. TexW, Fünf Jahre Adefa, 7.5.1938. TexW, Probleme des württembergischen Damen- und Herrenbekleidungseinzelhandels, 15.10.1938. TexW, 600–900 Betriebsauflösungen in der Bekleidungsindustrie, 5.11.1938. Aufstellung nach Die Entjudung in der Bekleidungsindustrie Anfang 1938 in: Mitteilungen über die Judenfrage Nr. 20/21, 21. Juli 1938. 1194 1195 1196 1197 1198

397

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

6.3.3

„Arisierungen“

Wie vollzog sich die „Arisierung“? Wie verhielten sich Opfer, wie agierten Profiteure? Wie verliefen konkrete Enteignungsprozesse – im Fall des Herrenkonfektionsfachhändlers Bamberger & Hertz als auch beim Warenkonzern Schocken? Wie zu erkennen sein wird, war dieser Prozess weder gleichförmig, noch gleichmäßig, noch orchestriert. Er ging verschieden nach den örtlichen Begebenheiten, mal von behördlicher Initiative, mal von Konkurrenten oder gar aus dem eigenen Betrieb heraus aus. Wenn auch mit Spielräumen und bemerkenswerter Widerstandskraft ausgestattet – am Ende stand für die Eigentümerfamilien Bamberger und Schocken das gesamte Spektrum des Verlustes – des Vermögens, der Identität durch erzwungene Emigration oder des Lebens selbst durch Ermordung. Der andere Teil des Arisierungsprozesses – der des Nutznießers, Opportunisten und nicht-jüdischen Konkurrenzunternehmens – wird mit Blick auf das Verhalten des Textileinzelhändlers Hettlage greifbar und zeigt, wie verlockend und niedrigschwellig eine Verstrickung in den staatlich forcierten Enteignungsprozess für Konkurrenten war. 6.3.3.1

Opfer I – Bamberger & Hertz-Gruppe

Zunächst wenden wir uns der Bamberger & Hertz-Gruppe zu. Hier vollzog sich die „Arisierung“ der Standorte zwischen 1936 und 1940 in ihrer gesamten Bandbreite – von der freundlichen Übernahme, über ökonomisch sinnvolle bis erzwungene Geschäftsaufgaben bis hin zur Liquidation infolge von Brandstiftung. Mit der Aufgabe des Geschäftes in der Frankfurter Zeil 112/114 begann der Ausverkauf und die Zerschlagung der Gruppe. 1934 war hier der Warenumsatz um knapp die Hälfte auf 1,9 Millionen Reichsmark eingebrochen, seit 1931 wies das Geschäft Verluste aus.1199 Für den Umsatzverlust machte der von der NSBO durchdrungene Betriebsrat die jüdische Geschäftsführung verantwortlich, da „[eine] [un]christliche Geschäftsführung und das nichtarische Gesicht [der Geschäftsführung] Kaufabschlüsse der Kundschaft unmöglich mache“.1200 Nach dem Tod des Frankfurter Inhabers Heinrich

Dem Jahr 1930, das noch mit einem Gewinn von 113.000 Reichsmark abgeschlossen werden konnte, folgten vier Verlustjahre. Zwischen 1931 und 1933 verbuchte Frankfurt einen Verlust von insgesamt über 210.000 Reichsmark. Das Jahr 1934 schlug mit einem Verlust von über 730.000 Reichsmark zu Buche, allein weil die „Rettungsaktion“ des Hauses Köln 500.000 Reichsmark kostete, siehe Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Frankfurt vom 11. Oktober 1935, HUA 2013/02/0008–1. 1200 Die durch die NSBO erzwungene Buchprüfung, die vermeintliche Verfehlungen aufdecken sollte, erwies sich als unbegründet, lobte der Prüfer doch die „organisatorische und buchtechnische Anlage des Betriebes“. Damit war „nichts von den Behauptungen des Betriebsrates übriggeblieben“., siehe Akten-Notiz über die Verhandlungen in Frankfurt vom 5.2.1934, HUA 2013/02/0016, S. 335 ff.; Akten-Notiz über die Verhandlungen in Frankfurt vom 13.2.1934, HUA 2013/02/0016, S. 332. 1199

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Bamberger Ende Februar 1934 übernahm der Münchner Inhaber und Bruder Fritz Bamberger die Frankfurter Geschäfte.1201 Anfang Februar 1934 hatte Fritz Bamberger die Frage des Betriebsrates über etwaige Verkaufsabsichten als „unsinnig und unzutreffend“ zurückgewiesen.1202 Ein Jahr später verabredete die Gruppe, dass „im Falle der Geschäftsfortführung durch Dritte [ ] folgende Vereinbarung getroffen [wird]: I. Die [ ] Firmen sind jede für sich selbstständige Rechtspersönlichkeiten, II. Im Hinblick darauf, dass diese an sich selbstständigen Firmen in ihrer Entstehung auf einen Ursprung zurückzuführen sind, verpflichten sich gleichzeitig bindend für ihre Rechtsnachfolger die einzelnen Firmen, falls sie jemals gleichzeitig mit dem Verkauf ihres Geschäfts das Recht der Fortführung der Firmenbezeichnung Bamberger & Hertz an einen Dritten zu übertragen beabsichtigen, dazu das Einverständnis der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Firmen bzw. deren Inhaber einzuholen“.1203

Ende Mai 1935 empfahl der Rechtsanwalt und Berater der Gruppe Dr. Werner Hilpert, „dass eine Liquidation der Geschäfte im heutigen Zeitpunkt dem dauernden ungewissen Zustand vorzuziehen sei“.1204 Dieser Empfehlung folgte Fritz Bamberger nach langer Überlegung. Das Frankfurter Geschäft wurde im Januar 1936 an die Peek & Cloppenburg GmbH, Berlin verkauft. Die Geschäftshäuser Zeil 112/114 blieben im Besitz von Bamberger & Hertz und Bamberger vereinbarte einen langfristigen Mietvertrag bis 1947. P&C übernahm das Warenlager zum Einkaufspreis sowie alles „arische“ Personal. Das Inventar wechselte für 105.000 Reichsmark den Besitzer. Die vereinbarte Miete wurde an den Umsatz gekoppelt. Der Verkauf sollte zum 3. Februar 1936 passieren, vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung, die P&C noch einzuholen hatte.1205 Diese Genehmigung war keine Formsache. Am 20. Januar 1936 sprach sich der Vorsitzende des Reichsbundes für Herren- und Knabenkleidung Köhler für einen anderen Interessenten aus. Köhler unterstrich, dass „es wirtschaftspolitisch richtiger sei, wenn die Firma Möller & Schaar die Sache übernehme. Das sei aber natürlich eine Finanzfrage“. Sollte sich dies nicht verwirklichen lassen, habe Köhler „gegen P.&C. keinerlei Einwendungen, [ ] zumal P.&C. eine außerordentlich anständige und den übrigen Handel keineswegs Zur Regelung des Erbes und der Firmenanteile siehe Feststellungen anlässlich des Ablebens des Herrn Heinrich Bamberger, o. D., HUA 2013/02/0002–1, S. 396 ff.; Ergebnisse der Besprechungen in München vom 30.5.1934, HUA 2013/02/0002–1, S. 354 ff., Niederschrift über das Exposè Erbauseinandersetzung Heinrich Bamberger, o. D., HUA 2013/02/0002–1, S. 300 ff.; Schreiben an Fritz und Gustav Bamberger vom 3.5.1934, HUA 2013/02/0002–1, S. 387 ff.; Exposè über die Finanzielle Lage und künftige Gestaltung der Erbengemeinschaft Heinrich Bamberger, o. D., HUA 2013/02/0002–1, S. 378 ff.; Vertrag zwischen Erbengemeinschaft Heinrich Bamberger und Gustav Bamberger bzw. Ludwig Bamberger, Leipzig, o. D., HUA 2013/02/0002–1, S. 394 f. 1202 Vgl. Akten-Notiz über die Verhandlungen in Frankfurt vom 5.2.1934, HUA 2013/02/0016, S. 335 ff. 1203 Vgl. Entwurf einer wechselseitigen Verpflichtung vom 25.2.1935, HUA 2013/02/0017, S. 207 f. 1204 Vgl. Streng vertraulicher Bericht an Fritz Bamberger vom 24.5.1935, HUA 2013/02/0004–1, S. 54 ff. 1205 Vgl. Schreiben an das Amtsgericht vom 9.1.1936, HUA 2013/02/0012–1, S. 210 ff. 1201

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belastende Konkurrenz sei“.1206 P&C erhielt schließlich die Genehmigung aller relevanten Frankfurter Stellen. Frankfurt sollte aus Sicht Bambergers eine Ausnahme bleiben. Anders als München, Stuttgart oder Leipzig war es finanziell angeschlagen und man wollte den Erben Heinrich Bambergers durch den Erlös die Möglichkeit zur Auswanderung geben.1207 Trotz der massiven Anfeindungen von innen und außen war das Thema freiwillige Geschäftsaufgabe bzw. Auswanderung bis Anfang 1938 an keinem der Standorte ein Thema. Langfristige Lokalmieten, Hypotheken auf eigene Grundstücke, die Verpflichtung gegenüber einer Hundertschaft von Mitarbeitern und das eigene Selbstverständnis eines deutschen Kaufmanns – alles das verhinderte bis dahin den Entschluss zur Geschäftsaufgabe.1208 Anfang 1938 – angesichts des ungeheuren Substanzverlustes infolge der Umsatzeinbrüche und innerbetrieblichen Anfeindungen – reifte der Entschluss bei Fritz Bamberger, die ihm unterstehenden Geschäfte systematisch zu veräußern. Ausnahmen waren Frankfurt und Leipzig. In Frankfurt wurden nach dem November-Pogrom 1938 Gebäude und Grundstücke am 19. Dezember 1938 für 1,5 Millionen Reichsmark an P&C verkauft.1209 Auf den Standort Leipzig hatte Fritz Bamberger sehr begrenzten Einfluss. Ende Mai 1936 schied Ludwig Bamberger aus der Leipziger Geschäftsführung aus, und Gustav Bamberger verblieb als alleiniger Inhaber.1210 Gustav und Ludwig Bamberger verteidigten ihr Geschäft zunächst vor den Angriffen der Nationalsozialisten. Doch ihr Kampf endete in der „Reichskristallnacht“ 1938 tragisch. Gustav war vor schwerwiegenden Aktionen im Vorfeld gewarnt worden. In der Nacht auf den 10. November stürmten SA-Leute die Wohnung von Ludwig Bamberger. Gustav Bamberger wohnte in einem Leipziger Außenbezirk und wurde von der SA unsanft aus dem Schlaf gerissen: „Steh auf Jud, mit Dir ists fertig, dein Geschäft brennt, deinen Bruder haben wir auch schon“. Nationalsozialisten hatten tatsächlich Feuer im Leipziger Geschäft, dem Königsbau, gelegt. Von SA-Leuten wurden Gustav und Ludwig abtransportiert. Ludwig wurde auf dem Weg einfach am Straßenrand zurückgelassen, brach dort zusammen und wurde am Morgen von der Polizei verhaftet. Gustav sollte in einem Waldstück am selben Abend exekutiert werden, wurde aber auch abgesetzt. Gustav ging am Abend des 11. November zu seinem ausgebrannten Geschäft. Waren lagen Vgl. Niederschrift über die Besprechung mit Herrn Dr. Hellmann in Berlin, 20.1.1936, HUA 2013/02/0012–1, S. 199. 1207 Vgl. Eidesstaatliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff. 1208 Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 14. 1209 Schätzungen für die Grundstücke im Jahr 1938 (in Millionen Reichsmark): 1,96 (Städtische Preisüberwachungsstelle), 1,8955 (Steuereinheitswert), 2,07 (Buchwert nach Abschreibung), siehe Schreiben an Elisabeth Bamberger vom 3.9.1949, HUA 2013/02/0015, S. 124 ff. Dies lag leicht unter der angestrebten Verkaufssumme von 1,6 Millionen, sodass nach Abzug aller Steuern nur ca. 70.000 Reichsmark für die Familie Heinrich Bamberger übrig blieb. Rechtskräftig wurde der Verkauf zum 25. August 1939, siehe Schreiben an Elisabeth Bamberger vom 3.9.1949, HUA 2013/02/0015, S. 124 ff. 1210 Gustav war weiter an Bamberger & Hertz, Stuttgart beteiligt, siehe Buchprüfungsbericht Bamberger & Hertz, Leipzig vom 4. März 1938, HUA 2013/02/0008–1, S. 80, 88. 1206

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noch auf der Straße. Eine Lautsprecherdurchsage verkündete: „Die Inhaber von Bamberger & Hertz haben ihr Geschäft wegen Versicherungsschwindels angesteckt. Beide sitzen hinter Schloss und Riegel“.1211 Der Königsbau war vollständig zerstört. Bamberger & Hertz hatte eine einwandfreie Feuerversicherung bei der Allianz & Stuttgarter Verein, doch diese verweigerte die Zahlung. Die Versicherung machte sich die Propaganda zu eigen, und sah die Königsbau-AG – das Immobilienverwaltungsunternehmen der Bambergers – für die Brandstiftung „verantwortlich“. Die Schadenssumme wurde auf 360.494,57 Reichsmark beziffert. Diese Summe konnte Bamberger & Hertz nicht aufbringen und damit fand sich die Begründung, die Firma zu liquidieren. Mitte Januar 1939 befand sich das Haus bereits „in der Abwicklung“. Ende April 1939 erfolgte schließlich der Verkauf des Grundstücks an die Alte Leipziger Lebensversicherungs-Gesellschaft zum unterdurchschnittlichen Kaufpreis von 1,69 Millionen Reichsmark. Im Dezember 1940 war die Liquidation des Standortes Leipzig rechtsgültig.1212 Für die verbliebenen Standorte Köln, Stuttgart und München suchte Fritz Bamberger Anfang 1938, nach dem Entschluss zu emigrieren, nach geeigneten Lösungen des Verkaufs bzw. der Übertragung der Firma in geeignete Hände, um Bamberger & Hertz über die NS-Herrschaft hinweg zu retten und nach dessen Ende in das Unternehmen zurückkehren zu können. Eine Übertragung seines „Lebenswerkes“ kam nur an seine ihm „treu zur Seite stehenden Mitarbeiter“ Hans Hirmer (Chefeinkäufer), Emil Haller (Reklameleiter) und Dr. Werner Hilpert (Rechts- und Steuerberater) in Frage.1213 Wer waren diese drei Mitarbeiter, die jahrzehntelang in leitenden Positionen und mit Einzelprokura im Konzern tätig waren? Johann Baptist Hirmer (genannt Hans) war von 1915 an – fast ununterbrochen – die „rechte Hand“ Fritz Bambergers und sein engster und langjährigster Vertrauter. Hirmer, der zwölf Jahre jünger war als Bamberger1214, hatte im Münchner Kaufhaus Oberpollinger gelernt und arbeitete dort bis 1915 als Verkäufer. In diesem Jahr stellte ihn Bamberger für monatlich 70 Mark an. Im Ersten Weltkrieg wurde Hirmer wie Bamberger eingezogen und kehrte nach dem Krieg zu seinem alten Arbeitgeber zurück. In München erwies er sich als so tüchtig, dass Bamberger ihm den Posten des Abteilungsleiters und Chefeinkäufers für Herrenoberbekleidung im neu eröffneten Haus Köln anbot. Im Konzern waren zu dieser Zeit Einkauf und Verkauf nicht getrennt, sondern in Personalunion eines Abteilungsleiters vereinigt. 1933 kehrte Hirmer nach München zurück – wohl auch, um seinen Freund

Vgl. Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 35 f.; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 144, S. 154. Der Grundstückswert belief sich auf 3 Millionen Reichsmark (Gestehungs- und Neubauwert in den Jahren 1910–1912 waren 4,1 Millionen Reichsmark), siehe Schreiben an das Hessische Staatsministerium des Innern, Abt. VI Wiedergutmachung vom 19.6.1950, HUA 2013/02/0015, S. 5 ff.; Schreiben an Dr. Schnauss vom 27.4.1939, HUA 2013/02/0032, S. 61.; Niederschrift für die Bayerische Treuhand-Aktiengesellschaft betreffend Vermögensverwaltung Fritz Bamberger, München vom 14.1.1939, HUA 2013/02/0034, S. 101 ff. 1213 Vgl. Eidesstaatliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff. 1214 Hirmer kam am 19. Januar 1897 in München als eines von 7 Kindern eines Obermälzers zur Welt, siehe HUA 2012/11/0001, S. 9. 1211 1212

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Bamberger als „arisches Gesicht“ des Geschäftes vor antisemitischen Anfeindungen zu schützen. Hirmer erhielt Einzelprokura, ihm unterstanden der Münchner Verkauf sowie die Direktion der Einkaufszentrale der gesamten Gruppe.1215 Der gebürtige Schweizer Emil Haller stieß als Werbefachmann im Jahr 1925 zur Gruppe. Mutmaßlich ging die Idee einer Zentralisierung der Werbung auf Haller selbst zurück, denn als Leiter der Reklamezentrale in Köln betreute er alle Schwesternhäuser reklametechnisch. Mit der Eröffnung des Kölner Hauses übernahm Haller die Aufgabe des Geschäftsführers – wohl weil er die Kölner Verhältnisse als einziger aus erster Hand kannte.1216 Die spätestens seit der NS-Machtübernahme prominenteste Rolle im Konzern neben Fritz Bamberger spielte zweifelsohne Dr. Werner Hilpert. Gleichalt wie Hans Hirmer war der in Leipzig geborene und promovierte Nationalökonom schon 1922 als Rechtsberater im Leipziger Einzelhandelsverband tätig. Verdient machte er sich bei der Gründung der Leipziger Ortsgruppe der Zentrums-Partei Anfang 1919. Wie genau der Kontakt zu den Bambergers zustande kam, ist unklar. Vermutlich während seiner Zeit im Leipziger Einzelhandelsverband kam er mit Gustav und Ludwig Bamberger in Kontakt und übernahm seit 1924 gelegentlich die Steuer- und Wirtschaftsberatung für alle Bamberger & Hertz-Firmen. Von 1934 an machte Fritz Bamberger Hilpert zum ständigen Berater.1217 Alle drei Kandidaten – Hirmer, Haller und Hilpert – hatten zwei gravierende Probleme. Sie galten als „politisch unzuverlässig“. Hirmer war bekennender Sozialdemokrat, der trotz aller geschäftlichen Nachteile nie in die NSDAP eintrat. Haller galt als „Schweizer Demokrat“ und Hilpert stand seit 1932 im Fadenkreuz der Nationalsozialisten, da er dem Landesverband der Zentrumspartei in Sachsen vorstand und sich als Vorsitzender der Katholischen Aktion in Sachsen lautstark öffentlich gegen eine nationalsozialistische Durchdringung des Glaubensbekenntnisses wandte. Und es fehlte der potenziellen Käufergruppe vor allem an finanziellen Mitteln. Das Kölner Geschäft im Agrippina-Haus (Breite Straße/Ecke Berlich) war seit 1929 der große Verlustbringer der Gruppe mit einem kumulierten Minus von 1,2 Millionen Reichsmark zwischen 1929 und 1935.1218 Fritz Bamberger zog Anfang 1938 die „ÜberVgl. HUA 2012/11/0001, S. 9. Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 17, S. 93. Vgl. Biographisches Portrait zu Werner Hilpert unter http://www.ffmhist.de/ffm33–45/portal01/ portal01.php?ziel=t_ak_hilpert_01, 21.2.2014; Eidesstaatliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff.; Schreiben an F. Bamberger vom 21.9.1945, HUA 2013/02/0015, S. 306 f. 1218 Obwohl das Kölner Geschäft im Jahr 1935 über eine Kartei von 73.000 Kunden verfügte, hatte es seit seiner Geschäftseröffnung „bis jetzt nur Betriebsverluste erzielt“, siehe Schreiben an den Vorsitzenden des Gewerbesteuerausschusses für den Stadtkreis Köln vom 13.11.1936, HUA 2013/02/0008–1, S. 109. Zur Höhe von 1,2 Millionen Reichsmark siehe Korrespondenz zwischen Hilpert, Fritz Bamberger und Gumpertz vom 19. April 1934, HUA 2013/02/0016, S. 267 ff. Kölns Verluste wurden von Fritz und Heinrich Bamberger ausgeglichen, die sich „gegenseitig verpflichtet [hatten], stets zu gleichen Teilen ihr Kapital, sei es durch Ein1215 1216 1217

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tragung des Kölner Hauses an Herrn Haller und [Hirmer] in Erwägung“.1219 Allerdings brauchte es Geldgeber, und die fand man in Köln bei der Konkurrenz. Am 5. Juli 1938 übernahm die neu gegründete Firma Hansen & Co. das Kölner Geschäft.1220 Hansen & Co. war ein Konstrukt unter maßgeblicher Führung von Esders & Dyckhoff, das einzig zur Übernahme von Bamberger & Hertz, Köln ins Leben gerufen wurde. Die Gründungsgesellschafter waren allesamt lokale Konkurrenten. Der Kaufmann Hansen aus Köln, die Textilkette Hettlage und Esders & Dyckhoff. Hansen und Hettlage stiegen kurze Zeit später aus der Firma aus und deren Anteile wechselten in den Folgejahren „teilweise mehrmals den Besitzer“. Esders & Dyckhoff und Josef Dyckhoff persönlich hielten bis Kriegsende 1945 80 Prozent der Kommanditanteile.1221 Hansen & Co. zahlten 510.000 Reichsmark für die Geschäftsübernahme auf ein Sperrkonto ein.1222 Der Kaufpreis, den die eingesetzten Schätzer und die Genehmigungsbehörden mehrmals drückten, lag letzlich fast um die Hälfte niedriger als der geschätzte Mindestwert. Ein good-will und auch eine Ablösung für die Überlassung der Kundenlisten wurden nicht gezahlt.1223 Der Übernahmepreis für die Waren entsprach dagegen den Gepflogenheiten.1224 Das Stuttgarter Geschäft in der Poststraße, Ecke Königstraße war in der „Reichskristallnacht“ erheblich beschädigt und geplündert worden.1225 Und doch war es sehr lagen oder [ ] Betriebsdarlehen in Köln auf ein und derselben Höhe zu halten“, siehe Niederschrift über die Besprechung mit Herrn Dr. Wirtz, 29.8.1935, HUA 2013/02/0008–1, S. 130. 1219 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0003, S. 88 f. 1220 Vgl. Schreiben an Josef Dyckhoff vom 21.8.1950, HUA 2013/02/0010, S. 17. 1221 Ernst Schmidt aus Köln war seit dem 30. Dezember 1946 mit 20 Prozent an Hansen & Co. beteiligt, siehe Schreiben an Dr. Hilpert, HUA 2013/02/0010, S. 90 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.11.1949, HUA 2013/02/0010, S. 76 ff. 1222 Franz Jacob Bamberger spricht fälschlicherweise von 410.000 Reichsmark, siehe Claim for Restitution of Property [ ] vom 22.6.1948, HUA 2013/02/0010, S. 89; richtig sind 510.000 Reichsmark, Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.11.1949, HUA 2013/02/0010, S. 76 ff. Die Verwechslung bezieht sich wahrscheinlich auf die tatsächliche Unterbewertung der Waren in Höhe von 100.000 Reichsmark, also realer Warenwert 400.000 Reichsmark, siehe Schreiben an Fritz Bamberger vom 11.8.1950, HUA 2013/02/0010, S. 42. 1223 Erheblich wurde der Preis für das Inventar gedrückt. Obwohl es nach amtlicher Beurteilung „sorgfältig gepflegt“ und in einem „tadellosen Zustand“ war, wurde der Anschaffungspreis von 424.860 Reichsmark in einem Gutachten vom 17. August 1938 deutlich reduziert. Der Sachverständige Heinrich Abelen kürzte die Summe um ein Viertel auf 312.114,90 Reichsmark, siehe Gutachten vom 17.8.1938, HUA 2013/02/0010, S. 21. Doch den Genehmigungsbehörden erschien dieser Preis weiter unangemessen und so kam ein neues „Gutachten“ von Leichenich auf 223.444 Reichsmark, wonach letztlich nur 210.000 Reichsmark genehmigt wurden. Somit bekamen die Bambergers weniger als 50 Prozent des eigentlichen Inventarwertes, siehe Schreiben an Hansen & Co. GmbH vom 21.8.1950, HUA 2013/02/0010, S. 16. Das Einwirken auf den Inventarpreis „verdankte“ Dyckhoff seiner engen Freundschaft zum Präsidenten der Kölner Handelskammer, der die Neuschätzungen anordnete und kurz später mit einem Bonus ausschied, siehe Bamberger (1990) LBI ME 1403, S. 154. 1224 Nach Erinnerung des Geschäftsführers Wilhelm Bührer zahlte Hansen & Co. für die Waren den „Einkaufspreis plus 5Prozent – etwas über 300.000 Reichsmark“., siehe Schreiben an Dr. Hilpert, HUA 2013/02/0010, S. 90 f. 1225 So wurden alle Schaufenster zerschlagen und die Auslagen geplündert. Es entstand ein Schaden von 5.122 Reichsmark, siehe Schreiben von Dr. Werner Hilpert an das Städtische Steueramt (Abt. Gewerbe-

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begehrt. In den folgenden Monaten befassten sich Behörden, Parteistellen und örtliche Konkurrenten mit der Möglichkeit einer „Arisierung“ oder Liquidierung des Geschäftes. So hatte die Württembergische Industrie- und Handels-, Beratungs- und Vermittlungszentrale das Geschäft als „zu verkaufen“ in der Region ausgewiesen. Daraufhin meldeten sich Ende November 1938 einige Interessenten, darunter das lokale Konkurrenzunternehmen, Makler und Banken. Bamberger & Hertz erteilten allen Offerten eine Absage.1226 Im Hintergrund arbeiteten Fritz Bamberger und Hans Hirmer an einer „hausinternen“ Lösung. Eine Woche vor Bambergers Inhaftierung setzten sie zum 1. November 1938 einen Kaufvertrag auf. Nach diesem übernahm Hans Hirmer das Stuttgarter Haus samt Verkaufsstelle, Warenlager, Inventar und alle nichtjüdischen Mitarbeiter für 75.000 Reichsmark. Hans Hirmer beantragte aber nie die ausstehende erforderliche Genehmigung wegen der „veränderten Verhältnisse“ (gemeint waren wohl die Ereignisse der „Reichskristallnacht“).1227 Daraufhin entsponn sich ein Kampf der Konkurrenzfirmen innerhalb der örtlichen Fachgruppe Bekleidung, Textil, Leder der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel über das weitere Schicksal des Geschäftes.1228 Der Fachgruppe gehörten Textileinzelhändler der Region an, die nun über das Schicksal ihrer jüdischen Mitglieder und Konkurrenten entscheiden wollten. Das Vorstandsmitglied der E. Breuninger A. G. in Stuttgart, Adolf Brenner, leitete die Beratungen über die Frage, ob die Gruppe einer Liquidation oder einer Arisierung zustimmen solle. Obwohl sich eine Mehrheit für die Liquidation aussprach „neigte [Brenner] mehr zur Arisierung [ ] mit Rücksicht auf die Gefolgschaft“.1229

steuer) vom 22. Dezember 1938, HUA 2013/02/0032. Der Gauwirtschaftsberater der NSDAP Stuttgart forderte im November 1938 Bilanzen, Umsatz-, Einkaufs- und Umsatzstatistiken des Stuttgarter Hauses, siehe Brief an den Gauwirtschaftsberater der NSDAP Stuttgart vom 19. November 1939, HUA 2013/02/0032; Schreiben an das Städtische Steueramt, Abt. Gewerbesteuer vom 22.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 293.; Schreiben an Hirmer vom 10.3.1958, HUA 2013/02/0028–3, S. 111; Schreiben an Dr. Melzer vom 2.3.1962, HUA 2013/02/0028–3, S. 95 f. 1226 Bei Hilpert meldete sich etwa Gottfried Bürker, Tuchhandlung Reutlingen („Anfertigung feiner Herrengarderobe nach Maß“): „Großes Interesse [ ] Ein Kapital von ca. 150.000 Reichsmark ständen sofort zur Verfügung und für das Haus hätte die Deutsche Bank in Heilbronn einen Liebhaber“, [weiter] „hätte ich auch Beziehungen, dass ich das Geschäft so wie es ist weiterführen kann“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 25.11.1938, HUA 2013/02/0032, S. 343. Die Stuttgarter Hausverwaltungs-Gesellschaft mbH, Abteilung Grundstücksverkehr suchte „in festem Auftrag ein Geschäftshaus und glauben, dass das erwähnte Objekt den Erfordernissen entsprechen könnte“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 28.11.1938, HUA 2013/02/0032, S. 335. 1227 Vgl. Vertragsentwurf betr. Bamberger & Hertz, Stuttgart vom 3.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 327 ff.; Schreiben an den Gauwirtschaftsberater der NSDAP Herrn Bernlöhr vom 19.11.1938, HUA 2013/02/0032, S. 348 f. 1228 Zuständig war die Bezirksfachgruppe Württemberg-Hohenzollern unter der Leitung von Adolf Brenner (Vorstand des Textilhauses E. Breuninger A. G., Stuttgart), siehe Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften 1944, Bd. 49 (Teil 4), S. 4042.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 29.11.1938, HUA 2013/02/0021– 1, S. 250. 1229 Die Fachgruppe votierte mit 6 (Liquidation) zu 4 (Arisierung) Stimmen.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

In den folgenden Tagen entbrannte ein Kampf innerhalb der Fachgruppe, um die in ihren Augen geeigneten Ariseure. Aus der Fachgruppe selbst erklärten sich Brenner, Ratsherr Paul Sauer und Herr Reichle für eine Übernahme bereit. Brenner votierte gegen Sauer wegen der „Kapitalfrage und der erforderlichen Fachkenntnisse“. Auch Bamberger & Hertz zweifelte an Sauers Kompetenz. In Hilperts Augen wollte Sauer einzig „alles daran setzen, den Herrn Brenner kalt zu setzen“. Ein Angebot Sauers über 275.000 Reichsmark lehnte Bamberger & Hertz ab.1230 Als Reaktion darauf brachte Fritz Bamberger Anfang Dezember 1938 seinen langjährigen Angestellten Max Breuer aus München ins Spiel, der das Stuttgarter Haus selbstständig als Mieter übernehmen sollte, Grundstück und Immobilie sollten an einen interessierten Dritten fallen.1231 Dieser „Dritte“ war der Fabrikant Albert Habfast, der über seinen Makler Christian Pfeiffer bei Bamberger & Hertz ein Kaufangebot für das Grundstück Poststraße 2 über 130.000 Reichsmark abgab. Das darauf befindliche Geschäft wollte Habfast an Breuer vermietet sehen. Fritz Bamberger akzeptierte dieses Angebot am 20. Dezember 1938.1232 Damit schien eine „feindliche Arisierung“ in Stuttgart abgewendet. Die Genehmigungen der Fachgruppe und anderer zuständiger Behörden standen jedoch noch aus. In der Fachgruppe war Breuer umstritten. Und die NSDAP-Dienststellen brachten ein weiteres Kaufkonsortium, eine Kommanditgesellschaft der Parteimitglieder Julius E. Pfeiffer, Rudolf Pfeiffer und Paul Sauer, ins Spiel.1233 Damit wurde aus dem Arisierungsbestreben nun ein Geschachere und eine Zurschaustellung persönlicher Eitelkeiten. Denn Sauer hatte „nicht die Absicht mit Pfeiffer zusammenzugehen. Dieser ist ein junger Mann, mit dem ich nichts zu tun haben will. Ich habe es auch allein bekommen. Ich habe mir einen langjäh-

Sauer war bereit, für Geschäft und Grundstück 250 bis 275.000 Reichsmark zu zahlen. Hilpert hielt dies für zu wenig, siehe Notiz über die Besprechung mit Herrn Brenner in Stuttgart vom 29.11.1938, HUA 2013/02/0032, S. 340. 1231 Vgl. Schreiben des RA Dr. Siegfried Wille an den RA Dr. Kügle (Gauleitung der NSDAP) am 9. Dezember 1938., HUA 2013/02/0032. Am 5. Dezember 1938 übersendete Hilpert Max Breuer (Angestellter von Hirmer & Co, München) einen Entwurf für den Kaufvertrag, siehe Schreiben an Max Breuer vom 5.12.1938, HUA 2013/02/0012–3, S. 212. Breuer war 1889 geboren und sechs Jahre für B&H in Frankfurt, Leipzig und München tätig sowie vier Jahre für Peek & Cloppenburg, Hamburg tätig gewesen. Er war seit 1908 Abteilungsleiter und Einkäufer in München. Bambergers Ziel: „Breuer soll als langjähriger Angestellter auf Grund seiner bisherigen Verdienste zur Selbstständigkeit gelangen [ ] Einen Teil des erforderlichen Geldbetrages wird Breuer aus eigenen Ersparnissen zur Verfügung stellen. Der größte Teil wird durch Heranziehung eines Kommandisten aufgebracht werden [ ]“, siehe Schreiben an die NSDAP-Gauleitung für Württemberg in Stuttgart, Abteilung für Vermögensverwertung vom 9.12.1938, HUA 2013/02/0012–3, S. 208 ff. 1232 Vgl. Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags vom 10.12.1938, HUA 2013/02/0028–1, S. 134 ff.; Brief von Chr. Pfeiffer an Lotte Bamberger vom 10. Dezember 1938; Aktennotiz (wahrscheinlich) von Dr. Werner Hilpert vom 29. November 1938, HUA 2013/02/0032; Schreiben von Fritz Bamberger an die Zollfahndungsstelle München vom 28. Dezember 1938, HUA 2013/02/0032. 1233 Julius E. Pfeiffer und Rudolf Pfeiffer verhandelten mit Breuer über dessen Aufnahme in eine Kommanditgesellschaft, siehe Schreiben an S. Wille betr. Arisierung der Firma Bamberger & Hertz, Stuttgart vom 10.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 276. 1230

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rigen Angestellten der Fa. B&H engagiert, d. h. ich stehe mit ihm in Verhandlungen. Das schließt nicht aus, dass ich stattdessen Herrn Breuer als Leiter in Anstellungsverhältnis übernehmen würde“.

Diese Lösung kam hingegen für Breuer nicht infrage: „Ich übernehme die Firma entweder allein oder gar nicht. In ein Angestelltenverhältnis zu Herrn Sauer als Leiter gehe ich nicht“. Sauer dagegen beharrte auf seine Führung: „Mein Name muss in die Firma hinein, weil ich dies meiner politischen Stellung schuldig bin. Als Kommanditist kann ich nicht in der Firma genannt werden“.1234 Damit zerschlugen sich Mitte Dezember 1938 die Pläne einer Arisierung durch Breuer und/oder Sauer. Ungeachtet der Streitigkeiten in der Fachgruppe erreichte Bamberger & Hertz am 21. Dezember 1938 ein neues Kaufangebot der örtlichen Konkurrenzfirma Bachmann, Maurer & Co. („Das Haus für feine Herren- und Knabenkleidung“): „Wir, die Kaufleute Theodor Bachmann, Ernst Maurer und Rudolf Pfeiffer, [ ] übernehmen die Verkaufsstelle der Firma Bamberger & Hertz, Stuttgart, Poststraße 2“. Eine neu zugründende Kommanditgesellschaft „Bachmann & Maurer“ wollte das Geschäft für 130.000 Reichsmark übernehmen. Nach firmeninterner Rechnung lag der materielle Wert des Geschäftes (ohne good-will) bei rund 190.000 Reichsmark.1235 Die Interessenten versprachen alle behördlichen Genehmigungen beizubringen, „[so] dass das Geschäft am 5. Januar 1939 übernommen werden kann“.1236 Dieses Versprechen konnte dank des „alten Parteimitgliedes“ Pfeiffer gegeben werden, der „zweifellos die erforderliche Unterstützung bei der [ ] Gaudienststelle hier in Stuttgart“ hatte.1237 Obwohl Bamberger & Hertz wohl noch ein drittes Angebot eines Interessenten vorlag, rechnete man bei Bachmann & Maurer mit keinen „Genehmigungsschwierigkeiten“. Fritz Bamberger stimmte trotz „der außerordentlich niedrigen Summe“ zu.1238 Nachdem sich der Geldgeber Pfeiffer überraschend zurückzog, stieg Anfang Januar 1939 – Vgl. Vormerkung von Dr. S. Wille vom 12.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 285 f. Laut Bamberger & Hertz lag der Inventarwert bei 54.603 Reichsmark. Der Einheitswert für das Geschäftsgrundstück lag bei 135.800 Reichsmark, siehe Schreiben an den Gauwirtschaftsberater der NSDAP Herrn Bernlöhr vom 19.11.1938, HUA 2013/02/0032, S. 348 f. 1236 Vgl. Schreiben von Dr. Werner Hilpert an den Gauwirtschaftsberater Bernlöhr vom 21. Dezember 1938, HUA 2013/02/0032; Kaufangebot erfolgte zu folgenden Bedingungen: „Warenlager zum festen Preis von 110.000 RM, Inventar zu 20.000 RM, Schulden werden nicht übernommen, jedoch die vorhandenen Debitoren, die arische Gefolgschaft wird übernommen, nicht-Arische dagegen nicht; Eintritt in den Mietvertrag mit der Fa. C. Tack & Cie Schuhhaus, Berlin, Kaufpreis für Warenlager und Inventar 130.000 RM wird wie folgt berichtigt: Am Tag der Übernahme werden 100.000 RM gezahlt (5.1.1939), der Rest wird spätestens zum 28.2.1939 bezahlt“, siehe Schreiben an Firma Bamberger & Hertz, Stuttgart, z. Hd. Fritz Bamberger vom 21.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 396 f.; Schreiben an Teod. Bachmann betr. Geschäftsübernahme der Firma Bamberger & Hertz, Stuttgart, HUA 2013/02/0032, S. 292. 1237 Vgl. Schreiben des RA Dr. Emil Blaich an RA S. Wille vom 10. Dezember 1938, HUA 2013/02/0032. 1238 Es lag nämlich ein weiterer Übernahme- und Kaufvertrag von zwei Interessenten (Bürker und Mauer) vor. So schrieb Bamberger an Hilpert: „[Man] müsste man das Angebot Bachmann vom 21. Dez. annehmen. Allerdings wäre ich der Auffassung, dass der Kaufpreis von 130.000 RM in Anbetracht der außeror1234 1235

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auf Vermittlung der Schwäbischen Bank AG – Dr. Eugen Pfau als Kommanditist bei Maurer & Co. ein.1239 Somit konnte am 7. Januar 1939 der endgültige Kaufvertrag zwischen dem Konsortium Stuttgarter Kaufleute und Bamberger & Hertz zum „Zwecke der Fortführung des Geschäfts“ geschlossen werden.1240 Anders als bei allen anderen Arisierungen der Bamberger & Hertz-Läden beabsichtigte die Bachmann & Maurer KG den Zusatz „vorm. Bamberger & Hertz“ zu führen. Ein good-will für „die vorhandenen Kundenlisten, Geschäftsbücher und Geschäfts-Papiere einschl. Kalkulationsunterlagen“ zahlte auch Bachmann & Maurer nicht. Den noch nicht genehmigten Grundstücksverkauf an den Fabrikanten Habfast1241 nutzte Bachmann & Maurer, um Druck auf Bamberger & Hertz auszuüben. Man drohte vom Kauf zurückzutreten und drückte den Kaufpreis in der Folge um 40.000 Reichsmark.1242 Bamberger & Hertz hatten nun Anfang Januar 1939 nur noch schlechte Optionen. Die Variante Breuer war vom Tisch, und Bachmann & Maurer hatten sowohl die Banken als auch die Genehmigungsbehörden auf ihrer Seite. Denn „in politischer Hinsicht [gab es] keine Bedenken“. Ernst Maurer war Parteimitglied seit 1928 und SS- Mitglied. Auch Bachmann und Dr. Pfau galten als nationalsozialistisch gesinnt. Bachmann hatte sieben Jahre in leitender Position bei E. Breuninger gearbeitet und besaß vermutlich die Unterstützung des Fachgruppenleiters und Breuninger-Vorstandes Brenner. Der studierte Volkswirt Dr. Pfau besaß als Prokurist der Schwäbischen Treuhand A. G. ebenfalls beste politische Kontakte.1243 Im Falle einer erneuten Ablehnung des dentlich niedrigen Summe am Tage der Übernahme vollkommen bezahlt werden müsste“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 25.12.1938, HUA 2013/02/0032, S. 269. 1239 Pfeiffer wurde vor Unterzeichnung des Kaufvertrages am 7. Januar 1939 aus dem Konsortium geworfen und durch Dr. Eugen Pfau ersetzt, siehe Schreiben von Dr. Werner Hilpert an Fritz Bamberger vom 7. Januar 1939, HUA 2013/02/0032; Schreiben an Fritz Bamberger vom 7.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 248 ff. Die Schwäbische Bank AG erklärte „ein Kunde von uns hat sich bereit erklärte, den vorgenannten Herren die Mittel [ ] zur Verfügung zu stellen“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 5.1.1939, HUA 2013/02/0021–1, S. 223. 1240 Vgl. Kaufvertrag vom 7.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 253 ff. 1241 „Ich habe am 20. Dezember 1938 hinsichtlich des Anwesens Poststraße 2 in Stuttgart den [ ] Kaufvertrag abgeschlossen“, siehe Schreiben an die Zollfahndungsstelle München, HUA 2013/02/0032, S. 312. 1242 Binnen zwei Wochen musste Habfast die Genehmigung haben und einen 10-Jahres-Mietvertrag „zu erträglichen Bedingungen“ anbieten, ansonsten würde Bachmann &Maurer vom Kauf zurücktreten oder sich selbst um den Erwerb des Grundstücks bemühen, siehe Kaufvertrag vom 7.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 253 ff. Das Konsortium hatte das Inventar und Waren erneut schätzen lassen und Bamberger & Hertz „Fantasie-Preise“ unterstellt. 1243 „Maurer ist Pg seit 1928 und verdienter S. S.-Führer. Dr Pfau hat die NSDAP schon seit den Jahren 1929 und 1930 finanziell unterstützt; seit 1931 ist er Leser des NS-Kuriers [ ] Bachmann ist aktiver Teilnehmer des Marsches vom 9. November und hat deswegen den grünen Dauerausweis beantragt [ } Arier-Nachweis erscheint daher überflüssig“., Bachmann arbeitete sieben Jahre bei E. Breuninger als Verkäufer und Abteilungsleiter, Dr. Pfau war Prokurist und Abteilungsleiter der Schwäbischen Treuhand A. G., Maurer war Vertreter, siehe Schlussbericht über die Entjudung der Firma Bamberger & Hertz, Stuttgart-N vom 9.1.1939, HUA 2013/02/0026, S. 47 ff. Volkswirt Pfau hatte vor 1914 in seines Vaters Weinhandlung gearbeitet, nach 1918 war er Sachverständiger beim Wucheramt des Polizei-Präsidiums Stuttgart, ab 1924 bis März

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Verkaufs wäre eine Liquidation unausweichlich geworden. Bamberger stimmte dem Verkauf an Bachmann & Maurer unter diesen Voraussetzungen zu. Damit war zum 14. Januar 1939 „der Geschäftsbetrieb verkauft [und die] behördliche Genehmigung erteilt“. Die Frist zur Klärung der Grundstücksfrage lief indes ab, da die Behörden den Habfast-Kauf nicht genehmigt hatten.1244 Bachmann & Maurer traten nicht vom Kauf zurück, sondern teilten mit, „dass wir entschlossen sind, das der Erbengemeinschaft Bamberger gehörende Grundstück Poststr. 2 zu erwerben. Die erforderlichen Mittel hierzu stehen uns ohne weiteres zur Verfügung“.1245 Derweil hatte das Württembergische Wirtschaftsministerium Bachmann & Maurer den Kauf angeraten. Eine Genehmigung an Habfast werde nicht erteilt. Einen Kauf durch Bachmann & Maurer hielt das Ministerium dagegen „für unerlässlich, [ ] damit die früher vorhandene Einheit zwischen Geschäft u[nd] Grundstück wiederhergestellt wird“. In Wirklichkeit hatte Bachmann & Maurer sich wohl über die Mietforderungen Habfasts beim Ministerium beschwert.1246 Schließlich trat Bamberger schweren Herzens vom Kaufvertrag mit Habfast zurück und verkaufte zu leicht schlechteren Konditionen an Bachmann & Maurer. Ende April 1939 lagen alle erforderlichen Genehmigungen vor.1247 Fritz Bambergers „Juwel“ war das Münchner Geschäft in der Kaufinger Straße. Nachdem die anvisierten freundlichen Übernahmen entweder maßgeblich beschnitten (Köln) bzw. gescheitert (Stuttgart) waren, musste das Münchner Geschäft als das ökonomische und ideelle Rückgrat der Bamberger & Hertz-Gruppe unter allen Umständen erhalten werden. Die ersten Versuche das Münchner Geschäft zu „übernehmen“, kamen auch hier von Konkurrenzunternehmen. Am 2. November 1935 erreichte Bamberger eine Anfrage von Paul Vogt aus Hamm/Westfalen („Spezialität: Verwertung von Geschäfts1937 arbeitet er für die Schwäbische Treuhand AG, siehe Schreiben an die Industrie- und Handelskammer Stuttgart vom 11.1.1939, HUA 2013/02/0026, S. 45. 1244 Vgl. Niederschrift für die Bayerische Treuhand-Aktiengesellschaft betreffend Vermögensverwaltung Fritz Bamberger, München vom 14.1.1939, HUA 2013/02/0034, S. 101 ff. 1245 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 30.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 203. 1246 Bachmann & Maurer schrieb an Hilpert, dass das Grundstück für Habfast nur eine „Kapitalanlage“ sei und „er uns als Miete einen für uns völlig untragbaren Betrag genannt hat“. Dies sei „nicht gerechtfertigt [ ], dass von uns zunächst die noch ausstehenden 10.000 RM für die Einrichtung zu zahlen sind“, „Wir haben auf Veranlassung des Wirtschaftsministeriums das Gebäude [ ] [auf 132.000 RM] schätzen lassen“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 30.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 179 f. 1247 Bachmann & Maurer übernahmen „das Anwesen zum gleichen Preis wie Habfast, lediglich verringert um die Differenz von 10.000 RM für das Inventar“. Hilpert beharrte auf Kaufvertrag mit Habfast, riet Bamberger aber von Habfast ab, da „aufgrund meiner gewonnenen Kenntnis der lokalen Stimmung in Stuttgart, dass Habfast nie die Genehmigung erhält, zumal [ ] Dr. Pfau persönlich das Grundstück für sich haben will. Da er der besondere Freund von Dr. Linder [Schwäbisches Wirtschaftsministerium] ist, wird dieser ihm dazu verhelfen. Es ist nicht meine Art gewesen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, hier empfehle ich es aber“, siehe Schreiben an Fritz Bamberger vom 31.1.1939, HUA 2013/02/0032, S. 202.; Kaufvertragsantrag für Grundstückkauf vom 4. Februar 1939 von Bachmann & Maurer, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 22.4.1939, HUA 2013/02/0032, S. 60; Schreiben an Dr. Hilpert vom 22.4.1939, HUA 2013/02/0032, S. 60; Schreiben an Dr. Schnauss vom 27.4.1939, HUA 2013/02/0032, S. 61.

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häusern – Vertrauensmakler erstklassiger Unternehmen“), „[ ] ob das Münchner Geschäft [ ] evtl. zu haben sein würde“. Obwohl Vogt versprach, einen „erstklassigen Reflektanten“ zur Hand zu haben, lehnte man ab. Es bestehe derzeit „keinerlei Verkaufsabsicht“.1248 Der erste Übernahmeplan, Bamberger in einer neuen Kommanditgesellschaft direkt zu beteiligen und damit das Finanzierungsproblem der Kandidaten Hirmer, Haller und Hilpert zu lösen, fand keine behördliche Genehmigung. Ebenso verweigerten die Behörden dem Plan einer „versteckten“ Finanzierung über einen Darlehensvertrag ihre Zustimmung. Daraufhin begab sich Bamberger in Berlin bei großen Berliner Bankhäusern auf die Suche nach einem potenten, aber ansonsten stillen Anleger.1249 Auf Vermittlung von Delbrück & Schickler zeigte sich Theodor Döring bereit einzusteigen. Bekannt ist einzig, dass der 1867 in Oldenburg geborene Döring Kaufmann war und in Potsdam-Golm einen Gartenbaubetrieb unterhielt.1250 Um den dritten Anlauf im Spätsommer 1938 nicht unnötig zu belasten, verzichtete Hilpert auf eine Kommanditbeteiligung und vertrat fortan die Rechte Bambergers im Zuge des „Arisierungsprozesses“.1251 Alle Beteiligten verfolgten ein gemeinsames Ziel: „Den höchstmöglichen Preis zu erzielen“ und auch „unter persönlichen Schwierigkeiten trotz größter Angebote ihrem alten Chef die Treue“ zu halten. Und so konstruierten sie ein Angebot, welches das Warenlager trotz des „Moderisikos“ zum Einkaufspreis bewertete und Einrichtung und Inventar deutlich über dem eigentlichen Buchwert ansetzte.1252 Konkret vereinbarte der von Bamberger unterstützte Vertragsentwurf vom 25. August 1938 eine neue Gesellschaft zwischen Hirmer, Haller und Döring zum „Zweck [ ] der Übernahme und Weiterführung [ ] der Einzelhandelsgeschäfte in Herren- und Damen- und Knabenkleidung in München und Stuttgart (§ 3)“. Die Geschäftsführung sollte allein bei Hirmer liegen (§ 6), der nach § 7 als persönlich haftender Gesellschafter mit 100.000 Reichsmark (bei 25 Prozent Gewinnbeteiligung) einstieg. Die größte Einlage leistete Döring mit 300.000, die geringste Haller mit 50.000 Reichsmark.1253 Mitspracherecht und Einwilligungsvorbehalt vereinbarten Haller und Döring nach neuer Geschäftsordnung in den Immobilien-, Personal- und Lieferungsfragen. Zudem

Vgl. Schreiben von Paul Vogt vom 2.11.1935 und Antwort von Dr. Hilpert vom 6.11.1935, HUA 2013/02/0012–1, S. 222 f. 1249 Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 137. 1250 Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 31.1.1949, HUA 2013/02/0015, S. 223 f.; Auseinandersetzungsvertrag vom 21.5.1946, HUA 2013/10/0006, S. 238 ff. 1251 Zunächst war geplant, dass Hedwig Hilpert nach der Genehmigung als Kommanditistin mit 100.000 Reichsmark einsteigt, aber auch sie verzichtete später, siehe Aktennotiz zum Vertrag Hirmer & Co., München, o. D., HUA 2013/02/0012–3, S. 70 ff. 1252 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff. 1253 Vgl. Gesellschaftsvertrag vom 25.8.1938, HUA 2013/02/0012–3, S. 42 ff.; Gesellschaftsvertrag vom 25.8.1938, HUA 2012/09/0001, S. 1 ff. 1248

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hatte Hirmer den beiden Kommanditisten regelmäßig schriftlichen Bericht und Einsicht in Geschäftsbücher zu gestatten. Bemerkenswert ist, dass der Vertrag – quasi en passant – auch das Stuttgarter Geschäft – an Hirmer mit übertrug.1254 Vier Tage später, am 29. August 1938 stellte Hirmer den finalen Antrag auf „Genehmigung zur Errichtung oder Übernahme einer Verkaufsstelle gemäß § 5 des Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels“. Gegenüber den Behörden versicherte Hirmer die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Maßnahme und erläuterte, „dass diese Arisierung [ ] den allgemeinen Tendenzen entspreche, die insbesondere von allen Parteistellen für die Arisierung als richtunggebend ausgegeben worden sei“. Weiter unterstrich er seine Zuverlässigkeit und ideologiekonformen finanziellen Ressourcen: „Ich selbst habe durch meine 23-jährige Tätigkeit im Hause [ ] wesentlich zum Auf- und Ausbau der Firma beigetragen. [ ] Neben dem mir zur Verfügung stehenden Eigenkapital stehen mir [ ] für 10 Jahre fest 350.000 RM Kommanditkapital zur Verfügung. Dieses Kapital ist reines Privatkapital ohne irgendwelchen Ursprung bei Lieferanten oder sonstigen Konzernen“.1255

Die Zeit bis zum Genehmigungsentscheid nutzten Hirmer und Bamberger, um die geplante großzügige Schätzung des Inventars am 3. September 1938 in die Wege zu leiten und an die Prüfungsstellen zu geben. Dazu beauftragten sie den Kölner Sachverständigen Johann Leichenich, der das Inventar auf 150.653 RM, und damit knapp über dem 20-fachen des Buchwerts taxierte.1256 Anderthalb Monate nach Antragstellung erging am 17. Oktober 1938 ein positiver Genehmigungsbescheid des Münchner Oberbürgermeisters, jedoch mit schwerwiegenden Auflagen. So könne nicht allgemein der Einkaufspreis auf das Warenlager angewandt werden, „für unkurante Ware gelte nur der Tagespreis“. Weiter sei die im Antrag beabsichtigte Vergütung für die Übergabe der Warenzeichenrechte nicht gestattet. „[ ] Der Kaufpreis von 60.000 RM ist zu streichen“. Ebenfalls dürfe keine „Vergütung für die Überlassung der Kundenkartei“ gezahlt werden. Der ursprüngliche Kaufpreis musste also um weitere 40.000 Reichsmark reduziert werden. Auch mit der Schätzung des Inventars zeigte sich die Behörde nicht zufrieden und verlangte eine Neuschätzung durch andere Sachverständige. Um etwaige Forderungen des Finanzamtes zu begleichen, musste der Kaufpreis nochmals um 20.000 Reichsmark verringert werden. Damit war vom eigentlichen Antrag ganz im Sinne Bambergers durch behördliche Vorbehalte fast nichts übriggeblieben. Der gesamte good-will für Kundenkartei und Markenrecht war fallengelassen worden (100.000 Reichsmark), das Warenlager und

1254 1255

S. 43.

Vgl. Geschäftsordnung vom 25.8.1938, HUA 2012/09/0001, S. 7 f. Vgl. Schreiben an die Industrie- und Handelskammer zu München vom 29.8.1938, 2013/10/0005–1,

Vgl. Gutachten zur Schätzung des Inventars der Fa. Bamberger & Hertz in München vom 3.9.1938, 2013/10/0005–1, S. 44. 1256

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Inventar drohten empfindlich abgewertet zu werden und letztlich untersagte man auch „die Führung eines auf die frühere Firma hinweisenden Vormals-Zusatzes bei der Firmierung und Kennzeichnung des Unternehmens“. Bamberger & Hertz, München sollte aus dem Gedächtnis der Stadt getilgt werden.1257 Doch immerhin lag die behördliche Genehmigung für den beabsichtigten „Verkauf unter Freunden“ vor. Denn unangetastet blieb das immer wieder bekräftige, geheime gentlemen-agreement, dass Fritz Bamberger „jeder Zeit zu später festzulegenden Bedingungen in die Firma zurückkehren könnte“.1258 Und so schrieb Bamberger am 31. Oktober 1938, dem letzten Tag vor der erzwungenen Geschäftsaufgabe, bitter über die Umstände, aber im vollsten Vertrauen auf diese Zusage an Hirmer: „Ein Stück Lebensarbeit findet mit dem heutigen Tag ihr Ende. Wenn nunmehr [das Geschäft] Ihrer Obhut anvertraut wird, so ist das ein Beweis meiner Wertschätzung ihrer Person wie ich i[h]n größer nicht liefern vermag. Gleichzeitig übernehmen Sie die große Verantwortung, das [ ] aufgebaute Werk richtig zu verwalten“.1259

Hirmer hatte unmittelbar nach dem Positivbescheid voller Tatendrang an seinen neuen Partner Döring geschrieben: „Wichtig wäre nun, dass wir bald übernehmen könnten. Ich denke mir für die Übernahme Montag oder Dienstag kommender Woche und für die Eröffnung Samstag den 29. Oktober. Das ist meiner Ansicht nach der beste Start“.1260

Final besiegelt wurde die Geschäftsübernahme am 4. November 1938 durch den Kaufvertrag zwischen der neugegründeten Hirmer & Co. KG und Bamberger & Hertz, München, rückwirkend zum 1. November 1938 wie folgt: Hirmer übernahm das Warenlager für 348.350,22 Reichsmark, zudem das Inventar sowie die gewerblichen Schutzrechte. Letztere gab es umsonst und das Inventar war schließlich auf 109.000 Reichsmark reduziert worden. Alle modischen Waren übernahm Hirmer zum Einkaufspreis und trat auch in alle laufenden Lieferverträge ein. Nach § 3 wurde die „Übernahme der Passiven ausgeschlossen“. Hirmer verpflichtete sich darüber hinaus die „gesamte Gefolgschaft“ zu übernehmen, aber allen „nichtarischen zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen“. Der Kaufpreis war „am Tag der Übergabe“ und der Rest innerhalb von acht Tagen beglichen worden. Die Arisierung kostete Hirmer insgesamt 461.702, 46 Reichsmark.1261 Vgl. Schreiben an Johann Baptist Hirmer vom 17.10.1938, 2013/10/0005–1, S. 27 f. Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 51. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. Schreiben an Theodor Döring vom 20.10.1938, HUA 2013/10/0005–2, S. 150. Vgl. Kaufvertrag vom 4.11.1938, HUA 2012/09/0001, S. 10 f. Im Bilanzbuch tauchen unter „Schuld an F. Bamberger“ die Positionen „Übernahme der Einrichtung“ mit 109.000,- und „Übernahme des Warenlagers“ mit 348.350,22 Reichsmark auf, siehe Bilanzbuch Hirmer & Co. (alt) HUA 2013/01/0003, S. 2 f.; Schreiben der Industrie- und Handelskammer zu München vom 27.10.1938, 2013/10/0005–1, S. 40. 1257 1258 1259 1260 1261

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Hirmers Rechtsanwalt Dr. Siegfried Wille bemerkte im Februar 1939 zur „gerechten Höhe“ des Kaufpreises: „Das Geschäft kostete bei normalem Erwerb über eine Million. [ ] Die Gewinne betrugen noch in den letzten Jahren, in welchen die Firma durch die Arisierungsgesetzgebung in ihrer Entfaltung gehindert war, 150.000 bis 180.000 RM“.1262 Selbst mit dem angedachten good-will von 100.000 Reichsmark wäre Hirmer & Co. damit deutlich unter den Preisen eines Normalverkaufs geblieben. Wie viel vom Kaufpreis, der auf ein Sperrkonto gezahlt werden musste, bei Fritz Bamberger selbst ankam, schilderte der Rechtsanwalt der Familie Dr. Melzer im September 1969: „Von diesem Sperrkonto hat [ ] Herr Bamberger keinen Pfennig erhalten. [ ] Von diesem Sperrkonto [wurden] Steuern, Judenvermögensabgabe, Reichsfluchtsteuer u. ä. m. bezahlt. Ein unverbrauchter Rest von 92.000 RM wurde von der OFD [Oberfinanzdirektion] zu Gunsten des Reiches eingezogen“.1263

Rund 20 Prozent der Kaufsumme kamen von Hirmer selbst (100.000 Reichsmark), 67 Prozent (300.000 Reichsmark) von Döring und der Rest von Haller (50.000 Reichsmark). Ein erforderliches Darlehen von 30.000 Reichsmark erhielt Hirmer vom Bekleidungsfabrikanten Dorn. Der neuen Kommanditgesellschaft standen damit 431.403,92 Reichsmark Betriebskapital zur Verfügung, wovon 30 Prozent auf Hirmer, 60 Prozent auf Theodor Döring und 10 Prozent auf Emil Haller entfielen.1264 6.3.3.2 Opfer II – Schocken Das Jahr 1937 war für den Schocken-Konzern katastrophal zu Ende gegangen. Die Situation des Nürnberger Hauses war stellvertretend für die Gruppe. Mitten in das Weihnachtsgeschäft platzte ein Aufruf des fränkischen Gauleiters Streicher, auf den hin das Nürnberger Haus vom 16. bis 24. Dezember auf das Massivste bestreikt wurde. Wachposten stellten Schilder auf, hinderten Kunden am Eintritt, belästigten und schlugen sie nach dem Einkauf, und der tobende Mob drohte auch dem Personal („Kommt nur raus, wir schlagen euch tot“). Angesichts der Aggression verweigerten nun auch Lieferanten erstmals, ein Schocken-Geschäft zu beliefern. Insgesamt war der Schaden in Nürnberg immens. Um 40 Prozent brach der Dezember-Umsatz ein und dies hatte

Vgl. Abrechnung mit der Firma Hirmer & Co., München vom 13.2.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 190 ff. 1263 Vgl. Stellungnahme Dr. Melzer betr. Hirmer, München – Kriegssachschaden vom 6.9.1969, HUA 2013/02/0013–1, S. 111 ff. 1264 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 32; Einschreiben an Hans Hirmer vom 3.6.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 97 f. 1262

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für das Nürnberger Geschäftsjahr 1937 einen siebenprozentigen Umsatzrückgang zur Folge. Der neue Vorstand Fonk wandte sich daraufhin an das Reichswirtschaftsministerium und betonte die Anerkennung der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, die Unterstützung durch den Beauftragten für den Vierjahresplan Hermann Göring und verwies auf den „arischen“ Charakter des Unternehmens hin: „Dieser Boykott traf uns, obschon die eindeutige Mehrheit unserer Aktien in arischer Hand liegt. Wir verweisen außerdem darauf, dass Aufsichtsrat und Vorstand nur aus arischen Männern bestehen“.1265 Am 7. Januar 1938 definierte das Reichswirtschaftsministerium in einem Schreiben an die Reichsgruppen erstmals den „Begriff des jüdischen Unternehmens für die Zuteilung von Devisen und Rohstoffen“. Demnach waren die „Kontingente jüdischer Firmen einheitlich um zehn Prozent zu kürzen“ und die Devisenkontingente auf Basis der Geschäftsjahre 1936/37 neu zu berechnen.1266 Daneben folgten Teile der Lieferanten seit November 1937 den neuen, strikten Adefa-Bestimmungen, wonach „arische“ Fabrikanten keinen Geschäftskontakt zu Juden unterhalten sollten.1267 Folgerichtig sondierte Salman Schocken – wie auch Bamberger – im Frühjahr 1938 auf Anraten der Geschäftsleitung in Zwickau den Verkauf seines Konzerns an ein westeuropäisches Handels- und Bankenkonsortium.1268 Entgegen der mittelständischen Rhetorik blieben Warenhäuser ein ökonomisch notwendiger Fixpunkt der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung. Die Warenhausketten Leonard Tietz, Hermann Tietz und auch der Karstadt-Konzern befanden sich seit 1933 über Konsortien und gewährte Bankkredite quasi in Staatsbesitz.1269 Dies wollte Schocken jedoch unter allen Umständen vermeiden, auch weil sein Konzern seit jeher deutlich weniger stark fremdfinanziert war. Wie auch Bamberger hatte Schocken Anfang 1938 noch einen nicht unerheblichen Spielraum, um unternehmerische Entscheidungen zu planen und durchführen zu können. Als über Landesgrenzen vernetzter Großkonzern war Schocken, anders als regionale Fachhändler, potenziell in der Lage, eine internationale Transaktion zu realisieren – der Verkauf von Firmen(an)teilen an Ausländer.

Mit Georg Spiro war 1937 auch der letzte jüdische Vorstand ausgeschieden, siehe Schreiben an Reichswirtschaftsminister, 5.1.1938, StAC 31451–170. 1266 Zu entscheiden, welche Firma „jüdisch“ war, oblag den Devisenüberwachungsstellen, die sich auf IHK-Gutachten stützen sollten, siehe Rundschreiben Nr. 11a betr. Begriff des jüdischen Unternehmens für die Zuteilung von Devisen und Rohstoffen vom 14.1.1938, StAC 31451–272. 1267 Seit November 1937 hatten „einige Lieferanten“ die Geschäftsverbindung zu Schocken aufgrund der Adefa-Beschlüsse gekappt. Doch Schocken sag genügend Ausweichpotenziale: „Wir kaufen bei unseren bisherigen Lieferanten, [ ] [und] nehmen neue hinzu“, siehe Bf Z Nr. 6 vom 7.2.1938, StAC 31451–322. 1268 Schocken plante seine Unternehmensanteile zu splitten: 10 Prozent Globus, Zürich (Warenhaus), 10 Prozent Vrom & Dreesmann, Amsterdam (Kaufhaus), Rhodius, Koenigs & Co., Amsterdam (Bankhaus, beteiligt an deutscher Textilbranche) und eine englische Gruppe (unter Leitung von British Homestores), siehe Fuchs (1990), S. 251 f. 1269 Vgl. Briesen (2000), S. 67. 1265

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In Amsterdam schlossen die Anteilseigner des Schocken-Konzerns – McFadyean, Salman und Theodor Schocken – am 24. März 1938 einen Kaufvertrag mit einer Amsterdamer Käufergruppe (unter Leitung des Bankhauses Rhodius Koenigs und der Hollandsche Koopmannsbank). Nach diesem sollten Konzernanteile, Grundstücke und Warenlager für insgesamt 900.000 hfl. sowie mehr als 3,3 Millionen Reichsmark verkauft werden.1270 Dieser Vertrag, der in Teilen devisenrechtlich genehmigt werden musste, kam auf Einspruch des Reichswirtschaftsministeriums jedoch nicht zustande. Auf Anweisung des Ministeriums wurden am 25. Juli bzw. 4. August 1938 sämtliche Firmenwerte unter Vermittlung der beiden niederländischen Banken durch ein deutsches Bankenkonsortium unter Leitung der Deutschen Bank und der Reichs-Kredit-Gesellschaft gekauft. Das Grundkapital der Schocken AG wurde „zu Lasten der versteuerten Reserven“ um 10,8 auf 15 Millionen Reichsmark erhöht. Die deutsche Bankengruppe verteilte davon 13 Millionen unter ihren Kunden, die restlichen zwei Millionen Reichsmark erhielten die niederländischen Banken als Provision. Von dem vereinbarten Kaufpreis von 900.000 hfl für die Anteile an der Einkaufszentrale gelangten 800.000 hfl zur Auszahlung. Die Anteile von Salman und Theodor Schocken, Lewin und Jacobsohn in Höhe von 727.000 Reichsmark wurden auf Sperrkonten eingezahlt und waren der Verfügung entzogen. Weder erhielten die Anteilseigner den zugesicherten, noch den angemessenen Preis oder Vergütungen für den Firmenwert ihres Unternehmens, dessen Bilanzwert – ohne Immobilienbesitz – im Februar 1938 bei über 20 Millionen Reichsmark lag.1271 Die Verkaufsverhandlungen fanden vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden antisemitischen Gesetzgebung statt, die nun zu definieren versuchte, was ein „jüdischer Betrieb“ überhaupt war. Die „Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe“ stellte im April 1938 die „Verschleierung des jüdischen Charakters“ einer Firma und die Irreführung der Öffentlichkeit und Behörden unter Strafe. Das Reichswirtschaftsministerium verschickte zunächst nichtöffentliche Richtlinien, die Betriebe als „arisch“ definierten, wenn Vorstand und Aufsichtsrat so-

Salman Schocken verkaufte seine herabgesetzte Kommanditeinlage von einer Million Reichsmark zu 280.000 holländischen Gulden, McFadyean verkaufte seinen treuhänderische Kommanditeinlage von 2 Millionen Reichsmark zu 620.000 holländischen Gulden. Die Kaufsumme konnte in Gulden oder englischen Pfund beglichen werden Damit traten beide „alle Ansprüche“ gegen den Konzern ab. Die Kapitaleinlage von Theodor Schocken (knapp 40.000 Reichsmark) wurde ihm in Reichsmark ausbezahlt. Salman Schocken vereinbarte ferner mit den Käufern die Auszahlung seiner Anteile in den Grundstückgsgesellschaften Geschäftshaus GmbH (285.000 Reichsmark) und Liga GmbH (2,26 Millionen Reichsmark). Alle restlichen Aktien der Schocken AG wollte die Käufergruppe zu 726.600 Reichsmark übernehmen. 1271 Vgl. Genehmigung der Arisierungs- und Repatriierungsverträge nach Erlassen des RWM Nr III WO 14161/38 vom 25.7.1938 und Kr. III WO 14509/38 vom 4.8.1938, Vgl. Schreiben an Fa. Johann Lehrmann & Söhne vom 12.11.1938, StAC 31451–322; Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin VG 4 K 389.12, 8.3.2013, unter https://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/justiz/gerichte/vg2/ entscheidungen2/04_k_0389_12___130308___urteil___anonymisiert.pdf ?start&ts=1404987212&file=04_k_0389_12___130308___urteil___anonymisiert.pdf, 8.8.2016; Fuchs (1990), S. 253–257. 1270

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

wie dreiviertel des Kapitals in arischen Händen lagen. Diese wurden im Sommer als Verordnung zum Reichsbürgergesetz öffentlich.1272 Zudem musste Schocken mit der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 20. Juni 1938 Auskunft über Besitz und Vermögen erteilen. Schocken begann ab Mai 1938, Lieferanten, Behörden, Verbänden und Parteistellen – in Vorgriff auf die Kaufverhandlungen – systematisch mitzuteilen, dass neben den Leitungsorganen nun auch die Anteilseigner „arisch“ seien.1273 Doch bis zum Abschluss der schwebenden Verhandlungen im August 1938 galt Schocken als jüdisches Unternehmen, dem Zulieferer Waren verweigerten, das nirgends mehr annoncieren konnte und welches weiter Boykotten und Anfeindungen ausgesetzt war. Dort wo Schocken auf buchstabengetreue Auslegung der Verordnungen und Gesetze pochte, argumentierten Antisemiten mit weltanschaulichem Eifer. Der Geschäftsführer der Fachgruppe Gemeinschaftseinkauf R. S. Köckler schrieb im Juni 1938 zum Vorgehen gegen jüdische Betriebe: „In der Frage der Entjudung ist für alle Maßnahmen als Grundlage die Gesinnung entscheidend. Wie bei allen Gesetzen und Anordnungen wird hier nur Weg und Ziel gewiesen. In jedem Fall wird sich der deutsche Kaufmann nach der weltanschaulichen Forderung und nicht nach dem Buchstaben richten [ ]“.1274

Und so schlug Schocken im Sommer 1938 ungebrochener Hass entgegen – etwa in Stuttgart, Meißen, Regensburg oder Crimmitschau. In Stuttgart kennzeichnete die örtliche Parteistelle Schocken per Plakat als „jüdisches Geschäft“. In Meißen und Crimmitschau verlangte der Oberbürgermeister das Anbringen entsprechender Pla-

Diese Richtlinien wurden dann doch am 15. Juni 1938 veröffentlicht als 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938. Die Verordnung bestimmte besondere Verzeichnisse und ab einem bestimmten Zeitpunkt eine äußere Kennzeichnungspflicht, siehe Abschrift der Reichsgruppe Industrie betr. Jüdische Firmen; Begriffsbestimmung vom 19.5.1938, StAC 31451–272; Artikel „Welcher Betrieb ist jüdisch?“ vom 17.6.1938, StAC 31451–272. 1273 Man wiederholte folgendes Argumentationsmuster: Vorstand und Aufsichtsrat seien umfänglich „arisch“. Sämtliche Kapitalanteile lägen zu 92 Prozent bei der Einkaufszentrale, deren Kapital zu zwei Drittel „in arischer Hand“ war. Auch die Geschäftsleitung der Einkaufszentrale „ist arisch“. Nur der persönlich haftende Gesellschafter sei „nicht-arisch“. Hier stehe allerdings nur die Genehmigung eines bereits geschlossenen Vertrages (24. März 1938) durch das Reichswirtschaftsministerium, der einen „arischen persönlich Haftenden“ vorsähe und sämtliche Kapitalanteile „in arische Hände“ überführe, siehe Information vom 9.5.1938, StAC 31451–272. Auslöser waren auch Beschwerden der Adefa, über Warenverkäufe von AdefaWaren im Kaufhaus Stuttgart. Die Adefa rügte den Verkauf von Adefa-Kleidung durch das Kaufhaus Schocken Stuttgart, da Schocken als „nichtarisch“ registriert war und forderte die Namen des Lieferanten, siehe Schreiben an Kaufhaus Schocken, Stuttgart vom 14.5.1938, StAC 31451–322. 1274 Die Fachgruppe bat ihre Mitglieder „den jüdischen Geist, wo immer er auftritt, zu bekämpfen. Dazu gehört auch der planmässige Abbau jeglichen Geschäftsverkehrs mit Juden überhaupt“, siehe Streng vertrauliches Schreiben der FG Gemeinschaftseinkauf bei der Reichsgruppe Handel an Mitglieder betr. Entjudung der deutschen Wirtschaft vom 1.6.1938, StAC 31451–272. 1272

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

kate.1275 In Regensburg wehrte sich die Filiale erfolgreich mit Hilfe von Kunden und der örtlichen Polizei gegen Plakate, die Eintragung in das örtliche „Judenregister“ und Sachbeschädigungen mit Hinweis auf die Arisierungsverhandlungen.1276 Mit dem Abschluss und der Genehmigung der Arisierung war die Schocken AG im August 1938 auch im nationalsozialistischen Sinne, also für Parteistellen, Behörden und linientreue Lieferanten eine „arische“ Firma. Der Ruf der „arischen Firma“ verbreitete sich verhältnismäßig schnell. Die Adefa führte Schocken nun in Ihrem Abnehmerverzeichnis. So erhielt Schocken erstmals Zugang zu deren Netzwerk wie eine Reihe von „Glückwunschschreiben“ zeigen. Die Stettiner Herrenkleiderfabrik Leitzke & Wolff (Adefa) begrüsste die Arisierung mit den Worten: „Nachdem ihr Betrieb nunmehr arisch geworden ist, werden Sie in Zukunft auch am Uniformgeschäft teilnehmen, so empfehlen wir deshalb unser beiliegendes Werbeheft Ihrer besonderen Beachtung“. Auch der örtliche Konkurrent, die Stettiner Herrenkleiderfabrik AG Felix Lampe und Willi Wolff (Adefa), schrieb begeistert: „Wie die Adefa, Berlin uns mitteilt, ist ihre Firma nunmehr arisiert und gestatten wir uns daher die höfliche Anfrage, wann wir Ihnen unsere Kollektion vorlegen dürfen“. Die Weberei Frittlingen aus Rottweil nahm die Arisierung „mit großem Interesse [zur] Kenntnis“ und freute sich, „einen Ihrer Herrn Einkäufer [ ] begrüßen zu dürfen“. Andere Lieferantenkreise waren sich über den Status der Firma weiter unsicher. So schrieb die Mechanische Weberei Alfred Demmrich, Rotschau: „[ ] ob Ihre Firma bereits arisiert ist oder wann eine Arisierung erwartet werden kann. Sie wollen mir bitte diese Anfrage nicht verübeln; denn es ist für beide Teile bestimmt vorteilhafter, wenn darüber unbedingte Klarheit herrscht“. Diese Unklarheiten waren auch im November 1938 nicht beseitigt. Die Standorte In einem Schreiben des Kreiswirtschaftsberaters der NSDAP, Kreis Zwickau an Schocken, Crimmitschau wurde die Anordnung für alle jüdischen Einzelhändler in Sachsen gegeben, wonach „deutlich erkennbare weiße Schrift“ „in Augenhöhe“ (1 m lang, 30 cm hoch) den Vor- und Zunamen der jüdischen Inhaber und Mitinhaber zeigen musste, siehe Schreiben des Kreiswirtschaftsberaters an Kaufhaus Schocken, Crimmitschau vom 5.8.1938, StAC 31451–272; Schreiben von Schocken, Meißen an Oberbürgermeister der Stadt Meißen vom 24.6.1938. 1276 „Unser Unternehmen befindet sich bis auf einen ganz geringen Anteil in ausländischen Besitz. Die Mehrheit ist in Händen einer englisch-arischen Gruppe, ein kleiner Teil ist in Besitz eines Juden fremder Staatsangehörigkeit“. Eine Eintragung in die Liste ist nach dem Gesetz nur „mit Zustimmung des Reichswirtschaftsministeriums“ möglich, daher „vorläufig unzulässig“, zudem die „Überführung des restlichen jüdischen Besitzteils in arische Hände bereits durch einen im März d. J. geschlossenen Vertrag geschehen“ ist, siehe Schreiben von Kaufhaus Schocken Stuttgart an Kreisleitung NSDAP vom 8.7.1938; Schreiben von Schocken Regensburg an Oberbürgermeister der Stadt Regensburg, o. D., StAC 31451–272. In der Folge kam es zu Sachbeschädigungen der Regensburger Filiale. Schocken Regensburg (Pfauengasse/Dreihelmgasse) berichtete von Schmierereien mit Ölfarbe auf Fenstern und auf Gehsteigen („Jude“). Passanten und Kunden zeigten sich dem Bericht nach über „das Vorkommnis sehr empört“ und es wurde „in kleinen Gruppen stark debattiert“. Daraufhin hatten Parteimitglieder auf Kunden mit Parteiabzeichen geschimpft. „Gegen dieses Vorgehen nahmen Passanten scharf Stellung“ und auch die Polizei schritt gegen die „Parteileute“ ein: „Das sachliche Auftreten der Beamten brachte es mit sich, dass sich nach kurzer Zeit der Verkehr wieder normal abwickelte“, siehe Schreiben der Geschäftsleitung Schocken Regensburg betr. Beschmierungen vom 23.7.1938, StAC 31451–272. 1275

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Chemnitz, Freiberg, Aue, Oelsnitz, Lugau, Auerbach berichteten von Pogromschäden an Schaufenstern, Inventar und Ware.1277 Angesichts dieser Verwechslungen und Irritierungen startete die Schocken AG zunächst eine intensive Informationskampagne mit Rundschreiben an Lieferanten und Kunden1278 und nannte sich mit Gesellschafterbeschluss vom Dezember 1938 zum 1. Januar 1939 in Merkur AG um. 6.3.3.3

Profiteure – Hettlage

Nach der Aufnahme seiner drei Brüder expandierte das Unternehmen unter Carl Hettlage. Zunächst hatte man den kreditfinanzierten Sprung nach Würzburg geschafft. Dem neuen Gesellschaftsvertrag zufolge leitete jeder der vier Brüder einen Standort: Münster (Carl), Königsberg (Benno), Würzburg (Fritz) und München (Werner). Alle diese Niederlassungen waren rechtlich selbstständige Unternehmen, die nur über die Verwandtschaft ihrer Inhaber formal verbunden waren. Die Hettlage oHG kann daher nicht als Konzern- oder Filialbetrieb im klassischen Sinne gesehen werden, sondern eher als Familiengesellschaft. Die beschriebenen politischen Rahmenbedingungen und der steigende Verdrängungsdruck jüdischer Konkurrenten eröffneten den Brüdern Möglichkeiten, nach Osten (Königsberg) und Süden (München) zu expandieren und schließlich vier Häuser zu betreiben (Tabelle 82). Inwieweit diese Expansion durch „Arisierung“ und „freundliche Übernahme“ jüdischer Konkurrenten erfolgt ist, soll im Folgenden analysiert werden. Tab. 82 Niederlassungen, H. Hettlage oHG, Münster, 1930 bis 1945 Ort

Eröffnet

Geschlossen/Zerstört

Münster (Stammhaus)

1896

1945

Würzburg

1930

1945

Königsberg

1935

1945

München

1937

1945

Schreiben an Schocken AG vom 10.8.1938, StAC 31451–322; Schreiben an Schocken AG vom 11.8.1938, StAC 31451–322; Schreiben an J. Schocken Söhne vom 16.8.1938, StAC 31451–322; Schreiben an Handelsgesellschaft Schocken GmbH vom 17.11.1938, StAC 31451–322; Diverse Schadensberichte und –meldungen, November 1938, StAC 31451–605. 1278 Eines der Beispielschreiben lautete: „Schocken GmbH, Meißen ist arisch. Schocken AG samt der Kaufhäuser Chemnitz, Stuttgart, Nürnberg, Zwickau, Waldenburg, Cottbus, Regensburg, Pforzheim, Augsburg, Aue, Freiberg, Crimmitschau, Ölsnitz, Auerbach, Lugau, Zerbst, Frankenberg, Planitz ist arisch. Anschlusshäuser Kaufhaus Schocken KG, Bremerhaven und KG Wesermünde gingen zum 1.8.1938 in Besitz der arischen Schocken AG über, siehe Schreiben an Fa. Richard Möbius vom 22.11.1938, StAC 31451–322. 1277

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Im Jahr 1935 entschloss sich Hettlage nach Königsberg zu gehen und die Hettlage GmbH („Der gute Name für gute Kleidung“) unter Leitung von Benno Hettlage in der Junkerstraße, Ecke Kantstraße 11b/c zu eröffnen. Zuvor hatte das Textilgeschäft Gebr. Faerber GmbH zum Verkauf gestanden. Die Gesellschafter Max Lesser, Jonas Faerber und Benno Faerber boten Hettlage am 1. Oktober 1935 ihre Geschäfts- und Gewinnanteile für 110.000 Reichsmark zum Verkauf an. Die Hettlage-Brüder nahmen zwei Tage später das Verkaufsangebot an.1279 Bei dieser Geschäftsübernahme ist eine feindliche Arisierungsabsicht von Seiten Hettlage nicht belegt. Unbestreitbar profitierte Hettlage von antisemitischen Anfeindungen in Königsberg, die Faerber und Lesser zu einem Geschäftsverkauf zwang. Hettlage zahlte jedoch den geforderten Preis und übernahm Benno Faerber wegen seiner Marktkenntnis als Chefeinkäufer. Die Transaktion muss weitgehend wohlwollend vollzogen worden sein. Nachdem Lesser einer Stundung des Kaufpreises zustimmte, bedankte sich Hettlage überschwänglich: „Indem ich Ihnen für ihre Liebenswürdigkeit noch einmal verbindlichst danke, zeichne ich mit deutschem Gruß!“.1280 Dass die Skrupel bei Hettlage jedoch im Verlauf der Jahre auch in Königberg schwanden, zeigen die folgenden Geschäftserweiterungen. Ende August 1936 nahm das Geschäft ein Kaufangebot über das Grundstück Kantstraße 11b/c der Eigentümerin Elise Liedtke an und verhielt sich damit vergleichsweise fair.1281 Weniger korrekt verhielt sich Hettlage Ende Juni 1939 im Zuge des Erwerbs des Nachbargrundstücks Kantstraße 11d. Hettlage bot der jüdischen Eignerin Ella Bräude für das Grundstück 295.000 Reichsmark. Der Kaufpreis lag damit 13 Prozent unter dem Einheitswert des Grundstücks von 339.300 Reichsmark. Benno Hettlage hatte den Verkaufspreis vorab durch den Gauwirtschaftsberater in Königsberg und Oberbürgermeister als Preisprüfungsstelle prüfen lassen, „ob gegen den Erwerb zu dem vorgesehenen Preise Bedenken bestehen“.1282 Infolge guter Geschäftsentwicklung zeigte sich Hettlage im Januar 1941 auch am NachbarMax Lesser war Inhaber und Geschäftsführer der Bekleidungsfirma Max Lesser jr. GmbH, Berlin („Garnierte Kleider. Spezialität: Backfisch-Kleider und Maids“). Benno Faerber (Geschäftsführer) verkaufte seinen Geschäfts- und Gewinnanteil (20.000 Reichsmark) an Carl Hettlage für 40.000 Reichsmark (in Raten zu sechs Prozent Zinsen) plus 500 Reichsmark monatlich auf fünf Jahre als Entschädigung. Dafür blieb Faerber als Einkäufer. Max Lesser (Geschäftsführer) verkaufte seinen Geschäfts- und Gewinnanteil (60.000 Reichsmark) an Carl Hettlage für 70.000 Reichsmark, siehe Erste Ausfertigung eines notariellen Angebots von Benno Faerber an Carl Hettlage vom 1.10.1935, WWA F 132–17; Notarielles Angebot von Max Lesser an Carl Hettlage vom 2.10.1935, WWA F 132–17; Anstellungsvertrag Benno Faerber vom 17.4.1934, WWA F 132–17; Notarielle Ausfertigung vom 3.10.1935, WWA F 132–17. 1280 Vgl. Schreiben an Max Lesser vom 16.1.1936, WWA F 132–17. 1281 Witwe Elise Liedtke machte Hettlage ein Kaufangebot über 404.659, 92 Goldmark abzügl. der Hypotheken. Damit entsprach der Kaufpreis 350.000 Goldmark. Diese wurde in Reichsmark zu sechs Prozent Zinsen über 15 Jahre gestundet. Die Verkäuferin erhielt damit jährlich 36.036,97 Reichsmark, siehe Notarieller Kaufvertrag vom 22.8.1936, WWA F 132–17. 1282 Die Parteien verhandeln einen Nachtragsvertrag vom 29. Juni 1939. Am 4. Juli 1939 kommt es zur Annahme des Angebots. Am 15. September 1939 genehmigte der Regierungspräsident von Königsberg den Kaufvertrag mit der Auflage, den „Rest des Kaufpreises von 5523,97 RM auf ein Sperrkonto zu zahlen“, 1279

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

grundstück Junkerstraße 11 interessiert. Das Grundstück war durch einen Wehrmachtsangehörigen von den jüdischen Eigentümern Barkan und Silberstein arisiert worden. Hettlage bot dem Oberstleutnant nun an, dessen Hypothek zu übernehmen und so das Grundstück zu erwerben. Da eine „mitkonkurrierende Versicherungsgesellschaft“ beim Königsberger Oberbürgermeister Einspruch gegen einen Kauf durch Hettlage eingelegt hatte, kam es wohl nie zu diesem Kauf, von dem sich Hettlage wünschte, den „Kaufpreis auf 180.000 RM herunterdrücken zu können“.1283 Ein Jahr nach der Entscheidung, nach Königsberg zu gehen, tat sich in München eine vielversprechende Möglichkeit auf. Seit Herbst 1936 verhandelte Benno Hettlage mit dem Ehepaar Singer über die Übernahme ihres Geschäftes in München. Jonas und Rachel Leia Singer betrieben in der Landwehrstr. 1 das „Berliner Damenkonfektionsgeschäft J. Singer & Co“.1284 Der Geschäftsumsatz des bis 1933 gutgehenden jüdischen Geschäftes hatte sich zwischen 1931 und 1936 auf nur noch 900 Millionen Reichsmark nahezu halbiert und der Gewinn betrug nur noch gut ein Zehntel und lag deutlich unter dem Reichsdurchschnitt für Damenkonfektionsgeschäfte (Tabelle 83).1285 Tab. 83 Umsatz und Gewinn, J. Singer & Co., Haus München, 1931 bis 19361286 Jahr

Umsatz

Gewinn

1931

1,705

235.780

1932

1,553

222.729

1933

1,312

157.838

1934

1,345

78.100

1935

0,986

28.613

1936*

0,900

28.000

Anmerkungen: Umsatz = in Mill. Reichsmark, Gewinn = in Reichsmark; lfd. Preise; *geschätzt.

Am 20. August 1936 unterbreitete Singer Hettlage ein Verkaufsangebot und begründete dieses mit dem „Umsatzrückgang in der letzten Zeit“ und der Konsequenz der Auswanderung in die Niederlande:

siehe Notarielle Erklärung von Benno Hettlage vom 5.7.1939; Notarielles Kaufangebot von Ella Bräude an Hettlage oHG, Königsberg vom 22.6.1939; Genehmigungsbescheid vom 15.9.1939. 1283 Vgl. Schreiben an Hettlage, Münster vom 2.1.1941, Einheitswertbescheid vom 5.12.1941, WWA F132– 92. 1284 Die Singers waren österreichische Juden, die zum Kaufzeitpunkt nach Amsterdam ausgewandert waren und später nach New York City emigrierten. 1285 Im Jahr 1949 berechnete eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, dass der Gewinn 1935 gut 20 Prozent unter dem Reichsdurchschnitt lag, siehe Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1286 Aufstellung nach Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18.

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„Wenn ein Inhaber sich selbst um das Geschäft kümmert, so wird er sofort mit Leichtigkeit den Umsatz ganz bedeutend steigern können, wobei noch zu bedenken ist, dass bei arischer Führung ein großer Teil der Kunden, die jetzt nicht zu uns kommen, das Geschäft wieder gerne besuchen wird“.1287

Am 9. November 1936 wiederholte Singer sein Verkaufsangebot gegenüber H. Hettlage und bot Grundstück, Geschäft, Warenlager und Inventar zum Kauf an. Die Verzögerung einer Zusage lag im Einzelhandelsschutzgesetz (EHSG) vom Mai 1933 begründet. Demnach waren Geschäftsübernahmen oder -erweiterungen allgemein verboten. Hettlage bemühte sich, wie schon im erfolgreichen Fall Königsberg, um eine Ausnahmegenehmigung beim Reichswirtschaftsministerium. Diese Genehmigung erteilte das Ministerium, indem es die Argumentation von Hettlage teilte, dass die Hettlage-Häuser in Münster, Würzburg und Königsberg rechtlich selbstständige Unternehmen waren und keine Filialen nach EHSG-Definition. Mit diesem Bescheid überstimmte das Reichswirtschaftsministerium den Einspruch der Münchner Industrie- und Handelskammer.1288 Nachdem Hettlage für München Anfang Januar 1937 die Ausnahmegenehmigung erteilt bekommen hatte, nahm Benno Hettlage Singers Angebot an. In den noch zu schildernden Restitutionsauseinandersetzungen nach 1945 schilderte Hettlage seine Absichten in Bezug auf die „Arisierung“ des Singer’schen Geschäftes: „Der Firma H. Hettlage ging es nicht um den Erwerb eines Geschäftsunternehmens, sondern lediglich um den Erwerb von Räumlichkeiten für eine geschäftliche Neugründung. Sie wollte nicht das Damenkonfektionsgeschäft übernehmen und weiterführen, sondern in den neu erworbenen Räumen ein Herren-, Damen- und Kinderkonfektionsgeschäft betreiben“.1289

Obwohl Hettlage klar von der Notlage der jüdischen Geschäftsleute profitierte, sah sich Hettlage also nicht als klassischer Ariseur. Statt einer üblichen Übernahme der Geschäfte unter anderen Namen sollte der Standort München neu aufgebaut werden. In den Augen Hettlages brachte man „seinen Geschäftswert nach München mit, den Namen Hettlage, eine langjährige Erfahrung in Einkauf und Verkauf und eine feste Organisation des Geschäftsablaufs“. De facto einigten sich die Vertragspartner aber sehr wohl auf eine quasi Weiterführung der Geschäfte. Die Singers verkauften Hettlage nicht nur das Grundstück, sondern auch die Warenvorräte und das Inventar für Vgl. Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. „Die Industrie- und Handelskammer in München wird sich daran gewöhnen müssen, dass das Reichswirtschaftsministerium eine eigene Meinung hat und in der Lage ist, diese Meinung durchzusetzen“, siehe Schreiben von Dr. Bange (Anwalt und Bevollmächtigter des Ehepaars Singer) an Benno Hettlage, 2.12.1936, WWA F132–93. 1289 Vgl. Schreiben an Leo J. Horster vom 23.11.1946, WWA F 132–18; Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1287 1288

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

insgesamt knapp 767.000 Reichsmark. Hettlage zahlte 184.000 sofort, 80.000 Reichsmark in zwei Raten und übernahm die Grundstückshypothek. Vermutlich übernahm Hettlage alle Mitarbeiter des Singer-Geschäftes, bis auf die jüdischen.1290 Sehr bald erweiterte Hettlage sein arisiertes Geschäft in der Landwehrstr. 1 um Räumlichkeiten auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Sonnenstraße 19). Bereits drei Monate nach Eröffnung mietete Hettlage das Erdgeschoss des Geschäftshauses. Dies umfasste einen „nördlichen und mittleren Laden mit je 2 Schaufenstern mit Garage und Keller“ zum „Verkauf von Damenkonfektion“.1291 Vermutlich führte Hettlage im Geschäft Landwehrstraße Herren- und Knabenkleidung, während das Geschäft in der Sonnenstraße Damen- und Mädchenkonfektion verkaufte. Zwischen 1937 und 1939 versuchte Hettlage weitere Expansionsmöglichkeiten – auch auf Kosten jüdischer Eigentümer – auszuloten. So beauftragte der Händler im Dezember 1937 den Münchner Immobilien- und Grundstücksmakler Heinrich Bossert, Kaufoptionen für die Geschäfte in der Sonnenstr. 15 und 22 zu prüfen. Bossert konnte hier nichts erreichen: „Herr Kaufmann (Blumengeschäft, Sonnenstr. 22) will seinen Laden nicht aufgeben“ und „[ich konnte] keine Feststellungen zu Fa. Schäfer & Co. (Sonnenstr. 15) [machen]“. Auf Vermittlung Bosserts erweiterte Hettlage immerhin 1939 die Läden in der Sonnenstr. 19 um eine dritte angrenzende Ladenfläche, die als „Ausstellungs- und Verkaufsraum für Damenund Herrenkonfektion“ genutzt wurde.1292

Die Warenvorräte waren zunächst auf 120.000 Reichsmark angesetzt. Da zwischen Angebot und Kauf einige Zeit lag, waren Waren zwischenzeitlich auf Singers Rechnung verkauft worden und der Kaufpreis ermäßigte sich auf 96.685,64 Reichsmark. Der Grundstücksverkaufspreis betrug 620.000 Reichsmark und das Inventar wurde für 30.000 Reichsmark verkauft. Der Gesamtkaufpreis betrug demnach 746.685,64. Das Geschäft sollte zum 1. Januar 1937 auf Hettlage übergehen, siehe Notarieller Kaufvertrag vom 15.1.1937, WWA F 132–18; Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. Hettlage bezahlte 184.000 Reichsmark sofort und 80.000 Reichsmark als zwei Raten im Jahr 1937 und übernahm eine Hypothek der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank über 482.675 Reichsmark. Die Bank entließ die Eheleute Singer am 12. März 1937 aus der „persönlichen Schuldhaft“, siehe Schreiben der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank an Dr. Ernst Bange vom 12.3.1937, WWA F132–93. Der Fall der verweigerten Übernahme der jüdischen Singer-Abgestellten Sofie de Jonge ist dokumentiert: „Der Vertrauensrat erachtet nach der Übernahme und Umstellung des Betriebes eine Zusammenarbeit mit nicht-arischen Angestellten für unerwünscht und nicht angängig“, siehe Schreiben an Sofie de Jonge vom 29.1.1937, WWA F 132–100. 1291 Vermietet wurde das Gebäude durch die Firma Pfister Mayr & Co. (Inhaber Werner v. Pfister, Getreidegeschäft und Malzfabrik aus Geiselhöring in Niederbayern), siehe Mietvertrag vom 5.5.1937, WWA F132–18. 1292 Erweiterung des Ladens durch Mietvertrag vom 27. Januar 1939 zwischen Pfister Mayr & Co. und Hettlage über den „ebenerdig, südlichen Laden mit 2 Schaufenstern, Ausstellungs- und Verkaufsraum für Damen- und Herrenkonfektion“ in der Sonnenstr. 19, der ab dem 1. Februar 1939 galt, siehe Mietvertrag vom 27.1.1939, WWA F132–18; Schreiben von Heinrich Bossert an Fa. Hettlage, München vom 4.12.1937, WWA F132–93. 1290

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6.3.4

Arisierung vs. Liquidierung?

Bis Ende November 1938 vollzogen sich Geschäftsübernahmen jüdischer Einzelhandelsbetriebe oder deren Liquidierung innerhalb der gesetzlichen Vorgaben des Einzelhandelsschutzgesetzes (EHSG), danach nach den gesetzlichen Regelungen der Verordnung über die „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 23. November 1938 mit der Verordnung vom 7. Dezember 1938 über den Einsatz des jüdischen Vermögens. Wie repräsentativ sind die zuvor geschilderten Fälle Bamberger & Hertz, Schocken und Hettlage für die Arisierungs- und Liquidationsprozesse in der Branche insgesamt? Wie stand es um das tatsächliche Verhältnis von Arisierungen (Übernahme) zu Liquidierungen (ersatzlose Auflösung) im deutschen Textileinzelhandel? Im März 1938 hielt Otto Jung, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie, während einer Adefa-Ausstellung in Berlin eine bemerkenswerte Rede über die Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit von „Arisierungen“ im Textilsektor. Nach Jungs Auffassung habe „das Arisieren als solches partei- und staatspolitisch kein Interesse“. Im Mittelpunkt müsse die Liquidierung „lebensunwichtiger jüdischer Betriebe“ stehen. Eine „Arisierung“ käme nur infrage im Falle einer „gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeit“ und durch einen fachlich qualifizierten Ariseur. Keinesfalls dürfe eine „Konjunktur“ von Betriebsübernahmen entstehen, durch welche fachfremde Personen in die Branche eindringen. Die staatlich begünstigte Übernahme jüdischer Betriebe sei, so Jung, ein „gewisser Anreiz für Unternehmerlust und Wagnisfreude“ – vor allem durch solche Übernahmen, das gültige Einzelhandelsschutzgesetz zu umgehen. Jung zeigte sich besorgt über das Einsickern von Einzelhandelskaufleuten in die textilen Fabrikationsbetriebe und damit eine Kräfteverschiebung in Bezug auf Abnahme- und Lieferungskonditionen zugunsten des Textileinzelhandels. Übernahmegeschäfte von Einzelhändlern, die versuchten, jüdische Bekleidungsfabriken zu erstehen, waren aus Jungs Sicht also „höchst problematisch“.1293 Ebenso besorgt, freilich in die andere Richtung, zeigte sich Herbert Tengelmann, Leiter der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder und Führer des deutschen Textileinzelhandels. Durch die staatliche, antijüdische Gesetzgebung sei die Übernahme jüdischer Betriebe „aus der privaten Sphäre in den amtlichen Bereich gerückt“. Auch Tengelmann sah die Gefahr in einer Vielzahl „falscher Arisierungen“ und der damit einhergehenden „Verkapitalisierung“ des Textileinzelhandels. Gefahr drohe durch eine Konzernbildung in der Bekleidungsindustrie (etwa der Schuhindustrie), die „Arisierungen“ nutze, ihre Produkte direkt an den Endverbraucher – unter Umgehung des Handels – abzusetzen.1294 Die detaillierte Überlieferung der Industrie- und Handelskammer im Bezirk Augsburg und Schwaben gibt einen substanziellen Einblick in die gängige Praxis der Be-

1293 1294

TexW, Arisierung und Einzelhandel, 19.3.1938. TexW, Das Frankfurter Einzelhandelsprogramm, 21.5.1938.

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

reinigung des deutschen Textileinzelhandels, der sich so oder ähnlich auch in allen anderen Landesteilen vollzog. Im Folgenden wird der Arisierungs- und Liquidationsprozess im Textileinzelhandel exemplarisch an 15 betroffenen jüdischen Betrieben im IHK-Bezirk Augsburg und Schwaben analysiert. Im Kern stößt man auf variierende Interessenlagen und Konstellationen in Bezug auf die Entscheidung, ob der betreffende Betrieb arisiert oder liquidiert werden sollte. Diese Entscheidung traf formal immer die Regierung von Schwaben und Neuburg als oberste Verwaltungsinstanz. Im Zuge der Entscheidungsfindung wurden jedoch verschiedene Akteure gehört. Neben der Anhörung der Vertragspartner wurden Gutachten der Kommunalverwaltung (Oberbürgermeister, Gauwirtschaftsberater), der örtlichen Parteistellen (Kreisleitung), der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften (Industrie- und Handelskammer, Wirtschaftskammer) und der Berufsgruppen (Wirtschaftsgruppen, Fachgruppen, Konkurrenten) eingeholt. Im verfügbaren Sample des Bezirks Augsburg und Schwaben wurden die Entscheidungen über das Schicksal jüdischer Betriebe mehrheitlich einvernehmlich zwischen den beteiligten Stellen getroffen, in zwei Fällen – geplanten „Arisierungen“ – lagen die Auffassungen über die Verfahrensweise erheblich auseinander (Tabelle 84). Insgesamt sind vier Prozessabläufe charakteristisch: AA = Arisierungsantrag wird einvernehmlich stattgegeben AA- = Arisierungsantrag wird nicht einvernehmlich stattgegeben LL = Liquidierungsantrag wird einvernehmlich stattgegeben L A = Prüfung des Arisierungsantrag ergibt Liquidierung Tab. 84 „Arisierung“ und Liquidierung, IHK-Bezirk Augsburg und Schwaben, 1938 bis 1939 Textileinzelhändler

Ort

Arisierungs- und Liquidierungsprozess

Kaufhaus Gebr. Buxbaum

Augsburg

AA

Textil- und Manufakturwaren Philip Einstoß

Augsburg

AA

Herrenbekleidungsgeschäft Moritz Marx (Inh. Frieda Marx)

Augsburg

AA-

Fa. M. Untermayer, Wäsche und Ausstattungshaus

Augsburg

AA-

Warenhaus Tanne Kaufhausgesellschaft mbH

Augsburg

LA

Herrenbekleidungshaus S. Politzer

Augsburg

LA

Herren- und Knabenbekleidung Josefine Fleischmann

Augsburg

LL

David Weber, Verkaufsstelle für Herrenbekleidung

Augsburg

LL

Manufaktur- und Modewarengeschäft Frankenheimer

Ichenhausen

AA

Kaufhaus Merkur Mey und Co.

Kempten

LA

Hansa Herrenbekleidung (Inh. G. Schreiner)

Kempten

LL

Gebrüder Kohn

Kempten

LL

Herrenbekleidungsgeschäft Max Spiegel (Inh. Emil Spiegel)

Lindau

AA

Kaufhaus Henry Höchstädter (Inh. Leopold Kahn)

Nördlingen

AA-

Herrenkonfektionsgeschäft Hamburger

Nördlingen

LL

Anmerkungen: Grundlage sind 15 dokumentierte Fälle von Textileinzelhändlern.

423

424

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

So sind vier „einvernehmliche Arisierungen“ (AA) dokumentiert. Im Juni 1938 erteilte die IHK Augsburg die Genehmigung zur Übernahme des jüdischen Manufaktur- und Modewarengeschäfts Frankenheimer in Ichenhausen.1295 Emil Spiegel verkaufte mit behördlicher Erlaubnis sein Lindauer Herrenbekleidungsgeschäft Ende Mai 1938 an einen Konkurrenten.1296 Ebenfalls ohne gravierende Einwände gegen die fachliche und persönliche Eignung der Bewerber erfolgten in Augsburg zwei „Arisierungen“. In beiden Fällen empfand die IHK Augsburg durch Gutachten den vereinbarten Kauf- und Übernahmepreis als unangemessen hoch und verlangte eine Senkung. So konnte Karl Zimmermann das Modekaufhaus der Gebrüder Buxbaum gegen einen geringen Betrag arisieren und das Textil- und Manufakturwarengeschäft des Juden Philipp Einstoß fand in Anna Hafner eine bereitwillige Ariseurin.1297 Bei allen acht Liquidierungsvorhaben waren sich die Entscheidungsträger einig. Zunächst gab es jene jüdischen Unternehmen, die einen Antrag auf Erteilung einer Übernahmeerlaubnis stellten. Im Zuge der Prüfung entschieden sich die Behörden aber für die Liquidierung (L A). In allen Fällen waren es die Einwände lokaler Inter-

In diesem Fall lag ein „Bedürfnis“ vor und der Sohn eines Bierbrauers schien fachlich genügend geeignet, ein Modewarengeschäft zu führen. Seit dem Sommer 1937 hatte sich der Kaufmann Georg Abt an dem Laden interessiert gezeigt, schreckte aber vor dem Kaufpreis von 42.000 Reichsmark zurück. Der Kaufvertrag vom 24. März 1938 mit Ludwig Frankenhauser lautete über 32.000 Reichsmark plus 4.000 Reichsmark für das Warenlager. Frankenheimer begründete den Kaufpreis als berechtigt, da sein Geschäft „beste Lage und [der] schönste Laden am Platze“ war und unter der einer unabhängigen Schätzung aus dem Jahr 1937 lag. Die IHK sah in diesem Preis einen „hohen“ Wert und empfahl Abt die Schätzung eines von ihr bestellten Sachverständigen. Die IHK sah den Einheitswert der Immobilie bei 21.800 Reichsmark und bezifferte den Umsatz bei 10.000 Reichsmark jährlich. So band die IHK ihre Genehmigung an die Auflage, dass der Kaufpreis dem Buchpreis entsprechen müsse. Daraufhin berichtigte Abt sein Angebot und sah in seinem Angebot einen „Irrtum“ und veranschlagte den tatsächlichen Wert auf „höchstensfalls 27.000 RM“., siehe Schreiben betr. Genehmigung des Kaufes des jüdischen Manufaktur- und Modewarengeschäfts Frankenheimer, Ichenhausen, 1.6.1938, BWA K9/2228; Schreiben an Georg Abt, Manufakturwaren- und Modewarengeschäft, 14.6.1938, BWA K9/2228; Schreiben an die Industrie & Handelskammer Augsburg, 26.6.1938, BWA K9/2228; Schreiben betr. Frankenheimer, Ludwig, Kaufmann in Ichenhausen, 30.6.1938, BWA K9/2228. 1296 Der Kaufvertrag datiert auf den 27. Mai 1938. Danach „arisierte“ der Kaufmann Josef Veser, Lindau, das Geschäft des Kaufmanns Emil Spiegel (Fa. Max Spiegel Herren- und Knabenkleidergeschäft, Lindau) in der Kramergasse 12 samt Warenlager und Einrichtung, siehe Vorgang Herrenbekleidungsgeschäft Max Spiegel, Emil Spiegel, Lindau 1938, BWA K9/2189. 1297 Das Kaufhaus Gebr. Buxbaum existierte seit dem 20. November 1922 in Steingasse 7 in Augsburg. Die Inhaber Emil und Hugo Buxbaum führten ein Kaufhaus für Manufaktur-, Kurz-, Weiß- und Wollwaren. Karl Zimmermann war nach eigenen Angaben seit 1911 in der Textilbranche tätig (u. a. Zentral-Kaufhaus, Augsburg). Die örtliche Fachgruppe erhob keine Einwände gegen Zimmermann, da er sachkundig war und das Geschäft „volkswirtschaftlich wertvoll“. Zimmermann konnte das erforderliche Kapital von 120.000 Reichsmark nachweisen (Bestätigung durch die Bayerische Vereinsbank, Augsburg). Die IHK Augsburg empfahl Zimmermann „erfolgreich“ die Herabsetzung des Inventar-Kaufpreises von 11.000 auf 8.000 Reichsmark, siehe Vorgang Kaufhaus Gebr. Buxbaum 1938–39, BWA K9/2160; Einstoß besaß ein Kaufhaus in der Wertachstr. 19 1⁄2 und eine Textilverkaufsstelle in der Neuburgerstr. 39 in Augsburg. Die IHK erteilte die Übernahmegenehmigung an Anna Hafner trotz des Vorwurfs der fehlenden Sachkenntnis, siehe Vorgang Textil- und Manufakturwaren Philip Einstoß, Augsburg 1938–39, BWA K9/2127.

1295

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

essengruppen (Bürgermeister, örtliche Wirtschaftsgruppe) – Vermeidung der Übersetzung und nicht vorliegende Versorgungswichtigkeit der jüdischen Betriebe – die aus der angestrebten Arisierung eine Liquidierung werden ließen. Diese Fälle betrafen vor Dezember 1938 mehrheitlich Kauf- und Warenhäuser, die einer Schließung durch selbst initiierte Übernahmen, meist „Scheinarisierungen“ zuvorkommen wollten. So versagte im Herbst 1937 der Kemptener Oberbürgermeister die Übernahme des Kaufhauses Merkur May & Co. KG durch die eigenen „arischen“ Mitarbeiter und entschied ohne Einspruch anderer Dienst- und Verwaltungsstellen auf Liquidierung, da das Kaufhaus unter „getarnte[m] jüdischen Einfluss“ stehe und damit zu den „unerwünschten Betrieben“ in Kempten gehörte.1298 Gegen das Übernahmeangebot eines Stuttgarter Kaufmanns für die Augsburger Warenhaus Tanne Kaufhausgesellschaft mbH Mitte Mai 1938 intervenierten die Wirtschaftskammer Bayern und die Einzelhandelsbezirksuntergruppe Schwaben und Neuburg erfolgreich bei der IHK, indem sie dem Interessenten die Fachkunde und Ehrlichkeit absprachen, eine „Scheinarisierung“ unterstellten und die Notwendigkeit des Kaufhauses für die Stadt negierten. Das Geschäft wurde im Januar 1939 liquidiert. Ausschlaggebend war hier nicht zuletzt die „unerwünschte Betriebsform“. So begründete der Gauwirtschaftsberater der NSDAP der Gauleitung Schwaben die Entscheidung: „Die Tanne ist [ ] ein Geschäft, das von allen fachlichen Seiten stark kritisiert wird und nach dem nationalsozialistischen Gedankengut absolut nicht mehr in das Wirtschaftsleben des Dritten Reiches hineinpasst. Es werden Waren geführt, die als direkt minderwertig bezeichnet werden müssen und ein Geschmack angeboten, der als verderblich zu bezeichnen ist. Geschäfte vom Charakter der „Tanne“ sind im Dritten Reich nicht mehr

1298 Das Kaufhaus Merkur May & Co. KG, Kempten (vormals Fa. Volksbedarf mbH, Kempten) war wegen des Umwandlungsgesetzes vom 5. Juli 1934 von einer Kapital- in eine Personalgesellschaft umgewandelt worden. Um den Betrieb vor der Liquidierung zu retten, schieden die jüdischen Inhaber und Kommanditisten aus der Firma aus. Nach versagter Genehmigung schieden Max May und der Kommanditist Kahn aus der Firma aus und ihre Anteile gingen auf die nichtjüdische Ehefrau May über. Das Geschäft firmierte nun unter Kaufhaus Merkur Hornung & Co. Die Kapitalanteile verteilten sich wie folgt: May 45 Prozent, Brüder Hornung 40 Prozent, 10 Prozent Stiefbruder May, 5 Prozent Buchhalter Schilling. Hornung und Direktor Müller (Dresdner Bank, Filiale Augsburg) intervenierten erfolglos gegen die endgültige Schließung in Hinblick auf die nichtjüdische Teilhaberin. Hornung zeigte sich bereit, die verbliebene jüdische Teilhaberin May „auszuschalten“, die Lebensmittel- und Tabakwaren aufzugeben und das Geschäft als ländlichen Gemischtwarenladen weiterzuführen. Die „arischen“ Angestellten Hornung erklärten sich bereit, das Kaufhaus unter neuem Namen und einem verkleinerten Sortiment weiterzuführen. Die Industrie- und Handelskammer erkannte in dem Versuch eine unzulässige Arisierung bzw. Neuerrichtung nach EHSG. Zum einen seien die neue Inhaber „unzuverlässig“, die Betriebsform „unerwünscht“ und ein „Bedürfnis“ erkannte die Behörde ebenfalls nicht. Nach der Liquidierung im August 1938 fielen die Waren den örtlichen Konkurrenten der Kemptener Einzelhandelsortsgruppe zu, siehe Schreiben betr. Einzelhandelsschutzgesetz, 25.7.1938, BWA K9/2179; siehe Aktennotiz betr. Kaufhaus Merkur Hornung & Co., Kempten, 16.8.1938, BWA K9/2179; Schreiben betr. Kaufhaus Merkur, hier: Anfrage vom 12.8.1938, 17.8.1938, BWA K9/2179; Schreiben betr. Einzelhandelsschutzgesetz, 29.5.1937, BWA K9/2179.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

tragbar. [ ] Die Tanne als solche kann also ruhig eingehen [ ] Ich darf daher erwarten, dass Sie aus vorgenannten Gründen den Antrag Dr. Best ablehnen“.1299

Dasselbe Schicksal – versagte Übernahmegenehmigung und anschließende Liquidierung – erfuhren auch kleine und mittlere jüdische Fachgeschäfte mit dem Erlaß des „Ausschaltungsgesetzes“ im Dezember 1938. Im Fall des Augsburger Herrenbekleidungshauses S. Politzer gelang es der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, die Entscheidungsträger von einer Liquidierung des Betriebes zu überzeugen. Nachdem die IHK mehrere Übernahmeangebote geprüft hatte, empfahl sie im Dezember 1938 die Liquidierung.1300 Viele Liquidierungen geschahen einvernehmlich (LL). Ohne weitere Angabe von Gründen kamen die IHK Augsburg, der Gauwirtschaftsberater und der Bürgermeister überein, das Herrenkonfektionsgeschäft Hamburger in Nördlingen Mitte Dezember 1938 „umgehend aufzulösen“ und dessen Warenvorräte der örtlichen Konkurrenz über die Augsburger Fachgruppe anzubieten.1301 Interessenkongruenz dokumentiert auch

Philipp Best aus Stuttgart stellte einen Übernahmeantrag für das Augsburger Kaufhaus „Tanne“ in der Karlstr. 2 (D65). Ihre Einwände gegen eine „Arisierung“ legten die Wirtschaftskammer Bayern (Einzelhandel) und die Bezirksuntergruppe Schwaben und Neuburg der IHK am 19. Mai 1938 dar: „Das Warenhaus „Tanne“ gehört zu jenen Betrieben, die unter keinen Umständen arisiert werden können und dürfen. [ ] Es handelt sich hier nach unserer Auffassung darum, dass Best, der ja nicht sach- und fachkundig ist, anscheinend flüssige Kapitalien unterbringen will. Dass Best nicht fach- und sachkundig ist, beweist der beigefügte Kaufvertrag, der Bestimmungen enthält, über die sich die jüdischen Kontrahenten ins Fäustchen lachen. Wenn das Inventar mit 17.500 RM übernommen werden soll, oder wenn das Warenlager bei dem Schund, der bei Tanne geführt wird, mit 60.000 RM angeschlagen wird, wenn weiter vereinbart wird, dass vom Käufer beanstandete Ware nicht mehr als 1.000 RM betragen darf, so beweist das entweder, dass es dem Antragsteller nur darum zu tun ist, möglichst rasch seine flüssigen Kapitalien unterzubringen oder dass er vom Kaufmannsgeschäft überhaupt keine Ahnung hat. Wir bitten Sie, aus diesen Gründen das Gesuch rundweg abzulehnen. Für Tanne ist in unserer Stadt kein Platz, zumal im Hinblick auf die Bauprojekte, die in der Stadt schweben, jeder Quadratmeter freiwerdender Raum für unsere arischen Geschäfte reserviert werden muss“, siehe Vorgang Warenhaus Tanne Kaufhausgesellschaft mbH 1938–39, BWA K9/2114. 1300 Ende September 1938 hatte der Salzburger Kaufmann Walter Scheck sein Interesse am Herrenbekleidungshaus S. Politzer in Augsburg (Barfüßerstr. C234) geäußert. Die IHK bewertete Scheck als „Mischling ersten Grades, ohne jeden jüdischen Anhang“ und bat die Fachgruppe Textil, Bekleidung und Leder um eine Einschätzung, die eine „Arisierung“ ablehnte: „Die Arisierung der Fa. Politzer Augsburg ist unter allen Umständen abzulehnen, da diese Branche heute mehr als ausreichend vertreten ist und eine weitere Arisierung derartiger Geschäfte zur Übersetzung führen würde. Wie Sie selbst schreiben, besteht für eine Überführung der Firma Politzer in arischen Besitz kein volkswirtschaftliches Bedürfnis“. Ein weiterer Antrag vom 7. November 1938 auf Übernahme durch Oswin Stärk, Augsburg wurde abgelehnt und die IHK unterstützte seit Anfang Dezember 1938 die Liquidierung unter der Führung des Sachverständigen Albert Abel aus Augsburg (Weberhaus). Das Geschäft wurde Ende 1938 geschlossen und das Grundstück im Oktober 1939 verkauft, siehe Vorgang Herrenbekleidungshaus S. Politzer 1938–39, BWA K9/2104. 1301 Das Grundstück kaufte der Landwirt Johann Sohnle aus Nördlingen im September 1939, siehe Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben; hier Fa. Hamburger, Herrenkonfektionsgeschäft in Nördlingen, 16.12.1938 sowie Schreiben betr. Vollzug der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens; hier Veräußerung des Anwesens Hs. Nr. 6 an der Schlüsselgasse in Nördlingen, 22.9.1939, BWA K9/2292. 1299

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

die Liquidierung des Herrenmodegeschäfts Hansa sowie die Herrenkonfektion der Gebrüder Kohn. Beide Kemptener Unternehmen wurden im Dezember einvernehmlich liquidiert, da das „Betriebskapital vollständig in jüdischen Händen“ lag und beide Geschäfte als „keineswegs notwendig“ für die Bevölkerungsversorgung galten.1302 Derselben Logik folgend empfahl die IHK Anfang Dezember 1938 die Liquidierung zweier jüdischer Textilhändler in Augsburg. Betroffen waren die Herrenkonfektionsverkaufsstellen von David Weber und Josefine Fleischmann.1303 Vollzogen sich 12 von 15 Arisierungs- und Liquidierungsprozesse im vollen Einvernehmen und Gleichklang zwischen den beteiligten Verwaltungsstellen, so lagen die Interessen in drei Fällen – allesamt Arisierungsanträge – nicht überein. Der Arisierungsantrag des Modehauses Henry Höchstädter in Nördlingen im Herbst 1938 hatte drei Szenarien zu diskutieren – die Übernahme durch örtliche Konkurrenten, eine Arisierung durch Käufer „von außen“ oder die Liquidierung des Geschäftes. Dabei votierten die beteiligten Akteure – kommunale Verwaltung, Parteidienststellen, Wirtschaftsverbände und Berufsvereinigungen – im Prozessverlauf für alle drei Varianten. Während die örtliche Konkurrenz und die Fachgliederungen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel eine Geschäftsübernahme (durch Dritte) strikt ablehnten, wandten sich Parteikreisleitung und Oberbürgermeister gegen eine Liquidierung des Geschäftes. Letztlich war in diesem Fall die Neupositionierung der Industrie- und Handelskammer Ende 1938 dafür entscheidend, dass eine Geschäftsübernahme mit strikten Auflagen zustande kam. Ausgelöst hatte den Streit der Übernahmeantrag des Schuhwarenhändlers Seitz aus Dillingen, der das von Leopold Kahn geführte Kaufhaus arisieren wollte. Dies stieß auf scharfen Protest des örtlichen Einzelhandels. Das konkurrierende Textilhaus Ernst Beck beklagte, es sei „nicht angebracht, einem Nichteinheimischen eine Existenz zu bieten“. Beck unterstellte dem Inhaber Kahn außerdem, durch die geplante „Arisierung“ ökonomisch zu profitieren:

Vgl. Schreiben an den Präsidenten der Handelskammer v. Schwaben und Neuburg, Augsburg, 5.12.1938 sowie Schreiben betr. Firma Hansa (Inhaber G. Schreiber), Herrenbekleidung, Kempten, 9.12.1938, BWA K9/2263. 1303 Die IHK empfahl dem Augsburger Bürgermeister am 8. Dezember 1938 die Liquidierung: „In der Waterloostr. 8 betreibt David Weber eine Verkaufsstelle für Herrenfertigkleidung. Die Weiterführung dieses Geschäftes zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung ist nicht erforderlich. Wir sind daher der Meinung, dass die Verkaufsstelle aufzulösen ist. Als Sachverständigen schlagen wir Albert Abel, Herrenbekleidung Augsburg, Weberhaus vor [ ]“. Die IHK empfahl dem Augsburger Bürgermeister am selben Tag ebenfalls: „Im Anwesen Untere Schlossermauer 18 ist Josefine Fleischmann für den Handel mit neuen Herren- und Knabenkleidern sowie für Kleintrödelei gemeldet. Die Verkaufsstelle fällt unter die Verordnung vom 23.11.1938 und ist aufzulösen und abzuwickeln. Als Sachverständigen für die Bewertung der Warenvorräte schlagen wir Herrn Albert Abel [ ] vor“. Zum 8. Juli 1939 meldete Abel die Auflösung des Geschäfts, siehe Vorgang Herren- und Knabenbekleidung Josefine Fleischmann, Augsburg 1938–39, BWA K9/2129 sowie Vorgang David Weber, Verkaufsstelle für Herrenbekleidung, Augsburg-Lechhausen 1938–39, BWA K9/2154. 1302

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

„[E]s sind hier Leute aus der Branche und andere vorhanden, welche das Haus des Juden erwerben wollen, diese es aber bis jetzt nicht erhalten, da der Jude hofft, das Haus und die Ware an einen Auswärtigen besser an den Mann zu bringen [ ]“.1304

Die Industrie- und Handelskammer votierte auf Empfehlung des NSDAP-Kreiswirtschaftsberaters zunächst für eine einheimische Lösung oder die Liquidierung des Geschäftes. Nachdem der Nördlinger Bürgermeister und die NSDAP-Kreisleitung im Falle der Liquidierung die Versorgung in Nördlingen gefährdet sahen und das Kaufangebot einer Interessentin aus Wemding unterstützten, schloss sich die IHK dieser Argumentation an, „wenn sich ein Fachmann aus der Damenbekleidungsbranche“ finden ließ. Die Wahl fiel auf den Einzelhandelskaufmann Wilhelm Karl aus Bopfingen mit der Auflage, nur Damenkonfektion und Damenwäsche zu verkaufen.1305 Auf diese Entscheidung reagierten die örtlichen Fachgliederungen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel mit gezielter persönlicher und fachlicher Diskreditierung des Interessenten und dem Diktum: „Eine Arisierung des Höchstädt’schen Geschäftes kann und darf es nicht geben!“1306 Ungeachtet dieser Verhinderungsversuche erging im Februar 1939 die Erlaubnis zur Arisierung durch den Regierungspräsidenten von Schwaben und Neuburg.1307

Interessiert zeigten sich etwa die Fa. Berta Keßler, das Porzellangeschäft Albrecht Künzel oder das Modehaus F. X. Bernhuber, Donauwörth (Inh. V. Nassl), siehe Schreiben an die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, Augsburg, 21.10.1938, BWA K9/2173. 1305 Die IHK argumentierte, dass Nördlingen mit 29 Textilwarenhandlungen stark übersetzt sei und sich ein „dauernder wirtschaftlicher Niedergang“ bemerkbar mache. Ende Oktober 1938 schlug die IHK eine Geschäftsübernahme durch das ansässige Porzellangeschäft Künzel Porzellan-Künzel vor, wobei die Immobilie im Besitz Kahn bleiben müsse, da „ein Zwang, sein Haus an Künzel zu geben, [ ] auf Hochstätter bis jetzt nicht ausgeübt werden [kann]“. Am 24. November 1938 lag das Kaufangebot von Maria Möhrle, Wemding auf Arisierung für 39.000 Reichsmark vor. Die Versorgung sah der Bürgermeister gefährdet, da Nördlingen vor 1933 nur zwei gutgehende Damenkonfektionsgeschäfte gehabt hatte. Eine Liquidierung hätte für Nördlingen nach seiner Auffassung ein Monopol zur Folge. Das Textilhaus Ernst Beck, Nördlingen hatte vor Jahren das Damenkonfektionsgeschäft Fa. Weissbacher gegen den Willen der Konkurrenz arisiert und im Fall Kahn/Höchstädter argumentierte Beck selbst mit Übersetzung, siehe Schreiben betr. Arisierung von Geschäften, 30.11.1938, BWA K9/2173; Schreiben betr. Arisierung der Firma Modehaus Höchstädter, Nördlingen, 17.10.1938 und 21.10.1938 BWA K9/2173; Schreiben betr. Arisierung der Firma Modehaus Höchstädter, Nördlingen, 26.10.1938; BWA K9/2173; siehe Kaufvertrag vom 24.11.1938, BWA K9/217; Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, hier Übernahme der Firma Höchstädter in Nördlingen, 26.11.1938, BWA K9/2173; Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, hier Übernahme der Firma Höchstädter in Nördlingen, 16.12.1938, BWA K9/2173. 1306 Das Textilhaus Ernst Beck teilte mit, dass „Herr Karl aus Bopfingen von Damenbekleidung keine Ahnung hat, wie auch seine 23-jährige Tochter nicht“, siehe Schreiben vom Textilhaus Beck, 29.1.1938, BWA K9/2173; Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, hier Übernahme der Firma Höchstädter durch Kaufmann Wilhelm Karl, 31.12.1938, BWA K9/2173. 1307 Die Geschäftsübernahme durch Karl erfolgte unter der Auflage einer Sachkundeprüfung und Beschränkung auf Damenfertigkleidung. Karl zahlte für die Geschäftsübernahme 43.500 Reichsmark auf ein Sperrkonto der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank, Filiale Nördlingen ein, siehe Schreiben betr. Vollzug der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens, 17.2.1939. 1304

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Auch im Fall des Augsburger Herrenmodegeschäftes Moritz Marx lagen die Einschätzung von IHK und der örtlichen Wirtschaftsgruppe im Juli 1938 weit auseinander. Während die IHK einem vorliegenden Übernahmeangebot eines leitenden „arischen“ Angestellten der Firma zustimmen wollte, bestanden die örtlichen Konkurrenten auf Liquidierung aus mangelndem „volkswirtschaftlichen Interesse“. Die IHK setzte sich bei der Regierung für Schwaben und Neuburg durch und die Muskat KG führte den Betrieb weiter.1308 Ähnlich gelagert waren die Reaktionen auf den im November 1938 eingereichten Übernahmeplan des Einzelhändlers Fritz Klingsohr für das Augsburger Wäsche- und Ausstattungshaus M. Untermayer. Die IHK und der Gauwirtschaftsberater bestanden auf der Notwendigkeit einer Fortführung des Fabrikbetriebes, während sich die Bezirksgruppe Schwaben und Neuburg energisch gegen eine Arisierung und für die Liquidierung aussprach. Die IHK setzte sich auch in diesem Fall durch, mit dem Hinweis, dass eine Stellungnahme der Bezirksgruppe nicht erbeten worden war.1309 Zusammenfassend können für den IHK Bezirk Augsburg und Schwaben damit vier Typen im Arisierungs- und Liquidationsprozess jüdischer Gewerbebetriebe im Textileinzelhandel ausgemacht werden. Bis zum „Ausschaltungsgetz“ im Dezember 1938 war ein „erfolgreicher“ Antrag auf Übernahme und Weiterführung eines jüdischen Betriebes wahrscheinlicher als danach. Die Wahrscheinlichkeit sank mit der Betriebsform. Während die Behörden den Kaufverträgen kleiner und mittlerer jüdischer Einzelhändler noch bis Dezember 1938 oft zustimmten, versagte man Kauf- und Warenhäusern schon vor 1938 die Genehmigung und liquidierte sie sogleich. Einer Liquidierung wurde seitens der Interessengruppen im Sinne der „Bereinigung des Einzelhandels“ weniger wahrscheinlich widersprochen, als einer beabsichtigten ÜbernahmegenehmiDie IHK erbat lediglich die fachliche Überprüfung des leitenden Angestellten Otto Muskat durch die Wirtschaftsgruppe: „Otto Muskat beabsichtigt das Herrenbekleidungsgeschäft Moritz Marx in Augsburg (Phil. Welserstr. 22) käuflich zu erwerben und ersucht hierzu um Erteilung der Genehmigung“. Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sah den Betrieb als „wohl kaum für die Zukunft lebensfähig“ und argumentierte, dass „eine Reihe guter Fachgeschäfte in nächster Nähe“ bestünden. Gegenüber der Regierung von Schwaben und Neuburg befürwortete die IHK die Arisierung, da der Betrieb „fast selbstständig die letzten Jahre geführt“ war und Otto Muskat „durch persönliches Gespräch überzeugt“ habe, zudem würden die „Umsätze der letzten Jahre zeigen, dass es sich um ein lebensfähiges Geschäft handelt“. Die Genehmigung der Arisierung erging für 15.609,79 RM am 23. Juli 1938 an die Muskat KG, siehe Vorgang Bekleidungsgeschäft Frieda Marx 1938–58, BWA K9/2082. 1309 Kaufmann Fritz Klingsohr wollte das Industrieunternehmen mit angeschlossenen Verkaufsstellen (Manufakturwaren, Bettwäsche, Trikotagen, Leibwäsche, Bettzeug, Woll- und Daunendecken) im November 1938 erwerben. Die Bezirksgruppe argumentierte mit der hohen Übersetzung, einer fast nur jüdischen Kundschaft und der angespannten Rohstofflage. Die IHK reagierte verärgert, da die Wirtschaftsgruppe nur deshalb hinzugezogen war, „um die Sachkundeprüfung abzunehmen“ und nicht um eine Stellungnahme zum Fall selbst abzugeben, siehe Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, hier: Übernahme der Firma M. Untermayer in Augsburg durch Fritz Klingsohr, Augsburg, 20.12.1938, BWA K9/2152; Schreiben betr. Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, hier: Übernahe der Firma M. Untermayer in Augsburg durch Fritz Klingsohr, Augsburg, 16.12.1938, BWA K9/2152; Schreiben betr. Arisierung Untermayer, Augsburg, 16.12.1938, BWA K9/2152.

1308

429

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 85 „Arisierung“ und Liquidierung, IHK-Bezirk Bayreuth, o. D.1310 Textileinzelhandel

Ort

A/L

Ariseur

Gemischtwarengeschäft Mina Bayer

Aschbach

A

unbekannt

Albert Hesslein, Textilwarengeschäft

Bamberg

A

Elisabeth Fleischmann, Bamberg

Max Reinheld, Textilwarengeschäft

Bamberg

A

Peter & Sebastian Betz, Bamberg

Sally Brandes, Textilwareneinzelhandelsgeschäft

Bamberg

A

Anton Stemmer, Würzburg

Kaufhaus H. & C. Tietz

Bamberg

L

L. C. Cahn, Textilwaren

Bayreuth

A

Fa. Matthias Wetz, Bayreuth

Max Dessauer, Textilwaren

Bayreuth

A

Fa. M.&K. Berneth, Bayreuth

G. Rosskam Nachf., Textilwaren

Bayreuth

A

Textilhaus Knopf, Bayreuth

Siegmund Hirschfeld, Textilwaren

Bayreuth

A

Fa. Alfred Schaupp, Bayreuth

Simon Pfefferkorn, Textilwaren

Bayreuth

A

Fa. J. M. Riebel, Bayreuth

Geschw. Fürst, Damen- und Kinderkonfektion

Bayreuth

A

Fa. Martha Witzler, Bayreuth

H. M. Wilmersdoerffer, Textilwaren

Bayreuth

A

Fa. A. Lor. Stoll, Bayreuth

S. Neuland, Modewaren

Bayreuth

A

Fa. Aug. Härter, Bayreuth

Max Harburger, Wäschegeschäft

Bayreuth

A

Fa. Siegelin & Buck, Bayreuth

Heinrich Mandel, Kurzwaren, Korsettwaren

Bayreuth

A

Fa. Marie Dannreuther, Bayreuth

Gebr. Mannes, Herrenkonfektion

Bayreuth

A

Fa. Hans Lacher, Bayreuth

Kaufhaus Erwege GmbH

Bayreuth

A

Kaufhaus Hans Loher, Bayreuth

Textilwarengeschäft Rosenthal & Co.

Forchheim

A

Karl Heilmann, Forchheim

Ph. Gröschel, Manufakturwarengeschäft

Forchheim

A

Albert Krannich, Forchheim

Julius Braun, Schnittwarengeschäft

Forchheim

L

Kaufhaus Berta Weißmann

Hirschaid

L

B. Feldmann Nachf.

Hof

A

Kaufhaus Oberes Tor Müller & Co.

Hermann Epstein, Modewaren

Hof

A

Joachim Täuber, Bayreuth

Gebr. Böhm & Karl Böhm

Hof

L

Warenhaus Ury AG

Hof

L

Kaufhaus Thorn & Co.

Marktredwitz

A

Textilwarengeschäft Theodor Ellbogen

Rehau

L

Kaufhaus Thora & Co.

Selb

A

Richard Barisch, Bayreuth Albert Thumser, Hof

Anmerkungen: Original-Titel: „Aufstellung der Industrie- und Handelskammer Bayreuth an das Militär-Gouvernement betr. „arisierter“ bzw. liquidierter Unternehmen im Textileinzelhandel, 8. August 1945“; A/L = Arisierung/Liquidierung.

Die Aufstellung umfasste insgesamt 41 Unternehmen, von denen 28 (im weitesten Sinne) Textilwaren verkauften, siehe Aufstellung der Industrie- und Handelskammer Bayreuth an das Militär-Gouvernment betr. arisierte Unternehmen, 8.8.1945, BWA K8/1901. 1310

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

gung. Vor allem die in Fach- und Ortsgruppen organisierten Konkurrenzunternehmen opponierten gegen eine Arisierung und Weiterführung durch „ortsfremde Elemente“. Konnte sich die IHK bis Dezember 1938 im Falle von Übernahmeanträgen erfolgreich für die „Arisierung“ einsetzen, so wurde dies ab Dezember 1938 deutlich schwerer und die Arisierungsanträge wurden in Liquidationen umgewandelt. Dass das Verhältnis von „Arisierung“ und Liquidierung von jüdischen Textilgeschäften sich bereits in einem anderen bayerischen Bezirk umkehren konnte, zeigt ein Blick auf den Bereich der IHK Bayreuth. Im August 1945 übermittelte die Industrieund Handelskammer eine Aufstellung von 41 ehemaligen jüdischen Gewerbebetrieben des Einzelhandels an die amerikanische Militärverwaltung. Unter den aufgeführten Betrieben befanden sich 28 und damit mehr als zwei Drittel Textileinzelhändler (Tabelle 85). Die Aufstellung dokumentiert den Arisierungs- und Liquidierungsprozess in neun Orten, darunter drei größeren Städten – Hof, Bayreuth und Bamberg. Zu welcher Zeit genau die Geschäftsübernahmen oder -schließungen beschlossen und vollzogen wurden, sowie deren konkrete Umsetzung, ist nicht weiter dokumentiert. Eine entsprechende Analyse ergibt eine mehrheitliche Arisierung des Textileinzelhandels (Tabelle 86). Tab. 86 Auswertung Arisierungs- und Liquidationsprozess, Textileinzelhandel, IHK-Bezirk Bayreuth Textilien und Bekleidung

Fachhandel

Kaufund Warenhäuser

Anzahl der Arisierungen, davon

22

19

3

örtliche Konkurrenten

17

16

1

Konkurrenten von außerhalb

4

2

2

Ort des Ariseurs unbekannt

1

1

0

Anzahl der Liquidierungen

6

3

3

Arisierungsquote

78,6 %

86,4 %

50,0 %

Liquidierungsquote

21,4 %

13,6 %

50,0 %

„Ortsarisierung“

80,9 %

88,9 %

33,3 %

Bei 22 von 28 dokumentierten Fällen wurden die jüdischen Geschäfte durch „arische“ Kaufleute übernommen. Diese Ariseure waren in über 80 Prozent der Fälle ortsansässig („Ortsarisierung“), also unmittelbare Konkurrenten. Nur jeder fünfte jüdische Einzelhandelsbetrieb wurde im Bezirk Bayreuth liquidiert. Dabei spielte die Betriebsform eine ausschlaggebende Rolle. Während nur knapp 14 Prozent aller jüdischen Fachgeschäfte aufgelöst wurden, traf die Liquidierung jedes zweite Waren- und Kaufhaus im Bezirk. Kam es im Falle der jüdischen Großbetriebe doch zu einer „Arisierung“, so kamen eher „ortsfremde“ Interessenten zum Zuge. Waren von den 15 Textilbetrieben im Bezirk Augsburg sieben (46,7 Prozent) arisiert und acht liquidiert (53,3 Prozent)

431

432

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

worden, hatten die Behörden im Bezirk Bayreuth deutlich weniger der 28 jüdischen Textilgeschäfte geschlossen und diese vermehrt durch deren „arische“ Konkurrenten arisieren lassen. Welche Aussagen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Arisierung und Liquidierung lassen sich für das gesamte Deutsche Reich empirisch belegbar nachweisen? Nach neuesten Forschungen waren bis 1939 circa 100.000 jüdische Firmen „arisiert“ worden. Von diesen sollen mehr als die Hälfte der Geschäfte „freiwillig“ durch den Inhaber bzw. auf behördliche Anweisungen aufgegeben, liquidiert oder in „arische Hände“ übergeben worden sein. Weniger als 50 Prozent der Geschäfte gingen direkt auf eine arische Privatperson oder ein Unternehmen über.1311 Im Zuge dieses Dissertationsprojektes entstand eine qualitative Stichprobe zu Unternehmen im deutschen Textileinzelhandel. Die Datenbank enthält 448 Betriebe der Branche, die im Zuge der Auswertungen der Fachzeitschriften erfasst wurden. Von diesen können 344 Unternehmen sicher als „jüdisch“ klassifiziert werden (76,8 Prozent). Für 318 dieser Betriebe kann eine „Arisierung“ quellenmäßig belegt werden. Das entspricht einer Arisierungsquote von 71 Prozent. Demnach könnte als Hypothese gelten, dass etwa zwei von drei jüdischen Betrieben im Bereich des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 „arisiert“ und etwa jeder dritte Betrieb liquidiert worden war. Der geographische Schwerpunkt der Arisierungen im Textileinzelhandel dürfte nach Auswertung der Rubrik „Neugründungen & Veränderungen“ im Fachorgan „Die Textil-Woche“ in den deutschen Großstädten gelegen haben (Abbildung 28). Knapp jede dritte „Arisierung“ wurde in Berlin, Köln, Düsseldorf, Breslau (Wroclaw), Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg dokumentiert. Der Rest verteilte sich relativ gleichmäßig auf Mittel- und Kleinstädte. Aufschlussreich sind auch die Lagemeldungen aus den jeweiligen Reichsgebieten, die in der Fachzeitschrift „Die-Textil-Woche“ zwischen Juli 1938 und Juni 1939 öffentlich publiziert wurden. Diese geben einen intimen Einblick in den zeitgenössischen Diskurs im deutschen Textileinzelhandel. Publiziert wurden die Auffassungen der kommunalen Untergliederungen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel. Deutlich wird dabei, dass diese lokalen Entscheidungsträger – zumeist direkte Konkurrenten der Betroffenen – sehr disparat in Bezug auf die Auslegung und Ausführung der Ausschaltung jüdischer Händler reagierten. Opportunistische Kreise votierten meist gegen eine Liquidierung, da sie über eine „Arisierung“ die Bestimmungen des EHSG umgehen und ihren Geschäftsbetrieb entsprechend ausweiten konnten. Andere sahen in der „Arisierung“ eine bedrohliche Konjunktur der Wettbewerbsverschärfung zulasten der kleinen und mittleren Textileinzelhändler – denn nur kapitalkräftige Handels- und Industriebetriebe waren kreditwürdig oder rentabel genug, um die Kaufsummen aufzubringen. Daher musste eine Liquidierung her, die die lang ersehnte Chance einer

1311

Vgl. Gibas (2007a), S. 27; Bajohr (2002), S. 39.

waren bis 1939 circa 100.000 jüdische Firmen „arisiert“ worden. Von diesen sollen mehr als die Hälfte der Geschäfte „freiwillig“ durch den Inhaber bzw. auf behördliche Anweisungen aufgegeben, liquidiert oder in „arische Hände“ übergeben worden sein. Weniger als 50 Prozent Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte 433 der Geschäfte gingen direkt auf eine arische Privatperson oder ein Unternehmen über.1311 Abbildung 28 Geographische Schwerpunkte der Arisierung, 1938 Kiel 1,6

Gliwice 1,6 Augsburg 1,6 München 1,9

1312

Nürnberg 1,6 Berlin 7,9

Wuppertal 2,2

Köln 4,4

Hamburg 2,5 Leipzig 3,1 Frankfurt am Main 3,5

Düsseldorf 4,1 Wrocław 4,1

Anmerkungen: Stichprobe nach den Mitteilungen der Fachpresse zwischen März und Dezember 1938;

Anteil dokumentierter Abb.Prozentualer 28 Geographische Schwerpunkte(veröffentlichter) der Arisierung,Arisierungen 19381312 nach Städten.

Anmerkungen: Stichprobe nach den Mitteilungen der Fachpresse zwischen März und Dezember 1311 Vgl. Gibas (2007a), 27; Bajohr (2002), S. 39 1938;1312 Prozentualer Anteil S. dokumentierter (veröffentlichter) Arisierungen nach Städten. Abbildung nach Auswertung der Rubrik „Neugründungen & Veränderungen“ für März bis Dezember 1938 in "Die Textil-Woche".

Bereinigung des Berufsstandes bot und so die Konkurrenz (sprich die behauptete 359 Übersetzung) bekämpfte. Eine dritte Gruppe sah sowohl in der Geschäftsübernahme als auch in der Geschäftsauflösung keine Lösung des angeblichen „Übersetzungsproblems“. So wies die Bezirksfachgruppe Köln im Juli 1938 resignierend darauf hin, dass die „Entjudung die Übersetzung fördere“. Die freien Läden würden durch andere übernommen, die frei werdenden Warenvorräte würden preis- und gewinnsenkend wirken und gegen all dies fehle die rechtliche Handhabe.1313 In Leipzig wies der Präsident der Industrie- und Handelskammer im Dezember 1938 auf die exportorientierte Kommunalwirtschaft hin und befürwortete „besonders wohlüberlegte Sonderlösungen“, sprich mehrheitlich Liquidierungen im Einzel- und Großhandel.1314 Auch in Düsseldorf lehnte die Industrie- und Handelskammer bis Mai 1939 zwei Drittel der beantragten „Arisierungen“ – zumeist mit Hinweis auf die Branchenübersetzung – ab.

Abbildung nach Auswertung der Rubrik „Neugründungen & Veränderungen“ für März bis Dezember 1938 in „Die Textil-Woche“. 1313 TexW, Arisierung oder Liquidierung, 23.7.1938. 1314 Von 40 jüdischen Fabriken sollten nur 7 arisiert werden und „von den 900 Großhandels- und rund 400 Einzelhandelsunternehmungen nur verhältnismäßig wenige“, siehe TexW, Die Arisierung in Leipzig, 3.12.1938. 1312

434

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Denn auch bei den genehmigten Geschäftsübernahmen war die Umsatzentwicklung hinter den Erwartungen zurückgeblieben.1315 Auch aus der Makroperspektive ist eine Dynamisierung des Arisierungs- und Liquidierungsprozesses mit dem „Ausschaltungsgesetz“ Ende 1938 festzustellen, die ihren Abschluss im Juni/Juli 1939 fand. Die Reichshauptstadt Berlin meldete im Januar 1939 als erste Region den erfolgreichen „Abbau der Übersetzung und Bereinigung durch Entjudung“ im Einzelhandel. Zuvor hatten die Behörden im Juni 1938 über eine Kennzeichnungspflicht 3.767 jüdische Einzelhändler erfassen können. Nun waren 700 Betriebe arisiert und 3.000 liquidiert. Anders als im Großhandel und der Industrie war die „Bereinigung“ damit abgeschlossen.1316 Ab Sommer 1939 gingen immer mehr Erfolgsmeldungen in den Fachblättern ein (Tabelle 87). Die Region Westfalen meldete einen „reibungslosen“ Verlauf der „Entjudung“. Die Behörden zeigten sich hier überrascht über die große Bewerberzahl auf Übernahme und Weiterführung der jüdischen Handelsbetriebe. Insgesamt wurden nur 16 Prozent der jüdischen Textilhandelsbetriebe „arisiert“, der nun „judenfrei“ war.1317 Der Bezirk Niederrhein beobachtete die von der Kölner Bezirksfachgruppe befürchteten „strukturellen Veränderungen“. Vor allem in Düsseldorf fanden branchenfremde Kaufleute und Industrielle eine ertragreiche Kapitalanlage in Geschäftsübernahmen jüdischer Handelsbetriebe.1318 Im Landesteil Westfalen-Lippe war die Verdrängung der Juden „im großen und ganzen abgeschlossen“. Der Dortmunder Einzelhandel meldete sich „judenfrei“. Allerdings war dies auch hier nur durch eine Liquidierung der Betriebe zu erreichen, denn dem mittelständischen Einzelhandel fehlte das Kapital zum Erwerb und Weiterbetrieb der Geschäftshäuser und Geschäftsgrundstücke. Vereinzelt teilten sich mehrere „arische“ Einzelhändler die Verkaufsflächen der liquidierten jüdischen Kauf- und Warenhäuser.1319 Während in den deutschen Großstädten und in den

TexW, Liquidierung und Arisierung am Niederrhein, 27.5.1939. In den Haupteinkaufsstraßen Leipziger Straße bzw. Friedrichstraße befanden sich vor der Maßnahme 22 jüdische Geschäfte (16 Prozent aller Läden) bzw. 30 Läden (17 Prozent aller Läden). Eine andere Aufstellung spricht von 3.750 als „jüdisch“ gekennzeichneten Einzelhändlern. Davon wurden 1.200 Geschäfte (32 Prozent) als „zur Arisierung geeignet befunden“. Tatsächlich konnten aber nur 700 „arisiert“ werden, da sich für 500 Angebote keine Bewerber fanden, siehe Artikel „Die Arisierung des Einzelhandels“, 25.1.1939, BA RR8034-II/3574. In Berlin meinte „Bereinigung“ aber nicht den Kampf gegen die „Übersetzung“, da die nun leer stehenden Objekte arischen Kaufleuten angeboten worden, siehe TexW, Einzelhandel mit neuem Gesicht, 11.2.1939. 1317 Von 474 jüdischen Textil- und Schuhwaren-Betrieben wurden 75 arisiert. „Es meldeten sich gerade aus den im Lande ansässigen Kaufleute eine große Anzahl von Bewerbern, die [ ] über das notwendige Kapital zur Übernahme verfügten, [in Großstädten meldeten sich] sehr viele junge Leute, die zum Teil mit eigenem, zum Teil mit fremdem Kapital sich [ ] eine recht gute Existenz bilden konnten“, siehe TexW, Textilien im Bergbaubezirk, 24.6.1939. 1318 TexW, Lebendiger Niederrhein, 24.6.1939. 1319 „In Dortmund ist kein Geschäfts mehr, dessen Inhaber nichtarischer ausländischer Staatsangehörigkeit ist“ und die Warenläger sind „ausnahmslos am Platze selbst untergebracht“. Eine hohe Arisierungsquote war allerdings nicht zu erreichen, da die „Überleitung in arische Hand vielfach wegen der Höhe des 1315 1316

Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäfte

Tab 87 Arisierungs- und Liquidationsprozess im Deutschen Reich, 1938/19391320 Ort/Bezirk1321 Ostpreußen

Jüdische Betriebe

A

342*

231 – 10

Schlesien Memel (Stadt)

– 18*

L

A–Quote

L–Quote

111

67,5 %

32,5 %



60,0 %

40,0 %

8

55,5 %

44,5 %

Dortmund

87*

37

50

43,0 %

57,0 %

Nordmark

356**

133

223

37,4 %**

62,6 %**

80

18

62

22,5 %

77,5 %

3.767

700

3.000

18,6 %

79,6 %

55

10

45

18,2 %

81,8 %

Halle Berlin Dessau

474*

75

339

16,0 %

84,0 %

Mittelelbe

Westfalen-Lippe

320

42

278

13,1 %

86,9 %

Münsterland

125

15

110

12,0 %

88,0 %

Halberstadt

63

6

57

9,5 %

90,5 %

Niederrhein

250*

23

227

9,2 %

90,8 %

Magdeburg

122

8

114

6,6 %

93,4 %

Leipzig Hamburg Schlesw.-Holstein, Mecklenbg.







286*

400

„wenige“ –







70*









Anmerkungen: Aufstellung der betroffenen jüdischen (Textil-) Einzelhandelsbetriebe im Deutschen Reich in den Mitteilungen der Fachpresse zwischen Juli 1938 und Juni 1939; A = Arisierungen; L = Liquidierungen; *Textileinzelhandelsbetriebe; **eigene Berechnung; (-) keine Angabe in den Quellen. Für Süddeutschland lagen keine vergleichbaren Zahlen vor.

Grundstückswertes [ ] unmöglich war“, siehe TexW, Arisierung und Liquidierung in Westfalen-Lippe, 24.6.1939. 1320 Eigene Aufstellung und Berechnung nach TexW, Arisierung oder Liquidierung, 23.7.1938; TexW, Was wird mit den jüdischen Geschäften?, 26.11.1938; TexW, Was ist bei Übernahmeverträgen von jüdischen Geschäften zu beachten?, 3.12.1938; TexW, Die Arisierung in Leipzig, 3.12.1938; TexW, Einzelhandel mit neuem Gesicht, 11.2.1939; TexW, Der Jude als „Modeschöpfer“, 29.4.1939; TexW, Liquidierung und Arisierung am Niederrhein, 27.5.1939; TexW, Textilien im Bergbaubezirk, 24.6.1939; TexW, Lebendiger Niederrhein, 24.6.1939; TexW, Bezirk Mittelelbe, 24.6.1939; TexW, Textilfamilie Nordmark, 24.6.1939; TexW, Für Ostpreußens Landwirtschaft, 24.6.1939; TexW, Grenzland Schlesien, 24.6.1939; TexW, Arisierung und Liquidierung in Westfalen-Lippe, 24.6.1939; DM, Einsatz im Handel des Ostens, 19.6.1941; BA, Die Arisierung des Einzelhandels, 25.1.1939, BA RR8034-II/3574. 1321 Jeweiliger Stand der Meldungen: Berlin (November 1938 bis Januar 1939), Köln ( Juli 1938), Leipzig (Dezember 1938), Niederrhein (Mai 1939), Westfalen, Magdeburg, Halberstadt, Halle, Dessau, Hamburg, Schleswig-Holstein/Mecklenburg, Nordmark, Münsterland, Dortmund, Lünen ( Juni 1939), Ostpreußen (1933 bis 1939), Stadt Memel, Schlesien (1939), Westfalen-Lippe (ab November 1938).

435

436

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

westdeutschen Ballungszentren die „Entjudung“ eine für die Versorgungslage meist unkritische Schließung des jüdischen Handelsbetriebes bedeutete, bedrohte eine „Entjudung“ durch Liquidierung die Warenversorgung der Bevölkerung in den ländlichen und dörflichen Gebieten des Reiches. Hier lag die Arisierungsquote oftmals höher als in den urbaneren Gebieten. Während in Münster die zwei einzigen jüdischen Textilhäuser geschlossen werden konnten, bestand im ländlichen Umland eine enorme Nachfrage nach den 125 jüdischen Einzelhandelsbetrieben, die mehrheitlich Textilwaren führten. Anders als in der Stadt konnten hier mit geringem Kapitalaufwand repräsentative Geschäftshäuser erworben werden. Ostpreußen hatte die geringste Liquidierungsquote. Zwar war die „Entjudung“ des Textileinzelhandels bereits Ende 1938 abgeschlossen, aber um die Versorgung der Landbevölkerung zu gewährleisten, genehmigten die Behörden einen kleinen Arisierungsboom zwischen 1934 und 1936, indem sich 200 neue Textilgeschäfte gründeten.1322 Wie in Ostpreußen verlief die wirtschaftliche Entwicklung in Schlesien seit 1933 im Vergleich zum Reich unterdurchschnittlich, da private wie öffentliche Investitionen aufgrund der Randlage vorerst ausblieben. Drei von fünf jüdischen Textileinzelhändlern wurden hier übernommen und noch Anfang November 1938 hatte jede zehnte Verkaufsstelle für Textilien und Bekleidung einen jüdischen Inhaber.1323 Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Arisierung und Liquidierung ist damit nur tendenziell zu beantworten und differenziert sich nach IHK-Bezirk, urbanem oder ländlichem Raum sowie den Betriebsformen. Tendenziell wurde Arisierungsanträgen bis Dezember 1938 eher entsprochen, danach bestimmten Liquidierungen das Bild. Geschäftsübernahmen wurde eher stattgegeben, wenn sie durch ortsansässige Konkurrenten (die auch in den Kommissionen saßen) erfolgten. Für die erfolgreiche Arisierung von Großbetrieben bedurfte es schon vor 1938 hervorragender Kontakte, sonst drohte oftmals die Liquidierung. Überall dort, wo der Textileinzelhandel als übersetzt galt, also in urbanen Gebieten, war eine Liquidierung deutlich wahrscheinlicher als die Arisierung. Der Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftleben war hier der ökonomisch willkommene Anlass zu Flurbereinigung und nicht der ideologisch-propagierte Versuch, noch mehr arische Geschäfte entstehen zu lassen. Diese generellen Befunde legen den Schluss nahe, dass es sich bei den Interessenten der Bamberger & Hertzund Schocken-Häuser um verhältnismäßig gut vernetzte Akteure handelte. Die Befunde zeigen auch, dass aktive Kauf-Verhandlungen seitens der jüdischen Inhaber vor Dezember 1938 die Chancen für eine Nicht-Zerschlagung ihres Geschäftes deutlich erhöhten. Die Häuser von Bamberger & Hertz sowie Schocken waren trotz der Lage in Groß- und Mittelstädten für die Versorgung der Kundschaft relevanter als textile

TexW, Für Ostpreußens Landwirtschaft, 24.6.1939. Die hohe Arisierungsquote sah man im Sommer 1939 kritisch: „Im nachhinein wäre eine Begrenzung der Übernahme wünschenswert gewesen“, siehe TexW, Grenzland Schlesien, 24.6.1939. 1322 1323

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Kleingeschäfte, und es waren keine reinen Warenhaus- oder Einheitspreisgeschäfte – demnach „schützte“ Betriebsgröße wie auch die Betriebsform vor der Liquidierung. 6.4

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Zur Mitte des Jahres 1939 ahnte die Geschäftswelt nichts vom bevorstehenden Krieg. Der Textileinzelhandel spürte die Folgen der Ausschaltung, „Arisierung“ und Liquidierung jüdischer Betriebe und Kaufleute und registrierte den vermehrten Einsatz von Ersatzstoffen im Textilbereich. Der Hauptgeschäftsführer der Fachgruppe Textil-Einzelhandel Hellmann sah in der „Ausscheidung und Ausmerzung des jüdischen Elements in Industrie und Handel“ die Schwierigkeiten einer „Neuordnung der Bezugs- und Absatzbedingungen“. Neben den Konsequenzen der „Entjudung“ hatten Fabrikationsbetriebe und der Handel Schwierigkeiten, Maschinen und Absatz auf Ersatzstoffe umzurüsten. Die neuen Stoffe hatten nicht etwa ihre „Bewährungsprobe bestanden“, sondern viele Händler und Kunden bemängelten das Knittern, das „unzulängliche Aussehen“ und die geringe Belastbarkeit der Materialien. Das Hauptproblem Ende Juli 1939 war der Umstand, dass die Nachfrage nach Textilien und Bekleidung, besonders in der Herrenkonfektion, mittlerweile das verfügbare Angebot übertraf. Von einer „Übersetzung“ des Textileinzelhandels kann also eher aus ideologischer, als aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Rede sein. Die Lieferanten des Handels waren zunehmend nicht mehr in der Lage, Nachorders anzunehmen und eine termingerechte Auslieferung der Stammorders zu garantieren. Aus Sicht des Einzelhandels priorisierten die Lieferanten zunehmend ihre Exportgeschäfte und vernachlässigten damit den Binnenmarkt. Schon jetzt waren Futterstoffe und Zutaten der Innenverarbeitung knapp geworden.1324 Die Fachgruppe Textil-Einzelhandel forderte daraufhin von ihren Mitgliedern und den Vorlieferindustrien eine gemeinsame Kraftanstrengung und versuchte sich im Bereich der Herrenkonfektion an konkreten Lenkungsmaßnahmen. Der Handel sollte seine Dispositionen auf viele Lieferanten verteilen, sodass einzelne Bekleidungsfabrikanten nicht durch wenige Abnehmer blockiert würden. Der Abnehmer sollte „jede Unsicherheit wegen Erfüllung laufender Kaufverträge vermeiden“, während hingegen der Lieferant am Prinzip der festen Termine und Preise unbedingt festhalten sollte. Während die Lieferanten eine Beschleunigung der innerbetrieblichen und produkttechnischen Rationalisierung zusicherten – Verringerung der Typenzahl der Kleidungsstücke („Weniger Formen, sind ein Mehr“) – verzichtete der Handel auf vielfältige Sonderwünsche.1325

1324 1325

TexW, Zwischenbilanz der Herrenkleidung, 29.7.1939. TexW, Gesteuerte Herrenkleidung, 5.8.1939.

437

438

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

6.4.1

Regulierung des Mangels – Kleiderkarten & Ersatzstoffe

Dass sich bereits im Sommer 1939 die Warenversorgung mit Baumwollstoffen und Konfektion verschlechterte, zeigen die Überlieferungen der Merkur AG (ehemals Schocken AG). In Hinblick auf die laufenden Kriegsvorbereitungen versuchten die Behörden, jede Beunruhigung der Bevölkerung vor Warenengpässen zu vermeiden. So erging am 4. Juli 1939 eine geheime Anweisung des Wirtschaftsministeriums an den deutschen Einzelhandel („vertraulich, nicht öffentlich besprechen!“) – eben auch an Merkur: „Jede Beunruhigung der Verbraucherschaft über die gegenwärtige Rohstofflage peinlichst vermeiden. Ein offizielles Verbot [ ] und eine der Presse bekanntgegebene Liste [ ] würde [ ] auf die Verbraucherschaft alarmierend wirken“.1326 Diese Liste benannte Artikel, die im Rahmen des anstehenden Sommerschlussverkaufes nicht mehr beworben werden sollten. Anders als im Winterschlussverkauf 1938/39 umfasste die Liste neben Zurückhaltungsgeboten auch konkrete Verbote.1327 Mit dem Kriegsausbruch ab September 1939 mussten sich Händler und Konsumenten von einem freien Markt für Textilien und Kleidung verabschieden. Die Textilversorgung oblag nun – wie schon im Ersten Weltkrieg – der staatlichen Aufsicht und Lenkung. Damit sollte der zivile und militärische Verbrauch einem textilwirtschaftlichen „Erzeugungsplan“ angepasst werden.1328 Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, nämlich das Scheitern einer ausreichenden Sicherstellung der zivilen Textilversorgung durch ein Bezugscheinsystem, sollte durch zielbewusstere Planung verhindert werden. Mit der Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung vom 27. August 1939 wurde die staatliche Lenkung der gewerblichen Wirtschaft unterhalb des Ministerrates für die Reichsverteidigung (Vorsitz Hermann Göring) und des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (Walter Funk) gestrafft und vereinfacht.1329 Zunächst wurde die gesamte Textilwirtschaft aufgefordert, den Behörden die vorhandenen Lagervorräte offenzulegen. Diese sog. „Sicherungsmaßnahme“ der „Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete“ vom 4. September 1939 bedeutete die „vorläufige Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfes des deutschen Volkes“ – quasi eine Enteignung von Privateigentum, sowie vorläufige Verarbeitungs- und Verkaufsverbote. Alle Spinnstoffe und Spinnstoffwaren waren von Staats wegen beschlagnahmt und Handel und Industrie konnten nicht mehr frei über ihre Waren verfügen. Der Ein-

Vgl. Bf Z Nr. 35, 24.7.1939, StAC 31451–459. Verbote galten für „weiße Wäschestoffe, einfarbige Baumwollstoffe für Berufskleidung, baumwollene Meterware, Herren- und Kinderwäsche, Herren- und Knabenoberbekleidung, Damengummimäntel, Berufskleidung, Fahnen und Fahnenstoffe, Herrenschuhe und Stiefel (außer Sommerschuhe), Turnschuhe“, Zurückhaltung wurde etwa bei Damenoberbekleidung (außer hochmodische Stücke), Damenwäsche, Badeanzügen empfohlen, siehe Bf Z Nr. 35, 24.7.1939, StAC 31451–459. 1328 Vgl. Höschle (2004), S. 73. 1329 Vgl. im Folgenden v. a. Hajek (1941); Schema der Kriegswirtschaftsbürokratie im Textileinzelhandel bei Sandig (1940). 1326 1327

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

zelhandel wurde – wie schon im letzten Krieg – zum Verteiler degradiert, der Textilwaren nur noch innerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen absetzen konnte.1330 Mit der Beschlagnahme versuchte man den Bestand jener Textilwaren zu erheben, die fortan nur über Bezugsberechtigungen an Konsumenten verteilt werden sollten. Der Einkaufsprozess war durch die strenge Beschlagnahmeanordnung ebenfalls erschwert worden, worauf auf Proteste des Handels seit 22. September 1939 Lockerungen genehmigt wurden. Die Behörden hatten sämtliche Bestände der Textil- und Bekleidungsindustrie beschlagnahmt, um den Warenstrom lenken zu können. 50 Prozent der Bestände waren dem Export vorbehalten, die andere Hälfte verteilte der Produzent priorisiert an seine Abnehmer. Bevorzugt wurden sog. „Kennzifferaufträge“ an staatliche und öffentliche Bedarfsgruppen (Wehrmacht, Krankenhäuser, Behörden, etc.). An letzter Stelle stand der zivile Konsumgütermarkt. Den Lieferanten war untersagt, Baumwollmeterware, Nähmittel, Baumwollstrümpfe oder „nicht versorgungswichtige“ Konfektion an den Handel zu liefern. Der Handel musste daraufhin auf die nicht beschränkten Gewebe aus Kunst- und Ersatzstoffen sowie Mischgewebe ausweichen. Unmittelbar danach, Ende August/Anfang September 1939, erfolgte die Einführung eines Bezugscheinsystems.1331 Bestimmte Textilwaren konnten nur noch gegen Vorlage einer Berechtigung bezogen werden.1332 Bezugscheinpflichtig waren Kleidung und Heimtextilien, die (auch) einem militärischen Zweck dienen konnten und somit dem Zivilmarkt möglichst entzogen oder deren Vorräte gestreckt werden sollten. So waren Wintermäntel für Frauen und Sommer- und Wintermäntel für Männer nur gegen Bezugschein erhältlich. Dasselbe galt für Bett-, Tisch- und Hauswäsche, Arbeits- und Berufskleidung, Turn- und Sportsachen, Skianzüge und Einzelteile, Decken, Planen, Gardinen, Vorhänge und besondere Stoffe (Filz, etc.). Bezugscheine wurden von den unteren Verwaltungsbehörden (Wirtschaftsamt) auf Antrag ausgestellt und waren einen Monat gültig. Der Händler musste den Bezugschein des Kunden entwerten, ordnen, aufbewahren und in ein Bezugscheinregister eintragen. Dieses System war vielen Händlern noch bekannt – ebenso wie seine Schwächen bzw. der daraus entstehende Mehraufwand: bürokratisch, zeitraubend und umständlich – für Geschäfte wie für TexW, Kriegswirtschaftsverordnungen beachten!, 13.6.1942. Durch die Vierte Durchführungsverordnung zur Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfes des Deutschen Volkes (Verbrauchsregelung für Spinnstoffwaren und Schuhwaren) vom 27. August 1939 sowie Abänderungsverordnung vom 7. September 1939. 1332 Der NS-Bezugschein definierte den sog. „Normalbestand eines Verbrauchers“, wobei nicht zwischen Winter und Sommer unterschieden wurde: „Oberbekleidung (Männer): Vollständige Anzüge (2 Stk), Arbeitshosen (2), Arbeitsjoppen (2), Berufsschürzen (2), Pullover/Strickjacke/Trainingsanzug (1), Regenmantel/Windjacke (1), Wintermantel (1), Winterhandschuhe (2 Paar); Oberbekleidung für Frauen: Kleider (2), Berufskleidung (2), Schürzen/Kittel (2), Pullover/Strickjacke (1), Regenmantel/Kostüm (1) Wintermantel/Umschlagtuch (1), Winterhandschuhe (1 Paar); Unterkleidung Männer: Taghemden (3), Unterhemden (2), Unterhosen (3), Schlafanzüge (2), Strümpfe/Socken (6 Paar), Taschentücher (6); Unterkleidung für Frauen: Taghemden (3), Beinkleider (3), Nachthemden (2), Unterröcke (2), Strümpfe (6), Taschentücher (6)“, siehe Bf Z Nr. 43, 31.8.1939, StAC 31451–459. 1330 1331

439

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Verbraucher. Die Definition des Gesetzes, wer als Bezugscheinberechtiger galt, führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Antragstellern und Wirtschaftsämtern.1333 Händler wie Merkur versuchten in dieser Phase, ihre Verkaufsanstrengungen auf die Artikel der sog. Freiliste zu richten:1334 „Unsere Aufgabe ist es nun, für beschleunigten Absatz dieser bezugscheinfreien Spinnstoffwaren zu sorgen; denn es ist anzunehmen, dass der Umsatz in den bezugscheinpflichtigen Waren sich nur langsam hebt. Die Förderung des Verkaufs kann neben entsprechender Auslage im Hause durch zweckmäßige Gestaltung der Fenster unterstützt werden. Wir denken z. B. handgearbeitete Pullover und Strickkleider, an Hüte, Handarbeiten und Herrenartikel, an Kurzwaren und Stoffe für Ausbesserung oder Modernisierung alter Kinder- und Damenbekleidung“.1335

Der Konzern war auch bemüht, die Werberichtlinien des NS-Werberats umzusetzen, die der Streckung der vorhandenen Bestände und weniger der reinen Verkaufssteigerung diesen sollte. So beschloss Merkur, etwa Gebrauchsanweisungen, Waschanleitungen sowie die Waren- und Verkaufskunde weiter auszubauen.1336 Insgesamt gelang leistungsfähigen Betrieben die Umstellung auf die Bezugscheinpflicht recht geräuschlos. Unternehmen wie Bamberger & Hertz, jetzt Hirmer, hatten schon während des Ersten Weltkrieges reichliche Erfahrungen mit der organisatorisch-administrativen Seite des Bezugschein-Systems sammeln können. Wie damals schon gab es nun einen „Normalbestand an Herrenoberbekleidung“, für den kein Bezugschein erteilt werden musste. Am 30. August 1939 begann die Scheinausgabe in München. Diese verlief für Hirmer reibungslos, da „Löhne, Miete und Gehälter für den Ultimo bereit [liegen], sodass die bei anderen Geschäften schon teilweise aufgetretenen Schwierigkeiten nicht vorhanden sind“. Auch Haller meldete für Hansen & Co. aus Köln, dass alle Umsätze normal geblieben waren.1337 Die alleinige Bezugscheinregelung blieb ein kurzes Intermezzo. Es waren wohl die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, die dazu führten, dass das Bezugscheinsystem nur ein Übergang sein sollte. Es war schnell zusammengebrochen, benachteiligte sparsame Verbraucher, verließ sich zu sehr auf die Angaben der Konsumenten und blieb nur ein „Notfallsystem“.1338

Bereits am 9. September 1939 erließ der Sonderbeauftragte für Spinnstoffwirtschaft eine Lockerung der bezugscheinpflichtigen Ware. Freigestellt wurden Waren aus leicht verderblichen Textilien oder solche, die nicht militärischen Zwecken dienten. 1334 In Anzeigen und Werbehandzetteln sollten dagegen nicht zwischen BS-Ware und Freiware unterschieden werden, sondern es sollte „für solche Waren [geworben werden], die uns in größeren Mengen zur Verfügung stehen“; siehe Bf Z Nr. 58, 16.9.1939, StAC 31451–459. 1335 Vgl. GB Nr. 1361, 11.9.1939, StAC 31451–459. 1336 Vgl. Bf Z Nr. 58, 16.9.1939, StAC 31451–459. 1337 Vgl. Schreiben an Theodor Döring vom 30.8.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 2 f. 1338 Vgl. Höschle (2004), S. 73, bes. Anm. 304. 1333

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Am 14. November 1939 erloschen alle vorangegangenen Bestimmungen mit der „Verordnung über die Verbrauchsregelung für Spinnstoffwaren“1339. Die textile Verbrauchslenkung führte nun die Reichskleiderkarte (KK) ein. Anfang März 1940 erläuterte Dr. Friedrich Bauer, der Sonderbeauftragte für die Spinnstoffwirtschaft und stellvertretende Abteilungsleiter im Reichswirtschaftsministerium, die Notwendigkeit einer strafferen, zielgerichteteren und flexibleren staatlichen Lenkung.1340 In seinem programmatischen Aufsatz „Stufen der textilen Kriegswirtschaft“ diktierte Bauer der Textilbranche sechs zentrale Aufgaben in der Kriegswirtschaft, die den älteren Kaufmännern bekannt vorgekommen sein müssten. An erster Stelle stand die „unbedingte Sicherstellung des Wehrmachtbedarfs“. Danach sollte der Bedarf von Krankenhäusern und Industriebetrieben an Kleidung und Textilien sichergestellt werden. Unvorhergesehener „Stoßbedarf “ und den Export definierte Bauer als weitere Aufgaben. Als letztes und nachrangiges Ziel verwies Bauer auf die „Versorgung der Zivilbevölkerung mit dem unumgänglichen lebensnotwendigen Bedarf “. Im selben Atemzug gestand Bauer – bereits im Frühjahr 1940 – Schwierigkeiten in der Rohstoffversorgung im Zuge der Umstellung auf Kriegswirtschaft ein. Doch anders als im August 1914 – und darauf verwies auch Bauer – war die Textilbranche zu Kriegsbeginn dank der Bewirtschaftung zunächst breiter als damals mit ausländischen Rohstoffen versorgt. Anders als 35 Jahre zuvor war die chemische Industrie zusammen mit der Landwirtschaft technologisch besser in der Lage, Zellwolle und Kunstseide in höherem Maße zu liefern. Die Punkte spielten nun die zentrale Rolle in der Austarierung zwischen Produktion und Konsum. Die aufzustellenden „Erzeugungspläne“ würden, so Bauer, in Zukunft den Konsumbedarf der Bevölkerung sichern. Um diese Pläne angemessen gestalten zu können, sollte die gesamte Warenbeschaffung und der gesamte Warenverkehr durch ein Punktesystem laufen. Es entstand ein für die NS-Wirtschaftsbürokratie nahezu archetypisches System des Nebeneinanders von Kleiderkarten, Bezugscheinen, Punkteverrechnungsstellen und Punktschecks, um die Erzeugung auf den Bedarf der Bevölkerung, des Einzel- und Großhandels sowie der Bekleidungsindustrie abzustimmen. Unumwunden gab Bauer zu, dass das Punktesystem „verwöhnte Mengenansprüche“ nicht dulde. Im Klartext bedeutete dies den Aufruf zur Akzeptanz der Einschränkung – als Opfer der Volksgemeinschaft für die Truppen im Feld. Es war keineswegs ausgemacht, ob die Kleiderkarte „reichhaltig genug [war], um den Bedarf zu decken“, wie Bauer betonte, denn er stellte bereits in Aussicht, dass etwaige Mängel des Systems mit der nächsten Karte einfach behoben werden würden.1341

Vgl. RGBl. Nr. 226, S. 2196. Dr. Friedrich Bauer war vermutlich der Stellvertreter des Leiters der Textilabteilung im Reichswirtschaftsministerium Hans Kehrl, siehe Luxbacher (2004), S. 32. 1341 TexW, Stufen der textilen Kriegswirtschaft, 2.3.1940. 1339 1340

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Die „Textil-Woche“ kommentierte das neue System systemergeben als „außerordentlich geschickt“, da es „einen Vorgriff in die Substanz“ verhindere.1342 Tatsächlich war es etwas flexibler als der Bezugschein. Die Erste Kleiderkarte hatte drei Typen. Neben Kindern und Jugendlichen erhielten alle Verbraucher ab 18 Jahren eine Kleiderkarte (Stammkarte) mit 100 Teilabschnitten.1343 Ausgenommen vom Kleiderkartensystem waren Uniformträger, die ohne Karte bezugsbeschränkte Waren kaufen konnten. Die verfügbaren Punkte waren ab dem 1. November 1939 mindestens ein Jahr lang gültig, waren jedoch zeitlich gestaffelt verfügbar (Tabelle 88). Tab. 88 Staffelung der Punkteverfügbarkeit der Kleiderkarte Punkte

Gültig ab

30

1. November 1939

10

1. Februar 1940

20

1. April 1940

20

1. Juni 1940

20

1. September 1940

Anmerkungen: eigene Aufstellung; gilt für die 1. Kleiderkarte für Männer (ab 18 Jahre, 100 Punkte).

Die Staffelung sollte einem Käuferansturm vorbeugen. Bei hoch bepunkteten Stücken wie einem Herrenanzug (60 Punkte) bestand die Möglichkeit eines Vorauskaufes. Die Ausgabe der Kleiderkarten erfolgte daher auch nicht gleichzeitig an alle Verbraucher, sondern im Laufe der folgenden zwei Wochen.1344 Das „neue“ System teilte Waren in zwei Gruppen. Kleiderkarten-Waren und besondere Bezugschein-Waren. Neben dem „normalen“ Bezugschein, gab es eine Reihe von Sonder-Bezugscheinen (Tabelle 89). Den F-Bezugschein gaben die lokalen Wirtschaftsämter an Personen aus den „freigemachten“ Gebieten. Der K-Bezugsberechtigungsschein diente zur Deckung des Bedarfs in den Bereichen Landwirtschaft, Bergbau und Schwerindustrie. Hier konnten ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene etwa mit Grobgarnen und Baumwolldecken versorgt werden. Im April 1940 wurden Uniform-Bezugscheine (U-Schein) und Uniform-Zusatzbezugscheine (U-ZSchein) an Angehörige der Wehrmacht, Waffen-SS, Reichsarbeitsdienst, Ordnungspolizei, Sicherheitspolizei, NSDAP, Reichsfinanzverwaltung, Forstverwaltung, Jägerschaft und Reichsverkehrsministerium ausgestellt. Dieser Personenkreis erhielt gegen Vorlage Uniformen, Halstücher, Handtücher, Mantel- und Wäschesäcke, Sporthem-

Im Folgenden TexW, Die Reichskleiderkarte, 18.11.1939. Die offizielle Definition unterschied Kleiderkarten für Kinder im 2. und 3. Lebensjahr bzw. Kleiderkarten für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 14 Jahren. Deren Kleiderkarten enthielten 70 Teilabschnitte. 1344 Die Ausgabestellen mussten im Zuge der Beibehaltung des Bezugscheinsystems diejenigen Abschnitte von der Kleiderkarte abtrennen, die bereits auf Bezugschein bezogen worden waren. 1342 1343

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Tab. 89 Übersicht der Bezugsausweise1345 Bezugsausweise Reichskleiderkarte Bezugschein (der Wirtschaftsämter oder Gemeindebehörden) Uniform-Bezugschein (U) Uniform-ZusatzBezugschein (U-Z) Empfangsbescheinigungen von Truppen- und Dienststellen der Wehrmacht Anmerkungen: eigene Aufstellung; gilt für alle bezugsbeschränkten Spinnstoffwaren.

den, Sporthosen (U-Scheine) sowie Hemden, Unterhosen und Socken (U-Z-Scheine); nicht aber Waren, die auf Kleiderkarte bezogen werden konnten.1346 Die Kleiderkarte unterschied Stoffe und Kleidung nach Farbe und Punktbewertung in einzelne Gruppen. Punktemäßig waren Frauen aus verbrauchspolitischen Gründen bessergestellt worden als die Männer, die als Soldaten oder Arbeiter zusätzliche Bezugscheine erhielten, über die Wehrmacht versorgt wurden und in der Zahl als zivile Käufer schrumpften. Alle Artikel, die über eine Kleiderkarte zu beziehen waren, waren auf ihr vermerkt. Strümpfe etwa konnten die Verbraucher ausschließlich über Kleiderkarten erwerben, wobei sich Herren mit drei Paar und Damen mit vier Paar begnügen mussten (Tabelle 90). Jedoch schon im März 1940 erwiesen sich die verordneten Punkte als nicht ausreichend für die Versorgung einer Durchschnittsfamilie. Zum Tab. 90 Bezugscheinpflichtige Waren, November 19391347 Männer

Frauen

Knaben

Mädchen

Kleinkinder

Anzüge

Regenmäntel**

Anzüge

Mäntel

Mäntel

Regenmäntel*

Kostüme

Mäntel

Kleider

Anzüge

Winterjoppen

Kleider

Jacken

Trainingsanzüge

Kleider

Jacken

Kittelschürzen

Hosen

Bademäntel

Hosen

Morgenröcke

Trainingsanzüge

Trainingsanzüge

Trainingsanzüge

Bademäntel

Bademäntel

Bademäntel

Zutaten für Anzug Anmerkungen: gilt für die Erste Kleiderkarte; * Gummi-, Staub- und Regenmäntel; ** Gummi-, Staub-, Sommer- und Regenmäntel.

1345 1346 1347

Aufstellung nach ebd. TexW, Der U-Bezugschein und U-Z-Bezugschein, 20.4.1940. Aufstellung nach TexW, Die Reichskleiderkarte, 18.11.1939.

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1. April 1940 führten die Behörden die Zusatzkleiderkarte für Jugendliche (60 Punkte) sowie für Säuglinge (90 Abschnitte) ein.1348 Eine ganze Reihe von Textilien und Kleidung blieb bezugschein- und punktefrei. Artikel und Waren auf der sog. Freiliste konnten vom Verbraucher und Handel ohne Einschränkungen bezogen werden. Zu diesen Warengruppen gehörten Schnittwaren, Oberbekleidung für besondere Anlässe, Wäsche, Kopfbekleidung aller Art, Ausstattungen, sanitäre Waren, Schirme, Handarbeitswaren, Kurzwaren, Teppiche, Möbelstoffe und Sonstiges.1349 Dieses Parallelsystem aus Kleiderkarten und Bezugscheinen hatte nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für den Handel einen komplexen Organisations- und Verwaltungsaufwand zur Folge. Das Lenkungssystem galt sowohl für den Bereich Konfektion als auch für Maßtextilien. Die Lenkung, die auch immer eine Rationierung bezweckte, setzte auch Rationalisierungsimpulse. So galten bald Durchschnittsmaße für die Anfertigung von Oberbekleidung und Wäsche.1350 Das Punktesystem führte auch zu einer Einschränkung der unternehmerischen Umtausch- und Rabattgewohnheiten. Der Umtausch war nur bei Waren gleicher Art gestattet. Weiter durften keine Frauenartikel gegen Männerartikel getauscht werden, ebenso keine bezugscheinpflichtigen Artikel gegen Kleiderkartenartikel. Für fehlerhafte Ware wurde nur die Hälfte der angezeigten Punkte abgeschnitten und der Verkaufspreis um 15 Prozent verringert.1351 Im Frühjahr 1940 wurde das Punktesystem auch auf die Vorlieferanten des Handels ausgedehnt. Zum 3. Februar 1940 veröffentlichte die „Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete“ die Anordnung BK 11, die sämtliche Verordnungen betreffs Warenverkehr und Warenbeschaffung neu regelte. Neben den Verkaufsstellen (Einzelhandel) mussten sich nun auch die Lieferstellen (Großhandel) sowie die Hersteller (Textil- und Bekleidungsindustrie) ab dem 15. Februar 1940 nach dem Punktesystem – was bisher nur im Verkehr zwischen Einzelhandel und Verbraucher maßgeblich war – richten. Mit der Einrichtung von Punkteverrechnungsstellen, Punktesammelkonten und Punkte-

Die 4. Durchführungsanordnung zur Verordnung über die Verbrauchsregelung für Spinnstoffwaren vom 6. März 1940 ordnete die Einführung der Zusatzkleiderkarte für Jugendliche (60 Punkte) zum 1. April 1940 an. Diese galt für alle Geborenen zwischen 2. November 1922 und 1. November 1925 und enthielt auch Bezugsrechte für Strümpfe. Die 5. Durchführungsanordnung zur Verordnung über die Verbrauchsregelung für Spinnstoffwaren vom 29. März 1940 ordnete die Einführung der Zusatzkleiderkarte für Säuglinge zum 1. April 1940 an und galt für Kinder bis zum vollendeten 1. Lebensjahr. Sie war in 90 Teilabschnitte gegliedert und umfasste auch Bezugsrechte für Nähmittel, Garn und wasserdichte Unterlagen, siehe TexW, Das ABC der Punkte, Kleiderkarte, Bezugscheine und freien Artikel, 27.4.1940. 1349 Trauerkleidung, Abendkleidung, Frack, Smoking, Gehrock, Gummischürze, Strandkleidung, Arbeitsschutzkleidung, Gürtel, Hosenträger, Sockenhalter, Binden, Umstandsmieder, Mulle, Fahnen, Spielwaren, Badetaschen, etc. 1350 Herren: Normalgrößen bis 54, Sondergrößen 51 bis 53; Damen: Normalgrößen 36 bis 54. 1351 TexW, Das ABC der Punkte, Kleiderkarte, Bezugscheine und freien Artikel, 27.4.1940; TexW, Das ABC der Punkte, Kleiderkarte, Bezugscheine und freien Artikel, 25.5.1940. 1348

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

schecks war die gesamte Textilbranche nun der staatlichen Lenkung und Verteilung unterworfen. Konkret erhielten Textilhändler, wie etwa J. G. Becker Ende Februar 1940 ein Schreiben von der zuständigen Kommunalbehörde. So wurde das Bürgermeisterbüro die „Annahmestelle für Kleiderkartenabschnitte und Bezugscheine für den Amtsgerichtsbezirk Bad Lausick“. Die Punkteverrechnung für den Kreis Borna hatte über die Stadtbank zu Borna zu erfolgen. Der Einkauf von bezugsbeschränkten Waren durch Einzelhandel, Handwerk, Großhandel und Bekleidungsindustrie war nur durch sog. Punkteschecks möglich, die nach der Abgabe der Reichskleiderkartenabschnitte und Bezugscheine ausgegeben wurden. Weiter hieß es: „Die Ablieferung [der Kleiderkartenabschnitte und Bezugscheine] hat im Rathaus [ ] von 8 bis 12 Uhr zu geschehen. Die Abschnitte der Reichskleiderkarte sind getrennt nach Farben 100 stückweise aufzukleben und auf der rechten Ecke des Bogens mit dem Firmenstempel [ ] zu versehen. [ ] An Bezugscheinen sind nur die ab 1. November 1939 ausgestellten einzureichen. Auf jedem Bezugschein ist [ ] der Punktwert des betreffenden Gegenstandes mit Farbenstift einzusetzen. [ ] [Es] sind die Bezugscheine nach folgenden Warengruppen nacheinander zu legen, [ ] [und] zu bündeln: Männer-Kleidung, Knaben-Kleidung, Frauen-Kleidung, Mädchen-Kleidung, Säuglingswäsche, Tisch-, Bett- und Küchenwäsche, Meterware“.1352

Die Textilfachzeitschriften versuchten mit einem „ABC“ den zumeist überforderten Ein- und Verkäufern die wichtigsten Grundlagen zu vermitteln. Jedes Textilgeschäft hatte Punktekonten in seine Buchhaltung einzuführen. In diese mussten in je eine Spalte die Kleiderkartenpunkte sowie die Warenbeschaffungspunkte je Artikel eingetragen werden (Tabelle 91). Die entwerteten Bezugscheine mussten in das Register eingetragen und nach Herren-, Damen- und Knabenpunkten aufgeschlüsselt werden. Gegenüber den amtlichen Punkteverrechnungsstellen hatte der Textileinzelhändler die Abschnitte der Kleiderkarten oder Bezugscheine zu je 200 Stück auf eine Seite, getrennt nach Farben, aufzukleben. Da die Verrechnungsstellen den Händlern keinen Punktekontoauszug bereitstellten, musste der Betrieb selbst ein Hauptverrechnungskonto führen, um sein Guthaben im Blick zu behalten. Bedenkt man, dass allein ein Betrieb hunderttausende Abschnitte im Monat zu sortieren hatte, bedeutete dieses Verteilungssystem einen riesigen Verwaltungs- und Bürokratieaufwand.1353 Der Warenbezug gestaltete sich nicht minder aufwändig. Das Punkteguthaben eines Einzelhandelsbetriebes entsprach den gesammelten Kleiderkartenabschnitten, die man durch den Warenverkauf von den Kunden bekommen hatte. Bezugscheine

1352 1353

Vgl. Schreiben an Firma J. G. Becker, Bad Lausick, 29.2.1940, SWA U40/80. TexW, Fragen um die Punkte, 23.3.1940.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 91 Punkteliste für Warenbeschaffung, 19401354 Ware

KK/BS-Punkte

Warenbeschaffungspunkte

Differenz

Sommer- und Übergangsmantel (M)

65

100

35

Wintermantel (F)

67

100

33

3-teiliger Anzug (M)

60

90

30

Skianzug (M)

52

78

26

Kostüm aus Wolle (F)

45

68

23

Skianzug (F)

45

68

23

Hose (M)

20

30

20

Winterjoppe (M)

40

60

20

Sakko (M)

32

48

16

Kleid aus Wolle, gewebt (F)

40

54

14

Rock, Hose aus Wolle, gewebt (F)

20

30

10

Bluse aus Wolle (F)

15

22

7

Pullover, Strickwesten (M)

30

30

0

Trainingsanzug (M)

25

25

0

Taghemd (M)

20

20

0

Schlafanzug (M)

30

30

0

3

3

0

Krawatte (M) Socken, gestrickt (M)

5

5

0

Badehose (M)

10

10

0

Kleid aus Wolle, gestrickt (F)

40

40

0

Kleid aus Kunstseide (F)

30

30

0

Kostüm, gestrickt (F)

45

45

0

Rock, Hose aus Wolle, gestrickt (F)

20

20

0

Regenmantel aus Gummi/Kunststoffen (F)

25

25

0

Bluse aus anderen Stoffe (F)

15

15

0

Pullover mit ¼-Arm (F)

25

25

0

4

4

0

Unterkleid (F)

15

15

0

Badeanzug (F)

18

18

0

Büstenhalter (F)

Anmerkungen: gültig ab 1. Juli 1940; M = Männer, F = Frauen.

Aufstellung nach TexW, Die Punkteliste für die Warenbeschaffung, 29.6.1940; TexW, Die neue Punkteliste, 6.7.1940. 1354

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

wurden entsprechend in Punkte umgerechnet. Wollte ein Textilgeschäft Ware beziehen, musste es bei der örtlichen Punkteverrechnungsstelle ein Punktekonto einrichten lassen. War man nun ein „Punktkonto-berechtigter Betrieb“ konnte der Einzelhändler beim Lieferanten Ware gegen entsprechende Punkteschecks ordern. Die Punkteschecks mussten in dreifacher Ausführung zuvor durch die Punkteverrechnungsstellen gestempelt werden. Eine Order durfte auf maximal 5 verschiedene Waren von einem Lieferanten lauten. Dazu musste die Lieferzusage zuvor schriftlich vorliegen. Der Lieferant war nun zehn Tage daran gebunden und musste innerhalb dieser Zeit den Punktescheck erhalten. Punktwechsel oder Punktkredit waren nicht gestattet. Frei war der Handel nur in einem Punkt – in der Wahl des Großhändlers oder des Fabrikanten.1355 Infolge vieler unverständlicher Regelungen, Vorschriften und Durchführungsanordnungen, denen sich der Textileinzelhandel ausgesetzt sah, oder auch infolge gezielter Missachtung häuften sich ab Sommer 1940 die Prozesse wegen Verstößen gegen das Kleiderkarten- und Bezugscheinsystem. So befasste sich ein Essener Sondergericht in mehreren Prozessen mit Textilhändlern, die Textilien und Kleidung ohne entsprechende Berechtigungen verkauft hatten. Das Gericht verhängte mehrjährige Gefängnisstrafen und Lizenzentzug. In vielen Fällen ging es um die Frage der bewussten Zurückhaltung von Waren durch Textileinzelhändler. Dieses „kriegsschädliche Verhalten“ stand seit einem Erlass des Reichswirtschaftsministers seit Ende November 1940 unter Strafe. Darin hieß es: „Es ist zu beobachten, dass in jüngster Zeit Spinnstoffwaren von Industrie und Handel in nicht unbeträchtlichen Umfange zurückgehalten werden. Es ist eine alljährlich wiederkehrende Tatsache, dass zum Jahresschluss aus Bilanzierungsgründen Waren dem Verkauf entzogen werden. Durch dieses Verhalten können sich Stockungen in der Belieferung der Bevölkerung in Spinnstoffwaren ergeben. Dieses reiner Gewinnsucht entspringende Verhalten kann im Kriege nicht geduldet werden [ ], [daher wird] derjenige, der solche Erzeugnisse zurückhält und dadurch böswillig die Deckung des lebenswichtigen Bedarfes gefährdet mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auch die Todesstrafe verhängt werden“.

Im Mai 1942 verurteilte ein Weimarer Sondergericht den Inhaber zweier Textilfachgeschäfte Otto Schnellert zum Tode sowie dessen Vater und Ehefrau zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. Daneben verhängte das Gericht eine Strafe von 20.000 Reichsmark, die Beschlagnahme des Warenlagers und des Geschäftsgewinns. Der Urteilsbegründung zufolge hatte Schnellert seit Frühjahr 1940 „große Vorräte an Waren aus der Friedensproduktion vom Verkauf zurückgehalten“. Das Ehepaar, so der Vorwurf, hatEinzelhändler mit einem Umsatz unter 13.000 Reichsmark sowie Handwerker waren von der Einrichtung eines Punktkontos befreit. Sie mussten sich beim örtlichen Wirtschaftsamt Vordrucke für Kleinstpunktschecks besorgen. Nach einer Lieferzusage durch einen Fabrikanten oder Großhändler mussten diese Schecks mit den Kartenabschnitten und den Bezugscheinen dem Wirtschaftsamt zurückgeschickt werden. 1355

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

te nur Ware aus Kriegsproduktion verkauft. Friedensware erhielten nur „besonders gute Kunden“ als Gegenleistung für bewirtschaftete Artikel, für die Schnellert keine Bezugsrechte hatte. In der Buchführung gegenüber den Verrechnungsstellen hatte Schnellert die Behörden über 20.000 Punkte getäuscht und die zulässigen Handelsspannen um bis zu 300 Prozent überschritten. Inwieweit die Vorwürfe gerechtfertigt waren, und nicht als bloße Abschreckung dienen sollten, ist nicht belegt.1356 Ende 1939/Anfang 1940 häuften sich bereits die Berichte über Stockungen in der Warenversorgung. So berichtete Hirmers Buchalterin Paula Plötz im Herbst 1939: „Ware kommt zur Zeit keine herein, weil die ganze Ware bei den Lieferanten etc. zuerst aufgenommen werden muss und vorderhand einmal bis zur Fertigstellung dieser Aufnahmen beschlagnahmt ist“. Zwar war die Bezugscheinpflicht im Laufe des Septembers gelockert und die Freiliste beträchtlich erweitert worden, doch Personalmangel und die Stockung der Lieferungen setzten dem Geschäft zu. Viele Fabrikanten hatten kurz nach Kriegsbeginn auf Heereslieferungen umgestellt, d. h. Staatsaufträge wurden – wie im Ersten Weltkrieg – Lieferverträgen mit dem privaten Einzelhandel vorgezogen. Ohne Hirmers Kontakte, der eingezogen war, drohte das wertvolle Lieferantennetz zu zerreißen, auch sein „Hoflieferant“ Dorn musste immer wieder dringlich gebeten werden, Hirmer „nicht im Stich zu lassen“. Trotz erfolgreicher Abmachungen kamen dann nur knapp 50 Prozent der Bestellungen in Folge des Rohstoffmangels oder lukrativerer Angebote anderer Abnehmer zur Auslieferung. In den meisten Fällen wurde fertige Ware bei den Fabrikanten vor Ort zur Erfassung und teilweisen Zuweisung ans Militär beschlagnahmt. Immer wieder bemühte sich Plötz – über deren Tisch sämtliche Einkäufe liefen – „für arisierte Betriebe wie uns größere Quoten zu erreichen“.1357 Zudem verteuerte der Krieg mit Großbritannien zu importierende Textilrohstoffe wie Wolle, Baumwolle oder Seide. Die staatliche Devisenkontrolle verteilte die knapper werdenden Devisen erstrangig an rüstungsrelevante Industrien, und nachrangig an Textilfabrikanten. Einen Teil der produzierten Fertigfabrikate exportierte die Bekleidungsindustrie zudem ins Ausland und entzog sie so dem heimischen Konsumentenmarkt. Der Textileinzelhandel saß – auch infolge des verordneten Lohn- und Preisstopps – auf einer Menge Bargeld, ohne Ware ordern zu können. Plötz schrieb Hirmer Ende 1939: „Geld habe ich genug. Ich möchte dafür eben gerne Waren kaufen“. Wenn es zu großen Warenlieferungen wie im Oktober 1939 kam, konnten „die Lieferantenrechnungen [ ] zum größten Teil in den nächsten Tagen mit Vorzinsen und Skonto

Zitat nach TexW, Keine Zurückhaltung von Spinnstoffwaren, 7.12.1940; ansonsten siehe TexW, Textilverkäufe ohne Bezugscheine, 6.7.1940; TexW, Todesstrafe für Kriegswirtschaftsverbrecher, 23.5.1942. 1357 Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 9.9.1939, Schreiben an Hans Hirmer vom 30.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 314; Schreiben an (den eingezogenen) Hans Hirmer vom 30. September 1939 und 9. September 1939, HUA 2013/10/0005–2; Schreiben an Hans Hirmer vom 30.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 315. 1356

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

beglichen [werden]“. Hirmer beglich stets in „erster Kondition!“1358 Hatte Hirmer & Co. Ware in der Auslage, liefen die Geschäfte hervorragend: „Das Geschäft geht sehr gut. Am vergangenen Samstag hatten wir 25[000 RM]!“[ ] Viel mehr Kopfzerbrechen macht uns zurzeit die Warenbeschaffung. [ ] nur Ware, die entweder bis 4. September fertig am Lager des Fabrikanten war oder diejenige die zugeschnitten ist [ ]“.1359

Auch Merkur spürte bereits Anfang 1940 negative Auswirkungen des neuen Systems: Man erhielt entweder keine oder nur vordefinierte Ware („Einheitskleiderstoffe für Frauen“ aus 7 Prozent Wolle, 67 Prozent Zellwolle, 26 Prozent Reißwolle). Da man den Warenbezug nicht direkt beeinflussen konnte, galt es für 1940 „bis an die Grenze des Möglichen [zu] sparen“. Die Merkur AG betonte dabei „in enger Fühlung mit der Fachgruppe, Gesetze und Anordnungen in strengster Form an[zu]wenden und [ ] loyal mit[zu]arbeiten“.1360 Auf der Geschäftsführer-Konferenz im April 1940 lobte die Konzernleitung die Fortschritte bei den selektiven Kosteneinsparungen. Merkur verzichtete zwar auf sein Aushilfen-System, die Werbekosten blieben hingegen „unbeschnitten“.1361 Warenmangel diktierte die Konditionen der Zweiten Kleiderkarte. Sie umfasste 150 Punkte und galt ab Oktober 1940 bis Herbst 1941. Der Punktwert eines Textilartikels bestimmte sich nun nach dem Gewicht des zu verarbeitenden Stoffes. Damit forcierte das Regime den Konsum textiler Ersatzstoffe. Am höchsten bewertet waren Woll- und wollhaltige Artikel, am wenigsten Punkte musste der Handel und Verbraucher für kunstseiden- und ersatzstoffhaltige Artikel aufwenden. Dieser explizite Aufruf zum Mehrkonsum von Ersatzstoffen stieß auf verhaltene Reaktion der Händler, die es für fraglich hielten, „ob der Verbraucher dieser Lenkung folgen wird“. Der Absatz von Kunstprodukten hänge vor allem an der Witterung, denn je früher der Winter zu Ende gehe, desto eher funktioniere eine „Kundenverlagerung zu Kunstseide“. Nur wenige bezweifelten die öffentlich propagierten Umsatzzahlen des Textileinzelhandels. Im November 1940 sah sich die Redaktion der „Textil-Woche“ gezwungen, auf einen Leserbrief eines bayerischen Händlers zu reagieren. Dieser warf der Zeitschrift vor, „geschönte“ Umsatzzahlen zu veröffentlichen. Die Chefredaktion erwiderte dünnhäutig:

Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 30.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 315; Schreiben an Theodor Döring, HUA 2013/10/0005–2, S. 113; Bericht an Theodor Döring vom 28.10.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 105. 1359 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 10. 1360 Die Kleiderkarte durfte von Gesetzeswegen her nicht Ausgangspunkt von Werbung sein, jedoch waren Punkthinweise im Geschäft „in zurückhaltender Form“ zulässig. Auch in Bezug auf die Preisvorschriften sah man sich „gut eingespielt“, siehe GB Nr. 1390 vom 6.1.1940, StAC 31451–316. 1361 „Verkaufen heute ist leicht. Einkaufen heute ist unendlich schwer“. Merkur sah sich verpflichtet, die Preisgesetze genau befolgen und eine Vorbildfunktion zu erfüllen („Schrittmacher“), siehe Gb Nr. 1411, o. D., StAC 31451–316. 1358

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„Wenn uns aber ein Einzelhändler aus Süddeutschland mitteilt, dass Trachtenkleidung und Lederhosen 50 Prozent des Umsatzes ausmachen, und Lederhosen, da Leder für andere Zwecke benötigt wird, nicht mehr in dem Umfang wie früher hergestellt werden, und dass deshalb der Umsatz stärker zurückgeht, [ ] dann wissen wir darauf nichts zu erwidern. Der Horizont unseres politischen und wirtschaftlichen Geschehens ist größer als der Bund einer Lederhose“.1362

Unbestreitbar waren indes die Probleme bei der Warenbeschaffung. Zwar habe diese „im großen und ganzen gut geklappt“, doch viele Händler beobachteten erhebliche Lieferverzögerungen in Artikeln „mit viel Wolle, Baumwolle oder Leinen und gewissen Luxuswaren“. War Ware indes lieferbar, drückte der Wiederbeschaffungspreis bzw. –punktwert auf die Erträge der Händler. Während ein Mädchenkleid im Verkauf 20 Punkte kostete, verlangte der Fabrikant 30 Punkte zur Wiederbeschaffung. Auch Schneiderinnen verkauften Stoffe für 40 Punkte, und mussten diese beim Fabrikanten aber für 54 wiedereinkaufen. So blieben nur Anpassung des Lagers und der Wareneingänge an die Umsatzmöglichkeiten.1363 Wie schwierig sich das Geschäft, konkret der Wareneinkauf und Materialbezug, seit 1940/41 gestaltete, ist für das Münchner Haus Hettlage gut dokumentiert. Im Frühjahr 1940 musste Hettlage bei einigen Lieferanten um längere Zahlungsziele bitten. Wie die Mehrheit der Angeschriebenen lehnte auch die Fabrikantin Agnes Thiele („Das Haus der individuellen Kleider“) einen Aufschub ab: „Ich bin leider nicht mehr in der Lage, wo ich meine Ware auch sofort bezahlen muss, um überhaupt welche zu erhalten, Ihnen [Hettlage] ein längeres Ziel einzuräumen“. Lief auf der einen Seite der Absatz so stockend, dass man um Zahlungsaufschub bitten musste, so stand Hettlage beim Wareneinkauf ebenso vor massiven Problemen. In Bezug auf die Frühjahrsmusterungen und Dispositionen für das Jahr 1941 benötigte man „dringend“ mehrere hundert Mädchenmäntel und Mädchenkleider, „in großen Größen und mittlerer Preislage“.1364 Die Reaktion von Seiten der Bekleidungsfabrikanten und Großhändler lässt sich in zwei Gruppen einteilen. Gruppe 1 warb offensiv um Aufträge und konnte konkrete Angebote an den Einzelhandel machen. Trotz Umstellung der Produktion auf Kriegswirtschaft und Einberufung wichtiger Fachkräfte boten sie Händlern wie Hettlage eine Reihe von Waren an. Doch anders als zu Friedenszeiten verschickten die Lieferanten kein Mustermaterial oder sandten Vertreter zu den Händlern um die Ware vorzuführen. Somit gab der Handel keine konkrete Ware mehr in Bestellung, sondern musste auf eine Art „Zuteilung“ seitens seiner Lieferanten warten. Der Händler muss-

TexW, Probleme des Ostmärkischen Textil-Einzelhandel, 9.11.1940. TexW, Textil-Einzelhandelsumsätze in neuer Beleuchtung, 30.3.1940; TexW, Wie entwickelt sich der Umsatz, 19.10.1940. 1364 Vgl. Schreiben von Agnes Thiele an H. Hettlage München vom 28.5.1940, WWA F132–94; Handschriftlicher Auftrag an Fräulein Möller vom 7.1.1941, WWA F132–94. 1362 1363

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te der Zusage der Lieferanten blind vertrauen und die wertvollen Punkte in ungeprüfte Ware investieren. Typisch für die Gruppe 1 waren etwa die Angebote der Großhändler Groth & Co. aus Freudenstadt in Württemberg oder der Kleider- und Schürzenfabrik Huthsteiner & Böhringer KG aus Stuttgart. Diese boten Hettlage fertige Damenkleider ab Lager an. Groth bewarb dieses Angebot als „risikofrei“, da bei Nicht-Gefallen Punkte und Geld zurückerstattet und die Ware zurückgenommen werden würde. Allerdings müsste Hettlage innerhalb von acht Tagen bar zahlen und die Versandkosten tragen. Schaut man genauer auf das Angebot, so boten Fabrikanten und Großhändler nur Ware an, die modisch eingeschränkt war (Trachten, Dirndl) und zudem fast ausschließlich aus Kunst- und Ersatzstoffen gearbeitet war. Statt Baumwoll- und Wollkleider musste Hettlage Kleidung aus Kunstseide, Zellwolle, Kretonne oder Lavabel ordern.1365 Erhielt Hettlage ein seltenes Angebot über „normale“ Strickware, wie etwa das Angebot der Wiener Wollwaren Werke Bagusat & Böhme über 25 Stück Strickware, so war die Qualität deutlich niedriger als vor 1939. Bagusat & Böhme verwiesen knapp auf die „Normen, die durch die Kriegswirtschaftsmaßnahmen für alle Fabrikanten gleichmäßig gelten“.1366 Zu Gruppe 2 gehörten Fabrikanten und Großhändler, die Anfragen und Orders des Einzelhandels mit Verweis auf mangelnde Kapazitäten, Auftragsrückstau und Lieferengpässe von vornherein ohne Alternativangebot ablehnten und auf die nächste Saison vertrösteten. Die Aquatite AG aus Berlin („Herren-, Garbadine- und Cheviotmäntel“) sah sich im Januar 1941 gezwungen, sich bei Hettlage zu entschuldigen, dass „Aufträge aus dem Frühjahr 1940 bis zum Herbst 1941 erst ausgeliefert werden können“. Die Fabrikation sei momentan ausschließlich für den Exportmarkt tätig, die Lieferfristen dauerten fünfmal länger als normal, sodass die Fabrik neue Aufträge bis Jahresmitte unmöglich annehmen könne.1367 Ebenfalls im Januar 1941 räumte die Alrowa Deutsche Strickerei KG Huxsel & Co. aus dem sächsischen Lichtenstein gegenüber Hettlage und anderen Einzelhändlern ein:

Auszug aus dem Angebot von Groth & Co.: Damenkleid (Kunstseide), Dirndlkleid (Zellwolle), Damenkleid (Zellwoll-Krepp), Frauenkleid (Köperware), Waschkleid, Sommerkleid, Jungmädchenkleid, Damenkleid (Kretonne), Tageskleid (Baumwollhaltig), Damenkleid (Lavable), Sommerkleid (Mattkrepp), Damenkleid (Borkenkrepp), Sommerkleid (Kunstseidenmattkrepp), Frauenkleid (Bemberg-Lavable), Damenkleid (Marokqualität), Wollstrickkleid, Damenkleid (Wollhaltig), Kinderkleid (Zellwolle), Kinderhängerchen (Kunstseide), siehe Angebot von Textilwaren-Großhandlung Groth & Co. vom 9.1.1941, WWA F132–94; Auszug aus dem Angebot von Huthsteiner & Böhringer: Dindlkleider und –blusen (Zellwolle), Straßenkleider (Lavabel), Kinderdirndl (Zellwolle), Kinderhänger (Zellwolle, Lavabel), siehe Schreiben der Huthsteiner & Böhringer KG vom 20.1.1941, WWA F132–94. 1366 Vgl. Schreiben der Wiener Wollwaren Werke Bagusat & Böhme Wien an H. Hettlage, München vom 2.1.1941, WWA F132–94. 1367 „Wir erreichen bei der starken Inanspruchnahme für die bevorzugt zu behandelnde Ausfuhr schon seit mehreren Monaten nur eine Produktion von ca. 20 Prozent für unsere Inlandskundschaft“, siehe Schreiben der Aquatite AG, Berlin vom 7.1.1941, WWA F132–94. 1365

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„Wir haben einen außerordentlich hohen Auftragsrückstand. [ ] Durch das Dazwischenschieben von Heeres-, Behörden- und Export-Aufträgen sowie durch die sehr oft unpünktlichen Garnanlieferungen mussten die Lieferzeiten der Aufträge immer mehr hinausgeschoben werden [ ] Die alten Aufträge müssen unter allen Umständen ausgeliefert werden, denn unsere Abnehmer haben uns die Punktschecks schon vor Monaten zugestellt [ ] Eine neue Zuteilung kann infolgedessen erst vom Monat April ab vorgenommen werden [ ] Von der Vorlage einer Kollektion durch unsere Vertreter müssen wir auf Grund der im vergangenen Jahre gemachten Erfahrungen Abstand nehmen [ ] [Wir] möchten doch in ihrem eigenen Interesse – auch im Hinblick auf die schwierigen Verkehrsverhältnisse – jetzt von einer evtl. geplanten Reise nach hier abraten, da sie leider erfolglos wäre“.1368

Für die ersten eineinhalb Kriegsjahre zog der Hamburger Bezirksfachgruppenleiter Johannes Hermann, Inhaber des Sporthauses Ortlepp, im Januar 1941 eine vorläufige Bilanz der Situation im Textileinzelhandel. In seinen Augen erforderte die Kriegswirtschaft ein „außerordentliches Maß an kaufmännischer Beweglichkeit“. Hermann bezog sich damit auf die flächendeckenden Stilllegungen in der Bekleidungsindustrie und die starke Beschränkung der Produktion für den zivilen Bedarf in der Textilindustrie. Textilkaufleute im „Altreich“ mussten damit zunehmend „neue Einkaufsquellen im Sudetenland und neuerdings im Protektorat“ erschließen. Nichtsdestotrotz blieb die Warenversorgung auch 1941 der wunde Punkt des Handels. Die Verbraucher fragten fast ausschließlich gute Qualitäten nach und waren mehrheitlich bereit, dafür auch entsprechende Punktzahlen einzusetzen. Als Reaktion riet der Bezirksfachgruppenleiter allen Händlern, mäßigend über entsprechende Werbung einzugreifen. So sollte Schaufensterwerbung zwar fortgesetzt werden, aber keine zusätzlichen Kaufanreize schaffen – der Händler müsse weiterhin das „unveränderte Bild der Warenversorgung bieten“, also weder Mangelware noch freie Ware hervorheben.1369 Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sah sich im Januar 1941 gezwungen, ihre Mitglieder darauf hinzuweisen, „eine ausreichende und zu angemessenen Preisen stattfindende Versorgung der breitesten Verbraucherschichten mit lebensnotwendigen Waren zu garantieren“. Dazu forderte der Einzelhandel eine deutlich effektivere „zentrale Abstimmung zwischen Bewirtschaftungsmaßnahmen, Preispolitik und Arbeitseinsatzverwaltung“.1370 Aus Sicht der Merkur AG waren dies Lippenbekenntnisse. Besonders die Preise für „billige Stapelwaren des lebensnotwendigen Bedarfs“ stiegen, weil der Handel nicht mehr in ausreichendem Maße mit bestimmten Gütern versorgt werden konnte. Mer-

Vgl. Schreiben der Alrowa Deutsche Strickerei KG Huxsel & Co. vom Januar 1941, WWA F132–94. DM, Einzelhandelsleistung im Krieg, 14.1.1941. Im Mittelpunkt aller Anstrengungen sollten die bessere „Lenkung der Produktion durch Rohstoffzuteilung“, staatliche Herstellungsauflagen für die Industrie und eine „angemessene Preisstellung“ durch den Handel stehen, siehe Schreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel betr. Preisbildung im Kriege vom 21. Januar 1941, StAC 31451–274. 1368 1369 1370

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kur hatte große Probleme, Hemden, Kinderkleidung und Wintermäntel in ausreichendem Umfang zu ordern. Allein Merkur litt seit 1937 unter einem Mangel an Arbeitshemden für Männer. Wegen fehlender Zuteilung brachen die Umsätze von 30.000 Stück (1937) auf 14.500 (1938), 12.400 (1939) und zuletzt 8.700 Stück (1940) ein. Seit November 1940 war Hemdeneinkauf für Merkur überhaupt nicht mehr möglich. Die Beschaffungsprobleme bei Damen- und Kinderwäsche war Folge der mangelnden Zuteilung von Garn sowie baumwoll- oder zellwollenen Qualitäten der Wäscheindustrie. All diese Entwicklungen machten einfache Ware viel zu teuer, gerade für „Berufstätige mit kleinen Einkommen“.1371 Der Warenhauskonzern Merkur ergriff dazu folgende Maßnahmen nach innen wie nach außen: Das Marketing sollte sich auf Markenwaren und regulierte Waren konzentrieren. Merkur versuchte die „Lieferanten in jeder Hinsicht“ durch persönliche Besuche zu „bearbeiten“. Der Verschlechterung der Warenqualitäten und der sich ausbreitenden Mangelversorgung, die auch zu vermehrten Diebstählen durch Kunden führte, trat Merkur einerseits durch angepasste Innendekoration oder – zunächst nur in Pforzheim – mit einer Verkleinerung der Verkaufsfläche, aber auch mit gezielter politischer Werbung in den Schaufenstern und mit Anzeigen in der nationalsozialistischen Presse entgegen.1372 Ab Sommer 1941 vermehrten sich die Hinweise, dass sich die Merkur AG wohl erfolgreich um öffentliche Aufträge, etwa um die Belieferung von nationalsozialistischen „Gefangenenlägern“ bewarb.1373 Zudem verlagerte Merkur seine Einkaufsaktivitäten in zunehmenden Maße ins befreundete und besetzte Ausland. Die Berichte an die Zentrale wiesen im Juli 1941 daraufhin, dass „Erzeugnisse der rumänischen, bulgarischen und slowakischen Heimindustrie“ ab dem 17. Juni 1941 bezugsbeschränkt seien und auch für Textilwaren von Krain und Untersteiermark eine besondere Genehmigung der Reichsstelle für Kleidung notwendig wurde.1374 Im Oktober 1941 und August 1942 ließ sich die Zentrale über die seit 15. Juli 1937 gültige und nun aktualisierte „Auslandswarenpreisverordnung“ für Fertigwaren unterrichten.1375 Die Konkret fehlte es an Arbeitshemden (Männer), Hemden und Hemdentuch (Frauen), Nachthemden und Schlafanzüge (Kinder), Wintermänteln (Kleinkinder), Berufsmänteln in schwarz, braun, marine, siehe Schreiben betr. Preiserhöhungen bei Spinnstoffwaren vom 24.1.1941, StAC 31451–274. 1372 Getreu dem Motto: „Sparen, aber an der richtigen Stelle!“ setzte Merkur auf „politische Schaufenster“, die „gut angesprochen haben“. Anzeigen in der nationalsozialistischen Presse schalteten die Häuser Regensburg, Nürnberg, Crimmitschau und Chemnitz. In den Kaufhäusern sollte „nicht der Eindruck der Leere entstehen“. Dazu wurde etwa auf Tische verzichtet und Gänge verbreitert, siehe GeschäftsführerKonferenz vom 18.2.1941, StAC 31451–298. 1373 „Bei Lieferung von Waren an Gefangenenläger oder Kantinen der Läger, die für den Verkauf an Gefangene bestimmt sind, müssen die Vorschriften der Behörden [ ] eingehalten werden. Allgemein gilt, dass keinerlei Mangelwaren auf irgendwelchen Gebieten an Gefangenenläger verkauft werden dürfen, siehe Geschäftsführer-Konferenz vom 18.2.1941, StAC 31451–298. 1374 Vgl. Bf Z Nr. 28, 23.7.1941, StAC 31451–458. 1375 Demnach durfte der Gewinnaufschlag auf den Einkaufspreis „den Durchschnittswerten bei vergleichbaren Geschäften von 1936 entsprechen“. Davon ausgenommen war seit Herbst 1941: Böhmen und Mähren, Elsass, Lothringen, Luxemburg (hier galten die zulässigen Höchstpreise des Reiches); Nieder1371

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Geschäftsführer-Konferenz im September 1941 vermerkte „in zunehmenden Maße Behörden- und ähnliche Aufträge“. Diese Aufträge konnte Merkur aus eigenen Beständen jedoch nicht erfüllen und griff einerseits auf Bestände der Reichsstelle zurück, und unternahm andererseits zwei Reisen ins besetzte Frankreich – einmal im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht und einmal im Dienst der Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete. Des Weiteren bemühte sich Merkur (mit ungeklärtem Erfolg) um eine Ankaufaktion von Spinnstoffen für die Wehrmacht in Kooperation mit der Rudolf Karstadt AG.1376 Dieses Engagement um Auslandswaren begründete Merkur Ende September 1941 mit der Angst um die eigene Existenz: „Infolge all dieser Umstände ist die Sorge um die Zukunft unserer Geschäfte gestiegen. [ ] [Ziel ist es], uns als große Versorgungsstätte zu erhalten und unserer Aufgabe im Kriege gerecht zu werden. Wir schaffen damit zu gleicher Zeit die Grundlage für die Bewältigung der Friedensaufgabe“.1377

Die Ausgabe der 3. Kleiderkarte begann ab September 1941. Verbraucher konnten deren Abschnitte ab Oktober 1941 einlösen. Es gab keine Änderungen in der festgelegten Punktzahl und der Bewertung der punktepflichtigen Waren im Vergleich zur Zweiten Kleiderkarte. Die 3. Kleiderkarte verschärfte dagegen die Lenkung und Rationierung. Sie machte bis dahin freie Waren punktpflichtig. Bei anderen Textilwaren und deren Wiederbeschaffung wurden die Punktwerte heraufgesetzt, etwa bei Wintermänteln und Winterjoppen.1378 Die Behörden mussten auf die Produktionsverlagerungen und Transportschwierigkeiten reagieren. Der Rohstoffimport, die Weiterverarbeitung und die Textil- und Kleidungsherstellung hatten sich kriegsbedingt verteuert. Ein Rohstoff wie Baumwolle musste durch teurere Kunststoffe ersetzt werden. Ein Baumwollprodukt kostete 1,80 Reichsmark pro Kilo, während ein gleiches Kunstseidenprodukt mit etwa 4 Reichslande (wenn Einkaufspreis plus Gewinnspanne niedriger als der Inlandspreis war, dann galt der niedrigere Preis, galt seit 15.1.1941); besetztes Belgien und Frankreich, (wie NL), galt seit 15.2.1941, siehe Bf Z Nr. 42, 26.10.1941, StAC 31451–458. In Bezug auf den Einkauf im besetzten Ausland galt ab 29. August 1942 die Rundverfügung Nr. 2 der Reichsstelle für Kleidung. Für das Elsass galt: durch „Auflagen“ Unterteilung in „Elsaß-Ware“ und „Reichsware“, benötigt wurde nun eine Einkaufsbewilligung mit Höchstpunktzahl für ein Vierteljahr; Luxemburg & Lothringen waren dem Altreich nun gleichgestellt. Für Ware aus dem Reichsgau Wartheland galt – wie beim Elsaß – die Unterteilung in Reichsware, Warthegau-Ware und Gouvernement-Ware (für dortige Versorgung). Im Generalgouvernement durfte nur gegen Bezugsberechtigungsschein bestellt werden und die Ware war wie Auslandsware zu behandeln. Für Ware aus den Niederlanden brauchte der Händler eine Einkaufsbewilligung für punktscheckpflichtige Spinnstoffwaren, siehe Bf Z Nr. 27, 12.9.1942, StAC 31451–458. 1376 Vgl. GB Nr. 1462 vom 10.10.1941 (= Auszug aus der GF-Konferenz, Zwickau vom 22.9.1941), StAC 31451–362; Schreiben an R. Karstadt AG betr. Vergütung für die Bemühungen bei der Ankaufaktion für die Wehrmacht vom 6.9.1941, StAC 31451–385. 1377 Vgl. GB Nr. 1462 vom 10.10.1941 (= Auszug aus der GF-Konferenz, Zwickau vom 22.9.1941), StAC 31451–362. 1378 DM, Neue Kleiderkarte im Herbst, 22.5.1941; DM, Erläuterungen zur neuen Punktliste, 20.11.1941.

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mark pro Kilo zu Buche schlug. Die Textil- wie auch die chemische Industrie hatte im Sinne der Autarkieziele des Vierjahresplanes von 1936 zunehmend an heimischen Fasern und Kunststoffen geforscht und diese zur Verarbeitung gebracht. Zwar konnten die devisenintensiven Importe an Baumwolle und Wolle zurückgefahren werden, die Kunstfaserproduktion blieb jedoch teuer. Neben der Wiederverarbeitung von Wollstoffen (Reißwolle) versuchten die Produzenten, natur-, halb- und vollsynthetische Fasern zu Textilstoffen zu verarbeiten. Neben der heimischen Schafswolle, Hanf und Flachs verarbeitete die Industrie Fasern auf Zellulosebasis wie Kunstseide, Zelljute oder Zellwolle. Allein die Zellwollproduktion stieg von 6.000 jato (1934) auf 200.000 jato (1939). Auch exotische Versuche mit Fasern auf Milchrohbasis (Fischwolle, Kaseinfasern) sind überliefert. Aufgrund der langjährigen Forschungen auf diesem Gebiet seit dem Ersten Weltkrieg gilt das Kunstfaserprogramm zwar als „eines der erfolgreichsten Rohstoffprogramme der NS-Zeit“, verteuerte jedoch Kleidung und Textilien für den Verbraucher.1379 Die Textilbürokratie forcierte neben der Fortführung der Kleiderkarte die effizientere und billigere Kunstseiden- und Wollproduktion. Im späteren Kriegsverlauf intensivierten sich die Forschungen zu synthetischen kohlenstoffbasierten Fasern wie Perlon oder PC-Faser, ohne dass diese den Textilmarkt dominierten. Die Wirtschaftsgruppen erließen Herstellungsvorschriften zur Erzeugung von preiswerter Berufs- und Oberbekleidung mit einem hohen Gebrauchswert. Die Anordnung vom 5. April 1941 etwa regelte die Herstellung von Standardware – die Erzeugung und der Verkauf bestimmter Bekleidung hatte nun zu „billigsten Preisen“ an den Handel zu erfolgen. Die eingeführte Textilnorm DIN TEX 1501 definierte darüber hinaus obere Preisgrenzen für Berufskleidung. Zum 27. Februar 1942 waren die bisherigen Rohstoffreichsstellen im Rahmen einer Verwaltungsvereinfachung zur Reichsstelle für Textilwirtschaft (Rf T) zusammengefasst worden. Damit beaufsichtigte, neben der Rf T, nur noch die Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete (Rf K) den Textilsektor.1380 Das Kleiderkarten- und Bezugscheinsystem regulierte einzig die Ver- und Zuteilung, aber nur mittelbar den Preis. Mit Beginn des Jahres 1941 stiegen die Verbraucherpreise für Kleidung und Textilien. Die Kunden hatten auf das Bezugsystem mit Kaufzurückhaltung reagiert. Sie legten zunehmend Wert auf „beste Qualitäten“, damit sich ihre Investition (Punkte und Geld) möglichst lange rechnete. Die Konsumenten versuchten das, was sie mengenmäßig durch die Kleiderkarten weniger kaufen konnten, qualitätsmäßig auszugleichen. Der Handel versuchte seinerseits den mengenmäßigen Die Industrie forschte aktiv zu Zellwolle und vollsynthetischen Fasern wie etwa die IG Farben, Phrix AG, I. P. Bemberg, Glanzstoff AG, Zellwoll AG. Intensivere Forschungen in diesem Bereich geschahen auch durch öffentlich-rechtliche Institute wie die TH Dresden, TH München, Textilinstitut [Technikum] Stuttgart-Reutlingen, Vierjahresplaninstitut für Holz- und Zellstoff-Forschung Darmstadt. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) brachte sich bei pflanzlichen Naturfasern ein (Flachs, Hanf), siehe Luxbacher (2004), S. 7–10; 58–59. 1380 DM, Mußten die Preise steigen?, 19.6.41; TexW, Die Errichtung der Reichsstelle für Textilwirtschaft, 14.3.1942. 1379

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Umsatzrückgang wertmäßig auszugleichen. Dies versuchte er durch die Erhöhung seiner Handelsaufschläge – also dem Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. Die „Verordnung über die Preisbildung für Spinnstoffe und Spinnstoffwaren im Einzelhandel“ vom 17. September 1939 setzte die zulässigen Handelsaufschläge und damit die Verkaufspreise für Kleidung und Textilwaren fest. Die neue „Spinnstoffpreisverordnung“ wurde zu einer dauernden Belastung der eigentlich geltenden „Einheitskondition“.1381 Der Merkur-Konzern erkannte vor allem eine defacto Entmündigung des Händlers für den freien Einkauf: „Das Kaufen ist also gesetzlich unbeschränkt gestattet. Es findet jedoch seine Grenzen darin, dass einmal die Herstellung und zum anderen die Lieferung und Abnahme der Genehmigung [der Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete] bedürfen“.1382

Die Erste Durchführungsverordnung vom 23. Dezember 1940 hatte die zulässigen Höchstpreise an die besser als erwartete Umsatzlage angepasst. Als nun Anfang 1941 die Preise für Kleidung und Wäsche stark angezogen hatten, sah die Öffentlichkeit – wie schon im Ersten Weltkrieg – im Einzelhandel den Schuldigen der Preissteigerungen. Die Behörden reagierten mit gesetzlichen Kürzungen der Handelsspannen. Alle Handelsaufschläge, die über 30 Prozent lagen, mussten ab dem 1. Februar 1941 um zehn Prozentpunkte gekürzt werden. Bei Waren, die der Händler über die Wirtschaftsgruppen Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel oder Gemeinschaftseinkauf bezog, musste die Handelsspanne um 20 bzw. zehn Prozent gesenkt werden.1383 Kritik an der staatlich oktroyierten Senkung kam nur vereinzelt. Die Ortsfachgruppe der Fachgruppe Textil, Bekleidung und Leder in Gelsenkirchen betonte, dass der Handel zwar kein Interesse an steigenden Preisen habe und die Maßnahmen an sich unterstützte. Die Mitglieder wiesen aber darauf hin, dass ein Preiserhöhungsverbot für Lagerware bei steigenden Wiederbeschaffungspreisen dazu führe, dass der Textilhändler „bei jedem Einkauf bares Geld zulegen“ musste. Dies sei ein enormer Substanzverlust, aber in Kriegszeiten wohl ein „notwendiger Beitrag“.1384 Während die NS-Propaganda noch „kein Absinken des bisherigen Kleidungsniveaus“ im alltäglichen Straßenbild ausmachen wollte, verstärkte sich der textile Mangel spätestens seit Herbst 1941. Die Mangelerscheinungen waren aus Sicht der Behörden das Verschulden

Ab 15. Oktober 1939 galt die neue „Spinnstoffpreisverordnung“ („Verordnung über die Preisbildung für Spinnstoffe und Spinnstoffwaren im Einzelhandel“ vom 17.9.1939). Für Fabrikanten und Großhandel galten weiterhin das Spinnstoffgesetz (6.12.1935), die Runderlaße des Reichskommissars für die Preisbildung sowie die Preisstopverordnung, siehe Bf Z Nr. 69, 30.9.1939, StAC 31451–459. Lieferanten teilten Merkur mit, dass Lieferung nur gegen Sofortzahlung, Vorauszahlung, auf Nachname oder innerhalb von zehn Tagen möglich seien. Diese Verschärfung war nach Auskunft der WG Textilindustrie unzulässig, siehe Bf Z Nr. 70, 2.10.1939, StAC 31451–459. 1382 Vgl. Bf Z Nr. 66, 28.9.1939, StAC 31451–459. 1383 DM, Geänderte Preisvorschriften, 14.1.1941. 1384 DM, Aktuelle Fragen aus dem Einzelhandel, 1.3.1941. 1381

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des Handels. Dieser habe schlecht disponiert und Waren zurückgehalten, woraufhin weitere Beschlagnahmen und Erhebungen der Warenlager (sog. „Lagerabbauaktionen“) gerechtfertigt wurden. Andererseits profitierten gerade auch Großbetriebe wie Merkur von staatlichen, punktuellen Unterstützungsmaßnahmen. Angesichts der angespannten Warenversorgung und dem bevorstehenden Weihnachtsgeschäft verfügten die Behörden zum Jahresende 1941/42 die „Überführung der Reserveläger in Verkaufsräume des Textileinzelhandels“. Merkur berichtete ab Mitte November 1941 von einer „starken Umsatzbelebung in allen Geschäften“. So berichtete das Kaufhaus im schlesischen Waldenburg Mitte Dezember 1941 von einem „enormen Verbraucher-Ansturm“, in dessen Folge das Lager in vielen Hauptartikeln geräumt war und man nun bei der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel um „Sonderzuteilungen“ bat mit Hinweis auf die Versorgungsstellung von Merkur im Ort selbst.1385 Ausdruck des Warenmangels waren auch direkte Appelle an die Bevölkerung zur Textil- und Kleiderspende. Von April 1941 bis Januar 1945 riefen die Behörden die Bevölkerung im Rahmen der Reichsspinnstoffsammlung auf, Altkleider aller Art sowie Altspinnstoffe (Reste und Lumpen) an über 100 kommunalen Sammelstellen im Reich abzugeben. Mit Aufrufen wie „Stöbert den Schrank, den Koffer, die Truhe – Jede, auch die kleinste Menge, wird benötigt“ gestand man implizit das Scheitern der staatlichen Textillenkung und –versorgung ein. Die Aufrufe richteten sich an Hausfrauen, Junggesellen und Senioren und sie wurden mit Kriegsverlauf und besonders vor den Wintermonaten eindringlicher. Die Textilindustrie sollte diese Ware für das deutsche Militär umarbeiten. Als Gegenleistung erhielten die Haushalte ein Zertifikat über die Abgabe und Aussicht auf Berücksichtigung bei Bezugscheinen. Ab März 1943 kann man von einem Versuch der „totalen Altstofferfassung“ sprechen. Die Behörden forderten von den Verbrauchern zum einen Sparsamkeit im Umgang mit Kleidung, zum anderen Großzügigkeit in Hinblick auf Altkleiderspenden für die Wehrmacht. Die „Textil-Woche“ insistierte auf das vermeintlich große Reservoir an Textilstoffen in den Privathaushalten: „In den Schränken der Heimat hängen noch viele Kleider und liegt viel Wäsche, die nicht mehr gebraucht wird und in den Truhen liegen schon längst aussortierte Spinnstoffe, die jetzt im vierten Kriegsjahr der Textilwirtschaft zur Verfügung gestellt werden müssen, wenn die Heimat überhaupt noch die notwendigen Ersatzlieferungen erhalten will. Ein Kilogramm Altspinnstoff in Form von alten Kleidern, zerissener Wäsche, alten Gardinen und Teppichen kann [ ] zur Verfügung gestellt werden. Das würde aber bedeuten, dass etwa 80.000 t Altspinnstoffe zur Wiederverarbeitung zur

Einschränkend merkte das Unternehmen an: „Der„Ansturm ging da zurück, wo leistungsfähige Mitbewerber vorhanden waren“. In Waldenburg sei Merkur das „einzige große Geschäft“, wo sich „täglich beim Verkauf von kunstseidenen Damenstrümpfen noch eine lange Schlange bildet“, siehe Schreiben an Wirtschaftsgruppe Einzelhandel betr. Überführung der Reserveläger vom 8.1.1942, StAC 31451–362; GB Nr. 1492 vom 2.7.1942 (= GF-Konferenz vom 1.6.1942), StAC 31451–362. 1385

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Verfügung stehen, eine Menge, die die deutsche Wirtschaft braucht, wenn der notwendigste Bedarf der Front und Heimat gedeckt werden soll“.1386 Im Zuge der zunehmenden Bombardierungen deutscher Städte – beginnend 1940 und verstärkt ab 1943 – wurden die Planzahlen der Spinnstoffsammelstellen nicht erreicht.1387 Im Laufe des Jahres 1942 wurden die Widersprüche zwischen Propaganda und ökonomischer Realität immer offenbarer. Hans Croon, der Leiter der Wirtschaftsgruppe Textilindustrie, sah die Versorgung des Deutschen Reiches ausreichend gesichert. Durch „heimische Erzeugung, Einfuhr und Sicherung feindlicher Bestände“ würde die Textil- und Bekleidungsindustrie der Nachfrage an Kleidung und Textilien in den vier maßgeblichen Bereichen Wehrmacht, industrielle Wirtschaft, Export und Zivilmarkt „voll und ganz gerecht“. Tatsächlich blieb die Warenerzeugung – besonders für den zivilen Binnenmarkt – hinter den Erfordernissen und der Nachfrage zurück. So musste der Wirtschaftsgruppenleiter des Einzelhandels Franz Hayler in einem Rundschreiben an Betriebsangehörige des Einzelhandels eingestehen, dass die „vermehrten Rüstungsanstrengungen [ ] [uns] zwingen, die Warenerzeugung noch weiter zu beschränken. Damit wird der Warenhunger steigen“. Dem Einzelhandel teilte Hayler die Rolle des Verteilers zu: „Wenn wir als Kaufleute die Ware auch auf eigene Rechnung kaufen, so verwalten wir sie nur während des Krieges im Grunde doch für die Allgemeinheit. Sie wird uns sozusagen zu treuen Händen anvertraut“. Hintergrund waren mehrere Berichte über Einzelhändler, die in Reaktion auf die angespannte Versorgungslage und dem unzulänglichen Punktesystem zum Warentausch übergegangen war. Für Hayler bedeutete dies „eine Sünde gegen die elementarsten Begriffe der Volksgemeinschaft“. Anstatt Teil des „Kriegsgewinnlertums“ zu werden, betonte Hayler die Aufgabe des Kaufmanns, nämlich dem „Abnehmer und Verbraucher den Sinn des Sparens“ deutlich zu machen.1388 Neben der staatlich verordneten Spinnstoffsammlung und –abgabe, forcierten die Textilbehörden die angestrebte „Sparsamkeit“ im Umgang mit Textilien. Seit Juni 1942 bestand für Mitglieder der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, insbesondere Herren- und Damenbekleidung sowie Putz, die eigene Werkstätten unterhielten, eine Reparaturpflicht. Werkstätten im Textileinzelhandel mussten also vorrangig Kleidung instandsetzen und umarbeiten. Neuanfertigungen mussten hinten angestellt werden. Ab dem 4. März 1943 unterlagen alle Unternehmen der Bekleidungswirtschaft der „Grundsätzlichen Anordnung VI/43“, die die Reparatur von Bekleidungsstücken betraf. Durch TexW, Totale Altstofferfassung, 13.3.1943. Der Reichsbeauftragte der NSDAP und Reichskommissar für Altmaterialerfassung und – verwertung plante daraufhin ab August 1944 in Berlin, Hamburg und Wien die Errichtung ständiger Annahmestellen für Altmaterial in Läden geschlossener Einzelhandelsbetriebe, da die „Zahl der Altstoffsammler infolge der kriegsbedingten Verhältnisse außerordentlich zurückgegangen ist“, siehe Vermerk betr. Errichtung von Altmaterial-Annahmestellen in den Gauen Berlin, Hamburg und Wien, 4.9.1944, BA R 3101/13013, p. 38 f. 1388 TexW, Großdeutsche Textilindustrie im Kriege, 28.2.1942; Rundschreiben o. D., Punkt „Allgemeiner Teil – Von allen Betriebsangehörigen durchlesen lassen!“, BA R13/XXIX 5. 1386 1387

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das verordnete Ausbessern, Wenden, Umarbeiten, Reinigen sollte Altkleidung wieder tragbar gemacht werden. Neuanfertigungen waren ab Mai 1943 allgemein untersagt. Die Textil-Bezirksfachgruppen benannten daraufhin 13 „Reparaturbevollmächtigte für das Großdeutsche Reich“.1389 Im Laufe des Jahres 1942 stellte sich auch eine gewisse Routine im Einkaufs- und Bezugsprozess von Auslands- und sog. „Beutewaren“ ein. Die Kaufstätte Merkur Regensburg erkundigte sich im Frühjahr 1942 über die Bezugs- und Lieferbedingungen von „Südost-Ware“ aus der Südsteiermark und Südkärnten.1390 Merkur verlagerte seinen Warenbezug wohl gerade deshalb auf Auslandsware, da im Inland nur noch der gesetzlich regulierte „Bezug sehr niedrig kalkulierter Standardwaren“ möglich war. Seit Juli 1941 schrieb die Reichsstelle für Kleidung die Herstellung sog. Standardware (v. a. Webwaren) vor, deren zulässige Kalkulation knapp 17 Prozent unter Nichtstandardwaren lag.1391 Bis Oktober 1942 intensivierten Merkur und seine Einkaufsgesellschaft Hanse ihre Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, öffentlichen Behörden und dem aus dem Ausland importierenden Großhandel.1392 Allerdings entsprachen die „Auslandswaren“ nicht immer den Qualitätsversprechen der Lieferanten oder den Qualitätserwartungen der Abnehmer. Im August 1942 beklagten sich deutsche Warenhäuser (darunter auch Merkur) über die „Unzuverlässigkeit dieser Lieferanten“ [im Protektorat, Holland und Belgien]: „Die bestellten Artikel sind, soweit sie überhaupt geliefert werden, trotz der hohen Einkaufspreise nicht mustergetreu ausgefallen, so dass beim Verkauf öfters erhebliche Differenzen mit dem Preiskommissar entstanden sind. Trotz Vorzahlung oder Akkreditivstellung ist z. Z. überhaupt nicht geliefert worden, so dass noch große vorbezahlte Beträge offenstehen. Allgemein wurde die Auffassung vertreten, dass in Zukunft Vorzahlungen [ ]

Vgl. Rundschreiben o. D., Punkt „Anordnung des Leiters der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel über die Ausführung von Reparaturarbeiten in den Werkstätten des Textil-EInzelhandels“, BA R13/XXIX 5; Rundschreiben o. D., Punkt „Reparaturaktion“, BA R13/XXIX 6. Ausnahmen für Neuanfertigungen: Uniformen, Trauerkleidung, Umstandsgürtel, Bezugschein-Ware, Ware für Fliegergeschädigte, siehe TexW, Die Reparatur von Bekleidung, 13.3.1943. 1390 Demnach war die Bezirksuntergruppe Oberpfalz-Niederbayern von der Reichsstelle für Kleidung mit der Verteilung beauftragt. Als Unterverteiler war die Fa. Josef Rothdauscher, Regensburg/Neupfarrplatz eingesetzt. Die Abnahmebedingungen sahen wie folgt aus: „keine Reklamationen, keine Muster, Abnahmezwang, Auswahl nach Art und Menge nicht möglich“. Der Einkaufspreis und der Handelsaufschlag waren vorgeschrieben (wie bei Fabrikantenware plus 11,5 Prozent Zuschlag), siehe Schreiben an Fa. Kaufstätte Merkur Regensburg betr. Textilwaren aus Südsteiermark und Südkärnten (Südost-Ware) vom 23.3.1942, StAC 31451–385. 1391 Merkur vermerkte einen „größeren Anteil an Großhandels-Waren „. Weiter hieß es: „Beuteware, ital. Vertragswaren und best. Standardware dürfen nur über Großhandel bezogen werden“, siehe GB Nr. 1492 vom 2.7.1942 (= GF-Konferenz vom 1.6.1942), StAC 31451–362. 1392 Vgl. Aktenvermerk betr. Abwicklung von öffentlichen Aufträgen und Groß-Aufträgen in Regensburg vom 2.6.1942, StAC 31451–281. 1389

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nicht mehr erfolgen sollen. [ ] Wir wollen unsere bisher geübte Vorsicht bei solchen Käufen weiter anwenden“.1393

Zeigte sich der textile Mangel bereits ab Herbst 1941, so war die Vierte und letzte Kleiderkarte im Winter 1942 Ausdruck der Grenzen des Kleidungskartensystems. Sie wurde im Dezember 1942 ausgegeben und galt von Januar 1943 bis Ende Juni 1944. Alle erwachsenen Konsumenten mussten deutliche Einbußen hinnehmen. Sie erhielten nur noch 100 Punkte. Wintermäntel und Männeranzüge waren nicht mehr auf Kleiderkarte erhältlich. Der Bezug war einzig über einen Bezugschein und die Abgabe eines entsprechenden Altkleidungsstücks möglich. Nur Jugendliche und Minderbemittelte erhielten Wintermäntel auf Kleiderkarte.1394 Die Masse der Konsumenten musste deutlichen Verzicht üben, um die textile Grundversorgung der Jüngsten und Ärmsten sicherzustellen. Die Produktion an Kunst- und Ersatzfasern erreichte aufgrund des rasant steigenden Bedarfs der Wehrmacht immer weniger den zivilen Markt. Zusätzlicher Bedarf an Arbeitskleidung entstand durch den zunehmenden Einsatz von ausländischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen in den besetzten Gebieten und im Altreich. Zum 1. Januar 1943 trat etwa die Verordnung über die „Versorgung der im Reichsgebiet eingesetzten Ostarbeiter mit Bekleidung“ in Kraft. Arbeitskräfte, die im produzierenden Gewerbe eingesetzt wurden, sollten – auf Anweisung des Reichswirtschaftsministeriums an die „Reichsstelle Textilwirtschaft“ – bevorzugt versorgt werden. Die „Ostarbeiter“ sollten Oberbekleidung, Wäsche und Schuhe erhalten.1395 Die Versorgung bezog sich nicht auf geeignete Schutz- und Berufsbekleidung. Praktisch erhielten Berechtigte Bezugscheine mit dem Vermerk „Bekleidung für Ostarbeiter“, die nur bei besonderen Stellen einlösbar waren. Die Arbeiter erhielten keine Punktgutschrift auf ein Konto und mussten die Kleidung „aus eigenen Mitteln bezahlen“.1396 Die allgemeine Stimmung der Bevölkerung gegenüber dem Kleiderkartensystem verschlechterte sich mit jedem Wintermonat, sodass sich etwa im Gau Hannover-Braunschweig der örtliche Einzelhandel zu einer gemeinsamen Werbeaktion mit Parteistellen veranlasst sah unter dem Motto „Kaufmann und Kunde im ehrlichen Bunde – auf Karten und Scheine jedem das Seine“.1397

Zudem merkte Merkur AG an, dass die „Zusammenarbeit mit Prager Firma Max Kron aufgrund Liquidierung beendet werden [muss]“, siehe Bf Z Nr. 26, 19.8.1942, StAC 31451–458. 1394 TexW, Die Vierte Reichskleiderkarte, 14.11.1942. 1395 Zu den sog. Ostarbeitern gehören nicht: Arbeiter aus dem Generalgovernement, Generalkommissariat Litauen, Lettland, Estland, Bezirk Bialystock. 1396 TexW, Zur Versorgung der im Reichsgebiet eingesetzten Ostarbeiter mit Bekleidung, 23.1.1943. 1397 TexW, „Jedem das Seine!“, 12.12.1942. 1393

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6.4.2

Kriegswichtig? – Fachkräftemangel, „Auskämmung“ und Stilllegung

Neben der Lenkung des Einkaufs und Verbrauchs sowie der Regulierung der Preise waren die Auskämmungs- und Stilllegungsprogramme der NS-Behörden eines der zentralen Probleme des Textilhandels. Das Reservoir an Lager- und Verkaufsflächen sowie das Arbeitskräftepotenzial des Handels sollte für die Kriegswirtschaft nutzbar gemacht werden. Dazu wurden systematisch Betriebsinhaber, leitende Angestellte und männliche Arbeiter zum Arbeitseinsatz beordert oder für die Wehrmacht eingezogen und damit den mehrheitlich Kleinst- und Kleinbetrieben die personelle Grundlage entzogen. Letzlich waren die Stilllegungen auch ein Eingeständnis der stockenden bis ausbleibenden Warenversorgung im Reich. Dem inhabergeführten Fachhändler Becker mit seinen sieben Angestellten fehlten durch Einberufung nicht nur der Buchhalter, sondern auch sein Chefeinkäufer sowie sein einziger Sohn Gottfried Becker, der nach seiner Ausbildung direkt zur Wehrmacht eingezogen wurde. Das Geschäft führte, nach dem Tod des Inhabers im Jahr 1943, Margarete Becker, zusammen mit dem zurückgekehrten Einkäufer Otto Döge. Becker beschrieb den „Fortfall wichtiger Arbeitskräfte“ als „die größte Belastung für das Geschäft“, auch weil das Arbeitsamt wiederholt „auf Dienstverpflichtungen der Verkäuferinnen für die Wehrmacht“ drängte.1398 Großbetriebe wie die Merkur AG konnten die Ausfälle zunächst kompensieren. Bis Jahresende 1939 waren bei der Merkur AG 293 der über 5.000 festen Angestellten eingezogen worden, davon viele Führungskräfte, unter ihnen der Vorsitzende Fonk. Bis Kriegsende erwies sich auch für Merkur der „verschärfende Gefolgschaftsmangel“ als höchst problematisch. Infolge von Arbeits- und Kriegseinsatz hatte sich die feste Belegschaft um 20 Prozent auf 4.095 verringert. Damit war der Geschäftsablauf in Verkauf, Lager und Verwaltung in Gefahr und so bemühte man sich um – vereinzelt erfolgreich – RAD-Angehördige, Ausgelernte in Konkurrenzbetrieben oder saisonale Aushilfen.1399 Wie unerwartet und auch unvorbereitet die „plötzliche Einberufung“ Textilunternehmen traf, zeigt das Beispiel von Hirmer & Co. in München. Hier war „Betriebsführer“ Hans Hirmer als Unteroffizier am 28. August 1939 eingezogen worden. Es verging ein Monat bis Hirmers Reklamefachmann Ehlers Ende September einen Antrag auf dessen Beurlaubung stellen konnte. Das Unternehmen wusste mehrere Wochen nicht, „bei welchem Regiment oder welcher Kompagnie“ Hirmer war. Es war am Ende Ehlers persönlichem Kontakt bei der Wehrwirtschaftsstelle geschuldet, dass die Firma den Tipp mit dem Urlaubsantrag bekam, denn wie im Ersten Weltkrieg auch, konnten

1398 1399

Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März 1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 9. Vgl. GB Nr. 1390 vom 6.1.1940, StAC 31451–316.

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Inhaber und Angestellte von Einzelhandelsgeschäften nicht vom Militärdienst freigestellt werden.1400 In einer sehr eindringlichen Stellungnahme argumentierten Ehlers und die Buchhalterin Paula Plötz auf mehreren Ebenen. Zum einen drohe ohne Hirmer der Verlust von 120 Arbeitsplätzen oder der Konkurs eines der umsatzstärksten Textilfachhändler. Da nun Hirmer sowohl die Gesamt-Disposition und der Gesamt-Einkauf ohne Stellvertreter unterstand, so argumentierte der Antrag weiter, sei ein erfolgreiches Arbeiten umso mehr gefährdet als gerade die Bezugscheinpflicht den „persönlichen Kontakt zu Fabrikanten“ notwendig mache. So würde schließlich die Versorgung der 140.000 Kunden „in Frage gestellt“, und zudem stünden noch rechtliche Fragen aus dem Gesellschaftsvertrag wegen Finanzierung und Weiterführung der Firma zu Debatte.1401 Eine umgehende Beurlaubung Hirmers folgte nicht. So blieb der Soldat Hirmer einzig regelmäßig über die Tagesumsätze – „1500 (Montag), 3100 (Dienstag), 3400 (Mittwoch), 4400 (Donnerstag), 3800 (Freitag), 8500 (Samstag)“ aus seinem Geschäft informiert. Vor allem die gut ausgebildeten Schneider wurden über die Arbeitsämter den staatlichen Bekleidungsämtern zugeteilt oder fanden auf Vermittlung der Arbeitsämter in der Bekleidungsindustrie besser bezahlte Arbeit. So waren Mitte September 1939 „in den letzten 2 Tagen nicht weniger als 5 Konfektionsschneider durch das Bekleidungsamt resp. durch das Arbeitsamt für Uniformen weggeholt“ worden. An Hirmers statt war es nun der unerfahrenere Einkäufer Breuer – der für das Stuttgarter Haus vorgesehen war –, der wochenlang quer durchs Deutsche Reich reiste, in der Hoffnung, günstige und qualitativ hochwertige Ware in den Bekleidungszentren Berlin, Hamburg oder Aschaffenburg zu disponieren. Wohl unter dem Eindruck der sich verstärkenden Warenknappheit und der steten Fürsprache seiner Mitarbeiter bei den maßgeblichen Dienststellen, konnte Hirmer – Anfang 1940 freigestellt von der Armee – zurück nach München.1402 Im Kern folgte die Ausdünnung des Einzelhandels dem Primat der Warenversorgung. Die knapper werdende Ware sollte möglichst zentral über mittel- und großbetriebliche Strukturen verteilt werden. Der Arbeitskräftemangel im Einzelhandel infolge von Einberufungen und Dienstverpflichtungen nahm im Kriegsverlauf zu. Im Bereich des Textileinzelhandels waren es die weiblichen Arbeiterinnen und Angestellten „hinter den Ladentischen“, die das Handelsnetz vor dem Zusammenbruch

Hans Hirmer blieb in der Nähe von Kaiserslautern (Baumholder) stationiert, siehe Schreiben der Hirmer & Co. KG Geschäftsführung vom 29. September betr. Antrag auf Beurlaubung des Betriebsführers, HUA 2013/10/0005–2; Schreiben an Hans Hirmer vom 30.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 315. 1401 Vgl. Antrag auf Beurlaubung des Betriebsführers Herrn Hans Hirmer vom 29. September 1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 316. 1402 Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 9.9.1939, Schreiben an Hans Hirmer vom 30.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 314.; Schreiben an Emil Haller, Köln am 12.9.1939, HUA 2013/10/0005–2, S. 248; Schreiben an (den eingezogenen) Hans Hirmer vom 30. September 1939 und 9. September 1939, HUA 2013/10/0005–2; HUA 2012/11/0001, S. 10. 1400

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bewahrten.1403 Der Arbeitskräftemangel und die Stilllegungsaktionen zeigten Auswirkungen auf die Betriebsstruktur des Einzelhandels. Die im Februar 1942 veröffentlichten Zahlen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel zeigen, dass besonders Kleinst- und Kleinbetriebe von der Kriegsrationalisierung betroffen waren. Zwar erwirtschafteten Kleinstbetriebe noch über die Hälfte des Gesamteinzelhandelsumsatzes, doch die Anteile die Kleinstbetriebe noch über die Hälfte des Gesamteinzelhandelsumsatzes, doch die schrumpften zugunsten der Mittelbetriebe (Abbildung 29). Anteile schrumpften zugunsten der Mittelbetriebe (Abbildung 29). Abbildung 29 Anteil des Einzelhandelsumsatzes nach Umsatzgröße der Betriebe, Frühjahr 1942

50.000 bis 100.000 RM 9%

1404

über 100.000 RM 6%

20.000 bis 50.000 RM 28%

unter 20.000 RM 57%

Abb. 29 Anteil des Einzelhandelsumsatzes nach Umsatzgröße der Betriebe, Frühjahr 19421404

Ohne konkrete Zahlen zu nennen, meldete die Wirtschaftsgruppe, dass gegenüber dem Jahr 1938 die Anzahl der Kleinbetriebe (bis 30.000 Reichsmark) und der Großbetriebe (über 500.000 Ohne konkrete Zahlen zu die nennen, diemit Wirtschaftsgruppe, gegenüber Reichsmark) zurückging, während Anzahl meldete der Betriebe einem Jahresumsatzdass von 30.000 bis 500.000 Reichsmark deutlich Besondere Sorgen der Wirtschaftsgruppe die dem Jahr 1938 die Anzahlanstieg. der Kleinbetriebe (bis bereiteten 30.000 Reichsmark) und der GroßÜberalterung und das Ausbildungsniveau in den Einzelhandelsbetrieben. Vor demder Kriegsausbruch betriebe (über 500.000 Reichsmark) zurückging, während die Anzahl Betriebe mit hatte die Betriebsund Gewerbezählung 1939 die Anzahl der Erwerbspersonen im einem Jahresumsatz von 30.000 bis 500.000 Reichsmark deutlich anstieg. Besondere Textileinzelhandel erhoben. Sorgen bereiteten der Wirtschaftsgruppe die Überalterung und das Ausbildungsniveau

in den Einzelhandelsbetrieben. Vor dem Kriegsausbruch hatte die Betriebs- und Ge1405 werbezählung 1939 die Anzahl der Erwerbspersonen im Textileinzelhandel erhoben. Weibliche Angestellte und Arbeiterinnen dominierten die Branche, während die Zahl der männlichen Beschäftigten erst ab Altersgruppe „30 Jahre“ signifikant wurde – ein Umstand, der in der Betriebsinhaberschaft begründet lag. In der Alterskohorte ab 50 Jahren waren Männer deutlich überrepräsentiert (Abbildung 30). Nach den Erhebungen der Wirtschaftsgruppe im Jahr 1942 verfestigte sich diese männliche Überalterung. Unter den selbstständigen Kaufleuten im Einzelhandel war nur jeder Vierte

Abbildung 30 Erwerbspersonen im Textileinzelhandel nach Alter, 1939

1403 1404

1404

DM, Einzelhandelsleistung im Krieg, 14.1.1941. Abbildung nach TexW, Die Struktur des Einzelhandels, 7.2.1942.

Abbildung nach TexW, Die Struktur des Einzelhandels, 7.2.1942. Abbildung nach Betriebs- und Gewerbezählung (1939), Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 556, II - Die Erwerbspersonen und die selbstständigen Berufslosen nach Alter und Familienstand des Deutschen Reichs, 1405

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65 und darüber 60 bis unter 65 50 bis unter 60 45 bis unter 50 40 bis unter 45 30 bis unter 40 25 bis unter 30 20 bis unter 25 18 bis unter 20 16 bis unter 18 14 bis unter 16 unter 14 60.000

40.000

20.000

20.000 Männer

40.000

60.000

Frauen

Abb. 30 Erwerbspersonen im Textileinzelhandel nach Alter, 19391405

Weibliche Angestellte und Arbeiterinnen dominierten die Branche, während die Zahl der männlichen Beschäftigten erst ab Altersgruppe „30 Jahre“ signifikant wurde – ein Umstand, der in der Betriebsinhaberschaft begründet lag. In der war Alterskohorte ab 50verfügte Jahren waren Männer unter 40 Jahre alt. Jeder zweite Ladeninhaber über 50. Dabei nur knapp jedeutlich überrepräsentiert (Abbildung 30). Nach den Erhebungen der Wirtschaftsgruppe im Jahr der Dritte der Betriebsinhaber über eine abgeschlossene kaufmännische Lehre – viele 1942 verfestigte sich diese männliche Überalterung. Unter den selbstständigen Kaufleuten im standen auf dem Standpunkt, dass Erfahrung und Begabung eine Ausbildung ersetzen Einzelhandel war nur jeder Vierte unter 40 Jahre alt. Jeder zweite Ladeninhaber war über 50. 1406 könne. Dabei verfügte nur knapp jeder Dritte der Betriebsinhaber über eine abgeschlossene Doch es blieb nicht bei den intendierten Betriebsstilllegungen durch Einberufunkaufmännische Lehre – viele standen auf dem Standpunkt, dass Erfahrung und Begabung eine gen und Dienstverpflichtungen. Im Zuge des totalen Kriegseinsatzes ab 1943 wurden Ausbildung ersetzen könne.1406

alle verfügbaren Ressourcen aus „kriegsunwichtigen“ Wirtschaftsbereichen – wie der textilen – in „kriegswichtige“ Wirtschaftssektoren geleitet – Doch es Konsumgüterindustrie blieb nicht bei den intendierten Betriebsstilllegungen durch Einberufungen und dies galt für MenschImund Material gleichermaßen. Bereits vorwurden Kriegsbeginn war es Dienstverpflichtungen. Zuge des totalen Kriegseinsatzes ab 1943 alle verfügbaren Ressourcen aus Stilllegungsprogramm „kriegsunwichtigen“ im Wirtschaftsbereichen – wie Die der textilen zu einem ersten Einzelhandel gekommen. staatlichen Konsumgüterindustrie – in „kriegswichtige“ Wirtschaftssektoren geleitet – dies galt für Mensch Kriegsvorbereitungen verbanden sich mit den steten Forderungen der HDE, die und Material des gleichermaßen. Bereits vor war es zu zueinem ersten Übersetzung Handels zu beseitigen undKriegsbeginn unliebsame Konkurrenz eliminieren. Stilllegungsprogramm im Einzelhandel gekommen. Diebefürworteten, staatlichen Kriegsvorbereitungen Sowohl die Verbandsspitze als auch das NS-Regime „überflüssige Erverbanden sich mit den steten Forderungen der HDE, die Übersetzung des Handels zu1407 beseitigen werbstätige [ ] einer für die Gesellschaft nützlicheren Tätigkeit zuzuführen“. und unliebsame Konkurrenz zu eliminieren. Sowohl die Verbandsspitze als auch das NS-Regime befürworteten, „überflüssige Erwerbstätige […] einer für die Gesellschaft nützlicheren Tätigkeit zuzuführen“.1407

Abbildung Betriebsund Gewerbezählung (1939), Statistikund desBereitstellung Deutschen Reichs, Bd. 556, Im Frühjahr 1939nach startete die Auslese „ungeeigneter“ Kaufleute zusätzlicher II – Die Erwerbspersonen und die selbstständigen Berufslosen nach Alter und Familienstand des DeutArbeitskräfte. Am 16. März 1939 erging die Erste Verordnung zur Beseitigung der Übersetzung im schen Reichs, Berlin 1942. Einzelhandel, gefolgt vondes einem entsprechenden 1406 TexW, Die Struktur Einzelhandels, 7.2.1942.Erlass vom 5. April 1939. Demnach sollten alle 1407 TexW, Wie geht die Bereinigung des Einzelhandels vor sich?, 29.7.1939. 1405

1406 1407

TexW, Die Struktur des Einzelhandels, 7.2.1942. TexW, Wie geht die Bereinigung des Einzelhandels vor sich?, 29.7.1939.

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Im Frühjahr 1939 startete die Auslese „ungeeigneter“ Kaufleute und Bereitstellung zusätzlicher Arbeitskräfte. Am 16. März 1939 erging die Erste Verordnung zur Beseitigung der Übersetzung im Einzelhandel, gefolgt von einem entsprechenden Erlass vom 5. April 1939. Demnach sollten alle Einzelhandelsgeschäfte – unabhängig von Betriebsgröße und Betriebsart1408 – geschlossen werden, wenn der Inhaber Wohlfahrts- oder Arbeitslosenunterstützung erhalten hatte1409, von der Gewerbe- oder Einkommenssteuer freigestellt war oder allgemein seinen Steuerpflichten und Fürsorgepflichten gegenüber der Belegschaft nicht mehr nachkommen konnte. Ein Betrieb durfte weder allein aufgrund geringer Umsatzhöhe noch bei erbrachtem Nachweis der Notwendigkeit zur Sicherstellung der Verbraucherversorgung geschlossen werden. Die statistische Grundlage für die Entscheidung lieferte eine Anordnung des Führers der Reichsgruppe Handel Dr. Carl Lüer vom 30. April 1934, nach der die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sämtliche Statistiken über Mitglieder und Betriebszahlen zu melden hatte. Der Einzelhandel war gegenüber der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel auskunftspflichtig und musste regelmäßig und umfassend Einkaufs-, Umsatz- und Kapitalverhältnisse melden. Die Prüfung der Meldungen erwies sich als schwierig, da sich Finanz- und Gewerbesteuerämter sowie Arbeits- und Wohlfahrtsämter wenig kooperativ zeigten.1410 War die Entscheidung seitens der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel pro Stilllegung gefallen, schloss sich eine undurchsichtige und langwierige Bürokratie an.1411 Die rechtsgültige Abwicklung erfolgte durch den Inhaber selbst oder einen bestellten Abwickler, wobei ein gerichtliches Konkursverfahren zu vermeiden war. Im Zuge der ersten Stilllegungsaktion sollten – entgegen anderslautenden Gerüchten – bis Herbst 1939 „höchstens einige tausend Kaufleute“ aus der Branche scheiden.1412 Die Mehrzahl der Stilllegungen in dieser Phase war die freiwillige Aufgabe überschuldeter Die Erste Stilllegungsanordnung wurde nicht angewendet auf Straßen-, Markt-, Hausier- und Wanderhandel sowie Betriebe, die Ware selbst erzeugen, Handwerksbetriebe und Gemischtbetriebe (Schneiderei mit Textilverkauf), siehe TexW, Wie geht die Bereinigung des Einzelhandels vor sich?, 29.7.1939. 1409 Inhaber mussten seit 1. Januar 1937 mindestens drei Monate ununterbrochen Fürsorgeleistungen erhalten haben, siehe TexW, Wie geht die Bereinigung des Einzelhandels vor sich?, 29.7.1939. 1410 TexW, Bereinigungsanordnung und Auskunftspflicht, 24.6.1939; Konf, Grundlegende Verfügung des Reichsführers des Handels, 9.5.1934. 1411 Die Bezirksfachgruppe der Wirtschaftsgruppe prüfte die Meldungen der Betriebe. Erfüllte ein Betrieb die Stilllegungsanforderungen, beantragte die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel die Schließung bei der lokalen Verwaltungsbehörde (Landrat oder Oberbürgermeister). Diese traf die Entscheidung erst nach Rücksprache und ggf. Gutachten von Kreiswirtschaftsberater/Kreisleiter der NSDAP, Arbeitsamt, Industrie- und Handelskammer sowie dem Reichstreuhänder der Arbeit. Beschwerden konnten Inhaber innerhalb von zwei Wochen beim Regierungspräsidenten oder der zuständigen Ministerialbehörde geltend machen. Um etwaige Gläubiger teilweise zu entschädigen, sprang ein Härtefonds ein, der sich aus Mitteln der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung speiste, siehe TexW, Wie geht die Bereinigung des Einzelhandels vor sich?, 29.7.1939. 1412 Wirtschaftsgruppenleiter Hayler widersprach Gerüchten, man plane zwischen 80.0000 und 200.000 Kaufleute zu entfernen. Den Richtzahlen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel zufolge sollten in einer 20.000 Einwohner-Stadt nicht mehr als 22 Textileinzelhandelsgeschäfte (Fachgruppe 3) vorhanden sein, siehe TexW, Versorgungsprobleme, 5.8.1939. 1408

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Betriebe. Die staatliche Verbrauchslenkung intendierte darüberhinaus Umsatzrückgänge, um den Einzelhandel zu „freiwilligen“ Aufgaben oder zur Verkleinerung der Geschäftsräume zu zwingen. Ab Herbst 1942 kam Merkur nicht umhin, zum 1. Oktober 1942 systematisch kleinere Abteilungen an allen Standorten zusammenzulegen.1413 Nach Kriegsausbruch und mit der Zweiten Verordnung zur Beseitigung der Übersetzung im Einzelhandel vom 23. Dezember 1939 wurde der Betriebsumsatz zur Entscheidungsgrundlage. Lag der durchschnittliche Jahresumsatz (seit dem 1. Januar 1937) unter 12.000 Reichsmark, so galt ein Betrieb nun als „wirtschaftlich nicht gesund“ und wurde stillgelegt. Zur Vereinfachung der Verwaltungsabläufe konnte nun der Stilllegungsantrag auch vom Inhaber oder Leiter selbst gestellt werden. Mit einem Runderlass vom 10. Januar 1940 mussten alle Schließungen zentral an die Wirtschaftsgruppe gemeldet werden. Formalrechtlich handelte es sich immer noch um vorübergehende Stilllegungen für die Kriegsdauer, die nach dem Krieg aufgehoben werden sollten.1414 Zum 30. Januar 1943 erging eine Anordnung über den „umfassenden Einsatz der arbeitsfähigen Männer und Frauen im Handel für Aufgaben der Reichsverteidigung“.1415 Dies bedeutete die bis dahin größte Welle von Betriebsschließungen und Bildung von sog. Kriegsbetriebsgemeinschaften im Zuge der „totalen Mobilmachung“. Innerhalb von sechs Wochen sollte die Auskämmung abgeschlossen sein mit dem Ergebnis, „ein[en] möglichst großen Gewinn von einsatzfähigen Arbeitskräften [zu] erziel[en]“.1416 Im Fokus der Maßnahmen sollten nun Betriebe mit größerer Belegschaft stehen, sofern die „kriegsnotwendige und verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung ebenso wie die kriegsnotwendige Belieferung der Wirtschaft [durch eine Schließung] nicht gefährdet“ war. Wie schon im Frühjahr 1939 behielten Inhaber ihre Geschäftslizenz und erhielten einen Mietsausgleich. Allerdings betraf die Aktion nun alle Zweige des Handels.1417 Eine Verordnung des Reichswirtschaftsministeriums Ende Januar 1943 konkretisierte die Maßnahmen (Tabelle 92). Danach sollten Männer (16 bis 65 Jahre) und Frauen (17 bis 45 Jahre) von ihren Betrieben freigestellt werden, soweit sie weniger als 48 Wochenstunden beschäftigt waren oder so sie als Selbstständige weniger als fünf Personen beschäftigten. Generell ausgenommen von den Betriebsschließungen blieben Merkur legte Abteilungen zusammen und schuf folgende neu: „Aussteuer- und Baumwollwaren“ (Abt. 10), „Herren- und Knabenkleidung, Berufskleidung für Männer“ (Abt. 24), „Stoffwäsche, Miederwaren (Abt. 44), „Kurzwaren, Strickgarne, Pelzwaren“ (Abt. 50), „Lederwaren, Schirme, Stöcke (Abt. 61), siehe Bf Z Nr. 27, 12.9.1942, StAC 31451–458. 1414 TexW, Die Bereinigung des Einzelhandels wird weiter geführt,6.1.1940; TexW, Sortimentserweiterungen und Geschäftsschließungen melden, 30.3.1940. 1415 Die Anordnung betraf auch Arbeitskräfte im Bereich Handwerk und Gaststättengewerbe. 1416 Tatsächlich endete die Auskämmung offiziell im Juli 1943, siehe Artikel „Abschluss der Stilllegungsaktion“, 22.7.1943, BA R8034-II/3576. 1417 Großhandel, Einzelhandel, Gemeinschaftseinkauf, Versand, Vermittler, Ambulanter Handel, Genossenschaften, siehe Abschrift des Erlasses betr. Umfassender Einsatz der arbeitsfähigen Männer und Frauen im Handel für Aufgaben der Reichsverteidigung, 30.1.1943, BA R13/XXIX 10. 1413

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Lebensmittelhandel, Kohlen-, Saat-, Dünge-, Futtermittelguthandel, Landmaschinenhandel sowie Reparaturbetriebe (Gruppe 1), ebenso alle 250.000 Schneiderei-Betriebe mit ihren 451.000 Beschäftigten. Textil- und Bekleidungsgeschäfte galten als „wichtig“ (Gruppe 2), textile Spezialgeschäfte als „bedingt notwendig“ (Gruppe 3). Allein im Textileinzelhandel rechneten die Behörden mit einer Freisetzung von über 300.000 Beschäftigten. Generell zu schließen waren Betriebe der Gruppe 4. Alle dortigen Waren auf Lager, Bezugscheinguthaben, Schulden, Kontingentquoten, Lieferantenverbindungen wurden von staatlicher Stelle verwertet.1418 Tab. 92 Definierte Gruppen für die Auskämmung, Januar 19431419 Gruppe

Notwendigkeit

Potenzial Geschäfte

1

„Kriegswichtig“

90.000 Lebensmittelabteilungen in Warenhäusern, Gemischtwaren, Genossenschaften; 49.000 Obst- und Gemüsegeschäfte; 39.000 Kohlehandlungen

Potenzial Belegschaft

2

„Wichtig“

41.000 Textilgeschäfte, 11.600 Schuhläden, 17.000 Drogerien

„Teil der 325.000 Beschäftigten betroffen“

3

„Bedingt notwendig“

50.700 Tabakläden, 19.400 Hausrat, 19.000 Blumenläden, 7.700 Galanterie, 7.400 Möbel, 6.400 Buchläden, 3.300 Spielwaren

„fast alle 300.000 Beschäftigte betroffen“

4

„Kein Raum im totalen Krieg“

15.000 Süßwarengeschäfte, 17.000 Weinläden, 16.500 Parfümerien, 3.300 Gold- und Silberhandlungen, 1.300 Briefmarken, Luxusgeschäfte

„95.000 Personen“

Legt man die Betriebszählung vom 17. Mai 1939 zugrunde, schlossen im Zuge der Auskämmung bis Februar 1943 ca. 80.000 aller 833.000 gezählten Einzelhandelsbetriebe, also knapp jeder zehnte Betrieb. Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, die die Vorschlagslisten erstellte, definierte ihren Zielkorridor Ende Februar 1939 bei 100.000 bis 120.000 Schließungen. In seiner Rede am 7. März 1943 begründete Wirtschaftsgruppenführer Hayler den „wirtschaftlichen Totaleinsatz“ des Einzelhandels. Die erneute Auskämmung sei die „logische Konsequenz aus der Entwicklung des Krieges“ und der Handel werde die Maßnahme „verstehen und ertragen“. Vor der garantierten Rückkehr

Hierzu gehörten Luxus-, Bücher-, Tabak- und Spielwarenläden, aber auch textile Spezialisten wie Herrenausstatter, Hut- und Schirmgeschäfte sowie Händler in Teppichen, Gardinen, Möbelstoffen und Handarbeiten, siehe TexW, Der totale Kriegseinsatz, 13.2.1943; TexW, Die Verwertung von Waren geschlossener Betriebe, 13.2.1943. 1419 Aufstellung nach Artikel „Das Zahlenbild der Auskämmung in Handel und Handwerk“, 5.2.1943, BA R8034-II/3575. 1418

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in Friedenszeiten erfordere die „Bedarfsdeckungswirtschaft“ die Schließung von Spezialgeschäften zugunsten von „Betriebszusammenlegungen in Form von Arbeits- und Kriegsverkaufsgemeinschaften“. Denn infolge der Kriegsproduktion stünden weniger zivile Waren zur Verfügung. Indem Hayler indirekt den Warenmangel eingestand, argumentierte er gegen die Liquidation infolge Warenmangel, welche den Betrieb zerstöre. Stattdessen sei die Auskämmung und Stilllegung der wirksamste Schutz der Betriebssubstanz.1420 Die Bildung sog. Kriegsbetriebsgemeinschaften (KBG) diente der „weitere[n] Vereinfachung des Handelsapparates unter gesicherter Weiterbelieferung“.1421 Um die Jahreswende 1943/44 verschärfte ein Erlass über die Aufstellung sog. L-Listen die Auskämmung. Die Wirtschaftsgruppen sollten nach Willen der NSDAP-Parteikanzlei den Arbeitsämtern kriegswichtige Leit-Betriebe (L-Betriebe) sowie nicht kriegswichtige Leit-Betriebe (Nicht-L-Betriebe) im Einzelhandel mitteilen. Die Arbeitsämter sollten daraufhin die Betriebsbelegschaft von Nicht-L-Betrieben zur „Fertigung kriegswichtiger Heimarbeit“ unter Androhung der Stilllegung „auskämmen“ können.1422 Dr. Wiesner von der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel hielt die Idee „an sich [für] bestechend“, wandte sich aber in Abstimmung mit dem Reichswirtschaftsministerium gegen den Erlass, da alle größeren Betriebe wie Textilgeschäfte schon „weitgehend in die Rüstungsfertigung eingeschaltet“ waren.1423 Die Mehrzahl der örtlichen Fachgruppen hatte bis April 1944 jedoch L-/Nicht-L-Listen aufgestellt. Das Reichswirtschaftsministerium stellte daraufhin ernüchtert fest, dass die Arbeitseinsatzbehörden Kräfte ab[ziehen], „[ ] ohne auf die Ergebnisse der L-Listen zu warten“. Damit würde die Versorgungssicherheit gefährdet und „zweifellos [ ] eine der wesentlichen Absichten des Erlasses vom 9.11.1943 verwässer[t]“.1424 Vgl. Artikel „Wo steht die Stilllegungsaktion im Einzelhandel?“, 23.2.1943, BA R8034-II/3575.; Artikel „Abschluss der Stilllegungsaktion“, 22.7.1943, BA R8034-II/3576. 1421 Ziel war es „möglichst viele einsatzfähige Arbeitskräfte für die Rüstungsbetriebe frei[zu]machen, Raum [zu] schaffen und Energien und Transportleistungen [zu] sparen [und] eine ausreichende, verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen“; Eine KBG konnte nur in Zusammenhang mit einer Stilllegung entstehen. Dabei konnten Unternehmen eine KBG bilden, deren Betriebsart, Warenkreis oder Rechtsform nicht deckungsgleich waren, sofern sie branchenmäßig verwandt waren. Die Bildung einer KBG als „lose Zweck- und Arbeitsgemeinschaft“ erfolgte freiwillig, zeitlich begrenzt und in Form einer GbR. KBGs blieben für die Zeit ihres Bestehens von der Umsatzsteuer befreit und unterlagen teilweise nicht dem EHSG, siehe Runderlaß Nr. 210/43 LWA betr. Bildung von Kriegsgemeinschaften, 22.4.1943, BA R 3101/13012, p. 97–103. 1422 So sollte „unausgelastetes Personal [ ] eine bestimmte Anzahl Kartuschenbeutel nähen“, siehe Schreiben an den Reichswirtschaftsminister betr. Einschaltung der Einzelhandelsgeschäfte bei der Fertigung kriegswichtiger [Ge]Heimarbeit [sic!], 9.2.1944, BA R 3101/13009, p. 7–8. 1423 Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium betr. Einschaltung der Einzelhandelsgeschäfte bei der Fertigung kriegswichtiger Heimarbeit,13.3.1944, BA R 3101/13009, p. 10 f.; Schreiben an den Leiter der Partei-Kanzlei betr. Einschaltung der Einzelhandelsgeschäfte bei der Fertigung kriegswichtiger Heimarbeit, 5.4.1944, BA R 3101/13009, p. 12 f. 1424 Einige Bezirke hatten im April 1944 noch nicht geliefert, da große Bombenschäden (Bremen, Schwaben, Hamburg) oder politische Einflussnahme (Sachsen) oder Missachtung des Erlasses durch Lei1420

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Wie die analysierten Fallstudien und weitere Stichproben zeigen, war die Stilllegungsentscheidung keinesfalls so schematisch-ideologisch wie der Erlaß vermuten ließe, sondern orientierte sich immer an den lokalen Gegenheiten und Zwängen. Die Spannweite reicht von Schließung über partielle Aufgabe bis hin zu unveränderter Geschäftstätigkeit. Das ehemalige Bamberger & Hertz-Haus in Stuttgart, durch Bachmann & Meurer arisiert, wurde im Zuge der Betriebsauskämmungen als „schlechtgehendes Geschäft“ im April 1943 durch die NS-Behörden stillgelegt.1425 Dagegen gelang es Emil Haller als Geschäftsführer des arisierten Bamberger & Hertz-Geschäftes (Hansen & Co) die erste Welle der „Auskämmungen“ nach eigenem Dafürhalten persönlich zu verhindern. Denn obwohl die Konkurrenz drauf gedrängt habe, Hansen als jüngste Firma im Kölner Textileinzelhandel zu schließen, hatte die Firma, so Hallers Darstellung nach dem Krieg, nur dank seiner „persönlichen Beziehungen im letzten Moment“ überlebt.1426 Ebenso scheint keines der Hettlage-Häuser 1943 von Zwangsliquidierungen betroffen gewesen zu sein. Zwar kämmten die Behörden auch Hettlage nach geeigneten Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie aus und zogen Angestellte und Arbeiter zum Kriegsdienst ein. Hettlage musste die Behörden vor Ort jedoch von der „Kriegswichtigkeit“ seiner Textilgeschäfte zur notwendigen Versorgung der Stadtbevölkerung erfolgreich überzeugt haben. Unterschiedlich betroffen waren die Merkur-Betriebe. Der Merkur AG und Hanse GmbH gelang es während des Krieges, als „kriegswirtschaftlich betreut oder gesichert“ (Bedarfsstelle II. Ordnung) klassifiziert zu werden.1427 Nach Fuchs wurden ab 1943 die Standorte Stuttgart und Wesermünde geschlossen; in Cottbus, Augsburg und Zerbst wurde das Geschäft teilweise geschlossen und eine unbekannte Zahl von Häusern musste einzelne Abteilungen aufgeben.1428 Insgesamt kam Merkur, auch wegen

ter der Handelsabteilung der Gauwirtschaftskammer (Mecklenburg), siehe Anlage zum Schreiben – Konzentration des Handels, 11.4.1944, BA R 3101/13003, p. 57–60. 1425 Das Geschäft hatte wohl auch Bombenschäden, siehe Schreiben von Dr. Eugen Pfau an Dr. Ernst Melzer vom 22. Januar 1969, HUA 2013/02/0031; Vermögensaufstellung auf 1.1.1946, oD., HUA 2013/02/0023, S. 119 ff. 1426 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 25.10.1949, HUA 2013/10/0003, S. 122 ff. 1427 Vgl. Scherf (2002), S. XI. 1428 Fuchs berichtet auch von der Absicht der NSDAP, die Häuser in Chemnitz, Aue, Crimmitschau zu schließen zum Zwecke der Überführung der Arbeitskräfte in die Kriegsindustrie. Dieses konnte Merkur allerdings erfolgreich verhindern, siehe Fuchs, Schocken, S. 264. Der Stilllegungsbescheid des Landwirtschaftsamtes Hannover für Wesermünde (Geschäft 20) erging zum 23. März 1943. Der Stilllegungsbescheid des Landwirtschaftsamt Magdeburg für Abteilungen des Hauses Zerbst (Geschäft) 11 erging zum 30. April 1943. Die Abteilungen Gardinen, Damenoberbekleidung, Herrenoberbekleidung, Berufskleidung, Damenhüte, Herrenhüte und –mützen, Herrenartikel, Schürzen, Lederwaren, Schirme, Papier, Seifen, Sportartikel und Tabak mussten aufgegeben werden. Weitergeführt werden durften die Abteilungen Baumwollwaren, Kleiderstoffe, Strick- und Wirkwaren, Handschuhe, Strümpfe, Unterzeuge, Baby- und Kinderartikel, Schneiderartikel, Kurzwaren, Betten, siehe Bf Z Nr. 16 vom 20.5.1943, StAC 31451–298.

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seiner Verdienste für die NS-Volksgemeinschaft1429 damit relativ günstig in Sachsen weg. Seit April 1943 hatte die Gauwirtschaftskammer Sachsen über Stilllegungen in der Textilbranche beraten. Da vor allem Produktionsbetriebe bereits 1942 in großem Umfang stillgelegt worden waren, sahen die Behörden ein Jahr später von großflächigen Aktionen ab. Da jedoch weiter Personal- und Materialmangel und infolge dessen geringe Auslastung herrschte, wurden die sächsischen Textilfabriken zu Fertigungsgemeinschaften zusammengelegt, auf nichttextile Fertigung umgestellt oder freigewordene Räume weitervermietet. Insgesamt sahen die sächsischen Behörden das „Produktionsprogramm der Textilindustrie als unbedingt kriegswichtig“. Daher wurden Großproduktions- und Distributionsbetriebe „arbeitseinsatzmäßig geschont“.1430 Aus dem Bezirk der Industrie- und Handelskammer Augsburg/Schwaben sind eine Reihe von Einzelfällen im Zusammenhang mit der Auskämmung und Betriebsstilllegung Anfang 1943 überliefert. Dem Mangel an zivilen Konsumgütern stand aus Sicht der Handelskammer auch im schwäbischen Bayern ein zu großer Handelsapparat gegenüber. In einer Ausschusssitzung Mitte Januar 1943 sprach man sich gegen eine „planmäßige Auskämmung“ im gesamten Einzelhandel aus und entschied sich für eine Auskämmung „in weniger wichtigen Branchen“.1431 Einen Monat später erreichten die IHK Schwaben die Quoten der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, wie viele Betriebe aus welchen Branchen im Bezirk Augsburg zu schließen waren (Tabelle 93). Die Vorschlagsliste umfasste insgesamt 214 Betriebe mit potenziell 320 Beschäftigten. Die Quoten lagen über alle Einzelhandelsbranchen zwischen 30 und 100 Prozent. Im Textilhandel sollte nahezu jedes zweite Geschäft stillgelegt werden. Ausschlaggebend war, welches textile Gut die Bürokratie als lebensnotwendiger erachtete. So waren die Branchen Uniformen, Schnitt-, Wirk- und Strickwaren sowie Damen- und Mädchenkleidung „nur“ mit einer Schließungsquote von 30 Prozent belegt, während etwa sämtliche Sportartikelläden oder auch jedes zweite Warenhaus oder Herrenmodegeschäft zu schließen waren. Die IHK Schwaben zeigte sich von den Vorgaben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel unbeeindruckt. Zwar unterstützte man das ausgegebene Ziel „Arbeitskräfte zur Durchführung kriegswichtiger Aufgaben unmittelbar oder mittelbar durch Einsparung von Kohle, Energien und Dienstleistungen aller Art freizusetzen“, doch man gab der Wirtschaftsgruppe zu bedenken, dass es im Bezirk „sehr viele kleine Geschäfte [gibt],

Im Juni 1944 erhielt Merkur das NS-Leistungsabzeichen in Bronze „für vorbildliche Berufserziehung“ (für die Kaufstätten Merkur in Aue, Meißen, Planitz, Frankenberg) sowie das NS-Leistungsabzeichen in Bronze „für vorbildliche Förderung von Kraft durch Freude“, siehe G. B. Nr. 1602, 26.6.1944, StAC 31451–453. 1430 Vgl. Information der Wirtschaftsgruppe Textilindustrie, Bezirksgruppe Sachsen in der Gauwirtschaftskammer Sachsen betr. Zusammenlegung von Betrieben und Stilllegungen vom 12.6.1943, StAC 31451–385. 1431 Eine „Totalauskämmung“ war für die Bereiche Süßwaren, Tabak, Möbel, Blumen, Briefmarken und Repräsentativgeschäfte vorgesehen, siehe Schreiben betr. Ausschuss-Sitzung, 13.1.1943, BWA K9/282. 1429

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Tab. 93 Stilllegungsquoten im Textileinzelhandel, IHK Bezirk Augsburg, Frühjahr 19431432 Branchen

Betriebe

Still-Q

Gleichtrachten (Uniformen)

30 %

Schnittwaren

30 %

Wirk- und Strickwaren

30 %

Damen- und Mädchenkleidung

30 %

Damenausstattung

30 %

Bettwaren

30 %

Textilwaren

A. B. C., Grill, Wally Berger, Julie Schneider

50 %

Trachtenkleidung Alois Brentel, Friedmann & Cie, Holzapfel KG, Kammerer, Mittelhammer, Reindl & Co., Gebr. Settele, Schedler, Josef Zimmermann, Zumstein, Tuchhaus Wiedemann, Leuchtmann

Herren- und Knabenkleidung

50 %

Hettlage, Johann Eger, Grill

Kopfbekleidung

50 %

Hutgeschäft Bader

Teppiche und Gardinen

50 %

Leder- und Galanteriewaren

50 %

Schirme und Stöcke

50 %

Handarbeiten

50 %

Schuhe

32

Betroffene Unternehmen*

10

Nähmaschinen

50 % 50 %

Gebrauchtwaren

50 %

Restgeschäfte Babette Fink und Ida Dink

Warenhäuser

2

50 %

Woolworth, Kaufstätte Merkur

Sportartikel

4

100 %

Anmerkungen: Still-Q = Stilllegungsquote; *Unternehmen nach Auswahl durch Gauleitung und IHK Augsburg/Schwaben.

die für die Versorgung der Bevölkerung nicht unbedingt wichtig sind, bei denen aber ein unmittelbarer Gewinn für den Arbeitseinsatz durch Schließung nicht eintreten würde, [ ] [da] viele von älteren Ehepaaren [und] alleinstehenden Frauen“ geführt waren. Eine Lösung müsse durch konkrete Richtlinien des Gauleiters herbeigeführt werden. Man wolle zunächst auf eine Liste der zu schließenden Waren- bzw. Kaufhäuser warten. Diese lag Ende Februar 1943 dann auch vor. Anfang April 1943 waren dieser Liste nach 35 Einzelhandelsbetriebe stillgelegt und 168 Beschäftigte der Rüstungsproduktion zugeführt. 80 Prozent dieser Personen entstammte der Belegschaft

Aufstellung nach Vormerkung betr. Stilllegung von Betrieben im Handel, 9.2.1943, BWA K9/3019 und Aufstellung über Schließung, Schließungsvorschläge und –bescheide, 9.4.1943, BWA K9/3019. 1432

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der beiden geschlossenen Warenhäuser in Augsburg. Die betroffenen Unternehmen wurden durch die IHK über die bevorstehende Schließung informiert. Eine Beschwerde gegen den Bescheid oder die Beschlagnahme von Arbeitskräften sowie dem Inventar war nicht zulässig.1433 Trotzdem erreichten die IHK Schwaben, die örtliche NSDAP-Gauleitung und andere zuständige Reichsstellen eindringliche Bittgesuche der Geschäftsinhaber. Stefan Mittelhammer (Textil-Kurz- und Schuhwaren, Augsburg) unterstrich die Bedeutung seines Geschäftes für die Region. Bei einem Umsatz von über einer Viertelmillion Reichsmark entstünden erhebliche Steuerausfälle. Er, ein DAF- und NSV-Mitglied, verkaufe nur die „notwendigsten Artikel für Arbeiter und Landbevölkerung“ und habe sich so „aus kleinen Verhältnissen [ ] emporgearbeitet“. Insgesamt fühlte sich Mittelhammer dadurch ungerecht behandelt, da „kein anderes Augsburger Stammgeschäft von der Schließung betroffen“ sei. Sein Bittgesuch wurde abgelehnt.1434 Ebenfalls zu Unrecht von der Schließung betroffen sah sich die Holzapfel KG („Die Modische Ecke im Weberhaus“, Augsburg). In einem Schreiben an den Gauwirtschaftsberater Eisenmeier wies Holzapfel auf einen Umsatz von einer halben Million RM und einem Kundenstamm von knapp 100.000 Kunden hin. Als erster Reparatur-Betrieb in Augsburg habe er die „Notwendigkeit des totalen Krieges erkannt“. Die Schließung beruhe auf einem Missverständnis die Belegschaft betreffend. Holzapfels Kompromissvorschlag, die Belegschaft zu reduzieren sowie sein Bittgesuch blieben ungehört.1435 Auch für Johann Eger (Herrenkleider-Fabrikation, Augsburg) kam sein „Geschäft in keiner Weise für eine Stilllegung in Frage“, da Eger sich als nationalsozialistischer Betrieb verstand. Während Konkurrenten „kontingentierten, habe [er] immer verkauft, verkauft“. Der erkrankte Alleinbetreiber fühlte seinen 250.000 RM Jahresumsatz mit der Schließungsanordnung als „umsonst erkämpft“. Abgesehen von den beiden Warenhäusern in Augsburg waren von der Schließung mehrheitlich inhabergeführte Kleinläden betroffen. Aus deren Sicht war durch die Stilllegungen schwerlich eine Ein-

Zusammen mit einer Aufstellung der im Betrieb Beschäftigten musste ein betroffenes Unternehmen dem Arbeitsamt eine Vorschlagsliste der „freizusetzenden Kräfte“ übersenden, siehe Vormerkung betr. Stilllegung von Betrieben im Handel, 10.2.1943, BWA K9/3019; Aufstellung über Schließung, Schließungsvorschläge und –bescheide, 9.4.1943, BWA K9/3019; Schreiben betr. Umfassender Einsatz von arbeitsfähigen Männern und Frauen für Ausgaben der Reichsverteidigung; hier: Einzelhandel im Gau Schwaben, 23.3.1943, BWA K9/3019. 1434 Mittelhammers Kompromissvorschlag wurde ebenfalls nicht berücksichtigt, wonach er einen kleineren Laden in einem anderen Haus führen könnte und einen Teil des Lager an andere Betriebe abgeben könnte, siehe Schreiben an die Reichsverteidigungskammer für den Gau Schwaben, 18.5.1943, BWA K9/3023. 1435 Die Holzapfel KG hatte das Geschäft aus arischem Besitz (Bendel & Co.) am 1. Oktober 1938 übernommen. Die Vorgänger Bendel & Co. hatten die jüdische Fa. Ginsberger & Co. am 1. Dezember 1936 arisiert. Holzapfel gab gegenüber der Wirtschaftsgruppe eine Belegschaft von 22 Beschäftigten an. Davon waren aber 5 Lehrlinge und 6 Aushilfen. Sein Kompromissvorschlag war, die Belegschaft auf 9 zu minimieren (6 +3 Lehrlinge), siehe Schreiben an die Gauleitung der NSDAP, 6.3.1943, BWA K9/3023. 1433

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

sparung an Energie und Kohle noch eine ausreichende Zuführung an geeigneten Arbeitskräften für die Rüstungsproduktion zu erreichen. Vielmehr – so die Argumentation der Eingaben – gefährdeten die Schließungen nicht nur die persönliche Existenz, sondern auch die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit dem notwendigsten. Ganz ähnlich reagierte der Gauwirtschaftsberater im Bezirk Augsburg auf die im Juli 1943 geäußerte Kritik des Gauleiters Schwaben an den Ergebnissen der Auskämmung im Bezirk Schwaben – diese hätten die „Erwartungen nicht erfüllt“. Der Gauwirtschaftsberater unterstrich die bisherigen Leistungen des Handels und unterstrich die größeren Potenziale in Handwerk und Industrie. Hier seien die Raum-, Platz- und Energieeinsparung deutlich wesentlicher. Augsburg habe, so der Gauwirtschaftsberater durch starken Ausbau der Rüstungsindustrie bereits mehrfache Auskämmung von Handelsbetrieben hinter sich. Allgemein sei der örtliche Einzelhandel „sehr überaltert“ und weiblich dominiert. Zudem habe die IHK entschieden, keine Betriebe zu schließen, die „bereits Blutopfer gebracht haben“. Letztlich herrschte in Augsburg – das als Zufluchtsort vieler Bombengeschädigter und Evakuierter diente – eine angespannte Verbrauchslage, für deren Entspannung es weiterhin einen leistungsfähigen Einzelhandel brauche.1436 Im gesamten Reichsgebiet häuften sich ab Frühjahr 1943 die Eingaben von Textilkaufleuten, die gegen die Bestimmungen des EHSG beim Reichswirtschaftsministerium in Berlin protestierten. Die Proteste richteten sich gegen Stilllegungsbescheide, Errichtungs- oder Erweiterungsverbote oder das Hinzufügen neuer Warensortimente. Aus der Sicht der Inhaber war ihr (Klein-)Betrieb „versorgungswichtig“ für die Bevölkerung im Ort, Dorf oder Landkreis. Die Belegschaft war oft zu klein oder „zu weiblich“, um sinnvoll für die Rüstungs- und Kriegswirtschaft eingesetzt zu werden. Die Eingaben schilderten die durchweg guten und stabilen Umsätze und betonten die hervorragenden Lieferantenbeziehungen, oder letztlich auch oft ihr vermeintlich enges Verhältnis zum NS-Regime. Aber weder der Hinweis auf SA, SS oder NSDAP-Parteimitgliedschaft, regelmäßige Spenden für WHW oder DAF oder auch schwere chronische Krankheiten ließen die Behörden von ihren Schließungsanordnungen abrücken. Andererseits herrschte im Bürokratieapparat keineswegs Einigkeit über die Sinnhaftigkeit der Schließungen. Lokale Instanzen wie Bürgermeister, NSDAP-Kreisleitung, Gauwirtschaftsberater oder die örtlichen Fachgruppen des Einzelhandels widersprachen sich oder handelten gegen die Anordnungen der übergeordneten Instanzen wie den Reichsverteidigungskommissaren, Wirtschaftsgruppenleitungen oder dem Reichswirtschaftsministerium. Alle durch das Reichswirtschaftsministerium dokumentierten Proteste von Textilkaufleuten blieben erfolglos. Auf die eindringliche Bitte der Kauffrau Gertrud Falz aus Fürstenwald (Spree) auf Zurücknahme des Schließungsbescheides antwortete ein Referent der Reichsgruppe Handel im April 1944 kühl:

1436

Vgl. Schreiben betr. Entschließung RVK. 741 vom 17. Ds. Mts., 22.7.1943, BWA K9/3019.

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„Es ist erklärlich, dass bei den zahlreichen Stilllegungen auch ein sehr großer Teil von Einsprüchen an die höchsten Stellen von Partei und Staat gerichtet worden sind, da sehr viele glaubten, dass gerade sie ungerecht behandelt worden sind. Sie können aber versichert sein, dass alle eingeschalteten Stellen nach besten Wissen und Gewissen geurteilt haben“.1437

Von den Stilllegungen im Januar 1943 war auch das Manufakturwarengeschäft Willy Oppermann in Rastenburg (heute: Kętrzyn, Polen) betroffen. Der Inhaber kritisierte massiv die vorgebrachten Gründe der Schließung. Sein Betrieb sei der einzig stillgelegte Textilbetrieb in Rastenburg und habe drei Arbeitskräfte freistellen können. Doch diese seien nicht zur Reichsverteidigung herangezogen worden, sondern „vielmehr bei anderen Textilwarengeschäften in Rastenburg eingestellt“ worden. Diese Stärkung der lokalen Konkurrenzgeschäfte sei „eher Belastung als ein Vorteil für den Staat“. Auch der Einwand, die Schließung würde dem Willen des Führers widersprechen, „dass Betriebe von Frontkämpfern nicht stillgelegt werden dürfen“, blieb ungehört.1438 Ein solcher Frontkämpfer war auch Willy Kalisch. Dessen gut gehendes Textilgeschäft in Rathenow geriet gerüchteweise in Verbindung mit dem Vorwurf der Warenzurückhaltung und des Tauschhandels. Auf Betreiben der NSDAP-Kreisleitung kam Kalisch auf die Liste der zu schließenden Betriebe. Kalisch – für den das Geschäft „Lebenssinn“ war, nachdem er im Krieg einen Arm verloren hatte – intervenierte erfolglos beim Leiter der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel.1439 Als ungerecht empfand der Inhaber der Pforzheimer Lederwarenhandlung Emil Herzog den Stilllegungsbescheid, wo er doch nur zwei Arbeitskräfte hatte.1440 Auch der Einspruch der Schwester des NSDAP-Kreisleiters Arno Müller gegen die Schließung ihres einzigen Wollwarengeschäftes in Treuenbrietzen blieb erfolglos. Der Reichsverteidigungskommissar für die Mark Brandenburg sah keine „versorgungswichtige[n] Gründe für die Wiedereröffnung“ und verwies auf „7 weitere Textilgeschäfte am Platze“. Ziel sei es „die allereinfachste Formel der Warenverteilung während des Krieges [zu] suchen und [zu] finden“.1441

Vgl. Schreiben betr. Stilllegung, 27.4.1944, BA R 3101/12999, p. 185. Vgl. Vorgang „Umfassender Einsatz arbeitsfähiger Männer und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung; Geschäftsschließungen“, BA R 3101/12999, p. 124–133. 1439 Die Schließung der Fa. Willy Kalisch basierte auf dem Vorwurf der schlechten Verteilung von Mangelwaren und Tauschgeschäften. Die Anklage war allerdings wegen Mangel an Beweisen fallengelassen worden. Allerdings blieb Kalisch Ziel der NSDAP und der Gestapo. Ein Kompromissvorschlag der Reichsgruppe Handel, eine „Kriegsgemeinschaft“ mit örtlicher Konkurrenz zu bilden, schlug fehl, da „nach dem Urteil aller örtlichen und parteiamtlichen Dienststellen K[alisch] als sehr streitsüchtig und unbeherrscht gelte“, siehe Vermerk des Reichswirtschaftsministers, 24.1.1945, BA R 3101/13000, p. 52 f. 1440 Vgl. Schreiben an die nationalsozialistische Kriegsopferversorgung betr. Geschäftsschließung der Lederhandlung Emil Herzog, Pforzheim, 15.3.1944, BA R 3101/12999, p. 169 f. 1441 Vgl. Vorgang „Stilllegung der Firma Erika Müller, Treuenbrietzen“, BA R 3101/12999, p. 216–221. 1437 1438

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Den Antrag der Kauffrau Ida Schönwalder auf Neuerrichtung eines Textilgeschäftes in Jägerndorf (heute: Krnov, Tschechien) lehnte die Reichswirtschaftsstelle Reichenberg (heute: Liberec, Tschechien) mit dem Hinweis ab, es gebe kein Bedarf und die Region sei bereits ausgekämmt.1442 Seit 1934 verkaufte das Magdeburger Pelzhaus Jordan mit Sondergenehmigung neben Pelzwaren auch Damenmäntel und Kostüme und beabsichtigte nun im Sommer 1943, sein Sortiment um Damenoberbekleidung zu erweitern. Zu entscheiden war, ob diese Warenkreiserweiterung nach EHSG zulässig war oder es sich um eine (unzulässige) Erweiterung oder Neuerrichtung handelte. Unterstützung erhielt Jordan durch die Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder, die die Damenoberbekleidung als „artverwandt“ zu den bestehenden Sortimenten anerkannte und die Erweiterung damit befürwortete. Die Gauwirtschaftskammer Magdeburg-Anhalt und der Magdeburger Oberbürgermeister lehnten Jordans Antrag ab. Ihrer Auffassung nach verändere die Aufnahme von Damenoberbekleidung die Struktur des Geschäfts und sei damit als Neuerrichtung zu werten.1443 In einem Schreiben vom 20. Juni 1944 an das Reichswirtschaftsministerium zog Dr. Fritz Wiesner, Hauptgeschäftsführer Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, ein umfassendes Fazit bezüglich der Strukturwandlungen infolge der Stilllegungen der Jahre 1943 und 1944: „Die Schließungsaktion des Jahres 1943 hat in einzelnen Gauen zu beachtlichen Geschäftsschließungen geführt, mag auch für das ganze Reichsgebiet der Erfolg dieser Maßnahme nicht den Erwartungen entsprochen haben [ ]. Sicherlich kann mit einer Zahl von 20–25.000 Stilllegungen [für das Jahr 1943] gerechnet werden. [ ] Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Zahl der dem Einzelhandelsschutz unterworfenen, geschlossenen Betriebe bis Ende des Jahres [1944] sicherlich ca. 200.000 betragen wird“.1444 Die ambitionierten Erwartungen hinsichtlich der Mobilisierung von Arbeitskräften für den Rüstungs- und Kriegseinsatz, die das Regime an die Stilllegungen stellte, wurden nicht erfüllt. Bis zum April 1944 waren 107.000 Schließungen im Einzelhandel gemeldet, die meisten infolge von Einberufungen von Inhabern und Belegschaft.1445

Vgl. Vorgang „Nichterteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Errichtung eines Einzelhandelsgeschäftes mit Textilwaren, Beschwerde“, BA R 3101/12997, p. 195 ff. 1443 Vorgang „Einzelhandelsbeschwerde der Firma Pelzhaus Jordan in Magdeburg“, BA R 3101/12997, p. 69–75. 1444 Vgl. Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium betr. Durchführungsverordnung zum Einzelhandelsschutzgesetz; hier: Kriegsplanungsverordnung, 20.6.1944, BA R 3103/13011, p. 44r. 1445 „Bei der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel sind bis zum 1.4.1944 107.000 Schließungen – davon der größte Teil wegen Einberufung gemeldet. [ ] Dazu kommen die bei den Bezirksgruppen liegenden infolge des Personalmangels noch nicht bearbeiteten Meldungen und die inzwischen eingegangenen Meldungen“, siehe Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium betr. Durchführungsverordnung zum Einzelhandelsschutzgesetz; hier: Kriegsplanungsverordnung, 20.6.1944, BA R 3103/13011, p. 44r. 1442

475

476

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Dagegen erkannte Wieser die strukturellen Veränderungen, die infolge der staatlichen Handelskonzentration und Kriegsbewirtschaftung eingetreten waren. Entgegen der ideologischen Mittelstandsprogrammatik der NSDAP hatten die pragmatischen Maßnahmen auch im Einzelhandel die Großbetriebe begünstigt. So stellte Wieser gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium fest: „Die strenge Kriegsbewirtschaftung sowie die Durchführung der Konzentration im Handel mussten zwangsläufig zu einer Stärkung der Großbetriebe führen, da sich die Bewirtschaftungsbehörden aus Gründen der Verwaltung begreiflicherweise auf die Großbetriebe zur Durchführung der Versorgungsaufgabe stützten und damit die kleinen und Kleinstbetriebe immer mehr schwächten. Diese Tendenz [ ] ist insbesondere mit dem Grundgedanken des Einzelhandelsschutzgesetzes, das ja den Schutz des mittelständischen Einzelhandels bezweckt, nicht in Einklang zu bringen“.

Für Wieser gab es auch nach dem Krieg keine Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg in Richtung Großkonzerne zu verlassen. Die Expansion der Großbetriebe war auch eine Folge des Warenmangels und der Stilllegung kleinerer und mittlerer Geschäfte. Nur dank überlegener Kapitalkraft und umfangreicher Warenbezugsquellen sprangen Großbetriebe in die Lücken, die kleine inhabergeführte Unternehmen hinterließen. Ebenfalls scheiterte, so Wieser, die Strategie, Industrie und Genossenschaften aus dem Einzelhandel herauszuhalten: „Dass dabei auch die Industrie sich vielfach bemüht, im Einzelhandel immer mehr an Boden zu gewinnen, ist eine Tatsache, die schon vor dem Kriege Anlass zur Besorgnis gegeben hat. [ ] Ebenso beachtlich ist die Ausdehnung der Genossenschaften und das wachsende Eindringen in die Handelssphäre, weil die Steuerung und Kontrolle durch die Verwaltungsbehörden kaum möglich ist [ ]“.1446

Nach der Verbandsstatistik der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel (Tabelle 94) waren im Einzelhandel nach Ende der ersten Auskämmungs- und Stilllegungswelle (30. Juni 1944) reichsweit 125.000 Betriebe betroffen. Damit war im Einzelhandel knapp jeder sechste aller 701.000 Betriebe betroffen.1447 Schaut man auf die einzelnen Branchen, so streut die Stilllegungsquote erheblich. Während nur jeder neunte Warenhausbetrieb und Lebensmittelhändler betroffen war, war es schon jeder fünfte Filialbetrieb oder jeder zweite Luxuswaren- und Kraftfahrzeughändler. Aus dem Bereich Textil, Kleidung und Leder (Fachgruppe 3) waren 15 Prozent aller 106.000 Geschäfte stillgelegt (Tabelle 95).

Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium betr. Durchführungsverordnung zum Einzelhandelsschutzgesetz; hier: Kriegsplanungsverordnung, 20.6.1944, BA R 3103/13011, p. 45–46. 1447 106.000 Betriebe aus dem Bereich „Textil“ (Fachgruppe 3 Textil, Bekleidung und Leder), 330 Warenhäuser und 25.000 Filialbetriebe, siehe Betriebsstatistik Einzelhandel (30.6.1944), o. D., BA R 3103/13016, p. 35. 1446

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Tab. 94 Bilanz zur Stilllegung im Einzelhandel, 30. Juni 19441448 Kategorie

Anzahl der Betriebe

Einzelhandel insgesamt

701.000

Davon: Verkaufsstellen von Filialbetrieben

25.000

Davon: Verkaufsstellen der Versorgungsringe

11.000

Vorrübergehend geschlossen (Stilllegung, Einziehung, etc.)

125.000

Istbestand (30.6.1944)

576.000

Tab. 95 Bilanz zur Stilllegung im Einzelhandel nach Branchen, 30. Juni 19441449 Fachgruppe Blumen Warenhäuser

Betriebe 8.000

stillgelegt

Still-Q

k. A.

k. A.

330

37

11,0 %

Nahrungs- und Genussmittel

310.000

35.000

11,3 %

Textil

106.000

16.100

15,2 %

Tabak

50.000

7.800

15,5 %

Eisenwaren, Elektro- und Hausgerät

40.000

6.900

17,1 %

Papier, Bürobedarf, Kunstgewerbe

28.000

5.100

17,9 %

Filialbetriebe

25.000

5.000

20,0 %

Gesundheitspflege, Chemie und Optik

36.000

7.900

22,3 %

Maschinen

23.000

5.600

24,3 %

Zoologische Artikel

1.500

430

28,7 %

Möbel und Musik

17.000

6.000

35,5 %

Versandgeschäfte

3.400

1.300

38,0 %

Rundfunk

7.400

3.200

43,2 %

Juwelen, Gold- und Silberwaren,

11.000

4.900

43,9 %

Kraftfahrzeuge und Tankstellen

25.000

13.200

52,5 %

Anmerkungen: Still-Q = Stilllegungsquote in Prozent.

Unmittelbar nach Wiesers interner Bilanz der vorangegangenen Stilllegungsaktionen erging ein Rundschreiben des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer an die Rüstungskommissionen, Rüstungsinspekteure, Landeswirtschaftsämter, Gauarbeitsämter und Reichstreuhänder der Arbeit. Darin kündigte Speer eine erneute Auskämmungsaktion (AZS-Aktion) für den Sommer 1944 an. Der Rüstungsproduktion sollten infolge des alliierten Bombenkrieges zusätzliche zivile Arbeitskräfte

1448 1449

Aufstellung nach Betriebsstatistik Einzelhandel (30.6.1944), o. D., BA R 3103/13016, p. 35. Aufstellung nach Betriebsstatistik Einzelhandel (30.6.1944), o. D., BA R 3103/13016, p. 35.

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478

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

zugeführt werden. Diese Maßnahme sei, so Speer, „vertretbar, weil die jetzige Lage die Anwendung wesentlich schärferer Maßstäbe erfordert“.1450 Das Reichswirtschaftsministerium sowie die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel traf diese Ankündigung völlig unerwartet. Auf Haylers Nachfrage, ob Reichswirtschaftsminister Funk vom Speererlass Kenntnis habe, antwortete dieser, dass er die Anordnung weder kenne noch billige: „er [Funk] habe zu einem derartigen Erlass keinerlei Zustimmung gegeben, vielmehr als bei den Besprechungen [am 19.7.1944] im Führerhauptquartier eine weitere Abziehung [!sic] von Kräften aus dem Handel vorgeschlagen wurde, hiergegen protestiert“.1451

Betroffen von der Maßnahme waren Betriebe aller Wirtschaftszweige, wobei sich die Maßnahmen auf Branchen mit einer Wochenarbeitszeit unter 60 Stunden bezogen. Die Abgabequoten, die Speer aufstellte, lagen zwischen ein bis fünf Prozent der Belegschaft eines Wirtschaftszweiges, wobei Handel, Banken, Versicherungen sowie das Gaststättengewerbe mit fünf Prozent am stärksten betroffen waren. Wie schon Anfang 1943 galt es, die lebenswichtige Versorgung nicht zu gefährden. Die Auskämmung sollte bereits nach acht Wochen abgeschlossen sein und die Gauarbeitsämter sollten wöchentlich über den Stand der Umsetzung zu berichten (Ist- und Sollstand), wobei die Zielmarke der Arbeitskräftebeschaffung bei 268.000 Arbeitskräften lag.1452 Zwar sollte der Einzelhandel Arbeitskräfte primär aus den Nicht-L-Betrieben freigeben,1453 doch die Arbeitsämter verschärften in den Ballungsräumen die Auskämmung in den Warenhäusern und Filialbetrieben, ohne Rücksprache mit dem Reichswirtschaftsministerium. Damit wurden jene Großbetriebe herangezogen, die – wie Wieser bemerkte – das Rückgrat der notwendigen Versorgung der Zivilbevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs seien. Etwa jeder dritte Angestellte der verbliebenen 293 Warenhausbetriebe im Deutschen Reich – rund 6.000 Personen – sollte in die Rüstungswirtschaft überführt werden und die Warenhaushauptstadt Berlin mit gutem Beispiel vorangehen. Der ambitionierte Plan, jeden fünften Berliner Warenhausangestellten auszukämmen, schlug vorerst fehl. Das Reichswirtschaftsministerium vermerkte trocken: „Schon im ersten Betrieb, an dem man eine entsprechende praktische Forderung stellte (er sollte 8 Leute von 24 Gesamtkräften abgeben) hat sich herausgestellt, dass voll einsatzfähige Kräfte überhaupt nicht in der nötigen Zahl vorhanden sind“.1454

Vgl. Schnellbrief betr. AZS-Aktion Sommer 1944, 18.7.1944, BA R 3103/13016, p. 2–7. Vgl. Vermerk betr. AZS Sommer 1944, 31.7.1944, BA R 3103/13016, p. 18–19. Die am stärksten geforderten Gaue waren Berlin (18.500), Sachsen (25.000), Wartheland (13.000), Baden/Elsaß und Niederschlesien (je 12.000) sowie das Sudetenland (12.700), siehe Schnellbrief betr. AZS-Aktion Sommer 1944, 18.7.1944, BA R 3103/13016, p. 2–7. 1453 Waren L-Betriebe betroffen, mussten die Arbeitsämter das Einverständnis der Landeswirtschaftsund Ernährungsämter und der bezirklichen Gliederungen des Handels einholen, siehe Schnellbrief betr. AZS-Aktion Sommer 44/Handel, o. D., BA R 3103/13016, p. 8–10. 1454 Vgl. Vermerk betr. Durchführung der AZS-Aktion im Berliner Handel, 21.8.1944, BA R 3103/13016, p. 72 f. 1450 1451 1452

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Während sich die Berliner Großhandelsbetriebe wegen des Hinweises auf ihre Versorgungssicherheit in den ersten Wochen noch gegen die Auskämmung verwahren konnten, gelang dies den kleineren und mittleren Geschäften weniger gut. Am Ende der angeordneten Auskämmphase im August 1944 waren von den 26.221 Einzelhandelsgeschäften in Berlin bereits 8.723 geschlossen (33 Prozent). Insgesamt gruppierten die Behörden mehr als zwei Drittel aller Einzelhändler als nichtschutzwürdigen, auszukämmenden „Nicht-L-Betrieb“ ein (Tabelle 96). Überdurchschnittlich betroffen waren erneut die Textileinzelhändler. Von den 4.100 Betrieben mussten mehr als 86 Prozent den Arbeitsämtern Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Tab. 96 Verteilung Schutzbetriebe und Auskämmbetriebe nach Fachgruppen, August 19441455 Bezirksfachgruppe (1) Nahrungs- und Genussmittel

MB

L-Liste

Nicht-L-Liste

10.500

k. A.

k. A.

(2) Tabak

4.900

51,0 %

49,0 %

(3) Bekleidung, Textil und Leder

4.100

13,6 %

86,4 %

(4) Raumgestaltung und Musik

2.212

5,9 %

94,1 %

(5) Eisenwaren, Elektro- und Hausgerät

1.862

31,7 %

68,3 %

(6) Gesundheitspflege, Chemie und Optik

5.200

47,8 %

52,2 %

(7) Kraftfahrzeuge, Kraftstoffe, Garagen

1.460

18,6 %

81,4 %

(8) Maschinen (9) Kunstgewerbe, Papier- und Spielwaren (10) Rundfunk (11) Juwelen, Gold- und Silberwaren, Uhren (12) Blumen (13) Kohlenhandel GESAMT

722

39,9 %

60,1 %

2.153

18,6 %

81,4 %

400

40,3 %

59,7 %

1.235

10,0 %

90,0 %

402

8,5 %

91,5 %

2.575

10,0 %

90,0 %

26.221

29,7 %

70,3 %

Anmerkungen: im Original lautet der Titel „Aufstellung und Unterscheidung der Mitgliedsbetriebe der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel in Berlin nach Schutz- und Auskämmbetrieben“; MB = Mitgliedsbetriebe (1939); L-Liste = Anteil der Schutzbetriebe in Prozent; Nicht-L-Liste = Anteil der Auskämmbetriebe in Prozent.

Über das Ergebnis der Auskämmaktion im Deutschen Reich berichtete die Reichsgruppe Handel Anfang September 1944 an das Reichswirtschaftsministerium. Demnach sei „aus keinem Gau von wesentlichen Schwierigkeiten berichtet“ und das Vorgehen „von allen Seiten begrüßt worden“. Die Reichsgruppe schloss mit dem Fazit, die Auskämmung habe sich „teilweise sehr kurzfristig, aber doch einigermaßen planmäßig

Aufstellung nach Schreiben mit Anlage an Dr. Günter, Reichswirtschaftsministerium, 23.8.1944, BA R 3103/13016, p. 73–74. 1455

479

480

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

und systematisch [vollzogen], so dass der lebens- und kriegsnotwendige Handelsapparat im Wesentlichen funktionsfähig erhalten [blieb]“. Die Reichshauptstadt meldete durchweg positive Ergebnisse: „Für das Textilgebiet wird festgestellt, dass auch die 100 Prozentige Erhöhung für die Betriebe noch keine Schwierigkeiten bringen wird, sondern dass das Aufbringungssoll von 1000 Arbeitskräften für Textil und Schuhe zusammen noch nicht alle Arbeitskräfte erfasst, die unter Berücksichtigung der Umsatzlage auskämmfähig sind“.1456

Aufgrund der Evakuierungen infolge des alliierten Bombardements sah die Reichsgruppe Handel erhebliche Verkaufskapazitäten freiwerden, die nunmehr der tatsächlichen Lage angepasst werden mussten. Auch in Düsseldorf („Quoten grundsätzlich [ ] erfüllt“), den Gauen Tirol-Voralberg („Gesamtsoll um ca. 40 Prozent überschritten“) und Oberrhein („Elsass stark herangezogen“) erfüllte die Aktion die Erwartungen und die Arbeitskräftemeldungen aus den Betrieben dort lagen teilweise über dem Bedarf.1457 Schaut man auf die detaillierten Berichte aus den einzelnen Gauen, differenziert sich das Bild und der Vorgang war weit weniger planmäßig durchgeführt und begrüßt worden. Mancherorts hielten die Erwartungen der Realität nicht stand. Im Sudetenland gefährdete der Soll die Verbraucherversorgung, in Oberschlesien sah man die Arbeiten am „Ostwall“ für weitaus dringlicher an und Westfalen-Nord hatte sein Soll zwar aufgebracht, doch klagte der Bericht: „Die Anforderungen einiger kleiner Rüstungsfirmen mit einfachster Fertigung (Zünderfertigung) sind so hoch, dass sie aus dem übrigen Aufkommen nicht gedeckt werden können. Selbst bei schärfster Durchführung der neuen Erlasse würden zwar eine Reihe Betriebe des Handels zum Erliegen kommen müssen, ohne dass es gelingt, diesen Fertigungen den notwendigen Auftrieb zu geben“.1458

Aufschlussreich sind die überlieferten Umsetzungsanträge des „Generalbeauftragten für Betriebsumsetzungen beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion“ an das Reichswirtschaftsministerium im August 1944. Das Reichswirtschaftsministerium sollte seine Zustimmung geben, dass freie Handelsgroßbetriebe stillgelegt und alle Arbeitskräfte „zwecks Umsetzung in besonders vordringliche Rüstungsfertigungen“ abgegeben werden konnten.1459 Bei den betroffenen Betrieben handelte es sich um das Metzer Kaufhaus in Metz und die in Berlin ansässigen Textil-Großhandlungen R. & Schreiben betr. AZS-Aktion Sommer 44, 8.9.1944, BA R 3103/13016, p. 108–114. Bis zum 1. September 1944 waren in Düsseldorf 431 Kräfte freigesetzt worden, siehe Schreiben betr. AZS-Aktion Sommer 44, 8.9.1944, BA R 3103/13016, p. 108–114. 1458 Sudentenland meldete, dass der „Aufbringsoll von 2.100 Personen bei bereits äußerst geschwächtem Handel kaum ohne Störung in der Verbraucherversorgung erreicht werden kann“, siehe Schreiben betr. AZS-Aktion Sommer 44, 8.9.1944, BA R 3103/13016, p. 108–114. 1459 Vgl. Schreiben an den Herrn Reichswirtschaftsminister betr. Metzer Kaufhaus, Metz, R. & W. Grube & Co, Berlin, Woltex, Berlin, 31.8.1944, BA R 3103/13016, p. 95. 1456 1457

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

W. Grube & Co. sowie Woltex. Das Reichswirtschaftsministerium verweigerte seine Zustimmung, da die drei Betriebe als versorgungswichtige L-Betriebe eingestuft und „praktisch von den Ereignissen überholt“ worden waren. Aus Sicht des Reichswirtschaftsministeriums war die Auswahl der drei Unternehmen planlos, unsystematisch und oberflächlich: „[Man kann] wohl schwerlich im Sinne Ihres Schreibens vom 8.9.1944 von „eingehend geprüften Vorschlägen der Mittelinstanz“ sprechen [ ]. Ich glaube nicht, dass bei einer derartigen, rasch und formlos, in vielen Fällen fernmündlich, durchzuführenden Überprüfung die Dienststellen der Mittelinstanz tatsächlich die drei zur Diskussion stehenden Firmen zur Stilllegung und Umsetzung vorgeschlagen haben würden“.

Eine Stilllegung stand nach Auffassung des prüfenden Referenten in keinem Verhältnis zum „Gewinn an wirklich für die Rüstung wertvollen Arbeitskräften“. Ganz grundsätzlich wandte sich das Reichswirtschaftsministerium gegen die gegenüber Handelsbetrieben oft praktizierte Gleichsetzung der Auskämmung von einzelnen Arbeitskräften und einer allgemeinen Stilllegung des Betriebes: „Die Anwendung des Stilllegungs- und Umsetzungsverfahrens auf Handelsbetriebe führt nach meiner Ansicht nur zu einem nicht in Einklang mit dem wirklichen für die Rüstungswirtschaft erzielten Erfolg stehenden Aufwand an Arbeitsvorgängen bei allen beteiligten Dienststellen und zu einer Beunruhigung der Betriebe und Störungen in der Versorgung, die gerade im Interesse der in der Rüstungswirtschaft tätigen, angespannt arbeitenden Volksgenossen vermieden werden müssen“.

Mit Verweis auf die „arbeitseinsatzmäßig so wenig befriedigenden Ergebnisse“ der Stilllegungsaktion im Handel im Frühjahr 1943 solle man grundsätzlich von Stilllegungsaktionen im Handel absehen.1460 6.4.3

Umsätze in Kriegszeiten

Am Ende des Jahres 1939 erreichten die absoluten Umsätze im Einzelhandel und im Textileinzelhandel mit 37 Milliarden bzw. knapp 11 Milliarden Reichsmark ihre Höchststände für die Zeit des „Dritten Reiches“. Gleiches gilt für die Umsätze der Konfektionsbranchen, die nun in etwa auf dem Niveau der späten 1920er Jahre lagen. Für die eigentlichen Kriegsjahre 1940 bis 1945 liegen keine systematischen Erhebungen vor. Unbestritten war der Textilumsatz am Ende des ersten vollen Kriegsjahres (1940) erstmals rückläufig. Kriegsbedingt verzeichneten auch beide Konfektionsbran-

Schreiben an den Generalbeauftragten für Betriebsumsetzungen betr. Metzer Kaufhaus, Metz, R. & W. Grube & Co, Berlin, Woltex, Berlin, 4.10.1944, BA R 3103/13016, p. 97–99. 1460

481

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

chen Einbußen. Die Umsätze in Damen- und Herrenmode brachen zwischen 1939 und 1943 um etwa ein Drittel ein. Während der Friedensjahre verlor die Damenkonfektion umsatzmäßig an Gewicht, während die Herrenkonfektion Marktanteile ausbauen konnte – erst der Kriegsausbruch kehrte diesen Trend zugunsten der Damenkonfektion um (Tabelle 97). Tab. 97 Umsatz (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1939 bis 1461 19431461 Tabelle 97 Umsatz (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1939 bis 1943 Jahr Jahr

EinzelBekleidung DamenHerrenAnteil Anteil DOB Anteil HAKA Einzelhandel Bekleidung Damenbekleidung Herrenbekleidung Anteil handel bekleidung bekleidung DOB HAKA 1939 37,0 10,7 0,560 6,8 % 1939 37,0 10,7 0,560 0,725 0,725 5,2 % 6,85,2 %% 1940 34,9 9,9 0,555 0,630 5,6 % 6,4 % 1940 34,9 9,9 0,555 0,630 5,6 % 6,4 % 1941 1941 1942 1942

0,560 0,560 0,510 0,510

0,580 0,580

0,540 0,540 1943 0,380 0,490 1943 0,380 0,490 Anmerkungen: lfd. Preise; in Mrd. Reichsmark; Anteil DOB = Anteil Damenbekleidung an Bekleidung in Anmerkungen: lfd. Preise; in Mrd. Reichsmark; Anteil DOB = Anteil Damenbekleidung an Bekleidung Prozent; Anteil HAKA = Anteil Herrenbekleidung an Bekleidung in Prozent. in Prozent; Anteil HAKA = Anteil Herrenbekleidung an Bekleidung in Prozent.

Über die Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels in der Kriegszeit wissen wir auf aggregierter Über die Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels in der Kriegszeit wissen wir Ebene wenig. Tiburtius veröffentlichte nach dem Krieg den umfassendsten (wenn auch auf aggregierter Ebene (1938=100) wenig. Tiburtius nach Krieg denund umfasgeschätzten) Umsatzindex für den veröffentlichte Fachhandel für die Zeitdem zwischen 1938 1943 sendsten (wenn auch geschätzten) Umsatzindex (1938 = 100) für den Fachhandel für (Abbildung 31).

die Zeit zwischen 1938 und 1943 (Abbildung 31).

Abbildung 31 Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels, 1938 bis 1943

1462

115 110 105 1938=100

482

100 95 90 85 80 75 70 1938

1939

1940

1941

1942

Textilwarenfachgeschäfte

Textilwaren aller Arten

Damen- und Mädchenkleidung

Herren- und Knabenkleidung

1943

Anmerkungen: 1938=100; lfd. Preise. Abb. 31 Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels, 1938 bis 19431462

Die Befunde der1938 absoluten werden hier bestätigt. Der Kriegsbeginn wirkte Anmerkungen: = 100; Umsatzentwicklung lfd. Preise. unmittelbar negativ auf Herrenbekleidung, während Textilwaren und Damenbekleidung mit leichten Einbußen bis 1941/42 stabil blieben, dann jedoch umso schärfer auf das Umsatzniveau der etwa 1461Herrenkleidung Zur Berechnungeinbrachen siehe Tabelleund 74 insich Kapitel 6.4. auf dem Niveau der frühen 1930er Jahre 1462 Darstellung nachGründe Tiburtiuslassen (1949),sich 16 f.für die beschriebene Umsatzbewegung der Kriegszeit einpendelten. Welche anführen? Zunächst erklären sich die Steigerungen des Jahres 1939 hauptsächlich aus den ersten acht unbewirtschafteten Monaten mit konstanten Steigerungsraten gegenüber den jeweiligen Vorjahren (Abbildung 32). Abbildung 32 Umsatzentwicklung, Textileinzelhandel, 1934 bis 1941

1463

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Die Befunde der absoluten Umsatzentwicklung werden hier bestätigt. Der Kriegsbeginn wirkte unmittelbar negativ auf Herrenbekleidung, während Textilwaren und Damenbekleidung mit leichten Einbußen bis 1941/42 stabil blieben, dann jedoch umso schärfer auf das Umsatzniveau der Herrenkleidung einbrachen und sich etwa auf dem Niveau der frühen 1930er Jahre einpendelten. Welche Gründe lassen sich für die beschriebene Umsatzbewegung der Kriegszeit anführen? Zunächst erklären sich die Steigerungen des Jahres 1939 hauptsächlich aus den ersten acht unbewirtschafteten Monaten mit konstanten Steigerungsraten gegenüber den jeweiligen Vorjahren (Abbildung 32). 350

1932=100

300 250 200 150 100 50 Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan Mai Sep Jan 34 34 34 35 35 35 36 36 36 37 37 37 38 38 38 39 39 39 40 40 40 41 Einzelhandel Textil- und Manufakturwaren Damen- und Mädchenkleidung

Bekleidung und Textilien Herren- und Knabenkleidung

Anmerkungen: 1932=100, lfd. Preise, in den Monaten Januar, Mai1941 und 1463 September. Abb. 32 Umsatzentwicklung, Textileinzelhandel, 1934 bis

Anmerkungen: 1932 = 100, lfd. Preise, in den Monaten Januar, Mai und September.

Ab Sommer bis Jahresende 1939 bescherte die Bewirtschaftung dem textilen Fachhandel im Vergleich zu den Vorjahren eine deutlich weniger dynamische Entwicklung. Obwohl die Ab Sommer bis Jahresende 1939 bescherte die Bewirtschaftung dem textilen FachhanBewirtschaftungsmaßnahmen zum 28. August 1939 gestartet waren, brachen die Umsätze nicht del im Vergleich denwaren Vorjahren eine deutlich weniger dynamische Entwicklung. ruckartig ein. Grundzu dafür die zunächst sehr großzügige Ausgabe von Bezugscheinen und Obwohl die Bewirtschaftungsmaßnahmen zum 28.dennoch Augustihr 1939 gestartet waren, bradie umfangreiche Freiliste. Die Bewirtschaftung erreichte Hauptziel: Drosselung und chen diedes Umsätze nicht ruckartig Grund dafür die zunächst sehr großzügiLenkung Bekleidungskonsums undein. Verlangsamung derwaren Umsatzsteigerungen. So meldete der ge Ausgabe von Bezugscheinen und die umfangreiche Freiliste. Die Bewirtschaftung kleine Textilfachhändler Becker: „Zunächst war kaum eine Waren-Verknappung zu spüren, wenn auch der Verkauf gegen […] manchen Ärgerund mit der Kundschaft hervorrief. Das Punkteerreichte dennoch ihrPunkte Hauptziel: Drosselung Lenkung des Bekleidungskonsums Kleben wurde zur ständigen Feierabend-Beschäftigung“. und Verlangsamung der Umsatzsteigerungen. So 1464 meldete der kleine Textilfachhändler

Becker: „Zunächst war kaum eine Waren-Verknappung zu spüren, wenn auch der Ver-

Die Erste Kleiderkarte (1939/1940) beeinflusste die Betriebsergebnisse deutlich negativer. Zwar meldete die NS-Fachpresse, dass die Umsätze „keinesfalls außerordentlich stark nach unten gezogen“ worden seien. Da sich die Ausgabe der Kleiderkarten vier Wochen hinzog, waren erst die Dezember-Umsätze beeinflusst. Ab Dezember 1939 setzte ein regelrechter „Umsatzstopp“ 1463 Die Darstellung nach lobte Statistisches des Deutschen Abteilung „Verbrauch, ein. Propaganda zwar Jahrbuch den „genialen MomentReiches, des Systems“, indem es Wirt„die schaftsrechnungen, Umsatz“, diverse Jahrgänge. Verbrauchsmengen regelt, [aber] dem Verbraucher überlässt, im Rahmen dieser Mengenregelung seinen persönlichen Bedarf zu befriedigen“. Der Fachhandel sah sich aber einem Umsatzeinbruch im Dezember gegenüber dem Vormonat von 23 Prozent gegenüber. Nun machten sich die „Vorgriffe“ der Kunden bemerkbar. 50 bis 60 Prozent der Dezember-Punkte hatten die Kunden bereits im November verbraucht – damit lag das Weihnachtsgeschäft 1939 brach. Hier lagen die Umsätze des Textilfachhandels auf dem Niveau des Jahres 1936. Der Fachhandelsumsatz mit

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

kauf gegen Punkte [ ] manchen Ärger mit der Kundschaft hervorrief. Das Punkte-Kleben wurde zur ständigen Feierabend-Beschäftigung“.1464 Die Erste Kleiderkarte (1939/1940) beeinflusste die Betriebsergebnisse deutlich negativer. Zwar meldete die NS-Fachpresse, dass die Umsätze „keinesfalls außerordentlich stark nach unten gezogen“ worden seien. Da sich die Ausgabe der Kleiderkarten vier Wochen hinzog, waren erst die Dezember-Umsätze beeinflusst. Ab Dezember 1939 setzte ein regelrechter „Umsatzstopp“ ein. Die Propaganda lobte zwar den „genialen Moment des Systems“, indem es „die Verbrauchsmengen regelt, [aber] dem Verbraucher überlässt, im Rahmen dieser Mengenregelung seinen persönlichen Bedarf zu befriedigen“. Der Fachhandel sah sich aber einem Umsatzeinbruch im Dezember gegenüber dem Vormonat von 23 Prozent gegenüber. Nun machten sich die „Vorgriffe“ der Kunden bemerkbar. 50 bis 60 Prozent der Dezember-Punkte hatten die Kunden bereits im November verbraucht – damit lag das Weihnachtsgeschäft 1939 brach. Hier lagen die Umsätze des Textilfachhandels auf dem Niveau des Jahres 1936. Der Fachhandelsumsatz mit Wäsche brach um 38,5 Prozent, Herrenausstattungen um 30,7 Prozent und Damen- und Mädchenmode um bis zu 15 Prozent ein.1465 Das Bewirtschaftungssystem forcierte den Wettbewerb zwischen den Betriebsformen. Die Kleiderkarten zogen große Umsatzunterschiede zwischen Klein- und Großbetrieben nach sich. Viele Kunden bevorzugten hohe Qualitäten in entsprechenden Preislagen. Hier waren Spezialfachgeschäfte im Vorteil, weil sie gegenüber großbetrieblichen Kauf- und Warenhäusern größere Lager in bezugscheinfreier Ware vorgehalten hatten und die Großbetriebe erst allmählich anfingen, diese „Warenlücke“ zu schließen. Die Umsätze der Großbetriebe gingen zwischen Januar und Juli 1940 um 22 Prozent und die Kundenzahlen um 28 Prozent zurück (Tabelle 98). Ihren Umsatz pro Kunde konnten die Großbetriebe allerdings um 9 Prozent steigern. Die NS-Propaganda rechtfertigte die Umsatzverluste und Qualitätsverschiebungen mit dem intendierten Lenkungsziel des Abbaus der Rohstoffverschwendung. Der Führer der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Hayler sah die Aufgabe der Einzelhändler im Frühjahr 1940 vornehmlich darin, bei der Bevölkerung „Verständnis für [die] Versorgungslage [zu] wecken“.1466 Die gleichgeschaltete Fachpresse zeigte sich daraufhin im März 1940 „absolut überrascht“, dass der Umsatzrückgang „viel geringer ausfiel“ als prognostiziert. Dies waren allerdings die Auswirkungen der Vorauskäufe. Viele Kunden hatten ihren Bedarf vor Einführung der Kleiderkarte über ihren momentanen Bedarf hinaus auf viele Monate im Voraus gedeckt. Regional uneinheitlich berichteten Händler von „vereinzelt auftretenden Hamsterkäufen“. Die Kunden machten sehr starken Gebrauch vom „Vorgriffsrecht“ der Kleiderkarten, sodass nicht wenige Händler

1464 1465 1466

Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März 1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 9. TexW, Wie entwickelt sich der Umsatz, 19.10.1940. TexW, Die Aufgaben des Einzelhandels, 24.2.1940.

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Tab. 98 Umsatzveränderungen, Großbetriebe, Dezember 1939 bis September 19401467 Monate Dezember 1939

Umsatzveränderung -33,0 %

Januar 1940

-8,5 %

Februar 1940

-11,0 %

März 1940

-2,5 %

April 1940

-21,0 %

Mai 1940

-28,5 %

Juni 1940

-27,5 %

Juli 1940

-32,5 %

August 1940

-22,0 %

September 1940

-22,0 %

Anmerkungen: Umsatzveränderung ggü. Vormonat in Prozent.

befürchteten, dass im Jahresverlauf Punkteknappheit zu erwarten war. Auch verschoben sich die Umsätze innerhalb einzelner Warensortimente. Die Herrenkonfektion berichtete von sehr guten Umsätzen bei Anzügen und Hosen und von Umsatzrückgängen bei modischeren Artikeln wie Hemden, Pullovern und Krawatten. Ähnliche Bewegungen stellten die Händler auch in der Damenmode fest. Hier kauften Kunden vor allem Wollstoffe, warme Unterwäsche und Strümpfe. Die riesige Nachfrage nach Kindermänteln und Säuglingskleidung konnte durch die Händler indes kaum befriedigt werden. Die Behörden reagierten daraufhin mit Sonderabschnitten für Strümpfe und Krawatten zu Weihnachten und der Einführung der Zusatzkarte für Jugendliche ab April 1940. Generell bevorzugten die Kunden also praktische Gebrauchsgegenstände von guter Qualität, zunächst ungeachtet des Preises – sodass sich die gleichgeschaltete Fachpresse gezwungen sah, die Bevölkerung an das „oberste Gebot [der] Sparsamkeit“ zu erinnern.1468 Mit dem Frühjahr 1940 enden die quantitativen und qualitativen Berichte zur Geschäfts- und Umsatzlage in der NS-Textilfachpresse. Daher lohnt nun ein Blick auf die konkrete Geschäftsentwicklung von Textilhändlern. Auch hier sind wir für die Kriegszeit bruchstückhaft bis systematisch unterrichtet.

1467 1468

Aufstellung nach TexW, Wie entwickelt sich der Umsatz, 19.10.1940. TexW, Textil-Einzelhandelsumsätze in neuer Beleuchtung, 30.3.1940.

485

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

6.4.3.1 Hettlage Über die Geschäftsentwicklung der Hettlage-Gruppe seit 1939 in Hinblick auf Umsatz und Gewinn ist nichts bekannt. Noch am besten ist man über das Münchner Geschäft unterrichtet, welches am 1. Januar 1937 seinen Betrieb aufnahm, dessen Unterlagen jedoch während der Bombenangriffe 1944/45 größtenteils verbrannten. Die im Nachhinein berechneten Zahlen könnten daher nach unten verfälscht sein, um den Restitutionsansprüchen nach 1945 einen möglichst geringen Geschäftswert entgegen zu halten. Bis 1941 befand sich das Geschäft in der Gewinnzone. Besonders im Jahr 1939 profitierte auch Hettlage vom Kaufandrang und konnte gegenüber dem Vorjahr seinen Gewinn um knapp das fünffache steigern. Die Folgen des Kleiderkartensystems schlugen sich bereits 1940 nieder, wobei es Hettlage gelang, seinen Gewinn im Jahr 1941 – entgegen dem Branchentrend – zu steigern. Doch im Verlauf des Geschäftsjahres 1942 brachen die Geschäfte infolge der Kriegs- und Mangelwirtschaft ein und das Geschäftsergebnis konnte nur aufgrund der Mieterträge aus dem Objekt Landwehrstr. 1 positiv gehalten werden, während das operative Geschäft ab 1942 steigende Verluste auswies. Die tradierten Investitionen bestätigen die zweigeteilte Geschäftsentwicklung. Während Hettlage das Geschäft bis 1940 ausbauen, modernisieren und erweitern konnte, blieben ab 1941 keine solchen Überschüsse übrig (Tabelle 99). Tab. 99 Geschäftsentwicklung, Hettlage, Haus München, 1937 bis 19451469 Jahr 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 und 1945

Gewinn 3.170 10.076 47.125 32.040 75.217 -2.377 -10.437 -111.814

Investitionen 986 32.777 83.739 8.893 57 218

Anmerkungen: grundete Angaben in Reichsmark, lfd. Preise.

6.4.3.2 Hirmer Die Nachfolge-Unternehmen der Bamberger & Hertz-Gruppe entwickelten sich bis 1945 ökonomisch höchst unterschiedlich – von schleppend bis erfolgreich. Bemerkenswert ist, dass die Nachfolgefirmen überall dort Fuß fassten und erfolgreich waren, „Investitionen“ umfassen Umbau des Treppenhauses, Fahrstuhlanlage und kurz- und langfristige Geschäftseinrichtung, siehe Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1469

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

wo man sich implizit – in Fragen des Sortiments, des Services und der Reklame – in die Tradition der (jüdischen) Bamberger & Hertz-Gepflogenheiten stellte. Im September 1938 nahm Hansen & Co. seinen Geschäftsbetrieb mit 80 Angestellten im Kölner Agrippinahaus auf. Das arisierte Bamberger & Hertz-Geschäft leitete der frühere Angestellte Emil Haller.1470 Hatte Hansen & Co. Ende des Jahres 1938 noch einen Verlust ausgewiesen, so erzielte das Geschäft 1939 einen Umsatz von zwei Millionen Reichsmark. Damit lag es auf dem Niveau der vergleichbar großen Bamberger & Hertz-Häuser in Köln, München, Frankfurt und Leipzig.1471 Als formal „arisches“ Geschäft profitierte Hansen & Co. nun unmittelbar von der exponierten Lage und dem modernen Geschäftsbau. Das Agrippinahaus bot 2000 qm Verkaufsfläche und 29 Schaufenster über eine 70 Meter lange Straßenfront.1472 Ohne für den good-will zu bezahlen, stellte sich Hansen & Co. marketing- und reklamemäßig in die Tradition von Bamberger & Hertz und sprach Bamberger & Hertz-Kunden mit vertrauten Bild- und Wortmarken an. Über den Geschäftsverlauf des durch Hirmer & Co. übernommenen Bamberger & Hertz-Geschäftes in München sind wir vergleichsweise gut unterrichtet. Zwar finden sich kaum qualitative Beschreibungen und Einschätzungen der Geschäftsentwicklung zwischen 1938 und 1945 seitens der Geschäftsführung, dafür jedoch eine Reihe von statistischem Material, teilweise in Monats- und Tagesabständen, seit der Geschäftsübernahme am 1. November 1938, das eine nähere Analyse erlaubt.1473 Am 5. November 1938 wurde das Geschäft für Herrenbekleidung unter der Firma Hirmer & Co., KG „neueröffnet“. In einem Rundschreiben vom 29. Oktober 1938 informierte die neue Gesellschaft ihre Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner über die bevorstehende Arisierung als „Übernahme und Neueröffnung“.1474 Den reichsweiten Zerstörungen in der Nacht zum 10. November entging das nun „deutsche“ Geschäft Hirmer angeblich ohne Schäden.1475 Ein unbeschadeter Geschäftsbeginn ist doch sehr wahrscheinlich, platzierte Hirmer doch am Mittwoch, den 9. November 1938 Anzeigen in den drei meistgelesenen Münchner Zeitungen (Münchner Neueste Nachrichten, Münchner Zeitung und Völkischer Beobachter). Hirmer selbst schrieb euphorisiert an seinen Kapitalgeber Döring: „Montag und Dienstag hatten wir ein ganz gutes Geschäft (jeden Emil Haller als Leiter von Hansen & Co. am 14. Januar 1939: „Köln ist verkauft, Liquidation [von Bamberger & Hertz, Köln] beendet“, siehe Niederschrift für die Bayerische Treuhand-Aktiengesellschaft betreffend Vermögensverwaltung Fritz Bamberger, München vom 14.1.1939, HUA 2013/02/0034, S. 101 ff. 1471 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert, HUA 2013/02/0010, S. 90 f. 1472 Der imposante Bau beherbergte zwischen 1913 und 1928 die Kölner Filiale des Textilunternehmens C&A Brenninkmeyer, bevor Bamberger & Hertz das Lokal bezogen, siehe Spoerer (2016), C&A, S. 63 f., bes. Übersicht 2.2. 1473 Vgl. besonders in HUA 2013/01/0003; HUA 2013/02/0036.0013; HUA 2013/02/0036.0057; HUA 2012/09/0035; HUA 2012/09/0036 und HUA 2012/09/0039. 1474 HUA 2012/11/0001, S. 26, S. 31. 1475 Vgl. Bamberger (1990) LBI ME 1403, S. 153. Nach den Erinnerungen von Elisabeth Bamberger wurde das Geschäft in München „teilweise zertrümmert“, siehe Bamberger (o. D.) LBI ME 29, S. 33. 1470

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tag 10[000 RM]) und wir hoffen, dass wir wieder ein „Bomben-Geschäft“ bekommen wie früher“.1476 Auch wenn sich Hirmer gegenüber den Behörden, Konkurrenten, Lieferanten und Kunden als „neues“ Geschäft etablieren wollte, so zeigen besonders die statistischen Aufzeichnungen, dass der Inhaber sich und sein Geschäft zunächst sehr bewusst in der wirtschaftlichen Nachfolge von Bamberger & Hertz sah. So schrieb Hans Hirmer die täglichen Umsätze in denselben Notizblock wie Bamberger und so finden sich heute die fast lückenlosen Umsätze des Münchner Hauses von 1926 bis 1953. Betrachtet man die Münchner Umsätze über den Zeitraum 1933 bis ins letzte Jahr der reichsweiten Branchen-Statistik, so muss man ein umsatzmäßiges Auseinanderdriften zwischen Textilbranche und den Unternehmen Bamberger & Hertz und Hirmer feststellen.1477 In Bezug auf 1932 hatten sich demnach die Umsätze der erfassten Unternehmen der Manufakturwarenbranche bzw. der Herren- und Knabenkonfektion zwischen 1933 bis 1939 verdoppelt. Die Umsätze für Damen- und Mädchenkleidung stiegen im selben Zeitraum um 50 Prozent im Vergleich zu 1932. Demgegenüber konnte Bamberger & Hertz, und ab November 1938 Hirmer & Co. seine Umsätze bis 1939 nur auf dem Niveau von 1932 halten. Das Unternehmen entwickelte sich also auch unmittelbar nach der Übernahme durch Hans Hirmer zunächst gegen den allgemeinen Trend. Gemessen am stark negativen Entwicklungspfad, auf dem sich das Unternehmen bis zur erzwungenen Geschäftsaufgabe befand, ist die Stabilisierung des Geschäfts ab November 1938 jedoch nicht hoch genug einzuschätzen (Abbildung 33). Im Zuge der geschilderten Anfeindungen, der offenen Boykotte und des antisemitischen Reizklimas war es Hirmers Verdienst, sowohl Umsatz als auch Gewinn seines Unternehmens in den ersten beiden Monaten nach der Übernahme Ende 1938 zu konsolidieren. Zwischen 1938 und 1939 vervierfachte sich der Umsatz von rund 580.000 Reichsmark auf knapp 2,6 Millionen Reichsmark. Dabei spielte die deutliche Erhöhung des umsatzstärksten Geschäftsmonats Dezember im Jahr 1938 im Vergleich zum Vorjahr eine entscheidende Rolle. Unter Bamberger konnte München von Ende November bis Ende Dezember 1937 den Umsatz um lediglich 76.000 Reichsmark erhöhen. Hirmer gelang im ersten Geschäftsmonat (November bis Dezember 1938) eine Steigerung um knapp 164.000 Reichsmark.1478 Vom Gesamtumsatz Januar bis Dezember 1938 (bis Oktober unter Bamberger & Hertz, München) in Höhe von 2.334.618 Reichsmark steuerte die Hirmer & Co. KG knapp 580.000 Reichsmark, und damit knapp ein Viertel bei.

Vgl. Schreiben an Theodor Döring vom 9.11.1938, HUA 2013/10/0005–2, S. 145. Eigene Berechnungen zu Hirmer- Index nach Zusammenstellung nach HUA 2012/09/0035, HUA 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039 sowie Zusammenstellung nach den Bänden des Statistischen Jahrbuchs des Deutschen Reiches, Jahrgänge 1880–1942. 1478 Vgl. Siehe HUA 2012/09/0036. 1476 1477

Bamberger & Hertz sah. So schrieb Hans Hirmer die täglichen Umsätze in denselben Notizblock wie Bamberger und so finden sich heute die fast lückenlosen Umsätze des Münchner Hauses von 1926 bis 1953. Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

3.000.000

250.000

2.500.000

200.000

2.000.000

150.000

1.500.000

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1.000.000

50.000

500.000

Gewinn/Verlust

Umsatz

Abbildung 33 Umsatz und Gewinn , Hirmer & Co. KG, 1938 bis 1945

1477

0

0

-50.000 1945

1944

1943

1942

1941

1940

1939

1938

Umsatz

Gewinn/Verlust

Abb. 33 Umsatz und Gewinn, Hirmer & Co. KG, 1938 bis 19451479 Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise; linke Achse: Umsatz, rechte Achse: Gewinn/Verlust; Jahr 1938 umfasst nur Umsätze November/Dezember. Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise; linke Achse: Umsatz, rechte Achse: Gewinn/Verlust; Jahr 1938 umfasst nur Umsätze November/Dezember.

Betrachtet man die Münchner Umsätze über den Zeitraum 1933 bis ins letzte Jahr der reichsweiten Branchen-Statistik, so muss man ein umsatzmäßiges Auseinanderdriften zwischen Textilbranche 1478 und Hertz und Hirmer feststellen. In Bezug auf 1932 hattenDie sich Aufden dieUnternehmen KundenzahlBamberger hatte die & Geschäftsübernahme nachweisbar positive Effekte. demnach die Umsätze der erfassten Unternehmen der Manufakturwarenbranche bzw. der HerrenKundenabwanderung konnte zumindestens abgebremst werden. Kamen im Dezemund Knabenkonfektion zwischen 1933 bis 1939 verdoppelt. Dieunter Umsätze für schon Damen-9.926 und ber 1937 nur 8.626 Kunden, so waren es im ersten Dezember Hirmer Mädchenkleidung stiegen im selben Zeitraum um 50 Prozent im Vergleich zu 1932. Demgegenüber (+15 Prozent). Den Kundenzuspruch, den einst Bamberger & Hertz genoss, konnte konnte Bamberger & Hertz, und ab November 1938 Hirmer & Co. seine Umsätze bis 1939 nur auf Hirmer nie wieder erreichen. Im letzten „normalen“ Geschäftsjahr vor den kriegswirtdem Niveau von 1932 halten. Das Unternehmen entwickelte sich also auch unmittelbar nach der schaftlichen Zwangsmaßnahmen (1939) kauften rund 66.000 Kunden bei Hirmer, im Übernahme durch Hans Hirmer zunächst gegen den allgemeinen Trend. Gemessen am stark Gegensatz zu 114.000 Kunden, die Bamberger & Hertz im Jahr vor der NS-Machtübernegativen Entwicklungspfad, auf dem sich das Unternehmen bis zur erzwungenen 1480 nahme (1932) anzog – ein Minus von 42 Prozent. Geschäftsaufgabe befand, ist die Stabilisierung des Geschäfts ab November 1938 jedoch nicht hoch Imeinzuschätzen Fall Hirmer(Abbildung & Co. lassen genug 33). sich die Gründe der Umsatzsteigerungen des Jahres

1939 bis zum Kriegsausbruch genau beleuchten. Im Kern geht es um die Frage, ob die Umsatzsteigerungen eine besondere Nähe bzw. und auf des eine Interessenkongruenz Im Zuge der geschildertendurch Anfeindungen, der offenen Boykotte antisemitischen Reizklimas zwischen NS-Regime Geschäftsführung zurückgeführt werden kann? war es Hirmers Verdienst, und sowohl Umsatz als auch Gewinn seines Unternehmens in denWeiter ersten ist interessant zu fragen, ob und wenn ja, in wieweit Hirmer sein Geschäft zum Ver1477 kaufsort vonnach NSDAP-Partei-Textilien machte. Einenund ersten Hinweis auf diesen FraAufstellung HUA 2013/01/0003, HUA 2013/02/0036.0013 HUA 2013/02/0036.0057. 1478 Eigene Berechnungen zu HirmerIndex nach Zusammenstellung nach HUA gen-Komplex bietet die dreiseitige eidesstaatliche Erklärung vonHUA Dr.2012/09/0035, Hilpert, datiert 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039 sowie Zusammenstellung nach den Bänden des Statistischen Jahrbuchs vom 27. November 1945, nur wenige Monate nach seiner Entlassung aus dem Kondes Deutschen Reiches, Jahrgänge 1880 – 1942. zentrationslager Buchenwald. Darin versicherte er die einwandfreie politische, d. h. 399 anti-nazistische Grundhaltung Hirmers, aber auch von dessen Geschäftspartnern Dö-

1479 1480

Aufstellung nach HUA 2013/01/0003, HUA 2013/02/0036.0013 und HUA 2013/02/0036.0057. Zahlen nach HUA 2012/09/0035, HUA 2012/09/0036, HUA 2012/09/0039.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

ring und Haller. Besonders wichtig scheint Hilpert der Hinweis in den letzten zwei Sätzen der Erklärung: „Er [Hirmer] ist trotz aller Versuche ausserhalb der Partei geblieben und hat bewusst die damit verbundenen Nachteile auf sich genommen. Als Beweis sei nur darauf verwiesen, dass er es ablehnte, Verkaufsstelle für Partei-Uniformen zu werden“.1481

Eine erste Auseinandersetzung mit dem gleichgeschalteten Berufsverband aller deutschen Textileinzelhändler hatte Hirmer bereits zu Jahresbeginn 1939. Im Kaufvertrag waren alle Warenzeichen der Bamberger & Hertz-Gruppe ohne Entgelt auf Hirmer & Co. übergegangen. Schrifttypen und Reklame-Aufmachung hatte Hirmer selbstverständlich mit der Übernahme des Bamberger & Hertz-Designers und engen Freundes Henry Ehlers weitergeführt. Wenn schon jeder explizite Hinweis auf die „jüdische Vergangenheit“ fehlen musste, so sollte doch die Form- und Bildsprache vertraute Assoziationen beim Kunden auslösen. Hirmer war um einen kontinuierlichen Außenauftritt bemüht, um ehemalige Bamberger & Hertz-Kunden auch in sein Geschäft zu lenken. Immerhin war Bambergers Geschäftsmethodik dem Münchner Publikum seit knapp drei Jahrzehnten vertraut. Die wirkmächtigste Bildmarke war ohne Zweifel „Der freundliche Herr“, die Hirmer beabsichtigte, nach einer „Karenzzeit“ von mehreren Wochen Anfang 1939 zu revitalisieren. Trotz aller Bemühungen untersagte im Februar 1939 die zuständige Wirtschaftsgruppe Einzelhandel – Fachgruppe Bekleidung, Hirmer die weitere Nutzung der Bamberger-Warenzeichen.1482 Seit dem Frühjahr 1939 ist eine merkliche „Umorientierung“ Hirmers ausmachen. Zwischen November 1938 und April 1939 stellte er sich bewusst, aber subtil in die Tradition von Bamberger & Hertz. Nach der Intervention einer maßgeblichen nationalsozialistischen Institution und der erfolgreichen Flucht der Bamberger-Familie am 8. April 1939 wähnte sich Hirmer wohl einerseits im Blickfeld der Nationalsozialisten und andererseits aus dem Sichtfeld seines Mentors Bamberger. Mit einer gewissen Konformität erkundigte sich Hirmer Anfang April 1939 bei Hilpert über die Möglichkeit, eine Vertriebslizenz für Uniformen der Reichszeugmeisterei für das eigene Geschäft zu erwerben. Wenige Tage zuvor war die „Jungdienstpflicht“ rechtsverbindlich geworden1483, und Hirmer sah in der „Beitrittspflicht zur Hitler Jugend“ wohl eine lohnende Geschäftschance.1484 Denn die Geschäfte waren nicht rundum zufriedenstellend. In

Vgl. Eidesstaatliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff. Im Zuge der Übernahme zahlte Hirmer für den Erhalt der Warenzeichen, statt 60.000 RM an Bamberger, 50.000 RM „an eine gemeinnützige, dem öffentlichen Interesse dienende Institution“, siehe Schreiben betr. Geschäftswert-Konto vom 10.2.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 100 f. 1483 War die Mitgliedschaft zunächst freiwillig, konnte sich der Mitgliedschaft seit dem 1. Dezember 1936 durch das „Gesetz über die Hitler Jugend“ und am 25. März 1939 durch die Einführung der „Jugenddienstpflicht“ niemand mehr entziehen, siehe Artikel „Hitler Jugend“, unter http://www.dhm.de/lemo/ html/nazi/organisationen/jugend/, 24.2.2014. 1484 Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 11. und 12.4.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 147 f. 1481 1482

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

einer Besprechung der Gesellschafter vom 16. Mai 1939 berichtete Hirmer von „erheblichen Probleme[n] in der Warenbeschaffung“. Es sei gelungen, den Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 38,23 Prozent zu erhöhen. Auch der „Kaufbetrag pro Kunde [war] von 38,40 auf 40,38 gestiegen“. Zwar wuchsen die Kundenzahlen befriedigend, doch die „Burschen- und Knabenabteilung“ entwickelte sich unterdurchschnittlich. Hirmer prognostizierte für die verbleibenden Monate gute Geschäfte, so die beauftragten Waren auch wirklich einträfen. Bei „Abnahmeverpflichtungen von 1,6 Millionen RM“ strebte Hirmer einen Umsatz für das Rest-Jahr 1939 von „2 bis 2,2 Millionen RM“ an. Hinsichtlich der Kalkulationsweise schlug Hirmer gegenüber seinen beiden Kommanditisten einen verbindlichen Ton an. Die Durchschnittskalkulationen sollten sich nicht an Bamberger & Hertz orientieren, denn Hirmer „ist eben ein neues Unternehmen und weder rechtlich noch tatsächlich Nachfolgerin“. Dass es diesen offensichtlichen Sinneswandel seit Frühjahr 1939 gab, zeigt Hirmers protokollierte Nachfrage nach der „beantragten Lizenz für die Reichszeugmeisterei“, die allerdings „nicht vor Jahresende möglich“ war. Die Sitzung beschloss Hirmer mit einer „Spende von 3000– 5000 M an [die] Gauleitung“.1485 Hirmers Drängen nach der Vertriebslizenz für HJ-Mode sollte wohl drei „Problemfelder“ beseitigen. Zum einen würde er die Attraktivität seines Geschäftes gegenüber der jugendlich-männlichen Kundschaft deutlich erhöhen. Zum anderen würde die Vertriebslizenz beruhigend auf die Wirtschaftsgruppe wirken und Hirmer eindeutig nach außen als „systemtreu“ identifizieren. Und schließlich ließe sich mit der Lizenz verlässlich kalkulieren und der erforderliche Umsatz erreichen. Denn Lizenz-Händler waren bei der Zuteilung von Stoffen und Kleidung gegenüber Geschäften ohne Lizenz deutlich bevorteilt. Eine Lizenzerteilung seitens der Parteistellen oder ein Verkauf von NS-Uniformen ist quellenmäßig nicht belegt. Höchstwahrscheinlich ist die Lizenz nie erteilt worden. Gewiss ist aber auch, dass Hirmer sich um eine solche bemühte. Mit der Emigration Bambergers verschwanden die Bedenken, den notwendigen Umsatz mit dieser Lizenz unter jungen Leuten anzukurbeln und etwaigen Lieferengpässen zu entgehen. Die eidesstattliche Aussage Hilperts ist somit keineswegs unwahr, aber dennoch ein Stück weit eine Schutzbehauptung im Zuge des noch zu schildernden Restitutionsverfahrens. Wie schwierig und notwendig die Beschaffung von Kleidung zur Befriedigung der Kunden war, zeigte auch Hirmers Anfrage an Hilpert Ende April 1939. Hirmer wollte von Hilpert Auskunft bekommen, inwieweit der „Einkauf von Waren im Gebiete des Protektorats Tschechen und Mähren“ denn für sein Geschäft möglich sei. Hilpert riet Hirmer von dieser Idee ab, da die „Genehmigung der Berliner Überwachungsstelle zweifelhaft ist“.1486 Insgesamt entwickelten sich die Geschäfte bis Kriegsbeginn

1485 1486

Vgl. Aktennotiz über die Gesellschafterbesprechung am 16.5.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 94 ff. Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 27.4.1939, HUA 2013/02/0012–3, S. 133.

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

wohl wie erhofft, denn Hirmers monatliche Bezüge wurden im August 1939 durch eine Anpassung des Gesellschaftsvertrages rückwirkend zum 1. Januar 1939 von 24.000 auf 32.000 RM erhöht. Hirmer war nun mit 30 Prozent am Geschäftsgewinn beteiligt.1487 Hirmer gelang es nie wieder, den Umsatz von 1939 in den Jahren bis 1945 zu erreichen. Dagegen glückte es ihm, den Umsatz stabil um die 1,8 bis 2 Millionen Reichsmark zu halten. Trotz Kriegsausbruch und der zu Lasten des Konsums gehenden Regulierungsmaßnahmen (priorisierte Rohstoffzuteilung, Bezugscheinwirtschaft, Einschränkung des Ausverkaufs und der Werbung, Personalmangel, Ladenschlussgesetzgebung, etc.) gelang es Hirmer die Umsatzrendite zwischen 1939 und 1945 bei durchschnittlich 6,5 Prozent zu halten, und damit konstant auf dem Niveau von Bamberger & Hertz bis 1936. Der Schlüssel hierzu waren die beträchtlichen Einsparungen bei den Geschäftsunkosten. Lagen diese 1939 auf dem Rekordniveau von rund 608.000 Reichsmark, gelang es Hirmer, die Ausgaben für Löhne, Gehälter, Miete und Reklame im Jahr 1940 um gut 30 Prozent zu drücken. Ab 1943 kam es erneut zu Unkosteneinsparungen bis 1944 von zusammen 25 Prozent, die die bemerkenswerten Gewinne und Umsatzrenditen bei gleichbleibendem Umsatz im Jahr 1944 erklären.1488 In einem Schreiben an Fritz Bamberger erklärte der spätere Treuhänder Bernstein unmittelbar nach Kriegsende, dass die guten Umsatzzahlen seit 1939 „keinen Hinweis auf [den] tatsächlichen Geschäftsvorgang“ böten. Auch in den Jahren 1940 bis 1945 wurden die Lieferungen von mal zu mal schlechter, „es musste Ware genommen werden, ohne Rücksicht darauf wie sie aussieht“. Bernstein unterstrich die unternehmerische Leistung Hirmers. Nur durch dessen „besonderen Fleiß oder zum Teil auch auf Grund langjähriger guter Beziehungen“ sei es möglich gewesen, Ware „herbeizuschaffen“. Bernstein zufolge scheute Hirmer „keinen Weg und keine Mühe, überall dorthin zu fahren, wo er glaubte Ware [zu finden]“. Nicht nur musste Hirmer die traditionellen Lieferfirmen des Geschäftes ersetzen. Im Zuge des Bombenkrieges sah sich Hirmer gezwungen, die Hälfte seiner Geschäftsräume an ausgebombte Firmen abzugeben. Da nun auch Reklame fast verboten und etliches Personal im Kriegseinsatz war, sanken die Unkosten, was bei gleichem Umsatz zu höheren Gewinnen führte.1489 In den ersten Bilanzen errechnete der Treuhänder für die Zeit vom 1. November 1938 bis 31. Dezember 1947 einen Gesamtgewinn von 991.032 Reichsmark (Gewinn ohne Kapitalzinsen).1490 Die Gesamtumsätze in der Zeit vom 1. November 1938 bis zum 30. Juni 1947 beliefen sich auf 14,934 Millionen Reichsmark.1491 Damit betrug die Brutto-Umsatzrendite durchschnittlich 6,6 Prozent. Wie trügerisch diese Zahlen aus Sicht Hirmers auch Vgl. Vereinbarung zum 31.8.1939, HUA 2012/09/0001, S. 9. Vgl. Berechnungen nach HUA 2013/01/0003, HUA 2013/02/0036.0013 und HUA 2013/02/0036.0057. Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger, o. D., HUA 2013/10/0003, S. 201. Vgl. Gesamtabrechnung der Firma Hirmer & Co. KG, München für die Jahre 1938 bis 1947, HUA 2013/02/0036, S. 13. 1491 Vgl. Umsätze (Losungen) der Firma Hirmer & Co. KG, München für die Jahre 1938 bis 1947, HUA 2013/02/0036, S. 17 und S. 57. 1487 1488 1489 1490

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

nach dem Krieg waren, zeigt dessen erste Berichterstattung an den emigrierten Fritz Bamberger. Im August 1947 erläuterte Hirmer die Gewinne und Umsätze seiner Firma gegenüber dem Alteigentümer Fritz Bamberger in den Jahren 1939 bis 1945 wie folgt: „Für den Außenstehenden mag die Umsatzentwicklung trotz des Krieges [ ] als verhältnismäßig günstig angesehen werden. Fest steht, dass die Umsätze, wenn überhaupt, so doch nur zum kleinsten Teil auf Grund des guten Rufes der Firma erzielt wurden; vielmehr, weil es mir durch meine persönlichen Beziehungen gelang, in entsprechenden Ausmaße trotz der eingetretenen Verknappung die erforderlichen Waren ohne große Rücksicht auf Qualität usw. zu nehmen, herbeizuschaffen. Es ist ja seit langem so, dass die Abnehmer nicht mehr nach dem Firmennamen fragen, sondern: Wo ist ein Geschäft, in dem ich auf meine Kleiderkarte oder Bezugscheine Ware bekomme“.

Die Gewinne erklärte Hirmer in Richtung Bamberger wie folgt: „Aus ihrer eigenen Tätigkeit werden Sie noch wissen, dass in Deutschland seit 1934 Preisbildungsvorschriften bestehen, später verbunden mit einem Preisstop und festen, markmässigen Bruttoaufschlägen, ohne Rücksicht auf die neuen, sich stets steigernden Einkaufspreise. Im Kriege und heute sogar noch im verschärften Ausmaße sind wir an diese preislichen Bestimmungen gebunden. Wenn es trotzdem möglich war, bilanzmäßig verhältnismäßig gute Gewinne auszuweisen, so war dies nicht auf durchschlagende Reklame, gute und preiswerte Qualitäten und günstigen Einkauf zurückzuführen, sondern in der Hauptsache auf den allgemein großen Bedarf, den die Bevölkerung bei der seit 1939 bestehenden Warenverknappung in dem Geschäft deckte, in dem sie die gesuchte Ware vorfand, in der Regel Qualität und Preis nicht ausschlaggebend ansetzend. Dadurch konnten die Ausgaben für Reklame, Miete und teilweise auch Gehälter und Löhne wesentlich gesenkt werden. Preisnachlässe, wie sie früher bei Ausverkäufen usw. üblich waren, fielen seit 1940 weg. Andererseits waren die erzielten Gewinne einer außerordentlichen Besteuerung während des Krieges (Kriegszuschlag 50 Prozent auf die bis dahin geltenden Steuersätze und außerdem Abführung von Übergewinnen) und der unnormal hohen Besteuerung seit Beendigung des Krieges unterworfen, die den größten Teil der Gewinne wieder aufzehrte. Zurzeit betragen die persönlichen Steuern vom Einkommen und Vermögen sowie für die Kirche ungefähr 90 Prozent und darüber vom Einkommen“.

Zum Bilanzvergleich bemerkte Hirmer an Bamberger schließlich: „Das Gesellschaftskapital ist seit Gründung gleichgeblieben. [ ] Seit der Vernichtung des Geschäftes Kaufingerstraße 22 [ ] sind die liquiden Mittel ständig gestiegen, [weil] die Warenvorräte nicht mehr [ ] gehalten werden konnten. Insbesondere im Jahre 1947 hat sich diese Entwicklung rapid fortgesetzt, da der behördliche Druck zum Warenverkauf ständig steigt, ohne dass die Möglichkeit besteht, den Warenbestand wieder aufzufüllen. Damit [ ] ist der innere Wert des Betriebsvermögens ohne Verschulden der Geschäftsführung stark abgesunken: Die baren Mittel stellen [ohne Währungsreform und einkauf-

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

bare Waren] einen völlig unbestimmbaren Wert dar. Das Warenlager ist markmässig stark zusammengeschmolzen. [ ] Übel wirkt sich die fast völlige Vernichtung des Inventars aus [ ] Zusammenfassend ist zu sagen: Die Wertbasis von 1938 konnte nicht gehalten werden, der eingetragene Substanzverlust ist auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen in den Gewinnen enthalten und versteuert worden. Damit ist eine Lage eingetreten, die sich für den Wiederaufbau der Firma im früheren Umfang äußerst hemmend fühlbar machen wird [ ].1492

Mit dieser Argumentation wappnete sich Hans Hirmer gegen sämtliche Ansprüche, die mit Kriegsende 1945 gegen das Unternehmen Hirmer & Co. gestellt wurden. Fasst man Hirmers Position zusammen, so hatten die Umsätze und Gewinne zwischen 1939 und 1945 weder Wert noch Substanz. Das Überleben des Unternehmens wurde ausschließlich durch die Persönlichkeit Hans Hirmer und dessen Kontaktnetzwerk gesichert. Er war es, der die Warenversorgung für das Unternehmen sicherstellte. Kunden kauften bei Hirmer, weil er ihnen Ware verschaffte. Hätte sie ein Konkurrent verkauft, hätten die Kunden dort gekauft. Durch die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich Lieferungen, Preisen, Qualität und Reklame war damit der Markenkern von Hirmer & Co. vernichtet worden. Aus dem Händler war ein bloßer Verteiler geworden. Gewinne wurden aus der Substanz des Unternehmens bezahlt. Verlorene Verkaufsfläche, kein qualifiziertes Personal, keine Reklame. Die bilanziellen Gewinne wurden zudem sehr hoch versteuert und konnten nicht reinvestiert werden. Sämtlichen Restitutionsansprüchen lag – nach Ansicht Hirmers – ein zerstörtes, nicht geschäftsfähiges Restitutionsobjekt Hirmer & Co. zugrunde. 6.4.3.3 Merkur Nach Beschluss der Hauptversammlung vom 9. Dezember 1938 nannte sich die Schocken AG fortan „Merkur Aktiengesellschaft“ und wurde weiter vom Vorstandsvorsitzenden Dr. Wilhelm Fonk geleitet.1493 Die Merkur AG orientierte sich in ihrem Aufbau klar an der Schocken AG. Die Schocken-Kaufhäuser sowie deren Anschlusshaus in Bremerhaven wurden in Filialen – sogenannte Kaufstätten – der Merkur AG umgewandelt.1494 Sitz des Unternehmens und ihrer Töchter blieb Zwickau, wo Merkur die

Vgl. Erläuterungen zu den Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Umsätzen der Firma Hirmer & Co. KG, München, Neuhauserstraße 50/I, HUA 2013/02/0036, S. 58 f. 1493 Daneben gehörten Walter Aerne, Ewald Schaefer und Kurt Wutzler dem neuen Vorstand an. Im Aufsichtsrat saßen fast ausschließlich Vertreter der beteiligten Banken: Vorsitzender Johannes Kiel (Deutsche Bank), Dr. Adolf Schaeffer (Reichs-Kredit-Gesellschaft), Dr. Wilhelm Koeppel (Berliner Handelsgesellschaft) sowie Georg von Bargen (Bankhaus Georg von Bargen). Der einzige Vertreter aus der Textilbranche war der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Fritz Jacobsen (W. Jacobsen AG, Kiel). 1494 Zwickau (1), Cottbus (2), Aue (3), Freiberg (4), Meissen (5), Oelsnitz (6), Lugau (7), Auerbach (8), Planitz (9), Frankenberg (10), Zerbst (11), Regensburg (12), Nürnberg (13), Stuttgart (14), Crimmit1492

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

wissenschaftliche Warenprüfstelle übernahm, ebenso wie die Chemnitzer Strumpffabrik. Die neugegründete Hanse GmbH übernahm von Zwickau aus und über ihre Niederlassungen in Berlin und Nürnberg die gesamte Einkaufsorganisation.1495 Inwieweit arbeitete Merkur AG seit 1938 nach den „alten bewährten Grundsätzen der Gründer des Unternehmens [Schocken]“? In der Geschäftsführung sollen, so die Darstellung von Fuchs, Vertrauensmänner der Schockens gewesen sein und diese regelmäßig „persönlich und schriftlich“ informiert haben.1496 Tatsächlich war die Merkur AG alles andere als frei von parteipolitischem bzw. nationalsozialistischem Einfluss.1497 Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Fritz Jacobsen war Präsident des gleichgeschalteten Reichsverbandes Groß- und Mittelbetriebe, deren Mitglied die Merkur AG wurde.1498 Die Umbenennung der arisierten Schocken AG in Merkur AG zum 1. Januar 1939 zeigte bereits früh – wie auch bei Bamberger/Hirmer – Wirkung. Im April 1939 verzeichnete man ein Umsatzplus von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und rechnete für die zweite Jahreshälfte 1939 mit einer Umsatzsteigerung zwischen zehn und 20 Prozent zum Vorjahr.1499 Am Ende des Geschäftsjahres 1939 wies die Merkur AG mit 83 Millionen Reichsmark eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr aus. Wie auch im textilen Fachhandel markierte das Geschäftsjahr 1939 letzlich den Umsatzhöhepunkt. Für die Jahre 1940 bis 1942 liegen keine Umsatzzahlen vor. Klar ist auch, dass Merkur unter der Kriegswirtschaft – Waren- und Personalmangel sowie Zerstörungen – zwar deutlich umsatzmäßig litt, aber ein gewisses Umsatzniveau aufrechterhalten konnte. Bis 1943 verlor das Unternehmen zwei Drittel seiner Belegschaft und der Umsatz halbierte sich. Bis Kriegende konnte dieses niedrige Umsatzniveau jedoch gehalten werden (Tabelle 100). schau (15), Augsburg (16), Waldenburg (17), Chemnitz (18), Pforzheim (19). Im Januar 1939 übernahm die Merkur AG die Schocken KG Wesermünde als Kaufstätte Merkur Wesermünde und wiedereröffnete dieses Haus zum 24. Januar 1939. Die Übernahmegenehmigung für Bremerhaven wurde Merkur verwehrt, sodass das Haus liquidiert werden musste, siehe Bf Z Nr. 4, 21.1.1939, StAC 31451–459. 1495 Über die Gesellschaften Feina (Feinkost- und Nahrungsmittel GmbH) und G. M. Voss GmbH, Hamburg wickelte Merkur seinen Bezug von Nahrungsmitteln, insbesondere Fisch und Überseewaren ab. Die Liga AG, die Geschäftshaus GmbH und die Terrain-Gesellschaft Weststadt GmbH waren Töchter, die den Grundstücksbesitz des Konzerns verwalteten, siehe Fuchs (1990), S. 261 ff. 1496 Fuchs führt nicht belegte (Nachweis fehlt) Aussagen an, wonach „die Mitglieder der Geschäftsleitung, die von den Herren Schocken als ihre Vertrauensmänner eingesetzt worden waren, die im Ausland lebenden früheren Teilhaber, solange das möglich war, durch persönliche und schriftliche Berichte informiert [haben]. Die Herren Schocken wussten aus der jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit diesen Herren, dass sie keine Nazi waren und auch nicht den Anschluß an die Nazi suchten“, siehe Fuchs (1990), S. 262–263. 1497 Fuchs führt nicht belegte (Nachweis fehlt) Aussagen an, wonach „die Aufnahme von Nazi-Funktionären in das Unternehmen verhindert werden konnte“, siehe Fuchs (1990), S. 263. 1498 Vgl. Anlage 3 und Anlage 5 zur Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V. durch Beauftragte [sic!] des Reichskommissars Dr. h. c. Wagener, BA R 3101/13020, p. 14, 17; Konf, Königsberger Ergebnisse, 3.10.1934. 1499 Vgl. Bf Z Nr. 22, 18.4.1939, StAC 31451–459.

495

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 100 Umsatz und Belegschaft, Merkur AG, 1938 bis 19451500 Jahr

Umsatz

1938

66,000

1939

83,064

1943

39,175

1944

34,249

1945

35,037

Belegschaft*

5087/520

1434/40

1501

Anmerkungen: Umsatz in Mill. Reichsmark, lfd. Preise, Jahr 1938 März bis Dezember; * Festangestellte/ Aushilfen.

Auch Merkur spürte die Folgen des Bewirtschaftungssystems unmittelbar. Die Textilumsätze hatten sich in den ersten Bewirtschaftungsmonaten „stark verringert“. Zum Jahresende 1939 berichtete die Geschäftsführung von systematischen Einbrüchen in den Textilabteilungen: Hielt der September noch das Umsatzniveau (96 Prozent von 1938), sank es im Oktober (79 Prozent) und November (72 Prozent) stark ab. Als Grund identifizierte Merkur die Umlenkung der produzierten Güter sowie Stilllegungsprozesse in der Textil- und Bekleidungsindustrie.1502 Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war der Umsatz im ersten Quartal 1940 um 25 Prozent eingebrochen – auch ein Ergebnis der regulierten Preise, des eingeschränkten Warenbezugs und der bürokratischen Lagerbestandserhebungen.1503 Der Jahresumsatz der Merkur AG lag im Geschäftsjahr 1940 26 Prozent unter dem Vorjahr. Damit verbuchte Merkur nach eigener Analyse „das größte Minus aller Warenhäuser“. Nach Merkur-Angaben lag der Umsatzrückgang bei Warenhäusern im Deutschen Reich im Schnitt bei 15,5 Prozent, wobei dieser differenziert nach Betriebsgröße ausfiel: Große Häuser verloren ein Drittel ihrer Umsätze, mittlere Betriebe etwa ein Viertel und kleine Häuser immer noch 12 Prozent ihres Umsatzes.1504 Zwischen 1941 und 1944 sind keine qualitativen Aussagen über die Umsatzentwicklung bei Merkur erhalten. Die wenigen Geschäftsberichte dieser Zeit meldeten rückläufige, aber keineswegs dramatisch reduzierte Umsatzzahlen. Die Umsätze des ersten Halbjahres 1944 lagen 19 Prozent unter denen

Aufstellung nach Fuchs (1990), S. 258, S. 263. Davon 76 Prozent in der SBZ, 24 Prozent auf amerikanisch besetztem Gebiet, schlesisches Waldenburg galt als verloren, siehe Fuchs, Schocken, S. 263. 1502 Vgl. GB Nr. 1378 vom 14.11.1939, StAC 31451–316; GB Nr. 1390 vom 6.1.1940, StAC 31451–316. 1503 „Verkaufen heute ist leicht. Einkaufen heute ist unendlich schwer“. Merkur sah sich verpflichtet, die Preisgesetze genau zu befolgen und eine Vorbildfunktion zu erfüllen („Schrittmacher“), siehe GB Nr. 1411, o. D., StAC 31451–316. Im Dezember musste Merkur Bestände und Punktekonten melden. Hintergrund war ein Aufruf der WG Einzelhandel zur „Lagerbestandserhebung“ nach Anordnung vom 6.12.1940 vom Reichsbeauftragten für Kleidung und Verwandte Gebiete, siehe Schreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel betr. Lagerbestandsmeldung vom 16.12.1940, StAC 31451–362. 1504 Vgl. Geschäftsführer-Konferenz vom 18.2.1941, StAC 31451–298. 1500 1501

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

des Vorjahreszeitraums und bei 57 Prozent des Zeitraumes des letzten Friedensjahres (1938).1505 6.4.4

Textiler Zusammenbruch

Spätestens seit 1943 vollzog sich sämtliche Geschäftsaktivität wie auch alle Vorhaben zur Stabilisierung der textilen Versorgungslage vor dem Hintergrund des Vordringens des Kriegsgeschehens ins Deutsche Reich. Die alliierten Bomben trafen dabei nicht nur Großstädte und Ballungsräume, sondern zerstörten auch in Klein- und Mittelstädten wie Düren, Wesel, Paderborn, Bocholt oder Hanau mehr als 80 Prozent der Infrastruktur.1506 Neben dem Verlust von verbrannten Lagern, zerstörten Geschäftsräumen und verwundeten oder getöteten Mitarbeitern stand der Textileinzelhandel vor der Unmöglichkeit, angesichts der eklatanten Warennot eine Vielzahl von Bedürftigen – Ausgebombte, Flüchtlinge und andere Notleidende – mit dem nötigsten Textilen zu versorgen. Die Warenversorgung war 1943/44 nahezu zusammengebrochen. Der Output der Textil- und Bekleidungsindustrie bewegte sich bei einem Bruchteil des Friedensniveaus. Die Behörden versuchten mit allen Mitteln, die lagernden textilen Bestände unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es kam zu wiederholten Lagerbestandsaufnahme-Anordnungen des „Reichsbeauftragten für Kleidung und verwandte Gebiete“ für sämtliche Unternehmen der Spinnstoffwirtschaft. Die Anordnung XH1 vom 30. Juni 1943 machte etwa keine Unterscheidung mehr zwischen bezugsbeschränkter und nicht-bezugsbeschränkter Ware (Tabelle 101). Vordergründig ging es um die Erstattung von Punktwerten und Waren im Falle der Bombenzerstörungen, tatsächlich sollte dem Schwarzmarkt die Grundlage entzogen werden – immerhin drohten die Behörden bei Nicht-Meldung mit „empfindlichen Nachteilen“.1507 Diese Meldungen blieben wahrscheinlich immer unvollständig, denn die Bombardierungen „ermöglichten“ dem Handel auch die Verschleierung der eigenen Bestände. Seit dem Sommer 1942 hatte Hettlage etwa damit begonnen, Ausweichlager im Münsteraner Umland aufzubauen.1508 Die Umsätze (1. Hj. 1944) lagen bei 81 Prozent (1943), 43 Prozent (1939), 57 Prozent (1938) und 42 Prozent (1932). Die Umsätze ( Jan – Sep 1944) lagen bei bei 86 Prozent (1943), 43 Prozent (1939), 55 Prozent (1938) und 43 Prozent (1932), siehe G. B. Nr. 1607, 1.8.1944, StAC 31451–453; G. B. Nr. 1627, 24.10.1944, StAC 31451–453. 1506 Vgl. Interaktive Karte zu Zerstörungsgraden deutscher Städte unter http://www.welt.de/geschich te/zweiter-weltkrieg/article140674954/So-zerstoerten-Bomben-deutsche-Staedte-eine-Bilanz.html, 3.6.2016. 1507 Vgl. Rundschreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel betr. Lagerbestandsaufnahme XH1 zum 30. Juni 1943 vom 15.6.1943, WWA F 132–19. 1508 Hettlage, Münster meldete im Juli 1942 die Errichtung von Ausweichlagern in Roxel und Albachte für Herren- und Damenmäntel, Herrenanzüge und –hosen, Damenkostüme und Kinderkleidung (Anzüge, Hosen, Mäntel, Kleider, Röcke, Pullover), siehe Meldung an die WG EH in Münster, Schreiben an die 1505

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Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Tab. 101 Lagerbestandsaufnahme H. Hettlage, Münster, 30.6.19431509 Kategorie Warenlager Punktguthaben bei Punkteverrechnungsstelle Punktwert der nicht eingereichten Kleiderkartenabschnitte, Bezugscheine und Punktschecks An Lieferanten gegebene Punkte, die noch nicht beliefert sind Punktschulden

Punkte 918.984 68.995 4.710 202.520 0

Reinpunktvermögen (Summe)

276.225

Punkteinzahlungen bei Punkteverrechnungsstellen (1.1.1943–30.6.1943)

537.574

Von Punkteverechnungsstelle bestätigte Punktschecks (1.1.1943–30.6.1943)

540.292

Anmerkungen: basierend auf Anordnung XH1.

Kleine Läden wie das Bad Lausicker Geschäft J. G. Becker berichteten, dass die in Mittel- und Großstädten ansässigen Fabrikanten und Großhändler infolge von Rohstoff- und Arbeitskräftemangel nicht mehr produzierten und die wenige lagernde Ware mehrheitlich den einsetzenden Bombardierungen zum Opfer fiel. Die Warenvorräte bei Becker hatten „rapide abgenommen“. Selbst die dringlichsten Bestellungen – etwa Fliegergeschädigten-Bezugscheine – „konnten nicht mehr beliefert werden“. Und so blieb nur, „aus den bestehenden Beständen [ ] die größte Not [zu decken]“ – gerade weil der kleine Ort nach der Bombardierung Leipzigs Anfang Dezember 1943 und ab Januar 1945 Durchgangsstation für Ausgebombte und Flüchtlinge aus den Ostgebieten war.1510 In Städten organisierten Handel und Behörden zentrale Warenverteilsysteme, um der größten Not der Bombengeschädigten zu begegnen. Im Mai 1944 etablierte man etwa in München einen sog. Gruppenverteiler, über den auch das Haus Hettlage seine Waren bezog. Die Funktion des Gruppenverteilers hatte in München etwa das Textilkaufhaus Oberpollinger oder die Münchner Niederlassung des Großhändlers F. W. Brügelmann Söhne. Die Gruppenverteiler agierten im Auftrag der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel (Textil-Bezirksfachgruppe Bayern) und der Reichsstelle für Kleidung und verwandte Gebiete. Die zu verteilende Ware stammte ausschließlich aus den Lagern des Staatsunternehmens „Bekleidung, Textil und Leder GmbH“ in Berlin-Schöneberg. Wollte ein Händler wie Hettlage Ware beziehen, musste er die entsprechenden

Wirtschaftsgruppe Einzelhandel vom 7.7.1942, WWA F 132–19. Im September 1942 errichtete Hettlage zwei Ausweichlager in Drensteinfurt (Hotel Westfälischer Hof, Hotel zur Post) mit Ware im Wert von 123.000 Reichsmark, siehe Schreiben an die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel vom 4.9.1942, WWA F 132–19. 1509 Aufstellung nach Warenbestandsmeldung der Fa. H. Hettlage, Münster zum 30. Juni 1943 vom 14.7.1943, WWA F 132–19. 1510 Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 9.

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

Punkte an den Gruppenverteiler geben und die Ware sofort bar bezahlen. Die Textilien und Kleidung mussten innerhalb von drei Tagen durch den Verkäufer abgeholt werden, der auch die Verpackung mitbringen musste. Die Warenbeschaffung unterschied Berechtigte und Nicht-Berechtigte. Als berechtigt galten alle Einzelhändler, die entsprechende Punktwerte bzw. Punkteguthaben nachweisen konnten. Hatte ein Händler Ware erhalten, war er nicht frei in deren Verkauf. Die Warenzuteilung bestimmte, ob Ware gegen örtliche Punkteschecks (Kleiderkarten) oder besondere Bezugsrechte (FL-Bezugschein) an den Verbraucher durch den Händler verkauft werden durfte. Die in Tabelle 102 aufgeführte Ware sollte vornehmlich den Bedürftigen und Geschädigten der alliierten Bombardements auf München im Sommer 1944 zu Gute kommen. Tab. 102 Warenbezug Hettlage, München über Gruppenverteiler (Auswahl), Mai bis August 19441511 Datum

Ware

Punktwert

Markwert

Berechtigung FL-Bezugschein

20.5.1944

30 Damenkleider

1070

1187,65

25.5.1944

50 Damenblusen

670

363,60

1.6.1944

140 Regenmäntel 100 Kleider

6310

5454,09

FL-Bezugschein

3.6.1944

50 Mädchenmäntel 141 Kleider

3741

2894,62

Punktscheck

8.6.1944

13 Damenmäntel 50 Kleider 50 Röcke

2380

1788,72

Fl-Bezugschein

8.6.1944

20 Blusen

310

305,27

Fl-Bezugschein

9.6.1944

35 Damenmäntel

700

631,22

Fl-Bezugschein

23.6.1944

99 Mädchenkleider 40 Damenkleider

1980 1440

768,14 1024,48

Fl-Bezugschein

9.8.1944

150 Regenmäntel

3160,36

Fl-Bezugschein

11.8.1944

150 Damenkleider

2593,75

Fl-Bezugschein

14.8.1944

150 Damenkleider

6212,70

Fl-Bezugschein

Punktscheck

Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise.

Aufstellung nach einer Stichprobe aus den Lieferscheinen der Hettlage, München mit Warenbezug über Kaufhaus Oberpollinger Mai bis Juni 1944: Rechnung vom 20.5.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 24.5.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 1.6.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 5.6.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 8.6.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 8.6.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 9.6.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 23.6.1944, WWA F132–94; Warenbezug über Brügelmann Söhne für Waren mit Auflage „Verkauf nur an Münchner Fliegergeschädigte gegen Fl-Bezugschein“: Rechnung vom 9.8.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 11.8.1944, WWA F132–94; Rechnung vom 14.8.1944, WWA F132–94. 1511

499

500

Textileinzelhandel im Nationalsozialismus (1933–1945)

Wie restriktiv die Warenverteilung auch auf dem Land war, zeigt ein Schreiben der Textil- und Kurzwaren-Großhandlung Berger & Voigt, Leipzig, am 21. Februar 1945 an J. G. Becker. Die Warenlieferung „Fl.-Aktion August“ sei mit bestimmten Auflagen verbunden: „Durch Verhandlungen zwischen der Reichsstelle in Berlin und dem Landeswirtschaftsamt Dresden kommen Bekleidung und Wäsche an die im Gau Sachsen befindlichen Kinder ostpreußischer Flüchtlinge und ostpreußischer Totalgeschädigter zur Verteilung. Die Waren sind vornehmlich dem im sächsischen Erzgebirge ansässigen Einzelhandel zuzuführen. Die Ware erhalten Sie darum mit der Auflage, dieselbe lediglich an die oben näher bezeichnete Bedarfsgruppe gegen die vorgeschriebenen Bezugsrechte zu verkaufen. Sie erhalten die Ware gegen Hergabe eines örtlichen bestätigten Punkteschecks. [ ]. Sie erfährt einen Rechnungsaufschlag von 3 Prozent, die neben den entstandenen Spesen und Unkosten aus ihrer Spanne zu tragen sind. [ ] Die anliegende Rechnung ist zahlbar netto Kasse sofort nach Empfang“.1512

Viele Textilhändler versuchten dem Warenmangel durch die Aufarbeitung und Reparatur von Altkleidern zu begegnen, um die Umsätze und Erträge zu stabilisieren. In einer Auskunft gegenüber der Wirtschaftskammer Westfalen und Lippe meldete das Hettlage-Haus Münster im Februar 1943, dass das Warensortiment neben Herren-, Damen- und Kinderoberbekleidung nun um Berufsbekleidung und einen handwerklichen Nebenbetrieb (Änderungs- und Reparaturwerkstatt) erweitert worden war.1513 Ein durchaus repräsentatives Beispiel eines vom Bombenkrieg und Warenmangel bestimmten Geschäftsverlaufes sind das Kölner Haus Hansen & Co. sowie der Merkur Konzern. Das Ladenlokal im Agrippinahaus überlebte den ersten schweren Bombenangriff auf Köln am 31. Mai 1942 nicht. Es brannte vollständig aus und Hansen & Co. verlor sämtliches Inventar und Waren. Nach Hallers Erinnerung blieb „buchstäblich keine Büroklammer übrig“ und er berichtete stolz, dass „[ich] nach 8 Tagen [ ] bei meinem Freund Martini bereits wieder mit einem Lager von ca. 300.000 RM eingerichtet war, etwas was keinem anderen Haus geglückt war – auch den Warenhäusern nicht [ ]“.1514 Hansen & Co. teilte sich danach im „Disch-Haus“ in der Brückenstraße 17 mit dem ebenfalls ausgebombten Textilhändler Appelrath & Cüpper eine 200 qm kleine Verkaufsfläche. Im Juni 1943 erlitt das Haus einen Bombenvolltreffer und brannte aus. Wiederum verlor Hansen & Co. sämtliche Besitzstände. Beide Firmen zogen an den Hohenzollernring in den „rückwärtigen Teil des Tapetenhauses Lehmann“ („Lehmann am Ring“). Der Laden bot nur 150 qm und hatte keine Schaufenster. Im April Vgl. Schreiben betr. Fl.-Aktion „August“, 21.2.1945, SWA U40/80. Vgl. Fragebogen der Wirtschaftskammer Westfalen und Lippe vom 8.2.1943, WWA F 132–19. Haller schrieb: „Als Dank rettete ich einige Monate darauf zusammen mit Hansen Martini vor der zweiten Auskämmung“, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 25.10.1949, HUA 2013/10/0003, S. 122 ff. 1512 1513 1514

Geschäfte im Krieg 1939 bis 1945

1944 wurden durch einen erneuten Bombentreffer alle Vorräte vernichtet. Appelrath & Cüpper wie auch Hansen bezogen ein 150 qm Ausweichlokal im Textilgeschäftshaus Schwerthof (Zeppelinstraße 2), welches am 2. März 1945 ausgebombt wurde. Wie sich Josef Dyckhoff im November 1949 erinnerte, ging die „mühsam beschaffte Ware“ erneut verloren, „nur ein an die Ahr verlagerter Warenbestand von etwa 25.000 RM wurde gerettet“. Zwischen Mai 1942 und Mai 1945 war Hansen & Co. damit viermal unter dem Verlust nahezu sämtlicher Einrichtung und Ware ausgebombt worden, zudem wurden alle Ausweichlager nach Kriegsende geplündert.1515 Die Merkur AG erlebte die finale Kriegsphase hauptsächlich unter dem Eindruck weiterer Stilllegungen und Verkleinerungen, dem Tod des Aufsichtsratsvorsitzenden Johannes Kiehl1516, großflächiger Bombenschäden und akuten Warenmangels. Im November 1944 trafen alliierte Bomben das Nürnberger Haus und zerstörten Waren im Wert von 2,36 Millionen Punkten.1517 Der alliierte Fliegerangriff vom 25. und 26. Juli 1944 traf auch das Stuttgarter Haus, welches „schwer beschädigt und völlig ausgebrannt“ war. Die für August 1944 geplante Wiedereröffnung in Wesermünde wurde durch Anweisung des Oberbürgermeisters abgesagt. Merkur sah sich zu großflächigen Verkleinerungen der Verkaufsräume infolge der „knappen Kriegssortimente und dem gesunkenen Umsatz“ an allen Standorten gezwungen. Tatsächlich spürte das Unternehmen großen behördlichen Druck. „Auskämmungen“ des Personals und Raumbeschlagnahmungen infolge des „totalen Kriegseinsatz“ wurden geschäftsbestimmend. Merkur nutzte daher ab Sommer 1944 nur noch das Erdgeschoss zum Verkauf.1518 Damit einher ging eine deutlich reduzierte Schaufensterwerbung, die vor allem in Hinblick auf Brennbarkeit der Materialien geprüft werden musste.1519 Infolge des Luftkrieges und dem Verlust besetzter Gebiete brach die Versorgung der Zivilbevölkerung spätestens Ende 1944 zusammen. Die Reichsgruppe Handel und die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel wiesen ihre Bezirksgruppen an, strenge Lagerkontrollen im Einzelhandel vorzunehmen, um angeblicher „Warenzurückhaltung“ der HandelsVgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.11.1949, HUA 2013/02/0010, S. 76 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert, o. D. HUA 2013/02/0010, S. 90 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.11.1949, HUA 2013/02/0010, S. 76 ff. Bis Mitte Juni 1945 war der Laden im Schwerthof notdürftig aufgebaut. Nachdem Appelrath & Cüpper Anfang 1948 ein eigenes Lokal bezog, war Hansen & Co. nun alleiniger Nutzer des Geschäftes, siehe Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.11.1949, HUA 2013/02/0010, S. 76 ff. 1516 Johannes Kiehl starb am 20. Mai 1944, siehe G. B. Nr. 1595 vom 26.5.1944, StAC 31451–316; Biographischer Eintrag „Kiehl, Johannes“ unter http://www.bankgeschichte.de/de/content/856.html, 6.8.2016. 1517 Merkur bekam 990.000 Punkte ersetzt, siehe Schreiben an Wirtschaftsgruppe Einzelhandel betr. Meldung zum Zwecke der Punkteabschöpfung vom 30.11.1943, StAC 31451–362. 1518 Vgl. G. B. Nr. 1608, 9.8.1944, StAC 31451–453; G. B. Nr. 1610, 14.8.1944, StAC 31451–453; G. B. Nr. 1611, 16.8.1944, StAC 31451–453. 1519 Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel verpflichtete den Handel in der Schaufensterreklame weiter zu „unbedingter Wahrheit“, d. h. dass nur Artikel beworben werden durften, die „vorrätig und nicht zu teuer“ waren. Verboten waren Attrappen und leicht brennbares Material. Lag das Geschäft in „eng bebauten Straßen“, empfahl die Wirtschaftsgruppe die Schaufenster“ auf normale Fenstergröße einzumauern, um Flächenbrände zu vermeiden“, siehe G. B. Nr. 1612, 17.8.1944, StAC 31451–453. 1515

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unternehmen zu begegnen. So erreichte ein Rundschreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel auch die Merkur AG: „Die Gefahr der Warenzurückhaltung [ist] noch viel größer geworden. [ ] Es mehren sich [ ] wieder die Klagen, dass Ware, die in den Verkehr gegeben werden müsste, unbefugterweise zurückgehalten wird. [ ] [Oft besteht] der Verdacht, dass Waren besserer Qualität in den Ausweichlagern ruhen, während Ware minderer Qualität für die Versorgung zur Verfügung gestellt wird. [ ] Durch den Verlust der meisten besetzten Gebiete und den in den letzten Wochen aufs äußerste gesteigerten feindlichen Luftterror ist die Versorgung der Zivilbevölkerung immer schwieriger geworden. Wir müssen in der nächsten Zukunft mit stärksten Ausfällen rechnen und können auf verschiedenen Warengebieten Nachschub aus der Produktion kaum erwarten“.1520

Immer mehr Mitarbeiter verloren im letzten Kriegsjahr 1945 durch Bombenangriffe oder Fronteinsatz ihr Leben. Im Januar meldete Merkur-Nürnberg die Zerstörung von drei (von vier) Ausweichlägern sowie die „völlige Zerstörung“ der Vorder- und Hintergebäude.1521 Bei der totalen Zerstörung des Pforzheimer Hauses am 23. Februar 1945 starben 15 Angestellte, davon 14 Frauen.1522 Das Geschäft lag im Kern tot – auch wenn viele, wie auch Merkur versuchten bis Mai 1945 den Warenverkehr trotz Fracht- und Postsperre mit eigenen Boten zwischen den „aktiven“ Häusern aufrechtzuerhalten.1523

Merkur berichtete zudem über die geplante Verlegung von Geschäften aus Luftschutzgründen (lt. Runderlaß vom Reichsinnenminister vom 26. September 1944). Betroffen war der „Einzelhandel für lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung“ (Warenhäuser, Gaststätten, Apotheken, Lichtspielhäuser), siehe G. B. Nr. 1633, 27.11.1944, StAC 31451–453. 1521 Drei neue, kleinere Ausweichlager waren in Nürnberg bereits gemietet, siehe G. B. Nr. 1641, 11.1.1945, StAC 31451–453. 1522 Vgl. G. B. Nr. 1653, 26.3.1945; G. B. Nr. 1654, 29.3.1945; G. B. Nr. 1655, 4.4.1945; G. B. Nr. 1657, 7.4.1945; G. B. Nr. 1658, 9.4.1945, StAC 31451–453. 1523 Die Reichsbahn hatte die Warentransporte eingestellt. An den Bahnhöfen fanden sog. „Notentladungen“ statt. Die Ware wurde den Geschäften dann zugeteilt. Merkur versuchte daraufhin, seinen Wareneinkauf komplett am „am Ort“ zu tätigen, da Fabrikanten auf bestellter Waren „sitzen“ blieben, siehe G. B. Nr. 1650, 16.3.1945, StAC 31451–453. 1520

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Das letzte Großkapitel untersucht die anderthalb Jahrzehnte nach Kriegsende. Dabei zerfallen diese Jahre zum einen in die Zeit bis zur Währungsreform und der Gründung beider deutscher Staaten. Diese „Zusammenbruchsgesellschaft“ beleuchtet Kapitel 7.1. Hier sollen die Kontinuitäten und Brüche in der textilen Versorgung, der Bewirtschaftung und in der konkreten Geschäftsentwicklung von Textileinzelhändlern beleuchtet werden. Standen am Anfang Mangel und Improvisation (7.1.1), so versuchten die alliierten Besatzungsmächte und kommunalen Behörden dieser Notlage durch Regulierung und Bewirtschaftung Herr zu werden (7.1.2). Die Währungsreform schuf im Westen einen der entscheidenden Wachstumsimpulse und läutete eine Prosperitätsphase ein (7.1.3). Fehlen darf nicht, welchen Bedingungen und Herausforderungen der Handelssektor und die Textilhändler in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach Kriegsende ausgesetzt waren (7.1.4). In Kapitel 0 verengt sich der Blick auf das bundesrepublikanische Geschehen. Dabei bewegt sich die Analyse zwischen den zwei großen Themenfeldern Rekonstruktion und Restitution. Wie verhielt sich die Branche angesichts des geschehenen Unrechts an ihren jüdischen Mitbürgern? Wie verhielten sich Unternehmen angesichts der Frage von Wachstum oder Wiedergutmachung? Nach der Frage nach der moralischen Verantwortung beleuchtet Kapitel 7.2.2 die neue Normalität der frühen 1950er Jahre – den Wiederaufbau des Verbandswesens, die Konsolidierung der Geschäfte und nicht zuletzt den textilen Handel mit der SBZ/DDR. Mit der Normalisierung revitalisierten sich ab Mitte der 1950er Jahre die bekannten Konfrontationsmuster. Kapitel 7.2.3 beschreibt den Aufstieg alter und neuer Betriebsformen, auf die der mittelständische Fachhandel mit einer Reihe von Maßnahmen reagierte, wie in Kapitel 0 gezeigt wird. Wie erfolgreich diese Strategien waren, untersucht Kapitel 7.2.5 am Fall von Hirmer und Hettlage.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

7.1

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

7.1.1

Mangel und Improvisation

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem europäischen Kontinent am 8. Mai 1945 ging das selbsternannte „Dritte Reich“ unter. Wehler erkannte einen Strukturbruch: „Diese priviligierte Herrenmenschenexistenz änderte sich über Nacht, als die Lieferungen nach Deutschland abrupt aufhörten, die Vorratsspeicher [ ] im Nu geleert waren und die Eigenversorgung völlig ins Stocken geriet“.1524 Für den Bereich der deutschen Textilwirtschaft im Allgemeinen und konkret für die textile Versorgung (der Bevölkerung) über den Einzelhandel soll diese Strukturbruchhypothese im Folgenden untersucht werden. Die deutsche „Zusammenbruchsgesellschaft“ (Klessmann) und mit ihr die alliierten Besatzungsmächte standen vor der Herausforderung, die zivilen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Hygiene zu befriedigen. Auf allen diesen Gebieten herrschte Mangel oder Unterversorgung. In den drei westlichen und der sowjetischen Besatzungszone standen den Menschen lediglich 900 bis 1.300 kcal (1946) zur Verfügung. Krankheiten wie Ruhr, Typhus oder Diphterie breiteten sich aus. Deutschlandweit waren etwa 20 Prozent, in Städten bis zu 75 Prozent des Wohnraums zerstört. In Bayern etwa erlitten alle Mittel- und Großstädte (München, Ausgburg, Nürnberg, Würzburg) erhebliche Bombenschäden. Der Würzburger Einzelhandel war nahezu komplett zerstört, die Einkaufsstraßen in Nürnberg, Augsburg und München zu 90 Prozent. Im Bezirk Oberbayern waren 48 Prozent aller Einzelhandelsgeschäfte nicht nutzbar. Insgesamt verzeichnete der Textileinzelhandel „besonders schwere Einbußen“.1525 Auch die Hettlage-Gruppe bestand in Bezug auf ihre Gebäude nicht mehr. Die drei Geschäftshäuser in Münster, Würzburg und München waren durch Bombenangriffe schwer bis total zerstört. Königsberg lag in der SBZ und musste aufgegeben werden. Der Warenhauskonzern Merkur verzeichnete immense, jedoch nicht existenzielle Verluste. Der Geschäftsbetrieb konnte mit Kriegsende an allen Standorten im Laufe des Jahres 1945 wiederaufgenommen werden. Totalzerstörungen verzeichnete Merkur in Meißen, Zerbst und Pforzheim, für die man schnell Ausweichquartiere fand. Die schlesische Filiale in Waldenburg wurde aufgegeben, da die Stadt nun zu Polen gehörte. Für die süddeutschen Häuser beliefen sich die Schäden auf rund 6,23 Millionen Reichsmark. Durch Plünderungen waren Artikel im Wert von 1,5 Millionen Reichs-

1524 1525

Vgl. Wehler (2010b), S. 951. TW, Zahlenspiegel des bayerischen Einzelhandels, 27.5.1948.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

mark verloren gegangen. Insgesamt berechnete der Merkur-Vorstand die Höhe der Kriegsfolgeschäden auf rund 35 Millionen Reichsmark.1526 Durch das Zusammenspiel von Selbsthilfe (Schwarzmarkt, Hamstern, Improvisieren), durch politisch-ökonomische Regulierungs- und dank ausländischer Hilfsmaßnahmen gelang es, das Existenzminimum zu sichern, auch indem die „Deutschen ein Volk der Händler“ in einer zunehmenden „Rationen-Gesellschaft“ wurden. Städter fuhren aufs Land, tauschten Haushaltswaren gegen Nahrung und Textilien, der städtische Schwarzmarkt oder Werkshandel ersetzte den kurzzeitig dysfunktionalen Einzelhandel.1527 Trotz des gemeinsamen Bekenntnisses von Potsdam im August 1945, Deutschland als wirtschaftliches Ganzes zu behandeln, existierte mit der Vierzonenteilung kein einheitlicher Wirtschaftsraum mehr. Alle Besatzungszonen wurden anfangs autonom verwaltet – ein Interzonenverkehr war praktisch nicht möglich. Für die höchst arbeitsteilig arbeitende und deutschlandweit verstreute Textilwirtschaft manifestierte sich damit ein ernstes Beschaffungsproblem und für ehemals reichsweit agierende Betriebe und Konzerne ein Binnenorganisationsproblem.1528 Merkur etwa verstand sich bis Ende 1948 als gesamtdeutscher Konzern und versuchte, das über die Zonengrenzen hinweg existierende Geschäftsstellennetz aufrecht zu erhalten. Über das gesamte Jahr 1945 hinweg existierte jedoch kein geregelter persönlicher, schriftlicher oder telefonischer Kontakt zwischen der Zwickauer Zentrale und ihren sechs Standorten in Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Stuttgart, Pforzheim und Wesermünde. Diese standen bereits unter fremder Treuhandschaft und waren defacto von der Zwickauer Zentrale unabhängige Betriebe.1529 Über die geschäftliche Lage im Jahr 1945 aus Sicht eines Textileinzelhändlers in der US-Zone sind wir durch Hirmer & Co. unterrichtet, die vergleichsweise repräsentativ für die Westzone ist. Bis Ende 1944 blieb das Unternehmen von Direkttreffern verschont, danach erhielten Ausweichlager und das Stammhaus in München, Kaufingestraße 22 direkte Treffer.1530 Hirmer wich in provisorische Räume im ersten Stock

Die Verluste der süddeutschen Häuser betrugen 1.997.180 (Nürnberg), 1.937.000 (Stuttgart), 2.094.455 (Pforzheim) und 201.032 (Augsburg) Reichsmark, siehe Fuchs (1990), S. 265, S. 273. 1527 Zeitgenössische Sprichworte: „Kühe und Schweine stehen auf Perserteppichen“, „Für eine Leica gab es eine Schweinehälfte“, vgl. Kleinschmidt (2008), S. 131–135; Wolfrum (2007), S. 30 ff.; Wehler (2010b), S. 951–954; Jarausch (2004), S. 107 ff. 1528 Vgl. Spoerer/Streb (2013), S. 209. 1529 Vgl. Fuchs (1990), S. 269. 1530 Am 17. Dezember 1944 trafen alliierte Bomben die Münchner Firma Weller & Staudenmeier in der Tumblingerstraße 32. Hirmer verlor gelagerte Waren im Wert rund 28.000 Reichsmark. In der Nacht zum 7. Januar 1945 trafen Brandbomben das Stammhaus Kaufingerstraße 22. Das mehrstöckige Geschäftshaus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Der Totalschaden im Betrieb (alle Summen in Reichsmark) selbst bezifferten Sachverständige Jahre später auf 342.269, 35, davon Waren im Wert von knapp 165.000, knapp 120.000 Verlust an Inventar und 22.000 Schaden an Dekorations- und Büromaterial. Die Kriegsschadensstelle des Reiches beglich noch vor Kriegende gut 73 Prozent des Schadens. 92.000 Reichsmark 1526

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der Neuhauser Str. 50 aus – mit geretteten Beständen und dank massiver finanzieller Unterstützung der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel.1531 Warenprobleme hatte Hirmer durch externe Ausweichlager wohl kaum. Nur wenige Tage bevor die Alliierten München erreichten, schrieb Hirmer: „[Wir] haben in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945 aus den Ausweichlägern [Anzing und Vaterstetten] per Lastzug Ware (Textilien) für die Verkaufsstelle Neuhauserstr. 50/I geholt“.1532 Alles was sich an Ware in den restlichen Außenlagern befand, wurde von den Alliierten beschlagnahmt und an Bedürftige verteilt. Der größte Teil lag immer noch in Anzing im Großen Saal des Wirtshauses Gackstatter. Die US-Soldaten verfügten eine Verlagerung der Waren in ein nahes Bauernhaus, um im Wirtshaus Quartier beziehen zu können. Ohne Hirmers Wissen lösten die Amerikaner das Warenlager im Wert von knapp 77.500 Reichsmark auf. Der ansässige Schneidermeister Reich verteilte die Bekleidung und Textilien „auf Befehl der Amerikaner an Kzler und Ausländer“. Hirmers Antrag auf Requisitionsschaden wegen einer „wilden Wegnahme“ wurde nicht stattgegeben. In Hirmers Ausweichlagern in Anzing und Bachern (Gasthof Mutz) entstand ein Gesamtschaden von knapp 93.000 Reichsmark.1533 Die US-amerikanischen Besatzungstruppen, die München zum 1. Mai 1945 besetzten, beschlagnahmten umgehend auch Hirmers provisorische Geschäftsräume in München. Seit dem 14. Mai 1945 stand das Geschäft Neuhauserstr. 50 unter Bewachung und Hirmer selbst wurde der Zutritt verwehrt. Die US-Armee entzog Hirmer noch am selben Tag das gesamte Winter-Sortiment im Einkaufswert von 60.000 Reichsmark. Hirmer sah selbst, wie „amerikanische Soldaten (farbige Truppen) Ware (Anzüge, Mäntel, usw.) einluden“ und wegfuhren. Am nächsten Tag betrat Hirmer mit Hilfe einer Dolmetscherin des Schwedischen Konsulats sein Geschäft und stellte schockiert fest, dass „die Waren aus seinem Geschäft [von einer amerikanischen Einheit] abgeholt worden waren“. Es sei überhaupt keine Ware mehr in den Verkaufsräumen vorhanden, „sogar alle Kleiderbügel, Schreibpapier, Kuverts, etc. fehlten“. Nach zähen,

verblieben als Verlust, siehe Formular betr. Schäden und Verluste an Betriebsvermögen vom 27.3.1954, HUA 2013/02/0013–1, S. 141 ff.; Schadensaufstellung für den Totalschaden vom 23.2.1945, HUA 2013/01/0010, S. 68 f.; HUA 2012/11/0001, S. 41. 1531 Auf Fürsprache des Leiters der WG EH Dr. Bauderer erhielt Hirmer „im Hinblick auf die außergewöhnliche Leistung in der Warenwiederbeschaffung [ ] 100.000 RM zur Finanzierung zusätzlicher Warenbeschaffung und zur Leistungssteigerung des Betriebes zur Verfügung gestellt“. Noch vor Kriegsende – zum 1. März 1945 – entschädigten die NS-Behörden Hirmers Totalschaden mit 250.000 Reichsmark, siehe Schreiben an das Kriegsschädenamt Hauptamt München vom 26.2.1945, HUA 2013/01/0010, S. 49; Schreiben an Hans Hirmer, 16.5.1973,HUA 2013/01/0010, S. 43 f.; HUA 2012/11/0001, S. 38. 1532 Vgl. Eidesstattliche Erklärung vom 28.4.1945, HUA 2013/01/0010, S. 175. 1533 Vgl. Formular betr. Schäden und Verluste an Betriebsvermögen vom 27.3.1954, HUA 2013/02/0013– 1, S. 150 ff.; Zusammenstellung über Rückerstattung, o. D., HUA 2013/01/0010, S. 51.; Erklärung der Hirmer & Co. vom 6.12.1952, HUA 2013/01/0010, S. 167; HUA 2012/11/0001, S. 43.

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langen Verhandlungen erhielt Hirmer 45.422,63 Reichsmark als „Entschädigung [ ] für die beschlagnahmte Kleidung“.1534 Erst im Laufe des Sommers 1945 wurden die teilweise wilden Beschlagnahmungen durch die örtlichen Kommandanten unterbunden, auch um den regulären Warenhandel zu stabilisieren. So wies am 18. Juli 1945 George J. Bonfield, der Militärgouverneur der Militärregierung München, den Münchner Oberbürgermeister an: „Sie haben Warenhäuser, Fabriken und Lieferanten von Waren innerhalb der Stadt München dahingehend zu informieren, dass keine Mundvorräte oder Warenrequirierungen durch irgendeinen Angehörigen der Besatzungsmacht erfolgen dürfen, außer innerhalb des regelrechten Requirierungsverfahrens, [Beschlagnahmungen erfolgen] ausschließlich durch hierzu ermächtigte Kauf- und Vertragsoffiziere und –beamte [ ] außer Käufen mit ausschließender Barzahlung“.1535

Hirmer war der Warenverkauf im Sommer 1945 bislang nicht nur untersagt, sondern auch nicht möglich. Alle Bekleidungsgegenstände waren von Amtswegen beschlagnahmt und wurden dringlich Bedürftigen wie Flüchtlingen, Kriegsgefangenen und KZ-Insassen zugänglich gemacht. Und doch schaffte Hirmer es, bis Januar 1946 sein Geschäft teilweise wieder zu betreiben, wie er an seinen Kommanditisten Döring berichtete: „Eine Genehmigung für Textilwarengeschäfte ist generell immer noch nicht erteilt. Wir verkaufen allerdings in beschränkten Maße an Ausländer und wehrmachtsentlassene Soldaten, soweit dieselben Bezugscheine erhalten“.1536

Hirmer war trotz verlorengegangener Warenbestände umtriebig und brachte die Maßund Reparaturabteilung bei seinem Geschäftspartner und früheren Kreditgeber Dorn unter. So konnte er seine verfügbaren Mitarbeiter zumindestens halbtags beschäftigen. Aufgearbeitete und geflickte Altkleider konnten die Kunden in dem vergleichsweise großen 150 qm-großen Hirmer-Geschäft abholen. Hirmer konnte auch seine Werkstätten im Keller der unzerstörten Kleiderfabrik Dorn betreiben. Gerade im Zuge des einsetzenden, harschen Winters mussten in großen Mengen Strohschuhe gefertigt und verkauft werden. Es waren die Maßabteilung „und, was ganz neuartig und zeitbedingt ist, die Umarbeitung- und Reparaturwerkstätte“, die auf „vollen Touren“ liefen und so-

Vgl. Schreiben an das Besatzungskostenamt, München betr. unseren Requisitionsschaden vom 14.5.45, o. D., HUA 2013/01/0010, S. 159 f.; Aufstellung über die [ ] abgeholten Waren vom 7.6.1948, HUA 2013/01/0010, S. 162; Beweisaussagen für Zeugen vom 7.5.1948, HUA 2013/01/0010, S. 163; Aussage von Clare Fleischmann vom 3. Januar 1946, HUA 2013/01/0010, S. 174; Schreiben an das Besatzungskostenamt Abt. Sachkosten betr. Besatzungskosten; hier: irreguläre Requisition von Bekleidungsstücken vom 19. Mai 1948, HUA 2013/01/0010, S. 170 ff.; Zusammenstellung über Rückerstattung, o. D., HUA 2013/01/0010, S. 51. 1535 Vgl. Schreiben an den Herrn Oberbürgermeister Stadtkämmerer Referat 2 vom 18.7.1945, HUA 2013/01/0010, S. 201. 1536 Vgl. Schreiben von Hans Hirmer an Theodor Döring vom 14.1.1946, HUA 2013/10/0006. 1534

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gar zu einem Fachkräftemangel bei Hirmer führten.1537 Gute Kontakte zur Militär- und Zivilverwaltung halfen Hirmer, große Kontingente von Militäruniformen aufzukaufen und für die (zivile) Kundschaft umzuarbeiten und zu verkaufen.1538 Doch insgesamt blieb die Lage Ende 1945 sehr kritisch und die „wirtschaftliche Situation Deutschlands völlig ungeklärt“ angesichts einer vorhandenen Währung, die praktisch keine Kaufkraft hatte und eines Aufblühens des Schwarzmarktes sowie einer Warenbeschaffung, die „von Tag zu Tag schlechter“ wurde. Im Winter drohte die „Textilwirtschaft zum völligen Erliegen zu kommen“, auch weil Einzelhandelsgeschäfte zu fürchten hatten, nicht mit Kohle beliefert zu werden. Auch wusste Hirmer, dass für sein Provisorium Neuhauserstraße die Mietverträge hinfällig zu werden drohten, da der ehemalige jüdische Eigentümer gegen den Eigner Sigmund Koch (Grammophonhaus Koch) Restitution wegen Arisierung beantragt hatte. Weiter erschwerten das Bergarbeiterprogramm (bevorzugte Lieferung von Arbeitskleidung ins Ruhrgebiet) und die allgemein strenge Bewirtschaftung von Herrenkleidungsartikeln in den ersten Nachkriegsmonaten einen ordentlichen Geschäftsgang. Im November 1945 war Hirmer überzeugt, wie er dem emigrierten Fritz Bamberger mitteilte, erst die „Voraussetzungen für ein wirkliches Anlaufen des Betriebes“ zu schaffen.1539 Die Wirtschaftslageberichte der IHK Bayreuth für das Jahr 1945 bestätigen die Repräsentativität der Geschäftslage bei Hirmer für die US-Zone. Während die meisten Produktionsbetriebe bereits Ende Juli „größtenteils“ wieder einsatzbereit waren, stockte die Zulieferung zwischen Handel und Industrie infolge der Bewirtschaftsregelungen. Der Warenbezug war oftmals nur über verbotene Kompensationsgeschäfte (Tausch) oder gegen sofortige Barzahlung möglich. Der lokale Textileinzelhandel meldete „sehr starke Nachfrage“, die jedoch „nur [zu einem] Bruchteil gedeckt“ werden konnte. Für die US-Zone galt eine Verkaufs- und Liefersperre für Textilien (für die Lieferanten gegenüber dem Handel). Auf alliierte Anweisung erhielten ausschließlich „Fliegergeschädigte, Umquartierte und ausländische Arbeitskräfte“ sowie KZ-Insassen gelagerte Waren. Da reguläre Warennachlieferungen ausblieben, musste der Textileinzelhandel – auf alliierte Anweisung – auf seine in Ausweichlagern gelagerte Ware zurückgreifen. Dieser eiserne Vorrat an Wäsche, Wollwaren oder Herrenoberbekleidung war bis Herbst 1945 erschöpft und die Versorgungslage verschärfte sich angesichts des Winters dramatisch. Nach IHK-Meldungen fehlten die „notwendigsten Dinge für bedürftigste Personen“, insbesondere Winterkleidung, Wäsche und Schuhe. Dort wo Waren von der Industrie oder dem Großhandel zu beschaffen waren und Händler genügend Barmittel besaßen, fehlte es oft an geeigneten Transportmitteln.

Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0003, S. 88 f. Vgl. Schreiben an Theodor Döring vom 16.1.1946, HUA 2013/10/0006, S. 250 f.; HUA 2012/11/0001, S. 42; Brief von Hans Hirmer an Fritz Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0006. 1539 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger, o. D., HUA 2013/10/0003, S. 201 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0003, S. 88 f. 1537 1538

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

Groß- und Mittelbetriebe wie Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte profitierten angesichts ihrer baren Mittel und größerer Lager und begannen zu expandieren. Darauf reagierten bald auch größere Spezialgeschäfte, die angesichts des Textilmangels dazu übergingen, „artfremde Waren“ in ihr Sortiment aufzunehmen. Herrenbekleidungsgeschäfte boten nun Stoffe und Schnittwaren an, Textileinzelhändler verkauften Papier- oder Holzwaren.1540 Nur so sicherte sich der Textileinzelhandel in den ersten Nachkriegsmonaten sein Überleben, auch wenn er damit offenkundig gegen das weiter geltende Einzelhandelsschutzgesetz verstieß. Im November 1945 meldete die IHK, dass „Textilwaren nahezu restlos ausverkauft“ waren. Zugleich forderte die Kammer die Aufhebung der Verkaufs- und Liefersperre angesichts des Winters und zehntausender Flüchtlinge und heimkehrender Soldaten, was Ende Dezember 1945 geschah. Der Einzelhandel konnte wieder gegen Punktschecks einkaufen.1541 7.1.2

Regulierung und Bewirtschaftung

Wie die Bayreuther Berichte aus dem 2. Halbjahr 1945 zeigen, herrschte Ende 1945 akuter Textilmangel, der weder aus der anlaufenden Eigenproduktion noch aus Lagerbeständen von Industrie und Handel gedeckt werden konnte. Vor diesem Hintergrund hatten die alliierten Besatzungsmächte keinen der Erlasse die Textilbewirtschaftung betreffend bislang außer Kraft gesetzt. Auch die NS-Verordnungen über Preisstop und Handelsspannen blieben weiter in Kraft („Verordnung über die Preisbildung für Spinnstoffe und Spinnstoffwaren im Einzelhandel, 17.9.1939“, „Erste Durchführungsverordnung vom 23.12.1940 und Dritte Durchführungsverordnung vom 11.2.1942).1542 Zwischen Oktober und Dezember 1945 kam es zu einem Briefwechsel der IHK Nürnberg mit der IHK Bayreuth. Darin geschildert wurde das Problem, wonach Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte sich „wild“ ausdehnen und der Einzelhandel dazu „übergegangen [ist], allerlei artfremde Waren, die der Markt eben bringt, als Ausgleich für fehlende arteigene Waren zu handeln“. Beide Kammern wiesen dieses Verhalten als „unstatthaft“ bzw. genehmigungspflichtig aus. In einem Schreiben der IHK Oberfranken an alle oberfränkischen Oberbürgermeister und Landräte kritisierte die Kammer die „vielfachen Erweiterungen des Warensortiments“, die den Preisbestimmungen zuwider liefen. Zudem würde der Verkauf von der Abnahme anderer Waren abhängig gemacht werden. Alle „gewerberechtlichen Vorschriften [blieben] weiter in Kraft“, da diese keine Diskriminierung aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen darstellten, so die Kammer, siehe Schreiben der IHK für Oberfranken betr. Einzelhandelsschutzgesetz vom 12.12.1945, BWA K8/1018. 1541 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage für Juli 1945 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für August 1945 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für Oktober 1945 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für November 1945 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für Dezember 1945 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1542 Demnach war der „Handelsaufschlag“ gesetzlich festgelegt als Prozent vom tatsächlichen Einkaufspreis. Der Aufschlag war nach Bezugsquelle (Fabrikant, Großhandel, Einkaufsvereinigung) und Ortsklassen (mehr oder weniger als 10.0000 Einwohner am Verkaufssitz) differenziert und im sog. „Handelsspannenverzeichnis“ veröffentlicht. Beim Handel mit Eigenproduktion galt der Einkaufspreis der tatsächlich 1540

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Zum 15. Juli 1946 löste in der US-Zone, also den Ländern Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden, die Anordnung 1/46 (des Wirtschaftsministeriums Württemberg-Baden, Landeswirtschaftsamt) über die „Bewirtschaftung von Textilstoffen, Gespinsten und Spinnstoffwaren vom 1. Juli 1946“ formal alle anderen Erlasse ehemaliger NS-Stellen ab.1543 Tatsächlich blieben Spinnstoffe, Gespinste (Garne und Zwirne) und Spinnstoffwaren über alle Wertschöpfungsstufen bewirtschaftet, denn die Rohstoffversorgung blieb der textile Hemmschuh. In einem Radiointerview im November 1946 beschrieb der Textil-Referent des Landeswirtschaftsamtes Stuttgart, zuständig für die US-Zone, die Schwierigkeiten bei der textilen Notversorgung. Eine Deckung des Gesamtbedarfs von Bevölkerung (Kleidung, Wäsche), öffentlichen Bedarfsgruppen (Krankenhäuser, Uniformen) sowie der Landwirtschaft und der Produktionsindustrien (Arbeitskleidung) könne angesichts der Rohstofflage „bei weitem nicht ermöglicht“ werden. Von den angekündigten US-Baumwolllieferungen (50.000 t) flossen 60 Prozent in den Export. Von den verbleibenden 20.000 t flossen 50 Prozent in die zivile Produktion für die US-Zone. Bei 18 Millionen Einwohnern bedeute dies 500 g Rohbaumwolle pro Kopf, etwa der Rohstoffeinsatz für ein Hemd. Auch unter Hinzunahme inländischer Ressourcen (Wolle, Flachs, Zellwolle, Kunstseide, Lumpen) könne man die Bedürftigsten (Soldaten, Obdachlose, Flüchtlinge, Ausgebombte, Kinder) ohne Bezugscheine nicht ausreichend versorgen. Der Bezugschein war also Ende 1946 dort alternativlos, wo Produktion und Lagerbestände keine Versorgung über den freien Markt zuließen. Dies traf besonders auf Oberbekleidung und Arbeitskleidung zu. Hier herrschte ein immenser Engpass an Wintermänteln und Männeranzügen. Man rechne „noch auf lange Zeit [mit] ernsten Versorgungsschwierigkeiten“ und strebe Versorgungserleichterungen durch die Schaffung der Bizone und Interzonenabkommen mit der SBZ an.1544 Das alliierte Bewirtschaftungssystem (in der US-Zone) funktionierte im Kern wie das NS-System. Für den Bezug erteilte das Stuttgarter Landeswirtschaftsamt „Einkaufsgenehmigungen“. Gegen Punktschecks oder Bezugscheine erhielten Produktionsbetriebe „Globalkontingente“ für Rohstoffe und Halbfabrikate. Textil- und Bekleidungsindustrie waren an die Produktionsvorschriften für den zivilen Bedarf

verarbeiteten Werkstoffe plus Verarbeitungsverlust und nachgewiesenen Herstellungskosten plus durchschnittlichen Gewinnzuschlag mit Stand 1939 – auf diesen Preis durften Handelsaufschläge hinzugerechnet werden, siehe TW, Zur Kalkulation des Textileinzelhandels, 20.1.1947. 1543 TW, Die Notversorgung der Bevölkerung, 20.11.1946. 1544 Im Bereich der Arbeitskleidung hoffte man dank der US-Baumwolle ab 1947 auf Besserung. Die Versorgung mit Bettwäsche und Krankenhausbedarf war dagegen „absolut unzureichend“. Mit Leibwäsche und Säuglingswäsche sah man sich hingegen „einigermaßen versorgt“, dank einer „wesentlichen Erleichterung durch die in Gang gesetzte Produktion“. Daneben ging der Reparaturbedarf „in kleinen Schritten voran“. Alle Bewirtschaftung habe nur dann Erfolg, so der Referatsleiter, „wenn jeder sich bescheidet und einer dem anderen hilft“, siehe TW, Die Notversorgung der Bevölkerung, 20.11.1946.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

gebunden.1545 Bezugsbeschränkte Spinnstoffwaren konnten Kunden nur über Bezugscheine erwerben, wobei eine Reihe von (Arbeits-)Kleidung bezugscheinfrei blieb (Hut, Winter-, Gummimantel, Anzug, Hose, Unterhemd, Krawatte, Arbeitshemd, Taschentuch, Unterhosen, Schneidereibedarf).1546 Dagegen unterlag gebrauchte Kleidung und Wäsche aus dem Einzelhandel sowie öffentlichen und privaten Sammlungen Bezugsbeschränkungen. Reparaturen an Fertigkleidung sowie Wirk- und Strickwaren durch Industrie- und Handwerksbetriebe blieben bezugscheinfrei und „ohne mengenmäßige oder zeitliche Beschränkung“. Zur Verrechnung der Bezugscheine hatten Handel, Handwerk und Hausierer ein Punktekonto zu führen, sofern deren Jahresumsatz im Jahr 1943 über 10.000 Reichsmark lag. Auf Grundlage dieses Punktekontos erhielten die Betriebe zum Einkauf „Bezugsberechtigungsscheine“, um bei ihren Lieferanten, innerhalb und außerhalb der Zonengrenze oder im Ausland einzukaufen.1547 Neben den allgemeinen Bezugscheinen galt zum 15. Juli 1946 die Säuglingskarte mit 150 Punkten und 9 Bezugsabschnitten (sowie für jedes weitere Kind 100 Punkte ohne Abschnitte). Mit der Einführung der Textilkarten für Jugendliche ab dem 1. Dezember 1946 in der US-Zone wurden erstmals an alle Personen bis 15 Jahren Textilien wieder gegen Punkte verkauft (die sich an die NS-Punktbewertung anlehnten) – ein erster Schritt „auf dem Wege zur Freiheit“.1548 Die Lagerbestände des Handels, v. a. in Meterware, waren im Laufe des Jahres 1946 langsam gewachsen. Doch eine generelle Abkehr vom Bezugschein, trotz fortschreitender Lockerungen1549, konnte angesichts des unzureichenden Produktionsoutputs der Textil- und Bekleidungsindustrie vorerst nicht erreicht werden. Der Handel empfand die quasi verlängerte Textilbewirtschaftung als „belastende, rückschrittliche, unzeitgemäße Formalitätenwirtschaft“. Die bürokratische Dokumentation der Bestände und Verkäufe war für viele kleine Einzelhändler schwer praktizierbar – die IHK Bay-

Artikel-Liste A (Arbeits- und Berufskleidung; wollartige Oberstoffe, Futter- und Einlagestoffe, Leib- und Säuglingswäsche, Bettwäsche, Haushaltsbedarf) und Artikel-Liste B (Männer- und Knabenkleidung; Frauen- und Mädchenkleidung, Säuglingsausstattung). 1546 TW, Die einheitliche Textilbewirtschaftung, 6.11.1946. 1547 TW, Die einheitliche Textilbewirtschaftung, 10.10.1946; TW, Die einheitliche Textilbewirtschaftung, 24.10.1946. 1548 Es gab drei Textilkarten (A: Kleinstkinder grün, B: Mädchen gelb; C: Knaben rot), die bis zum 30.6.1947 gültig waren. Die Einschränkungen waren erheblich. So bekam man nur zwei Paar Strümpfe pro Karte und gegen Bezugsabschnitt, siehe TW, Textilkarte für Jugendliche, 6.11.1946; TW, Ein Schritt weiter, 6.11.1946; TW, Zur Einführung der Textilkarte für Jugendliche, 20.11.1946. 1549 Die Einführung eines neuen Textilscheckverfahrens in Bayern im Dezember 1946 garantierte erstmals ein „rohstoffgedecktes Bezugsrecht von Fertigware“, wonach der Bezieher seinen Lieferanten selbst aussuchen und beide die „geeigneteste Qualität“ festlegen konnten. Dieses galt jedoch vorerst nur für den „wirtschaftstechnischen und öffentlichen Bedarf “, siehe TW, Das neue Textilscheckverfahren in Bayern, 4.12.1946. 1545

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reuth warnte daher vor einer „Verzögerung des Warenumschlags und Zurückhaltung von Lagerbeständen“.1550 Mit der alliierten Neuauflage der Bewirtschaftung gelangten ab Juli 1946 über die britische Zone die ersten internationalen Wolleinfuhren aus Großbritannien, den USA und Neuseeland in die Westzonen. Seit Frühjahr 1946 waren bereits 250.000 Ballen US-Baumwolle importiert worden. Nahezu alle Lieferungen wurden von der britischen „Wool Control“ koordiniert, wobei jede Besatzungsmacht ihre Zone belieferte.1551 Am traditionellen Wollhandelsplatz Bremen gründeten Wollhandel und Industrie Wolleinfuhrkontore. Diese hatten die Aufgabe, sämtliche Einfuhr-Wollen zu verbuchen und Preise nach dem „Mindener Schlüssel“ (abgestufte Preise nach Qualität) festzusetzen. Die so erfassten Bestände wurden in Bremen und Hamburg gelagert, jedoch verzögerte sich die Lieferung an die in den Zonen verteilte Textil- und Bekleidungsindustrie. Vorteilhaft für die britische Zone war, dass die Bremer Wollkämmerei in Bremen-Blumenthal über 1.200 aller 1.850 in den Westzonen verfügbaren Kammstühle verfügte.1552 Während in Bremen neue Arbeitskräfte eingestellt wurden, litten die übrigen textilen Verarbeitungsindustrien unter einem eklatanten Arbeitskräftemangel. Ganze Alterskohorten waren in die Rüstungsprodution abgewandert oder verschoben worden. Bayerische Spinnereien und Webereien meldeten im September 1946 eine Kapazitätsauslastung von nur 29 Prozent, die Bekleidungsindustrie von 26 Prozent.1553 Insbesondere die Frage nach der gerechten Verteilung der von der Textilindustrie neu produzierten Stoffe sowie der importierten Fertigerzeugnisse an die Bekleidungsindustrie sowie den Groß- und Einzelhandel sorgte immer wieder für Versorgungsengpässe. Die Mehrheit der Meterstoffe landete in den Verarbeitungsbetrieben und mit erheblicher Verzögerung erst im Einzelhandel (Tabelle 103). Im Frühjahr 1946 begannen die Lieferanten angesichts der beschränkten Kapazitäten und der unzureichenden Gewinne, die Zahlungs- und Lieferungsbedingungen dem Handel gegenüber zu verschärfen, und zugleich den Verbraucher unter Umgehung des Handels direkt zu beliefern. Viele Industriebetriebe arbeiteten zudem primär für das exportorientierte OMGUS-Programm – und gerade der Einzelhandel mit Oberbekleidungsstoffen, Konfektion, Berufs- und Kinderkleidung litt darunter. Der Textileinzelhandel kämpfte 1946 gegen „fast leere Lager“ und mit „zögernden Lieferungen“. Entweder waren Lieferanten mit „Sonderprogrammen“ für Bergarbeiter oder Landwirtschaft ausgelastet oder das „Punktevermögen“ vieler kleinerer HandelsbeVgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage für September/Oktober 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1551 Priorität hatte der sog. „wirtschaftliche Mindestbedarf “ (Tuchherstellung für Polizei, Feuerwehr, Berg- und Schwerstarbeiter, technischer Bedarf). 1552 TW, Die Wolle für die Doppelzone, 11.6.1947; „Angekurbelte Wollindustrie“, in: Der Spiegel, 4/47, S. 20. 1553 TW, Es fehlt überall an Spinnern, 10.10.1946; TW, Produktionszahlen aus Bayern, 6.11.1946. 1550

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Tab. 103 Textile Quoten in der britischen Zone, 19461554 Textilien und Kleidung

Gewebescheck

Punktscheck

Knabenanzug- und Sommermantelstoffe

70

30

Männeranzug- und Sommermantelstoffe

50

50

Schwer- und Schwerstarbeiteranzug

80

20

keine Quotierung

keine Quotierung

Wintermantelstoffe (Frauen)

70

30

Sommer- und Regenmantelstoffe aus Kunstseide

90

10

Leibwäsche (Frauen)

60

40

Leibwäsche (Männer)

70

30

Futterstoffe (Frauen)

70

30

Winter- und Sommerkleiderstoffe (Frauen)

Futterstoffe (Männer) Inlettstoffe

75

25

keine Quotierung

keine Quotierung

Anmerkungen: Gewebescheck für Bekleidungsindustrie; Punktscheck für Textileinzelhandel.

triebe war zu gering. Die Einlösepflicht des Bezugscheins leerte die Lager, der Wiederbeschaffungspreis für Ware lag über deren Verkaufserlös. Der Großteil der Händler arbeitete wohl am Rand der Verlustzone.1555 Erleichterungen erhoffte sich der Handel sich von „Altmaterialsammlungen“ („Lumpen her, wir schaffen Kleider“) und sog. „Tauschringen“. Gewerbliche Lumpensammlungen waren jedoch nur über Lumpengroßhändler zulässig und dem Einzelhandel verboten (dieser musste Ware gegen Quittung an den Lumpenhandel angeben).1556 Angesichts von Warenmangel und unzulänglicher Produktion war bereits im Oktober 1943 in Stuttgart der erste Tauschring entstanden („Tauschzentrale mit Ringtauschverkehr“), der nach Kriegsende im August 1945 als „Stuttgarter Tauschring“ mit „25 bekannten Firmen“ wiedergegründet wurde.1557 Der Kunde gab hier seine (gebrauchte, aber intakte) Kleidung oder Stoffe in ein teilnehmendes Geschäft. Das Geschäft garantierte eine fachgetreue Schätzung des Wertes „auf Basis der Friedenspreise“. Diesen Betrag erhielt der Kunde in bar mit einem Tauschschein in gleicher Höhe. Mit diesem konnte der Kunde in einem anderen (angeschlossenen) Geschäft zum bis zu zehn

Aufstellung nach TW, Die Aufteilung der Meterware, 20.11.1946. Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage für Januar 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für März 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für November 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage für Dezember 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1556 TW, Volkswirtschaftliche Leistungen des Textil-Einzelhändlers, 10.10.1946; TW, Lumpenaktion und Einzelhandel, 24.10.1946. 1557 Mitglieder waren u. a. die Firmen E. Breuninger AG, C. F. Braun, Adolf Neeff, Hanke und Kurtz, R. Rixrath, Emil Meyer und Carl Hanne. 1554 1555

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Prozent höheren Wert einkaufen. Der Händler erhielt im Gegenzug neben der Ware eine Tauschgebühr von 25 bis 30 Prozent in Höhe des Schätzwertes.1558 Bis April 1947 entstanden allein in Baden-Württemberg 26 solcher Ringe, mit 500 angeschlossenen Händlern, die über eine Million Tauschgeschäfte mit fünf Millionen Reichsmark Umsatz tätigten. Etwa 30 bzw. 40 Prozent betrafen Schuhe bzw. Textilien. Die Vorteile für den Einzelhandel lagen auf der Hand. Die Geschäfte steigerten ihren Umsatz um bis zu 30 Prozent, zugleich wurden die privaten Reserven erfasst, die Lager des Handels füllten sich und die Ware wurde neu verteilt. Ausgehend von Stuttgart breiteten sich Tauschzentralen, später Tauschringe in allen drei westlichen Zonen aus.1559 Neben diesen Tauschringen blieben Sortimentserweiterungen und Reparaturangebote des Einzelhandels das Mittel der Wahl. Baden-Baden berichtete im Oktober 1946 von einem „Existenzkampf hauptsächlich in der Tabak-, Textil- und Lederbranche“. Während die Stadtverwaltungen, etwa in Bielefeld und Hamburg, gemäß EHSG formal gegen die Erweiterung vorgingen, blieb das EHSG in dieser Frage formal außer Kraft.1560 Doch die Reparaturkapazitäten lagen deutlich unter den Erwartungen. Während in Großstädten wie Berlin, Stuttgart oder München vielfältige Angebote existierten, betrugen die Wartezeiten in der US-Zone durchschnittlich vier bis acht Wochen. Vorbildcharakter hatte hier Berlin – dort arbeitete der Handel sehr eng mit der Bekleidungsindustrie zusammen. Der Handel war Annahme-, Beratungs- und Ausgabestelle, während die Industriebetriebe die handwerkliche Instandsetzung übernahmen. Doch in der Fläche scheiterte es oft an Stopf- und Stickgarnen und anderen Reparaturstoffen.1561 Und so stand die Textilwirtschaft auch Ende 1946 vor ähnlichen Problemen wie Ende 1945. Der Textil- und Bekleidungsindustrie fehlten trotz höherer Produktionsleistungen die Kapazitäten für den Zivilmarkt, der Handel fühlte sich bei der Verteilung der Neuware benachteiligt und die Warenlager waren angesichts des bevor-

Zu unterscheiden sind verschiedene Formen des Tausches: Normaltausch, Zurücklegetausch (Ankauf hochwertiger Ware, wenn der Kunde etwas Passendes zurücklegen lässt), Liebhabertausch (Ankauf schwer verkäuflicher Artikel, wenn sich ein Liebhaber gefunden hat) und Kommissionstausch. 1559 Eine Auswertung des Tauschverkehrs in Frankfurt/Main (März bis Dezember 1946) mit sechs überwachten „Tauschstellen“ ergab folgendes Bild: Von der Stadt angestellte Schätzer bewerteten die Ware, die auf Textilien, Schuhe und Haushaltswaren beschränkt war. Im betrachteten Zeitraum wurden über 110.000 Tauschberechtigungsscheine ausgegeben, davon über 22.000 für Textilien, über 81.000 für Schuhe und mehr als 7.800 für Haushaltswaren. 95 Prozent der Tauschscheine wurden wiederum eingelöst. Der durchschnittliche Schätzwert bei Textilien lag bei 10,46 Reichsmark, siehe TW, Tauschstellen mit amtlichen Schätzern, 11.6.1947; TW, Tauschscheine weiterhin örtlich begrenzt, 29.5.1947. Eine aufschlussreiche Aufstellung der Umsätze der baden-württembergischen Tauschringe (bis Juni 1945) findet sich bei TW, Die Umsätze der Tauschringe, 2.9.1947. 1560 Die „Textilwirtschaft“ warb offen für die Beibehaltung des „Übergangszustandes“, da „vielfältiges Angebot angenehmer und praktischer“, siehe TW, Branchenbereinigung ein Bedürfnis, 24.10.1946. 1561 TW, Die wichtige Reparatur, 20.11.1946. 1558

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

stehenden Winters absolut unangemessen. Die wenigen dokumentierten Umsätze blieben sehr gering und deckten kaum die Unkosten.1562 Die IHK Mönchengladbach meldete einen Umsatzrückgang im Großhandel mit Textilwaren für das Geschäftsjahr Jahr 1945/46 von 90 bis 95 Prozent gegenüber dem letzten Friedensjahr 1938. Grund seien „Mangel, Schwarzmarkt und Industriedirektabsatz“.1563 Ein ähnliches Bild zeigte auch der Textileinzelhandel. Die IHKs in Koblenz und Essen meldeten einen 80-prozentigen Umsatzrückgang für 1946 gegenüber 1938, bei gleichzeitigem Ansteigen der Unkosten am Umsatz von 24,7 (1938) auf 30,4 Prozent (1946). In Hamburg fielen die Umsätze um 65 Prozent gegenüber 1938, in Südbaden um 75 Prozent gegenüber 1939. Wie überdurchschnittlich der Textileinzelhandel betroffen war, zeigen Ergebnisse des Dortmunder Einzelhandels. Im Jahr 1938 erwirtschaftete der Einzelhandel hier 300 Millionen Reichsmark. Ende 1946 waren die Umsätze um 51,9 Prozent gefallen. Die Hauptlast trug der Textileinzelhandel (minus 80 Prozent), während etwa der Lebensmittelhandel nur um 15,3 Prozent nachgab. Damit war der Anteil des Dortmunder Textileinzelhandels am Einzelhandelsgesamtumsatz dramatisch von 26,3 auf 11 Prozent gesunken. Über die Zahl der Betriebe liegen kaum Zahlen vor. Die absolute Zahl scheint im Textileinzelhandel jedoch rückläufig. In Dortmund sank die Zahl von 305 (1938) auf 256 (1946). Für die britische Zone schätzt man einen Rückgang von 290.000 (1938) auf 210.000 (1946) Betriebe.1564 Das Jahr 1947 stand unter dem Eindruck des ökonomischen Zusammenschlusses der britischen und amerikanischen Besatzungszone zur Bizone. Der alliierte Textilplan sah die deutlich erhöhte jährliche Verarbeitung von 665.000 t Spinnstoffen, also zehn Kilogramm pro Kopf vor. Ein Fünftel (500 Millionen Reichsmark) sollte direkt in den Export gehen. Damit stieg die Textilindustrie zum „Hauptträger des künftigen Exportes“ auf.1565 Diese Priorisierung der „Rücklieferungsware“ („Rohstoffe sind großzügige Kredite“) gegenüber dem Inlandsmarkt sowie der Arbeitskräfte- und Energiemangel der Industriebetriebe hielten an und führten bereits im Frühjahr 1947 in der US-Zone zu einem Produktionsstau. Von den 24.000 t Baumwolle waren erst ein Drittel verarbeitet worden.1566 Die laufende Produktion entsprach nicht mehr den OMGUS-Richtlinien, wonach 60 Prozent der verarbeiteten Baumwolle in den Export fließen musste. Aufgrund des Arbeitskräfte- und Energiemangels während des Winters 1946/47 sank die Exportquote auf 51 Prozent (Tabelle 104).

Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage zum 31.7.1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. TW, Umsatzrückgang im Handel, 24.10.1946. TW, Aber die Kosten steigen, 2.4.1947; Einzelhandelsumsätze, in: Die Zeit, 12/1948, S. 7; TW, Wie steht es um den Textil-Einzelhandel?, 19.8.1947. 1565 Vgl. „Angekurbelte Wollindustrie“, in: Der Spiegel, 4/47, S. 20. 1566 TW, Vom Rohstoff zum Warenfluss, 4.3.1947. 1562 1563 1564

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 104 OMGUS-Verarbeitung und deutsche Verarbeitung, Oktober 1946 bis April 19471567 Monate

OMGUS-Verarbeitung

Deutsche Verarbeitung

Okt 1946

72 %

28 %

Nov 1946

58 %

42 %

Dez 1946

56 %

44 %

Jan 1947

46 %

54 %

Feb 1947

47 %

53 %

Mär 1947

38 %

62 %

Apr 1947

41 %

59 %

Monatsdurchschnitt

51 %

49 %

Daraufhin stoppten die alliierten Behörden zunächst die Verarbeitung von US-Baumwolle für den Inlandsverbrauch bis zur Wiedererreichung der Exportquote. Im Sommer 1947 schloss man einen neuen OMGUS-Vertrag über die Lohnverarbeitung von 50.000 t amerikanischer Baumwolle mit einem Exportziel von 60 Prozent, wobei die Vertragserfüllung ins Frühjahr 1948 verschoben wurde.1568 Die parallellaufenden Sonderproduktionen für Berg- und Schwerstarbeiter banden ebenfalls Ressourcen. Bekleidungsfabrikanten wie die Stockstadter Fa. Kimmich & Söhne sahen sich im Sommer 1947 zu entsprechenden Anzeigen zur Beruhigung des Einzelhandels und der Zivilbevölkerung gezwungen: „3 Pfund Kohle werden benötigt, um einen Meter Stoff herstellen zu können. Wenn deshalb durch das jetzt laufende Sonderprogramm zuerst die Bekleidungssorgen des Bergarbeiters behoben werden, so wird damit gleichzeitig eine Voraussetzung zur Belieferung des allgemeinen Verbrauchers erfüllt“.1569

Nach inoffiziellen Schätzungen kamen 1947 nur fünf bis acht Prozent der deutschen Textilproduktion im Einzelhandel an, während etwa 30 Prozent direkt in den technischen Bedarf flossen oder Sonderkontingentträgern vorbehalten waren. Diese Lieferungen an Krankhäuser, öffentliche Anstalten und Betriebe liefen zunehmend am Einzelhandel vorbei. Industriebetriebe eröffneten Direktverkaufsstellen, Fabriken verkauften Prämienware an die eigenen Arbeiter, Fabriken tauschten Waren untereinander und staatliche Verteilerstellen versorgten Flüchtlinge und Ausgebombte. Neben Aufstellung nach TW, Lagerabbau in Handel und Industrie, 11.6.1947; TW, Der Punktstart für den Handel, 24.6.1947. 1568 TW, OMGUS-Lieferungen und Inlandsverbrauch, 24.6.1947; TW, Jahresbilanz des Omgus-Vertrages, 22.7.1947; TW, Alle Mittel für den Omgus-Vertrag, 14.10.1947; TW, Der Verkaufs-Stop für Baumwollwaren, 28.10.1947; TW, „In Minden nicht Neues“, 14.10.1947; TW, US-Heeresbekleidung für Deutsche, 14.10.1947. 1569 TW, Anzeige der Fa. Kimmich & Söhne, 11.6.1947, S. 5. 1567

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einem spürbaren Umsatzrückgang verschärfte sich damit der Wettbewerb um die wenige verfügbare Ware.1570 Wo Ware war, lockten hohe Profite. Zwischen Mai 1945 und Dezember 1946 gingen in München 400 Zulassungsanträge für Einzelhandelsgeschäfte ein, darunter etwa zehn Prozent Textileinzelhändler. Die bayernweiten Zulassungsanträge stiegen von 6.000 auf 10.000 im Textileinzelhandel. In Stuttgart gingen bis Ende August 1947 920 Anträge auf Zulassung ein (400 genehmigt, 520 abgelehnt). Davon waren 139 Anträge aus dem Textileinzelhandel (15,1 Prozent), von denen 55 genehmigt (40 Prozent) und 84 abgelehnt (60 Prozent) wurden.1571 Die Zählungen lassen Warenhäuser außen vor. Die größten Warenvorräte besaßen jedoch immer noch die größeren Warenhäuser, regionale Kaufhäuser und Großfilialisten. Anders als Spezialfachgeschäfte konnten Kunden hier ihre Bezugscheine an einem Ort verwerten und ersparten sich lange Wege.1572 Waren- und Kaufhäuser begannen bereits wieder zu expandieren, zerbombte Flächen aufzukaufen und neue Geschäftshäuser zu errichten, die die mittelständischen Verbände als „ernste Existenzgefährdung“ mit Hinweis auf das Expansionsverbot nach EHSG ablehnten.1573 Besonders in Großstädten verhalf Warenhäusern nicht ihr Einkaufsnetzwerk oder ihre Kapitalkraft, sondern eher ihr gemischtes Sortiment zu einem Umsatzanteil von geschätzten 40 Prozent am Textileinzelhandel. Auch sie waren von Umsatzverlusten betroffen, doch diese lagen mit zehn bis 20 Prozent deutlich niedriger als im Fachhandel.1574 Beherrschend für die Zeitgenossen blieb jedoch der akute Warenmangel. Ein Redakteur der „Zeit“ reiste im Februar 1947 durch die britische Zone und sah „luftige Regale“. Beworbene Waren in den Schaufenstern („Oberhemden, Schlafanzüge, Nachthemden“) lagen nicht am Lager, sondern konnten nur „aus [den] eigenen Stoffen“ der Kunden gemacht werden. Diese „vermeintliche Fülle“ vervollständigten „Fremdartikel wie Untersätze, Trichter, Büroklammern“. Die staatlich gelenkte Notversorgung der Flüchtlinge war nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, und auch die

TW, Einzelhandelsbilanz in Württemberg, 8.7.1947. TW, Die Zulassungen im Einzelhandel, 30.9.1947; TW, Neue Einzelhandelsgeschäfte in München, 2.4.1947. 1572 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage für Januar 1947 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; TW, Textileinzelhandel im Fluß, 20.1.1947; TW, Gleichgewicht zwischen Bezugsmarken und Warenbeständen, 20.1.1947. 1573 Bereits im Februar 1947 sah der Landesverband des bayerischen Einzelhandels „kein volkswirtschaftliches Bedürfnis zur Neuerrichtung von Warenhäusern in Bayern“. Die Emil Köster AG, Hamburg hatte in Rosenheim gebaut und plante, auch nach München und Bayreuth zu expandieren. Die Westdeutsche Kaufhof GmbH, Köln plante Häuser in München und Augsburg, siehe Stellungnahme [des Landesverbandes des bayerischen Einzelhandels e. V.] zur Neuerrichtung von Warenhäusern in Bayern, 17.2.1947, BWA K8/1026. 1574 Beispiel aus einer nicht näher genannten „norddeutschen Stadt“, siehe TW, Großbetriebe im Vorteil?, 9.12.1947. 1570 1571

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Bezugscheinbürokratie verhinderte einen gleichmäßigen Warenfluss.1575 Auch dem Reisebericht des durch die Westzonen gereisten englischen Publizisten Victor Gollancz zufolge war die „Versorgung des deutschen Normalverbrauchers mit Textilien unvorstellbar abgesunken“. So waren in Dortmund zwischen Mai und Juli 1947 keine Bezugscheine für Herrenanzüge, Frauenunterwäsche oder Babywäsche mehr ausgegeben worden. Ähnliches galt auch für Bielefeld und Herford. Die Bevölkerung von Iserlohn erhielt in acht Monaten Bezugscheine im Gegenwert für 18 Anzüge, 5 Mäntel, 30 Jacketts, 64 Hosen, 254 Kleider, 17 Nachthemden, 103 Büstenhalter, 28 Schlüpfer und 32 Unterröcke.1576 Infolge der schlechten textilen Versorgung gaben die Behörden zum 1. Juli 1947 für die Bizone das Bezugscheinsystem auf und lösten es durch Punktmarken (ähnlich den NS-Kleiderkarten) ab. Bislang war der Bezugschein an den darauf vermerkten Artikel gebunden. War z. B. ein vermerkter Herrenanzug nicht vorrätig, wurde der Bezugschein wertlos. Alle bezugscheinpflichtigen Waren waren nun punktbewertet. Die Punktekarten waren frei in der Bizone einsetzbar und die Punkte waren nicht artikelgebunden. So sollte der tatsächliche Bedarf vom Verbraucher über den Handel an die Industrie gegeben werden. Das Punktesystem war auch deutlich einfacher zu dokumentieren. Im Gegenzug setzten die Behörden das Punktevermögen der Handels- und Industriebetriebe neu fest und zielten damit auf eine große Lagerbereinigung. Mit der Festlegung von Lagerhöchstgrenzen sollte sich die Textil- und Bekleidungsindustrie hinsichtlich eigener Bestände an Fertigwaren „in äußerstem Maße beschneiden“ und diese zielgerichtet dem Handel zuführen. Der Einzelhandel musste seine Vorräte um ein Drittel abbauen. Dazu wurden die Punktwerte zur Warenwiederbeschaffung über alle Handelsstufen neu festgelegt und meist höher bewertet. Diese „Abschöpfungsmethode“ hatte vielen Betrieben ein Punktedefizit beschert und sie auf Monate von jeglichem Warenbezug abgeschnitten. Allein in Frankfurt am Main wies jedes dritte Punktekonto des Textileinzelhandels ein Defizit auf.1577 Doch die „Punktefrage“ war vor allem eine Frage der Betriebsorganisation. Tatsächlich waren die Punktkonten in Bezug zum Warenangebot zu hoch gewesen. Ein Leserbrief eines nordbadischen Textileinzelhändlers kritisierte den zu niedrigen Lagerumschlag des Handels und hielt einen hohen Umschlag für ökonomisch geboten:

Für einen „westf. Amtsbezirk“ mit 30.000 Einwohner (davon 50 Prozent Flüchtlinge) verteilte man 140 Steppdecken, 110 Leibbinden, 900 Paar Herren- und 570 Paar Damensocken, 2800 Wolldecken. Zudem erschien die „Bewirtschaftungs- und Lenkungsordnung“ vielen (v. a. heimgekehrten) Inhabern als ein „Buch mit sieben Siegeln“. Es existierten „Punktschecks mit/ohne Bestellabschnitte, in Sonderfällen (Näh- und Stopfmittel), Bestellabschnitte ohne Punktscheck oder Punkteschecks und Bestellabschnitte für bestimmte Waren (Bettfedern)“, siehe Besuch beim Textileinzelhandel, in Die Zeit, 6/1947, S. 8. 1576 TW, Gollancz zur Textilnot in Deutschland, 14.10.1947. 1577 TW, Das Punktgefälle in der Bi-Zone, 16.9.1947; TW, Punktmarke statt Bezugschein, 4.1.1947; TW, Bayern: Notversorgung der Bevölkerung mit Spinnstoffwaren, 24.6.1947. 1575

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

„Wer immer schlank verkauft hat, konnte niemals in Punktenot kommen. [ ] Es gab für den Kaufmann zwei Spekulationen: der eine glaubte, durch flotten Verkauf die Kundschaft an sich zu fesseln, somit genügend Reserven zu bilden und bei Eintritt normaler Verhältnisse die zu erwartende Depression zu überwinden, der andere wollte vermeiden, sein Lager allzu sehr zu desorientieren, weil er nur so den Übergang zur Friedenswirtschaft finden könne“.1578

Indes verschlechterte sich die textile Versorgungslage in den Westzonen abermals im Herbst 1947. Die Textilindustrie war durch OMGUS-Verträge ausgelastet. Die Restproduktion, Ware im Wert von knapp 40 Millionen Punkten, floss in den Ruhrbergbau. Allein Bayern musste für das Bergarbeiterprogramm 500 t Textilwaren im Wert von 20 Millionen Punkten bereitstellen. Zwischen 1945 und 1947 gab das Land bereits rund 4.600 t in Sonderprogramme, darunter für 300.000 Displaced Persons (2.200 t), 1,6 Millionen Flüchtlinge (1.900 t), 60.000 ehemalige KZ-Insassen (397 t) sowie den amerikanischen Sektor in Berlin (110 t). Durch diesen Warenabfluss konnten die Bezugsrechte für Zivilisten im 4. Quartal 1947 „nur in sehr beschränktem Umfang herausgegeben werden“. Andere Großstädte wie Hamburg begannen nun ohne Einverständnis des Verwaltungsrates für Wirtschaft, eigene Bezugsberechtigungen für verfügbare Winterkleidung auszugeben. Die „Textilwirtschaft“ rechnete für den Winter 1947/48 mit einem „bisher nicht erreichte[n] Tiefstand“ in der Versorgung der Bevölkerung. Angesichts des „Mindener Textilplanes“ für 1948, der nur 370 g Textilien pro Kopf in der Bizone vorsah, kommentierte die Zeitschrift zynisch: „Nicht nur ein hungriger, auch ein nackter Mann ist nicht arbeitsfähig“. Am 18. Dezember 1947 streikten rund 20.000 Arbeiter und Angestellte aller Betriebe und der Stadtverwaltung in Heilbronn gegen die „unzureichende Versorgung mit Arbeitskleidung und Schuhen“, angesichts der unaufgelösten Lager, in denen etwa noch 26.000 Paar Schuhe lagerten. Die gesamte Textilwirtschaft fürchtete weitreichende staatliche Zwangsmaßnahmen. Die Verbände der Textil- und Bekleidungsindustrie riefen ihre Mitglieder auf, „dem Verbraucher alles zuzuführen, was sie an Fertigwaren irgendwie abstoßen kann“. In Baden-Württemberg planten die Behörden erste Verkaufszwänge, welche auf starken Protest der Einzelhandelsverbände stieß: „Was nützt eine mit technischen Textilien einigermaßen ausgestattete Industrie, wenn die Menschen wegen Mangels an Bekleidung sich außerstande sehen, in ihr zu arbeiten“.1579 Die Allierten reagierten auf diese Notlage. Noch im Dezember 1947 waren Armeedecken der Amerikaner nach Deutschland geliefert worden. Der schleswig-holsteinischen Bekleidungsindustrie gelang es, innerhalb von drei Wochen 15.000 Wolldecken in 20.000 Mäntel und Kinderanzüge umzuarbeiten. Die bayerische und württemberTW, Punktabschöpfung und Lagerumschlag, 30.9.1947. TW, Bayerische Produktion und Versorgung, 30.9.1947; TW, Wie steht es um die Textil-Versorgung?, 30.9.1947; TW, Das Glatteis des Kontrahierungszwanges, 6.1.1948; TW, Der Fall Heilbronn, 6.1.1948. 1578 1579

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gisch-badische Bekleidungsindustrie arbeitete 30.000 Armeedecken zu 22.000 Herren-, Knaben- und Kindermänteln um. Jene „Deckenmäntel“ lagen schon im Januar 1948 in den Schaufenstern des Einzelhandels.1580 Diese US-Hilfslieferungen wurden zum Jahresbeginn 1948 gesteigert. Über den Umschlagplatz Bremen wurden die Ladungen auf Länder oder Kontingentsträger verteilt. Für diese sog. U-Ware bzw. Steg-Ware legten die Landeswirtschaftsämter Leithändler fest, die die Ware von der „Staatlichen Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut“ (Steg) übernahmen. Einzel- und Großhandel bezogen die verarbeitete Ware direkt vom bearbeitenden Betrieb. Der Bezug der Ware lief nicht über die Normal-Punktekonten, sondern über ein „Sonderkonto U“. Führende Einzelhandelsfirmen mit hohem Punktevermögen waren zur Bevorratung zugelassen. Kunden konnten U-Ware nur gegen einen U-Bezugschein kaufen. Ingesamt umfasste die U-Warenliste 96 Warenarten mit den Qualitätsstufen A, B und C. Die Abgabepreise der Steg waren günstig, wobei der Endverbraucherpreis sich durch gesetzlich geregelte Zuschläge der Leithändler (fünf bis acht Prozent), Großhandel (15 Prozent) und Einzelhandel (30 Prozent) entsprechend erhöhte (Tabelle 105). Tab. 105 Abgabepreise für U-Ware/Steg-Ware1581 Artikel

Qualität A

Qualität B

Qualität C

Regenmäntel

12,00

8,50

4,25

Wollmantel

20,00

14,00

7,00

Webpelzmantel

15,00

11,00

5,00

Arbeitsjacke

3,00

2,00

1,00

Flanellhemd

1,50

1,00

0,50

Frauenkleid, Wolle

12,00

8,50

4,25

Wolldecke

14,00

9,30

4,65

Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise.

Doch fand die U-Ware ihren Weg auf den Zivilmarkt? Anfang Februar 1947 lagen noch fünf Sechstel der angestrebten Lieferungen in den USA. Die nach Bremen verschifften Güter flossen zudem mehrheitlich an Sonderkontingentsträger und in bestimmte Industriegruppen.1582 Bis Ende Mai 1948 gelangte die restliche U-Ware in die Bizone. Doch gerade im Einzelhandel und der deutschen Kundschaft mehrte sich die Kritik an Qualität und Verfügbarkeit. So kritisierte die „Textilwirtschaft“: „Unzählige Bahnfahrten für auswärts wohnende Kundschaft und unzählige Umtausche wegen nicht passender Größen haben die Unzweckmäßigkeiten dieses Systems bewiesen.

1580 1581 1582

TW, Deckenmäntel schon im Schaufenster, 6.1.1948. Aufstellung nach TW, Der Fluß der U-Ware zum Einzelhandel, 20.1.1948. TW, Erst ein Sechstel der U-Ware angeliefert, 10.2.1948.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

Der Kunde hat kein Verständnis dafür, dass er seine Bezugsmarken an leeren Theken abliefern soll und dass mindestens zwei, häufig aber drei bis vier Einkaufsgänge in ein Geschäft notwendig sind, bis er die ihm laut Bezugschein zustehende Ware erhält“.1583

Diese Kommentare ließen die Amerikaner nicht gelten und warfen den Deutschen Undankbarkeit vor – schließlich bestünde für U-Ware kein Zwang zum Kauf, und General Clay gab zu bedenken: „Ich denke manchmal, dass wir diese Ware besser den anderen Ländern hätten geben sollen“.1584 Nach Einschätzung der „Textilwirtschaft“ blieb die U-Ware „für Zivilversorgung fast bedeutungslos“. Tatsächlich war die U-Ware nie dazu gedacht, den Zivilmarkt als ganzes zu versorgen. Bis Anfang Mai 1948 umfassten die Lagerbestände an U-Ware in der Bizone 12,2 Millionen Stück Kleidung, von denen knapp 50 Prozent verteilt waren – statistisch hatte der Normalverbraucher in der Bizone also 0,2 Kleidungsstücke erhalten.1585 Wie ein Blick auf die Bewirtschaftungspläne der Alliierten seit Kriegsende für die Bizone zeigt, sank nicht nur die angesetzte Menge Spinnstoff pro Einwohner, sondern der Anteil der Versorgung des Zivilmarktes zugunsten der Versorgung der Wirtschaftsbetriebe, Schwerstarbeiter und öffentlichen Einrichtungen. Erst mit der in der „Truman-Doktrin“ (März 1947) zum Ausdruck gebrachten Stabilisierungspolitik (West-) Deutschlands und dem im Juni 1947 angekündigten Marshall-Plan maßen die Alliierten der zivilen Versorgung größere Bedeutung zu, jedoch eher auf Kosten des Exports als auf Kosten der textilen Versorgung der Wirtschaft (Tabelle 106). Tab. 106 Bewirtschaftungsquoten für Spinnstoffwaren in Deutschland, 1938 bis 19491586

Festgesetzer Verbrauch pro Kopf

1938

Potsdamer Abkommen

Textilplan 1947/48

Marshallplan

14 kg

10 kg

3,81 kg

6,7 kg

Verteilung der Spinnstoffe auf Bereiche Zivilbevölkerung

60 %

50 %

9,5 %

27,0 %

Wirtschaftlicher Bereich

26 %*

20 %

42,0 %

48,8 %

10 %

6,7 %

6,7 %

Bergbauprogramm

7,1 %

3,3 %

US/GB-Armeebedarf

7,9 %

1,6 %

Öffentlicher Bereich

Sanitäter, Berufskleidung Export GESAMT

2,8 % 14 %

20 %

27 %

9,8 %

100 %

100 %

100,0 %

100,0 %

Anmerkungen: *„öffentlicher und wirtschaftlicher Verbrauch“.

TW, Die U-Ware könnte besser fließen, 27.5.1948. TW, U-Ware so gut wie liquidiert, 21.5.1948. TW, Die traurige Rechnung des Zivilverbrauchs, 28.4.1948; TW, Die Hamburger Tagung des TextilEinzelhandels, 3.6.1948. 1586 Aufstellung nach TW, Die traurige Rechnung des Zivilverbrauchs, 28.4.1948. 1583 1584 1585

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tatsächlich stockte der Textileinzelhandel auch in der ersten Jahreshälfte 1948 erheblich.1587 Die IHK Bayreuth meldete im Januar 1948 eine Halbierung der Wareneingänge gegenüber dem Vorjahr – mit der Auswirkung, dass viele Artikel der Säuglings- und Kleinkinderkarte nicht mehr erhältlich waren.1588 Mit dem Warenmangel belebte sich im Frühjahr 1948 die Diskussion um die „Übersetzung des Einzelhandels“ in der Bizone, derer die Behörden mit einer – unglücklicherweise der NS-Diktion nach benannten – „Auskämmaktion“ begegnen wollten. Der besonders ins Auge gefasste bayerische Einzelhandel forderte dabei die „Ausschaltung jener, die mit oder ohne Lizenz sich nach dem Kriege eingeschaltet haben“ und zeitgleich die Ablehnung jeglicher Neugründungen, besonders von Waren- und Kaufhäusern. Etwa jede achte genehmigte Zulassung in Bayern betraf den Textileinzelhandel. Angesichts des Umsatzrückgangs von zwei (1938) auf 1,4 Mrd. Reichsmark (1947) kritisierten die Einzelhandelsverbände die Genehmigungspraxis als „zu großzügig“.1589 Die entscheidenden Wegmarken auf dem Weg zu einer stabilen textilen Versorgung der Westzonen brachten die Auslandshilfe, die fortschreitende gemeinsame Bewirtschaftung der Zonen und die im Juni 1948 erfolgte Währungsreform. Zum 1. April 1947 vereinheitlichten die nun zur Trizone zusammengeführten Westzonen die Textilbewirtschaftung zunehmend. Alle Einzelanordnungen wurden zusammengefasst und die Länder agierten nun auf einer klaren, gemeinsamen Rechtsbasis. Bekleidungsindustrie und Handel setzten sich gegen die Textilindustrie mit der Forderung nach „durchlaufenden Bezugsrechten“ durch. Alle Verarbeitungsstufen, auch die Spinnereien und Webereien, mussten nun Bezüge über Punktkonten abwickeln – „Einkaufsgenehmigungen“ fielen weg. Da nun Punkte die gemeinsame Einkaufsbasis waren, ließen sich Bezug, Lagerung und Verkauf effektiver kontrollieren. Weiterhin war der gegenseitige Einkauf innerhalb der Bizone nicht freigegeben, sondern blieb abhängig von sog. Freigabescheinen, deren Ausgabe unsicher, unzureichend und zeitlich beschränkt war.1590 Doch diese Homogenisierung war nur der Auftakt zur bevorstehenden Verschmelzung der Westzonen zu einem gemeinsamen Wirtschaftsgebiet durch Einführung einer neuen gemeinsamen Währung. Anfang April spekulierte die Öffentlichkeit bereits über die Auswirkungen einer Währungsreform auf das Bewirtschaftungssystem. „Der Spiegel“ mutmaßte, dass die Bewirtschaftung – also Rationierung und Preiskontrol-

Die ersten Lieferungen aus der Marshallplanhilfe trafen erst Ende 1948 ein und beliefen sich bis Anfang 1949 auf knapp 100 Millionen Dollar, siehe Wehler (2010b), S. 970. 1588 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage zum 19.1.1948 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. In Reaktion darauf sollte ein alliierter Kinderbekleidungsplan für die Bizone innerhalb von 24 Monaten für knapp zehn Millionen Kinder Kleidung im Wert von 1,6 Mrd. Punkten herstellen, wobei die textile Bizonenproduktion 1946/47 bei ca. 500 Millionen Punkten lag, siehe TW, Bekleidungsplan für Kinder fraglich, 10.2.1948. 1589 TW, „Auskämmung“ stark umstritten, 23.3.1948; TW, Die Warenhausfrage in Bayern, 31.3.1948; TW, Zahlenspiegel des bayerischen Einzelhandels, 27.5.1948. 1590 TW, Was bringt die bizonale Bewirtschaftung?, 2.3.1948; TW, Doppelzone – aber nicht für den Einkauf?, 15.4.1948. 1587

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

le – weiterhin für die „notwendigsten Güter“ (Lebensmittel, Gebrauchsgeschirr und einige Bekleidungsstücke) beibehalten werden müsse, während alle anderen Waren frei produzierbar und handelbar werden würden. Das „durchlaufende Punktsystem“ stelle zudem sicher, dass Lieferanten ihre Kontingente nur nach eingegangenen Bezugscheinen, also nach der tatsächlichen Kundennachfrage, bezögen. Auch für den Textilbereich müsse gelten, dass „der jahrelang angestaute Bedarf in den ersten Kauffeldzügen der Verbraucher so gedeckt werden [kann], dass zumindestens der Anschein erweckt wird, es sei genug vorhanden“.1591 Mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 wurden Bargeld und Guthaben zunächst im Verhältnis zehn Reichsmark zu einer D-Mark umgestellt. Jeder Bürger bekam 40 D-Mark sofort und 20 D-Mark innerhalb der nächsten acht Wochen ausgezahlt, über Bankguthaben konnte man vorerst nur zur Hälfte verfügen – das gesperrte Geld wurde schließlich mit den tatsächlichen Umstellungskosten verrechnet, sodass das tatsächliche Umstellungsverhältnis letztlich bei 100 Reichsmark zu 6,50 D-Mark lag. Mit der Währungsumstellung verknüpfte Ludwig Erhard als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets der Bizone auch die Aufgabe der Preiskontrollen zum 25. Juni 1948 – ausgenommen blieben Grundnahrungsmittel, Mieten, Gas, Wasser, Elektrizität und die meisten „strategischen Rohstoffe“.1592 Für die Textilbranche war es die „bedeutendste Entscheidung seit Kriegsende“, mit der man von der Bewirtschaftung in eine „gelenkte Marktwirtschaft“ eintrat. Mit der „Anordnung über die Bewirtschaftung von Spinnstoffen, Gespinsten und deren Abgängen sowie Hadern (Lumpen) und Spinnstoffwaren“ (Anordnung Text II/48) wurde das Punktesystem für die Textilbranche abgeschafft. Die Preisbildung für Textilien aller Art war nun vollständig frei und unterlag keinen Bindungen mehr. Die Produktion richtete sich nun nach festgelegten Artikellisten („nach eigenem Ermessen und eigener Verantwortung verarbeitet“). Der Einzelhandel kaufte nicht mehr gegen Punkteschecks, sondern mit formalen Einkaufsgenehmigungen in beiden Zonen. Dazu musste der Handel ein Wareneingangs- und Ausgangsbuch führen. Allerdings liefen die Punktkonten vorerst „leer weiter“, falls das neue System versagen sollte. Damit, so kommentierte die „Textilwirtschaft“, war der „Warenfluss innerhalb der Textilwirtschaft von der Spinnerei bis zum Einzelhandel rechtlich und praktisch freigestellt“. Die Bevölkerung blieb zunächst an die Punkte gebunden. Mit Ausgabe der Lebensmittelkarten im Juli 1948 sollten 20 Textilpunkte pro Person neu ausgegeben werden. Für den wirtschaftstechnischen und öffentlichen Bedarf galten ebenfalls noch Textilschecks und Kontingentsscheine.1593 „Am Tage danach …“, in: Der Spiegel 15/1948, S. 18. Vgl. Spoerer/Streb (2013), S. 216 f.; Wehler (2010b), S. 971. Ludwig Ehrhard zählte bei Gründung der Gesellschaft für Konsumforschung (Gf K) im Jahr 1934 zu den Mitgliedern des Vorstandes, siehe https://www.nim.org/ueber-uns/historie/gruendung (Stand: 17.7.2019). 1593 Eine frühere Einführung der Kleiderkarte war aus drucktechnischen Gründen nicht möglich, siehe TW, Wie sieht die neue Bewirtschaftung aus?, 17.6.1948; TW, Bizonale Textilbewirtschaftung in Kraft, 24.6.1948; TW, Der Schritt ins Freie, 24.6.1948; TW. Alle Preisvorschriften außer Kraft!, 8.7.1948. 1591 1592

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

„Gelenkt“ blieb die Textilwirtschaft jedoch weiterhin. Die Verordnung ließ über „Kann-Regelungen“ Hintertüren offen, sodass Bekleidung und Schuhe einer „Verbrauchsregelung unterworfen werden“ konnten. Textilen Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigerzeugnisse konnten durch Lieferanweisungen, Herstellungsverbote und – gebote reguliert werden. Die Textilkarten mit 20 Punkten (und die Zusatzkarten für Flüchtlinge, Ausgebombte und Arbeiter) lösten ab Juli 1946 zwar die individuelle Bezugscheinprüfung für bewirtschaftete Waren ab, doch diese konnte für sog. „punktteuren Bedarf “ wie etwa Anzüge oder Matratzen angewendet werden.1594 7.1.3

Währungsreform & Wachstumsimpulse

Wie wirkte die Währungsreform auf den Einzelhandel? Hatte der Handel trotz der Klagen um Bezugsschwierigkeiten, Benachteiligungen und Lagerräumung genügend Ware gehortet, um den kaufwilligen Kunden nun volle Schaufenster zu präsentieren und Ware zu Marktpreisen in einer stabilen Währung zu verkaufen? Die Antwort ist zweigeteilt. Es mangelte nicht an Kauflust und Ware, sondern an Kaufkraft und Punkten, wie die Umfragen zur Geschäftslage unmittelbar nach der Währungsumstellung zeigen. In den alliierten Zonen ergab sich ein uneinheitliches Bild. Ingesamt wurde die D-Mark „von der Verbraucherseite sehr begrüßt und voll anerkannt“. Viele Händler berichteten in den ersten Tagen nach dem 20. Juni von einem „lebhaften Geschäftsverkehr“, teilweise sogar von einer „Kaufpsychose“. Dieser Strom sei jedoch stark abgeebbt und habe in einigen Orten, etwa den rheinischen Städten sogar zu Kaufzurückhaltung und einer Belebung des Schwarzmarktes geführt. Zunächst waren die Arbeiter und Angestellten die treibende Kraft, die sich vornehmlich für die überall verfügbare Großkonfektion – Herrenanzüge, Damenkleider und Mäntel – interessierten, doch es fehlte „sowohl an Punkten als auch an sofort verfügbarem Bargeld“. Stuttgarter Händler berichteten von einem „Stoffsturm“ ab dem 21. Juni 1948, wobei sich die Nachfrage – die eher von Frauen als Männern ausging – hier auf Kleinstücke und Meterware richtete und weniger auf Fertigkleidung.1595 Der Münchner Textileinzelhandel berichtete davon, „den gefährlichen Schock vor der Geldumstellung verhältnismäßig gut überstanden [zu haben]. Er begann mit einem Endsturm der RM auf Textilwaren und Waren überhaupt. Zwischen 14. und 19. Juni dauerte die RM-Attacke mit unverminderter Stärke an. Interessant war dabei die Teilung in zwei Käuferlager: die Punkteinhaber und die Punktelosen. [ ] Die Punktelosen stürzten sich auf alles, was ohne Marken und ohne Punkte zu haben war, und wessen sie in einem sehr gemischten Textilgeschäft habhaft werden konnten“.

1594 1595

Wirtschaft mit neuem Geld, in: Die Zeit, 26/1948, S. 7. TW, Ein Querschnitt durch die große Umstellung, 1.7.1948; TW, Der Stoffsturm in Stuttgart, 1.7.1948.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

Mit der Umstellung auf D-Mark setzte sich der beschriebene Run in München für drei Tage lang fort und stoppte dann abrupt ab, denn jetzt gab es verhältnismäßig mehr DM-Geld als Punkte. Und doch zeigten sich die Münchner Händler sehr zufrieden: „Der Umbruch von der alten zur neuen Mark hat dem Textilhandel den ersten, wenn auch schwachen Silberstreifen am wirtschaftlichen Horizont aufgezeigt. Es war endlich wieder einmal ein „echtes“ Geschäft zwischen Käufer-Kunde und Verkäufer-Kaufmann. Diese Geschäftswende kam vielen Einzelhändlern [ ] zum Bewußtsein: man dekorierte eine kleine Auslage [ ] und ordnete gelegentlich sogar einige Stoffbahnen an, die wie Stoff-Fahnen in eine neue Zeit weisen“.1596

Auch in der Fläche setzte eine Umsatzbelebung ein. Die IHK Bayreuth berichtete für das 3. Quartal 1948 von „starken Umsatzsteigerungen [im Textileinzelhandel] nach der Währungsreform“. Die „überausgroße Nachfrage“, besonders nach Winterkleidung, warmer Unterkleidung oder Strümpfen, konnte nicht überall aus den Lagern befriedigt werden.1597 Doch die zukünftigen Geschäftserwartungen des Textileinzelhandels blieben gedämpft. Zum einen stiegen die Verkaufspreise für Textilien auf dem nun freien Markt infolge der hohen Nachfrage und des immer noch unzureichenden Warenangebots. Im August 1947 schätzten „führende Betriebe des Textileinzelhandels“ ihre Umsätze in den kommenden zwölf Monaten auf 50 (wertmäßig) bzw. 25 bis 33 Prozent (mengenmäßig) des Standes von 1938. Sie fürchteten deutliche Kaufkraftverluste durch konjunkturell bedingte Entlassungen und Kurzarbeit. Im dritten Quartal 1948 war die Arbeitslosenquote gegenüber dem zweiten Quartal von 3,2 auf 5,5 Prozent angestiegen.1598 Im August 1948 protestierten in Frankfurt Hunderte von Menschen gegen die Preissteigerungen von Verbrauchsgütern, besonders Lebensmittel und Bekleidung.1599 Neben dem Schwarzmarkt erlebten gerade die Großstädte infolge der Preissteigerungen eine Zunahme der „Fliegenden Händler“. Hamburg, Frankfurt am Main oder München zählten „hunderte fliegende Händler“, die zu dreivierteln Textilien verkauften. In München „mit allein rund 50 Ständen in der Kaufinger- und Sendlinger Straße“.1600 Durch intensive Reklame und breite Sortimente profitierten die Warenhäuser überdurchschnittlich von den ersten DM-Umsätzen. Zwischen Mai und September 1948 erhöhten sich die Warenhausumsätze um 28 Prozent, während die Fachgeschäfte ihre Umsätze um weniger als 10 Prozent steigern konnten (Tabelle 107).

TW, München: Mehr D-Mark als Punkte, 1.7.1948. Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage im 3. Vierteljahr 1948 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. TW, Erste Bilanz zwischen Kasse und Lager, 5.8.1948; Wehler (2010), S. 972, Übersicht 140. „Sehr energische und zum Teil massive Reaktionen der Verbraucherschaft auf die Preiserhöhungen für Verbrauchsgüter aller Art“, siehe TW, Erste Streikparolen gegen Textilpreise, 19.8.1948. 1600 TW, Fliegende Händler, wie aus dem Boden gewachsen, 19.8.1948. 1596 1597 1598 1599

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 107 Umsätze, Fachgeschäfte und Warenhäuser, Mai bis Oktober 19481601 Monate

Fachgeschäfte

Warenhäuser

Mai

100,0

100,0

Juli

82,2

100,1

August

96,0

101,3

September

109,5

128,4

Oktober

145,9

154,6

Anmerkungen: Für Geschäfte in Stuttgart; Mai 1948 = 100, lfd. Preise.

Infolge der Preissteigerungen bemühte sich Erhard ab Juli 1948 um neue Optionen, eine günstigere und schnellere Warenversorgung der Bevölkerung mit textilen Fertigerzeugnissen zu sichern – nicht zuletzt um die Schlagkraft seiner Idee der sozialen Marktwirtschaft zu untermauern. Dabei wurden zwei Wege beschritten: Bilaterale Abkommen mit ausländischen Unternehmen im Rahmen der Marshallplanhilfen (Steg-Ware) und staatliche Lenkung und Subventionierung der inländischen Textilproduktion. Im Juli 1948 stellte der US-amerikanische Warenhauskonzern Sears, Roebuck & Co. Lieferungen nach Deutschland in Höhe von 120 Millionen Dollar in Aussicht, vor allem Hemden, Hosen, Anzüge und Schuhe. Sears war mit 460 Warenhäusern, 161 Fabriken, 275.000 Beschäftigten, 100.000 Katalogartikeln und einem Jahresumsatz von 2,5 Mrd. Dollar (1947) das sechstgrößte US-Unternehmen. Die US-Waren sollten über Sears Generalvertreter, Harry Wallenborg, der Geschäfte in Hamburg und anderen Städten betrieb, in den Handel gelangen. Der Textileinzelhandel und der bizonale Wirtschaftsrat warben für die qualitativ guten und zeitgleich preisgünstigen Fertigwaren. Zunächst ging es um Schuhe im Wert von 30 Millionen Dollar. Die Deutschen sollten die Lieferungen zur einen Hälfte mit deutschen Fertigwaren (für den Sears-Katalog in den USA), zur anderen Hälfte via zweijähriger Tilgung bezahlen. Mit Vertragsabschluss sollten so täglich 10.000 Paar Schuhe (Endverbraucherpreis: 20 DM) geliefert werden. Zunächst reagierten allerdings die Textil- und Bekleidungsindustrie ablehnend, die einen Preisverfall und starke Konkurrenz der US-Produkte fürchteten. Auch die alliierte Außenhandelsbehörde JEIA, die alle Im- und Exporte letzlich genehmigen musste, bevorzugte eher die Einfuhr von Rohstoffen statt textiler Fertigwaren. So zogen sich die Verhandlungen in den Spätherbst 1948. Im November 1948 stellte Sears in Hamburg weitere Muster seiner Waren vor. Die Preise lagen deutlich unter den deutschen Marktpreisen. Damenhüte zu 4,80 Dollar, Herrenschuhe ab 3,30 Dollar oder Herrenanzüge zwischen 21 und 29 Dollar. Sears war bereit, Ware im Wert von 30 Millionen Dollar auf Kredit zu liefern – und im Gegenzug 2.000t Wolle durch

1601

Aufstellung nach TW, Stuttgart – ein Konjunkturbild des Einzelhandels, 2.12.1948.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

die deutsche Textilindustrie veredeln zu lassen und durch Exporte nach den USA die Lieferungen zu begleichen. Doch die Frage der Wechselkurse, Zölle, Fracht- und Versicherungskosten und die Art und Höhe der deutschen Exporte blieben Streitpunkte, und so lehnten die alliierten Behörden das Geschäft zum Jahresende 1948 ab.1602 Etwa zeitgleich griff Erhard auf eine erstmals im Spätsommer 1948 vorgestellte Idee zurück. Das sog. „Jedermann-Programm“ sollte bevorzugt Rohstoffe Firmen zuteilen, die günstig und schnell bestimmte Produkte liefern konnten. Das Programm zielte auf Güter des täglichen Bedarfs – Schuhe, Bekleidung und Haushaltswaren, – die durch Auslastung der Produktionskapazitäten zu günstigen, festgelegten Preisen in den Handel kommen sollten und sich dezidiert an einkommensschwache Schichten richteten. Dabei sollte „Jedermann“ weniger dirigistisch agieren, als vielmehr Vorbildwirkung hinsichtlich rationeller Arbeitsweise und effizienter Strukturen in den Verbrauchsgüterindustrien und im Einzelhandel erzielen. Dem ersten Programm („Jedermann-Schuhe“), sollten weitere für Bekleidung, Möbel oder Fahrräder folgen. Am 7. Oktober 1948 beschlossen die Verbände der Textilbranche auf einer gemeinsamen Sitzung ihren Beitrag zu „Jedermann“. Geplant war die Herstellung preiswerter Kleidung für das kommende Weihnachtsgeschäft („PK-Programm“) aus den Beständen der Industriebetriebe. Diese beschränkte Produktion wurde ab November 1948 in festgelegten Stückzahlen ausgeliefert und in ausgewählten Einzelhandelsgeschäften in Großstädten verkauft.1603 Doch Erhards Pläne waren ambitionierter. Auf einer Kundgebung des Textileinzelhandels am 8. Dezember 1948 in Frankfurt am Main forderte Erhard in einem Grußwort die „Ausweitung des Jedermann-Programms“. Das Programm müsse zu einer „Schutzzone“ einkommensschwacher Schichten werden und helfe, so Erhard, die „Heilungskrise“ des Textileizelhandels infolge der Preisfreigabe und der DM-Kaufkraft zu lindern. Nach Erhards Plänen sollte die Jedermann-Produktion auf etwa 80 Prozent „Wir werden die Deutschen anziehen. Sonst Geld zurück“, in: Der Spiegel, 52/1948, S. 24–25; „Ausstellung der Sears-Roebuck-Waren“, in: Hamburger Abendblatt, 13.10.1948, unter: http://www.abendblatt. de/archiv/1948/article200251955/Ausstellung-der-Sears-Roebuck-Waren.html, 3.8.2016; „USA-Ware bei uns zu Besuch“, in: Die Zeit, 25.11.1948; „Sears-Roebuck-Geschäft in der Schwebe, in: Hamburger Abendblatt“, 8.12.1948, unter: http://www.abendblatt.de/archiv/1948/article200249743/Sears-Roebuck-Gesch aeft-in-der-Schwebe.html, 3.8.2016; „Sears Roebuck-Geschäfts abgelehnt“, in: Hamburger Abendblatt, 30.12.1948, unter: http://www.abendblatt.de/archiv/1948/article200251115/Sears-Roebuck-Geschaeft-abge lehnt.html, 3.8.2016. Ebenfalls im November traf sich eine Gruppe deutscher Importeure unter Führung von Harry Wallenborg in Philadelphia mit der Sears Export Abteilung zu Vorgesprächen über den Import amerikanischer Kleidung und Schuhe im Wert von 10 Millionen Dollar, siehe „Sears, Roebuck Co. negotiates for Sale of Items to Germans, in: Chicago Daily Tribune“, 13.11.1948, S. 22, unter: http://archives.chi cagotribune.com/1948/11/13/page/22/article/sears-roebuck-co-negotiates-for-sale-of-items-to-germans, 3.8.2016. 1603 Die festgelegten Höchst- und Mindestgrenzen der Bekleidungsindustrie gegenüber dem Einzelhandel: Herrenanzüge (36–120 Stk), Berufsanzüge (30–200), Arbeitshosen (30–200), Damenmäntel (18–120), Kindermäntel (36–200), Oberhemden (60–200), Kittelschürzen (30–200), siehe TW, „Jedermann-Kleidung“ vor Weihnachten!, 14.10.1948; TW, Wie läuft das Jedermann-Programm ab?, 28.10.1948. 1602

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

der deutschen Textilproduktion, darunter auf die Hälfte aller Baumwollwaren und jeden dritten Wollartikel ausgedehnt werden. Das Echo auf diese Ausweitung war vernichtend. Die Textil- und Bekleidungsindustrie betonte, dass die Weihnachtslieferungen eine „einmalige Aktion“ sei und wandte sich strikt gegen einen „Rückfall in frühere Bewirtschaftung“. Der Dachverband des Textileinzelhandels der Bizone kritisierte Erhards Pläne hinsichtlich der Festsetzung der Endverbraucherpreise durch die Hersteller („Preisbindung der zweiten Hand“). Der Handel verliere nicht nur eine seiner Kernkompetenzen, sondern „verlerne“ auf Jahre betriebswirtschaftliche Kalkulation: „Jeder Kaufmann muss wieder lernen, rationell zu arbeiten und die eigenen Betriebskosten so niedrig wie möglich zu halten“. Die Landesverbände des Textileinzelhandels reagierten skeptisch bis ablehnend. Zwar begrüsste ein Teil die preissenkenden Absichten der Jedermann-Ware (Hamburg), die Mehrheit kritisierte jedoch die dirigistischen Eingriffe (Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen). Die IHK Bayreuth warnte in ihrem vierten Quartalsbericht für 1948 vor stockenden Absatzverhältnissen für den übrigen Textileinzelhandel, der nicht in die Jedermann-Organisation eingebunden war: „Von den Lieferfirmen wird vielfach daraufhin gewiesen, dass die Fertigung im Rahmen des „Jedermann-Programms“ an die Bekleidungsindustrie zu liefern ist und deshalb der Handel keine Berücksichtigung finden kann“.1604 Am schärfsten und deutlichsten positionierte sich die „Textilwirtschaft“, das Fachorgan des Textileinzelhandels: „Niemals gab es in der Textilbewirtschaftung, weder im Kriege noch in der Nachkriegszeit, eine sichtbare Kennzeichnung der Endverbraucherpreise, niemals einen so im einzelnen „zementierten“ Warenweg mit Mindest- und Höchstabgabemengen, niemals eine solche Kontrolle der Produktion mit genauer Meldung des Eingangs jedes Meters Gewebe und seiner Verwendung [ ] [Es ist] der Rückzug aus der so früh und so weitgehend verkündeten freien Wirtschaft auf Lenkung der Produktion, Bewirtschaftung der Erzeugung und Bindung der Preise“.1605

Dieser öffentlich bekundete Unwillen zur Mitarbeit verhinderte die systematische Ausweitung der ehrgeizigen textilen Jedermann-Pläne. Nachdem die Preise für Bekleidung seit Januar 1949 rückläufig waren1606, stimmte die Textilwirtschaft im Januar 1949 jedoch in soweit zu, durch freiwillige Selbstverpflichtung bis zu 80 Prozent ihrer Neuproduktion nach den Kalkulationsgrundsätzen des 1. Jedermann-Programmes durchzuführen, jedoch „ohne die straffen Bindungen des 1. Programms“. Die restliche Men-

TW, Wird das Jedermann-Programm fortgesetzt?, 16.12.1948; TW, Erhard-Rede im Echo des Einzelhandels, 16.12.1948; TW, Stimmen aus Nord und Süd – Jedermann Ausweitung sehr problematisch, 16.12.1948; Bericht über die wirtschaftliche Lage im 4. Vierteljahr 1948 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1605 TW, Prof. Erhard vor dem Textileinzelhandel, 9.12.1948; TW, Immer wieder Jedermann, 9.12.1948. 1606 Der Preisindex für Bekleidung erreichte im Dezember 1948 seinen Höchststand (254, 1938 = 100) und fiel bis Mitte 1950 auf 177, vgl. Zündorf (2006), S. 70 ff. 1604

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

ge sollte zur Herstellung „hochwertiger Textilien“ genutzt werden.1607 Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Textil- und Bekleidungsindustrie Dr. Becker unterstrich, dass mit der Herstellung von J-Ware nur ein dreimonatiges „Beispiel-Programm“ im Umfang von zwei Textilpunkten pro Kopf betrieben werde, an dem 1.330 der 3.500 Textil- und Bekleidungsindustriebetriebe der Bizone teilnahmen.1608 Entsprechend mehrte sich die Kritik an der J-Ware. Nach einer TW-Umfrage in einem anonymen Landkreis hatten knapp zwei Drittel der dortigen Textileinzelhändler versucht, J-Ware zu erhalten, doch 80 Prozent der Anfragen wurden abgelehnt, die Abnehmer erhielten insgesamt J-Ware „in ganz unerheblichen Mengen“.1609 Der ökonomische Dreiklang Währungsreform, Preisfreigaben und Marshallplanhilfen gilt dennoch unbestritten als der „Startschuss für starkes Wirtschaftswachstum“. Waren im 1. Halbjahr 1948 die westzonalen Industriekapazitäten nur zu 36 Prozent ausgelastet, so stieg die Auslastung mit der Währungsreform auf 51 Prozent und danach stetig an.1610 Der wirtschaftliche Anpassungsprozess („Rekonstruktion“) zeigte sich im Einzelhandel sehr schnell als „Schaufensterwunder“, denn mit den ausländischen Finanz- und Rohstoffhilfen und der neuen Kaufkraft wurde die Produktion von Gebrauchsgütern zunehmend ökonomisch wieder attraktiv.1611 Die ersten repräsentativen Erhebungen zur Umsatzentwicklung im Textileinzelhandel nach der Währungsreform zeigen eine deutliche Umsatzbelebung. Die monatlichen Umsätze zwischen Juli und Dezember lagen im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch als im Vergleich zu den Reichsmark-Monaten des ersten Halbjahres. Die Umsätze der Kauf- und Warenhäuser lagen besonders im Juli und im Weihnachtgeschäft 1948 deutlich über den Konfektionsfachgeschäften – hier wirkten sich die breiten Sortimente, Sonderangebote und deutlich intensivierte Reklame aus. In den ruhigeren Monaten August bis November holten die Fachhändler die Umsatzrückstände gegenüber den Warenhäusern jedoch wieder auf (Tabelle 108). Doch nach dem lebhaften Weihnachtsgeschäft sanken die Textilumsätze. Es entbrannte eine lebendige Diskussion, ob diese durch Kaufkraftverluste, Warenmängel, Qualitätseinbußen oder einfach saisonal bedingt waren. Tatsächlich sank die Kauflaune der Deutschen in Hoffnung auf weiter sinkende Preise – ein Versprechen, welches

TW, Jedermann-Produktion auf neuer Basis, 27.1.1949. Nach dem kritischen Kommentar der ostzonalen Zeitung „Neue Zeit“ sahen die Planungen die Produktion und Auslieferung von „740.000 Berufsanzügen, 120.000 Arbeitshosen, 1,5 Millionen Hemden, 800.000 Straßenanzügen, 150.000 Damenmänteln und 300.000 Kindermänteln“ sowie eine Auslieferung „von 1 Million Kleidungsstücken aus den Lagerbeständen der Bekleidungsindustrie“ vor, siehe „Das überschätzte Jedermann-Programm“, in: Neue Zeit, 14.1.1949, S. 3. 1609 TW, „Jedermann“ fehlt auf dem Lande, 17.2.1949. 1610 Dann auf 61 Prozent (1949) und später über 80 Prozent (1951) an, siehe Spoerer/Streb (2013), S. 214–217. 1611 Vgl. Jarausch (2004), S. 113 f.; Wehler (2010b), S. 971; Spoerer/Streb (2013), S. 210; Wolfrum (2007), S. 75 ff. 1607 1608

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 108 Umsatzentwicklung, Textileinzelhandel, 19481612 Monate

Gesamtdurchschnitt

Herren- und Damenoberbekleidung

Kaufund Warenhäuser

Jan – Jun 1948

100

100

100

Jul 48

204

125

175

Aug 48

220

220

175

Sep 48

230

280

175

Okt 48

236

270

200

Nov 48

270

235

225

Dez 48

342

250

350

Anmerkungen: Umsatzentwicklung basiert auf der Befragung von ca. 20 Einzelhandelsbetrieben in Frankfurt, München, Augsburg, Stuttgart, Mannheim und Hanau; lfd. Preise.

Erhard immer wieder öffentlich wiederholte. In einer Umfrage zur Geschäftslage war das Bild zweigeteilt. Die meist kleineren Händler klagten über Mangelwaren, nachlassenden Kaufwillen und Umsatzeinbrüche. So kritisierte der Frankfurter Textilhändler Georg Geier die unzureichenden Mengen und Qualitäten an Strümpfen, Unterwäsche und Taschentüchern. In Augsburg beobachtete man „steigende Qualitätsansprüche“ der Kundschaft. Ein Mannheimer Bekleidungshaus gab, wie viele andere Händler, „der öffentlichen Propaganda“ nach sinkenden Preisen Schuld an den eigenen niedrigen Umsätzen in Bekleidung und Wäsche. Angesichts der politischen Ankündigungen „warten [die Kunden] interessiert auf Nachrichten und Beweise der angekündigten Preisreduktionen“. Andere wie der Esslinger Modehändler Wolfgang Nitsche nahm eine Veränderung im Kundenverhalten wahr: „Der Kunde hat nach dem ersten Währungsrausch gelernt, wieder Kunde zu sein, die Preise zu vergleichen und vorsichtiger einzukaufen“. Andere konnten keine Umsatz- oder Absatzeinbrüche melden. Das Stuttgarter Konfektionshaus Ermo oder das Dortmunder Haus Otto Büchler oder die Fa. M. Balz aus Bochum begrüßten den lebhaften Absatz, die besseren Bezugsmöglichkeiten und den großen Bedarf ihrer Kunden. Das Stuttgarter Traditionshaus E. Breuninger meldete gute Umsätze, sah allerdings keine Notwendigkeit für Preissenkungen des Handels: „Die irreführenden Zeitungsmeldungen, [ ] insbesondere über angebliche Preiseinbrüche, halte ich für verantwortungslos. Ohne echte Mehrproduktion, gibt es keine echten Preissenkungen“. Der Hamburger Einzelhandel interpretierte den Umsatzrückgang als „saisonbedingt“. Jedoch hätten die Kunden zu wenig Barmittel für die hohe Nachfrage, sodass seit jüngerer Zeit wieder Teilzahlungen und Kundenkredite angeboten werden müssten. Während die Ver-

1612

Aufstellung nach TW, Umsatzentwicklung des Textil-Einzelhandels, 10.3.1949.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

sorgungslage insgesamt gut sei, herrsche in Hamburg ein „absoluter Engpass“ bei Strümpfen und Trikotagen.1613 Im Frühjahr 1949 mehrten sich die Zeichen der lang erwarteten Aufhebung der Punktpflicht für Verbraucher beim Kauf von Textilwaren. Das erste Quartal 1949 resümierend stellte die IHK Bayreuth fest, dass mittlerweile das „Warenangebot größer als [die] Nachfrage“ war und die Punktbewirtschaftung ökonomisch zunehmend an Bedeutung verlor.1614 Bereits am 31. März 1949 berichtete die „Textilwirtschaft“ über die beabsichtigte Aufhebung der Punktpflicht – allerdings sollte die grundlegende Bewirtschaftungsanordnung II/48 formal gültig bleiben, um gegenbenenfalls über das „System des rohstoffgedeckten Textilschecks“ den wirtschaftstechnischen und öffentlichen Bedarf decken zu können. Zugleich hob die französische Zone Punktschecks und Warenempfangsscheine für Industrie und Handel auf, verzichtete auf die Bewirtschaftung bestimmter Spinnstoffwaren und setzte eine Reihe von Punktwerten herunter.1615 Am 4. Mai stimmte der Wirtschaftsrat für die Aufhebung der Bewirtschaftung, die Mitte Mai – mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland – in Kraft treten sollte.1616 In der offiziellen Begründung verwies man auf die verbesserten Produktions- und Absatzkapazitäten. Die inländische Textilproduktion, die seit der Währungsreform um 50 Prozent gestiegen war, Importe und die Verwertung alliierter Militärbestände hatten das textile Warenangebot deutlich erweitert. Zudem hatte sich die Bewirtschaftung als wenig flexibel, ja eher hemmend für intensives Wirtschaftswachstum erwiesen: „Die Bewirtschaftung von Textilien und Schuhen entspricht nicht mehr der tatsächlichen Lage, den Bedürfnissen der Bevökerung und den Produktionsverhältnissen, die sich seit der Geldreform [ ] entwickelt haben. [ ] Die staatliche Bewirtschaftung von Textilien und Schuhwerk hat sich in der letzten Zeit als wenig wirksam erwiesen. Die [ ] Vorschriften wurden weitgehend missachtet und es war [ ] nicht möglich, Abhilfe zu schaffen“.1617

Im Sommer 1949 endete damit – nimmt man die Faserstoffverordnung vom Juli 1934 als Anfangspunkt textiler Bewirtschaftungsmaßnahmen – nach knapp 15 Jahren das textile Eingriffs-, Lenkungs- und Verteilungsregime. Textilien und Bekleidung waren nun wieder den Regeln und Konsequenzen eines freien Marktes ausgesetzt. Damit brachen die mit Ende der Weimarer Republik von Krieg, Wiederaufbau und Mangel überlagerten Frontstellungen innerhalb des Einzelhandels, der Betriebsformen und der textilen Wertschöpfungskette mit neuer Dynamik auf. TW, Unter der Hamburger Lupe, 20.1.1949. Bericht über die wirtschaftliche Lage im 1. Vierteljahr 1949 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. TW, Textilverkauf wird endlich punktfrei, 31.3.1949. 50 Abgeordnete stimmten für die Aufhebung der Bewirtschaftung, während sich SPD und KPD enthielten. Die SPD befürchtete die verstärkte „Produktion von Luxusartikeln zuungunsten niedrig entlohnter Bevölkerungsschichten“ und bezweifelte, dass die reale Produktion der tatsächlichen Nachfrage entspräche, siehe TW, Der Textilpunkt nun wirklich abgeschafft, 5.5.1949. 1617 Ebd. 1613 1614 1615 1616

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

7.1.4

Lage in der Ostzone (SBZ)

Eine Beschreibung des deutschen Textilhandels in der Nachkriegszeit bliebe im höchsten Maße unvollständig, würde man die einzelhandelsgeschichtliche Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sowie das teils dichte Beziehungs- und Wettbewerbsgeflecht zwischen den beiden deutsche Staaten nicht in zumindestens groben Zügen umreißen und an den beiden jetzt Fallstudien J. G. Becker und Merkur AG verdeutlichen, die nun in der sowjetischen Zone lagen. Das Industriepotential hatte unter dem Bombenkrieg weniger gelitten als etwa die Verkehrsinfrastruktur. Mit geschätzten 15 Prozent an zerstörten Industriekapazitäten (gemessen am Stand 1944) lag der Osten des Landes unter den Werten der Westzonen. Die SBZ war – mit einem deutlichen Schwerpunkt im Süden – hochindustrialisiert. Hier lag zwar ein Viertel der gesamtdeutschen Industrieproduktion, doch die Unternehmen der SBZ waren schon vor 1945 mangels eigener Bodenschätze, Grundgütern (Kohle, Eisen, Stahl) und industriellen Verarbeitungsstufen auf Rohstoff- und Warenimporte aus den (jetzt) westlichen Zonen angewiesen. Nach der Volkszählung aus dem Oktober 1946 lebten 18,4 Millionen Menschen in den Grenzen der SBZ. Insgesamt hatten Krieg und Flucht den Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung von 67 (1939) auf 60 Prozent (1946) verringert, doch dieser stieg bald wieder an. Einschneidender für den wirtschaftlichen Neustart waren die immensen Reparationsleistungen gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht. Nach den alliierten „Trophäenaktionen“ bis Juni 1945 und einem Verlust von 1 Mrd. Reichsmark überrollten mehrere „Demontagewellen“ die SBZ bis Frühjahr 1948. Geschätzte 3.400 Industriebetriebe waren betroffen. Der Textilmaschinenbau verlor zwei Drittel, die Schuhindustrie ein Drittel und die Textilindustrie ein Fünftel ihrer Produktionskapazitäten. Neben der Demontage hatten die ostdeutschen Betriebe anschließend dreimal soviel Reparationen aus der laufenden Produktion zu zahlen wie ihre westdeutschen Kollegen. Nach der erfolgten Bodenreform im September 1945 („Junkerland in Bauernhand“) erfolgte diese Enteignung („Industriereform“) durch die SMAD-Befehle Nr. 124 und 126 im Oktober 1945. Etwa 200 Großbetriebe (25 Prozent der Produktionsleistung) gingen als Sowjetische Aktiengesellschaften in den Besitz der Besatzungsmacht über. Die sogenannte Sequesterkommissionen definierten de facto alle Unternehmen als „enteignungswürdig, wenn sie eine bestimmte wirtschaftliche Größe hatten, unabhängig, ob Inhaber oder Eigentümer tatsächlich politisch belastet [waren]“.1618 Nach dem „Volksentscheid“ vom 30. Juni 1946 wurden unter dem Leitsatz „Enteignung der Kriegsverbrecher“ bis Frühjahr 1948 bis zu 10.000 Unternehmen (40 Prozent der Industrieproduktion) als „volkseigene Betriebe“ zwangsverstaatlicht.1619 Damit Vgl. Steiner (2007b), S. 41. Der planwirtschaftliche Aufbau sah ein Nebeneinander von staatlicher Wirtschaftsbürokratie und SED-Parteiapparat vor: Staatliche Plankommission (SPK), Ministerien (operative Leitung von Branchen), 1618 1619

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

waren Ende 1948 etwa 60 Prozent aller Unternehmen Staatseigentum – bis Ende 1955 stieg dieser Anteil auf 80 Prozent. Viele der verbliebenen Privatbetriebe waren Randexistenzen, gingen in Konkurs oder flohen in die Bundesrepublik.1620 Die „Sowjetisierung“ der Wirtschaft räumte Industriegütern zwar Vorrang vor Konsumgütern ein, doch durch die unmittelbare Nähe zu den Westzonen war ein deutlicher Konsumverzicht und ein deutlich niedrigerer Lebensstandard propagandistisch und politisch schwerer durchsetzbar als in anderen osteuropäischen Staaten. Wie in den drei westlichen Zonen blieb die Versorgung der Zivilbevölkerung das drängendste Problem. Nahrungsmittel, Kleidung und Wohnraum waren die knappsten Gebrauchsgüter – bis 1948 blieb der Schwarzmarkt eine der Hauptversorgungsquellen. Mit der angeordneten Wiederaufnahme der Produktion (SMAD-Befehl Nr. 9, 21. Juli 1945) verband sich eine umfassende Inventur der vorhandenen Warenbestände, die Zuordnung der Betriebe in Zentralverwaltungen und ein allgemeiner Preisstopp. Quartalspläne versuchten mithilfe von Güterbewirtschaftung und Preiskontrollen Produktion, Verteilung und Bedarf in Einklang zu bringen. Die industriellen Vorräte waren jedoch schon Ende 1946 erschöpft. Unterernährung, Kleidermangel (v. a. Schuhe), Kohlenmangel und Gesundheitsprobleme (Tuberkulose) waren die Folge.1621 Die Behörden reagierten mit strafferen Lenkungsmaßnahmen. Die im Juni 1947 gebildete Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) erhielt im Februar 1948 neue Weisungsvollmachten gegenüber Betrieben und Bevölkerung. Zeitgleich verabschiedete die SED den ersten Zweijahresplan, der die Produktion und Arbeitsproduktivität steigern sollte. Tatsächlich blieb die Wirtschaftslage problematisch. Das Ungleichgewicht zwischen umlaufender Geldmenge und vorhandener Warenmenge stärkte den Schwarzmarkt. Trotz Preisstopp im Jahr 1948 stiegen die Konsumgüterpreise um 27 Prozent (ggü. 1944). Die mit leichter Verzögerung umgesetzte Währungsreform Ende Juni 1948 brachte – anders als in den Westzonen – nicht die erhoffte Wende.1622 Konsumgüter wie Lebensmittel und Kleidung blieben rationiert, ab Dezember 1948 galten „Punktekarten“ – doch der Schwarzmarkt florierte weiter. Die gesteigerte textile Produktion brachte nun endlich Neuware (Schuhe und Kleidung), doch diese war nur in einfachsten Qualitäten und unzureichenden Mengen zu hohen Preisen erhältlich. Geflickte und reparierte Kleidung blieb der einzige Ausweg. Auf Anweisung der DWK entstanden ab Oktober 1948 „Staatliche Handelsorganisationen“ (HO). Hier konnte

Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und Kombinate (Betriebe einer Branche) sowie Politbüro und ZK, Vgl. Steiner (2007), S. 11 f. 1620 Vgl. Weber (2000), S. 12–14; Steiner (2007b), S. 19–35, 38–44. 1621 Vgl. Steiner (2007b), S. 44–49. 1622 Die SBZ beklebten zunächst alte Reichmark mit Spezialkupons („Tapeten-Mark“). Ab dem 24. Juni 1949 erhielt die Bevölkerung 70 Kupon-Mark für 70 Reichsmark (1:1). Die Sparguthaben wurden im Verhältnis 10:1, Preise, Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten, Steuern im Verhältnis 1:1 umgestellt. Zwischen dem 25. und 28. Juli erfolgte dann der Eintausch der Kupon-Mark in Deutsche Mark (DM-Ost) der Deutschen Notenbank, siehe ebd., S. 52–57.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

man Waren ohne Punktekarte erwerben. Diese Waren lagen deutlich über den regulären Preisen, aber leicht unter den Schwarzmarktpreisen. Damit sollte der Schwarzmarkt eingedämmt, der Privathandel zurückgedrängt und Kaufkraft abgeschöpft werden.1623 Tatsächlich entwickelten sich die HO in den Städten und die Konsumgenossenschaften abseits der Städte zu den stärksten Konkurrenten des Privathandels. Bereits im Dezember 1945 waren Konsumgenossenschaften in der SBZ wiederzugelassen worden und sollten nach dem Willen der Partei und nach sowjetischem Vorbild „die Versorgung in Dörfern und Landgemeinden verbessern“. Neben Eigenproduktion sollten Genossenschaften Waren auf dem „freien Markt“ aufkaufen sowie HO-Waren auf Kommissionsbasis verkaufen. Zwischen Ende 1948 und 1963 stieg die Zahl der Einzelgenossenschaften von 290 auf 740 und die Zahl ihrer Mitglieder von 2 auf 3,5 Millionen.1624 Im selben Zeitraum bauten Konsumgenossenschaften und Handelsorganisation ihren Anteil am Einzelhandelsumsatz auf Kosten des privaten Einzelhandels aus, der durch rigide Besteuerung und in der Warenbelieferung immer stärker benachteiligt wurde (Tabelle 109). Tab. 109 Umsatzanteil im Einzelhandel nach Eigentumsformen (SBZ/DDR), 1947 bis 19631625 Jahr

Privater Einzelhandel

Konsumgenossenschaften

Handelsorganisation

1947

83,0 %

17,0 %

1950

41,0 %

17,0 %

30,0 %

1958

27,0 %

31,0 %

42,0 %

1963

13,7 %

33,9 %

34,2 %

Im August 1947 brachte das westdeutsche Branchenblatt „Textilwirtschaft“ die erste umfangreiche Reportage über die Lage des ostdeutschen Textileinzelhandels. Zunächst kritisierte das Blatt die vier voneinander abgegrenzten Bewirtschaftungs- und Verbandssysteme. Durch einen ausgeprägten „Zonenegoismus“ könne man nicht mehr „von einem deutschen Textileinzelhandel [ ] sprechen“. In der SBZ agiere der private Textileinzelhandel zudem lediglich als „mechanischer Verteiler“. Seine Exsizenz sei „stark gefährdet“ („Mauerblümchendasein“). Die Wirtschaftsbehörden – Handelskontore und Kreisverteiler – bevorteilten die Konsumgenossenschaften gegenüber dem Privathandel im Warenbezug „mit allen Mitteln“.1626 Ab 1948 erweiterten die Konsumgenossenschaften ihr bisheriges Sortiment (Lebensmittel) schwerpunktmäßig um Textilien und Schuhe. Bis zum Ende des Unter1623 1624 1625 1626

Vgl. ebd., S. 67–72. Vgl. Kaminsky (2002), S. 721, 724, 726. Aufstellung nach ebd., S. 726–728. TW, Wie steht es um den Textil-Einzelhandel?, 19.8.1947.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

suchungszeitraums vereinigte der Privathandel nur noch knapp 14 Prozent des Einzelhandelsumsatzes auf sich, während mehr als zwei Drittel des Binnenhandels über staatliche Verteiler lief. Zusätzlichen Druck erfuhr der verbliebene private Handel durch die Einrichtung von Versandunternehmen der Handelsorganisation (1956) und der Konsumgenossenschaften (1961), die sich primär an die Landbevölkerung richteten.1627 Auch der Fünfjahresplan (1951 bis 1955) konnte das Versprechen eines höheren Lebensstandards nicht halten. Zwar erreichte der Produktionsindex der DDR im Jahr 1952 den Stand des Jahres 1936, doch die Verbrauchsgüterindustrie lag deutlich dahinter zurück und auch die BRD hatte einen stärkeren Wachstumspfad eingeschlagen (Tabelle 110). Mit der ansteigenden Agrarproduktion konnten einige Rationierungen wie Kartoffeln (Mai 1949), Brot, Nährmittel, Fleisch, Fett, Zucker (Dezember 1950) gelockert werden, doch die Bevölkerung blieb Anfang der 1950er Jahre unterversorgt und konnte sich mit einem monatlichen Arbeitslohn von 345 Mark (Arbeiter, 1955) die teuren Waren in den HO-Läden nicht leisten. Ein Herrenhemd kostete 40, ein Frauenkleid 108 Mark. Erst mit massiven staatlich verordneten HO-Preissenkungen wurden die HO-Stellen für die breite Bevölkerung attraktiver und drängten den privaten Einzelhandel zurück.1628 Tab. 110 Industrieproduktion in den deutschen Besatzungszonen, 1946 bis 19501629 Jahr

US-Zone

GB-Zone

1946

41

34

Bi-Zone

F-Zone

BRD

Sowjetische Zone

36

42

1947

44

45

54

1948

63

58

60

1949

86

78

68

1950

75

1952

143

108

Anmerkungen: 1936 = 100.

Der private Pro-Kopf-Verbrauch übertraf erst 1958 das Niveau von 1938, und lag damit immernoch rund 40 Prozent unter dem Konsumniveau der BRD. Zum einen hatte die DDR durch die ungleich höheren Reparationslasten und die fehlende Marshallplanhilfe ungünstigere Ausgangsbedingungen, zum anderen unterblieb eine strukturelle Modernisierung der Wirtschaft durch den Aufbau einer eigenen Schwerindustrie. Damit standen der Konsumgüterindustrie dringend benötigte Ressourcen (Rohstoffe, Kapital, Arbeit) unzureichend zur Verfügung. Fehlende Investitionen verhinderten 1627 1628 1629

Vgl. Kaminsky (2002), S. 730 f. Vgl. Weber (2000), S. 37–38; Steiner (2007b), S. 67–72. Aufstellung nach Steiner (2007b), S. 66, Tabelle 7; Weber (2000), S. 36–38.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

eine Moderniserung (Maschinen, Stückzahlen, Effizienz) in der Textil-, Schuh-, Leder-, Pelzwaren- und Bekleidungsindustrie. Die Planwirtschaft belohnte Produktion deutlich mehr als Absatz und so blieben viele textile Erzeugnisse in den Lagern, da sie oft an Kundenbedürfnissen in Bezug auf Qualität, Design und Preis vorbei produziert waren. Diese „Überplanbestände“ lagen bei Bekleidung und Textilien bei 11 Prozent (1959). Die DDR-Bevölkerung musste für Bekleidung – Herrenschuhe kosteten in der BRD 32 DM gegenüber 73,31 Mark in der DDR – deutlich mehr Geld ausgeben. Einerseits wurde so der subventionierte Grundbedarf gegenfinanziert (Lebensmittel), zum anderen blieb gerade Kleidung immer ein Gut, welches mit der Qualität, Mode und Auswahl im „Westen“ verglichen wurde.1630 Die Überlieferungen des kleinen Fachgeschäftes J. G. Becker in Bad Lausick und des sächsischen Warenhauskonzerns Merkur ermöglichen einen konkreten Blick auf die Herausforderungen, vor denen der private Textileinzelhandel in der SBZ stand und mit welchen Strategien er ihnen begegnete. 7.1.4.1

J. G. Becker

Zunächst gleichen sich die Problemfelder mit denen in den Westzonen. Am 15. April 1945 rückten amerikanische Truppen nach Bad Lausick ein. Anfang 1946 wurde der Betrieb beschlagnahmt, unter Treuhandschaft gestellt, die erst 1948 durch die Landesregierung aufgehoben wurde. Im Sommer 1948 kehrte Gottfried Becker aus der Kriegsgefangenschaft zurück und lernte im Betrieb seines Vaters Paul, der am 13. März 1951 starb. Margarete Becker führte nun das Geschäft, nachdem auch ihre Schwester Frieda Becker gestorben war.1631 Im Sommer 1950 kam die erste Betriebsprüfung für die Jahre 1946 bis 1948 zum Ergebnis, dass die Geschäftslage des Betriebs mit seinen fünf Angestellen „sehr gut“ sei (Tabelle 111). Tab. 111 Geschäftsentwicklung, J. G. Becker, 1946 bis 19501632 Jahr

Umsatz

Rohgewinn

Reingewinn

Umsatzrendite

1946

163.244

36.002

6.922

4,2 %

1947

90.220

20.681

Verlust

1948

105.941

16.475

1.121

1,0 %

1950

166.012

8.522

5,1 %

Anmerkungen: Umsatz, Roh- und Reingewinn in Mark, lfd. Preise; Umsatzrendite = Anteil Reingewinn am Umsatz.

Vgl. Steiner (2007b), S. 101–110. Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1.3.1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 10. Aufstellung nach Bericht [ ] über die [ ] durchgeführte Betriebsprüfung, 24.6.1950, SWA U40/59; Betriebsprüfungsbericht 1950, 4.12.1951, SWA U40/59. 1630 1631 1632

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

Die „Haupteinnahmequelle des Geschäftes“ war in den ersten Nachkriegsjahren die Reparatur, Umarbeit und Wiederinstandsetzung von gebrauchter Kleidung („Reparatur-Aktion“). Daneben verdiente das Geschäft mit Lohnanfertigung von Kleidung und Wäsche aus Kundenmaterial. Am schwersten wog in den ersten Nachkriegsjahren der zusammengebrochene Warenbezug: „Neue Ware einzukaufen war fast unmöglich. Die noch vorhandenen Lagerbestände wurden restlos auf Bezugscheine an die Bevölkerung und Besatzungsmacht verkauft. Die Bankguthaben [ ] waren gesperrt [ ].1633

Einen selten detaillierten Einblick über die Schwierigkeiten eines ostzonalen Textilgeschäftes vermitteln die Korrespondenzen des Modehauses mit verschiedensten Wirtschafts- und Militärbehörden sowie Lieferanten aus den Jahren 1945/1946. Die Verkehrsinfrastruktur war weitestgehend zerstört, Lieferanten versendeten keine Pakete mehr. Der einzige Weg blieb der persönliche Besuch der Einkäufer – Otto Dröge und Gottfried Becker – entweder per Eisenbahn oder zu Fuß. Bereits am Tag der deutschen Kapitulation, dem 8. Mai 1945, bemühte sich der Betrieb um Pässe für seine Einkäufer, um zu Fuß oder motorisiert in die 40 Kilometer entfernten Städte Limbach-Oberfrohna und Burgstädt zu gelangen, um das leere Warenlager aufzufüllen: „[ ] Vorgenannte Firma ist das massgebendste Geschäft am Platze. Es müssen sofort Trikotagen, Wäsche, Kleidungsstücke, speziell für Kinder und Babys geholt werden, da das Kaufhaus vollkommen ausverkauft ist. Die Bevölkerung ist auf das einzige maßgebende Geschäft angewiesen und benötigt vorgenannte Dinge ganz dringend“.1634

Der gesamte textile Bezugsprozess war über das sog. Lieferanweisungsverfahren reguliert. Fabrikanten, so sie nicht ausschließlich für die Besatzungsmacht produzierten, konnten nur bei entsprechender Lieferanweisung des Landrates Waren ausliefern. Fabrikwaren konnten nur über sog. Großverteiler an den Einzelhändler gehen. Ein Direktkontakt zwischen Lieferant und Händler war damit für einen Großteil der Waren ausgeschlossen. Nur wenige Warengruppen, etwa Erstlingswäsche, blieb von diesem Prozess frei. Ungeachtet davon schrieb Becker ab Spätsommer 1945 systematisch seine Lieferanten an und bat um Infomationen bezüglich der vorhandenen Kapazitäten und Liefermöglichkeiten. Nur wenige Lieferanten meldeten vorrätige Artikel – diese mussten meist vor Ort abgeholt werden. Ein Strumpfwarenfabrikant meldete, dass „[ ] in bescheidenem Umfange heute bereits [zu] liefern [ist]: Seidene Damenstrümpfe, lange Kinderstrümpfe, Kinderkniestrümpfe, Herrensocken, Handschuhe, Annähsohlen

Vgl. Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 10. Vgl. Schreiben des Landrat zu Borna (Military Government, Detachment 23, Allied Expeditionary Force) vom 8.5.1945, SWA U40/80. 1633 1634

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

und als neuesten Artikel Haarnetze. Allerdings müssten Sie sich die Ware in Geyer selbst abholen [ ]“.1635

Die Mehrheit konnte nicht liefern. So berichtete ein Strumpffabrikant über die Probleme beim Ausliefern der Strumpfreparaturen infolge erlittener Bombenschäden oder der Versandschwierigkeiten (Paketsperre).1636 Andere Lieferanten meldeten keine Möglichkeiten zur Lieferung, da keine Stoffe zur Verfügung standen oder die verbliebenen Reserven oder Produktionen an die sowjetische Besatzungsmacht abzuliefern oder Maschinen bereits demontiert waren. So schrieb der Chemnitzer Wäschefabrikant Otto Bergter: „Leider hat sich die Situation noch verschärft. Für Oberhemden, Herren- und Damennachthemden und Kinderwäsche habe ich keinerlei geeignete Stoffe zur Verfügung. Von meiner Produktion an Berufsmänteln und Arbeitshemden, die zum größten Teil an die Magazine der Roten Armee geht, muss ich in den kommenden Wochen große Mengen an die Stadt abgeben, die im Wege der Kompensation Nahrungsmittel für die hiesige Bevölkerung heranschafft. Außerdem kaufen die russ. Besatzungsmitglieder fast täglich bei mir direkt“.1637

Andere Fabrikanten, etwa der Oelsnitzer Korsetthersteller Walter Bär, empfahl, auf Stoffe der eigenen Kunden zurückzugreifen und die zu be- und verarbeiten: „Augenblicklich verarbeite ich nur Stoffe, die meine Kundschaft einschickt. Jede Hausfrau hat irgendwo Stoffe im Haus liegen, und schlage ich Ihnen vor, lassen Sie sich diese Stoffe geben, sammeln dieselben und senden Sie mir unter Bekanntgabe der Wünsche ein. Es eignen sich Satin, Leinen, Damast, Linon usw. zur Anfertigung“.1638

Angesichts des bevorstehenden Winters schlug Becker vor, den Textileinzelhandel unter Leitung des Wirtschaftsamtes Bad Lausick über umfangreiche Tausch- und Kompensationsgeschäfte mit den nötigsten Textilien zu versorgen: „Kleinkinder- und Säuglingswäsche gegen Briketts und Kohlen aus Hainichen für etwa 1500 RM; Kinderstrümpfe und Wäsche gegen Briketts und Kohlen aus Chemnitz und Erzgebirge; Damenstrümpfe für etwa 1000 RM in Kunstseide für Lebensmittel oder Industrieprodukte aus Oberlungwitz; Damenkleider je nach Vereinbarung gegen Lebensmittel und Industrieprodukte aus Netzschkau; Wachstuche, Einkaufstaschen gegen Industrie-

Vgl. Schreiben von Heinrich Linke. Strumpfwaren-Fabrikation und Großhandel, Guben, jetzt Geyer i. Erzgebirge vom 29.9.1945, SWA U40/78. 1636 Vgl. Schreiben von Frido Otto Butter, Erste Deutsche Spezialfabriken für Strumpferneuerung, Mittelsaida, 7.9.1945, SWA U40/73. 1637 Vgl. Schreiben von Otto Bergter. Wäsche-Fabrik, Chemnitz vom 11.9.1945, SWA U40/78. 1638 Vgl. Schreiben von Bergische Korsett- Industrie, Marke Berkanet, Walter Bär, Oelsnitz vom 10.9.1945, SWA U40/73. 1635

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

produkte aus Treuen; Damen- und Kinderwäsche gegen Kohlen aus Limbach. [ ] Ich habe Verbindungen zu maßgebenden Textilfirmen innerhalb Sachsen und Thüringen, wäre also gern bereit, die große Not in Textilwaren auf dem Wege der Kompensationsgeschäfte zu mildern“.1639

Zu Jahresbeginn 1946 gelang es J. G. Becker über den Sonderbauftragten der Militärverwaltung für die Textilindustrie William Grimmelt, einige Sonder-Lieferanweisungen zu erhalten.1640 Diese waren aber nicht viel wert, denn die Lieferengpässe der Fabrikanten verschärften sich aufgrund von Materialmangel und Demontage. So antwortete eine Auerbacher Wäschefabrik im Februar 1946: „Die Verhältnisse zwingen mich auch heute, mich erneut an Sie zu wenden, ob Ihnen Stoffe, die sich zur Verarbeitung in Säuglings-, Kinder- und Damenwäsche sowie Berufskleidung eignen, zur Verfügung stehen. In letzer Zeit habe ich auch Bänder in allen Breiten und Farben zu Schürzen für Damen und Kinder, Kleidchen usw. verarbeitet, die teilw. nicht unter das Bezugscheinverfahren fallen, sondern verkaufsfrei sind. [ ] Keine Lieferung eigener Bestände, da mein Betrieb der Reparationsabteilung der SMA für Deutschland unterstellt worden ist“.1641

Um überhaupt beliefert zu werden, musste Becker in den meisten Fällen Stoffe und Nähgarne mit der Auftragserteilung bereitstellen, die das Geschäft wiederum von seinen Kunden bekam. So schrieb Becker dem Fabrikanten Bohn & Breitfeld, Glauchau: „Ich habe ca. 50 mtr, 70 cm breiten wollenen Kleiderstoff (Möbius’sche Ware) zur Verfügung, hätte die Sache gern in flotten Kleidern zum Verkauf gebracht und erlaube mir bei Ihnen die Frage, ob und per wann Sie evtl. einen solchen Auftrag ausführen könnten“.1642

Der Weberei und Spinnerei Richard Möbius lieferte der Händler Rohmaterial (u. a. 706 kg Lumpen und 322 kg Tuchlappen).1643 Ansonsten versuchte Becker, immer auch an nicht den Lieferanweisungsverfahren unterliegende Waren zu kommen – etwa Erstlingswäsche oder Wickeltücher. Kompensationsgeschäfte zwischen Lieferant und Händler etwa Kleidung gegen Kartoffeln waren keine Ausnahme: „Heute erhalten Sie per Lastauto die angemeldeten Stoffe zur Verarbeitung. Gleichzeitig gebe ich 2 Zentner Kartoffeln der Sendung mit und hoffe recht gern, dass Sie daran Freude haben“. Auch die Kunden konnten mit Kartoffeln bezahlen: So berichtete Einkäufer Dröge, er

Vgl. Schreiben an das Wirtschaftsamt in Bad Lausick vom 10.10.1945, SWA U40/78. Vgl. Schreiben an I. G. Becker, Bad Lausick vom 16.1.1946, SWA U40/74. Vgl. Schreiben von F. August Ebert – Wäschefabrik, Spez.: Kinderwäsche, gegr. 1890, Auerbach i. Vogtland vom 5.2.1946, SWA U40/73. 1642 Vgl. Schreiben an Bohn & Breitfeld, Glauchau vom 15.2.1946, SWA U40/73. 1643 Schreiben von Richard Möbius. Weberei, Spinnerei, Färberei und Appretur, Hertha i. Sa. vom 21.2.1946, SWA U40/75. 1639 1640 1641

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

„habe bis zum Augenblick 42 Decken zu je 1 Zentner [Kartoffeln] verkauft“.1644 Diese Kartoffeln dienten Becker wiederum zur Bezahlung seiner Lieferantenschuld. Etwa 70 Prozent der Textilproduktion wurde in den Bedarf der „Roten Armee“ überführt und 20 Prozent in Reparationsleistungen – die Fabrikanten waren mit diesen Aufträgen auf Monate hinaus ausgelastet – Einzelhändler wie Becker hatten das Nachsehen. Der zivile Markt wurde nicht, oder nur mit Kleinartikeln wie „Lätzchen, Windelhosen, Tabakbeutel, Kinderspielleinen, Egelit-Einkaufsbeutel, Regenhauben oder Armblätter“ versorgt.1645 Der Bezug von Großkonfektion wie Regenmäntel, Frauenkleider oder Hemden bleib aussichtlos, einzig die Reparatur von Altkleidung garantierte Umsätze. Doch auch die machte zunehmend Schwierigkeiten. Im Oktober 1946 wies die Trikotfabrik Emil Koch, der die Reparaturen von Beckers Kunden übernahm, darauf hin, dass „[ ] sie [Becker] zahlreiche Stücke angenommen haben, welche wir nicht mehr reparieren können. Entweder ist der Artikel so schadhaft, dass bedeutend mehr als 1/3 Stoff zum Ausbessern gebraucht wird, oder der Stoff des Stückes ist bereits derart brüchig, dass sich eine Reparatur nicht mehr lohnt [ ]“.1646

Insgesamt fand Becker aber einige Fabriken, die bereit waren, gegen Lohn oder Lebensmittel (Kartoffeln, Zwiebeln) die durch Kunden bereitgestellten Lumpen, Stoffe, Strümpfe oder Altkleider entsprechend umzuarbeiten. Seit Mai 1947 durfte in Sachsen jeder Einwohner ein Reparaturstück (ab Januar 1948 je ein weiteres) zur Bearbeitung geben, welches im Haushaltspass bzw. in der Mangelwarenkarte vermerkt wurde. Viele Betriebe verstießen jedoch gegen die Auflage.1647 Auch Becker erhielt bei einer Kontrolle im Januar 1949 einen Wirtschaftsstrafbescheid über 20 Mark wegen nicht gemeldeter Bestände an „466 Stck. Strähnen und Stern-Zwirn, 46 Rollen Maschinen-Zwirn und 1000 m Nähseide“.1648 Mit der Gründung beider deutschen Staaten im Sommer 1949 wurden alle Geschäftsverbindungen nach Westdeutschland gekappt – wohl auch, weil das Geschäft nun in der Handelsorganisation Geithain einen staatlichen Gesellschafter hatte: „Durch die Spaltung unseres Vaterlandes [1949] haben die Verbindungen nach Westdeutschland völlig aufgehört. Die Einführung der staatlichen Planung bedeutet eine Um-

Vgl. Schreiben an Bohn & Breitfeld, Glauchau vom 20.3.1946, SWA U40/73; Schreiben an Carl Gottlob Wolff, Treuen (Vogtland) vom 26.3.1946, SWA U40/77. 1645 Vgl. Schreiben von C. Graesers Wwe. & Sohn AG. Mechanische Baumwoll-Buntweberei, Langensalza (Thür.) vom 6.5.1946, SWA U40/74; Schreiben von Otto Müller. Textilvertretungen. Großhandel und Fabrikation vom 2.6.1946, SWA U40/75. 1646 Vgl. Schreiben von Koch’sche Trikot-Fabriken Emil Koch, Taura (Chemnitztal) – KOTAURA vom 22.10.1946, SWA U40/75. 1647 Vgl. Schreiben von Frido Otto Butter, Erste Deutsche Spezialfabriken für Strumpferneuerung, Mittelsaida vom 26.5.1947, SWA U40/73; Schreiben von IHK Chemnitz vom 23.1.1948, SWA U40/74. 1648 Vgl. Schreiben von Kreisrat zu Borna, Gruppe Kontrolle vom 19.2.1949, SWA U40/80. 1644

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

stellung des gesamten Einkaufswesens. Der direkte Einkauf beim Fabrikanten unterblieb, die Umsätze mit den Grossisten gingen zurück. [ ] Der staatliche Großhandel trat nach und nach in den Vordergrund und ist heute [1957] zum Hauptlieferanten der Firma geworden“.1649

7.1.4.2 Merkur AG Im Falle des über die Zonengrenzen aktiven Merkur-Konzerns bedeutete die politische, wirtschaftliche und ideologische Teilung Deutschlands eine organisatorische Zerreißprobe, drohte mit der Ost-Westteilung doch die Zerschlagung bzw. Aufspaltung des Konzerns. Am 17. April 1945 besetzten amerikanische Bodentruppen auf ihrem Weg von Thüringen nach Westsachsen auch Zwickau, bevor sie die Region am 1. Juli 1945 der sowjetischen Armee übergaben.1650 Bereits im Juni 1945 erbat die Zwickauer Zentrale Reisebescheinigungen für die Geschäftsleitung und ihre Einkäufer und drängte auf die schnelle Wiederöffnung ihrer Lokale in allen deutschen Besatzungsgebieten. Zwickau sah sich auch für die westdeutschen Standorte verantwortlich. In einem Schreiben an das amerikanische Militärgouvernement Stuttgart unterstrich Merkur die „dringendste Notwendigkeit“ des Wiederaufbaus und der Eröffnung der Häuser in Stuttgart und Pforzheim. In Wesermünde hatten die Behörden im August 1945 der Wiedereröffnung bereits zugestimmt. Zum 20. Dezember 1945 eröffnete Merkur in Pforzheim (nach einem Umzug in die Nordstadt) und in Wesermünde (nach der Instandsetzung eines alten Hauses) wieder Filialen. Vor allem die Kommunikation und Logistik über Zonengrenzen hinweg war ein großes Problem. Vermutlich vergeblich hatte Merkur im Juni 1945 bei der Zwickauer Stadtverwaltung und der örtlichen IHK eine Reiseerlaubnis für den Zentraleinkäufer und Prokuristen der Einkaufsgesellschaft Hanse GmbH Paul Ihm beantragt. Dieser sollte für das teilzerstörte Stuttgarter Merkur-Haus „dringend erforderliche Kaufverhandlungen mit Lieferanten der verschiedensten Branchen“ zur Beschaffung von Waren in die Wege leiten. Im September 1945 erbat Merkur (ebenfalls erfolglos) für seinen Vorstand Aerne bei der Bezirkswirtschaftsstelle Plauen ein Reisevisum für die amerikanische und britische Zone. Die dortigen Häuser seien, so der dringliche Hinweis, „organisatorisch, finanziell“ und bezüglich des Wareneinkaufes „von der Zentrale [in Zwickau] vollkommen abhängig“. Ende 1945 hatten die Zonengrenzen den Konzern de facto in zwei Teile zerschnitten.1651

Vgl. Anmerkungen zur Festschrift, o. D., SWA U40/15; Festschrift „75 Jahre J. G. Becker, Bad Lausick, (Stand: 1. März1957)“, SWA U40/F1152/2, S. 11. 1650 Vgl. Peschke/Zentgraf (2005). 1651 Vgl. Schreiben an das Militärgouvernement vom 2.8.1945, StAC 31451–179; Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Wesermünde vom 21.8.1945, StAC 31451–179; G. B. Nr. 1661, 12.1.1946, StAC 31451–453; 1649

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Mit Beginn des Jahres 1946 hatte Merkur an zwei weiteren Großbaustellen zu kämpfen – der Warenbezug und die drohende Enteignung durch die sowjetischen Besatzungsbehörden. In einem Positionspapier beriet die Zwickauer Zentrale im Februar 1946 über die „Möglichkeiten des Einkaufes.1652 Wie auch für Becker hatte die Warenversorgung höchste Priorität: „Waren müssen unbedingt herangeschafft werden, wenngleich die Schwierigkeiten noch so groß sind“. Dazu sollten die Einkäufer weiterhin das Lieferantennetz aller Zonen kontaktieren und bearbeiten. Die Zwickauer Einkaufszentrale sollte enge Verbindung zu den ostzonalen Industrieverwaltungen halten, „um Kaufabschlüsse zu tätigen oder vorzumerken“. Der Konzern wollte darüber hinaus Handwerksbetriebe und Reparaturwerkstätten im gesamten Land in Lohnarbeit für sich arbeiten lassen und nach geeigneten Ersatzstoffen in allen Artikelgruppen suchen („erfinden – ausfindig machen“). Abschließend galt es mit den sowjetischen und ostdeutschen Stellen („Behörden, Gewerkschaften, Parteiorganen“) auf das „Engste“ zusammenzuarbeiten.1653 Auf Grundlage des „Gesetzes über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ vom 30. Juni 1946 und dessen Durchführungsverordnung vom 18. Juli 1946 wurden die in der SBZ liegenden Konzernteile der Merkur AG entschädigungslos enteignet und die Enteignung nachträglich durch einen sog. „Volksentscheid“ legitimiert. Aus Sicht der sowjetischen Militärverwaltung hatte sich die Merkur AG aktiv für den Nationalsozialismus eingesetzt, was die Geschäftsleitung vehement bestritt und (erfolglos) Einspruch gegen die Enteignung einlegte. Formal bezog sich die Enteignung nur auf die sächsischen Filialen, defacto betraf sie jedoch auch die Standorte in Cottbus und Zerbst. In die Zentralverwaltung wurden drei staatliche bestimmte Kommissare bestellt, die bisherigen Vorstandsmitglieder wurden zu Betriebsleitern. Die oberste Leitung hatte nun der ehemalige Vorstand der Zwickauer Stadtbank AG Curt Herbst als bestelltes „Kontrollorgan der Landesverwaltung Sachsen“. In seinem ersten Schreiben unterstrich Herbst, dass das Warenhaus die sozio-ökonomische Umgestaltung voll mittrage. Die Belegschaft sei „zu 100 Prozent antifaschistisch eingestellt“ und stehe „positiv zum Volksentscheid“. Herbst wies den Vorstand an, gegenüber den westlichen Filialen „auf keinen Fall Kapitalabziehungen, Verschiebungen oder Verschleierungen“ vorzunehmen. Dazu ernannte er den neuen Betriebsratsvorsitzenden Kurt Breslauer zum Leiter der Regulierungsabteilung. Dieser sollte „alle Geldanweisungen sorgfältig prüfen und irgendwie auffälligen Geldver-

Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Zwickau vom 27.6.1945; Schreiben an die IHK Zwickau vom 27.6.1945, StAC 31451–179; Schreiben an Bezirkswirtschaftskammer Plauen vom 7.9.1945, StAC 31451–179. 1652 Mit dem Preisstop-Befehl Nr. 63 und 337/46 wurde dieser Preisstopp im Jahr 1947 verlängert. Nach Verfügung der Finanzverwaltung der SMAD vom 19.2.1947 mussten ab 1. April 1947 die Preise von Herstellern, Groß- und Zwischenhändlern und Handwerkern den zulässigen Preisen von 1944 entsprechen, siehe G. B. Nr. 1678 a/s, 12.4.1947; G. B. Nr. 1685, 11.9.1947, StAC 31451–453. 1653 Vgl. Möglichkeiten des Einkaufs, 4.2.1946, StAC 31451–632.

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

kehr mir [Herbst] sofort melden“.1654 Herbst sah sich im Sommer 1946 eindeutig für das gesamtdeutsche Unternehmen mit seinen sechs westdeutschen Filialen und den Einkaufs- und Immobilientöchtern zuständig.1655 Formal wurde die Merkur AG mit ihren elf sächsischen Häusern unter die Kontrolle der Industrieverwaltung 64 (IW 64, Kauf- und Warenhäuser – landeseigenes Unternehmen) mit Sitz in Zwickau gestellt. Zur IW 64 gehörte auch der Chemnitzer Einkaufsverband Hadeka (Handelszentrale Deutscher Kaufhäuser eGmbH) sowie die Plauener Außenstelle des Berliner Textilwarengroßhändlers Zeeck GmbH.1656 Auf der ersten Verwaltungssitzung der IW 64 meldete der Vorsitzende Breslauer ein Betriebsvermögen von 9.311.622 Reichsmark.1657 Die operativen Geschäfte der Merkur AG leiteten die Alt-Vorstände Walter Aerne, Ewald Schäfer, Kurt Wutzler und Fritz Müller. Daneben waren 12 Einkäufer für Merkur und die Hanse GmbH tätig.1658 Der verstaatlichte Merkur-Konzern beschäftigte im September 1946 (über Sachsen hinaus) 1.133 Angestellte und Arbeiter (Tabelle 112). Zwischen Sommer 1946 und 1949 blieben die Betriebseinheit und der Warenbezug die zentralen Probleme des Konzerns. Die verstaatlichte Merkur AG sah sich auch weiterhin ihren „alten bewährten Grundsätzen [ ] wie früher“ verpflichtet: „Die Versorgung der arbeitenden Bevölkerung mit allen Gütern [ ], preiswert, in guter Qualität und in genügenden Mengen. [ ] Dazu ist innere und äußere Sauberkeit und Ordnung im Betrieb und bei allen Mitarbeitern erstes Erfordernis. Dazu galt die „Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen“ als oberste Pflicht. Der Warenbezug sollte „mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit“ organisiert werden. Das Auftreten der Kaufstätten „nach innen und außen muss tadellos sein“ und „jede ramschige Aufmachung [in Schauf1654 Vgl. Fuchs (1990), S. 268 f.; G. B. Nr. 1669 b/S, 23.10.1946, StAC 31451–453; Schreiben an Amt für Betriebsneuordnung, 26.6.1946, StAC 31451–633. 1655 Zum Konzern Merkur AG zugehörig meldete Herbst 13 (Ost) bzw. sechs (West) Filialen: Die Handelsgesellschaft Hanse GmbH, Zwickau; Geschäftshaus GmbH, Zwickau; Liga Aktiengesellschaft, Zwickau; Feina Feinkost & Nahrungsmittel GmbH, Zwickau; Terraingesellschaft Weststadt, Zwickau; Kaufstätte Merkur Meißen GmbH, Meissen; Georg M. E. Voss GmbH, Hamburg, siehe Schreiben an Amt für Betriebsneuordnung, 26.6.1946, StAC 31451–633. 1656 „Hadeka und Zeeck werden dem Merkur-System angepasst und entsprechend umorganisiert“. Ende 1948 wurde IW 64 dem Verband Sächsischer Konsumgenossenschaften angeschlossen, siehe Bericht des Technischen Direktors, 14.9.1946, StAC 31451–632. 1657 Die bestehenden sozialen Fonds (2,75 Mill Reichsmark) waren lt. Bericht „untergegangen“, siehe Protokoll zur Verwaltungsratssitzung, 12.9.1946, StAC 31451–633. 1658 Darunter Else Ay (Wäsche, Kleinkinder), Elsa Huster (HAKA, Berufskleidung), Paul Ihm (Strümpfe, Unterzeug), Emil Kleeberger (Damen- und Kinderkleidung) und Wilhelm Müller (Schuhe). Die Einkaufszentrale „Hanse GmbH, Zwickau“ (Großeinkauf und Großhandel) beschäftigte 60 Angestellte und sechs Arbeiter und unterhielt selbstständige Zweigniederlassungen in Nürnberg, Cottbus, Meißen und Lugau. Kurt Wutzler und Fritz Müller waren als Geschäftsführer verantwortlich. Seit dem 1. Juli 1947 war die Hanse GmbH SIK-Kontorhändler (Sächsisches Industrie-Kontor ist Auftraggeber) für die Fachkontore Textil (Chemnitz), Schuhe und Leder (Leipzig) und Haushalts- und Küchengeräte (Zwickau) zuständig, siehe Aufstellung über leitendes Personal, 16.9.1946, StAC 31451–632; Kontrollbericht, 16.10.1947, StAC 31451–632.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 112 Filialnetz und Belegschaft, Merkur AG, Zwickau, September 19461659 Geschäft

Geschäftsführer

Chemnitz-Siegmar (Fabrik)

Belegschaft

männlich

weiblich

4

1

3

Planitz

Ewald Rölke

21

3

18

Frankenberg

Walter Klinge

25

4

21

Meißen

Hans Kleeberger

25

6

19

Zerbst

Hans Meyer

28

4

24

Freiberg

Herbert Günther

37

9

28

Auerbach

Armin Kirchner

45

8

37

Cottbus

Eugen Kraus

46

6

40

Crimmitschau

Otto Kielau

54

9

45

Aue

Johannes Tausch

61

13

48

Oelsnitz

Walter Leupold

63

21

42

Lugau

Kurt Seiler

67

19

48

Zwickau

Willy Bräunig

157

30

127

244

103

141

256

63

193

1.133

299

834

Zentrale Chemnitz GESAMT (SBZ)

Rudolf Richter

enstern oder Verkauf] muss unterbleiben“. Schließlich sei eine „höfliche und zuvorkommende Beratung äußerst wichtig“.1660 Dieses Vorgehen erinnert an die strategische Kampagne während der NS-Zeit, indem man die volkswirtschaftliche Bedeutung klar propagierte. Dieser Selbstvergewisserung nach innen und außen sollte einerseits den sozialistischen Behörden und Kontrollorganen den Mehrwert und Nutzen der Merkur-Organisation für eine reibungslose, qualitative und günstige Versorgung der Bevölkerung vor Augen führen und so weitere Zwangsmaßnahmen gegen das Unternehmen abwenden.1661 Andererseits musste die Zwickauer Zentrale um ihre Autorität in Hinblick

Aufstellung nach StAC 31451–632. Vgl. G. B. Nr. 1664, 17.6.1946, StAC 31451–453. Hintergrund war der Runderlass III 48/46 vom 11. Juli 1946 an die ostdeutschen Kommunen, der die Bildung von Kreisgenossenschaften für den privaten Einzelhandel beschlossen hatte. Nachdem der Landhandel und das landwirtschaftliche Konsumgenossenschaftssystem weitgehend aufgebaut waren, gingen die Behörden daran, den verbliebenen Privateinzelhandel genossenschaftlich zu organisieren. Damit sollten die Schwierigkeiten in der Warenverteilung behoben werden, indem die Verwaltungsorgane die Zuteilungen nicht mehr verstreut, sondern gebündelt an die neuen Genossenschaften erteilen konnten. Diese Kreisgenossenschaften sollten gemeinschaftlich einkaufen. Damit war eine zentrale Stelle für den Wareneingang, die Verteilung sowie Globalkontingente und Bezahlung verantwortlich. Jede Kreisgenossenschaft hatte sechs Fachkreise (Lebensmittel, Textilien, etc). Den Kreisgenossenschaften übergeordnet 1659 1660 1661

Zusammenbruchsgesellschaft (1945 bis 1949)

auf den Wareneinkauf gegenüber ihren Zweigstellen kämpfen. Ost- wie westdeutsche Filialen kämpften seit Mai 1945 mit allen Mitteln um Ware. Die zentralisierten (Einkaufs-)Strukturen des Konzerns hatten sich als zu schwerfällig erwiesen, und Filialdirektoren bemühten sich ohne Rücksicht auf die Vorgaben aus Zwickau um Ware. Dies galt im Besonderen für die Häuser jenseits der SBZ, die sich – angesichts der Verstaatlichung – immer weiter emanzipierten. So kämpfte die Zwickauer Geschäftsleitung um die Wiedereinführung des Zentraleinkaufes und wies die Standorte auf die „Notwendigkeit und Vorteile“ hin: „Unsere Einkäufer kennen durch ihre laufenden Besuche der Industriegebiete im ganzen Reiche die maßgeblichen Herstellerbetriebe, sie wissen genau, welcher Betrieb richtig, welcher Betrieb falsch liegt. [ ] Im vorigen Herbst [1945] wurden uns Einkaufstaschen angeboten, hergestellt aus grünem Papierstoff, der vorher für Artikel für die Wehrmacht Verwendung gefunden hatte. Für 30.000 Taschen war der Angebotspreis 112.000 RM. Wir prüften den Preis nach [ ] und erreichten dann, dass der Angebotspreis von 112.000 RM auf 72.000 RM = 33,3 Prozent niedriger ermäßigt wurde. Dadurch konnte diese Einkaufstasche mit 2,50 RM verkauft werden, während diese gleiche Tasche in anderen Geschäften mit einem Preis von 3,50 bis 5,50 RM auslag. [ ] Sie werden immer wieder feststellen können, dass unsere Geschäfte sich auch jetzt vorteilhaft von den Preisen verschiedener Mitbewerber günstig abheben. [ ] Auch in der Planwirtschaft [ ] hat der geschlossene Einkauf seine gleiche große Bedeutung wie früher [ ] Im Zusammenhang mit dem geschlossenen Einkauf steht die geschlossene Hereinnahme von Waren und die Verteilung dieser auf die einzelnen Geschäfte. [ ] Den Schaden durch eine Absplitterung einzelner Geschäfte aus unserem Verband würde zulasten unserer treuen Kundschaft gehen, indem das wenige Geld [ ] in seiner Kaufkraft erheblich gemindert würde. Das zu verhüten, sehen wir als unsere Pflicht an!“1662

Gleichzeitig mit dem Aufruf zur Einheit nach innen wandte sich Merkur an die sächsische Landesregierung und forderte, den Konzern außerhalb Sachsens nicht zu zerschlagen. Die durch die Behörden angedachte „Auflösung der Firma in einzelne kommunale Kaufhäuser [sei] ein schwerer volkswirtschaftlicher Fehler“. Der Gesamtbetriebsrat entschloss sich zu einer Resolution, die forderte, dass das „Unternehmen auf jeden Fall ungeteilt zusammenbleiben muss“. Nur seine bisherige Struktur und Größe sichere der arbeitenden Bevölkerung „gute, zweckentsprechende und billige Waren“. Curt Herbst wandte sich am 25. Juli 1946 ebenfalls an die sächsische Landesregierung und warnte vor einer Zerschlagung des Konzerns. Merkur nehme in Sachsen den „ersten Rang ein“. Herbst hob die Bedeutung des Zentraleinkaufs für die sächsische Industrie hervor und sah sozialistische Merkmale in der jetzigen Merkur-Struktur: „Die Industwar ein Aufsichtsgremium der Handelskammer und des FDGB, siehe Notizen über die Auswertung [ ], 13.8.1946, StAC 31451–633. 1662 Vgl. Titellose Ausführung, 15.7.1946, StAC 31451–632.

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rie konnte ihre Arbeiter auf lange Zeit hinaus beschäftigen und der Arbeiter konnte [ ] gut ausgesuchte Ware billig einkaufen. Der Ring schloss sich im Kleinen ungefähr so, wie wir es im Großen in einer geplanten Wirtschaft anstreben“. Im Falle einer Zerschlagung aller sächsischen Warenhäuser schlug Herbst eine Vereinigung unter dem Dach der Merkur AG vor, auch weil sich deren Zentrale nicht in Berlin oder den Westzonen befand: „Es ist naheliegend, soweit die Absicht einer Zusammenfassung aller sächsischen Warenhäuser [Althoff, Knopp, Reka, u. a.] angestrebt wird, diese in der Merkur AG zu vereinen und sich des vorhandenen zentralen Apparates zu bedienen“.1663 Der Warenverkehr blieb das bestimmende Thema. Zum einen herrschte in der SBZ seit Kriegsende eine Konkurrenz um Waren zwischen der Militär- und der Zivilverwaltung. Industrie und Handel mussten den Aufträgen der sowjetischen Militäradministration (sog. SMA-Aufträge) Vorrang einräumen. Die IHK Zwickau wies am 15. Dezember 1946 daraufhin hin: „[D]ie Aufträge der russischen Besetzungsbehörden [müssen] unter allen Umständen einwandfrei und termingerecht ausgeführt werden. Die Nichtbeachtung [ ] ist gleichbedeutend mit Sabotage der Wirtschaft und zieht strengste Strafmaßnahmen seitens der SMA-Behörden nach sich“.1664 Andererseits hatten sich die militärischen Auftraggeber mit den deutschen Zivilbehörden abzustimmen, was zu selten geschah und für Verunsicherung sorgte. Der SMAD- Befehl Nr. 67 vom 6. März 1946 bestimmte: „Den Militärabteilungen und irgendwelchen anderen sowjetischen Organisationen wird es verboten, ohne Genehmigung [ ] an die deutschen Industrie- und Handelsfirmen Forderungen zur Herstellung und Lieferung von Waren und Materialien [ ] als in den bestätigten Plänen [ ] genehmigt wurde, zu stellen“.1665

Neben diesen unklaren Zuständigkeiten, die bis Jahresende anhielten und erst im Januar 1947 gelöst wurden1666, fühlte sich Merkur zunehmend durch die staatliche Warenzuteilung gegenüber kleineren Händlern und Konsumgenossenschaften benachteiligt. Im Oktober 1946 kritisierte Merkur die Bevorzugung „fachtreuer“ Fachgeschäfte: „Die geringe Warendecke bringt es mit sich, [ ] größere Abnehmer – wie uns – auszuschließen. Die Preisvorschriften begünstigen diese Wünsche insofern, als viele Lieferanten

Vgl. Schreiben an die Bezirksverwaltung Landeseigener Unternehmen, 17.7.1946, StAC 31451–633; Schreiben an die Bezirksverwaltung Landeseigener Unternehmen, 25.7.1946, StAC 31451–633. 1664 Es drohten Entlassung, Geldstrafe oder Enteignungen, siehe G. B. Nr. 1676 a/S, 13.1.1947, StAC 31451–453. 1665 Vgl. G. B. Nr. 1667, 20.8.1946, StAC 31451–453. 1666 Zum 1. Januar 1947 galt eine Genehmigungspflicht von Aufträgen und Lieferverträgen mit sowjetischen Bedarfsträgern. Die Genehmigungen erteilten das Ministerium für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung oder das Ministerium für Handel und Versorgung. Der Vertrag musste unter Vermittlung der Sächsischen Zentral-Handelsgesellschaft mbH oder der Sächsischen Industrie-Kontors GmbH zustande kommen. Mit dieser Regelung wurden alle anderen Aufträge ungültig. Ausgenommen blieben Reparationsaufträge, siehe G. B. Nr. 1677 a/S, 3.1.1947, StAC 31451–453. 1663

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lieber an sonstige kleine Abnehmer liefern, weil dabei in manchen Fällen günstigere Preise erzielt werden“.1667

Im Dezember 1946 formulierte der Konzern eine offizielle Beschwerde an die Landesverwaltung Sachsen „Wirtschaft und Arbeit“. Der Konzern werde vom Direktbezug ausgeschlossen und könne nur über Zwischenhändler Ware beziehen. Im Sinne günstiger Verkaufspreise forderte Merkur die Erlaubnis zum Direktbezug vom Fabrikanten: „[Die] Ware [ist] größtenteils reguliert und wird über die örtlichen Ämter für Handel und Versorgung zugeteilt. Dabei werden wir mit dem Einkauf der regulierten Ware für unsere 12 Häuser an den Großhandel und an die Verteiler verwiesen, die bis zu 25 Prozent und mehr Aufschlag verlangen, wodurch die Ware im Einzelhandel unnötig verteuert wird. [ ] Wir müssen wieder große Warenmengen beim Hersteller direkt einkaufen können, um dadurch auch weiterhin preisregulierend zu wirken“.1668

Doch Ende 1947 stieß Merkur mit seiner streng zentralistischen Struktur an seine Grenzen. Ab Herbst 1947 erlaubte Merkur den Wareneinkauf von örtlichen Kaufstätten. Die Beschaffungsschwierigkeiten brachten es mit sich, dass sich Fabrikanten an die örtliche Merkur-Filiale wendeten und der Verweis auf die zentrale Beschaffung in Zwickau eher verkaufshemmend wirkte. Im Bereich der Verkaufsförderung und Werbung blieb der Konzern jedoch zentralisiert.1669 Ungelöst war auch das Problem des Interzonenverkehrs, genauer des Warenaustausches zwischen den Kaufhäusern in der Ost- und der Westzone. Im November 1946 entschloss sich die Zwickauer Geschäftsführung, in Abstimmung mit der Nürnberger Merkur AG, einen regelmäßigen Paketverkehr zwischen Ost und West, zu etablieren: „Uns liegt daran, die Verkaufsmöglichkeiten in allen Geschäften durch Päckchensendungen zwischen den Zonen interessanter zu gestalten. Aus diesem Grunde möchten wir, durch Lieferanten in der Ostzone und die Zentrale-Läger, Päckchen an unsere Geschäfte in der Westzone schicken und versuchen, möglichst viele Päckchen von Lieferanten aus der Westzone hierher zu bekommen [ ] Die Bezahlung soll erfolgen für Päckchen aus der Ostzone durch die Zentrale, für Päckchen aus der Westzone durch Nürnberg“.1670

Vgl. G. B. Nr. 1669, 7.10.1946, StAC 31451–453. Vgl. Schreiben an Landesverwaltung Sachsen, 7.12.1946, StAC 31451–633. Auch beim dezentralen Einkauf musste die Zentrale durch das lokale Geschäft unterrichtet werden: „Das Geschäft, das direkt einkauft, hat gegenüber den Preisbehörden die Verantwortung für den richtigen Einkaufspreis und den richtigen Verkaufspreis“. Die Zentrale setzte weiter auf zentrale Verkaufsgrundsätze: So sollte die Schaufenstergestaltung und Warenaufbau wiedererkennbar bleiben mit dem Ziel „Waren schnell in größerer Menge abzusetzen“. Dazu sollte die „Dekoration alle 8 Tage wechseln“, siehe G. B. Nr. 1686, 1.10.1947, StAC 31451–453. 1670 Vgl. G. B. Nr. 1671, 21.11.1946, StAC 31451–453. 1667 1668 1669

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Tatsächlich musste die Zwickauer Zentrale ihre westdeutschen Filialen für Ware entschädigen, die unmittelbar vor Kriegsende bereits bezahlt, aber nie in den Westen ausgeliefert worden war.1671 Die tatsächlichen Warenlieferungen nahmen sich allerdings eher bescheiden aus: „Im letzten Halbjahr [1947] haben die Lieferungen aus dem Osten nach dem Westen RM 60.000 betragen“. Aus dem Westen gelangten hingegen Warenwerte in Höhe von 3.000 Reichsmark nach Zwickau.1672 Die gegenseitige Zurückhaltung war Ergebnis des sich vollziehenden Aufspaltungsprozesses des Merkur-Konzerns im Laufe des Jahres 1947 in die Merkur AG, Zwickau und die Merkur AG, Nürnberg. Erstmals seit Kriegende traf sich die Zwickauer Konzernleitung anlässlich der Leipziger Messe am 5. März 1947 mit den westdeutschen Geschäftsführern, vertreten durch eine Delegation aus Nürnberg, wo alle westdeutschen Aktivitäten zusammenliefen.1673 In diesem Treffen kritisierte Nürnberg die nicht eingehaltenen Zusagen der Zwickauer Zentrale. Entgegen der Absprachen fehle es den westdeutschen Häusern an Ansprechpartnern und Wissenstransfer hinsichtlich drängender Steuer- und Versicherungsfragen, der Planung, Durchführung und Abrechnung des Ein- und Verkaufs sowie notwendiger Bauarbeiten. Seit Kriegsende hätte kein Zwickauer Facheinkäufer den Westen bereist. Die westdeutschen Häuser bemängelten auch den Informationsaustausch. So fehlten Lieferlisten und Mengenstatistiken (aus Kriegszeiten), um den aktuellen Bedarf zu planen. Das Treffen endete mit der allgemeinen Zusage, den Interzonenverkehr auszubauen.1674 Im Mai 1947 warnte die sächsische Landesregierung (Landeseigene Betriebe) vor Nürnberger Alleingängen mit der Absicht, für „westliche Kaufstätten eine Gesellschaft mit Sitz Nürnberg zu bilden“. Da, nach Auffassung der Behörde, Merkur „in Gänze“ enteignet worden war, würde mit der Abspaltung „Volksvermögen des Landes Sachsen“ abgetrennt werden. Im Falle der Abspaltung drohte die Landesregierung der Zwickauer Zentrale mit ernsten Konsequenzen: „Diesen Versuchen werden wir mit aller Schärfe seitens der Landesregierung Sachsen entgegentreten. [ ] Wir weisen dieses Ansinnen aufs Schärfste zurück und werden jeden

Kurz vor Kriegsende hatte die Zwickauer Einkaufszentrale im Auftrag ihrer westdeutschen Filialen Textilwaren, vor allem bewirtschaftete Textilien und Schuhe, gekauft und die westdeutschen Filialen hatten 630.000 Reichsmark an die Zentrale überwiesen. Das Kriegsende verhinderte eine Auslieferung. Die Waren blieben in Zwickau, weil der Transport in die Westzonen als „unmöglich“ eingeschätzt wurde, aber vor allem weil „hochwertige Waren auch für die Bevölkerung der Ostzone wichtig sind“. Formal verkauften die Westfilialen die Ware der Zwickauer Zentrale. Im Gegenzug lieferte Zwickau den Westfilialen ab Mitte November 1947 „unbewirtschaftete, weniger wichtige Ware“, siehe Guthaben des westdeutschen Teiles der Merkur Warenhauszentrale, 14.11.1947, StAC 31451–632. 1672 Vgl. Fuchs (1990), S. 323, Anm. 68. 1673 Liste der Geschäftsführer (Stand: September 1946): Augsburg (Petzold), Nürnberg (Hörning), Pforzheim (Bremser), Regensburg (Michalke), Stuttgart (Dessau, Keller, Köhler) und Wesermünde (Fuchs), siehe Aufstellung unter StAC 31451–632. 1674 Vgl. Bericht an die Industrieverwaltung 64 betr. Besprechung mit den Geschäftsführern der westdeutschen Niederlassungen der Merkur AG, 5.3.1947, StAC 31451–632. 1671

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zur Rechenschaft ziehen, der versucht, einer Neuregelung im Sinne einer Gesellschaftsbildung in Nürnberg Vorschub zu leisten“.1675

Die Zwickauer Zentrale betonte ihren Willen, dass „das Unternehmen zusammengehalten werden muss“. Man betrachte die westdeutschen Filialen weiterhin als „herrenlos“, müsse aber die Grenzen des politisch machbaren hinnehmen: „Wir hatten bisher keine Möglichkeit, diese Filialen so zu betreuen, wie es unsere Pflicht gewesen wäre, wie sie es erwarten können und wie es im Interesse des gesamten Unternehmens liegen würde“.1676 Mit der wirtschaftlichen Einheit der britischen und amerikanischen Besatzungszone, dem Ausbau gemeinsamer Strukturen und eingehender Erleichterungen des Warenverkehrs im Laufe des Jahres 1947 und den zwei Währungsreformen im Sommer 1948 zementierte sich die Trennung der Merkur AG in zwei eigenständige Unternehmen. Im Dezember 1948 musste die Zwickauer Merkur AG gegenüber der Landesregierung Sachsen eingestehen, dass das verfolgte Ziel systematischer Kontrolle durch „Interzonengeschäfte“ und das Projekt der Konzerneinheit gescheitert war. Erstmals gab Zwickau zu, dass man keine „Möglichkeit [habe], Dispositionen über die westlichen Vermögenswerte durchzuführen“. Zeitgleich habe Zwickau zu keinem Zeitpunkt Autorität und Weisungskraft gegenüber seinen westlichen Konzernteilen ausüben können, da „nach unserer Kenntnis die in Sachsen durchgeführten Enteignungen [ ] im Westen auch heute ignoriert [werden]“.1677 Tatsächlich waren die Filialen in der alliierten Bizone weit weniger auf die Hilfe ihrer sozialisierten Konzernmutter in Sachsen angewiesen. Bereits im Geschäftsjahr 1947 übertraf der Umsatz der Nürnberger Zentrale der Merkur AG mit ihren sechs Häusern den Vorjahresumsatz um 16 Prozent, während die Filialen der Zwickauer Merkur AG nur 79 Prozent des Vorjahresumsatzes erreichten. Belief sich der Umsatz beider Konzerne im Jahr 1947 auf zusammen 32 Millionen Mark, so erwirtschaftete Nürnberg 1948 und 1949 allein schon mehr als 22 bzw. 20 Millionen Mark. Im ersten Halbjahr 1950, also ein Jahr nach der westdeutschen Währungsreform, hatte man bereits schon 20 Millionen erreicht und damit den Umsatz verdoppelt (Tabelle 113).

Vgl. Schreiben an die Industrieverwaltung 64, 7.5.1947, StAC 31451–633. Vgl. Schreiben an die Industrieverwaltung 64 betr. Abtrennung der Merkur-Kaufstätten in der westlichen Zone, 22.5.1947, StAC 31451–632. 1677 Die Zwickauer Zentrale übertrieb in der Darstellung die Qualität und Dauer der Verbindung zu den Westfilialen. So seien zwischen 1946 und der Währungsreform „gewisse Verbindung und Betreuung“ unterhalten worden: „[L]aufend waren Vertreter [ ] an den verschiedenen Geschäftsorten im Westen anwesend, um die Betriebe zu kontrollieren und zu beraten. [ ] Noch vor einer Reihe von Monaten erhielten wir ganz regelmäßig von allen westdeutschen Häusern Berichte über Umsatz, Unkosten, Kalkulation und Ertragslage, sowie über die Situation im Einkauf und Verkauf, sodaß wir über den westdeutschen Markt laufend gut orientiert waren“, siehe Schreiben an die Landesregierung Sachsen – Amt für volkseigene Betriebe, 13.12.1948, StAC 31451–633. 1675 1676

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Tab. 113 Umsätze, Merkur AG (Zwickau) und Merkur AG (Nürnberg), 1945 bis 19501678 Jahr

Gesamt

Merkur, Zwickau

Hanse GmbH, Zwickau Agentur

Hanse GmbH, Zwickau Großhandel

1945*

35,037

26,6

29,351

0,908

1946

29,120

22,657

2,164

32,00

6,753

1,148

1947**

Merkur, Nürnberg 8,400

1948

22,190***

1949

20,805

1950 (1. Hj)

20,015

Anmerkungen: in Millionen Reichsmark, ab 1949 in Millionen D-Mark (Merkur AG, Nürnberg); * Davon 76 Prozent in der SBZ, 24 Prozent auf amerikanisch besetzten Gebiet, schlesisches Waldenburg galt als verloren; ** Die Ostzone erreichte 79 Prozent des Vorjahres-Umsatzes, die Westzone 116 Prozent des Vorjahres-Umsatzes; *** Reichsmark und Mark zusammengezählt.

Die Umsätze der Zwickauer Merkur AG sind unbekannt. Vor der Währungsreform am 23. Juni 1948 in der SBZ meldete Merkur ein deutliches Umsatzplus für das erste Halbjahr 1948, das bereits über dem Gesamtumsatz 1947 lag. Die sozialistische Währungsreform brachte Merkur allerdings Substanzverluste.1679 Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 9. September 1949 beschloss der westliche Konzernteil die formale Gründung der Merkur AG, Nürnberg.1680 7.2

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

7.2.1

Wiedergutmachung oder Wachstum?

7.2.1.1

Rechtsrahmen

In Folge der umfangreichen Arisierungs- und Liquidierungsprozesse sah sich auch der deutsche Textileinzelhandel mit den alliierten Forderungen sowie den Forderungen der überlebenden, zumeist emigrierten jüdischen Alteigentümer oder deren Erben Aufstellung nach Fuchs (1990),S. 263; S. 323, Anm. 68; S. 273, bes. Anm. 71; Kontrollbericht, 16.10.1947, StAC 31451–632. 1679 Die Preisherabsetzungen durch die Währungsreform betrugen eine Million Mark. Von den gelagerten Warenwerten in Höhe von 15,3 Millionen Mark mussten sieben Prozent abgeschrieben werden (250.000 Mark in Textilwaren), siehe Schreiben an das Finanzamt, Zwickau, 27.7.1948, StAC 31451–632. Merkur, Zwickau empfahl anlässlich der Währungsreform, „nur soviel ein[zu]kaufen wie in den nächsten 14 Tagen zu verkaufen“ und „keine Barankäufe“ zu tätigen. Das ausgegebene Verkaufsziel war, die „alten Durchschnittsumsätze“ zu erreichen. Dazu sollten die Verkaufsabteilungen tägliche Berichte an die Einkaufsabteilung schicken. Zudem sollte an der Verwaltung gespart werden und Barzahlungen nur „bei Lohnzahlung oder Kleinausgaben“ getätigt werden, siehe GB Nr. 1696 a/S vom 2.7.1948, StAC 31451–298; GB Nr. 1696 a/S vom 12.7.1948, StAC 31451–298. 1680 Vgl. Fuchs (1990), S. 322, Anm. 62. 1678

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

konfrontiert. Die Frage nach Wiedergutmachung, Restitution und Entschädigung blieb zwischen dem Kriegsende und dem Ende des Betrachtungszeitraums eines der bestimmendsten geschäftspolitischen Themen für den Textileinzelhandel.1681 Im Folgenden soll kurz der rechtliche Rahmen der Wiedergutmachungsfrage aufgespannt werden, um anschließend anhand konkreter Restitutionsbeispiele im Textileinzelhandel das Spannungsfeld zu umreißen, in dem sich Kläger und Beklagte nach 1945 bewegten. In der Forschung beschreibt der nicht unumstrittene Begriff „Wiedergutmachung“ einen gesetzlich verankerten Schadensausgleich für rassisch, religiös und politisch Verfolgte des NS-Regimes.1682 Dabei sind Rückerstattungen von Entschädigungen abzugrenzen. Grob gesagt, kompensieren erstere materielle Verluste – Unternehmen, Grundstücke, Häuser, Bankguthaben –, während letztere vor allem immatrielle Schäden – Gesundheit, Haftzeiten, Lebensführung, Berufsnachteile – auszugleichen versuchen.1683 Auch zeitgenössisch vollzog sich die „Wiedergutmachung“ als mal parallel, mal entgegengesetzt, letzlich ineinander verschachtelter Prozess von Rückerstattung und Entschädigung. Die Entwicklungen in der US-amerikanischen Zone seien hier stellvertretend für die Westzone dargestellt, auch weil von hier die ersten und entscheidenden Impulse für die Westzonen bzw. die spätere Bundesrepublik ausgingen. Bereits vor Kriegsende beschäftigten sich Emigranten, Widerstandsgruppen und schließlich die Alliierten mit Fragen des (finanziellen) Ausgleichs für das praktizierte NS-Unrecht.1684 Mit der Kapitulation drängten die alliierten Besatzungsmächte zunächst auf Rückerstattung materieller Werte. Die Entschädigung (schwerer fassbarer) immatrieller Verluste stand zunächst weniger im Fokus. Insgesamt stellte das Problemfeld der Wiedergutmachung einen völkerrechtlichen Präzedenzfall dar, denn erstmals hatte ein moderner Staat in (freiwilliger) Handlangerschaft mit Partei und Privatleuten eigene und fremde Bevölkerungsgruppen systematisch beraubt und geplündert. In allen drei Westzonen galt unmittelbar nach Kriegende das Militärgesetz Nr. 52, welches sämtliches NS-Vermögen sperrte und unter alliierte Aufsicht stellte. Gleiches galt auch für alle ehemals jüdischen Firmen, Grundstücke und Immobilien, die nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 bis zur Kapitulation veräußert worden waren. Betroffene Unternehmen erreichte ein einheitliches Schreiben der Property Control Branch, nachdem bestimmte Treuhänder eingesetzt wurden. Die Geschäftsführung blieb zumeist im Amt und besorgte den normalen Geschäftsgang. (Trans-) Mittlerweile existiert ein breite Restitutionsforschung, die v. a. die bundesrepublikanischen Entwicklungslinien analysiert und in den letzten Jahren auch auf regionale und lokale Rückwirkungen, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten fokussiert, vgl. etwa Herbst/Goschler (1989); Goschler (1992); Goschler/Andrieu (2003); Goschler et al. (2012); Fritsche (2013); Fritsche (2014). 1682 Eine Problematisierung des Begriffs, etwa bei Fritsche (2013), Einleitung. 1683 Mittlerweile klassische Unterscheidung zwischen Rückerstattung und Entschädigung in der aktuellen Forschung etwa Fritsche (2013); Stephan (2005), bes. S. 119–120; Schmideder (2004), S. 139 ff. 1684 Vgl. Fritsche (2013), S. 583. 1681

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Aktionen, die das Betriebsvermögen beeinflussten, waren streng untersagt. Ferner erging ein Vernichtungsverbot rechtsrelevanter Unterlagen, welche die Alliierten in sog. Arisierungs-Überprüfungsausschüssen bewerteten. Ab April 1946 erarbeitete ein Sonderausschuss der US-Militärregierung – zunächst in Zusammenarbeit mit den Deutschen – ein Rückerstattungsgesetz, dessen Entwurf an der von deutscher Seite geforderten Ausklammerung der Arisierung durch deutsche Privatleute scheiterte. Ohne Mitarbeit der Deutschen trat im November 1947 mit dem Gesetz Nr. 59 das zentrale Rückerstattungsgesetz für die US-Zone in Kraft.1685 Nach alliierter Auffassung hatten alle Transaktionsgeschäfte von Staats-, Partei- und Privatseite während des „Dritten Reiches“ Unrechtscharakter, so sie „gegen gute Sitten verstießen“ oder auf einer Drohung basierten. Indizien, keine hinreichenden Beweise für rechtmässige Transaktionen lagen bei einem „angemessenen Kaufpreis“ (Beachtung des Firmenwertes) und bei „freiwilligem Verkauf “ vor. Auf dieser Gesetzesbasis etablierte sich eine Restitutionsbürokratie, die versuchte, der hochkomplexen Rechtsmaterie Herr zu werden. Anspruchsberechtige mussten bis Jahresende 1948 ihre Ansprüche (so sie in der US-Zone lagen) im Zentralanmeldeamt Bad Nauheim melden. Dort teilte man sie an eingerichtete Wiedergutmachungsbehörden der Bezirke zu. In Bayern existierten fünf derartige Behörden.1686 Diese eröffneten für jede Vermögensentziehung ein eigenes Verfahren. Unter dem Namen Bamberger oder Schocken liefen damit mehrere Verfahren in verschiedenen Städten und Zonen. Hauptziel blieb der außergerichtliche Vergleich vor der Wiedergutmachungsbehörde. Hierzu durfte der Schädiger keinen Einspruch erheben und der Berechtigte bekam den Streitgegenstand zurück oder eine Nachzahlung als Differenz zwischen erhaltenem Verkaufspreis und dem „angemessenen Preis“. Kam es zum Widerspruch wurde ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht eröffnet, das von einem alliierten Gericht in Letztinstanz überwacht wurde. Nach aktuellen Schätzungen liefen in den drei Westzonen 500.000 Verfahren mit 100.000 privaten Rückerstattungspflichtigen. Vermutlich endeten 90 Prozent der Verfahren als Vergleich und ein ebenso großer Anteil war bis 1960 abgeschlossen.1687 Auch die ersten gesetzlich-institutionellen Verankerungen von Entschädigungszahlungen für immaterielle Schäden kamen erst auf alliierten Druck auf lokaler Ebene im Sommer 1946 zu Stande. Für Entschädigungsfragen in Bayern und Württemberg-Baden waren zunächst ebenfalls ein Staatskommissar (1947), dann das Landesamt für Wiedergutmachung (1948) und letzlich das Landesentschädigungsamt (1949) zuständig. Die Verantwortlichen Otto Küster (Württemberg-Baden) und Philipp Auerbach

Vgl. ebd., S. 583–589. Vgl. Stephan (2005), S. 125 f. Ansprüche gegen den Staat oder die Partei waren damit zwar rechtskräftig, aber erst mit in Kraft treten des Bundesrückerstattungsgesetzes zum 19. Juli 1957 konnten diese durchgeführt werden. Insgesamt liefen 700.000 Verfahren mit Rückerstattungswerten von über 4 Mrd. DM, sowie 3,5 Mrd. DM, welche von Privatpersonen zurückzuerstatten waren, siehe Fritsche (2013), S. 589–599. 1685 1686 1687

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

(Bayern) waren die prägenden Köpfe und Impulsgeber eines gesetzlichen Entschädigungsprozesses in der US-Zone, der zum Vorbild der bundesrepublikanischen Regelung wurde. Ab April 1949 galt in der US-Zone das Gesetz Nr. 951 über die „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“, welches die Blaupause für die späteren Regelungen in den übrigen Westzonen wurde. Es definierte neben Berechtigten nun konkrete Schadensarten – also Schäden bezogen auf Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum/Vermögen und wirtschaftliches Fortkommen.1688 In der frühen Bundesrepublik geriet die Frage der Entschädigung von NS-Opfern zu einer Frage von vielen. NS-Opfer genossen keinen Vorrang, sondern wurden anderen „Opfergruppen“ – Kriegsgeschädigten, Vertriebenen, Kriegsheimkehrern – beigeordnet. So blieben NS-Opfer in der „Kriegsfolgengesetzgebung“ (Heimkehrergesetz 1950, Lastenausgleichsgesetz 1952, Bundesvertriebenengesetz 1953) nur eine Gruppe von vielen, die von den insgesamt 144,1 Mrd. D-Mark Hilfszahlungen profitierten. Erst 1956 – rückwirkend zum Oktober 1953 – trat das Bundesentschädigungsgesetz als „Kernstück der westdeutschen Wiedergutmachung“ in Kraft.1689 Auch wenn die „Wiedergutmachungsfrage“ spätestens mit Kriegende höchst virulent war, so wehrte sich die deutsche Gesellschaft, gerade auch Unternehmer, nicht nur gegen jeglichen Kollektivschuldgedanken, sondern man sah sich selbst als Opfer des Krieges. Selbst der emigrierte Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, ab September 1945 bayerischer Ministerpräsident, wehrte sich gegen eine Wiedergutmachung als Ausdruck einer „kollektiven Sühneleistung der deutschen Gesellschaft“. Letzlich kam nur durch massiven US-amerikanischen Druck Bewegung in die Sache, da für die USA „Wiedergutmachung“ eine unverhandelbare Voraussetzung für die Rehabilitation Deutschlands war. Tatsächliches Problem blieb, dass geraubtes jüdisches Vermögen vernichtet bzw. stark beschädigt war und viele immaterielle Werte unwiederbringlich verloren oder monetär unmöglich ersetzbar waren. Und dort, wo Ansprüche artikuliert und dokumentiert werden konnten, reagierten die Angeschuldigten mit „vehementer Abwehr, demonstrative[m] Unwillen und völlige[m] Unverständnis“.1690 Drei Fallbeispiele – Schocken/Merkur, Hettlage und Bamberger & Hertz/Hirmer – sollen im Folgenden die Bandbreite des Umgangs mit der Restitutions- und Entschädigungsfrage in der Branche illustrieren.

Vgl. Stephan (2005), S. 120 f.; Fritsche (2013), S. 733–736. Danach zahlreiche Änderungen sowie gesetzlicher „Abschluss“ mit dem BundesentschädigungsSchlussgesetz vom September 1965, welches u. a. eine Fristverlängerung für Ansprüche und Sonderfonds in Höhe von 1,2 Mrd. DM für NS-Opfer vorsah. Parallel dazu vereinbarte die BRD diverse bilaterale Außenabkommen mit Westeuropa, Israel und der Conference of Jewish Claims. Nach 1990 erfolgten Globalabkommen mit osteuropäischen Staaten und im Jahr 2000 legten die BRD und die deutsche Wirtschaft einen Stiftungsfonds in Höhe von 10 Mrd DM zur Entschädigung von NS-Opfern auf, siehe Fritsche (2013), S. 736–743; Winstel (2004), S. 230–235. 1690 Vgl. Winstel (2004), S. 218–225. 1688 1689

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7.2.1.2

Fall I – Schocken

An einem Ende des Spektrums – einvernehmliche Restitution – stand der westdeutsche Teil der ehemaligen Schocken AG, jetzt Merkur. Am Tag der deutschen Kapitulation, dem 8. Mai 1945, wandte sich die Zwickauer Geschäftsleitung an die amerikanischen Truppen und betonte ihre Stellung als Salman Schockens Treuhänder: „Die Mitglieder der Geschäftsleitung, die von Herrn Schocken als ihre Vertrauensmänner eingesetzt worden waren, haben die im Ausland lebenden früheren Inhaber, solange es möglich war, durch persönliche und schriftliche Berichte informiert“.

Im Juli 1945 erkundigte sich Merkur, „ob Herr Schocken sich noch für seinen früheren Konzern interessiert und Ansprüche darauf erhebt“. Diese Frage schien Merkur berechtigt. An die sowjetische Militärverwaltung meldete Merkur am 1. August 1945: „[V]on Herrn Schocken haben wir leider bisher noch nichts gehört“.1691 Salman Schocken war 1934 nach Jerusalem emigriert und dort nicht mehr als Händler tätig.1692 Im Laufe des Jahres 1946 gelang es der Zwickauer Zentrale und Merkurs Rechtsanwälten in der Westzone, einen regelmäßigen Briefkontakt zu Salman Schocken und anderen ehemaligen jüdischen Führungskräften (u. a. Dr. Siegfried Moses, Georg Spiro) herzustellen.1693 Mit der erfolgten Enteignung der in der SBZ gelegenen Konzernteile und der OstBerliner Aktienpakete zum 30. Juni 1945, welche die Zwickauer Geschäftsleitung als ungerechtfertigt betrachtete1694, konzentrierten sich die Rückerstattungsansprüche naturgemäß auf die Merkur AG, Nürnberg. Zudem war die Eigentümerstruktur der Merkur AG stark zersplittert. Das Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank und der Reichs-Kredit-Gesellschaft hatte seine Mehrheitsanteile bis Kriegsende rechtmäßig weiterverkauft, sodass sich wohl mehr als 89 Prozent der Konzernanteile bei kleinen und mittleren Anlegern befanden. Die westdeutsche Merkur AG erkannte mögliche Restitutionsansprüche „juristisch und moralisch [ ] uneingeschränkt an“, die die Familie Schocken am 6. Dezember 1948 auf Grundlage des Militärgesetzes Nr. 59 Vgl. Fuchs (1990), S. 267; Schreiben an Militärgouvernement vom 2.8.1945, StAC 31451–179. Schocken war in das Verlagsgeschäft eingestiegen und erwarb 1935 eine renommierte Tageszeitung, die bis heute der Familie Schocken gehört, siehe http://www.haaretz.com/misc/management, 3.8.2016. Nach weiteren Verlags- und Institutsgründungen, die sich der jüdischen Forschung und Publizistik widmeten, floh Schocken 1940 nach New York, wo er sich mit Gründung der „Jewish Cultural Reconstruction“ für den Wiederaufbau und die Restitution jüdischer Kulturgüter engagierte, siehe Eintrag „JCR“, unter: http://www.jmberlin.de/raub-und-restitution/de/glossar_j.php, 3.8.2016. Weitere Angaben zum Lebensweg Salman Schockens bei Schaeper, Silke, „Schocken, Shelomoh Salman“ in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 352–354, unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118609890.html, 3.8.2016. 1693 Vgl. Fuchs (1990), S. 320 f., Anm. 36, 40, 42. 1694 Die Enteignung betraf den Bestimmungen nach Unternehmen, „die sich aktiv für den Nationalsozialismus einsetzten“. Der Vorstand wies jede Mitwirkung empört von sich: „Unsere Geschäftsleitung hat das nie getan“, zit. nach Fuchs (1990), S. 268. 1691 1692

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

einreichte. Die Familie machte über ihre drei deutschen Anwälte geltend, dass der Verkauf wegen ihrer jüdischen Abstammung und immensem politisch-wirtschaftlichem Verfolgungsdruck erzwungen worden war und der tatsächliche Verkaufspreis deutlich unter dem damaligen Unternehmenswert lag. Im Mittelpunkt des Rückerstattungsverfahrens standen angesichts des Verlustes der Konzernteile in der SBZ etwa 30 Prozent des Konzern(wertes), mithin aller in der amerikanischen Zone befindlicher Grundbesitz und Geschäftsvermögen.1695 Per Vergleich einigte sich die Merkur AG am 9. September 1949 mit der Familie Schocken. Die Familie hielt nach einer Kapitalerhöhung 51 Prozent des Grundkapitals der unveränderten Gesellschaft Merkur AG, Nürnberg.1696 Dem Aufsichtsrat gehörten in der Folge die Alteigentümer Theodore Schocken (stv. Vorsitz), Dr. Arthur Kaufmann und Georg Spiro an: „Wir verzeichnen mit großer Befriedigung die glückliche Regelung [ ] mit der Familie Schocken. [Nun] [ ] ist wiederum eine enge Zusammenarbeit mit der Familie Schocken möglich, und der große Erfahrungsschatz des Herrn Salman Schocken [ ] steht uns wieder zur Verfügung“.1697

7.2.1.3

Fall II – Hettlage

Am anderen Ende des Spektrums – mit erheblichen Widerständen und Unverständnis – steht das Münchner Haus Hettlage. Das Münchner Haus, welches Hettlage vom Ehepaar Singer arisiert hatte, stand mit Kriegsende folgerichtig unter Zwangsverwaltung und Treuhandschaft. Zentraler Streitpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Hettlage und den Vertretern des emigrierten Ehepaars Singer war die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Geschäft arisiert worden war. Hettlage argumentierte, dass mit Singers Kaufangebot vom 9. November 1936 der Kauf real besiegelt worden war, obwohl diese erst formal-notariell am 15. Januar 1937 bestätigt worden war. Die alliierte Militärverwaltung stellte das Haus München daraufhin unter Zwangsverwaltung. Dem widersprach das Ehepaar Singer trotz Bitten von Hettlage Mitte Dezember 1946 nicht: „Dass sie [Hettlage] anständig und ehrlich und im guten Glauben gehandelt haben, wird nicht bestritten, dagegen wird seitens Singer geltend gemacht, dass man unter Druck von

Vgl. Fuchs (1990), S. 268 ff., S. 270 f. „Nach 1989 konnten die Erben von Schocken auch Ansprüche auf Firmen und Familienbesitz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geltend machen“., siehe Schaeper, Silke, „Schocken, Shelomoh Salman“ in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 352–354, unter http://www.deutsche-biographie.de/ pnd118609890.html, 3.8.2016. 1697 Vgl. Fuchs (1990), S. 272. 1695 1696

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oben handelte und zu Bedingungen verkaufen musste, die zu normalen Zeiten günstiger gewesen wären“.1698

Singers erwarteten Entschädigungen durch das zu erwartende Wiedergutmachungsgesetz für die amerikanische Besatzungszone. Nach Singers Auffassung war der Verkaufspreis „unter Druck von oben“ zu niedrig angesetzt und nach Kaufabschluss komplett durch den Staat beschlagnahmt worden.1699 Hettlage reagierte zunächst vertrauensbildend auf das zu erwartende Verfahren. Mit dem Gesellschaftsvertrag vom 15. Mai 1948 über das Münchner Haus holten die Hettlage-Brüder den Kaufmann Leo J. Horster in das Geschäft. Horster vertrat Hettlage von nun an bei Verhandlungen mit Besatzungsbehörden, deutschen Dienststellen und Lieferfirmen.1700 Zugleich meldete Hettlage Münster das Münchner Haus nach dem britischen Militärgesetz 10 als „entzogenes jüdisches Vermögen“ am 20. Oktober 1948 beim Amt für Wiedergutmachung und Zentralanmeldeamt Bad Nauheim an. Damit dokumentierte Hettlage seinen Willen, zu einer schnellen Lösung zu kommen. Das Ehepaar Singer meldete Anfang Dezember 1948 seinerseits Rückerstattungsansprüche in Bad Nauheim an, da aus seiner Sicht „keine ernsthaften Verhandlungen über Rückerstattung“ stattgefunden hatten. Darüber zeigte sich Hettlage verärgert und es kam bis Herbst zu keiner Lösung in der Sache. Hettlage fehlte es wie vielen Deutschen an deutlicher Empathie für die erlittenen sozio-ökonomischen und persönlichen Schäden und Verluste der zur Emigration gezwungenen jüdischen Mitbürger. Das selbst erlittene Leid – Bombenkrieg, persönliche Verluste und die Zerstörung der Geschäftsgrundlage – war Ariseuren wie Hettlage nach 1945 viel präsenter als das vorherige Unrecht gegenüber jüdischen Deutschen, von dem Hettlage – persönlich wie geschäftlich, direkt und indirekt, bewusst und unbewusst – profitiert hatte. Diese fehlende persönliche Anteilnahme am Schicksal des anderen und die Anerkennung der Kausalitäten führten zu eben jenen Differenzen in den Restitutionsfragen. Die alliierten Behörden setzten im September 1949 für das Haus München den Treuhänder Freiherr v. Gnadenegg ein. Auf Betreiben des Ehepaars Singer wurde die Treuhandschaft aber bald aufgehoben und somit der Weg für konkrete Vergleichsverhandlungen geebnet, die am 20. September 1949 starteten. Sollte der Vergleich scheitern, drohten Singers offen mit einem ordentlichen Gerichtsverfahren.1701 HettVgl. Schreiben von Leo J. Horster an Werner Hettlage vom 19.12.1946, WWA F 132–18. Vgl. Schreiben von Leo J. Horster an Werner Hettlage vom 19.12.1946, WWA F 132–18. Vgl. Gesellschaftsvertrag vom 15.5.1946, WWA F 132–18. Der Holsteiner Kaufmann Horster plante bereits 1944 eine stille Beteiligung, die Umsetzung scheiterte mit dem Kriegsende und Horster emigrierte in die USA. Weiter bleibt die Rolle Horsters leider unklar. 1701 Sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, lauteten die Forderungen Singers auf Rückerstattung des Grundstücks, die „Herausgabe einer gleichen Art und Menge von Waren und Einrichtung für ein Damenkonfektionsgeschäft wie beim Kaufvertrag übernommen, notfalls Schadensersatz in Geld“ sowie 1698 1699 1700

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

lage beauftragte daraufhin eine Wirtschaftsprüfgesellschaft, die die Rechtmäßigkeit der Ansprüche der Singers prüfen sollte.1702 Anspruch auf Restitution hatten nach britischem Rückerstattungsgesetz alle jüdischen Deutschen, die nachweisen konnten, dass der Kaufpreis „nicht angemessen“ war und nicht zu ihrer „freien Verfügung stand“. Die Ergebnisse der Wirtschaftsprüfer waren eindeutig. Das Kaufdatum war nach britischem Rückerstattungsgesetz unerheblich, da Juden alle Transaktionen seit dem 15. September 1935 anfechten konnten. Da Hettlage keinen Good-Will gezahlt hatte, war die Frage nach einem „angemessenen Kaufpreis“ von Seiten Singers legitim. Einzig die Verfügbarkeit der Kaufsumme stand für die Gutachter außer Frage.1703 Die Prüfer beurteilten den Kaufpreis für das Grundstück, Waren und Inventar indes als „angemessen“.1704 In diesem Sinne einigte sich Hettlage mit dem Ehepaar Singer zum 21. März 1950 außergerichtlich. Singers bekam die Immobilie, unter Verrechnung der Wiederaufbaukosten, zurück; im Gegenzug erhielt Hettlage einen langfristigen Mietvertrag.1705 7.2.1.4 Fall III – Bamberger & Hertz In der Mitte des Spektrums – einer Zerissenheit zwischen Wachstum oder Wiedergutmachung – steht das umfangreich dokumentierte Restitutionsverfahren der Familie Bamberger (Bamberger & Hertz). Für die Einordnung und Einschätzung der noch zu schildernden Restitutionsansprüche der Familie Bamberger ist eine Schilderung der privaten Verfolgung, Enteignung und Emigration unerlässlich. Von den Bamber-

eine angemessene Entschädigung für die seit dem 28. September 1936 entgangene Nutzung des Geschäftes, siehe Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1702 Im Folgenden vgl. Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1703 Nach Auffassung der Prüfer stand der Kaufbetrag dem Ehepaar Singers rechtlich einwandfrei „zur freien Verfügung“. Der Betrag landete zwar auf einem Sperrkonto. Dies war aber eine devisenrechtliche, keine judenspezifische Beschränkung. 1704 Als Beleg führten die Prüfer die Hypotheken-Gläubigerin (Bayerische Hypotheken- und WechselBank) an, die die Eheleute Singer aus der Haftung entließ und das, weil der „Kaufpreis dem Ermessen der Bank entsprach“. Der Kaufpreis für die Einrichtung galt den Prüfern ebenfalls als „angemessen“; der Kaufpreis für das Warenlager entsprach, nach Auffassung des Gutachtens, dessen Substanzwert, da Damenmode sich schneller entwertete, vgl. Aufstellung nach Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18; Schätzung des Sachverständigen für Hochbau Franz Baumann, Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18; Angebotsschreiben von J. Singer vom 20.8.1936, WWA F132–18. 1705 Danach erhielten Singers ihr Grundstück Landwehrstraße 1 zurück. Das Ehepaar Singer entschädigte Hettlage mit 300.000 D-Mark für den Wiederaufbau des Geschäftshauses als Stundung über zehn Jahre. Im Gegenzug konnte Hettlage sein Geschäft München betreiben und zahlte 300.000 D-Mark an Entschädigung an das Ehepaar Singer. Die Vertragsparteien schlossen einen zehnjährigen Mietvertrag, siehe Vergleich vom 21.3.1950, WWA F132–18.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

ger-Brüdern und Geschäftsinhabern erlebte nur Fritz Bamberger das Kriegende.1706 Seine Verfolgungs- und Emigrationsgeschichte begründet die nach 1945 über ihn erfolgten Wiedergutmachungsansprüche für die Bamberger & Hertz-Gruppe. Mit dem Verkauf seines Geschäftes und dem Verlust der wirtschaftlich-sozialen Grundlage der Familie waren die Münchner Bambergers (Fritz und dessen Frau Lotte mit zwei Kindern) zunehmend den Repressalien der Staatsmacht ausgesetzt. Deutlich wurde dies in der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November, in der zwar das übertragene Geschäft unbeschadet blieb, die Bambergers hingegen erstmals um Leib und Leben fürchten mussten. In dieser verhängnisvollen Nacht randalierten SA-Männer vor dem Privathaus der Bambergers in der Redwitzstraße 6 (antisemitisch verunglimpft als „Juden-Straße“). Nachdem die Familie vergeblich die Münchner Polizei um Schutz bat, trafen am nächsten Morgen Beamte der Gestapo und der Bayerischen Polizei ein und inhaftierten den anwesenden Fritz Bamberger, um ihn auf dem Polizeipräsidium zu verhören.1707 Zusammen mit 100 bis 200 anderen Personen brachte man Bamberger als „Schutzhaftjude“ wenige Stunden später in das nördlich von München gelegene KZ Dachau. Dort mussten sie ihre Kleidung und Habseligkeiten abgeben, bekamen weiß-blaue Insassenkleidung und wurden gezwungen, tagsüber spärlich bekleidet unter freiem Himmel bei winterlichen Temperaturen zu stehen. Sein Ruf scheint Bamberger im Lager geholfen zu haben. Einer der Wärter erkannte den Textilkaufmann. Er ordnete an, dass Bamberger sich um den Ofen und Putzarbeiten in den Verschlägen kümmern sollte, in denen die Insassen die Nacht verbrachten. Die Wache war ein Kunde, der vor Jahren von einer Wohltätigkeit Bambergers profitierte. Denn das Geschäft spendete Textilien, die sich nicht für den Verkauf eigneten, an Bedürftige. So kam der damals wohl mittellose KZ-Wächter zu einer Hose.1708 Trotz aller Bemühungen um eine schnelle Entlassung seitens Hans Hirmers, Henry Ehlers

Gustav und Ludwig Bamberger, die Inhaber des Leipziger Hauses, hatten sich heftig gegen den Vorwurf der Brandstiftung gewehrt. Gustav stellte sich im November 1938 zur Aufklärung freiwillig den Behörden. Er wurde wenige Wochen später ins KZ Sachsenhausen gebracht. Von dort wurde er nach Weihnachten 1938 in das Leipziger Gestapo-Gefängnis in Einzelhaft genommen, und kam im Februar 1939 wieder frei, ohne dass man ein Geständnis erpresst hatte. Er floh dann nach Berlin, von wo man ihn „nach Osten“ deportierte, unklar ob nach Riga oder Stutthof nahe Danzig, wo er wohl Ende 1942 den Tod fand. Ludwig und seine Frau Olla waren quasi obdachlos und kamen bei Freunden in Leipzig unter, von wo man sie im September 1942 nach Theresienstadt deportierte. Dort starben sie am 20. April 1944 (Olla) und 8. Dezember 1944 (Ludwig). Nach dem Tod des Frankfurter Inhabers Heinrich Bamberger im Jahr 1934 oblag die Frankfurter Geschäftsführung bis 1940 seinem Vertrauten Piorkowski, der später deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Heinrichs Frau Elisabeth Bamberger gelang im Oktober 1940 die abenteuerliche Ausreise (viermonatige Odyssee) nach Ecuador, während ihre – nicht im Geschäft tätige – Schwester Anna Bamberger mutmaßlich bereits 1941 aus Frankfurt/Main nach Theresienstadt deportiert und dort 1942 ermordet wurde, Bamberger (o. D.), LBI ME 29, S. 24, S. 50. Die Todesumstände sind der zentralen Datenbank des Yad Vashem „THE CENTRAL DATABASE OF SHOAH VICTIMS’ NAMES“ entnommen, unter http://yvng.yadvashem.org/, 20.6.2016.; Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 11. 1707 Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 142 f. 1708 Vgl. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 10; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 142 f., S. 151. 1706

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und Rechtsanwalt Hilperts kam Bamberger erst nach 31 Tagen, Anfang Dezember 1938 wieder frei.1709 Während der Inhaftierung Bambergers hatten sich die NS-Behörden, v. a. die Zollfahndungsstelle und Devisenüberwachungsstelle, verstärkt an der finanziellen Lage der noch bestehenden Bamberger & Hertz-Standorte interessiert gezeigt. Dabei unterstellten sie, dass noch nicht alle Vermögenswerte deklariert seien und Bamberger diese unbemerkt ins Ausland geschafft habe, insbesondere über den grenznahen Standort Köln. Auch Hirmer und dessen Buchhalterin Paula Plötz wurden verhört, da man vermutete, dass alle Gewinne dem Münchner Geschäft und damit insgeheim Fritz Bamberger zufließen würden. Die Suche wurde bald ergebnislos eingestellt. Umgehend nach Fritz Bambergers Entlassung fasste die Familie den Entschluss, mit Hilfe eines befreundeten Ehepaars, die im britischen Konsulat arbeiteten, nach England zu fliehen.1710 Eine Ausreise war zunächst unmöglich, da Bambergers keine sog. „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ des Finanzamtes bei der Ausreise vorlegen konnten. Dazu musste nahezu alles liquide Vermögen enteignet werden. Zum 15. Dezember 1938 erging nach dem Devisengesetz vom 20.2.1937 eine „Sicherungsanordnung“ der Zollfahndungsstelle München für sämtliche Konten der Familie. Auch jegliche Verfügungsrechte über ihr Eigentum verloren sie am 14. Januar 1939, nachdem die „Bayerische Treuhandgesellschaft“ (BTH) zur „Vermögensverwaltung“ eingesetzt und bemüht war, die Privatgrundstücke der Bambergers unter Einheitswert an „arische“ Deutsche zu verkaufen. Denn die BTH bemerkte lakonisch, dass „sobald Herr Fritz Bamberger auszieht, er die Schlüssel übergeben wird“ und damit sind die „Grundstücke schnellstens zu verkaufen durch Makler Graf Arco und von Brentano“.1711 Noch vor Genehmigung der Ausreiseanträge planten die Bambergers ihre Flucht über die Niederlande in die USA. Bevor sie ihr Hab und Gut in Container verstauen konnten, schickte die Zollfahndungsstelle den Frankfurter Kunsthistoriker Dr. Wengenmayr und den Sachverständigen Rueff, welche die Antiquitäten, Kunstwerke und den restlichen Hausstand deutlich unter Wert einschätzten. Etwa ein halbes Dutzend Gegenstände wurde daraufhin von der Gestapo als „Deutsches Kulturgut“ deklariert und andere Teile mussten die Bambergers zu den Schätzpreisen zwangsverkaufen.1712 Nach der persönlichen Auskunft verfügte Fritz Bamberger über erhebliches Privatvermögen an mobilen und immobilen Geldwerten (Tabelle 114). Demgegenüber standen

Die Gründe dafür sind unbekannt, siehe Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 156. Bamberger (1990), LBIO ME 1403, S. 146 f., S. 158. Vgl. Schreiben an Fritz Bamberger betr. vorläufige Sicherungsanordnung vom 15.12.1938, HUA 2013/02/0034, S. 117; Niederschrift für die Bayerische Treuhand-Aktiengesellschaft betreffend Vermögensverwaltung Fritz Bamberger, München vom 14.1.1939, HUA 2013/02/0034, S. 101 ff. 1712 Als „Kulturgut“ deklariert wurden 1 Truhe (nordd. spätes 17. Jhd), 2 Leuchterengel (südd. um 1700), 1 Kommode (franz. 18. Jhd.), 1 Sekretär (franz. 18. Jhd), nach Schreiben an die Wiedergutmachungsbehörde beim Landgericht München I vom 22.10.1958, HUA 2013/02/0006, S. 182 ff.; Schreiben an Henri Heilbronner vom 21.8.1958, HUA 2013/02/0006, S. 294 f. 1709 1710 1711

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ungeachtet des Geschäftsverlustes ein immenser persönlicher und beruflicher Schaden (Tabelle 115). Tab. 114 Vermögensaufstellung Fritz Bamberger (Selbstauskunft), 14. Dezember 19381713 Vermögen

Wert

Einfamilienhaus Redwitzstr. 6, Einheitswert

66.800,00

½ Anteil Einheitswert Grundstück Mauerkircherstr. 123

17.250,00

Bargeld, etc.

899.845,31

Schmuck, Silber, Bestecke, Kunstgegenstände Schulden

5.100,00 160.820, 41

Ausländisches Vermögen Summe

0,00 1.149.815,72

Angaben: in Reichsmark, lfd. Preise; Original: Fragebogen für Auswanderer Fritz Bamberger; Summe durch Autor ergänzt.

Tab. 115 Materielle und immaterielle persönliche Schäden Fritz Bamberger1714 Schäden

Verlust

Judenvermögensabgabe

212.500

Reichsfluchtsteuer

135.273

Auswandererabgabe (10. März 1939) Exportförderungsabgabe Beruflicher Schaden1715 Zerstörung der Wohnung 1938 Geldstrafen Verlust des Umzugsgutes

55.600 12.500 198.000* 16.000 20.000 bis zu 50.0001716

Freiheitsentzug

nicht erstattungsfähig

Schaden an Körper und Gesundheit

nicht erstattungsfähig

Beschlagnahme von Konten

nicht erstattungsfähig

Summe

699.873

Anmerkungen: in Reichsmark, lfd. Preise; * in D-Mark; Summe durch Autor ergänzt.

Aufstellung nach „Fragebogen der Devisenstelle (Ü-Abt.), Ich versichere folgendes Vermögen zu besitzen (Stand 14.12.1938) – Fragebogen für Auswanderer“, siehe Fragebogen der Devisenstelle, München, den 30. Dez. 1938 vom 4.1.1939, HUA 2013/02/0013–1, S. 203. 1714 Aufstellung nach dem Sammelantrag des Herrn A. Bamberger vom 15.9.1950, HUA 2013/10/0004, S. 52 f. 1715 Angesetzt ist das Einkommensverhältnis eines akademisch gebildeten Beamten mit 6.355 DM; Der Bayerische Staat entschädigte Bamberger Ende 1957 mit einer monatlichen Rente von 600 DM und einer Einmalzahlung von 33.900 DM, da Bamberger „aus Gründen der Rasse aus seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit verdrängt und dadurch in seinem beruflichen Fortkommen [ ] benachteiligt wurde“, siehe Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamtes vom 12.12.1957, HUA 2013/10/0004, S. 333 ff. 1716 Der Wert der Möbelwagen betrug nach amtlicher (Gering-)Schätzung 26.000 RM, wovon Bambergers 12.513,50 Exporttaxe an die Golddiskontbank Berlin zahlen mussten sowie 3.500 RM Frachtgebühr im Voraus, siehe Auszug aus den Akten der ehemaligen Außenstelle München-Stadt des BLVW Az. No. 504 vom 16.9.1958, HUA 2013/02/0006, S. 231. 1713

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Neben dem Verlust ihres Unternehmens mussten die Bambergers erhebliche private finanzielle Verluste hinnehmen. Beamte der Gestapo und der Deutschen Kulturkammer enteigneten wertvolle Möbel und Gemälde. Schmuck, Silber und Gold musste die Familie verpfänden. Zudem hatten die Bambergers mehr als 400.000 Reichsmark Steuern in Konsequenz aus der antisemitischen Gesetzgebung zu zahlen, darunter „Judenabgabe“ (212.500), die sog. Reichsfluchtsteuer (135.273) und eine Auswandererabgabe (55.600), bevor sie die „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ und damit gültige Reisepässe erhielten. Zuvor hatten sie noch ihr immobiles Eigentum, das Haus in der Redwitzstraße und ein weiteres Grundstück auf Vermittlung von Ehlers an den Nationalsozialisten und Autohändler Steppacher verkauft – deutlich unter Wert. Jenes Geld, was auf dem Sperrkonto bei Bambergers Ausreise verblieb, wurde durch die Finanzämter „zugunsten des Staates vereinnahmt“. Verbliebene Beträge lagen auf gesperrten Konten, die für ihn bis Ende der 1950er Jahre als US-Staatbürger wegen der Devisenkontrolle nicht greifbar waren. Kurzum, ein materieller Totalverlust. Fritz Bamberger hatte 20 Reichsmark (entsprach 4 US-Dollar) in bar, ein paar Wertgegenstände und das Leben seiner eigenen Familie retten können, als er Deutschland über Zürich verließ und wenig später am 8. April 1939 mit seiner Frau nach England zu den beiden bereits ausgewanderten Kindern floh.1717 In England lebte die Familie unter ärmlichsten Verhältnissen und war auf Hilfe von Freunden und Verwandten angewiesen. Hans Hirmers Kapitalgeber Theodor Döring hatte indes nicht Wort gehalten. Dieser gab sein Versprechen, dass Bamberger von England aus in den Niederlanden über einen Geldbetrag verfügen könne, der ihm „die Gründung einer Existenz im Ausland ermöglichen sollte. „[ ] Meine Bitte jedoch, mir finanzielle Hilfsstellung zu leisten, kam vor taube Ohren. Das war Herr Döring!“ Damit hatte sich Bambergers „Hoffnung [ ] als falsch erwiesen“.1718 Nicht nur das versprochene Geld blieb aus, auch eine Arbeitserlaubnis versagte England den jüdischen Deutschen, die als „Kriegsgegner“ galten. Zu allem Überfluss waren die verbliebenen Habseligkeiten von einer Münchner Spedition in zwei Umzugswagen nach Rotterdam gebracht worden, in der Hoffnung, sie in naher Zukunft nachfolgen zu lassen. Als die Bambergers schließlich am 11. Mai 1940 New York erreichten, unterband der Kriegsausbruch in Holland die angedachte Weiterverschiffung nach Übersee. Die deutsche Besatzungsmacht beschlagnahmte das Umzugsgut der Bambergers, um es zunächst im August 1941 ins holländische Hinterland nach Zutphen „in einen massiven Schuppen“ zu verlagern. Im Oktober und November 1942 transportierte die Wehrmacht die Con-

Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 152, S. 162, 164 f., 168. Angesichts der geltenden Devisenkontrollen muss sowohl Dörings Versprechen als auch Bambergers Glauben daran als gutgläubig bis naiv eingeschätzt werden, vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 16.11.1948, HUA 2013/02/0015, S. 249 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 18.1.1948, HUA 2013/02/0015, S. 275 f. 1717 1718

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tainer nach Westfalen auf Veranlassung des Oberfinanzpräsidenten in Münster „vermutlich zur Verteilung an Bombengeschädigte“.1719 Auf Rat eines Freundes ließen sich die Münchner in Los Angeles nieder. Seines höheren Alters wegen (55 Jahre) fand Bamberger keine Anstellung und war bis 1941 – für ihn ehrabschneidend – auf Kredite seiner US-Verwandten in Höhe von 20.000 Dollar angewiesen. Zusammen mit dem ebenfalls emigrierten Bekleidungsfabrikanten Walter F. Feldberg, dessen Unternehmen im Krieg komplett zerstört wurde, gelang es ihm am 7. Juni 1941, mit einem 4.000-Dollar-Kredit ein eigenes Damenbekleidungsgeschäft namens „Fields“ (abgeleitet von engl. FELDberg) zu eröffnen, das für das Jahr 1942 einen Umsatz von rund 9.000 Dollar aufwies. Seit Eintritt der USA in den Weltkrieg zog die Konjunktur an, junge Frauen kamen in Arbeit und kauften bei „Fields“. Bamberger eröffnete drei weitere Geschäftsstellen im Großraum L. A. Ende 1954 gab er die Geschäfte aus gesundheitlichen Gründen auf, doch die Gewinne ermöglichen es ihm, seine Kapitalschulden zu begleichen.1720 Dieser geschäftliche Erfolg Bambergers und der Erwerb der US-Bürgerschaft machten aus Bamberger fortan den selbstbewussten, auf substanzielle und schnelle Entschädigung setzenden Amerikaner Fred S. Bamberger, der das den Bambergers angetane Unrecht nicht vergessen hatte.1721 Am 19. November 1945 gelang es Hans Hirmer, Fritz Bamberger erstmals seit Kriegsende persönlich zu kontaktieren. Darin bestätigte Hirmer das 1938 gegebene Versprechen, „[ ] dass ich [Hirmer] mich für den Fall, dass sich die allgemeine Situation in Deutschland entsprechend ändern würde, von vorneherein bereit erkläre, Ihnen bzw. Ihrem Sohn die Rückkehr in Ihre Firma grundsätzlich zu ermöglichen. [D]iese Absicht [ist] als Gentlemen-Agreement bestehen geblieben [ ], von mir aus stehe ich zu dem Ihnen damals gegebenen Wort“.

Neben der Bekräftigung des Versprechens bereiteten Hirmer die Auswirkungen des Gesetz Nr. 52 zunehmend Sorgen – insbesondere, dass „irgendein wildfremder zum Treuhänder bestellt würde“.1722 In dieselbe Richtung beunruhigt zeigte sich RechtsVgl. Schreiben an Schade Enquete Commissie, Rotterdam vom 7.9.1954, HUA 2013/02/0006, S. 246 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 13.12.1945, HUA 2013/02/0006, S. 245.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 27.8.1941, HUA 2013/02/0006, S. 244; Schreiben an Dr. Melzer vom 3.9.1958, HUA 2013/02/0006, S. 238 ff.; Schreiben an Dr. Ernst Melzer vom 27.8.1958, HUA 2013/02/0006, S. 232; Schreiben an Fritz Bamberger vom 18.3.1939, HUA 2013/02/0006, S. 116; Bamberger, Lotte: A family history. [1990], Leo Baeck Institute LBI Archives, ME 1403, S. 160. 1720 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 18.1.1948, HUA 2013/02/0015, S. 275 f.; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 186 f.; Bescheid des Bayerischen Landesentschädigungsamt betr. Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen (Rente) (hieraus auch tabellarische Aufstellung), HUA 2013/10/0004; Die Filialen waren: 714 South Hill Street, Los Angeles, 2 in Los Angeles, 1 North Hollywood und eine in Pasadena, siehe Briefkopf Field’s vom 11.6.1948, HUA 2013/02/0015, S. 252. 1721 Vgl. Bamberger (1976), LBI ME 706, S. 11. 1722 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0003, S. 88 f. 1719

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anwalt Hilpert, der am gleichen Tag an Bamberger schrieb. Dieses Gesetz würde die „Blockierung des Vermögens der sog. arisierten Firmen, die Bestellung von Treuhändern für derartige Betriebe und ähnliches“ mehr umfassen. Hilpert erinnerte Bamberger daran, dass die „Überführung der Firma Bamberger & Hertz, München auf die Firma Hirmer & Co. in keinem Punkt den Tatbestand erfüllt, der zu einer Blockierung Anlass bieten könnte, geschweige denn die Bestellung eines fremden Treuhänders [ ]“. Weiter versicherte Hilpert, dass Hirmer „sich Ihnen [Bamberger] gegenüber nach wie vor als Sachwalter fühlt und immer gefühlt hat, dass ihm aber naturgemäß die Einsetzung eines Treuhänders, auf die er keinerlei Einfluss habe, bei seiner eindeutig antinazistischen Haltung ein unerträglicher Gedanke ist“.1723

Nach dem Gesetz Nr. 52 stand Hirmer & Co. als „arisierte Firma“ seit Mai 1945 unter staatlicher Kontrolle. Hirmer galt nicht mehr als Inhaber und Geschäftsführer, die Firma stand unter Vermögenskontrolle. Damit unterlagen sämtliche Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen – außer Steuerzahlungen – einer Sperre. Die Alliierten wollten den „Ariseur“ Hans Hirmer sogar zunächst komplett aus dem Geschäft entfernen. Ende 1946 brachte sich Hilpert als Generalbevollmächtigter Bambergers und zeitgleich von Hirmer & Co. als Treuhänder ins Spiel.1724 Bamberger erteilte Hilpert daraufhin zum 20. April 1946 die Generalvollmacht, „meine Eigentumsrechte in Deutschland zu schützen“. Erstmals sprach sich Bamberger auch dafür aus, Hans Hirmer als Treuhänder einzusetzen.1725 Dieser Plan scheiterte, doch Hilpert erreichte gegenüber den Behörden zumindestens, dass Hirmer Geschäftsführer blieb. Erst am 1. März 1947 verständigten sich alle Seiten auf einen geeigneten Treuhänder, den früheren Angestellten von Bamberger & Hertz in München Lothar Bernstein.1726 Hirmer und Hilpert standen seit ihrem ersten Kontakt zu Bamberger im November 1945 gegenüber Fritz Bamberger uneingeschränkt zum Gentlemen-Agreement von 1938, welches aus Hirmers Sicht ein ordentliches Restitutionsverfahren erübrigte. Doch Bamberger reichte zum 23. August 1946 über seine US-Anwälte seine Wiedergutmachungsansprüche bei der alliierten Zentralstelle in Bad Nauheim ein. Schon Monate zuvor hatte Bamberger seine schriftliche Versicherung abgelehnt, dass die „Übernahme der Firma B&H München in vollstem Einvernehmen geschah“.1727 Hirmer zeigte sich darüber sehr enttäuscht und äußerte sein Unverständnis. Doch Bam-

Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 19.11.1945, HUA 2013/10/0003, S. 145 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 23.1.1946, HUA 2013/10/0003, S. 139 ff. 1724 Vgl. Schreiben an das Landgericht München vom 16.9.1952, HUA 2013/10/0006, S. 40 ff.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 23.1.1946, HUA 2013/10/0003, S. 139 ff. 1725 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 20.4.1946, HUA 2013/02/0015, S. 299. 1726 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 23.6.1947, HUA 2013/10/0001, S. 193 f. 1727 Vgl. Brief von Hans Hirmer an Fritz Bamberger vom 19. November 1945, HUA 2013/10/0003; Ein Schreiben gleichen Inhalts erreicht Fritz Bamberger von Dr. Werner Hilpert: Brief von Dr. Werner Hilpert an Fritz Bamberger vom 19. November 1945, HUA 2013/10/0003. 1723

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berger betonte, dass die Anzeige seiner Ansprüche gegenüber den Behörden geschah, „nicht um Hirmer zu schädigen“, sondern auf Bitten des amerikanischen State Departments. Zudem oblag Bamberger nicht nur die Pflicht, für München eine Regelung zu finden. Er vertrat auch die Ansprüche aller Bamberger Erben in München, Stuttgart, Köln, Leipzig und Frankfurt. Gerade dort müsse man – so Bamberger – mit „etlichen nicht zuverlässigen Personen [rechnen], die für den außergerichtlichen Prozess vielleicht nicht offen sind wie die Herren Döring, Bührer, Steppacher, Bachmann, Maurer, Volkhardt“.1728 Die Münchner Befindlichkeiten mussten hinter die Gesamtrestitution des Bamberger & Hertz- Konzerns sowie des Bamberger-Privatvermögens treten. Bamberger sicherte sich mit diesem Schritt fristgemäß seine rechtlichen Ansprüche gegenüber der Besatzungsverwaltung, um jeder Eventualität zu begegnen. Schließlich wollte er sich alle Optionen für die Rückerstattung – ob per einvernehmlichem Vergleich oder formaljuristischer Auseinandersetzung – offenhalten. Bamberger musste Hilpert und Hirmer – die in ihren Briefen bislang kaum Bezug auf das den Bambergers widerfahrene Martyrium genommen hatten – Anfang Dezember 1945 an seinen inneren Antrieb für das angestrengte Restitutionsverfahren erinnern: „Dass meine sämtlichen vier Geschwister Opfer der Nazi Herrschaft geworden sind und keiner von ihnen den Zusammenbruch des Dritten Reiches erleben durfte, schmerzt mich tief. Ihr tragisches Schicksal gibt mir oft viel zu denken“.

Weiter erinnerte Bamberger seine deutschen Geschäftsfreunde daran, dass er „Deutschland ohne einen Pfennig verlassen“ habe. Er hatte sich „das gesamte Geld zur Gründung meines Geschäftes leihen [müssen]. Ich [werde] an dieser Last noch viele Jahre zu tragen haben. Dass diese Schuld mich sehr drückt – ich bin ja auch heute nicht mehr der Jüngste – brauche ich nicht zu betonen“.1729

Fritz Bamberger war 1945 nicht mehr der Münchner Geschäftsinhaber von 1938. Er war der stolze amerikanische Staatsbürger Fred S. Bamberger, der unter Lebensgefahr aus Deutschland floh, in England – nach eigener Schilderung – hungerte und beschimpft wurde, und schließlich in den USA mit Kredit ein einträgliches Modegeschäft aus dem Nichts gründete. In seinem „zweiten Leben“, welches mit der Emigration begann, verband ihn mit Deutschland, München und Hirmer nur noch eine Leidensgeschichte und das Vertrauen in Hans Hirmer für diese Leiden durch Hirmer & Co. und den deutschen Staat in angemessener Weise entschädigt zu werden. Dieses bekräftigte Bamberger gegenüber Hilpert Anfang 1948 erneut. Er sei nun 63 Jahre alt, habe erhebliche Schulden gemacht und müsse seine vierköpfige Familie und die Schwiegereltern versorgen: Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 3.1.1949, HUA 2013/02/0035, S. 75 f. Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 9.12.1945, HUA 2013/02/0015, S. 305; Schreiben an Dr. Hilpert vom 10.2.1946, HUA 2013/02/0015, S. 300. 1728 1729

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„Mein Streben geht daher danach, durch die Verhandlungen in Deutschland soweit zu kommen, dass ich vor materiellen Sorgen geschützt bin, wenn die Zeit kommt, zu der ich nicht mehr arbeiten kann. [ ] Der materielle Verlust an Nerven und Gesundheit [kann] natürlich nie wieder vollkommen gutgemacht werden“.1730

Im Frühjahr 1946 hatte Bamberger schließlich für seine sämtlichen Ansprüche Hilpert als seinen Mann vor Ort per Generalvollmacht bestimmt. Um eine möglichst einvernehmliche Lösung für München zu finden, wurde Hilpert gleichsam Hirmers rechtlicher Beauftragter. Unter allen Beteiligten genoss Hilpert zweifelsfrei das größte Vertrauen.1731 Der Politiker und Rechtsanwalt nutzte seine Positionen in zentralen Schaltstellen der politischen Willensbildung und konnte sich bis Juni 1946 einen Überblick über die Überbleibsel des Bamberger & Hertz-Konzerns verschaffen. Danach stand „keines der alten B&H-Geschäfte [ ] mehr“. Die Häuser in München, Köln und Stuttgart waren komplett zerstört, das Frankfurter Haus – bis auf das Erdgeschoss – zerstört und Peek & Cloppenburg (welche das Haus gekauft hatten) wie auch Hirmer durch das MilG 52 blockiert. Das Familienhaus in der Frankfurter Roonstraße war ebenfalls völlig zerstört und in Leipzig stand eine ausgebrannte Ruine. Zusammen mit Bamberger entschied Hilpert zwei Arten von Restitutionen zu unterscheiden: Gegen den Fiskus (vornehmlich private Enteignung wie Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer) und gegen die Käufergruppen an den einzelnen Standorten. Neben Hilpert vertrat der frühere deutsche Jurist und nun US-Anwalt Arthur R. Lobe aus Baltimore die ausgewanderten Bambergers aus Frankfurt.1732 Wenige Monate, nachdem sich Hilpert erfolgreich seine durch die Sowjetarmee beschlagnahmten Akten aus Leipzig herbeischaffen konnte1733, trat am 10. November 1947 das Militärgesetz 59 in Kraft. Für die Restitutionsverhandlungen am Standort München existierte nun ein gesetzlicher Rahmen. Nach Artikel 1 konnten alle Personen, denen „aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Weltanschauung oder politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus feststellbarer Vermögensgegenstände entzogen“ worden waren, auf Rückerstattung klagen. Es musste nach Artikel 2 eine „unrechtmäßige Entziehung“ vorliegen, nämlich immer dann, wenn „gegen die Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 18.1.1948, HUA 2013/02/0015, S. 275 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 1.7.1948, HUA 2013/02/0035, S. 82 f. 1731 Nach seiner Verhaftung und Überführung ins KZ Buchenwald am 1. September 1939 wurde der Vorsitzende der Sächsischen Zentrumspartei am 12. April 1945 durch die US-Armee befreit und zunächst von der Militärregierung in Weimar eingesetzt. Nach einer kurzen Tätigkeit als Leipziger Stadtrat setzte ihn die Militärregierung zunächst als Hauptgeschäftsführer der IHK Frankfurt/Main ein. Kurz darauf trat er zunächst als Minister ohne Ressort und später als Finanzminister der Hessischen Landesregierung bei, siehe Eidesstattliche Erklärung von Dr. Werner Hilpert vom 27.11.1945, HUA 2013/02/0015, S. 308 ff.; Schreiben an F. Bamberger vom 21.9.1945, HUA 2013/02/0015, S. 306 f. 1732 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 11.6.1946, HUA 2013/02/0015, S. 95 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 3.3.1947, HUA 2013/02/0015, S. 287. 1733 Vgl. Schreiben an Lobe vom 8.7.1947, HUA 2013/02/0015, S. 286. 1730

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guten Sitten verstoßen“ wurde oder Geschäfte „widerrechtlich oder durch Drohung zustande gekommen“ waren. Nach Artikel 3 waren sog. „Scheinarisierungen“ nicht erstattungsfähig, wenn „ein angemessener Kaufpreis bezahlt wurde und der Verkäufer über dieses Geld frei verfügen konnte“. Allerdings verfügte Artikel 4, dass alle Geschäfte nach dem 15. September 1935 (Datum der Nürnberger Gesetze) rückerstattungsfähig waren, „da eine Zwangslage des Veräußerers angenommen werden kann“. Gültige Transfers im Sinne des Gesetzes waren nur solche, wenn diese ohne die NS-Herrschaft zustande gekommen wären oder der Käufer den Verkäufer erheblich begünstigt hatte (etwa Geldzahlungen ins Ausland).1734 Fritz Bamberger reichte nach Bekanntgabe des MilG 59 am 7. Dezember 1948 beim Zentralmeldeamt in Bad Nauheim seinen Rückerstattungsanspruch offiziell ein – äußerst genau hatte er in einem „Blue Book“ über alle Ansprüche und entstandenen Verluste Buch geführt. Laut Lotte Bamberger soll Hirmer sich über dieses Vorgehen – die nun endgültig beschlossene juristische Auseinandersetzung – stark geärgert haben.1735 Zusammen mit Hilpert hatte Bamberger für München drei Untergruppen der Restitution ins Auge gefasst: Erstens, seine Privatgrundstücke in München (Neueigentümer Steppacher und Dr. Volkhardt), zweitens seine Forderungen an das frühere Reich (Steuern, Judenvermögensabgabe, Reichsfluchtsteuer) und drittens Forderungen gegen die Hirmer & Co. KG. Auch wenn der formale Rechtsweg beschritten war, riet Hilpert Bamberger eindringlich: „Der Anspruch gegen Hirmer & Co. muss m. E. im Vergleichswege Erledigung finden. [ ] Dieses Ziel sollte sein, Sie an der Firma erneut zu beteiligen, damit – wir müssen ja nicht alle Hoffnung aufgeben – Ihnen bzw. Ihrer Familie eine laufende Rente zufliesst, die sobald die Transferfrage geklärt ist, dann einen wirklichen Vorteil für Sie bietet“.1736

Bamberger knüpfte seinerseits Bedingungen an den Hilpert’schen Vorschlag einer „neuen“ Gesellschaft Hirmer & Co. mit veränderter Kommanditisten-Struktur: „Ich stehe der von Ihnen [Hilpert] vorgeschlagenen Lösung 1 sympathisch gegenüber. Ich bin der Auffassung, dass Hirmer persönlich haftender Gesellschafter ist und ich Kommanditist bin. [ ] Notwendig erscheint mir, dass Doering jr. aus der Gesellschaft ausscheidet. Herrn Haller in der Gesellschaft zu belassen, erscheint mir ebenfalls unnötig. Für mich ist [ ] das Wichtigste, dass wir – wie Sie richtig schreiben – einen Weg finden, der durch Transfer oder Tausch mir noch einen positiven Nutzen zu Teil werden lässt“.1737

Köln und Leipzig bleiben vorerst unberücksichtigt, siehe Schreiben an Fred S. Bamberger vom 4.12.1947, HUA 2013/02/0015, S. 281 f. 1735 Vgl. Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern vom 21. November 1949, zit. nach HUA 2012/11/0001, S. 53; Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 217. 1736 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 2.4.1948, HUA 2013/02/0015, S. 270 f. 1737 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 16.11.1948, HUA 2013/02/0015, S. 249 ff. 1734

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Der größte Kapitalgeber Hirmers, Theodor Döring, war am 25. Februar 1947 verstorben.1738 Der Sohn, Kurt Döring, erbte des Vaters Kommanditanteil. Einen Bezug zur Firma hatte der ehemalige Berufssoldat und jetzige Besitzer des väterlichen Gartenbaubetriebs und Mineralöl- und Autozubehörhändlers nicht.1739 Emil Haller dagegen zeigte sich über seine Nichtberücksichtigung durch Bamberger tief enttäuscht. Mit der Arisierung des Kölner Hauses war Haller als Geschäftsführer der neuen Firma Hansen & Co. aufgetreten. Haller betonte, dass er sich große Verdienste um den Bamberger & Hertz-Konzern, gerade zwischen 1933 und 1945, erworben habe. So stritt er für den Standort Frankfurt, „wo kaum ein anderer im Konzern die Zivilcourage aufgebracht hätte“. Für Köln, so Haller, war es sein „persönlicher Verdienst, dass die Firma nicht bereits 1941 (Betriebsauskämmung) und 1942 (erster Tausend-Bomber-Angriff) erloschen ist. [ ], dass Köln überhaupt noch am Leben blieb, [ist] wohl auch für Herrn Bamberger nicht unbedeutend“.1740 Ende Dezember 1948 einigte sich Hilpert schließlich mit Philipp Auerbach, dem Generalanwalt für Wiedergutmachung und dem Präsidenten der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern, Endres, auf einen „modus procendi“ im bevorstehenden Wiedergutmachungsprozess. Demnach sollte nur die „Rückgabe des Geschäftes“ im Mittelpunkt des Verfahrens stehen. Einen Monat später, am 20. Januar 1949, erwirkte Hilpert beim Landesamt für Wiedergutmachung ein „beschleunigtes Verfahren“, in dem es zu einer sogenannten „Güte-Verhandlung“ mit dem Ziel eines Vergleiches kommen sollte. Nach diesem Vergleich sollte Bamberger durch „Naturalrestitution“ (Rückgabe des Geschäftes) entschädigt und damit die bestehende Gesellschaft aufgelöst werden. Hirmer zeigte sich mit diesem Vorgehen „absolut einverstanden, weil er [Hirmer] die Kette loswerden will und muss“.1741 Der Vorschlag „Naturalrestitution“ zirkulierte im Frühjahr 1949 zwischen allen Beteiligten und schlug hohe Wellen. In den Augen Hallers und Dörings war dies „das Schreiben an das Landgericht München I vom 16. September 1952 betr. Hirmer vs. Döring, HUA 2013/10/0006. 1739 Kurt Döring war nach 1945 als Geschäftsführer der AVUS Vertriebsgesellschaft mbH, Hamburg (Handel mit Autozubehörteilen) tätig. Der am 23. Juli 1897 in Oldenburg geborene Kaufmann nahm zwischen 1915 und 1918 am Ersten Weltkrieg in Belgien und Frankreich teil. Zwischen 1920 und 1931 war er Sachbearbeiter im Verkauf/Außendienst der Fa. Rhenania-Ossag (Shell), sowie zwischen 1931 und 1933 deren Verkaufsleiter in Stettin. Zwischen August 1933 bis Ende 1934 machte sich Döring in der Kurt Döring & Co., Stettin (Mineralölhandel) selbstständig. Döring wurde dann Mitglied des NS-Kraftfahrkorps (NSKK) („zur Erhaltung meiner internationalen Sportfahrerlizenz“), wurde jedoch im Frühjahr 1934 „wegen politischer Unzuverlässigkeit suspendiert“. So kehrte er zur Wehrmacht zurück („weil ich die dauernde Einmischung der Fachschaft in meine Firma satt hatte“) und wurde im Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien, Polen, Frankreich, Rumänien, Russland, zuletzt Ungarn (bis April 1945) eingesetzt. Er schied als Oberstleutnant am 31. März 1945 aus, siehe Auskunft über Kurt Döring vom 3.7.1951, HUA 2013/10/0006, S. 5.; Schreiben an Hans Hirmer vom 31.1.1949, HUA 2013/02/0015, S. 223 f.; Selbstauskunft Kurt Döring vom 22.7.1917, HUA 2013/02/0033, S. 233 f. 1740 Vgl. Brief von Emil Haller an Dr. Werner Hilpert vom 25. Oktober 1949, HUA 2013/10/0003. 1741 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 30.12.1948, HUA 2013/02/0015, S. 243. 1738

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Ungünstigste, was eintreten könnte“. Beide votieren für die „3 plus 1-Lösung“ – einer Fortführung der alten Gesellschaft unter Hinzuziehung Bambergers. Indes bestanden Hirmer und Hilpert auf einer „1+1-Lösung“, der Neugründung einer Gesellschaft unter Ausschluss von Haller und Döring. Nachdem die Position Hallers und Dörings gegen die Interessen Bambergers und gegen die Wiedergutmachungsbehörde nicht durchsetzbar waren, stimmten beide Kommanditen der Auflösung zu. Die drei „alten“ Kommanditisten sollten zusammen 75.000 D-Mark Abfindung für ihre Anteile erhalten. Hirmer erklärte sich daraufhin vertraulich gegenüber Hilpert und Bamberger einverstanden „in der Voraussetzung, dass Fritz Bamberger mit mir das Geschäft fortführt und ich mit eigenem entsprechenden Kapital und Gewinn beteiligt bin“. Schließlich empfahl Hilpert auch Bamberger, diesen Vergleich anzunehmen und nicht „das Verfahren streitig durchzuführen, weil zuviel Zeit verloren geht, [ ], wir wollen die alten Fehler des zu langen Beratens nicht wiederholen“.1742 Bamberger ging nach reiflicher Überlegung im Mai 1949 mit der „1+1-Lösung“ d’accord. Sein Ziel sei es, die „Gesellschaft mit Herrn Hirmer fortzusetzen“, bei gleichzeitiger Abfindung der drei alten Gesellschafter Hirmer, Haller und Döring. Ein Ausscheiden von Döring und Haller blieb für Bamberger eine conditio sine qua non.1743 Nachdem die Wiedergutmachungsbehörde über den Vergleichsvorschlag „Naturalrestitution und Barabfindung“ informiert war, erarbeitete Hilpert bis Oktober 1949 einen Vergleichsentwurf für die Behörde.1744 Umstritten waren zu diesem Zeitpunkt drei Teilbereiche des Vergleichs. Die steuerrechtliche Stellung der Gesellschaft, die starke Rolle Hirmers in der Gesellschaft und die Gewinnverteilung. Bambergers amerikanische Steueranwälte zeigten sich mit der Gesellschaftsform sehr unzufrieden. Die angedachte Kommanditgesellschaft war aus US-Sicht eine „Lösung, die völlig ruinös“ wirken konnte, da Bamberger – so die Einschätzung der Anwälte – als amerikanischer Staatsbürger auch ausländische Einkünfte vorab in den USA versteuern müsse, ohne über seine „deutschen“ Erträge aufgrund der devisenrechtlichen Bestimmungen verfügen oder sie in die USA transferieren zu können. Eine Kommanditgesellschaft auf Aktien bzw. eine Aktiengesellschaft wäre steuerrechtlich die finanziell deutlich vorteilhaftere Lösung für Bamberger.1745 Zum anderen kritisierten Bambergers US-Anwälte, die den Restitutionsantrag formuliert hatten, die angedachte starke Stellung Hirmers. Vor allem die Höhe seines Geschäftsführergehaltes stand in Frage. Hilpert verwies immer wieder auf die Aufbauleistung und Geschäftstüchtigkeit Hirmers, der Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 7.1.1949, HUA 2013/02/0015, S. 239 ff. Warum das Verhältnis zwischen Bamberger und Haller so nachhaltig gestört war, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Denkbar ist, Bamberger Haller dessen Nähe zu den lokalen Parteistellen und sein selbstbewusstes Auftreten nach Kriegsende übelnahm. 1744 Vgl. Aktennotiz über die Besprechung vom 25.8.1949, HUA 2013/02/0015, S. 216 f.; Vergleichentwurf vom 5.10.1949, HUA 2013/02/0015, S. 201. 1745 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 9.11.1949, HUA 2013/02/0015, S. 172 ff. 1742 1743

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„persönlich überhaupt das restitutionsfähige Objekt geschaffen [hat], denn der lebende Betrieb, der seinerzeit [ ] auf Hirmer und Gesellschafter überging, ist in der Bombennacht verschwunden [ ]. Es hat Leute gegeben, die in diesen Nächten die Nerven verloren haben. [ ] Hirmer hat nicht dazu gehört und acht Tage später wieder [ ] einen neuen Betrieb erstellt [ ]“.1746

Doch Bamberger blieb wegen des aus seiner Sicht zu hoch angesetzten, festen Geschäftsführergehaltes von Hirmer in Höhe von 3.000 D-Mark „nicht sehr glücklich“. Bamberger fürchtete, dass so der nicht prognostizierbare Geschäftsgewinn auf Dauer unnötig belastet werden würde. Er schlug ein geringeres Festgehalt von 1.500 D-Mark plus einen variablen Zuschlag in Höhe von zehn Prozent des Nettoreingewinns vor. Hilpert gelang es, Bamberger von der höheren Entlohnung von 3.000 D-Mark zu überzeugen, da „Hirmer Einkauf, Verkauf und Decoration macht und die Umsätze zahlenmäßig an Höchstumsätze von B&H München bei weniger Unkosten herankommen“. Zustimmung fand indes die Lösung einer 50:50 Gewinnteilung plus fünf Prozent Kapitalverzinsung. Nachdem die Streitfragen teilweise geklärt waren, drängte Hilpert nun auf einen schnellen Vergleichsabschluss, damit Hirmer & Co. nicht mehr unter Aufsicht stehen musste, „während Nazi-Kollegen tun und lassen können, was sie wollen“.1747 Am 21. November 1949 schloss Hilpert als Vertreter Bambergers mit dem „Antragsgegner“ Hans Hirmer, der in Vollmacht aller Anteilseigner von Hirmer & Co. agierte, in einer nichtöffentlichen Sitzung vor der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern in München den ausgehandelten Vergleich. Danach musste die Firma „Hirmer & Co. an [Fritz Bamberger] ihr gesamtes Vermögen, wie es geht und steht, [zum] 21. Juni 1948 zurück“ geben und auch alle Kriegssachschädenansprüche waren damit abgetreten. Hirmer & Co. hatte an diesem Tag nach elf Jahren aufgehört zu existieren. Im Gegenzug verpflichtete sich Bamberger, „auf weitergehende Ansprüche“ zu verzichten. In Abgeltung der drei früheren Anteileigner zahlte Bamberger – aus dem Firmenvermögen – die ausgemachten 75.000 D-Mark. Bamberger trat durch diesen Vergleich auch seine ihm „zustehenden Wiedergutmachungsansprüche in der Höhe des [ ] am 4.11.1938 vereinbarten, aber nicht zu seiner freien Verfügung gelangten Kaufpreisanteils [an] die Gesellschafter [ ] der Fa. Hirmer ab“. Damit waren nun „alle Ansprüche [ ] nach MilG 59 gegenseitig abgegolten“. Im zweiten Teil des Vergleiches folgte auf die Löschung der Alt-Firma die Errichtung der neuen, gleichnamigen Firma Hirmer & Co. KG, München. In dieser Neuauflage galt Hans Hirmer als persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) und Bamberger als dessen einziger Kommanditist. Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger, o. D., HUA 2013/02/0015, S. 221 ff. Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 30.5.1949, HUA 2013/02/0035, S. 64 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 20.10.1949, HUA 2013/02/0015, S. 191 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 30.5.1949, HUA 2013/02/0035, S. 64 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 20.10.1949, HUA 2013/02/0015, S. 191 ff. 1746 1747

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Die alten Teilhaber Döring und Haller schieden rückwirkend zum 21. Juni 1948 (dem Tag der ersten DM-Bilanzierung) aus. Schließlich konnte die neue Gesellschaft nun die „sofortige Aufhebung der Treuhandverwaltung und Freilassung des Vermögens“ erfolgreich beantragen. Hirmer und Bamberger teilten etwaige Gewinne und Verluste aus ihrem gemeinsamen Geschäft fortan zu je 50 Prozent. Laut Eröffnungsbilanz vom 21. Juni 1948 hielt Bamberger 69 Prozent, Hirmer 31 Prozent des Stammkapitals der Firma. Dem Gesellschaftsvertrag vom 16. August 1950 zufolge sollte die Fa. Hirmer mit Herren- und Knabenkleidung sowie einschlägigen Nebenartikeln im Münchner Textileinzelhandel Fuß fassen. Paragraph 11 der Vereinbarung sicherte Bamberger und auch dessen Sohn zu, „jederzeit“ als persönlich haftender Gesellschafter einzutreten. Paragraph 12 verfügte, dass Bamberger jederzeit seinen Unternehmensanteil an Hirmer veräußern konnte und auch, dass Hirmer verpflichtet war, diesen zu übernehmen.1748 Wie ist der getroffene Vergleich einzuschätzen? Nach mehr als vier Jahren der treuhänderischen Verwaltung konnte unbestreitbar eine Lösung gefunden werden, die es ermöglichte, dass sich die Firma Hirmer & Co. nun endlich auf ihr Kerngeschäft – den Verkauf von Herren- und Knabenkleidung – konzentrieren konnte. Ein langwieriger, öffentlicher Prozess mit vielleicht geschäftsschädigenden Auswirkungen konnte so abgewendet werden. Dies lag vor allem in Hans Hirmers Interesse. Er hatte durch den Vergleich seine führende Stellung im Unternehmen behalten dürfen und war gegenüber Bamberger im Sinne des Gentlemen-Agreements von 1938 nicht wortbrüchig geworden. Die vereinbarte „Rückkehr in seine Firma“ hatte Bambergers konkrete Funktion schon 1938 offen gelassen. Bamberger flüchtete als Inhaber und kehrte als Teilhaber seiner Firma zurück. Bamberger zog es nie wieder zurück nach Deutschland. Es war nie sein erkennbares Ziel, wieder geschäftlich in Deutschland Fuß zu fassen. Die Teilhaberschaft verstand er als „stille“ Teilhaberschaft, aus der ihm so schnell wie möglich eine angemessene geldliche Entschädigung für das erlittene Unrecht erwachsen sollte. Doch eine Teilhaberschaft in einer Kommanditgesellschaft bedeutete für einen „Devisenausländer“ wie Bamberger konkret noch sehr wenig. Das steuer- und devisenrechtliche Argument – Sperrung seines deutschen Vermögens und Doppelbesteuerung – konnte nicht außer Acht gelassen werden. Bamberger befürchtete zurecht, anfallende Gewinne sowohl in Deutschland als auch in den USA versteuern zu müssen. Ein Transfer der DM-Gewinne und Konvertierung in Dollar brachte 1949 erheblichen Verlust. Somit profitierte Bamberger von der Vergleichslösung ungleich weniger als Hirmer es tat. Genau diese Einsicht Bambergers führte im Jahr 1950 zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen Bamberger auf der einen und Hilpert und Hirmer auf der anderen Seite des Atlantiks. Anderthalb Monate nach Vergleichsabschluss warf Bamberger seinem

Vgl. Niederschrift des Vergleichs vor der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern vom 21.11.1949, HUA 2013/02/0013–1, S. 155 ff.; Vermerk von Dr. Hilpert vom 29.9.1950, HUA 2013/10/0001, S. 333 ff. 1748

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Bevollmächtigten Hilpert offen vor, dass dieser ihn im Vergleichsabschluss benachteiligt habe. Bambergers Erträge und Gewinne würden wegen der Devisenbestimmungen nicht zu ihm in die USA gelangen und zudem schwebe die Gefahr einer Doppelbesteuerung über ihm. Hilpert verteidigte die Lösung, da nach seinen Informationen „Erträge aus hiesigen Objekten, die im Rückerstattungsverfahren amerikanischen Bürgern wieder zugekommen sind, solange drüben nicht als steuerpflichtig behandelt [werden], als sie nicht transferiert werden können oder aus sonstigen Gründen blockiert sind“. Bambergers Steueranwälte widersprachen daraufhin Hilperts Einschätzung energisch, wonach die Nicht-Besteuerung von Erträgen aus Restitutionsobjekten zwar in den USA Brauch, aber eben kein Gesetz sei und es mittlerweile schon mehrere gegenteilige Präzedenzfälle gegeben hätte.1749 Eines der Hauptprobleme der sich aufschaukelnden Eskalation waren die teils zeitlich verzögerten Briefwechsel zwischen Hirmer, Hilpert und Bamberger. Bamberger hatte schon seit Ende 1949 auf ein persönliches Treffen gedrängt und zeigte sich besonders angesichts der Unstimmigkeiten Anfang 1950 enttäuscht, dass Hirmer und Hilpert wiederholt seine Einladungen in die USA ausschlugen, obwohl doch „alle wissen, dass eine gegenseitige Aussprache vieles erleichtern würde“.1750 Anfang März 1950 zeigte Hilpert endlich Verständnis für Bambergers Wunsch und brachte erstmals einen „Ausstieg durch Abfindung“ ins Spiel: „[Sie wollen] so schnell wie möglich in den Besitz frei verfügbarer Valuta kommen. Ein Verkauf ihrer Beteiligung muss für Sie interessanter sein, als wie die Fortsetzung der Beteiligung“. Hilpert hatte diesen Vorschlag zuvor mit Hirmer abgestimmt, der nur bereit war, Bamberger abzufinden, wenn Bambergers Anteil an Hirmer selbst fiel und keinem Dritten zugänglich gemacht werden würde. Aus Hirmers Sicht musste ein „zweiter Döring“ bei Hirmer & Co. um jeden Preis verhindert werden, auch wenn dies bedeuten musste, die Firma in eine GmbH umzuwandeln.1751 Bamberger schien sich unsicher, ob er diesem Vorschlag zustimmen sollte und entschied sich im Herbst 1950 mit seiner Frau Lotte für drei Monate nach München zu reisen. Hier trafen Bamberger und Hirmer erstmals nach dem Kriegsende persönlich aufeinander. Lotte Bamberger erinnerte sich später, dass die Stimmung äußerst angespannt war. Hirmer habe immer wieder betont, dass es ohne ihn kein Geschäft und damit keine Möglichkeit der Wiedergutmachung geben würde. Bamberger hielt – nach Lotte Bambergers Erinnerungen – dagegen, dass Hirmer nur dank Bamberger überhaupt etwas zum Verhandeln in der Hand hätte. Hirmer soll – so Lotte Bamberger – sogar damit gedroht haben, ein neues Geschäft in Konkurrenz zum „alten“ Hirmer

Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 5.1.1950, HUA 2013/10/0003, S. 134 ff.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 15.1.1950, HUA 2013/02/0015, S. 141.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 1.2.1950, HUA 2013/02/0015, S. 135 ff. 1750 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 19.1.1950, HUA 2013/02/0035, S. 54 f. 1751 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 3.3.1950, HUA 2013/02/0015, S. 115 ff. 1749

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zu gründen (wohl auf dem Ruinengrundstück, welches wenige Monate später C&A Brenninkmeyer erwarb1752). Am Ende blieben, so Lotte Bamberger, alle ungeklärten Fragen offen. Die Bambergers verließen München mit „ein wenig Geld zu miserablen Wechselkursen“.1753 Ganz so unbeweglich war Hirmer jedoch nicht geblieben, denn diese persönliche Begegnung muss auf ihn Eindruck gemacht haben. Noch während die Bambergers in München weilten, besprach Hirmer erstmals mit Hilpert die Idee, „125.000 DM Darlehen übergangsweise“ zur Verfügung zu stellen, d. h. in die USA an Bamberger zu überweisen.1754 Zeitgleich wies Hirmer seine rechte Hand, die Buchhalterin Plötz an, die Auswirkungen einer generellen „Globalabfindung“ Bambergers auf die Bilanzen der Firma zu prüfen. Plötz kam in ihren Berechnungen zu einem für Hirmer durchaus negativen Ergebnis: Allgemein sprachen aus ihrer Sicht gewichtige Gründe gegen eine Barabfindung: Die Fixkosten des Geschäftes seien unkalkulierbar. Hirmer habe keinen sicheren Mietvertrag, zudem Miet- und Steuerschulden. Hohe Bau- und Instandsetzungskosten sowie steigende Reklamekosten verschleierten die ausgewiesenen Gewinne. Die „hohen“ Gewinne seien der „Nachholbedarf “-Konjunktur geschuldet und könnten – angesichts der hohen Kosten und der nervösen Konjunktur – schnell einbrechen. Insgesamt, so resümierte sie, „stehen die Unkosten derzeit noch in keinem Verhältnis, da der ganze Betrieb erst umgestellt werden muss und sich im Aufbau befindet [und] die politische Lage vollkommen ungeklärt ist“.1755 Mit denselben Argumenten versuchte Hilpert Bamberger nun zu überzeugen, dass jener sich aus diesen Gründen doch mit seiner 50 Prozent-Gewinnbeteiligung als „Kompensation für den finanziellen Schaden“ abfinden solle. Sollte Bamberger dennoch auf einer Abfindung bestehen, so erklärte Hilpert ihm weiter, könnte diese erst bei einem dauerhaften Mietvertrag gezahlt werden. Generell sei eine Abfindung von 400.000 D-Mark „das Äußerste an finanzieller Anspannung“. Diese Summe basierte auf Hirmers äußerst vorsichtiger Geschäftsprognose. Danach rechnete er mit einem durchschnittlichen Reingewinn der nächsten Jahre von 160.000 D-Mark pro Jahr. Davon wären 80.000 D-Mark brutto an Bamberger abzüglich 60 Prozent deutscher Einkommenssteuer geflossen. Legt man die vereinbarte Netto-Gewinnausschüttung von 32.000 D-Mark pro Jahr zugrunde, so sollten die 400.000 D-Mark Bamberger für 12,5 Jahre Teilhaberschaft am Geschäft entschädigen. Bis Februar 1951 wiederholte Hirmer sein Angebot gegenüber Bamberger (400.000 netto oder 500.000 brutto).1756 Wie pessimistisch die Schätzungen Hirmers Anfang 1951 angesichts der tatsächlichen Geschäftsentwicklung zwischen 1951 und 1961 waren, wird noch zu zeigen sein.

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Vgl. Spoerer (2016), C&A, S. 281, bes. Übersicht 5.5, S. 288. Vgl. Bamberger (1990), LBI ME 1403, S. 218 f. Vgl. Vermerk von Dr. Hilpert vom 29.9.1950, HUA 2013/10/0001, S. 333 ff. Vgl. Stellungnahme von Paula Plötz vom 22.9.1950, HUA 2013/10/0003, S. 326 ff. Vgl. Vermerk von Dr. Hilpert vom 29.9.1950, HUA 2013/10/0001, S. 333 ff.

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Bamberger akzeptierte das Angebot mit der Auflage, die seit Monaten zurückgehaltenen 125.000 D-Mark als erste „Anzahlung“ und Zeichen des guten Willens zu überweisen.1757 Doch auch im Frühjahr 1951 verweigerte Hirmer diese Anzahlung mit Verweis auf die gestiegenen Spesen, die sinkende Rentabilität und „insbesondere den Mietpreis, die verstärkte Reklame, die zunehmende Konkurrenz Brenninkmeyer [und das] Personal“. Aus Hirmers Sicht musste das „Improvisieren ein Ende haben“. Auch wenn Hirmer zusagte, im Todesfall Bambergers seiner Witwe eine lebenslange monatliche Rente von 1.000 DM zu zahlen1758, galt auch im Frühjahr 1951 für Hirmer das Motto: Erst das Geschäft, dann Bamberger. Um das Verhalten Hirmers gegenüber Bamberger besser einordnen zu können, müssen die Restitutionsverhandlungen über das Grundstück Kaufingerstraße 22 geschildert werden. Das Problem und die Lösung der Mietfrage sind auf das Engste mit den Restitutionsverhandlungen zwischen Hirmer und Bamberger verknüpft. Das Geschäftshaus Kaufingerstraße 22 beherbergte vor seiner Zerstörung verschiedene Textilgeschäfte: Hirmer & Co., Lodenfrey, Werner & Spier KG, das Schuhhaus „National“ und das Damenmodehaus Stalf.1759 Das jüdische Eigentümerehepaar des Geschäftshauses Kaufingerstraße 22 war zu Kriegsende tot. Julius Basch starb am 30.9.1940, beerbt durch seine Frau Else Basch, die am 18.6.1944 nach Theresienstadt deportiert und ermordet wurde. Als Alleinerbe hatten beide ihren Sohn Ernst Basch bestimmt. Fritz Bamberger hatte im alten Mietvertrag ein Vorkaufsrecht für sich im Falle des Gebäudeverkaufs vereinbart, welches mit dem Übergang des Geschäftes auf Hirmer & Co erlosch. Aufgrund der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ wurde zum 3. Dezember 1938 auch Basch enteignet. Hirmer schloss mit dem eingesetzten Treuhänder und SA-Brigadeführer Gotthold Dziewas ab dem 8. Februar 1939 einen neuen Mietvertrag.1760 Am 20. Januar 1940 erwarb die „Allianz und Stuttgarter Verein Versicherungs-AG“ das Grundstück und Gebäude für 1,674 Millionen Reichsmark. Die Allianz sah den Kauf als Kapitalanlage und verpflichtete sich, das Geschäftshaus weiter mit Hirmer und den anderen Mietern zu führen und geltende Mietverträge über 1952 hinaus zu verlängern.1761 Vgl. Aktenvermerk vom 26.2.1951, HUA 2013/10/0003, S. 11 f. Vgl. Stichworte zur Frage, o. D. HUA 2013/10/0003, S. 8 f. Vgl. Gutachten über Mietwert von Geschäftsräumen im Anwesen Kaufingerstraße 22, München, HUA 2013/10/0002, S. 641 ff. 1760 Vgl. Teil-Beschluss wegen Rückerstattung eines Grundstückes der Wiedergutmachungskammer I Oberbayern vom 13.11.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 42 ff.; Schreiben an Hirmer & Co. vom 1.11.1938, HUA 2013/02/0013–2, S. 291; Mietvertrag vom 8.2.1939, HUA 2013/02/0013–2, S. 278 ff.; Abschrift einer Erklärung von Julius Basch vom 13.2.1939, HUA 2013/02/0013–2, S. 284. 1761 Vom Kaufpreis kamen 439.269 Reichsmark auf ein Abwicklungs- und Treuhandkonto von Julius Basch, siehe Vereinbarung zwischen der Allianz und Stuttgarter Verein Versicherungs-AG und Hirmer & Co. vom 19.1.1940, HUA 2013/02/0013–2, S. 281 ff.; Vergleich(svorschlag) der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern vom 22.2.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 205 ff. Hirmer gelang es gegenüber den anderen Mietern deutlich besser gestellt zu werden. Er erhielt ein Vormietrecht für frei werdende Räume im Gebäude, er 1757 1758 1759

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Der in die USA geflüchtete Ernest B. Ashton (ehemals Ernst Basch) meldete am 14. September 1948 Wiedergutmachungsansprüche wegen „Unangemessenheit des Kaufpreises“ und „schwerer Entziehung“ gegenüber der Allianz an. Die Allianz wehrte sich vehement gegen den Vorwurf der Arisierung, indem sie den Preis als angemessen und den Verkauf als „Gefallen“ umdeutete: „Die Preisprüfungsbehörden [haben] zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrages nur solche Preise bewilligt, die nicht höher als 20 Prozent über dem Einheitswert [ ] lagen. Der von uns bezahlte Kaufpreis liegt aber schon etwas über 20 Prozent des Einheitswertes. Von der Ausübung eines Zwanges [ ] kann gewiss keine Rede sein. Das Grundstück stand 2 Jahre zum Verkauf, ehe wir den Kaufvertrag abgeschlossen haben. [ ] [Wir haben] das Angebot zweimal bereits abgelehnt, weil der Kaufpreis als zu hoch erachtet worden ist. [ ] [Man] entschloss sich nur deshalb zur Annahme des Angebotes, weil man dem Verkäufer behilflich sein wollte. [ ] [I]nsofern [hat die Allianz] einen Gefallen erwiesen, als keine Interessenten für dieses große Objekt vorhanden gewesen seien und die Eheleute Basch durch den Verkauf die Möglichkeit gehabt hätten, auszuwandern“.1762

Die Wiedergutmachungskammer entschied in einem Teil-Beschluss im November 1950 auf „Entziehung durch Staatsakt“, der „ausschließlich aus rassischen Gründen vorgenommen“ worden war. Dem Urteil nach sei bei diesem Geschäft die Angemessenheit des Kaufpreises unerheblich. Eine „schwere Entziehung“ lag nach Ansicht des Gerichtes nicht vor. Dagegen sei von „einfacher Entziehung“ zu sprechen, da „allgemein bestehender Kollektivzwang nicht durch ein eigenes verwerfliches Vorgehen zu Ihren Gunsten unterstützt“ wurde.1763 Was war bis zu diesem Kammerspruch 1950 indes mit dem Grundstück passiert? Ende April 1947 standen die Gebäudereste und das Grundstück unter Treuhand des Maklers August Bogenberger. Bogenberger hatte im Interesse des Erben Ashton bereits Kontakte zu potenziellen Investoren wegen der Frage des Wiederaufbaus geknüpft. Der Warenhauskonzern Emil Köster AG, der die in jüdischen Besitz befindlichen Deutsche-Familienkaufhaus-Filialen DeFaKa übernommen hatte, trat an den Treuhänder mit dem Versprechen heran, dass Grundstück und Gebäude schnell und kapitalkräftig instand zu setzen. Zum Glück für Hirmer hatte Rechtsanwalt Hilpert von den Verkaufsabsichten des Treuhänders Kenntnis bekommen und in Hirmers Namen Einspruch gegen die Verhandlungen mit Köster eingelegt. Hirmers rechtlicher Auffassung nach, besaß sein Unternehmen einen bis 1952 gültigen Mietvertrag mit der durfte in größere Räume umziehen und sämtliche Umbaupläne konnten zugunsten des Hirmer-Geschäfts angepasst werden. 1762 Vgl. Widerspruch der Allianz Versicherungs-A. G. bei der Wiedergutmachungskammer beim Landgericht München vom 19.6.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 137 f.; Teil-Beschluss wegen Rückerstattung eines Grundstückes der Wiedergutmachungskammer I Oberbayern vom 13.11.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 42 ff. 1763 Vgl. Teil-Beschluss wegen Rückerstattung eines Grundstückes der Wiedergutmachungskammer I Oberbayern vom 13.11.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 42 ff.

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Allianz. Bogenberger widersprach und wies darauf hin, dass das Gebäude völlig zerstört sei, und zudem jahrelang keine Mietzahlung von Hirmer erfolgt und damit der Mietvertrag erloschen sei. Köster sei, so Bogenbacher, bereit, für den Komplettneubau 700.000 Reichsmark zu investieren. Der Treuhänder bot Hirmer aber an, anstelle Kösters dieselbe Summe zu investieren, und so den Vorzug zu erhalten. Doch für Hirmer waren diese Kosten Mitte 1947 zu hoch.1764 Da der Treuhänder, der Erbe Ashton und auch die IHK München (als lizensierende Behörde) dem Köster-Angebot positiv gegenüberstanden, versuchten Hirmer und Hilpert, sowohl Bamberger als auch die IHK vom Schaden einer Köster-Investition zu überzeugen. Bamberger war sich schnell mit Hirmer einig, dass ein Mietvertrag als Voraussetzung für eine Naturalrestitution seines Unternehmens vorliegen müsse. Hirmer intervenierte zudem erfolgreich bei der IHK. Die Kammer hatte dem Investitionsantrag Kösters nur unter der Bedingung zugestimmt, dass Hirmer Hauptmieter werden würde. Zwar versicherte Köster dies schriftlich, doch Hirmer hielt diese Absicht für verlogen: „Wir haben zur Firma Köster keine Verbindung“. Köster baue nur auf, „um selbst darin ein Kaufhaus zu errichten“. Daraufhin zog die IHK ihre Zustimmung gegenüber Köster zurück. Für das Jahr 1947 war das Vorgehen Kösters indes typisch. Ausgebombte und brachliegende Geschäftsgrundstücke in besten Lagen wurden über Treuhänder angefragt. Noch bevor die endgültigen Genehmigungen erteilt waren, bauten die Investoren, um Fakten zu schaffen und dann eine Lizenzierung zu erzwingen.1765 Einen ähnlichen Gedankengang musste auch Hirmer im Sommer 1947 gehabt haben, als er sich entschloss, in Baumaterial zu investieren und „auf eigene Faust“ auf dem Grundstück den Wiederaufbau einzuleiten. Gerne hätte Hirmer das finanzielle Risiko verteilt. Er bat den ehemaligen Mieter Stalf, ebenfalls zu investieren. Dieser signalisierte durchaus Interesse, in ein aufgebautes Geschäftshaus einzuziehen, doch anders als Hirmer hielt Stalf nichts von rechtlich unsicheren Investitionen und schloss sich dem Wiederaufbau nicht an. Hirmer zeigte sich daraufhin entschlossen und hatte bereits um die Jahreswende 1947/48 die Kellerräume und Schaufenster wiederhergerichtet, um Textilien an die Münchner verkaufen zu können.1766 Im Dezember 1948 kam Bewegung in den Rechtsstreit um die Eigentümerschaft der Immobilie. Zwar verweigerte sich die Allianz den Rückerstattungsforderungen des

Vgl. Schreiben an Fa. Josef Landstorfer vom 29.4.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 269 f.; Schreiben an den Staatssekretär Geiger vom 9.6.1947, HUA 2013/10/0002, S. 323; Schreiben an Dr. Hilpert vom 6.5.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 265; Schreiben an Dr. Hilpert vom 3.10.1947, HUA 2013/10/0002, S. 298; Schreiben an Hans Hirmer vom 28.10.1947, HUA 2013/10/0002, S. 293. 1765 Vgl. Schreiben an den Stadtrat der Landeshauptstadt München vom 1.8.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 260; Schreiben an Hans Hirmer vom 16.8.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 263; Schreiben an die Industrieund Handelskammer München vom 27.8.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 261; Schreiben an Dr. Hilpert vom 27.8.1947, HUA 2013/02/0013–2, S. 259. 1766 Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 29.6.1947, HUA 2013/01/0011, S. 92. 1764

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Erben Ashton, sie drängte nun aber auf einen außergerichtlichen Vergleich. Auch um einen langen Prozess vermeiden zu können, war die Allianz zu einem „freiwilligen Entgegenkommen bereit, um [ ] klare Rechtsverhältnisse zu schaffen“. Die Versicherung bot an, eine vierprozentige Hypothek zu 200.000 D-Mark zugunsten von Ashton auf das Grundstück eintragen zu lassen, im Gegenzug sollte Ashton auf alle Wiedergutmachungsleistungen verzichten. Ashton lehnte ab und forderte 400.000 D-Mark, was die Allianz ablehnte. In dieser Auseinandersetzung lagen die Interessen Hirmers – der Wiederaufbau und Wiederbezug der angestammten Geschäftsräume – eindeutig auf Seiten der Allianz. Diese hatte das Mietrecht Hirmers indirekt anerkannt, indem sie versicherte, auch künftig das „Vorrecht zur Ermietung der [ ] benötigten Räume [ ] einzuräumen“, wenn denn Fritz Bamberger seinerseits auf alle Ansprüche gegenüber der Allianz verzichten würde.1767 Doch für Bamberger bestand im Januar 1949 „gegenüber der Allianz keinerlei Veranlassung, auf einen aus dem [ ] Verkaufsrecht eventuell herzuleitenden Anspruch [ ] zu verzichten“. Eine solche Verzichtserklärung würde er nur dann abgeben, wenn Hirmer & Co. tatsächlich einen rechtlich gesicherten Mietvertrag mit der Allianz ausgehandelt haben sollte. Klar war allen Beteiligten, dass Investitionen in das zerstörte Grundstück vor einer Lösung dieser Rechtsfrage nicht vorgenommen werden würden. Hirmer selbst erhoffte im Mai 1949 einen positiven Vergleich zugunsten der Allianz: „Das Günstigste wäre für uns, wenn die Allianz die Inhaberin des Gebäudes bleiben würde“. Hirmer sah in der Lösung dieses Rechtsstreites seine vordringlichste Aufgabe. Er ging sogar soweit, sich unter Umständen finanziell am Vergleich zugunsten der Allianz zu beteiligen, indem „in irgendwelcher Form Mittel und Wege gefunden würden zu einem Entgegenkommen [Hirmers] der Allianz gegenüber“.1768 Ungeachtet der weiteren rechtlichen Schritte hatte sich Hirmer im Frühjahr 1949 bei den Finanzbehörden um eine Stundung seiner Steuerzahlungen bemüht. Als eine solche Vereinbarung im Mai 1949 zustande kam, konnte Hirmer erstmals konkrete Baumaßnahmen aus kurzfristigen Mitteln finanzieren. Zusammen mit dem Zeichner und Grafiker Ehlers plante Hirmer „zunächst den ersten Stock im alten Haus auf eigenes Risiko auszubauen“. Bis zum 1. Juli 1949 sollten insgesamt 70.000 D-Mark investiert werden. Verschärfend wirkte, dass die Behörden Hirmers Geschäftsbetrieb in der Neuhauserstraße untersagt hatten, da hier nun ein anderes Rückerstattungsverfahren anhängig war. Zudem geriet Hirmer mit seinem kleinen Provisorium immer mehr ins Hintertreffen. So berichtete Hirmer Bamberger von der wiedererstarkten Konkurrenz, die längst größere Um- oder Neubauten vorgenommen hatte. Konen („wiederaufgebautes Haus“), Knagge & Peitz („Verkaufsräume wesentlich erweitert“), Lodenfrey Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 7.12.1948, HUA 2013/02/0013–2, S. 246; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 11.12.1948, HUA 2013/02/0015, S. 247 f. 1768 Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 7.1.1949, HUA 2013/02/0015, S. 232; Schreiben an Dr. Hilpert vom 13.5.1949, HUA 2013/02/0013–2, S. 241. 1767

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(„Eröffnung eines Neubaus im August 1949“), Oberpollinger („sämtliche Fenster stehen wieder zu Verfügung“) und Hettlage („steht wie früher“) seien deutlich besser sichtbar in Münchens Innenstadt und attraktiver für zunehmend kaufwillige Kundschaft. Diese hätte zu allem Überfluss sogar Schwierigkeiten, bei Hirmer den versteckten Eingang in der Kapellstraße zu finden. Daher sei es, so Hirmer, „höchste Zeit, dass wir aus [ ] der Neuhauserstr. herauskommen, sie wird an allen Ecken und Enden zu klein, [ ] manche Artikel können wegen des Platzmangels nicht forciert werden“.1769 Es galt für Hirmer also das Motto „Zuerst das Geschäft, dann Bamberger“. Zum 1. Juli 1949 konnte Hirmer den Verkauf in den wiederhergerichteten Räumen der Kaufingerstraße 22 offiziell beginnen – zunächst im Keller- und Erdgeschoss und mit provisorischen Schaufenstern. Bis Ende September 1949 gelang es – weiterhin „ohne vertragliche Sicherung“ – das Geschäft im Erdgeschoss sowie im 1. und 2. Obergeschoss bezugsfertig auszubauen. Die ertragreiche Änderungsabteilung und Schneiderei aus der Neuhauserstraße 50 und Klenzestraße 85 konnten endlich umgezogen werden. Hirmer & Co. hatte nun bereits ca. 200.000 D-Mark investiert. Im Herbst erreichte Hirmer schließlich zumindestens eine „Duldung des Aufbaus“ durch den Treuhänder und Basch-Erben, da er geltend machte, dass der Aufbau im Interesse des späteren Eigentümers lag und „aus eigenen Mitteln in vollem Umfang bestritten“ wurde.1770 Nach zähen Verhandlungen gelang auf Vermittlung von Hirmer und Hilpert am 25. Oktober 1949 ein widerruflicher Vergleichsabschluss, nach dem die Allianz bereit war, an Ashton 440.000 D-Mark Abfindung zu zahlen. Hirmer unterstützte die Allianz-Zahlung mit 20.000 D-Mark, und sollte damit rechtsgültig das erloschene Vorkaufsrecht als nun „dinglich Berechtigter“ in der Angelegenheit Kaufingerstraße zugesprochen bekommen. Zu Hirmers Entsetzen ließ Ashton im November 1949 diesen Vergleich unerwartet platzen, erklärte sich zu keinem weiteren Vergleich bereit und strebte nun eine Klärung vor dem Landgericht an.1771 Auch einem Vorschlag der Wiedergutmachungsbehörde im Februar 1950 stimmte Ashton nicht um.1772 Sein Anwalt erklärte knapp: „Scheinbar hat weder Dr. Hilpert noch die Allianz verstanden, dass wir das Grundstück zurückverlangen und an Geld Vgl. Vermerk von Dr. Hilpert vom 29.9.1950, HUA 2013/10/0001, S. 333 ff.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 13.5.1949, HUA 2013/02/0013–2, S. 242 f. 1770 Vgl. Aktennotiz über die Besprechung vom 25.8.1949, HUA 2013/02/0015, S. 216 f.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 20.10.1949, HUA 2013/02/0015, S. 191 ff.; Aktennotiz über die Besprechung vom 25.8.1949, HUA 2013/02/0013–2, S. 238 f.; Schreiben an Staatsekretär Dr. Walter Strauss vom 5.2.1951, HUA 2013/02/00014, S. 412 ff. 1771 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 20.10.1949, HUA 2013/02/0015, S. 191 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 5.10.1949, HUA 2013/02/0013–2, S. 226; Schreiben an die Widergutmachungsbehörde (WB I) Oberbayern vom 30.11.1949, HUA 2013/02/0015, S. 142. 1772 Die Wiedergutmachungsbehörde schlug folgendes vor: 440.000 DM Abfindung (60.000 sofort, Rest in 19 Jahresraten) mit Sicherungshypothek; Wiedereintragung des Bamberger Vorkaufsrechtes und damit Aufhebung der Treuhand- und Sicherungsmaßnahmen, siehe Vergleich(svorschlag) der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern vom 22.2.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 205 ff. 1769

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nicht interessiert sind“. Hirmer wusste, dass alle Investitionen und das Geschäft stark gefährdet waren, würde die Allianz den Prozess und das Gebäude verlieren. Eine etwaige Abmachung wie zur Allianz hatte Hirmer mit Ashton bislang nicht. So galt auch im Frühjahr 1950: Fakten schaffen und höchste Priorität den Baumaßnahmen. Bamberger gegenüber argumentierte Hirmer also folgerichtig im April 1950 strikt geschäftstechnisch, als er schrieb, dass die „Räume wieder zu klein sind, um eine reibungslose Abwicklung des Geschäftes zu gewährleisten“ und er dringende Überlegungen mit Ehlers anstelle, den dritten Stock auszubauen.1773 Die Investitionskosten beliefen sich auf nunmehr über 330.000 D-Mark. Dank dieser gewaltigen Investitionen war das Gebäude „geschäftsfähig“ geworden und erwirtschaftete gute Umsätze – dank Hirmer. Dieser ging nun in die Offensive und erhöhte den Druck auf die Allianz und Ashton, zu einem Vergleich zu kommen. Sollte dieser scheitern, drohte Hirmer allen Beteiligten mit Regressansprüchen. Er, Hirmer, habe die Aufbauleistung bewerkstelligt und so erst ein Restitutionsobjekt geschaffen, abgesehen von seinem rechtlich garantierten Vorkaufsrecht.1774 Dies war bemerkenswerterweise die gleiche Argumentation, die er auch gegenüber Bamberger vertrat. Der Druck zeigte im Juni 1950 erste Wirkungen. Die Wiedergutmachungskammer erkannte, dass das „lokalwirtschaftliche Problem Hirmer & Co. insbesondere in Verbindung mit den erheblichen Bauaufwendungen von z. Zt. 325.000 DM von maßgeblicher Bedeutung für die Behandlung des ganzen Falles ist“. Die Allianz war nun bereit, sich mit Ashton über 500.000 D-Mark zu vergleichen. Dazu müsse Hirmer entweder den Differenzbetrag zu den vormaligen 440.000 D-Mark zahlen oder auf eine Verrechnung der Wiederaufbaukosten mit der Miete verzichten. Hirmer lehnte beides ab. Im Herbst 1950 rechnete er fest mit einem Eigentümerwechsel und prüfte, ob Hirmer & Co. in der Lage wäre, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen. Nach seinen Berechnungen hätte er allein für das 1.200 qm große Grundstück 990.000 D-Mark aufbringen müssen.1775 Dies wäre Hirmer wohl kurzfristig nicht möglich gewesen. Tatsächlich entschied die Wiedergutmachungskammer Ende 1950 in dem eingangs zitierten Teilbeschluss auf Naturalrestitution des Grundstücks zugunsten des Erben Ashton und entzog Hirmer das Vorkaufsrecht für das Grundstück.1776 Da die Allianz diesem Vergleich widersprach, versuchte Ashton, nun wiederum Hirmer zu überzeu-

Vgl. Schreiben an RA Dr. Georg Goetz vom 5.7.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 123; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 28.4.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 193. 1774 Vgl. Schreiben an die Allianz Versicherungs-A. G., München, o. D., HUA 2013/02/0013–2, S. 179; Schreiben an Basch-Ashton, o. D., HUA 2013/02/0013–2, S. 172 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 13.6.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 140 ff. 1775 Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 20.6.1950, HUA 2013/02/0015, S. 50 f.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 19. September 1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 80. 1776 Vgl. Teil-Beschluss wegen Rückerstattung eines Grundstückes der Wiedergutmachungskammer I Oberbayern vom 13.11.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 42 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 25.10.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 65 ff. 1773

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gen, die Allianz zur Zustimmung zu bewegen. Sollte Hirmer dies gelingen, sicherte Ashton ihm ein Vorkaufsrecht und einen langjährigen Mietvertrag bis 1960 zu – unter Verrechnung der durch Hirmer geleisteten Baukosten. Hirmer ging zwar nicht auf dieses Angebot ein, da Ashton nur eine zwölfmonatige Kündigungsfrist versprach. Doch er setzte weiter auf eine geldliche Abfindung Ashtons durch die Allianz, die ihm weiter ein Verkaufsrecht offenhielt.1777 Mitte Mai 1951 trafen sich daraufhin Hilpert und Ashtons Anwalt. Ashton wollte jeden Vergleich ablehnen, „der unter einer siebenstelligen Zahl liege“ und er bestand auf einer Sofortzahlung von 700.000 D-Mark. Auf Vermittlung von Hilpert kam der finale Vergleich schließlich zustande. Zum 7. Juni 1951 blieb das Grundstück bei der Allianz gegen Zahlung von 1,1 Millionen D-Mark an Ashton. Sämtliche Wiedergutmachungsansprüche waren damit abgegolten. Hirmer verpflichtete sich, die Zinsen der 400.000 DM-Hypothek in vierteljährlichen Raten zu neun Prozent an Ashton zu zahlen und dessen gesamte Anwalts- und Prozesskosten zu übernehmen. Im Gegenzug erhielt Hirmer den lang ersehnten Zehnjahres-Mietvertrag.1778 Hirmer hatte erst mit Lösung der Rechtsstreitigkeiten um das Stammhaus im Sommer 1951 endgültige Gewissheit und finanzielle Planungssicherheit.1779 Und damit gerieten die Verhandlungen um die Abfindung und den Ausstieg Fritz Bambergers wieder ins Zentrum. Hirmers Angebot einer Abfindung von 400.000 D-Mark stand im Raum und Bamberger drängte auf ein Zeichen des guten Willens – der Vorauszahlung der von Hirmer zugesagten 125.000 D-Mark. Am 16. März 1951 schrieb Hilpert in dieser Sache an Bamberger: „Voraussetzung [sei] immer, devisenrechtlich eine einwandfreie Möglichkeit zu schaffen. [ ] Ein Anlass für Ihre Ungeduld [ist] nicht vorhanden.

Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 27.11.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 18; Schreiben an Samuel Ackermann and Co., Inc vom 27.1.1951, HUA 2013/02/00014, S. 430 ff.; Schreiben an Dr. Hilpert vom 4.12.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 2. 1778 Der Betrag von 1,1 Mio. D-Mark wurde durch eine Sicherungshypothek auf das Grundstück festgehalten: 700.000 DM wurden sofort, der Rest von 400.000 DM zu sechs Prozent Zinsen nach zehn Jahren ausgezahlt, siehe Vergleich wegen Rückerstattung vom 7.6.1951, HUA 2013/10/0001, S. 111; Vermerk zur Besprechung mit Herrn Dr. Kellogg vom 14.5.1951, HUA 2013/02/00014, S. 274 f.; Vermerk Dr. Hilpert vom 2.7.1951, HUA 2013/10/0001, S. 12 f. Die Jahresmiete betrug 130.000 DM plus ein Prozent Umsatzmiete (bei einem Jahresumsatz über vier Millionen DM). Auch gewährte die Allianz einen Baukostenzuschuss von 300.000 DM, der mit den 400.000 DM über zehn Jahre verrechnet wurde. Somit musste Hirmer monatliche Zahlungen von 10.000 DM aus dem Vergleich heraus leisten, siehe Vereinbarung vom 15.6.1951, HUA 2013/10/0002, S. 132 f.; Vereinbarung zwischen Allianz Versicherungs-AG und Hirmer & Co., o. D., HUA 2013/02/00014, S. 176 f. 1779 Bis Ende Juni waren die Gesamtinvestitionen in das Geschäftshaus auf 515.541, 47 DM angewachsen, siehe Aufstellung „Hausbau“ vom 25.6.1951, HUA 2013/10/0002, S. 79. Darüber hinaus existierten bereits Planungen zum Ausbau des 5. Stocks, dazu noch etliche Arbeiten am Lichthof, Schaufenstern und der Einbau von Aufzügen, im Gesamtwert von nochmals mindestens 500.000 DM, siehe Schätzung des Anwesens Kaufingerstrasse 22 vom 17.4.1951, HUA 2013/02/00014, S. 494 ff.; Vermerk über Besprechung vom 10.8.1951, HUA 2013/10/0002, S. 48. 1777

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[ ] Wir müssen uns alle mit den gegebenen Tatbeständen abfinden“.1780 Auch Hirmer schrieb an diesem Tag an Bamberger und wurde noch deutlicher: „Ich habe Ihnen die 125.000 DM nicht überwiesen und kann Sie Ihnen auch nicht überweisen [ ] Der Hauskauf [Kaufingerstraße 22] würde sehr große Mittel erfordern“. Die Abfindung für Kommanditbeteiligung müsse warten, da die „Sicherung der Gesellschaft hinsichtlich [ ] des Anwesens vordringlich sein muss, weil davon die Entwicklung [ ] eindeutig und ausschließlich abhängt“.1781

Wie muss die Absage auf Fritz Bamberger gewirkt haben, im Wissen, dass das gemeinsame Geschäft in Textilwaren derart blühte und die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzten? Wie verletzend musste die stete Betonung sein, dass alle verfügbaren Barmittel doch in das deutsche Geschäft und dessen Wiederaufbau zu stecken waren? Die Ungeduld, die Hilpert und Hirmer dem emigrierten Bamberger zu dieser Zeit vorwarfen, rührte von einer für die Zeit typischen egozentrisch-technokratischen Sichtweise her. Natürlich war Hirmer gezwungen, schleunigst bessere und größere Räumlichkeiten zu finden. Dazu gehörte auch, möglichst schnell einen Vergleich zwischen der Allianz und Ashton – auch unter erheblicher finanzieller Beteiligung – herbeizuführen. Doch wie stand es um Hirmers moralische Verpflichtung gegenüber Bamberger? Alles was Hirmer half, die Unwägbarkeiten während der Kriegszeiten zu überstehen, hatte er als Mitarbeiter von Bamberger selbst während des Ersten Weltkrieges gelernt. Bamberger hatte ihn nach 1945 nicht nur im Unternehmen belassen, sondern auch an exponierter Stelle. Bamberger stimmte auch gegen den Rat seiner Anwälte für die für ihn ungünstigere Kommanditgesellschaft. Mit über 60 Jahren konnte und wollte Bamberger nicht Teil des Unternehmens sein, er wollte als Kommanditist möglichst zeitnah durch die Gewinne der Firma kompensiert werden und sich nicht auf zukünftige Jahre vertrösten lassen. Hirmers Grundsatz „Erst das Geschäft, dann die Restitution“ verletzte Bamberger aufs Tiefste. So schrieb er am 6. Mai 1951 sehr verärgert an Hirmer zurück: „Es fehlen mir die Worte, um Ihnen meine außerordentliche Enttäuschung über Ihre neuerliche Absage zum Ausdruck zu bringen. Seit 12 Jahren bin ich der Nutzungen meines Unternehmens beraubt. Seit Monaten warte ich darauf, dass Sie die mir im Herbst gegebene Zusage, einstweilen den Betrag von 125.000 DM mir zu überweisen, erfüllen. Immer wieder begegne ich neuen Einwendungen, obwohl sich an den tatsächlichen Verhältnissen, nämlich den ungeklärten Mietsverhältnissen, nicht das Geringste geändert hat. [ ]; [I]ch vermisse leider bei Ihnen die erforderliche Rücksichtnahme und das Verständnis für

1780 1781

Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 16.3.1951, HUA 2013/10/0001, S. 131 ff. Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 16.4.1951, HUA 2013/10/0003, S. 46 f.

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die Dringlichkeit der von mir gewünschten Ausschüttung [ ] [zu der Sie sich] verpflichtet fühlen sollten“.1782

Bamberger drängte weiter auf den vereinbarten Anzahlungsbetrag, in der Absicht auch „die steuerlichen Folgen in Kauf nehmen zu müssen, wenn ich je etwas von den Gewinnen der Firma sehen will“. Als Zeichen seines guten Willens ermäßigte er seine Forderung auf 66.285 DM.1783 Das Verhältnis Bamberger – Hirmer hatte im Frühjahr 1951 seinen Tiefpunkt erreicht. Wie konnte es im Herbst 1950 bis Frühjahr 1951 zu dieser dramatischen Verschlechterung, ja dem drohenden Bruch der langen Freundschaft kommen? Aus Sicht von Bamberger hatte Hirmer nicht nur über 500.000 DM aus der Firma genommen und in den Geschäftsaufbau gesteckt, er zeigte sich auch willens sich erheblich finanziell gegenüber der Allianz zu engagieren. Bambergers Anspruch auf finanzielle Transferleistungen in Höhe von 125.000 D-Mark waren aus der Perspektive der verausgabten und geplanten Baukosten ein Bruchteil und wurden derweil hinten angestellt. Bamberger fühlte sich – ob seines Martyriums – finanziell und menschlich von Hirmer und auch Hilpert in dieser Zeit eindeutig geringgeschätzt und in seinem Anliegen missverstanden. Bambergers Forderungen sollten das Geschäft nicht schädigen, aber er wollte dem Geschäftsgewinn nach angemessen und schnell finanziell beteiligt werden. Hirmer sollte sich – in den Augen Bambergers – im selben Maße gegenüber Bamberger engagiert zeigen wie auch dem Geschäft gegenüber. Für Hirmer galt jedoch „zuerst das Geschäft, dann Bamberger“. Hirmer sah die Lösung der Mietfrage und den Aufbau des Geschäftes als Voraussetzung für eine angemessene Abfindung Bambergers. Aus seiner Perspektive bestand in der Frage Bamberger kein Zeitdruck. Den Gewinn seines Geschäftes sah er vorerst dringlicher in das Geschäft investiert als einen Großteil des Geschäftsgewinns durch Konvertierung und Besteuerung zu verlieren, die eine Überweisung an Bamberger nach sich zog. Hier lag der moralische Dissens der Auseinandersetzung. Wachstum ging vor Wiedergutmachung. Um den Bruch der Freundschaft nicht zu provozieren, entschied sich Hirmer, Ende Oktober 1951 nach Los Angeles zu Bamberger zu reisen, um die Differenzen beizulegen. Zwischen Mai und Oktober 1951 waren – wie beschrieben – der Vergleich und auch fast alle dringlichen Bauarbeiten abgeschlossen worden. Ohne diesen Druck, ohne Ratgeber und Anwälte und auf neutralem Terrain in Los Angeles verlief die Begegnung harmonischer, als es das Frühjahr vermuten ließ.1784 Beide einigten sich zum 2. November 1951 im gegenseitigen Einvernehmen auf einen Abfindungsvertrag, der rückwirkend zum 1. Januar 1951 galt. Demnach vereinbarten beide eine Abfindung von 687.654 D-Mark, wovon bereits 87.654 D-Mark gezahlt wurden (1945–1950) und damit 1782 1783 1784

Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 6.5.1951, HUA 2013/10/0001, S. 218 f. Vgl. ebd. Vgl. Bamberger (1990),LBI ME 1403, S. 222 f.

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noch vier Raten ausstanden: 300.000 D-Mark (1951) und drei mal 100.000 D-Mark (1952–1954). Die Steuern teilten sich beide. Hirmer übernahm die anfallenden deutschen, Bamberger die amerikanischen Steuern. Sämtliche Zahlungen wurden auf ein Sperrkonto bei der Berliner Handelsbank einbezahlt (es galten immer noch Devisenbeschränkungen in Deutschland).1785 Erst mit dieser Einigung im November 1951 konnte das aufgestaute Misstrauen beseitigt werden und die Familien Bamberger und Hirmer waren auf die kommenden Jahrzehnte eng freundschaftlich verbunden.1786 Lotte Bamberger schränkte in ihren Erinnerungen indes den wahren Wert der Vereinbarung für Fritz Bamberger ein: „[mit dieser Vereinbarung war Fritz] nie wirklich zufrieden. Denn [Fritz] kam nie über den Verlust seines Münchner Geschäfts hinweg, welches er aufgebaut hatte – schließlich war [das Geschäft] trotz der schwierigen Umstände 1914 zu einem der bedeutendsten Herrenbekleidungsläden Deutschlands herangewachsen“.1787

7.2.2

Zurück zur Normalität (1949 bis 1952)

Ab dem Sommer 1949 setzte in der jungen Bundesrepublik langsam wieder eine Art „Konsumnormalität“ ein, die ihren wirklichen „Take-Off “ infolge des Korea-Krieges ab Sommer 1950 erlebte. Das reale Bruttosozialprodukt wuchs zwischen 1948 und 1960 jährlich um durchschnittlich 9,3 Prozent. Hier profitierte auch der Textileinzelhandel vom kriegsinduzierten „Rekonstruktionswachstum“, das bis Ende der 1960er Jahre andauerte.1788 Mit dieser Normalität der Verhältnisse traten wieder jene Konfliktfelder innerhalb der Branche und zwischen dem Einzelhandel und seinen Vorlieferanten und Kunden zu Tage, die mit Ende der Weimarer Republik überlagert wurden. Im Folgenden sollen die Kontinuitätslinien und Brüche auf den Feldern Verbandsarbeit, Konkurrenz- und Wettbewerbssituation sowie Rationalisierung kompakt dargestellt werden.

Vgl. Vereinbarung zwischen Fred S. Bamberger und Hans Hirmer vom 2. November 1951, HUA 2013/10/0003, S. 2. 1786 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 67; Ende Februar (21.2.1957) kam es zu Nachverhandlungen des Vergleichs betr. der (rechtmäßigen) Abtretung der Rückerstattungsansprüche des nicht zur Verwendung gekommenen Kaufpreises, da die Verwendung des Kaufpreises, d. h. der Nachweis über den Entzug durch Staats- und Parteidienststellen, bisher nicht gegeben war; ein Einzahlen auf das Sperrkonto reichte als Nachweis nicht aus, siehe Beschluss der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern vom 21.2.1957, HUA 2013/02/0013–1, S. 146 ff. 1787 Paraphrasierte Übersetzung und Kursivstellung durch den Autor, siehe Bamberger (1990),LBI ME 1403, S. 225. beginnt bei Zeile 5. 1788 Vgl. Kleinschmidt (2008), S. 131–135; Spoerer/Streb (2013), S. 217 ff.; 230. 1785

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

7.2.2.1

Reorganisation der Verbände

Mit Kriegsende lösten die Alliierten die nationalsozialistischen Selbstverwaltungskörper der Wirtschaft auf – darunter auch die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel und ihre untergliederten Fachgruppen. Mit alliierter Genehmigung entstanden in den Westzonen bald Orts-, Bezirks- und später Landesverbände des Einzelhandels. In der USZone gründeten sich zunächst regional abgegrenzte Einzelhandelsverbände (Bayern, Hessen und Württemberg-Baden), die bald defacto eine Zonenarbeitsgemeinschaft bildeten, formal aber getrennt arbeiteten. Am stärksten regional getrennt blieben die Landesverbände des Einzelhandels in der französischen Zone (Süd-Württemberg, Süd-Baden und Rheinland-Pfalz).1789 Die verbandliche Integration war in der britischen Zone mit dem „Einzelhandelsverband der britischen Zone“ (EHBZ) am weitesten fortgeschritten. Unter der Federführung des dortigen Geschäftsführers Franz Effer1790 begann der EHBZ ab Oktober 1946, erste Kontakte in die US-Zone zu knüpfen.1791 Im Juni 1947 schlossen sich die neun Landesverbände der Bizone zunächst zu einer zonenübergreifenden Arbeitsgemeinschaft zusammen.1792 Stark integrierend wirkte der politische Kampf gegen Großbetriebe, gegen den Schwarzmarkt und die weiter bestehende Textilbewirtschaftung.1793 So vollendete die Arbeitsgemeinschaft nach wenigen Wochen ihre Arbeit und gründete am 12. September 1947 die Hauptgemeinschaft des Einzelhandels (HDE). Die neue Spitzenorganisation mit Sitz in Bonn, später Frankfurt am Main, vertrat nun die

TW, Wie steht es um den Textil-Einzelhandel?, 19.8.1947. Franz Effer war vor 1945 in der Reichsgruppe Handel tätig. Nach Kriegsende wurde Effer zum Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes in die britische Zone berufen, aus dem 1947 die HDE hervorging. 1956 wählte die HDE Effer zum geschäftsführenden Präsidialmitglied. Effer legte zum 30. April 1969, kurz nach seinem 70. Geburtstag, seine öffentlichen Ämter nieder, siehe „Portrait der Wirtschaft – Franz Effer“, in: Hamburger Abendblatt, 26.4.1969, unter http://www.abendblatt.de/archiv/1969/article 201129897/Portraet-der-Wirtschaft.html, 15.10.2015. 1791 Dem ersten Präsidium des EHBZ (1946/47) gehörten Gregor van Endert (Münster), Adolf C. Nickelsen (Kiel) und Wilhelm Naegel (Hannover) an. Auf der ersten Beiratstagung im Oktober 1946 beschloss man erste programmatische Punkte – etwa einen „Kampf um Preise und Handelsspannen“ und man setzte sich für ein Nachwuchsprogramms in Kooperation mit Arbeitsämtern und Gewerkschaften ein, siehe TW, Vom Einzelhandel der britischen Zone, 24.10.1946; TW, Die großen Fragen, 1.5.1947. 1792 Das Arbeitsgremium bestand aus den Vorsitzenden der neun Landesverbände, unter ihnen Hans Schmitz (Godesberg), Georg Geier und Wilhelm Naegel (Hannover). Geschäftsführer blieb Franz Effer, siehe TW, Zusammenarbeit im Einzelhandel, 22.7.1947. 1793 Im August 1947 warnten die Einzelhandelsverbände der US-Zone etwa „vor der Ausdehnung des Kompensations- und Tauschverkehrs, des Prämien- und Deputatssystems sowie einer stillen oder offiziellen Duldung des Grauen Marktes“ und forderten „schärfste Maßnahmen gegen den Schwarzen Markt“. Weiter erneuerten sie ihre Kritik am „Ausbau des Netzes von Großwarenhauskonzernen, [am] Eindringen von Industriekonzernen und [an der] steuerlichen Bevorzugung von Konsumvereinen“, siehe TW, Forderungen des Einzelhandels, 5.8.1947. 1789 1790

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(zumeist mittelständischen) Interessen von 200.000 Einzelhändlern.1794 Auf der ersten Delegiertenversammlung am 4. und 5 Oktober 1949 wurden die vier Landesverbände der französischen Zone in die HDE aufgenommen. HDE-Präsident Hans Schmitz betonte den Dachverbandscharakter.1795 Der deutsche Einzelhandel sei nun „nicht mehr isoliert“. Man werde sich bemühen, „immer mehr Brücken zum Verbraucher, insbesondere zu den Gewerkschaften, zur Industrie und vor allem zum Großhandel“ zu bauen. Die HDE strebe, so Schmitz, nach „Rationalisierung der Betriebe“, bekenne sich zur „Politik der verantwortungsbewußten Preisbildung“ und zur sozialen Marktwirtschaft.1796 Am 5. Februar 1948 gründeten neun Landesverbände des Textileinzelhandels auf einer gemeinsamen Tagung in Stuttgart die „Gemeinschaft Textileinzelhandel des Vereinigten Wirtschaftsgebietes“, die bald in Hauptverband des Textileinzelhandels (HdT) umbenannt wurde. Unter dem Vorsitz von Wilhelm Naegel1797 und dem Geschäftsführer Rudolf Hartmann1798 wandte sich die HdT ebenfalls gegen die Textilbewirtschaftung („Bewirtschaftungsmethoden sind Zwangswirtschaft“) und wollte sich sehr aktiv in die politische Diskussion einbringen.1799 Mit der Neugründung der Arbeitsgemeinschaft Oberbekleidung innerhalb des HdT am 28. April 1949 war die verbandliche Neuaufstellung des Textileinzelhandels vorerst abgeschlossen.1800 Das Präsidium bestand aus Hans Schmitz (Vorsitz), Georg Geier (1. Stv.) und Wilhelm Naegel (2. Stv.). Die Geschäftsführung oblag Franz Effer, siehe TW, Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, 30.9.1947. 1795 Hans Schmitz (*1896, gest. 1986) war gelernter Kaufmann („Seidenhaus Schmitz“, Bonn). Er hatte 1925 in Bonn ein Spezialstoffgeschäft mit einigen Filialen errichtet (Düsseldorf, Duisburg, Dortmund, Köln) und dieses ab 1938 zur Textilgroßhandlung mit angeschlossenem Fabrikationsbetrieb (ab 1945) ausgebaut. Schmitz führte die HDE von 1947 bis 1966. 1949 zog er für die CDU in den Bundestag ein, siehe http://www.kgparl.de/online-volksvertretung/pdf/mdb-s.pdf; http://www.abendblatt.de/archiv/1961/ article200558957/Portraet-der-Wirtschaft.html, 8.9.2016. 1796 TW, Soll und Haben des Einzelhandels, 6.10.1949. 1797 Wilhelm Naegel war zugleich Vizepräsident der HDE sowie Mitbegründer der CDU in Hannover und der britischen Zone sowie Mitglied des Wirtschaftsrates, Präsident des Einzelhandelsverbandes Niedersachsen und Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages sowie Abgeordneter des Deutschen Bundestages (Stand August 1948). Naegel wurde am 3. August 1904 geboren und schloss Ausbildung und Studium als Diplomkaufmann bzw. Diplomhandelslehrer ab. Seit 1930 war er nach Stationen bei Banken, Industrie und Handel bei C. & A. Brenninkmeijer tätig und seit 1933 Hauptgeschäftsführer der Niederlassung Hannover, siehe TW, Einzelhandelskaufleute im Bundestag, 18.8.1949; Spoerer (2016), S. 300 1798 Rudolf Hartmann war zunächst Referent, später Syndicus und Hauptgeschäftsführer beim Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe. Nach 1945 fungierte er als stellv. Hauptgeschäftsführer der damaligen HDE sowie Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Textileinzelhandels sowie des Schuheinzelhandels. Weitere Biographische Angaben siehe TW, Wechsel in der Hauptgeschäftsführung des BTE, 31.1.1957. 1799 So hieß es in der Selbstbeschreibung: „Es erscheint uns auch notwendig zu sein, dass der Einzelhandel in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung aktiver wird. Bis jetzt sind eigentlich immer nur die Gegner zu hören. Der neue Verband sollte sich diese Aufgabe ernsthaft vornehmen und sich nicht in die Verteidigung drängen lassen“, siehe TW, Wieder Gemeinschaft des Textileinzelhandels, 10.2.1948. 1800 Die Gründung beruhte auf der Initiative „einiger führender Einzelhandelsgeschäfte“. Es bildeten sich Fachausschüsse für Männer- und Burschenkleidung (Heinz Breuninger, Stuttgart und Erich Heinemann, Frankfurt/Main) sowie Frauen- und Mädchenbekleidung (Erich Hettlage, Wiesbaden und Charles 1794

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Mit der Wahl des neuen Verbandspräsidenten Josef Illerhaus im Juli 1950 änderte die HdT ihren Verbandsnamen in „Hauptverband des Deutschen Textileinzelhandels“ (DTE). Im Juli 1952 nahm der DTE in einem feierlichen Akt die „Vereinigung des Berliner Textileinzelhandels e. V.“ auf. Damit war der deutsche Textileinzelhandel seit 1945 mit seinen 28.000 Mitgliedern erstmals wieder geeint und integrierte sich fortan unter dem Namen „Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels“ in die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels.1801 7.2.2.2 Konsolidierung der Geschäfte Vor welchen Herausforderungen standen die Branche und einzelne Unternehmen in den ersten vier bis fünf „normalen“ Geschäftsjahren – nach erfolgter Gründung der Bundesrepublik, erfolgreicher Währungsreform, aber auch angesichts eines enormen „Textilhungers“, notwendiger Investitionen in die Geschäftsinfrastruktur und finanziellen Belastungen infolge der Restitutions- und Entschädigungszahlungen? Ein guter Stimmungstest war der Sommerschlussverkauf 1949 – der erste seit Kriegende. Hier meldete der Textileinzelhandel in den Westzonen „durchweg übertroffene Erwartungen“. In Frankfurt am Main stieg der Umsatz um 50 Prozent. In Düsseldorf hatte die Herrenkonfektion „die besten Tage des Jahres“, in Braunschweig meldeten die Händler „beachtliche Kaufkraftreserven“. Hamburg verzeichnete eine Kauflust wie früher: „Der Andrang war teilweise so stark, dass stundenweise die Türen der Geschäfte polizeilich geschlossen werden mussten. Trotzdem konnte nicht immer verhindert werden, dass Ausverkaufsware von den anstürmenden Kauflustigen in Stücke gerissen wurde“. Auch die IHK Bayreuth meldete, dass „der Andrang der Käufer in den ersten Tagen [ ] so groß [war], dass verschiedene Geschäfte zeitweise schließen mussten“. Offenbar zahlte es sich aus, dass die Einzelhändler wieder bis zu vier Prozent ihres Umsatzes in Reklamemaßnahmen fließen ließen, wobei der Schwerpunkt auf Schaufensterwerbung und Anzeigen lag. Von diesem „Reklameboom“ waren jedoch kleinere Händler meist ausgenommen, denen das Kapital zur Instandsetzung ihrer Ladenfronten oder der Umgestaltung ihres Innenraumes fehlte – und die sich meist in Innenstädten Werbeflächen teilten oder zu Werbenotgemeinschaften zusammenschlossen.

Ritt, Hamburg). Die Geschäftsführung der Fachausschüsse lag bei Dr. Mehring, siehe TW, Oberbekleidung in reger Facharbeit, 12.5.1949; TW, Eigenkonfektion wird historisch, 2.6.1949. 1801 Vgl. TW, Der Textileinzelhandel fordert Klarheit!, 20.7.1950; TW, Textileinzelhandel stellt klare Forderungen, 10.7.1952; TW, Organisation – eine Basis erfolgreicher Arbeit, 16.9.1953. Am 17. September 1953 gründete sich der Reichsbund des Textil-Einzelhandels, Hamburg (RTE) unter Vorsitz des Rechtsanwalts und Notars Bruno Köhler neu. Der RTE sah sich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Organisationen des Textileinzelhandels. Der Verein bestand nur, um der Liquidierung seiner Ost-Vermögen zu entgehen (drei Berliner Mietshäuser), siehe TexW, Reichsbund des Textil-Einzelhandels nimmt Arbeit wieder auf, 27.8.1953; TW, Reichsbund wird nicht tätig, 24.9.1953.

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Wiederaufgebaute Kauf- und Warenhäuser in den größeren Innenstädten, wie etwa der Münchner Ludwig Beck am Rathauseck, stimmten Außen- und Inneneinrichtung auf intensivierte Werbung ab und erzielten gute Ergebnisse.1802 Doch in die positiven Meldungen mischten sich auch warnende Stimmen. Die einen sahen einen gefährlichen Preissturz bei Textilien: „Während aber der Weihnachtsumsatz mit 585 Kunden erzielt wurde, mussten beim SSV für die gleiche Summe die dreifache Kundenzahl (1700) bedient werden!“. Kleidung und Textilien waren zwar verfügbar, doch diese mussten massiv im Preis herabgesetzt werden, um der noch geringen Kaufkraft der Kunden zu entsprechen. Direkt nach Ende des SSV gingen die Umsätze um 30 bis 50 Prozent zurück. Andere beklagten die mangelnde Nachfrage der Kundschaft nach Fertigkleidung: „Der Wunsch nach Selbstanfertigung wurde also auch angesichts außerordentlich günstiger Angebote an Fertigkleidung nicht zurückgedrängt“. Auch das Angebot an Fertigkleidung, Damenkonfektion und billigen Qualitäten blieb knapp, da die Bekleidungsindustrie Mühe hatte, fristgerecht zu liefern. In den ländlichen Gebieten sahen sich manche Händler außer Stande, am SSV teilzunehmen. In Marburg-Biedenkopf hatten nur 25 bis 50 Prozent des Textileinzelhandels mitgemacht, „da die knappe Bemessung der Handelsspannen in den letzten Monaten eine Ausverkaufsveranstaltung größeren Stils kalkulatorisch unmöglich mache“. Nach Ende des SSV beurteilte die Mehrheit des Textileinzelhandels die Umsatzentwicklung für die kommenden Monate als „nicht rosig“, vor dem Hintergrund der „mangelnden Kaufkraft und steigenden Arbeitslosigkeit“.1803 Der SSV 1949 hatte nach der Aufhebung der Bewirtschaftung das klassische Problem der Finanzierung, Kapitalbeschaffung und Lagerhaltung zwischen dem Handel und seinen Vorlieferanten und damit die Frage der Konditionen zurückgebracht. Ein Betriebsvergleich unter 300 Textileinzelhändlern zeigte, dass mehr als zwei Drittel direkt vom Lieferanten bezogen, ein Viertel über den Großhandel und der Rest über Einkaufsgemeinschaften. Alle Textilverbände der Industrie und des Handels bekannten sich zu den (in nationalsozialistischer Zeit vereinbarten) Einheitsbedingungen. Die starke Nachfrage brachte die Textil- und Bekleidungsindustrie jedoch gerade im Bereich Konfektionsartikel in Lieferengpässe und der Handel haderte zunehmend mit nicht fristgerecht gelieferter Ware. De facto weichten im Spätsommer die Einheitskon-

Im Vergleich zu 1938 waren die „Aufwendungen [für Reklame] um fast die Hälfte gesunken“. Bei einem geschätzten Einzelhandelsjahresumsatz von 12 Mrd DM in den Westzonen flossen schätzungsweise 120–180 Mill. DM in Werbemaßnahmen, aufgeteilt in Anzeigen (40 Prozent), Schaufenster (25 Prozent), Innendekoration (15 Prozent), Verkehrswerbung (10 Prozent) und Sonstiges (10 Prozent). Die Preise für Anzeigen und Kino waren enorm gestiegen, daher verlagerte sich die Werbung auf Schaufenster und günstigere Plakate und Prospekte, siehe TW, Was gibt der Kaufmann für Werbung aus?, 12.5.1949; TW, Der Verkauf aus dem Schaufenster, 9.6.1949; TW, Werbefaktor Schaufenster – wieder in alter Bedeutung, 30.6.1949; TW, Vorbildliche Ladeneinrichtung, 30.6.1949. 1803 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage im 3. Vierteljahr 1949 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; TW, Ergebnisse und Lehren des Sommerschlussverkaufes, 4.8.1949. 1802

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

ditionen auf, viele Lieferanten verlangten wieder bare Bezahlung, knüpften Lieferungen an die Abnahme bestimmter Warengruppen oder verweigerten die sog. Zweite Kondition (30 Tage Zahlungsziel, bei zwei Prozent Skonto).1804 Doch der zunehmende Warenstrom und der sich entwickelnde Käufermarkt brachte den Einzelhandel in die komfortable Position, sich Lieferanten wieder aussuchen zu können. Nun musste sich die Bekleidungsindustrie vermehrt um ihren Absatz bemühen – und begann ab Sommer 1949 mit Vertretern und Verkaufswochen, etwa in Hamburg, Düsseldorf oder Krefeld, Abnehmer für ihre Ware zu akquirieren.1805 Anders als in der Weimarer Republik waren sich alle Wertschöpfungsstufen der Textilwirtschaft zunächst einig, das Preisniveau für Kleidung und Textilien nicht durch einseitige Maßnahmen zu lasten der noch geringen Konsumentenkaufkraft steigen zu lassen.1806 Der Aufruf bewirkte keine Erhöhungen der Lieferpreise an den Handel trotz erhöhter Rohstoffpreise. Die Kaufkraft, so die Warnung des Einzelhandels, war trotz des „größten Nachhol- und Anschaffungsbedarf[s] an Spinnstoffwaren“ weiter begrenzt. Untersuchungen aus dem Januar 1949 zeigten, dass ein Vier-Personen-Arbeiterhaushalt monatlich 9,52 DM für Kleidung, und damit etwa 33 bis 50 Prozent weniger als vor 1939 aufwendete.1807 Damit blieb der Fokus auch im Weihnachtsgeschäft 1949 auf niedrig- bis mittelpreisiger Ware. Der Bezirk Braunschweig meldete: „Das ganze Weihnachtsgeschäft steht sehr stark unter dem Eindruck des Kaufs praktischer Gebrauchsstücke unter weitgehender Vermeidung von Luxus“. Stuttgart, München, Düsseldorf, Bremen, Hamburg oder Frankfurt am Main meldeten in diesen Warengruppen „gute bis sehr gute Geschäfte“. Während Meterware durch die hohe Nachfrage knapp wurde, blieb Damen-

Versorgungsenpässe herrschten in Sommer- und Kammgarnanzügen, Sommermänteln (Popelinemäntel), hochmodischer und Mittelware, Kostümen, Röcken, Sommermänteln (Popeline) sowie alle Übergrößen, siehe TW, Der Einzelhandel muss sich selber helfen!, 9.6.1949; TW, Die Lage – vom Textileinzelhandel her gesehen, 18.8.1949; TW, Wo kauft der Textileinzelhandel?, 3.11.1949; TW, Um die Zahlungsfristen, 22.12.1949; TW, Oberbekleidung in reger Facharbeit, 12.5.1949; TW, Eigenkonfektion wird historisch, 2.6.1949. 1805 Vgl. „Zwischen Lübeck und Flensburg ,“ in: Die Zeit, 26/1949, S. 6; „Start in Herbst und Winter“, in: Die Zeit, 26/1949, S. 7; „Berliner Modeschöpfer hoffen“, in: Die Zeit, 31/1949, S. 11. 1806 Im Oktober 1949 verabschiedeten vier Spitzenorganisationen der Textilwirtschaft eine gemeinsame Resolution: „Das Preisniveau auf dem für die Bevölkerung so wichtigen Textilgebiet muss trotz zwangsläufig verteuerter Rohstoffe unter allen Umständen stabil gehalten werden. [ ] Verantwortungsbewußt gebildete feste Preise im Kaufvertrag und sorgfältig abgewogene Handelsspannen im Wiederverkauf müssen wieder zum Grundsatz erhoben werden, [ ] [damit] unser aller Ziel erreichbar bleibt: Höherer Reallohn und damit Aufrechterhaltung des inneren Arbeitsfriedens trotz äußerer Einwirkungen“. Die Erklärung war unterzeichnet von der Arbeitsgemeinschaft Gesamttextil (Otto A. H. Vogel), der Arbeitsgemeinschaft Bekleidungsindustrie (Dr. Curt Becker), dem Gesamtverband Textil-Großhandel (Dr. A. Heinemann) sowie dem Hauptverband des Textil-Einzelhandels (Wilhelm Naegel), siehe TW, Preise noch immer im Mittelpunkt, 27.10.1949. 1807 Vgl. „Streben nach sozialen Preisen“, in: Die Zeit, 50/1949, S. 7. 1804

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und auch Herrenkonfektion – trotz hohen Reklameaufwands – eher ein Ladenhüter. So berichtete Stuttgart: „Dagegen war die Nachfrage nach Wollstoffen so groß, dass sie nicht ausreichend befriedigt werden konnte. [ ] Die Verlagerung der Interessen ist z. T. auf das Selbstschneidern, zum Teil auf Sparsamkeit zurückzuführen. Auf diese Weise besteht die Gefahr einer Bildung von Ladenhütern bei den heute schon zu teuren Damenkleidern. [ ] Man denke nur an die Scharen Stenotypistinnen, Verkäuferinnen usw., die bei einem Monatseinkommen von 200 DM nicht mehr als 50 bis 60 DM für ein elegantes Kleid ausgeben wollen. In der Masse ist eine derartige Ware aber noch nicht verfügbar“.1808

Stabile Preise, die bessere Warenversorgung und die seit 1. Januar 1949 gültige Gewerbefreiheit begannen, den Wettbewerb unter den Betriebsformen des Textileinzelhandels zu intensivieren. Besonders der „irreguläre“ Handel war den Einzelhandelsverbänden zunehmend ein Dorn im Auge. Viele Textilbetriebe waren immer öfter dazu übergegangen, ihre Ware direkt an ihre Belegschaft abzugeben, in einem Maß, das weit über die betriebliche Fürsorge hinausging, sodass der Handel eine „dauernde und grundsätzliche Ausschaltung“ befürchtete. „Irreguläre“ Konkurrenz bedrohte die mittelständischen Fachgeschäfte auf dem Land oder in Großstädten durch einen blühenden Markt-, Straßen- und Hausierhandel. Die „Textilwirtschaft“ kritisierte die „gewöhnlich jungen Männer, die mit einem Packen von Meterware auf dem Rücken von Haus zu Haus gehen. Diese Anzugstoffe werden in allen Tönen als „Importware“ angepriesen“. Oft waren diese „fliegenden Händler“ mobil mit Autos unterwegs und verkauften ihre Waren auf Volks- und Dorffesten. Auch aus Berlin („Budenhauptstadt“) berichteten die Korrespondenten über den „unerträgliche[n] Markt- und Straßenhandel“. Aus München meldeten Berichte ein „krankhaftes Überwuchern der fliegenden Verkaufsstände und Holzbuden“ und warnten vor einer „Standl-Inflation“. In dieser Diskussion wiederholte sich das traditionelle Stereotyp des unzuverlässigen, zwielichtigen, nichtfachkundigen Umhertreibers mit minderwertiger, überteuerter Ware – der Handel warnte vor Sittenverfall und Steuerausfall gleichermaßen und warb für gesetzliche Beschränkungen.1809 Die IHK Bayreuth beschrieb die Wettbewerbssituation im 4. Quartal 1949 wie folgt: „Die Warenfülle im Einzelhandel hat weiterhin zugenommen. Das Angebot stand teilweise in keinem Verhältnis mehr zur Nachfrage sowie zur Kaufkraft der Konsumenten. [ ] Auch dem Schwarzhandel wurden dadurch vielfach die Möglichkeiten genommen. [ ] Infolge der verschärften Wettbewerbslage waren die Betriebe gezwungen, besonders scharf zu kal-

TW, Wer hat das Hauptgeschäft gemacht?, 22.12.1949. TW, Werkshandel greift immer mehr um sich, 7.7.1949; TW, Immer mehr Ware fließt am Einzelhandel vorbei, 15.9.1949; TW, München sucht Mittel gegen Standl-Inflation, 27.10.1949; TW, Berlin möchte nicht Budenhauptstadt werden, 13.10.1949. 1808 1809

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

kulieren. Die Nachfrage nach den lebenswichtigen Gütern war unvermindert gut. Infolge Kaufkraftmangel weiter Bevölkerungskreise waren in der Hauptsache billigere Qualitäten gefragt. [ ] Der im Zuge der Gewerbefreiheit erleichterte Zustrom zum Einzelhandel hat nachgelassen. Im Hausier-, Strassen- und Wanderhandel schien diese Entwicklung noch anzuhalten. Das Teilzahlungsgeschäft nahm grössere Ausmaße an“.1810

Ingesamt zeigte sich der deutsche Textileinzelhandel zum Jahresende 1949 zufrieden, sah seine Stellung allerdings durch neue Probleme – die „irreguläre“ Konkurrenz, mangelnde Produktion und Nachwuchsprobleme ernsthaft gefährdet.1811 Die Krisenzeichen vermehrten sich mit Jahresbeginn 1950. Der WSV 1949/50 war mit einem „lebhaften Geschäft“ zu Ende gegangen. Die hohe Nachfrage nach „guter, aber preiswerter“ Ware, aber auch „besonders billigen“ oder „hochwertige[n] Qualitäten“ brachte die Textil- und Bekleidungsindustrie an ihre Kapazitätsgrenzen.1812 Bald forderte die Textilwirtschaft Investitionshilfen und die Aufhebung der Kreditrestriktionen, um die Preise stabil zu halten und die Produktion ausdehnen zu können. Zwar waren alle Kreditsperren formal ab Juli 1949 aufgehoben worden, doch die Textil- und Bekleidungsindustrie beklagte zunehmend Liquiditätsprobleme, da ihr kaum Investitionskredite gewährt wurden und liquide Mittel in die Rationalisierung und Modernisierung flossen. Zudem waren auch Teile der Bekleidungsindustrie übersetzt. So steckte die Damenoberbekleidungssindustrie in der Krise. Sie beklagte ein deutliches Missverhältnis zwischen Absatzmöglichkeiten, Ertrag und Betriebszahl und forderte die Bereinigung um zwei Drittel der Betriebe.1813 Damit fielen die Vorlieferanten als Kreditgeber des Einzelhandels zunehmend aus und viele (kleinere) Einzelhändler gerieten durch langsamen Lagerumschlag und unrentable Sortimentsausweitung in Zahlungsschwierigkeiten.1814 Nahezu jeder dritte bis vierte Konkurs oder Vergleich betraf Einzelhandelsgeschäfte.1815 Ein nicht unerheblicher Teil der Handelsbetriebe sah sich mit den Konsequenzen der Arisierungsprozesse und der nun einsetzenden finanziellen oder natürlichen Restitution konfrontiert. Die genaue Anzahl der Betroffenen ist unbekannt, Schätzungen aus dem Sommer 1950 gingen für die ehemalige britische Zone von mehr als 1.000 betroffenen Textileinzelhandelsfirmen aus. Der HDE war diese Thematik eher lästig.

Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage im 4. Vierteljahr 1949 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. Zwar herrschte kein Mangel an Ware, wohl aber Mangel an Qualitäten und Lieferfristeneinhaltung, besonders in der Sortimentsbreite, etwa bei Herrenkragen, Trainingsanzügen, Damenwäsche, Strickwaren, Kinder-Wollwaren, hochwertigen Winterherrenmänteln, Herrenschlafanzügen oder Bademänteln, siehe 10 Jahre Landesverband des Bayerischen Einzelhandels, Juni 1956, S. 22, BWA K8/223; TW, Eine wirtschaftpolitische Weihnachtsbilanz, 22.12.1949; TW, Gibt es noch Mangelartikel?, 22.12.1949. 1812 TW, Textileinzelhandel zur Versorgungslage, 9.3.1950. 1813 Vgl. „Konfektion. Jeschieht dem Westen recht“, in: Der Spiegel, 2/1950, S. 32–33. 1814 TW, Der Bankdirektor – will, kann, darf er nicht?, 11.5.1950. 1815 Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (3. Arbeitsbericht, 1950), S. 36, BWA K8/223. 1810 1811

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Zwar wollte man helfen, Warenlager und Firmenwerte zu ermitteln, doch der Dachverband sah nicht die Unternehmen, sondern wenn überhaupt den Staat in der Verantwortung der Wiedergutmachung.1816 Im Verlauf des Jahres 1950 stabilisierte sich indes die Angebotsseite. Bis März 1950 hatte die Textilproduktion ihren Stand von 1936 erreicht. Der Korea-Krieg entfachte auf Konsumentenseite „Hamsterwellen“ und befeuerte so die Textilproduktion, die nun im Zwei- und Dreischichtsystem arbeitete. Der Textil- und Bekleidungsindustrie war es dank relativ preiswerter Rohstoffeinfuhren und fortschreitender Rationalisierung möglich, ihre Produktionskapazitäten auszulasten. Dies führte zu sinkenden Verbraucherpreisen bei Textilien. Der Bekleidungsindex fiel von 272 (November 1949) auf 181 Punkte (August 1950).1817 Der SSV 1950 zeigte wieder eine Steigerung der Nachfrage sowie der wert- und mengenmäßigen Umsätze. Die Stadt Hamburg meldete, dass „die Besucherzahlen der großen Kaufhäuser sich zwischen 100.000 und 200.000 Personen täglich bewegten“. Bremen berichtete von „stark herabgesetzten Fertig- und Meter-Waren“. In Frankfurt am Main lag der Umsatz zwischen 10 bis 40 Prozent über dem letztjährigen SSV. Der Hauptgrund war der Ausbruch des Korea-Krieges. In Bayern war „der Kaufansturm am ersten Tage [ ] der größte seit Menschengedenken“. Eine „Korea-Kaufpsychose“ hatte mehrheitlich zu „Eindeckungskäufen durch bäuerliche und ländliche Verbraucher“ geführt.1818 Bis in den Herbst 1950 blieben die Preise stabil. Zwar stiegen die Weltmarktpreise für Wolle und Baumwolle infolge der enormen US-Nachfrage (die ihre Lager auffüllten und ihre Ausfuhr beschränkten) stark an, doch die Textilwirtschaft gab diese Preissteigerungen im Schnitt nicht an den Kunden weiter, da man Kaufzurückhaltungen vermeiden wollte. Stiegen die Preise in einem Sortiment (Anzüge, Schlüpfer), so glich man diese durch Preissenkungen in anderen Bereichen etwa bei Stoffen und Oberhemden aus (Tabelle 116). Wie Abbildung 34 zeigt, lagen die Umsatzsteigerungen von Bekleidung und Wäsche, besonders von Oberbekleidung, bis in den Herbst 1950 deutlich über den Einzelhandelsumsätzen. Diese Strategie der Preisstabilität zahlte sich auch in sehr guten Weihnachtsumsätzen aus und bis Ende Januar 1951 hielten „Massenandrang und RekordSchätzungen gab es für Hamburg (78 Großunternehmen, 100 weitere), Schleswig-Holstein (18), Westfalen (ca. 200), Nordrhein (400) und Niedersachsen (300). Die HDE bemerkte zu ihrer Verantwortung lakonisch: „Der nichtarische Vorbesitzer war durch Boykottmaßnahmen, Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung, Schwierigkeiten der Lagerbeschaffung gezwungen, seine sc hnell umsetzbare Ware zu verkaufen [ ]. Es ergab sich also schon aus diesen Umständen die Notwendigkeit einer mehr oder weniger getarnten Arisierung. Für diese Beweggründe und Umstände ist jedoch nicht der Ariseur oder Erwerber des Unternehmens haftbar zu halten, sondern höchstens der Staat bzw. die Partei. [ ] Der Firmenwert [ ] war also sehr fragwürdig geworden“, TW, Rückerstattungsprobleme im Textil-Einzelhandel, 29.6.1950. 1817 TW, Wie geht der Textileinzelhandel in das Jahr 1951?, 28.12.1950. 1818 TW, diverse Artikel zum Sommerschlussverkauf 1950, u. a. „Querschnitt durch westfälische Kassen“, „Aus den drei Hansestädten“, „Die Schlussverkaufsbilanz in Süddeutschland“, „Blinde Kaufwut schadet nur“, 10.8.1950. 1816

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Tab. 116 Textilpreise im Einzelhandel im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, 1949 bis 19501819 Artikel Straßenanzug1

Dez 1949

Mär 1950

Jun 1950

Sept 1950

Nov 1950

Dez 1949/ Nov 1950

117,34

114,99

116,56

119,41

124,54

+6,1 %

2

Kleiderstoff

12,43

11,70

11,15

11,21

11,65

-6,3 %

Oberhemd3

15,78

15,39

15,12

14,74

14,96

-5,2 %

Schlüpfer

8,97

8,66

8,60

8,85

9,39

+4,7 %

Socken5

3,48

3,36

3,26

3,34

3,43

4

-1,4 %

Anmerkungen: ( ) 1 Stk, Wolle, dreiteilig, Gr. 48; ( ) 1 m, Damen, Wolle, 130 cm Breite, ( )1 Stk, Männer, einfacher Stoff, (4) Frauen, Wolle, Größe 44, (5) 1 Paar, Männer, Wolle, mittlere Qualität; Dez 1949/ Nov 1950 = Veränderung in Prozent. 1

2

3

Abbildung 34 Einzelhandelsumsatz nach Branchen, Januar bis Oktober 1950

1820

200

1949=100

180 160 140 120 100 80 Jan

Feb

Mar

Apr

Mai

Jun

Einzelhandel

Nahrung/Genuss

Hausrat/Wohnen

Oberbekleidung

Jul

Aug

Sept

Okt

Bekleidung/Wäsche

Anmerkungen: lfd. Preise, 1949=100. Abb. 34 Einzelhandelsumsatz nach Branchen, Januar bis Oktober 19501820

Wie Abbildung 34 Umsatzsteigerungen von Bekleidung und Wäsche, besonders Anmerkungen: lfd.zeigt, Preise,lagen 1949die = 100. von Oberbekleidung, bis in den Herbst 1950 deutlich über den Einzelhandelsumsätzen. Diese Strategie der Preisstabilität zahlte sich auch in sehr guten Weihnachtsumsätzen aus und bis Ende umsätze“ Im Frühjahr 1951 waren Teile der TextilBekleidungsindustrie Januar 1951an. hielten „Massenandrang und Rekordumsätze“ an.und Im Frühjahr 1951 waren Teileheiß der gelaufen, es mehrten sich Hinweise auf Lieferungsengpässe bei Wollwaren, MeterwaTextilund Bekleidungsindustrie heiß gelaufen, es mehrten sich Hinweise auf Lieferungsengpässe 1821 ren Wollwaren, oder Lodenmänteln. Die Textilwirtschaft durch die Niedrighaltung bei Meterwaren oder Lodenmänteln.1821 geriet Die Textilwirtschaft geriet durch der die Niedrighaltung der Preise kurzzeitig in Liquiditätsengpässe und diebegann Industrie begann nun erstmals Preise kurzzeitig in Liquiditätsengpässe und die Industrie nun erstmals wieder, wieder, ihre Lieferbedingungen zu verschärfen. Der Textilhandel spürte dies unmittelbar zu Ostern. Bayern vermeldete die höchsten Umsatztiefststände seit der Währungsreform, Baden1819 Vgl. Hauptgemeinschaft DeutschenEinkaufsstreiks“, Einzelhandels (3. Arbeitsbericht, 1950), S. 35, BWA„keinen K8/223. Württemberg berichtete von des „teilweisen westfälische Händler sahen 1820 Aufstellung nach Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (3. Arbeitsbericht, 1950), S. 31, saisonmäßigen Auftrieb“ und auch die Nordstaaten Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein BWA K8/223. 1822 konstatierten einen Umsatzrückgang. 1821 Vgl. „Textilien. Nylons ausverkauft“, in: Der Spiegel, 37/1950, S. 26–28; „Textil bleibt stabil“, in: Die Zeit, 36/1950, S. 6; TW, Soll und Haben des Textileinzelhandels, 21.12.1950; TW, Wie geht der Textileinzelhandelder in das Jahr 1951?, 28.12.1950; reicht – aber sollte er nicht reichen?“, in: Die Zeit, Doch Korea-Schock wandelte„Solange sich ab der Vorrat zweiten Jahreshälfte 1951 in einen Korea-Boom für 5/1951, S. 6. die deutsche Wirtschaft. Die starke Auslandsnachfrage erfasste die deutsche Exportwirtschaft und damit auch die Textil- und Bekleidungsindustrie. Zwischen 1950 und 1952 steigerte die BRD ihre industrielle Produktion um ein Drittel, die Exporte verdoppelten sich. Die Konsumgüterproduktion zog im Zuge der Realeinkommenserhöhung und des Abbaus der Arbeitslosigkeit deutlich an.1823 So lagen die Textilumsätze im Weihnachtsgeschäft 1951 um bis zu 40 Prozent über denen des Vorjahres. München, Freiburg oder Düsseldorf sahen „alle Erwartungen übertroffen“. Bielefeld

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ihre Lieferbedingungen zu verschärfen. Der Textilhandel spürte dies unmittelbar zu Ostern. Bayern vermeldete die höchsten Umsatztiefststände seit der Währungsreform, Baden-Württemberg berichtete von „teilweisen Einkaufsstreiks“, westfälische Händler sahen „keinen saisonmäßigen Auftrieb“ und auch die Nordstaaten Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein konstatierten einen Umsatzrückgang.1822 Doch der Korea-Schock wandelte sich ab der zweiten Jahreshälfte 1951 in einen Korea-Boom für die deutsche Wirtschaft. Die starke Auslandsnachfrage erfasste die deutsche Exportwirtschaft und damit auch die Textil- und Bekleidungsindustrie. Zwischen 1950 und 1952 steigerte die BRD ihre industrielle Produktion um ein Drittel, die Exporte verdoppelten sich. Die Konsumgüterproduktion zog im Zuge der Realeinkommenserhöhung und des Abbaus der Arbeitslosigkeit deutlich an.1823 So lagen die Textilumsätze im Weihnachtsgeschäft 1951 um bis zu 40 Prozent über denen des Vorjahres. München, Freiburg oder Düsseldorf sahen „alle Erwartungen übertroffen“. Bielefeld berichtete von „schiebende[n] Menschenmassen, die von der Peripherie und vom Lande [ ] in die City strömten, sich in die vom Kraftverkehr völlig freigehaltenen Hauptverkehrsstraßen ergossen und ohne Unterlass in den Kaufhäusern verschwanden“.1824 Doch die Textilkonjunktur blieb anfällig. Im Frühjahr 1952 schreckte der Konkurs der Aachener Tuchfabrik AG (gegr. 1889) und der Ulmer Textilwerke Gebr. Walker die Branche auf. Die Textilindustrie hatte sich infolge der hohen Nachfrage (u. a. US-Uniformaufträge) mit Rohstoffen eingedeckt, mitunter zum dreifachen Preis gegenüber dem Vor-Korea-Niveau. Nun fielen die Weltmarktpreise und die Textil- und Bekleidungsindustrie konnten nur unter Verlust absetzen – Konkurse waren die Folge. Im Export überstieg die globale Wollgewinnung erstmals den Verbrauch. Haupttextilexporteur Großbritannien hatte mit der neuen Konkurrenz aus Indien, Pakistan oder Argentinien zu kämpfen, die ihre Eigenproduktion forcierten und anstatt deutsche Kleidung nun eher deutsche Textilmaschinen importierten. Die deutsche Textilproduktion floß daher verstärkt in den Binnenmarkt. Zudem floss immer mehr „Auslandsware“ durch die Einfuhrliberalisierung auf den deutschen Markt und setzte die Preise unter Druck. Das Preisniveau sank 1952 um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.1825 Die Textil- und Bekleidungsindustrie sah nun die „untere Produktions-Kostengrenze erreicht“ und warnte vor Zurückhaltung der Konsumenten in Erwartung weiter sinkender Preise („Preissturz-Psychose“). Der deutsche Textilmarkt hatte sich damit spätestens 1952 vom Verkäufer- zum Käufermarkt entwickelt.1826 Das Weihnachtsgeschäft 1952 zeigte,

TW, Drei Schicksalsfragen: Umsätze, Liquidität, Lieferung, 26.4.1951. Vgl. Wehler (2010b), S. 53 ff.; Spoerer/Streb (2013), S. 217 ff., bes. Anm. 293. TW, Endlich mehr Kaufkraft für Textilwaren, 13.12.1951. Vgl. Philippi (1962), Tabelle 5, S. 45; S. 18. Vgl. „Textilien. In die Läden peitschen“, in: Der Spiegel, 18/1952, S. 9–12; TW, In Paris und Bern fallen die Würfel, 18.10.1951; TW, 1952 – verschärfter Wettbewerb mit Auslandsware, 20.12.1951. 1822 1823 1824 1825 1826

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

dass infolge der Preissenkungen die wertmäßigen Umsätze des Vorjahres knapp erreicht wurden oder deutlich unter den Vorjahreswerten lagen. Die Städte Bremen und Hamburg meldeten „gute Umsätze“, Westfalen sah einen wertmäßigen Rückgang von 25 Prozent. Die befürchtete „Textilflaute“ war angesichts des deutlichen mengenmäßigen Umsatzplus ausgeblieben. Einer Umfrage zufolge sahen von 2.000 befragten Kunden immerhin 45 Prozent „in Textilien den dringlichsten Anschaffungsbedarf “. Nur jeder zweite Mann besaß einen Übergangsmantel oder ein Sportsakko. Jede dritte Frau hatte kein Kostüm, nur 44 Prozent eine Wolljacke im Kleiderschrank.1827 Wie beeinflusste die beschriebene Unsicherheit von Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Kundennachfrage in den frühen 1950er Jahren den konkreten Geschäftsgang eines Textileinzelhändlers? Mit Blick auf Hirmer & Co. in München lässt sich konstatieren, dass das Geschäft unmittelbar von der textilen Nachfrage profitierte, wie ein Blick auf die überlieferten Umsatzzahlen nach der Währungsreform im Sommer 1948 zeigt (Tabelle 117). Tab. 117 Umsatz Hirmer & Co., 1948 bis 19511828 Zeitraum

Umsatz

Dezember 1948

280.000

Januar 1949

145.500

Februar 1949

152.100

März 1949

207.400

April 1949

268.500

1. Januar bis. 30. April 1950 1. Januar bis 30. November 1951 Dezember 1951

1.613.582 7.780.756 1.000.000*

Anmerkungen: in D-Mark, lfd. Preise; *Prognose.

Zwischen Dezember 1948 und April 1949, also im Winter- und dem sich anschließenden Frühjahrsgeschäft, konnte das Unternehmen einen – gemessen an den Herausforderungen der Nachkriegszeit – beträchtlichen Umsatz von 1.053.500 D-Mark erwirtschaften. Hirmer berichtete Bamberger in dieser Zeit regelmäßig und nicht ohne Stolz. Sehr erfreut zeigte sich auch Alteigentümer Bamberger, der seinen ehemaligen Vgl. Berechnungen des Ifo-Institutes, München und Schätzungen der Textil-Wirtschaft, siehe TW, Stetige Kaufkraft für Textilien zu erwarten, 22.1.1953; TW, Vom „Nutzen“ der Umsatzstatistik, 13.8.1953; TW, Das Weihnachtsgeschäft in Nord und Süd, 24.12.1952; „Textil wieder auf vollen Touren“, in: Die Zeit, 49/1952, S. 6. 1828 Aufstellung nach Schreiben an Fred S. Bamberger vom 30.12.1948, HUA 2013/02/0015, S. 243; Schreiben an Fred S. Bamberger, o. D., HUA 2013/02/0015, S. 221 ff.; Schreiben an Fred S. Bamberger vom 28.4.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 193 f.; Aufstellung „Zur Vorlage bei der Bayerischen Kreditbank“ vom 13.12.1951, HUA 2013/10/0001, S. 237. 1827

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Angestellten Hirmer für dessen „Umsicht und Energie“ dankte. Hirmer löste die Probleme der Warenbeschaffung durch intensive Reisetätigkeit, die Bamberger lobend anerkannte: „[Dass Hirmer] ca. 2000 km [ ] im Dezember fahren musste, ist für deutsche Verhältnisse sicher eine enorme Leistung“.1829 Der geschäftliche Aufschwung beschleunigte sich indes. Im Folgejahr ( Januar bis April 1950) gelang es Hirmer & Co., Waren im Wert von über 1,6 Millionen D-Mark umzusetzen, eine Steigerung zum Vorjahr um 108 Prozent. Im April 1950 schätzte Hirmer die Chancen – den sich entwickelnden Käufermärkt – und auch die Risiken – der zunehmenden Konkurrenz um den Kunden – realistisch ein: „Die Warenbeschaffung [macht] uns heute keine Sorgen mehr, das Blatt hat sich grundlegend gewendet. Heute rennen nicht wir, sondern die Fabrikanten rennen uns nach und ich muss schon sagen, dass wir gerade in den letzten 5 Jahren von Seiten manchen Fabrikanten große Enttäuschungen erlebt haben, die nun, nachdem wir wieder im alten Haus sind, um gutes Wetter anhalten. [ ] Über Konkurrenz können wir uns in München keineswegs beklagen und überall wird große Anstrengung gemacht. [ ] Im Übrigen entstehen an allen Ecken und Enden Geschäfte aller Art“.1830

Im Sommer 1951 rechnete Hirmer zwar mit einer Abkühlung der Textil-Konjunktur, doch sah er für sein Geschäft Luft nach oben. Er rechnete Ende 1951 mit einem Jahresumsatz von knapp 8,8 Millionen D-Mark und gegenüber seinem Berater Hilpert äußerte er sich zuversichtlich: „Es wird über den Umsatz im Einzelhandel wie im Allgemeinen geklagt, obwohl vorerst im Großen und Ganzen gesehen kein Anlass dazu gegeben ist. Die Geschäfte gehen [ ] immer noch anständig. [ ] M. E. ist die Nervosität nicht auf einen schlechteren Umsatz, sondern allein auf die überhöhten Warenläger und die zu umfangreich getroffenen Dispositionen und Verpflichtungen zurückzuführen. Darin liegt der Hund begraben! Dass die Geschäfte ruhiger werden, ist wahrscheinlich, hängt aber vor allem von der politischen Lage ab. Das sind nun einmal die Risiken, die ein Kaufmann auf sich nehmen muss“.1831

7.2.2.3 Handel mit der SBZ/DDR Eines der dominierenden Themen in den Fachkreisen des westdeutschen Textileinzelhandels der späten 1940er und 1950er Jahre blieb das Verhältnis, konkreter die Ausgestaltung der Handelsbeziehungen, zu den ostdeutschen Unternehmen. Mit dem „Interzonenhandel“ verband sich auf politischer Ebene zunächst der Wunsch nach 1829 1830 1831

Vgl. Schreiben an Hans Hirmer vom 31.3.1949, HUA 2013/10/0001, S. 236. Vgl. Schreiben an Fred S. Bamberger vom 28.4.1950, HUA 2013/02/0013–2, S. 193 f. Vgl. Schreiben an Dr. Hilpert vom 4.7.1951, HUA 2013/02/00014, S. 133.

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

„völkerrechtlicher Anerkennung“ (DDR) bzw. die Absicht der „Wahrung des Alleinvertretungsanspruches“ (BRD). Damit geriet die Ausgestaltung des „Interzonenhandels“ spätestens mit Beginn des Korea-Krieges 1950/51 zu einer zentralen Problematik der sich verschärfenden Systemkonkurrenz.1832 Für die Einzelhändler war die Frage eines Warenaustausches über die eigenen Besatzungszonen und später zwischen Ost und West von erheblich praktischer Bedeutung. Quasi mit Kriegsende bis Ende 1945 vollzog sich der Warenverkehr hauptsächlich auf kommunaler Ebene. Die zerstörte Verkehrsinfrastruktur und die rigide Passierscheinpflicht erschwerte den Einkäufern Stadtgrenzen überschreitende Wege (Fußwege, Auto- und Eisenbahnfahrten). Fabriken konnten vorhandene Ware mangels eigener Transportressourcen oder gesetzlicher Einschränkungen (Post- und Paketsperre) nicht zum Einzelhandel bringen. Gelang es Einkäufern, bis zu den Lieferanten zu gelangen, vereinbarte man meist Kompensationsgeschäfte. So schrieb das sächsische Modehaus J. G. Becker im Februar 1946 an die Spinnerei Künstle & Peck in Reutlingen-Betzingen: „[ ] Ich komme heute mit einer sehr großen Bitte zu Ihnen. [ ] In der hiesigen Zone gibt es zur Zeit so gut wie kein Nähgarn. Jeder Einzelhändler muss bei allen Aufträgen, auch bei dem kleinsten Reparatur-Auftrag die entsprechenden Nähgarne mitliefern. Vielleicht gibt es in ihrem Gebiet etwas mehr [ ] wenn sie mir einige kleine Päckchen als Einschreiben übersenden könnten. Für den Gegenwert kann ich Ihnen vielleicht auch irgendeine Gefälligkeit erweisen“.1833

Ende 1945 versuchten die alliierten und lokalen Wirtschaftsbehörden, diese „privaten Interzonengeschäfte“ zunächst durch bilaterale Verträge zwischen einzelnen Länderregierungen zu strukturieren, zu kontrollieren und letzlich auch zu legalisieren. Die ersten solcher geringvolumigen, warenbeschränkten und kurzfristigen Handelsverträge schlossen die „Zonenrandgebiete“ Bayern und Hessen mit der Zentralverwaltung der SBZ sowie Thüringen und Sachsen. Im Nachgang der ersten Leipziger Nachkriegsmesse im Mai 1946 wurden die bilateralen Landesabkommen durch größervolumige Zonenabkommen ersetzt. Zum 15. Mai 1946 trat der erste dieser Verträge zwischen der US-Zone und der „Deutschen Verwaltung für Handel und Versorgung der SBZ“ in Kraft, die britische und französische Zone gestalteten mit der SBZ ähnliche eigenständige Handelsverträge („Dyson-Geschäft“, „Britengeschäft“, „Sofra-Geschäfte“). Im Kern lieferte der Westen Eisen und Stahl und erhielt im Gegenzug Braunkohle und Holz aus der SBZ.1834

Grundlegend zum Interzonenhandel vgl. Fäßler (2006), Mai (1995), S. 187 ff.; zitiert nach Fäßler (2006), S. 288. 1833 Vgl. Schreiben an Künstle & Peck, Reutlingen-Betzingen vom 5.2.1946, SWA U40/75. 1834 Vgl. Mai (1995), S. 188 ff.; Fäßler (2006), S. 33–41. 1832

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Der Textileinzelhandel profitierte hier nur in Ausnahmen. Im Juni und Juli 1946 berichtete die IHK Bayreuth für ihre Mitglieder von „außerordentlichen Beschaffungsschwierigkeiten durch Zonengrenzen“. Dort wo Verträge mit der SBZ galten, beschwerten sich die bayerischen Abnehmer über die Lieferprobleme der ostdeutschen Lieferanten: „Es fehlen die aus der SBZ bezogenen Trikotagen, Strümpfe, Wollgewebe, Wirkwaren“.1835 Der illegale Handel hatte nach Schätzungen etwa das doppelte Volumen wie die offiziellen Kanäle. Im Jahr 1947 institutionalisierte sich der Warenaustausch schließlich zu einem echten Interzonenabkommen („Mindener Abkommen“) zwischen der zusammengeschlossenen Bizone und der SBZ. Die westlichen Besatzungsmächte wickelten den innerdeutschen Handel bis 1948 über die Joint Export Import Agency ( JEIA) bzw. das Office du Commerce Exterieur (OFICOMEX) ab. Mit einem Volumen von 220 Millionen Reichsmark überstieg der vereinbarte Warenaustausch alle vorherigen Verträge zusammen. Die SBZ „bezahlte“ die bizonalen Kohle-, Stahl- und Eisenlieferungen nun erstmals in größerem Umfang mit Agrarprodukten und Textilien. Das darauffolgende, größervolumige „Berliner Abkommen“ Ende 1947 wurde durch die Berlin-Krise nicht realisiert. Mit der Ostberliner Blockade im März und der westdeutschen Gegenblockade im Juli 1948 war der innerdeutsche Handel ausgetrocknet.1836 So meldete sich Mitte Januar 1949 der Stuttgarter Strickwarenfabrikant Wilhelm Bleyle beim sächsischen Modehaus J. G. Becker: „Ihre im letzten Jahre durch Vermittlung unseres Vertreters (aus Erfurt) zur Reparatur eingesandten Kleidungsstücke stehen zusammen mit vielen anderen Reparaturstücken aus der Ostzone schon seit langer Zeit zur Rückleitung bereit. Alle unsere Versuche, die Genehmigung für den Transport zu erhalten, sind leider erfolglos geblieben [ ] [so]dass sich auch in absehbarer Zeit keine Möglichkeit für die Rücksendung in das russische Besatzungsgebiet ergeben wird. [Wir haben] [ ] bereits vor einem halben Jahr [ ] Kisten wieder ausgepackt, um den Wünschen einzelner Kunden, die Reparaturstücke an Verwandte in den Westzonen abzusenden, entsprechen zu können. Bitte geben Sie uns eine entsprechende Anschrift in den Westzonen an. [ ] Wenn keine Rückleitungsmöglichkeit besteht, werden wir die Kleidungsstücke caricativen Einrichtungen gegen entsprechende Vergütung anbieten, um Ihnen und uns größere Verluste zu ersparen“.1837

Der illegale Handel zog trotz der Aufhebung der Blockaden im Mai 1949 stark an. Zeitgleich bauten aus den Ostgebieten geflüchtete Textilunternehmen ihre Produktionskapazitäten im Westen auf. 1936 hatte Sachsen allein noch 285 Millionen Paar Strümpfe hergestellt, nun war ein Gutteil der Strumpfmaschinenindustrie und der Strumpffabriken in den Westen übergesiedelt. Allein an Rhein und Ruhr entstanden 150 neue Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage für Juni 1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147; Bericht über die wirtschaftliche Lage zum 31.7.1946 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1836 Vgl. Abelshauser (2004), S. 84–89; Winkler (2004), S. 130–131. 1837 Vgl. Schreiben von Wilh. Bleyle, Strickwarenfabriken, Stuttgart vom 17.1.1949, SWA U40/73. 1835

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Betriebe für Gardinenproduktion. Gerade diese Unternehmen machten sich für eine Aufrechterhaltung der Handelsgrenzen oder zumindestens hohe Importzölle stark, da sie eine Überschwemmung des westdeutschen Marktes mit Ostprodukten (die zu Stoppreisen von 1944 lieferten) befürchteten.1838 Diesen Wünschen kam das zum 8. Oktober 1949 von beiden Staaten verabschiedete „Frankfurter Abkommen“ nicht nach, wohl aber hatte man nun endlich eine neue rechtliche Grundlage. Bis dahin konnten Unternehmen aus West und Ost lediglich Kompensationsgeschäfte abwickeln. Die Nachfrage war jedoch ungleich: Die ostdeutsche überstieg die westliche bei weitem wie auch die Leipziger Messe 1949 zeigte. Das „Frankfurter Abkommen“ legte das Warenvolumen auf je 288 Millionen D-Mark in beide Richtungen fest. Dabei sollte die BRD Textilien im Wert von 20 Millionen D-Mark exportieren, und Textilien im Wert von 90 Millionen D-Mark aus der DDR importieren. Konkret funktionierten die Interzonengeschäfte fortan so: Nach der Ausschreibung im Bundesanzeiger beantragten Unternehmen die Ein- und/oder Ausfuhr der entsprechenden Waren. Die entsprechenden Güter kamen dann mit Warenbegleitscheinen, sodass die Empfänger in ihrer Währung zahlten und anschließend eine Verrechnung zwischen der Bank deutscher Länder (West) und der Notenbank (Ost) stattfand. Diese „interessensgeleitete Zusammenarbeit“ der BRD und der DDR geriet mit dem Korea-Krieg und dem US-Embargo gegenüber der Sowjetunion immer wieder ins Stocken. Im Zuge der Verschärfung des Ost-West-Konfliktes verhängte die BRD gegen die DDR ab Mai 1950 nicht nur ein Stahlembargo, auch der aufgeblähte Bürokratieapparat sowie Patent-, Marken- und Kompetenzstreitigkeiten behinderten den interzonalen Warenaustausch massiv. Doch trotz politischer Kontaktsperren garantierte die „Treuhandstelle für den Interzonenhandel“ (die dem Deutschen Industrie- und Handelstag angegliedert war) als einzige öffentliche Stelle im Textilsektor den regelmäßigen wirtschaftlichen Kontakt in die DDR.1839 Die offizielle Wiederaufnahme des binnendeutschen Handels, nach erneuerten vertraglichen Regelungen im September 1951, erfolgte im Mai 1952. Mit einem neuen „Frankfurter Abkommen“ im August 1952 machten Textilien und Kleidung nun einen erheblichen Teil des vereinbarten Warenvolumens in Höhe von 210 Millionen VE (1 VE = 1 DM) aus.1840

Vgl. Artikel „Osthandel. Durch die Politik belastet“, in: Der Spiegel, 5/1951, S. 19–22. Vgl. Artikel „Künstlich abgeschnittene Fäden“, in: Der Spiegel, 36/1949, S. 21–22.; Artikel „Osthandel. Durch die Politik belastet“, in: Der Spiegel, 5/1951, S. 19–22. 1840 Westdeutschland verpflichtete sich in den kommenden Jahren, Textilwaren in Höhe von 20 Millionen VE in die DDR zu liefern, im Gegenzug importierten westdeutsche Händler Kleidung und Textilien im Wert von 40 Millionen VE aus der DDR. Konkret lieferte die BRD Textilfertigwaren (9 Mill. VE), Kunstseide und Zellwolle (je 2,5 Mill. VE), Erntebindegarne und Bastfaserstoffe (1,5 Mill. VE), Lumpen und Hutstumpen (je 1 Mill. VE) sowie sonstige Schnittwaren (2,5 Mill. VE). Auf den westdeutschen Markt kamen ostdeutsche Strümpfe (15 Mill. VE), Spitzen, Posamente, Tülle und Gardinen (7 Mill. VE), Teppi1838 1839

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In den Folgejahren verhandelten die Vertragspartner auf ostdeutschen Wunsch über eine Erhöhung des Austauschvolumens. Tatsächlich lieferte die BRD jedes Jahr deutlich mehr Ware in die DDR, als die DDR vertragsmäßig gehalten war, in die BRD zu liefern. Für das Handelsjahr 1952/53 hatten die westdeutschen Importeure Bezugsgenehmigungen für Textilien in Höhe von 68 Mill. VE erhalten, doch bis Ende Januar waren nur 24,3 Mill VE tatsächlich abgerufen worden. Neben den Lieferschwierigkeiten der DDR argumentierte der Handel, dass DDR-Ware in Bezug auf Geschmack, Design und Qualität in der BRD nicht mehr gefragt sei. Tatsächlich befürchteten sie jedoch, dass die „Ost-Dumpingpreise“ den heimischen Markt zu sehr unter Druck setzten. Ende Februar 1953 vereinbarten die Partner ein neues Abkommen über 100 Millionen VE textile Warenimporte und 63 Millionen textile Warenexporte aus bzw. in die DDR. Damit hatte die BRD das Verhältnis von vier zu eins auf 1,5 zu eins drücken können und die Bedeutung des westdeutschen Exports stärken können, der nun auch deutlich mehr textile Fertigerzeugnisse liefern konnte. Auch gelang es, ostdeutsche Produkte als solche auf dem westdeutschen Markt kenntlicher zu machen. So setzte der Perlon-Warenzeichenverband ein gesetzliches Verbot durch, wonach vollsynthetische Ost-Strümpfe nicht mehr unter der Marke „Perlon“ verkauft werden durften. Das für 1953 vereinbarte Handelsvolumen nutzte die BRD schließlich nur zu 58 Millionen VE aus.1841 Das Interesse der DDR an westdeutschen Waren blieb stets deutlich größer als umgekehrt. Wirtschaftlich war die DDR deutlich mehr auf den interzonalen Warenaustausch angewiesen als die BRD. Der Anteil der BRD-Lieferungen am DDRAußenhandel verdoppelte sich in den 1950er Jahren von 5 auf 11 Prozent, während DDR-Exporte zwischen 1,1 und 2,5 Prozent des bundesdeutschen Handelsvolumens ausmachten. Wie Abbildung 35 zeigt, gelang es, das Volumen des Interzonenhandels während der 1950er Jahre deutlich auf bis zu 1 Mrd. VE zu steigern. Dabei lagen die Exporte der BRD seit 1951 stets über den jeweiligen Importen aus der DDR. Bis 1953 machten Textilien mehr als ein Viertel aller Importe aus der DDR aus. Die qualitativ teil hochwertigen Textilien halfen den westdeutschen Bedarf nach preisgünstigen Artikeln zu decken. Als ab Mitte der 1950er Jahre die deutsche Textilindustrie weniger exportorientiert produzierte und den west-deutschen Textileinzelhandel bediente, sank der Anteil von Textilien bei DDR-Importe deutlich – und stabilisierte sich bis 1961 auf durchschnittlich 16 Prozent. Westdeutsche Unternehmen, besonders Mittelständler, sahen diese Entwicklung bis Anfang der 1950er Jahre eher kritisch und befürworteten einen Ausbau des legalen

che (3 Mill. VE) sowie Großgarngewebe und andere Schnittwaren (16 Mill. VE), vgl. TW, Wieder größere Textilgeschäfte mit der Ostzone, 7.8.1952. 1841 TW, Interzonenhandel vor großen Problemen, 15.1.1953; TW, Interzonenhandel heute schwieriger als je, 12.2.1953; TW, Ein neuer Start für den Interzonenhandel, 26.2.1953; TW, Keine Perlon-Strümpfe aus dem Osten, 26.2.1953.

umgekehrt. Wirtschaftlich war die DDR deutlich mehr auf den interzonalen Warenaustausch angewiesen als die BRD. Der Anteil der BRD-Lieferungen am DDR-Außenhandel verdoppelte sich in den 1950er Jahren von 5 auf 11 Prozent, während DDR-Exporte zwischen 1,1 und 2,5 Prozent Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961) des bundesdeutschen Handelsvolumens ausmachten. Abbildung 35 Interzonenhandel der BRD mit der DDR sowie der Anteil der Textilien, 1950 bis 1961 30,0

1.200

27,4 26,8

1.000

25,0 18,6

15,6

16,9

800

18,1

15,0

16,0

13,3 13,2

15,1

17,2 600 400

10,0 6,7 4,8

3,6

2,7

3,3

4,0

4,1

5,8 3,1

4,2

5,4

5,2

Millionen VE

Textilanteil %

20,5 20,0

5,0

1842

200 0

0,0 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 Textilanteil (Import aus DDR)

Textilanteil (Export nach DDR)

Gesamt (Import aus DDR)

Gesamt (Export nach DDR)

Anmerkungen: linke Achse: Anteil von Textilien und Bekleidung an Interzonenhandel in Prozent; rechte Abb. 35 Interzonenhandel der VE BRD mit(ohne der DDR sowie derlfd. Anteil der Textilien, 1950 bis 19611842 Achse: Gesamthandel in Millionen = DM West-Berlin), Preise.

Anmerkungen: linke Achse: Anteil von Textilien und Bekleidung an Interzonenhandel in Prozent;

Wie Abbildung 35 zeigt, gelangines, das Volumen des(ohne Interzonenhandels während rechte Achse: Gesamthandel Millionen VE = DM West-Berlin), lfd. Preise.der 1950er Jahre deutlich auf bis zu 1 Mrd. VE zu steigern. Dabei lagen die Exporte der BRD seit 1951 stets über den jeweiligen Importen aus der DDR. Bis 1953 machten Textilien mehr als ein Viertel aller Importe Warenverkehrs in die Ostzone und warntenTextilien vor einer Zunahme des illegalen Interzoaus der DDR aus. Die qualitativ teil hochwertigen halfen den westdeutschen Bedarf nach preisgünstigen Artikeln zu decken. Als ab Mitte der 1950er Jahre die deutsche Textilindustrie nenverkehrs. Gerade von den Warenströmen in den grenznahen Gebieten profitierten weniger exportorientiert produzierte den–west-deutschen Textileinzelhandel bediente, bis Anfang der 1950er Jahre beideund Seiten v. a. Unternehmen, die unter Mangel ansank Er-

satzteilen und Ersatzstoffen litten.1843 TW, Interzonenhandel vor beschwerte großen Problemen, TW, Interzonenhandel heute über schwieriger als Doch immer wieder sich 15.1.1953; der westdeutsche Einzelhandel die neje, 12.2.1953; TW, Ein neuer Start für den Interzonenhandel, 26.2.1953; TW, Keine Perlon-Strümpfe aus gativen des „Schwarzhandels“ im Grenzgebiet. Günstige ostdeutsche dem Osten,Auswirkungen 26.2.1953. 1842 Waren wie Kaffee, Kakao, Jahrbuch Zigaretten und Tee wurden(1952) im Bezirk der IHK Bayreuth Aufstellung nach Statistisches für die Bundesrepublik: S. 234; (1953), S. 306; (1954), S. 278; (1956), S. – 256; (1959), 243; (1962), S. 301. angeboten erst der S.Warenstrom in Folge der Währungsumstellung trocknete diesen Schwarzmarkt aus.1844 Das Fachblatt „Textilwirtschaft“ klagte noch im Herbst 498 1950 über den textilen Schwarzmarkt und „gewerbemäßigen Schmuggel“ entlang der „Zonengrenze“: „Schneiderinnen aus den Grenzorten der Ostzone gehen von Haus zu Haus und verkaufen Stoffe für Kostüme und Kleider, die sofort im Hause angefertigt werden: Preis 40 DM für ein Kostüm mit Stoff und Futter ohne andere Zutaten“. 1841

Aufstellung nach Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik: (1952) S. 234; (1953), S. 306; (1954), S. 278; (1956), S. 256; (1959), S. 243; (1962), S. 301. 1843 Vgl. Fäßler (2006), S. 19; Morsey (2007), S. 47, S. 61–62; Roesler (2006), S. 51–52; S. 82–84; Biefang (1996), S. 692. 1844 Vgl. Bericht über die wirtschaftliche Lage im 3. Vierteljahr 1949 der IHK Bayreuth, BWA K8/147. 1842

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Allein im Grenzort Helmstedt würden monatlich „250 Anzüge, 100 Meter Stoff, 3000 Paar Strümpfe und 200 Paar Handschuhe“ beschlagnahmt. Insgesamt meldete die Polizei zwischen Mai 1949 und September 1950 17.000 Beschlagnahmungen im Wert von 400.000 DM. Durch den Einkauf der ostdeutschen „Schmuggelware“ durch den westdeutschen Groß- und Ambulanthandel, so die Zeitschrift, verzeichne der grenznahe westdeutsche Textileinzelhandel „bis zu 40 Prozent Umsatzrückgang“. Noch im Juni 1952 beklagten sich nordbayerische Grenzorte wie Tirschenreuth, Marktredwitz, Hohenberg, Selb, Hof, Kronach und Coburg über den Kundenverlust infolge westdeutscher Grenzgänger oder ostdeutscher Billigwaren sowie eine Verschiebung des Kundenstammes in Richtung thüringischer oder sächsischer Arbeiter und Industrieller.1845 Erst ab 1954 gelang es, den Anteil ostdeutscher Textilien an den Importen auf deutlich unter 20 Prozent zu senken und den eigenen Textilexport zu verdoppeln. Dies lag natürlich im Interesse der westdeutschen Textilindustrie. Der westdeutsche Textileinzelhandel war natürlich an kostengünstigerer ostdeutscher Ware interessiert – diese musste aber qualitativ und modisch den Ansprüchen der Kundschaft genügen. Die BRD importierte daher in den Folgejahren hauptsächlich vollsynthetische Strümpfe, Teppiche oder Gardinen und drängte immer wieder auf ein Handelsverhältnis eins zu eins. Trotz der Schwierigkeiten und der möglichen Nachteile des westdeutschen Textileinzelhandels hielt die BRD an den Interzonengeschäften fest, nicht aus wirtschaftlichen, sondern vielmehr aus politischen Gründen. Interzonengeschäfte waren und blieben seit Sommer 1949 ein deutschlandpolitisches Druckmittel gegenüber der DDR.1846 7.2.3

Zurück zur Konkurrenz (1953 bis 1961)

Mit den Wandlungen zum Käufermarkt verband sich spätestens zu Beginn der 1950er Jahre eine scharfe Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Betriebsformen, konkret zwischen mittelständischem Facheinzelhandel und großbetrieblichen Warenund Versandhäusern, der eine Reihe von Rationalisierungs- und Modernisierungsprozessen auslöste. Seit der verbandlichen Integration des mittelständischen Einzelhandels lehnte der Bundesverband des Textileinzelhandels – wie schon zu Zeiten der Weimarer Republik – die „totale Gewerbefreiheit nach amerikanischem Muster“ ab und wandte sich scharf gegen die „Expansion kapitalistischer Großbetriebe“. Die Politik müsse diese Bedrohung „irgendwie regeln“ und eine Art „Mittelstandsschutz“ vor

TW, Wann hört der schwarze Handel an der Zonengrenze auf?, 26.10.1950; TW, Grenzland-Einzelhandel trotz Sorgen aktiv, 26.6.1952. 1846 TW, Interzonen-Textilien 1:1, 1.10.1953; TW, Interzonenhandel – wie er wirklich ist, 14.10.1954. 1845

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Großbetrieben gewähren.1847 Diesen Forderungen erteilte Ludwig Erhard auf der Delegiertentagung der HDE im Oktober 1952 eine deutliche Absage. Erhard unterstrich die volkswirtschaftliche Rolle des Einzelhandels – „die vollständige und befriedigende Versorgung der Verbraucher“ sowie „die Ware in Verbrauchsnähe vorrätig und zum Verkauf bereit zu halten“. Dabei sei jedoch keine Betriebsform vorrangig zu behandeln: „Es kann und darf nicht [ ] hier zugunsten der einen Betriebsform und zum Nachteil der anderen [entschieden werden], solange nicht die Gefahr besteht, dass sich eine Betriebsform oder ein Unternehmen eine wirtschaftliche Machtstellung erringt, die den freien Wettbewerb aller beeinträchtigt oder ausschließt“.

Erhard ermahnte den mittelständischen Einzelhandel, die eigene „Krisenfestigkeit“ zu erhöhen und eine allgemeine „Modernisierung [ ] zum Ziel der Leistungssteigerung“ einzuleiten. Eine eigene Berufsordnung unterstütze er, solange diese die Gewerbefreiheit nicht einschränke, „sondern den Wettbewerb zum Vorteil des Kunden befeuere“. Die von der HDE erneute Forderung nach einem Expansionsverbot für Großbetriebe lehnte Erhard ausdrücklich ab. „[Der] Verbraucher müsse Richter im Markt sein und auch bleiben [ ] Es sei nicht Sache des Staates, gefährdete Betriebe zu erhalten“.1848 7.2.3.1

Expansion der Warenhäuser

Tatsächlich gaben führende Warenhäuser und Großbetriebe angesichts der zunehmenden Anfeindungen ein schriftliches Garantieversprechen („Expansionsstoppabkommen“), bis 1954 nicht weiter zu expandieren. Diese „freiwillige Selbstbeschränkung“ bezog sich auf die Neuerrichtung von Verkaufsstellen, nicht aber auf die Fortführung bestehender Bauvorhaben.1849 Das Abkommen war ein Zugeständnis der HDE an ihre Regionalverbände, die immer schärfer gesetzliche Maßnahmen einforderten. Dabei war es nicht so sehr der absolute Umsatzanteil, als vielmehr die Geschwindigkeit des Neuaufbaus, welche dem Mittelstand Sorgen bereitete. Der Umsatzanteil der Waren-

Zu den Forderungen gehörten die Bildung einer Handelsabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, die Gewährung von Krediten und das Verbot des Werks-, Belegschafts- und Behördenhandels, siehe TW, Wünsche des Textileinzelhandels, 28.12.1951; TW, Textileinzelhandel stellt klare Forderungen, 10.7.1952. 1848 Konrad Adenauer wiederholte diesen Gedanken entsprechend: „Im Mittelstand erkenne ich das stärkste Bollwerk gegen den verderblichen Geist des Kollektivismus und der Vermassung“. Adenauer befürwortete die „Ausschaltung von Existenzen, die weder nach der moralischen noch nach der fachlichen Qualität die Voraussetzungen erfüllen“, aber alle Gesetzesmaßnahmen sollten „nicht einer Interessengruppe, sondern der Gesamtheit der Verbraucher!“ dienen, siehe TexW, Der Einzelhandel in der sozialen Marktwirtschaft, 30.10.1952; TexW, „Gleicher Start dem Mittelstand!“, 6.11.1952 ; TW, „Dem Einzelhandel Hilfe und Förderung“, 30.10.1952; TexW, Um den Platz an der Sonne, 1.1.1953. 1849 Vgl. Scheybani (1996), S. 328 ff.

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

häuser lag 1951 bei vier (Einzelhandel) bzw. 9,3 Prozent (Textileinzelhandel) und damit auf Vorkriegsniveau.1850 Doch die Neu- und Erweiterungsbauten von Kaufhof, Karstadt, Peek & Cloppenburg, Köster/Defaka, C&A oder Hertie in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin oder Mannheim waren in den Augen der mittelständischen Verbände erste Vorboten eines „Ruins des Einzelhandels“. Als repräsentativ soll hier das Verhalten des bayerischen Landesverbandes geschildert werden. Dieser warnte eindringlich vor „Außenseitern“ in München, Nürnberg oder Bamberg. In einem Schreiben gegenüber dem Bamberger Stadtrat im Januar 1953 wies er darauf hin, dass Warenhäuser „nunmehr auf [sic!] dem gesamten süddeutschen Raum ein[brechen]“. Keiner hielte sich an frühere „interne Abmachungen [ ], sich gegenseitig in Städten keine Konkurrenz zu machen“.1851 Tatsächlich kam den Warenhäusern ihre Reklamekraft und Sortimentsbreite in dieser Phase zu Gute. Sie profitierten einerseits verstärkt von der Tendenz zur Fertigkleidung1852, als auch von der stark anziehenden Nachfrage, die trotz sinkender Preise weiter Umsatzsteigerungen brachte.1853 Beispielhaft für die Expansion der Warenhäuser ist die westdeutsche Merkur AG mit ihrem neuen Stammsitz in Nürnberg. Nach der gelösten Wiedergutmachungsfrage, der Währungsreform und der endgültigen Aufspaltung des Konzerns erklärte der Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Fonk in einem Schreiben an Salman Schocken am 23. Dezember 1948 die zentralen Ziele: Aufbau der Nürnberger Zentrale und die Gesamtsanierung des Merkur-Konzerns.1854 Der westdeutsche Nachholbedarf, der spätestens mit der Währungsreform eingeleitet wurde, verschaffte Merkur einen geschätzten Jahresumsatz für 1950 von rund 40 Millionen D-Mark. Die Verkaufsfläche konnte bereits um 30 Prozent gegenüber dem Der geschätzte Warenhausumsatz lag bei ca. 1,5 Mrd. D-Mark. Während 1933 auf ein Warenhaus nur 595 Einzelhandelsläden kamen, waren es 1953 1.292 Läden, siehe Artikel „Warenhäuser. Alles für Frau Piesecke“, in: Der Spiegel, 2/1953, S. 11–14. Dem Arbeitsbericht der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels“ (Mai 1952) zufolge lag der Umsatzanteil der Mittel- und Großbetriebe (mehr als 1 Million DM Jahresumsatz) im Jahr 1949 31 Prozent unter dem im Jahr 1935. Der Umsatzanteil im Jahr 1952 lag auf dem Niveau von 1931, siehe Artikel „Warenhäuser haben Vorkriegsanteil nicht wieder erreicht“, BWA K9/637. 1851 Der Verband führte Beispiele von Neueröffnungen in Düsseldorf durch Kaufhof, Peek & Cloppenburg, C&A, Karstadt, Köster/Defaka an. In Berlin sei der Einzelhandel durch die Expansion von KdW und Hertie bedroht: „Im Volksmund heißt es nicht mehr Kurfürstendamm, sondern Kuckucksdamm“. Der Frankfurter Handel sei mit „großen Erweiterungen“ von Kaufhof, Defaka, Kaufhalle, Hertie und C&A konfrontiert, in Mannheim sei unlängst ein C&A-Haus eröffnet worden. Doch Bayern sei ein bevorzugtes Ziel der Warenhaus-Expansion. Der Verband zählte für München 12 Neueröffnungen (v. a. Kaufhof, C&A, Interesse von P&C, Defaka). In Nürnberg hatten Kaufhof und Hertie eröffnet, während P&C, Defaka und C&A suchten. Bamberg müsse die Eröffnung eines Hertie-Hauses befürchteten, siehe Schreiben an den Stadtrat Bamberg betr. Errichtung von Waren- und Kaufhäusern vom 24.1.1953, BWA K8/1026. 1852 TW, Stetige Tendenz zur Fertigkleidung, 30.4.1953. 1853 Vgl. Artikel „Höhere Preise senken Preise“, in: Die Zeit, 38/1953, S. 10. 1854 Im Vorstand weiter tätig waren Aerne, Schaeffer, Wutzler und Müller. Schocken dankte Fonk mit der Übertragung von bis zu zehn Prozent seiner Firmenanteile, siehe im Folgenden Fuchs (1990), S. 275–280. 1850

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Vorjahr erweitert werden.1855 Den Reingewinn von einer halben Million DM investierte Merkur in den raschen Ausbau des Filialnetzes. Mit den gewaltigen Umsatzsteigerungen der Jahre 1951 und 1952, in denen Merkur erstmals die 100-Millionen-Grenze durchbrach, expandierte der Konzern in alter Schocken-Tradition – ohne Bankkredite und in Klein- und Mittelstädte. Neben den Neueröffnungen modernisierte und vergrößerte Merkur auch die Verkaufsflächen der Alt-Standorte, etwa in Stuttgart, Bremerhaven und Nürnberg. Am Jahresende 1952 beschäftigte die Merkur AG in neun Häusern knapp 2.700 Angestellte (Tabelle 118). Tab. 118 Umsatz, Belegschaft und Filialnetz, Merkur AG, Nürnberg, 1949 bis 19531856 Jahr

Umsatz

Belegschaft

1949

20,8

1.005

keine (nur Stammhaus Nürnberg)

1950

40,0

1.850

keine (nur Stammhaus Nürnberg)

1951

87,2

2.200

Heilbronn

1952

110,0

2.683

Ingolstadt, Reutlingen

1953

Neueröffnungen

Heidenheim, Ulm, Schwäbisch-Gmünd, Oldenburg, Lehe*

Anmerkungen: Umsatz in Mill. DM, lfd. Preise; * Standorte in Planung.

Seit dem Sommer 1952 verhandelte Salman Schocken mit Helmut Horten über den Verkauf seines 51-prozentigen Firmenanteils. Diese Entwicklung mag auf den ersten Blick überraschend sein. Tatsächlich war Salman Schocken Mitte 70 und verstand sich nach seiner Emigration mehr als Verleger und Kulturförderer denn als Warenhausbesitzer. Im April 1953 einigte sich Schocken mit Horten auf den Verkauf seiner Anteile für ca. 7 Millionen D-Mark (1,68 Millionen US-Dollar). Der neuen Firma Merkur Horten & Co. und Helmut Horten selbst stand Schocken zwischen 1953 und 1955 als Berater in sämtlichen Fragen der Warenhausorganisation zu Verfügung.1857 Der gebürtige Bonner Helmut Horten hatte eine kaufmännische Lehre bei der Leonard Tietz AG absolviert und arbeitete anschließend als Verkäufer, Einkäufer und Abteilungsleiter im Kölner Kaufhaus Michel (später: Jacobi). Im Jahr 1936 arisierte der damals 28-jährige, mit Hilfe des befreundeten Bankiers und Aufsichtsratsmitglieds der Karstadt AG Wilhelm Reinold, das Duisburger Textilkaufhaus Gebrüder Alsberg, wo er mittlerweile als Abteilungsleiter tätig war, zu einem sehr günstigen Preis. Bis Kriegsausbruch 1939 arisierte Horten sechs weitere jüdische Kaufhäuser.1858 Nachdem die AlDies entsprach etwa 62 (Westdeutschland) bzw. 25 Prozent (Gesamtkonzern) der Verkaufsfläche vor 1939, siehe ebd., S. 276. 1856 Aufstellung nach ebd., S. 276 ff. 1857 Vgl. ebd., S. 279 f. 1858 Das jüdische Unternehmen Alsberg gehörte mit einem Jahresumsatz von 6 Millionen Reichsmark und 450 Angestellten zu den Traditionshäusern. Horten entließ alle jüdischen Angestellten und warb in Anzeigen: „Jawohl – Sie haben ganz richtig gesehen, das Alsberg-Haus hat seinen Hausherrn gewechselt, ist 1855

603

604

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

liierten den als „Wehrwirtschaftsführer“ klassifizierten Horten (der die Verteilung der Warenkontingente an Waren- und Kaufhäuser der Region Niederrhein übernommen hatte) für anderthalb Jahre inhaftierten, eröffnete er wenige Monate nach seiner Entlassung an Weihnachten 1948 sein neues Duisburger Kaufhaus. Der medial geschickt inszenierte sechsgeschossige „Bau der Hundert Tage“ galt als „erster großer Neubau eines Kaufhauses“ Westdeutschlands.1859 Mit der Übernahme der Merkur-Häuser und der Defaka-Warenhäuser („Deutsches Familien-Kaufhaus“)1860 gewann Horten auf einen Schlag 30 neue Standorte mit 72.500 qm Verkaufsfläche und 8.400 neue Angestellte hinzu. Die Finanzierung der millionenschweren Übernahmen ging auf die Freundschaft mit Reinold zurück, der als Direktor der Hamburger Commerz- und Disconto- Bank ein Bankenkonsortium bildete. Damit gehörte die Helmut Horten GmbH, Düsseldorf, nun zu den vier großen Warenhäusern (nach Karstadt, Kaufhof und vor Hertie).1861 Helmut Horten galt Zeitgenossen bald als „personifiziertes Wirtschaftswunder“.1862 Im Jahr 1955 widmete „Der Spiegel“ Horten eine Titelstory.1863 Darin beschrieb das Magazin Horten als „den jüngsten Krösus des westdeutschen Warenhausgeschäftes“, dem es gelang, die „Aktien zweier Warenhausgesellschaften aus amerikanischem Bein arischen Besitz übergegangen“. Die geschäftlichen Aktivitäten und „Arisierungen“ von Helmut Horten während der NS-Zeit gerieten 1987 in den öffentlichen Blickpunkt. Bis dahin war die Skrupellosigkeit völlig verschwiegen bzw. verharmlost worden. Die „Arisierung“ wurde wie folgt beschrieben: „1936 folgten seine Firmenchefs Strauß und Lauter dem großen Zug der jüdischen Emigranten und wanderten nach Amerika aus. Sie boten ihrem Abteilungsleiter Helmut Horten das Kaufhaus zum Kauf an“. (Der Spiegel, 1955; Die Zeit, 1965). Anlässlich der Feier zum 50-jährigen Bestehen der Horten AG brachte Der Spiegel 1987 einen kritischen Leitartikel. Horten arisierte jüdische Kaufhäuser in Wattenscheid, Gevelsberg, Bielefeld sowie in Ostpreußen (Königsberg, Marienburg) und Westpreußen (Marienwerder). 1859 Vermutlich hatte Horten in seiner Funktion als Reichsverteiler von Textilien für ausgebombte Deutsche größere Warenbestände unbemerkt und sicher verstecken können, auf die er nun zurückgriff. Vor 1953 gründete Horten noch eigene Filialen in Emmerich und Geldern, siehe Artikel „Das Paradies der Damen“ (Titelstory), in: Der Spiegel 21/1955, S. 18–24; Artikel „Portrait: Helmut Horten. Im Dienste Merkurs“, in: Die Zeit vom 23.7.1965; Artikel „Arisierung: Keiner hat was zu feiern“, in: Der Spiegel Nr. 52/1987, S. 58–72; Eintrag „Helmut Horten (1909–1987), Unternehmer“ von Thiel, Thomas, unter http://www.rheinischege schichte.lvr.de/persoenlichkeiten/H/Seiten/HelmutHorten.aspx, 7.10.2015. 1860 Der jüdische Financier Jacob Michael besaß die Textilkredit AG, die die Mehrheit an der Emil Köster AG hielt, der Dachgesellschaft des Defaka-Kaufhauskonzerns. Der Kaufmann Emil Köster hatte 1924 spezielle Warenhäuser (mit Ratenzahlung) für Beamte und Angestellte gegründet und diese später mit der Gemeinnützigen Beamtenversorgungs-GmbH (Gebeva) zur Kette Defaka verschmolzen, siehe Eintrag „Michael, Jacob“, in: Foitzik, Jan (1980): Politik, Wirtschaft, öffentliches Leben, S. 499 f. Der Spiegel hetzte im Jahr 1955 gegen den „Spekulanten“ Michael, der sein Vermögen „errafft“ habe, siehe „Das Paradies der Damen“ (Titelstory), in: Der Spiegel 21/1955, S. 18–24. 1861 Die Helmut Horten GmbH, Düsseldorf fungierte als Dachgesellschaft dreier Tochtergesellschaften: Merkur Horten & Co. KG, Emil Köster KGaA sowie der Horten GmbH, Duisburg (die Horten 1955 an die Karstadt AG verkaufte). Merkur brachte 11 Häuser, 22.500 qm und 3.400 Angestellte ein. Defaka brachte 19 Häuser, 50.000 qm und 5.000 Mitarbeiter ein, siehe Artikel „Portrait: Helmut Horten. Im Dienste Merkurs“, in: Die Zeit vom 23.7.1965; Artikel „Das Paradies der Damen“ (Titelstory), Der Spiegel 21/1955, S. 18–24. 1862 Vgl. „Gestorben: Helmut Horten“, Der Spiegel, 50/1987, S. 252. 1863 Vgl. im Folgenden: „Das Paradies der Damen“ (Titelstory), in: Der Spiegel 21/1955, S. 18–24.

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

sitz zu repatriieren und [ ] ein modernes Paradies der Damen [zu] schaffen.1864 Zwischen 1954 und 1960 verdoppelte Horten Umsatz und Verkaufsfläche seines Konzerns. Die Merkur-Häuser boten preisgünstige Artikel und Konfektionsware für den Massenbedarf, das Sortiment der Defaka-Häuser solche für die anspruchsvollere Mittelschicht. Das bessere Verhältnis von Umsatz zu Verkaufsfläche büßte Horten (gegenüber Karstadt und Kaufhof) erst um 1960 ein (Tabelle 119). Tab. 119 Umsatz, Verkaufsfläche und Beschäftigte, Horten AG, 1949 bis 19611865 Jahr

Umsatz

Verkaufsfläche

Beschäftigte

Umsatz/qm Horten

Umsatz/qm Karstadt

Umsatz/qm Kaufhof

1949

1.005

k. A.

3

4

1950

1.880

k. A.

4

3

1951

2.200

k. A.

4

4

1952

2.683

k. A.

4

4

k. A.

4

4

6

4

4

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

5

5

1957

k. A.

k. A.

k. A.

1958

k. A.

5

5

k. A.

k. A.

k. A.

5

5

6

k. A.

6

5

1953 1954

470

80.000

1955 1956

620

1959

805

1960

850

1961

950

186.000

Anmerkungen: Umsatz/qm = Umsatz pro qm-Verkaufsfläche; Umsatz und Umsatz pro qm-Verkaufsfläche in Mill. DM, lfd. Preise; Verkaufsfläche in qm.

Mit der weiteren Ausdehnung des Konzerns und dem Erreichen von zwei Milliarden Jahresumsatz in den 1960er Jahren wandelte sich die Horten GmbH Ende 1969 in eine Aktiengesellschaft, an der Horten zunächst 25 Prozent Anteile besaß und als Aufsichtsratsvorsitzender fungierte. 1971 trennte sich Horten von seinen Anteilen und zog sich aus dem operativen Geschäft und ins schweizerische Tessin zurück. Der Konzern betrieb in diesem Jahr bundesweit 51 Warenhäuser, beschäftigte über 32.000 Mitarbeiter und machte über 2,5 Milliarden DM Umsatz.1866 Dank seines geschätzten Erlöses von über einer Milliarde DM, den er unter großem Medienecho steuerfrei in die Schweiz transferierte, machte Horten Schlagzeilen wegen seines zur Schau gestellten Luxus-

1864 1865 1866

Vgl. „Im nächsten Heft“, Der Spiegel, 11.5.1950, S. 50. Aufstellung nach Banken (2000). Vgl. ebd.

605

606

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

lebens, aber auch umfangreicher Wohltätigkeiten.1867 Der Horten-Konzern überlebte seinen Gründer, der im Jahr 1987 starb, nur um etwa zehn Jahre.1868 7.2.3.2 Konsumvereine und Hausierer Doch nicht nur neue und alte Warenhäuser drängten auf den Textilmarkt. Für große Unruhe sorgte die Sortimentsausweitung der Konsumvereine auf Textilien. Die Pläne systematischer Aufkäufe von Textilspezialhäusern und vom Aufbau eigener Versandhäuser waren im Frühjahr 1953 publik geworden. Ab Oktober, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, bot die Großhandelsorganisation der Konsumgenossenschaften (GEG) flächendeckenden Versand an. Dazu lag ein 36-seitiger, mehrfarbiger Katalog in 8.000 Lebensmittelfilialen aus, der eine „verhältnismäßig kleine“, mittelpreisige Textilauswahl an Damenkleidern, Damen- und Herrenunterwäsche sowie Schürzen bot.1869 Ausgesprochen scharf gingen die Einzelhandelsverbände auch gegen alle Formen des als „illegal“ gebrandmarkten Handels vor. Dieser umfasste Hausier- und Straßenhandel („Enricos“), Werkshandel und Direktverkäufe von Fabriken. Diese Vertriebsformen arbeiteten, so der Vorwurf, „auf Kosten der Allgemeinheit“ und müssten als „Krebsschaden an der Wirtschaft“ bekämpft werden.1870 Kam es zu Konkursen sol-

Besonders das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL arbeitete sich zwischen 1955 und 1987 an den Ausschweifungen Helmut Hortens ab: „Das Paradies der Damen“ (Titelstory), Der Spiegel 21/1955, S. 18– 24; „Personalien: Helmut Horten“, Der Spiegel 20/1958, S. 65; „Berufliches: Helmut Horten“, Der Spiegel 23/1959, S. 79; „Personalien: Helmut Horten“, Der Spiegel, 53/1961, S. 84; „Personalien: Helmut Horten“, Der Spiegel 25/1964, S. 90; „Personalien: Helmut Horten“, Der Spiegel 33/1964, S. 74; „Register: Eheschließungen – Helmut Horten“, Der Spiegel 13/1966, S. 86; „Personalien: Helmut Horten“, Der Spiegel 27/1976, S. 154. 1868 Nachdem die Aktienmehrheit in den 1980er Jahren bei der WestLB lag, übernahm 1994 die Kaufring AG zehn Standorte, die größere Zahl der Häuser ging an die Kaufhof Warenhaus AG (Metro). Das Konzept „Galeria“ (anspruchsvolle Kunden) wurde noch von Horten entwickelt, später aber unter „Galeria Kaufhof “ umgesetzt. 2004 verschwand der Markenname „Horten“, siehe Brückner (2013), S. 8 ff.; Eintrag „Helmut Horten (1909–1987), Unternehmer“ von Thiel, Thomas, unter: http://www.rheinischegeschichte. lvr.de/persoenlichkeiten/H/Seiten/HelmutHorten.aspx, 7.10.2015. 1869 TW, Textil-Expansion der Konsumvereine?, 30.4.1953; TW, Die Textil-Pläne der Konsumgenossenschaften, 25.6.1953; TW, Konsumvereine machen Ernst mit Textilien, 1.10.1953; TW, Der Textil-Katalog der Konsumvereine ist da!, 15.10.1953. 1870 Besonders zum Weihnachtsgeschäft 1953/1954 blieben die Aktivitäten der geschätzten 2.000 „Enricos“ (v. a. aus Italien und Tschechien) in ländlichen Gebieten ein Ärgernis des lokalen Handels, der sich für ein Verbot der Ausgabe des Hausierscheines an Ausländer stark machte, siehe TW, „Die Enricos sind wieder im Lande“, 7.1.1954; TW, Auf den Spuren der Wanderläger, 7.1.1954; TW, 2000 Enricos sind jetzt unterwegs, 1.4.1954. Die Kommentare waren voller alter Stereotype. So müsse man „unechte und halbwilde Schwindler und Betrüger brandmarken und Hausfrauen vor ihnen schützen“. Ein Bericht zitierte eine Hausfrau mit den Worten: „Dann kommen öfters Männer mit Stoffen. Die gebärden sich neapolitanisch oder französisch, verständigen sich mit den Händen und schreiben auf Zettel, alles, um garantiert ausländisch zu erscheinen. Für englisches Kammgarn ging einer herunter für die ganzen 3,50 Meter Stoff bis auf 1867

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

cher Vertriebsformen, wurden diese entsprechend herablassend gewürdigt.1871 Doch alle diese Vertriebsformen entsprachen der hohen Nachfrage nach Textilien und Kleidung. Nach einem Gutachten der Gesellschaft für Marktforschung, Hamburg sahen im Jahr 1953 immer noch 69 Prozent der Familien textile Versorgungslücken im Haushalt. Jeder fünften Hausfrau „fehle es praktisch an allem“, der Hälfte dieses Teils „zuerst an Bekleidung und Haushaltswäsche“. Mehr als die Hälfte aller Befragten (57 Prozent) wollte „freies Geld zunächst in Bekleidung und Haushaltswäsche stecken“.1872 Auch hier wirkte also der Effekt des aufholenden Nachkriegsbedarfes. 7.2.3.3 Aufstieg des Versandhandels Besonders der Versandhandel entwickelte sich spätestens zum Jahresbeginn 1954 mit einem Einzelhandelsumsatzanteil von 10 Prozent (ggü. 2,5 Prozent 1938) zum Hauptkonkurrenten des stationären Einzelhändlers. Versandhändler wie Josef Neckermann, Quelle (Textilien, Haushaltswaren) oder Hanns Porst (Foto) wurden als innovative Pioniere des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunderlandes gefeiert.1873 Der Textileinzelhandel sah dadurch seine Rolle in der Versorgung der unteren und mittleren Einkommensschichten gefährdet. Bot der erste Neckermann-Katalog (März 1950) nur zwölf Seiten mit drei Kleidern, hatten die Kundinnen bereits fünf Jahre später auf 168 Seiten die Auswahl zwischen „98 Kleidern, 18 Damenmänteln, 16 Röcken, 34 Blusen und 38 Schürzen“. Sowohl die hohe Auflage von zwei Millionen Exemplaren als auch die angebotenen Qualitäten, der Fokus auf gut verkäufliches Stapel-Genre, günstige Preise und Serviceleistungen (Umtausch und Garantie) setzten den stationären Textileinzelhandel erheblich unter Modernisierungsdruck. Setzten die Waren- und Kaufhäuser den Fachhändler in Großstädten unter Druck, zielte der Versandhandel bewußt auf ländliche, strukturschwache Regionen. Etwa die Hälfte der vier Millionen Quelle-Pakete des Jahres 1955 (täglich im Schnitt also 13.000) gingen an Orte mit weniger als 2.000 Einwohnern.1874 Problematisch für den Textileinzelhandel war besonders der zunehmende textile Schwerpunkt der Quelle- und Neckermann-Sortimente – zwei von drei Artikeln waren Textilien oder Bekleidung (Tabelle 120).

vierzig Mark“, siehe TW, Am Einzelhandel vorbei – wirklich zwecksmäßiger und billiger?, 16.9.1953; TW, Immer mehr Stimmen gegen Enricos, 22.10.1953. 1871 So etwa der Konkurs der Texla GmbH (Textilversand für Land) der Wirtschaftlichen Vereinigung Deutscher Schafzüchter, siehe TW, Ein Konkurrent des Handels streckt die Waffen, 5.11.1953. 1872 TW, Millionen Haushalte haben Mangel an Textilien, 30.9.1954. 1873 Vgl. Artikel „Versandgeschäfte. Einkauf am Küchentisch“, in: Der Spiegel 1/1954, S. 6–12. 1874 TexW, Das Versandhaus eine unübersehbare Realität, 24.3.1955; TW, Rapide Entwicklung des Versandhandels, 29.3.1955.

607

608

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 120 Umsätze und Textilanteil, Quelle und Neckermann, 19591875 Umsatz

VzVj

Textilumsatz

VzVj

Textilanteil

Kataloganteil

Quelle

606

35 %

375

23,8 %

62 %

95 %

Neckermann

540

20 %

351

25,8 %

65 %

65 %

Anmerkungen: Umsatz in Millionen DM, lfd. Preise; VzVj = Veränderung zum Vorjahr in Prozent; Textilanteil ist Anteil von Textilien am Umsatz in Prozent; Kataloganteil ist Anteil Kataloggeschäft am Umsatz in Prozent.

Als Reaktion auf die steigenden textilen Umsätze der Versandhändler, begann Ende der 1950er Jahre auch die Lebensmittelbranche mit dem Aufbau eines Kataloggeschäfts und der gleichzeitigen Ausweitung ihres Sortimentes auf Textilien. Ab Ende 1959 gründeten Lebensmitteleinzel- und -großhändler eigene Versandgesellschaften. Der 1952 gegründete Zusammenschluss SPAR hatte in seinen 50.000 angeschlossenen Geschäften nun Kataloge ausliegen, in denen Kunden auf 192 der 355 Seiten Textilien und Bekleidung fanden. Ab April 1961 entschloss sich die Rewe, der rund 13.000 Lebensmitteleinzelhändler angeschlossen waren, Katalogpartner von Neckermann zu werden, während die Edeka kein Versandgeschäft aufbaute. Insgesamt blieb der Katalogumsatz mit Textilien im Lebensmittelhandel bis Anfang der 1960er Jahre allerdings „ohne größere Bedeutung“. Zwar hatte der Textilfachhandel eine Aufnahme von Lebensmitteln als „Schuss vor den Bug für [den] textilsüchtigen Teil des Lebensmitteleinzelhandels“ kurz diskutiert, dann jedoch mehrheitlich abgelehnt, da man darauf vertraute, dass die „Masse der Verbraucher“ die „Leistungsfähigkeit des Fachhandels erkennen würden“.1876 Doch die gravierenden Strukturänderungen in den 1950er Jahren waren unaufhaltsam und auch unübersehbar. Nimmt man die Umsatzsteuerstatistiken zur Grundlage, kam es zwischen 1950 und 1959 zu einem „Austausch der Marktanteile“ zwischen den Kleinstbetrieben (bis 50.000 D-Mark Jahresumsatz) und den Großbetrieben (ab 25 Millionen D-Mark Jahresumsatz) im deutschen Einzelhandel. Der Marktanteil (Anteil am Einzelhandelsumsatz) der „Kleinen“ brach von 18,7 auf 6 Prozent ein, während die „Großen“ ihren Anteil von 5,8 auf 18,6 erhöhen konnten. Zudem hatten alle Betriebsgrößen bis 250.000 D-Mark Jahresumsatz zwischen 1950 und 1959 Marktanteile verloren, während alle Firmen über 250.000 D-Mark Jahresumsatz sowohl ihren absoluten Umsatz, als auch relativen Anteil steigern konnten (Abbildung 36). Die Umsatzsteuerstatistik für das Jahr 1957 bezeugte die Wandlungen vom Klein- zum Mittel- und Großgeschäft gerade auch im Textileinzelhandel. Nur noch 28 Prozent des

Aufstellung nach TW, Neckermann steigerte Textilumsätze um 26, Quelle um 24 vH, 3.3.1960. TW, Nach Spar nun auch der Fachring, 14.1.1960; TW, Lebensmittelgroßhandel steigt in Textilien ein, 14.1.1960; TW, Textilien beherrschen Spar-Katalog, 4.2.1960; TW, Lebensmittel im Textilgeschäft?, 18.2.1960; TW, Lebensmittel im Textilgeschäft?, 28.4.1960; TW, Textilfachgeschäfte wollen nicht fremdgehen, 9.11.1961; TW, Immer mehr Kataloge in Lebensmittelgeschäften, 2.3.1961. 1875 1876

Lebensmitteln als „Schuss vor den Bug für [den] textilsüchtigen Teil des Lebensmitteleinzelhandels“ kurz diskutiert, dann jedoch mehrheitlich abgelehnt, da man darauf vertraute, dass die „Masse der Verbraucher“ die „Leistungsfähigkeit des Fachhandels erkennen würden“.1876 Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961) Abbildung 36 Anteil am Einzelhandelsumsatz nach Betriebsgrößen, 1950 und 1959

1877

25.000.000 und mehr

Jahresumsatz

10.000.000 bis 25.000.000 5.000.000 bis 10.000.000 1.000.000 bis 5.000.000 500.000 bis 1.000.000 250.000 bis 500.000 100.000 bis 250.000 50.000 bis 100.000 Bis 50.000 0

5

10

15

20

25

Anteil am Einzelhandelsumsatz % Umsatzanteil (1959)

Umsatzanteil (1950)

1877 Abb. 36die Anteil am Einzelhandelsumsatz nach in Betriebsgrößen, 1950 waren und 1959 Doch gravierenden Strukturänderungen den 1950er Jahren unaufhaltsam und auch

unübersehbar. Nimmt man die Umsatzsteuerstatistiken zur Grundlage, kam es zwischen 1950 und 1959 zu einem „Austausch der Marktanteile“ zwischen Betriebe den Kleinstbetrieben 50.000 D-Mark gesamten Umsatzes der Branche erwirtschafteten mit bis zu (bis 250.000 D-Mark Jahresumsatz) und den Großbetrieben (ab 25 Millionen D-Mark Jahresumsatz) im deutschen Jahresumsatz. Auf Großbetriebe mit über 5 Millionen D-Mark Jahresumsatz entfieEinzelhandel. Der Marktanteil (Anteil am Einzelhandelsumsatz) der „Kleinen“ brach von 18,7 auf 6 len knapp 26 Prozent der Umsätze. Besonders auffällig war dieser Wandel im Bereich Prozent ein, während die „Großen“ ihren Anteil von 5,8 auf 18,6 erhöhen konnten. Zudem hatten der Fertigkleidung. Nahezu jede zweite D-Mark wurde in Großbetrieben umgesetzt. alle Betriebsgrößen bis 250.000 D-Mark Jahresumsatz zwischen 1950 und 1959 Marktanteile Auf nur drei Betriebe einem Jahresumsatz von Jahresumsatz 250 Millionen D-Mark mehr verloren, während allemit Firmen über 250.000 D-Mark sowohl ihrenund absoluten entfielen 22,1 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche „Oberbekleidung, Wirkund Umsatz, als auch relativen Anteil steigern konnten (Abbildung 36). Strickwaren“ (Tabelle 121). Die Umsatzsteuerstatistik für das Jahr 1957 bezeugte die Wandlungen vom Klein- zum Mittel- und Großgeschäft gerade auch im Textileinzelhandel. Nur noch 28 Prozent des gesamten Umsatzes der Branche erwirtschafteten Betriebe mitGK1 bis zu 250.000 D-Mark Jahresumsatz. Großbetriebe Branche GK2 GK3 GK4 GK5 AufGK6 GK7 mit über 5 Millionen D-Mark Jahresumsatz entfielen knapp 26 Prozent der Umsätze. Besonders Textilwaren aller Art 8,0 26,2 13,0 12,0 9,5 10,3 21,0 auffällig war dieser Wandel im Bereich der Fertigkleidung. Nahezu jede zweite D-Mark wurde in Oberbekleidung, Wirk- und Strickwaren 1,9 2,8 7,4 8,3 9,6 11,5 46,6 Großbetrieben umgesetzt. Auf nur drei Betriebe mit einem Jahresumsatz von 250 Millionen D-

Tab. 121 Umsatzanteile der Betriebsgrößen im Textileinzelhandel 19571878

Textileinzelhandel

6,0

21,9

12,4

12,1

10,9

11,0

25,7

1876 Anmerkungen: Grundlage Umsatzsteuerstatistik, GK TW, = Größenklasse, GK1: untersteigt 50.000 DM, GK2: TW, Nach Spar nun auch der Fachring, 14.1.1960; Lebensmittelgroßhandel in Textilien ein, 50.000 bis 250.000 DM; GK3: 250.000 bis 500.000; GK4: 500.000 1 Million; GK5: Millionen; 14.1.1960; TW, Textilien beherrschen Spar-Katalog, 4.2.1960; TW,bisLebensmittel im 1–2 Textilgeschäft?, GK6: 2–5 Millionen, GK7: überim5Textilgeschäft?, Millionen. 18.2.1960; TW, Lebensmittel 28.4.1960; TW, Textilfachgeschäfte wollen nicht fremdgehen, 9.11.1961; TW, Immer mehr Kataloge in Lebensmittelgeschäften, 2.3.1961. 1877 Aufstellung nach TW, Große und Kleine tauschen die Plätze, 12.1.1961.

Der Konkurrenzdruck der Großbetriebe und des Versandhandels zeigte also deutliche 506 Wirkung. Der textile Facheinzelhandel erschien immer mehr als antiquierte Absatzform, die unmodern und nicht preissenkend wirkte. Im Sommer 1954 veröffentlichte das Institut für Absatz- und Verbrauchsforschung eine Untersuchung über den „Stand

1877 1878

Aufstellung nach TW, Große und Kleine tauschen die Plätze, 12.1.1961. Aufstellung nach TW, Konzentration im Textileinzelhandel?, 30.4.1959.

609

610

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

der Textilpreise am 20. Februar 1954“. Auf Grundlage der Untersuchung von 1.400 Textileinzelhändlern und 20 ausgesuchten Textilartikeln lagen die Preise von Warenhäusern in Mittel- und Großstädten sieben bis acht Prozent unter dem Durchschnitt. Hingegen lagen die Warenpreise in Fachgeschäften in Städten und auf dem Land etwa zwei bis fünf Prozent über dem Durchschnitt. Obwohl die Studie nur bestätigte, dass die Textilpreise in den Städten unter denen auf dem Land lagen, sah sich der Fachhandel dem Vorwurf der hohen Verkaufspreise ausgesetzt. Auch wenn die Verbände mit einigem Recht die Erhebungsmethode kritisierten, blieb unstrittig, dass die Kostenstrukturen der Kleingeschäfte unter dem Wettbewerb litten. Mitte der 1950er Jahre entfielen schon etwa die Hälfte aller Ausgaben auf Personalkosten, da die Tarifgehälter zwischen 1950 und 1956 um 88 Prozent angestiegen waren.1879 Auf Unterstützung durch die Regierung bzw. des Bundeswirtschaftsministeriums hoffte der Textileinzelhandel indes vergeblich. Zwar bestätigte das Bundesverwaltungsgericht im November 1955 die Verfassungsmäßigkeit des EHSG, welches die Zulassung weiter an einen „Sachkundenachweis“ und die „persönliche Zuverlässigkeit“ band.1880 Doch Erhard machte Teile des Einzelhandels für den unerwünschten Preisanstieg täglicher Gebrauchsgüter mitverantwortlich. Ab Mai 1957 propagierte Erhard den Direktverkauf und Import durch Endverbraucher ( Jedermann-Einfuhren). Um den Preisanstieg zu stoppen, sollte jeder Bürger Waren bis zu einem Wert von 100 D-Mark ohne Formalitäten importieren können. Zwar blieb das Programm bedeutungslos1881 – es fehlte an entsprechenden günstigen Importwaren und Zölle, Steuern und Verpackungen machten die Einfuhr unattraktiv – doch der Einzelhandel empfand die Erhard-Idee als „Generalangriff “.1882 7.2.3.4 Supermarkt und Shopping-Center Nach dem (Wieder-)Aufstieg der Warenhäuser und des Versandhandels und dem damit einhergehenden Verlust von Marktanteilen des Fachhandels in der ersten Hälfte der 1950er Jahre, besonders im Bereich der Fertigkleidung, schuf die zunehmende TW, „Das teure Land und die billige Großstadt“, 17.6.1954; TW, Der Elektriker als Textilsachverständiger!, 24.6.1954; TW, „Das teure Land und die billige Großstadt“, 8.7.1954; TW, Das kleine Geschäft in Existenzkrise, 3.11.1955; Artikel „Textilgeschäfte müssen genau rechnen“, in: Die Zeit, 6/1957, S. 18; Artikel „Auf einen Blick “, in: Die Zeit, 18/1957, S. 14. 1880 TW, Einzelhandelsschutzgesetz verfassungsgemäß, 17.11.1955; TW, Einzelhandelsschutzgesetz ist geltendes Recht!, 24.11.1955. 1881 Es bildeten sich einige Einkaufsgenossenschaften (z. B. „Der Ring“) von Endverbrauchern für den Import ausländischer Fertigware. 1882 Vgl. Artikel „Jedermann-Einfuhr. Nur psychologische Tricks“, in: Der Spiegel, 19/1957, S. 15–17; Artikel „Jedermann-Einfuhr. Mit staatlicher Stütze“, in: Der Spiegel 45/1957, S. 25–26; TW, DirektverkaufGroßangriff, 14.11.1957; TW, „Der Verbraucher soll im Ausland einkaufen!“, 28.11.1957; TW, Dem Handel mitten ins Gesicht, 5.12.1957. 1879

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Motorisierung und der Ausbau der Vekehrsinfrastruktur die Rahmenbedingungen für das Entstehen neuer Einkaufspotenziale. Die Landbevölkerung gelangte zum einen preiswerter in die Städte („Landflucht“), die Städter zog es in die Außenbezirke („City-Flucht“).1883 Diese Potenziale fanden ihren Ausdruck in Supermärkten und Shopping-Centern, vornehmlich in städtischen Randgebieten, die als Scharnier zwischen Stadt und ländlichen Gebieten große Kundenpotenziale abschöpften. In der Kölner Rheinlandhalle eröffnete Herbert Eklöh im Jahr 1957 mit seinem „Supermarkt für Lebensmittel, Haushaltswaren und Textilien“ den europaweit größten dieser Art. Die vier Warenhauskonzerne Karstadt, Kaufhof, Hertie und Horten begannen, das Selbstbedienungssystem des Supermarktes in neue Häuser zu integrieren.1884 Nachdem im Sommer 1959 Pläne des amerikanischen Weston-Konzerns bekannt wurden, unter der Marke „Deutsche Supermarkt GmbH“ zunächst in München drei Märkte und in den kommenden eineinhalb Jahren 300 Märkte bundesweit zu eröffnen, übernahmen die „Großen Vier“ alle Ecklöh-Filialen. Allerdings blieben Supermärkte in der Hauptsache Lebensmittelläden mit einem geringen Umsatzanteil in Textilien und Kleidung (zwischen ein bis fünf Prozent). Bereits im Sommer 1961 meldeten viele Absatzschwierigkeiten in Textilien oder gaben ihre Textilabteilungen wieder auf.1885 Durch das Aufkommen des Supermarktes verzeichnete der Textilfachandel zwar keine akuten Umsatzeinbrüche, doch die Kundschaft wurde weiter an das System der Selbstbedienung und einen erweiterten Aktionsradius bis in die Vorstädte gewöhnt. Blieb das System Supermarkt auf Lebensmittel beschränkt, so ebnete es doch den Weg zur Akzeptanz des modernen Shopping-Centers. Die ersten Berichte über solche Malls erreichten die textile Fachwelt bereits im Dezember 1955. In den USA waren Anfang der 1950er Jahre die ersten „suburban shopping-center“ in Betrieb genommen worden.1886

TW, Unsere großen Gegenwartsfragen, 16.9.1953. Bereits 1950 hatte die Textilkette C&A Selbstbedienungstheken für Herrenoberbekleidung, eine Innovation im Textileinzelhandel, eingeführt, vgl. Spoerer (2016), S. 301. 1885 TW, Supermarket – ein neuer Großkonkurrent?, 30.7.1959; TW, Supermarkt Sendling mit kleineren Textilien, 20.8.1959; TW, Weston-Konzern macht Ernst, 27.8.1959. In München etwa eröffnete in Reaktion darauf der „Supermarkt Milbershofen“ (der Firma Bücherl), der nur ein Prozent Textilien (Nähmittel, Kurzwaren, Strümpfe) anbot. In den nächsten Jahren expandierte der Weston-Konzern nach Norden (Interessensgemeinschaft mit der Noleg, Nordwestdeutscher Lebensmittelvertrieb) und nach Süden (Zusammenschluss mit Bücherl), siehe TW, Neuer Supermarkt: Textilien im Vorbeigehen , 26.11.1959; TW, Supermarkt dringt vor, 24.3.1960; TW, Supermarkt gibt Textilien auf, 15.6.1961; TW, Keine Freude mit Textilien, 28.9.1961. Zu Weston und dessen Unternehmensexpansion in Deutschland siehe Langer (2013), S. 273 ff.; Welskopp (2014), S. 298 ff.; Disch (1966), S. 68 f. Zur Ausbreitung von SPAR, Weston und Bücherl in München und anderswo, siehe TW, Was tun in Sachen Spar?, 10.12.1959; TW, Textilchancen der Lebensmittelgeschäfte, 10.12.1959; Artikel „Auslagen wie Marilyn“, in: Der Spiegel 47/1960, 16.11.1960; Artikel „Supermarkterweiterung“, in: Hamburger Abendblatt, 15.3.1960 sowie allgemein Tietz (1966, 1973, 1983). 1886 Der Typus der in die Vorstadt gelagerten Mall entstand bereits 1946, entwickelte sich aber erst Anfang der 1950er Jahre voll aus. Als erstes seiner Art gilt das im April 1950 eröffnete Northgate Center, Seattle (heute Northgate Mall). 1951 eröffneten im kalifornischen Lakewood (Lakewood Center) und in Framing1883 1884

611

612

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Den deutschen Kommentatoren galt diese neue Distributionsform als „moderner Wochenmarkt“, der zunächst als rein amerikanisches Phänomen beschrieben wurde. Mit der Ausbreitung des Supermarktes, dem Engagement der deutschen Warenhäuser und dem weiteren Zusammenschrumpfen von Zeit und Raum durch das Auto erkannte der Fachhandel spätestens im Sommer 1957 die Anziehungskraft auf den deutschen Kunden: „Man verfährt gerne 3 DM um für 1 DM billiger einkaufen zu können“.1887 Doch noch im Dezember 1957 bezweifelte die „Textil-Woche“ die Sinnhaftigkeit eines Imports des Shopping-Centers nach Deutschland: „Fraglich ist, ob das amerikanische Shopping-Center mit Groß-Warenhaus, Kino, Restaurant, Supermarkt und vielen Spezialgeschäften [sich] in Deutschland entwickeln kann“. Anders als in den USA seien große Freiflächen für Läden und Parkplätze hier knapp und teuer.1888 Doch anders als im Supermarkt fasste nicht ein Geschäft Food und Non-Food zusammen, sondern eine Art künstliche Einkaufsmeile mit Geschäften aller Art bot dem Kunden eine nie gekannte Auswahl. Im Juni 1961 berichtete die Fachpresse über das „Selbstwahl-Warenhaus“ des holländischen Textilfilialisten Vroom & Dreesmann (V&D), welches als Hauptgeschäft Teil des neu eröffneten Shopping-Centers Amstelland in Holland geworden war.1889 Textilgeschäfte wurden zu Hauptanziehungspunkten und einem integralen Teil der Warenwelt des europäischen Shopping-Centers. Als erste deutsche Shopping-Center „auf der grünen Wiese“ gelten die 1964 eröffneten Zentren bei Frankfurt/Main (Main-Taunus-Zentrum) und in Bochum (Ruhrpark-Zentrum).1890 Allerdings eröffnete bereits Ende Oktober 1961 das erste deutsche Einkaufszentrum „Kaufzentrum Siemensstadt“ in West-Berlin. Nach den Vorbildern aus Rotterdam und Stockholm entstand hier ein integriertes System an Ladenstraßen mit 5.000 qm und 550 Meter Schaufensterfront für 30 Geschäfte sowie Parkplätze für 150 Autos.1891

ham (Shopper’s World) zwei weitere Malls. Das im März 1955 eröffnete Valley Fair Shopping Center in Appleton, Wisconsin gilt als erste vollständig geschlossene Mall der USA. Zur neueren Forschung siehe Sedlmaier (2005). 1887 TexW, Landgeschäfte haben schweren Stand, 29.8.1957. 1888 Artikel „Wo wird in Zukunft gekauft?“, in: Textil-Zeitung Nr. 151, 17.12.1957, BWA K9/627; Artikel „Die Eklöh-Furcht“, in: Der Spiegel 35/1959, 28.8.1959. 1889 TW, Großangriff auf den Verbraucher, 1.6.1961; V&D ist auch heute noch im heutigen Center „Amstelveen“, unter http://www.stadshartamstelveen.nl/W/do/centre/geschiedenis, 18.9–2016. 1890 Vgl. etwa Wehrheim (2007), S. 20; Helmer-Denzel (2004), S. 56: Das MTZ ging bereits 1961 in den Bau und sollte ein Zentrum „amerikanischer Prägung“ werden, siehe TW, Haben shopping-centers in Deutschland Erfolg?, 5.10.1961. 1891 Weitere Pläne existierten auch für Stuttgart, siehe TW, Berlin hat erstes deutsches Einkaufszentrum, 2.11.1961; Biographische Angaben zu Pepper unter http://www.europa-center-berlin.de/uploads/media/Karl-Heinz-Pepper_de.pdf, 18.9.2016; Artikel „Die längste Glaspassage Europas“, in: Berliner Zeitung, 12.3.1996, unter http://www.berliner-zeitung.de/archiv/einkaufszentrum-siemensstadt-feiert-35--geburts tag---60-geschaefte-unter-einem-dach-die-laengste-glaspassage-europas,10810590,9095014.html, 18.9.2016; Artikel „Peppers Pfeffer“, in: Der Spiegel, 15.4.1964, 16/1964, S. 24–27.

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

7.2.4

Strategien des Fachhandels

Im April 1961 veröffentlichte die „Textilwirtschaft“ eine große Umfrage unter Textilfachhändlern, in der sie nach den größten Konkurrenten des eigenen Geschäftes fragte. 73 Prozent der Befragten sahen in den Großbetrieben (Versandhandel, Waren- und Kaufhäuser, Filialisten) den Hauptkonkurrenten des eigenen Geschäftes (Tabelle 122). Tab. 122 Umfrage „Unsere größten Konkurrenten“, April 19611892 Wettbewerber

Größter Konkurrent

Versandhandel

43,3 %

Waren- und Kaufhäuser

23,0 %

Beziehungs-, Werks- und Behördenhandel, Direktverkäufe

11,3 %

Großfachgeschäfte/Filialgeschäfte

6,7 %

Fachkollegen

6,7 %

Geschäfte der nahen Großstadt oder City

5,6 %

Ambulante, Wanderläger

2,2 %

Branchenfremde Geschäfte

0,6 %

Konsum

0,6 %

Im Januar 1961 hatte die „Textilwirtschaft“ den Marktanteil der Waren- und Kaufhäuser, der Großversender (Neckermann, Quelle) sowie Großfilialisten wie C&A im Textileinzelhandel auf etwa 25 Prozent geschätzt. Nahezu verzweifelt riefen die Kommentatoren C&A, Woolworth, Neckermann und Quelle zur „Selbstbeschränkung“ auf. Wegen deren „eigener Verantwortung vor der Gesamtheit“ müsse der „letzlich selbstschädigende Firmenegoismus“ gestoppt werden, um „politische Unruhe“ zu vermeiden.1893 Nur wenige Monate später, im Juli 1961, meldete die „Textilwirtschaft“, dass der Umsatzanteil der Fachgeschäfte im Textileinzelhandel 1960 erstmals nicht weiter gesunken war. Demnach gingen 67,5 Prozent aller Textilien über Fachgeschäfte, 19,4 Prozent verblieben in Warenhäusern, 6,9 Prozent im Versandhandel. Der Fachhandel meldete gegenüber dem Vorjahr ein Umsatzplus von elf Prozent, während die Textilabteilungen der Waren- und Kaufhäuser bei knapp über zehn Prozent Zugewinn lagen.1894 Im Folgenden sollen zunächst die Entwicklungen der Branchenstrukturen und -umsätze zwischen 1950 und 1960 in den Blick genommen werden, um in einem zweiten Schritt konkrete Geschäftsstrategien des Fachhandels ange-

Aufstellung nach TW, Unsere größten Konkurrenten, 27.4.1961. TW, Was wird mit der Expansion?, 5.1.1961. Auf die vier Großen (Karstadt, Kaufhof, Hertie, Horten) entfielen 13,5 Prozent, auf Quelle und Neckermann 4 Prozent aller Umsätze, siehe TW, Wo kauft der Verbraucher?, 13.7.1961. 1892 1893 1894

613

614

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

sichts des sich verstärkenden Wettbewerbsdrucks zu identifizieren und abschließend für die Unternehmen Hirmer und Hettlage die Chancen und Risiken in dieser Zeit zu exemplifizieren. 7.2.4.1 Branchenstrukturen & Umsätze Mit den Ergebnissen der Arbeitsstättenzählung im Jahr 1950 und der Handels- und Gaststättenzählung von 1960 liegen seit Kriegsende erstmals wieder einheitliche, überregionale Angaben zu Betrieben und Beschäftigten im Einzelhandel und dessen Untergliederungen vor. Die Statistiker zählten im Jahr 1950 468.000 Einzelhandelsbetriebe mit knapp 1,3 Millionen Beschäftigten in der Bundesrepublik (ohne West-Berlin). Der Textilfachhandel verfügte über etwa 66.500 Betriebe, in denen über 220.000 Beschäftigte arbeiteten. Damit lag sein Anteil am Einzelhandel bei 14,2 Prozent (Betriebe) bzw. 17,8 Prozent (Beschäftigte). Nur leicht niedriger lag die Zahl der gemischten Großbetriebe, die neben Textilien auch andere Gebrauchsgegenstände verkauften. In der Bundesrepublik (ohne West-Berlin) gab es knapp 47.500 solcher Betriebe mit 159.600 Beschäftigten. Ihr Anteil am Einzelhandel lag damit bei 10,2 (Betriebe) bzw. 12,5 Prozent (Beschäftigte). Damit handelte im weitesten Sinne nahezu jeder vierte Einzelhandelsbetrieb mit Textilien und Kleidung (ohne Schuhe) und knapp jeder Dritte im Einzelhandel Beschäftigte verkaufte unter anderem textile Gegenstände (Tabelle 123). Die Strukturveränderungen der nächsten zehn Jahre schlugen sich auch methodisch nieder. Die Zählung von 1960 unterschied nicht mehr zwischen (klein- und mittelbetrieblichem) Textilfachhandel und gemischten Großbetrieben, sondern fasste alle Betriebsformen, die schwerpunktmäßig mit Textilien handelten bei der Zählung der Betriebe und Beschäftigten unter die Kategorie „Einzelhandel mit Bekleidung, Wäsche, etc“. zusammen. Zieht man die Zahlen für Schuhhandel ab, entsprach dies 64.500 Betrieben mit 340.000 Beschäftigten. Demzufolge handelte nur noch jeder siebte Einzelhandelsbetrieb (14,4 Prozent) und knapp jeder fünfte im Einzelhandel Beschäftigte (17,9 Prozent) schwerpunktmäßig mit Textilien und Kleidung (Tabelle 124). Neben den Zählungen des Statistischen Bundesamtes setzte die Kölner Forschungsstelle für den Handel ihre statistischen Anlysen des Einzelhandels fort. In Reaktion auf die Währungsreform entstand nach Absprache mit der HDE und den Fachverbänden der „Kölner Betriebsvergleich“, der die langfristige Beobachtung des deutschen Einzelhandels ermöglichen sollte. Der Leiter der Betriebsvergleichsabteilung Hans Philippi veröffentlichte 1962 eine umfangreiche Kompilierung von Betriebskennziffern des Einzelhandels zwischen 1949 und 1958. An dieser Untersuchung beteiligten sich anfangs 1.771 (1949), später über 3.400 Einzelhändler (1958) – deren kombinierter Jahresumsatz entsprach zwischen 2,5 (1949) und 4 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Aus dem Textileinzelhandel beteiligten sich anfangs 366 (1949) und später

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Tab. 123 Betriebe und Beschäftige, Textileinzelhandel, 19501895

Einzelhandel Großbetriebsformen*, davon: Waren- und Kaufhäuser Klein- und Serienpreisgeschäfte Konsumgenossenschaftsgeschäfte Gemischtwarengeschäfte Textilfachhandel**, davon: Textilwaren aller Art Schnittwaren Korsettwaren, Wäsche und Bettwaren Handarbeiten und Kurzwaren Herrenartikel, Hüte, Mützen, Stöcke, Schirme Oberkleidung, Wirk- und Strickwaren Kürschnerwaren Schuhwaren

Betriebe 467.597 47.489 304 58 6.135 40.992 66.538 36.466 3.820 3.231 13.037 3.220 5.989 775 12.938

BRD Beschäftigte 1.274.144 159.604 37.000 3.151 26.614 92.839 222.035 124.705 12.171 12.622 18.890 10.763 39.766 3.118 44.731

West-Berlin Betriebe Beschäftigte 34.226 76.426 435 4.197 19 3.221 10 333 60 133 346 510 3.512 8.952 1.569 3.448 102 419 265 748 707 1.007 220 646 621 2.598 28 86 488 2.659

Anmerkungen: * Eigene Kategorie, die alle Großbetriebsformen zusammenfasst, die (auch, aber nicht nur) Textilien und Kleidung verkaufen ** Eigene Kategorie, um den Fachhandel von den großbetieblichen Unternehmen abzugrenzen, die nicht ausschließlich Textilien verkauften.

Tab. 124 Betriebe, Beschäftige und Umsätze, Textileinzelhandel, 1959/19601896 Einzelhandel Bekleidung, Wäsche, Sportartikel, Schuhe, davon: Textilwaren aller Art Meterware Oberbekleidung Herrenoberbekleidung Damenoberbekleidung Leibwäsche, Wirk- und Strickwaren Haushaltswäsche Hüte Teppiche und Gardinen Bettwaren Schuhe und Schuhwaren

Betriebe 446.869 77.953 29.939 1.776 3.809 1.892 2.475 9.437 1.302 2.211 1.775 887 13.447

Beschäftigte 1.900.465 405.195 161013 9.217 39.290 16.090 28.746 29.915 4.066 6.890 13.637 5.491 65.190

Umsatz 73,83 14,52 5,49 0,31 2,08 0,77 0,98 0,90 0,15 0,13 0,53 0,20 2,27

Anmerkungen: Bundesrepublik ohne Saarland, einschließlich West-Berlin, Stand vom 30. September 1960; Angaben in Tausend gerundet auf Mrd. DM in lfd. Preisen; einschl. Versand- und Markthandel sowie aller großbetrieblichen Unternehmungen.

Aufstellung nach Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1957, X. Industrie und Handwerk, A. Arbeitsstättenzählung 1950, S. 160. 1896 Aufstellung nach Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1965, XIII. Groß- und Einzelhandel, Gastgewerbe, Fremdenverkehr, S. 301 ff. 1895

615

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

über 900 (1958) Unternehmen. Insgesamt beteiligten sich an diesem Vergleich mehr mittlere und größere Unternehmen als kleinere.1897 Nach den Kölner Berechnungen entwickelten sich die preisbereinigten Umsätze der verschiedenen Einzelhandelsbranchen zwischen 1949 und 1958 unterschiedlich dynamisch. Setzt man die Umsätze im Jahr 1949 auf den Wert 100, so stiegen die Umsätze im gesamten deutschen Einzelhandel bis 1958 um fast 89 Prozent. Während sich der Lebensmitteleinzelhandel umsatzmäßig unterdurchschnittlich entwickelte (+65,5 Prozent), profitierte besonders der Handel mit Fertigkleidung von dem ungeheuren Nachholbedarf des deutschen Konsumenten. Zwischen 1949 und 1956 verdreifachte der Konfektionseinzelhandel sein Umsatzniveau von 1949. Danach sanken die Textilumsätze deutlich, aber immerhin noch auf ein deutlich überdurchschnittliches Niveau im Vergleich zum restlichen Einzelhandel (Abbildung 37). Abbildung 37 Umsätze, Textileinzelhandel, 1949 bis 1958

1898

300

272,9

250 1949=100

616

202,2 200 188,6 165,5

150

100 1949

1950

1951

1952

1953

1954

1955

1956

1957

1958

Einzelhandel

Lebensmitteleinzelhandel

Textileinzelhandel

Herren-, Damen- und Kinderoberbekleidung

Anmerkungen: 1949=100, preisbereinigte Durchschnittsumsätze ausgewählter Branchen. Abb. 37 Umsätze, Textileinzelhandel, 1949 bis 19581898 1899

Tabelle 125 Umsätze (absolut), 1949 bis 1961 Anmerkungen: 1949 = 100, Einzelhandel, preisbereinigte Durchschnittsumsätze ausgewählter Branchen. Jahr Umsatz* VzVj Umsatz** VzVj 1949

12

1954

46,07

k.A.

44,3

k.A.

1955

51,29

11,3 %

48,85

10,3 %

57,46

12,0 %

54,21

11,0 %

Über 1950

k.A.

k.A.

k.A.

die 30,81 absolute156,8 Höhe des % der Umsätze 30,81 k.A.deutschen Einzelhandels liegen eine Reihe 1951 k.A. k.A.jedoch k.A. von Erhebungen vor k.A. – die oftmals von jeweils anderen Stichproben auf die Ge1952 40,1 k.A.Bis etwak.A. k.A. recht uneinheitliche Schätzungen vor. Klar samtheit extrapolieren. 1953 liegen 1953 k.A. die starken k.A. k.A. k.A. wohl etwa eine Vervierfachung zwischen erkennbar sind Umsatzzuwächse, 1956 1897 1957 1898 1958

Vgl. 67,64 Philippi (1962), 1, S. 41. 17,7 %S. 15; Tabelle 62,05 14,5 % Aufstellung Philippi (1962), Tabelle3,5 6, % S. 46. 71,29 nach5,4 % 64,22

1959

76,64

7,5 %

68,43

6,6 %

1960

84,86

10,7 %

75,09

9,7 %

1961

93,18

9,8 %

81,16

8,1 %

Anmerkungen: in Mrd. DM; * lfd. Preise, ** preisbereinigt; VzVJ = Veränderung zum Vorjahr in Prozent.

Über die absolute Höhe der Umsätze des deutschen Einzelhandels liegen eine Reihe von

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

1949 und 1952/53. Zwischen 1954 und 1961 sind jährliche Zuwachsraten von durchschnittlich 9 (preisbereinigt) bis 11 (laufende Preise) Prozent zu verzeichnen, wobei sich die Dynamik ab 1957 deutlich abschwächt (Tabelle 125). Tab. 125 Umsätze (absolut), Einzelhandel, 1949 bis 19611899 Jahr

Umsatz*

VzVj

Umsatz**

VzVj

1949

12,00

k. A.

k. A.

k. A.

1950

30,81

156,8 %

30,81

k. A.

1951

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

1952

40,10

k. A.

k. A.

k. A.

1953

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

1954

46,07

k. A.

44,30

k. A.

1955

51,29

11,3 %

48,85

10,3 %

1956

57,46

12,0 %

54,21

11,0 %

1957

67,64

17,7 %

62,05

14,5 %

1958

71,29

5,4 %

64,22

3,5 %

1959

76,64

7,5 %

68,43

6,6 %

1960

84,86

10,7 %

75,09

9,7 %

1961

93,18

9,8 %

81,16

8,1 %

Anmerkungen: in Mrd. DM; * lfd. Preise, ** preisbereinigt; VzVJ = Veränderung zum Vorjahr in Prozent.

Wie entwickelten sich dazu die absoluten Umsätze im Textileinzelhandel? Bis einschließlich 1953 existieren so gut wie keine verlässlichen Angaben auf Branchenebene. So spekulierten Fachzeitschriften im Jahr 1952 etwa über einen Branchenumsatz von 9,5 bis 10 Mrd. D-Mark – wohl auf Grundlage des „historischen“ Umsatzanteils von gut einem Viertel am Einzelhandelsumsatz.1900 Für die frühen 1950er Jahre liegen regionale Erhebungen auf Grundlage der Umsatzsteuerstatistiken, etwa für das Ruhrgebiet und Hamburg vor. Zwischen 1950 und 1953 stiegen die Umsätze des Textilfachhandels im Ruhrgebiet um ein Drittel, in Hamburg um ein Viertel (Tabelle 126). Dank der öffentlichen Umsatzsteuerstatistik liegen für die Jahre 1954 bis 1960 vergleichbare absolute Umsätze für den Textileinzelhandel vor (Tabelle 127). Schaut man auf den prozentualen Anteil am Gesamtumsatz „Textilien und Bekleidung“, so verlor Für die Jahre 1950 sowie 1954 bis 1961 nach Banken (2007) auf Grundlage der jeweiligen Umsatzsteuerstatistik; geschätzte Angaben für 1949 bei TW, Was gibt der Kaufmann für Werbung aus?, 12.5.1949; Angaben für 1952 basieren auf Ifo-Schätzung für die HDE für das Geschäftsjahr 1952, siehe TW, 200.000 schaffen 10 Milliarden, 16.9.1953. Nach anderen Angaben stiegen die Umsätze des Einzelhandels – in den jeweiligen Preisen – zwischen 1950 und 1958 von 25,04 auf 75,65 Mrd. DM, siehe Scheybani (1996), S. 61 f. 1900 Schätzwerte für die Jahre 1952 bei TW, 200.000 schaffen 10 Milliarden, 16.9.1953. Für das Jahr 1956 gab es ebenfalls Schätzungen von etwa 14,5 bis 15 Mrd. DM, siehe Artikel „Textilgeschäfte müssen genau rechnen“, in: Die Zeit, 6/1957, S. 18; Artikel „Auf einen Blick …“, in: Die Zeit, 18/1957, S. 14. 1899

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 126 Umsätze im Textileinzelhandel, Ruhrgebiet und Hamburg, 1950 bis 19531901 Orte Bochum Bottrop Castrop-Rauxel Dortmund Duisburg Essen Gelsenkirchen Gladbeck Herne Mühlheim-Ruhr Oberhausen Recklinghausen Wanne-Eickel Wattenscheid Ruhrgebiet Hamburg

1950 43,6 16,6 9,4 76,9 90,3 124,5 46,2 6,6 18,5 15,2 14,1 6,3 6,0 3,2 477,4 259,5

1951 51,4 17,2 10,4 106,8 108,7 152,2 53,6 7,7 15,6 18,9 18,7 14,7 6,7 6,7 589,3 285,3

1952 51,9 17,2 10,5 115,8 106,5 152,7 58,1 9,7 11,3 18,8 20,2 17,5 6,6 9,0 605,8 294,0

1953 53,7 17,1 10,4 124,9 118,4 160,6 68,0 10,4 11,2 19,2 21,7 16,0 6,9 9,9 648,4 324,7

Veränderung 1950/1953* 23,2 % 3,0 % 10,6 % 62,4 % 31,1 % 29,0 % 47,2 % 57,6 % -39,5 % 26,3 % 53,9 % 154,0 % 15,0 % 209,4 % 35,8 % 25,1 %

Anmerkungen: Grundlage ist Umsatzsteuererhebung, in Mill. DM, lfd. Preise; nicht berücksichtigt sind Waren- und Kaufhäuser, Kleinpreisgeschäfte und Konsumgenossenschaften, *Veränderungen 1953 ggü. 1950 in Prozent.

Tab. 127 Umsätze im Textileinzelhandel, 1954 bis 19601902 Textilwaren aller Art Meterware Oberbekleidung Textilfachgeschäfte Waren- und Kaufhäuser, Kleinpreisgeschäfte Konsumgeschäfte Versand, Gemischtwaren, Sport Versandgeschäfte Gemischtwaren Konsumgeschäfte* Textilien und Bekleidung

1954 4.185 870 2.467 8.765 1.908

1955 4.483 912 2.731 9.478 2.100

1956 4.695 984 3.119 10.312 2.400

1957 4.954 1.041 3.465 11.103 2.625

1958 4.869 1.027 3.427 10.990 2.804

58 1.022

72 1.107

70

83

97

500 340

722 360

771 363

14.122

15.464

15.604

11.753

12.757

1959 5.054 981 3.631 11.394 3.241

1960 5.398 1.018 4.098 12.418 3.565

1.121

1.256

1.122 16.878

1.144 18.383

Anmerkungen: in Mill. DM, lfd. Preise; * umfasste auch Gemischtwaren, Sport, übrige.

Aufstellung nach Erhebung des Statistischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen gemäß der Umsatzsteuererhebung, siehe TexW, Statistik des Textilverbrauches, 3.2.1955; Zur Umsatzentwicklung im Ruhrgebiet im Jahr 1950/51 siehe TW, Absatzmarkt Ruhrgebiet (Dossier), 24.7.1952. 1902 Aufstellung nach TW, Umsatz mit Textilien und Bekleidung im Einzelhandel 1954 bis 1958 (lt. Umsatzsteuerstatistik) im Bundesgebiet, 13.8.1959; TW, Umsatzverlagerungen im Einzelhandel mit Textilien und Bekleidung 1954 bis 1960 (lt. Umsatzsteuerstatistik) im Bundesgebiet und West-Berlin ohne Saarland, 13.7.1961. 1901

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

der Textilfachhandel zwischen 1954 und 1960 kontinuierlich Umsatzanteile – und stürzte von 74,5 auf 67,5 Prozent ab. Während Konfektionsfachgeschäfte (Oberbekleidung) ihren Anteil um die 21 bis 22 Prozent stabil halten konnten, verloren vor allem die Textil- und Schnittwarenhändler deutlich an Boden. Großbetriebe, wie Warenund Kaufhäuser und auch der Versandhandel, steigerten ihren Anteil am Branchenumsatz indes deutlich: Waren- und Kaufhäuser von 16 auf 19 Prozent, der Versandhandel verdoppelte seinen Anteil am Branchenumsatz auf knapp 7 Prozent. Auch Anfang der 1960er Jahre machte der textile Fachhandel mit seinen Klein- und Mittelbetrieben über zwei Drittel des Branchenumsatzes, doch die Dominanz der Textil- und Schnittwarengeschäfte im Textileinzelhandel war endgültig gebrochen. Die Umsätze im Einzelhandelsbereich „Textilien und Bekleidung“ wuchsen in diesem Zeitraum um 56,4 Prozent von knapp 11,8 Mrd. auf 18,4 Mrd. D-Mark. Dazu zählten die Statistiker allerdings nicht nur den (kleinen und mittleren) Textilfachhandel, sondern auch Großbetriebsformen wie Warenhäuser, Konsumgeschäfte und Versandhändler. Nimmt man nur die Textilfachgeschäfte, so steigerten diese ihren Umsatz von 8,8 auf 12,4 Mrd. D-Mark. Dieses an sich ordentliche Umsatzplus von 41,7 Prozent wirkte angesichts der enormen Umsatzsteigerungen der Waren- und Kaufhäuser von knapp 87 Prozent außerordentlich beunruhigend auf den Fachhandel. Die Betrachtungen der verfügbaren absoluten Umsatzwerte bestätigen das Bild, welches die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Umsatzindizes von der Branche zeichnen. Die Statstiker beschreiben den Zeitraum 1949 bis 1955 zum Referenzjahr 1950. In dieser Phase entwickelten sich die Umsätze des Konfektionsfachhandels weit dynamischer als der restliche Fachhandel. Oberbekleidung, Wäsche und Herrenartikel konnten ihre Jahresumsätze deutlicher steigern als die Schnitt- und Kurzwarengeschäfte. Dieses Bild verfestigte sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bis Anfang der 1960er Jahre. Mit den hohen Steigerungsraten des Einzelhandelsbereiches „Bekleidung und Textilien“ – getrieben durch die Warenhäuser und Versandhandel – konnten nur die Konfektionsbranchen mithalten (Tabelle 128). Wie reagierte der textile Fachhandel angesichts dieser beschriebenen Umsatz- und Marktanteilssituation im Verlauf der 1950er Jahre? Die Selbstbehauptung und Stabilisierung des Facheinzelhandels gelang durch eine Mischung von internen Betriebsrationalisierungen, der Übernahme neuer Verkaufs- und Werbemethoden, zielgerichteter Lobbyarbeit und nicht zuletzt über die Lösung der Konditionenfrage mit der Textilund Bekleidungsindustrie.

619

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 128 Umsatzindizes der Branchen des Textileinzelhandels, 1949 bis 19611903 Jahr

Bekleidung und Textilien

TaA

WBM

WSK

HHS

Oberbekleidung

1949

80

88

78

86

83

67

1950

100

100

100

100

100

100

1951

111

106

109

101

109

121

1952

112

104

106

101

110

120

1953

117

106

113

99

109

126

1954

121

108

117

103

114

131

1955

131

117

131

111

122

143

1956

123

119

126

118

119

122

1957

135

127

134

123

127

132

1958

136

125

139

124

123

129

1959

140

124

140

125

122

129

1960

153

132

150

132

142

144

1961

170

144

163

141

161

167

Anmerkungen: Umsatzwerte zu jeweiligen Preisen. 1949 bis 1955 mit 1950 = 100; 1956 bis 1961 mit 1954 = 100; TaA = Textilwaren aller Art (umfasst Textilwarengeschäfte mit breitem Sortiment und Textilkaufhäuser); WBM = Wäsche, Bett- und Miederwaren; WSK = Wirk-, Strick- und Kurzwaren; HHS = Herrenartikel, Hüte, Schirme.

7.2.4.2 Eine Frage der Kondition Mit Jahresbeginn 1950 hatten sich Einzelhandel, Großhandel und Bekleidungsindustrie auf gemeinsame Liefer- und Zahlungsmodalitäten („Einheitskonditionen“) gegenüber der Textilindustrie verständigt, eine verbindliche Regelung scheiterte jedoch an den geltenden Dekartellisierungsbestimmungen. In den folgenden Jahren blieb die „Konditionenfrage die vordringlichste Frage“. Der Handel bestand auf einem langen Zahlungsziel (60 Tage), während die Textilindustrie diesem aus Kapitalmangel nicht entsprechen mochte.1904 Einer Erhebung des Ifo-Institutes von 1952 zufolge zahlten 77 Prozent der Einzelhändler sofort oder innerhalb von 30 Tagen. Textileinzelhändler jedoch machten den größten Teil von Zahlungsüberschreitungen aus. 24 Prozent zahlten erst zwischen 30 und 60 Tagen, jeder fünfte erst 60 Tage nach Erhalt der Ware, wohingegen zwei

Aufstellung nach Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik: (1954), S. 271 ff.; (1956), S. 249 ff.; (1959), S. 237 ff.; (1960), S. 278 ff.; (1962), S. 291 ff. 1904 TW, Wo bleiben die Einheitskonditionen?, 2.3.1950; TW, Die Jahrestagung des Hamburger Textileinzelhandels, 6.4.1950. 1903

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

von drei Großbetrieben sofort nach Erhalt der Ware regulierten.1905 Mit der Zielüberschreitung kam ein nicht unerheblicher Teil der Klein- und Mittelbetriebe nicht in den Genuss von Zahlungsrabatten und kaufte damit teurer als die großbetriebliche Konkurrenz ein. Für den organisierten Textileinzelhandel waren die „Einheitskonditionen“ eine Möglichkeit, diesen Wettbewerbsnachteil ein Stück weit auszugleichen. Ende Januar 1954 vereinbarten Bekleidungsindustrie, Textileinzelhandel und die Textil-Einkaufsvereinigungen eine „Neuregelung der Zahlungsbedingungen im Rahmen der Einheitskondition“. Diese war eine nicht verbindliche „Empfehlung an die Mitglieder“ und galt nicht für den Großhandel oder die Textilindustrie.1906 Schließlich einigten sich alle Stufen der Textilwirtschaft (bis auf wenige Ausnahmen) zum 1. Januar 1955 auf allgemein gültige Einheitskonditionen. Dieses „Düsseldorfer Empfehlungsabkommen“ galt allen Beteiligten als wegweisender „Rationalisierungsakt“, da die Transaktionskosten des ständigen Neuaushandelns dadurch verringert werden konnten.1907 Mit der Wandlung vom Verkäufer- zum Käufermarkt in den folgenden Jahren kritisierte der Handel das erreichte Abkommen zunehmend als „einseitig vom Lieferantenstandpunkt ausgehend“ und forderte eine Neuregelung „auf Augenhöhe“.1908 Das Mitte 1957 verabschiedete „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ machte eine Vielzahl von Kartellen unwirksam (Kartellverbot). Die Textilwirtschaft versuchte bei Kartellbehörden neue „Konditionenkartelle“ ab Frühjahr 1958 durchzusetzen.1909 Nach langen Verhandlungen akzeptierten die Vorlieferanten eine „bedarfsgerechte Belieferung“. Indem der Handel nun bei Lieferverzögerungen schneller von Verträgen zurücktreten konnte, waren nach den Zahlungs- nun auch die Liefermodalitäten modernisiert. Ende August 1959 vereinbarten der Gesamtverband der Textilindustrie (Gesamttextil), der Bundesverband Bekleidungsindustrie, der Gesamtverband des Deutschen Textileinzelhandels und der Zentralverband der gewerblichen Einkaufsvereinigungen des Handels ein gemeinsames Konditionenkartell.1910

TexW, Wie zahlt der Textileinzelhandel?, 7.8.1952. TW, Die Entwicklung in der Konditionenfrage, 1.10.1953; TW, Endlich eine gemeinsame Kondition, 4.2.1954. 1907 Sofortige Zahlung (3,5 Prozent Skonto), 30 Tage (2 Prozent Skonto), 60 Tage (netto), siehe TW, Textileinzelhandel vor neuen Aufgaben, 22.12.1955; Textil ändert Zahlungsbedingungen, in: Die Zeit, 22/1954. 1908 TW, Nicht Lieferanten-, sondern Lieferungsbedingungen!, 7.11.1957; TW, Konditionen vom Einzelhandel gesehen, 20.3.1958. 1909 Als erstes deratiges Konditionenkartell in der Textilbranche gilt das „Kartell der Krawattenstoffwebereien“. Im Sommer 1959 hatten die Seidenstoff- und Samtfabrikanten, der Verband der Futterstoffwebereien sowie der Verband der Tuch- und Kleiderstoffindustrie gleichlautende Konditionenkartelle angemeldet, siehe TW, Das erste Konditionenkartell der Branche, 8.5.1958; Tietz (1966), S. 39 f. 1910 TW, Auf dem Wege zu neuen Einheitskonditionen, 25.6.1959; TW, Konditionenkartelle wirksam, 3.9.1959; TW, Sprungbrett und Hürde für die neuen Konditionen, 31.3.1960; TW, Einheitskonditionen kommen zu langsam voran, 26.5.1960. 1905 1906

621

622

Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

7.2.4.3 Selbstbedienung und Standardisierung Die größte innerbetriebliche Herausforderung des Textilfachhandels in den 1950er Jahren blieb die Frage der Selbstbedienung (SB) und mit ihr die Frage nach Standardisierung von Kleidung. Unmittelbar nach der Eröffnung des ersten Selbstbedienungsmarktes für Lebensmittel, Waschmittel und Hausrat im September 1949 in Hamburg diskutierte die textile Fachwelt den Nutzen von SB-Konzepten für Textilien und Kleidung. Die „Textilwirtschaft“ zweifelte an der Übertragung von SB auf die Branche, da Kleidung „kaum jemals völlig ohne Mithilfe einer Bedienungsperson verkauft werden [könne], weil der Kunde die persönliche Beratung [ ] nicht entbehren wolle; auch hygienische Gründe (z. B. eigenmächtiges Anprobieren) sprächen gegen eine Selbstbedienung bei Textilien“. Systematische Selbstbedienung gab es vor 1945 nur an sog. Textilautomaten in einigen Großstädten, wo Kunden Strümpfe, Taschentücher oder Kurzwaren erhalten konnten. Einige größere Damenmodenhäuser hatten während des ersten Sommerschlussverkaufs 1949 mit SB-Methoden experimentiert. Kundinnen fanden Kleidung erstmals „nach Größen und Arten sortiert“ auf Ständern und konnten diese „ohne Hilfe einer Verkäuferin in halboffenen Kabinen nach amerikanischer Art allein anprobieren“.1911 Ausgehend von diesen Erfahrungen hatte etwa C&A im Jahr 1950 Selbstbedienungstheken für Herrenhemden eingeführt.1912 Doch SB blieb zunächst mehrheitlich auf Lebensmittel und Großstädte beschränkt. Immer wieder aufkommenden Versuchen, SB-Erfahrungen mit Lebensmitteln auf textile Sortimente zu übertragen, wurde aus Fachkreisen mit Hinweis auf die fehlende Normung der Kleidungsstücke und den damit verbundenen Beratungsbedarf eine Absage erteilt. Die „Textil-Woche“ riet im Sommer 1952: „Keine Experimente“, denn „der deutsche Käufer zieht persönliche Bedienung vor“.1913 Besonders aufmerksam verfolgt wurde die Ausweitung des Sortiments der schweizerischen Migros-Genossenschaften. Seit Mitte 1951 verkauften die über 200 Läden, etwa zur Hälfte in SB, Non-Food-Artikel, darunter Nylonstrümpfe und Strickwolle. Ab September 1953 wurden Textilien und Kleidung – „vom Herrenhemd zum Damenstrumpf “ – fester Bestandteil des Sortiments. Kunden konnten fortan Kleider, Blusen, Morgenröcke und Regenmäntel kaufen, diese in Probierkabinen testen und ggf. umtauschen.1914 Doch bis 1961 blieb der textile Durchbruch auf dem Gebiet der Selbstbedienung in der BRD aus. Warenhäuser richteten nach und nach SB-Abteilungen ein und verTW, Selbstbedienung – auch für den Textilhandel interessant?, 8.9.1949. Vgl. Spoerer (2016), 301 ff. Planungen für die Provinz sind zum Scheitern verurteilt: „Ein Versuch, der ebenso fehlschlagen dürfte, denn man kann New York und London nicht mit Bielefeld, Gelsenkirchen oder Minden vergleichen“, siehe TexW, Selbstbedienung?, 26.6.1952. 1914 TW, Textilien in Selbstbedienung, 10.9.1953; TW, Improvisieren wird hier groß geschrieben, 24.12.1959; siehe auch http://www.migros.ch/de/ueber-die-migros/geschichte.html, 27.10.2015. Eine lesenswerte unternehmenshistorische Untersuchung liefert Girschik (2010). 1911 1912 1913

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

suchten so, den Arbeitskräftemangel zu umgehen. Im April 1958 eröffnete Kaufhof in Köln-Kalk seinen ersten „Selbstbedienungsmarkt“. Im Kellergeschoss bot man Lebensmittel, Textil- und Hartwaren in Selbstbedienung an, wobei das SB-Angebot in Textilien das bis dato größte war. Der Fachhandel beschränkte sich auf gut standardisierte Warengruppen wie Strümpfe und Krawatten. Das Düsseldorfer Strumpfhaus Bornemeyer („größtes Strumpfhaus Westdeutschlands“) setzte ab Juli 1954 auf Selbstbedienung: „Kein Kunde wird von meinen Verkäuferinnen angesprochen. [ ] Der Kunde soll selbst wählen, und nur dann, wenn er den Wunsch äußert, werden ihn meine Verkäuferinnen beraten“. Kunden nahmen hier „ein kleines Drahtkörbchen bei Betreten des Geschäftes in die Hand“ und legten in dieses „die ausgewählten Strümpfe oder Wäscheartikel“. Bornemeyer begründete die Umstellung mit erheblichen Kostenvorteilen und höheren Umsätzen in Strümpfen, Trikotagen, Herrenhemden und Krawatten. Der Frankfurter Fachhändler A. Born berichtete im November 1956 von bis zu dreifachen Umsatzsteigerungen. Hier lagen Herrenhemden in großen offenen Regalen, Krawatten hingen an runden Ständern und Damenunterwäsche war in Klarsichtbeuteln verpackt. Doch die Mehrheit verweigerte sich der Selbstbedienung. Sie bedeutete in den Augen des Fachhandels die freiwillige Aufgabe von Service und Beratung, einzig geeignet für „Ausverkäufe, modische Artikel ohne Beratungsbedarf “ und für Kunden, „die gerne wühlen, die gerne ramschen“.1915 Bis Mitte der 1950er Jahre zählte der deutsche Einzelhandel lediglich knapp über 300 Geschäfte, die auf Selbstbedienung setzten. 90 Prozent dieser Unternehmen waren Großbetriebe. Zwischen 1955 und 1965 stieg die Zahl der Einzelhändler mit Selbstbedienung auf über 53.000 – damit hatte sich immerhin jeder zehnte Betrieb für diese Verkaufsmethode entschieden. Das Wachstum hatte ab 1955 auch zunehmend den Fachhandel erfasst, sodass der SB-Anteil hier den tatsächlichen Marktanteilen entsprach (Tabelle 129). Selbstbedienung blieb allerdings vornehmlich auf gemischte oder reine Food-Sortimente beschränkt. Für den textilen Fachhandel galt die Regel, dass langlebige, hochwertige Textilien Beratung brauchten, und der Kunde nur „kurzlebige Textilien genauso gern vom Regal [kauft] wie Dosengemüse oder Obst im Klarsichtbeutel“.1916 Noch 1959 stellte das Kölner Institut für Selbstbedienung ernüchtert fest, dass reine „Textil-Selbstbedienungsgeschäfte bei uns noch selten [sind] und sich meist noch im Experimentierstadium [befinden]“. Die Experten rieten zu einem Mittelweg. Textilgeschäfte sollten ihren Kunden freien Zugang zur Ware und transparente Preisauszeichnung bieten, der Anprobeprozess sollte aber weiterhin mithilfe von Verkaufspersonal geschehen.1917

TW, Bornemeyer führt Selbstbedienung ein, 15.7.1954; TW, Dringt die Selbstbedienung vor?, 8.11.1956; TW, SB- Kunden toben ihren Geschmack aus, 24.10.1957; TW, Supermarkt und Warenhaus vereint, 24.4.1958; Artikel „Selbstbedienung bei Textilien“, in: Hamburger Abendblatt vom 19.8.1961. 1916 TW, Moderne Kunden – modernes Verkaufen, 12.5.1960. 1917 TW, Selbstbedienung hat Zukunft, 24.12.1959. 1915

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Tab. 129 Selbstbedienungsgeschäfte im Einzelhandel, 1951 bis 19651918 Jahre

Filialbetriebe und Warenhäuser

Konsumgenossenschaft

Anzahl

Anteil

Anzahl

Anteil

1951

16

41 %

19

1955

219

67 %

71

1960

3.112

18 %

1965

4.672

9%

Selbstständiger Einzelhandel Anzahl

Anteil

49 %

4

22 %

36

1.237

7%

4.321

8%

Gesamt Anzahl

Anteil

10 %

39

100 %

11 %

326

100 %

12.783

75 %

17.132

100 %

44.132

83 %

53.125

100 %

Anmerkungen: Zahlen beruhen auf Angaben des Kölner „Institutes für Selbstbedienung“ und zählen vermutlich Geschäfte, die ihr Sortiment mehrheitlich oder vollumfänglich in Selbstbedienung absetzen. 1919

Im Februar 1960 forderte die Handelszentrale Deutscher Kaufhäuser (Hadeka), einer der führenden Textileinkaufsverbände, den Ausbau der Selbstbedienung. Die neue Verkaufsmethode reagiere auf die zunehmenden Probleme im Verkäuferinnennachwuchs und belebe den Umsatz ohne höhere Fixkosten. Es sei, so der Verband, an der Zeit, dass sich die Textilgeschäfte an das veränderte Konsumverhalten der Kunden anpassten und aktiv gegen die verbreitete „Türklinkenhemmung“ der Kunden in Fachgeschäften vorgingen. Ziel sei es, in den nächsten Jahren nach amerikanischem Vorbild (30.000 SB-Textilgeschäfte) nicht nur „Strümpfe, Unterwäsche, Oberhemden, Krawatten, Tisch-, Haushalts- und Bettwäsche“, sondern auch Großkonfektion, Meterware, Gardinen oder Dekostoffe in Selbstbedienung anzubieten.1920 Ab 1960 gewann die SB-Idee auch im Textilfachhandel (langsam) an Durchschlagskraft. Im Mai 1960 startete die „Textilwirtschaft“ eine große Artikelserie über das Thema Selbstbedienung als „Chance zur Umsatzsteigerung“. Umfragen dokumentierten die positive Einstellung des Verkaufspersonals gegenüber SB („kein Kunde fällt ihnen mit seiner Verkaufsunentschlossenschaft auf die Nerven“). Die Artikel betonten deutlich die Vorteile („Mündigkeit und Freiheit des Kunden“, Vergnügen, Zeitersparnis) und versuchten, die vermeintlichen Nachteile als vorübergehende Unannehmlichkeiten zu charakterisieren (Korb, Unwohlsein, Mangel an Kontakt), auch indem geglückte Umstellungen auf SB im Textilfachhandel berichtet wurden, etwa im Mannheimer Modehaus Ernst Krüpe KG.1921 Doch der endgültige Durchbruch blieb im Untersuchungszeitraum (bis 1961) aus.1922 Noch im August 1961 waren nur 0,5 Prozent aller 1918

S. 358.

Aufstellung nach Tietz (1966), Tabelle 92 („Selbstbedienung in der Bundesrepublik 1951 bis 1965“),

Das ISB ist eine Vorgängerorganisation des noch heute tätigen EHI Retail Institutes, vgl. https:// www.ehi.org/wp-content/uploads/2015/02/EHI_Imagebroschuere_web.pdf, S. 23–24, 17.12.2015. 1920 TW, Selbstbedienung auch bei Textilien?, 18.2.1960. 1921 TW, Moderne Kunden – modernes Verkaufen, 12.5.1960. 1922 Das erste Standardwerk „Textil Selbstbedienung“ von M. Bornemeyer und A. Feldhoff betonte, dass die SB-Einrichtungskosten nicht viel höher lagen als in einem konventionellen Geschäft und auch 1919

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Textilfachhändler zur Selbstbedienung übergegangen. In Großstädten wie Hamburg zählte man 10 textile SB-Läden, in München eröffnete die Reitex im Frühjahr 1961 das erste textile SB-Geschäft in der Innenstadt.1923 Auf der anderen Seite erfuhren Verkaufsautomaten für Textilien einen bemerkenswerten Aufschwung. Im November 1961 wurde ein Krawatten-Automat auf der Internationalen Erfinder- und Neuheitenausstellung in Nürnberg vorgestellt. An diesen Automaten der Osnabrücker Firma Joseph Wellermann konnte der Kunde durch Drehen an einer Kurbel aus 30 Krawatten wählen. Zwischen 1950 und 1960 hatte sich der Umsatz an 220.000 Automaten von zwei Mill. D-Mark auf zwei Mrd. D-Mark gesteigert, wobei die Hälfte auf Zigaretten entfiel. Fernziel für Enthusiasten blieben die USA. Hier gab es mittlerweile „Bekleidungsautomaten mit je 20 Anzügen, 40 Hosen, 40 Oberhemden, 50–1000 Wäscheartikeln, Krawatten und Schuhen“. In danebenstehenden Kabinen konnten Kunden die Stücke probieren. Bei Nichtgefallen bekam man Geld per Postüberweisung zurück.1924 Einer der Hauptgründe für das Scheitern der textilen Selbstbedienung in der Breite bzw. dem Gelingen in ausgesuchten Artikeln (etwa Krawatten) lag in der punktuellen, unzureichenden oder fehlenden Standardisierung und Verpackung von Textilien und Kleidung sowie im fehlenden Sortimentsschwerpunkt auf konfektionierte Kleidungsstücke in einem Großteil der Textilfachgeschäfte. Die 1951 gegründete Rationalisierungs-Gemeinschaft des Handels (RGH) wies wiederholt auf diese Grundvoraussetzungen für die Durchsetzung von Selbstbedienung und den mit ihr verbundenen höheren Lagerumschlag und erforderliche Personalkostenersparnisse hin. Seit etwa 1951 ließ sich erstmalig eine Verschiebung des Kundeninteresses von Meterware auf Fertigkleidung nachweisen. Nach der Währungsreform lag das Umsatzverhältnis noch bei 70 (Meterware) zu 30 Prozent (Fertigkleidung). Die Produktionsauslastung der Bekleidungsindustrie und fehlender Schneiderinnennachwuchs führte zu erheblichen Preissenkungen und Qualitätshebungen, sodass das Verhältnis auf 50 zu 50 sank.1925 Die Produktionszahlen (ohne West-Berlin) zeigten den Trend zur Fertigkleidung. Vergleicht man die Jahre 1953 und 1955, produzierte die DOB 73 Prozent mehr Kosder Charakter des Fachgeschäftes erhalten bleiben könne, siehe TW, Moderne Kunden – modernes Verkaufen, 16.3.1961. Zeitgleich wurden die „Rationalisierungsgrenzen“ für Textilgeschäfte immer wieder hervorgehoben, siehe TW, Grenzen personeller Rationalisierung im Einzelhandel, 30.3.1961; TW, Wird Selbstbedienung zur Existenzfrage?, 20.4.1961. Auf der 66. Deutschen Textil- und Bekleidungsmesse in Hamburg entstand der erste Modell-Laden für Textil-Selbstbedienung auf 300qm Fläche, siehe TW, Modell-Laden für Textil-Selbstbedienung, 17.8.1961. 1923 Vgl. Artikel „Selbstbedienung bei Textilien“, in: Hamburger Abendblatt vom 19.8.1961; TW, SB im Münchner City-Geschäft, 16.3.1961. 1924 TW, Automaten – nützlich oder nicht, 16.11.1961; TW, Lohnen sich Strumpfautomaten?, 16.11.1961. 1925 Das Erlernen vom Selbst-Schneidern bei „jungen Mädchen“ ging deutlich zurück. Dies drückte sich in einem Mangel an gelernten, selbstständigen Schneiderinnen aus. Neben den hohen Ausbildungskosten wirkten ein „schwacher Schnittmuster-Vertrieb“ und relativ wenig Werbung hemmend, siehe TW, Fertigkleidung und Meterware im Wettbewerb, 4.1.1951; TexW, Konjunktur in Meterware , 26.6.1952.

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tüme (691.000). Die „Hosen-Mode“ ließ die Zahl der Hosen von 2,6 (1953) auf 4 Millionen (1954) ansteigen. Auch die HAKA-Industrie verzeichnete einen Anstieg in der Produktion von Herrenhemden und Krawatten. Die Umsätze der Bekleidungsindustrie stiegen von 3,449 Mrd. DM (1952) auf 4,052 Mrd. DM (1954). Für den Branchenverband „[spiegelte] die Fertigkleidung den wachsenden Wohlstand wieder“.1926 Maßkleidung blieb jedoch ein erheblicher Faktor. Nach einer Umfrage der Gesellschaft für Marktforschung im Auftrag des „Arbeitskreises Öffentlichkeitsarbeit Wolle“ bevorzugten Herren weiterhin Smoking, Frack und die meisten Anzüge nach Maß. Gelegenheitskleidung wie Hosen, Sakkos oder Mäntel wurden jedoch bevorzugt fertig konfektioniert gekauft. Frauen galten immernoch als „überzeugte Vertreterinnen der Maßkleidung“. Kostüme, Kleider, Röcke, lange Hosen oder Wollblusen wurden nach Maß gefertigt. Kunden im Alter bis 35 Jahre bevorzugten eher Konfektion, ältere tendierten zu Maßanfertigung.1927 Dies erklärt teilweise die Zurückhaltung des Textileinzelhandels zur beratungsarmen Selbstbedienung. Der andere gewichtige Grund lag in den Konfektionsgrößen. Anders als bei Krawatten oder Socken gelang es der Bekleidungsindustrie in den 1950er Jahren nicht, die Fabrikgrößen von Oberbekleidung mit den wirklichen Größen in Übereinstimmung zu bringen. Erste Versuche der Normung reichten bis in das 19. Jahrhundert zurück. Jeder Konfektionär entwickelte eigene Maß- und Größentabellen. Einheitliche Größentabellen, nach denen die Bekleidungsindustrie produzierte, existierten bis Ende der 1950er Jahre nicht – abgesehen vom Bereich der Arbeitsund Schutzkleidung. Auch nach 1945 versuchte jeder Hersteller der Nachfrage durch eigene Untersuchungen und Größentabellen entsprechend gerecht zu werden.1928 Erst Ende der 1950er Jahre begann die Bekleidungsindustrie ihre Produktion dahingehend zu vereinheitlichen, dass „Bekleidungsstücke rationell, d. h. in großen Serien für alle vorkommenden Größen ohne nachträgliche Änderungen, für die die Arbeitskräfte fehlen, [angefertigt werden]“.1929 Damit dies gelang, starteten die Bekleidungsindustrieund Einzelhandelsverbände mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 1958 eine „Meß-Aktion“ in Norddeutschland mit 2.000 Frauen und Mädchen und weiteten diese bald auf West- und Süddeutschland aus.1930 Das 1964 veröffentlichte TW, Fertigkleidung dringt weiter vor, 9.6.1955; TW, Fertigkleidung spiegelt wachsenden Wohlstand, 3.11.1955. 1927 Wo kauften die Befragten? Meterware in (1) Stoffabteilung Fachgeschäft, (2) Stoffetage Spezialgeschäft, (3) Schneider, dann erst (4) Warenhaus. Konfektion wurde am meisten im Bekleidungsfachgeschäft (57,3 Prozent), Textilkaufhaus (27,4 Prozent) und Warenhaus (12,9 Prozent) gekauft, siehe TexW, Mehr Maßbekleidung oder mehr Konfektion?, 7.8.1952. 1928 Vgl. König (2000), S. 191 f.; Köster (2011), S. 21 f.; Döring (2011); Die umfangreichste Untersuchung zur Entwicklung von Konfektionsgrößen (für den englischsprachigen Raum) ist Ashdown (2007). 1929 Vgl. [o. A.] (1964), S. 832; siehe auch Schnaus (2017), S. 179 ff. 1930 Vgl. Artikel „Auf einen Blick …,“ in: Die Zeit, 6/1958, S. 12: Interessanterweise starteten die USA im selben Jahr (1958) auf Anregung der amerikanischen Versandhändler eine landesweite Neuvermessung von Frauen und Mädchen, siehe http://time.com/3532014/women-clothing-sizes-history/; https://www.wa 1926

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„Handbuch für den Textilkaufmann“ mahnte eine fortlaufende Überprüfung dieser Ergebnisse an, da sich die natürlichen Maße der Menschen durch Ernährung oder Sport ändern könnten.1931 Im Herbst 1959 vereinbarten Konfektionsindustrie und Textileinzelhandel für die Winterkollektionen 1960 im Bereich Kinderkleidung die ersten wirklichen Einheitsgrößen, diese galten jedoch nicht für Kinderkleidung der HAKA und Berufs- und Sportbekleidungsverbände.1932 7.2.4.4 Kooperationen – Reklame, Verbände, Einkauf Interne Rationalisierungsbestrebungen wie Selbstbedienung und Standardgrößen waren die sichtbarsten Zeichen einer Reihe weiterer Maßnahmen des Fachhandels gegen die Konkurrenz durch Warenhäuser, Filialgroßbetriebe und Versandunternehmen. Daneben revitalisierte sich der Zusammenschlussgedanke, der auch schon in den 1920er Jahren virulent war. In Goslar und Hannover realisierten Fachgeschäfte ihren Zusammenschluss 1952/1953 in sog. „Gilde-Kaufhäusern“, um Kunden ein ähnliches Warenhauserlebnis bieten zu können.1933 Neben dem Zusammenschluss zu gemeinsamen Läden realisierten sich erste Ideen, nach Vorbild des Lebensmitteleinzelhandels und der Bekleidungsindustrie (Zentral-Einkaufs-Textil GmbH, ZET), freiwillige Kooperationen untereinander zu etablieren. Einer der ersten Zusammenschlüsse dieser Art war die „Leistungsgemeinschaft fortschrittlicher Textilkaufleute“ (Leitex), der sich zunächst 35 Geschäfte anschlossen. Der Leitex ging es weniger um gemeinschaftlichen Einkauf als um konkreten Erfahrungsaustausch hinsichtlich des Rationalisierungspotenzials, der Arbeitsmethoden, Personalschulungen, Steuerfragen oder Gemeinschaftswerbung. So wollte man der Konkurrenz der „Riesenversandgeschäfte

shingtonpost.com/news/wonk/wp/2015/08/11/the-absurdity-of-womens-clothing-sizes-in-one-chart/, 15.12.2015. 1931 Wie verhaftet der Autor rassistischen Zusammenhängen war, zeigt die abschließende Bemerkung: „Dagegen spielen rassenbedingte Unterschiede in den Körpermaßen nach der Bevölkerungsumschichtung in den Nachkriegsjahren keine so große Rolle mehr wie früher, als man von einem ausgesprochen norddeutschen oder süddeutschen Typus sprechen konnte“, siehe Vgl. [o. A.] (1964), S. 832. Nach 1980 (Männer) und 1994 (Frauen) fand im Jahr 2007/2008 die aktuellste 3D-Vermessungsaktion („Size Germany“) mit mehr als 13.000 Männern, Frauen und Kindern statt, siehe https://portal.sizegermany.de/SizeGermany/pages/home. seam; http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.konfektionsgroessen-der-frust-mit-der-klamotte. a9792bd1-7323-4c9c-b96c-1a93c11c1622.html, 15.12.2015. 1932 Die Einheitsgrößen waren in „engste[r] Anlehnung an die seit Jahren bereits bewährte[n] Größen für gewirkte und gestrickte Kinderbekleidung“ bestimmt. Grundlage war die 6er und 12er Stufung, die eine „einheitliche Größenbezeichnung auf Basis der gesamten Körperlänge“ garantieren sollte: Ein Bekleidungsstück der Größe 152 sollte einem Kind mit Körpergröße 152 cm passen, siehe TW, Kindergrößen endlich einheitlich, 22.10.1959. 1933 TW, Gilde-Kaufhäuser – eine Hilfe für den Mittelstand?, 29.5.1952; TW, Doch „Gilde-Kaufhaus“ in Hannover, 12.2.1953; TexW, Das Gilde-Kaufhaus – eine Hilfe für den mittelständischen Einzelhandel?, 12.3.1953.

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und geplanten Deutschland-Filialen der großen amerikanischen Warenhäuser“ begegnen.1934 Voraussetzung war allerdings der detaillierte Austausch von Umsätzen, Kosten und Handelsspannen zwischen den Mitgliedern. Die Aufgabe wichtiger „Betriebsgeheimnisse“ war für die Mehrheit des Fachhandels Anfang der 1950er Jahre undenkbar und so machte die Leitex-Idee mehrheitlich keine Schule in der Branche. Doch im Verlauf der 1950er Jahre geriet der Fachhandel zunehmend unter Druck. Die Einkommen stiegen und die Nachfrage verschob sich auf vormalige „Luxusgüter“. Die Anschaffung neuer technischer Großgeräte (Kühlschränke, Küchen- oder Waschmaschine) sollte den Binnenkonsum beleben. Für die Textilverbände unverständlich warb Wirtschaftsminister Erhard im Sommer 1955 öffentlich für die Modernisierung der privaten Haushalte. Aus Sicht der Textilfachverbände war diese politische Einflussnahme gefährlich, drohte dadurch die Verschiebung der verfügbaren Kaufkraft – salopp gesagt – von Kleidung auf Küchengeräte. Die Textilfachhandelsverbände rieten ihren Mitgliedern, externe Werbefachleute zu engagieren. Durch großflächige Werbekampagnen sollte eine neue „Textilverbrauchswelle“ erzeugt werden. So veranstaltete der Wiesbadener Hutwerbespezialist Hartwig Gottwald Hutparaden und Strohhuttuniere in Großstädten und Kurorten. Die Samt- und Seidenweber produzierten Werbefilme mit der amtierenden Miss Germany 1955. Die deutsche Krawattenindustrie warb bundesweit unter dem Motto „Krawatte gut – alles gut“, Hemdenfabrikanten traten einheitlich für den täglichen Hemdenwechsel ein („Jeden Tag ein reines Hemd“).1935 In Reaktion auf den zunehmenden Versandhandel richtete die Mitgliederversammlung der Bundesfachabteilung Damenoberbekleidung im Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BDT) einen „Arbeitsausschuss für Prospekt- und Katalogwerbung“ ein, an dessen Ende am 4. Mai 1955 die Gründung des privaten Versandhandelsunternehmens Kronen-Versand GmbH, Düsseldorf stand. Nach eigenen Berechnungen liefen zwischen 20 und 30 Prozent des DOB-Umsatzes mittlerweile über das Versandgeschäft. Der Kronen-Versand sollte den DOB-Fachhandel daher bei Ein- und Verkauf durch zentrale Katalogwerbung unterstützen. Nur etwa 300 Fachhändler beteiligten sich, da die finanziellen Eintrittshürden hoch waren.1936 Der Kronen-Versand war letzlich der bürokratische Versuch des Fachhandels, vom Versandgeschäft zu profitieren, nachdem von der Politik keine Wettbewerbseinschränkungen für Versandunternehmen zu erwarten waren. Im April 1956 unterstrich Erhard, dass Versandunternehmen ein „unentbehrliches Phänomen der modernen Volkswirtschaft“ Artikel „Geschäft. Über Bord geworfen“, in: Der Spiegel, 1/1950, S. 28–29; TexW, Freiwillige Ketten auch bei uns?, 26.11.1953. 1935 Artikel „Werbung. Erhards Verbrauchswelle“, in: Der Spiegel, 30/1955, S. 14–15. 1936 Bedingung einer Mitgliedschaft war die schnelle Zahlung (1. Ziel) sowie eine Kapitalbeteiligung am Kronen-Versand zwischen 5.000 bis 25.000 DM, siehe TexW, Einzelhandel betreibt den Versandhandel offiziell, 19.5.1955; TexW, Kronen-Versand ist eine private Gründung, 9.6.1955; TexW, Bedenken gegen den Kronen-Versand, 9.6.1955; TexW, Das Versandgeschäft – Revolution gegen das Verkaufsgespräch, 16.6.1955; Artikel „Der Textilhandel wehrt sich“, in: Die Zeit, 26/1955, S. 8. 1934

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waren und das „Preisniveau stabil“ hielten. In der sozialen Marktwirtschaft, so Erhard, sei „Platz für alle Vertriebsformen“ und dementsprechend müsse der Handel sich „an die dynamische Entwicklung anpassen“.1937 Der wachsende Wohlstand verbreiterte Ende der 1950er Jahre tatsächlich die „Bedürfnis-Skala“ der Konsumenten. Zwischen 1950 und 1959 wuchs der deutsche Einzelhandelsumsatz um 135 Prozent von 32 auf 76 Mrd. D-Mark. Dagegen verzeichnete der deutsche Textileinzelhandel einen unterdurchschnittlichen Umsatzzuwachs von 112 Prozent von 7,3 auf 15,3 Mrd. D-Mark. Im gleichen Zeitraum sank damit der Anteil des Textilumsatzes am privaten Verbrauch von 11,7 auf 10,8 Prozent.1938 Auch vor diesem Hintergrund europäisierte sich die bislang nationale textile Lobby- und Verbandsarbeit. Fast genau ein Jahr nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fand in Frankfurt am Main Ende Februar 1958 der Europäische Kongress des Textileinzelhandels statt. Hier trafen 500 deutsche Textileinzelhändler am Vorabend der Frankfurter Messe auf Delegierte aus acht europäischen Ländern, um sich den Themen Einkaufsrationalisierung, Kooperationen und moderne Verkaufsmethoden zu widmen. Am Ende stand unter deutscher, italienischer und französischer Führung die Gründung einer neuen europäischen Spitzenorganisation des Textileinzelhandels. Der „Association Européenne des Organisations des Commercants Detaillants en Textiles“ (AODT) gehörten die nationalen Spitzenverbände aus Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz an. Die AODT sollte den Einzelhandel in Bezug auf transnationale Fragen des Einkaufs, der Ausbildung und besonders der Werbung konkurrenzfähiger machen.1939 Konkret schlossen sich im November 1958 zehn deutsche und jeweils ein niederländischer und schweizerischer Einkaufsverband zur EZ-Textil-Einkaufszentrale europäischer Textil-Einkaufsverbände GmbH, Stuttgart zusammen. Dieser vereinigte nun 3.600 Firmen mit einem kombinierten Umsatz von 1,25 Mrd. D-Mark. Der gemeinsame Einkauf sollte den europäischen Fachhandel gegenüber den Großbetrieben durch Verbilligung konkurrenzfähiger machen und zeitgleich durch gemeinsame Marktanalysen und Exportgeschäfte kostensparend wirken. Ein Jahr später verabredeten die Spitzenverbände europaweit einheitliche Konditionen und einheitliche Pflegekennzeichnungen.1940

TexW, Professor Erhard: Platz für alle Vertriebsformen, 5.4.1956. TW, Eine Ware allein verkauft sich schlecht, 30.6.1960. Vgl. Artikel „Moderne Verkaufsmethoden im Textileinzelhandel“, in: Schwäbische Landeszeitung, 4.3.1958, BWA K9/627; TW, Einladung zum Europäischen Kongreß des Textileinzelhandels, 23.1.1958; TW, Europas Textileinzelhandel trifft sich in Frankfurt, 30.1.1958; TW, Europas Textileinzelhandel in Frankfurt, 20.2.1958; TW, Kongreß des Textileinzelhandels ein voller Erfolg, 6.3.1958; TW, Das europäische Sortiment steht vor der Tür, 6.3.1958; TW, Europa-Markt stellt große Aufgaben, 19.6.1958. 1940 TW, Europas Textileinzelhandel rückt zusammen, 26.11.1959; TW, Europas Textileinzelhandel vor den gleichen Problemen, 28.4.1960. 1937 1938 1939

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Vor allem gemeinsame Werbeanstrengungen sollten die mittelständischen Betriebe gegen die Großbetriebe wappnen und zugleich den europäischen Textilverbrauch steigern. Immer mehr setzte sich die Erkenntnis durch, dass „individuelle Werbung allein nicht mehr genügt“ und man den „Verbraucher wieder textilfreundlicher und textilbewußter stimmen“ musste. Im Herbst 1959 etablierte sich ein Werbeforum für alle Stufen der Textilbranche. Ausgehend von der Seiden- und Samtindustrie startete zum Herbstsaisonbeginn am 26. September 1959 die „Woche der guten Bekleidung“. An ihr nahmen etwa 10.000 Textilfachhändler in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Skandinavien, der Schweiz, Frankreich und Belgien teil. Im darauffolgenden Jahr stand die Herbstsaison unter dem Thema „… und immer richtig angezogen“ (24. September bis 8. Oktober 1960). Diese Kampagne war mit dem doppelten Etat ausgestattet und das Werbeforum plakatierte kostenlos für die Textilhändler an allen Orten mit mehr als 5.000 Einwohnern. An ihr beteiligte sich etwa jeder dritte Textilfachhändler der BRD. Die teilnehmenden Geschäfte bekamen Plakate, Schaufensteraufsteller, Schriftzüge sowie ein „Bekleidungsbrevier für Sie und Ihn“.1941 Letzlich verweigerten sich jedoch immerhin zwei Drittel aller deutschen Textilfachgeschäfte dieser europäischen Werbeinitiative. Dieses dürfte besonders für die Kleinstund Kleinunternehmen gelten. Für die notwendige Modernisierung des Geschäftes, des Sortiments oder der Umstellung auf neue Verkaufsmethoden fehlte entweder die Einsicht oder das notwendige Kapital – oder beides. Einer Umfrage der „Textilwirtschaft“ aus dem Februar 1961 zufolge waren nur 30 Prozent der Befragten bereit, Verkaufsräume zu modernisieren, jeder Fünfte erwog eine Sortimentsänderung und nur 10 Prozent sahen Grund für die Einführung neuer Verkaufsmethoden. Grund seien die hohen Kreditzinsen sowie ein „mittelstandsfeindliches Steuersystem“.1942 Viele Mittelstandsverbände sahen auch Anfang der 1960er Jahre in der Staatshilfe anstatt in der Selbsthilfe die Lösung des Wettbewerbsproblems. Im Juni 1959 unterstützte Bundestagsmitglied Karl Wieninger (CSU) als Vorsitzender des Bundesausschusses für Mittelstandsfragen eine Resolution des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels. Darin forderte der Verband, wie schon um die Jahrhundertwende, eine stärkere Umsatzsteuerbelastung von Großunternehmen, eine Zusatz-Umsatzsteuer für integrierte Fabrikations- und Handelsbetriebe sowie eine gestaffelte Großbetriebssondersteuer von 0,25 (ab vier Millionen D-Mark) bis 0,5 Prozent (ab 50 Millionen D-Mark). Die-

TW, „Woche der guten Bekleidung“, 15.1.1959; TW, Fernsehwerbung für den Einzelhandel?, 22.1.1959; TW, Gemeinschaftswerbung mit allen Mitteln unterstützen, 29.1.1959; TW, „Woche der guten Bekleidung“, 12.3.1959; TW, Gemeinschaftswerbung – Lösung aller Absatzsorgen?, 28.5.1959; TW, Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaftswerbung, 28.5.1959; TW, Gemeinschaftswerbung – Lösung unser Absatzsorgen?, 4.6.1959; TW, „Woche der guten Bekleidung“, 1.10.1959; TW, Wieder „Woche der guten Bekleidung“, 24.3.1960; TW, Absatzförderung – Hauptproblem des Textileinzelhandels, 31.3.1960; TW, Die „Woche der guten Bekleidung“ eine echte Chance, 22.9.1960; TW, „Woche der guten Bekleidung“ war ein Erfolg, 8.12.1960. 1942 TW, Unsere Pläne scheitern am Geld, 16.2.1961. 1941

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

se Sondersteuer wollte der Verband nicht als „Schutz vor der Wettbewerbsauslese“, wohl aber als Wiederherstellung eines „faire[n] Spiel[s] der Konkurrenz“ verstanden wissen.1943 Wie schon vor 1945 begünstigte die damalige Brutto-Allphasenunsatzsteuer vertikal integrierte Unternehmen – etwa die Lieferanten des Textileinzelhandels. Die Dachverbände des Einzelhandels und des Textileinzelhandels machten sich diese Forderungen allerdings nicht zu eigen. Zwar forderte man eine „Abwehrfront gegen Expansion“. Doch diese solle nicht über gesetzliche Maßnahmen, sondern durch Ladenmodernisierung, moderne Betriebsführung sowie durch Zusammenschlüsse und Ausbau in Einkauf und Werbung erfolgen. Die Dachverbände reagierten damit auf Erhards wiederholte Ablehnung jeglicher Zwangsmaßnahmen gegen Großbetriebe. Für den deutschen Textileinzelhandel betonte Verbandspräsident Illerhaus: „Der Textileinzelhandel braucht keine Konzerne und Vertriebssysteme zu fürchten, wenn er unter gleichen Bedingungen am Markt antreten kann“. Und so blieb nur der Aufruf: „Rücken Sie zu einer festen Abwehrfront zusammen. Die Konzentration muss mit einer leistungsstarken Gegenkonzentration beantwortet werden“.1944 7.2.5

Aufstieg & Fall von Fachhändlern

Im Folgenden sollen die Auswirkungen der beschriebenen Branchenentwicklung mit zwei Unternehmensbeispielen rückgekoppelt werden. Dabei sind die Unternehmensgeschichten von Hirmer & Co. in München als auch der Hettlage-Gruppe wenn auch nicht hinreichend repräsentativ, so doch symptomatisch für die Chancen und Risiken, vor denen textile Fachhändler im Verlauf der 1950er Jahre standen. Hirmer legte den Grundstein für ein bis heute andauernd erfolgreiches Geschäft in der Nische hochwertiger Herrenbekleidung. Für Hettlage bedeutete der Zeitabschnitt den Zerfall der betrieblichen Einheit angesichts ungelöster betriebsinterner Konflikte. 7.2.5.1

Hirmer

Hans Hirmer stand zum Anfang des Jahres 1952, nach der Auszahlung Bambergers, als alleiniger Inhaber des Geschäftes da, welches seinen Namen trug. In dem neuen Kommanditvertrag vom 9. Dezember 1952 nahm Hirmer seine Frau Maria, geb. Vogl und

Rede des Bundestagsabgeordneten Wieninger vor der Delegiertenversammlung des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels e. V., o. D., K9/627; Resolution der Delegiertenversammlung 1959 des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels e. V., o. D., K9/627. 1944 Vgl. TW, Abwehrfront gegen Expansion, 27.10.1960; TW, Expansion überschattet Fachfragen, 17.11.1960; TW, Im Kampf gegen kapitalstarke Wettbewerber, 17.11.1960; TW, Das erste Gesetz gegen Direktverkäufe, 8.12.1960. 1943

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

deren Bruder, den Münchner Kaufmann Adolf Vogl, als Kommanditisten in die Firma auf.1945 Am 30. Mai 1954 vereinbarte Hirmer mit Emil Haller dessen Rückkehr in die Geschäftsführung des Unternehmens. Haller stieg mit Prokura zum 1. Oktober 1954 in die Geschäftsleitung ein. Er war fortan der direkte Stellvertreter Hirmers in allen Fragen. Zu Hallers Aufgaben gehörten der Reklame- und Kundendienst, alle Personalangelegenheiten und allgemeine Fragen der Organisation sowie der Materialeinkauf. Hirmer unterstanden weiterhin der Einkauf und Verkauf, die Bauabteilung mit dem Geschäftshaus, die Dekoration und alle Finanz- und Steuersachen. Wie entwickelten sich nun der Umsatz, der Gewinn und die Rentabilität von Hirmer & Co. in den Jahren 1951 bis 1961? Konnte Hirmer der Umsatzdynamik des Textilhandels folgen und dem wachsenden Konkurrenzdruck standhalten? Im Zeitraum 1949 und 1955 stieg Hirmers Jahresumsatz von 3,5 Millionen (1949) auf 15,1 Millionen D-Mark (1955). Dabei treten die Verdopplung des Umsatzes zwischen 1949 und 1950, sowie die gleichmäßig hohe Steigerung zwischen 1953 und 1955 (jeweils um 20 Prozent) hervor. Die Verlangsamung des Umsatzzuwachses 1951/1952 korrespondierte mit den allgemeinen Trends der Branche. Insgesamt entwickelte sich Hirmer zwischen 1949 und 1955 umsatzmäßig (gemessen am Umsatz 1950) deutlich positiver als der Index „Bekleidung und Textilien“ des Statistischen Bundesamtes. Während Hirmer 1949 ein deutlich schlechteres Umsatzniveau als andere Konkurrenten hatte (49 Indexpunkte), erreichte das Unternehmen in den Jahren 1950 bis 1952 das Branchen-Niveau. In den Jahren 1953 bis 1955 entkoppelte sich Hirmer dann umsatzmäßig. 1955 hatte er gegenüber 1950 seinen Umsatz mehr als verdoppelt, während der übrige Textileinzelhandel im Schnitt nur ein Drittel über seinem Umsatz-Niveau von 1950 lag (Abbildung 38). Mit Blick auf die Rentabilität des Unternehmens fällt das niedrige Gewinn-Niveau zwischen 1949 und 1952 auf. Hier schlugen sich die Bau- und Investitionskosten für den Wiederaufbau des Stammhauses nieder. Das Jahr 1951 ist in dieser Betrachtung das kritischste bezüglich der Rentabilität. Die Umsatzrendite erreichte hier ihren Tiefpunkt von 4,76 Prozent. Der Gewinn hatte sich 1951 im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert. Immerhin hatte Hirmer zwischen 1949 und Sommer 1951 über eine halbe Million in das Geschäftshaus investiert. Die „Zurückhaltung“ Hirmers gegenüber Bamberger in der Frage der Abfindung und Vorauszahlung findet hier ihre ökonomische Rechtfertigung (Abbildung 39). Zur Veranschaulichung der Situation des „Krisenjahres“ 1951 sei kurz auf den Streit um das Ruinengrundstück Kaufingerstraße 14 (Liebfrauen-Passage) eingegangen. Hier zeigt sich der scharfe Konkurrenzdruck zwischen alteingesessenen Mittelständlern und expandierenden Großbetrieben besonders deutlich: Anfang der 1950er Jahre entwickelte Die Einlage wurde um 100.000 D-Mark erhöht und 70 Prozent des Gewinns gingen an Hans Hirmer, 20 Prozent an seine Frau und der Rest an Vogl, siehe Kommanditverträge vom 9.12.1952, HUA 2012/09/0001, S. 14 ff. 1945

Jahresumsatz von 3,5 Millionen (1949) auf 15,1 Millionen D-Mark (1955). Dabei treten die Verdopplung des Umsatzes zwischen 1949 und 1950, sowie die gleichmäßig hohe Steigerung zwischen 1953 und 1955 (jeweils um 20 Prozent) hervor. Die Verlangsamung des Zwischen und Rekonstruktion (1949 bis 1961) Umsatzzuwachses 1951/1952 korrespondierte mit denRestitution allgemeinen Trends der Branche.

Millionen

Abbildung 38 Umsatz und Umsatzindex, Hirmer und Textileinzelhandel, 1949 bis 1955 16

1946

15

14

13

250

200

12

Umsatz DM

9

8

9

150

7 100

6 4

1950=100

10 10

4 50

2 0

0 1949 Umsatz

1950

1951 Index Hirmer

1952

1953

1954

1955

Index Bekleidung & Textilien

Sommer 1951 über eine halbe Million in das Geschäftshaus investiert. Die „Zurückhaltung“ Anmerkungen: linke Umsatzindex, Achse: Umsatz inHirmer DM rechte Achse: und IndexVorauszahlung 1950=100, Preise. 1946 hier ihre gegenüber Bamberger der(gerundet), Frage Abfindung findet Abb.Hirmers 38 Umsatz und undder Textileinzelhandel, 1949 bislfd. 1955 ökonomische Rechtfertigung (Abbildung 39). Anmerkungen: linke Achse: Umsatz DM (gerundet), Achse: Index(gemessen 1950 = 100, lfd. Preise. Insgesamt entwickelte sich Hirmerinzwischen 1949 undrechte 1955 umsatzmäßig am Umsatz 1947 1950) deutlich positiver als der Index „Bekleidung Textilien“ des Statistischen Bundesamtes. Abbildung 39 Gewinn und Umsatzrendite, Hirmer, 1949 und bis 1961

2,00

10

Umsatzrendite %

Millionen

Während Hirmer hatte (49 3,00 1949 ein deutlich schlechteres Umsatzniveau als andere Konkurrenten 16 Indexpunkte), erreichte das Unternehmen in den Jahren 1950 bis 1952 das Branchen-Niveau. In den Jahren 1953 bis 1955 entkoppelte sich Hirmer dann umsatzmäßig. 1955 hatte er gegenüber 14 2,50 1950 seinen Umsatz mehr als verdoppelt, während der übrige Textileinzelhandel im Schnitt nur 12 ein Drittel über seinem Umsatz-Niveau von 1950 lag (Abbildung 38). Gewinn DM

Mit Blick auf die Rentabilität des Unternehmens fällt das niedrige Gewinn-Niveau zwischen 1949 und 1952 auf. Hier schlugen sich die Bau- und Investitionskosten für den Wiederaufbau des 1,50 8 Stammhauses nieder. Das Jahr 1951 ist in dieser Betrachtung das kritischste bezüglich der Rentabilität. Die Umsatzrendite erreichte hier ihren Tiefpunkt von 4,76 Prozent. Der Gewinn 6 hatte 1,00Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert. Immerhin hatte Hirmer zwischen 1949 und sich 1951 im 4 1946

Eigene0,50 Berechnungen zu Hirmer-Index nach Zusammenstellung nach 2012/11/0001, HUA 2 2013/01/0004. 0,00

0

526

1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 Gewinn

Umsatzrendite

Gewinn in DM, lfd. Preise; rechte Umsatzrendite in Prozent. Abb.Anmerkungen: 39 Gewinn linke und Achse: Umsatzrendite, Hirmer, 1949 bis Achse: 19611947

Anmerkungen: linke Achse: Gewinn in DM, lfd. Preise; rechte Achse: Umsatzrendite in Prozent. Zur Veranschaulichung der Situation des „Krisenjahres“ 1951 sei kurz auf den Streit um das Ruinengrundstück Kaufingerstraße 14 (Liebfrauen-Passage) eingegangen. Hier zeigt sich der scharfe Konkurrenzdruck zwischen alteingesessenen Mittelständlern und expandierenden 1946Großbetrieben Eigene Berechnungen zu Hirmer-Index nach Zusammenstellung nach besonders deutlich: Anfang der 1950er Jahre entwickelte sich2012/11/0001, die MünchnerHUA 2013/01/0004. Kaufingerstraße zunehmend zur hart umkämpften „Einkaufsmeile“. Mit der wachsenden Kaufkraft 1947 Zusammenstellung und eigene Berechnungen nach HUA 2013/01/0004. der bayerischen Kunden wuchs auch die Konkurrenz der Textilgeschäfte. Im Mai 1951 schreckte die Stadt München den Münchner Einzelhandel und besonders Hirmer durch die Ankündigung auf, dass Hirmer gegenüberliegende Ruinen-Grundstück an den umsatzstärksten Textilhändler Deutschlands, C&A Brenninkmeyer, zu verkaufen. Das ungenutzte Grundstück stand seit 1946 zum Verkauf, und der Stadt lag nun ein Angebot des Düsseldorfer Textil-Riesen vor. Der Bayerische Einzelhandelsverband versuchte die auswärtige Konkurrenz abzuwehren und beschrieb C&A als Gefahr, vor der der Einzelhandel und die Stadt gewarnt werden müsse.1948

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

sich die Münchner Kaufingerstraße zunehmend zur hart umkämpften „Einkaufsmeile“. Mit der wachsenden Kaufkraft der bayerischen Kunden wuchs auch die Konkurrenz der Textilgeschäfte. Im Mai 1951 schreckte die Stadt München den Münchner Einzelhandel und besonders Hirmer durch die Ankündigung auf, dass Hirmer gegenüberliegende Ruinen-Grundstück an den umsatzstärksten Textilhändler Deutschlands, C&A Brenninkmeyer, zu verkaufen. Das ungenutzte Grundstück stand seit 1946 zum Verkauf, und der Stadt lag nun ein Angebot des Düsseldorfer Textil-Riesen vor. Der Bayerische Einzelhandelsverband versuchte die auswärtige Konkurrenz abzuwehren und beschrieb C&A als Gefahr, vor der der Einzelhandel und die Stadt gewarnt werden müsse.1948 Eilig versuchte der Interessenverband das C&A-Angebot durch die Bildung einer ortsansässigen Käufergruppe zu überbieten, doch keine Gruppe war bereit und fähig 910.000 D-Mark in bar zu zahlen wie es C&A anbot. Auch Hirmer, der die Werbemethoden der Niederländer fürchtete, stellte interne Rechnungen für seinen möglichen Beitritt zum Konsortium an, entschied sich aber wegen des hohen geschäftlichen Risikos gegen eine Beteiligung am Vorhaben.1949 Neben dem Aufbau seines Stammhauses, dem ausstehenden Vergleich zwischen Ashton und der Allianz sowie der Auseinandersetzung mit Bamberger, musste Hirmer nun also auch noch einen Großkonzern in direkter Nachbarschaft „erdulden“, der durch seine innovativen Werbemaßnahmen wohl auch Hirmers Reklamekosten negativ beeinflussen (d. h. erhöhen) musste. Der Oberbürgermeister verkaufte das Grundstück im Sommer 1951 an die „auswärtige Firma“, weil München wegen der „außerordentlich angespannten Finanzlage der Stadt [ ] und de[m] gebotenen Kaufpreis“ darauf nicht verzichten wollte.1950 Eine Münchner Zeitung kommentierte genüsslich: „Ein Herr aus dem Rheinland legt einen Scheck über 900.000 Mark auf den Tisch des Rathauses und die Sache ist perfekt [ ]. Die Stadtverwaltung hat an eine große rheinische Kleiderfirma verkauft. Diese Firma gilt als seriös, sie führt in Norddeutschland mit Erfolg ihre sog. „C- und A-Läden“, lässt sich die Fassadengestaltung ihrer Häuser etwas kosten und verkauft ihre Textilkonfektion sehr preiswert, ist also ein scharfer Konkurrent des alten, ortsansässigen Einzelhandels [ ]“.1951

Hirmer konzentrierte sich fortan auf die eigene Geschäftstätigkeit, deren Ausbau und Konsolidierung. Zunächst ging es um die Finanzierung der Bau- und Vergleichskosten Vgl. Schreiben an Hirmer & Co. vom 17.5.1951, HUA 2013/01/0011, S. 5; Aktennotiz o. D., HUA 2013/01/0011, S. 6. 1949 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 66; Aufstellung verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten für Kauf und Wiederaufbau Kaufingerstr. 14, o. D., HUA 2013/01/0011, S. 14 ff. 1950 Vgl. Schreiben an Hirmer & Co. vom 16.6.1951, HUA 2013/01/0011, S. 13.; Vgl auch Spoerer (2016), S. 281, bes. Übersicht S. 5. 1951 Vgl. Zeitungsartikel „Geheimnis um Kaufingerstraße 14“ von Alois Hahn, o. D., HUA 2013/01/0011, S. 2. 1948

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

und einer räumlichen Vergrößerung im Haus selber. Dazu versuchte er im Herbst 1951 das Modehaus Stalf, das mittlerweile ebenfalls wieder ins Gebäude gezogen war, an den Kosten des Allianz/Ashton-Vergleichs zu beteiligen. Stalf sollte 24.000 D-Mark entweder direkt oder durch einen angepassten Mietvertrag mit der Allianz beisteuern. Stalf lehnte eine solche Hilfe mit dem Hinweis ab, man habe schon große Investitionen in den Aufbau der Geschäftsräume gesteckt, und sei ohnehin nicht regresspflichtig gegenüber den Eigentümern. Hirmer indes spekulierte auf die Stalf ’schen Geschäftsräume und machte sich sein gutes Verhältnis zur Allianz zu nutze. Zwar versicherte Hirmer gegenüber Stalf, „dass [Hirmer] in keiner Weise die Firma Stalf aus dem Mietsbereich heraus haben wolle, obwohl sie an sich eine derartige Ausweitung ihrer Geschäftsräume angesichts ihrer geschäftlichen Entwicklung nötig habe“, aber Hirmer machte unmissverständlich deutlich, dass er auch Verständnis habe, wenn dann ein neuer Mietvertrag [der Allianz] mit Stalf scheitere.1952 Hirmer entschied sich auch erstmals unrentable Geschäftsfelder aufzugeben und schloss seine defizitäre Maß-Abteilung im Oktober 1951, um sich fortan der „Vervollkommnung und Weiterentwicklung der Herren- und Knabenfertigkleidung zu widmen“.1953 Diese strategische Rückbesinnung auf die Kernkompetenz zahlte sich aus. Umsatz, Gewinn und Rentabilität erreichten zwischen 1951 und 1955 immer neue Höhen. Der Umsatz stieg von knapp 9 Millionen (1951/1952) auf über 15 Millionen D-Mark (1955). Die Umsatzrendite verdreifachte sich nahezu im selben Zeitraum und lag 1955 bei knapp 12 Prozent. Der Geschäftsgewinn hatte 1953 erstmals die Millionen-Grenze durchbrochen und lag 1955 bei knapp zwei Millionen D-Mark. Auch in Bezug auf die Branche entwickelten sich die Geschäftszahlen von Hirmer & Co. ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bis 1961 überdurchschnittlich. Bezogen auf den Umsatz von 1954 lag die Umsatzentwicklung des Unternehmens zwischen 1956 und 1961 über der des Einzelhandelsindex für Bekleidung und Textilien. Die Jahre 1958 und 1959 kennzeichneten eine Abflachung der Nachholkonjunktur. Die Kunden profitierten von ihren gestiegenen Reallöhnen und hatten ein größeres Konsumbudget zur Verfügung. Da der Bedarf an „lebensnotwendigen“ Konsumgütern in den Jahren zuvor im Mittelpunkt stand, rückten nun hochwertige Konsumartikel wie Haushaltsgeräte, Autos oder Reisen in den Fokus. Auch die Einführung des privaten Kleinkredits verstärkte diese Entwicklung hin zu vormaligen „Luxusartikeln“. Hirmer & Co. spürte dies durch eine leichte Delle in seiner Umsatzentwicklung. Der Unternehmensgewinn gab erstmals seit dem Kriegsende um über 14 Prozent nach und auch die Rentabilität sank leicht (Abbildung 40).

1952

S. 76 ff.

Vgl. Vermerk über meine Besprechung mit Herrn Dr. Schülein vom 18.9.1951, HUA 2013/02/00014,

Die Mitarbeiter und das Inventar übernahm Lotz & Leumann, siehe HUA 2012/11/0001, S. 71; Mitteilungsschreiben, o. D., zit. nach HUA 2012/11/0001, S. 73. 1953

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1954

25

200 22 21

20 18

18

17

180 160

18

140

15

120 100

10

80

1945=100

Millionen

Abbildung 40 Umsatz und Umsatzindex, Hirmer und Textileinzelhandel, 1956 bis 1961

Umsatz DM

636

Reisen in den Fokus. Auch die Einführung des privaten Kleinkredits verstärkte diese Entwicklung hin zu vormaligen „Luxusartikeln“. Hirmer & Co. spürte dies durch eine leichte Delle in seiner Umsatzentwicklung. Der Unternehmensgewinn gab erstmals seit dem Kriegsende um über 14 Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961) Prozent nach und auch die Rentabilität sank leicht (Abbildung 40).

60 5

40 20

0

0 1956 Umsatz

1957

1958 Index Hirmer

1959

1960

1961

Index Bekleidung & Textilien

Anmerkungen: linke Achse: Index 1954=100, lfd. Preise; rechte Achse: Umsatz in DM (gerundet), lfd. Preise. Abb. 40 Umsatz und Umsatzindex, Hirmer und Textileinzelhandel, 1956 bis 19611954

Anmerkungen: Achse: Index 1954 = 100, lfd. Preise; rechte Achse: Umsatz in DM (gerunHirmer reagiertelinke auf die veränderten Kundenwünsche mit massiven Modernisierungsmaßnahmen det), lfd. Preise. am und im Stammhaus. Schon im Jahr 1958 drängte Hirmer den Mitmieter Stalf zum Einbau eines zweiten Fahrstuhls und der dringenden Erweiterung der Verkaufsflächen. Dem Modehaus Stalf

Hirmer reagierte auf die veränderten Kundenwünsche mit massiven Modernisierungsmaßnahmen amzuund im Stammhaus. Schon im Jahrnach 1958HUA drängte HirmerHUA den Eigene Berechnungen HirmerIndex nach Zusammenstellung 2012/11/0001, 2013/01/0004 sowiezum Zusammenstellung den Bänden des Statistischen des Deutschen ReiMitmieter Stalf Einbau einesnach zweiten Fahrstuhls und der Jahrbuchs dringenden Erweiterung ches, Jahrgänge 1953 – 1990. der Verkaufsflächen. Dem Modehaus Stalf fehlte allerdings der Umsatz um Hirmers Vorhaben finanziell mitzutragen. Da die Eignerin Allianz Hirmers Wünsche als 529 vordringlich betrachtete, kündigte sie den Mietvertrag mit Stalf zum 31.12.1961. Hirmer konnte so sein Stammhaus um einen fünften Stock und in Richtung Augustinerstraße erweitern. Nicht zuletzt neue technische Annehmlichkeiten wie Fahrstühle und das erweiterte, tiefere Sortiment lockten ab 1960 wieder mehr Kunden in das Geschäft und stabilisierten Umsatz und Erträge.1955

1954

Eigene Berechnungen zu Hirmer- Index nach Zusammenstellung nach HUA 2012/11/0001, HUA 2013/01/0004 sowie Zusammenstellung nach den Bänden des Statistischen Jahrbuchs des Deutschen Reiches, Jahrgänge 1953–1990. 1955 Vgl. Besprechung mit Herrn Stalf am 23.1.1960, HUA 2013/01/0011, S. 119.; Schreiben an Modehaus Stalf, o. D., HUA 2013/01/0011, S. 96.; HUA 2012/11/0001, S. 75–76 1954

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Neben der Modernisierung und Erweiterung der eigenen Räume, war die Verhinderung direkter Konkurrenz (Herrenmode) in der Kaufingerstraße Hirmers großes Anliegen. Als im Frühjahr 1959 das Modehaus Kraus sein Geschäft in der Kaufingerstr. 32 aufgeben musste, verhandelte Hirmer über eine Anmietung der Räumlichkeiten, insbesondere um anderen Herrenmodeanbietern zuvor zu kommen.1956 Ende November 1959 schloss Hirmer den Mietvertrag zum 1. Juni 1960 über 240.000 D-Mark Jahresmiete samt Vorkaufsrecht für das Objekt.1957 Hirmer bot daraufhin erfolglos dem gekündigten Mietmieter Stalf einen Untermietvertrag in den neuen Räumlichkeiten an. Im März 1960 gelang es Hirmer dennoch Stalf zu einem vorzeitigen Auszug aus der Kaufingerstraße 22 zum 1. Juni 1960 zu bewegen. Dafür zahlte Hirmer eine Entschädigung an Stalf in Höhe von 535.000 D-Mark. Im Gegenzug versprach Stalf seinen neuen Standort in der Neuhauserstraße für zehn Jahre an kein Herrenmodengeschäft unterzuvermieten.1958 Hirmer & Co. betrieb ab Mitte 1960 nun exklusiv die Kaufingerstraße 22. Das Unternehmen besaß damit deutlich mehr Ausstellungs- und Verkaufsfläche und konnte eine repräsentative Schaufenster-Passage installieren. Das erworbene Objekt Kaufingerstraße 32 erwies sich bald als gänzlich ungeeignet zur eigenen Nutzung, und man trat es im Frühjahr 1960 an die Damenmodefirma Arendt ab.1959 Wie wirkte der wirtschaftliche Aufschwung auf den emigrierten Alteigentümer Bamberger? Der überlieferte Briefwechsel aus diesen Jahren – nach der abschließenden Vereinbarung – lässt einen gewissen Grad an Verbitterung bei Fritz Bamberger erkennen. Dieser schied, wie sich nun zeigte, vor dem geschäftlichen Take-off Hirmers und inmitten der geschäftlichen Delle 1951 aus, und büßte durch die vereinbarte Ratenzahlung durch den zunehmenden Wertverlust des US-Dollars auch noch ein. Durch die Devisenbeschränkungen hatte er auch jahrelang keinen Zugriff auf das vereinbarte Geld, womit ihm bedeutende Gewinne und Zinserträge entgangen waren. Bamberger hatte seinerzeit auf die „sofortige Auszahlung seines Auslandsguthabens verzichtet“, und damit Hirmer eine notwendige Kreditaufnahme samt Zinsendienst erspart.1960 Bamberger beharrte folglich auf einer gewissen Entschädigung seitens Hirmer, um so wenigstens vom Geschäftsaufschwung – den auch er durch seine Zurückhaltung bewirkt habe, so Bambergers Argument – zu profitieren. Hirmer suchte aufgrund eines drohenden Zerwürfnisses erneut das Vieraugengespräch, reiste im Oktober 1960

Interessiert zeigten sich Fa. Esco und Fa. Arndt („Bayerns beliebtes Mode-Filialunternehmen“), siehe (unvollständiges) Schreiben an Kraus, o. D., HUA 2013/01/0011, S. 37; Notiz in Sachen Fa. Modehaus Kraus, HUA 2013/01/0011, S. 51 f. 1957 Zudem übernahm Hirmer & Co. die Waren, das Inventar und Teile der Personals der aufgelösten Kraus KG für 450.000 D-Mark, siehe Vereinbarung vom 27.11.1959, HUA 2013/01/0011, S. 25 ff.; Aktenotiz Allianz/Stalf vom 4.12.1959, HUA 2013/01/0011, S. 109. 1958 Schreiben an Modehaus Stalf vom 8.1.1960, HUA 2013/01/0011, S. 116.; Vereinbarung zw. Hirmer & Co. KG und Modehaus Stalf, München vom 18. März 1960, HUA 2013/01/0011, S. 129. 1959 Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 77–81. 1960 Vgl. Aktennotiz von Hans Hirmer vom 10. November 1960, zit. nach HUA 2012/11/0001, S. 83. 1956

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

nach Los Angeles und vereinbarte eine Zahlung von rund 121.000 D-Mark (umgerechnet 24.000 US-Dollar), um den auch in seinen Augen „berechtigten Forderungen“ Bambergers nachzukommen. Es folgten infolge der prosperierenden Geschäftsentwicklung weitere monatliche Zahlungen in Höhe von 1.000 D-Mark bis 1970 an die Bambergers. Zu Ehren Bambergers 85. Geburtstages schenkte Hirmer 1970 den Eheleuten Bamberger 76.000 US-Dollar und beglich ebenfalls die Schenkungssteuer. Im April 1974 einigten sich Fritz Bamberger und Hirmer auf eine erneute Ausgleichzahlung in Höhe von 200.000 DM. Insgesamt überwies die Firma Hirmer den Eheleuten zwischen 1950 und 1976 rund 2,3 Millionen DM an Geldleistungen.1961 Die gute Beziehung zwischen den Familien Bamberger und Hirmer, die sich nun dauerhaft entwickelt hatte, zeigte sich auch in der Ausrichtung des 50-jährigen Geschäftsjubiläums der Firma Hirmer im Jahr 1964. Im Jahr der „Geschäftsübernahme“ 1938 hatte Hans Hirmer stets betont, dass man nicht in Rechtsnachfolge der jüdischen Besitzers Bamberger stehe. Im Zuge eines Jubiläumsverkaufes feierte man nicht nur ein Umsatzplus von 104,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, sondern Hirmer nahm Fritz Bambergers Geschäftseröffnung im Oktober 1914 zum Anlass, sich bewusst in die Traditionslinie von Bamberger & Hertz zu stellen.1962 7.2.5.2 Hettlage Bei Kriegende bestand die Hettlage-Gruppe aus drei Häusern – dem Stammhaus in Münster sowie den Häusern in Würzburg und München, während im Osten das Haus Königsberg verloren war (Tabelle 130). Münster und Würzburg konnten bereits Ende Mai 1945 provisorisch wiedereröffnet werden, während München – wegen des Restitutionsanspruches – unter treuhänderischer Verwaltung stand. Daher wich Werner Hettlage nach Trier aus und baute hier 1946 eine Tauschhandlung auf, die nach der Währungsreform auch Konfektion anbot. Priorität hatten zunächst die „unbelasteten“ Häuser in Münster und Würzburg. Das Stammhaus in Münster war vollkommen zerstört worden. Die lokalen Behörden, allen voran die Industrie- und Handelskammer, waren an einer Wiederaufnahme des Verkaufsbetriebes des größten Kaufhauses der Stadt für Herren- und Damenkonfektion interessiert. Im November 1945 stand Hettlage bereits vor dem Bezug eines wiederaufgebauten Geschäftshauses.1963 Der Geschäftsgang des Münsteraner Hauses entwickelte sich im Laufe des Jahres 1946 zunehmend positiv, nachdem der Inhaber Carl Hettlage und seine Einkäufer sich in der britischen Zone zum Zwecke des Wareneinkaufs frei

1961 1962 1963

Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 82, 90, 97, 102. Vgl. HUA 2012/11/0001, S. 87. Vgl. Schreiben der Industrie- und Handelskammer, Abteilung Handel vom 5.11.1945, WWA F 132–19.

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Tab. 130 Häuser und Geschäftsführer, H. Hettlage KG, Münster, 1945 bis 1955 Ort

Eröffnet

Straße

Geschäftsführer

Münster (Stammhaus)

1946

Ludgeristr. 76/78

Carl Hettlage

Würzburg

1946

Schönbornstr. 8

Fritz Hettlage

München

1946

Landwehrstr. 1

Werner Hettlage

Trier

1949

Brot-/Joh. Philippstr.1964

Benno Hettlage

Essen

1955

Kettwinger Str. 44

Werner Hettlage

bewegen konnten.1965 Dem Entnazifizierungsausschuss des Stadtkreises Münster galt Carl Hettlage im August 1948 als „politisch überprüft und für unbelastet erklärt“.1966 Der „Neustart“ in München gelang indes deutlich schwerer. Hier sollte auch die Wurzel des späteren Auseinanderbrechens der Gruppe liegen. Das Münchner Gebäude war zu 60 Prozent, das Warenlager komplett vernichtet.1967 Unter hohem finanziellen Aufwand gelang es die Grundschuld abzulösen, die Gebäudereste abzutragen und einen Neubau zu errichten, der im Sommer 1949 eröffnet werden konnten.1968 Doch die vereinbarten Mietzahlungen sowie die Reparations- und Wiederaufbauzahlungen lasteten auf dem Ertrag des Münchner Geschäftes und damit auf der gesamten Gruppe. Wie bei Hirmer spielte C&A bzw. ein Mitglied der Brenninkmeyer-Familie eine entscheidende Rolle. War es die Angst vor der rheinischen Konkurrenz, die Hirmer ermutigte sein Geschäft konsequent zu erweitern, so waren es im Fall Hettlage die Hoffnung auf die Kapitalkraft der Familie Brennninkmeyer, mit denen die Hettlages über Generationen freundschaftlich-verwandtschaftlich verbunden waren. Im August 1950 kam es zu vertraulichen Gesprächen zwischen Carl Hettlage und Dr. Rudolf

Passage Rudersdorf in Trier, siehe Erläuterungen zum Jahresabschluss 1954, H. Hettlage Trier, F132–71. 1965 Im Oktober 1946 setzte sich die Industrie- und Handelskammer Münster gegenüber den alliierten Besatzungsbehörden dafür ein, dass Carl Hettlage und seine Einkäufer Rudolf Ulrich und Auguste Schmelter „des öfteren wichtige Geschäftsreisen innerhalb der britischen Zone“ unternehmen konnten und stellten dazu einen Antrag auf eine „Fahrradkarte“. Bereits im Januar 1946 bestimmte die Industrie- und Handelskammer Münster Carl Hettlage zum Beisitzer beim Landesarbeitsamt in Münster, siehe Schreiben der Industrie- und Handelskammer vom 17.10.1946, WWA F 132–19; Schreiben an Karl Hettlage vom 29.1.1946, WWA F 132–19. 1966 Vgl. Beglaubigte Abschrift des Entnazifizierungsausschusses vom 20.8.1947, WWA F132–145. 1967 Die Bombenschäden entstanden durch fünf Luftangriffe vom 13. Juli 1944, 7. Oktober 1944, 27. November 1944, 17. Dezember 1944 und 8. Januar 1945. Der Warenschaden wurde nach 1945 auf 340.744 RM beziffert, wovon 194.681 RM durch die NS-Behörden vor dem 8. Mai 1945 entschädigt worden waren. Den Rest buchte das Haus München als Verlust, siehe Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1968 Im sechsgeschossigen Geschäftshaus nutzte Hettlage das Erd- und das erste Obergeschoss. Die anderen Etagen vermietete Hettlage an Münchner Gewerbetreibende, siehe Stellungnahme zum Rückerstattungsfall „H. Hettlage, München“, 22.9.1949, WWA F132–18. 1964

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

Brenninkmeyer in Vertretung des Unternehmens C&A über eine Bürgschaft – später abgelöst durch ein fünfjähriges Darlehen über 122.000 D-Mark – zur Begleichung der Restitutionsforderung in München. Brenninkmeyer machte allerdings zur Bedingung, dass sich Hettlage in eine Kommanditgesellschaft umwandeln müsse mit Carl Hettlage als persönlich haftendem Komplementär und den anderen Brüdern als Kommanditisten. C&A verlangte damit unumwunden die „Geschäftsführung in d[ie] Hand des Herrn Carl Hettlage“ zu legen, mit Münster als Zentrale.1969 Angesichts der finanziellen Zwangslage und des Engagements von außen gerieten Benno und Carl Hettlage miteinander in einen substanziellen Streit. Benno Hettlage, der Inhaber des Münchner Hauses, reagiert fassungslos auf die Entmachtung dreier Brüder und schrieb an Carl: „Würdest du, wenn Du an meiner Stelle wärest, einen Vertrag unterschreiben des Inhalts wie C&A ihn fordern? [ ] Du würdest niemals einen solchen Vertrag unterschreiben. [ ] Müssen unsere Eltern sich nicht im Grabe umdrehen über diese Zerwürfnisse unter uns Brüdern, die überhaupt keinen vernünftigen Hintergrund haben. [ ] Unsere Geschäfte blühen, unsere Rentabilität ist eine außerordentlich große, unser Ansehen bei den Fabrikanten ist kaum zu übertreffen [ ]. Es besteht nicht der geringste Grund, dass wir die Satzungen unserer Firma, die durch Generationen hindurch gut gewesen sind, heute deswegen ändern, weil C&A dieses so wünschen; wir sind von C&A nicht abhängig; wir sind in der Lage die fraglichen 122.000 DM aus eigener Kraft abzudecken. [ ] Haben wir denn überhaupt keine Würde mehr?“1970

Auch nachdem C&A bereit war, seine Darlehnsbedingungen leicht zu entschärfen1971, blieben die Fronten zwischen den Brüdern im Norden und Süden verhärtet. Benno zeigte sich jedoch kompromissbereit: „Ich möchte mit jedem Mittel den Frieden zwischen uns Brüdern herbeiführen und ich bin überzeugt, dass dieses auch möglich ist, wenn wir es endlich verstehen, alte Wunden nicht immer wieder aufzureißen“.1972 Oberflächlich ging es um das C&A-Angebot. Im Kern ging es um Bennos Rolle im Restitutionsprozess in München. Aus Sicht von Carl Hettlage hatte Benno Hettlage mit dem schnellen Vergleichsabschluss und der forcierten Wiederaufnahme des Münchner Geschäftes die gesamte Hettlage-Gruppe fast in den Ruin getrieben. Im Februar 1951 gelang es den Brüdern nur kurzzeitig ihren Streit beizulegen: „Wir haben erneut festgestellt, dass wir 4 Brüder mit unseren 4 Geschäften zusammen eine Macht sind, die im Verkehr mit den Fabrikanten etwas bedeutet. [ ], dass wir in Zu-

Warum C&A darauf bestand ist unklar, vgl. Aktenvermerk vom 10.8.1950, WWA F132–54. Vgl. Entwurf eines Briefes auf Reaktion auf die Aktennotiz vom 10.8.1950, o. D., WWA F132–54. Die Konzernstruktur durfte weiter bestehen bleiben, wenn bei Stimmengleichheit Carl Hettlages Stimme primes inter pares sei und Gesellschafter bei Fehlverhalten ausgeschlossen werden konnten, siehe Ergebnis der Besprechung, 25.10.1950, WWA F132–54. 1972 Vgl. Schreiben von Benno Hettlage an Werner Hettlage vom 18.11.1950; Schreiben von Benno Hettlage an Carl Hettlage vom 18.11.1950, WWA F132–54. 1969 1970 1971

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

kunft wieder gemeinsam disponieren wollen und dass wir insbesondere den Einkauf der Herrenkonfektion wieder gemeinsam machen wollen“.1973

Im Frühjahr 1951 akzeptierte Hettlage die Bedingungen des C&A-Angebots „zum Schein“, de facto blieben alle Brüder gleichberechtigt.1974 Nachdem in Münster, Trier und München klare Besitz- und Kapitalverhältnisse herrschten, wollten die Brüder den Wiederaufbau des Hauses Würzburg vorantreiben, denn Hettlage verkaufte bislang in einem Provisorium.1975 Doch einem zügigen Wiederaufbau stand eine alte Darlehnsschuld des Würzburger Hauses entgegen und entfachte eine erneute Auseinandersetzung mit den Brenninkmeyers. Das Hettlage-Haus hatte im Jahr 1935 vom Eigentümer Joseph B. Brenninkmeyer ein Darlehen über 160.000 Reichsmark zur Instandsetzung der Räumlichkeiten erhalten. Die Erbengemeinschaft war nur dann zum Wiederaufbau des Geschäftshauses bereit, sofern Hettlage die Schuld von 160.000 in D-Mark beglich. Dazu zeigte sich Benno Hettlage angesichts der gesetzlichen Währungsumstellungsregelung nicht bereit, da er Hettlage als Mieter nicht in der Pflicht sah, die entstandenen Schäden zu kompensieren und setzte sich durch. Im Oktober 1951 begann der Wiederaufbau in Würzburg.1976 Die Hettlage-Gruppe hatte also bis Jahresende 1951 vor allem mit finanziellen Altlasten zu kämpfen, die die schnelle Wiederaufnahme der Geschäfte verzögerte. Während die Konkurrenzsituation in Münster und Würzburg keinen direkten negativen Einfluss hatte, blieb München der größte Unsicherheitsfaktor. In Bezug auf Miete, Werbung und Zinsen hatte München gemessen am Umsatz die höchsten Kosten. München musste in dem am schwersten umkämpften Marktumfeld bestehen. Investitionen in neue Geschäftsraume waren alternativlos und die Frage der Finanzierung des geplanten Neubaus an der Neuhauserstraße ungelöst blieb.1977 De facto befand sich die Hettlage-Gruppe in einer Liquiditätskrise. Der Firma drohten Steuernachzahlungen von 425.000 D-Mark und München hatte „kurzfristig verfügbare Gelder langfristig in Lagerware investiert“, die man nur nur unter Verlust wieder losbekam. Hettlage erwog daraufhin, die Münchner Herren-Abteilung und alle Nebenabteilungen in den anderen Häusern zu schließen um die hohen Lagerbestände Vgl. Schreiben von Benno Hettlage an seine Brüder vom 15.2.1951, WWA F132–54. Vgl. Protokoll zur Gesellschafterversammlung am 24. bis 26. April 1951, 15.5.1951, WWA F132–54. Vgl. ebd. Vgl. Rundschreiben von Benno Hettlage an Carl, Werner und Fritz Hettlage vom 30.5.1951 sowie Schreiben an Dr. Gerrit de Gruyter vom 30.5.1951, WWA F 132–99; Vertrag vom 1.10.1951, WWA F 132–99. Eine abschließende Lösung fand der Streit erst im November 1956. In einem Aufrechnungs- und Erlaßvertrag zwischen den Brenninkmeyererben und Hettlage Würzburg wurde das Darlehen restlos gegen die entstandenen Baukosten und Steuern verrechnet, siehe Aufrechnungs- und Erlassvertrag vom 28.11.1956, WWA F 132–99. 1977 Im Juni 1951 gab es bei Hettlage Überlegungen, C&A ein Angebot über eine Finanzierung anzubieten, oder selbst zu kaufen – entweder durch private Kapitalgeber oder fremde Bankkredite, siehe Protokoll zur Gesellschafterversammlung am 13. bis 15. April 1951, o. D., WWA F132–54. 1973 1974 1975 1976

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abbauen zu können.1978 Am Ende des Jahres 1951 war der Finanzierungsbedarf der Hettlage-Gruppe durch den Wiederaufbau und die Modernisierung der Geschäfte, den wachsenden Außenständen, der größeren Lagerhaltung und Lagerdauer enorm gestiegen. Die Selbstfinanzierungsrate lag bei nur einem Drittel des Gewinns und musste dringend verbessert werden. Den Verpflichtungen in Höhe von einer Million D-Mark standen Anfang des Jahres lediglich leicht höhere liquide Mittel zur Verfügung.1979 Dieser Liquiditätsengpass bedrohte nicht nur die Finanzierung des Frühjahrsgeschäftes 1952, sondern führte auch zu umfassenderer Lagerkontrolle, geringen Stammorders und dem Verzicht auf sämtliche Betriebsinvestitionen. Über das gesamte Betriebsjahr 1952 hatte die Hettlage-Gruppe trotz der ergriffenen Maßnahmen gegen die Zahlungsunfähigkeit zu kämpfen und stand Ende 1952 vor ihrem Zerfall. Die Kommunikation zwischen den Brüdern war auf ein Minimum begrenzt. München und Trier meldeten nicht die vereinbarten monatlichen Stückzahlenumsätze und die Wochenberichte trafen immer verspäteter ein. Das Münsteraner Stammhaus rechnete im November 1952 mit den Standorten München und Würzburg ab. Wieder kam es zu einseitigen Schuldzuweisungen. Carl sah Benno und Werner als Verantwortliche dafür, dass Hettlage infolge verfehlter Einkaufs- und Lagerpolitik in München und Würzburg „liquiditätsmäßig am Ende“ sei. Carl unterstrich das „klare Versagen der Münchner Geschäftspolitik, die nicht rechtzeitig trotz häufigster Warnungen und Hinweise die Konsequenzen aus dem Vorhandensein überstarker Konkurrenz zog, der sie weder kapitalmäßig noch leistungsmäßig gewachsen war“.1980 Während Benno geschäftstrategisch auf Expansion in München setzte, wollte Münster einem Münchner Neubau nur dann zustimmen, wenn die Münchner die Herren-Abteilung aufgaben und nur noch Damenmode verkauften. Nicht Expansion, sondern Spezialisierung war für Münster die gewinnbringende Nische gegen Traditionshäuser wie Hirmer und Konzerne wie C&A. Carl drohte offen mit der Liquidierung des Münchner Hauses um die Gruppe zu schützen.1981 Der Brüder-Streit – eine Nord-Süd-Auseinandersetzung – intensivierte sich im Jahr 1953 über die Rolle von Carls Ehefrau als alleinige Chefeinkäuferin der Hettlage-Gruppe.1982 Die positiVgl. Protokoll der a. o. Gesellschafter-Versammlung am 28. Juni 1951, 5.7.1951, WWA F132–54. Vgl. Aktennotiz zur Gesellschafter-Versammlung vom 30. November bis 1. Dezember 1951, 29.11.1951, WWA F132–54; Aktenvermerk über die finanzielle Situation des Unternehmens vom 15.3.1952, WWA F132– 54. 1980 Schreiben von Carl Hettlage an die Brüder Hettlage vom 7.11.1952, WWA F132–54. 1981 Vgl. Schreiben von Carl Hettlage an die Brüder Hettlage vom 7.11.1952, WWA F132–54; Protokoll zur Gesellschafter-Versammlung vom 10. und 11. Dezember 1952, 11.12.1952, WWA F132–54. 1982 Carls Ehefrau Maria Hettlage beabsichtigte die zentrale Einkäuferin der Gruppe zu werden. Benno und Werner reagierten empört und verlangten Maria Hettlage aus dem Unternehmen zu entfernen. Carl reagiert daraufhin mit der Drohung: „[D]ann gehe er selbst auch. Man solle sich aber darüber klar sein, dass damit alle Familienbindungen unwiderruflich zerschnitten sind“. Im Dezember 1953 wurde der Streit beigelegt, nachdem Carl Fehler seiner Frau einräumte und man Marias Geschäftsaktivitäten beschränkte, siehe Schreiben an Benno Hettlage vom 21.12.1953, WWA F132–54. 1978 1979

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ve Umsatzentwicklung des Jahres 1954 verhinderte jedoch vorerst eine Spaltung des Unternehmens. Tatsächlich konsolidierten sich Umsatz und Gewinn der Gruppe bis Mitte der 1950er Jahre. Zwischen 1951 und 1954 konnte der Umsatz auf 30,6 Millionen D-Mark verdoppelt werden (Tabelle 131). Tab. 131 Umsatz, Hettlage-Gruppe, 1951 bis 19561983 Münster

München

Würzburg

Trier

Essen

Gesamt

1951

4.898.000

3.346.000

2.965.000

2.965.000

14.174.000

1952

5.613.980

3.139.379

4.144.734

4.144.734

17.042.827

1953

6.244.510

2.114.376

4.493.410

4.493.410

17.345.706

1954

14.284.758

6.269.737

5.049.521

5.049.521

1955

8.070.114

11.503.148

6.408.787

6.408.787

30.653.537 787.645

33.178.481

Anmerkungen: DM, in lfd. Preisen.

Diese Steigerung ging zum einen auf die starke Entwicklung des Münsteraner Stammhauses, zum anderen begann sich München ab 1954 umsatzmäßig außerordentlich stark zu entwickeln. Das Jahr 1955 markierte einen fundamentalen Umschwung. München lief Münster dauerhaft, sowohl in Bezug auf Umsatz als auch Gewinn den Rang ab. Die 1955 in Essen neu gegründete Niederlassung konnte in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld die Erwartungen nicht erfüllen und entwickelte sich zum dauerhaften Verlustbringer der Gruppe.1984 Angesichts der deutlichen Umsatzbelebung im Geschäftsjahr 1954 probierten es die Brüder dann doch noch einmal gemeinsam. Alle vier Geschäftsführer versuchten als Lehre aus den vorangegangenen Auseinandersetzungen die Hettlage-Gruppe organisatorisch zu straffen. Zunächst sollte die Organisation der einzelnen Häuser einander angepasst werden. Neben konkreten Maßnahmen wie der Vereinheitlichung der Orderblätter oder der Auszeichnungsetiketten fassten die Brüder auch das Fernziel einer gemeinsamen Buchhaltung sowie einer gemeinsamen Herren-Disposition für Münster, Würzburg und Trier ins Auge, während München seine Herrenabteilung wieder Eigene Berechnung nach: Aufstellungen, H. Hettlage Münster; Erläuterungen zum Jahresabschluss 1954, H. Hettlage Münster, München und Trier; Fragebogen für die Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für 1951, F132–70; Aufstellungen, H. Hettlage München; Erläuterungen zum Jahresabschluss 1954, H. Hettlage Münster, München und Trier; Fragebogen für die Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für 1951, F132–71; Aufstellungen, H. Hettlage Würzburg; Erläuterungen zum Jahresabschluss 1955, H. Hettlage Würzburg; Fragebogen für die Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für 1951, F132–71; Aufstellungen, H. Hettlage Trier; Erläuterungen zum Jahresabschluss 1954, H. Hettlage Münster, München und Trier; Fragebogen für die Zerlegung des einheitlichen Steuermeßbetrages für 1951, F132–71; Erträge der Hettlage oHG Essen 1955 und 1956, WWA F132–72. 1984 Im Juli 1956 erwog Werner Hettlage die Damenabteilung zu schließen, wenn sich nicht „spürbare Aufwärtsentwicklung im Umsatz“ einstellen würden, siehe Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 23. Juli 1956, 25.7.1956, WWA F132–54. 1983

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aufbauen wollte. Weiter vereinbarten die Brüder ab Juli 1954 die gemeinsame Musterung von Kollektionen sowie eine einheitliche Werberichtlinie.1985 Hettlage setzte damit Grundsätze um, die Konkurrenten wie C&A und Hirmer schon Jahrzehnte früher – mitunter schon seit Weimarer Zeit – praktizierten. Die Maßnahmen zeitigten schnelle Erfolge. Nachdem in München ab Herbst 1954 die Damenabteilung erfolgreicher lief, erweiterte man im Oktober 1954 das Sortiment wieder um Herrenmode. Insgesamt war das Haus München in dieser Phase eine Art „Versuchslabor“ der Hettlage-Gruppe. Nachdem im Herbst 1954 eine Kinderabteilung eröffnet wurde, nahm das Publikum im Mai 1955 die Eröffnung einer Modeabteilung zur Selbstbedienung in München durchweg positiv auf. Die Selbstbedienung sollte Hettlage von Konkurrenten positiv absetzen.1986 Wohl auch angesichts des Erstarkens des Münchner Hauses entschieden sich die Brüder im Laufe des Jahres 1956 zur Einrichtung eines Verwaltungsrates, um künftige Auseinandersetzungen besser lösen zu können. Das Aufsichtsgremium bildeten die vier Hettlage-Brüder sowie Eugen Neuvians vom Münchner Bankhaus Neuvians, Reuschel & Co. Dieser Personenkreis entschied künftig alle Fragen der Expansion, Sortimentserweiterung, Verkaufsmethoden, Werbung und Organisation. Hauptaufgabe war die Billigung der Dispositionspläne der einzelnen Häuser, wobei im Streitfall der Verwaltungsrat die Geschäftsinhaber der einzelnen Häuser überstimmen konnte. Carl und Werner agierten nun als „Teamführer Herreneinkauf “, Benno und Fritz als „Teamführer Dameneinkauf “. Der Vorsitzende Carl Hettlage machte deutlich, dass sich alle „Mitglieder des Verwaltungsrates mehr dem gemeinsamen Unternehmen verbunden fühlen [müssten], als dem einzelnen Haus, in dem sie z. Zt. auch Geschäftsführer sind“.1987 Tatsächlich professionalisierte Hettlage in Form des Verwaltungsrates, vermutlich auch aufgrund der negativen Erfahrungen in Essen, seine Expansionsplanungen. Im Vordergrund einer Expansionsentscheidung stand nun eine systematische und eingehende Markt- und Konkurrenzanalyse. Im Frühjahr 1957 erhielt Hettlage ein interessantes Angebot über die Bebauung der Königstraße 21 in Stuttgart.1988 Der neu formierte Verwaltungsrat teilte sich die Analyse. Hettlage nutzte Neuvians Kontakte Vgl. Schreiben von Carl Hettlage an seine Brüder vom 26.1.1954, WWA F132–54; Schreiben von Benno Hettlage an Werner Hettlage vom 12.6.1954, WWA F132–54; Protokoll zur Gesellschafter-Versammlung vom 16. Juli 1954, 16.7.1954, WWA F132–54. 1986 Vgl. Protokoll zur Gesellschafter-Versammlung vom 11. bis 12. Oktober 1954, 12.10.1954, WWA F132– 54. Die Selbstbedienung „ist eine besonders wirksame Maßnahme im Konkurrenzkampf mit C&A und in der Gewinnung neuer Käuferschichten“. Nach der Probe in München erhielten auch Münster, Würzburg und Trier die entsprechenden Abteilungen, siehe Protokoll zur Gesellschafter-Versammlung vom 11. bis 12. Mai 1955, 12.5.1955, WWA F132–54. 1987 Vgl. Notiz betr. Sinn und Zweck der internen Sitzung des Verwaltungsrates, 12.12.1956, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 17. Januar 1957, 17.1.1957, WWA F132–54. 1988 Vgl. Exposé Objekt Stuttgart, Königstr. 21, WWA F132–30. 1985

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

um die Konkurrenzsituation vor Ort einschätzen zu können und kam zum Schluss, dass Stuttgart, trotz starker Konkurrenz etwa durch C&A, als Expansionsziel weiter zu verfolgen sei.1989 Benno Hettlage wurde mit der Markterkundung beauftragt und lieferte daraufhin nach einem Besuch vor Ort die erste eingehende Analyse, die die unmittelbaren Konkurrenzläden samt (geschätztem) Jahresumsatz und Belegschaft aufschlüsselte (Tabelle 132). Tab. 132 Konkurrenzanalyse H. Hettlage für Stuttgart/Innenstadt1990 Firma

Umsatz

Belegschaft

Fischer & Co. Damenoberbekleidung

7,0

180

Alfred Oberpaur

6,0

150

Hanke & Kurtz GmbH

6,0

150

Knagge & Peitz Herrenbekleidung

3,0 bis 3,5

60

Lennartz & Plein

6,0 bis 7,0

100

70,0 bis 80,0

1800

E. Breuninger KGaA Schwabenritter Verkaufsgesellschaft für Herrenkleidung mbH

2,5

25

Spiecker & Co.

3,0

80

Anmerkungen: Jahresumsatz in Millionen DM, lfd. Preise.

Dieses Vorgehen sollte in den folgenden Jahren prototypisch zur Evaluierung von Expansionsmöglichkeiten sein. Die Geschäftsentwicklung der Häuser blieb in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre volatil. Während Umsatzsteigerungen in den Damen-Abteilungen in Münster, Würzburg und Trier zu verzeichnen waren, kämpfte München mit einem Umsatzrückgang. Für die Damenabteilung etwa blieben die wertmäßigen Umsätze stabil, doch die verkauften Stückzahlen sanken zwischen 1955 und 1957 signifikant. In den SB-Abteilungen brachen die wertmäßigen Umsätze massiv ein. Hettlage sah den Grund im zunehmenden Mangel in der Kundenbedienung. Zunächst reagierte man mit der Implementierung eines leistungsgerechteren Entlohnungssystems im

Eugen Neuvians erkundigte sich im Auftrag Hettlage vertraulich über die Konkurrenzsituation vor Ort. Neuvians empfahl Hettlage einen „Inkognito-Besuch“ in Stuttgart zu machen. Nach Neuvians hatte Stuttgart eine „fortschreitend wachsende und gut verdienende Einwohnerschaft“, aber es drohen Gefahren und Chancen durch C&A Brenninkmeyer in der Königsstraße (gegenüber Wilhelmsbau): „Ich vermag nicht zu übersehen, ob und in welchem Maße C&A das Verkaufssortiment und die Preisbildung von Hettlage etwa stören würde. Ich hörte [ ], dass man sich von der Eröffnung von C&A viel verspreche, weil dadurch erfahrungsgemäß der Käuferstrom noch stärker in die Nachbarschaft des eigenen Hauses geleitet werde. Auf jeden Fall sieht man dem Erscheinen von C&A und dessen Auswirkungen in Fachkreisen entspannt entgegen“, siehe Schreiben von Carl v. Mengden an Konsul Eugen Neuvians vom 26.3.1957, WWA F132–30. 1990 Aufstellung nach Schreiben von Carl v. Mengden an Konsul Eugen Neuvians vom 26.3.1957, WWA F132–30. 1989

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Verkauf.1991 Wie auch andere große Konzerne, holte man sich nun dauerhaft externe Expertise ins Unternehmen. So gab Hettlage einen großen Betriebsvergleich in Auftrag, das Unternehmen mit anderen überregional tätigen Oberbekleidungsfirmen in Hinblick auf Umsatz, Kosten und Rentabilität überprüfen sollte. Ab Spätsommer 1957 schätzte der Berater Wilhelm Hachmeister regelmäßig die Kennzahlen von Hettlage ein.1992 Der Gutachter lobte die allgemeine Kostenstruktur und Rentabilität des Unternehmens, bemängelte jedoch den unzureichenden Umsatz in München und Trier. Das Haus München arbeitete weiter mit vergleichsweise hohen Personal-, Werbe- und Raumkosten. Dazu war Damenmode in München durch umsatzstarke, moderne und aggressive Konkurrenz und den Großwerbeetats der Warenhäuser gekennzeichnet. Hettlage München litt unter einer vergleichsweisen hohen Kalkulation, zunehmend nicht mehr exklusiven Fabrikanten und der Verschiebung des Kundengeschmacks auf teure Preislagen. Der Experte empfahl eine zentralere, straffere Führung. Der Verwaltungsrat habe, so der Berater, bislang zu viel „detaillierte Exekutive als Führungs- und Weisungsaufgaben“ gehabt. Die einzelnen Häuser der Hettlage-Gruppe hatten, trotz dem institutionellen Willen im Verwaltungsrat, zu starke Unterschiede in den Bereichen Sortiment, Lagerpolitik, Preislagenpolitik und Kalkulation. Daher empfahl der Berater eine „vorausschauende, zentral geleitete Personalpolitik“ sowie eine einheitliche Einkaufspolitik gegenüber Fabrikanten. Hettlage würde in den nächsten Jahren, auch in Münster, Konkurrenz durch Hertie und Karstadt erwachsen. Dieser könne man nur durch massive Expansion und einer aktiven Preispolitik begegnen, „um [der] Konkurrenz Wind aus den Segeln zu nehmen“.1993 In Fragen der zukünftigen Expansion hatte Hettlage Angebote aus Stuttgart, Heilbronn, Wuppertal-Barmen und München bereits ausgeschlagen. Der Berater empfahl die dringende Expansion. So prüfte Hettlage nun „auf lange Sicht“ die Standorte Ulm, Bielefeld, Koblenz und Marl/Hüls. Zum Jahreswechsel 1957/1958 erreichte Hettlage ein Angebot aus Hamm zur Untermiete Im Sommer 1957 wurde die Leistungsentlohnung nach Punktsystem in München und Trier testweise eingesetzt, siehe Haus Trier – Bericht über die Damenabteilung vom 20.3.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 21. bis 22. Mai 1957, 23.5.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 18. bis 19. Juli 1957, 19.7.1957, WWA F132–54; Bericht Entwicklung der Damen-Abteilungen – hier: Münster, 17.5.1957, WWA F132–54; Entwicklung der Damenabteilung des Hauses München, o. D. WWA F132–54. 1992 Wilhelm Hachmeister gründete 1949 sein Beratungsunternehmen, auch dem der bekannte Hachmeister-Kreis hervorging. Das Unternehmen berät auch heute noch die Textil- und Bekleidungswirtschaft, siehe http://www.hachmeister-partner.de/profil.html#geschichte, Stand:6.7.2016. Zum Tod von Wilhelm Hachmeister http://www.textilwirtschaft.de/business/Wilhelm-Hachmeister-ist-tot_5644.html?a=4, Stand: 6.7.2016. 1993 Vgl. Ergebnisse der Hachtmeisteranalysen: Verringerung der Personalkosten und Raumkosten in München, 14.9.1957, WWA F132–54; Entwicklung der Damenabteilung des Hauses München, o. D. WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 19. bis 20. September 1957, 23.9.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 7. bis 8. Mai 1958, 8.5.1958, WWA F132–54. 1991

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von Geschäftsräumen der Herrenmodefirma Grüter & Schimpff, welches man jedoch nach Prüfung ablehnte.1994 Zum Jahresanfang 1958 hatte sich die Liquidität des Hettlage-Konzerns durch stabile Umsätze und höhere Rentabilität verbessert. Sinkenden Umsätzen etwa durch Gründungen von Beamten-Einkaufsgenossenschaften und durch Modernisierungen der Konkurrenz begegnete Hettlage mit Sortimentsausweitungen, Sonderangeboten bei modischen Artikeln und Verstärkung der Briefwerbung. Die testweise Einführung des Prämiensystems für Verkäuferinnen in München und Trier war erfolgreich verlaufen, sodass dieses ab 1. September 1958 in allen Häusern eingeführt wurde. Während die Errichtung eines Hauses in Ulm für rund 1,6 Mill. D-Mark nun „endgültig beschlossen“ war, prüfte Hettlage ein Angebot über die Pacht des Kaufhauses Moster in Pirmasens. Ergebnis war die bislang umfassendste Marktanalyse, die teils auf öffentlich zugänglichen Daten der statistischen Ämter, teils auf eigenen Besuchen und Erkundungen beruhte. Nach eingehender Konkurrenzanalyse kam Hettlage zwar zu dem Ergebnis, dass die Oberbekleidungsgeschäfte in der Mehrheit einen – bis auf die Kaufhalle und Merkur – „rückständigen, nicht lebhafte[n] Eindruck“ machten. Speziell für Arbeiter und Arbeiterinnen sowie Kinder und Teenager fehlte es in Primasens an einem breiten, modischen Angebot im Niedrig- und Mittelgenre. Doch gegen die Konkurrenz des Kaufhauses Merkur sah Hettlage keine Chance.1995 Die von Berater Hachtmeister skizzierten Entwicklungen zum Jahresanfang konkretisierten sich zur Jahresmitte 1958, als die Umsätze einzubrechen drohten. Hettlage wollte mit einer „Verstärkung des gemeinsamen Einkaufs“ reagieren, Markterkundungen vereinheitlichen und intensivieren, einheitliche Sonderangebote in niedrigen Preislagen („preisliche Schwerpunktbildung“) und für alle Häuser eine Kalkulationsbegrenzung (30–34 Prozent) festlegen. Obwohl die Umsätze in Münster, Würzburg und Trier sich bis Herbst 1958 „unbefriedigend“ entwickelten, Essen eine „Verlustquelle“ war und nur München eine „bemerkenswerte Umsatzsteigerung“ auswies, konnte sich der Verwaltungsrat zu keinen grundlegenden Reformen in Richtung einer Zentralisierung durchringen. Die Brüder konnten sich nur auf einen „schrittweisen“ Prozess verständigen, der zunächst die „innere und äußere Verwaltung der Häuser vereinheitlichen“ sollte. Die Hettlage-Gruppe sah sich trotz Umsatzsteigerungen Ende 1958 mit einem Gewinnrückgang wegen gestiegener Personalkosten und steuerlicher

Vgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 19. bis 20. September 1957, 23.9.1957, WWA F132–54; Schreiben von Wilhelm Hachmeister an Werner Hettlage vom 11.12.1957 sowie Schreiben von Wilhelm Hachmeister an Carlk Hettlage vom 27.1.1958, WWA F132–30. 1995 Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 15. bis 16. Januar 1958, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 20. bis 21. März 1958, 21.3.1958, WWA F132–54; Bericht über eine Markterkundung des Einzelhandels mit Oberbekleidung in Pirmasens vom 12.3.1958, WWA F132–30. 1994

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Abschreibungen konfrontiert. Nur das Haus München konnte diesem Trend entgegensteuern.1996 Unter allen Angeboten und Markterkundungen des Jahres 1958 erwies sich das Kaufangebot über die Hettlage KG, Köln, als das für die Hettlage-Gruppe interessanteste.1997 Hettlage-Köln betrieb Standorte in Bonn und Bad Honnef, hielt eine Beteiligung am Kölner Textilhaus Beckmann & Co. und war Mitte November 1958 in finanzielle Schwierigkeiten geraten.1998 Am Ende der Verhandlungen stand der Entschluss, eine Auffanggesellschaft aus beiden Firmen zu gründen. Dieser neuen Gesellschaft gegenüber verzichteten die Gläubiger auf den Hauptteil ihrer Forderungen. H. Hettlage trat mit 2 Mill. DM als Gesellschafter in die Kölner Hettlage KG ein und sollte nach Begleichung aller Schulden das Kölner Geschäft übernehmen.1999 Nach über einem Jahr Bauzeit konnte das Hettlage-Haus Ulm am 13. März 1959 eröffnet werden. Das weiterhin schlechtgehende Essener Geschäft wurde ab Frühjahr 1959 der Geschäftsaufsicht des Hauses Münster unterstellt.2000 Mit dieser Erweiterung der Gruppe auf nun sechs Häuser und der Beteiligung am Kölner-Hettlage-Haus entschied sich der Verwaltungsrat für die Umwandlung der GmbH in eine Kommanditgesellschaft. Persönlich haftende Gesellschafter blieben die vier Brüder und der BanVgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 15. bis 16. Juli 1958, 21.7.1958, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 25. bis 26. September 1958, 30.9.1958, WWA F132–54. 1997 Die verschiedenen Hettlage-Firmen im deutschen Textileinzelhandel gingen auf unterschiedliche Familienzweige zurück. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die rein familiär verbundenen Hettlage-Firmen Hettlage oHG (Köln), Hettlage GmbH (Düsseldorf), Hettlage & Lampe (Kiel, Osnabrück) und H. Hettlage (Münster) als vollkommen unabhängig agierende Unternehmen. Zum umsatzstärkten Textilhändler neben der H. Hettlage-Gruppe entwickelte sich seit 1914 wohl der Kölner HettlageZweig. Deren Inhaber, Gustav Nahrhaft und später Dr. Eberhard Ley, waren jeweils die Vorsitzenden des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung in Düsseldorf. Die Gründung einer Einkaufsgemeinschaft für Herrenkonfektion im Januar 1927 ist die einzig dokumentierte Gemeinschaftsaktion der verschiedenen Hettlage-Häuser. Die Hettlage oHG in Köln wurde unter Dr. Ley als erster NS-Musterbetrieb im Einzelhandel mit der „Goldenen Fahne“ ausgezeichnet und war während des Nationalsozialismus auch an der Arisierung jüdischer Geschäfte beteiligt, siehe Schreiben betr. Nationalsozialistische Musterbetriebe, 2.5.1939, BA R13/XXIX 3, TexW, Nationalsozialistische Musterbetriebe, 20.5.1939. 1998 Vgl. Aufstellung über Beteiligungen per 30.9.1958, WWA F132–31. Zu Umsätzen der Hettlage KG, Köln 1950 bis 1958: Aufstellung über Umsatz Hettlage KG, Köln WWA F132–31. Das Kölner Textilhaus hatte im Zuge von Finanzierungsgeschäften und Geschäftsmodernisierung einen Schuldenberg von 3 bis 4 Millionen angehäuft. Diese Kreditverpflichtungen konnte Hettlage Köln aus dem laufenden Geschäftsbetrieb nicht mehr begleichen, da das Geschäft infolge eines starken Umsatzrückgangs im Jahr 1958 (8,5 Mill DM) einen Verlust von 1,5 Mill DM bilanzieren musste, vgl. Mietvertrag zum 1. März 1957, o. D., WWA F132–31. 1999 Die Münster Hettlage-Gruppe machte allerdings zur Vorbedingung, eine „Zusammenarbeit mit Herrn Ley völlig auszuschließen“. Die Geschäftsführung sollte durch den eigenen Prokuristen Dr. Nagel (München) geschehen, während die Oberaufsicht von Carl Hettlage ausgeübt werden sollte, siehe Aktennotiz über die Besprechung am 13.11.1958, WWA F132–31; Schreiben der H. Hettlage an Prof. Dr. Knorr vom 7.1.1959, WWA F132–31; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 20. bis 21. November 1958, 26.11.1958, WWA F132–54. 2000 Vgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 19. bis 20. Januar 1959, o. D., WWA F132–54. 1996

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kier Neivians, die den Verwaltungsrat bildeten. Fortan beriet dieses Aufsichtsgremium ein Beirat.2001 Das Geschäftsjahr 1958 war in der „Schwerpunktbildung in niedrigen Preislagen besonders erfolgreich gewesen“ – so resumierte es die Anlayse von Hachtmeister. Doch die Konkurrenz setze dem Unternehmen weiter zu, daher müsse die Expansion vorangetrieben werden. In der Folge suchte Hettlage in allen Regionen, in mittleren Städten, Ballungsräumen und Großstädten. Hettlage unterhielt im Frühjahr 1959 Verhandlungen über Geschäftsübernahmen oder Neueröffnungen in Bremen, Heidelberg, Stuttgart und Nürnberg. Vor allem von einer Neuerrichtung in Nürnberg versprach sich Hettlage sechs bis sieben Millionen D-Mark Jahresumsatz. Nachdem alle Verhandlungen über Grundstücks- und Immobilienkäufe in Nürnberg im Sommer 1959 scheiterten, intensivierte Hettlage seine Suche in Norddeutschland. Im August 1959 unterschrieb Hettlage einen Pacht- und Kaufvertrag über Geschäft und Grundstück des Fachgeschäfts für Herren- und Knabenkleidung J. H. Finke, Bremen. Darin vereinbarte Hettlage das Geschäft bis zum Tode des Inhabers unter altem Namen zu führen und spätestens zum 1. Januar 1969 unter „Hettlage“ zu betreiben.2002 Inmitten des eigenen Expansionsdrangs erreichte Hettlage im September 1959 ein Übernahmeangebot des schwedischen Textilhändlers Kapp-Ahl aus Göteborg. Der schwedische Großkonzern war 1952 eröffnet worden und hatte durch Großeinkauf von Rest- und Großpostenware unter Verzicht auf jeglichen Service den schwedischen Textileinzelhandel revolutioniert. Kapp-Ahl galt als „Preisbrecher“ und drang ab 1954 auch in die entlegenen Gegenden Schwedens vor. Das Übernahmeangebot versprach eine Gewinngarantie von rund 1,6 Millionen D-Mark (2 Mill. skr) an Hettlage. Nach eingehender Prüfung, auch vor Ort, kam der Verwaltungsrat zu dem Schluss, dass der schwedische Textilmarkt sich auf Kapp-Ahl eingestellt hatte und der Konzern selbst mittlerweile eine zu hohe Kostenstruktur aufweise. Mit der Ablehnung des Kaufangebots, unterbreitete Hettlage Kapp-Ahl allerdings eine strategische Partnerschaft „zur gemeinsamen Fortführung und Erweiterung der Geschäfte“ in Schweden. Mit Hettlages „Beteiligung an den Kapp-Ahl A. B. S. für den gemeinschaftlichen Betrieb bestehender und zukünftiger Geschäfte in Damenkonfektion und zukünftiger Geschäfte in Herrenkonfektion, eventl. auch Kinderkonfektion“ erhöhte Kapp-Ahl sein Grundkapital um 50 Prozent auf 225.000 skr. Hettlage erwarb ein Drittel des Unternehmens für 2,5 Millionen skr in bar. Hettlage besetzte im Gegenzug zwei Aufsichtsratsposten und bekam einen für drei Jahre garantierten Mindestgewinn von rund 1,4 Mill. D-Mark Diesen bildeten die neu eingesetzten Geschäftsführer der Häuser München und Ulm (Dr. Karl Hager), Trier und Würzburg (Dr. H. J. Nagel) und Münster und Essen (Dr. Gottfried Schultze). Alle drei Herren waren langjährige Angestellte, die nun auch (eingeschränkte) Prokura für die KG erhielten. 2002 Vgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage KG am 28. bis 29. April 1959, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage KG am 9. bis 10. Juni 1959, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage KG am 21. bis 22. Juli 1959, o. D., WWA F132–54; Entwurf eines Pacht- und Kaufvertrages vom 8.8.1959, WWA F132–30. 2001

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

(1,7 Mill. skr.). Ahl blieb Geschäftsführer seines Konzerns und wurde betriebswirtschaftlicher Berater für Hettlage. Fortan tauschten beide Unternehmen Nachwuchskräfte und Informationen über Einkaufsmärkte, Werbeideen und gemeinschaftlichen Einkauf aus.2003 Neben diesem Schritt auf Auslandsmärkte diskutierte Hettlage zum Jahresbeginn 1960 auch eine Mehrheitsbeteiligung am Osnabrücker Versandhändler Nordland GmbH. Damit wollte Hettlage auch am Versand-Boom partizipieren. Nordland bot neben Textilien eine ganze Reihe von Produkten vornehmlich für niedersächsische Staatsbedienstete an. Durch den Einstieg in das Versandgeschäft erhofften sich die Hettlage Brüder „künftig zweigleisig im Handel tätig sein und damit den nötigen Risiko-Ausgleich [zu] finden“. Obwohl Hettlage das Risiko sah, sich an einer „fremden Branche“ zu beteiligen, kaufte der Verwaltungsrat 50 Prozent des Versandhauses zu 3 Millionen D-Mark. Aus dieser Beteiligung sollte eine Partnerschaft beider Unternehmen zur „gemeinschaftlichen Durchführung und Finanzierung des Aufbauplanes“ eines gemeinsamen Unternehmens in der Zukunft werden.2004 Doch dazu sollte es nicht kommen. Im März 1960 kam ein externes Gutachten zu dem Schluss, dass Nordlands Geschäftsmodell unrentabel war und empfahl entweder die Liquidation oder „schnellstmögliche Expansion“.2005 Schaut man auf die geprüften Übernahme- und Kaufangebote der 1950er Jahre, so band diese Geschäftsstrategie viele strategische Ressourcen (Tabelle 133). Hettlage hatte sich vor dem Hintergrund volatiler Umsatzentwicklungen und schwankender Rentabilität gegen die Spezialisierung und Fokussierung auf das Kerngeschäft und für eine agressive Expansionsstrategie entschieden. Die Expansion war jedoch nicht Ausdruck geschäftlicher Stärke, sondern strategischer Unsicherheit. Umsätze und Gewinne rechtfertigten jene Expansionspläne nicht – Expansion war eine Wette auf die Zukunft, auch weil jene Expansionen und Modernisierungen zunehmend aus Bankkrediten und nicht aus Eigenmitteln finanziert wurden.2006 Hettlage versuchte angesichts der zunehmenden Konkurrenz in der Liga von Warenhäusern, Textilkonzernen und bundesweit agierenden Versandhäusern zu spielen, dazu nun auch nicht nur auf Deutschland beschränkt. Die Gruppen-Organisation war dieser strategischen AusSchreiben der Hettlage GmbH an Fa. Kapp-Ahl AB vom 25.9.1959, WWA F132–54. Protokoll einer Sondersitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 9. Januar 1960, o. D., WWA F132–54; Protokollnotiz vom 20.1.1960, WWA F132–54; Protokoll einer Sondersitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 21. und 22. Januar 1960, o. D., WWA F132–54. 2005 Die Nordland GmbH erzielte bei 20 bis 30 Mill. DM Umsatz per Saldo einen Verlust. Der Bericht schlussfolgerte: „Versandgeschäft mit Warenhaussortiment in dieser Umsatzgröße [ist] auf Dauer nicht rentabel“, siehe Protokoll einer Sondersitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 31. März 1960, o. D., WWA F132–54; Bericht über die abschließende Untersuchung des Projektes Nordland, 10.6.1960, WWA F132–54. 2006 Annahme eines Kreditangebotes der Dresdner Bank und der Bayerischen Staatsbank, Würzburg über jeweils über zwei Millionen D-Mark, siehe Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 23. bis 24. März 1960, o. D., WWA F132–54. 2003 2004

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

Tab. 133 Übernahme- und Expansionsmöglichkeiten, Hettlage-Gruppe, 1950 bis 19592007 Datum

Angebot

Zusage

Absage

Oktober 1950

Kleiderfabrik und Detailgeschäft Bolz, Wuppertal-Elberfeld

x

Dezember 1956

Königstraße 21, Stuttgart

x

Mai 1957

Heilbronn

x

Mai 1957

Wert 94–96, Wuppertal-Barmen

Juli 1957

Hirschstr. 1, Ulm

Juli 1957

Karlsplatz (Fa. Stanietz), München

x

Juli 1957

Bielefeld

x

Juli 1957

Koblenz

x

Juli 1957

Marl/Hüls

x

Dezember 1957

Grüter & Schimpff, Weststr./Martin-Luther-Str., Hamm

x

März 1958

Droppelmann & Nunges GmbH, Hiltrup

März 1958

J. H. Finke, Hutfilter Str., Bremen

März 1958

Hagendorff & Grote, Obernstraße 45/47, Bremen

Mai 1958

Saarbrücken

x

Mai 1958

Schreiber & Sundermann, Nürnberg

x

Mai 1958

Grimm & Embgen, Würzburg

x

November 1958

Ketelsen, Bremerhaven

November 1958

Hettlage KG, Köln

Januar 1959

Grabenstr. 15, Trier

x

April 1959

Heidelberg

x

April 1959

Stuttgart

x

x x (Jan 1958)

x x (Aug 1959)

x x

September 1959 Fiedler & Co., Duisburg

x

September 1959 C. Louis Weber, Hannover

x

September 1959 Hut-Frank, Essen

x

September 1959 Fiedler, Hildesheim

x

Oktober 1959

Vick, Braunschweig

x

Oktober 1959

Klauke, Wilhelmshaven

x

November 1959

Celle

November 1959

Hettlage & Lampe, Kiel

x x

Aufstellung nach Ergebnis der Besprechung, 25.10.1950, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 17. Januar 1957, 17.1.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 21. bis 22. Mai 1957, 23.5.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 19. bis 20. September 1957, 23.9.1957, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 20. bis 21. März 1958, 21.3.1958, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 7. bis 8. Mai 1958, 8.5.1958, WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage KG am 28. bis 29. April 1959, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage KG am 22. bis 24. September 1959, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 14. bis 15. Oktober 1959, o. D., WWA F132–54; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 15. bis 16. Dezember 1959, o. D., WWA F132–54; Schreiben von Klaas Ramann an Direktion Hettlage GmbH, München betr. Gelegenheitskauf beste Lage Wuppertal-Barmen, Werth 94–96 vom 8.5.1957, WWA F132–30; Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der Hettlage GmbH am 18. bis 19. Juli 1957, 19.7.1957, WWA F132–54; Notiz betr. Objekt Hamm vom 15.3.1958, WWA F132–30. 2007

651

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Entwicklungslinien der Nachkriegszeit (1945–1961)

richtung indes nicht gewachsen. Hettlage wollte Konzern sein, hatte jedoch keine adäquaten Konzern-Strukturen. So vollzog sich der Bruch der Brüder und der Gruppe – ausgelöst durch einen Streit über den sog. neuen Organisationsplan. Einstimmig beschlossen die Brüder zunächst, dass der Einkauf, erstmals personell getrennt von der Verkaufsabteilung, regional zusammengefasst und fachlich untergliedert werden sollte. Der Verwaltungsrat folgte damit den Empfehlungen seiner Berater, wonach infolge der erschwerten Marktübersicht, dem dynamischeren Mode- und Bedarfswandel der Verbraucher und dem verstärkten Wettbewerb im Einkauf mit Konzernen und Einkaufsverbänden, der Einkauf unabhängig, flexibel und professionalisiert werden musste. Im Verkauf sollte durch die Trennung einerseits den steigenden Kundenansprüchen begegnet werden und andererseits der sinkenden Personalqualität, dem Personalmangel und den steigenden Personalkosten entgegen gewirkt werden.2008 Hoch umstritten blieb die Reform des streng hierarchischen Aufbaus von Hettlage. Angestoßen war diese wohl durch das Münchner Haus unter Benno Hettlage und dem Münchner Bankier Neuvians. Streitpunkt war der Einfluss der Gesellschafter auf das operative Geschäft. Zwar waren im Beirat Prokuristen installiert worden, diese konnten aber nur weisungsgebunden (gegenüber den Gesellschaftern) agieren. Besonders der älteste Bruder Carl Hettlage wandte sich gegen jegliche Aufweichung dieses Prinzips. Er habe „Bedenken gegen den starken Eingriff in das unmittelbare Weisungsrecht der aktiv tätigen Inhaber“. Der ursprüngliche Reformvorschlag aus München scheiterte im November 1959 und Carl Hettlage fixierte die Sonderstellung der Hettlage-Brüder, die weiter jeder Instanz Weisung geben konnten. Auf der Verwaltungsratssitzung im März 1960, auf der Carl Hettlage fehlte, stimmte der Verwaltungsrat auf Betreiben von Benno Hettlage und Eugen Neuvians allerdings einstimmig für einen „mit Änderungen“ versehenen Organisationsplan. Carl Hettlage erkannte in der Folge den gefassten Entschluss nicht an, da dieser „Plan in seiner jetzigen Fassung nicht meine Zustimmung finden könnte“. In den Sitzungen des Oktobers und Novembers 1960 kam es zum Bruch der Brüder. Benno Hettlage und Neuvians betrachten die Sitzungen als „nicht mehr ordnungsgemäß“ und kommunizierten nur noch über Anwälte mit den anderen Mitgliedern. Mit den Stimmen von Carl, Fritz und Werner Hettlage wurde der beschlossene Organisationsplan zurückgenommen, entsprechend abgeändert und „ohne weitere Diskussion einstimmig angenommen“. In derselben Sitzungen wurden Benno Hettlage und Eugen Neuvians aus dem Verwaltungsrat der Hettlage-Gruppe „mit sofortiger Wirkung“ ausgeschlossen, da die „Vertrauensgrundlage [ ] unheilbar zerstört ist“.2009 Ein Schiedsgerichtsverfahren führte zur Trennung des Unternehmens Vgl. Tagesordnung für die Sitzung des V. R. der H. Hettlage KG, Münster am 14. bis 15. Oktober 1959, o. D., WWA F132–54; Antrag Trennung von Einkauf und Verkaufsleitung, 5.12.1959, WWA F132–54. 2009 Vgl. Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 19. bis 20. November 1959, o. D., WWA F132–54; Schreiben von Carl Hettlage an Werner Hettlage vom 20.6.1960, WWA 2008

Zwischen Restitution und Rekonstruktion (1949 bis 1961)

in die selbstständigen Gruppen „Nord“ und „Süd“. Carl, Fritz und Werner Hettlage waren die Gesellschafter der Nord-Gruppe, zu denen die Niederlassungen in Münster, Essen und Würzburg zählten. Zu Hettlage-„Süd“ unter der Führung von Benno Hettlage gehörten die Häuser München und Trier.

F132–54; Protokoll einer Sondersitzung des Verwaltungsrates der H. Hettlage KG Münster am 2. November 1960, 2.11.1960., WWA F132–54.

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8

Schlussfolgerungen

Die vorliegende Branchengeschichte analysiert den deutschen Textileinzelhandel im Verlauf von knapp sechs Jahrzehnten, ausgehend vom Kaiserreich, über die erste deutsche Demokratie, hinein in die Diktatur und schließlich einmündend in die frühe Bundesrepublik. Der Verkauf von Kleidung zwischen Konjunktur und Krise – ein ständiges Auf und Ab von Krisen- und Kriegserfahrungen, von Aufstieg und Niedergang, von Prosperität und Depression, vom Ringen um den richtigen, den angemessenen Platz dieser Branche in der Volkswirtschaft. Der Analyserahmen dieser Branchengeschichte, das Wechselspiel zwischen der eigentlichen Branche (Unternehmen, Betriebsformen und Verbandsarbeit) und anderen Akteuren außerhalb der Branche (Lieferanten, Kunden, Gesellschaft/Politik) erlaubt eine stringente Erzählung mit wiederkehrenden Schwerpunkten. Dabei fällt der deskriptive Anteil dieser Arbeit auch deshalb verhältnismäßig hoch aus, weil in vielen Teilbereichen Pionierarbeit dahingehend geleistet werden musste und allgemeine Tendenzen wie Geschäftsentwicklung, Regulierung oder Verbandsarbeit versucht wurden möglichst konkret auf den Textileinzelhandel abzubilden. Daneben galt es die tatsächliche Unternehmensentwicklung von Bamberger & Hertz/Hirmer, Schocken/Merkur, Hettlage und J. G. Becker einander gegenüberzustellen und diese dann in die übergeordnete Branchenentwicklung zu integrieren, um so die Branchentendenzen in der konkreten Unternehmensstudie zu reflektieren. Zum Ende des 19. Jahrhunderts, so verdeutlichte der Prolog, erfasste den Handel ein Modernisierungsdruck von vielen Seiten. Gerade der analytische Einbezug von Lieferanten, Kunden und Verbänden verweist darauf, wie stark sich zunehmend industriell gefertigte Ware und eine wachsende, kaufkräftigere Kundschaft wechselseitig beeinflussten. Damit wandelte sich das deutsche Warendistributionssystem von einem handwerklich strukturierten zu einem zunehmend spezialisierten und differenzierten Verteilersystem unterschiedlicher Betriebsformen und Betriebsgrößen. Bis zur Jahrhundertwende überstieg das Wachstum der Einzelhandelsbetriebe deutlich das Bevölkerungswachstum. Der Wettbewerb zwischen alten und neuen Betriebsformen intensivierte sich. Die steigende Nachfrage durch die fortschreitende Urbanisierung und die Lockerung des Gewerberechts ließ neben kleinen Läden bald neue Betriebs-

Schlussfolgerungen

formen entstehen. Konsumvereine, Filialgeschäfte, Magazine, Kauf- und Warenhäuser kamen gleichzeitig einem neuen Bedarf entgegen und bedienten die hohe Nachfrage nach Textilprodukten. Dem extensiven folgte ab den 1890er Jahren ein intensives Wachstum. Die von Großbetrieben vorgeführte innerbetriebliche Rationalisierung löste einen Modernisierungsschub in manchen Betrieben des Einzelhandels aus, der in Teilen auch in die Textil- und Bekleidungsindustrie zurückwirkte. Diese differenzierten Handelsstrukturen und die neuen Wettbewerbsimpulse halfen, den entstehenden Massenmarkt mit industriell gefertigten Waren schneller, zielgerichteter und günstiger zu versorgen – die „Basis der Konsumgesellschaft“ war entstanden.2010 Wie diese Studie belegt, wirkte diese Modernisierung nicht flächendeckend. Sie rief oft Widerstände hervor, von der Verbandsebene bis hinein in die mehrheitlich kleinen Stoffhandlungen und Textilläden, die weiterhin das Bild im Land dominierten. Auf den Wettbewerbsdruck neuer Betriebsformen reagierte der mittelständische Handel Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt mit zunächst lokaler, später überregionaler Verbandsarbeit. Diese war jedoch zu zersplittert und zwischen den Fachsparten und den Betriebsformen zu zerstritten, als dass von einer einheitlichen Interessenvertretung des Textileinzelhandels vor 1914 gesprochen werden kann. Der Erste Weltkrieg war auch für die Branche wie auch deren Unternehmen unstrittig die „Urkatastrophe“. Es gab kein konsistentes Konzept zur ökonomischen Vorbereitung eines langen Krieges. Auch im Bereich des Textileinzelhandels erwiesen sich die staatlichen Kontroll- und Lenkungsinstanzen als unzureichend. Die intendierte Umlenkung von Rohstoffen, Arbeitskräften und Aufträgen in der deutschen Kriegswirtschaft benachteiligte die Konsumgüterindustrie und in der Folge den Einzelhandel. „Rüstungsrelevant“ war der Textilsektor in Bezug auf die Ausstattung der Reichswehr und der staatlichen Einrichtungen mit Textilien; sekundär war die Sicherstellung des zivilen Grundbedarfs. Damit trat der Textileinzelhandel hinter die Textil- und Bekleidungsindustrie zurück, denen die Militärbürokratie die zentralere Rolle zuwies. Die systematische und umfassende Textilentnahme in den besetzten Gebieten, nicht die kriegswirtschaftlichen Lenkungssysteme, verhinderte in den ersten anderthalb Kriegsjahren systematische Eingriffe in den Textileinzelhandel. Doch damit ließ sich die Textilnot nur vorübergehend kaschieren. Ihren Höhepunkt erreichte die Regulierung des Zivilmarktes im Sommer 1916 mit der Etablierung des Bezugsscheinsystems und der Reichsbekleidungsstelle. Einerseits waren so die verbliebenen Reste des freien Marktes beseitigt, andererseits räumten die Militärbehörden der zivilen Grundversorgung erzwungenermaßen einen größeren Stellenwert ein. Die Kriegswirtschaft verstärkte Strukturveränderungen des Textileinzelhandels, deren Wurzeln bereits vor 1914 lagen. Sie beschleunigte die Expansion von Großbetrieben und die Konzentration der Produktion und Distribution auf Ballungszentren.

2010

Vgl. Spiekermann, S. 614–621.

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656

Schlussfolgerungen

Die Textil- und Bekleidungsindustrie kämpfte zwar ungleich härter als der Handel um Fachkräfte und gegen Entlassungen und Stilllegungen, doch profitierte sie deutlich stärker als der Handel von der Auftragsvergabe der militärischen Beschaffungsämter. Neben diesem Außeneffekt waren die Binnenstrukturen der Industrien und des Handels entscheidend. Bereits vor 1914 waren sowohl die Lieferanten als auch die Großhandelsbetriebe verbandlich und kartellmäßig stark integriert. Diese strukturelle Größe vermochten sie im Zuge der Ausgestaltung der Kriegsgesetzgebung deutlich besser einzusetzen als die Mehrheit der Einzelhändler. Diese waren zu Kriegsausbruch zerstritten. Es fehlte ein reichsweit agierender und überbetrieblich akzeptierter Dachverband. Diese Zerfaserung schwächte die Meinungsbildung und Einflussnahme auf Reichsebene. So fielen die „Regulierungskosten“ des Textilsektors am Ende der textilen Wertschöpfungskette – beim Einzelhandel – an. Die Unternehmen gerieten in einen Rechtfertigungsdruck gegenüber drei Seiten. Die Verbraucher erwarteten stabile Preise und Versorgungssicherheit. Die zivilen und militärischen Behörden erwarteten die Erfüllung der Verteilungsrolle zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft. Und die Lieferanten wollten ihre Verträge erfüllt sehen und verschärften die Bezugskonditionen des Einzelhandels – auch in Folge der Heeresaufträge. Der fehlende Zusammenhalt der Handelsstufe begünstigte die erfolgreichen Versuche der Lieferindustrien, die veränderten Terms of Trade an den Einzelhandel weiterzugeben. Der Druck der Lieferanten und Abnehmer schwächte also nicht nur die Erträge, sondern auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Handels. Damit blieb der Einzelhandel systemisch auf die Rolle des passiven Vermittlers und Verteilers reduziert. Gegen diese Rollenverteilung wehrten sich große Teile der kleinen und mittleren Unternehmen nicht, da sie sich obrigkeitsstaatliche Hilfe gegen Großbetriebe erhofften. Wie das Beispiel des Bezugscheins zeigt, betrachteten die Regulierungsbehörden – anders als der organisierte Mittelstand – großbetriebliche Strukturen aber als die effizienteren Distributionsorgane. Die beabsichtigten Wirkungen des Bezugscheins erfüllten sich damit auf Kosten der kleinen und mittleren Spezialfachgeschäfte. Auch die Kunden sammelten angesichts der Bürokratisierung Bezugscheine, um sie in den breiten Sortimenten der Warenhäuser und großen Modehäuser, anstatt in einzelnen Spezialfachgeschäften einzulösen. Diese Verbrauchslenkung war vom Bezugscheinsystem intendiert. Die Eingriffe in die Kalkulationshoheit und das Bezugscheinsystem legten die innerbetrieblichen Schwächen vieler Kleinbetriebe offen. Durch zentralisierte Einkaufsstrukturen, systematische Buchführung und gezielte Reklame konnten sich Einzelhändler klare Vorteile im Kampf um Waren und Kunden verschaffen und die Kriegszeit unbeschadet bis erfolgreich überstehen. Damit verschärfte die kriegswirtschaftliche Regulierung die offenen Bruchlinien innerhalb von Betriebsformen und Branchen. Zum anderen schuf die provozierte Frontstellung gegen die Textil- und Bekleidungsindustrie die Voraussetzung zur Integration des Textileinzelhandels unter einem reichsweiten Dachverband. Textiler Mangel blieb sowohl Impulsgeber als auch ungelöste Aufgabe der

Schlussfolgerungen

Regulierung. Als Erfolg darf gelten, dass trotz des abgeschnittenen Weltmarktzugangs der textile Heeresbedarf gedeckt werden konnte. Zu verdanken war dies aber im Kern nicht den effektiven Regulierungsstrukturen, sondern der Beutepolitik im Ausland sowie der strikten zivilen Spar- und Verzichtspolitik im Inland. Wie wenig erfolgreich und gerecht die staatliche Zuteilung und Lenkung funktioniert hatte, offenbarte sich den Arbeiter- und Soldatenräten nach Öffnung der prall gefüllten Kleiderkammern am Kriegsende. Die Zeche einer anfangs improvisierten, schließlich von zivilen und militärischen Beschaffungs- und Verteilstrukturen geprägten Textilversorgung zahlten die Zivilbevölkerung sowie der durch die Kriegswirtschaft auf seine Verteilerfunktion reduzierte Textileinzelhandel. Es war nicht der staatlichen Bewirtschaftung, sondern eher dem Grau- und Schwarzmarkt sowie den eigenen Reserven der bürgerlichen Haushalte zu verdanken, dass die textile Zivilversorgung letztlich nicht zusammenbrach. Die Befunde für die Zeit der Weimarer Republik bestätigen ein Changieren des Textileinzelhandels zwischen den Extremen. Einerseits, so belegt die Analyse der Verbandsstrukturen, der Umsätze und der Geschäftslage, agierte die Branche in einem „permanenten Krisenmodus“, geprägt durch die Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit, die Hyperinflation, die deutlich werdende Scheinblüte Mitte der 1920er Jahre sowie die dramatischen Folgen der Banken- und Wirtschaftskrise. Andererseits, so konnte gerade am Beispiel Schocken und Bamberger & Hertz nachgewiesen werden, initialisierte und verstärkte die erste deutsche Demokratie Modernisierungs- und Rationalisierungtrends in der Branche – ob in Bezug auf Konzernbildung, Einkaufsgemeinschaften, Konsumkredite oder systematische Reklame. Die Weimarer Zeit war das Sinnbild einer Branche zwischen Konjunktur und Krise. Wie gezeigt werden konnte, machte die Öffentlichkeit – Behörden wie Kunden – in den frühen 1920er Jahren den Einzelhandel für Warenmangel und hohe Verbraucherpreise verantwortlich. Über diese Angriffe von außen formierte sich der erste Dachverband des Textileinzelhandels, um das Ansehen und das Gewicht des Einzelhandels gegenüber den Vorlieferanten, den Behörden und seinen Kunden zu stärken. Hier endeten jedoch die Gemeinsamkeiten der Branche. Wie nachgewiesen werden konnte, strebte die Mehrheit der Textilhändler einer Rückkehr zu Strukturen von 1913 entgegen, die einen klar umrissenen Markt bedeutete: Konservierung der kleinbetrieblichen Strukturen, strikte Wettbewerbsordnung, staatlicher Schutz vor Lieferanten und neuen Wettbewerbern. Eine Minderheit, besonders Großbetriebe wie Schocken oder Spezialhäuser wie Bamberger & Hertz und Hettlage, erkannte die Chance, mit der kurzzeitigen konjunkturellen Erholung durch Wachstum, sich von den Vorlieferanten zu emanzipieren und den entstehenden Massenmarkt preiswürdig zu bedienen. Die gesamte Branche profitierte von der textilen Nachholkonjunktur ab 1924, auf den Massenmarkt ausgerichtete Mittel- und Großbetriebe profitierten jedoch überdurchschnittlich. Der Kunde forderte schnelle, preiswerte und modische Versorgung – die Betriebsform war solange egal, sofern das Geschäft seiner Wahl ein entsprechendes Preis-Leistungs-Verhältnis

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Schlussfolgerungen

bot. Der kleinbetriebliche Fachhandel sah sich dabei weniger im Wettbewerb um den Kunden, in dem es etwas zu gewinnen galt, sondern im Wettbewerb mit neuen Betriebsformen, in dem er nur verlieren konnte. Diese Arbeit zeigt jedoch, dass der Textileinzelhandel als Branche in seiner Breite von der Großstadt bis auf ’s Land viel weniger durch Großbetriebe bedroht war als propagiert. Großbetriebe wie Schocken waren für erfolgreiche Mittelständler wie Bamberger & Hertz oder Hettlage eher Vorbild als Feindbild. Dem dynamischen „Massenmarkt“, der Ausrichtung auf „Kundenbedürfnisse“ und der Modernisierung innerbetrieblicher Geschäftsabläufe stand die Mehrheit der kleinbetrieblichen Textilhandlungen abwartend, skeptisch und vielzuoft ablehnend gegenüber. Für die einen bedeutete es die Abkehr von den (überhöhten) kaufmännischen Idealen des 19. Jahrhunderts, für andere waren es die neuen „Spielregeln“ – großbetriebliche Wettbewerber, neue Betriebsformen wie Konsumvereine, „mittelstandsfeindliche“ Politik oder der Kunde als „unbekanntes Wesen“. Dieser „permanente Krisenmodus“ des Kleinhandels band viele interne Ressourcen und führte zu ad hoc Aktionen wie Einkaufsgemeinschaften, Reklamekampagnen oder den Aufbau eigener Produktionskapazitäten – Maßnahmen die, wie diese Arbeit zeigt, meist zu spät kamen und letztlich immer an der Heterogenität der Branche scheiterten. Dem organisierten Textileinzelhandel gelang es nicht, seine Verbandsaktivitäten auf die inneren Reformen der Branche zu lenken – Regulierung des Wettbewerbs blieb vielen wichtiger als die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Der konjunkturelle Absturz ab 1929 verschärfte den ideologischen Graben, vor allem zwischen den Betriebsformen und ihrem Verhältnis zu Behörden und Kundschaft. Wie die Befunde zeigen, waren Mittel- und Großbetriebe wie Schocken, Bamberger & Hertz und Hettlage substanziell besser gerüstet, da man Lehren aus der Vorkriegszeit in organisatorische Veränderungen übersetzte. Es waren die einsetzenden antisemitischen Anfeindungen gegen Großkonzerne und jüdische Betriebsinhaber, die vorerst ein Auseinanderfallen der kleinbetrieblichen Strukturen im Textileinzelhandel verhinderten. Die Nationalsozialisten wussten die Widersprüche der Branche für ihre Zwecke geschickt zu nutzen. Die nicht-jüdische Mehrheit der Branche erhoffte sich vom „Dritten Reich“ eine Rückkehr zum Zustand von 1914 – eine wirksame Schutzmauer vor den Auswirkungen von Wettbewerbs- und Modernisierungsdruck, die die Nichtmitglieder der NS-Volksgemeinschaft wie Juden oder Ausländer vom Heimatmarkt ausschloss oder verdrängte. Tatsächlich, so zeigt diese Untersuchung, verstanden die Nationalsozialisten den Handel nicht als Basis bzw. selbstagierendes Subjekt der Konsumgesellschaft, sondern als Erfüllungsgehilfe einer zum Krieg bereiten und im Krieg versorgten Volksgemeinschaft. Der Textileinzelhandel gehörte zu den ersten gleichgeschalteten Branchen. Die Hoffnung der Branche, durch die Gleichschaltung die verlorengeglaubte Wertschätzung und die eingeforderte Staatshilfe zu bekommen, erfüllte sich nicht. Die propagierte „Warenhausfrage“ war ein helles, aber schnell abbrennendes Strohfeuer gegen prominente (jüdische) Großbetriebe. Im Kern erkannte das Regime die Notwendigkeit einer Bereinigung des Einzelhandels durch Effizienzsteigerung, Kon-

Schlussfolgerungen

zentration und Rationalisierung. Das zeigte auch die Analyse der Wirkungen des Einzelhandelsschutzgesetzes sowie der Regulierung von Einkaufsbedingungen, Kalkulationen oder Verkaufspreisen. In einer aufrüstenden Gesellschaft waren die Belange des Textileinzelhandels hintenangestellt – es zählte wie schon im Ersten Weltkrieg Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Beispiellos war die Diskriminierung, Verdrängung und Vernichtung jüdischer Geschäftstätigkeit. Diese setzte unmittelbar nach der Machtübernahme systematisch auf administrativer, verbandlicher und geschäftspolitischer Ebene ein und reichte bis weit nach Kriegsausbruch. Sowohl der branchenspezifische als auch der Blick in die Geschäftsentwicklung von Schocken und Bamberger & Hertz bestätigen den in der Forschung seit langem betonten Radikalisierungsprozess. In der eingehenden Untersuchung von Arisierungsfällen wurden Spielräume und Handlungsoptionen bis 1938 sichtbar, die in bemerkenswerter Weise genutzt werden konnten, um Familienangehörige, Mitarbeiter und Firma vor der Vernichtung zu bewahren. Die Arbeit zeigt aber auch, in welch dramatischem Umfang Arisierungen und Liquidierungen im Textileinzelhandel gegen Menschen und gegen Unternehmen wirkten. Dieser Prozess war zielgerichtet und systematisch, aber nicht staatlich orchestriert oder von oben oktroyiert. Er kam von unten und aus der Mitte der Gesellschaft – aus der Gefolgschaft, von der Straße oder durch benachbarte Geschäfte. Der dadurch entstandende Substanzverlust an Unternehmertum, Entrepreneurs und Geschäftsideen hat die Branche wie kein anderer Strukturbruch zuvor gezeichnet und verändert. Die Untersuchung der Wirkmacht der Adefa zeigt, dass sie gemessen am eigenen Anspruch, jüdischen Einfluss durch deutsche Mode zu ersetzen, deutlich scheiterte. „Deutsche Schnitte“ oder Ersatzstoffe fanden weit weniger Widerhall in der NS-Volksgemeinschaft als propagiert. Die nicht-jüdische Branche profitierte jedoch nicht überall wie erhofft von der systematischen Verdrängung der jüdischen Konkurrenz. Ganz klar gab es auch im Textileinzelhandel Emporkömmlinge und Profiteure wie Herbert Tengelmann oder Helmut Horten. Nachweislich richtete sich die NS-Auslese aber auch gegen nicht-jüdische Kleinst- und Kleinbetriebe. Wie belegt werden konnte, liquidierten die Behörden oftmals jüdische Betriebe, wo „arische“ Kleinunternehmen auf Expansion durch günstige Geschäftsübernahmen hofften. Die Sachkundeprüfungen des Einzelhandelsschutzgesetzes ließen viele „arische“ Kaufleute scheitern. Der Kriegsausbruch sorgte für flächendeckenden Mangel an Personal. Es folgten Auskämmungen und etliche Stilllegungsaktionen. Dies traf, wie die Berichte der bayerischen IHKs zeigen, kleine Händler überproportional stark. Die Basis der NS-Konsumgesellschaft, gerade in Kriegszeiten – so zeigen die Beispiele Hettlage, Hirmer und Merkur – wurden nun größere Spezialgeschäfte und Großbetriebe. Diese Arbeit schärfte auch den Blick für Parallelen und Kontinuitäten. Die Regulierung im Zweiten Weltkrieg, besonders das System der Kleiderkarten, war ein verschärftes Abbild der Regulierung im großen Krieg von 1914 – zum Leidwesen der kleinen und mittleren Betriebe. Dass sich im Krieg auch gute Geschäfte machen ließen, zeigen die systemati-

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Schlussfolgerungen

schen Auswertungen der Umsätze und der Geschäftsentwicklungen von Merkur und Hirmer deutlich. In der unmittelbaren Nachkriegszeit blieb die deutsche „Zusammenbruchsgesellschaft“ in textiler Hinsicht zunächst von textiler Not und gravierenden Mangelerscheinungen geprägt. Der Krieg hatte die textilen Produktionskapazitäten drastisch reduziert, qualifizierte Arbeitskräfte waren rar und es fehlte an Rohstoffen wie auch an Lagerbeständen, um die immense Nachfrage am Zivilmarkt zu bedienen. Den Händlern und Verbrauchern blieb die Selbsthilfe. Geschäfte erweiterten ihre Sortimente um nicht-textile Artikel und erweiterte das eigene Dienstleistungsspektrum um Reparatur- und Werkstattbetriebe. Verbraucher bezogen Textilien über Altmaterialverwertungen, auf Schwarzmärkten oder durch Tausch- und Kompensationsgeschäfte. Doch der Mangel blieb allgegenwärtig und das Signum dieser Zeit. Daher beließen die Alliierten das Weltkriegsregime aus Bewirtschaftung und Regulierung nahezu unverändert in Kraft. Sämtliche textilen Wertschöpfungsstufen arbeiteten mit Einkaufsgenehmigungen, Bezugsscheinen, Freilisten und Punktekonten. Die textilen Hilfslieferungen der Alliierten waren bemerkenswert. Sie blieben jedoch in der Wahrnehmung des Textileinzelhandels und auch des einfachen Verbrauchers kaum spürbar. Über die Hälfte der produzierten Textilgüter floss in den Export und band so Produktionsressourcen, die dem Zivilmarkt nicht zur Verfügung standen. Die andere Hälfte ging priorisiert an Wirtschaftsbetriebe, Schwerstarbeiter und öffentliche Stellen, weniger als zehn Prozent der subventionierten Ware floss direkt an den Textileinzelhandel. Die Auswertung der IHK-Berichte in dieser Arbeit zeigt, dass dort, wo Ware vorhanden war, sowohl die Profite als auch die Zulassungsanträge für neue Geschäfte anstiegen. Die Branche kam Ihrem Versorgungsauftrag dort wo es ging nach. Zwar blieb der Mangel immer noch präsent, doch aufgestockte alliierte Finanzhilfen, das Punktesystem, niedrigere Exportquoten und die stärkere wirtschaftliche Integration der drei westlichen Zonen stabilisierten die Versorgungssituation bis 1947. Die Analyse belegt, dass die Währungsreform, die Deregulierung der Preise und die Punktefreiheit für Industrie und Handel die entscheidenden Wachstumsimpulse für die Textilbranche setzten. Nicht die Kauflust oder die Textilproduktion war der ursächliche Hemmschuh, sondern vielmehr die Kaufkraft der Kunden, die immer noch nur gegen Punkte Textilien kaufen konnten. Um das begrenzte Punktevermögen setzte dann ein immer schärferer Wettbewerb ein, in dem die Warenhäuser gegenüber den Fachgeschäften überproportional durch breite Sortimente und intensivierte Reklame profitierten. Mitte Mai 1949 kehrte der Textileinzelhandel mit der Aufhebung der Punktebewirtschaftung für den Verbraucher zum freien Makt zurück. Nach über 15 Jahren endete damit das textile Eingriffs-, Lenkungs- und Verteilungsregime. Zugleich brachen damit, wie die Auswertung der Fachzeitschriften für die Branche als auch die Fallanalysen zeigen, die brancheninternen Konfliktlinien zwischen den Betriebsformen erneut auf. Anfang der 1950er Jahre setzte ein in seiner Intensität bislang ungekannte Wettbewerb um die zunehmend kaufkräftigen Kunden ein.

Schlussfolgerungen

Wie im Exkurs zur Lage in der Ostzone gezeigt werden konnte, waren die Ausgangslage und die Versorgungssituation dort bis 1947 der Situation in den Westzonen nicht unähnlich. Textile Not und Versorgungsprobleme beherrschten den Alltag. Der Schwarzmarkt bildete auch hier anfangs die Hauptversorgungsquelle. Im Zuge der Sowjetisierung der Ostzone blieben auch hier die Regulierung der Rohstoffe, des Warenverkehrs und der Preise intakt – erweitert um die großflächige Demontage und Verstaatlichung von Industrie- und Handelskapazitäten. Mit der Bildung der staatlichen Handelsorganisationen und dem Ausbau des Genossenschaftswesens wurde der private Einzelhandel in eine Nische gedrängt. In der sozialistischen Planwirtschaft stand nicht der Wettbewerb, sondern das Überleben des privaten Einzelhandels im Vordergrund. Wie kurzfristig erfolgreich dieser Existenzkampf sein konnte, zeigen die Fallbeispiele Becker und Merkur. Auch wenn diese nicht repräsentativ für die ostdeutsche Textileinzelhandelsbranche sein können, liefern sie solide Anhaltspunkte für Resilienz und Überlebensstrategien. Dem kleinen Fachhändler Becker gelang es, durch gute regionale Vernetzung und Dienstleistungserweiterung wie Reparaturen den grundlegenden Warenbezug und das Überleben sicherzustellen. Das Warenhaus Merkur kämpfte indes vergeblich um die Einheit und Selbstständigkeit des Unternehmens. Einerseits deckten sich die geschäftsstrategischen Ambitionen des westdeutschen Teils in Nürnberg nicht mit denen des Stammhauses in Zwickau. Und zum anderen war Merkur, wegen seiner Rolle als Auftragsgeber, Arbeitgeber und Verteiler zu wichtig für die junge Ostzone, um nicht unter staatliche Kontrolle gestellt zu werden. Mit der wirtschaftlichen Einheit der britischen und amerikanischen Besatzungszone, dem Ausbau gemeinsamer Strukturen und eingehender Erleichterungen des Warenverkehrs im Laufe des Jahres 1947 und den zwei Währungsreformen im Sommer 1948 zementierte sich die Trennung der Merkur AG in zwei eigenständige Unternehmen in Ost und West. Wie im abschließenden Großkapitel analysiert, standen für die Branche zunächst die Auswirkungen der Restitutions- und Wiedergutmachungsforderungen im Vordergrund, bevor sich das Rekonstruktionswachstum entfalten konnte. Entlang der drei Fallbeispiele Schocken, Hettlage und Bamberger & Hertz konnte ein differenziertes Spektrum von Verhaltensmustern der Branche aufgezeigt werden. Auch die vorliegende Arbeit bestätigt die fundamentalen Wahrnehmungsunterschiede zwischen jenen, denen Unrecht widerfahren war und jenen, die mit den Ansprüchen der Opfer und ihrer Hinterbliebenen auf Wiedergutmachung und Ausgleich konfrontiert waren. Die jüdischen Deutschen hofften, drängten und forderten, dass das erlittene Unrecht moralisch eingestanden, staatlich anerkannt und (soweit dies überhaupt möglich war) ökonomisch kompensiert werden würde. Derweil sah sich die überragende Mehrheit der betroffenen deutschen Textileinzelhändler nicht im Stande oder nicht in der Pflicht diesen Ausgleich zu leisten. Sie sahen sich ebenfalls in der Opferrolle, umringt von Leid, Mangel und Trümmern. Die Händler sahen sich zuvorderst dem Wiederaufbau verpflichtet. Mitverantwortung, Solidarität und Schuldbewusstsein war

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selten, sondern zumeist gesetzlich verordnet und letzlich Mittel zum Zweck eines unbelasteten Neuanfangs in der neuen Bundesrepublik. Hier ist der Textileinzelhandel als Teil der deutschen Nachkriegsgesellschaft keine Ausnahme. Aber innerhalb dieses Pauschalbefundes lassen sich, wie die Fallanalysen zeigen, erstaunliche individuelle Verhaltensmuster und Strategien differenzieren. Am ausführlich sezierten Verhältnis zwischen Hans Hirmer und Fred Bamberger lassen sich Konjunkturen von Kooperation und Konfrontation, von Enttäuschung und Stolz, von Anschuldigungen und schlussendlich befriedigendem Ausgleich nachweisen. Dieser letzlich verhandelte Ausgleich schuf die Grundfesten für den andauernden Erfolg des Hauses Hirmer. Am Beispiel Hettlage erkennt man dagegen, dass Verlauf und Ausgang der Restitutionsverhandlungen eine dauerhafte Zwietracht zwischen Geschäftspartnern befeuern konnte, an deren Ende schließlich die Spaltung des Unternehmens stand. Abschließend wirft die Arbeit einen Blick auf die geschäftlichen Dynamiken der Branche im Verlauf der 1950er Jahre. Sowohl in der zeitgenössischen Betrachtung als auch in der vorliegenden Arbeit zerfällt dieses Jahrzehnt dabei in eine Phase der Normalisierung und in eine Phase eines ungeheuren Konkurrenzdrucks. Zur Normalisierung gehörte neben der Re-Etablierung einer schlagkräftigen Verbandsstruktur auch der Umgang mit dem neuen deutschen Nachbarn im Osten. Diese Arbeit zeigt erstmals den Einfluss des Austausches von Textilien und Bekleidung nicht nur auf die Mangelbeseitigung in der Westzone, sondern auch dessen Gewicht als politisches Druckmittel auf die DDR. Der Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck verlagerte sich dann jedoch in die Bundesrepublik selbst und stellte die Branche vor immense Herausforderungen. Ähnlich der kurzen Friedenszeit der 1920er Jahre, erwuchsen den „alten“ Betriebformen des Textileinzelhandels nun neue Distributionsformen, die sich durch die Anforderungen des neuen Massenmarktes zu einer nun wirklich dauerhaften Alternative zum Fachhandel etablierten. Warenhäuser und der Versandhandel hatten sich bis zum Beginn der 1960er Jahre zu den dominanten Erscheinungsbildern des textilen Konsums entwickelt. Wie die vorliegende Analyse aber auch belegt, waren diese Transformationen langsam und stetig und weniger eruptiv. Am Beispiel der Selbstbedienung und Standardisierung von Kleidungsstücken konnte gezeigt werden, dass diese Veränderungen präsent, aber lange noch nicht durchgesetzt waren. Der Umsatzanteil einfacher Textiler Fachgeschäfte am Einzelhandelsumsatz als auch die Durchdringung des Landes mit jenen Fachhändlern, gerade außerhalb der Städte und Ballungsräume blieb hoch. Tendenziell verlor der kleine Fachhändler an Einfluss. Jene, die sich behaupteten, festigten jedoch ihre Position oder bauten ihre Geschäfte in ihrem Marktsegment aus. Entscheidend war, dass in den 1950er Jahren der Nachholbedarf der Bevölkerung in Bezug auf Kleidung und Textilien derart hoch und dynamisch war, dass sich der „Kuchen“, den es zu verteilen gab, insgesamt vergrößerte. Die vorliegende Arbeit zeigt am Beispiel Hettlage und Hirmer detailliert, was es brauchte, um vom „Kleidungsboom“ auch angesichts von Großbetrieben und Versandhäusern zu profitieren: Die eigene

Schlussfolgerungen

Nische identifizieren, sich in dieser spezialisieren, die eigenen Betriebsabläufe rationalisieren, zielgerichtet expandieren und auch offen für neue Verkaufs- und Werbemethoden sein. Im Jahr 1931 hatte der Verband der Einzelhandelsangestellten in Deutschland einen Stargast geladen. Der prominente Schriftsteller, Jahrgang 1866, berichtete auf dem Podium von seinen beruflichen Anfängen. Er erinnerte sich „mit Entsetzen“ an die zweijährige Lehre in einem Manufakturwarengeschäft, die er als die „schrecklichste Zeit seines Lebens“ beschrieb. Nach seinen Erinnerungen lernte er nie etwas über das Geschäft oder die Waren, sondern verbrachte den Tag in „Langweile und [mit der] traurigen Fertigkeit“, Stecknadeln oder Bindfäden ohne Grund zu sammeln. Aus Herbert George Wells wurde kein Textilhändler, sondern ein Science-Fiction-Autor H. G. Wells.2011 Es bleibt zu hoffen, dass diese Arbeit viele Belege für das Gegenteil jener persönlichen Erinnerung und Erfahrung von Langeweile und Monotonie lieferte. Diese Geschichte des Textileinzelhandels lebte vom anregenden Kontrast zwischen Konjunktur und Krise, der diese Branche zu einem intensiven Abbild der Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts macht.

Konf, Das Genie hinter dem Ladentisch, 4.6.1931; Er verarbeitete diese Lehrerfahrung in The wheels of chance, Kipps und the history of Mr. Polly, Hammond, J. R. (1979): An H. G. Wells Compagnion. A guide to the novels, romances and short stories, S. 6–7. 2011

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Abkürzungsverzeichnis

Sämtliche Abkürzungen im Haupttext werden bei erstmaligem Auftauchen ausgeschrieben. Nachfolgende Abkürzungen werden in den Fußnoten verwendet: Konf DK DR TeW DM TW

Der Konfektionär/Der Confectionär Deutsche Konfektion Deutsche Rundschau für Handel und Gewerbe Textil-Woche Der Manufakturist Textilwirtschaft

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

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Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21: Tab. 22: Tab. 23: Tab. 24: Tab. 25: Tab. 26: Tab. 27: Tab. 28: Tab. 29:

Textileinzelhändler in Deutschland (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewertete Fachzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchte Hauptbestände im Bundesarchiv Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteil der Sektoren an Wertschöpfung und Beschäftigung, 1850 bis 1913. . . . . . . . Verbrauch von Baumwolle und Baumwollabfällen, 1836 bis 1910 . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe und Beschäftigte (Textileinzelhandel), 1875 bis 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderung der Betriebs- und Beschäftigtenzahlen (Warenhandel), 1875 bis 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe und Personal (Textileinzelhandel), 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expansion des Schocken-Konzerns, 1901 bis 1914 (Stammhaus und 8 Filialen) . . Warenhausunternehmen im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl von Fach- und Spezialeinzelhändlern (Kaufhäuser) im Textileinzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlassungen der H. Hettlage oHG, Münster, 1896 bis 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz, Gewinn und Steuereinnahmen der Warenhäuser in Preußen, 1901 bis 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl von bezugscheinfreier Herren- und Damenoberbekleidung . . . . . . . . . . Beschaffungsplan der Reichsbekleidungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expansion des Schocken-Konzerns, 1919 bis 1923 (Stammhaus und 12 Filialen) . Umsätze der Bamberger & Hertz-Gruppe, 1919 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten eines Maßanzuges, 1914 bis 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebenshaltungskostenindex und Großhandelsindex, 1920 bis 1923 . . . . . . . . . . . . . Friedens- und Kriegskalkulationen (Bluse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispielkalkulation der Durchschnittspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Großhandelspreise für Textilien und Bekleidung, Januar 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteil des (Roh-)Materials am Endproduktpreis, 1914 und 1924 . . . . . . . . . . . . . . . Mitglieder der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, 1924 bis 1928 . . . . . . . . . . . Leitungsorgane des „alten“ und „neuen“ Reichsbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lieferungsbedingungen der Textil- und Bekleidungsindustrie, Oktober 1919 . . . Gewerbebetriebe (Einzelhandel), 1907 und 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigte (Einzelhandel), 1907 und 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlassungen und Beschäftigte (Einzelhandel), 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 34 41 55 55 57 58 59 64 66 70 76 84 105 115 161 161 166 167 169 170 172 179 181 184 189 199 200 200

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab. 30: Tab. 31: Tab. 32: Tab. 33: Tab. 34: Tab. 35: Tab. 36: Tab. 37: Tab. 38: Tab. 39: Tab. 40: Tab. 41: Tab. 42: Tab. 43: Tab. 44: Tab. 45: Tab. 46: Tab. 47: Tab. 48: Tab. 49: Tab. 50: Tab. 51: Tab. 52: Tab. 53: Tab. 54: Tab. 55: Tab. 56: Tab 57: Tab. 58: Tab. 59: Tab. 60: Tab. 61: Tab 62: Tab. 63: Tab. 64: Tab. 65: Tab. 66: Tab. 67:

Betriebe nach Betriebsgrößen (Einzelhandel), 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe nach Rechtsform (Einzelhandel), 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze (Textileinzelhandel), Saison 1928. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expansion des Schocken-Konzerns, 1926 bis 1928 (Stammhaus und 15 Filialen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Festangestellte, Schocken AG, 1924–1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfrage zu Kundenkrediten, August 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsumfinanzierungssysteme, November 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textileinzelhändler mit Eigenfabrikation (Stichprobe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze (Textileinzelhandel), Saison 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungs- und Verkaufspreis eines Herrenanzugs, 1913 und 1930 . . . . . . . . . . . . Anteil der Fixkosten am Umsatz (Textileinzelhandel), 1930 und 1931 . . . . . . . . . . . Geschäftslage (DOB), 1931 und 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expansion des Schocken-Konzerns, 1929 bis 1932. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebskennzahlen, Schocken AG, 1929/30–1932/33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze, Bamberger & Hertz-Gruppe, 1919 bis 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz, Gewinn & Kunden, Bamberger & Hertz, Haus München, 1929 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1924 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Warenhäuser, 1924 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung nach Betriebsformen, Textileinzelhandel, 1924 bis 1927, 1924 = 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz nach Größenklasse, Textileinzelhandel, 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchschnittsumsätze je veranlagten Betrieb, Textileinzelhandel, 1928 . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Textilfachhandel, 1924 bis 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Herren- und Damenbekleidung (Fachhandel), 1924 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze, Textileinzelhandel, 1928 bis 1932, 1928 = 100. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichschaltung der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, Frühjahr 1933 . . . . . Gleichschaltung des Reichsverbandes für Herren- und Knabenkleidung, 20. April 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichschaltung des Reichsverbandes für Damen- und Mädchenkleidung, 9. Mai 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichschaltung des Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser e. V., Frühjahr 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präsidium der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachgruppen und Mitgliedszahlen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, Mai 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Fachgruppe Bekleidung, Textil und Leder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbebetriebe (Einzelhandel), 1925 und 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigte, Einzelhandel, 1925 und 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe und Beschäftigte (Einzelhandel), 1925 und 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbliche Niederlassungen und Beschäftigte (Textileinzelhandel), 1933 . . . . . Betriebe nach Betriebsgrößen (Textileinzelhandel), 1933. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigte nach Betriebsgrößen (Textileinzelhandel), 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alleinbetriebe (Textileinzelhandel), 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202 202 207 220 221 228 229 238 248 250 255 260 265 267 272 275 278 280 281 282 283 283 284 286 303 307 307 309 311 313 315 318 319 319 320 321 322 323

Tabellenverzeichnis

Tab. 68: Tab. 69: Tab. 70: Tab. 71: Tab. 72: Tab. 73: Tab. 74: Tab. 75: Tab. 76: Tab. 77: Tab. 78: Tab. 79: Tab. 80: Tab. 81: Tab. 82: Tab. 83: Tab. 84: Tab. 85: Tab. 86: Tab 87: Tab. 88: Tab. 89: Tab. 90: Tab. 91: Tab. 92: Tab. 93: Tab. 94: Tab. 95: Tab. 96: Tab. 97: Tab. 98: Tab. 99: Tab. 100: Tab. 101: Tab. 102: Tab. 103: Tab. 104: Tab. 105:

Rechtsformen nach Anzahl der Betriebe (Textileinzelhandel), 1933 . . . . . . . . . . . . Prüfungen nach Einzelhandelsschutzgesetz, Halle/Saale, 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze nach Betriebsform (Einzelhandel), Dezember 1932 und Dezember 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisentwicklung in industriellen Fertigwaren, April 1933 bis April 1939 . . . . . . . . Lebenshaltungskosten, 1933 bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1933 bis 1940. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung (absolut), Herren- und Damenkonfektion, 1933 bis 1939 . . . Umsatzentwicklung nach Betriebsformen, 1933 bis 1940, 1932 = 100 . . . . . . . . . . . . Umsatz und Gewinn, Schocken AG, 1932 bis 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz, Gewinn und Kundenzahlen, Bamberger & Hertz, Haus München, 1932 bis 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitgliedszahlen Adefa, 1933 bis 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jüdische Erwerbspersonen, Textil- und Bekleidungswirtschaft, Juni 1933 . . . . . . . Jüdische Betriebe in der Bekleidungsindustrie, 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Entjudung“ in der Bekleidungsindustrie, 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niederlassungen, H. Hettlage oHG, Münster, 1930 bis 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Gewinn, J. Singer & Co., Haus München, 1931 bis 1936 . . . . . . . . . . . . „Arisierung“ und Liquidierung, IHK-Bezirk Augsburg und Schwaben, 1938 bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Arisierung“ und Liquidierung, IHK-Bezirk Bayreuth, o. D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung Arisierungs- und Liquidationsprozess, Textileinzelhandel, IHK-Bezirk Bayreuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arisierungs- und Liquidationsprozess im Deutschen Reich, 1938/1939 . . . . . . . . . Staffelung der Punkteverfügbarkeit der Kleiderkarte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der Bezugsausweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezugscheinpflichtige Waren, November 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Punkteliste für Warenbeschaffung, 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definierte Gruppen für die Auskämmung, Januar 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stilllegungsquoten im Textileinzelhandel, IHK Bezirk Augsburg, Frühjahr 1943. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanz zur Stilllegung im Einzelhandel, 30. Juni 1944. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilanz zur Stilllegung im Einzelhandel nach Branchen, 30. Juni 1944 . . . . . . . . . . . Verteilung Schutzbetriebe und Auskämmbetriebe nach Fachgruppen, August 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz (absolut), Einzelhandel und Textileinzelhandel, 1939 bis 1943 . . . . . . . . . . Umsatzveränderungen, Großbetriebe, Dezember 1939 bis September 1940 . . . . . Geschäftsentwicklung, Hettlage, Haus München, 1937 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Belegschaft, Merkur AG, 1938 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagerbestandsaufnahme H. Hettlage, Münster, 30.6.1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warenbezug Hettlage, München über Gruppenverteiler (Auswahl), Mai bis August 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textile Quoten in der britischen Zone, 1946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OMGUS-Verarbeitung und deutsche Verarbeitung, Oktober 1946 bis April 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgabepreise für U-Ware/Steg-Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324 329 339 344 344 346 347 349 378 386 391 393 393 397 417 419 423 430 431 435 442 443 443 446 467 471 477 477 479 482 485 486 496 498 499 513 516 520

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab. 106: Tab. 107: Tab. 108: Tab. 109: Tab. 110: Tab. 111: Tab. 112: Tab. 113: Tab. 114: Tab. 115: Tab. 116: Tab. 117: Tab. 118: Tab. 119: Tab. 120: Tab. 121: Tab. 122: Tab. 123: Tab. 124: Tab. 125: Tab. 126: Tab. 127: Tab. 128: Tab. 129: Tab. 130: Tab. 131: Tab. 132: Tab. 133:

10.2

Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10:

Bewirtschaftungsquoten für Spinnstoffwaren in Deutschland, 1938 bis 1949 . . . . Umsätze, Fachgeschäfte und Warenhäuser, Mai bis Oktober 1948 . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung, Textileinzelhandel, 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzanteil im Einzelhandel nach Eigentumsformen (SBZ/DDR), 1947 bis 1963. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Industrieproduktion in den deutschen Besatzungszonen, 1946 bis 1950 . . . . . . . . Geschäftsentwicklung, J. G. Becker, 1946 bis 1950. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Filialnetz und Belegschaft, Merkur AG, Zwickau, September 1946 . . . . . . . . . . . . . Umsätze, Merkur AG (Zwickau) und Merkur AG (Nürnberg), 1945 bis 1950 . . . Vermögensaufstellung Fritz Bamberger (Selbstauskunft), 14. Dezember 1938 . . . Materielle und immaterielle persönliche Schäden Fritz Bamberger . . . . . . . . . . . . Textilpreise im Einzelhandel im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, 1949 bis 1950 . . . Umsatz Hirmer & Co., 1948 bis 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz, Belegschaft und Filialnetz, Merkur AG, Nürnberg, 1949 bis 1953 . . . . . . . Umsatz, Verkaufsfläche und Beschäftigte, Horten AG, 1949 bis 1961. . . . . . . . . . . . Umsätze und Textilanteil, Quelle und Neckermann, 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzanteile der Betriebsgrößen im Textileinzelhandel 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfrage „Unsere größten Konkurrenten“, April 1961. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe und Beschäftige, Textileinzelhandel, 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebe, Beschäftige und Umsätze, Textileinzelhandel, 1959/1960 . . . . . . . . . . . . . Umsätze (absolut), Einzelhandel, 1949 bis 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze im Textileinzelhandel, Ruhrgebiet und Hamburg, 1950 bis 1953 . . . . . . . Umsätze im Textileinzelhandel, 1954 bis 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzindizes der Branchen des Textileinzelhandels, 1949 bis 1961 . . . . . . . . . . . . Selbstbedienungsgeschäfte im Einzelhandel, 1951 bis 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häuser und Geschäftsführer, H. Hettlage KG, Münster, 1945 bis 1955. . . . . . . . . . . Umsatz, Hettlage-Gruppe, 1951 bis 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzanalyse H. Hettlage für Stuttgart/Innenstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übernahme- und Expansionsmöglichkeiten, Hettlage-Gruppe, 1950 bis 1959 . . .

521 526 530 534 535 536 544 550 560 560 591 593 603 605 608 609 613 615 615 617 618 618 620 624 639 643 645 651

Abbildungsverzeichnis

Einzelhandelsumsätze mit Bekleidung und Textilien, 2002 bis 2015 . . . . . . . . . . . . Umsatz im Einzelhandel mit Bekleidung und Textilien nach Branchen, 2009 und 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteure und Verflechtungen der Branche (Schema) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur des Marktes für Bekleidung und Textilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Weg der Ware zum Endverbraucher: Die Textile Notstandsversorgung bis 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze Bamberger & Hertz, Haus München, Oktober 1914 bis 1918 . . . . . . . . . . Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1913 bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1924 bis 1929. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Gewinn, Hettlage, Haus Münster, 1930 bis Juni 1933. . . . . . . . . . . . . . . Bilanzsumme und Gewinn, Hettlage-Gruppe, 1928 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 15 22 47 112 119 120 222 262 263

Abbildungsverzeichnis

Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24: Abb. 25: Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29: Abb. 30: Abb. 31: Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34: Abb. 35: Abb. 36: Abb. 37: Abb. 38: Abb. 39: Abb. 40:

Bilanzsumme und Reingewinn, J. G. Becker, 1924 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Rendite, Schocken AG, 1929 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belegschaft, Bamberger & Hertz-Gruppe, 1930 bis 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinn und Verlust, Bamberger & Hertz, Haus München und Haus Köln, 1931 bis 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruttosozialprodukt und Umsätze (Einzelhandel, Textileinzelhandel), 1924 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz der Betriebsformen, Einzelhandel Deutsches Reich und USA, 1928 . . . . Umsatz Herren- und Damenkonfektion sowie Warenhäuser, 1924 bis 1929, 1925 = 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Branchenvergleich Schocken, 1924 bis 1932, 1924 = 100. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Branchenvergleich Bamberger & Hertz, 1924 bis 1932, 1924 = 100 . . . . . . . . . . . . . . Branchenvergleich J. G. Becker, 1924 bis 1932, 1924 = 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Branchenvergleich Hettlage, 1924 bis 1932, 1928 = 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Branchenvergleich, Fallstudien und Branche, 1924 bis 1932, 1928 = 100 . . . . . . . . . Regionale Verteilung der Betriebe (Textileinzelhandel), 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruttosozialprodukt, Einzelhandels- und Textilumsätze, 1933 bis 1940. . . . . . . . . . Textileinzelhandel nach Umsatzklassen, 1937. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsätze nach Betriebsformen, 1933 bis 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index-Umsätze, Textileinzelhandel, Bamberger & Hertz, Haus München, 1933 bis 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geographische Schwerpunkte der Arisierung, 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteil des Einzelhandelsumsatzes nach Umsatzgröße der Betriebe, Frühjahr 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerbspersonen im Textileinzelhandel nach Alter, 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung des textilen Fachhandels, 1938 bis 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzentwicklung, Textileinzelhandel, 1934 bis 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Gewinn, Hirmer & Co. KG, 1938 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelhandelsumsatz nach Branchen, Januar bis Oktober 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . Interzonenhandel der BRD mit der DDR sowie der Anteil der Textilien, 1950 bis 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anteil am Einzelhandelsumsatz nach Betriebsgrößen, 1950 und 1959 . . . . . . . . . . . Umsätze, Textileinzelhandel, 1949 bis 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Umsatzindex, Hirmer und Textileinzelhandel, 1949 bis 1955 . . . . . . . Gewinn und Umsatzrendite, Hirmer, 1949 bis 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatz und Umsatzindex, Hirmer und Textileinzelhandel, 1956 bis 1961 . . . . . . .

264 267 273 275 279 282 286 287 288 288 289 290 325 347 348 350 388 433 463 464 482 483 489 591 599 609 616 633 633 636

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Quellen- und Literaturverzeichnis

11.1

Quellen Statistisches Material

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Quellen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivbestände

Aufgeführt sind alle ausgewerteten Archivbestände, auch wenn sie nicht alle Eingang in die vorliegende Arbeit gefunden haben: Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München (BWA) K5 (IHK Aschenffenburg) K6 (IHK Coburg) K8 (IHK Oberfranken Bayreuth) K9 (IHK Schwaben – Augsburg) F34 (Ludwig Beck am Rathauseck)

Bundesarchiv, Berlin (BArch) NS 19 – Stab des Reichsführers SS: NS19/3706; NS19/1102; NS19/985; NS19/261 R 3 Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion (Speer): R3/213; R3/214; R3/579 R 8-II Reichsstelle für Textilwirtschaft: R8-II/120; R8-II/121; R8-II/122; R8-II/14; R8-II/19; R8II/22; R8-II/24; R8-II/46; R8-II/47; R8-II/48; R8-II/49; R8-II/50; R8-II/51; R8-II/52; R8II/53; R8-II/56; R8-II/57; R8-II/6; R8-II/61–63; R8-II/74; R8-II/75; R8-II/83; R8-II/84; R8II/85; R8-II/88; R8-II/89 R 13 XXIX Wirtschaftsgruppe Einzelhandel – Mitglied der Reichsgruppe Handel der Organisation der gewerblichen Wirtschaft: R 13 XXIX/17; R 13 XXIX/1; R 13 XXIX/3; R 13 XXIX/4; R 13 XXIX/5; R 13 XXIX/6; R 13 XXIX/7; R 13 XXIX/10 R 43 – Alte Reichskanzlei: R 43/420; R 43/441; R 43/442; R 43/443; R 43/461; R 43/503; R 43/504; R 43/505; R 43/554 R 177 Feindvermögensverwaltung in den besetzten Niederlanden: R 177/377 R 401 – Vorläufiger Reichswirtschaftsrat: R401/1544; R401/1545 R 3101 – Reichswirtschaftsministerium: R3103/12996; R3103/12997; R3103/12999–13000; R3103/13003; R3103/13004; R3103/13006; R3103/13007; R3103/13009–13010; R3103/13011; R3103/13012; R3103/13013; R3103/13014; R3103/13016; R3103/13017; R3103/13018; R3103/13020; R3103/13021; R3103/6596; 3103/6597; R3103/6599; R3103/6600; R3103/6696; R3103/6697; R3103/6698; R3103/6877–6882; R3103/6883–6884; R3103/6885–6886; R3103/6890–6891; R3103/6901–6902; R3103/6906–6913; R3103/6915–6916; R3103/6917–6918; R3103/6993– 6994; R3103/7029; R3103/7030; R3103/7033; R3103/7044; R3103/7119–7120 R 3106 Reichskommissar für den Mittelstand: R 3106/55; R 3106/93; R 3106/94; R 3106/95; R 3106/96 R 8034-II – Pressearchiv Reichslandbund: R8034-II/3564–3576; R8034-II/6456–6462; R8034II/6463–6470; R8034-II/6474; R8034-II/6472 R 8067 – Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband, Hamburg R 8102 Verein der Deutschen Kaufleute 1885–1919: R 8102/1–5 R 8105 Zentralverband der Handlungsgehilfen 1897–1912: R 8105/1 R 8723 – Kommissar für die Textilnotstandsversorgung

Quellen

R 8758 – Reichsbekleidungsstelle R 8766 – Reichsstelle für Textilwirtschaft (Retex) R 8790 Textilnotstandsversorgungs GmbH

Centre for Jewish History (cjh.org) – Leo Baeck Institute LBI Archives (LBI) Bamberger, Elisabeth (o. D.): Geschichte und Erlebnisse der Familie Heinrich Bamberger, Frankfurt, während der Hitler-Zeit in Deutschland 1930–1941, ME 29 Bamberger, Elisabeth (o. D.): Meine Auswanderungsreise: Berlin – Ecuador über Russland und Japan im Oktober 1940 bis Jan. 1941, ME 28 Bamberger, Fred S. (Fritz) (1976): Ninety years of memories. Recollections of Fred S. Bamberger, ME 706 Bamberger, Lotte (1990): A family history, ME 1403 Greiffenhagen, Erich (1965): Geschichte des Verlagshauses L. Schottländer 1886–1933, AR 2791 Hamburger, Hermann (1920): Wie der Anfang einst gewesen 1800–1920, ME 254 Hirschfeld, Isidor (1920): Tagebuch (Memoirs) 1868–1921, ME 320 Katz, Walter (1937): Jubilaeumsschrift zum 100jaehrigen Bestehen der Firma Heinrich Kohn 1834–1937, ME 367 Sander, Emil (1931): Familien- und Geschaeftserinnerungen 1773–1931, ME 554 George Manasse Collection (GMC) 1923–1989, AR 6379 Lily Wronker Family Collection (LWFC) 1842–2002, AR 25255 Manasse Daily Record (MDR) 1935–1936, AR 5137 Schocken-Lewin Family Collection (SLFC), AR 88811

DER SPIEGEL Angekurbelte Wollindustrie, 4/47, S. 20; Nicht mit dem Zollstock gemessen, 5/1948, S. 26; Am Tage danach …, 15/1948, S. 18; Strumpfgeld. Wie ein Seismograph, 38/1948, S. 19–20; Wir werden die Deutschen anziehen. Sonst Geld zurück, 52/1948, S. 24–25; Traumschön, sagten die Frauen, 9/1949, S. 25; Künstlich abgeschnittene Fäden, 36/1949, S. 21–22; Geschäft. Über Bord geworfen, 1/1950, S. 28–29; Konfektion. Jeschieht dem Westen recht, 2/1950, S. 32–33; Was freie Wirtschaft heißt, 11/1950, S. 23–24; Export. Wer von Deutschen kauft, 13/1950, S. 27–31; Ostzone. In die HO-Kasse, 14/1950, S. 28–29; Konfektion. Nee, nee, so billig nicht, 15/1950, S. 32–33; Schneider. Kampf mit der Stange, 18/1950, S. 40–41; Textilien. Nylons ausverkauft, 37/1950, S. 26–28; Uniformen. Aufträge nicht erteilt, 4/1951, S. 20–24; Osthandel. Durch die Politik belastet, 5/1951, S. 19– 22; Sowjetzone. Wo alles frei wird, 10/1951, S. 12–13; Ost-Schmuggel. Das große Ringgeschäft, 17/1951, S. 35–37; Interzonenhandel. Träufelt durch die Luft, 32/1951, S. 5; Osthandel. Bitterer Zucker, 11/1952, S. 13–14; Textilien. In die Läden peitschen, 18/1952, S. 9–12; Warenhäuser. Alles für Frau Piesecke, 2/1953, S. 11–14; Versandgeschäfte. Einkauf am Küchentisch, 1/1954, S. 6–12; Winterschlussverkauf. Lockvögel sterben aus, 7/1955, S. 9–10; Horten-Konzern. Das Paradies der Damen, 21/1955, S. 18–24; Werbung. Erhards Verbrauchswelle, 30/1955, S. 14–15; Uniform-Beschaffung. Der goldene Boden, 23/1956, S. 11–12; Emilio Schuberth. Konfektion für Kleinstädte,

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Quellen- und Literaturverzeichnis

49/1956, S. 66; Jedermann-Einfuhr. Nur psychologische Tricks, 19/1957, S. 15–17; Jedermann-Einfuhr. Mit staatlicher Stütze, 45/1957, S. 25–26; Personalien. Helmut Horten, 20/1958, S. 65; Textilien. Der gestörte Markt, 22/1958, S. 25–27; Textilkrise. Weiße Halden, 45/1958, S. 22–26; Personalien. Franz Etzel, 4/1959, S. 64; Personalien. Helmut Horten, 23/1959, S. 79; Warenhäuser. Eiermann, laß die Wacht, 38/1959, S. 74–76; Personalien. Helmut Horten, 53/1961, S. 84; Personalien. Helmut Horten, 25/1964, S. 90; Personalien. Helmut Horten, 33/1964, S. 74; Register. Helmut Horten, 33/1966, S. 88; Warenhäuser. Drang nach draußen, 40/1969, S. 70–73

Deutsche Nationalbibliothek Leipzig/Frankfurt (DNB) Der Konfektionär/Der Confectionär – Textilzeitschrift für Fabrikation, Groß- und Einzelhandel (mit Beilage: Zeitschrift für Waren- und Kaufhäuser) (Konf); Laufzeit: 28.1913 bis 51.1936; ZD 507 Der Manufacturist (mit den offiziellen Mitteilungen der FG Bekleidung, Textil und Leder und des Reichsbundes des Textil-Einzelhandels (DM): Laufzeit: 1.1941–50.1941; ZC 4839 Deutsche Konfektion – Zeitschrift für Textilwirtschaft (DK); Laufzeit: 16.1914–37.1935; ZD 715 Deutsche Rundschau für Handel und Gewerbe (DR); Laufzeit: 24.1914–25.1916; ZD 842-C Textil-Woche – Einzelhandels-Fachzeitschrift für die Textil- und Bekleidungs-Wirtschaft (TexW); Laufzeit: 27.1936–50.1936 (vereinigt mit Deutsche Konfektion), 2.1937–50.1940, 24.1942– 12.1943, 1943–7.1945 (in Kriegsgemeinschaft mit Der Manufacturist), 1951–84.1961; ZD 524 Textilwirtschaft (TW): Laufzeit: 1.1946–52.1961; DZa6

Die ZEIT Besuch beim Textileinzelhandel, 6/1947, S. 8; Lehrreicher Ausverkauf, 6/1948, S. 7; Einzelhandelsumsätze, 12/1948, S. 7; Wirtschaft mit neuem Geld, 26/1948, S. 7; USA-Ware bei uns zu Besuch, 25.11.1948; „Hausvogteiplatz“, 26/1949, S. 6; Verhängnisvolle Spaltung, 26/1949, S. 6; Zwischen Lübeck und Flensburg , 26/1949, S. 6; Start in Herbst und Winter, 26/1949, S. 7; Berliner Modeschöpfer hoffen, 31/1949, S. 11; Kleider für das Frühjahr, 50/1949, S. 6; Streben nach sozialen Preisen, 50/1949, S. 7; Nylon ohne Angebot, 9/1950, S. 8; Textil bleibt stabil, 36/1950, S. 6; Solange der Vorrat reicht – aber sollte er nicht reichen?, 5/1951, S. 6; Textilien in Hamburg, 5/1951, S. 8; „Hofaue in Germany“, 9/1951, S. 8; Neuheiten hatten Erfolg, 8/1952, S. 9; Textile Stabilisierung, 38/1952, S. 7; Textil wieder auf vollen Touren, 49/1952, S. 6; Höhere Preise senken Preise, 38/1953, S. 10; Besonders überraschende Belebung des Außenhandels, 49/1953, S. 12; An Stelle eines Ultimatums, 6/1954, S. 12; Textil ändert Zahlungsbedingungen, 22/1954, S. 11; Adams neue Kleider, 37/1954, S. 9; Männer haben andere Wünsche, 39/1954, S. 12; Der Textilhandel wehrt sich, 26/1955, S. 8; Auf einen Blick , 5/1956, S. 9; Was ist gemeint?, 11/1956, S. 12; Der Verbraucher hatte gute Nerven, 46/1956, S. 11; Textilgeschäfte müssen genau rechnen, 6/1957, S. 18; Auf einen Blick ,18/1957, S. 14; Auf einen Blick , 6/1958, S. 12; Betroffene und Bedrohte, 11/1959, S. 12; Lässig auf gepflegte Art, 22/1960, S. 13

Quellen

Gesellschaft für Konsumforschung, Nürnberg (Gf K) S 1936/001, S 1936/003–1, S 1936/003–2, S 1937/001, S 1937/004, S 1938/009, S 1954/040, S 1959/091, S 1964/021–1, S 1964/021–2, S 1964/051, S 1966/093, S 1968/044–1, S 1969/191–1, S 1969/191–2, S 1970/232–1, S 1970/232–2, S 1971/046, S 1972/007, S 1972/069, S 1973/004, S 1973/077, S 1973/004, S 1976/125

Hirmer Eckerle Service KG Unternehmensarchiv, München (HUA) 2012/02/0003; 2012/03/0027; 2012/09/0001; 2012/09/0002; 2012/09/0036; 2013/01/0010; 2013/ 01/011; 2013/02/0002–1; 2013/02/0002–2; 2013/02/0004–1; 2013/02/0004–2; 2013/02/0004–3; 2013/02/0005–1; 2013/02/0005–2; 2013/02/0006; 2013/02/0007; 2013/02/0008–1; 2013/02/ 0008–2; 2013/02/0008–3; 2013/02/0009; 2013/02/0010; 2013/02/0012–1; 2013/02/0012–2; 2013/02/0012–3; 2013/02/0013–1; 2013/02/0013–2; 2013/02/0014; 2013/02/0015; 2013/02/0016; 2013/02/0017; 2013/02/0020; 2013/02/0021–1; 2013/02/0022; 2013/02/0023; 2013/02/0024; 2013/02/0025; 2013/02/0026; 2013/02/0027; 2013/02/0028–1; 2013/02/0028–2; 2013/02/0028–3; 2013/02/0028–4; 2013/02/0031; 2013/02/0032; 2013/02/0034; 2013/02/0035; 2013/02/0036; 2013/02/0041; 2013/10/0001; 2013/10/0002; 2013/10/0003; 2013/10/0004; 2013/10/0005–1; 2013/10/0005–2; 2013/10/0006

Jüdisches Museum Berlin ( JMB) Sammlung Bamberger & Hertz, u. a. 2009/296, 2010/3, 2010/247, 2010/248, 2010/249, 2010/250, 2010/251, R-2010/6

Landesarchiv Berlin A Rep. 250-04-14 (Peek & Cloppenburg KG)

Landesarchiv Sachsen-Anhalt A. Rausch Nachf. (Inh. Heinz Ungewiß), Bitterfeld, Einzelhandel: Mode- und Kurzwaren; 1920– 1951; C 110 Halle, Nr. 831, Bl. 530–540 Brummer & Benjamin, Halle, Einzelhandel: Textilwaren; 1914–1951; C 110 Halle, Nr. 858, Bl. 34–74 Otto Dobkowitz, Merseburg, Einzelhandel: Mode- und Ausstattungshaus; 1915–1953; C 110 Halle, Nr. 952, Bl. 97–175 Erich Goldscheider, Bitterfeld, Einzelhandel: Hüte, Herrenartikel; 1926–1935; C 110 Halle, Nr. 828, Bl. 1–22

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Quellen- und Literaturverzeichnis

F. W. Simon (Inh. P. Schmidt und W. Thon), Eisleben, Einzelhandel: Textilwaren; 1916–1935; C 110 Halle, Nr. 843, Bl. 128–167 Bruno Freytag, Halle, Einzelhandel: Damen- und Kinderbekleidung; 1915–1940; C 110 Halle, Nr. 869, Bl. 114–143 Modehaus Herrmann (ehemals Huth & Co.), Halle, Einzelhandel: Textilwaren; 1938–1949; C 110 Halle, Nr. 882, Bl. 109–155 Heinrich Herpel, Hettstedt, Einzelhandel: Textilien; 1918–1944; C 110 Halle, Nr. 939, Bl. 192–195 Gustav Immermann, Halle, Einzelhandel: Herren-, Damenmode; 1927–1944; C 110 Halle, Nr. 886, Bl. 506–510 J. Lewin, Halle, Einzelhandel: Manufaktur- und Modewaren; 1909–1951; C 110 Halle, Nr. 897, Bl. 162–300 Wilhelm Rauchfuss, Naumburg, Einzelhandel: Damenmode; 1918–1935; C 110 Halle, Nr. 963, Bl. 315–324 S. Weiss, Halle, Einzelhandel: Herren- und Damenkonfektion; 1914–1944; C 110 Halle, Nr. 932, Bl. 483–513 Richard Uhlig, Bitterfeld, Einzelhandel: Schuhwaren, Konfektion; 1932–1951; C 110 Halle, Nr. 833, Bl. 91–100 W. F. Wollmer, Halle, Groß- und Einzelhandel: Textilwarengeschäft; 1915–1953; C 110 Halle, Nr. 935, Bl. 46–122 Carl Winter, Naumburg, Einzelhandel Modewaren; 1915–1952; C 110 Halle, Nr. 965, Bl. 616–626

Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) Johann Hillen, Modehaus, Oberpleis; 1935–2001; Abt. 193: 193-5-1; 193-7-2; 193–02; 193-3-2; 193-62; 193-7-5; 193-3-1; 193-6-1; 193-1-1; 193–01; 193-4-3; 193-5-2; 193-1-2; 193-7-1

Sächsisches Wirtschaftsarchiv, Leipzig J. G. Becker KG, Textilfachgeschäft, Bad Lausick; U 40: -8; -9; -10; -11; -12; -13; -14; -15; -20; -21; -29; -34; -35; -36; -41; -42; -49; -50; -54; -56; -58; -59; -67; -73; -74; -75; -76; -77; -78; -79; -80; -81; -83; -85; -102

Simplississimus – Illustrierte Wochenschrift Folgende Nummern: 14/1898; 51/1898; 36/1900; 16/1901; 21/1901; 39/1902; 5/1903; 12/1903; 40/1903; 41/1903; 18/1904; 24/1905; 30/1905; 44/1905; 50/1906; 27/1907; 24/1910; 33/1910; 7/1911; 12/1911; 13/1911; 13_1/1911; 14/1911; 19/1911; 24/1913; 17/1917; 15/1918; 18/1918; 28/1918; 12/1919; 19/1920; 32/1920; 23/1921; 17/1924; 51/1925; 5/1926; 31/1926; 31_1/1926; 49/1926; 35/1927; 48/1927; 20/1929; 15/1930; 3/1933; 18/1933; 35/1933; 4/1934; 2/1937; 9/1941

Quellen

Sächsisches Staatsarchiv, Chemnitz (StAC) Schocken-Konzern & Nachfolger, Zwickau; (1841–1903), 1904–1951; Bestand 31451-: 45; 46; 47; 53; 54; 55; 65; 66; 67; 74; 80; 81; 82; 91; 99; 106; 108; 117; 118; 119; 120; 121; 122; 123; 124; 125; 126; 127; 128; 129; 130; 131; 132; 133; 134; 135; 136; 137; 138; 139; 140; 141; 142; 143; 145; 146; 159; 163; 170; 171; 172; 173; 174; 175; 179; 181; 199; 200; 203; 223; 233; 238; 241; 251; 260; 261; 272; 273; 274; 275; 276; 278; 280; 281; 289; 294; 298; 302; 310; 314; 315; 316; 317; 322; 331; 335; 338; 339; 346; 347; 349; 351; 352; 355; 357; 358; 360; 361; 362; 363; 364; 366; 368; 371; 372; 373; 375; 376; 377; 385; 386; 387; 390; 392; 394; 396; 397; 399; 401; 402; 403; 406; 407; 408; 409; 410; 415; 416; 417; 419; 422; 423; 426; 427; 428; 431; 432; 433; 435; 438; 439; 444; 446; 449; 450; 451; 452; 453; 458; 459; 461; 462; 463; 464; 470; 519; 525; 567; 569; 573; 574; 591; 592; 595; 596; 597; 598; 599; 600; 601; 602; 603; 605; 609; 610; 613; 624; 628; 632; 633 Scherf, Karola (2002): Findbuch zum Bestand 31451 – Schocken-Konzern & Nachfolger (1841– 1903) 1904–1951

Verwaltungsgericht Berlin Urteil in der Verwaltungsstreitsache VG 4 K389.12 zwischen der Erbengemeinschaft Schocken gegen die Bundesrepublik Deutschland, verkündet am 8.3.2013

Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund (WWA) Gebr. Hettlage KG, Münster; 1858–1994; Bestand F 132-: 17; 18; 19; 30; 31; 65; 66; 67; 68; 70; 71; 72; 73; 74; 92; 93; 94; 99; 100; 101; 145; 166

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Ziegler, Dieter (Hg.) (2002): Banken und „Arisierungen“ in Mitteleuropa während des Nationalsozialismus (Geld und Kapital 5/2001). Ziegler, Dieter (2010): Erosion der Kaufmannsmoral. „Arisierung“, Raub und Expansion. In: Norbert Frei (Hg.): Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur. Göttingen: Wallstein Verl., S. 156–168. Ziegler, Dieter (2015a): Die Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. Trends der Forschung. In: Dieter Ziegler (Hg.): Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. München: de Gruyter ( Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 56, Heft 2), S. 313–324. Ziegler, Dieter (Hg.) (2015b): Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg. München: de Gruyter ( Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 56, Heft 2). Zola, Emile (1957): Paradies der Damen. Hg. v. Hilda Westphal. Berlin: Rütten & Loening. Zündorf, Irmgard (2006): Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland ; 1948 bis 1963. Stuttgart: Steiner (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte : Beihefte, 186).

Unternehmensregister

Unternehmensnamen, soweit sie im Haupttext besprochen werden. Auf die Angabe von Betriebsformen (oHG, GmbH, AG, etc.) wird verzichtet. Wo möglich, ist der Ort des Hauptsitzes angegeben. Schreibweise ist die zeitgenössisch verwendete oder die einzig bekannte. A A. Born, Frankfurt/Main 623 A. Grundmann, Essen 195 A. Jandorf & Co., Berlin 66, 88, 212 f. A. Kieper, Nowawes 307 A. Lor. Stoll, Bayreuth 430 A. Wertheim, Berlin 16, 32, 34, 65 f., 88, 176, 192, 219, 223, 238 A. B. C. (IHK Augsburg) 471 Aachener Tuchfabrik, Aachen 592 Adolf Feldmann, Gotha 309 Aktiengesellschaft Hermannsbad, Hermannsbad 67 Albert Hesslein, Bamberg 430 Albert Krannich, Forchheim 430 Albert Thumser, Hof 430 Aldi, Essen 14 Alfred Demmrich, Rotschau 416 Alfred Oberpaur, Stuttgart 645 Alfred Schaupp, Bayreuth 430 Allgemeine Betriebskredit, Berlin 232 Allianz, München 401, 573–581, 634–636 Alois Brentel (IHK Augsburg) 471 Alrowa Huxsel & Co., Lichtenstein 451 f.

Alte Leipziger Lebensversicherungs-Gesellschaft, Leipzig 401 Amazon, Seattle 14 Anna Hafner, Augsburg 424 Anson`s Herrenhaus, Düsseldorf 14 Anton Stemmer, Würzburg 430 Appelrath & Cüpper, Köln 500 f. Aquatite, Berlin 451 Atex, Frankfurt/Main 224 Auerbacher Wäschefabrik, Auerbach 539 Aug. Härter, Bayreuth 430 August Polich, Leipzig 190 AWG-Modecenter, Köngen 14 B B. Feldmann Nachf., Hof 430 Babette Fink (IHK Augsburg) 471 Bachmann, Maurer & Co., Stuttgart 406– 408, 469 Baer Sohn, Berlin 109, 128 Bagusat & Böhme, Wien 451 Bamberger & Hertz, versch. Orte 21 f., 43–46, 69–75, 118, 126, 161, 271–276, 286–290, 363,

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Unternehmensregister

366–368, 373–377, 385–390, 398–413, 436, 440, 469,486–492, 557 f., 638 Basse & Uerpmann, Iserlohn 70, 238, 307 Bayritex, München 224 Beckmann & Co., Köln 648 Berger & Voigt, Leipzig 500 Berhag Berliner Handels-AG für Textilwaren AG, Berlin 238 Bernward Leineweber, Berlin 176, 307 Bersch, Marburg 307 Berta Weißmann, Hirschaid 430 Bestseller A/S, Brande 13 f. BEWAG Berliner Electricitätswerke, Berlin 231 Bolz, Wuppertal-Elberfeld 651 Bornemeyer, Düsseldorf 623 Bruno Bader, Pforzheim 14 Brunotte, Leipzig 307 Bud & Lachmann, Berlin 176 Büsing & Zeyn, Hamburg 70 C C & A Brenninkmeyer, Berlin 34, 44, 231, 238, 572 f., 634, 639–641 C. A. Herpich, Berlin 69 f. C. Lewin, Beslau 111 f., 144, 148 f. C. Louis Weber, Hannover 651 Carl August Becker, Leipzig 44 Carl Peters, Köln 169, 231 Charles Vögele, Freienbach 14 Citag Commercial Investment Trust, Berlin 227–229, 231 D David Löwenthal, Elbing 70 David Weber, Augsburg 423, 427 Delbrück & Schickler, Berlin 409 Deutsche Bank, Berlin 232 Deutsche Kleiderwerke, Berlin 386 f. Deutsche Städte-Reklame, Köln 376 Deutsche Supermarkt, München 611 Deutsches Familien-Kaufhaus (siehe Emil Köster) 574, 602, 604 f. Dold, Dillingen 180 Droppelmann & Nunges, Hiltrup 651 Druffel, Wiedenbrück 31

E E. & R. Wahl, Barmen 203 E. Breuninger, Stuttgart 14 f., 31, 42, 117, 127, 169, 231, 404, 407, 530, 645 E. F. Wittig, Braunschweig 70 E. E. Mezner, Berlin 70 Edeka, Leipzig 14, 380, 608 Elisabeth Fleischmann, Bamberg 423, 427, 430 Elsbach & Frank, Hannover 260 Emil Herzog, Pforzheim 474 Emil Koch, Taura 540 Emil Köster, Düsseldorf 574 f., 602 Emma Bette, Berlin 176 Engelhorn (& Sturm), Mannheim 14 f., 42, 244 Ermo, Stuttgart 530 Ernst Beck, Augsburg 427 f. Ernsting`s Family, Coesfeld-Lette 14 Erwege, Bayreuth 430 Erwema, Stuttgart/Köln 224 Esders & Dyckhoff, Köln 164, 176, 377, 403 Esprit Holdings, Hongkong 14 F F. W. Brügelmann & Söhne, Köln 44, 498 F. V. Grünfeld, Berlin 164 Felix Lampe, Stettin 416 Fiedler & Co., Duisburg 651 Fiedler, Hildesheim 651 Fields, Los Angeles 562 Fischer & Co., Stuttgart 645 Fischer-Riegel, Mannheim 70, 247 Frankenheimer, Ichenhausen 423 f. Frankfurter Allg. Vers.-AG (FAVAG), Frankfurt/Main 232 Friedmann & Cie. (IHK Augsburg) 471 Friedrich Meyer, Zwickau 70 G G. R. Müller, Frankfurt/Oder 70, 307, 314 f., 340, 396 G. Rosskam Nachf., Bayreuth 430 Gebr. Abraham, Mönchengladbach 214 Gebr. Alsberg, versch. Orte 69 f., 133, 225 f., 230, 238, 250, 603 Gebr. Barasch, Breslau 66 Gebr. Baumann & Co., Stettin 238

Unternehmensregister

Gebr. Boecker, Greifenhagen 75 f., 263 Gebr. Böhm, Hof 430 Gebr. Buxbaum, Augsburg 423 f. Gebr. Faerber, Königsberg 418 Gebr. Grumach, Berlin 238 Gebr. Ìkle, Berlin 238 Gebr. Karger, Stettin 231 Gebr. Kaufmann, Wuppertal-Barmen 70 Gebr. Kohn, Kempten 423, 427 Gebr. Leffers, Delmenhorst 238 Gebr. Manes, Regensburg 230 Gebr. Robinsohn, Berlin 238 Gebr. Rothschild, Mannheim 231, 247 Gebr. Settele (IHK Augsburg) 471 Gebr. Siebert, Königsberg 118 Gebr. Tietz, Berlin 70 Gebr. Ury AG, Leipzig 63–66, 127, 309, 430 Gebr. Wagner, Rodewisch 361 Gebr. Walker, Ulm 592 Georg Geier, Frankfurt/Main 530 Gerry Weber, Halle/Westfalen 14 f. Gertrud Falz, Fürstenwald 473 Geschw. Fürst, Bayreuth 430 Ges. f. Finanz. von Kreditgemein. (Gefi), Berlin 232 f. Goppel & Goldschmidt, Düsseldorf 152 Görgens, Köln 14 Grill (IHK Augsburg) 471 Grimm & Embgen, Würzburg 651 Grohag, Leipzig 224 Groth & Co., Freudenstadt 451 Grüter & Schimpff, Hamm 647, 651 Gustav Cords, Berlin 176, 306 f. Gustav Ramelow, Berlin 70 Gustav Steckner, Leipzig 133 H H & M, Stockholm 13 f. H. & L. Fritzsche, Wuppertal-Elberfeld 223, 307 H. Dyckhoff, Köln/Bremen 44 (H.) Hettlage, versch. Orte 21 f.., 46, 69, 75, 120, 261–264, 274, 287–290, 398, 417–422, 450 f., 469, 486, 497–499, 504, 555–557, 638–653 Hettlage, Düsseldorf 296, 307 Hettlage, Köln 307, 396, 403

H. M. Wilmersdoerffer, Bayreuth 430 Hagendorff & Grote, Bremen 651 Hamburger, Nördlingen 423, 426 Handelszentrale Dt. Kaufhäuser (Hadeka), Chemnitz 543, 624 Hanke & Kurtz, Stuttgart 645 Hans Lacher, Bayreuth 430 Hans Loher, Bayreuth 430 Hansa Herrenbekleidung, Kempten 423, 427 Hanse (Einkaufsgesellschaft), Zwickau 459, 495, 541, 543, 550 Hansen & Co., Köln 403, 440, 469, 487, 500 f., 567 Heinrich Esders, Berlin/Dresden 223, 307 Heinrich Feldmann & Co., Gotha 203 Heinrich Jordan, Berlin 52, 109, 127, 133 Heinrich Leineweber, Berlin 205 Heinrich Mandel, Bayreuth 430 Heinrich von der Aa, Bremen 307 Helmut Horten, Düsseldorf 603–606, 611 Henry Höchstädter, Nördlingen 423, 427 Hermann (H.) Gerson, Berlin 16, 52, 151, 175, 394 Hermann Engel, Berlin 164 Hermann Epstein, Hof 430 Hermann Günsche, Stendal 70, 225 Hermann Herzfeld, Dresden 70 Hermann Möller, Bad Hersfeld 307 Hermann Tietz & Co. (H. & C. Tietz, Hertie), Berlin 32, 65 f., 69 f., 88, 136, 164, 176, 212 f., 217, 223, 227–232, 238, 242, 309, 365, 413, 430 Hermann Wronker, Frankfurt/Main 69 f., 238, 247, 265 Hirmer & Co. KG, München 6, 14 f., 42 f., 440, 449, 461, 486–494, 505–508, 563–582, 593 f., 631–638, 642, 644 J J. G. Becker, Bad Lausick 21 f., 45, 67 f., 126 f., 156, 173, 263 f., 266, 274, 287 f., 290, 347 f., 445, 461, 483, 498, 500, 536–540, 595 f. J. Mack, Stuttgart 162, 176, 225 f., 234 J. Singer & Co., München 419–421 Joachim Täuber, Bayreuth 430 Johann Eger, Augsburg 471 f. Johann Hillen, Oberpleis 44 John Wannamaker, Philadelphia 61

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Jordan, Magdeburg 475 Josef Zimmermann (IHK Augsburg) 471 Josefine Fleischmann, Augsburg 423, 427, 430 Joseph Levy Wwe., Dudweiler 70 Julie Schneider (IHK Augsburg) 471 Julius Braun, Forchheim 430

Lidl, Neckarsulm 14 Lindemann, Berlin 224 Lodenfrey, München 573, 576 Lois Pfeiffer, Tuttlingen 307 Ludwig Beck am Rathauseck, München 586 Ludwig Povel & Co., Nordhorn 165

K K & L Ruppert, Weilheim 14 f. Kammerer (IHK Augsburg) 471 Kapp-Ahl, Göteborg 649 f. Karl Heilmann, Forchheim 430 Karstadt, Hamburg 14 f., 32, 42, 65 f., 188, 192 f., 212, 223, 238, 413, 454, 602–605, 611, 646 Kaufhof, Berlin (siehe auch Hermann Tietz) 42, 365, 602–606, 611, 623 Kaufkredit, Berlin 227, 229, 231 Kaufzentrum Siemensstadt, Berlin 612 Kersten & Tuteur, Berlin 164, 169, 175, 240, 307 Ketelsen, Bremerhaven 651 KiK, Bönen 12 f. Kimmich & Söhne, Stockstadt 516 Klauke, Wilhelmshaven 651 Klingel, Pforzheim 14 Knagge & Peitz, München 387, 576, 645 Knopf, Bayreuth 430 Köhler & Priebatsch, Berlin 238 Konen, München 74, 576 Königsbau-AG, Leipzig 72, 400 f. Königsberger Kundenkredit, Königsberg 227–233 Kornblum, Berlin 164 Kronen-Versand, Düsseldorf 628 Kundenkredit, Berlin 227–233 Künstle & Peck, Reutlingen-Betzingen 595

M M. & K. Berneth, Bayreuth 430 M. & L. Hess, Erfurt 212 M. Balz, Bochum 530 M. J. Emden, Hamburg 128 M. Klein, Düsseldorf 70 M. Untermayer, Augsburg 423, 429 Main-Taunus-Zentrum, Frankfurt/Main 612 Manasse, Mühlhausen 220 Marie Dannreuther, Bayreuth 430 Marshall Field & Co., Chicago 61 Martha Witzler, Bayreuth 430 Matthias Wetz, Bayreuth 430 Max Dessauer, Bayreuth 430 Max Harburger, Bayreuth 430 Max Lesser jr., Berlin 418 Max Reinheld, Bamberg 430 Max Spiegel, Lindau 423 f. Mayer Sundheimer, München 162, 190, 231 Mechanische Schuhfabrik, Erfurt 212 Merkur, Zwickau/Nürnberg 45 f., 417, 438, 440, 449, 452–459, 461, 466, 469, 471, 494–496, 500–502, 504 f., 541–550, 554 f., 602–605, 647 Merkur May & Co., Kempten 425 Messow & Waldschmidt, Dresden 309 Metallwaren-Fabrik, Geißlingen 327 Metro, Düsseldorf 14 Michel & Comp. (später: Jacobi), Köln 69 f., 603 Michel-Katz (Katz & Michel), Bielefeld 224 Michels & Cie., Berlin 80, 88 Migros, Zürich 622 Mina Bayer, Aschbach 430 MisterLady, Schwabach 14 Mitex, Berlin 224 Modepark Röther, Michelfeld 14 f. Mohr & Speyer, Berlin 238 Moritz Marx, Augsburg 423, 429 Muskat, Augsburg 429

L L. C. Cahn, Bayreuth 430 Lange & Münzer, Magdeburg 250 Le Bon Marchè, Paris 61 Leimbach & Klein, Saarbrücken 307 Leiser, Augsburg 31 Leitzke & Wolff, Stettin 416 Lennartz & Plein, Stuttgart 645 Leonard Tietz, Köln 65 f., 78, 117, 128, 192, 213, 223, 238, 247, 295, 309, 365, 413 Leuchtmann (IHK Augsburg) 471

Unternehmensregister

N N. Fuhrländer Nachf., Frankfurt/Main 70 Nathan Sternfeld, Königsberg 70 Neckermann, Frankfurt/Main 34, 607 f., 613 Neuner & Basch, München 74 Neuvians, Reuschel & Co., München 644 New Yorker, Braunschweig 14 NKD, Bindlach 14 Nordland, Osnabrück 650 O Oberes Tor Müller & Co., Hof 430 Oberpollinger, München 401, 498, 577 Orsay, Willstädt 14 Ortlepp, Hamburg 452 Otto Bergter, Chemnitz 538 Otto Büchler, Dortmund 530 Otto Group, Hamburg 14 Otto Landauer, München 133 Otto Straßburg, Görlitz 70 Otto Töpler, München 307 P Paul Lietsch, Schweidnitz 307 Pauly & Pfeiffer, Bremen 307 Peek & Cloppenburg, versch. Orte 14 f., 42, 44, 164, 176, 205, 225, 399 f., 656, 602 Peter & Sebastian Betz, Bamberg 430 Ph. Gröschel, Forchheim 430 Philip Einstoß, Augsburg 423 f. Popken Fashion Group, Rastede 14 Primark, Dublin 13 f. Printemps, Paris 61 Puccini Group, München 14 Q Quelle, Fürth 607 f., 613 QVC, West Chester/USA 14 R R. & W. Grube & Co., Berlin 480 f. R. M. Maassen, Berlin 88, 108, 128, 151, 175 Reichsbekleidungsstelle (RBS), Berlin 24, 40 f., 98, 102–116, 130, 137, 141–153 Reichs-Kredit-Gesellschaft, Berlin 554 Reindl & Co. (IHK Augsburg) 471 ReKa (Residenz-Kaufhaus), Dresden 163, 546

Renner, Dresden 44, 163 Retag, Berlin 144–146, 150–153 Rewe, Köln 14, 608 Rhodius, Koenigs & Co., Amsterdam 414 Richard Barisch, Bayreuth 430 Roman Mayr, München 152 Rosenthal & Co., Forchheim 430 Rudolph Hertzog, Berlin 70, 162, 165, 175 Ruhrpark-Zentrum, Bochum 612 Runtinger, Regensburg 31 S S. Adam, Berlin 70, 108, 129, 205 S. Neuland, Bayreuth 430 S. Oliver, Rottendorf 14 f. S. Politzer, Augsburg 423, 426 S. Weiß, Halle/Saale 234 S. & R. Wahl, Barmen 133 S. G. Warburg & Co., London 384 Sally Brandes, Bamberg 430 Schäfer & Co., Bayreuth 421 Schedler (IHK Augsburg) 471 Schneider & Hauschild, Berlin 238 Schocken, versch. Orte 21 f., 45 f., 63–66, 122, 127, 130, 136, 157–161, 164–166, 171–173, 180, 192, 206, 212, 214–222, 238 f., 265–276, 286 f., 289 f., 356, 359–373, 378–386, 398, 412–417, 436, 438, 494 f., 552, 554 f., 603 Schreiber & Sundermann, Nürnberg 651 Schwabe, Hannover 315 Schwabenritter Verkaufsges. F. Herrenkleidung mbH, Stuttgart 645 Schwäbische Bank, Stuttgart 407 Schwerthof, Köln 501 Sears, Roebuck & Co., Chicago 526 f. Seitz, Dillingen 427 Selfridge & Co., London 61 Siegel Cooper & Co., New York 61 Siegelin & Buck, Bayreuth 430 Siegmund Hirschfeld, Bayreuth 430 Simon Pfefferkorn, Bayreuth 430 SinnLeffers, Hagen 42 Sozialistische Arbeiter Bank, Berlin 37 SPAR, Amsterdam 608 Spiecker & Co., Stuttgart 645 Spille & v. Lühmann, Lübeck 226 Stadtbank, Borna 445

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Stadtbank, Königsberg 229 Stadtbank, Zwickau 542 Stalf, München 573, 575, 635–637 Steilmann, Bergkamen 14 Stumpe & Jäger, Berlin 164 T Takko, Telgte 14 Tanne, Augsburg 423, 425 f. Tapisser & Werner, Koblenz 170, 225 Tchibo, Hamburg 14 Tengelmann, Mühlheim/Ruhr 14 Textil-Kurz- und Schuhwaren, Augsburg 472 Textil-Notstandsversorgung (TNV), Berlin 98, 146–150, 153 The KaDeWe Group, Berlin 14 Theodor Althoff, Münster 32, 66, 136, 152, 188, 192, 309, 546 Theodor Ellbogen, Rehau 430 Thora & Co., Selb 430 Thorn & Co., Marktredwitz 430 Tietz-Kaufkredit, Berlin 231 TJX Deutschland, Düsseldorf 14 Tom Tailor, Hamburg 14 Tristyle Mode, München 14 U Union Dt. Verlagsanstalt, Stuttgart 36 f. Unitas Wirkwaren, Chemnitz 361 V V. Manheimer, Berlin 52, 109, 175 Vick, Braunschweig 651 Vroom & Dreesmann (V & D), Amsterdam 612

W W. Jacobsen, Kiel 238 W. Kühl, Berlin 315 W. Wertheim, Berlin 85, 222 Wagener & Schlötel, Frankfurt/Main 307 Wagner & Moras, Zittau 211 f. Walbusch, Solingen 14 Wally Berger (IHK Augsburg) 471 Walter Bär, Oelsnitz 538 Weberei Frittlingen, Frittlingen 416 Werner & Spier, München 573 Westdeutsche Handelsgesellschaft, Köln 238 Whiteley, London 61 Wiedemann (IHK Augsburg) 471 William Filene`s Sons & Co., Boston 61 Willy Oppermann, Rastenburg (heute: Kętrzyn) 474 Wöhrl, Nürnberg 14 f., 42 Wolfgang Nitsche, Esslingen 530 Woltex, Berlin 481 Woolworth Deutschland, Unna 213, 295, 471, 613 Z Zalando, Berlin 13 f. Zara (Inditex), Arteixo/Spanien 13 f. Zeeck, Berlin 543 Zumstein (IHK Augsburg) 471

Personenregister

Personennamen, soweit sie im Haupttext besprochen werden. Wenn Vorname nicht oder nur teilweise bekannt, ist die Funktion der Person in Klammern vermerkt. Schreibweise ist die zeitgenössisch verwendete oder die einzig bekannte. A Aerne, Walter 541, 543 Althoff, Theodor 79, 107, 188, 309 Ashton, Ernest B. (früher: Basch, Ernst) 573– 580, 634 f. Astor, Jacob 132, 135 f., 184 Auerbach, Philipp 552, 567 Bach, Alfred 237 Bach, G. (GF VdWK) 309 B Bachmann, Theodor 406 f., 564 Bamberger, Anna 73 Bamberger, Elisabeth 43,363,367 f. Bamberger, Frieda 73 Bamberger, Fritz (später: Fred S. Bamberger) 43, 73 f., 108, 119, 126, 274, 367, 385–390, 398–413, 490–495, 557–582, 593 f., 631 f., 637 f. Bamberger, Gustav 72, 126, 363, 400, 402 Bamberger, Heinrich 72–75, 126, 274, 363, 367, 398–400 Bamberger, Hella 73 Bamberger, Hiersch 69, 71 Bamberger, Jacob 73 Bamberger, Lotte 43, 558, 566, 571 f., 582 Bamberger, Ludwig 72, 126, 400, 402

Bamberger, Max 72 Basch, Else 573 Basch, Ernst, siehe: Ashton, Ernest B. Basch, Julius 573 Basch, Ludwig 74 Bauer, Alfred 365, 369 Bauer, Friedrich 441 Baumgarten, W. 315 Becker (Vors. AG) 529 Becker, Ehrhardt 126 Becker, Elsa 68 Becker, Frieda 67 f. Becker, Gottfried 67 f., 536–540 Becker, Johann Gottfried 67 f., 126 Becker, Margarete 67 f., 461, 536 Becker, Martha 67 f.,126 Becker, Paul 126 Belitz, Franz 384 Bernhard (GF VdWK) 309 Bernstein, Lothar 492, 563 Beutler, Otto 103, 137 Blankenstein, O. (FG 3) 315 Boecker, Franz 261 Bogenberger, August 574 f. Bossert, Heinrich 421 Brandenfels, Hanna 16 Brauer-Hoch, E. (FG 3) 315

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Personenregister

Brenner, Adolf 404 f. Brenninkmeyer, Auguste 75 Brenninkmeyer, Bernhard Joseph 262, 641 Brenninkmeyer, Rudolf 639 f. Breslauer, Kurt 542 f. Breuer, Max 405–407, 462 Brüning, Heinrich 251–253, 255, 257, 326, 331, 337 Brunotte, Max 307 Budde, Georg 315 Bührer (Ariseur) 403, 564 C Carsch, Paul 257 Clay, Lucius D. 521 Cloppenburg, James 377 Croon, Hans 458 D Diesing, Th. (FG 3) 315 Dietrich, Hermann Robert 253 Dinger (FG 3) 315 Döge, Otto 461 Döring, Kurt 567 f., 570 Döring, Theodor 409, 411 f., 487, 507, 561, 564, 567 Dorn (Fabrikant) 412, 448, 507 Dyckhoff, Josef 377, 403, 501 E Effer, Franz 583 Eger, Johann 472 Ehlers, Henry 461 f., 490, 558, 561, 576, 578 Eidmann, Bernhard 241 Eisenmeier (Gauwirtschaftsberater) 472 Eklöh, Herbert 611 Endres, Sebastian 567 Engel, Leo 27 Engelhorn, Rudolf 244 Engelke (Mitarbeiter B & H) 368 Erhard, Ludwig 523, 526–530, 601, 610, 628 f. Evenius, W. (Chefredakteur) 37 Evers, Georg 37 F Faerber, Benno 418 Faerber, Jonas 418

Falk, Willy 131 Feldberg, Walter F. 562 Fonk, Wilhelm 384, 413, 461, 494, 602 Freudemann, Paul 303, 311 Freudenberg, Hermann 151 f. Fritzsche, Ludwig 360 f. Funk, Walter 438, 478 G Gerhardt, Martha 68 Goerdeler, Carl Friedrich 256, 331 Göring, Hermann 363, 413, 438 Graf Arco und von Brentano 559 Greiffenhagen, Erich (später: Hagen, Eric G.) 36 Grünbaum, Max 309 Grünfeld, Heinrich 181 Grunwaldt (Vorstand HDE) 303 Guggenheim, Fritz 80 H Haas, August 307 Haas, Frieda 366 Habfast, Albert 405, 408 Hachmeister, Wilhelm 646 Hagen, Eric G., siehe Greiffenhagen, Erich Halbreiter, W. (FG 3) 315 Haller, Emil 401–403, 409, 412, 440, 469, 487, 490, 566–568, 570, 632 Haller, Johann 307 Hambrecht, O. (FG3) 315 Hartmann, Rudolf 308 f. Hayler, Franz 302 f., 311, 329, 458, 467 f., 484 Heimann, Oskar 151 Heinrich, G. (Vorstand HDE) 303 Heller (GF Adefa) 394 Hellmann, W. (FG 3) 307, 315, 437 Herbst, Curt 542, 545 Hermann, Johannes 452 Hertz, Karl 71 Herzog, Rudolf 302 Hettlage, August 75 Hettlage, Benno 261, 418 f., 638–653 Hettlage, Carl 126, 638–653 Hettlage, Fritz 261, 638–653 Hettlage, Werner 261, 638–653

Personenregister

Hirmer, Hans 374, 401–404, 409–412, 448 f., 461 f., 487–494, 506–508, 558–582, 593 f., 631–639

Lobe, Arthur R. 565 Lorch, Wilhelm 39 Lüer, Carl 302, 311, 465

J Jacobsen, Fritz 309, 311, 495 Jacobsohn (Direktor) 365, 369 f., 414 Jaeger, Wilhelm 292 f. Jasching, H. (FG 3) 315 Jordan, Heinrich 133 Jung, Otto 395 f., 422 Just, Otto 140

M Manasse, Georg 157, 214, 216, 220, 266, 270, 361, 364, 369, 379, 382 f. Marcus, Alfred 392 Maurer, Ernst 406 f. May (Senator) 303 Mayer, Adolf 303 McFadyean, Andrew 384 Melzer (Rechtsanwalt) 412 Mittelhammer, Stefan 472 Molt (Vorstand HDE) 303 Moses, Siegfried 554 Müller, Arno 474 Müller, Franz 365 Müller, Fritz 543

K Kahn, Leopold 427 Kalbfuß (Vorstand HDE) 303 Kalisch, Willy 474 Karl, Wilhelm 428 Karo, Siegfried 35 f. Kaufmann, Arthur 555 Keppler, Adolf 377 Kiehl, Johannes 501 Kitzinger, Otto 256 f., 337 Klapp (Vorstand RDM) 307 Klingsohr, Fritz 429 Koch, Sigmund 508 Köckler, R. S. (FG Gemeinschaftseinkauf) 415 Köhler, W. (FG 3) 315, 399 Körner (GF DKW) 386 f. Kretzschmann, Paul 311 Kroner, Karl 365 Krüger, Hans 309, 355 Kunz, W. (FG 3) 315 Küster, Otto 552 L Law, Nigel 384 Leichenich, Johann 410 Leimbach, G. (Vorstand RHK) 307 Leineweber, Heinrich 307 Lesser, Max 418 Levy, Michael 241 Ley, Eberhard 206, 306 f., 314 f., 340, 396 Ley, Robert 300 Licht, Moritz 237 Liedtke, Elise 418 Lippmann, Otto 244

N Naegel, Wilhelm 584 Nahrhaft, Gustav 134, 153, 181, 306 f. Nathan, Kurt 180 Neckermann, Josef 607 Neuendorf (Vorstand HDE) 303 Neuvians, Eugen 644, 652 O Oppenheimer, Leo 73 Ortner, Franz 315 Österreicher, Paul 72 P Perl, Hermann 183 Petzall (Vorstand Reichsbund) 184 Pfau, Eugen 407 Pfeiffer, Christian 405 Pfeiffer, Gustav Adolf 307 Pfeiffer, Julius E. 405 Pfeiffer, Rudolf 405 f. Piorkowsky (Mitarbeiter B & H) 367 Plötz, Paula 374, 448, 462, 559, 572 Porst, Hanns 607 Q Quandt, Günther 139

725

726

Personenregister

R Rathenau, Walther 96 Reichardt, Wolfgang 146 Reichle (FG) 405 Reinold, Wilhelm 603 f. Rueff (Sachverständiger) 559 Rusche (FG 3) 315 S Sack, Paula 366 Salzmann, O. (FG 3) 315 Sauer, Paul 405 f. Schacht, Hjalmar 301, 363 Schäfer, Ewald 543 Schäfer, O. (FG 3) 315 Schleich, Paul 37 Schlöndorff, Hermann 193 Schmidt (Mitarbeiter B & H) 367 Schmitter (Vorstand HDE) 303 Schmitz, Hans 584 Schnellert, Otto 447 f. Schocken, Salman (jun.) 63 f., 156, 160, 164, 214–220, 265–276, 309, 359, 380–384, 414, 554, 602 Schocken, Simon 63 f., 156, 164 Schocken, Theodor (auch: Theodore) 414, 555 Schönherr, M. (FG) 315 Schottländer, Leopold (auch L. Schottländer Verlag) 35 f. Schütte, Wilhelm 365, 369 Seyffert, Rudolf 27 Sigel, Siegfried 73 Singer, Jonas und Rachel Leia 419–421, 555–557 Speer, Albert 477 f. Spiecker, Walther 303–309 Spiegel, Emil 424 Spiro, Georg 370–373, 384, 554 f. Steppacher (Ariseur) 561, 564 Sternberg-Raasch, Richard 331 Stier, Karl 307 Streicher, Julius 365, 372, 412 T Tengelmann, Herbert 303, 307, 311 f., 314 f., 317, 332 f., 359, 422

Thälmann, Ernst 337 Tiburtius, Joachim 27, 252, 294, 303 Tietz, Alfred Leonard 65, 239, 295, 365, 413 Tietz, Georg 309 Tietz, Oscar 65, 78 f., 86, 89, 101 f., 117, 128, 132, 134–136, 181, 184, 365, 413 Traube, Ludwig 37 f., 133, 135 Tuteur, Jacob 240, 306 f. U Ury, Julius 63 Ury, Moritz 63, 209 V van Norden (Vorstand HDE) 303 Vogel (Mitarbeiter B & H) 368 Vogl, Adolf 632 Volkhardt (Ariseur) 564, 566 von Hindenburg, Paul 133, 337 von Moellendorff, Wichard 97 von Papen, Franz 257, 337 von Poll (Vorstand HDE) 303 von Renteln, Adrian 300 f., 303 von Schleicher, Kurt 257 W Wagener, Otto Wilhelm Heinrich 305, 308 Wallenborg, Harry 526 Wells, Herbert George (H. G.) 663 Wengenmayr (Kunsthistoriker) 559 Wieder, Fritz 342 Wienbeck, Erich 329 Wiesenthal, Julius 35 Wieser, Fritz 311, 476, 478 Wildt, Erich 303 f. Wille, Siegfried 412 Wilser, R. (Vorstand HDE) 303 Wolf, Willy 309 Wolfram (Mitarbeiter B & H) 367 Wutzler, Kurt 543 Z Zeleny, Karl 304 Zimmermann, Karl 424 Zwickel, Helmut 315 f. Zwillenberg, Hugo 213

v i e rt e l ja h r s c h r i f t f ü r s o z i a l u n d w i rt s c h a f t s g e s c h i c h t e – b e i h e f t e

Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0341–0846

225. Tanja Junggeburth Stollwerck 1839–1932 Unternehmerfamilie und Familienunternehmen 2014. 604 S. mit 92 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10458-6 226. Yaman Kouli Wissen und nach-industrielle Produktion Das Beispiel der gescheiterten Rekonstruktion Niederschlesiens 1936–1956 2014. 319 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10655-9 227. Rüdiger Gerlach Betriebliche Sozialpolitik im historischen Systemvergleich Das Volkswagenwerk und der VEB Sachsenring von den 1950er bis in die 1980er Jahre 2014. 457 S. mit 28 Abb. und 42 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10664-1 228. Moritz Isenmann (Hg.) Merkantilismus Wiederaufnahme einer Debatte 2014. 289 S. mit 4 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10857-7 229. Günther Schulz (Hg.) Arm und Reich Zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ungleichheit in der Geschichte 2015. 304 S. mit 18 Abb. und 15 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10693-1 230.1 Gerhard Deter Zwischen Gilde und Gewerbefreiheit. Bd. 1 Rechtsgeschichte des selbständigen Handwerks im Westfalen des 19. Jahrhunderts (1810–1869) 2015. 395 S., geb. ISBN 978-3-515-10850-8

230.2 Gerhard Deter Zwischen Gilde und Gewerbefreiheit. Bd. 2 Rechtsgeschichte des unselbständigen Handwerks im Westfalen des 19. Jahrhundert (1810–1869) 2015. 482 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10911-6 231. Gabriela Signori (Hg.) Das Schuldbuch des Basler Kaufmanns Ludwig Kilchmann (gest. 1518) 2014. 126 S. mit 6 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10691-7 232. Petra Schulte / Peter Hesse (Hg.) Reichtum im späten Mittelalter Politische Theorie – Ethische Norm – Soziale Akzeptanz 2015. 254 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10943-7 233. Günther Schulz / Reinhold Reith (Hg.) Wirtschaft und Umwelt vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart Auf dem Weg zu Nachhaltigkeit? 2015. 274 S. mit 8 Abb. und 9 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11064-8 234. Nina Kleinöder Unternehmen und Sicherheit Strukturen, Akteure und Verflechtungsprozesse im betrieblichen Arbeitsschutz der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nach 1945 2015. 384 S. mit 28 Abb. und 30 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11129-4 235. Eva Jullien / Michel Pauly (Hg.) Craftsmen and Guilds in the Medieval and Early Modern Periods 2016. 316 S. mit 5 Farb-, 5 s/w-Abb. und 20 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11235-2

236. Christopher Landes Sozialreform in transnationaler Perspektive Die Bedeutung grenzüberschreitender Austausch- und Vernetzungsprozesse für die Armenfürsorge in Deutschland (1880–1914) 2016. 386 S., kt. ISBN 978-3-515-11304-5 237. Wolfgang König Das Kondom Zur Geschichte der Sexualität vom Kaiserreich bis in die Gegenwart 2016. 233 S., kt. ISBN 978-3-515-11334-2 238. Janis Witowski Ehering und Eisenkette Lösegeld- und Mitgiftzahlungen im 12. und 13. Jahrhundert 2016. 340 S. mit 2 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11374-8 239. Jann Müller Die Wiederbegründung der Industrie- und Handelskammern in Ostdeutschland im Prozess der Wiedervereinigung 2017. 284 S., kt. ISBN 978-3-515-11565-0 240. Hendrik Ehrhardt Stromkonflikte Selbstverständnis und strategisches Handeln der Stromwirtschaft zwischen Politik, Industrie, Umwelt und Öffentlichkeit (1970–1989) 2017. 317 S. mit 4 Abb. und 4 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11624-4 241. Beat Fumasoli Wirtschaftserfolg zwischen Zufall und Innovativität Oberdeutsche Städte und ihre Exportwirtschaft im Vergleich (1350–1550) 2017. 580 S. mit 15 Abb. und 6 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11803-3 242. Gerhard Fouquet / Sven Rabeler (Hg.) Ökonomische Glaubensfragen Strukturen und Praktiken jüdischen und christlichen Kleinkredits im Spätmittelalter 2018. 162 S. mit 2 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12225-2 243. Günther Schulz (Hg.) Ordnung und Chaos Trends und Brüche in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2019. 262 S. mit 21 Abb. und 12 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12322-8

244. Günther Schulz / Mark Spoerer (Hg.) Integration und Desintegration Europas Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge 2019. 230 S., mit 16 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12350-1 245. Sabrina Stockhusen Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch (1479 bis 1517) Lebensformen eines Lübecker Krämers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert 2019. 472 S., mit 6 Abb. und 7 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11697-8 246. Janina Salden Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband zur Zeit des Nationalsozialismus 2019. 385 S., mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12340-2 247. Johannes Bracht / Ulrich Pfister Landpacht, Marktgesellschaft und agrarische Entwicklung Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert 2020. 364 S., mit 57 Abb. und 38 Tab., kt. 978-3-515-12444-7 248. Heinrich Lang Wirtschaften als kulturelle Praxis Die Florentiner Salviati und die Augsburger Welser auf den Märkten in Lyon (1507–1559) 2020. 728 S., mit 25 Abb. und 10 Tab., kt. 978-3-515-12491-1 249. Mechthild Isenmann Strategien, Mittel und Wege der inner- und zwischenfamiliären Konfliktlösung oberdeutscher Handelshäuser im 15. und ‚langen‘ 16. Jahrhundert 2020. 450 S., mit 15 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12574-1 250. Arnd Kluge Die deutsche Porzellanindustrie bis 1914 2020. 440 S., mit 12 Abb. und 7 Karten, kt. 978-3-515-12677-9 251. Rainer Fremdling Nationalsozialistische Kriegswirtschaft und DDR Planungsstatistik 1933–1949/50 2020. 283 S., mit 2 Abb. und 7 Tab., kt. 978-3-515-12608-3

Auf Basis bislang nicht herangezogener Quellen aus privaten und öffentlichen Archiven legt Uwe Balder eine umfas­ sende Geschichte des deutschen Textil­ einzelhandels vor. Er arbeitet bedeutende Entwicklungslinien der Branche heraus und verknüpft diese mit der konkreten Entwicklung von vier Textilunternehmen: Bamberger & Hertz/Hirmer, Schocken/ Merkur, Hettlage sowie J.G. Becker. Balder kann so Kontinuitäten und Brüche im Verlauf von knapp sechs Jahrzehnten

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sichtbar machen – ausgehend vom Kaiser­ reich, über die erste deutsche Demo­ kratie, hinein in die NS­Diktatur und schließlich einmündend in die frühe Bundesrepublik. Es zeigt sich deutlich: Der Verkauf von Kleidung zwischen Konjunktur und Krise war und ist eine Erzählung vom Aufstieg und Nieder­ gang, von Prosperität und Depression sowie vom Ringen um den angemessenen Platz dieser Branche in Deutschland.

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